Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 9/26/2001

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Michael Glos (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000691, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Spätestens seitdem gestern von hier der russische Präsident Putin gesprochen hat, muss jedem von uns bewusst sein, dass sich die Welt dramatisch verändert hat. Das hat sich allerdings nicht bis zum Oberbuchhalter der Bundesregierung Herrn Eichel herumgesprochen; ({0}) denn er legt einen Haushalt vor, der nicht nur von gestern, sondern von vorgestern ist. ({1}) - Es ist eine Zumutung - Herr Wagner, Sie als Obmann der SPD im Haushaltsausschuss sollten es sich überhaupt nicht gefallen lassen -, dass Ihnen die Regierung eine Beratungsvorlage gibt, die zu dem Zeitpunkt, zu dem sie beraten wird, längst überholt ist. Sie ist nicht erst seit dem 11. September überholt. Der Haushaltsentwurf war bereits durch die wirtschaftliche Entwicklung, die wir im Sommer deutlich gespürt haben, überholt. ({2}) Bei den Einnahmeansätzen geht man noch von einem Wirtschaftswachstum von 2 Prozent in diesem Jahr und von 2,25 Prozent im nächsten Jahr aus. Wir werden in diesem Jahr bestenfalls 1 Prozent Wachstum bekommen. Wir müssen Angst haben, im nächsten Jahr in eine Rezession abzugleiten. Die Arbeitslosenzahl war schon im August um 9 000 höher als im August des Vorjahres. Der Arbeitsmarkt muss nach den Attentaten auf die freie Welt nun auch mit weltwirtschaftlichen Verwerfungen fertig werden. Sie werden also bedeutend weniger Steuern einnehmen - das ist die Konsequenz - und Sie werden bedeutend mehr Geld für die Arbeitslosigkeit brauchen, als veranschlagt worden ist. Rudi Dornbusch, der renommierte amerikanische Wirtschaftswissenschaftler, steht nicht im Ruf eines Schwarzsehers. Gerade deshalb nehme ich seine Warnung von vorgestern ernst: Es deutet alles darauf hin, dass sich Amerika und der Rest der Welt gegenseitig in eine Rezession ziehen. Ich gehöre zu denen, die ungeheuer viel Vertrauen in die USA haben, sowohl politisch als auch wirtschaftlich. Das stimmt mich eigentlich zuversichtlich: Die starke US-Wirtschaft wird nicht dauerhaft unter diesem schrecklichen Terroranschlag zu leiden haben und außer Tritt gebracht werden. Die US-Wirtschaft hat einen ungeheuer großen Binnenmarkt. Das ist in Krisensituationen immer ein Stück Überlebensversicherung. Bei uns in Deutschland sieht es allerdings anders aus. Die deutsche Industrie erwirtschaftet 34 Prozent ihrer Umsätze im Auslandsgeschäft. Der Anteil der Exporte am deutschen Bruttosozialprodukt beträgt 25 Prozent. Keine andere große Industrienation verzeichnet höhere Werte. Das heißt auch: Nirgendwo in der Welt sind die Arbeitsplätze so sehr vom Export und vom freien Welthandel abhängig wie bei uns in Deutschland. Deswegen muss ich die Frage stellen: Herr Bundeskanzler, wo bleibt der deutsche Anstoß für eine gemeinsame europäische Politik gegen diese drohende Rezession? ({3}) Wo ist der deutsche Anstoß, um die Instrumente der G 7 rasch gegen die Krise in Einsatz zu bringen? Die Europäische Zentralbank hat in enger Abstimmung mit der Federal Reserve, wie ich meine, richtig gehandelt. Die europäische Währung hat sich in dieser Krise bewährt. Der Euro war nie die kränkelnde Frühgeburt, als die Sie ihn bezeichnet haben. Aber seitdem Kohl und Waigel nicht mehr in der Verantwortung stehen, hat es keine entscheidenden Impulse in Europa mehr gegeben. ({4}) Der Terrorangriff in den USA galt der gesamten zivilisierten Welt. Die Terroristen wollten zugleich die weltweiten Wirtschaftsbeziehungen nachhaltig schädigen. Bisher ist dieses teuflische Kalkül nicht aufgegangen. Wir Deutschen als die stärkste Wirtschaftskraft in Europa müssen dafür sorgen, dass es nicht gelingt. Die Auseinandersetzung mit dem Terrorismus können die freien Gesellschaften nur dann mit Erfolg bestehen, wenn sie wirtPräsident Wolfgang Thierse schaftlich stark bleiben. Dessen müssen wir uns in Deutschland immer bewusst bleiben. Wie wollen Sie für mehr Vertrauen in die wichtigste Volkswirtschaft Europas sorgen? Glauben Sie, dass Sie politisch und wirtschaftlich schwierigen Zeiten mit einem unrichtigen Haushalt, mit einem offensichtlich geschönten Zahlenwerk, begegnen können? Ihr Amtseid, Herr Bundeskanzler, hat gelautet, dass Sie Schaden vom deutschen Volk wenden und seinen Nutzen mehren. Das heißt in dieser Zeit: handeln, auch wirtschaftlich, damit die Schreckensszenarien, die manche malen, nicht eintreffen. Herr Bundeskanzler, jetzt rächt sich eine Politik, die in allererster Linie ein Gefälligkeitserweis an die großen Kartelle war. Die Gewerkschaften, ({5}) die großen Banken, die großen Versicherungsgesellschaften, die großen Industriebetriebe haben am Anfang Ihrer Politik Beifall gezollt. ({6}) Aber wer die breiten Mittelschichten unseres Volkes vernachlässigt, wer den Mittelstand benachteiligt, der kann nicht dauerhaft Erfolg haben. ({7}) Weder das nachlassende weltweite Wachstum noch die Attentate vom 11. September können erklären, warum Deutschland unter Ihrer Verantwortung, Herr Bundeskanzler, bei Konjunktur und Arbeitsmarkt Schlusslicht in Europa ist. Die neue Lage erklärt nicht, warum bei uns der Abbau der Arbeitslosigkeit in guten Zeiten nicht vorankommt und in schlechten Zeiten die Arbeitslosigkeit schneller steigt als anderswo. Es wird Ihnen in den kommenden Monaten nicht gelingen - ich bitte Sie jetzt schon, entsprechende Versuche zu unterlassen -, die Fehlleistungen Ihrer Regierung unter den Teppich des Terrorismus zu kehren. ({8}) Wenn die Regierung damit anfinge, gäbe es auch auf diesem Gebiet Nachahmer - ich sage nicht Nachahmungstäter -: Viele große Firmen, die ebenfalls nicht richtig gewirtschaftet haben, nähmen dann genau dieselbe Begründung zum Anlass, Entlassungen vorzunehmen. Dieser elende Anschlag gibt doch keinerlei Begründung für wirtschaftliche Fehlhandlungen in der Vergangenheit her. ({9}) - Herr Kollege, verstehen kann man Ihre Zwischenrufe nicht; aber im Protokoll stehen immer die unverschämtesten Zurufe. ({10}) - Sie haben wieder dazu angesetzt, nicht? Ich leite Ihnen entsprechende Protokolle zu. ({11}) In unserem Land sind viele Probleme hausgemacht. Die ungerechte Steuerpolitik hat die Steuerbelastung der Bürger nicht gesenkt, der Mittelstand ist benachteiligt, die Ökosteuer greift den Bürgern tief in die Tasche - das Geld fehlt jetzt natürlich beim Konsum -, die Preisstabilität wurde vernachlässigt, die überfällige Reform der gesetzlichen Krankenversicherung verschoben, richtige Ansätze wurden rückgängig gemacht. Das alles führt dazu, dass bei uns die Lohnzusatzkosten auf Rekordniveau steigen werden und dass das lohnintensive deutsche Handwerk - so hat uns Präsident Philipp gestern gesagt - allein in diesem Jahr um 200 000 Arbeitsplätze fürchten muss. Herr Bundeskanzler, in jeder Krise liegt auch eine Chance. Aber die Chance wird nur dann offenkundig, wenn man sofort und beherzt handelt. Eine ruhige Hand ist sicherlich gut, aber wirtschaftspolitisch haben Sie eine gelähmte Hand gehabt; das ist schlecht. ({12}) Es ist geradezu lächerlich, dass es bei einem Haushaltsvolumen von fast 500 Milliarden DM nicht möglich ist, die dringenden Maßnahmen für mehr Sicherheit anders als durch eine Art neue Kriegssteuer zu finanzieren. Das ist keine Erinnerung an Bismarck, sondern eine Erinnerung an Kaiser Wilhelm, der seinerzeit seine Flotte mit einer Banderolensteuer finanzierte. Seinerzeit betrafen die Banderolen den Sekt, heute betreffen sie die Zigaretten. Man muss im Haushalt nachhaltig umschichten und neue Prioritäten setzen. Wir sind auch bereit - ich habe das schon einmal gesagt -, den unangenehmen Teil der notwendigen Maßnahmen mitzutragen. Man weiß natürlich, dass Sparen nicht immer angenehm ist. Aber das ist eine große Chance, vieles Liebgewordene über Bord zu werfen und sich auf die neue Zeit einzustellen. Herr Bundeskanzler, mit flotten Sprüchen lösen Sie keine Probleme. Sie haben gesagt, es gebe kein Recht auf Faulheit. An den deutschen Stammtischen haben Sie dafür viel Beifall bekommen und es ist ja auch richtig, an die Stammtische zu denken; das ist nichts Schlechtes. ({13}) Allerdings muss anschließend auch gehandelt werden. Solange man durch Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zum Teil mehr oder fast genauso viel Geld wie durch Arbeitsaufnahme haben kann, ist die Anreizwirkung nicht allzu groß. Ich frage Sie: Was haben Sie nach diesem Spruch, der gut ankam, gesetzgeberisch getan, um solchen Dingen den Boden zu entziehen? ({14}) Herr Bundeskanzler, wir sehen mit Sorge, dass die neue Dimension des Terrors neue Prioritäten verlangt. Der Schock der dramatischen Ereignisse in New York und Washington lässt uns dringende Fragen stellen, die Sie heute beantworten müssen; später haben Sie ja Gelegenheit dazu. Lautstarke, markige Sprüche allein, wie sie vor allen Dingen Herr Schily gemacht hat, reichen nicht aus. Dazu steht übrigens heute etwas Falsches in einer Zeitung. Dort heißt es, ich sei über den Inhalt seiner Äußerungen erschrocken. Ich bin überhaupt nicht über den Inhalt erschrocken - er bringt lediglich zu wenig -, ich war nur über den Tonfall Ihrer Äußerungen der letzten Woche erschrocken, Herr Minister Schily. Wir wissen, Beschwörungen lösen überhaupt keine Probleme. Wenn ich Probleme lösen will, dann muss ich die Gesetze ändern, damit das alles rechtsstaatlich korrigiert werden kann. Sie haben auf diesem Gebiet noch viel zu wenig getan. ({15}) Ich stelle Ihnen die Fragen - Sie können sie beantworten -: Wo bleiben die Mittel für modernste Polizeiausrüstung? Wo bleiben die notwendigen Befugnisse, um Terror und Gewalt effektiv entgegenzutreten? Haben Ihre grünen Partner immer noch Angst vor dem Staat, den sie inzwischen selbst regieren? Das wäre meiner Ansicht nach der einzige Grund, vor dem Staat Angst zu haben. ({16}) Alle Polizeibehörden müssen auf die Daten des Ausländerzentralregisters zurückgreifen können. Im Visumverfahren muss die Sicherheit Deutschlands in den Vordergrund gestellt werden. Daten über Personen, deren Einreise nicht erwünscht ist, müssen in einer Warndatei konsequent erfasst und von den Sicherheitsbehörden und Botschaften genutzt werden können. Warum hat RotGrün unseren Gesetzentwurf zum Ausländerzentralregister - das frage ich Sie direkt - unter Ihrer Verantwortung 1999 abgelehnt? ({17}) Das ist eine Tatsache; damals waren Sie Innenminister. Der Terrorismus kann nur unschädlich gemacht werden, wenn seine Strukturen aufgespürt werden. Aussagewilligen Aussteigern muss angeboten werden können, als Kronzeugen straffrei zu bleiben, wenn eine solche Terrorgruppe zugeschlagen hat. ({18}) Diese so genannte Kronzeugenregelung haben Sie 1999 gegen unseren Widerstand abgeschafft. Das ist ein Faktum. Der Einsatz verdeckter Ermittler braucht eine verlässliche Rechtsgrundlage, damit sie das Milieu erfolgreich auskundschaften können. Dazu haben wir vor der Sommerpause einen Gesetzentwurf eingebracht. Wo bleibt Ihre Zustimmung, Herr Bundeskanzler, die Zustimmung auch der Parlamentsmehrheit? Diese Regierung hat bisher für das Sicherheitsbedürfnis der Menschen nur Ankündigungen und Sprüche übrig gehabt. Ein tragisches Schicksal ließ den Kanzler tönen - das ist ein weiteres Beispiel -, Kinderschänder müssten für immer weggeschlossen werden. Genau zur gleichen Zeit lag ein Antrag Bayerns zur Ausweitung der Sicherungsverwahrung im Bundesrat vor. Er wurde anschließend von Ihnen abgeschmettert. Das ist die Diskrepanz zwischen Worten und Handeln. Damit werden Sie auf die Dauer nicht mehr durchkommen. ({19}) Täuschen Sie sich nicht: Sie haben bereits in hohem Maße Glaubwürdigkeit verspielt. Das Wahlergebnis in Hamburg ist ein Menetekel. ({20}) - Ich würde mich an Ihrer Stelle nicht so amüsieren. Ich bin schon der Meinung, dass wir auch in diesem Haus darüber reden müssen. 20 Prozent der Hamburger sind nicht plötzlich rechtsradikal, wie das manche darstellen. Sie wissen selbst, dass das absurd ist. Die Wähler in Hamburg wollten einen Wechsel, vor allem einen Wechsel zu mehr Sicherheit. Das war die Ursache des Wahlergebnisses in Hamburg. ({21}) Herr Innenminister, selbst wenn Sie handeln wollten, was ich bei Ihnen nicht anzweifle, müssen Sie sich doch fragen, ob Sie dafür eine parlamentarische Mehrheit haben. ({22}) Ist mit Rot-Grün alles das möglich, was für unser Land erforderlich ist? Wir haben Ihnen hinsichtlich der wichtigen Entscheidungen, die unsere außenpolitische Handlungsfähigkeit anbelangen, unsere Zustimmung gegeben und angeboten. Das hat Ihnen einen umfänglichen Klärungsprozess in den eigenen Reihen erspart. Aber auf die Dauer kann natürlich eine Regierung in unserem System nur regieren und glaubwürdig sein, wenn sie selbst die Mehrheit immer wieder aufbringen kann. Endlich will die Regierung den Vorschlag aufgreifen, die Unterstützung internationaler Terrorgruppen in Deutschland unter Strafe zu stellen. Was ist die Reaktion? Sofort nennt der grüne Parteirat von NRW, des größten grünen Landesverbandes, wenn ich es richtig sehe, dies eine Ausweitung von Verdachtsstrafrecht, die verhindert werden müsse. Jeder Änderung des Strafrechts wird pauschal eine Absage erteilt. Unbelehrbar lehnt die Vorsitzende der Grünen, Claudia Roth, die so genannte Regelanfrage nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes bei der Einbürgerung von Ausländern weiter ab. Was kann dagegen sprechen, wenn andere Behörden die wichtigen Informationen des Verfassungsschutzes auch regelmäßig für sich selbst und damit für unsere innere Sicherheit nutzen? Herr Schlauch, Sie werden anschließend sprechen. Sagen Sie doch auch einmal etwas zu Ihrem Zitat in der „Leipziger Volkszeitung“ vom 24. September: In der Frage der inneren Sicherheit lassen wir nichts abräumen von dem Konzept der liberalen Gesellschaft. ({23}) Sie werden anschließend wieder versuchen, das Knistern im eigenen Gebälk mit Lautstärke zu überdecken. ({24}) Aber das wird nicht reichen. Ich meine, Herr Bundeskanzler, angesichts der ernsten Lage ist ein solches Misstrauen, das gegen unseren demokratischen Rechtsstaat spricht, eine ernste Gefahr für die Sicherheit der Bürger. ({25}) Herr Bundeskanzler, Sie haben vor einer Woche erklärt, mit dem Gesetzentwurf des Bundesinnenministers hätten wir ein zeitgemäßes Zuwanderungsrecht auf den Weg gebracht. Ich meine, dass diese Einschätzung falsch ist. Deutschland muss Zuwanderung begrenzen und steuern; Ihre Politik aber würde - so ist dieser Gesetzentwurf angelegt - die ungesteuerte Zuwanderung ausweiten. ({26}) - Herr Bundeskanzler, das sind die Partner, die auch bei wichtigen Sicherheitsinformationen mit am Tisch sitzen. ({27}) Ich finde das unerträglich. Die PDS-Kommunisten sollten doch endlich einmal die gleiche Wende mitmachen, wie wir sie gestern hier an diesem Pult erlebt haben. ({28}) Ich lasse mich jedenfalls auch nicht durch unflätige Zwischenrufe aus dem Konzept bringen. ({29}) Richtig ist, dass in dem Schily-Entwurf Fragen der Sicherheit zu wenig berücksichtigt werden. Für uns gehört aber zur Frage der Zuwanderungsbegrenzung und -steuerung vor allen Dingen auch dazu, Extremisten aus unserem Land fernzuhalten. ({30}) Bei allem Verständnis für die Lage von Betrieben, die in Mangelberufen händeringend qualifizierte Mitarbeiter suchen - für die im Schily-Entwurf vorgesehene Aufhebung des Anwerbestopps gibt es keine Rechtfertigung. Bei bald 4 Millionen Arbeitslosen und 2 Millionen Sozialhilfeempfängern muss Zuwanderung in unsere Sozialsysteme unterbunden werden können. ({31}) Das heißt, auch die Betriebe und Unternehmen in Deutschland müssen den inländischen Arbeitsmarkt wieder stärker ausschöpfen. Dafür müssen die gesetzlichen Voraussetzungen geschaffen werden. Ich nenne nur das Stichwort „Kombilohn“. Schnellschüsse taugen überhaupt nichts; das zeigt die Greencard, Herr Bundeskanzler. Die Erwartungen sind nicht erfüllt worden. Erstens sind die Leute nicht gekommen - es waren keine 20 000 - und zweitens werden von den 9 000, die gekommen sind, die Ersten schon wieder flott nach Hause geschickt. Für die Wirtschaft in Deutschland ist eine flexibler Arbeitsmarkt nach meiner Meinung wichtiger als die Ausweitung der Zuwanderung. Wir müssen ein langfristiges deutsches Interesse in den Mittelpunkt unseres Handelns stellen. ({32}) Vor einer Woche haben wir in diesem Haus einvernehmlich erklärt: Deutschland steht im Kampf gegen den Terror fest an der Seite Amerikas. Für uns gilt dies auch heute noch. ({33}) Deswegen meine ich, Herr Bundeskanzler, dass wir mehr für die Sicherheit ausgeben müssen. 1,5 Milliarden DM für die Bundeswehr sind viel zu wenig. Hier muss dauerhaft mehr getan werden. Wir müssen vor allen Dingen einen Beitrag leisten, der der Bedeutung unseres Landes adäquat ist. Wir insgesamt und insbesondere Ihre Koalition müssen auch zweifelsfrei zu dem stehen, was Sie erklärt haben. Deswegen ist es erschreckend, dass die Grünen in Rheinland-Pfalz und in Nordrhein-Westfalen die Beteiligung der Bundeswehr an Anti-Terror-Einsätzen, die natürlich militärisch sind, ablehnen. Aus dem vielstimmigen Chor grüner Ratschläge zu Amerika will ich nur Frau Kollegin Vollmer herausgreifen, die in der „Zeit“ sagt: ...die Amerikaner müssen sich Zeit nehmen, darüber nachzudenken, was ihnen zugestoßen ist und warum. ({34}) Das ist schon eine - wie ich meine - sehr bedenkliche Aussage. Vielleicht sind Sie deswegen nicht in die USA gefahren, Herr Bundeskanzler; ich habe das bedauert. ({35}) Die Bilder, auf denen Sie dort zu sehen gewesen wären, können durch die von dem Besuch Ihres Außenministers nicht ersetzt werden. ({36}) Das ist so. ({37}) Vielleicht sind Sie deswegen nicht dorthin gefahren, weil Sie damit zu tun haben, hier Ihre Reihen zusammenzuhalten. ({38}) Sie können sich ja auch gar nicht so rasch entschuldigen, wie Amerika aus Ihren eigenen Reihen beleidigt wird. ({39}) Die Berliner Kultursenatorin Goehler äußert im Berliner Haus der Kulturen der Welt sogar, ihr hätten die Türme des Turbo-Kapitalismus nie so recht behagt; sie seien für sie Phallus-Symbole gewesen. Da klingt doch klammheimliche Freude an. Ich weiß, Sie finden das lustig, Frau Müller; deswegen lachen Sie. ({40}) Wo bleiben hier die Konsequenzen? Das sind doch Ihre Partner. Frau Goehler ist doch in Herrn Wowereits Senat. Warum wird diese Dame nicht sofort entlassen? Ich finde das beschämend und entsetzlich. ({41}) Wir sind in dieser schwierigen Lage sehr froh, dass wir wissen, dass wir in Amerika einen besonnenen Präsidenten haben, der sich als ein Führer der freien Welt darstellt und der ein ungeheuer staatsmännisches Format beweist. Herr Bundeskanzler, Sie können sich trotz Ihrer innenpolitischen Mängelliste darauf verlassen, dass wir das Wort von der uneingeschränkten Solidarität ernst nehmen und Ihre Politik in dieser Hinsicht stützen werden. Ich meine, dass wir auch als Opposition Verantwortung tragen, die wir auch in schwieriger Zeit wahrnehmen wollen. Es wäre für Deutschland entwürdigend, wenn Sie jetzt wieder mit dem Hut in der Hand Stimmen sammeln müssten, so wie es beim ersten Mandat für Mazedonien war. Wir werden - ich will der Beratung der Fraktion nicht vorgreifen auch in dieser NATO-Frage an Ihrer Seite stehen. Herr Bundeskanzler, tun Sie alles, um Schaden von unserem Land abzuwenden! Herzlichen Dank. ({42})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege Tauss, Zwischenrufe der Art „widerliche Hetze“ gehören nicht ins Parlament. Ich ermahne Sie, solche Zwischenrufe zu unterlassen. ({0}) Ich erteile nun das Wort dem Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, Gerhard Schröder. Gerhard Schröder, Bundeskanzler ({1}): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Glos, in einem Punkt bin ich Ihnen dankbar: Ich bin Ihnen dafür dankbar, dass Sie auch in dieser Haushaltsdebatte noch einmal deutlich gemacht haben, dass Sie mit uns - das haben wir in diesem Hohen Hause miteinander hinbekommen - in der Außenpolitik an der Seite Amerikas - und dies uneingeschränkt - stehen. Das will ich hier ausdrücklich sagen; denn mir liegt sehr daran, dass diese Gemeinsamkeit fortgesetzt werden kann. Das gilt auch dann, wenn ich mit dem übrigen Teil Ihrer Ausführungen nicht einverstanden bin, wie Sie sich vorstellen können. ({2}) Ich bin damit nicht einverstanden, weil das eine Mischung aus falschen Informationen und aus Übertreibungen gewesen ist. Aber eines ist klar: Nach den Terroranschlägen in den USA sind Menschen bei uns in großer Sorge. Sie sind übrigens nicht nur in großer Sorge über das, was wir innere oder äußere Sicherheit nennen, sondern eben auch in Sorge um die wirtschaftliche Entwicklung unseres Landes. Ich denke, das Wichtigste, was wir in diesem Hohen Hause tun müssen, ist, diese Sorgen ernst zu nehmen. Ich rede übrigens ganz bewusst von Sorge, nicht von Angst; denn aus Sorge kann Zuversicht, kann neue Kraft entwickelt werden. Angst würde nur lähmen. Zu Angst gibt es wirklich keinen Grund, meine Damen und Herren. ({3}) Es gibt in Deutschland deshalb keinen Grund zur Angst, weil sowohl die politischen als auch die kulturellen und ökonomischen Eliten unseres Landes in Gemeinsamkeit deutlich gemacht haben, dass der Terrorismus weder unsere inneren Ordnungen in der freien Welt besiegen kann noch die freie Weltwirtschaft dauerhaft wird infrage stellen können. Wenn wir klarmachen, dass sich die Verantwortlichen in den unterschiedlichsten Ebenen - in der Gesellschaft, in der Wirtschaft, bei den Gewerkschaften, aber eben auch in der Politik - bei all ihrer Vielfalt jedenfalls in diesem Ziel einig sind, ist das die sinnvollste Basis für die weitere wirtschaftliche Entwicklung, die wir schaffen können. ({4}) Wir wissen ja: Der Terrorismus hat nicht nur die Zerschlagung der politischen Ordnungen in der Welt zum Ziel, sondern natürlich auch die der Weltwirtschaft. Der Anschlag auf das World Trade Center in New York zeigt das sehr deutlich: Es war genauso ein Anschlag auf die internationalen Wirtschafts- und Finanzkooperationen wie ein Anschlag auf die Zivilisation schlechthin. Noch etwas ist wichtig: Die Terroristen wollten damit ein allgemeines Klima von Angst und Unsicherheit verbreiten, ein Klima, das natürlich negative Auswirkungen auf die Weltwirtschaft haben sollte und, wenn wir es verstärken, weil wir nicht aufpassen und nicht gegenhalten, auch haben wird. Deswegen finde ich es so wichtig, dass zum Beispiel von allen, die auf der Internationalen Automobil-Ausstellung, auf der auch ich war, vertreten waren, gesagt wurde: Wir brauchen jetzt ein Klima der Gemeinsamkeit, aus dem Optimismus auch und gerade für unseren so wichtigen Wirtschaftszweig entstehen kann. Ich glaube, wir sollten von daher klar sagen, dass wir alle zusammen verhindern werden, dass der internationale Terrorismus in irgendeiner Form Macht über die wirtschaftliche Entwicklung in der Welt und damit auch in Deutschland gewinnt. ({5}) Genauso wenig wie die Terroristen uns in einen Kampf der Kulturen treiben dürfen - das wäre nämlich unsinnig -, dürfen sie uns in ein Klima der wirtschaftlichen Verunsicherung und Angst hineintreiben; auch das ist nämlich eines ihrer Ziele. Was wir brauchen, meine Damen und Herren - wir haben es gestern erlebt -, ist eine internationale Koalition gegen den Terrorismus. Wir sind dabei ein ganz gutes Stück weitergekommen; nicht zuletzt deshalb, weil - das sage ich mit wirklich großem Respekt, auch darin stimmen wir überein - die Vereinigten Staaten auf den fürchterlichen Anschlag in einem Maße besonnen reagiert haben, das viele kritische Diskutanten, die anderes erwartet hatten, vielleicht gelegentlich zum Nachdenken bringen sollte. ({6}) Diese internationale Koalition gegen den Terrorismus, die jetzt gebildet werden muss, darf sich nicht nur auf die politischen und militärischen Aspekte beziehen. Klar ist, dass dieser Kampf auch mit ökonomischen Mitteln geführt werden muss. Das heißt, diejenigen Staaten, die Terrorismus stützen und unterstützen, dürfen nicht auf materielle Hilfe rechnen können. Das heißt, diejenigen Staaten, die Terrorismus stützen und unterstützen, müssen, solange sie das tun, negative Erfahrungen mit den Möglichkeiten unserer zivilisierten Welt machen. Umgekehrt gilt dann auch: Diejenigen, die sich in eine Koalition gegen den internationalen Terrorismus einreihen, müssen auch Anreize für sich und ihre eigene wirtschaftliche Entwicklung sehen. Hier liegt übrigens auch einer der Gründe, warum wir bei der Verteilung jener 3 Milliarden DM, die wir für die Bekämpfung des Terrorismus im Inneren und im Äußeren aufwenden, auch an die Bildung von Fonds gedacht haben, durch die erreicht werden soll, dass Abwendung vom Terrorismus belohnt und Zuwendung bestraft werden können. Das ist Teil des Konzeptes, wie wir es uns vorstellen. Dazu gehört natürlich - ich nehme an, der Finanzminister wird dazu noch etwas sagen - eine wirklich entschiedene Bekämpfung der Finanzierung des internationalen Terrorismus. ({7}) Ich verstehe ja, dass sehr viele Menschen das Bankgeheimnis gleichsam für die Magna Charta der inneren Sicherheit halten, aber das ist nicht so. ({8}) Ich rede hier nicht einer undifferenzierten Lösung das Wort. Wer aber die Geldwäsche bekämpfen und damit die Finanzierungsquellen des internationalen Terrorismus austrocknen will - das wollen wir ausdrücklich -, der muss einmal mit den Betroffenen darüber reden, wie man denn an diese Finanzierungsquellen herankommt, wie man „underground banking“ und Ähnliches verhindert. Die Erfüllung dieser Aufgabe wird von uns erwartet. Wir werden sie auch sehr entschieden anpacken. Darauf können Sie sich verlassen. ({9}) Die Terroristen werden wirtschaftlich auch deshalb nicht gewinnen, weil die Grundlagen für Wachstum und Wohlstand in unserem Land, in Europa und in der Welt intakt sind. Die Produktionsanlagen und die Infrastruktur sind intakt. Natürlich kann man das alles verbessern; wir arbeiten auch daran. Aber wir haben überhaupt keinen Anlass, jetzt in Pessimismus zu verfallen, weil die Basis unserer wirtschaftlichen Stärke intakt ist und weil das größte Kapital, über das wir verfügen, die Qualifikation, die Leistungsbereitschaft und die Motivation der Menschen in unserem Land sind. Auch sie müssen wir optimistisch stimmen und dürfen das nicht herunterreden. ({10}) Auch die internationale Zusammenarbeit der Finanzorganisationen - Herr Glos hat in einem Punkt darauf hingewiesen - hat funktioniert. Ich habe mich genau wie Sie gefreut, dass die Fed und die EZB zusammengearbeitet haben und dass damit einer der wichtigsten makroökonomischen Akteure, nämlich die Europäische Zentralbank, seine Verantwortung für das Wachstum in dieser Situation erkannt und daraus positive Schlüsse gezogen hat. Ich kann nur raten, diesen Kurs fortzusetzen, eine enge Abstimmung zu suchen und entsprechende Entscheidungen zu treffen. ({11}) Ich bin ganz sicher, dass auch die Art und Weise, wie wir gemeinsam in diesem Hohen Hause auf die Anschläge Bundeskanzler Gerhard Schröder in den USA reagiert haben, nämlich Entschlossenheit bei der Erfüllung unserer Beistandsverpflichtungen zu zeigen, auf Dauer positiv auf die Stimmung im Land wirken und positive Folgen für die wirtschaftliche Entwicklung haben wird. Ich glaube, all das zeigt, dass Sorgen verständlich sind - die machen wir uns auch -, dass es aber völlig unberechtigt ist, so zu tun, als gäbe es nicht auch und gerade jetzt Anlass zu Optimismus und Zuversicht, und zwar sowohl im Hinblick auf die Bereitschaft zur internationalen Zusammenarbeit als auch im Hinblick auf die Entwicklung neuer Kräfte im Inneren. Ich sage es noch einmal: Die wichtigsten makroökonomischen Akteure sind jetzt gefordert. Neben der Notenbank - damit haben Sie Recht - ist das der Staat, gar keine Frage. Aber wie sieht die Aufgabe in der jetzigen Situation aus? - Die Aufgabe in der jetzigen Situation kann doch nicht darin bestehen, den Konsolidierungskurs der Bundesregierung aufzugeben. Ernsthaft kann man so etwas nicht fordern. ({12}) Unabhängig von der Tatsache, dass er international vereinbart ist, wäre es auch ökonomisch falsch, den Konsolidierungskurs aufzugeben. Wir hören ja die Ratschläge der Verbände und der Länder. Den Konsolidierungskurs aufzugeben ist falsch, auch wenn jetzt die Forderung gestellt wird: Dann zieht doch die Steuererhöhungen ({13}) - Entschuldigung -, die nächste Stufe der Steuerreform vor. Ich komme gleich auf die Steuererhöhungen zu sprechen. Damit habe ich gar kein Problem. ({14}) - Nein, weil wir das erklären können. Wir haben gute Gründe für die Steuererhöhungen. Die werde ich Ihnen auch gleich darlegen. ({15}) Wenn wir der Forderung der Verbände und der Länder, die nächste Stufe der Steuerreform vorzuziehen, nachkommen würden, dann müssten wir 14 Milliarden DM gegenfinanzieren. Mir hat noch niemand, auch Sie nicht, erklärt, wie das durch Umschichtungen möglich sein soll, obwohl dieser Begriff immer wieder verwendet wird. Ich sage: Das geht auch gar nicht. Das ist doch klar. ({16}) Das Vorziehen der nächsten Stufe der Einkommensteuerreform - das würde auch die Körperschaftsteuer betreffen - hieße, das dann entstehende Defizit von 14 Milliarden DM entweder durch höhere Steuern oder durch Schuldenmachen zu finanzieren. Eines will ich Ihnen sagen: Was meinen Sie wohl, was uns die Länderregierungen - da kenne ich mich aus -, die jetzt fordern: „Zieht das doch vor, wir bekommen das schon hin“, entgegnen würden, wenn wir es täten? ({17}) Die Länderregierungen würden uns ganz kühl sagen: Ja, wir haben natürlich immer gefordert, dass ihr das vorzieht; aber bezahlen soll es der Bund allein, ({18}) auch wenn das nicht der verfassungsrechtlich garantierten Aufteilung der Steuern entspricht. Da können Sie ganz sicher sein. Der erste Ruf kommt übrigens ganz sicher aus Bayern. ({19}) Was Sie fordern, geht aus vielerlei Gründen nicht. Wir wollen und müssen den Konsolidierungskurs fortsetzen. Er ist die Basis für eine vernünftige Zinspolitik der Europäischen Zentralbank. Das muss man genauso klar sehen. Der von Ihnen vorgeschlagene Weg fällt also aus. ({20}) Der Konsolidierungskurs wird also fortgesetzt. Das bedeutet zugleich, dass die Planbarkeit der Steuerreform, so wie sie Hans Eichel ins Gesetzblatt gebracht hat, gesichert bleibt. Das Zweite, was von uns gefordert wird - manchmal, zunehmend leiser -, sind bestimmte Konjunkturprogramme. ({21}) Auch die muss man bezahlen: entweder durch eine Erhöhung der Nettoneuverschuldung - das wollen wir gemeinsam nicht ({22}) - sage ich ja: wollen wir gemeinsam nicht - oder durch andere Maßnahmen. Solche Strohfeuerprogramme machen keinen Sinn. ({23}) - Lauthals! Ein stellvertretender Fraktionsvorsitzender aus Ihren Reihen - ich glaube, er heißt Rauen - forderte alle naselang: ({24}) Nehmt das doch nicht so genau mit der Verschuldung! Macht doch lieber ein Programm X oder ein Programm Y. Das hören wir doch ständig; wir tun das aber nicht. ({25}) - Sie können richtig stellen, dass Sie das nicht wollen. Dann sind wir einig. Darüber wäre ich froh. Alle Forderungen nach einer Aufgabe des Konsolidierungskurses werden also von der Opposition nicht weiter erhoben. Das soll mir gerade recht sein. Das wäre ein Stück Gemeinsamkeit in der Wirtschaftspolitik, das Bundeskanzler Gerhard Schröder dann aber - wenn ich bitten darf - beibehalten werden muss. ({26}) Wenn Sie sich unsere Vorstellungen von der Steuerreform genau anschauen, dann erkennen Sie ein sehr ausgewogenes Verhältnis zwischen Angebots- und Nachfrageseite, ({27}) also zwischen der Unternehmensseite - die Unternehmensteuern sind reduziert worden - und der Nachfrageseite, die dadurch profitiert, dass die Masseneinkommen steigen, wodurch die Binnenkonjunktur angekurbelt werden soll. ({28}) Dies im Zusammenhang mit der Tatsache, dass wir, nach allem, was wir wissen, im September eine Inflationsrate von noch 2,1 Prozent haben werden, zeigt, dass wir die ernsthafte Chance haben, auch auf dem Binnenmarkt eine Verbesserung zu erzielen. Ich weiß sehr wohl, dass unser Vorgehen kurzfristig Schwierigkeiten bereitet; aber es geht mir um die mittel- und langfristigen Wirkungen, die in unserer Steuerreformpolitik angelegt sind. ({29}) Jetzt komme ich zu einem Punkt, über den es zu Recht Streit gibt. Wir haben gesagt: Wir legen ein Programm nach innen wie nach außen zur besseren Bekämpfung des internationalen Terrorismus in einer Größenordnung von 3 Milliarden DM auf. Dieses Programm muss natürlich finanziert werden. Ich nehme an, dass der Oppositionsführer gleich die konkrete Finanzierung kritisieren wird. Das ist gar keine Frage. ({30}) Wir finanzieren dieses Programm durch die Erhöhung der Tabaksteuer und durch die Erhöhung der Versicherungsteuer - beides außerordentlich maßvoll. Beide Schritte sind Erhöhungen von, wenn man so will, Verbrauchsteuern, was keine direkten Auswirkungen auf Produktion und - vermutlich - Verbrauch haben wird. Aber darüber wird noch zu streiten sein. ({31}) - Ich kann Ihnen das nicht sagen. Nach Hans Eichels Rechnungen sind es 3 Milliarden DM. Herr Repnik, wenn Sie Recht haben, dann werden wir - das ist doch klar eine Debatte über die sinnvolle Verwendung der zusätzlichen Einnahmen führen. ({32}) Es wird sich dann die Frage stellen, ob man die zusätzlichen Einnahmen für bestimmte Aufgaben verwendet oder ob man sie zum Abbau der Verschuldung einsetzt. Bisher gehe ich aber davon aus, dass Hans Eichel richtig gerechnet hat. Herr Glos hat ihn eben „Oberbuchhalter der Nation“ genannt. Sie müssen zugeben: Die Oberbuchhalter rechnen wenigstens richtig. ({33}) Wir werden das also auf diese Weise finanzieren. Das ist kritisiert worden. Ich glaube aber, dass hier keiner sagt, man hätte es besser über die Erhöhung der Neuverschuldung finanzieren sollen. Das kann man nicht machen. Es gehört sich nicht, eine aktuelle Aufgabe, die wir jetzt leisten müssen, durch Verschiebung der Lasten auf unsere Kinder und deren Kinder zu finanzieren. ({34}) Bezüglich der Umschichtung erwarte ich Vorschläge. Wir haben so gehandelt, wie sich das gehört, wenn man redlich miteinander - auch mit der Öffentlichkeit - umgehen will. Wir haben klargemacht: Für diese zusätzlichen Aufgaben gibt es in einem Haushalt, der sparsamst angelegt ist - auch das wird von Ihnen gelegentlich kritisiert -, keine andere Finanzierungsmöglichkeit als die, die wir jetzt ergreifen. Wir haben das den Menschen in Deutschland gesagt und wir stehen dazu. Weil es eine überragende aktuelle Aufgabe ist, erfolgt die Finanzierung auf diese Weise. Das kann jeder vor dem Hintergrund seiner eigenen Überzeugungen bewerten. Wir glauben, dass es eine notwendige Aufgabe ist, die damit angepackt werden kann und die nicht über eine Verschuldung, sondern auf redliche Art finanziert werden sollte. Ich kann daran nichts Negatives erkennen. ({35}) Ich will noch einen Aspekt, der auch diskutiert werden wird, besonders hervorheben: Wie geht es im nächsten Jahr weiter? Das beziehe ich jetzt auf diejenigen, die ebenfalls makroökonomische Daten setzen. Über kurz oder lang wird es eine Diskussion über die Frage geben, wie sich Löhne und Gehälter in den nächsten Tarifrunden entwickeln. Die Gewerkschaften auf der einen Seite und die Arbeitgeber auf der anderen Seite sind Institutionen, die wichtige makroökonomische Daten setzen. Um allen Diskussionen zuvorzukommen, will ich sagen: Wer sich einmal anschaut, wie es im Jahre 2000 ablief, als wir im Vorfeld wilde Spekulationen darüber hatten, wie sich die beiden Seiten verhalten würden, und als wir im Nachgang alle miteinander anerkennen mussten, dass sie sich gesamtwirtschaftlich außerordentlich vernünftig verhalten haben, der kann doch aus all dem Positiven, das wir mit der Tarifautonomie in der Vergangenheit erlebt haben, nur den Schluss ziehen, dass jene gesamtwirtschaftliche Vernunft, die natürlich gerade in der Krise nötig ist - Sie haben die außenwirtschaftlichen Risiken zu Recht genannt -, auch die Optionen und die Handlungen der Tarifparteien im nächsten Jahr beeinflussen wird. Ich jedenfalls vertraue den Tarifparteien. ({36}) Ich hatte bisher keinen Grund zur Enttäuschung. Bundeskanzler Gerhard Schröder Zusammengefasst: Wir haben eine gefährliche Situation - das kann niemand ernsthaft bestreiten -, die uns Sorge macht, die uns aber nicht in Angst versetzen sollte uns hier sowieso nicht, aber auch nicht die anderen Akteure in der Volkswirtschaft: die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie die Verbraucherinnen und Verbraucher. Wir können die Sorgen verstehen; Angst ist aber überflüssig. Ich bin fest davon überzeugt, dass der Datenkranz unserer Volkswirtschaft so positiv ist, dass wir nach kurzfristiger Eintrübung sicher damit rechnen können, im nächsten Jahr ordentliche Wachstumsraten zu erzielen. Alle Zeichen - ungeachtet der Eintrübung, die wir gegenwärtig feststellen - deuten darauf hin. Unsere Aufgabe, der wir uns stellen sollten, ist schlicht und einfach, die positiven Aspekte dieser Entwicklung zu unterstützen. Wir sollten klar machen - ganz im Sinne dessen, was Sie gesagt haben -, dass in jeder Krise auch eine Chance liegt. Diese Chance sollten wir ergreifen, indem wir - wir wollen nicht die Entwicklung schönreden; das wäre genauso verkehrt - nicht ein Gefühl von Sorge und Angst verstärken, das subjektiv verständlich ist, für das es aber in diesem Ausmaß objektiv keinen Grund gibt. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir durch internationale Zusammenarbeit auf politischem und auf ökonomischem Gebiet dieser Krise Herr werden. Ich bin auch davon überzeugt, dass die internationale Staatengemeinschaft und die zivilisierte Welt nach dieser Krise enger zusammengewachsen sind und enger zusammenarbeiten als in der Zeit davor. Dazu einen Beitrag zu leisten sehe ich als Deutschlands Aufgabe und als Aufgabe des gesamten Hauses an. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({37})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Guido Westerwelle, FDP-Fraktion.

Dr. Guido Westerwelle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002944, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Bundeskanzler, Sie haben hier in der letzten Woche eine Regierungserklärung abgegeben und auch heute in dieser Debatte das Wort ergriffen. Ich habe Ihnen in der letzten Woche geantwortet, dass es aus unserer Sicht eine würdige Regierungserklärung gewesen ist. Dass Sie allerdings morgens im Deutschen Bundestag eine Regierungserklärung abgegeben haben und die Abgeordneten später auf dem Nachhauseweg aus den Nachrichten erfahren haben, dass Sie anschließend, also am Nachmittag, im Kabinett beschlossen haben, die Steuern zu erhöhen, das war absolut unwürdig, Herr Bundeskanzler. ({0}) Ich muss den Abgeordneten der Sozialdemokraten sagen: Das hat nichts mehr mit Parteien zu tun. Das ist eine Frage des Respekts gegenüber dem Deutschen Bundestag. Hat Herr Müntefering Sie so eingeschüchtert, dass Sie so etwas durchgehen lassen, liebe Kolleginnen und Kollegen? ({1}) Sie können sich in der Außen- und Sicherheitspolitik auf die Opposition verlassen. Das wissen auch Sie; denn wir haben es Ihnen in der letzten Woche verschiedentlich gesagt. Die Opposition weiß, dass sie hier Verantwortung wahrzunehmen hat. Wir werden zuverlässig und staatspolitisch verantwortungsvoll handeln. Herr Bundeskanzler, Ihr Problem in der Außen- und Sicherheitspolitik ist doch nicht die Opposition. Ihr Problem ist in Wahrheit Ihr grüner Koalitionspartner, Ihre eigene Regierung. ({2}) Sie haben im Sommer dieses Jahres in der Mazedonienfrage keine eigene Mehrheit gehabt. Deswegen haben Sie in Brüssel über dieses Mandat ungewöhnlich schlecht verhandeln können. In der Abstimmung im Deutschen Bundestag hatten Sie keine eigene Mehrheit. Die Koalition brachte in der Frage der Mandatierung der deutschen Soldaten in Mazedonien nicht einmal eine eigene Mehrheit zustande. Sie waren auf die Unterstützung aus den Reihen der Oppositionsfraktion angewiesen. Das ist weniger innenpolitisch ein Problem. Das ist vielmehr außenpolitisch ein Problem, weil Sie als unser Vertreter im Ausland dann auch nicht so frei und so souverän verhandeln können, wie Sie verhandeln müssten, wenn es um entsprechende außenpolitische Aufträge geht. ({3}) Jetzt erleben wir wieder genau dasselbe. Herr Bundeskanzler, Sie sprechen von der uneingeschränkten Solidarität zum Bündnis. Der Bundesverteidigungsminister erklärte heute völlig zu Recht, dass er damit rechne, dass dieser Bündnisfall jetzt auch tatsächlich festgestellt wird. Das ist alles richtig. Nur, Sie richten Ihre diesbezüglichen Ausführungen in Richtung Opposition. Eigentlich müssten Sie jedes Mal, wenn Sie solche Ausführungen machen, Ihren Blick von der Opposition weg hin zu Ihren eigenen Leute richten. Die sind nämlich das große Problem! ({4}) - Sie rufen dazwischen: Uns kennt er ja. - Das ist ja das Problem: Weil er euch kennt, hat er diese Schwierigkeiten. ({5}) Das große Problem, das wir in der Außenpolitik haben, ist, dass ein Landesverband der Grünen nach dem anderen im wahrsten Sinne des Wortes von der Fahne geht. ({6}) Eines geht nicht: dass Sie vor lauter Überzeugungsarbeit in der eigenen Koalition Ihre Hausaufgaben nicht mehr machen. Ich sage Ihnen: Deutschland hat eine Regierung verdient, die eine vernünftige Außenpolitik und Bundeskanzler Gerhard Schröder eine vernünftige Innenpolitik macht. Davon kann in keiner Weise die Rede sein. ({7}) Die Ausstattung der Bundeswehr ist immer noch kärglich. Dann haben wir jetzt erlebt, wie Sie einen neuen Finanzierungsvorschlag gemacht haben; auf den Umgang mit und auf das Verfahren gegenüber dem Parlament habe ich bereits Bezug genommen. Dabei geht es um 3 Milliarden DM bei einem Haushalt von fast 500 Milliarden DM. Der Finanzminister und der deutsche Bundeskanzler sagen, nicht einmal 3 Milliarden DM könnten sie in einem Haushalt von fast 500 Milliarden DM durch Umschichtungen erwirtschaften. Das ist eine Bankrotterklärung der Finanzpolitik dieser Bundesregierung. ({8}) Es ist in Wahrheit ökonomisch nicht überzeugend, was Sie gemacht haben. Finanzpolitisch ist es doch auch nicht überzeugend. Sie erzählen, Sie müssten jetzt die Tabaksteuer und die Versicherungsteuer erhöhen, damit ein Paket für innere Sicherheit beschlossen werden könne. Das ist übrigens ein Popanz und ein Vorwand. Gesetzesänderungen kosten kein Geld. Wenn Sie das Vereinsprivileg für extremistische religiöse Organisationen aufheben, kostet das den Steuerzahler keinen Pfennig. In Wahrheit haben Sie einen Vorwand für Steuererhöhungen gesucht. Ich sage Ihnen: Das war der Beginn einer Steuererhöhungsspirale, aber das Gegenteil wäre in Deutschland nötig. ({9}) Das ist doch eine völlig konzeptionslose Finanzpolitik. Die Rente bezahlen wir angeblich an der Tankstelle, über die Ökosteuer. Die innere Sicherheit sollen wir jetzt durch das Rauchen bezahlen. Rauchen für die Sicherheit, ({10}) Rasen für die Rente - das ist keine Finanzpolitik, das ist gaga. Das hat keine Konzeption, das ist doch nicht überzeugend! ({11}) Als ob irgendeine dieser Steuereinnahmen an irgendeiner Stelle zweckgebunden wäre! Auch wenn Sie in der Außenpolitik die Rückendeckung der Opposition haben: In der Innenpolitik werden wir Ihnen diese Auseinandersetzung nicht ersparen, weil das Nachdenken darüber in diesem Hause nicht aufgehört hat. ({12}) Was ist denn von all Ihren Äußerungen übrig geblieben, Herr Innenminister? Am Vormittag haben Sie, geradezu zur Begeisterung der Opposition und zum Erschaudern Ihres grünen Koalitionspartners, eine Rede gehalten, die bemerkenswert war. Übrigens, Herr Glos, auch die Intonierung war in meinen Augen völlig unproblematisch. Wenn man in einer solchen Situation wie eine Maschine redet, hat man eher Probleme. Sie haben hier gesagt, was Sie alles machen wollen, alles machen werden, was passieren müsste, und haben von Fingerabdrücken gesprochen. Nichts von dem haben Sie am Nachmittag beschlossen. Warum haben Sie es nicht beschlossen? - Weil Sie für das ganze Paket der inneren Sicherheit in Wahrheit keine Einigkeit mit Ihrem grünen Koalitionspartner hinbekommen. Das hat Deutschland nicht verdient! ({13}) Es ist doch jedes Mal dasselbe: Bei der Zuwanderung möchten Sie und wir wollen auch. Dann machen Sie doch endlich! Sie machen nicht, weil die Grünen nicht wollen. ({14}) Bei der inneren Sicherheit möchten Sie und wir wollen auch. Sie machen nicht, weil die Grünen nicht wollen. Bei der Außenpolitik möchten Sie und wir wollen endlich auch. Machen Sie! Sie machen nicht, weil die Grünen Ihnen jedes Mal Knüppel zwischen die Beine werfen. ({15}) Genau das ist die Lage. ({16}) - Dass Ihnen das nicht gefällt, ist mir völlig klar. ({17}) Aber das werden Sie noch häufiger hören. Weil Sie den Zwischenruf „Hamburg, innere Sicherheit“ gemacht haben: ({18}) Sie werden den Freien Demokraten kaum vorwerfen können, dass sie bei der inneren Sicherheit in Koalitionsverhandlungen das vorsehen, was Herr Schily hier vorgelegt hat. ({19}) Das mag Ihnen vielleicht unangenehm sein. Und noch etwas: Wer in Berlin, in Mecklenburg-Vorpommern und in Sachsen-Anhalt mit der PDS regiert, der erzählt mir in Koalitionsfragen ganz gewiss nicht, was die moralischen Maßstäbe in Deutschland sind. Das vergessen Sie einmal ganz schnell! ({20}) Dann lese ich eine Agenturmeldung über Herrn Müntefering. Herr Müntefering sagt, die CDU höre, wenn sie jetzt in Hamburg verhandle, auf, eine große liberale Volkspartei zu sein, und die FDP höre damit auf, eine liberale Partei zu sein. ({21}) Der Mann, der Abgeordnete seiner eigenen Partei so unter Druck setzt, dass er eine Strafanzeige aus diesen Reihen bekommt, erzählt mir doch nicht, was liberal in Deutschland ist! Das haken Sie einmal ab! ({22}) Es fehlt Ihnen in dieser Regierung in der Innen-, Wirtschafts- und Finanzpolitik an Gestaltungskraft. Das ist das große Problem. Da Sie die ganze Zeit das Wort „Makroökonomie“ so bemüht haben - ich war tief beeindruckt, Herr Bundeskanzler -, möchte ich das noch einmal auf den Punkt bringen. ({23}) Herr Bundeskanzler, wenn Sie über die Makroökonomie sprechen, dann müssten Sie feststellen, dass sich die japanische Wirtschaft in Wahrheit schon längst in einer Rezession befindet. Sie müssten ferner feststellen, dass sich die amerikanische Wirtschaft in der Gefahr befindet, in eine Rezession zu kommen. Schließlich müssten Sie feststellen, dass Deutschland die Wirtschaftslokomotive in Europa und Europa die Wirtschaftslokomotive in der Welt werden müsste. Das erreichen Sie nicht, indem Sie die Konjunktur durch Steuererhöhungen abwürgen. Durch Steuersenkungen könnten Sie dies erreichen. Es gibt einen fundamentalen Unterschied zwischen uns als Opposition und Ihnen als Regierung. ({24}) Die Regierung sagt: Deutschland kann sich Steuersenkungen nicht leisten. Die Opposition sagt: Wir können es uns nicht leisten, auf Steuersenkungen zu verzichten. Nur durch Steuersenkungen springt die Konjunktur an und es könnten endlich neue Arbeitsplätze in Deutschland geschaffen werden. Es kann nämlich nur derjenige Steuern zahlen, der Arbeit hat. ({25}) Zur Erreichung dieses Ziels müssten wir die Steuersenkungsakzente durchsetzen; zumindest müsste die nächste Stufe der Ökosteuer ausgesetzt werden. Sie hätten auf die Steuererhöhungen verzichten müssen. ({26}) Sie reden - das ist der pawlowsche Reflex des Finanzministers - von einem Finanzbedarf in Höhe von 3 Milliarden DM und erhöhen die Steuern. Die Auseinandersetzungen im Golf haben etwa 17 Milliarden DM gekostet. Um wie viele Punkte wollen Sie die Mehrwertsteuer eigentlich erhöhen, wenn wir in die Situation kommen? Sie werden die Steuern immer weiter erhöhen. Das ist Gift für die Wirtschaft. Sie vergessen immer, dass die Versicherungsteuer Gift für den Mittelstand ist. Herr Bundeskanzler, Sie orientieren sich immer noch an Holzmann und nicht am Mittelstand. Das ist ein Problem. ({27}) Hier muss Klartext geredet werden. ({28}) Sie müssen in der Lage sein, neben einer Steuersenkungspolitik ein Sofortprogramm für mehr Wirtschaftswachstum und Beschäftigung aufzulegen. Das fordern wir von Ihnen. Das hat mit Konjunkturprogrammen überhaupt nichts zu tun. Diesen Unterschied wollen Sie ja bewusst verwischen, Herr Wirtschaftsminister. ({29}) Es geht darum, dass in Deutschland die Strukturen verändert werden müssen. ({30}) Dazu zählen die Steuerstruktur, die Frage der Steuervereinfachung und die Entbürokratisierung. Allein der Mittelstand leidet unter Bürokratiekosten in Höhe von 60 Milliarden DM jährlich. Dazu zählt auch, dass Sie das Arbeits- und Tarifrecht endlich flexibilisieren. Auch das muss ausgesprochen werden. ({31}) Es mag sein, dass Ihnen das nicht gefällt, ({32}) weil 85 Prozent der SPD-Abgeordneten Mitglied in einer Gewerkschaft sind. Das ist akzeptabel und nachvollziehbar. ({33}) Der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt sagte in der „Zeit“ auf die Frage, ob der Flächentarifvertrag am Ende sei: Leider nein. Es wäre zum Abbau der hohen Arbeitslosigkeit aber wünschenswert, dass der flächendeckende Lohntarif an sein Ende gebracht würde. Das sagt nicht die Opposition, das sagt Helmut Schmidt. Vor dem werden Sie hoffentlich Respekt haben, meine sehr geehrten Damen und Herren. ({34}) Herr Bundeskanzler, gerade Volkswagen hat ja gezeigt, dass wir in den Vereinbarungen zwischen Arbeitnehmern und Unternehmensführungen zu mehr Betriebsnähe kommen müssen. Das ist notwendig. Wir wissen, dass es natürlich auch dazu kommen wird. Es ist nur eine Frage der Zeit. Die Bundesregierung antwortet auf die Frage nach der Lage der Konjunktur in Europa - das müssen wir Ihnen vorhalten - mit seltsam gewundenen Erklärungen. Tatsache ist, dass es auch früher Zeiten schlechten WirtschaftsDr. Guido Westerwelle wachstums gab. Da waren wir aber wenigstens, relativ gesehen, an der Spitze in Europa. Der Unterschied jetzt ist, dass wir beim Wirtschaftswachstum seit zwei, drei Jahren im Vergleich aller Euroländer das Schlusslicht bilden. Das hat nichts mit globaler Weltwirtschaft zu tun. ({35}) Das hat etwas damit zu tun, dass wir offensichtlich durch nationale Wirtschaftspolitik mit den Veränderungen der Weltwirtschaft schlechter zurechtkommen als alle anderen Euroländer. ({36}) Das muss von Ihnen aufgegriffen werden. Sie können nicht mit ruhiger Hand regieren. Hier ist eine handelnde, eine zupackende Hand gefragt. Die Strukturen müssen verändert werden. Das ist dann auch die Stunde, in der die Opposition das bei Ihnen einklagen darf. Darauf kommt es jetzt an. Sie sprechen in einem Interview - ich habe es dabei davon, dass es kein Wunder sei, dass das Wirtschaftswachstum in Deutschland schlechter sei als in den anderen europäischen Ländern, wir seien ja schließlich auch - anders als andere europäische Länder - eine gesättigte Volkswirtschaft. ({37}) Das ist wirklich bemerkenswert. Sie sind den ganzen Sommer über durch Ostdeutschland gereist. Sie sind in Regionen mit einer Arbeitslosenquote von 20, 30 und mehr Prozent gewesen und sprechen von einer gesättigten Volkswirtschaft zur Entschuldigung Ihrer verfehlten Wirtschaftspolitik. Herr Bundeskanzler, das geht daneben und es wird Ihnen nicht gelingen, uns von Ihrer Politik zu überzeugen. ({38}) Nein, Herr Bundeskanzler, Sie können sich in der Außen- und Sicherheitspolitik, Sie können sich in der Friedenspolitik darauf verlassen, dass die Opposition weiß, was Staatsräson ist. Das müssen Sie eher Ihrem grünen Koalitionspartner erklären. ({39}) Aber Sie müssen davon ausgehen, dass wir, wenn Sie bezüglich der inneren Sicherheit nur Maßnahmen ankündigen, aber nicht handeln, dies auch erwähnen, ({40}) dass wir auch erwähnen, dass Sie in der Wirtschaftspolitik den falschen Weg gehen. Dass Sie in der Bildungspolitik nicht zu Potte kommen und in Wahrheit die Zukunftschancen der jungen Generation immer schlechter werden lassen, werden wir auch erwähnen. Das Nachdenken ist jetzt nicht beendet. Ganz im Gegenteil: Wir wissen, dass wir in der Außen- und Sicherheitspolitik Verantwortung wahrnehmen. In der Innenpolitik werden Sie die scharfen Worte der Opposition nicht vermissen. Das versprechen wir Ihnen. ({41})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile dem Kollegen Rezzo Schlauch vom Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Rezzo Schlauch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002777, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Westerwelle, letzte Woche haben Sie hier den Staatsmann dargestellt. Heute hat es offensichtlich zu nicht mehr gereicht als zu dem kleinkarierten Redner, der die nationalen Dimensionen aus dem Papierkorb recycelt. ({0}) Zwischen diesen beiden Rollen liegt eine erhebliche Diskrepanz. ({1}) Ich glaube, dass wir nicht so weiterdiskutieren können wie vor dem 11. September. ({2}) Ich möchte Ihnen an dieser Stelle ein Zitat des Schriftstellers Durs Grünbein vortragen. Er hat geschrieben, dass die „Druckwelle“ nach den Terroranschlägen „so stark“ war, dass sie jeden einzelnen Körper in Europa getroffen hat. Zum ersten Mal hat ein Drehbuch die wichtigen Schauplätze der Welt kurzgeschlossen. Es ist der Moment der Sichtbarwerdung einer globalen Regie. Diese globale Regie der Terroristen hat zur Überraschung vieler und sicher zur größten Überraschung der Terroristen selbst durch die Bildung einer bisher nie da gewesenen weltweiten Antiterrorkoalition zu einer globalen Antwort geführt. Das ist ein Riesenschritt nach vorne, hin zu einer zivileren Welt. In diese Richtung sollten wir in der Staatengemeinschaft weitergehen. Herr Westerwelle, da haben Ihre Ideen vom Rückzug des Staates aus der Gesellschaft und auch aus der Ökonomie, da haben Ihre Ideen vom „minimal state“ heutzutage überhaupt keine Konjunktur. Das sollten Sie mit auf den Weg nehmen. ({3}) Wir versuchen uns heute beim Haushalt 2002 darüber zu verständigen, welche Veränderungen dies sind, und vor allem, in welche Richtung und von welchen Grundsätzen her wir diese Veränderungen politisch begleiten wollen. Damit können wir heute nur beginnen, wir müssen aber beginnen. Veränderung bedeutet auch, sich selbst und sein Handeln im Lichte dieser Veränderung kritisch zu überprüfen und neu zu überdenken. Ein zentraler Fokus unserer Politik muss dabei das berechtigte Interesse der Bevölkerung sein, in einem Land zu leben, das die Sicherheit der Menschen gewährleisten kann. ({4}) Um die Sicherheitsvorkehrungen der neuen Lage anzupassen, haben wir erste Schritte unternommen, Herr Westerwelle. Vielleicht ist Ihnen dies entgangen. Die Verbreitung von Hass und Gewalt unter dem Deckmantel des Religionsprivilegs ist kein schutzwürdiges Gut. ({5}) Deshalb wird dieses Privileg fallen. Es ist ebenso richtig, dafür zu sorgen, dass die Polizei und auch die Nachrichtendienste ihren Aufgaben besser, effizienter nachkommen können und dass die Sicherheit auf den Flughäfen erhöht wird. Aber statt des von Ihnen, meine Damen und Herren Kollegen von der Opposition, lange hochgehaltenen Bank- und Steuergeheimnisses müssen wir effiziente Kontroll-, Überwachungs- und Beschlagnahmungsinstrumente für internationale und nationale Finanztransfers ermöglichen, um die finanziellen Lebensadern des Terrorismus auszutrocknen. ({6}) Dass damit auch sonstige illegale Finanztransfers auf den Schirm der Fahnder geholt werden können, ist von uns ausdrücklich gewünscht. Es gibt aber auch falsche Freunde der Freiheit: Wer wie der Herr Scholz von der CDU generell den Einsatz der Bundeswehr im Innern des Landes fordert, dem geht es nicht um Sicherheit, sondern derjenige will, dass diese Republik ein anderes Gesicht bekommt. Er will aus einer offenen eine autoritäre Gesellschaft machen. Wir, Herr Glos, wollen diese offene Gesellschaft und ihre Werte verteidigen. ({7}) Bei allen Maßnahmen zur Verbesserung der inneren Sicherheit werden wir Grünen - Herr Glos, das ist die Antwort auf Ihre Frage - die Messlatte des liberalen Rechtsstaats anlegen. Angesichts der wenigen Differenzen, Herr Innenminister, bin ich mir sicher, dass uns dieses Rechtsstaatsprinzip eint, und zwar nicht nur in seiner formalen, sondern auch in seiner materiellen Substanz. So jedenfalls kenne ich Sie aus alten Zeiten. ({8}) Der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Ludger Volmer, hat angesichts der Anschläge in New York und Washington und ihrer Folgen zu Recht davon gesprochen, dass wir an einer sicherheitspolitischen Stunde Null angekommen sind. Wir sind in diesem Lichte aufgefordert, die Strukturreform der Bundeswehr noch einmal genau unter die Lupe zu nehmen. Es lohnt sich, die Ergebnisse der Weizsäcker-Kommission noch einmal zu studieren. Die Bundeswehr steht - das wissen wir spätestens seit der gestrigen Rede von Putin im Bundestag - nicht mehr vor der Aufgabe, das Land gegen anstürmende Panzerdivisionen aus dem Osten zu verteidigen, die durch das FuldaGap brechen. Vielleicht muss die Strukturreform radikaler ausfallen und schneller umgesetzt werden. Eines aber darf und wird mit unserer Stimme nicht geschehen: Wir werden kein neues Geld in alte Strukturen stecken. ({9}) Ich vermute, dass es auch bei unseren Partnern, beispielsweise den USA bezüglich der Raketenabwehrkonzepte, ein Überdenken der überkommenen Sicherheitskonzepte geben wird, nachdem die schreckliche Verwundbarkeit unserer Gesellschaften so offen zutage getreten ist. Eine Lehre hieraus muss sein: Sicherheitspolitik kann nur multilaterale Politik sein. ({10}) Der Finanzminister hat - Herr Westerwelle, Sie haben es selbst gesagt - durch geringfügige Steuererhöhungen auf Zigaretten und Versicherungen 3 Milliarden DM mobilisiert. ({11}) Damit werden die Maßnahmen zur Verbesserung der inneren und äußeren Sicherheit finanziert. Gleichzeitig führen wir den Konsolidierungskurs fort. Für unsere Volkswirtschaft ist dies der richtige Kurs. Er ist für die Erweiterung der zukünftigen Gestaltungsräume und die Handlungsfähigkeit der Politik, gerade auch auf internationaler Ebene, von grundsätzlicher Bedeutung. Was nötig ist, wird finanziert, aber das wirtschaftliche und finanzpolitische Rückgrat unserer Reformpolitik wird dieser notwendigen Reaktion nicht geopfert. Das ist verantwortliche Politik unter außergewöhnlichen Umständen. ({12}) Herr Westerwelle, das ist der wohltuende Unterschied zu Ihnen: Sie polemisieren gegen eine vergleichsweise geringfügige Steuererhöhung, wohl wissend, dass Sie 1991 den Scheck für den Golfkrieg in Höhe von 17 Milliarden DM genau mit den gleichen Steuererhöhungen plus einer schlagartigen Erhöhung der Mineralölsteuer um 22 Pfennig finanziert haben. ({13}) Darüber hinaus hört man aus der Opposition, dass die nächsten Stufen der Steuerreform mit 45 Milliarden DM Belastung auf der Sollseite vorgezogen werden sollen. Das ist der Weg zurück in den Schuldenturm. Der ist mit uns nicht zu machen. ({14}) Ein sehr ernstes Problem bleibt aus unserer Sicht; das wissen wir. Das Problem wird durch eine große Unsicherheit darüber, wie sich die weltkonjunkturelle Lage unter dem Eindruck der Ereignisse in diesen Wochen entwickelt, noch ernster. Die Arbeitslosigkeit ist zu hoch. Für uns Grüne heißt das: Wir müssen etwas für die Reform des Arbeitsmarktes tun und wir werden etwas tun. Die grüne Fraktion hat schon vor der Sommerpause Eckpunkte verabschiedet - Herr Kollege Struck, ich glaube, jetzt geht es an unsere gemeinsame Adresse -, in denen aufgezeigt wird, dass wir mehr Brücken in den ersten Arbeitsmarkt bauen müssen. Es geht darum, Menschen weg von Transferleistungen in richtige Beschäftigungsverhältnisse zu bringen. Zugang zum ersten Arbeitsmarkt ist eine Frage der Gerechtigkeit. Es geht nicht nur um die Höhe und Ausstattung von Transferleistungen. ({15}) Deshalb begrüßen wir das Job-Aqtiv-Gesetz. Darüber hinaus wollen wir aber über ein Einstiegsgeld diskutieren, das heißt, dass Transferleistungsempfänger bis zu 50 Prozent des eigenen Verdienstes ohne Anrechnung behalten dürfen. Das wollen wir auch umsetzen. ({16}) Die Überwindung der Teilzeitmauer durch staatlichen Zuschuss zu den Lohnnebenkosten bei Geringverdienern ist eine weitere Idee, die wir ernsthaft prüfen wollen. Die Instrumente müssen breit angelegt sein, beworben und erklärt werden. Ich bin sicher, wenn wir das tun, können wir noch mehr Menschen - was wir alle wollen - in Arbeit bringen. ({17}) Wir haben bisher, Herr Westerwelle, noch viel zu oft - auch in Haushaltsberatungen und auch wenn dies ein nationaler Haushalt ist - mit der nationalen Brille auf der Nase, und zwar mit einem zu engen Blick aus den Zeiten relativ geschlossener Nationalwirtschaften und -gesellschaften, über Politik diskutiert. Diese Zeiten sind - darüber sind wir uns doch hoffentlich einig - vorbei. Sowenig uns heute die Sehnsucht nach ruhigeren und überschaubareren Zeiten hilft, die notwendigen sicherheitspolitischen Entscheidungen zu treffen, sowenig können wir uns in anderen Politikfeldern von dieser Sehnsucht leiten lassen. Der Blick nach innen, Abschottung, der Gang zurück oder der Gang alleine sind heute keine möglichen politischen Strategien mehr; schon gar nicht ein - wie auch immer aussehender - deutscher Sonderweg. Das gilt auch - Herr Kollege Westerwelle in diesem Punkt sind Sie irgendwie auf dem völlig falschen Dampfer - für die Einwanderungsdebatte. ({18}) Es ist richtig: Wir halten an unserem Vorhaben fest, auch wenn es jetzt Stimmen gibt - die kommen woanders her -, die aus der Unsicherheit der Bevölkerung wieder einmal politische Münze schlagen wollen. Wir werden es nicht zulassen, dass angesichts der Katastrophe aus parteipolitischen Gründen zu einer gesellschaftlichen VogelStrauß-Politik zurückgekehrt wird, nach dem Motto, Deutschland sei kein Einwanderungsland und solle auch keines werden. Eine solche Vorstellung gleicht einer Realitätsverweigerung, die in der Vergangenheit nicht zuletzt aufgrund des langjährigen Engagements der Grünen auf diesem Politikfeld überwunden werden konnte. ({19}) Wir werden uns in der Koalition über den vorliegenden Gesetzentwurf verständigen; da bin ich sicher. Wir müssen uns nur über eines im Klaren sein: Wir brauchen die Einwanderung. Wenn das aber so ist - das ist unser Ansatz -, dann darf es nicht sein, dass „der politische Preis für diejenigen, die wir brauchen“, von denjenigen bezahlt wird, „die uns brauchen“. Diese Aussage stammt vom Kollegen Hirsch und ihr ist nichts hinzuzufügen. ({20}) Nach den Ereignissen in New York und Washington ist es endgültig zu einem Imperativ der Politik geworden: Wir müssen unsere Vorstellungen von sozialer Sicherheit und gesellschaftlicher Gerechtigkeit unter den Bedingungen der Globalisierung neu buchstabieren. Der Entwicklungshilfeetat und alle jene Bereiche, die heute zu einer auswärtigen Politik gehören, sind in vieler Hinsicht noch nicht so ausgestattet, wie wir es uns wünschen. Deshalb werden sich beide Fraktionen in den Beratungen bemühen, schon im Haushalt 2002 die Etats aufzustocken und mehr zu tun. ({21}) Der Kampf gegen den globalen Terrorismus ist jenseits der notwendigen Repression zuallererst ein Ringen um politische Lösungen und damit um eine kooperative Weltordnung in allen relevanten politischen Bereichen. Das ist die bitter notwendige Voraussetzung für Frieden und Wohlstand auch bei uns zu Hause, hier in Europa. Wir alle wollen, dass sich solche Angriffe auf das Leben Tausender unschuldiger Menschen nicht wiederholen; nicht in den USA, nicht in Europa. Aber wer das erreichen will, der muss auch politisch dazu beitragen, dass Terror nirgendwo stattfindet: nicht in New York, nicht hier, aber auch nicht in Ruanda, in Sierra Leone, in Afghanistan oder in Israel. ({22}) Wir haben erlebt, wie das Primat der Politik auf ganz fürchterliche Weise wieder in das Bewusstsein der Menschen, auch in unser eigenes Bewusstsein, zurückgekehrt ist. Das muss eine Handlungsanleitung sein. Wir leben heute in der einen Welt, ob es uns gefällt oder nicht. In dieser einen Welt müssen wir zu einer Neubewertung der internationalen Interessenspolitik kommen. Hier haben früher die Dritte-Welt-, heute die Eine-Welt-Aktivisten wertvollste Pionierarbeit geleistet. Es wird hohe Zeit, dass wir die Erfahrungen nehmen und sie zur Lösung der strategischen Überlebensfragen für die ganze Welt einsetzen. ({23}) Hilfe für die ärmeren Länder beim Zugang zum und bei der Integration in den Weltmarkt, fairer Handel, klassische Projekthilfe, weitere Entschuldungsinitiativen, Hilfe zum technologischen Anschluss an die führenden Industrienationen oder beim Aufbau von Zivilgesellschaften in Krisengebieten: Das sind die dringenden Aufgaben von heute. ({24}) In diesem Kontext ist der Stabilitätspakt, aber auch das Handeln der NATO in Mazedonien, ein gelungenes Beispiel dafür, wie sich unsere Politik entwickelt. Der Stabilitätspakt ist maßgeblich von der Bundesregierung mit auf den Weg gebracht worden. Von hier aus müssen wir weitergehen; auf dem Balkan, aber nicht nur dort. ({25}) Durch Spekulation laufen die Finanzmärkte immer wieder Gefahr, das Funktionieren ganzer Volkswirtschaften zu untergraben, wie die Finanzkrisen in Mexiko, in Südostasien oder in Russland gezeigt haben. Das hat ganz unmittelbare Folgen auch für uns in Europa. Die Finanzmärkte müssen durch ein internationales Insolvenzrecht kontrollierbar werden. Die Frage der Entschuldung der ärmsten Länder muss weiter auf der Agenda bleiben. ({26}) Dabei sollten wir uns auch nicht scheuen, Lösungsansätze zu diskutieren, die im Moment dem realpolitischen Auge noch nicht reif genug erscheinen mögen. Dazu gehört auch die Tobin-Steuer, die ernsthaft erörtert werden muss. ({27}) - Meine Damen und Herren Kollegen von der PDS, ich empfehle Ihnen, unser Wahlprogramm durchzulesen. Da werden Sie das finden. Das ist überhaupt keine Überraschung. ({28}) Wenn wir die internationalen Finanzströme des Terrorismus trockenlegen wollen und müssen, können wir dann nicht auch Steuerschlupflöcher stopfen, durch die sich Teilnehmer und insbesondere Spekulanten der Weltwirtschaft ihrer Verantwortung entziehen? Ich glaube, diese Frage muss wirklich ernsthaft gestellt werden. Dies alles sind Schritte zu einer gerechteren Weltwirtschaftsordnung und zur Hilfe für Länder, die historisch einen hohen Preis gerade für unseren Wohlstand bezahlt haben und immer noch bezahlen. ({29}) Meine Damen und Herren, wir werden diese Woche den Haushalt weiter beraten, die einzelnen Politikfelder durchgehen und über die richtigen Konzepte streiten. Aber wir wissen auch: Mit der Entscheidung zu Mazedonien, aber viel mehr noch mit den weiteren Auseinandersetzungen um die Folgen des Anschlages vom 11. September kommen große Aufgaben auf Regierung und Parlament zu. Wir sollten diese Aufgaben im Geiste einer Politik angehen, wie ich sie zu skizzieren versucht habe. ({30}) An dieser Stelle möchte ich dem Außenminister für seine Bemühungen um einen Waffenstillstand in Nahost ausdrücklich danken. ({31}) Heute treffen sich Peres und Arafat, denen wir von hier aus ein erfolgreiches Gespräch wünschen. ({32}) Dies ist ein Beispiel dafür, wie aus grüner Sicht Grundlinien einer Politik aussehen müssen, die Deutschland im Zeitalter der Globalisierung und neuer Bedrohungen entwickeln kann und muss und nach außen vertreten sollte. Ich danke Ihnen. ({33})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile dem Kollegen Gregor Gysi, PDS-Fraktion, das Wort.

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Schlauch, Sie haben uns empfohlen, einmal Ihr Wahlprogramm zu lesen. Ich empfehle der grünen Fraktion, gelegentlich einmal wieder ihr eigenes Wahlprogramm zu lesen. Dann werden Sie feststellen, wie wenig davon in der Regierungspolitik umgesetzt ist. ({0}) - Unseres können Sie auch lesen; das trägt immer zur Läuterung und Bildung bei. ({1}) Man kann in diesem Jahr die Haushaltsdebatte nicht so führen wie früher; das liegt einfach an den Ereignissen vom 11. September. Mehr oder weniger wirkte sich das auf alle Reden des heutigen Tages aus, vielleicht bei Herrn Westerwelle etwas weniger als bei den anderen. Die Erschütterung bei unserer Bevölkerung und weltweit hat zum Ausdruck gebracht, dass Terror auf unserem Erdball in keiner Form akzeptiert werden kann. ({2}) Es war auch ganz wichtig, dass dieses Haus einmütig gegen den Terror Stellung genommen und auch einmütig Solidarität mit den Vereinigten Staaten von Amerika und dem amerikanischen Volk bekundet hat. ({3}) Die Ergreifung der Täter ist ein ganz wichtiger Umstand bei der Bekämpfung des Terrorismus. Niemand, der so etwas veranlasst oder unterstützt oder sich in sonstiger Form an einer solchen Tat beteiligt, darf damit durchkommen. Die Hintermänner sind - das muss man sich einmal klar machen - selbst reich und bringen junge Männer dazu, ihr eigenes Leben wegzuwerfen. Sie radikalisieren diese jungen Männer und machen sie extremistisch, wodurch Tausende Unschuldige zu Schaden kommen. Dazu kann ich nur sagen: Das darf ihnen nicht durchgehen; sie müssen wissen, dass die gerechte Strafe sie trifft. ({4}) Das setzt natürlich einen Nachweis, Ortung und Auslieferungsanträge und im Falle der Ablehnung auch Aktionen voraus, um die Täter zu ergreifen. Diesbezüglich sind wir auch bereit, über alle Varianten zu diskutieren. Nur sind Militärschläge oder Krieg mit Sicherheit die falsche Antwort. Nun gibt es doch viele Truppenvorbereitungen, die zumindest die Befürchtung groß werden lassen, dass es dazu kommen könnte. Militärschläge und Krieg aber bedeuten weitere unschuldige Opfer, eine Spirale von Gewalt und Gegengewalt. Aus dieser Spirale müssen wir uns herausbewegen, wenn wir zivile Lösungen auch und gerade im Kampf gegen Terrorismus finden wollen. ({5}) „Uneingeschränkte Solidarität“ klingt gut. Aber wenn sich das Wort „uneingeschränkt“ eben auch auf Militärfragen bezieht, Herr Bundeskanzler, dann macht es uns Sorgen; das will ich hier zumindest deutlich formulieren. Ich wiederhole: Krieg und Militärschläge können nicht die Antwort sein. Übrigens wäre es gut, wenn die USA ihre eigene Haltung zum Internationalen Gerichtshof einmal überdächten, denn ein solcher Gerichtshof wäre auch für die Verurteilung solcher Täter geeignet und zuständig. ({6}) Dasselbe gilt für die Weigerung der USA, die Antiterrorkonvention der UNO zu unterschreiben, wozu es meines Erachtens höchste Zeit ist. Richtig ist allerdings - hier entwickelt sich einiges -, dass man eine internationale Koalition gegen den Terrorismus braucht. Aber das heißt auch, dass wir die bedeutende Rede, die Präsident Putin gestern hier gehalten hat, ernst nehmen müssen. ({7}) Es war eben ein falscher Weg, eine unilaterale Welt zu installieren, in der nur noch eine Weltmacht das Sagen hat. Putin hat es gestern ganz deutlich gesagt: Wir sind bei allen wichtigen Entscheidungen nicht gefragt worden und hinterher sollten wir zustimmen. Eine Antwort muss mehr Demokratie in den internationalen Beziehungen sein, muss auch die Stärkung der UNO und der OSZE und nicht deren Schwächung sein. Deshalb war es eben falsch, die UNO zum Beispiel beim Jugoslawienkrieg und auch bei den Entscheidungen hinsichtlich Mazedoniens auszuschalten. Wir müssen diese internationalen Organisationen wieder stärken, die Arroganz muss aus der Außenpolitik heraus. Wir müssen mit den Staaten zusammenarbeiten. Das gilt für alle westlichen Länder. ({8}) Wir brauchen - das ist hier mehrfach erwähnt worden wirklich eine gerechtere Weltwirtschaftsordnung. Die Welt rückt zusammen, aber es gibt zwischen den Gesellschaften Entwicklungsunterschiede von 300 bis 500 Jahren. Das verträgt diese Erde nicht, das verträgt diese Menschheit nicht. Deshalb müssen wir völlig neu über Entwicklungshilfe nachdenken und sie im Vergleich zu früheren Jahren auch strukturell verändern. ({9}) Frieden muss attraktiv sein. Wir stehen vor der traurigen Tatsache, dass es Menschen gibt, für die Frieden nicht attraktiv ist. Das entzieht sich fast unserer Fantasie. Deshalb sage ich, weltweite soziale Wohlfahrt ist ganz wichtig. Menschen müssen auch etwas zu verlieren haben. Wenn sie nicht einmal an ihrem eigenen Leben hängen, funktioniert keine unserer Sicherheitslogiken. Darauf müssen wir uns einstellen, damit müssen wir uns auseinander setzen und hier zu anderen Lösungen kommen. ({10}) Ich stimme Ihnen völlig zu, Herr Bundeskanzler, wenn Sie sagen, gegen die internationalen Finanzströme des Terrorismus müsse vorgegangen werden. Es ist heute so absurd, dass jemand, der eine so schreckliche Tat plant, auch noch vorher weiß, wie sich die Aktienkurse entwickeln werden, und damit ein Riesenkapital machen kann. Das muss man sich einmal ernsthaft überlegen. Nur erinnere ich auch daran, dass meine Fraktion und ich hier seit zehn Jahren gefordert haben, dass wir diese internationale Finanzspekulation regulieren müssen. Alle Neoliberalen behaupteten immer, es sei ganz wichtig, dass man sie nicht reguliert. Ich glaube, das hat sich jetzt als in jeder Hinsicht falsch erwiesen. ({11}) Im Übrigen erklärte auch die deutsche Bundesregierung, als die UN untersagte, dass Finanzströme an die UCK gehen, dass sie nicht in der Lage sei, sie zu kontrollieren. Es ist vielleicht doch wichtig, solche Dinge zu kontrollieren. Innere Sicherheit ist ein wichtiges Thema. Es gibt Ängste, Befürchtungen und Sorgen der Menschen. Man muss jeden Vorschlag sehr genau prüfen. Das werden auch wir machen und dabei gar nicht irgendwelche ideologischen Schemata zugrunde legen. Aber eines sage ich auch: Wenn jetzt, wie ich höre, vornehmlich auf Militär und Geheimdienste gesetzt wird, heißt das, nicht zu begreifen, was eigentlich geschehen ist. Die Vereinigten Staaten von Amerika haben die bestgerüstete Armee. Sie haben die finanziell, personell und materiell bestausgestatteten Geheimdienste der Welt. Das hat den Terroranschlag nicht verhindert; vielleicht haben sie ihn dadurch sogar eher auf sich gezogen. Müssen wir nicht aus einer bestimmten Art des Sicherheitsdenkens von heute herausfinden und neu darüber nachdenken, wie man auch zu einer persönlichen Sicherheit für die Bürgerinnen und Bürger kommt? Wer allein auf solche Maßnahmen setzt - das beweisen doch die USA, das beweist dieser entsetzliche Terrorakt -, kann sich dagegen nicht wirksam schützen. Wir brauchen andere Lösungsansätze und nicht alte Hüte, die übrigens zum Teil schon ausdiskutiert waren. Deshalb ist mir die Herangehensweise des Herrn Schill äußerst suspekt: ({12}) weil er ausschließlich auf Repression setzt und sich überhaupt keine Gedanken darüber macht, wie man die zugrunde liegende Motivation - übrigens auch die zu Kriminalität im Inneren - deutlich abbauen kann. Dabei geht es dann auch um ökonomische und soziale Fragen. Wenn Sie sagen, Herr Westerwelle, die SPD hätte wegen der Koalition mit der PDS kein Recht, Ihnen die geplante Koalition mit Schill vorzuwerfen, dann erwarte ich als Minimum von Ihnen als Liberalen, dass Sie sagen: Wenn wir das machen, dann haben wir auch nie wieder ein Recht, der SPD eine Koalition mit der PDS vorzuwerfen. Das wäre das Mindeste, was Sie dann hinzufügen müssten. ({13}) Die Vergleiche stimmen aber aus keiner Sicht, denn Sie können der PDS viel vorwerfen, aber ganz bestimmt nicht, dass wir uns in den letzten zehn oder elf Jahren in diesem Deutschen Bundestag nicht auch für Rechtsstaatlichkeit und diesbezüglich für Liberalität eingesetzt hätten. Noch ein Wort zur Logik: Die CDU hat die Wahlen in Hamburg verloren. Sie verhelfen dem Wahlverlierer - das bezeichnen Sie auch noch als Übersetzung von Wahlergebnissen - zur Regierungsmacht. Das heißt, für Regierungsmacht tun Sie wirklich fast alles. Das ist tatsächlich keine besonders liberale Vorstellung. ({14}) Eigentlich, Herr Bundeskanzler, wollte ich gern über ein paar andere Dinge reden. Sie haben heute in Ihrer Regierungserklärung die Arbeitslosigkeit überhaupt nicht erwähnt. Ich glaube schon, dass die Arbeitslosigkeit nach wie vor ein großes inneres Problem ist. Welches sind die Wege, dagegen anzugehen? Ich habe von Ihnen dazu nichts gehört, auch in den letzten Jahren nicht. Im Wahlkampf haben Sie 1998 gesagt, Sie wollten auf unter 3 Millionen Arbeitslose kommen, dann haben Sie gesagt, Sie wollten auf unter 3,5 Millionen kommen, und Sie haben erklärt, Sie wollten sich daran messen lassen. Das Einzige, was sich seitdem geändert hat, ist: Sie wollen sich daran nicht mehr messen lassen, ({15}) denn wir haben nach wie vor fast 4 Millionen Arbeitslose, und es sieht auch nicht nach Besserung aus. Vielleicht müsste man doch einmal über die Arbeitszeit nachdenken. Herr Struck hat es im Sommer getan und wurde gleich wieder zurückgepfiffen. Fakt ist, dass wir im letzten Jahr 1,85 Milliarden Überstunden hatten; rein rechnerisch entspricht das 1,13 Millionen Vollzeitarbeitsplätzen. Wir werden um die Diskussion von Arbeitszeit nicht herumkommen, auch nicht um die Diskussion einer Strukturreform bei den Lohnnebenkosten und auch nicht um die Diskussion von Kaufkraft, denn der Binnenmarkt ist zu schwach. Ich hätte gerne auch etwas zu Ihrer Steuerreform gesagt, die in Wirklichkeit Aktiengesellschaften befördert und kleine und mittelständische Unternehmen eher belastet hat. ({16}) Herr Bundesfinanzminister Eichel, Sie haben die Verkäufe von Unternehmen und Anteilen erleichtert, indem Sie sie steuerfrei gestellt haben. Sie sehen doch schon jetzt, was passiert: Überall dort, wo verkauft wird, geschieht das mit dem Ziel, das Unternehmen danach möglichst zu schließen, möglichst keine Sozialpläne aufzustellen und die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu entlassen - und dies alles auch noch kostenlos, weil Sie die Steuer dafür abgeschafft haben. Ich glaube, dass dies der falsche Weg war. ({17}) Gerne hätte ich mit Ihnen auch über die ökologische Steuerreform diskutiert, an der ja der Gedanke richtig ist, den Energieverbrauch sozusagen anders in Anspruch zu nehmen als in der Vergangenheit. ({18}) Nur, sozial hat sie nicht funktioniert, weil sie eben die wirklichen Verbraucher der Energie eher schützt; sie hat auch ökologisch keine Auswirkungen, ist ungerecht usw. ({19}) Sie haben völlig Recht, wenn Sie jetzt zur Erhöhung der Tabaksteuer und der Versicherungsteuer sagen, nichts anderes haben die damaligen Herrschaften beim Golfkrieg gemacht. Das ist wahr. Dieser Schritt wird aber nicht dadurch zu einer richtigen Antwort, dass Sie ihn jetzt tun. Das möchte ich ebenfalls deutlich sagen. ({20})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege Gysi, Ihre Redezeit ist überschritten.

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Bundestagspräsident! ({0}) Sie könnten sehr gut auch andere Wege gehen wie zum Beispiel den des Verzichts auf die Absenkung des Spitzensteuersatzes bei der Einkommensteuer. Man kann auch an die Vermögensteuer denken, an die Spekulationssteuer und vieles andere. Nein, es müssen die Tabaksteuer und die Versicherungsteuer sein. Die Versicherungsteuer trifft viele Verbraucherinnen und Verbraucher; ({1}) sie trifft außerdem viele kleine und mittelständische Unternehmen. ({2}) Bei der Tabaksteuer habe ich nur eine Bitte: Hören Sie dann bitte mit Ihrer Doppelmoral auf! Einerseits diskutiert die Gesundheitsministerin immer darüber, dass Raucher die Kosten ihrer Erkrankungen selber bezahlen sollen, und andererseits kassiert der Staat bei jeder Zigarette, die geraucht wird, gnadenlos mit. Diese Art von Doppelmoral können wir Ihnen dann auch nicht durchgehen lassen. ({3}) Ein letzter Satz. ({4}) Herr Bundeskanzler, Sie haben heute auch nicht über die innere Einheit gesprochen. ({5}) Wir sind weder wirtschaftlich noch sozial noch von der Chancengleichheit her an dem Punkt, an dem man sagen könnte: Wir kommen zur inneren Einheit. Legen Sie endlich einen Fahrplan vor, wie wir die innere Einheit in Deutschland gestalten wollen, einschließlich der Chancengleichheit, der Angleichung von Löhnen und Gehältern und damit einer ökonomischen und sozialen Einheit in Deutschland! ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile dem Kollegen Peter Struck von der SPD-Fraktion das Wort.

Dr. Peter Struck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002278, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zu den Oppositionsrednern Stellung nehmen. Zunächst zu Ihnen, Herr Kollege Westerwelle. Nach Ihrer Rede habe ich wirklich Herrn Gerhardt vermisst; er hätte wenigstens sachlich und vernünftig auf die Fragen geantwortet und nicht eine solche polemische Rede gehalten. ({0}) Ich will Ihnen etwas sagen, Herr Kollege Westerwelle: Wer sich hier wie Sie hinstellt - der Kollege Merz wird das wahrscheinlich ebenfalls noch tun - und sagt, 3 Milliarden DM für die innere Sicherheit seien zu wenig - das ist das Erste, was Sie sagen; dann sollten Sie bitte aber auch sagen, wie viel es denn gefälligst mehr sein sollten -, und zweitens erklärt, die Finanzierung dieser 3 Milliarden DM sei falsch, und von Umschichtung spricht, der sollte dann aber bitte auch konkret werden, lieber Herr Kollege. ({1}) Wo wollen Sie denn umschichten, wenn Sie 3 Milliarden DM aufbringen wollen? Dann sagen Sie uns doch bitte, ob Sie die Ausgaben für Bildung und Forschung kürzen wollen oder ob Sie den Verkehrshaushalt kürzen wollen oder in anderen Bereichen. Machen Sie nicht solche Sprüche; das bringt nämlich gar nichts. ({2}) Diese Sprüche erinnern mich an eines. ({3}) Ich habe im Vorfeld der Hamburger Bürgerschaftswahl vom FDP-Vorsitzenden den Satz gehört: Mithilfe der FDP wird Herr Schill nie Senator. Halten Sie sich an diesen Satz, Herr Westerwelle! ({4}) Erinnern Sie sich an die guten liberalen Traditionen. Ein Karl-Hermann Flach würde sich im Grabe umdrehen, wenn er das mitmachen müsste, was Sie in Hamburg vorhaben. ({5}) Sie sollten sich schämen, wenn Sie mit einem solchen Mann, einem Rechtspopulisten, in einen Senat, in eine Regierung gehen. Das hat das Land Hamburg nicht verdient! ({6}) Herr Kollege Glos, der aus dringenden terminlichen Gründen leider nicht mehr anwesend sein kann - ({7}) - Entschuldigung, ich nehme alles zurück. - Herr Kollege Glos, Sie haben die Greencard kritisiert. Ich darf Ihnen vortragen, dass - nach den Mitteilungen, die man mir gerade eben noch gegeben hat - laut Sachverständigen etwa ein Drittel der 9 500 Greencards in Deutschland von der bayerischen Wirtschaft beantragt worden ist. Vielleicht unterhalten Sie sich einmal mit Ihren bayerischen Kollegen, bevor Sie einen solchen Unsinn erzählen. ({8}) Ich verstehe, dass die Opposition in einer schwierigen Lage ist. Sie ist in einer äußerst schwierigen Lage. ({9}) Das Ansehen des Bundeskanzlers der Bundesrepublik Deutschland ist so hoch wie nie. Es ist zu Recht so hoch wie nie. ({10}) Ich will dem Herrn Bundeskanzler - aber auch der gesamten Bundesregierung - noch einmal versichern, dass er sich bei den Maßnahmen, über die wir in der letzten Woche diskutiert haben - dabei hatten wir erfreulicherweise keine Differenzen in diesem Hause -, der Unterstützung der SPD-Bundestagsfraktion, aber auch der Bundestagsfraktion des Bündnisses 90/Die Grünen, wie Herr Kollege Schlauch eben ausgeführt hat, sicher sein kann. ({11}) Es gefällt keinem Fraktionsvorsitzenden, wenn seine Fraktion nicht geschlossen abstimmt - Art. 38 des Grundgesetzes natürlich ausgenommen. Das gefällt niemandem. Es hat allerdings auch niemand hier Grund dazu - Sie von der CDU/CSU nicht und Sie von der FDP auch nicht -, uns vorzuwerfen, dass wir bei der Mazedonien-Abstimmung nicht alle an Deck gehabt haben. ({12}) Bei Ihnen haben 61 Abgeordnete nicht mitgemacht, Herr Merz, und bei Ihnen von der FDP ein Drittel. ({13}) Da greife ich gern ein Zitat des Kollegen Friedhelm Ost auf, der mir aus dem Herzen sprach, als er, was die CDUFührung bei der Mazedonien-Abstimmung angeht, Folgendes gesagt hat. Ich muss aus dem Kopf zitieren. Vielleicht kann sich Herr Friedhelm Ost ja melden. ({14}) Herr Kollege Ost, ich zitiere aus dem Kopf, Sie können es danach ja noch klarstellen: ({15}) Gegen die Verrenkungen der CDU-Führung in der Mazedonien-Frage wirken Zirkusartisten geradezu ungelenk. - So lautete das Zitat, und so war es auch richtig. ({16}) Die Opposition hat die Aufgabe, die Regierung zu kritisieren. Das tut sie. Sie hat aber auch die Aufgabe, Alternativen zu der Regierungspolitik aufzuzeigen. ({17}) Nun frage ich Sie nach den Alternativen. Wenn Sie sagen, die Steuererhöhungen seien falsch, dann sagen Sie uns hier bitte, wie Sie das Paket zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus anders finanzieren wollen. Machen Sie das bitte, Herr Merz, wenn Sie nach mir hier reden. ({18}) Sie kritisieren unsere Steuerpolitik und Sie schließen sich den Forderungen nach einem Vorziehen der Steuerreform auf das Jahr 2002, die von Verbänden - nicht von Unternehmen - kommen, an. ({19}) Diese Steuerreform vorzuziehen würde 40 bis 50 Milliarden DM kosten. Wenn Sie also sagen: „Zieht das vor“, dann sagen Sie den Menschen in unserem Land bitte, wie diese 40 bis 50 Milliarden DM aufgebracht werden sollen. ({20}) Wenn Sie den Vorschlag machen, diese Mittel über eine Neuverschuldung aufzubringen, dann kann ich Ihnen sagen: Das entspricht Ihrer Tradition. Diese Tradition ist aber falsch. Wir machen nicht mehr Schulden in unserem Land - nicht mit uns. ({21}) Seit 1998 ist die Arbeitslosenzahl um 466 000 gesunken und die Zahl der Beschäftigten von 37,6 Millionen auf 38,7 Millionen gestiegen. Das ist ein Erfolg unserer Beschäftigungspolitik und der Politik von Walter Riester. Das wollen wir hier einmal feststellen. ({22}) Wir haben 1999 ein Programm zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit bei Jugendlichen aufgelegt, das JUMPProgramm. Dieses Programm ist von Ihnen heftig kritisiert worden. ({23}) Herr Kollege Schäuble hatte sich zu einer Bemerkung hingerissen, die Gott sei Dank aus der Welt ist. Ich möchte Ihnen dazu sagen: Durch dieses JUMP-Programm haben seit 1999 mehr als 300 000 Jugendliche einen Arbeitsoder Ausbildungsplatz erhalten. Auf eine solche Bilanz sind wir stolz. ({24}) Wir haben das Erziehungsgeld erhöht. Wir haben das Wohngeld erhöht. Wir haben die Rechte der Mieter verstärkt. Wir haben das Kindergeld für das erste und zweite Kind um 80 DM erhöht, von 220 DM auf 300 DM ab 1. Januar 2002. Sie haben stattdessen ein Familiengeld vorgeschlagen, 1 200 DM pro Familie. Das würde 60 Milliarden DM kosten. Auf die Frage nach der Finanzierung haben sie ähnlich wie der Finanzexperte Westerwelle argumentiert. Ihnen nehme ich das übel, weil Sie etwas von Finanzen verstehen. ({25}) - Vielleicht jetzt auch nicht mehr. - Man kann doch nicht sagen - so war Ihre Argumentation -, bei einem Haushalt von 400 oder 500 Milliarden DM sei es kein Problem, 60 Milliarden DM aufzutreiben. Wie soll das denn gehen? Sagen Sie hier, wie Sie ein Familiengeld von 1 200 DM pro Familie finanzieren wollen. Sie können es nicht finanzieren. ({26}) Wir haben in diesem Hause heftig über die Rente gestritten. Auch bei diesem Gesetz haben Sie wie bei der Steuerreform am Anfang gesagt, das werde niemals durch den Bundesrat gehen. Das war Ihre zweite schmähliche Niederlage, dass es durch den Bundesrat gegangen ist. Ich will ja gar nicht auf die Vergangenheit verweisen ({27}) und in Ihren Wunden wühlen. Das liegt mir ja völlig fern. ({28}) Die Rente, die wir beschlossen haben, beinhaltet eine Förderung der privaten Altersvorsorge; so haben es die Beamten genannt, die die Gesetze formuliert haben. Andere haben bessere Begriffe dafür erfunden, die ich übernehme: Die Riester-Rente ist eine Förderrente und eine gute Rente, wie die Nachfrage nach dieser Rente zeigt. ({29}) Wir machen uns auch Sorgen um die Zahl der Arbeitslosen. Jeder weiß das. ({30}) Ich verweise aber auch darauf - das will ich Ihnen auch noch einmal sagen -: Die Lage in Deutschland ist besser als die Stimmung. Den Gesprächspartnern, die, wie ich Agenturmeldungen entnommen habe, gestern mit der CDU/CSU-Fraktion über die wirtschaftliche Situation geredet haben und die auch meine Gesprächspartner sind, nehme ich übel, dass sie im privaten Gespräch im Büro bestätigen, dass die Lage besser ist als die Stimmung, dann aber draußen in Pressekonferenzen mit Ihnen die Stimmung so darstellen, dass sie gar nicht schlechter sein könnte. Das gehört sich nicht. Das werde ich den Gesprächspartnern auch noch einmal persönlich sagen. ({31}) Wir werden in dieser Woche auch das so genannte JobAqtiv-Gesetz auf den Weg bringen. Ich bin auf Ihre Alternativvorschläge gespannt. Dieses Gesetz wird dazu führen, dass wir mehr Beschäftigung bekommen. ({32}) Es wird dazu führen, dass es klarere und konkretere Pläne für die Arbeitslosen gibt. Der Bundesarbeitsminister hat unsere volle Unterstützung dabei. Auch das wird dazu beitragen, dass die Entwicklung in den nächsten Monaten positiver verlaufen wird. Ich sage Ihnen, weil das Ihr Thema ist: Diese Koalition hat schwierige Aufgaben, jetzt eher im außenpolitischen Bereich, zu bewältigen: Aber Ihre Hoffnung ({33}) - dann ist es ja gut -, dass an dieser Frage die Koalition zerbrechen würde, will ich Ihnen gleich nehmen. Diese Koalition wird den Wählerauftrag bis zur nächsten Bundestagswahl im Jahre 2002 gut erfüllen. ({34})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Friedrich Merz, CDU/CSU-Fraktion. Friedrich Merz ({0}): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben gestern von dem Rednerpult aus, an dem ich jetzt stehe, eine beeindruckende und große Rede des russischen Staatspräsidenten gehört. ({1}) Er hat sich mit großem Nachdruck zu Demokratie und Marktwirtschaft in seinem eigenen Land bekannt. Er hat, wie es in der jüngeren Geschichte noch kein anderer Staatsführer dieses großen Landes vor ihm getan hat, deutlich gemacht, dass sein Land an der politischen Gestaltung und der politischen Ordnung unseres Kontinents teilnehmen will. Er hat uns auch gesagt, dass er einen Beitrag von Deutschland dazu erwartet. Betrachtet man all das, was uns in den vergangenen Tagen und Wochen beschäftigt hat und worüber wir diskutiert haben - die Entwicklung in Russland, die Konflikte auf dem Balkan und die unvorstellbar grausamen Terrorakte in New York und Washington, die wir an den Bildschirmen miterlebt haben -, dann wird in diesen Tagen, glaube ich, für uns alle eines deutlich: Selten ist in den letzten Jahren die große Verantwortung, die unserem Land europäisch und international zukommt, so deutlich geworden wie gerade in diesem Herbst 2001. Ich möchte deshalb zu Beginn der Aussprache über den Etat des Kanzlers klar und unmissverständlich sagen: Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion stellt sich auch in der Opposition dieser Verantwortung. ({2}) Auch wir wollen und müssen den Menschen in Deutschland verdeutlichen, dass unser Land nicht abseits stehen darf, wenn es darum geht, eine Politik des Ausgleichs, des friedlichen Miteinanders der Völker, aber auch der Menschen in Deutschland zu ermöglichen. Es geht um den Bauplan für das 21. Jahrhundert. Wenn Sie, Herr Bundeskanzler, in Ihrer Haltung, die Sie in zwei Regierungserklärungen und in vielen anderen öffentlichen Erklärungen zum Ausdruck gebracht haben, fest bleiben, zu dem stehen, was Sie zur Außen- und Sicherheitspolitik gesagt haben, und bereit sind, eine Neuformulierung der Politik umfassender Sicherheit jetzt auf den Weg zu bringen, dann werden Sie auch dafür unsere Unterstützung bekommen. ({3}) Ich will Ihnen allerdings in der gleichen Klarheit und Deutlichkeit sagen: Es geht nicht, dass die globalen Ereignisse, die uns beschäftigen, uns beschweren und weiterhin beschweren werden, als Alibi für Nichtstun in der Innenpolitik genutzt werden, sozusagen als Begründung für das Versagen Ihrer Regierung in der Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik herhalten müssen. Das geht nicht, Herr Bundeskanzler! ({4}) Sie haben hier eine sehr pathetische Rede gehalten, die wohl mehr an die Zuschauer als an die Innenpolitiker in Deutschland gerichtet war. Entscheidend ist, dass wir jetzt gerade in der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik in Deutschland das Notwendige und das Richtige tun. Da werden wir Sie nicht aus Ihrer Verantwortung entlassen! Nicht die Opposition, sondern Sie selber, Herr Bundeskanzler, waren es, der für die Schlagzeilen in den Zeitungen gesorgt hat, die Ihre Reise durch die neuen Bundesländer im Sommer begleitet haben: „Kanzler a. D.“, „Kanzler in der Klemme“, „Rückstand-Kanzler“, „Politik der ruhigen Kugel“, „Kraftlos in den Herbst“, „Sommer der Stagnation“, „Kanzler kassiert seine Versprechen ein“, „Slow-hand Schröder“, „Schröder und der rot-grüne Mehltau“, „Kanzler Zitterhand“, „Politik der schlaffen Hand“, „Rot-grüne Trümmerlandschaft“. ({5}) All das sind Überschriften in deutschen Tageszeitungen, lange bevor die Terroranschläge vom 11. September die Weltpolitik neu bestimmt haben. ({6}) Herr Bundeskanzler, jetzt ist auch in der Wirtschaftspolitik und in der Arbeitsmarktpolitik eine Grundentscheidung erforderlich. Wollen Sie ständig die Steuern erhöhen? Wollen Sie die Sozialversicherungsbeiträge weiter steigen lassen? Wollen Sie es zulassen, dass die Arbeitslosigkeit in Deutschland weiter steigt? Oder nehmen Sie jetzt Ihre letzte Chance zum Wechsel des Kurses in der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik in Deutschland wahr? Wenn Sie Ihren selbst gesetzten Ansprüchen gerecht werden wollen, dann müssen Sie das jetzt tun. ({7}) Damit jetzt keine Legenden über die Steuererhöhung entstehen: Sie werden ganz schön bescheiden. Wenn Sie sich schon nicht mehr zutrauen, 0,6 Prozent des Bundeshaushaltes für eine jetzt notwendige Politik neu auszurichten, dann wirft auch das ein bezeichnendes Licht. ({8}) Ich werde Ihnen gleich genau mitteilen, wo die strukturellen Probleme des von Ihnen seit drei Jahren verantworteten Haushalts liegen. Zunächst möchte ich etwas - ganz langsam, zum Mitrechnen - zu den Steuererhöhungen sagen. Sie haben uns hier eben wissen lassen, Sie rechneten damit - das ist Ihre Grundannahme -, dass sich der Konsum in Deutschland nicht verändert. Wir gehen also unverändert davon aus, dass in Deutschland 140 Milliarden Zigaretten pro Jahr geraucht werden. 140 Milliarden Zigaretten mal 2 Cent - diesen Wert hat der Finanzminister als Steuererhöhung angekündigt - ergibt 2,8 Milliarden Euro. 2,8 Milliarden Euro mal knapp zwei sind etwa 5,6 Milliarden DM. Dazu kommen 16 Prozent Mehrwertsteuer, was weitere 0,9 Milliarden DM bedeutet. Summa summarum macht das - bei dem von Ihnen unterstellten unveränderten Verbraucherverhalten - für die Verbraucher in der Bundesrepublik Deutschland eine Steuererhöhung von insgesamt „nur“ 6,5 Milliarden DM aus. ({9}) So sieht das aus, was Ihr Finanzminister vorschlägt. Dazu kommt die Versicherungsteuer. Ich muss Ihnen sagen: Ich finde es schon fast zynisch, dass Sie jetzt vor dem Hintergrund drastisch steigender Versicherungsprämien wegen der Anschläge in den USA die Chance nutzen - ich sage das sozusagen in Anführungsstrichen -, die Versicherungsteuer zu erhöhen. Ich wiederhole: Was Sie da machen, das ist schon fast zynisch. ({10}) Herr Bundeskanzler, es ist hin und wieder gut, sich nicht nur auf die aktuelle Haushaltsdebatte vorzubereiten, sondern auch das Protokoll der vergangenen nachzulesen. Ich habe Ihnen am 29. November des letzten Jahres in der zweiten und dritten Lesung des Bundeshaushaltes 2001 hier gesagt, dass Ihre Wachstumserwartungen für das Jahr 2001 völlig illusorisch sind. Daraufhin haben Sie gesagt - all das können Sie im Protokoll nachlesen -: Die Opposition beschimpft die Menschen in Deutschland und respektiert deren Leistungen nicht; wir werden im Jahre 2001 ein Wachstum von 2,75 Prozent haben. Dann haben Sie wörtlich gesagt: Nach allen uns bekannten Prognosen werden wir Ende des nächsten Jahres - also Ende 2001 eine Arbeitslosigkeit von 3,5 Millionen - vielleicht wird sie sogar etwas darunter liegen - erreichen können. Das haben Sie Ende November 2000 von dieser Stelle aus gesagt. Ich stelle knapp ein Jahr später fest: Sie haben keine Chance mehr, im Jahresdurchschnitt 3,5 Millionen zu erreichen. Zum Jahresende 2001 wird die Arbeitslosigkeit in Deutschland wieder bei über 4 Millionen liegen. Friedrich Merz Das ist die Wahrheit im Hinblick auf Ihre Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik. ({11}) Das hat natürlich auch etwas mit dem Wachstum in Deutschland zu tun. Kollege Struck, Sie haben Hamburg angesprochen. ({12}) Lassen Sie uns meinetwegen nicht über die Vergangenheit, sondern nur über die Gegenwart und über die Zukunft der handelnden politischen Akteure in den unterschiedlichen Regierungen reden. Wir erwarten für dieses Jahr - mühsam genug - ein Wirtschaftswachstum in Deutschland von real etwa 1 Prozent. Dieses Wirtschaftswachstum wird wesentlich von den süddeutschen Ländern, die von der Union regiert werden, getragen: Baden-Württemberg 2 Prozent, Bayern immerhin 1,2 Prozent, ({13}) Hessen 2,1 Prozent und selbst das Saarland, das sich in einer schwierigen strukturellen Phase befindet, erreicht ein wirtschaftliches Wachstum von 1,4 Prozent. Wenn Sie, Herr Bundeskanzler, die süddeutschen Länder nicht hätten, dann wären Sie, was das Wachstum in Deutschland angeht, ein noch armseligerer Tropf, als Sie es schon heute sind. ({14}) Zum Glück sieht es in ganz Deutschland nicht so aus wie in den Ländern, in denen Ihre Partei, die SPD, gemeinsam mit den Postkommunisten, also mit der PDS, regiert - wir reden nicht über die Vergangenheit, sondern nur über die Gegenwart und über die Zukunft -, nämlich in Mecklenburg-Vorpommern und in Sachsen-Anhalt: erstes Halbjahr 2001 Mecklenburg-Vorpommern minus 2,1 Prozent und Sachsen-Anhalt minus 1,8 Prozent. Diese beiden Länder stecken knietief in der Rezession. Das hat etwas mit sozialdemokratischer Wirtschaftspolitik in diesen Ländern zu tun. ({15}) Nun mögen Sie ja einwenden, das alles sei nur das Gerede der Opposition und ein Ritual, das dazugehört. ({16}) Nehmen wir doch die als Zeugen, die Sie, Herr Bundeskanzler, berufen haben, um das große Projekt Ihrer Regierung, nämlich das Bündnis für Arbeit, zu begleiten. Sie haben in dieses Bündnis für Arbeit eine so genannte Benchmarking-Gruppe berufen. Diese Gruppe besteht aus drei namhaften Professoren. Wenn ich es richtig sehe, steht keiner von ihnen im Verdacht, ein Sprachrohr der Oppositionsparteien im Deutschen Bundestag zu sein. Diese drei Professoren haben in Ihrem Auftrag ein Gutachten erstellt, das im Bündnis für Arbeit als Diskussionsgrundlage für die nächsten Wochen und Monate dienen soll. ({17}) Sie haben von diesen Gutachtern verlangt: Erstens. Eine ungeschminkte Analyse der Lage in Deutschland. Zweitens. Sie sollten vor unbequemen Wahrheiten nicht zurückschrecken. Drittens. Sie sollten zum Arbeitsmarkt und zur Beschäftigung in Deutschland - vor allem im internationalen Vergleich - Stellung nehmen. Diese Gutachter, Herr Bundeskanzler, haben in Ihrem Auftrag das getan, was Sie - nicht wir - von ihnen verlangt haben. Sie, Herr Bundeskanzler, haben sich auf Druck der Gewerkschaften geweigert, dieses vorgelegte Gutachten zum Gesprächsgegenstand im Bündnis für Arbeit zu machen. ({18}) Deswegen mussten die Gutachter es auf dem freien Markt publizieren. Sie kommen zu dem folgenden Ergebnis: Erstens. Unternehmen und Arbeitnehmer in Deutschland sind mit besonders hohen Steuern und Abgaben belastet. Das geht an Ihre Adresse, Herr Eichel, Thema Senkung der Steuern und der Sozialversicherungsbeiträge. ({19}) Zweitens. Vor allem kleine Firmen und der Mittelstand stellen aus Angst vor Arbeitsgerichtsverfahren kaum noch neue Mitarbeiter ein. Drittens. Die öffentlichen Investitionen in Deutschland gehen stärker zurück als in anderen Ländern. Viertens. Die Auflagen in Deutschland für Zeitarbeit und Arbeitnehmerüberlassung sind höher als in anderen Ländern. Die Gutachter ziehen das folgende Fazit: „In kaum einem anderen Land der Welt stehen Aufwand und Ertrag für den Arbeitsmarkt in einem so schlechten Verhältnis zueinander wie in Deutschland.“ Recht haben diese Gutachter, Herr Bundeskanzler. ({20}) Man kann es auch anders ausdrücken: Bund, Länder, Gemeinden und Sozialversicherungsträger in Deutschland geben rund 200 Milliarden DM nicht zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit, sondern für deren Bewirtschaftung aus. Andere Länder in Europa und außerhalb unseres Kontinents haben mit viel geringerem Aufwand einen viel höheren Ertrag auf dem Arbeitsmarkt erzielt. Das Grundproblem dieses Bundeshaushaltes ist - damit bin ich an dem Punkt, den ich bereits am Anfang nennen wollte -, dass Sie immer weniger für Investitionen ausgeben, dass Sie immer mehr für den konsumtiven Ausgabenteil zur Verfügung stellen und dass Sie statt einer wirklich kraftvollen angebotsorientierten Wirtschaftspolitik eine ständig steigende Subventionierung der Arbeitslosigkeit in Deutschland betreiben. Das so genannte Job-Aqtiv-Gesetz - Herr Bundeskanzler, ich weiß nicht, ob Sie dieses Gesetz gelesen haben; wenn nicht, sollten Sie es tun - setzt dem, was Sie in Friedrich Merz der Arbeitsmarktpolitik in Deutschland versuchen, die Krone auf. Es hat mit Jobs und mit „aktiv“ - ich habe nicht verstanden, warum Sie „aktiv“ mit „q“ schreiben - nichts zu tun. ({21}) - Dann ist es so. - Ich weiß nicht, was dieses Gesetz mit Jobs und Aktivitäten zu tun hat. Dieses Gesetz sieht vor, dass jetzt aus den Beiträgen an die Bundesanstalt für Arbeit und aus den Sozialversicherungsbeiträgen, die die Beschäftigten in Deutschland zahlen, in Zukunft Infrastrukturprogramme in den Kommunen finanziert werden. Ich frage Sie allen Ernstes, Herr Bundeskanzler: Warum sorgen Sie mit diesem Gesetz noch mehr dafür, dass der zweite und der dritte Arbeitsmarkt zulasten des ersten Arbeitsmarktes weiter subventioniert wird, obwohl Sie und Herr Schlauch sagen, dass wir etwas für den ersten Arbeitsmarkt tun müssen? Sie werden es mit dieser Politik nicht schaffen. ({22}) Deswegen stelle ich fest: Die gesamte Struktur dieses Bundeshaushaltes stimmt nicht mehr. ({23}) - Ich sage es Ihnen konkret: Sie wollen im nächsten Jahr bei 400 Milliarden DM Steuereinnahmen des Bundes mehr als 140 Milliarden DM allein für die Subventionierung der Rentenversicherung ausgeben. ({24}) Wenn Sie die Probleme in der Rentenversicherung nicht lösen und ihr stattdessen einen immer höheren Steueranteil des Bundes zur Verfügung stellen, dann dürfen Sie sich nicht darüber wundern, dass Ihnen im Haushalt überhaupt kein Spielraum mehr zur Verfügung steht; anscheinend noch nicht einmal für 3 Milliarden DM, die aktuell für die Sicherheit vorgesehen sind. ({25}) Ich möchte Ihnen nun etwas zu unseren Vorschlägen, die Steuerreform vorzuziehen, sagen: Natürlich löst dieser Vorschlag Diskussionen in den Ländern aus; übrigens auch in den Kommunen, die Sie überhaupt nicht mehr wahrnehmen. Die Kommunen sind in einer desaströsen finanzpolitischen Lage. ({26}) Das, was Sie, Herr Bundesfinanzminister, auf dem Gebiet der Gewerbesteuer unternommen haben, führt dazu, dass in den Kommunen die Einnahmen so dramatisch wegbrechen, dass die Mehrzahl der Kommunen in Deutschland noch nicht einmal ihre Pflichtaufgaben erfüllen kann. Aber das liegt außerhalb jeder Betrachtung dieser Bundesregierung. ({27}) Über die Steuerreform führen wir natürlich auch in den eigenen Reihen Diskussionen. Sie aber stehen vor der Situation, durch ein Wegbrechen des Wirtschaftswachstums und eine drastisch zunehmende Arbeitslosigkeit im nächsten Jahr noch mehr Geld in die Hand nehmen zu müssen. Deswegen wird Ihr Ziel, die Konsolidierung des Bundeshaushaltes aufrechtzuerhalten, nicht zu erreichen sein. Sie werden es sowieso nicht einhalten. Ich sage Ihnen, vor welcher Alternative Sie bei diesem Bundeshaushalt stehen: Entweder Sie machen die richtige Wirtschaftspolitik oder Sie setzen die falsche fort. Die richtige jetzt zu machen wäre die bessere Alternative. ({28}) - Ich habe Ihnen gesagt, dass wir bei unserem Vorschlag bleiben, die für die Jahre 2003 und 2005 beschlossene Steuerreform vorzuziehen, ({29}) sodass in den nächsten Jahren ein wirtschaftliches Wachstum erzielt wird, das diese Steuerreform - wenn auch mit einem gewissen Zeitverzug - finanziert. ({30}) Sie trauen den Menschen in Deutschland nichts mehr zu. Das ist das eigentliche Problem Ihrer Regierung. ({31}) Was wäre jetzt notwendig? Die Bundesregierung hätte jetzt Entscheidungen treffen müssen. Sie hätte gegen die Traditionsbataillone in den eigenen Reihen eine gute und richtige Wirtschaftspolitik durchsetzen müssen. Herr Bundeskanzler, Sie hätten angesichts der drohenden Rezession jetzt sagen müssen: Die Anschläge von New York und Washington waren nicht nur ein Angriff auf unsere Freiheit und auf unsere Sicherheit. Sie gefährden vielmehr auch die wirtschaftliche Entwicklung in Europa und in Deutschland. Deshalb - so hätten Sie fordern und auch durchsetzen müssen - werden jetzt alle Anstrengungen auf das wirtschaftliche Wachstum und auf den ersten Arbeitsmarkt konzentriert. Deshalb - so hätten Sie sagen müssen - hat jetzt jeder in Deutschland die Pflicht, das zu leisten, was er selber leisten kann. Herr Bundeskanzler, wir hätten uns ein klein wenig von der großartigen Dynamik und dem Selbstvertrauen, über das die amerikanische Nation bzw. dieses Volk in eiFriedrich Merz ner solch fürchterlich schwierigen Lage verfügt, auch für unser Land zunutze machen können. Die Menschen in Deutschland sind leistungsbereit. Sie sind in der Lage, in der wir uns befinden, bereit, etwas zu tun. ({32}) Herr Bundeskanzler, nicht die Opposition und auch nicht die Arbeitnehmer oder die Arbeitgeber in Deutschland sind das Problem. Diese Regierung, die den Menschen nichts zutraut, ist das Problem. Das ist die Wahrheit. ({33}) Wir haben eine Regierung, die den Menschen misstraut, die sie bürokratisch gängelt, die sie immer mehr reguliert und die ihnen ständig neue Betreuung und Bevormundung zumutet. ({34}) Wir bräuchten jetzt einen Blick nach vorn. Die rot-grüne Regierung und ihre schwankende Wirtschaftspolitik - das ist keine Mischung aus einer angebots- und nachfrageorientierten Politik - ist sich ihrer selbst nicht sicher. ({35}) Sie haben in Ihren eigenen Reihen die grundlegenden wirtschaftspolitischen Fragen bis zum heutigen Tage nicht geklärt. Sie sind mit Floskeln überdeckt worden. ({36}) Jetzt gibt es keine rechte oder linke Wirtschaftspolitik mehr, sondern nur noch gute oder schlechte. Meine Damen und Herren, Sie machen eine schlechte und eine linke Wirtschaftspolitik in diesem Land. Das ist die Wahrheit. ({37}) Das eigentliche Problem - darauf will ich zum Schluss noch einmal hinweisen - ist nicht die Bevölkerung, sind nicht die Menschen, die Sie hier sehr geschickt mit einzubeziehen und gegen die Opposition in Stellung zu bringen versuchen. Das Problem hat einen Namen. Der Name ist Gerhard Schröder. ({38}) Dieses Land hat eine bessere Regierung verdient, meine Damen und Herren! ({39})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich erteile nun dem Bundesfinanzminister Hans Eichel das Wort. Hans Eichel, Bundesminister der Finanzen ({0}): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Merz, wie können Sie von Strukturproblemen des Bundeshaushalts reden -, und das nach 16 Jahren Ihrer Regierungstätigkeit -, ({1}) die nur dazu geführt haben, dass der Block der Zinsen von ehedem 1 Prozent des Bruttoinlandprodukts in den 80erJahren auf 2 Prozent in diesem Jahrzehnt angewachsen ist? 40 Milliarden DM allein an Zinsen obendrauf, das ist die Bilanz Ihrer Regierungstätigkeit, und zwar Jahr für Jahr. ({2}) Wie können Sie von Strukturproblemen im Bundeshaushalt reden, da Sie es zu verantworten haben, dass in Ihrer Regierungszeit die Zukunftsaufgaben dieses Landes massiv vernachlässigt worden sind? Verfassungswidrig hohe Besteuerung der Familien, das hat Ihnen das Bundesverfassungsgericht für 16 Jahre Ihrer Politik ins Stammbuch geschrieben, ({3}) Unterfinanzierung des Bundeshaushalts in Bezug auf die Familien. Wie können Sie von Strukturproblemen des Bundeshaushalts reden, obwohl während Ihrer Regierungszeit in den 90er-Jahren die Ausgaben für Bildung und Forschung jedes Jahr zurückgefahren worden sind, die Zahl der BAföG-geförderten Studentinnen und Studenten - ja, Herr Merz, das wollen Sie jetzt nicht hören; das merke ich schon - von 650 000 auf 350 000 heruntergegangen ist? Das war unterlassene Zukunftsvorsorge in den Jahren Ihrer Regierungstätigkeit, meine Damen und Herren. ({4}) Das sind die strukturellen Probleme des Bundeshaushaltes, die wir vorgefunden haben. Und dann: kritisieren Sie doch nicht die Rentenfinanzierung im Bundeshaushalt. Sie doch nicht! Sie haben doch die Kosten der deutschen Einheit in die Sozialversicherungssysteme verlagert und damit die Lohnnebenkosten auf das historisch höchste Niveau getrieben. ({5}) Sie haben in den 90er-Jahren die Lohnnebenkosten von 34 auf über 42 Prozent hochgedrückt. Das hat es doch nie vorher gegeben. Wir sind die erste Regierung, bei der die Lohnnebenkosten nachhaltig sinken, das erste Mal überhaupt. ({6}) Wir haben ein Problem in der Gesundheitspolitik. Frau Kollegin Schmidt hat es weiß Gott nicht leicht. Sie haben bereits im ersten Jahr dieser neuen Regierung die Gesundheitsreform von Frau Kollegin Fischer im Bundesrat blockiert. Jetzt sehen Sie die Konsequenz daraus. Das ist die Lage, meine Damen und Herren. ({7}) Friedrich Merz Wir können an Ihren Taten messen, was Sie heute in Ihren Reden sagen; so lange ist Ihre Regierungszeit noch nicht her. ({8}) Wir reden jetzt über den Bundeshaushalt 2002, über den dritten Konsolidierungshaushalt in Folge. ({9}) Ich sage Ihnen eines: Hätten Sie, statt seit 1996 Jahr für Jahr verfassungswidrige Haushalte aufzustellen, damals mit der Konsolidierung begonnen, wären wir heute in Europa schon ein ganzes Stück weiter. ({10}) Das ist der einzige Ärger, den ich als deutscher Finanzminister habe, wenn ich meine europäischen Kolleginnen und Kollegen treffe. Das ist der dritte Konsolidierungshaushalt in Folge, ohne das im Einzelnen noch einmal durchbuchstabieren zu wollen. Es ist klar, dass Konsolidieren im jetzigen weltwirtschaftlichen Umfeld viel schwieriger wird, als es im vorigen Jahr gewesen ist. Ich warne Sie allerdings vor Schwarzmalerei. Wenn ich mir den Haushaltsvollzug dieses Jahres ansehe, dann stelle ich fest, dass die Steuereinnahmen bis einschließlich August - ich habe die Septemberzahlen noch nicht - sogar etwas günstiger sind, als nach der Steuerschätzung im Mai zu erwarten war. Das heißt, ich rate dazu, wie übrigens auch der Bundesverband der Deutschen Industrie, von Schwarzmalerei und Panikmache Abstand zu nehmen. Schwarzmalerei macht keinen Sinn. Richtig ist, dass wir den Haushalt nur auf dem jeweils neuesten Stand der Erkenntnis aufstellen dürfen. Rechtzeitig zur dritten Lesung im November wird die Steuerschätzung auf der Basis der dann aktualisierten Daten der Konjunkturprognose vorliegen. Gegebenenfalls werden wir daraus dann noch Konsequenzen zu ziehen haben; das ist keine Frage. Es ist klar, dass es ein hartes Geschäft ist, den Konsolidierungskurs jetzt durchzuhalten. Beim Einbringen des Haushaltes habe ich deutlich gemacht, wie hart das in diesem Herbst werden wird; auch das ist keine Frage. Ich bin davon überzeugt, dass wir es bei der jetzigen Haushaltssituation nicht schaffen, zusätzliches Geld für die innere Sicherheit durch Umschichtungen bereitzustellen. Die Vorstellungen der Opposition zeigen noch etwas ganz anderes. Von Ihnen gibt es nicht einen einzigen Vorschlag, wo im Haushalt noch etwas eingespart werden könnte. ({11}) Es gibt nur die Vorschläge, mehr auszugeben und die Steuern zu senken. ({12}) Dabei sind Sie nicht konsequent. Allein das, was Sie zur ersten Lesung auf den Tisch gelegt haben, würde zu einer zusätzlichen schuldenfinanzierten Aufblähung des Haushaltes im Umfang von 36,5 Milliarden DM führen. ({13}) Meine Damen und Herren, dann wären wir genau wieder da, wo Sie 1996, 1997 gewesen sind. Das Defizit im Bundeshaushalt würde sich auf annähernd 80 Milliarden DM belaufen. Das wäre ein verfassungswidriger Haushalt. Die Länderhaushalte würden im selben Augenblick verfassungswidrig werden. ({14}) Stellen Sie sich hier hin und erklären Sie, dass Ihr Antrag zum Haushalt bedeutet, dass Sie den Bundestag zunächst bitten müssten, gemäß Art. 115 GG festzustellen, dass das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht gestört sei. Das wäre der Eröffnungszug für Ihren Antrag zum Haushalt 2002. Dahin würde es uns führen. ({15}) Es geht noch lustig weiter. Sie begnügen sich ja nicht mit den 36,5 Milliarden DM; darin sind leider nur 2 Milliarden DM für die Bundeswehr enthalten. Herr Repnik hat gerade wieder 18,6 Milliarden DM auf der nach oben offenen Richterskala der Möglichkeiten zur Ausgabensteigerung im Laufe von vier Jahren gefordert. Das ist doch Ihre Position. Wenn ich mir das Steuerprogramm von Frau Merkel ansehe, stelle ich fest, dass dadurch ein Steuerausfall in Höhe von 175 Milliarden DM eintreten würde. Dazu kann ich - wie Herr Faltlhauser - allenfalls nur sagen: Ein Gag! Das ist keines weiteren Kommentars wert. ({16}) Hören Sie sich einmal an, was der jetzige sowie der vorige Bundesbankpräsident zum Vorziehen der Steuerreform sagen. Sie sagen, dass es Unsinn sei und es ökonomisch nichts bringe. Das weiß auch jeder. Schauen Sie sich einmal an, was Japan gemacht hat und wo es heute steht. So geht es doch nicht. Sowohl bei der Bundeswehr als auch bei den inneren Diensten und in vielen anderen Bereichen muss noch etwas getan werden. Das hat seinen Preis. Die Ehrlichkeit gebietet es, das zu sagen. Es ist wirklich unglaublich, was Sie an Geschichtsverdrängung betreiben. Während des Golfkrieges haben Sie vier Steuern erhöht. Herr Westerwelle, Sie waren dabei. ({17}) Sie haben den Solidaritätszuschlag eingeführt und die Mineralölsteuer um 25 Pfennig erhöht, was mehr als vier Stufen der Ökosteuer ausmacht. Wir geben das Geld wenigstens über Lohnnebenkosten zurück. ({18}) - Nein, für den Golfkrieg haben Sie das gemacht. ({19}) Sie haben auch die Versicherung- und die Tabaksteuer erhöht. All das haben Sie 1991 gemacht. ({20}) Sie regen sich auf, weil wir die 3 Milliarden DM über die Tabak- und die Versicherungsteuer solide finanzieren. Wissen Sie was? Wir sind froh, dass wir uns im internationalen Bereich einig sind. Durch Ihre großen Reden machen Sie dies aber in kleinkariertester Weise kaputt, wenn es um Realisierungen hier im Lande geht. Das ist die Wirklichkeit. ({21}) Eine Solidarität, die durch die notwendigen unpopulären Beschlüsse nicht im Lande unterfüttert wird, kann nicht sehr viel über Nennwert gehandelt werden. Das ist die Wirklichkeit, mit der wir uns bei Ihrer Politik beschäftigen müssen. ({22}) Wir werden das tun, was an dieser Stelle getan werden muss. Ich sage dies ausdrücklich noch einmal für die Bundeswehr, die ihren Teil bei der Terroristenbekämpfung leisten muss und dafür zusätzliche Mittel bekommen wird. Dies gilt auch für die Nachrichtendienste und den Katastrophenschutz sowie den Kampf gegen Geldwäsche. Ihr Verhalten im Zusammenhang mit dem Kampf gegen Geldwäsche finde ich spannend. Ich glaube, Sie haben kürzlich - das werde ich nachprüfen - in dieser Sache an einer anderen Stelle nicht zugestimmt. Das wird eine spannende Veranstaltung, wie Sie den Leuten klar machen wollen, dass immer dann, wenn es wirklich darauf ankommt, die Instrumente zu schärfen, plötzlich das Bürgerrecht auf das Bankgeheimnis allem anderen vorgeht. Das werden Sie den Leuten klar machen müssen. ({23}) Ich sage Ihnen eines: Hier geht es darum, den steuerehrlichen Bürger vor dem Betrüger zu schützen. Das ist es, was wir lernen müssen, meine Damen und Herren. ({24}) Hier lässt sich eine Menge machen. Da werden Sie ziemlich umdenken müssen, übrigens auch der Föderalismus in Deutschland; denn wir machen keine gute Figur, wenn wir die Financial Intelligence Unit nicht haben, weil die Bundesländer wegen ihrer Gesetzgebungskompetenz nicht bereit sind, uns diese einrichten zu lassen. Ich hoffe, dass das jetzt anders wird. Sie werden die Gelegenheit haben, uns zuzustimmen, wenn wir EDV-gestützte Recherchesysteme in den Banken vorschreiben, wie das im Vierten Finanzmarktförderungsgesetz vorgesehen ist, damit man sehr schnell untypische Vorgänge auf einzelnen Konten erkennen kann. Die Banken können so etwas heute nicht erkennen - das werfe ich ihnen nicht vor -, aber jene Banken, die solche Systeme schon haben, können aus den Vorgängen Schlüsse ziehen und tun dies auch. Wir werden in der Tat auch etwas dafür tun, dem Terrorismus weltweit den Nährboden zu entziehen. Wir brauchen Krisenvorbeugung überall dort, wo zurzeit solche Krisen entflammen könnten. Man bekommt eine Prämie, wenn man sich friedlich verhält. Dazu wollen wir unseren Beitrag leisten; auch dies ist in dem Paket enthalten. Das ist sicherlich eine ganz richtige Entwicklung. ({25}) Meine Damen und Herren, Sie müssen sich schon selbst fragen, ob all Ihre großen Reden über die notwendige internationale Solidarität und über die notwendige Schwerpunktsetzung bei der äußeren und inneren Sicherheit völlig ohne jeden eigenen Beitrag zu der Frage bleiben können, wie man das bezahlt. Sie müssen sich fragen, wie glaubwürdig eine solche Politik ist. Ich möchte mit aller Klarheit sagen: Ein erneutes Ausweichen in eine Schuldenpolitik - das schlagen Sie zuverlässig jedes Mal als Rezept vor - kommt für uns nicht infrage. ({26}) Unsere Politik ist erfolgreich - anders, als Sie es in manchen Punkten dargestellt haben. Wir hatten im Jahr 2000 das höchste Wirtschaftswachstum, das es seit 1992 je gegeben hat. Das war doch nicht mehr in Ihrer Regierungszeit, sondern in unserer. Wir haben in zwei Jahren mehr Arbeitsplätze hinzugewonnen, als in acht Jahren Ihrer Regierungstätigkeit seit der Wiedervereinigung verloren gegangen sind, meine Damen und Herren. Dass diese Entwicklung im Moment so nicht weitergeht, ist leider wahr; das will ich überhaupt nicht bestreiten. - Aber warum das so ist, weiß außer Ihnen auch jeder. Sie wissen es in Wahrheit auch, Sie benötigen für den innenpolitischen Hausgebrauch nur eine andere Sprachregelung. ({27}) Sie müssen einmal den IWF, die Europäische Zentralbank oder die Bundesbank fragen. Es gibt zwei Gründe für die momentane Situation: Einer ist natürlich der Ölpreis. ({28}) Außerdem ist der lang anhaltende Boom in den Vereinigten Staaten zu Ende. ({29}) Das sind die beiden Probleme, mit denen wir es zu tun haben und die wir angesichts der Terroranschläge nicht auch noch verschärfen dürfen, indem wir in Panikmache und Schwarzmalerei verfallen. ({30}) Meine Damen und Herren, jetzt ist in der Tat gefragt, konsequent die Politik der Konsolidierung des Haushalts, der langfristig, nachhaltig angelegten Finanzpolitik mit nachhaltig angelegten Steuersenkungen, mit den nächsten Schritten in 2003 und in 2005, umzusetzen. Attentismus erzeugt derjenige, der ständig Verunsicherung über die Rahmenbedingungen schafft. Wer langfristig sichere Rahmenbedingungen erzeugt, leistet das Beste, was er als Staat für die Bürger und für die Unternehmen tun kann. Deswegen, meine Damen und Herren, werden wir an unserer Kosolidierungspolitik nicht rütteln lassen. Natürlich geht das Ganze weiter. So etwas wie unsere Rentenreform mit der zusätzlichen privaten Eigenvorsorge, kapitalgedeckt und vom Staat unterstützt, haben Sie in Ihrer Zeit doch gar nicht zuwege gebracht. Wir haben die Rentenreform richtig zuwege gebracht; Walter Riester war es. ({31}) Meine Damen und Herren, anders, als Sie es dargestellt haben, geht es bei Job Aqtiv nur darum, dass das Geld so eingesetzt werden kann, dass es Mehrwert schafft. Das ist der ganze Sinn der Regelung, den Sie überhaupt nicht begriffen haben, als Sie sie zitiert haben, Herr Kollege Merz. ({32}) Hierbei geht es um das Zusammenführen von Arbeitslosen- und Sozialhilfe, wie Walter Riester das für den Anfang der nächsten Wahlperiode angekündigt hat. Wenn Sie sich anschauen, was wir allein in diesem Herbst bei der Strukturreform des deutschen Finanzmarktes zu tun haben - die Vorlagen bekommen Sie bald -, dann werden Sie erkennen, wie wir als Deutsche damit unseren Standort stärken und in den gemeinsamen europäischen Finanzmarkt offensiv hineingehen. Auch haben wir den Solidarpakt II abgeschlossen, den wir in diesem Sommer mit einer Perspektive bis 2020 vereinbart haben. Sie hätten sich das groß auf Ihre Fahnen geschrieben, wenn Sie dies zustande gebracht hätten. Ein anderes Beispiel ist die Reform der Finanzverwaltung. Die Reform der Bundeswehr ist eine Riesenaufgabe, die der Kollege Scharping zu schultern hat. Sie haben mit diesem Etat gewirtschaftet, als ob Sie nie mit der Bundeswehr darüber geredet hätten, wie man mit Geld effizient umgeht. So kann man das nicht machen. ({33}) Der Kampf um mehr Reformen in diesem Lande geht weiter. Aber er geht verlässlich auch im internationalen Rahmen weiter; denn nur derjenige, der seine Politik in den europäischen Zusammenhang und in den Weltzusammenhang einordnet, wird eine Chance haben. Genau das tun wir. Wenn Ihre Reden im Rat der Finanzminister der Europäischen Union gehört würden, dann würden Sie - das sage ich Ihnen - nur Kopfschütteln ernten. Selbst bei Ihren konservativen Kollegen - ich greife als willkürliches Beispiel den Kollegen Rato aus Spanien heraus wäre die Reaktion auf Ihre Vorschläge nur Kopfschütteln. Wer so wie Sie alles in Grund und Boden redet, was im Zusammenhang mit dem europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt steht, der wird auf europäischer Ebene so lange nicht ernst genommen, wie er diese Politik auch nur vorschlägt. Das ist die Wirklichkeit. ({34}) Am vergangenen Wochenende haben die Staats- und Regierungschefs sowie die Finanzminister zusammengesessen. Genau das, was Sie wollen, tun wir: Wir koordinieren unsere Politik in Europa. Weil wir den Konsolidierungspfad konsequent einhalten, gibt es für die Europäische Zentralbank ihrerseits die Möglichkeit, die Zinsen zu senken. Ein Abweichen vom Konsolidierungspfad hätte unweigerlich zur Folge, dass die Geldpolitik nicht mehr ihren Beitrag für das Wirtschaftswachstum leisten könnte, weil die Stabilität nicht gewährleistet wäre. ({35}) Zu den G-7-Staaten: Gerade gestern haben wir alle in einer Telefonschaltkonferenz über diese Fragen geredet. Genau das, was ich hier vortrage, ist die Position aller Finanzminister der G-7-Staaten. Sie wollen keine hektischen Reaktionen, sondern sie wollen Ruhe und Vertrauen einkehren lassen. Im Moment sind die Probleme, die wir haben, nicht ökonomischer Natur; die politische Verunsicherung ist vielmehr das Problem. Ich sage ausdrücklich: Die besonnene Reaktion der Vereinigten Staaten ist ein wesentliches Element, um mehr Sicherheit und Vertrauen bei den Menschen zu gewährleisten und auf diese Weise eine Basis für eine bessere wirtschaftliche Entwicklung zu schaffen; denn niemand wird investieren, wenn er Angst hat. Der Bundeskanzler hat vorhin das Notwendige dazu gesagt. Deswegen ist die erste Voraussetzung für Stabilität, richtig auf den Terrorismus zu reagieren und ihn innen wie außen konsequent zu bekämpfen. Aber das muss man so machen, dass es zu einer großen Koalition der Staaten und der Menschen kommt, die sich gemeinsam gegen den Terrorismus wehren. Das ist die richtige Antwort im Inneren wie nach außen. ({36}) Auf dieser Basis müssen wir unseren Kurs halten. Die Haushaltskonsolidierung, die ein Thema aller Staaten, nicht nur der Europas, sondern der Industriestaaten ist, muss weiter vorangetrieben werden. Langfristig müssen wir eine nachhaltige Finanzpolitik betreiben und dafür sorgen, dass in unseren Haushalten die Zukunftsaufgaben wieder ein größeres Feld bekommen, als sie das zu Ihrer Zeit hatten. Das ist es, was in diesem Haushalt steckt. Das ist unter den gegenwärtigen Bedingungen nicht einfach, aber auch kein Grund, in Pessimismus zu verfallen. Vor allem ist es kein Grund, wieder in Schuldenmacherei zu verfallen, sondern ein Grund, diesen Kurs konsequent fortzusetzen, weil wir nur dann in Zukunft einen handlungsfähigeren Staat und eine junge Generation haben werden, die von mancherlei Druck, von Steuern und Abgaben, die Sie hinterlassen haben, befreit sind. ({37})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Zu einer Zwischenbemerkung nach Abschluss der Debatte erteile ich dem Kollegen Austermann das Wort. ({0})

Dietrich Austermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000066, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist bemerkenswert, dass der Finanzminister zum zweiten Mal in dieser Debatte das Wort ergreift. Offensichtlich ist Gefahr im Verzug. In den Schlagzeilen sind Begriffe wie „steuerpolitischer Blindflug“, „Eichel irrt“, „falsches Signal“, „Offenbarungseid“, „Bankrotterklärung“ usw. zu lesen. Man muss feststellen: Es ist gut, dass er heute hier ist. Daher ist anzunehmen, dass er nicht wieder heimlich die Steuern erhöht, während das Parlament debattiert. ({0}) Herr Bundesfinanzminister, ich möchte Ihnen eine konkrete Frage stellen: Trifft es zu, dass Sie im vertrauten Kreise darüber nachdenken, die Mehrwertsteuer zu erhöhen? ({1}) Sie haben vorhin angedeutet, man werde im Herbst Entscheidungen treffen, nachdem man festgestellt habe, ob die Erwartungen hinsichtlich der Steuereinnahmen erfüllt werden oder nicht. Gehört eine solche Maßnahmen zu den Optionen, die Sie haben? Nachdem Sie gerade erst die Steuern erhöht haben, und zwar wesentlich deutlicher als Sie versprochen haben, und nicht durch Umschichten Mittel erwirtschaftet haben, liegt der Verdacht nahe, dass eine solche Erhöhung tatsächlich vorgenommen werden soll. Herr Finanzminister, Sie haben gesagt, Sie hätten den Pfad der Konsolidierung nicht verlassen. Ich möchte Ihnen vorhalten, dass 2002 bei deutlich niedrigeren Zinsen als 1998 die Zinsausgaben bis 2005 um 10 Milliarden DM steigen werden. Ich möchte Ihnen vorhalten, dass die Gesamtverschuldung nicht abnimmt, sondern gegenüber dem Jahre 2002 von 715 Milliarden Euro auf 748 Milliarden Euro, plus Sonderrechnungen, steigt. Das ergibt sich aus Ihrem Finanzplan. ({2}) Sie sind also weit von einem Konsolidierungskurs entfernt, Sie befinden sich eher auf einer schiefen Ebene, und diese Situation war schon eingetreten, bevor die brutalen Terroranschläge verübt wurden. ({3}) Ich glaube, Herr Finanzminister, Sie sind der Letzte, der die Situation der Bundeswehr beklagen kann. Betrachtet man, dass Sie im nächsten Jahr trotz der zusätzlichen Leistungen weniger Geld für die Bundeswehr zur Verfügung stellen als 1998 und dass außerdem im Jahre 1998 das Wachstum mit fast drei Prozent - im Gegensatz zu heute - ein wirkliches Wachstum war, dann ist ziemlich klar, dass Ihre Politik verfehlt ist. Das Problem ist, dass Sie der Letzte sind, der merkt, was Not tut. Sie sagen, Ihre Politik sei Kurshalten. Ich nenne sie Borniertheit, denn sie ist nicht geeignet, wirtschaftliches Wachstum und mehr Beschäftigung zu erreichen. Im Jahre 1998 hatten wir eine Zunahme der Beschäftigung und auch in anderen Bereichen waren die Daten positiv. Lassen Sie mich zusammenfassen: Nach Ihrer Lesart würde es heißen: Es geht in Deutschland aufwärts. Ja, die Inflationsrate steigt, die Steuerbelastung steigt, die Arbeitslosenzahl steigt, die Verschuldung steigt, die Kassenbeiträge steigen. Es geht so aufwärts, wie Herr Eichel das möchte. Wir brauchen aber eine andere Politik mit einem anderen Programm, das mehr Wachstum und Beschäftigung bringt. Das ist mit Ihnen nicht zu machen. Deswegen sage ich: Überlegen Sie, ob es nicht jetzt Not tut, umzusteuern. ({4})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich erteile Herrn Finanzminister Eichel das Wort zu einer Antwort.

Hans Eichel (Minister:in)

Politiker ID: 11003522

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das war offensichtlich die Rede, für die Herr Austermann von seiner Fraktion keine Redezeit bekommen hat. ({0}) Ich weise nur auf eines hin - es lohnt wirklich nicht, mehr dazu zu sagen, Herr Austermann -: Sie haben völlig Recht, dass die Verschuldung noch ansteigt. Das ist richtig; das habe ich auch immer gesagt. Wir haben erst im Jahre 2006 einen ausgeglichenen Haushalt. Der Unterschied zu der früheren Regierung von CDU/CSU und FDP ist der, dass die Kurve der Neuverschuldung nicht mehr aufwärts, sondern abwärts geht. Das ist der zentrale Unterschied. ({1}) Diese Situation wollen Sie ändern; denn würde dem Antrag, den Sie gestellt haben, gefolgt, bedeutete das, dass wir einen ausgeglichenen Haushalt für das Jahr 2006 glatt vergessen könnten. Darüber hinaus würden Sie bis zu diesem Zeitpunkt zusätzliche Schulden von mindestens 100 Milliarden DM machen. Mit anderen Worten: Mit Ihrer Politik kommen Sie nie zu einem ausgeglichenen Haushalt. ({2}) Das unterscheidet uns von Ihnen. ({3})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Weitere Wortmeldungen zum Geschäftsbereich des Bundeskanzleramtes liegen nicht vor. Wir kommen nun zu den Geschäftsbereichen des Auswärtigen Amtes, Einzelplan 05, des Bundesministeriums der Verteidigung, Einzelplan 14, und des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Einzelplan 23. Ich rufe außerdem den Tagesordnungspunkt 3 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuausrichtung der Bundeswehr ({0}) - Drucksache 14/6881 Überweisungsvorschlag: Verteidigungsausschuss ({1}) Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO Ich erteile Herrn Außenminister Joseph Fischer das Wort.

Joseph Fischer (Minister:in)

Politiker ID: 11000552

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die furchtbaren Verbrechen, der terroristische Angriff auf die Vereinigten Staaten von Amerika, auf die Bürgerinnen und Bürger der USA und auf die Regierung der USA, stellen eine Zäsur für die internationale Politik, aber auch - so haben wir alle und Millionen unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger, fern vom Ort des furchtbaren Geschehens an den Fernsehschirmen, es empfunden - einen tiefen Einschnitt in unseren Alltag dar. Ich möchte heute hier vor allen Dingen über die internationalen Konsequenzen und auch über die Konsequenzen für die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland sprechen. Denn wenn wir heute über den außenpolitischen Etat reden, dann können wir diese völlig neue Orientierung, die uns durch einen verbrecherischen Terrorismus aufgezwungen wurde, nicht ignorieren. Ich hatte die Gelegenheit, in den USA selbst Gespräche zu führen. Ich möchte dem Hohen Haus den Eindruck vermitteln, wie tief die Menschen in den USA, auch die Entscheidungsträger, durch diesen furchtbaren Terroranschlag getroffen sind und wie wichtig und notwendig die internationale - nicht nur politische, sondern auch emotionale - Solidarität mit den Opfern wie auch mit dem gesamten Land, das von diesem furchtbaren Schlag getroffen wurde, ist. ({0}) Meine Damen und Herren, Bündnisse sind nicht nur für Schönwetterzeiten gedacht. Wenn wir ehrlich sind, müssen wir zugeben: Keiner von uns, wirklich keiner hätte gedacht, dass die USA es sein würden, die als Erste Art. 5 des NATO-Vertrages in Anspruch nehmen. Wir alle sind in den vergangenen Jahrzehnten davon ausgegangen, dass es ein europäischer Staat, ja dass es mit hoher Wahrscheinlichkeit sogar die Bundesrepublik Deutschland sein würde. Nun wurden die USA auf furchtbare Art und Weise angegriffen. Das ist zugleich ein Angriff auf die offene Gesellschaft. Wenn zivile Flugzeuge, die alle von uns benutzen, durch einen todesverachtenden und mörderischen Terrorismus in Lenkwaffen umgewandelt werden, wenn diese in Kamikazeangriffen in Hochhäuser gejagt werden, um diese zum Einsturz zu bringen, dann ist dies ein Angriff auf die offene Gesellschaft, dann ist dies auch ein Angriff auf uns alle. Wir werden uns dieser Herausforderung stellen müssen. ({1}) Insofern geht es hier nicht nur um eine abstrakte Bündnissolidarität. Ich bin der festen Überzeugung: Über kurz oder lang werden auch wir direkt damit konfrontiert werden. Dieses Verbrechen wurde von den Tätern ganz offensichtlich zum Teil in Deutschland und anderen europäischen Staaten geplant. Dieser Terrorismus ist international. Auch für uns wird sich nicht nur die Frage stellen, wie wir uns gegen ihn sichern, sondern vor allen Dingen auch, was wir tun müssen, um uns dieser Herausforderung nicht nur zu stellen, sondern sie auch wirklich zu bestehen, indem wir diesem Terrorismus keine Chance zur Weiterentwicklung einräumen. ({2}) Das Recht auf Selbstverteidigung ist für mich eine Selbstverständlichkeit, wie es auch in dem Beschluss des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen heißt. Wir werden hier in Zukunft vor schwierigen Entscheidungen stehen. Die Resolution des Bundestages war - das habe ich auf meiner Reise in den USA persönlich erlebt - sehr hilfreich. Denn in der US-Öffentlichkeit wird jetzt natürlich sehr genau hingeschaut, wie die Bündnispartner sich tatsächlich verhalten. Wir werden schwierige Entscheidungen zu treffen haben. Dazu müssen Information und Konsultation bei den Planungen gegeben sein. Dann werden wir unsere eigene Entscheidungskompetenz über das, was wir für verantwortbar und notwendig halten, wahrzunehmen haben. Auch das hat die Entschließung des Bundestages klar gemacht. ({3}) Meine Damen und Herren, es wäre falsch, zu verschweigen, dass diese Entwicklung bei vielen Menschen große Sorgen und Ängste auslöst, und zwar quer zu den politischen Lagern. Das ist nicht eine Frage eines grünalternativen, pazifistischen oder linken Lagers. Bis weit hinein in die Wählerschaft der Union, ja in konservativste Kreise herrscht Angst vor dieser neuen Herausforderung - sagen wir es doch direkt: auch Kriegsangst -, Angst vor einer nicht kontrollierbaren Konfrontation. Auf diese Ängste müssen wir eingehen. Eine Demokratie lebt von der Zustimmung der Menschen. So wichtig die Solidarität der Verantwortlichen hier ist - die Bundesregierung und auch der Bundestag haben ihre Position zweifelsfrei klar gemacht -, genauso wichtig wird es sein, dass wir die Menschen mitnehmen und sie überzeugen. Wir haben die neue Herausforderung in der Tat entsprechend darzustellen und zu erklären. Wir müssen auf die Ängste dort reagieren, wo sie begründet sind, und sie aufzulösen versuchen, wo sie nicht begründet sind. ({4}) Ich möchte nochmals deutlich machen, worum es diesem Terrorismus geht. Haben wir denn eine Alternative, indem wir nicht, auch nicht mit militärischen Mitteln, auf ihn reagieren? Würde der Verzicht auf eine Reaktion diese Terroristen von ihrem nächsten Anschlag abhalten, wäre dies ja eine rationale Position. Ich behaupte aber: Wenn Sie sich mit den Erkenntnissen der Dienste und Sicherheitsbehörden sowie mit dem beschäftigen, was öffentlich vorliegt, dann kommen Sie nicht um die Feststellung herum, dass das Ziel dieser Terroristen schlicht und einfach darin besteht, durch diese Terroranschläge einen Krieg der Kulturen zu entfesseln, den islamisch-arabischen Raum umzustürzen und in Brand zu setzen sowie Israel zu zerstören. Duckten wir uns weg, führte dies nicht zu einem Ende des Terrors; vielmehr beflügelte eine solche Botschaft eher den Terror. ({5}) Die erforderlichen Reaktionen wünscht sich die Bundesregierung nicht; aber das ist die bittere Wahrheit, die wir den Menschen bei uns sagen müssen. Deswegen werden wir nicht umhinkommen, diese Herausforderung anzunehmen. Die offene Gesellschaft, die Demokratie, muss sich gegenüber dem menschenverachtenden Terrorismus durchsetzen; anderenfalls brauchen wir über eine Weltordnung, wie wir sie uns für das 21. Jahrhundert vorstellen, allen Ernstes nicht zu sprechen. Es ist offensichtlich, dass auf diesem Gebiet jetzt auch politische Gestaltungsaufgaben auf uns zukommen. Wenn man über Selbstkritik redet, dann vielleicht in folgender Weise - das meine ich gar nicht parteipolitisch -: Wir hätten eigentlich durch die Entwicklung auf dem Balkan und das Wiederentstehen des Nationalismus gewarnt sein müssen. Wir hätten nach dem Ende des Kalten Krieges im Laufe der 90er-Jahre begreifen müssen, dass eine ökonomische Globalisierung allein nicht zureichend ist, wenn die politischen Konflikte in der Welt zunehmen, wenn Ungerechtigkeiten nicht angegangen werden und wenn es keine multilaterale Anstrengung der Weltgemeinschaft - nicht einer oder zweier Mächte - gibt, ({6}) eine Ordnung zu schaffen, die auf Menschenrechte, Demokratie, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit gründet und die in den heißen Konflikten dieser Welt einen Interessenausgleich herbeizuführen versucht. Wenn wir das nicht aufnehmen, wird der Kampf gegen die terroristische Herausforderung nicht zu gewinnen sein. ({7}) Meine Damen und Herren, darauf kommt es ganz entscheidend an. Das bezeichne ich als die richtige Kritik an der Globalisierung. Es gibt aber auch eine falsche Kritik. Wenn die Ereignisse zu einer weiteren Abschottung führen, wenn die offene Weltwirtschaft und auch die offene Kommunikation im Endeffekt dazu führen, dass wir uns - vielleicht aus den Notwendigkeiten der inneren Sicherheit heraus - wieder abschotten, wenn sich Angstdenken breit macht, wenn wir uns zwar dagegen wehren, Menschen, die anders aussehen und aus einem anderen Kulturkreis kommen, als Feinde zu sehen, aber unter dem Druck des Terrorismus mehr und mehr so fühlen - das wird sein Ziel sein -, dann, so fürchte ich, werden wir in eine Entwicklung geraten, in der nicht mehr die Offenheit, der Dialog, auch nicht mehr die wirtschaftlichen und sozialen Möglichkeiten einer offenen Gesellschaft und auch einer offenen Weltwirtschaft überwiegen werden, und dann wird die Abschottung zu Ängsten, diese wiederum zu Ideologien und diese zu Konfrontationen führen. Das wäre der erste große Sieg der Terroristen. ({8}) Deswegen, meine Damen und Herren, müssen wir jetzt - die Kürze der Zeit lässt eine längere Ausführung nicht zu - die politischen Gestaltungsmöglichkeiten nutzen. Das bedeutet aber auch, dass wir im Rahmen der Antiterrorkoalition die Menschenrechte nicht vergessen dürfen. ({9}) Hier wird nun von mancher Regierung, deren demokratische Legitimation - ich formuliere das jetzt sehr zurückhaltend - nach unseren Maßstäben nicht gegeben ist, versucht, mit der politischen Opposition reinen Tisch zu machen. Aber auch hier besteht die Aufgabe und Notwendigkeit der Differenzierung. In diesem Zusammenhang betone ich erneut: Die Kritik an den Ereignissen in Tschetschenien, die wir formuliert haben, beinhaltet keine Kritik an der Legitimation - ich behaupte sogar: an der Pflicht - der Russischen Föderation, ihre territoriale Integrität zu erhalten. Russland hat nicht nur das Recht auf, sondern auch die Pflicht zur Selbstverteidigung gegenüber Terrorismus. Das habe ich nie infrage gestellt. Man muss aber sehr wohl die Frage stellen, ob dies Menschenrechtsverletzungen in dem Ausmaß legitimiert, wie sie etwa unabhängige Menschenrechtsorganisationen dargestellt haben. ({10}) Diese Kraft der Differenzierung dürfen wir nicht aufgeben. ({11}) Gäben wir sie auf, bedeutete das ebenfalls, dass der Terrorismus mit seiner Ideologie einen Sieg davongetragen hätte. ({12}) Die offene Gesellschaft muss sich jetzt erweisen. Das gilt auch für unser humanitäres Engagement. Wir haben die Afghanistan-Unterstützungsgruppe, der wir vorsitzen, für morgen erneut einberufen, denn wir sehen in diesem Land eine humanitäre Katastrophe. Allerdings existiert diese humanitäre Katastrophe, die sich jetzt verschärft, seit Jahren. Ich frage jetzt hier, ob wir bisher wirklich angemessen auf die Tatsache reagiert haben, dass seit 1992 in Algerien 100 000 Menschen ihr Leben verloren, oder ob unsere Reaktion nur dadurch bedingt war, dass die Massaker dort und nicht in Europa stattfanden. Ich hoffe, dass wir alle gemeinsam für die Zukunft daraus lernen, dass wir mit dieser terroristischen Herausforderung nur fertig werden, wenn wir eine neue Ära des Engagements für diese eine Welt einleiten. Anderenfalls werden wir meines Erachtens in unseren Bemühungen scheitern. ({13}) Lassen Sie mich deswegen noch ganz kurz, fast im Telegrammstil sagen, wie wichtig es sein wird, dass sich der Nahostkonflikt nicht weiter entwickeln kann und dass wir auf dem Balkan keine Eskalation zulassen. Hätten wir auf dem Balkan nicht eingegriffen, wäre die Lage der vertriebenen albanischen Muslime in Albanien, in Mazedonien und anderswo weit schlechter. Schauen Sie sich die Erfahrungen in Bosnien an und die Kontakte, die es damals zum islamistischen Radikalismus gab. Daran erkennen Sie, wie wichtig es war, dass Europa keinen Krieg der Religionen zugelassen hat, sondern dass sich das „christliche Europa“ für europäische Muslime, ihre Menschenrechte und elementaren Interessen eingesetzt hat. Angesichts dessen kann ich nur sagen: Der Balkan macht ebenfalls klar, dass wir uns verstärkt einmischen müssen, und zwar nicht, um eine Kriegspolitik zu betreiben. Lassen wir doch endlich diesen Quatsch von gestern! Wenn wir uns hier nicht mit allem, was wir haben, von der militärischen Seite bis zur humanitären, über Wirtschaft, Politik und Kultur, einmischen, dann kann das unabsehbare Folgen zeitigen. ({14}) - Nein, nein, das sage ich auch zu Ihnen. ({15}) - Es tut mir wirklich Leid. Wenn ich mich an manche Mazedoniendebatte erinnere ({16}) - wir werden in dieser Woche vermutlich noch einmal eine solche zu führen haben -, dann richtet sich mein Appell nicht nur an eine Seite des Hauses, verehrter Herr Kollege. ({17}) Ein letzter Satz: Ich bedaure es sehr, dass Europa hinsichtlich der politischen Integration noch nicht weiter vorangekommen ist. Gerade in dieser Krise mussten wir es wieder erleben. Wir dürfen aber nicht beim Bedauern stehen bleiben. Ich war immer der Meinung, dass wir in diesem Jahrzehnt die politische Union, das international handlungsfähige Europa brauchen, bedingt durch die Erweiterung der Europäischen Union, bedingt durch die ökonomischen Konsequenzen des Euro und bedingt durch internationale Krisen, die von außen auf uns einwirken. Ich ging allerdings nicht davon aus, dass es zu einer solchen Zäsur kommen würde. Umso wichtiger wird es sein, dass wir Europäer jetzt noch sehr viel schneller politisch erwachsen werden. Ich bedanke mich. ({18})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich erteile das Wort dem Kollegen Volker Rühe für die CDU/CSU-Fraktion.

Volker Rühe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001897, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Serie barbarischer Terrorangriffe in den USA stellt uns vor eine grundlegend neue Lage. Darin stimmen wir alle überein. Was bislang unter dem Stichwort „asymmetrische Bedrohung“ abstrakte Theorie war, ist in diesen Tagen grauenvolle Realität geworden. Bislang waren vor allem Kriege zwischen Staaten und bewaffnete Konflikte innerhalb eines Landes denkbar. Jetzt kommen nicht staatliche internationale Akteure mit unübersehbaren Zerstörungspotenzialen hinzu, und die Verwundbarkeit unserer hoch technisierten, äußerst mobilen, auch digital vernetzten Gesellschaften stellt uns vor völlig neue Herausforderungen. Was sich am 11. September in den Vereinigten Staaten von Amerika ereignet hat, kann sich morgen in einem anderen Land, in anderer Form - auch bei uns - wiederholen, und es sind - so schrecklich diese Vorstellung ist; ich will das nicht ausbuchstabieren, aber wir müssen es wissen - noch Steigerungen des Terrors denkbar. Deshalb liegt die Bekämpfung des internationalen Terrorismus in unser aller Interesse. Der Angriff vom 11. September war ein Angriff auf uns alle. Deshalb müssen wir uns auch gemeinsam wehren. Das hat der Verteidigungsminister am Wochenende zu Recht gesagt. Ich hoffe, dies ist die Einstellung der ganzen Regierung: ein Angriff auf uns alle - wir müssen uns auch gemeinsam wehren! Es geht eben nicht nur um die Solidarität unter Bündnispartnern, sondern die Beteiligung Deutschlands am Kampf gegen den internationalen Terrorismus ist ein überragendes Eigeninteresse unseres Landes. Das muss eine politische Führung im Gespräch mit der Bevölkerung deutlich machen, damit wir die Stärke aufbringen, die wir in dieser Situation brauchen. ({0}) Was letztlich zählt, Herr Bundesaußenminister - gerade auch langfristig im kollektiven Gedächtnis der Völker - ist das, was real geschieht. Wir können das ja an uns selbst feststellen. Manche erinnern sich noch daran, was Ende der 50er-Jahre die Unterstützung der Vereinigten Staaten von Amerika für das neue Deutschland an Chancen für uns alle bedeutete, und wir sehen, wie sehr das heute noch lebendig ist. Es gibt solche Situationen - und wir erleben jetzt eine solche Situation -, von denen man sich noch in Jahrzehnten daran erinnern wird, wie wir uns verhalten haben. Was letztlich zählt - gerade eben auch langfristig im kollektiven Gedächtnis der Völker -, ist das, was real geschieht. Deswegen ist es die Aufgabe der nächsten Tage und Wochen, die eindrucksvollen deutschen Solidaritätsbekundungen auch in konkretes Handeln umzusetzen. Jetzt ist es an den europäischen Demokratien und gerade auch an Deutschland, zu zeigen, ob sie so wehrhaft sind, wie sie zu sein glauben und wie sie immer sagen. Klar ist jedenfalls, dass sich das, was uns im Golfkrieg unter den damaligen Umständen, als wir als Bundesrepublik Deutschland in dieser Auseinandersetzung einen finanziellen Beitrag geleistet haben - dazu gab es keine Alternative -, den Vorwurf der Scheckbuchdiplomatie eingebracht hat, nicht wiederholen darf. Das wäre auch nicht vereinbar mit der erklärten Politik der Bundesregierung einer uneingeschränkten Solidarität mit den Vereinigten Staaten von Amerika. Das müssen wir alle wissen, und das ist angesichts mancher Diskussionen eine Warnung an die Regierung. Die Entwicklung der letzten beiden Wochen - das ist ebenfalls deutlich geworden, nicht zuletzt gestern in der Rede des Präsidenten Putin - gibt aber auch Anlass zur Zuversicht. Wir sehen, wie die Vereinigten Staaten auf die neue globale Bedrohung mit einer globalen Politik reagieren. Weltweit entsteht eine Koalition, die entschlossen ist, den Kampf gegen den Terrorismus aufzunehmen. Sie geht weit über die NATO hinaus und schließt Russland, China, Indien sowie die gemäßigten islamischen Länder ein. Die Denkmuster des Kalten Krieges haben ausgedient; das ist richtig. Der Kampf gegen den Terrorismus ist eine gemeinsame Aufgabe der gesamten zivilisierten Welt geworden. Der Bundeskanzler hat von der uneingeschränkten Solidarität mit den Amerikanern gesprochen. Allerdings darf sich unsere Solidarität nicht auf eine punktuelle Krisensolidarität beschränken. ({1}) Die großen Herausforderungen, vor denen wir heute stehen, machen uns Europäern mehr denn je deutlich, dass die Gemeinsamkeiten, die wir mit den Amerikanern haben, bei weitem wichtiger sind als die Differenzen. Auch dies ist ein Punkt, in dem die Koalition in der Vergangenheit gelegentlich gesündigt hat. ({2}) Was wir im Übrigen brauchen, ist eine transatlantische strategische Solidarität nicht nur in der Krise, sondern eine strategische Solidarität bei der Gestaltung und Sicherung unserer gemeinsamen Zukunft. Das ist die Politik, die wir von der Bundesregierung verlangen. ({3}) Was heißt das? Amerika wird als Antwort auf die globalen Gefahren des Terrorismus noch mehr als bisher Aufgaben außerhalb Europas wahrnehmen; es wird neue Prioritäten setzen, nicht zuletzt den Schutz des eigenen Territoriums, und die Amerikaner werden von uns Europäern zu Recht erwarten, dass wir sie in Europa entlasten und gemeinsam internationale Verantwortung übernehmen. Wer jetzt nicht bereit ist, dafür die notwendigen Fähigkeiten zur Verfügung zu stellen oder sie schnellstens zu schaffen, der verhält sich nicht nur unsolidarisch, sondern - was noch wichtiger ist - er schadet auch seinen eigenen Interessen. Viel zu lange haben wir Europäer uns in unseren eigenen Angelegenheiten auf die USA verlassen zu stark. Jetzt reicht es nicht mehr, nur von der Übernahme größerer Verantwortung zu reden, jetzt müssen wir dies auch durch unser Handeln beweisen. Das betrifft - Herr Bundesaußenminister, da bin ich ganz anderer Meinung als Sie - auch Mazedonien. Wir Europäer werden unserer Verantwortung für die Friedenssicherung in dieser Region nur dann gerecht, wenn wir sicherstellen, dass die durch die EU- und NATO-Vermittlung erreichten politischen Vereinbarungen dauerhaft verwirklicht werden. Die eher symbolische Waffenentgegennahmeaktion hat keine echte Verbesserung der Sicherheitslage in Mazedonien gebracht. ({4}) Das haben wir so auch vorausgesagt. ({5}) Die NATO wird heute ihren Auftrag als erfüllt erklären, ohne dass erkennbar ist, dass die politischen Vereinbarungen tatsächlich im mazedonischen Parlament angenommen sind. Sie selbst haben die Gefahr eines sicherheitspolitischen Vakuums und einer ethnischen Teilung eingeräumt und fordern eine militärische Absicherung der Implementierungsanstrengungen. ({6}) Um zu vermeiden, dass der Bürgerkrieg wieder aufflammt, müssen Sie jetzt kurzfristig nachbessern und eine neue Mission vorsehen, obwohl von Anfang an klar war, dass „Essential Harvest“ nicht zur notwenigen Stabilisierung und zur Vertrauensbildung in der Bevölkerung Mazedoniens beitragen wird. ({7}) Es ist genau das eingetreten, wovor wir gewarnt haben - ich zitiere aus meiner Rede von Ende August; lesen Sie die Protokolle nach -: Ein neuer Einsatz wird notwendig werden. Er wird härter und länger. Unsere Soldaten werden in größerer Zahl und längerfristig in Mazedonien gebunden sein. Wir haben Ihnen damals in der Debatte gesagt: Das wird eintreten. - Das war eine richtige Beschreibung der Situation. ({8}) Die neue Mazedonien-Mission muss deshalb wirksamer zur Friedenssicherung beitragen. Es zeigt sich im Übrigen auch - wenn das neue Engagement auf die Bundeswehr zukommt -, wie richtig es war, dass wir eine stärkere finanzielle Absicherung der Bundeswehr gefordert haben. Größere Verantwortung wahrzunehmen heißt, den europäischen Einigungsprozess konsequent voranzutreiben. Ich glaube, es ist vielleicht der wichtigste Beitrag Europas zur Stabilisierung der Weltpolitik, dass wir in diesem Bereich - europäische Einigungspolitik und Öffnung nach Osten energisch vorangehen. Zur Übernahme größerer Verantwortung und zur Aufgabenteilung mit Amerika muss auch gehören, dass wir zügig die europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik verwirklichen und die dafür notwendigen militärischen Fähigkeiten schaffen. Bei strategischem Transport, Aufklärung und Kommunikation sind wir sehr stark auf amerikanische Fähigkeiten angewiesen. Seit dem 11. September ist dies ein noch knapperes Gut. Wenn sich Europa diese Fähigkeiten nicht bald in ausreichendem Maße beschafft, wird es schon bald die unangenehme Erfahrung machen, dass diese Ausrüstung gerade anderswo im Einsatz ist, wenn es sie vielleicht selber braucht. Die drastische Unterfinanzierung der Bundeswehr verhindert schon heute, dass Deutschland alle seine Bündnisverpflichtungen erfüllen kann, ({9}) und macht alle Pläne über eine stärkere europäische Rolle zu bloßem Gerede. Es besteht die Gefahr - und das ist für Deutschland beschämend -, dass die mit dem EU-Gipfel in Köln eingeleitete europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik wegen unzureichender Beiträge ausgerechnet an Deutschland scheitern könnte. Der Generalinspekteur der Bundeswehr hat in den letzten Tagen erneut vor mangelnder Einsatzfähigkeit gewarnt. Ich glaube, in dieser Situation ist es international und national ein Skandal, dass hier nur einmal für ein Jahr eine beschränkte Summe zur Verfügung gestellt wird. Wir bleiben dabei: Die dramatische Unterfinanzierung der Bundeswehr muss beseitigt werden. Wir brauchen eine längerfristige Perspektive zur Überwindung der dringendsten Engpässe, damit Deutschland seiner außen- und sicherheitspolitischen Verantwortung gerecht werden kann. ({10}) Es kommt darauf an, nach diesen schrecklichen Attentaten neue Prioritäten für die innere und die äußere Sicherheit zu setzen und die finanziellen Ressourcen neu zu ordnen. Zur uneingeschränkten Solidarität gehört aus unserer Sicht eben auch, dass es jetzt endlich zu der notwendigen finanziellen Kehrtwende kommt. ({11}) Meine Damen und Herren, der amerikanische Präsident hat einen langen Feldzug aller, die an Fortschritt, Pluralismus, Toleranz und Freiheit glauben, angekündigt. Wir Deutschen wollen diesen schwierigen, aber unausweichlichen Weg mit unseren amerikanischen Freunden mitgehen: im Rahmen der NATO, aber auch im Rahmen der transatlantischen Partnerschaft der EU mit den USA. Wir wollen diesen Weg unter Inanspruchnahme aller zur Verfügung stehenden Mittel politisch, wirtschaftlich und militärisch mitgehen. Außenpolitisch müssen wir uns an der Bildung der weltweiten Koalition gegen den Terrorismus beteiligen und für ihren dauerhaften Zusammenhalt sorgen. Wenn wir die weltweite Gefahr von Terrorismus und Extremismus aber dauerhaft bändigen wollen - ich denke, darin sind wir uns einig -, müssen wir unsere sicherheitspolitischen Überlegungen durch ein umfassendes und langfristiges außen- und entwicklungspolitisches Konzept ergänzen. Manche haben sich in der Diskussion, die stattgefunden hat, vergaloppiert, als sie versuchten, direkte Gründe oder gar Entschuldigungen für den internationalen Terrorismus zu finden. Es ist gar keine Frage, dass es einen Nährboden für Terrorismus überall dort auf der Welt gibt, wo Armut, Perspektivlosigkeit und Frustration herrschen und es an Bildung mangelt. Das ist aber etwas anderes; denn es geht nicht darum, Entschuldigungen und direkte Motive zu finden, sondern es geht darum, zu überlegen, wo es einen Nährboden gibt, der den Terroristen die Chance bietet, junge Menschen zu finden, die im internationalen Terrorismus eine Lebensperspektive sehen und sich auf diese Weise für ihn einsetzen. Wir müssen deswegen versuchen, auch dieses in unsere Strategie einzubeziehen. Wir unterstützen das, was die Bundesregierung im Nahen und Mittleren Osten unternimmt. Aber wenn man die Bilder von dort sieht, fragt man sich, wie ein Friede zustande kommen soll, wenn wenige Kilometer von Israel entfernt junge Menschen zu Hass und zur Unversöhnlichkeit erzogen werden und ihnen als Vorbilder Selbstmordattentäter vorgehalten werden. Wir müssen mit aller Klarheit den Terrorismus mit all den politischen, ökonomischen und militärischen Möglichkeiten, die wir haben, bekämpfen, aber wir müssen auch alles tun, um den Nährboden auszutrocknen. Dazu gehört ein außen- und entwicklungspolitisches Konzept. Dazu gehört auch, dass wir mit aller Deutlichkeit klar machen: Wir tolerieren nicht, dass irgendwo eine junge Generation zu Hass und Intoleranz erzogen wird. Vielen Dank. ({12})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich erteile für die SPD-Fraktion das Wort der Kollegin Uta Zapf.

Uta Zapf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002582, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Rühe, ich bedauere, dass Sie erst im allerletzten Teil Ihrer Rede zu den wirklichen Problemen vorgedrungen sind, die wir zu lösen haben. Ich denke, wir sollten uns noch viel mehr über genau diese Aspekte unterhalten. Ist denn nach dem 11. September nichts mehr, wie es vorher war? Müssen wir in der Außen- und Sicherheitspolitik total umdenken? Nach dem ersten Schock, der sich jetzt langsam gelegt hat, gilt es, mit sehr großer Genauigkeit zu analysieren, wo neue Konzepte und Strategien entwickelt werden müssen. Viele Strukturen sind schon vorhanden, vieles ist angedacht worden. Es geht jetzt darum, wirklich konsequent die Strategie, die wir endlich als richtige erkannt haben, in Handeln umzusetzen. Dazu sind Entschlossenheit und Besonnenheit notwendig. Terrorangriffe kamen ja bisher in unseren sicherheitspolitischen Konzepten nur am Rande vor, obwohl der Terror in der Welt allgegenwärtig ist. Wir haben schmerzlich begreifen müssen, dass dies kein regionales Phänomen, sondern ein globales Problem ist. Lassen Sie mich aber ausdrücklich sagen, dass die Krise ausgelöst durch die Mörderangriffe auf New York und Washington, die mit Recht als Angriff gegen unsere Zivilisation, gegen unsere Demokratie, gegen Menschenrechte und Freiheit empfunden werden - von den USA und der internationalen Staatenwelt bisher hervorragend und mit Besonnenheit gemeistert worden ist. ({0}) Die Solidarität und das Mitgefühl, die den USA entgegengebracht wurden, haben bewusst gemacht, dass solche Krisen nur durch internationales Engagement und durch langfristig angelegtes multilaterales Handeln gelöst werden können. Die Bundesregierung, die EU, die NATO und die Vereinten Nationen haben sehr schnell die notwendigen Entscheidungen getroffen, um ihre Entschlossenheit bei der Bekämpfung des Terrorismus unmissverständlich klar zu machen. Dies war notwendig und unumgänglich. Aber es hat keinerlei übereilte und möglicherweise zu einer Eskalation beitragenden Reaktionen gegeben, wie mancher am Anfang befürchtet haben mag. Herausforderungen wie die Bekämpfung des internationalen Terrorismus sind nur durch internationale Kooperation zu bestehen. ({1}) Kofi Annan plädiert dafür, die UNO zu einem Forum für den Aufbau einer universellen Koalition gegen den Terrorismus zu machen, sodass den langfristig angelegten Reaktionen auf den Terrorismus globale Legitimität verliehen wird. Er fordert des Weiteren - ich denke, das müssen wir uns auch auf die Fahnen schreiben -, endlich die Konventionen zur Auslieferung und Verfolgung von Straftätern sowie zur Bekämpfung der Geldwäsche zu ratifizieren. ({2}) Er fordert, die Ursachen und den Nährboden des Terrors zu bekämpfen: Konflikte, Armut, Unwissenheit und Krankheit. Javier Solana plädiert für eine Verstärkung der Zusammenarbeit in allen Bereichen der Politik, der Wirtschaft und der Sicherheit. Das muss auch geschehen. Aber dies alles ist nicht neu. Darüber ist schon nachgedacht worden. Es gibt bereits erste Ansätze. Nur, es gibt Versäumnisse bei der Umsetzung. Daraus müssen wir die Lehren ziehen. ({3}) Die eigentliche Aufgabe, vor der auch wir stehen, beginnt jetzt. Die internationale, weltweite Koalition, die sich gegen den Terror gebildet hat, muss gemeinsame Strategien entwickeln, um dem Terror den Boden zu entziehen. Diese Koalition darf nicht auseinander brechen; denn sonst werden die unterschiedlichen Interessenlagen, die zweifelsohne vorhanden sind, eine stringente Konzeption verhindern. Es gilt die Chance zu nutzen, China und Russland in die Strategien zur Bekämpfung des Terrorismus einzubinden. Die Rede von Staatspräsident Putin hat dafür Ansätze geliefert. Das ist auch eine Chance für weltweite Stabilität. Es gilt, Indien und Pakistan, die Schlüsselpartner in der Region sind, in der man die Kernzelle des Terrorismus geortet hat, einzubeziehen. Bin Laden wird nur in der Kooperation mit Pakistan unschädlich zu machen sein, was für Pakistan ein hohes Risiko und für uns eine besondere Verantwortung bedeutet. Wir kämpfen nicht gegen Afghanistan, sondern gegen die Strukturen des Terrors. ({4}) Wir brauchen auch eine Strategie für Afghanistan, wenn die Konflikte dieser Region gelöst werden sollen. Darüber hinaus müssen wir den Dialog mit den islamischen Staaten suchen und intensivieren, auch mit jenen, die bisher als „Schurkenstaaten“ galten: Iran, Libyen und Syrien. Ich erinnere daran, dass der so genannte kritische Dialog, den die Bundesregierung mit dem Iran zu führen begonnen hat, sehr häufig unter Beschuss genommen worden ist. Das gilt auch für die Unterstützung des Dialoges mit Nordkorea. Der Nahostkonflikt ist bereits erwähnt worden. Er ist nicht der einzige Konflikt, der im Mittelmeerraum gelöst werden muss. Deshalb wird der Barcelona-Prozess in Zukunft von größerer Bedeutung sein. Ich möchte die FDP darauf hinweisen, dass ihre Idee einer Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit im Nahen Osten gar nicht neu ist. ({5}) Erstens ist der Barcelona-Prozess ein ausreichender Rahmen, um so etwas zu organisieren. Zweitens - Herr van Essen, vielleicht erinnern Sie sich daran; denn Sie waren schon damals Mitglied des Bundestages - hat die SPD bereits in den 90er-Jahren - das war damals meine Kollegin Katrin Fuchs - genau diese Idee vertreten. ({6}) - Ich stimme mit Ihnen überein, dass wir diese Idee verfolgen sollten. Ich habe lediglich angemerkt, dass sie nicht neu ist. Es ist alles schon einmal da gewesen. „Dialog statt Konfrontation“ wird künftig weltweit die außenpolitische Handlungsmaxime lauten müssen. Nur so wird es gelingen, regionale Stabilitätsstrukturen aufzubauen. Das internationale Netzwerk des Terrors und sein Nachschub werden nur so zerstört werden können; denn es wird nicht ausreichend sein, die Finanzströme zu stoppen. Ich möchte in diesem Zusammenhang an den Satz von Johannes Rau anlässlich der Demonstration am Brandenburger Tor erinnern: „Der beste Schutz gegen Terror, Gewalt und Krieg ist eine gerechte internationale Ordnung.“ ({7}) Das bedeutet eine zusätzliche Herausforderung für die Entwicklungspolitik und für die Weltwirtschaftspolitik im sozialen und im ökologischen Bereich. Wir wissen, dass militärische Mittel allein nicht tauglich sind, diese Krisen zu bewältigen. ({8}) Eine ganze Menge Strukturen existieren, die eine solche Politik unterstützen können. Die Bundesrepublik hat für das Zustandekommen entsprechender Konzepte ausschlaggebende Impulse gegeben. In den 90er-Jahren haben SPD und Grüne diese Konzepte entwickelt. Sie wurden damals verlacht. Heute hat die Bundesregierung bewiesen, dass Krisenprävention und Konfliktregelung in einem abgestimmten Konzept, umgesetzt in der Europäischen Union, ein ganz wichtiger Bestandteil zur Lösung bestehender und zukünftiger Konflikte sein können. Wir haben nicht nur einen Mister GASP mit einer Telefonnummer sowie einen Militärausschuss und einen Militärstab, sondern auch ein umfangreiches Konzept für den Bereich des zivilen Krisenmanagements. Kosovo und Mazedonien sind ein Beweis dafür, dass diese Konzepte, auch wenn es mühsam ist, durchaus wirksam sein können. Wir werden uns gerade in Mazedonien in stärkerem Maße auf diese Konzepte stützen müssen. Wir haben einen Ausschuss für zivile Aspekte des Krisenmanagements eingerichtet. Außerdem wurden weitere Vorkehrungen getroffen. Nicht nur innerhalb der EU, sondern auch innerhalb der OSZE und der UNO sind entsprechende Strukturen aufgebaut worden bzw. sind im Aufbau. Mir tut wirklich in der Seele Leid, dass in diesem Zusammenhang das Programm der Europäischen Union zur Verhütung gewaltsamer Konflikte, das auf dem Göteborger Gipfel beschlossen wurde und das auch ein Modellprojekt für internationale Politik darstellen könnte, überhaupt nicht wahrgenommen worden ist. Es ist wirklich ein Modellprojekt zur Bekämpfung von Konfliktursachen und es bietet Instrumente zur Konfliktüberwindung. Dieses Projekt ist ein wesentlicher Fortschritt und ein Verdienst der Europäischen Union, das in der internationalen Politik umgesetzt werden muss.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Frau Kollegin, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.

Uta Zapf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002582, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bin sofort fertig. Ich möchte nur noch einen Satz sagen. Es gibt noch eine ganze Reihe anderer Instrumente, die sich in der Vergangenheit ausdrücklich bewährt haben, zum Beispiel der ganze Komplex von Abrüstung und Rüstungskontrolle.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Das wird mehr als ein Satz.

Uta Zapf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002582, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wir sollten bewährte Instrumente, die Stabilität schaffen, Proliferation verhindern und Vertrauen bilden können, nicht auf den Misthaufen werfen, sondern dahin gehend überprüfen, wie sie gestärkt werden können, damit sie in dem neuen Kontext tatsächlich noch wirksamer als bisher werden. Vielen Dank. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich erteile das Wort dem Kollegen Ulrich Irmer, FDP-Fraktion.

Ulrich Irmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000996, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist richtig: Die schrecklichen Ereignisse vom 11. September haben auch die Koordinaten der Außenpolitik gründlich verschoben. Auch in diesem Fall gilt: In der Krise liegt eine Chance, nämlich die Chance für neue internationale Allianzen, für neue Koalitionen, für neue Kooperationen. Die eindrucksvolle Rede, die der Präsident der Russischen Föderation, Putin, gestern hier gehalten hat, war ein deutlicher Ausdruck dieser neuen Möglichkeiten. Leider - ich muss das hier loswerden - findet man gerade hierzulande auch neue Allianzen verantwortungsloser Schwätzer, Besserwisser und Moralapostel. ({0}) Wer den Artikel von Reinhard Mohr im „Tagesspiegel“ vor wenigen Tagen gelesen hat, der konnte entsprechende Kostproben zur Kenntnis nehmen. Ich will auf die unsäglichen Auswüchse, die es gegeben hat, nicht ausführlich eingehen. Die Berliner Kultursenatorin hat gesagt, die New Yorker Türme seien als phallische Symbole ohnehin immer schon verdächtig gewesen. Ich will auch nicht weiter auf den unsäglichen Karlheinz Stockhausen eingehen, der das, was da passiert ist, das größte Kunstwerk aller Zeiten genannt hat. Diese Äußerungen lassen nur auf den Geisteszustand dieser Leute schließen. Ich will an eine Aussage von Durs Grünbein erinnern, den Herr Schlauch heute Vormittag hier zustimmend erwähnt hat. Durs Grünbein hat nämlich davon gesprochen, dass nach der numerischen Logik von Großmächten aus den 5 000 Opfern von New York demnächst 50 000 Kriegstote auf der anderen Seite werden würden. Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen. Was geschieht denn hier? Hier werden Ursache und Wirkung völlig verwechselt. ({1}) Es ist ja richtig, dass man nach Erklärungen sucht. Aber man darf doch diese Erklärungen nicht heranziehen, um das, was da geschehen ist, zu entschuldigen. ({2}) Genau dies ist doch hier geschehen. Das Elend in der Welt ist sicher ein Nährboden für Terrorismus. Aber die Anschläge von New York und Washington waren nicht Notwehr gegen Elend, sondern grandiose Mammutkriminalität schlimmster Sorte. ({3}) An dieser Stelle kann man nicht sagen: Ich bekämpfe diesen Terrorismus, indem ich heilsbringend durch die Welt laufe und ein bisschen mehr Entwicklungshilfe betreibe. Hier ist zunächst einmal entschlossene Notwehr der zivilisierten Gesellschaften ringsum auf der Welt gefragt. ({4}) Wenn ich sage entschlossen, dann meine ich entschlossen auch mit gewaltsamen Mitteln. Wir haben dankenswerterweise in einer wohl nicht voraussehbaren Koalition in diesem Hause beschlossen, dass wir solidarisch mit den Vereinigten Staaten sind und dass wir gegen den Terrorismus vorgehen wollen und müssen notfalls auch mit militärischen Mitteln. Aber was wird geschehen? Wir haben es am letzten Wochenende schon erlebt: Auf den Kongressen der Grünen wurden Beschlüsse gefasst, die besagen: Das, was im Deutschen Bundestag gesagt wurde, trägt die grüne Basis nicht mit. Es wird Folgendes passieren: Das erste zivile Opfer bei der Notwehr der Staatengemeinschaft - zum Beispiel in Kabul - wird in dieser Optik die zigtausend Toten von New York leider aufwiegen. Ich sehe schon die weißen Leintücher aus den Fenstern hängen und den tief verwurzelten Antiamerikanismus aufkommen, wenn die erste Hilfeleistung von uns gefordert wird. ({5}) Wir befinden uns keineswegs im Krieg. Bisher ist noch nicht ein einziges deutsches Flugzeug von den Amerikanern als Hilfe erbeten worden. Wenn das der Fall sein wird, müssen wir so entschlossen sein, wie wir es letzte Woche gewesen sind. Dann müssen wir der Freundschaft, der Dankbarkeit und der Solidarität mit den Vereinigten Staaten, die wir alle vor dem Brandenburger Tor so eindrucksvoll zum Ausdruck gebracht haben, auch Taten folgen lassen. Da darf es kein Wackeln geben. Zu der Frage aus den Reihen der CDU/CSU bei der Rede von Herrn Fischer „Reden Sie auch mit uns?“ muss ich sagen: Das war doch ein grüner Parteitag. ({6}) Herr Fischer, Sie haben beschwörend auf Ihre grüne Klientel eingeredet. Ich bin ja froh, dass Sie das tun. Sie spielen ja hier eine durchaus gute Rolle. Ich bin aber gespannt, wie Ihre Basis reagieren wird, wenn es wirklich dazu kommt, dass Ihre Ankündigungen umgesetzt werden, und wenn Sie an Ihren Worten gemessen werden. ({7}) Der Haushalt gibt einen Vorgeschmack darauf. Hier werden die Mittel zur Unterstützung von internationalen Maßnahmen auf den Gebieten Krisenprävention, Friedenserhaltung und Konfliktbewältigung im nächsten Jahr um fast ein Drittel auf 23 Millionen DM gekürzt. Wie geht denn das zusammen mit dem, was Sie uns gerade hier verkündet haben? ({8}) Zugleich bewilligen Sie 20 Millionen DM für die Schaffung eines nationalen zivilen Friedensdienstes. Das ist die berühmte Geschichte, die Frau Zapf gerade noch einmal angesprochen hat, ({9}) diese berüchtigte grüne deutsche Heilsarmee, die Frieden spendend durch den Busch ziehen soll. Am grünen Wesen soll die Welt genesen. ({10}) Das ist Ihre Logik, meine Damen und Herren. Frau Zapf, Sie haben doch unseren Vorschlag für eine Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit im Nahen Osten abgelehnt. Wir haben einen entsprechenden Antrag vor wenigen Monaten auf den Tisch gelegt. Wir haben gesagt, dass die Krise im Nahen Osten einer Bewältigung nur dann näher gebracht werden kann, wenn man einen umfassenderen Ansatz wählt. Was haben Sie aber gemacht? Sie haben diesen Antrag niedergestimmt.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Zapf?

Ulrich Irmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000996, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Selbstverständlich.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Bitte sehr. ({0})

Ulrich Irmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000996, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Das ist der Sinn von Zwischenfragen, liebe Frau Kollegin.

Uta Zapf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002582, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das ist auch ganz gut so, weil man dann erkennt, welche merkwürdigen Gedankengänge in dem Kopf eines von mir ansonsten sehr geschätzten Kollegen vor sich gehen.

Ulrich Irmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000996, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Frau Kollegin. Es schadet mir nicht, dass Sie das sagen.

Uta Zapf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002582, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich habe es befürchtet. ({0}) Herr Kollege, ich hoffe, Sie haben bei dem zugehört, was ich soeben vom Rednerpult aus gesagt habe. Sie haben hoffentlich bemerkt, dass ich Ihre Idee, also die der FDP, einer solchen Konferenz für Zusammenarbeit und Sicherheit durchaus unterstützt habe. Ich habe nur gesagt, dass diese Idee nicht neu ist. Herr Kollege, ich hoffe, Sie haben das zur Kenntnis genommen. Als Zweites möchte ich Sie fragen, ob Sie sich wirklich einmal genau angeschaut haben, welchen Anteil an der Krisenprävention solche Friedensdienste haben und welche wichtigen Leistungen sie vollbringen. Wenn Sie das getan hätten, würden Sie vielleicht nicht mehr so höhnisch über diese Strukturen sprechen. ({1})

Ulrich Irmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000996, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Verehrte Frau Kollegin Zapf, zu Ihrer zweiten Frage: Ich will gar nicht bestreiten, dass die Friedenskämpfer, die Sie losschicken, vielleicht auch Segensreiches bewirken können. Aber ich frage Sie: Warum kürzen Sie dann im Haushalt die Mittel für die deutschen Beiträge für die internationalen Bemühungen in diesem Zusammenhang und warum kürzen Sie die Mittel für die Beiträge für den UNHCR und andere internationale Organisationen, die seit vielen Jahren eine bewährte Arbeit leisten? ({0}) Verehrte Frau Kollegin Zapf, zu Ihrer ersten Frage: Es ist ja wunderschön, wenn Sie hier sagen, das sei nichts Neues, und Sie diese Idee deshalb ein wenig in Zweifel ziehen. Wir haben dieses Thema doch bereits vor ein paar Monaten auf den Tisch des Hauses gelegt. Ich erinnere mich genau: Es war im Dezember letzten Jahres, als wir hier im Plenum darüber eine Debatte geführt haben. Im Auswärtigen Ausschuss hat uns der Minister entgegengehalten, es gebe ja schon den Prozess von Barcelona. Dieser ist, wie wir alle wissen, gescheitert. Er hat gesagt, das alles sei viel zu visionär und nicht vergleichbar mit der KSZE von damals. ({1}) - Frau Kollegin Zapf, Sie müssen wieder aufstehen; denn ich antworte noch auf Ihre Frage. Ich sage das jetzt nicht, weil ich unbedingt möchte, dass Sie Freiübungen machen, sondern deswegen, damit die Beantwortung Ihrer Frage nicht auf meine Redezeit angerechnet wird.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Genau, ich wollte nämlich die Uhr wieder in Gang setzen, damit wir vorankommen. Aber Sie haben das Wort, Herr Kollege, - bitte sehr.

Ulrich Irmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000996, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Danke schön. Frau Zapf hat mir zwei Fragen gestellt und deshalb bemühe ich mich, diese beiden Fragen zu beantworten. Frau Kollegin Zapf, im Ausschuss ist uns entgegengehalten worden, die Situation im Nahen Osten sei ganz anders. Das alles ist richtig. Aber deshalb kann man doch trotzdem einen Versuch unternehmen. Was haben aber Sie getan? Damals haben Sie nicht gesagt, die Idee sei nicht neu, sie existiere schon längst. Sie haben sie vielmehr abgelehnt; Sie haben im Auswärtigen Ausschuss und im Plenum dagegen gestimmt. ({0}) Wir erlauben uns jetzt, diesen Vorschlag erneut auf den Tisch zu legen. Dann werden wir sehen, was passiert, ob also diese Idee von Ihren Kollegen und von den Grünen auch so gut gefunden wird, wie wir sie finden. Sie liegt auf dem Tisch. Sie haben noch einmal Gelegenheit, darüber abzustimmen. Wir machen einen weiteren Vorschlag: Das, was jetzt gefordert wird, eine internationale Terrorismusbekämpfung, muss auf internationaler Ebene solide, belastbar und völkerrechtlich abgesichert unterfüttert werden. Wir appellieren deshalb an die Staatengemeinschaft, auf der nächsten Vollversammlung der Vereinten Nationen - sie hat ja bereits begonnen - eine Antiterrorismuskonvention auf den Weg zu bringen. Es gibt bereits sektorale und regionale Einzelansätze. Das ist wunderbar. Wir haben sie hier zum Teil noch nicht ratifiziert. In den letzten Tagen ist angekündigt worden, dass dies geschehen soll. Frau Justizministerin, vielleicht kümmern Sie sich einmal darum! Wir meinen, dass es auf der Ebene der Vereinten Nationen einen umfassenderen und globaleren Ansatz für die Terrorismusbekämpfung geben sollte. Wir haben einen Vorschlag, der viele Details enthält, formuliert und Ihnen auf den Tisch gelegt. Springen Sie über Ihren Schatten! Stimmen Sie dem zu! Wir sind bereit, im Ausschuss über die Einzelheiten zu sprechen. Wir appellieren an Sie: Wenn Sie es mit dem, was Sie hier gesagt haben, ernst meinen, dann sollten Sie einmal über Ihren Schatten springen und einem konstruktiven Vorschlag der FDPOpposition zustimmen. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({1})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Für die PDS erteile ich dem Kollegen Wolfgang Gehrcke das Wort.

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich war, nachdem ich mir hier einiges habe anhören müssen, fast versucht, mit dem Satz zu beginnen: Jetzt einmal wieder ernsthaft. Ich glaube, wir müssen uns sehr gründlich und völlig offen den Fragen stellen, die heute von der Bevölkerung tausendfach an uns alle gerichtet werden. Es sind aus meiner Sicht im Wesentlichen drei Fragen, die wir beantworten müssen. Die erste Frage lautet: Sind solche Terroranschläge auch in unserem Lande denkbar? Davor haben Menschen einfach Angst. Die zweite Frage lautet: Wird es einen Krieg geben, wird sich Deutschland an diesem Krieg beteiligen und werden in diesem Krieg wieder Unschuldige leiden müssen? Die dritte Frage lautet: Befindet sich die Weltwirtschaft in einer Krise, die auch uns bedrohen kann? Mit allen drei Fragen verbinden sich bei vielen Menschen existenzielle Ängste. Ängste kann man nicht dadurch beseitigen, dass man sagt, wir reden nicht über Ängste, oder behauptet, man könne Menschen Ängste auch einreden. Man kann Menschen Ängste weder einnoch ausreden. Man kann nur eine Politik machen, mit der die Ursachen von Ängsten überwunden werden. Das ist die Aufgabe, die wir haben. ({0}) Dazu gehört auch, dass in dieser komplizierten Situation nicht wieder als Erstes die Wahrheit stirbt, dass korrekt informiert wird, dass die Rechte der Öffentlichkeit und die Rechte des Parlamentes nicht eingeschränkt werden. Das war das Entwürdigende bei der MazedonienDebatte und sofort sind auch die Vorbehaltsrechte des Deutschen Bundestages zur Disposition gestellt worden. Es ist nicht die Zeit dafür. Der Bundestag muss seine außenpolitischen Rechte auch gegen diese Regierung durchsetzen. Deswegen sind wir ja nach Karlsruhe gegangen. ({1}) Aus meiner Sicht sind diese drei Fragen mit Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit zu beantworten. Wir müssen deutlich sagen: Ja, es gibt keinen Schutz vor dieser Form des Terrorismus - wie wir sie grausig erlebt haben -, wenn nicht die Politik mittelfristig und langfristig geändert wird. Auch kurzfristig muss gehandelt werden. Die Ehrlichkeit gebietet es auch, Herr Außenminister, zu sagen: Wenn er nicht abgewendet wird, kann es zu einem Krieg kommen, in dem Unschuldige sterben und an dem unser Land beteiligt ist. Das ist nicht Anschüren, das ist die Wahrheit. ({2}) Die dritte Frage hat sich von selbst beantwortet. Wir befinden uns in einer Wirtschaftskrise. Aus meiner Sicht ist es nicht die Aufgabe der Politik, dies alles hinzunehmen. Aufgabe der Politik ist es, das abzuwenden, was abgewendet werden kann, und das mit der Bevölkerung unseres Landes zusammen. Erinnern Sie sich doch noch einmal an Willy Brandt, an seinen großen, programmatischen Ausspruch: „Frieden ist nicht alles, aber alles ist nichts ohne Frieden.“ Gilt das heute nicht mehr oder muss das nicht gerade heute durchgesetzt werden? ({3}) Alle Fraktionen des Bundestages sprachen von der Tiefe der Veränderungen nach den Verbrechen in New York und Washington, sprachen von der Zäsur. Ich glaube, es ist richtig, noch einmal daran zu erinnern - der Außenminister hat das auch getan -, wie fassungslos wir alle waren angesichts eines Verbrechens, das unschuldige Menschen zu lebenden Bomben gemacht hat mit dem Ziel, bewusst den Tod von Tausenden herbeizuführen. Es kann keinen Zweifel daran geben: Dieser globale Terror ist menschenverachtend, fanatisch, grenzen- wie staatenlos. Selbstverständlich muss er bekämpft, verfolgt und überwunden werden. Aber weil wir anders sind als die Terroristen, weil wir nicht wollen, dass das eintritt, was sie eigentlich bezwecken, dass kriegerische Auseinandersetzungen geführt werden, mit denen sie rechnen, muss unsere Antwort auf den Terror im Einklang mit dem Völkerrecht stehen. Sie muss verhältnismäßig sein, sie muss die Folgen bedenken und darf nicht den Tod von wiederum Unschuldigen herbeiführen. ({4}) Das ist ein kategorischer Imperativ. Krieg ist aus meiner Sicht und aus der Sicht meiner Fraktion von allen Antworten die falscheste. Das Mitgefühl der PDS mit den Menschen in den USA, unsere Solidarität war und ist tief und aufrichtig. Ich verlange und erwarte, dass diese Haltung nicht in Frage gestellt, sondern akzeptiert wird. Wir lassen kein Aber in dieser Frage zu, auch wenn uns häufig in der Öffentlichkeit von verschiedenen Menschen gesagt wird: Solidarität ja, aber denkt an Vietnam! Unrecht kann nicht gegen Unrecht aufgerechnet werden. Unrecht bleibt Unrecht. ({5}) Es gibt keinen anderen Weg, als dies so zu formulieren, wenn man aus der Spirale der Gewalt herauswill. Deswegen ist es für mich auch eine Lehre aus dem Kalten Krieg, die wir heute zu bedenken haben: dass die Auffassung, dass der Feind meines Feindes mein Freund, mein Verbündeter sein muss, für keine Seite mehr gültig sein kann. Wir wissen doch, aus welchen Quellen Waffen und Ausrüstung bezogen wurden und woher die Planungen der Terrorgruppen stammten. Das kann heute nicht mehr gültig sein. ({6}) Ich glaube auch, dass wir etwas Grundlegendes erkennen müssen: Leid, Kummer und Sorgen hatten wir gemeinsam. Bei der Frage, was wir tun sollen, werden die Wege leider auseinander gehen. Ich will der Regierung entgegenhalten: Auf neue Fragen hat sie bislang nur alte Antworten gegeben. Das, was der Außenminister hier ausgeführt hat, muss man mit der Realität der Regierungspolitik konfrontieren. Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder ändert sich die Politik der Regierung - das würde ich außerordentlich begrüßen oder gegenüber dem Parlament und der Öffentlichkeit wird die Sprache angeschlagen, die gerade angesagt ist - diese führt auch zu vielen Problemen in den eigenen Reihen -, und es ändert sich nichts. Das wäre eine Katastrophe. Die Antwort der PDS besteht nicht im Nichtstun oder gar im Wegducken. Unsere Antwort besteht darin, Vorschläge zu entwickeln, zu überlegen und darüber zu debattieren, wie der Terror an seinen Wurzeln bekämpft werden kann, wie ihm der Boden entzogen und eine neue Art von Sicherheit geschaffen werden kann. ({7}) Herr Außenminister, ich finde es schon symbolträchtig - dazu hätte ich gerne ein Argument von Ihnen gehört -, dass in Ihrem Etat wesentlich mehr Geld - Milliarden für Militär und Repression veranschlagt wird. 1,5 Milliarden DM der 3 Milliarden DM sollen in den Militärhaushalt fließen. Gleichzeitig senken Sie die Ausgaben für Entwicklung. Ihr Gerede ist hohl. ({8}) Es ist doch symbolträchtig, das Sie nicht als Erstes den Entwicklungsetat so heraufgesetzt haben, dass die Menschen, die darunter leiden, dass sie sich nicht entwickeln können, erkennen, dass wir nach dem Anschlag eine Wende unserer Politik praktizieren und nicht nur darüber reden. ({9}) Ihre Regierung hat bislang eine Politik betrieben, die darin bestand, weniger für Entwicklung und Diplomatie und mehr für das Militär auszugeben. Ich hoffe, dass sich das ändert. Wir möchten es nämlich genau umgekehrt: mehr für Entwicklung, mehr für Diplomatie und weniger für das Militär. ({10}) Wir alle haben durch den Anschlag erkannt - das muss doch einmal begriffen werden -, wie verwundbar wir sind. Furchtbare weitere Möglichkeiten sind denkbar: Chemiewerke, Atomkraftwerke, Eisenbahnknotenpunkte, B- und C-Waffen. Dagegen gibt es keinen vollständigen Schutz. Als Erstes wurde aber mehr Geld für die Rüstung und für das Militär bewilligt. Zu glauben, dass man selbst unverwundbar ist, ist das Falscheste, was man in dieser Situation tun kann. Es muss heißen: mehr Geld für zivile Projekte, Wissenschaft, Kultur und Medien sowie für Forschungsprojekte. Das wäre ein Fortschritt. Ich glaube, auch die NATO hat sich mit ihrem neuen strategischen Konzept blamiert. Dieses und der darauf basierende Umbau der Bundeswehr haben sich als grundlegend falsch erwiesen. Ich möchte noch etwas zum Kollegen Rühe sagen - manchmal muss man dem Kollegen Rühe auch etwas Gerechtigkeit widerfahren lassen -: ({11}) Sie haben Recht, dass die Bundeswehr unterfinanziert ist, wenn die Bundesregierung die Bundeswehr so einsetzt, wie sie es tut. Da ich den Einsatz der Bundeswehr so aber nicht will, sondern für eine andere Richtung eintrete, sage ich: Aus meiner Sicht ist sie überfinanziert. Die Bundesregierung laviert sich durch beide Positionen durch. Ich will in der Tat nicht mehr Geld für die Bundeswehr, sondern weniger. Ich will Abrüstung und eine andere Sicherheitskonzeption. Die Regierung tut so, als ob beides möglich ist. Beides ist aber eben nicht möglich, wie wir in der Praxis erleben. Unter Rot-Grün hat das Militärische an Bedeutung gewonnen. Rot-Grün hat bei ihrem Regierungsantritt ein Auslandsmandat übernommen. Vier weitere Auslandsmandate sind in den letzten drei Jahren hinzugekommen. Morgen soll ein fünftes erteilt werden und in der nächsten Woche kommt ein sechstes hinzu. Das ist alles beweisund aufzählbar. In welche Richtung geht Ihre Außenpolitik? ({12}) - Es ist garantiert keine militärische; das wissen Sie. Kollege Fischer, wenn Sie es mit Ihrer Rede hier ernst meinen, dann ziehen Sie die Konsequenz und leiten einen Richtungswechsel in der Regierung ein: Tun Sie mehr für die Entwicklung, mehr für die Kultivierung der Beziehungen zueinander, zeigen Sie mehr Verständnis für die Probleme der Menschen in anderen Teilen der Welt! Schließen Sie kategorisch die Teilnahme an kriegerischen Auseinandersetzungen aus und verweigern Sie kategorisch Rache und Vergeltung als Antwort auf den Terror! Das ist das, was der Terror will. Wenn die Regierung sich korrigiert und einen anderen Weg geht, sind wir für Unterstützung offen. Wenn sie bei diesem Weg bleibt, sind die Geister in der Frage, was zu tun ist, auseinander gegangen und sie müssen dann auch auseinander gehen. ({13})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Wir kommen zur zweiten Runde. Ich gebe die Reihenfolge der Redner bekannt, weil es ein bisschen hin und her gegangen ist: Jetzt kommt Herr Kollege Austermann, dann Kollege Moosbauer und dann Herr Kollege Koppelin. Ich wage den zarten Hinweis, dass Zeitunglesen im Plenum nicht ganz angebracht ist. Eigentlich sollten wir uns gegenseitig zuhören. In diesem Sinne erteile ich dem Kollegen Dietrich Austermann für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.

Dietrich Austermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000066, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Da ich eben zugehört habe, möchte ich das, was mein Vorredner gesagt hat, zurückweisen. Er hat den Eindruck vermittelt, dass es einem höheren ethischen Anspruch entspräche, wenn man weniger Geld für Rüstung, für Verteidigung und Ähnliches ausgibt. Meine Grundüberzeugung ist, dass jeder Staat die oberste Verpflichtung hat, seine Bürger nach innen und nach außen zu schützen, dass dies eine ethische Dimension ist und dass dies auch für Verteidigung gilt, die im Bündnis geleistet wird. Dies möchte ich ganz klar zu der abgegriffenen Position sagen, die Ewiggestrige hier vertreten. ({0}) Ich möchte das Thema aufnehmen, das mit den internationalen Einsätzen begonnen hat, und darauf hinweisen, dass wir in diesem Jahr wahrscheinlich viermal, wenn nicht sogar fünfmal, über unsere Teilnahme an internationalen Einsätzen entscheiden werden. Es ist ein Novum in dieser Dimension. Ich halte es für richtig und wichtig, in diesem Zusammenhang deutlich darauf hinzuweisen, wer diejenigen sind, die diesen Einsatz tatsächlich tragen müssen: die Soldaten und zivilen Mitarbeiter, denen wir gar nicht oft genug für die Einsatzbereitschaft und für das, was sie auf dem Balkan und anderswo leisten, danken können. Dies will ich hiermit tun. ({1}) Ich sage das mit besonderer Freude gegenüber den Vertretern der Bundeswehr, die auf der Tribüne sitzen. Deswegen ist es umso problematischer und bedeutsamer für die betroffenen Soldaten und zivilen Mitarbeiter, für unser ganzes Land, dass unsere Bundeswehr nach Ansicht vieler Sachverständigen innerhalb und außerhalb der Bundeswehr nach drei Jahren rot-grüner Verteidigungspolitik vor allem ausstattungsmäßig immer weniger in der Lage ist, diese Einsätze optimal durchzuführen. In keinem Etat wird mehr gespart als bei der Bundeswehr. Die Bundeswehr wurde mit einer Reform überzogen, die nicht mehr passt. Und was das Schlimmste ist: An vielen Stellschrauben wird gleichzeitig gedreht. All das passt nicht zueinander. ({2}) Es fehlt bei den Finanzen an allen Ecken und Enden und es muss die Frage erlaubt sein, ob angesichts dieser Situation Entscheidungen über internationale Einsätze mit so heißer Nadel gestrickt werden können, wie es der Fall ist. Ich glaube wohl, dass es der Respekt vor dem Parlament erfordert, dass nicht vormittags die NATO-Entscheidung kommt, mittags die Kabinettsentscheidung, abends die Fraktionsentscheidung und am nächsten Tag die des Bundestages. Ich glaube kaum, dass man in dieser Eile - es geschieht ja nicht zum ersten Mal - wirklich gewissenhafte Entscheidungen treffen kann - mit Verantwortung für viele Menschen, die persönlich und direkt davon betroffen sind. ({3}) - Ich weiß nicht, ob man bei dieser Frage wirklich sagen kann, dass uns der Termindruck daran hindert, das zu tun, ob man angesichts der Dimension des robusteren Einsatzes für Mazedonien, der jetzt bevorsteht - hier haben sich unsere gemeinsamen Befürchtungen bestätigt -, nicht einen anderen Weg beschreiten müsste, statt den Eindruck zu vermitteln, dass das Parlament von der Regierung bzw. von der NATO ein bisschen unter Druck gesetzt wird. Ich möchte zur Finanzierung der zusätzlichen Maßnahmen der Bundeswehr gar nichts sagen; ich habe dies vorhin in meiner Kurzintervention getan. Ich möchte aber etwas zu der Art und Weise sagen, wie die Bundeswehr zurzeit behandelt wird, wie sie eingesetzt werden kann. Die Weizsäcker-Kommission hat bereits vor einiger Zeit in ihren Analysen und Vorschlägen auf die Änderung der Bedrohungslage hingewiesen und eine sofortige Umstrukturierung und eine bessere Befähigung der Bundeswehr gefordert. Wenn man sich dies vor Augen führt, dann muss man die Frage stellen, ob das, was als Reform der Bundeswehr auf dem Markt ist und als eine Maßnahme Standortschließungen vorsieht, nicht dringend einer Überprüfung bedarf. Deswegen fordern wir den Minister auf, diese Maßnahmen zurückzustellen und sich vorrangig auf das zu konzentrieren, was unmittelbar notwendig ist. Der Verteidigungsetat ist seit langer Zeit unterfinanziert. ({4}) - Herr Bartels, ich darf Ihnen mitteilen, dass wir 1998 etwa 3 Milliarden DM mehr im Verteidigungsetat zur Verfügung hatten als in diesem Jahr. Auch die 1,5 Milliarden DM, die jetzt zur Verfügung gestellt werden sollen, werden diese Problematik nicht ändern. In diesem Jahr fehlen im Etat 2 bis 3 Milliarden DM. Jeder stellt fest, dass die Mittel bei der Materialerhaltung, den Überkippern aus dem Vorjahr und den Mitteln, die für die Beschaffung vorgesehen sind, hinten und vorne nicht reichen. Mit 44,9 Milliarden DM, ohne die Mittel für internationale Einsätze, hat der Haushalt seit vielen Jahren ein historisches Tief. Im nächsten Jahr soll er noch einmal um 660 Millionen DM gesenkt werden. Der Investitionsanteil wird mit 22,2 Prozent ebenfalls ein historisches Tief erreichen. Man könnte nun die Frage stellen, ob diese zusätzlichen 1,5 Milliarden DM nicht das Problem lösen. Dazu habe ich eine Frage, die vielleicht der Verteidigungsminister nachher beantworten kann. Ist denn vom Verteidigungsministerium bisher eine Anmeldung für das, was mit den 1,5 Milliarden DM geschehen soll, erfolgt? ({5}) Vizepräsidentin Anke Fuchs - Ich höre, nein. Ist denn durch den Finanzminister sichergestellt, dass diese 1,5 Milliarden DM nicht nur einmalig im nächsten Jahr, sondern tatsächlich für eine dauerhafte strukturelle Verbesserung des Verteidigungsetats eingesetzt werden? Aufgrund der Reaktion von Herrn Eichel nehme ich an, dass auch hier die Antwort Nein ist. Jetzt muss man die ironische Frage stellen: Wenn dieses zusätzliche Geld nur für das nächste Jahr zur Verfügung gestellt wird, senkt er dann am 1. Januar 2003 die Tabaksteuer wieder, weil er dieses Geld nicht mehr braucht, da es nur für diesen einmaligen Fall war? ({6}) Ich möchte etwas zu den Personalien sagen. Die „Süddeutsche Zeitung“ hat gestern angesichts der Tatsache, dass der Generalinspekteur gehen muss, weil er seit vielen Monaten die Wahrheit sagt, den Verteidigungsminister einen „Minister für Verschleiߓ genannt. Verteidigungsminister Scharping kann sich nun schon zum zweiten Mal innerhalb weniger Tage glücklich preisen, dass angesichts der Weltlage manches zur Nebensache verkommt. Nach der heftigen Debatte um seine Fluglust und andere Leidenschaften betrifft dies nun den Fortgang seines Generalinspekteurs zur NATO nach Brüssel. Dem kann man nichts mehr hinzufügen, außer der Feststellung, dass es offensichtlich so ist: Wer die Wahrheit sagt, muss gehen. Das deutet darauf hin, dass an der Spitze der Hardthöhe nach wie vor gewisse Wahrnehmungsprobleme bestehen; sonst würde der Minister nicht kurz nach der geplanten Erweiterung der internationalen Einsätze für Mazedonien erklären, er hoffe, dass dieses Mal nicht so viele Probleme mit der Opposition wie beim letzten Mal entstehen würden. Offensichtlich hat er die Opposition in den eigenen Reihen gemeint. Erst auf unseren Druck hin wurden die Mittel für den Mazedonieneinsatz erhöht. Jetzt ist deutlich geworden, dass unsere Warnungen berechtigt waren. Ich möchte etwas zu der Frage sagen, welche Notwendigkeiten wir sehen. Wir sagen: Die 1,5 Milliarden DM sind besser als nichts, aber nur die Hälfte dessen, was gebraucht wird, um der Bedrohung durch den Terrorismus entgegentreten zu können. Wir brauchen mehr Mittel für den strategischen Transport, für Führungsfähigkeit und für Aufklärung. Alle drei Dinge müssen ebenso wie der Schutz der Soldaten und die Absicherung der Anlagen der Streitkräfte verbessert werden. Zum Sofortbedarf gehört aber auch, dass endlich die Mittel zur Verfügung gestellt werden, die gebraucht werden, um die Truppe in die Lage zu versetzen, Einsätze zu fliegen. Wenn heute ein Luftwaffenpilot nur noch 150 Flugstunden absolviert, aber 180 Flugstunden vorgesehen sind, dann zeigt dies, in welcher Situation sich die Bundeswehr nach drei Jahren befindet. Lassen Sie mich eine letzte Anmerkung zum Thema GEBB und zur Einnahmesituation machen. In den Vorlagen, die ich gestern bekommen habe - sie beinhalten eine Korrektur des Verteidigungsetats für das nächste Jahr und veränderte Beratungen -, gibt es eine so genannte PlusMinus-Liste. In dieser steht, dass der Verteidigungsminister offensichtlich vorhat, die Kasernen an eine bundeswehreigene Gesellschaft zu verkaufen, um sie dann wieder zurückzumieten. Aus den Verkaufserlösen möchte er Beschaffungen tätigen. Ich sage ganz deutlich, was das ist: Das ist eine verfassungswidrige Kreditaufnahme, die am Haushalt vorbeigeht. Das ist unzulässig. Dies wird unseren erheblichen Widerstand finden, wenn wir darüber beraten werden. Schließen Sie sofort diese unsägliche GEBB! Sparen Sie damit Mittel ein! Der Finanzminister hat um Vorschläge gebeten, wo man sparen kann. Hier lassen sich jedes Jahr 30 Millionen DM für die Untätigkeit sparen, die dort demonstriert wird. So kann man den Verteidigungsetat meines Erachtens nicht umsetzen. ({7})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss. Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Dietrich Austermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000066, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin, ich möchte schließen: Ein Umbau der Bundeswehr zur Erfüllung der zukünftigen, immer umfangreicheren internationalen Aufgaben wird mit den Entscheidungsabläufen der letzten drei Jahre und der zu geringen Finanzausstattung nicht möglich sein. Mehr Mittel, aber auch die Haushaltsberatungen sind notwendiger denn je; denn ohne mehr Geld und wichtige Korrekturen können wir dem Verteidigungsetat auch diesmal nicht zustimmen. Herzlichen Dank. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Auch wenn es eine spannende Debatte ist, möchte ich darauf hinweisen, dass die Redezeiten, die Sie vor sich sehen, einzuhalten sind. Das Wort hat jetzt der Kollege Christoph Moosbauer, SPD-Fraktion.

Christoph Moosbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003193, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Anschluss an die Rede von Herrn Austermann möchte ich zunächst sagen, dass ich zum Einzelplan 05 spreche und nicht zum Verteidigungshaushalt. ({0}) Ich habe den Eindruck, dass Außenpolitik von der Opposition immer nur als Teilbereich der Verteidigungspolitik gesehen wird. Herr Irmer, Sie haben zu Beginn Ihrer Rede gesagt, Sie seien sehr besorgt über einzelne Stimmen, die nun laut werden, und haben dies als Konzert, das teilweise surreale Züge annimmt, kritisiert. Ich darf Sie daran erinnern, dass einer dieser - in diesem Zusammenhang zitiere ich Sie - Scharlatane, die ein unverantwortliches Geschrei anstimmen, mit Ihrer Hilfe auf den Posten des Innensenators von Hamburg gehievt wird. Auch das dürfen Sie nicht vergessen. ({1}) Sie wissen, dass im Zusammenhang mit den Vorkommnissen vom 11. September auch eine unverantwortliche innenpolitische Debatte geführt wird. ({2}) - Ich erlaube mir das Gleiche, was auch Sie sich erlauben. Wahrscheinlich haben Sie in dem Bewusstsein, dass die außenpolitische Bilanz dieser Bundesregierung kaum zu kritisieren ist, auf Nebenschauplätze abgelenkt. Ich meine mit der Bilanz nicht nur das beeindruckende und von allen Seiten des Hauses in den letzten Tagen zu Recht mit Respekt bedachte Vorgehen in der aktuellen Krise. Ich denke vor allem auch an die beharrlichen Bemühungen unseres Kanzlers und unseres Außenministers, um dem politischen Prozess in Südosteuropa und dem Nahen Osten immer wieder neue Impulse zu geben. ({3}) Wenn wir in diesen Tagen über Außenpolitik sprechen, sprechen wir natürlich immer auch über die momentane Krise, die an die auswärtige Politik sowie an internationale Strukturen insgesamt eine neue Herausforderung stellt. Die Spuren der furchtbaren Anschläge von New York und Washington reichen - nach allem, was wir bislang wissen auch und vor allem in den Nahen und Mittleren Osten, und zwar personell, finanziell, logistisch und politisch. Viele Menschen sagen, dass der Kernkonflikt im Nahen Osten, also der Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern, eine der Ursachen für den mörderischen Anschlag auf die Vereinigten Staaten war. Im Umkehrschluss denken viele Menschen, dass das Problem des internationalen Terrorismus und des politisch missbrauchten religiösen Fundamentalismus durch eine gerechte Lösung des israelisch-arabischen Konflikts gelöst werden kann. Ich halte das für eine etwas kurzsichtige Analyse der Ursachen der neuen Form des Terrorismus, mit der wir uns konfrontiert sehen. In der Behauptung steckt aber auch ein wahrer Kern: Eine Friedenslösung für den mittlerweile über ein halbes Jahrhundert andauernden Konflikt ist nicht nur ein Wert an sich, sondern trägt auch zur Entflechtung von internationalen Konfliktstrukturen bei. ({4}) Die Suche nach einer Friedensregelung muss Teil einer Strategie gegen weltumspannenden Terrorismus und seine Ursachen sein. Aus diesem Grunde danke ich Ihnen, Herr Bundesaußenminister, dass gerade Sie für ein starkes deutsches Engagement im Nahen Osten stehen. ({5}) Wer sich mit dieser Region beschäftigt, weiß, dass die deutsche Politik - zusammen mit unseren europäischen Partnern - zu einer konstruktiven Kraft im Nahen Osten geworden ist, und das nicht, wie früher vielfach befürchtet, in Konkurrenz zu unseren amerikanischen Freunden, sondern gerade ergänzend dazu. ({6}) An dieser Stelle darf ich Ihnen, Herr Außenminister, nicht nur für Ihren konstruktiven Beitrag danken, sondern Sie auch dazu auffordern, hier nicht nachzulassen. ({7}) Jeder Beitrag, der Israelis und Palästinensern jetzt hilft, miteinander ins Gespräch zu kommen, ist ein vermittelnder Beitrag, ob wir das nun so nennen oder nicht. Wichtig ist weniger, wie wir unsere Rolle definieren, sondern vielmehr, wie sie von unseren Partnern gesehen wird. Eine solche vermittelnde Rolle birgt viel Verantwortung in sich und diese Regierung hat diese Verantwortung angenommen. Meine Damen und Herren, ich glaube, ich spreche für uns alle, wenn ich sage, dass ich froh bin, dass heute das seit langem notwendige Treffen zwischen Schimon Peres und Yassir Arafat endlich stattgefunden hat. ({8}) Vielleicht bewahrheitet sich hier die in den letzten Tagen viel bemühte Formel, dass in jeder Krise auch eine Chance steckt. Ich bin dankbar, dass im vorliegenden Haushalt zum Beispiel die Beiträge an das Hilfswerk der Vereinten Nationen für die Palästinenser in hohem Umfang berücksichtigt werden. Auch dadurch - das wissen wir; das ist vielfach gesagt worden - wird der Nährboden für Radikalismus ausgetrocknet. Von daher ist dieser präventive Ansatz wichtig. Ich hoffe, dass es uns im Laufe dieses parlamentarischen Verfahrens gelingt, diese Hilfe sogar noch aufzustocken. Wenn wir jetzt darüber reden, Terrorismus zu bekämpfen, dürfen wir nicht vergessen, den Ursachen für zukünftigen Terrorismus präventiv zu begegnen. ({9}) Lassen Sie mich noch kurz einen für mich wichtigen Punkt ansprechen: die Vereinten Nationen. Der Anschlag vom 11. September wird auch für die Arbeit der Vereinten Nationen eine Zäsur sein. Eine vom überwiegenden Teil der Staatengemeinschaft getragene Strategie gegen den Terrorismus muss auch in der Arbeit der Vereinten Nationen ihren Niederschlag finden. Der Sicherheitsrat hat einen Tag nach den Anschlägen in den USA zu Recht festgestellt, dass derartige Terrorakte eine Gefährdung des Weltfriedens darstellen. Wir sollten alles unternehmen, um im Kampf gegen diese Gefährdung das System der Vereinten Nationen zu stärken. ({10}) In diesem Zusammenhang danke ich den amerikanischen Kongressabgeordneten dafür, dass sie jetzt den Weg für ausstehende Zahlungen der USA an die Vereinten Nationen frei gemacht haben. Das ist gerade jetzt ein wichtiges Zeichen. ({11}) Meine Damen und Herren, in den letzten Jahren konnte man zumindest auf dem Gebiet der Sicherheitspolitik mitunter eine Bewegung weg vom System der Vereinten Nationen beobachten. Von daher begrüße ich auch im Hinblick auf die neuen Aufgaben, die auf die Weltgemeinschaft zukommen, jeden Versuch, die Vereinten Nationen zu stärken. Das erfolgreiche Bemühen der Bundesregierung um die Nachfolgemission von „Essential Harvest“ in Mazedonien ist eine solche Unterstützung und damit auch eine Stärkung des UN-Systems. ({12}) Wie schon während des Kosovo-Krieges ist es die deutsche Regierung, die auf eine breite Legitimation durch die internationale Staatengemeinschaft gesetzt hat. Meine Damen und Herren, an diesen beiden Punkten - Nahost und Vereinte Nationen - sehen wir exemplarisch die Grundelemente der Außenpolitik dieser Bundesregierung: Realitätssinn und Engagement, Verantwortungsbewusstsein und Augenmaß. Wir sind gut beraten, diese Politik zu unterstützen. ({13})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich erteile das Wort dem Verteidigungsminister, Rudolf Scharping.

Rudolf Scharping (Minister:in)

Politiker ID: 11002769

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Lichte der Tragödie von Washington und New York wird zu Recht die Frage gestellt, was die internationale Staatengemeinschaft zu tun in der Lage ist, um ihre gemeinsamen Interessen zu vertreten, und welchen Beitrag die Europäer und mit ihnen die Bundesrepublik Deutschland dazu leisten können. Ein Teil - ich sage ausdrücklich: ein Teil - dieser Antwort wird militärisch sein. Das wirft die Frage nach den Fähigkeiten der Bundeswehr auf: denen, die sie hat, und denen, die mit der Erneuerung der Bundeswehr entwickelt, ausgebaut, zum Teil neu erworben werden sollen. Die Antwort der internationalen Staatengemeinschaft, der zivilisierten Welt soll eine gemeinsame und umfassende sein. In dem für manche möglicherweise überraschenden Verhalten der Amerikaner, sich in der NATO, in den Vereinten Nationen und weltweit um eine gemeinsame Antwort zu bemühen, steckt eine enorme Chance. Die Gemeinsamkeit der Antwort hat mit ihrem umfassenden Charakter ebenso zu tun wie der umfassende Charakter mit der gemeinsamen Antwort. Das ist unauflöslich miteinander verbunden. Weil das so ist, sollten wir uns in Deutschland - der Bundestag erliegt dieser Versuchung ja etwas weniger als manche Berichterstatter - von der Gefahr frei halten, diese Antwort auf ihren militärischen Anteil zu verkürzen oder diesem Anteil eine Dominanz zuzuweisen, die er mit Blick auf Politik weder hat noch beansprucht. Ich halte es für außerordentlich wichtig, dass wir dies immer in Rechnung stellen; denn es wäre eine völlige Überforderung auch des Militärischen, zu glauben, dass die Maßnahmen am Ende einer langfristigen Entwicklung, die in diesem Falle noch durch eine sich auf fürchterliche Weise terroristisch austobende Gewalt beschleunigt wird, greifen könnten und dass diese dann militärischer Natur seien. Das muss viel früher beginnen. Krisenprävention ist kein Widerspruch zur Krisenreaktion, wie auch umgekehrt Krisenreaktion nie zum Ersatz oder zum Gegenteil notwendiger Prävention gemacht werden darf. ({0}) In der Debatte besteht eine doppelte Gefahr: Eine Haltung besagt, es werde ausreichen, wenn wir in fast sozialarbeiterischer Weise präventiv vorgingen. Das reicht aber nicht; denn diese Haltung übersieht, dass Menschen, Organisationen, Finanzstrukturen und vieles andere leider so ausgerichtet sind, dass sie sich gewalttätig und terroristisch zur Geltung bringen. Dem ist mit einem so präventiv gedachten Ansatz nicht mehr beizukommen. Umgekehrt müssen aber die Maßnahmen der Reaktion auch so angelegt sein, dass andere Maßnahmen, die im umfassenden, eher präventiven Sinne erforderlich sind und bleiben - der Dialog zwischen Kulturen und Religionen, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Bewahrung von Lebensgrundlagen, Förderung von Rechtsstaatlichkeit -, durch die Art der Reaktion nicht diskreditiert und in Zweifel gezogen werden können. Ausgehend von diesen grundsätzlichen Erwägungen mache ich zunächst deutlich, dass die Erneuerung der Bundeswehr von Grund auf, das Gesetz über die Neuausrichtung der Bundeswehr und der Haushalt in diesem Konzept einen untrennbaren Zusammenhang bilden. Es darf nicht übersehen werden, dass die Erneuerung der Bundeswehr von Grund auf der veränderten sicherheitspolitischen Lage unseres Landes und den sich daraus ergebenden Anforderungen an gemeinsame - dieses Wort unterstreiche ich ausdrücklich - Sicherheit Rechnung trägt. Dies ist deswegen so wichtig, weil eine gewisse Gefahr besteht - ich bemerke dies auch an der einen oder anderen Bemerkung in diesem Hause -, dass einiges aus dem Blick gerät, was nicht aus dem Blick geraten sollte. Unverändert sind die geistigen Grundlagen der Bundeswehr: innere Führung, das Leitbild des Staatsbürgers in Uniform. Unverändert ist und bleibt auch der Verfassungsauftrag der Streitkräfte: Landesverteidigung und Gewährleistung gemeinsamer Sicherheit im Bündnis. Allerdings bedeutet Landesverteidigung unter den veränderten sicherheitspolitischen Umständen den Erwerb oder die Entwicklung von Fähigkeiten, die auch in der Krisenprävention wie in der Krisenreaktion eingesetzt werden können; dies rufe ich ausdrücklich ins Gedächtnis zurück. Dies war der Grund dafür, dass innerhalb der NATO im April 1999 einige Festlegungen getroffen worden sind, aus denen sich ableiten lässt, was mit der Neuausrichtung der Bundeswehr verbunden ist. Das schließt die Antwort oder die Fähigkeit zur Antwort auf neue Herausforderungen, Gefahren und Bedrohungen ein; der Terrorismus ist ausdrücklich erwähnt. Diejenigen, die jetzt sagen, wir bräuchten gewissermaßen eine Reform der Reform, laufen ein enormes Risiko: das Risiko des Sonderwegs und der Verabschiedung aus den gemeinsam getroffenen Festlegungen, die bis in die Fähigkeitenkataloge der NATO und übrigens auch der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik reichen. Das ist ein Risiko, das Deutschland nicht eingehen darf und auch nicht eingehen wird. Vor diesem Hintergrund sagen dann einige: Mag sein, dass die Reform insgesamt richtig angelegt ist, aber manches muss schneller getan werden. - Dem stimmt die Bundesregierung - nicht zuletzt der Verteidigungsminister - ausdrücklich zu: Es muss einiges schneller getan werden, als ursprünglich beabsichtigt. Ohne jetzt auf alle Einzelheiten einzugehen, will ich doch sagen, dass mit jenen 1,5 Milliarden DM, über die hier auch gesprochen worden ist, die Fähigkeit zum Schutz des eigenen Landes, der Bündnispartner und der eigenen Soldaten schneller als ursprünglich gedacht verbessert werden muss, dass die Fähigkeit zur Aufklärung und Führung - Letzteres insbesondere über längere Distanzen und Zeiträume - schneller verbessert werden muss als gedacht, dass bestimmte Kapazitäten in der Ausbildung erhöht werden müssen - das betrifft besonders die Flugstunden - und dass im Übrigen auch Verbesserungen im personellen Bereich schneller erfolgen müssen als gedacht, ob sie nun Wehrübungsplätze oder einen schnelleren Aufwuchs in bestimmten Bereichen betreffen, in denen es in der Bundeswehr Engpässe gibt, etwa bei Spezialisten im IT-Bereich, im Fernmeldebereich und anderenorts. Daraus ergibt sich auch - das sage ich mit Blick auf manche Bemerkung hier in diesem Hause -, dass das keine Sache für ein Jahr ist. Dazu sind langfristig angelegte Bemühungen erforderlich, die nicht in eine einmalige, auf ein Jahr konzentrierte finanzielle Anstrengung münden können und münden werden. Das ist völlig klar. ({1}) Es geht also nicht darum, die konzeptionellen Grundlagen der Erneuerung der Bundeswehr neu zu diskutieren. Wer dies tut, verabschiedet sich nicht nur aus gemeinsamen Festlegungen im Bündnis und in der Europäischen Union und geht das beschriebene Risiko ein; er ruiniert auch einen sehr dynamisch fortschreitenden Prozess und damit das Vertrauen innerhalb der Streitkräfte selbst. Ich sage das in aller Deutlichkeit: Man kann sich im politischen Raum und im parteipolitischen Streit vieles denken, aber eines darf nicht geschehen: ({2}) Das Vertrauen in die Fähigkeiten, in die Klarheit der Auftragserfüllung und in deren Gewährleistung darf in den eigenen Streitkräften im Interesse der Sicherheit unseres Landes und des Beitrages zu weltweiter Stabilität nicht ruiniert werden. ({3}) Ich hatte bereits gesagt, dass der militärische Teil einer Antwort auf die Herausforderungen des Terrorismus notwendig ist, aber nicht mit der ganzen Antwort verwechselt werden darf. Ich kann das hier schon allein aus Zeitgründen, die nicht mit meiner Redezeit, sondern mit der Sitzung der NATO-Verteidigungsminister in Brüssel zu tun haben, nicht im Einzelnen ausführen, aber ich will doch noch zwei Hinweise geben, die das deutlicher machen. Erstens. In der gegenwärtigen Debatte spielen Regionen auf der Erde eine Rolle, die wir nicht ausschließlich als Heimat oder Schutzräume von Terroristen wahrnehmen sollten. In dieser wenige hundert Kilometer breiten Ellipse rund um das Kaspische Meer, in den mittelasiatischen Staaten, befinden sich für die weltwirtschaftliche Stabilität entscheidende natürliche Ressourcen. Leider verbindet sich das in diesen Staaten mit einer hochkomplizierten und auch explosiven Mischung, die bestimmt wird von dem Besitz von oder dem Streben nach Massenvernichtungswaffen, von religiösem Fanatismus, ethnischem Hass und manch anderem. Vor diesem Hintergrund wird ganz offenkundig, dass mit Blick auf die Staaten dieser Region eine militärische Antwort an die Adresse Afghanistans - das ist meine Prognose - wohl notwendig sein wird. Aber wir dürfen dabei nicht stehen bleiben. Wir dürfen zu keinem einzigen Zeitpunkt aus den Augen verlieren, dass die langfristige Eingliederung dieser Staaten in die zivilisierte Welt in unserem eigenen sicherheitspolitischen wie wirtschaftspolitischen Interesse liegt. ({4}) Zweitens. Der Herr Bundesaußenminister hat in seinen Bemerkungen auf Nordafrika aufmerksam gemacht. Dabei geht es nicht nur um das Schrecknis der 100 000 in den letzten Jahren in Algerien Umgebrachten; es geht auch um die Tatsache, dass sich die Bevölkerung in Nordafrika in überschaubar kurzer Zeit verdreifachen wird und heute schon absehbar ist, dass jede unterlassene Investition in die Bewahrung von Lebensgrundlagen, in die Stärkung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit und in die Förderung des Verständnisses von Kulturen und Religionen in Zukunft als moralische Verantwortung und übrigens auch als Migrationsdruck auf uns lasten wird. ({5}) Wenn das soeben beendete Treffen zwischen Arafat und Peres - wie man hört - in der nächsten Woche fortgesetzt wird, dann ist das mit Blick auf den Zusammenhang, den wir hier diskutieren, ein ausgesprochen wichtiges Signal und es bestätigt die Bemühungen der Bundesregierung - namentlich des Kanzlers und des Außenministers -, eine Eskalation des Nahostkonflikts zu vermeiden - wegen der Menschen, die dort leben, wegen unserer eigenen Verantwortung, aber auch, weil wir wissen, dass eine Eskalation des Nahostkonflikts zum Ferment in den arabischen Gesellschaften werden könnte, zum Katalysator, der die zurzeit relativ isolierten terroristischen Bestrebungen in den arabischen Gesellschaften in einen falschen Zusammenhang stellen, eine falsche Solidarität bewirken könnte. Eskaliert der Nahostkonflikt, dann besteht die Gefahr, dass der Terror mit dem verwechselt wird, was manche zu signalisieren versuchen, nämlich einem Kampf zwischen Kulturen oder Religionen. Das hätte gefährliche Folgen nicht nur in der arabischen Welt. ({6}) Was nun Mazedonien angeht, Herr Kollege Rühe, so ist es doch für eine Einbringungsrede ungewöhnlich, dass man versucht, auf eine Debatte einzugehen. Wir müssen doch die in Mazedonien erreichten Erfolge nicht kleinreden, um uns gegenseitig zu bestätigen, dass wir noch nicht am Ende des Weges sind. ({7}) Ich entsinne mich der Diskussion sehr gut und will jetzt gar nicht auf die einzelnen Punkte eingehen, die in anderen Debatten eine Rolle spielen mögen. Heute scheint mir das eine etwas zu kleine Münze zu sein. Was haben wir erreicht, und zwar entgegen mancher skeptischen, vorsichtigen - was ja berechtigt ist - und, wie ich finde, hier und da die vorsichtige Skepsis auch übertreibenden Vermutung, sodass man fragen müsste, ob das wirklich Vorsicht und Skepsis waren oder nicht etwas anderes? Wir haben erreicht, dass der Prozess des Waffeneinsammelns erfolgreich abgeschlossen worden ist. Es geht aber nicht nur um den Prozess des Waffeneinsammelns allein; er ist zugleich eine unabdingbare Voraussetzung für den Wiederaufbau von Vertrauen zwischen Bevölkerungsgruppen und für die Vermeidung des Bürgerkriegs. ({8}) Im Übrigen argumentieren Sie nicht ganz korrekt - ich drücke mich höflich aus -, wenn Sie sagen: Aber der Verfassungsreformprozess ist ja noch gar nicht abgeschlossen. Erstens stimmt das und zweitens haben wir von Anfang an die Absicht verfolgt - so verliefen alle Planungen -: erst das Waffeneinsammeln, dann der Prozess der abschließenden dritten Lesung der Verfassungsreform im mazedonischen Parlament. Das wird hoffentlich auch gelingen. Dann ist einiges im Interesse umfassender Sicherheit zu tun. Ich hoffe, dass wir heute - die Voraussetzungen sind leider noch nicht ganz erfüllt - in der Bundesregierung und dann auch im Deutschen Bundestag die entsprechenden Entscheidungen treffen können. ({9}) Vor diesem Hintergrund wird vielleicht auch die Notwendigkeit der Ableitung der Fähigkeiten der Bundeswehr der Zukunft und ihrer haushaltsmäßigen Absicherung deutlich. Ich sage auch mit Blick auf manche skeptische Bemerkung aus den Reihen der Opposition, dass die finanzielle Absicherung dieser Reform - da bin ich mit Hans Eichel und anderen völlig einig - auch eine Reform der wirtschaftlichen Prozesse erfordert, nicht in der Form, wie es der Kollege Austermann unterstellt - so blöd wird keiner sein -, sondern so, dass man aus den wirtschaftlichen Prozessen jene Mittel gewinnt, die notwendig sind, um die Finanzierung zusätzlich erforderlicher - völlig unbestreitbar notwendiger - Investitionen bei der Bundeswehr gewährleisten zu können. ({10}) Das werden wir schaffen. Vor diesem Hintergrund bitte ich Sie - ich kann nicht sagen, um Ihre Zustimmung -, die Beratungen so zu führen, dass im Hinblick auf die Zielorientierung - nämlich Sicherheit des eigenen Landes, seiner Partner und Freunde, weltweite Stabilität - der auch den Fähigkeiten der Bundeswehr angemessene Beitrag geleistet werden kann, statt der Versuchung zu erliegen, in einer so herausfordernden Situation das parteipolitische Kleinklein zu pflegen. Das ist unangemessen. Wir können uns intelligent und sachlich streiten. Nicht jede Bemerkung, die ich von der Opposition gehört habe, ist nach meinem Urteil diesem Anspruch gerecht geworden. ({11})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Paul Breuer von der CDU/CSU. ({0})

Paul Breuer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000265, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich stelle fest, Herr Minister Scharping, dass weite Teile der Rede, die Sie gerade hier gehalten haben, nicht an das ganze Haus adressiert waren, sondern im Wesentlichen ({0}) Beschwörungsformeln für eine Unterstützung durch die rot-grüne Koalition gewesen sind. ({1}) Sie haben auch allen Grund, das zu tun. Sie warnen vor einer Reform Ihrer Reform. Das sind Forderungen, die nicht aus der Opposition kommen; ({2}) das sind Forderungen, die von der rot-grünen Koalition an Sie gerichtet werden und die zeigen, dass Vertrauen für Sie und Ihre politischen Bemühungen in dieser rot-grünen Koalition derzeit nicht besteht. ({3}) Der Deutsche Bundestag muss feststellen, dass zum ersten Mal in der Geschichte der NATO der Bündnisfall bevorsteht. 50 Jahre nach Gründung der NATO ist das eine historisch einmalige Situation. Der Deutsche Bundestag muss auch feststellen, dass die Bundeswehr - und zwar nach den Worten des Verteidigungsministers - zum Zeitpunkt der Feststellung des Bündnisfalles nicht voll bündnisfähig ist. Die erste Aufgabe des Deutschen Bundestages und dieser Bundesregierung muss sein, die Bündnisfähigkeit der Bundeswehr so schnell und so wirksam wie irgend möglich herzustellen. ({4}) Wenn wir uns damit auseinander setzen, wie die Bündnisfähigkeit herzustellen ist, dann kommen wir nicht umhin festzustellen, dass in den letzten drei Jahren durch die Aktivitäten dieser Bundesregierung erhebliche Defizite in Bezug auf die Bündnisfähigkeit entstanden sind ({5}) und entschlossenes Handeln insbesondere in Bezug auf die Modernisierung und die Ausrüstung der Bundeswehr ausgeblieben ist. ({6}) Wenn in diesen Stunden darüber diskutiert wird, ob Herr Scharping mehr Geld für die Bundeswehr bekommen soll, dann muss Ihnen klar werden, dass es an sich skandalös ist, dass es der Terroranschläge von New York und Washington bedurfte, Sie darauf hinzuweisen, dass man die Bundeswehr nicht bündnisunfähig lassen kann. ({7}) Ich zitiere aus der „Süddeutschen Zeitung“ vom heutigen Tage - Sie können nicht behaupten, dass Christoph Schwennicke, der diesen Kommentar geschrieben hat, ({8}) besonders freundlich mit der Union umgehen würde -: Die Bundeswehr ist nachweislich unterfinanziert, sie war es vor dem 11. September, sie ist es nach dem 11. September. ({9}) Doch erst das Inferno von New York hat die Denkblockaden gelöst: ein Armutszeugnis für den sicherheitspolitischen Sachverstand in dieser Bundesregierung. ({10}) Wenn die Flugzeugbomben in den USA offenkundig Nachhilfeunterricht der schrecklichsten Art geliefert haben, sollte die neue Einsicht gleich einen Schritt weiter reichen. Ein klarer Wehretat tut dringend Not. ({11}) Dem, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD und dem Bündnis 90/Die Grünen, ist nichts hinzuzufügen. ({12}) Was die Klarheit des Wehretats angeht, muss ich allerdings feststellen, dass diese nach wie vor nicht gegeben ist. Ich kann den bisherigen Äußerungen in der Öffentlichkeit, Herr Kollege Scharping, nur entnehmen, dass eine Aufstockung des Verteidigungsetats wohl nicht erfolgen wird. Das stelle ich einmal völlig unabhängig von der Frage fest, wie dieser Finanzierungsbedarf gedeckt werden soll. Dazu ist heute Morgen in der Debatte genügend gesagt worden. Diese 1,5 Milliarden DM sollen nicht dem Verteidigungsetat zugeführt werden, sondern sollen im Einzelplan 60 verbleiben. ({13}) Das lässt zweierlei Schlüsse zu: Erstens lässt das den Schluss zu, dass eine kontinuierliche Finanzausstattung des Verteidigungsetats für Sie nach wie vor nicht zur politischen Debatte steht. ({14}) Das lässt zweitens den Schluss zu, dass sich offenbar der Finanzminister vorbehält, den Verteidigungsminister im Hinblick auf seine Bemühungen zu kontrollieren. Das ist skandalös in dieser Situation. ({15}) Im Übrigen lässt das darauf schließen, dass die Autorität und der Einfluss des Verteidigungsministers, der in der Bundeswehr als völlig verschlissen gilt, ({16}) auch innerhalb der rot-grünen Koalition und innerhalb der Bundesregierung nicht mehr weiter gesenkt werden können. ({17}) Wenn es nämlich in einer solchen Situation, wie wir sie heute haben, nicht möglich ist, unzweideutig über den Verteidigungsetat zu reden und ihn zu beschließen, beschreibt das letztlich nichts anderes als die Handlungsunfähigkeit einer Regierung. ({18}) Die 1,5 Milliarden DM, um die es hier geht, lösen nicht die Probleme des Verteidigungsetats. ({19}) Der Verteidigungsetat benötigt, damit wir aus der Unterfinanzierung herauskommen ({20}) sowie eine Rationalisierung und Modernisierung der Bundeswehr überhaupt vornehmen können - das sind Verlautbarungen aus dem Hause des Verteidigungsministers, zum Beispiel vom Generalinspekteur -, ({21}) für das kommende Jahr einen Betrag in der Größenordnung von 2,5 bis 3 Milliarden DM, im Übrigen mit steigender Tendenz. ({22}) Ich bin fest davon überzeugt, dass sich die Wähler in unserem Lande sehr genau anschauen werden, ({23}) in welcher Art und Weise der Deutsche Bundestag mit diesem Haushaltsentwurf, der noch dazu völlig unklar ist, in den kommenden Wochen umgehen wird. Ich appelliere an Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD und den Grünen: Sorgen Sie tatkräftig mit dafür, dass die Bundeswehr tatsächlich einen Beitrag im Rahmen der internationalen Bemühungen und insbesondere der Bündnisbemühungen leisten kann, wenn gegen den Terror in der Welt vorgegangen wird. ({24}) Davon sind wir leider derzeit weit entfernt. ({25}) Bei der Korrektur der Reform, Herr Minister Scharping, geht es nicht um eine Reform der Reform. Es geht darum, festzustellen, dass in einigen Bereichen die zeitlichen Prioritäten verschoben werden müssen. Wir müssen alles dafür tun, dass die Bundeswehr schneller ihre Reaktionsfähigkeit und Einsatzfähigkeit gewinnt, als dies in Ihrer Reform geplant war. Wir müssen einiges dafür tun, ({26}) dass die Bundeswehr zusätzliche Fähigkeiten zum Antiterroreinsatz bekommt. Wenn Sie, Herr Kollege Kahrs, in Ihren dümmlichen Zwischenrufen ({27}) fragen: „Wieso wir?“, dann sage ich Ihnen darauf: Ich finde, dass die Opposition dafür genauso viel Verantwortung trägt wie Sie. Nehmen Sie bitte die Signale auf, die von dieser Opposition kommen. Ich habe den Eindruck, dass die Opposition dieser Verantwortung zum Teil in größerer Art und Weise Rechnung trägt als Ihre Koalition. ({28})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Angelika Beer.

Angelika Beer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000134, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich habe gedacht, dass wir angesichts der dramatischen Folgen des Anschlages am 11. September dieses Jahres vielleicht endlich einmal alte Schützengräben verlassen und versuchen würden, den vor uns liegenden Aufgaben gerecht zu werden. ({0}) Ich sage das, Herr Kollege Breuer, weil ich davon ausgehe, dass sich die außen- und sicherheitspolitischen Parameter mit den grausamen Terrorangriffen, mit dem Massenmord an der Zivilbevölkerung in New York und dem Anschlag in Washington, grundlegend verändert haben. Ich glaube, dass es Zeit ist, Politik- und Sicherheitskriterien in allen Bereichen auf den Prüfstand zu stellen. Ich bin mir in einem ganz sicher: Allein mit Ihrer jahrelang erhobenen Forderung nach mehr Geld werden Sie den aktuellen Problemen in keiner Weise gerecht. Unsere Regierung hat gehandelt. Wir haben das Geld für die jetzt notwendigen Maßnahmen zur Verfügung gestellt. Wir werden über das weiter diskutieren, was in allen Bereichen noch notwendig ist. Der Vorschlag - das ist ein Griff in die Mottenkiste -, man könne jetzt einfach unsere Verfassung infrage stellen, um den Einsatz der Bundeswehr im Inland zu ermöglichen - das wäre eine Vermischung der Gewaltmonopole -, stößt bei uns auf strikte Ablehnung. Das ist keine Antwort auf die Frage nach den notwendigen Reformen im Bereich der inneren und äußeren Sicherheit. Herr Kollege Breuer, ich möchte Ihnen angesichts der beeindruckenden gestrigen Rede von Putin in diesem Hause noch eines sagen: Herr Putin hat gesagt, der 11. September 2001 habe dazu geführt, dass auch in Russland die Letzten verstanden hätten, dass der Kalte Krieg beendet sei. Das scheint auf Sie leider nicht zuzutreffen. Wir müssen jetzt die Diskussion über die sicherheitspolitischen, außenpolitischen, aber auch über die präventiven Maßnahmen führen. Ich gebe zu, dass in meiner Partei eine heftige Grundsatzdebatte ({1}) sie ist notwendig und wird auch in unserer Gesellschaft geführt - darüber entbrannt ist, welche Mittel und Instrumente als Antwort auf die unglaublichen Terroranschläge in den USA adäquat sind. Es geht dabei nicht nur um die Forderung nach mehr Geld. Vielmehr geht es auch um die Fragen: Können wir mit begrenzten militärischen Schlägen gegen Terroristenzentralen weitere Anschläge verhindern? Können wir aus der Angst und Sprachlosigkeit heraus - das zuzugeben ist wohl legitim - die Instrumente der inneren und äußeren Sicherheit überprüfen und verbessern, ohne unseren Rechtsstaat und unsere Grundwerte infrage zu stellen? Dieser Aufgabe wollen und werden wir uns stellen. Wir müssen aber einsehen, dass herkömmliche militärische Mittel nicht reichen. Wir alle wissen doch - das macht uns auch sprachlos -, dass der Terrorismus nicht mit einem Militäreinsatz besiegt werden kann. Die Diskussion über einen erweiterten Sicherheitsbegriff werden wir führen. Es geht mir dabei überhaupt nicht um eine Reform der Reform. Vielmehr geht es mir bei der Debatte über den erweiterten Sicherheitsbegriff um die Stärkung der Entwicklungspolitik, die Bekämpfung der Armut und die Perfektionierung unserer Instrumente zur Verhinderung der Proliferation von biologischen und chemischen Waffen. Ich denke, dass nicht nur die Wissenschaftler, sondern auch wir gut daran tun, das Rad nicht neu zu erfinden. Wir sollten vielmehr die Sicherheitsanalyse von Richard von Weizsäcker und anderen noch einmal zurate ziehen, um Antworten für die Zukunft zu finden. ({2}) Ich möchte an dieser Stelle daran erinnern, dass wir auch an die Interessen unserer Soldatinnen und Soldaten denken müssen. Es ist für die Soldaten sicherlich schwer auszuhalten, sich in einem laufenden Reformprozess, den wir beschlossen und eingeleitet haben, immer wieder vor neue Anforderungen gestellt zu sehen, wenn das Parlament den entsprechenden Auftrag erteilt, und diese wie in der Vergangenheit immer wieder hervorragend zu meistern. Ich glaube, es ist gerechtfertigt, dass die Soldatinnen und Soldaten fragen, welchen Risiken sie und ihre Familien in Zukunft ausgesetzt sein werden, wenn sie ihren Beruf weiter ausüben. Aufgabe des Parlaments und der Regierung ist es, die Risiken für die Soldaten mit allen Mitteln zu reduzieren und ihnen Sicherheit zu geben, wo sie erforderlich ist, egal, ob es sich um „Amber Fox“, das Folgemandat für Mazedonien, oder um eine militärische Beteiligung im Rahmen der Terrorismusbekämpfung handelt. Liebe Soldatinnen und Soldaten, liebe Kolleginnen und Kollegen, dies ist der Zeitpunkt, in dem der Bundestag eine verantwortliche Debatte über die zukünftigen Aufträge der Bundeswehr führen und entsprechend entscheiden wird. Genauso verantwortlich werden wir jenseits jeder Demagogie oder alter Schützengräben dafür Sorge tragen, dass wir sagen können: Wir hoffen, dass die Soldaten auch nach diesen Einsätzen gesund zurückkommen. Das ist die Grundlage des gemeinsamen politischen Handelns. ({3})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Jürgen Koppelin.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zwei Vorbemerkungen machen. Die erste Vorbemerkung geht an den Verteidigungsminister, der leider nicht mehr anwesend sein kann. Ich hätte von ihm eigentlich keine Rede des Außenministers, sondern die des Verteidigungsministers erwartet. Ich hätte erwartet, dass er mitteilt, ob die Bundeswehr in dieser Situation einsatzfähig ist oder nicht. Davon habe ich überhaupt nichts gehört. Der Verteidigungsminister hat vielmehr eine zweite außenpolitische Rede gehalten. Da bereits der Außenminister eine solche Rede gehalten hat, brauchte ich das nicht. ({0}) Die zweite Vorbemerkung richtet sich an die Kollegin Beer. Mich erstaunt ein bisschen, dass Sie - das haben Sie auch in den letzten Tagen wieder getan - dem Verteidigungsminister Vorwürfe machen. Warum wiederholen Sie nicht in diesem Parlament, was Sie in den Medien gesagt haben? Sie haben zum Beispiel gesagt, der Verteidigungsminister sei wieder einmal neben der Spur. Führen Sie die entsprechende Diskussion doch hier! Kollegin Beer, nach Ihrer Rede sage ich Ihnen Folgendes: Sie sind in den vergangenen Jahren schon oft genug umgefallen. Allerdings kann man Ihnen den Vorwurf des Umfallens nicht mehr machen; denn wenn man umfällt, dann muss man vorher einmal gestanden haben. Sie dagegen stehen für gar nichts mehr. ({1}) Lassen Sie mich noch eine weitere Bemerkung zu Ihren Ausführungen machen. Sie haben hier viele Fragen gestellt, die - das bestreite ich nicht - sicherlich berechtigt sind. Aber in der Bevölkerung erwartet man von Politikern, dass sie nicht nur Fragen stellen, sondern auch Antworten geben. Ihr heutiger Beitrag hat überhaupt keine Antwort auf die Situation der Bundeswehr gegeben. ({2}) Wir sind uns alle einig - wer möchte das bestreiten? -: Deutschland trägt eine große außenpolitische Verantwortung. Wir merken das in diesen Tagen. Hinzu kommt, dass auch wir Freien Demokraten vor allem das Gewicht der Europäer innerhalb der NATO stärken wollen. Spiegelt der Haushalt das wider? Der Haushalt des Verteidigungsministers spiegelt das überhaupt nicht wider. Tatsache ist, dass sich die deutschen Aufwendungen für Sicherheit und Verteidigung im Vergleich zu denen der anderen NATO-Staaten fast auf dem letzten Platz befinden. ({3}) Man kann doch nicht den Anspruch erheben, außenpolitisch in der ersten Reihe zu sitzen, wenn man den Abgeordneten einen Etat des Verteidigungsministeriums präsentiert, der im internationalen Vergleich unter „ferner liefen“ rangiert. ({4}) Um es noch einmal deutlich zu sagen - wir haben es oft genug gesagt -: Mit einer Verteidigungspolitik nach Kassenlage muss Schluss sein. Das merken wir doch in diesen Tagen. Die Kollegin Beer hat noch einmal gesagt, wir schrien immer nur nach mehr Geld. Entschuldigung, auf einmal müssen Sie die Steuern erhöhen, um mehr Geld zu bekommen. Irgendwie muss unsere Forderung doch berechtigt gewesen sein. Auch darauf sind Sie nicht eingegangen. ({5}) Heute erleben wir, dass in Zeiten, in denen die äußere Sicherheit vielleicht doch nicht so sicher ist, wie es die Grünen erzählt haben, im Kabinett Steuererhöhungen beschlossen worden sind. ({6}) Kollegin Beer, Sie müssten uns einmal sagen, ob es richtig ist, die Steuern zu erhöhen, um der Bundeswehr mehr Geld zukommen zu lassen. Sie haben doch gesagt, wir schrien immer nach mehr Geld. Jetzt sind Sie es selber, die für mehr Geld für die Bundeswehr sorgen. Herr Trittin hat in einem Zeitungsinterview, das ich heute gelesen habe, gesagt, dass sich die Anhänger von Bündnis 90/Die Grünen in der offiziellen Rhetorik der Bundesregierung nicht wiederfinden. Genau das ist Ihr Problem und demgemäß haben Sie hier rumgeeiert, Frau Kollegin. Denken Sie einmal über Folgendes nach: Sie erhöhen die Versicherungsteuer. Rot-grüne Logik besteht darin, dass man die persönliche Sicherheit der Bürger höher besteuert, um ein Mehr an äußerer Sicherheit zu finanzieren. Wie wollen Sie das der Bevölkerung erklären? Durch Ihre Politik lerne ich, dass Rauchen nicht nur Krebs, sondern zukünftig auch noch die äußere und die innere Sicherheit fördert. Die Abgeordneten der Koalition müssen sich einmal überlegen, was sie wirklich beschließen. Der Finanzminister hat sich - das muss ich anerkennend sagen; leider ist kein Vertreter des Finanzministeriums anwesend - in einem Punkt durchgesetzt, der auch unserer Linie entspricht: Sämtliche Mehreinnahmen - es werden weit mehr als 3 Milliarden DM sein; da ist uns etwas vorgegaukelt worden; es werden etwa 6,5 Milliarden DM sein; diese Zahl ist von der CDU genannt worden - gehören in den Einzelplan 60. Ich möchte einmal genau wissen, wofür dieses Geld eingesetzt wird. Wir wollen, dass dieses Geld für die Bundeswehr, für innere und äußere Sicherheit verwandt wird. Es geht nicht an, dass der Verteidigungsminister Rechnungen, die er bisher nicht begleichen konnte, mit diesen Einnahmen bezahlt und dass weitere Löcher im Haushalt des Verteidigungsministeriums gestopft werden. Insofern halte ich die Entscheidung des Finanzministers für völlig richtig. Diesen Verteidigungsetat zeichnet eines aus: Schieben, strecken, streichen, täuschen. ({7}) - Diese alte Leier kann man wirklich nicht mehr hören. Sie müssen einmal eine neue Platte auflegen. Nun hat sich der Verteidigungsminister eine Geldmaschine angeschafft, ({8}) GEBB genannt. Da sollte das Geld förmlich gedruckt werden. Aber Sie werden die nächste Pleite erleben. Bereits jetzt entpuppt sich die „Geldmaschine“ GEBB als ein Windei. Vor genau einem Jahr erklärte uns der Verteidigungsminister, dass er mit der Gesellschaft für Entwicklung, Beschaffung und Betrieb - also kurz GEBB genannt - einen wichtigen Beitrag liefern würde, um die Finanzierung der Bundeswehr zu sichern. Er hat dann noch darauf hingewiesen, dass wir mit dieser Gesellschaft völliges Neuland betreten. Ich stelle fest: Das ist kein Neuland; diese GEBB ist ein einziger Sumpf. Außer großen Gehältern für die Angehörigen der GEBB, vor allem für die Geschäftsführerin, hat diese Gesellschaft bisher nichts zustande gebracht. Die GEBB sollte in diesem Jahr über 1 Milliarde DM einbringen. Was hat sie bisher eingebracht? ({9}) Keinen einzigen Pfennig! Ich weiß, warum der Bundesrechnungshof die GEBB nicht überprüfen darf: Weil man unglaubliche Angst hat, dass der Rechnungshof in die Bücher schaut. Er würde nämlich feststellen: dicke Gehälter, aber nichts dahinter. Nicht ein Pfennig ist eingenommen worden. ({10}) Sie arbeiten nur nach dem Prinzip Hoffnung. Ich bin dem Generalinspekteur ausgesprochen dankbar. Er hat in letzter Zeit mehrfach die Situation der Bundeswehr dargestellt. Wie ich jetzt zur Kenntnis nehmen muss, will er nach Brüssel gehen. Bei der NATO kann er über den Zustand der Bundeswehr berichten. Ich befürchte nur, unsere Partner wissen bereits seit langem, wie ihr Zustand ist. Ich stelle fest: Der Verteidigungsminister hat nicht auf den Generalinspekteur gehört. Ich frage mich, wer Recht hat. Hat der Generalinspekteur oder hat der Verteidigungsminister Recht? Es gibt zwei Darstellungen. Der Verteidigungsminister hat im Sommer eine Rundreise gemacht und gesagt, es sei bei der Bundeswehr alles bestens und die Motivation sei hoch. Ich höre etwas anderes. Entweder rede ich mit den falschen Soldaten oder es läuft in der Kommunikation zwischen Generalinspekteur und Bundesverteidigungsminister etwas falsch. Aufgrund meiner kurzen Redezeit möchte ich nur noch eine kurze persönliche Bemerkung in Richtung des Verteidigungsministers machen. Wir haben vor dem furchtJürgen Koppelin baren Ereignis in Amerika eine Diskussion geführt, die ich nicht aufwärmen will. Aber ich empfehle dem Bundesverteidigungsminister dringend - auch wenn er nicht da ist -, in das Soldatengesetz zu schauen. ({11}) In § 17 des Soldatengesetzes - „Verhalten im und außer Dienst“ - heißt es: Der Soldat hat Disziplin zu wahren und die dienstliche Stellung des Vorgesetzten in seiner Person auch außerhalb des Dienstes zu achten. Sein Verhalten muss dem Ansehen der Bundeswehr sowie der Achtung und dem Vertrauen gerecht werden, die sein Dienst als Soldat erfordert. Außer Dienst hat sich der Soldat außerhalb der dienstlichen Unterkünfte so zu verhalten, dass er das Ansehen der Bundeswehr oder die Achtung und das Vertrauen, die seine dienstliche Stellung erfordert, nicht ernsthaft beeinträchtigt. So weit das Soldatengesetz. Das schreiben wir dem Bundesverteidigungsminister ins Stammbuch. Er sollte hin und wieder in das Soldatengesetz schauen, auch wenn er Zivilist und kein Soldat ist. Aber er ist Vorgesetzter der Soldaten und danach hat er sich zu richten. ({12}) Sie können davon ausgehen, dass wir Freien Demokraten unsere Verantwortung gegenüber der Bundeswehr kennen. ({13}) - Sie kommen doch aus Hamburg; Sie gehören zu den Krakeelern. Wenn Sie in Hamburg nicht so eine chaotische Politik gemacht hätten, dann müssten wir uns heute nicht mit Herrn Schill herumplagen. Das ist die Situation. ({14}) Sie haben den Boden für Herrn Schill bereitet. ({15}) - Außer schreien können Sie nichts. Ich komme zum Schluss. Wir werden unserer Verantwortung gerecht. Ich freue mich auf die Diskussion über den Einzelplan 14. Ich weiß, dass alle Kollegen, die sich mit dem Etat befassen, das Beste für die Bundeswehr wollen. ({16}) Ich möchte an dieser Stelle für die Kolleginnen und Kollegen der Freien Demokraten sagen: Wir danken unseren Soldaten, die im Ausland tätig sind. Wir wissen, welche Verantwortung sie für uns alle übernommen haben. Wir begleiten sie in ihrem Dienst. Sie sollen wissen: Wir werden alles tun, dass ihre Sicherheit gewährleistet ist. Vielen Dank für Ihre Geduld. ({17})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Peter Zumkley.

Peter Zumkley (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002608, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Erstens hat die terroristische Bedrohung mit den Ereignissen vom 11. September in Washington und New York eine neue Dimension erreicht. Zweitens ist Deutschland zurzeit an internationalen Einsätzen in Bosnien-Herzegowina, im Kosovo und in Mazedonien beteiligt. Die aktuelle Sicherheitslage zeigt, dass die beschlossene Reform der Bundeswehr noch wichtiger und dringlicher geworden ist. Der von der Bundesregierung vorgelegte Verteidigungsetat 2002 und die von der Bundesregierung ergriffenen Sofortmaßnahmen tragen diesen neuen Erfordernissen der Bundeswehr Rechnung. Der Etat wird für die Jahre 2002 bis 2006 auf jährlich 46,2 Milliarden DM verstetigt. Zusätzlich wurden im Gesetzentwurf gebilligte Verstärkungsmöglichkeiten in Höhe von 1,2 Milliarden DM festgeschrieben. Die notwendigen Mehrausgaben für den Mazedonieneinsatz in Höhe von 148 Millionen DM werden in diesem Jahr - mit Auswirkung auf das Jahr 2002 - zusätzlich bereitgestellt. Strukturelle und materielle Maßnahmen zur Terrorbekämpfung, die bereits in dem Entwurf eines Bundeswehrneuausrichtungsgesetzes vorgesehen sind, werden zeitlich vorgezogen. Hierfür stehen jährlich zusätzlich beträchtliche Mittel zur Verfügung. Damit ist es möglich, die Bundeswehr den neuen sicherheitspolitischen Herausforderungen anzupassen und sie zu reformieren. ({0}) Die zweifellos noch vorhandenen und bekannten Fähigkeitslücken, die in der Vergangenheit entstanden sind, werden wir schrittweise - aber so zügig wie möglich schließen. Die Konsolidierung der Staatsfinanzen kann weiterhin in Einklang mit der Modernisierung der Streitkräfte erfolgen. Wir lassen uns auf diesem Weg nicht beirren. ({1}) Wir sind uns bewusst, dass zur Modernisierung der Bundeswehr der Plafond allein nicht ausreicht; wir wissen das. Die beschlossene Umstrukturierung kann nur gelingen, wenn zusätzlich Veräußerungserlöse, Effizienzgewinne und Einsparungen im zugebilligten Rahmen in Höhe von 1,2 Milliarden DM erwirtschaftet und ausgeschöpft werden. ({2}) Dies ist unser fester Wille. Davon lassen wir uns nicht abbringen. Es ist ein schwieriger Weg; aber wir werden ihn meistern. ({3}) Die dafür notwendigen Maßnahmen - die erforderlichen Mittel sind bereits im Haushaltsentwurf aufgeführt müssen und werden tatkräftig umgesetzt werden. Die Personalausgaben sind im Regierungsentwurf erstmals auf 24,5 Milliarden DM plafondiert. Dadurch stehen die Haushaltsmittel zur Verfügung, die zur Umsetzung der Gesetzesvorhaben, also zur Steigerung der Attraktivität der Bundeswehr, benötigt werden. Die Ungleichgewichte in der Personal- und Besoldungsstruktur, die unter anderem während Ihrer Regierungszeit entstanden sind, werden endlich beseitigt. ({4}) Die Ausbildungs- und Qualifizierungsoffensive wird fortgesetzt, die Attraktivität des Dienstes gesteigert und die Gewinnung von qualifiziertem Nachwuchs verbessert. ({5}) Hierzu soll auch das Gesetz zur Neuausrichtung der Bundeswehr beitragen, dessen Entwurf wir heute in erster Lesung beraten und an die Fachausschüsse überweisen werden. ({6}) Die Änderung des Besoldungsgesetzes zum Abbau des Beförderungsstaus und zur Verbesserung der Besoldungsstruktur wird noch in diesem Jahr folgen. Ich habe heute von Ihnen nichts über solche Vorhaben gehört. ({7}) Sie haben sich zwar in der großen Weltgeschichte bewegt, aber für die Soldaten haben Sie in Wahrheit überhaupt nichts vorgesehen. ({8}) Mit dem unvermeidlichen Personalabbau bei den Zivilbeschäftigten kann sozialverträglich und ohne betriebsbedingte Kündigungen auf der Basis des mit Verdi und dem Deutschen Beamtenbund vereinbarten Tarifvertrages begonnen werden. Der investive Anteil wird mit circa 9 Milliarden DM auf dem annähernd gleichem Niveau wie 2001 gehalten. Er kann aber im Haushaltsvollzug durch zusätzliche Einnahmen und Effizienzgewinne verstärkt werden. Die Modernisierung des Materials muss auch im kommenden Jahr konsequent nach einer festgelegten Prioritätenliste angegangen werden. Nur so können wir die Defizite der Vergangenheit auf der Zeitachse systematisch beseitigen. An der politisch und militärfachlich richtigen Entscheidung zur beschlossenen Bundeswehrreform werden wir festhalten. Die in der Umsetzung begriffene Reform wird, wie mir scheint, von der Opposition prinzipiell nicht mehr kritisiert. Wir streiten uns nur noch um die Finanzierung; das ist übrig geblieben. Wir werden miteinander in den Wettstreit darüber treten, wer Recht hat. Das ist ein ernstes Thema, das in das Parlament und in den zuständigen Ausschuss gehört. ({9}) Wir sind der Auffassung, dass wir trotz der Gesamtfinanzlage des Staates diese wichtigen Aufgaben leisten werden. Sie glauben es nicht. Darüber werden wir uns ernsthaft unterhalten, aber nicht mit der Haltung, wie ich sie manchmal vernehme, und mit dem, was hier auch schon zu Recht kritisiert worden ist. ({10}) Die Entlastung der Teilstreitkräfte durch die Ausgliederung der hauptsächlichen logistischen Aufgaben und die Zentralisierung des Sanitätsdienstes, die Straffung der Führungsorganisation, die Erhöhung der Zahl der Einsatzkräfte, die neue Weichenstellung im Hinblick auf veränderte Aufgaben der Streitkräfte und die Straffung der Wehrverwaltung - dies alles wird zu höherer Effizienz führen. Die Reform wird von unseren Partnern in der Europäischen Union und in der NATO voll anerkannt. Wir sind auf dem richtigen Weg. ({11}) Über die Finanzierung streiten wir uns und das machen wir gern. Sie wollen erheblich mehr Geld. Von keinem der Redner habe ich aber gehört, woher Sie es denn nehmen wollen. Sagen Sie doch, woher Sie es nehmen wollen! Wollen Sie umschichten oder wollen Sie mehr Schulden machen? Sagen Sie es doch, dann können wir darüber ernsthaft reden. ({12}) Wir glauben, dass die Bundeswehr angesichts der sicherheitspolitischen Lage und der notwendigen Haushaltskonsolidierung ausreichend Mittel zur Verfügung hat, um die Reform der Sicherheitslage entsprechend umzusetzen. Wir brauchen auch in Zukunft einsatzfähige, auch auf neue Aufgaben gut vorbereitete und ausgebildete Streitkräfte. Der Übergang von alter zu neuer Bundeswehr bringt viele Probleme und auch Unzulänglichkeiten im täglichen Dienstbetrieb mit sich. Das wissen wir doch alle. Diese schwierige Umbruchphase wird mit dem Engagement und hoher Dienstbelastung durch das Personal der Bundeswehr gemeistert. Zur Umsetzung der Reform brauchen wir unsere Soldaten und Zivilbeschäftigten. Der Erfolg wird wesentlich von ihrer Motivation abhängen. Für diese nicht leichte Aufgabe, meine Damen und Herren, danke ich den Soldaten, Beamten, Angestellten und Arbeitern der Bundeswehr bereits jetzt. Vielen Dank. ({13})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Christian Schmidt.

Christian Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002003, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir befinden uns in der außen- und sicherheitspolitischen Debatte zum Bundeshaushalt 2002. ({0}) - Das muss man deswegen sagen, weil das Bundesfinanzministerium nicht vertreten ist. Ich würde doch empfehlen, dass die Bundesregierung - ({1}) - Gut, es ist nur die Haushaltsdebatte. Das wirft ein Licht darauf, wie ernst man den Bundestag in dieser Frage offensichtlich nimmt. Da stellt sich auch die Frage, wie ernst sich die Koalitionsparteien nehmen. ({2}) Das Hin und Her bei der Frage, woher die 3 Milliarden DM, die jetzt die Lösung bringen sollen und die aus dem Haushalt angeblich nicht mehr zu holen waren, genommen werden, ob aus Einzelplan 60 oder nicht, ob darüber das Finanzministerium - Herr Overhaus oder wer auch immer - entscheidet, deutet nicht gerade auf eine klare Orientierung hin, sondern so etwas nennt man Eierei. ({3}) Zum Thema Bundeswehr und deren Finanzierung - ich möchte heute vor allem zur Außenpolitik sprechen doch noch eine Anmerkung. Ich höre immer: 16 Jahre lang war dieses und jenes. ({4}) Vergleichen Sie diesen Haushalt einmal mit Haushalten aus unserer Zeit! Und erinnern Sie sich bitte daran, dass Sie jetzt den vierten Haushalt unter Ihrer Regie machen. Sie müssen sich entscheiden, ob Sie regieren oder ob Sie stänkern wollen. ({5}) Ich muss dies so sagen, weil mich die Gesundrederei der Bundeswehr schon manchmal erschüttert. Es gibt Kollegen, die sehr genau wissen, wovon sie reden und wie sie reden. Vorhin fiel der Halbsatz - vielleicht nicht so gemeint, aber doch so gesagt -, der Generalinspekteur könne auch nicht rechnen. Wenn Sie all die, die nicht rechnen können, aus dem Verteidigungsministerium herausziehen, werden Sie bald auf dem politischen Zahnfleisch gehen. ({6}) - Ich kann den Namen der Kollegin aus Ihrer Fraktion nennen, die den Zwischenruf - ({7}) - Frau Präsidentin, ich wollte eigentlich reden, ich habe aber ständig jemanden im Ohr, der so laut schreit, dass ich nicht mehr in der Lage bin, mich selber zu verstehen. Wir sind hier nicht im Gewerkschaftsrhetorikkurs, sondern im Deutschen Bundestag. ({8}) Wenn Sie mit dem Generalinspekteur so umgehen, wie Sie es getan haben, dann muss Ihnen das vorgehalten werden. ({9}) Der Generalinspekteur hat sehr wohl korrekt auf die Fragen nach den Zahlen geantwortet. Die Antworten haben Ihnen nur nicht gepasst. ({10}) - Ich muss lauter reden, damit Ihr Kollege übertönt wird, Frau Kastner. ({11}) - Jawohl, den haben wir sehr richtig verstanden. Ihre Aufgeregtheiten zeigen nur, dass Sie sehr getroffen sind. ({12}) Ich empfehle Ihnen, dass Sie die Diskussion über den Wehrhaushalt - Einzelplan 14 - ernster nehmen, als das offensichtlich der Fall ist. Ich komme zu einem ganz anderen Punkt: Es geht um die Außen- und Sicherheitspolitik und die Konzeption der Bundesregierung. Meine Sorge gilt der Tatsache, dass innerhalb der Bundesregierung eine gewisse Positionslosigkeit in außen- und sicherheitspolitischen Fragen besteht. Ich stelle fest, dass die Opposition in der gegenwärtigen Situation, in der die Bundesregierung in der Person des Außenministers und des Bundeskanzlers eine klare Position bezogen hat, bereit ist, zu einer gemeinsamen Verantwortung zu stehen. Das ist selbstverständlich. Das kann aber nicht heißen, dass wir mit der Debatte darüber aufhören. Wir müssen die Strukturfragen der Außen- und Sicherheitspolitik schon noch behandeln. Ich meine, dass wir es mit einer Bundesregierung zu tun haben, die diesen strukturellen Fragen einen sehr niedrigen Stellenwert beimisst. Ich will Ihnen als ein Beispiel die Antirassismuskonferenz der Vereinten Nationen in Durban nennen, die in den letzten Wochen „untergegangen“ ist. Alle, die diese Konferenz verfolgt haben, wissen, was sich dort abgespielt hat. Der Versuch von palästinensischer Seite, diese zu einer antisemitischen Konferenz umzugestalten, konnte nur mit Mühe verhindert werden. Ein Platzen dieser Konferenz hätte dem Frieden im Nahen Osten sicherlich nicht gedient. Man muss allerdings fragen, ob es wirklich gut war, dass der Vertreter der Bundesregierung - nahezu unbeeindruckt von diesen Problemen -, der Bundesaußenminister - wenn ich mich nicht irre, war er der höchstrangige Vertreter der EU -, eine Rede mit Blick auf die deutsche koloniale Vergangenheit gehalten hat, in der auch auf den Herero-Aufstand vor 100 Jahren eingegangen wurde. Dies kam einem Schuldeingeständnis sehr nahe. Damit wurde - was ich nicht hoffe - im Prinzip eine Einladung an diejenigen ausgesprochen, die die Weltpolitik mit dem Amtsgericht, dem Gerichtsvollzieher und der Vorstellung, man könne die Entwicklungen der Geschichte mit Anwaltsbriefen und Vollstreckungstiteln bewältigen, verwechseln. Christian Schmidt ({13}) Ich unterstütze ausdrücklich die Position der Bundesregierung bezüglich Griechenland. Diese Position ist richtig, sie muss durchgehalten werden. Wir können solche Missachtungen der Prinzipien internationalen Rechts - die Beschlagnahme des Goethe-Instituts - nicht akzeptieren. Deshalb appelliere ich, sich nicht vom Gutmenschentum hinreißen zu lassen, sondern die Ziele der Außenpolitik auch mit Blick auf die Auswirkungen auf deutsche Interessen nüchtern zu formulieren. ({14}) Ein weiterer Punkt, der mir am Herzen liegt und den ich ganz kurz ansprechen möchte, ist, dass wir Schwierigkeiten haben, in den deutsch-tschechischen Beziehungen - ich nenne den deutsch-tschechischen Koordinierungsrat, der nach der beiderseitigen Erklärung der Regierungen eingerichtet worden ist - weiterzukommen. Es ist zu wenig, nur historische Stereotypen auszutauschen. Es gibt immer noch Fragen des gegenseitigen Verstehens, die nicht geklärt sind. Die Frage der Dekrete von Benes im Hinblick auf die Sudetendeutschen ist nicht nur ein Problem der Sudetendeutschen. Ich erinnere daran, dass beispielsweise die UN-Menschenrechtskommission 1998 eine Erklärung zum Recht auf Heimat und zur Ächtung der Vertreibung verabschiedet hat, die in der Generalversammlung leider noch nicht verabschiedet worden ist. Ich gehe davon aus, dass der Bundesaußenminister in diesem Punkt bei der Generalversammlung die Initiative ergreifen wird. Das sind tief gehende Fragen, die auch das Selbstverständnis der Europäischen Union als Rechtsgemeinschaft berühren. Deswegen muss dieser Dialog auf eine intensivere und wie ich hoffe - auch konstruktivere Basis als bisher gestellt werden. Ein Wort zu der Rede, die gestern Präsident Putin gehalten hat - Kollegin Beer hat sie auch noch einmal angesprochen -: Ja, es war eine sehr große Rede. Es war eine proeuropäische Rede. Wir sollten dies aufgreifen und bereit sein, Russland so weit wie möglich in den Integrationsverbund aufzunehmen. Ich glaube nicht, dass der NATO-Russland-Rat in seinen Möglichkeiten schon voll ausgelotet ist. Wir sollten durch Vertrauensbildung auch den Weg dafür ebnen, dass es bei der Erweiterung der NATO, die im nächsten Jahr ansteht - wenn es nach mir geht, unter Einschluss der baltischen Staaten -, zu einer kooperativen Lösung kommt und dass daraus kein Konflikt entsteht. Seit gestern sehe ich die Chancen hierfür wachsen. ({15})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt Frau Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul.

Heidemarie Wieczorek-Zeul (Minister:in)

Politiker ID: 11002503

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch in der heutigen Debatte hat man bei jedem Redner und bei jeder Rednerin gespürt, dass der Schock nach den schrecklichen terroristischen Anschlägen des 11. September noch immer auf uns lastet. Ich plädiere dafür, dass unser Verhalten aus zwei Grundzügen bestehen muss: entschlossenes Entgegentreten gegenüber den terroristischen Gewalttätern, ihre Bestrafung und Zerschlagung ihrer Strukturen einerseits und andererseits der Versuch der Prävention. Wir müssen den Nährboden trockenlegen, in dem Hass und Gewalt wuchern. ({0}) Ich möchte an die Adresse der Friedensgruppen, die sich jetzt landauf, landab äußern und denen ich mich selbstverständlich verbunden fühle, Folgendes sagen: Auch im Inneren unserer freien Gesellschaften antworten wir auf die Gewalt des Rechtsextremismus mit einer Doppelstrategie. Wir gehen mit unnachgiebiger Härte gegen rassistische Totschläger und ausländerfeindliche Brandstifter vor und bemühen uns gleichzeitig, den gesellschaftlichen Ursachen entgegenzuarbeiten, also Prävention zu betreiben. Das heißt, beides ist notwendig. ({1}) Bei allem, was die internationale Gemeinschaft und auch die deutsche Politik tut, muss darauf geachtet werden, dass keine neuen Konflikte und Spaltungen geschaffen werden. Die terroristischen Anschläge waren ein Angriff auf die Werte von Milliarden Menschen in aller Welt, seien es Moslems, Buddhisten, Hinduisten, Juden oder Christen. Das ist deutlich und das sollten wir in dieser Diskussion auch immer wieder deutlich machen. ({2}) Im Rahmen unserer Entwicklungszusammenarbeit findet alltäglich ein Austausch mit unseren Partnern statt. Vor Ort gibt es einen Dialog der Kulturen, der uns zeigt, dass uns vieles verbindet: gemeinsame Grundwerte, gemeinsame Träume und Visionen. Dieses Verbundensein wollen wir im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit zukünftig noch stärker verdeutlichen, übrigens auch zukünftig noch stärker finanzieren, denn sie hilft, Krisen zu überwinden und gemeinsam Wege zu finden. ({3}) Ich möchte allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern unserer Entwicklungszusammenarbeit, den Nichtregierungsorganisationen, Stiftungen und Kirchen für ihr tägliches Engagement unter schwierigen Bedingungen danken. Es ist gut, dass Thomas Künzel hat freikommen können. In diesem Zusammenhang appelliere ich eindringlich an die Entführer unseres GTZ-Mitarbeiters Ulrich Künzel und seines Freundes Reiner Bruchmann in Kolumbien: Lassen Sie diese Menschen endlich frei! ({4}) Mein dringlicher Appell richtet sich auch an die Zuständigen der Taliban: Lassen Sie die inhaftierten deutChristian Schmidt ({5}) schen, amerikanischen und australischen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen von „Shelter Now“ frei! ({6}) An dieser Stelle möchte ich auch sagen - Herr Irmer ist nicht mehr da -: Ich kenne diejenigen, die den zivilen Friedensdienst leisten. Die 19 Millionen DM für die Friedensfachkräfte, die Vermittlungsarbeit bei Konflikten vor Ort leisten, sind gut investiert. Sie ersparen uns nämlich anschließend Beträge in Milliardenhöhe. ({7}) Die Leute schlecht zu machen halte ich gegenüber den betroffenen Kolleginnen und Kollegen für unverantwortlich. ({8}) Humanitäre Verantwortung gilt aber auch für uns. In diesem Zusammenhang möchte ich ankündigen, dass unser Ministerium für Hilfsmaßnahmen für Flüchtlinge aus Afghanistan 15 Millionen DM zur Verfügung stellt. ({9}) Am 11. September dieses Jahres haben wir auf schrecklichste Weise erfahren, was es bedeutet, in einer Welt zu leben. Kein Teil ist ohne den anderen sicher. Wenn ein Gefühl von Ohnmacht und Zukunftslosigkeit gegenüber den wirtschaftlich und militärisch starken Nationen zur Mobilisierbarkeit für Terrorakte beiträgt, dann müssen wir diesem Gefühl der Unterlegenheit und Ohnmacht entgegenarbeiten. Die realen Machtverhältnisse sind folgendermaßen: Die G-7-Staaten verfügen über 70 Prozent des Bruttosozialproduktes, sie machen aber nur 10 Prozent der Weltbevölkerung aus. Wir müssen dazu beitragen - wir tun das mit unserer Entwicklungszusammenarbeit, müssen dies aber verstärkt tun -, dass die Menschen ihre eigene Entwicklung selber gestalten können und dass sie vor allen Dingen auch global stärker mitentscheiden und die Welt mitgestalten können. ({10})

Not found (Gast)

Der beste Schutz gegen Terror, Gewalt und Krieg ist eine gerechte internationale Ordnung. Dafür arbeiten wir alle in diesem Haus, dafür arbeitet auch die Bundesregierung. Die Globalisierung - das wissen wir nicht erst seit Genua - darf nicht dem Laisser-faire-Prinzip überlassen werden. Das würde die schreienden Ungerechtigkeiten, die wir alle kennen, verschärfen. Es geht um zwei Wege: Entweder überlassen wir alles der Entwicklung, dann setzt sich Gewalt fort. Oder wir schlagen den Weg ein, für den sich die Bundesregierung mit anderen Partnern entschieden hat, nämlich den Weg der sozialen und ökologischen Gestaltung der Globalisierung. Das tun wir bei unserer internationalen Zusammenarbeit mit der Weltbank und dem IWF, mit der Entschuldung und bei der Öffnung von Märkten. ({0}) Wir brauchen jetzt ein breites Reformbündnis der fortschrittlichen Regierungen aus Industrie- und Entwicklungsländern sowie der Zivilgesellschaften, auch derjenigen, die der Globalisierung kritisch gegenüberstehen, sich aber für die Gewaltfreiheit entsprechend engagieren. Wichtig ist, dass wir alle zusammenarbeiten, dass wir erleben, dass es nicht nur eine Globalisierung von Märkten, sondern auch eine Globalisierung von Solidarität und Werten gibt. Diese Botschaft ist notwendig. ({1}) Darüber hinaus brauchen wir eine Diskussion über die Finanzierung globaler öffentlicher Güter. Wir haben es bei der Aidsbekämpfung ja geschafft, einen entsprechenden Fonds einzurichten, an dem wir uns mit 300 Millionen DM beteiligen. Wir müssen aber auch einen Beitrag dazu leisten - so viel Entwicklungszusammenarbeit können wir nicht aufbringen, wie notwendig wäre, um das zu kompensieren, was notwendig ist -, dass internationale Finanzmärkte einen starken ordnungspolitischen Rahmen bekommen. ({2}) Unkontrollierte Kapitalbewegungen ruinieren ganze Volkswirtschaften von Entwicklungsländern. Dies könnten wir anschließend nicht mehr ausgleichen. Es hat sich auch in erschreckender Weise gezeigt, dass internationale Terrorgruppen von den Schwächen dieses unkontrollierten Finanzsystems in schamloser Weise profitieren, um ihre Verbrechen zu finanzieren. Denen muss das Handwerk gelegt werden. Deshalb müssen alle Elemente zur Bekämpfung der Geldwäsche und zur Stabilisierung der Finanzsektoren, einschließlich der stärkeren Regelung von Finanzströmen, in den Entwicklungsländern vorangebracht werden. Ich will an dieser Stelle sagen: In diese Überlegungen ist auch eine Devisentransaktionssteuer einzubeziehen, Stichwort Tobin-Tax. Unser Ministerium hat eine Machbarkeitsstudie zur Tobin-Tax in Auftrag gegeben; denn in dieser Situation dürfen wir kein Instrument ungeprüft lassen. Wer sagt, dass wir solche Instrumente nicht brauchen, der täuscht sich. ({3}) Die Entwicklungszusammenarbeit ist das einzige Instrument, mit dem wir in den Gesellschaften unserer Partnerländer mitgestalten und den Dialog führen können. Dabei ist „good governance“, eine gute, entwicklungsorientierte Regierungsführung, bereits jetzt ein Schwerpunkt unserer Entwicklungszusammenarbeit. Doch angesichts der jetzigen Erfahrungen wollen wir eine stärkere Fokussierung verwirklichen. Wir wollen besonders die Länder finanziell unterstützen, die das friedliche Zusammenleben verschiedener Ethnien und Religionen innerhalb ihrer Gesellschaft und ihrer Region ausdrücklich fördern und sich besonders in der Terrorismusbekämpfung engagieren. Die Bundesregierung hat die Ansätze der Veränderung und Präzisierung ihrer Entwicklungszusammenarbeit als Teil der Auseinandersetzung mit dem internationalen Terrorismus aufgenommen und stellt dafür mindestens 200 Millionen DM zur Verfügung. Zusammen mit der Verlängerung des Stabilitätspaktes für Südosteuropa über das Jahr 2003 hinaus sind dies wichtige Perspektiven für die deutsche Entwicklungszusammenarbeit. ({4}) Im letzten Herbst haben die katholischen Bischöfe ein Friedenswort herausgegeben, das sich „Gerechter Friede“ nennt. Ich möchte zum Schluss aus diesem Friedenswort zitieren: Eine Welt, in der den meisten Menschen vorenthalten wird, was ein menschenwürdiges Leben ausmacht, kann auf Dauer keinen Bestand haben. Sie steckt auch dann voller Gewalt, wenn es keinen Krieg gibt. Tragen wir alle mit dazu bei, der Gewalt entschlossen entgegenzuarbeiten! Ich danke Ihnen. ({5})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Christian Ruck.

Dr. Christian Ruck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001893, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! - In einem Punkt bin ich mit meiner Vorrednerin einig - auch andere Redner, wie Volker Rühe, haben es gesagt -: Eine starke Entwicklungspolitik ist für den langfristigen Erfolg des weltweiten Kampfes gegen den Terror unverzichtbar. Die Entwicklungspolitik bekämpft viele Ursachen: die ökonomische Perspektivlosigkeit, die krassen sozialen Gegensätze oder die oft unhaltbaren politischen Zustände in vielen Entwicklungsländern. All das sind Nährböden für Frustration, Hass und Gewaltbereitschaft. Bin Laden und andere Terroristen sind nicht arm, aber die sozialen Sprengsätze der Welt sind der Scheiterhaufen für die Lunte, die die Terroristen anzünden wollen. ({0}) Wir sehen auch, dass die Probleme der Entwicklungsländer wachsen und auf uns zuwachsen. Deshalb ist die Terrorbekämpfung eine Aufgabe auch für eine moderne Entwicklungspolitik als Teil einer vorausschauenden Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Hinsichtlich dieser Aufgabe steht die rot-grüne Entwicklungspolitik kurz vor der Kapitulation. Alle vollmundigen Ankündigungen, die vielen pressewirksamen Auftritte und Initiativen, wie die Armutsinitiative, die Klimainitiative, die Kaukasusinitiative oder auch die Aidsbekämpfung, sind angesichts der Realitäten des Haushalts Schall und Rauch. ({1}) Der entwicklungspolitische Haushalt ist in der Tat ein rot-grüner Steinbruch. Unverdrossen wird er weiter abgemeiert und steuert jetzt auf ein Zehnjahrestief zu. Die neuerliche Kürzung um 5,3 Prozent lässt ihn sogar noch unter die Ansätze der mittelfristigen Finanzplanung - diese war ohnehin schon traurig genug - abrutschen. Wir sind jetzt bei einer ODA-Quote von 0,2 Prozent angelangt; diese betrug früher immerhin einmal 0,42 Prozent. Das ist für Sie, Frau Ministerin, die Bundesregierung und Deutschland ein Armutszeugnis. ({2}) Sie haben vorhin einen Betrag von 200 Millionen DM erwähnt, der jetzt angeblich noch draufgesattelt werden soll. Ich kann mich gut daran erinnern, dass Sie uns diesen Betrag schon einige Wochen vor dem Anschlag angekündigt haben. Entweder haben Sie damals leere Versprechungen gemacht oder Sie haben bei der Runde zur Verteilung der zusätzlichen 3 Milliarden gestern nichts, aber auch gar nichts herausgeholt. Ich möchte Ihnen die Folgen dieser Steinbruchpolitik am Beispiel Pakistans aufzeigen. Pakistan - das wissen wir - steht seit Jahren auf der Kippe zum Extremismus. Sie haben die Leistungen der Entwicklungspolitik von früher 100 Millionen DM auf 36 Millionen DM heruntergefahren. Das Goethe-Institut in Lahore wurde geschlossen und die Stiftungen in Pakistan mussten ihre Ausgaben drastisch kürzen, weil Sie die Mittelzuweisungen zurückgefahren haben. Genauso dramatisch ist die Situation in Zentralasien. Den gleichen Fehler machen Sie auch beim Stabilitätspakt für den Balkan. Ein anderer qualitativer Fehler ist Ihre verfehlte Schwerpunktsetzung - wir haben das schon öfter diskutiert -, die zum Beispiel Länder wie Indonesien dazu verführt, sich das herauszupicken, was den einzelnen Regierungen gefällt, statt das zu nehmen, was der Bevölkerung und der Wirtschaft gut tut und für eine wirkliche Aufwärtsentwicklung des Landes wirklich dringend notwendig ist. Angesichts dieser gewaltigen Aufgaben ist Ihr Haushalt bereits jetzt Makulatur. Sie werden mit dieser Haushaltsvorlage in der Zukunft im Grunde genommen vollkommen handlungsunfähig sein. Deswegen fordern wir einen grundlegenden qualitativen und quantitativen Wandel. Wir wollen eine stärkere, schnellere und flexiblere Unterstützung rechtschaffener, reformbereiter Staaten, Politiken und Parteien in den Entwicklungsländern. Wir wollen eine Stärkung der Kirchen und der Stiftungen, zum einen für die Basisarbeit, zum anderen auch für eine bessere Politikberatung. Wir fordern die Rücknahme der Kürzungen im Bildungs- und Ausbildungsbereich. Wir fordern eine stärkere Unterstützung vieler Entwicklungsländer beim Prozess der GlobaBundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul lisierung. Das ist ein ganz wichtiger Punkt gerade für die internationale Wirtschaftspolitik. ({3}) Zusammengefasst: Wir fordern nicht nur die Rücknahme der Kürzungen des Entwicklungshaushaltes um 5,3 Prozent, sondern ein Anwachsen des Haushalts analog zum Bundeshaushalt um 1,6 Prozent und die Absicherung der deutschen Entwicklungspolitik in der mittelfristigen Finanzplanung. Gerade nach dem Terroranschlag in den USA kämpfen wir um die deutsche Entwicklungspolitik. Wir kämpfen auch um Ihren Haushalt. Wir werden uns auch mit detaillierten Vorschlägen und Vorstellungen an der zukünftigen Beratung des Entwicklungshaushaltes beteiligen. Ich darf aber auf eines hinweisen: Die jetzige miserable Finanzausstattung des Entwicklungshaushaltes ist kein gottgewolltes Schicksal. Ich brauche auch keine Tobin-Steuer, um tief greifende Veränderungen zum Besseren vorzunehmen. Sie haben zum Beispiel die DEG für ein Linsengericht verscherbelt. Das war Ihr Fehler. Das war ein großes Versäumnis. Allein mit einem ordentlicheren Erlös hätten wir den Entwicklungshaushalt auf dem Niveau des Vorjahres halten können. ({4}) Diese Stunde ist auch die Stunde einer durchdachteren und stärkeren Entwicklungspolitik, aber nicht mit diesem Haushalt und nicht mit diesen Strukturen. Wir sind bereit, konstruktiv an einer Wende zum Besseren mitzuarbeiten. Aber diese Wende muss von Ihnen eingeleitet werden. Sie sind in der Verantwortung - zumindest bis zu den nächsten Wahlen. ({5})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Zu einer Kurzintervention erhält jetzt die Abgeordnete Wieczorek-Zeul das Wort.

Heidemarie Wieczorek-Zeul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002503, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Ich möchte einige falsche Aussagen richtig stellen. Erstens. Die offizielle Entwicklungszusammenarbeit der Bundesrepublik Deutschland umfasste im Jahre 1982, bei Ende der sozialliberalen Koalition und zu Beginn der Regierung Kohl, 0,48 Prozent des Bruttosozialprodukts. Als wir 1998 die Regierung übernahmen, lag der Anteil bei 0,26 Prozent des Bruttosozialprodukts. Er betrug - das ist die letzte offizielle Zahl - im Jahr 2000 0,27 Prozent des Bruttosozialprodukts. Die Steigerungen könnten größer sein; das ist sicher richtig. Aber die Wahrheit ist, dass Sie den Entwicklungsetat abgewirtschaftet haben, was sich aus diesen Zahlen ganz eindeutig ergibt. Das sollten Sie nachträglich wirklich nicht verdrängen. ({0}) Zweitens. Ich finde es schade, dass in einer solchen Diskussion, bei der wir doch auch mit ganz anderen Problemen zu ringen haben, falsche Behauptungen aufgestellt werden. Die Wahrheit ist doch, dass die finanzielle Zusammenarbeit in der Entwicklungspolitik mit Pakistan und Indien von meinem Vorgänger eingestellt worden ist, und zwar nachdem die Atomwaffentests durchgeführt worden waren. Nach einer Übergangsphase, in der wir in diesen Fragen Klarheit geschaffen hatten, hat unsere Regierung die Entwicklungszusammenarbeit wiederaufgenommen. Das möchte ich an dieser Stelle um der historischen Gerechtigkeit willen deutlich machen. ({1}) Ich bitte einfach darum, solche Dinge nicht in die Diskussion zu bringen, weil dies unserer Debatte nicht angemessen ist. ({2})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Aus gegebenem Anlass weise ich darauf hin, dass in diesem Saal Handys nicht erlaubt sind. Zur Erwiderung erhält Herr Kollege Ruck das Wort.

Dr. Christian Ruck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001893, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Ministerin, dass es um ganz andere Probleme gehe, ist schlichtweg nicht meine Meinung. Die Entwicklungspolitik ist, wie gesagt, ein ganz wichtiger Eckpfeiler im Kampf gegen den Terrorismus. Daher ist es auch sehr wichtig darüber zu diskutieren, wie Ihr Haushalt in Zukunft ausgestattet sein wird. Er ist miserabel ausgestattet. Am Ende unserer Regierungszeit standen für Entwicklungshilfe immerhin 1 Milliarde DM mehr zur Verfügung als heute. ({0}) - Das ist nicht falsch. Damals waren es 8 Milliarden DM, heute sind es 7 Milliarden DM. Sie haben 1 Milliarde DM „auf dem Gewissen“. Die Quote von 0,42 Prozent - hier steht Aussage gegen Aussage - stammt von 1990, also aus unserer Regierungszeit. ({1}) Jetzt sind wir - ich bleibe dabei - bei einer ODA-Quote von 0,2 Prozent, wenn Sie Ihren rechnerischen Trick mit den Ostmitteln herausnehmen. ({2})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Angelika Köster-Loßack.

Dr. Angelika Köster-Loßack (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002704, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Der 11. September hat auch für die Entwicklungspolitik einen neuen Rahmen gesetzt. Es wäre allerdings falsch, eine direkte Verbindung zwischen den schrecklichen Angriffen auf New York und Washington und der Ungerechtigkeit in der Welt herzustellen. Aber diese Terroranschläge haben uns nachdrücklich vor Augen geführt, dass wir uns viel intensiver als bisher mit den Ursachen, insbesondere dem fanatischen Hass auf die Moderne und die offene Gesellschaft, beschäftigen müssen, und zwar nicht nur in Afghanistan. Die zivilen Mittel, mit denen gehandelt werden kann, sind bekannt. Erfolgreiche Krisenprävention muss natürlich auf den Abbau von Armut und Ungerechtigkeit zielen. Dies kann aber nur im Dialog mit den Menschen und den Regierungen des Südens geschehen. Sie müssen am Global-Governance-Prozess teilhaben können, damit Gefühle von Ausgeschlossenheit und struktureller Unterlegenheit, die den Nährboden für Gewalt bereiten können, erst gar nicht aufkommen. ({0}) Mitte letzten Jahres hat die Bundesregierung ein Gesamtkonzept „Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung“ verabschiedet. Diesem Konzept liegt ein erweiterter Sicherheitsbegriff zugrunde. Die Achtung der Menschenrechte, soziale Gerechtigkeit, Rechtsstaatlichkeit, partizipatorische Entscheidungsfindung und die Bewahrung der natürlichen Ressourcen nehmen in diesem Konzept einen wichtigen Platz ein. Mit einer stärkeren Orientierung auf dieses Konzept können wir viel dazu beitragen, die Ursachen jenes internationalen Terrorismus auszutrocknen, der jetzt nicht nur in und um Afghanistan und nicht nur gegenüber den USA agiert. ({1}) Rot-grüne Entwicklungspolitik ist als globale Strukturpolitik bereits auf dieses Konzept ausgerichtet. Aber wir brauchen neue Anstrengungen vorrangig in den akuten Krisenregionen, etwa in Afghanistan und seinen Nachbarstaaten - dort sind heute bereits 7 Millionen Flüchtlinge zurückzuführen -; das gilt nicht minder für Südosteuropa und den Nahen Osten. Gleichzeitig aber müssen wir die Anstrengungen auch in den übrigen Entwicklungsländern - den anderen Krisengebieten von heute und morgen - verstärken. Das bedeutet, dass wir die Analysen derjenigen ernst nehmen müssen, die sich in diesen Ländern besonders gut auskennen und dort vor Ort für uns in der Entwicklungszusammenarbeit, bei den Stiftungen und in den Kirchen arbeiten. Nun zu den dafür erforderlichen Mitteln: Es gab im Jahr 2001 für die Entwicklungszusammenarbeit mehr Geld. Wir werden dieses Niveau auch 2002 halten. Wir brauchen einen Etat, ({2}) der mehr Möglichkeiten für die Armutsbekämpfung, für den Ressourcenschutz, für erneuerbare Energien und - dies betone ich - für zivile Friedenssicherung bietet. Ich begrüße es ausdrücklich, dass die Bundesregierung aus den zusätzlichen Steuereinnahmen einen wesentlichen Beitrag für die Entwicklungszusammenarbeit bereitstellen wird. ({3}) Die Verhandlungen in diesem Hause werden noch Veränderungen in diesem Bereich und auch hinsichtlich der Prioritäten mit sich bringen. ({4}) Ich bin auch froh, dass das Thema Globalisierung durch die Intervention des Bundeskanzlers bereits vor den Attacken auf die Vereinigten Staaten ganz oben auf die politische Agenda gesetzt wurde. Globalisierungskritiker - das ist in Genua klar geworden - sehen natürlich die internationalen Finanzmärkte und ihre Wirkung auf die Entwicklungsländer als ein Hauptproblem. Die Kontrolle von Offshore-Zentren und die Verfolgung von Geldwäsche haben angesichts der Terroranschläge eine Priorität gewonnen, die wir ihnen vorher nicht einräumten. Im Hinblick auf eine Reform des Finanzsektors in den Entwicklungsund Schwellenländern wird die Entwicklungszusammenarbeit eine zentrale Rolle spielen. ({5}) Auch sollten wir gemeinsam an eine erweiterte Entschuldungsinitiative mit positiven Anreizen für die Länder denken, die sich aktiv an der Terrorismusbekämpfung beteiligen. Im Rahmen der Globalisierung ist auch über neue Instrumente nachgedacht worden, zum Beispiel die TobinSteuer. Ich unterstütze diesen Vorschlag, weil eine Devisenumsatzsteuer zur Finanzmarktstabilisierung beitragen kann und gleichzeitig neue Finanzierungsmöglichkeiten für internationale Aufgaben erschließt. In diesem Zusammenhang begrüße ich es sehr, dass die Ministerin für Entwicklungszusammenarbeit gerade ankündigte, dass es in Bezug auf dieses Instrument, über das sehr viele merkwürdige Vorurteile bestehen, eine Studie geben wird. ({6}) Im Rahmen der Vorbereitungen auf die Weltkonferenz für Entwicklungsfinanzierung, die Anfang nächsten Jahres stattfinden wird, wird auch über eine Kohlenstoffsteuer auf den Verbrauch fossiler Brennstoffe diskutiert. Die Besteuerung von Flugbenzin wäre eine weitere Option, durch die Umwelt- und Entwicklungsprobleme, aber auch Sicherheitsprobleme angegangen werden könnten. Alle diese Optionen haben mit zentralen Herausforderungen der Globalisierung zu tun. Sie zeigen kreative Wege auf, wie negative Wirkungen auf Finanzsysteme und Umwelt bekämpft und gleichzeitig Mittel für die Bewältigung internationaler Krisen aufgebracht werden können.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Frau Kollegin, denken Sie bitte an die Zeit.

Dr. Angelika Köster-Loßack (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002704, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich bin mir bewusst, dass diese Steuerinstrumente nicht kurzfristig greifen werden. Deshalb möchte ich noch einmal auf das in vielen Dokumenten bekräftigte 0,7-Prozent-Ziel zurückkommen, das auch von Herrn Köhler vom IWF und von Herrn Wolfensohn von der Weltbank immer wieder ins Gespräch gebracht wird. Insbesondere im Hinblick auf die notwendige Verstärkung der multilateralen Zusammenarbeit und für all die vor uns stehenden Aufgaben sollte das noch einmal ins Auge gefasst werden. Am nötigsten brauchen wir heute -

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Nein, Frau Kollegin, Sie können jetzt keine weiteren Ausführungen machen. Sie müssen einfach einen Punkt setzen.

Dr. Angelika Köster-Loßack (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002704, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich setze jetzt mit dem letzten Satz einen Punkt: Die Entwicklungspolitik hat gute Möglichkeiten, dem „Kampf der Kulturen“ den „Dialog der Kulturen“ gegenüberzustellen. Dafür muss sie auch finanziell handlungsfähig sein. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Detlef Dzembritzki.

Detlef Dzembritzki (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003109, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die strikte Trennung zwischen innerer und äußerer Sicherheit gibt es nicht mehr. Der jetzt auf so erschütternde Art und Weise sichtbar gewordene Terrorismus entzieht sich dieser eindeutigen Zuordnung. Wir sind entsetzt über die kriminelle Energie eines international agierenden Terrorismus; wir schöpfen aber auch Hoffnung aus der weltweiten Reaktion und daraus, dass sich fast alle Staaten der Welt in ihrem Streben, den Terrorismus zu bekämpfen, zu einer Gemeinschaft zusammengeschlossen haben. Auch dies ist eine neue Qualität in der internationalen Zusammenarbeit. ({0}) Die neue, in Konturen sichtbar gewordene Weltgemeinschaft braucht eine Zukunft. Dafür braucht sie eine Vorstellung von der zukünftigen Ausgestaltung ihrer Beziehungen. Die aktuelle Lage zwingt uns als erste Priorität ein umfassendes Konzept zur Prävention und Bewältigung von Krisen auf, das in politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und in Sicherheitsfragen zusammengeführt werden muss. Der Grundstein dafür ist ein internationaler und vor allem langfristiger Dialog. Dieser Dialog muss so gestaltet sein, dass nicht nur der Westen auf die anderen Staaten zugeht und versucht, seine Vorstellungen zu übertragen; hier ist im Gegenteil ein Dialog gefordert, der - wie Otto Schily es formuliert hat - von einer geistigen Offenheit geprägt sein muss, der Bereitschaft, die eigenen Maßstäbe zu formulieren, aber genauso die Vorstellungen anderer anzuhören und sich mit diesen auseinander zu setzen. ({1}) Aus diesem Dialog wird sich Zusammenarbeit entwickeln. Auch hier plädiere ich für eine Zusammenarbeit auf gleicher Augenhöhe. Wenn wir unsere Maßstäbe von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Ausgestaltung der Wirtschaft gern in die Empfängerländer weitergeben möchten, müssen wir sensibel bleiben für Traditionen und Identitäten, die in diesen Ländern existieren. Meine Damen und Herren, die Aufgaben, die uns bevorstehen, werden ganz wesentlich mit im Kernarbeitsbereich der wirtschaftlichen Zusammenarbeit und der Entwicklungspolitik angesiedelt sein. Mittel- und langfristig werden wir - schon aus sicherheitspolitischen Gründen unsere Anstrengungen, auch unsere finanziellen Anstrengungen in der Entwicklungszusammenarbeit erheblich verstärken müssen. Auch dies, meine Damen und Herren und lieber Christian Ruck, ist ein Argument für die Konsolidierung der öffentlichen Finanzen. Ich träume davon, was wir mit den über 80 Milliarden DM machen könnten, die wir Jahr für Jahr als Zinsen für über 1 500 Milliarden DM Schulden ausgeben, die ihr uns hinterlassen habt. Das ist doch mit das Kernproblem, das wir hier zu sehen haben. ({2}) Armut, Umweltzerstörung, Hunger und Gewalt sind globale Probleme. Zwar sind nicht alle gleichermaßen direkt davon betroffen, doch die Folgen spüren wir alle, seien es Flüchtlingsbewegung und Migration, sei es internationaler Terror. Ein gutes Beispiel für erfolgreiche deutsche, europäische und internationale Politik in unserem Bereich ist der Stabilitätspakt Südosteuropa. Er bietet einen Rahmen, um die Region politisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich zu stabilisieren. ({3}) Ganz konkret bedeutet das für mich: Jeder Euro, der dort in ein Projekt gesteckt wird - sei es für die Instandsetzung von Schulen, von Krankenhäusern, von Straßen, von Wasser- und Energieversorgung -, ist ein Euro, der dem Frieden dient. ({4}) Bei der Sondersitzung zur Entsendung deutscher Soldaten nach Mazedonien haben wir auch der Verlängerung des Stabilitätspaktes zugestimmt, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({5}) Diese wichtige und richtige Entscheidung, Herr Kollege, muss nun natürlich Konsequenzen haben. Deswegen gehe ich davon aus, dass in den Haushaltsberatungen auch die notwendigen Maßnahmen in Form von Verpflichtungsermächtigungen und bei der mittelfristigen Finanzplanung geschehen werden. Aber es gibt auch andere Gründe, meine Damen und Herren, die für eine Stärkung der Entwicklungspolitik sprechen. Bislang haben viele übersehen, dass Entwicklungspolitik mit ihrer engen Kooperation mit Nichtregierungsorganisationen, mit UNO, WTO und anderen Institutionen und mit ihrer Rolle bei den Weltkonferenzen einen Baustein im Fundament von globaler Strukturpolitik und „global governance“ darstellt. Hier besteht bereits ein Dialog, der in anderen Politikbereichen erst noch aufgebaut werden muss, und hier liegen auch die Erfolge dieser Bundesregierung, die sich nämlich gerade der globalen Strukturpolitik mit einer Schwerpunktpolitik gewidmet hat. ({6}) Lieber Kollege Ruck, ich bin froh, dass es trotz massiver Engpässe gelungen ist, im Haushalt zum Beispiel den Nichtregierungsorganisationen, den Kirchen und den Stiftungen mehr Geld zur Verfügung zu stellen, als sie im Jahre 2001 hatten. Auch dies ist eine Realität, die man sehen muss. ({7}) Wir werden das mit dem Stabilitätspakt diskutieren. Zur Haushaltsklarheit und -wahrheit gehört erst einmal, dass ein begrenztes Programm wie der Stabilitätspakt auch auslaufen muss. Es ist jetzt unsere Aufgabe, ihn wieder einzusetzen; dann werden wir auch diejenigen Bereiche, die Sie bei den Stiftungen und anderen Institutionen immer herausrechnen, wieder einzurechnen haben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin dankbar, dass die Ministerin die Situation der Entwicklungshelfer in Kolumbien und Afghanistan angesprochen hat. Wir haben bei der Debatte über den Militäreinsatz ausführlich und zu Recht über die Risiken für Leib und Leben unserer Soldaten gesprochen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege, Ihnen bleibt leider keine Zeit mehr.

Detlef Dzembritzki (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003109, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. Ich denke, dass wir gerade bei der Diskussion, die wir heute führen, darauf einzugehen haben, dass die acht in Afghanistan, in Kolumbien und in Uganda ermordeten Entwicklungshelfer tagtäglich ein Risiko eingingen, das im Interesse unserer Politik ist, die dem Frieden, der Prävention und der internationalen Zusammenarbeit geschuldet ist. Vielen Dank. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Danke schön. Weitere Wortmeldungen zu diesem Punkt liegen nicht vor. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent- wurfs auf Drucksache 14/6881 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir kommen zu den Geschäftsbereichen des Bundes- ministeriums des Innern, Einzelpläne 06 und 33, sowie des Bundesministeriums der Justiz, Einzelpläne 07 und 19. Außerdem rufe ich die Tagesordnungspunkte 4 a und 4 b auf: 4 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Siebten Gesetzes zur Änderung der Pfändungsfreigrenzen - Drucksache 14/6812 - b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bereinigung offener Fragen des Rechts an Grundstücken in den neuen Ländern ({0}) - Drucksachen 14/6204, 14/6466 ({1}) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({2}) - Drucksache 14/6964 Berichterstattung: Abgeordnete Hans-Joachim Hacker Hans-Christian Ströbele Dr. Evelyn Kenzler Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der PDS vor. Ich eröffne jetzt die Debatte und erteile das Wort zunächst dem Bundesminister des Innern, Otto Schily.

Otto Schily (Minister:in)

Politiker ID: 11001970

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Im fahlen Licht der schrecklichen Terroranschläge in den Vereinigten Staaten von Amerika, die nicht so schnell aus unserem Gedächtnis verschwinden werden, gewinnt die heutige Debatte über die innere Sicherheit ein besonderes Gewicht. Dieser Sachverhalt mahnt uns zugleich, bei der Verteidigung von Demokratie, Freiheit und Menschenrechten bei allem notwendigen Streit über das Detail zusammenzustehen. Die Bürgerinnen und Bürger erwarten von uns, dass wir alles Menschenmögliche tun, um die Sicherheit in unserem Lande zu gewährleisten. Sie erwarten von uns Klarheit und Entschlossenheit; sie erwarten von uns keinen Wettbewerb in Polemik. Deshalb hoffe ich, dass wir zu einer sachlichen Debatte kommen. Damit hier - das sage ich an die Adresse der CDU/CSU - kein Missklang wegen meiner zeitweiligen Abwesenheit von der Regierungsbank während des Vortrags Ihres Fraktionsvorsitzenden entsteht: Ich bitte dafür um Entschuldigung. Ich muss - wie Sie, Herr Marschewski, wissen - einige Gespräche mit den Spitzen der Infrastrukturbereiche führen. Eines dieser Gespräche war heute angesetzt. Ich bitte, das hier entgegenzunehmen. Es kommt der Sicherheit in unserem Lande zugute, dass wir als Bundesregierung eine konsequente Politik zur Festigung und Stärkung der inneren Sicherheit betrieben haben. ({0}) - Das lässt sich auch an den Haushaltszahlen, Herr Geis, nachweisen. - Wir haben ungeachtet der Tatsache, dass wir selbstverständlich solidarisch an den Konsolidierungsbemühungen im Gesamthaushalt teilnehmen mussten und wollten, weil wir den Marsch in den Schuldenstaat nicht weiter gehen können - auch im Interesse der Menschen -, gleichwohl die Ansätze in den Ressortteilen der inneren Sicherheit nicht gesenkt, sondern stetig erhöht. Sehen Sie sich die Ansätze an: Seit Regierungseintritt 1998 bis zum Jahre 2001 - das sind die Haushaltszeiträume, die hinter uns liegen - haben wir eine Steigerung von rund 10 Prozent. Das sind immerhin 376 Millionen DM mehr, als wir ursprünglich in diesem Etat hatten. ({1}) Ich glaube, das ist wirklich ein deutlicher Nachweis für das, was wir getan haben. Wir haben beispielsweise wesentliche Beschaffungsprogramme in Gang gesetzt bzw. fortgeführt. So haben wir heute hochmoderne Hubschrauber zur Verfügung; hierfür haben wir 220 Millionen DM eingesetzt. Die Beschaffung von Seefahrzeugen für den Bundesgrenzschutz hatte ein Volumen von 90 Millionen DM. Weitere Beschaffungsprogramme sind vorgesehen. Dabei vernachlässigen wir übrigens auch nicht die Sicherheit unserer BGS-Piloten. Durch Einführung eines neuen Antikollisionssystems haben wir dafür gesorgt, dass die Sicherheit unserer BGS-Piloten und der Hubschrauberbesatzungen verbessert wurde. ({2}) Wir haben in den Haushaltsgesprächen mit dem Bundesfinanzminister auch dafür gesorgt - ich verschweige Ihnen nicht, dass das nicht immer ganz einfach war -, dass sich die Besoldungsstruktur im Bundesgrenzschutz deutlich verbessert hat. Wir haben in den letzten drei Jahren 3 772 Hebungen und 11 870 Beförderungen realisieren können. Ich werde Ihnen gleich sagen, dass wir in dem Haushaltsjahr, über das wir heute sprechen, weitere Maßnahmen dieser Art vorsehen. Für die Luftsicherheit - aktuell ist das, wie Sie wissen, ein besonderes Thema - haben wir in dem Zeitraum, den ich Ihnen genannt habe, 1,2 Milliarden DM ausgegeben. Deshalb können wir uns auch rühmen, dass Deutschland im internationalen Maßstab die schärfsten Sicherheitsstandards hat; damit erhöhen wir auch die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger. ({3}) Wir haben die Ansätze für das Technische Hilfswerk in den zurückliegenden drei Jahren verstärkt; wir haben die Ansätze für die internationale polizeiliche Zusammenarbeit, beispielsweise bei Europol, verstärkt bzw. Mittel für die Gründung einer europäischen Polizeiakademie - eine Initiative der deutschen Ratspräsidentschaft - eingesetzt. Maßnahmen in beiden Bereichen sind natürlich gerade auch in der gegenwärtigen Situation von herausragender Bedeutung, weil wir alle wissen, dass Terrorismus und allgemeine Kriminalität nicht mehr isoliert national, sondern nur noch im internationalen Rahmen bekämpft werden können. Auch angesichts der aktuellen Debatte verweise ich darauf, dass wir für die Kontrolle der SchengenAußengrenzen der Europäischen Union die Mittel verstärkt haben und auch den Kandidatenländern, die später die Außengrenzen zu schützen haben werden, Mittel zur Verfügung gestellt haben, damit sie sich darauf vorbereiten können. Ich will im Rahmen einer allgemeinen Haushaltsdebatte, die ja durch die Ereignisse eine neue Dimension gewonnen und sicherlich dadurch auch einen neuen Schwerpunkt erhalten hat, hier nicht alles aufführen, was wir als Bilanz in der Innenpolitik unter dem Stichwort „innere Sicherheit“ zu nennen hätten; wir dürfen aber, auch wenn uns das Thema Terrorismus jetzt in besonderem Maße beschäftigt, nicht andere Kriminalitätsbereiche vernachlässigen. Das wäre nicht angemessen. Wir müssen uns selbstverständlich auch mit diesen Kriminalitätsbereichen auseinander setzen. Deshalb darf ich noch einmal daran erinnern, dass wir auch politisch zur Bekämpfung der Kriminalität einiges in Gang gesetzt haben, sowohl bezüglich des Einsatzes der Mittel und durch Stärkung der Sicherheitsgremien als auch durch gesetzliche Neuregelungen. Wir haben das Waffenrecht - mit dem haben Sie sich ja über Jahrzehnte ohne Ergebnis geplagt - jetzt in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht. Wir haben eine besondere Einrichtung geschaffen, von der ich glaube, dass sie auch für die Präventionsarbeit von Bedeutung ist: nämlich die Stiftung „Deutsches Forum für Kriminalprävention“. Das gilt vor allen Dingen im Hinblick darauf, dass wir Erkenntnisse der Wirtschaft und staatlicher Instanzen zugunsten einer besseren Präventionsarbeit zusammenführen. Mit dem periodischen Sicherheitsbericht haben wir etwas geschaffen, was uns einen besseren Einblick in das Kriminalitätsgeschehen vermittelt. Dafür haben beide Häuser, nämlich das Ministerium meiner Kollegin Däubler-Gmelin und das Bundesministerium des Innern, viel Lob erfahren. Er verschafft uns einen sehr viel besseren Einblick in das Kriminalitätsgeschehen als die bloße Kriminalstatistik. ({4}) Ich glaube, wir können mit großem Selbstbewusstsein darauf verweisen, dass wir die Sicherheitsarchitektur im Inund Ausland ausgebaut und verstärkt haben. Es gibt inzwischen - abgesehen von zwei Bundesländern, mit denen entsprechende Vereinbarungen noch ausstehen - Sicherheitskooperationen zwischen dem Bundesgrenzschutz und den Landespolizeien. Diese Sicherheitskooperationen haben sich bewährt, besonders in Berlin. Wir haben selbstverständlich auch auf der internationalen Ebene Sicherheitskooperationen zustande gebracht, und zwar im europäischen Rahmen sowohl auf bilateraler als auch auf multilateraler Ebene. Deutschland spielt eine besonders aktive Rolle in der Europäischen Union im Bereich der Innen- und der Justizpolitik. Diese erfolgreiche Politik werden wir mit dem jetzt vorgelegten Etatentwurf fortsetzen. Er enthält - das können Sie nachlesen - Steigerungsraten. Ich möchte sie alle gar nicht im Einzelnen aufführen. Ich möchte nur darauf hinweisen, dass wir ein besonderes Augenmerk auf die Sicherheitsinteressen im Informations- und Kommunikationsbereich richten. Wir müssen uns die Tatsache bewusst machen, dass gerade die erheblichen technisch-zivilisatorischen Fortschritte, die unsere Gesellschaft erzielt hat, zu sicherheitsempfindlichen Bereichen geführt haben. Wir müssen uns besonders um diese Bereiche kümmern. Deshalb ist es ein Vorteil, dass Deutschland jetzt ein Bundesamt für die Sicherheit in der Informationstechnik hat, in dessen Zuständigkeitsbereich alle rechtswidrigen Angriffe im Bereich der Informationstechnik fallen, also nicht nur terroristische. Welchen Schaden solche Angriffe anrichten können, kann sich jeder ausmalen. Deshalb haben wir das Bundesamt für die Sicherheit in der Informationstechnik eingerichtet, das ein Sicherheitsdienstleister ganz besonderer Art ist. Die von uns geschaffenen Einrichtungen haben ihre Feuerprobe schon hinter sich: Sie haben sich beim Jahrtausendwechsel, als man aufgrund des dadurch verursachten Datumswechsels bei den Computern ein Chaos erwartete, und beim Absturz der „Mir“ - einige hatten schon apokalyptische Szenarien an die Wand gemalt - bewährt. Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern dieser Einrichtungen möchte ich ein besonderes Lob und meine Anerkennung aussprechen. ({5})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Uhl?

Otto Schily (Minister:in)

Politiker ID: 11001970

Bitte schön, Herr Uhl.

Dr. Hans Peter Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003247, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, Sie haben in Ihrer Rede, die Sie vergangene Woche zum Thema „Terrorismusbekämpfung“ gehalten haben, einen Satz gesagt, dem Sie heute keine Ergänzung haben folgen lassen. Der Satz lautet: Identitätssicherung - damit der Staat seine Kontrollpflichten und Kontrollrechte ausüben kann - ist in einem Rechtsstaat eine Selbstverständlichkeit. - Es stellt sich aus aktuellem Anlass die Frage, ob die Auslandsvertretungen Fingerabdrücke von denjenigen, die ein Visum für Deutschland beantragen, nehmen und sie anschließend in das automatisierte Informationssystem AFIS einspeisen sollen. Das Auswärtige Amt hat sich bisher geweigert, so etwas zu machen. Meine Frage: Wie lange werden Sie voraussichtlich brauchen, bis Sie bei den Kollegen im Auswärtigen Amt durchgesetzt haben, dass in allen Auslandsvertretungen die entsprechenden der Identifizierung von Fingerabdrücken dienenden Geräte, die bereits erprobt sind, installiert sind? Diese Geräte müssen schließlich noch beschafft werden. Nach meinen Erkenntnissen könnte das über ein Jahr dauern, wenn man den üblichen Weg des Ausschreibungsverfahrens wählt.

Otto Schily (Minister:in)

Politiker ID: 11001970

Herr Uhl, für Ihre Zwischenfrage bin ich Ihnen sehr dankbar, weil ich jetzt bei der Beantwortung Ihrer Frage das darlegen kann, was ich aufgrund meiner knappen Redezeit nicht mehr hätte sagen können. Selbstverständlich werden wir das auf den Weg bringen, Herr Uhl. Ich halte das für dringend erforderlich. Ich möchte Sie daran erinnern, dass wir im Rahmen der deutschen Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 1999 entsprechende Vorschläge auf europäischer Ebene eingebracht haben. Leider sind sie auf der europäischen Ebene noch nicht so angekommen, wie ich es mir gewünscht habe. Angesichts der jüngsten Sonderkonferenz ist diese Überlegung in der Kommission aber angenommen worden. Wir werden das auch auf der europäischen Ebene vorantreiben. Ich will nicht versäumen, Sie darauf hinzuweisen - ich sage das an die Adresse der FDP; ich komme darauf zurück -, dass solche Vorschläge auch in der alten Regierung durchaus kontrovers debattiert worden sind, aber dann nicht verwirklicht worden sind, weil man sich zwischen CDU, CSU und FDP nicht einigen konnte. ({0}) Das erinnert mich an manches, was vielleicht auch bei uns mitunter vorkommt. Herr Uhl, wir müssen an diesem Thema weiterarbeiten. Ich bin dafür, dass wir das rasch umsetzen. Sie können sicher sein, dass wir das unter Beachtung aller rechtsstaatlichen Prinzipien verwirklichen werden. Ich befinde mich in dieser Angelegenheit in einem sehr konstruktiven Gespräch mit dem Kollegen Fischer. Er hat mir zugesagt, dass wir zu guten Ergebnissen kommen werden. ({1}) - Das wäre nicht schlecht. Vielleicht kann sich jemand ermuntert fühlen, eine weitere Zwischenfrage zu stellen. Dann komme ich mit meiner Redezeit besser klar. Ich möchte nun auf die aktuelle Lage eingehen. ({2}) - Wunderbar, Herr Marschewski. ({3})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Marschewski?

Otto Schily (Minister:in)

Politiker ID: 11001970

Bitte schön.

Erwin Marschewski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001424, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, ich habe Ihrer Aufforderung Folge geleistet. Wir wollen noch ein bisschen über Innenpolitik diskutieren. Die Union hat vor geraumer Zeit einen Gesetzentwurf - Stichwort „Ausländerzentralregister“ bzw. „Warndatei“ - eingebracht. In diesem Gesetzentwurf wurden diese Dinge, das heißt Kontrollen in Visaverfahren im Ausland, angesprochen. Können Sie mir sagen, warum die sozialdemokratische Mehrheit in diesem Hause und natürlich auch die Grünen diesen Gesetzentwurf abgelehnt haben? ({0})

Otto Schily (Minister:in)

Politiker ID: 11001970

Ich muss Ihnen erst einmal sagen: Auch in der von Ihrer Fraktion getragenen Regierung war AZR ein Thema. Es stimmt, dass Sie entsprechende Vorschläge gemacht haben, die diskutiert worden sind. Mir liegt eine Notiz vor, die sich auf solche Fragen bezieht: Allerdings ist bei der Ressortabstimmung mit Widerstand des BMJ und des Bundesbeauftragten für den Datenschutz zu rechnen. Auf die Weigerung der FDP, die unter Punkt 2.2 beschriebene Ausweitung des AZR in dieser Legislaturperiode mitzutragen, wird hingewiesen. ({0}) Auch Sie hatten mit einigen Problemen zu kämpfen. Nun bringen wir die Dinge voran. ({1}) - Ja, gut. Die Koalitionsmöglichkeiten sind in manchen Fragen gar nicht so groß. Damit mich niemand missversteht, Herr Marschewski: Ich tadele die FDP dafür nicht. Genauso wenig tadele ich die Grünen dafür, dass sie sich für rechtsstaatliche Belange einsetzen. Das ist zu loben. ({2}) Das heißt nicht, dass wir uns immer im Detail einig sind. Die Grünen müssen damit umgehen können - das tun sie auch -, dass ich die Auffassung vertrete, dass man die rechtsstaatlichen Bedenken entkräften kann. Die Koalitionspartner führen in dieser Sache ein sehr konstruktives Gespräch. Sie werden sehen, dass wir zu guten Ergebnissen kommen. Herr Marschewski, denken Sie nicht, wir hätten irgendetwas beiseite gelegt: Leider liest keiner meinen Entwurf für ein Zuwanderungsgesetz. ({3}) - Doch, die SPD. Ich bedanke mich bei meiner eigenen Fraktion. ({4}) Die CSU liest den Entwurf nicht. Sie will ihn auch gar nicht lesen. Seehofer sagt, ich könne in diesen Gesetzentwurf hineinschreiben, was ich will, er lehne ihn immer ab. Diese Haltung eines Oppositionspolitikers sollte man nicht als Opposition, sondern als Obstruktion - diese Bezeichnung ist treffender - bezeichnen. ({5}) Herr Marschewski, wenn Sie meinen Entwurf für ein Zuwanderungsgesetz lesen würden, dann würden Sie das alles entdecken. ({6}) Schauen Sie doch einmal hinein! Ich lade Sie zu einem Privatgespräch in mein Ministerium ein. Ich werde Ihnen sämtliche Fundstellen zeigen. Wir haben alle diese Dinge aufgenommen. Ich mache Sie nur auf Folgendes aufmerksam: Die Identitätssicherung bei der Visumantragstellung ist in § 49 Abs. 3 Nr. 5 des Entwurfes des Aufenthaltsgesetzes enthalten. Ich schlage Ihnen vor, das einmal nachzulesen. Wir haben diesen Punkt jetzt ausreichend erörtert. Ich bedanke mich ausdrücklich dafür, Herr Marschewski, dass Sie mir diese Frage gestellt haben. ({7}) - Noch eine weitere Zwischenfrage? - Bitte schön.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Minister, ich muss im Interesse des ganzen Hauses auch an die folgenden Redebeiträge denken.

Otto Schily (Minister:in)

Politiker ID: 11001970

Frau Präsidentin, ich glaube, es lag im Interesse des ganzen Hauses, einmal zu erfahren, was in dem Gesetz enthalten ist. ({0}) Ich finde, das ist Demokratie. Es ist gut, dass wir diesen demokratischen Dialog im Parlament führen. Herr Marschewski ist darin einer der Geübtesten. Deshalb: Bitte schön, Herr Marschewski.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Dann einigen wir uns darauf, dass ich noch eine Zwischenfrage zulasse. - Bitte.

Erwin Marschewski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001424, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, ich habe Sie danach gefragt, warum die SPD damals Nein gesagt hat. Sie kennen die SPD; Sie kennen die Grünen. Sie kennen noch nicht die FDP und Sie kennen auch noch nicht die CDU/CSU. Man weiß aber nicht, was noch wird. ({0}) Ich habe Sie danach gefragt, was die Kollegen der SPD damals gesagt haben. Ein weiterer Punkt. Ich weiß, Herr Minister, dass das, was Sie damals abgelehnt haben, jetzt bezüglich der Warndatei Inhalt Ihres Entwurfes zum Zuwanderungsgesetz ist. Meine Frage lautet: Wann werden Sie diesen Referentenentwurf im Kabinett mit den Grünen zusammen verabschieden und endlich das realisieren, was Sie andauernd hier ankündigen? Wir stehen dabei an Ihrer Seite das wissen Sie. ({1})

Otto Schily (Minister:in)

Politiker ID: 11001970

Frau Präsidentin, ich muss erst einmal darauf hinweisen, dass meine Redezeit gerade um eine Minute gekürzt wurde. Vorhin hatte ich noch 8:42 Minuten und jetzt aber nur noch 7:42 Minuten Redezeit. So geht das nicht. Ich bitte, die Regularien einzuhalten. Herr Marschewski, wenn Sie Ihren Gesetzentwurf mit unserem Gesetzentwurf vergleichen, dann werden Sie natürlich bestimmte Unterschiede entdecken. Unterschiede müssen schon sein. Wir können nicht immer 100 Prozent „CDU/CSU“ machen. Das geht nicht. Wir müssen schon unsere eigenen Vorschläge machen können. ({0}) - Sie erwarten das auch nicht. Vielen Dank, Herr Marschewski, bis demnächst. ({1}) Nach diesen humorvollen Bemerkungen möchte ich auf die Bedrohungslage zu sprechen kommen, die nicht zu Scherzen Anlass gibt. Ich möchte darauf hinweisen, dass wir, gerade was die terroristische Bedrohung angeht, nicht erst am 11. September angefangen haben, uns mit diesem Problem zu befassen. Seit meiner Amtsübernahme habe ich das als wichtiges Problem angesehen. Ich will übrigens daran erinnern - diese Tatsache verdient der Erwähnung -, dass der frühere Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz in Köln, Herr Dr. Frisch, dieses Thema besonders sorgfältig und mit besonderem Ernst angesprochen hat. Mir ist gut in Erinnerung, dass er das auch in Gesprächen mit mir getan hat. Sie müssen nicht etwa denken, dass mir dieses Thema neu ist. Das erkennt man an meinen öffentlichen Äußerungen, an den Interviews, die ich gegeben habe, und an den Verfassungsschutzberichten, die ich vorgelegt habe. Ich muss zugeben: Die öffentlichen Äußerungen, die ich dazu gemacht habe, haben nicht den Widerhall gefunden, den man heute vielleicht finden kann. Dafür kann ich niemanden tadeln; denn niemand hat sich vorstellen können, dass es eine solche verbrecherische Energie geben kann, wie wir sie in New York und Washington erlebt haben. Erlauben Sie mir an dieser Stelle einen Hinweis. Ich teile die Ansicht, die meine Kollegin Frau WieczorekZeul geäußert hat, was den Nährboden, die Armut und die Aufgaben angeht, die uns in diesem Zusammenhang erwarten. Aber wir sollten nicht den Fehler machen, diesen Terrorkrieg mit dem sozialen Ungleichgewicht in der Welt zu erklären. Das wäre eine völlig verkürzte Sichtweise. ({2}) Ich sage noch einmal: Es geht um den sehr entschlossenen Einsatz repressiver Mittel. Das machen wir schon jetzt durch eine Reihe von Sofortmaßnahmen, die ich wegen der Kürze der Zeit jetzt nicht im Einzelnen darstellen kann. Bei einigen Maßnahmen ist es vielleicht gar nicht notwendig, das zu tun. Darüber habe ich auch im Innenausschuss berichtet; ich brauche das hier nicht zu wiederholen. Wir werden in diesem Bereich einiges neu organisieren müssen. Um nur ein Beispiel herauszugreifen: Ich glaube, es ist notwendig, Luft-Marshals einzusetzen. Früher gab es ja seitens der Lufthansa bzw. vieler Piloten zahlreiche Vorbehalte. Diese Vorbehalte musste man ernst nehmen. Heute sind auch sie der Meinung, dass wir Luft-Marshals brauchen. Aber dafür benötigt man natürlich gut ausgebildete Personen. Man kann nicht irgendjemanden einsetzen. Deswegen bin ich dafür, eine eigene Einheit zu schaffen. Das werde ich in Gang bringen. ({3}) Wir müssen all diese Maßnahmen auf internationaler Ebene koordinieren. Das, so finde ich, ist notwendig. Ich bin dem Bundesfinanzminister besonders dankbar dafür, dass er für die notwendigen Erhöhungen des Personal- und Sachmitteleinsatzes bei den Sicherheitsinstitutionen ein entsprechendes Haushaltsvolumen zur Verfügung stellt. Ich möchte mich bei ihm für die gute Zusammenarbeit bedanken. Das sage ich, um das zu widerlegen, was aus einigen Zeitungsberichten, in denen stand, es sei ein Streit entstanden, gefolgert werden kann. Natürlich geht es zunächst einmal darum, einige Dinge zu klären. Leider ist es ja so, dass irgendwelche Zuträger aus Fraktionssitzungen - Fraktionssitzungen sind eigentlich nicht öffentlich - berichten. ({4}) - Bei Ihnen kommt das ja nie vor, wie ich weiß. Sie haben da eine geschlossene Gesellschaft. Darum kann man Sie beneiden. Aber bei uns passiert das nun einmal. - Dadurch wird natürlich wie bei dem Spiel „Stille Post“ einiges verzerrt. Also, ich stelle fest: Ich habe das allerbeste Einvernehmen mit dem Bundesfinanzminister und bedanke mich ausdrücklich dafür, dass er an dieser Stelle ein entsprechendes Finanzvolumen zur Verfügung gestellt hat. ({5}) Wir werden diese zusätzlichen Mittel sehr zielbewusst einsetzen. Ich habe es übrigens meinem Hause ausdrückErwin Marschewski lich untersagt, zu sagen, man habe im Zuge der Haushaltskonsolidierung den einen oder anderen Titel etwas einschränken bzw. Umschichtungen vornehmen müssen, nun könne man das Geld gut gebrauchen. Ich habe gesagt: Wir bleiben fair, so wie wir das bisher waren. Dort, wo Verstärkungen notwendig sind, werden wir diese Mittel einsetzen. Das gilt für das Bundeskriminalamt, für den Bundesgrenzschutz und für das Bundesamt für Verfassungsschutz. Gerade Aufklärung ist das A und O bei der Bekämpfung des Terrorismus. Dabei muss man wissen: Es reicht nicht aus, einfach zu sagen, man müsse 500 Personen mehr einstellen. Diese müssen wir nämlich erst einmal zur Verfügung haben und sie sollten die entsprechende Qualifizierung aufweisen. ({6}) Auch auf dem Gebiet der Vorfeldarbeit ist der Verfassungsschutz, der bisher gute Arbeit geleistet hat, gefordert. Er muss sich in den interreligiösen und interkulturellen Dialog einarbeiten. Auch der Verfassungsschutz muss sich ein bisschen von seinem alten Image befreien, das tut er auch zunehmend. Zudem sollten manche ihr Vorurteil abbauen, dass er ein Schlapphutverein ist, der an vielen Orten mit dem Horchrohr oder Ähnlichem herumläuft. Nach meinem Verständnis wird der Verfassungsschutz eine moderne Aufklärungstruppe, die einem fortschrittlichen Verfassungsverständnis entspricht. Dafür werde ich sorgen. ({7}) Meine Damen und Herren, selbstverständlich werden sich diese Maßnahmen auch auf den Zivilschutz erstrecken. In diesem Zusammenhang will ich darauf hinweisen, dass wir mit der Neuorganisation des Zivilschutzes nicht erst am 11. September 2001 begonnen haben. Wir haben zum Beispiel die Maßnahme getroffen, an einer Zentralstelle, an einer Koordinationsstelle, alle gesammelten Informationen zusammenzuführen. Allerdings werden wir einige von uns getroffene Entscheidungen revidieren müssen. Wir werden also im Mitteleinsatz sehr viel weiter gehen müssen, als wir das früher konnten. Dafür haben wir jetzt die entsprechenden Voraussetzungen. Das gilt auch im Hinblick auf die Länder. Wir werden die Mittel für die Ausrüstung der Bereitschaftspolizeien der Länder erhöhen. ({8}) Es wird auch notwendig sein, zu einigen gesetzlichen Veränderungen zu kommen. Herr Marschewski, Herr Bosbach, es ist nicht so, dass es bei dem ersten Kabinettsbeschluss - er sah die Einfügung des § 129 b in das Strafgesetzbuch und die Streichung des Religionsprivilegs im Vereinsrecht vor - bleiben wird. Das ist nur eine erste Stufe. Es wird eine zweite Stufe mit einem umfangreichen Ansatz in verschiedenen Bereichen folgen müssen. Wir haben in diesem Zusammenhang auch in dem geplanten Zuwanderungsgesetz einiges vorgesehen. Vielleicht müssen wir diese Aspekte gesondert behandeln. Sie wissen, wir haben vorgesehen, dass das Zuwanderungsgesetz am 1. Januar 2003 in Kraft tritt. Die Länder müssen das dann im Vollzug umsetzen. Vielleicht müssen wir etwas herauslösen, weil die Sicherheitssituation dies notwendig macht. Ich werde mich auch beim Zuwanderungsgesetz, soweit es wirtschaftlichen Interessen dient, von der Einhaltung humanitärer Prinzipien nicht abbringen lassen. Auch dieses Zuwanderungsgesetz werden wir konsequent in das Gesetzgebungsverfahren hineinbringen. Ich muss noch einmal fragen, Herr Bosbach und Herr Marschewski: Ich höre von Ihnen jeden Tag etwas anderes. ({9}) - Von Ihnen nicht, da bilden Sie vielleicht eine rühmliche Ausnahme. - Herr Goppel sagt: Wir wollen es in dieser Legislaturperiode machen. Am nächsten Tag sagt Herr Glos etwas anderes. Herr Beckstein lobt einmal den Entwurf, dann wird er von Herrn Stoiber ermahnt, ihn doch nicht so gut zu finden. Dann sagt Herr Ministerpräsident Müller wieder, es sei alles hervorragend. ({10}) Dann kommt Ihr Fraktionsvorsitzender Merz und sagt: Wir müssen das machen. Ich bin ja gesprächsbereit, wenn Sie meinen, es gebe noch Diskussionsbedarf. Ich muss mit vielen reden. Ich muss mit den Grünen, mit der SPD und mit anderen Organisationen reden. Ich rede natürlich auch gerne mit Ihnen. Aber ich muss den Willen erkennen, etwas bewerkstelligen zu wollen. Das, finde ich, brauchen wir. Gerade als Antwort auf Terrorismus brauchen wir ein Zeichen, dass wir ein weltoffenes Land sind, das die Zeichen der Zeit erkannt hat, ({11}) nicht etwa das Zeichen, jetzt eine Abschottungspolitik zu betreiben. Sie haben doch früher den Anspruch erhoben, eine Partei zu sein, die eine gewisse Wirtschaftskompetenz hat. Also rufen Sie doch einmal Herrn Hundt an oder Herrn Rogowski und wie sie alle in den Verbänden heißen. Dort werden Sie erfahren, dass Sie das machen sollen. Ich glaube, hier sind wir auf einem guten Weg. Setzen wir uns also zusammen für ein wichtiges Vorhaben, das für die Zukunft unseres Landes von großer Bedeutung ist. Herr Glos hat die Greencard getadelt. Ich muss Ihnen dazu nur sagen, dass damit bereits 9 000 IT-Techniker zu uns gekommen sind. Sie haben 27 000 neue Arbeitsplätze für die hier lebenden Arbeitsuchenden zustande gebracht. ({12}) Von diesen IT-Technikern sind die meisten nach Bayern gegangen, an zweiter und dritter Stelle liegen BadenWürttemberg und Hessen. Wollen Sie nun diesen Ländern schaden? Im Moment werden sie ja noch von Ihnen regiert. ({13}) Meine Damen und Herren, wir müssen rasch, entschlossen, zielbewusst, aber auch überlegt handeln. Dazu fordere ich Sie auf und dazu bin ich bereit. Danke schön. ({14})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Wolfgang Bosbach.

Wolfgang Bosbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002632, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Innenminister Schily, ich möchte gerne mit Ihrem letzten Gedanken anfangen. Das ist wohl wahr: Ein Drittel der so genannten Greencard-Inhaber sind nach Bayern gegangen, ganz vernünftige Leute. Aber Bayern wendet nicht die Rechtsvorschriften an, die dieses Kabinett beschlossen und durch den Bundesrat hat bestätigen lassen. Bayern erlaubt den Zuzug und die Arbeitsaufnahme in Bayern auf einer ganz anderen Rechtsgrundlage. ({0}) Der zweite Punkt: Es ist richtig, dass in Ihrem Gesetzentwurf auch einige Maßnahmen enthalten sind, die der Gefahrenabwehr dienen. Wenn Sie sagen, das könne man herauslösen oder vorziehen, sollten wir darüber nachdenken, ob das unter dem Gesichtspunkt der Gefahrenabwehr notwendig und vielleicht sogar dringend ist. Aber eines geht nicht an: ein Problem lösen und mit Ihrem Gesetzentwurf fünf neue schaffen. Genau das werden wir nicht machen. ({1}) Wir alle stehen - darauf ist vorhin zu Recht hingewiesen worden - unter dem Eindruck der fürchterlichen Anschläge.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schily? - Bitte.

Wolfgang Bosbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002632, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die Uhr für die Redezeit läuft jetzt auch bei mir weiter, aber ich beklage mich nicht darüber.

Otto Schily (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001970, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Bosbach, ich habe mir einmal erzählen lassen - aber da war Herr Stoiber noch nicht Ministerpräsident -, dass die Bayerische Staatsregierung eine Untersuchung zu der Frage in Auftrag gegeben hat, ob man aus der Bundesrepublik auch austreten könne. Ich bin jetzt aber doch etwas verwundert darüber, dass Sie die Auffassung vertreten, dass in Bayern ein anderes Recht gilt als im übrigen Bundesgebiet. Das müssen Sie mir einmal erklären.

Wolfgang Bosbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002632, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das kann ich Ihnen genau erklären! ({0})

Otto Schily (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001970, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Inwiefern wird das Bundesrecht nicht angewandt? Worin liegt der Unterschied? ({0}) Wie Sie wissen, kenne ich Herrn Beckstein ganz gut. Er hat die Bluecard erfunden, weil ihn aufgrund der Greencard der Hafer ein wenig gestochen hat. Wenn in Deutschland die Greencard eingeführt wird, muss Bayern die Bluecard haben. Blau-weiß ist ja auch eine schöne Farbe. ({1}) Worin liegt denn der entscheidende Unterschied zwischen der Blue- und der Greencard? Ich glaube, dass möglicherweise die Familienzusammenführung etwas erleichtert wurde. Sonst haben Sie in diesem Punkt immer eine gewisse Skepsis. Vielleicht können Sie uns das einmal erklären.

Wolfgang Bosbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002632, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Seien Sie mir nicht böse, aber ich hatte geglaubt, Ihnen das nicht erklären zu müssen. ({0}) Ich tue das aber gern. ({1}) Die beiden verabschiedeten Rechtsverordnungen basieren auf der Überlegung, dass der Betroffene entweder einen Hochschulabschluss oder ein Jahreseinkommen in Höhe von 100 000 DM nachweisen muss. ({2}) Bayern wendet § 8 der Arbeitsaufnahmeausnahmeverordnung an, einer Verordnung also, die es bereits gab, und hat dann durch die Landesarbeitsverwaltung definieren lassen, dass per se ein öffentliches Interesse - das war geltendes Recht, es musste nicht erst neu geschaffen werden - an diesem Personenkreis, über den wir gerade gesprochen haben, besteht. Dabei wurden zwei wesentliche Ausnahmen geregelt: Es gibt keine Befristung auf fünf Jahre und kein Aufenthaltsrecht mehr, wenn der Betreffende auf Dauer auf staatliche Leistungen angewiesen ist. Das ist der Unterschied der bayerischen Lösung zu der Lösung, die das Bundeskabinett beschlossen hat. ({3}) Dass diese Lösung für die Betroffenen attraktiver ist, mögen Sie daran erkennen, dass ein Drittel - und damit überproportional mehr als in die übrigen Bundesländer nach Bayern gegangen ist. Offensichtlich ist der AufentBundesminister Otto Schily halt in Bayern und sind die dortigen Beschäftigungsmöglichkeiten für diesen Personenkreis attraktiver als im übrigen Bundesgebiet. Das spricht für und nicht gegen Bayern. ({4}) - So ist das. ({5}) Natürlich haben wir heute eine völlig andere sicherheitspolitische Lage als noch vor dem Fall der Mauer und des Eisernen Vorhangs. Die Bedrohungen für Frieden und Sicherheit sind andere, aber nicht minder gefährliche als noch vor 15 oder 20 Jahren. Deswegen dürfen wir zu keinem Zeitpunkt unsere Anstrengungen vernachlässigen, den Frieden und die innere Sicherheit in unserem Lande mit allen rechtsstaatlichen Mitteln zu verteidigen. CDU und CSU haben in den letzten Jahren und Jahrzehnten bei jeder sich bietenden Gelegenheit darauf hingewiesen, dass wir im Innern und nach außen wachsam bleiben müssen, dass es weder die innere noch die äußere Sicherheit zum Nulltarif gibt und dass Versäumnisse auf diesen Gebieten unverantwortlich sind. Jetzt auf einmal, erst nach den Anschlägen in den USA, entdeckt auch die Bundesregierung die Bedeutung des Themas Sicherheit. ({6}) Plötzlich werden sogar von Mitgliedern der Bundesregierung Reden gehalten, die zwar in vielen Punkten richtig sind, aber besser vor dem 11. September gehalten worden wären. Noch wichtiger wäre es, wenn den starken Worten jetzt auch starke Taten folgen würden. ({7}) Kaum sind die ersten konkreten Maßnahmen für mehr Sicherheit beschlossen worden, melden sich sofort die ersten Bedenkenträger, die schon wieder den Rechtsstaat in Gefahr sehen. Die gleichen Bedenkenträger haben in der Vergangenheit den Rechtsstaat schon x-mal in Gefahr gesehen, ohne dass sich ihre düsteren Prophezeiungen auch nur ein einziges Mal bewahrheitet hätten. Nicht die Durchsetzung des Rechts bringt den Rechtsstaat in Gefahr, sondern Unaufmerksamkeit und mangelnde Entschlossenheit beim Kampf gegen Kriminalität und Terror jeder Art. ({8}) Manche wollen es nicht begreifen: Freiheit und Sicherheit sind keine Gegensätze, es sind zwei Seiten ein und derselben Medaille. ({9}) Es ist die wichtigste Aufgabe des Staates, die Sicherheit der Bürger zu gewährleisten. Wir wollen keinen allmächtigen Staat, der seine Bürger rund um die Uhr überbewacht. Wir wollen aber einen starken Staat, einen Staat, der seine Bürger, sich selbst und seine Institutionen zu schützen weiß. Deswegen müssen wir nicht nur mehr in Sicherheit investieren - Bundeswehr, Grenzschutz, Nachrichtendienste, Polizeien, Zivilschutz -, sondern wir müssen auch das Recht fortentwickeln, um die Bürger wirksamer vor Verbrechen schützen zu können. Insbesondere dürfen wir keine Erosion des Rechtsbewusstseins zulassen, die dazu führt, dass die Bürger den Glauben an eine wirksame Verbrechensbekämpfung durch den Staat verlieren. Das Markenzeichen für die Innenpolitik der letzten Jahre war die zu große Diskrepanz zwischen dem, was der Innenminister öffentlich gesagt hat, und dem, was er getan bzw. nicht getan hat. ({10}) Das erste Beispiel betrifft das Demonstrationsrecht: 14. September 2000, Rathaus Hamburg, 50-jähriges Jubiläum der Gewerkschaft der Polizei. Es spricht der Bundeskanzler. Er könne es im In- und Ausland niemandem mehr vermitteln, dass wir es zulassen, dass Neonazis zur Erinnerung an Hitlers Machtergreifung mit schwarz-weißroten Fahnen durch das Brandenburger Tor marschieren. Diese Bilder gingen um die Welt, sie würden das Ansehen Deutschlands beschädigen. So ginge es nicht weiter, hier müsse dringend etwas geschehen. - Donnernder Applaus. ({11}) Das sind starke Worte. Was hat aber die Bundesregierung in den letzten 12 Monaten getan, ({12}) um das geltende Demonstrationsrecht so zu ändern, dass derartige Aufmärsche zukünftig unter erleichterten Bedingungen verboten werden können? Erkennbar nichts. Wir haben vor geraumer Zeit hierzu einen Gesetzentwurf eingebracht. Rot-Grün lehnt ihn ab. Sie müssen dann aber auch die Verantwortung für die Folgen tragen, und zwar ganz alleine. Wenn diese widerlichen Demonstrationen weiterhin geduldet werden, sollten Sie wenigstens auf öffentliche Empörung verzichten, wenn sie stattfinden. ({13}) Das nächste Beispiel ist die Kronzeugenregelung. Rot-Grün hat die alte Regelung auslaufen lassen, ohne eine neue zu beschließen. ({14}) Das war ein schwerer Fehler. Nach einer seriösen Umfrage haben sich 90 Prozent aller Praktiker für die Wiedereinführung einer Kronzeugenregelung ausgesprochen und gesagt, sie sei beim Kampf gegen die organisierte Kriminalität ein unverzichtbares Mittel, nicht nur, um schon begangene Straftaten aufzuklären und Straftäter zu überführen, sondern auch und vor allen Dingen, um neue Taten zu verhindern. Vor wenigen Tagen hat auch der Bund Deutscher Kriminalbeamter die Wiedereinführung der Kronzeugenregelung und ein Aussteigerprogramm für islamistische Extremisten vorgeschlagen. Aber was macht die Regierung? Nichts. Zwar verkündete sie Anfang des Jahres, dass an einer neuen Regelung gearbeitet werde - immerhin -, dann aber lässt der Kronjurist der Koalition, der Kollege Beck, verlauten, dass die Kronzeugenregelung „ein schmutziger Deal mit Mördern und anderen Schwerverbrechern und daher eines Rechtsstaates unwürdig“ sei. ({15}) Das war es dann, jedenfalls bis heute, obwohl Sie eigentlich wissen müssten, dass es im Betäubungsmittelgesetz immer noch eine Kronzeugenregelung gibt, die Sie aus gutem Grund auch nicht abschaffen wollen. ({16}) Es mag vernünftig sein, Herr Minister, ein „Lagebild organisierte Kriminalität“ erstellen zu lassen, um ausführlich über die organisierte Kriminalität in unserem Lande zu informieren. Viel wichtiger wären jedoch konkrete Maßnahmen für einen entschlossenen Kampf gegen die organisierte Kriminalität. Sie lässt sich nicht mit Statistiken bekämpfen, sondern nur durch hoch motivierte Ermittler, die sowohl das technische als auch das rechtliche Instrumentarium besitzen, um handeln zu können. Wir haben schon vor dem 11. September einen entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt und werden bald wissen, ob die Regierung die organisierte Kriminalität nur mit Worten oder auch mit Taten bekämpfen will. Beim Kampf gegen den Rechtsextremismus haben wir auch von dieser Stelle aus die Kultur des Wegsehens beklagt und Hinsehen, Zivilcourage gefordert. Dann muss aber erst recht der Staat hinsehen und eingreifen, wenn Gefahr im Verzug ist. Wenn der Staat von seinen Bürgern Zivilcourage verlangt, dann muss er selber erst einmal Staatscourage zeigen. ({17}) Niemand von uns will einen Schnüffelstaat, niemand will Unbescholtene verfolgen. Aber der Staat darf sich auch nicht künstlich dumm stellen. Er muss zur Verhinderung und Aufklärung von Straftaten alle Erkenntnisquellen nutzen und die zuständigen Stellen informieren, damit sie Gefahren erkennen und abwehren können. Was spricht eigentlich dagegen, vor der Entscheidung über einen Einbürgerungsantrag eines Ausländers beim Verfassungsschutz anzufragen, ob Erkenntnisse vorliegen, dass sich der Bewerber extremistisch oder gewaltbereit verhalten hat? ({18}) Das hat nichts mit einem Generalverdacht zu tun, sondern es hat etwas damit zu tun, dass wir unserem Land, den Bürgern, die hier leben, schaden, wenn wir Ausländer einbürgern, von denen wir wissen oder wissen könnten, dass sie sich extremistisch verhalten und gewalttätig zu Werke gehen. Das ist der Grund. Das hat nichts mit einem Generalverdacht zu tun. ({19}) Die unbescholtenen Bürger haben von einer solchen Anfrage nichts zu befürchten. Wieso sollten wir einem Ausländer die deutsche Staatsbürgerschaft verleihen, wenn wir wissen, dass er für unser Land ein Sicherheitsrisiko darstellt? ({20}) Ich zitiere aus der Urteilsbegründung des zuständigen Senats des OLG Düsseldorf zu dem Urteil gegen den islamistischen Extremisten Kaplan: ({21}) Nahezu mit Verblüffung musste der Senat zur Kenntnis nehmen, dass eine Vielzahl von Zeugen aus den Reihen des Kaplan-Verbandes, und davon nicht wenige mit inzwischen deutscher Staatsangehörigkeit, mit einer kaum zu glaubenden Unverblümtheit oder besser Unverfrorenheit erklärten, dass für sie auch hier in Deutschland nicht die deutschen Gesetze, ja nicht einmal die deutsche Verfassung, sondern das islamische Recht, die Scharia, maßgeblich sei. Die Mitglieder und Anhänger des Kaplan-Verbandes ließen erst gar keinen Zweifel daran, dass ihnen unsere demokratische Gesellschaftsordnung, ja die Werteordnung des Grundgesetzes insgesamt völlig gleichgültig ist, ja, dass sie diese sogar ablehnen. Umso mehr muss diese Haltung verwundern oder gar Befremden hervorrufen, wenn viele der Zeugen auf Befragung ausdrücklich einräumten, dass sie gerade wegen der Möglichkeit, ihre Religion frei und ohne Behinderung ausüben zu können, also wegen der ihnen aufgrund unserer Verfassung gewährten Rechte und Freiheiten, nach Deutschland gekommen sind.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schily?

Wolfgang Bosbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002632, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Bitte sehr.

Otto Schily (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001970, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Bosbach, ist Ihnen bekannt, dass wir in das neue Staatsangehörigkeitsrecht eine Bestimmung aufgenommen haben, die den Zugang zur deutschen Staatsbürgerschaft dann ausschließt, wenn solche Sachverhalte vorliegen, wie Sie sie gerade aus der Urteilsbegründung zitiert haben? Sie können dies selbstWolfgang Bosbach verständlich auch mit einer Regelanfrage klären. Die Länder können das tun, praktizieren es aber unterschiedlich. ({0}) - Doch. ({1}) Herr Kollege Bosbach, ich darf eine zweite Frage gleich anfügen: Wissen Sie, dass die Sachverhalte, die hier zur Debatte stehen, unter der Geltung des alten Rechts zustande gekommen sind, das Sie zu verantworten haben? ({2})

Wolfgang Bosbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002632, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Schily, Sie haben sich richtig ausgedrückt: Die Länder können es tun, aber viele Länder tun es aus ideologischen Gründen nicht. Warum tun sie es nicht? Weil sie keine Ausländer unter „Generalverdacht“ stellen wollen. Diese Argumentation ist deswegen albern, weil nur über diejenigen Erkenntnisse vorliegen können, die sich extremistisch oder gewaltbereit gezeigt haben. Diese sollten wir nicht einbürgern. Das ist der ganze Vorgang. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Wir sollten jetzt in der Debatte fortfahren, Herr Schily. Es tut mir Leid, aber jetzt hat Herr Bosbach das Wort und soll seine Rede zu Ende bringen.

Wolfgang Bosbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002632, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Es hat keinen Zweck, wenn allein Bayern nicht nur nach einer Länderliste verfährt, sondern Regelanfragen macht. Wenn die Betroffenen einen verfestigten Aufenthaltsstatus haben und ihren Wohnsitz frei wählen können, dann gehen sie einfach in ein anderes Bundesland, in dem keine Regelanfragen gemacht werden, und lassen sich dort einbürgern. Das ist der Punkt, um den es geht. ({0}) Wir können es nicht länger dulden, dass unter dem Deckmantel der Humanität und der Religionsfreiheit Extremisten ihr Unwesen treiben. Ich bin sehr dafür, dass wir differenziert argumentieren. Der allergrößte Teil der Ausländer lebt rechtstreu und friedlich in unserem Land. Aber es darf nicht so sein, dass jede kritische Auseinandersetzung mit kriminellen und extremistischen Ausländern, ganz gleich, ob sie aus religiösen oder aus politischen Motiven handeln, sofort als ausländerfeindlich gegeißelt wird. Wir müssen die Dinge beim Namen nennen. Tun wir das nicht, dann wird sich die Bevölkerung jenen zuwenden, die mit scheinbar einfachen Rezepten rasche Lösungen versprechen. ({1}) Ein Beispiel aus jüngster Zeit: Der Landtag von Nordrhein-Westfalen wollte auf Initiative der CDU einen fraktionsübergreifenden Antrag mit dem Titel Integrationsoffensive Nordrhein-Westfalen verabschieden. ({2}) Dabei waren die Grünen nicht einmal bereit, folgende Passage zu akzeptieren: In dem Bewusstsein, dass Kriminalität keine Frage der Staatsangehörigkeit ist, betrachten wir mit großer Sorge die vergleichsweise hohe Straffälligkeit junger Zuwanderer. Sie wollen noch nicht einmal die Lebenswirklichkeit zur Kenntnis nehmen, weil nicht sein kann, was nicht sein darf. ({3}) Diese Wirklichkeitsverweigerung ist auch eine Belastung für die notwendige Debatte über eine Neuregelung des Zuwanderungs- und Integrationsrechtes. Herr Minister, Sie haben gesagt, die Grenze der Belastbarkeit der Bundesrepublik Deutschland durch Zuwanderung ist überschritten, also: Deutschland trägt eine Belastung durch Zuwanderung, die es nicht tragen kann. In diesem Punkt haben Sie Recht. Wir haben keinen Mangel an Zuwanderung, sondern einen erkennbaren Mangel an Integration und ein nicht ausgewogenes Verhältnis von Zuwanderung aus humanitären Gründen einerseits und aus eigenem, wohlverstandenem nationalen Interesse andererseits. Ihr Gesetzentwurf löst keine Probleme, sondern schafft neue. Das ist der Grund, warum wir ihm unter keinem Gesichtspunkt zustimmen können. ({4})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich erteile dem Kollegen Volker Beck für das Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich finde, man hat dem Debattenbeitrag von Herrn Bosbach angemerkt, dass ihm die entschlossene und besonnene Vorgehensweise der Bundesregierung in der gegenwärtigen Sicherheitslage wenig Platz für Alternativen und Kritik lässt. ({0}) Es ist bedauerlich, dass die gegenwärtige Diskussion die umfangreiche Leistungsbilanz der Bundesregierung und dieser Koalition in der Innen- und Rechtspolitik in den Hintergrund treten läßt. Ich will einige wichtige Punkte nennen: Schadenersatzreform, Modernisierung des Schuldrechts, Mietrechtsreform, Justizreform, Insolvenzordnung und eingetragene Partnerschaft. ({1}) Wir haben eine Menge auf den Weg gebracht, eine Menge erreicht und werden als Koalition auch die vor uns liegenden Aufgaben - die Bewahrung der inneren Sicherheit unter Wahrung von Freiheit und Rechtsstaatlichkeit - meistern. Seit dem 11. September haben wir eine neue Lage. Wir müssen alle Instrumente prüfen, auf Schwachstellen abklopfen und gegebenenfalls der Sicherheitslage anpassen. Wir vom Bündnis 90/Die Grünen machen als Rechtsstaatspartei die Frage der Verhältnismäßigkeit der Mittel zum Zentrum unserer Entscheidungen. Maßnahmen, die jetzt geprüft und ergriffen werden sollen, müssen geeignet, erforderlich und praktikabel sein. Wir müssen auch bei jeder einzelnen Maßnahme danach fragen, welchen Preis an Rechtsstaatlichkeit und Freiheit sie fordert und welchen Gewinn an Sicherheit sie bringt. Danach müssen wir nach einer politischen Abwägung der genannten Kriterien eine Entscheidung fällen. Wir werden hierbei weiterhin Entschlossenheit und Besonnenheit an den Tag legen. Herr Bosbach, ich finde es richtig, dass Sie gesagt haben, Rechtsstaatlichkeit, Bürgerrechte und Freiheit sind kein Gegensatz zur Sicherheit. Sie sollten dann aber auch nicht den Eindruck erwecken, nur der mache eine vernünftige Sicherheitspolitik, der Rechtsstaatlichkeit und Freiheit infrage stellt. Hamburg hat gezeigt, dass es keinen Sinn hat, vor offensichtlichen Problemen im Bereich der inneren Sicherheit die Augen zu verschließen. Ich glaube, alle demokratischen Parteien müssen sich da ein bisschen selbstkritisch an die Nase fassen. Wir dürfen aber nicht den Fehler machen - ich spreche besonders die Partei an, die einmal, so wie wir, für den Rechtsstaatsliberalismus gekämpft hat -, uns zum Steigbügelhalter für diejenigen zu machen, die bestehende Defizite populistisch ausnutzen. ({2}) Ich möchte Sie ausdrücklich warnen - Herr Kollege Stadler, sagen Sie es Ihrem Parteivorsitzenden -: Herr Westerwelle sollte nicht der von Papen des 21. Jahrhunderts werden. ({3}) Hüten Sie sich davor, Rechtspopulisten, die gegen Rechtsstaatlichkeit, gegen Ausländer und gegen Flüchtlinge hetzen und damit Stimmung in der Bevölkerung machen, zur Macht zu verhelfen. Ich meine, alle demokratischen Parteien haben die Aufgabe, in Hamburg eine Ohne-Schill-Koalition zu schmieden. ({4}) Zum Thema innere Sicherheit zurück: Wer meint, Terroristen aus der Gruppe Bin Laden könnte man mit sozialen Integrationsprogrammen oder mit Armutsbekämpfung aus der Welt schaffen, der irrt, er ist naiv. Wir brauchen innen- und außenpolitisch gezielte Aufklärung und geeignete Maßnahmen der Repression. ({5}) Wer aber meint, den Zulauf zu solchen Organisationen allein mit repressiven Mitteln bekämpfen zu können, ist genauso naiv. Deshalb finde ich es sehr gut, dass die Bundesregierung im Rahmen ihres Sicherheitspaketes - in diesen Bereich gehört es auch - die Erhöhung des Etats der Entwicklungshilfe und der zivilen Konfliktlösung mit vorgesehen hat. ({6}) Auch innenpolitisch müssen wir entsprechend vorgehen. Wir müssen den interreligiösen und den interkulturellen Dialog pflegen. Auch müssen wir darüber nachdenken, wie wir - und zwar nicht nur repressiv - damit umgehen, dass wir eine große Zahl von radikalen Islamisten in unserem Land haben. Hier ist keine Hau-drauf-Strategie gefragt. Vielmehr sollten wir uns die Doppelstrategie der Niederländer genauer anschauen, die versuchen, diesem Problem mit Repression gegen die Scharfmacher und Hardliner sowie mit Integration und Dialogangeboten an ihre Anhänger näher zu treten. Hier sind große Besonnenheit und Differenzierung gefragt. Wer jetzt in der Debatte um die innere Sicherheit nur seine Schubladen leert und schaut, welche alten Vorschläge es gibt, die noch nicht realisiert wurden, der hat den Ernst der Lage nicht begriffen. Vorschläge wie die Gründung einer Nationalgarde, der Einsatz der Bundeswehr im Inneren oder andere Maßnahmen, die der Bevölkerung einen nationalen Notstand suggerieren, sollten wir in den Schubladen lassen und uns auf die neue Situation und die neue Debattenlage einstellen. Auch dürfen wir nicht unbesehen einfach die Etats erhöhen. Deshalb finde ich den Ansatz der Bundesregierung, die entsprechenden Mittel im Einzelplan 60 zu belassen und einzeln zu prüfen, welche Maßnahmen erforderlich und effizient sind, sehr richtig. Das zeigt, dass wir an dieses Thema sehr seriös herangehen. Ich begrüße ausdrücklich, dass die Bundesregierung die notwendigen Maßnahmen im Bereich der Schaffung der Flugsicherheit - beim Personal und bei der Überprüfung der Gepäckstücke - ergriffen hat. Auch hinsichtlich der Frage der Sky-Marshals müssen wir eine intensive Fachdebatte darüber führen, wer einen solchen Vorschlag umsetzen könnte. Ich meine, hier ist eine hohe Anforderung an das Personal zu stellen, weil mit einer bewaffneten Person immer auch eine Waffe an Bord des Flugzeugs geht. Deshalb wäre die Umsetzung dieses Vorhabens wahrscheinlich am besten beim Bundesgrenzschutz und nicht bei privaten Sicherheitsfirmen aufgehoben. ({7}) Volker Beck ({8}) Meine Damen und Herren, die Maßnahmen beim Vereinsrecht, das Religionsprivileg zu streichen und zu verhindern, dass Geld aus Deutschland heraus an terroristische Vereinigungen fließt, sind richtig und notwendig. Hier müssen wir auch das Thema Geldwäsche ansprechen. Ich glaube, dass wir es hierzulande beim Bankgeheimnis mit dem Datenschutz zuweilen tatsächlich übertreiben. Wir müssen dafür sorgen, dass problematische Geldbewegungen transparent werden. Von Bankangestellten höre ich zum Beispiel, dass auf so manche merkwürdigen Konten in Köln regelmäßig viel Geld überwiesen wird. Diese Vorgänge müssen transparent sein. Da müssen wir entsprechend eingreifen. Die Bundesregierung hat auch eine Maßnahme ergriffen, um terroristische Vereinigungen im Ausland zukünftig strafrechtlich verfolgen zu können. Ich sage ausdrücklich: Wenn wir der Strukturen von Bin Laden habhaft werden können, dann wäre es auch richtig, sie strafrechtlich zu verfolgen. Aber auch hier müssen wir besonnen sein und genau abwägen, welche Formulierung tatsächlich zum Ziel führt. Ich finde es sehr gut, dass der Innenminister diese Woche im „Spiegel“ gesagt hat, es dürfe nicht sein, dass sich ein Graf Schenk von Stauffenberg wegen des versuchten Tyrannenmordes an Hitler auch unter die Strafbarkeit einer solchen Bestimmung begeben hätte. Darüber werden wir in den Fachausschüssen im Detail diskutieren müssen. Herr Kollege Bosbach, Sie haben die Kronzeugenregelung angesprochen. Man muss der Bevölkerung einmal erklären, was die alte Kronzeugenregelung eigentlich beinhaltete. In der Tat handelte es sich um einen schmutzigen Deal des Rechtsstaates mit Schwerverbrechern. ({9}) Wenn jemand ausgesagt hat und ihm geglaubt wurde, konnte zum Beispiel ein Mörder - unabhängig davon, ob seine Aussage richtig oder falsch war - nach einer Gefängnisstrafe von drei Jahren wieder in die Freiheit entlassen werden. ({10}) Ich muss sagen: Da regt sich mein rechtsstaatliches Gewissen. Dies kann man den Opfern meines Erachtens nicht zumuten. ({11}) Hier brauchen wir eine seriöse Regelung für das Nachtatverhalten, und zwar ohne die rechtsstaatlichen Mängel der alten Regelung. Auch dürfen wir im Rechtsstaat Falschaussagen nicht belohnen. Wir als Bündnis 90/Die Grünen werden die Bundesregierung bei der Schaffung von Sicherheit immer unterstützen. Wir werden uns aber auch herausnehmen - das ist manchmal anstrengend, macht das Geschäft aber auch lebendig -, immer nachzufragen, was die jeweils zu treffenden Entscheidungen für Rechtsstaatlichkeit, Freiheit und Bürgerrechte bedeuten. Das, was erforderlich ist, werden wir mittragen, und, meine Damen und Herren von der Union, Ihre Maßnahmen, die regelmäßig über das Ziel hinausschießen, werden wir ablehnen. ({12})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Das Wort hat der Kollege Dr. Max Stadler für die FDP-Fraktion.

Dr. Max Stadler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002805, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dieser Tage ist viel von einer Neuorientierung der deutschen Innenpolitik nach der Maxime „Sicherheit vor Freiheit“ die Rede. Aber Herr Minister Schily hat - wie ich finde: zu Recht - gesagt, die Terrorismusbekämpfung - ich könnte ergänzen: die Kriminalitätsbekämpfung - habe nicht erst nach dem 11. September dieses Jahres begonnen. Tatsächlich ist die innere Sicherheit schon immer eine elementare Staatsaufgabe, eine zentrale Aufgabe des freiheitlichen Rechtsstaates gewesen. ({0}) Als Liberaler sage ich sehr bewusst: Während es in anderen Bereichen, zum Beispiel in der Wirtschaftspolitik, richtig ist, den staatlichen Einfluss zurückzudrängen, bleibt die innere Sicherheit eine nicht privatisierbare Kernaufgabe des Staates. ({1}) Meine Damen und Herren, der Staat muss daher den Sicherheitsbehörden das notwendige gesetzliche Instrumentarium an die Hand geben. Aber dies allein nützt nichts, wenn die Personal- und Sachausstattung für die Umsetzung der gesetzlichen Vorschriften fehlt. In diesem Punkt sowie bei den Problemen der internationalen Zusammenarbeit müssen wir ansetzen; auf diese Punkte müsste sich die Debatte nach Ansicht der FDP konzentrieren. Die FDP sagt zu denjenigen Maßnahmen im Bereich der Gesetzgebung und des Gesetzesvollzugs Ja, die notwendig und geeignet sind, die innere Sicherheit zu verbessern. Das ist der Maßstab. Eine nüchterne Analyse ergibt freilich, dass die Hauptdefizite im Gesetzesvollzug liegen. Wenn Tausende von DNA-Analysen nicht bearbeitet werden können, wenn richterliche Beschlüsse über Telefonüberwachungen nicht ausgeführt werden können, wenn Polizeipersonal zu sachfremden Aufgaben anstelle der eigentlichen polizeilichen Tätigkeit herangezogen wird, ist dies nicht zu akzeptieren. ({2}) In den öffentlichen Haushalten müssen Prioritäten zugunsten der personellen und sächlichen Ausstattung der Sicherheitsbehörden gesetzt werden. Dies betrifft natürlich vor allem die Bundesländer, aber in gewissem Ausmaße auch den Bund. Zum Stichwort internationale Zusammenarbeit: Es war sehr aufschlussreich, dass auf dem ersten Europäischen Volker Beck ({3}) Juristentag, der vor kurzem in Nürnberg stattgefunden hat, heftig beklagt wurde, dass Rechtshilfeersuchen auch im europäischen Ausland bis zu ihrer Erledigung heute immer noch durchschnittlich ein Jahr dauern. Daran sieht man, wo der Hebel angesetzt werden muss. Meine Damen und Herren, soweit der Bundestag gefordert ist, stellt sich allerdings schon die Frage nach der Handlungsfähigkeit der rot-grünen Koalition. Man tritt niemandem zu nahe, wenn man feststellt, dass gerade in der Innenpolitik zwischen den Vorstellungen von Rot und Grün tiefe Gräben liegen. Ein Blick in das Bundestagswahlprogramm der Grünen, das 1998 in Magdeburg verabschiedet wurde, zeigt ({4}) - ich lese es alljährlich mindestens zur Haushaltsdebatte, Frau Kollegin Beck -, dass die Grünen von ihren Wahlversprechungen zur Innenpolitik in dieser Koalition fast nichts umgesetzt haben. ({5}) - Manchmal muss man allerdings sagen, zum Glück. Wahrscheinlich sind sie selber froh, dass nur wenige dieses Programm noch nachlesen, wie ich es getan habe. ({6}) Damals haben die Grünen zum Beispiel die Abschaffung der Geheimdienste gefordert, während Volker Beck eben die Verbesserung der Mittelausstattung für die Geheimdienste propagierte. ({7}) Meine Damen und Herren, die Distanz zwischen den Koalitionspartnern wird aktuell im Streit um die Zuwanderungsregelungen sichtbar. Eigentlich sollte das Kabinett gerade heute das Zuwanderungsgesetz beschließen. Aus Sicht der FDP ist es bedauerlich, dass sich die Koalition nicht auf einen Entwurf einigen kann. Ich sage aber auch den Kolleginnen und Kollegen von der CDU und der CSU, dass sie hier in ihrer Argumentation redlich bleiben müssen. Wenn Herr Bosbach vorhin ausgeführt hat, bei uns gebe es keinen Bedarf an Zuwanderung auf den Arbeitsmarkt, dann frage ich mich, warum der Freistaat Bayern Krankenschwestern in Kroatien und Pflegekräfte in der Slowakei anwirbt. Das passt nicht zusammen. ({8}) Meine Damen und Herren, noch ein Punkt, der die Notwendigkeit von Gesetzgebung deutlich macht: Festzustellen ist, dass die wesentliche Gesetzgebung - Kollege Marschewski, Sie waren daran maßgeblich beteiligt - in den letzten beiden Legislaturperioden während der CDU/CSUFDP-Koalition stattgefunden hat. Es gab etwa 50 Gesetze, ({9}) zum Beispiel das Gesetz gegen die organisierte Kriminalität, das Verbrechensbekämpfungsgesetz, das BKAGesetz und das Bundesgrenzschutzgesetz. ({10}) Daher ist ein Übermaß an neuer Gesetzgebung keinesfalls erforderlich. ({11}) Es wundert mich deswegen nicht, dass die Beschlüsse des Kabinetts vom letzten Mittwoch relativ wenig an neuer Gesetzgebung vorsehen ({12}) und dass Herr Minister Schily in seiner Argumentation zu Recht auf die Praxisdefizite abgestellt hat. Das, was vorgeschlagen wurde, wird die FDP im Gesetzgebungsverfahren mit zustimmender Grundtendenz begleiten. Manches ist von vornherein nicht akzeptabel, etwa der Einsatz der Bundeswehr im Inneren. Das ist aber vom Kabinett auch nicht beschlossen worden. ({13}) Anderen Maßnahmen wie der verstärkten Überprüfung des Flughafenpersonals kann man sofort zustimmen. Manche der diskutierten Maßnahmen sind in Wahrheit geltendes Recht; das ist vorhin erwähnt worden. So ist jetzt vor einer Einbürgerung die Regelanfrage beim Verfassungsschutz möglich. Ich halte sie auch für durchaus notwendig und akzeptabel. Meine Damen und Herren, der Bundestag wird rasche Entscheidungen treffen müssen. Das erwartet die Bevölkerung. Gleichwohl muss das Gesetzgebungsverfahren, das uns auf dem Gebiet der inneren Sicherheit bevorsteht, sorgfältig durchgeführt werden. Eine rationale Sicherheitspolitik erfordert konkrete Defizitanalysen. Ich kann etwa mit einer Bemerkung, der Datenschutz müsse allgemein zurückgefahren werden - so hört man manchmal in der öffentlichen Diskussion -, nichts anfangen. ({14}) Vielmehr muss konkret dargestellt werden, wo es Defizite gibt. ({15}) Dann können wir als Gesetzgeber darauf reagieren. Ich empfehle dringend die Auswertung des neuen Sicherheitsberichts der Bundesregierung. Es war eine alte Forderung der FDP, einen solchen Sicherheitsbericht zu erstellen. Er wird uns als Gesetzgeber helfen, auch in Zeiten wie diesen rationale Maßnahmen zu treffen. ({16}) Über eines sind wir uns hoffentlich alle einig: Der Rechtsstaat kann nur mit rechtsstaatlichen Mitteln verteidigt werden. Dem wird die FDP ihre Zustimmung nicht versagen. ({17})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Das Wort hat jetzt die Kollegin Petra Pau, PDS-Fraktion.

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich spreche für die linke Opposition, für die PDS. Ich möchte eingangs mit einem Irrtum aufräumen, der immer wieder gern verbreitet wird, nämlich mit der Behauptung, Linke seien für das Soziale und die Rechte für mehr Sicherheit zuständig. Das Soziale ist natürlich immer ein Thema der Linken, aber selbstverständlich gilt dies, grundsätzlich und auch praktisch, ebenso für die öffentliche Sicherheit. Die Differenzen liegen ohnehin nicht in den Überschriften zur öffentlichen Sicherheit, sondern in der Beantwortung folgender Frage: Was schafft wirklich mehr Sicherheit für die Bürgerinnen und Bürger und was täuscht Sicherheit nur vor? Ich zeige Ihnen diesen Unterschied gern an einer Forderung, die aktuell gestellt wird und die wir zu Beginn der heutigen Debatte auch schon gehört haben. Allgemein gilt: Wer nicht einer Straftat verdächtigt werden kann, sollte als unbescholten gelten. Das ist rechtsstaatliches Prinzip. Eine Abkehr davon würde heißen, jede und jeder ist verdächtig und wahrscheinlich bescholten. Das wollen wir doch wohl alle nicht. Deshalb möchte ich im programmatischen Politdeutsch zitieren: Die Einführung von verdachts- und ereignisunabhängigen Personenkontrollen sowie die ständige polizeiliche Videoüberwachung des öffentlichen Raums sind unverhältnismäßige Notmaßnahmen. Sie schränken die Bürgerrechte ein, sie sind nahezu nutzlos und kosten viel Geld. ({0}) Das, Herr Kollege Stadler, war ein Zitat aus dem aktuellen Wahlprogramm der Berliner FDP und - was noch besser ist - es ist ein völlig stimmiger Gedanke. Ich frage mich nur, wie Herr Westerwelle und insbesondere Herr Rexrodt dies ihren Koalitionspartnern in Hamburg beibringen wollen. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte Ihnen noch ein zweites Beispiel nennen, um die Differenz klar zu machen. Es ist ziemlich genau ein Jahr her, da haben wir in berechtigter Sorge und mit Empörung darüber diskutiert, wie wir gemeinsam eine wachsende Gefahr für Demokratie und Menschenrechte zurückdrängen können. Ich spreche vom Rechtsextremismus und vom Rassismus und ich erinnere an die Formel vom Aufstand der Anständigen bzw. der Zuständigen. Nun suche ich im Haushalt und lese in der „Frankfurter Rundschau“ vom 24. September, Rot-Grün wolle im kommenden Jahr 40 Millionen DM weniger für Maßnahmen gegen den Rechtsextremismus aufbringen als in diesem Jahr. Das ist auch aus der Sicht der öffentlichen Sicherheit fatal und für mich einfach unbegreiflich. ({2}) Aus ganz aktuellem Anlass: Wir alle hier, von CSU bis PDS, haben dem amerikanischen Volk unsere Solidarität bekundet. Zugleich feiern rechtsextreme Parteien wie die NPD den barbarischen Terroranschlag in New York und Washington als Sieg über den „weltlichen Judenkult und seinen Mammonismus“. Deshalb appelliere ich an Sie, Herr Minister - aber auch an Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen -: Korrigieren wir schleunigst gemeinsam diese Fehlplanung im Haushaltsentwurf! ({3}) Fragen der öffentlichen Sicherheit haben derzeit zu Recht einerseits Konjunktur; andererseits waren sie in Hamburg wahlentscheidend. In Berlin rangieren sie in dieser Woche laut Umfragen auf Platz zwei der Sorgen der Bürgerinnen und Bürger. Wer dies nicht ernst nimmt, der politisiert am Lebensgefühl der Bürgerinnen und Bürger vorbei. Wir nehmen diese Sorgen sehr ernst und setzen uns nicht erst seit heute dafür ein, dass Polizistinnen und Polizisten vor Ort - im Wohngebiet, auf Plätzen, in Parks so arbeiten können, wie sie sollen und wie sie es im Übrigen auch tun wollen. Dazu gehört aber auch eine entsprechende Ausstattung und dazu gehört natürlich auch eine Anerkennung der Arbeitsleistung in Ost und West auf gleichem Niveau. ({4}) Kein vernünftiger Mensch wird auch etwas dagegen haben, wenn über mehr Flugsicherheit nachgedacht wird - wir jedenfalls nicht -; aber in diesem Zusammenhang lohnt es sich schon, über die Kontrolle von Passagieren und natürlich auch von Flugpersonal sowie über die Suche nach technischen Möglichkeiten, um die Flugsicherheit zu verbessern, hinaus auch noch über etwas anderes nachzudenken. Ich denke, prekäre Arbeitsverhältnisse und Leiharbeit schaffen eben keine Stammbelegschaften in einem so hoch sensiblen Bereich, in die man Vertrauen haben kann. Auch darüber sollte man reden und nicht nur darüber, wie die Menschen überprüft werden, die diese verantwortungsvolle Arbeit ausführen. Auch die Streichung des Religionsprivilegs im Vereinsrecht ist ein Vorschlag, den wir ernsthaft prüfen. Wenn es hilft, Religion und die Ausübung eines Verfassungsrechtes von Gewalt predigenden Extremisten zu trennen, dann kann das gut sein. Die anderen Maßnahmen, die in der Debatte sind, wie die gegen kriminelle Geldwäsche, sind ohnehin überfällig und gehören längst auf die Tagesordnung - und dies in allen Parteien; ich schaue hier auch zu den Kollegen der CDU/CSU. Aber ich sage Ihnen auch: Wer auf die Ängste parteipolitisch draufsattelt, wer zusätzlich Ängste schürt, um untaugliche Ladenhüter vermeintlicher Innenpolitik zu preisen, der spielt mit dem Lebensgefühl der Bürgerinnen und Bürger. Das ist verantwortungslos. Damit komme ich zu einem Eindruck der letzten Tage - oder besser Abende -, den man gewinnt, wenn man in Wahlkampfzeiten in dieser Stadt unterwegs ist. Ich erlebe, wie Mitbürgerinnen und Mitbürger nicht deutscher Herkunft noch mehr verunsichert sind als wir alle ohnehin schon. Wer dieser Tage abends durch Berlin-Kreuzberg oder auch durch Köln geht, der sieht, dass er eben fast nichts sieht, jedenfalls nicht das pulsierende Leben, das wir an den Abenden vor dem 11. September auf der Straße ebenso wie im Café hatten. Ich kann das durchaus nachvollziehen, denn wenn man abends den Fernsehapparat einschaltet, wird man penetrant mit Bildern belehrt, woher denn das Böse kommen soll. Wer, wie ich gestern gemeinsam mit dem Kollegen Rexrodt, in eine Talkshow gerät, bekommt spätestens nach der zweiten Frage den „kriminellen Ausländer“ oder „Asylsuchenden“ präsentiert. Mit einer offenen Gesellschaft, mit innerer Sicherheit und mit vielfältigem Leben hat das nichts zu tun. Deshalb mein letzter Satz - ich wiederhole mich -: Für mehr öffentliche Sicherheit bekommen Sie von uns ein klares Ja. Zu Populismus auf Kosten von Bürgerrechten werden wir ganz klar auch weiterhin Nein sagen. ({5})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Das Wort hat der Kollege Ludwig Stiegler für die SPD-Fraktion.

Ludwig Stiegler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002248, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Änderungen nach dem 11. September sind hier oft besprochen worden. Ich finde, die Innenpolitik und ihre Erfolge haben es nicht verdient, dass sie hier ausgeblendet werden. Ich verstehe die Union: Sie sind voller Neid, dass Sie keinen solchen Innenminister wie wir aufweisen können. Sie haben dazu auch mein herzliches Beileid. ({0}) Wer jahrelang einem Experten der organisierten Kriminalität nachgelaufen ist, wie Sie das getan haben, der hat jetzt natürlich Schmerzen. ({1}) Dass Sie die Kronzeugenregelung verlangen, hängt vielleicht damit zusammen, dass Sie sie für den KantherProzess haben wollen; das kann ja möglich sein. ({2}) - Es tut mir furchtbar Leid: Es ist doch zu erkennen, dass Sie objektiv an unserer Politik nichts auszusetzen haben. Daher müssen Sie sich jetzt künstlich an diesem Innenminister reiben. In Wahrheit hätten Sie einen stolzen Tanz aufgeführt, wenn Sie jemals so einen Innenminister gehabt hätten. So schaut doch die Realität aus. ({3}) Hören Sie also auf, hier und da kleinlich herumzumäkeln. Vielmehr sollten Sie akzeptieren, dass auf Bundesebene - Hamburg hin oder her - die Fragen der inneren Sicherheit von der rot-grünen Koalition mit diesem Innenminister und mit dieser Justizministerin ordentlich behandelt werden. ({4}) Ich lege Wert darauf, dass Sie einmal den Sicherheitsbericht lesen und zur Kenntnis nehmen, wie sich das allgemeine Sicherheitsgefühl verbessert hat. Da kann man nicht herummäkeln. Da muss man nur lesen, zur Kenntnis nehmen und seine alten Vorurteile überwinden. ({5}) Ich lege auch Wert darauf, dass wir zur Kenntnis nehmen, dass der Kampf gegen den Rechtsextremismus erfolgreich war, seitdem wir ihn aufgenommen haben, ({6}) und - dazu hat nicht nur der Antrag auf Verbot der NPD beigetragen - dass die Zahl der rechtsextremistischen Straftaten zurückgegangen ist. Man muss auch zur Kenntnis nehmen, dass der Innenminister - auch mithilfe des BGS - in der Bahn, aber auch in der Region dazu beigetragen hat, das Sicherheitsgefühl der Menschen wieder zu verstärken. Auch das sollten wir bitte zur Kenntnis nehmen. ({7}) Ich hoffe, dass das Bundesverfassungsgericht auch zur Kenntnis nimmt, dass die NPD Flugblätter verteilt, in denen sie die Anschläge in New York und Washington begrüßt und bejubelt. Ich hoffe, dass hier dann auch deutlich wird, wes Geistes Kind sie sind; die Rechtsextremisten bei uns sind nämlich den islamischen Fundamentalisten im Geiste verwandt. ({8}) Das ist ja fast eine Ideologie wie früher bei den Nazis. Die eine ist auf die Rasse aufgebaut, die andere auf die Religion. Menschenverachtend sind sie alle. Auch das müssen wir im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus wieder zur Kenntnis nehmen. ({9}) Wir streiten auch um Integration. Darüber streiten wir auch mit Herrn Koch, ({10}) der plötzlich wieder beginnt, mit der Ideologie der nationalen Identität eine Ideologie der Ausgrenzung zu verbreiten. Wie will der, der wieder auf Geburtsrechte aus ist, all die Menschen anderen Glaubens und anderer Herkunft, die hier dauerhaft heimisch geworden sind und heimisch werden wollen, integrieren? Es ist eben nicht möglich, dass man in nationaler Identität schwelgt; das bedeutete in Deutschland nämlich immer die Ausgrenzung anderer. Wir brauchen die Inklusion, den Einschluss, und eine offene Gesellschaft, die sich zu säkularisierten Werten bekennt, die alle gemeinsam tragen können. Das ist der eigentliche Auftrag. ({11}) Deshalb ist es Gift, was Herr Koch hier verbreitet. Die große kulturelle Aufgabe der Integration kann nicht durch einen romantischen Rückgriff auf die Nationalität bewältigt werden, gerade auch nicht vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte. Vielmehr müssen wir sie miteinander mit einem anderen Ansatz angehen. ({12}) Ich möchte gerade auch unserem Kollegen Jochen Welt sehr herzlich danken, der im Bereich der Integration wirklich Großartiges leistet und auf eine gute Entwicklung verweisen kann. Wir werden ihn dabei unterstützen, indem wir insgesamt mehr Geld für die Sprachförderung zur Verfügung stellen. ({13}) Meine Damen und Herren, schauen wir auf die europäische Entwicklung. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger, der in Brüssel kaum gesehen ward, ist Otto Schily ein europäischer Innenminister mit sehr guten Beziehungen und großem Einfluss in ganz Europa. ({14}) Man muss auch das sehen und nicht nur den Tampere-Prozess mit der Herstellung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. Um diesen zu erreichen, muss noch viel durchgesetzt werden. So denke ich an Genua. Die Situation dort ist mir so vorgekommen, als ob sich das Bewusstsein der Italiener vom Demonstrationsrecht auf dem Stand befindet, wie der von Edmund Stoiber bei den Wackersdorf-Demonstrationen war. Das zeigt ungefähr den Stand der Entwicklungen bezüglich des Demonstrationsrechts. Es wird wohl auch auf der internationalen Ebene deutlich gemacht werden müssen, dass dort nicht alles korrekt gelaufen ist, sosehr auch die Täter verurteilt werden müssen und wir nicht wollen, dass irgendwelche Hooligans verhindern, dass man sich auf internationaler Ebene trifft. Ein kultivierter Umgang mit dem Demonstrationsrecht derer, die mit Recht Sorgen anmelden, ist aber eine Errungenschaft, die in den letzten 20 Jahren in Deutschland von uns - meistens gegen Sie - durchgesetzt werden musste. Diese könnte durchaus auch zu einem Bestandteil des europäischen Rechts und des europäischen Bewusstseins werden. ({15}) Man muss sehen, dass die Verhaftungen dort nach echter Schill-Mentalität durchgeführt worden sind. Auch dort hat man ja lange gebraucht, bis man die Demonstranten wieder freigelassen hat. Wenn Sie mit einem Herrn Schill, der wegen Freiheitsberaubung und Rechtsbeugung noch immer angeklagt ist, koalieren wollen, dann wünsche ich Ihnen alles Gute. ({16}) Die innenpolitischen Erfolge des vergangenen Jahres, vom Datenschutz bis zum G-10-Gesetz, lassen sich sehen. Ich denke auch an die Fortschritte beim E-Government, die Fortschritte bei der inneren Sicherheit und die Fortschritte beim BGS. Da kommen ausgerechnet Leute von Ihnen und beklagen den Abbau beim BGS, obwohl wir dem BGS in Wahrheit eine solide Basis gegeben, die kanthersche Reform bezüglich des Stellenabbaus nicht im geplanten Tempo fortgesetzt und Stellenanhebungen verwirklicht haben, von denen Sie früher nur geträumt haben. Auch das sollte man bitte schön zur Kenntnis nehmen. ({17}) Ich möchte jetzt auch den Sport nicht vergessen. ({18}) - Auch in der jetzigen Zeit. Wenn der New Yorker Bürgermeister sagen kann: „Leute, geht zurück in die Stadien und in die Stadt und lebt euer Leben!“, dann gilt das auch für uns. Diese Koalition hat im Bereich der Sportförderung Erhebliches geleistet. ({19}) Ich denke nur an die Drogen- und Dopingbekämpfung im Sport. Ich erinnere an den Stadionausbau und an den Zuschlag für die Weltmeisterschaft. ({20}) Damit kommen wir zu der Notwendigkeit, auch die entsprechende Sicherheit zu gewährleisten. Stellen wir uns vor, meine Damen und Herren, wir führen sportliche Großveranstaltungen durch und können keine friedliche Umgebung gewährleisten. Deshalb ist es jetzt unsere Aufgabe, die akute Gefahr zu bekämpfen, aber auch daran mitzuwirken, dass in Europa und in der Welt wieder ein Klima entsteht, das Fröhlichkeit und das Gefühl sicherer Freiheit auch bei Großveranstaltungen aufkommen lässt. ({21}) Das werden wir erreichen: Eine Gesellschaft, in der man nicht Angst vor zu viel Sicherheit hat, sondern in der man seine sichere Freiheit genießt, ist unsere Zielsetzung. ({22}) Wir wollen keine alten Ladenhüter herausholen wie der Herr Bosbach, der vom AZR-Gesetz redet. Da schreien Sie: Hurra, Mama, ich habe es schon immer gewusst und euch immer gesagt. ({23}) - Doch, Sie haben Ihr AZR gerühmt! - Dann schaue ich mir das noch einmal zur Repetition an und stelle fest: Das bezieht sich auf ganz andere Themen. Das hatte mit unserem heutigen Thema überhaupt nichts zu tun. Die alten Hunde werden nur deshalb wieder hervorgeholt, um zu zeigen, dass man schon immer alles besser gewusst hat. Gar nichts haben Sie besser gewusst; denn Sie alle haben noch im Sommer dieses Jahres die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage zum Islam und zum Islamismus begrüßt. Herr Polenz hat hier eine zustimmende Rede gehalten, in der er deutlich gemacht hat, dass die Bundesregierung die Daten richtig erhoben und dargestellt habe und dass die Gefahren richtig eingeschätzt worden seien. Dann können Sie doch heute nicht so tun, als ob Sie schon immer alles besser gewusst hätten. In Wahrheit sind Sie wie wir und die ganze Welt von der Brutalität des Angriffs am 11. September überrascht worden. Wir müssen jetzt die anstehenden Probleme lösen, ohne Vorwürfe zu erheben. Rot-Grün wird entsprechende Regelungen auf den Weg bringen. Innerhalb der Koalition wird auf ordentliche Art und Weise miteinander geredet. ({24}) Wir werden ein Zuwanderungsgesetz vorlegen, mit dem wir Sie daran hindern werden, feige auszubüxen, und Sie zwingen werden, deutlich zu machen, wie Sie zu den Dingen wirklich stehen. Bei allen Sicherheitsfragen sind wir uns der Scylla einer zu starken Sicherheit und der Charybdis einer zu geringen Sicherheit, die zur Bedrohung der Freiheit wird, immer bewusst. Sie alle reden immer von der offenen Gesellschaft. Sie übernehmen also einen Begriff von Karl Popper, den dieser in seinem Buch „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“, dessen Texte er 1944 abgeschlossen hat, erstmals verwendet hat. Ich habe noch einmal nachgelesen, was er geschrieben hat: Wir müssen das Kreuz auf uns nehmen und die Aufgabe schultern, dass wir die Vernunft, die wir haben, nicht nur für die Organisation unserer Sicherheit, sondern auch für die Organisation der Freiheit verwenden. ({25}) Ich glaube, wer von der offenen Gesellschaft spricht, der sollte den ganzen Popper nehmen und nicht nur einen Teil. Vielen Dank. ({26})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Für die CDU/CSUFraktion spricht jetzt der Kollege Wolfgang Zeitlmann. Wolfgang Zeitlmann ({0}): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kollege Stiegler, Sie haben heute offensichtlich den Deutschen Bundestag mit einem Bierzelt in der Oberpfalz verwechselt. ({1}) Auf das Niveau, auf dem Sie gesprochen haben, mag ich mich nicht begeben. ({2}) Sie sollten irgendwann einmal Frieden mit einem Staat schließen, den Sie über viele Jahre hinweg vielleicht wegen irgendwelcher internationaler Ideen, die Sie immer wieder verfolgt haben, nicht schließen konnten. Es hilft alles nichts: Der 11. September hat für einen Zeitenwechsel gesorgt, den wir noch bewältigen müssen. Deswegen glaube ich, dass das, was Sie, Herr Stiegler, hier abgeliefert haben, nicht würdig war. ({3}) Die „Süddeutsche Zeitung“ hat geschrieben, dass Ihre Presseerklärungen zu Ihrem eigenen Schutz nicht mehr veröffentlicht werden. Vielleicht gibt Ihnen das zu denken. ({4}) Ein paar Punkte machen mich ein bisschen ängstlich, unter anderem der Umgang vieler Kollegen aus der Fraktion der Grünen mit dem, was wir innere Sicherheit nennen. Ich habe ein paar Zeitungsartikel der letzten Wochen herausgesucht. Der Kollege Schlauch, immerhin Fraktionsvorsitzender bzw. Mitfraktionsvorsitzender - ich kenne eure Hierarchien nicht so genau -, hat in der „Stuttgarter Zeitung“ vom 17. September erklärt, die Vorstellung von einer Demokratie ohne Geheimdienste sei mit dem 11. September überholt. Herzlich willkommen zu dieser neuen Einsicht! Dann müsst ihr konsequenterweise euren Herrn Ströbele aus dem parlamentarischen Kontrollgremium zurückziehen und einen etwas staatstragenderen Mann, der nicht für die Beendigung der Geheimdiensttätigkeit eintritt, in dieses Gremium berufen. ({5}) Herr Schlauch sagt weiter: Der Bundesnachrichtendienst sollte aber effizienter arbeiten. 90 Prozent der Aktivitäten begrenzen sich auf das Auswerten von Publikationen und auf das Ausschneiden von Zeitungsartikeln. Das müssen wir ändern. Wer so redet, der ist, was innere Sicherheit angeht, nicht ernst zu nehmen. ({6}) Der Kollege Beck behauptet im Bonner „Express“ vom 22. September, dass auch der Fingerabdruck auf dem Personalausweis problematisch sei. Dadurch behandele man ein ganzes Volk wie Verdächtige. ({7}) Einen Nutzen gebe es nicht. Ein letztes Bonmot: Vor dem 11. September habe ich folgende Überschrift gelesen, die einen gleich hellhörig macht. Der Kollege Wiefelspütz hat vor dem Hintergrund der Krawalle von Autonomen in Genua und in Stockholm der „Zeit“ ein Interview zu der von Herrn Schily auf den Weg gebrachten Einführung einer Gewalttäterdatei beim BKA gegeben. In diesem Interview sagt er: Es ist völlig klar: Das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit und das Grundrecht, Deutschland zu verlassen, gilt auch für Extremisten. Als wir das Passgesetz änderten, um die Ausreise von Gewalttätern kurzzeitig zu verhindern, haben wir natürlich niemanden in seinem Recht, auszureisen, beschränken wollen. Sie könnten die Auffassung vertreten: Er hat das vor dem 11. September gesagt, das sollte man nicht so genau nehmen; denn es ist jetzt überholt. Wenn dem so ist, dann erklären Sie, dass diese Datei eingerichtet wird. Anderenfalls werden Sie keine Glaubwürdigkeit für sich beanspruchen können, wenn Sie behaupten, dass Sie im Bereich des Extremismus nicht nur gegen eine Seite vorgehen. Im vorigen Jahr haben wir fast ausschließlich über Rechtsradikalismus gesprochen. Wir haben schon damals gewarnt, indem wir darauf hingewiesen haben, dass, wenn man die Anzahl der extremistischen Straftäter zugrunde legt, mehr extremistische Ausländer als extremistische Inländer Straftaten begehen. Ich behaupte nicht, dass man die schrecklichen Geschehnisse vorausahnen konnte. Zumindest jetzt wird es für Sie Zeit, nicht auf einem Auge blind zu sein, sondern Ihre Aktivitäten in sämtliche Richtungen auszuweiten und auch, was die Linksextremen in Genua und in Stockholm anbelangt, das Nötige zu tun. Ich will den Rest meiner Redezeit darauf verwenden, über das Thema Zuwanderung zu diskutieren. ({8}) Sie sind jetzt drei Jahre an der Regierung. In diesen drei Jahren haben Sie sich auf ein großes Thema, mit dem Sie viele Schwierigkeiten hatten, konzentriert: Staatsbürgerrecht. Ich erinnere mich noch genau daran, dass der Kollege Wiefelspütz in einer Haushaltsdiskussion im Innenausschuss gesagt hat, es seien keine Gesetzesvorhaben mehr geplant; denn man habe sich mit der Gesetzesmaterie Staatsbürgerrecht schon schwer genug getan. ({9}) So sah damals Ihre Vorstellung aus. Dann waren Sie dem öffentlichen Druck ausgesetzt, etwas zu tun, und Sie sind in Zeitdruck geraten. Darauf haben Sie mit der Berufung einer Kommission reagiert, um Zeit zu gewinnen. Neun Monate sind vertan worden. ({10}) - Das kann ich Ihnen gleich sagen: Bei der Besetzung der Kommission ist man taktisch-politisch vorgegangen und hat, ({11}) zumindest was die Innenpolitik angeht, Outsider berufen. Man hat einen „Oldtimer“ der CDU und eine Dame berufen. ({12}) Es ist Sache der Regierung, wen sie beruft. Aber sie darf hinterher nicht so tun, als wäre ihre Entscheidung überparteilich getroffen worden; denn man ist mit Kalkül vorgegangen. Ich habe bei der Berufung der Kommission gesagt: Hätte man die Fachleute der Innenministerien damit beauftragt, nach neun Wochen Antworten auf die entscheidenden Fragen der Innenpolitik vorzulegen, dann hätte man nach neun Wochen ein glattes Ergebnis gehabt. Jetzt haben Sie einen Kommissionsbericht, an den Sie sich - wie ich finde, aus guten Gründen - im Wesentlichen nicht halten. Es ist nicht richtig, dass Sie jetzt Druck machen und pausenlos erklären, das müsse aus dem Wahlkampf herausgehalten werden. Der Kanzler hat außerdem erklärt, das dürfe nicht auf dem Rücken von Menschen ausgetragen werden, die sich nicht wehren könnten. ({13}) - Da hat er eben nicht Recht. Das ist purer Unsinn. Von Ihrer Seite kommt immer wieder das Argument, das Volk müsse in größerem Umfang direkt mitentscheiden. Alle diejenigen, die das Plebiszit für eine Zukunftsvision halten, reden aber gleichzeitig davon, dass man dieses und jenes Thema nicht im Wahlkampf behandeln könne, weil es für den Bürger viel zu komplex und viel zu schwierig zu verstehen sei. ({14}) Man muss sich schon entscheiden: entweder - oder. Ich kann sehr wohl der Bevölkerung auch im Wahlkampf ein Thema erläutern. Damit habe ich kein Problem. Ich habe nur ein Problem damit zu sagen: Wir müssen dieses oder jenes Thema außen vor lassen, weil wir die wichtigen Themen nicht im Wahlkampf behandeln. In der Frage der Zuwanderung brauchen Sie nach dem 11. September eine lange Phase des Denkens, weil die Grundstimmung in der Bevölkerung so ist - ich sage es einmal ganz vorsichtig -, dass derzeit wichtigere Themen behandelt werden sollten. Erst werfen Sie für die innere Wolfgang Zeitlmann Sicherheit ganz schnell nach nur einer Sitzung 3 Milliarden DM aus ({15}) - vormittags tagte der Innenausschuss; da war mit keiner Silbe von 3 Milliarden DM die Rede; das ist ein Umgang mit dem Parlament, den die Koalition einmal erfahren müsste - und dann verkündet der Innenminister, es würden weitere Vorschläge folgen. Dies ist ja in Ordnung; ich habe nichts dagegen. Wenn er von Zuwanderung spricht, dann muss er aber gleichzeitig sagen, dass er dafür viel Geld in die Hand nehmen muss. Ich wünsche Ihnen, dass Sie in der Öffentlichkeit neben der Debatte um die innere Sicherheit auch die Debatte um einige Milliarden DM führen müssen, die für die Förderung der Integration notwendig sind. Die Welt hat sich seit dem 11. September verändert. Die Prüfung dessen, was Sie an Ihrem Entwurf im Interesse der Sicherheit verändern müssen - der Minister spricht selber davon, dass er den Entwurf durchchecken muss -, sollte in Ruhe erfolgen. ({16}) Es hat keinen Sinn, jetzt in Hektik zu verfallen und dieses Thema auf Teufel komm raus zu behandeln, nur um es aus dem Wahlkampf herauszuhalten. Es wäre aber ausgesprochen gut, wenn dieses Thema im Wahlkampf verantwortungsvoll diskutiert würde. Ich komme zum letzten Punkt. Sie haben die Neuregelung des Staatsbürgerschaftsrechts nicht gemeinsam mit der Opposition durchgeführt, sondern haben sie durchgepaukt. ({17}) - Aber natürlich. - Weil es eine Gegenbewegung aus der Bevölkerung gab und weil Sie das Thema für eine heiße Kiste halten, sprechen Sie jetzt pikanterweise davon, Sie wollten das Zuwanderungsgesetz gemeinsam mit der Opposition erarbeiten. Ich habe gar nichts dagegen, dass wir es gemeinsam tun. ({18}) Aber dies sollte nicht unter Zeitdruck und auch nicht dann geschehen, wenn ein so wichtiges Thema wie die innere Sicherheit die anderen Themen überlagert. Wir sollten zur Sachlichkeit zurückkehren. ({19}) - Ich war nicht unsachlich. Sagen Sie einmal, an welcher Stelle ich unsachlich war. ({20}) - Die Zuwanderung ist mit Sicherheit ein zu ernstes Thema, als dass es unter Zeitdruck und unter Vermeidung einer öffentlichen Debatte während der Wahlkampfzeit durchgezogen werden sollte. Lasst uns vernünftig darüber debattieren! ({21}) - Entschuldigung, ich kann doch zur Besetzung der Kommission eine Meinung haben. Es ist überhaupt keine Frage, dass die neun Monate vertane Zeit waren. ({22}) Die Besetzung war auch falsch, weil sie zu einem Streit führte. Sie würden auch nicht morgen eine Familienkommission berufen und Herrn Beck und Herrn Wowereit als Vorsitzende bestellen. ({23}) Es hilft Ihnen alles nichts: Wer es mit der Thematik Zuwanderung ernst meint, der darf nicht unter Zeitdruck handeln, sondern muss zur Sache kommen. Das heißt, dass wir uns damit ernsthaft auseinander setzen müssen. Angesichts der 4 Millionen Arbeitslosen werden Sie sich schwer tun, nur zu sagen, was die Wirtschaft will. Die Wirtschaft auch in meinem Wahlkreis will Zuwanderung, weil Arbeitsplätze frei sind. Sie müssen uns einmal erklären, wie Sie die Zahl von 4 Millionen Arbeitslosen mit den Forderungen der Wirtschaft in Einklang bringen wollen. Sie wissen das; auch Ihr Gewerkschaftsflügel weiß das. Nur wenn wir über dieses Thema sachlich reden, dient es der Sache. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({24})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Das Wort hat nun die Bundesministerin der Justiz, Frau Dr. Däubler-Gmelin.

Dr. Herta Däubler-Gmelin (Minister:in)

Politiker ID: 11000347

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Zeitlmann, es war sehr interessant, bei dem zuzuhören, was Sie zur Frage der Zuwanderung gesagt haben, und zwar deshalb, weil heute aus Ihrer politischen Gegend ja auch schon andere Töne angeklungen sind. In einem möchte ich Ihnen aber zustimmen: Die furchtbaren Ereignisse des 11. September 2001 waren für jeden von uns schrecklich und sind keineswegs spurlos an uns vorübergegangen. Dies sage ich nicht nur deswegen, weil wir um die Menschen, die an diesem Tag ermordet wurden, trauern und mit deren Angehörigen mitleiden, oder deswegen, weil wir zur Solidarität mit Amerika eindeutig Ja sagen, oder deswegen, weil wir die für die terroristischen Anschläge Verantwortlichen selbstverständlich bekämpfen werden und weil wir für die Sicherheit unserer Bevölkerung all das tun, was, wie schon ausgeführt wurde, rechtsWolfgang Zeitlmann staatlich notwendig und geeignet ist, und weil wir die Sorgen der Menschen ernst nehmen. ({0}) Ich sage das vielmehr auch deshalb, weil wir genau wissen, was wir dabei verteidigen. Wir verteidigen ja nicht nur das Abstraktum einer offenen Gesellschaft, sondern eine Gesellschaft, die ganz konkret und ohne jeden Zweifel zukunftsfähig sein muss. Das ist sie nur dann, wenn sie jedem Einzelnen Chancen gibt, wenn sie dann, wenn gehandelt werden muss, rechtsstaatlich klar und begründet vorgeht und wenn sie klar erkennen lässt, dass Sicherheit und Rechtsstaatlichkeit keine Gegensätze sind, sondern dass der Rechtsstaat eine kulturhistorische Leistung ersten Ranges ist, den wir natürlich an keiner Stelle preisgeben werden. Ganz im Gegenteil! Wir sollten ihn als kulturhistorische Leistung - jetzt knüpfe ich an das an, was Sie, lieber Herr Kollege Stadler, gesagt haben - in der Kooperation auf der europäischen Ebene - sei es nun die EU oder sei es der Europarat - und darüber hinaus nicht nur exportieren, sondern auch stärken. Das werden wir tun. Gerade weil das so ist, geht es darum, nicht allein die Auswirkungen dieser furchtbaren Ereignisse des 11. September 2001 auf die jeweiligen Bereiche - auch auf den Bereich der Rechtspolitik - zu bedenken. Natürlich werden wir unsere Gesetze auf nationaler Ebene ruhig auf Lücken überprüfen, auch wenn - da stimme ich Ihnen, Herr Stadler, wiederum zu - im Bereich der Gesetzgebung kaum mehr Lücken zu schließen sind. Es ist vielmehr so, dass wir in der internationalen Kooperation eine Menge mehr tun können. Das tun wir auch. Aber es ist auch so, dass die Rechtspolitik wie nur wenige andere Bereiche den Auftrag hat, die Grundsätze unserer Verfassung unter den heutigen Umständen durchzusetzen, und dass dort, wo neue Entwicklungen eingetreten sind, wo die Gerechtigkeit eingeschränkt worden ist oder wo zum Beispiel die Stellung des Schwächeren nicht mehr den klaren Vorgaben entspricht, neue Regelungen getroffen werden müssen. Auch deswegen ist die Diskussion über die Rechtspolitik und damit auch die über den Justizhaushalt - lassen Sie mich das sehr deutlich sagen - gerade auch heute ausgesprochen wichtig. Gerade die Rechtspolitik unserer rotgrünen Regierung und der sie tragenden Mehrheit betont ja diese Schwerpunkte. Sie bilden einen Dreiklang aus drei Ansichten, die ich Ihnen kurz deutlich machen möchte: Zum einen muss die Stellung der Schwächeren gestärkt und ihr Schutz gewährleistet werden. Das gilt in vielen Bereichen, die wir angepackt haben, zum Beispiel bei dem Programm „Erziehung ja - Gewalt nein“. Die in diesem Zusammenhang notwendigen gesetzlichen Regelungen hat die größere Oppositionspartei, die CDU/CSU, ja leider nicht mitgetragen. ({1}) Das gilt für Gesetze wie das Gewaltschutzgesetz. Das gilt auch ganz praktisch beim Opferschutz, im Bereich des Sanktionensystems oder für den Bereich, zu dem wir heute eine Expertenanhörung veranstaltet haben, ob das Adhäsionsverfahren zugunsten der Opfer verbessert werden kann. Das gilt für das Urhebervertragsrecht, das Schadensersatzänderungsgesetz, aber natürlich auch für die Angleichung der Pfändungsfreigrenzen, die seit 1992 nicht geändert worden sind. All das - und das sind nur ausgewählte Beispiele - ist in diesem Zusammenhang wichtig. Ich würde mich freuen, wenn wir die Diskussion über diese rechtspolitischen Themen stärker inhaltlich führen würden. Der zweite Punkt betrifft die Modernisierung von Justiz und Recht. Auch und gerade hier musste eine Menge nachgeholt werden. Auch im Bereich der Rechtspolitik haben wir bereits - jetzt knüpfe ich an das an, was der Kollege Stiegler zum Bereich der Innenpolitik gesagt hat eine Menge erreicht: ZPO - Sie waren dagegen -; Mietrecht - Sie waren dagegen -; Schuldrechtsmodernisierung Sie waren dagegen. ({2}) - Lieber Herr Geis, eben nicht mit Recht und Sie wissen das auch ganz genau. ({3}) Selbst Leute, die sich inhaltlich damit auseinander gesetzt haben, bescheinigen Ihnen doch, dass Sie nicht inhaltlich argumentieren, sondern nur Interesse daran haben, der Regierung irgendetwas ans Bein zu binden. Ich finde das sehr schade, ({4}) einfach deswegen, weil wir damit eine Qualität der Auseinandersetzung erreichen, die Sie zufrieden stellen mag, mich nicht. ({5}) Ich hätte ganz gerne eine inhaltliche Auseinandersetzung und Argumente; aber so ist es nun einmal mit Ihnen. Zu unseren Erfolgen gerade in diesem zweiten Bereich, im Bereich der Modernisierung, gehört auch die Schaffung von Rechtsgrundlagen für die Möglichkeit des elektronischen Rechts- und Geschäftsverkehrs, die wir verabschiedet haben und ausbauen. Dazu - lassen Sie mich das hier noch als zweites Stichwort erwähnen - kommt noch die Modernisierung des Deutschen Patent- und Markenamtes. ({6}) Auch das ist ein solches Beispiel. In den 90er-Jahren stieg die Zahl der Patent- und Markenanmeldungen. Der Personalbestand aber wurde von Ihnen um circa 16 Prozent zurückgefahren. Die Modernisierung in Form einer Ausstattung mit elektronischen Arbeitsmitteln oder auch durch die Schaffung einer vernünftigen Organisation fand nicht statt. Obwohl auch wir mit dem Einzelplan 07 die Haushaltskonsolidierung des Bundesfinanzministers unterstützen, weil wir sehr klar sagen: Es ist unzumutbar, dass wir die Menschen in unserem Lande alle fünf Minuten als Erbe Ihrer Regierungszeit mit dem Gegenwert eines anständigen schwäbischen Einfamilienhauses als Zinsen belasten, haben wir beginnend mit dem Haushalt 1999, dann 2000 und 2001 und jetzt 2002 ({7}) auf dem Weg zur Modernisierung, dem Ausbau und vor allem die Verbesserung der Organisation dieses wichtigen Amtes mit dem Ziel der Dienstleistungen für Erfinderinnen und Erfinder und für die Wirtschaft einen großen Schritt nach vorn getan. Mich stört es sehr, dass Sie von der Opposition - ich meine jetzt nicht die FDP, sondern die CDU/CSU - auch hier nichts weiter tun, als falsche polemische Zwischenrufe zu machen. Ich finde das schade, weil ich glaube, dass man in diesen Fragen jedenfalls mit denen, die ein Engagement in der Sache haben, im Bundestag und in den Ausschüssen erheblich konstruktiver zusammenarbeiten können sollte, als dies bei Ihnen der Fall ist. ({8}) Den dritten Bereich in unserem Dreiklang aus Schutz sowie Stärkung der Rechte der Schwächeren und Modernisierung bildet die Harmonisierung und die Kooperation in der EU und darüber hinaus. Auch hier tun wir eine Menge - lassen Sie mich einige Erfolge noch einmal in Erinnerung rufen: die Schaffung eines Menschenrechtsinstituts zur besseren Vernetzung der Menschenrechtspolitik über die Grenzen - das wurde hier im Deutschen Bundestag von allen Fraktionen getragen; da ist die Unterstützung und Begleitung der Europäischen Grundrechte-Charta, die Unterstützung bei der Schaffung des Internationalen Strafgerichtshofs, der hoffentlich bald mit seiner Arbeit beginnen kann, und die Umsetzung der UN-Konventionen zur Bekämpfung des Terrorismus. ({9}) Übrigens können wir, nachdem jetzt die Übersetzungen vorhanden sind, die Ratifizierung sofort mit vornehmen. Wir alle wissen, dass dies ein wichtiges Zeichen nach außen ist. Wir helfen dadurch bei der globalen Bekämpfung des Terrorismus mit. Bei uns hier im Innern brauchen wir keine Gesetze zu verändern, weil diese hier schon in der Form bestehen, wie wir sie zu Abwehr des Terrorismus brauchen. ({10}) Dies alles, meine Damen und Herren, haben wir erreicht und weiter. Wir kümmern uns verstärkt darum, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechtsfragen im internationalen Kontext zum Thema zu machen - gerade auch mit Ländern, bei denen das wegen der internen Voraussetzungen gar nicht so leicht ist. Das gilt für den außerordentlich interessanten und wichtigen Rechtsstaatsdialog mit China und für die hervorragende Arbeit der IRZStiftung. Deren finanzielle Sicherung haben wir jetzt insgesamt in den Haushalt übernommen. Ich bin mir ganz sicher, dass wir sie auch heute noch, so wie früher, gemeinsam über die Fraktionsgrenzen hinweg unterstützen. Das ist gut. Ich erinnere auch an die ganz praktische Hilfe des Bundesministeriums der Justiz, die wichtig ist, bei der Bewältigung von Sorgerechtsproblemen, weil sich immer mehr Menschen über die heute faktisch nicht mehr existierenden Grenzen kennen lernen, Familien gründen, dann Probleme haben, wenn es zu Scheidungen gekommen ist. Wenn dann der eine Partner in Spanien oder in Frankreich und der andere in Schweden oder in der Bundesrepublik wohnt, tauchen gelegentlich Probleme auf, zu deren Lösung auch wir beitragen müssen. Das tun wir in einem modellhaften Verfahren auch mit dem französischen Justizministerium. Ich möchte noch einmal auf das zurückkommen, was ich am Anfang gesagt habe. Bei der Bekämpfung des Terrorismus machen wir, was nötig ist. Wir machen das, was wir tun müssen, mit Entschlossenheit, Klarheit und Besonnenheit und mit Sinn für Rechtsstaatlichkeit. Das ist klar: Innere Sicherheit, Rechtsstaatlichkeit und Freiheit sind keine Gegensätze. Ganz im Gegenteil: Unsere Gesellschaft braucht alle. Wir sind dazu berufen, dafür zu sorgen, so gut wir das können. ({11}) Lassen Sie mich noch eines hinzufügen: Wenn wir unser Augenmerk auf unsere Gemeinschaft und die Chancen, die jeder in dieser Gemeinschaft haben muss, richten, dann ist mir um unsere zukunftsfähige Gesellschaft nicht bange. Ich lade Sie alle ein, auch im Bereich der Rechtspolitik mit uns auch über solche Fragen zu diskutieren. Ich freue mich dann ebenso auf eine durchaus streitige Auseinandersetzung. Vielen Dank. ({12})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Das Wort hat jetzt der Kollege Norbert Geis für die CDU/CSU-Fraktion.

Norbert Geis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Ministerin, auch wir freuen uns auf eine streitige Auseinandersetzung. Sie müssen diesen Streit dann aber auch aushalten können. Manchmal haben wir den Eindruck, dass Ihnen das nicht so leicht möglich ist. ({0}) - Da mögen wir manches gemeinsam haben. ({1}) - Na also, da bist du ja froh. Die Rechtspolitik ist natürlich nicht nur beim Kampf um die innere Sicherheit und beim Kampf gegen den Terrorismus, sondern auch für die Regelungen des ganz normalen Alltags wichtig. In der Vergangenheit gab es hier viele Diskussionspunkte. Wir halten in der Tat die ZPO-Regelungen für verunglückt und stehen mit dieser Meinung nicht ganz allein. Viele Fachverbände sind in dieser Beurteilung mit uns einig. Wir wollen aber natürlich auch helfen, das Gute daran durchzusetzen. Dies betrifft zum Beispiel die Möglichkeit, dass ein Anwalt von seinem Schreibtisch in München aus per Videoschaltung in Hamburg einen Prozess führen kann, wenn die Technik stimmt. Daran mangelt es. Das ist kein Versagen der Bundesregierung. Viele Länder haben aber immer noch nicht begriffen, dass die Justizbehörden auch Dienstleistungsunternehmen sind und dass sie entsprechend ausgestattet sein müssen. Es geht um vernünftige Organisationsstrukturen und Serviceeinheiten in den Land- und Amtsgerichten. Arbeitsplätze müssen mit Computertechnik ausgestattet sein, damit solche Videoschaltungen und die Möglichkeiten der Technik überhaupt ausgenutzt werden können. Das gilt auch für die Automatisierung des Grundbuchs und der Handelsregister. All diese Möglichkeiten haben wir nach dem Gesetz. Diese müssen aber auch von Länderseite her umgesetzt werden. Wir bitten die Bundesregierung, mit dafür Sorge zu tragen, dass der Standard in den einzelnen Bundesländern gleich ist und nicht immer nur Bayern allein voranschreitet. ({2}) - Das muss ich sagen, weil es so ist. (Beifall des Abg. Eckart von Klaeden ({3}) Wir haben im Rahmen der ZPO ebenfalls eine wichtige Neuregelung geschaffen. Es handelt sich um die Möglichkeit der Schlichtung. In der Tat: Nach wie vor sind die Zugänge der Streitsachen zu den Amts- und Landgerichten hoch. Das Schlichtungsverfahren bietet die Möglichkeit der Entlastung, wenigstens im amtsgerichtlichen Bereich. Es gibt Länder, die das Schlichtungsgesetz längst verabschiedet haben, und Länder, die dies noch nicht getan haben. Wir sollten dafür Sorge tragen, dass es auch in diesen Ländern erfolgt, weil dies ein richtiger Gedanke ist; denn wir ändern damit auch ein wenig die Rechtskultur oder die Streitkultur. Es ist nunmehr möglich, Rechtsstreitigkeiten von geringerem Umfang gewissermaßen eigenverantwortlich zu erledigen. Wenn wir damit in der Bundesrepublik Deutschland Erfolg haben, sollten wir darüber nachdenken, das Schlichtungsverfahren vielleicht noch auszuweiten. Wir haben gegen die Mietrechtsreform gestimmt; das ist wahr. ({4}) Aber ich glaube, dass uns darin viele zugestimmt haben. ({5}) Es ist ja nicht so, dass Sie die Mietrechtsreform im gesellschaftlichen Konsens durchgezogen hätten, sondern nach wie vor ist es Ihnen, Frau Ministerin, nicht gelungen, durch Ihre Vermittlung ein Formular für einen einheitlichen Mietvertrag zustande zu bringen. Das liegt daran, dass hier zu viele verschiedene Meinungen aufeinander prallen. „Haus und Grund“ kritisiert nach wie vor das von Ihnen erlassene Mietrecht sehr heftig ({6}) und ist der Meinung, dass es in Karlsruhe auf seine Verfassungsmäßigkeit überprüft werden muss. ({7}) Auch die Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Lebenspartnerschaftsgesetzes ist in Karlsruhe anhängig. Hier handelt es sich um zwei wichtige Gesetzgebungsvorhaben und man sollte seitens der Mehrheit etwas mehr auf gesellschaftlichen Konsens achten, damit Überprüfungen durch das Verfassungsgericht erst gar nicht beantragt werden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die schönsten Urteile nützen nichts, auch wenn sie schnell erfolgen, wenn die Zwangsvollstreckung nicht möglich ist. ({8}) Nun wollen Sie die Pfändungsfreigrenzen auf 1 800 DM erhöhen. Wir halten sie für zu hoch. Es wird vor allen Dingen den Mittelstand treffen. Viele mittelständische Unternehmen werden dann ihre Forderungen nicht mehr durchsetzen können. Auch das sollten wir dabei bedenken. Natürlich muss man darüber nachdenken, ob man die Pfändungsfreigrenzen erhöht, aber nicht gleich auf 1 800 DM. Da werden wir nicht mitmachen. ({9}) Natürlich spielt auch die innere Sicherheit in der Rechtspolitik eine ganz entscheidende Rolle. Da haben Sie in den letzten drei Jahren versagt. Es liegt kein ernst zu nehmender Gesetzentwurf von Ihnen hierzu vor. Das muss einmal festgestellt werden. ({10}) Wir diskutieren schon sehr lange über das Sanktionensystem; aber es liegt bis heute nichts auf dem Tisch. Allerdings dürfen wir dafür dankbar sein; denn das, was an Vorschlägen durchgesickert und bekannt geworden ist, lässt Böses ahnen. Wir sind gegen den Halbstrafenerlass, weil er ein falsches Signal setzen würde. Wir sind auch gegen die generelle Einführung der gemeinnützigen Arbeit. Natürlich soll es möglich sein, dass ein Straftäter über gemeinnützige Arbeit einen Teil seiner Schuld abtragen kann. ({11}) Aber das darf nicht dazu führen, dass die Geldstrafe generell abgeschafft wird ({12}) oder dass Freiheitsstrafen bis zu einem Jahr, wie es der Referentenentwurf vorsieht, abgeschafft und durch gemeinnützige Arbeit ersetzt werden. ({13}) Auch das halten wir für falsch. Der Täter wird sich darüber freuen. Die Rechtsordnung wird dabei Schaden nehmen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, natürlich geht es bei der inneren Sicherheit vor allen Dingen um die Bekämpfung der schweren Kriminalität und des Terrorismus. Es ist ein Fehler gewesen, dass die Nachrichtendienste vernachlässigt worden sind. Das ist eine Kritik, die zum Teil auch unsere Regierungszeit betrifft; das ist wahr. ({14}) Aber es sei durchaus vermerkt, dass es Länder gab - es sind Bayern und Baden-Württemberg -, die nicht mitgezogen haben, die die Dienste und den Verfassungsschutz beibehalten haben. Wie wichtig dieser Verfassungsschutz ist, erfahren wir in diesen Tagen. Er muss aufgebessert werden. ({15}) Wenn ich die Bekämpfung der Kriminalität und des Terrorismus anspreche, denke ich nicht nur an speziell innenpolitische Themen, sondern insbesondere an die Rechtspolitik. Wir haben noch vor dem Ende der Sommerpause einen Gesetzentwurf vorgelegt, in dem wir die Kronzeugenregelung in abgeänderter Form erneut vorsehen, sodass jemand, der sich durch einen Prozess lügt, danach zur Rechenschaft gezogen werden kann und nicht das in seiner Sache gefällte Urteil gilt, das aufgrund seiner Kronzeugenstellung milde ausgefallen ist. In unserem Gesetzentwurf haben wir auch eine bessere rechtliche Stellung des verdeckten Ermittlers vorgesehen. Wir halten den verdeckten Ermittler gerade im Bereich des Terrorismus für äußerst wichtig. Das sagen uns auch die Fachleute. Wir meinen, dass zur Gewinnabschöpfung endlich Vorschläge vorgelegt werden müssen. Wir legen einen Vorschlag vor. Wir diskutieren gern mit Ihnen über Verbesserungen dieses Vorschlages. Aber dies ist ein Thema, das beim Kampf gegen den Terrorismus eine ganz entscheidende Rolle spielt. ({16}) Zudem muss die Telefonüberwachung eine wichtige Rolle spielen. Wir arbeiten schon sehr lange daran, bei der Telefonüberwachung auch die Korruption einzubeziehen, was immer noch nicht passiert ist. Es ist mir schleierhaft, weshalb Sie dagegen sind. Als wir die Videoüberwachung eingeführt und die Verfassungsänderung durchgeführt haben, haben Sie erklärt, dass eine solche Ergänzung der Telefonüberwachung erfolgen muss. Bis heute haben Sie nichts getan. Wir machen entsprechende Vorschläge. Wir meinen aber auch, dass wir die Computerkriminalität viel ernster nehmen müssen. Auch hier sind Ansätze für Terroristen vorhanden, die wir uns überhaupt noch nicht vorstellen können. ({17}) Der Computerwurm Nimda, wie er genannt wird, hat innerhalb weniger Stunden 134 000 Computer angegriffen. Durch ihn ist ein Milliardenschaden entstanden. Dies sind Ansatzpunkte für geschickte Terroristen, um unser gesellschaftliches und wirtschaftliches Leben unter Umständen zumindest für eine bestimmte Zeit lahm zu legen. Ich weiß, dass dies ein rechtlich schwieriges Gebiet ist, über das wir diskutieren müssen. Vielleicht sollten Sie hier mit uns wenigstens einen Schritt machen. In dem von mir genannten Gesetzentwurf gegen die schwere Kriminalität und den Terrorismus, den wir vorgelegt haben und wohl in zwei Wochen im Parlament diskutieren werden, haben wir entsprechende Vorschläge gemacht. Im Rahmen der Kommunikationsüberwachung sollte den Firmen, die diese Kommunikationsmöglichkeiten zur Verfügung stellen, auferlegt werden, die Verbindungsdaten, also wer wann wo mit wem telefoniert hat, für 90 Tage zu speichern. Auf diese Weise kommen wir schneller an Netzwerke der Terroristen heran. Notwendig dabei ist allerdings, dass Sie Ihr Gesetzgebungsvorhaben zum § 12 FAG fallen lassen. Der Zugriff zu solchen Daten muss für die Ermittler schnell möglich sein. ({18}) Der Kampf gegen die organisierte Kriminalität und den Terrorismus ist für die Rechtspolitik eine ständige Aufgabe. Hier kann man sich nicht ausklinken. Wir haben in der Vergangenheit viel auf diesem Gebiet getan; aber es ist nach wie vor eine Aufgabe der Zukunft. Es bleiben die großen Fragen im Kampf gegen die Sexualdelikte. Frau Ministerin, ich möchte Sie zum Schluss bitten, an Ihrer Auffassung zum Komplex Humangenetik festzuhalten. Das ist eine Frage, die jetzt zurückgedrängt worden ist, die aber vor dem 11. September 2001 in den Medien sehr intensiv behandelt wurde. Bei der Bioethik und der Humangenetik geht es um die Frage des Schutzes des menschlichen Lebens von Anfang an. Das ist eine rechtspolitische Frage ersten Ranges, die uns in den nächsten Jahren begleiten wird. Hier hoffe ich auf eine gute Diskussion. Die Botschaft unserer Kultur ist - das sollten wir denen sagen, die uns angreifen - die Würde des Menschen, die Wahrung seiner Freiheit und der unbedingte Schutz seines Lebens von Anfang an. Danke schön. ({19})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich erteile dem Kollegen Cem Özdemir, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

Cem Özdemir (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002746, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der öffentliche Raum ist ein Raum für alle Menschen. Jeder und jede hat ein Anrecht darauf, sich dort wohl und sicher zu fühlen. Wenn es um die Sicherheit des öffentlichen Raumes geht, ist es nicht entscheidend, mehr Kameras zu installieren, sondern es geht vor allem darum, dass die Menschen das Gefühl haben, dass sie sich in diesem öffentlichen Raum sicher bewegen können. Dafür brauchen wir Polizei, die sichtbar in Erscheinung tritt und, wenn notwendig, für Ordnung sorgt. Ich möchte - mein Kollege Volker Beck hat dies in der ersten Runde bereits getan - auch für meine Person sagen, dass wir mit Blick auf Hamburg ein paar selbstkritische Töne anschlagen müssen. Das gilt wohl für beide Parteien, die dort regiert haben. Sie haben den Bereich der inneren Sicherheit in Hamburg offensichtlich falsch eingeschätzt. ({0}) Vielleicht kann man das Gefühl für Sicherheit wie folgt wiedergeben: Eine alte Dame hat genauso das Recht, sich im öffentlichen Raum sicher zu bewegen und sich sicher zu fühlen, wie der Nichtdeutsche das Recht hat, sich in so genannten national befreiten Zonen aufzuhalten. Beides zusammen macht innere Sicherheit aus und dafür sollten wir uns in diesem Hause gemeinsam einsetzen. ({1}) Alle haben ein Recht darauf, sich jederzeit an jedem Ort frei zu bewegen, egal, wie alt sie sind, wie gut sie sich bewegen können und wie sie aussehen. Bei dem Thema innere Sicherheit ist ein ideologiefreier Ansatz gefragt und diese Ideologiefreiheit würde ich mir auch bei Ihnen wünschen. ({2}) - Geschätzter Kollege, Sie haben mit den alten Ladenhütern wie der Kronzeugenregelung angefangen. Ihre Kollegen sagen im direkten Gespräch mit uns, dass sich die alte Regelung nicht bewährt hat. Was sollen also die alten Ladenhüter? Machen Sie doch kein Recycling von alten Vorschlägen. ({3}) - Wir können uns ja gerne einmal zusammensetzen; im Bundesrat sind wir ja auf Sie angewiesen. Ich glaube aber, ein Ideenrecycling wird den Anforderungen nicht gerecht, die seit dem 11. September an uns gestellt werden. ({4}) Ich will die Debatte über die Zuwanderung nicht wieder eröffnen, weil diese bereits an anderer Stelle geführt wurde. Sehr gewundert hat mich aber Ihre klare Absage an einen Konsens; ich glaube, dies wird den Notwendigkeiten in keiner Weise gerecht. Ich empfehle Ihnen, die Ideologen in Ihren Reihen an die Kette zu nehmen ({5}) und den Pragmatikern - ich denke an Herrn Müller aus dem Saarland; auch Herr Bosbach zählt sicherlich dazu die Chance zu geben, mit uns gemeinsam über einen vernünftigen Antrag zu verhandeln, der sowohl im Bundestag als auch im Bundesrat eine Mehrheit findet. Ich will - es ist schon einige Wochen her - noch etwas zu Genua sagen: Ich glaube, dass Herr Wiefelspütz mit seinen Äußerungen in der „Zeit“ - Herr Zeitlmann hat es angesprochen - nicht Unrecht hatte. Wir alle verurteilen die Bilder der Gewalt, die wir in Genua gesehen haben. Die Gewalt, die dort vom so genannten schwarzen Block ausging, ist durch nichts zu rechtfertigen. ({6}) Auch Polizisten haben ein Recht auf körperliche Unversehrtheit. Aber gerade in einer solchen Situation gilt für die Polizisten, die einen sehr schweren Job haben: Ein Recht auf Rache besteht nicht. ({7}) Die Bilder, die wir aus der Turnhalle gesehen haben, wünschen wir nicht in Rechtsstaaten zu sehen. Darum muss gewährleistet sein, dass die Vorkommnisse von Genua schonungslos aufgeklärt werden. Wir wollen nicht, dass beispielsweise in italienischen Gerichtsverfahren Akten aus der Bundesrepublik Deutschland Eingang finden, die dokumentieren, dass jemand in Deutschland eine Ratssitzung gestört hat. Man kann das für falsch halten, muss es vielleicht auch. Aber solche Auskünfte haben in einem Gerichtsverfahren nichts verloren. So etwas wäre in Deutschland nicht möglich und sollte auch woanders nicht möglich sein. ({8}) Wenn Sie mit uns gemeinsam mehr europäische Kompetenzen, wenn Sie eine verstärkte Zusammenarbeit der Polizei wollen - wir wollen das auch -, dann gehört dazu auch eine justizielle Kontrolle. Dazu gehört auch die Überführung von der dritten in die erste Säule. Auch hier empfehle ich Ihnen: Machen Sie bitte mit. Auch die Informationsfreiheit gehört für mich in diesen Themenbereich. Manche werden fragen: Warum wird dieses Thema gerade jetzt aufgegriffen? Angesichts der Anschläge vom 11. September wäre es doch eher angezeigt, dass wir uns darüber unterhalten, wie wir mehr innere Sicherheit erreichen. Ich finde aber, gerade weil dieser Angriff der offenen Gesellschaft galt, ist es wichtig, dass wir als Signal setzen: Dieser Staat bleibt offen, dieser Staat wird kein Obrigkeitsstaat. Wir beschwören nicht den preußischen Obrigkeitsstaat herauf, sondern wir wollen, dass sich unsere Bürgerinnen und Bürger über das, was dieser Staat macht, aus allgemein zugänglichen Quellen - Internet, direkte Anfragen - informieren können. Deshalb bin ich froh, dass auch bei der Unionsfraktion auf diesem Feld ein Umdenken begonnen hat. ({9}) - Ich werde auf diesen Zwischenruf nicht eingehen, weil ich glaube, dass er unter Niveau ist, Herr Kollege. Mir sind die Unterschiede zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Türkei bekannt. Ich hoffe, Ihnen auch. Wenn nicht, kläre ich Sie gerne auf. ({10}) Ich höre von einem Gesetzentwurf aus NordrheinWestfalen; ich finde das gut. Wir sollten so schnell wie möglich - noch in dieser Legislaturperiode - das Informationsfreiheitsgesetz auf den Weg bringen. Nur eines will ich dazu sagen: Ich wünsche mir, dass auch im Kabinett die Energie bei der Umsetzung des Informationsfreiheitsgesetzes zunimmt. Ich bin froh, dass das BMI einen Entwurf vorgelegt hat. Ich bin auch froh, dass beispielsweise das Umweltministerium Vorschläge macht, wie man noch darüber hinausgehen kann. Nicht nachzuvollziehen ist jedoch, dass jedes Ressort aus für sich selbst vielleicht verständlichen Gründen erklärt, warum gerade in dem jeweiligen Ressort keine Informationsfreiheit möglich ist. Hier empfehle ich etwas mehr Engagement. ({11}) Genauso viel Engagement wünsche ich mir bei dem Thema „direkte Demokratie“. Herr Zeitlmann, Ihre Ausführungen haben mich schon sehr gewundert. Wo sitzt er denn eigentlich gerade? - Ich glaube, er ist schon gegangen. Er fand die Debatte wahrscheinlich nach seiner Rede nicht mehr so spannend. Vielleicht können Sie dem Kollegen Zeitlmann Folgendes ausrichten: Er sprach davon, dass wir ständig Punkte aus dem Bereich der direkten Demokratie herausnehmen würden. Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie haben es doch in der Hand. Nehmen Sie das Angebot der SPD-Fraktion und von Bündnis 90/Die Grünen an! Setzen Sie sich mit uns zusammen an einen Tisch, verhandeln Sie über das Thema „direkte Demokratie“ mit uns und bringen Sie Ihre Bedenken ein! Wir werden uns zusammensetzen und einen Kompromiss finden. ({12}) Sie wissen, wir sind im Bundestag wie im Bundesrat auf Sie angewiesen, weil wir eine Zweidrittelmehrheit brauchen. Nur, eines geht nicht: sich hier hinzustellen und zu sagen, die anderen wollten bestimmte Themen ausnehmen, und dann zu verhindern, dass direkte Demokratie durchgesetzt wird. 75 Prozent der deutschen Bevölkerung wollen mehr Demokratie. Die Menschen wollen nicht nur alle vier Jahre ihr Kreuz machen und dann nach Hause gehen, sondern sie wollen auch zwischen den Wahlen mitwirken. Helfen Sie uns, dass dies realisiert wird. Wir wollen die direkte Demokratie. Erinnern Sie sich an das biblische Motto: „Eure Rede aber sei: Ja, ja; nein, nein. Was darüber ist, das ist vom Übel.“ ({13}) In diesem Sinne war das, was Herr Zeitlmann gesagt hat, vom Übel. Ich komme zum Schluss meiner Rede. Zum Thema Sicherheit gehört auch das Waffenrecht. Wir haben gerade gesehen, wie wichtig es ist, dass man die Kontrollen an den Flughäfen verschärft. Obwohl wir in Deutschland schon hohe Standards haben, wollen wir sie weiter erhöhen. Dazu gehört sicherlich auch das Thema „Waffen in der Gesellschaft“. Ich weiß, dass viele rechtschaffene Bürger, die sich nichts haben zuschulden kommen lassen, unter Umständen auch betroffen sein könnten. Vielleicht gibt es ja auch hier Kolleginnen und Kollegen, die in ihrer Freizeit in Schützenvereinen oder als Jäger aktiv sind und Waffen tragen. Aber ich glaube, wenn wir uns die Zahl von 6 000 Waffen, die jedes Jahr in der Bundesrepublik Deutschland verschwinden, ({14}) vor Augen führen, dann ist es wichtig, festzustellen, dass wir das Waffenrecht verschärfen müssen, Herr Kollege. Wenn Waffen verschwinden, reduziert das nicht die innere Sicherheit, sondern erhöht sie. ({15}) Im folgenden Punkt unterscheidet sich unsere Auffassung von der in den Vereinigten Staaten von Amerika: Wir glauben nicht, dass mehr Waffen bei den Bürgerinnen und Bürgern zu mehr innerer Sicherheit beitragen. Vielmehr wird umgekehrt ein Schuh daraus. ({16}) Lassen Sie uns darum gemeinsam überlegen - auch hier ist Ihre Mitwirkung gefragt -, wie wir dies umsetzen können. Ich bin froh - ich muss zum Schluss kommen -, dass wir beispielsweise auch bei Wurfsternen und bei sonstiCem Özdemir gen so genannten Kleinwaffen entsprechende Verschärfungen vorgenommen haben. ({17}) Herzlichen Dank. ({18})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Das Wort hat jetzt der Kollege Rainer Funke, FDP-Fraktion.

Rainer Funke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000624, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Justizhaushalt kann als klein, aber fein bezeichnet werden: klein, weil es sich um relativ geringe Summen handelt; fein, weil ein ordnungsgemäß funktionierendes Justizministerium für unsere Rechtsund Gesellschaftsordnung unerlässlich ist. ({0}) Wir danken in diesem Zusammenhang den Mitarbeitern des Justizministeriums für ihre engagierte Arbeit im Interesse unseres Rechtsstaats. ({1}) Herr Stiegler, jetzt kommt die Einschränkung. Wir verkennen aber nicht und kritisieren, dass aufgrund der politischen Vorgaben die parlamentarischen Gremien mit Gesetzen befasst werden, die manchmal nicht gründlich genug vorbereitet worden sind ({2}) und vor allem durch die parlamentarischen Gremien gepeitscht wurden. ({3}) Ich glaube, wir als Parlamentarierinnen und Parlamentarier sollten uns das auf Dauer nicht gefallen lassen. ({4}) Ich sehe durchaus ein, dass das eine oder andere Gesetz einmal schneller beraten werden muss. Aber dies sollte nicht, wie es in letzter Zeit der Fall ist, die Regel sein. Nach langem Zögern hat die Bundesregierung ein Urhebervertragsrecht vorgelegt, das ja bereits seit langem angekündigt war. Wir sind ganz froh darüber, dass der so genannte Professorenentwurf, der vor gut einem Jahr vorgelegt worden ist, nicht Wirklichkeit geworden ist. Aber auch der jetzige Entwurf kann nicht recht befriedigen. Ich glaube, dass wir hier noch nacharbeiten müssen. Ich bin ausgesprochen glücklich darüber, dass in den Diskussionen angekündigt worden ist, dass das Justizministerium bereit ist, den Dialog mit Urhebern und Verwendern wieder aufzunehmen. Ich hoffe, dass wir hierüber weiter im Gespräch bleiben. ({5}) Die Internationalisierung unseres Kapitalmarktrechtes muss weiterhin voranschreiten, denn es gibt im Grunde genommen weltweit nur noch einen Kapitalmarkt und die Vergleichbarkeit beispielsweise der Bilanzen wird immer notwendiger. Deswegen ist es auch erforderlich, das Kapitalmarktrecht, das Aktienrecht und auch die Vorschriften des HGB immer stärker zu internationalisieren. Wir unterstützen Sie, Frau Ministerin, bei diesem Vorhaben, sind allerdings der Meinung, dass dieses Vorhaben dann auch im Bundesjustizministerium und nicht im Bundesfinanzministerium angesiedelt sein sollte. Es gehört zu Ihnen, weil es das Aktienrecht betrifft. ({6}) Sie haben zu Recht die Bedeutung des Deutschen Patent- und Markenamtes für die Innovationsfähigkeit der deutschen Wirtschaft angesprochen und dabei ein bisschen Vergangenheitsbewältigung betrieben. Ich gebe Ihnen zu, dass dieses Thema in den 90er-Jahren nicht sehr glücklich behandelt worden ist. Das lag an den damaligen finanziellen Verhältnissen; vom Bundesfinanzminister gab es keine weitere Unterstützung. Wir freuen uns daher, dass Sie sich für die personelle Verstärkung des Patentund Markenamtes eingesetzt haben. Trotzdem ist die Zahl der unbearbeiteten Fälle gestiegen; hier muss dringend Abhilfe geschaffen werden. Die FDP sichert Ihnen bei Ihren Bemühungen um weitere personelle Verstärkung für dieses Amt Unterstützung zu. ({7}) Wir haben im letzten Jahr das Stiftungssteuerrecht fraglos verbessert, wenn auch vielleicht nicht in dem Umfange, wie wir es gerne gehabt hätten. Damals haben Sie zugesagt, auch das materielle Stiftungsrecht zu verbessern. ({8}) - Es kommt eben nicht, weil es in einer Bund-LänderKommission liegt, ohne dass dort irgendetwas passierte. Ich sage Ihnen voraus, dass Sie es in dieser Legislaturperiode nicht mehr schaffen, eine Vorlage einzubringen. ({9}) - Ich wette grundsätzlich nicht, vor allem nicht mit Sozialdemokraten. ({10}) Auch hier bitten wir darum, dass wir eine so wichtige Materie wie das Stiftungsrecht gründlich beraten können. ({11}) Ich möchte nicht, dass ein Gesetzentwurf dazu in den letzten Minuten dieser Legislaturperiode beraten wird. Ein wichtiges Thema ist heute noch nicht angeschnitten worden: die Frage der Juristenausbildung. Heute habe ich aber einer Presseerklärung der SPD entnommen, ({12}) dass Sie, nachdem der Gesetzentwurf der FDP nunmehr seit einem Dreivierteljahr oder einem Jahr vorliegt, in die Schuhe kommen wollen. Darüber bin ich sehr glücklich. Die Vereinten Nationen haben früh erkannt, wie wichtig es ist, den Terrorismus im Bereich der Finanzierung zu bekämpfen. So liegt seit dem 10. Januar 2000, also seit etwa eineinhalb Jahren, eine Konvention zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus zur Zeichnung aus. Frau Ministerin, Sie haben diese Konvention bereits angesprochen und erklärt, Sie hätten eineinhalb Jahre benötigt, um eine Übersetzung anfertigen zu lassen. Ich verstehe durchaus, dass eine sorgfältige Übersetzung vonnöten ist. Aber eineinhalb Jahre sind ein relativ langer Zeitraum. Wir wären glücklich, wenn wir diese Konvention alsbald ratifizieren könnten. Wir haben heute auch die Pfändungsfreigrenzen zu besprechen. Hier muss ein ausgewogener Interessenausgleich zwischen Gläubigern, Schuldnern, Anwälten und dem Mittelstand vorgenommen werden. Ich habe den Eindruck, dass dieser Interessenausgleich noch nicht hinreichend berücksichtigt worden ist, aber darüber werden wir in den Ausschüssen gründlich miteinander beraten und, wie ich glaube, auch zu einem vernünftigen Ergebnis kommen. ({13}) Die Bundesregierung unterstützt nunmehr den Vorschlag des Bundesrates, dass im früheren Ostberlin der Gebührenabschlag für Rechtsanwälte aufgehoben wird. In den anderen neuen Bundesländern wird er aber nicht aufgehoben, obwohl Sie, Frau Ministerin, vor eineinhalb Jahren dem Deutschen Anwaltverein zugesagt hatten, Sie wollten bis zum Frühjahr dieses Jahres eine Prüfung durchgeführt haben. Das Frühjahr ist vorbeigegangen. ({14}) Wir wären froh und dankbar, wenn Sie nunmehr Ihre Möglichkeit, Verordnungen zu erlassen, nutzten. ({15}) - Nein, nein, 2001. Ich weiß das ganz genau; es geht nicht um das Jahr 2002. Wir müssten die Gebührenordnung für die Rechtsanwälte unter strukturellem Aspekt wirklich überdenken. ({16}) - Nein, nein, das ist nicht mein ceterum censeo.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege Stiegler, ermuntern Sie ihn nicht, noch länger zu reden. Seine Redezeit ist abgelaufen. ({0})

Rainer Funke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000624, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Stiegler, Sie wissen es selbst und haben es auch vor diesem Plenum gesagt, dass eine strukturelle Neuordnung der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte vorgelegt werden muss. ({0}) Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({1})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Wir sind gespannt, was die Kollegen Rechtsanwälte da für sich herausholen wollen. Jetzt hat die Kollegin Dr. Evelyn Kenzler, PDS-Fraktion, das Wort.

Dr. Evelyn Kenzler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003159, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich beschränke mich wegen meiner sehr begrenzten Redezeit auf einige wenige Bemerkungen zu den Vorlagen, deren Behandlung mit der des Einzelplans Justiz verbunden worden ist. Die uns bewegenden Fragen zum Haushalt werde ich dann in die Beratungen im Rechtsausschuss einbringen. Zunächst zum Grundstücksrechtsbereinigungsgesetz: Auch meine Fraktion sieht natürlich die Notwendigkeit einer abschließenden Regelung im Bereich der aus DDR-Zeiten herrührenden öffentlichen Nutzung von Privatgrundstücken. ({0}) Wir unterschätzen auch nicht die damit verbundenen Schwierigkeiten. Wir können der Regierungsvorlage trotz der erreichten Verbesserungen nicht zustimmen. Die Ankaufslösung im Verkehrsflächenbereinigungsgesetz bzw. die Möglichkeit der Bestellung einer beschränkten persönlichen Dienstbarkeit ist zwar im Prinzip richtig; in der Anhörung wurde jedoch sehr deutlich, dass die Regierung nicht über einigermaßen genaue Angaben verfügt, wie viele Grundstücke davon betroffen sind und wie hoch die Kosten des Ankaufs sind. Auch die Länder und die Kommunen können zum großen Teil noch keine verlässlichen Zahlen vorlegen, welche finanziellen Belastungen angesichts der meist sehr angespannten Haushaltslage bis zum Jahr 2007 tatsächlich auf sie zukommen werden, zumal neben den Ankaufspreisen weitere nicht geringe Verwaltungs-, Vermessungs- und Notarkosten entstehen. Bekanntlich gehen uns auch die vorgesehenen Präzisierungen des Sachenrechtsbereinigungsgesetzes in BeRainer Funke zug auf die so genannten Überlassungsverträge nicht weit genug, auch wenn die Änderung des § 12 Abs. 2 durchaus einen Fortschritt darstellt. Wir gehen jedoch weiter und schlagen vor, die Überlassungsverträge über Wohngrundstücke generell in die Sachenrechtsbereinigung einzubeziehen. Dazu liegt Ihnen ein Antrag meiner Fraktion vor. Die Überlassungsvertragsnehmer mussten die Pflichten eines Eigentümers übernehmen und sind diesen in aller Regel auch unter Einsatz umfangreicher eigener Aufwendungen nachgekommen. Deshalb sollten sie auch durch vollständige Einbeziehung in die Sachenrechtsbereinigung wie Eigentümer behandelt werden. Verfassungsrechtlich halten wir die vorgeschlagene Änderung auch zum gegenwärtigen Zeitpunkt durchaus noch für möglich, da sich die bisherige Regelung als nicht praktikabel erwiesen hat. Ich begrüße es, dass nun endlich der Regierungsentwurf für ein Siebtes Gesetz zur Änderung der Pfändungsfreigrenzen vorliegt. Meine Fraktion hatte bereits im September 1999, also vor zwei Jahren, einen diesbezüglichen Antrag in den Bundestag eingebracht. ({1}) Seit 1992 blieben die Pfändungsfreigrenzen unverändert, obwohl sich die Lebenshaltungskosten, darunter vor allem die Mieten, drastisch erhöht haben. Viele erwerbstätige Schuldner und ihre Familien leben deshalb zum Teil bereits unter dem Existenzminimum. Die Heraufsetzung der Pfändungsfreigrenzen ist also mehr als gerechtfertigt. Selbstverständlich begrüße ich es, dass die Regierung den in unserem Antrag enthaltenen Vorschlag aufgegriffen hat, die Pfändungsfreigrenzen aus ihrer Erstarrung, die über Jahre hinweg bestand, zu befreien und das Prinzip der Dynamisierung einzuführen. Über weitere Punkte können wir gern im Ausschuss reden. ({2})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Jetzt hat der Kollege Alfred Hartenbach, SPD-Fraktion, das Wort.

Alfred Hartenbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002669, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Was war das? Hört‘ ich recht? War das der alte Geis? ({0}) Mich deucht, sein Mut hat ihn verlassen. Verehrte Frau Präsidentin, das musste nach dieser sehr maßvollen Rede des Kollegen Geis sein. ({1}) Kommen wir nun zum Justizhaushalt. Der Justizhaushalt ist vom Umfang her der kleinste Haushalt, aber das Justizministerium hat, wie es der Kollege Funke bereits gesagt hat, eine Fülle von Aufgaben. Dieser Fülle von Aufgaben kommt nunmehr - neben den unbestreitbar seit langem schon guten Leistungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dieses Ministeriums - auch die politische Leitung nach. Wir haben die Zeiten des Stillstands, des Ausruhens hinter uns; wir haben auch die Zeiten hinter uns, als Justizpolitik vom Innenminister, dem Schwarzgeld-Onkel Kanther, gemacht wurde. Jetzt wird Justizpolitik wieder dort gemacht, wo sie hingehört. Wir haben in der Vergangenheit unbestreitbar gute Erfolge erzielt. Dies war das Mietrecht, ({2}) das nämlich doch ganz überwiegend Zustimmung gefunden hat. ({3}) Dies war die ZPO-Reform, die leider ({4}) - das sage ich deutlich - wegen der Unbeweglichkeit einiger nicht zum Ende geführt werden konnte. Aber da wir noch acht Jahre lang diese Regierung bilden werden, werden wir auch das noch schaffen. ({5}) Weiter haben wir mit der Änderung des Insolvenzverfahrens - ich zähle hier nur einige Punkte auf - endlich das Verbraucherschuldenrecht, das Verbraucherinsolvenzverfahren handhabbar gemacht und dafür bekommen wir allenthalben großen Beifall. Das ist auch gut so. ({6}) Wir haben uns in der letzten Zeit - gestern haben wir dies abgeschlossen - auch der Modernisierung unseres Bürgerlichen Gesetzbuchs angenommen. Die alte Bundesregierung hat so getan, als sei das Bürgerliche Gesetzbuch ein Trockenblumenstrauß, den man irgendwo hinhängen könne und dort bleibe er unverändert. In der Tat ist es aber eine Grünpflanze, die immer wieder gepflegt werden will. ({7}) Sie haben sich da sehr lange auf welkem Lorbeer ausgeruht und gemeint, dieser Trockenblumenstrauß halte noch ewig. ({8}) Wir hätten eigentlich erwartet, dass Sie sich hier im parlamentarischen Verfahren mit uns um die beste Lösung streiten; statt dessen haben Sie als politischer Milizionär entpuppt, indem Sie sich im Verborgenen hinter die Länder geduckt haben, so wie sich Herr Steffel hier beim Eierwerfen hinter Stoiber geduckt hat. Dann behaupten Sie, wir hätten das durchgepeitscht. Ich habe auch bei der Frau Ministerin noch keine Peitsche gesehen. ({9}) Was sie meisterlich beherrscht, ist ihre Homepage. Vielleicht verwechseln Sie das, weil Sie sprachlich nicht so ganz „drauf“ sind. ({10}) Wir bringen heute ein Gesetz über die Pfändungsfreigrenzen ein. ({11}) Es wurde Zeit, dass hier etwas geschah. ({12}) Denn 1992 war die letzte Erhöhung und mittlerweile haben sich die Lebenshaltungskosten kräftig entwickelt. Dann bleiben wir doch bitte auch bei der Wahrheit, Kollege Geis, und sagen wir, wie es tatsächlich ist: dass es sich nämlich wirklich um maßvolle Erhöhungen handelt. ({13}) - Sehen Sie, Sie können nicht nur nicht rechnen, Sie reden hier auch noch falsch Zeugnis. ({14}) 2 900 DM sind die Pfändungsfreigrenze für einen Familienvater mit zwei Kindern. Das sind genau 153 DM mehr, als er vorher als Pfändungsfreigrenze hatte. Wenn das 50 Prozent sind, dann haben Sie natürlich Recht. ({15}) Mit Ihrer wirklich unfairen Pressekampagne zeigen Sie, dass Ihnen eines gänzlich abgeht, nämlich soziales Verständnis. Dann werfen Sie auch noch die Restschuldbefreiung mit der Pfändung durcheinander. Das sind zwei völlig verschiedene Dinge! ({16}) Es ist nämlich nicht so, dass derjenige, der eine erhöhte Pfändungsfreigrenze hat, ein Interesse daran hat, nichts mehr zu tun, ganz im Gegenteil: Diejenigen, die wissen, dass es sich lohnt, zu arbeiten, bleiben bei der Arbeit und werfen die Arbeit nicht hin, wie das in der Vergangenheit oft der Fall war. Wir werden dieses Gesetz natürlich mit Ihnen beraten. Wir werden auf alle hören. Ich denke, es ist richtig, dass wir endlich zeigen, dass in diesem Land auch diejenigen, die nicht auf Rosen gebettet sind, am wirtschaftlichen Leben teilhaben können und teilhaben müssen. ({17}) Wir haben endlich auch in das Gesetz eingefügt - das haben Sie ja völlig übersehen -, dass alle zwei Jahre die Pfändungsfreigrenzen angepasst werden müssen. Dann gibt es nämlich nicht wieder diese großen Sprünge. Dann kommt es zu vernünftigen, maßvollen Erhöhungen. ({18}) Gestatten Sie mir noch ein Wort zum Grundstücksrechtsbereinigungsgesetz. Auch dabei entziehen Sie sich der Verantwortung. Sie vertreten Einzelinteressen, Privatinteressen und lassen das Allgemeinwohl - Sie haben nachher sieben Minuten Zeit, darauf einzugehen, Frau Voßhoff - völlig aus den Augen. ({19}) Das ist nicht unsere Art. Wir stellen das Allgemeinwohl bei diesem Grundstücksrechtsbereinigungsgesetz in den Vordergrund. ({20}) Hätten Sie damals, 1990, vernünftige Gesetze gemacht, bräuchten wir uns heute überhaupt nicht mehr über diese Frage zu unterhalten. ({21}) Wir werden, so wie es Herr Funke heute richtig gesagt hat, nach sehr sorgfältiger Beratung - die Sie ja immer von uns anmahnen, Herr Funke ({22}) ein neues Gesetz zur Juristenausbildung vorlegen. Wir legen großen Wert darauf, dass nach diesem Gesetz nicht mehr nur die als Richter eingestellt werden, die als Einser-Subsumtionsmaschinen nur subsumieren: So ist der Tatbestand, das kommt unten dabei heraus. Wir wollen, dass die Richterinnen und Richter, die Recht sprechen, über Lebenserfahrung, Berufserfahrung und vor allen Dingen über soziale Kompetenz verfügen. Das halten wir für den richtigen Weg. ({23}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie das so ist: Die Opposition unterbricht einen pausenlos. Ich habe das, was ich sagen wollte, aber gesagt. Wir haben mit diesem Justizhaushalt den Weg des Fortschritts, den Weg der Modernisierung weiter beschritten. Dazu gehört auch, dass wir - ich möchte das wiederholen - entsprechende wirtschaftlichen Rahmenbedingungen schaffen. Da haben wir nicht so sehr viel zu bieten; aber wir können das Patentund Markenamt - da geschieht etwas - anführen. Wenn beim Patent- und Markenamt die Anträge zügig bearbeitet werden, wird sich das positiv auf die deutsche Wirtschaft auswirken.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

Alfred Hartenbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002669, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich möchte mich an dieser Stelle, verehrte Frau Präsidentin, sehr herzlich bei der Justizministerin bedanken ({0}) für die Art, wie sie uns mitnimmt auf dem Weg, die Justiz zu modernisieren, für die Art, wie sie sich auch gegen Widerstände durchsetzt. Ich denke, verehrte Frau Justizministerin, diesen Weg gehen wir gemeinsam weiter. Wir werden dann zeigen, dass wir eine vernünftige und gute Justizpolitik machen. Vielen Dank, auch für Ihre Geduld, Frau Präsidentin. ({1})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun hat das Wort die Kollegin Andrea Voßhoff für die CDU/CSU-Fraktion.

Andrea Astrid Voßhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003253, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Kollege Hartenbach hat es schon angesprochen und es ist vorhin auch schon von der Kollegin Kenzler erwähnt worden: Neben dem Thema Justizhaushalt und der damit verbundenen politischen Weichenstellung in der Rechtspolitik, zu der es noch die eine oder andere Anmerkung meinerseits zu machen gäbe, beschränke ich mich auf den Gesetzentwurf, der heute abschließend beraten werden soll. Dabei geht es um die Bereinigung noch offener Fragen des Rechts an öffentlich genutzten Grundstücken in den neuen Ländern. Mit dem dazu von der Bundesregierung vorgelegten Entwurf soll eine weitere Klärung noch offener Fragen in den neuen Ländern herbeigeführt werden. So weit, so gut. Dieses Ansinnen ist dem Grunde nach auch richtig und mit Blick auf das am 30. September dieses Jahres auslaufende Moratorium für öffentlich genutzte Grundstücke auch notwendig. Wenn wir dem vorgelegten Entwurf heute dennoch nicht zustimmen, dann nicht deshalb, weil wir den Regelungsbedarf verkennen. ({0}) - Nein, weil genau das eingetreten ist, was wir befürchtet haben. Durch unnötigen Zeitdruck sind die Qualität und die Sorgfalt, die eine abschließende Regelung dieser Frage erfordert hätte, auf der Strecke geblieben. ({1}) Meine Damen und Herren, der Zeitdruck, unter dem das parlamentarische Beratungsverfahren stand, hat auch nichts mit dem Ablaufen der Frist am 30. September dieses Jahres und einer notwendigen Anschlussregelung zu tun. Wir hätten uns in diesem Hause nur früher damit beschäftigen müssen. Die von uns aufgeworfenen Fragen hätten dann auch sorgfältig beraten und abgearbeitet werden können. Das parlamentarische Beratungsverfahren Ende Juni dieses Jahres, also drei Wochen vor der Sommerpause, zu beginnen und das Gesetz schon in der zweiten Sitzungswoche nach der Sommerpause zu beschließen, entspricht dem Grundsatz rot-grüner Rechtspolitik: Augen zu und durch. Die von der CDU/CSU eingeforderte Anhörung, die wir in der Sommerpause durchgeführt haben, hat gezeigt: Trotz der guten Vorarbeit auf Bund-Länder-Ebene - diese konzediere ich gerne - bestand und besteht immer noch Änderungsbedarf. ({2}) Gerade für abschließende Regelungen offener Grundstücksfragen in den neuen Ländern besteht ein hohes Maß an Verpflichtung, für Rechtsklarheit und Rechtsfrieden zu sorgen. Jede abschließende Regelung der offenen Fragen - auch die heute vorliegende ist eine solche - sollte daher in besonderem Maße von Qualität und Sorgfalt geprägt sein. ({3}) Sorgfalt heißt in diesem Fall, im Jahre 11 nach der Wiedervereinigung, Regelungsklarheit und Regelungssicherheit für die Betroffenen. Ich gestehe zu, dass diese in dem vorliegenden Entwurf wohl dank der Zuarbeit der Länder von der einen oder anderen Stelle auch umgesetzt wurden. Aber, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition und Frau Justizministerin, was werden Sie dem Eigentümer sagen, der nach diesem Gesetz künftig ein Grundstück an die Kommune veräußern muss, der die Ablösung der Altlast, wenn es sich um eine im Grundbuch eingetragene handelt, von der er nicht einmal einen wirtschaftlichen Vorteil gehabt hat - ich nenne das Stichwort Abgeltungshypothek -, in der Summe höher ist als der von Ihnen in der Entgeltbegrenzung festgelegte Kaufpreis? Was heißt das unterm Strich? - Der Eigentümer gibt sein Eigentum auf, er verliert es, und er muss dabei noch draufzahlen. Das hat nichts mit einseitiger Interessenvertretung zu tun. ({4}) Ich halte es für verfassungsrechtlich bedenklich und daher für nicht zustimmungsfähig. ({5}) Meine Bedenken gerade in dieser Frage sind in den Beratungsgesprächen auch durch die Antwort des Justizministeriums, dass solche Fälle bisher noch nicht bekannt sind, nicht beseitigt worden. Auch die zu diesem Problem gestern im Rechtsausschuss vorgelegte Änderung löst das Problem nicht. Ihre Neuregelung in § 7 besagt nämlich nichts anderes, als dass der Gläubiger zwar auf seine grundbuchliche Absicherung verzichten muss, nicht aber auf sein Geld. Die Bereinigung offener Grundstücksfragen kann im Jahre 11 nach der Wiedervereinigung mit anderen Erfahrungswerten gestaltet werden, als das in den Anfangsjahren der Fall war. Wir könnten heute selbstverständlich einen viel besseren Überblick über die zu regelnden Problemfälle haben als damals. Ich sage deshalb „könnten“, weil es in diesem Beratungsverfahren leider keine Klarheit zum Umfang der betroffenen Fälle gab. Es hieß, es könnten hunderttausend, aber auch weit mehr sein. Mit welchen grundbuchlichen Belastungen diese Grundstücke noch behaftet sind, ist ebenso unklar. Neben diesem von mir angeschnittenen Problem gibt es weiteren Regelungsbedarf für die stillgelegten Deponien. Hier ist zwar im Zuge der Anhörung und der Beratungen eine Änderung des Gesetzentwurfs erfolgt, aber diese bezieht sich nur auf die genutzten Deponien. Was aber macht ein Eigentümer, dessen Grundstück zu DDRZeiten von der Kommune als Deponie genutzt wurde, diese nun stillgelegt wurde, gleichwohl aber, wie es bei Deponien üblich ist, kontaminiert und damit wertlos geworden ist? Auch die Ankaufsfrist der Kommunen bis zum Jahre 2007 ist nach unserer Auffassung für den Eigentümer nur schwer zumutbar, heißt es doch, dass er unter Umständen noch weitere sechs Jahre auf eine abschließende Regelung warten muss. Wir sehen sehr wohl auch die Umsetzungsprobleme, wenn die Frist für alle genannten Fälle einfach nur verkürzt werden würde. Wir haben in der Anhörung vernommen, wie schwierig es für viele Kommunen ist. Eine differenzierte Frist für die im Gesetz genannten Verkehrsflächen einerseits und die sonstigen Flächen andererseits wäre aber denkbar gewesen. ({6}) Zur Vermeidung weiterer finanzieller Belastungen für die Kommunen, die neben der Kaufpreiszahlung auch die gesamten Abwicklungskosten des Kaufvertrags zu tragen haben, hätten wir uns eine Befreiung der Kommunen von der Grunderwerbsteuerpflicht bei diesen Erwerbsfällen gewünscht. Meine Herren, meine Damen, zu unserer Ablehnung des Gesetzentwurfs lasse ich den Vorwurf, der im Rechtsausschuss erhoben wurde, wir würden rigide Oppositionspolitik betreiben, nicht gelten. Ich habe im Beratungsgespräch nach der Anhörung bereits dezidiert auf die einzelnen Problemfälle aufmerksam gemacht und unsere Bedenken dazu geäußert. Ich habe auch unseren konstruktiven Beitrag angeboten, hier Lösungswege zu finden und sie mitzutragen. Wenn Sie von uns konkrete Regelungsvorschläge zu den aufgeworfenen Problemen erwarten - das klang in der gestrigen Sitzung des Rechtsausschusses an -, erwidere ich Ihnen: Auch die CDU/CSU kann in der von Ihnen zu verantwortenden zu kurzen Zeit für die Beratung über dieses Gesetzgebungsvorhaben nicht das nachholen, was Sie in drei Jahren Ihrer Regierungszeit nicht geschafft haben. ({7}) Wir helfen Ihnen ja immer gerne auf die Sprünge. Nur, in einer Woche die Schuldrechtsreform im Ausschuss abzuschließen und mal eben so auch über das vorliegende Gesetz abschließend zu beraten, das entspricht Ihrer Hauruckgesetzgebung, aber nicht unserem Verständnis vom Gesetzgebungsauftrag des Bundestages. Vielen Dank. ({8})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Der letzte Redner in dieser Debatte ist der Kollege Christian Ströbele für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Zum Grundstücksrechtsbereinigungsgesetz möchte ich nur sagen, dass es ein gutes Gesetz ist und dass wir es heute verabschieden sollten. ({0}) Zwar ist das eine wichtige Materie. Aber heute gibt es noch Wichtigeres, worüber diskutiert werden muss. Deshalb werde ich die wenigen Minuten meiner Redezeit auf einen anderen Punkt verwenden. ({1}) - Ein sehr wichtiges Gesetz! Ich habe für den Deutschen Bundestag kandidiert ({2}) und sehe meine Aufgabe in der Politik unter anderem darin, Gesetze, die unter einer terroristischen Bedrohung in den 70er-Jahren vom Deutschen Bundestag erlassen worden sind, und Maßnahmen, die damals eingeleitet und umgesetzt worden sind, ({3}) zu überprüfen und eventuell zu korrigieren. Heute befinde ich mich in einer Situation, in der wieder wegen einer terroristischen Bedrohung uns allen, auch mir und meiner Fraktion, die Entscheidung abverlangt wird, ob es mehr Repressionen geben soll und die Freiheitsrechte stärker eingeschränkt werden sollen. Ich möchte nicht, dass man in einem Vierteljahrhundert über den heutigen Deutschen Bundestag und die heutige Gesellschaft sagen wird: Was haben die damals aus Angst vor einer bestimmten Form des Terrorismus, wie er in New York und Washington sichtbar geworden ist, bloß mit dem Rechtsstaat und der freiheitlichen Demokratie gemacht! ({4}) Deshalb ist für mich und meine Fraktion wichtig, dass bei allen Maßnahmen, die jetzt vorgeschlagen werden und über die wir diskutieren, bestimmte Leitprinzipien eingehalten werden: ({5}) Erstens. Wir müssen alle vorgeschlagenen gesetzgeberischen, finanziellen und sonstige Maßnahmen daraufhin überprüfen, ob sie geeignet gewesen wären, eine solche Form des Terrorismus, wie er in den USA sichtbar geworden ist, zu verhindern bzw. das Risiko eines solchen Anschlags zu vermindern. ({6}) - Das ist nicht immer selbstverständlich gewesen, Herr Kollege Geis. Zweitens. Wir müssen uns bei jeder einzelnen Maßnahme und bei jedem Gesetzesvorhaben immer fragen: Ist die Einschränkung der persönlichen Freiheit und der Freiheitsrechte der Gesellschaft nicht zu groß im Vergleich zu dem, was mit der entsprechenden Maßnahme in der Gesellschaft erreicht werden kann? ({7}) Anhand dieser Kriterien wollen wir über alles schonungslos, rückhaltlos und vorbehaltlos diskutieren. ({8}) Auch ich bin dafür, dass es Maßnahmen geben muss, die in Zukunft solche terroristischen Anschläge wie die in den USA verhindern helfen - ich glaube, das ist das wichtigste Ziel - und die dazu beitragen, dass die Verantwortlichen dieser Anschläge wirksam zur Rechenschaft gezogen werden. ({9}) Aber alles, was darüber hinausgeht, müssen wir vermeiden, ({10}) weil sich eine parlamentarische, tolerante, freiheitliche und rechtsstaatliche Gesellschaftsordnung nicht nur bei Schönwetterlagen, sondern gerade in einer solchen Ausnahmesituation wie der jetzigen bewähren muss. Unter diesem Gesichtspunkt betrachtet, gibt es eine Reihe von Maßnahmen, mit denen wir uns anfreunden können. ({11}) - Einige Maßnahmen, die Sie vorgeschlagen haben - ich erwähne nur § 12 FAG, die Kronzeugenregelung und den geplanten § 129 b StGB -, gehen uns in der jetzigen Form zu weit. Das heißt nicht, dass wir darüber nicht weiterhin diskutieren sollten, um Lösungen zu finden, mit denen wir alle leben können und die wir alle auch noch in 25 Jahren - ich bin dann schon sehr alt - rechtfertigen können. Wir sollten dann sagen können: Es war richtig und notwendig; wir haben die freiheitliche, tolerante Demokratie trotzdem nicht aufgegeben, sondern wir haben die rechtsstaatlichen Regeln gewahrt. - Das ist unser Leitprinzip. ({12})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Weitere Wortmeldun- gen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent- wurfs auf Drucksache 14/6812 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Grund- stücksrechtsbereinigungsgesetzes, Drucksachen 14/6204, 14/6466 und 14/6964. Ich verweise darauf, dass es zwei persönliche Erklärungen zur Abstimmung gibt, zum einen vom Kollegen Hans-Joachim Hacker1) und zum anderen vom Kollegen Günter Nooke. Der persönlichen Erklärung des Kollegen Nooke haben sich mehrere Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU-Fraktion angeschlossen.2) Wir stimmen zunächst über den Änderungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/6966 ab. Wer stimmt für den Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Ent- haltungen? - Der Änderungsantrag ist gegen die Stimmen der PDS-Fraktion abgelehnt. Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei- chen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Ge- setzentwurf ist damit in zweiter Beratung gegen die Stim- men von CDU/CSU, FDP und PDS angenommen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit gegen die Stimmen von CDU/CSU, FDP und PDS angenommen. Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundes- ministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft, Einzelplan 10, sowie zum Geschäfts- bereich des Bundesministeriums für Gesundheit, Ein- zelplan 15. Außerdem rufe ich die Tagesordnungspunkte 5 a bis 5 c auf: a) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung und Verwendung eines Kennzeichens für Erzeugnisse des ökologischen Landbaus ({0}) - Drucksache 14/6891 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft ({1}) Rechtsausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union 1) Anlage 3 2) Anlage 2 b) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung des diagnoseorientierten Fallpauschalensystems für Krankenhäuser ({2}) - Drucksache 14/6893 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit ({3}) Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung Verteidigungsausschuss Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen- abschätzung c) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung der Leistungen bei häuslicher Pflege von Pflegebedürftigen mit erheblichem allgemeinen Betreuungsbedarf ({4}) - Drucksache 14/6949 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit ({5}) Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst die Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft, Renate Künast.

Renate Künast (Minister:in)

Politiker ID: 11003576

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Beim Start der Agrarwende vor neun Monaten sahen manche auf den Oppositionsbänken den Untergang der deutschen Landwirtschaft herannahen. Doch die Wirklichkeit sieht anders aus. ({0}) Nach einer Umfrage des Ifo-Instituts schätzen die Landwirte in Deutschland ihre wirtschaftliche Lage im Sommer dieses Jahres besser als vor einem Jahr ein. Sie halten ihre Lage im Jahr 2001 also für besser als vor der BSE-Krise. ({1}) Wie kommt’s? Die Landwirte haben in diesem Jahr eine hervorragende Getreideernte eingebracht. Auch bei Raps gab es sehr gute Erträge. ({2}) - Zunächst einmal beschreibe ich hier die Ernte. Das wird man als Agrarministerin wohl noch dürfen, oder? ({3}) Die Getreideernte ist hervorragend. Die Erzeugerpreise von Raps liegen 20 Prozent höher als im letzten Jahr. Im ersten Halbjahr dieses Jahres sind die Erträge der Milchbauern um 9 Prozent gestiegen. Auch in der Schweinemast hat sich die Situation erheblich verbessert. Dort hat man ordentliche Gewinne erwirtschaftet. Unser einziges Problem betrifft den Rindfleischmarkt. Er hat sich - dank der konsequenten Maßnahmen der Bundesregierung - wieder ein gutes Stück erholt. Trotzdem gibt es in diesem Bereich im Augenblick Schwierigkeiten. Die Schwierigkeiten dort haben einen Namen: mangelndes Vertrauen der Verbraucherinnen und Verbraucher in die Lebensmittelsicherheit. Deshalb muss Lebensmittelsicherheit für uns das Thema Nummer eins sein. Unser Interesse ist es, das Vertrauen der Verbraucher zu stärken. ({4}) Das Vertrauen der Verbraucher ist sozusagen das Kapital der deutschen Landwirtschaft. Das ist ihre Zukunft. Deshalb wollen wir mit einer nachhaltigen Landwirtschaft aus der alten Sackgasse herausfinden. Ich denke, dass der Haushalt 2002 im Bereich Ernährung und Landwirtschaft ein Dokument der Zukunftsorientierung ist. Wir wollen damit sichere und gesunde Lebensmittel, umweltverträgliche und artgerechte Lebensmittelerzeugung sowie neue Perspektiven für die Landwirte und für den ländlichen Raum erreichen. Deshalb gibt es an dieser Stelle konkrete Maßnahmen. Ich weiß, dass manche von Ihnen gehofft haben, die Agrarwende würde am Geld scheitern. Nun stellen wir fest, dass die Länder und nicht der Bund zu wenig Geld an dieser Stelle investieren. Insbesondere die Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU werden versuchen, das Ziel auf andere Weise zu erreichen. Ich hoffe, Sie haben Erfolg, weil wir alle um die Zukunft der Landwirtschaft kämpfen. Ich biete Ihnen meine Unterstützung an, wenn in Ihrem Bundesland die Maßnahmen noch nicht entsprechend umgesetzt werden konnten. ({5}) Die Fundamente sind gelegt. Der ökologische Landbau wird durch höhere Prämien, durch verbesserte Förderung der Vermarktung und der Verarbeitung der Produkte stärker gefördert als bisher, damit die Vermarktung von Ökomilch als Ökomilch am Ende nicht wie in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten zum Beispiel an fehlenden Abfüllanlagen scheitert, nicht wahr, Herr Carstensen? Der konventionelle Landbau erhält Anreize, beim Umwelt- und Tierschutz höhere Standards als gesetzlich vorgeschrieben umzusetzen. Wir tun auch einiges für die Entwicklung der ländlichen Räume, zum Beispiel durch die Aktivitäten im Hinblick auf die Modellregionen. ({6}) Ein Teil unserer Aktivitäten bezieht sich auf das Biosiegel. Wir beraten dazu heute das Öko-KennzeichengeVizepräsidentin Petra Bläss setz, das von den beiden Regierungsfraktionen eingebracht wurde. Ich weiß, es hat an der einen oder anderen Stelle Kritik gegeben. Aber ich kann Ihnen sagen - das wird die Opposition natürlich mit Neid erfüllen -, dass die Besonderheit dieses Siegels darin liegt, dass alle mitmachen. ({7}) - Während Ihrer Regierungszeit hat es ein ÖPZ-Siegel gegeben, bei dem nicht einmal 10 Prozent der Ökolandwirte in Deutschland mitgemacht haben. So groß war Ihre wirtschaftliche Kompetenz. Wir gehen es anders an. Bei unserem Siegel machen 100 Prozent mit. ({8}) Das war nicht einfach. Wir haben uns angestrengt und Erfolg gehabt. Selbst die Öko-Prüfzeichen GmbH kann sich darauf umstellen, ohne dass sie Aufgaben abgeben muss. Sie wird in Zukunft informieren. Wir haben gemeinsam, angefangen beim Lebensmitteleinzelhandel bis zum ökologischen Landbau, vereinbart, dass wir daran arbeiten werden, dass die EG-Ökoverordnung überarbeitet wird. Wir arbeiten an einem Memorandum. Wir haben bereits mit der Kommission und mit anderen Mitgliedstaaten eine Vereinbarung darüber getroffen, dass die Anforderungen zumindest in einigen Punkten erhöht werden. All diejenigen unter Ihnen, die rechnen können, ({9}) werden leicht erkennen, dass für Umwelt- und Naturschutz und damit für die Reduzierung der Folgekosten, für die der Steuerzahler aufkommen muss, mehr getan ist, wenn der Anteil der Ökolandwirte verdoppelt wird, als wenn es weiterhin nur 10 Prozent Ökolandwirte gibt, die nach höheren als den EG-Standards arbeiten. Wir wollen also das Niveau der EG-Verordnung erhöhen. Aber das ist noch nicht alles. Wir werden auch die Kontrolle verbessern. Wir kennen einen aktuellen Fall aus Bayern - Sie alle haben darüber gelesen -, bei dem der Verdacht geäußert wurde, dass aus Drittländern importierte Ware gar nicht öko ist. Das zeigt, dass die Länderund die Bundeskontrolle an dieser Stelle noch verbessert werden müssen. Als Ergänzung haben wir im Haushalt ein Bundesprogramm „Ökologischer Landbau“ verankert, um Löcher, die Jahrzehnte lang bestehen blieben, zu stopfen und um Defizite bei der Forschung, bei der Be- und Verarbeitung zu beheben. Wir wissen, dass die Zahl der Ökobauern in Deutschland deshalb so klein geblieben ist, weil die Vermarktung ihrer Produkte in der Vergangenheit nicht gefördert wurde und sie sträflich allein gelassen wurden. Das wollen wir ändern. ({10}) Da Sie von der CDU/CSU und von der FDP immer Ihre wirtschaftliche Kompetenz herausstreichen, werden Sie neidvoll betrachten, ({11}) dass wir es geschafft haben, gemeinsam mit der Wirtschaft, mit der CMA und auch mit dem Bauernverband ein Siegel für die konventionelle Landwirtschaft zu erarbeiten. Mit dem Einstieg im Bereich Fleisch wollen wir das magische Sechseck gewissermaßen zusammenbringen. Wir diskutieren im Augenblick über eine durchgehende Dokumentation und über Zusatzkriterien. Wenn wir es schaffen, dass auch nur die Hälfte der konventionellen Bauern im nächsten Jahr auf dieses Siegel umstellt, was, wenn der Bauernverband mitmacht, geschehen kann, dann werden wir allein durch die Nichtverwendung von Tiermehl und die Nichtverwendung antibiotischer Leistungsförderer einen grandiosen Beitrag dazu leisten, dass die Tiere artgerecht gehalten werden. ({12}) - Ich verstehe Ihren Neid! Wir gehen des Weiteren die Modulation an. Das heißt, dass von Direktzahlungen für die Produktion auf Agrarumweltmaßnahmen umgesteuert wird. Ich weiß, die Länder - egal, welcher Couleur - tun sich schwer, an dieser Stelle mitzuarbeiten. Ich weiß aber auch, dass sich gerade bei den jungen Landwirten und bei den Studentinnen und Studenten eines durchsetzt - das haben auch Gespräche, die ich rund um den Bauerntag in Münster mit jungen Landwirten geführt habe, gezeigt -: Der Markt verändert sich, und zwar so, dass die Bauern heutzutage genau nachrechnen, was die nächste WTO-Runde und die Erweiterung der Europäischen Union für sie bringen. Sie achten darauf, wonach sie sich ausrichten müssen. ({13}) Wenn Sie ehrlich sind, wissen Sie eines genau: Die Osterweiterung wird dazu führen, dass wir in Deutschland zwar die gleiche Summe an die EU zahlen, aber dass wir wegen des Wegfalls der Ziel-1-Gebiete immer weniger für die Landwirtschaft in Deutschland entnehmen können, wenn wir bei dem bestehenden System bleiben. ({14}) In zehn bis 15 Jahren werden die Agrarsubventionen auf null heruntergefahren. Wer also möchte, dass die Bauern in Deutschland eine Zukunft haben, muss sie rechtzeitig darauf umstellen und dafür Sorge tragen, dass sie für den Bereich, in dem sie gesellschaftliche Aufgaben erledigen, zum Beispiel im Umweltschutz, Geld erhalten. ({15}) Wir möchten nicht, dass die Bauern weiter mit Karacho in eine Sackgasse getrieben werden. Genau das verhindert der Haushalt 2002. ({16}) Auch im Verbraucherschutz haben wir die Mittel um 60 Prozent erhöht. Wir wollen Verbraucheraufklärung und Verbraucherinformation. Es geht dabei nicht allein um Lebensmittel. Wir haben ein Eckpunktepapier für ein Verbraucherinformationsgesetz in Arbeit. Wir arbeiten an einem Gesetzentwurf für die Änderung der Produktsicherheit, also gewissermaßen an einem kompletten Perspektivenwechsel. Das wird für den Verbraucherschutz nicht ausreichen. Wir brauchen neue Institutionen. Frau von Wedel hat dazu gute Vorgaben gemacht. Wir wollen im Rahmen dieser Haushaltsberatung das Bundesamt für Verbraucherschutz finanziell absichern, damit es in Deutschland bei der Lebensmittelüberwachung ein einheitlich hohes Niveau gibt. Ich kann Ihnen eines sagen: Die BSE-Krise des letzten Jahres war nicht die letzte Krise; am Horizont zeigen sich bereits die nächsten. ({17}) Wir wollen in diesem Haushalt Mittel für eine unabhängige wissenschaftliche Stelle zur Risikoanalyse bereitstellen, damit nichts verheimlicht wird und damit Analysen und Krisenmanagement im wahrsten Sinne des Wortes zusammenpassen. Wir alle aus den Regierungsfraktionen und aus der Opposition wollen eines: gesundheitlichen Verbraucherschutz. Das wird ohne zusätzliche Mittel vom Bund und von den Ländern nicht möglich sein. Manche Bundesländer sind bereits vorausgegangen. Ich bitte Sie an dieser Stelle um Ihre Unterstützung. Wir brauchen im Haushalt 2002 eine entsprechende Finanz- und Stellenausstattung, damit wir tatsächlich sagen können: Wir bieten der Bevölkerung höchstmögliche Lebensmittelsicherheit. ({18})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die CDU/CSUFraktion spricht jetzt die Kollegin Annette WidmannMauz.

Annette Widmann-Mauz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003259, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Frau Ministerin Künast, Ihre Rede heute war wieder einmal ein Beispiel dafür, dass Ihre Verbraucherschutzpolitik eine Politik des schönen Scheins ist. Sie orientieren sich mehr am Politbarometer als an den Erfordernissen der Verbraucherinnen und Verbraucher. ({0}) Sie setzen nur da Prioritäten, wo es Ihnen angesichts der Wahl im Jahre 2002 parteipolitisch opportun erscheint. Gerade eben haben Sie wieder ein gutes Beispiel dafür gegeben, wie grüne Politik mit den Ängsten der Menschen arbeitet. ({1}) Sie sagen Skandale voraus, die es noch nicht gibt. Falls Sie hier mehr wissen sollten, dann benennen Sie sie konkret und beschuldigen Sie hier nicht ganze Berufsstände! ({2}) Wir brauchen diesen Politaktionismus nicht, sondern wir brauchen Nachhaltigkeit beim Verbraucherschutz. Doch was machen Sie mit dem Haushalt 2002? - Genau das Gegenteil. Was unscheinbar daherkommt, hat nämlich einschlägige Folgen. Um Nachhaltigkeit in der Verbraucherschutzpolitik zu erreichen, brauchen zum Beispiel die Verbraucherverbände und -organisationen eine angemessene finanzielle Basisausstattung und Planungssicherheit. Sie jedoch frieren die dringend notwendigen institutionellen Fördermittel ein und stopfen das Geld in Projekte. Da darf schon einmal darauf hingewiesen werden, dass bei der Förderung von Projekten die Entscheidung letztlich stets eine politische Entscheidung ist. Frau Künast, ich frage Sie: Sollen jetzt die Menschen nur noch dort geschützt werden, wo es Ihnen politisch opportun erscheint? Ich will Ihnen meine Sorgen im Detail erläutern: Die institutionelle Förderung bleibt in diesem Haushalt niedrig. Bei der Stiftung Warentest erreicht die Förderung bei weitem nicht einmal das Niveau des Jahres 2000. ({3}) So können die Kapazitäten nicht mit den steigenden Anforderungen wachsen. Sie engen mit diesem Haushalt darüber hinaus den Verbraucherschutz abermals auf die ökologische Landwirtschaft ein. Und Sie nehmen den Verbraucherverbänden die Mittel und konzentrieren sie im Ministerium. ({4}) Unabhängigkeit, Nachhaltigkeit, Transparenz und thematische Breite des Verbraucherschutzes leiden darunter ganz erheblich. ({5}) Ich will Ihnen, Herr Weisheit, dies an einem konkreten Beispiel deutlich machen. Nehmen wir das Beispiel der Verbraucherzentrale Bundesverband, kurz VzBv. Schon zu unserer Regierungszeit hat das damals noch zuständige Wirtschaftsministerium den Verbraucherzentralen den Auftrag gegeben, eine Reform der Strukturen und der Konzeption der Verbraucherzentralen zu erarbeiten. Und das war auch gut so. Aber seit Sie die Regierung stellen, werden den Verbraucherzentralen mit immer neuen Kriterien die Daumenschrauben angezogen. Daraufhin wurde ein neues Konzept erstellt. Im November letzten Jahres kam es zur Gründung des neuen Dachverbandes. Doch die Probleme häufen sich. Aktuell arbeitet die VzBv ohne Stellenplan und ohne Wirtschaftsplan. Im Haushalt 2001 steht eine Sperre von 2 Millionen DM. ({6}) Ich fordere Sie auf: Heben Sie diese Sperre auf! Die Bundesregierung weist auch Forderungen nach einer finanziellen Grundsicherung der VzBv zurück. ({7}) Der Bundeshaushalt 2002 orientiert sich vielmehr an Projekten. Und das steht im Widerspruch zum Ergebnis der Strukturreform. Danach sollen die Zuwendungen nämlich ausschließlich als institutionelle Förderungen aus Bundesmitteln bereitgestellt werden. Das heißt also, Nachhaltigkeit und Planungssicherheit für die Verbraucherorganisationen sind mittelfristig nicht gewährleistet. Schauen wir uns doch die Zahlen im Haushaltsplan genauer an; die sind geschönt, denn sie stehen unter dem Vorbehalt des Wirtschaftsplans, der, wie wir im Haushalt lesen können, in Vorbereitung sei. Was jedoch nicht im Haushaltsplan steht, ist, dass der Wirtschaftsplan überarbeitet wurde und bereits vorliegt. Haushaltsplan und Wirtschaftsplan stimmen nicht überein. Ergebnis ist eine drastische Kürzung um 20 Prozent. Die Kosten für die Sachverständigen wurden reduziert. Der Titel Prozesskosten für die Klagetätigkeit der VzBv wurde sogar um fast 50 Prozent gekürzt. Die Ausgaben für Veranstaltungen, Veröffentlichungen und zum Aufbau eines bundesweiten Informationssystems wurden gekürzt. Im Ministerium aber bauen Sie jetzt genau dies auf. Es werden also nicht die Verbände gefördert, sondern Sie verlagern die Aufgaben ins Ministerium und machen Verbraucherschutz mit Beamten. ({8}) Und dort, wo Handlungsbedarf besteht, handeln Sie nur unzureichend. Die Aufarbeitung der BSE-Krise ist noch immer nicht gelungen. Das Problem der neuen Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit beim Menschen wird von Ihnen nicht wirklich angegangen. Der Arbeitskreis BSE - Sie haben es uns schriftlich bestätigt - hat noch nicht ein einziges Mal getagt, seit Sie im Amt sind. ({9}) In der „Zeit“ bezeichnen Sie es als Ihre Pflicht - ich zitiere -, „den Menschen ehrliche Informationen zu geben“, also Klarheit und Wahrheit. Doch mit dem von Ihnen, Frau Künast, eingeführten verwässerten Ökozeichen tun Sie das glatte Gegenteil. Sie führen die Menschen in die Irre. Sie sagen in der „Zeit“ weiter - ich zitiere -: „Und wir werden das Sicherheitsniveau laufend erhöhen, gnadenlos.“ Auch das wieder starke Worte. Doch wie sehen die Fakten aus? Sie senken die bisher in Deutschland üblichen anspruchsvolleren Qualitätsstandards auf die umstrittenen EU-Standards ab. Ihr Verweis, dass Sie sich jetzt auf EU-Ebene für höhere Standards einsetzen wollen, glaubt in unserem Land doch sowieso kein Mensch. Was haben Sie denn bisher auf EU-Ebene durchgesetzt? Nichts! ({10}) Das Tiermehlverfütterungsverbot läuft aus. Es ist nach wie vor keine Rede von den Fetten. Es gibt keine einheitliche BSE-Testung in Europa. Die Fleischimporte aus Ländern, in denen kein Tiermehlverfütterungsverbot besteht, sind nach wie vor dadurch, dass wir sie nicht kontrollieren können, möglich. Verbraucherschutz ist aber eine europäische Herausforderung. Verbraucherschutz im Europa ohne Grenzen erfordert Überzeugungskraft und Durchsetzungsfähigkeit im Ministerrat. Beides geht Ihnen ab. Es ist schon bemerkenswert, dass ausgerechnet eine grüne Verbraucherschutzministerin das bisherige Niveau der Ökozeichen in Deutschland unterbietet und sich auf einen qualitativ niedrigeren Standard einlässt. ({11}) Mit dem Ökozeichen treten Sie zu einem nationalen Alleingang an, der der regionalen Vermarktung hochwertiger Nahrungsmittel entgegenwirkt und stattdessen Tür und Tor für Import-Ökoprodukte öffnet. Sie geben sich mit laxeren EU-Vorschriften zufrieden. Man hat fast den Eindruck, dass Sie in der Aufweichung des Öko-Qualitätsstandards die einzige Möglichkeit sehen, das von Ihnen angekündigte Ziel eines Marktanteils der Ökoprodukte von 20 Prozent zu erreichen. ({12}) Angesichts meiner Redezeit möchte ich auf die Details - ich könnte sie Ihnen erläutern - nicht weiter eingehen. Es ist völlig klar - dies hat Ihnen Frau von Wedel auch ganz klar ans Revers geheftet -: Die Verbraucherschutzpolitik im BMVEL kann nicht wirksam und umfassend stattfinden, weil die Zuständigkeiten zersplittert sind, die Organisationsstruktur den Aufgaben nicht angepasst ist und eine Grundsatzabteilung, in der Politikplanung stattfindet und die Lebensmittelsicherheit koordiniert wird, erst gar nicht vorhanden ist. Frau Künast, vernichtender können die Versäumnisse derjenigen, die die politische Verantwortung für diese Zustände tragen, kaum aufgelistet werden. Ich habe noch gar nicht gesagt, was Verbraucherschutz im weiteren Sinne alles bedeutet.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Frau Kollegin Widmann-Mauz, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.

Annette Widmann-Mauz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003259, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die Stichworte kennen Sie; ich muss sie hier am Pult jedes Mal wieder erwähnen. Ich komme zu einem weiteren Zitat aus der „Zeit“. Dort sagten Sie: Ich zumindest wüsste genau, was ich zu tun hätte, wenn ich nicht Ministerin wäre. Frau Künast, ich frage Sie: Was wissen Sie wirklich, was Sie uns nicht sagen wollen? ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die SPD-Fraktion spricht jetzt die Kollegin Jella Teuchner.

Jella Teuchner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002816, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Herren und Damen! Frau Widmann-Mauz, ich weiß nicht, welche Grundlage Sie für Ihren Redebeitrag gewählt haben. ({0}) Ich habe die Ausschussunterlagen gewählt. Wenn ich mir unter Titel 684 21 bei den Maßnahmen zur Unterrichtung der Verbraucher außerhalb des Ernährungsbereiches gerade die „Verbraucherzentrale Bundesverband“ anschaue und sehe, dass die Summe von 8,45 Millionen Euro im Jahre 2000 auf 10,907 Millionen Euro erhöht wird, dann kann ich mir nicht erklären, wo Sie das Minus sehen. ({1}) Das hat auch nichts mit der Projektförderung zu tun. Sie müssen schon grundsätzlich darüber diskutieren. So können wir keine Basis für eine weitere Diskussion schaffen. Am Anfang dieses Jahres wurde die Zuständigkeit für den Verbraucherschutz im neuen Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft gebündelt. Dem Verbraucherschutz und der Verbraucherpolitik sollte ein stärkeres Gewicht gegeben werden. Der Einzelplan 10 hat daher nicht nur drei zusätzliche Titel bekommen, es stehen auch mehr Mittel für den Verbraucherschutz zur Verfügung: Statt 21,4 Millionen Euro im Jahr 2001 sind es 32,3 Millionen Euro für 2002. Das ist ein Anstieg, den die Ministerin schon erwähnt hat. Die Lebensmittel müssen sicher sein. Dass dies an erster Stelle auf der landwirtschaftspolitischen Tagesordnung stehen muss, haben wir immer wieder gefordert. Wir müssen für gute und sichere Lebensmittel sorgen, damit die Verbraucherinnen und Verbraucher wieder Vertrauen in die Lebensmittel gewinnen, die Landwirte stabile Märkte für ihre Produkte vorfinden und sie eine Zukunft bekommen. Mit den Mitteln, die wir für die Aufklärung der Verbraucherinnen und Verbraucher im Ernährungsbereich ausgeben wollen, werden wir dies unterstützen. Allein 7,7 Millionen Euro werden wir für eine Informationskampagne zu den neuen Qualitätssiegeln bereitstellen. ({2}) - Wenn das Wahlkampfhilfe ist, frage ich mich, was Sie in der Vergangenheit gemacht haben. Dann war das noch größere Wahlkampfhilfe. Wir werden 460 000 Euro für die regionale Vermarktung zur Verfügung stellen. Wir schaffen damit Nachfrage nach Qualitätsprodukten und sorgen dafür, dass Landwirte gute Absatzchancen für ihre Lebensmittel von hoher Qualität haben. ({3}) Die Aufklärung der Verbraucherinnen und Verbraucher über gesunde Ernährung wird auf gleich bleibendem Niveau fortgesetzt. Auch der Zuschuss für die Deutsche Gesellschaft für Ernährung wird ab 2002 aus dem Einzelplan 10 bezahlt. Verbraucherschutz heißt zum einen, Produkte vom Markt fern zu halten, die Verbraucherinnen und Verbraucher gefährden können. Zum anderen heißt es, die Markttransparenz zu schaffen, die notwendig ist, damit die Verbraucherinnen und Verbraucher ihre Entscheidungen am Markt auch bewusst treffen können. Die notwendige Markttransparenz für den gesundheitlichen Verbraucherschutz unterstützen wir durch die Projekte der Verbraucheraufklärung im Ernährungsbereich. Auch den wirtschaftlichen Verbraucherschutz unterstützen wir verstärkt. Stehen 2001 14,9 Millionen Euro für den wirtschaftlichen Verbraucherschutz zur Verfügung, sind es 2002 16,8 Millionen Euro. Das sind 13 Prozent mehr als 2001. Dabei liegt der Schwerpunkt auf der institutionellen Förderung der Verbraucherzentralen und der Verbraucherverbände. Die Verbraucherzentralen stehen einem gestiegenen Beratungsbedarf gegenüber. Der elektronische Handel wirft genauso wie die private Altersvorsorge neue Fragen auf, bei denen die Verbraucherinnen und Verbraucher Beratung wünschen. Wie können Verbraucherinnen und Verbraucher seriöse Geldanlagen erkennen? Können sie im Internet sicher einkaufen? Daneben bleiben Fragen zum Energiesparen, zum sinnvollen Versicherungsschutz und zum Bauen unverändert aktuell. Wir sehen diesen Beratungsbedarf und unterstützen daher den Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände verstärkt. Mit der stabilen Förderung der Stiftung Warentest sichern wir den Fortbestand anbieterunabhängiger Informationen über Produkte und Dienstleistungen. Auch hier leisten wir einen notwendigen Beitrag zur Markttransparenz und setzen ein Gegengewicht zur Werbung der Hersteller. Dies sichert die Qualität der Produkte, da diese Tests vielfach Impulse für Produktverbesserungen sind. Liebe Kollegen und Kolleginnen, der Haushalt 2002 ist geprägt davon, dass wir das Sparen und den Abbau der Schulden zielgerichtet anstreben. Dennoch wird das Notwendige weiterhin finanziert, dennoch werden politische Schwerpunkte gesetzt. Verbraucherpolitik hat nicht nur Eingang in die Bezeichnung des Ministeriums gefunden, sie findet sich auch in den Zahlen des Haushaltsplanes wieder. Wir finanzieren eine leistungsfähige Verbraucheraufklärung. Wir müssen uns aber auch klar darüber sein, dass wir diese finanzielle Unterstützung der Verbraucherpolitik in Zukunft fortführen müssen. Im wirtschaftlichen Verbraucherschutz wird der Beratungsbedarf nicht geringer werden. Im gesundheitlichen Verbraucherschutz müssen wir sicherstellen, dass mit den neuen Behörden die bisherige Ressortforschung nicht infrage gestellt wird. Wir müssen - ich bin mir sicher, dass wir dies auch tun werden - auch im nächsten Haushalt das Signal aussenden: Wir reden nicht nur vom Verbraucherschutz, sondern wir stellen dafür auch die notwendigen Mittel bereit. ({4})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Zu einer Kurzintervention erteile ich jetzt der Kollegin Annette WidmannMauz das Wort.

Annette Widmann-Mauz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003259, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Kollegin Teuchner, nachdem Sie mich gefragt haben, ob ich die gleiche Unterlage habe wie Sie, und den Eindruck vermitteln wollten, als würde ich mit alten Haushaltsplänen arbeiten, möchte ich Ihnen für Ihre Arbeit und für die gemeinsame Arbeit im Ausschuss zur Kenntnis geben, dass ich die Drucksache 14/6800 verwende, nämlich den Bundeshaushaltsplan 2002, Einzelplan 10. In der Titelgruppe 684 21 sind die Zuschüsse verzeichnet, die der Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände erhält. Dort sind rund 21 Millionen DM für diese Arbeit eingestellt. Wenn Sie dann in die Erläuterungen hineinschauen, dann stellen Sie fest, dass dabei der Wirtschaftsplan eine Rolle spielt. Wenn wir uns den Wirtschaftsplan ansehen, dann wird schon deutlich, in welchem Maße den Verbraucherzentralen die Daumenschrauben angelegt werden. Es geht darum, die Einnahmen der Verbraucherzentralen um 400 000 DM zu erhöhen und die Ausgaben um 4,4 Millionen DM zu drücken. Das heißt, aus den 21,4 Millionen DM werden in null Komma nichts nur noch 16,6 Millionen DM. Das müssen Sie den Menschen draußen schon erklären. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Die nächste Rednerin in der Debatte ist die Kollegin Gudrun Kopp für die FDPFraktion.

Gudrun Kopp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003160, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Herren und Damen! Frau Ministerin Künast, Sie haben sich seit Ihrem Amtsantritt auf die Förderung des ökologischen Anbaus konzentriert und fast ausschließlich diesem Bereich Geld und Aufmerksamkeit gewidmet. Sie sind nicht Ökoministerin, sondern Verbraucherministerin. ({0}) - Natürlich, die Landwirtschaft gehört auch mit dazu. Das heißt, Ihre Aufmerksamkeit müssen Sie auch auf viele andere Gebiete richten. Hier sehe ich große Versäumnisse. ({1}) Wir haben grundsätzlich eine positive Einstellung zum ökologischen Landbau. Aber es ist nicht Aufgabe des Staates, eine Werbekampagne für das Ökosiegel in Höhe von 15 Millionen DM in den Haushalt einzustellen. Auf der anderen Seite erklären Sie zum Antrag der FDP, die Stiftung Warentest in die Unabhängigkeit zu entlassen und einen Kapitalstock aufzubauen, damit nicht erneut jedes Jahr über die zuzuweisenden Mittel diskutiert werden muss, dafür sei kein Geld vorhanden. Dieser Punkt ist ein eklatantes Versäumnis Ihres Hauses und von Ihnen ganz persönlich, ({2}) weil für uns die Arbeit der Stiftung Warentest eine Säule der unabhängigen Verbraucherinformation ist. Sie ist ganz wichtig. ({3}) Sie sprechen von Kontrolle und von Lebensmittelsicherheit. Hierzu muss ich Ihnen etwas sagen: Ich finde es mehr als traurig und unverantwortlich, dass Restbestände an Tiermehl aus dem Jahr 2000 über zehn Monate bei den Produzenten gelagert wurden, weil es zwischen Bund und Ländern finanziell keine Einigung gab. Der Raiffeisenverband schätzt diesen Bestand auf 64 000 Tonnen. Das ist eine ganze Menge. Dabei handelt es sich möglicherweise um kontaminiertes Tiermehl. Hinter das Thema Lebensmittelsicherheit kann ich bei Ihnen nur ein Fragezeichen setzen. Auf Bund- und Länderebene fehlen derzeit 2 500 Lebensmittelkontrolleure. Es gibt jedes Jahr 200 000 Lebensmittelerkrankungen, davon 80 000 Salmonelleninfektionen. Sie sprechen von Kontrollen. Wie soll das kontrolliert werden? Wollen Sie die Kosten für Kontrollen von Waren mit dem Ökosiegel künftig den Ländern aufdrücken? Sollen sie dafür sorgen, dass es zu einer entsprechenden Kontrolle kommt? Wenn ein Lebensmittelkontrolleur für 1 400 Betriebe zuständig ist - also Gaststätten, Restaurants und Lebensmittelgeschäfte -, dann ist dies schlicht eine Überforderung. Es ist eine Farce, da von Lebensmittelsicherheit zu sprechen. ({4}) Nächster Punkt: Energieberatung. Ich habe eine große Zahl von Briefen von Verbraucherzentralen und Verbraucherberatungsstellen erhalten, die um Hilfe bitten, weil der Etat um 1,3 Millionen DM gekürzt werden soll. Diese Maßnahmen betreffen insbesondere die Energieberatung für den ländlichen Raum. Das hat doch etwas mit Ökologie zu tun. ({5}) Das passt doch nicht in Ihr grünes Konzept. Wir müssen versuchen, den Verbraucherzentralen zu helfen, damit sie auch in Zukunft Energieberatungen leisten können. ({6}) Zum Schluss möchte ich noch einmal sagen: Ich finde es beschämend, dass zu anderen Themen, wie Schuldrechtsreform oder Eurobargeldeinführung, nichts, aber auch gar nichts aus Ihrem Ministerium zu hören oder zu lesen ist. Das heißt: Verbraucherpolitik ist umfassend. Sie haben sich - ob Sie das nun wollen oder nicht - auch um diese Themen zu kümmern. Die Liste der Versäumnisse ist sehr lang. Wir finden, es reicht nicht, einfach nur zu sagen: alles Öko, sonst nichts. Sie werden damit den Ansprüchen der Verbraucher nicht annähernd gerecht. Vielen Dank. ({7})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die PDS-Fraktion spricht jetzt die Kollegin Kersten Naumann.

Kersten Naumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003197, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn man sich den Entwurf des Agrarhaushalts für das Jahr 2002 ansieht, wünschte man den Landwirten, dass jedes Jahr Wahljahr ist. Aber ich denke, das sollten wir den Wählerinnen und Wählern lieber nicht antun. Die Aufstockung im Landwirtschaftshaushalt ist allerdings nur vorübergehend angelegt. Auch wenn das Verbraucherministerium von einem guten Kompromiss spricht, bleibt die Frage, ob der Agrarhaushalt den Erfordernissen der überschwänglich gepriesenen Agrarwende auch tatsächlich gerecht wird. Eine Aufstockung des Agraretats um 1 Prozent im nächsten Jahr ist vielleicht gerade genug, um die Zuschüsse für die Stiftung Warentest zu gewährleisten und die agrarsoziale Sicherung nicht weiter sinken zu lassen. Es ist nicht mehr als der berühmte Tropfen auf den heißen Stein. Was liegt also im Argen? Ich nenne einige Beispiele: Erstens. Wettbewerbsnachteile können nicht mit der Gasölversteuerung oder der Senkung von Steuerfreibeträgen ausgeglichen werden. Zweitens. Finanzierungsnachteile in gartenbaulichen Betrieben bleiben nach wie vor bestehen. Drittens. In der Gemeinschaftsaufgabe sind die bisher gewährten Ausgleichszulagen in benachteiligten Gebieten zur Einkommensverbesserung in den letzten drei Jahren ebenfalls drastisch gesunken. Viertens. Gleiches gilt für die Anpassungshilfe für ältere landwirtschaftliche Arbeitnehmer bei einem Arbeitsplatzverlust infolge von Rationalisierung ebenso wie für die Förderung wasserwirtschaftlicher und kulturbautechnischer Maßnahmen. Fünftens. Die Kofinanzierung der Gemeinschaftsaufgabe gestaltet sich insbesondere für die neuen Bundesländer immer schwieriger. Die Finanzhilfen lassen sich im Zuge des Sparzwangs nicht mehr in der erforderlichen Höhe aufbringen, und der Bund zieht sich immer mehr aus der Verantwortung zurück. Frau Ministerin Künast - Sie haben das vorhin auch kritisiert -, vielleicht könnten Sie sagen, woher die Länder das Geld für die Kofinanzierung nehmen sollen. Sechstens. Die Mittelkürzung für die BSE-Folgekosten im Jahre 2001 reflektiert auch künftig auf die gesamte Landwirtschaft, sodass schließlich alle Landwirte unverschuldet betroffen sein werden. Die Landwirtschaft musste zwischen 1999 und 2002 zum Subventionsabbau des Bundes im Umfang von 800 Millionen DM mehr als die Hälfte beitragen. Dies führt im Gesamtwirtschaftsgefüge zu einer einseitigen und ungerechten Belastung der Landwirtschaft. Fazit: Steuerreform, Ökosteuer, Reduzierung der Gasölbeihilfe und bisherige Kürzungen im Bundesetat treiben immer mehr Landwirte in den Ruin. Arbeitsmarktpolitische Maßnahmen greifen nicht oder sind als Projekte auf dem Papier reine Makulatur. So stellt sich die Frage: Wo ist der sozialpolitische Aspekt für den Erhalt und den Ausbau von Arbeitsplätzen im ländlichen Raum? Wo spiegelt sich der multifunktionale Charakter der Landwirtschaft in den Haushaltsansätzen wider? Modellregionen - so schön es auch klingen mag - entsprechen wohl eher dem Charakter von Wettbewerbsprogrammen, als dass wirklich Hunderte von Problemregionen im ländlichen Raum davon profitieren könnten. Mit anderen Worten: Die Bundesregierung versucht gewissermaßen mit dem Fahrrad einen Schnellzug zu verfolgen, und die Landwirte blicken in eine unsichere Zukunft. Allein in Nordrhein-Westfalen sind in den vergangenen acht Jahren täglich im Schnitt fünf Betriebe den Bach runtergegangen. Die PDS plädiert daher für die Einstellung eines Titels für arbeitsmarktpolitische Maßnahmen im ländlichen Raum zur Schaffung gewerblicher - außerlandwirtschaftlicher - Arbeitsplätze; dies sollte in Verbindung mit dem Wirtschaftsministerium geschehen. ({0}) Weiterhin fordern wir eine Neuauflage der Förderung der Einstellung der landwirtschaftlichen Erwerbstätigkeit und der Produktionsaufgaberente. Außerdem plädiert die PDS dafür, die Ausgleichszulagen für benachteiligte Gebiete wieder aufzustocken, um eine flächendeckende Landbewirtschaftung auch in Zukunft zu ermöglichen. ({1}) Wir erwarten, dass aus der Gemeinschaftsaufgabe kein Fördertatbestand gestrichen wird, und zwar weder die Beihilfen für die Bewässerungswirtschaft oder den Wegebau noch die Milchleistungsprüfung oder die Anpassungshilfen für ältere Landwirte. Darüber hinaus sind Biogasanlagen zur Strom- und Wärmeerzeugung wieder mit einem Teilschuldenerlass zu fördern. Dass der ökologische Landbau gefördert wird, ist positiv. Das neue Biosiegel ist da und bringt den Verbrauchern mehr Information und Befähigung zur eigenen Entscheidung. Die Aufregung über die niedrigen Standards der EG-Öko-Verordnung verliert ihr Gewicht, denn die Zeichen der anerkannten Aufbauverbände können zusätzlich zu dem neuen Siegel verwendet werden. Um zu verhindern, dass das neue Siegel zum Scheitern verurteilt ist, ist unseres Erachtens eine Aufklärungskampagne in der Dimension notwendig, wie sie die CMA jetzt wieder für Fleisch startet. Meine Damen und Herren, die Agrarwende ich wichtig und richtig. Landwirte, die sich im Rahmen der gültigen Fachgesetze auf der Grundlage der guten fachlichen Praxis bewegen, dürfen aber nicht grundsätzlich von der Förderung ausgeschlossen werden. Förderausschlüsse brinGudrun Kopp gen Zwist und spalten die Bauernschaft. Entweder besteht Handlungsbedarf bei den Fachgesetzen oder es sollte zuerst der Prüfungs-, Beratungs- und Entscheidungsbedarf über neue Fördergrundsätze abgeschlossen sein, sodass über den Haushaltsplan entschieden werden kann. Letztendlich weiß man ja nicht, worüber man abstimmt. ({2}) In den kommenden Haushaltsberatungen muss erreicht werden, dass sich die künftigen Herausforderungen an die Agrarpolitik auch im Haushalt widerspiegeln. Ich kann nur hoffen, dass die Koalitionsfraktionen für Veränderungen offen sind. Danke schön. ({3})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Das Wort hat der Kollege Gustav Herzog für die SPD-Fraktion.

Gustav Herzog (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003148, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit der Einbringung des Gesetzentwurfes zur Einführung und Verwendung eines Kennzeichens für Erzeugnisse des ökologischen Landbaus in den Deutschen Bundestag setzt die Koalition ein deutliches Zeichen der Neuorientierung der Agrarpolitik. ({0}) Das neue Biosiegel ist entwickelt und muss dem Verbraucher nun in einer groß angelegten Informationskampagne bekannt gemacht werden. Hierfür werden im nächsten Jahr 7,7 Millionen Euro im Agrarhaushalt bereitgestellt. In den letzten Tagen ist sehr häufig die Frage gestellt worden, warum wir überhaupt ein neues Biosiegel benötigen. Tatsache ist, dass derzeit schon rund 100 verschiedene Biomarkenzeichen bundesweit um die Verbrauchergunst konkurrieren. Allein neun Anbauverbände wie „Bioland“ und „Demeter“ arbeiten nach eigenen Qualitätskriterien. In diesem Kennzeichendschungel die Übersicht zu behalten, kann dem Verbraucher wohl niemand auf Dauer abverlangen. ({1}) Für die Mehrheit der Konsumenten heißt das Resultat Verunsicherung: Warum soll ich für meine Lebensmittel eigentlich mehr bezahlen, wenn ich mir nicht sicher sein kann, was drin ist? Das neue Siegel soll hier Klarheit schaffen. Der Blick in andere Länder zeigt, dass einheitliche staatliche oder verbandsübergreifende Dachwarenzeichen für Ökolebensmittel die Konsumsicherheit für Verbraucher deutlich erhöhen können und somit zu einem erfolgreichen Absatz der Produkte führen. Als eine Art „Über-Siegel“ kann es in Deutschland für alle Produkte des ökologischen Landbaus verwendet werden, die mindestens nach den Kriterien der EG-Öko-Verordnung hergestellt werden. ({2}) Das klingt einfach, ist einfach, und gerade in dieser Einfachheit liegt auch der innovative Ansatz. ({3}) Wenn wir für Ökoprodukte tatsächlich den Durchbruch aus der Nische heraus schaffen wollen, ({4}) dann geht es auch nicht an dem Ort vorbei, wo 80 Prozent unserer Lebensmitteleinkäufe getätigt werden: dem konventionellen Lebensmitteleinzelhandel. Nur ein Siegel mit einfachen Regeln, die sich dem Verbraucher schnell und glaubhaft erschließen, hat auf diesem Markt eine Chance. ({5}) Das bedeutet: Öko rein in die Supermärkte und möglichst auch in die Discountermärkte. Wir sprechen hier nicht über ein kleines Alibi-Ökosortiment, vorzugsweise in einem Holzregal präsentiert und in irgendeiner Ladenecke versteckt. Ziel ist es vielmehr, ein gleichwertiges Nebeneinander von Ökoprodukten und konventionellen Erzeugnissen zu schaffen. Öko darf nur einen Handgriff entfernt von anderen Markenprodukten in den Regalen stehen. ({6}) Der Verbraucher soll die Wahl treffen. ({7}) Wenn er sich für das Ökoprodukt entscheidet, dann soll er auch auf Anhieb erkennen können, dass dort wirklich Öko drin ist. ({8}) Das Biosiegel schafft unverwechselbare Einheitlichkeit, Klarheit und Orientierung. Und da gebe ich Ihnen Recht -: Es ist kein leichter Schritt in den konventionellen Lebensmitteleinzelhandel. Wir haben es hier mit einem anspruchsvollen und machtvollen Marktpartner zu tun. In diesem hart umkämpften Markt agiert niemand aus Gründen des Idealismus, zum Wohl der Menschen und der Umwelt. Das Motto lautet hier: größer, weiter, zentralistischer. Es darf nur derjenige mitmachen, der sich in diesen Strukturen behaupten kann. Auch diese Gefahr darf in dieser Debatte nicht verschwiegen werden. Aber an der Entstehung des neuen Biosiegels wurden alle Akteure des berühmten magischen Sechsecks beteiligt, auch der konventionelle Lebensmitteleinzelhandel. Das, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, ist der eigentliche Sieg der Ministerin in dieser Angelegenheit. ({9}) Im Ergebnis konnte man sich auf ein einheitliches Siegel einigen. Bisher war es nicht gelungen, ein übergeordnetes Ökokennzeichen zu kreieren, das branchenübergreifend auf einen so breiten Konsens, eine so große Akzeptanz trifft. Vielmehr - das füge ich kritisch hinzu ist bisher jeder Versuch einer Vereinheitlichung an den Eigeninteressen von Anbauverbänden und Herstellern gescheitert, die ihre eigenen Qualitätsmaßstäbe als der Weisheit letzter Schluss ansahen. ({10}) Schmeckt das neue Biosiegel nun zu sehr nach Kompromiss, weil die Kriterien der EG-Öko-Verordnung in einigen Bereichen unterhalb der deutschen AGÖL-Richtlinien liegen? Nein! Hier frage ich mich, wie Sie, Frau Kollegin Widmann-Mauz, dazu kommen, dass die Orientierung an einem EU-Standard ein nationaler Alleingang sei. Diese Logik verschließt sich mir. ({11}) Eine Orientierung an den Kriterien der EG-Öko-Verordnung ist keinesfalls nur ein Kompromiss, sondern dient in einer sehr konsequenten Art und Weise dem Ziel, die Nachfrage nach Ökoprodukten in einem Maße zu steigern, dass eine kontinuierliche Ausweitung des Ökolandbaus als gesichert angesehen werden kann und dass eine Umstellung der Betriebe auf Ökolandbau Perspektiven für die deutsche Landwirtschaft bietet. Forschungsergebnisse besagen, dass künftig nicht die Nachfrage nach Ökolebensmitteln den begrenzenden Faktor für die Marktentwicklung darstellt. Dieser wird eher in der Angebotsseite und vor allem darin gesehen, dass die Angebotsstruktur der Produkte den Verbraucherwünschen nicht entspricht. Der Absatz der Produkte über den traditionellen Lebensmitteleinzelhandel bietet hier neue Chancen. Wir reden hier in der Tat von neuen Chancen, während die Opposition in der Regel nur Bedenkenträger war und Ängste verbreitet. ({12}) Hierfür ist jedoch eine zusätzliche Professionalisierung notwendig, die im bisher klein strukturierten Ökomarkt so nicht erforderlich war. Das wird eine Herausforderung darstellen. Eine wichtige Voraussetzung für eine Kooperation mit dem konventionellen Handel ist aber eine ausreichende Sortimentsbreite. Dieser breite Einstieg kann derzeit nur über den Standard der EG-Öko-Verordnung realisiert werden. Frau Ministerin, ich kann Ihnen die Unterstützung der SPD-Fraktion versichern, ({13}) wenn es darum geht, gemeinsam zu versuchen, die Standards in Europa nach oben zu bewegen. ({14}) Mit dem neuen Biosiegel geben wir dem Verbraucher ein hilfreiches Instrument an die Hand. Jetzt appellieren wir an die Mündigkeit des Verbrauchers. Ist das Siegel erst auf dem Produkt, dann kann die Verbraucherin bzw. der Verbraucher über den Einkaufskorb Einfluss auf landwirtschaftliche Produktionsweisen nehmen und damit die Umwelt besser schützen und die Landwirtschaft besser verdienen lassen. Vielen Dank. ({15})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Nächster Redner in dieser Debatte ist der Kollege Josef Hollerith für die Fraktion der CDU/CSU.

Josef Hollerith (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000946, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Selten ist ein Minister bzw. eine Ministerin nach der Berufung von den Medien mit so vielen Vorschusslorbeeren ausgestattet worden wie Frau Künast nach dem 12. Januar 2001. ({0}) Nach rund acht Monaten ihrer Amtszeit stellen wir fest: Der Lack ist ab, sie ist von den Realitäten des Haushalts und von den Einstimmigkeitserfordernissen beim europäischen Agrarrat eingeholt worden, die Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit wird größer, die Landwirte, die ohnehin nichts von ihr erwartet haben, sind zunehmend darüber verbittert, dass sie Agrarpolitik nicht nach den sachlich-pragmatischen Erfordernissen des europäischen Binnenmarktes, sondern ideologisch durch ihre grün gefärbte Brille gestaltet. ({1}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Berufsstand ist auch darüber verbittert, dass sie einen Keil zwischen die Bauern treibt, ({2}) indem sie zwischen den vermeintlich Guten, die ökologisch wirtschaften, und den vermeintlich Schlechten, die konventionelle Landwirtschaft betreiben, unterscheidet. Dies ist falsch, denn wir brauchen beide Richtungen. Der Verbraucher entscheidet durch seine Kaufentscheidung jeden Tag darüber, was wie und wo produziert wird. Das ist schlicht eine Beleidigung zehntausender bäuerlicher Betriebe, die über Jahrzehnte nachhaltig und konventionell gesunde Nahrungsmittel höchster Qualität produziert haben, was wir daran sehen, dass die Lebenserwartung der Menschen, die diese Nahrungsmittel gegessen haben, ansteigt. ({3}) Betrachten wir den ersten Haushalt, den Frau Ministerin Künast zu verantworten hat, so stellen wir fest, dass das Soll im Haushaltsansatz für das Jahr 2002 gerade einmal um 109 Millionen DM auf rund 11,068 Milliarden DM ansteigt. Das ist ein völlig unzureichender Ansatz, um die gigantischen Herausforderungen der durch BSE, MKS und die daraus resultierenden Folgekosten gebeutelten Landwirtschaft zu bewältigen. Ich möchte Sie insbesondere auf zwei Beispiele für die Widersprüchlichkeit rot-grüner Agrarpolitik hinweisen. Erstes Beispiel: Sie haben den Verbraucherschutz auf europäischer Ebene nicht durchgesetzt. ({4}) Fettaustauscher, die bei uns in der Tiermast verboten sind, werden um uns herum in der Mast von Hähnchen, von Truthähnen, von Gänsen und Enten massenweise verwendet. Genau diese Produkte konkurrieren auf dem deutschen Markt mit den Produkten unserer Landwirtschaft und werden zu Weihnachten von den Verbrauchern gekauft werden. ({5}) - Mit Ökosiegel. - Das ist Täuschung der deutschen Verbraucher. ({6}) Ein zweites Beispiel für die Widersprüchlichkeit rotgrüner Politik: Sie verraten erneuerbare Energien. Durch Ihre falschen Beschlüsse lasten 400 Millionen DM Ökosteuer auf den erneuerbaren Energien. Trotzdem hat Ihr Amtskollege im Kabinett in einer Nacht-und-Nebel-Aktion die ohnehin geringen Zuschüsse von 12,5 Prozent der Investitionskosten bei Biogasanlagen von heute auf morgen abgeschafft. Er hat damit Planungssicherheit beseitigt und gegen die grüne Programmatik verstoßen, die vorsieht, dass Sie erneuerbare Energien fördern wollen. ({7}) Wir wollen Ihnen in den weiteren Beratungen dieses Haushaltes gern die Hand reichen, damit Sie diese falsche Entscheidung rückgängig machen können. ({8}) Der Fördersatz von 12,5 Prozent bedeutet, dass bei jeder Investition von 100 DM gerade einmal 12,50 DM gefördert werden, aber gleichzeitig 16 DM Mehrwertsteuer in die staatlichen Kassen fließen. Daran erkennen Sie, dass zum einen der Fördersatz zu gering ist und sich zum anderen ein solches Programm aus sich selbst heraus finanziert. Diese Entscheidung des Wirtschaftsministers war also auch volkswirtschaftlich höchst unsinnig und widersprüchlich. ({9}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, im Schlussteil meiner Rede gehe ich auf die besonders dramatische Situation der Rindermäster ein, die von BSE betroffen sind. Ich stelle fest: Der bäuerliche Berufsstand ist an BSE am wenigsten schuld; gleichwohl hat er die Lasten dafür zu tragen. Vergleicht man den Preis, der vor der BSEKrise für Rindfleisch erzielt wurde, mit dem jetzigen Preis, so erkennt man, dass der Bauer pro Kilogramm Schlachttier 1 DM verliert. Die Hälfte dieses Verlustes ist marktbedingt; die andere Hälfte ist durch Kosten bedingt, die aufgrund der BSE-Gefahr entstehen: durch den BSETest, durch die Herausnahme des Risikomaterials, durch die höheren Entsorgungskosten für das Konfiskat und für die Knochen, durch den Wertverlust des „fünften Ferkels“, sprich: der Innereien. Diesen Verlust muss allein der Landwirt schultern. Wenn wir heute über innere Sicherheit reden, so ist ein Analogieschluss zur Lebensmittelsicherheit erlaubt. Beide Sicherheitsbegriffe betreffen den Menschen. Hinsichtlich der inneren Sicherheit betrachten wir es als selbstverständlich, dass die Mehrkosten - etwa durch Kontrollen - vom Steuerzahler getragen werden und die Fluggesellschaften den Verlust durch den Rückgang der Fluggastzahlen tragen. Darum ist es völlig logisch und gerecht, dass die Kosten für die Sicherheit der Nahrungsmittel zum einen von der Allgemeinheit der Steuerzahler getragen werden, was die BSE-bedingten Mehrkosten angeht, um die Lebensmittelsicherheit zu erhöhen, dass auf der anderen Seite aber auch - um die Analogie zum Flugverkehr aufrechtzuerhalten - die Bauern die Belastungen des Verbrauchsrückgangs schultern müssen. Darum fordern wir ein, dass der Staat, die Gemeinschaft der Steuerzahler, die innere Sicherheit genauso behandelt - das unterstützen wir ({10}) wie die Lebensmittelsicherheit, ({11}) die Kontrolle der Nahrungsmittel auf BSE. Mit unseren Anträgen wollen wir sicherstellen, dass in den Beratungen den BSE-gebeutelten Bauern durch vernünftige Anträge ein Stück weit bessere Chancen und bessere Perspektiven für ihre Existenz gegeben werden. ({12}) Wir werden Sie von der Regierung daran messen, inwieweit Sie unseren Anträgen folgen. ({13})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Zu einer Kurzintervention erteile ich jetzt Herrn Kollegen Dr. Gerald Thalheim das Wort.

Dr. Gerald Thalheim (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002311, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Hollerith, zum Thema Verbraucherschutz habe ich selten so viel Heuchelei gehört wie von Ihnen und von Ihren Kolleginnen und Kollegen in dieser Debatte. ({0}) Sie haben uns eben vorgeworfen, wir hätten uns bei der Umsetzung europäischer Richtlinien oder bei dem Thema Milchaustauscher nicht durchgesetzt. ({1}) Genau vor einem Jahr, am 1. Oktober 2000, ist das Verbot des Risikomaterials Gesetz geworden. Vielleicht denken Sie alle einmal daran zurück, welche Reden hierzu gehalten worden sind - dass das viel zu weit gehe, dass das der Untergang der deutschen Landwirtschaft sei. Für diejenigen, die sich unter Risikomaterial nichts vorstellen können, füge ich hinzu: Da geht es um Gehirn, da geht es um alles, was drum herum ist, das heißt um jene Körperteile der Rinder, von denen tatsächlich eine Gefahr ausging. Das bedeutet: Im vergangenen Jahr haben wir zum Stichwort „Verbraucherschutz“ das Mindeste dessen gemacht, was man erwarten konnte. ({2}) Herr Kollege Hollerith, Ihre Parteifreundin, die Ministerin Stamm, hat diese Heuchelei den Ministerposten gekostet. Wenn Sie weiter so agitieren, kann es passieren, dass Ihnen im nächsten Jahr Ähnliches geschieht. Vielen Dank. ({3})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Zur Erwiderung Herr Kollege Hollerith, bitte.

Josef Hollerith (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000946, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, Herr Staatssekretär Thalheim, ich finde es sehr erfreulich, dass Sie sich von der Regierungsbank auf die Abgeordnetenbank begeben haben, um Ihre parlamentarischen Möglichkeiten wahrzunehmen. Ich stelle erstens fest: Von mir haben Sie eine solche Aussage bezüglich Risikomaterial nicht gehört. ({0}) Zweitens stelle ich fest, dass in der damaligen Diskussion Herr Bundeslandwirtschaftsminister Funke, der heute nicht mehr im Amt ist, und der Landwirtschaftsminister von Niedersachsen die gleiche Position vertreten haben. ({1}) - Ich behaupte nicht, dass das richtig war. Ich stelle nur fest, weil der Herr Kollege Thalheim diese Frage gestellt hat, dass ich diese Position hier nicht vertreten habe, und ich stelle fest, wer sie sonst noch in den Reihen der SPD vertreten hat. Dieses Spiel lässt sich fortsetzen. Drittens stelle ich fest, dass die Fettaustauscher in Deutschland zu Recht verboten sind. Ich stelle weiter fest, dass sie in allen übrigen europäischen Ländern nach wie vor verwendet werden, und ich stelle darüber hinaus fest, dass die Tiere, die mithilfe dieser bei uns verbotenen Fettaustauscher gemästet werden, reichhaltig nach Deutschland exportiert werden und hier zulasten des Verbraucherschutzes massenweise verzehrt werden, ({2}) wie ich hinzufügen möchte: unter Belastung der Wettbewerbsbedingungen der deutschen Landwirtschaft. ({3})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Nächste Rednerin in der Debatte ist die Kollegin Steffi Lemke für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.

Steffi Lemke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002720, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Werte Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Herr Hollerith, Ihren Ausführungen soeben möchte ich für das Publikum hinzufügen, dass Teile Ihrer Fraktion damals gegen das Verbot der Verfütterung von Tierfetten gestimmt haben. Wenn die Diskussion so heuchlerisch geführt wird, wie es von Ihrer Seite aus hier teilweise geschehen ist und immer noch geschieht, dann brauchen wir uns nicht zu wundern, dass bisher ein generelles Verfütterungsverbot auf europäischer Ebene nicht durchsetzbar gewesen ist. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Frau Kollegin Lemke, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Straubinger?

Steffi Lemke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002720, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja.

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Lemke, weil Sie das Abstimmungsverhalten einzelner Kollegen unserer Fraktion bezüglich des Verbotes der Verfütterung von Tierfetten angesprochen haben: Würden Sie zur Kenntnis nehmen, dass wir in breiter Mehrheit zugestimmt haben? Ich persönlich habe dagegen gestimmt, ({0}) weil damit auch Fette verboten wurden, die für den menschlichen Verzehr zugelassen waren. Das kann nicht in den Sinn des Gesetzes passen. Mittlerweile haben Sie selbst Ihre eigene Verordnung zum Fischmehlverbot wieder zurückgenommen. ({1})

Steffi Lemke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002720, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Gefragt war nichts, das ist schon okay. Ich kann trotzdem darauf antworten. ({0}) Es ging mir nicht darum, darzustellen, dass Ihre Fraktion geschlossen gegen das Verbot der Verfütterung von Tierfetten gestimmt hat. Hätten Sie sorgfältig zugehört, hätten Sie meine Differenzierung auch bemerkt. Ich habe darauf abgezielt, dass es, so wie die Diskussion hier geführt wird und damals geführt worden ist, kein Wunder ist, dass wir auf europäischer Ebene noch nicht weiter sind. ({1}) Wenn sich diese Form der Diskussion bei der Frage, ob das Fett der geschlachteten Tiere verfüttert werden soll oder nicht, hindurchzieht und wenn wir nicht zu einer sachlichen und fairen Diskussion miteinander kommen, dann werden wir kein umfassendes Verfütterungsverbot erreichen; denn man kann natürlich immer mit Wirtschaftlichkeitsaspekten argumentieren. Es ist selbstverständlich wirtschaftlich sinnvoller, das Tierfett zu verfüttern. ({2}) - Jetzt bin ich dabei, seine Frage zu beantworten. Hört dabei eine Sekunde zu! Eines möchte ich noch anfügen: Wenn wir beim Thema BSE auch über die Frage, was die Ministerin bisher an Erforschung geleistet oder nicht geleistet hat, diskutieren wollen, dann muss ich sagen: Da bin ich einmal auf den bayerischen Beitrag in dieser Frage gespannt. Wir sollten einmal zu der Frage kommen, was die Ursachen dafür sind, dass über die Hälfte aller bisherigen BSE-Fälle in Bayern aufgetreten ist. ({3}) Ich komme zurück zur Debatte über den Haushalt für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft für das Jahr 2002. Wir setzen mit diesem Haushalt Zeichen für die Neuorientierung der Agrarpolitik und der Verbraucherschutzpolitik, indem wir eine Umschichtung der Mittel im Haushalt und auch eine Erhöhung der Mittel für den Bereich Verbraucherschutz, für umweltgerechte Landwirtschaft, für tierartgerechte Landwirtschaft, aber auch für Sozialpolitik im ländlichen Raum und für die Sicherung der Einkommen der Landwirte beschließen. Ich will zu diesen einzelnen Punkten einige Ausführungen machen und fange mit dem Verbraucherschutz an. Der Verbraucherschutzetat im Bereich des Agrar- und Verbraucherschutzministeriums wird in verschiedenen Punkten aufgestockt. Frau Widmann-Mauz, Sie haben den einen Titel hier erwähnt und haben berechnet, dass dort keine Erhöhung erfolgt. Man muss aber den Haushalt, wenn man ihn lesen will, vollständig lesen und darf sich nicht nur einzelne Titel herausnehmen. Hätten Sie das getan, dann hätten Sie festgestellt, dass im Verbraucherschutzbereich keine Reduzierung eintritt. Erstens wird sowohl im Bereich der institutionellen Förderung von Verbraucherschutz eine Erhöhung um 2,5 Millionen DM vorgenommen. Zweitens wird eine Aufstockung der Stellen für die Institutionen im Verbraucherschutz vorgenommen, und zwar nicht nur im Ministerium, sondern auch bei den Verbänden. Wir stellen zusätzlich - zusätzlich! Mittel für die Projekte zur Verfügung, nachdem die institutionelle Förderung aufgestockt worden ist. Die Ausführungen, die Sie hier gemacht haben, sind nicht richtig. Ich denke, dass wir das in der Diskussion im Ausschuss noch klarstellen können, wenn wir uns über den gesamten Haushalt und nicht über Detailinformationen aus einem einzelnen Haushaltstitel unterhalten. ({4}) Ich glaube, dass klar ist, dass mit diesem Haushalt eine Stärkung des Verbraucherschutzes erfolgen musste und auch erfolgt. Ich wäre für konstruktive Vorschläge seitens der Opposition in diesem Bereich wesentlich dankbarer als für eine Kritik, die sich lediglich darauf beschränkt, dass in einzelnen Punkten dieses oder jenes nicht so passiert ist, wie Sie das gerne vorgeschlagen hätten, ohne eine Gegenfinanzierung dafür vorlegen zu können. Zum Bereich der umwelt- und tierartgerechten Landwirtschaft. Wir haben das nicht auf den Ökolandbau beschränkt. Ich bitte Sie noch einmal - ich habe das von dieser Stelle aus schon des Öfteren getan -, aufzuhören, eine ideologische Diskussion „Konventionell gegen ökologisch“ zu führen. ({5}) - Hören Sie einmal zu. - Haben Sie, Frau Kopp, die einfache Tatsache zur Kenntnis genommen, dass wir ein Aktionsprogramm zur Stärkung des ökologischen Landbaus auflegen, wie es in dieser Woche - Herr Deß, ich will auf Bayern eingehen - der Bayerische Bauernverband gefordert hat? Er hat vorgeschlagen, die Haushaltsmittel in den Bereichen Forschung, Stärkung der Umstellungsberatung etc. aufzustocken. Ich finde, dass es richtig ist, was der Bayerische Bauernverband vorgeschlagen hat. Wenn die FDP das aber zum Anlass nimmt, hier von Ökodiktat zu sprechen, dann muss ich Ihnen erstens sagen, dass Sie keine Ahnung von Diktat haben. Zweitens ist es vollkommen unangemessen, auf eine sinnvolle Forderung, die inzwischen von weiten Kreisen der konservativen Bauernschaft erhoben wird, mit solchen Schlagworten zu reagieren. ({6}) Wir werden den ökologischen Landbau unterstützen. Das Ökosiegel, das die Ministerin vorgestellt hat - den entsprechenden Gesetzentwurf beraten wir heute mit-, wird zu einer deutlichen Ausweitung des ökologischen Landbaus führen, und es wird vor allem für die Verbraucher mehr Transparenz beim Kauf von Produkten aus ökologischem Landbau schaffen. Wir haben uns natürlich bei der Frage, wie das Siegel ausgestaltet werden soll, gestritten. Es gab dazu verschiedene Auffassungen. Wir haben aber einen vernünftigen Vorschlag unterbreitet, und wir werden auch das, was auf europäischer Ebene bisher nicht ausreichend geregelt ist, in Zukunft vernünftig regeln. Dabei können Sie uns ja unterstützen, wenn Sie es mit Ihren Forderungen ernst meinen. Das Wichtigste ist aber, dass wir ein Ökosiegel vorgelegt haben, das man in den Regalen finden wird und das nicht in Schreibtischschubladen vergammelt, wie das bisher der Fall war. Wir werden darüber hinaus im Bereich der tierart- und umweltgerechten Landwirtschaft die Haushaltsmittel verstärken. Ich bedaure zutiefst, dass es aufgrund des Widerstandes von Bundesländern, aber auch aus dem Bauernverband heraus nicht gelungen ist, die Modulation, die für den Agraretat in bestimmten Bereichen der Landwirtschaft mehr Haushaltsmittel bedeutet hätte, bereits im Jahre 2002 beginnen zu lassen, sodass sie jetzt erst im Jahre 2003 beginnen wird. ({7}) Wir werden das trotzdem tun. ({8}) Wir werden damit Akzente für die Stärkung von Umweltaspekten in der Landwirtschaft setzen. Betrachten wir das, was in den USA im Hinblick auf Green-Box-Maßnahmen bei der WTO und im Hinblick darauf, dass auch die Vereinigten Staaten jetzt davon ausgehen, dass die Förderung dieses Bereichs gestärkt werden muss, an vorsichtigen Akzentuierungen in der Debatte zu vernehmen ist, so bin ich sehr zuversichtlich, dass wir auf europäischer und internationaler Ebene ein gutes Stück vorankommen werden. Bezüglich der Sicherung des Einkommens der Landwirte möchte ich noch einen Bereich ansprechen. Das sind die erneuerbaren Energien. Wir werden im Gegensatz zum Regierungsentwurf eine Aufstockung der Mittel für die erneuerbaren Energien vornehmen. Ich glaube, dass wir wenigstens in diesem Punkt gemeinsam voranschreiten können, weil das, was Rot-Grün mit dem ErneuerbareEnergien-Gesetz und dem Marktanreizprogramm vorgelegt hat, nicht nur für die Umwelt, sondern auch für die Einkommen der Landwirte gut ist. ({9}) Wir werden für die Landwirtschaft neue Einkommensmöglichkeiten eröffnen. Wir werden den Sozialetat der Landwirtschaft weiter stärken, und wir werden außerdem die Neuorientierung der Agrarpolitik, die bezüglich der tierart- und umweltgerechten und der ökologischen Landwirtschaft dringend notwendig ist, einleiten. Danke. ({10})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Das Wort hat die Kollegin Marita Sehn für die FDP-Fraktion.

Marita Sehn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002146, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich müsste der heutige Tag ein Glückstag für die Landwirtschaft sein. Schließlich wird der Agrarhaushalt um 150 Millionen DM aufgestockt. Doch bei genauerem Hinsehen bestehen berechtigte Zweifel, ob die Gelder in ihrer Gesamtheit sinnvoll verwendet werden. ({0}) Es stimmt bedenklich, dass die Bundesregierung, Frau Lemke, noch immer keine Einzelheiten zu den Inhalten des Bundesprogramms Ökolandbau nennt, oder sollte ich sagen: nennen kann. ({1}) Vielleicht wissen Sie selber noch nicht genau, was Sie wie fördern wollen. 68 Millionen DM in 2002 und 68 Millionen DM in 2003 sind ein bisschen viel Geld für eine Katze im Sack, auch wenn auf diesem Sack „Ökolandbau“ steht. ({2}) Das Bundesprogramm „Ökolandbau“ bleibt genauso im Dunkeln wie die gesamte Agrarwende, die - das habe ich eben gehört - angeblich schon da ist. Aber ich habe sie leider noch nicht gesehen. Ich erinnere mich noch gut an den Anfang dieses Jahres, als uns das Ende der Landwirtschaftspolitik alten Typs, die so genannte Agrarwende, und ein magisches Sechseck angekündigt wurden. Das einzige Sechseck, das Sie bislang zustande gebracht haben, ist ein Aufkleber für Ökolebensmittel und der ist alles andere als magisch. ({3}) Mithilfe der Modulation wollten Sie eine komplette Neuorientierung der Agrarpolitik erreichen. 6 Prozent der Direktbeihilfen sollten in Fördermittel für den ländlichen Raum umgewandelt werden. Bereits 2002 wollten Sie mit der Modulation beginnen. ({4}) Nun bezieht sie sich auf 2 Prozent der Direktbeihilfen und kommt erst 2003. Obendrein gibt es einen Freibetrag von 20 000 DM. Damit wird den einen geschadet, ohne dass jemandem geholfen wird. Die Modulation, liebe Heidi Wright, ist auf keinen Fall ein geeigneter Weg, die deutsche Landwirtschaft auf die EU-Osterweiterung und die bevorstehende Welthandelsrunde vorzubereiten. ({5}) Landwirtschaft und Gartenbau brauchen vergleichbare Wettbewerbsbedingungen in Europa. Davon sind wir meilenweit entfernt. Warum dürfen zum Beispiel deutSteffi Lemke sche Bauern nicht die gleichen Pflanzenschutzmittel wie ihre europäischen Kollegen einsetzen? ({6}) Die Bundesregierung sagt: Aus Gründen des vorsorgenden Verbraucherschutzes. Aber worin besteht der „vorsorgende Verbraucherschutz“, wenn entsprechend behandelte Nahrungsmittel problemlos auf den deutschen Markt gelangen können? Frau Künast ist auf dem besten Wege zu einer Exportgehilfin für europäische Konkurrenzprodukte zu werden. ({7}) Sie wendet sich damit gegen unsere Bauern, gegen die ländliche Bevölkerung und letztendlich auch gegen die Verbraucher. Denn in unsere Kühe kommen vielleicht nur Getreide, Wasser und Gras. Aber was ist mit den Kühen in anderen Ländern? Vielleicht sollte man die Bundesregierung öfter daran erinnern: Wer Ja zu Europa sagt, der muss auch Ja zu einer gemeinsamen Agrarpolitik sagen und kann nicht bei jeder Gelegenheit sein eigenes Süppchen kochen. ({8}) Die FDP lehnt die massive Förderung des ökologischen Landbaus am Markt vorbei ab. Wenn mehr Ökolebensmittel produziert als nachgefragt werden, dann werden zunächst einmal die Preise sinken. Die Leidtragenden werden die ökologisch wirtschaftenden Betriebe sein. Deshalb ist es wichtig, dass sich Angebot und Nachfrage in gleichem Maße entwickeln können. Warum soll man dem Markt nicht das überlassen, was er viel schneller, billiger und besser als die Politik kann, nämlich Angebot und Nachfrage in Einklang zu bringen? ({9}) Auch der jetzt vorliegende Agrarhaushalt ist zu 70 Prozent ein Sozialhaushalt. Er beschäftigt sich vorrangig mit der sozialverträglichen Abwicklung der Landwirtschaft. Dagegen hilft auch keine Agrarwende. Im Gegenteil: Wenn jetzt 180 Millionen DM an zusätzlichen Sozialkosten auf den Agrarhaushalt zukommen, dann spricht dies eine deutliche Sprache. ({10}) Den Landwirten fehlen eine ökonomische Perspektive und jegliches Vertrauen in die Politik. ({11}) Aber wie können unsere Landwirte auch Vertrauen in eine Ministerin haben, die sie wie Frau Künast in einem Interview mit der Zeitung „Die Zeit“ der „Wasserverseuchung durch Gülle“ bezichtigt? Mit Verlaub: Blödsinn bleibt Blödsinn, auch wenn er von einer Ministerin stammt. ({12}) Die Menschen in unserem Land sehen die Agrarwende längst als das an, was sie ist: ein Märchen mit dem Titel „Der Künast neue Kleider“. Auch ein Biosiegel reicht nicht aus, um die Blöße der Ministerin zu verdecken. ({13})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Jetzt spricht der Kollege Matthias Weisheit für die Fraktion der SPD.

Matthias Weisheit (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002458, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Der Haushaltsentwurf des Bundesministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft weist für das kommende Jahr eine Steigerung von 109 Millionen DM auf. Das ist angesichts der Haushalte der vergangenen Jahre durchaus ein positives Signal; ({0}) denn die Übertragung der Kosten für den Agrardiesel, die dieses Jahr mit 375 Millionen DM noch im Einzelplan 10 aufgeführt sind, hätte eigentlich zu einer Senkung der Ausgaben für die Landwirtschaft führen müssen. Tatsächlich wurde der Ansatz für die Gemeinschaftsaufgabe um 130 Millionen DM auf 1,845 Milliarden DM erhöht. Die Erhöhung des Mittelansatzes für Modell- und Demonstrationsvorhaben von 7 Millionen DM auf 31 Millionen DM und das neue Bundesprogramm Ökolandbau, für das 68 Millionen DM veranschlagt sind, versetzen uns in die Lage, neue, positive Entwicklungen in der deutschen Landwirtschaft einzuleiten. Für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion kann ich in diesem Zusammenhang durchaus Zufriedenheit zum Ausdruck bringen; denn das Ziel der Konsolidierung des von Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, zerrütteten Staatshaushaltes bleibt oberste Priorität. Mehrausgaben können sich daher nur in einem bescheidenen Rahmen bewegen. ({1}) - Das werden Sie immer wieder hören müssen. ({2}) Wir müssen in den Haushalt jedes Jahr 80 Milliarden DM für die Tilgung von Zinsen einstellen. Ich sähe es furchtbar gern, wenn ein Teil dieses Betrags für den Agrarhaushalt zur Verfügung stünde; das wäre wunderbar. Wir könnten dann alle Ihre Wünsche erfüllen. ({3}) Mit den zusätzlichen Mitteln werden wir, wie die Bundesministerin ausgeführt hat, längst überfällige neue Prioritäten setzen. Multifunktionale Landwirtschaft und ländliche Entwicklung sind Schlagwörter, die wir durch Modellvorhaben in 15 Regionen mit Leben erfüllen wollen.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Weisheit, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hollerith?

Matthias Weisheit (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002458, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, heute nicht. Wir sind ohnehin schon weit über die Zeit. Was die verbraucherorientierte nachhaltige Produktion und die Vermarktung hochwertiger und gesunder Nahrungsmittel bzw. den Aufbau regionaler Verarbeitungsund Vermarktungsstrukturen angeht, lohnt sich ein Blick über die Grenzen auf die Staaten, die demnächst der EU beitreten werden, also einige mittel- und osteuropäische Staaten. Diese Staaten sind uns auf dem Gebiet um einiges voraus. ({0}) Die Einbeziehung von Nachhaltigkeitsaspekten in die Angebote von Bildung, Weiterbildung und Beratung steht im Mittelpunkt dieser Projekte. Der spannende und zukunftsweisende Ansatz dieser Modellprojekte ist, dass sie nicht, wie Sie gerne glauben machen würden, von Regierungsseite übergestülpt werden, sondern dass sich die Regionen für eine Teilnahme bewerben können und selbst Vorstellungen entwickeln müssen, wie sie diese Zielsetzungen den jeweiligen Verhältnissen vor Ort, die wirklich überall anders sind, anpassen wollen. Es geht zum Beispiel darum, zu klären, wie außer den Bauern die Handwerker, die Gastronomie, die bestehenden oder zu gründenden verarbeitenden Betriebe, Verwaltung und Handel, Volkshochschulen, allgemeinbildende Schulen, Landwirtschaftsberatung und Verbraucherberatung zusammenwirken können und wollen, um ein solches Projekt auf den Weg zu bringen. Ich weiß durchaus, wovon ich rede. In meinem Wahlkreis gibt es ein ähnliches Modellprojekt, das über das Land Baden-Württemberg angestoßen wurde. Nach einigen Jahren ist es eine Erfolgsstory geworden. ({1}) - Ach, Peter Harry. Auch ich weiß, dass es nicht einfach ist, die vielen unterschiedlichen Interessen unter einen Hut zu bringen. Deshalb bin ich sehr froh darüber, dass über diesen Titel das erforderliche Regionalmanagement, das diese Projekte leitet und zusammenführt, finanziert werden soll. Erst danach folgen zusätzliche Aktivitäten, die nicht aus irgendwelchen anderen Töpfen der EU, der Länder, des Bundes oder der Kommunen bezuschusst werden können. Ich halte die zeitliche Begrenzung dieser Förderung für richtig. Es darf keine Dauersubvention werden. Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass die vorgesehenen zwei Jahre nicht ganz ausreichen werden. ({2}) Die Bundesmittel für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ werden um über 100 Millionen DM angehoben. Für viele Bundesländer ist die GA ein wesentliches Instrument zur Gestaltung und Kofinanzierung der zweiten Säule der gemeinsamen Agrarpolitik, der Politik für den ländlichen Raum. Mit den zusätzlichen Mitteln lassen sich die zwischen Bund und Ländern verabredeten neuen Zielsetzungen realisieren. Niemand soll hier die Illusion verbreiten, die Gemeinschaftsaufgabe werde nur vom Bund bestimmt. In Wirklichkeit machen das Bund und Länder gemeinsam. Ich denke insbesondere an die Verarbeitungs- und Vermarktungsförderung. Mittelfristig müssen wir dazu kommen, dass Bauern nicht ausschließlich Rohstofflieferanten sind, sondern dass sie durch Beteiligung an der Verarbeitung und an der Vermarktung am Mehrwert teilhaben, der daraus entsteht. ({3}) Die Möglichkeiten für Erzeugergemeinschaften werden wir durch eine Novellierung des Marktstrukturgesetzes verbessern. Auch die Neuausrichtung der Ausgleichszulage für die benachteiligten Gebiete und die Investitionsförderung für eine besonders artgerechte und flächengebundene Tierhaltung gehören zu den wichtigen neuen Impulsen in der Gemeinschaftsaufgabe. ({4}) Der Agrarteil des Haushaltsentwurfs ist zukunftsorientiert und gleichzeitig dem Ziel der Haushaltskonsolidierung verpflichtet. In den parlamentarischen Beratungen werden wir noch die eine oder andere Korrektur vornehmen. Dabei denke ich auch an die 10 Millionen DM, die als Liquiditätshilfe an den Unterglasbau vorgesehen waren, aber von der EU nicht genehmigt wurden. Vielleicht können sie auf andere Weise zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit des Gartenbaus eingesetzt werden; denn die Situation des Unterglasbaus ist nach wie vor prekär. ({5}) Das Gutachten der Frau von Wedel schlägt eine Reihe grundlegender organisatorischer Veränderungen vor, durch die ein Höchstmaß an Sicherheit und Zuverlässigkeit für Lebensmittel erreicht werden soll. An dieser Stelle muss ich noch auf zwei Beiträge von vorhin eingehen. Es ist doch in der Tat so, dass die Lebensmittelkontrolle bisher in der Hoheit und im Aufgabenbereich der Länder liegt. Hätten die Länder - Herr Hollerith, insbesondere das Land Bayern ({6}) bei der Lebensmittel- und Futtermittelkontrolle in der Vergangenheit nicht sträflich versagt, dann hätten wir die ganzen Probleme mit BSE wahrscheinlich gar nicht gehabt. ({7}) - Aber keine Futtermittelkontrollen! Dafür gab es nur eine halbe Planstelle. Wir wollen ein Höchstmaß an Sicherheit und Zuverlässigkeit für Lebensmittel erreichen. In diesem Zusammenhang wird es im Haushalt noch Änderungen geben müssen; denn neue Bundeseinrichtungen lassen sich ohne zusätzliches Personal nicht aufbauen. Ich bin mir sicher, dass es im Zusammenwirken zwischen Ministerien, Haushaltsausschuss und Fachausschuss im Laufe der Beratungen in diesem Herbst zu einer einvernehmlichen Lösung kommt. Ich will aber auch ankündigen: Wir werden alle noch so verlockenden Anträge der Opposition ablehnen, die auf eine Ausweitung des Haushaltsvolumens abzielen. Herzlichen Dank. ({8})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Letzter Redner zum Einzelplan 10 ist der Kollege Peter Bleser aus der Fraktion der CDU/CSU. ({0})

Peter Bleser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000198, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrte Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Nach diesem wirren Strauß agrarpolitischer Vorstellungen der Ministerin und dem inhaltsschweren Satz, das Kapital der Landwirtschaft sei ihre Zukunft, möchte ich etwas Struktur in die Debatte bringen ({0}) und zunächst einmal unsere agrarpolitischen Ziele definieren, damit Sie wissen, was wir an Ihrer Stelle tun würden. Wir würden die Bevölkerung mit sicheren, gesunden und hochwertigen Nahrungsmitteln versorgen. Dies wollen wir unter ganz konkreten Bedingungen erreichen: Erstens. Eine an den Verbraucherwünschen orientierte Nahrungsmittelerzeugung muss dem vorbeugenden und vorsorgenden Verbraucherschutz verpflichtet sein. ({1}) Zweitens. Unsere hohen Standards beim Tierschutz müssen eingehalten werden. Drittens. Der Schutz unserer Umwelt und die Erhaltung unserer Kulturlandschaft dürfen nicht dem Wettbewerb geopfert werden. ({2}) Um diese Ziele erreichen und eine flächendeckende Landwirtschaft erhalten zu können, müssen unsere Landwirte in die Lage versetzt werden, aus ihren Unternehmenserträgen ein ausreichendes Einkommen zu erwirtschaften. ({3}) Genau an diesem Punkt hat die Regierung schwere Fehler begangen. Frau Ministerin, seit die SPD und die Grünen die Regierung übernommen haben, haben die Landwirte viele Sonderbelastungen tragen müssen. Ich will beispielhaft die entsprechenden Stichworte nennen: Agenda 2000, Ökosteuer, Kürzung der Zuschüsse für die Berufsgenossenschaft ({4}) und eine enorme Verteuerung des Agrardiesels. Das ist eine Wettbewerbsbenachteiligung gegenüber allen anderen europäischen Nachbarstaaten. Darüber hinaus haben Sie in den letzten Jahren die Landwirtschaft mit einer Bürokratie überzogen, die kaum noch zu bewältigen ist. ({5}) Mit der BSE-Krise im November vergangenen Jahres wurde die mangelnde Krisenfestigkeit dieser Regierung erneut deutlich. Geradezu in zynischer Weise haben Sie, Frau Ministerin, und der Bundeskanzler wissentlich und zu Unrecht die bäuerlichen Familien mit dem Wort von den Agrarfabriken als Verursacher der Krise gebrandmarkt. ({6}) Sie haben sich mit Frau Höhn einen regelrechten Wettbewerb geliefert, wie man aus der Verunsicherung von Verbrauchern politisches Kapital schlagen kann. Frau Ministerin, ich werfe Ihnen Folgendes vor: Sie haben Ihre Umfragewerte mit einer unseriösen Verängstigung der Verbraucher und auf den Knochen der Bauern nach oben getrieben. ({7}) Ihre Umfragewerte sind Gott sei Dank wieder im Sinkflug; die Folgen Ihrer Politik sind aber nach wie vor für viele ländliche Bereiche und für die Bauern existenzgefährdend. Einvernehmlich haben wir den deutschen Bauern höhere Auflagen bei der Verbesserung der Nahrungsmittelsicherheit aufgelastet: Jedes Rind, das älter als 24 Monate ist, muss einem BSE-Test unterzogen werden. Tiermehl darf nicht mehr verfüttert werden. Wir haben diese Maßnahmen mitgetragen und mitbeschlossen. Deshalb kann ich hier - sicher in Ihrer aller Namen - feststellen: Das sicherste Rindfleisch auf der Welt ist deutsches Rindfleisch. ({8}) Ich kann die Verbraucher nur bitten, dieses gute Fleisch weiterhin zu genießen. Sie aber, Frau Ministerin, haben es nicht geschafft, an importierte Lebensmittel die gleiche Messlatte anzulegen. ({9}) Denn weiterhin wird Fleisch nach Deutschland aus den Ländern importiert, in denen keine BSE-Tests durchgeführt und unsere Auflagen im Rahmen der Fütterung nicht beachtet werden müssen. Die Bundesregierung hat wie keine andere Regierung in der Europäischen Union unsere Bauern bei der Beseitigung der BSE-Folgen im Stich gelassen. Die Herauskaufaktion von Rindern ist verspätet und schleppend angelaufen und dann mussten die Bauern auch noch monatelang auf ihr Geld warten. Dies ist eine Unverschämtheit in Anbetracht der Notlage, in der sich die Betriebe befinden. Jetzt möchte ich eine Forderung stellen: Frau Ministerin, der Weideabtrieb steht an. Der Rindfleischmarkt ist am Boden. Obwohl die Verbraucher für Rindfleisch mehr zahlen müssen als früher, sind die Bauern in arge Existenznöte geraten. Ich fordere Sie auf, ein Hilfsprogramm aufzulegen, damit wenigstens die derzeitige Marktübersättigung überwunden werden kann. ({10}) Frau Ministerin, das Einzige, was Sie bisher vorzuzeigen haben, ist die Schaffung eines Ökosiegels. Dieses neue Siegel wollen Sie deshalb einführen, weil Sie Ihre Versprechungen, nämlich einen 20prozentigen Marktanteil von Ökoprodukten, mit der Absenkung von Qualitätskriterien erreichen wollen. Dabei opfern Sie kaltschnäuzig die mit hohen Investitionen auf dem Markt bereits etablierten deutschen Ökosiegel wie Bioland, Demeter und viele andere. ({11}) - Fragen Sie doch einmal die Vertreter dieser Gütezeichen! ({12}) Die auf europäischen Kriterien basierenden wachsweichen Vorgaben dieses Ökosiegels öffnen der Verbrauchertäuschung Tür und Tor. ({13}) Finanzieren wollen Sie dieses Ökosiegel im Rahmen der Modulation, bei der Sie konventionell wirtschaftenden Landwirten das Geld aus der Tasche ziehen. Das lehnen wir ganz entschieden ab. ({14}) Wie inkonsequent die Bundesregierung mit ihrem ökologischen Anspruch umgeht, zeigt die Rücknahme der Förderung von Biogasanlagen. Ein Pilotprojekt auf dem Flugplatz Hahn, der in meinem Wahlkreis liegt, zeigt, dass die Nutzung von Biomasse - auch in Kombination mit kommunaler Abwasserentsorgung und Kraft-WärmeKopplung - sowohl in ökologischer als auch in ökonomischer Hinsicht viele neue Perspektiven bietet. Deshalb ist es ein Skandal, dass die Bundesregierung die Förderung von Biomassefeuerungsanlagen zurückgefahren hat. Ich freue mich, wenn jetzt bei Ihnen die Einsicht wächst, diese Rücknahme wieder zurückzunehmen. Aber diesen Umweg hätten wir uns alle sparen können. ({15}) Genauso verwerflich ist, dass Sie den dort gewonnenen Strom noch mit der Ökosteuer belasten. Auch dies ist nicht in Ordnung und dient keinem ökologischen Ziel. Die Einschränkung, dass die räumliche Bindung zwischen Stromerzeuger und Stromverbraucher sehr eng sein muss, hemmt die weitere Entwicklung. Frau Ministerin, Sie machen sich bei einem weiteren Punkt unglaubwürdig: beim Tierschutz. Sie wollen die Käfighaltung von Legehennen verbieten. Der Aufschrei der Wissenschaft, dass die Bodenhaltung keineswegs tiergerechter sei, stört Sie genauso wenig wie die Verlagerung der Produktion ins Ausland. ({16}) Eine neue, die Tierhygiene und den Tierschutz beachtende Kleinvolierehaltung lehnen Sie stur ab. Um eine europäische Lösung kümmern Sie sich erst gar nicht. ({17}) Was Glaubwürdigkeit im Tierschutz angeht, so ist eines sehr deutlich, Frau Künast: Während wir über viele Jahre die Zahl der Tierversuche zurückgeführt haben, ist sie nach dem neuesten Tierschutzbericht, den Sie vorgelegt haben, im Jahre 1999 um 100 000 angestiegen - das zur Glaubwürdigkeit dieser Bundesregierung in Sachen Tierschutz. ({18})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Bleser, Sie müssten bitte zum Schluss kommen.

Peter Bleser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000198, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bin schon am Schluss, Frau Präsidentin. Verehrte Frau Ministerin, Sie sind nun seit wenigen Monaten im Amt und stehen vor einem Scherbenhaufen Ihrer Politik. Nicht BSE und MKS sind das Hauptproblem der deutschen Landwirte. Das Hauptproblem sind Sie und Ihre Regierung. Danke schön. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Weitere Wortmeldungen zum Einzelplan 10 liegen nicht vor. Auch wenn die Rednerliste für den Einzelplan 15 noch nicht ausgedruckt ist, eröffne ich bereits jetzt die Aussprache dazu und erteile das Wort der Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt.

Ulla Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002019

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe gerade daran gedacht, dass das alles gut zusammenpasst; denn gesunde Ernährung ist auch gut für die Gesundheit. Menschen, die sich dank der Politik der Landwirtschaftsministerin gesund ernähren, bleiben länger fit, und wer länger fit bleibt, bleibt länger gesund. ({0}) - Ich bin zuständig für die Gesundheitspolitik. Wenn Sie dafür zuständig wären, wüssten Sie, dass ein gesundes Leben oder eine gesunde Ernährung und die Verantwortung für die eigene Gesundheit etwas mit Gesundheitspolitik zu tun haben. ({1}) Meine Damen und Herren, die aktuellen Auseinandersetzungen über Einsparungen im Arzneimittelbereich zeigen erneut, dass es in der Gesundheitspolitik immer auch um Geld geht. Insgesamt steuert das Bundesgesundheitsministerium ein Ausgabenvolumen von rund 520 Milliarden DM. Bei diesen Zahlen ist es kein Wunder, dass es immer wieder zu großen Verwerfungen und Streitereien kommt, dass immer wieder um alles hart gerungen wird. Demgegenüber ist der Haushalt des Bundesgesundheitsministeriums, den wir heute einbringen, mit knapp 1,4 Milliarden Euro eine geradezu verschwindend kleine Größe. Grund dafür ist, dass das Finanzvolumen, das im Bereich Gesundheit bewegt wird, in den Haushalten der Kassen und zum Teil auch in den Haushalten der Länder vorkommt. Wir haben die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass mit diesen Geldern verantwortlich umgegangen wird. Auch die aktuellen Gesetzesvorhaben, die wir heute mit beraten, sind Weichenstellungen für die Zukunft. Sie sollen dafür sorgen, dass die Gesundheitsversorgung an den Bedürfnissen der Menschen orientiert wird und dass die Ausgaben zwei Forderungen gerecht werden: Ausgaben sollen qualitätsgesichert und wirtschaftlich erfolgen. ({2}) Angesichts der Debatten der letzten Wochen ist es vielleicht notwendig, noch einmal darauf hinzuweisen, dass wir in Deutschland ein leistungsfähiges Gesundheitswesen haben, um das uns viele Länder beneiden. Wir haben eine flächendeckende Behandlung durch Ärzte und Zahnärzte, eine flächendeckende Behandlung durch Krankenhäuser. Bei uns gibt es keine Wartelisten für Operationen. ({3}) Wir haben eine Rund-um-die-Uhr-Versorgung mit Arzneimitteln und ein funktionierendes Rettungswesen. Auf alle diese Leistungen haben die Menschen, die gesetzlich krankenversichert sind, Anspruch und dies soll auch in Zukunft so bleiben. ({4}) Dieser Anspruch ist unabhängig vom Alter, vom Geschlecht, vom Familienstand und vom Einkommen. Und das ist gut so, Herr Kollege Thomae! ({5}) - Ich weiß nicht, wie es bei Ihnen ist; in meiner Stadt ist die Versorgung so. Weil das so ist, halten wir an der solidarischen Krankenversicherung fest. Eine Aufteilung ihres Angebots in Grund- und Wahlleistungen kann nicht die Sicherheit, wie wir sie heute haben, bieten. ({6}) Ich will nicht verschweigen, dass wir vor großen Herausforderungen, auch in der Gesundheitspolitik stehen. Ich nenne hier nur einmal die Herausforderungen durch den medizinischen Fortschritt, Herausforderungen aufgrund der demographischen Entwicklung und aufgrund der wachsenden Zahl multimorbider Menschen und chronischer Erkrankungen. Deshalb ist eine Weiterentwicklung des Systems notwendig, eine Weiterentwicklung hin zu mehr Patientenorientierung, mehr Versorgungsqualität, vor allem für chronisch kranke Menschen, und mehr Wirtschaftlichkeit. ({7}) Ich darf heute sagen: Knapp drei Jahre nach dem Regierungswechsel haben wir vieles erreicht. ({8}) Die Stärkung der hausärztlichen Versorgung, mehr Qualität und Transparenz, eine bessere Verzahnung der Leistungsbereiche ({9}) sowie die Förderung der Prävention und Selbsthilfe bedeuten nichts anderes als mehr Orientierung an den Patienten und deren Bedürfnissen. ({10}) Trotz Leistungsverbesserungen - da sollten Sie mal gut zuhören -, trotz einer Entlastung der Patientinnen und Patienten bei den Zuzahlungen ({11}) und trotz einer rapide voranschreitenden Entschuldung der Kassen in den neuen Bundesländern, die Sie ja stoppen wollten, ({12}) konnten wir, meine Damen und Herren von der CDU/CSU und der FDP, die Beiträge stabil halten. ({13}) Der durchschnittliche allgemeine Beitragssatz liegt immer noch bei 13,6 Prozent. ({14}) Das war genau der Beitragssatz, den uns der Kollege Seehofer übergeben hat, ({15}) nachdem unter seiner Ägide der Beitragssatz in sieben Jahren um durchschnittlich 0,2 Prozent jährlich angestiegen war. ({16}) Unser Gesundheitswesen - ({17}) - Es ist nicht pleite, da brauchen Sie gar keine Angst zu haben. Ich habe da auch keine Sorgen. Wenn man aktuelle Schwierigkeiten hat, muss man darauf reagieren. ({18}) Wir brauchen kurz-, mittel- und langfristige Maßnahmen. Wir brauchen vor allen Dingen eines: Wir müssen das Gesundheitswesen mehr als bisher an medizinischen Bedürfnissen ausrichten. ({19}) Dazu gehört richtigerweise, dass wir uns mit einer umfassenden Umgestaltung der Entgeltsysteme auseinander setzen müssen. Für den niedergelassenen ärztlichen und zahnärztlichen Bereich werden die Vergütungssysteme grundlegend reformiert. Daran arbeiten zurzeit die Selbstverwaltungsgremien. Im Krankenhaus wird mit dem heute eingebrachten Gesetz zur Einführung der Fallpauschalen ebenfalls ein leistungsorientiertes Preissystem eingeführt und damit die bislang umfassendste Reform im Krankenhausbereich eingeleitet. Die konkrete Umsetzung erfolgt mit dem Fallpauschalengesetz. Da wir uns in der Zielsetzung einig sind, gehe ich davon aus, dass wir uns auch bei der Frage der konkreten Umsetzung, so wie wir sie im Gesetzentwurf vorgesehen haben, einig werden. ({20}) Ich glaube, dass der große Fortschritt darin besteht, dass wir mit dem Fallpauschalensystem wirklich eine starre, fiskalisch orientierte Budgetierung im Krankenhaus überwinden und dass ein modernes, prozessoffenes Vergütungssystem auf den Weg gebracht wird. Das Geld muss der medizinischen Leistung folgen. Es muss klar erkennbar sein, wohin die Ressourcen fließen und für welche Leistungen sie gebraucht werden. ({21}) Diese Transparenz schaffen wir mit dem Fallpauschalensystem. Dies ist eine wirklich große Reform, die auch langfristig Wirtschaftlichkeitsreserven im größten Ausgabenbereich der Krankenversicherungen erschließen und die Qualität verbessern wird. ({22}) Wer Ja sagt zur Leistungsorientierung und dazu, dass die Krankenhäuser mehr Freiräume erhalten sollen, der muss auch zu den Instrumenten Ja sagen, die wir brauchen, um sicherzustellen, dass nur das medizinisch Notwendige - dies aber in jedem Fall - erbracht wird und dass Leistungen in der Qualität abgesichert werden. ({23}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, deshalb müssen die Kontrollmechanismen und die Prüfmöglichkeiten der Krankenkassen und der Medizinischen Dienste angepasst werden. Ich sage dies auch an die Kritiker gerichtet, die oft aus den Krankenhäusern kommen: Wer mehr Freiheit will - und das wollen ja alle -, ({24}) der muss sich der fachlichen Überprüfung stellen, Herr Kollege Lohmann. Ich glaube, wir sind uns einig, dass dies notwendig ist. ({25}) Der Gesetzentwurf wird dem, was zurzeit diskutiert wird, gerecht: Es herrscht die Befürchtung, dass die Krankenhäuser durch die Verzögerung der Softwareeinführung in Bedrängnis kommen. Wir sehen eine behutsame und abgestufte Einführung der Fallpauschalen vor, ({26}) sodass alle Beteiligten - Krankenhäuser und Krankenkassen - eine faire Chance zur Anpassung haben und man wirklich sagen kann, dass dies ein lernendes System ist. ({27}) - Die Krankenhäuser können ab 1. Januar 2003 starten, aber wir verlängern die budgetneutrale Phase um ein Jahr, sodass spätestens zum 1. Januar 2004 alle Krankenhäuser in diesen Prozess eintreten und wir dann Zeit haben, zwei Jahre lang zu beobachten, wo es Schwierigkeiten gibt und wie sie überwunden werden können. Deshalb trifft der Gesetzentwurf auch noch keine Festlegungen für die Zeit ab 2007. Es versteht sich von selbst, dass wir bei einem lernenden System erst im Jahre 2006 aufgrund der Erfahrungen der Zeit davor festlegen können, wie es nach 2007 weitergehen soll. ({28}) Sonst würden wir Dinge vorwegnehmen, die man im Grunde genommen heute nicht entscheiden kann. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Schritt für Schritt, das ist auch die Maxime für die Verbesserungen der Versorgung pflegebedürftiger Menschen in Deutschland. Ein Baustein ist die bessere Versorgung demenzkranker Menschen durch das Pflege-Leistungsergänzungsgesetz. ({29}) - Ich habe „ein Baustein“ gesagt, Kollege Lohmann, weil ich mir darüber im Klaren bin, ({30}) dass dies vor dem Hintergrund der begrenzten finanziellen Mittel der Pflegeversicherung nur ein erster Schritt sein kann. Es müssen weitere Schritte folgen, aber ich halte es für einen wichtigen Schritt. ({31}) Wir machen mit diesem Gesetzentwurf vor allem denjenigen ein Angebot, die zu Hause rund um die Uhr demenzkranke Angehörige pflegen und sehr viel Kraft in diese Aufgabe stecken. Ich weiß, dass sehr viel mehr Geld nötig wäre. ({32}) Aber 900 DM im Jahr für den, der einen demenzkranken Menschen betreut, machen immerhin 500 Millionen DM in der gesetzlichen Pflegeversicherung aus. Wir müssen ja auch sehen, es ist ein Baustein, ein erster Schritt. ({33}) Die Mittel sind zweckgebunden für die Tages- und Nachtpflege, die Kurzzeitpflege und andere niedrigschwellige Betreuungsangebote. Wir sind in Gesprächen mit den Landesarbeitsämtern bzw. mit dem Bundesarbeitsministerium, um zu erreichen, dass durch ergänzende Maßnahmen die Vorraussetzungen dafür geschaffen werden, dass mit diesem Geld Betreuung finanziert werden kann. Es sind vor allen Dingen Frauen, die die Kranken pflegen, und unser Ziel ist es, dass man für sie ein Stück Entlastung erreicht. ({34}) Darüber hinaus sollen Modellvorhaben zur Entwicklung neuer Versorgungskonzepte und -strukturen auf den Weg gebracht und gefördert werden. Wir wollen mit diesem Gesetzentwurf ein Netz von abgestuften, bedarfsorientierten und gemeindenahen Hilfen anbieten. Ich sage es noch einmal: Wir werden dies ausbauen müssen, auch im Zuge der Weiterentwicklung der Pflegeversicherung, weil hier ein großer Bedarf besteht. ({35}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir gehen Schritt für Schritt die Reform des Gesundheitswesens an: ({36}) Solidarität mit den Kranken, Wettbewerb um die beste Versorgung, optimale Leistungen, auch bei Beratung, Vorsorge und Prävention. Die weitere Eindämmung der Kosten und die Stabilisierung der Beiträge sind und bleiben unser Ziel. Ich bin davon überzeugt, dass wir dieses Ziel am Ende auch erreichen werden. Diesem Ziel diente auch das vorgestern mit den Spitzenverbänden der Kassen, der Selbstverwaltung der Kassen und dem DGB vereinbarte Maßnahmenpaket zur Eindämmung der Kosten im Arzneimittelsektor. Wenn man sich einmal die großen Leistungsbereiche in der gesetzlichen Krankenversicherung ansieht, ist neben dem Bereich der Krankenhäuser und dem Bereich der ambulanten Versorgung der Arzneimittelbereich derjenige, der die größten Zuwächse zu verzeichnen hat. Es hat im ersten Halbjahr 2001 etwas stattgefunden, was wirklich zu einer Wende führt, wenn wir nicht dagegenhalten, nämlich dass für die Arzneimittel im Bereich von Apotheken und anderen mehr Geld ausgegeben wird als für die gesamte Vergütung im ambulanten Bereich. Da kann etwas nicht stimmen, meine Damen und Herren. Da kann man sich Gedanken machen, wie wir in diesem Bereich zu Einsparungen kommen. ({37}) Das, was wir vorschlagen und auch in den nächsten Wochen hier diskutieren werden, führt zusammen mit der Absenkung der Festbeträge und der Initiative der Selbstverwaltung, der Kassenärztlichen Vereinigungen und der Krankenkassen, im Hinblick auf die Steuerung der Arzneimittelausgaben Schritt für Schritt zur Sicherung unseres solidarischen Systems. Das führt dazu, dass wir die Beiträge auch langfristig stabil halten können. Mit diesem Schritt - das geht noch einmal an Sie - haben wir einen Weg gefunden, bei steigenden Kosten nicht Ihre Politik fortzusetzen, die immer darin bestanden hat, dass Sie bei Kostenexplosionen die Zuzahlungen für die Kranken erhöht ({38}) und zusätzlich Leistungen eingeschränkt haben. Würde man diese Politik fortsetzen, untergräbt man die Akzeptanz der solidarischen Versicherung, weil die Menschen nicht bereit sind, das hinzunehmen. ({39}) Wir haben einen besseren Weg gefunden. Ich hoffe auf Ihre Unterstützung, damit wir die gesetzliche Krankenversicherung gemeinsam stabilisieren. Vielen Dank. ({40})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Das Wort hat der Kollege Horst Seehofer für die Fraktion der CDU/CSU. ({0})

Horst Seehofer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002140, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In dieser Woche hat „Der Spiegel“ eine Umfrage veröffentlicht. Danach sind 68 Prozent der Deutschen mit der aktuellen Gesundheitspolitik unzufrieden. ({0}) - Das war keine Umfrage über meine Amtszeit. Aber ich darf Ihnen sagen, Frau Göring-Eckardt: Das ist der schlechteste Wert, der jemals bei einer Befragung zur Gesundheitspolitik herausgekommen ist. Kein anderer Politikbereich wird von der Bevölkerung schlechter bewertet als die Gesundheitspolitik dieser Regierung. ({1}) Diese miserable Bewertung hat einen Namen und einen Grund: Ulla Schmidt mit einer chaotischen Gesundheitspolitik, bei der niemand mehr weiß, wohin die Reise geht. ({2}) Frau Schmidt, Sie nennen immer wieder den Beitragssatz von 13,6 Prozent, den Sie übernommen haben. Ich will mich gar nicht auf den Standpunkt zurückziehen, dass in den 90er-Jahren die Gesundheitspolitik größtenteils gemeinsam von SPD, CDU/CSU und FDP gemacht wurde. ({3}) Aber ich möchte Sie auf Folgendes hinweisen: Die 13,6 Prozent Beitragssatz, die Sie 1998 übernommen haben, können Sie nur halten, erstens, indem Sie Millionen Menschen in Deutschland, die einer geringfügigen Beschäftigung nachgehen, mit einer Sozialversicherungspflicht belegt haben und somit bei kleinen Verdienstverhältnissen abkassieren; zweitens, indem Sie durch Ihre Budgetierung dazu beitragen, dass Millionen kranke Menschen in Deutschland die notwendige Versorgung nicht mehr bekommen; ({4}) drittens, indem Sie ein riesiges Defizit vor sich herschieben. ({5}) Es ist eine einfache Politik: Der Beitragssatz wird stabil gehalten, indem ich nicht die Krankenversicherungsbeiträge belaste, sondern die Menschen mit einer geringfügigen Beschäftigung, mit 630-DM-Jobs, zu einem Beitrag zwinge, indem ich über die Budgetierung Leistungen ausgrenze und außerdem ein riesiges Defizit anhäufe. Das ist keine politische Kunst. Deshalb kam es zu dieser schlechten Bewertung. ({6}) Jetzt möchte ich Ihnen sagen, wie ich zu meinem Urteil gekommen bin, Ihre Gesundheitspolitik sei chaotisch. ({7}) Ich möchte meine Kritik nur an einem Punkt festmachen, weil er symptomatisch für alle anderen Bereiche ist. Man könnte beispielsweise auch über den Medikamentenpass reden, aber ich bleibe bei dem Punkt, den Sie in den nächsten Monaten offensichtlich in den Mittelpunkt Ihrer Gesundheitspolitik stellen werden, nämlich die Medikamentenversorgung in Deutschland. ({8}) Sie haben am 6. März dieses Jahres vor der Bundespressekonferenz Folgendes gesagt: Es gibt bisher keinen Hinweis auf den Anstieg der Arzneimittelausgaben seit Anfang 2001. Eher das Gegenteil ist zu erwarten wegen der Verhandlungen mit den Kassenärztlichen Vereinigungen. So Ulla Schmidt im März dieses Jahres! Dann kam der September. Im September mussten wir registrieren: Die Arzneimittelausgaben waren um 11 Prozent gestiegen. Siehe da: Nach der Verlautbarung des Ministeriums - Sie haben das vor der Presse wiederholt - begründen Sie den Arzneimittelanstieg, den Sie noch im März verneint haben, als Sie das Gegenteil angekündigt haben, wie folgt: Der nunmehr im 1. Halbjahr 2001 registrierte Anstieg der Ausgaben in Höhe von 11 Prozent hängt auch zusammen mit einem erheblichen Zuwachs der Arzneimittelausgaben für die Verordnung von Arzneimitteln zur Behandlung von schwerwiegenden und lebensbedrohlichen Erkrankungen. So sind insbesondere die Ausgaben für die Krebsmedikation und die Aids-Therapie deutlich angestiegen. In diesen Therapiebereichen hat es in letzter Zeit wichtige Innovationen gegeben. Weiterhin ist zu beachten, dass die zur Verfügung stehenden Rationalisierungspotenziale, zum Beispiel bei den umstrittenen Arzneimitteln, zunehmend an Grenzen stoßen. Das war die Begründung, die im September dieses Jahres gegeben wurde. Vorgestern sagt die gleiche Ministerin: Stopp, weder die erste Prognose, es gebe keinen Anstieg, noch die Begründung für den Anstieg - er betreffe nur schwere Erkrankungen - stimmt. Jetzt sagen Sie, die Pharmaindustrie habe sehr gut verdient und deswegen müssten wir sie nun zur Verantwortung ziehen. ({9}) Innerhalb von wenigen Monaten wird eine dreifache Prognose und Begründung zum gleichen Sachverhalt abgegeben. ({10}) Frau Ministerin, Ihr Wort ist ein Muster ohne Wert. Sie betreiben eine chaotische Gesundheitspolitik. ({11}) Ich kann Sie nur dringend davor warnen - es wird eine gewaltige Auseinandersetzung geben -, Ihren Vorschlag weiter zu verfolgen, dem Arzt die Therapiefreiheit zu nehmen, indem Sie ihn dazu verpflichten, nur eine Wirkstoffgruppe zu verschreiben, und der Apotheker dann das billigste Arzneimittel aus der verordneten Wirkstoffgruppe abgeben muss. ({12}) Sie können nicht auf der einen Seite in schönen Schalmeienklängen sagen, im Mittelpunkt steht der Patient, wir legen höchsten Wert auf die Qualität, der Patient in Deutschland soll das Beste bekommen, was für ihn zur Verfügung steht, ({13}) während Sie auf der anderen ein Gesetzgebungsverfahren mit dem Ziel einleiten, für die Menschen nur das billigste Medikament zur Verfügung zu stellen. ({14}) Eine solche Politik halten wir für absolut falsch und wir werden sie mit massiven Mitteln bekämpfen. Der erste Grundsatz muss sein: Die Verantwortung für die Medikamententherapie gehört in die Hand des Arztes und darf ihm nicht genommen werden. ({15}) Stellen Sie sich einmal vor, was diese Maßnahme in der Praxis bei Lipobay bedeutet hätte. Ich garantiere Ihnen: Bei Lipobay wären Sie die Erste gewesen, die gefragt hätte, wer diesen Unsinn gemacht hat, und gefordert hätte, das Medikament zurückzurufen. Wenn Sie Ihren Vorschlag - der Arzt verordnet eine Wirkstoffgruppe und das Arzneimittel wählt der Apotheker aus - bereits umgesetzt hätten, hätte das im Zusammenhang mit dem Arzneimittelskandal um Lipobay bedeutet - ich nenne nur zwei Medikamente -: Es gibt das Medikament mit dem Namen Liprevil. In der kleinsten Packung - 50 Tabletten - kostet es 112,04 DM. 50 Tabletten Lipobay - zur gleichen Wirkstoffgruppe der Statine gehörend - kosten nur 98,45 DM, also rund 14 DM oder 10 Prozent weniger. Hätten Sie Ihren Gesetzentwurf bereits umgesetzt gehabt, hätte das dazu geführt, dass unabhängig von der Befindlichkeit des Patienten, von seinem Blutbild und seinen sonstigen Erkrankungen der Apotheker das billigere Arzneimittel abgegeben hätte. ({16}) Dann wäre aus dem Problem Lipobay eine Katastrophe in Deutschland geworden. ({17}) Ich kann mir vorstellen, dass dagegengehalten wird, der Arzt sei zu einem solchen Vorgehen nicht verpflichtet. In welchem Land leben Sie eigentlich? Wenn Sie als Gesetzgeber den Arzt verpflichten, nur noch den Wirkstoff festzuschreiben - es sei denn, er wünscht ausdrücklich ein anderes Medikament -, dann müssen Sie doch wissen: Entzieht sich der Arzt diesem gesetzlichen Auftrag und weicht damit im Umfang der Verordnungen vom Durchschnitt seiner Kollegen ab, dann werden anschließend die Kassenärztlichen Vereinigungen und die Krankenkassen den Arzt, der sich sinnvoll verhält, einer Wirtschaftlichkeitsprüfung unterziehen. ({18}) Dem werden sich die Ärzte entziehen. Deshalb kann ich Sie nur dringend davor warnen, die Therapiefreiheit des Arztes so massiv einzuschränken und die Verantwortung für die Medikamententherapie in andere Hände zu legen. In der Medikamententherapie wird es ein undurchschaubares Durcheinander geben und der nächste Arzneimittelskandal ist vorprogrammiert. Frau Schmidt, wir werden Sie dann ganz persönlich dafür verantwortlich machen; ({19}) denn Sie wissen so gut wie ich, dass es nicht alleine auf die Wirkstoffgruppe ankommt. Für die Befindlichkeit sind andere Umstände, zum Beispiel die Galenik verantwortlich. Auch in unserer Zeit mussten wir erleben, welch gewaltige Auswirkungen bei kranken Menschen entstehen, die in ihrer Medikamententherapie umgestellt werden. Die Betroffenen haben häufig nur gesehen, dass sie anstelle einer weißen eine blaue Tablette bekommen. Dahinter stand die Bioverträglichkeit. ({20}) Diesen Umstand können Sie nicht außer Acht lassen, indem Sie nur auf Wirkstoffe oder Wirkstoffgruppen abstellen. ({21}) Deshalb sage ich Ihnen: Die Arzneimittelsicherheit und die Verantwortung für die Verordnung müssen beim Arzt bleiben. Das kann nicht geteilt werden. ({22}) Nun zu der Sicht der Apotheker - ich übrigens würde als Apotheker genauso handeln -: Wenn nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten auszuwählen ist, dann werden die Zielfahnder der Pharmaunternehmen den Apotheker in ihr Zielkreuz nehmen. Sie werden natürlich Rabatte anbieten. Ich sage gar nicht, dass dies unanständig ist. Das ist ein ganz normaler Prozess. Wenn Sie im Gesundheitsbereich alleine auf die Betriebswirtschaft und auf das Geld abstellen, dann werden Rabatte angeboten. Dann wird das Medikament natürlich dort gekauft, wo die höchsten Rabatte gewährt werden. Das ist eine ganz normale Verhaltensweise. Durch diese Maßnahme tragen Sie letzen Endes dazu bei, dass der Patient bei der Medikamententherapie in der Zukunft nicht mit solchen Medikamenten behandelt wird, die gut und nötig sind, sondern mit solchen, die so billig wie möglich sind. In eine solche Situation wollen wir in Deutschland nicht kommen. ({23}) Wir wollen in Deutschland nicht zu der Lösung kommen, dass die Masse der Bevölkerung mit den billigsten Medikamenten abgespeist wird und diejenigen, die privat zahlen können, erste Sahne bekommen. Das haben wir vor zehn Jahren gerade beseitigt. ({24}) Sie ökonomisieren die Medizin total. Die Medikamententherapie wird von A bis Z ökonomisiert. Das Patienteninteresse spielt keine Rolle mehr. Dazu setzen Sie noch einen drauf: Sie bürokratisieren. Ohnehin haben Sie jetzt schon wieder die unsinnige Positivliste eingeführt. ({25}) Man muss sich einmal Folgendes vorstellen: Ein Arzneimittel wird von einer staatlichen Behörde zugelassen. Dann kommt Ihre Wissenschaftlergruppe mit der Positivliste ins Spiel. Nun kommt noch das Sahnehäubchen an Unsinn obendrauf: ({26}) Jetzt wird der Bundesausschuss „Ärzte und Krankenkassen“ noch eine dritte Prüfung durchführen, ob mit dem Medikament wirklich ein medizinischer Fortschritt verbunden ist. Jetzt kann es Ihnen passieren, dass ein Medikament, das vom Staat zugelassen ist, in der Positivliste erscheint ({27}) und plötzlich vom Bundesausschuss „Ärzte und Krankenkassen“ für nicht verordnungsfähig erklärt wird. Sie müssen mir einmal sagen, wie wir der Bevölkerung draußen eine solche dreifache Zulassung mit jeweils unterschiedlichen Ergebnissen erklären sollen. Das ist Bürokratie total. ({28}) Frau Schmidt, ich möchte Sie nur darauf hinweisen: Sie können jede Richtgröße für die Wirtschaftlichkeitsprüfung der Ärzte vergessen, wenn Sie den Arzt bei der Therapiehoheit nicht mehr in die Verantwortung nehmen. Erst haben Sie die Budgetierung aufgehoben, ohne Richtgrößen einzuführen. Jetzt wollen Sie Richtgrößen mit entsprechenden Gesetzen einführen und während Sie sie einführen, schaffen Sie ihre Wirksamkeit dadurch wieder ab, dass Sie dem Arzt die Verantwortung aus der Hand nehmen. Das ist ein Schwachsinn ohnegleichen. ({29}) Frau Ministerin, eine letzte Bemerkung! Sie lächeln ja gerne. Ich darf Ihnen sagen: Der Bevölkerung ist das Lachen durch Ihre Gesundheitspolitik vergangen. ({30}) Ich muss auch sagen, dass wir Sie sehr nachsichtig und am Anfang auch mit einem Stück Hoffnung begleitet haben. Auch nach den Lipobay-Vorfällen im August haben wir Sie noch mit Nachsicht behandelt, obwohl Ihr Staatssekretär in der Öffentlichkeit eine hemmungslose Kampagne gegen den Hersteller durchgeführt hat. ({31}) Wegen der Vorkommnisse in Amerika haben wir dies nicht zu einem politischen Thema gemacht, ({32}) aber - das sage ich Ihnen - man hätte daraus sehr wohl ein politisches Thema machen können. Sie haben uns enttäuscht. Sie haben viele Menschen, die Hoffnungen in Sie gesetzt haben, mit jedem Auftritt - auch heute wieder - enttäuscht. Sie sind weit hinter unseren Erwartungen zurückgeblieben. Das hätte ich nicht für möglich gehalten. ({33}) Sie sind jetzt insgesamt drei Jahre in der Verantwortung. Sie können Ihre drei Jahre Gesundheitspolitik nicht mehr mit den letzten 30 Jahren deutscher Gesundheitspolitik begründen. Auch Sie persönlich sind bereits lange Zeit im Amt. ({34}) Ich kann Ihnen sagen: Wenn Sie weiter diesen falschen Weg der staatlichen Intervention und der ständigen Reglementierungsspirale gehen, dann werden wir Sie persönlich für das, was in der Praxis geschieht, mehr und mehr zur Verantwortung ziehen. Verzichten Sie auch auf Ihr Argument bezüglich der Zuzahlung und der kleinen Leute. Meine Damen und Herren, ich stehe zu der Erhöhung der Zuzahlung um 5 DM, weil die Bevölkerung in der Praxis erlebt hat, dass eine Erhöhung der Zuzahlung, von der 20 Millionen Menschen, die ein geringes Einkommen haben, befreit sind, sozialer ist als eine hundertprozentige Leistungsausgrenzung, wie Sie sie bei der Behandlung von chronischen Erkrankungen durchgeführt haben. ({35}) Sprechen Sie mit Marianne Koch, die die Schmerzkranken und die Parkinsonkranken Deutschlands vertritt und die vor kurzem mit diesen Kranken vor die Öffentlichkeit trat. Sie steht bestimmt nicht in dem Verdacht, ein Anwalt der Union zu sein. Sie hat der Öffentlichkeit mitgeteilt, dass von den 600 000 Schmerzpatienten in Deutschland nicht einmal 5 Prozent aufgrund der Arzneimittelbudgets und der Arzneimittelregresse eine adäHorst Seehofer quate Arzneimittelversorgung erhalten und dass nicht einmal die Hälfte der Parkinsonpatienten wegen Ihrer Budgets die notwendigen Leistungen von ihren Ärzten erhält. Frau Schmidt, das ist die wahre Wirkung Ihrer Politik und der Budgets. So etwas bewirken nicht 5 DM mehr Zuzahlung. ({36}) Deshalb rufe ich Sie auf: Korrigieren Sie Ihren Kurs! Ansonsten werden Sie mit uns in den nächsten Monaten noch viel Freude haben. Sie werden auch noch schlechtere Umfrageergebnisse erhalten, als sie heute schon in den 68 Prozent Unzufriedenheit mit Ihrer Politik zum Ausdruck kommen. ({37})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich erteile das Wort der Kollegin Katrin Göring-Eckardt für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Herr Seehofer, wir müssen uns darüber unterhalten, ob bei dem Beispiel, das Sie zum Schluss genannt haben, die Ursachen, die Sie in der Budgetierung ausgemacht zu haben glauben, wirklich in den Gesetzen oder nicht vielmehr in der Umsetzung der Gesetze begründet liegen. Darauf werde ich später noch einmal zurückkommen. Die Frau Ministerin hat zu Recht darauf hingewiesen, dass sich unsere Bilanz in der Gesundheitspolitik sehen lassen kann. Ich nenne deshalb hier nur die Stichworte, die mir besonders wichtig sind: das Thema „Hausärzte stärken“, das Thema Qualität und das Thema Selbsthilfe. Diese Themen haben wir mit der Gesundheitsreform 2000 auf den Weg gebracht, dies werden wir weiter ausgestalten. Trotzdem - daran gibt es keinen Zweifel, nicht in diesem Haus, nicht in der Regierung und auch nicht darüber hinaus - gibt es weiteren Reformbedarf. Wir alle wissen, dass es Wirtschaftlichkeitsreserven gibt. Weil uns die Krankenkassenbeiträge eben nicht egal sind und weil es uns nicht egal ist, mit welchen Lohnnebenkosten wir konfrontiert sind, sind wir mit der Absicht angetreten, die Wirtschaftlichkeitsreserven im System zu mobilisieren. Sie haben uns lange aufgefordert, eine neue Gesundheitsreform auf den Weg zu bringen. Aber immer dann, wenn über einen weiteren Schritt diskutiert wird, sagen Sie, dieser Schritt dürfe es auf keinen Fall sein. So haben Sie es auch heute wieder in Bezug auf die Arzneimittelverordnung getan. Herr Seehofer, was Sie heute zu der Therapiehoheit der Ärzteschaft gesagt haben, ist eine Art von Angstmacherei und Verunsicherung, die überhaupt nicht nötig ist. ({0}) Den Vorschlag, Medikamente, die kostengünstiger sind, dort zu verordnen, wo dies sinnvoll ist, halte ich für völlig berechtigt. Das hat nichts damit zu tun, dass den Ärzten die Therapiehoheit genommen werden soll, wohl aber damit, dass wir auf die Einsparmöglichkeiten achten. Genau das haben Sie immer wieder von uns verlangt. Natürlich kann man nicht sagen, es komme allein auf den Wirkstoff an. Aber es ist eben auch nicht richtig, dass ein Medikament nur deshalb besser ist, weil es teurer ist. Insoweit sind wir hier auf einem richtigen Weg. In der Ausschusssitzung von vor zwei Wochen haben wir sehr viel über die Finanzierung im Gesundheitssystem geredet. Ich war über das, was dazu vonseiten der Union gesagt worden ist, sehr erschrocken. Die Union hat klar und deutlich in den Raum gestellt, es komme nun darauf an, dass der Bundeshaushalt für das Gesundheitssystem in die Pflicht genommen werde. Dies ist wirklich entlarvend. ({1}) All das, was Sie hier und an anderer Stelle über Schuldenabbau und Einsparungen sagen, passt damit ebenso wenig zusammen wie Ihre Kritik an den jüngsten Steuererhöhungen. Sie wissen, Herr Lohmann, dass auch ich die Auffassung vertrete, hinsichtlich der versicherungsfremden Leistungen müsse etwas geändert werden. ({2}) Das hat aber nichts damit zu tun, dass man mehr Geld in das System geben darf, damit die Versorgung besser wird. ({3}) Sie wissen ganz genau, dass es nicht so ist. Ich bin froh, dass die von uns begonnene Politik der Verbesserung der Versorgung, der Qualität und der Patientenorientierung ({4}) nicht damit einhergeht, dass wir auf der anderen Seite Strukturveränderungen als unnötig abtun, und einfach nur mehr Geld in das System pumpen. ({5}) Das können wir uns im Übrigen auch deswegen nicht leisten, weil wir alle wissen - das hat uns der Sachverständigenrat zu Recht noch einmal ins Stammbuch geschrieben -, dass es in Deutschland auch Unterversorgung gibt. Diese Unterversorgung ist das entscheidende Thema, das wir angehen müssen. Wir werden sie nicht angehen, indem wir einfach mehr Geld in das System stecken; vielmehr müssen wir sehr genau hinschauen, an welchen Punkten Veränderungen notwendig sind. ({6}) Der Sachverständigenrat hat in seinem Gutachten deutlich gesagt, dass es bei den Asthmaerkrankungen überhaupt nicht darauf ankommt, mehr Geld oder teurere Medikamente zur Verfügung zu stellen, sondern auf Patientenschulungen. Das ist nicht Aufgabe der Politik, sondern klassische Aufgabe der Selbstverwaltung, die von ihr nicht angenommen wird. Das trifft auch auf die Problematik der Krebserkrankungen zu. Nicht umsonst sind beispielsweise die Heilungschancen bei einigen Krebsarten in den USA doppelt so hoch wie in Deutschland. Dieser Tatsache müssen wir uns stellen. ({7}) - Das hat eben nichts mit den Medikamenten zu tun, ({8}) sondern damit, dass es eine andere Art von Diagnose und Therapie in Krebszentren gibt. Wir sollten darüber nachdenken, wie wir sehr schnell solche Kompetenzbündelungen erreichen können. Es liegt nicht an der Zahl der Arztbesuche, es liegt nicht an den Medikamenten, sondern an der Kompetenzbündelung. Ich bin sehr dafür, dass wir solche Fragen wie die in Deutschland existierende Unterversorgung auf die Tagesordnung setzen, statt einfach mehr Geld für das bestehende System zu verlangen, wobei wir durchaus die vorhandenen Strukturen beibehalten sollten. Sie haben erneut die Budgetierung kritisiert. Sie kritisieren seit der Gesundheitsreform 2000, damit werde eine Ausgabenbegrenzung vorgenommen. Sie haben aber selbst - ich erspare Ihnen das auch heute nicht; Hans Eichel hat es heute Morgen schon einmal gesagt - die Flexibilität innerhalb der Budgetierung durch Ihre Blockade im Bundesrat verhindert. ({9}) - Natürlich haben Sie damit einen ernsthaften Schritt in Richtung auf weitere Möglichkeiten der Strukturveränderung verhindert. ({10}) An dieser Stelle gehe ich auf etwas ein, was mir wirklich Sorge bereitet. Über diese Frage müssen wir in der nächsten Zeit gemeinsam diskutieren, denn sie hat nichts mit parteipolitischen Auseinandersetzungen zu tun. Wie Sie wissen, kann ich das nicht aus eigener Erfahrung sagen, weil ich damals nicht im Bundestag war, aber ich meine, dass auch die Gesundheitspolitik von Horst Seehofer unter der durch die Selbstverwaltung nicht oder viel zu langsam erfolgenden Umsetzung der beschlossenen Gesetze litt. Ich halte es für unbedingt erforderlich, dies auf die Tagesordnung zu setzen - hierzu wird sich der Sachverständigenrat im nächsten Jahr äußern -, damit es uns gelingt, zu Veränderungen zu kommen, die dann auch wirksam werden, weil die Selbstverwaltung tatsächlich in die Pflicht genommen wird. Lassen Sie mich zum Schluss eine Anmerkung zu einem Papier machen, das Sie im Zusammenhang mit der Arbeitsmarktpolitik vorgelegt haben und in dem sich auch wenige Zeilen zum Thema Gesundheitspolitik finden. Daran kann man sehr gut erkennen, worin sich Ihre Gesundheitspolitik von der von Rot-Grün unterscheidet. ({11}) Sie haben darin von Transparenz, Wettbewerb und Wirtschaftlichkeit gesprochen. Das sind sehr wichtige Stichworte. Sie wissen, dass ich viele der damit verbundenen Gedanken teile. Sie haben aber nicht von der Bedeutung der Solidarität gesprochen. ({12}) Sie haben nicht davon gesprochen, was sinnvolle Eigenverantwortung und Selbstbestimmung bedeuten. ({13}) Dieses Aufgeben der Solidarität, die man aus diesem Papier erkennen kann, unterscheidet uns. Die FDP redet überhaupt nur von Wettbewerb. ({14}) Bei Ihnen kommt gar nichts anderes mehr vor; Ihnen geht es nur um Ökonomie. Sie können sich darauf verlassen, dass die Gesundheitspolitik von Rot-Grün mit einem vernünftigen Gleichgewicht von Effizienz und Wettbewerb auf der einen Seite und von Patientenorientierung und Solidarität auf der anderen Seite fortgesetzt wird und dass wir dafür - dessen bin ich mir ganz sicher, Herr Seehofer - auch die Zustimmung der Bürgerinnen und Bürger bekommen werden. ({15})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich erteile das Wort nunmehr dem Kollegen Dr. Dieter Thomae für die Fraktion der FDP.

Dr. Dieter Thomae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002320, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich freue mich, dass Horst Seehofer es schon vorweg gesagt hat: Diese Politik ist ein Chaos. Jeden Tag erfahren wir irgendetwas Neues, was diese Bundesregierung oder diese Koalition unbedingt durchsetzen will. ({0}) Der eine spricht davon, die Hausärzte zu stärken, der Andere fordert den Medikamentenpass, obligatorisch. Und jeder, der ein bisschen Ahnung hat, weiß, dass dies aus datenschutzrechtlichen Gründen einfach nicht machbar ist. ({1}) Ich würde mir wünschen, dass man einmal nachdenkt, bevor man solche Schlagwörter in die Debatte wirft und die deutsche Bevölkerung verunsichert. ({2}) Jetzt geht es ja weiter, Schlag auf Schlag. Nachdem man viele Leistungen und finanzielle Mittel dem gesetzlichen System im Krankenversicherungsbereich entzogen hat, muss man mit aller Macht verhindern, dass die Beitragssätze steigen. Jetzt geht es los, jetzt hat man wieder die Arzneimittel entdeckt und beginnt erneut, träumerische Ideen zu verbreiten. Man glaubt, man könne die Therapiefreiheit einfach so in andere Hände legen. Ich sage Ihnen, Frau Ministerin: Was Sie betreiben, ist organisierte Verantwortungslosigkeit in diesem Bereich. ({3}) Es ist so! - Es ist unverantwortlich, welches Spiel Sie jetzt mit Arzneimitteln betreiben. Wenn Sie sagen, Sie wollten auf der einen Seite „aut idem“ in diesen Bereich verlagern, Sie wollten die Rabatte reduzieren ({4}) - meine Damen und Herren, wir wollen die Rabatte spreizen -, dann wissen Sie, dass das für die allgemeine Versorgung in der Bundesrepublik gerade im Flächenbereich erhebliche Nachteile hat. Da gibt es überhaupt keine Diskussion. ({5}) Dann soll jetzt auch noch der Bundesausschuss entscheiden. Meine Damen und Herren, wir setzen Experten ins Arzneimittelinstitut, die über viele Jahre hinweg überprüfen, ob Arzneimittel keine Nebenwirkungen haben und keine Probleme bereiten. Und jetzt soll ein Bundesausschuss - man muss sich einmal die Zusammensetzung ansehen - auch noch entscheiden, welche Arzneimittel genutzt werden können. Es ist unglaublich, welchen Schwachsinn Sie in die Diskussion werfen. ({6}) Ich begreife Sie einfach nicht und verstehe nicht, wie verantwortliche Politiker aus Ihren Reihen, ({7}) die diese Probleme seit vielen Jahren kennen, so etwas mitmachen können. Es gibt ja noch weitere Probleme. Von der Ministerin wird davon gesprochen, die Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland im ambulanten Bereich und im stationären Bereich - sei ideal. Gehen Sie einmal in die neuen Bundesländer! Ich nenne Ihnen nur Brandenburg. Da gibt es Allgemeinpraxen, die seit über einem Jahr leer stehen und für die sich kein Nachfolger findet. Das Problem wird sein: Wir werden in einem Jahr oder in zwei Jahren nennenswerte Arztprobleme in dieser Republik haben. Dafür gibt es heute schon massive Kennzeichen in der Form, dass an den Kliniken zu wenig junge Ärzte sind. Was tun Sie? Nichts tun Sie! Sie zerstören ganz bewusst die freiheitlichen Strukturen in unserem System. ({8}) In Brandenburg können wir Ihnen Praxen zeigen, die nicht besetzt werden. Was machen Sie da? Nichts! Das ist für Sie selbstverständlich. Das liegt auch an dem Honorierungssystem, das Sie in den letzten Jahren etabliert haben. ({9}) Wir sind für DRGs, aber ich sage Ihnen auch: Ich mache mir Sorgen, wie im Laufe Ihrer Politik die DRGs verändert werden. Sie bekommen unsere Zustimmung nur dann, wenn Sie die DRGs so organisieren, dass daraus ein echtes Preissystem wird, dass die Budgetierung fällt. Sonst können wir das nicht machen. Ganz wichtig ist auch, dass die Hochschulmedizin bei den DRGs nicht vor die Hunde geht. Auch dies ist ein wichtiger Bereich, der beachtet werden muss. Hier habe ich noch viele Bedenken und Vorbehalte, aber ich denke, wir werden in den Beratungen noch weiter über dieses Thema sprechen. Lassen Sie mich bitte noch einen Punkt außer der Ärzteproblematik ansprechen, der mir sehr am Herzen liegt. Das ist die Pflegeproblematik. Wir haben heute schon Kliniken und Altenheime, die teilweise oder ganz geschlossen werden müssen, weil wir keine Pflegekräfte mehr haben. Frau Ministerin, ich denke, Sie haben auch die Aufgabe, mit den Verbänden und Organisationen eine Imagekampagne in diesem Bereich zu starten. Sonst werden wir dramatische Entwicklungen erleben. ({10}) Ich fordere Sie auf, endlich Ihre Funktion und Ihre Aufgaben in diesem Bereich wahrzunehmen. Ich bin pessimistisch, dass Sie unser Gesundheitssystem wirklich weiter organisieren können. Sie haben bisher voll versagt. ({11})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Nun spricht für die Fraktion der PDS die Kollegin Dr. Ruth Fuchs.

Dr. Ruth Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000615, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für uns ist es keine Überraschung, dass auch dieser Haushalt im Zeichen der Spar- und Konsolidierungspolitik steht. Massiv davon betroffen sind die gesetzliche Krankenversicherung und das Gesundheitswesen. Um die Neuverschuldung des Bundes abzubauen, bedient sich leider auch diese Regierung kräftig aus den Beitragseinnahmen der Krankenkassen. Und niemand hat den Mut, das zu korrigieren. Festgehalten werden muss auch, dass es - mit Ausnahme der Arzneimittelkosten - nicht die Ausgabenentwicklung ist, die für die aktuellen Finanzprobleme der GKV verantwortlich ist. Beim Arzneimittelbudget hat die Ministerin den Fehler gemacht, Restriktionen aufzuheben, ohne ein sinnvolleres Steuerinstrument zu etablieren. Jetzt bemüht sie sich um eine Begrenzung der Medikamentenkosten. Das halten wir für richtig, auch wenn man sich über die einzelnen Vorschläge durchaus streiten kann. Nur, Frau Ministerin, das allein wird den politischen Druck nicht abbauen, unter dem Sie wegen der drohenden Beitragserhöhungen stehen. So zeigen die jüngsten gesundheitspolitischen Auseinandersetzungen, dass die Privatisierer von Gesundheitskosten wieder auf breiter Front gegen die solidarische Krankenversicherung angetreten sind. Aus der Erfolglosigkeit der bisherigen Kostendämpfungsgesetze wird jetzt abgeleitet, dass das ganze System radikal umgebaut werden muss. Am lautesten kommt dieser Ruf aus dem Arbeitgeberlager, begleitet von der rechten Seite dieses Hauses. Dem Umbau soll vor allem eine Marktradikalität zugrunde liegen. Genau das halten wir für grundfalsch, weil damit die soziale Funktion des Gesundheitswesens völlig verloren geht. ({0}) Verlangt wird von den Rufern, dass es möglichst sofort zu einer neuen großen Gesundheitsreform kommt. Ein solches Vorhaben, soll es Sinn machen, muss natürlich tief in die Strukturen und Anreizsysteme des Gesundheitswesens eingreifen. Das aber bedarf selbstverständlich sorgfältiger Vorbereitung. Doch darum geht es anscheinend nicht. Ziel ist vielmehr, einen möglichst schnellen und deutlichen Schub bei der Privatisierung des Krankheitsrisikos zu erreichen. Das ist die nackte Wahrheit, die hinter den ständigen Rufen nach mehr Eigenverantwortung, nach Grund- und Wahlleistungen und mehr Wettbewerb im Gesundheitswesen stecken. Natürlich, der Wettbewerb um bestmögliche medizinische Qualität und höhere Effektivität im Gesundheitswesen ist sinnvoll. Allerdings wird gefordert, jeder Kasse das Recht zu geben, mit ausgewählten Krankenhäusern und Ärzten einzeln Verträge abzuschließen. Das heißt, einen ökonomischen Wettbewerb auch auf die Leistungserbringer auszudehnen. Wer Einkaufsmodelle favorisiert, sollte aber offen sagen, was er damit bezweckt und was die Folgen sind. Erstens. Der für die Versicherten prinzipiell mögliche Zugang zu allen Versorgungseinrichtungen würde aufgegeben. Zweitens. Die Krankenhäuser und Ärzte würden in einen Preisunterbietungswettbewerb gezwungen, der zu wachsenden Abstrichen in der medizinischen Qualität führen muss. Drittens. Die Kassen werden früher oder später bestrebt sein, Einfluss auf die unmittelbare Behandlung ihrer Versicherten zu nehmen. Regel- und Wahlleistungen - meine Damen und Herren von der rechten Seite, da können Sie reden, was Sie wollen - bedeuten die Abkehr vom Prinzip einer sozialen Krankenversicherung, das jedem Mitglied im Bedarfsfall alle notwendigen Leistungen zur Verfügung stellt. Die offene Zweiklassenmedizin lässt grüßen. Um das zu verhindern, halten wir es für umso wichtiger, dass die Sozialdemokraten in all diesen Fragen wieder mit einer Zunge sprechen. ({1}) Nicht einzelne Politikerinnen und Politiker - wie Sie heute wieder, Frau Minister, was uns freut -, sondern Ihre Partei selber muss den Menschen, und zwar noch vor den Bundeswahlen, sagen: Dieser Weg, den ich eben vorgezeichnet habe, wird es mit der SPD nicht geben. ({2}) Nun zur neuen Krankenhausvergütung: Sie, Frau Minister, sagen, das sei eine gute Sache. Ich wünsche mir das von Herzen, nur leider scheint das nicht so zu werden. Ich will Ihnen auch sagen, warum. Wer Fallpauschalen einführt und damit zu einer prospektiven Finanzierungsform übergeht, verlagert das finanzielle Risiko von der Versicherung allein auf die Leistungserbringer. Das hat nach allen internationalen Erfahrungen auch gravierende Folgen für das medizinische Handeln der Ärzte und Schwestern. Außerhalb der Krankenhäuser entsteht neuer Behandlungs- und Pflegebedarf. Das alles bleibt in der Diskussion bisher weitgehend unberücksichtigt. In den Beratungen zum Gesetzentwurf werden wir uns deshalb dafür einsetzen, dass die Versorgungsqualität für Patienten und Pflegebedürftige sowie angemessene Arbeits- und Tarifbedingungen in den Krankenhäusern nicht unter die Räder kommen. ({3}) Der heute auch vorgelegte Gesetzentwurf zur Leistungsverbesserung für bestimmte Pflegebedürftige geht ohne Frage in die richtige Richtung. Aber auch er bleibt sowohl im Leistungsumfang als auch in der konkreten Ausgestaltung Stückwerk. Auch hier werden wir die Einzelheiten in den Ausschüssen beraten. Ich hoffe, dass wir aus dem Stückwerk für die zu Pflegenden ein gutes Gesetz machen können. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({4})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich gebe das Wort dem Kollegen Dr. Martin Pfaff für die Fraktion der SPD.

Prof. Dr. Martin Pfaff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001701, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jeder, aber auch jeder seriöse Gesundheitspolitiker und vor allem die Fachleute wissen: Wenn Ausgabendruck besteht, gibt es letztlich nur vier Wege, um ihm zu begegnen. Man kann erstens die Beitragssätze steigen lassen. Das wollen wir aber weder den Erwerbstätigen noch den Arbeitgebern zumuten. ({0}) Die zweite Möglichkeit wäre, die Zuzahlungen steigen zu lassen. Das ist die Faust aufs Auge. Wir haben sie am Anfang der Wahlperiode gesenkt; das kann keine Lösung sein. Die dritte Möglichkeit ist die Leistungsausgrenzung. Darüber hinaus könnte man noch ein wenig Camouflage betreiben und die Bürgerinnen und Bürger zu täuschen versuchen, indem man von Wahl- und von Regelleistungen spricht. Aber auch das ist im Endeffekt eine Auslagerung von Leistungen. Nur diejenigen können diese Wahlleistungen bezahlen, die mehr DM oder Euro in der Tasche haben. Und es gibt viertens den Weg der Einsparungen. Herr Seehofer, Sie haben mit Stolz auf die Beitragssätze am Ende der letzten Legislaturperiode hingewiesen. Auch Ihre Kollegen haben öfter auf den Überschuss des Jahres 1998 aufmerksam gemacht. Ich sage Ihnen: Wer Ausgaben durch Zuzahlungen und Leistungsausgrenzungen auf die Alten und Kranken verlagert, wer den Weg der Privatisierung geht, der bekommt wie Sie 1998 zu Recht die politische Quittung für einen solchen Weg. ({1}) Sie haben selbst zugestanden, dass dies ein Grund war, weshalb Sie die Wahl verloren haben. Das war ein viel deutlicheres Zeichen des Missbehagens der Bevölkerung über die Gesundheitspolitik als die Umfrage, die Sie heute zitiert haben. ({2}) Sie haben der Gesundheitsministerin Schmidt beispielsweise vorgeworfen, dass sie jetzt eine Preisabsenkung um 5 Prozent vorsieht. ({3}) - So habe ich Sie zumindest verstanden. Dann ist es eben in Ihrer Gruppe gefallen. Ich frage Sie, Herr Seehofer, haben Sie in Ihrer Amtszeit eine Absenkung um 5 Prozent durchgesetzt, ja oder nein? ({4}) - Dann ist es ja gut. Dann sind Sie in dieser Geschichte auf unserer Seite. Das möchte ich festhalten. Ich hoffe, dass Sie es auch in Zukunft nicht sagen können. Das, was Sie, Herr Seehofer, zur Therapiefreiheit gesagt haben, hat mich enttäuscht. Ich hätte von Ihnen schon ein höheres Niveau erwartet. ({5}) Wir wissen, dass das, was der Arzt verschreibt, gemäß medizinischer Indikation und nach sonst gar nichts zu erfolgen hat. Ich frage Sie: Wo ist die Therapiefreiheit eingeschränkt, wenn ein Arzt ein Arzneimittel einer bestimmten generischen Art verschreibt, weil es angebracht ist, und der Apotheker - es werden übrigens heute schon bei 25 Prozent der Rezepte Kreuzchen gemacht -, anhand dieser Verschreibung ein günstigeres Arzneimittel wählt? Das kann ich wirklich nicht erkennen. Ich kann das beim besten Willen nicht erkennen. ({6}) Wenn Sie die Argumente wiederholen, ist das eine bewusste Täuschung der deutschen Öffentlichkeit. Ich komme jetzt auf den Kassenrabatt zu sprechen, da muss ich Dieter Thomae erwähnen, der sagte: Sie zerstören die freiheitlichen Strukturen in unserem System. Ich frage: Sind Monopol- oder Oligopolpreise, sind oligopolistische Strukturen wie im Pharma- und Apothekerbereich, die durch gesetzgeberisches Handeln bestimmt werden, Ausdruck der Freiheit in unserem System? ({7}) Ich meine nicht. In keinem anderen Bereich unserer Volkswirtschaft würden Sie solche Preisstrukturen dulden - die wenigen Ausnahmen wie die Landwirte und Ähnliche will ich nicht angehen -, Sie würden vielmehr die Einsparungen fordern, die diese Bundesregierung vornimmt. Sie hat nämlich festgestellt, dass Einsparungen möglich sind; und wenn es Einsparungsmöglichkeiten gibt, dann müssen sie auch genutzt werden. Sie haben der Ministerin gesagt - das hat mich besonders überrascht -, Sie seien die ganze Zeit sehr nachsichtig gewesen. Herr Seehofer, wir waren am Anfang Ihrer Amtszeit mit Ihnen nicht nur nachsichtig, sondern haben Sie auch tatkräftig unterstützt. Das müssen Sie zugestehen. Das sage ich nicht nur, um Punkte bei Ihnen zu sammeln. Wir haben Ihre Konzepte - ich nenne nur die Lahnstein-Reform - nach bestem Wissen verbessert. Wir haben die Entscheidungen zusammen getroffen. Jetzt der Ministerin zu sagen, man sei angesichts dessen, was sie getan hat, noch nachsichtig mit ihr gewesen, finde ich nicht richtig. Wenn ich die Haltung Ihrer Partei in der Frage des Risikostrukturausgleichs sehe, dann frage ich: Wo bleibt Ihre Glaubwürdigkeit, wenn Sie behaupten, dass Sie an den Fehlentwicklungen, die wir gemeinsam zu verantworten haben - 90 Prozent der Abgeordneten dieses Parlaments haben das von Ihnen jetzt kritisierte Gesetz verabschiedet; wir haben es also gemeinsam beschlossen -, keine Schuld hätten? Mit welchem moralischen Anspruch können Sie der Bundesministerin jetzt solche Vorhaltungen machen? ({8}) Sie haben wieder auf das Budget hingewiesen. Das scheint für Sie die Zauberformel zu sein, mit der man alle Argumente der anderen Seite entkräften kann. Ich frage Sie: Steht in Norbert Blüms Gesundheitsreformgesetz etwas von Beitragssatzstabilität? Wird mit dem Gesundheitsstrukturgesetz Beitragsstabilität angestrebt, ja oder nein? Die Antwort auf beide Fragen lautet: Ja! Wie soll Beitragssatzstabilität gewährleistet werden? Sie kann nur gewährleistet werden, wenn die Ausgaben im Gesundheitswesen nicht stärker steigen als die Löhne, auf deren Grundlage die Beiträge zur Krankenkasse bemessen werden. Das Gebot der Beitragssatzstabilität führt zu nichts anderem als zur Begrenzung der Ausgaben entsprechend der Höhe der Einnahmen. Das haben Sie damals, als Sie an der Regierung waren, auch so dargestellt. Jetzt sind Sie in der Opposition und nun scheint das alles nicht mehr zu gelten. ({9}) Ich sage dazu: Wer im Glashaus sitzt, der sollte wahrlich nicht mit Steinen werfen. ({10}) Noch ein anderer Punkt: Wenn Sie Einsparungen nicht realisieren, wie wir das tun wollen, und die Beiträge angeblich auch nicht steigen lassen wollen - das wollen wir alle nicht -, dann sollten Sie, lieber Herr Seehofer, den Frauen und Männern in diesem Land sagen: Wir von der CDU/CSU und FDP wollen, dass eure Zuzahlungen und eure Beiträge steigen, und zwar wegen Kapazitäten, die über den Bedarf hinausgehen. Aber dazu fehlt Ihnen sicherlich der politische Mut; denn Sie wissen, dass Sie dann im nächsten Jahr die gleiche Quittung wie 1998 bekommen werden. Wir wissen, dass Beitragssatzdruck im System besteht. Wir wissen, dass dies die Konsequenz aus mehreren Faktoren bzw. Verschiebebahnhöfen ist, die Sie und auch wir - das sage ich ganz offen - zu verantworten haben. Sie haben nach Schätzung der Krankenkassen ein Defizit von 66 Milliarden DM - das entspricht, hochgerechnet auf dieses Jahr, in etwa einem halben Beitragssatzpunkt - zu verantworten. Auch die jetzige Bundesregierung musste - das kann doch wirklich keinen Gesundheitspolitiker beglücken - Sparmaßnahmen im Gesundheitswesen ergreifen; denn Sie haben uns - das haben Sie vorhin nicht erwähnt - einen hohen Beitragssatz und einen Schuldenberg im fiskalischen Haushalt in Höhe von 1,5 Billionen DM hinterlassen. Glaubt denn irgendeine oder irgendeiner in diesem Hohen Hause, dass zum Beispiel die Reform der Rente und anderes geschehen wäre, wenn wir keine Sparmaßnahmen zur Haushaltskonsolidierung hätten ergreifen müssen? Das kann doch niemand ernsthaft glauben. Das ändert natürlich nichts daran, dass es sich um Verschiebebahnhöfe gehandelt hat. Aber sie müssen auch im Lichte ihrer Hinterlassenschaft gesehen werden. Daran muss man gar nicht lange herumdeuteln. Sie haben aber jetzt eine Chance, der staunenden Öffentlichkeit zu zeigen, wie konstruktiv Sie in der Opposition sein können, indem Sie nichts anderes tun als das, was wir während Ihrer Amtszeit, lieber Herr Seehofer, getan haben: Wir haben Sie bei Ihrem Gesetz, mit dem Sie die Finanzen der GKV-Ost stärken wollten, unterstützt. Wir haben Sie unterstützt, als die CSU in Bayern und die CDU in Baden-Württemberg Sie im Regen hat stehen lassen. Obwohl wir in der Opposition und die Fronten damals verhärtet waren, haben wir gesagt: Es ist gut und richtig, dass wir etwas für die Menschen in den neuen Ländern tun; wir werden Herrn Seehofer trotz allem unterstützen! Wir haben es auch getan. Wo bleibt Ihr Beispiel heute, wenn es um die RSA-Reformen geht? ({11}) Das ist doch nichts, was wir erfunden haben. Wir haben das gemeinsam zu verantworten. Wo bleibt Ihr Verantwortungsgefühl in diesem Bereich? Ihr Versuch, irgendetwas gegen die Regierungskoalition zu finden, ist legitim. Es ist irgendwie nachzuvollziehen, dass Sie immer wieder auf die Ladenhüter zurückkommen, wenn Ihnen gute Argumente fehlen. Ich will daher gnädig sein und nicht zu hart mit Ihnen ins Gericht gehen. Aber glauben Sie doch nicht, dass irgendjemand in deutschen Landen annehmen wird, dass die Folgen für die Beitragssatzentwicklung, die wir jetzt spüren, systembedingt, also eine zwingende Konsequenz aus Fehlelementen unseres Systems, sind. Diese Entwicklung ist die Folge einer fehlerhaften Politik. Teilweise haben wir sie von Ihnen als Erblast übernommen, teilweise haben wir diese fehlerhafte Politik fortgesetzt. ({12}) Wir werden uns nicht beirren lassen. Wir bleiben bei den Grundprinzipien einer sozialen Krankenversicherung. Auch in Zukunft wird jeder Mann, jede Frau und jedes Kind Leistungen nach dem Bedarf - nur danach, nicht nach dem Umfang der Geldbörse - erhalten. ({13}) Auch in Zukunft wird es so sein, dass diejenigen mit breiteren Schultern eine schwerere Last zu tragen haben. ({14})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die CDU/CSU-Fraktion spricht der Kollege Dr. Hans Georg Faust.

Dr. Hans Georg Faust (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003114, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor zwei Jahren hat Frau Ministerin Fischer mit dem Gesetz zur Reform der gesetzlichen Krankenversicherung - das Wort Reform streiche ich - versucht, die in der Bundesrepublik gewachsene Krankenhauslandschaft gewissermaßen einzudampfen. Vieles ist damals - Sie erinnern sich: monistische Krankenhausfinanzierung, Krankenhausplanung in Krankenkassenhand - im Bundesrat gescheitert. Übrig geblieben ist die Einführung eines neuen Entgeltsystems für die stationären Leistungen der Krankenhäuser ab dem 1. Januar 2003. Allen Kennern der Materie ist die Brisanz dieser Grundsatzentscheidung bewusst. Zunehmend wird auch den Beteiligten klar, dass die Einführung der DRGs in Deutschland einer Revolution im Krankenhaussektor gleichkommt, von der alle im und um das Krankenhaus betroffen sein werden. Die Geschichte kennt blutige und auch friedliche Revolutionen. Die Steuerung ist immer schwierig und das Ende immer ungewiss. Was die komplette Umstellung des Entgeltsystems angeht, wissen wir zwar im Jahr 2003, spätestens 2004, welche Krankenhäuser in dem dann vielleicht fertigen System gute, schlechte oder gar keine Überlebenschancen haben; die harten Folgen werden aber gleich danach, in den folgenden Konvergenzjahren, einsetzen. Sie, Frau Ministerin Schmidt, transplantieren jetzt ein wettbewerbsorientiertes, scharfes Preissystem in ein von Budgets und sektoralen Abgrenzungen geprägtes, in den letzten Jahren zunehmend reguliertes und von Ankündigungen gestütztes Gesundheitssystem. Diese Operation - das garantiere ich - werden viele kleine Krankenhäuser in der Fläche dann mit Sicherheit nicht überleben, wenn die Einführung der Fallpauschalen nicht in einen Gesamtreformansatz eingebunden ist. ({0}) - Ich bin immer ein netter Mensch, auch jetzt. Drei wesentliche Rahmenbedingungen stimmen nicht, Frau Ministerin: Erstens. Der Zeitplan ist vollkommen durcheinander geraten. Die aus Prestigegründen beibehaltene, mittlerweile nur teilweise vollzogene Einführung eines australischen Systems schon 2003 führt zu überflüssigen Bindungen von Kapazitäten in vielen Bereichen, insbesondere - das wissen Sie genau - im Softwarebereich. Ein Jahr budgetneutrale Anpassung für alle Häuser im Jahr 2004 und auch die Konvergenzphase sind zu kurz. Von einer Konvergenzphase für die Krankenkassen, die sich bei unterschiedlichen Ausgangsbedingungen ebenfalls anpassen müssen, und von dem dann auftretenden Mischmasch zwischen Konvergenzphase der Krankenhäuser und Konvergenzphase der Krankenkassen spricht überhaupt niemand. Zweitens. Die Einbettung in das Gesamtsystem ist nicht vorbereitet. Ein erklärtes Ziel der Fallpauschalen ist, die Verweildauer in den Krankenhäusern zu verkürzen. Wenn das geschieht, dann verdichten sich die Krankenhausleistungen und der Anreiz ist groß, durch Abbau von Kosten - das ist ja teilweise gewünscht - Qualität zu sparen. Die Patienten werden durch ein neues Entgeltsystem nicht gesünder. Wer schon eine personalbelastende Leistungsverdichtung in Kauf nimmt, muss wenigstens erklären, wie die vor- und nachgeschalteten Bereiche, der Reha-Sektor und insbesondere die niedergelassene Ärzteschaft, die dann nicht mehr im Krankenhaus erbrachten Leistungen abdecken sollen. Der Hinweis auf das Budgetablösungsgesetz hilft da wenig; denn Richtgrößen mit Regressdrohungen wird es auch in Zukunft geben. Das prophezeie ich Ihnen. Drittens. Die Krankenhausplanung stimmt mit der neuen Krankenhauslandschaft nicht überein. Wie Sie, Frau Ministerin, die sich dann an Entgelten orientierende Krankenhausentwicklung mit der von den Ländern zu verantwortenden Kapazitätsplanung abgleichen wollen, bleibt mir ein Rätsel. Ökonomische Wirklichkeit und Sicherstellungsvorstellungen der Länder werden weit auseinander klaffen. Auch der von Ihnen zugesagte Kitt der Zuschlagsvereinbarung wird diese Spalten nicht füllen können. Alles in allem: eine evolutionäre Weiterentwicklung des Fallpauschalensystems - ja. Das kann auch mit dem Ziel einer weitgehenden Abdeckung von Diagnosen und Prozeduren geschehen, aber bitte in einem angemessenen Zeitrahmen, unter Berücksichtigung des gesetzlichen Auftrags der Länder und vor allem, Frau Ministerin, eingebettet in eine Gesamtreform des Gesundheitswesens. Dann haben Sie uns auf Ihrer Seite. Klinische Experimente, die die Krankenhauslandschaft weitgehend unkontrolliert zerschlagen und die wohnortnahe Versorgung gefährden, sind mit uns nicht zu machen. ({1})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich erteile nunmehr dem Kollegen Horst Schmidbauer für die Fraktion der SPD das Wort.

Horst Schmidbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001996, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon auffallend: Wenn in Deutschland über DRGs geredet wird, will niemand mehr zurück. Es ist auffallend, dass niemand mehr eine Bezahlung nach belegten Betten haben will. Die Menschen wollen, dass auch in Deutschland nach Leistung bezahlt wird. Es ist auffallend: Wenn über DRGs diskutiert wird, werden keine wirklichen Alternativen zu dem aufgezeigt, was wir jetzt einleiten werden. Es ist aber auch klar - das dürfen wir dabei nicht verkennen -, dass mit der Einführung der DRGs ganz entscheidende Weichenstellungen stattfinden. Die Ministerin hat heute deutlich gesagt: Was den Krankenhaussektor angeht, steht die umfassendste Reform im Gesundheitswesen vor uns. Es geht daher bei vielen Betroffenen eine Art Angst um. Wenn wir aber unsere Werte von einer ganzheitlichen Krankenbehandlung sichern und befördern, überwinden wir die Ängste auch bei denjenigen, die vor den Entscheidungen stehen. ({0}) Unser Gesetz zur Einführung des diagnoseorientierten Fallpauschalensystems für Krankenhäuser steht erstens für eine umfassende Patientenorientierung, zweitens für eine umfassende Mitarbeiterorientierung, drittens für eine umfassende Qualitätssicherung und viertens für eine umfassende Effizienzverbesserung. ({1}) Erstens. Für umfassende Patientenorientierung steht: Der Patient rückt jetzt in den Mittelpunkt. Die Struktur und die Betriebsabläufe orientieren sich absolut an den Bedürfnissen der Patienten; denn Krankenhäuser arbeiten in Zukunft nur dann wirtschaftlich, wenn sie die Betriebsabläufe patientenorientiert einführen. Dann ist der Patient gleichzeitig der Gewinner. Zweitens. Für umfassende Mitarbeiterorientierung steht: Der gerechte Preis für die Leistung rückt in den Mittelpunkt. Die Leistung der Mitarbeiter wird transparent. Diese Transparenz schafft mehr Gerechtigkeit bei der Verteilung von Ressourcen in Krankenhäusern. Schauen wir einmal nach Hamburg und woandershin: Selbst Verantwortungsträger, die diesem Vorgehen kritisch gegenüber standen, sind davon überzeugt, dass mit DRGs mehr Gerechtigkeit innerhalb der Krankenhäuser eingeführt wird. ({2}) Damit aber das Geld der Leistung folgen kann, müssen wir eine gerechte Vergütungsform schaffen. Das neue Entgeltsystem gleicht die individuelle Leistung am Patienten ab. Es differenziert nach Diagnosen, nach Schweregrad, nach Alter und Begleiterkrankung und sorgt für eine gerechte Bezahlung. Auch die individuelle Belastung der Beschäftigten durch den Versorgungsauftrag eines Krankenhauses wird durch Zu- und Abschläge gerecht ausgeglichen. Krankenhäuser, die ausbilden, werden nicht mehr bestraft. Durch einen von allen Krankenhäusern gespeisten Ausgleichsfonds werden diejenigen Krankenhäuser Geld erhalten, die zukünftig ausbilden. Drittens. Für umfassende Qualitätssicherung steht: Die Qualität der Versorgung des Patienten rückt in den Mittelpunkt. Zur Sicherstellung der Versorgungsqualität wird der Medizinische Dienst der Krankenkassen erweiterte Rechte bekommen. Damit wird gewährleistet, dass Patienten nicht vorzeitig entlassen werden, dass im Krankenhaus kein Drehtüreffekt entsteht und dass nicht falsch abgerechnet wird. Dazu schaffen wir eine „Qualitätssicherung mit Biss“. Denn nur mit finanziellen Sanktionen kann man eine Wirkung erreichen. Wenn ein Krankenhaus vorsätzlich zu hohe Rechnungen gestellt hat, ist anstelle des Differenzbetrages der doppelte Differenzbetrag zurückzuzahlen. Viertens. Für umfassende Effizienz steht: Die Wirtschaftlichkeit rückt in den Mittelpunkt. Das Gesetz zwingt Krankenhäuser zu einer besseren Prozess- und Patientenorientierung. Unnötig lange Liegezeiten werden vermieden. Es wird nicht mehr so sein, dass am Freitag die Einweisung in ein Krankenhaus erfolgt und am Montag die Behandlung beginnt. Diese Dinge werden der Vergangenheit angehören. ({3}) Die Krankenhäuser, die schon heute gut arbeiten, werden gewinnen. Die Krankenhäuser, die eher schlampig geführt sind, werden sich wandeln müssen. Mit einer verbesserten Effizienz - darauf sind wir dringend angewiesen - werden wir in Deutschland vom letzten Platz, was Verweildauer und Bettenzahl angeht, zumindest wieder auf einen mittleren Platz innerhalb der OECD-Staaten vorrücken. Was wir mit Patienten- und Mitarbeiterorientierung, mit Qualitätssicherung und Effizienz erreichen wollen, ist deutlich geworden. Wir haben uns auf dem Weg dahin für ein lernendes System entschieden. ({4}) Die eine Seite des lernenden Systems ist: Die Krankenhäuser lernen, mit dem neuen Vergütungssystem umzugehen. Keinem Krankenhaus wird die Neuregelung übergestülpt. Der Wandel geht vielmehr Schritt für Schritt vor sich. ({5}) Die Umstellung erfolgt in drei Phasen. Voll eingeführt und voll angewendet wird das neue Vergütungssystem ab dem 1. Januar 2007. Ich weiß nicht, wie bei einer Einführungszeit von fünf Jahren ein Zeitplan durcheinander geraten kann. Wir werden vielfach gefragt: ({6}) Seid ihr verrückt? Warum braucht ihr denn fünf Jahre, um ein Vergütungssystem einzuführen? Das muss doch auch in kürzerer Zeit erreicht werden können. ({7}) - Gehen wir einmal zusammen in Ihre Heimat, Herr Thomae. Dann können wir das feststellen. Ich werde Ihnen im Anschluss gerne sagen, welche Krankenhäuser diese Frage gestellt haben. Viele wollen dieses neue Vergütungssystem nämlich lieber morgen als übermorgen. ({8}) Die zweite Seite des lernenden Systems ist: Auch die Politik lernt mit dem neuen System. Die daraus gewonnenen Erfahrungen finden vor 2007 Eingang in ein Folgegesetz. Lassen Sie mich beim Leitbild des lernenden Systems bleiben, wenn ich zur Pflege und zu unserem Pflegeleistungs-Ergänzungsgesetz überleite. Gelernt haben wir, dass die Pflege um die Betreuung für demenzkranke Menschen ergänzt werden muss. Gelernt haben wir, dass es für die Dementen nicht die Lösung gibt. Gelernt haben wir, dass wir eine Palette von Angeboten, ein Angebot unterschiedlicher Bausteine, brauchen. ({9}) Wir brauchen Bausteine, die sich kombinieren lassen, sodass sie der individuellen Situation der Erkrankten und ihrer Angehörigen gerecht werden. Bekanntlich durchläuft die Demenz drei Phasen. Jede Phase führt sowohl bei den Betroffenen als auch bei den Angehörigen zu anderen Bedürfnissen, zu anderen Erfordernissen. Anneliese Heyde, die in Baden-Württemberg eine Betreuungsgruppe für Demente leitet, hat es so formuliert: Mein Mann war zehn Jahre demenzkrank. Ich habe ihn in den ersten Jahren durch die Krankheit begleitet. Die folgenden Jahre waren von Versorgung bestimmt. - Das ist also die zweite Phase: Es ging darum, da zu sein. Die letzten drei Jahre waren von Pflege rund um die Uhr geprägt. Das sind diese drei Phasen. Vor allem für die ersten zwei Phasen schaffen wir niedrigschwellige Angebote, die die betroffenen Familien entlasten. Somit ist es der Bezugsperson für die Dauer von zwei oder drei Stunden möglich, einen Arzttermin wahrzunehmen, zum Friseur zu gehen oder auch, wenn es notwendig ist, den Nachtschlaf nachzuholen, den sie nicht hatte. ({10}) Oft erleichtern gerade diese niedrigschwelligen Angebote den pflegenden Angehörigen den für sie schweren Schritt, erstmals Hilfe von außen in Anspruch zu nehmen. Horst Schmidbauer ({11}) Aber mit Betreuungsgruppen wird auch den Pflegebedürftigen nachhaltig geholfen. Den Pflegebedürftigen wird in der Entlastungsphase der Angehörigen eine Betreuung geboten, die ihnen helfen soll, vorhandene Fähigkeiten zu erhalten oder verloren gegangene Fähigkeiten wieder zu gewinnen. Damit wird für Demenzkranke und pflegende Angehörige ein Netz von abgestuften, bedürfnisorientierten, gemeindenahen Hilfen und Versorgungsangeboten geschaffen. Dazu braucht man Menschen, die in die Familie gehen. Wir müssen also viel mehr Menschen finden, die dazu bereit sind. Aber auch die Angehörigen verdienen unser Augenmerk, denn die Angehörigen brauchen Beratung und Unterstützung. Sie müssen wissen, was auf sie zukommt. Sie müssen lernen, dass sie mit der Aggression der Kranken nicht persönlich gemeint sind; sie lernen damit umzugehen. Deshalb sind im Netz auch Angehörigengruppen und Selbsthilfegruppen mehr als gefragt. Aber auch wir wollen mit allen Beteiligten gemeinsam lernen. Wir wollen lernen, wie die Zukunft am besten gestaltet werden kann. Dazu werden fünf Jahre lang 20 Millionen Euro Jahr für Jahr für Modellvorhaben zur Verfügung gestellt. ({12}) Also, auch die Pflege braucht Pflege. Pflege braucht neue Versorgungsformen. Pflege muss an die gesellschaftliche Entwicklung angepasst werden. Pflege muss auf die individuellen Bedürfnisse des Pflegebedürftigen und seiner Angehörigen ausgerichtet sein. Pflege muss das Selbstbestimmungsrecht respektieren und stärken. Sie sehen, wir sind auf dem richtigen Weg. ({13})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Zu einer Kurzintervention gebe ich dem Kollegen Ulf Fink das Wort.

Ulf Fink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Kollege Schmidbauer hat dargetan, was die Regierungskoalition Großartiges für die Pflegebedürftigen tun will. Ich muss nur darauf hinweisen, dass im Gesetzentwurf der Regierungskoalition und der Bundesregierung null Verbesserungen - ich wiederhole: null Verbesserungen - für die Dementen in den Heimen vorgesehen ist. ({0}) Aber gerade dort besteht der allergrößte Bedarf. Fast die Hälfte der Menschen, die in den Heimen leben, sind dement. Sie wollen den Leuten zwar ein neues Kontrollgesetz aufbürden, dadurch werden die Pflegekräfte zusätzlich mit Bürokratie belastet. Aber eine Hilfestellung geben Sie ihnen nicht. Sie haben gesagt, jetzt könnten sich wenigstens diejenigen, die zu Hause sind, die Verwandten, einmal zwei bis drei Stunden am Tag eine Hilfe besorgen. Ich kann Ihnen nur sagen, was das, was Sie vorschlagen, bedeutet. Das bedeutet für ambulant Demente 2,50 DM pro Tag. Versuchen Sie einmal, für 2,50 DM am Tag irgendjemanden zu finden, der Sie für zwei oder drei Stunden entlastet. Ich habe das bisher noch nicht gesehen. ({1}) Sie haben schon ein sehr merkwürdiges Verständnis von Solidarität und Gerechtigkeit. Sie sagen, Sie hätten kein Geld, um die notwendigen Verbesserungen für die Pflegebedürftigen, für die Dementen einzuleiten. Aber Sie hatten das Geld. Nun haben Sie den Krankenkassen 1 Milliarde DM aufgebürdet, weil Sie der Meinung waren, dass die Selbstbeteiligung nicht 9, 11 und 13 DM, sondern nur 8, 9 und 10 DM betragen soll. Dafür hatten Sie 1 Milliarde DM, obwohl es Härtefallklauseln, Überforderungsklauseln usw. gibt. Aber hier lassen Sie die Menschen allein, ohne jede Härtefallklausel, ohne jede Überforderungsklausel. Was ist denn das für ein Verständnis von Gerechtigkeit? ({2})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Herr Kollege Schmidbauer, möchten Sie antworten?

Horst Schmidbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001996, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich möchte den Kollegen nur fragen: Was haben Sie, während Sie Regierungsverantwortung trugen, aus den neuen Erkenntnissen, die Ihnen heute Abend so plötzlich gekommen sind, an Konsequenzen gezogen? - Fehlanzeige! Null! ({0}) Sie haben wissentlich diese Aspekte außen vor gelassen. Ich meine, unser entscheidender Vorteil ist, dass wir lernfähig sind. Wir haben gelernt, dass es für das Problem der Dementen nicht die Lösung gibt, die teilweise am Anfang der Diskussion stand, sondern wir haben von den Angehörigen, den Selbsthilfegruppen, den großen Organisationen gelernt, dass wir dazu eine bestimmte Angebotspalette brauchen. Diese Angebotspalette gilt es jetzt zu entwickeln. Es ist ein genialer und richtig angelegter Zug der Ministerin gewesen, ({1}) dass sie dies mit einem 20-Millionen-Euro-Modellprogramm begleitet hat, um die Entwicklung voranzutreiben und sie wissenschaftlich zu unterstützen, damit wir in Deutschland die notwendige Erfahrung bekommen, um entscheiden zu können, welchen Weg wir in den nächsten Jahren und Jahrzehnten zielorientiert gehen müssen, um diese schwierige Aufgabe zu erfüllen. Ich persönlich habe mich am meisten darüber gefreut, dass unsere Idee, niederschwellige Angebote zu unterbreiten und entsprechende Bausteine einzuführen, mit denen der Bedarf von den betreuenden Familienangehörigen abgerufen werden kann, gerade bei den Selbsthilfegruppen auf unheimlich hohe Akzeptanz gestoßen ist. ({2}): Das kam doch gar nicht von Ihnen! Das war doch gar nicht eure Idee!) Horst Schmidbauer ({3}) Die Menschen sind uns dankbar. Wir lassen es nicht zu, dass Sie dies mies machen. Wir werden in der nächsten Stufe auch über die Dinge in den Heimen sprechen müssen. Dazu haben wir die ersten Maßnahmen eingeleitet, auf Qualitätssicherungsaspekte hingewiesen und entsprechende Rahmenbedingungen geschaffen. ({4}): Aber kein Geld!) Auch die Heime können - ich denke, das ist möglich - jetzt auf diese Herausforderungen entsprechend reagieren. Der Einstieg ist richtig. Die 500 Millionen Euro zusätzlich zu dem Modellvorhaben sind ein angemessener Rahmen. Das zeigt, dass wir es ernst meinen. Ich denke, die Menschen draußen werden es honorieren, auch wenn Ihnen dazu die Größe fehlt. ({5})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 14/6891, 14/6893 und 14/6949 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Der Gesetzentwurf auf Drucksache 14/6893 soll zusätzlich an den Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung und an den Verteidigungsausschuss überwiesen werden. Der Gesetzentwurf auf Drucksache 14/6949 soll zusätzlich an den Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie an den Haushaltsausschuss überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Einzelplan 17, auf. Mit Blick auf die angesetzten Fraktionssitzungen bitte ich darum, auf die Einhaltung der Redezeiten besonders achten. Ich gebe das Wort der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Dr. Christine Bergmann.

Christine Bergmann (Minister:in)

Politiker ID: 11005290

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Lassen Sie mich, bevor ich zu der eigentlichen Haushaltsdebatte komme, noch ein paar Worte sagen. Die unfassbaren Anschläge in New York und Washington haben - so denke ich - bei uns allen Spuren hinterlassen. Insbesondere für Kinder und Jugendliche ist es schwer, diese Eindrücke zu verarbeiten und mit diesen Bildern fertig zu werden. Die vielen Aktionen der Solidarität an den Schulen, in der Jugendarbeit und in den Kitas und die vielen Gespräche, die Eltern und Erziehungsverantwortliche mit den Kindern führen, um die Angst zu überwinden, sind auch ein positives Zeichen für das menschliche Klima in unserem Land. Ich möchte noch einmal besonders darauf hinweisen, wie viele Initiativen von Kindern und Jugendlichen ausgegangen sind. Sie haben Wandzeitungen erstellt und Trauerveranstaltungen organisiert. Ich sage das, weil wir über diese Generation häufig nicht nur freundlich reden. Wir müssen auch einmal wahrnehmen, dass Kinder und Jugendliche in dieser Situation Anteil genommen und versucht haben, Hilfe zu leisten. Das gilt auch für die vielen Initiativen und Vereine, die zum Teil auch von uns unterstützt werden. Sie haben vermehrt Angebote für Eltern sowie Erzieherinnen und Erzieher bereitgestellt, um ihnen bei Telefonberatungen und wo auch immer zu helfen. Wir werden das weiter unterstützen und in den nächsten Tagen eine Internetseite - aufbauend auf unsere Akiju-Plattform - bereitstellen, um Möglichkeiten für Eltern und Jugendliche zu bieten, sich auszutauschen. Wir werden dies auch moderieren und das eine oder andere Informationsmaterial für die Beratungsstellen zur Verfügung stellen, um diese wichtige Arbeit zu unterstützen. Ich wollte an dieser Stelle auch einmal dafür danken, dass sich diese Menschen, die das meist ehrenamtlich machen, so schnell mit diesem Thema auseinander gesetzt haben. ({0}) Familien brauchen Unterstützung - nicht nur in Krisenzeiten. Ich bin froh, dass der Stellenwert von Familien für unsere Gesellschaft endlich wieder deutlich geworden ist. Endlich wird deutlich, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf eine Zukunftsfrage für unser Land ist. ({1}) Endlich wird auch deutlich, dass Familienpolitik eine Aufgabe ist, die Männer und Frauen gleichermaßen angeht, also nicht nur Frauen. Das Klima für Familien verändert sich in unserem Land Schritt für Schritt. Das ist nun wirklich das Verdienst dieser Regierung. ({2}) - Ja, wir waren es. Wir haben die Rahmenbedingungen für Familien in unserem Land ganz wesentlich verbessert. Ich weiß, dass Sie das nicht gerne akzeptieren, aber es ist so. Wir haben in den drei Jahren der Regierungsarbeit die finanziellen Leistungen für Familien ganz beträchtlich erhöht. Ich will das nicht im Einzelnen aufzählen; es ist auch heute Morgen schon getan worden. Das kann sich sehen lassen - vom Kindergeld über die Steuererleichterungen, über das Wohngeld bis zum BAföG und was noch alles dazu gehört. Das ist eine beträchtliche finanzielle Entlastung für Familien, die sie auch bitter nötig haben. Wir haben das seriös finanziert, ({3}) weil es für Familien auch nicht gut ist, wenn die Schulden steigen. Das müssen wir uns doch nicht jedes Mal wieder neu erzählen. Es sind die Familien, es sind die Kinder, die am Ende die Lasten zu tragen haben. Horst Schmidbauer ({4}) Deswegen ist auch das, was Sie an finanziellen Leistungen mit Ihrem Familiengeld vorschlagen, so unglaubwürdig. ({5}) Die Menschen wissen, dass es nicht zu finanzieren ist, außer durch mehr Schulden. Das wollen die wenigsten Bürgerinnen und Bürger in unserem Land. Es ist auch in sich unausgewogen. Ich sage es noch einmal, obwohl wir es schon mehrfach gesagt haben: Das, was Sie mit Ihrem Familiengeld vorschlagen, kommt vor allen Dingen den Besserverdienenden zugute. Denn Familien mit einem geringen Einkommen, die jetzt vom Erziehungsgeld profitieren und Kindergeld beziehen, haben schon mindestens 900 DM, mit der Budgetierung haben sie 1 200 DM an Förderung. Das wollen Sie quasi allen geben, unabhängig von der Einkommenshöhe. Ich glaube, hiermit kommen Sie bei den Familien nicht allzu weit. Wir haben über unsere finanziellen Leistungen hinaus bessere Rahmenbedingungen für Familien geschaffen. Das sollten Sie wirklich einmal anerkennen. Frau Böhmer, ich wende mich jetzt einmal an Sie: Man kann ja immer schon vorher lesen, was nachher kommen wird. Das ist nett. Dann kann man sich schon ein bisschen darauf einstellen. ({6}) - Bei mir auch, klar. So ist das. Sie haben geschrieben, Sie wollen eine familienfreundliche Arbeitswelt. - Na prima! Aber das, was wir hier schon auf den Weg gebracht haben, haben Sie in gar keiner Weise unterstützt. Wir haben Familienfreundlichkeit in der Arbeitswelt gesetzlich beträchtlich verbessert. Denken wir an das Bundeserziehungsgeldgesetz, ({7}) wonach Väter und Mütter zur gleichen Zeit Erziehungsurlaub nehmen können. Denken wir an das Teilzeitgesetz. Der Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit ist natürlich sehr wichtig für Familien. Was ist wichtiger als dies, ({8}) wenn es darum geht, Familie und Arbeitswelt in Übereinstimmung zu bringen? Wir haben nicht nur Gesetze gemacht. Wir haben dies auch ganz kräftig mit Kampagnen begleitet. Im Rahmen der Väter-Kampagne war ich in vielen Unternehmen unterwegs, um zu versuchen, Familienfreundlichkeit in den Betrieben zu verwirklichen, auch in kleinen. Das ist nicht nur ein Thema für große Firmen, auch für kleine und mittlere. Sie ziehen zum Teil prima mit - das muss man auch einmal sagen -, weil sie in ihren Arbeitskräften auch die sozialen Wesen und nicht nur die Arbeitskraft sehen. Darum geht es dabei. Sie sind auch daran interessiert, die gut eingearbeiteten Mütter und Väter im Unternehmen zu halten. Bei solchen Dingen könnten Sie auch einmal die Größe aufbringen zu sagen: Okay, das habt ihr gut gemacht, wir könnten uns vielleicht noch mehr vorstellen, machen wir es doch gemeinsam! ({9}): Sagen Sie doch einmal etwas zum Gleichstellungsgesetz für die Wirtschaft!) Aber so etwas höre ich nicht. Das zeigt natürlich, wie ernst Sie es mit Ihrem Vorhaben, Familienfreundlichkeit in der Arbeitswelt durchzusetzen, wirklich meinen. Das sind schlichtweg leere Worte. ({10}) Das Thema Familienfreundlichkeit spielt natürlich auch bei der Vereinbarung zur Chancengleichheit in den Unternehmen eine große Rolle. Ich sage allen Kritikern und Kritikerinnen dieser Vereinbarung: Lesen Sie sie erst einmal. Manchmal hilft das schon. Da sieht man, dass eine Menge darin enthalten ist, womit man richtig etwas machen kann. Es sind durchaus Vorgaben darin enthalten, wie Familienfreundlichkeit und Chancengleichheit umzusetzen sind. Es gibt eine Kontrolle. Wir sind im Moment dabei, die Bestandsaufnahme mit den Unternehmen zu vereinbaren. Wir haben eine wirksame Kontrolle bis zum Jahr 2003. Es ist auch klar, was passiert, wenn die Unternehmen sich nicht von der Stelle bewegen. Dafür haben wir dann das Gesetz; das ist auch klar. In diesem Bereich können wir durchaus agieren, vor allem auch mit dem, was das Betriebsverfassungsgesetz auf den Weg gebracht hat. Ich kann mich nicht erinnern, dass Sie das Betriebsverfassungsgesetz begeistert begrüßt hätten. Sich jetzt hinzustellen und zu fragen, warum wir hier kein Gesetz gemacht haben, und das, was vorhanden ist, permanent herunterzureden, ist auch nicht sehr überzeugend. ({11}) Sie wissen: Wir haben die Quotierung im Betriebsverfassungsgesetz eingeführt. Wir haben sowohl bei den Arbeitgebern als auch bei den Gewerkschaften - auch die brauchen manchmal den einen oder anderen Anschub für Regelungen gesorgt, mit denen die Chancengleichheit wirklich vorangebracht wird. Das ist Bestandteil der Personalplanung. Darüber muss berichtet werden. Die Arbeitnehmer müssen sich um dieses Thema kümmern. Nehmen Sie das bitte zur Kenntnis. Wenn Ihnen dieses Thema so sehr am Herzen liegt, dann können wir versuchen, gemeinsam Vorschläge umzusetzen. Darauf kommt es an. Ein Satz zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie in Bezug auf Kinderbetreuung. Ich kann mich an Haushaltsberatungen erinnern, in denen Sie mir immer vorgeworfen haben, ich würde mich allzu sehr um die Erwerbsarbeit von Frauen kümmern. Über dieses Stadium sind wir hinaus. Um diesen Punkt müssen wir uns aber nach wie vor kümmern. ({12}) Dass Sie sogar anerkennen, dass die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ein Thema ist und dass man sich um die Kinderbetreuung kümmern muss, ist schön. Aber machen Sie nun endlich etwas in den von Ihnen regierten Ländern und Kommunen, denn dies ist deren Sache. Wir haben den Ländern im zweiten Familienfördergesetz, das von Ihnen sehr gescholten wurde, finanzielle Möglichkeiten eröffnet. Der Bund übernimmt beim Kindergeld einen höheren Anteil, wodurch 2 Milliarden DM für die Kinderbetreuung an die Länder und Kommunen gehen. Das haben auch einige Ministerpräsidenten anerkannt. Was passiert in den Ländern? Wenn ich mir das nicht sehr arme Land Bayern anschaue und feststelle, dass die Versorgungsquote für Kinder unter drei Jahren bei mageren 1,4 Prozent liegt, dann komme ich wirklich ins Grübeln. Das kann man nicht allzu ernst nehmen. ({13}) Ich will auf einen anderen Punkt eingehen, der nicht nur mit der Familie etwas zu tun hat. Es geht um die Unterstützung der Erziehungskompetenz der Familien. Ich habe in Ihrer Vorlage gelesen, dass sich Familien mit wachsenden Herausforderungen konfrontiert sehen. Weiter steht dort: Tradierte Verhaltensweisen erweisen sich immer öfter als nicht mehr hilfreich. Danach kommen ein paar vage Formulierungen. Es wird nicht konkret. Der Analyse konnte man aber zustimmen. Ich will darauf hinweisen, dass wir genau das, was Sie allgemein formulieren - man könnte es auch hohle Worte nennen -, umsetzen. Ich denke dabei an das Gesetz, das den Kindern ein Recht auf gewaltfreie Erziehung garantiert. Hier werden wir konkret und liefern den Eltern gezielte Hilfen. Wir verändern etwas im Bewusstsein der Menschen. Wir haben große Kampagnen gestartet, die weiterhin laufen. Unsere Hilfsangebote werden viel in Anspruch genommen. Ich bin sehr froh, dass wir von vielen gesellschaftlichen Gruppen Unterstützung erfahren. Wir setzen an der Wurzel an, wo die Gewalt entsteht. Es ist leider so, dass Gewalterfahrungen zuallererst in der Familie gemacht werden. Also muss man hier ansetzen. ({14}) Sie von der Opposition haben dies nicht unterstützt. Immer, wenn es konkret wird, machen Sie nicht mit. Im Bereich der Gewalt gegen ältere Menschen haben wir einiges getan. Wir haben ein Modellprojekt zum Abschluss gebracht, das mit seinen Erfahrungen für die Kommunen sehr wichtig ist, die entsprechende Angebote für Betroffene und Angehörige bereitstellen. Auch mit dem Aktionsprogramm zur Bekämpfung von häuslicher Gewalt haben wir viel angestoßen. In den Ländern und Kommunen gibt es zum Teil Aktionsprogramme. Dazu gehört das Gewaltschutzgesetz. Endlich sind wir so weit, dass die Täter und nicht die geprügelten Frauen mit ihren Kindern die Wohnung verlassen müssen. ({15}) Vielleicht werden Sie sogar zustimmen. Das hoffe ich jedenfalls. Aber es ist ein mühsames Geschäft, mit Ihnen einen Konsens zu finden. ({16}) Ich habe Ihnen gerade die Beispiele genannt. Ich könnte dies noch fortsetzen. Wenn es konkret wird, ist von Ihnen nicht mehr viel zu sehen. Ich will noch die Altenpflege ansprechen, weil ich mich vorhin über einen Beitrag hierzu geärgert habe. Herr Thomae von der FDP hat sich darüber beschwert, dass nicht genügend zur Aufwertung der Altenpflege getan wird. Ich darf daran erinnern, dass wir gegen die Stimmen der Opposition ein Gesetz verabschiedet haben. ({17}) - Ja, die FDP hat zugestimmt. Ich korrigiere mich. Was soll ich denn noch alles tun? Bayern klagt gegen dieses Gesetz beim Bundesverfassungsgericht. Man muss zur Kenntnis nehmen, dass wir dieses Gesetz auf den Weg gebracht haben. Der Beruf des Altenpflegers wird dadurch aufgewertet. Wir wollen, dass ältere Menschen, wenn sie pflegebedürftig sind, würdevoll behandelt werden. ({18}) Lassen Sie mich zum Schluss einen Satz zur Freiwilligenarbeit sagen. Wir haben das Internationale Jahr der Freiwilligen. Es ist viel Neues in Gang gekommen; auch bisher gab es schon viel Positives. ({19}) - Doch, doch. Wir können darüber an anderer Stelle diskutieren. Wir werden unsere Vorhaben weiterführen; in diesem Bereich geht es uns um Nachhaltigkeit und Freiwilligkeit. Wir wissen, dass es viel Engagement gibt; das hat sich deutlich erwiesen. Wir wollen die freiwilligen Jahre ausweiten. Es laufen bereits Modellversuche. In der nächsten Woche wird ein Gesetzentwurf auf den Tisch kommen, um im Sport- und Kulturbereich das freiwillige soziale und das freiwillige ökologische Jahr zu erweitern. Ich sehe, dass es zu diesem Punkt eine große Zustimmung gibt; das ist erfreulich. Wir wollen die Freiwilligkeit erhalten; was wir nicht brauchen können, sind Pflichtjahre, am allerwenigsten Pflichtjahre für Senioren. Eine Diskussion darüber - Herr Schönbohm hat das Thema auf den Tisch gebracht - ist ein nicht zu überbietender Zynismus. ({20}) Wir brauchen die Älteren, die auf freiwilliger Basis viel leisten. Wir brauchen aber auch Junge, die sich engagieren. Deswegen machen wir im Jugendbereich eine aktivierende Politik. Wir werden in den nächsten Wochen ein Regierungsprogramm zur Jugendpolitik vorlegen. Wir stärken die Beteiligung von Jugendlichen. Ich lade Sie ein mitzumachen. Im November gibt es einen Auftakt zu einer bundesweiten Beteiligungsbewegung für Jugendliche. Es geht uns darum, Jugendliche noch stärker an die Demokratie heranzuführen. Ich bin der Meinung, dass das funktioniert, wenn wir die richtige Form finden. Wir sehen, wie stark Jugendliche bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus in Projekten mitarbeiten. Auf diesem Feld laufen sehr viele Aktivitäten. Ich will zum Schluss betonen, dass wir mit dem, was wir in der Politik angeschoben haben, die wichtigen Themen nicht nur angeschnitten, sondern kräftig vorangetrieben haben. Wir haben auf diesem Feld noch viel zu tun; nach 16 Jahren Ihrer Regierung ist das klar. Ich bedanke mich für die Unterstützung, soweit sie gegeben wurde. Vielleicht sind in dem einem oder anderen Bereich noch Verbesserungen möglich. Danke. ({21})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die CDU/CSU-Fraktion spricht die Kollegin Dr. Maria Böhmer.

Dr. Maria Böhmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002630, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Ministerin Bergmann, ich würde Sie wirklich gerne einmal für innovative, richtungsweisende Lösungen loben, ({0}) aber wo ich auch hinsehe, muss ich feststellen: Fehlanzeige. Sie müssen auch erst einmal in den eigenen Reihen werben. Als der Bundeskanzler vor der Sommerpause seine große Pressekonferenz gab - bekanntlich ging es um die Erfolge dieser Bundesregierung -, wurde über vieles gesprochen. Es wurde über die Steuerreform, die Rente und die Greencard gesprochen, es wurde aber kein Wort über die Familienpolitik verloren. Wenn selbst der Bundeskanzler bei seiner Erfolgsbilanz die Familienpolitik nicht aufzählt, dann muss es um die Familienpolitik dieser Bundesregierung düster bestellt sein. ({1}) Sie sollten auch mehr auf Ihren eigenen Beirat hören. Die „Frankfurter Rundschau“ schrieb im Mai - die Pressemitteilung ist also noch nicht so alt -: Rot-grüne Familienpolitik gerügt. - In dieser Zeitung - wahrlich kein Blatt, das auf der Seite der CDU/CSU steht, sondern eher bei Ihnen zu orten ist - wurde deutlich gesagt: Der Wissenschaftliche Beirat des Bundesfamilienministeriums kritisiert massiv die Gerechtigkeitslücke bei der Familienpolitik der rot-grünen Koalition. - Das ist die Wahrheit und darüber täuscht nichts hinweg. ({2}) - Das war im Jahr 2001. Sie glauben, die Familienpolitik neu erfunden zu haben. Ich muss Ihnen sagen, Frau Bergmann: All das, was Sie eben aufgezählt haben - familienfreundliche Arbeitswelt, Kinderbetreuung, Erziehungsurlaub und dessen Weiterentwicklung -, ist von der früheren Bundesregierung geschaffen worden - von niemandem sonst. ({3}) In diesem Land hätte es ohne die Union keine Anerkennung von Kindererziehungszeiten bei der Rente gegeben. ({4}) In diesem Land hätte es ohne die Union keine Anerkennung von Erziehungszeiten und keinen Erziehungsurlaub gegeben. In diesem Land hätte es ohne die Union keinen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz gegeben. ({5}) Da Sie vielleicht eher der amtlichen Statistik glauben als mir - das ist ja, wie ich es eben bei Ihnen gemerkt habe, durchaus realistisch -, will ich einmal nachschauen, wie es mit der Kinderbetreuung in den einzelnen Bundesländern aussieht. Denn in der Tat gilt: Handeln, nicht reden. ({6}) Ich habe mir die amtliche Statistik „Kindergartenplätze pro 100 Kinder für die Drei- bis Sechsjährigen“ des Statistischen Bundesamtes angeschaut. Spitzenreiter ist BadenWürttemberg, das bekanntlich seit vielen Jahren CDU-regiert ist. ({7}) - Ich nehme Sie gerne mit in das Boot. Wenn Sie sich die neuen Bundesländer, die diese Statistik anführen, anschauen, stellen Sie fest: In Thüringen gibt es pro 100 Kinder 153 Plätze ({8}) und in Sachsen 135 Plätze. In Baden-Württemberg sind es 125 Plätze. Das sind Spitzenleistungen. ({9}) - Das kann ich Ihnen gern sagen: In Bayern sind es 97 Plätze. Bayern liegt deutlich vor Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und Hamburg; denn in Hamburg stehen nur ganze 75 Plätze zur Verfügung. ({10}) Nach 44 Jahren eindeutiger SPD-Regierung in Hamburg ({11}) ist die bisherige Regierung nicht nur wegen der inneren Sicherheit, sondern auch wegen einer verfehlten Familienpolitik abgewählt worden. Wenn ich schon in Richtung Norden blicke, möchte ich Ihnen auch einmal die Situation in Schleswig-Holstein schildern: Liebe Frau Ministerin Bergmann, ({12}) Ich glaube, Sie müssen erst noch in den eigenen Reihen für Ihre Ideen werben. Denn Frau Simonis hat sich am 30. August dieses Jahres gegen weitere Kindergelderhöhungen ausgesprochen. Sie sollten in den Reihen der Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten einmal aufräumen. Ich finde es schon sehr bemerkenswert, dass eine solche Aussage von einer Ministerpräsidentin getroffen wird. Davon kann auch nicht dadurch abgelenkt werden, dass anschließend gesagt wird, sie wolle das eingesparte Geld für einen Ausbau der Kinderbetreuungsmöglichkeiten verwenden. Man kann nicht die eine Gruppe von Eltern damit bestrafen, dass man der anderen etwas gibt. Eltern verdienen die gleiche Förderung. Dies ist nicht als Alternative zu sehen nach dem Motto: Für die einen die Kinderbetreuung, für die anderen die Familienförderung. - Wir brauchen ein Gesamtkonzept einer zukunftsorientierten Familienpolitik, die beides einschließen muss. ({13}) Sie muss die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie die finanzielle Gerechtigkeit für Familien in diesem Land einschließen. Da Sie häufig auf die Lebensbedingungen abheben, die in SPD-regierten Zeiten unwahrscheinlich gut seien, möchte ich Ihnen sagen: Ich habe mir einmal die Erwerbsstatistik von Frauen in den einzelnen Bundesländern angesehen. Auch dies ist die Stunde der Wahrheit. Wo bestehen die höchsten Erwerbsquoten? Sie würden wahrscheinlich vermuten: in Nordrhein-Westfalen oder vielleicht sogar in Hamburg, weil Sie dort ja so lange an der Macht waren. ({14}) Die stärkste Erwerbsbeteiligung von Frauen gibt es mit 62,3 Prozent in Bayern und in Baden-Württemberg mit 60,9 Prozent. Nordrhein-Westfalen steht mit 53,6 Prozent an drittletzter Stelle. Daran sieht man doch, wer wirklich etwas für Frauen und Familien tut und wer sie im Regen stehen lässt. ({15}) Jetzt muss ich Ihnen etwas zu den Themen Kindergelderhöhung und Besserstellung der Familien, die hier immer wieder angeführt werden, sagen: Auch hier ist die Stunde der Wahrheit. Wenn es um die Kindergelderhöhung geht, ist festzuhalten: Sie haben 30 DM mehr gegeben. ({16}) - Sie haben 30 DM mehr gegeben. ({17}) - Ich finde es wunderschön, dass Sie mir das noch einmal sagen. Für diejenigen, die, wie Sie, daran erinnert werden wollen, was die damalige Bundesregierung aus Union und FDP getan hat, sage ich: Wir haben das Kindergeld von damals 50 DM - in dieser Höhe haben wir es übernommen - auf 220 DM erhöht. ({18}) An eine solche Steigerung des Betrages müssen Sie erst einmal herankommen. ({19}) Deshalb sollten Sie aufhören, solche Märchen zu erzählen. Denn dadurch, dass Sie Märchen erzählen, wird die Situation nicht besser. Denn auf der einen Seite gehen Sie hin und geben den Familien 30 DM mehr Kindergeld, aber auf der anderen Seite - wir haben ja gerade die Gesundheitsdebatte geführt und auch Sie sind, wie ich, einige Zeit dabei gewesen - hat eine völlig verfehlte Gesundheitspolitik zu einem Ansteigen der Kassenbeiträge geführt. Wenn man ein durchschnittliches Einkommen von 5 000 DM im Monat zugrunde legt, macht ein halber Prozentpunkt 25 DM mehr aus, die den Menschen aus dem Portemonnaie genommen werden. Damit ist die Kindergelderhöhung durch Ihre verfehlte Politik von den Sozialabgaben verfrühstückt worden. ({20})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Frau Kollegin Böhmer, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk?

Dr. Maria Böhmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002630, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber gerne. ({0})

Irmingard Schewe-Gerigk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Kollegin Böhmer, sind Sie bereit, anzuerkennen, dass Sie nicht das Kindergeld von 50 DM auf 200 DM erhöht haben, sondern dass es zu der Zeit, als das Kindergeld 50 DM betrug, noch einen zusätzlichen Kindersteuerfreibetrag gab, sodass die Differenz sehr viel geringer war? Würden Sie dies dem Hohen Hause einmal erläutern?

Dr. Maria Böhmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002630, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Schewe-Gerigk, Sie wissen, dass wir den dualen Familienleistungsausgleich eingeführt haben. Sie setzen ihn ja auch fort, allerdings am unteren Rand, sodass die finanziell schwächeren Familien, die mehr Geld brauchen, im Regen stehen bleiben. ({0}) Ihre Verbesserungen nützen gar nichts. Hinzu kommt, dass Sie die Familien mit einer Familienstrafsteuer, nämlich der Ökosteuer, belastet haben. ({1}) All dies bedeutet, dass Sie keine Verbesserungen für Familien erreicht haben. Vielmehr sind die Belastungen für Familien in diesem Land größer geworden, seit Sie an der Regierung sind. ({2}) Nun schauen wir einmal, was sich im Bereich der Frauenpolitik getan hat. Hinsichtlich dieses Politikfeldes hatte ich immer die Erwartungshaltung, nach dem Regierungswechsel werde alles besser, für die Frauen werde eine neue Zeit anbrechen und wir könnten den Leistungen der Bundesregierung endlich einmal Beifall zollen. Aber was lese ich beim Deutschen Frauenrat? Nachdem Sie das Gleichberechtigungsgesetz endgültig eingemottet haben, schrieb der Deutsche Frauenrat - ich zitiere die Vorsitzende nach einer Pressemeldung vom 3. Juli 2001 -: Versprochen hat uns die Regierung ein Gesetz, nun wollen die Spitzenverbände der Wirtschaft ihren Mitgliedern die Förderung empfehlen. Es ist ein Hohn, wie sich die Regierung das versprochene Gesetz hat abschwatzen lassen. Die rot-grüne Gleichstellungspolitik wurde wie beim Sommerschlussverkauf verramscht. Das ist die Wahrheit über die Frauenpolitik dieser Bundesregierung. ({3}) Wer so für Familien und Frauen im Lande Politik macht, bei dem wundere ich mich nicht mehr, dass er in der Erfolgsbilanz nicht vorkommt. Die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land wissen sehr wohl, woran sie mit Ihnen sind, denn die Waagschale geht in Sachen Familienkompetenz für diese Bundesregierung nach unten. ({4}) - Wenn das eine Frage sein sollte, Herr Präsident, werde ich sie gern beantworten. ({5})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich sehe noch keine Frage.

Dr. Maria Böhmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002630, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das war ein Zwischenruf. Aber ich beantworte Ihre Frage trotzdem gern: Wir haben eine Alternative entwickelt. Wir sagen nicht nur, wo es Schwachpunkte gibt und wo Hilflosigkeit herrscht. Wir sagen, dass wir für die Familie eine zukunftsorientierte Politik brauchen, die auf drei Säulen steht: auf der besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf mit einem deutlichen Ausbau der Kinderbetreuungsmöglichkeiten, auf einer gerechten finanziellen Förderung mit einem Familiengeld, das diesen Namen wirklich verdient und keine Minischritte beinhaltet, sondern die Kinder aus der Sozialhilfe holt. Frau Bergmann, dieses Familiengeld würde nicht zu einer Schlechterstellung der Familien führen; denn wer bis zum dritten Lebensjahr eines Kindes 1 200 DM erwarten kann, wäre deutlich besser gestellt als jetzt. Drittens wollen wir die Erziehungskompetenz der Familien stärken; denn die Familien und die Kinder sind das wichtigste Gut, das wir haben. Deshalb brauchen wir in diesem Lande eine starke Familienpolitik. Daran werden wir arbeiten und dafür werden wir kämpfen. Ich danke. ({0})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen spricht die Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk. ({0})

Irmingard Schewe-Gerigk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Böhmer, Sie wissen selbst, dass Sie mir auf meine Frage nicht geantwortet haben. Diesen Abwehrmechanismus, diesen pawlowschen Reflex, immer wieder die Ökosteuer anzusprechen, hätten Sie sich eigentlich sparen können. ({0}) Mit dem Haushaltsplan 2002 ist es uns gelungen, im Einzelplan 17 ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Konsolidierung und gestalterischer Politik herzustellen. Die Einsparungen in Höhe von 79 Millionen Euro resultieren hauptsächlich aus der Umsetzung des Zukunftsprogramms 2000 im Bereich des Zivildienstes. Ich bin froh, dass die Arbeit des Bundesamtes nicht beeinträchtigt wird. Durch die Verkürzung des Zivildienstes auf zehn Monate konnte hier problemlos eingespart werden. Damit nimmt auch die Bedeutung des Zivildienstes als Ausfallbürge für Arbeitsplatzverkürzungen im sozialen Bereich ab. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass in den alten Tätigkeitsfeldern der Zivildienstleistenden neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Die Reduzierung geht also nicht, wie Sie von der Opposition immer so gern behauptet haben, auf Kosten der bis dato Betreuten. Im letzten Haushalt hatten wir einmalig Mittel in Höhe von 15,3 Millionen Euro zur Bekämpfung des Rechtsextremismus eingesetzt. Diese Mittel sind im Haushalt 2002 nicht mehr vorhanden. Allerdings haben wir für weitere Projekte gegen Rechtsextremismus 5 Millionen Euro veranschlagt. Für die Integration junger Migrantinnen und Migranten wurde mit der Veranschlagung von 41 Millionen Euro eine deutliche Aufstockung der Mittel erreicht und das ist auch gut so, denn Sprachförderung ist - das wissen wir alle - für die Integration besonders wichtig. ({1}) - Was wir wollten, darüber entscheiden wir nicht. Es geht um das, was im Haushalt steht, Frau Kollegin. An dieser Stelle ein Wort zur Familienzusammenführung: Natürlich ist es für die Integration besser, wenn die Kinder von Migrantinnen und Migranten möglichst jung nach Deutschland kommen. Aber eine Aufspaltung der Gruppen von Kindern in solche, die bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres nachziehen dürfen, weil deren Eltern hochqualifiziert sind, und solche, die nur bis zum 12. Lebensjahr nach Deutschland kommen sollen, weil deren Eltern weniger qualifiziert sind, werden wir nicht zulassen. ({2}) Nach unserem Grundgesetz steht die Familie unter dem besonderen Schutz des Staates. Das darf natürlich nicht nur für deutsche Familien gelten. Damit bin ich bei der Familienpolitik, Frau Böhmer. Gerade auf diesem Gebiet hat die rot-grüne Bundesregierung Enormes geleistet und das lassen wir uns auch von ihnen nicht kleinreden. ({3}) - Ich nenne Ihnen die Zahlen. Durch das Zweite Familienförderungsgesetz erreichten wir eine zusätzliche Entlastung in Höhe von 2,3 Milliarden Euro und erfüllten damit termingerecht die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts. Dies, die Erhöhung des Kindergeldes in dieser Legislaturperiode um 41 Euro, Verbesserungen beim BAföG und beim Wohngeld sowie die Erhöhung von Freibeträgen - das macht im Jahr 2001 insgesamt 98 Milliarden DM aus. Das können Sie sich auf der Zunge zergehen lassen. Die Tendenz ist steigend. ({4}) Natürlich könnte es immer noch etwas mehr sein. Wenn Sie aber bedenken, dass trotz einer Erhöhung des Etats für familienpolitische Leistungen um 20 Milliarden DM seit dem Regierungsantritt der Konsolidierungskurs weitergeführt wurde, wir also nicht länger wie Sie auf Kosten der nächsten Generation leben, dann sollten Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, uns dafür ein Kompliment machen. ({5}) Solche Beträge für die Familien haben Sie bei Ihrem Finanzminister, der ja auch immer Familienminister sein sollte, nicht durchsetzen können. Darum nützt es Ihnen auch gar nichts, wenn Sie nun in der Opposition die Spendierhosen anhaben und allen Familien, ob sie es brauchen oder nicht, ein Familiengeld von 1 200 DM zahlen wollen. Sie haben folgendes Problem: Niemand glaubt Ihnen, dass Sie das machen würden, denn Sie hätten ja viele Jahre Gelegenheit gehabt, das durchzusetzen. ({6}) Aber wir haben nicht nur finanzielle Verbesserungen für Familien durchgesetzt. Damit Väter und Mütter Erwerbsarbeit und Familienarbeit besser vereinbaren können, wurden Regelungen zur Elternzeit geschaffen, um auf die individuellen Bedürfnisse der Eltern Rücksicht nehmen zu können. Ich hoffe mit guten Grund, dass künftig mehr Väter als bisher davon Gebrauch machen. Nehme ich die Mitarbeiter meiner Fraktion zum Maßstab, so wird es in Deutschland künftig die neue Väterlichkeit geben. ({7}) Es ist ein schöner Gedanke für mich, nicht länger in einer vaterlosen Gesellschaft zu leben. Das könnten wir durch einen 14-tägigen Vaterschaftsurlaub, wie es ihn in Frankreich gibt, noch attraktiver machen. Aber natürlich müssen auch Staat und Wirtschaft ihren Beitrag zu einer kinderfreundlichen Gesellschaft leisten. So haben wir noch enormen Nachholbedarf bei der Errichtung von Kinderbetreuungseinrichtungen, gerade in den alten Bundesländern. Aus dem Titel Frauenpolitik wird eine Vielzahl von zukunftsweisenden Projekten finanziert, im Übrigen auch für Männer, die sich immer über ihre Benachteiligung beklagen; ({8}) denn eine wirklich gleichberechtigte Gesellschaft ist nur vorstellbar, wenn sich nun endlich auch die Männer ändern und ihr eingeengtes Rollenverhalten ablegen. ({9}) Ich danke der Ministerin ausdrücklich dafür, dass sie die Väter-Kampagne umgesetzt hat, denn das ist ein Beitrag zum „gender mainstreaming“. ({10}) Lassen Sie mich noch auf eines der Frauenprojekte besonders eingehen, die Förderung des bundesweiten Koordinierungskreises gegen Frauenhandel und Gewalt an Frauen in Migrationsprozessen. Dieses Projekt läuft im November des nächsten Jahres aus, und wir alle miteinander sollten ein Interesse daran haben, dass diese wichtige Arbeit weitergeführt werden kann. ({11}) Natürlich brauchen wir begleitend zu dem Gesetzesvorhaben hinsichtlich der Verbesserung der Situation von Prostituierten auch eine Kampagne, damit Prostituierte über ihre neuen Rechte informiert werden und diese auch nutzen können. Dafür muss der Haushaltstitel nicht zwangsläufig ausgeweitet werden. Zum Schluss noch ein Wort zur Seniorenpolitik. Dort sind die Haushaltsansätze nahezu gleich geblieben. Allerdings haben wir zwei wichtige Gesetze auf den Weg gebracht: das Heimgesetz und das Altenpflegegesetz. Worüber wir in diesem Parlament aber insgesamt noch einmal nachdenken sollten, sind grundsätzliche Veränderungen im Heimbereich. Der Anteil der alten und hochbetagten Menschen wird in den kommenden Jahren enorm steigen. Darum brauchen wir neue Formen des Wohnens, der Pflege und der Betreuung. Aus diesem Grund begrüße ich die Initiative, die unter anderem die Universität Bielefeld ins Leben gerufen hat, in der nächsten Legislaturperiode eine Enquete-Kommission des Bundestages dazu einzurichten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir können nur das Geld ausgeben, das wir einnehmen. Darum ist es umso wichtiger, unseren Gestaltungsspielraum um kreative und zukunftstaugliche Maßnahmen zu erweitern. Das muss nicht zwangsläufig Mehrausgaben zur Folge haben. Die Menschen erwarten von uns, dass wir auch mit knapperen Ressourcen verantwortungsvoll umgehen. Ich danke Ihnen. ({12})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich gebe dem Herrn Kollegen Klaus Haupt das Wort. Er spricht für die FDP-Fraktion.

Klaus Haupt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003140, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wenn es um die Chancen und die Perspektiven unserer Kinder und Jugendlichen geht, ist die Politik mehr denn je gefordert. Der Anteil der jungen Menschen in unserer Gesellschaft, die aus Immigrantenfamilien stammen, wächst immer mehr an, während die Geburtenrate in Deutschland auf niedrigem Niveau verharrt. Daher wird die Jugendpolitik immer mehr zu einem Element der Zuwanderungspolitik. Die Integration von Zuwanderern ist ein großes Problem, eine entscheidende Herausforderung für unsere Gesellschaft. Der Etatansatz für die Integration junger Zuwanderer ist durch Übertragung der Mittel aus dem BMA-Haushalt erhöht worden. Eine wirkliche Steigerung ist daraus nicht ablesbar; in Anbetracht der immensen Aufgabe, die uns hier bevor steht, wäre aber genau dies notwendig. ({0}) Migrationsexperten stellen mittlerweile fest, dass gerade die Bildung von abgeschotteten kulturellen DiasporaGruppen ethnischen Extremismus und religiösen Fundamentalismus massiv begünstigt. Hier besteht also ein dringender Handlungsbedarf, den wir schon bei den Haushaltsberatungen der vergangenen Jahre angemahnt haben. Aber leider ist den „Weiter-so“-Haushalten der Jugendministerin nicht anzusehen, dass das Problem in seiner ganzen Tragweite wirklich erfasst worden ist. Das Gesamtsprachkonzept der Bundesregierung ist an sich zwar begrüßenswert, aber der Finanzrahmen wird dem Bedarf nicht gerecht. Für alle Zuwanderer ist das Erlernen der deutschen Sprache wesentliche Voraussetzung für eine erfolgreiche Integration in die deutsche Gesellschaft und für eine erfolgreiche Zukunft auf dem Arbeitsmarkt. ({1}) Erfolgreiche Integrationsarbeit ist auch eine wesentliche Voraussetzung für die Bekämpfung des Rechtsextremismus unter Inländern. Ich halte es deshalb für bedenklich, dass die Bundesregierung die Mittel zur Bekämpfung des Rechtsextremismus kürzt - auch die Mittel zur Hilfe für die Opfer rechtsextremer Gewalt. Besorgniserregend ist in diesem Zusammenhang auch die Kürzung der Mittel für die politische Bildung. Ich fürchte, hier spart die Ministerin entschieden an falscher Stelle. Wichtig für den Kampf gegen Rechtsextremismus sind auch internationale Bildung und Verständigung der Jugend. Deshalb begrüßen wir die Aufstockung der Mittel für das deutsch-polnische Jugendwerk. Wir fordern aber auch die Errichtung eines deutsch-russischen Jugendwerkes. ({2}) Dabei sind wir uns durchaus über die in beiden Ländern sehr unterschiedliche Jugendarbeit im Klaren. Aber gerade mit der Jugend Russlands muss ein Austausch zustande kommen, damit auch auf dieser Ebene das größte Land Europas besser in die europäische Völkergemeinschaft, wie Präsident Putin in seiner Rede gestern hier wünschte, eingebunden wird. ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße ausdrücklich, dass Kinder- und Familienpolitik in unserer Gesellschaft in den Vordergrund tritt. Ich bedaure aber, dass in unserem Land offenkundig vor allem das Bundesverfassungsgericht dafür zuständig ist. ({4}) Ich bedaure auch, dass bei Rot-Grün die Förderung der Familien weitgehend durch die Familien selbst finanziert wird und dass Alleinerziehende und Familien mit vielen Kindern benachteiligt werden. Ein Beispiel: Der Präsident des Deutschen Kinderhilfswerks, Thomas Krüger, hat kürzlich moniert, dass in Deutschland sogar Katzenfutter unter den ermäßigten Mehrwertsteuersatz fällt, auf Kinderbedarf wie Kindernahrung, Windeln und Kinderbekleidung dagegen mehr als der doppelte Satz erhoben wird. Das ist eine Schande. Wir alle müssen uns fragen, ob wir nicht viel entschlossenere Schritte für Familien mit Kindern tun müssen; auch, aber nicht nur, angesichts der demographischen Schieflage. Wir bürden jungen Familien im Moment immense Kosten auf, obwohl sie ihre Leistungen im Interesse der gesamten Gesellschaft erbringen. Wir müssen ihnen eine Perspektive bieten, sich ein Leben mit Kindern wirklich leisten zu können. Wir müssen Kindern in unserer Gesellschaft endlich nicht nur einen höheren Stellenwert, sondern einen hohen Stellenwert geben. ({5}) Das bedeutet aber mehr als nur Diskussionen über Geld. Kinder dürfen nicht nur als Bilanzproblem und als Belastung gesehen werden. Kinder sind kein Gut - Kinder sind gut. ({6}) Sie sind eine Bereicherung der Gesellschaft. Ja, Kinderlärm ist Zukunftsmusik. Das ist eine gesellschaftspolitische Herausforderung an alle - ich betone: an alle -, für die sich jede Mühe lohnt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, der vorgelegte Haushaltsentwurf sinkt insgesamt um circa 79 Millionen Euro gegenüber dem Vorjahresetat. Dieses Einsparvolumen geht fast vollständig auf Kosten der Zivildienstleistenden. Die Bundesregierung spart aber nicht, indem sie etwa eine neue Struktur für den Zivildienst aufbaut, sondern indem sie einfach an der Dienstzeitschraube dreht. Die anhaltenden und neuerdings wieder verstärkten Diskussionen um Sinn oder Unsinn der Wehrpflicht führen nicht dazu, dass Vorbereitungen getroffen würden, Dauerarbeitsplätze im Sozialbereich zu schaffen, die in absehbarer Zeit die Zivildienstleistenden ersetzen könnten. ({7}) Ein schlüssiges Gesamtkonzept für den Zivildienst ist nicht erkennbar. Gestatten Sie mir ein Wort zur Seniorenpolitik. Auch seniorenpolitisch ist in diesem Haushalt offenbar Stagnation Trumpf. Demographischer Wandel ist das Thema der Gesellschaftspolitik - nur im Haushalt der Seniorenministerin spiegelt sich das nicht wider. Es ist eine große Aufgabe, die Ressourcen, die die älteren Menschen in unserer Gesellschaft bieten, besser in das Leben unserer Gesellschaft zu integrieren und zu nutzen. Hier hätte ich mir aus dem zuständigen Ministerium doch eine entsprechende Akzentsetzung gewünscht. Im Etat des Ministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ist eine weitgehende Fortschreibung der bisherigen Zahlen bei einigen Umtitelungen - vor allem schmerzlichen Kürzungen - oder stagnierenden Zuwendungen gerade im Bereich der derzeitigen gesellschaftlichen Problemfelder festzustellen. Wir Liberalen meinen: Jugend, Familie, Senioren und Frauen verdienen einen höheren Stellenwert in der deutschen Politik, als im Haushalt von Frau Bundesministerin Bergmann deutlich wird. ({8})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die Fraktion der PDS spricht nun die Kollegin Petra Bläss.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was im Nachfolgeprozess zur vierten Weltfrauenkonferenz immer wieder betont worden ist, hat für uns alle in unserem Bewusstsein seit dem 11. September eine neue Dimension bekommen. Es gibt einen unauflöslichen Zusammenhang zwischen Gleichberechtigung, Entwicklung und Frieden. Bewaffnete Konflikte, Angriffskriege und Terror sind schwerwiegende Hindernisse für die Förderung von Frauen. Ich denke, auch wir haben uns auf nationaler Ebene zu fragen, was daraus folgt, dass Frauen in Entscheidungsgremien zur Friedenssicherung und Konfliktlösung nach wie vor unterrepräsentiert sind, dass Frauen einen großen Beitrag zur Friedenserhaltung und -schaffung im Dialog der Kulturen leisten und die Zivilgesellschaft, insbesondere die NGOs und die Frauen eine große Rolle dabei spielt. Wenn ich den Bundeshaushalt 2002 betrachte, dann denke ich vor allem an Schlussfolgerungen für die institutionelle und die Projektförderung. Ich gehe davon aus, dass es durchaus notwendig ist, hier neue Akzente zu setzen. Ich gebe nur Stichworte in die Runde. Dazu gehören Integrationsprojekte für Migrantinnen und Migranten. Ich denke aber auch an bilaterale Austauschprojekte. Der Kollege Haupt hat gerade vom Jugendaustausch gesprochen; darüber hinaus gibt es aber auch bilaterale Frauenforen. Ich denke aber auch an Planspiele wie das National Model United Nations oder das Europäische Jugendparlament, in dem junge Leute den Dialog der Kulturen seit Jahren ziemlich professionell praktizieren. Zu allererst denke ich aber an den notwendigen Kampf gegen den Rechtsextremismus. Ich empfinde es als fatales Signal, dass der Haushalt in diesem Bereich um 40 Millionen DM, insbesondere beim Kinder- und Jugendplan, gekürzt wird. Wir waren uns in den letzten Jahren in diesem Hause darüber einig, dass die Bekämpfung des Rechtsextremismus tatsächlich Priorität haben muss und solche Projekte nachhaltig unterstützt werden müssen. ({0}) Ich denke dabei an das Programm „Civitas“, das nicht nur verstetigt, sondern auch in die alten Bundesländer ausgedehnt werden muss. Bei Prävention, Beratung und Opferunterstützung darf es keine Kürzungen geben. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundesregierung wollte die Gleichstellung von Mann und Frau zu einem großen gesellschaftlichen Reformprojekt machen. Ich gehe davon aus, dass es dafür grundlegender Änderungen in den Bereichen der Arbeitsförderung, der Gleichstellung in der privaten Wirtschaft sowie bei der Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Familie bedarf. Schauen wir in den Etatentwurf 2002, so sehen wir zunächst, dass der Zuschuss an die Bundesanstalt für Arbeit um 614 Millionen Euro auf null reduziert wird. Das halte ich angesichts der Tatsache, dass nach wie vor ein Großteil der Langzeitarbeitslosen Frauen sind und Frauen strukturell auf dem Arbeitsmarkt diskriminiert werden, für einen frauenpolitischen Offenbarungseid. Nun haben Sie sich als rot-grüne Bundesregierung zu Recht den Anspruch gestellt, die Frauendiskriminierung im Arbeitsförderungsrecht abzubauen. Sie haben das Job-Aqtiv-Gesetz in dieser Woche vorgelegt. Zu begrüßen ist zweifellos die Einbeziehung von Pflege- und Erziehungszeiten in die Arbeitslosenversicherung. ({2}) Hier möchte ich aber gleich eine Frage stellen: Woher soll der Finanzbedarf in Höhe von 1 Milliarde Euro, den Sie selbst ermittelt haben, kommen? Dazu habe ich im Haushalt nichts gesehen. Sie schrecken in diesem Gesetz vor verbindlichen Regelungen zurück. Zentrale frauenpolitische Forderungen werden nicht aufgenommen. Ich erinnere an die Wiedereinführung des Berufs- und Qualifikationsschutzes, an den Abbau der frauendiskriminierenden Pendelzeiten, an die Einbeziehung ausschließlich geringfügig Beschäftigter in die aktive Arbeitsmarktpolitik und in die Arbeitslosenversicherung sowie an die Verbesserung der eigenständigen Existenzsicherung durch den Wegfall der Bedürftigkeitsprüfung in der Arbeitslosenhilfe. Mit dem Rückzieher bei der gesetzlichen Regelung der Gleichstellung in der Privatwirtschaft - sei er auch noch so schöngeredet wie heute wieder - haben Sie nicht nur auf ein politisches Schwerpunktthema verzichtet, sondern auch auf den diesbezüglichen politischen Gestaltungsanspruch. Ich erinnere an die massiven Proteste zum Beispiel der 100 Frauen, aber auch der Gewerkschaften, hier nicht locker zu lassen. Die PDS hat dazu einen Antrag in die parlamentarische Beratung eingebracht. Abschließend möchte ich noch einen kurzen Kommentar zum angekündigten Paradigmenwechsel in der Familienpolitik machen. Wir haben die Schritte in die richtige Richtung durchaus wohlwollend begleitet: die Erhöhung des Kindergeldes und die Festschreibung des Rechts auf einen Teilzeitarbeitsplatz mit Rückkehrrecht. Der richtige Paradigmenwechsel fehlt aber nach wie vor. Ich möchte auf die Alternativvorlage der PDS aufmerksam machen, in der ein Zeitkonto bei der Freistellung von erwerbstätigen Eltern, eine einjährige Lohnersatzleistung und ein Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung in den ersten 14 Lebensjahren eingefordert werden. Lassen Sie mich angesichts der aktuellen Situation in Afghanistan noch kurz einen Vorschlag machen. Wir haben seit Jahren überfraktionell über das Elend der Frauen unter der Gewaltherrschaft des Talibanregimes diskutiert. Im Moment ist die Lage so prekär, dass wir Frauen uns interfraktionell recht schnell darauf verständigen sollten, hier tätig zu werden. Wir sollten den Vorschlag der Ausländerbeauftragten Marieluise Beck, rasche humanitäre Hilfe zu leisten, aufnehmen. Danke. ({3})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Die Kollegin Christel Humme spricht nun für die Fraktion der SPD.

Christel Humme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003155, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Böhmer, wenn Sie schon Statistiken anführen, dann sollten Sie sie auch vollständig vortragen. Wir freuen uns natürlich, dass Sie das Ziel der Vereinbarkeit von Familie und Beruf in Ihr Programm aufgenommen haben. Aber wenn dieses Ziel erreicht werden soll, dann müssen in ausreichendem Maße Plätze für die Ganztagsbetreuung von Kindern zur Verfügung gestellt werden. ({0}) Ich führe jetzt ein paar Zahlen auf, die in der von Ihnen vorgetragenen Statistik nicht vorgekommen sind. In Baden-Württemberg beträgt die Versorgungsquote im Bereich der Ganztagsbetreuungsplätze in Kindergärten 4,3 Prozent. In Bayern liegt die Versorgungsquote im Bereich der Hortplätze bei 3 Prozent. Das sind 20 Plätze für 1 000 Kinder. Bei den Krippenplätzen kommen 14 Plätze auf 1 000 Kinder. Das entspricht einer Versorgungsquote von 1,4 Prozent. Ich denke, Ihre Statistik musste um diese Zahlen ergänzt werden, um deutlich zu machen, wie es um die Kompetenz für die Familie, die Sie für sich eingefordert haben, tatsächlich bestellt ist. Sie reden immer von Familienoffensive, Familiengeld und liberaler Familienförderung. In Sonntagsreden wetteifern Sie, meine Herren und Damen von der CDU/CSU und der FDP, um die Gunst der Familien. Diese schönen Begriffe können allerdings nicht über die Unglaubwürdigkeit Ihrer Familienpolitik hinwegtäuschen. Sie ist unglaubwürdig, weil Sie in Ihrer Regierungsverantwortung genug Zeit hatten, Politik für Familien und Kinder zu machen, Familienpolitik aber quasi nicht vorkam. ({1}) Als wir 1998 - damals waren wir noch in der Opposition - das Kindergeld auf 250 DM erhöhen wollten - Sie sollten ruhig zuhören -, haben Sie dies verhindert. Und heute? Heute wollen Sie plötzlich ein Familiengeld in Höhe von 1 200 DM, so Angela Merkel, oder 1 000 DM, so Edmund Stoiber, einführen. ({2}) - Doch, das wollen Sie. - Das würde eine jährliche Haushaltsbelastung von bis zu 60 Milliarden DM ausmachen. Auch hier zeigt sich Ihre Unglaubwürdigkeit, weil Sie schnell in Verlegenheit kämen, wenn Sie deutlich machen müssten, wo Sie die Milliarden hernehmen wollen. Anzunehmen ist, dass Sie Ihre Politik in alter Manier über Schulden finanzieren wollen. Genau das geht nicht, liebe Kollegen und Kolleginnen von der CDU/CSU. Sie leisten mit Ihrem Familiengeld den Familien einen Bärendienst; denn Familienpolitik über Schulden zu finanzieren ist nicht seriös und hieße, Familienpolitik zulasten derjenigen zu machen, die man eigentlich entlasten will. ({3}) Die Zeche für nicht finanzierbare Konzepte von heute zahlen morgen und übermorgen unsere Kinder. Darüber hinaus leisten Sie auch den Frauen einen Bärendienst. Für den Betrag Ihres Familiengeldes bleibt kaum ein Mann zu Hause. Mütter dagegen werden durch dieses Familiengeld in das berufliche Abseits geschickt; denn jeder weiß, wie schwierig ein beruflicher Wiedereinstieg nach einer längeren Pause ist. ({4}) Der von der rot-grünen Bundesregierung eingebrachte Haushaltsentwurf für 2002 macht dagegen deutlich: Wir rücken die Familien dahin, wo sie hingehören, nämlich in das Zentrum unseres politischen Handelns. Wir schaffen beides: Wir setzen den soliden Konsolidierungskurs fort und stellen trotzdem mehr Mittel für die Förderung der Familien zur Verfügung. Rund 102 Milliarden DM beträgt das Gesamtvolumen der Leistungen und der Steuererleichterungen für Familien im Jahr 2002. Das sind rund 24 Milliarden DM mehr als bei unserem Regierungsantritt im Jahr 1998, also 24 Milliarden DM mehr, als Sie, meine Herren und Damen von der Opposition, für Familien übrig hatten. ({5}) Die rot-grüne Regierungskoalition hat in Sachen Familienpolitik ein gerechtes Reformpaket geschnürt, das sich im Haushaltsentwurf 2002 deutlich widerspiegelt. Familien erhalten ab dem 1. Januar 2002 mehr Kindergeld. Frau Böhmer, das sind in der Tat 80 DM mehr innerhalb einer kurzen Zeit. ({6}) Sie hatten 16 Jahre Zeit. 80 DM mehr, das sind 36 Prozent mehr für die Familien und ihre Kinder. ({7}) Familien können auch einen höheren Freibetrag für Betreuung, Erziehung und Ausbildung steuerlich geltend machen. Gleichzeitig wird der Kinderfreibetrag für den existenziellen Sachbedarf eines Kindes endlich den gestiegenen Lebenshaltungskosten angepasst. Familien profitieren nicht nur im Rahmen des Gesetzes zur Familienförderung, sondern auch - hören Sie ruhig zu! - von der Steuerreform. Gerade Familien mit kleinem und mittlerem Einkommen werden erheblich weniger Steuern zahlen. Klar, Ökosteuer ist das Stichwort. Diese Entlastung bleibt auch dann noch bestehen, wenn man die Belastung durch die Ökosteuer hinzurechnet. Wir haben für eine umfangreiche Entlastung gesorgt; denn keine Familie kann so viele Kilometer fahren, dass die Entlastung, die wir den Familien zukommen lassen, durch die Ökosteuer aufgehoben wird. ({8}) Darüber hinaus haben wir viele andere Maßnahmen für Familien auf den Weg gebracht. Der Sorge der Familien um die berufliche Zukunft ihrer Kinder treten wir unter anderem mit dem Sofortprogramm gegen Jugendarbeitslosigkeit entgegen. Das JUMP-Programm hat zu einer deutlichen Senkung der Jugendarbeitslosigkeit geführt. Da dieses Programm so erfolgreich war, verstetigen wir die Maßnahmen und übernehmen wesentliche Elemente in das neue SGB III, in die reformierte Arbeitsförderung. ({9}) Auch eine weitere Sorge beschäftigt die Familien: die Gefahr des Rechtsextremismus, der Jugendliche ausgesetzt sind. Frau Bläss, Sie haben gerade gesagt, dass wir in unserem Haushalt eine Kürzung von 40 Millionen DM vornehmen. Das ist so nicht richtig. Sie wissen ganz genau, dass wir in den Haushalt 2001 einmalig einen Kinder- und Jugendplan im Umfang von 30 Millionen DM eingestellt haben. Den Etat für Projekte gegen Rechtsextremismus in den neuen Bundesländern verstetigen wir mit 10 Millionen DM im Jahr 2002. Ich gebe Ihnen aber Recht, dass wir vielleicht noch ein bisschen mehr tun müssen. Vielleicht sollten wir darüber hinaus gemeinsam genauer hinschauen, welche Projekte besonders erfolgreich waren, und in der parlamentarischen Debatte einen höheren Betrag zur Verstetigung der zielorientierten präventiven Jugendarbeit einfordern. Da teilen wir Ihre Auffassung. Konsolidierung der Haushalte, Reformierung der Familienförderung, Steuerreform, Reform des Erziehungsgeldes, BAföG-Reform, Wohngeldreform - das sind Maßnahmen, die bei den Familien unmittelbar ankommen. Im Mittelpunkt des rot-grünen Haushaltsentwurfs 2002 steht eindeutig die Familie. ({10}) - Frau Lenke, auch wenn Sie es nicht wahrhaben wollen: Es ist so. Unsere Familienpolitik sorgt für mehr soziale Gerechtigkeit. Unsere Familienpolitik schafft die Voraussetzungen für mehr Bildungsbeteiligung von Familien mit niedrigem und mittlerem Einkommen. Unsere Familienpolitik sorgt für Chancengleichheit von Männern und Frauen.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Frau Kollegin Humme, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Lenke?

Christel Humme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003155, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, ich möchte jetzt zum Schluss kommen. Danach kann Frau Lenke gerne etwas sagen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, Sie sehen: Wir handeln, Sie halten Sonntagsreden. Danke schön. ({0})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Als letzter Redner in dieser Debatte spricht nun der Kollege Klaus Holetschek für die CDU/CSU-Fraktion.

Klaus Holetschek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003153, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was Sie hier geboten haben, wäre noch nicht einmal in einem schlechten Bauerntheater zu verkraften. Was Sie uns hier als Familienpolitik vorsetzen wollen, das ist doch wohl eine Zumutung. ({0}) Sie brüsten sich hier irgendwelcher Wohltaten, zum Beispiel der Kindergelderhöhung. Denken Sie einmal daran, was Sie eigentlich für diejenigen Familien tun, die mehr als zwei Kinder haben! Wo sind denn da Ihre Leistungen? ({1}) - Ich weiß, dass Sie das nicht hören wollen. Sie stellen sich hierhin und behaupten: Früher war alles schlecht; wir sind jetzt drei Jahre an der Regierung; wir können jedoch nichts ändern und nichts für die Familien tun, weil uns die nötigen Mehrheiten fehlen. Es ist ganz einfach: Sie versuchen, schwarzer Peter zu spielen; aber das klappt nicht immer. Auch die Leute draußen werden Ihnen das nicht abkaufen. ({2}) Sie nehmen eine Umverteilung vor. Ich kann Ihnen - die Fraktion der Grünen ist nur noch mit einer Person vertreten - das Wort Ökosteuer nicht ersparen. ({3}) Es ist eine typische Umverteilung: raus aus der einen Tasche und rein in die andere Tasche. Das wird nicht klappen und das werden die Menschen draußen im Lande Ihnen auch übel nehmen. Es besteht kein Zweifel: Wir sind für die Wahlfreiheit zwischen Familie und Erwerbstätigkeit. Aber Sie müssen auch die Leistungen der Mütter und Hausfrauen in unserem Land anerkennen und gleich werten. ({4}) Da ist es wenig hilfreich - hören Sie bitte zu; vielleicht können Sie daraus etwas mitnehmen -, wenn Ihr Bundespresseamt Kampagnen unter dem Motto startet: Internet ist in und die drei K - Kinder, Küche, Kirche - sind out. Es ist letztendlich eine Diffamierung auch derer, die daheim als Mutter und Hausfrau tätig sind. Es gibt nicht nur Ihr Familienleitbild, sondern ein vielfältiges Bild der Familie. Auch das sollten Sie zur Kenntnis nehmen. ({5}) Die Prioritätensetzung in Ihrer Familienpolitik ist klar. Sie verwenden viel Zeit darauf, ein Lebenspartnerschaftsgesetz auf den Weg zu bringen. ({6}) Kein Thema: Wir sind tolerant; andere Lebensformen müssen respektiert werden. Aber vielleicht hätten Sie ein bisschen mehr Zeit auf eine nachhaltige Familienpolitik verwenden müssen. ({7}) Am 1. August waren sehr viele von Ihnen auf den Standesämtern; Sie haben sich um die Standesämter förmlich gedrängelt. Vielleicht gehen Sie auch einmal hin, wenn normale Eheschließungen stattfinden, und gratulieren auch diesen Menschen. ({8}) Frau Ministerin, freiwilliges soziales Jahr und Entsendegesetz: Es war eine große Ankündigung, dass Sie für die freiwillig im Ausland Tätigen etwas tun wollen. Was ist bis jetzt passiert? - Gar nichts. Sie haben gesagt, Sie machen ein Entsendegesetz, um die sozialversicherungsrechtliche Absicherung auch dieser Personen zu gewährleisten. Jetzt wollen Sie uns einen Entwurf zur Reform des freiwilligen sozialen und des freiwilligen ökologischen Jahres verkaufen. Da werden die entsprechenden Regelungen hineingemixt. Ich habe schon die Ankündigung aus Ihrem Ministerium gehört, dass in der nächsten Wahlperiode ein Entsendegesetz kommen wird. Es wird sicherlich kommen, aber hoffentlich nicht unter Ihrer Regierung. ({9}) Hier ist eindeutig noch nichts passiert, obwohl es ein wichtiger Bestandteil in Ihrer Koalitionsvereinbarung war. Den Zivildienst hat die Kollegin Böhmer schon angesprochen. Die Kürzungen sind uns alle bekannt. Es sind auch keine Qualitätsverbesserungen in Bezug auf Fortund Ausbildung zu spüren. Im Gegenteil: Hier ist gestrichen worden. Ich komme zum Ehrenamt. Für dieses Jahr haben Sie einen großen Ansatz für das Ehrenamt im Haushalt. Das ist sehr gut. Aber er wird im nächsten Jahr erheblich gekürzt. Es kann nicht sein, dass man ein Jahr das Ehrenamt und die Regierung für ihr Engagement feiert; aber im nächsten Jahr ist wieder Schluss damit. Wir haben eine Enquete-Kommission, die sich diesem Thema widmet. Das Ehrenamt muss nachhaltig gefördert werden, weil die Leistungen für unsere Gesellschaft von unvorstellbarem Wert sind. ({10}) Auch hier zeigt sich wieder einmal, dass es sich nur um Plattitüden und Ankündigungen handelt. Familienpolitik hat nicht nur etwas mit materiellen Dingen zu tun. Wir haben ein geschlossenes Konzept des Familiengeldes. Ich weiß, dass Sie Schwierigkeiten mit der Unterscheidung zwischen einer Vision und einer Utopie haben. Familiengeld ist eine Vision, die wir haben und die sich auch umsetzen und finanzieren lässt. Ich erinnere daran: Zusammenführung von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe, bessere Durchsetzung des Lohnabstandsgebots, Abschaffung der Sozialleistungen, wenn zumutbare Arbeit nicht angenommen wird, und vieles mehr. Das alles trägt zu einer Finanzierung bei. ({11}) Die Bereitschaft, die Familien immateriell zu fördern, und Erziehungskompetenz sind bei Ihnen nicht zu finden. Die Werte, die für die Familien als Fundament und Keimzelle unserer Gesellschaft wichtig sind, kommen eindeutig zu kurz. Angesichts Ihrer Politik brauchen wir nicht nur ein Bündnis für Arbeit, sondern ein Bündnis für Familienwerte, die vermittelt werden müssen und die wieder im Zentrum stehen müssen. ({12}) In ein solches Bündnis für Werte gehören auch die Kirchen. Minimallösungen auf Ihrer Seite und kein Gesamtkonzept. Ich kann nur wiederholen: Wenn wir der Familienpolitik den Stellenwert in unserer Gesellschaft einräumen, den jeder hier fordert, dann müssen wir auch die Prioritäten dementsprechend setzen. Ich vermisse eindeutig die Prioritätensetzung bei Ihnen. Ein weiteres Thema wäre sicher auch der familienorientierte Umbau der sozialen Sicherungssysteme, wie wir ihn auch im Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Pflegeversicherung jetzt vorgegeben bekommen haben. Auch das müssen wir uns zu Herzen nehmen. Die Zeit drängt. Die demographische Entwicklung zwingt uns zum Handeln. Ich sage Ihnen noch einmal: Stoppen wir diesen Trend! Widmen wir uns den Familien als Basis unserer Gesellschaft! Das Ziel darf dabei nicht nur die ökonomisch optimierte Familie, sondern das Ziel muss die glückliche Familie sein. Das muss auch die Politik erkennen. ({13})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich schließe die Aussprache. Wir sind am Schluss der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestags auf morgen, Donnerstag, den 27. September 2001, 9 Uhr, ein. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend. Die Sitzung ist geschlossen.