Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 9/27/2001

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Walter Riester (Minister:in)

Politiker ID: 11003616

Herzlichen Dank, Herr Präsident. - Was gibt es Schöneres, als an seinem Geburtstag eine Rede im Plenum zu halten? Ich erinnere mich, dass wir vor drei Jahren am 27. September Wahltag in Deutschland hatten: Auch das war kein schlechter Tag. ({0}) Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es geht heute um den Einzelplan 11, um den Haushaltsplan des Arbeits- und Sozialministeriums, der ein Volumen von gut 173 Milliarden DM hat. Das ist der größte Einzelplan des Bundeshaushalts - und dies nicht ohne Grund: Die Bundesregierung unterstreicht mit diesem Haushalt ihre zentralen innenpolitischen Ziele, nämlich die Verbesserung der Erwerbsarbeit, den Abbau der viel zu hohen Arbeitslosigkeit und die Sicherung unserer Sozialsysteme. Denn mehr soziale Gerechtigkeit und ein sozialer Ausgleich zwischen den Generationen ist Voraussetzung für die Bereitschaft zum Wandel, ist die Voraussetzung dafür, dass die Menschen die Sicherheit haben, die notwendig ist, um diese Reformpolitik mitmachen zu können. Deshalb ist dies ein ganz wichtiger Beitrag zur sozialen Gestaltung unseres Landes. Die größten Blöcke in diesem Einzelhaushalt sind die Mittel, die wir für den Arbeitsmarkt einsetzen. Dies sind insgesamt über 23 Milliarden DM. Dazu kommen die Ausgaben für die sozialen Sicherungssysteme: Rentenversicherung über 141 Milliarden DM und für die Kriegsopfer 7,4 Milliarden DM. Was verbirgt sich für die Bürgerinnen und Bürger hinter diesen Zahlen? Was wird mit diesem Geld gemacht? Ich möchte bewusst mit einem Bereich beginnen, der mir sehr am Herzen liegt und der viele Menschen in diesem Lande betrifft, Menschen, die allein vom Wirtschaftswachstum, allein von den Steuerungen des Marktes her zu wenig Chancen haben. Das sind Menschen mit Behinderungen. Das Grundgesetz gibt uns den Auftrag, Menschen mit Behinderungen in der Arbeit und im gesellschaftlichen Leben gleichzustellen. Deswegen haben wir in diesem Jahr das Sozialgesetzbuch IX verabschiedet. In diesem Neunten Sozialgesetzbuch ist das Recht auf Unterstützung und Teilhabe behinderter Menschen in unserem Lande wesentlich weiterentwickelt worden. Dieses Sozialgesetzbuch verbessert die Lebenssituation behinderter Menschen. Und, was mich besonders gefreut hat, diese Reform hat der Bundestag gemeinsam gemacht. Dafür möchte ich mich bei allen bedanken, insbesondere auch bei der Opposition. Wir haben aber in diesem Bereich auch andere wichtige Schritte getan. Wir haben das Gesetz zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit Schwerbehinderter verabschiedet und - einmalig - mit diesem Gesetz die Vereinbarung zwischen Wirtschaft, Gewerkschaft und Behindertenverbänden verbunden, in dieser Legislaturperiode die Zahl der arbeitslosen Schwerbehinderten um 50 000 zu senken. Meine Damen und Herren, hinter dieser Zahl verbirgt sich eine Herausforderung, die enorm ist, da Wirtschaftswachstum allein die Eingliederung arbeitsloser schwerbehinderter Menschen eben nicht automatisch bewirkt, sondern gezielt mit Maßnahmen eingegriffen werden muss. Hier müssen wir Unterstützung geben. Deswegen freue ich mich besonders, dass wir schon nach den Augustzahlen rund 21 300 schwerbehinderte Menschen in den Arbeitsmarkt gebracht haben. ({1}) Ich bin überzeugt: Wenn wir so weitermachen, und zwar alle - in der Wirtschaft, bei den Arbeitnehmervertretungen, bei den Behindertenverbänden, in den Arbeitsämtern -, haben wir gute Chancen, im nächsten Jahr die Reduzierung der Zahl arbeitsloser Schwerbehinderter um 50 000 zu schaffen. ({2}) Das dritte große Reformprojekt wird das Gleichstellungsgesetz für behinderte Menschen sein. Kernstück des Gesetzes ist der barrierefreie Zugang zu allen Lebensbereichen. Behinderte Menschen sollen zu allen Lebensbereichen einen umfassenden Zugang haben. Sie sollen sie uneingeschränkt nutzen können. Von großer Bedeutung ist das Instrument der Zielvereinbarung, das wir vorsehen, nämlich dass behinderte Menschen selbstständig und in eigener Verantwortung Vereinbarungen im Wirtschaftsbereich treffen können, um Barrierefreiheit herbeizuführen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Seifert von der PDS-Fraktion?

Walter Riester (Minister:in)

Politiker ID: 11003616

Ja.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Bitte schön.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Minister, ich freue mich sehr, dass Sie die Situation von schwerbehinderten Menschen an den Anfang Ihrer Rede stellen. Dafür danke ich Ihnen. Dennoch erlauben Sie mir bitte zwei Fragen. Erstens. Wie viele von den knapp 25 000 Menschen, die Sie jetzt nannten, sind denn tatsächlich auf dem ersten Präsident Wolfgang Thierse Arbeitsmarkt und wie viele sind inzwischen herausgefallen? Das ist der Statistik leider nie zu entnehmen. Zweitens. Was verändert sich beim Gleichstellungsgesetz in Bezug auf die Zielvereinbarungen? Was könnten Behindertenorganisationen und Unternehmerverbände im Vorfeld der Verabschiedung des Gesetzes jetzt schon vereinbaren und tun?

Walter Riester (Minister:in)

Politiker ID: 11003616

Zum Ersten, Herr Abgeordneter Seifert: Ich kann Ihnen jetzt nicht detailliert, mit Zahlen, sagen, wie viele behinderte Menschen im ersten und wie viele im öffentlich geförderten Arbeitsmarkt tätig sind. Ich will das aber gern nachholen und Ihnen dann mitteilen. Aber unser Hauptziel und unsere Hauptaufgabe ist die Integration in den ersten Arbeitsmarkt. Ihre Fragen zum Gleichstellungsgesetz, das wir noch im November in das Parlament einbringen wollen, bitte ich Sie dann zu stellen. Ich habe es gerade angesprochen: Das Hauptziel sind eigenständige Zielvereinbarungen, um Barrierefreiheit in allen Lebensbereichen für behinderte Menschen herbeizuführen. ({0}) Meine Damen und Herren, dieses dritte große Gesetz, mit dem wir die Lebenssituation behinderter Menschen deutlich verbessern wollen, werden wir noch in diesem Jahr einbringen. Die Kabinettsentscheidung und die erste Lesung sind im November dieses Jahres geplant. Ich würde mich besonders freuen, wenn wir auch dieses Gesetz mit einer breiten Übereinstimmung im Deutschen Bundestag verabschieden würden. Das zweite wichtige Ziel, das wir mit diesem Haushalt erreichen wollen, ist, das Rentenversicherungssystem weiter zu stabilisieren. Wir haben in den vergangenen zwölf Monaten durch einen enormen Kraftakt eine der größten Sozialreformen der deutschen Nachkriegsgeschichte verwirklicht. Ich erinnere mich noch gut, wie wir vor einem Jahr über den Kurs in der Rentenpolitik diskutiert haben. Zwischenzeitlich haben wir ein neues Kapitel in der Sozialgeschichte aufgeschlagen. Die Rentenreform ist beschlossen. Wir haben das bewährte System der solidarischen gesetzlichen Rentenversicherung auf eine stabile Basis gestellt. Wir haben erhebliche Steuermittel eingesetzt, um damit versicherungsfremde Leistungen zu finanzieren. Es gelang, den Beitrag zur Rentenversicherung zu senken und - das ist für mich ein viel wichtigerer Schritt - ihn vor allem langfristig zu stabilisieren. ({1}) Damit haben wir die Rentenversicherung auf die Herausforderungen, die sich in den nächsten Jahren und Jahrzehnten stellen werden, gut vorbereitet. Der entscheidende, innovative Schritt ist aber der ergänzende Aufbau einer zusätzlichen Altersvorsorge für die Menschen in diesem Lande. Ich freue mich insbesondere, dass zunehmend auch tarifliche Rahmenbedingungen dafür gesetzt werden. In den letzten Wochen und Monaten wurden Tarifverträge für 8,7 Millionen Menschen abgeschlossen, die die Basis dafür bieten, dass es zu einer Renaissance - die es so noch nie gegeben hat - der betrieblichen Altersvorsorge kommen kann. Sie wissen, dass die betrieblichen Altersvorsorgesysteme zunehmend rückläufig waren. Ich verspreche mir einen gewaltigen Schub, wenn wir hier zu einer Renaissance der betrieblichen Altersvorsorge kommen. Man muss deutlich sagen, dass dies insbesondere für die mittlere und jüngere Generation - ich wäre froh, wenn dieser Schritt schon vor 15 Jahren eingeläutet worden wäre - die Chance bedeutet, eine ergänzende Altersvorsorge aufzubauen. ({2}) Ich komme nun zum großen Bereich der Beschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitik, über die in diesem Lande zu Recht intensiv diskutiert wird. Sie wissen: Die Bundesregierung hat von Anfang an gesagt, dass sie sich daran messen lassen wird, mit welcher Wirksamkeit sie die Beschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitik vorangetrieben hat. ({3}) Wer sich messen lassen will, muss auch die Ausgangsposition beziffern: Von 1981 bis 1998 stieg die Arbeitslosenzahl in Deutschland, und zwar kontinuierlich, um 3,5 Millionen auf den Höchststand von 4,823 Millionen im Januar 1998. ({4}) - Es wurde die Frage gestellt, ob es dafür ein historisches Datum gibt: Ja. Der deutsche Einigungsprozess hat zu einer Umschichtung von 10 Millionen nicht wettbewerbsfähigen Arbeitsplätzen zu mittlerweile 6 Millionen wettbewerbsfähigen Arbeitsplätzen geführt. Herr Abgeordneter Niebel, die stark ansteigende Arbeitslosigkeit erstreckt sich - das könnte ich Ihnen aufzeigen - auch auf die westlichen Bundesländer. Auch hier ist von 1981 bis 1998 ein ganz gravierender Anstieg der Arbeitslosigkeit zu verzeichnen. Dafür gibt es viele Gründe, auf die ich im Rahmen dieser Haushaltsdebatte nicht im Einzelnen eingehen kann. ({5}) Wichtig ist mir, dass 39 Monate hintereinander - bis einschließlich Juli dieses Jahres - ein Sinken der Arbeitslosenzahl - bezogen auf den Vorjahresmonat - erreicht wurde. ({6}) Ich habe mein Haus nachprüfen lassen, wann es das zum letzten Mal gab. ({7}) Ich kann es Ihnen sagen: Das gab es noch nie. Die letzte lange Phase, in der Arbeitslosigkeit abgebaut worden ist, war von 1978 bis 1980. ({8}) 26 Monate hintereinander. Man fragt sich natürlich, ob es ein Zufall ist, dass auch damals die Regierung von den Sozialdemokraten gestellt wurde. ({9}) Über 39 Monate hinweg ist die Arbeitslosigkeit ununterbrochen gesunken und - was mich fast noch mehr freut - in zwei Jahren ist die Beschäftigung um 1 Million Menschen aufgebaut worden. Wir haben einen Beschäftigungsstand, den es in dieser Höhe in Deutschland noch nie gab. ({10})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Meckelburg, CDU/CSU-Fraktion?

Walter Riester (Minister:in)

Politiker ID: 11003616

Ja.

Wolfgang Meckelburg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001452, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, bevor Sie sich in einen Rausch hineinreden, bitte ich Sie, mir zu bestätigen, dass zwar im Januar 1998 4,8 Millionen Menschen arbeitslos waren, dass wir aber bereits zum Zeitpunkt des Regierungswechsels zwischen 3,8 und 3,9 Millionen Arbeitslose hatten. ({0}) Würden Sie mir bestätigen, dass wir zurzeit wieder etwa den gleichen Stand haben? Welche Leistung haben Sie da eigentlich erbracht? ({1})

Walter Riester (Minister:in)

Politiker ID: 11003616

Herr Meckelburg, ich will Ihnen die Zahlen gern bestätigen und will Ihnen gleichzeitig sagen, warum die Zahlen so waren. Wir hatten zu Beginn des Jahres 1998 4,8 Millionen Arbeitslose und dann begann eine unsägliche ({0}) ABM-Wahlkampfmasche. ({1}) Ich will Ihnen die Zahlen nennen: Innerhalb von sieben Monaten sind 270 000 Menschen zusätzlich in den öffentlich geförderten Arbeitsmarkt gebracht worden. So wurde nur die Arbeitslosenstatistik abgebaut. 520 000 Menschen waren im Oktober 1998 im öffentlich geförderten Arbeitsmarkt. Wir haben dies korrigiert. Das war ein ganz schwieriges Feld. Sie haben Menschen in eine ABM-Zukunft geschickt, nur um die Statistik zu korrigieren. Dies wird es mit mir nicht geben. ({2})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Minister, gestatten Sie zwei weitere Zwischenfragen, und zwar zunächst des Kollegen Schemken und dann des Kollegen Niebel?

Walter Riester (Minister:in)

Politiker ID: 11003616

Gerne.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Bitte schön.

Heinz Schemken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001955, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, während Sie heute Morgen Ihr Hauptanliegen offenbar mithilfe von Zahlenarithmetik darstellen, ist es uns nach wie vor ein Anliegen, das Einzelschicksal jedes Arbeitslosen zu sehen. Das kann man mit Zahlen nicht wegbringen. Können Sie mir bestätigen, dass seit drei, vier Jahren die geburtenstarken Jahrgänge - das sind die 30er-Jahrgänge - mit erhöhten Zahlen von 250 000 jährlich in Rente gehen und dass dies zur Senkung der Arbeitslosenzahlen, insbesondere bei den Langzeitarbeitslosen, beiträgt? Können Sie mir bestätigen, dass Sie auch die 630Mark-Arbeitsverhältnisse in die - von Ihnen als erfreulich bezeichnete - Zunahme an Arbeitsplätzen einrechnen? Können Sie mir bestätigen - von Ihnen wurden die Wahl-ABM angeführt -, dass Sie alleine mit dem JUMPProgramm zwischen 250 000 und 300 000 Jugendliche in Arbeit gebracht haben und dass diese Arbeitsmarktmaßnahme aus der Statistik herauszurechnen ist? Können Sie mir bestätigen, dass diese Statistik also infolge staatlicher Programme und der demographischen Entwicklung so freundlich aussieht und dass sich im ersten Arbeitsmarkt schlechthin nichts geändert hat? Im Gegenteil: Wir haben einen erhöhten Anstieg der Arbeitslosenzahlen - saisonbereinigt sogar im Frühjahr und die Sommerzahlen 2001 sind dramatisch -, die Sie nach Ihrem Gusto besser darzustellen versuchen. ({0})

Walter Riester (Minister:in)

Politiker ID: 11003616

Herr Schemken, alle Ihre Fragen kann ich nicht bestätigen. Zu Ihrem ersten Punkt: Wir haben mindestens bis zum Jahr 2004 eine steigende Zahl von Schulabgängern. Es gibt also eine weitere Belastung, mit der wir fertig werden müssen. Ich finde es gut, dass wir eine steigende Zahl von Schulabgängern haben. Aber dies bewirkt keine Entlastung des Arbeitsmarktes. Zu Ihrer zweiten Frage: Wir hatten in der Arbeitsmarktentwicklung 1 Million zusätzliche Beschäftigungsverhältnisse. Davon waren 600 000 sozialversicherungspflichtig. In die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnisse gehen die 630-Mark-Arbeitsverhältnisse in aller Regel nicht ein. Sie gehen nur dann ein, wenn der einzelne Beschäftigte sein 630-Mark-Arbeitsverhältnis mit Zusatzzahlungen sozialversicherungspflichtig macht. Das ist aber kaum der Fall. 600 000 sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse zusätzlich hat es in einem so kurzem Zeitraum noch nicht gegeben. ({0}) Ihre letzte Frage kann ich Ihnen ebenfalls nicht bestätigen. Die insgesamt 330 000 Jugendlichen, die wir nicht mit einem alten, sondern einem neuen Programm, dem JUMP-Programm, gefördert haben, sind zu über 75 Prozent in Arbeit oder Ausbildung gekommen. Genau das war das Ziel des Programms. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Schemken, lassen Sie bitte erst einmal den Kollegen Niebel fragen. Wenn es Sie danach noch drängt, können Sie eine weitere Frage stellen - damit wir ein Wechselspiel haben. Kollege Niebel.

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Minister, wie versprochen, will ich keine Rede halten, sondern eine Frage stellen. Sie haben festgestellt: Die Tatsache, dass im Januar 1998 die Arbeitslosenzahl bei ungefähr 4,8 Millionen lag und sich die Zahl bei Ihrer Regierungsübernahme ungefähr auf dem jetzigen Niveau befand, schreiben Sie einzig und allein dem Umstand zu, dass wir als alte Regierung im Wahljahr außerordentlich viele AB-Maßnahmen, also aktive Arbeitsmarktpolitik, aufgelegt haben. Meine Frage: Können Sie mir zustimmen, dass Sie im Haushalt 2000, als die Arbeitslosenzahlen unter anderem aufgrund der demographischen Entwicklung gesunken sind, dennoch 2 Milliarden DM mehr für aktive Arbeitsmarktpolitik ausgegeben haben als im Jahr davor? Trotz sinkender Arbeitslosenzahlen haben Sie mehr Geld für aktive Arbeitsmarktpolitik aufgewendet, ohne den Effekt geringerer Arbeitslosigkeit als zuzeiten Ihrer Regierungsübernahme zu erreichen. Ist das nicht vielleicht ein Beweis dafür, dass die aktive Arbeitsmarktpolitik insgesamt, wie sie bisher konzipiert ist, nicht zielführend ist?

Walter Riester (Minister:in)

Politiker ID: 11003616

Herr Niebel, wir müssen zwischen den Begriffen aktive Arbeitsmarktpolitik und öffentlich geförderter Arbeitsmarkt unterscheiden. Wir sprachen gerade über den öffentlich geförderten Arbeitsmarkt. Hierzu kann ich Ihnen sagen: Auf diesem Gebiet gehen unsere Maßnahmen zurück, weil wir den ersten Arbeitsmarkt in den Vordergrund stellen wollen. Wir haben 2 Milliarden DM - da haben Sie Recht - in 1999, 2000 und 2001 für die Integration junger Menschen in den Arbeitsmarkt zusätzlich zur Verfügung gestellt. Was dort läuft, ist hervorragend. Das habe ich gerade gesagt. Von 330 000 jungen Menschen haben über 75 Prozent Arbeit oder Ausbildung gefunden. Hier werden wir weiterhin investieren, weil dies eine gute Investition ist. Wir haben unsere Maßnahmen im öffentlich geförderten Arbeitsmarkt, also ABM und SAM - Sie wissen das sicherlich, weil Sie aus der Arbeitsverwaltung kommen -, sehr stark eingeschränkt. Wir haben nicht vor, sie im Wahljahr auszuweiten. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Jetzt hat der Kollege Schemken zu einer weiteren Frage das Wort. Danach wollen wir aber den Minister in seiner Rede fortfahren lassen. ({0})

Heinz Schemken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001955, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich kann verstehen, dass Ihnen meine Fragen unangenehm sind.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Schemken, bitte stellen Sie eine Frage und reagieren Sie nicht auf Zurufe im Saal!

Heinz Schemken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001955, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich gebe auch jenen eine Antwort, die in Chören antreten. Die drei Fragen, die ich Ihnen gestellt habe, haben Sie teilweise so beantwortet, dass Sie, die Regierung, gute ABM machen, dass es bei der CDU/CSU aber schlechte ABM gewesen sein sollen. ({0}) Ich habe eine weitere Frage, bezogen auf die Ausbildungsplätze: Können Sie mir bestätigen, dass in den 80erJahren in den alten Bundesländern zwischen 690 000 und 700 000 junge Menschen die Schule verließen und dass jetzt, nach der Wiedervereinigung, insgesamt nicht einmal 600 000 junge Menschen die Schule verlassen, sodass Ihre Feststellung, dass sich die Zahl von Schulabgängern erhöht, nicht zutrifft?

Walter Riester (Minister:in)

Politiker ID: 11003616

Ich kann Ihnen dies nicht bestätigen; denn mir liegt das Zahlenmaterial dazu nicht vor. Ich kann Ihnen aber bestätigen, dass Ihre weitere Annahme, die Zahl der Schulabgänger sinke, falsch ist: Mindestens zum Jahr 2004 steigt die Zahl der Schulabgänger. Darüber freue ich mich; denn diese jungen Menschen brauchen wir dringend. ({0}) Damit bricht aber natürlich das immer wieder kultivierte Argument, wir hätten eine demographische Entlastung, in sich zusammen. ({1}) Wir konnten die Zahl der Menschen, die in den Arbeitsmarkt eintreten, insgesamt sehr stark anheben, und zwar stärker, als wir die Arbeitslosenzahl reduzieren konnten. Damit ist die Beschäftigungsquote in Deutschland gestiegen, was gut ist. Insbesondere bedeutet dies einen stärkeren Anstieg der Erwerbstätigkeit bei Frauen. Darüber dürfen wir uns wirklich freuen. ({2}) Wir freuen uns aber nicht darüber - auch das muss ich klar sagen -, dass wir im Moment ein geringes Wachstum haben. Damit können Impulse, die wir gegeben haben, nicht im entsprechenden Maß zur Geltung kommen. Ich darf aber - insbesondere mit Blick auf die Opposition auf eines hinweisen: In den letzten sieben Jahren der Vorgängerregierung betrug das durchschnittliche reale Wachstum 1,2 Prozent, und zwar trotz hoher Verschuldung, umfangreichen Programmen im Bausektor und eines starken Wachstums in Nordamerika. In den letzten beiden Jahren hatten wir ein doppelt so hohes Wachstum. Ich bin davon überzeugt, dass wir trotz des schwachen Wachstums in diesem Jahr und den Gefahren, die uns im nächsten Jahr drohen, in den Jahren 2001 und 2002 immer noch über dem durchschnittlichen Wachstum der letzten sieben Jahre Ihrer Regierungszeit liegen werden. ({3}) Da Beschäftigungspolitik mehr ist als Arbeitsmarktpolitik, nämlich das Setzen eines politischen Rahmens, haben wir intensiv dafür gekämpft, eine Haushaltskonsolidierung zu erreichen und die Steuer- und Rentenreform durchzubekommen. Damit haben wir die gewünschten Impulse ausgelöst. Aber auch die Arbeitsmarktpolitik ist ein wichtiger Faktor. Deswegen haben wir das JUMPProgramm als Angebot zur Integration für 330 000 junge Menschen sowie ein Programm für schwerbehinderte Menschen, das eine Integration von über 20 000 Betroffenen in einer relativ kurzen Zeit ermöglicht, aufgelegt. Jetzt erfolgt die Fortsetzung unserer Maßnahmen durch das Job-Aqtiv-Gesetz. ({4})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hinsken? Mir ist signalisiert worden, dass die Geschäftsführer verabredet haben, angesichts der gedrängten Tagesordnung und der Fülle der Punkte, die heute zu behandeln sind, nicht zu viele Zwischenfragen zuzulassen. Ich bin in diesem Punkt ganz frei. Herr Repnik, findet das Ihre Zustimmung? Können wir uns dann darauf verständigen, den Minister zu Ende sprechen zu lassen? ({0}) - Ich kann nichts dafür, dass Sie Ihr Mikrofon technisch nicht beherrschen.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, ich kann das Mikro erst nutzen, wenn Sie mir die notwendige Leitung schalten. Ich bitte Sie, darauf hinweisen zu dürfen. Ich möchte Ihre Behauptung, ich sei nicht in der Lage, mein Mikro technisch zu beherrschen, zurückweisen und an Sie diese Frage richten.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich darf Ihnen widersprechen. Ich habe keine Möglichkeit, Ihr Mikro an- oder auszuschalten.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber die Angehörigen der Verwaltung, die hinter Ihnen sitzen. Herr Minister Riester, Sie haben eben das derzeitige Wirtschaftswachstum angesprochen und mit der Situation in früheren Jahren verglichen. Worauf führen Sie den Umstand zurück, dass wir zum Beispiel in den Ländern Bayern, Baden-Württemberg, Hessen oder Saarland - um nur einige zu nennen -, also in den südlichen Ländern, ein Wirtschaftswachstum zu verzeichnen haben, das noch ein klein wenig befriedigen kann, während in den norddeutschen und ostdeutschen Ländern das Wirtschaftswachstum unzureichend ist?

Walter Riester (Minister:in)

Politiker ID: 11003616

Das hat verschiedenste Gründe, die ich nicht so breit erläutern kann. Ich will aber auf einen wichtigen Punkt eingehen. In Baden-Württemberg zum Beispiel - ich war lange dort tätig - ist die Investitionsgüterindustrie, also der Maschinenbau und der Fahrzeugbau, stark vertreten. Diese Branche ist stark exportorientiert, hat noch eine Vielzahl an Aufträgen und ermöglicht daher große Schübe im Wirtschaftswachstum. In Bayern gibt es ähnliche Strukturen. In den einzelnen Bundesländern bestehen unterschiedliche strukturelle Voraussetzungen. Ich würde daher nicht die einzelnen Bundesländer hinsichtlich ihrer Entwicklung vergleichen. ({0}) Ich komme nun zum Job-Aqtiv-Gesetz. Da gestern der Fraktionsvorsitzende der Union erklärt hat, er wisse nicht, warum das „Job Aqtiv“ heißt und warum es mit „Q“ geschrieben wird, möchte ich das kurz erläutern: Es geht um die Zusammenfassung von Aktivieren, Qualifizieren - mit „Q“ -, Trainieren, Investieren und Vermitteln. Vermittlung ist das Hauptinstrument, nicht ABM oder SAM; darauf muss immer wieder hingewiesen werden. Es geht um Vermitteln, also darum, den Menschen schnell und passgenau die Chance zu geben, aus Arbeitslosigkeit in Beschäftigung zu kommen. ({1}) Dieser schnellen, passgenauen Vermittlung kommt in der neuen Reform deswegen die größte Bedeutung zu. Wir möchten zukünftig, dass jeder Arbeitslose, jeder Kunde im Arbeitsamt sofort darüber aufgeklärt wird, wo die Chancen und wo die Risiken der Vermittlung liegen. Wir möchten, dass eine Eingliederungsvereinbarung gemacht wird, die er auch gegenzeichnet - ich komme noch auf Fördern und Fordern -, sodass wir einen Vermittlungsprozess bekommen, der wesentlich schneller verläuft. Dieser Ansatz ist in einigen Arbeitsämtern in Deutschland schon sehr, sehr erfolgreich praktiziert worden. Wir möchten, dass er auf eine breite gesetzliche Basis gestellt wird. Ich freue mich darüber, dass die Bundesanstalt für Arbeit signalisiert hat, sie würde voll mitziehen. Sie bereitet sich schon jetzt vor, ab dem 1. Januar 2002 voll in einen neu ausgerichteten Vermittlungsprozess einzusteigen, der die Chance eröffnet, die Dauer der Arbeitslosigkeit deutlich zu reduzieren. ({2}) Wir werden als Zweites die Qualifizierung verbessern; die mit „Q“. Hier ist das erfolgreiche Instrument der Jobrotation zu nennen. Für beschäftigte Menschen, die in Weiterbildung gehen, sollen arbeitslose Menschen die mitfinanzierte Chance erhalten, den vorübergehend freien Arbeitsplatz zu besetzen. Wir werden Lohnkostenzuschüsse in Höhe von mindestens 50 Prozent leisten, wenn arbeitslose Menschen auf diesen Arbeitsplätzen beschäftigt werden. Wir gehen aber noch ein Stück weiter, und das ist ein Paradigmenwechsel: Wir möchten, dass gerade ältere Menschen, insbesondere in Klein- und Mittelbetrieben - Herr Hinsken, ich spreche hier den Mittelstand an -, die Chance bekommen, ihre Qualifikation zu erhalten. Deswegen werden wir Betriebe mit bis zu 100 Beschäftigten dahin gehend finanziell unterstützen, dass diese Qualifizierung durchgeführt werden kann. Wir möchten die Älteren im Arbeitsprozess halten und wollen, dass Menschen mit Risiken - leider ist Alter am Arbeitsmarkt ein Beschäftigungsrisiko - alle Instrumente sofort nutzen können. Ich möchte deshalb, dass eine Perversion der arbeitsmarktpolitischen Instrumente beendet wird, dass nämlich eine bestimmte Dauer der Arbeitslosigkeit Voraussetzung dafür ist, ein qualifiziertes Angebot an Fördermaßnahmen zu bekommen. ({3}) Mein Gott, was hat man sich damals überlegt, dass Menschen erst einmal zwölf Monate arbeitslos sein müssen, um mit dem Stigma der Langzeitarbeitslosigkeit dann bestimmte Angebote zu bekommen! Nein, ich möchte, dass diese Menschen diese Angebote sofort bekommen können, wenn klar ist, dass es schwierig ist, sie zu vermitteln. Wir werden aber auch die Situation der Frauen verbessern, indem wir eine bessere Wiedereingliederung in den Arbeitsprozess nach der Kindererziehungszeit ermöglichen. Hier werden wir die Förderung auch bei der Qualifizierung ansetzen. Auch bei der Zeitarbeit werden wir Veränderungen vornehmen; denn wir sehen, dass für bestimmte Menschen über die Zeitarbeit Zugangschancen zum Arbeitsmarkt bestehen. Die Zeitarbeitsfirmen haben kritisiert, dass eine Verleihdauer über ein Jahr hinaus nicht möglich ist. Wir öffnen dies jetzt und verdoppeln den Zeitraum auf zwei Jahre. ({4}) - Herr Meckelburg, Sie hätten das in Ihrer Regierungszeit machen können. ({5}) Damals haben Sie es nicht gemacht. Wir machen es jetzt. ({6}) Wir legen aber gleichzeitig fest, dass Leiharbeitnehmer ab dem 13. Beschäftigungsmonat zu den Bedingungen des Entleihbetriebes bezahlt werden. Damit möchten wir beiden Seiten gerecht werden. ({7}) Meine Damen und Herren, mit dem Job-Aqtiv-Gesetz werden wir die Reform der Arbeitsmarktpolitik nach der Steuerreform und der Rentenreform noch in diesem Jahr nicht nur aktiv angehen, sondern zum Abschluss bringen. Ich habe gestern im Einstieg der Rede des Fraktionsvorsitzenden der Union gehört: Man werde das JobAqtiv-Gesetz ablehnen. - Ich würde das sehr bedauern. Denn: Die Steuerreform konnten wir nur gegen den Widerstand der Opposition durchbekommen. Die Rentenreform konnten wir nur gegen ihren Widerstand durchbekommen. Ich möchte, dass zumindest bei der Arbeitsmarktreform das ganze Haus mitzieht. ({8}) Denn ich möchte nie mehr eine Situation wie im Jahr 1998 erleben, als das Wort des Jahres „Reformstau“ lautete. ({9}) Meine Damen und Herren, dieser Einzelplan mit gut 173 Milliarden DM wird ein Haushalt für die sozialen Belange der Menschen in diesem Lande sein. Er ist gleichzeitig ein Haushalt, der die Reformvorhaben weiter voranbringt. Denn Sicherheit einerseits und reformerische Gestaltung andererseits sind die zwei Elemente, die in diesem Land so bitter notwendig sind. Herzlichen Dank. ({10})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Horst Seehofer, CDU/CSU-Fraktion.

Horst Seehofer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002140, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zuerst im Namen meiner Fraktion dem Arbeitsminister zu seinem heutigen Geburtstag gratulieren, ihm persönlich nur Wohlergehen wünschen und politisch so viel Erfolg - aber auch nur so viel -, dass wir uns nicht darüber ärgern müssen. ({0}) Meine Damen und Herren, der „Spiegel“ hat diese Woche bemerkenswerte Umfragen veröffentlicht. 67 Prozent der deutschen Bevölkerung sind mit der Arbeitsmarktpolitik dieser Bundesregierung unzufrieden. Es gibt nur einen einzigen Politikbereich, wo die Rate der Unzufriedenheit noch höher ist: Das ist die Gesundheitspolitik dieser Bundesregierung. Wenn über zwei Drittel der Deutschen von Herrn Riesters Arbeitsmarktpolitik enttäuscht sind, weil er kein beschäftigungspolitisches Ziel erreicht hat, dann ist das beredter als alle statistischen Aussagen, die er hier abgeliefert hat. ({1}) Herr Riester, wenn ich Sie höre, habe ich manchmal den Eindruck, Sie wären besser Bundesminister für Statistik als für Arbeit. Denn Sie jonglieren mit Statistiken. Ich habe mir gerade Zahlen zu der Frage des Kollegen Schemken kommen lassen, wie es mit Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Strukturanpassungsmaßnahmen und der Entlastung des Arbeitsmarktes 1998 war und heute ist - die Quelle ist die Bundesanstalt für Arbeit, nicht die Opposition -: Senkung der Arbeitslosenzahl durch Beschäftigungsmaßnahmen im Jahre 1998 um 962 000, im Jahre 2001 um 962 000. Die Behauptung, wir hätten 1998 die Dinge künstlich hochgefahren, um die Arbeitslosenstatistik zu schönen, ist eine glatte Unwahrheit. ({2}) Herr Riester, Sie können sagen, was Sie wollen: Nichts ist so überzeugend wie die Realität. Die Arbeitslosenzahl im August des Jahres 2001 ist höher als die Arbeitslosenzahl ein Jahr zuvor und die Zahl der Erwerbstätigen im August ist niedriger als ein Jahr zuvor. Deshalb ist die These richtig, dass Sie Ihre beschäftigungspolitischen Ziele verfehlt haben. Jetzt kommen Sie immer mit dem Vergleich der letzten Jahre mit 1998. Auch Herr Struck hat diesen Vergleich gestern angestellt. Herr Riester, die Senkung der Arbeitslosenzahl ist ausschließlich auf die Tatsache zurückzuführen, dass seit 1998 aufgrund der Altersstruktur unserer Bevölkerung jährlich über 200 000 Menschen mehr aus dem Arbeitsleben ausscheiden als Jüngere nachrücken. ({3}) Die Zahl der Erwerbstätigen seit 1998, die Sie angeben, ist entscheidend durch die Neuregelung der Sozialversicherungspflicht im Bereich der geringfügigen Beschäftigung beeinflusst. Deshalb, Herr Riester, sind Sie mit Ihrer Beschäftigungspolitik gescheitert. Sie haben versagt. Sie haben keines der arbeitsmarktpolitischen Ziele, deren Erreichung Sie der Bevölkerung im Bundestagswahlkampf 1998 versprochen haben, auch nur annähernd erreicht. Das ist die Tatsache. ({4}) Dafür gibt es Kronzeugen. Ausgerechnet das ehemalige Vorzeigeprojekt dieser Regierung, das Bündnis für Arbeit, hat die härteste Kritik an der Arbeitsmarktpolitik dieser Regierung vorgetragen. Sie wissen, dass das Bündnis für Arbeit eine Arbeitsgruppe „Benchmarking“ einsetzt hat, die die Arbeitsmarktpolitik in 18 Industrienationen miteinander verglichen hat. Ich lese Ihnen einmal die Zusammenfassung dieses internationalen Vergleichs vor - das stammt vom 10. September 2001 -: In kaum einem anderen Land gibt die Regierung so viel Geld für Arbeitslosenhilfe, Qualifizierung und Beschäftigungsprogramme aus und in kaum einem anderen fallen die Ergebnisse so dürftig aus. Wer schlecht ausgebildet ist, alt oder schon längere Zeit als arbeitslos gemeldet, hat in der Bundesrepublik denkbar schlechte Chancen auf einen neuen Job, weit schlechtere jedenfalls als in allen anderen Teilen der industrialisierten Welt. ({5}) Meine Damen und Herren, das ist die Beurkundung des Offenbarungseids deutscher Arbeitsmarktpolitik. ({6}) Die Verlierer Ihrer Politik, Herr Riester, sind die Langzeitarbeitslosen, die Frauen, die Arbeitslosen mit Handicaps und die Arbeitslosen mit geringer Qualifikation. Sie sind aber mit dem Ziel angetreten, genau diesen Personengruppen zu helfen, und Sie haben dieses Ziel hoffnungslos verfehlt. Nun kommen Sie mit dem Job-Aqtiv-Gesetz. Wenn Sie tatsächlich von der Wirkung des Gesetzes überzeugt wären, dann würden Sie dem Parlament und der Öffentlichkeit mitteilen, welchen Effekt Sie mit diesem Gesetz erreichen wollen. Das ist immer eigenartig; es ist ähnlich wie beim Innenminister und der Zuwanderung. Da wird ein Gesetz mit anspruchsvollen Begriffen vorgelegt, aber die Begriffe werden dem Inhalt nicht gerecht. Sie haben bisher mit keiner Silbe gesagt, welchen Beschäftigungseffekt Sie mit diesem Job-Aqtiv-Gesetz erreichen wollen. Wollen Sie damit 50 000, 100 000, 150 000 oder 200 000 Menschen in Arbeit bringen? Sie sagen dazu gar nichts, weil Sie genau wissen, dass dieses Gesetz nur sehr, sehr bescheidene quantitative Folgen haben wird. Dieses Gesetz beinhaltet im Wesentlichen Selbstverständlichkeiten. Ich nenne als Beispiel dafür den Eingliederungsvertrag. Zu unserer Zeit hieß das „Meldepflicht für Arbeitslose“. ({7}) Diese Meldepflicht haben Sie abgeschafft. Weil Sie sehen, dass das ein Fehler war, wollen Sie die Meldepflicht nicht unter dem gleichen Begriff wieder einführen. ({8}) Jetzt nennen Sie es „Eingliederungsvertrag“. Er bedeutet aber im Grunde nichts anderes, als dass der Arbeitslose wieder regelmäßig zum Arbeitsamt kommen muss. ({9}) Sie lehnen auf der einen Seite Konjunkturprogramme ab. Auf der anderen Seite fördern Sie jetzt über dieses Job-Aqtiv-Gesetz Infrastrukturprogramme, die nichts anderes als Beschäftigungsprogramme sind. Nun sind Beschäftigungsprogramme immer mit Strohfeuereffekten verbunden, aber die größte Ungerechtigkeit liegt darin, dass Sie jetzt die Solidargemeinschaft der Arbeitslosenversicherung mit einer unsinnigen Politik belasten. Sie sollen nämlich mit ihren Beiträgen die Beschäftigungsprogramme finanzieren. Herr Riester, alles andere, was Sie im Gesetz vorsehen, ist im Grunde Bürokratie. Ich habe vor einigen Monaten gesagt, Sie haben offensichtlich ein erotisches Verhältnis zu Paragraphen. Sie schaffen mit diesem Job-Aqtiv-Gesetz keine Beschäftigung, sondern Sie blähen nur die Bürokratie der Arbeitsverwaltung auf. ({10}) Sie haben nach der Bundestagswahl viele Fehler gemacht. Das ist genau das, was die genannte Arbeitsgruppe des Bündnisses für Arbeit kritisiert. Mit der Rücknahme vieler Maßnahmen, die wir in der Regierung Kohl getroffen haben, verstärken Sie geradezu noch die starren Regeln, die starren Strukturen unseres Arbeitsmarktes. Ich kann Ihnen vorlesen, was die Sachverständigen - auch die von Gewerkschaften - in diesem Vergleich geschrieben haben. Die Wissenschaftler listen eine Reihe nachahmenswerter Beispiele aus anderen Ländern auf. So habe Frankreich dadurch Erfolg gehabt, dass es Geringverdiener von Sozialabgaben entlastet habe. Ich werde dazu gleich einen Vorschlag machen, den wir seit Monaten in der Bundesrepublik Deutschland machen. Die Wissenschaftler schreiben: Die Verschärfung der 630-DM-Jobs hat für die Beschäftigung in der Bundesrepublik Deutschland eine künstliche Grenze geschaffen und die Teilzeitstellen unattraktiv gemacht. Dies schreiben nicht Wissenschaftler der Arbeitgeber, sondern Wissenschaftler der Gewerkschaften, Wissenschaftler, die der Bundeskanzler als unabhängige Wissenschaftler in die BenchmarkingGruppe berufen hat. ({11}) Sie haben die starren Regeln des deutschen Arbeitsmarktes noch mehr verkrustet, meine Damen und Herren, als sie es ohnehin schon waren. Sie haben nicht Beschäftigung geschaffen, sondern Sie haben mit diesen politischen Maßnahmen - vom Betriebsverfassungsgesetz über 630DM-Arbeitsverhältnisse und Scheinselbstständigkeit bis hin zum Rechtsanspruch auf Teilzeit - Beschäftigung in der Bundesrepublik Deutschland buchstäblich vernichtet. ({12}) - Nun, Sie dürfen sich nicht wundern, wenn Sie bei allen Wahlen dort am wenigsten Stimmen bekommen, wo die Arbeitnehmer zu Hause sind. Schauen Sie sich einmal die Wahlergebnisse in Hamburg an! ({13}) In den Arbeitervierteln hat die Sozialdemokratie die größten Verluste zu verzeichnen, weil gerade die Arbeitnehmer von der Sozialpolitik dieser Regierung enttäuscht sind. ({14}) Für das Bedenklichste halte ich nun, Herr Riester, dass Sie offensichtlich nicht nur Ihr Ziel „3,5 Millionen Arbeitslose“ nicht erreichen, sondern dass Sie auch ein weiteres Ziel verfehlen, das nach wie vor ein wichtiges gesellschaftliches Projekt sein sollte, nämlich das Ziel „Arbeit für alle“. Sie haben offensichtlich das Ziel aufgegeben, sich gerade jenen Menschen zuzuwenden, die länger als ein Jahr arbeitslos sind, die wegen besonderer Handicaps wenig Chancen haben, Arbeit zu finden. ({15}) Die Überwindung von Langzeitarbeitslosigkeit, meine Damen und Herren, ({16}) müsste eigentlich in der Prioritätenskala an erster Stelle stehen, ({17}) denn Langzeitarbeitslosigkeit bedeutet die Gefahr des Verlustes von sozialer Kompetenz und beruflicher Qualifikation. Deshalb möchte ich Ihnen, Herr Riester, heute für die CDU/CSU erneut einen Vorschlag machen, der geeignet ist, dieser Personengruppe gerecht zu werden. Da geht es immerhin um 1,3 Millionen oder 1,5 Millionen Menschen in Deutschland, die länger als ein Jahr arbeitslos sind, und es geht um 1 Million Menschen, die arbeitsfähig sind, aber Sozialhilfe beziehen. Das ist also keine zu vernachlässigende Personengruppe. Für diese Menschen bringt Ihr Eingliederungsvertrag, bringen Paragraphen, bringen bürokratische Regeln überhaupt keinen Fortschritt. Sie verbessern mit Ihrem Job-Aqtiv-Gesetz die Lebenschancen für diese Personengruppe überhaupt nicht. Für diese Personengruppe brauchen wir eine Generalrevision der deutschen Arbeitsmarktpolitik. Wir müssen ein Problem lösen, das auch nach Meinung der Benchmarking-Gruppe die Hauptursache dafür ist, dass Langzeitarbeitslose im deutschen Arbeitsmarkt keine Verwendung finden, obwohl die Deutschen auf der anderen Seite über 1 Million Arbeitserlaubnisse im Jahr an ausländische Arbeitskräfte ausstellen, weil die Arbeitsplätze angeblich nicht mit deutschen Arbeitskräften zu besetzen sind. Diese Problematik liegt in der eigenartigen Erscheinung in Deutschland, dass wir 4 bis 5 Millionen Arbeitsverhältnisse mit 630 DM haben, aber so gut wie keine Arbeitsverhältnisse zwischen 630 DM und 1 600 DM netto; das entspricht 2 400 DM brutto. Das liegt daran, dass aufgrund der hohen Steuer- und Abgabenlast jemand, der einen Job über 1 500 DM oder 1 600 DM annehmen soll, den gleichen Betrag auch von der Sozialhilfe erhielte und deshalb die Einsicht, eine Arbeit anzunehmen, wenn man von der Sozialhilfe genauso viel oder mehr bekommt, nicht vorhanden ist. Deshalb müssen wir den Teufelskreis durchbrechen, dass jemand, der Sozialhilfe oder Arbeitslosenhilfe bezieht, in nicht wenigen Fällen genauso viel bekommen kann, als wenn er berufstätig ist. Wenn wir diesen Teufelskreis nicht durchbrechen, Herr Riester, dann sieht niemand mehr ein, dass er eine Arbeit im Niedriglohnbereich aufnehmen soll, für die er Steuern und Abgaben bezahlt, während derjenige, der das nicht tut, über öffentliche Transfers genauso viel hat. ({18}) Herr Riester, die Benchmarking-Gruppe und alle wissenschaftlichen Institute geben die Empfehlung, die vorhandenen Arbeitsmarktinstrumente, insbesondere die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, auf den Prüfstand zu stellen. Das kann ich nur dick unterstreichen. ({19}) Wenn man sich einmal die Erfolgsquote bei der Arbeitsvermittlung nach Beendigung einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme in den letzten Jahren ansieht, dann kommt man zu dem ernüchternden Ergebnis, dass nicht einmal jeder zweite, der in einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme war, anschließend in den regulären Arbeitsmarkt vermittelt wird. Das ist eine große Ineffizienz. Wir schmeißen viele Milliarden D-Mark zum Fenster hinaus, ohne dass wir die betroffenen Arbeitslosen wirklich in Arbeit bringen, meine Damen und Herren. ({20}) Deshalb machen wir heute erneut den Vorschlag, dass wir Mittel hin zu einer Lohnsubvention, zu unserem Kombilohnmodell umschichten. Wir wollen den Arbeitsämtern und den Sozialämtern drei Instrumente an die Hand geben, die wir den Sozialämtern übrigens schon mit unserer Sozialhilfereform 1995 mit großem Erfolg an die Hand gegeben haben. ({21}) Wir wollen - das hat die Sozialdemokratie damals im Bundesrat weitgehend verhindert -, dass jemand, wenn er Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe bezieht und im Niedriglohnbereich eine Arbeit annimmt, eine Zulage von bis zu 20 Prozent bekommt. Wir wollen, dass jemand, der Sozialhilfe bezieht, wenn er eine Arbeit aufnimmt, nicht die Erfahrung macht, dass sofort jede Mark, die über den Freibetrag hinausgeht, auf die Sozialhilfe angerechnet wird. Und wir wollen, dass im Niedriglohnbereich auch Zulagen und Zuschüsse zu den Sozialversicherungsabgaben gezahlt werden, damit wir aus dem Teufelskreis herauskommen, dass zwischen 630 DM und 1 600 DM netto keine Arbeitsverhältnisse eingegangen werden. ({22}) Das rechnet sich, Herr Riester, denn es ist besser, man gibt einem Langzeitarbeitslosen, der im Niedriglohnbereich eine Arbeit aufnimmt, eine Zulage, als dass man das volle Arbeitslosengeld bezahlt. Das rechnet sich für die öffentliche Hand, und es ist besser für die betroffenen Menschen, denn es ist humaner, wenn man die Arbeit unterstützt, anstatt grenzenlos Arbeitslosigkeit zu finanzieren. ({23}) Nun sagen alle, das haben wir schon, das wird doch in der Sozialhilfe schon gemacht. Ich hätte mir gewünscht, dass wir im Jahr 1995 im Vermittlungsausschuss nicht auf die Blockade durch Herrn Dreßler gestoßen wären. Wir hätten gerne mehr gemacht, aber wir waren mit dem zufrieden, was in der Sozialhilfe möglich war. Wir brauchen auch keine Modellprojekte. Wir haben nach unserer Sozialhilfereform ein wunderbares Modellprojekt in der gesamten Bundesrepublik Deutschland. Damals gab es viele Bedenken. Die Kommunen haben uns gesagt, wir sind nicht die Ersatzarbeitsämter, wir können es nicht, wir haben die Menschen nicht, wir haben die Logistik nicht. Damals gab es gerade einmal 80 000 Sozialhilfeempfänger, die Hilfe zur Arbeit bezogen. Dann haben wir diese Sozialhilfereform durchgeführt. Jetzt ist die Hälfte aller arbeitsfähigen Sozialhilfeempfänger in Projekten der Hilfe zur Arbeit und anschließend auch im regulären Arbeitsmarkt. ({24}) Aus 80 000 wurden 400 000 Sozialhilfeempfänger, die Hilfe zur Arbeit bezogen. ({25}) Jetzt kommt der springende Punkt, den wir ändern müssen. Wenn wir auf der einen Seite den Menschen einen Arbeitsplatz anbieten, ihnen Hilfe über Zuschüsse zum Lohn oder zum Sozialversicherungsbeitrag anbieten, dann ist es auch gerechtfertigt, meine Damen und Herren, dass man eine Sanktion vorsieht, wenn der Hilfeempfänger dieses Angebot ablehnt. Deshalb sage ich eindeutig: Wir müssen unser Recht so ändern, dass für jene Menschen, die arbeiten können, aber nicht arbeiten wollen, die einen Arbeitsplatz angeboten bekommen, die finanzielle Hilfe angeboten bekommen, dies aber ablehnen, der Sozialhilfeanspruch total entfällt und die Beweislast umgekehrt wird. ({26}) Der Hilfeempfänger hat zu beweisen, dass er sich um Arbeit bemüht hat, nicht das Arbeitsamt oder das Sozialamt, dass er das nicht getan hat. ({27})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege Seehofer, Sie liegen schon deutlich außerhalb der angemeldeten Redezeit.

Horst Seehofer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002140, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe auch alles gesagt, was ich sagen wollte, Herr Präsident. - Herr Riester, Sie schreiben in Ihrem eigenen Gesetzentwurf, je später und je zögerlicher man auf dem Arbeitsmarkt handelt, desto teurer wird es für alle Beteiligten. ({0}) Sie haben drei Jahre vertrödelt. Das, was Sie jetzt vorsehen, ist in der Richtung wieder falsch. Deshalb appelliere ich an Sie, dass Sie jetzt eine Kurskorrektur vornehmen - im Interesse der Arbeitslosen. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort der Kollegin Thea Dückert vom Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Thea Dückert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003071, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Seehofer, Sie haben eben gesagt, Sie hätten den Eindruck, der Minister habe ein erotisches Verhältnis zu Paragraphen. Ich weiß zwar nicht, wozu Sie, Herr Seehofer, ein erotisches Verhältnis haben. Ich weiß aber, es kann gewiss nicht zur Realität bestehen. ({0}) Es ist schon erstaunlich, wie Sie an dieser Stelle versuchen, uns vergessen zu machen, was Sie uns hinterlassen haben, nämlich 4 Millionen Arbeitslose. Das ist ein Teil der Realität. Sie haben des Weiteren behauptet, wir hätten in den letzten Jahren nichts anderes als Arbeitsplatzvernichtung betrieben. Herr Seehofer, ich möchte Ihnen nur zwei Zahlen nennen: Seit 1999 gibt es 1,2 Millionen Beschäftigte mehr und die Zahl der Arbeitslosen ist um 460 000 zurückgegangen. Das macht doch eines deutlich, selbst wenn man eine Milchmädchenrechnung aufmacht: ({1}) Die Zahl der Beschäftigten ist stärker gestiegen, als es beispielsweise die demographische Entwicklung hätte vermuten lassen. Wir haben in den letzten Jahren - das ist ein Riesenfortschritt - erreicht, dass auch Menschen aus der stillen Reserve, also diejenigen, die schon mutlos waren, neben dem Arbeitsmarkt standen, den Weg zurück in den Arbeitsmarkt gefunden haben. ({2}) Der andere Punkt, der Ihr Verhältnis zur Realität als ein Unverhältnis beschreibt, ist das, was Sie gerade zur Kritik der Benchmarking-Gruppe gesagt haben. Die Datenbasis, auf deren Grundlage die Benchmarking-Gruppe ihre Kritik an der Arbeitsmarktpolitik formuliert hat, bezieht sich auf den Zeitraum von 1995 bis 1999. Wenn ich mich richtig erinnere, dann hatten Sie in diesem Zeitraum noch etwas mit der Arbeitsmarktpolitik zu tun. Das, was Sie hier vorgetragen haben, war also eher eine Selbstanklage. Sie müssen schon aufpassen, wenn Sie mit Ihrem Zeigefinger auf jemanden zeigen; denn viele Finger zeigen auf Sie zurück. ({3}) Wir haben es in der Sozialpolitik mit großen Herausforderungen zu tun, nicht nur mit der Bewältigung der Vergangenheit und mit dem Berg an Arbeitslosen, den Sie uns hinterlassen haben, sondern zum Beispiel auch mit der Bewältigung der Folgen der demographischen Entwicklung, das heißt einer alternden Gesellschaft, in der es immer weniger junge Menschen gibt, und deren Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt. Das sind zwei zentrale Herausforderungen. Es ist absolut klar - die Bundesregierung hat das schon deutlich gemacht -, dass wir ohne Strukturreformen die Probleme der demographischen Entwicklung und des Arbeitsmarktes nicht bewältigen werden können. Wir werden und müssen Strukturreformen machen. An einer Stelle - das hat der Minister schon vorhin vorgetragen - haben wir bereits einen sehr weiten Weg zurückgelegt. Ich meine die Reform der Rentenversicherung. Wir haben in diesem Jahr die kapitalgedeckte Rentenversicherung eingeführt. Das ist ein Meilenstein nicht nur für die zukünftige Stabilität des Altersvorsorgesystems. Dieser Meilenstein macht auch deutlich, dass wir mit unserer Politik mutig an die Wahrheiten und die Realität herangehen und den Mut zur Veränderung aufbringen. Genau das haben wir in der Rentenpolitik gezeigt. Die Riester-Rente zeichnet sich durch mehrere Elemente aus: Sie hat für mehr Generationengerechtigkeit gesorgt, weil wir mithilfe der Ökosteuer und der Strukturreformen die Beiträge in der Zukunft stabilisieren können. Sie hat gleichzeitig mit dem Aufbau der privaten Vorsorge das Fundament für etwas sehr Zentrales geschaffen, nämlich dafür, dass diejenigen Menschen in unserer Gesellschaft, die kleine Einkommen haben und die Schwierigkeiten haben, eine eigene private Vorsorge für die Zukunft aufzubauen, Hilfe bekommen. Dies ist ein Beispiel dafür, wie man eine moderne Strukturreform sozial gerecht und zukunftsorientiert gestalten kann. Ich sage Ihnen eines: Mit der gleichen Entschlossenheit, die wir bei der Rentenreform an den Tag gelegt haben, gehen wir auch an die Herausforderung der Massenerwerbslosigkeit heran. Die Massenerwerbslosigkeit in unserer Gesellschaft ist noch immer eine ungelöste Gerechtigkeitsfrage. Das ist so, obwohl wir in den letzten Jahren - ich habe die Daten eben schon genannt - durch die Politik der Bundesregierung - Steuerreform, Senkung der Steuern und der Abgaben, Arbeitsmarktreform - erreicht haben, dass die Arbeitslosigkeit bis zu diesem Sommer Monat für Monat in kleinen Schritten zurückgegangen ist. Wir haben es jetzt aufgrund weltpolitischer Zusammenhänge mit einer Stagnation zu tun. Wir ruhen uns in dieser Situation nicht aus. Seit einem Jahr bereiten wir sehr konzentriert das vor, was ich Strukturreform am Arbeitsmarkt nenne, nämlich das Job-Aqtiv-Gesetz. ({4}) - Sie sagen „mini“. Sie haben 16 Jahre lang regiert und uns eine Arbeitsmarktpolitik hinterlassen, die völlig unflexibel war, ({5}) die Langzeitarbeitslosigkeit hat entstehen lassen, die Frauen aus dem Arbeitsmarkt ausgegrenzt hat und die Jugendarbeitslosigkeit wirklich zu einem Skandal hat werden lassen. ({6}) Im Hinblick auf die Struktur der Arbeitslosigkeit, wie wir sie vorgefunden haben, gibt es zwei zentrale Probleme. Das erste Problem - gleichzeitig das schlimmste - ist die Langzeitarbeitslosigkeit. ({7}) Aufgabe des Job-Aqtiv-Gesetzes ist es deswegen, den Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit in das Zentrum zu stellen. Das zweite - ebenfalls große - Problem besteht darin, dass sich die Arbeitsmärkte abschotten. Es gibt nicht nur einen Arbeitsmarkt, sondern viele Arbeitsmärkte. Beispielsweise bestehen für gering Qualifizierte, für Ältere - das ist übrigens eine Folge Ihrer Frühverrentungspolitik - und für Frauen große Hürden, in den Arbeitsmarkt zu kommen. Das Ziel ist nicht nur, die Langzeitarbeitslosigkeit abzubauen, sondern vor allen Dingen, für all die soeben genannten Gruppen die Integration in den ersten Arbeitsmarkt ins Zentrum zu stellen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang zunächst einmal die Vermittlungstätigkeit. Herr Seehofer, es tut mir furchtbar Leid: Sie sind nicht in der Lage, einen Unterschied zu machen zwischen Vereinbarungen zwischen Arbeitsämtern und Arbeitslosen, die in den Arbeitsmarkt zurückgeführt werden sollen - es geht um ganz konkrete Pläne für zu erbringende Hilfen und Leistungen -, und einer bürokratischen Hinterlassenschaft, nämlich der Meldepflicht. Ich weiß nicht, wovon Sie reden. ({8}) Wer nicht zwischen einer Hilfe für Arbeitslose, in den ersten Arbeitsmarkt zurückzukommen, und Meldepflichten unterscheiden kann, der sollte bei der Beurteilung des Job-Aqtiv-Gesetzes ganz still sein. ({9}) - Der Eingliederungsvertrag wird für die Arbeitsämter zur Pflicht. Wenn sie das nicht leisten können, dann werden die Maßnahmen zur Eingliederung an Dritte weitergegeben. Herr Niebel, Sie sollten lieber nicht so viel auf die Vergangenheit verweisen; denn genau das, was wir jetzt auf den Weg bringen und was beispielsweise in Nachbarländern zu vielen Erfolgen geführt hat, haben Sie nicht geleistet. Sie haben uns Ungerechtigkeiten auf dem Arbeitsmarkt hinterlassen. Ich sagte das schon im Hinblick auf die Frauen. Auch diese Lücke werden wir schließen. Wir wollen nicht, dass erwerbstätige Frauen auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt werden, weil sie ein Kind bekommen. ({10}) Vieles in diesem Gesetz wird zu einem Paradigmenwechsel in der Arbeitsmarktpolitik führen, zum Beispiel beim Umgang mit Älteren, die am Arbeitsmarkt durch entsprechende Qualifizierungen gehalten werden sollen. Ich sage Ihnen auch: Es gibt in der Arbeitsmarktpolitik keinen Königsweg. Es gibt ganz unterschiedliche Problembereiche. Ich bin der Ansicht, dass wir eine Art Arbeitsmarktpolitik plus brauchen. Was die Beschäftigungspolitik angeht, müssen wir im nächsten Jahr weitergehen; deswegen haben wir in die Debatte neue Vorschläge eingebracht. Ein Vorschlag lautet, dafür zu sorgen, dass Sozialhilfeempfänger - über den bisherigen Freibetrag hinaus jede zweite Mark, die sie dazuverdienen, behalten können. Darin besteht eine Möglichkeit, für eine weitere Gruppe - wohlgemerkt, es geht um einen kleinen Teil der Betroffenen, der heute sehr stark ausgegrenzt ist - eine Brücke in den Arbeitsmarkt zu bauen. ({11}) - Sie rufen: „Dann stimmen Sie uns doch zu!“ Das ist ja wunderbar. Was Sie in dem Bereich der aktiven Beschäftigungspolitik vorschlagen - in diesem Punkt gibt es nämlich einen fundamentalen Unterschied -, ist eine Kopplung von Zuverdienstmöglichkeiten mit gleichzeitigem Kahlschlag in der Sozialhilfe. ({12}) Zum Beispiel hat Herr Merz im Frühjahr vorgeschlagen, die Sozialhilfe ganz zu streichen. Herr Seehofer hat vorhin erneut davon gesprochen und hat sogar die Ausgabe von Essenmarken angeführt. ({13}) Herr Koch hat an dieser Stelle den gleichen Vorschlag gemacht. Gleichzeitig „beruhigt“ er uns, indem er sagt: Werden Sie nicht unruhig! Wenn wir an die Sozialhilfe herangehen, wird noch jeder ein Dach über dem Kopf haben und nicht frieren müssen. Das ist genau die Form der Arbeitsmarktpolitik, die letzten Endes zum Ziel hat, die „working poor“ einzuführen. Das wollen wir nicht. ({14}) Sie wollen den Niedriglohnsektor einführen. Das wollen wir nicht. ({15}) Mit unseren Vorschlägen für zeitlich begrenzte Maßnahmen im Bereich Sozialhilfe und für ausgewählte Personengruppen wollen wir die Möglichkeiten für den Einstieg in den Arbeitsmarkt verbessern. Darüber wollen wir reden. Das Gleiche gilt für die Teilzeitmauer, die es zu überwinden gilt. Was Sie in diesem Bereich vorschlagen, ist eine Subventionierung von Lohnnebenkosten. Aber gleichzeitig wollen Sie die Sozialversicherungspflicht hinsichtlich der 630-Mark-Jobs abschaffen. Das heißt, auch an dieser Stelle wollen Sie eine Kombination von zusätzlichen Leistungen und weniger sozialer Sicherheit für diejenigen, die sich in schwierigen Beschäftigungslagen befinden. Wenn wir Ihren Vorschlägen folgen würden, würden wir eine Vielzahl von sozial nicht abgesicherten Arbeitsverhältnissen bekommen. Wir wollen aber erreichen, dass den Menschen in schwieriger Beschäftigungssituation der Weg in den Arbeitsmarkt erleichtert wird. ({16}) Es geht im Kern darum, in der Arbeitsmarktpolitik den veränderten Bedingungen Rechnung zu tragen. Das heißt, wir müssen die Flexibilisierung, die am Arbeitsmarkt stattfindet, mit Hilfsangeboten für Arbeitslose begleiten. Aber es geht auch darum, dieses auf dem Fundament der sozialen Sicherung zu tun. Wir müssen also Flexibilisierung und soziale Sicherheit verbinden. Was uns die Opposition an verschiedenen Stellen vorschlägt, ist eine Flexibilisierung ohne soziale Sicherheit. Das wollen wir nicht. Wir müssen die Arbeitsmarktpolitik und die Beschäftigungspolitik in einen gesamtpolitischen Kontext einbetten. Wir müssen den Weg weitergehen, den wir beschritten haben. Dazu gehört - das möchte ich abschließend betonen - auch die Senkung der Lohnnebenkosten, die ökonomisch geboten ist. In diesem Punkt schätze ich die Situation anders ein als viele hier: Ich glaube, dass eine Senkung auch im nächsten Jahr möglich sein wird, und zwar ohne Neuverschuldung, ohne Steuererhöhungen und ohne Streichung der Mittel für die aktive Arbeitsmarktpolitik, allein aufgrund eines zukünftig weiter entspannten Arbeitsmarkts, einer Reduzierung der Langzeitarbeitslosigkeit und der zusätzlichen Steigerungen bei den Löhnen. Wir können dann die sich in der Arbeitslosenversicherung ergebenden Spielräume nutzen. Wir sind der Ansicht, dass diese Spielräume zu einer Entlastung der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler führen sollen. ({17}) Die Arbeitsmarktpolitik ist ein weites Feld. Wir haben gerade mit den Reformen angefangen. Unsere Strukturreform, die wir vorgelegt haben, ist sehr wichtig. Angesichts der hohen Arbeitslosigkeit, der Verfestigung der Arbeitsmärkte und des Ausschlusses vieler Personengruppen vom Arbeitsmarkt glaube ich, dass wir noch einen Schritt weitergehen müssen und noch viel zu tun haben. Ich danke Ihnen. ({18})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile der Kollegin Irmgard Schwaetzer, FDP-Fraktion, das Wort.

Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002120, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal, Herr Riester, möchte ich Ihnen im Namen der FDP-Fraktion sehr herzlich zu Ihrem heutigen Geburtstag gratulieren. ({0}) Für den Haushalt, den Sie hier vorgelegt haben, kann ich Ihnen leider keine Blumen überreichen. Er ist zwar mit 174 Milliarden DM der mit Abstand größte Einzelplan des Bundeshaushaltes; er wächst auch sehr viel stärker als der Gesamthaushalt, nämlich mit 2,5 Prozent gegenüber 1,6 Prozent. Aber wie kaum ein anderer Haushalt, der hier in den letzten Jahren vorgelegt worden ist, basiert er auf Wunschdenken und auf Fantasie. ({1}) Das will ich an ein paar Zahlen deutlich machen. Sie gehen im Jahre 2002 von einer durchschnittlichen Arbeitslosenzahl von 3,48 Millionen und einem Wirtschaftswachstum von 2,25 Prozent aus. Das war schon vor den Terroranschlägen Illusion. Alle ernst zu nehmenden Wirtschaftsforschungsinstitute haben Ihnen gesagt, dass die Arbeitslosenzahl im Jahresdurchschnitt 2002 bei mindestens 3,8 Millionen liegen wird. Und nach der wirtschaftlichen Entwicklung, die jetzt eingetreten ist, sind alle Aussagen zum Wirtschaftswachstum im Moment sowieso Spekulation. Deshalb werden Sie im nächsten Jahr mit Mehrausgaben von mindestens 9 Milliarden DM über dem Haushaltsansatz für die Bundesanstalt für Arbeit rechnen müssen. Von daher frage ich Sie, Herr Riester: Wollen Sie nun die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung erhöhen, um das zu finanzieren? Oder wollen Sie, Herr Eichel, zusätzliche Schulden machen? Oder wollen Sie noch einmal die Steuern erhöhen? Die freudsche Fehlleistung des Bundeskanzlers von gestern war ja schon sehr eindrücklich: Er konnte gar nicht aufhören, davon zu sprechen, dass die Steuererhöhung vorgezogen werden sollte. Wollen Sie das wirklich machen? ({2}) Zu einem, meine Damen und Herren, fehlt Ihnen offensichtlich wirklich der Mut: Sie können nicht sparen. Sie haben die Konsolidierung des Haushalts wirklich aufgegeben. ({3}) Wer nicht einmal 3 Milliarden DM zusätzlich aus diesem Haushalt herausholen kann ({4}) für die jetzt notwendig gewordenen zusätzlichen Ausgaben, der wird auch nicht in der Lage sein, den Haushalt zu konsolidieren, um Arbeitslosigkeit tatsächlich abzubauen. ({5}) Es ist völlig klar: Sie, Herr Riester, haben in der Arbeitsmarktpolitik versagt. Sie werden Ihre Ziele nicht erreichen. Deshalb kann ich Ihnen nur sagen: Wachen Sie auf! ({6}) Geben Sie endlich den Schmusekurs mit den Gewerkschaften auf. Er hat katastrophale Folgen für die Arbeitslosen gehabt. ({7}) Sie haben seit drei Jahren eine umfassende Reform des arbeitsmarktpolitischen Instrumentariums angekündigt. Herausgekommen ist ein Job-Aqtiv-Gesetz, das mehr Probleme offen lässt, als es denn löst. Es gibt auch ein paar positive Ansätze. Das will ich ausdrücklich sagen. ({8}) Dazu gehört zum Beispiel, dass Frauen durch Erziehungszeiten einen Anspruch auf Arbeitslosengeld erwerben. Aber trotz ein paar positiver Ansätze kann man das Gesetz so zusammenfassen: Die Weiterbildungskosten werden sozialisiert, die Sozialversicherung wird zusätzlich belastet und der zweite Arbeitsmarkt verfestigt. Entgegen Ihren Behauptungen ist schon heute klar, dass die Verbesserung des Wiedereinstiegs in den ersten Arbeitsmarkt eben nicht erreicht werden wird. Dazu müssten Sie andere Maßnahmen auflegen. ({9}) Ich kann Ihnen nur sagen, meine Damen und Herren: Wir brauchen nicht mehr öffentlich geförderte Beschäftigung, sondern Beitragssatzsenkungen, damit der erste Arbeitsmarkt wieder in Schwung kommt. ({10}) Die Fülle der ungelösten Probleme, auf die Sie keine Antwort haben, kann ich nur ganz kurz skizzieren. Es muss aber trotzdem sein, damit Sie wissen, was wirklich noch gemacht werden müsste, wenn Sie den Mut dazu hätten. Erstens. Warum sind Sie nicht bereit, deutlichere ökonomische Anreize für die Rückkehr in das Erwerbsleben und für mehr Eigenverantwortung der Arbeitslosen durch eine Umgestaltung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zu setzen? ({11}) Wir haben vorgeschlagen, dass von jeder zusätzlich verdienten Mark für eine begrenzte Zeit nur 50 Prozent auf die Sozialleistungen angerechnet werden. Das wäre ein richtiger ökonomischer Anreiz. Herr Seehofer, Sie haben ja eben in die gleiche Richtung argumentiert; stimmen Sie deshalb unserem Antrag zu. ({12}) Zweitens. Warum machen Sie Ihre Ankündigung nicht wahr, die Arbeitslosenhilfe vollständig mit der Sozialhilfe zu einem System mit einer Leistung, mit klaren Zuständigkeiten, mit eingleisigen Verfahren und schlankerer Verwaltung zusammenzufassen? Sie finden unsere Vorschläge dazu in dem Antragspaket. Nehmen Sie sie endlich an. Sie haben drei Jahre vertan. ({13}) Drittens. Warum setzen Sie sich nicht für die Bildung gemeinsamer Anlaufstellen für Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger ein, um die Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt zu verbessern und Doppelarbeiten zu vermeiden? Hierdurch könnten Spielräume gewonnen werden und es wäre nicht mehr notwendig, zu drei, vier oder fünf verschiedenen Stellen zu laufen, sondern eine Stelle allein wäre zuständig. Die Stadt Köln hat damit hervorragende Erfolge erzielt. Ein entsprechender FDP-Vorschlag liegt vor. Das, was in Köln in diesem Bereich getan wird, ginge überall. ({14}) Viertens. Es gibt ein Gerechtigkeitsprinzip: Keine Leistung ohne grundsätzliche Bereitschaft zur Gegenleistung! Warum bringen Sie das nicht stärker zur Geltung? Sie haben Angst davor. Aber wenn Sie die Beweislastumkehr so ändern würden, dass der Arbeitslose tatsächlich nachweisen muss, aus welchem wichtigen Grund er eine angebotene Stelle nicht annimmt, dann könnten Sie wirklich davon sprechen, dass in Ihrem Job-Aqtiv-Gesetz ein Ansatz zu mehr Beschäftigung enthalten ist. So, wie es jetzt vorgesehen ist, können Sie das nicht. ({15}) Fünftens. Warum weigern Sie sich, arbeitsmarktpolitische Maßnahmen auf ihre Effizienz zu überprüfen? ({16}) Die Strukturanpassungsmaßnahmen und die ABM fördern in großen Bereichen Mitnahmeeffekte und gehören deswegen auf den Prüfstand. Tun Sie das endlich! ({17}) - Im Gegenteil! Sechstens. Sie weiten durch Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und Strukturanpassungsmaßnahmen die öffentlich subventionierte, unfaire Konkurrenz für mittelständische Unternehmen und Existenzgründer sogar noch aus, obwohl Sie wissen, dass dies die geringsten Wiedereingliederungserfolge überhaupt hat. Ich frage Sie: Warum wollen Sie das jetzt mit diesem Job-Aqtiv-Gesetz weiter ausbauen? Dies ist ein ungeeignetes Mittel. ({18}) Siebtens. Warum erkennen Sie nicht an, dass für die meisten Arbeitnehmer ein geringerer Lohn im Zweifelsfall günstiger ist, als ihren Arbeitsplatz zu verlieren? ({19}) Das wären echte strukturelle Reformen. Sie versagen in der Arbeitsmarktpolitik. Für die Arbeitslosen ist das bedauerlich. ({20}) Lassen Sie mich zum Schluss noch eine Bemerkung zur Entwicklung der Rentenversicherung machen: Sie haben in den letzten drei Jahren die Finanzierung der Rentenversicherung durch Steuern deutlich in die Höhe geschraubt, und zwar auf insgesamt über 30 Prozent der Gesamtausgaben. ({21}) Sie haben die Beitragssätze nicht wirklich gesenkt; dazu hätten Sie Strukturreformen durchführen müssen. Sie haben die Notwendigkeit von Strukturreformen vielmehr verschleiert, indem Sie die Finanzierung der Rentenversicherung durch Steuern erhöht haben. ({22}) Herr Riester, ich sage Ihnen: Bereits im nächsten Jahr werden Sie sehen, dass Sie mit Ihren Beitragssatzvorhersagen nicht klarkommen werden. Sie müssen vielmehr zusätzlich Strukturreformen vornehmen. Das wird in der nächsten Legislaturperiode auf jeden Fall auf Sie zukommen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin Schwaetzer, Sie haben Ihre Redzeit deutlich überschritten.

Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002120, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Das haben die Redner vor mir auch getan.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Entschuldigen Sie, bei den anderen Fraktionen gibt es die Möglichkeit, das zeitlich auszugleichen.

Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002120, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Bei den Grünen geht das nicht, Herr Präsident. Das habe ich eben auf der Rednerliste gesehen. Ich komme nun zum Schluss und sage nur noch einen Satz zu den Aufwendungen für die Öffentlichkeitsarbeit. ({0}) Sie haben so viele Millionen D-Mark für Fehldrucke, Falschinformationen und falsche Kampagnen verschleudert, dass es dringend erforderlich ist, Ihnen einen großen Teil dieses Etats zu streichen. ({1}) Herr Riester, ziehen Sie diesen Haushalt zurück! Er ist Makulatur. Haben Sie den Mut zum Neuanfang! Danke. ({2})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile dem Kollegen Klaus Grehn, PDS-Fraktion, das Wort.

Dr. Klaus Grehn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003135, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Während der Diskussion, die hier in den letzten Beiträgen über die Zahl der Arbeitslosen geführt worden ist, habe ich mich gefragt: Was hilft das den Arbeitslosen? Wir haben zurzeit offiziell über 3,7 Millionen Arbeitslose. Es geht darum, diesen Menschen zu helfen, sich nicht gegenseitig die Schuld zuzuschieben und Antworten darauf zu finden, was man tun muss. ({0}) Wenn Sie dies aber nicht tun und sich stattdessen mit Zahlen bombardieren, dann muss man sagen: Das Problem auf dem Arbeitsmarkt ist wesentlich größer, als es in den Zahlen der Arbeitslosen sichtbar wird. Herr Riester, wenn Sie von Arbeitslosigkeit sprechen, dann betrachten Sie doch einmal, welche Situation im Bereich der prekären Beschäftigung besteht: Mir vorliegende aktuelle Zahlen besagen, dass zum Beispiel die Zahl der Teilzeitarbeiter von 4,1 auf 7,7 Millionen angestiegen ist - und das bei Senkung der durchschnittlichen Arbeitszeit der Teilzeitbeschäftigten. Ich sage das auch deshalb, weil der ursprünglich in Ihrem Job-Aqtiv-Gesetz anvisierte Ansatz darin lag, unterwertige Beschäftigung zu vermeiden. Unterwertige Beschäftigung ist zum großen Teil der Tatsache geschuldet, dass es keine Vollzeitarbeitsplätze gibt. Es gibt ein Defizit an Arbeitszeit auf dem Arbeitsmarkt; dem haben wir uns zu stellen. Letztlich sind die Leidtragenden dessen die Kommunen, weil in diesem Bereich sehr wesentlich ergänzende Sozialhilfe gezahlt wird. Ich habe das, was Sie vorgelegt haben, und auch Ihre Rede, Herr Minister, mit dem im Vorjahr Dargelegten verglichen und habe mich an die Auseinandersetzungen, Herr Andres, die wir über den Zuschuss zur Bundesanstalt für Arbeit geführt haben, erinnert. Sie haben betont, dass Sie sich nicht auf Spekulationen einlassen. Wir hatten Ihnen damals gesagt, die Zahl der Arbeitslosen werde um über 100 000 höher sein, als Sie sie eingeschätzt haben. Diesmal sagen wir: Sie wird um über 300 000 höher sein, als Sie sie in Ansatz gebracht haben. Sie haben ein zweites Mal verkündet, Herr Minister, dass die Bundesanstalt fürArbeit nun das erste Mal wieder ohne einen Zuschuss auskommen werde. Dies wird nicht der Fall sein. Sie werden irgendwann wieder entDr. Irmgard Schwaetzer scheiden müssen, einen Zuschuss zu zahlen, auch angesichts der Tatsache, dass Sie im Moment sicher darüber nachdenken, wie Sie das weitere Defizit der Bundesanstalt für Arbeit ausgleichen können. Die vorgesehenen 1,2 Milliarden DM reichen ja nicht, Sie werden mindestens weitere 2 Milliarden DM drauflegen müssen. Sie haben in der Vergangenheit immer wieder gesagt, Sie wollten die Arbeitsmarktpolitik auf hohem Niveau verfestigen. Sie haben sich diesem Ziel auch mit dem Haushalt gewidmet. Ich muss dabei anerkennen, dass der Haushalt trotz der Sparpolitik gleich geblieben und nicht gesenkt worden ist. Aber, meine Damen und Herren, es sind in den letzten Monaten allein in den neuen Bundesländern über 50 000 Menschen weniger im zweiten Arbeitsmarkt beschäftigt, als anvisiert waren. Das Geld, das Sie im kommenden Haushaltsjahr für den zweiten Arbeitsmarkt vorsehen, wird zum großen Teil eingesetzt, um Arbeitslosigkeit zu verhindern. Dagegen hat ja niemand etwas. Aber wenn Sie beispielsweise Löhne von Arbeitnehmern, die von Arbeitslosigkeit gefährdet sind, aus Versicherungsmitteln fördern, geht dies den Arbeitslosen verloren. Das muss man mit allem Nachdruck sagen. ({1}) Dem kann man nicht zustimmen. ({2}) - Fragen Sie einmal bei den Arbeitsämtern nach, Frau Nahles. Die Arbeitsämter, die Vermittler erzählen Ihnen, dass die Unternehmen so lange Leute einstellen, die gefördert werden, wie sie Fördermittel erhalten. Danach werden sie entlassen. Das sagen Ihnen die Arbeitsämter, nicht etwa die PDS-Fraktion. Das sind die Mitnahmeeffekte. Diese Mitnahmeeffekte werden jetzt noch einmal gestärkt. Ein weiteres Problem: Es ist völlig akzeptabel, Herr Minister, dass Sie die über 50-Jährigen erwähnen. Sie gehören neben den Jugendlichen zu der Gruppe, die am meisten betroffen ist. Wenn Sie jetzt die Qualifizierung der Menschen über 50 fördern wollen, müssen Sie einmal sagen, wen Sie eigentlich durch die vorbeugende Arbeitsmarktpolitik tatsächlich fördern. Vermeldet ist, dass 60 Prozent der Unternehmen zurzeit keine über 50-Jährigen mehr beschäftigt haben. Wir brauchen also Anreize, die sich darauf konzentrieren, dass Arbeitsplätze geschaffen werden. Wir brauchen keine Maßnahmen - das sage ich auch in Richtung von Frau Schwaetzer -, die sich darauf richten, mit weiterer Schärfe gegen die Arbeitslosen vorzugehen. ({3}) Ich halte dies für den Grundfehler in dem gesamten Ansatz. Ich verhehle nicht, dass es arbeitsunwillige Menschen gibt. Aber auch von den Arbeitenden laufen nicht alle Schweiß abwischend durch die Gänge. Widmen Sie sich denen, die arbeiten wollen und arbeiten können, und schaffen Sie für sie Möglichkeiten. Diese Möglichkeiten werden nicht dadurch gestärkt, dass Sie weitere Maßnahmen einleiten, die den Druck erhöhen, die Privatisierungen vorsehen oder Sperrfristen einführen. Es ist ein Irrtum, zu glauben, man bekomme die Arbeitslosen dadurch in Arbeit. Wo keine Arbeitsplätze sind, können Sie Druck ausüben, womit Sie wollen. Wo nichts ist, hat der Kaiser sein Recht verloren. Einem nackten Mann kann man nicht in die Tasche greifen. Schaffen Sie also Arbeitsplätze, dann bringen Sie Menschen in Arbeit. ({4})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile dem Kollegen Franz Thönnes, SPD-Fraktion, das Wort.

Franz Thönnes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002818, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist ein schöner Tag für Walter Riester, weil er heute ein Jahr älter wird. Herzlichen Glückwunsch auch im Namen der SPD-Fraktion. Es ist auch ein schöner Tag, weil wir ein gutes Gesetz in den Deutschen Bundestag einbringen, das Job-Aqtiv-Gesetz. ({0}) Mich wundert es schon, mit welcher Unverfrorenheit Herr Seehofer sich heute Morgen hier hingestellt hat. Sie waren damals Kabinettsmitglied - die FDP stand auch in der Regierungsverantwortung - und wollen uns heute weismachen, wie unwirksam ABM und SAM angeblich sind. Ich nenne Ihnen vier Zahlen, damit Sie sich auch wieder an Ihre Vergangenheit erinnern: Im Januar 1998 gab es 131 000 Menschen, die in einer ABM waren, im August 1998 waren es 262 000. Im Januar 1998 gab 104 000 Menschen, die in einer SAM waren, im August 1998 waren es 205 000. Es gibt keinen besseren Beleg dafür, dass Sie diese Menschen einzig und allein aus Wahlkampfgründen eingestellt haben. ({1}) Sie stellen sich heute hier hin und singen das Hohelied, wie wichtig es Ihnen sei, sich um die Menschen zu kümmern, die Sozialhilfe empfangen. Auch dazu will ich Ihnen einige Zahlen nennen. 1995 stieg die Zahl der Sozialhilfeempfänger um 258 000, ({2}) 1996 um 173 000 und 1997 um 204 000. Seit dem Regierungswechsel im Jahre 1998 ist die Zahl sukzessive um 14 000, 87 000 und 102 000 gesunken. Die Beschäftigungsquote ist um 38 Prozent gestiegen. Das war nach dem Regierungswechsel und ist ein Ergebnis unserer Politik. ({3}) Es ist deswegen völlig klar, dass es für uns überhaupt keinen Grund gibt, von diesem Kurs einer geradlinig auf Ziele ausgerichteten Arbeitsmarktpolitik abzuweichen. Wir halten weiterhin am Abbau der Arbeitslosigkeit fest. Wir wollen mehr Qualifikation als Prävention vor dem Jobverlust und eine effektive Nutzung der finanziellen und personellen Ressourcen in der Arbeitsmarktförderung. Ich glaube, dass die arbeitsmarktpolitischen Instrumente mit dem Job-Aqtiv-Gesetz optimiert werden. Wir bauen jetzt neue und bessere Brücken in die Beschäftigung, damit die Menschen schnell Arbeit finden. Die Vermittlung wird beschleunigt, Qualifikation wird als Prävention in den Vordergrund gestellt und die Arbeitsmarktpolitik wird entbürokratisiert. ({4}) Ihre Politik des Kürzens und überzogenen Kontrollierens ist gescheitert. Jetzt kommt es darauf an, zu fördern und zu fordern. Das machen wir mit unserem Gesetz. ({5}) Das Beste an diesem Gesetz ist, dass damit die Voraussetzungen für eine schnelle Vermittlung von Menschen in Arbeit geschaffen werden. Wenn es allein gelingt, die Verweildauer in der Arbeitslosigkeit um eine Woche zu verkürzen, ergibt sich ein eingesparter Betrag von 2 Milliarden DM, den wir für die aktive Arbeitsmarktpolitik einsetzen können. Genau das ist unser Ziel. Wir werden - wie es die Benchmarking-Gruppe empfiehlt, Herr Kollege Seehofer - Eingliederungsvereinbarungen zu einem integralen Bestandteil des Vermittlungsprozesses machen, damit für beide Seiten - für die Menschen, die Arbeit suchen, und für diejenigen, die Arbeit vermitteln die Pflichten und die einzelnen Aktivitäten vernünftig aufgelistet werden und damit im Zweifel auch - da, wo es notwendig ist - sanktioniert werden kann. Wir stellen Menschen, die Arbeit suchen, nicht unter den Generalverdacht, dass sie eigentlich gar keine Arbeit wollten, sodass sie von morgens bis abends zu kontrollieren seien. Das wird mit uns nicht zu machen sein. ({6}) Der wichtigste Punkt - ihn muss ich erwähnen, weil der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU gestern danach gefragt hat, was das Q im Job Aqtiv zu bedeuten habe; es hat nichts mit Sahne, Milch oder Käse zu tun ({7}) ist, dass es um Qualifikation geht. Es ist notwendig, dies zu erwähnen. Wir haben nämlich heute Morgen an Ihren Zwischenfragen gemerkt, dass sich diese Sitzung zu einem Weiterbildungsseminar für die CDU/CSU gewandelt hat. ({8}) Qualifikation ist die wesentliche Voraussetzung für die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und am Leben in der Arbeitswelt. Deswegen werden wir die Jobrotation als Regelinstrument in die aktive Arbeitsmarktpolitik einführen. Von der Jobrotation haben eigentlich alle Vorteile; es gibt nur Gewinner: Die Unternehmen heben ihr betriebliches Qualifikationsniveau, stärken ihre Wettbewerbsfähigkeit und wirken einem Fachkräftemangel entgegen. Die Beschäftigten erhöhen ihre individuelle Qualifikation und ihre Wertigkeit auf dem Arbeitsmarkt. Die Stellvertreter haben die Möglichkeit, erneute Berufspraxis zu gewinnen und wieder am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Auch für die Arbeitsämter rechnet sich dies, denn wir wissen aus den Erfahrungen in Dänemark und auch aus den Modellprojekten in Deutschland: 60 Prozent der Stellvertreter finden anschließend einen Job im ersten Arbeitsmarkt, was unser wichtigstes Ziel ist. Deswegen wird Jobrotation eine erfolgreiche Brücke aus der Arbeitslosigkeit in die Beschäftigung sein. ({9}) Aber man muss auch deutlich sagen: Wir wissen, wenn wir dies fördern - wir wollen das Stellvertretergehalt zu 50 bis 100 Prozent fördern, damit es für das Unternehmen und für den Beschäftigten attraktiv wird -, ganz genau, dass es ein komplexes Instrument ist. Es bedarf eines genauen Personalmanagements von Serviceagenturen, der betrieblichen Akteure, derjenigen, die daran teilhaben. So kann man im doppelten Sinne sagen: Jobrotation macht Arbeit. ({10}) Kollege Grehn hat nach Maßnahmen für die älteren Arbeitnehmer gefragt. Uns sind die älteren Arbeitnehmer in diesem Land viel wert. Ich konnte nie verstehen, warum in den letzten Jahren ein Prozess eingesetzt hat, bei dem der Ältere den Eindruck haben muss, dass er in unserem Wirtschaftssystem zum alten Eisen gehört. Das war eine unsinnige Vergeudung von Ressourcen. ({11}) Wir sind auf diese Menschen angewiesen und wir müssen ihnen helfen, ihr Qualifikationsniveau hoch zu halten. ({12}) Deswegen werden wir die älteren Beschäftigten fördern. Wie es das Bündnis für Arbeit verabredet hat, wird die Arbeitsverwaltung die Kosten für die Weiterbildung übernehmen. Letzten Endes geht es auch um die vielen an- und ungelernten Arbeitnehmer. Es geht um diejenigen, die keine Abschlüsse haben. Man kann darüber streiten, wer die Maßnahmen finanziert, aber wenn die Betriebe es nicht tun, ist die Allgemeinheit gefordert, hier zu fördern. Dies wird die Arbeitsverwaltung machen. An- und ungelernte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer werden in Zukunft gefördert, wenn es darum geht, aus den Betrieben heraus in eine Weiterbildungsmaßnahme zu gehen. Wenn wir diese Qualifikationsoffensive um die Möglichkeiten ergänzen, die das Betriebsverfassungsgesetz in den §§ 96 und 97 ({13}) den Betriebsparteien beiderseitig zur Förderung der Qualifikation der Beschäftigten gibt, wenn wir also dies mit den Fördermöglichkeiten der Arbeitsverwaltung zusammenbringen, entsteht daraus - da bin ich mir ganz sicher eine gute Dynamik im Bildungsmarkt und im Beschäftigungssystem. ({14}) Am Ende werden wir dann alle Gewinner sein. ({15}) Einfach, fair und maßgeschneidert, fördern und fordern - das steht für Fairplay auf dem Arbeitsmarkt. Dafür steht unser Job-Aqtiv-Gesetz. ({16})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Karl-Josef Laumann, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Karl Josef Laumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001294, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Drei Jahre nach dem Amtsantritt dieser Bundesregierung und ein Jahr vor der Bundestagswahl haben wir in der Sozialpolitik in Deutschland eine Besorgnis erregende Situation. ({0}) Gehen wir zum ersten Thema, der Rente: Herr Riester, Ihr neues Rentengesetz steht gerade einige Wochen im Bundesgesetzblatt und schon stimmt es nicht. Wir werden nämlich im Januar erleben, dass Sie die Ökosteuer um weitere 6,5 Pfennige erhöhen - Stichwort „Tanken für die Rente“. Aber wir werden im Januar zum ersten Mal - das steht heute schon fest - trotz Erhöhung der Ökosteuer den Rentenversicherungsbeitrag nicht senken können. ({1}) Damit ist ein wesentlicher Aspekt Ihres Gesetzes, nämlich die Beiträge durch die Ökosteuer abzusenken, und Ihre ganze Idee, die Ökosteuer zu erhöhen, um die menschliche Arbeit billiger zu machen, gescheitert. ({2}) Hier stehen Sie vor den Scherben Ihrer eigenen Politik. ({3}) Dies liegt daran, dass Sie während der gesamten Rentenreformen mit den Zahlen getäuscht und getrickst haben. Immer dann, wenn Geld fehlte, erhöhten Sie zum Beispiel ein bisschen die Zuwanderung, damit die Rechnung mit dem Rechenschieber wieder stimmte. Eine solche Politik steht auf kurzen Beinen und wird deswegen auch nicht weit kommen. ({4}) Die Menschen verstehen, dass die Rentenreform bei der Förderung der privaten Vorsorge zu kompliziert, zu bürokratisch ist und an ihren Bedürfnissen - Stichwort Eigenheimförderung - vorbeigeht. Zudem wirft sie schlechte Renditen ab; denn Sie können in allen Fachzeitschriften der Lebensversicherer lesen, wie schlecht die Renditen für die Riester-Rente sein werden, wenn sie Ihre Zertifizierungskriterien erfüllen. Sie werden auch mit dieser Sache eine Bauchlandung machen. ({5}) Nehmen wir den Arbeitsmarkt. Dass Sie die Arbeitslosigkeit nicht senken konnten, das weiß in Deutschland mittlerweile jedes Schulkind. ({6}) Dass der Arbeitsmarkt in Deutschland nicht in Ordnung ist, hat sich mittlerweile ebenfalls herumgesprochen. Die Faulenzerdebatte ist vom SPD-Bundeskanzler losgetreten worden, nicht von der CDU/CSU. ({7}) Ihr Verteidigungsminister hat sich je, wenn er zwischen Swimmingpool und Bundeswehr Zeit hatte, ebenfalls dazu geäußert. Jetzt schauen wir uns einmal objektiv die Zahlen an. Die Bundesanstalt für Arbeit hat die Zahl von 1,6 Millionen offenen Stellen genannt. Davon sollen nach Auskunft der Bundesanstalt für Arbeit etwa 600 000 Stellen für ungelernte Arbeitskräfte sein. Wir alle wissen, dass 50 Prozent der Langzeitarbeitslosen in Deutschland ohne Berufsausbildung sind. Die Arbeitsämter erklären uns jedoch immer wieder, dass Saisonarbeiter aus Osteuropa zu uns kommen müssen, um Arbeiten zu verrichten, die kein Deutscher tun will. Hier besteht offensichtlich ein Problem. Dies hat es auch zu unserer Regierungszeit gegeben, aber heute besteht es weiterhin. Die Sozial- und Arbeitslosenhilfe wirkt wie eine Lohngrenze. Deswegen finden wir keine Arbeitslosen, die ungelernte Jobs annehmen wollen. Das ist offenkundig. Das können wir uns in Zukunft nicht mehr erlauben. ({8}) Deswegen ist unser Vorschlag - Horst Seehofer hat es hier erklärt -, vor allen Dingen die unteren Lohngruppen attraktiver zu machen, indem wir die Spanne zwischen Brutto- und Nettolohn zugunsten des Nettolohns verkleinern, richtig. ({9}) Ich will ein Beispiel nennen: Wenn jemand - dieses Problem gilt auch für Berlin: die Stadt steht beim Arbeitsmarkt unter großem Druck - für 10 DM in der Stunde arbeitet, dann bekommt er brutto 1 680 DM. Die Degression bei der Steuer und der Freibetrag sind nicht das Problem. Aber für die Sozialversicherung gehen 336 DM ab. Dann bleiben ihm noch 1 344 DM. In vielen Fällen kann er - es kommt auf seine familiäre Situation an - genauso gut Stütze beziehen, anstatt diese Arbeit zu verrichten. ({10}) Deswegen müssen wir hier etwas ändern, egal ob Kombilohn oder degressive Gestaltung der Sozialversicherungsbeiträge, um den Anreiz zur Aufnahme einer Arbeit durch einen besseren Nettolohn zu erhöhen. ({11}) Auf dieses Strukturproblem geben Sie mit Ihrem JobAqtiv-Gesetz überhaupt keine Antwort. ({12}) Sie versuchen mit den Mitteln der Administration, das Problem auf dem Arbeitsmarkt zu lösen. Ich sage Ihnen: Dieses Gesetz wird außer vielen Reden und heißem Dampf auf dem Arbeitsmarkt am Ende nichts bewegen. ({13}) Verwirklichen Sie mit uns unsere Vorschläge zum Kombilohn und zur degressiven Gestaltung der Sozialversicherungsbeiträge. Ich freue mich, dass die FDP unsere Idee, im Sozialhilferecht die Beweislast umzukehren, in ihrem Antrag aufgegriffen hat. ({14}) Langsam kommen wir voran. Machen Sie mit, dann werden wir einiges erreichen! Jetzt komme ich zum Arbeitsrecht. Die SPD hat zu verschiedenen Instrumenten ein völlig gestörtes Verhältnis. Gestern Abend habe ich im Parteiprogramm der SPD geblättert, das Sie 1990 verabschiedet haben. ({15}) Darin steht der Satz: Zeitarbeit muss verboten werden. Es ist die gültige Beschlusslage der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, dass man Zeitarbeit verbieten muss. ({16}) Wie ist die Lage? Wir wissen genau, dass die Zeitarbeit für viele eine gute Brücke in den ersten Arbeitsmarkt ist. Wir haben 1999 einen Gesetzentwurf eingebracht, das AÜG teilweise einzuschränken, um die Zeitarbeit in Deutschland auf eine breitere Grundlage zu stellen. Diesen Entwurf haben Sie abgelehnt. Jetzt machen Sie im Job-Aqtiv-Gesetz einen halbherzigen Vorschlag in diese Richtung. Ich kann nicht begreifen, warum auf der einen Seite die Verleihdauer verlängert wird und auf der anderen Seite nach zwölf Monaten für den Zeitarbeitnehmer die Standards des Entleihbetriebes gelten sollen. Damit werden Sie meiner Meinung nach in diesem Bereich überhaupt nichts bewegen. ({17}) Wahr ist auch, dass Sie mit dem Betriebsverfassungsgesetz ein falsches Zeichen gesetzt haben. Lassen Sie uns über dieses Thema in aller Ruhe reden. Es ist nicht gelungen, im Betriebsverfassungsgesetz eine Regelung zu verankern, die die Betriebsvertragsparteien dazu verpflichtet, unter besonderer Berücksichtung der individuellen Beschäftigungsaussichten das Element der Beschäftigunssicherung mit im Auge zu haben. Das ist ein schwerer Fehler. Wir brauchen stärkere betriebliche Bündnisse und Flexibilität, um Beschäftigung zu sichern. Daran führt kein Weg vorbei. ({18}) Wir brauchen auch keine größeren Betriebsräte. Die mit Ihrer Mehrheit beschlossene gesetzliche Regelung wird den Mittelstand nicht gerade dazu veranlassen, mehr Arbeitnehmer einzustellen. Sie wissen auch, dass von praktizierenden Betriebsräten, bevor Sie die Diskussion über dieses Thema losgetreten haben, so gut wie nie der Wunsch nach größeren Gremien geäußert wurde. Ich möchte Ihnen sagen: Nutzen Sie die Beratungen und Anhörungen über das Job-Aqtiv-Gesetz zu einer grundsätzlichen Auseinandersetzung mit uns und der Wissenschaft über die Arbeitsmarktpolitik der Zukunft, wie wir sie in einem modernen Industriestaat, der sich immer mehr zu einer Dienstleistungsgesellschaft entwickelt, brauchen. ({19}) Der Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit ist unterfinanziert; das weiß jeder. Ich frage mich, was kommen wird. Nachdem Sie „Tanken für die Rente“ durchgesetzt haben und jetzt dabei sind, „Rauchen für die innere Sicherheit“ einzuführen, warte ich darauf, welchen genialen Vorschlag Sie machen werden, um die Arbeitslosenversicherung mit einem Bundeszuschuss auszustatten. Wir werden sicherlich noch „Trinken für den Arbeitsmarkt“ erleben. Schönen Dank. ({20})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich unterbreche die Sitzung für die Fraktionssitzungen für circa eine Stunde. Der Wiederbeginn der Sitzung wird durch Klingelzeichen bekannt gegeben. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Interfraktionell ist vereinbart worden, die heutige Tagesordnung um folgenden Zusatzpunkt 6 zu erweitern: ZP 6 Beratung des Antrags der Bundesregierung Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem NATO-geführten Einsatz auf mazedonischem Territorium zum Schutz von Beobachtern internationaler Organisationen im Rahmen der weiteren Implementierung des politischen Rahmenabkommens vom 13. August 2001 auf der Grundlage der Einladung des mazedonischen Präsidenten Trajkovski vom 18. September 2001 und der Resolution Nr. 1371({0}) des Sicher- heitsrats der Vereinten Nationen vom 26. Sep- tember 2001 - Drucksache 14/6970 - Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe, das ist der Fall. Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Antrag auf Drucksache 14/6970 jetzt ohne Aussprache zur feder- führenden Beratung an den Auswärtigen Ausschuss und zur Mitberatung an den Rechtsausschuss, den Ver- teidigungsausschuss, den Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe, den Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union und an den Haushaltsausschuss, mitberatend und gemäß § 96 der Ge- schäftsordnung, zu überweisen. Gibt es dazu anderwei- tige Vorschläge? - Das ist offensichtlich nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Die abschließende Beratung mit namentlicher Abstim- mung ist für heute Nachmittag vorgesehen. Wir setzen jetzt unmittelbar die Haushaltsberatungen fort. Die drei restlichen Reden zum Einzelplan 11, Bun- desministerium für Arbeit und Sozialordnung, der Kolle- gin Andrea Nahles und der Kollegen Günter Nooke und Klaus Brandner werden zu Protokoll gegeben.1) - Ich sehe Einverständnis im gesamten Hause. Wir kommen jetzt zur Debatte über den Einzelplan 9. Zur Einführung in diesen Einzelplan erteile ich dem Bundeswirtschaftsminister Dr. Werner Müller das Wort.

Werner Müller (Minister:in)

Politiker ID: 11005300

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vor dem auch heute letztlich noch unfassbaren Terroranschlag des 11. September in den USA habe ich wiederholt gesagt, dass wir mit Optimismus und Zuversicht in die wirtschaftliche Zukunft blicken können - und das nicht grundlos: Der Export, bereits letztes Jahr um 16 Prozent gewachsen, legt in diesem Jahr nochmals um 8 bis 10 Prozent zu. Die deutsche Automobilindustrie kündigte ein Umsatzwachstum in der Größenordnung von 50 Milliarden DM an, also weit mehr als 10 Prozent. Das bestellte Inseratenaufkommen für die Monate November und Dezember ist deutlich gestiegen. Der Ifo-Stimmungstest liefert wieder leicht bessere Werte. Die Internationale Funkausstellung schloss mit einem unerwartet hohen Bestellvolumen. Statt weiterer solcher positiven Meldungen zitiere ich den DIHK-Präsidenten Herrn Braun: Die Lage ist besser als die Stimmung. ({0}) Die gesamtwirtschaftlichen Rahmendaten sind ebenfalls nicht ungünstig. Die Inflationsrate sinkt deutlich und wird bis Ende Dezember eine Eins vor dem Komma haben. Die Steuerreform entfaltet ihre Wirkung. Monatlich werden die Personenunternehmen von rund 1 Milliarde DM Steuerbelastung befreit, ({1}) die privaten Haushalte von rund 2 Milliarden DM Steuerbelastung monatlich. Die Energiepreise, namentlich die Benzinpreise, sind gegenüber den Rekordpreisen des Frühjahrs gesunken. Ich erwarte, dass die heutigen, sehr niedrigen Rohölkosten an die Verbraucher weitergegeben werden. Die Investitionen aus dem Ausland entwickeln sich erfreulich. Kurz und gut: Es hat genügend Gründe gegeben, die Stimmung für Konsum und Investitionen nach der Wachstumsschwäche des zweiten und dritten Quartals, auf die ich ja frühzeitig hingewiesen hatte, wieder zuversichtlich zu sehen. Dann kam der 11. September. In welcher Gesellschaft würden wir leben, wenn nicht tiefe Betroffenheit, Sorgen, auch Angst die Gemüter der Menschen bewegen würden? Dieses im Sinn möchte ich zwei Dinge sagen dürfen: Erstens. Die wirtschaftliche Zukunft hängt entscheidend auch davon ab, wie wir über sie reden. ({2}) Zweitens. Pessimismus und Zukunftsangst dürfen nicht die Oberhand gewinnen. ({3}) Ich war in dieser Woche in der Absicht beim BDI-Präsidium, über diese zwei Punkte zu sprechen. Ich hörte nach diesem Gespräch, man habe im BDI-Präsidium erwartet, ich würde ein Programm zur Vorverlegung der Steuerreform, zur Abschaffung der Ökosteuer, zur Erleichterung des Kündigungsschutzes und zur Abschaffung des Betriebsverfassungsgesetzes verkünden. ({4}) Meine Damen und Herren, der 11. September wirft gewiss viele Fragen auf, aber nicht die Frage der Erleichterung des Kündigungsschutzes. ({5}) Bezüglich des Themas Regulierung des Arbeits- marktes habe ich übrigens mit Herrn Riester bereits vor dem 11. September besprochen, dass wir hierzu einen Vizepräsidentin Petra Bläss 1) Anlage 9 Dialog mit der Wirtschaft beginnen wollen. Ausgangspunkt sind einerseits Forderungen der Wirtschaft und andererseits die Tatsache, dass vieles davon bereits gesetzlich geregelt bzw. tarifvertraglich möglich ist. Mit anderen Worten: Wir, die Wirtschaft und die Politik, müssen die Frage erörtern, warum so viele wichtige arbeitsrechtliche und tarifvertragliche Möglichkeiten, die zu größerer Flexibilität führen, nicht wahrgenommen werden. Der 11. September 2001 stellt gewiss nicht die Frage der Rückkehr zu einem ausufernden Schuldenstaat. Ich will Ihnen ein Beispiel dafür nennen, welche Fragen der 11. September tatsächlich stellt: Ist es noch richtig, wenn bei investiven Maßnahmen im Rahmen von Genehmigungsverfahren - dies schließt auch die Auslegung und die öffentliche Erörterung ein - sämtliche sensiblen Details der Produktionsanlagen allgemein bekannt gemacht werden? Ich möchte das hier nicht vertiefen, sondern nochmals betonen: Die Grundsätze einer soliden Haushalts- und Finanzpolitik werden durch den 11. September nicht infrage gestellt. ({6}) Zu dieser Politik leistet mein Haushalt einen wesentlichen Beitrag. Wie allgemein bekannt, gibt es wohl kaum jemanden, der nicht den Abbau von Subventionen fordert. Zu Anfang meiner Amtszeit habe ich gesagt, dass ich diese Forderung auch umsetzen werde. Dazu muss man wissen, dass der Haushalt des Bundeswirtschaftsministers - von dem kleinen Teil für Verwaltungskosten abgesehen - überwiegend aus Subventionen an die Wirtschaft besteht. In dem vierten BMWi-Haushaltsentwurf kann man erkennen, dass ich seit dem Jahre 1999 jedes Jahr im Durchschnitt 1 Milliarde DM an Subventionen aus meinem Haushalt gestrichen habe. ({7}) Dies bedeutet konkret: Das Haushaltsvolumen des BMWi betrug 1999 8,3 Milliarden Euro. Es beträgt 2002 rund 6,4 Milliarden Euro. Die größten Kürzungen 2002 gegenüber dem Vorjahr erfolgen im Steinkohlebergbau. Alle anderen Subventionen werden im Durchschnitt um rund 5 Prozent gekürzt. Zu einzelnen Positionen kurze Angaben: Die Kürzung der Steinkohlehilfen um etwa 20 Prozent auf rund 3 Milliarden Euro erfüllt auf Punkt und Komma den Vertrag mit dem Bergbau. Denn - das habe ich zu jedem von mir vorgelegten Haushalt gesagt - wir sind die erste Bundesregierung, die die Verträge mit dem Bergbau einhält. ({8}) Aber ich füge in Richtung Bergbau hinzu, dass auch er diese Verträge beachten muss, zum Beispiel hinsichtlich der Entwicklung der Förderkosten. Die Investitionsförderung in den neuen Ländern im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ wird auf hohem Niveau fortgesetzt. Für 2002 ist erneut eine Verpflichtungsermächtigung von 751 Millionen Euro für den Zeitraum von 2003 bis 2005 vorgesehen. Zusammen mit den 50-prozentigen Komplementärfinanzierungen der Länder und den zu erwartenden EFRE-Mitteln der EU steht damit ein Bewilligungsrahmen von annähernd 2,2 Milliarden Euro für neue Investitionsprojekte zur Verfügung. Dadurch wird ein Investitionsvolumen von insgesamt über 6 Milliarden Euro angeschoben. Die Förderung von Forschung und Entwicklung erneuerbarer Energien sowie deren Markteinführung ist weiterhin ein zentrales energiepolitisches Anliegen und wird mit 233 Millionen Euro unterstützt. Kritik hat insbesondere die Tatsache gefunden, dass wir das Markteinführungsprogramm nicht mit 150 Millionen Euro fortgesetzt haben. Wir mussten sogar am 24. Juli des laufenden Jahres nach Rücksprache mit den Führungen der Regierungsfraktionen die spezifischen Fördersätze kürzen. Hintergrund ist ein unerwartet hohes Antragsvolumen. Von Januar 2001 bis zum 24. Juli 2001 sind 76 672 Anträge eingegangen, vom 25. Juli bis zum 21. September 2001, also innerhalb von acht Wochen, bereits wieder 19 302 Anträge. Die Kürzung der Fördersätze im Juli hat an der Zahl von rund 2 500 Antragseingängen je Woche nichts geändert. Um überhaupt all diese Anträge positiv bescheiden zu können, sollte man eine Aufstockung der Markteinführungshilfen erwägen. Der Bereich Forschung, Entwicklung und Innovation ist weiterhin ein Schwerpunkt der Aufgabenstellung meines Hauses. Neben der Unterstützung von technologieorientierten Unternehmen in der Bildung innovativer Netzwerke wird auch die Förderung im Bereich Multimedia weiter ausgebaut. Die Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit kleiner und mittlerer Unternehmen wird auch im Haushalt 2002 angemessen gefördert. Wichtig ist mir insbesondere, dass die Novellierung des Meister-BAföG gemeinsam mit meiner Kollegin Bulmahn erfolgreich auf den Weg gebracht werden konnte. ({9}) Die Förderung der Außenwirtschaft wird mit 105 Millionen Euro dotiert. Davon erhält die Bundesagentur für Außenwirtschaft, die neben den Auslandshandelskammern eine tragende Säule unserer Außenwirtschaftspolitik ist, mit 20,5 Millionen Euro für ihre Neuausrichtung mehr Mittel als im Vorjahr. Im Bereich der Tourismuspolitik konzentriert sich die Förderung auf die Deutsche Zentrale für Tourismus, für die mit 24,2 Millionen Euro ein gegenüber 2001 immerhin um rund 4 Prozent verstärkter Mitteleinsatz bereitgestellt werden kann. ({10}) Die insgesamt erfreuliche Entwicklung im Bereich des Fremdenverkehrs und die positive Darstellung des Reiselandes Deutschland sollen weiter ausgebaut werden. ({11}) Hinweisen will ich auch auf die äußerst geringe globale Minderausgabe, die die haushaltswirtschaftlichen Spielräume meines Hauses erhöht. Schließlich sei betont, dass auch die Entwicklung des Airbus A 380 gefördert werden wird und dass produktionsbezogene Schiffbauhilfen durch EU-Beschluss wieder möglich werden könnten, wofür aber noch keine Vorsorge getroffen wurde. Alles in allem habe ich einen Haushalt aufgestellt, der den wirtschaftspolitischen Zielen gut dient, einschließlich des Zieles Subventionsabbau. Aber Sie glauben gar nicht, wie viele Verbände und Unternehmen mir meist wenig freundliche Briefe schreiben, wie ich eigentlich zu Subventionskürzungen käme, ({12}) Verbände übrigens, die natürlich gleichzeitig laut nach Steuersenkungen und nach sparsamer Haushaltsführung rufen. ({13}) Eines sollte klar sein: Subventionen, auch wenn sie in den 30 Jahren FDP-geführter Wirtschaftspolitik immer dicker ausgeteilt wurden, ({14}) gehören gewiss nicht zum Besitzstand der Wirtschaft. Selbstredend bekomme ich auch oftmals Post von den Abgeordneten, natürlich auch sehr viel Post von CDU- und CSU-Abgeordneten mit der Bitte, diese oder jene Subvention nicht zu kürzen. So viel nur zum Thema „Finanzierung neuer Aufgaben durch Umschichtung“. ({15}) Gerade erst heute Morgen bekam ich einen langen Brief von einem Vorstandsmitglied der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, in dem es heißt, ich solle doch die Mittel für die Außenwirtschaft erhöhen. Außenwirtschaftsförderung besteht ja nicht nur aus Subventionen. Ich will nur ein kleines Beispiel nennen. Wir haben am letzten Freitag - das sage ich einmal sehr bewusst - rund 800 Millionen DM Hermesbürgschaften für Projekte im Iran bewilligt. Lassen Sie mich mit einer Wiederholung schließen: Die Zukunft unserer Volkswirtschaft hängt entscheidend auch davon ab, wie wir über sie reden. Ich beteilige mich nicht an dem Herbeireden von Zukunftsangst und Pessimismus, weil ich dafür keine belastbaren Gründe kenne. ({16}) Im Klartext: Eine Wirtschaftskrise ist nicht zu befürchten. Ob die künftigen Wachstumsraten aber größer oder kleiner sind, hängt davon ab, welche Stimmung in diesem Land verbreitet wird. In Amerika kommt die Grundeinstellung „Jetzt erst recht“ durch. Wir sollten uns das zum Beispiel nehmen. Vielen Dank. ({17})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die Fraktion der CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Gunnar Uldall.

Gunnar Uldall (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002353, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Minister Müller, ich stimme Ihnen in einem Punkt zu: Auch nach den Terroranschlägen in New York und Washington können wir mit Optimismus hinsichtlich der wirtschaftlichen Entwicklung nach vorn sehen, ({0}) allerdings unter einer Voraussetzung, nämlich dass wir in Deutschland auch eine gute Wirtschaftspolitik betreiben, Herr Müller. ({1}) Darauf kommt es in den nächsten Wochen besonders an. ({2}) Denn die Regierung darf jetzt nicht der Versuchung erliegen, dass sie alle wirtschaftlichen Probleme, die in den kommenden Monaten auf uns zukommen werden, damit entschuldigt, dass sie sagt: Das alles liegt daran, dass es diese fürchterlichen Ereignisse in den USA gegeben hat. Herr Minister, diesen Weg dürfen Sie nicht gehen. ({3}) Sie müssen zu einer nach vorn gerichteten, gezielten Wirtschaftspolitik, die wir in den vergangenen drei Jahren in Deutschland leider vermissen mussten, zurückkehren. ({4}) Herr Minister, die Bilanz, die Sie jetzt - ich meine vor den Anschlägen in Amerika -, nach drei Jahren Wirtschaftspolitik durch Sie und Bundeskanzler Schröder und ein Jahr vor den nächsten Wahlen und dem Ende der Legislaturperiode, vorzulegen haben, ist die schlechteste wirtschaftspolitische Bilanz, die man sich überhaupt vorstellen kann. ({5}) Ich kann nicht ein einziges Feld der Wirtschaftspolitik herausgreifen, in dem Sie eine gute Bilanz vorlegen können. Ich werde dies gleich auch im Einzelnen Punkt für Punkt zeigen. Der Bundeskanzler hat immer gesagt, dass er nicht alles anders, aber vieles besser machen wollte. ({6}) Das ist ein wunderbarer Satz für die Fernsehkameras. Die Realität hinter den Fernsehkameras zeigt nach drei Jahren Schröder-Politik allerdings das genaue Gegenteil. ({7}) Vieles ist anders, aber kaum etwas ist besser geworden. ({8}) Ich werde Ihnen das jetzt im Einzelnen wie in einer Bilanz aufzeigen. Ich beginne mit dem Bündnis für Arbeit: Es sollte ein neuer Politikstil eingeführt werden. Maßnahmen sollten am Parlament vorbei besprochen werden. Quasi als Ersatz für das politische Handeln durch die Regierung sollten die Verbände das Notwendige miteinander besprechen. Der Bundeskanzler würde dann als großer Verkünder des Konsenses vor die Kameras treten und darüber berichten. Wie sieht die Realität heute aus? Dieses Bündnis für Arbeit, dieser Wunderzirkel, ist sanft entschlummert, ohne dass es in Deutschland jemand so richtig bemerkt hat. ({9}) Herr Minister, es gibt kein peinlicheres Ergebnis für die Politik, die von Ihnen damals mit großen Ankündigungen eingeleitet wurde. Will man eine Überprüfung der wirtschaftspolitischen Ergebnisse vornehmen, wird man sich zunächst einmal fragen, woran man die Güte einer Politik eigentlich messen kann. Ich sage: Das Beste ist, dass man in das Stabilitätsgesetz hineinschaut; hier sind die Ziele genau vorgegeben. Sie heißen: angemessenes Wirtschaftswachstum, Preisstabilität, hoher Beschäftigungsstand, außenwirtschaftliches Gleichgewicht. Abgesehen von dem letzten Punkt - außenwirtschaftliches Gleichgewicht - ist keine der Zielvorgaben auch nur annähernd erreicht worden. Die Wachstumsraten sind so niedrig, dass mir nicht einmal ein SPD-Redner widersprechen würde, wenn ich sagte, dass sie nicht angemessen sind. Sie sagten eben mit Stolz, dass die Preissteigerungsrate wieder sinkt. Für diesen Stolz habe ich überhaupt kein Verständnis; denn die Preissteigerungsrate betrug im August 2,6 Prozent. Ich finde es - vornehm ausgedrückt - etwas unpassend, dass Sie jubeln und sich freuen, wenn sie jetzt wieder etwas heruntergeht. ({10}) Noch schlechter fällt die Bilanz auf dem Arbeitsmarkt aus. An den Erfolgen der Beschäftigungspolitik wollte sich der Kanzler messen lassen. Er hatte deutliche Verbesserungen angekündigt. Jetzt hat er das Ziel auf 3,5 Millionen Arbeitslose festgelegt; das ist marginal unter den 3,8 Millionen, die wir im Oktober 1998 erreicht hatten. Es ist noch nicht einmal sicher, ob er diese besonders niedrig gelegte Hürde überhaupt überspringen wird. Nichts zeigt das Versagen der Wirtschaftspolitik deutlicher als die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt. Ich kann noch einige weitere Punkte nennen, die Sie angekündigt und sich vorgenommen hatten: Senkung der Lohnzusatzkosten - Fehlanzeige; Steuerreform zur Ankurbelung der Konjunktur - Fehlanzeige; Lenkungswirkung der Ökosteuer, um ganz neue Wege zu gehen - Fehlanzeige; ({11}) Annäherung des wirtschaftlichen Niveaus in Ostdeutschland an das Niveau in Westdeutschland - Fehlanzeige. Ich sehe keinen Bereich, in dem diese Regierung einen wirtschaftspolitisch großen Erfolg vorlegen kann. Ich stimme Ihnen zu, dass die Terroranschläge in New York und Washington die Weltwirtschaft vor neue, zusätzliche Probleme stellen werden. Es ist aber festzuhalten: Die absolut unzureichende wirtschaftspolitische Bilanz der letzten drei Jahre stand schon vor diesen grausamen Attentaten fest. ({12}) Schon in der Woche davor hatte ein Wochenmagazin mit der Titelgeschichte aufgemacht: „Kanzler in der Krise“. Meine Damen und Herren, „Kanzler in der Krise“, nicht „Deutschland in der Krise“; ({13}) denn nach meiner Einschätzung ist unsere Volkswirtschaft in ihrem Kern immer noch so gesund, dass wir bei einer richtigen Wirtschaftspolitik unsere wirtschaftspolitischen Probleme wieder in den Griff bekommen könnten. Deswegen sehe ich durchaus die Chance für uns, etwas zu tun, allerdings unter der Voraussetzung, dass wir uns jetzt um eine gesunde, nach vorne gerichtete Wirtschaftspolitik bemühen. Dazu brauchen wir kein Konjunkturprogramm. Darin stimmen wir über die Fraktionen hinweg überein. ({14}) - Nein, es gibt keinen Unionspolitiker, der bisher ein Konjunkturprogramm gefordert hat. ({15}) Erstaunlich ist, dass Sie - auch gestern Bundeskanzler Schröder in seiner Rede - hier immer einen Pappkameraden aufbauen, den es gar nicht gibt, auf den Sie aber losdreschen. Wir sagen: Konjunkturprogramme sind Strohfeuer, die wollen wir nicht. Aber was wir dringend brauchen, sind Korrekturen an den Strukturen, meine Damen und Herren, an den wachstums- und beschäftigungshemmenden Strukturen. Hierzu haben wir mit unserem Zehnpunkteprogramm einen sehr guten Vorschlag unterbreitet, von dem ich die wichtigsten Punkte noch einmal nennen möchte: Stärkung der Kaufkraft der Konsumenten und Stärkung der Investitionskraft der mittelständischen Betriebe, und zwar durch Vorziehen der Steuerreform, ({16}) Stärkung des Anreizes zur Aufnahme von Arbeit durch Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe, Beseitigung der Hürden für die Einstellung neuer Mitarbeiter, wie zum Beispiel Teilzeitarbeitsgesetz, Scheinselbstständigengesetz, und Beseitigung der falschen 630-Mark-Regelung. Dazu gehört auch die Schaffung einer neuen Betriebsverfassung, die den Betriebsräten und den Unternehmensleitungen die Möglichkeit eröffnet, gemeinsam auf Probleme zum Beispiel in der Auslastung der Unternehmen zu reagieren. ({17}) Dass in Deutschland 5 000 Arbeitslose zu 5 000 DM Monatsgehalt erst nach langen Verhandlungen eingestellt werden, hat in der ganzen Welt nicht einmal mehr ein Kopfschütteln, sondern nur ein hämisches Lächeln hervorgerufen, Herr Minister. Dies ist für so manche Entwicklung in unserer Volkwirtschaft bezeichnend. Die Finanzierung des Zehnpunkteprogramms ist machbar. Nur die wenigsten Maßnahmen, die wir jetzt ergreifen müssen, werden den Haushalt belasten. Ich habe in einer Modellrechnung einmal ermittelt, wie hoch die Belastungen für die mittelfristige Finanzplanung sein werden. Da kommen wir in dem Zeitraum der nächsten fünf Jahre nicht zu einer Belastung des Haushaltes, sondern zu einer Entlastung des Haushaltes um 29 Milliarden DM. Insofern kann ich wirklich nur sagen: Dass Sie gegen dieses Programm sind, ist ein Zeichen dafür, dass Sie nicht mehr die Kraft haben, jetzt die wichtigen Maßnahmen zur Verbesserung unserer wirtschaftspolitischen Situation zu ergreifen, die gerade nach den Attentaten vom 11. September notwendig sind. Steuererhöhungen, die Sie jetzt wieder vorgesehen haben - das ist das einfachste Mittel, zu dem Sie immer gern greifen -, sind genau das Falsche. ({18}) In den USA gibt es eine nationale Solidaritäts- und Aufbruchstimmung. In Deutschland werden die Zigarettenpreise erhöht, meine Damen und Herren, nein, nicht, wie behauptet, zur Finanzierung zusätzlicher Sicherheitsausgaben, sondern auch zur Beschaffung zusätzlicher Einnahmen, um den ganz normalen Haushalt auszugleichen. ({19}) 3 Milliarden DM wollen Sie zusätzlich ausgeben, aber die Steuern erhöhen Sie um 6 Milliarden DM. Eine höhere Tabaksteuer und eine höhere Versicherungsteuer sind Gift für die schwächelnde Konjunktur bei uns in Deutschland. Statt eines Kommentars hierzu möchte ich nur auf die Überschrift von zwei Artikeln im „Handelsblatt“ verweisen, und zwar von Peter Thelen und Ruth Berschens. Sie schreiben in den Überschriften ihrer sehr treffenden Artikel: „Mit Steuer- und Abgabenerhöhungen würgt RotGrün die schwache Konjunktur ab“ und „Die Partner wundern sich über Deutschland“. ({20}) Diesen Urteilen habe ich nichts hinzuzufügen. Herr Minister, Sie haben in dieser Legislaturperiode noch zwölf Monate Zeit. Handeln Sie jetzt, damit die Wirtschaftspolitik in Deutschland einen guten Weg nimmt! ({21})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt der Kollege Werner Schulz.

Werner Schulz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002108, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es wäre sicherlich besser gewesen, angesichts der Ereignisse in den USA und der angespannten politischen Lage sowie der Turbulenzen, die wir heute im Haus haben, nach der Einbringung des Haushaltes auf die heutige Einzelplandiskussion, auf diese Klein-Klein-Debatte zu verzichten, die Sie gerade wieder vorgeführt haben, Herr Uldall. ({0}) Sie bestärken mich in meiner Haltung, weil Sie entgegen dieser Einmütigkeit und der Allianz der Entschlossenheit - Herr Merz, Sie scheinen sich angesprochen zu fühlen in diese altbekannte Litanei und diese Endlosschleife von Vorwürfen verfallen sind. Das tut mir wirklich Leid. ({1}) - Es ist wirklich schwierig, Kollege Hinsken, die wirtschaftliche Lage und vor allen Dingen die Konjunkturerwartungen im Moment genau einzuschätzen. Selbst die großen Forschungsinstitute, die uns vor der Sommerpause im Tagesrhythmus mit Tatarenmeldungen auf Trab gehalten haben, hüllen sich momentan in Schweigen. ({2}) Der Kollaps konnte vermieden werden. Das kann man deutlich sehen. Der Wachstumstrend wird sich verlangsamen. Aber an die Adresse des Kollegen Brüderle sage ich: Sie werden nicht müde, Gespenster an die Wand zu malen. Vor dem Sommer sprachen Sie von der Stagflation. Jetzt kündigen Sie eine Rezession an. Sie wissen immer schon vorher, was im Einzelnen kommt. Aber es trifft dann nicht immer genau ein. ({3}) Wir sollten all diesen Versuchungen zu vorschnellem Handeln widerstehen. Eines ist klar: Die Weltwirtschaft steht nicht am Abgrund, es droht keine Weltwirtschaftskrise, auch keine allgemeine Rezession. Die Wirtschaft ist und bleibt stabil. Sie hat sich als stärker als der Terrorismus erwiesen. Das muss man deutlich sagen. Es ist den Terroristen zwar gelungen, das Welthandelszentrum zum Einsturz zu bringen, aber die Handelsströme der Weltwirtschaft haben sie nicht zum Erliegen gebracht. Die Wirtschaft der USA ist stabil. Die Finanzmärkte sind kaum erschüttert worden. Selbst die Turbulenzen auf dem Ölmarkt halten sich in Grenzen. Die Reaktionen der Fed und der EZB waren vernünftig und richtig: Sie haben die Liquidität erhöht und die Betriebe mit Kapital ausgestattet bzw. den Zugang dazu verbessert. Das alles sind richtige Maßnahmen gewesen, die ergriffen werden mussten und einmütig umgesetzt wurden. Ich weiß nicht, ob der 11. September dieses Jahres, wie es immer wieder behauptet wird, die Welt verändert hat. Was sich offensichtlich nicht verändert hat, sind die Forderungen der Opposition. Das muss man wirklich sagen. Es sind die altvertrauten und bekannten Forderungen: das Vorziehen der Steuerreform, das Aussetzen der Ökosteuer und mehr Flexibilisierung auf dem Arbeitsmarkt. ({4}) - Ich habe diese Forderungen nur wiederholt. Was Sie offensichtlich nicht registrieren, ist, dass sich einiges verändert hat. Über die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes haben wir gerade beim vorangegangenen Tagesordnungspunkt geredet. Ein Vorziehen der Steuerreform in der jetzigen Situation ist nicht sinnvoll; denn bei Angst und Verunsicherung wird eine Kaufkrafterhöhung nicht zum privaten Konsum genutzt, sondern erhöht eher die Sparquote. Das wissen wir aus der Verbrauchsforschung. Daran zeigt sich, dass es im Grunde genommen unsinnig ist, was Sie momentan fordern. Es ist sogar kontraproduktiv. ({5}) Natürlich liegt das nahe. Wir wissen, dass in den USA und auch bei uns das Wachstum des Bruttoinlandsproduktes sehr stark mit dem Verbrauchervertrauen zusammenhängt. In den USA liegt dieses Vertrauen bei 68 Prozent, bei uns sind es etwa zwei Drittel. Schauen wir uns das einmal im eigenen Land an: Das Konsumverhalten ist in diesem Quartal gegenüber dem vorherigen Quartal um 5 Prozent gestiegen. Gegenüber dem Vergleichsquartal im letzten Jahr hat es um 3,5 Prozent zugenommen. Das sind die Auswirkungen der Steuerreform. Die 45 Milliarden DM Entlastung spiegeln sich im privaten Kaufverhalten wider. ({6}) Daher sind auch die 3 Milliarden DM zu verschmerzen, die wir für den höheren Sicherheitsaufwand benötigen. Ich will hier nichts gegenrechnen, aber Sie haben sich in der Zeit des Golfkriegs viel dreister verhalten. Sie haben den Solidaritätsbeitrag eingeführt und mit der deutschen Einheit begründet, aber das Geld wurde für den Golfkrieg eingesetzt. Das waren Taschenspielertricks. ({7}) Die Wirtschaftswissenschaftler sagen uns: Es kommt jetzt darauf an, Vertrauen zu schaffen und nicht in hektischen Aktionismus zu verfallen. Man darf nicht in Blitzprogramme à la Brüderle verfallen, sondern die Politik der ruhigen Hand muss mit einem kühlen Kopf, nicht mit einem Hitzkopf, fortgesetzt werden. ({8}) - Ich kann das auch leiser machen, wenn Sie nicht dazwischen rufen. Ich gönne Ihnen aber gerne noch ein bisschen von meinen Worten. Sehr wichtig erscheint mir im Moment, die Besonnenheit, die es im Augenblick bei der Terrorismusbekämpfung gibt, bei der Wirtschaftspolitik im eigenen Land fortzusetzen. Schauen wir uns an, was die Bundesregierung getan hat. Es ist ja nicht so, als ob nichts passiert wäre und wir nicht die Wirtschaftsdynamik in Gang bringen würden. Ich nenne als Beispiele die Reinvestitionsrücklage, die im Sommer eingeführt worden ist, oder die Steuerfreistellung von Veräußerungsgewinnen, die im nächsten Jahr wirksam wird. Diese Vorhaben werden in der Wirtschaft durch Entflechtungen und Neustrukturierungen ohne Frage Dynamik freisetzen. ({9}) Ich nenne als weiteres Beispiel das Stadtumbauprogramm Ost, das für die angeschlagene Bauindustrie im Osten sogar als Konjunkturprogramm wirken wird. Alle diese Maßnahmen hat die jetzige Bundesregierung beschlossen. Ich glaube - Herr Minister Müller hat es angesprochen -, dass uns der 11. September noch vor große Herausforderungen stellen wird. Es werden aber andere Probleme auftreten als die, die Sie, Herr Uldall, genannt haben. Uns wird die Frage einer Neubewertung der Globalisierung, vor allen Dingen aber der Globalisierung einer ökologisch-sozialen Marktwirtschaft beschäftigen. Das Neue an der sozialen Marktwirtschaft könnte sein, dass sie ökologisch wird. Das Neue an der sozialen Marktwirschaft wird nicht das sein, was ich an Programmatischem zurzeit bei Ihnen lese. Aber auch die Globalisierung von Demokratie und sozialer Gerechtigkeit sind Fragen, mit denen wir uns stärker beschäftigen müssen. Ich glaube auch, wir dürfen nicht so tun, als ob wir auf all diese Fragen schon Antworten hätten. Ich denke, wir haben manche Probleme noch gar nicht erkannt. Das ist die Situation. ({10})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Jetzt spricht für die FDP-Fraktion der Kollege Rainer Brüderle. Werner Schulz ({0})

Rainer Brüderle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003059, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die feigen Morde vom 11. September haben in der Tat die Welt verändert. Der Terrorismus wollte auch den freien Welthandel treffen. Deshalb ist es wichtig, dass sich die Bundesregierung engagiert dafür einsetzt, die WTO-Konferenz in Katar zu einem Erfolg werden zu lassen. Die Antwort auf den Anschlag auf den freien Welthandel muss sein, diesen konsequent weiter auszubauen. Wir müssen eine internationale Ordnungspolitik mit klaren Regeln und fairen Chancen bekommen. Der Chef der WTO, Herr Moore, hat ausdrücklich darum gebeten, sich auf Kernprobleme zu konzentrieren und nicht mit vielen Zusatzpunkten die ohnehin schwierigen Verhandlungen zu verkomplizieren. Deshalb ist die Bundesregierung in einer hohen Verantwortung, ihren Beitrag dazu zu leisten, dass diese Bemühungen - gerade vor dem Hintergrund des Anschlags in Manhattan - erfolgreich sein werden. ({0}) Trotz dieser schrecklichen Ereignisse, oder gerade wegen dieser schrecklichen Ereignisse, muss eine vernünftige Politik gemacht werden. Das ist die richtige Antwort auf die schlimmen Taten, die begangen worden sind. Wir schaffen kein Vertrauen in die zukünftige Entwicklung, wenn wir nur Grimms Märchenstunde veranstalten. Vertrauen kann man nur schaffen, indem man in einer Stunde der Wahrheit die Fakten anspricht und darauf Vertrauen aufbaut. Wenn Sie meinten, dass Sie diese Ereignisse als Alibi missbrauchen können, um weiterhin nichts zu tun, wäre das schändlich. ({1}) Die Redner der Opposition - Herr Westerwelle, Herr Merz - haben gestern deutlich gemacht, dass sich die Regierung in sicherheits- und außenpolitischen Fragen mehr auf die Opposition als auf die Koalitionsfraktionen verlassen kann. ({2}) Auch auf dem Gebiet der Wirtschaftspolitik muss in aller Klarheit und Deutlichkeit eine Debatte um unsere Zukunftsperspektive und die richtigen Weichenstellungen geführt werden, damit wieder mehr Arbeit in Deutschland entsteht. Gerade weil die Menschen aufgewühlter und sensibler sind, ist Ehrlichkeit und Offenheit notwendig. Es nützt nichts, über die Probleme hinwegzureden. Herr Müller, Sie haben heute, wie Herr Eichel, gesagt, Sie wollten die Konsolidierung nicht gefährden. Die will keiner gefährden. Aber Sie gefährden sie de facto: Weil Sie nicht handeln, haben wir die Einbrüche beim Wachstum zu verzeichnen. Weil Sie nicht handeln, steigt die Arbeitslosigkeit. Sie gefährden die Konsolidierung des Haushalts. Wir werden Steuerlöcher bekommen, weil Sie mit unrealistischen Zahlen, etwa mit einer Arbeitslosenzahl von 3,4 Millionen, operieren. Dass Sie diese Zahl mit den Wachstumsraten, von denen kein Mensch glaubt, dass sie realistisch sind, erreichen, daran glauben Sie, Herr Müller, doch selbst nicht mehr. Der IWF - das ist keine Unterabteilung der NaumannStiftung oder der FDP - spricht von einem weiteren Rückgang des Wachstums auch in Deutschland von 0,8 Prozent und davon, dass in den USA die Rezession nicht mehr abzuwenden sei. Ich will das nicht. Aber ich will auch nicht, dass Sie die Versäumnisse weiter ins Land ziehen lassen, indem Sie nicht handeln, indem Sie durch Ihre Unfähigkeit und Unwilligkeit zu handeln sowohl die Konsolidierung des Haushalts wie auch die zukünftige Entwicklung in Deutschland ernsthaft gefährden. Das tun Sie. ({3}) Was man machen muss, ist relativ einfach: Das Blitzprogramm, das Sie und andere schon angesprochen haben, ist kein Konjunkturprogramm, kein schuldenfinanziertes Ausgabenprogramm, sondern ist ein Handlungskonzept mit Vorschlägen, wie wir aus der Ecke herauskommen. Herr Müller, Sie, wie auch gestern der Bundeskanzler, haben angesprochen, dass die Amerikaner handeln. Die Amerikaner haben aber auch eine Regierung, die handelt: Sie haben die Steuerentlastung vorgezogen durch Steuergutscheine - Entlastung: 40 Milliarden -; sie arbeiten daran, mit einem kurzfristig aufgelegten weiteren Blitzprogramm durch weitere steuerliche Entlastungen die Wirtschaft anzukurbeln. Geben Sie durch eine bessere Politik den Menschen in diesem Land doch auch eine solche Chance, wie die Amerikaner sie haben! ({4}) Dass Ihnen das nicht passt und dass Sie versuchen, durch Stören von den Fakten abzulenken, ist nachvollziehbar, aber etwas primitiv. Es ist, wenn Sie die Wirtschaft in Gang kriegen wollen, den Anstieg der Arbeitslosigkeit bremsen wollen und die Arbeitslosigkeit wieder abbauen wollen, in der Tat unverzichtbar, die steuerlichen Entlastungen und die nächsten Schritte der Steuerreform vorzuziehen, damit sie Wirkung entfalten. Sie sagen zu Recht, ein Großteil der Wirtschaftspolitik sei Psychologie. Die Menschen, die verunsichert sind, bekommen von Ihnen nicht durch Entlastung eine Chance; Sie knallen vielmehr neue Steuern drauf. Mehr Steuern zu verlangen und abzukassieren ist das Verkehrteste, was Sie in der jetzigen Situation psychologisch machen können. Von Psychologie ist da nichts zu spüren. ({5}) Wenn jemand bei 500 Milliarden DM 3 Milliarden DM nicht umstrukturieren kann, dann kann er es wirklich nicht. Sie sind der Hauptverlierer bei dieser Etatrunde: minus 12 Prozent in Ihrem Haushalt. Dass Sie die Subventionen bei der Steinkohle abbauen, finde ich gut. Aber dass Sie daraus nicht Mittel freisetzen, um Existenzgründern und Mittelstandsunternehmen, die am ehesten in der Lage sind, Arbeitsplätze zu schaffen, eine neue Chance zu eröffnen, ist fundamental falsch. Was machen Sie? Wir reden von sozialer Marktwirtschaft, die sehr ernst genommen wird, von Ordnungspolitik und davon, ob sie national wie international durchgesetzt wird. Aber Sie verlängern das Briefmonopol. Das ist Ordnungspolitik. Der Staat begünstigt sich selbst. Herr Diller und Herr Eichel verwalten die 80 Prozent Anteil an der Post AG. Sie selbst setzen Rahmenbedingungen, die Sie begünstigen. Sie sind Eigentümer und Mitspieler am Markt. Wenn beim Fußball einer mitspielt und gleichzeitig Schiedsrichter ist, dann fliegt er vom Platz. Bei Ihnen geht das aber. ({6}) - Ihr Stöhnen ist angebracht, denn das ist in der Tat schlimm. Das gleiche gilt für die Liberalisierung des Strommarktes. Sie packen drauf, etwa bei der Kraft-WärmeKopplung oder mit Ökoauflagen. Bei der Telekom, letzte Meile: von Liberalisierung nichts zu spüren. Der Monopolist - mit 40 Prozent ist der Bund Eigentümer - soll weiter begünstigt werden. Das ist Ihre Strategie. Was hat das mit Ordnungspolitik und Marktwirtschaft zu tun? Zum Arbeitsmarkt: Dazu haben wir schon eine Stunde der Märchen hinter uns. Alle Fachleute, ob Bundesbank, OECD oder die Wirtschaftsforschungsinstitute, sagen Ihnen: Wenn Sie am Arbeitsmarkt nicht mehr Flexibilität zulassen, kommen Sie beim Abbau der Arbeitslosigkeit nicht voran. Dasselbe gilt für das Tarifvertragsrecht - Helmut Schmidt hat dazu in der „Zeit“ deutliche Worte gefunden -, das nicht mehr in unsere Welt hineinpasst. Sie müssen es ändern, aber Ihre Gewerkschaftsnähe hindert Sie daran, etwas zu tun, damit die Situation für diejenigen, die nicht im Closed Shop sind, weniger schrecklich wird. Die Arbeitsplatzbesitzer müssen ein bisschen mehr Flexibilität ertragen, damit die anderen auch eine Chance haben. Angesichts von 4 Millionen Arbeitslosen - wenn Sie die in ABM Befindlichen hinzuzählen, brauchen wir 5 oder 5,5 Millionen Arbeitsplätze - ist Ihre Verweigerung von Reformen unverständlich. Diese Verweigerungshaltung stellt eine der entscheidenden Ursachen dafür dar, dass Sie beim Abbau der Arbeitslosigkeit nicht vorankommen. Die Arbeitslosigkeit steigt in Deutschland seit Monaten. Dies ist keine Feststellung von mir oder der FDP, sondern von der Arbeitsverwaltung, die bekanntlich unter Ihrer Regie tätig ist. ({7}) Nutzen Sie daher die Chance! Jeder Tag, an dem Sie nicht handeln, beschädigt unsere Volkswirtschaft und nimmt den Menschen Hoffnungen und Perspektiven. Handeln Sie und lassen Sie sich nicht davon lähmen, dass in zwölf Monaten Bundestagswahl sein wird. Die Menschen haben es verdient, dass zuvor Veränderungen eintreten, nicht erst aufgrund der Wahl. Wenn es aber nicht anders geht, muss die Veränderung durch die Wahl herbeigeführt werden. Ihr Eid auf die Verfassung dieses Landes, in dem von Pflichterfüllung die Rede ist, sollte Ihnen Anlass genug sein, endlich zu handeln, anstatt weiterhin durch Nichthandeln sehenden Auges die Misere sich fortentwickeln zu lassen. International gibt es viele Fragezeichen hinsichtlich der Entwicklung in Deutschland. Weltweit gibt es drei bedeutende Wirtschaftszentren. Japan und der asiatische Raum befinden sich in der Rezession, Amerika steht kurz davor oder ist womöglich schon drin, wie der IWF sagt. In Europa tut sich nichts, weil das größte Land, das früher die Lokomotive war, zum Schlusslicht geworden ist. Wir sind ganz hinten: im Schlafwagen, nicht auf der Lokomotive. Es wird Zeit, dass wir die Lokomotive wieder unter Dampf setzen, damit es vorangeht. ({8}) - Herr Schulz, Sie sind ja ein netter Mensch, wenn Sie nicht über Ökonomie reden oder wenn man mit Ihnen ein Glas Bier trinkt. ({9}) Was Sie jedoch an Plattitüden verbreiten, ist kaum zu überbieten. Ich weiß, dass Sie einen anderen Weg hinter sich haben - das ist kein Vorwurf -; aber Sie haben sich offensichtlich intellektuell geweigert, die Zusammenhänge einer Marktwirtschaft zu verstehen. Das ist schade, aber vielleicht holen Sie es irgendwann noch nach. Vielen Dank. ({10})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die PDS-Fraktion spricht jetzt der Kollege Rolf Kutzmutz.

Rolf Kutzmutz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002713, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn wir es mit der Aussage ernst meinen, dass die Welt seit dem 11. September anders sei, dann muss auch die Wirtschaftspolitik nach neuen, nach anderen Ansätzen suchen. Dabei geht es um die Stärkung der Zivilgesellschaft. Alte Rezepte - hier gebe ich Herrn Schulz Recht - werden keine tauglichen Antworten bringen. Wirtschaftliche Zukunft hat ganz sicher damit zu tun, wie wir darüber reden, aber eben auch damit, welche Handlungen wir daraus ableiten. ({0}) Herr Minister, Sie haben die Problematik der Veröffentlichung von gefährlichen Daten im Zusammenhang mit Genehmigungsverfahren angesprochen. Das mag im Detail richtig sein. Dann muss ich aber auch die Frage stellen, ob es tatsächlich richtig ist, alles zu produzieren und alles zu bauen, wozu wir technologisch in der Lage sind. Aus bestimmten Entscheidungen, die wir treffen, leiten sich Gefahren ab, die wir nicht verkennen dürfen. ({1}) Bei allem, was wir tun, geht es stets um mehr als um nackte Wirtschaftsdaten. Es geht um Menschen, darum, ob sie das Gefühl haben, einbezogen zu werden oder ausgeschlossen zu sein. Letztlich muss sich die Politik an dem Anspruch messen lassen, der gestern von Herrn Eichel mit den Worten „... Zukunftsaufgaben ({2}) wieder ein größeres Gewicht erhalten“ beschrieben wurde. Aus meiner Sicht spiegelt sich das im Haushaltsentwurf des Wirtschaftsministers bisher nicht wider. Ich möchte dazu einige Anmerkungen machen. Regionales Wirtschaften war bisher eine Art Kampfbegriff. Für mich nicht! Ich meine damit eine Politik, die auf die Entwicklung dezentraler Strukturen setzt, die ja auch machbar und nicht einmal sonderlich teuer sind. Nehmen wir die Energiepolitik: Hier droht mit dem jetzigen Ansatz im Haushaltsentwurf eine Blockade beim Ausbau der alternativen Stromerzeugung von der Kraft-WärmeKopplung bis hin zu diversen erneuerbaren Energien. Das beginnt bei unzureichenden Forschungsmitteln und endet mit indiskutablen Kürzungen beim dazu aufgelegten Marktanreizprogramm. Über den konkreten Hintergrund im gegenwärtigen Verfahrensablauf haben Sie, Herr Minister, gesprochen. Sie haben auch gesagt, eine Erhöhung sollte erwogen werden. Ich sage für unsere Fraktion: Wir werden eine entsprechende Forderung in die Berichterstattergespräche einbringen, zumal an dieser Stelle das Kostenargument nun wirklich nicht zieht. Schließlich waren die Einnahmen aus der Stromsteuer auf erneuerbare Energieträger dafür reserviert. Mindestens 200 Millionen Euro werden dort nächstes Jahr eingenommen, aber nur 100 Millionen Euro sollen bisher zur Förderung ausgegeben werden. Ein forcierter Umstieg von atomarer in umweltverträgliche und angstfreie Energieversorgung bedeutet weder einen Rückfall in die technologische Steinzeit noch einen Verlust an Arbeitsplätzen. Im Gegenteil: Dezentrale Kraft-Wärme-Kopplung, Anlagen auf Basis erneuerbarer Energie, die dank moderner Informationstechnik zu virtuellen Großkraftwerken vernetzt werden, bieten dieselbe Versorgungssicherheit, und das mit gleichen Klimaschutzeffekten, aber ohne Verstrahlungsgefahr und mit viel mehr Arbeitsplätzen. ({3}) Dazu kommt eine geringere Verletzlichkeit gegenüber Stromsystemen aus herkömmlichen Großkraftwerken. Die Beispiele für neue Überlegungen ließen sich fortsetzen: dezentrale Wasserversorgungs- und Abwassersysteme statt großer Ringleitungen und neuer Talsperren, aber auch völlig neue Technologien und Produkte in anderen Bereichen, die wir Politiker im Detail vielleicht noch nicht kennen, deren Idee es vielleicht schon gibt und für deren Umsetzung nur das nötige Geld fehlt. Auch insofern ist es fatal, dass die Mittelstands- und Innovationsförderung gegenüber dem laufenden Jahr bisher um 50 Millionen Euro gekürzt werden soll. Da geht es nicht um eine Subventionsmentalität. Da geht es darum, dass wir das, was wir immer beschwören, nämlich Mittelstand und Innovation zu fördern, tatsächlich auch mit dem nötigen Geld ausstatten. Deshalb bitte ich darum, das dann auch zu tun. ({4}) Neue Produkte und Dienstleistungen bedeuten häufig auch neue Märkte. Diese zu organisieren dürfte die einzige Chance für Ostdeutschland sein, wenn es nicht endgültig den Anschluss verlieren soll, zumal Wunsch und Wirklichkeit bei der Bewertung der Situation in Ostdeutschland - wie der jüngste Bericht der Bundesregierung und die nahezu zeitgleich veröffentlichten Daten des Wirtschaftsforschungsinstitutes Halle zeigen - noch immer weit auseinander liegen. Es muss schon einen Grund dafür geben, dass selbst Herr Schwanitz als Mitglied der Bundesregierung bei der Sitzung des „Ost-Ausschusses“ - Sie wissen, ich meine den Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder - nicht einmal auf diese Sache Bezug nimmt, sondern einfach darüber hinweggeht. „Die Karten für die Weltwirtschaft werden neu gemischt“, war in einer volkswirtschaftlichen Prognose zu lesen. Sie sollten nicht nur neu gemischt werden; es müssen auch neue Karten zum Einsatz kommen. Am Geld sollte das jedenfalls nicht scheitern - wenn ich nur an die 179 Millionen Euro denke, die Niedersachsen nachträglich für die EXPO 2000 erhalten soll. Wenn die Koalition schon meint, solche Geschenke verteilen zu können oder verteilen zu müssen, dann doch bitte nicht aus dem ohnehin schon arg gebeutelten Wirtschaftshaushalt. Danke schön. ({5})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Jetzt spricht der Kollege Dr. Ditmar Staffelt für die SPD-Fraktion.

Dr. Ditmar Staffelt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003239, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst auf den Anlass zurückkommen, den wir hier heute miteinander zu debattieren haben, nämlich auf den Haushalt. Ich möchte doch noch einmal darauf verweisen, welches die Grundphilosophie ist, von der wir ausgehen. Ich meine, es sollte von allen Wirtschaftspolitikern hier ausdrücklich gelobt werden, dass insbesondere der Wirtschaftsminister an der Spitze derer steht, die dazu beitragen, dass die Nettokreditaufnahme weiter abgesenkt wird, und die dazu beitragen, dass insbesondere auch Subventionstatbestände zunehmend und sehr dynamisch über die letzten Jahre abgebaut worden sind. ({0}) Dies ist eine alte Forderung, die Sie übrigens früher erhoben haben. Sie haben allerdings sehr viel weniger auf diesem Felde getan, als dies in den letzten drei Haushalten geschehen ist. Das bleibt hier festzuhalten. ({1}) Es bleibt für uns in dem Zusammenhang dabei: Wir haben klare Ziele. Die Verbesserung der Rahmenbedingungen für Existenzgründer und mittelständische Unternehmen ist durch den Haushalt gesichert, Herr Uldall. Wir wollen die Förderung neuer und zukunftsweisender Energiekonzepte. Auch dies wird von uns - sogar verstärkt im nächsten Jahr und über den Tag hinaus durch diesen Haushalt sichergestellt. ({2}) Wir bekennen uns dazu, die Innovationskraft und die Innovationsfähigkeit der deutschen Wirtschaft weiter zu unterstützen - direkt aus dem Haushalt, aber auch über Instrumente wie die Deutsche Ausgleichsbank. Auch hier ist die Politik der Bundesregierung nicht nur von Reden, sondern auch von Handeln geprägt. ({3}) Schließlich gilt auch das Bekenntnis der Bundesregierung zur Kontinuität des Aufbaus Ost. Auch dies ist ein Thema, dem wir uns weiterhin verpflichtet fühlen. ({4}) Dies dürfen Sie hier in der Debatte nicht verschweigen. ({5}) Wir wollen eine Politik der Stabilität und der Verlässlichkeit - das ist übrigens eine Forderung, die insbesondere von der Wirtschaft immer wieder formuliert worden ist -, verlässliche Rahmendaten und nicht hektischer Aktionismus, wie er hier immer wieder gefordert worden ist. Ziel ist ein dauerhafter Wachstumspfad und nicht nur ein kurzfristiges Reagieren auf konjunkturelle Schwankungen, auf Dellen, wie sie der Konjunkturverlauf in diesem Jahr aufwies. Darüber sind sich übrigens die allermeisten Fachleute einig. Ihre Vorschläge, Herr Uldall, die ich in Ihrem Zehnpunkteprogramm gelesen habe, beruhen erstens auf einer veralteten Datenbasis und zweitens gibt es dafür keinerlei Gegenfinanzierung. Darüber ist mehrfach geredet worden. Sie werfen einfach einmal den Betrag von 14 Milliarden DM in die Debatte, und niemand sagt, woher das Geld kommt. Das ist nicht verantwortungsbewusst, Herr Uldall. ({6}) Dann müssen wir sicherlich auch noch einmal über die Zielgenauigkeit Ihres Vorschlags reden. Ich sage Ihnen: Das ist nichts weiter als der Versuch, Schaumschlägerei zu betreiben. Was Sie vorgeschlagen haben, nützt der Ökonomie in Deutschland jedenfalls überhaupt nicht. ({7}) Auch die Kommentierungen in Bezug auf die Versuche, eine neue soziale Marktwirtschaft zu definieren, waren ganz eindeutig negativ, insbesondere von Ihrem CSUPartner aus Bayern. Das sollten Sie vielleicht ebenfalls zur Kenntnis nehmen. ({8}) Neben den großen Reformvorhaben, nämlich der Steuerreform und der Rentenreform, ist Weiteres geplant. Bei der Steuerreform müssen Sie berücksichtigen, dass sie einen Verlauf von fünf Jahren hat. Sie gewinnt zunehmend an Dynamik. Vorhin ist von dem Kollegen Schulz schon darauf verwiesen worden, dass im nächsten Jahr insbesondere Teile der Unternehmensteuerreform realisiert werden. Dann wird es noch einmal einen dynamischen Anschub geben. Ich meine im Übrigen, dass sich die Rahmenbedingungen, die die Bundesregierung in den letzten Jahren geschaffen hat, sehen lassen können. Ich nenne hier noch einmal, damit die Öffentlichkeit es immer wieder zur Kenntnis nehmen kann: Das Meister-BAföG haben wir realisiert, ({9}) Rabattgesetz und Zugabeverordnung abgeschafft, den Solidarpakt neu aufgelegt, Herr Uldall. ({10}) Wir haben die Reinvestitionsrücklage für Personengesellschaften geschaffen, wir haben das Stadtumbauprogramm für Ostdeutschland geschaffen und wir haben im Übrigen - das sage ich hier auch sehr selbstbewusst - ein vernünftiges Betriebsverfassungsgesetz in Kraft gesetzt. Das sollte man nicht verschweigen, wenn wir hier debattieren. ({11}) Weiteres ist in der Pipeline, meine Damen und Herren: Eine Regelung für die öffentliche Auftragsvergabe kommt; Modernisierung des Schuldrechts - kommt; Gesetz zur Kraft-Wärme-Kopplung - kommt; nationales Übernahmegesetz - kommt. ({12}) Die Wirtschaftspolitik, die wir in dieser Koalition betreiben, ist sehr dynamisch und stellt sich den Herausforderungen moderner Volkswirtschaften, wie wir sie benötigen. ({13}) Ich habe manchmal den Eindruck - übrigens auch in der letzten Wirtschaftsausschusssitzung, dass Sie so richtig Lust am Niedergang haben. ({14}) Sie steigern sich in einen Pessimismus hinein. Das ist übrigens sehr unverantwortlich, denn wir müssen gerade in schwieriger Zeit optimistisch in die Zukunft blicken. An dieser Stelle möchte ich Ihnen nur ein paar Zitate zu den Stichworten Krisensituation, Tabaksteuer, Versicherungsteuer bringen. Dazu lese ich von Herrn Börner, dem Präsidenten des Bundesverbandes des Deutschen Groß- und Außenhandels, eine Rezession im Euroraum werde es nicht geben; die Pläne der Bundesregierung, zur Finanzierung der Anti-Terror-Maßnahmen die Tabak- und Versicherungsteuer zu erhöhen, würden sich in Deutschland nicht nennenswert auswirken. Das ist ein Volumen, das die deutsche Volkswirtschaft verkraften kann. Soweit der Präsident des Groß- und Außenhandelsverbandes, ({15}) nicht unbedingt ein Mitglied der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, um das noch hinzuzufügen. ({16}) Ich sage Ihnen noch eines - auch das sollten Sie bedenken, wenn es hier um Aktionismus geht -: Es gibt einen hochinteressanten Artikel, geschrieben von Thomas Straubhaar, dem Präsidenten des Hamburger Weltwirtschaftsarchivs. Er sagt auf die Frage, was die Politik in Deutschland jetzt nach diesem furchtbaren Anschlag tun muss: Für die Politiker in Europa gilt es erstens, einer stark verunsicherten Öffentlichkeit klar zu machen, dass die Weltwirtschaft nicht in Gefahr ist. Ich glaube, es ist wesentlich, das festzuhalten. Zweitens müssen die Wirtschaftspolitiker auf jeglichen überstürzten Aktionismus verzichten, Herr Uldall. Drittens - so schrecklich das auch sein mag - soll und kann wirtschaftspolitisch nichts getan werden. Die Reaktionen der Märkte werden die Weltwirtschaft rascher und zuverlässiger stabilisieren als jede noch so gut gemeinte konjunkturpolitische Maßnahme. Das sei dem Marktwirtschaftler Uldall ins Stammbuch geschrieben. Das ist ein guter Artikel, den Sie vielleicht noch einmal gesondert zur Kenntnis nehmen sollten. ({17}) Meine Damen und Herren! Ich glaube, dass wir mit diesem Haushalt und der wirtschaftlichen Lage in Deutschland auf einem ordentlichen Weg sind. Wir werden weiterhin dort handeln, wo es erforderlich erscheint. Aber wir sagen noch einmal in aller Klarheit und Deutlichkeit: Wir werden nichts unternehmen, was nur auf kurzfristige Effekthascherei aus ist. Alles, was wir tun, wird von Solidität getragen sein. Diesbezüglich kann das Parlament den Wirtschaftsminister hinsichtlich seiner bisherigen Leistungen nur ausdrücklich bestätigen. Er hat eine solide Arbeit geleistet, die sich sehen lassen kann und die den notwendigen Rahmen für das Wohlergehen unserer Volkswirtschaft geschaffen hat. ({18})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Nun erteile ich zu einer Kurzintervention der Kollegin Andrea Fischer das Wort.

Andrea Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002652, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Der Kollege Rainer Brüderle hat am Ende seiner Rede gesagt, dass der Kollege Werner Schulz zwar nichts für sein Herkommen könne, sich aber doch offensichtlich dem Verständnis der Marktwirtschaft intellektuell verweigert habe. Herr Kollege Brüderle, ich weiß, dass wir uns in diesem Hause nichts schenken und man so etwas sportlich nehmen muss. Aber ich finde, damit sind Sie definitiv zu weit gegangen. ({0}) Das war nicht nur ein Angriff gegen den Kollegen Schulz, von dem man sagen kann, er verletze die Grenzen des guten Geschmacks. Das war auch ein Angriff gegen die Bürgerinnen und Bürger in Ostdeutschland. Ich finde, dafür haben Sie sich bei dem Kollegen Schulz und bei den Bürgerinnen und Bürgern in Ostdeutschland zu entschuldigen. ({1})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich erteile dem Kollegen Dr. Heinz Riesenhuber das Wort. Er spricht für die CDU/CSU-Fraktion.

Prof. Dr. Dr. Heinz Riesenhuber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001849, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Staffelt hat eine wunderbare und leidenschaftliche Rede gehalten, ({0}) ungefähr so wunderbar und leidenschaftlich wie der Herr Wirtschaftsminister, der mit seinem Feuer die ganze deutsche Wirtschaft zum Optimismus hinreißt. Was Sie hier dargestellt haben, lieber Herr Staffelt, ist ein wunderbares Szenario. Das Schlimme ist nur, außerhalb der Koalition merkt niemand etwas davon. ({1}) Die Lage, die Sie beschreiben, scheint von der Wirtschaft nicht zur Kenntnis genommen zu werden. Die Zahl der Arbeitsplätze scheint davon völlig unberührt zu sein. In jeder Hinsicht hinken wir mit unserer Entwicklung in Deutschland hinter den anderen in Europa her. Die Wirtschaft ist aber nicht in den wunderbaren Szenarien zu Hause, die unsere hochverehrte Koalition entwickelt. Sie muss sich vielmehr an den Märkten schlagen. Nun fordert hier jeder Optimismus ein. In schwierigen Zeiten, sagt Sir Karl Popper, ist Optimismus Pflicht. - Jawohl! Es ist aber keine Schwarzmalerei, wenn wir sagen, dass wir im europäischen Vergleich bei allen wesentlichen Zahlen hinten liegen. Es gibt ein Zeichen der Hoffnung. Und warum? Wenn unsere Lage nur von der Weltkonjunktur abhängt, dann haben wir wirklich ein Problem, das wir nicht lösen können. Unser Einfluss auf die Weltkonjunktur ist begrenzt. Wenn das Problem aber bei uns liegt, können wir etwas dagegen tun. Insofern erbringen wir dann, wenn wir darüber sprechen, was im Land alles schlecht ist, eine Dienstleistung für die hochverehrte Bundesregierung, damit diese dafür sorgen kann, dass Deutschland nicht mehr der Klotz am Bein des voranschreitenden Europas ist, sondern den Laden kraftvoll voranzieht. Das ist die Lage. ({2}) Nun hat der Wirtschaftsminister, wie Sie in anschaulicher und überzeugender Weise dargestellt haben, ganz unterschiedliche und hervorragende Eigenschaften. Er ist zum Beispiel Subventionsminister. Einen solchen Titel hat noch kein Wirtschaftsminister geliebt. Trotzdem ist er es. Herr Müller, wenn Ihr Haushalt um knapp 13 Prozent schrumpft, weil Sie Subventionen abbauen, dann haben Sie die herzliche und leidenschaftliche Unterstützung der Opposition. ({3}) Nur, eines muss ich Ihnen sagen: Ein intelligenter Wirtschaftsminister sollte zwischen Erhaltungssubventionen für eine alte Welt, die langsam stirbt, und den Maßnahmen, die er als Zukunftsminister zu veranlassen hat, unterscheiden können. Visionen zu entwickeln und mit zukunftsweisenden Ideen Neues anzuregen sollte für den Wirtschaftsminister angesichts seiner feurig voranstürmenden Art kein Problem sein. Wir streiten uns mit Ihnen nicht dort, wo Sie in einer werkgetreuen Art das weiterführen, was die alte Regierung auf den Weg gebracht hat, also nicht über die Liberalisierung der Energiemärkte - wir streiten hier zwar über einzelne Punkte; aber die Grundlinie stimmt, denn schließlich haben wir sie angelegt -, nicht über die Liberalisierung des Telekommunikationsmarktes - auch diese haben wir auf den Weg gebracht - und auch nicht über die Kohlesubvention, zu der schon das Notwendige gesagt worden ist. Dort aber, wo der Wirtschaftsminister eigentlich als Zukunftsminister agieren sollte, wird es interessant. Die Mittel für die Luftfahrtforschung um 40 Prozent kürzen zu wollen ist eine interessante Idee. ({4})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Herr Kollege Riesenhuber, bleiben Sie bitte am Rednerpult stehen! ({0})

Prof. Dr. Dr. Heinz Riesenhuber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001849, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bitte um Nachsicht, Herr Präsident.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Die Kommilitonen sitzen direkt vor Ihnen. ({0})

Prof. Dr. Dr. Heinz Riesenhuber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001849, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich kann leider keinen Dialog mit dem Präsidenten führen. Die Ehrfurcht vor deinem Amt, lieber Rudi, hindert mich daran. ({0}) Wir dürfen trotz der ERP-Mittel das Gesamtkonzept für die Luftfahrtforschung nicht aus den Augen verlieren. Man kann über die Streichung der Mittel für die erneuerbaren Energien - der Rückgang beträgt 30 Prozent und betrifft Forschung und Entwicklung, Investitionen sowie die Bereiche neue Energiequellen und rationelle Energieversorgung - erst dann diskutieren, wenn es ein Gesamtkonzept gibt. Aber es liegt noch nicht einmal ein Gesamtkonzept zur Energieentwicklung vor. Eine der glanzvollen Managementleistungen des Wirtschaftsministers war die Organisation des Ausstiegs aus der Kernenergie. Dass dieser Arbeitsplätze schafft, ist nicht unmittelbar zu erkennen. Dass dieser dabei hilft, die Klimaziele in Deutschland zu erreichen, ist nicht für jeden einsichtig. Handwerklich war das zwar gut gemacht, nur es bringt Deutschland nicht voran. ({1}) Ihre Antwort auf die Frage, wo Sie einsteigen wollen, wenn Sie aussteigen wollen, interessiert uns. Sie sollten erst einmal ein umfassendes Konzept zur Energiepolitik vorlegen, aus dem ersichtlich werden muss, welche Mittel für welche Programme Sie kürzen oder erhöhen wollen. Das wäre eine intellektuelle Glanzleistung, die noch dazu hilfreich wäre. Meine lieben Freunde, der Wirtschaftsminister setzt in seiner Eigenschaft als Zukunftsminister aufgrund der Überlegenheit seiner Vernunft auf den innovativen Mittelstand. Dass der Mittelstand nicht nur die volkswirtschaftliche Quelle für Innovationen ist, sondern auch Arbeitsplätze schafft, haben wir bereits während unserer Regierungszeit erkannt. In den angeblich schrecklichen 80er-Jahren, die Eichel in seiner gestrigen Rede so schwarz gemalt hat, war es tatsächlich so: 1982 sagten uns kluge Leute, wenn ihr euch anstrengt, dann könnt ihr vielleicht 1,1 Millionen neue Arbeitsplätze schaffen. Aber der Mittelstand ist in höchster Gefahr. ({2}) Was ist geschehen? In den 90er-Jahren sind in den alten Bundesländern 3,2 Millionen neue Arbeitsplätze entstanden, und zwar zu 80 Prozent im Mittelstand. Der Mittelstand hat in den 90er-Jahren Arbeitsplätze geschaffen, als die großen Unternehmen Arbeitsplätze abgebaut haben. Der Mittelstand hat umso mehr aufbauen können, je stärker er neue Techniken einsetzen, Innovationen umsetzen konnte und Zugang zur Wissenschaft gefunden hat. Zu der Tatsache, dass Sie jetzt die mittelstandsfördernden Programme systematisch streichen, kann ich Ihnen nur sagen: Das ist in einer Zeit, in der beim Mittelstand - ich formuliere es behutsam - eine gewisse Tendenz besteht, die Forschungsmittel von sich aus herunterzufahren, nicht hilfreich. Das ist gefährlich. Das wird auf die Märkte durchschlagen. Ich könnte die Programme hier im Einzelnen aufzählen. Ich möchte nur darauf hinweisen, dass zum Beispiel die Mittel für die Auslandsmessen von 36 Millionen Euro auf 29,5 Millionen Euro gekürzt werden sollen. Das ist gefährlich. Der Mittelstand will sich doch auf den internationalen Märkten präsentieren können. Wenn die Consugerma stirbt, dann wird es für den Mittelstand noch schwieriger werden, in den japanischen Markt hineinzukommen. Aber in Japan gibt es Hochpreise. Fragen Sie einmal die Miederwarenfabrikanten - ich will keine Firma nennen -, die jetzt in Japan ein glänzendes Geschäft machen. Es stellt sich die Frage, wie man gezielt aufbaut. Sie dagegen kürzen überall: bei den Auslandsmessen, bei der industriellen Gemeinschaftsforschung - dort hilft der Mittelstand sich selbst -, bei der Förderung der WettbeDr. Heinz Riesenhuber werbsfähigkeit der kleinen und mittleren Unternehmen, bei Fortbildungseinrichtungen für das Handwerk und bei Forschung und Entwicklung in den neuen Bundesländern. Da kürzen Sie die Mittel von 123 Millionen DM auf 102 Millionen DM, also um mehr als 20 Millionen DM. Man kann sagen, dass das vernünftig ist, weil man der Auffassung ist, dass die neuen Länder in die Gemeinschaft aller Länder integriert werden sollen. Wenn dem so ist, dann darf nicht überall gekürzt werden. Das gilt erst recht für die neuen Länder, bei denen sogar noch mehr gekürzt wird. Das ist nicht gut für die Entwicklung in den neuen Ländern, wo Schwung und Aufbruch beibehalten werden müssen, damit sie sich auf den internationalen Märkten durchsetzen können. ({3}) BTU, also das Kapital für die Beteiligung am Risiko von Technologieunternehmen, ist fast das Einzige, was wächst. Das eröffnet aber keine neuen Chancen. Es läuft ganz einfach darauf hinaus - das ist in Ordnung -, dass Sie die Konkurse bezahlen und die Kreditausfälle finanzieren müssen. Daraus entsteht nichts Neues. Für die Zeit, in der es eine entsprechende Dynamik gab, war es ein vorzügliches Programm, sehr verehrter Herr Minister. Es ist merkwürdig, dass die Anzahl der Gründer Jahr für Jahr abnimmt, seitdem Sie im Amt sind. Warum denn wohl? Zuvor ist über einen Zeitraum von 15 Jahren die Anzahl der Gründer Jahr für Jahr angestiegen: In den alten Ländern hat die Zahl der Selbstständigen von 6,9 Prozent auf 9,4 Prozent zugenommen. Ich brauche hier nicht die großartige Arbeit in den neuen Bundesländern zu beschreiben. Dort hat man die Wirtschaft wirklich vorangebracht und in einer kritischen Situation Arbeitsplätze geschaffen. Dort verlangt man kein Geld von Ihnen. Man ist selbstlos. Man mag Bürokratie nicht so gerne; denn das bedeutet, dass man lange Anträge stellen muss. Es gibt ein völlig anderes Problem. Es ist nicht gut, die Leute dadurch zu verschrecken, dass für die „business angels“ die Wesentlichkeitsgrenze im Hinblick auf Beteiligungen von 10 Prozent auf 1 Prozent gesenkt wird. ({4}) Ich hoffe, die geniale und innovative Idee des Finanzministers, die Gewerbesteuer auf vermögensverwaltende Fonds zu erheben, ist vom Tisch. Damit würden diese Fonds aus Deutschland vertrieben. Dadurch würde das entsprechende Geld international angelegt und unsere Unternehmen bekämen es nicht. ({5}) Ich hoffe, dass Sie, was Ihre großartige Idee im Hinblick auf Aktienoptionen betrifft - die Ihre tüchtige Staatssekretärin immer wieder mit Leidenschaft vorgetragen hat -, jetzt endlich einmal zu Potte kommen. Die Kaufkurse am Aktienmarkt waren noch nie so niedrig. Aufgrund der Konkurrenz ist es für junge Unternehmen schwierig, von Großunternehmen, die sehr viel höhere Gehälter zahlen können, erstklassige Mitarbeiter abzuwerben. Um einen vernünftigen Einstieg zu finden, bedarf es einer überlegenen Strategie. Dieser Haushalt ist so reich, dass ich nicht alles mit gebührender Deutlichkeit kommentieren kann. Ich möchte respektvoll sagen, dass der Wirtschaftsminister - neben allem anderen, was er ist - Sprecher der Wirtschaft in der Bundesregierung ist. ({6}) Der forschende Mittelstand fühlt sich zurzeit ein bisschen durch Liebesentzug bestraft. Herr Minister, die Liebe bringt Gefahr, wenn sie erkaltet. Sie müssen davon ausgehen, dass wir uns in folgender Situation befinden: Die Neue Mitte hat begriffen, dass es zwar großartige Überschriften gab, dass aber darüber hinaus nichts passierte; es gab zwar prächtige Ankündigungen wie die von der Forschungsmilliarde und von der Verdoppelung der Höhe der Forschungsinvestitionen innerhalb von fünf Jahren, dennoch ist es zu nichts dergleichen gekommen. ({7}) Der Forschungshaushalt des Wirtschaftsministers ist heute kleiner als der letzte entsprechende Haushalt unter dem Finanzminister Theo Waigel. Theo Waigel war als Finanzminister ein harter Knochen und für einen Forschungsminister schwer zu ertragen. Es geht darum, Möglichkeiten zu schaffen, damit etwas Neues entstehen kann. Nicht große Ankündigungen, nicht wunderbare Beschreibungen von optimistischen Szenarien verändern die Welt, sondern allein die Arbeit gibt den Leuten die Chance, das zu tun, was sie wollen. Die Regierung vollbringt schon eine glanzvolle Leistung, wenn sie die Leute nicht mehr als nötig bei der Arbeit stört. Das hat nicht jede Regierung von Anfang an begriffen. ({8}) Gunnar Uldall hat hier in sehr anschaulicher Weise beschrieben, wie Sie mit wunderbaren Ideen wie dem 630Mark-Gesetz und der Scheinselbstständigkeit die Gründer so lange beschäftigen können, bis sie nicht mehr gründen wollen, weil sie mit dem bürokratischen Aufwand schon ausgelastet wären. ({9}) Hochverehrter Herr Bundesminister, nach einer neuen Umfrage der Wirtschaftsjunioren glaubt nur noch ein Siebtel der Deutschen, dass unsere Steuersysteme und unsere Sozialsysteme Leistungsanreize sind. Diese Nachricht muss für den Bundesminister unangenehm sein. Hier müssen Sie herangehen. Konjunkturprogramme sind nicht erforderlich und haben wir auch nicht erfunden. Der Sachverständigenrat, die Institute, die OECD und die Bundesbank sagen alle das Gleiche; sie erläutern Ihnen mit einfachen Worten, wo Sie die Arbeitsmärkte deregulieren müssen, dass Sie die Leute nicht mit Bürokratie beschäftigen dürfen, sondern entlasten müssen. ({10}) Sie sagen, dass das Zurückhängen Deutschlands im internationalen Vergleich im Wesentlichen daran liegt, dass Deutschland nicht dereguliert hat, sondern sich auf seinem Hintern ausruht.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Herr Kollege Riesenhuber, es gibt sicher ein interfraktionelles Interesse daran, dass Sie noch länger reden. ({0}) Aber Sie haben Ihre Redezeit schon um zwei Minuten überzogen.

Prof. Dr. Dr. Heinz Riesenhuber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001849, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bitte sehr um Nachsicht, Herr Präsident. Dies ist ein anregendes Thema und ein intimer Kreis, in dem man das darstellen kann. Ich möchte nur noch eine Schlussbemerkung machen. Hochverehrter Herr Minister, wir alle versuchen, Ihnen so gut zu helfen, wie wir können. ({0}) Der Kollege Uldall hat hier mit großer Nachdrücklichkeit gefordert, dass Ihr Ministerium wieder so stark wird, wie es sein muss und wie es war, und dass die entsprechenden Abteilungen wieder dazugehören. Wir helfen Ihnen, wo wir können. Aber wir freuen uns auch darauf, einen Minister zu sehen, der im letzten Jahr seiner Amtsperiode für seine Haushalte kämpft, wo sie strategische Bedeutung haben, einen Minister, der glanzvoll und mit Überzeugungskraft charismatische Visionen entwickelt, einen Minister, der mit ordnungspolitischer Festigkeit Bürokratien abbaut und sich da auch gegen den Finanzminister durchsetzt, wenn der großartige Ideen hat. Wir wollen einen Minister, der sein Haus glänzend in Ordnung hat und so prachtvoll führt, dass wir es im Herbst nächsten Jahres, also ziemlich genau in einem Jahr, gerne und fröhlich aus Ihrer Hand übernehmen können, um es in eine erfolgreiche Zukunft führen zu können. ({1})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Nun gebe ich das Wort der Kollegin Dagmar Wöhrl. Sie spricht ebenfalls für die CDU/CSU.

Dagmar G. Wöhrl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002829, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie glauben mir, wenn ich sage, dass es sehr schwer ist, nach dem Kollegen Riesenhuber zu reden, ({0}) der uns mit seiner Rhetorik jedes Mal erfreut, unabhängig von den guten Inhalten seiner Reden. ({1}) Wir sprechen heute über einen Etatplan, aus dem der Minister eigentlich nur noch Papierflieger machen kann. Denn diesem Etat liegen Wachstumsprognosen, von denen heute jeder weiß, dass sie nicht mehr realisierbar sein werden, und Arbeitslosenzahlen zugrunde, von denen jeder weiß, dass sie eine Utopie sind, nur noch ein haltloses Versprechen des Kanzlers. Wir wissen, dass dieser Etatplan eigentlich in den Papierkorb und nirgendwo sonst hingehört. ({2}) Mich erinnert dieser unbegründete Optimismus unseres Finanzministers an einen Mann, der, ohne einen Pfennig in der Tasche zu haben, Austern bestellt, in der Hoffnung, eine Perle zu finden, um seine Rechnung bezahlen zu können. Herr Eichel, Sie werden keine Perle finden nicht wegen der allgemeinen wirtschaftlichen Erschütterungen nach den furchtbaren Terrorangriffen, sondern vielmehr wegen der vielen hausgemachten Probleme. Was haben Sie als Regierung nicht alles versprochen: weniger Arbeitslosigkeit, Sozialversicherungsbeiträge unter 40 Prozent, mehr Geld in den Taschen der Bürger. ({3}) Wie sieht die Bilanz nach drei Jahren Rot-Grün aus? Die Steuern steigen, die Abgaben steigen, die Arbeitslosigkeit steigt. Jetzt rächen sich die Fehler, die Sie in den letzten drei Jahren gemacht haben, doppelt. Es rächt sich, dass es vom Kanzler versäumt worden ist, in einer guten und wachstumsstarken Zeit die notwendigen Reformen anzugehen und die Binnenkonjunktur zu stärken. Noch vor wenigen Jahren war unsere Ökonomie die Konjunkturlokomotive Europas. Wo stehen wir jetzt? Jetzt sind wir international abgeschlagen, wir stehen international an letzter Stelle. Man fragt sich natürlich, warum wir so anfällig sind. Liegt es an unserem Außenhandelsanteil, wie es immer wieder, auch von dieser Regierung, behauptet wird? Es verhält sich nicht so. Vergleichen wir uns mit Irland: Irland hat heute eine Exportquote von über 90 Prozent, unsere liegt bei 33,4 Prozent. Wie verhält es sich dort mit der Wachstumsprognose? Sie wurde um 13 Prozent revidiert, bei uns aber um 39 Prozent. An diesen Zahlen kann man erkennen, dass wir eine hausgemachte Wirtschaftsschwäche haben. ({4}) Mit dieser Auffassung stehen wir als Opposition nicht allein; alle Experten beweisen das mit ihren Ausführungen. Gründe sind die verfehlte Wirtschaftspolitik, die 630Mark-Gesetze, der Anspruch auf Teilzeitarbeit, das geänderte Betriebsverfassungsgesetz usw. Sie haben ein mittelstandsfeindliches Gesetz nach dem anderen auf den Weg gebracht. Leider habe ich nicht ausreichend Redezeit, Herr Staffelt, um alle mittelstandsfeindlichen Gesetze aufzuführen, die Sie in den letzten drei Jahren auf den Weg gebracht haben. ({5}) In der jetzigen Situation ist es gerade diese Schwäche, die so gefährlich ist. Deswegen müssen wir noch mehr als in der Vergangenheit auf wirtschaftliche Stabilität drängen. Eine ruhige Hand, wie Sie sie immer propagieren, ist bei stürmischer See nicht angebracht. Sie müssen das Ruder herumreißen; Sie müssen endlich Ballast über Bord schmeißen. Sie müssen schauen, dass Sie endlich die Steuern senken. Sie müssen schauen, dass Sie die Unternehmer und die Bürger entlasten. ({6}) Gehen Sie endlich notwendige Reformen an. Sorgen Sie endlich dafür, dass wir zu einem echten Bündnis für Arbeit kommen, in dem endlich auch über eine Flexibilisierung der Arbeitsmärkte gesprochen werden kann. ({7}) Wenn ich daran denke, dass die Ökosteuer im Januar noch einmal um 7 Pfennig erhöht wird, dann komme ich zu dem Schluss, dass Sie eine unverantwortliche Politik betreiben. ({8}) Was macht man auf einem sinkenden Schiff? Man wirft Ballast über Bord. Was machen Sie? Sie laden immer noch mehr Ballast drauf. ({9}) Das gilt, auch wenn Sie heute davon reden, dass die Tabaksteuer und die Versicherungsteuern unbedeutende Steuern seien, ihre Erhöhung keine Nebenwirkungen habe und nur eine Kleinigkeit darstelle, einen Mückenstich für die Konjunktur bedeute. Dann behaupten Sie noch, es würden 2 Milliarden DM durch die Erhöhung der Tabaksteuer eingenommen. Jede Berechnung ergibt, dass Sie 6 Milliarden DM einnehmen werden. Von daher wäre es sehr interessant zu erfahren, ob Sie den Differenzbetrag auch für die Sicherheit verwenden. Oder wo fließt dieses Geld hin? Sie müssen sehen: Gerade in einer Zeit, in der die Binnenkonjunktur sowieso schon schwach ist, sind Steuererhöhungen Gift für die Konjunktur. Das Statistische Bundesamt hat festgestellt, dass allein durch diese Steuererhöhungen - ich rede jetzt nicht von der Ökosteuer - die Inflationsrate noch einmal um 0,4 Prozentpunkte steigen wird.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Frau Kollegin Wöhrl, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dagmar G. Wöhrl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002829, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte, ja.

Hubertus Heil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003142, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr verehrte Frau Kollegin Wöhrl, könnten Sie mir einmal vorrechnen, wie viel Steuern Sie im Golfkrieg 1991 mit der Erhöhung der Tabaksteuer, der Versicherungsteuer, der Mineralölsteuer sowie der Einführung des Solidaritätszuschlages eingenommen haben und in welchem Verhältnis dieser Betrag zu dem steht, den wir jetzt notwendigerweise für das Programm gegen den Terror aufbringen?

Dagmar G. Wöhrl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002829, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich kann Ihnen dazu sagen, dass wir damals Kosten von 18 Milliarden DM zu bewältigen hatten. ({0}) Der jetzige Haushalt von Minister Eichel umfasst 485 Milliarden DM. Es geht hier um eine Ausgabe in der Höhe von 0,6 Prozent des Gesamtbetrages, also lächerliche 3 Milliarden DM. Ein Minister, der es nicht schafft, in so einer Situation eine Umschichtung vorzunehmen - ({1}) - Moment einmal, Sie müssen in Ihrer Politik schon Prioritäten setzen und dürfen nicht auch noch zukünftig ideologisch den zweiten Arbeitsmarkt subventionieren, anstatt den ersten Arbeitsmarkt zu stärken. Das ist das Problem und das sollten Sie zukünftig angehen. ({2}) Wenn Ihnen nichts weiter einfällt, als in einer solchen Situation den Bürgern das Geld aus der Tasche zu ziehen, ohne Fantasie walten zu lassen und darüber nachzudenken, was diese Steuererhöhung für die Binnenkonjunktur bedeutet, dann muss ich sagen: Es sind nicht die richtigen Minister im Amt. ({3}) Man kann auch sagen: Ist der Ruf erst ruiniert, erhöht es sich völlig ungeniert. ({4}) Deswegen bin ich mir nicht sicher, ob Sie es in Zukunft bei diesen Steuererhöhungen belassen werden. Sie werden bei jeder Gelegenheit, bei der irgendwelche Ausgaben notwendig werden, versuchen, diese nicht durch Umschichtung im Haushalt zu finanzieren, sondern diese Ausgaben durch Steuererhöhungen auszugleichen. ({5})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Frau Kollegin Wöhrl, kommen Sie bitte zum Schluss.

Dagmar G. Wöhrl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002829, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme sofort zum Schluss. Wir wissen nicht, wie sich die Weltwirtschaft entwickeln wird. Es gibt dazu von den Ökonomen verschiedene Aussagen. Wir sollten uns aber einig sein, dass wir auch in unserer Wirtschaftspolitik die Abwehrkräfte stärken müssen. Um dies zu erreichen, brauchen wir endlich eine rasche und grundlegende Wende in der Wirtschaftspolitik. Vielen Dank. ({0})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich gebe nunmehr dem Bundesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, Kurt Bodewig, das Wort. Kurt Bodewig, Bundesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({0}): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich, bevor ich auf den Einzelplan 12 zu sprechen komme, angesichts der schrecklichen Ereignisse in den USA zunächst auf das Thema Flugsicherheit eingehen. Diese Ereignisse haben deutlich gemacht, dass unsere Verkehrssysteme verwundbar sind. Der Einsatz von Flugzeugen als Waffe war für uns nicht vorstellbar. Das ist eine neue Bedrohungssituation. Wir entsprechen dem durch konkretes und schnelles Handeln. ({1}) Wir haben direkt mit der Luftverkehrswirtschaft und den Sicherheitsdiensten Schlussfolgerungen gezogen und ein Maßnahmenpaket vereinbart, das jetzt zügig umgesetzt wird. Ich kann den Menschen in Deutschland versichern, dass an deutschen Flughäfen ein Höchstmaß an Sicherheit hergestellt wird und dass wir diesen Prozess kontinuierlich verfolgen werden. ({2}) Ich komme jetzt auf den Einzelplan 12 und unsere Planung für das kommende Jahr zu sprechen. Dieser Einzelplan ist von 48 Milliarden auf 51 Milliarden DM gestiegen. Das Wichtigste ist: Er ist der größte Investitionshaushalt der Bundesregierung. Im Jahre 2002 werden wir 26 Milliarden DM investiv umsetzen. Damit machen wir deutlich: Wir schaffen Arbeitsplätze, eine funktionierende Infrastruktur und Mobilität. ({3}) Das ist die Voraussetzung für eine gute Stadtentwicklung. Das in diesem Zusammenhang bestehende Gesamtkonzept besteht aus drei Instrumenten: erstens die klassische Städtebauförderung, zweitens das Programm „Soziale Stadt“ und drittens das neue Stadtumbauprogramm Ost. Von 2002 bis 2009 wird die Bundesregierung 2,2 Milliarden DM allein in das Stadtumbauprogramm Ost investieren. Das ist ein neues und wirkungsvolles Programm. ({4}) Ich möchte den Ländern und Kommunen meinen Dank aussprechen; denn sie haben sich in diesen Prozess sehr produktiv eingebracht. Insgesamt werden wir in diesem Programmzeitraum über 5 Milliarden DM mobilisieren. Das führt zur Revitalisierung der Innenstädte in den neuen Bundesländern. ({5}) Nach diesen Bemerkungen zum Programm zur Verbesserung des Standortes Ostdeutschland nun zum Thema Verkehrsinfrastruktur. Ich möchte hier zwei Punkte besonders hervorheben. Erstens. Der Straßenbauhaushalt ist jetzt auf Rekordhöhe. Er beträgt im kommenden Jahr 10,8 Milliarden DM. Hinzu kommen 400 Millionen DM aus EFRE-Programm-Mitteln. Man kann also sehen: Wir nehmen unsere Verpflichtung, Mobilität zu gewährleisten, auch in diesem Programm ernst. 9 Milliarden DM werden hier investiert. ({6}) Zweitens - das ist mir genauso wichtig -: Wir haben die Investitionen in das deutsche Schienennetz deutlich erhöht. Die Angleichung an das Niveau der Straße mit einem Investitionsvolumen von annähernd 9 Milliarden DM macht dies deutlich. Es ist notwendig, weil gerade in Ihrer Regierungszeit diese Investitionen massiv heruntergefahren worden sind. Wir müssen jetzt endlich die notwendigen Investitionen realisieren. Ich meine, das ist nicht hoch genug zu schätzen. ({7}) Ich will aber auch deutlich machen, dass wir die Umsetzung dieser Mittel sehr genau verfolgen. Wir wissen, dass es bei den Planungskapazitäten der Bahn Nachholbedarf gibt. Deswegen wollen wir jetzt der Bahn entgegenkommen. Wir werden in diesem Bereich den Aufbau von Planungsreserven finanziell unterstützen. Nach meiner Meinung ist es eine wichtige und entscheidende Voraussetzung für die Umsetzung von Investitionen. ({8}) Aber ich will auch etwas anderes sagen. Das Geld ist nur ein Punkt. Ich glaube, die Zahlen des Bundeshaushalts für unseren Einzelplan können sich sehen lassen. Es sind Spitzenzahlen. Das ist gut so, weil dieses Geld gebraucht wird. ({9}) Verkehrspolitik bedeutet aber auch eine Weichenstellung, die sich auf den Haushalt gründen muss. Deshalb komme ich jetzt zur Verkehrsreform. Wir stellen mit diesem Haushalt die Weichen für diese Verkehrsreform. Hierzu nenne ich drei Punkte. Ich komme zunächst auf die Bahnreform zu sprechen. Teil der Verkehrsreform ist die Herstellung des fairen Wettbewerbs auf der Schiene. Das geht nur mit der Unabhängigkeit von Netz und Transport und der Sicherstellung des diskriminierungsfreien Zugangs. ({10}) Die zentralen Schlüsselelemente sind Trassenvergabe und Trassenpreisfestsetzung. Nicht über das Ob dieser Unabhängigkeit war zu beraten und zu entscheiden, sondern über das Wie und Wann. Mit diesem Ziel und diesem Auftrag habe ich die Taskforce-Schiene eingesetzt. Sie sollte ergebnisoffen arbeiten und die unterschiedlichen Organisationsmodelle prüfen. Gestern Abend hat die Taskforce ihren abschließenden Bericht vorgelegt und wir haben Entscheidungen gefällt. Ich möchte die Gelegenheit wahrnehmen, Sie, die Abgeordneten, heute direkt zu informieren. Der Bericht geht Ihnen schriftlich zu. Herr Kollege Oswald, natürlich komme ich gern in den Ausschuss, um über diese Ergebnisse auch gemeinsam mit allen Mitgliedern des Ausschusses zu diskutieren. Ich will in diesem Zusammenhang die folgenden Punkte nennen: Erstes Stichwort: Unabhängigkeit. Trassenpreisfestsetzung und -vergabe werden künftig unabhängig von der Holding getroffen. Weisungen und Vorgaben des Konzernvorstands wird es künftig nicht mehr geben. Satzung und Geschäftsordnung werden entsprechend den europäischen Vorgaben angepasst. Ich meine, das ist Entherrschung der Netz AG bei Trassenvergabe und -preisfestsetzung. Das ist notwendig. ({11}) Zweites Stichwort: Prozesskontrolle. Wir werden außerhalb der DB AG eine unabhängige Trassenagentur beim Eisenbahn-Bundesamt einrichten. Diese Agentur ist zuständig für die Diskriminierungsfreiheit von Trassenpreissystem und -vergabe. Das erfolgt in einer sehr massiven Weise. Sie begleitet die Fahrplanerstellung, sie garantiert die Diskriminierungsfreiheit des Netzfahrplans und stellt die Diskriminierungsfreiheit für die Trassenvergabe sicher. Diese Trassenagentur ist meinem Hause gegenüber berichtspflichtig. Damit wird ein ganz wirkungsvolles und effizientes Steuermittel geschaffen. ({12}) Drittes Stichwort: Transparenz. Künftig wird eine Reihe anderer Dinge transparent gemacht. Dazu gehören Leistungsbeziehungen im Konzern, konzerninterne Leistungsverrechnungen und die Preisfindungsmechanismen. Die Netz AG wird zukünftig eine eigene Bilanz veröffentlichen. Auch das hat es bisher nicht gegeben. Alle diese Maßnahmen sind mehr als notwendig und sie werden jetzt realisiert. ({13}) Viertes Stichwort: Maßnahmen bei Diskriminierung. Es wird festgelegt, dass Eisenbahn-Bundesamt und Bundeskartellamt die Einhaltung von Eisenbahnrecht und Wettbewerbsrecht sicherstellen. Hiermit werden der diskriminierungsfreie Zugang zum Netz und die Unabhängigkeit der Entscheidungen über Trassenvergabe und Trassenpreisfestsetzung gewährleistet. ({14}) Dies ist das Ergebnis einer beharrlichen Arbeit. Ich sage „beharrlich“, weil eine Vielzahl von Prüfungen vorgenommen worden ist, die jetzt zu einem positiven Ergebnis geführt wurden, einem Ergebnis, das den diskriminierungsfreien Zugang und den Wettbewerb über diese Stellschrauben wirkungsvoll sicherstellt: Unabhängigkeit, Prozesskontrolle, Transparenz und Wettbewerbskontrolle. Ich sage Ihnen: Jetzt wird es ernst, jetzt kommt Wettbewerb auf die Schiene. ({15}) Lassen Sie mich kurz die anderen beiden Vorhaben der Verkehrsreform ansprechen. Ich komme zunächst zur LKW-Maut. Sie ist ein ganz zentrales Steuerungsmittel zur Vermeidung und Verlagerung von Verkehr, das einen wirtschaftlichen Vergleich ermöglicht. Ich nenne Ihnen zu diesem Bereich fünf Punkte. Erstens. Mit der Maut wird der LKW-Verkehr endlich mit seinen Wegekosten belastet. Zweitens. Die Maut verbessert den intermodalen Wettbewerb zwischen Schiene und Straße. Drittens. Die Mittel fließen zurück in die Infrastruktur. ({16}) Viertens. Die Maut schafft Fairness im Wettbewerb. Sozialdumping und Billigangebote wird es nicht mehr geben. Es wird endlich eine faire Anlastung der Wegekosten geben. Das ist der entscheidende Punkt. ({17}) - Über die LKW-Maut. Herr Goldmann, all das, was Sie nicht auf die Reihe bekommen haben, müssen Sie jetzt nicht kritisieren. Lassen Sie uns zusammenarbeiten! Fünftens. Die zur Erhebung der Maut nötige Technologie - dieser Punkt ist mir auch wichtig - wird dazu beitragen, die Exportchancen Deutschlands zu erhöhen. Ich sage dies, weil die Interessenten bei uns vor der Tür stehen. Mit dieser technologischen Innovation sind wir Vorreiter in Europa. Sie ist wichtig, weil sie nicht in den Verkehrsfluss eingreift. Es ist eine wichtige Strukturentscheidung, die LKWMaut zu erheben. Hierfür gibt es übrigens eine grundsätzliche Zustimmung aus Wirtschaft und Speditionsgewerbe. Es gibt einen Dissenzpunkt; diesen möchte ich ausdrücklich benennen: Es geht um die Querfinanzierung anderer Verkehrsträger. ({18}) Ich sage Ihnen: Diese wollen wir, weil jeder LKW, der nicht mehr fährt und dessen Ladung sich auf der Schiene befindet, die Mobilität insgesamt erhöht. Ich glaube, alle Verkehrsträger haben etwas davon, dass wir eine integrierte Verkehrspolitik machen. ({19}) Lassen Sie mich anfügen: Der ADAC hat gestern erklärt, dass er diese Konzeption, einschließlich der Querfinanzierung, mitträgt. Auch das ist, so denke ich, außerordentlich zu begrüßen. ({20}) Bundesminister Kurt Bodewig Schließlich werden wir mit der Finanzierungsgesellschaft für Verkehrsinfrastruktur erreichen, dass die zusätzlichen Einnahmen aus der Maut in die Verkehrsinfrastruktur reinvestiert werden. ({21}) Das ist der entscheidende Punkt. Der Entwurf zu diesem Gesetz wird zurzeit erarbeitet. Er wird noch in diesem Jahr in das Bundeskabinett und in dieses Haus eingebracht. Da können Sie sicher sein. Lassen Sie mich abschließend sagen: Ich glaube, der Haushalt 2002 kann sich sehen lassen. Wir packen strukturelle Reformen an. Wir haben eine Spitzenausstattung bei den Mitteln für die Verkehrsinvestition. Das gab es bei Ihnen in den letzten fünf Jahren nicht mehr. ({22}) Wir haben einen Rekordhaushalt. Ich denke, dass dies die Konsequenz unserer Arbeit zeigt. Wir werden weitermachen. Vielen Dank. ({23})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich gebe das Wort nunmehr dem Kollegen Eduard Oswald für die CDU/CSU-Fraktion.

Eduard Oswald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001663, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Ereignisse des 11. September haben natürlich dazu geführt, dass viele Sicherheitsfragen im Bereich der Luftfahrt neu gestellt werden müssen. Herr Bundesminister, wir stimmen Ihnen zu, dass wir alles nur Denkbare tun müssen, um dafür zu sorgen, dass für die Flugzeuge und die Flugpassagiere die höchstmöglichen Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden. Sicherheit muss auch im deutschen Flugverkehr das zentrale Thema sein. Was irgend möglich ist, muss für die Sicherheit getan werden. ({0}) Wenn wir uns vorstellen, dass in unserem Lande rund 600 000 Arbeitsplätze vom Luftverkehr anhängen, wird uns die Bedeutung für den Arbeitsmarkt deutlich. Wir dürfen unsere Fluggesellschaften mit ihren Plänen jetzt nicht allein lassen; denn wenn sie im Wettbewerb unterliegen, wird dies auch nachhaltige Auswirkungen auf die Arbeitsplätze im gesamten Luftverkehrsbereich haben. Ich gehe davon aus, dass Sie das auch bei Ihrem Besuch im Ausschuss ansprechen werden. Dabei dürfen wir auch die anderen Probleme, die uns bewegen, nicht aus den Augen verlieren. Die tatsächliche Lage in der Bauwirtschaft und im Wohnungswesen sowie in den verschiedenen Verkehrsbereichen ist ({1}) ernster, als Sie es wahrhaben wollen und als Sie es heute dargestellt haben. ({2}) Sie haben heute an manchen Fragen vorbeigeredet: Die Einbrüche in der Bauwirtschaft haben zu einer steigenden Arbeitslosigkeit geführt; die Investitionsquote im Bundeshaushalt 2002 ist abgerutscht; es besteht ein zunehmender Mangel an preiswerten Wohnungen für Einkommensschwache; investitionsfeindliche Rahmenbedingungen hemmen den Wohnungsbau. ({3}) Der Ausbau der Verkehrsinfrastruktur gerät immer mehr ins Stocken. Staus auf unseren Straßen führen jährlich zu volkswirtschaftlichen Verlusten in dreistelliger Milliardenhöhe. Je unruhiger es auf Ihrer Seite wird, umso mehr habe ich Recht. ({4}) Die Bahnreform kommt nicht voran, trotz allem, was Sie hier gesagt haben. Denn bei der Diskussion über die Trennung von Netz und Betrieb hat sich der Bahnchef durchgesetzt. Das, was Sie hier vorgetragen haben, ist eine klare Absage an die Punkte, die Sie ursprünglich vorgehabt haben. Das ist doch die Wahrheit. ({5}) Die Schließung von Bahnwerken, die Stilllegung von Strecken und der Rückzug aus der Flächenbedienung haben zu einem Imageverlust der Bahn geführt und die Attraktivität des Schienenverkehrs beschädigt. Die Bundesregierung lässt in dieser Frage Führung vermissen. ({6}) Sie sind der zuständige Bundesminister und nicht Herr Mehdorn. Die Diskussion um die Höhe der LKW-Maut verunsichert das Straßengüterverkehrsgewerbe. Dies sind alles Punkte, für die man eine Politik benötigt, die anpackt, führt und gestaltet. ({7}) In den ersten sechs Monaten dieses Jahres hat sich der konjunkturelle Abschwung im deutschen Bauhauptgewerbe drastisch verschärft. Der reale Auftragseingang ist von Januar bis Juni um 5 Prozent zurückgegangen, im Wohnungsbau um 15,1 Prozent, im Wirtschaftsbau um 2,7 Prozent, im öffentlichen Bau um 0,7 Prozent. Die deutsche Bauindustrie erwartet einen weiteren Rückgang der Umsätze im deutschen Bauhauptgewerbe im zweistelligen Bereich sowie einen Abbau der Beschäftigung Bundesminister Kurt Bodewig von bis zu 100 000 Stellen. Das ist dramatisch. Dazu muss man in diesem Hause Stellung nehmen. ({8}) Wer im konjunkturellen Abschwung Steuerausfälle durch Investitionskürzungen auffangen will, verschärft nur den Abwärtstrend und produziert neue Haushaltslöcher. Sie dürfen doch nicht übersehen, dass sich Bauinvestitionen zu zwei Dritteln selbst finanzieren, und zwar über Steuermehreinnahmen, höhere Sozialversicherungsbeiträge und weniger Arbeitslosenunterstützung. Auch dies gehört hier auf den Tisch. ({9}) Auch im Wohnungsbau haben Sie die falschen Signale gesetzt. Durch das Absenken der Einkommensgrenzen bei der Eigenheimzulage haben Sie für einen Einbruch der Genehmigungszahlen bei Einfamilienhäusern gesorgt. Sie haben die Rahmenbedingungen für den frei finanzierten Mietwohnungsbau erheblich verschlechtert, indem Sie den Vorsteuerabzug gestrichen, die Spekulationsfrist verlängert und die Begrenzung der Verlustrechnung zwischen den Einkunftsarten vorgenommen haben. Ihr Mietrecht ist ebenfalls eine Wohnungsbaubremse. Ihre wohnungsbaupolitischen Signale stehen auf Halt und Ihre Politik wird den Abschwung im Wohnungsbau weiter verschärfen. Sie müssen sich gegenüber dem nicht anwesenden Finanzminister durchsetzen. Das ist Ihre Aufgabe. ({10}) Nicht viel anders sieht es in der Verkehrspolitik aus. Die Defizite sind offenkundig. Wir brauchen eine zukunftsorientierte Verkehrspolitik, die den steigenden Anforderungen an die Mobilität der Bürgerinnen und Bürger und der Wirtschaft gerecht wird. ({11}) Eine Politik, die nur auf Verkehrsvermeidung ausgerichtet wäre, würde zwangsläufig in die Sackgasse führen. ({12}) Tatsache ist, dass trotz zunehmenden Staus auf der Straße kaum Verkehre auf Schienen- oder Wasserwege abwandern. Dies ist leider Realität. Die CDU/CSU-Fraktion hat immer wieder deutlich gemacht, dass es uns nicht um die Bevorzugung des einen oder die Benachteiligung des anderen Verkehrsträgers geht. Jeder muss seine arteigenen Stärken einbringen, dies aber zu fairen Wettbewerbsbedingungen. Die CDU/CSU bleibt bei ihrer Forderung, die streckenbezogene, elektronisch erhobene LKW-Maut als zielgenaues, gerechtes Instrument zur Erhebung der Wegekosten schnellstmöglich einzuführen, ({13}) allerdings unter klaren Grundbedingungen - wir haben sehr wohl gehört, was Sie heute gesagt haben -: Wir brauchen erstens eine ausreichende Entlastung für das deutsche Güterverkehrsgewerbe an anderer Stelle ({14}) und zweitens eine Zweckbindung der Mauteinnahmen für die Infrastruktur. Wir sind außerdem entschieden gegen eine überhöhte Bemautung, so wie Sie sich das vorstellen. ({15}) Das Mautaufkommen muss voll für die Straßeninfrastruktur zur Verfügung stehen. Eine LKW-Maut, die nur ein weiteres Mittel zum Abkassieren sein soll, ist mit uns nicht zu machen. ({16}) Mit Ihrem Modell werden Sie Verkehre statt auf die Schiene auf Lastkraftwagen aus EU-Mitgliedstaaten und dem osteuropäischen Raum verlagern. Diese werden die zur Aufgabe gezwungenen deutschen LKWs sofort ersetzen. Dies darf nicht sein. ({17}) Wir sagen Ihnen: Vertrösten Sie das LKW-Gewerbe nicht von Monat zu Monat und möglicherweise bis über die Wahl hinaus. Wir wollen in den nächsten Wochen die Dinge klipp und klar auf dem Tisch liegen haben. Wer jetzt nicht nachhaltig und stetig in die Infrastruktur investiert, setzt den Wirtschaftsstandort, Beschäftigung, Ökologie und Verkehrssicherheit aufs Spiel. Stellen Sie Geld zur Verfügung und schließen Sie Ihre Schlaglöcher. ({18}) Das ist Ihre Aufgabe. ({19}) Wir wollen mehr Verkehre auf die Schiene bringen. Dafür brauchen wir neuen Schwung für das System Schiene und keinesfalls einen Rückzug der Bahn aus der Fläche. Wir wollen eine Bahn, die auch die ländlichen Räume bedient. Das ist unser Ziel. ({20}) Uns geht es um ein optimales Schienennetz, um eine Leistungssteigerung im Personen- und Güterverkehr, um die wirtschaftliche Stabilität des Unternehmens Deutsche Bahn AG und um die Schaffung der Voraussetzung für Wettbewerb auf der Schiene. Die notwendige Trennung von Netz und Betrieb - trotz oder gerade wegen Ihrer Worte von vorhin kann ich das nur wiederholen - ist Ihnen, Herr Bundesminister, leider gänzlich misslungen. Eine halbherzige Lösung werden jedenfalls wir nicht mittragen können. ({21}) Sie haben uns in Deutschland in den letzten Jahren eine nie da gewesene Programmvielfalt bei den Investitionen beschert und damit den Eindruck vermittelt, es bewege sich etwas. Ich muss sagen: Das erkenne ich an. Diese Programme sind aber nicht in der Haushaltsabteilung, sondern in der PR-Abteilung Ihres Hauses gemacht worden. ({22}) Tatsache ist, dass mit den Investitionsprogrammen von 1999 bis 2002 eine Fülle von Straßenbaumaßnahmen mit rund 18 Milliarden DM lediglich anfinanziert werden. Der größere Teil fällt mit rund 22 Milliarden DM erst ab 2003 an. Wenn es bei den Haushaltsansätzen bleibt, hat dies zur Folge, dass durch die Mittelbindung in einem derartigen Umfang auf absehbare Zeit kaum eine neue Maßnahme begonnen werden kann. ({23}) Wir wollen eine Mobilitätsoffensive für den Standort Deutschland. Wir wollen eine möglichst sichere und eine möglichst umweltgerechte Mobilität für unsere Bürgerinnen und Bürger erhalten und verbessern. Wir wollen nicht, dass Deutschland auf unseren Straßen im Stau steht. Unsere Vorschläge liegen auf dem Tisch. Sie brauchen nur zuzustimmen. Ein zukunftsfähiges Infrastruktursystem muss individuelle Mobilität garantieren, die Attraktivität des Wirtschaftsstandortes Deutschland sichern und zugleich den wachsenden Anforderungen an die Schonung der Umwelt vor Lärm- und Schadstoffemissionen Rechnung tragen. Schließlich muss es in der Lage sein, auch zukünftige Verkehrszuwächse gerade durch die EU-Erweiterung so reibungslos, sicher und umweltschonend wie möglich zu bewältigen. Das sind unsere Positionen. Wir werden Sie daran messen. Aber Sie müssen mehr auf den Tisch legen, als Sie es heute getan haben. Vielen Dank. ({24})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen spricht nun der Kollege Albert Schmidt.

Albert Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002779, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Haushalt des Einzelplans 12, Verkehr, Bauund Wohnungswesen, garantiert zum wiederholten Male - das muss man sagen - ein sehr hohes Investitionsniveau. Das an sich ist schon eine Leistung. ({0}) Die eigentliche Leistung aber besteht darin, dass dieses hohe Investitionsniveau zusammen mit einer Steuerreform, mit Steuersenkungen und Haushaltssanierung erzielt wird. Das ist der eigentliche Wert dieser Leistung. ({1}) Ich möchte versuchen, auf folgende Fragen zu antworten: Was ist an diesem Haushaltsplan im Bereich Verkehr neu? Was hebt sich von der früheren Investitionspolitik ab? ({2}) Ich fange einmal mit der Bahn an, weil Sie wissen, dass sie mir besonders am Herzen liegt. Die Investitionen für die Bahn sind erstmals auf fast 9 Milliarden DM gesteigert worden. Dies ist neuerdings bindend in einer trilateralen Vereinbarung in einem Dreijahresvertrag festgelegt worden, der neben dem Jahr 2001 auch die Folgejahre umfasst. Das heißt, dem Unternehmen stehen über 27 Milliarden DM für die Erneuerung des Netzes zur Verfügung. Das ist eine Größenordnung, auf die man sich verlassen kann. ({3}) Zum ersten Mal wird der Schwerpunkt auf die Verbesserung und Modernisierung des Bestandsnetzes gelegt. Das heißt, die Erneuerung des Bestandsnetzes hat Vorrang vor überteuerten Großprojekten. Auch das ist neu, richtig und bitter notwendig; denn das Bestandsnetz wurde über die Jahre schrecklich vernachlässigt. ({4}) Außerdem werden zum ersten Mal die Bundesmittel nicht mehr als zinslose Darlehen, die später wieder zurückgezahlt werden müssen, sondern zu 90 Prozent als Baukostenzuschuss gewährt. Allein diese Zuschussfinanzierung entlastet die Bilanz des Unternehmens in den nächsten Jahren in Milliardenhöhe. ({5}) Zum wiederholten Male - das ist nicht neu - werden 100 Millionen DM für die Lärmsanierung an Schienenstrecken eingesetzt. Auch das ist dringend notwendig; wir begrüßen das sehr. Ich fasse zusammen: Seit der Regierungsübernahme im Jahre 1998 hat diese Bundesregierung die Investitionen im Bahnbereich um über 50 Prozent gesteigert. ({6}) Das heißt, der Sanierungsprozess ist damit für die nächsten Jahre gesichert. Ich verspreche Ihnen, dass wir uns genauso nachhaltig und intensiv dafür einsetzen werden, auch nach dem Jahre 2003 Investitionen auf hohem Niveau zu gewährleisten; denn der Sanierungsprozess wird mit Sicherheit bis zum Jahre 2005 dauern. Mit den gewährten Bundesmitteln gewinnt auch das Unternehmen Deutsche Bahn AG einen neuen finanziellen Handlungspielraum, den es bisher nicht hatte. Es kann nun in seiner mittelfristigen Finanzplanung in diesen und in den nächsten vier Jahren insgesamt 80 Milliarden DM aufwenden, und zwar nicht nur für die Erneuerung des Netzes, sondern auch für neue Züge, neue Bahnhöfe und die gesamte Infrastruktur. Das gesamte System Bahn wird in den nächsten Jahren runderneuert und die Fahrgäste werden das in den nächsten Jahren buchstäblich Zug um Zug erfahren können. Das ist der eigentliche Wert dieser Anstrengungen; denn letztlich geht es um die Fahrgäste. ({7}) Aber auch im konsumtiven Bereich haben wir seit der Regierungsübernahme die Mittel an die Bundesländer zur Bestellung von Nahverkehrszügen dreimal gesteigert, und zwar von ursprünglich 12 Milliarden DM auf jetzt 13,4 Milliarden DM. Wir werden uns bei den anstehenden Verhandlungen mit den Bundesländern dafür einsetzen, dass auch künftig eine ordentliche und faire Ausstattung an finanziellen Mitteln für die Bestellung von Nahverkehrszügen zur Verfügung steht. Summa summarum werden für Investitionen und Regionalisierungsmittel weit über 20 Milliarden DM aufgewendet. Das ist - ich sage es noch einmal - angesichts der Steuersenkungen und der Haushaltskonsolidierung eine stolze Leistung. ({8}) Ich möchte aber nicht den Eindruck erwecken, als handle es sich um eine einfache Gleichung, nach der mehr Geld mehr Nutzen für die Bahn bringt. Man muss im Gegenteil genau aufpassen, wohin das Geld fließt und dass es an der richtigen Stelle ausgegeben wird. Deswegen ist der zweite Punkt, den Sie, Herr Minister angesprochen haben, mindestens ebenso wichtig: Investition plus Innovation. Um diese Begriffe geht es. Dieser zweite Punkt betrifft - Herr Kollege Goldmann, hier sind wir einer Meinung - die strukturelle Weiterentwicklung im Rahmen der Bahnreform. Was Sie heute hinsichtlich des vermutlichen Inhalts des Abschlussberichts der Taskforce gesagt haben, geht genau in diese Richtung. Was bringt der Vorschlag der Taskforce? Er bringt eine transparente Bilanzierung. Das heißt, sowohl die Innenals auch die Außengeschäfte der Holding werden nachvollziehbar dargestellt, sodass jeder Einblick nehmen kann. ({9}) Weiter garantiert der Vorschlag die Unabhängigkeit bei der Trassenpreisbildung und -vergabe. Das heißt, es wird keine Weisungsbefugnis der Muttergesellschaft, der Holding, an ihre Tochter, die Netz AG, geben; dieser Punkt lässt sich über einen Teilentherrschungsvertrag regeln. Eine unabhängige Trassenagentur soll durch ihre Aufsicht sicherstellen, dass Trassen korrekt vergeben werden und die Trassenpreisbildung korrekt vorgenommen wird. Das bedeutet eine doppelte Kontrolle, und zwar zum einen durch das Eisenbahn-Bundesamt - das ist die eisenbahntechnische Seite - und zum anderen durch das Bundeskartellamt - das ist die wettbewerbsrechtliche Seite. All das wird zu mehr Fairness und Unabhängigkeit bei der Trassenvergabe führen. ({10}) Ich will aber auch hinzufügen, dass wir diese Maßnahmen nur als Zwischenschritt betrachten. ({11}) Dieser Zwischenschritt geht in die richtige Richtung. Er ist sinnvoll und notwendig und bestimmt die Logik für den weiteren Prozess. Damit ist natürlich die Richtung hin zu einer konsequenten unternehmerischen Entflechtung von Infrastruktur und Verkehrsbetrieben vorgezeichnet. Denn spätestens dann, wenn es um die Kapitalmarktfähigkeit, also um den Börsengang des Bereiches Infrastruktur - und sei es im Rahmen einer Holding - geht, ist es doch eine alberne Vorstellung anzunehmen, dass wir, die Steuerzahler und das Parlament, 10 Milliarden DM zur Verfügung stellen und die privaten Shareholder nachher 8 Prozent Rendite bekommen. Das ist eine lächerliche Vorstellung. So funktioniert Marktwirtschaft und Börse nicht. Spätestens dann ist der Zeitpunkt gekommen, an dem man konsequent festhalten muss: Infrastruktur ist öffentliche Daseinsvorsorge, sie darf nicht ausschließlich dem Diktat von Rendite unterworfen werden, sondern muss zum Großteil öffentlich finanziert werden. Mit Infrastruktur lässt sich in dem Sinne kein Geld verdienen, mit Verkehrsbetrieben schon. Deshalb werden wir - das versichere ich Ihnen - dieses Ziel nicht aus den Augen verlieren. Es liegt in der Logik der Sache - ich halte das für einen Selbstläufer -, dass sich diese Einsicht letztlich allerorts durchsetzen wird. ({12}) Ich möchte nun ein paar Worte zum Straßenbau sagen. In diesem Bereich werden Rekordzahlen genannt. Ich möchte hier aber auf die Struktur der Straßenbaumittel zu sprechen kommen: Von den 9 Milliarden DM an Investitionen, die, in ähnlicher Höhe wie für die Schiene, auch für die Straße aufgewendet werden sollen, ist inzwischen rund die Hälfte, also 4,6 Milliarden DM, nur für Erhaltungsinvestitionen und Ortsumfahrungen vorgesehen. Das heißt, der Aufwand für den schieren Erhalt unseres dichten Straßennetzes wird von Jahr zu Jahr größer. In Zukunft werden wir uns - das ist meine persönliche Einschätzung - nicht mehr den Traum teurer, völlig neuer Achsen quer durch die Landschaft leisten können, sondern werden unser Geld dafür aufwenden müssen, um das vorhandene Netz zu sanieren, zu erhalten und dort, wo es nötig ist, zu modernisieren. Beim Straßenbau erfahren wir also eine neue Schwerpunktsetzung. Das zeichnet sich von Haushaltsjahr zu Haushaltsjahr immer deutlicher ab. Ich möchte nun einen weiteren Punkt ansprechen. Die Diskussion um die LKW-Maut ist nicht, wie manche den Eindruck zu erwecken versuchen, die Suche nach einer neuen Einnahmequelle, sondern zeigt einen Paradigmenwechsel: Zum ersten Mal im Verkehrswegebau geht es weg von einer reinen Steuerfinanzierung hin zu einer Kombination aus Steuer- und Nutzerfinanzierung. Das ist richtig und notwendig. Das Weißbuch der Europäischen Kommission, am 12. September vorgestellt, gibt uns in dieser Politik ausdrücklich Recht. Es ist eben keine Quersubventionierung und kein Sakrileg, wenn man Einnahmen aus der LKW-Maut zum Beispiel in den Ausbau von Albert Schmidt ({13}) Schiene und Wasserstraße steckt, was wir mit dem AntiStau-Programm machen. Das ist eine sinnvolle Maßnahme zur Verkehrslenkung in einem integrierten Gesamtsystem, das wir im Auge haben. ({14}) Das Weißbuch der EU-Kommission zeigt also ganz klar den Weg: Kostenwahrheit plus integrierte Mittelverwendung. Das ist der Weg, den wir gehen müssen und werden. Dies ist die erste Verkehrsdebatte, in der das Wort Ökosteuer noch nicht gefallen ist. Ich möchte fast sagen: Das ist ein Fortschritt. Sie ist inzwischen selbstverständlich. Allerdings, die FDP hat noch nicht gesprochen, vielleicht wird die Ökosteuer doch noch erwähnt. Seit Einführung der Ökosteuer hat sich der Benzinverbrauch - Herr Kollege Brüderle, hören Sie genau zu ({15}) auf Deutschlands Straßen um 12 Prozent reduziert. Die Deutschen fahren weniger und sparsamer Auto, dafür aber - auch das ist nachweisbar - mehr Bahn. Im Fahrverhalten und beim Kauf des neuen Autos achten sie auf niedrigen Spritverbrauch. Genau das ist der ökologische Lenkungseffekt, den wir erreichen wollten. Diesen haben Sie in der Vergangenheit immer bestritten. ({16}) Ich möchte noch etwas zu den Wasserwegen sagen. Was wir bei der Elbe erlebt haben, nämlich eine dramatische Reduzierung der Verkehrsprognosen, muss zu einem Umdenken führen. Wir müssen uns die Frage stellen, ob wir Natur und Landschaft nicht überzogenen Phantomprognosen zu opfern drohen. Ich plädiere sehr für ein sorgfältiges Prüfen, ein nochmaliges Sich-Zusammensetzen und für einen maßvollen, angepassten Ausbau. Dasselbe gilt für die Donau. Die Variante A, ohne Staustufe, ist die Variante, die nicht nur am billigsten und mit dem höchsten Kosten-Nutzen-Faktor von 8,3 auch am rentabelsten ist, sondern auch die umweltverträglichste. ({17}) Das ist deshalb die Variante, die wir eindeutig bevorzugen. ({18}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum Schluss. Was der Minister zum Städtebau gesagt hat, könnte ich jetzt eigentlich nur noch wiederholen. Hier halte ich die Anstrengungen im Osten für den eigentlichen Wert dieses Haushaltsentwurfs. Zählt man die Finanzmittel aus der Härtefallregelung im Rahmen des Altschuldenhilfe-Gesetzes dazu, fließen in den nächsten Jahren 5 Milliarden DM in die Städte Ostdeutschlands. Das bedeutet Vitalisierung von Städten und Verbesserung von Lebensqualität. Summa summarum: Dieser Haushalt findet das richtige Maß von Investition und Innovation. Insoweit freue ich mich auf Ihre unterstützenden Worte, Herr Kollege Goldmann. ({19})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002156, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das Wort, Herr Kollege Goldmann, ist Ihnen bereits erteilt worden. Sie sprechen für die FDP-Fraktion, bitte schön.

Hans Michael Goldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst bringe ich deutlich zum Ausdruck, dass ich es im Gegensatz zum Kollegen Schulz für richtig halte, dass wir heute über die Thematik sprechen, die im Bereich Verkehr, Bauund Wohnungswesen anliegt. Herr Bodewig hat das in seinem Beitrag zur Flugsicherung eben auch schon deutlich gemacht. Hierzu muss ich allerdings sagen, dass es nicht schlecht gewesen wäre, Herr Bodewig, wenn Sie am Mittwoch bei der Information des Ausschusses dabei gewesen wären. Das hätte deutlich gemacht, wie sehr uns allen dieses Thema auf den Nägeln brennt. ({0}) Wir haben dieses Thema gestern Abend am Rande einer Veranstaltung des Nautischen Vereins besprochen, auf der es um Schiffssicherheit ging. Es wurde deutlich, dass es hier nicht mehr um Safety, sondern um Security geht. Angesichts der Szenarien, die sich dort entwickeln, wird man sicherlich neue Wege gehen müssen. Hierfür bieten wir ausdrücklich unsere Zusammenarbeit an. Dasselbe wünsche ich mir beim Seeunfalluntersuchungsgesetz. Ich halte es für schlichtweg absurd, hier auf den Sachverstand derer verzichten zu wollen, die mit diesem Thema besonders vertraut sind. Hier sollten wir gemeinsam zu einer anderen Lösung kommen. Lassen Sie mich auf das Kernthema zu sprechen kommen: Es geht um Mobilität, um die Beweglichkeit unserer Gesellschaft, aber auch um Wohnqualität. Ferner geht es um Investitionen und um Innovation. Diesbezüglich bin ich mit dem Kollegen Schmidt völlig einer Meinung, stelle im Gegensatz zu ihm aber fest, dass die Investitionen im Verkehrsbereich trotz zusätzlicher Einnahmen aus den UMTS-Erlösen um 100 Millionen DM sinken. ({1}) - Das ist Fakt. Zweitens muss ich feststellen, dass Herr Minister Bodewig in zwei Bereichen zentraler Innovation, die Sie angesprochen haben, mit meiner Meinung nach nicht falschen Vorstellungen schlicht und ergreifend gescheitert ist. Ich denke hier an die Infrastrukturmitfinanzierung über LKW-Maut und die Eisenbahnreform. ({2}) Albert Schmidt ({3}) - Sie sagen, das sei falsch. Ich kann dazu nur Folgendes sagen: Herr Bodewig hat seinerzeit auf dem Parteitag von Bündnis 90/Die Grünen gesagt, es müsse zu einer Trennung von Netz und Betrieb kommen, um fairen Wettbewerb zu ermöglichen. Nach dem Modell, das Herr Bodewig eben vorgestellt hat, wird das Gegenteil erreicht werden: ({4}) Sie haben wieder eine massive Vernetzung mit der Konzernmutter Bahn; so drücke ich es einmal platt aus. Diese Vernetzung führt dazu, dass sich Wettbewerb auf der Schiene nicht einstellt und dass der diskriminierungsfreie Zugang, den es heute schon geben sollte, auch in Zukunft nicht gesichert ist. ({5}) - Herr Kollege Weis, hier sollte man etwas ehrlicher sein. Derjenige, der weiß, was zum Beispiel Mora C für den ländlichen Raum bedeutet, und der auch weiß, dass die ländlichen Räume eigentlich schon seit Jahren bei der Bahn keinen Ansprechpartner mehr haben, kann doch nicht ernsthaft auf ein Konzept setzen, das sowohl die Städte als eben auch die ländlichen Räume infrastrukturell über die Bahn verbindet. Das kann doch überhaupt nicht die Lösung sein; das, was die Taskforce auf den Tisch gelegt hat, kann keine Lösung für die Infrastrukturprobleme speziell im ländlichen Raum sein. Es ist keine Lösung für alle diejenigen, die jetzt versuchen werden, Ersatzkonzepte für den ländlichen Raum zu entwickeln. ({6}) Lassen Sie mich noch etwas zur LKW-Maut sagen, Herr Bodewig: In Ihrem Entwurf - ich habe ihn dabei ist nicht sichergestellt, dass die Einnahmen in die Straße investiert werden. ({7}) In Ihrem Gesetz steht nicht die Zusage, die Sie dem BGL zur Harmonisierung durch Umfinanzierung gegeben haben. ({8}) Nur wegen dieser Zusage hat es die Bereitschaft gegeben, die LKW-Maut mitzutragen. Wenn Sie diese Zusage nicht einhalten, wird es in diesem Bereich eine Vernichtung von Arbeitsplätzen geben, wie wir sie bisher noch nicht erlebt haben. ({9}) Sie wissen genau, dass diesem Gewerbe das Wasser nicht mehr nur bis zum Hals, sondern bis zur Oberkante Unterlippe steht. Damit muss man ehrlich umgehen. ({10}) - Herr Schmidt, wir können uns ja darüber unterhalten, ob die LKW-Maut vernünftig ist. Das sagen wir ja auch. Über eines kann man sich aber nicht unterhalten: Die LKW-Maut muss, was die Infrastruktur - speziell bei der Straße - betrifft, gesetzlich geregelt sein und es muss eine Harmonisierung durch Umfinanzierung kommen. Ansonsten werden Sie wieder eine Diskussion über die Ökosteuer bekommen, ({11}) Er ist dann nämlich wirklich Schicht im Schacht, wenn das im nächsten Jahr noch auf die Betroffenen zukommt. ({12}) Lassen Sie mich noch etwas zur Binnenschifffahrt sagen, Herr Kollege Schmidt. Variante A ist dummes Zeug, das wissen Sie ganz genau. ({13}) Die Variante A kann doch nicht dazu beitragen, den Güterverkehr auf die Donau zu verlagern. Sie brauchen eine Abladetiefe von 2,5 Metern, das wissen Sie genau so gut wie ich. ({14}) Deswegen sollten Sie hier nicht irgendwelche Maßnahmen konstruieren, die vor der Realität nicht standhalten. Lassen Sie mich noch ein Wort zum Bausektor sagen. Der „Baurundblick“ - das ist ein vernünftiges Informationsinstrument, lesen Sie es - schreibt über rückläufige Investitionen und sinkende Bauausgaben. Ich finde es gut, dass Sie jetzt endlich ein Programm auflegen, um den Umbau im Osten sicherzustellen. Der Umbau im Osten kommt aber doch nicht zustande, wenn Sie nicht zum Beispiel die Wohnungsbaugenossenschaften wesentlich mehr entlasten. Im Bereich der Mittelbereitstellung und Entlastung der Wohnungsunternehmen nach dem Altschuldenhilfe-Gesetz ({15}) - Sie wissen das ganz genau, Frau Gleicke - gehen Sie von 60 Millionen DM auf 49 Millionen DM zurück. ({16}) Ich empfehle Ihnen „WI“ 34/2001; da können Sie es nachlesen: Banken kritisieren das Stadtumbauprogramm Ost, weil sie nicht bereit sind, auf Kredite, die sie in diesem Bereich gegeben haben, zu verzichten. ({17}) Ihr Haushalt, den Sie vorlegen, wird dem Ansatz von Investitionsnotwendigkeit im Bereich von Infrastruktur und Bau und dem notwendigen Ansatz von Innovation nach unserer Auffassung im Kern nicht gerecht. Wir werden Anträge stellen, die genau das beinhalten: Investitionsnotwendigkeit zur Sicherung von Arbeitsplätzen und Innovationsnotwendigkeit, um zu einem wirklich geglückten Verkehrskonzept und einer verbesserten Situation in der Bauwirtschaft zu kommen. Herzlichen Dank. ({18})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die PDS-Fraktion spricht der Kollege Dr. Winfried Wolf.

Dr. Winfried Wolf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002830, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen! Werte Kollegen! Von außen gesehen kann man sagen, dass der Bau- und Verkehrsetat ein Etat der Superlative ist. Er ist der zweitgrößte Etat und ist gegen den Trend mit einem Wachstum verbunden. ({0}) Man kann glauben, dass dabei scheinbar die Koalitionsvereinbarung im Blick war, die sagt: Die Investitionen in Verkehrwege sind zur Umsetzung der ökonomischen und ökologischen Ziele in ein umfassendes Verkehrskonzept zu integrieren, das die Voraussetzungen schafft für die Verlagerung möglichst hoher Anteile des Straßen- und Luftverkehrs auf Schienen- und auf Wasserwege. So lautete es in Ihrer Koalitionsvereinbarung Ende 1998. Das war, wie gesagt, Ihr Master- oder Drei-MinisterPlan, der vorgelegt wurde. Die Tatsachen sind aber leider andere. Tatsache ist, dass die Anteile der Schiene weiter gesunken sind. Tatsache ist, dass die Anteile der Straße beim LKW-Verkehr eindeutig gestiegen sind. Auch im Luftverkehr wurden die Anteile wesentlich erhöht. Das wird in Ihrem Verkehrsbericht, Herr Bodewig, für das Jahr 2000 festgehalten. Die Frage ist daher: Was sind die Gründe dafür, dass Anspruch und Wirklichkeit auseinander klaffen? Ich glaube, ein Grund dafür ist sicherlich, dass die Straßenbauinvestitionen - man muss sich wundern, dass SPD und Grüne sich dafür rühmen - auf Rekordniveau erhöht wurden ({1}) bzw. gehalten worden sind. Das liegt vor allem daran, dass inhaltlich immanent einiges von diesem Zahlenwert nicht stimmt. Sie reden zum Beispiel von einer 50:50-Gleichberechtigung von Straße und Schiene - die alte Leier -, wissen aber genau, dass dabei ein Teil der Darlehen für die Schiene gegeben wird und auch nicht berücksichtigt ist, dass Straßenbau auch auf Länder- und auf kommunaler Ebene stattfindet, wodurch die Bilanz erheblich anders aussieht. ({2}) - Ja, aber wir haben auf diesen anderen zwei Ebenen keine Schieneninvestitionen. Das Problem ist aber, dass die Qualität sowie die Art und Weise der Investitionen nicht mit der Quantität mithalten kann. Nehmen Sie das heutige Zugunglück in Enzeisweiler mit 100 Verletzten: Dieses Unglück passierte auf einer internationalen Strecke, Zürich-Lindau-München, die in diesem Bereich eingleisig ist. Die Bahn sagt seit fünf Jahren: Der Inselbahnhof in Lindau muss geschlossen werden, damit wir ein paar Minuten von Zürich nach München gewinnen, ist aber nicht in der Lage, diesen eingleisigen Bereich - über den jahrzehntelang gesagt wurde, er würde ausgebaut - auszubauen. Die Folge ist jetzt, dass dort zwei Züge aufeinander rasen. ({3}) Man muss wohl feststellen, dass wir gerade im Bereich der Schiene eine Konzentration auf zum Teil verkehrlich problematische Großprojekte erleben, aber gleichzeitig elementare Ausbaustandards und grundlegende Sicherheitsinvestitionen nicht realisiert werden. Oder lassen Sie mich das Beispiel des Flugverkehrs nennen. Sie wissen, dass sich momentan aus den bekannten Gründen der internationale Flugverkehr in einer Krisensituation befindet. Wir erleben in den USA derzeit eine Debatte, von der Personen-Schienengesellschaft Amtrak angestoßen, welche Sonderinvestitionen eingesetzt werden könnten, um den Verkehr von der Luft auf die Schiene zu verlagern. Sicherlich spricht in den USA sehr viel dafür, dass Binnenflugverkehr stattfindet, aber in Deutschland spricht viel dafür, dass Binnenflugverkehr auf die Schiene verlagert werden könnte. Die reale Bilanz zeigt jedoch, dass die Zahl von 6 Milliarden Personenkilometern bei Binnenflügen - nicht bei den internationalen! - im Jahre 1990 um 60 Prozent auf jetzt 10 Milliarden Personenkilometer gesteigert wurde und dass auch in der Zeit dieser Regierungskoalition, seit 1998, eine Steigerung der Zahl der Binnenflugkilometer um 20 Prozent stattgefunden hat. Hier im Berliner Raum führen wir eine Debatte, in der es einerseits eine schöne große Koalition von Stolpe und Gysi gibt, die fordern: „Kein Größt-Flughafen, kein Drehkreuz“, in der andererseits aber SPD und CDU hier am Ort in Berlin sagen: Wann kommen wir von 15 Millionen Fluggästen in Berlin auf 25 Millionen, um einen Großflughafen zu ermöglichen? Wenn wir jetzt die Struktur der Fluggäste untersuchen und feststellen, dass es in Berlin zu 60 Prozent Fluggäste mit Flügen im Bereich bis 450 Kilometer sind, dann sagen wir: Das ist ein riesiges Potenzial für eine Verlagerung, die aber real nicht in Angriff genommen wird. ({4}) Zum Schluss, Herr Bodewig, noch eine Bemerkung. Ich glaube, dass Sie nicht in erster Linie daran gemessen werden, ob Sie Debatten über Fahrwege und Betrieb angestoßen haben, nicht daran, ob Sie ein Verhältnis von 50:50 in Ihren formalen Etats haben, sondern dass Sie konkret an dem gemessen werden, was - wie es Herr Kohl ausgedrückt hat - „hinten rauskommt“. In Ihrer Koalitionsperiode wird „hinten rauskommen“, dass nach vier Jahren 800 Kilometer neue Fernstraßen gebaut wurden, dass in vier Jahren 1 200 Kilometer Schiene abgebaut wurden, dass sechs neue Regionalflughäfen kamen, dass drei neue Landebahnen kamen und dass insgesamt bei den Binnenwasserstraßen im falschen Bereich - „Projekt 17“ und andere - investiert wurde. Das logische Resultat einer solchen Verkehrspolitik ist eben genau die falsche Entwicklung der Verkehrsanteile entgegen Ihrer Koalitionsvereinbarung. Danke schön. ({5})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die SPD-Fraktion spricht jetzt die Kollegin Annette Faße.

Annette Faße (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002650, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Kritik, die hier am Verkehrshaushalt geäußert worden ist, weise ich als inhaltlich falsch, als unangemessen und teilweise als dreist zurück. ({0}) Ich weise auch die Kritik an Minister Bodewig zurück, was seine Präsenz in der letzten Ausschussberatung angeht, als es um die Flugsicherungsfragen ging. Ich weise dies nachdrücklich zurück. Wir sind sachkundig und fachkundig unterrichtet worden, und ich meine, dass wir damit auch dem Thema gerecht geworden sind. Wir sichern mit diesem großen Investitionshaushalt des Bundes die Mobilität in unserem Lande. Wir sichern die Investitionen ({1}) und damit Arbeitsplätze auch in der sehr wohl geplagten Bauindustrie. ({2}) Wir investieren mit unserem Haushalt ganz klar und deutlich in die Zukunft. Wenn ich mir einmal anschaue, was wir wieder begradigen müssen - ich drücke es einmal mit diesem Begriff aus; man kann auch davon reden, dass Schlaglöcher wieder aufzufüllen sind -, dann muss ich ganz deutlich sagen: Die für den Erhalt erforderlichen Gelder sind gestiegen. Das hat aber nicht diese Regierung zu verantworten, sondern die Regierung vorher. ({3}) Tausende von Langsamfahrstellen gilt es zu beseitigen. Das war Ihre Verkehrspolitik. Wir werden das ändern. ({4}) Es ist ja wohl eindeutig, dass der Bundesverkehrswegeplan überarbeitet werden muss. Dies ist keine leichte Aufgabe, wenn man bedenkt, dass von den Ländern 1 700 Maßnahmen angemeldet worden sind. Wir stellen uns dieser schwierigen Aufgabe und wir werden diese Aufgabe mit Bravour erfüllen. ({5}) Es ist richtig, dass wir in die Straße investieren müssen. Es ist richtig, dass wir in die Schiene investieren müssen. Beides machen wir sehr konsequent. An dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, dass es uns gelungen ist, von den UMTS-Mitteln 2 Milliarden DM für die Schiene zu bekommen. Dies ist ein großer Schritt voran und weist in eine positive Richtung für unsere Schieneninfrastruktur. ({6}) Es ist richtig, dass es in den ländlichen Regionen die Sorge gibt, dass die DB AG sie nicht mehr adäquat bedient. Wir müssen aber einmal betrachten, was die Ziele der Bahnreform gewesen sind. Da heißt es unter anderem: Wir wollen Wettbewerb. Diesen Wettbewerb werden wir auch erreichen. ({7}) Über das Wie kann man sich streiten. Aber es ist nicht so, dass das nicht geklärt ist. Dass Sie damit nicht einverstanden sind, kann ich mir auch vorstellen. Einem Minister einen solchen Erfolg zu gönnen, das wäre eine große Geste, die sachlich auch begründet wäre. Aber das hat heute keiner hinbekommen. ({8}) Das, was mit den Vorschlägen der Taskforce erreicht worden ist, wird ganz konsequent umgesetzt werden. Herr Goldmann, vielleicht sollten Sie die Ergebnisse erst einmal lesen, bevor Sie hier kritisieren. ({9}) Wenn Sie gelesen hätten, könnten Sie sicherlich viele Ihrer Sorgen und Nöte hintanstellen. Das, was hier auf den Weg gebracht worden ist, bedeutet ganz klar und eindeutig: erstens Transparenz. Transparenz brauchen wir. Die Netz AG wird in Zukunft eine eigene Bilanz aufstellen. Sie ist auch nicht mehr der Holding verantwortlich. Die Holding wird auch keinen Durchgriff auf die Netz AG mehr haben. ({10}) Zweitens das Stichwort Unabhängigkeit. Wir wollen, dass die Netz AG unabhängig ist. ({11}) Es ist klar: Zur Transparenz gehört die Unabhängigkeit und sie ist gewährleistet. ({12}) Der dritte Punkt ist die Kontrolle. Wir haben das EBA. Das übt heute schon Kontrolle aus und wird dazu noch in größerem Umfang befugt werden. Wir haben das Kartellamt. Vor dem EBA angesiedelt haben wir dann eine Trassenagentur. Diese hat ganz andere Möglichkeiten als bisher das EBA und das Kartellamt. Diese Trassenagentur hat jederzeit die Möglichkeit des Eingriffs in die Gestaltung von Preisen und in die Trassenvergabe. Das geht so weit, dass sie mit am Tisch sitzt, wenn ein Fahrplan aufgestellt wird. Wenn dann noch jemand sagt, das sei keine Kontrollmöglichkeit, kann ich das nicht verstehen. ({13}) In der AEG-Novelle und in weiteren Verordnungen werden wir die Vorschläge konsequent umsetzen. In der AEG-Novelle wird auch ein besseres Verfahren für die Stilllegung von Strecken festgelegt werden. Meine Damen und Herren, in ganz Europa gibt es somit nicht so viel Wettbewerb auf der Schiene wie bei uns. Deutschland hat das Maximum an Diskriminierungsfreiheit und Wettbewerb auf der Schiene. Das sollen uns die anderen erst einmal nachmachen. ({14}) Aber der Wettbewerb - das sage ich an dieser Stelle ganz deutlich - wird bei uns nicht zulasten der Beschäftigten gehen. Wir werden die Begriffe fairer Wettbewerb, Tariftreue und Vorruhestandsregelungen mit Leben erfüllen. ({15}) Ich sage heute nichts zur Binnenschifffahrt, aber noch einen Satz zur Seeschifffahrt. Sie hat keiner erwähnt. Man hat mich gefragt, ob ich etwas zum kleinen oder zum großen Matrosen sagen will. Ich sage heute etwas zum großen Matrosen. Die Seeschifffahrt wird Unterstützung bekommen, um die Sicherheit der Arbeitsplätze an Bord zu erhalten und den deutschen Seeleuten eine Chance zu geben. Dafür 60 Millionen auf den Tisch zu packen, ist ein klares Zeichen für die Länder und die Menschen an der Küste. Danke schön. ({16})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich gebe nunmehr das Wort dem Kollegen Dieter Maaß, ebenfalls SPD-Fraktion.

Dieter Maaß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001401, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch im Jahre 2002 werden wir Sozialdemokraten die Maßnahmen der Bundesregierung zur Sanierung des Bundeshaushaltes unterstützen; ({0}) denn hierfür finden wir bei den Menschen in unserem Land breite Zustimmung. Ich möchte darstellen, wie wir im Einzelplan 12 für den Bereich Wohnungswesen und Städtebau Schuldenabbau und effizienten Einsatz von Finanzmitteln auf der Ausgabenseite in Einklang bringen. Insgesamt geben wir für Wohnungswesen und Städtebau 2,3 Milliarden Euro aus. Dabei belaufen sich die Ansätze für Investitionen auf rund 1,94 Milliarden Euro. Für die Förderung des Städtebaus stellen wir Bundesfinanzmittel in Höhe von insgesamt 476 Millionen Euro zur Verfügung. Mit dieser Förderung lösen wir Investitionen von mehr als 4 Milliarden Euro aus. ({1}) Dies ist ein wichtiger Beitrag zur Konjunkturstützung. Arbeitsplätze am Bau werden dadurch gesichert. Wir alle haben seit Jahrzehnten eine Stadt- und Wohnungspolitik betrieben, die immer auf Expansion ausgelegt war. Jetzt gibt es Wohnungsleerstände. Die alte Bundesregierung hat diese Mengenexpansion nicht rechtzeitig korrigiert. Die neue Bundesregierung hat nun das Programm „Städteumbau Ost“ vorgelegt. Damit wollen wir den Gebäudeverfall stoppen und der sozialen Erosion in den Städten entgegenwirken. ({2}) Der Wohnungsleerstand beziffert sich in den neuen Bundesländern auf circa 1 Million Wohnungseinheiten - das sind 13 Prozent des Bestandes - und bedroht die wirtschaftliche Grundlage vieler Wohnungsunternehmen. Deshalb sind die Förderinstrumente neu auszurichten. Ich kann Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, nur raten: Beschäftigen Sie sich intensiv mit diesem Programm. Bei der Bewertung des vorliegenden Haushaltsentwurfs darf nicht unerwähnt bleiben, was wir mit der Überschrift „Soziale Stadt“ bezeichnen. Dieses Programm, das wir auf den Weg gebracht haben, ist ein Erfolg. ({3}) Die geförderten Projekte zeigen ihre positive Wirkung. In den Beratungen für das laufende Haushaltsjahr 2001 ist es uns gelungen, die Finanzmittel für das Programm „Soziale Stadt“ von 50 Millionen Euro auf 75 Millionen Euro aufzustocken. Dies geschieht auch im Jahre 2002. ({4}) Aufstocken werden wir auch die Mittel für das Programm „Städtebau West“. Hierfür werden wir Mittel in Höhe von 90 Millionen Euro einstellen. Das Thema Altschuldenhilfe wird uns noch einige Jahre begleiten. Die Koalitionsfraktionen haben sich dieses Problems angenommen, um die Unzulänglichkeiten des geltenden Gesetzes abzumildern. Ohne auf die Einzelheiten der Änderungen in § 6 a des Altschuldenhilfe-Gesetzes einzugehen, möchte ich dazu nur so viel sagen: Insgesamt steht ein Finanzvolumen in Höhe von 358 Millionen Euro zur Verfügung, verteilt auf zehn Jahre. 2002 werden die ersten 25 Millionen Euro fällig. Auch dies ist ein Beispiel für eine Finanzpolitik, die zielorientiert für Problemlösungen sorgt. ({5}) Gleiches gilt für unser CO2-Gebäudesanierungsprogramm, das übrigens ebenfalls ein Erfolgsmodell ist. Mit dem Zukunftsinvestitionsprogramm werden ab 2001 jährlich rund 200 Millionen Euro über fünf Jahre für den Bereich „Gebäudesanierung“ zur Verfügung gestellt. Für den sozialen Wohnungsbau beträgt der Verpflichtungsrahmen 2002 230 Millionen Euro. Durch unsere Reform des Wohnbaurechts haben Länder und Kommunen die Möglichkeit, diese Mittel zielgenau einzusetzen. Positive Auswirkungen hat die Wohngeldnovelle, die wir 1999 verabschiedet haben. Sie führt zu deutlichen Leistungsverbesserungen, vor allem zugunsten der Tabellenwohngeldempfänger. ({6}) Große Familien profitieren mit überdurchschnittlichen Verbesserungen von fast 61 Euro pro Monat, und zusätzlich sind 420 000 Haushalte, die bisher kein Wohngeld erhalten konnten, wohngeldberechtigt. Zum Schluss noch zwei Anmerkungen. Erstens. Für die Zahlung der Wohnungsbauprämien weist der Haushaltsentwurf einen Betrag von 500 Millionen Euro aus. Zweitens. Die Kosten für den Umzug von Bonn nach Berlin reduzieren sich - es geht um einen Wert von 0,42 Milliarden Euro - deutlich. Die Maßnahmen sind weitgehend abgeschlossen. Der festgelegte Kostenrahmen für die Verlegung des Parlamentssitzes in Höhe von 10,3 Milliarden Euro wird eingehalten. Die Bundesregierung hält die finanzielle Zusage, die der Region Bonn 1994 gemacht wurde. ({7}) In 2002 ist eine Summe von 0,16 Milliarden Euro als Ausgleichsmaßnahme veranschlagt. So weit ein kurzer Abriss über die Schwerpunkte des Haushaltsentwurfs 2002 für das Bau- und Wohnungswesen. Wir werden einige dieser Punkte in den Beratungen des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen vertiefen. Ich freue mich auf die Diskussion. ({8})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 14/6944, 14/6636, 14/6888, 14/5982, 14/5983, 14/6621, 14/6951, 14/5013 und 14/6929 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Vorlage auf Drucksache 14/6888 soll zusätzlich an den Ausschuss für Tourismus überwiesen werden. - Das Haus ist damit einverstanden. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich werde die Sitzung gleich für circa eine Dreiviertelstunde zur Durchführung von Fraktionssitzungen unterbrechen. Im Anschluss an die Unterbrechung werden wir mit der Beratung der Beschlussempfehlung zum Antrag der Bundesregierung über den Mazedonien-Einsatz fortfahren. Anschließend erfolgen die Beratungen ohne Aussprache. Danach folgt die Aussprache über den Einzelplan 16, Umwelt, und über den Einzelplan 30, Bildung. Der Wiederbeginn der unterbrochenen Sitzung wird durch Klingelzeichen angekündigt werden. Ich wünsche den Fraktionen eine gute Beratung. Die Sitzung ist unterbrochen. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte Ihnen etwas bekannt geben: Mit Bestürzung haben wir die Nachrichtenmeldung vernommen, nach der heute Morgen ein als Polizist getarnter Mann im Regionalparlament von Zug in der Schweiz 14 Menschen erschossen hat. ({0}) Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages sind empört und erschrocken über diesen Anschlag auf ihre Parlamentarierkollegen. Sie trauern um die Opfer und drücken den Angehörigen der Opfer und der Schweizer Bevölkerung ihr tiefes Mitgefühl aus. Dazu haben Sie sich spontan erhoben. Ich danke Ihnen dafür. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9 a bis 9 k und 9 m bis 9 s sowie die Zusatzpunkte 3 a und 3 b auf: 9 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts - Drucksache 14/6857 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({1}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umstellung von Vorschriften aus den Bereichen des Verkehrs-, Bau- und Wohnungswesens sowie der Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf den Euro ({2}) - Drucksache 14/6810 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({3}) Finanzausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Dieter Maaß ({4}) c) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zur Übertragung von Rechtspflegeraufgaben auf den Urkunds- beamten der Geschäftsstelle - Drucksache 14/6457 - Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss d) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung der für die Kostengesetze nach dem Einigungsvertrag geltenden Ermäßigungssätze für den Teil des Landes Berlin, in dem das Grundgesetz vor dem 3. Oktober 1990 nicht galt ({5}) - Drucksache 14/6477 - Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 15. Juni 2000 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Singapur über die Seeschifffahrt - Drucksache 14/6523 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({6}) Rechtsausschuss f) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts des Naturschutzes und der Landschaftspflege und zur Anpassung anderer Rechtsvorschriften ({7}) - Drucksache 14/6878 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({8}) Sportausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Ausschuss für Tourismus g) Erste Beratung des von den Abgeordneten HansMichael Goldmann, Rainer Funke, Hildebrecht Braun ({9}), weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Seeunfalluntersuchungsgesetzes ({10}) - Drucksache 14/6892 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({11}) Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss h) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ablösung des Arznei- und Heilmittelbudgets ({12}) - Drucksache 14/6880 - Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit i) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bereinigung des als Bundesrecht fortgeltenden Rechts der Deutschen Demokratischen Republik - Drucksache 14/6811 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({13}) Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder j) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung von Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaften auf dem Gebiet der Energieeinsparung bei Geräten und Kraftfahrzeugen ({14}) - Drucksache 14/6813 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({15}) Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union k) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über elektronische Register und Justizkosten für Telekommunikation - ERJuKoG - - Drucksache 14/6855 - Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss m) Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Dr. Heinrich Fink, Heidemarie Ehlert, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einkommensbesteuerung von ausländischen Künstlerinnen und Künstlern - Drucksache 14/6111 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({16}) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Kultur und Medien n) Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgit Homburger, Marita Sehn, Ulrich Heinrich, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Schutz der Wale dauerhaft sicherstellen - Drucksache 14/5989 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft ({17}) Rechtsausschuss Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union o) Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia Pieper, Ulrike Flach, Ernst Burgbacher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Mit einem individuellen Ausbildungspass durchs Leben - für ein liberales, duales und modulares Berufsausbildungssystem in Deutschland - Drucksache 14/5984 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({18}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder Ausschuss für Tourismus Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union p) Beratung des Antrags der Abgeordneten Christine Ostrowski, Maritta Böttcher, Dr. Ruth Fuchs, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS Vorschläge der Bund-Länder-Arbeitsgruppe Wohnungsleerstand Ost sachgerecht modifizieren und umsetzen - Drucksache 14/6848 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({19}) Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder q) Beratung des Antrags der Abgeordneten Christine Ostrowski, Maritta Böttcher, Dr. Ruth Fuchs, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS Altschuldenbefreiung für abzureißende bzw. rückzubauende Wohnungen - Drucksache 14/6849 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({20}) Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder r) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Jelpke, Sabine Jünger, Carsten Hübner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS Einrichtung einer unabhängigen internationalen Untersuchungskommission zur Aufklärung der Übergriffe gegen Globalisierungskritiker beim G-8-Gipfel in Genua - Drucksache 14/6896 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({21}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung s) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Gerhard Friedrich ({22}), Thomas Rachel, Ilse Aigner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Mit dem 6. EU-Forschungsrahmenprogramm 2002 bis 2006 den europäischen Forschungsraum stärken - Drucksache 14/6948 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({23}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ZP 3 a) Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Basel II - Fairen Wettbewerb sichern - Neufassung der Basler Eigenkapitalvereinbarung und Überarbeitung der Eigenkapitalvorschriften für Kreditinstitute und Wertpapierfirmen - Drucksache 14/6953 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({24}) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Norbert Otto ({25}), Dirk Fischer ({26}), Dr.-Ing. Dietmar Kansy, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Planungs- und Finanzsicherheit für Verkehrsprojekt Deutsche Einheit 8.1 - ICEStrecke Nürnberg-Erfurt - schaffen - Drucksache 14/6947 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({27}) Haushaltsausschuss Es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Der Gesetzentwurf auf Drucksache 14/6892 - Tagesordnungspunkt 9 g - soll zusätzlich an den Ausschuss für Tourismus, die Vorlage auf Drucksache 14/6896 - Tagesordnungspunkt 9 r - soll, abweichend von der Tagesordnung, nicht an den Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 10 a bis 10 f und die Zusatzpunkte 5 a bis 5 f auf. Eine Aussprache ist hier ebenfalls nicht vorgesehen. Tagesordnungspunkt 10 a: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Änderungen von 1995 und 1998 des Basler Übereinkommens vom 22. März Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer 1989 über die Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung gefährlicher Abfälle und ihrer Entsorgung ({28}) - Drucksache 14/5854 ({29}) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({30}) - Drucksache 14/6627 Berichterstattung: Abgeordnete Rainer Brinkmann ({31}) Werner Wittlich Birgit Homburger Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt auf Drucksache 14/6627, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit einstimmig angenommen worden. Tagesordnungspunkt 10 b: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 11. Oktober 1999 über Handel, Entwicklung und Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Südafrika andererseits - Drucksache 14/5713 ({32}) Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses ({33}) - Drucksache 14/6674 Berichterstattung: Abgeordnete Hans Büttner ({34}) Dr. Karl-Heinz Hornhues Christian Sterzing Ulrich Irmer Wolfgang Gehrke Der Auswärtige Ausschuss empfiehlt auf Drucksache 14/6674 die Annahme des Gesetzentwurfs. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Gibt es Enthaltungen? Das ist nicht der Fall. Der Gesetzentwurf ist damit ebenfalls einstimmig angenommen worden. Tagesordnungspunkt 10 c: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({35}) - zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Sofortprogramm der Bundesregierung zur Verminderung der Ozonbelastung - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Peter Paziorek, Cajus Caesar, Marie-Luise Dött, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Reduzierung von Ozonvorläufersubstanzen zur Bekämpfung des so genannten Sommersmogs - Drucksachen 14/3609, 14/3671, 14/4667 Berichterstattung: Abgeordnete Rainer Brinkmann ({36}) Marie-Luise Dött Birgit Homburger Der Ausschuss empfiehlt in Kenntnis der Unterrichtung durch die Bundesregierung, den Antrag auf Drucksache 14/3671 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP bei Enthaltung der PDS angenommen worden. Tagesordnungspunkt 10 d: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft ({37}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung. Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die gemeinsame Marktorganisation für Ethylalkohol landwirtschaftlichen Ursprungs KOM ({38}) 101 endg.; Ratsdok. 06586/01 - Drucksachen 14/6026 Nr. 2.15, 14/6262 Berichterstattung: Abgeordnete Annette Widmann-Mauz Der Ausschuss empfiehlt in Kenntnis der Unterrichtung durch die Bundesregierung die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des ganzen Hauses bei Enthaltung der PDS angenommen worden. Tagesordnungspunkt 10 e: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({39}) zu dem Antrag der Präsidentin des Bundesrechnungshofes Rechnung des Bundesrechnungshofes für das Haushaltsjahr 2000 - Einzelplan 20 - Drucksachen 14/5888, 14/6522 Berichterstattung: Abgeordnete Ewald Schurer Josef Hollerith Oswald Metzger Jürgen Koppelin Dr. Uwe-Jens Rössel Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gibt es Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des gesamten Hauses angenommen worden. Tagesordnungspunkt 10 f: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({40}) zu dem Antrag der Abgeordneten Ulrike Flach, Cornelia Pieper, Birgit Homburger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Satellitengestütztes Umwelt-Monitoring als Instrument einer nachhaltigen Politik Drucksachen 14/3696, 14/6685 Berichterstattung: Abgeordnete Ulrich Kelber Winfried Hermann Eva Bulling-Schröter Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/3696 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung des Ausschusses? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen worden. Wir kommen nun unter Zusatzpunkt 5 a bis 5 f zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses. Zusatzpunkt 5 a: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({41}) Sammelübersicht 292 zu Petitionen - Drucksache 14/6983 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Sammelübersicht 292 ist mit den Stimmen des ganzen Hauses bei Enthaltung der PDS angenommen worden. Zusatzpunkt 5 b: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({42}) Sammelübersicht 293 zu Petitionen - Drucksache 14/6984 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Sammelübersicht 293 ist ebenfalls mit den Stimmen des ganzen Hauses bei Enthaltung der PDS angenommen worden. Zusatzpunkt 5 c: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({43}) Sammelübersicht 294 zu Petitionen - Drucksache 14/6985 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 294 ist mit demselben Stimmenverhältnis - Zustimmung des ganzen Hauses und Enthaltung der PDS - angenommen worden. Zusatzpunkt 5 d: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({44}) Sammelübersicht 295 zu Petitionen - Drucksache 14/6986 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 295 ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen worden, nur die CDU/CSU hat dagegen gestimmt, keine Enthaltungen. ({45}): Immerhin!] - Das Wort „nur“ bezog sich auf das Abstimmungsverhalten mit Blick auf vorherige Abstimmungen. Ich bitte darum, dies so zu bewerten. Zusatzpunkt 5 e: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({46}) Sammelübersicht 296 zu Petitionen - Drucksache 14/6987 Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 296 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP angenommen worden. Zusatzpunkt 5 f: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({47}) Sammelübersicht 297 zu Petitionen - Drucksache 14/6988 - Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthaltun- gen? - Die Sammelübersicht 297 ist mit den Stimmen des Hauses angenommen worden, die PDS hat dagegen ge- stimmt. Interfraktionell ist vereinbart worden, die heutige Ta- gesordnung um die Zusatzpunkte 7 a und 7 b zu erweitern: a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({48}) zu dem Antrag der Bundesregierung Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem NATO-geführten Einsatz auf mazedonischem Territorium zum Schutz von Beobachtern internationaler Organisationen im Rahmen der weiteren Implementierung des politischen Rahmenabkommens vom 13. August 2001 auf der Grundlage der Einladung des mazedonischen Präsidenten Trajkovski vom 18. September 2001 und der Resolution Nr. 1371 ({49}) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vom 26. September 2001 - Drucksachen 14/6970, 14/6991 Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Berichterstattung: Abgeordnete Gert Weisskirchen ({50}) Karl Lamers Ulrich Irmer b) Bericht des Haushaltsausschusses ({51}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 14/6992 Berichterstattung: Abgeordnete Dietrich Austermann Hans Georg Wagner Oswald Metzger Carl-Ludwig Thiele Dr. Uwe-Jens Rössel Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag der Bundesregierung werden wir nach der Aussprache namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Kein Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der Abgeordnete Gernot Erler.

Dr. h. c. Gernot Erler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000489, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestern ist die Mission „Essential Harvest“ erfolgreich abgeschlossen worden. 4 500 Soldaten aus 17 verschiedenen Nationen haben 3 870 Waffen einsammeln können. Nach Auffassung des Generalsekretärs der westlichen Allianz waren davon 90 Prozent gebrauchsfähig. Der Anteil an schweren Waffen war so, wie vorher vermutet worden war. Ich finde, das ist für uns ein Anlass zur Genugtuung und zu vorsichtigem Optimismus, ({0}) zumal parallel der politische Prozess der in der zweiten Lesung mit großer Mehrheit angenommenen Verfassungsänderungen und der verabredeten Gesetze vorangegangen ist. Natürlich warten wir alle mit großem Optimismus auf den 4. Oktober 2001, an dem die entscheidende dritte Lesung der Verfassungsänderungen stattfindet. Erst dann sind die Bedingungen des Friedensabkommens vom 13. August erfüllt. Es ist gut, dass all die Befürchtungen, die bei einem Teil dieses Hauses verbreitet waren, nicht eingetreten sind. ({1}) Es hat sich keine Erweiterung der Mission ergeben. Auch kam es zu keinen Komplikationen. Es ist kein neuer Krieg und auch kein langfristiges Protektorat auf dem Balkan in Sicht. Die verringerte Zahl der Waffen ist ein Stück mehr Sicherheit, weil dahinter ein Bekenntnis beider Konfliktparteien zum Friedensprozess steckt. Immer vorausgesetzt, dass jetzt auch der politische Prozess zum Abschluss kommt, bedeutet dies für die Zukunft Mazedoniens Folgendes: In Zukunft wird sich niemand mehr, der eine Waffe in die Hand nimmt, mit nachvollziehbaren Rechten einer Minderheit legitimieren können. In Zukunft wird es so sein, dass die mazedonischen Sicherheitskräfte wieder das alleinige Recht auf offizielle Gewaltanwendung haben werden, die dann auch albanische Elemente in sich haben werden. Das ist die Grundlage für eine dauerhafte Stabilisierung in diesem Land, zu der jetzt ein wichtiger Schritt vollzogen worden ist. ({2}) Wir reden heute hier im Parlament über eine Anschlussmission, die offiziell „Amber Fox“ genannt wird. Daher müssen wir erklären, warum es jetzt überhaupt den Bedarf für zivile Beobachter der EU und der OSZE gibt und wieso diese eine Schutzkomponente brauchen. Wir befinden uns jetzt in der Umsetzungsphase des Friedensabkommens. Diese Phase findet in einer Situation statt, in der es immer noch eine gewisse Vertrauenslücke zwischen beiden Konfliktparteien gibt. Es sind insbesondere drei Fälle, in denen internationale Beobachter eine unverzichtbare Rolle spielen können. Der eine ist: Bis die Sicherheitsorgane Mazedoniens tatsächlich ausgewogen besetzt sind, wird es immer noch dazu kommen, dass sich die Ordnungskräfte, in denen noch keine gemischte Nationalität vorhanden ist, legitimieren müssen. Die Frage ist, ob ihre Autorität anerkannt wird. In dieser Situation können die internationalen Beobachter helfen. Sie können erklären und sie können vor allen Dingen immer dann, wenn diese Autoritätsfragen zu einem Problem werden, die politische Seite informieren, damit sie eingreifen kann. Zweitens. Es besteht auch das Problem der Rückkehr der mazedonischen Ordnungskräfte in die Gebiete, die im Augenblick noch von den Albanern kontrolliert werden. Vor dieser Rückkehr haben beide Seiten Angst, weil man nicht weiß, wie die mazedonischen Sicherheitskräfte auftreten werden, und weil man nicht weiß, ob die Albaner, die die entsprechenden Gebiete kontrollieren, freiwillig den Rückzug antreten werden. Nur internationale Beobachter können dafür sorgen, dass bei jeder Komplikation, die eintritt, sofort die Möglichkeit besteht, die politische Seite und, wenn nötig, auch die internationale Seite einzuschalten. Der dritte Fall ist die Flüchtlingsrückkehr. Wir alle wissen - auch aus der Erfahrung in anderen Regionen -: Flüchtlingsrückkehr ist ein kompliziertes Geschäft; denn häufig sind die Orte und Anwesen, die verlassen worden sind, inzwischen von anderen in Beschlag genommen worden. Dann gibt es Auseinandersetzungen, wenn Flüchtlinge zurückkehren. Hier brauchen wir die internationalen Beobachter, die wieder genau das Gleiche tun können, nämlich rechtzeitig die Ordnungskräfte einschalten, wenn es zu Komplikationen kommt. Das bedeutet insgesamt: Die internationalen Beobachter bieten die Chance der Eskalationsprävention und der Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Eskalationsunterbrechung, wenn kritische Situationen kommen. Sie sind also Teil eines Friedenskonzeptes für diese Region. Natürlich haben sie ein Anrecht darauf, geschützt zu werden. ({3}) Wir können niemandem zumuten, diese schwierigen Aufgaben zu übernehmen, wenn wir nicht für eine Schutzkomponente sorgen. Es darf doch nicht sein, dass sich einzelne Provokateure - wir können gar nicht ausschließen, dass es diese immer noch in der Region gibt - das Recht nehmen, den ganzen Prozess durch Einzelangriffe auf Beobachter zum Stoppen zu bringen. Deswegen ist es notwendig, mit „Amber Fox“ eine Schutzkomponente für die internationalen Monitore einzurichten. In dem Zusammenhang war die Frage, wie viele das sein sollen, auch nicht etwa eine optische Frage, sondern eine friedens- und sicherheitspolitische Frage. Diese Kräfte müssen ausreichend groß sein, damit genau die Chance, dass einzelne Provokateure den Prozess unterbrechen, nicht besteht. Wir sind zufrieden über das Zustandekommen dieser Mission. Wir bedanken uns für den Erfolg, dass ein Kompromiss mit der mazedonischen Seite - auch wenn das schwierig genug war - gefunden werden konnte. ({4}) Aus diesen Aufgaben, die ich beschrieben habe, ergibt sich auch etwas für die Mandatsdauer. Aus dem Friedensvertrag, aus dem Abkommen vom 13. August, ergibt sich, dass bis Mitte 2002 die oben genannte Mischung der Ordnungskräfte erreicht werden soll, zu diesem Zeitpunkt sollen also auch albanische Fachleute und Sicherheitskräfte eingebunden worden sein. Logischerweise ist das der Zeitraum, für den wir die internationalen Beobachter brauchen. Auch hier hat es einen Kompromiss gegeben. Besser wäre es vielleicht gewesen, sich auf einen etwas längeren Zeitraum zu einigen. Wir müssen aber anerkennen, dass die mazedonische Seite eigene Interessen hat. Wir gehen nunmehr von drei Monaten mit Verlängerungsoption aus. Das ist zu akzeptieren. An dieser Stelle möchte ich um ein bisschen Verständnis für die Schwierigkeiten, denen wir immer wieder begegnen, werben. Am 13. August haben in Mazedonien die vier wichtigsten Parteiführer, die unterschiedliche Interessen und Gruppen vertreten, völkerrechtlich verbindlich ein Abkommen unterschrieben. Damit haben sie zum Ausdruck gebracht: Wir werden es schaffen, unsere Fraktionen dazu zu bewegen, auch den politischen Teil umzusetzen. Wir alle - auf beiden Seiten des Hauses - wissen aus unserer Arbeit - nicht zuletzt vor dem Hintergrund der jüngsten Debatten -, dass es für einen Fraktionsvorsitzenden gar nicht so einfach ist, alle Kolleginnen und Kollegen, die sich in anderen Diskussionszusammenhängen befinden, zusammenzubekommen. Das gleiche Problem haben unsere mazedonischen Kollegen - Herr Georgievski, Herr Imeri, Herr Xhaferi und Herr Crvenkovski - mit den vier großen Fraktionen. Sie müssen ihre Kollegen, die noch dazu im Wahlkampf stehen, davon überzeugen, dass sie die internationalen Verpflichtungen zu erfüllen haben. Ich muss zugeben: Wir haben Respekt davor, dass sie es geschafft haben - auch wenn es schwierig war -, die zweite Lesung zu erreichen und wir haben Vertrauen darauf, dass sie auch die dritte Lesung als wichtigen Schlussstein zustande bringen. ({5}) Wir unterstützen nachhaltig die Bemühungen der internationalen Vermittler, die immer wieder versucht haben, diesen Prozess vernünftig zu begleiten. Es könnte sich einmal herausstellen, dass das gemeinsame Vorgehen die erste gelungene Krisenbewältigung der Europäischen Union ist, die nicht auf Gewaltandrohung, sondern eindeutig auf einen Verhandlungsprozess setzt. ({6}) Das ist ein Grund dafür, warum es uns leicht fällt, in dieser Stunde zu sagen: Wir finden es gut, dass die Bundesrepublik bei einem derartig charakterisierten Präzedenzfall einer Konfliktbewältigung eine Führungsrolle übernimmt. Außerdem finden wir es gut, dass wir gerade in der jetzigen Situation, in der die ganze westliche Welt und auch die NATO nichts weniger gebrauchen können als eine Baustelle politischer Unsicherheit auf dem Balkan, dazu beitragen können, einen Zustand der Unsicherheit zu vermeiden. Wir hoffen, dass mit „Amber Fox“ der Friedensprozess hoffentlich zum Abschluss gebracht werden kann. Abschließend möchte ich sagen: Wir wissen genau, dass „Amber Fox“ nicht der Schlussstein für den Friedensprozess sein kann. Entscheidend ist die Einbettung in eine politische Gesamtstrategie. Aus der Sicht meiner Fraktion sind sowohl „Essential Harvest“ als auch „Amber Fox“ militärische Elemente eines Friedensprozesses, der nur dann gelingen wird, wenn im Zuge einer politischen Gesamtstrategie genügend Anstrengungen zur Stabilisierung der gesamten Region unternommen werden. Wir sind froh, dass auf den 15. Oktober eine internationale Geberkonferenz für Mazedonien terminiert ist. Wir sind auch froh, beobachten zu können, dass die Bundesregierung große Anstrengungen unternimmt, unsere Entschließung für ein politisches Gesamtkonzept für die ganze Region, die wir am 29. August verabschiedet haben, Zug um Zug umzusetzen, und zwar einschließlich einer Finanzierung für die Fortsetzung des Stabilitätspaktes, begleitet von neuen Bemühungen um ein Regionalkonzept, das vielleicht eine Regionalkonferenz über eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit in dieser Region einschließt. Nur eine Einbettung dieser Mission in ein politisches Gesamtkonzept gibt uns die Überzeugung, auf dem richtigen Weg zu sein. Deswegen wird meine Fraktion dem Antrag des Ausschusses zustimmen. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({7})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Volker Rühe.

Volker Rühe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001897, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich drei Vorbemerkungen machen, bevor ich auf die Lage in Mazedonien zu sprechen komme. Erstens. Das Entscheidungsverfahren des Bundestages und der Bundesregierung heute ist ganz ungewöhnlich schnell. Das wird sicherlich nicht die Regel sein können. Aber in dieser internationalen Situation - dazu bekenne ich mich ausdrücklich, auch für meine Fraktion - zeigt es die Handlungsfähigkeit unseres Landes, der Regierung und des Parlaments. Und das ist gut so. ({0}) Wir wollten keine mandatlose Zeit über mehrere Tage hinweg. Unseren Soldaten, die ohne ein Mandat vor Ort sind, schulden wir so schnell wie möglich Klarheit über ihre Zukunft dort vor Ort. ({1}) Die Führungsfunktion, die wir ausüben werden, ist nur denkbar, wenn wir - im Unterschied zu „Essential Harvest“ - als Erste vor Ort sind. Wir haben aber auch eine Bitte: Das Mandat geht bis zum 27. Dezember. Unsere Kollegen im Rechtsausschuss haben deutlich gemacht, dass aufgrund des Urteils des Verfassungsgerichts die Entscheidung über eine Verlängerung vom Parlament unverzüglich getroffen werden muss. Da man das nicht erst Mitte Januar machen kann, erwarten wir, dass wir in der letzten Sitzungswoche im Dezember einen Bericht der Bundesregierung bekommen und möglicherweise eine Entscheidung treffen. ({2}) Zweitens. Es hat in den letzten Tagen Stimmen aus der rot-grünen Koalition gegeben, die versucht haben, den Mazedonieneinsatz hochzustilisieren und hinsichtlich der Entscheidungen im Kampf gegen internationalen Terrorismus, die anstehen, überzustrapazieren. Frau Müller, Sie haben das heute ja zurückgenommen. Ich glaube, das war richtig. Wir dürfen das nicht hochstilisieren. Richtig ist aber auch - das sage ich in aller Klarheit -: Wenn wir den Einsatz nicht durchführen würden und es zu einer Zuspitzung der Situation in Mazedonien käme, dann würde das die Handlungsfähigkeit und die Ressourcen der Allianz im Kampf gegen den internationalen Terrorismus belasten. Ich glaube, so sind die Dinge richtig eingeordnet. ({3}) Drittens möchte ich, wie ich hoffe, auch unpolemisch, auf den Zusammenhang zwischen der drastischen Unterfinanzierung der Bundeswehr und den neuen Aufgaben, die auf uns zukommen, eingehen. ({4}) Wir haben am Beispiel von Mazedonien gesehen, wie schnell neue Aufgaben auf uns zukommen. Es werden mehr Soldaten für eine längere Zeit gebraucht. Dafür werden wir in die im Kosovo und in Bosnien stationierten Truppen Lücken reißen müssen. Ich sage Ihnen voraus: Bei der Erklärung der amerikanischen Regierung bei Amtsantritt, sie wolle auf dem Balkan das volle Engagement beibehalten, wird es nicht bleiben. Die Amerikaner werden ihre Ressourcen neu ordnen. Sie werden von uns Europäern auf dem Balkan entlastet werden müssen. Es werden, unabhängig vom direkten Engagement, neue Aufgaben auf Deutschland zukommen, auf dem Balkan, aber vielleicht auch an anderer Stelle. Ich sage deswegen mit Nachdruck: Wir müssen uns darüber klar werden - das ist keine Entscheidung des Finanzministers, sondern eine gesamtpolitische Entscheidung -, welche Aufgaben wir als Bundesrepublik Deutschland für die Landesverteidigung, für das Bündnis, für Europa und für die internationale Solidarität übernehmen wollen und müssen. Das ist die eigentliche gesamtpolitische Entscheidung. Daraus folgt die notwendige Finanzierung. Hierauf müssen wir uns vorbereiten, sonst verlieren wir unsere strategische Handlungsfähigkeit. ({5}) Wie ist die Lage in Mazedonien? Ich will versuchen, auch sie möglichst objektiv zu schildern: Erstens. Richtig ist, die NATO hat mit den Rebellen vereinbart, dass eine bestimmte Anzahl von Waffen freiwillig abgegeben wird. Das ist geschehen. Die Bundesregierung hat in ihrem Antrag aber auch Recht daran getan, nicht den Eindruck zu erwecken, als ob dieses eine grundlegende Veränderung der militärpolitischen Situation oder eine Veränderung der Sicherheitslage gebracht hätte. Sie hat zu Recht nur davon gesprochen, dass dies einen positiven Einfluss auf den politischen Prozess in Mazedonien gehabt hat. Herr Erler, wir dürfen uns keine Illusionen machen: Beide Seiten verfügen noch über sehr viele Waffen und über die Fähigkeit, sie beliebig zu ergänzen. Die militärische Situation hat sich nicht grundlegend geändert. ({6}) Zweitens. Es ist richtig - das ist auch ein Erfolg -, dass in diesen 30 Tagen der Bürgerkrieg nicht wieder aufgeflammt ist. Ich hoffe, dass es dabei bleibt. Drittens. Der politische Prozess, das heißt die Umsetzung der Verträge von Ohrid im Parlament, ist teilweise erfolgt, nicht abschließend, wie das ursprünglich vorgesehen war. Es gibt noch große Schwierigkeiten, zum Beispiel die Zweidrittelentscheidung in der Dritten Lesung oder die Frage eines Referendums. Niemand kann heute hier sagen, ob es dort wirklich zu einem erfolgreichen Abschluss des politischen Prozesses kommt, der natürlich erhebliche Auswirkungen auf die Wirkungsmöglichkeiten der Monitoren und auch der Soldaten hätte. Im Auge behalten müssen wir Folgendes - deswegen war Ihre Schilderung, Herr Erler, ein bisschen zu optimistisch, wenn ich das sagen darf -: Es gibt in Mazedonien immer noch zu wenig innerliche Akzeptanz der Veränderungen, zu wenig Werbung der politisch Verantwortlichen für den Neuanfang, für Versöhnung und Frieden aus dem Inneren heraus, zu wenig selbsttragende Stabilität und die Gefahr, dass dieser Prozess zu stark als ein Diktat von außen empfunden wird. Auch dies gehört zu einer realistischen Analyse der Situation in Mazedonien. ({7}) - Selbstverständlich müssen wir das ermutigen. Die Bundesregierung hat in ihrem Antrag formuliert, der Präsident Mazedoniens habe die NATO um eine militärische Präsenz gebeten. Ich möchte hier etwas freier formulieren: Die NATO hat den Präsidenten Mazedoniens massiv gebeten, sie zu bitten, militärisch in Mazedonien präsent zu sein. ({8}) - Natürlich, daran gibt es keinen Zweifel, wenn man sich die Diskussionen der letzten Tage anschaut. Das Verhältnis zwischen äußerem Druck, den es auch geben muss - ich komme ja nicht aus einer anderen Welt -, und der inneren Bereitschaft zum Wandel im Lande selbst stimmt in Mazedonien noch nicht. Das müssen wir im Auge behalten, wenn wir einen Erfolg des politischen Prozesses wollen. ({9}) Richtig ist auch, dass es immer noch sehr unterschiedliche Erwartungen im Hinblick auf die militärische Präsenz in Mazedonien gibt. Formal dient sie „nur“ dem Schutz von 200 Monitoren. In Wirklichkeit sollen die Wirkungen natürlich sehr viel weiter reichen. Die Albaner erwarten einen Schutz ihrer Menschen in den Gebieten, in denen sie vor allem leben, und eine Begleitung des politischen Prozesses, damit er Erfolg hat. Die Mazedonier sehen der Präsenz eher widerwillig entgegen. Auch dafür habe ich ein gewisses Verständnis, denn Mazedonien ist ein souveräner Staat; insofern unterscheidet sich die Situation von der in anderen Ländern. Ansonsten erwarten sie Hilfe für die Rückkehr der Flüchtlinge und der eigenen Sicherheitskräfte in die Regionen, aus denen sie verdrängt worden sind. Insoweit müssen wir im Auge behalten, dass es hier einen Konflikt gibt. Ausdrücklich begrüße ich - das haben wir im August durchgesetzt -, dass die deutschen Soldaten jederzeit das Recht haben, bewaffnete Nothilfe zugunsten von jedermann auszuüben. Damit verhindern wir, dass es in Gegenwart unserer Soldaten Übergriffe auf die Bevölkerung gibt. Das ist ganz wichtig. ({10}) Als problematisch sind die geringe Dauer - deswegen hat die NATO völlig zu Recht um eine längere Einsatzdauer gekämpft - und die geringe Truppenstärke anzusehen. Heute sind es 700 Soldaten; hinzu kommt eine kleine Zahl von Soldaten, die schon vor Ohrid zum Zwecke der logistischen Versorgung der NATO vor Ort gewesen sind. Ich weiß, dass die Bundesregierung selbst Vorstellungen über eine Präsenz von 2 000 bis 3 000 Soldaten entwickelt hatte. „Essential Harvest“ hatte ein Entgegennehmen von Waffen zum Ziel, die freiwillig abgegeben werden. Wir alle haben die Szenen gesehen: Zum Teil wurden die Waffen singend übergeben. Das war vielleicht die leichtere Mission. Für sie standen aber 5 000 Soldaten bereit. Für eine Mission, die sehr viel schwieriger werden kann, werden es jetzt nur 700 Soldaten sein. Daher haben sowohl die Bundesregierung als auch die NATO zu Recht den Versuch unternommen, eine massivere Vertretung durchzusetzen. Das Ganze konnte aber nur mit Rücksicht auf die Souveränität Mazedoniens vereinbart werden. Richtig ist ferner, dass man vermeidet, die Kräfte an den Konfliktlinien zu stationieren, da man damit die Gefahr einginge, dass es zu einer Kantonisierung Mazedoniens kommt. Zusammenfassend sage ich: Es ist nicht sicher, dass durch diese militärische Präsenz der politische Prozess zu einem erfolgreichen Ende geführt wird. Aber ohne die Entscheidung, die wir jetzt treffen, wären die Chancen noch sehr viel geringer, dass der politische Prozess zu einem Erfolg wird. Deswegen wird meine Fraktion dem vorgelegten Antrag zustimmen. Wie Herr Erler sage auch ich: Letztlich müssen wir den politischen Prozess im Auge behalten; der ist notwendig, um langfristig zu einer Friedenssicherung zu kommen. Dies wird bis hin zu der Geberkonferenz reichen, die sich den Entscheidungen anschließen wird, die in Mazedonien getroffen werden. Im Übrigen glaube ich, dass jetzt das gilt, was auch nach der Entscheidung über „Essential Harvest“ gegolten hat: In dem Moment, in dem die Soldaten in den Einsatz gehen - dieses Mandat werden sie jetzt erhalten -, sollen sie auch spüren, dass das ganze Parlament, aber auch die Bevölkerung hinter ihrem Einsatz steht. Gleichwohl müssen die Bedenken, Schwierigkeiten und Probleme vorgetragen werden. Das gehört zu einem realistischen Bild. ({11}) Nur dann, wenn wir uns daran orientieren, werden wir auch Erfolg haben. Wir alle hier sollten heute noch einmal zum Ausdruck bringen, dass wir hinter dieser Mission stehen und unseren Soldaten bei dieser wichtigen neuen und schwierigen Aufgabe Erfolg wünschen. Vielen Dank. ({12})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Bundesaußenminister Joschka Fischer.

Joseph Fischer (Minister:in)

Politiker ID: 11000552

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zu Beginn meiner Rede die Gelegenheit nutzen, namens der Bundesregierung allen Fraktionen hier im Hause und auch den Damen und Herren Fraktions- und Parteivorsitzenden für die gute Kooperation bei der Vorbereitung dieses Mandates recht herzlich zu danken. ({0}) Wir wissen, das jetzige Vorgehen war keine Selbstverständlichkeit und soll nicht die Regel werden. Allerdings war dies den konkreten Umständen geschuldet, in denen wir uns befinden. Alle Seiten haben sich dabei überaus verständnisvoll und kooperativ gezeigt; deshalb gilt ihnen unser herzlicher Dank. Lassen Sie mich zunächst die Frage, die Sie, Herr Kollege Rühe, mit Blick auf das Ende des Mandates am 27. Dezember angesprochen haben, direkt beantworten - der Bundeskanzler hat es heute Morgen im Gespräch mit den Partei- und Fraktionsvorsitzenden bereits gesagt; ich will es hier, damit es im Protokoll steht, für die Bundesregierung nochmals offiziell tun -: Sollte sich unseres Erachtens in der Perspektive eine Verlängerung des Mandates als notwendig erweisen, werden wir rechtzeitig vor Eintritt des Bundestages in die Weihnachtspause das Gespräch mit den Fraktions- und Parteivorsitzenden über das weitere Verfahren suchen und dann im Konsens mit dem, was dort verabredet werden wird, verfahren, da wir keinerlei Interesse an einem Verfahrensproblem haben. Die Erfahrungen der letzten Tage haben gezeigt, dass diese Zusage der Bundesregierung steht. In diesem Geiste wollen wir, so sich dieses Problem stellt, weiter vorgehen. ({1}) Meine Damen und Herren, Kollege Erler und Kollege Rühe haben eine Vielzahl von praktischen Problemen benannt. Ich stimme ihnen, was die Problemanalyse betrifft, in weiten Teilen zu. Wenn ich allerdings an den Europäischen Rat in Göteborg zurückdenke, als Javier Solana, direkt aus Skopje kommend, uns berichtete - Colin Powell und Präsident Bush waren damals ebenfalls Gast beim Europäischen Rat -, wenn ich an die Bilder des beginnenden Bürgerkriegs und die bewaffnete Auseinandersetzung vor allem in den nördlichen Teilen Mazedoniens denke, wenn ich die hier im Hause geführte Debatte, als wir das Mandat von „Essential Harvest“ beschlossen haben, und die Befürchtungen und Ängste, die damals artikuliert wurden, Revue passieren lasse, dann, Kollege Rühe, komme ich bei aller Zustimmung zur Problemanalyse - Sie haben völlig zu Recht beschrieben, dass die Frage der inneren Versöhnung Kern des Problems ist und nach wie vor einer Lösung harrt -, zu der Feststellung, dass ohne Engagement von außen diese innere Versöhnung heute nicht an dem jetzt erreichten Punkt angekommen wäre. Ich gebe zu, dass die Situation tatsächlich noch immer prekär ist: Die Waffen schweigen, aber der politische Prozess, der verfassungsgebende Prozess ist noch nicht abgeschlossen. Er würde aber ohne das Engagement von außen aus meiner Sicht nur sehr schwer vorankommen. Wenn ich das alles als Bezugsgröße nehme, dann kann man wie Kollege Erler feststellen: Bei allen Schwierigkeiten und bei allen großen Aufgaben, die wir noch vor uns haben, haben wir unter dem Gesichtspunkt der Konfliktprävention, der Abwendung eines bewaffneten Konflikts, eines Bürgerkrieges, doch auch sehr viel erreicht. ({2}) Wichtig wird es jetzt sein, dass wir den Verfassungsprozess zu Ende bringen. Das wird alles andere als einfach. Ein Wahljahr ist nicht nur bei uns, sondern auch in Mazedonien ein besonders schwieriges Jahr. Ich habe dafür volles Verständnis und unterstreiche auch die Legitimität der Schwierigkeiten, die daraus erwachsen. Gerade wir, die immer für die Demokratie eintreten, müssen dafür Verständnis haben, dass es eine besonders komplizierte Situation für jedes Parlament, für alle politischen Parteien darstellt. Dennoch wird es jetzt ganz entscheidend darauf ankommen, international - koordiniert mit NATO, mit Europäischer Union, mit allen unseren Partnern unter Einschluss Russlands - weiterzumachen, sodass es zu den Verfassungsänderungen und zur Implementierung der Verfassungsänderungen kommt; denn das ist eine Voraussetzung dafür, in die nächste Stufe eintreten zu können, das heißt, eine neue Verfassungswirklichkeit zu schaffen. Besonders wichtig war für uns in der Gestaltung des neuen Mandats, dass wir auch die Unterstützung der Vereinten Nationen bekommen. Deutschland hat hier - unterstützt von zahlreichen EU-Partnern - die Initiative ergriffen. Ich darf mich besonders darüber freuen, dass es gelungen ist, tatsächlich eine Unterstützungsresolution in starker Sprache - die Resolution 1371 ({3}) vom gestrigen Abend - zu erhalten. Es ist eine Resolution des Sicherheitsrats, die hier immer wieder von weiten Teilen des Hauses gefordert wurde. ({4}) Ich möchte an dieser Stelle auch nochmals unterstreichen, dass Russland - es ist ja quer durch die Fraktionen hindurch auch immer wieder eine Forderung gewesen, Russland mit einzubeziehen oder, wie es hieß, „ins Boot zu holen“ - zu den Miteinbringern dieser Sicherheitsratsresolution gehört. Auch das ist - wenn man sich die Vergangenheit ansieht - alles andere als selbstverständlich. ({5}) Jetzt ist der entscheidende Punkt ein politischer Punkt. Herr Kollege Rühe, ich stimme dem, was Sie heute gesagt haben, in vieler Hinsicht zu. Was den Balkan angeht, so kann es sein, dass dort nochmals militärische Komponenten zum Tragen kommen müssen - ich hoffe es nicht -; nur, sehr viel mehr werden wir jetzt, wenn schon über militärische Komponenten, dann über stützende und schützende Komponenten für einen politischen Prozess reden müssen. Das heißt, die Hauptleistung des jetzigen Mandats, das wir diskutieren, ist gar nicht so sehr der militärische Teil, über den wir heute aufgrund der verfassungsrechtlichen Realität in Deutschland entscheiden müssen, sondern die Tatsache, dass es jetzt um zivile Implementierung und Überwachung geht. Der Kern des heutigen Mandats ist der Schutz der internationalen Beobachter bei der zivilen Implementierung. Auch da möchte ich nochmals an alle Kolleginnen und Kollegen, die sich mit ihrer Zustimmung schwer tun, appellieren und sie bitten, zu erkennen, dass dies der Kern des Ganzen ist. ({6}) Das wollte ich ansprechen, Herr Kollege Rühe. Eine Militärdebatte möchte ich heute nicht führen; auch Sie haben ja gesagt, dass wir eine solche Debatte heute nicht führen sollten. Wir werden uns im Balkan in Zukunft verstärkt politisch und ökonomisch zu engagieren haben. Das ist ein ganz entscheidender Gesichtspunkt. ({7}) Wenn es nicht gelingt, eine wirtschaftliche Perspektive, wenn es nicht gelingt, die soziale Perspektive für alle beteiligten Bevölkerungsgruppen, wenn es nicht gelingt, die nach wie vor sehr abstrakte Perspektive auf Europa, wenn es nicht gelingt, eine konkrete Perspektive in Form von Arbeitsplätzen, von Ausbildungsplätzen, von Wiederaufbau, kurz, eine Perspektive, die die Menschen in ihrem Alltag als europäische Perspektive begreifen, zu vermitteln, dann wird es sehr schwer sein, den gefährlichen Sirenengesängen des Nationalismus, die dort von unverantwortlichen Kräften in der Politik nach wie vor gesungen werden, zu widerstehen. ({8}) Deswegen wird es ganz entscheidend darauf ankommen, dass wir auch und gerade diese Elemente stärken. Nur ist eben die Voraussetzung dafür - da stimme ich meinen Vorrednern voll zu -, dass wir mit diesem Mandat jetzt in der Tat vorankommen, so schwierig es ist. Es wird noch viel zu tun sein. Das setzt aber voraus, dass wir uns hier auch entsprechend beim militärischen Schutz für die zivilen Beobachter engagieren. Wichtig ist auch - das ist die Position der Bundesregierung; ich möchte das nochmals unterstreichen -: Es gibt nicht nur ein Nothilferecht, sondern ich behaupte, auch eine Nothilfepflicht. ({9}) Schweren Menschenrechtsverletzungen muss Einhalt geboten werden, wenn man die Möglichkeiten dazu hat. Dass dies in dem Antrag expressis verbis steht, findet unsere volle Unterstützung. ({10}) Meine Damen und Herren, vor uns liegt eine schwierige Etappe: die Implementierung, vor allen Dingen die Rückkehr der Streitkräfte, der Zentralregierung und der Polizei wie auch die Flüchtlingsrückkehr, die von überragender Bedeutung ist, weil wir ethnische Säuberungen, egal von welcher Seite, genauso wenig wie neue Trennungslinien akzeptieren dürfen. Deswegen gibt es auch keine Demarkationslinien, an denen die Soldaten positioniert werden. Es wird in der Anfangsphase alles andere als ungefährlich sein. Insofern ist auch hierbei eine breite Unterstützung für die Soldaten sehr wichtig. Gleichzeitig haben wir mit diesem Mandat die Chance, den politischen Prozess zusammen mit unseren Partnern voranzubringen. Abschließend möchte ich noch einmal betonen: Dies ist wirklich ein konfliktpräventives Mandat, das das Land weg vom Bürgerkrieg hin zur inneren Versöhnung, zum Erhalt seiner Grenzen und seines multiethnischen Charakters und zum Erhalt der Demokratie führt. Ich bedanke mich. ({11})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Klaus Kinkel.

Dr. Klaus Kinkel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002696, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die FDP-Bundestagsfraktion wird dem Antrag der Bundesregierung zustimmen. Wir stehen zu unseren Soldaten. Wir danken ihnen in ganz besonderer Weise für ihren bisherigen Einsatz. Wir wünschen ihnen für den neuen Einsatz ebenfalls alles Gute und gehen davon aus, dass Koalition und Bundesregierung sie so ausstatten werden, wie sie es verdienen und wie es notwendig ist. ({0}) Unsere Zustimmung ist konsequent, nachdem wir schon dem Mandat für „Essential Harvest“ zugestimmt haben und damit als Opposition - das darf man nicht beiseite schieben - der Bundesregierung vor einem Monat eine ziemliche Blamage erspart haben. Wir als Liberale waren von Beginn an der Meinung, dass wir Mazedonien in dieser schwierigen Situation nicht allein lassen dürfen. Das Land nimmt auf dem Balkan eine Schlüsselrolle ein. Mazedonien galt im Übrigen sehr lange zu Recht als ein Beispiel für eine erfolgreiche friedliche Herauslösung eines Staates aus dem ehemaligen Jugoslawien. Die aktuelle Entwicklung hat jedoch gezeigt, dass leider Gottes auch für Mazedonien gilt, was für die gesamte Region gilt: Unter einer Eisdecke waren vor allem viele ethnische Konflikte verborgen, die nach dem Schmelzen der Eisdecke aufgebrochen sind und zum Teil zu furchtbaren Ergebnissen geführt haben. Man darf auch nicht vergessen, dass Mazedonien die NATO und die Bundeswehr in schwierigster Zeit massivst und vorbildlich unterstützt hat. Die Kosovo-Operation wäre ohne Mazedonien nicht möglich gewesen. Vor allem darf man nicht vergessen, dass Mazedonien in ganz besonderer Weise unter den damals verhängten UN-Sanktionen wirtschaftlich zu leiden hatte und aufgrund dessen auch heute noch große Probleme hat. Deshalb verdient Mazedonien unsere Unterstützung. Das ist aber nicht nur eine Frage der Dankbarkeit, sondern es liegt auch in unserem ureigensten Interesse. Denn eine Eskalation des Konflikts in Mazedonien, eine weitere Destabilisierung oder gar Spaltung des Landes hätte schlimme Konsequenzen für den gesamten Friedens- und Stabilierungsprozess auf dem Balkan. Hinzu kommt - das erscheint mir insbesondere nach den Ereignissen des 11. September in den USA das Entscheidende zu sein -, dass der Balkankonflikt kein Regionalkonflikt ist. Spätestens die schrecklichen Ereignisse in Amerika haben uns allen drastisch gezeigt, dass es auf dieser Welt praktisch überhaupt keine auf eine Region begrenzten Konfliktsituationen mehr gibt. Die Welt wächst im Zeitalter der Globalisierung zusammen, leider auch mit Problemen, mit Konflikten und Sicherheitsbedrohungen. Die FDP hatte - das wollen wir nicht leugnen - Bauchschmerzen mit der Form und der Art des Zustandekommens des „Essential Harvest“-Mandats. Ich will nicht kleinkariert nachkarten, aber doch deutlich und klar sagen, dass auch nach meiner persönlichen Meinung vor einem Monat anders hätte argumentiert und agiert werden können. Ich sage sogar: hätte argumentiert und agiert werden müssen. ({1}) Denn es war abzusehen, dass das Mandat nicht ausreicht. Jetzt hat die UCK die vereinbarte Menge Waffen abgeliefert. Die mazedonische Regierung hat schleppend und, wie vorher erwähnt, nach massivem Druck von außen - der für meine Begriffe berechtigt war - mit dem, was von ihr erwartet wurde, nachgezogen und ihre Gegenleistung erbracht. Der ganze Prozess ist sehr fragil und kann natürlich auf vielfältige Weise gestört werden. Ich erinnere nur an das geplante Referendum. Natürlich wäre es schlimm, wenn es käme. Die Flüchtlingsproblematik ist bereits von meinen Vorrednern, vom Außenminister und von Herrn Rühe, angesprochen worden. Es gibt außerdem das Problem neuer Waffenkäufe. Es ist ja nicht so, dass nichts nachgeliefert wird bzw. nachgeliefert werden könnte. Darüber müssen wir reden. Wir müssen den Mazedoniern - auch das ist ein Problem - deutlich sagen, dass ihre Medienlandschaft verheerend ist. Wenn man so hetzt, wie es die mazedonischen Medien tun, dann kann man nicht hoffen, dass die Ethnien wieder zusammenfinden. Deshalb muss auch im Bundestag deutlich gesagt werden: Mazedonische Medien, bitte verhaltet euch anders. Sonst wird es kompliziert und schwierig! ({2}) Wir werden jetzt bis zu 700 Soldaten nach Mazedonien schicken. Das ist meines Erachtens richtig und notwendig. Ich bin auch der Überzeugung, dass es richtig ist, dass Deutschland die „leading position“ bei diesem Einsatz übernimmt. Man kann sich nicht immer hinter anderen verstecken und drücken. Die Bundeswehr kann die jetzt gestellte Aufgabe erfüllen und sollte es daher auch tun. Dazu sollten wir stehen und nicht in kleinkarierter Weise daran herummeckern. Mazedonien ist ein junger souveräner Staat, der darauf bedacht ist, die Präsenz der NATO möglichst begrenzt zu halten, und zwar sowohl im Umfang als auch in der Dauer. Natürlich hat das Land Angst, dass es zu einem Dauerprotektorat wird und dass es die gerade mühsam gewonnene Souveränität und Identität verlieren könnte. Wir verstehen das. Aber wir müssen, glaube ich, den Mazedoniern, für die wir in den zurückliegenden Jahren auch einiges getan haben, klar und deutlich sagen: Ihr werdet es allein auf absehbare Zeit - leider Gottes - nicht schaffen. Deshalb braucht ihr die Hilfe von außen. Akzeptiert sie in der jetzt angebotenen Form; denn die ist vernünftig. Ich glaube, es liegt in unserem Interesse, dass der jetzt geplante Einsatz auf drei Monate begrenzt ist. Es bleibt der Parlamentscharakter der Bundeswehr gewahrt. Die Bundeswehr ist und bleibt eine Parlamentsarmee. Darauf legt die Fraktion der FDP im Deutschen Bundestag ganz besonderen Wert. ({3}) Die Bundesregierung hat sich bereit erklärt, bei der Operation „Amber Fox“ die Rolle der „leading nation“ zu übernehmen. Ich wiederhole: Ich halte das für richtig und notwendig. Wir sollten schon darauf achten, dass nicht die Hoffnung aufkeimt, dass der Mazedonieneinsatz den ersehnten Ausweg aus möglicherweise bald anstehenden anderen Entscheidungen bieten könnte. Wenn sich dies hinter ein paar Dingen, die im Augenblick ablaufen, verbergen sollte, dann kann ich dazu nur sagen: Das wird nicht gehen. Deutschland wird international mehr Verantwortung übernehmen müssen, leider - das muss ich klar und deutlich hinzufügen - auch militärisch. Zugleich müssen wir darauf achten - für die entsprechenden Hinweise meiner Vorredner bin ich dankbar -, dass wir in vorderster Front derjenigen stehen, die immer auch auf politische Lösungen drängen. ({4}) Es wird nicht ausreichen, allein Repressionen auszuüben. Das gilt genauso für einen anderen Sachverhalt, mit dem wir im Augenblick umzugehen haben. Es wird entscheidend sein, politische Lösungen anzubieten. Ich finde, die entscheidende Lehre aus den Ereignissen vom 11. September ist: Prävention, Armutsbekämpfung, interkultureller Dialog und Engagement bei der Lösung vermeintlicher Regionalkonflikte. Wenn „Amber Fox“ ein Erfolg wird - das hoffen wir und das wünschen wir alle uns von Herzen -, dann wird der Mazedonienkonflikt eines der leider ganz wenigen Beispiele dafür sein, bei dem frühzeitiges Engagement von außen tatsächlich geholfen hat, Schlimmeres zu verhindern. Vielen Dank. ({5})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Wolfgang Gehrcke.

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als wir vor einigen Wochen im Bundestag das Mandat für die deutsche Beteiligung an der Operation „Bedeutende Ernte“ in Mazedonien erteilt haben, wussten fast alle, dass entweder ein Folgemandat, eine Verlängerung oder ein neues Mandat fällig sein würde, was die Regierung zum damaligen Zeitpunkt allerdings verneinte und worüber sie auch nicht bereit war nachzudenken. Wir sind sehr erleichtert - das möchte ich für die Fraktion der PDS sagen -, dass nach dem tragischen Tod des britischen Soldaten in Mazedonien keine weiteren Menschen zu Schaden gekommen sind. Wir registrieren natürlich auch, dass der Umfang der gewaltsamen Auseinandersetzungen zurückgegangen ist. Lieber Kollege Erler, dass unsere damaligen Befürchtungen nicht eingetreten sind, heißt aber nicht, dass sie nicht begründet waren. Diese Befürchtungen waren nicht aus der Luft gegriffen; vielmehr waren die Bedenken, die im Parlament geäußert wurden, begründet. Ich will diese Gelegenheit nutzen - ein PDS-Vertreter macht das nicht so häufig -, mich direkt an diejenigen deutschen Soldaten zu wenden, die von diesem Einsatz tangiert sind. Ich möchte ihnen sagen: Dass wir Auslandseinsätzen bislang nicht zugestimmt haben - wir werden ihnen auch nicht zustimmen -, geschah ohne den Gestus und die Absicht, deutsche Soldaten im Regen stehen zu lassen. ({0}) Wir sind vielmehr der Auffassung, dass man Fehler der Politik nicht auf dem Rücken von Soldaten austragen darf. Das möchte ich den deutschen Soldaten ganz direkt sagen. ({1}) Wir sind ebenfalls sehr erleichtert darüber, dass über 3 000 Waffen eingesammelt wurden und vernichtet werden. ({2}) Was kann das Herz eines Demokratischen Sozialisten höher schlagen lassen als die Tatsache, dass 3 000 Waffen vernichtet werden? Das sollte man uns doch abnehmen! Jede Waffe in einer Bürgerkriegssituation ist eine Waffe zu viel. Ich sage das auch deswegen, weil wir wissen - das wissen alle hier -, dass die Aktion „Bedeutende Ernte“ - eine Art von Kollekte - natürlich keine vollständige Entwaffnung gebracht hat, dass die mit dem Vorhandensein von Waffen verbundenen Probleme nach wie vor nicht gelöst sind und dass bestimmte Strukturen - ich denke an diejenigen, die die Waffen benutzt haben - weiterhin existieren. Ich mache Sie ausdrücklich darauf aufmerksam, dass in der entsprechenden UNO-Resolution noch einmal festgehalten worden ist, dass die KFOR an den Grenzen zum Kosovo den Neuzufluss von Waffen zu unterbinden hat, dass die Entwaffnung der UCK und anderer Verbände im Kosovo eine wichtige Aufgabe der KFOR ist und durchgesetzt werden muss. ({3}) Wenn wir nunmehr über ein neues Mandat entscheiden, dann sollten wir auch bedenken, dass allein in dieser Legislaturperiode vom Bundestag fünf Mandate für Auslandseinsätze erteilt worden sind. Das muss uns doch nachdenklich stimmen, und zwar unabhängig davon, wie man die eine oder andere Frage beurteilt. Ich freue mich - das will ich deutlich sagen -, dass die Bundesregierung die Parlamentsrechte gewahrt hat. Wir haben sehr darauf gedrungen. Im Vorfeld haben uns viele Töne nicht gefallen. Die völkerrechtliche Grundlage ist, was eine Empfehlung nach Kap. VI der Charta der Vereinten Nationen angeht, dichter als bisher. Das beweist nur, Kollege Weisskirchen, dass ich mit meiner Mahnung, es sei beim vorherigen Mandat nicht so gewesen, nicht so sehr Unrecht gehabt habe, wie Sie angenommen haben. ({4}) Damit es zu keinen Verwechslungen kommt: Es ist keine Blauhelmmission. Man muss darüber nachdenken, ob es zu den Aufgaben der Vereinten Nationen gehört, das, was die NATO vorher beschlossen hat, politisch nachzuvollziehen. In diesem Punkt hatten wir unsere Bedenken und das bleibt auch so. Abschließend möchte ich Ihnen Folgendes sagen: Wir sollten gemeinsam darüber nachdenken, ob es richtig ist, anderen Ländern das aufzudrängen, was wir für richtig halten. ({5}) Man kann doch nicht übersehen, dass die Probleme, die in Mazedonien eingetreten sind, keine technischen waren. Die mazedonische Regierung wollte weniger Soldaten für einen kürzeren Zeitraum und viele wollten keine NATO-Soldaten in dem Land. Wir dürfen nicht den Eindruck erwecken, als ob diejenigen Entscheidungen in Mazedonien, die einig gefällt werden, von den EU- und von den NATO-Beratern getroffen werden. ({6}) Dass wir jetzt Leitnation sind, hat sicherlich etwas damit zu tun, dass das britische Kontingent andere Aufgaben übernimmt. Ich empfehle allen, ihre Freude darüber, dass wir einmal leiten dürfen, nicht allzu stark zum Ausdruck zu bringen; man sollte stattdessen sehr zurückhaltend sein. Nach seinen Äußerungen, etwa gestern beim NATO-Rat, im Hinblick auf eine andere Entscheidung nach Art. 5 des Nordatlantikvertrages sollte der Verteidigungsminister einmal etwas in sich gehen. Wer groß tönt, der blamiert sich auch. Ich fasse zusammen: Unsere Argumente, die Probleme, die wir sehen, sind nicht ausgeräumt. Wir müssen in Raum und Zeit entscheiden. Es gilt, wiederum ein Signal zu setzen, dass wir weniger Militär wollen. Deswegen werden wir nicht zustimmen. ({7})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Herr Bundesverteidigungsminister, Rudolf Scharping.

Rudolf Scharping (Minister:in)

Politiker ID: 11002769

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst dem Deutschen Bundestag für die sich abzeichnende breite Unterstützung für die Soldaten danken. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich glaube, es müsste ein bisschen lauter gestellt werden. ({0})

Rudolf Scharping (Minister:in)

Politiker ID: 11002769

Für die Technik bin jedenfalls ich nicht zuständig.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das war auch nicht so gemeint.

Rudolf Scharping (Minister:in)

Politiker ID: 11002769

Ich wollte Ihnen sagen, dass ich mich namens der Bundesregierung ausdrücklich für die breite Unterstützung bedanke, die sich im Deutschen Bundestag für die Soldaten und den Einsatz abzeichnet, der jetzt vor ihnen steht. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich muss jetzt, obwohl eben protestiert worden ist, doch noch einmal eingreifen. Auch ich habe den Eindruck, dass etliche Abgeordnete nicht hören können. Das ist eine Anfrage an die Technik. ({0}) - Sie könnten hören, wenn die Technik funktionieren würde. Ich bitte, das einmal zu überprüfen, ({1}) und bitte Sie, vielleicht etwas ruhiger zu sein; dann werden wir das hinkriegen. ({2})

Rudolf Scharping (Minister:in)

Politiker ID: 11002769

Ich bitte, dass das nicht auf meine Redezeit angerechnet wird. ({0}) Ich wollte zunächst für die Bundesregierung ausdrücklich sagen, dass die breite sich abzeichnende Unterstützung für die Soldaten auch in diesem neuen Einsatz außerordentlich wichtig ist. Sie ist deshalb wichtig, weil dieser Einsatz unter Bedingungen mandatiert wird, die wir uns nicht ausgesucht haben und die die Ausnahme bleiben müssen. Sie ist vor allen Dingen aber deshalb wichtig, weil dieser Einsatz auf der einen Seite eine friedensstabilisierende, die friedliche Entwicklung fördernde Komponente hat, dieser Prozess aber auf der anderen Seite natürlich auch mit Risiken behaftet ist. Bevor ich dazu komme, will ich noch einmal unterstreichen, dass „Essential Harvest“ nicht alleine eine Waffensammelaktion war. Es war eine Aktion, die deshalb von Mitgliedstaaten der NATO ausgeführt werden musste, weil die beiden Ethnien in Mazedonien nicht das Vertrauen zueinander hatten, sich gewissermaßen in die Hand des jeweils anderen zu begeben, und deshalb eines neutralen, allerdings auch kräftigen Dritten bedurften. Es ist - Gott sei Dank - keine der Befürchtungen eingetreten, die bei der Mandatierung für „Essential Harvest“ geäußert worden sind; mehr will ich dazu nicht sagen. Aber dieses Vertrauen, das in Mazedonien nicht mehr oder noch nicht vorhanden ist, kann - auch das will ich hier sehr deutlich sagen - auf Dauer nicht von außen gewährleistet werden. Es muss im Lande selbst wachsen. Dazu kann man beitragen. Man kann es aber nicht ersetzen. ({1}) In dieser Situation reden wir vom Schutz unbewaffneter Beobachter der OSZE und der Europäischen Union. Damit ist man unmittelbar bei den Fragen nach den Risiken. Gäbe es sie nicht, dann wäre eine Schutzkomponente überhaupt nicht erklärbar, dann könnte man nicht begründen, warum sie notwendig ist. Deshalb will ich hier in aller Deutlichkeit darauf hinweisen, dass die Sorgen - politisch: man richte ein Protektorat ein; tatsächlich: man plane einen militärischen Einsatz; da schwingt immer mit: einen kriegerischen Einsatz - und die Risiken im Zweifel größer sein werden, als sie bei „Essential Harvest“ waren. Das muss man sehr deutlich, nüchtern und realistisch feststellen. Eine Rolle spielt - das ist hier zutreffend von mehreren gesagt worden - die Stimmung in Mazedonien: der Wahlkampf, das Verhalten der Medien, die Gewaltbereitschaft unter den beiden Ethnien. Vor diesem Hintergrund ist nicht etwa der mazedonischen Regierung aufgedrängt worden, sie möge internationale Unterstützung und Hilfe beanspruchen. Vielmehr ergibt es sich aus dem Willen der mazedonischen Regierung, sich in Europa zu integrieren und - in längerer Perspektive - auch der NATO anzugehören. Wer das will, muss die Standards akzeptieren und folglich die Zusammenarbeit gewährleisten, die zur Verwirklichung dieser Standards unverzichtbar ist. ({2}) Jeder, der sagt, das jetzige Mandat sei aufgedrängt worden, argumentiert falsch und aus einem ideologischen Muster heraus - ich bin das von Herrn Gehrcke gewöhnt -, das uns im Hinblick auf die in der Gegenwart und in der Zukunft anstehenden Aufgaben keine Lösung finden lässt. Richtig ist, dass die für den jetzigen Einsatz vorgesehenen drei Monate kurz erscheinen und dass wir uns vor dem Hintergrund der Ausführungen, die mein Kollege Fischer im Zusammenhang mit einer möglicherweise notwendigen Verlängerung gemacht hat, schon heute mit diesem Gedanken beschäftigen müssen. Genauso richtig ist - auch das hat nichts mit einem Aufdrängen von außen zu tun, sondern mit Kooperation, die notwendig ist, um das gemeinsame Ziel zu erreichen -, dass man die Parteien, die Regierung, das Parlament und den Staatspräsidenten in Mazedonien darauf aufmerksam macht, dass es kein Zufall ist, dass sich eine bestimmte Reihenfolge politischer Schritte ergibt: Reform der Verfassung, Verabschiedung des Vereinbarten mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit, Durchführung einer Geberkonferenz und andere Schritte, die miteinander verzahnt sind. Die mazedonische Seite, die mazedonischen Parteien müssen wissen: Sie haben es in der Hand, ob diese Schrittfolge erfolgreich gegangen wird oder ob sie den Prozess erneut zum Scheitern verurteilen, was hoffentlich nicht geschieht. Zu diesem Prozess wollen viele NATO-Staaten mit dem jetzigen Engagement unter Führung der Bundeswehr, deren Einsatz mit der dankenswert breiten Unterstützung durch den Deutschen Bundestag erfolgt, beitragen. Vielen Dank. ({3})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Christian Schmidt.

Christian Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002003, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Das Mandat, das wir heute zu verabschieden haben, ist ein Mandat, über das die Bundesregierung im NATO-Rat verhandelt hat und für das insofern in erster Linie die Bundesregierung die Verantwortung trägt. Ich weise darauf hin, weil wir als Parlament unsere Aufgabe, die uns die Verfassung zuweist, selbstverständlich wahrnehmen. Wir tun dies gerne. Aber wir müssen festhalten, dass wir einen Antrag der Bundesregierung nur mit Ja oder Nein bescheiden können und dass es deswegen für uns selbst und für alle anderen, die sich damit beschäftigen, wichtig ist, zu erkennen, wo die Verantwortung liegt. Ich sage das nicht, um unsere Verantwortung zu schmälern, sondern um darauf hinzuweisen, dass die eigentlichen Entscheidungen natürlich im Bündnis fallen. Deswegen kommt es umso mehr darauf an, darauf vertrauen zu können, dass die Bundesregierung diese Verantwortung allein an den Maßstäben unserer außenpolitischen Interessen und an den Notwendigkeiten in der betroffenen Region und nicht an innenpolitischen Erwägungen ausrichtet. Ich möchte in diesem Zusammenhang einen Artikel in der „Welt“ über das vorhergehende Mandat, über „Essential Harvest“, zitieren, den sicherlich viele heute gelesen haben. Da wird beschrieben, was in Brüssel missbilligend zur Kenntnis genommen wird: Etwa das Hü und Hott der Bundesregierung, als es um den NATO-Einsatz in Mazedonien ging: Zunächst wollte sich Deutschland an der Mission gar nicht beteiligen, - wir haben den Bundeskanzler noch im Ohr dann forderte die Regierung in Berlin ein robusteres Mandat, - wir haben den Bundeskanzler noch im Ohr und schließlich musste sie die französischen Verbündeten überreden, in ihrem Kontingent Platz zu machen ... - Wir wissen, was der Verteidigungsminister damals gesagt hat. Das bezog sich auf das vorhergehende Mandat. Ich gestehe zu, dass die Entwicklung beim jetzigen Mandat besser verlaufen ist. Die Bundesregierung hat versucht, ein robustes Mandat durchzusetzen, das mit insgesamt - wenn ich das recht verstanden habe - weit über die jetzt angekündigten 1 000 Soldaten hinaus ausgestattet werden soll. Wir nehmen das zur Kenntnis und ermuntern Sie, sich auch in Zukunft nicht an den koalitionspolitischen Erwägungen festzuhalten, die Sie vielleicht daran hindern, die Wahrheit über das zu sagen, was notwendig ist. ({0}) Im Rückblick ist „Essential Harvest“ gut gelaufen. Es war von der „Kollekte“ die Rede. Das erinnert mich daran, dass auch im Klingelbeutel in der Kirche viel Geld zusammenkommt, aber das meiste doch im Portemonnaie bleibt. So wird es sich wohl auch bei der Abgabe der Waffen in Mazedonien in Bezug auf das, was noch bei der UCK bleibt, verhalten. ({1}) Es ist eine gute Sache, wenn die Nachricht stimmt, die uns vor wenigen Minuten aus Sipkovica erreichte: Die UCK hat durch einen Sprecher mitteilen lassen, dass sie sich in Mazedonien heute auflösen will. Ich hoffe, dass sich das bestätigt und dass das ein Zeichen dafür ist, dass weitere Waffen abgegeben werden, dass sie nicht in der jetzigen Situation verschwinden und später zum Schaden des Landes wieder benutzt werden können. Zur Befindlichkeit in Mazedonien sollte noch ein Wort gesagt werden. Kollege Rühe hat zur inneren Situation im Lande gesprochen. Wir alle hier im Hause haben auf verschiedensten Ebenen, in verschiedenen Gesprächen und Verhandlungen versucht, beide Streitparteien zu einer Einigung zu bringen. Es wurde davon geredet, dass Mazedonien kein Protektorat sei. Es gibt sehr vieles, was alle Mazedonier und insbesondere die Slawomazedonier als sehr ungerecht empfinden. Im Sicherheitsratbeschluss von heute ist nicht von Mazedonien die Rede, sondern von FYROM, der früheren Jugoslawischen Republik Mazedonien. Das mag uns als eine Petitesse erscheinen. Aber ich erinnere an Begrifflichkeiten, an Buchstabenkombinationen, die für uns früher eine Botschaft beinhalteten. Es gab zum Beispiel diejenigen, die die Abkürzung BRD gebraucht und das übernommen haben, was vor 30 Jahren auf der anderen Seite des Brandenburger Tores gesprochen worden ist. FYROM ist ein Symbol dafür, dass manche ihren Frieden mit der Unabhängigkeit der Republik Mazedonien noch nicht gemacht haben. Ich appelliere an uns, an die Bundesregierung und an die Völkergemeinschaft, Mazedonien seinen Platz in der Völkergemeinschaft, bei den Vereinten Nationen und auch in den Beziehungen zur Europäischen Union in vollem Umfang zukommen zu lassen. Wir haben auch eine Bringschuld des Respekts diesem Land gegenüber. ({2}) Wir brauchen einen politischen Prozess. Es wurde von regionaler Kooperation gesprochen. Wir hatten vonseiten der CSU Balkankonferenz als Begriff eingebracht. Ich glaube, er umschreibt genau das, was notwendig ist, nämlich zu erkennen, dass die Region insgesamt in eine gemeinsame Zukunft gehen muss. Es gibt verschiedene weitere Entwürfe. Auch unsere Fraktion wird in Kürze eine Vorlage einbringen. Es gibt schon intensive Gespräche. Das ist deshalb notwendig, weil das bisherige Konzept der Bundesregierung, der Stabilitätspakt, nicht ausreicht. Der politische Wille, den politischen und ökonomischen Dialog vor das Militärische zu stellen, ist zwar in den Worten zu hören, aber in den Taten nicht zu erkennen - Die Nachricht hör’ ich wohl, allein mir fehlt der Glaube. ({3}) Am 15. Oktober soll eine Geberkonferenz einberufen werden. Der Außenkommissar der Europäischen Union, Patten, erwartet zusätzliche Mittel für die Gestaltung der regionalen Kooperation. Wir haben jetzt eine Chance, nachdem der „beste Mann“ von der Fahne geht, dies noch einmal neu zu gestalten. Der Blick in den Bundeshaushalt 2002 ergibt aber: Fehlanzeige bei weiteren Mitteln. Wer den Mund spitzt, muss auch pfeifen. ({4}) Herr Bundesminister Fischer, das heißt, dass Sie bis zur Verabschiedung des Haushaltes 2002 im November die Aufgabe haben, diese Mittel auch im Sinne dessen, was Sie selbst gesagt haben, zur Verfügung zu stellen. Sie haben jetzt außerplanmäßig einen Betrag von 76 Millionen DM für diese Operation zusammengekratzt. Die Bundeswehrproblematik bleibt nach wie vor bestehen. Ich hoffe, dass die guten Rechner im Verteidigungsministerium die eine oder andere Mark zur Materialerhaltung, die dringend notwendig ist, im Haushalt untergebracht haben. Ausreichen wird das aber nicht. Ich nenne ein Beispiel, damit klar wird, um was es geht: In Mazedonien sollen Polizeikräfte albanischmazedonischer Herkunft ausgebildet werden. Das ist ein wesentliches Element der Vereinbarungen von Ohrid und der Gesetzesänderungen. Bisher wurde über die Polizeiausbildung der Albaner, die ganz wichtig ist, überhaupt nichts gesagt. Die internationale Gemeinschaft hat auch noch keinerlei Angebot vorgelegt, aus dem hervorgeht, wie sie dies unterstützt. Allein werden es die Mazedonier nicht schaffen. Wir werden aus einer größeren Verantwortung heraus, die wir alle spüren, diesem Mandat zustimmen, weil wir auch hoffen, damit einen Beitrag zu leisten, dass bei den großen Konflikten, die wir gegenwärtig gemeinsam zu bewältigen haben - ich nenne das Stichwort Antiterrorkoalition -, keine Windschatten- und Trittbrettfahrer ihr Glück suchen, wie das weiland ein Herr Milosevic - mit einem gewissen Erfolg - probiert hat. Insofern stimmen wir also zu; es bleibt aber dabei, dass die Bundesregierung ihrer Verpflichtung, die sie sich selbst auferlegt hat, bisher nicht gerecht geworden ist. Dafür sind Änderungen im Bundeshaushalt 2002 nötig. Den Soldaten, die nun in den Einsatz gehen oder in Mazedonien bleiben, wünschen wir alles Gute und viel Glück. Wir werden die Fürsorgepflicht - so, wie wir das tun müssen - für sie ausüben. ({5})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Jetzt hat der Abgeordnete Helmut Lippelt das Wort.

Dr. Helmut Lippelt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001352, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gegen Schluss bleibt mir noch zu sagen, dass meine Fraktion bei wenigen Enthaltungen diesen Antrag mitträgt und begrüßt. ({0}) Wir sprechen und beschließen über die deutsche Beteiligung an einer ganz wichtigen Phase der Pazifizierung, des Übergangs vom Bürgerkrieg in ein friedliches Zusammenleben. Die politischen Parteien im Kosovo haben den wichtigsten Teil geleistet, indem sie das OhridAbkommen miteinander ausgehandelt haben. Die NATO hat den schwierigsten Teil geleistet, indem sie die Waffen entgegengenommen hat, die natürlich nicht dem Bürgerkriegsgegner, sondern nur einer Organisation wie der NATO übergeben werden konnten. Jetzt kommt es zu einer Reihe von Folgeprozessen. Die Implementierung des Verabredeten wird durch Beobachter von OSZE und EU begleitet. Ich erkenne keinen Grund, warum jemand dem nicht zustimmen kann und meint, einen solchen Prozess, der von der UN per Sicherheitsratsresolution empfohlen wird, ablehnen zu müssen. Ich möchte noch eine Bemerkung machen, weil einige Kollegen aus der CDU/CSU auf die politischen Schwierigkeiten hingewiesen haben, vor denen jetzt die Mitparlamentarier in Skopje in Mazedonien stehen. Sie müssen - so, wie es vereinbart wurde - die Verfassung ändern. Bei dieser Verfassungsänderung geht es im Kern darum, die Definition des Staates, der bisher in der Verfassung als Nationalstaat der Mazedonier mit einigen gleichberechtigten Mitbürgern aus anderen Minderheiten definiert war, in „Staat der Bürger der Republik Mazedoniens“ umzuändern. Dazu gehören die Minderheiten automatisch. Dass dieses für einige Abgeordnete ein Problem ist, kann - so glaube ich - jeder nachvollziehen. Wir sollten uns in diesem Parlament deshalb darin einig sein, dass wir unsere Mitparlamentarier in Mazedonien auffordern, über Christian Schmidt ({1}) diese Hürde zu springen; denn es geht um eine moderne Definition des multiethnischen Mazedoniens, das in ein multiethnisches Europa will. Ich habe gerade aus Ihrer Ecke gehört, dass Sie verständlicherweise diese Probleme gut kennen, denn: wenn überhaupt, betrifft das Ihre Korrespondenzpartei. Gerade deshalb sollten wir alles tun, um die mazedonischen Mitparlamentarier zu ermuntern, den Schritt nach vorn zu tun, der sie letztlich nach Europa führt. ({2})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Gert Weisskirchen.

Gert Weisskirchen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002465, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Christian Schmidt hat uns allen hier vorhin eine ganz wichtige Nachricht mitgeteilt. Ich finde, sie sollte noch einmal unterstrichen werden: Die UCK hat heute beschlossen, dass sie sich selbst militärisch auflöst. Was wollen wir nach dieser Information denn eigentlich anderes tun, als den Kollegen dort zu danken, dass sie dem folgen, was die internationale Staatengemeinschaft von ihnen erwartet, nämlich dass sie politisch die Richtung einschlagen, die sie jetzt eingeschlagen haben. Ich finde, das ist ein wunderbares, sehr schönes Zeichen dafür. Es zeigt, dass wir gemeinsam auf dem richtigen Weg sind. ({0}) Das, was uns jetzt gemeinsam bevorsteht, Mazedonien und der internationalen Staatengemeinschaft, ist ein ganz schwieriger Weg, ja wird vielleicht sogar noch ein Hürdenlauf, denn die Kolleginnen und Kollegen müssen auf ihr bisheriges Verständnis nationaler Orientierung, wie es in der Verfassung niedergelegt ist, verzichten. Es ist eine ungeheure Hürde, die sie jetzt nehmen. Ich wünschte mir, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass wir denjenigen, die jetzt in Mazedonien diesen Schritt vollziehen und diese Hürde nehmen, unseren Respekt zollen und sie bitten, diesen Schritt zu tun, denn sie tun ihn in ein gemeinsames Europa. ({1})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich schließe da- mit die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss- empfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung zur Beteiligung bewaffneter deut- scher Streitkräfte an dem NATO-geführten Einsatz in Ma- zedonien zum Schutz von Beobachtern internationaler Organisationen. Der Auswärtige Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/6970 anzunehmen. Es ist namentliche Ab- stimmung verlangt. Ich möchte Ihnen aber vorher bekannt geben, dass nach § 31 unserer Geschäftsordnung einige Abgeordnete eine schriftliche Erklärung abgeben wollen. Es handelt sich um die Abgeordneten Friese und andere, den Abgeordneten Koppelin, die Abgeordneten Simmert, Lemke und Schewe-Gerigk, den Abgeordneten Röspel, den Abgeordneten Meister sowie die Abgeordneten Buntenbach, Ströbele, Hermann, Knoche und Voß. Bei der Stimmabgabe bitte ich alle Kolleginnen und Kollegen noch einmal, sorgfältig darauf zu achten, dass die Stimmkarten ihren Namen tragen. Die Schriftführe- rinnen und Schriftführer haben die vorgesehenen Plätze bereits eingenommen. Sind alle Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der namentli- chen Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.1) Wir setzen die Beratungen fort und kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Einzelplan 16. Außerdem rufe ich die Tagesordnungspunkte 7 a und 7 b auf: a) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur geordneten Beendigung der Kernenergienutzung zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität - Drucksache 14/6890 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({0}) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Peter Paziorek, Kurt-Dieter Grill, Cajus Caesar, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Kernenergieausstieg ohne Konzept für Energiepolitik und Entsorgung - Drucksache 14/6886 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({1}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Haushaltsausschuss Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Bundesminister Jürgen Trittin.

Jürgen Trittin (Minister:in)

Politiker ID: 11003246

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich stehe hier und freue mich, dass man meinen Haushalt überdurchschnittlich gekürzt hat, nämlich um 3,4 Prozent. ({0}) 1) Ergebnis Seite 18569 D Ich freue mich deswegen darüber, weil die wesentliche Ursache für den Ausgabenrückgang im BMU-Haushalt erfreulich ist, nämlich der Baustopp in Gorleben, wo wir mit der verfehlten Entsorgungspolitik sichtbar Schluss gemacht haben. Insofern ist diese Einsparung ein Plus für die Umwelt. ({1}) Insgesamt allerdings sind die Ausgaben der Bundesregierung und des Bundeshaushaltes für Umwelt gestiegen: quer durch den Haushalt auf 4,3 Milliarden Euro. Umweltpolitik ist damit zu einer Querschnittsaufgabe geworden. Wir haben unter Rot-Grün schlicht und ergreifend das geschafft, was Sie nie erreicht haben: Wir haben die Umweltpolitik aus der Aschenputtelrolle, in der sie unter Angela Merkel war, geholt. ({2}) Energiewende, Klimaschutz und Naturschutz sind die großen Projekte. Der Klimaschutz wird das Thema der nächsten Jahrzehnte.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Einen Moment. Ich glaube, die Debattierklübchen sollten sich nach draußen bewegen, damit wir zuhören können. - Danke schön.

Jürgen Trittin (Minister:in)

Politiker ID: 11003246

Danke, Frau Präsidentin. Ich sage mit allem Nachdruck: Man kann Klimaschutz weder predigen noch verkaufen. Vielmehr müssen wir mit den Fortschritten im Klimaschutz, die wir hier machen, andere Länder davon überzeugen, den gleichen Weg zu gehen. Deswegen war es gut, dass das Umweltministerium es geschafft hat, im nationalen Klimaschutzprogramm auch die anderen Ressorts anzuhalten, nunmehr ihre klimapolitischen Hausaufgaben zu machen. Deutschland ist Spitzenreiter im Klimaschutz. Wir allein haben zwei Drittel der CO2-Einsparungen für die gesamte EU geschafft; das sind 180 Millionen Tonnen CO2. Diese Leistung der Bundesrepublik Deutschland hat uns überhaupt in die Rolle gebracht, dass wir in Bonn endlich erreichen konnten, dass das Kioto-Protokoll ratifizierbar wird. Wir als Bundesregierung haben die Absicht, dieses Protokoll noch in diesem Jahr dem Bundestag zuzuführen. Ich hoffe auf eine parteiübergreifende Zustimmung. ({0}) Lassen Sie uns den Konsens im Klimaschutz auch weiterhin nach außen deutlich machen. Ich will mich bei der Gelegenheit bei allen Kolleginnen und Kollegen aller Fraktionen für die bisher für diesen Kurs geleistete Unterstützung ausdrücklich bedanken. Wir haben bei der Energiepolitik wirklich eine Wende erreicht. Innerhalb weniger Jahre, seit diese Koalition regiert, haben wir den Anteil des Windstroms auf 7 000 Megawatt installierter Leistung mehr als verdoppelt. Heute wird ein Drittel des Windstroms der Welt in der relativ kleinen Bundesrepublik Deutschland produziert. Einnahmen aus der Ökosteuer fließen in das Markteinführungsprogramm für Biomasse und Solarenergie. ({1}) Ich sage das, damit Sie sehen: Die Ökosteuer entlastet nicht nur die deutsche Wirtschaft in einer Größenordnung von 2 Milliarden Euro in diesem Jahr. Nein, Aufwendungen aus der Ökosteuer kommen in diesem Haushalt tatsächlich ökologischen Projekten zugute. ({2}) Die Umweltpolitik von heute beschäftigt sich nicht mehr in erster Linie mit Filtern. Die Ära des nachsorgenden, des technischen Umweltschutzes geht ein Stück weit zu Ende. Umweltpolitik muss heute vorsorgend sein; sie muss gesamtgesellschaftlich sein. ({3}) Sie muss Naturräume für kommende Generationen sichern. Sie muss ihren Beitrag zur ökologischen Modernisierung der Wirtschaft leisten. Sie muss dies im Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern tun. Sie muss dies in globaler Verantwortung tun; das heißt, sie kann das auch nur international organisieren. Deswegen ist für uns die Frage der Teilhabe der Menschen eine besondere Herausforderung für die Umweltpolitik. Das ist der Grund, warum wir in diesem Haushalt erneut mehr Geld für Umweltverbände, für diejenigen, die ehrenamtlich im Naturschutz tätig sind, bereitstellen. Ohne diese Ehrenamtlichen gäbe es einen derartigen Naturschutz in Deutschland nicht. ({4}) Deswegen stärken wir auch die Rechtsstellung dieser Verbände. Wir geben ihnen auch in Bayern und Baden-Württemberg die Rechte, die in rot-grünen Ländern heute selbstverständlich sind, dass nämlich die Verbände gegen naturzerstörerische Projekte klagen und sich an Planverfahren beteiligen können. ({5}) Ich sage ausdrücklich: Das ist keine Politik, die an den Grenzen der Bundesrepublik Halt macht. Wir hätten das Verhandlungsergebnis, das wir in Bonn erreicht haben, ohne die enge Kooperation mit WWF und mit Greenpeace und ohne die Kooperation mit bestimmten Wirtschaftsunternehmen, wie etwa der Unternehmensinitiative „E-Mission 55“, an der Gerling, Deutsche Telekom und andere beteiligt waren, nie erreicht. Lassen Sie mich - weil das in dieser Debatte ja verknüpft ist - noch einmal zum Thema der Energiewende zurückkehren. Neben dem erfolgreichen Einstieg in erBundesminister Jürgen Trittin neuerbare Energien, in Energiesparen und in Energieeffizienz ist für uns der Ausstieg aus der Atomenergie das dritte wichtige Feld der Energiewende. Mit dem Terroranschlag von New York hat die Frage der Nutzung der Atomenergie leider beängstigend an Aktualität gewonnen. Nach dem 11. September dieses Jahres wird hoffentlich nie wieder jemand den Absturz eines Flugzeugs auf ein Atomkraftwerk als „Restrisiko“ verniedlichen. ({6}) Auch wird wohl nie wieder jemand dieses Restrisiko als - auch so ein Wort aus der Vergangenheit - „vernachlässigbar“ und hinnehmbar bezeichnen. Der 11. September stellt uns vor die Frage: Wie sollen wir mit Technologien umgehen, die Fakten für Tausende von Generationen schaffen? Das Grundmodell der Demokratie ist doch, dass man für einen begrenzten Zeitraum und einen begrenzten Raum Entscheidungen demokratisch mit Mehrheit trifft, dass aber diese Entscheidungen prinzipiell revidierbar sind. Der Einstieg in die Atomenergie hat genau dieses demokratische Grundprinzip verletzt. Wir können mit dem Ausstieg das Ende der Energieerzeugung aus Atomkraft beschließen. Wir müssen die Kernkraftwerke abbauen. Aber wir werden noch Tausende von Jahren mit Atommüll zu tun haben; wir müssen Endlager bauen, sichern und bewachen. Das bedeutet: Generationen nach uns werden noch mit diesen Sicherheitsrisiken zu leben haben. Deswegen war der Einstieg in die Atomenergie ein Sündenfall, der eine Rückkehr schlicht und ergreifend für immer versperrt. Vor diesem Hintergrund haben wir mit der Atomgesetznovelle das Risiko dieser Technologie neu bewertet. Wir sagen: Der unbefristete Betrieb solcher Anlagen ist nicht länger hinzunehmen. Deswegen verkehren wir mit dem hier vorgelegten Gesetzentwurf den Zweck des Atomgesetzes in sein Gegenteil. Das alte Atomgesetz diente dem unbefristeten Betrieb der entsprechenden Anlagen. Das neue Atomgesetz dient der geordneten Beendigung der Nutzung dieser Anlagen. ({7}) Wir verhindern die Errichtung neuer Kernkraftwerke und verkürzen die unbefristeten Betriebserlaubnisse auf 32 Jahre nach Inbetriebnahme. Das heißt, im Jahre 2010 wird die Hälfte der bestehenden Anlagen vom Netz gegangen sein und im Jahre 2020 hoffen wir, das Problem endgültig gelöst zu haben. Bis zu diesem Zeitpunkt erhöhen wir die Sicherheit der Anlagen durch regelmäßige Sicherheitsüberprüfungen nach dem sich dynamisch entwickelnden Stand von Wissenschaft und Technik. Mit dem Konzept der direkten Endlagerung in tiefen geologischen Formationen und der dezentralen Zwischenlagerung vermeiden wir Atomtransporte so weit wie möglich. Mit diesem Konzept entlasten wir - ich sage das vor dem Hintergrund vieler Aufregungen und Diskussionen in dem Landkreis, aus dem Herr Grill kommt Gorleben und Ahaus um etwa 70 Prozent des Atommülls. Auch das führt zu einer Risikoverminderung. ({8}) Atomstrom - außer Herrn Stoiber, Herrn Koch und Herrn Teufel haben das alle begriffen ({9}) ist ein Auslaufmodell. Die Atomindustrie selbst, die dem Atomkonsens zugestimmt hat, hat begriffen, was Bundespräsident Johannes Rau einmal auf den Punkt brachte: Es gibt auch Arbeitsplätze, die man nicht erhalten kann, weil die, die Kapital investiert haben, damit lediglich Altlasten produziert haben. Ich will es aber nicht bei dieser pessimistischen Bemerkung belassen. Die Energiewende mit Ausstieg und Einstieg, so wie wir sie auf den Weg gebracht haben, schafft neue Arbeitsplätze. Im Bereich der erneuerbaren Energien sind heute schon mehr als 70 000 Menschen - mehr als in der Atomindustrie - beschäftigt. Allein 30 000 Menschen arbeiten in der Windbranche. Klimaschutz und Energiewende werden - wenn wir unseren Weg weitergehen - bis zum Jahre 2020 200 000 zusätzliche Jobs entstehen lassen. Daraus folgt: Die ökologische Modernisierung der Bundesrepublik Deutschland ist nicht nur ein Plus für die Umwelt, sondern auch ein gewaltiges Plus für die Beschäftigung in diesem Lande. ({10})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich komme zu Zusatzpunkt 7 zurück und gebe Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt: Abgegebene Stimmen: 578. Mit Ja haben gestimmt: 528. Mit Nein haben gestimmt: 40. Es gab 10 Enthaltungen. Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 578; davon ja: 528 nein: 40 enthalten: 10 Ja SPD Brigitte Adler Gerd Andres Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Hermann Bachmaier Ernst Bahr Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Eckhardt Barthel ({0}) Klaus Barthel ({1}) Ingrid Becker-Inglau Dr. Axel Berg Hans-Werner Bertl Friedhelm Julius Beucher Petra Bierwirth Lothar Binding ({2}) Kurt Bodewig Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Klaus Brandner Anni Brandt-Elsweier Willi Brase Rainer Brinkmann ({3}) Bernhard Brinkmann ({4}) Hans-Günter Bruckmann Ursula Burchardt Dr. Michael Bürsch Hans Martin Bury Hans Büttner ({5}) Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Dr. Peter Danckert Christel Deichmann Karl Diller Peter Dreßen Detlef Dzembritzki Dieter Dzewas Dr. Peter Eckardt Sebastian Edathy Ludwig Eich Marga Elser Gernot Erler Petra Ernstberger Lothar Fischer ({6}) Gabriele Fograscher Iris Follak Norbert Formanski Rainer Fornahl Hans Forster Dagmar Freitag Peter Friedrich ({7}) Lilo Friedrich ({8}) Harald Friese Anke Fuchs ({9}) Arne Fuhrmann Monika Ganseforth Konrad Gilges Iris Gleicke Günter Gloser Uwe Göllner Renate Gradistanac Günter Graf ({10}) Angelika Graf ({11}) Dieter Grasedieck Monika Griefahn Kerstin Griese Achim Großmann Wolfgang Grotthaus Karl-Hermann Haack ({12}) Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann Manfred Hampel Alfred Hartenbach Anke Hartnagel Klaus Hasenfratz Nina Hauer Reinhold Hemker Frank Hempel Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Monika Heubaum Reinhold Hiller ({13}) Stephan Hilsberg Gerd Höfer Walter Hoffmann ({14}) Iris Hoffmann ({15}) Frank Hofmann ({16}) Ingrid Holzhüter Eike Hovermann Christel Humme Lothar Ibrügger Barbara Imhof Brunhilde Irber Gabriele Iwersen Jann-Peter Janssen Ilse Janz Dr. Uwe Jens Volker Jung ({17}) Johannes Kahrs Ulrich Kasparick Sabine Kaspereit Susanne Kastner Ulrich Kelber Hans-Peter Kemper Klaus Kirschner Marianne Klappert Siegrun Klemmer Hans-Ulrich Klose Walter Kolbow Fritz Rudolf Körper Karin Kortmann Anette Kramme Nicolette Kressl Volker Kröning Angelika Krüger-Leißner Ernst Küchler Helga Kühn-Mengel Ute Kumpf Konrad Kunick Dr. Uwe Küster Christine Lambrecht Brigitte Lange Christian Lange ({18}) Detlev von Larcher Christine Lehder Robert Leidinger Dr. Elke Leonhard Eckhart Lewering Götz-Peter Lohmann ({19}) Erika Lotz Dieter Maaß ({20}) Winfried Mante Dirk Manzewski Tobias Marhold Lothar Mark Ulrike Mascher Heide Mattischeck Markus Meckel Ulrike Mehl Ulrike Merten Angelika Mertens Dr. Jürgen Meyer ({21}) Ursula Mogg Christoph Moosbauer Siegmar Mosdorf Michael Müller ({22}) Jutta Müller ({23}) Christian Müller ({24}) Franz Müntefering Andrea Nahles Volker Neumann ({25}) Dr. Edith Niehuis Dr. Rolf Niese Dietmar Nietan Günter Oesinghaus Leyla Onur Manfred Opel Holger Ortel Adolf Ostertag Kurt Palis Albrecht Papenroth Dr. Martin Pfaff Georg Pfannenstein Dr. Eckhart Pick Joachim Poß Dr. Carola Reimann Renate Rennebach Bernd Reuter Dr. Edelbert Richter Christel RiemannHanewinckel Reinhold Robbe Michael Roth ({26}) Birgit Roth ({27}) Gerhard Rübenkönig Marlene Rupprecht Thomas Sauer Dr. Hansjörg Schäfer Gudrun Schaich-Walch Bernd Scheelen Dr. Hermann Scheer Siegfried Scheffler Horst Schild Horst Schmidbauer ({28}) Ulla Schmidt ({29}) Silvia Schmidt ({30}) Dagmar Schmidt ({31}) Wilhelm Schmidt ({32}) Dr. Frank Schmidt ({33}) Regina Schmidt-Zadel Heinz Schmitt ({34}) Carsten Schneider Dr. Emil Schnell Walter Schöler Olaf Scholz Karsten Schönfeld Fritz Schösser Ottmar Schreiner Gisela Schröter Dr. Mathias Schubert Richard Schuhmann ({35}) Brigitte Schulte ({36}) Reinhard Schultz ({37}) Volkmar Schultz ({38}) Ewald Schurer Dietmar Schütz ({39}) Dr. Angelica Schwall-Düren Rolf Schwanitz Bodo Seidenthal Erika Simm Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Dr. Cornelie SonntagWolgast Wieland Sorge Wolfgang Spanier Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Antje-Marie Steen Ludwig Stiegler Rolf Stöckel Rita Streb-Hesse Reinhold Strobl ({40}) Dr. Peter Struck Joachim Stünker Joachim Tappe Jella Teuchner Dr. Gerald Thalheim Franz Thönnes Uta Titze-Stecher Adelheid Tröscher Hans-Eberhard Urbaniak Rüdiger Veit Simone Violka Ute Vogt ({41}) Hans Georg Wagner Hedi Wegener Dr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann Reinhard Weis ({42}) Matthias Weisheit Gunter Weißgerber ({43}) Jochen Welt Dr. Rainer Wend Hildegard Wester Lydia Westrich Inge Wettig-Danielmeier Dr. Margrit Wetzel Dr. Norbert Wieczorek Jürgen Wieczorek ({44}) Heidemarie Wieczorek-Zeul Dieter Wiefelspütz Heino Wiese ({45}) Brigitte Wimmer ({46}) Engelbert Wistuba Barbara Wittig Verena Wohlleben Hanna Wolf ({47}) Waltraud Wolff ({48}) Heidemarie Wright Dr. Christoph Zöpel Peter Zumkley CDU/CSU Ilse Aigner Peter Altmaier Dietrich Austermann Norbert Barthle Günter Baumann Brigitte Baumeister Meinrad Belle Dr. Sabine Bergmann-Pohl Otto Bernhardt Hans-Dirk Bierling Peter Bleser Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Dr. Norbert Blüm Dr. Maria Böhmer Sylvia Bonitz Wolfgang Bosbach Klaus Brähmig Dr. Ralf Brauksiepe Paul Breuer Monika Brudlewsky Georg Brunnhuber Hartmut Büttner ({49}) Cajus Caesar Peter H. Carstensen ({50}) Wolfgang Dehnel Hubert Deittert Albert Deß Renate Diemers Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Maria Eichhorn Anke Eymer ({51}) Ilse Falk Dr. Hans Georg Faust Albrecht Feibel Ulf Fink Ingrid Fischbach Dirk Fischer ({52}) Axel E. Fischer ({53}) Dr. Hans-Peter Friedrich ({54}) Erich G. Fritz Jochen-Konrad Fromme Hans-Joachim Fuchtel Dr. Jürgen Gehb Norbert Geis Dr. Heiner Geißler Georg Girisch Michael Glos Dr. Reinhard Göhner Dr. Wolfgang Götzer Manfred Grund Horst Günther ({55}) Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein Gottfried Haschke ({56}) Gerda Hasselfeldt Norbert Hauser ({57}) Hansgeorg Hauser ({58}) Klaus-Jürgen Hedrich Helmut Heiderich Ursula Heinen Manfred Heise Siegfried Helias Hans Jochen Henke Peter Hintze Klaus Hofbauer Martin Hohmann Klaus Holetschek Joachim Hörster Hubert Hüppe Georg Janovsky Dr.-Ing. Rainer Jork Dr. Harald Kahl Bartholomäus Kalb Dr.-Ing. Dietmar Kansy Volker Kauder Eckart von Klaeden Ulrich Klinkert Dr. Helmut Kohl Hartmut Koschyk Rudolf Kraus Dr. Martina Krogmann Dr. Hermann Kues Werner Kuhn Karl Lamers Dr. Karl A. Lamers ({59}) Dr. Norbert Lammert Helmut Lamp Dr. Paul Laufs Vera Lengsfeld Werner Lensing Peter Letzgus Ursula Lietz Walter Link ({60}) Dr. Klaus W. Lippold ({61}) Dr. Manfred Lischewski Wolfgang Lohmann ({62}) Dr. Michael Luther Erwin Marschewski ({63}) Dr. Martin Mayer ({64}) Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Friedrich Merz Hans Michelbach Dr. Gerd Müller Bernward Müller ({65}) Elmar Müller ({66}) Bernd Neumann ({67}) Günter Nooke Franz Obermeier Friedhelm Ost Dr. Peter Paziorek Anton Pfeifer Dr. Friedbert Pflüger Beatrix Philipp Ronald Pofalla Ruprecht Polenz Marlies Pretzlaff Hans Raidel Dr. Peter Ramsauer Helmut Rauber Peter Rauen Christa Reichard ({68}) Katherina Reiche Erika Reinhardt Hans-Peter Repnik Klaus Riegert Franz Romer Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Klaus Rose Kurt J. Rossmanith Dr. Norbert Röttgen Volker Rühe Anita Schäfer Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Gerhard Scheu Norbert Schindler Bernd Schmidbauer Christian Schmidt ({69}) Andreas Schmidt ({70}) Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Rupert Scholz Reinhard Freiherr von Schorlemer Gerhard Schulz Diethard Schütze ({71}) Clemens Schwalbe Wilhelm Josef Sebastian Heinz Seiffert Bernd Siebert Werner Siemann Johannes Singhammer Margarete Späte Carl-Dieter Spranger Andreas Storm Dorothea Störr-Ritter Max Straubinger Matthäus Strebl Thomas Strobl ({72}) Dr. Rita Süssmuth Edeltraut Töpfer Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Angelika Volquartz Andrea Voßhoff Dr. Theodor Waigel Peter Weiß ({73}) Gerald Weiß ({74}) Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese ({75}) Hans-Otto Wilhelm ({76}) Klaus-Peter Willsch Bernd Wilz Matthias Wissmann Elke Wülfing Peter Kurt Würzbach Wolfgang Zöller BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Marieluise Beck ({77}) Volker Beck ({78}) Angelika Beer Matthias Berninger Grietje Bettin Ekin Deligöz Franziska Eichstädt-Bohlig Dr. Uschi Eid Andrea Fischer ({79}) Joseph Fischer ({80}) Katrin Göring-Eckardt Rita Grießhaber Gerald Häfner Antje Hermenau Kristin Heyne Ulrike Höfken Dr. Angelika Köster-Loßack Steffi Lemke Dr. Reinhard Loske Oswald Metzger Kerstin Müller ({81}) Winfried Nachtwei Christa Nickels Cem Özdemir Simone Probst Christine Scheel Irmingard Schewe-Gerigk Rezzo Schlauch Albert Schmidt ({82}) Werner Schulz ({83}) Christian Simmert Christian Sterzing Dr. Antje Vollmer Dr. Ludger Volmer Helmut Wilhelm ({84}) FDP Ina Albowitz Hildebrecht Braun ({85}) Jörg van Essen Gisela Frick Paul K. Friedhoff Rainer Funke Joachim Günther ({86}) Dr. Karlheinz Guttmacher Klaus Haupt Dr. Helmut Haussmann Ulrich Heinrich Walter Hirche Ulrich Irmer Dr. Heinrich L. Kolb Gudrun Kopp Jürgen Koppelin Ina Lenke Günther Friedrich Nolting Detlef Parr Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Gerhard Schüßler Marita Sehn Dr. Max Stadler Carl-Ludwig Thiele Dr. Dieter Thomae Dr. Guido Westerwelle Nein CDU/CSU Dr. Wolf Bauer Wolfgang Börnsen ({87}) Wir fahren nun in der Debatte fort. Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Jochen Borchert.

Jochen Borchert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000233, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich finde es schon erstaunlich, dass der Bundesminister hier erklärt, er freue sich über die Kürzung seines Etats. Die Entwicklung des Einzelplans 16 in diesem Jahr wie auch in den zurückliegenden Jahren spiegelt wider, wie gering die Bedeutung der Umweltpolitik und des Bundesumweltministers in dieser Koalition ist: ({0}) Während der Gesamthaushalt, so wie er heute im Entwurf vorliegt, um 1,6 Prozent steigt, sinkt der Haushalt des Umweltministers um 6,9 Prozent. ({1}) Im Vergleich zum Jahr 2001 stehen im Einzelplan 16 damit 40,5 Millionen Euro weniger zur Verfügung. Ich will hier nicht darüber debattieren, zu welchen Veränderungen die Beratungen über den Bundeshaushalt in den Ausschüssen bis zur zweiten Lesung noch führen. Sicher ist nur, dass einerseits die wirtschaftlichen Annahmen, die dem Haushalt zugrunde liegen, nichts mehr mit der wirtschaftlichen Realität zu tun haben und dass andererseits die notwendigen Ausgaben für die innere und die äußere Sicherheit ganz sicher zu weiteren Veränderungen führen werden. Davon wird möglicherweise auch der Einzelplan 16 betroffen sein. Die ganze Dramatik der Haushaltsentwicklung des Bundesumweltministeriums wird deutlich, wenn man die Entwicklungen des Bundeshaushaltes und des Einzelplans 16 von 1998 bis zu dem Entwurf für das Jahr 2002 vergleicht: Der Umfang des Gesamthaushalts ist in dieser Zeit um knapp 30 Milliarden DM bzw. um über 6 Prozent gestiegen, während der des Einzelplans 16 um über 150 Millionen DM - das sind über 12 Prozent - gesunken ist. ({2}) - Das sind Fakten. Wenn Sie zu anderen Rechnungen kommen, dann sollten Sie das kleine Einmaleins noch einmal lernen. Der Bedeutungsverlust des Bundesumweltministeriums zeigt sich aber auch daran, dass ein immer größerer Teil der Ausgaben für den Umweltschutz in anderen Einzelplänen und nicht im Umweltministerium etatisiert ist. ({3}) Im Bundeshaushalt 2002 sind für Umweltschutzaufgaben insgesamt rund 4,3 Milliarden Euro vorgesehen, davon nur 542 Millionen Euro bzw. 12,6 Prozent im Bundesumweltministerium. Die umweltschutzrelevanten Ausgaben sind in anderen Ressorts zum Teil deutlich höher als im Umweltministerium. ({4}) Von den schon niedrigen Ansätzen des Haushaltes des Bundesumweltministers wird gleichzeitig ein immer größerer Teil für die Verwaltung benötigt. Damit stellt sich doch die Frage, ob es nicht sinnvoller wäre, die Umweltschutzausgaben stärker in den Ressorts zu bündeln, die schon heute den Hauptanteil der Umweltausgaben etatisiert haben. ({5}) Dabei wäre es dann auch möglich, im Bereich der Verwaltung Synergieeffekte zu nutzen, Verwaltungsausgaben zu sparen, um mehr Mittel für den Umweltschutz einsetzen zu können. Es kann meiner Meinung nach nicht sinnvoll sein, dass Jahr für Jahr ein immer größerer Anteil des Einzelplans 16 für die Verwaltung ausgegeben wird. Für das Jahr 2002 werden rund 52 Prozent für die Verwaltung und nur noch 48 Prozent für Umweltschutzmaßnahmen eingesetzt; das heißt, von jedem Euro, der hier für das nächste Jahr angesetzt ist, fließen 52 Cent in die Verwaltung und nur noch 48 Cent in Umweltausgaben. Betroffen von dieser Entwicklung sind alle Bereiche des Umweltschutzes. Gekürzt wird bei den Naturschutzprojekten. Für den Vertragsnaturschutz, eines der entscheidenden Instrumente bei der Durchsetzung umweltpolitischer Maßnahmen, stehen keine Mittel mehr zur Verfügung. Herr Bundesminister, Sie haben gerade noch einmal darauf hingewiesen, welche Risiken Sie - vor allen Dingen nach dem 11. September - in Kernkraftwerken sehen. Wäre Ihnen die Sicherheit von Kernkraftwerken Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Manfred Carstens ({6}) Leo Dautzenberg Willy Wimmer ({7}) PDS Monika Balt Dr. Dietmar Bartsch Maritta Böttcher Roland Claus Heidemarie Ehlert Dr. Heinrich Fink Dr. Ruth Fuchs Dr. Gregor Gysi Uwe Hiksch Dr. Barbara Höll Carsten Hübner Ulla Jelpke Sabine Jünger Gerhard Jüttemann Dr. Evelyn Kenzler Dr. Heidi Knake-Werner Heidi Lippmann Ursula Lötzer Dr. Christa Luft Heidemarie Lüth Pia Maier Angela Marquardt Kersten Naumann Rosel Neuhäuser Petra Pau Dr. Uwe-Jens Rössel Christina Schenk Gustav-Adolf Schur Dr. Winfried Wolf Enthalten SPD Gudrun Roos René Röspel CDU/CSU Susanne Jaffke Norbert Otto ({8}) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Annelie Buntenbach Monika Knoche Hans-Christian Ströbele Sylvia Voß PDS Manfred Müller ({9}) wirklich so wichtig, dann hätten Sie doch wohl kaum so gravierende Kürzungen bei den Ausgaben für Reaktorsicherheit und Strahlenschutz vorgenommen. ({10}) Im Haushalt 2002 sinken die Ausgaben für Reaktorsicherheit und Strahlenschutz um zusammen rund eine Milliarde Euro. Wie wenig durchdacht Ihr Konzept für erneuerbare Energien ist, wird bei der Erzeugung von Strom aus Biomasse besonders deutlich. Hier haben Sie im vergangenen Jahr mit neuen Programmen wesentliche Anstöße zu geben versucht, um einen stärkeren Einstieg in diesen Bereich zu erreichen. Die bevorstehende Änderung der Richtlinie und die Kürzung der dringend notwendigen Zuschüsse stellen aber einen gravierenden Rückschritt für den Klimaschutz dar. ({11}) Viele Landwirte investierten in der Vergangenheit in den neuen Energiemarkt und erzeugen umweltfreundliche Energien. Insbesondere Landwirte, die in die Nutzung der regenerativen Energien investieren möchten und dazu von dieser Bundesregierung ermuntert wurden, sind von den Änderungen hart betroffen. Statt Ausbau bedeutet dieser Etat Abbau. Viele der gerade in jüngster Zeit geschaffenen Arbeitsplätze etwa im Biogasbereich sind durch die neuen Richtlinien direkt bedroht. ({12}) Ein weiterer Systemfehler ist die Belastung von Strom aus erneuerbaren Energiequellen durch die so genannte Ökosteuer. In diesem Jahr besteuern Sie Strom aus erneuerbaren Energien mit rund 480 Millionen DM; im Jahre 2003 werden es rund 750 Millionen DM sein. Sie wollen Strom aus erneuerbaren Energien und belegen ihn gleichzeitig mit einer Strafsteuer. ({13}) Zwar werden Sie im kommenden Jahr zum dritten Mal die Ökostrafsteuer erhöhen, aber Sie kürzen im Etat des Wirtschaftsministers die Mittel für Programme für Forschung und Entwicklung erneuerbarer Energien sowie die Haushaltsansätze für die Markteinführung. ({14}) - Wenn Sie hier auf die Querschnittsaufgabe Umweltschutz hinweisen - der Minister selbst hat darauf hingewiesen -, dann muss man auch deutlich machen dürfen, was in anderen Einzelplänen geschieht. ({15}) Sie können die Kritik doch nicht damit vom Tisch kriegen, indem Sie sagen, über den Wirtschaftsetat hätten wir heute Morgen beraten und es sei Aufgabe der Regierung und der Koalition, auf die Querschnittsaufgabe Umweltschutz hinzuweisen, während die Opposition dazu zu schweigen habe. Wir werden schon darauf hinweisen, wie gravierend die Mittel für Umweltmaßnahmen in anderen Etats gekürzt worden sind. Meine Damen und Herren, führt man sich diesen Einzeletat einmal vor Augen, dann erkennt man, dass die Umweltschutzpolitik der rot-grünen Koalition in den vergangenen Jahren gescheitert ist und dass diese erfolglose Politik fortgesetzt wird. Statt Fortschritte und Innovationen in der Umweltpolitik gibt es mit diesem Etat nur Rückschritt. Wir werden bei den Beratungen versuchen, Verbesserungen durchzusetzen. Aber dieser Etat zeigt, Herr Bundesminister, dass Sie mit Ihrer Umweltpolitik gescheitert sind. Vielen Dank. ({16})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Das Wort hat die Kollegin Waltraud Lehn für die SPD-Fraktion.

Waltraud Lehn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002719, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Borchert, Ihre Rede war stellvertretend für die Unfähigkeit der CDU/CSU zu einer nach vorne gerichteten Politik. ({0}) Wo Visionen gefragt sind, setzen Sie antiquierte Buchhaltung dagegen. ({1}) Wo Kreativität und Vernetzung erforderlich sind, verharren Sie in kleinkariertem Ressortdenken. ({2}) So etwas war vielleicht früher einmal in; heute ist es out. Statt zu verbinden, grenzen Sie aus und ab. So lässt sich Zukunft nicht gestalten. Solange Sie als Person und Sie als CDU/CSU so starr und unbeweglich sind, solange Sie sich weigern, über den Tellerrand hinauszusehen, haben Sie es nicht nur nicht verdient, Wahlen zu gewinnen, sondern Sie werden sie auch nicht gewinnen. ({3}) Die Bundesregierung setzt auch im Umweltbereich ihre erfolgreiche Politik der Nachrangigkeit fort. ({4}) Für den Umweltschutz stehen im Bundeshaushalt für das kommende Jahr - der Minister führte es bereits aus 4,3 Milliarden Euro zur Verfügung. ({5}) - Sehen Sie, das ist symptomatisch. Sie fragen, ob diese Mittel brutto oder netto zur Verfügung stehen. Seien Sie doch lieber ruhig, wenn Sie keine anderen, keine gescheiten Fragen haben. ({6}) Allein im Haushalt des Wirtschaftsministeriums sind 693 Millionen Euro veranschlagt. Das sehr erfolgreiche Marktanreizprogramm zur Förderung erneuerbarer Energien wird weitergeführt; es ist ein großer Erfolg. Die Koalitionsfraktionen beabsichtigen außerdem, die Mittel für dieses Förderprogramm im nächsten Jahr noch deutlich aufzustocken. ({7}) Auch das erfolgreiche „100 000-Dächer-Solarstrom-Programm“ ({8}) - das finde ich nicht zum Lachen - ist symptomatisch für den Erfolg dieser Bundesregierung. Im Haushalt des Finanzministers - das würde man dort gar nicht vermuten - sind allein 516 Millionen Euro für die Altlastsanierung im Braunkohlebergbau Ostdeutschlands veranschlagt; auch dies ist ein wichtiger Beitrag. ({9}) Das Bundesministerium für Bildung und Forschung stellt 581 Millionen Euro für die Grundlagenforschung zum Umweltschutz zur Verfügung. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung unterstützt Länder der Dritten Welt mit über 720 Millionen Euro bei Umweltschutzprojekten und bei Projekten zu einer nachhaltigen Entwicklung. ({10}) - Reden Sie doch nicht so einen Unsinn. ({11}) - Ich bitte Sie.Unwahrheiten kann man nicht durch Zwischenrufe heilen. Diese Zahlen unterstreichen die Bedeutung, die dem Umweltschutz als Querschnittsaufgabe im Haushalt 2002 beigemessen wird. Trotz aller positiven Akzentsetzungen und der Verstärkung der Mittel sowohl für den Umwelt- als auch für den Naturschutz sinkt das Volumen des Haushalt auf 542,6 Millionen Euro. Damit leistet richtigerweise auch das Umweltministerium einen Beitrag zur Konsolidierung des Haushalts, zum Abbau des gigantischen Schuldenberges, den Sie uns vor die Tür gekippt haben. Die Reduzierung im Haushalt des Umweltministeriums für das Jahr 2002 betrifft, wie bereits gesagt, zum größten Teil die Endlagerung. Darüber kann man sich in der Tat freuen. Für die Projekte Schacht Konrad und Gorleben werden jetzt nur noch die Mittel für den Offenhaltungsbetrieb bereitgestellt. Nach dem erfolgreichen Abschluss der Konsensgespräche zum Atomausstieg und der Vorlage des Gesetzes zur geordneten Beendigung der Kernenergienutzung zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität, über das wir heute in erster Lesung beraten, unterstreicht dies den Willen der Bundesregierung, aus einer wirklich überholten Energiepolitik auszusteigen. Trotz der unbestrittenen Notwendigkeit, den Sparkurs von Bundesfinanzminister Eichel auch vonseiten dieses Ressorts weiter aktiv zu unterstützen, ist es mit dem vorliegenden Haushalt gelungen, durch Umschichtung zusätzliche Mittel für umweltpolitisch wichtige Bereiche bereitzustellen. So werden zum Beispiel die Projektfördermittel für die Umwelt- und Naturschutzverbände erneut erhöht. Im Vergleich zum Haushalt 1998 - das ist an Ihre Adresse gerichtet - ist das eine Steigerung um mehr als 60 Prozent. ({12}) Die Verbände haben damit Möglichkeiten zur Projektfinanzierung, wie sie sie noch nie zuvor hatten. Das unterstreicht auch eindrucksvoll ihren gestiegenen Stellenwert bei der ökologischen Erneuerung in vielen Lebensbereichen. Ein weiteres Beispiel sind die 256 000 Euro für Projekte der Deutschen Energie-Agentur. Diese Mittel werden im Haushalt des Umweltministeriums zusätzlich zu den Mitteln zur Verfügung gestellt, die das Wirtschaftsministerium als Hauptfinanzier bereitstellt. Damit werden Beratungs- und Informationsaktivitäten zur Nutzung erneuerbarer Energien unterstützt, die die Deutsche Energie-Agentur durchführt. Sie werden zur Information und Aufklärung der Bevölkerung in Fragen des Klimaschutzes eingesetzt und sind unverzichtbar. Ich sage Ihnen bereits jetzt: Es zeichnet sich ab, dass die Koalitionsfraktionen diese Mittel im Laufe der Etatberatungen weiter aufstocken werden. ({13}) Auf die Bedeutung des Umweltschutzes als wichtige Querschnittsaufgabe habe ich bereits hingewiesen. Dem Umweltministerium kommt in diesem Zusammenhang die Aufgabe zu, die Leitlinien der Umweltpolitik weiterzuentwickeln und durch gute Gesetze die Rahmenbedingungen festzulegen. Wenn man das als Aufblähung der Verwaltung bezeichnet, Herr Borchert, dann hat man überhaupt nicht wahrgenommen, welche inhaltliche Veränderung hier in den letzten zwei Jahren vollzogen wurde. ({14}) Das Ministerium braucht dafür qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ({15}) sowie Projektmittel, um Ressortforschungen zu finanzieren, um Entwicklungen anzustoßen, um Rahmen herzustellen, in denen sich Umweltschutz und Umweltpolitik in diesem Land gut entwickeln können. ({16}) Darüber hinaus gilt natürlich unverändert das Verursacherprinzip, denn es kann nicht sein, dass die Kosten für den Umweltschutz vom Steuerzahler und nicht von den Verursachern der Umweltbelastungen getragen werden. An diesem Prinzip werden wir ebenfalls festhalten. Es ist ein Irrglaube anzunehmen, dass der Staat als Akteur in der Lage sei, die Umweltproblematik allein in den Griff zu bekommen. ({17}) Der Staat wäre nicht nur überfordert, nein, es wäre auch falsch, wenn zum Beispiel die Unternehmen aus ihrer Verantwortung entlassen würden. ({18}) Stattdessen muss die Politik den Rahmen vorgeben - und sie tut dies auch -, innerhalb dessen die Unternehmen genauso wie Privatpersonen als autonome Akteure ihre Ziele verfolgen können. Lange Zeit waren die Ansätze der Umweltpolitik vorrangig reaktiv auf die Abwehr akuter Gefahren und Beeinträchtigungen ausgerichtet. Wir wissen heute, dass ein präventiver Umweltschutz die Schlüsselaufgabe einer modernen Umweltpolitik ist, die die Verursacher vorrangig einbezieht, aber auch um die Zustimmung der Gesellschaft insgesamt werben muss. Dies ist ebenso effektiv wie - wenn man das Geld betrachtet - sparsam, also sehr wirtschaftlich. Neben einem präventiven Umweltschutz gehört zu einer guten Umweltpolitik auch eine umfassende Nachhaltigkeitsstrategie. Ich habe bereits darauf hingewiesen, dass sich die Nachhaltigkeitspolitik der Bundesregierung wie ein roter Faden durch den gesamten Haushaltsentwurf 2002 zieht. In wichtigen Bereichen wie dem Ausstieg aus der Atomenergie, wie der neuen Energiepolitik, wie dem Klimaschutz, wie der Konsolidierung der Staatsfinanzen haben wir die Weichen bereits gestellt. Aber dabei belassen wir es nicht. Vor allem bei der Energieversorgung müssen wir den bereits eingeschlagenen Weg konsequent weitergehen. ({19}) Es muss auch unser Ziel sein, die Abhängigkeit vom Öl zu beenden, denn die Zeit des billigen und einfach zu fördernden Erdöls wird in absehbarer Zeit zu Ende gehen, und sie ist - wie uns gerade im Moment immer wieder deutlich vor Augen steht - mit erheblichen Risiken verbunden. Der Weg der Bundesregierung, eine nachhaltige Energiepolitik zu betreiben, ist oft kritisiert worden. Aber die schrecklichen Ereignisse vom 11. September in den USA lassen diese Politik jetzt auch bei vielen Kritikern in einem anderen Licht erscheinen. Auch ohne ein Schreckenszenario an die Wand zu malen: Über das Gefahrenpotenzial von Atomanlagen ist neu nachzudenken, von der Politik wie von den Betreibern. ({20}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben eine Energiepolitik entwickelt, die auf drei Säulen ruht: der konsequenten Energieeinsparung, der Steigerung der Energieeffizienz und der Entwicklung alternativer Energien. Damit werden die natürlichen Ressourcen geschont, Klimaschäden zumindest gemindert und die Sicherheit erhöht. Die Zahlen des Haushalts spiegeln, wie ich finde, die Wende, die wir vorgenommen haben, eindrucksvoll wider. Auf diesem Weg werden wir im Sinne einer nachhaltigen Umweltpolitik weitergehen. Der Haushalt 2002 ist dazu ein gelungener Beitrag. Vielen Dank. ({21})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Das Wort hat die Kollegin Birgit Homburger für die FDP-Fraktion.

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Terroranschläge vom 11. September fordern auch in dieser Debatte ihren Tribut. Die Ängste und Befürchtungen der Bevölkerung beim Blick auf deutsche Kernkraftwerke sind verständlich. Sorgenvolle Fragen sind berechtigt. Es wäre nichts fahrlässiger, als bestehende Risiken zu leugnen. Die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes haben aber nicht nur ein Recht darauf, dass ihre Ängste im Deutschen Bundestag Gehör und Antwort finden. Sie haben auch ein Recht darauf, dass politische Entscheidungen von so großer Tragweite, wie etwa zur Nutzung der Kernenergie in Deutschland, im Parlament und nicht in Kaffeekränzchen am runden Tisch getroffen werden. ({0}) Die Bürger haben des Weiteren einen Anspruch darauf, dass diese Entscheidungen von Vernunft und Sachlichkeit geleitet werden. ({1}) Angst ist ein schlechter Ratgeber. Ohne eine klare alternative Konzeption zur Versorgung des Landes mit Energie gibt es zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Möglichkeit, in Deutschland auf die Kernenergie als Übergangsenergie zu verzichten. ({2}) Im Übrigen möchte ich all denjenigen, die versuchen, das Thema nach diesen Ereignissen wieder hochzuziehen, sagen, dass ein Ausstieg aus der Kernenergie das Problem nicht lösen würde. Was sollen wir denn in Deutschland mit den chemischen und industriellen Produktionsanlagen machen? Sollen wir die aus Angst vor Terroristen stilllegen? Sollen wir darauf verzichten, Messezentren und Bürohochhäuser zu errichten? Wir dürfen uns keinesfalls einschüchtern oder dazu hinreißen lassen, unbesonnen zu sein oder in Aktionismus zu verfallen. Das wäre ein Triumpf des Terrors über Freiheit und Vernunft. ({3}) Deshalb ist klar: Wir müssen uns über die Sicherheit von Kernkraftwerken unterhalten. Bestehende Kernkraftwerke müssen so gut wie möglich gegen mögliche Gefahren gewappnet sein. Deshalb wird die FDP die Bundesregierung bei allen Anstrengungen unterstützen, die die Sicherheit deutscher Kernkraftwerke weiter verbessern. Es geht aber nicht allein um passive Sicherheit. Es gilt auch das international vorbildliche Niveau Deutschlands bei der Kernkraftsicherheitstechnik beim Betrieb von Atomanlagen zu erhalten und weiterzuentwickeln. Genau an dieser Stelle, Herr Minister, zeigt sich die gedankenlose Kurzsichtigkeit Ihrer Umweltpolitik. ({4}) Deutschland war bei der Weiterentwicklung der Kerntechnik und ihrer Sicherheit über Jahrzehnte international führend. Deutsche Kernkraftwerke sind noch immer die sichersten der Welt. Sie sagen jetzt, wir werden bis 2010 soundso viele und bis 2020 alle stillgelegt haben; bis dahin würden wir die Sicherheit analog zur sich dynamisch entwickelnden Technik erhöhen. Dazu kann ich Ihnen nur sagen: So dynamisch wird sie sich nicht mehr entwickeln, nachdem Sie für Deutschland den Ausstieg beschlossen haben und ihn durchführen wollen. An den deutschen Hochschulen wird es in diesem für uns so wichtigen Bereich eine dynamische Weiterentwicklung nicht geben. Sie werden vielmehr eine Wüstenlandschaft erzeugen. ({5}) Wir werden dann nicht nur in Deutschland, sondern darüber hinaus - das ist noch schlimmer - auch auf internationaler Ebene keinen Beitrag mehr zur Sicherheit von Kernkraftwerken leisten können. Das kann uns nicht egal sein. ({6}) Außerdem hat die Bundesregierung nach wie vor kein Entsorgungskonzept für radioaktiven Abfall. Wie steht es denn dann - wenn Sie sich schon über die Sicherheit deutscher Kernkraftwerke Sorgen machen - um die Sicherheit standortnaher Zwischenlager? Das müssen Sie sich schon fragen lassen. Anstatt Atommüll unzugänglich und tief in der Erde zu lagern, erzwingen Sie Provisorien auf der grünen Wiese ohne Rücksicht auf riskante Langzeitfolgen. Sie opfern damit die dringend erforderliche Entsorgung von Atommüll tagespolitischem Opportunismus. Sie haben ja gerade gesagt, dass Sie die Zahl der Transporte verringern werden. Aber damit ist das Problem noch lange nicht gelöst. Dezentrale Zwischenlager für Atommüll - das haben Sie gerade wiederholt - seien angesichts einer eventuellen terroristischen Bedrohung besser als zentrale Lösungen. Aber dass durch die Zwischenlager die schiere Anzahl möglicher Angriffspunkte drastisch erhöht wird, scheint in Ihren Überlegungen, Herr Trittin, keine Rolle zu spielen. Das, was Sie hier machen, ist allenfalls zynisch. ({7}) Die Suche nach fragwürdigen Alternativen zu den Endlagerprojekten Schacht Konrad und Gorleben ist eine groteske Verschwendung von Geld, das an anderer Stelle dringend benötigt wird. Aber das hindert Sie nicht, sich darüber zu freuen, dass aufgrund der Verringerung der Ausgaben für den Endlagerbereich der Umwelthaushalt im Vergleich zum Vorjahr um fast 7 Prozent gesunken ist. Als hätte sich das Problem der Endlagerung plötzlich in Luft aufgelöst! Herr Trittin, die Wählerinnen und Wähler sind bei weitem nicht so dumm, wie Sie glauben. Welchen Stellenwert die Umweltpolitik bei dieser Regierung hat, hat Frau Lehn vorhin eindrucksvoll deutlich gemacht, als sie sagte, diese Regierung habe ihre erfolgreiche Politik der „Nachrangigkeit“ fortgesetzt. Genau so ist das. ({8}) Bei den Grünen setzt sich die Engstirnigkeit des Denkens auch dann fort, wenn es um umweltpolitische Herausforderungen auf globaler Ebene geht. Will man den Ausstoß von Treibhausgasen wirklich verringern, dann braucht man ein schlüssiges Energiekonzept. Die zentrale Frage, Herr Trittin, lautet dann: Wie kann man auf Kernenergie verzichten, ohne die Atmosphäre durch verstärkten Einsatz von Kohle und Öl zusätzlich zu belasten, und zwar nicht nur langfristig, sondern auch kurzfristig, sodass es auch zu Ihrem Konzept passt? Sie wissen auf diese Frage keinerlei Antwort. Der CO2-Ausstoß in Deutschland ist im letzten Jahr gestiegen. Sie selber haben das damit erklärt, dass zwischenzeitlich mehr Kohle verbrannt worden sei. Ein Ausstieg aus der Kernenergie zum gegenwärtigen Zeitpunkt ohne Energiekonzept ist deswegen auch ein Bärendienst für den Klimaschutz. Deswegen sage ich Ihnen: Legen Sie endlich ein klares Energiekonzept vor! Bemühen Sie sich wenigstens einmal um die Erarbeitung einer Konzeption! Noch nicht einmal das machen Sie! Es reicht einfach nicht aus, in der ideologischen Begrenztheit grüner Programmatik zu verharren. Die Menschen in diesem Land haben einen Anspruch auf zukunftsfähige Antworten. ({9}) Im Übrigen hat die FDP Sie schon unzählige Male aufgefordert - und dies im Deutschen Bundestag beantragt den Klimaschutz auch auf europäischer Ebene konstruktiv voranzubringen und sich international für die Ratifizierung des Kioto-Protokolls einzusetzen. Man kann seit der Klimakonferenz in Bonn sagen, dass Sie in diesem Bereich kaum etwas getan haben. Vorher musste man sagen, dass Sie nichts getan haben. Seither haben Sie wenigstens etwas getan. Ich kann Ihnen nur sagen: Für Deutschland fehlt noch immer ein klimapolitisches Gesamtkonzept. Die flexiblen Mechanismen des Kioto-Protokolls bleiben in Deutschland nach wie vor ungenutzt. Wir haben hier längst den Anschluss an unsere europäischen Partnerländer verloren. Alle Forderungen, die wir im Bundestag immer wieder aufgestellt haben, haben Sie scheinbar übernommen. In Interviews erklären Sie der Öffentlichkeit zwar, dass Sie das Kioto-Protokoll ratifizieren wollen. Aber am Vorabend der Konferenz in Bonn haben Sie es im Bundestag noch abgelehnt. Herr Trittin, alles, was wir in der Umweltpolitik erleben, sind Stillstand und die Arroganz der Macht. ({10}) Als Sie das Umweltministerium vor drei Jahren übernahmen, dachten Ihre Wähler, dass Sie bald Konzepte für eine - so haben Sie das formuliert - tragfähige, umfassende und konsistente Umweltpolitik vorlegen würden. Das Gegenteil ist der Fall. Von wegen die Umweltpolitik aus der Aschenputtelrolle herausgeholt! Ausgerechnet einem grünen Minister fällt zur Umweltpolitik seit Jahren nichts anderes als verstaubte Konzepte ein. ({11}) Ich nenne als Beispiel nur die ökologisch völlig wirkungslose Ökosteuer. Sie haben behauptet, es würden soundso viel Mittel aus dem Aufkommen der Ökosteuer in die Förderung regenerativer Energien laufen. Sie verschweigen dabei, dass der größte Teil dieses Aufkommens in die Rentenversicherung und nicht in irgendwelche Umweltschutzprojekte fließt. Seien Sie doch endlich ehrlich! Sie erheben die Ökosteuer doch nicht, um etwas für die Ökologie zu tun, sondern weil Sie mit den Problemen in der Rentenversicherung auf Dauer nicht fertig werden. ({12}) In der Chemikalienpolitik dominiert Dirigismus, in der Abfallwirtschaft bestehen verkrustete Monopole und bei der Verpackungsverordnung kennzeichnet Sie, Herr Minister, ein störrisches Festhalten an Instrumenten von gestern, ({13}) an Instrumenten, die zu einem Zeitpunkt gewählt wurden, an dem spätere Entwicklungen noch nicht klar waren. Diese Instrumente waren seinerzeit, also als wir sie beschlossen haben, richtig, Herr Kelber. ({14}) Die Entwicklung ist vorangeschritten. Der Minister selbst hat anerkannt, dass mittlerweile bestimmte Einwegverpackungen den Mehrwegverpackungen gleichwertig sind. Wer eine solche Feststellung trifft, der muss auch so konsequent sein und sagen: Wir müssen die neuen Erkenntnisse bei den rechtlichen Regelungen berücksichtigen. Wir fordern noch einmal eine völlige Überarbeitung der Verpackungsverordnung. ({15}) Für all die Felder, die ich gerade angesprochen habe, hat die FDP-Fraktion eindeutige Vorschläge vorgelegt. Herr Trittin, ich fordere Sie auf: Legen Sie endlich Antworten auf die drängenden Fragen der nationalen und der internationalen Umweltpolitik vor. Glaubwürdige und verantwortliche Politik lässt keinen Raum für Ideologie. Es geht stattdessen um die Bereitschaft und vor allen Dingen um die Fähigkeit, politische Verantwortung zu übernehmen. Dass Sie das können, haben Sie in den letzten drei Jahren nicht bewiesen. Sie haben noch ein knappes Jahr Zeit. Wir werden sehen, was die Wählerinnen und Wähler dazu sagen. ({16})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Das Wort hat die Kollegin Eva Bulling-Schröter für die PDS-Fraktion.

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das zentrale umweltpolitische Projekt von SPD und Bündnis 90/Die Grünen sollten der Atomausstieg und die Energiewende sein. Gerade in dieser Hinsicht haben Sie unserer Meinung nach versagt. ({0}) Das zeigt sich insbesondere im Entwurf für das so genannte Atomausstiegsgesetz. Diese Novelle ist lediglich eine Atomstromverstromungsgarantie für die EVUs. Diese Verstromungsgarantie gilt für Jahrzehnte; von Ausstieg kann deshalb keine Rede sein. Im Mai hat das der Chef des Deutschen Atomforums, Gerd Maichel, in der „Financial Times Deutschland“ ungewollt bestätigt. Unter der Überschrift „Atomwirtschaft rechnet mit neuen Meilern“ konnte man lesen, dass das Ganze nach der Auffassung des RWE-Atommanagers der Branche lediglich dazu diene, „den Bestand der 19 laufenden Reaktoren in Deutschland zu sichern“. Haben Sie zugehört? Den Bestand zu sichern! ({1}) - Wozu zu sichern, Herr Kubatschka? - In Deutschland werde es, so Maichel, „in wenigen Jahren zu einer Neubewertung der Kernenergie mit dem Ergebnis einer weiteren Nutzung kommen“. So viel zur Substanz des rot-grünen Atomausstiegs. Die Herrschaften hier verfolgen das - wir können das beobachten - sehr penetrant. Man könnte natürlich meinen, dass sich nach Manhattan und Washington einiges in den Köpfen bewegt hat leider Fehlanzeige. Die Bundesregierung wehrt sich auch angesichts der neuen Sicherheitslage, Änderungen an der Atomgesetznovelle vorzunehmen. Obgleich kein AKW für Abstürze oder Angriffe von Flugzeugen mit einem Gewicht von mehr als 20 Tonnen ausgelegt ist - die Flugzeuge in New York wogen über 150 Tonnen - und obgleich die Gefahr einer Kernschmelze nicht ausgeschlossen werden kann, legen Sie diesen Entwurf heute unverändert vor. Das muss man einfach so sagen. Obwohl nach vorläufigen Sicherheitsanalysen des Bundesinnenministeriums zwar keine konkrete, dafür aber eine „hohe abstrakte Gefahr“ für gezielte Anschläge auf AKWs besteht, sieht Rot-Grün keinen Änderungsbedarf. Der Bevölkerung werden noch Laufzeiten von mehreren Jahrzehnten zugemutet. Wollen Sie so lange den Atomstaat einführen, wie ihn einst Robert Jungk beschrieb: Flaks an den Meilern und Überwachung total? ({2}) Solche Gedanken gibt es schon. Die CDU/CSU hat im Verteidigungsausschuss Flugabwehrraketen rund um die AKWs gefordert. ({3}) Wenn Jürgen Trittin im Ausschuss selbst feststellt, es gebe wohl niemanden mehr, der einen Flugzeugabsturz auf ein AKW als Restrisiko, geschweige denn als vertretbares Restrisiko ansehe, so ist das unerschütterliche Festhalten an diesen langen Laufzeiten für uns einfach verantwortungslos. ({4}) Wir meinen, ein schneller Atomausstieg muss nun unverzüglich auf der Tagesordnung stehen. Im Übrigen meinen das nicht nur wir. Wenn man sich die Presse anschaut, stellt man fest, dass auch die Bürgerinitiativen das fordern; auch in den letzten Fernsehsendungen gab es sehr viel Übereinstimmung. Denn das Grundproblem, die potenzielle Verwundbarkeit von Atomkraftwerken in Verbindung mit der extremen Gefährdung bei Zerstörung eines Reaktors ist keine Hysterie, sondern Realität. Das haben gerade Sie von den Grünen so gesehen, und zwar lange vor New York und lange vor Washington. Aber Sie haben es vergessen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer eine tatsächliche Energiewende will, müsste sie auch fördern. Die dafür von der Bundesregierung bereitgestellten Mittel sinken aber laut Entwurf, und zwar von 370 auf 280 Millionen Euro. ({5}) - Darauf komme ich noch, Herr Kollege. - Nun sollen sie wohl doch angehoben werden, wie ich gehört habe - wir loben das -, allerdings unter Terrorismusvorbehalt. Dieser Vorbehalt müsste aber gerade zu einer Erhöhung der Mittel für regenerative Energien führen; denn dezentrale Anlagen ohne gefährliche Betriebsstoffe oder -verfahren, übrigens nicht nur im Energiebereich, können Risiken minimieren. ({6}) Auch im Forschungsbereich lässt ein Umsteuern auf sich warten. Die Kernspaltungs- und Kernfusionsforschung wird fortgesetzt. Eine Beschlussfassung zum Bau des Fusionsreaktors ITER wird in den kommenden zwei bis drei Jahren erwartet. Während also im atomaren Bereich in der Größenordnung von Milliardenbeträgen geplant wird, führen regenerative und konventionelle Technologien im Haushalt weiter ein Schattendasein. Die Erforschung und Entwicklung umweltschonender, nicht nuklearer Energieformen - darunter Schwerpunkte wie Brennstoffzellentechnik, geothermische Anlagen, Altbausanierung sowie Offshore-Windenergie - teilen sich magere 41 Millionen Euro. Der Titel „Forschungs- und Entwicklungsvorhaben für erneuerbare Energien, rationelle Energieverwendung, Umwandlungs- und Verbrennungstechnik“ fiel seit 2000 von 70 Millionen auf jetzt nur noch 46 Millionen Euro ab. Die Energieforschung im Bereich konventioneller Kraftwerkstechnik, die immerhin zwei Drittel der Stromproduktion ausmacht, wird mit geschätzten 30 Millionen Euro nur symbolisch gefördert. Wir meinen, ohne Fortentwicklung der konventionellen Energietechnik wird Deutschland keinen klimapolitischen Beitrag zu effizienteren Kohleumwandlungstechniken leisten können. Die braucht man eben noch für eine bestimmte Zeit. ({7}) Jetzt können Sie sagen: Wir haben den Regierungsentwurf für das KWK-Ausbau-Gesetz. Richtig. Doch leider verdient es diesen Titel überhaupt nicht. Es sichert lediglich den Bestand vorhandener Anlagen. Auf die klimapolitisch dringend erforderliche Erschließung neuer Potenziale für die Kraft-Wärme-Kopplung wird verzichtet. ({8}) - Wir warten ja darauf. Es wäre ja gut, wenn etwas Positives beschlossen würde. ({9}) Auch Wirkungsgrade spielen bei den zuschlagsberechtigten Anlagen keine Rolle. Damit hat sich dieses Gesetz von einem umweltpolitischen Bezug völlig verabschiedet. Somit dürften die Industriesubventionen der Bundesregierung übrigens auch in Brüssel Probleme bereiten. Im Finanzbericht der Bundesregierung sind Ausgaben der Bundesressorts für den Umweltschutz aufgelistet. Diese Aufstellung quer durch die Haushalte der Ministerien hat in der Summe einen bemerkenswerten Trend: nach unten. Zwar sind es lediglich 70 Millionen Euro weniger als im laufenden Jahr, doch immerhin fast eine halbe Milliarde DM weniger als 1999, im Amtsantrittsjahr von SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Für eine nachhaltige rot-grüne Wende ist das ein Armutszeugnis. Der Umwelthaushalt selbst sinkt um fast 7 Prozent. Rechnerisch geht das nahezu vollständig auf das Konto für die Lager in Gorleben und Morsleben, für die weniger Geld ausgegeben werden soll. Wir sagen: Gut so! Dennoch werden wiederum Programmtitel, wie zum Beispiel die Investitionen zur Verminderung von Umweltbelastungen, die Zuschüsse für Erprobungs- und Entwicklungsvorhaben oder die Förderung von Naturschutzgroßprojekten, drastisch beschnitten. ({10}) Die frei werdenden Mittel fließen in die Finanzierung des Umzugs des Umweltbundesamtes, in Baumaßnahmen und in neue Stellen des Bundesamtes für Naturschutz. Sosehr ich - das ist klar - anständige Arbeitsbedingungen in den Ämtern befürworte: Es kann nicht der richtige Weg sein, die Lasten über diese frei werdenden Mittel zu finanzieren und keine weiteren Gelder zur Verfügung zu stellen. ({11}) Zum Schluss kann ich nur sagen: Von einer der Nachhaltigkeit verpflichteten Politikwende ist die Bundesregierung noch meilenweit entfernt. Wir fordern Zugabe. ({12})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen spricht jetzt die Kollegin Michaele Hustedt.

Michaele Hustedt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002685, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Borchert, wer Krokodilstränen darüber vergießt, dass die Mittel für Programme zur Förderung von Biomasseanlagen abgebaut werden, ({0}) und gleichzeitig, so wie Ihre Fraktion das tut, das Gesetz zur Förderung erneuerbarer Energien bekämpft, den kann ich nur als scheinheilig bezeichnen. ({1}) Wahr ist: Das Gesetz zur Förderung erneuerbarer Energien war der Anschub dazu, dass es jetzt im Bereich der Biomasseanlagen boomt. ({2}) Im Übrigen werden wir die Mittel für dieses Programm - darauf wurde schon hingewiesen; Sie können sich darauf verlassen - deutlich aufstocken. ({3}) Plustern Sie sich hier also nicht als Freund der Biomasseanlagen auf. Das glaubt man Ihnen sowieso nicht. ({4}) Frau Bulling-Schröter, nun zu Ihnen: Wir haben die weltweit beste Förderung von erneuerbaren Energien. Das Ergebnis ist: Es boomt in Deutschland in allen Bereichen der erneuerbaren Energien, bei der Solar- und Windenergie und bei der Verfeuerung von Biomasse, wie das noch nie der Fall war. ({5}) Ich weiß nicht, was es da zu meckern gibt. Wir sind sehr stolz auf dieses Gesetz. Die rot-grüne Bundesregierung hat den Einstieg in das Solarzeitalter wirklich geschafft. ({6}) Ich möchte kurz in die Geschichte zurückgehen: 1961 ist in Kahl das erste AKW ans Netz gegangen, 1972 weitere in Stade und Würgassen. 1975 hat die in Wyhl aktive BI unter dem Motto „AKW nee!“ den ersten Bauplatz besetzt. Danach haben viele Demonstrationen in Brokdorf, Grohnde, Wackersdorf und in Krümmel stattgefunden. 1979 wurde dann die „Freie Republik Wendland“ ausgerufen und 1980 wurde die Partei der Grünen gegründet. Sie sehen, der Ausstieg aus der Atomkraft ist ein Gründungsthema der grünen Partei. ({7}) Dieses Thema lag uns deswegen immer sehr am Herzen. Am Anfang befanden wir uns in der gesellschaftlichen Minderheit. Da hat die Mehrheit die Atomkraft noch akzeptiert. Aber nach der Katastrophe von Tschernobyl hat die SPD gelernt, dass die Atomkraft unverantwortbar ist, und hat den Beschluss gefasst, innerhalb von zehn Jahren auszusteigen. ({8}) Ab diesem Zeitpunkt fand sich für den Atomausstieg eine gesellschaftliche Mehrheit. Heute findet die erste Lesung zum Entwurf eines Atomausstiegsgesetzes statt. Dazu kann ich nur sagen: Langer Atem zahlt sich aus; der Ausstieg hat begonnen. Frau Kollegin Bulling-Schröter, aus der Opposition heraus ist es leicht, Sprüche zu klopfen. Ich glaube nicht, dass die PDS es erreicht hätte, auch nur ein Atomkraftwerk zu schließen. ({9}) Es gibt Ihrerseits lediglich Ankündigungen. - Wird der jetzt vorliegende Gesetzentwurf verabschiedet, geht es in den nächsten Jahren Schlag auf Schlag. In zwölf Jahren wird die Hälfte aller AKWs vom Netz sein. In 20 Jahren ist in Deutschland Schluss mit der Atomkraft. ({10}) Immer wieder stellt die Opposition, die CDU/CSU und die FDP, das Thema „Atomkraft und Versorgungssicherheit“ zur Diskussion. Auch in dem CDU/CSU-Antrag, der uns allen vorliegt, wird die Mär, dass die Atomkraft die Versorgungssicherheit erhöht, wiederholt. Ich wüsste nicht, dass es in Deutschland Uranabbau gibt. Auch die Primärenergie für das Betreiben von Atomkraftwerken muss nach Deutschland eingeführt werden. Von daher besteht hier keine Unabhängigkeit vom Export im Hinblick auf die Energieversorgung. Viel schlimmer ist - wir sehen das aktuell und erschrecken darüber -: Wenn Terroristen bereit sind, Flugzeuge, in denen sich Hunderte von Menschen befinden, zu Bomben umzufunktionieren, um damit 6 000 und mehr unschuldige Menschen zu töten, dann ist es durchaus auch denkbar und möglich, dass sie einen Anschlag auf ein AKW ausüben. Jürgen Trittin hat eine sehr genaue Prüfung in Auftrag gegeben. Wir haben im Ausschuss begonnen, zu diskutieren, welche sicherheitspolitischen Konsequenzen daraus zu ziehen sind. Ich greife einmal vor. Meine persönliche Einschätzung ist: Es gibt keinen absoluten Schutz vor solcher Art von Angriffen; es bleibt das Risiko, dass ein solcher Angriff geschieht. Daraus ergäben sich dramatische Folgen für Deutschland. Wir können das Risiko nicht vollständig beseitigen, aber wir können es Schritt für Schritt in den nächsten Jahrzehnten mindern, wenn wir die Zukunft der Energieversorgung auf dezentrale Strukturen aufbauen, wenn wir uns importunabhängig von Erdöl aus einer Krisenregion und von Erdgas, dessen Leitungen angreifbar sind, machen und wenn wir viel stärker auf Solarenergie, erneuerbare Energien und Energieeinsparung setzen. Das ist die Zukunft der Energieversorgung. Das ist auch unser Konzept, das wir schon lange verfolgen: weg von der Atomkraft, hin zur Energieeinsparung durch ein Altbausanierungsprogramm, durch die Energieeinsparverordnung, die wir beide auf den Weg gebracht haben, hin zur Förderung der erneuerbaren Energien, wie sie weltweit in keinem anderen Land geschieht. In kurzer Zeit - ich bin mir sicher, schon vor dem Jahr 2010 - werden wir eine Verdoppelung des Anteils der erneuerbaren Energien erreicht haben. Weiterhin wollen wir die dezentralen Strukturen stärken durch die Förderung der Brennstoffzelle und der Kraft-Wärme-Koppelung, die zu virtuellen Kraftwerken zusammengeschaltet werden. Das schafft eine sichere, eine wirtschaftliche und auch eine umweltverträgliche Energieversorgung. ({11})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die CDU/CSUFraktion spricht jetzt der Kollege Paziorek.

Dr. Peter Paziorek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001685, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Lehn, Sie haben sich zu Beginn Ihrer Rede sehr lange mit Ihrer persönlichen Einschätzung über den zukünftigen Wahlausgang befasst. Seien Sie versichert: Der Haushaltsplan, den wir heute beraten, wird für lange Zeit der letzte Haushaltsplan sein, den eine rot-grüne Regierungskoalition zu verantworten hat. ({0}) Sie werden Ende des nächsten Jahres nicht mehr in der Regierungsverantwortung stehen. ({1}) - Ob Sie das glauben oder nicht, Frau Lehn: Für die Umweltpolitik wäre das sogar eine sehr gute Sache; denn zu kläglich ist einfach Ihre Bilanz seit 1998. ({2}) Frau Lehn, schauen Sie sich doch an, was Sie alles in der Koalitionsvereinbarung 1998 versprochen haben. ({3}) - Dazu komme ich jetzt, danke für das Stichwort. - Sie wollten eine nationale Nachhaltigkeitsstrategie mit konkreten Zielen erarbeiten. Sie wollten das zersplitterte Umweltrecht in einem neuen Umweltgesetzbuch zusammenführen. ({4}) - Jetzt kommt schon eine Aussage, woran das gescheitert ist. Danke Frau Hustedt. Sie wollten mit Ihrer Industriepolitik die ökologische Modernisierung voranbringen; ({5}) Sie wollten das Bodenschutzgesetz fortschreiben; Sie wollten die Sommersmogverordnung novellieren; Sie wollten tatsächlich neue Strukturen im Abfallrecht einführen und Sie wollen die Verpackungsverordnung umgestalten. Wo sind denn die Ergebnisse, bezogen auf diese Ankündigungen? ({6}) Es gibt keine Ergebnisse für die Punkte, die Sie angesprochen haben. Das alles waren leere Absichtserklärungen. In der Realität sind Sie mit diesen umweltpolitischen Projekten völlig gescheitert. Die Umweltpolitik - das muss man leider aus Sicht der Ökologie sagen - ist zu einem negativen Markenzeichen dieser rot-grünen Bundesregierung geworden; ({7}) denn Sie haben den Menschen den ökologischen Fortschritt versprochen, aber Sie haben bei weitem nicht das umweltpolitische Niveau der Vorgängerregierung erreicht. Das ist die Realität. ({8}) Schauen wir uns doch einmal einige Punkte im Detail an. Sie haben zwei Jahre gebraucht, um die Nachhaltigkeitsstrategie von Frau Merkel zu stoppen und auf die Idee zu kommen, einen Nachhaltigkeitsrat einzusetzen. Das war Ihr großer geistiger Durchbruch. Frau Lehn, Sie haben von einem roten Faden gesprochen. Aber die Nachhaltigkeit zieht sich nur wie ein ganz dünner roter Faden durch die anderen Haushaltspläne. Wir können an anderen Stellen tatsächlich nicht die Berücksichtigung dieses wichtigen Grundsatzes finden. Das war bei Ihnen ganz einfach nur Deklamation. Inhaltlich wird das überhaupt nicht gestützt. ({9}) - Frau Lehn, Sie haben beispielsweise davon gesprochen, dass Sie jetzt endlich einen präventiven Umweltschutz betreiben. Anfang der 90er-Jahre waren Sie in der Umweltpolitik noch nicht dabei. ({10}) Die Abkehr vom alten Denken hinsichtlich des Abfalls und die Verabschiedung des Kreislaufwirtschaftsgesetzes sind bereits 1995 erfolgt. ({11}) Wissen Sie, mit wem es erreicht wurde? Mit einer Mehrheit aus CDU/CSU und FDP und nicht mit Ihrer Unterstützung. Das ist doch die Realität. Wir haben die ersten Prinzipien der präventiven Umweltpolitik und das erste bahnbrechende Gesetz eingeführt. Heute begehen Sie geistigen Diebstahl und behaupten, Sie würden einen präventiven Umweltschutz betreiben. ({12}) Sie haben bei Ihrer aktuellen Umweltpolitik ein großes Problem. Bis heute haben Sie nämlich noch nicht begriffen, dass ökologische Ziele nicht mehr isoliert gesehen werden können, sondern dass diese Ziele immer unter Berücksichtigung ihrer wirtschaftlichen Auswirkungen gestaltet werden müssen. Das bedeutet keine Zurücksetzung des Umweltschutzes. Nachhaltigkeit besagt nämlich, dass ökologische, soziale und ökonomische Kriterien berücksichtigt werden müssen. ({13}) Das ist die Schwierigkeit, vor der wir heute stehen. Aufgrund dieser Schwierigkeit haben Sie letztlich keinen Erfolg erzielt. In dieser Frage sind Sie bis heute leider gescheitert. Schauen Sie sich nur die Umsetzung der IVU- und der UVP-Richtlinien, also das Umweltvorsorgegesetz und das Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung an. Ohne Rücksicht auf europapolitische Vorgaben haben Sie diesen gesamten Bereich nach folgendem Motto verschärft: Wir in Deutschland setzen im Gegensatz zu anderen europäischen Staaten nicht 1:1, sondern 2:1 um; soll die deutsche Wirtschaft doch zusehen, wie sie mit den Problemen fertig wird. Wir haben davor gewarnt. Alle haben gesagt, dass es sich um eine gefährliche Entwicklung handelt. Ich kann Ihnen nur sagen: Sie schaden langfristig der Umweltpolitik, wenn Sie so tun, als ob Umweltpolitik keine wirtschaftspolitischen Auswirkungen hätte. ({14}) Die Kunst der Umweltpolitik besteht heute gerade darin, Wirtschafts-, Sozial- und Umweltpolitik zusammenzuführen. Das schaffen Sie geistig nicht. ({15}) Sie sagen zwar, Sie wollen mit der Vorgängerregierung umweltpolitisch nicht so viel zu tun haben. Trotzdem erklären Sie immer wieder, dass Sie das klimapolitische Ziel der Kohl-Regierung, den CO2-Ausstoß in Deutschland bis zum Jahre 2005 um 25 Prozent zu reduzieren, aufrechterhalten. ({16}) Ich finde es gut, dass Sie an dieser Stelle sagen: Das war ein wichtiges Ziel und daran halten wir fest. Mit einem modernen Spruch würde ich sagen: Das ist auch gut so. ({17}) Was machen Sie aber im Grunde genommen? Im Augenblick gibt es nur Kabinettsbeschlüsse. Sie erklären überall, dass Sie neue Instrumente entwickeln wollen. Sagen Sie mir einmal, in welchen Bereichen Sie die Kabinettsbeschlüsse zur CO2-Reduktion momentan umsetzen. ({18}) In der Beziehung passiert bei Ihnen gar nichts. Sie können immer wieder Presseerklärungen herausgeben, in denen Sie erklären, dass Sie in vielen Bereichen neue Instrumente erfinden. Es kommt aber nicht darauf an, dass dies nur zu Papier gebracht wird. Sie müssen es auch umsetzen. Daran scheitern Sie bei Ihrer Arbeit. ({19}) Was ist das große Problem Ihrer augenblicklichen Umweltpolitik? Im Bereich der Verpackungsverordnung und der Kreislaufwirtschaft sind Sie dickfellig und wollen mit dem Kopf durch die Wand. Sie arbeiten mit Androhungen und Verordnungen. Ich sage es ganz deutlich: Ihre Umweltpolitik ist durch völlig veraltete Instrumente geprägt. Das ist das Hauptproblem. Sie brauchen sich nur die Diskussion zum generellen Zwangspfand, zum Naturschutzrecht und zur Ökosteuer anzuschauen. Überall in der Umweltpolitik gibt es eine Diskussion über Ihre veralteten Instrumente. Sie sind nicht in der Lage, vernetzt zu denken und darüber nachzudenken - so wie es in anderen Staaten erfolgt -, wie man durch das Zusammenwirken von Wirtschafts- und Umweltpolitik sowohl modernisieren, als auch umweltpolitisch vorangehen kann. ({20}) Umweltpolitik wird heute durch die Prinzipien der Kooperation und der Mitsprache geprägt, also von Prinzipien, die Sie hier immer hochhalten. Sie sprechen ja von Prinzipien der Bürgergesellschaft. Deshalb ist es die Hauptaufgabe eines Umweltministers, nicht nur Verordnungen anzudrohen, sondern er muss überzeugen. Ein Umweltminister muss gesellschaftlich werben. Er muss dafür sorgen, dass auch für harte umweltpolitische Ziele eine gesellschaftliche Mehrheit vorhanden ist. Herr Minister Trittin, wir müssen Ihnen leider bescheinigen, dass Sie das nicht tun und vielleicht auch nicht können. In dieser Frage - das müssen wir ganz klar und deutlich sagen - haben Sie ein gewaltiges politisches Defizit. ({21}) Sie gehen an die Lösung aktueller umweltpolitischer Probleme völlig falsch heran. Es stellt sich damit auch die Frage nach Ihrer Durchsetzungsfähigkeit im Kabinett. Denken Sie nur an das Stichwort Fluglärmschutzgesetz! Sie haben in Ihren Ankündigungen erklärt, dass es kommt. Jetzt sind Sie nicht nur beim Verkehrsminister Bodewig, sondern vielleicht auch bei der SPD-Fraktion aufgelaufen. Vielleicht merken einige bei den Grünen noch gar nicht, wie Sie in vielen anderen Fragen von der SPD-Bundestagsfraktion in der Umweltpolitik manchmal abgeblockt werden. Wenn man sich den Haushaltsplan anschaut - dazu hat Kollege Borchert schon einige Punkte vorgetragen -, sieht man, dass Sie nicht nur bei Verkehrsminister Bodewig, sondern auch bei Finanzminister Eichel aufgelaufen sind. Schauen Sie sich die Zahlen doch an: Beim Naturschutz gibt es eine Kürzung von 25 Prozent. Bei der Reaktorsicherheit - da waren Sie gerade ganz stolz - verzeichnen wir ein Minus von 2,4 Prozent. Bei Naturschutzprojekten beträgt die Kürzung 16,1 Prozent. Das ist die Realität dieses Haushaltsplans. In diesen Fragen, die für die Naturschutz- und Umweltschutzpolitik vor Ort wichtig sind, sind Sie kläglich gescheitert, weil Sie bei Eichel keine Unterstützung in dieser Frage gefunden haben. ({22}) Mit anderen Worten: Im Haushalt 2002 haben wir 6,9 Prozent weniger Mittel als im Haushalt 2001. Es gab also eine Kürzung um 6,9 Prozent. Deshalb kann man sagen: Ihre freudige Einlassung zu Beginn Ihrer Rede, Herr Minister Trittin, kann man nur als Propaganda bewerten.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Paziorek, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.

Dr. Peter Paziorek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001685, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bei der abschließenden Bewertung Ihres Haushaltsentwurfs kann man nur feststellen: Der Haushalt von Rot-Grün ist Ausdruck Ihrer Unfähigkeit, letztlich auch Positionen der Umweltpolitik konkret beim Finanzminister durchzusetzen. Damit steht fest: Mit diesem Haushalt wird die Umweltpolitik in Deutschland Schaden nehmen. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Jetzt spricht für die SPD-Fraktion der Kollege Horst Kubatschka.

Horst Kubatschka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001234, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auf die Vorredner möchte ich ganz kurz eingehen. ({0}) Herr Paziorek, der erste Teil Ihrer Rede war sehr witzig; Sie konnten einen großen Lacherfolg bei uns verzeichnen. Zu dem zweiten Teil Ihrer Rede muss ich fragen: Was wollen Sie jetzt? Machen wir zu viel Umweltschutz oder machen wir zu wenig? Sind wir Vorreiter in Europa oder sind wir es nicht? ({1}) Irgendwann müssen Sie sich einmal entscheiden, was wir sind. ({2}) Frau Homburger, am Anfang habe ich gehofft, dass bei Ihnen nun einmal etwas Neues kommt, weil Sie sich an alte Zeiten erinnert haben und von der Kernenergie als Übergangsenergie gesprochen haben. ({3}) Aber dann kamen wie immer dieselben Schlagworte. Sie müssen einmal den Begriff der Übergangsenergie mit Ihren Schlagworten in Übereinstimmung bringen. ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte mich mit der 10. Novelle des Atomgesetzes auseinander setzen, die wir heute als wichtiges Reformwerk der rot-grünen Koalition in die parlamentarischen Beratungen einbringen. Mit dieser Novelle erfolgt ein radikaler Wechsel in der Atompolitik. Wir vollführen eine 180-Grad-Drehung. Beim Entstehen des Atomgesetzes im Jahr 1959 stand die Förderung der Kernenergie im Mittelpunkt. Ein Atomminister, nämlich Franz Josef Strauß, hat die Atomenergie gefördert. Damals sprach niemand von Endlagerung. ({5}) Bis in die 70er-Jahre wurden große Hoffnungen in die Kernenergie gesetzt. Die Energiefrage schien weltweit gelöst. Unendliche Energien schienen zur Verfügung zu stehen. In Deutschland verbreitete man die Hoffnung und das Märchen, dass die Stromzähler in den Wohnungen ausgebaut würden, da die Zählerkosten höher als die Energiekosten seien. Diese Visionen haben sich in Luft aufgelöst. Anfang der 70er-Jahre begann in breitem Maße die kritische Auseinandersetzung mit der Kernenergie. Durch unsere Gesellschaft ging ein Riss; sie war gespalten. Als Wegmarken kann man Wyhl und Wackersdorf nennen. Jetzt, nach 42 Jahren, stellen wir die Förderung der Kernenergie ein. Im Jahre 2001 vollziehen wir den gesetzlichen Ausstieg aus der Kernenergie. ({6}) In der juristischen Formulierung heißt dies: Gesetz zur geordneten Beendigung der Kernenergienutzung zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität. ({7}) Die rot-grüne Koalition wird die Atomenergienutzung mittelfristig beenden. Auch wir Sozialdemokraten sind, beginnend in den 50er-Jahren, den Irrweg der Kernenergie mitgegangen. Aber bereits kurz vor Tschernobyl - darauf lege ich großen Wert - haben wir den Ausstieg beschlossen. Nach Tschernobyl gab es ein grausames Erwachen. Das Restrisiko wurde sichtbar. Damals sprachen selbst CDU/CSU samt FDP von der Kernenergie als Ersatzenergie. ({8}) CDU/CSU und FDP wollten aussteigen; ({9}) gesprochen wurde nur über das Tempo des Ausstiegs. Das hat die Opposition heute völlig vergessen. ({10}) Vor der letzten Bundestagswahl haben wir den Wählerinnen und Wählern klar gesagt, dass wir aus der Kernenergie im Konsens und entschädigungsfrei aussteigen. Rot-Grün schrieb in den Koalitionsvereinbarungen fest, dass die Regierung mit den verantwortlichen EVUs eine Konsenslösung erarbeiten soll. Diesen Auftrag aus dem Koalitionsvertrag hat die Regierung in langwierigen Verhandlungen umgesetzt. Sie hat einen Konsens erreicht. ({11}) Dafür möchte ich der Bundesregierung ausdrücklich danken. ({12}) Die gesetzgeberische Arbeit muss heute aber von uns im Parlament geleistet werden. Konsens bedeutet auch Kompromiss. Kompromiss bedeutet, dass jeder von seinen Maximalforderungen ablässt. Für mich persönlich wäre ein Ausstieg nach 25 Kalenderjahren erstrebenswert gewesen. Das war sozusagen meine persönliche Maximalforderung. Auch die EVUs hatten Maximalforderungen. Sie verlangten 35 Jahre Volllastjahre. Im Endeffekt wären das 42 Kalenderjahre gewesen. Die CDU/CSU hat von Laufzeiten von 60 Jahren gesprochen. Der Ausgangspunkt bei den Verhandlungen war eine unbefristete Erlaubnis für Kernkraftwerke. Unter diesem Gesichtspunkt war der Kompromiss mit einer durchschnittlichen Laufzeit von 32 Kalenderjahren ein tragfähiger Kompromiss. Wenn wir Sozialdemokraten aus der Kernenergie aussteigen wollen, hat das nichts mit Ideologie, sondern mit harten Tatsachen zu tun. ({13}) Das Restrisiko ist nicht wegzudiskutieren. Nach den schrecklichen Terroranschlägen vom 11. September dieses Jahres müssen wir das Restrisiko neu definieren. Die Terroranschläge von New York und Washington waren für uns alle undenkbar, nicht vorstellbar. Dieses Undenkbare konnte damals in die Sicherheitsüberlegungen der 70erJahre nicht eingeschlossen werden. Deswegen steht für mich nach ausführlichen Gesprächen fest: Für einen solchen Terroranschlag sind unsere Atomanlagen nicht ausgelegt. ({14}) Die Bundesregierung und das Bundesumweltministerium haben umgehend auf den Vorfall reagiert. Am gleichen Tag wurde ein Lagezentrum eingerichtet. Die Reaktorsicherheitskommission ist umgehend eingeschaltet worden. Erste Einschätzungen liegen vor. Es wird noch einige Zeit vergehen, bis seriöse Ergebnisse vorliegen werden. Es gibt aber noch weitere Gründe, aus der Kernenergie auszusteigen. Die Entsorgungsfrage ist nicht gelöst. Die Kernenergie ist weltweit nicht einsetzbar. Bei der Stromerzeugung entsteht waffenfähiges Material. Die Uranvorkommen sind endlich. Mit der Ausstiegsnovelle setzen wir unsere Energiekonzeption konsequent um. Vor dem Ausstieg haben wir den Einstieg in die erneuerbaren Energien verstärkt. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz ist eine der großen Erfolgsstorys der rot-grünen Koalition. ({15}) Dazu zählt auch unser 100 000-Dächer-Programm für die Photovoltaik. Wir sind Weltmeister bei der Windenergie. Die Windenergie ist ein nachhaltiger Exportschlager und ein Arbeitsplatzbeschaffungsprogramm. Die Markteinführungsprogramme sind ein Renner. Sie sind so erfolgreich, dass die Finanzpolitiker ins Schwitzen geraten. Die Koalition hat voll auf den Dreiklang Energiesparen, rationelle Energieverwendung und erneuerbare Energien gesetzt. Diese neuen Energien muss der Markt aufnehmen. Deswegen muss die Kernenergie Schritt für Schritt aus dem Markt genommen werden. Ich betone noch einmal: Die Novelle des Atomgesetzes beruht auf einem Kompromiss. Ich habe deswegen durchaus Verständnis dafür, dass die Umweltverbände mit der Novelle nicht in allen Punkten zufrieden sind. Kein Verständnis habe ich jedoch für die Umweltverbände, die diese Gesetzesnovelle in Bausch und Bogen ablehnen. Wir sind mit diesen Verbänden lange gemeinsam den Ausstiegsweg gegangen. Jetzt, wo das Ziel sichtbar ist, verweigern sie sich einem gangbaren Kompromiss. Ihre Forderung nach dem Sofortausstieg ist nicht umsetzbar. Dies wissen sie. Damit kommen wir dem Ausstieg keinen Millimeter näher. Den Umweltverbänden müssten doch eigentlich ihre neuen Verbündeten zu denken geben. Sie stehen plötzlich in einer Reihe mit der CDU/CSU und der FDP, die gegen den Kernenergieausstieg ankämpfen und sogar für eine längere Nutzung sind. Für die CDU/CSU müssen Sie aber auch Folgendes noch erklären: Wie können Sie für die Nutzung der Kernenergie, also für Kernkraftwerke, eintreten, gleichzeitig aber dezentrale Zwischenlager ablehnen? Die Gefahr eiHorst Kubatschka nes GAU geht vom Kernkraftwerk aus, nicht von den Zwischenlagern. Auch bei terroristischen Anschlägen ist die Gefahr, die von Kernkraftwerken ausgeht, wesentlich größer. Wer also ein so glühender Verfechter der Kernenergie wie die CDU/CSU ist, der muss sich auch mit dezentralen Zwischenlagern abfinden. ({16}) Solange wir kein Endlager für den Atommüll haben, brauchen wir Zwischenlager. ({17}) Die vorhandenen Lager in Ahaus und Gorleben reichen nicht aus. Dies war allen Ministerpräsidenten der Länder schon 1980 klar, als sie ein Entsorgungskonzept vereinbarten. Wenn uns heute die CDU/CSU vorwirft, wir kündigten die seinerzeitige Entsorgungsvereinbarung auf, dann ist das politisch unredlich und Sankt-Florians-Prinzip in Reinkultur. ({18}) - Da steht drin, dass wir dezentrale Anlagen brauchen. ({19}) Seit mehr als 20 Jahren ist klar, dass wir weitere Zwischenlager brauchen. Nur die alte Bundesregierung hat 18 Jahre lang nichts getan, um solche Zwischenlager zu errichten. Das ist das Problem. Es ist also kein Problem unserer „rot-grünen Ausstiegsideologie“, wie es vom bayerischen Umweltminister Schnappauf ({20}) immer wieder gesagt wird. Dezentrale Zwischenlager sind notwendig, um zu einer Minimierung der Transportwege zu kommen. Vor Ort werden diese Zwischenlager abgelehnt, es geht die Angst um. Diese Angst wird von der CSU zum Beispiel bei mir im Wahlkreis geschürt, indem man - wider besseres Wissen - von „Endlagern“ spricht. Die Wahrheit ist: Die Zwischenlager wurden für 40 Jahre beantragt und werden auf 40 Jahre befristet. Außerdem ist sichergestellt, dass nur Brennstäbe zwischengelagert werden, die aus dem eigenen Kernkraftwerk stammen. Damit ist auch die Größe der Zwischenlager begrenzt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Novellierungsentwurf für das Atomgesetz geht jetzt in die parlamentarischen Beratungen. ({21}) Wir in der SPD-Fraktion werden diesen Entwurf sorgfältig prüfen. ({22}) Dabei ist für uns ganz klar: Oberste Priorität hat der Schutz der Bevölkerung vor Risiken für Leben und Gesundheit. Zum Schluss möchte ich zusammenfassen: Mit der 10. Novelle des Atomgesetzes wird das Atomgesetz nach 42 Jahren radikal verändert. Von einer Förderung kommen wir zu einem Ausstieg. ({23}) Damit ist der Ausstieg aus der Kernenergie auf den Weg gebracht. Ich danke fürs Zuhören. ({24})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Christian Ruck für die CDU/CSU-Fraktion.

Dr. Christian Ruck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001893, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es hat irgendwie Symbolcharakter für die rot-grüne Umweltpolitik dieser Legislaturperiode, dass die Debatte zum Umwelthaushalt 2002 mit der ersten Lesung zum Atomausstiegsgesetz verknüpft wird; denn vor den eigentlichen Umweltproblemen dieser Zeit - dem Klimawandel, der Zerstörung der Artenvielfalt, der Verwüstung des Planeten - betreiben Sie eine Politik der Halbherzigkeiten und der Flickschusterei. ({0}) Sie haben Ihre personellen und politischen Kapazitäten vor allem auf den Ausstieg aus der Kernenergie gerichtet. Dies ist und bleibt für uns aber ein falsches Ziel. Wir lehnen die Atomausstiegsnovelle ab. ({1}) Ich fasse noch einmal die wichtigsten Argumente zusammen: Erstens. Die Stromerzeugung durch Kernkraft, Herr Kubatschka, weist im Vergleich zu anderen Arten der Stromproduktion auch für die Zukunft die niedrigsten Gestehungskosten auf. ({2}) - Ich habe das gesagt, damit Sie einmal die Zahlen kennen. Ein Ausstieg treibt die Energiepreise weiter nach oben - Preise, die von Rot-Grün ohnehin bereits künstlich aufgeblasen sind. Ihre Politik provoziert für unser Land bereits jetzt eine Mehrbelastung von rund 50 Milliarden DM pro Jahr. Ein Ausstieg aus der Kernkraft wird diese Situation noch verschärfen. Das ist schlecht für den Wirtschaftsstandort Deutschland und schlecht für das Portemonnaie der Bürger. Zweitens. Zehntausende von hoch qualifizierten Arbeitsplätzen im Kernenergiesektor sowie noch mehr in den stromintensiven Industriebranchen in Deutschland werden wegfallen. ({3}) Ich halte es wirklich für falsch und unredlich, die Arbeitsplätze im regenerativen Bereich gegen die aus der Kernenergie auszuspielen. ({4}) Auch wir wollen eine Verdoppelung des Einsatzes von regenerativen Energiequellen erreichen. Frau Hustedt, das Stromeinspeisungsgesetz - Stichwort Peter Ramsauer stammt von uns und nicht von Ihnen. Dieses Gesetz hat die Grundlage für den Erfolg gelegt, den wir alle wollten. Wir wollen aber nicht, dass Arbeitsplätze gegeneinander ausgespielt werden, wir wollen vielmehr auch die Arbeitsplätze im Energiesektor erhalten. Drittens. Der Ausstieg aus der Kernenergie erfolgt ins Blaue. Die Bundesregierung hat bis heute kein schlüssiges Konzept, wie die mit dem Ausstieg verbundene Energieversorgungslücke geschlossen werden soll. ({5}) Kanzler Schröder und Umweltminister Trittin setzen ganz offiziell auf den verstärkten Einsatz von Importkohle. Ein solches Vorgehen wird unsere ohnehin kritische hohe nationale Abhängigkeit von möglicherweise problematischen Energiebezugsquellen noch einmal um 13 Prozent erhöhen. Wir werden in 10 bis 15 Jahren innerhalb der EU bei einer Abhängigkeitsquote von 70 Prozent sein. ({6}) Das ist schlecht für unsere Versorgungssicherheit. Der anvisierte Ausstieg wirft den nationalen Klimaschutzbeitrag mittel- bis langfristig weit zurück. Sie haben bis heute noch nicht annähernd darlegen können, wie Sie die 160 Millionen Tonnen CO2, die die deutsche Kernkraft derzeit pro Jahr im Vergleich zu fossilen Energieträgern einspart, hereinholen wollen. ({7}) Über dieses Problem redet auch Wirtschaftsminister Müller in aller Öffentlichkeit. Das ist schlecht für den Klimaschutz. Vor allem - darauf hat Frau Homburger schon zu Recht hingewiesen -: Das rot-grüne Ausstiegsgesetz gefährdet schon sehr rasch technologische Innovationen und die Weiterentwicklung in Deutschland, sei es bei der Entwicklung neuer Reaktortypen durch das Neubauverbot oder neuer Verfahren zur Behandlung radioaktiver Abfälle durch das Verbot der Wiederaufbereitung. Der eigentliche Wahnsinn für mich ist: Während derzeit auf der Erde rund 90 Reaktoren geplant oder im Bau sind ({8}) - in den USA -, so auch in zahlreichen Entwicklungs-, Schwellen- und Transformationsländern, während um uns herum eine Renaissance der Kernkraft stattfindet, provozieren Sie einen technologischen Fadenriss, und zwar ausgerechnet in einem Land, das anerkannterweise den höchsten Sicherheitsstandard der Welt hat. Sie nehmen in Kauf, dass die Sicherheitssituation auf der ganzen Erde verschlechtert wird, und das zu einem Zeitpunkt, in dem, auch unter Beteiligung deutscher Wissenschaftler, neue, sicherere Reaktortypen zum Greifen nahe sind. Dabei ist es reiner Zynismus in Kauf zu nehmen, dass die Versorgung Deutschlands verstärkt durch Importstrom aus weit weniger sicheren Kernkraftwerken im Ausland erfolgt. Ich möchte ganz deutlich sagen: Ich würde jedem vehement widersprechen, der behauptet, die friedliche Nutzung der Kernenergie sei risikolos und verlange nicht höchste Aufmerksamkeit und Vorsorge. Ich trete auch ohne Wenn und Aber dafür ein, kein Risiko unter den Teppich zu kehren, auch nicht das Risiko eines Terroranschlags. Diese Gefahr ist nach Aussage von Experten und auch nach Aussagen Ihrer Spitzenpolitiker - vor allem Herrn Schilys - derzeit nicht akut. Wir sollten aber die Sorge ernst nehmen und nüchtern sowie entschlossen prüfen lassen, wie die Lage wirklich einzuschätzen ist. Ich möchte aber auch daran erinnern, was ein für diesen Sektor zuständiger Beamter des BMU auf der letzten Sitzung des Umweltausschusses in Ihrem Beisein, Herr Trittin, über die Sicherheitsvorteile des HTR, des Kugelhaufenreaktors, ausführte. Aber genau solche Innovationen brechen Sie mit Ihrem Atomausstiegsgesetz ab. ({9}) Sie selbst stellen in Ihrem Gesetz fest, dass die deutschen Kernkraftwerke auch im internationalen Maßstab einen hervorragend hohen Sicherheitsstandard aufweisen. Es gibt überhaupt nur eine einzige offene Flanke, die Frage der Endlagerung. Jeder weiß, dass dieses Problem mit einer Entscheidung für Gorleben kurz vor der Lösung stünde. Genau diese Lösung wird von Ihnen mutwillig torpediert, und zwar auf Kosten zukünftiger Generationen. ({10}) Zynisch ist auch, Herr Trittin, wie Sie mit dem Parlament und den Bundesländern umgehen. Mit Ihrem Vorgehen degradieren Sie alle Abgeordneten, vor allem die der rot-grünen Koalition, zu reinen Abnickautomaten. Sie haben in einer Frage von nationaler Bedeutung, die eigentlich nur im Konsens mit den Bundesländern zu regeln ist, Ihre Pflicht zur Bundestreue in eklatanter Weise verletzt. Sie schüren mit dem Moratorium und dem Zwischenlagergebot Unruhe an den Standorten und im ganzen Land. Zusammenfassend komme ich zu dem Schluss, dass die rot-grüne Kernenergiepolitik nicht nur unlogisch und voller Ungereimtheiten ist, ökonomisch und ökologisch ein Rückschlag ist und mittel- und langfristig national und international das nukleare Sicherheitsrisiko erhöht, sondern auch mit undemokratischen Mitteln durchgesetzt werden soll und die Menschen in unserem Land spaltet und verunsichert, und zwar unter dem Deckmantel der Umweltpolitik.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Ruck, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.

Dr. Christian Ruck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001893, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Jawohl. - Eine solche Umweltpolitik ist langfristig eine Politik gegen die Umwelt. Ausgerechnet mit Rot-Grün ist die deutsche Umweltpolitik in der Sackgasse und mit Trittin kommt sie da auch nicht mehr heraus. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Jetzt spricht der Kollege Winfried Hermann für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Winfried Hermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003147, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe in der Kürze der Zeit nicht die Möglichkeiten, gegen all das zu argumentieren, was Sie aufgetischt haben. ({0}) Ich muss mich auf einige wenige Punkte konzentrieren. Ich fange erst einmal grundsätzlich und allgemein an. Was ich anfangs amüsant fand, später dann aber doch eher entsetzlich bis ärgerlich, war, dass Herr Paziorek oder Frau Homburger hier auftreten wie die radikal-ökologischen Heißsporne, ({1}) denen es nicht radikal und schnell genug geht. Gleichzeitig kenne ich Sie aus dem Ausschuss: Immer wenn ein Gesetz zur ökologischen Modernisierung vorliegt, sind Sie die Bedenkenträger und die Wahrer von Interessen verschiedener Gruppen, die dagegen halten. ({2}) Nun wäre das nicht schlimm, wenn Sie nur verbal dagegenhalten würden. ({3}) Darüber kann man mit einer Mehrheit ja hinweggehen. Das Problem ist, dass gerade im Umweltbereich zahlreiche gesetzliche Regelungen nicht ohne die Zustimmung des Bundesrates erfolgen können. ({4}) Gerade die Länder, die Sie regieren, sind die Allerersten, die blockieren: bei der Verpackungsverordnung und dem Dosenpfand - Baden-Württemberg mit Schwarz-Gelb. Nehmen wir das Fluglärmgesetz. Da haben Sie gesagt, es gebe Gegner. Fragen Sie einmal bei Ihren Regierungen an: Die größten Gegner hocken in Ihren Reihen. Jede ökologische Verbesserung wird auf Landesebene blockiert. ({5}) Ich komme nun zurück zum Haushalt. In den unterschiedlichsten Varianten wurde uns, auch von der PDS, vorgeworfen, das Volumen dieses Haushaltes zeige keine großen Sprünge, es sei nicht groß genug. Als wäre es heutzutage ein Maßstab, dass man an den Mark- und Eurobeträgen des Umwelthaushaltes ablesen könnte, wie viel Umweltpolitik eine Regierung macht! ({6}) Herr Borchert hat diesmal immerhin zur Kenntnis genommen, dass nur noch 12 Prozent der Umweltausgaben direkt im Umweltministerium ressortieren und dass der große andere Teil in all den anderen Bereichen, im Wirtschaftsministerium, im Forschungsministerium sowie im Ernährungs- und Landwirtschaftsministerium, ausgegeben wird. Das ist eine moderne Form von Umweltpolitik. ({7}) Das ist das europäische Prinzip der Integration von Umwelt in alle Bereiche. ({8}) Eine fortschrittliche Debatte zum Haushalt in dieser Frage wäre an sich eine Querschnittsdebatte, an der alle Ressorts beteiligt sind und bei der deutlich wird, was ökologisch insgesamt gemacht wird und wo es Fortschritte gibt. Wir stehen gut da, zum Beispiel bei der Energie- oder der Agrarwende. ({9}) Wenn Sie das in allen Bereichen nachlesen, dann würden Sie sehen, wie viel wir ausgeben. 4,3 Milliarden Euro ist keine Summe, mit der man sich genieren muss. Das hat es zusammengerechnet noch nie in einem Haushalt gegeben. ({10}) Sie beklagen, dass der Umwelthaushalt in manchen Bereichen stark zurückgeht. ({11}) In einem Bereich ist das aber ein Erfolg. Natürlich geht er dort zurück, wo Kosten für die Endlagerung nicht mehr entstehen, weil wir einen anderen Weg gehen. Das muss man doch nicht beklagen. Dann hat der Kollege Borchert ausgeführt, es sei furchtbar, dass der Verwaltungsanteil im Umwelthaushalt so hoch sei. Welche Vorstellung haben Sie eigentlich von einer Administration? Sind denn etwa die Experten, die Jürgen Trittin bei Klimaschutzverhandlungen beraten, Verwaltungsbeamte oder sind das Leute, die im Sinne der Ökologie produktiv und kreativ an der Politik teilnehmen? ({12}) Hier kann man doch nicht so tun, als stellten deren Kosten irgendwelche miesen Verwaltungsausgaben dar. So kann man das nicht kritisieren; das ist ziemlich billig. Sie werfen uns vor, wir hätten kein Umweltgesetzbuch erarbeitet. Wer hat denn das Umweltgesetzbuch auf Länderebene verhindert? ({13}) Das waren doch die CDU-regierten Länder. Außerdem hat die CDU das in den zehn Jahren zuvor nicht zustande gebracht. Sie kritisieren, dass wir noch keine Naturschutzgesetznovelle durchgebracht haben. Wer hat denn in den zehn Jahren zuvor gar nichts durchgebracht? Das waren doch Sie! Wir hingegen arbeiten Ihre Altlasten ab und das dauert leider einige Zeit. ({14}) Wir arbeiten am Konzept der Modernisierung des Umweltrechts mit der Umsetzung aller modernen europäischen Umweltschutzrichtlinien, die Sie nicht umgesetzt haben. Das reicht von der Umweltverträglichkeitsprüfung bis hin zur Anlagengenehmigung. Das haben wir jetzt durchbekommen, und zwar mit großem Erfolg. ({15}) Dabei ging es übrigens nicht darum, immer noch draufzusatteln, Herr Kollege Paziorek. Wir haben uns bemüht, wenigstens das Minimum der EU-Regelungen durchzusetzen. Aber selbst dabei haben Sie oft nicht mitziehen können. ({16}) Wir haben im Haushalt einige neue Akzente gesetzt. Einige hat der Herr Minister bereits angesprochen. Ich möchte noch einen Akzent hinzufügen: Ich halte es für begrüßenswert, dass sich im Haushalt jetzt auch die EUOsterweiterung widerspiegelt. Es wird also Geld für Beratungstätigkeiten ausgegeben, damit sich diese Länder in die europäischen Regelungen einarbeiten können. Ferner gibt es neue Stellen für die Vorbereitung der Nachhaltigkeitsstrategie. Sie haben bei diesem Thema nur geklagt, aber ich habe von Ihnen bisher kein einziges Papier zur nachhaltigen Entwicklung gesehen. ({17}) Bei uns ist es anders: In den Koalitionsfraktionen wird an einem Konzept gearbeitet, die Regierung arbeitet an einer Strategie, der Nachhaltigkeitsrat arbeitet an Strategien. ({18}) Wir haben in vielen Bereichen des Haushalts, vor allem im Forschungsbereich, so gut zugelegt, dass die nachhaltige Entwicklung im Zusammenhang mit dem Rio-Prozess, aber auch in unserem Land vorbereitet werden kann. Hier ist mir nicht bange, denn wir haben zu vielen Themen gute Konzepte und wir haben viel Geld zur Verfügung gestellt, damit eine Nachhaltigkeitsstrategie rechtzeitig zustande kommt. Ich komme zum Schluss, da das rote Licht schon leuchtet.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Das müssen Sie wirklich.

Winfried Hermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003147, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich schließe mit einer aktuellen Meldung aus der Schweiz. Gestern haben sich in der Schweiz die Wirtschaftsverbände auf UN-Ebene zur Vorbereitung der JohannesburgKonferenz „Zehn Jahre Rio“ getroffen. In seinem Grußwort hat der Schweizer Außenminister etwas gesagt, was ich hier zitieren möchte: Die umweltverträgliche, dauerhafte, ja die nachhaltige Entwicklung, die den Völkern sowohl Gleichheit als auch Gerechtigkeit bringt, das ist die eigentliche Zukunft; dafür müssen wir stehen. Und: Wer dies befördert und vorantreibt, der entzieht dem Terrorismus die Wurzeln und sorgt dafür, dass sich langfristig Gewalt und Ungerechtigkeit nicht durchsetzen können. Vielen Dank. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die CDU/CSUFraktion spricht jetzt der Kollege Kurt-Dieter Grill.

Kurt Dieter Grill (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002665, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Rede des Kollegen Hermann war von einer Gedächtnislücke geprägt, die etwa von 1983 bis 1998 reicht. Lieber Kollege Hermann, ich lasse einmal Revue passieren, was wir in den 80er- und 90er-Jahren im Bereich des Umweltschutzes durchgesetzt haben. Fritz Zimmermann hat mit der Großfeuerungsanlagen-Verordnung angefangen; wir haben sie durchgesetzt, weil die SPD vorher die FDP wegen der Braunkohleförderung in Nordrhein-Westfalen daran gehindert hat. Ohne uns gäbe es das Katalysatorauto nicht. Wir haben mit der Luftreinhaltepolitik, der Chemiepolitik, der Wasserpolitik begonnen; ich könnte beliebig viele andere Bereiche aufzählen. Das Kreislaufwirtschaftsgesetz stammt von Klaus Töpfer und nicht von Jürgen Trittin. Auch die Bundesstiftung Umwelt ist von uns eingerichtet worden. Die Umweltpolitik in der Bundesrepublik Deutschland hat 1983 einen gewaltigen Sprung nach vorne gemacht. ({0}) Herr Kubatschka, wenn Sie Franz Josef Strauß mit einer Äußerung von 1959 zitieren, müssen Sie diese schon vollständig zitieren. ({1}) - Sie haben auf die Mitwirkung von Strauß hingewiesen. Ich kann Ihnen nur sagen: Franz Josef Strauß hat in seiner Rede bereits über die Endlagerung gesprochen und danach taten dies auch die Wissenschaftler. Sie irren oder wollen es möglicherweise nicht wissen, dass das schon viel länger angedacht war. Im Übrigen hat Frau Hustedt in ihrem Beitrag darauf hingewiesen, wie die grüne Bewegung entstanden ist. Eine der Ursachen war die Tatsache, dass die Sozialdemokraten bis hin zu Erhard Eppler in den 60er-Jahren eine Politik des unbegrenzten Wachstums und des unbegrenzten Wohlstandes vertraten. Dazu gehörte der schnelle Brüter, den ein Mann wie Erhard Eppler in den 60er- und 70er-Jahren befürwortete. Gorleben ist die Folge einer großindustriellen Planung unter Helmut Schmidt ({2}) und nicht unter Helmut Kohl. ({3}) Das können Sie alles nachlesen, denn die direkte Endlagerung, auf die sich Herr Trittin heute bezogen hat, ist eine Folge der Ablehnung des 1 500-Tonnen-Wiederaufarbeitungskonzepts der Regierung Helmut Schmidt, ({4}) das wir 1980 als Alternative entwickelt haben und das nicht etwa 1998 entwickelt worden ist. Sie können heute diese Anlagen überhaupt nur in Ihre Kalkulation aufnehmen, weil 1980, 1982 und 1983 mit der Arbeit an entsprechenden Konzepten begonnen wurde. Sie ernten Früchte aus einer visionären und in die Zukunft gerichteten Politik einer CDU/CSU/FDP-Koalition und nicht einer rot-grünen Koalition. ({5}) Lassen Sie mich etwas zur Frage des Risikos sagen. Ich finde es schon recht interessant, dass Sie sich der Versuchung nicht widersetzen können, die Ereignisse des 11. September im Hinblick auf die Kernenergie zu instrumentalisieren. ({6}) Die Wahrheit ist, meine Damen und Herren, dass diese Industriegesellschaft westlicher Prägung nicht nur ein Lindenblatt des Siegfrieds hat, sondern mehrere. ({7}) Sie ist an vielen Stellen verletzbar. Ich will, weil ich nicht das eine Risiko gegen das andere ausspielen will, ({8}) darauf verzichten, Ihnen vorzuführen, an welchen Stellen diese Industriegesellschaft mit solchen Flugzeugangriffen, wie wir sie erlebt haben, auf eine geradezu widerliche Art verletzbar wäre. ({9}) Sie haben hier wieder einmal im Grunde genommen das vorgeführt, was wir in den letzten 20 Jahren an vielen Standorten erlebt haben. Weil durchaus zu vermuten war, an welchen Stellen das Ganze ansetzt, habe ich für die Frage des Kernenergieausstiegs noch einmal für mich persönlich deutlich zu machen versucht, dass die ethisch-moralische Frage, die Sie als Gutmenschen immer für sich in Anspruch nehmen, ({10}) mit diesem Atomgesetz jedenfalls nicht zu Ihren Gunsten entschieden wird, denn den Beweis, dass die Kernenergie unverantwortlich ist, bleiben Sie im Gesetzeswerk selbst schuldig. Sie belegen den in den ersten trittinschen Entwürfen des Atomgesetzes von 1998 und 1999 erhobenen Vorwurf nicht, dass es sich um ein neues Risiko handele, daher eine Neubewertung vorzunehmen sei und man zu dem Schluss kommen müsse, dass das Risiko nicht zu verantworten sei. Sie attestieren in diesem Gesetz den deutschen Kernkraftwerken den international höchsten Sicherheitsstandard. ({11}) Deswegen kann ich nur sagen: Herr Kubatschka hat hier auch wieder vergessen - der einzige, der das hier einmal intellektuell ganz sauber zugegeben hat, war Otto Schily in der letzten Debatte über den Castortransport -, ({12}) dass 80 Prozent der Kernkraftwerke unter sozialdemokratischen Regierungen genehmigt worden sind. ({13}) Sie bauen genauso wie die Grünen im Grunde genommen wieder das Verhetzungspotenzial auf. Ich könnte Ihnen auch heute noch viele Standorte zeigen, in denen mit der Angst vor der Kernenergie Politik gemacht wird. ({14}) Hier auf dieser Regierungsbank sitzen eine ganze Reihe von Menschen, die sagen, Angst darf kein Mittel der Politik sein. ({15}) Dann lassen Sie das auch gegenüber sich selber gelten. Ich könnte Ihnen an manchen Standorten nachweisen, dass Sie im Grunde genommen diese Ängste der Bevölkerung als ein Vehikel zur Macht benutzt haben. ({16}) Nichts anderes haben Sie getan. ({17}) Deswegen sage ich Ihnen mit allem Nachdruck: Sie haben weder die Moral noch die Ethik für sich allein gepachtet, ({18}) wenn Sie einen Ausstieg aus der Kernenergie propagieren, meine Damen und Herren. ({19}) Sie tun nur immer so. ({20}) Ein weiterer Punkt: Schauen wir uns doch einmal an, was für eine Antwort uns diese Bundesregierung in der Energiepolitik auf die Frage gibt, was stattdessen kommen soll. Niemand anders als der Bundeswirtschaftsminister hat vor seinem Amtsantritt gesagt: Wer aussteigt, muss auch sagen, wo er einsteigt! ({21}) - Sie haben überhaupt nichts nachgewiesen! ({22}) Dann kann ich nur sagen: Lesen Sie den nicht veröffentlichten Bericht des Bundeswirtschaftsministers; aus ihm geht das hervor, was wir Ihnen sozusagen als zentralen Punkt vorwerfen, nämlich dass Sie uns bis heute den klimaverträglichen Ersatz der Kernenergie nicht nachgewiesen haben. ({23}) Das ist das Zitat des Bundeswirtschaftsministers, meine Damen und Herren. Herr Bundeswirtschaftsminister Müller - ich brauche hier gar nicht meine eigenen Worte zu benutzen - hat gesagt: Mit dem Atomausstieg bis 2020 wird die CO2-Einsparung von minus 40 Prozent bis 2020 kaum möglich. ({24}) Das ist die Realität. Ich kann Ihnen nur sagen, meine Damen und Herren: Sowohl im Energiedialog als auch in dem jetzigen Bericht des Bundeswirtschaftsministers wird die zentrale Frage, wie der Ausstieg aus der Kernenergie energiepolitisch verantwortet wird, nicht einmal ansatzweise beantwortet. ({25}) Ich habe heute nur gehört - das ist geradezu eine Fata Morgana, die da von Frau Hustedt vermittelt worden ist -, man wolle sich von dem Import von Öl und Gas vollständig unabhängig machen. Dies ist eine Politik, die Deutschland als Industriestandort nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch und bezüglich der Arbeitsplätze gegen die Wand fährt. ({26}) Hinsichtlich dessen, was uns diese Bundesregierung als Ersatz für Kernkraftwerke anbietet, darf ich Ihren Bundeskanzler vom 7. November 2000 zitieren; er sagt nämlich, dass man mit dem Solarzeitalter noch eine Weile warten müsse. Wörtlich heißt es: Neben kleinen dezentralen Kraftwerken, die in Kraft-Wärme-Kopplung produzieren, haben auch große Anlagen für Stein- und Braunkohle weiterhin Platz. Ich will das gar nicht in Zweifel ziehen. Nur ein Bundeskanzler, der Kernenergie durch Kohlekraftwerke ersetzen will, macht keine Klimapolitik, sondern macht eine Antiklimapolitik. ({27}) Dann sage ich nur: Geben Sie uns doch eine Antwort auf die These von Herrn Bundeswirtschaftsminister Müller: „Wer aussteigt, muss auch sagen, wo er einsteigt.“ ({28}) Sie haben keine Perspektiven, die diese Frage beantworten. ({29}) - Ach, wissen Sie, gegen Sie bin ich geradezu ein Hellseher, Frau Ganseforth. ({30}) In der Entsorgung nutzen Sie alles, was Sie bisher als falsch, als gescheitert beschrieben haben, alles, nur nicht eines - damit verlängern Sie die Landebahn, die Sie sonst immer eingefordert haben -: die Erkundung des Endlagers Gorleben. Meine Damen und Herren, Sie wissen genau, woher ich komme. Wir haben verschiedentlich darüber diskutiert. Herr Minister Trittin, was ich jetzt sage, gilt für Sie und für den Bundeskanzler: Ich habe in der Zeit, in der wir Verantwortung gehabt haben, immer darauf hingewiesen, ({31}) dass der Castorbehälter keine parteipolitischen Farben hat. Ihre Parteifreunde und die Sozialdemokraten vor Ort haben ein Verhetzungspotenzial gegen Frau Merkel und gegen Klaus Töpfer immer genutzt, um Politik zu machen. Sie haben sich um 180 Grad gedreht - das ist heute hier gerade gesagt worden -, aber diese 180-Grad-Wende bedeutet, dass der Castorbehälter nach Ihrer Auffassung jetzt sicher ist und dass er sozusagen verantwortbar - internationale Verträge müssen jetzt eingehalten werden! transportiert werden kann. Wie war das noch? „Kriminelle Abfallschieberei“ haben Sie das einmal genannt. ({32}) Ich fordere Sie und den Bundeskanzler auf, endlich dorthin zu gehen, wo die Leute merken, dass der Castorbehälter wirklich keine Parteifarbe hat, sondern nur sicher wird, weil Sie und der Bundeskanzler auf der Lok sitzen. Gehen Sie endlich nach Lüchow-Dannenberg, entschuldigen Sie sich bei den Menschen für das, was Sie in den letzten Jahren getan haben, und erläutern Sie endlich einmal vor Ort, warum jetzt alles sicher ist, was früher bis zur Regierungswende von Ihnen und Ihren Parteifreunden als unverantwortlich und lebensgefährdend dargestellt worden ist! ({33})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Letzter Redner zum Einzelplan 16 ist der Kollege Michael Müller für die SPDFraktion.

Michael Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001561, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine Damen und Herren! Herr Grill, Sie haben Recht. Natürlich erheben wir nicht den Anspruch, Moral und Ethik gepachtet zu haben. Aber wir haben wenigstens eine. Das ist auch schon viel wert. ({0}) - Nach dieser Rede fällt mir wirklich nichts anderes mehr ein. Es tut mir Leid. ({1}) - Das ist richtig. Darüber sollten manche nachdenken. ({2}) Es gab zwei spektakuläre Ereignisse in der letzten Zeit, die sich in das kollektive Bewusstsein eingeprägt haben. Sie haben sehr viel mit dieser Debatte zu tun. Das ist zum einen das, was in Genua passiert ist. Von dort haben wir aus meiner Sicht ein sehr alarmierendes Signal bekommen: dass wir die Welt sozusagen als Ganzes sehen müssen und nicht nur die Interessen weniger Teile. Und da ist zum anderen das Signal von New York und Washington, das uns zeigt, wie verwundbar wir sind. Diese Ereignisse hängen eng mit unserem Thema zusammen. Wir dürfen nämlich in unserer Politik nicht mehr diesen verengten Blick haben, der zwar die Probleme kennt und benennt, der aber letztlich keine Konsequenzen zieht. Das ist aus meiner Sicht das eigentliche Signal, das aus beiden Ereignissen deutlich geworden ist. Herr Präsident Putin hat hier gesagt, er stelle sich die Frage, ob wir das, was in der modernen Welt passiert, intellektuell wirklich schon verarbeitet haben. Diese Frage müssen wir uns alle stellen. Ich meine, sie ist vor dem Hintergrund zweier zentraler Kennzeichen einer modernen Gesellschaft eine berechtigte Frage. Dabei handelt es sich erstens um den Umstand, dass die moderne Gesellschaft wie noch nie ineinander verflochten ist. Es ist so, dass die Politik mehr denn je über die Wirkungen ihrer Handlungen nachdenken muss. Sie muss sich aus ihrer isolierten Betrachtung von Teilbereichen lösen. ({3}) Zweitens müssen wir erkennen, welche Fernwirkungen die Komplexität unseres Handelns hat. Dies beides erfordert vor allem eines, nämlich Lernfähigkeit. Ich persönlich halte es für völlig müßig, ja für langweilig und für ein antiquiertes Politikverständnis, ({4}) wenn man die Positionen, die man vielleicht vor 20 Jahren vertreten hat, auf die aktuelle Situation bezieht und nicht begreift, was in den letzten 20 Jahren passiert ist. ({5}) Wer das nicht sieht, ist vor allem zu einem nicht fähig: zur Lernfähigkeit. Das ist eine der wichtigsten Fähigkeiten in einer modernen Gesellschaft. Der nächste Punkt, den man sehen muss, ist, dass wir mit unserem alten Politikmodell in der heutigen Zeit an Grenzen stoßen. Besonders deutlich ist das in der Energiepolitik. Wenn Sie jetzt beispielsweise über die Energiepolitik reden, müssen Sie natürlich auch erwähnen, dass mit der Atomenergie wie mit kaum einem anderen Energieträger die Themen Energiewachstum und extensiver Energieverbrauch verbunden sind. ({6}) Wer glaubt denn im Ernst, mit der Fortschreibung der heutigen hohen Energiewachstumsraten könnte er in eine friedliche Zukunft gehen? Wer glaubt das denn im Ernst nach den Erkenntnissen, die wir haben? ({7}) Es ist doch, Herr Grill, einer der entscheidenden Punkte der Kritik an der Atomenergie, dass dies ein absolutes ineffizientes System mit einem äußerst geringen Wirkungsgrad und einer antiquierten Logik ist, die einer Logik der Minimierung des Energieverbrauchs völlig widerspricht. ({8}) Sie müssen doch erkennen: Es ist die Philosophie des letzten Jahrhunderts, große Kraftwerke und große Netzsysteme zu haben und an die Verbraucher heranzutreten. Die moderne Energiepolitik muss flexibel, dezentral und am Bedarf orientiert sein. Das können Sie mit dieser Dinosauriertechnologie nicht. Das ist doch einer der entscheidenden Punkte, den Sie bis heute nicht begriffen haben. ({9}) Eine moderne Energiepolitik verbindet intelligent effiziente Techniken, Einspartechniken, Solartechniken miteinander. Sie setzt eben nicht mehr auf immer größere Großkraftwerke mit all den Konsequenzen, die damit verbunden sind. Sie müssen doch einmal begreifen, dass dies eine höchst moderne Philosophie ist, wenngleich dies vielleicht ein bisschen zu schwer ist für jemanden, der zu sehr den alten Strukturen verhaftet ist. Aber wir müssen aus diesen alten Strukturen heraus, weil wir sonst die Energieprobleme der Welt nicht mehr lösen können. Das ist doch die entscheidende Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt. ({10}) Wenn Sie dies einsehen, dann werden Sie feststellen, dass Europa eine besondere Verantwortung hat. Ich habe mich in den letzten Monaten sehr intensiv mit der aus meiner Sicht zentralen Antwort auf die globalen Herausforderungen beschäftigt und mich deshalb über den Stand der Diskussion über die Nachhaltigkeit in anderen Ländern kundig gemacht. Das, was Sie als moderne Instrumente bezeichnen, ist in fast allen Ländern im Rückgang begriffen. Fast alle Länder betreiben inzwischen wieder eine eher auf verbindliche Regelungen ausgerichtete Umweltpolitik. Das ist das Gegenteil von dem, was Sie fordern. Wenn Sie sich selber einmal kundig machen, dann werden Sie feststellen, dass in fast allen Ländern folgende Elemente zentral für die Umweltpolitik sind: Ökosteuer - die bekämpfen Sie; ökologischer Umbau der Landwirtschaft - den bekämpfen Sie; Energiewende - auch die bekämpfen Sie. Sie haben sich mit Ihren antiquierten umweltpolitischen Positionen isoliert. Das ist die eigentliche Wahrheit. Wir sind in Europa längst viel weiter. ({11}) Ich sage dies auch vor dem Hintergrund des Atomausstiegs, der für uns besonders wichtig ist. Ich kann nicht nachvollziehen - ich möchte wirklich nicht dramatisieren -, dass man beispielsweise die Ereignisse von New York und Wash-ington nicht auch als ein potenzielles Szenario im Hinblick auf Atomkraftwerke betrachtet. ({12}) Ich möchte Ihnen das an Folgendem deutlich machen: Die besseren Atomanlagen in der Bundesrepublik sind für den Absturz eines Militärflugzeugs mit 5 Tonnen Kerosin ausgelegt. Ein Langstreckenairbus hat 300 Tonnen Kerosin an Bord. Die Atomkraftwerke in Deutschland sind also für ganz andere Gefahrenszenarien konzipiert worden. Ich möchte den Teufel nicht an die Wand malen. ({13}) - Entschuldigung, aber ich muss diese Szenarien doch nennen dürfen. Das tun Sie doch selbst. ({14}) Ich streite gar nicht ab, dass nicht auch Chemiefabriken und Staudämme Ziel von Anschlägen werden können. Natürlich gibt es keine moderne Gesellschaft ohne Risiko. Aber es gibt einen entscheidenden Unterschied: Atomenergie muss nicht notwendigerweise genutzt werden. Wir können das Risiko also minimieren. Zur politischen Verantwortung gehört es, Risiken zu minimieren, wo es nur geht. Das ist der entscheidende Punkt. ({15}) Wir haben die große Chance, mithilfe unserer Energiepolitik solche Risiken zu minimieren. Das ist kein antiquiertes Denken. Das ist leider in brutaler Weise bestätigt worden. ({16}) Ich bin der Auffassung, dass die Diskussion über die Atomenergie eine Diskussion von gestern ist. Wenn die Sicherheitsauflagen des Atomgesetzes von 1993 ernst genommen werden, dann wird in der Bundesrepublik schon aus ökonomischen Gründen kein Atomkraftwerk mehr gebaut werden können; denn sowohl die Investitionskosten als auch die Gestehungskosten eines solchen Kraftwerks wären viel zu hoch. Wenn Sie das nicht glauben, dann rate ich Ihnen, sich beispielsweise die Unterlagen von Framatom und Siemens anzuschauen. Die Wirtschaft ist viel rationaler als Sie. Aber der für mich viel wichtigere Grund, warum es keine neuen Atomkraftwerke mehr geben wird, ist: Wir müssen in Europa eine neue Energiepolitik betreiben - das ist unsere Verantwortung -, weil wir wissen, dass eine die Atomkraft fördernde Energiepolitik in Zeiten der Globalisierung nicht mehr haltbar ist. Wir brauchen eine auf Effizienz und Solarenergie ausgerichtete Energiepolitik. Ich glaube, dass die heutige Debatte über die Umweltpolitik - da hat der Umweltminister Recht - nicht mehr mit den Denkweisen und Ansätzen der 70er- und 80erJahre geführt werden kann. Heute ist die Ökologie zu einem zentralen inhaltlichen Punkt gesellschaftlicher Michael Müller ({17}) Reformen geworden. Früher haben wir um die Anerkennung der Ökologie gekämpft. Aber jetzt - das ist ein gewaltiger Unterschied - ist die Ökologie zumindest unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit die große Chance für eine Welt der Vielfalt, der sozialen Gerechtigkeit und der ökologischen Verträglichkeit. ({18}) Sie können noch so viel reden. Wir werden diesen Weg weitergehen, weil wir von ihm überzeugt sind. Deshalb werden wir unsere Politik fortsetzen. Vielen Dank. ({19})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Zu einer Kurzintervention erteile ich jetzt das Wort dem Kollegen KurtDieter Grill.

Kurt Dieter Grill (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002665, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Herr Kollege Müller, ich will drei Dinge sagen. Erstens. Sie haben hier den Eindruck erweckt, die Energiepolitik der Union, auch die, die ich persönlich geplant habe, sei nur von der Kernenergie beherrscht. Das ist vollkommen falsch. Sie haben die Kernenergie für nicht vorhandene Effizienzsteigerungen in Haft genommen. Das ist ebenfalls vollkommen falsch. Sie wissen genauso gut wie ich, dass der Energiekoeffizient in Deutschland in den letzten 20 Jahren - in dieser Zeit haben größtenteils wir regiert - von 1,2 auf etwa 0,7 gesunken ist. In den letzten zehn Jahren hat das DIW eine Energieeffizienzsteigerung von jährlich 2 Prozent attestiert. Strengen Sie sich einmal an, wenn Sie unsere Effizienzsteigerungsraten erzielen wollen! Zweitens. Sie sprechen, genauso wie der Kollege Hermann, über das Internationale, das Globale. Warum streichen Sie die Mittel für die Solarforschung zusammen? Warum streichen Sie die Mittel für die Entwicklungshilfe zusammen? Sie sind doch für eine Politik mitverantwortlich, die die internationalen Geschehnisse, die diesen Bereich betreffen, nicht mehr wahrnimmt. Drittens. Sie haben sich auch diesmal wieder - das machen Sie jedes Mal - sozusagen durch die Hintertür zum besseren Menschen erklärt. Ich sage Ihnen: Die intellektuelle Arroganz, die Sie heute wieder an den Tag gelegt haben, lassen wir Ihnen nicht durchgehen. Wir denken nicht nur über die Zukunft Deutschlands und Europas, sondern auch über die der ganzen Welt nach. An entscheidenden Stellen sitzen Vertreter unserer Partei, zum Beispiel Klaus Töpfer, weil wir das schon immer getan haben. Ich möchte an dieser Stelle einen Satz von Odo Marquard zitieren - der passt vielleicht zu Ihnen -: Je besser es den Menschen geht, umso weniger wollen sie mit den Dingen zu tun haben, die die Grundlage ihres Wohlstandes sind. Über diesen Satz sollten Sie einmal nachdenken, nachdem Sie heute so getan haben, als lägen fehlende Verantwortung und Risikodenken nur auf der Seite der Union und auf meiner Seite. Ich weise das, was Sie hier wieder versucht haben, mit aller Schärfe zurück. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Zur Erwiderung Herr Kollege Müller, bitte.

Michael Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001561, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bin gern be- reit, diese Diskussion zu führen - allerdings mit der CDU und nicht mit Herrn Grill.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Weitere Wortmeldun- gen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit liegen nicht vor. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 14/6890 und 14/6886 an die in der Ta- gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Dazu gibt es keine anderweitigen Vorschläge. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bun- desministeriums für Bildung und Forschung, Einzel- plan 30. Außerdem rufe ich die Tagesordnungspunkte 8 a bis 8 c auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Hochschulrahmengesetzes und anderer Vorschriften ({0}) - Drucksache 14/6853 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({1}) Innenausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform der Professorenbesoldung ({2}) - Drucksache 14/6852 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({3}) Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen- abschätzung Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia Pieper, Hans-Joachim Otto ({4}), Ina Albowitz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Kulturstiftung der Bundesrepublik Deutschland - Konzeption eines integrativen „Ein-Säulen-Modells“ - Drucksache 14/6629 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien ({5}) Rechtsausschuss Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder Michael Müller ({6}) Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Tourismus Zur Einführung des Einzelplans 30 des Bundeshaushalts erteile ich jetzt der Bundesministerin für Bildung und Forschung, Edelgard Bulmahn, das Wort.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Minister:in)

Politiker ID: 11000305

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kollegen und Kolleginnen! Es gibt in diesen Tagen Themen, die uns mehr als der Haushalt 2002 beschäftigen. Wir haben noch immer die Bilder von den Terroranschlägen auf das World Trade Center und das Pentagon vor Augen. Wir alle suchen gemeinsam nach Wegen, wie wir den weltweiten Terrorismus wirksam bekämpfen und wie wir mehr Sicherheit erreichen können. Diese Fragen stehen im Augenblick im Vordergrund der politischen Debatte. Wir müssen schnelle und klare Entscheidungen treffen und das tun wir auch. Wir dürfen uns aber von den terroristischen Gewaltakten nicht davon abhalten lassen, an wichtigen Zukunftsfragen weiterzuarbeiten. Das wäre jetzt ein falsches Signal. Eine gute Bildung und eine gute Ausbildung entscheiden darüber, ob unsere jungen Menschen den Herausforderungen in der Welt von morgen gewachsen sind. Es handelt sich um eine Welt, die wir zwar noch nicht kennen, weil es sie noch nicht gibt, deren Umrisse wir aber erahnen können. Die wachsende Internationalisierung, die Vielfalt der Kulturen, die manchmal aufeinander prallen, der ungeheure Zuwachs an Wissen, neue Technologien und eine veränderte Arbeitsorganisation, das sind die Umrisse, die klar erkennbar sind. Das sind gleichzeitig die Anforderungen, auf die wir uns einstellen müssen, mit denen wir konfrontiert sind. Um diese Anforderungen zu bewältigen, brauchen wir mehr Bildung. Dafür brauchen wir auch Flexibilität und Mobilität, im Denken wie im Handeln. ({0}) Gut ausgebildete Menschen und eine starke Forschung, das sind die Antworten der Bundesregierung auf diese Herausforderungen. Die Prioritäten sind deshalb klar: Die Bundesregierung erhöht zum vierten Mal in Folge den Etat für Bildung und Forschung. ({1}) Der Haushalt des Ministeriums steigt im Jahre 2002 auf rund 16,4 Milliarden DM. Das ist der größte Etat für Bildung und Forschung, den es in der Bundesrepublik Deutschland je gegeben hat. ({2}) Das sind knapp 3 Prozent mehr als im laufenden Jahr. Im Vergleich zu 1998, dem letzten Jahr Ihrer Regierungsverantwortung, meine Damen und Herren von der Opposition, sind es rund 15,5 Prozent mehr. ({3}) Mit diesem Geld investieren wir in die Köpfe der Menschen. Wir investieren in die Hochschulen. Wir investieren in unsere Forschungseinrichtungen, in die beruflichen Ausbildungsstätten. Deshalb sind Studierende, Auszubildende, Menschen, die lernen, die lehren, die forschen, die Gewinner dieser Politik. Nachwuchswissenschaftler werden besser gefördert. Ein Studium hängt in Zukunft nicht mehr vom Geldbeutel der Eltern ab. Alle jungen Menschen, die arbeiten können und arbeiten wollen, erhalten einen Ausbildungsplatz. Wir modernisieren die berufliche Bildung und sorgen dafür, dass jeder, der qualifiziert und interessiert ist, seinen Meister machen kann. Wir investieren in unsere Bildungs- und Forschungseinrichtungen und fördern deren Leistungsfähigkeit und Internationalisierung. Bei der Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit hat die Doppelstrategie der Bundesregierung, die wir hier von Anfang an verfolgt haben, nämlich das Sofortprogramm JUMP und die kontinuierliche und sehr tatkräftige Modernisierung, der Ausbildungsberufe gegriffen. Über 300 000 Jugendliche haben eine zweite Chance erhalten und sie haben diese Chance genutzt. ({4}) Die aktuellen Daten zeigen - auch das ist sehr erfreulich - weiterhin einen positiven Trend am Ausbildungsmarkt. Die Zahl der Ausbildungsplätze in den Betrieben nimmt zu. Vor allen Dingen nimmt die Zahl in den wichtigen zukunftsträchtigen Berufen zu. Deshalb werden wir diesen Kurs konsequent fortsetzen. Diese Anstrengungen werden wir im Übrigen besonders in den neuen Bundesländern fortsetzen, wo es in der beruflichen Ausbildung noch eine ganze Menge zu tun gibt. ({5}) Der Sicherstellung der Qualität der beruflichen Ausbildung dient im Übrigen auch das Programm, mit dem wir unsere Berufsschulen mit modernster IuK-Technologie ausstatten, die wir aus den UMTS-Mitteln finanzieren. Das ist wichtig, damit die Jugendlichen eine wirklich hervorragende Ausbildung erhalten und anschließend gute Beschäftigungschancen haben. Die Reform des Meister-BAföGs gibt allen berufstätigen Menschen, die qualifiziert und interessiert sind, die Chance, sich fortzubilden und den Meister zu machen. Auch das ist in unserer Welt zwingend notwendig. Unsere Hochschulen stehen heute in einem immer schärfer werdenden internationalen Wettbewerb um die besten Köpfe der Welt. Die Bundesregierung stärkt die Hochschulen in diesem Wettbewerb mit erheblich mehr Mitteln. Wir verteilen diese Mittel aber nicht einfach nur so. ({6}) Vielmehr setzen wir sie zielgerichtet ein, zum einen um eine erhebliche Verbesserung der Leistungsfähigkeit der Hochschulen zu erreichen und moderne Strukturen zu schaffen, zum anderen um zu gewährleisten, dass junge Vizepräsidentin Petra Bläss Menschen nicht aus finanziellen Gründen aufs Studium verzichten müssen, und um den Nachwuchs zu stärken. Wir setzen die Mittel also strategisch ein. Wir setzen sie nicht als Kompensation für fehlende Mittel der Länder ein. ({7}) Aufgrund des Eindrucks, den ich durch die Debatte im Ausschuss gewonnen habe, möchte ich eines klar sagen: Bundesforschungspolitik kann und soll keine Lückenbüßerfunktion einnehmen. ({8}) Die Forschungs- bzw. Wissenschaftspolitik des Bundes muss vielmehr die Aufgabe haben, genau diese wichtigen Weichen zu stellen. Es darf nicht dazu kommen, dass sich andere auf dem ausruhen, was hierdurch geleistet wird. Deshalb reicht es auch nicht aus, zu sagen: Wir kompensieren das, was dort gemacht wird. - Das wäre aus meiner Sicht der falsche Ansatz. Wir nutzen die aus den UMTS-Zinsersparnissen gewonnenen Mittel in Höhe von 1 Milliarde DM dafür - wir setzen diese zusätzlich zu den im Hochschulbereich bestehenden Aufgaben für die „Zukunftsinitiative Hochschule“ ein -, die Internationalisierung unserer Hochschulen voranzutreiben. Das ist zwingend notwendig, weil wir hier erhebliche Defizite haben. Wir nutzen diese Mittel für den Aufbau moderner Strukturen, wie zum Beispiel für den Aufbau virtueller Universitäten oder für die Ausweitung der Zahl der Onlinebibliotheken. Mit diesen Mitteln fördern wir den Export deutscher Studienangebote ins Ausland. Denn wir wollen diesen Markt nicht länger englischen, amerikanischen und australischen Hochschulen überlassen. ({9}) Deutschland ist also längst kein weißer Fleck mehr auf der internationalen Hochschullandkarte, wie es noch vor drei Jahren der Fall war. Wir haben uns inzwischen auf dieser Landkarte positioniert. ({10}) Wir werden diese Position weiter ausbauen und stärken. Mit dem neuen BAföG können wir endlich wieder mehr jungen Menschen die Chance geben, sich für ein Studium zu entscheiden. ({11}) 80 000 Jugendliche und Schüler aus Familien mit geringem oder mittlerem Einkommen erhalten durch die BAföG-Reform die Chance zu einer qualifizierten Ausbildung. Dafür mobilisieren wir Jahr für Jahr mehr als 1 Milliarde DM zusätzlich zu den Mitteln, die bereits vorgesehen sind. Mit dem neuen Bildungskredit bieten wir für bestimmte Studiensituationen, zum Beispiel für ein Studium im Ausland, besondere Unterstützung. Meine sehr geehrten Herren und Damen, auch in Zukunft werden wir Jahr für Jahr rund 1,4 Milliarden DM in den wissenschaftlichen Nachwuchs investieren. Mit diesen Mitteln fördern wir die Besten. Das ist im wahrsten Sinne des Wortes Eliteförderung. Wir tun ein Zweites für den wissenschaftlichen Nachwuchs: Mit der Dienstrechtsreform, die wir auf den Weg gebracht haben und von der ich hoffe, dass sie in diesem Parlament von allen unterstützt wird - denn sie muss ein gemeinsames Anliegen sein -, brechen wir verkrustete Strukturen auf und schaffen für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Deutschland attraktive Arbeitsplätze an unseren Hochschulen. Genau das ist notwendig; genau das müssen wir erreichen. Mit der Einführung der Juniorprofessur will ich erreichen, dass junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der kreativsten Phase ihres Lebens, nämlich mit Ende 20/Anfang 30, selbstständig und unabhängig forschen und lehren können. ({12}) Damit dies zügig geschieht und dies nicht auf die lange Bank geschoben wird, finanzieren wir die Ausstattung der Juniorprofessur in den nächsten Jahren mit rund 360 Millionen DM. Lassen Sie mich eines ganz klar sagen: Selbstverständlich müssen diese Stellen auch auf internationaler Ebene ausgeschrieben werden; das ist die Voraussetzung für eine Förderung. ({13}) Ich appelliere an Sie - ich spreche dabei alle Fraktionen an; ich weiß, dass ich mich in diesem Bereich auf die Koalitionsfraktionen verlassen kann; ({14}) ich hoffe aber auch auf die anderen -: Zeigen Sie in dieser Frage Courage! Lassen Sie uns den alten Zopf der Habilitation abschneiden! ({15}) Das Habilitationsverfahren ist langwierig. Es verkrustet und zementiert hierarchische Strukturen. Was wir vorschlagen, bedeutet, dass künftig für die Berufung auf eine Professur ausschließlich die wissenschaftliche und fachliche Leistung gewertet werden soll. Das ist ein entscheidender Punkt. ({16}) Ein anderer Punkt spricht dafür, Courage zu zeigen: Mit dem neuen Dienstrecht soll eine weitere wesentliche Erneuerung herbeigeführt werden, nämlich ein Besoldungssystem, das Leistung in Lehre und Forschung honoriert. Ein Besoldungssystem, das vor allem nach dem Dienstalter besoldet, passt nicht mehr in unsere heutige Wissenschaftslandschaft und auch nicht mehr in unsere heutige Welt. ({17}) Wie in der Wirtschaft soll sich in Zukunft das Gehalt aus einem Mindestbetrag und zusätzlichen variablen Gehaltsbestandteilen zusammensetzen. Was dabei dann zählt, sind herausragende Leistungen in Forschung und Lehre, die Übernahme besonderer Funktionen oder Aufgaben, Engagement bei der Betreuung des wissenschaftlichen Nachwuchses bzw. der Studierenden oder auch Erfolge beim Technologietransfer. Wir geben mit dieser Dienstrechtsreform den Hochschulen die Möglichkeit, Spitzenkräfte, die auch von der Wirtschaft oder von ausländischen Hochschulen umworben werden, für sich zu gewinnen. Damit werden unsere Hochschulen dann endlich konkurrenzfähig gegenüber Hochschulen in anderen Ländern oder gegenüber der Wirtschaft. Also, meine Damen und Herren, nochmals der Appell: Lassen Sie uns gemeinsam unsere Hochschulen aus dem starren Korsett des Dienstrechtes, das aus dem vorletzten Jahrhundert stammt, befreien. ({18}) Ein weiterer wichtiger strategischer Bereich ist die Neuordnung der Forschungslandschaft. Seit der Staat wieder mehr in Forschung und Entwicklung investiert, sind im Übrigen auch die Ausgaben der Wirtschaft wieder gestiegen. Es geht aber nicht allein um mehr Geld, es geht vor allem um intelligente Strategien. ({19}) Mit der Reform von Institutionen, wie wir sie bei der größten deutschen Forschungsorganisation, den Helmholtz-Zentren, gerade auf den Weg gebracht haben, sorgen wir für mehr Wettbewerb zwischen unseren Forschungseinrichtungen. Wir sorgen gleichzeitig auch für mehr Eigenverantwortung. Damit will ich mehr Raum für Kreativität und Eigenverantwortung, mehr Qualität und Effizienz in unserem Wissenschaftssystem geben. Das ist die Zielsetzung. ({20}) Ein zentraler Dreh- und Angelpunkt ist im Übrigen die Stärkung der Projektförderung, um genau diese Zielsetzung zu erreichen. Die Mittel für die Projektförderung sind unter dieser Bundesregierung um 42,7 Prozent gestiegen. Das ist ein enormer qualitativer Fortschritt. ({21}) Bei den Forschungsschwerpunkten steht bei uns der Mensch im Vordergrund. Mit dem neuen Gesundheitsforschungsprogramm setzt die Bundesregierung ein deutliches Signal für ein leistungsfähiges und bezahlbares Gesundheitswesen, für mehr Ursachenforschung, eine bessere Vorbeugung gegen Krankheiten und für neue Therapie- und Behandlungsmöglichkeiten. Die zusätzlichen Mittel aus den UMTS-Zinsersparnissen investieren wir in den Aufbau eines nationalen Genomforschungsnetzes. Mit diesem Forschungsnetz nutzen wir die neuen Chancen der Genomforschung zur ursächlichen Behandlung von Krankheiten wie Krebs, Alzheimer oder schweren Infektionskrankheiten. Die klinischen Ergebnisse dieser Forschung werden unmittelbar in die funktionelle Genomforschung einfließen und umgekehrt. Neue Forschungsergebnisse in der Medizin können so wesentlich schneller den Weg in die Klinik und in die Arztpraxis finden. Damit schaffen wir auch dauerhaft neue Strukturen, die wir gerade in der Gesundheitsversorgung dringend benötigen. ({22}) Wie entscheidend exzellente Forschung für wirtschaftliches Wachstum und Beschäftigung ist, zeigt sich gerade in der biotechnologischen Branche. Deutschland hat inzwischen einen Spitzenplatz bei der Anzahl der Unternehmen. Wir haben erreicht, dass allein im letzten Jahr gegenüber dem Vorjahr die Zahl der Arbeitsplätze in dieser Branche um 31 Prozent gestiegen ist. Das alles wäre ohne eine starke Forschung nicht möglich. Das macht auch deutlich, wie wichtig eine starke Forschung für die Schaffung und Sicherung von Arbeitsplätzen in unserem Land ist. ({23}) Das Gleiche kann ich für die Informations- und Kommunikationstechnologien sagen. Deshalb haben wir auch hier einen Schwerpunkt gesetzt, besonders auf die Weiterentwicklung der mobilen Kommunikationssysteme, die für alle Bereiche eine erhebliche Rolle spielen. Auch die Forschungsausgaben für die Umwelt, für eine nachhaltige Entwicklung, über die gerade diskutiert worden ist, haben wir seit dem Regierungswechsel um sage und schreibe 22 Prozent erhöht. ({24}) Nachhaltigkeit heißt, dass man gerade in der Forschung die richtigen Lösungen erarbeitet, weil sonst eine Nachhaltigkeitspolitik nicht erreichbar ist. Das gilt für alle Bereiche. ({25}) Last, but not least haben uns die Terroranschläge vor zwei Wochen eines ganz deutlich gezeigt: wie wichtig und notwendig es war, im vergangenen Jahr die Deutsche Stiftung für Friedensforschung ins Leben zu rufen. ({26}) Ihre Aufgabe ist es, Strategien zu entwickeln, um solche gewalttätigen Terrorakte nach Möglichkeit in Zukunft von vornherein zu verhindern. Auch dafür brauchen wir gut ausgebildete Menschen und eine starke Forschung. Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben ein enormes Tempo vorgelegt. ({27}) Wir haben aber noch sehr viele Ideen und auch noch eine Menge Kraft. Deshalb wird Bildung und Forschung auch weiterhin das Zukunftsprogramm für Deutschland bleiben. ({28})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Thomas Rachel.

Thomas Rachel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002754, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zur Dienstrechtsreform Stellung nehmen. Meine Kollegin Bärbel Sothmann wird sich nachher Ihren Haushaltsentwurf vornehmen. Darauf dürfen Sie sich jetzt schon freuen. ({0}) Die vorgelegte Dienstrechtsreform baut auf der Novelle des Hochschulrahmengesetzes der früheren Bundesregierung auf. Diese schuf wesentliche Grundlagen für mehr Leistungsorientierung und Wettbewerb an den Hochschulen. Nun geht es erstens um eine leistungsorientiertere Besoldung der Hochschullehrer und zweitens um eine Verkürzung der Qualifizierungszeit des wissenschaftlichen Nachwuchses. ({1}) Beide Vorhaben werden von uns Christdemokraten grundsätzlich begrüßt. Sie entsprechen der Grundorientierung christdemokratischer Hochschulpolitik. Es gilt jetzt, die Chance des stattfindenden Generationswechsels an den Hochschulen für grundlegende Veränderungen zu nutzen. ({2}) Sehr geehrte Frau Ministerin Bulmahn, Bund und Länder - übrigens einschließlich der Union - waren auf dem Weg zu einem guten Kompromiss. ({3}) Ich frage Sie: Warum haben Sie, als Bundesbildungsministerin, diesen Weg verlassen und sind auf Konfrontationskurs gegangen, wie es mir die Wissenschaftsminister von CDU und CSU bestätigt haben? ({4}) Von Ihnen ist diese Dienstrechtsreform als die wichtigste Reform Ihrer Amtszeit bezeichnet worden. Wie kann es dann sein, dass die Bundesregierung bei der Beratung der Dienstrechtssreform im Bundesrat am 13. Juli dieses Jahres nicht vertreten war? Keine Ministerin und kein Staatssekretär hat sich sehen lassen. ({5}) Das ist, gelinde gesagt, eine Frechheit. ({6}) Die Wissenschaftsminister der Bundesländer haben diese unverfrorene Sprache verstanden. Diesen Politikstil akzeptieren auch wir nicht. ({7}) Wenn man die Äußerungen von Rot-Grün zu den vorgelegten Gesetzentwürfen betrachtet, dann hat man das Gefühl, als sei der Stein der Weisen gefunden worden. ({8}) Die Realität ist aber ernüchternd. Bei der Anhörung im Bildungsausschuss am Montag sind die vorgelegten Gesetzentwürfe von den Sachverständigen massiv kritisiert und zum Teil verrissen worden. ({9}) Selten haben wir so viele Briefe aus den Hochschulen erhalten. Keine einzige Stellungnahme zu Ihren Gesetzentwürfen ist durchgängig positiv. Im Gegenteil: In einer Pressemitteilung vom 24. September fordert der Hochschullehrerbund, der die Fachhochschulen vertritt, die Bundesregierung auf, „diesen unausgegorenen Reformvorschlag zur Dienstrechtsreform zurückzuziehen“. ({10}) Der Präsident des Deutschen Hochschulverbandes, Schiedermair, der die Universitätsprofessoren vertritt, nennt Ihren Gesetzentwurf einen Torso. ({11}) Es handele sich um ein „knackiges Spargesetz“, das die Attraktivität des Hochschullehrerberufes nicht fördere. Das Max-Planck-Institut für Meteorologie befürchtet, dass noch mehr international anerkannte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Deutschland verlassen. Dies müsste in Ihren Ohren klingeln, Frau Bulmahn. Der Juristische Fakultätentag befürchtet durch die jetzt vorliegenden Gesetze der rot-grünen Bundesregierung „desaströse Auswirkungen auf die deutschen Universitäten“. Er bezeichnet die Abschaffung der Habilitation, die Sie beabsichtigen, als verfassungswidrig und äußert sein Unverständnis über die autoritäre Vorgehensweise, die nicht auf einen Wettbewerb der Systeme setzt, sondern auf Verbot und Zwang. Das ist die Realität der von Ihnen zu verantwortenden Gesetzentwürfe, meine Damen und Herren. ({12}) Wir unterstützen die Einführung der Juniorprofessur. Sie kann einen wichtigen Beitrag zur Verkürzung des Qualifizierungsweges an den Hochschulen leisten. ({13}) Die Juniorprofessur hat eine Reihe von Vorteilen: Erstens. Sie ermöglicht es, an der gleichen Hochschule aus der beBundesministerin Edelgard Bulmahn fristeten Professur in eine unbefristete Professur zu gelangen. Zweitens. Der Nachweis der Forschungsbefähigung kann durch eine Reihe von Forschungsarbeiten erfolgen, die nicht thematisch zusammenhängen müssen. Drittens. Die Lehrbefähigung des künftig unbefristet bestellten Professors kann vor der endgültigen Berufung des Professors über einen gewissen Zeitraum von Kollegen und Studenten beobachtet und bewertet werden. Viertens. In den Ingenieurwissenschaften, in denen die Habilitation heute de facto kaum noch eine Rolle spielt, wird sich die Juniorprofessur durchsetzen. Aber sie hat auch Nachteile. In einer Reihe von akademischen Disziplinen wie den Rechts- und Geisteswissenschaften ist und bleibt die größere, thematisch geschlossene Untersuchung, das so genannte zweite Buch, der geeignetere Nachweis besonderer wissenschaftlicher Leistungsfähigkeit. ({14}) Die Juniorprofessur ist notwendigerweise an eine einzige Hochschule gebunden. Sie ist strukturell inflexibel. Sie wird dem wissenschaftlichen Nachwuchs an den außeruniversitären Forschungseinrichtungen den Weg zur Professur verbauen oder jedenfalls außerordentlich erschweren. Rot-Grün will ein privilegiertes Monopol für die Juniorprofessur. Dies verringert drastisch die Möglichkeiten für junge Menschen, sich wissenschaftlich besonders zu qualifizieren. Im Prinzip soll sich in Zukunft nur derjenige qualifizieren können, der eine Hochschulstelle hat. Sehr geehrte Damen und Herren, die von Rot-Grün vorgesehene Regelung von § 44 des Hochschulrahmengesetzes bedeutet de facto ein Habilitationsverbot in Deutschland. Denn wenn künftig bei der Einstellung eines Professors nicht mehr nach den Leistungen in der Habilitation gefragt werden darf, wird natürlich die Habilitation als Qualifizierungsweg für eine Professur total entwertet und überflüssig. ({15}) Das ist aber nicht gerecht, denn die Habilitation hat sich in über 150 Jahren als überaus hervorragender Qualifikationsnachweis in Deutschland bewährt. ({16}) - Herr Tauss, es wäre schön, wenn Sie sich an den Realitäten der Hochschulen orientieren würden. ({17}) Die Habilitation ist praktisch die akademische Meisterprüfung an den Hochschulen. Insofern sollte sie auch weiterhin sehr wohl ihren Stellenwert haben. ({18}) Frau Bulmahn, es sollte Ihnen zu denken geben, dass auch der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Professor Winnacker, sagt: Es bestehen erhebliche Bedenken, die Juniorprofessur als alleinige Voraussetzung für die Lebenszeitprofessur festzuschreiben. ({19}) Dies ist die eindeutige Stellungnahme des Präsidenten der DFG. Er kritisiert, dass sie im Ergebnis dazu führen würde, dass die im Rahmen von Exzellenzprogrammen, wie etwa dem Emmy-Noether-Programm, Geförderten spürbare Nachteile bei der späteren Bewerbung um eine Lebenszeitprofessur hinnehmen müssen. Die Exzellenzprogramme, so die Deutsche Forschungsgemeinschaft, würden in ihrer Bedeutung entwertet und alle Bemühungen, einem qualifizierten Nachwuchs Perspektiven an den deutschen Hochschulen zu eröffnen, zunichte gemacht. So hat Professor Winnacker in seiner Stellungnahme eindeutig geschrieben. Sie sollten es sich hinter die Ohren schreiben, Frau Bulmahn. ({20}) Tatsächlich werden auch die sich extern habilitierenden Spitzenkräfte aus der Max-Planck-Gesellschaft benachteiligt und ihr Weg in die Professorenstellen der Hochschulen gefährdet. Dementsprechend hat sich auch die Max-Planck-Gesellschaft gegen die vorgesehene Diskriminierung und Abschaffung der Habilitation ausgesprochen. ({21}) Anstatt mit dem Vorschlaghammer die bewährte Habilitation kaputt zu schlagen, sollte man den unterschiedlichen Fächerkulturen Rechnung tragen. Statt eines Monopols sollte es Vielfalt und Wettbewerb geben. ({22}) Deshalb unterstützen wir die Juniorprofessur als weiteren Weg zum Amt des Hochschullehrers. ({23}) Juniorprofessur, Habilitation oder andere besondere wissenschaftliche Leistungen - alle diese Wege sollen möglich sein. Was die Bundesregierung vorschlägt, bedeutet jedoch weniger Wettbewerb. Wir brauchen aber Vielfalt und nicht Einfalt. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Ulrike Flach [FDP] Wir haben bei der Verhinderung der Diskriminierung der Habilitation Verbündete. Ich will nur drei nennen: die Hochschulrektorenkonferenz, die Max-Planck-Gesellschaft und den Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft. Dies sollte Ihnen zu denken geben. ({24}) Es gibt noch weitere Probleme, die bisher von Ihnen nicht beantwortet wurden: Erstens. Kann es richtig sein, dass die Privatdozentur und der außerplanmäßige Professor ebenfalls abgeschafft werden? ({25}) Zweitens. Was passiert mit denjenigen, die zwar nach Ende der Juniorprofessor positiv evaluiert worden sind, für die allerdings eine Hochschulstelle fehlt? Sie sind ohne Titel und Rang und werden es extrem schwer haben, im normalen Berufsleben Fuß zu fassen. Drittens. Es fehlen ausreichende Übergangsregelungen für die derzeitigen Habilitanden. Wie hier mit dem Schicksal der leistungsbereiten wissenschaftlichen Nachwuchskräfte umgegangen wird, ist besorgniserregend und skandalös. ({26}) Wir unterstützen die im Gesetzentwurf vorgesehene Abschaffung der Dienstaltersstufen. Es macht Sinn - hier haben Sie unsere Unterstützung -, stattdessen Leistungszulagen einzuführen. Nicht das Älterwerden soll im Gehalt des Hochschullehrers prämiert werden, sondern es soll eine Belohnung für besonderen Einsatz in Forschung und Lehre geben. Nicht einverstanden sind wir allerdings mit den von Ihnen, Frau Bulmahn, vorgesehenen Grundgehältern in Höhe von 7 000 DM für die Besoldungsstufe W 2 und 8 500 für W 3. Diese Mindestbeträge sind definitiv zu niedrig. Professor Schiedermair vom Deutschen Hochschulverband hat das vorgesehene Besoldungsniveau für die Hochschulen - ich zitiere - als „organisiertes Mittelmaߓ kritisiert. Ganz Unrecht hat er damit nicht. ({27}) Wenn man den Vergleich mit Gehältern aus der Wirtschaft zieht, wird die Realitätsferne Ihrer Vorschläge deutlich. ({28}) So soll nach Ihrem Gesetz ein Juraprofessor mit der Besoldungsstufe W 3 an einer Universität 8 500 DM erhalten. ({29}) Exzellente Juristen fangen heute in Kanzleien aber bereits mit einem Jahresgehalt von 120 000 DM und mehr an. So werden Sie nicht die besten Köpfe für unsere deutschen Hochschulen gewinnen. Wir fordern eine Erhöhung der Grundgehälter. ({30}) Auf starke Kritik stößt auch Ihre Vorgabe einer Kostenneutralität der Reform. Darin sind sich alle Sachverständigen einig gewesen. Baden-Württembergs Wissenschaftsminister Frankenberg von der CDU hat Folgendes gesagt: Wer bei dieser Reform Kostenneutralität verlangt, verordnet unseren Hochschulen ein einschneidendes Finanzkorsett und gefährdet dadurch ihre Wettbewerbsfähigkeit auf den nationalen und internationalen Bildungsmärkten. Gute Hochschullehrer sind in der Konkurrenz der Hochschulen untereinander und gegenüber Unternehmen nur durch gute Bezahlung zu bekommen. Recht hat der baden-württembergische Wissenschaftsminister. ({31}) Ihrem Gesetzentwurf zufolge sind künftig nur diejenigen Leistungsbezüge von Hochschullehrern ruhegehaltsfähig, die innerhalb eines Zeitraumes von fünf Jahren vor Eintritt in den Ruhestand erfolgt sind. Diese Regelung ist zutiefst leistungsfeindlich. Sie wird dazu führen, dass es eine Art inneren Ausgleich an den Fakultäten gibt. Dieser bewirkt, dass die überwiegende Zahl der Professoren zufälligerweise gerade in den letzten fünf Jahren angeblich ihre besten Forschungs- und Lehrleistungen erbringen und insofern Leistungszulagen erhalten, die sich dann ruhegehaltssteigernd auswirken. ({32}) Sie glauben doch selber nicht, dass die Professoren ihren älteren Kollegen in seinen letzten fünf Dienstjahren hängen lassen und ihm bei der Evaluation die Leistungszulagen und damit die spätere Ruhegehaltsfähigkeit verweigern. Wissen Sie, woran mich das erinnert? Dies erinnert mich an die Situation in der Sowjetunion. ({33}) In der Sowjetunion haben damals die Fakultäten entschieden, ob jemand emeritiert wird. Das Ergebnis war: Es wurde keiner emeritiert. Die Folge war, dass noch 80-jährige Professoren Institutsleiter waren. ({34}) Die gleiche Kollegenhilfe wird bei Ihrem Pensionsmodell der Anerkennung von Leistungszulagen stattfinden. Das ist nicht leistungsorientiert und auch nicht akzeptabel. Im Übrigen muss beim Vergleich der alten Regelung mit Ihrer vorgeschlagenen Neuregelung natürlich das jeweilige Lebenseinkommen miteinander verglichen werden. Die von Ihnen vorgesehene Neuregelung führt zu einer erheblichen Absenkung des Lebenseinkommens der Professoren in Deutschland. Wenn Sie so weitermachen, ist der Hochschullehrerberuf bald nicht mehr attraktiv und wettbewerbsfähig. ({35}) Wir sind nicht grundsätzlich gegen diese Dienstrechtsreform, wir haben aber nachhaltige Kritik in substanziellen Punkten anzumelden. Diese Kritikpunkte der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion werden überwiegend von den großen Hochschulverbänden und den Wissenschaftsorganisationen geteilt. Wenn Sie, Frau Bulmahn, diese Dienstrechtsreform mit unserer Unterstützung durchbekommen wollen, müssen Sie erhebliche Korrekturen vornehmen. Von der Qualität Ihrer Vorschläge wird unser Abstimmungsverhalten als CDU/CSU-Bundestagsfraktion abhängen. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({36})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Jetzt spricht der Kollege Dr. Reinhard Loske für die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Reinhard Loske (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003176, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will es so machen wie der Kollege Rachel und will nicht zum Haushalt reden. Die Ministerin hat das Notwendige gesagt und auch mein Kollege Fell wird noch dazu sprechen. Ich will mich auf die Dienstrechtsreform konzentrieren. Was uns bewogen hat, diese Dienstrechtsreform durchzuführen, sind im Wesentlichen drei Punkte, in denen wir uns auch weitgehend einig sind. Einmal haben wir zu lange Qualifikationszeiten beim wissenschaftlichen Nachwuchs. Zum Zweiten haben wir im internationalen Vergleich eine unzureichende Selbstständigkeit der Postdoktoranden. Zum Dritten haben wir ein zu hohes Erstberufungsalter bei Professoren. Zunächst einmal zu der zu langen Qualifikationsdauer: In Deutschland muss man heute, um Professor werden zu können, 13 Jahre zur Schule gegangen sein, dann in der Regel sechs Jahre studiert haben, dann vier bis fünf Jahre promoviert haben und dann fünf bis sechs Jahre habilitiert haben. Wenn man dann noch Phasen der Orientierung, der Erwerbstätigkeit und andere Phasen - beispielsweise der Mittelakquisition für Projekte - dazuzählt, dann kommt man zu dem Ergebnis, dass man in Deutschland im Schnitt über 40 Jahre alt ist, bevor man in den Vorolymp derjenigen aufgenommen wird, die eventuell einmal Professor werden könnten. Wenn das wirklich zeitgemäß sein soll, dann muss ich sagen: gute Nacht. ({0}) Zweiter Punkt ist die im internationalen Bereich zu geringe Selbstständigkeit unserer Postdoktoranden. Ich bin der Letzte, der die Habilitation irgendwie diskriminiert; ich habe mich selber durch diese Prozedur - wenn auch nebenberuflich - gequält. Man muss auch nicht so weit gehen, wie das manche scharfe Kritiker tun, die sagen, dass die Habilitation quasi ein Stadium künstlicher Infantilität ist. ({1}) So weit würde ich nie gehen. Wenn ich aber Herrn Schiedermair zuhöre - den Sie hier als Kronzeugen aufgeführt haben und der dauernd von Meisterprüfungen redet -, dann habe ich das Gefühl, dass er Angst hat, seiner Gesellen verlustig zu gehen. Das kann nicht unsere Linie sein. ({2}) Ihnen, Herr Rachel, würde ich raten, sich bei der ganzen Diskussion nicht an den letzten 150 Jahren zu orientieren, sondern an den nächsten 20 Jahren. Das wäre, glaube ich, zeitgemäß. ({3}) Der dritte Punkt, den ich ansprechen möchte, ist das zu hohe Erstberufungsalter von Professoren. Es liegt in Deutschland bei 42 Jahren. Ich gehöre nicht zu denen, die das durch den Kakao ziehen. Ich würde sagen: Es mag Disziplinen geben, wo die wissenschaftliche Produktivität jenseits von 40 Jahren am höchsten ist. Das kann in bestimmten Geistes- und Kulturwissenschaften ja der Fall sein. Es geht hier auch nicht darum, irgendeinem Jugendkult zu huldigen und Jugendlichkeit als besonders prämierungsbedürftig darzustellen. Erfahrung ist und bleibt, gerade in der Lehre, ein hohes Gut. Ich glaube aber, dass eigenständiges Arbeiten mit allen Rechten und Pflichten eines Professors bei Anfang bis Mitte dreißig beginnen kann und sollte. Das geht anderswo. Warum soll das nicht in Deutschland gehen? Ich finde, wir sollten das tun. Das wäre ein großer Fortschritt. ({4}) Jenseits der materiellen Anreize - über die muss man auch reden, gar keine Frage - ist die Universität doch auch ein Ort unglaublicher Freiheit. Junge Leute, die im Alter von 30 Jahren die Möglichkeit haben, eigenständig zu lehren, zu forschen, zu experimentieren, gehen doch mit ganz anderer Motivation an die Sache heran als diejenigen, die mit 42, 43 oder gar 45 Jahren Professor werden und dann die nächsten 20 Jahre gesichert vor sich haben. Ich glaube, wir verstärken die Motivation und geben größere Anreize als heute, wenn wir in diese Richtung gehen. ({5}) Der tragende Gedanke der Reform ist, junge Menschen eher in verantwortliche Positionen zu bringen; sie sollen eigenständig forschen und lehren können. Deshalb wollen und werden wir - Sie unterstützen das ja auch - an unseren Universitäten Juniorprofessuren einführen. Die Juniorprofessur soll der Regelweg zur Erlangung einer Vollprofessur sein, wobei diese Phase insgesamt sechs Jahre dauern soll, und zwar unterteilt in zwei Abschnitte von je drei Jahren. Nach den ersten drei Jahren wird es eine Evaluation geben und während des zweiten Abschnitts kann sich der Betroffene selbstverständlich schon auf Vollprofessuren bewerben; man sollte dies auch tun und die guten Leute werden es auch tun. Insofern verspreche ich mir von unserem Vorhaben eine große Dynamik. Wenn Sie, Herr Rachel - Sie sind ein sehr angenehmer und diskussionsfreudiger Kollege, aber in diesem Punkt muss ich Ihnen widersprechen -, sagen, wir würden andere Wege als die Juniorprofessur versperren, haben Sie den Gesetzentwurf nicht gelesen. Wir wollen, dass neben dem Regelweg der Juniorprofessur weitere Qualifikationen - in der wunderbaren Abbildung zur Begründung des Gesetzentwurfs ist dies schön aufgezeichnet - wie sonstige wissenschaftliche Tätigkeiten an der Hochschule, Tätigkeiten an außeruniversitären Forschungseinrichtungen, Forschungstätigkeiten im Ausland, die wir alle wollen, sowie weitere berufliche Tätigkeiten in der Wirtschaft und auch in der Gesellschaft berücksichtigt werden. Das bedeutet: Mit unserem Gesetzentwurf unterstützen wir eine Weiterung der Zugangswege. Wir fördern eine Kultur des Wechsels und eine Kultur des Quereinstiegs. Davon haben wir in Deutschland bisher viel zu wenig. Wir wollen, dass sich auch Erfahrungen aus anderen Lebensbereichen in den Universitäten niederschlagen. Das bekommen wir mit diesem Gesetzentwurf hin. ({6}) Wichtig ist auch - das wurde bereits positiv bemerkt -, dass die Bundesregierung wegen der Umstellungsschwierigkeiten 360 Millionen DM über einen Zeitraum von mehreren Jahren zur Verfügung stellt; das Geld ist notwendig, um den gleichzeitigen sukzessiven Abbau von C 1- und C 2-Stellen und den Aufbau von Juniorprofessuren finanzieren zu können. Das ist eine wichtige Unterstützungsmaßnahme. Ich finde auch den Vorschlag richtig, dies an eine internationale Ausschreibung der Stellen zu koppeln. ({7}) Zu klären bleibt die Frage der Habilitation. Zunächst einmal möchte ich über diejenigen reden, die Furcht haben, Verlierer dieser Reform zu sein, also diejenigen, die bereits habilitiert sind oder gerade dabei sind, sich zu habilitieren. Im Gesetzentwurf ist eine sehr großzügige Übergangsfrist bis zum Jahre 2009 vorgesehen. Bis zu diesem Zeitpunkt gibt es keine Benachteiligung der Habilitierten, denn vor 2007, 2008 oder 2009 werden wir keine „fertigen“ Juniorprofessoren haben. Auf diese Weise kann es in diesem Zeitraum keinen Wettbewerbsnachteil geben. Ich würde diejenigen, die sich heute als „lost generation“ bezeichnen, bitten einzusehen, dass sie keine Verlierer dieser Reform sind. Das Fenster der Möglichkeiten für neue Professuren war nie so weit auf; zwischen 2002 und 2009 werden 50 Prozent der noch tätigen Professoren in Pension gehen. Man muss diese Chance nutzen und nicht darüber klagen. ({8}) Langfristig wird - auch das wurde angeführt; ich stehe voll und ganz dahinter - die Habilitation an Gewicht verlieren. Das ist überhaupt keine Frage; und ich füge hinzu: Das ist auch so gewollt. Wir wollen, dass nicht die abgebende, sondern die aufnehmende Institution darüber entscheidet, ob jemand qualifiziert ist. Die Universität soll selbst prüfen, wer für eine Vollprofessur geeignet ist. Niemand hat etwas dagegen, wenn jemand ein zweites Buch schreibt - gute Wissenschaftler schreiben in ihrem Leben nicht nur zwei, sondern drei, vier oder fünf gute Bücher -, aber das ist nur ein Ausweis wissenschaftlicher Qualifikation und keine Einstellungsvoraussetzung. Das, was Sie wollen, ist nicht mehr zeitgemäß. ({9}) Hinzu kommt noch ein weiterer Punkt: Wir machen solche Qualifikationen deshalb nicht zur alleinigen Einstellungsvoraussetzung, weil wir unsere Hochschulen viel stärker als heute internationalisieren müssen. Wir wollen ausländische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler als Hochschullehrer haben und die Abwanderung exzellenter junger Wissenschaftler ins Ausland verhindern bzw. abgewanderte zurückholen. Wir wollen, dass unsere Universitäten international attraktiver und anschlussfähiger werden. Dazu leistet unser Gesetzentwurf einen guten Beitrag. Zu den Leistungszulagen will ich insgesamt nicht viel sagen. Ich will nur kurz auf die Einführung von Leistungskomponenten neben einem Grundgehalt eingehen. Sie haben nur das Grundgehalt genannt, haben sich also widersprochen. Sie haben von einem Verdienst von 120 000 DM in einer guten Anwaltskanzlei gesprochen und dies mit einem Grundgehalt von 8500 DM für eine W 3-Professur verglichen. Dazu kommen aber Leistungszulagen, sodass man einen ähnlich hohen Verdienst erzielt, und zwar mit Stellengarantie. ({10}) Insofern bauen Sie einen Popanz auf, den es so gar nicht gibt. Aus meiner eigenen Erfahrung will ich noch sagen, dass wir bei der Evaluation von Leistungen darauf aufpassen müssen, dass wir den einzelnen Disziplinen gerecht werden. Man kann das nicht überall über einen Kamm scheren; das ist gar keine Frage. Wir dürfen aber auch nicht Heerscharen von Evaluationskommitees im Monatsrhythmus durch die Universitäten jagen. Das muss klar und transparent sein. Vor allen Dingen müssen besondere Leistungen in Lehre und Forschung sowie in der Betreuung von Studentinnen und Studenten honoriert werden. Das ist ganz besonders wichtig. ({11}) Der letzte Punkt, den ich ansprechen möchte, betrifft die Promovierenden. Diese Gruppe ist bislang noch gar nicht angesprochen worden. Es ist ein ganz großer Fortschritt gegenüber dem Status quo, dass den Promovierenden durch dieses Gesetz ein eigener Status eingeräumt wird. Heute sind, mit Ausnahme an den Graduiertenkollegs, die Rechte und Pflichten der Doktoranden überhaupt nicht definiert. In dieser Hinsicht macht das Gesetz einen großen Schritt nach vorn. Das sagen übrigens auch die Verbände. Die Promotionsphase soll besser strukturiert werden, sodass man die Promotion in der Regel in drei Jahren schaffen kann. Die Betreuung der Promovierenden soll besser werden, unter anderem auch deshalb, weil wir sie als Kriterium für die Erteilung der Leistungszulagen heranziehen. Schließlich wollen wir den Promovierenden andere akademische Schlüsselqualifikationen ermögliDr. Reinhard Loske chen. Summa summarum ist dieser Gesetzentwurf für die Doktorandinnen und Doktoranden ein großer Schritt in die richtige Richtung. ({12}) Ich komme zum Schluss. Ich glaube, dass dieser Gesetzentwurf eine sehr gute Beratungsgrundlage darstellt. Auch in den Koalitionsfraktionen haben wir noch den einen oder anderen Punkt, den wir in die Beratungen einbringen wollen. Insgesamt ist dies eine große Reform, die diesen Namen auch verdient. Sie muss in ein größeres Ganzes eingebettet werden, um unseren Universitäten mehr Autonomie und mehr Gestaltungshoheit zu geben. Das wird sie auch; sie ist nämlich Bestandteil eines größeren Reformvorhabens. Ich würde mich freuen, wenn die Union, die ja in vielen Punkten mit uns übereinstimmt, in dieser Angelegenheit mit uns an einem Strang ziehen würde. Danke schön. ({13})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die FDP-Fraktion spricht jetzt die Kollegin Ulrike Flach.

Ulrike Flach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003119, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Bulmahn, der Umfang des Bildungsund Forschungshaushalts 2002 steigt um 2,7 Prozent auf rund 16 Milliarden DM. Das ist gegenüber dem Haushalt von 1998 ein Anstieg um 15,5 Prozent. Das haben Sie eben betont. Die FDP begrüßt dies selbstverständlich. Nur, das ist das Eingeständnis von Ihnen, dass Sie Ihr selbst gestecktes Ziel einer Verdoppelung der Investitionen in Bildung und Forschung in dieser Legislaturperiode nicht mehr erreichen. ({0}) Auch dieser Anstieg ist nur ein Bündnis auf Zeit. Es sind die UMTS-Zinserlöse, die Sie aus der finanziellen Zwickmühle befreit haben. ({1}) Sozusagen wie Merlin mit dem Zauberstaub konnten Sie Vorhaben anfinanzieren wie zum Beispiel die Zukunftsinitiative Hochschule, das Genomforschungsnetz, die ITAkademie oder die bessere Ausstattung von Berufsschulen. Wie haben wir diesen Geldsegen nun zu beurteilen? ({2}) Schaden, lieber Herr Tauss, tut Geld nur selten. Was aber haben Sie für die deutsche Bildungs- und Forschungslandschaft erreicht? Ist es Ihnen gelungen, Bildung „Made in Germany“ erneut zu einem Markenzeichen zu machen? ({3}) Haben Sie den Hochschulbau anstoßen können? Ist es Ihnen gelungen, Wissenschaftsnetze vor allen Dingen im Osten aufzubauen? Strömen Wissenschaftler und Studenten aus der ganzen Welt nach Deutschland? ({4}) Alle diese Fragen, Frau Bulmahn, sind mit einem klaren Nein zu beantworten. ({5}) Stattdessen häufen sich die Aussagen, dass viele dieser Vorhaben keine sich selbst tragenden Strukturen geschaffen haben. Sie haben vielmehr eine gute alte deutsche Untugend erneut zum Leben erweckt, nämlich den Hang, das Geld erst einmal mitzunehmen, Hauptsache, Vater Staat zahlt. Frau Ministerin Bulmahn, Sie haben Strohfeuer entzündet. Wenn 2003/2004 der Geldsegen am Ende ist, stehen Sie da, wie Andersens Sterntalermädchen: mit leerer Schürze, ansonsten nackt. ({6}) Sie haben von der größten Reform der deutschen Forschungslandschaft gesprochen, die Sie angepackt hätten. Meinen Sie damit die mehr schlecht als recht umgesetzte Fusion der GMD und FhG? Meinen Sie damit die ungeschickte Umsetzung der programmorientierten Förderung bei den Helmholtzzentren, die bei den Mitgliedsinstituten Verunsicherung und Demotivation ausgelöst haben? Der HGF haben Sie mit einem Plus von 1,8 Prozent noch nicht einmal einen Inflationsausgleich zugestanden. Oder meinen Sie damit den nach wie vor unerledigten großen Brocken der Ressortforschung der Ministerien, die circa 3 Milliarden DM ausmacht? Reform, Frau Bulmahn, heißt nach Ansicht der FDP, auch vor dem eigenen Hause Flagge zu zeigen. Ressortforschung muss denselben Bedingungen unterworfen werden, die auch außerhalb des schützenden Hafens von Vater Staat gelten: ({7}) gründliche Evaluation, Transparenz und vor allem Effizienz. Ich bin sicher, dass eine Evaluation deutliche Einsparmöglichkeiten aufzeigen wird. Damit sind wir schon bei Ihrem Vorwurf, die FDP mache es sich zu leicht, wenn sie massive Mittelerhöhungen bei Bildung und Forschung fordert. ({8}) Frau Bulmahn, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, wir machen es uns damit nicht leicht, wir machen es besser. ({9}) Natürlich müssen wir bestehende Systeme reformieren. ({10}) Wir brauchen mehr Effizienz und mehr Wettbewerb bei Forschungs- und Bildungsträgern. Aber gleichzeitig muss endlich klar werden, dass Bildungspolitik ohne Geld reine Flickschusterei ist. Wer will, dass dieses Land eine Zukunft hat, muss investieren. Bildung ist nicht zum Nulltarif zu haben. ({11}) Die FDP steht zu dieser Forderung. Wir wollen viel, sehr viel Geld für die Bildung ausgeben: 3,4 Milliarden DM mehr. ({12}) Dazu gehört ein neues Hochschulsonderprogramm zur Verbesserung des Studienstandortes. Es ist gut, Studenten aus dem Ausland anzuwerben, Frau Bulmahn; nur müssen wir auch dafür sorgen, dass die Leute gerne kommen. Wir wollen die Bibliotheken mit einem 122-Millionen-DM-Programm modernisieren. Online, wie Sie es eben so schön gesagt haben, reicht nicht, wenn das Geld für die Lizenzen fehlt. Die Bibliotheken brauchen die Gelder jetzt und nicht in einer fernen Zukunft. Für den Hochschulbau wollen wir 900 Millionen DM mehr ausgeben, und zwar dergestalt, dass die finanzschwachen Bundesländer eine Möglichkeit der Vorfinanzierung durch den Bund erhalten. Es kann nicht sein, dass Gelder für den Hochschulbau zurückgegeben werden und dass hier in Berlin zurzeit Institute geschlossen werden, weil die Kofinanzierung nicht klappt. ({13}) Diese Forderungen sind nicht unseriös. Sie sind auch nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Bildungsinvestitionen sind für uns Zukunftsinvestitionen. Ich bin sicher, dass die meisten Menschen außerhalb dieses Hauses dies absolut nachvollziehen können. Wir wollen diese Investitionen durch einen Abbau der Steinkohlesubventionen - diese machen in diesem Jahr fast 6 Milliarden DM aus; dieser Subventionsabbau fällt mir als Nordrhein-Westfälin bekanntermaßen besonders schwer -, durch Privatisierung der Bundesbeteiligungen - allein an den Flughäfen in Frankfurt und München ist der Bund mit 640 Millionen DM beteiligt - und durch den Abbau von Zuschüssen wie die an die Bundesmonopolverwaltung für Branntwein finanzieren. 15,6 Milliarden DM zahlt der Bund im Jahre 2002 an Subventionen. Angesichts dessen muss es doch möglich sein, weniger als ein Viertel davon für das größte Potenzial abzuzweigen, das wir haben: die Bildung und Ausbildung unserer Kinder und Jugendlichen. Meine Damen und Herren, Nachwuchsförderung ist übrigens auch der Schlüsselbegriff für die Reform des Hochschuldienstrechtes. Frau Ministerin, ich bin heute - wie meistens von dieser Stelle aus - nicht so ganz freundlich mit Ihnen umgegangen. Nichtsdestotrotz kann ich für die FDP sagen, dass wir es ausdrücklich begrüßen, dass Sie diese Reform angehen. Auch in der Ausgestaltung der Reform gehen wir an einigen Stellen ({14}) - keine Angst, Frau Volquartz - mit Ihnen konform. So wollen wir die Einführung der Juniorprofessoren; frühe Selbstständigkeit und eigene Forschung sind uns wichtig. Richtig ist auch die fällige Angleichung der Besoldung von Professoren an Unis und FHs. Begrüßenswert sind die leistungsorientierte Besoldung und der Wegfall der Obergrenzen, damit wir Spitzenkräfte auch spitzenmäßig bezahlen können. Trotzdem hat Ihr Entwurf deutliche Schwächen. Das hat am Montag nicht nur Herr Schiedermair, sondern das haben alle Experten bis auf einen bestätigt. ({15}) Die Deckelung des Gesamtbesoldungsrahmens behindert den Wettbewerb um die besten Köpfe. Die 6 000 Stellen für die neuen Juniorprofessoren werden nur durch den Abbau der Zahl von wissenschaftlichen Assistenten und Oberassistenten möglich. Wir brauchen aber selbstverständlich weiterhin befristete und unbefristete Arbeitsverhältnisse im Mittelbau. Die Qualifikationsphase bis zum Juniorprofessor ist nicht eindeutig definiert. Sie sollte unserer Meinung nach bis zum 29. Lebensjahr abgeschlossen sein. Da sind wir übrigens auch mit Herrn Schiedermair einer Meinung. Das ließe sich noch senken - das erspare ich Ihnen an dieser Stelle nicht -, wenn das Abitur endlich nach zwölf Schuljahren erreicht ({16}) und die Wehrpflicht abgeschafft würde. ({17}) Wäre diese Professur auf fünf Jahre angelegt - wie es der Wissenschaftsrat vorgeschlagen hat -, könnte die Zeit bis zur ersten Berufung weiter verkürzt werden. Dabei ist es aus unserer Sicht unverzichtbar - das sage ich ganz bewusst -, dass Frauen nicht benachteiligt werden. Das Fehlen einer Babypause in Ihren Vorschlägen ist so augenfällig, dass es keinen Einzigen im Saale gab, der dadurch nicht sehr irritiert war. Die Abschaffung der Habilitation ist ein Irrweg. Lassen Sie die Hochschulen doch selbst entscheiden, Frau Bulmahn, ({18}) wie sie es mit ihrem akademischen Nachwuchs halten wollen, statt hier von alten Zöpfen zu reden. Es ist kein alter Zopf, sondern es ist eine von vielen Möglichkeiten. ({19}) Völlig unzureichend ist auch die Regelung für ausscheidende Juniorprofessoren. Welchen Status sie gegenüber der Hochschule haben, bleibt für uns und für die Experten unklar. ({20}) Wir sind nach wie vor der Meinung, dass das Thema Privatdozent auf der Tagesordnung bleiben muss. ({21}) Ihr Gesetzentwurf ist ein eklatanter Eingriff in die persönliche Lebensplanung der zum jetzigen Zeitpunkt Promovierenden und Habilitierenden. Ich kann Herrn Loskes Meinung an dieser Stelle nicht teilen. Es kann nicht sein, dass ihnen aus Altersgründen der Weg zum Juniorprofessor versperrt wird. Da helfen auch die Übergangsfristen nicht. An diesem Punkt brauchen wir wesentlich bessere Übergangsregelungen. Sie sind nicht bereit, am Beamtenstatus von Hochschulangehörigen zu rütteln. ({22}) Ich weiß, dass Sie das gern möchten. ({23}) - Ja, aber Sie setzen sich bei den Ländern nicht durch, Frau Bulmahn. ({24}) Hochschulausbildung ist nach Meinung der FDP eine enorm wichtige, aber keine hoheitliche Aufgabe. Wir wollen genauso wie an den Schulen ein Auslaufen des Beamtenstatus an den Hochschulen. ({25}) Bei diesen massiven Defiziten in Ihrem Entwurf haben wir ernsthafte Zweifel, ob die Reform einen Schub für mehr Leistung, Wettbewerb und Internationalität bringen wird. ({26}) Diese Zweifel werden von den meisten Experten geteilt; das hat die Anhörung am Montag eindeutig bewiesen. An dieser Stelle muss ich mein Bedauern ausdrücken, dass sich der Innenausschuss an ihr nicht beteiligt hat. Ich sage es wirklich ganz deutlich und hoffe, dass Sie das noch tun werden. ({27}) Frau Bulmahn, noch ist es Zeit, Verbesserungen vorzunehmen. Sie können sich vorstellen, dass auch wir mit den Landesregierungen, an denen wir als FDP beteiligt sind, sprechen werden. Wenn Sie unsere Unterstützung brauchen, werden Sie sie an dieser Stelle bekommen. Lassen Sie bitte die Chance einer ordentlichen Reform nicht an sehr einseitigen Länderinteressen scheitern. ({28}) Lassen Sie mich zum Schluss - meine Kollegin Conny Pieper kann heute leider nicht bei uns sein ({29}) noch kurz auf den zukunftsweisenden Antrag zur Kulturstiftung der Bundesrepublik Deutschland eingehen. Diese Idee stammt von Günter Grass. Die FDP bittet Sie sehr um Unterstützung dieses Antrages. Wir hätten damit endlich ein kulturpolitisches Instrument, mit dem Bund und Länder gesamtstaatliche Kulturpolitik für die gemeinsame gute Zukunft aller Deutschen gestalten können. Im Gegensatz zum Staatsminister für Kultur wollen wir eine Stiftung bürgerlichen Rechts, die mit einem Stiftungskapital von 2 Milliarden Euro ({30}) aus den Gold- und Devisenreserven der Deutschen Bundesbank - zuhören, Herr Tauss! - ihren Aufgaben zur Pflege des nationalen Kulturerbes auch gerecht werden könnte. Gerade jetzt, in politisch und wirtschaftlich schwierigen Zeiten, verkörpert die Bundeskulturstiftung ein identitätsstiftendes Band, das dafür sorgt, dass wir Deutschen die Herausforderungen der Globalisierung meistern werden. Ich bitte um Ihre Unterstützung. ({31})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die PDS-Fraktion spricht jetzt die Kollegin Maritta Böttcher.

Maritta Böttcher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002631, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Bisher ist viel über Zahlen geredet worden. Lassen Sie mich also zu Beginn auf den vorliegenden Entwurf für eine Änderung des Hochschulrahmengesetzes eingehen. Vieles von dem, was Sie, Frau Ministerin, sagten, vermisse ich im vorliegenden Gesetzentwurf. Ich habe zum Beispiel im Gesetzentwurf nach zweierlei vergeblich gesucht: Wo ist das von SPD und Grünen versprochene Studiengebührenverbot? Wo bleibt die Absicherung der Politik- und Meinungsfreiheit der Studierendenvertretungen? ({0}) Frau Ministerin, drei Jahre lang haben wir guten Willen gezeigt und gehofft, dass Sie an der Umsetzung dieser Ziele arbeiten. Heute müssen wir die Lage neu beurteilen; denn in diesem Sommer haben Sie erstmals die von CDU und FDP in Baden-Württemberg eingeführten Studiengebühren politisch verteidigt. Gebühren für so genannte Langzeitstudenten werden von Ihnen nicht mehr bekämpft, sondern offensiv gerechtfertigt. ({1}) Rot-Grün hat das Vertrauen der Studierenden verspielt, urteilten diese daraufhin ({2}) - ja, ich habe auch mit denen Kaffee getrunken, Herr Tauss - und forderten Sie in einem offenen Brief zum Rücktritt auf. Der Brief vom Sommer liegt ja nun vor. Ich halte dies für bemerkenswert und hoffe sehr, dass wenigstens dieser Protest Sie zum Nachdenken bringt. Immerhin haben Sie heute, Herr Tauss und Herr Loske - tun Sie doch nicht so! -, eine Presseerklärung herausgegeben. Zumindest haben Sie eilig erklärt, dass Sie die verfasste Studierendenschaft absichern wollen, ({3}) nachdem die Kritik der PDS seit Jahren nicht gehört wird. ({4}) Ich hoffe nur, es bleibt keine leere Versprechung. ({5}) Anzuerkennen ist, dass die Bundesregierung in ihrem Gesetzentwurf das heiße Eisen des Hochschuldienstrechts angepackt hat. Das will ich ausdrücklich sagen. Im Mittelpunkt steht die Neuordnung der Hochschullehrerlaufbahn durch die Einrichtung von Juniorprofessuren. Dazu ist sehr viel gesagt worden. Allerdings verzichtet der Gesetzentwurf - das möchte ich hier noch einmal für die Fraktion der PDS eindeutig sagen - auf eine verbindliche Abschaffung der Habilitation. Auf uns können Sie sich dabei aber schon verlassen. Beim Problem der Professorenbesoldung kritisiert die PDS vor allem, dass die Bundesregierung nach wie vor das Grundrecht der Tarifautonomie im Wissenschaftsbereich missachtet. Das heißt, die Arbeitsbedingungen des wissenschaftlichen Personals werden nicht, wie in anderen Branchen, kollektivvertraglich durch Arbeitgeber und Gewerkschaften geregelt, sondern einseitig staatlich oktroyiert. Wir fordern daher: Weg mit dem Beamtenstatus für Professoren, ({6}) weg mit den Paragraphen 57 a bis 75 f im Hochschulrahmengesetz! Ich freue mich ganz besonders, Frau Flach, dass da auch die FDP auf einem guten Weg ist. ({7}) Meine Damen und Herren von der Koalition, an dieser Stelle möchte ich noch einmal sagen, dass Sie natürlich auch an dem Erbe, das Sie beim Einzelplan 30 übernommen haben, schwer zu tragen haben, das sehen auch wir. Der Bildungs- und Forschungshaushalt des Bundes soll im kommenden Jahr um 2,7 Prozent steigen. Ich respektiere diesen Zuwachs. Dennoch weise ich auf Folgendes hin: Die Bundesregierung hat zur Verbesserung der so genannten inneren und äußeren Sicherheit eine Aufstockung der Ausgaben des Bundes um 3 Milliarden DM angekündigt. Der Bundeshaushalt wird also nicht mehr nur um 1,6 Prozent, sondern um 2,2 Prozent anwachsen. Die Steigerung der Bildungs- und Forschungsausgaben liegt demnach kaum mehr über dem Wachstum des Gesamthaushalts, ganz zu schweigen von der Ankündigung, die Bildungs- und Forschungsausgaben innerhalb von fünf Jahren zu verdoppeln. Von einer Prioritätensetzung der Bundesregierung für Bildung und Forschung ist in diesem Haushalt eben nicht sehr viel zu erkennen, wenn sie in der Lage ist, von heute auf morgen rund 1,5 Milliarden DM allein für die Bundeswehr zu mobilisieren, auf der anderen Seite aber immer noch nicht in der Lage ist, Bildung als die soziale Frage des 21. Jahrhunderts zu begreifen, die sie nach Überzeugung der PDS längst geworden ist. ({8}) Die Investitionen der Bundesregierung in Bildung und Forschung sind vor allem Investitionen in Forschung und Technologie und nur zu einem Bruchteil Investitionen in Bildung. Die Bildungsausgaben des Bundes entwickeln sich teilweise sogar rückläufig. Das Sonderprogramm zur Schaffung zusätzlicher Ausbildungsplätze in den neuen Ländern wird um 10 Prozent gekürzt. In der Berufsbildungspolitik baut die Bundesregierung namentlich gegenüber Ostdeutschland unerschütterlich auf drei Größen: erstens auf den guten Willen der Unternehmer, zweitens auf zukünftige geburtenschwache Jahrgänge bei den Ausbildungsplatzsuchenden und drittens schließlich auf die Abwanderung eines Teils der Jugendlichen von Ost nach West. Aktive Berufsbildungspolitik kann man das wahrlich nicht nennen! ({9}) Das Ergebnis dieser Politik sieht so aus: Bis Ende August 2001 - also bis kurz vor Beginn des neuen Ausbildungsjahres - gab es für das laufende Bewerbungsjahr im Osten nur halb so viele Ausbildungsstellen wie Bewerberinnen und Bewerber und das Verhältnis von Ausbildungsplatzsuchenden zu unbesetzten Stellen belief sich zu diesem Zeitpunkt auf 5:1. Vor diesem Hintergrund halte ich die im Haushaltsentwurf vorgesehene Rückführung des Sonderprogramms für zusätzliche Ausbildungsplätze im Osten für lebensfremd. ({10}) Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Auch wir sind für den Abbau der vielen einzelnen Sonderprogramme und Ersatzmaßnahmen auf Kosten der Steuerzahler, allerdings unter zwei Bedingungen. Erstens. Die gesamte Unternehmerschaft und besonders die großen Konzerne werden endlich verbindlich dazu angehalten, ihre Schuldigkeit zu tun. Verabredungen im Bündnis für Arbeit haben - das lehren die Erfahrungen diesen notwendigen Grad von Verbindlichkeit nicht. ({11}) - Die Zahlen sprechen eine andere Sprache, Herr Tauss. Zweitens. Die verbleibenden und wahrscheinlich an Zahl zunehmenden Ausbildungsgänge außerhalb einer klassischen dualen Ausbildung werden in ein plurales Ausbildungssystem integriert, dessen Markenzeichen die Gleichwertigkeit aller Ausbildungsformen ist. ({12}) Solange die Bundesregierung sich nicht in diese Richtung bewegt, halten wir nichts von theoretischer Prinzipienreiterei auf dem Rücken der Jugendlichen. Wir werden deshalb die Reduzierung dieses Lehrstellenprogramms nicht einfach hinnehmen. Frau Ministerin, auch in Sachen Ausbildungsförderung gibt es für Sie keinen Grund zum Jubeln. Die BAföG-Reform der Bundesregierung - auch das möchte ich wiederholen - ist zwar nicht nichts. Sie ist aber im laufenden Haushaltsjahr, 2001, nur zu 75 Prozent haushaltswirksam geworden. Die BAföG-Ausgaben des Bundes sollen im Jahr 2002 nur um 6 Prozent steigen. Damit ist belegt, dass die BAföG-Novelle von SPD und Grünen nicht in nennenswertem Umfang zusätzliche Mittel für die Studienfinanzierung mobilisieren kann. Was die von mir kritisierte Technologielastigkeit des Bildungs- und Forschungshaushalts angeht, so will ich zunächst betonen, dass die PDS selbstverständlich nichts gegen Forschung und Technologieförderung hat. Wir kritisieren allerdings mit Nachdruck, dass sich SPD und Grüne auf die Förderung von Risikotechnologien konzentrieren, deren Nutzen für Wissenschaft, Gesellschaft und Wirtschaft äußerst fragwürdig ist. Ich denke dabei insbesondere an die Genomforschung, die Raumfahrtforschung - Herr Tauss, hier haben wir sie wieder - und die Kernfusionsforschung. ({13}) Diese Forschungsschwerpunkte sind Fässer ohne Boden. Sie bedürfen teilweise einer jahrzehntelangen milliardenschweren Förderung, ohne dass ein konkreter gesellschaftlicher Nutzen zu erwarten ist. Auf eine sozialökologische Umorientierung der Forschungspolitik warten wir nach drei Jahren Rot-Grün immer noch vergeblich. Anstatt die Gesundheitsforschung ganzheitlich anzugehen - Frau Ministerin, wir lesen anderes aus dem Haushalt, als ich in der Rede hören konnte -, wird fast nur noch genorientierte Forschung gefördert. Mehrere Hundert Millionen Euro werden für Prestigeobjekte wie die internationale Raumstation, Ariane-Raketen und Satellitensysteme im Weltraum verpulvert. Auch nach dem 11. September wendet die Regierung keinen zusätzlichen Euro für die Friedens- und Konfliktforschung auf. ({14}) In diesem Zusammenhang stelle ich schon die Frage: Was soll die Ankündigung aus Ihrer Rede? Wäre der Haushaltsplanentwurf 2002 nicht mit den Namen Schröder und Eichel unterzeichnet, müsste man in den Zahlen lange nach einem Anhaltspunkt suchen, der auf eine rot-grüne Regierung hindeutet. ({15}) Die Prioritätensetzung im Bildungs- und Forschungshaushalt trägt in großen Teilen leider noch die Handschrift ihrer Vorgänger. Der Regierungswechsel ist Geschichte. Der Politikwechsel ist zu großen Teilen in diesem Bereich leider noch Zukunftsmusik. Ich bitte Sie, ernsthaft über unsere Vorschläge zu diskutieren und - ganz in Ihrem Sinne - gemeinsam alle Kräfte aufzuwenden, um das, was Sie im Stillen wollen, auch durchzusetzen. ({16})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Jetzt hat der Kollege Jörg Tauss endlich einmal die Gelegenheit, für die SPDFraktion von hier vorn zu sprechen - und nicht nur von der Bank. ({0})

Jörg Tauss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002813, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sie merken, Frau Präsidentin und liebe Kollegen, es geht einem manchmal wirklich schlecht, wenn man unserer Opposition zuhört. Aber so sind sie halt. Die PDS wirft uns vor, die Habilitation nicht zu verbieten. Die CDU wirft uns vor, die Habilitation zu verbieten. Die FDP - Frau Kollegin Flach, ich bedanke mich - sagt, dass wir auf dem richtigen Weg sind. ({0}) Sie haben zumindest erkannt, dass wir uns in der Mitte von dem befinden, was uns von den verschiedenen Seiten unterstellt wird. Insofern können wir das, glaube ich, mit Gelassenheit sehen. Was die Kulturstiftung angeht, sehr geehrte Frau Flach: Sie ist auf dem Weg. Wie beim Stiftungsrecht rennen Sie hierbei den Verhandlungen, die der Staatsminister bereits führt, hinterher. Seien Sie optimistisch! Wir diskutieren darüber im Ausschuss. Ich möchte es heute Abend nicht allzu umfassend tun. Ich möchte einiges zum Einzelplan 30 sagen. Frau Ministerin, Sie haben zu Recht darauf hingewiesen ({1}) Sie sind stolz darauf; wir sind stolz darauf -: Der Haushalt 2002 ist auf über 16 Milliarden geklettert. Er hat eine Rekordhöhe erreicht. Er liegt jetzt endlich bei dem, was andere Nationen im Mittelfeld auch erreicht haben. Wir haben die Laterne des Schlusslichts abgegeben, die Sie uns hinterlassen haben. Diesen Weg, werden wir weiter beschreiten. Das sind die Fakten. ({2}) An die FDP gerichtet, liebe Frau Kollegin Flach: Im Gegensatz zur FDP halten wir unsere Versprechen. Wir haben gesagt: Wir erhöhen die Ausgaben für Bildung und Forschung. ({3}) Dort, wo Sie regieren, sind Sie den Beweis schuldig geblieben. Ich lese nur einmal vor, was sich im Moment in Hessen tut. Dort regiert die Wissenschaftsministerin Frau Wagner. Die Personalausgaben für die Hochschulen werden dort in den nächsten Jahren um 8 Millionen gekürzt. Das ist die Bildungspolitik der FDP. Wir erhöhen die Mittel; Sie senken sie. Das nennen Sie dann moderne Bildungspolitik. Wir können also Ihrer Kritik mit Gelassenheit begegnen. ({4}) - Stimmt nicht? Lieber Herr Rachel, ich verlasse mich auf das, was Frau Wagner sagt. Sie will die Tarifsteigerungen nicht weitergeben und bei den Personalausgaben für 2002 und 2003 je 8 Millionen DM einsparen. 2004 und 2005 sollen es jeweils 5 Millionen DM sein.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Tauss?

Jörg Tauss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002813, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja?

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Ich muss Sie in Ihrem Redefluss bremsen, weil die Kollegin Flach eine Zwischenfrage stellen möchte. Lassen Sie sie zu?

Jörg Tauss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002813, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte schön, liebe Frau Kollegin Flach. ({0}) - Natürlich geht es um den Bildungshaushalt. Wir halten unsere Versprechen. Bitte schön, Frau Kollegin Flach.

Ulrike Flach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003119, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich danke Ihnen, Herr Kollege Tauss, dass Sie mir die Möglichkeit geben, darauf hinzuweisen, dass Frau Wagner so erfolgreich bei der Personalanwerbung war, dass sich die anderen Bundesländer neue Rezepte einfallen lassen mussten, damit Lehrer überhaupt dort bleiben. Des Weiteren möchte ich darauf hinweisen, dass das Land Hessen den Hochschulen bis 2005 zusätzlich 60 Millionen DM für Sach- und Investitionsausgaben zur

Jörg Tauss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002813, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ohne Personal!

Ulrike Flach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003119, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

- und außerdem eine „Zukunftsinitiative Hochschule“ startet, in deren Rahmen zusätzlich 120 Millionen DM bereitgestellt werden. ({0}) Herr Tauss, es wäre schön gewesen, wenn Sie sich auch darüber informiert hätten und nicht bei irgendwelchen merkwürdigen Zahlen über die Personalausgaben hängen geblieben wären. ({1})

Jörg Tauss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002813, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sie kommen aus Hessen? - Gut. Frau Kollegin Flach, ich gebe Ihnen Recht. In der Tat haben sich sehr viele Lehrerinnen und Lehrer an hessischen und rheinland-pfälzischen Schulen beworben. In beiden Bundesländern regieren Sie mit. Das ist gar nicht schlecht. Aber alle Bewerbungen kamen aus Baden-Württemberg, wo Sie ebenfalls mitregieren. ({0}) - Das war jetzt eher ein Schlag gegen das Land BadenWürttemberg. Ich möchte jetzt mit meiner Rede fortfahren. Unsere Bildungs- und Forschungspolitik hat die Grundlagen im materiellen Bereich verbessert. Wir haben die Rahmenbedingungen verbessert und verbessern sie weiter. Wir stellen Chancengleichheit her. Wir fördern die Kreativität durch Eigenverantwortung. Wir stärken die Forschung zugunsten von Menschen und nachhaltigem Wachstum. Wir werden die 150 Jahre alten Strukturen, die Sie, Herr Rachel, so lieben und an denen sich nichts verändern soll, aufbrechen, flexibilisieren und damit den Bildungs- und Forschungsstandort Deutschland fit machen. Ich möchte noch kurz auf drei zentrale Bereiche zu sprechen kommen, nämlich erstens den Ausbau von Forschung und Entwicklung in Schlüsseltechnologiebereichen, zweitens die Attraktivität der Hochschulen und drittens die Modernisierung der Infrastruktur. Zunächst zu den Schlüsseltechnologien: Wir wollen, dass Deutschland in der Informationstechnik eine internationale Spitzenstellung erreicht. Ich hoffe, darüber sind wir uns einig. Im Bereich der Informationstechnik wurden die Fördermittel - ich sage das, weil Sie so gerne über Zahlen reden - um 15 Prozent erhöht. Das können Sie nicht bestreiten. Es gibt vieles, das zum Bereich der Zukunftstechnologien gehört, zum Beispiel optische und drahtlose Netze sowie Internetanwendungen. Deren Zahl ist seit 1998 - die Ministerin hat darauf hingewiesen - um 15 Prozent gestiegen. Ich glaube, das sagt schon alles. ({1}) - Was heißt „nicht wie versprochen“? Was haben Sie denn versprochen? Wir wollten über Bildung reden und Sie haben gekürzt. Wir haben nicht gekürzt, sondern den Etat zum vierten Mal hintereinander erhöht. Das haben wir versprochen und das haben wir gehalten. Deutschland ist jetzt im europäischen Vergleich nicht mehr Schlusslicht. ({2}) Wir werden uns natürlich überlegen müssen - das haben Sie angesprochen -, wie wir im Bereich der Sicherheit vorankommen wollen. Das ist ausgesprochen wichtig; denn eine im Kommunikationsbereich immer stärker vernetzte Gesellschaft wird immer anfälliger für Angriffe. Im Sicherheitsbereich werden wir neue Schwerpunkte setzen. Man stelle sich einmal vor, es gelänge Terroristinnen und Terroristen, in die Datennetze des Frankfurter Flughafens einzudringen. Dann gäbe es eine ganz andere Form des Terrors; denn die Terroristen müssten ihr Leben nicht mehr opfern, um ein Flugzeug zum Absturz zu bringen. Sie könnten vielmehr vom Boden aus Massenabstürze herbeiführen. Ich sage das nicht, um irgendwelche Horrorszenarien an die Wand zu malen, sondern um deutlich zu machen, dass wir die Befürchtungen, die vorhin auch in der Umweltdebatte zum Ausdruck kamen, ernst genommen haben und die Frage, wie mit kritischen Infrastrukturen umgegangen werden soll, aufgegriffen haben. Auch die Genomforschung ist vorhin angesprochen worden. Ich halte sie nicht für Teufelswerk, liebe Kollegin Böttcher. Es ist falsch, wenn Sie gewisse Technologien wie zum Beispiel auch die Raumfahrt verteufeln. Wir werden darüber in einem angemessenen Rahmen diskutieren. Wir werden die Mittel - darüber haben wir schon in der gestrigen Ausschusssitzung diskutiert - moderat aufstocken. Es war immer ein menschliches Ziel, Grenzen zu überwinden. Das war auch bei den ersten Seefahrern und Raumfahrern so. Selbstverständlich ist die Raumfahrt auch ein kultureller Auftrag. Wir haben die Akzente hier völlig richtig gesetzt. Ich glaube, dass wir auch an diesem Punkt nicht polemisieren sollten. Man hat früher - ich habe es vorhin gesagt - in der DDR den Fliegerkosmonauten im offenen Wagen durch die Gegend gefahren - nicht? - und jetzt wollen Sie in diesem Bereich alles kürzen. Man sollte in dieser Angelegenheit den Mittelweg beschreiten. Jetzt kommen wir zur Attraktivität der Hochschulen. Herr Kollege Rachel, das, was Sie im Hinblick auf die Strukturen der letzten 150 Jahre gesagt haben, zeigt eigentlich, dass Konservative schlechthin Probleme mit der Zukunft haben. Ich habe zumindest den Verdacht - Frau Präsidentin, ich hoffe, Sie rügen mich jetzt nicht schon wieder, wie es mir gestern passiert ist -, dass Sie auch ein wenig Probleme mit der Wahrheit haben. Es ist einfach nicht korrekt, wie Sie das mit dem Verbot der Habilitation dargestellt haben. Das wissen Sie. Herr Rachel, Sie orientieren sich an den letzten 150 Jahren. Ich empfehle Ihnen: Orientieren Sie sich doch einfach einmal an dem Leitbild „Wissenschaft 2010“. Es handelt sich dabei um ein Papier, das Frau Schipanski, die einer CDU/CSU-geführten Landesregierung angehört, vorgelegt hat. Das, was in diesem Papier für das Jahr 2010 verlangt wird, erledigen wir jetzt mit der Dienstrechtsreform 2001. ({3}) Schauen Sie sich dieses Papier an. Ihre Polemik wird hier nicht weiterführen. ({4}) - An Ihnen ärgert mich gelegentlich, dass Sie hier Dinge behaupten, die schlichtweg nicht zutreffen, obwohl Ihnen die entsprechenden Texte vorliegen. Das ist übrigens auch gegenüber denjenigen, die zu vorgerückter Stunde noch auf der Tribüne sitzen, unfair. Sie wissen ganz genau, dass das, was Herr Loske gesagt hat, richtig ist. ({5}) - Was heißt hier „Lautstärke ersetzt nicht Qualität!“? Ich versuche, Ihnen auch zu vorgerückter Stunde die Dinge ein wenig nahe zu bringen. Wenn mir das durch Lautstärke gelänge, dann wäre ich darüber froh. ({6}) Es wäre wichtig, dass Sie einmal den Gesetzentwurf lesen und erst danach darüber reden. Wenn das geschieht, dann hätten wir etwas erreicht. Frau Flach, was Sie zu der Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe Hochschulen gesagt haben, verstehe ich nicht recht. Die Zahl von 1,1 Milliarden Euro allein im Hochschulbereich im Jahr 2002 ist sensationell. Aufgrund der BaföG-Reform - Sie wissen das doch alles; machen Sie nicht Opposition um der Opposition willen! - ist die Anzahl der geförderten Studenten auf einem Höchststand. Unsere Reformen im Hochschulbereich können sich alle sehen lassen. ({7}) - Natürlich haben wir nicht all das gemacht, was wir wollten. Natürlich will ich viel mehr. Warten Sie einmal ab! Die Bundestagswahlen nächstes Jahr werden wir gewinnen und dann werden wir Jahr für Jahr, wie von Beginn unserer Regierungszeit an, eine gute Politik machen. ({8}) Wie gesagt, dass wir eine gute Politik gemacht haben, können wir beweisen. Wir haben da kein Problem. Herr Rachel, Herr Glos hat in dieser Debatte - schade, dass Herr Friedrich heute nicht da ist - im Zusammenhang mit Ausländern eine unglaubliche Stimmungsmache betrieben. Ich hielte es für sehr fatal und für eine ganz schlimme Entwicklung, wenn wegen der Terroristen in Hamburg das Ziel der Internationalisierung unserer Hochschulen gefährdet würde. ({9}) Sie tragen eine große Verantwortung. Aufgrund dessen, was Sie zu Herrn Schilys Entwurf gesagt haben, habe ich zu Herrn Glos gesagt, es werde hier gehetzt, weswegen ich vom Präsidenten gerügt wurde. Aus diesem Grunde möchte ich meine Äußerung nicht wiederholen.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Ich hier oben bin ganz unschuldig.

Jörg Tauss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002813, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank. Ich will es nicht wiederholen. Ich möchte Herrn Henkel, den früheren BDI-Vorsitzenden - er steht uns nicht so ganz nahe -, zitieren. ({0}) Zu dem, was Herr Glos und Sie gestern hier abgeliefert haben, hat Herr Henkel gesagt, er sei entsetzt und angewidert. Ich nehme meine Äußerung „Hetze“ zurück; aber ich bin mit dem ehemaligen Präsidenten des BDI im Hinblick auf das, was Sie hier abliefern, solidarisch; genauso wie er bin ich angewidert. Das will ich Ihnen deutlich sagen. Mit dieser Zündelei fügen Sie dem Wissenschaftsstandort Deutschland im Kampf um die besten Köpfe einen schweren Schaden zu. Hören Sie damit auf! ({1}) Der dritte Punkt betrifft die Strukturreform der Forschungseinrichtungen, die Modernisierung der wissenschaftlichen Infrastruktur. Wir haben die Stellenpläne in den Haushalten flexibilisiert. Wer hätte das gedacht? Unter Finanzminister Waigel sind wir nicht weitergekommen. Als er Finanzminister war, hatten Stellenpläne sozusagen Verfassungsrang. Mit der Dienstrechtsreform und mit Reformen der Großforschungseinrichtungen haben wir Wesentliches auf den Weg gebracht. Wir werden noch die Reform des Gesetzes über Arbeitnehmererfindungen - Stichwort: Hochschullehrerprivileg - auf den Weg bringen. Auf diese Art und Weise werden wir den Hochschulen Einnahmen aus Patenten, also zusätzliches Geld, vermitteln. Das ist intelligenter als die Einführung von Studiengebühren. Die Forderung danach wird von Teilen Ihrer Fraktion - Herr Kollege Mayer hat sich beim letzten Mal leidenschaftlich dafür ausgesprochen - gelegentlich erhoben. In dieser Woche haben wir im Ausschuss über die Verbesserung von ein paar Punkten diskutiert. Wir haben etwas mehr Gewicht auf die Nachhaltigkeit gelegt. Auch dies ist ein außerordentlich wichtiger Punkt. Wir haben die Förderung innovativer Dienstleistungen verstärkt und verbessert. Diese Programme haben Sie - aus welchen ideologischen Verbohrungen auch immer in der Vergangenheit stets bekämpft. Dies zeigt zumindest ein gestörtes Verhältnis zu modernen Formen des Arbeitslebens, lieber Herr Rachel. Aber hier werden wir die Konturen ebenfalls verbessern. Auf die anderen Fragen wird mein Kollege Rossmann noch eingehen. Ich will deswegen abschließen und der Bundesministerin Bulmahn und dem Ministerium für die geleistete Arbeit danken. Der Etat 2002 ist ein neues Highlight für Bildung und Forschung in unserem Land. Wer daran herummäkelt, hat diesen Haushaltsentwurf und das, was diese rot-grüne Regierung auf den Weg gebracht hat, entweder nicht gelesen oder nicht begriffen oder - was noch schlimmer wäre - will es nicht begreifen. Aber ich glaube, auch damit könnten wir leben. Schönen Dank. ({2})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Zu einer Kurzintervention erteile ich jetzt das Wort dem Kollegen Thomas Rachel.

Thomas Rachel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002754, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Der Kollege Tauss meinte äußern zu müssen, dass ich die Unwahrheit gesagt hätte, ({0}) als ich von einer Diskriminierung der Habilitation gesprochen habe. - Ich meine, Sie sollten sich jetzt etwas zügeln, Herr Kollege Tauss. Faktum ist, dass die Habilitation diskriminiert wird. In der Anhörung des Deutschen Bundestages am Montag haben mehrere Vertreter gesagt, dass dies de facto auf ein Habilitationsverbot hinausläuft. Ich verweise darauf, dass die Hochschulrektorenkonferenz in ihrer Stellungnahme für die Anhörung zum vorliegenden Gesetzentwurf gesagt hat: Die Hochschulrektorenkonferenz lehnt die gesetzliche Abschaffung der Habilitation ab. Darüber hinaus hat die Deutsche Forschungsgemeinschaft in ihrer Stellungnahme ganz klar gesagt - ich zitiere Professor Winnacker -: Ich habe erhebliche Bedenken, die Juniorprofessur als alleinige Voraussetzung für die Lebenszeitprofessur festzuschreiben. Ebenfalls hat sich die Max-Planck-Gesellschaft eindeutig dagegen ausgesprochen, die Habilitation auszuhebeln und zu diskriminieren. Ich bitte Sie insofern, von solchen Unterstellungen in Zukunft Abstand zu nehmen. ({1})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Zur Erwiderung Herr Kollege Tauss, bitte.

Jörg Tauss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002813, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich kann es kürzer machen. Die Hochschulrektorenkonferenz lehnt das Verbot der Habilitation ab. Weil nicht nur die Hochschulrektorenkonferenz es ablehnt, sondern auch andere, werden wir kein Verbot der Habilitation vornehmen. So einfach ist das. Es wird den Wettbewerb geben. ({0}) Die Juniorprofessur werden wir allerdings auch nicht dadurch kaputt machen lassen, dass wir allen die Wahlfreiheit geben. Die Juniorprofessur wird der Regelfall werden. Herr Rachel, ich bin bereit, Ihnen heute Abend vor dem ganzen Publikum eine Wette über Flaschen besten Spätburgunders aus meinem Wahlkreis anzubieten: In den Naturwissenschaften werden wir über kurz oder lang erleben, dass die Juniorprofessur der Regelfall wird - ohne Verbot der Habilitation. Denn die Leute erkennen, dass man so schneller wissenschaftliche Karriere macht. ({1}) Das wollen wir erreichen: dass junge Leute schneller wissenschaftliche Karriere machen. ({2}) Dazu brauchen wir kein Verbot der Habilitation, sondern die Juniorprofessur und eine vernünftige Ausstattung; auch diese haben wir vorgenommen. ({3})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Jetzt geht es aber in der Debatte weiter. Die nächste Rednerin ist die Kollegin Bärbel Sothmann für die CDU/CSU-Fraktion.

Bärbel Sothmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002195, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn Otto-Normalverbraucher nicht wirtschaften kann, wird er zur Schuldenberatung geschickt. Wenn ein Unternehmer nicht wirtschaften kann, dann geht er bankrott. Wenn Bundeskanzler Schröder, Bundesfinanzminister Eichel und Bundeswirtschaftsminister Müller das ganze Land herunterwirtschaften, ({0}) dann - ja, was passiert eigentlich dann? Meine Damen und Herren, die Beweise für Ihre Unfähigkeit liegen auf dem Tisch. Die Konjunkturaussichten werden immer schlechter. Die Wirtschaft stagniert. Die Arbeitslosenzahlen steigen. Die Steuerreform war halbherzig und mutlos. Immer neue Steuern und Steuererhöhungen belasten Bürger und Unternehmen. Doch statt dass Sie gegensteuern, steigen die Ausgaben im Haushalt 2002 um fast 8 Milliarden DM. Die Nettokreditaufnahme sinkt nur minimal. In wichtigen Bereichen, vor allem bei Investitionen, wird gespart. Die Investitionsquote sinkt damit auf einen Negativrekord, nämlich auf 10,3 Prozent. ({1}) Das muss man sich einmal vergegenwärtigen. ({2}) Das gefährdet wiederum die Konjunktur. Die Steuereinnahmen werden absinken. Die Spirale dreht sich weiter abwärts. Das bedeutet auch: Der Haushalt ist unsolide finanziert. ({3}) Das Haushaltsloch wird bis zu 12 Milliarden DM betragen. ({4}) Auch der hier vorgelegte Haushalt für Bildung und Forschung, Herr Tauss, ist keine Antwort auf die großen Herausforderungen, die sich uns stellen. Liebe Frau Ministerin, mit diesem Haushalt haben Sie keine politische Durchsetzungskraft bewiesen. ({5}) Nicht nur im Bildungsbereich sind deutliche Defizite vorhanden. Das haben wir bereits gehört; mein Kollege Thomas Rachel hat es eingehend ausgeführt. ({6}) Gerade die Förderung von Forschung und Innovationen behandelt diese Bundesregierung entgegen ihren eigenen Versprechungen sehr, sehr stiefmütterlich. ({7}) Ein klares Konzept für die Ziele und Instrumente der Forschungspolitik der Bundesregierung ist immer noch nicht erkennbar. ({8}) Zwar steigt der Etat nach dem Entwurf um insgesamt 2,7 Prozent - Herr Tauss, ich weiß, dass ich Sie mit diesen Worten sehr erfreue -; ({9}) doch das ist selbst den Regierungsfraktionen zu wenig. Sie haben in der letzten Ausschusssitzung gesagt, dass Sie eine weitere Steigerung um 72 Millionen DM durchsetzen wollen. Können Sie sich daran erinnern? Zwar stehen auch in diesem Jahr aufgrund der UMTSZinsersparnisse Mittel in Höhe von 600 Millionen DM für verschiedene Projekte zur Verfügung; doch bieten diese keine Planungssicherheit. Denn was passiert mit diesen Projekten nach 2003? ({10}) - Was das betrifft, wäre ich inzwischen sehr vorsichtig. ({11}) Zwar erhalten die Großforschungseinrichtungen einen Mittelaufwuchs von im Durchschnitt über 4 Prozent; doch das geht zulasten der Projektförderung. Der Zuwachs bei der Projektförderung im Forschungs- und Innovationsbereich - dies beinhaltet nicht den Bildungsbereich - beträgt nur 1,4 Prozent. ({12}) Das ist weit unterhalb der Inflationsrate. ({13}) Welche Inflationsrate haben wir zurzeit? 2,6 Prozent. ({14}) Was hat gestern der Bundeskanzler gesagt? Wir kommen auf 2,1 Prozent. - Ich meine, die Differenz zwischen 1,4 und 2,1 Prozent ist immer noch ziemlich erheblich. Sie betreiben damit die Abkehr von der bisherigen Forschungspolitik, die folgende Ziele verfolgte: mehr Projektförderung und weniger Grundlagenforschung. ({15}) - Die müssen Sie mir zeigen! ({16}) Bei den Spitzentechnologien werden wir bald den internationalen Anschluss verpassen; denn unser Hightechkurs verlangsamt sich. Die Ausgaben für wichtige Schlüsseltechnologien, zum Beispiel für Produktionstechnik, für die Herstellung neuer Materialien und auch für die Biotechnologie, steigen - das haben Sie vorhin ganz anders dargestellt, Herr Tauss - wirklich nur minimal. Das entspricht nicht den Erfordernissen. Dabei ist der direkte Zusammenhang zwischen Innovation, technologischem Fortschritt und Wirtschaftswachstum doch seit langem bekannt. Aber die Bundesregierung handelt nicht danach. ({17}) Das besondere Anliegen von Rot-Grün war immer die stärkere Förderung der umweltgerechten, nachhaltigen Entwicklung. ({18}) Aber ist ein neues Polarforschungsschiff dafür wirklich der richtige Weg? Denn die Mittelsteigerung beruht fast allein auf dieser Neuanschaffung. ({19}) In wichtigen Bereichen gehen dagegen die Investitionen um 17 Prozent zurück. Bei der Durchsetzung der Chancengleichheit von Frauen in Bildung, Forschung und Lehre versagt unsere Ministerin im eigenen Hause. Dort gibt es sage und schreibe nur eine Frau als Abteilungsleiterin und keine einzige Unterabteilungsleiterin. ({20}) Liebe Frau Ministerin Bulmahn, ich weiß, dass Sie sich um die Frauen bemühen und sich sehr für deren Belange einsetzen. Aber Sie sollten in diesem Bereich auch etwas durchsetzen und ein bisschen mehr kämpfen. ({21}) Auch die politisch motivierte Verlagerung von Forschungszuständigkeiten zum Wirtschaftsministerium erweist sich mit der Vorlage dieses Haushalts erneut als ein Flop: Das BMWi wird seiner neuen Rolle als Technologie- und Innovationsförderer in keiner Weise gerecht. Denn die Ausgaben der Wirtschaft für Forschung und Entwicklung in Deutschland sind im internationalen Vergleich nach wie vor zu gering. ({22}) Aber unserer Forschungsministerin fehlt ganz offenbar die politische Kraft, diese Verlagerung, diese Fehlentscheidung rückgängig zu machen. ({23}) Die drastischen Kürzungen im Haushalt des Wirtschaftsministers auf dem Gebiet der Energieforschung sind alarmierend. Das haben wir hier heute schon an anderer Stelle gehört. Bezeichnend ist, dass gerade die Mittel zur Erforschung, Entwicklung und Markteinführung erneuerbarer und umweltschonender Energien und zur Förderung rationeller Energienutzung um insgesamt 27 Prozent gekürzt werden. ({24}) Sie liegen damit unter der Förderung von 1998. Das führt zu einem eklatanten Know-how-Verlust. Daher muss man die Frage stellen: Was ist eigentlich mit den Einnahmen aus der Ökosteuer passiert, die hier eingesetzt werden sollten? ({25}) - Ja, richtig, sie sind weg. Wie wollen Sie auf diese Art Ihr Ziel erreichen, den Anteil der erneuerbaren Energien bis 2010 zu verdoppeln? Sie werden das Ziel so jedenfalls nicht erreichen. Bereits in diesem Jahr gab es eine plötzliche Mittelkürzung zum Beispiel für den Bau von Solar- und Biogasanlagen um fast ein Drittel. Auch das klang schon heute Vormittag in der Debatte an. Ich bin auch nicht, damit wir uns da nicht falsch verstehen, für die Zementierung von Subventionen. ({26}) - Aber Verabredungen, Herr Tauss, muss man einfach einhalten. ({27}) Jetzt fehlt nämlich für die betroffenen Unternehmen jegliche Planungssicherheit. ({28}) Ich finde dieses Handeln unverantwortlich, denn es hat ganz drastische Folgen. Ich habe dies in meinem Wahlkreis beim Besuch eines Unternehmens, das sich auf Solartechnik spezialisiert hat, erfahren. Sie glauben gar nicht, wie schwierig die Situation für diese Unternehmen ist. Außerdem: Was bedeutet das aktuelle Versprechen des Bundeskanzlers, die deutsche Luft- und Raumfahrt zu stärken, wenn zeitgleich die Ausgaben für die nationale Weltraumforschung stagnieren und die für die Luftfahrtforschung sinken? ({29}) Nicht genug damit, dass diese Bundesregierung die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die mittelständischen Unternehmen immer weiter verschlechtert; ({30}) vergessen Sie doch bitte nicht, dass diese Unternehmen den Großteil ihrer Forschung und Entwicklung selbst fiBärbel Sothmann nanzieren und damit die meisten Arbeitsplätze in unserem Land schaffen. ({31}) Aber gerade hier kürzen Sie die staatlichen Fördermittel für mittelstandsbezogene Forschungs- und Entwicklungsprojekte um rund 5 Prozent. Die Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsvereinigungen, in der 13 000 mittelständische Unternehmen zusammengeschlossen sind, kritisiert das ganz massiv. Die Kürzungen betreffen vor allem die Programme zur Förderung der Forschungszusammenarbeit, der Innovationskompetenz und der industriellen Gemeinschaftsforschung sowie die FuE-Förderung in den neuen Bundesländern. Meine Damen und Herren, nach 2003, das heißt nach Auslaufen der UMTS-Mittel von insgesamt 150 Millionen DM für die Förderung von Wachstumskernen in den neuen Bundesländern im Forschungshaushalt, wird sich die Situation dort zusätzlich verschlechtern. Das ist ein deutlicher Einbruch. Das bedroht die Innovationsdynamik, besonders in den neuen Bundesländern, wo sich jetzt der Aufschwung langsam abzeichnet. Auch die Studie des DIW, die Sie sicherlich kennen, kommt zu dem Schluss, dass die ostdeutsche Industrieforschung noch auf lange Sicht unterstützt werden muss. ({32}) Die Kürzungen in diesem Bereich sind also wirklich absurd und gefährden unseren Wirtschaftsstandort. ({33}) - Von der Forschung, Einzelplan 30 und ein Teil Einzelplan 09, soweit er uns hier betrifft. Alle diese Beispiele beweisen eindeutig: Weder die Forschungsministerin noch der Wirtschaftsminister können eine ausreichende Innovationsförderung in unserem Land und damit unsere internationale Konkurrenzfähigkeit gewährleisten. ({34}) Ich weiß, dass Sie das nicht gerne hören, aber es ist leider so. Wir fordern deshalb innovationsfreundliche wirtschaftliche Rahmenbedingungen und deutliche Korrekturen des Haushaltsentwurfs zugunsten von Forschung und Innovationen. Wir fordern insbesondere die Rücknahme der Kürzungen im Bereich erneuerbare Energien und rationelle Energienutzung und endlich ein umfassendes Energieforschungsprogramm. Wir fordern einen stärkeren Mittelaufwuchs für die Schlüsseltechnologien der Zukunft. Wir fordern eine Erhöhung der FuE-Förderung für die industrielle Gemeinschaftsforschung um mindestens 4 Prozent wie bei den Großforschungseinrichtungen. In dieses Forschungsnetzwerk sind - das muss man wissen - über 50 000 Unternehmen eingebunden.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Frau Kollegin Sothmann, es gibt eine Frage des Kollegen Tauss. Lassen Sie sie zu?

Bärbel Sothmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002195, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, ich möchte meine Rede zu Ende bringen. Ich bin gleich fertig. Wir fordern verlässliche, langfristige, kalkulierbare und sachgerecht koordinierte Mittelzuweisungen für die Projektförderung ohne Haushaltssprünge und politisch motivierte ineffiziente Miniförderprogramme. Wie lange sollen wir eigentlich noch auf das mehrfach angemahnte Gesamtkonzept der Bundesregierung zur Innovationsförderung kleiner und mittelständischer Unternehmen und auf die von ihr selbst angekündigte Innovationspolitik aus einem Guss warten? Wir fordern auch einen vernünftigen Ablauf der geplanten Strukturreformen in der deutschen Forschungslandschaft und wir fordern die Bundesministerin, Frau Bulmahn, auf, sich die Kompetenzen für die Technologieförderung aus dem Wirtschaftsressort zurückzuholen.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Frau Kollegin Sothmann, jetzt muss ich Sie wirklich bremsen; denn Ihre Redezeit ist bereits abgelaufen.

Bärbel Sothmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002195, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Dafür müssen Sie, Frau Bulmahn, kämpfen; denn für ein hohes Niveau und eine hohe Effizienz muss die Förderung von Forschung und Innovation in einer Hand liegen. Ich danke Ihnen. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Jetzt spricht für die SPD-Fraktion der Kollege Ernst Dieter Rossmann.

Dr. Ernst Dieter Rossmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003211, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Haushaltsberatungen sind die Stunde des Parlaments. Ich möchte mich deshalb durchaus mit den Anträgen der verschiedenen Oppositionsparteien auseinander setzen. Ich darf mich der PDS zuwenden. Frau Böttcher, Ihr Haushaltsantrag enthält immerhin einen Haushaltsausgleich. Bei Ihren Bemerkungen haben Sie vor allem kritisiert, dass diese Regierung besonders viel im Bereich der Bio- und Gentechnologie täte. Nun, wo nichts ist, muss viel aufwachsen. Deshalb setzen wir dort sicherlich eine der Prioritäten. Wenn Sie aber die Haushaltsansätze fair bewerten und sich die ganze Breite der Forschungspolitik ansehen, dann wissen Sie, um nur ein paar Beispiele zu nennen, dass die Verkehrsforschung, wenn sie auf dem jetzigen, relativ hohen Niveau bleibt, ganz neue Chancen eröffnet, weil sie sich nicht mehr ausschließlich auf den Transrapid konzentriert. ({0}) Sie wissen dann auch, dass erstmals eine Bau- und Wohnungsforschung, die eine angemessene Summe zur Verfügung hat, eingeführt wird und dass wir die Umweltforschung um über 20 Prozent steigern. Sie fragen nach der Strategie. Wenn Sie sich die genannten Maßnahmen anschauen, erkennen Sie, dass die Regierung damit die Balance über alle Bereiche hinweg herstellt. Dies geschieht nicht nur über die großen Haushaltsansätze, sondern auch im Detail. Man kann zum Beispiel bei der Gesundheitsforschung nachfragen, ob dort angemessen auf die zukünftigen Anforderungen reagiert wird. Wir meinen ja. Deshalb gibt es ja nicht nur - um ein Beispiel zu nennen - neue Initiativen für den Bereich der Schmerzforschung, sondern auch in einem so kleinen Bereich wie der Pflegeforschung. Sie sind ja redlich genug, zuzugeben, dass dafür ein Sonderprogramm aufgelegt worden ist. ({1}) Ihre Kritik bekräftigt, dass diese Regierung eine Balance in der Breite, die in einer Gesellschaft, die in einer Volkswirtschaft gebraucht wird, herbeigeführt hat und die Forschung, die sich auf einem sehr hohem Niveau befindet, weiter stimuliert, um dieses Niveau noch weiter zu steigern. Ich komme zu meiner zweiten Bemerkung: Sie haben anklingen lassen, dass die neuen Bundesländer zu wenig berücksichtigt würden. Ich denke, es gebietet die Fairness - auch, weil wir hier Publikum haben -, zu sagen, dass die Regierung im Ausschuss eine breite Anerkennung für Inno-Regio - ein sehr gut angenommenes und erfolgreiches Programm ({2}) und für die Wachstumskerne in den neuen Bundesländern erhalten hat. Es freut uns, dass Ihre Partei das anerkennt. ({3}) Wir können sagen: Über 3 Milliarden DM aus dem Haushalt für Bildung und Forschung gehen in die neuen Bundesländer. Das ist keine kleine Summe. ({4}) Wir meinen deshalb, dass die PDS durchaus nicht nachlassen sollte, uns mit kritischen Fragen in eine noch bessere Balance zu bringen, obwohl diese Balance eigentlich schon sehr gut ist. An die CDU/CSU gerichtet: Frau Sothmann, uns hat es gewundert, dass Sie hier nicht in erster Linie über den Haushalt der Bildungs- und Forschungsministerin gesprochen haben, sondern über andere Haushalte. Das spricht eher dafür, dass Sie diesen Haushalt in sich als gut, sehr gut ansehen. ({5}) Sie sind zumindest so konsequent, dass sich dies auch in Ihren Anträgen ausdrückt, denn das sind eher oppositionsübliche Anträge. Bei den Forschungsprogrammen, die wir an den Fachhochschulen eingeführt haben und fördern, legen Sie noch etwas drauf. Beim internationalen Stipendiatenwesen, wofür wir die Mittel vervielfacht haben, legen Sie noch etwas obendrauf, um nur zwei Beispiele zu nennen. Ihr größter Antrag - neben dem zum Hochschulbau bezieht sich auf die Stiftung Bildungstest. Sie wollen in fünf Jahren 250 Millionen DM als Stiftungskapital mobilisieren. Ich sage Ihnen ehrlich: Wir prüfen auch ganz intensiv, ob man mit einer solchen Stiftung den Weiterbildungsbereich, dessen Förderung sich bei dieser Regierung im Übrigen auf 200 Millionen DM verdoppelt hat, optimieren kann. Aber ich möchte die Frage an Sie zurückgeben: Welche geistige Konsistenz gibt es zwischen Ihren Anträgen und dem, was Sie haushaltsmäßig fordern? In der letzten Sitzung des Bildungsausschusses mussten wir von Ihrem Sprecher hören, dass die Zukunft durch das informelle Lernen bestimmt werde. Aber Ihre Stiftung Bildungstest soll vor allen Dingen die Qualität von institutionellen Angeboten prüfen. Dürfen wir zurückfragen, ob es nicht auch ein Widerspruch sein kann, das institutionelle Lernen, das Lernen in Gruppen für überständig, für verbraucht zu erklären und gleichzeitig eine Stiftung einzurichten, die dies noch optimieren soll? Wir finden, dass der Opposition, der CDU, mehr Präzision in ihren Konzepten und auch mehr Zuhören im Ausschuss angestanden hätte. ({6}) Denn das Wachstum der Projektfördermittel um über 40 Prozent ist unzweifelhaft. Der Staatssekretär hat im Bildungsausschuss schon gesagt: In Bezug auf die Forschung wachsen diese Mittel um über 16 Prozent, nicht um 1,2 Prozent oder anderes. Sie haben dies offensichtlich nicht aufgenommen. Die Situation ist auch evident, wenn man sich die Steigerungsraten im Haushalt anschaut, wo seit 1998 über 2 Milliarden DM an Haushaltsmitteln dazugekommen sind. Hier gibt es einen Aufwuchs an Programmansätzen, der von 20 oder 30 Prozent bis zu 100 Prozent reicht. Das hat alles einen Niederschlag in entsprechenden Projektfördermitteln gefunden. Sie sagen - das klang auch bei der FDP durch -, dass sich die Erfolge noch nicht zeigen. Ich werbe sehr dafür, dass wir uns gerade in der Bildungspolitik und in der Forschungspolitik von dem Glauben verabschieden, man müsse nur den Schalter umdrehen und schon sei der Erfolg da. Das sind vielmehr Strukturen, die sich kontinuierlich aufbauen. Wir wissen doch alle zusammen, dass es lange dauert, bis sich bestimmte Bildungsdispositionen von Menschen ändern, bis sich bestimmte Institutionen zu voller Leistungsfähigkeit entwickelt haben. Entsprechend ist es auch hier: Fortschritt braucht Zeit. An dieser Stelle könnten wir gleichwohl über die Erfolge sprechen, die sich schon eingestellt haben. Wir denken hier an den Rückgang der Jugendarbeitslosigkeit, wir denken an das Wachstum in der ganzen Bio- und Gentechnologie. Aber wir wissen natürlich auch, dass andere Strukturen länger brauchen. Das ist zumindest aus der Erfahrung mit den neuen Bundesländern offensichtlich. Frau Sothmann, Sie haben auch gesagt, dass sich in den neuen Bundesländern schon so viel entwickelt hat. Können wir dann nicht zusammen feststellen, dass sich dies auch durch eine kontinuierliche Politik entwickelt hat und dass Inno-Regio und Wachstumskerne sowie insbesondere Forschungs- und Wirtschaftsförderung in dieser Kombination dazu beigetragen haben? ({7}) Wenn dort aber etwas in Bewegung gekommen ist, kommt auch der Punkt, an dem sich der Staat aus der Förderung verabschieden kann. Wenn wir die Förderung immer weiter fortführten, würden wir von CDU und FDP dafür kritisiert werden und zu hören bekommen: Dauersubventionen wollen wir nicht, das ist doch veralteter Sozialismus, wie wir ihn in Deutschland mit einer schlechten Struktur hatten. Deshalb ist es in Ordnung, wenn Programme befristet sind, wenn man klar sagt, dass wir etwas anschieben wollen, das dann von selbst laufen soll. Uns hat deshalb insbesondere auch gewundert, dass Sie jetzt schon darüber reden, was im Jahr 2003 alles fehlt. Wir sind jetzt im Jahr 2001. Es geht auch bei der Verwendung der UMTS-Milliarden um das erste Jahr. Zwei Jahre kommen noch. ({8}) In diesen Jahren entwickelt sich doch auch etwas, weil diese Regierung so viele Mittel hierfür bereitgestellt hat. Wir empfinden es schon fast als Ausflucht, dass Sie jetzt über das reden, was im Jahr 2004 ansteht, weil Sie nicht darüber reden wollen, was im Jahr 2001 gemacht wird. ({9}) Ein Wort zur FDP: Sie sind in der geringsten Besetzung hier, spucken aber die größten Töne, wenn ich das so sagen darf. ({10}) 1,7 Milliarden DM mehr möchte die FDP freihändig mobilisieren. Man tut der CDU sicherlich kein Unrecht - sie hat immer in Treue fest zur FDP gestanden -, wenn man sagt, dass dies selbst ihr zu viel war. Selbst Sie als CDU fanden es unangemessen, dass die FDP frei von jeder Bindung an Realitäten in Haushalten, in den Ländern und Kommunen und der Situation an den Hochschulen einfach sagt: Wir sprengen dies alles. - Fast schon von dem Wahlziel 18 Prozent besoffen, fordert sie auch beim Bildungshaushalt mal eben 20 oder 30 Prozent mehr. Ich möchte Ihnen deshalb - mich hat das gestern bei Herrn Westerwelle sehr stark beeindruckt - dessen rhetorische Figur entgegenhalten: Herr Westerwelle wollte sich zwischen SPD und Grüne drängen, indem er immer das Wollen und Können in einer Koalition thematisiert hat. Wir sagen Ihnen: Sie haben keine große BAföG-Reform gewollt und auch keine gekonnt. Das haben wir, SPD und Grüne, gemacht. ({11}) Sie haben kein großes Meister-BAföG gewollt und auch nicht gekonnt. ({12}) Das machen wir. Sie haben die Dienstrechtsreform nicht gewollt und nicht gekonnt. Das machen wir. In Bezug auf den Haushalt haben Sie eines gekonnt und auch gewollt: Sie haben nämlich den Haushalt um 800 Millionen DM gekürzt. SPD und Grüne können und wollen diesen Haushalt deutlich steigern, nämlich um 2 Milliarden DM. Von daher machen uns diese 1,7 Milliarden DM wirklich keine große Angst. Noch weniger machen uns aber - um dies als Aperçu zu bringen - Ihre detaillierten Haushaltsanträge Angst. Beim Inno-Regio fordern Sie 25 Millionen DM mehr, weil die Mittel angeblich nicht übertragen werden können.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Kollege Rossmann, für die Details bleibt jetzt nicht mehr viel Zeit; denn Ihre Redezeit ist leider schon abgelaufen.

Dr. Ernst Dieter Rossmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003211, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Deshalb gönne ich mir nur noch diese zwei Aperçus. Sie haben nicht im Haushalt gelesen, dass dort die Übertragbarkeit dick und fett steht. Bei der Stammzellenforschung fordern Sie uns im Text auf, 767 Millionen DM zusätzlich zur Verfügung zu stellen. In Zahlen sind dies nur 0,767 Millionen DM. Lesen Sie eigentlich Ihre eigenen Vorlagen? Wie sollen wir damit umgehen? ({0}) Zum guten Schluss: Diese Regierung zeigt in der politischen Ideenfindung und Finanzierung, dass sie immer etwas zusammenhält. Sie hält zusammen, Bildung für Akademiker und Berufsbildung und wissenschaftliche Exzellenz zu fördern. Sie hält sie zusammen, Wissenschaft in Wachstumsbereichen und in traditionellen Bereichen zu fördern.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Rossmann, jetzt muss ich Sie aber wirklich bitten, zum Ende zu kommen.

Dr. Ernst Dieter Rossmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003211, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Entschuldigen Sie, Frau Präsidentin. Vor allen Dingen hält sie zusammen, dass es mehr Geld und mehr Ideen für Bildung und Forschung gibt. Beides hat bei Ihnen leider gefehlt. Danke. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Jetzt hat der Kollege Hans-Josef Fell für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen das Wort.

Hans Josef Fell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003115, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auf der Tribüne zu später Stunde! ({0}) Frau Sothmann, wer im Schuldenglashaus der alten Regierung saß, sollte nicht mit solchen Steinen werfen, wie Sie das getan haben. Immerhin hat diese Regierung die Nettoneuverschuldung ({1}) die Sie zum Schluss auf 80 Milliarden DM anwachsen ließen, in diesem Haushalt auf 20 Milliarden Euro gesenkt. ({2}) Das ist eine hervorragende Leistung. ({3}) Die Wahlversprechen von Bündnis 90/Die Grünen werden eingehalten. Wir in der Bundestagsfraktion hatten uns für eine Erhöhung der Mittel für Bildung und Forschung um mindestens 2 Milliarden DM ausgesprochen. Dieses Versprechen haben wir längst eingehalten. Erlauben Sie mir noch einen kurzen Blick zurück: 1998, im letzten schwarz-gelben Regierungshaushaltsplan, gab das BMBF 10 Milliarden DM für die Forschung aus. Dies entsprach dem Betrag von 1993. Das war eine Stagnation über fünf Jahre. ({4}) Vier Jahre und einen Regierungswechsel später werden die Forschungsmittel unter Rot-Grün nun bei über 12 Milliarden DM liegen. Hinzu kommen natürlich die Mittel in Höhe von fast 1 Milliarde DM, die seit dem Regierungswechsel im Bundeswirtschaftsministerium liegen. Auf die Schwierigkeiten dabei gehe ich noch ein. ({5}) Die Bildungsmittel, Frau Böttcher, stiegen im gleichen Zeitraum sogar um 24 Prozent auf fast 5,5 Milliarden DM. Das, und nicht Ihre Aussage, ist die Wahrheit. Ich gebe zu: Die FDP hat einen noch stärkeren Aufwuchs gefordert: Die Summe sollte bei mehr als 10 Prozent des jetzigen Haushaltsentwurfs liegen. Eigentlich hätten Sie natürlich schon von 1979 bis 1998 genug Zeit dafür gehabt. Schade finde ich aber, dass Ihr Gegenvorschlag zur Finanzierung unseriös ist. Ich hätte das Frau Flach - sie hat sich bei mir persönlich für ihre Abwesenheit entschuldigt - sehr gerne selber gesagt; ({6}) denn den Vorschlag mit den Kohlesubventionen müssen wir einmal näher beleuchten. Der FDP-Wirtschaftsminister der letzten Regierung hat die Kohlesubventionen vertraglich festgelegt. ({7}) Jetzt kommen Sie daher und sagen, wir von Rot-Grün sollten Ihre Verträge brechen, indem wir die Kohlesubventionen ablösen, um mehr Bildung zu finanzieren. Das geht mir nicht in den Sinn; das ist schlichtweg unseriös. ({8}) Daher gehen wir unseren Weg weiter und lassen uns von der Opposition durch solche Luftschlösser à la FDP nicht irremachen. Wir werden weiterhin die Mittel für Bildung und Forschung erhöhen, obwohl wir eine Senkung der Schuldenaufnahme leisten - ganz im Gegensatz zu Ihrer Regierung. ({9}) Angesichts der weltpolitischen Lage möchte ich auch unsere Anstrengungen für die Friedensforschung hervorheben. Es wurde bereits von mehreren Rednern die Neugründung der Friedensstiftung genannt. Ich möchte noch etwas anfügen: Seit dem 11. September - so wurde es hier auch vielfach dargestellt - hat sich die weltpolitische Lage von Grund auf geändert. Die Bundesregierung hat bereits reagiert und ({10}) stellt 3 Milliarden DM zur Terrorbekämpfung bereit. Einen Teil dieser Summe wollen wir von unserer Fraktion auch der Friedensforschung zugute kommen lassen. Ich schlage vor, dass wir in den nächsten vier Jahren insgesamt 100 Millionen DM zusätzlich in die anwendungsorientierte Friedensforschung fließen lassen. Im Vordergrund sollten Konzepte für die Krisenprävention und die Krisenlösung stehen. ({11}) Insgesamt gab es, Frau Böttcher, in den letzten Jahren sehr wohl einen Zuwachs bei den Mitteln für die sozialökologische Forschung. Deutliche Zuwächse haben wir zum Beispiel in der letzten Ausschusssitzung beschlossen. Da wundert es mich, dass Frau Sothmann in diesem Bereich etwas anmahnt, die Anträge von uns aber abgelehnt hat. Wir haben beispielsweise beschlossen, 10 Millionen DM mehr für die Nachhaltigkeitsforschung, 6 Millionen DM mehr für die Grundlagenforschung bei der energetischen Nutzung von Biomasse, 4 Millionen DM mehr für umweltverträgliche Mobilität und 3 Millionen DM mehr für die Null-Emissions-Stadt bereitzustellen. Sie haben das alles abgelehnt; deswegen wundert es mich, dass Sie diese Technologien so stark herausheben. Ich möchte noch ein Beispiel anführen, das den Unterschied zwischen Regierung und neuer Regierung verdeutlicht. Sie haben die Kürzung der Mittel für die Markteinführung erneuerbarer Energien kritisiert. Soll ich Ihnen einmal sagen, wie Ihr einziges entsprechendes Programm „Markteinführung erneuerbare Energien“ 1998 ausgestattet war? - Mit 20 Millionen DM! Wir haben für die verschiedenen, jetzt neu aufgelegten Markteinführungsprogramme über 500 Millionen DM eingestellt. Das ist die Wahrheit über die Einführung erneuerbarer Energien durch Rot-Grün. ({12})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Fell, ich muss auch Sie an die Redezeit erinnern.

Hans Josef Fell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003115, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich teile allerdings Ihre Kritik am Haushaltsentwurf für das Bundeswirtschaftsministerium. Die Kürzung der Mittel für Energieforschung, die dort beschlossen werden soll, wollen wir nicht mittragen. ({0}) Wir werden mit unserer Fraktion daran arbeiten, dass diese Kürzungen rückgängig gemacht werden. Aufgrund der Kürze der Zeit, die mir noch - oder eigentlich nicht mehr - verbleibt -

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Wirklich nicht mehr. Ich war schon relativ großzügig, aber Ihre Redezeit ist wirklich abgelaufen.

Hans Josef Fell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003115, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Daher, Frau Präsidentin, werde ich meine Ausführungen zu den wirklich großen Schwerpunkten in der Bildungspolitik nicht mehr machen können. Frau Ministerin Bulmahn, Reinhard Loske und auch andere Redner haben diese Bereiche bereits herausgehoben. Ich will zum Abschluss nur noch sagen: Der Unterschied in der Bildungs- und Forschungspolitik zwischen Rot-Grün und Ihnen ist:

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Fell, es gibt keine zusätzliche Redezeit für die Koalition. Es kommt auch noch ein Redner nach Ihnen.

Hans Josef Fell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003115, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wir reden nicht nur, wir handeln auch. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Als letztem Redner in dieser Debatte erteile ich dem Kollegen Peter Enders das Wort. Ich bitte ihn um die Einhaltung der Redezeit.

Peter Enders (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002647, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Lassen Sie mich noch ein paar Worte zum Hochschuldienstrecht sagen. Wir packen diese Reform - es wurde bereits angesprochen - an. Nach der vorgelegten Konstruktion überlassen wir es den Ländern, ob sie beamtete oder angestellte Professoren einstellen. Dies sollte hier entsprechend gewürdigt werden. Lassen Sie mich ein paar Grundsätze, die in den Ausschussberatungen noch vertieft zu behandeln sind, festhalten: Erste Bemerkung: Wir haben zunächst den Juniorprofessor als Beamten auf Zeit. Dies ist ein Instrumentarium, das es schon immer gegeben hat. Insoweit wird es keine Probleme geben. Des Weiteren wird es auf dem Weg zur Professur Seiteneinsteiger geben; auch das ist nach dem Beamtenrecht möglich. Insofern sehe ich auch hier keine Probleme auf uns zukommen. Herr Rachel sagte vorhin, die Abschaffung der Habilitation sei verfassungswidrig. Über diesen Punkt müssen wir uns im Detail unterhalten, aber ich glaube das nicht. ({0}) - Warten wir erst einmal ab. Ich sage Ihnen jetzt schon: Das ist nicht verfassungswidrig und ich sehe dem Ausgang eines möglichen Verfahrens in Karlsruhe gelassen entgegen. Zweite Bemerkung: Der Gesetzentwurf sieht ein System von Grundbezügen und variablen Leistungsbezügen vor. Dieser Schritt führt in die richtige Richtung. Wir haben bereits 1997 versucht, diesen Weg zu gehen, indem wir dem Vorhaben der alten Regierung, im Rahmen der Dienstrechtsreform Leistungszulagen einzuführen, zugestimmt haben. Auf diesem Weg gehen wir konsequent voran. Die W-Besoldung ist insofern etwas Besonderes, als es um Forschung und Nachwuchsförderung geht. Sie ist nur bedingt in der Lehre mit der Besoldung für Lehrer, die in der A-Besoldung sind, zu vergleichen. Auch damit gehen wir in die richtige Richtung. ({1}) Dritte Bemerkung: Im Gesetzentwurf ist hinsichtlich der Bewertung von Leistungen sehr umfangreich auf die Länder verwiesen worden. Die Länder werden mit diesem Spielraum in Bezug auf Vergabeverfahren, Kompetenzen und Vergabekriterien mit Sicherheit sehr verantwortungsbewusst umgehen. In verfassungsmäßiger Hinsicht - das ist sehr wichtig und wird auch den Innenausschuss beschäftigen - sehe ich im Zusammenhang mit Art. 5 Grundgesetz, der Freiheit von Wissenschaft, bei der geplanten Evaluierung überhaupt keine Probleme. Auch hier können Verfahren gefunden werden, die im Einklang mit dem Grundgesetz stehen. Vierte Bemerkung: Ich will noch ein paar Worte zu den Besoldungsgruppen sagen. Es ist richtig, dass man - abgesehen von der Juniorprofessur, die eine Besoldungsgruppe umfasst - die Zahl der Besoldungsgruppen von bisher drei, C 2 bis C 4, auf nunmehr zwei, W 2 und W 3, zusammenstreicht. Ich könnte mir in diesem Punkt eine noch größere Reduzierung vorstellen, aber das sehe ich nur als Angebot an die Länder. Lassen Sie mich aber eines sagen: Zum ersten Mal haben wir die Chance - das ist ein riesiger Fortschritt -, die Fachhochschulen in ihrer Bedeutung den Universitäten gleichzustellen. Bisher werden die Fachhochschulen meines Erachtens leider Gottes bei der Besoldung unterbewertet. Fünfte Bemerkung: Es ist vorgesehen, dass die bisherige Obergrenze von B 10 für Berufungs- und Bleibeverhandlungen wegfallen soll. Im Vorfeld gab es Kritik, durch den Zuwachs bei der Besoldung für Spitzenleute könnte anderen etwas genommen werden. Dies ist rein rechnerisch so nicht richtig, denn die im Gesetzentwurf vorgesehene Steigerungsgrenze liegt bei 2 Prozent des Gesamtvolumens. Das bedeutet schlicht und ergreifend, dass rund 80 Millionen DM zur Verfügung stehen. Mit dieser Summe lassen sich eine ganze Menge Spitzenleute finanzieren. ({2}) Insoweit ist sowohl den Spitzenleuten als auch den sonstigen Professoren gedient. Aus diesem Grunde hält der Gesetzentwurf der Kritik stand. Ich weise außerdem auf eine Besonderheit hin - wir haben das bisher noch nicht gehabt, aber ich muss es sehr loben -: In den Gesetzentwurf wurde eine Vorschrift aufgenommen, die es verhindert, dass auf Länderebene ein Gesetz zum Spargesetz gemacht wird. Das ist eine relativ komplizierte Vorschrift; sie enthält aber das, was im Beamtenbereich möglich ist. Eine letzte Bemerkung: Die Ruhegehaltsfähigkeit wurde vorhin schon angesprochen. Hierzu liegen ein Entwurf der Bundesregierung und die Äußerung des Bundesrates vor. Die Bundesregierung hat in ihrer Gegenäußerung darauf hingewiesen, dass sie dem entgegenkommen wird. In der Tat haben wir hierzu im Innenausschuss noch Beratungsbedarf. Ich glaube aber, dass der Grundsatz, bei der Berechnung des Ruhegehalts von den letzten Bezügen auszugehen, mit der Verfassung übereinstimmt. Ihre Schwarzmalerei, nämlich dass dann lediglich kurz vor Eintritt in den Ruhestand und nicht schon vorher die großen Forschungsleistungen erbracht werden, entspricht einfach nicht der Lebenswirklichkeit. ({3}) Abschließend möchte ich sagen: Der Gesetzentwurf ist rundherum gelungen. Möglicherweise wird es, wie immer bei parlamentarischen Beratungen, die eine oder andere Änderung geben. Die Bundesregierung ist aber mit diesem Gesetzentwurf - das kann ich sagen - auf dem richtigen Weg. Vielen Dank. ({4})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 14/6800 und 14/6801 sowie auf den Drucksachen 14/6853, 14/6852 und 14/6629 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Ich sehe Einverständnis im ganzen Hause. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 10. Oktober 2001, 13 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.