Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 7/5/2001

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Hans Eichel (Minister:in)

Politiker ID: 11003522

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das die klagenden Länder Bayern, Baden-Württemberg und Hessen erstritten hatten, war es notwendig, den bundesstaatlichen Finanzausgleich neu zu ordnen, und zwar in zwei Stufen: mit einem Maßstäbegesetz, das die abstrakten Grundlagen für den Finanzausgleich legt, und zwar bis zum 31. Dezember 2002, und einem neuen Finanzausgleich, aufbauend auf dem Maßstäbegesetz mit Wirkung spätestens zum 1. Januar 2005. Gleichzeitig war ein neuer Solidarpakt für den Aufbau Ost abzuschließen, da der Solidarpakt I, der 1993 vereinbart worden war und 1995 in Kraft getreten ist, am 31. Dezember 2004 ausläuft. Deswegen hatten wir ein komplexes Thema vor uns. Die Länder und der Bund hatten verabredet - dies war ursprünglich der Wunsch der Länder -, in dieser Wahlperiode nicht nur, wie vom Verfassungsgericht vorgesehen, das Maßstäbegesetz zu verabschieden, sondern auch den Solidarpakt II und den bundesstaatlichen Finanzausgleich zu regeln. Der Zeitplan dafür, den Bund und Länder vereinbart hatten, sah - erstens - die Verabschiedung des Maßstäbegesetzes und - zweitens - eine grundsätzliche Verständigung über die Neuordnung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs und den Solidarpakt II vor der Sommerpause dieses Jahres vor. Ich stelle fest, dass dieser Zeitplan, wie ihn Bund und Länder verabredet hatten, eingehalten werden konnte, wenngleich es - das möchte ich ausdrücklich sagen - in der Zwischenzeit auch geknirscht hat. Aber ich halte es für ein ganz beachtliches Zeichen der Fähigkeit der Länder, sich untereinander zu einigen, und der Fähigkeit des Bundes, sich mit den Ländern zu verständigen, dass ein so grundlegendes Problem, das im Übrigen zu tief greifenden Auseinandersetzungen zwischen Bund und Ländern sowie der Länder untereinander geführt hat, im Wege einer allgemeinen Einigung vor der Sommerpause dieses Jahres gelöst werden konnte. ({0}) Für den Bund sage ich ausdrücklich: Auch wir hatten einen Fahrplan. Dieser sah vor, dass wir unsererseits, bevor wir die Einigung mit den Ländern über den Solidarpakt II und den Finanzausgleich suchen, nicht nur den Haushaltsplanentwurf für das Jahr 2002, sondern auch die mittelfristige Finanzplanung, die bis einschließlich 2005 gilt, verabschieden; denn für mich war ganz entscheidend, dass sich die Einigung mit den Ländern im Rahmen des Konsolidierungskurses bewegt, den wir im Sommer 1999 eingeschlagen haben. Ich kann feststellen: Auch dies ist eingehalten worden. Nun komme ich auf die Lösung zu sprechen. Wir können jetzt - das ist meine herzliche Bitte an Sie - das Maßstäbegesetz vor der Sommerpause, so wie es geplant war, verabschieden. Wir haben Klarheit über den Finanzausgleich und den Solidarpakt II. Das ist eine grundlegende Weichenstellung für die nächsten 20 Jahre. ({1}) Ich möchte dabei deutlich machen: Wir streben langfristige Linien und Klarheit in der Finanzpolitik an, und zwar nicht nur bei der Haushaltskonsolidierung und der Steuerpolitik - wir haben bereits Steuersenkungen für zwei Wahlperioden gesetzlich festgeschrieben -, sondern auch beim Aufbau Ost sowie bei den Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern und der Länder untereinander; denn Stabilität im System macht Flexibilität und auch den Wettbewerb der Ideen erst möglich. Deshalb halte ich es - ich sage das, weil ich weiß, dass es darüber Diskussionen gegeben hat - auch für vernünftig - die zeitliche Begrenzung gibt der Solidarpakt II vor -, dass Deutschland dann - so haben wir es verabredet -, wenn seine innere Einheit im Jahr 2020 hergestellt ist, noch einmal die Chance hat, das föderale System und die Finanzbeziehungen grundlegend auf den Prüfstand zu stellen und entsprechend, wenn das dann gewollt wird, zu reformieren. Es war ohnehin klar, dass der Solidarpakt II auf 15 Jahre angelegt wird. Es ist vernünftig, dass alle Revisionsklauseln, über die zwischendurch debattiert worden ist, für den Finanzausgleich auch vor dem Hintergrund aufgegeben worden sind, dass 2020 ein neuer Finanzausgleich in Kraft treten wird, der definitiv die ostdeutschen Länder mit allen Rechten und Pflichten in das gesamtdeutsche System hineinnehmen wird. Das bedeutet selbstverständlich nicht, dass 2020 mit der Förderung der ostdeutschen Länder Schluss wäre. Vielmehr wird dann in Deutschland nicht mehr zwischen Ost und West, sondern schlicht nach gleichen und ungleichen Lebensverhältnissen unterschieden werden. Das heißt selbstverständlich, dass es weiterhin einen Finanzausgleich, in dessen Rahmen die Stärkeren für die Schwächeren einzustehen haben, geben wird und dass der Bund weiterhin eine Strukturpolitik betreiben wird, die auf die unterschiedlichen Situationen in den Ländern mit der Zielsetzung Präsident Wolfgang Thierse einwirkt, wertgleiche Lebensbedingungen in allen Regionen unseres Landes, wie es im Grundgesetz festgelegt ist, herzustellen. Entscheidend ist aber: Wir haben für eine halbe Generation Klarheit geschaffen. ({2}) Das heißt - auch das muss man sich klarmachen -, dass die Herstellung der inneren Einheit Deutschlands - ich möchte gar nicht kritisch zurückblicken; ich sage das für uns alle - länger dauern wird, nämlich eine Generation, als wir es ursprünglich im ersten Überschwang gedacht hatten. Wir brauchen eine Generation und noch viel Geld für den Aufbau Ost, damit die ostdeutschen Länder die Chance haben, zu den westdeutschen Ländern aufzuschließen. Dass wir das geschafft haben, auch mit dieser Perspektive, zeigt, dass der Föderalismus in Deutschland reformfähig ist. Ich sage aber auch ausdrücklich: Es gibt auch Reformnotwendigkeiten. Es gibt nicht erst Reformnotwendigkeiten im Jahr 2020, wenn angesichts der inneren Einheit Deutschlands, die dann hergestellt sein wird, alles neu auf den Prüfstand kommt, sondern es gibt bereits vorher Reformnotwendigkeiten. Das finden Sie übrigens in unseren Verabredungen. Nachdem wir für den Solidarpakt II Klarheit geschaffen haben, wollen wir, dass künftig die ostdeutschen Länder, nachdem die Mittel für das Schließen der Infrastrukturlücke klar sind, die Verantwortung selbst übernehmen und selbst dokumentieren, was sie mit dem Geld tun. Das ist der Sinn der Fortschrittsberichte, die von den ostdeutschen Ländern - das war deren eigene Vorstellung - jedes Jahr vorgelegt werden. Wir alle hantieren ja mit dem Geld der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler dieses Landes. Deswegen sind wir ihnen rechenschaftspflichtig. Wir geben den ostdeutschen Ländern aber auch Selbstständigkeit. Das heißt, die Mittel werden nicht mehr aufgespalten in ungebundene Sonderbundesergänzungszuweisungen und gebundene Investitionsfördermittel nach dem Investitionsfördergesetz, sondern die Mittel nach dem Investitionsfördergesetz werden in ungebundene Mittel umgewandelt und in den Finanzausgleich integriert. Ich halte das für einen großen Fortschritt. ({3}) Ich weiß aber auch, dass es immer mehr darauf ankommt - das wird Diskussionen auslösen; das wissen aber auch die ostdeutschen Länder -, die etwas altertümliche Unterscheidung zwischen konsumtiven und investiven Ausgaben aufzugeben - konsumtive Ausgaben senken und investive Ausgaben erhöhen - und vielmehr zukunftsbezogene Ausgaben zu stärken. So sind zum Beispiel die Ausgaben für Bildung und Forschung keine Investitionen im klassischen Sinne, sondern konsumtive Ausgaben; aber es sind Ausgaben, die helfen, künftigen Wohlstand zu erzeugen. Da wird es noch Diskussionen in den ostdeutschen Ländern selbst darüber geben, was sie mit der zusätzlich gewonnenen Verantwortung und Freiheit machen. Das finde ich aber auch richtig. Das ist gelebter Föderalismus. ({4}) Außerdem werden wir in der Zwischenzeit an das Thema der Mischfinanzierung herangehen. Ich bin sehr gespannt, wie die Position der Länder am Schluss wirklich sein wird. Die Bundesregierung steht dieser Diskussion nicht nur aufgeschlossen gegenüber; sie bereitet sich systematisch darauf vor und wird auch ihren Beitrag dazu leisten. Lassen Sie mich in aller Freundschaft eines sagen, weil ich das eine oder andere aus den Ländern gehört habe: Die Abschaffung der Mischfinanzierungstatbestände wird nicht so laufen, dass der Bund alles Geld herübergibt, also weiter finanziert, und die Länder entscheiden, sondern die Abschaffung der Mischfinanzierungstatbestände wird vernünftigerweise so vor sich gehen, dass man sich Aufgabe für Aufgabe ansieht, dann entscheidet, wer welche Aufgabe besser erfüllen kann, die Länder oder der Bund, und die Finanzen dementsprechend aufteilt. Erst danach folgt die Auflösung der Mischfinanzierungstatbestände. Die Auflösung der Mischfinanzierungstatbestände - das will ich mit aller Klarheit sagen - muss dann auch ausgabenneutral erfolgen. Das ist keine Gelegenheit, im Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern Geld hinund herzuschieben und insgesamt zu höheren Ausgaben zu kommen. Das kann nicht das Ziel der Veranstaltung sein, im Gegenteil: Wenn wir mehr Klarheit über die Ausgabenverantwortung haben, was ich für sehr wünschenswert halte, dann müsste es doch auch die Chance geben, mit denselben Mitteln mehr zu machen, sie effizienter einzusetzen oder aber auch mit etwas weniger Mitteln auszukommen. Beides muss möglich sein. So müssen wir die Diskussion um die Auflösung der Mischfinanzierungstatbestände anlegen. ({5}) Das also sind Wege zur weiteren Reform des Föderalismus, die am vorvergangenen Wochenende zwischen Bund und Ländern einvernehmlich so diskutiert und in den Beschlüssen auch niedergelegt worden sind. Heute geht es um das Maßstäbegesetz. Dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts folgend hat die Bundesregierung im Frühjahr den Entwurf eines Maßstäbegesetzes vorgelegt. Sie haben gesehen, dass dies auch prägend auf die Diskussion eingewirkt hat. Nun will ich etwas sagen, weil ich ja auch kritische Diskussionen führe: Ich halte das nicht für Schacherei und anderes - wie es von einigen bezeichnet wird -, sondern ich sehe das wie folgt. Die Länder nehmen ihre Interessen in Deutschland wahr, genauso wie wir als Deutsche unsere Interessen in Europa wahrnehmen. Das sind demokratisch gewählte Regierungen, die die Interessen ihrer Länder wahrnehmen. Die Regierungschefs der Länder und der Stadtstaaten hatten zuvor einvernehmlich festgestellt - das war die Grundlage -, dass die Länderneugliederung in diesem Zusammenhang keine Rolle spiele. Das bedeutet auch, dass man einen Finanzausgleich durchführen muss, der allen Mitgliedern der bundesstaatlichen Gemeinschaft eine auskömmliche Finanzierungsgrundlage sichert. Es macht keinen Sinn, einen Finanzausgleich zu schaffen, der einzelne Länder in eine Haushaltsnotlage bringt. Das wäre von vornherein falsch. Wer etwas anderes anstrebt, der muss sagen, dass er eine Länderneugliederung will. Alle Länder haben dezidiert gesagt, das sei für sie im Zusammenhang mit dem Finanzausgleich kein Thema. Hinter dem Maßstäbegesetz stehen die Gedanken einer auskömmlichen Finanzausstattung für alle und einer besonderen Solidarität mit den ostdeutschen Ländern während einer halben Generation, also in den nächsten 15 Jahren - das haben wir am Wochenende gemeinsam beschlossen -, um den Aufbau Ost weiterhin möglich zu machen. Die Bundesregierung hat in genauer Verfolgung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts darauf gedrungen, dass das System einfacher und transparenter wird, dass es eine breitere Ausgleichsbasis erhält und dass auf dieser breiteren Ausgleichsbasis ein flacherer Tarifverlauf möglich wird, der viele Sondertatbestände integriert. Schließlich steht hinter dem Maßstäbegesetz der Gedanke, dass die Anreizwirkungen im System zugunsten derjenigen gestaltet sind, die in überproportionalem Maße - das sind nicht immer die Wohlhabenden - steuerlich belastet werden. Sie sollen mehr von dem behalten können, was sie überproportional bekommen haben. All diese Elemente finden sich - das will ich ausdrücklich einräumen - im Gesetzentwurf, wenn man ihn mit unserem ursprünglichen Entwurf vergleicht, nicht in Reinkultur wieder. Dieser Gesetzentwurf ist ein Ergebnis der Verabredungen der Länder untereinander und der Länder mit dem Bund. Das Problem des Deckungsquotenverfahrens zwischen Bund und Ländern - diesbezüglich gibt es im Maßstäbegesetz Lösungsansätze - ist noch zu lösen. Diese Frage ist, solange es die Bundesrepublik Deutschland gibt, nicht beantwortet. Ich halte es für unbefriedigend, dass die Finanzverteilung zwischen Bund und Ländern in Wirklichkeit immer nur über „politisches Armdrücken“ statt über nachvollziehbare Kriterien geregelt wird. ({6}) Auch wenn wir dieses Problem bisher noch nicht gelöst haben, halte ich es für einen großen Fortschritt, dass sich die Länder bereit gefunden haben, dieses Thema anzugehen, und zwar mit der Zielsetzung, noch in dieser Wahlperiode zu einem Ergebnis zu kommen. Ich will aber ebenso deutlich sagen: Für mich hängt diese Frage mit dem Ziel zusammen - dieses Thema ist hier ebenfalls zu behandeln; ich habe in dieser Hinsicht schon klare Vorschläge gemacht -, den Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt in innerdeutsches Recht umzusetzen. Die Finanzverteilung zwischen Bund und Ländern - sie wird im Übrigen immer Grund für politischen Streit sein, unabhängig vom Verfahren, das man findet - ist dann nicht mehr von besonderer Bedeutung, wenn wir uns alle auf den Weg der Haushaltskonsolidierung begeben und sich die Frage, was passiert, wenn jemand über die Stränge schlägt, überhaupt nicht mehr stellt. Meine Zielsetzung war es, auf diese Frage eine Antwort zu finden. Nach allen Diskussionen, die wir geführt haben - die Länder brauchen noch ein bisschen Zeit -, glaube ich, dass wir eine Chance haben, gemeinsam in diese Richtung zu gehen. Ich sage ausdrücklich: Aus meiner Sicht muss die Regelung des Deckungsquotenverfahrens mit der Implantierung des Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes in das innerdeutsche Recht verbunden werden. Wir wollen einer Einigung in dieser Angelegenheit nicht im Wege stehen. Ich glaube, dass dieser Tag aufgrund dessen, was wir am Wochenende beschlossen haben, ein großer Tag für den Föderalismus und für seine Reformfähigkeit ist. ({7}) - Sie müssen einmal aufpassen! ({8}) - Ich habe nicht Ihr Manuskript, Herr Koppelin. Sie können Ihre Rede gleich hier abliefern; das ist wohl wahr. Sie müssen sich einmal entscheiden. Zwar sind Sie zurzeit nur in wenigen Ländern an der Regierung beteiligt; doch dort, wo dies der Fall ist, tragen Sie diese Politik natürlich mit. Deswegen muss auch Ihre Partei einmal zu einer einheitlichen Strategie kommen. ({9}) Es geht nicht an, dass Sie in Mainz, in Wiesbaden und in Stuttgart kräftig mitregieren, aber im Deutschen Bundestag sagen: Wir verabschieden uns von all dem, was unsere Parteifreunde in den Ländern machen. ({10}) - Ich weiß, dass das der Bundestag ist. Sehr verehrter Herr Westerwelle, Sie müssen versuchen, eine einheitliche liberale Antwort auf die bundespolitischen und auf die länderpolitischen Fragen zu finden. ({11}) Wenn das nicht möglich wäre, dann gäbe es keine Einigung. Sie machen es sich ein bisschen leicht. Ich vertrete hier massiv die Bundesinteressen. Wenn das während der Zeit, als Sie an der Bundesregierung beteiligt waren, auch immer so gewesen wäre, wäre für den Bund vielleicht manches ein bisschen leichter. Verehrter Herr Westerwelle, Ihre Partei wird nicht umhin kommen - das werden Sie mit Herrn Braukhage, Herrn Brüderle und vielen anderen ausmachen müssen -, zu einer gemeinsamen Position zu kommen. Wenn Sie die nicht finden, ist Ihre Partei für den Föderalismus leider ein Ausfall. ({12}) Nur die Parteien, die am Schluss zu einer einheitlichen Linie zwischen Bund und Ländern finden, können dieses Problem lösen. Deshalb sage ich hier mit aller Klarheit: Die Bundesregierung wollte eine Regelung bezüglich der Frage, was passiert, wenn Haushaltsnotlagen entstehen, ins Gesetz schreiben; sie findet sich im jetzigen Gesetz nicht wieder. Die Rechtsposition des Bundes hat sich aber in keiner Weise geändert. Solange ich Bundesfinanzminister bin, werde ich alles daran setzen, die entsprechende Regelung durchzusetzen, falls der Fall jemals auftritt. Es ist eine gemeinsame Sache von Bund und Ländern, einem unverschuldet in Not geratenen Land bzw. einem Mitglied der bundesstaatlichen Gemeinschaft zu helfen. Damit es völlig klar ist - das werde ich auch am nächsten Freitag im Bundesrat so sagen -: Das ist nicht alleinige Aufgabe des Bundes. ({13}) Fazit: Wir haben in der Tat ganz klare Linien gezogen, und zwar gemeinsam, trotz allen Streites, den es im Vorfeld gegeben hat und den es immer geben wird, wenn es um Geld geht. Ich wiederhole: Verehrter Herr Koppelin, das ist Föderalismus. Dem Föderalismus sind wir alle verpflichtet. Bundestreue ist eine wechselseitige Verpflichtung. Falls das nicht klar sein sollte, sage ich es Ihnen: Der Deutsche Bundestag hat die föderalen Belange genauso zu achten, wie die Länder diese im Bundesrat zu achten haben. ({14}) Der Bundestag und der Bundesrat sind die Gesetzgebungsorgane des Bundes und der Bund besteht aus den Ländern. So muss das verstanden werden. ({15}) Ich lege großen Wert darauf festzustellen, dass wir große Schritte vorangekommen sind. ({16}) Vor allen Dingen haben wir die Finanzpolitik langfristig klar angelegt. Ich nenne nur den Weg der Haushaltskonsolidierung, der aus dem Schuldenstaat herausführt, die langfristig angelegte Steuerpolitik und die langfristig angelegten Regelungen für den Aufbau Ost sowie für die Finanzverteilung zwischen Bund und Ländern. Meine Damen und Herren, ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({17})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Heinz Seiffert, CDU/CSU-Fraktion.

Heinz Seiffert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002797, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Maßstäbegesetz, das wir heute beschließen, ist Teil der Einigung der Ministerpräsidenten vom 23. Juni dieses Jahres. Ich will diese Einigung bestimmt nicht kleinreden, sondern ausdrücklich würdigen. Der Euphorie und dem Jubel aber, den der Bundeskanzler und einige Ministerpräsidenten sowie jetzt am Schluss auch Herr Eichel verbreitet haben, kann ich mich beim besten Willen nicht anschließen. ({0}) Das war kein großer Tag. Dieser Kompromiss war keine Sternstunde für den Föderalismus, sondern hart errungen und mit ganz erheblichen Schönheitsfehlern behaftet. Die 16 Ministerpräsidenten waren sich mit der Bundesregierung einig, dass der Finanzausgleich nicht grundlegend reformiert, sondern so weiter geführt wird, dass alle - der Bund und die Länder - profitieren. Möglich wurde dies nur durch die Einbeziehung des Fonds „Deutsche Einheit“ in den Finanzausgleich. Dieses Vorgehen verschaffte die notwendige Manövriermasse, andere sagen: das nötige Spielgeld. Bund und Länder waren sich einig, in den Jahren 2002 bis 2004 die Tilgung im Fonds „Deutsche Einheit“ fast vollkommen auszusetzen. Von 2005 bis 2019 übernimmt der Bund die Zins- und Tilgungslasten. Er lässt sich den Aufwand teilweise durch eine Vorwegentnahme aus dem Umsatzsteuertopf entgelten und vermindert seine Tilgungsleistungen weiter. Diese scheinbar elegante Lösung hat einen entscheidenden Nachteil: Die Tilgungsstreckung geht voll zulasten derer, die nicht am Verhandlungstisch gesessen haben, nämlich zulasten der kommenden Generationen, der künftigen Steuerzahler und übrigens auch der künftigen Regierungen. ({1}) Herrn Finanzminister Eichel wird diese Liquiditätsschöpfung im Wahljahr helfen, seine Haushaltsprobleme zu bewältigen. Er hat durch diese Aktion bis 2004 deutlich über 4 Milliarden DM an Tilgungsausgaben vermieden und damit Liquidität geschöpft. Auch den Ländern kommt diese Tilgungsstreckung durchaus gelegen. Das ist ein sehr bequemer Weg, der da gemeinsam beschritten wird. Aber richtig ist das nicht. Ich kann es nicht unterlassen, bei dieser Gelegenheit ins Jahr 1997 zurückzublenden. Damals hat die alte Regierung den Tilgungsbetrag für 1998 bis 2000 um je 3 Milliarden DM gekürzt. Das ist wahr. Dies war jedoch damals problemlos möglich, weil unter Theo Waigel zu diesem Zeitpunkt der Tilgungsplan übererfüllt war. Damals haben Veräußerungserlöse zur überplanmäßigen Schuldentilgung im Fonds „Deutsche Einheit“ beigetragen und diese sind auch dafür verwendet worden. Von einem ursprünglichen Gesamtvolumen des Fonds in Höhe von 160 Milliarden DM ist bis zum Regierungswechsel 1998 von Bund und Ländern gemeinsam fast die Hälfte getilgt und finanziert worden. Es war somit völlig klar, dass die Tilgung des Fonds bis 2016, also innerhalb einer Generation, wie dies immer geplant war, abgeschlossen werden kann. Heute aber streitet man sich, wer - der Bund oder die Länder - den Betrag zahlt, der nach 2019 noch immer zu tilgen ist. Das ist der Unterschied zwischen der damaligen Situation und heute. ({2}) Trotzdem ist Theo Waigel für eine damalige maßvolle und sehr wohl begründete Tilgungsstreckung von der seinerzeitigen Opposition scharf angegriffen worden. Herr Kollege Spiller hat - ich zitiere das Protokoll vom 9. Oktober 1997 - der damaligen Regierung „Buchhaltertricks“ und „Bilanzkosmetik“ vorgeworfen. Der Kollege Oswald Metzger - auch ihn darf ich zitieren - hat das damals als eine Politik des „Nach uns die Sintflut“ bezeichnet. So ändern sich also die Zeiten. ({3}) Jetzt bin ich einmal gespannt. Sie haben ja gleich Gelegenheit, einmal darzustellen, wie Sie es heute beurteilen. Tatsache ist und bleibt: Der Griff in den Fonds „Deutsche Einheit“ hat vom Zwang entbunden, eine wirkliche Reform des Finanzausgleichs vorzunehmen. Nur so war es möglich, zulasten künftiger Steuerzahler einen Minimalkonsens zu finden, der letztendlich alle Beteiligten als Sieger erscheinen lässt. Das Maßstäbegesetz, das Grundlage für den neuen Finanzausgleich und den Solidarpakt sein soll, erfüllt leider in vielen Punkten nicht unsere Vorstellungen und wohl auch nicht die des Bundesverfassungsgerichts: Durch den jetzt eingeschlagenen Weg wird der Finanzausgleich nicht einfacher und transparenter, sondern teilweise noch komplizierter und noch unverständlicher. Zu den zahllosen Rechenschritten, die notwendig sind, kommen weitere hinzu. Das bringt ein Mehr an Rechenaufwand und damit ein Weniger an Verständlichkeit und Transparenz. Praktisch alle Sonderregelungen bleiben erhalten und neue kommen hinzu. Wenn ich das Urteil des Bundesverfassungsgerichts richtig verstanden habe, dann hätten diese Sondertatbestände auf ihre Berechtigung und Rationalität hin überprüft werden sollen; dann hätten Maßstäbe beschrieben und Kosten nachgewiesen werden müssen; dann hätten Grundsätze und Fakten konkret benannt werden müssen. Dies alles ist leider ziemlich unterblieben. „Von Maßstäben habe ich wenig gehört“, hat der Ausschussvorsitzende Kröning dem „Spiegel“ berichtet. ({4}) Leider waren sachfremde Erwägungen und Zusagen des Herrn Bundeskanzlers, die er im Zusammenhang mit der Steuerreform gemacht hat, wichtiger und entscheidender. ({5}) So haben wir also künftig - wohl bis 2019 - die Stadtstaatenregelung mit einer Einwohnergewichtung von 135 Prozent wie bisher, unabhängig von der unterschiedlichen Größenordnung. Wir bekommen neuerdings eine stärkere Einwohnergewichtung für dünn besiedelte Ostländer. Zur Deckung der Kosten für die politische Führung in den kleinen Ländern werden auch künftig - zwar um ein Drittel verringert - weiter Bundesergänzungszuweisungen gewährt. Auch die Hafenlasten sind zwar gekürzt, aber nicht ganz vergessen worden. Für Rheinland-Pfalz sollen, damit man auch dort einen Reformgewinn vermelden kann, noch 20 Millionen DM pro Jahr draufgesattelt werden. Damit ich nicht missverstanden werde: Ich gönne jedem einzelnen Land seine Zuweisungen und Vorteile. Allerdings hätte ich in dem Maßstäbegesetz gern ihre Berechtigung nachgewiesen gehabt. Dasselbe gilt für die Einbeziehung der kommunalen Finanzkraft in das Ausgleichssystem. Hier wurde ein höherer Ansatz gewählt - statt seither 50 Prozent künftig 64 Prozent -, unabhängig davon, ob nun die Finanzautonomie der Kommunen seit der letzten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 1992 zugenommen hat oder kleiner geworden ist. Die Erhöhung von 50 auf 64 Prozent war das Ergebnis mehr eines Kuhhandels als eine Prüfung der Fakten. Dies sind alles Kritikpunkte, die nach meiner Überzeugung mehr sind als Schönheitsfehler. Wenn die CDU/CSU-Fraktion dem Gesetz, das richtigerweise bis Ende 2019 befristet wird, dennoch zustimmen wird, so hat dies folgende Gründe: Der Finanzausgleich wird durch das neue Gesetz für Zahler- und Empfängerländer ein Stück weit gerechter. Es ist gelungen, die Anreizwirkung im System deutlich zu verbessern, ohne dadurch dem Wettbewerbsföderalismus zu sehr zu huldigen. Wir halten es für richtig, dass durch die Abflachung der Ausgleichstarife Geber- wie Empfängerländer für erfolgreiches Wirtschaften künftig besser belohnt werden. ({6}) Auch das Prämienmodell, das ab 2005 einen verbesserten Selbstbehalt bringt, ist ohne Vorbehalt zu befürworten. Für wichtig halte ich ebenso, dass durch diesen Anreiz auch die Empfängerländer profitieren. Schließlich ist es voll berechtigt, bei 72,5 Prozent eine Abschöpfungsobergrenze einzuziehen. Da durch dieses verbesserte Anreizsystem künftig auch die Finanzkraftreihenfolge im Länderfinanzausgleich wohl ehere eingehalten wird, erscheint eine wichtige Forderung des Bundesverfassungsgerichts in diesem Punkt erfüllt. Dass sich die Ministerpräsidenten auf diese sicher erst langfristig wirkende Verbesserung der Anreizwirkung verständigen konnten, ist hoch einzuschätzen. Dies ist ein wichtiger Beitrag für das gutnachbarschaftliche Miteinander in unserem föderalen Staatsaufbau. Eindeutig positiv sehe ich auch die Einigung der Ministerpräsidenten auf die Fortführung des Solidarpakts II. Ich sehe darin ein Stück verwirklichter Solidarität der Länder, auch der Geberländer, sowie des Bundes. Eines will ich aber zu dem, was in der Öffentlichkeit als großer Segen für die neuen Bundesländer verkauft worden ist - teilweise ist vermeldet worden, das sei mehr, als sie gewollt hätten -, klar sagen: Das ist deutlich weniger, als bisher gewährt wurde, und es ist deutlich weniger als das, was die neuen Bundesländer berechtigterweise verlangt und durch Gutachten als gerechtfertigte Forderung nachgewiesen haben. ({7}) Immerhin sollen die neuen Länder über das Geld aber nun frei verfügen können, ohne besondere Zweckbindung. Das begrüßen wir ausdrücklich, weil dies ein Stück mehr Gestaltungsmöglichkeit und Autonomie für die Länder schafft. Allerdings übernehmen die Länder damit auch mehr Verantwortung und sie werden sich künftig jährlich in einem Fortschrittsbericht an den Erfolgen messen lassen müssen. Es ist auch ausdrücklich zu begrüßen, dass die neuen Länder durch den Kompromiss zum Länderfinanzausgleich und zum Solidarpakt II bis zum Jahr 2019 Planungssicherheit erhalten. Das halte ich für wichtig, weil damit auch ein Stück Unabhängigkeit verbunden ist. Wenn wir diese Unabhängigkeit und das Vertrauen der Kommunen langfristig sichern wollen, muss der Bund alsbald die Kraft aufbringen, eine Neuordnung und Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung in Gang zu setzen. Zu dieser Föderalismusreform gehört auch eine umfassende Gemeindefinanzreform. ({8}) Wenn die Länder jetzt eine Entflechtung von Gemeinschaftsaufgaben und Mischfinanzierung anmahnen, so sollte der Bund die Chance ergreifen und alsbald auf dieses Verhandlungsangebot eingehen. Mit so genannter ruhiger Hand oder durch Aussitzen kann die Regierung dieses drängende Problem nicht lösen. ({9}) In 19 Sitzungen hat sich der Sonderausschuss seit November 2000 mit dem komplizierten Thema Maßstäbegesetz und Länderfinanzausgleich befasst. Über viele Monate hatten die Sitzungen den Charakter gehobener Volkshochschulfortbildungskurse. ({10}) Nach der Einigung der Ministerpräsidenten vor elf Tagen musste dann aber alles hoppla hopp gehen. In anderthalb Wochen wurde das Maßstäbegesetz durchgepaukt. Dieses überstürzte Vorgehen und der wahnsinnige Zeitdruck gehen ganz sicher zulasten der Qualität des Gesetzes. ({11}) Aber das kennen wir von dieser Regierung ja schon. Wenn ein Umdruck über einen Vorschlag zur Änderung der vertikalen Umsatzsteuerverteilung, also komplizierte Sachverhalte, erst am Morgen eines Sitzungstages als Vorlage auf den Tisch gelegt wird, dann kann man beim besten Willen nicht von einem geregelten und ordnungsgemäßen Verfahren sprechen. ({12}) Viele Kolleginnen und Kollegen von der Opposition haben sich durch dieses chaotische Verfahren ganz erheblich in ihren Mitwirkungsrechten beeinträchtigt gefühlt. Diese Kritik kann ich Ihnen nicht ersparen. Gleichwohl darf ich anerkennen, dass die Regierungskoalition bereit war, einige Änderungsvorschläge von uns zu akzeptieren und zu unterstützen; das kommt leider selten genug vor. Ich hoffe sehr, dass dies beim Finanzausgleichsgesetz, das wir richtigerweise noch in dieser Legislaturperiode verabschieden wollen, besser wird. Der Entschließungsantrag, den SPD, Grüne und PDS heute vorlegen, ist ebenso wie das Maßstäbegesetz mit heißer Nadel gestrickt worden. In verschiedenen Punkten war eine Überprüfung und Abstimmung mit den Landesministern schlichtweg nicht mehr möglich. Noch gestern sind am späten Nachmittag in diesem Entschließungsantrag Änderungen und Nachbesserungen vorgenommen worden. Ich fühle mich daher einfach nicht in der Lage, meiner Fraktion auf dieser unsicheren Basis eine Zustimmung zu diesem Entschließungsantrag zu empfehlen. Wir sollten uns im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens noch einmal in Ruhe und mit Sorgfalt mit all den Themen, die Sie jetzt in diesem Entschließungsantrag ansprechen, befassen. Wir werden uns deshalb bei der Abstimmung über den Entschließungsantrag der Stimme enthalten. Dem Maßstäbegesetz und dem Änderungsantrag, in dem die Befristung des Gesetzes bis Ende 2019 geregelt wird, stimmen wir nach reiflicher Abwägung zu. ({13}) Ich hoffe sehr, dass dieses Gesetz langfristig die Basis für einen gerechteren Finanzausgleich, der aber äußerst kompliziert ist, sein wird. Vielen Dank. ({14})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Liebe Kolleginnen und Kollegen, zwischendurch möchte ich mitteilen, dass die F.D.P. im Rahmen der Schlussabstimmung zu Tagesordnungspunkt 3 namentliche Abstimmung beantragt hat, die um etwa 11.30 Uhr stattfinden wird. Nun erteile ich das Wort dem Kollegen Oswald Metzger, Bündnis 90/Die Grünen.

Oswald Metzger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002736, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man fühlt sich schon ein wenig zwiespältig bei einem Gesetzgebungsverfahren, von dem man genau weiß, dass viele Absprachen und Abstimmungen, was sowohl die CDU- und CSU-regierten als auch die SPD-geführten Länder betraf, buchstäblich in Nachtsitzungen getroffen wurden und dass das grüne Licht für die jeweiligen Verhandlungspartner der Fraktionen erst am nächsten Vormittag kam. Nachdem wir am letzten Freitag hier im Plenum in diesem Zusammenhang eine große Messe gesungen haben - das betrifft alle, die zu diesem Thema gesprochen haben, auch einen CDU-Ministerpräsidenten, Herr Kollege Seiffert -, ist das Nachtarocken auf der Arbeitsebene, das in den letzten Tagen erfolgte, ziemlich erbärmlich. Das muss ich einfach loswerden; denn wenn man etwas von der Sache versteht, dann findet man das umso schlimmer. Andererseits ist es beruhigend, zu wissen, dass dieser Streit die breite Masse der Bevölkerung kaum erreicht. Denn dieses Thema interessiert den Normalbürger in der Tat fast gar nicht, obwohl es ihn interessieren müsste, weil es um extrem viel Geld geht, nämlich um 60 Milliarden DM Ausgleichsmasse pro Jahr. Wir sprechen hier über einen Zeitrahmen von 19 Jahren. Gesetze mit einer solch umfassenden und langfristigen Finanzwirkung verabschiedet der Bundestag extrem selten. Die öffentliche Aufmerksamkeit steht also in keinem Verhältnis zur Substanz, die in Gestalt der entsprechenden Finanzmasse vorliegt. Nun zu dem Thema - die F.D.P. hat dies behauptet; aber auch der Kollege Seiffert hat es in seinem Redebeitrag besonders herausgekehrt -, der Bund bzw. der Bundesfinanzminister verschiebe durch das Maßstäbegesetz und die parallel vorgesehene Einbeziehung des Fonds „Deutsche Einheit“ Lasten auf die Zukunft. Ich kann dies nicht bestätigen. Solange öffentliche Haushalte in dieser Republik ständig neue Schulden machen, ist zu hinterfragen - das soll mir, bitte schön, einmal jemand beantworten -, wer die Tilgung von Sondervermögen bezahlt. Die bezahlt man mit Krediten, also doch zulasten der heutigen Generation. Wie kann eine kreditfinanzierte Tilgung tatsächlich eine Entlastung der Steuerzahler sein? Überhaupt nicht! Das war es auch zu Ihrer Regierungszeit nicht. Deshalb haben wir dies damals kritisiert. Wir wollten es seriöser machen. Schauen Sie sich einmal den Bundeshaushalt dieses Jahres, den von 2001, an: Die Regierungskoalition hat im letzten Herbst den Effekt der Tilgungsstreckung beim Fonds „Deutsche Einheit“, der auf Druck der Bundesländer zustande kam, dazu genutzt, die Neuverschuldung im laufenden Jahr im Vergleich zum Regierungsentwurf des Bundesfinanzministers vom Mai letzten Jahres um 1,2 Milliarden DM abzusenken. Wir haben solide und seriös gehandelt. Sie können sich darauf verlassen, dass wir im Herbst dieses Jahres im parlamentarischen Verfahren den Betrag von 740 Millionen DM, der sich jetzt durch die Tilgungsstreckung für das Jahr 2002 ergibt, dazu verwenden werden, die Neuverschuldung gegenüber dem Regierungsentwurf zu reduzieren. Wenn die gleiche Solidität auf der Länderseite - ob schwarz, ob rot oder ob bunt gemischt regiert - an den Tag gelegt würde, dann würde der deutsche Steuerzahler in der Tat profitieren. Er profitiert aber nicht davon, dass man einfach nur die Backen aufbläst. ({0}) Ein zweiter Gesichtspunkt. Man muss natürlich aufgrund des diffizilen Verhältnisses zwischen Bund und Ländern - diese Erfahrung macht jede Regierung dieser Republik, egal wer gerade regiert - die Interessen genau austarieren. Wenn ein so großes Misstrauen besteht - es bestand jetzt über viele Monate zwischen Bund und Ländern, zwischen Ost- und Westdeutschland, weil jede Seite Angst hatte, bei diesem riesigen Reformpaket, bei dem es um viel Masse geht, von der jeweils anderen Seite über den Tisch gezogen zu werden -, führt das faktisch zu einer Lähmung der föderalen Politik in unserem Land. Angesichts der Tatsache, dass man jetzt - wenn auch nur marginal - eine Veränderung im Maßstäbegesetz erreicht hat, die beiden Seiten, den Geberländern wie den Nehmerländern, und vor allem dem Osten über den Solidarpakt Planungssicherheit gibt und die Verlässlichkeit in Bezug auf die Rahmenbedingungen schafft, komme ich zu der Überzeugung, dass dieses Gesetz für den Föderalismus in unserem Land gut ist, auch wenn noch nicht das große Rad einer echten Finanzverfassungsreform gedreht wurde. Es ist daher kein Wunder, dass diesem Maßstäbegesetz auch die größte Oppositionsfraktion im Bundestag zustimmt. Es gibt einen Grundkonsens, der darauf basiert, dass man in diesem Bereich wieder rational handeln und zwischen Bund und Ländern eine Geschäftsgrundlage für die Gesetzgebung schaffen will. Das ist gut und richtig. Richtig ist auch, dass wir Signale ausgesandt haben, die auch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 1999 aufgreifen. Wir wollen nämlich die Bundesergänzungszuweisungen, die praktisch eine Art Sahnehäubchen im Finanzausgleich sein sollten, die aber inzwischen auf rund 20 Milliarden DM pro Jahr angewachsen sind, langfristig zurückführen. Dazu muss man den Topf des Finanzausgleichsgesetzes vergrößern und die Bemessungsgrundlage verbreitern, indem man die Finanzkraft der Kommunen stärker einbezieht als in der Vergangenheit. Das ist ein Fortschritt, um den gekämpft wurde. Wir hätten gerne einen größeren Anteil als 64 Prozent erreicht. Aber 64 Prozent sind mehr als die bisherigen 50 Prozent. ({1}) Diese Regelung nutzt langfristig vor allem dem Osten dieser Republik, weil gerade die Armenhäuser in Deutschland davon profitieren, dass der Finanzausgleich auf lange Sicht mehr Masse hat. Das ist gut so. Richtig ist auch, dass Anreize in das Maßstäbegesetz aufgenommen werden: das Prämiensystem - von Herrn Seiffert zu Recht positiv erwähnt - oder der größere Selbstbehalt der Länder bei den Steuereinnahmen. Das sind positive Effekte, die durchaus dazu führen können, dass künftig mehr Effizienz in das binnenstaatliche Handeln kommt. Ich will noch einmal sagen - da bin ich Realist genug -: Es sind kleine Schritte auf dem Weg zu einer Reform. Es kann nicht darum gehen, im großen Stil Wasser in den Wein zu gießen. Mehr war zu diesem Zeitpunkt einfach nicht möglich. Das muss man auch als grüner Finanzpolitiker anerkennen. In dieser Debatte ist natürlich ein weiterer Gesichtspunkt zu beachten: Wenn wir mit einer großen Finanzverfassungsreform wirklich Ernst machen wollen - es sind sich alle hier im Hause darüber im Klaren, dass sie auf der Agenda steht -, dann werden wir in der nächsten Legislaturperiode in der Tat über mehr Verantwortung der verschiedenen staatlichen Ebenen für die Einnahmen und Ausgaben diskutieren müssen. Wir werden natürlich auch über das Konnexitätsprinzip diskutieren müssen, das man als Kommunalpolitiker auf den Nenner bringen kann: Wer bestellt, bezahlt. Wenn Aufgaben an untere staatliche Ebenen übertragen werden, dann hat die jeweils übertragende Stelle auch für eine entsprechende Finanzausstattung zu sorgen. ({2}) In diesem Kontext muss eine große Reformagenda in der nächsten Legislaturperiode angegangen werden. Wir sind dazu bereit. Ich hoffe, dass dann, wenn es konkret wird, weniger interessengeleitet diskutiert wird als in den letzten Wochen. ({3}) Jetzt komme ich zu dem Punkt, der für mich persönlich auch nicht gerade alltäglich ist. Ich bekenne heute als Redner meiner Fraktion, die überwiegend zu einem Änderungsantrag steht, zu dem auch die CDU/CSU, aber auch die SPD stehen: Ich persönlich finde es falsch, das Maßstäbegesetz, über das wir heute abstimmen, zu befristen. ({4}) Ich sage auch, warum. Wir können nicht ein Maßstäbegesetz befristen, zu dem das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung von 1999 gesagt hat, dass es dazu dient, die unbestimmten Rechtsbegriffe in Art. 106 und 107 des Grundgesetzes zu konkretisieren. ({5}) Wir konkretisieren unbestimmte Rechtsbegriffe eines unbestimmt geltenden Grundgesetzes. Wie man Grundrechtsnormen im Maßstäbegesetz befristen kann, erschließt sich mir nicht. Befristet hingegen ist das Finanzausgleichsgesetz, das im Prinzip vom Maßstäbegesetz abgeleitet wird. Das Finanzausgleichsgesetz wird man immer wieder - je nach Entwicklung der Finanzströme zwischen den staatlichen Ebenen - überarbeiten müssen. Das gilt jedoch nicht für das Maßstäbegesetz. Jedenfalls darf es nicht ein verabredetes Verfallsdatum haben. ({6}) Daher werde ich nachher gegen den Passus, durch den das Maßstäbegesetz befristet wird, stimmen. Ich möchte eine weitere Anmerkung machen. Die Art und Weise der Auseinandersetzung im Sonderausschuss war eigentlich auf Rationalität angelegt. Ich gucke auch den Vorsitzenden, Volker Kröning, an, der hier im Saal sitzt. Sein Appell, das Gesetzgebungsverfahren so zu organisieren, dass es auch Verfassungsgerichtsmaßstäben genügt, und eine Diskussion über Maßstabsbildungen zuzulassen, bei der nicht jeder sofort zum Taschenrechner greift, war aller Ehren wert. In der Praxis hat es nicht funktioniert - das wissen wir -, weil offensichtlich sämtliche Fraktionen des Deutschen Bundestages - mit Ausnahme der Grünen - darauf gewartet haben, was ihre Ländervertreter ihnen sozusagen ins Gesetzbuch schreiben. Nur unsere Fraktion hatte eine eigenständige Positionierung zum Maßstäbegesetz. ({7}) Wir haben diesen Entwurf schon im letzten Jahr eingebracht, bevor der Bundesfinanzminister seinen Regierungsentwurf vorgestellt hat. Was wahr ist, muss wahr bleiben. ({8}) - Lieber Fraktionsvorsitzender Struck, wenn unsere Fraktionsvorsitzende bei der Verabredung im Kanzleramt, an der Sie teilgenommen haben, dabei gewesen wäre, würde ich sagen: Okay. Sie war aber nicht dabei. ({9}) Aus diesem Grunde sage ich: Wir sind zwar an Landesregierungen beteiligt, aber die Prokura hatten die Finanzminister, die in den entsprechenden Regierungen alle das SPD-Parteibuch haben. Was die Runde im Kanzleramt angeht, so muss ich das schon sagen. Kleine Neckereien angesichts dessen, was in den letzten Tagen gelaufen ist, müssen erlaubt sein. Ich bin davon überzeugt, dass wir - das hat man jetzt auch gemerkt - tatsächlich eine finanzpolitische Grundlinie hinbekommen und dass wir in den nächsten Monaten durch das Maßstäbegesetz ein besseres Klima zwischen Bund und Ländern haben werden. Ich hoffe, dass wir die Kraft haben, bei dem Finanzausgleichsgesetz in dieser Legislaturperiode ein ordentliches Ergebnis zu erzielen. Vielen Dank. ({10})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Günter Rexrodt, F.D.P.-Fraktion.

Dr. Günter Rexrodt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002759, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es war einmal eine rot-grüne Koalition. Sie war angetreten, den Reformstau in Deutschland aufzulösen. ({0}) Den gab es; den gibt es. Er hat viele Gründe. Ich sage einmal - unabhängig vom täglichen politischen Schlagabtausch -: Er besteht, weil gesellschaftliche Gruppierungen, Institutionen, Bundesländer und Kommunen sich mit aller Macht an ihre Besitzstände und Privilegien klammern. Sie verteidigen diese mit Klauen und Zähnen. Reformen kommen in diesem Land oft nur schwer oder gar nicht in Gang, weil es zur Normalität geworden ist, nicht nur Besitzstände zu verteidigen, sondern immer noch mehr haben zu wollen. Die Institutionen und auch die Bundesländer lassen sich daran messen, ob sie noch etwas über das Normale hinaus bekommen haben. So wird Politik gemacht: Die Parteien nehmen diese Interessen mehr oder weniger auf - und in welcher Gruppierung auch immer. ({1}) Vor diesem Hintergrund haben wir in der alten Koalition manches geschafft und manches auch nicht. Gut waren wir beispielsweise bei der Deregulierung im Bereich der Telekom und der Energiewirtschaft. Es war uns jedoch verwehrt, eine Steuerreform zu machen. Das hatte viele Gründe: Es lag zum Teil an Ihnen, zum Teil aber auch an uns. Auch wir haben Fehler gemacht. Sie haben bei der Steuerreform einen eigentlich gar nicht verdienten Punktsieg errungen. Den Mittelstand haben Sie verprellt. ({2}) Sie haben enormen Schaden angerichtet, so beispielsweise beim Arbeitsrecht und bei der Ausweitung der Mitbestimmung. So ist das nun einmal. ({3}) Man kann dies nicht mit zwei Sätzen abtun, aber so ist nun einmal das politische Geschäft. Aber nie war eine Regierung aus fadenscheinigen Gründen so zaghaft und feige wie Sie bei diesem Reformwerk, das wir unter der Überschrift „Maßstäbegesetz“ diskutieren. ({4}) Hier geht es um die Verteilung von Steuergeldern in einer Höhe von Hunderten von Milliarden, also von Mitteln, für die viele Millionen Menschen in Deutschland über Jahrzehnte hinweg arbeiten. Diese Reform war Ihnen vom Bundesverfassungsgericht vorgegeben. Ihren Gesetzestext präsentieren Sie jetzt quasi handstreichartig. ({5}) Dieser Gesetzestext enthält Allgemeinplätze und Sprechblasen, die das Bundesverfassungsgericht gerade aus der Welt schaffen wollte. Das Bundesverfassungsgericht wollte geklärt haben, welches laufende und welches notwendige Ausgaben, was Sonderlasten sind und was ein billiger Ausgleich ist. Karlsruhe wollte Klarheit bei den Prinzipien für die Verteilung der Mittel zwischen Bund und Ländern sowie den Ländern untereinander haben. Das alles ist von Ihnen mit Sprechblasen und weiteren Allgemeinplätzen umschifft worden. ({6}) Sie sind dabei einem einfachen Kalkül gefolgt, welches für die Regierung Schröder typisch ist: Was interessieren uns Grundsätze und Prinzipien? Die Hauptsache ist, gut auszusehen. Um das, was später kommt, werden wir uns später kümmern. ({7}) So kann man vielleicht die 17. Änderung der Binnenwasserstraßenverordnung ({8}) oder die 9. Änderung der Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes angehen. ({9}) - Nicht einmal das; völlig richtig. Dies geht aber nicht bei einem Gesetzeswerk, welches die Verteilung unserer wirtschaftlichen Ressourcen über Generationen hinweg betrifft. Sie sind nach dem Muster vorgegangen: Wir haben bei der Steuerreform und der unseligen Ökosteuer genug Unruhe gehabt. Wir haben Unruhe und Ärger bei der Rentenreform gehabt. Wir haben auch immer noch Unruhe im Zusammenhang mit der Gesundheitsreform; nun bloß keinen Ärger mit den Ländern. Sie sagen also: Wir nehmen Geld in die Hand ({10}) und dann dürfen die Geberländer ein bisschen mehr behalten und die Nehmerländer bekommen ein bisschen mehr. Für den Osten müssen wir sowieso bezahlen. - Damit das nicht missverstanden wird: Das ist auch richtig und wir stehen dazu, ({11}) eine entsprechende Sicherheit zu geben. Das ist gut für die Menschen und schafft eine Perspektive für die Investoren. ({12}) Aber Ihr Muster war: Wir nehmen Geld in die Hand, denn der Bundesminister hat aufgrund von Einmalereignissen ein bisschen mehr als sonst. Um das, was später kommt, kümmern wir uns dann, wenn es so weit ist. ({13}) Wo ist da die für die Schaffung von Prinzipien notwendige Moral? Wer Geld hat, vergisst die Moral. Das wissen wir alles. ({14}) Sie haben ein wichtiges Reformwerk, das Ihnen das Verfassungsgericht aufgegeben hat, nicht umgesetzt. Sie sind von hinten herumgegangen, haben Geld in die Hand genommen, und zwar da ein Stück und dort ein Stück, und beschwichtigt. Dann ist Ruhe. Den Kollegen von der Union sage ich: Von Ihnen kommt eine pflaumenweiche Stellungnahme, weil Sie die Länder, in denen Sie regieren, haben gut bedienen können. ({15}) Deshalb gehen Sie nicht auf das ein, worauf es ankommt, nämlich auf die Klärung von Grundsätzen. Sie haben sich herausgemogelt. Ich sage Ihnen das ganz klar. ({16}) Wo sind denn im Rahmen dieser Föderalismusdebatte die Fragen nach dem Anreiz für die Erfolgreichen oder dem Ausgleich für die Schwächeren geklärt worden? ({17}) Genauso unbeantwortet blieb die Frage, was uns die Hauptstadt wert ist und warum uns die Hauptstadt etwas wert ist. Wo sind bei den Fragen der Degression und des Auslaufens von Fördermitteln Grundsätze erkennbar? Es sind keine erkennbar. Ebenso ist im Hinblick auf die ausstehende Reform der Finanzverfassung eine schlechte Vorarbeit geleistet worden. Sie haben zu diesem Thema nichts gesagt, sondern mit diesem Gesetzentwurf opportunistisch und feige gehandelt. In Ihren Reihen ist eine Diskussion aufgekommen, die dazu geführt hat, dass der Kollege Kröning aufgrund der bestehenden Unklarheiten seinen Vorsitz im Sonderausschuss - gestern Abend oder heute Morgen - niedergelegt hat. Das ist Ausdruck Ihrer Zerrissenheit, Ihres schlechten Gewissens und Ihrer Unfähigkeit, mit diesem Problem umzugehen. ({18}) Lassen Sie mich als Letztes sagen: Sie haben Tagespolitik gemacht, obwohl es um Werte und um eine vorausschauende Verantwortung geht. Ihr Handeln ist ein Fehlschlag. Über die Tatsache, dass Sie in einer wichtigen prinzipiellen Frage versagt haben, wird Ihre Mehrheit bei der heutigen Abstimmung nicht hinwegtäuschen können. ({19}) Das wird Ihnen, auch über diese Legislaturperiode hinaus, anhängen. ({20})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile der Kollegin Barbara Höll, PDS-Fraktion, das Wort.

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Rexrodt, so ist das nun einmal: Von 18 Prozent träumen und Inhalte nicht einmal von 0,8 Prozent. ({0}) Schauen Sie einmal in Ihren Entschließungsantrag unter Nr. 2. Sie wollen im Sinne von mehr Wettbewerbföderalismus eine Überarbeitung. Sie würden vielleicht besser daran tun, in das Grundgesetz zu schauen. Dort steht eindeutig, dass wir einen solidarischen Föderalismus haben. Es geht um eine Angleichung der Lebensverhältnisse um eine Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse. Solange Sie nicht entsprechend den Zielen des Grundgesetzes agieren können, sollten Sie aufhören, sich bei der SPD anzudienen, nachdem Sie heute so geschimpft haben und am liebsten dort ins Bett kriechen würden. ({1}) Ich muss andererseits sagen: Für mich ist diese Rede ein gewisses Novum, denn es ist meine erste Rede - es wird sicher die einzige bleiben -, in der ich mich in so großer Übereinstimmung mit dem Bundesfinanzminister befinde. Ich denke, dass das Ergebnis, das wir vereinbart haben und das heute im Bundestag verabschiedet werden soll, ein Erfolg im Sinne des Föderalismus ist. Es ist auch ein Erfolg gegenüber dem Ansinnen eines der Grundprinzipien des Grundgesetzes, den solidarischen Föderalismus, aufbrechen oder gar beseitigen zu wollen. Dieser Versuch wurde abgewehrt und deshalb signalisieren wir ganz klar unsere Zustimmung zu dem Gesetzentwurf, der heute verabschiedet werden soll. Es gibt sicher eine Reihe von Kritikpunkten, die man anführen kann; es wurde dazu auch schon einiges gesagt. Mit dem Entwurf wurde die Zielstellung des Bundesverfassungsgerichtes, mehr Transparenz und Überschaubarkeit für die Bürgerinnen und Bürger, nicht erreicht. Meines Erachtens sind die Maßstäbe, mit denen die angestrebte Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse erreicht werden soll, nicht klargestellt. Trotz allem meinen wir: Mit dem gefundenen Kompromiss ist eine sehr gute Grundlage dafür geschaffen worden, dass der Föderalismus gestärkt in die nächsten Jahrzehnte gehen kann. Ein besonderer Diskussionspunkt hier im Hause war die Befristung der Vorschriften. Lassen Sie mich dazu kurz bemerken: Das Gesetz sieht nun Regelungen für fast 20 Jahre vor. Wir meinen, dass man mit einer Befristung leben kann, vor allem angesichts der Tatsache, dass die letzten Vereinbarungen zum Länderfinanzausgleich nicht einmal den vereinbarten Zeitraum überlebt haben und am Ende der Befristung sowieso eine grundlegende Neuordnung stehen muss, da der Solidarpakt II dann ausläuft. Lassen Sie mich noch einmal besonders hervorheben, dass wir als PDS in die Beratungen des Ausschusses Änderungsanträge eingebracht haben, mit denen wir vorgeschlagen haben, den Finanzausgleich zweistufig zu gliedern. In der ersten Phase sollte eine Angleichung der Finanzkraft der Länder vorgenommen und in der zweiten eine Angleichung der Lebensverhältnisse im Wege von Bundesergänzungszuweisungen realisiert werden. Dieser Vorschlag wurde von der Mehrheit im Ausschuss nicht getragen. Aber es sollte eine Möglichkeit bleiben, über die wir weiter nachdenken, auch bei der Beratung des Finanzausgleichsgesetzes, das uns ja als nächstes ins Haus steht. Das, was bezüglich des Fonds „Deutsche Einheit“ vereinbart wurde, ist ein Kompromiss, mit dem, so glaube ich, alle leben können. Das Bedürfnis der alten Bundesländer, eine gewisse Tilgungsstreckung vorzunehmen, können wir verstehen; wir werden uns dem nicht versperren. Die Kritik von Herrn Seiffert bezüglich der Regelung, die festschreibt, wie diese Tilgungsstreckung realisiert wird, kann ich allerdings nicht teilen. Er sagt, dies gehe zulasten der zukünftigen Generationen. Aber wenn ich mich recht erinnere, war es Theo Waigel, der als Bundesfinanzminister 1995 ({2}) die Möglichkeiten, die er mit der Einstellung der zusätzlichen Bundesbankgewinne hatte, eben nicht genutzt hat. Er hätte mit der Tilgung durchaus vorankommen können, hat die sich bietenden Möglichkeiten aber nicht genutzt, sondern extra noch das Gesetz geändert. Deshalb sollten Sie an dieser Stelle in Ihrer Kritik wirklich etwas zurückhaltend sein. ({3}) Die Vereinbarungen für die neuen Bundesländer bezüglich des Solidarpaktes schaffen tatsächlich mehr Planungssicherheit. Das ist das Entscheidende für politische Handlungsfähigkeit. Dass gleichzeitig ein größerer Freiraum zur politischen Gestaltung und damit mehr Eigenverantwortung vereinbart wurde, kann ja nur im Sinne von uns allen sein, da damit die Zielstellung verbunden ist, den Föderalismus tatsächlich zu stärken. Ich glaube, das ist ein wichtiger, sehr guter Schritt. Kein Land wird Schwierigkeiten haben, im Fortschrittsbericht nachzuweisen, dass die Gelder sinnvoll eingesetzt wurden. ({4}) Lassen Sie mich noch etwas zur Frage der Einbeziehung der kommunalen Finanzkraft bemerken. Auch wir hätten uns eine stärkere Einbeziehung vorstellen können, zumal wir schon mehrmals im Bundestag betont haben, dass eine grundlegende Finanzreform notwendig ist. Eigentlich, so muss ich sagen, bin ich diesbezüglich auch etwas enttäuscht, Herr Metzger; denn dieses Ziel war bereits im Koalitionsvertrag vereinbart und sollte in dieser Legislaturperiode angegangen werden. Beides, eine grundlegende Prüfung und eine Stärkung der kommunalen Finanzkraft, ist nicht erfolgt, sodass Sie hier in der Bringschuld sind. Ich bin aber optimistisch, dass wir das gemeinsam angehen können. ({5}) Die PDS wird die Befristung also mittragen und unterstützt auch den Entschließungsantrag zur Neugestaltung des Solidarpaktes. Ich glaube, es ist gut, dass wir das schon heute verabschieden, auch wenn wir das noch nicht unbedingt gemusst hätten. So herrscht Klarheit, auch für die Öffentlichkeit, dass Solidarität mit den neuen Bundesländern angesagt ist und dass alle Bundesländer bereit sind, diese Solidarität zu üben. Ich bedanke mich. ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile dem Ersten Bürgermeister der Stadt Hamburg, Ortwin Runde, das Wort. Ortwin Runde, Erster Bürgermeister ({0}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach der Verabschiedung der Finanzreform im Bundesrat am 9. Mai 1969 hat Herbert Weichmann, Bundesratspräsident und Hamburger Bürgermeister, Folgendes gesagt: Die Materie der Finanzreform zeichnet sich nicht eben durch Sex-Appeal aus. ({1}) Stimmt bis heute! Die Länderfinanzreform ist tatsächlich ein richtig schwerer Brocken. Man merkt ja auch immer, wie wenige wirklich etwas davon verstehen; manchmal schimmert das bei den Reden durch. ({2}) Wir haben aber diesen schweren Brocken bewegt, und zwar in die richtige Richtung. Das waren in der Tat zähe und äußerst mühselige Verhandlungen; darüber könnte ich einiges berichten. ({3}) Die Einigung, die wir am Ende erzielt haben, ist ein Erfolg für alle. ({4}) Vor allem ist es aber ein Erfolg für die Menschen. Der Länderfinanzausgleich hat nicht nur etwas damit zu tun, wie sich die Länder untereinander und mit dem Bund streiten, sondern am Ende sind die von der Finanzverfassung Betroffenen die Bürgerinnen und Bürger in allen Ländern dieser Republik, die froh sind, dass wir dies endlich hinbekommen haben. ({5}) Der Bundeskanzler hat mit Recht davon gesprochen, dass unser Land gewonnen hat. Es hat in dreifacher Hinsicht gewonnen: Erstens. Die Eigenständigkeit aller Länder und das föderale System sind gesichert. Zweitens. Das Solidarprinzip im Föderalismus wird gestärkt, weil es einen fairen Ausgleich zwischen Empfänger- und Geberländerinteressen gibt, was gerade für die neuen Länder wichtig ist. Drittens. Intelligente Anreizsysteme kommen allen Ländern zugute. Und das ist auch gut so. In der nun laufenden Diskussion sind wir kritisch gefragt worden, wo denn nun die Schönheitsfehler seien. Daraufhin habe ich mir natürlich die Mühe gemacht, mir die Architektur dieses Maßstäbegesetzes anzusehen. Ich muss sagen, der zweifach geknickte linear-progressive Tarif in symmetrischer Ausgestaltung für Zahler- und Nehmerländer ist im Vergleich zum bestehenden wirklich viel schöner. ({6}) Oder schauen Sie sich einmal die Sache mit dem Selbstbehalt kirchhofscher Prägung an. Dazu hat Herr Kollege Rexrodt etwas Richtiges gesagt: Wer Geld hat, vergisst die Moral. ({7}) Deswegen hat Kirchhof immer gesagt, der Selbstbehalt gelte nur für die Erfolgreichen. Jetzt haben wir im Maßstäbegesetz eine wirklich neue moralische Qualität: Der Selbstbehalt in Höhe von 12 Prozent dessen, was jährlich über dem Durchschnitt der Mehreinnahmen liegt, gilt nicht nur für Reiche, sondern auch für die Armen. Das ist doch ein großer Erfolg. Ich verstehe nicht, dass die F.D.P. da nicht mitmachen will. ({8}) Beim Fonds „Deutsche Einheit“ haben wir, nachdem das von der Finanziererseite immer ein bisschen gequält zurückkam, wenn wir ein wenig vorangekommen waren, am Ende eine einfache und faire Lösung gefunden, die richtig gut ist. Nimmt man das ganze Verfahren vom Streit vor dem Verfassungsgericht bis heute, dann muss man feststellen, dass zwei Schulen gegeneinander gestanden haben: die Schule der Staatsrechtler mit Böckenförde und die Schule derjenigen, die das eher neoliberal-ökonomisch angehen wollten. Das, worauf wir uns verständigt haben, stellt einen Sieg für die staatsrechtliche Schule dar. Dass die andere Schule das nicht so akzeptiert, ist recht klar, da sie eben nicht recht zum Zuge gekommen ist. Aber wir wollten eben keinen Wettbewerbsföderalismus. Die Einigung über den Länderfinanzausgleich und über den Solidarpakt II ist ein wichtiger Beitrag zu einem modernisierten Föderalismus und zugleich ein Beitrag zur Vollendung der inneren Einheit. Dieser Meinung sind alle 16 Ministerpräsidenten, selbst diejenigen, die mit der F.D.P. in einer Koalition zu sein das Glück oder Unglück haben. ({9}) Genau genommen muss man, wie Kurt Biedenkopf es getan hat, von einem 17:0-Sieg sprechen; denn die Einigung schließt auch den Bund ein. Wichtig ist, dass die Regelungen den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts gerecht werden. ({10}) Ganz einfach sind diese Anforderungen ja auch nicht. Manchmal hatte man den Eindruck, dass man das Stufenprinzip von Maßstäbegesetz, Länderfinanzausgleich und Solidarpakt entwickelt hat, um das Ganze justiziabel zu machen, weil es sich in seiner Komplexität der richterlichen Rechtsprechung ein bisschen entzogen hat. Wir sollen also den Verfassungsrechtlern und dem Verfassungsgericht die Arbeit für die Zukunft ein wenig erleichtern. Meine Damen und Herren, damit eine Einigung möglich wurde, musste mancher von Illusionen Abschied nehmen. Zu ihnen gehörte zum einen die Illusion, sich zulasten der anderen bereichern zu können. Dazu gehört aber auch die Illusion, über den Länderfinanzausgleich eine Länderneugliederung herbeiführen zu können. Mancher hatte da wohl insbesondere die Stadtstaaten ins Auge gefasst. Dies hätte aber weder dem Grundgesetz noch dem Urteil des Verfassungsgerichts entsprochen. Ich glaube umgekehrt, dass das erzielte Ergebnis viel von der Kreativität des Föderalismus widerspiegelt. Im Lösungsmodell gibt es einen Anreizmechanismus, der im Saarland entwickelt wurde, einen Tarif, der in SachsenAnhalt konstruiert und in Süddeutschland verfeinert wurde, einen Deckel für die Abschöpfung bei den Zahlerländern aus Hessen und ein Modell für den Fonds „Deutsche Einheit“ aus Hamburg. Das, was wir entwickelt haben, ist also ein kreatives Gesamtkunstwerk. ({11}) Meine Damen und Herren, die Zielsetzung muss es doch sein, für die Zeit bis 2019 Frieden zu haben. Jeder, dem es an den Kragen gehen sollte, weiß, was Krieg bedeutet. Jeder, der dann hätte Verluste fürchten müssen, weiß, was es bedeutet, wenn 16 Länder und der Bund miteinander eine Finanzverfassung verabreden, die friedliche Zeiten und damit auch Planbarkeit für den Zeitraum bis 2019 beinhaltet. Dass wir den Knoten durchschlagen konnten, ist auch dem Bund zu verdanken, der - wenn auch nicht mit frischem Geld - den Ländern dauerhaft wirksam jährlich 1,5 Milliarden DM zur Verfügung gestellt hat. In diesem Punkt gilt dem Bund in der Tat mein Dank. Das hat wirklich als Erleichterung der Konsensfindung gewirkt. Mein Dank gilt insbesondere Herrn Eichel und dem Kollegen Koch, der für die CDU-geführten Länder eine sehr konstruktive Rolle gespielt hat. Ich muss sagen, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, Ihre Ministerpräsidenten waren sehr viel entscheidungsfreudiger, sehr viel konsequenter, als ich das heute von Ihnen hier gehört habe. Meine Damen und Herren, dass beim Hamburger Bürgermeister sämtliche Alarmglocken schrillen, wenn man unsere Eigenständigkeit infrage stellt, werden Sie sicher verstehen. In dieser Situation waren wir ja. Die große Bedeutung der Stadtstaaten im föderalen Verbund wurde von allen akzeptiert. Konsequenterweise ist dann auch die Einwohnerwertung ohne Wenn und Aber auf 135 Prozent festgelegt worden. Ortwin Runde, Erster Bürgermeister ({12}) Herr Rexrodt, ich habe gehört, dass Sie hier in Berlin zukunftsorientiert eine politische Rolle spielen wollen. Daher hat mich Ihre Position zum Maßstäbegesetz und zum Finanzausgleich etwas erstaunt; denn das ist natürlich etwas, was für die Berliner von zentraler Bedeutung ist. Sie hätten sich diesbezüglich vielleicht mit den Berliner Kollegen verständigen sollen. ({13}) Die Hauptstadtregelung ins Maßstäbegesetz einfügen zu wollen, das zeigt in voller Klarheit die moralische Position, die Sie dazu haben. Darüber war ich etwas verwundert. ({14}) Meine Damen und Herren, das, was der Sonderausschuss nach sicher nicht einfachen Verhandlungen auf den Tisch gelegt hat, ist Grundlage für die kontinuierliche Weiterentwicklung in den 16 Ländern. Es ist auch ökonomisch von großer Bedeutung, für einen so langen Zeitraum Planungssicherheit zu haben. Es wird den neuen Ländern nicht unerheblich helfen, dass die Mittel im Bereich des Solidarpaktes II jetzt sehr viel flexibler eingesetzt werden können. Das sind meines Erachtens sehr positive Regelungen. Zwei Jahrzehnte haben wir nun Zeit: die neuen Länder zum Aufholen, jedes Bundesland für die Weiterentwicklung spezifischer Stärken und der Föderalismus für seine Fortentwicklung. Für mich stärkt dieser Kompromiss den Föderalismus und macht den Kopf für neue Aufgaben angesichts der deutschen Einheit, der zunehmenden Europäisierung und Internationalisierung frei. So gesehen: Die Beschlüsse zum Länderfinanzausgleich und zum Solidarpakt II sind wichtige, man kann sie mit einigem Recht auch historische Beschlüsse nennen. ({15}) Der Föderalismus hat die Zukunft und das Solidarprinzip gestärkt. ({16}) Wer sich mit dem Begriff „historisch“ etwas schwer tut, der könnte auch, frei nach Herbert Weichmann, meinem berühmten Vorgänger - allerdings muss man darauf hinweisen: Bei uns in Hamburg sind alle Vorgänger berühmt, das habe ich mit Herrn Stoiber gemein -, sagen: Die Lösung, die wir gefunden haben, hat durchaus SexAppeal. ({17})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile dem Kollegen Bartholomäus Kalb, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

Bartholomäus Kalb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der heute zu beschließende Änderungsantrag hat innerhalb der Koalitionsfraktionen zu erheblichen Spannungen geführt. Ich bin aber sehr froh, dass es zu diesem Änderungsantrag gekommen ist und er beschlossen wird, weil ich ihn für notwendig halte. Es muss wieder der Zwang zu einer grundlegenden Neuordnung des Länderfinanzausgleichs und der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern vorhanden sein. Dieses Mal war es so, dass wir vom Bundesverfassungsgericht praktisch dazu gezwungen worden sind. Die Länder Bayern, Baden-Württemberg und Hessen haben mit ihrem Gang nach Karlsruhe im Grunde die Entscheidung und damit auch diese Situation herbeigeführt. Der Gesetzgeber wäre nicht frei, die Dinge grundsätzlich und grundlegend neu zu ordnen, wenn das Maßstäbegesetz fortbestehen würde. Ich möchte hier gerne einige Stichworte anführen. Ich denke an die Bestimmungen im Maßstäbegesetzentwurf zur vertikalen Umsatzsteuerverteilung, zur Einwohnerwertung, zur Einbeziehung der kommunalen Finanzkraft, der Eigenbehalte, des Deckungsquotenverfahrens und die Bundesergänzungszuweisung für die neuen Länder. Ich könnte mir vorstellen: Sie wären sehr froh, wenn diese Bestimmungen im Maßstäbegesetz entgegen der Vereinbarung über das Jahr 2019 hinaus fortbestehen würden. Der Kollege Metzger - ich sehe ihn im Moment nicht hat heute sehr gemäßigt gesprochen. Gestern hat er aber sehr vollmundig harte Kritik geübt. Heute steht im „Handelsblatt“ etwas von ihm zu lesen. Ich zitiere: Wir lassen uns nicht von den finanzstarken Südländern vorführen. Das hat doch nichts mit den finanzstarken Südländern zu tun. Es war die Vereinbarung aller, die sich darauf verständigt haben. So steht es auch im Protokoll über die Tagung der Ministerpräsidenten. Oswald Metzger hat noch letzte Woche, ausweislich des Protokolls, auf eine Zwischenfrage Folgendes geantwortet: Eines dürfen Sie … nicht vergessen: Wir gehen als Koalition davon aus, dass die Reform der Finanzverfassung in Deutschland damit nicht zu Ende ist. Auch die Regierung weiß, dass wir eine Finanzverfassungsreform größeren Umfangs brauchen, mehr Verantwortung auf Länder und Gemeinden übertragen müssen … Deswegen verstehe ich seine Reaktion überhaupt nicht. ({0}) Ein wesentlicher Bestandteil dieser Einigung ist die Fortführung des Solidarpaktes, der Solidarpakt II. Für uns, für die CDU/CSU, aber auch für die CDU- bzw. CSU-geführten Länder war von vornherein klar, dass die Hilfe für die neuen Länder fortgeführt werden muss. Der Widerstand und die Bedenken kamen doch ganz überwiegend aus den Reihen der Bundesregierung und der SPDgeführten Bundesländer. Von ihnen kamen die Vorbehalte und Widerstände. Ortwin Runde, Erster Bürgermeister ({1}) Die Südländer haben nie einen Zweifel daran gelassen, dass sie bereit sind, Solidarität zu üben. Das haben sie sowohl vor dem Bundesverfassungsgericht als auch bei jeder Äußerung zu diesem Thema immer wieder zum Ausdruck gebracht. Es ist jetzt vorgesehen, 306 Milliarden DM im Rahmen des Solidarpaktes II, der bis einschließlich 2019 gilt, zur Verfügung zu stellen. Diese Summe ist notwendig, weil es unendlich schwierig ist, die Schäden, die Sozialismus und Kommunismus in 40 Jahren im Osten Deutschlands angerichtet haben, zu beheben. ({2}) Heute hat der Bundesfinanzminister ausgeführt, dass die neuen Länder „länger als zunächst gedacht“ Unterstützung bräuchten. Das wussten wir von vornherein. Die neuen Länder brauchten auch in den zurückliegenden zehn Jahren unsere starke Unterstützung. Wenn ich die Zahl richtig in Erinnerung habe, dann sind bereits mehr als 1 Billion DM in den Aufbau der neuen Länder investiert worden. Ihnen ist diesbezüglich nichts anderes eingefallen, als uns den Schuldenberg vorzuwerfen. Kollege Metzger hat noch letzte Woche von „Verprassen des Geldes“ gesprochen. Ich sage: Wir haben sinnvoller- und notwendigerweise in die Behebung der Schäden von Sozialismus und Kommunismus sowie in den Aufbau der neuen Länder in den letzten zehn Jahren investiert. Wenn heute gesagt wird, es sei ein wichtiges Ziel, zu einem ausgeglichenen Bundeshaushalt zu kommen, dann kann ich nur sagen: Wir hätten die Nettokreditaufnahme schon im Jahre 1991 vermeiden können, wenn es die Wiedervereinigung nicht gegeben hätte. Trotzdem sage ich wie viele Menschen in diesem Lande: Gott sei Dank kam es zur Wiedervereinigung. Wir müssen uns jetzt all den Herausforderungen stellen, die damit zusammenhängen. Wir stellen uns diesen Herausforderungen sehr gern. ({3}) Der Bundesfinanzminister hat am letzten Donnerstag im Zusammenhang mit einem anderen Thema nebenbei bemerkt: „Ich weise nur darauf hin, dass Japan zweieinhalbmal höher verschuldet ist als Deutschland.“ Und das ohne Wiedervereinigung! Mir ist jedenfalls nicht bekannt, dass Japan oder irgendein anderes Land die Lasten einer Wiedervereinigung zu tragen gehabt hätte. Das heißt, es spricht noch im Nachhinein für die Politik von Kohl und Waigel, wenn die Staatsverschuldung in Deutschland zweieinhalbmal niedriger als in Japan ist. ({4}) Der Solidarpakt II, so ist es vereinbart worden und so steht es im Finanztableau, wird ab 2006 degressiv gestaltet, das heißt auch, dass der Solidaritätszuschlag spätestens ab diesem Zeitpunkt abgesenkt werden muss. Frau Staatssekretärin Hendricks hat im Sonderausschuss zugesagt, dass dies möglich und beabsichtigt sei. Wir werden die Bundesregierung beim Wort nehmen. Es muss im Zusammenhang mit dem noch zu beschließenden Finanzausgleichsgesetz die Absenkung und Abschaffung des Solidaritätszuschlages fixiert werden; denn sonst besteht die Gefahr, dass der Solidaritätszuschlag ein Ewigkeitszuschlag bleibt. Es ist auch sehr wichtig - deswegen bin ich froh, dass jetzt eine Einigung darüber erzielt worden ist -, die Eigenverantwortung der Länder zu stärken und die Übernivellierung zu beseitigen. Es ist wichtig, dass ein Bundesland von seinen eigenen besonderen Anstrengungen profitieren wird. Ich zitiere den Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen, Herrn Clement, der laut „Handelsblatt“ am 18. Juni vor der Ministerpräsidentenrunde sagte: Für den neuen Finanzausgleich, bei dem es am Samstag bei BK Schröder ({5}) zu einer Einigung kommen soll, müsse gelten, dass sich gute Politik für die Länder künftig wieder lohne. Das bisherige System ist nicht wettbewerbsfähig, sondern zu einem Hemmschuh im Wettbewerb der Regionen um Investitionen und Arbeitsplätze geworden. Von steuerlichen Mehreinnahmen muss deshalb den Ländern - das gilt für Zahler wie für Empfänger - künftig ein größerer Eigenanteil bleiben. Das war die Forderung der allermeisten Länder, die sich darum bemüht haben. Darum kann ich dies auch nur unterstreichen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bedauere sehr, dass es um den Entschließungsantrag so viele Diskussionen gegeben hat und geben musste, weil man offensichtlich nicht in der Lage war, in den verschiedenen Ausschüssen Klarheit darüber herzustellen, wie sich der Fonds „Deutsche Einheit“ in Abfinanzierung und Verzinsung darstellt. Einmal wird von einer Restschuld von 12,8 Milliarden DM gesprochen, ein anderes Mal wird schon jetzt unterstellt, es seien 7,8 Milliarden DM mehr zu bedienen. Die verschiedenen Staatssekretärinnen und Staatssekretäre haben in den Ausschüssen zum Teil nicht deckungsgleiche Auskünfte gegeben. Das macht es natürlich schwer, zu klaren Ergebnissen zu kommen. Das macht es auch uns von der Union unmöglich, jetzt zuzustimmen, was wir sonst gern getan hätten. Mir muss einmal jemand erklären, wieso man auf eine Zahl von 12,8 Milliarden DM kommt, wenn man gleichzeitig schon weiß - das findet sich in einem anderen Papier -, dass diese Zahl um 7,8 Milliarden DM überschritten werden wird. Mehr Offenheit, mehr Transparenz, mehr Klarheit, bessere Information hätten hier sicherlich sehr gut getan. Sicherlich wäre es auch gut gewesen, wenn wir denn etwas mehr Zeit gehabt hätten. Vielleicht wäre es auch ganz gut gewesen - diese Kritik kann ich mir nicht ersparen -, wenn sich Bundesminister Eichel auch persönlich in dieser Woche noch etwas stärker in dem einen oder anderen Gespräch mit einem Ministerpräsidenten engagiert hätte. ({6}) Vielleicht hätte dann manche Unklarheit gegenüber dem Parlament ausgeräumt werden können. Meine sehr verehrten Damen und Herren, unser Ausschussvorsitzender, Kollege Kröning, hat mir vorhin den Entwurf eines für ihn, für uns alle bedeutsamen SchreiBartholomäus Kalb bens gezeigt. Unabhängig davon darf ich Ihnen, lieber Herr Kröning, sehr herzlich für die Arbeit danken, die Sie an der Spitze unseres Ausschusses bis jetzt geleistet haben. ({7}) Wir haben eine sehr intensive Vorberatung durchgeführt. Manche haben das auch etwas ironisch kommentiert. Wenn wir diese intensive Vorarbeit aber nicht gehabt hätten, wären wir mit Sicherheit nicht in der Lage gewesen, das, was letztes Wochenende vereinbart worden ist, so schnell, innerhalb einer Woche, umzusetzen und, wie ich denke, in eine einigermaßen passable Gesetzesform zu gießen. Herzlichen Dank, Herr Kollege Kröning, an Sie, an Ihre Mitarbeiter im Sekretariat, an die Mitarbeiter der beteiligten Häuser und Fraktionen. Ich hoffe, dass wir nach der Sommerpause ein Finanzausgleichsgesetz hinbekommen, das den Ansprüchen und den Anforderungen genügt. Ich danke Ihnen. ({8})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile der Kollegin Antje Hermenau, Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Antje Hermenau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002673, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Beim Geld hört bekanntlich die Freundschaft auf. Um einen Klassiker zu bemühen: Shakespeare ließ im „Hamlet“ sagen: Man kann lächeln und lächeln und doch ein Schurke sein. - Ich sage das etwas spöttisch, wie Sie merken, meine Kollegen und Kolleginnen. Man hat gemerkt, Herr Runde - das muss man deutlich sagen -, dass bei Ihnen die Anspannung abgefallen ist. Sie haben hier ein paar heitere Anekdötchen dargeboten. Das legt uns allen nahe: Es war ein harter, ein fast verzweifelter Kampf. Er ist in sehr großer Anspannung verlaufen. Das wird nach außen zwar nicht so deutlich, aber man merkt es nachher bei den Abschlussreden, wenn die ganze Anspannung abfällt und sich viele in Anekdoten und heiteren Anmerkungen ergehen. Ganz so heiter ist die Bilanz nicht, die ich ziehe; das sage ich ganz deutlich. Die Bilanz ist durchwachsen, wie es einem gut erkämpften Kompromiss auch wohl anstehen mag. Ich möchte auf zwei Punkte eingehen, von denen ich denke, dass wir sie noch einmal genau anschauen müssen, um zu verstehen, warum die Bilanz so durchwachsen ist. Ich möchte etwas zur Investitionskraft der Kommunen, die in sämtlichen Verhandlungen absolut keine Rolle gespielt hat, und etwas zum Verfahren sagen. Dem Ergebnis ist deutlich anzumerken, dass die Kommunen nicht am Tisch gesessen haben. Obwohl alle, die in Ländern und Kommunen regieren, wissen, dass Länder und Kommunen eigentlich eine Art finanzielle Schicksalsgemeinschaft sind und dass man eigentlich immer den Standpunkt der Kommunen mitdenken muss, ist dem Ergebnis deutlich anzumerken - das werde ich gleich erläutern -, dass die Landesoberhäupter ohne die Vertreter der Kommunen verhandelt haben. Ich mache das zum einen am Problem der Anrechnung der kommunalen Finanzkraft fest. Sie wurde bisher zu 50 Prozent angerechnet, um herauszufinden, wie finanzstark ein Land eigentlich ist. Auf diese Weise wurde die Finanzkraft finanzstarker Länder ein bisschen heruntergerechnet, sodass sie etwas mehr Geld bekamen, und die Finanzkraft finanzschwacher Länder wurde ein wenig heraufgerechnet, sodass sie weniger Geld bekamen. Einige Länder sind sogar mit der Forderung aufgetreten, die kommunale Finanzkraft auf 0 Prozent herunterzurechnen, weil die Kommunen in diesem Zusammenhang keine Rolle zu spielen hätten. Dazu gehört schon eine gewisse Chuzpe. Vor dem Hintergrund der finanziellen Schicksalsgemeinschaft zwischen Kommunen und Land ist das politisch unanständig. Diese Länder haben sich nicht durchgesetzt. Einzelne Vertreter der Südländer Bayern und Baden-Württemberg haben immer wieder gefordert, 0 Prozent anzurechnen. Ich habe hier schon einmal zum Besten gegeben, dass mein Studium der historischen Debatten über die Finanzpolitik der alten Bundesrepublik Deutschland ergeben hat, dass der damals sehr berühmte Finanzpolitiker Franz Josef Strauß einmal sagte, als es dem Lande Bayern noch sehr schlecht ging und es vom Föderalismus sehr abhängig war, er wünsche die 100-prozentige Anrechnung der kommunalen Finanzkraft, damit der Aufbau Süd gelinge. ({0}) Ich bitte herzlich darum, den ostdeutschen Ländern nicht irgendetwas Frivoles vorzuwerfen, nur weil sie im Hinblick auf den Aufbau Ost das gleiche Ansinnen hegen. Wenn jemand sagt, der Sprung von 50 Prozent auf 100 Prozent sei nicht in einem einzigen Schritt zu schaffen, dann kann ich damit irgendwie leben. Wir hätten allerdings einen Korridor von 70 Prozent bis 80 Prozent erreichen müssen, um den realen Verhältnissen einigermaßen gerecht zu werden. Das ist nicht gelungen. Die Runde, die aus dem Finanzminister, dem Kanzler und den Ministerpräsidenten bestand, hat 64 Prozent erbracht. Dieses Ergebnis ist sogar noch ein bisschen magerer als der Anteil von zwei Dritteln, von denen zunächst die Rede war. Man bedenke, dass es sich auch bei einem Unterschied von nur ungefähr 2 Prozentpunkten um reales Geld handelt. Ich muss sagen: Ich kann mir gut vorstellen, dass auch die Haushaltssituation der Länder nicht leicht ist. Es wurde sogar vereinbart - die konkrete Ausarbeitung bleibt abzuwarten -, dass sich auch die Landeshaushalte am Maastricht-Kriterium orientieren und ihre Verschuldung herunterfahren sollen. Das ist völlig korrekt und nachdem der Bund nach harten Kämpfen in dieser Frage schon mit gutem Beispiel vorangegangen ist, kann man es erwarten. Man kann den ostdeutschen Ländern, deren Haushalte mehr als klamm sind, Geld über den Solidarpakt II - auf die Summe komme ich gleich zu sprechen - zukommen lassen. Dabei kann man zum Beispiel das Investitionsförderungsgesetz, das bisher ein Teil des Solidarpakts I gewesen ist, nicht anwenden und auf diese Weise die Zweckbindung bestimmter Gelder an die Kommunen wegfallen lassen. Diese Gelder kann man denjenigen Ländern zukommen lassen, deren Haushalte schwach sind. Das würde bedeuten: Zwar haben sowohl Kommunen als auch Länder schwache Haushalte; aber den Hebel, das Problem zu beheben, bekommen ausschließlich die Länder. Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine solche Politik auf Dauer tragfähig ist. Ich bin damit nicht zufrieden. Das Land Sachsen hat damals - völlig zu Recht; ich habe mich dieser Meinung angeschlossen - gesagt, es sei sinnvoll, den Sockel des Investitionsförderungsgesetzes zu erhalten und es nicht degressiv zu gestalten, das heißt, die entsprechenden Gelder nicht abzuschmelzen; wer Teile des Solidarpakts abschmelzen wolle, der solle bei den Sonderbundesergänzungszuweisungen ansetzen, aber nicht bei denjenigen Geldern, die direkt in die Kommunen flössen und dort zweckgebunden ausgegeben werden sollten. Dieses Ziel haben wir nicht erreicht.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollegin Hermenau, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Antje Hermenau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002673, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wer möchte denn gerne eine Zwischenfrage stellen?

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Der Kollege Rössel von der PDS.

Antje Hermenau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002673, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ach Gott, der Herr Rössel.

Dr. Uwe Jens Rössel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002764, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Liebe Kollegin Hermenau, ich teile Ihre Einschätzung in weiten Teilen. Ich möchte Sie fragen: Ist die von Ihnen vorgetragene Kritik nicht ein Anlass dafür, über den Bundeshaushalt recht schnell eine kommunale Investitionspauschale des Bundes zu verankern? ({0}) Denn dann - Sie beklagen, dass das nicht so ist - können die Kommunen selbst entscheiden und die Länder können nicht sozusagen hineinregieren. Nennen Sie einmal Ihre Argumente!

Antje Hermenau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002673, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Rössel, ich finde es nett, dass Sie versuchen, jede Chance zu nutzen, ein Kind, das Sie jahrelang gehegt und gepflegt haben, hier immer wieder an den Tropf zu hängen. Aber davon wird es auch nicht kräftiger. Gestatten Sie, dass ich beim Thema bleibe und nicht auf Ihre Ausflüchte eingehe. Ich komme auf die Frage zurück, die ich gerade aufgeworfen habe. Die Länder bekommen im Rahmen des Solidarpakts II ein Extrageld. Die Finanzkraft ihrer Kommunen wird nicht angerechnet. Das ist das Kernproblem. Dieses Extrageld ist im Prinzip - das sage ich hier ganz deutlich - eine Art Entschuldigungssumme. Es ist im Prinzip die Wiedergutmachung dafür, dass es nicht gelungen ist, die alten Bundesländer davon zu überzeugen, dass die Finanzkraft der Kommunen stärker angerechnet werden muss. So empfinde ich das politisch. Ich geniere mich überhaupt nicht dafür, dass die ostdeutschen Länder aufgrund des Solidarpaktes jetzt 20 Milliarden DM im Jahr bekommen. Dieser Betrag wird ja degressiv abgeschmolzen und nicht ewig weiter gezahlt. Ich bin überhaupt nicht bereit, mich dafür zu genieren. Schämen müssen sich für dieses Verhandlungsergebnis andere. Ich finde es gut, dass der Bund - an ihm ist es wieder hängen geblieben - versucht hat, bestimmte Entwicklungen zu mildern, die schon absehbar waren. Das Steueraufkommen der ostdeutschen Länder wird in den nächsten Jahren stagnieren, jedenfalls nicht deutlich anwachsen. Das ist ganz klar. Die Einkommensteuerreform wirkt sich im Osten aufgrund der Tatsache, dass viele Einkommen, die jetzt gerade so mit Ach und Krach über der Grenze liegen, aus der Steuerpflicht herausfallen werden, massiv aus. Natürlich spielt auch eine Rolle, dass die EUFördermittel im Jahre 2006 auslaufen. Das heißt also, die Einnahmen der ostdeutschen Länder aus vielen verschiedenen Bereichen werden ungefähr zum gleichen Zeitpunkt zurückgehen. Ich bin dankbar, dass die im Solidarpakt II vereinbarte Degression erst im Jahre 2008 greift, sodass man sich in einer Übergangsphase auf diese Verhältnisse einstellen kann. Der Bund hat hier eine solidarische Haltung eingenommen, die gemäß meinem Verständnis der Dinge eigentlich die Länder hätten übernehmen müssen. Nun noch ein Wort zum Verfahren: All die Dinge, die ich jetzt geschildert habe, zeigen, dass es eine durchwachsene Bilanz war, um die wir hart gerungen haben. Dieser Kompromiss ist, weil Kompromisse eben so sind, nicht erotisch, ({0}) aber man kann damit leben; so hätte ich dem auch gut zustimmen können. Liebe Frau Frick, ich hätte mir gewünscht, Sie hätten gleich zu Anfang für die F.D.P. gesprochen und die ganze Redezeit verbraucht; dann wäre uns Herr Rexrodt erspart geblieben. Sie haben nämlich in einem Punkt immer sehr klar Stellung bezogen. Ich stimme in diesem Punkt mit Ihnen völlig überein. ({1}) Hierbei geht es um die Tatsache, dass politische Entscheidungen in letzter Sekunde am Parlament vorbei getroffen werden, wo doch dem Parlament eigentlich die Aufgabe zukommt, diese Entscheidungen zu treffen. Ich finde, es ist völlig korrekt, diese Kritik anzubringen. Ich weiß auch, dass eine Reihe von Kollegen, nicht nur aus der Opposition, diese Auffassung teilt. Ich finde es doch erstaunlich, dass in letzter Sekunde dieses Maßstäbegesetz befristet werden soll, ({2}) das eigentlich ganz allgemeine Regeln festlegen soll. Mir scheint, dass man dem Frieden nicht traut: Erst einigen sich alle am Parlament vorbei, dann traut man seinen eiAntje Hermenau genen Regelungen nicht und führt eine Befristung ein, damit aufgrund von formellen Fehlern im Zweifel die Möglichkeit zur Klage besteht. Ich halte es für unanständig, die Arbeit des Parlaments auf diese Weise zu konterkarieren. Ich bin damit nicht einverstanden und stimme dem auch nicht zu. Ganz zum Schluss möchte ich dem Kollegen Kröning für die inhaltliche Tiefe und die umfassende und übersichtliche Art und Weise, wie er den Ausschuss geleitet und uns allen die Möglichkeit gegeben hat, dieses Problem vernünftig zu beurteilen, danken. Ich füge einen letzten Satz hinzu: Ich glaube nicht, dass die Sachkunde der Ministerpräsidenten in der Runde, in der alles ausgekaspert worden ist, höher war als die des Ausschusses. Wir hatten nämlich einige Ministerpräsidenten zu Besuch; deren Statements waren qualitativ ausgesprochen unterschiedlich. Herzlichen Dank. ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegin Gisela Frick, F.D.P.-Fraktion.

Prof. Gisela Frick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002656, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Hermenau, ich bedanke mich. Es kommt ja nicht oft vor, dass von Kollegen nicht nur die Person des Redners, sondern gleich auch die Inhalte seiner Rede angekündigt werden. Ich werde natürlich diese starke Stellungnahme, die ich jeweils in den Sitzungen des Sonderausschusses abgegeben habe, hier weiter vertiefen. Wenn ich mich richtig erinnere, habe ich bei der Einbringung dieses Gesetzes meine Begrüßung um die Mitglieder des Bundesrates erweitert. Heute begrüße ich Sie, Herr Runde, natürlich sehr herzlich; damals war aber die Bank voller. Ich möchte das hier jetzt gerne einmal öffentlich sagen, weil das natürlich auch ein Hinweis darauf ist, wie hoch der Respekt vor dem Parlament ist. ({0}) Sie haben jetzt aus Ihrer Sicht alles in trockenen Tüchern und brauchen sich um das Parlament nicht mehr sehr zu scheren, so sage ich einmal etwas scharf. Das war bei der Einbringung noch anders; da haben wir ganz andere Präsenzen gesehen. Nichtsdestotrotz freue ich mich, auch wenn ich gewisse Zweifel habe, ob Sie hier wären, wenn nicht gerade im September Wahlen in Hamburg wären. ({1}) - Herr Rexrodt ist Haushälter. ({2}) Wir haben heute hier eine Debatte über das, was die Regierung „Sternstunde des Föderalismus“ genannt hat. Dies ist mitnichten eine Sternstunde des Föderalismus, ({3}) sondern es ist eine rabenschwarze Stunde für den Parlamentarismus, rabenschwarz! ({4}) Ich glaube, dass ich das für die meisten Kollegen im Ausschuss sagen kann. Ich selbst bin nur so konsequent, dann auch die richtigen Folgerungen daraus zu ziehen, nämlich Nein dazu zu sagen. Denn vieles von dem, was wir beispielsweise von Herrn Seiffert oder von Herrn Metzger gehört haben, hätte eigentlich ein Nein als Endergebnis, als Conclusio nahe gelegt. ({5}) Es kam aber erstaunlicherweise ein - wenn auch sehr bedrücktes - Ja dabei heraus. Wir sagen also Nein zu diesem Maßstäbegesetz, und zwar deshalb, weil es vom Verfahren her eine unmögliche Situation war, dass wir im Ausschuss mehr oder weniger auf die Entscheidung der Ministerpräsidenten gewartet haben. Das ist insbesondere deshalb besonders ärgerlich, weil die Ministerpräsidenten noch nicht einmal das Tempo beschleunigt haben, obwohl sie unseren Zeitplan kannten. Sie haben ihre ganz normalen Sitzungstermine eingehalten, und dann war nun einmal leider der 23. Juni der nächste ordentliche Sitzungstermin. Insofern waren wir weitgehend gehindert. Frau Hermenau, wenn Sie eben gesagt haben, dass die Kommunen nicht mit am Tisch saßen, dann stimmt das zwar. Aber wer auch nicht mit am Tisch saß und wo es sehr viel schmerzhafter ist: Auch die Steuerzahler und die künftigen Generationen saßen nicht mit am Tisch und genau so sieht die Regelung dann auch aus. ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollegin Frick, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kröning?

Prof. Gisela Frick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002656, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Gern, aber nicht, ohne mich auch gleichzeitig bei ihm für die Führung des Sonderausschusses zu bedanken.

Volker Kröning (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002707, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das ist nett; aber Sie wissen, Frau Kollegin, dass ich Ihrem Charme nur begrenzt ({0}) erliege. ({1}) Ich frage Sie, Frau Kollegin Frick, ob Ihre Absicht, sich an der Veranstaltung gar nicht zu beteiligen, vielleicht schon von vornherein feststand und welche Erklärung Sie dafür haben, dass Sie sich heute total anders einlassen als Ihr Kollege Funke in der ersten Lesung des Gesetzes. Dort hatte er nämlich eine konstruktive Mitwirkung am Gesetzgebungsverfahren angekündigt. Wie erklären Sie sich, dass das im Ausschuss völlig ausgeblieben ist? ({2})

Prof. Gisela Frick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002656, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Erstens freue ich mich natürlich immer, Herr Kröning, wenn Sie meinen Charme loben. Aber ich lege mehr Wert auf Sach- und Fachkenntnis und möchte auch gern, dass das hier respektiert wird. Das Zweite. Wir waren von Anfang an zu einer konstruktiven Mitarbeit bereit, aber im Rahmen der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts. ({0}) Das Bundesverfassungsgericht hat uns eine ganz bestimmte Stufenfolge aufgegeben. Diese Stufenfolge hätte bedeutet, dass wir zunächst einmal abstrakt und ganz allgemein die Kriterien für die Verteilung der Finanzen zwischen Bund und Ländern und, am Rande betrachtet, auch noch für die Kommunen und erst danach, in einer zweiten Stufe, die konkreten Zahlungsströme und in diesem Zusammenhang insbesondere auch den Solidarpakt II behandeln. Dass das politisch sehr schwierig war, ist zugegeben. Das ist gar keine Frage. Was wir aber gemacht haben, ist ja, genau dieses angeforderte Verfahren auf den Kopf zu stellen und damit erst einmal die konkreten Finanzströme festzusetzen - deshalb mussten wir ja angeblich auf die Ministerpräsidenten warten - und im Nachhinein das theoretische Übergebäude in der Hoffnung darüber zu stülpen, dass es halbwegs passt. Was die Sache noch auf die Spitze treibt - darin stimme ich Herrn Metzger ausdrücklich zu -, ist die Befristung dieser ganzen Veranstaltung. Das zeigt mehr als deutlich - deutlicher kann man es gar nicht zeigen -, was davon zu halten ist. Ein Maßstäbegesetz mit objektiven Kriterien und gleichzeitig mit Verfalldatum wie ein Joghurt oder wie ein Quark ist doch unmöglich. Ich halte es sogar für verfassungswidrig, wenn wir hier eine Beschränkung vornehmen. Ich bin allerdings - das muss ich zugeben - deswegen etwas hin- und hergerissen, weil ich die Veranstaltung für so schlecht halte, dass ich an sich ganz froh wäre, wenn sie nicht ewig weiterginge. ({1}) Aber es ist ja ein einfaches Gesetz, das man mit den entsprechenden parlamentarischen Mehrheiten jederzeit ändern kann. Ich bin auf gar keinen Fall - aber das ist, wie gesagt, bei meiner Einstellung und der Einstellung meiner Fraktion nur eine Randerwägung - dafür, hier noch eine Befristung einzuführen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollegin Frick, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Kröning?

Prof. Gisela Frick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002656, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja.

Volker Kröning (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002707, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin, ich folge Ihrer Sach- und Rechtskunde ausgesprochen gerne. Wie erklären Sie sich denn - wenn Sie schon meine erste Frage nicht beantworten, dann beantworten Sie doch bitte meine zweite Frage -, dass der Wirtschaftsminister des Landes Baden-Württemberg bereits vor Verabschiedung des Maßstäbegesetzes erklärt hat, dass die Gesetze, die wir jetzt beschließen, in zwei, drei Jahren ohnehin wieder auf den Prüfstand kommen müssen? Was haben Sie, um das einmal ganz spitz zu sagen, dazu beigetragen, ein - wenn schon nicht im Vermittlungsausschuss landendes - Gesetz zu machen, das wenigstens Rechtsfrieden für möglichst lange Zeit schafft?

Prof. Gisela Frick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002656, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Döring kannte natürlich meine Einstellung bzw. die meiner Fraktion im Ausschuss. Aber ansonsten bin ich für die Äußerungen von Herrn Döring nicht verantwortlich; es tut mir Leid. Dass Sie mich jetzt dafür in die Pflicht nehmen wollen, finde ich verständlich, aber ich finde es nicht gut; das sage ich ganz ehrlich. Wir haben hier und heute das parlamentarische Verfahren über das Maßstäbegesetz abzuschließen. ({0}) Wir haben hier nicht eine Versammlung von Länderregierungen. Sie sehen ja die Besetzung auf der Bundesratsbank; ich habe zu Beginn darauf hingewiesen. Das heißt, es können nicht alle einzeln in die Pflicht genommen werden. Das hat übrigens auch Herr Eichel eben versucht, indem er die Haltung der Fraktion hier im Bundestag gegen die Haltung der Länder bei der Abmachung der Ministerpräsidenten ausspielen wollte. Wenn die Länder alle dabei sind - ich habe mir berichten lassen, dass das Verfahren an dem Wochenende von Drohungen und Erpressungen nur so gestrotzt habe -, ({1}) dann muss man natürlich mitmachen - das gehört noch zu der Beantwortung der Frage; darauf lege ich wegen der Zeit Wert -, damit man hinterher nicht, wie letztens von Rezzo Schlauch, den Vorwurf bekommt, man habe schlecht verhandelt, weil man nicht so viel wie möglich für sein eigenes Land herausgepresst hat, sondern statt- dessen versucht hat, nach der Vorgabe des Bundes- verfassungsgerichts tatsächlich nach objektiven Maßstä- ben zu suchen. Es ist legitim, dass sich die Länder diese Vorwürfe auf der eigenen Länderebene nicht einhandeln wollen. Wir hier im Parlament sind aber der Gesetzgeber, und zwar der eigentlich zuständige Gesetzgeber, Jörg van Essen [F.D.P.]: So ist es!) zugegebenermaßen mit Zustimmung des Bundesrates, und haben deshalb die Aufgabe, hier eigenständig zu entscheiden. Herr Eichel, wenn Sie die Bundestreue anmahnen, dann frage ich mich, was Sie unter Bundestreue verstehen. Offensichtlich verstehen Sie darunter, dass man erst als Letzter auf ein Klageverfahren gegen den Länderfinanzausgleich aufspringt. Das haben Sie damals bei der Einbringung hier gesagt: Ich war dabei, aber als Letzter. - Wenn das Bundestreue ist, dann können wir uns dazu unsere eigenen Gedanken machen. Wir verhalten uns bundestreu. Aber gerade für ein bundestreues Verhalten braucht man eine entsprechende Grundlage. Diese sollte durch das Maßstäbegesetz geschaffen werden. Aber sie ist nicht geschaffen worden. Das Maßstäbegesetz ist einerseits zu allgemein, weil es mehr oder weniger nur die Formulierungen des Grundgesetzes abschreibt, und andererseits ist es zu speziell, weil es ganz bestimmte Regelungen enthält wie beispielsweise die Berücksichtigung der kommunalen Finanzkraft. Beides ist nicht in Ordnung. Wir hätten uns hier wirklich um allgemeine Grundsätze bemühen müssen. Da das nicht passiert ist, habe ich nicht etwa meine konstruktive Mitarbeit verweigert - das geht noch einmal ganz besonders an Sie, Herr Kröning -, sondern ich habe mich insbesondere dieser Art des Verfahrens verweigert. Es ist ziemlich einfach und billig, dann zu sagen: Ihr habt nie mitgemacht, ihr habt euch verweigert. - Ich habe mich nicht verweigert. Ich habe immer wieder festgestellt, dass das nicht in Ordnung ist. Aber wir haben nun einmal noch nicht die entsprechenden parlamentarischen Mehrheiten. Wir arbeiten daran, wie Sie wissen, und wir sind dabei sogar relativ erfolgreich. Aber noch ist es nicht so weit und so lange müssen wir deshalb noch warten. ({2}) Das ist zu dem gewissen Widerspruch, der zwischen dem Verhalten der Länder und dem unserer Bundestagsfraktion besteht, zu sagen. Ich möchte ganz klar betonen, dass das nicht bedeutet, dass wir alle Abmachungen im Einzelnen ablehnen, insbesondere die nicht, die die Solidarität mit den neuen Ländern, also den Solidarpakt II, betreffen. Das ist hier gerade nicht das Thema. Es ist ganz selbstverständlich, dass immer wieder versucht wird, das in dieser Form umzumünzen. Dagegen möchte ich mich hier ausdrücklich verwahren. Wir stehen zur Solidarität mit den neuen Ländern; das ist bekannt. Wir wissen und unterstützen, dass weiterhin Finanzleistungen in die neuen Länder fließen. Wir geißeln nur das Verfahren, das uns von diesen ganzen Entwicklungen ausgesprochen ausgrenzt. Deshalb sagen wir heute Nein. Nachdem gestern die unsägliche Diskussion über das Verfallsdatum des Maßstäbegesetzes hinzugekommen ist, fühle ich mich in dieser Haltung sehr viel wohler. Ein solches Verfallsdatum können wir nun wirklich nicht einführen. Aber dies hätte dem Maßstäbegesetz natürlich einen deutlichen Stempel dahin gehend aufgedrückt, zu zeigen, was es eigentlich ist, nämlich genau das Gegenteil von dem, was das Bundesverfassungsgericht angemahnt hat. Wir sagen also zu diesem Maßstäbegesetz Nein. Wir haben dazu eine namentliche Abstimmung beantragt. Zum Schluss möchte ich in den Dank, den ich schon dem Ausschussvorsitzenden anlässlich einer Zwischenfrage ausgesprochen habe, natürlich auch das Sekretariat und die Vertreter der Länder ausdrücklich einbeziehen, die sehr viel Arbeit hatten, wenn sie auch leider zu einem falschen Ergebnis geführt hat. Danke schön. ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort der Kollegin Christa Luft, PDS-Fraktion.

Prof. Dr. Christa Luft (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002728, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Länderfinanzausgleich, der Solidarpakt II und das Maßstäbegesetz sind in diesem Hause überwiegend positiv beurteilt worden. Auch meine Fraktion hat sich diesem Urteil angeschlossen, weil ein gewisser verlässlicher Rahmen geschaffen worden ist. Dennoch - das ist mein Plädoyer - darf hier heute nicht der Eindruck bestehen bleiben, als seien die genannten Vereinbarungen eine Art Garantieurkunde dafür, dass zwischen 2005 und 2019 der selbsttragende Aufschwung in den neuen Bundesländern geschafft werden würde und dann das Problem Ostdeutschland aus der Welt sei. Das wäre zwar wünschenswert, aber als gesetzt kann das nicht gelten. Auch angesichts nun fixierter Finanzsummen darf sich die Politik weder auf der Bundes- noch auf der Länderebene zurücklehnen und sich sozusagen auf den Selbstlauf verlassen. Denn dann würden die Transfers wie bisher zu einem ganz großen Teil zu Konjunkturprogrammen für die Wirtschaft und für Unternehmen außerhalb der neuen Bundesländer werden. Herr Kollege Kalb, mit Verlaub, Sie hätten, bevor Sie, wie Sie es gerade getan haben, auf Kommunisten und Sozialisten herumdreschen, vielleicht zur Kenntnis nehmen sollen, dass die Transfers des letzten Jahrzehnts in Höhe von 1,4 Billionen DM zu einem Konjunkturprogramm für die Wirtschaft in den alten Bundesländern, aber auch für die in einigen anderen europäischen Ländern geworden sind. Warum kann sich die Politik nicht zurücklehnen? Erstens sind die vereinbarten Transfers weitaus geringer als im vorangegangenen Zeitraum. Zweitens entwickeln sie sich ab 2008 degressiv. Drittens - das ist für mich das Wichtigste - würde der Osten, wenn fördertechnisch und haushaltsmäßig alles beim Alten bliebe, im Jahre 2005, wenn die genannten neuen Vereinbarungen wirksam werden, mit der gleichen wirtschaftlichen und sozialen Kluft zum Westen starten, wie wir sie aktuell festzustellen haben und die zu der berühmten Diskussion, ob der Osten auf der Kippe stehe, geführt hat. Die PDS-Fraktion fordert daher mit dem heute vorgelegten Antrag von der Bundesregierung, die vielen Miniprogramme, die es gibt, unverzüglich, also schon bis 2005, zu bündeln und sie zielgenau auf Schwerpunkte in den Bereichen Forschung, Technologieentwicklung und regionale Vernetzung zu konzentrieren. ({0}) Wir fordern weiterhin, den Zugang zu den Programmen insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen zu erleichtern. Sie haben bisher die größten Hürden zu überwinden, an diesen Programmen teilzuhaben. Auf diese Weise könnte mit gleichen Geldern schon bis zum Jahre 2005 ein größerer wirtschaftlicher und sozialer Effekt erzielt werden. Der Start der neuen Bundesländer wäre mit den genannten Vereinbarungen ab 2005 günstiger. ({1}) Das ist insofern besonders wichtig, als sich die neuen Länder in den kommenden zwei, drei Jahren ganz besonderen Herausforderungen gegenübersehen. Die schwächelnde Konjunktur trifft sie stärker als die alten Bundesländer. Auch die Osterweiterung der Europäischen Union stellt eine riesige Herausforderung dar. Ebenso ist der Bevölkerungsrückgang ein Problem für die künftige wirtschaftliche Entwicklung. Wir fordern daher erstens fördertechnische Veränderungen, damit mit gleichen Geldern ein größerer Effekt erzielt werden kann. Wir fordern zweitens, beginnend mit dem Haushalt 2002, ein dreijähriges Wirtschaftsprogramm aufzulegen, das die Mittel und Instrumente für eine Investitions-, Innovations- und Gründungsoffensive in Ostdeutschland mit adäquaten Maßnahmen der Markterschließung und der Marktrückgewinnung bereitstellt. ({2}) Wir fordern eine kommunale Infrastrukturpauschale, weil gerade in den Kommunen die größten strukturellen Defizite vorhanden sind, weil man mit einer solchen Pauschale Spielräume für öffentliche Vorhaben schaffen könnte und weil man den kleinen und mittleren territorialen Unternehmen neue Aufträge verschaffen kann. Es reicht nicht, den Mund zu spitzen, Frau Kollegin Hermenau. Wir sind uns darüber völlig einig, ({3}) dass die Rolle der Kommunen in Bezug auf die Finanzen gestärkt werden muss. Wenn man das aber will, muss man ein entsprechendes Instrument einführen. ({4}) Wir plädieren für ein Maßnahmebündel, das die ostdeutsche Landwirtschaft in die Lage versetzt, einen wirksamen Beitrag zu regionalen wirtschaftlichen Kreisläufen zu leisten. Wir werden uns energisch dagegen zur Wehr setzen, dass mit bloßen Umschichtungen im Haushalt in den kommenden zwei, drei Jahren der Eindruck erweckt werden soll, es würde dem dringenden Handlungsbedarf im Osten entsprochen. Ich nenne ein Beispiel: Es ist zu begrüßen, dass das Städteumbauprogramm im Jahr 2002 und dann auch in den kommenden zwei Jahren mit 300 Millionen DM pro Jahr in den Haushalt eingestellt werden soll. Wenn man aber genau hinschaut, dann muss man feststellen, dass das keine zusätzlichen Mittel, sondern Umschichtungen sind. Diese Umschichtungen gehen vor allen Dingen zulasten der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“. Das kann unsere Zustimmung nicht finden. Wir dürfen nicht versuchen, die Probleme in den neuen Bundesländern mit Haushaltstricks zu lösen. Wir brauchen vielmehr substanzielle Entscheidungen, die dann eben auch Geld kosten. ({5}) Ein letzten Satz.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollegin Luft, Sie müssen zum Ende kommen.

Prof. Dr. Christa Luft (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002728, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ja. - Wir unterstützen - das wissen Sie - den Abbau der Neuverschuldung. Das ist keine Frage. Wir sind aber schon der Meinung, dass dieser Abbau bis zum Jahre 2006 so lange nicht festgemauert werden darf, solange noch die Gefahr besteht, dass der Osten im Zustand der Rückständigkeit verharrt. Danke. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Horst Schild, SPD-Fraktion.

Horst Schild (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002775, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich vorab einige Sätze zu dem Verfahren und zu den Klagen, die dazu heute Morgen hier vorgetragen wurden, sagen. Meine Erfahrung ist, dass sich ein Ausschuss noch nie so intensiv mit der Materie eines Gesetzentwurfs befasst hat wie dieser Sonderausschuss. ({0}) - Wir haben den Entwurf zumindest ein knappes Jahr gekannt. ({1}) Wir haben uns im Ausschuss sehr intensiv mit all den vom Bundesverfassungsgericht vorgegebenen Problemstellungen befasst. Wir wussten alle, dass sich die Entscheidung letztendlich auf einige wenige Kernfragen konzentrieren würde. Niemand kann also überrascht gewesen sein, weil auch dort die Interessenlagen zu einem relativ frühen Zeitpunkt bekannt waren. In der Tat, es war ein Kraftakt; das gestehe ich zu. Ich teile auch die Bedenken, die dagegen geäußert worden sind, dass letztlich innerhalb weniger Tage, nachdem durch die Vereinbarung des Bundeskanzlers mit den Ministerpräsidenten grünes Licht gegeben worden ist, die letzten entscheidenden Weichenstellungen im Maßstäbegesetz vorgenommen worden sind. Ich möchte mich bei allen Fraktionen dieses Hauses - ich nehme Sie da ein bisschen aus, Frau Kollegin Frick ausdrücklich für die konstruktive Arbeit im Ausschuss bedanken; denn sonst hätten wir das in diesen wenigen TaDr. Christa Luft gen nicht hinbekommen und letzte Woche nicht abschließen können. ({2}) Das Urteil vom 11. November 1999 hat den Gesetzgeber in der Tat vor eine außergewöhnlich schwierige Aufgabe gestellt. Um Missverständnisse auszuräumen, Frau Kollegin Frick: Der Auftrag zur Schaffung des zwischen der Finanzverfassung und dem Finanzausgleichsgesetz einzufügenden Maßstäbegesetzes war eigentlich nie als Pflicht zur Gesetzgebung im Blindflug zu interpretieren. Was die in Ihrem Antrag unter Nr. I zum Ausdruck kommende Moral angeht - auf die anderen Punkte komme ich noch zu sprechen -, so war das ein Missverständnis. Das ist auch in der Anhörung des Sonderausschusses deutlich geworden. Wir sind bei der Verabschiedung des Maßstäbegesetzes hier im Deutschen Bundestag in der Verantwortung, uns über die finanziellen und ökonomischen Folgen unserer Gesetzgebungsarbeit für Bund und Länder Klarheit zu verschaffen. Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinen philosophischen Ausführungen über einen Schleier des Nichtwissens, hinter dem die Entscheidungen zum Maßstäbegesetz zu treffen seien, den Anlass dafür gegeben, dass in der öffentlichen Debatte eine erhebliche Verwirrung entstanden ist. Ich möchte aus der Anhörung des Sonderausschusses den Verfassungsrechtler Professor Wieland zitieren. Das sage ich insbesondere in Ihre Richtung; denn das muss aufgeklärt werden. Professor Wieland hat uns in der Anhörung gesagt: Der Gedanke, man könnte zunächst abstrakte Maßstäbe festlegen und dann, völlig getrennt davon, darauf schauen, was konkret daraus folgt, scheint mir - und das würde ich in aller Deutlichkeit und bei allem Respekt vor dem Bundesverfassungsgericht sagen - die Aufgabe des Parlaments zu verkennen. ({3}) - Der Beifall gebührt allerdings nicht mir, sondern Professor Wieland. ({4}) Er sagt weiter: Ich verstehe parlamentarische Arbeit vielmehr so, dass Sie - wir als Parlament Ihre Entscheidungen so treffen sollen, dass Sie das Ergebnis verantworten können. Und das Ergebnis können Sie nur verantworten, wenn Sie - um es salopp zu sagen - wissen, was hinten rauskommt, und die Folgen kennen. Meine Damen und Herren, die Regelungsmaterien des Maßstäbegesetzes und des Finanzausgleichsgesetzes sind also nicht vollkommen getrennt zu behandeln, nach dem Motto: die Worte im Maßstäbegesetz und die Zahlen im FAG. Die entscheidende Vorgabe des Gerichts - das ist sicherlich unstrittig - für das Verfahren haben wir erfüllt, nämlich den zeitlichen Vorrang des Maßstäbegesetzes vor dem neuen Finanzausgleichsgesetz. ({5}) Wir haben mit diesem Gesetz die Grundprinzipien der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern sowie unter den Ländern in abstrakter Form festgelegt. Diese abstrakten Maßstäbe sind langfristig angelegt und weisen den Weg für das Finanzausgleichsgesetz, das die konkreten finanziellen Ausgleichsergebnisse hervorbringt. Ich möchte einige Anmerkungen zur Befristung machen. In der Tat, sie ist strittig. Aber wir haben dem Gesetz eine langfristige Geltung verschafft. Mit Ablauf des Jahres 2019 sollen nach übereinstimmender Auffassung von Bund und Ländern der Solidarpakt, das neue Finanzausgleichsgesetz und gleichzeitig das Maßstäbegesetz auslaufen. Wir gehen davon aus, dass bis zu diesem Zeitpunkt die wirtschaftliche Integration der neuen Länder - 30 Jahre nach ihrem Beitritt - vollzogen ist. Das ist ein Zeitpunkt, zu dem man erneut über Maßstäbe im Finanzausgleich nachdenken muss. Wir sind unserer Verantwortung für die finanziellen Folgen nachgekommen. Das Ergebnis ist bekannt. Es ist im Entschließungsantrag festgelegt worden. Ich möchte noch einmal auf den Antrag der F.D.P.Fraktion zu sprechen kommen. Es wäre konstruktiv gewesen, wenn die im Antrag enthaltenen Überlegungen auch in die Beratungen des Sonderausschusses eingebracht worden wären. Ich möchte dies kurz klassifizieren: Im ersten Abschnitt des Entschließungsantrages geht es um die Moral. Darin wird auf das Bundesverfassungsgericht verwiesen. Dazu habe ich eben schon etwas gesagt. Es wäre unverantwortlich gewesen, wenn man in diesem Haus den Maßstab ohne Kenntnis der finanziellen und ökonomischen Folgen festgelegt hätte. ({6}) - Nein. Das wollte das Gericht nicht, das war ein Missverständnis. Dann kommt ein weiterer Abschnitt, in dem es um den Wettbewerbsföderalismus geht. Auch hierzu gab es ein Missverständnis. Dem Bundesverfassungsgericht ging es nicht darum, den Wettbewerbsföderalismus im Finanzausgleichs- und Maßstäbegesetz zu installieren. Es ging vielmehr darum, dem Bund und allen Bundesländern auch weiterhin auf der Grundlage eines solidarischen Finanzausgleichs zu erlauben, seine verfassungsmäßigen Aufgaben wahrzunehmen. Ich möchte noch auf einen anderen Punkt zu sprechen kommen. Dazu hat auch der Berliner Wahlkämpfer, der Kollege Rexrodt, gesprochen. Er sollte die Folgen dessen, was er vorschlägt, bedenken, wie wir es beim Maßstäbegesetz auch getan haben. In dem Entschließungsantrag der F.D.P. wird vorgeschlagen: Bei der Bestimmung der Finanzkraft der Länder sind die kommunalen Einnahmen aus Realsteuern und steuerähnlichen Abgaben nicht mehr zu berücksichtigen. Bei den ausgleichsverpflichteten Ländern sind die Leistungen aus dem Finanzausgleich jeweils auf 50 % des Betrages zu begrenzen, um den deren Finanzkraft die durchschnittliche Finanzkraft aller Länder übersteigt. Ich befürchte, der Kollege Rexrodt hat nicht errechnet, was dies für das Land Berlin bedeutet. Dieser Antrag ist ein klassisches Eigentor. ({7}) Aber vielleicht sagen ihm dazu die Berliner Kolleginnen und Kollegen noch einiges. Wir haben im laufenden Gesetzgebungsverfahren das erfüllt, was uns das Bundesverfassungsgericht in seinen Leitsätzen aufgegeben hat. Darin heißt es: Das Finanzausgleichsgesetz bestimmt die in Art. 106 und 107 GG für die gesetzliche Ausgestaltung der Finanzverfassung vorgegebenen Maßstäbe nicht mit hinreichender Deutlichkeit und ist deshalb nur noch als Übergangsrecht anwendbar... Das Grundgesetz beauftragt den Gesetzgeber, die verfassungsrechtlichen Maßstäbe zu konkretisieren und zu ergänzen. Meine Damen und Herren, mit dem vorgelegten Maßstäbegesetzentwurf haben wir diesen Auftrag erfüllt. Ich danke Ihnen. ({8})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Zu einer Kurzintervention erteile ich der Kollegin Antje Hermenau, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

Antje Hermenau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002673, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich beziehe mich auf die Rede von Frau Professor Luft. Sie haben hier wieder versucht, eine Schimäre von der kommunalen Investitionspauschale aufzubauen. Wenn Sie § 2 aufmerksam gelesen hätten, müsste Ihnen bewusst sein, dass erhebliche Mittel pro Jahr für diesen Zweck, nämlich den Ausgleich der unterproportionalen kommunalen Finanzkraft, vorgesehen sind. Insofern ist dem Anliegen nach meinem Verständnis im Kern Rechnung getragen worden. Was ich aber kritisiere, ist, dass der Ausgleich der kommunalen Finanzkraft nicht in ein bestehendes, grundgesetzlich verankertes System, nämlich den Länderfinanzausgleich, eingefügt worden ist. Diesen Gedanken wollen Sie nicht verstehen, weil Sie wieder zentralstaatlich denken. Das ist der Punkt. Sie wollen gemäß Ihrem alten Denken, dass der Zentralstaat alles regelt und Bundesgelder in den Ausgleich hineinsteckt. Das widerspricht aber der Idee des Föderalismus. ({0}) - Jetzt habe ich Sie erwischt. Das erkennt man daran, dass Sie der Befristung zustimmen. Sie stimmen zu, dem Länderfinanzausgleichsgesetz eine Befristung zu verpassen. Das tun Sie, weil Sie denken und sich innerlich darauf vorbereiten, dass Sie in den ostdeutschen Ländern mitregieren werden. Der Punkt aber ist der, dass Ihre Basis das noch nicht weiß. Danke schön. ({1})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Zur Erwiderung Frau Kollegin Dr. Christa Luft.

Prof. Dr. Christa Luft (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002728, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Kollegin Hermenau, dieses Thema schon zu einem Wahlkampfauftritt zu nutzen, hatte ich nicht beabsichtigt. ({0}) Die Regelungen zum Länderfinanzausgleich, zum Solidarpakt II, auf die Sie sich beziehen, gelten ab dem Jahr 2005. Das ist der erste Punkt. Unser Vorschlag bezieht sich auf die Zeit zwischen dem Jahr 2002 und dem Jahr 2005. ({1}) Im Übrigen könnte die kommunale Investitionspauschale sofort wieder abgeschafft werden, wenn es möglich wäre, die Vermögensteuer wieder zu erheben; die Vermögensteuer ginge in die Haushalte der Länder und die Länder hätten auf diese Weise Geld, um ihren Kommunen in stärkerem Maße unter die Arme zu greifen. ({2}) Zweitens: Eine kommunale Investitionspauschale hat es 1991 und 1993 gegeben. Es wird immer wieder behauptet, sie sei verfassungswidrig. Das Argument der Grundgesetzwidrigkeit benutzen jene, denen die kommunale Investitionspauschale sowieso nie gepasst hat. Ich kenne kein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das die Unzulässigkeit dieser Pauschale zum Ergebnis gehabt hätte. ({3}) Außerdem sind Bundesfinanzzuweisungen in prekären Situationen nicht nur zulässig, sondern auch praxisgerecht. Dass wir es in den ostdeutschen und in nicht wenigen westdeutschen strukturschwachen Kommunen mit einer prekären Finanzsituation zu tun haben, dürfte unbestritten sein. Es gehört auch zum Prinzip der kommunalen Selbstverwaltung, dass die Kommunen über ein gewisses Maß an Finanzmitteln verfügen, mit dem sie Schwerpunkte setzen können, da vor Ort eine hohe Kompetenz vorhanden ist. Es wäre sinnvoll, wenn Geld, das den Kommunen zur Verfügung gestellt wird, nicht mit allzu viel Rahmenvorgaben in Bezug auf den Mitteleinsatz versehen wird. Dann würde auch Demokratie in den Kommunen wieder einen größeren Sinn machen. ({4}) Wenn Kommunen keinen Spielraum haben, ist es am Ende egal, welche Partei regiert, Frau Kollegin Hermenau, denn keine Partei kann in einem solchen Fall viel machen. ({5}) Die Gefahr, dass die Grünen im Osten eine große Rolle spielen werden, ist ohnehin nicht sehr groß. ({6})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Das Wort hat der Bundesminister der Finanzen, Hans Eichel.

Hans Eichel (Minister:in)

Politiker ID: 11003522

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte gegen Ende der Debatte noch zwei Bemerkungen machen. Erstens zur Sache: Es wurde eingewandt, die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler hätten nicht mit am Tisch gesessen und müssten deswegen die Rechnung zahlen. Das ist falsch. Ich habe darauf geachtet, dass das nicht geschieht, und deswegen haben wir die mittelfristige Finanzplanung auch vorher beschlossen. Wichtig ist, dass das, was wir beim Finanzausgleich und beim Solidarpakt beschließen, in die Konsolidierungsstrategie hineinpasst. Sie machen Ihre Behauptung an der Regelung zum Fonds „Deutsche Einheit“ fest. Der Fonds „Deutsche Einheit“ muss - das will das Verfassungsgericht - einbezogen werden. Eine Tilgung von Schulden hat es bis heute nicht gegeben. Das hat aber überhaupt nichts mit der Regelung zum Fonds „Deutsche Einheit“ zu tun. Solange Sie defizitäre Haushalte haben, tun Sie bei der so genannten Tilgung beim Fonds „Deutsche Einheit“ nichts anderes, als Schulden des Fonds „Deutsche Einheit“ zu Schulden der Länderhaushalte oder des Bundeshaushaltes zu machen. Die Frage, ob getilgt wird oder nicht, entscheidet sich an dem Umstand, wann wir zum ersten Mal zu einem ausgeglichenen Haushalt und zu Überschüssen kommen. ({0}) Infolgedessen hat Ihr Einwand mit dieser Regelung überhaupt nichts zu tun. Die entscheidende Frage ist, ob wir die Konsolidierungsstrategie ernst nehmen oder nicht. ({1}) Ich habe in diesem Punkt, gerade in den letzten Tagen, Zweifel an der Opposition anmelden müssen, nachdem ich gehört habe, was Sie alles vorgeschlagen haben. Zweitens zum Verfahren: Ich kann zum Teil verstehen, was hier eingewandt worden ist. Ich will deswegen zunächst dem Sonderausschuss für seine intensive Arbeit herzlichen Dank sagen. Es ist eingewandt worden, der Sonderausschuss habe in der letzten Phase unter einem ungeheuren Zeitdruck arbeiten müssen. Das ist wahr, aber die Redlichkeit gebietet es, auch etwas anderes zu sagen: Glaubt jemand, dass wir die Probleme bei Finanzausgleich und Solidarpakt im Vermittlungsverfahren zwischen Bundestag und Bundesrat - das wäre die Alternative gewesen - hätten lösen können? Nein! ({2}) Das hätte vor allem nicht mit der Zielsetzung funktioniert, dass alle 16 Länder und der Bund zustimmen sollten. Bei einer solchen Zielsetzung haben Sie keine andere Chance, als zunächst unter den Ländern den Versuch zu machen, zu einer Einigung zu kommen. Eine solche wäre nicht gelungen, wenn der Bund nicht dazu bereit gewesen wäre, noch etwas dazuzutun. Dies ist mir sehr schwer gefallen und hat sich daher auch sehr in Grenzen gehalten; darauf habe ich geachtet. Das Verfahren, das eine Zumutung für den Ausschuss gewesen ist, konnte nur in dieser Weise durchgeführt werden. Deswegen sage ich dem Ausschuss ausdrücklich Dank dafür, dass er diese erschwerten Bedingungen akzeptiert hat, weil es eine realistische Alternative nicht gegeben hat. Auch ein längeres Hinziehen der Verhandlungen hätte es nicht besser gemacht. ({3}) Deswegen sage ich zum einen Dank an den Bundestag - insbesondere an den Ausschuss -, zum anderen aber auch ausdrücklich Dank an die Länder. Wahr ist auch - in der Tat war das 1993 genauso -: Nach einer solchen Mammutkonferenz gibt es immer noch einzelne offene Fragen, weil eben nicht alles geklärt ist. Dies hätte auch ich mir anders gewünscht. Dennoch will ich ausdrücklich den Ministerpräsidenten und den Finanzministern für ihre sehr konstruktive, wenn auch zuweilen äußerst kontroverse Arbeit Dank sagen, die wir zusammen bewältigt haben. Zwei Ministerpräsidenten möchte ich in diesem Zusammenhang namentlich erwähnen, die es uns ermöglicht haben, alle wesentlichen Einzelfragen zum Schluss zu klären, und die zu einem Zusammenführen besonders beigetragen haben. Damit meine ich Herrn Bürgermeister Runde und den hessischen Ministerpräsidenten Koch. Beide haben als Verhandlungsführer - der A- und B-Länder - dafür gesorgt, dass wir auch in Details zu vernünftigen Konditionen einig geworden sind. Deswegen: Wenn man sich entschließt, das nicht im Vermittlungsausschuss zu regeln, gibt es keine Alternative zu diesem Verfahren. Dann muss man auch dankbar sein für das erreichte Ergebnis. ({4})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die CDU/CSUFraktion spricht jetzt der Kollege Günter Nooke.

Günter Nooke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003200, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren! Ich will gleich eingangs feststellen: Auch wir begrüßen die Einigung über die Neuregelung des Finanzausgleichs und die Einigung zum Solidarpakt II, die damit eingeschlossen ist. Damit wird der Weg frei für das vorliegende Maßstäbegesetz, das den künftigen Länderfinanzausgleich regelt. Mit den Kollegen meiner Fraktion aus den neuen Bundesländern bin ich froh und dankbar für die Einigung und weiß die Solidarität von Bund und alten Ländern gegenüber den neuen Ländern zu schätzen. Wir wissen auch: Ohne das selbstbewusste Verhandeln der Ministerpräsidenten, ihrer Staatskanzleien und der Finanzminister aus den neuen Bundesländern und ohne den erklärten politischen Willen der Geberländer zur Solidarität wäre diese Einigung beim Solidarpakt II in dieser Legislaturperiode wohl nicht zustande gekommen. Übrigens hat - ich merke das einmal an - der für die neuen Länder zuständige Staatsminister auch in dieser Frage keine gute Rolle gespielt, genauer gesagt: Er hat sogar versucht, dem Bundesfinanzminister den Rücken zu decken, indem er 50 Milliarden DM weniger gefordert hat, als hinterher herauskam. Für die neuen Länder ist mit der Neuregelung des Finanzausgleichs ein großer Schritt in Richtung Planungssicherheit getan. Ich erwähne das deshalb ausdrücklich, weil Planungssicherheit ein nicht zu unterschätzender Vorteil für die neuen Länder ist, insbesondere für deren Haushalte und deren Gestaltungswillen beim weiteren Aufbau Ost. Für uns alle aber ist wichtig, dass das Thema Aufbau Ost eine nationale Herausforderung bleibt, der wir uns nicht nur zu stellen haben, sondern die wir weiter meistern müssen. ({0}) Der Solidarpakt II und das Maßstäbegesetz regeln diese nationale Herausforderung natürlich nur bedingt. Wir haben noch eine ganze Menge zu tun. Es ist kein Geheimnis - ich will das auch für unsere Fraktion noch einmal sagen -, dass die kommunale Finanzkraft aus Sicht der ostdeutschen Länder stärker hätte berücksichtigt werden sollen. Aus ostdeutscher Perspektive rechnen sich nach dem gegenwärtigen Verfahren die reichen Länder sehr wohl ärmer und erhöhen somit ihren Selbstbehalt beim Länderfinanzausgleich. Bekanntermaßen gibt es dazu unterschiedliche Meinungen, und eine Änderung war politisch nicht durchsetzbar. Dies kann ich, für meine Fraktion wie für die ostdeutschen Länder, so feststellen. Darüber, ob aus ostdeutscher Perspektive die eher dürftigen Regelungen, die das Maßstäbegesetz jetzt enthält, hinreichend sind und ob das alles bestimmt genug ist, kann man ebenfalls streiten. Auf jeden Fall haben die neuen Länder jetzt mehr Möglichkeiten der eigenen Gestaltung und können eher eigene Wege gehen, eigene Schwerpunkte setzen. Ich glaube, dass wir uns davor angesichts der bisherigen Entwicklung in Sachsen und Thüringen nicht fürchten müssen. Vielmehr kommt uns zugute, dass man sieht, wo gute Regierungen sind: Dort, wo gute Politik gemacht wird, geht es den Menschen besser. ({1}) Meine Damen und Herren, wir werden also auch künftig in diesem Hause den Diskurs zum Aufbau Ost führen. Auch künftig wird es so manchen Streit über Wünsche und Notwendigkeiten beim Aufbau Ost geben. Ich halte diesen Diskurs auch für richtig; denn wir dürfen unter der Überschrift „Aufbau Ost“ nicht nur über finanzielle Leistungen sprechen, auch wenn es in diesem Zusammenhang notwendig war. Wir müssen uns wieder stärker über Ziele und Prioritäten unterhalten. ({2}) Bei dem Stichwort „Ziele und Prioritäten“ drängt sich noch eines auf: die Taktiererei der Bundesregierung und ihre Bestrebungen, Entwicklungen und Verhandlungen zum Solidarpakt II durch Vorabtreffen der SPD-Strategen zu präjudizieren. Ich sage hier in aller Deutlichkeit: Das hier verschiedentlich im Umgang mit den Ländern praktizierte Verfahren hatte mit Verlässlichkeit und Berechenbarkeit, mit einem fairen und transparenten Miteinander nicht viel zu tun. Noch im Frühjahr dieses Jahres haben wir an dieser Stelle über die wirtschaftliche Entwicklung in den neuen Bundesländern und die Tatsache diskutiert, dass die Schere zwischen Ost und West auseinander geht. Die Einschätzung der Sachverständigen, wonach Ostdeutschland von einer selbsttragenden Entwicklung noch weit entfernt sei, wurde wieder und wieder durchdekliniert. Niemand zog in Zweifel, dass die Schließung der Infrastrukturlücke die Voraussetzung für die weitere ökonomische Entwicklung in den neuen Bundesländern darstellt. Mittlerweile haben sich die gesamtwirtschaftlichen Aussichten weiter extrem verdüstert: Die Inflationsrate hat dramatisch zugenommen. Der Bundeswirtschaftsminister selbst hat quasi ein Nullwachstum prognostiziert. Das trifft die fragilen Wirtschaftsstrukturen in den neuen Bundesländern besonders hart. Hier lässt die Zahl der Unternehmensgründungen nach, es gibt eine wachsende Zahl von Insolvenzen. Die Folge sind fehlende Investitionsmöglichkeiten der kleinen und Kleinstbetriebe. Zum heutigen Thema muss noch Folgendes gesagt werden: Die neuen Länder haben keine Angst vor Wettbewerb und vor einem - wie ihn Herr Westerwelle gefordert hat - wettbewerblichen Föderalismus. Aber es sollte klar sein, dass eine solche Idee eine Zukunftsvision darstellt. Gegenwärtig sind die neuen Länder nicht fit genug und auf „Gehhilfen“ angewiesen. Ein zu schneller Verzicht auf diese Hilfen, wie jetzt manchmal von einigen Grünen gefordert, könnte aus Rekonvaleszenten Dauerpatienten machen. Das können wir nicht wirklich wollen. Beim Solidarpakt II gab es übrigens einen Konsens, was diese Hilfen angeht: Fortführen für mindestens zehn Jahre auf hohem Niveau. Die Forderung der ostdeutschen Ministerpräsidenten war sogar: auf bisherigem Niveau. Unstrittig war, dass der Solidarpakt II an der Notwendigkeit zur Überwindung dieser teilungsbedingten Lasten und an der Deckung der Infrastrukturlücke in Höhe der genannten 300 Milliarden DM festgemacht wird. Diese Zahl wurde im Übrigen nicht aus der Luft gegriffen und auch nicht in irgendwelchen Hinterzimmern ausgekungelt, sondern im Jahre 2000 durch ein Gemeinschaftsgutachten der fünf führenden Wirtschaftsforschungsinstitute dieses Landes ermittelt und belegt. An diesem Punkt muss ich auf ein öffentlich gewordenes Missverständnis aufmerksam machen, das am vorletzten Wochenende die Medien bewegte. Es beginnt damit, dass der Chefsachenkanzler von vornherein die Parole ausgegeben hat, mehr als 20,6 Milliarden DM gebe es für den Solidarpakt II pro Jahr und für die Dauer von zehn Jahren nicht. Das ergab die Summe von 206 Milliarden DM. Der Finanzminister ist dann sogar mit einer Summe von 157 Milliarden DM in die Verhandlungen gegangen und hat versucht, in der öffentlichen Wahrnehmung den Eindruck zu manifestieren, der Nachholbedarf im Osten sei bei weitem nicht so dringlich wie der Zwang zur Haushaltskonsolidierung und sein Image als Sparkommissar. Als Alibi wurde noch ein ansonsten renommiertes Forschungsinstitut bemüht, das die Infrastrukturlücke schnell einmal auf die Hälfte saldiert hat. Über die Zweckzuweisung - die 10 Milliarden DM für zehn Jahre, also insgesamt 100 Milliarden DM - wurde am Anfang gar nicht gesprochen. Am Ende hörte man in der Öffentlichkeit, es sei allein über die 300 Milliarden DM für die Beseitung der Infrastrukturlücke gesprochen worden. Im Gesamtergebnis kamen aber für 15 Jahre lediglich 306 Milliarden DM heraus. Das wurde als Erfolg gefeiert und bejubelt. Die angebliche Summe von 306 Milliarden DM bedeutet zwar eine ganze Menge Planungssicherheit, aber verteilt sich eben auf den Zeitraum bis 2019. Die erwähnte und ansonsten nicht unbedingt für Regierungsverlautbarungen bekannte „Sonntagszeitung“ titelte nun: „Deutsche müssen weitere 15 Jahre für den Osten zahlen.“ Dies stimmt schlichtweg so nicht. Die 100 Milliarden DM, die noch zugesichert werden, unterliegen der Evaluierung und müssen durch jährlich von den Ländern anzufertigende Fortschrittsberichte für den Aufbau Ost belegt werden. Sie sind also Teil jährlicher Haushaltsverhandlungen und damit keineswegs rechtlich abgesichert. Ich habe nichts gegen Fortschrittsberichte, aber manchmal sollten wir darüber nachdenken, ob diese nur für die neuen Bundesländer und nur an dieser Stelle oder nicht ebenfalls für andere öffentliche Mittel notwendig wären, über die wir im Bundestag beschließen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, sehen Sie es mir nach, wenn ich sarkastisch sage: Wenn die Planungssicherheit für den Osten bis 2050 hergestellt worden wäre und man dann bejubelt hätte, dass die 306 Milliarden DM auf 45 Jahre aufgeteilt wurden, hätte es das wohl nicht sein können. ({3}) Insofern bleibt die nüchterne Bilanz: 1998 hatten wir Transferzahlungen in Höhe von etwa 40 Milliarden DM. Für die nächsten 15 Jahre, also für den Zeitraum von 2005 bis 2019, betragen diese Zahlungen im Durchschnitt 20 Milliarden DM. Das ist ungefähr die Hälfte. Also sollten wir nicht sagen, hier sei etwas Schlimmes geschehen, weil mehr Zahlungen für den Osten vereinbart worden seien. Das stimmt so nicht. Ein paar positive Aspekte des Gesetzes will ich noch nennen. Die pauschalen statt der zweckgebundenen Zuweisungen aus dem Investitionsförderungsgesetz werden von uns ausdrücklich begrüßt. Wir stellen uns dem Wettbewerb. Wir sind auch für Anreize zur Erhöhung der eigenen Steuerkraft durch höheren Selbstbehalt bei überdurchschnittlichen Zuwachsraten. Ich habe die Hoffnung, dass die neuen Länder bei Chancengleichheit durchaus wieder in der Lage sein könnten, überdurchschnittliche Zuwachsraten zu erreichen, allen voran vielleicht sogar diese Stadt Berlin. Dafür müsste man sich hier natürlich für die Zukunft und nicht für die Vergangenheit entscheiden. Die Beibehaltung der bisherigen Einwohnerwertung für Stadtstaaten, ebenso die neue Einwohnerwertung für dünn besiedelte Länder - Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Sachsen-Anhalt profitieren davon -, die Berücksichtigung der besonderen Leistungsschwäche der neuen Bundesländer und Berlins bei der Deckung von Sonderlasten und beim Ausgleich unterproportionaler Finanzkraft - das alles können wir positiv vermerken. Ich spreche aber auch noch die kritischen und problematischen Punkte an. Die mit der Neuregelung im Finanzausgleich verbundene Hoffnung einer Föderalismusreform ist unerfüllt geblieben. Ich will es ganz deutlich sagen: Darauf warten wir weiter. Föderalismus findet noch nicht statt, wenn sich 16 Bundesländer zulasten Dritter einigen. Frau Professor Frick, ich stimme mit dem Bundesfinanzminister überein: Wenn wir das Ganze pragmatisch sehen, können wir auch nicht erwarten, über ein so kompliziertes Gesetz im Vermittlungsausschuss verhandeln zu können. Wir werden die Föderalismusreform, wenn wir sie überhaupt realisieren wollen, hier im Bundestag in Angriff nehmen müssen, oder wir werden immer wieder ein kompliziertes Verfahren haben. Diese Problematik halte ich nicht für im Vermittlungsausschuss lösbar. ({4})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Nooke, jetzt muss ich Sie für einen Moment unterbrechen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist klar, dass vor einer namentlichen Abstimmung der Lärmpegel im Saal steigt. Aber ich bitte doch darum, dem Kollegen Nooke noch angemessen zuzuhören. Es gibt danach auch noch einen weiteren Redner in dieser Debatte. Alle Kolleginnen und Kollegen haben verdient, dass ihnen zugehört wird. ({0})

Günter Nooke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003200, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin, die Materie ist kompliziert, aber ein paar Fakten müssen einfach aufgezeigt werden. Lassen Sie mich deshalb bitte noch meine Ausführungen beenden. Der Versuch, die neuen Länder ins Finanzausgleichssystem zu integrieren, hat sich mit dem Beharrungsvermögen, bei den alten Besitzständen zu bleiben, überlagert. Insofern spreche ich das Thema Geltungsdauer an, Herr Kollege Metzger. Wir sprechen doch sonst auch bei Gesetzen mit Verfallsdatum davon, dass diese Aufgabe eines Tages beendet sein wird. Es kann doch eigentlich nicht so schlimm sein, dass wir uns der Aufgabe, noch einmal über eine Föderalismusreform und eine Regelung zu diskutieren, bei der nicht nur zehn Länder auf Beinen und sechs Länder auf Krücken stehen, sondern mit der wir ein System erreichen, das wirklich passt und dem Föderalismus in Deutschland gerecht wird, in 15 Jahren noch einmal unterziehen müssen. Der Fonds „Deutsche Einheit“ wird nicht wie vorgesehen getilgt. Die Tilgungsstreckung verzögert den Schuldenabbau und geht zulasten der nachkommenden Generationen. Auch hier, Herr Kollege Metzger, wollen wir erst einmal sehen, ob wir es wirklich schaffen, im nächsten Bundeshaushalt die von Ihnen genannten 740 Millionen DM einzusparen. Daraus resultieren übrigens die Liquiditätsgewinne für die alten Bundesländer; denn die neuen Bundesländer waren an der Tilgung des Fonds „Deutsche Einheit“ nicht beteiligt. Auch haben wir die Degression der Finanzmittel im Rahmen des Soli II festgeschrieben. Aber wir haben noch nichts dazu gesagt, was nach dem Wegfall der Ziel-1-Fördermittel nach 2006 bei der EU-Osterweiterung, die bald ansteht, passiert. Eine Kompensation ist nicht vorgesehen. Bei der Mittelfestschreibung für den Solidarpakt II gilt das Nominalprinzip. Das ist bei Preissteigerungen, wachsender Inflation und Kaufkraftverlust nachteilig. Alle wissen: In 20 Jahren ist das Geld, das wir heute festschreiben, nur noch die Hälfte wert, wenn wir die Inflationsrate von heute annehmen. Machen Sie sich klar: Auch hier wird eine große Menge Geld weniger vorhanden sein. ({0}) Meine Damen und Herren, liebe Freunde, eingangs sagte ich, dass wir als ostdeutsche Abgeordnete über die Einigung zur Neufestlegung des Länderfinanzausgleichs froh sind. Dazu stehe ich. Aber erwarten Sie nach dem, was hier zu sagen war, nicht, dass die Ostdeutschen jetzt vor Dankbarkeit auf den Knien rutschen. Dazu besteht kein Anlass. Ich fasse deshalb zusammen: Die Liquiditätsgewinne für die alten Länder aus der Tilgungsstreckung beim Fonds „Deutsche Einheit“ werden durch Einsparungen in den neuen Ländern erwirtschaftet. Ich sage für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion: Wir haben das gemerkt, Herr Bundesfinanzminister, liebe Ländervertreter, meine Damen und Herren. Auch das gehört zum Protokollarischen bei diesem Gesetz. Ich schließe aber mit einem Bekenntnis zum Pragmatismus. Auch uns ist natürlich der Spatz in der Hand lieber als die Taube auf dem Dach. Danke schön. ({1})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Der letzte Redner in dieser Debatte ist der Kollege Carsten Schneider für die SPD-Fraktion.

Carsten Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003218, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Maßstäbegesetz erfüllen wir die Auflagen des Bundesverfassungsgerichts, ein Fundament zu bauen, auf das wir später, wie beim Hausbau, die staatlichen Finanzbeziehungen mit dem Finanzausgleichsgesetz setzen. Auf die Schwierigkeit, ein Fundament zu bauen, ohne zu wissen, wie groß und wie schwer das Haus sein wird, hat der Kollege Schild schon hingewiesen. Ich denke, dass wir eine Lösung gefunden haben, die dem Prinzip der Solidarität, das die Grundlage unseres Gemeinwesens bildet, gerecht wird und gleichzeitig denjenigen Ländern, die heute noch Nehmerländer sind, genügend Ansporn bietet, auch weiterhin Fortschritte zu erzielen. Sowohl das Maßstäbegesetz als auch der Entschließungsantrag erfüllen drei Ansprüche, die ich für sehr wichtig und nicht selbstverständlich halte: Erstens. Wir haben durch die uns vorliegenden Regelungen langfristige und planbare Perspektiven, insbesondere für die neuen Länder, geschaffen. Das ist aus meiner Sicht allemal wichtiger und vernünftiger als Sofortprogramme, wie sie von Frau Merkel oder Herrn Vogel permanent gefordert werden. Uns ist es darauf angekommen, bezahlbare und die Solidarität nicht gefährdende Regelungen zu finden. Das, was Herr Vogel unentwegt fordert, ist verantwortungslos. Er schürt Hoffnungen, die ohne höhere Staatsverschuldung oder Steuererhöhungen nicht finanziert werden können. ({0}) Mit uns Sozialdemokraten wird es jedoch weder zu Steuererhöhungen noch zur Erhöhung der Staatsverschuldung kommen. ({1}) Vom heutigen Tag wird das Signal ausgehen, dass der Osten mehr denn je Zukunft hat ({2}) und dass vor allem den jungen Menschen in den neuen Ländern Perspektiven geboten werden. Der neue Länderfinanzausgleich und das Maßstäbegesetz schaffen die Voraussetzungen für weitere Investitionen in den neuen Bundesländern. Sie bieten daher gerade jungen Menschen große Chancen, die genutzt werden wollen und genutzt werden müssen. Ich habe eingangs vom Prinzip der Solidarität gesprochen. Wir in den neuen Ländern wissen diese Form der Solidarität zu schätzen. Die Menschen dort wissen, dass der Bundeskanzler diese Solidarität erst möglich gemacht hat. Die Bürgerinnen und Bürger in den Ländern wissen auch, wer diese Solidarität in Karlsruhe infrage gestellt hat. Ich kann daher den Vertretern des ehemaligen Nehmerlandes Bayern nur sagen: Mein Ziel als Thüringer ist es, dass Thüringen es schafft, selbst Geberland zu werden. ({3}) Das geht nicht von heute auf morgen. Das hat auch bei Ihnen in Bayern eine Weile gedauert. Aber ich bin zuverGünter Nooke sichtlich, dass wir in Thüringen dies aus eigenen Anstrengungen sowie durch die Solidarität des Bundes und der anderen Länder schaffen können. Der zweite für mich wichtige Anspruch, den das Maßstäbegesetz und der Entschließungsantrag erfüllen, ist der, dass der in Deutschland erfolgreiche kooperative Föderalismus in seinen Grundfesten bestehen bleibt. Damit ist der von den Südländern so vehement geforderte Wettbewerbsföderalismus, der die Solidarität aufgekündigt hätte, vom Tisch. Bezeichnenderweise hat ihn das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil von 1999 nicht einmal mit einem Wort erwähnt. Ich sage es ganz deutlich: Ich bin zwar nicht gegen Wettbewerb. Wettbewerb ist gut und wünschenswert. Aber wer fair spielen will, der achtet auch darauf, dass die Ausgangspositionen einigermaßen gleich sind. Aber das sind sie nun einmal nicht. Daher ist die vereinbarte Lösung mit ihren Anreizmechanismen aus meiner Sicht gerade noch vertretbar. Mir persönlich wäre es lieber gewesen, sie wären gar nicht hineingekommen. Ich bin gespannt, wie sie sich in den nächsten fünf bis sieben Jahren auswirken werden und ob es nicht noch Handlungsbedarf für uns geben wird. Der dritte Punkt, den ich ausdrücklich begrüße und gegen den sich anfangs alle Länder gewehrt haben, ist die Aufnahme des Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes in das Maßstäbegesetz. Jedes Land hat für sich und die Solidargemeinschaft Verantwortung zu tragen. Eine gemeinsame Ausgabenlinie zur Begrenzung des gesamtstaatlichen Defizits war daher längst überfällig. ({4}) Die Aufnahme dieser Regelung in das Maßstäbegesetz trägt die Handschrift der SPD-Bundestagsfraktion, die für eine solide Finanzpolitik steht. Die am 23. Juni ausgehandelten Regelungen sind eindeutig ein Kompromiss. Darauf ist schon vielfach hingewiesen worden. Ich gebe gern zu, dass ich mir eine umfassendere Maßstabsbildung, wie sie zum Beispiel auch vom Bundesverfassungsgericht gefordert wurde, gewünscht habe. ({5}) Der ursprüngliche Gesetzentwurf der Bundesregierung war in dieser Beziehung viel weitergehender und genauer als die mit den - ich möchte es einmal so formulieren beharrungswütigen Ländern letztendlich erreichte Lösung. Zu nennen wäre hier zum Beispiel die 100-prozentige Einbeziehung der kommunalen Steuereinnahmen, die ich für ausgesprochen wichtig und richtig halte. Ich hoffe, dass wir es irgendwann einmal schaffen werden, sie in das Maßstäbegesetz hineinzuschreiben. Ein wichtiger Punkt ist die auch exaktere Maßgabe der vertikalen Steuerverteilung. Ich muss ehrlicherweise zugeben: Wenn man sich das Gesetz genau anschaut, dann stellt man fest, dass es dazu fast nichts enthält. Das birgt sehr viel Potenzial an Konflikten zwischen den Ländern und dem Bund in den nächsten Jahren. Das hätten wir zwar ausräumen können. Aber das haben wir durch die Intervention der Länder leider nicht geschafft. ({6}) Wir Sozialdemokraten nehmen das Prinzip der Solidarität sehr ernst. ({7}) Das gilt zwar nicht nur für den Aufbau Ost, aber gerade dort gilt es, solidarisch zu sein. Ob mit dem Altschuldenhilfe-Gesetz, dem Investitionsprogramm „Verkehr“ oder dem Inno-Regio-Projekt - die Liste ließe sich beliebig fortsetzen -, wir räumen dem Aufbau Ost höchste Priorität ein, ({8}) und zwar nicht nur um seiner selbst willen, sondern deshalb, weil wir über unseren nationalen Tellerrand hinausschauen und die europäische Einigung nie aus dem Blick verlieren. Wir haben - das hat auch die Debatte in der letzten Woche gezeigt - schon einen guten Teil des Weges zurückgelegt, vor allen Dingen dank der unermüdlichen Bereitschaft der Ostdeutschen, sich den neuen Bedingungen anzupassen und ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen, aber auch dank des solidarischen Verhaltens der Menschen in den alten Bundesländern. Insgesamt 306 Milliarden DM - die Zustimmung der beiden Häuser vorausgesetzt - werden in den nächsten Jahren in die neuen Länder fließen. Auch wenn die Bundesergänzungszuweisungen nominal und degressiv ausgestaltet sind, ist dies eine angemessene Summe, die wir in den neuen Ländern sehr zu schätzen wissen. ({9}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, Herr Koch wurde von Ihnen heute schon mehrmals gelobt. ({10}) Ich wäre an Ihrer Stelle ein bisschen vorsichtiger. Seine Äußerungen in Richtung Berlin und Koalition halte ich für sehr bedenklich; denn jede Drohung gegenüber den Wählerinnen und Wählern in Ostdeutschland ist meines Erachtens ein Anschlag auf die gesamtstaatliche Solidarität. ({11}) Im Übrigen brauchen wir uns von niemandem Nachhilfeunterricht in Sachen Demokratie geben zu lassen. Die jeweilige Farbe einer Landesregierung ist kein Maßstab für die Finanzbeziehungen der Länder, ({12}) auch wenn es Ihnen, liebe Kollegen von der Union - die F.D.P. erwähne ich gar nicht -, nicht schmeckt, dass Sie im Osten in der nächsten Zeit keinen Fuß mehr auf die Erde bekommen werden. Über das Auslaufen des Investitionsfördergesetzes ist bereits berichtet worden. Die neuen Bundesländer erhalten durch die Sonderbedarfsergänzungszuweisungen eine höhere Flexibilität. Mir ist an dieser Stelle daran gelegen, an die Länder zu appellieren, diese Mittel auch wirklich investiv einzusetzen. Auf uns als Bundestagsabgeordnete wird die Pflicht zukommen, die Berichte, die erstellt werden, genau zu prüfen. Ich möchte hier aber noch Folgendes sagen: Wer auf der einen Seite die Entflechtung der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern fordert - das ist oftmals angesprochen worden -, der darf auf der anderen Seite nicht bei jedem sich stellenden kleinen Problem nach dem Bund rufen und schreien, dass ihm der Bund doch bitte helfen möge. ({13}) Die Länder sind jetzt in die Lage versetzt, sich selbst zu helfen und etwas aus ihrem Potenzial zu machen. Wir haben mit diesem Maßstäbegesetz für die nächsten Jahre die Grundlagen dafür gelegt. Ich bin gespannt, ob das bis 2019 hält. Ich halte diese Maßgabe der Befristung für sehr kritisch, aber ich stimme letztlich zu, weil mir das übergeordnete Interesse daran, dass dieses Gesetz durchgeht und dass der Aufbau Ost Solidität und langfristige Perspektiven erhält, viel wichtiger ist. Deshalb bitte ich auch Sie um Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf. ({14})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Ich schließe die Aus- sprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurf eines Maßstäbege- setzes in der Ausschussfassung. Es handelt sich um die Drucksachen 14/5951 und 14/6533. Wir stimmen zu- nächst über den Änderungsantrag der Fraktionen von SPD, CDU/CSU und Bündnis 90/Die Grünen auf Druck- sache 14/6581 ab. - Zu dieser Abstimmung gibt es vom Kollegen Volker Kröning eine schriftliche Erklärung gemäß § 31 der Geschäftsordnung.1) - Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen? - Der Änderungsantrag ist gegen die Stimmen der F.D.P.-Fraktion und einige Stimmen aus der SPD-Fraktion angenommen. ({0}) Ein Kollege aus der SPD-Fraktion hat sich der Stimme enthalten. Ich bitte nun diejenigen Kolleginnen und Kollegen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung mit der so- eben beschlossenen Änderung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Stimmenthal- tungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in dieser Fassung in zweiter Beratung gegen die Stimmen der F.D.P.-Frak- tion angenommen. Ich möchte noch bekannt geben, dass der Kollege Jochen-Konrad Fromme gemäß § 31 der Geschäftsord- nung ebenfalls eine schriftliche Erklärung zu seinem Ab- stimmungsverhalten abgegeben hat.2) Interfraktionell ist vereinbart worden, trotz Annahme eines Änderungsantrags in zweiter Beratung jetzt unmit- telbar in die dritte Beratung einzutreten. - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Deshalb kommen wir jetzt zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Die Fraktion der F.D.P. verlangt namentliche Abstimmung. - Ich möchte bekannt geben, dass im Anschluss an die namentliche Abstimmung noch zwei einfache Abstimmungen stattfinden. - Ich bitte jetzt die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehe- nen Plätze einzunehmen. - Sind alle Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt ge- geben3). Ich bitte alle Kolleginnen und Kollegen, die Plätze recht schnell wieder einzunehmen, da wir noch zwei einfache Abstimmungen durchführen müssen. Ich möchte bekannt geben, dass es bei der Abstimmung über den Änderungsantrag auf Drucksache 14/6581 drei Gegenstimmen aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegeben hat. Wir kommen nun zur Abstimmung über den Ent- schließungsantrag der Fraktionen der SPD, des Bündnis- ses 90/Die Grünen und der PDS auf Drucksache 14/6577. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegen- probe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist gegen die Stimmen der F.D.P.-Fraktion bei Enthaltung der CDU/CSU-Fraktion angenommen. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der F.D.P. auf Druck- sache 14/6555. Wer stimmt für diesen Entschließungs- antrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschlie- ßungsantrag ist gegen die Stimmen der F.D.P.- Fraktion abgelehnt. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 14/6492 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. - Sie sind offensicht- lich alle damit einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a bis 4 c auf: 1) Anlage 2 2) Anlage 3 3) Seite 17900 4 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Bosbach, Norbert Geis, Erwin Marschewski, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Kriminalität wirksamer bekämpfen - Innere Sicherheit gewährleisten - Drucksache 14/6539 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({1}) Innenausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Norbert Geis, Roland Pofalla, Wolfgang Bosbach, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der gesetzlichen Maßnahmen gegenüber Kinder- und Jugenddelinquenz - Drucksache 14/3189 ({2}) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({3}) - Drucksache 14/6546 Berichterstattung: Abgeordnete Erika Simm Volker Beck ({4}) Sabine Jünger c) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung der Zuständigkeit für die Anordnung einer DNAUntersuchung bei Spuren - Drucksache 14/5264 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({5}) Innenausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Bevor ich dem ersten Redner das Wort erteile, möchte ich im Namen aller Mitglieder des Hauses den peruanischen Staatspräsidenten Dr. Alejandro Toledo auf der Besuchertribüne recht herzlich begrüßen. Wir bedanken uns für die Aufmerksamkeit, die uns hier zuteil wird. ({6}) Erster Redner in dieser Debatte ist für die Bundesregierung der Parlamentarische Staatssekretär Fritz Rudolf Körper.

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung misst der inneren Sicherheit und damit der Verbrechensbekämpfung und Verbrechensverhütung einen hohen Stellenwert bei. Erfreulicherweise zeigt die polizeiliche Kriminalstatistik ein eindeutiges Bild: ({0}) Wir können einen Rückgang der Kriminalität bei einer steigenden Aufklärungsquote, die beispielsweise im Jahr 2000 über 53 Prozent betrug, feststellen. Hierzu haben der Bund und alle Länder einen erfolgreichen Beitrag geleistet. Das sollte auch hier Erwähnung finden. Deutschland ist im internationalen Vergleich eines der sichersten Länder. Das kann man mit Fug und Recht behaupten. ({1}) Meine Damen und Herren, lieber Kollege Geis, dieser Befund korrespondiert natürlich mit einer deutlichen Verbesserung des subjektiven Sicherheitsempfindens der Bevölkerung. Dieses Ergebnis ist nicht zuletzt Resultat der engagierten, zuverlässigen und häufig risikobehafteten Arbeit der Beamtinnen und Beamten aller Sicherheitsbehörden. Auch ihnen gebührt an dieser Stelle ein herzliches Dankeschön für ihre engagierte Arbeit. ({2}) Auch unser Bundesgrenzschutz hat durch seine hervorragende Arbeit dazu beigetragen, dass die Kriminalitätsentwicklung weiter rückläufig ist. Hinzu kommen die zahlreichen Sicherheitspartnerschaften zwischen dem Bundesgrenzschutz auf der einen und den Landespolizeien auf der anderen Seite, die sich außerordentlich gut bewährt haben. Damit erhöht sich zugleich die Präsenz von Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten in der Öffentlichkeit. Ich sage: Bei der Herstellung von innerer Sicherheit ist für Eifersüchteleien und Kompetenzfragen kein Platz. Das ist eine gemeinsame Aufgabe von Bund und Ländern. ({3}) Unser Bundeshaushalt betont die Bedeutung der inneren Sicherheit eindeutig. Wir wissen, dass die Haushaltssituation nicht einfach ist. Welche Verpflichtungen wir übernehmen mussten - ich denke insbesondere an die Zinslasten -, ist bekannt. Im laufenden Jahr werden aber die Ausgaben für den Sicherheitsbereich - dazu gehören insbesondere die Ausgaben für Aufgaben des Bundeskriminalamtes, des Bundesgrenzschutzes, des Bundesamtes für Verfassungsschutz sowie des Bundesamtes für die Sicherheit in der Informationstechnik - auf einem hohen Niveau gehalten und gegenüber dem Vorjahr sogar um 100 Millionen DM erhöht. Ich glaube, das ist in Anbetracht der Haushaltssituation ein sehr bemerkenswerter Beitrag. ({4}) Meine Damen und Herren, wir haben es heute auch mit einem Antrag der Union zu tun. Auch wenn er erst eine relativ kurze Zeit vorliegt, konnte man doch feststellen, dass Vizepräsidentin Petra Bläss er sowohl im Bereich der Justiz- als auch beispielsweise im Bereich der Innenpolitik nicht viel überraschend Neues enthält. ({5}) Die Aufgabe, innere Sicherheit herzustellen, ist eine Aufgabe, deren Lösung nicht davon abhängt, wie viele Gesetzentwürfe vorgelegt werden, ({6}) sondern es ist auch ganz entscheidend, wie der Gesetzesvollzug gewährleistet wird. ({7}) Diese Bundesregierung hat eine eindeutige Strategie: Kriminalität dort zu bekämpfen, wo sie entsteht. Wir können dafür viele Beispiele anführen: Diese Bundesregierung hat es geschafft, wesentliche so genannte OK-Abkommen mit Staaten Osteuropas, mit der Russischen Föderation oder den baltischen Staaten, abzuschließen. ({8}) - Ja, lieber Herr Geis, auch wenn Sie das zum Teil vorbereitet haben, haben Sie es aber nicht zum Abschluss ({9}) und insbesondere nicht zum Laufen gebracht. ({10}) Wir sind sehr froh, dass uns das gelungen ist; denn wir wissen, dass die organisierte Kriminalität internationale Bezüge hat. Deswegen darf die Bekämpfung organisierter Kriminalität an nationalen Grenzen nicht Halt machen. ({11}) Aus diesen Gründen ist diese Strategie ganz wichtig. Ich bin dankbar, dass es uns gelungen ist, hier tätig zu werden und, wie ich glaube, auch gute Regelungen zu finden. Ich bin auch sehr dankbar, dass die Union in ihrem Antrag erkannt hat, dass es bei einer wirksamen Kriminalitätsbekämpfung nicht ausschließlich auf Repression ankommt, sondern dass auch die Prävention ein wichtiger Bestandteil ist. ({12}) Deswegen bin ich froh, dass es uns gelungen ist, das Deutsche Forum für Kriminalitätsprävention nicht nur zu gründen, sondern auch in Gang zu setzen. Denn ich bin der Auffassung: Prävention ist ein ganz wichtiger Schlüssel bei der Bekämpfung von Kriminalität. ({13}) Dankbar bin ich dafür, dass das offensichtlich erkannt worden ist. ({14}) Ich empfehle Ihnen auch den Periodischen Sicherheitsbericht, den wir in den nächsten Tagen vorlegen werden, der sich auch sehr differenziert mit Jugendgewalt und Jugendkriminalität auseinander setzt und unter anderem untersucht, wie ein bestimmtes Sanktionssystem auf junge Leute wirkt. Ich sage einmal ein bisschen überspitzt: Ihre Forderung „Jugend in den Knast“ halte ich einfach für zu kurz gesprungen. ({15}) - Lieber Herr Geis, das wollte ich Ihnen auch nicht in dieser Verkürzung unterstellt haben; aber Sie wissen, worauf ich hinaus will. Ich denke, da sind wir auf einem guten Wege. Ich sage ganz unumwunden: Wir werden Ihren Antrag sehr sorgfältig prüfen und schauen, wo Kreativität und gute Anregungen vorhanden sind. ({16}) So werden wir diesen Antrag behandeln. Es geht aber nicht - und das soll meine letzte Bemerkung sein -, etwa zu versuchen, Länder auseinander zu treiben. Denn was das Herstellen von innerer Sicherheit anbelangt, so sind die Länder ganz entscheidend gefordert. Da kann man sie nicht an den Pranger stellen, sondern das geht nur mit ihnen. ({17}) Die Erfolgsquote hängt nicht unbedingt davon ab, welche Farbe die jeweilige Landesregierung hat. Dafür ist dieses Thema viel zu vielschichtig und zu schwierig. ({18}) Ich denke, wir sind auf einem guten Weg. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. ({19})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die CDU/CSUFraktion spricht jetzt der Kollege Wolfgang Bosbach.

Wolfgang Bosbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002632, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vor kurzem wurde die polizeiliche Kriminalstatistik für das Jahr 2000 vorgestellt. Sie gibt Auskunft über das Kriminalitätsgeschehen - genauer gesagt: über das der Polizei bekannt gewordene Kriminalitätsgeschehen - und soll Erkenntnisse über vorbeugende und verfolgende Verbrechensbekämpfung lieParl. Staatssekretär Fritz Rudolf Körper fern, um daraus die notwendigen kriminalpolitischen Maßnahmen zu entwickeln. Es reicht nicht aus, der Öffentlichkeit nur diese Statistik zu präsentieren. Viel wichtiger ist es, so schnell wie möglich diejenigen gesetzlichen Konsequenzen zu ziehen, die dringend geboten und zum Teil längst überfällig sind, um Kriminalität wirksamer bekämpfen zu können. ({0}) Erfreulich ist, dass wir seit 1995 einen leichten, aber doch kontinuierlichen Rückgang von registrierten Straftaten von ehemals 6,8 Millionen auf heute 6,2 Millionen zu verzeichnen haben und dass gleichzeitig seit 1993 die Aufklärungsquote ansteigt und jetzt bei über 50 Prozent liegt. CDU und CSU danken all jenen, insbesondere den vor Ort tätigen, Polizistinnen und Polizisten, die durch ihren oft lebensgefährlichen persönlichen Einsatz Straftaten verhindern, verfolgen und aufklären. ({1}) Wer Polizeibeamte beschimpft, beleidigt, bedroht oder gar tätlich attackiert, greift nicht nur - schlimm genug den einzelnen Polizisten an, sondern auch unseren freiheitlichen Rechtsstaat insgesamt. ({2}) Herr Kollege Körper, in der Tat ist das Kriminalitätsgeschehen bundesweit nicht gleichmäßig verteilt. Aber das kann nicht zur Folge haben, dass man nicht über die Unterschiede sprechen darf. Dass die Kriminalitätsbelastung in den Ballungszentren größer ist als in ländlichen Gebieten, ist keine Überraschung. Aber es gibt auch in den Flächenländern erhebliche Unterschiede. Die Stagnation der Kriminalität auf einem zu hohen Niveau ist kein unabänderliches Naturgesetz; sie ist oft eine Folge verfehlter Kriminalitäts- und Sicherheitspolitik. Mit Abstand am sichersten lebt man in Baden-Württemberg, in Bayern und im Saarland, ({3}) allesamt unionsgeführte Bundesländer. ({4}) Am problematischsten ist die Lage in Hamburg. Wer dort seit Jahrzehnten die politische Verantwortung trägt, ist bekannt. ({5}) Besorgnis erregend sind die große Zahl der straffälligen Kinder und Jugendlichen sowie der Umstand, dass bei der Gruppe der Heranwachsenden, also der zwischen 18- und 21-Jährigen, erneut ein Anstieg zu verzeichnen ist. Eine besondere Problemgruppe bilden die jugendlichen Intensivtäter, sodass es dringend geboten ist, das jugendstrafrechtliche Instrumentarium auszubauen, damit die Richter die Möglichkeit haben, im Rahmen eines Strafverfahrens sachgerecht, gezielt, aber auch zügig zu reagieren. ({6}) Bedenklich ist aber auch, dass die Bereitschaft, Gewalt anzuwenden, stetig steigt. Typisch für diese Entwicklung ist der erneute Anstieg von gefährlicher und schwerer Körperverletzung. Wir geben uns mit der Meldung, die Zahl der registrierten Straftaten sei leicht gesunken, nicht zufrieden, zumal die Kriminalitätsbelastung heute doppelt so hoch ist wie Anfang der 70er-Jahre. 6 Millionen Straftaten sind exakt 6 Millionen Straftaten zu viel. Deswegen bringen wir heute neben einem Gesetz zur besseren Bekämpfung der Kinder- und Jugendkriminalität einen Antrag ein, der ein ganzes Bündel von Maßnahmen vorsieht, um Straftaten besser als bislang verhindern oder verfolgen zu können. Von überragender Bedeutung ist in der Tat - da gebe ich dem Kollegen Körper Recht - eine wirksame Kriminalprävention. So kann beispielsweise eine gezielte Videoüberwachung von Kriminalitätsschwerpunkten Straftaten bewiesenermaßen wirkungsvoll verhindern und auch das Sicherheitsgefühl der Menschen stärken. Bevor sich nunmehr die Empörung organisiert, darf ich ausdrücklich auf Folgendes hinweisen: Nein, wir wollen keine flächendeckende Videoüberwachung zwischen Flensburg und Mittenwald, wir wollen auch nicht ganze Städte und Gemeinden mit Video überwachen. Es geht ausschließlich und ausdrücklich um die Überwachung von Kriminalitätsbrennpunkten. Die Städte und Gemeinden und die dort tätigen Polizisten wissen ganz genau, wo der Einsatz dieser Technik notwendig und sinnvoll ist und wo nicht. Die Überwachung muss auf sicherer Rechtsgrundlage und offen erfolgen, nicht etwa verdeckt und geheim. Wenn die so gewonnenen Informationen, Daten und Bilder für Strafverfolgungsmaßnahmen nicht mehr benötigt werden, dann müssen sie gelöscht werden. Die Ergebnisse von Pilotprojekten, beispielsweise in Sachsen, sind überzeugend. So hat es auf dem Bahnhofsvorplatz in Leipzig im Jahre 1997 noch 566 Diebstähle von oder aus Kraftfahrzeugen gegeben - 566 auf einem einzigen Platz. Nach Einsatz der Videoüberwachung ist diese Zahl im ersten Halbjahr 2000 auf 98 zurückgegangen. In den Monaten Juli und August wurden nur ganze acht Delikte gezählt. Auch die Ergebnisse anderer Pilotprojekte sind überzeugend. Dort konnte ebenfalls ein deutlicher Rückgang an Straftaten registriert werden, ohne dass ein Verdrängungseffekt erzielt wurde. Eine besondere Herausforderung ist der Kampf gegen die organisierte Kriminalität. Wir brauchen wieder eine effektive Kronzeugenregelung. Es war ein kapitaler Fehler dieser Regierung, die alte - zeitlich befristete - Regelung auslaufen zu lassen, ohne sie durch eine Nachfolgeregelung zu ersetzen. ({7}) Wenn Sie uns nicht glauben, dann glauben Sie wenigstens den erfahrenen Ermittlern und Richtern. Nach einer Studie des Kriminologischen Forschungsinstitutes Niedersachsen - der Leiter ist vor kurzem Justizminister in Niedersachsen geworden ({8}) haben sich über 90 Prozent der befragten Polizeibeamten, Staatsanwälte und Strafrichter für eine neue Kronzeugenregelung ausgesprochen. Tatverdächtige höherer Hierarchiestufen in kriminellen Netzwerken seien ohne die Gewährung von Vergünstigungen für selbst in kriminelle Machenschaften verstrickte Zeugen angesichts des damit für sie verbundenen Risikos kaum zu überführen, so die Experten. Die Erfahrungen mit den existierenden bereichsspezifischen Regelungen, insbesondere mit § 31 Betäubungsmittelgesetz - niemand denkt daran, die in diesem Bereich bestehende Kronzeugenregelung abzuschaffen -, zeigen, dass diese Regelungen ein effektives Mittel zur Verbrechensbekämpfung sein können. ({9}) Wenn wir in den Kernbereich der organisierten Kriminalität vordringen wollen, brauchen wir wieder eine effektive Kronzeugenregelung, ({10}) und zwar nicht nur, um Straftaten aufzuklären und Straftäter zu überführen, sondern auch um neue, schwere und schwerste Straftaten zu verhindern. Wer sich dieser Einsicht verschließt, handelt unverantwortlich. Wir brauchen eine bessere Abschöpfung von Verbrechensgewinnen und wollen das so gewonnene Geld unmittelbar zur Entschädigung von Opfern und für eine bessere Bekämpfung der Kriminalität einsetzen. Wir wollen eine konsequentere Anwendung der DNAAnalyse. ({11}) Die Auswertung des genetischen Fingerabdrucks ist eine äußerst wirksame Methode bei der Aufklärung von Straftaten und der Überführung von Straftätern. Sie hat sich hervorragend bewährt. Dabei geht es nicht, wie gelegentlich kolportiert, um die Erlangung von irgendwelchen Erbinformationen mutmaßlicher Täter, sondern ausdrücklich und ausschließlich um die Feststellung der Identität. ({12}) War der Verdächtige am Tatort oder nicht? Stammen die Spuren am Opfer von dem Verdächtigen oder von einer anderen Person? Wieso sollen wir diese Methode nur bei Straftaten von erheblicher Bedeutung einsetzen? 75 Prozent aller Vergewaltiger waren vorbestraft, aber nicht alle wegen einer Straftat von erheblicher Bedeutung. 25 Prozent aller Vergewaltiger haben ihre kriminelle Karriere als Spanner oder Exhibitionist begonnen. Was spricht eigentlich dagegen, von Spannern oder Exhibitionisten die Abgabe eines genetischen Fingerabdrucks zu verlangen - ein Haar genügt -, zumal dieser Eingriff in die körperliche Integrität wesentlich geringer ist als die Abgabe einer Blutprobe nach einer Trunkenheitsfahrt? ({13})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Bosbach, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Wolfgang Bosbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002632, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, heute aus zeitlichen Gründen nicht. Sonst immer. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Aber diese Zeit wird Ihnen doch nicht auf Ihre Redezeit angerechnet. Die Uhr wird angehalten.

Wolfgang Bosbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002632, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich muss gleich zur Bundespressekonferenz.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Alles klar.

Wolfgang Bosbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002632, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gerade wenn wir Sexualstraftaten wirkungsvoller bekämpfen wollen - und das ist dringend nötig -, müssen wir die Möglichkeiten der DNA-Analyse besser nutzen. ({0}) Kritiker mögen bedenken, dass die DNA-Analyse auch dazu dienen kann, Verdächtige zu entlasten. Vor kurzem wurde in den USA ein Mann nach 17 Jahren Strafhaft entlassen, weil dessen Unschuld erst durch eine DNA-Analyse herausgefunden werden konnte. Wir brauchen einen besseren Schutz der Bevölkerung vor nicht resozialisierbaren Schwerkriminellen. Nach geltendem Recht kann Sicherungsverwahrung nur zum Zeitpunkt der Aburteilung angeordnet werden, nicht jedoch danach und auch dann nicht, wenn sich erst in der Haft herausstellt, dass nach der Entlassung die Gefahr weiterer schwerer Straftaten besteht. Wenn sich Schwerkriminelle entgegen der Erwartung des Gerichtes als nicht resozialisierbar und hochgefährlich erweisen, dann dürfen sie nicht in die Freiheit entlassen werden. Für diese Fälle muss die Möglichkeit geschaffen werden, dass ein Gericht auch nachträglich Sicherungsverwahrung anordnen kann. Auch dieser Vorschlag wird natürlich Kritiker finden. Sie werden sagen, dass eine solche Maßnahme „echt hart“ sei. Richtig, eine solche Maßnahme ist sogar äußerst hart und das soll sie ja auch sein. Im Mittelpunkt unserer Politik steht nämlich nicht das Wohlergehen des Täters, sondern der Schutz der Bevölkerung vor Kriminellen. ({1}) Die heutige Debatte sollte noch einmal Anlass geben, grundsätzlich darüber zu sprechen, wie wir Recht und Gesetz besser Geltung verschaffen können. Was wäre eigentlich in unserem Lande los gewesen, wenn am vergangenen Montag mitten in Berlin nicht Linksradikale die Redner der Union, sondern wenn Rechtsradikale die Redner von SPD und PDS angegriffen hätten? Ein massiver Polizeieinsatz hätte sofort jeden Angriff unterbunden und die Veranstaltung geschützt. Ein Aufschrei der Empörung wäre durch unser Land gegangen. Das Fernsehen hätte Sondersendungen geschaltet und der Aufstand der Anständigen, Teil zwei, wäre sofort organisiert worden. ({2}) Aber so wurden ja „nur“ die führenden Repräsentanten von CDU und CSU angegriffen. Was macht das schon? ({3}) Wer Radikale von rechts oder von links wüten lässt oder ihnen mit klammheimlicher Freude zusieht, ist als Sachwalter für Recht und Ordnung ungeeignet. ({4})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Zu einer Kurzintervention erteile ich jetzt dem Kollegen Alfred Hartenbach das Wort.

Alfred Hartenbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002669, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Verehrter Herr Kollege Bosbach, ich habe gar nicht gewusst, dass Sie am Rednerpult so ängstlich sind, eine ganz harmlose Zwischenfrage von mir zu beantworten. - Wo ist er eigentlich jetzt? ({0}) - Das macht er merkwürdigerweise immer so, wenn ich ihn etwas fragen will. Könnten Sie ihn vielleicht bitten, hier zu bleiben, Frau Präsidentin?

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Hartenbach, der Kollege Bosbach hat mir Bescheid gegeben, dass er zur Bundespressekonferenz gehen muss. Das muss man zur Kenntnis nehmen. ({0})

Alfred Hartenbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002669, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wenn ihm das wichtiger ist, als in vernünftiger Form mit Kollegen zu diskutieren, dann offenbart das seine Schwäche. ({0}) Lassen Sie mich, verehrte Frau Präsidentin, zu dem Thema DNA-Analyse, das er angesprochen hat, an dieser Stelle trotzdem etwas sagen; denn seine Äußerungen, die nicht unwidersprochen bleiben dürften, können leicht in Vergessenheit geraten, bis ein Redner darauf eingeht. Wir sind natürlich alle der Überzeugung, dass die DNA-Analyse sehr geeignet ist, Straftaten aufzuklären. Deswegen unterstützen wir entsprechende Maßnahmen. Aber wir meinen, dass die Verhältnismäßigkeit immer gewahrt bleiben muss, wenn man Menschen eine DNAProbe entnimmt. Wenn Herr Bosbach die Spanner anspricht, dann zeigt dies, welches Wissen er über die Schwere von Straftaten hat. Wenn er schon Spanner anspricht, dann muss er auch die betrunkenen Autofahrer ansprechen, die sehr viel gewaltbereiter sind. Er muss ebenso die Raser erwähnen. Da könnte er möglicherweise selbst in Gefahr geraten, dass man ihm eine DNA-Probe entnimmt. Ich bitte doch sehr darum, dass wir bei diesem Punkt auf dem rechtsstaatlichen Boden bleiben und sagen: Eine DNA-Probe darf nur denen entnommen werden, bei denen eine Straftat von erheblichem Gewicht vorliegt. Danke schön.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, gebe ich jetzt das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Schlussabstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über verfassungskonkretisierende allgemeine Maßstäbe für die Verteilung des Umsatzsteueraufkommens, für den Finanzausgleich unter den Ländern sowie für die Gewährung von Bundesergänzungszuweisungen, also über das Maßstäbegesetz, in der Ausschussfassung bekannt. Es handelt sich um die Drucksachen 14/5951 sowie 14/6533. Abgegebene Stimmen 568. Mit Ja haben 533 Abgeordnete gestimmt, mit Nein haben 33 Abgeordnete gestimmt, enthalten haben sich 2 Kolleginnen und Kollegen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 568; davon ja: 532 nein: 34 enthalten: 2 Ja SPD Brigitte Adler Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Hermann Bachmaier Ernst Bahr Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Eckhardt Barthel ({0}) Klaus Barthel ({1}) Ingrid Becker-Inglau Wolfgang Behrendt Dr. Axel Berg Hans-Werner Bertl Petra Bierwirth Rudolf Bindig Lothar Binding ({2}) Kurt Bodewig Anni Brandt-Elsweier Willi Brase Rainer Brinkmann ({3}) Bernhard Brinkmann ({4}) Hans-Günter Bruckmann Edelgard Bulmahn Ursula Burchardt Dr. Michael Bürsch Hans Büttner ({5}) Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Dr. Herta Däubler-Gmelin Christel Deichmann Karl Diller Detlef Dzembritzki Dieter Dzewas Dr. Peter Eckardt Sebastian Edathy Ludwig Eich Peter Enders Gernot Erler Petra Ernstberger Lothar Fischer ({6}) Iris Follak Norbert Formanski Rainer Fornahl Hans Forster Lilo Friedrich ({7}) Harald Friese Arne Fuhrmann Konrad Gilges Uwe Göllner Renate Gradistanac Günter Graf ({8}) Angelika Graf ({9}) Dieter Grasedieck Monika Griefahn Kerstin Griese Achim Großmann Wolfgang Grotthaus Karl-Hermann Haack ({10}) Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann Anke Hartnagel Klaus Hasenfratz Nina Hauer Hubertus Heil Reinhold Hemker Frank Hempel Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Monika Heubaum Reinhold Hiller ({11}) Jelena Hoffmann ({12}) Walter Hoffmann ({13}) Iris Hoffmann ({14}) Ingrid Holzhüter Eike Hovermann Christel Humme Lothar Ibrügger Barbara Imhof Brunhilde Irber Gabriele Iwersen Renate Jäger Jann-Peter Janssen Ilse Janz Dr. Uwe Jens Johannes Kahrs Sabine Kaspereit Susanne Kastner Ulrich Kelber Hans-Peter Kemper Klaus Kirschner Siegrun Klemmer Hans-Ulrich Klose Walter Kolbow Karin Kortmann Anette Kramme Nicolette Kressl Angelika Krüger-Leißner Horst Kubatschka Ernst Küchler Helga Kühn-Mengel Ute Kumpf Konrad Kunick Dr. Uwe Küster Werner Labsch Brigitte Lange Christian Lange ({15}) Detlev von Larcher Christine Lehder Waltraud Lehn Robert Leidinger Klaus Lennartz Dr. Elke Leonhard Eckhart Lewering Götz-Peter Lohmann ({16}) Christa Lörcher Erika Lotz Dieter Maaß ({17}) Winfried Mante Tobias Marhold Lothar Mark Ulrike Mascher Christoph Matschie Heide Mattischeck Markus Meckel Ulrike Mehl Ulrike Merten Dr. Jürgen Meyer ({18}) Ursula Mogg Christoph Moosbauer Siegmar Mosdorf Michael Müller ({19}) Jutta Müller ({20}) Christian Müller ({21}) Franz Müntefering Gerhard Neumann ({22}) Dr. Edith Niehuis Dr. Rolf Niese Dietmar Nietan Günter Oesinghaus Eckhard Ohl Leyla Onur Manfred Opel Adolf Ostertag Kurt Palis Albrecht Papenroth Dr. Martin Pfaff Georg Pfannenstein Dr. Eckhart Pick Joachim Poß Karin Rehbock-Zureich Dr. Carola Reimann Renate Rennebach Bernd Reuter Dr. Edelbert Richter Christel RiemannHanewinckel Reinhold Robbe Gudrun Roos Michael Roth ({23}) Birgit Roth ({24}) Gerhard Rübenkönig Marlene Rupprecht Thomas Sauer Dr. Hansjörg Schäfer Gudrun Schaich-Walch Rudolf Scharping Bernd Scheelen Dr. Hermann Scheer Siegfried Scheffler Otto Schily Dieter Schloten Horst Schmidbauer ({25}) Silvia Schmidt ({26}) Dagmar Schmidt ({27}) Wilhelm Schmidt ({28}) Dr. Frank Schmidt ({29}) Regina Schmidt-Zadel Heinz Schmitt ({30}) Dr. Emil Schnell Walter Schöler Karsten Schönfeld Ottmar Schreiner Gisela Schröter Dr. Mathias Schubert Richard Schuhmann ({31}) Brigitte Schulte ({32}) Volkmar Schultz ({33}) Ewald Schurer Dietmar Schütz ({34}) Dr. Angelica Schwall-Düren Rolf Schwanitz Bodo Seidenthal Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Dr. Cornelie SonntagWolgast Wolfgang Spanier Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Dr. Ditmar Staffelt Antje-Marie Steen Ludwig Stiegler Rolf Stöckel Reinhold Strobl ({35}) Dr. Peter Struck Joachim Stünker Joachim Tappe Jörg Tauss Jella Teuchner Dr. Gerald Thalheim Franz Thönnes Uta Titze-Stecher Adelheid Tröscher Hans-Eberhard Urbaniak Rüdiger Veit Simone Violka Ute Vogt ({36}) Hans Georg Wagner Hedi Wegener Dr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann Reinhard Weis ({37}) Matthias Weisheit Gunter Weißgerber Gert Weisskirchen ({38}) Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker Jochen Welt Hildegard Wester Lydia Westrich Inge Wettig-Danielmeier Dr. Norbert Wieczorek Vizepräsidentin Petra Bläss Jürgen Wieczorek ({39}) Heidemarie Wieczorek-Zeul Heino Wiese ({40}) Klaus Wiesehügel Brigitte Wimmer ({41}) Engelbert Wistuba Barbara Wittig Verena Wohlleben Hanna Wolf ({42}) Waltraud Wolff ({43}) Heidemarie Wright Uta Zapf Dr. Christoph Zöpel Peter Zumkley CDU/CSU Ulrich Adam Ilse Aigner Peter Altmaier Norbert Barthle Dr. Wolf Bauer Günter Baumann Brigitte Baumeister Meinrad Belle Dr. Sabine Bergmann-Pohl Otto Bernhardt Dr. Joseph-Theodor Blank Dr. Norbert Blüm Sylvia Bonitz Jochen Borchert ({44}) Klaus Brähmig Paul Breuer Klaus Bühler ({45}) Hartmut Büttner ({46}) Dankward Buwitt Cajus Caesar Manfred Carstens ({47}) Peter H. Carstensen ({48}) Leo Dautzenberg Wolfgang Dehnel Hubert Deittert Renate Diemers Marie-Luise Dött Maria Eichhorn Ilse Falk Albrecht Feibel Ulf Fink Ingrid Fischbach Dirk Fischer ({49}) Axel E. Fischer ({50}) Herbert Frankenhauser Dr. Gerhard Friedrich ({51}) Erich G. Fritz Jochen-Konrad Fromme Hans-Joachim Fuchtel Dr. Jürgen Gehb Dr. Heiner Geißler Georg Girisch Dr. Wolfgang Götzer Hermann Gröhe Horst Günther ({52}) Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein Gottfried Haschke ({53}) Gerda Hasselfeldt Hansgeorg Hauser ({54}) Klaus-Jürgen Hedrich Helmut Heiderich Manfred Heise Siegfried Helias Hans Jochen Henke Ernst Hinsken Klaus Hofbauer Klaus Holetschek Josef Hollerith Dr. Karl-Heinz Hornhues Joachim Hörster Hubert Hüppe Georg Janovsky Dr.-Ing. Rainer Jork Dr. Harald Kahl Dr.-Ing. Dietmar Kansy Irmgard Karwatzki Volker Kauder Eckart von Klaeden Norbert Königshofen Eva-Maria Kors Thomas Kossendey Rudolf Kraus Dr. Martina Krogmann Dr. Paul Krüger Dr. Hermann Kues Karl Lamers Dr. Norbert Lammert Dr. Paul Laufs Karl-Josef Laumann Vera Lengsfeld Peter Letzgus Ursula Lietz Walter Link ({55}) Eduard Lintner Dr. Klaus W. Lippold ({56}) Dr. Manfred Lischewski Wolfgang Lohmann ({57}) Julius Louven Dr. Michael Luther Erich Maaß ({58}) Erwin Marschewski ({59}) Dr. Martin Mayer ({60}) Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Friedrich Merz Meinolf Michels Dr. Gerd Müller Elmar Müller ({61}) Bernd Neumann ({62}) Claudia Nolte Franz Obermeier Friedhelm Ost Eduard Oswald Anton Pfeifer Dr. Friedbert Pflüger Beatrix Philipp Ronald Pofalla Ruprecht Polenz Marlies Pretzlaff Dr. Bernd Protzner Thomas Rachel Hans Raidel Dr. Peter Ramsauer Helmut Rauber Peter Rauen Christa Reichard ({63}) Katherina Reiche Erika Reinhardt Hans-Peter Repnik Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer Hannelore Rönsch ({64}) Dr. Klaus Rose Adolf Roth ({65}) Dr. Norbert Röttgen Volker Rühe Anita Schäfer Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte Heinz Schemken Karl-Heinz Scherhag Dr. Gerhard Scheu Bernd Schmidbauer Christian Schmidt ({66}) Dr.-Ing. Joachim Schmidt ({67}) Michael von Schmude Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Rupert Scholz Wolfgang Schulhoff Clemens Schwalbe Dr. Christian SchwarzSchilling Wilhelm Josef Sebastian Heinz Seiffert Bernd Siebert Werner Siemann Johannes Singhammer Bärbel Sothmann Margarete Späte Wolfgang Steiger Erika Steinbach Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten Andreas Storm Matthäus Strebl Thomas Strobl ({68}) Michael Stübgen Dr. Rita Süssmuth Dr. Hans-Peter Uhl Gunnar Uldall Arnold Vaatz Angelika Volquartz Dr. Theodor Waigel Peter Weiß ({69}) Gerald Weiß ({70}) Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese ({71}) Hans-Otto Wilhelm ({72}) Bernd Wilz Matthias Wissmann Werner Wittlich Aribert Wolf Elke Wülfing Wolfgang Zeitlmann Benno Zierer Wolfgang Zöller BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Gila Altmann ({73}) Marieluise Beck ({74}) Volker Beck ({75}) Angelika Beer Grietje Bettin Annelie Buntenbach Ekin Deligöz Franziska Eichstädt-Bohlig Hans-Josef Fell Andrea Fischer ({76}) Katrin Göring-Eckardt Rita Grießhaber Gerald Häfner Winfried Hermann Kristin Heyne Michaele Hustedt Monika Knoche Dr. Angelika Köster-Loßack Steffi Lemke Dr. Helmut Lippelt Kerstin Müller ({77}) Winfried Nachtwei Christa Nickels Cem Özdemir Simone Probst Irmingard Schewe-Gerigk Rezzo Schlauch Albert Schmidt ({78}) Werner Schulz ({79}) Christian Simmert Christian Sterzing Dr. Ludger Volmer Sylvia Voß Helmut Wilhelm ({80}) PDS Monika Balt Dr. Dietmar Bartsch Vizepräsidentin Petra Bläss Maritta Böttcher Roland Claus Heidemarie Ehlert Dr. Heinrich Fink Dr. Ruth Fuchs Dr. Klaus Grehn Uwe Hiksch Carsten Hübner Ulla Jelpke Sabine Jünger Gerhard Jüttemann Dr. Heidi Knake-Werner Rolf Kutzmutz Heidi Lippmann Ursula Lötzer Heidemarie Lüth Pia Maier Angela Marquardt Manfred Müller ({81}) Kersten Naumann Rosel Neuhäuser Petra Pau Christina Schenk Dr. Winfried Wolf Nein BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Oswald Metzger Christine Scheel F.D.P. Ina Albowitz Hildebrecht Braun ({82}) Ernst Burgbacher Ulrike Flach Rainer Funke Dr. Wolfgang Gerhardt Dr. Karlheinz Guttmacher Dr. Helmut Haussmann Ulrich Heinrich Walter Hirche Dr. Werner Hoyer Dr. Heinrich L. Kolb Gudrun Kopp Jürgen Koppelin Ina Lenke Sabine LeutheusserSchnarrenberger Günther Friedrich Nolting Hans-Joachim Otto ({83}) Detlef Parr Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Gerhard Schüßler Marita Sehn Dr. Dieter Thomae Jürgen Türk Dr. Guido Westerwelle Enthalten CDU/CSU Dietrich Austermann Susanne Jaffke Vizepräsidentin Petra Bläss Der Gesetzentwurf ist damit angenommen. Jetzt erteile ich das Wort dem Justizsenator der Stadt Berlin, Wolfgang Wieland. Wolfgang Wieland, Senator ({84}) ({85}): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU-Fraktion hat die Leitlinien ihres Bundesvorstandes, unter der Federführung meines Kollegen Schönbohm erarbeitet, nun als Antrag heute hier vorgelegt. Wir freuen uns zunächst, dass einige grobe Unrichtigkeiten weggefallen sind. Dazu zählen zum Beispiel die Forderung, dass Kinder, die ja nicht strafmündig sind, vor Gericht zur Verantwortung gezogen werden, oder die Selbstverständlichkeit, dass der Schutz der öffentlichen Ordnung in die Polizeigesetze der Länder aufgenommen werden soll, wo er seit jeher in der Generalklausel steht. Es bleibt aber auch mit diesem Antrag bestehen, was der Vorsitzende der GdP so formuliert hat: Dies ist ein Strauß aus Unmöglichem und Selbstverständlichem. Vor allem: Man spürt die Wahlkampfabsicht und man ist verstimmt. ({86}) Ich sage gerne etwas zu den Eierwürfen, die hier angesprochen worden sind. Alle Parteien in Berlin haben diese Eierwürfe scharf verurteilt. Aber es ist auch richtig, dass die CDU einen Straßenwahlkampf mit einem Stand angemeldet hatte, sodass das Ausmaß der Kundgebung der Polizei vorher nicht bekannt war. Es gibt eine Pflicht des Veranstalters zur Kooperation. Das hätte die CDU vorher klarstellen müssen. ({87})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Justizsenator, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Günter Nooke?

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Des Kollegen Nooke immer sehr gern.

Günter Nooke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003200, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Senator Wieland, ist Ihnen, wenn Kooperation von Ihnen angemahnt wird, bewusst, dass selbst fünf oder zehn Polizisten, die sich ungefähr 100 bis 150 Meter vom Geschehen entfernt aufhalten, nach den ersten Eierwürfen zumindest ein paar Schritte näher kommen sollten und dass ich, wenn ich jemanden, den wir dingfest gemacht haben, weil er eine Flasche geworfen hat, die durchaus zu gefährlichen Verletzungen hätte führen können, den Polizisten entgegenführe, erwarten kann, dass die Polizisten die Anweisung erhalten, mir ein Stück entgegenzukommen? ({0})

Not found (Gast)

Herr Kollege Nooke, die Berliner Polizei soll nicht auf Anweisungen warten, sondern sie soll von sich aus aktiv und einsatzfreudig sein. Da sind wir uns ja wohl einig. ({0}) Aber es war bisher so, dass im Wahlkampf der Kontakt zu den Bürgern gesucht wurde. Wenn jetzt gefordert wird, da umzuschalten, dann bitte ich zu überlegen, ob wir das alle so wollen. ({1}) Ich möchte in meiner Rede fortfahren. ({2}) - Geschätzter Herr Kollege, es ist klargestellt, dass Wahlveranstaltungen in Zukunft stärker geschützt werden. Aus diesen Eierwürfen ist gelernt worden. Aber das hat auch eine sehr unerfreuliche Seite; das will ich hier deutlich sagen. Was uns in diesem Antrag der CDU/CSU-Fraktion empfohlen wird, ist in der Tat der alte konservative Dreiklang, nämlich mehr Polizei, schärfere Gesetze, härtere Strafen, als ob dies irgendwo auf der Welt zu einer Eindämmung der Kriminalität geführt hätte. ({3}) Sie selber sagen in Ihrem Antrag, dass die Statistik zu Dramatisierungen keinerlei Anlass biete. Der Berliner Leiter des Landeskriminalamts hat erst vor wenigen Tagen gesagt, dass es einen erheblichen Rückgang der Kriminalität bei Jugendlichen und Heranwachsenden, denen Sie Ihre besondere Aufmerksamkeit widmen, gibt. ({4}) - Ja, ich sage etwas zum Innensenator. Wir hatten den Höchststand bei der Jugenddelinquenz im Jahre 1997; seitdem sind die Zahlen stark rückläufig. Zu dieser Zeit war der geschätzte Kollege Schönbohm Innensenator in Berlin. Wir haben diese Parallele niemals gezogen. Wir haben niemals gesagt, dass das die Schuld von Herrn Schönbohm ist. Sie sind es, die sich hier hinstellen und die Farbe von Landesregierungen mit der Höhe der Kriminalitätsbelastung gleichsetzen. Das ist billig und albern. ({5}) Vor allem sollten Politiker Ängste in der Bevölkerung vor Kriminalität ernst nehmen. Das sagen wir auch. Aber sie dürfen sie niemals instrumentalisieren, schon gar nicht in Wahlkampfsituationen. ({6}) Angst ist ein schlechter Ratgeber. Angst lähmt. Davon sollten Sie Abstand nehmen. Hören Sie auf, zu glauben, in dieser Art und Weise im Wahlkampf punkten zu können! ({7}) Ich komme zu Ihren Vorschlägen im Einzelnen. Sie wollen nicht nur die akustische Raumüberwachung, vulgo den großen Lauschangriff ausdehnen. Sie sagen nicht, wohin; ich nehme an, auf Redaktionen, auf Anwaltskanzleien, auf ärztliche Praxen. ({8}) Sie wollen auch gleich die Videoüberwachung des Wohnraumes, wollen also mit einen großen Spähangriff in das, wie das Bundesverfassungsgericht es genannt hat, letzte Refugium des Privaten eindringen. Dazu kann man nur sagen: Das haben wir alles schon gehabt. Orwell lässt schön grüßen. - Das sind Ihre Vorschläge. ({9}) - Ihre Vorschläge sind unerträglich. Das sind Ihre Vorschläge, ({10}) die ich hier nur ausbreite. Das werden Sie sich anhören müssen. Das ist die Übersetzung dessen, was Sie vorgeschlagen haben. ({11}) - Herr Kollege Geis, ich bin Justizsenator dieses Landes. ({12}) - Möglicherweise für Sie, für die Berlinerinnen und Berliner nicht. ({13}) - Stehen Sie doch zu Ihrem Vorschlag der Videoüberwachung des Wohnraumes und kneifen Sie nicht! Man wird doch noch sagen dürfen, welche Konsequenzen das hat, insbesondere bezogen auf die Jugendstrafe. Das wurde hier in Abrede gestellt. ({14}) Sie wollen das Höchstmaß der Jugendstrafe auf 15 Jahre anheben. Damit wäre das Jugendstrafrecht mit dem Erwachsenenstrafrecht gleichgesetzt. Dann gäbe es keinen Unterschied mehr. Wo bleibt denn dann der Erziehungsgedanke? Sie behaupten, es werde - ich zitiere aus Ihrem Antrag - „selbst bei schweren und schwersten Straftaten vielfach schematisch und ohne nähere Prüfung auf Heranwachsende das Jugendstrafrecht angewandt“. Sie betreiben hiermit eine pauschale Richterschelte ohne jegliche Beweise. Da hat Ihnen offenbar ein gewisser Herr Schill einen Textbaustein geliefert. ({15}) Die DNA-Analyse ist wichtig. Man sollte sie aber zielgerichtet einsetzen. Sie jedoch wollen eine breite Anwendung und die DNA-Analyse quasi genauso wie den Fingerabdruck einsetzen. Sie wollen nicht zur Kenntnis nehmen, welche Anforderungen das Bundesverfassungsgericht - zu Recht - an eine Gefährlichkeitsprognose gestellt hat. Sie denken, man könne einfach sagen: Das ist völlig harmlos, ein bagatellhafter Eingriff. Das Bundesverfassungsgericht sieht dies anders. Es hält die DNA-Analyse für einen schwerwiegenden Eingriff und will eine präzise Einzelfallprognose. Das werden Sie doch bitte schön zur Kenntnis genommen haben. Dies ist nur ein kleiner Ausschnitt aus Ihren Vorschlägen. Damit Sie sich jetzt richtig aufregen können, zitiere ich dazu Ingo Müller, der gesagt hat: Das sind alles Leckerbissen von der Speisekarte reaktionärer Feinschmecker. ({16}) Wer die innere Sicherheit tatsächlich verbessern will, der muss den Bürger zum Partner machen und darf ihn nicht als Sicherheitsrisiko betrachten. Kriminalpräventive Räte, Sicherheitspartnerschaften - das ist der Weg, um Kriminalitätsangst in produktive Mitarbeit, in sinnvolle Aktivitäten umzuwandeln. Auf jugendliche Normabweichung muss vor allem eine schnelle Reaktion erfolgen, muss die erfolgreiche Diversionsarbeit fortgesetzt werden, muss der TäterOpfer-Ausgleich zum Wirken kommen. Das gilt auch für den Bereich Graffiti; das sage ich ausdrücklich. Die Strafbarkeit solcher Taten ins Unermessliche zu erweitern, indem ich von dem Erscheinungsbild der Sache ausgehe und jede Veränderung gegen den Willen der Berechtigten unter Strafe stelle, nützt gar nichts. Gerade in diesem Bereich ist eine Gesamtkonzeption notwendig. ({17}) Gerade hier muss man die Jugendlichen insgesamt ansprechen und ihnen Möglichkeiten geben, legale Graffiti zu machen. ({18}) Das versäumen Sie. Sie setzen an diesem Punkt wieder einmal ausschließlich auf Bestrafung, an dem sie erfahrungsgemäß überhaupt nichts bringt, wo sie zu kurz greift. Als Berliner Justizsenator fällt mir natürlich auf, welch geringen Stellenwert die Wirtschafts- und die Korruptionskriminalität in Ihren Leitlinien einnehmen. Das Rechtsbewusstsein der Bürger - besonders der in Berlin - ist gerade an dieser Stelle in Mitleidenschaft gezogen worden. Aber das beachtet die CDU nicht oder sie fühlt sich hier möglicherweise zu sehr befangen. ({19}) Abschließend möchte ich sagen: Zu Ihren Vorschlägen fällt mir nach wie vor nur der Satz von Benjamin Franklin ein - er gilt uneingeschränkt -: Der Mensch, der seine Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, wird am Ende beides verlieren. Sorgen wir dafür, dass es dazu nicht kommt! ({20})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die F.D.P.-Fraktion spricht jetzt der Kollege Rainer Funke.

Rainer Funke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000624, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kaum eine Frage bewegt den Bürger mehr als die innere Sicherheit. Wenn ich in meinem Wahlkreis, zum Beispiel in meiner Eigenschaft als Bürgervereinsvorsitzender, mit älteren Mitbürgern spreche, werde ich sehr häufig auf dieses Thema angesprochen. Ältere Menschen haben Angst vor Einbrüchen und Überfällen auf offener Straße. Wenn man sie fragt, warum sie nicht mehr zu den abendlichen Veranstaltungen - zum Beispiel der Kirche oder der Gewerkschaften - kommen, dann sagen sie sehr häufig: ({0}) Ich wage mich abends nicht mehr auf die Straße. ({1}) In einem ländlichen Bezirk mag ja alles noch in Ordnung sein, aber Hamburg ist nicht umsonst als Hauptstadt des Verbrechens bezeichnet worden. Ich bedaure sehr, dass es der Bürgermeister von Hamburg, der bei den schlichten fiskalischen Fragen noch anwesend war und gesprochen hat, nicht nötig hat, bei der Frage der Kriminalitätsbekämpfung im Bundestag anwesend zu sein. ({2}) - Also, das hält sich bei Herrn Runde in Grenzen. Nicht umsonst musste er seinen Innensenator Wrocklage entlassen. So toll war es offensichtlich nicht, wie er seine Hausaufgaben erledigt hatte. ({3}) Die Kriminalitätsentwicklung führt zu einer bedrohlichen Situation für die gesamte Gesellschaft. Gerade wir Liberalen setzen uns dafür ein, dass in einem freiheitlichen Staat jeder von Furcht vor Verbrechen und KrimiWolfgang Wieland, Senator ({4}) nalität frei sein muss. Hier ist der Rechtsstaat und damit die Demokratie besonders gefordert. Meines Erachtens hilft uns auch der Ruf nach immer mehr und schärferen Gesetzen nicht so sehr weiter; wir müssen vielmehr dafür Sorge tragen, dass die Gesetze konsequent umgesetzt werden. ({5}) Das Sprichwort: „Wer schnell gibt, gibt doppelt“ gilt analog auch für den Rechtsstaat. ({6}) Wer auf frischer Tat ertappt wird, muss schnell verurteilt werden; das gilt für alle Tätergruppen. Wenn zum Beispiel in meiner Heimatstadt Hamburg Untersuchungshäftlinge nach sechs Monaten entlassen werden müssen, weil die Anklageschrift von der Staatsanwaltschaft nicht rechtzeitig gefertigt werden konnte, ({7}) ist das in der Tat ein Skandal, der dem Rechtsstaat schadet und den Bürger an der Rechtsordnung zweifeln lässt. ({8}) Justiz und innere Sicherheit sind Kernaufgaben des Staates. Polizei und Justiz müssten einen Haushalt vorfinden, der ihnen die Arbeit ermöglicht. Stattdessen werden Justiz und Polizei bei wachsenden Kriminalitätszahlen in Sparkonzepte eingeschnürt, die nicht sehr fantasiereich sind. ({9}) Ein solches Vorgehen führt zu Zweifeln am Rechtsstaat und unterminiert damit unsere Demokratie. So sind zum Beispiel in meiner Heimatstadt Hamburg bei der Staatsanwaltschaft in den letzten vier Jahren zehn Dezernatsstellen und 30 Dienstposten, die nicht dem höheren Dienst zugerechnet werden, abgebaut worden. Dies führt zu einer Überlastung der Staatsanwaltschaften und damit zu verspäteten Anklagen und stärkt somit nicht die Leistungsfähigkeit der Staatsanwaltschaften. Dasselbe gilt für den Bereich der Gerichte. Sie werden gelesen haben, dass sich fast alle Richter in Hamburg an die Justizsenatorin gewandt haben, um auf ihre besondere Situation aufmerksam zu machen. Sie haben darauf hingewiesen, dass sie nicht mehr in der Lage sind, ordnungsgemäß Urteile zu fertigen, weil die Gerichte durch Stellenkürzungen unterbesetzt sind. Ich räume ein, dass die Justizsenatorin in Hamburg inzwischen einige Stellen neu geschaffen hat. Das geschieht aber nur im Hinblick auf den Wahlkampf. ({10}) Offensichtlich will man das Stellenkürzungsprogramm fortsetzen, denn die mittelfristige Finanzplanung, in die ich gelegentlich schaue, sieht das vor. An diese mittelfristige Finanzplanung ist natürlich auch die Justizsenatorin gebunden. Was also nötig ist, ist, so glaube ich, ziemlich klar: Erstens. Die Präsenz der Polizei vor Ort muss gestärkt werden. Die Gerichte müssen personell und organisatorisch besser ausgestattet werden, um so schneller Recht sprechen zu können. Zweitens. Das Augenschließen vor so genannter Kleinkriminalität und Sachbeschädigungen - wie Graffitischmierereien - muss ein Ende haben. Mit anderen Worten: Die Alltagskriminalität muss schnell und effektiv bekämpft werden. ({11}) Drittens. Wir müssen zur Bekämpfung insbesondere der organisierten Kriminalität die Abschöpfung von Verbrechungsgewinnen endlich so verschärfen, dass durch den Entzug von Finanzmitteln diese Kriminalität im Mark getroffen wird. Lassen Sie mich, viertens, auf einen Punkt aufmerksam machen, der in den Anträgen der CDU/CSU nicht enthalten ist, auf den aber der Herr Justizsenator bereits hingewiesen hat - wir sind ja froh, dass wir in Berlin wieder einen Justizsenator haben; wenn er auch nicht von Ihrer Partei sein musste -: Ich meine die zunehmende Korruption, insbesondere in unseren Ballungszentren. Hier muss die Verwaltung intern durch geeignetere Maßnahmen präventiv tätig werden, zum Beispiel durch Jobrotation. Zudem müssen die Ermittlungstätigkeiten, beispielsweise durch ein Controlling, intensiviert und verbessert werden. Denn die Korruption ist ein schleichendes Gift und untergräbt das Vertrauen des Bürgers in den Staat. Ich hoffe, die heutige Debatte führt dazu, dass wir - überparteilich - der Kriminalitätsbekämpfung eine etwas größere Bedeutung beimessen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({12})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Das Wort hat die Kollegin Petra Pau für die PDS-Fraktion.

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Antrag der CDU/CSU-Fraktion beginnt mit einer Bitte: Der Bundestag wolle beschließen: ... Freiheit und Sicherheit sind elementare Grundbedürfnisse der Menschen. Ginge es nur um diesen Satz, die Stimmen der PDS-Fraktion wären Ihnen komplett sicher. Aber dann folgen 20 Seiten mit sehr konkreten Vorstellungen zur Verbrechungsbekämpfung, zu Strafmaßen und Polizeibefugnissen. Ich habe mich gefragt, ob der Anspruch auf Freiheit und Sicherheit damit besser befriedigt werden kann, und muss Ihnen sagen: Nein. Denn nahezu alles, was Sie in Namen der Sicherheit vorschlagen, läuft auf eine Einschränkung der Freiheit hinaus. ({0}) Aus aktuellem Anlass sage ich: Es ist so eine Sache mit dem Verfassungsschutz; wir haben gestern darüber debattiert. Ich habe den Eindruck: Gegen Ihren Antrag zu sprechen, gegen diesen Antrag zu stimmen, das ist aktiver Verfassungsschutz. ({1}) Ich habe in der vergangenen Woche in einem Kommentar der „Süddeutschen Zeitung“ vom 28. Juni eine treffliche Beschreibung Ihres Antrages gefunden. Der Kommentator meinte: Was in der Metzgerei der Presssack sei, sei in der Politik das Diskussionspapier. - Er meinte das von den Herren Schönbohm und Bosbach vorgestellte CDU/CSU-Papier, das uns nun als Antrag vorliegt. - Im Presssack lande all das, was beim Kehren des Schlachthauses so zusammenkomme, meinte der Kommentator, ganz wie beim vorliegenden Antrag. Denn es handle sich hier - ich zitiere - „um die Wiederaufbereitung der rechtspolitischen Schlachtabfälle der vergangenen 20 Jahre“. All dies wurde schon vielfach gewogen und der Befund lautete stets: Unbrauchbar, aber kreuzgefährlich. ({2}) Sie wollen mit diesem Antrag den ohnehin viel zu großen Lauschangriff noch erweitern. Sie wollen das Trennungsgebot von Polizei und Geheimdiensten aufweichen. ({3}) Sie wollen die Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit beschneiden. Ja, Sie wollen sogar die Beweislast umdrehen, sodass künftig nicht mehr den Bürgerinnen und Bürgern Schuld nachzuweisen ist, sondern diese gefälligst selbst die Belege für ihre Unschuld abliefern. Das alles unter die Überschrift „Freiheit und Sicherheit“ zu stellen ist schon ein starkes Stück und obendrein - ich wiederhole mich - grundgesetzwidrig. Über die zahlreichen von Ihnen vorgeschlagenen Strafverschärfungen werden wir sicherlich noch ausführlich debattieren können. In aller Regel folgen sie dem Grundsatz: Je mehr, schneller und länger weggesperrt wird, desto besser. Sie werden ahnen, dass dies nicht unser Ansatz ist. Ich gehe heute nur auf einen Ihrer Vorschläge noch etwas genauer ein, der landauf, landab medial debattiert wird. Sie wollen Straftäter, insbesondere Jugendliche mit einem - ich zitiere aus Ihrem Antrag - „Fahrverbot als Zuchtmittel“ abstrafen, und zwar auch dann, wenn es sich nicht um ein Verkehrsdelikt handelt. Ich habe gelesen, dass die Kontrolle dieser Sanktion einigen Aufwand erfordern könne. Aber ich habe auch gelesen, dass sich Herr Bosbach ({4}) mit dem schönen Satz zitieren lässt: Nichts ist uncooler, als wenn man am Wochenende mit dem Linienbus zur Disco fahren muss. Ich müsste jetzt eigentlich den anwesenden Justizsenator der Stadt Berlin fragen, ob er den Erlass des Kollegen Werthebach schon aufgehoben hat, sodass Politikerinnen und Politiker aller Parteien in dieser Stadt wieder englisch reden dürfen. Dies zu verbieten war ja eine seiner letzten Amtshandlungen. Aber zurück zur Sache: Bei uns gibt es in ganzen Landstrichen gar keine Linienbusse mehr, die Jugendliche zur Disco hin- oder von ihr wegbringen. ({5}) Außerdem fallen mir eine ganze Menge Dinge ein, die Jugendliche und nicht nur Jugendliche cool finden. Wenn Sie sie auch noch verbieten wollen und dieses Verbot kontrollieren wollen, dann habe ich endlich den Sinn Ihrer Vorschläge zur Ausweitung des Lauschangriffes verstanden, warum Sie also auch noch Wohn- und Schlafräume optisch und akustisch überwachen wollen. Ich habe das Gefühl, Ihnen ist überhaupt nicht aufgefallen, dass in der umfangreichen Liste krimineller Delikte, die Sie zurückdrängen wollen, eine Kategorie, die uns nicht nur im Land Berlin besonders bewegt, einfach fehlt: ({6}) die Wirtschaftskriminalität. Ich wage gar nicht daran zu denken, was hier ein „Fahrverbot als Zuchtmittel“ bewirken würde ({7}) und welche Auswirkungen das auf die Autoindustrie hätte, einem Industriezweig, der unserem Kanzler ja besonders am Herzen liegt. ({8}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit wir uns hier nicht missverstehen: Auch wir nehmen die Kriminalitätsentwicklung sehr ernst. Die Bürgerinnen und Bürger haben nicht nur ein elementares Bedürfnis, sondern auch Anspruch darauf, dass sie ihr Leben in Freiheit und Sicherheit gestalten können. Nur ist der Antrag der CDU/CSU, der hier heute verhandelt wird, dazu schlicht ungeeignet. Ich hoffe sehr, dass die anderen Fraktionen dieses Hauses mit mir zumindest darin übereinstimmen, dass Freiheit nicht dadurch gemehrt werden kann, dass Bürgerrechte eingeschränkt werden. Wir jedenfalls wenden uns gegen die dem Antrag zugrunde liegende Sicherheitsphilosophie, dass jeder und jede grundsätzlich verdächtig sei, Straftaten zu begehen und entsprechend zu behandeln sei. Liberale wie auch sozialistische Politik hat ein anderes Menschenbild und muss anderen Prämissen folgen. ({9})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die SPD-Fraktion spricht jetzt der Kollege Günter Graf.

Günter Graf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000719, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zumindest eines hat der Debattenbeitrag der Union deutlich gemacht: Die Union steckt in einem ganz tiefen Dilemma. ({0}) Sie hat massive Personalprobleme ({1}) und auch viele andere Probleme. Um diese zu kaschieren und von ihnen abzulenken, sucht man sich ein Thema. Wenn Landtagswahlen, wie jetzt in Hamburg und Berlin, anstehen, dann schaut man, welches Thema für den Wahlkampf gut geeignet ist, und bringt immer wieder - es ist über die Jahrzehnte hinweg stets dieselbe Leier - ein Sammelsurium von Vorschlägen auf den Tisch, die sich mit der inneren Sicherheit beschäftigen und im Grunde genommen nichts anderes bewirken sollen, als von den eigenen Problemen abzulenken und der Öffentlichkeit in Deutschland vorzugaukeln, man könne mit Repressionen die Probleme in unserem Lande in den Griff bekommen. In Wahrheit ist dies nicht so und das wissen die Kolleginnen und Kollegen von der Union ganz genau. ({2}) Nun ist es sicherlich nicht unehrenhaft, aus wahltaktischen und parteitaktischen Gründen bestimmte Dinge zu tun oder auch nicht zu tun. Aber ich finde es in höchstem Maße bedenklich, wenn man gerade Themenbereiche aufgreift, die geeignet sind, die Ängste der Menschen im Lande zu schüren und Szenarien aufzubauen, die diese Ängste noch verstärken. Dazu gehört sicherlich der Bereich der Kriminalitätsbekämpfung mit seinen vielen Facetten. Dies ist ein ganz bedenklicher Vorgang. Er dient nicht dazu, das Empfinden, dass bei uns innere Sicherheit herrscht, zu verstärken. Es führt im Gegenteil allenfalls dazu, für ein verstärktes subjektives Empfinden von Unsicherheit in der Bevölkerung zu sorgen. Ich bin dem Kollegen Funke dankbar, dass er dies angesprochen hat. ({3}) Ich will es ganz deutlich sagen: Die Themen innere Sicherheit und Kriminalität sind keine Themen, die sich für Parteienstreit eignen. ({4}) Es geht um die Menschen in unserem Land. Es geht darum, dass die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land das Gefühl haben, sich frei bewegen zu können, ohne Angst vor Kriminalität zu haben. Auch Sie von der Union wissen: Die Ergebnisse der Umfragen von vor Jahren besagten, dass sich 75 bis 80 Prozent der Bevölkerung subjektiv unsicher fühlten. Das heißt, dass dieser Anteil der Bürgerinnen und Bürger das Gefühl hatte, Opfer einer Straftat werden zu können. Betrachten Sie heute die Ergebnisse der Befragungen, so sind diese Zahlen deutlich gesunken und das ist gut so. Das ist das Ergebnis von Politik. Auch in der vergangenen Wahlperiode sind von der damaligen Koalition die gesetzgeberisch notwendigen Dinge auf den Weg gebracht worden, die diesen Trend sicherlich begünstigt haben, wobei ich allerdings auch deutlich sagen will, dass wir dies seitens der SPD-Bundestagsfraktion unterstützt haben. Das sollte so fortgeführt werden; denn nur durch gemeinsames Handeln auf diesem Gebiet kommen wir ein Stück weiter und dienen den Interessen der Menschen. ({5}) Hier ist auch die Öffentlichkeit vertreten. Daher will ich ein Weiteres sagen, weil das oftmals gar nicht so recht deutlich wird. Wer sind eigentlich diejenigen, die die innere Sicherheit in unserem Land zu gewährleisten haben? Das sind die Hunderttausende Polizisten, die Tag für Tag, Nacht für Nacht auf der Straße stehen und dafür sorgen, dass die Menschen in unserem Land Sicherheit empfinden. Darauf haben Kollege Körper und wohl auch Kollege Bosbach hingewiesen. Es ist unbestritten, dass man immer mehr machen kann. Es gibt allerdings viele Ursachen dafür, dass nicht alles, was wünschenswert ist, auch machbar ist. Es ist aber eine gute Sache, sich darum zu bemühen, dass noch mehr getan wird. Im Übrigen will ich darauf hinweisen: Soweit der Bund die Zuständigkeit im Bereich der inneren Sicherheit hat - sowohl hinsichtlich der Gesetzgebung als auch hinsichtlich des BKA als Serviceunternehmen für die Bundesländer oder des Bundesgrenzschutzes -, wird das geleistet, was leistbar ist, und zwar erst seit einiger Zeit. Ich darf noch einmal das Stichwort Kooperation des BGS mit den Länderpolizeien und gemeinsame Streifengänge aufgreifen. Das ist sicherlich ein geeignetes Mittel; hierbei bringt sich der Bund in hervorragender Weise ein. An unserem Bemühen, Schuldenabbau zu betreiben, werden wir festhalten. Jedem hier muss klar sein - man sollte auch nach außen nichts anderes verkünden -, dass bereits bei den Kürzungen im Haushalt 2001 der Bereich Polizei und innere Sicherheit ausgeklammert worden war. Vielmehr wurden die Mittel für diesen Bereich schon im letzten Haushalt aufgestockt. Auch in dem jetzt vorliegenden Haushaltsentwurf für das Jahr 2002 werden wir 100 Millionen DM zusätzlich bereitstellen. Trotz aller Sparbemühungen dieser Regierung, die wir für richtig und notwendig halten, klammern wir die Bereiche aus, bei denen es um die Sicherheit der Menschen in unserem Land geht. Auch diesen Kurs werden wir fortsetzen, damit einmal mit dem Vorurteil aufgeräumt wird: Die Sozis und die Grünen machen alles kaputt. ({6}) Was hat denn Rot-Grün in den letzten Jahren alles bewirkt und auf den Weg gebracht? Was hat man im Vorfeld der letzten Wahl nach außen alles verkündet, wo die Reise hingehen werde? Nun muss man feststellen - das ist natürlich besonders für Sie von der Union enttäuschend -: Wir haben alles im Griff, wir sind auf einem guten Wege. Ich sage Ihnen: Wir werden diesen Weg fortsetzen. ({7}) Generell noch ein Wort zu etwas, was mir ein bisschen Sorge bereitet, weil dies seit Jahrzehnten die Art und Weise Ihrer Politik ist: Sie reden über innere Sicherheit und meinen im Grunde genommen immer nur Repression, Strafverschärfung, neue Gesetze und dergleichen mehr. ({8}) - Herr Kollege Geis, Sie wissen genau, was ich meine. Wir haben uns auch schon einmal privat über diese Dinge unterhalten. Nun kann ich mich noch an unsere Zeit in der Opposition erinnern, weil sie so lange noch nicht zurückliegt. Herr Geis, Sie selber haben damals eine Strafverschärfung im Bereich des einfachen und schweren Landfriedensbruchs gefordert, um ein Beispiel zu nennen. Seinerzeit habe ich eine Anfrage an Ihre Regierung gestellt. Meine Frage war: In wie vielen Fällen wurde das Höchstmaß von zehn Jahren bei schwerem Landfriedensbruch und von fünf Jahren bei einfachem Landfriedensbruch - wenn ich das noch richtig im Kopf habe - verhängt? Die Antwort war, dass es im Bereich des einfachen Landfriedensbruchs in einem Jahr in der Bundesrepublik Deutschland zu einer oder zwei Verurteilungen gekommen ist, bei denen das Höchstmaß von fünf Jahren verhängt wurde, und dass im Bereich des schweren Landfriedensbruchs im selben Zeitraum in der Bundesrepublik Deutschland nicht in einem einzigen Fall das Höchstmaß von zehn Jahren verhängt wurde. ({9}) Die Frage ist dann sicherlich berechtigt: Was sollen Strafverschärfungen bringen, wenn das geltende Recht nicht zügig angewandt wird? Das ist ein Appell an all diejenigen, die damit umzugehen haben, insbesondere auch an die Länder, die Instrumente, die wir haben - es ist schon mehrfach angeklungen -, in entsprechender Weise anzuwenden. Wenn uns dies gelingt - daran müssen wir alle ein Interesse haben -, dann befinden wir uns auf einem guten Weg. Wenn wir dann feststellen, dass dies alles nicht reicht, kann man auch über andere Dinge nachdenken. Aber wir dürfen nicht den zweiten Schritt vor dem ersten tun. Das ist mein Appell an Sie. Ich denke, wir werden dies im Laufe der weiteren Beratungen in den Ausschüssen, in denen wir etwas sachlicher miteinander umgehen, vertiefen und vielleicht - das ist meine stille Hoffnung - zu besseren Lösungen kommen, als sie von Ihnen vorgeschlagen worden sind; denn die sind völlig untauglich. Ich danke Ihnen. ({10})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Jetzt spricht der Innenminister des Landes Brandenburg, Jörg Schönbohm. Jörg Schönbohm, Minister ({0}): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! „Freiheit und Sicherheit sind elementare Grundbedürfnisse des Menschen“ - darin sind wir uns wohl einig. Es geht also um die Frage, wie wir gleichzeitig Freiheit und Sicherheit gewährleisten und den Anspruch des Staates auf das Gewaltmonopol umsetzen können. Daraus resultiert die Verpflichtung, Freiheit und innere Sicherheit zu gewährleisten. Um es gleich von vornherein klarzumachen: Wir haben Sorge vor zu viel Straftätern und nicht vor zu viel Polizei. ({1}) Nur der starke, demokratisch kontrollierte Rechtsstaat kann die Freiheitsrechte aller Bürger garantieren. Hier ist er gefordert. Um diese Frage geht es. Was ich hier gehört habe, legt den Verdacht nahe, dass einige die Papiere gar nicht gelesen haben, sondern sich im Rahmen einer Rosinenpickerei einige Dinge herausgesucht haben. ({2}) - Ich komme gleich darauf, Herr Graf. Innere Sicherheit ist unteilbar. Sie gilt für alle, egal ob arm, ob reich, ob Stadt- oder Landbevölkerung, ob Deutsche oder Nichtdeutsche. Das heißt also: Sicherheit ist den jeweiligen Herausforderungen anzupassen. Stillstand in diesem Bereich ist Rückschritt. ({3}) Innere Sicherheit braucht einen klaren Standpunkt und ein klares und festes Wertfundament. Ich möchte nur anmerken: Die Zusammenarbeit zwischen dem Bund und den Ländern ist von Herrn Kanther eingeleitet und von Herr Schily abgeschlossen worden. Innere Sicherheit ist nicht das Ergebnis von Beliebigkeit, Laisser-faire oder Prinzipienlosigkeit, wie manche angenommen haben. Frau Pau, wenn Sie sagen, für uns sei jeder verdächtig, dann muss ich feststellen: Das ist falsch. Aber wer eine Straftat begangen hat, wird von uns verdächtigt; denn wir wollen jede Straftat aufklären. ({4}) - Das können Sie nachlesen. Aber Sie müssen alles lesen. Die Menschen sind der schönen Verheißungen der süffigen Werbebotschaften längst überdrüssig. Dabei sind die Probleme in unserem Land auch auf dem Gebiet der inneren Sicherheit längst offenbar. Die Aufklärungsquote hat sich allerdings verbessert. Die Bundesregierung, SPD und Grüne sagen: Es ist alles gut. Ein anderer hat gesagt: Und das ist auch gut so! ({5}) Günter Graf ({6}) Ich habe nirgendwo gehört, dass jemand von Ihnen gesagt hat: Wir wollen etwas verändern. Sie haben das nicht gesagt, weil nach Ihrer Ansicht alles gut ist. ({7}) Herr Wieland möchte die grünen Männchen oder - ganz genau weiß ich es nicht - den grünen Menschen erschaffen. Daher fordere ich Sie auf: Sehen Sie die Wirklichkeit doch bitte so, wie sie ist. ({8}) - Ich weiß, Sie wollen stören. Das können Sie ruhig tun. Ich möchte Ihnen ganz kurz nur ein paar Punkte in Erinnerung rufen. 15 834 Tatverdächtige waren unter 14 Jahren. Rund 295 000 Tatverdächtige waren zwischen 14 und 18 Jahren. Diese Jugendlichen stellen damit einen Anteil von 12,9 Prozent aller Tatverdächtigen, obwohl ihr Anteil an der Bevölkerung nur 4,4 Prozent beträgt. Das ist doch wohl ein Problem. Oder wollen Sie behaupten, dass dies kein Problem sei, und deshalb darüber hinweggehen? Es muss weiter festgestellt werden, dass rund 247 000 Tatverdächtige zwischen 18 und 21 Jahre alt sind. Das ist ein Anteil von 10,8 Prozent aller Tatverdächtigen, obwohl diese Gruppe nur einen Anteil von 3,4 Prozent an der Gesamtbevölkerung hat. ({9}) Wenn man sich diese Zahlen vor Augen führt, dann muss man feststellen, dass diese Gruppe dreimal so viele Tatverdächtige stellt wie jede andere Bevölkerungsgruppe. Damit müssen wir uns auseinander setzen. Diese Zahlen müssen uns wachrütteln. Vor diesem Hintergrund können Sie doch nicht sagen, es sei alles gut. ({10}) 700 000 Kinder und Jugendliche werden straffällig, bevor sie erwachsen werden. Es geht um die Frage, wie das vermieden werden kann. (Gerald Häfner ({11}) - Darauf komme ich gleich zu sprechen. Ich hätte es gerne gesehen, wenn jemand auf die Frage der Erziehung eingegangen wäre. In dem Antrag der CDU/CSU-Fraktion steht, dass die Vermittlung von Werten und Normen in den Schulen - das erwarten wir - wieder stärker hervorgehoben wird, dass das Sozialverhalten der Jugendlichen und die Erziehung zu Gewaltfreiheit stärker gefördert werden. ({12}) Wenn Sie dem zustimmen, dann fordere ich Sie auf, damit dort zu beginnen, wo Sie die politische Verantwortung haben. Wir haben außerdem etwas zum Thema Prävention gesagt. Auch damit haben Sie sich nicht auseinander gesetzt. Es ist vollkommen klar: Erziehung allein reicht nicht, gute Worte schon gar nicht. Wir brauchen leider auch Korrekturen durch den Gesetzgeber. Hierfür werden Vorschläge gemacht. Wer den Jugendlichen rechtzeitig den Ernst der Lage unmissverständlich deutlich macht, indem er bei der Strafaussetzung zur Bewährung gleichzeitig Jugendarrest anordnet, der erspart manchem Jugendlichen ein späteres Wiedersehen vor Gericht. Darüber gibt es Untersuchungen. Die Jugendlichen müssen begreifen, wo der Spaß endet und wo der Ernst beginnt. ({13}) In diesem Zusammenhang möchte ich auch auf das Drogenproblem hinweisen - wahrscheinlich werden Sie noch fröhlicher werden -: Ich meine, das, was im Bereich der Drogenkriminalität geschehen ist, ist besorgniserregend. Im letzten Jahr gab es 2 030 Drogentote. Das ist eine Zahl, die uns nicht gleichgültig lassen kann. ({14}) Darum ist es entscheidend, glaube ich, dass Sie mit der Diskussion über die Freigabe von Drogen Schluss machen. Die Einschränkung der Verfügbarkeit von Drogen ist die beste Prävention. Die Duldung einer offenen Drogenszene ist dem Bürger nicht zumutbar. ({15}) Davon gehen Unsicherheit und Gefährdung gerade auch für unsere Jugend aus. In diesen Zusammenhang gehört auch die entschiedene Bekämpfung der Alltagskriminalität, die von manchen Ideologen als Bagatellkriminalität verniedlicht wird. Ich sage ganz klar: Es gibt keine Bagatellstraftaten oder Bagatelldelikte. Darüber müssen wir uns einig werden. ({16}) Das Rechtsbewusstsein unserer Bürger muss doch Schaden nehmen, wenn sie feststellen, dass Vandalismus und Schmierereien keine Folgen haben. ({17}) Dafür können Sie, Herr Wieland, und jeder Bürger in Berlin doch sehr gute Beispiele sehen. Darüber müssen wir gar nicht diskutieren. Wir verunsichern die Bürger nicht. Die Bürger selber sind doch intelligent genug, die Wirklichkeit, in der sie leben, zu begreifen. ({18}) Jörg Schönbohm, Minister ({19}) Wenn die Bürger sagen, dass sie sich abends nicht mehr auf die Straße trauten, dann können Sie doch nicht sagen, dass sie blöd seien. Das ist nun einmal so. Wenn die Bürger fragen, warum ihre Stadt so verhunzt und verschmiert sei, dann müssen Sie sich damit auseinander setzen. Erklären Sie doch einmal einem Bürger, warum Graffitischmierereien keine Sachbeschädigungen sind. ({20}) Ich kann es nicht erklären; denn ich bin kein Jurist. Hier hätte schon längst etwas geändert werden müssen. Sie wissen doch, dass der rot-grüne Senat in Berlin entsprechende gesetzliche Änderungen zurückgezogen hat. ({21}) - Ich finde es ja gut, dass hier wenigstens ein Intelligenter anwesend ist, Herr Abgeordneter. Es ist gut. Aber ich wusste gar nicht, dass Sie so lebhaft werden können. Das ist übrigens ein gutes Zeichen. Immer dann, wenn jemand lebhaft wird, ist er getroffen. ({22}) Wenn Sie der Auffassung sind, dass hier in Berlin oder auch in Hamburg hinsichtlich Graffiti alles in Ordnung ist, dann sagen Sie es doch! ({23}) Vergehen ist Vergehen. Verbrechen ist Verbrechen. Darüber brauchen wir uns gar nicht auseinander zu setzen. Innere Sicherheit hat auch viel mit dem Sicherheitsgefühl zu tun. Ständig geht es um das Thema Präsenz der Polizei und um das Thema Videoüberwachung. ({24}) Gehen Sie einmal über einige Plätze in Berlin und gucken Sie sich das an! Wenn Sie mir dann sagen, dass dort die Videoüberwachung keinen Erfolg hat, dann können wir darüber diskutieren. ({25}) Diskutieren Sie das doch einmal am ganz konkreten Beispiel! ({26}) - Ja, am Breitscheidplatz. Fragen Sie einmal Herrn Wieland! Das ist doch Ihr Koalitionspartner. Die haben es doch verhindert. ({27})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Minister Schönbohm, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Wiefelspütz? Jörg Schönbohm, Minister ({0}): Meine Zeit ist fast um, aber gern.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Die Zeit läuft dann nicht weiter; ich halte sie an. ({0}) Jörg Schönbohm, Minister ({1}): Sind Sie hier Zeitnehmer oder Schiedsrichter?

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Noch wache ich hier oben über die Zeit, Herr Kollege Hartenbach. ({0})

Dr. Dieter Wiefelspütz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002506, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Verehrter Herr Minister, können Sie der geneigten Öffentlichkeit und dem interessierten Parlament vielleicht einmal erläutern, wer in Berlin im Bereich der inneren Sicherheit in den letzten Jahren - bis vor vier Wochen etwa - als Innensenator die Verantwortung hatte? Ich wäre sehr interessiert, das von Ihnen zu hören. Wir nehmen solche Belehrungen immer sehr gern entgegen. ({0}) Jörg Schönbohm, Minister ({1}): Darüber freue ich mich. - Habe ich noch Redezeit?

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Wir haben die Spielregel - ich glaube, sie gilt auch im Landtag -, dass die Redezeit in diesem Fall angehalten wird. Jörg Schönbohm, Minister ({0}): Ihre Kollegen aus Berlin, wenn welche hier anwesend sind, werden Ihnen sagen können, dass alle Ansätze der Union, in diesem Bereich vorwärts zu kommen, an der SPD im Land Berlin gescheitert sind. ({1}) - Ganz eindeutig! Alle Gesetzentwürfe sind daran gescheitert. ({2}) Der frühere Regierende Bürgermeister wollte die Große Koalition an diesem Thema nicht auseinander brechen lassen - nicht ahnend, dass Sie in Berlin gemeinsam mit der PDS ins Bett gehen würden; das war da noch gar nicht zu erkennen. ({3}) Jörg Schönbohm, Minister ({4}) Wir hatten die Verantwortung. Ich habe die Anträge gestellt. Sie sind abgeschmettert worden. Nun können Sie es gemeinsam auch so weitermachen. - Vielen Dank für die Frage. ({5}) Zum Thema der organisierten Kriminalität ist einiges gesagt worden, auch, was vermisst wurde. Wirtschaftskriminalität - das ist, glaube ich, einigen von Ihnen klar ist ein Teil der organisierten Kriminalität. Einige Antworten, die ich gehört habe, waren - ich möchte es so sagen scheuklappenbewehrt. Es wäre gut, wenn wir einmal feststellten, wie die Herausforderungen sind und wie wir sie gemeinsam angehen wollen. Da können wir, glaube ich, einiges bewegen. Polizei und Justiz haben diese Herausforderungen insgesamt angenommen. Jetzt geht es darum, wie wir das gesetzliche Instrumentarium verbessern, damit diese Herausforderungen besser angenommen werden können. Der Gesetzgeber - das ist unsere Position - ist in diesem Bereich gefordert. Die Hydra der organisierten Kriminalität hat viele Köpfe - und sie spricht auch viele Sprachen. ({6}) Meine Damen und Herren, auch wenn ich nur einige Aspekte des Gesamtkomplexes ansprechen kann, so möchte ich auf einen Aspekt unbedingt eingehen, und zwar auf den Opferschutz. Angesichts von mehr als 6 Millionen registrierten Straftaten, ihrer Verfolgung und Ahndung meine ich, dass der Opferschutz mehr in den Vordergrund unserer Überlegungen gerückt werden muss. Wir haben uns zu lange zu wenig mit den Folgen für die Opfer - bis hin zur Traumatisierung - befasst. Was soll ich einer älteren Frau sagen, die auf dem Rückweg von der Bank überfallen wurde, der die Tasche geraubt wurde und die nun sagt, sie traue sich nicht mehr auf die Straße, weil sie Angst habe? - Diesen Aufgaben müssen wir uns stellen; besonders die Unsicherheit der älteren Mitbürger muss mit berücksichtigt werden. Darum ist das Thema Täter-Opfer-Ausgleich in unserem Vorschlag enthalten. Vergessen wir nicht: Es sind nicht nur die Opfer von Gewaltverbrechen; es sind zum Teil auch die Opfer von Alterskriminalität, die dadurch verunsichert sind. Der Antrag der CDU/CSU bietet, wie man gesehen hat, eine gute Grundlage für die Diskussion, aber auch, meine ich, für Entscheidungen, um die Herausforderungen für die innere Sicherheit anzunehmen. Lassen Sie Taten folgen! Es ist Zeit. Es muss sich etwas verbessern. Herzlichen Dank. ({7})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Nächster Redner ist der Kollege Volker Beck für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn man Kriminalität bekämpfen will und wenn man den Bürgern die Kriminalitätsängste nehmen will oder darauf jedenfalls angemessen reagieren will, ist es entscheidend, zunächst einmal die Tatsachen richtig festzustellen. Insofern ist Ihre dramatisierende Tonlage unangemessen; denn die Kriminalität ist im letzten Jahr zurückgegangen; die Aufklärungsquote ist gestiegen. Also: Wir sind da auf einem richtigen Weg, den wir aber natürlich energisch fortsetzen müssen. Selbstverständlich ist die Kriminalitätsbekämpfung eine vordringliche Aufgabe der Politik. Rot-grüne Kriminalpolitik setzt nicht allein auf Repression, wie das in Ihrem Antrag formuliert wird, sondern auf eine Trias von Prävention, Repression und Resozialisierung der Täter. Wir wollen die Ursachen der Kriminalität bekämpfen und auf Kriminalität deutlich und angemessen reagieren. Sie haben gefragt, was wir ändern wollen: Wir sind dabei, eine ganze Menge auf den Weg zu bringen. All das gefällt Ihnen nicht und Ihre Kollegen im Rechtsausschuss stöhnen schon, weil sie bei diesem Reformtempo gar nicht hinterherkommen. Die Koalition hat gesagt: Ein Schwerpunkt muss auf der Prävention liegen. Wir haben deshalb das Forum für Kriminalprävention gegründet, um eine wissenschaftlich fundierte Begleitung durchzuführen und diesen Teil der Kriminalpolitik, der 16 Jahre lang brachlag, zu intensivieren. Wir haben auch dafür gesorgt, dass Gewalt in der Familie nicht mehr als Erziehungsmittel legitimiert ist. Das ist für die Prävention ganz entscheidend, weil - das wissen wir - Straftäter als Kinder und Jugendliche in ihrer Familie häufig Gewalt erlebt haben. Überproportional viele, die als Kinder und Jugendliche derartige Erfahrungen gemacht haben, werden später Gewalttäter. ({0}) Mit dem so genannten Gewaltschutzgesetz, das wir auf den Weg gebracht haben, haben wir dafür gesorgt, dass Opfer von Gewalt in der Familie und in der näheren Umgebung künftig besser geschützt werden und dass der Polizei als Partner der Bürgerinnen und Bürger, die bedroht werden, neue, konkrete Aufgaben zugewiesen werden. Aufgrund dieses Gesetzes können sich die Bürgerinnen und Bürger gegen Gewalttaten, gegen sexuelle Belästigung und gegen Bedrohungen wehren. Das wird die Alltagserfahrung der Menschen ganz entscheidend beeinflussen, weil sie sehen, dass ihre Umwelt sicherer wird und dass sie die Polizei rufen können, wenn sie sich ernsthaft bedroht fühlen. ({1}) Wir sind dabei, durch eine Reform des Sanktionenrechts dafür zu sorgen, dass das Gericht auf die Täterpersönlichkeit und auf den sozialen Hintergrund besser Jörg Schönbohm, Minister ({2}) eingehen kann. In Deutschland sind die Gefängnisse überbelegt. Die Qualität des Strafvollzugs, der auch Behandlungsvollzug sein soll, leidet darunter. Wir haben deshalb mit der Sanktionenreform ein Programm vorgelegt, das Abhilfe schafft, und wir werden eine entsprechende Vorlage im Bundestag verabschieden. Meine Damen und Herren von der Union, das JUMP-Programm, das der Bundesminister für Arbeit auf den Weg gebracht hat, hat mehr zur Bekämpfung von Kinder- und Jugendkriminalität beigetragen als jeder einzelne Ihrer Vorschläge, die Sie hier machen. ({3}) Wir beraten heute eine eindimensionale Strategie der Union, gegen Kriminalität vorzugehen: Repression, möglichst frühes Wegsperren, Strafrecht als Prima Ratio und Eingriffe in die Bürgerrechte. Man erkennt die Handschrift von Herrn Schönbohm, der der CDU/CSU-Fraktion mangels eigenem Sachverstand offensichtlich die Feder geführt hat. Man spürt aber auch, dass Herr Kanther, der sich als Law-and-Order-Politiker verdient gemacht hat - seine eigene Biografie spricht allerdings ein bisschen gegen seine Glaubwürdigkeit -, und Herr Schill, der offensichtlich ein geistiger Bruder der Union ist, die geistigen Väter dieser Strategie sind. Sie haben in Ihren Papieren eine Art „Window-Dressing“ versucht. Sie können mittlerweile das Wort „Prävention“ buchstabieren. Das ist zwar schön; aber ansonsten liest man dieselben alten Forderungen. Wir werden Ihren Gesetzentwurf zur Verbesserung der Bekämpfung der Jugendkriminalität ablehnen; denn wir sind der Auffassung, dass das Jugendstrafrecht ein angemessenes erzieherisches Einwirken auf problematische Jugendliche ermöglicht. Daran wollen wir festhalten. Die Anhörung im Rechtsausschuss hat uns darin bestätigt. Die Grundthese Ihres Antrags - eine Besorgnis erregende Kriminalitätsentwicklung in diesem Bereich - lässt sich zumindest nicht anhand der Zahlen dokumentieren; sie ist schlichtweg falsch. Im Vergleich zu 1998 ist im Jahre 1999 der Anteil der registrierten tatverdächtigen Jugendlichen erneut zurückgegangen. Aber Sie von der Union können Fakten offensichtlich sowieso nicht beeindrucken. Auch alles das, was Sie im Hinblick auf Drogenkriminalität und Drogenpolitik vorschlagen, ist Mumpitz. Es ist problematisch, dass der Bundestag in einem Antrag aufgefordert werden soll, eine Diskussion zu beenden. In einer Demokratie ist es eigentlich unüblich, dass Parlamentarier sagen, bestimmte Diskussionen dürfe man nicht führen. ({4}) Was die Drogenpolitik angeht, ist es an der Zeit, dass wir zwischen Drogen, die zu Abhängigkeit führen, und Drogen, für die das nicht gilt, differenzieren. Unsere Aufforderungen zur Prävention sind nicht glaubwürdig, wenn wir weiche Drogen wie Cannabis mit Heroin, Crack und anderen gefährlichen Drogen gleichstellen. Richtige Botschaften von jemandem, der so offensichtlich unglaubwürdige Botschaften aussendet, werden dann nicht mehr gehört. Das ist ein entscheidendes Problem bei der Drogenpolitik. Wir müssen weiter darüber diskutieren, wie wir zu einem angemesseneren Umgang kommen können. Wir müssen die Diskussion über die Freigabe von Cannabis mit dem Ziel führen, zu einem Ergebnis zu kommen. Da liegt aber noch ein weiter Weg vor uns, weil wir in diesem Parlament noch nicht so weit sind, die entsprechenden Schritte gehen zu können. Noch ein Punkt zum Schluss: Sie nehmen sich der Computerkriminalität an. In der Tat werden die neuen technischen Möglichkeiten eine der neuen Herausforderungen in der Sicherheitspolitik sein. Man muss da entsprechend kriminalpolitisch reagieren. Ihr Vorschlag, dass die Polizei ohne richterliche Anordnung nur aufgrund eines Tatvorwurfs zu jedem gehen kann und die Daten und Netzstruktur herunterladen darf, ist wirklich haarsträubend. Das hat zu Recht den breiten Protest der Datenschützer hergerufen. Das ist ja mittlerweile ohnehin zum Regelfall geworden, wenn die Union in Wahlkampfzeiten ihr kriminalpolitisches Horrorkabinett ausbreitet. Solche Vorschläge haben bei dieser Koalition, die auf Prävention und angemessenes Reagieren auf Kriminalität setzt, keine Chance. ({5})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich erteile das Wort dem Kollegen Jörg van Essen für die F.D.P.Fraktion.

Jörg Essen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000495, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer die Debatte bisher verfolgt hat, wird erlebt haben, dass es im Plenum insbesondere bei den Zuhörern ganz erhebliche Emotionen gegeben hat und der eine oder andere erfolgte Zuruf nicht unbedingt sachlich war. ({0}) Von daher hat mich der sachliche Ton, den der Kollege Graf angeschlagen hat, ganz außerordentlich gefreut. Ich glaube nämlich, dass alle Menschen erwarten, dass wir uns hier nicht wie die Kesselflicker streiten, sondern vernünftige Argumente darüber austauschen, wie man die innere Sicherheit in diesem Lande verbessern kann. ({1}) Ich bin Ihnen dankbar, dass Sie darauf hingewiesen haben, dass wir uns über diese Fragen nicht immer nur gestritten haben, sondern sie in den vergangenen Jahren entgegen dem, was von den Grünen behauptet wurde, in Zusammenarbeit aller Fraktionen dieses Hauses angegangen sind und Dinge auf den Weg gebracht haben, durch die die innere Sicherheit in diesem Land vorangebracht wurde. ({2}) Volker Beck ({3}) Ich denke, dass wir dazu verpflichtet sind - die F.D.P. steht zu dieser Verpflichtung -, bei diesem Wettstreit um die besten Ideen zu einer Verbesserung der inneren Sicherheit beizutragen. Deshalb ganz herzlichen Dank für Ihren Beitrag. Ich denke, von diesem Klima muss die Debatte bestimmt werden. Sie werden deshalb jetzt von mir nicht hören, was ich an den anderen Beiträgen schlecht finde. Das haben Sie gerade bei Volker Beck erlebt, der alle anderen angegriffen, ({4}) aber nicht gesagt hat, warum beispielsweise die Grünen zu Fragen der Betäubungsmittelkriminalität bisher keine Vorschläge gemacht haben. Er hat gesagt: Wir werden sie vorlegen. - Ich hätte gerne einmal gehört, was denn da vorgelegt wird und wie die Überlegungen aussehen. ({5}) Der Schwerpunkt der F.D.P. liegt ganz eindeutig beim Opferschutz. Zwei Redner, leider nur zwei, haben diesen Aspekt angesprochen. Ich glaube aber, dass das der wichtigste Punkt ist. Alle Verbesserungen im Bereich der inneren Sicherheit müssen wir aus der Sicht des Opfers vornehmen. ({6}) Ich bin froh, dass sich bei der Sichtweise, die insbesondere in den 70er-Jahren ausschließlich täterbezogenen geprägt war, indem bei Diskussionen um die innere Sicherheit immer vom Vorleben des Täters gesprochen wurde dass das wichtig ist, wissen wir natürlich alle - und das Opfer schlicht vergessen wurde, etwas geändert hat. ({7}) Ich denke, dass diese neue Sicht auch ein wichtiger Faktor bei jeder Debatte zur inneren Sicherheit sein muss. Wir haben einige wichtige Dinge erreicht, beispielsweise die Einführung eines Opferanwaltes, wir müssen aber auch darüber diskutieren, ob wir das weiter ausbauen. Das Thema Jugendkriminalität steht heute auch auf der Tagesordnung. Ich will für die F.D.P. sagen, dass wir dafür offen sind, die Tätigkeit des Opferanwaltes ebenso wie die Ermöglichung einer Nebenklage auf den Bereich des Jugendstrafrechts auszudehnen. ({8}) Denn ich finde, dass auch im Prozess gegen Jugendliche die Aspekte des Opferschutzes, die Interessen des Opfers beachtet werden müssen. Für uns ist ganz wichtig, dass die zivilrechtlichen Ansprüche des Opfers, beispielsweise der Schadensersatz, gleich im Strafprozess mit entschieden werden, ({9}) damit das Opfer dann auch seine Ansprüche schnell geltend machen kann, weil auch das etwas ist, bei dem der Täter merkt, dass seine Tat Konsequenzen gehabt hat, dass das Opfer leidet, dass es Schäden davongetragen hat und dass der Täter dafür einstehen muss. Ich glaube, dass das eine ganz wichtige Botschaft ist. ({10}) Wenn wir schon über Opferschutz reden, müssen wir auch über einen Aspekt sprechen, der uns bislang nicht beschäftigt hat, nämlich die Nachwirkungen von Taten. Gerade in diesen Tagen erleben wir ja, dass wahrscheinlich wieder zwei Mädchen ermordet worden sind. Wer erlebt, welche Auswirkungen das auf die Familien hat, der weiß, dass Familien danach sehr häufig Betreuung brauchen. Bisher haben wir keinerlei Regelungen im Opferentschädigungsgesetz, dass das auch finanziert wird. Deshalb schlägt die F.D.P. vor, dass wir hier zu einer Verbesserung kommen, damit Familien, die unter den Folgen einer Tat leiden, in Zukunft auch von staatlicher Seite unterstützt werden. ({11}) Das alles macht deutlich, dass das, was hier angesprochen worden ist - das eine ist gut, das andere ist schlecht -, nicht richtig ist. Es ist im Interesse unserer Menschen noch etwas zu tun. Wir sollten nicht dem einen oder anderen Argument schon von vornherein absprechen, dass es gut ist. Wer gute Gegenargumente hat, soll sie vortragen, aber in einem vernünftigen Ton. Ich glaube, dass das die Bürger zu Recht von uns erwarten. Wir als F.D.P. werden uns so in die Diskussion einbringen. Vielen Dank. ({12})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für das Bundesjustizministerium gebe ich nunmehr Herrn Professor Dr. Eckhart Pick das Wort.

Prof. Dr. Eckhart Pick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001715

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin Herrn van Essen ausgesprochen dankbar, dass er das Thema „Opferschutz“ heute erwähnt hat. Dieses Thema hat einen Stellenwert, der gelegentlich nicht richtig eingeschätzt wird. Ich bin dem Hause auch dankbar, dass es vor kurzem eine Verbesserung des Opferschutzes insoweit beschlossen hat, dass der Opferschutzgedanke in allen Stadien eines Verfahrens berücksichtigt werden muss. Ich denke, dass dies ein ganz wichtiger Schritt gewesen ist. ({0}) Meine Damen und Herren, wir beschäftigen uns heute mit Anträgen der CDU/CSU-Fraktion und des Bundesrates. Ich will ausdrücklich sagen, dass jeder, der die Kriminalität wirksam bekämpfen will, die Bundesregierung an seiner Seite hat. Trotzdem muss es erlaubt sein, zu den einzelnen Vorschlägen Stellung zu nehmen. Es ist sicherlich kein Geheimnis, dass wir nicht allen Vorschlägen zustimmen können, die heute auf dem Tisch liegen. Ich will kurz das Thema „Delinquenz junger Menschen“ ansprechen und auf die Anhörung des Rechtsausschusses im Mai dieses Jahres verweisen. Dort ist bereits sehr kritisch über diesen Entwurf debattiert worden. Die Vorschläge sind zu einem großen Teil ungeeignet, manche sogar schädlich und einige auch überflüssig. Der vorliegende Gesetzentwurf ist eine Zusammenfassung von Anträgen, die Bayern im Bundesrat durchzubringen versucht hat und die, wie wir alle wissen, bereits im Jahre 1999 dort keine Mehrheit gefunden haben. Insofern kann man sagen: Es sind olle Kamellen, die in der Sache keine Lösungen darstellen. Nun zum Bundesratsentwurf, zur Regelung der Zuständigkeit für die Anordnung der DNA-Untersuchung: Man muss sich darüber im Klaren sein, dass die Anordnung einer solchen Untersuchung, also einer Untersuchung von Spurenmaterial eines Menschen, einen tiefen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht eines Menschen darstellt. Wir sind deshalb der Meinung, dass eine solche Anordnung nur auf einer richterlichen Grundlage ergehen kann. Deswegen werden wir die Anordnungskompetenz für die Staatsanwaltschaft und ihre Hilfsbeamten, die vom Bundesrat vorgeschlagen wird, nicht unterstützen können. Wir wissen, dass diese Auffassung bei einzelnen Gerichten offenbar zweifelhaft ist. Deswegen werden wir in Kürze einen Regierungsentwurf vorlegen, der dies ausdrücklich klarstellt. Der Entwurf wird in einer der nächsten Kabinettssitzungen verabschiedet werden. Ich komme nun zu einigen Vorschlägen der CDU/CSU-Fraktion; hinter manchen stehen durchaus richtige Ideen. Ich möchte etwas zur Frage der Sanktion Fahrverbot sagen. Auch wir haben zunächst daran gedacht, das Fahrverbot völlig vom Bezug auf ein Verkehrsvergehen zu lösen und auf alle Straftaten anzuwenden, also auch auf solche Straftaten, die keinerlei Zusammenhang mit dem Straßenverkehr haben. Letztendlich sind wir aber doch nicht für diese Lösung. Die Begründung liegt zum einen darin, dass viele Menschen ein allgemeines Fahrverbot eher als eine Art Denkzettelstrafe empfinden würden. Das zweite Argument ist, dass ein solches Fahrverbot von Behörden und Polizei kaum wirksam überwacht werden könnte. Man muss sich nur einmal selbst fragen, wann man eigentlich zuletzt in eine Fahrzeugkontrolle gekommen ist. Bei mir ist das ungefähr drei, vier Jahre her. ({1}) - Aber selbst im weinfrohen Rheinhessen oder im Rheingau kommt das nur alle Jubeljahre vor. Eine Sanktion, die nicht glaubwürdig überprüft und durchgesetzt werden kann, steht letztlich nur auf dem Papier und ist damit wertlos. Wir planen allerdings einen anderen Einsatz des Fahrverbotes. Wir wollen das Fahrverbot in unserem Gesetzentwurf zum Sanktionensystem aufwerten, indem wir es zu einer Hauptstrafe machen. Es soll dann nicht mehr wie bisher nur neben, sondern auch anstelle einer Geldstrafe verhängt werden können. Wir wollen zum Zweiten die Höchststrafe von drei Monaten auf sechs Monate erweitern. Damit das Fahrverbot in der Praxis häufiger verhängt wird, wollen wir eine Regelvorschrift schaffen: Wird ein Kraftfahrzeug als Tatmittel eingesetzt, dann soll in der Regel ein Fahrverbot verhängt werden. Ich denke, das ist ein besserer Schutz der Menschen vor Kriminalität. ({2}) Ich will noch eine Bemerkung zu den Forderungen hinsichtlich der Bekämpfung von Sexualdelikten machen. Es wird gefordert, den Grundtatbestand des sexuellen Missbrauchs von Kindern als Verbrechen einzustufen. Das Bundesministerium der Justiz prüft in der Tat, ob es sich empfiehlt, die Strafdrohung der §§ 176 und 179 StGB - das betrifft neben dem sexuellen Missbrauch von Kindern auch den sexuellen Missbrauch widerstandsunfähiger Personen - an die Strafdrohung des § 177 StGB, sexuelle Nötigung oder Vergewaltigung, anzupassen. Das würde bedeuten, dass man auch die Grundtatbestände der §§ 176 und 179 als Verbrechen einstuft. Hier sind wir durchaus einer Meinung, dass man darüber nachdenken muss. Denn wir müssen die Frage der sexuellen Selbstbestimmung von Kindern und Widerstandsunfähigen sehr, sehr ernst nehmen. Eine abschließende Bemerkung betrifft die Prävention; sie ist bereits häufig angesprochen worden. In der Tat: Es ist wichtiger, Straftaten zu verhindern, als sie später zu sanktionieren, und sei es auch durch eine noch so konsequente Strafverfolgung. Wir müssen nachdrücklicher als bisher auf die Ursachen der Kriminalität eingehen. Hier sind alle aufgerufen: Familie, Kindergarten, Schule, Kirchen, Medienverbände und natürlich auch Bund, Länder und Kommunen. Herr Kollege Körper hat schon darauf hingewiesen: Die Bundesregierung sieht in der Errichtung der Stiftung „Deutsches Forum für Kriminalprävention“ einen Schritt, um die vielfältigen Initiativen auf kommunaler und Länderebene miteinander zu verknüpfen und einen entsprechenden Erfahrungsaustausch zu ermöglichen. ({3}) Hiermit wird übrigens eine Zusage aus der Koalitionsvereinbarung eingelöst. Der Kriminalitätsentwicklung kann man also nicht mit einer einzigen Maßnahme, nämlich mit höheren Strafen, begegnen, sondern nur mit einem Bündel von Maßnahmen. Dazu gehört in besonderer Weise die Prävention. Vielen Dank. ({4})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die CDU/CSU-Fraktion spricht nunmehr der Kollege Norbert Geis.

Norbert Geis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es hat keinen Sinn, auf die Rede des Herrn Wieland einzugehen. Das war unterste Schublade. Es war widerlicher, kaltschnäuziger Zynismus, was wir hier erlebt haben. ({0}) Das darf und sollte sich in einem solchen Hause nicht ereignen. ({1}) Wir sind dazu aufgefordert, in Vernunft miteinander zu sprechen und einander nicht zynisch gegenüberzustehen. Das war reiner und billiger Zynismus; das sollte einmal deutlich gesagt werden. ({2}) Wir haben in unserem Antrag den Vorschlag gemacht, die Kronzeugenregelung wieder einzuführen. Ich habe weder vonseiten der Regierung noch vonseiten der Regierungsparteien ein Wort dazu gehört. Ich halte es für dringend erforderlich, dass wir dieses Thema wieder aufgreifen. Wir wissen, dass die Kronzeugenregelung im Ausland, insbesondere in Italien, bei der Kriminalitätsbekämpfung beste Wirkung erzielt hat. Wir haben sie in unseren Antrag aufgenommen und die Forderung danach wiederholt gestellt. Ich bitte Sie sehr herzlich, sich mit dieser Frage auseinander zu setzen. Ich weiß, dass es bei der SPD genügend Kolleginnen und Kollegen gibt, die der gleichen Meinung sind. Dass dies am Widerstand der Grünen scheitert, weiß auch ich. Der Innenminister befürwortet diese Regelung. Ich bin sicher, dass die Justizministerin nicht viel dagegen einzuwenden hätte. Sie sollten in Ihren eigenen Reihen, zwischen den Regierungsparteien, endlich eine Diskussion darüber führen; denn wir brauchen die Kronzeugenregelung wieder. ({3}) Auch das Problem der nachträglichen Sicherungsverwahrung ist hier nicht weiter erörtert worden. Es gibt Sexualstraftäter, bei deren Verurteilung nicht erkennbar ist, ob bei ihm die Therapie anschlägt oder nicht, ob es also angezeigt ist, nach Ablauf seiner Strafe Sicherungsverwahrung anzuordnen. Bislang kann dies nur im Zusammenhang mit dem Urteil beschlossen werden. Der erkennende Richter muss die Sicherungsverwahrung aussprechen. Es ist aber ohne weiteres denkbar, dass sich im Laufe des Strafvollzugs gerade im Zusammenhang mit den Therapiemaßnahmen, die nicht greifen, herausstellt, dass es sich hier um einen Wiederholungstäter handeln kann, der erneut straffällig werden kann, und dass die Situation die gleiche sein kann wie bei dem, der gleichzeitig mit dem Urteil zur Sicherungsverwahrung verurteilt worden ist. Deswegen schlagen wir die nachträgliche Sicherungsverwahrung vor. Auch hier bitte ich darum, dieses Thema aufzugreifen. Wir halten dies für dringend notwendig. Leider hat dieser Vorschlag in dieser Debatte bislang keine Antwort gefunden. Zur Videoüberwachung. Hier ist ja mit Orwell argumentiert worden. Das sind abgegriffene, dümmliche Argumente; die brauchen wir doch hier nicht vorzubringen. Keiner von uns will den orwellschen Staat haben. Aber wir wissen doch aus anderen Ländern, zum Beispiel aus den USA, aus Frankreich und aus England, und sogar von dem präventiven Einsatz unserer Polizei, dass Videoüberwachungen in Wohnungen von allergrößter Bedeutung sein können. Deswegen muss dies nach unserer Auffassung nach wie vor diskutiert werden; wir können darauf nicht verzichten. ({4}) Wir verabschieden heute das Gesetz zur Jugenddelinquenz. Herr Graf, das ist im Übrigen ein Gesetzentwurf, der im April 2000 eingebracht worden ist. Dass dieser Gesetzentwurf endlich einmal zur Verabschiedung kommt, ist richtig. Die Gelegenheit heute bietet sich dafür an. Ich glaube, dass bei der Jugenddelinquenz zunächst einmal darauf zu achten ist, dass wir insbesondere bei der Jugendgewaltkriminalität nach wie vor eine dramatische Situation haben. Wir kennen die Zahlen. Wir wissen auch, dass 95 Prozent dieser gesamten Gewaltkriminalität von Jugendlichen ausgeführt wird, die eher gesellschaftlich randständig sind. Jugendliche, die solche Gewalttaten verüben, kommen aus Randgruppen. Dazu gehören natürlich deutsche Jugendliche. Wir wissen aber auch, dass viele ausländische Jugendliche dazu zählen. Dies können wir den Verurteilungsstatistiken und der polizeilichen Kriminalstatistik entnehmen. Auch das muss uns durch den Kopf gehen: Wir wissen, dass viele ausländische Jugendliche keinen Arbeitsplatz finden. Überhaupt haben es die Ausländer bei uns schwer, einen Arbeitsplatz zu finden. ({5}) Wir haben eine hohe Arbeitslosenquote, für deren Abnahme meiner Ansicht nach zu wenig getan wird. Wir haben 3,7 Millionen Arbeitslose in der Bundesrepublik Deutschland. Damit können wir uns nicht zufrieden geben. Auch das ist eine Frage, mit der man sich im Zusammenhang mit der Bekämpfung der Kriminalität beschäftigen muss. Wir wissen, dass die ausländischen Jugendlichen oft nicht die gleiche Bildung haben wie deutsche Jugendliche. Deshalb kommen sie auch nicht so schnell an einen Arbeitsplatz. Wir wissen weiterhin, dass bei ausländischen Jugendlichen die Bindung an die Eltern und an das persönliche Umfeld mit dem Älterwerden schwächer wird. Aber es gelingt ihnen nicht, in eine allgemeine Sozialisation einzutreten. Sie bleiben vielmehr in Gruppen unter sich. Man kann eine Art Gettobildung bei ausländischen Jugendlichen feststellen. Die Auffassung, die Sozialisation geschieht in - ich will nicht sagen: Banden fast völlig separierten Gruppen, in denen es leicht möglich ist, in die Kriminalität abzurutschen, ist meiner Meinung nach richtig. Auch das ist ein Thema, dessen wir uns dringend annehmen müssen. Natürlich wissen wir, dass es keine Patentrezepte gibt. Ich weiß natürlich auch, dass man diese Entwicklung nicht mit Repressionen stoppen kann. Hier ist in der Tat die Prävention gefordert. Man muss den größten Wert darauf legen, dass bei uns die ausländischen Jugendlichen die gleiche Schulbildung wie die deutschen Jugendlichen durchlaufen, dass ihnen Arbeitsplätze angeboten werden und dass sie an unserem Vereinsleben teilnehmen. Nichts wirkt integrierender, als beispielsweise in einer Fußballmannschaft mitzuspielen. Jede Integration in unsere Gesellschaft verhindert neue Kriminalität. Deswegen sind wir der Meinung, dass dies ein wichtiger Punkt bei der Frage der Jugenddelinquenz ist. Wir haben den Gedanken der Prävention auch in unserem Gesetzentwurf aufgegriffen. Es geht darum, Frau Simm, dass wir den Familiengerichten eine größere Möglichkeit einräumen wollen, bereits dann auf Kinder unter 14 Jahren einzuwirken, wenn die Erziehungskraft der Eltern nicht mehr ausreicht oder wenn die Eltern die Erziehung schon aufgegeben haben. Hier muss das Gericht schneller als bisher in der Lage sein, einzugreifen. Wir können die Kinder nicht einfach ihrem Schicksal überlassen. Wenn die Kinder straffällig werden, weil sie beispielsweise in Diebesbanden organisiert sind, und wenn die Eltern versagen, müssen wir dafür Sorge tragen, dass der zuständige Richter am Familiengericht wenigstens die Möglichkeit hat, darauf hinzuwirken, dass der Jugendliche in einer bestimmten Gruppe nicht mehr so oft verkehrt. Der Täter-Opfer-Ausgleich ist zwar erst nach einer Straftat möglich; ein unter 14-Jähriger kann bekanntlich noch keine Straftat begehen, weil er strafunmündig ist. Vielleicht gelingt es durch die Vermittlung des Richters aber doch, dass der Jugendliche eine Art Täter-Opfer-Ausgleich leistet, damit er erkennt, in welche Richtung seine „Karriere“ unter Umständen laufen kann. Herr Pick hat die anderen Punkte schon angesprochen. Er hat dies in einer sachlichen Form getan, wofür ich mich ausdrücklich bedanke, weil das heute nicht immer der Fall gewesen ist. Ich glaube, dass das Fahrverbot, das wir als Repression gegenüber Jugendlichen vorsehen, einen Sinn hat, auch wenn keine Straftat vorliegt, die mit einem Fahrzeug begangen wurde. Das Fahrverbot muss als selbstständige Strafsanktion und nicht nur als eine Nebenstrafe angewendet werden. Ich bin sehr wohl dafür, dass wir darüber ernsthaft diskutieren. Sie werden zwar heute unseren Gesetzentwurf ablehnen. Aber trotzdem bitte ich, einmal ernsthaft darüber nachzudenken, ob ein Fahrverbot nicht mehr Eindruck auf den Jugendlichen macht, weil er für eine gewisse Zeit seine Mobilität verliert, als eine Geldstrafe, die unter Umständen doch nur von der Großmutter gezahlt wird. Wir wollen auch den Einstiegsarrest. Ich halte diese Maßnahme deshalb für richtig, weil der Jugendliche, der aus dem Gerichtssaal mit einer Gefängnisstrafe auf Bewährung herausgeht, das Gefühl hat, er sei freigesprochen worden. Wenn der Jugendliche das Geld nicht hat, zahlt er die Geldbuße sowieso nicht. Sie wird dann von der Familie gezahlt. Ich meine, ein Einstiegsarrest ist für einen solchen Jugendlichen in der Tat wirksam. Deswegen bitte ich, darüber nachzudenken, auch wenn Sie heute Nein dazu sagen. Ich will noch einen letzten Punkt erwähnen. Es ist wahr, Herr Graf, für die Heranwachsenden, also die 18- bis 21-Jährigen, wollen wir stärker das Erwachsenenstrafrecht vorsehen. Wir wissen, dass 18-Jährige alle Geschäfte tätigen können. Sie können Gesellschaften gründen. Sie werden im Geschäftsleben als Erwachsene behandelt. Angesichts dessen ist es nicht ganz logisch, wenn man sie dann, wenn sie straffällig geworden sind, als Jugendliche behandelt. Vor allem gibt es - das ist der eigentliche Grund, weshalb wir da ansetzen - ein Gefälle zwischen Nord und Süd. Wir haben im Norden eine stärkere Anwendung des Jugendstrafrechtes und im Süden eine stärkere Anwendung des Erwachsenenstrafrechtes. Das halte ich nicht für gut. Es müssen einheitliche Regelungen getroffen werden. Das sieht unser Gesetzentwurf vor. Danke schön. ({6})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Zu einer Kurzintervention gebe ich dem Kollegen Günter Graf von der SPD-Fraktion das Wort.

Günter Graf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000719, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich möchte mich an den Kollegen Geis wenden, der eben das Thema der Jugendkriminalität in besonderer Weise angesprochen hat. Ich sage hier in aller Deutlichkeit - weil ich es so nicht erwartet habe -: Dass Sie hier bemerkt haben, dass in diesem Bereich mit Repression wenig zu erreichen ist, sondern dass die Prävention im Vordergrund stehen muss, macht mich ein Stück hoffnungsfroh, dass wir in den Beratungen in den Ausschüssen sachlich mit diesem Thema umgehen werden. Ich denke, es sollte Einvernehmen in diesem Haus darüber bestehen, dass wir die gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen, das Werteverbinden in dieser Gesellschaft ein Stück weit stärker in den Vordergrund stellen und bei allem, was wir tun, auch berücksichtigen, welche Wirkungen es in dieser Gesellschaft erzeugt. Die Bundesregierung - das will ich hier positiv vermerken; ich habe es vorhin verschwitzt zu sagen - hat durch das JUMP-Programm arbeitslose Jugendliche in Ausbildungsberufe, in Fortbildungsmaßnahmen gebracht; davon waren Hunderttausende betroffen. Das ist ein Baustein, um dieser Thematik durch Prävention zu begegnen. Wenn wir diesen Weg in vielen anderen Feldern weitergehen, dann, glaube ich, kann es uns gemeinsam gelingen, hier zu deutlich sichtbaren Erfolgen zu kommen. Danke. ({0})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Nun spricht für die SPD-Fraktion der Kollege Professor Dr. Jürgen Meyer.

Prof. Dr. Jürgen Meyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001494, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe allen Redebeiträgen aufmerksam zugehört. Es ist gewiss schwierig, in der vielleicht 30. Debatte über innere Sicherheit in den letzten Jahren neue Gedanken vorzutragen. Aber einige der Beiträge, insbesondere der von Herrn Schönbohm, der jetzt leider nicht mehr hier ist, veranlassen mich dazu, drei Anregungen für die Fortführung der Debatte, nicht zuletzt an die Adresse der CDU/CSU-Fraktion, vorzutragen. Die erste Anregung knüpft an die Intervention des Kollegen Graf an. Ich meine, wir sollten in künftigen Debatten gemeinsam sehr deutlich machen, dass wir in der Bundesrepublik Deutschland und darüber hinaus in Europa nicht nur in einer gemeinsamen Wirtschaftsordnung leben, sondern auch eine gemeinsame von uns allen bejahte Werteordnung haben. Jede Straftat ist neben der Verletzung des durch den jeweiligen Straftatbestand geschützten Rechtsguts auch eine Verletzung von Solidarität. Der Täter setzt sich rücksichtslos im eigenen Interesse über die Interessen anderer hinweg. Ich meine, dass fast jede Straftat auch eine Verletzung von Menschenwürde ist, und zwar nicht nur des Opfers, was außerordentlich wichtig ist, sondern auch des Täters selbst. Ich erinnere daran, dass wir in der Grundrechte-Charta der Europäischen Union den aus unserer Verfassung bekannten Satz: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ um den Satz ergänzt haben: „Sie ist zu achten und zu schützen.“ Das verpflichtet nicht nur den Staat mit seinen Machtinstrumenten, sondern auch uns alle zum Tätigwerden, so zum Beispiel auch dazu, nicht wegzuschauen, wenn Straftaten begangen werden. Im Zusammenhang mit der Solidarität erlaube ich mir die Bitte, die speziell aus München kommenden Vorbehalte gegen die Rechtsverbindlichkeit der Charta, die diesen Rechtsgrundsatz konkretisiert, zurückzustellen. Denn wenn man sagt, Solidarität sei zu teuer, muss man sich fragen, ob man das Bekenntnis zu ihr wirklich ernst nimmt. ({0}) Meine zweite Anregung geht dahin, dass bitte auch die Opposition zur Kenntnis nimmt und akzeptiert, dass es in der Kriminalpolitik seit dem Regierungswechsel eine Akzentverschiebung gegeben hat; man könnte sogar von einem Paradigmenwechsel sprechen. Wir sind der Auffassung, dass in der Debatte über innere Sicherheit nur sehr wenig über Strafrecht und Machtinstrumente und viel mehr über die uns allen bekannten Ursachen der Kriminalität gesprochen werden sollte. Herr Kollege Geis, Sie haben das Thema vorhin angesprochen. Ich hoffe, wir sind uns einig darüber, dass wir in der Bundesrepublik im Kampf gegen Jugendarbeitslosigkeit in den letzten Jahren im europaweiten Vergleich außerordentlich erfolgreich gewesen sind. Ich nenne auch die Familienpolitik, die - um nur zwei Stichworte zu nennen - durch Kindergelderhöhung und die Anrechnung von Erziehungszeiten die Chancen für die Familien verbessern muss, ihren Erziehungsauftrag zu erfüllen. Ich erinnere daran, dass in den landespolitischen Auseinandersetzungen über Bildungspolitik - zuletzt vor wenigen Monaten in Baden-Württemberg - das Thema Bildung eine viel stärkere Rolle als das Thema innere Sicherheit gespielt hat. Warum? Es geht doch nicht nur vordergründig um ausfallende Unterrichtszeiten oder um mehr oder weniger Lehrerstellen, sondern es geht darum, jungen Menschen Zukunftschancen zu eröffnen. Wir wissen alle, dass fehlende Zukunftschancen eine ganz wesentliche Kriminalitätsursache sind. Ich möchte schließlich mit einer dritten Anregung darauf hinweisen, dass es an der Zeit ist, Vorschläge, die wir in den letzten zehn Jahren immer wieder von der CDU/CSU-Fraktion gehört haben, nicht ständig und immer wieder - jetzt mit der Einleitung durch Statistiken, die eher ein Zurückweichen staatlichen Strafrechts signalisieren könnten - zu wiederholen. Es sollte Ihnen zu denken geben, dass die Fachwelt, also nicht etwa nur die Experten auf dem Jugendgerichtstag, sondern auch Verbände sowie vor wenigen Wochen die Experten auf der Strafrechtslehrertagung in Passau, Ihr kriminalpolitisches Programm als nicht überzeugend verworfen hat. Sie sollten sich mit diesen Argumenten auseinander setzen und nicht das Programm im Wege einer wortwörtlichen Übernahme in Form eines Antrags hier im Bundestag einbringen. Er hat - wie Sie selbst sehen - wenig Erfolgschancen. Wenn Sie jetzt sagen, Sie hätten sich überlegt, was getan werden muss, müssen Sie sich die Frage gefallen lassen, ob Sie nicht die Vorschläge, die Sie jetzt mit großem Nachdruck machen, in den vergangenen 16 Jahren hätten durchsetzen können. Warum kommen Sie jetzt damit, warum haben Sie das nicht früher durchgesetzt? Zu Ihrer Bemerkung, das habe die F.D.P. verhindert, ({1}) kann ich nur sagen: Damit machen Sie deutlich, dass Sie hier im Bundestag mit Ihrem einseitigen Setzen auf sehr viel mehr - jedenfalls mehr als bisher - Repression alleine stehen. Dann sollten Sie den Menschen auch sagen, dass Sie hier Vorschläge machen, die keine Chance auf Verwirklichung haben. Das gehört dann auch zur Ehrlichkeit der Debatte. ({2}) Weil Herr Kollege Pick das eben angesprochen hat, möchte ich in Richtung Bundesrat sagen, dass der Vorschlag, den genetischen Fingerabdruck in Verfahren, in denen ein Beschuldigter noch nicht bekannt ist, durch Staatsanwaltschaft oder Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft anordnen zu lassen, im Bundestag keine Chance hat. Unserer Meinung nach stellt die DNA-Analyse einen Grundrechtseingriff dar. Wer dies nicht akzeptiert, sollte mindestens sehen, dass die anschließende Speicherung der Analyseergebnisse in der DNA-Analysedatei des Bundeskriminalamtes unzweifelhaft einen starken Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung darstellt. ({3}) Aus diesem Grunde sagen wir: Das müssen die Richter machen; denn sie sind für die Kontrolle der manchmal unvermeidbaren Eingriffe in Grundrechte zuständig. Eine letzte Bemerkung, weil in Ihrem Papier von organisierter Kriminalität und Gewinnabschöpfung die Rede ist: Geben Sie bitte Ihren Widerstand auf, der dazu führt, dass Geldwäsche bisher nicht wirkungsvoll verfolgt werden kann. Wir alle wissen, dass organisierte Kriminelle große Gewinne machen, die sie aber, obwohl sie dazu wegen der Wertneutralität des Steuerrechts verpflichtet wären, nicht beim Finanzamt angeben. Deshalb schlagen wir vor, die schwere Steuerhinterziehung - also die Steuerhinterziehung, bei der es um Millionenbeträge geht, die übrigens anlässlich der Währungsumstellung ans Licht kommen als Vortat der Geldwäsche ausdrücklich anzuerkennen. ({4}) Ein solches Vorgehen wäre ein Warnschuss auch an das Kreditgewerbe, denen, die auf unredliche Weise Gelder angesammelt haben, nicht durch Geldwäsche zu helfen. Helfen Sie uns dabei, dann machen wir eine vernünftige Kriminalpolitik. Danke schön. ({5})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Als letzter Rednerin in dieser Debatte gebe ich der Kollegin Erika Simm, ebenfalls SPD-Fraktion, das Wort.

Erika Simm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002176, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich war etwas verblüfft, als ich die heutige Tagesordnung sah, in der der Punkt, über den wir jetzt reden, aufgeführt ist. Es ist der Gesetzentwurf der CDU/CSU zur Bekämpfung der Kinder- und Jugendkriminalität, der in zweiter und dritter Lesung behandelt werden soll, sowie ein Antrag zur Kriminalitätsbekämpfung enthalten, der ganz aktuell - er war zumindest bis gestern ohne Drucksachennummer aufgeführt - ist. Nachdem ich mir die Drucksachen angesehen habe, habe ich festgestellt, dass in dem Antrag zur Kriminalitätsbekämpfung unter dem Kapitel zur Jugendkriminalität exakt das Gleiche steht, das in dem Gesetzentwurf enthalten ist, den wir am Mittwoch im Ausschuss abschließend behandelt und zu dem wir am 9. Mai eine, wie ich meine, recht aufschlussreiche und interessante Anhörung durchgeführt haben. ({0}) Erstaunlich ist aber, dass von dem Ergebnis der Anhörung nichts in diesen Entschließungsantrag eingeflossen ist. Ich habe mir überlegt: Warum macht man so etwas? Ich bin zu dem Ergebnis gekommen - Sie werden mir verzeihen -, dass man hier nach dem Prinzip verfährt: Stelle Forderungen auf, bringe einen Antrag ein, lass ihn dir ablehnen und dann hast du ein Thema im Wahlkampf, mit dem du die rot-grüne Regierungskoalition vorführen kannst, weil sie nicht bereit ist, etwas zur Bekämpfung der Jugendkriminalität zu tun. ({1}) Ich denke, dass wir - Herr Beck hat es schon angesprochen - einiges - Gewaltschutzgesetz, Gesetz zur gewaltfreien Erziehung, Programm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit - aufzuweisen haben, und zwar in einem Kontext, den Sie selber für das Entstehen von Jugendkriminalität, speziell Gewaltkriminalität bei Kindern und Jugendlichen, als bedeutsam aufgeführt haben. Ich meine, wenn man mit dem Thema so umgeht, wie Sie das im Augenblick tun, wird man der Problematik nicht gerecht. Das Problem der Kinder- und Jugendkriminalität hat es verdient, etwas seriöser angefasst zu werden. Das vermisse ich in der gegenwärtigen Situation aufseiten der Opposition. ({2}) - Ich habe doch einiges angesprochen, das wir in der Vergangenheit bereits gemacht haben. ({3}) Lassen Sie mich noch etwas zur Kriminalstatistik sagen. Man erlebt selten, dass Statistiken so nach Belieben interpretiert werden wie die Kriminalstatistik. Ich traue mir zu, das zu sagen, weil ich mir über viele Jahre die Kriminalstatistik sehr genau angesehen habe. Ich schaue mir auch die Verurteiltenstatistik an, die den Nachteil hat, dass sie immer mit einem Nachklapp von mehreren Jahren kommt, und bei der man das Problem hat, keine direkten Bezüge herstellen zu können. Ich frage mich aber schon, welchen Erkenntnisgewinn man aus der Tatsache zieht, dass im Verhältnis zu 1999 im Jahre 2000 der Anteil der tatbeteiligten Kinder um 0,3 Prozent zurückgegangen ist, bei den Jugendlichen - den 14- bis 18-Jährigen - ein Rückgang um 0,2 Prozent zu vermerken ist, während bei den Heranwachsenden ein Anstieg von 0,2 Prozent festzustellen ist. Sie argumentieren - so steht es in Ihrem Antrag; ich habe das gelesen - mit dem 30-prozentigen Anteil der unter 21-Jährigen an den Straftätern. Ich habe meine Zweifel, dass das eine geeignete Grundlage für konkrete Gesetzesinitiativen sein kann. Richtig ist, dass man sich die Details anschauen muss. Im Bereich der Gewaltkriminalität zum Beispiel sind Tendenzen ablesbar, die uns zur Sorge Anlass geben müssen. Aber - das habe ich bereits gesagt - gerade bei der Gewaltkriminalität ist die Prävention von besonderer Bedeutung. Auch meine langjährige Erfahrung als Jugendrichterin hat mir gezeigt, dass Kinder und Jugendliche, die durch Gewalttätigkeit auffallen, Dr. Jürgen Meyer ({4}) sehr häufig aus Familien kommen, in denen sie Gewalt als ständiges Mittel der Konfliktbewältigung erfahren haben, und keine Gelegenheit hatten, andere Möglichkeiten der Konfliktbewältigung zu erlernen. Deswegen noch einmal: Wenn wir versuchen, geeignete Maßnahmen gegen Gewalt im häuslichen Nahbereich zu finden und das Prinzip der gewaltfreien Erziehung im Gesetz zu verankern - ich habe im Hinterkopf, dass wir dazu von der Union zumindest keine rückhaltlose Unterstützung erfahren haben -, dann hat das als Präventionsmaßnahme einen hohen Stellenwert. ({5}) Sie haben uns vorgeworfen, wir hätten ansonsten keine konkreten Vorschläge gemacht. Wir haben keine in Form von Gesetzesänderung gemacht - aus gutem Grund: Ein wesentliches Ergebnis der Anhörung im Mai, die wir im Rechtsausschuss durchgeführt haben, war doch, dass es im Jugendstrafrecht, im Familienrecht, im Zivilrecht, im Jugendhilferecht eine ganze Menge von Instrumenten gibt, mit denen wir auf abweichendes Verhalten von Kindern und Jugendlichen sachgerecht und individuell reagieren können, ({6}) und dass allenfalls ein Defizit bei der Umsetzung, bei der Anwendung dieser Instrumentarien besteht. Viele der Diskussionen, die wir geführt haben, waren wohl auch deshalb nötig, weil diese Instrumentarien nicht allen in den Reihen der Union bekannt waren. Herr Geis, ich habe mir noch einmal Ihre Rede durchgelesen, die wir bei der ersten Lesung des Gesetzentwurfes zu Protokoll gegeben haben. Ich hatte den Eindruck, Sie wüssten nicht, dass man schon im normalen Jugendstrafverfahren einen Vorführbefehl erlassen kann, wenn der Jugendliche nicht erscheint. Das gibt es. Machen wir Gebrauch davon, wenn es notwendig ist, dann werden wir eine Beschleunigung des Verfahrens erreichen! Machen wir Gebrauch davon, dass der Familienrichter das Erziehungsgespräch - das Sie fordern, aber das er längst führen kann - tatsächlich auch führt! Dann, so denke ich, werden wir bei der Bekämpfung von Ursachen der Jugendkriminalität effektiver sein, im Sinne von besserer Prävention. Wirken Sie in diesem Zusammenhang mit! Dann tun wir mehr für die Jugendlichen und für die Opfer, die es zu schützen gilt. ({7})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 14/6539 an die in der Tagesord- nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Über- weisung so beschlossen. Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion der CDU/CSU zur Verbesserung der gesetz- lichen Maßnahmen gegenüber Kinder- und Jugenddelin- quenz auf Drucksache 14/3189. Der Rechtsausschuss empfiehlt auf Drucksache 14/6546, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Bera- tung mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS bei Enthaltung der F.D.P. gegen die Stimmen von CDU/CSU abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die wei- tere Beratung. Tagesordnungspunkt 4 c: Interfraktionell wird Über- weisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 14/5264 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge- schlagen. - Andere Vorschläge liegen nicht vor. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 29 a bis 29 e sowie die Zusatzpunkte 2 a und 2 b - es handelt sich um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne De- batte auf: 29 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bereinigung des Rechtsmittelrechts im Verwaltungsprozess ({0}) - Drucksache 14/6393 - Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung bilanzrechtlicher Bestimmungen an die Einführung des Euro, zur Erleichterung der Publizität für Zweigniederlassungen ausländischer Unternehmen sowie zur Einführung einer Qualitätskontrolle für genossenschaftliche Prüfungsverbände ({1}) - Drucksache 14/6456 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({2}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung des Euro im Berufsrecht der Rechtspflege, in Rechtspflegegesetzen der ordentlichen Gerichtsbarkeit und in Gesetzen des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts - Drucksache 14/6371 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss({3}) Innenausschuss Finanzausschuss d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung der Statistik über die Beherbergung im Reiseverkehr ({4}) - Drucksache 14/6392 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Tourismus ({5}) Innenausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Rudolf Bindig, Angelika Graf, Hanna Wolf ({6}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Kerstin Müller ({7}), Rezzo Schlauch und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN Prävention und Bekämpfung von Frauenhandel - Drucksache 14/6540 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe ({8}) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent- wicklung ZP 2 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike Flach, Cornelia Pieper, Ernst Burgbacher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P. Ressortforschung überprüfen - Effizienz der Forschung steigern - Drucksache 14/5329 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({9}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder b) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Wahlstatistikgesetzes - Drucksache 14/6538 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. - Auch mit diesem Vorschlag ist das Haus einverstanden. Dann ist so beschlossen. Wir kommen nun zu den Tagesordnungspunkten 30 a bis 30 h und 30 j bis 30 p sowie den Zusatzpunkten 3 a bis 3 i. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Tagesordnungspunkt 30 a: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Europäischen Übereinkommen vom 25. Januar 1996 über die Ausübung von Kinderrechten - Drucksache 14/5438 ({10}) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({11}) - Drucksache 14/6526 Berichterstattung: Abgeordnete Margot von Renesse Ronald Pofalla Volker Beck ({12}) Sabine Jünger Der Rechtsausschuss empfiehlt auf Drucksache 14/6526, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Zweite Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 30 b: - Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Haager Übereinkommen vom 29. Mai 1993 über den Schutz von Kindern und die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der internationalen Adoption - Drucksache 14/5437 ({13}) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung von Rechtsfragen auf dem Gebiet der internationalen Adoption und zur Weiterentwicklung des Adoptionsvermittlungsrechts - Drucksache 14/6011 ({14}) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({15}) - Drucksache 14/6583 Berichterstattung: Abgeordnete Margot von Renesse Ronald Pofalla Volker Beck ({16}) Sabine Jünger Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/6583, den Gesetzentwurf anzunehmen. Zweite Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/6583, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen möchten, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zustimmen möchte, den bitte ich, sich zu erheben. - Keine Gegenstimmen, keine Enthaltungen. Der Gesetzentwurf ist damit einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 30 c: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses ({17}) zu dem Antrag der Abgeordneten Norbert Geis, Maria Eichhorn, Renate Diemers, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Ratifizierung des Haager Adoptionsabkommens - Drucksachen 14/4932, 14/6583 Berichterstattung: Abgeordnete Margot von Renesse Ronald Pofalla Volker Beck ({18}) Sabine Jünger Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung, den Antrag auf Drucksache 14/4932 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 30 d: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen Republik vom 2. Februar 2000 zur weiteren Erleichterung des Rechtshilfeverkehrs - Drucksache 14/6101 ({19}) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({20}) - Drucksache 14/6534 Berichterstattung: Abgeordnete Joachim Stünker Dr. Susanne Tiemann Volker Beck ({21}) Der Rechtsausschuss empfiehlt auf Drucksache 14/6534, den Gesetzentwurf anzunehmen. Zweite Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen. Möchte sich die Regierung auch erheben? ({22}) Es tut mir Leid, dass Sie um die Mittagszeit so in Anspruch genommen werden, aber das ist dann die richtige Einstimmung für die nachfolgende Aktuelle Stunde. ({23}) Tagesordnungspunkt 30 e: Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN, der F.D.P. und der PDS eingebrachten Entwurfs eines Dreiundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes - Drucksache 14/6311 ({24}) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({25}) - Drucksache 14/6507 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Uwe Küster Eckart von Klaeden Steffi Lemke Dr. Heidi Knake-Werner Der Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung empfiehlt auf Drucksache 14/6507, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Keine Gegenstimmen, keine Enthaltungen. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Der Gesetzentwurf ist, da keine Gegenstimmen und keine Enthaltungen vorliegen, einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 30 f: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umstellung von Vorschriften des Dienst-, allgemeinen Verwaltungs-, Sicherheits-, Ausländerund Staatsangehörigkeitsrechts auf Euro ({26}) - Drucksache 14/6096 ({27}) Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({28}) - Drucksache 14/6536 Berichterstattung: Abgeordnete Klaus Hagemann Meinrad Belle Cem Özdemir Dr. Max Stadler Wer dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen will, der hebe bitte die Hand. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Bei Enthaltung von CDU/CSU Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters und PDS, Ablehnung durch die F.D.P.-Fraktion und Zustimmung von SPD und Bündnis 90/Die Grünen ist dieser Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte um Ihr Votum. Wer stimmt zu? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit der gleichen Stimmenmehrheit wie in der zweiten Beratung angenommen. Tagesordnungspunkt 30 g: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umstellung von Gesetzen und Verordungen im Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie sowie des Bundesministeriums für Bildung und Forschung auf Euro ({29}) - Drucksache 14/5937 ({30}) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({31}) - Drucksache 14/6552 Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Ditmar Staffelt Wer zustimmen möchte, hebe bitte die Hand. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit mit den Stimmen des Hauses bei Enthaltung der PDS in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung: Wer stimmt zu? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit der gleichen Stimmenmehrheit wie in der zweiten Beratung angenommen. Tagesordnungspunkt 30 h: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 22. September 2000 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Großherzogtum Luxemburg über Zusammenarbeit im Bereich der Insolvenzsicherung betrieblicher Altersversorgung - Drucksache 14/5439 ({32}) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({33}) - Drucksache 14/6447 Berichterstattung: Abgeordnete Dorothea Störr-Ritter Der Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung empfiehlt auf Drucksache 14/6447, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen möchten, um das Handzeichen. - Keine Gegenstimmen, keine Enthaltungen. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Wer zustimmen möchte, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 30 j: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({34}) zu dem Antrag der Abgeordneten Rolf Kutzmutz, Gerhard Jüttemann, Dr. Christa Luft, Dr. Dietmar Bartsch und der Fraktion der PDS Fertigung des Airbus A 3xx struktur- und umweltpolitisch sinnvoll organisieren - Drucksachen 14/3677, 14/4690 Berichterstattung: Abgeordnete Gudrun Kopp Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/3677 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der PDS angenommen. Tagesordnungspunkt 30 k: Beratung der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses ({35}) Übersicht 9 über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht - Drucksache 14/6494 Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Es gibt keine Gegenstimmen und keine Enthaltungen. Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen. Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses. Tagesordnungspunkt 30 l: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({36}) Sammelübersicht 280 zu Petitionen - Drucksache 14/6471 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 280 ist mit den Stimmen des Hauses bei Enthaltung der PDS angenommen. Tagesordnungspunkt 30 m: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({37}) Sammelübersicht 281 zu Petitionen - Drucksache 14/6472 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 281 ist mit den Stimmen des Hauses bei Enthaltung der PDS angenommen. Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters Tagesordnungspunkt 30 n: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({38}) Sammelübersicht 282 zu Petitionen - Drucksache 14/6474 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 282 ist mit den Stimmen des Hauses bei erneuter Enthaltung der PDS angenommen. Tagesordnungspunkt 30 o: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({39}) Sammelübersicht 283 zu Petitionen - Drucksache 14/6475 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 283 ist bei Enthaltung der F.D.P. und Gegenstimmen der CDU/CSU mit den Stimmen der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen und der PDS angenommen. Tagesordnungspunkt 30 p: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({40}) Sammelübersicht 284 zu Petitionen - Drucksache 14/6476 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Mit den Stimmen des Hauses bei Gegenstimmen der PDS-Fraktion ist die Sammelübersicht 284 angenommen. Zusatzpunkt 3 a: Weitere abschließende Beratungen ohne Aussprache ({41}) a) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen Nr. 182 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 17. Juni 1999 über das Verbot und unverzügliche Maßnahmen zur Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit - Drucksache 14/6107 ({42}) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({43}) - Drucksache 14/6574 Berichterstattung: Abgeordneter Peter Weiß ({44}) Zweite Beratung und Schlussabstimmung. Der Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung empfiehlt auf Drucksache 14/6574, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen möchten, sich zu erheben. - Es gibt keine Gegenstimmen und keine Enthaltungen. Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen. Zusatzpunkt 3 b: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({45}) zu dem Antrag der Abgeordneten Christine Ostrowski, Heidemarie Ehlert, Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS Vorlage einer Verordnung zur Umsetzung des § 6 a des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Altschuldenhilfe-Gesetzes - Drucksachen 14/4399, 14/4692 Berichterstattung: Abgeordneter Norbert Otto ({46}) Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/4399 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der PDS angenommen. Wir kommen zu weiteren Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses. Zunächst zum Zusatzpunkt 3 c: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({47}) Sammelübersicht 285 zu Petitionen - Drucksache 14/6556 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Die PDS enthält sich, die anderen Fraktionen haben zugestimmt. Die Sammelübersicht 285 ist angenommen. Zusatzpunkt 3 d: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({48}) Sammelübersicht 286 zu Petitionen - Drucksache 14/6557 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 286 ist mit den Stimmen des Hauses bei Enthaltung der PDS angenommen. Zusatzpunkt 3 e: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({49}) Sammelübersicht 287 zu Petitionen - Drucksache 14/6558 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 287 ist einstimmig angenommen. Zusatzpunkt 3 f: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({50}) Sammelübersicht 288 zu Petitionen - Drucksache 14/6559 Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Auch diese Sammelübersicht ist einstimmig angenommen. Zusatzpunkt 3 g: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({51}) Sammelübersicht 289 zu Petitionen - Drucksache 14/6560 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 289 ist mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der übrigen Fraktionen angenommen. Zusatzpunkt 3 h: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({52}) Sammelübersicht 290 zu Petitionen - Drucksache 14/6561 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Diese Sammelübersicht ist mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. bei Enthaltung der PDS angenommen. Zusatzpunkt 3 i: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({53}) Sammelübersicht 291 zu Petitionen - Drucksache 14/6562 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Gegen die Stimmen der PDS ist die Sammelübersicht 291 mit den Stimmen des Hauses angenommen. Ich bedanke mich. Ich rufe nunmehr den Zusatzpunkt 4 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU Haltung der Bundesregierung zur steigenden Arbeitslosigkei im vierten Monat in Folge Ich eröffne die Aussprache und gebe für die Antragstellerin zunächst dem Kollegen Hansjürgen Doss das Wort.

Dr. Hansjürgen Doss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000411, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Liebe Kollegen! Die Unionsfraktion hat diese Aktuelle Stunde beantragt, um die Bundesregierung an ihre Pflichten zu erinnern. ({0}) Vielleicht teilt dies irgendjemand einmal der Bundesregierung mit. ({1}) Die wirtschaftliche Lage in Deutschland ist Besorgnis erregend. Keine Woche vergeht, ohne dass ein namhaftes Wirtschaftsinstitut seine Wachstumsprognosen nach unten korrigiert. Europaweit trägt Deutschland die rote Laterne bei Wachstum und Beschäftigung. Übrigens: Bundeskanzler Schröder wollte sich am Rückgang der Arbeitslosigkeit messen lassen. Das wird ein trauriges Spiel. ({2}) Sein Ziel, die Zahl der Arbeitslosen auf 3,5 Millionen zurückzuführen, rückt in weite Ferne. Seit Januar steigt die Arbeitslosigkeit saisonbereinigt jeden Monat an: im Januar um rund 10 000, im Februar um 5 000, im März um 12 000, im April um 6 000, im Mai um 18 000 und im Juni um 22 000. Keine Reaktion von Müller und Schröder. ({3}) - Hören Sie doch einmal zu. Dann können Sie etwas lernen. ({4}) Damit nicht genug: Die Inflation ist nach Deutschland zurückgekehrt. Bei den Erzeugerpreisen ist der Anstieg mit fast 5 Prozent so hoch wie seit 18 Jahren nicht mehr. Schlichtweg - das muss einmal gesagt werden und ich rede die Wirtschaft damit nicht herunter -: Die Wirtschaftslage in Deutschland ist ein einziges Desaster. ({5}) Was macht die Bundesregierung? Sie verweist auf ihre ruhige Hand. Wirtschaftsminister Müller ignoriert die dramatische Lage in der Bauwirtschaft und produziert mittelstandspolitische Sprechblasen. Die Beschäftigungssituation beim Bau war noch nie so schlecht wie heute: 1995 gab es im Baugewerbe 1,4 Millionen Beschäftigte. Heute sind es nur noch 940 000. Die Tendenz ist weiter fallend. ({6}) Bei den Baugenehmigungen gibt es seit den 80er-Jahren einen drastischen Einbruch. Der Umfang der Auftragsbestände im Bau ist so niedrig wie seit der Wiedervereinigung nicht mehr. Umsätze und Investitionen sind stark rückläufig. In Deutschland blüht nur eines, nämlich die Schwarzarbeit. Letztes Jahr wurde in diesem Bereich ein Umsatz von 658 Milliarden DM erzielt. Im Vergleich zur legalen Wirtschaft wächst die Schattenwirtschaft dreimal so schnell. Dreistellige Milliardenbeträge gehen an den öffentlichen Kassen vorbei. Die dramatische Situation der Bauwirtschaft strahlt natürlich auf die Gesamtwirtschaft aus. Der arbeitslose Bauarbeiter oder der arbeitslose Elektroinstallateur kauft keinen Kühlschrank und kein Auto. Die negative Entwicklung ist im Wesentlichen auf die falsche Politik der Bundesregierung zurückzuführen. ({7}) - Sie sollten nur dann schreien, wenn Sie eine Mindestahnung von dem Thema haben. Das würde Ihren Beitrag interessanter machen. ({8}) Das Niveau der im Bundeshaushalt vorgesehenen Investitionen bewegt sich auf einem Nachkriegsrekordtief. 2005 sind nur noch 10,3 Prozent der Gesamtausgaben für Investitionen vorgesehen. 1998 betrug der Anteil noch 12,5 Prozent, was wenig genug war. Die aus den UMTSErlösen finanzierten Infrastrukturmaßnahmen sind nur ein Tropfen auf den heißen Stein. ({9}) Private Finanzierungsmodelle kommen nicht voran. ({10}) Bei uns in Nierstein zum Beispiel gäbe es die Möglichkeit, den Bau einer Brücke privat zu finanzieren. Das Investitionsvolumen ist beachtlich. Aber das ist nicht möglich. ({11}) Die Industrienation Deutschland lebt bei den Infrastrukturinvestitionen von der Substanz. Alleine der kommunale Investitionsbedarf erreicht fast 1 000 Milliarden DM. Lohndumping, Wettbewerbsverzerrungen und das Unterlaufen der VOB ({12}) interessieren die Bundesregierung einfach nicht. Sie nimmt es mit ruhiger Hand zur Kenntnis. Des Weiteren ist die Verschärfung des Mietrechts eine eindeutige Maßnahme gegen eine Belebung des Wohnungsbaus. Die Hauptursache der wirtschaftlichen Misere in Deutschland liegt darin: Die Arbeitnehmer verdienen netto zu wenig und kosten brutto zu viel. ({13}) Das treibt die Menschen in die Schwarzarbeit. Legale Arbeit muss wieder bezahlbar werden. Die Fakten beweisen: Sie sind auf dem Holzweg. Große Aktiengesellschaften werden steuerlich massiv entlastet. Aber Arbeitnehmer und Mittelstand werden vertröstet. Die neuen Abschreibungstabellen sind Gift für die Investitionstätigkeit. Fehlanzeige bei der versprochenen Senkung des Anteils der Sozialversicherungsbeiträge am Bruttolohn auf unter 40 Prozent! Des Weiteren werden mit der Ökosteuer nicht die Lohnnebenkosten gesenkt. Vielmehr wird nur umfinanziert. Sie muss weg. Deswegen meine ich: Hören Sie auf, das Falsche schnell und das Richtige spät oder gar nicht zu tun. Unsere Vorschläge liegen auf dem Tisch. Statt sie abzulehnen, handeln Sie danach! ({14})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die SPD-Fraktion spricht nun der Kollege Klaus Brandner.

Klaus Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003053, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben in der Rede von Herrn Doss, der seit fast sechs Wahlperioden in diesem Parlament tätig ist, nichts von einem schlechten Gewissen gehört. Er hat nur angeklagt. Aber Sie, Herr Doss, sollten sich daran erinnern: Wer in 16 Jahren die Arbeitslosigkeit von 2 Millionen auf über 4 Millionen getrieben hat, der sollte eine solch scheinheilige Rede, wie Sie sie gehalten haben, nicht halten. ({0}) Interessant ist im Übrigen, dass der CDU/CSU wieder einmal nichts Besseres eingefallen ist und sie inhaltlich scheinbar nichts anderes zu bieten hat, als schlecht zu reden und mies zu machen. Die gerade gehaltene Rede hat das wieder einmal deutlich gemacht. Ich frage mich: Wo bleibt Ihr Patriotismus für dieses Land, indem Sie das, was positiv geschaffen worden ist, auch einmal anerkennen? ({1}) Meine Damen und Herren, ich will es ja nicht schönreden. Die Arbeitsmarktzahlen sind kein Grund zum Jubeln, ({2}) aber erst recht sind sie kein Grund für die Schwarzmalerei der Opposition. ({3}) Es ist zwar Ihr gutes Recht, so zu handeln, aber Sie tun damit der deutschen Wirtschaft keinen Gefallen. Sie wissen selbst doch nur zu gut, dass die Erwartungen der Menschen in diesem Lande Einfluss auf die wirtschaftliche Entwicklung haben. Mit übertriebenem parteitaktisch motiviertem Pessimismus verschrecken Sie Konsumenten und Investoren gleichermaßen. Damit leisten Sie nichts Positives für diese Gesellschaft. ({4}) Zu den Zahlen. Die Arbeitslosigkeit geht weiter zurück, nicht nur gegenüber dem Vormonat Mai, sondern auch gegenüber dem Monat Juni 2000. ({5}) Nur der Abstand hat sich verringert. Der Zug fährt in die richtige Richtung, wie Sie wissen, nicht rückwärts, wie bei Ihnen, sondern vorwärts, ({6}) nur eben - das ist richtig - etwas langsamer als in den vergangenen Monaten. ({7}) In Ihrer Regierungszeit, also in der der CDU/CSU und der F.D.P., ist er aber in die völlig falsche Richtung gefahren. ({8}) Meine Damen und Herren, Sie werden ja noch ein paar Beispiele verfolgen können. Stellen Sie sich einmal vor: Ein Auto fährt mit 100 Stundenkilometern nun einmal schneller als mit 90 Stundenkilometern, auch wenn es vorher einmal 110 Stundenkilometer gefahren ist. - Genau das ist die Situation, die Sie ansprechen. ({9}) Da können Sie mit Ihren rein abstrakten saisonbereinigten Zahlen nicht überzeugen. ({10}) Noch wichtiger übrigens ist: Die Zahl der Arbeitsplätze nimmt deutlich zu. ({11}) - Sie wollen doch der Statistik hier nicht Lüge unterstellen, Herr Niebel. ({12}) Wir zählen derzeit 38,5 Millionen Erwerbstätige. Das sind 235 000 mehr als vor einem Jahr. Diese Männer und Frauen freuen sich über den neuen Job. Das können Sie mit Zahlenspielereien, wie Sie, Herr Doss, es heute vorgetragen haben, nicht wegdrücken. ({13}) Wir werden unsere ganze Kraft voll darauf konzentrieren, die konjunkturelle Delle, in der wir uns befinden, zu überwinden und die Geschwindigkeit im doppelten Sinne wieder zu erhöhen, das heißt, den Abbau der Arbeitslosigkeit und den Aufbau der Beschäftigung zu beschleunigen. Ein unverdächtiger Zeuge hat dafür gerade ein klares Signal gegeben. Die OECD sagt für Deutschland einen Rückgang der Arbeitslosenquote von 7,3 Prozent in diesem Jahr auf 6,8 Prozent im nächsten Jahr voraus. ({14}) Wir bleiben bei unserer gemischten Strategie - der Kanzler hat das, wie Sie wissen, die ruhige Hand genannt - aus Angebots- und Nachfolgepolitik; die ist richtig und notwendig. ({15}) Mit der kräftigen Erhöhung des Kindergeldes - 6 Milliarden DM im nächsten Jahr - werden wir die Familien entlasten und damit einen deutlichen Schub für die Kaufkraft breiter Arbeitnehmerschichten in diesem Lande auslösen. ({16}) Eine solche Kindergelderhöhung haben Sie in Ihren 16 Jahren nicht hinbekommen. ({17}) Meine Damen und Herren, die Grundlagen für eine dauerhafte Verbesserung am Arbeitsmarkt sind gelegt. Dazukommen soll aber noch eine Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente. Mit dem Job-Aqtiv-Gesetz werden wir einen weiteren Impuls für den Arbeitsmarkt geben, ({18}) und zwar ohne auf ein kurzfristiges Aufblähen von Beschäftigungsmaßnahmen zu setzen, wie Sie es mit Wahlkampf-ABM vor der letzten Bundestagswahl getan haben. Die Arbeitsämter setzen, wie Sie wissen, bereits heute verstärkt auf Lohnkostenzuschüsse und Qualifizierung und weniger auf ABM und SAM. Was manche Wissenschaftler heute vorschlagen, ist schon längst Realität und wird von uns mit einem guten Programm bestätigt und beschleunigt. ({19}) Wir setzen bei unserer Reform der Arbeitsmarktpolitik im Betrieb an, um Arbeitslosigkeit erst gar nicht entstehen zu lassen. Durch Qualifizierung gerade der Älteren und der Un- und Angelernten, die Sie völlig vergessen haben, wird der präventive Schutz vor Arbeitslosigkeit erhöht. Dies nenne ich eine nachhaltige und in die Zukunft gerichtete Politik. Diese werden wir systematisch weiter verfolgen. Für uns bleibt es dabei, dass die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit unsere Hauptaufgabe ist. Rund 60 Prozent der Bevölkerung sehen das genauso. Für sie ist Beschäftigungspolitik das Wichtigste in diesem Land und die dringlichste Aufgabe. 43 Prozent halten die SPD für die kompetenteste Partei in dieser Angelegenheit, meinen also, dass die SPD das am ehesten schafft. Den Christdemokraten trauen dies nur 28 Prozent der Bürger zu, meine Damen und Herren, und das mit abnehmender Tendenz. ({20}) Die heutige Debatte - dessen bin ich mir sicher - dürfte diese abnehmende Tendenz deshalb noch beschleunigen. ({21})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die F.D.P.-Fraktion spricht der Kollege Dirk Niebel.

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Diese Aktuelle Stunde ist keine glückliche Stunde; ({0}) denn seit sechs Monaten steigt die Zahl der Arbeitslosen saisonbereinigt wieder an. Allein in diesem Monat ist die Arbeitslosenzahl saisonbereinigt um 22 000 gestiegen. Sie haben gesagt, dass Sie sich an Ihrem Erfolg im Hinblick auf den Abbau der Arbeitslosigkeit jederzeit messen lassen wollen. Offenkundig ist es notwendig, das hier jede Woche wieder zu tun, weil Sie tatsächlich nichts tun, um die Arbeitslosen in Beschäftigung zu bringen. ({1}) Die Arbeitsmarktpolitik dieser Regierung ist seit fast drei Jahren zum Spielball rückwärts gewandter Gewerkschaftsideologien geworden. Es ging mit den so genannten Reformgesetzen los. Sie haben den Kündigungsschutz verschärft, was dazu geführt hat, dass Einstellungen in kleinen und mittleren Betrieben viel schwieriger geworden sind. ({2}) Es ging mit den 630-Mark-Jobs, mit den so genannten Scheinselbstständigen oder mit dem Teilzeitpflichtgesetz weiter, ({3}) das nur dazu führt, dass gerade junge Frauen nicht mehr eingestellt werden und weiterhin in der Arbeitslosigkeit verharren. ({4}) VW hat gezeigt, dass die rückwärts gewandte Gewerkschaftsideologie in diesem Land Arbeitsplätze vernichtet und verhindert. 5 000 Arbeitslose weniger würden für die Bundesanstalt für Arbeit und damit für den Staatssäckel Mehreinnahmen bzw. Minderausgaben in Höhe von 150 Millionen DM bedeuten. Dass es dazu nicht gekommen ist, ist Ihr Verdienst. ({5}) Die Ideologien von Rot-Grün führen dazu, dass immer mehr „verregelt“, verwaltet und „verriestert“ wird. Die strukturellen Schwächen des Arbeitsmarktes werden nicht angegangen. ({6}) Die Liberalen haben hier konkrete Vorschläge eingebracht. Wir brauchen eine Deregulierung des Tarifvertragsrechts, damit mehr Rechte in die Betriebe verlagert werden; denn diejenigen, die im Betrieb arbeiten, wissen besser als irgendwelche Verbandsfuzzis in irgendwelchen Gewerkschafts- oder Arbeitgeberverbandszentralen, ({7}) wie sie ihre Arbeitsplätze sichern. ({8}) Wir brauchen für die Menschen, die sich in diesem Land aufhalten dürfen, eine vernünftige Regelung für den Zugang zum Arbeitsmarkt. Wer sich in diesem Land aufhalten darf, der muss für die Dauer des erlaubten Aufenthalts auch für seinen Lebensunterhalt selbst arbeiten dürfen. Dass das nicht so ist, haben Sie, die Roten, die Grünen und die Schwarzen, verhindert. ({9}) Wir machen uns über eine vernünftige Zuwanderungsregelung Gedanken. Das ist richtig, notwendig und wichtig. Wir müssen uns darüber hinaus auch über diejenigen Menschen Gedanken machen, die schon in diesem Land sind. ({10}) Auch wenn Sie noch so sehr schreien, werden Sie in der zukünftigen Diskussion nicht an einer Regelung dieses Sachverhalts vorbeikommen. ({11}) Wir brauchen eine strukturelle Veränderung der Bundesanstalt für Arbeit. Von 83 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sind sage und schreibe 10 000 im Bereich der Arbeitsvermittlung beschäftigt. Wo sind wir denn hier? Geht es nur darum, zu alimentieren und die Menschen am Transfertropf zu halten, oder geht es darum, den Arbeitsmarktausgleich zu stärken? ({12}) Sie weigern sich strikt, unsere Vorschläge aufzunehmen, zumindest eine höhere Deckungsfähigkeit im Hinblick auf die arbeitsmarktpolitischen Leistungen einzuführen und langfristig zu einem Globalhaushalt zu kommen, der selbstverständlich auch dazu führt, dass der Personalhaushalt in diesem Globalhaushalt eingeführt wird. ({13}) Ein solches Vorgehen sorgt dafür, dass man vor Ort entscheiden kann, ob es vielleicht sinnvoller ist, in Eckernförde eine ABM für 150 000 DM einzurichten oder einen zusätzlichen Arbeitsvermittler einzustellen. Das kann in Calw ganz anders gesehen werden. Da herrscht bei einer Arbeitslosenquote von 3,5 Prozent übrigens fast Vollbeschäftigung. Das hat seine Gründe: Es liegt an den von der Politik gesetzten Rahmenbedingungen. Sie haben die Weichen immer exakt in die falsche Richtung gestellt. Wir brauchen in diesem Land wieder ein Klima, das dazu führt, dass es Spaß macht, Arbeitsplätze zu schaffen. ({14}) Ihre Reform des Betriebsverfassungsgesetzes vergiftet dieses Klima und sorgt dafür, dass die Menschen ihr Geld lieber in Aktien investieren, ins Ausland tragen und auf jeden Fall nicht in Arbeit investieren. Wenn man so etwas wie das erleben muss, was die IG Metall in Wolfsburg gemacht hat, dann wundert es einen beim besten Willen nicht, dass in Ihrer Fraktion mittlerweile wieder die alte Linke - 243 Angehörige Ihrer Fraktion sind Gewerkschaftsmitglieder - und nicht die Neue Mitte das Sagen hat. ({15}) VW hat gezeigt, dass die Ideologien der alten Linken dazu führen, dass Arbeitsplätze vernichtet oder nicht geschaffen werden. Die Öffentlichkeit erkennt, dass die F.D.P. die Partei der sozialen Verantwortung ist - und das, meine Damen und Herren, ist auch gut so. Vielen Dank. ({16})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich gebe der Kollegin Dr. Thea Dückert für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Dr. Thea Dückert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003071, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Niebel, wir brauchen in diesem Land nicht das Klima, das Sie uns aufgrund von Rekordverschuldung und Rekordarbeitslosigkeit hinterlassen haben. ({0}) Lassen Sie mich mit einer Bemerkung frei nach Karl Valentin beginnen: Herr Doss, was Sie hier gesagt haben, war Stuss. ({1}) Herr Doss, was Sie uns hier vorgetragen haben, hat mit der Realität nichts zu tun. ({2}) Sie beschreiben eine Situation, bei der von einem Wachstum von ungefähr 1,4 Prozent ausgegangen wird. Wir diskutieren also in einer Zeit, in der wir eine Wachstumsdelle haben, dabei ist die Wachstumsrate vergleichbar hoch mit der durchschnittlichen der 90er-Jahre. Alle Wissenschaftler und Prognosen sagen uns heute, dass wir allein in diesem Jahr über die von Ihnen so beklagte Wachstumsrate hinauskommen werden. ({3}) Sie haben uns hier beispielhaft vorgeführt, dass Sie Meister im Kaputtreden sind; Sie setzen sich jedoch nicht ernsthaft mit der jetzigen Situation auseinander. ({4}) Sie behaupten, wir seien untätig. Was schlagen Sie uns vor? ({5}) Sie schlagen uns zum Beispiel ein Konjunkturprogramm auf Pump vor. Was bedeutet das? ({6}) Das bedeutet, dass weiterhin ungedeckte Schecks ausgestellt werden, die auch in Zukunft nicht gedeckt werden können. Das bedeutet weiterhin eine Verschuldungspolitik, wie Sie sie in der Vergangenheit betrieben haben. Das wollen wir nicht. Das bedeutet auch - Sie ignorieren übrigens die weltwirtschaftlichen Zusammenhänge -, dass Sie auf eine Strohfeuerpolitik setzen, die uns überhaupt nicht weiterhelfen wird. Was schlagen Sie weiter vor? Als Beispiel nenne ich die Abschaffung der Ökosteuer. Was bedeutet das? Das bedeutet zum Beispiel eine Steigerung des Beitrags zur Rentenversicherung um 2 Prozentpunkte. Unterm Strich reden Sie weiteren Lohnnebenkostensteigerungen das Wort. Das ist genau das, was Sie in der Vergangenheit bereits praktiziert haben. Gerade das wollen wir nicht. ({7}) Wir haben bereits in den letzten zwei Jahren die Lohnnebenkosten gesenkt und wollen diesen Kurs weiter fortführen. Allen, die Bedenken haben, sage ich: Wir wollen die weitere Senkung der Lohnnebenkosten nicht zulasten der aktiven Arbeitsmarktpolitik durchführen. ({8}) Die Spielräume, die sich in diesem und dem nächsten Jahr ergeben, wollen wir nutzen, um eine entsprechende Senkung der Lohnnebenkosten zu erreichen. Diese Spielräume ergeben sich zum Beispiel dann, wenn die Beschäftigtenzahlen weiter steigen. Eine Steigerung um 1 Prozentpunkt bringt bereits eine zusätzliche Einnahme in Höhe von 1 Milliarde DM. ({9}) Eine vorsichtig geschätzte 2-prozentige Lohnsteigerung - positiv geschätzt - würde zusätzliche Einnahmen von fast 2 Milliarden DM bringen. Allein die Senkung der Arbeitslosenzahlen auf etwa 3,5 Millionen würde weitere Einsparungen in der Arbeitslosenversicherung bringen. ({10}) Wenn wir - das werden wir tun - am 1. Januar nächsten Jahres unser Job-Aqtiv-Gesetz in Kraft setzen, haben wir gute Hebel, um die durchschnittliche Dauer der Arbeitslosigkeit, die heute noch bei 35 Wochen liegt, zu senken. ({11}) Die Senkung der durchschnittlichen Dauer der Arbeitslosigkeit - wir wollen vor allen Dingen die Langzeitarbeitslosigkeit reduzieren - um eine Woche bringt bereits 1 bis 2 Milliarden DM. ({12}) Diese Spielräume wollen wir nutzen. Sie schlagen uns eine Politik vor, die letzten Endes auf Kosten der Systeme der sozialen Sicherung geht. ({13}) Zum Beispiel wollen Sie die Regelung der 630-MarkJobs abschaffen. Diese Politik würde dazu führen - auch das schlagen Sie in Ihren Papieren vor; lesen Sie es einmal nach -, dass soziale Leistungen eingeschränkt werden müssten. ({14}) Das wollen wir gerade nicht. ({15}) Wir wollen eine Arbeitsmarktpolitik, die Flexibilität und soziale Sicherheit miteinander verbindet. Wir Grünen schlagen ein Konzept der Flexicurity vor, das wir langfristig verfolgen wollen. Der erste Schritt, den wir mit der rot-grünen Regierung unternehmen, wird das Job-Aqtiv-Gesetz sein, ({16}) das viele Hebel bringen wird, um gerade die Eingliederung in den ersten Arbeitsmarkt voranzubringen. Ich danke Ihnen. ({17})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich erteile dem Kollegen Dr. Klaus Grehn, Fraktion der PDS, das Wort.

Dr. Klaus Grehn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003135, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Präsident! Ich stelle mir vor, was die Arbeitslosen in diesem Land gedacht haben, als sie den Titel der Aktuellen Stunde gelesen haben. ({0}) - Nein, Herr Niebel. Die Aktuelle Stunde ist ja von einer bestimmten Fraktion eingereicht worden. Herr Doss, was Sie hier vorgetragen haben, hat uns nicht einen einzigen Arbeitsplatz gebracht. ({1}) Wenn wir jetzt jeden Tag über Arbeitsmarktpolitik oder über den Arbeitsmarkt reden, dann entspricht das zwar der Situation; aber wenn dabei nichts herauskommt, dann ist das ein Arbeitsbeschaffungsprogramm für dieses Parlament. Ich glaube, zu Recht erwarten die Arbeitslosen und die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes, dass, wenn das Parlament darüber redet, auch etwas dabei herauskommt. ({2}) Für das, was jetzt geschehen ist, will ich ein paar Dinge benennen. - Herr Doss - ich hoffe, Ihre vier Redner, die noch kommen, werden Vorschläge machen -, ({3}) Sie sprechen von dem Versprechen des Bundeskanzlers, die Zahl der Arbeitslosen auf 3,5 Millionen zu senken. Okay, das hat er gemacht. Aber ich kann mich sehr gut an ein Versprechen von jemand ganz anderem erinnern, der einmal die Arbeitslosigkeit halbieren wollte. ({4}) - Ja, mit der Gewerkschaft zusammen. Aber nichts ist passiert. Wenn Sie schon Schuldzuweisungen machen, dann muss man sagen, dass die Situation auf diesem Arbeitsmarkt, wie sie ist, vor 1998 entstanden ist, und dass sie sich auf ein Ausmaß hochgeschaukelt hat, das vorher nie zu erahnen war. Das ist verbunden mit Tätigkeit bzw. Untätigkeit der vormaligen Regierungskoalition. Ich frage mich, was passiert wäre, wenn Sie weiterhin so tätig bzw. untätig gewesen wären wie zu jener Zeit. ({5}) Ich will auch etwas zu dem wirtschaftlichen Desaster sagen, das Sie dargestellt haben, Kollege Doss. ({6}) In Berlin würde man sagen: Kann es nicht für einen Groschen weniger sein? Ich glaube, dass das stark übertrieben ist. Kollege Niebel, der Vorwurf, nichts zu tun, stimmt wahrlich nicht. Sie können kritisieren, dass nicht das Richtige getan worden ist ({7}) - das verstehe ich aus Ihrer Situation sogar -, dass nicht das getan wird, was Sie gern hätten. Aber der Vorwurf des Nichtstuns stimmt nicht. Sie haben in Ihrer Rede schwere Geschütze aufgefahren, mit denen Sie allerdings nicht die Arbeitslosigkeit im Sinne des Abbauens beschossen haben, sondern Sie haben Salut für die F.D.P. geschossen. ({8}) Aber statt Salut wurde ein Rohrkrepierer daraus, mehr nicht. Ich möchte allerdings, Kollege Brandner, auch sagen, dass die Situation auf dem Arbeitsmarkt nach den heutigen Zahlen in der Tat doch etwas ernster ist, als ich es Ihrer Rede entnommen habe. Ich nenne dazu die Ergebnisse: Saisonbereinigt ist die Arbeitslosigkeit erneut gestiegen. Die Erwerbstätigkeit ist praktisch nicht vorangekommen - es gibt keine Veränderungen -, ({9}) und die Kräftenachfrage ist verhalten. Das alles sind Signale, die nicht gut sind und die uns herausfordern, etwas dagegen zu tun. Deshalb sollten wir nicht über Tätigkeit oder Untätigkeit streiten, sondern wir sollten unsere Programme vorlegen. In diesen Programmen sollten wir darstellen, wie Inhalt und Effektivität der Arbeitsmarktpolitik, der Entwicklung von Arbeitsplätzen vorangebracht werden. Aber, Kollege Niebel, wir haben dabei existenzsichernde Arbeitsplätze im Auge. ({10}) Wir haben nicht einen Ausbau des Niedriglohnsektors im Auge, der vielleicht Arbeitsplätze schaffen würde. ({11}) Wir haben auch nicht vor, einen der tragenden Eckpfeiler dieser Gesellschaft, nämlich die Tarifpolitik, abzuschaffen. ({12}) Wir werden ja morgen erneut einen Antrag von Ihnen diskutieren. ({13}) Lassen Sie uns, statt es zu zerreden, über Programme, über Inhalte streiten. Lassen Sie uns das auch an die Betroffenen rüberbringen. Lassen Sie uns deutlich machen, dass sich dieses Parlament in der Tat um die Schaffung von Arbeitsplätzen müht und sich nicht in Selbstdarstellung oder in politischen Grabenkämpfen ergeht. ({14}) Wir haben, Kollege Niebel, morgen Gelegenheit, zum Beispiel über den beschäftigungspolitischen Aktionsplan der Bundesregierung zu reden. ({15}) Dort sind in den Säulen zwei bis vier viele Maßnahmen aufgelistet. Damit können Sie einverstanden sein oder nicht. Aber wenn Sie das kritisieren, dann bitte nicht, um eine Partei zu kritisieren, sondern um die Maßnahme zu kritisieren, und zwar in der Form, dass Sie bessere Vorschläge vorlegen, die akzeptabel sind. ({16}) Das glauben Sie doch nur selbst, Kollege Niebel; das stimmt nicht. Wir haben morgen Gelegenheit, darüber zu debattieren. Ich bin gespannt darauf, wer von Ihrer Fraktion reden wird. ({17}) Wenn Sie es wieder sind, Kollege Niebel, hoffe ich, dass Ihre Rede mehr Inhalt hat als Ihre heutige. ({18}) In diesem Sinne: Auf morgen, Kollege Niebel! ({19})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Das Wort erhält nun der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Gerd Andres.

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Diese BundesregieDr. Klaus Grehn rung hat seit dem Regierungswechsel entscheidende Schritte zur Erneuerung Deutschlands getan. ({0}) Wir gestalten die Zukunft dieses Landes und wir ducken vor den Problemen, die dieses Land ohne Zweifel hat, nicht weg und das ist auch gut so. Genau deshalb haben wir nach dem Regierungswechsel wie versprochen die Haushaltskonsolidierung eingeleitet; denn für uns ist Schluss damit, die Zeche, unsere Zeche, zu prellen, und zwar auf Kosten zukünftiger Generationen. Das ist sehr wohl unangenehm, aber unaufschiebbar. Jede vierte Mark in die Schuldentilgung und in die Zinsen? - Nicht mit uns, kann ich dazu nur sagen! ({1}) Wir haben die größte Steuersenkung in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland auf den Weg gebracht. ({2}) Damit werden die Steuerzahler bis zum Jahr 2005 um insgesamt 95 Milliarden DM entlastet. ({3}) Über 60 Milliarden DM kommen den privaten Haushalten zugute, rund 30 Milliarden DM der Wirtschaft. Beides stärkt das Wirtschaftswachstum und ist gut für neue Arbeitsplätze, ({4}) die wir noch immer dringend nötig haben. ({5}) Wir haben die Lohnnebenkosten gesenkt. Was von allen gefordert wird, in jeder Sonntagsrede - die Aussagen von Ihren Vertretern dazu kann ich überall nachlesen -, wir haben es umgesetzt. So ist der Rentenversicherungsbeitrag von 20,3 Prozent im Jahre 1998 ({6}) auf 19,1 Prozent in diesem Jahr gesunken. ({7}) Das bedeutet mehr Geld in den Taschen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, ({8}) das bedeutet mehr Spielraum für die Unternehmen, neue Arbeitsplätze zu schaffen. Wir wollen diesen Kurs fortsetzen. ({9}) Aber noch wichtiger ist: Wir senken und stabilisieren den Beitragssatz mit unserer Rentenreform langfristig. ({10}) Wir stellen sicher, dass der Rentenversicherungsbeitrag in einem Zeitraum von zehn Jahren trotz der absehbaren demographischen Entwicklung nicht über 19 Prozent steigen wird. ({11}) Selbst innerhalb von 20 Jahren soll er nicht über 20 Prozent und im Jahre 2030 nicht über 22 Prozent ansteigen. ({12}) Unser Handeln ist auf Nachhaltigkeit angelegt. Es hilft keinem, nun angesichts eines diffusen Straußes von unterschiedlichen Prognosen in Panik auszubrechen. Panikmache und das Schüren von Rezessionsängsten überlassen wir Ihnen von der Opposition. Viel Spaß dabei, machen Sie weiter so! ({13}) Ich sage nur eines: Jetzt in kurzatmigen Aktionismus zu verfallen und auf den Zug aufzuspringen, mit dem Sie von der Opposition mit Ihrem Sofortprogramm, Ihrem Zehn-Punkte-Programm, ({14}) zur Rettung der Konjunktur schon in die falsche Richtung rasen, fällt uns nicht ein. ({15}) Wir werden unseren unter anderem im Bündnis für Arbeit eingeschlagenen Kurs beibehalten. Ich bin sicher, wir werden auch in diesem Jahr wieder erleben, dass sich die Tarifpartner auf beschäftigungsfördernde Tarifabschlüsse einigen. Ich bin genauso sicher, dass sie - darüber haben wir ja gestern diskutiert - gemeinsam neue Wege zur Schaffung von Arbeitsplätzen gehen werden, auch bei VW. Herr Niebel, machen Sie ruhig weiter so; Sie werden schon sehen, was Sie davon haben. ({16}) Wir haben im Bündnis für Arbeit mit der Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit Ernst gemacht. Nach gut zweieinhalb Jahren sage ich: Wir sind auf einem guten Weg. ({17}) Wer es sehen will, kann es sehen: Die Arbeitslosigkeit sinkt ({18}) seit dem Regierungswechsel kontinuierlich Monat für Monat. ({19}) Im Juni waren weniger als 3,7 Millionen Menschen ohne Arbeit. Das sind noch immer viel zu viele; das gebe ich gerne zu. Aber das ist der niedrigste Stand in einem Juni seit 1995. Ich darf Sie daran erinnern, dass im letzten Jahr Ihrer Regierungszeit im Jahresdurchschnitt rund 4,3 Millionen Menschen arbeitslos waren. Im Jahr 2000 waren es im Jahresdurchschnitt unter 3,9 Millionen. ({20}) Diese Zahl sinkt weiter. Es bleibt dabei: Wir wollen und werden nächstes Jahr die Zahl der Arbeitslosen weiter deutlich reduzieren. ({21}) Nennen Sie solche Erfolgszahlen eine Krise? ({22}) Ich sage Ihnen, Herr Niebel, trotz Ihres ständigen Zwischengequakes voraus: Auch in diesem Jahr wird die Arbeitslosigkeit zurückgehen. Schauen Sie sich die Zahlen aus der Zeit Ihrer Regierungsverantwortung an: Da ist die Arbeitslosigkeit Monat für Monat angestiegen. Das ist die Wahrheit! ({23}) Hauptsächlich durch die Schaffung neuer Beschäftigung wurde die Arbeitslosigkeit gesenkt. ({24}) Die Jobmaschine Deutschland läuft. Von 1998 bis 2000 hat sich die Zahl der Erwerbstätigen um fast 1 Million erhöht. ({25}) Das Statistische Bundesamt hat mitgeteilt, dass die Zahl der Beschäftigten bis zum April dieses Jahres - neuere Zahlen liegen nicht vor - um über 235 000 gestiegen ist. Schauen Sie sich Ihre Zahlen an! Sie sollten sich schämen! ({26}) Reden Sie keine Rezession oder Ängste in diesem Land herbei! ({27}) Diese positive Entwicklung seit 1998 ist nicht wie Manna vom Himmel gefallen. Die wirtschafts-, finanzund beschäftigungspolitische Gesamtstrategie dieser Bundesregierung ist auf das zentrale Ziel der Schaffung neuer Arbeitsplätze ausgerichtet. ({28}) Zu dieser Strategie gehören gezielte arbeitsmarktpolitische Maßnahmen, zum Beispiel das Sofortprogramm zum Abbau der Jugendarbeitslosigkeit oder die Förderung von Modellprojekten zur Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen Arbeits- und Sozialämtern. Ich stelle fest: Unsere arbeitsmarktpolitische Bilanz kann sich sehen lassen. Sie ist eine Bilanz, von der Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, in Ihrer Regierungszeit nicht zu träumen gewagt hätten. ({29}) Klar ist natürlich, dass nach wie vor viel zu viele Menschen arbeitslos sind. Deshalb legen wir keineswegs die Hände in den Schoß. Die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit bleibt nach wie vor ganz oben auf der Tagesordnung unserer Politik. Deshalb werden wir die arbeitsmarktpolitischen Instrumente modernisieren. Zentraler Schwerpunkt ist die Verbesserung der Arbeitsvermittlung. Ziel ist es, dass Arbeitslosigkeit nach Möglichkeit erst gar nicht eintritt oder so rasch wie möglich beendet wird. Die Arbeitsvermittlung ist das wichtigste Instrument der aktiven Arbeitsmarktpolitik. Drohender Langzeitarbeitslosigkeit muss durch ein frühzeitiges Erkennen des Risikos entgegengewirkt werden. Durch rasche und auf den einzelnen Arbeitslosen zugeschnittene Maßnahmeangebote wird eine möglichst nachhaltige Eingliederung von Arbeitslosen in reguläre Beschäftigung unterstützt. ({30}) Mit dem Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung zwischen dem Arbeitslosen und dem Arbeitsamt wird der Grundsatz des Förderns und Forderns fair und für beide Seiten akzeptabel umgesetzt. ({31}) Die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben deshalb am Dienstag dieser Woche ein Eckpunktepapier für ein Job-Aqtiv-Gesetz beschlossen, mit dem die arbeitsmarktpolitischen Instrumente modernisiert werden sollen. Herr Niebel, ich kann Sie beruhigen: Ab September werden Sie als Oppositionsabgeordneter die große Freude haben, sich mit dem entsprechenden Gesetzentwurf auseinander zu setzen. ({32}) Aussitzen statt handeln, das war Ihre Parole. Reformstau war das Wort des Jahres 1997. Handeln statt aussitzen, so lautet unsere Parole. Ich sage Ihnen noch einmal: Wir werden Deutschland erneuern. ({33}) Meine Damen und Herren von der Union, lassen Sie also die Kirche im Dorf! Bewahren Sie einen kühlen Kopf und hören Sie mit der penetranten Miesmacherei auf! ({34}) Was wir gegenwärtig konstatieren müssen, ist eine konjunkturelle Delle. Ausgehend von der Entwicklung in den USA und Japan hat sich das weltwirtschaftliche Klima eingetrübt. ({35}) Deutschland als exportstarke Nation ist hiervon natürlich betroffen. Dies schlägt sich auch auf dem Arbeitsmarkt nieder. ({36}) In den letzten Monaten sind die Arbeitslosenzahlen deswegen nicht mehr so gesunken, wie wir das zusammen mit den Experten erwartet hatten. ({37}) Aber die Arbeitslosenzahlen sinken immer noch und auch in diesem Jahr erwarten wir im Jahresdurchschnitt eine deutliche Abnahme der Arbeitslosigkeit. Von einer Krise ist also weit und breit nichts zu sehen. Die einzige Krise, die ich in Deutschland sehe, ist der innerparteiliche Zustand der Union, eine Krise, die da lautet: In Sachen „Wir gegen uns“ geht es munter voran. Machen Sie ruhig weiter so! Ihnen traut sowieso niemand die Führung dieses Landes zu. Da können Sie hier so viele Aktuelle Stunden beantragen, wie Sie wollen. Denn die Konzepte, die Sie vorschlagen, taugen nichts. Sie müssen sich schon entscheiden, ob Sie die Neuverschuldung abbauen oder ein Konjunkturprogramm auflegen wollen. ({38}) Wir werden das auf alle Fälle nicht mitmachen. Meine Empfehlung ist: Kühlen Kopf bewahren; das fördert klare Gedanken. Herzlichen Dank. ({39})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die CDU/CSU-Fraktion spricht der Kollege Ulrich Klinkert.

Ulrich Klinkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001134, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Titel der von der CDU/CSU beantragten Aktuellen Stunde sollte ursprünglich lauten: Untätigkeit der Bundesregierung angesichts steigender Arbeitslosenzahlen. Der Titel ist nun geändert worden in „Haltung der Bundesregierung ... “. Ich finde dies richtig; denn Untätigkeit kann man der Regierung eigentlich nicht vorwerfen. ({0}) Im Gegenteil: Ihre Tätigkeit und Ihr Aktionismus sind für die steigende Arbeitslosigkeit verantwortlich, die wir in Deutschland zu verzeichnen haben. ({1}) Wenn man die weltfremden und wirklichkeitsfernen Ansichten des Herrn Staatssekretärs Andres über die angeblich sinkende Arbeitslosigkeit hört, dann - ({2}) - Könnten Sie mich vielleicht einmal zu Wort kommen lassen, meine Damen und Herren von der Opposition? ({3}) Herr Präsident, ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie dafür sorgen könnten, dass ich gegen die Zurufe der linken Krakeeler einmal zu Wort kommen kann. ({4}) Ich sage es noch einmal: Die weltfremden und wirklichkeitsfernen Ansichten des Herrn Staatssekretärs Andres lassen Schlimmstes befürchten. Er geht - völlig an der Wirklichkeit vorbei - von sinkenden Arbeitslosenzahlen aus. Wahrscheinlich liegt das daran, Herr Andres, dass Sie in Ihrer Zahlenkosmetik die 630-Mark-Jobs mit einrechnen. Aber davon lassen wir uns nicht täuschen. ({5}) An der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit wolle er sich messen lassen, tönte Gerhard Schröder vor und nach den Wahlen 1998 - vor allem in den neuen Bundesländern. In der ersten Euphorie ging man sogar von 3 Millionen Arbeitslosen aus; das wurde schnell auf 3,5 Millionen korrigiert. ({6}) Inzwischen sind wir allerdings auf dem Weg, dass 4 Millionen Menschen in Deutschland die Chance auf einen Arbeitsplatz kaputtgemacht wird. ({7}) Lassen Sie mich in der kurzen Zeit auf einige wenige Ursachen eingehen. Die alte Bundesregierung hatte eine Reihe von Maßnahmen, auch von unbequemen Maßnahmen, auf den Weg gebracht, um die Lohnnebenkosten zu senken und um Anreize für Investitionen zu schaffen. Trotz der Blockade der Steuerreform durch Lafontaine und Schröder - um einmal den Begriff Reformstau aus dem Jahre 1997 mit Namen zu belegen, Herr Staatssekretär Andres - gab es 1997 und 1998 höhere Investitionen und eine zurückgehende Arbeitslosigkeit. Wenn Sie mir das nicht glauben, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, dann möchte ich Sie fragen, wie Sie die Aussage von Gerhard Schröder aus dem Sommer 1998 „Dieser Aufschwung ist mein Aufschwung“ interpretieren. Leider währte dieser Aufschwung nur so lange, bis sich die rot-grüne Wirtschaftspolitik auf den Standort Deutschland auszuwirken begann; ({8}) denn die Schröder-Regierung hat in einer Phase hervorragender wirtschaftlicher Rahmendaten Maßnahmen beschlossen, die die Konjunktur bremsten, ({9}) die D-Mark schwächten und Deutschland zum wirtschaftlichen Schlusslicht in der Euro-Zone gemacht haben. ({10}) Besonders dramatisch wirkt sich die rot-grüne Wirtschaftspolitik auf die neuen Bundesländer aus. Neben der Abschwächung der Konjunktur haben die neuen Länder unter einer Reihe von durch Rot-Grün beschlossenen Kürzungen zu leiden, ({11}) insbesondere Kürzungen der GA-Mittel sowie Kürzungen bei den Altlastensanierungen und bei den Infrastrukturmitteln zum Beispiel für den Straßen- und für den Schienenbau. Der Mittelstand leidet unter einer nie da gewesenen Kaufkraftvernichtung, hervorgerufen durch Ökosteuer und Rentenbetrug. ({12}) Was unternimmt die Bundesregierung? - Die Bundesregierung unternimmt nichts. Sie sieht stattdessen tatenlos zu, wie Hunderttausende junger Menschen die neuen Bundesländer verlassen müssen, um eine berufliche Zukunft zu haben. ({13}) Trotz dieser Wanderbewegungen ist in den neuen Bundesländern kein Absinken der Arbeitslosigkeit zu spüren; im Gegenteil. Da sie, Frau Wittig, sich gerade lautstark äußern, muss ich Sie fragen: Wie erklären Sie, dass es in unserem Arbeitsamtsbezirk 10 000 Arbeitslose mehr als 1998 gibt? ({14}) In den neuen wie auch in den alten Bundesländern müssen wir steigende Lohnnebenkosten verzeichnen, verursacht durch die populistische Rücknahme von Entscheidungen der alten Bundesregierung. ({15}) Dabei bin ich mir sicher: Jeder der fast 4 Millionen Arbeitslosen in Deutschland würde lieber ein paar Mark mehr für Medikamente ausgeben oder im Falle von Krankheit lieber einige Wochen mit 80 Prozent Krankengeld auskommen, als dauerhaft von 63 Prozent Arbeitslosengeld oder gar von Arbeitslosenhilfe leben zu müssen. ({16})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Herr Kollege Klinkert, kommen Sie bitte zum Schluss.

Ulrich Klinkert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001134, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. - Die Reihe der Maßnahmen der rot-grünen Bundesregierung ließe sich lange fortsetzen. Wir haben Alternativvorschläge auf den Tisch gelegt. ({0}) Wir appellieren an Sie und an die Bundesregierung, im Jahr 2002 die Arbeitslosenstatistik nicht durch eine erneute Zahlenkosmetik aus Ihrer Sicht zu verbessern, sondern endlich die Maßnahmen zu ergreifen, die die Menschen wieder in Lohn und Brot bringen. Vielen Dank. ({1})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nunmehr der Kollege Werner Schulz.

Werner Schulz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002108, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was Sie hier führen, Herr Klinkert, ist eher eine Dauerdebatte zu Wirtschaft, Wachstum und Konjunktur, eine ständige Wiederholung dessen, was wir letzte Woche schon hatten. Junge Leute würden sagen: Das nervt. ({0}) - Wenn ich Ihnen damit eine Freude machen kann und das Ihr einziges Anliegen ist, dann tue ich das gern. ({1}) Nur hilft das, was Sie bringen, nichts. Sie machen keine vernünftigen Vorschläge. ({2}) Diesmal kommen Sie über die Arbeitsmarktpolitik. Das grandiose Zehn-Punkte-Programm, das wir letzte Woche besprochen haben, ist ja zur Feinabstimmung in die Union zurückgegeben worden; es enthält ein paar Unstimmigkeiten. Diesmal geht es in der Debatte um den Arbeitsmarkt. Schauen wir uns deswegen einmal an, was im Moment auf dem Arbeitsmarkt los ist. Das abgeschwächte Wirtschaftswachstum schlägt sich auf dem Arbeitsmarkt nieder. Die Arbeitslosigkeit ist in den letzten Monaten nicht wesentlich zurückgegangen; wir haben momentan 3,7 Millionen Arbeitslose. Das allerdings als Dramatisierung und als Alarmzeichen hinzustellen, wie Sie, Herr Doss und Herr Niebel, oder auch Laurenz Meyer das tun, die einer Koalition angehörten, die die Arbeitslosigkeit in den 90er-Jahren an die 5-Millionen-Grenze getrieben hat, ist unverantwortlich. Herr Niebel, da können Sie reden, was Sie wollen. Aber vielleicht ist das auch einfach nur dumm. ({3}) Sie haben auch in der Opposition Verantwortung. Diese Verantwortung kann nicht darin bestehen, dass Sie die Situation dramatisieren und dass Sie Panik machen. ({4}) Ich verstehe sehr wohl, dass Übertreiben anschaulich macht. Aber Sie übertreiben nicht, sondern betreiben Panikmache. Das ist der eigentliche Punkt. ({5}) Sie legen uns ein Konjunkturprogramm vor, das sämtliche Wirtschaftsinstitute ablehnen, das Herr Jagoda ablehnt und das man im Grunde genommen nur ablehnen kann, weil es die falsche Antwort auf die Situation ist, die wir haben. Sie betreiben aus purer Angriffsfreude gegenüber der Regierung eine falsche Analyse, weil Sie die konjunkturelle Abschwächung gerne dieser Bundesregierung in die Schuhe schieben möchten. Sie koppeln die globale Vernetzung, die wir haben, die Tatsache, dass wir viel stärker von der US-Leitkonjunktur abhängig sind, als das manche Wirtschaftsinstitute geglaubt und prognostiziert haben, völlig aus. ({6}) Sie führen permanent Diskussionen in dem gleichen Rhythmus, wie Wetterprognosen erstellt werden, und hinken genauso hinterher. ({7}) Im Endeffekt bieten Sie strukturelle Antworten auf ein konjunkturelles Übergangsphänomen an. Das ist völlig falsch. Ich nenne dazu Beispiele. Fangen wir mit dem Hauptpunkt an: Sie fordern das Vorziehen der zweiten und dritten Stufe der Steuerreform. Sie haben diese Steuerreform, die Sie jetzt gar nicht schnell genug bekommen können, vorher in Bausch und Bogen abgelehnt. Dies ist schon ein Widerspruch in sich. ({8}) Wenn wir - Herr Uldall, Sie sind wirklich Experte und hören im Gegensatz zu einigen, die sich vorgenommen haben, diese Aktuelle Stunde durch Zwischenrufe zu stören, auch zu ({9}) die zweite und dritte Stufe der Steuerreform vorziehen würden, müssten wir die Nettokreditaufnahme erhöhen und würden die Maastrichtkriterien tangieren. Es würde zu Neuverschuldungen kommen und die Inflationsrate, die Sie ohnehin für zu hoch halten - was richtig ist; diese Sorge teilen wir -, in die Höhe treiben. Auch die moderate Lohnpolitik wäre nicht mehr möglich, weil die Gewerkschaften zu Recht auf eine sozial gerechte Anpassung drängen würden. Mit einem Vorziehen der weiteren Stufen der Steuerreform würden wir Benzin ins Feuer gießen. ({10}) Zur Ökosteuer: Der Benzinpreis ist übrigens wieder gefallen. Es ist interessant, dass dies von Ihnen überhaupt nicht thematisiert wird. Mit der Ökosteuer haben wir den Lenkungseffekt erreicht, den wir uns versprochen haben, dass nämlich die Kraftfahrer in Deutschland mit Benzin wesentlich sparsamer umgehen. Die Wirtschaft würde sich im Übrigen bedanken, wenn wir die Ökosteuer abschaffen würden - aber nicht in dem Sinne, wie Sie sich das vorstellen, denn die Wirtschaft profitiert von der Ökosteuer, ({11}) weil dadurch die Lohnnebenkosten, speziell die Rentenversicherungsbeiträge, gesenkt worden sind. ({12}) Sie tun immer so und reden denen das ein. ({13}) Es ist im Grunde genommen jedes Mal die gleiche Masche: 630-Mark-Jobs, Betriebsverfassungsgesetz, Scheinselbstständigkeit, Teilzeitarbeit. ({14}) - Ja, ja. Es ist ein permanenter Evergreen, immer wieder die gleiche Walze. Es bringt nur nichts. ({15}) Werner Schulz ({16}) Wir lassen uns im Moment nicht beirren. Wir brechen nicht in irgendwelchen hektischen Aktionismus aus, ({17}) lassen uns nicht von solchen unausgegorenen Programmen wie die, die Sie vorgelegt haben, treiben. Ich kann Ihnen versprechen: Wir werden dafür sorgen, dass das Wachstum wieder steigt, die Inflationsrate zurückgeht ({18}) und die Arbeitslosigkeit abgebaut wird, genauso wie wir das in den letzten Monaten beharrlich getan haben. ({19})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die CDU/CSU-Fraktion spricht nun der Kollege Max Straubinger.

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon erstaunlich, wie schnell es Rot-Grün geschafft hat, negative Spuren auf dem Arbeitsmarkt in Deutschland zu hinterlassen. ({0}) - Selbstverständlich, Herr Gilges. Es ist schon erstaunlich, wenn man hier feststellen muss, dass Deutschland im Jahr 2001 das niedrigste Wirtschaftswachstum innerhalb der EU aufzuweisen hat, dass nach den Prognosen in diesem Jahr ein Wirtschaftswachstum von nur noch 1,2 Prozent zu erwarten ist und damit natürlich die Arbeitslosigkeit zunehmen und nicht abgebaut wird. ({1}) Wir haben bereits jetzt saisonbereinigt 50 000 Arbeitslose mehr als zu Beginn dieses Jahres. ({2}) Die Regierung stellt sich untätig hin und sagt, wir sollen hier nicht auf Dramatik machen. ({3}) Ich finde das unverantwortlich gegenüber den arbeitslosen Menschen in unserem Land. Deshalb ist es erforderlich, eine andere Politik zu machen. ({4}) Angesichts dieser Entwicklung und der Prognose des Ifo-Instituts, dass wir im Oktober dieses Jahres wieder mehr Arbeitslose als im Oktober des letzten Jahres haben werden, habe ich kein Verständnis für das ruhige Verhalten des DGB. Ich erinnere mich daran, dass es 1998 jeden Monat Mahnwachen gegen die Arbeitslosigkeit gab. ({5}) Wo ist angesichts der hohen Arbeitslosigkeit heute der Deutsche Gewerkschaftsbund? ({6}) Wir haben wegen einer verfehlten Politik bedauerlicherweise eine so hohe Arbeitslosigkeit in unserem Land. Es wurde eine verfehlte Steuerreform durchgeführt, die besonders den Mittelstand mit verschlechterten Abschreibungsbedingungen und Überregulierung belastet. Wenn Finanzminister Hans Eichel immer wieder darstellt - Staatssekretär Gerd Andres hat vorhin auch darauf hingewiesen -, dass es die größte Steuerreform aller Zeiten gegeben hat, ({7}) so mag dies in den Auswirkungen möglicherweise für die Großkonzerne richtig sein. ({8}) Wenn wir uns das Steueraufkommen ansehen, stellen wir fest, dass der breite Mittelstand als Arbeitsbeschaffer der Nation durch Belastungen zur Melkkuh der Nation geworden ist. ({9}) Ich frage mich: Was werden die Arbeitslosen über die neue soziale Gerechtigkeit denken, wenn sie feststellen, dass das Aufkommen aus der Körperschaftsteuer - die Steuer der Großkonzerne - wegbricht, während das Aufkommen der Lohn- und Einkommensteuer auf dem gleichen Level bleibt? Die Menschen haben sich die soziale Gerechtigkeit nicht so vorgestellt. Ich glaube, wir tun gut daran, die Ökosteuer auf den Prüfstand zu stellen und zumindest die nächsten Schritte auszusetzen, wenn Sie schon nicht dazu bereit sind, sie ganz abzuschaffen. ({10}) Herr Schulz, Sie haben vorhin davon gesprochen, Benzin ins Feuer zu gießen. Wir können uns Benzin angesichts dieser rot-grünen Politik nicht mehr leisten. ({11}) Wir haben aufgrund der politischen Entscheidungen, die Rot-Grün herbeigeführt hat und die den Mittelstand belastet haben, die geringsten Investitionen im wirtschaftlichen Bereich. Ich darf in diesem Zusammenhang an den Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit, an die Einschränkung der Möglichkeit befristeter Arbeitsverträge, an Änderungen beim Kündigungsschutz, an den vollen Lohnfortzahlungsanspruch oder an die Neuregelung des Betriebsverfassungsgesetzes erinnern. Das bedeutet, dass die Großbetriebe mit einer Belastung von 10 bis 15 ProWerner Schulz ({12}) zent zu rechnen haben, während der breite Mittelstand mit 40 Prozent belastet wird. Für Sie muss es doch ein Alarmzeichen sein, wenn der ZDH ausrechnet, dass den Handwerksbetrieben mit bis zu 50 Mitarbeitern - der Beschäftigungsmotor in unserem Land - durch Ihre Gesetzgebung eine Mehrbelastung von 3 Milliarden DM entsteht. ({13}) In der Politik ist ein Umkehren notwendig. Es kann für Deutschland auch kein gutes Zeichen sein, wenn die SPD kontinuierlich mit der PDS - einer Partei, die weiterhin die Verstaatlichung der Betriebe fordert - zusammenarbeitet. ({14}) Eine solche Zusammenarbeit wird keine Vermehrung von Arbeitsplätzen herbeiführen, sondern zur Arbeitsplatzvernichtung beitragen. ({15}) Die Ergebnisse einer solchen Politik können wir leider Gottes jeden Monat an den Arbeitslosenzahlen - besonders für Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt ablesen. ({16}) Wir fordern deshalb, dass die Steuerreform für den Mittelstand und die Arbeitnehmer vorgezogen und eine steuerliche Entlastung angestrebt wird. Wenn die Staatssekretärin im Finanzministerium, Frau Barbara Hendricks, gestern gesagt hat, es sei gut, wenn in Amerika die Steuerbelastung gesenkt werde, sage ich: Um wie viel mehr müsste es dann gut sein, wenn bei uns die steuerliche Belastung gesenkt würde. ({17})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege, nun muss es aber auch mit Ihrer Redezeit gut sein.

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin, ich komme sofort zum Schluss. - Es ist meines Erachtens auch wichtig, dass in Zukunft auf die Meinung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung gehört wird. Geben Sie der Deregulierung auf dem Arbeitsmarkt eine Chance und strangulieren Sie nicht den Arbeitsmarkt. Dann werden wir in unserem Lande wieder mehr Arbeitsplätze haben. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Kollegin Iris Gleicke.

Iris Gleicke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000687, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon bemerkenswert, mit welchen Mitteln die Union die Situation am Arbeitsmarkt für sich ausschlachten will. Die Christdemokraten rufen nach milliardenteuren Maßnahmen, ohne der staunenden Öffentlichkeit zu erklären, wie das eigentlich finanziert werden soll. Jetzt verlangt die Union, dass die nächste Stufe der Steuerreform vorgezogen wird - einer Steuerreform, gegen die sie im vergangenen Jahr gehetzt hat und die auch Herr Straubinger eben wieder kritisiert hat. Vielleicht können Sie sich innerparteilich einmal einig werden, was Sie eigentlich wollen. ({0}) Das Vorziehen der nächsten Stufe der Steuerreform kann schlicht und ergreifend niemand bezahlen. Jeder - aber wirklich jeder - weiß, dass es zur Konsolidierung der Staatsfinanzen keine Alternative gibt. Auch Merkel, Merz und Meyer wissen das; aber politische Glaubwürdigkeit und Seriosität spielen bei diesem Dreier ohne Steuermann ganz offensichtlich keine Rolle mehr. Der Konsolidierungskurs ist nicht zu verwechseln mit einer sturen Sparpolitik. Wir betreiben konstruktive Arbeitsmarktpolitik und die Förderinstrumente werden laufend auf ihre Effektivität hin überprüft. ({1}) Das gilt insbesondere für das Programm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit. ({2}) Damit wurde Hunderttausenden von Jugendlichen geholfen. In den Jahren 1999 und 2000 wurden mehr als 268 000 Jugendliche mit diesem Programm gefördert; seit Jahresbeginn sind mehr als 63 000 Jugendliche in Maßnahmen des Sofortprogramms eingetreten. ({3}) Dieses Programm ist im Westen wichtig. Im Osten ist dieses Programm unverzichtbar. Ohne das JUMP-Programm wäre es bei uns in Ostdeutschland zu einer sozialen Katastrophe gekommen, ({4}) eben weil die Situation im Osten so ungleich viel schwieriger ist, eben weil die Arbeitslosigkeit in den strukturschwachen Regionen Ostdeutschlands doppelt so hoch ist wie im Westen. Die Jugendlichen dürfen nicht im Stich gelassen werden - und wir lassen sie nicht im Stich. Genau deshalb gehen seit Jahresbeginn 50 Prozent der Mittel für das JUMP-Programm in die neuen Länder. Derzeit kommen mehr als 50 Prozent aller Teilnehmer am JUMPProgramm aus Ostdeutschland. Das ist aktive Arbeitsmarktpolitik für junge Leute. ({5}) Wir wollen, dass jeder eine Chance erhält. Die jungen Leute nutzen diese Chance. Die Zahl der jungen Leute, die Maßnahmen ohne Begründung ablehnen oder abbrechen, ist verschwindend gering. Das zeigt, die Jugendlichen wollen eine Ausbildung, sie wollen arbeiten, sie wollen Verantwortung für ihr eigenes Leben übernehmen. Seit Jahresanfang können Arbeitsämter 5 Prozent ihrer JUMP-Mittel für so genannte Mobilitätshilfen verwenden. Wegen der derzeit viel diskutierten Abwanderung aus dem Osten erntet die Bundesregierung hierfür zum Teil herbe Kritik. Aber selbstbewusste junge Leute sind zu allen Zeiten dorthin gegangen, wo sie ihre Chancen gesehen haben. Es ist doch eine pure Illusion, zu glauben, dass alle jungen Leute in absehbarer Zeit den Arbeitsplatz ihrer Wahl am eigenen Heimatort finden könnten. ({6}) Bisher waren vor allem solche jungen Leute mobil, deren Eltern sich das leisten konnten. Die Mobilitätshilfen eröffnen diese Möglichkeit allen jungen Arbeitslosen. ({7}) - Auch das ist Herstellung von Chancengleichheit, Herr Niebel. Genau das wollen wir: Chancengleichheit und Gerechtigkeit. ({8}) Bisher erhielten ganze vier Jugendliche aus Westdeutschland Mobilitätshilfen aus dem JUMP-Programm, im Osten waren es 1 784. ({9}) Auch das zeigt, wie dringend dieses Programm im Osten gebraucht wird. Aber ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie der Vorgänger von Herrn Merz hier im Bundestag gegen das JUMP-Programm agitiert hat. Anfang 1999 hat Herr Schäuble die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit verhöhnt ({10}) als „Programm, um Jugendliche ohne Beschäftigung ruhig zu stellen“. Das ist Zynismus und Ihre Zwischenrufe machen ebenfalls deutlich, dass es Ihnen nicht um das Problem geht. ({11})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege Niebel, lassen Sie die Kollegin doch einmal zu Wort kommen. ({0}) Zwischenrufe bedeuten nicht, dass man dauernd dazwischenruft. Sonst wäre es ja die Hauptrede. ({1})

Iris Gleicke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000687, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Schäuble hat das ganze Programm damals für „völlig ineffektiv“ erklärt und seine Streichung verlangt, um 2 Milliarden DM im Jahr zu sparen. Das ist die Wahrheit. ({0}) An diesem Denken und an dieser Herzlosigkeit hat sich das zeigt auch die heutige Aktuelle Stunde wieder - bei der Union und ganz offensichtlich auch bei der F.D.P., nichts, aber auch gar nichts geändert. ({1}) Sie wissen ganz genau, dass die grundsätzlich positive Entwicklung in der ostdeutschen Wirtschaft und auf dem ostdeutschen Arbeitsmarkt vom Abbau der Überkapazitäten in der Bauwirtschaft überdeckt wird. Diese Überkapazitäten sind zum Teil durch die verfehlte Förderpolitik in Ihrer Regierungszeit entstanden. ({2}) Ich muss hier noch eine Bemerkung zum Kollegen Merz und zum Berliner Wahlkampfauftakt der CDU loswerden. Ich verurteile wie die ganze SPD, dass auf dem Alexanderplatz mit Eiern geworfen worden ist. ({3}) Wir haben damals im Osten vor und während der Wende für Demokratie und Gewaltfreiheit sowie dafür gekämpft, dass jeder überall seine Meinung sagen kann. Gewalt kann und darf kein Mittel der politischen Auseinandersetzung sein. Aber ich empfinde es schon als sehr schwierig, dass der Kollege Merz auf dem Alexanderplatz von „Gesindel“ gesprochen hat, ({4}) das er in Deutschland nicht mehr sehen wolle. Das halte ich auch dann für sehr unangebracht, wenn er das in persönlicher Erregung gesagt hat. ({5})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Manfred Grund.

Manfred Grund (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002667, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte gerne zum Thema dieser Aktuellen Stunde, zur Situation am Arbeitsmarkt und zur Situation der Arbeitslosen, zurückkommen. ({0}) In der Aktuellen Stunde der letzten Woche ging es um die drohende Schließung des Adtranz-Werkes in Brandenburg und damit um das mögliche Aus für 2 500 Arbeitsplätze und die existenzielle Not von 2 500 Familien. Die Bundesregierung war in der letzten Woche durch den Staatssekretär im Bundesministerium für Verkehr, Bauund Wohnungswesen, Stephan Hilsberg, vertreten, der sich die Sorgen der betroffenen Menschen durchaus zu Eigen gemacht hat, letztendlich aber nichts gesagt hat, was den Menschen in irgendeiner Weise hätte eine konkrete Hoffnung geben können. Hilsberg beendete seine Rede mit dem bemerkenswerten Satz: Ich wünsche Ihnen bei den Bemühungen um den Standort viel Glück. Meine sehr geehrten Damen und Herren, auch heute haben wir außer leeren Worthülsen - Staatssekretär Andres sprach von „Panikmache“, Frau Dückert von einer „Wachstumsdelle“, in der wir uns befänden, und der Kollege Schulz von „Übergangsphänomenen“, die es zu bekämpfen gelte - von der Regierung und den sie tragenden Fraktionen nichts zur Situation am Arbeitsmarkt gehört. ({1}) Ich muss Sie schon fragen, ob Sie, die letzte Woche und heute zusammengenommen, tatsächlich von allen guten Geistern verlassen sind, dass Sie außer Floskeln und vielleicht noch einem warmen Händedruck zur Situation der von Arbeitslosigkeit Betroffenen überhaupt nichts mehr zu sagen haben. ({2}) Sie verweisen gern darauf, dass Sie 1998 eine fürchterliche Erblast übernommen hätten ({3}) und dass Sie das größte Steuerprogramm aufgelegt hätten. Die Regierung unter Helmut Kohl hat zwischen 1983 und 1989 die Zahl der Arbeitsplätze in Deutschland von 26 Millionen auf 29 Millionen gesteigert. Das war in Verbindung mit der Steuerreform das größte Wachstumsprogramm für Arbeitsplätze, das dieses Land jemals erlebt hat. ({4}) Nach drei Jahren Regierungsverantwortung von RotGrün, einer Verantwortung, die Sie auch ganz persönlich tragen, sind diese 3,7 Millionen Arbeitslosen, um die es heute geht, Ihre Arbeitslosen. Sie müssen sich daran messen lassen, was mit diesen Menschen geschieht. Es gibt auch für einen Bundeskanzler kein Recht auf Faulheit. ({5}) Wenn der Bundeskanzler, auf die Arbeitslosen zeigend, meint, er könne unter ihnen besonders viele Faulpelze ausmachen, dann weisen bei ausgestrecktem Zeigefinger drei Finger auf ihn selbst zurück. ({6}) Es ist bei weitem nicht nur die Opposition, Herr Kollege Schulz, die das Nichtstun von Gerhard Schröder für die Arbeitslosigkeit verantwortlich macht. Alle vergleichenden Gutachten der Europäischen Kommission in Brüssel, des Internationalen Währungsfonds in Washington oder der OECD in Paris sagen unisono, dass die Arbeitslosigkeit in Deutschland strukturell bedingt und damit hausgemacht ist. Es war ganz einfach fahrlässig, sich auf die amerikanische Konjunktur zu verlassen sowie allein auf die Exportnachfrage zu setzen und damit die in diesem Land durchaus notwendigen strukturellen Reformen zu vernachlässigen. ({7}) Jetzt, da die Auslandsnachfrage zusammenbricht, die Binnenkonjunktur durch Ökosteuern und Sozialabgaben abgewürgt ist, wird auch klar, dass weder von der Konjunktur noch von der Tarifpolitik irgendein den Arbeitsmarkt entlastendes Moment zu erwarten ist. Die interessierte Öffentlichkeit hat übrigens lange nichts mehr vom Bündnis für Arbeit gehört. ({8}) Aber wären denn 5 000 Arbeitsplätze bei VW in Wolfsburg, auf die sich schon 10 000 Arbeitslose beworben haben, nicht des Schweißes der Edlen im Bündnis für Arbeit würdig? ({9}) Meine Damen und Herren, für 5 000 Arbeitsplätze zu 5 000 DM brutto würden in den neuen Bundesländern Himmel und Erde in Bewegung gesetzt werden. Möglicherweise würden sogar die Gewerkschaften mithelfen, damit diese Arbeitsplätze entstehen, ({10}) denn in den neuen Bundesländern, Frau Kollegin Gleicke, wird die Situation am Arbeitsmarkt von Monat zu Monat dramatischer. Der Osten sitzt allerdings sowohl beim Bündnis für Arbeit als auch im Bundeskabinett am Katzentisch. Die Arbeitslosenquote liegt im Westen aktuell bei knapp 7 Prozent, in den neuen Bundesländern bei 17 Prozent, also mehr als doppelt so hoch. Wir haben also eine Ost-West-Kluft von 10 Prozent. Als Gerhard Schröder ins Amt kam, betrug die Kluft zwischen Ost und West gerade 7 Prozent. Die Schere geht also dramatisch auseinander, übrigens auch bei der Jugendarbeitslosigkeit. ({11}) Ich habe von Antje Hermenau einen Satz gelesen, der die Situation beschreibt, in der sich manche der ostdeutschen Kollegen befinden. Sie hat mit Bezug auf die Bundesregierung gesagt: Wir fühlen uns aufgegeben und abgeschrieben. Dies wiederum veranlasste den für den Aufbau Ost im Kanzleramt zuständigen Rolf Schwanitz zu der scharfsinnigen Analyse: Wir sehen starke Bewegungen in gegensätzliche Richtungen. Es gibt tatsächlich starke Bewegungen, allerdings stark fallende Bewegungen, und dies besonders im ostdeutschen Baugewerbe. Dazu zitiere ich aus der Presse meiner Heimat nur die Schlagzeilen dieser Woche: Massenentlassungen bei Deuna-Zement, 103 Mitarbeitern steht Kündigung bevor. Baustoffwerke AG in Teistungen vor dem Aus. Weil vorhin von Panikmache die Rede war, weise ich auf Folgendes hin: In ihrer Not wendet sich nun sogar schon die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt an die Oppositionsabgeordneten und fordert uns auf, gemeinsam etwas gegen die „arbeitsplatzvernichtende Politik im Baugewerbe“ zu tun. ({12}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Bundeskanzler wollte sich an der Abnahme der Arbeitslosigkeit messen lassen. Das ist hier mehrfach gesagt worden. Er hat nicht gesagt, dass das Messgerät ein Vergrößerungsglas sein wird. Wenn man tatsächlich den Rückgang der Arbeitslosigkeit suchen will, muss man eine Lupe zur Hand nehmen. So kann verantwortliche Regierungspolitik in Deutschland nicht gemeint sein. ({13})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Peter Dreßen.

Peter Dreßen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002642, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es wurde in der heutigen Debatte bereits ein paar Mal von Kollegen aus der Opposition wahrheitswidrig behauptet, die Arbeitslosenzahlen seien in den letzten Monaten weiter gestiegen. ({0}) Ich will Ihnen einfach die statistischen Angaben der Bundesanstalt für Arbeit vorlesen. Man kann diese Zahlen übrigens immer nur im Vergleich zum entsprechenden Vorjahresmonat interpretieren. ({1}) Im März 1998, als Sie am Ruder waren, gab es 4 623 393 Arbeitslose, im März 1999 waren es 4 288 493 Arbeitslose. Das entspricht einem Abbau um rund 334 000. Im März 2000 waren es 4 140 000 - das entspricht einem Abbau um 147 000 -, im März 2001 3 999 000 Arbeitslose - das entspricht einem Abbau um 141 000. ({2}) Im Juni 2001 waren es 3 694 000 Arbeitslose, also noch einmal rund 305 000 weniger. Was Sie uns hier erzählen, stimmt also schlichtweg nicht. Ich unterstütze voll, was der Herr Staatssekretär gesagt hat: Die jetzigen Arbeitslosenzahlen sind uns natürlich nach wie vor zu hoch; gar keine Frage. Wir tun da einiges. Ihnen muss ich aber etwas zum Thema Rahmenbedingungen sagen. Ich komme wie Sie aus Baden-Württemberg. In Baden-Württemberg hat man von 1950 bis heute ({3}) mit den Tarifparteien eine Verminderung der Arbeitszeit von 48 Stunden auf 35 Stunden vertraglich vereinbart. Wir haben - immer zusammen mit den Kolleginnen und Kollegen - vernünftige Arbeitsbedingungen in den Betrieben geschaffen; wir haben die Arbeitszeiten verändert. Ich muss Ihnen sagen: Es gibt über 2 000 Möglichkeiten, die Arbeitszeiten zu gestalten. Von Inflexibilität kann man überhaupt nicht sprechen. ({4}) In Baden-Württemberg gibt es die höchsten Löhne. Ähnlich hoch sind sie in Bayern oder NRW, wo wir ähnliche Verhältnisse haben. Wir haben in Baden-Württemberg eine Arbeitslosenquote von 5 Prozent. ({5}) Aber in den neuen Bundesländern, wo Wildwestmanieren herrschen, liegt die Arbeitslosigkeit bei 20 Prozent. ({6}) In diesen Ländern herrschen nicht die Rahmenbedingungen, die Sie gern bei uns kritisieren! Nehmen Sie einmal zur Kenntnis, Herr Niebel: Ihr dummes Geschwätz bringt uns wirklich nicht weiter. ({7}) Wir haben hier schon einiges von dem gehört, was diese Regierung gemacht hat. Ich will das nicht wiederholen, sondern auf einige andere Punkte hinweisen. Wir haben Geld zur Verfügung gestellt, um 50 000 Schwerbehinderte wieder in den Arbeitsmarkt einzugliedern. Diesen Behinderten, die es noch schwerer haben als andere, haben wir wieder zu Arbeit verholfen. Ich will noch einen zweiten Punkt nennen, der heute zu kurz gekommen ist. Wir in der Politik müssen versuchen, durch Forschung neue Arbeitsplätze zu schaffen. Ein Beispiel dafür ist die Windenergie. Herr Niebel, wir haben im Bereich der Windenergie 35 000 Arbeitsplätze. Das ist so viel wie in der gesamten Atomkraftindustrie. Obwohl die Windenergie nur 2 Prozent des Stromverbrauchs ausmacht, bietet sie 35 000 Arbeitsplätze. Das heißt, wir haben in diesem Bereich neue Arbeitsplätze geschaffen. Wenn wir uns vorstellen, dass die Windenergie vielleicht auf einen Anteil von 10 Prozent kommen wird, kann man ausrechnen, wie viele Arbeitsplätze hier geschaffen werden können. ({8}) Was noch hinzu kommt, ist, dass die Windindustrie im Moment mehr Stahl als die gesamte Schiffsindustrie verbraucht. Sie sehen: Hier entstehen auch Aufträge für andere Industrien. Insofern glaube ich schon, dass wir durch den Ausbau der alternativen Energien und durch Energiesparprogramme tatsächlich zusätzliche Arbeitsplätze schaffen können. Zum Schluss möchte ich noch etwas zu einem Thema sagen, das heute schon ein paar Mal angesprochen worden ist: die Geschichte mit VW. Können Sie sich denn nicht vorstellen, dass es einer Gewerkschaft, die in den letzten Jahren immer dafür gesorgt hat, dass die Arbeit auf mehr Schultern verteilt wird, schwer fällt, 42 Stunden in der Woche für 5 000 DM arbeiten zu lassen? ({9}) Halten Sie es nicht für eine bessere Idee, mit dem Lohn vielleicht um 500 DM herunterzugehen und auch die Arbeitszeit zu senken? Davon haben die Arbeitslosen etwas; denn dann können wir mit den eingesparten Geldern statt 5 000 vielleicht 5 500 Menschen einstellen. Das wäre meines Erachtens eine sinnvolle Sache. ({10}) Man muss sich doch klar darüber sein, dass es den Gewerkschaften darum geht, mit den Betriebsräten zu vereinbaren, die Arbeit auf mehr Schultern zu verteilen, damit Arbeitslose wieder in den Arbeitsprozess hineinkommen. Dazu erklären Sie, dass dies alles Humbug und schädlich sei, was dort gemacht worden ist. Ich halte Ihre Rede für einen Witz. Ich sehe auch Ihre Argumentation zu den Arbeitslosenzahlen, die Sie gebracht haben, ({11}) als schlichtweg unseriös und unglaubwürdig an; dagegen sprechen alle Tatsachen. ({12})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Birgit Schnieber-Jastram. ({0})

Birgit Schnieber-Jastram (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002785, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank für Ihr Mitgefühl, Herr Brandner! Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sollten uns wirklich allen Ernstes anschauen, wie in diesem Lande die Realität ist. Ich habe in dieser Debatte bei den Rednern teilweise Realitätssinn vermisst. Lassen Sie uns einmal über das reden, was heute veröffentlicht worden ist: die aktuellen Arbeitsmarktzahlen. Sie sprechen doch eine sehr deutliche Sprache. Wenn ich mich daran erinnere, dass die rot-grüne Bundesregierung einen Aufbruch propagiert hat, ({0}) dann spiegeln für mich diese Arbeitslosenzahlen den Aufbruch nicht wider. Ich kann ihn nicht erkennen. ({1}) Im Gegenteil: Die Arbeitslosigkeit ist trotz einer großen Zahl von Menschen, die wegen ihres Alters in den Ruhestand gehen, auf einem Höchststand. Dafür möchte ich Ihnen drei Beispiele anführen. Das erste Beispiel: Im Vergleich zu unseren europäischen Nachbarn ist Deutschland fast das Schlusslicht. Es belegt den zwölften Platz. Nur drei anderen Staaten geht es noch schlechter. Erschreckend ist auch, dass Deutschland das einzige Land ist, in dem die Arbeitslosigkeit angestiegen ist. Rot-Grün lässt grüßen. ({2}) Das zweite Beispiel: In den neuen Bundesländern ist die Arbeitslosigkeit weiterhin mehr als doppelt so hoch wie in Westdeutschland. Es reicht nicht aus, dass der Bundeskanzler im Sommer durch die neuen Bundesländer reist. Hier ist vielmehr engagiertes Handeln gefragt. ({3}) - Herr Dreßen, Sie behaupten immer, dass er das täte. Aber wir merken davon nichts. Das dritte Beispiel: Saisonbereinigt ist nicht etwa, wie von Rot-Grün behauptet, ein Rückgang, sondern sogar ein Anstieg der Arbeitslosigkeit zu verzeichnen, ({4}) und dies bereits seit Jahresanfang. Man könnte noch weitere Beispiele anführen, aber ich habe immer wieder erlebt, dass die Bundesregierung solche Fakten hartnäckig ignoriert. Sie gehen immer mehr dazu über, die Wahrheit völlig zu verschleiern. Hoffen Sie eigentlich auf gutes Wetter und auf eine saisonbedingte Verringerung der Arbeitslosigkeit? Alle führenden Experten erwarten inzwischen keine Trendwende auf dem Arbeitsmarkt. Bereits seit Mitte letzten Jahres ist das Wirtschaftswachstum so schwach, dass kaum positive Beschäftigungsimpulse eintreten. So, wie es derzeit aussieht, wird die Arbeitslosigkeit am Jahresende sogar höher sein als im Jahre 2000. ({5}) Dass Erfolge möglich sind, wissen Sie genauso gut wie wir. Das zeigen die aktuellen Daten anderer Länder. Die Niederlande beispielsweise weisen nur ein Drittel der deutschen Arbeitslosigkeit auf. Das ist doch ein Grund, einmal darüber nachzudenken, wie andere Länder das schaffen. ({6}) Die Arbeitslosigkeit in Deutschland liegt sogar über dem Durchschnitt derjenigen in der gesamten Europäischen Union bzw. der OECD. Auch innerhalb Deutschlands - Herr Dreßen, Sie sollten sich erinnern, dass in Ihrem Heimatland Baden-Württemberg die CDU zusammen mit der F.D.P. in der Verantwortung ist - gibt es Erfolge. Das zeigen die allein von uns oder zusammen mit der F.D.P geführten Bundesländer. Bayern und BadenWürttemberg beispielsweise weisen eine halb so hohe Arbeitslosigkeit wie im Bundesdurchschnitt auf. ({7}) Die dortigen Kollegen verstehen unsere Sorgen nicht. ({8}) Das zeigt: Ein echter, ein drastischer Rückgang der Arbeitslosigkeit ist möglich. Sie müssen nur Ihre Energien nicht in die Verschleierung der Wahrheit, sondern in mutige Reformen stecken. ({9}) Sie haben übrigens hier mehrfach gezeigt, wie sehr man Sie jagen muss. Mit unseren Anträgen zur Jobrotation, zu mehr Wettbewerb bei Qualifizierungsmaßnahmen, zum SGB III sowie mit unseren Initiativen zur Zusammenlegung von Arbeitslosengeld und Sozialhilfe müssen wir Sie ständig antreiben, weil Sie nicht in die Puschen kommen. ({10}) Ich bitte Sie: Machen Sie die Augen auf und nehmen Sie die Realität zur Kenntnis. ({11})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Kollegin Andrea Nahles. ({0})

Andrea Nahles (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003196, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich fasse das konjunkturpolitische und arbeitsmarktpolitische Programm der CDU/CSU und der F.D.P. wie folgt zusammen: ({0}) Erstens. Sie wollen Gesetze dieser rot-grünen Bundesregierung abschaffen. Zweitens: Sie wollen Gesetze dieser rot-grünen Bundesregierung vorziehen. Es ist ein Armutszeugnis, dass Sie nicht in der Lage sind, eigene überzeugende Konzepte vorzulegen, und dass Sie sich an uns abarbeiten müssen, und das dann auch noch schlecht. ({1}) Herr Merz will das Gesetz zur Teilzeitbeschäftigung abschaffen. ({2}) Das verrät den Geist Ihrer Arbeitsmarktpolitik: Die Frauen sollen also doch zu Hause bleiben. ({3}) Sie wollen ihnen nicht die Chance geben, Beruf und Familie miteinander zu verbinden. Ich kann Ihnen nur sagen: Das werden Ihnen die Frauen in diesem Lande danken! Außerdem wollen Sie die Lohnnebenkosten senken. Das hätten Sie in den 16 Jahren, in denen Sie regiert haben, machen können. Aber das haben Sie nicht getan. Stattdessen sind die Lohnnebenkosten ständig gestiegen. Dagegen, dass Sie die Lohnnebenkosten senken möchten, ist zwar gar nichts einzuwenden. Aber gleichzeitig wollen Sie die Ökosteuer abschaffen. Das geht nicht zusammen; denn dann würden die Lohnnebenkosten sofort um 2 Prozent steigen. Das würde sich entscheidend negativ auf die Wirtschaftskraft in diesem Lande auswirken. ({4}) Ferner polemisieren Sie die ganze Zeit gegen das Betriebsverfassungsgesetz. Dazu möchte ich Ihnen Folgendes sagen: Es mag für die F.D.P reichen, wenn Sie, Herr Niebel, sich von einer Minderheit der Unternehmen, die Angst vor einer guten Kooperation mit ihren Mitarbeitern hat, zum Lobbyisten machen lassen. Ich möchte demgegenüber unterstreichen, dass die Betriebsräte und Arbeitnehmer ein hohes Interesse an einer erfolgreichen Unternehmenspolitik haben. Sie sind nicht das Problem. Sie sind Partner bei der Lösung von Problemen in den Betrieben. ({5}) Frau Schnieber-Jastram, Sie brauchen uns nicht über die Arbeitsmarktsituation zu belehren. ({6}) Der Rückgang der Arbeitslosigkeit setzt sich derzeit nicht fort. ({7}) Wir nehmen das ernst. Aber bleiben Sie bitte auf dem Teppich! Unsere Zahlen zeigen einen Aufbau von Erwerbstätigkeit. Wir haben immer noch real 235 000 Arbeitsplätze geschaffen. ({8}) Das heißt: Wir sind im Plus, was die Erwerbstätigenzahlen in diesem Lande angeht. Das können Sie zur Kenntnis nehmen oder bleiben lassen; die Fakten ändern sich dadurch nicht. ({9}) Sie haben eine Arbeitsmarktpolitik betrieben, deren Kreativität sich darin erschöpft hat, vor Wahlen WahlkampfABM zu schaffen. Sie haben lediglich eine reaktive Arbeitsmarktpolitik betrieben. Wir legen im Herbst eine Reform zum SGB III vor. ({10}) Damit werden wir zum ersten Mal präventive Arbeitsmarktpolitik betreiben. Wir werden nicht warten, bis die Leute in Langzeitarbeitslosigkeit stecken, sondern wir werden den Leuten schon vorher Weiterbildung anbieten. Auch dann, wenn sie älter als 50 Jahre sind, werden wir ihnen eine Weiterbildung in Arbeit anbieten. ({11}) Wir werden - das ist entscheidend - die Vermittlung passgenau und individuell auf die Probleme zuschneiden, die die einzelnen Arbeitslosen haben. ({12}) Das sind die entscheidenden Reformschritte, auf die wir in Ihrer Regierungszeit lange gewartet haben. Was mir besonders wichtig ist: Wir werden vor allem auch in Ostdeutschland versuchen, die Arbeitsmarktpolitik stärker mit der Infrastruktur- und Strukturpolitik vor Ort zu verzahnen, als es bisher möglich war, und somit auch die Wirtschaftskraft und die Arbeitsmarktsituation zu verbessern. Ich hoffe jedenfalls, dass uns das gelingt. Wir werden alles tun, was dafür nötig ist. Zukunftsorientierte Arbeitsmarktpolitik - das machen wir. Wir wären auch froher, wenn uns die konjunkturpolitische Situation in diesem Land nicht ein Stück weit zurückgeworfen hätte. Aber wir werden nicht mit dem zufrieden sein, was wir erreicht haben, sondern wir werden unsere Anstrengungen verdoppeln. ({13}) Also: Schnallen Sie sich an! Ducken Sie sich! Sie wissen: Ich bin immer noch Juso. ({14})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Die Aktuelle Stunde ist damit beendet. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a bis 5 g sowie die Zusatzpunkte 5 und 6 auf: 5. a) Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Das Kioto-Protokoll ratifizieren und umsetzen - Drucksache 14/6542 - b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({0}) - zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Dr. Peter Paziorek, Cajus Caesar, Marie-Luise Dött, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU zur Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung 6. Weltklimakonferenz - Chancen für mehr Klimaschutz - zu dem Antrag der Abgeordneten Birgit Homburger, Marita Sehn, Ulrike Flach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P. Agenda für eine Initiative Deutschlands zum internationalen Klimaschutz - zu dem Antrag der Abgeordneten Ulrike Flach, Birgit Homburger, Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P. Solarbericht - Drucksachen 14/4887, 14/4890, 14/1234, 14/6187 Berichterstattung: Abgeordnete Monika Ganseforth Bernward Müller ({1}) Birgit Homburger c) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Nationales Klimaschutzprogramm Fünfter Bericht der Interministeriellen Arbeitsgruppe „CO2-Reduktion“ - Drucksache 14/4729 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({2}) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirt- schaft Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät- zung d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({3}) zu dem An- trag der Abgeordneten Birgit Homburger, Marita Sehn, Ulrike Flach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P. Börsenhandel mit Emissionszertifikaten in Deutschland konkret vorbereiten - Drucksachen 14/4395, 14/5588 - Berichterstattung: Abgeordnete Monika Ganseforth Marie-Luise Dött Birgit Homburger e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({4}) zu dem Antrag der Abgeordneten Horst Friedrich ({5}), Hans- Michael Goldmann, Dr. Karlheinz Guttmacher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P. CO2-Ausstoß im Gebäudebereich senken - Drucksachen 14/660, 14/5302 - Berichterstattung: Abgeordneter Norbert Formanski f) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({6}) zu dem An- trag der Abgeordneten Dr. Christian Ruck, Dr. Peter Paziorek, Dagmar Wöhrl, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der CDU/CSU Offensive zur Reduktion von CO2-Emissionen im Gebäudebestand starten - Drucksachen 14/4379, 14/5596 - Berichterstattung: Abgeordnete Monika Ganseforth Dr. Reinhard Loske Eva Bulling-Schröter g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Peter Paziorek, Dr. Christian Ruck, Kurt-Dieter Grill, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/ CSU Die 6. Vertragsstaatenkonferenz ({7}) muss zum Erfolg führen - Für eine nachhaltige Entwicklungs- und Klimapolitik - Drucksache 14/6439 ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgit Homburger, Marita Sehn, Ulrike Flach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P. Initiative Deutschlands für einen Durchbruch beim internationalen Klimaschutz - Drucksache 14/6547 ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Eva Bulling-Schröter, Dr. Winfried Wolf, Rolf Kutzmutz, Ulla Lötzer und der Fraktion der PDS Klimapolitik international und national auf eine neue Grundlage stellen - Drucksache 14/6570 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. - Es gibt keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der Herr Staatsminister Hans Martin Bury.

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Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit der am 16. Juli in Bonn beginnenden Klimakonferenz der Vereinten Nationen gehen die jahrelangen Bemühungen um ein verbindliches Klimaschutzabkommen in die entscheidende Phase. Der Bundeskanzler hat bei seinem Besuch in Washington deutlich gemacht, dass das Kioto-Protokoll gegenwärtig die einzige Basis für den weltweiten Klimaschutz bildet. Die Bundesregierung hält deshalb am Kioto-Protokoll fest und setzt sich für den erfolgreichen Abschluss der Klimakonferenz ein. ({0}) Dass Frau Merkel bei ihrem USA-Besuch Verständnis für die amerikanische Position zeigt, stimmt mich allerdings nachdenklich. ({1}) Sie scheint alles vergessen zu haben, was sie als Umweltministerin noch für richtig hielt, und nicht nur das: Sie isolieren Deutschland in Europa, so wie Sie in der Außenund Sicherheitspolitik unser Land im Bündnis isolieren wollen. ({2}) Das ist nicht nur Ausdruck mangelnder Regierungsfähigkeit. Der Sonderweg der Union ist eine Sackgasse. ({3}) Die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union haben in Göteborg erneut ihre Bereitschaft bekräftigt, die in Kioto eingegangenen Verpflichtungen zur Verminderung der Treibhausgase zu erfüllen. Der Bundeskanzler wird beim G-8-Gipfel in Genua mit seinen Kollegen aus der EU darauf drängen, dass auch die anderen großen Industrieländer ihren Teil der Verantwortung übernehmen und damit in Bonn der Durchbruch geschafft wird. Von den Gegnern einer aktiven Klimaschutzpolitik wird immer wieder behauptet, ein wirksamer Klimaschutz vertrage sich nicht mit einer erfolgreichen wirtschaftlichen Entwicklung. Das genaue Gegenteil ist richtig. ({4}) Für die Bundesregierung ist die Steigerung der Energieeffizienz ein Schlüssel zur Modernisierung der Volkswirtschaft. ({5}) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Damit vermindern wir die Abhängigkeit von Ölimporten und stärken unsere Wettbewerbsfähigkeit. Ein Quantensprung bei der Energieeffizienz, kombiniert mit einem massiven Ausbau der erneuerbaren Energien - das ist die Erfolg versprechende Doppelstrategie der Bundesregierung, das ist unsere Strategie für eine nachhaltige Entwicklung. Von dieser Art Klimaschutz gehen wichtige Impulse für Wirtschaft und Beschäftigung aus. ({6}) Aus Anlass der Bonner Klimakonferenz wird auch deutlich werden, wer nur wohlfeile Bekenntnisse für den Klimaschutz abgibt und wer aktiv etwas zur Senkung der CO2-Emissionen tut. An Bekenntnissen zum Klimaschutz hat es die frühere Bundesregierung nie fehlen lassen. Helmut Kohl hat in Rio weit reichende Beschlüsse mit gefasst. Der Beitrag zur Erreichung dieser Ziele beschränkte sich auf den Zusammenbruch der ostdeutschen Industrie. ({7}) Wir wollen blühende Landschaften nicht durch Deindustrialisierung, sondern durch Modernisierung. Ich setze auf ein magisches Viereck aus Wachstum, Energieeffizienz, Ressourceneffizienz und Beschäftigung. ({8}) Mit konkreten Schritten kommen wir diesem Ziel näher: Erstens. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz erweist sich weltweit als das erfolgreichste Förderkonzept. In keinem anderen Land drehen sich so viele Windräder wie bei uns. ({9}) Zweitens. Mit der Biomasseverordnung schaffen wir die Voraussetzungen dafür, dass sich in den nächsten zehn Jahren die Stromproduktion aus Biomasseanlagen verfünffachen wird. Das ist für die Umwelt und für die Landwirtschaft gut. Drittens. Mit der Wirtschaft haben wir eine anspruchsvolle Vereinbarung zum Klimaschutz getroffen, bis 2010 die CO2-Emissionen um 43 Millionen Tonnen zu reduzieren. Viertens. Auch bei der Kraft-Wärme-Kopplung ist uns der Durchbruch gelungen. Die Eckpunkte eines Konzepts zur Modernisierung und zum Ausbau der KraftWärme-Kopplung wurden vom Kabinett gestern beschlossen. Fortschrittliche Technologien, wie Brennstoffzellen und Blockheizkraftwerke, werden besonders gefördert. Fünftens. Für die Sanierung des Gebäudebestandes hat die Bundesregierung ein Milliardenprogramm aufgelegt. Damit werden Investitionen von rund 10 Milliarden DM angestoßen und 5 bis 7 Millionen Tonnen CO2 eingespart. Zugleich leistet das Programm einen wichtigen Beitrag zur Beschäftigungssicherung, vor allem in Handwerk und Bauwirtschaft. Sechstens. Der Benzinverbrauch sinkt. Die „Bild“-Zeitung - nicht gerade verdächtig, Propaganda für die ökologische Steuerreform zu betreiben - jubelte gestern ich zitiere -: Auch die Autofahrer können den viel zitierten „Benzinhahn“ zudrehen - nur eben am anderen Ende der Leitung. ({10}) Die Bundesregierung hat den Bereich Klimaschutz und Energie als prioritäres Handlungsfeld einer nachhaltigen Entwicklung festgelegt. In der vergangenen Woche hat das Green Cabinet, der Staatssekretärsausschuss für nachhaltige Entwicklung, weitere Projekte beschlossen und auf den Weg gebracht. Wir wollen beim Ausbau der erneuerbaren Energien neue Wege gehen: Die Zukunft der Windenergie liegt im Meer. Wir machen den Weg für die Errichtung von Offshorewindanlagen frei. Solche Windparks können in 25 bis 30 Jahren rund 85 Terawattstunden Strom liefern. Das entspricht der Stromproduktion von acht Kernkraftwerken. Damit holen wir die erneuerbaren Energien aus der Nische und ersetzen konventionelle Kraftwerke. ({11}) Die Brennstoffzelle bringt den notwendigen Quantensprung bei der Energieeffizienz. Die Entwicklung im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien zeichnet vor, welchen Weg wir auch im Energiebereich erfolgreich beschreiten können. So wie wir vom Großrechner über mittlere Datentechnik zu vernetzten PCs und mobilen Anwendungen gekommen sind, so wollen wir von Großkraftwerkstechnologien zu einem Internet dezentraler Energieproduktion kommen. Im Verkehrsbereich setzen wir auf Effizienzsteigerungen und auf neue Antriebssysteme. Ich möchte, dass das erste wasserstoffbetriebene Auto in Deutschland in Serie geht. Es könnte uns in Deutschland, rein ökonomisch betrachtet, egal sein, wenn andere Staaten die Chancen dieser Zukunftstechnologien nicht wahrnehmen und freiwillig die erste Startreihe beim Rennen um die Märkte von morgen räumen. Aber die ökologischen Folgen kennen keine Grenzen. Wir werden uns deshalb dafür einsetzen, dass die Bonner Klimakonferenz ein Erfolg wird - für Wachstum, für Umwelt und für mehr Beschäftigung. ({12})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Peter Paziorek.

Dr. Peter Paziorek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001685, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU-BundesStaatsminister Hans Martin Bury tagsfraktion steht zum Kioto-Prozess. Wir wollten ihn und haben ihn auch maßgeblich durch die damalige Umweltministerin, Frau Merkel, mitgestaltet. ({0}) - Ich komme noch dazu, weshalb wir dem Antrag nicht zustimmen können. - Auch wir haben kein Verständnis für die rigide Vorgehensweise der neuen amerikanischen Regierung, die ihre Bereitschaft aufgekündigt hat, weiter im Rahmen des Kioto-Prozesses zu verhandeln. ({1}) Dies ist die eine Seite des Problems. Andererseits wird es langsam Zeit, im Vorfeld der Konferenz von Bonn, den Realitäten ins Auge zu sehen und den Stand der internationalen Verhandlungen wahrzunehmen. Die Rede, die wir gerade von Ihnen, Herr Staatsminister Bury, gehört haben, hätten Sie vor vier Wochen halten können, aber nicht wenige Tage vor der Klimakonferenz in Bonn. Die Realitäten sehen leider etwas anders aus, als sie eben von Ihnen beschrieben wurden. ({2}) Der große Fehler bei Ihrem Vortrag war nämlich, allein eine auf Deutschland bezogene Nabelschau durchzuführen. Deshalb ist es wichtig, dass wir heute einmal fragen, wie die Realitäten wirklich aussehen. Nachdem die Japaner haben erkennen lassen, dass sie nicht bereit sind, dabei mitzumachen, die Amerikaner zu einer Revision ihrer Haltung zu bringen - das ist ja wohl die Nachricht der letzten Tage -, besteht keine Chance mehr auf einen Kompromiss, der mithilfe der Japaner gegen die USA durchgesetzt werden könnte. Nun stellt sich die Frage, ob wir, um den Kioto-Prozess weiter fortzusetzen, eine Koalition in Bonn gegen die Vereinigten Staaten zustande bringen können. Theoretisch ist das möglich. Wenn wir es schaffen, eine Staatengruppe zusammenzubekommen, auf die 55 Prozent des CO2-Ausstoßes entfallen, ist das möglich. Das ist aber sehr riskant. Die Parlamentarische Staatssekretärin hat ja gestern im Umweltausschuss geschildert, dass man, wenn man Russland, Japan und Europa zusammenzieht, gerade auf 57 Prozent des CO2-Ausstoßes kommt. Daran kann man erkennen, wie riskant es ist, zu versuchen, eine Koalition gegen die USA zustande zu bringen. Natürlich ist es auch nach Ansicht der CDU/CSUBundestagsfraktion völlig falsch, wegen der schwierigen Verhandlungslage von einer international abgestimmten Klimaschutzpolitik Abstand zu nehmen. Wir wissen: Die Bekämpfung des Klimawandels bzw. der Erderwärmung hat keine Chance, wenn jedes Land für sich alleine Klimaschutzpolitik betreiben würde. Die Welt braucht somit für eine wirklich erfolgreiche Klimaschutzpolitik eine gemeinsame Vorgehensweise. Alles andere bliebe Stückwerk. ({3}) Wenn wir dieses Ziel wirklich erreichen wollen, dann stellt sich die Frage: Was soll in 14 Tagen die Grundlage für die Verhandlungen in Bonn sein? Da sagen wir als Erstes - Herr Bury, Sie haben die alte Nomenklatur weiter fortgeführt; das ist falsch -: Wir Europäer dürfen nicht zu Gefangenen unserer eigenen Maximalforderung werden. ({4}) Wenige Tage vor Bonn brauchen wir eine realistische Position. In Den Haag haben wir es doch erlebt. Dort sind wir mit den Worten aufmarschiert: Wir Deutschen wollen nicht einen Erfolg um jeden Preis. Das waren starke Worte, die da vom Bundesumweltminister kamen. Was war das Ergebnis? Die starken Worte haben nichts gebracht; die Konferenz in Den Haag ist vielmehr gescheitert. Wollen Sie das Gleiche für Bonn? Auch Sie wollen das nicht. Sie müssen rechtzeitig ein besonders gutes Verhandlungsklima schaffen, damit sich in Bonn nicht Den Haag wiederholt. Das ist doch das große Problem. ({5}) Wenn man sich den Antrag der rot-grünen Koalition anschaut, dann hat man den Eindruck, ({6}) dass Sie überhaupt keine gemeinsame internationale Klimaschutzpolitik mehr anstreben. ({7}) Sie wissen, dass das schwierig ist, und wollen nun tatsächlich nur noch Ihre reine Lehre verbreiten und nehmen dafür in Kauf, dass die Konferenz in Bonn genauso wie die in Den Haag scheitert. ({8}) Wir sagen Ihnen: Eine solche Klimaschutzpolitik ist unverantwortlich. ({9}) Es ist notwendig, bei den Verhandlungen über noch offene Punkte aus dem Kioto-Prozess eine mittlere Linie einzunehmen, die es uns einerseits erlaubt, den Prinzipien und Zielvorstellungen des Kioto-Prozesses gerecht zu werden, die aber andererseits so flexibel angelegt ist, dass es tatsächlich in Bonn zu einer konstruktiven Lösung kommt. Zur Bewältigung dieser wichtigen Aufgabe steht in Ihrem Antrag nichts; Sie wiederholen nur die alten Floskeln. Es ist aber wichtig und notwendig, dass wir diese Aufgabe bewältigen. Von einer Flexibilität ist sowohl bei Herrn Trittin als auch bei vielen Umweltministern in der Europäischen Union leider nichts zu sehen. Wir wissen zum Beispiel, dass der Vorschlag des niederländischen Umweltministers Pronk auch aus deutDr. Peter Paziorek scher Sicht nicht in allen Punkten zufriedenstellend ist. Es wäre aber ein positives Signal, einmal darüber nachzudenken, ob das nicht eine Verhandlungsgrundlage wäre, um den Kioto-Prozess in Bonn erfolgreich zu Ende zu bringen. ({10}) Bis gestern ist uns im Ausschuss gesagt worden - wenn Sie mehr wissen, Frau Ganseforth, ist das vielleicht Ihrer Nähe zum Regierungslager zu verdanken -, dies sei keine geeignete Grundlage für die Verhandlungen in Bonn. Ich sage ganz deutlich: Hier sollte sich die Europäische Union endlich einmal bewegen. ({11}) Wir warnen davor, bei den Verhandlungen in Bonn zu hoch zu pokern; denn dann könnte am Ende erneut das negative Den Haager Ergebnis herauskommen. Die taktischen Fehler der Europäischen Union wie auch unseres Umweltministers in Den Haag dürfen sich nicht wiederholen. Ziehen Sie deshalb Ihren Antrag zurück, den Sie hier im Bundestag vorgelegt haben. ({12}) Er ist letztlich ein einziger Angriff auf eine Politik, die auch wir von der inhaltlichen Zielsetzung her nicht für gut halten - das sage ich noch einmal ganz deutlich -, würde aber das Verhandlungsklima für Bonn ganz maßgeblich beeinträchtigen. So werden Sie es niemals schaffen, dass wir in Bonn eine Mehrheit für einen sinnvollen KiotoProzess zustande bekommen. Sie werden so auch den internationalen Klimaschutz nicht einen Zentimeter weiterbringen. Kommen Sie vielmehr zu einer soliden und realistischen Verhandlungskonzeption zurück! Nur dann hat die Europäische Union eine Chance, bei den internationalen Verhandlungen weiterzukommen. Mit großen Worten allein, wie sie die Europäische Union in den letzten Tagen von sich gegeben hat, kann man keine glaubwürdige Klimaschutzpolitik betreiben. Angesichts der rückläufigen CO2-Reduktionszahlen in vielen Staaten der Europäischen Union können Zweifel an der Glaubwürdigkeit manch harter Klimaschutzposition eines europäischen Staates angebracht sein. Manchmal habe ich auch das Gefühl, dass von vielen europäischen Staaten nur große Worte gemacht werden, ({13}) um von den eigenen Fehlentwicklungen abzulenken. Vor dem Hintergrund der neuesten Zahlen kann man leider nur feststellen: So geradlinig ist die Klimaschutzpolitik in vielen anderen europäischen Staaten im Vergleich zu unserer eigenen Position auch nicht. Herr Bury, vielleicht haben Sie sich als neuer Umweltminister versucht. ({14}) Wer weiß, welche Wechsel noch für das eine Jahr angedacht sind. Ich kann Ihnen nur sagen: Mit Ihren starken Worten - ({15}) - Ja, was war überhaupt stark daran? Vielleicht hätte man das stark vortragen können. - Mit einer solchen Rede schaffen Sie es nicht, die Glaubwürdigkeit Deutschlands vor der Konferenz in Bonn zu verbessern. Sie haben zwar gesagt, Sie hätten im Kabinett dieses und jenes verabschiedet. Aber die Zahlen sprechen eine andere Sprache: Der CO2-Ausstoß geht nicht weiter zurück. - Sie haben auch im Kabinettsbeschluss zum Klimaschutz Vorgaben gemacht, in welchen Bereichen wie viele Millionen Tonnen CO2 eingespart werden sollen. Ich bin einmal gespannt, ob sich die deutsche Realität danach ausrichtet, was Sie im Kabinett beschlossen haben. Ich habe vielmehr den Eindruck, Sie haben dies beschlossen, um für die aktuelle Diskussion überhaupt ein Zahlengerüst zu haben. Sie haben im Augenblick noch kein wirklich belastbares Energiekonzept, das die großen Fragen, wie der CO2-Ausstoß in Deutschland langfristig sinnvollerweise reduziert werden kann, beantwortet. Sie haben auch noch kein Energiekonzept vorgelegt, das eine Antwort auf den Atomausstieg geben kann. Es gibt da noch eine große Klimalücke. Deshalb kann man nur deutlich sagen: Wir in Deutschland sind mit dieser rot-grünen Politik der letzten Jahre leider in eine klimapolitische Sackgasse geraten. Damit hat Deutschland auch an klimapolitischer Glaubwürdigkeit verloren. ({16}) Für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion kann ich nur klar und deutlich sagen, dass folgende Positionen im Vorfeld der Klimakonferenz vertreten werden sollten: ({17}) Erstens. Die Europäische Union muss am erfolgreichen Abschluss des Kioto-Protokolls festhalten ({18}) und darf auch keine Aufweichung der Zielsetzung zulassen. ({19}) Sie muss aber - im Gegensatz zu dem, was in Ihrem Papier vorgesehen ist - flexibel verhandeln, damit in Bonn tatsächlich eine Mehrheit für eine solche Zielsetzung erreicht werden kann. ({20}) Sie muss auch offen sein für seriöse und konstruktive Vorschläge der USA. Wenn das jetzt in Bonn nicht einzuarbeiten ist, muss deutlich gemacht werden, dass wir einen Nachfolgeprozess brauchen, der darauf ausgerichtet ist, dass auch die Amerikaner irgendwann wieder in den Klimaprozess einsteigen. Wenn ich Ihren Antrag sehe, kann ich nur sagen: Wir müssen bei den Klimaverhandlungen von einer Position der Eifersüchteleien wegkommen. Die Sache ist in den letzten Wochen leider nicht so gelaufen, wie wir es uns gewünscht haben. Jetzt kommt es darauf an, dass wir ein Verhandlungsklima schaffen, in dem sich alle beteiligten Industrienationen wieder in den Kioto-Prozess einreihen können. Zweitens. Der Umfang der globalen klimapolitischen Herausforderung zwingt national und international dazu, die Reduktionsziele mit dem geringsten ökonomischen Aufwand anzustreben. Dies bedeutet verstärkte Technologieforschung und Technologieoffenheit sowie die Bereitschaft - auch da fehlen mir die Signale aus dem Regierungslager -, die flexiblen Instrumente so auszugestalten, dass von ihnen ein Anreiz zu internationaler Zusammenarbeit ausgeht. Drittens. Die Entwicklungsländer sind schneller in die Klimaschutzpolitik einzubeziehen, als es noch in Kioto vorgesehen war. Dadurch können wir die Treibhausgasemissionen vielleicht mittelfristig stärker reduzieren. Viertens. Die Entwicklungshilfe muss national wie international wieder verstärkt werden. In diesem Bereich gibt der jetzige Haushalt der Bundesregierung leider ein ganz schlechtes Bild; denn Sie haben die Entwicklungshilfezahlen entgegen Ihren starken Worten reduziert. Wir sagen ganz deutlich, Herr Trittin: Unterstützung in der Sache, wenn es sinnvoll ist, immer. Deshalb sagen wir: Verhandeln Sie in Bonn hart und überzeugend, aber letztlich auch in Kenntnis der Tatsache, dass am rot-grünen Wesen das Kioto-Protokoll leider nicht wird genesen! ({21})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Herr Bundesminister Jürgen Trittin.

Jürgen Trittin (Minister:in)

Politiker ID: 11003246

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Paziorek, bei manchen Reimen schüttelt es denn einen. Ich finde eigentlich, dass wir es gar nicht nötig haben, den Konsens, den wir in der Frage des Klimaschutzes in der Bundesrepublik quer durch alle Parteien haben - das ist der entscheidende Unterschied zu den USA -, hier mit so schlechter Literatur zu zerreden. ({0}) - Herr von Klaeden stimmt mir zu; ich freue mich. Sie haben gesehen, dass die schleswig-holsteinische Landesregierung dieser Tage eine halbe Milliarde DM zur Verfügung gestellt hat, weil sie aufgrund der Erkenntnisse des Wissenschaftlergremiums zum Klimawandel festgestellt hat, dass sie die Deiche in ihrem Land einen halben Meter höher setzen muss, weil damit zu rechnen ist, dass der Meeresspiegel aufgrund der Klimaentwicklung ansteigt. Das ist eine der merkwürdigsten Formen des Klimaschutzes, die wir zurzeit erleben. Wir müssen als Folge einer Wirtschaftsweise, die ungebremst weltweit zu einem CO2-Anstieg führt, Geld ausgeben, um Deiche zu bauen. Das ist nachsorgender Umweltschutz, das ist schlechter Umweltschutz. Das ist genau das, was wir mit dem Kioto-Protokoll zu vermeiden und zu verhindern versuchen. Das Wesentliche, der Kern des Kioto-Protokolls ist nicht die einzelne Reduktionsverpflichtung. Der Kern des Kioto-Protokolls ist ein völkerrechtlich verbindliches Abkommen, das diejenigen, die die Hauptverursacher des Problems sind - das sind nun einmal immer noch die Industriestaaten -, auffordert, tatsächliche Reduktionsleistungen zu erbringen. Darauf können wir auch Ihre Rede zusammenfassen; das ist Konsens hier im Hause. Flexibel und fest heißt, ({1}) dass wir ein völkerrechtlich verbindliches Abkommen wollen, das sich nicht in kleinkarierter Manier über das eine oder andere Detail ereifert, sondern im Ergebnis zu wirklichen Reduktionen führt, und zwar nicht kurzfristig, sondern langfristig. Das muss doch der Konsens sein. ({2}) Dies ist das Ziel, das wir auf der Klimakonferenz in Bonn verfolgen werden. ({3}) Das ist das Ziel, auf das wir hinverhandeln. Das war übrigens auch der Gedanke, der dahinter stand, als wir noch in der letzten Nacht der Konferenz in Den Haag einen Kompromiss vorgelegt haben, in dem es den Japanern ermöglicht wurde, die in Japan vorhandenen Senken auf ihre Mengen an CO2 anzurechnen, was ihnen erlaubte, ihr Problem zu lösen. Sie können sich darauf verlassen, dass wir in Bonn in dieser Frage nicht anders verhandeln werden, als wir dies in Den Haag getan haben. Eine Erschwernis ist hinzugekommen: Die USA haben erklärt - das ist weder nachvollziehbar noch glaubwürdig -, dass sie das Kioto-Protokoll nicht ratifizieren werden; wir bedauern dies nachdrücklich. Man muss sich das einmal klarmachen: 25 Prozent der weltweiten CO2Emissionen, die von den USAverursacht werden, sind das größte Schlupfloch, über das wir je gesprochen haben. Aber die Gegenfrage muss doch lauten: Sollen wir wegen dieses Ausstieges der USA die restlichen 75 Prozent der CO2-Emissionen ohne Begrenzung lassen? Dazu sage ich: Nein. Wir werden uns alle Mühe geben und uns anDr. Peter Paziorek strengen müssen, die USA, die erklärt haben, sie wollten freiwillig reduzieren, perspektivisch in den Kioto-Prozess und die sich daraus ergebenden Verpflichtungen zurückzuholen. ({4}) Aber wir als die Verantwortlichen dürfen uns nicht von einem Land daran hindern lassen, unseren Weg zum Klimaschutz fortzusetzen. Das ist doch die Linie. ({5}) Ich will nicht auf die einzelnen Debatten Bezug nehmen, zum Beispiel darauf, ob wir durch diese Position an Glaubwürdigkeit verloren haben oder nicht. So schlecht scheint unser Standing in den internationalen Verhandlungen nicht zu sein. Natürlich ist es richtig, dass dieser Weg schwieriger ist. Dennoch sage ich: Wir sollten den Versuch machen, eine Vereinbarung hinzubekommen, die es uns erlaubt, das Kioto-Protokoll im Jahre 2002 tatsächlich in Kraft treten zu lassen, was heißt, dass alle Staaten noch zehn Jahre Zeit haben, bis die erste Verpflichtungsperiode abgelaufen ist. Wir haben damit vergleichsweise weniger Schwierigkeiten als andere. Eine Reduktion von 18 Prozent der Treibhausgasemissionen haben wir umgesetzt. Dies um drei Prozentpunkte auf 21 Prozent - das ist die im KiotoProtokoll geforderte Zahl - zu erhöhen, das kann man schaffen. Aber in anderen Staaten, auch in Nachbarstaaten, sieht die Lage anders aus. Da kann ich vieles von dem, was Sie, Herr Paziorek, gesagt haben, unterschreiben. ({6}) - Jetzt habe ich Herrn Müller verwirrt. Aber auch das muss einmal sein. Deswegen wird es bei der Frage - das muss ich an dieser Stelle betonen -, ob wir es schaffen, unser Ziel zu erreichen, auf der Konferenz in Bonn eine ratifizierbare Vereinbarung hinzubekommen, auf Japan ankommen. Ich rate, im Hinblick auf die Behandlung Japans sehr vorsichtig zu sein. Die japanische Regierung hat anlässlich eines Besuches der EU-Troika in Japan erklärt, sie habe noch nicht entschieden, wie sie das Problem löse, dass sie auf der einen Seite sage, sie wolle das Kioto-Protokoll in Kraft treten lassen, dass sie aber auf der anderen Seite sage, sie wolle das am liebsten zusammen mit den Amerikanern machen. Ich erwarte, ehrlich gesagt, nicht, dass die japanische Regierung dies vor der Bonner Konferenz entscheiden wird. Denn es wird darauf ankommen, was für Japan in dem auszuhandelnden Lösungspaket enthalten sein wird. Aber ich denke schon, dass wir uns der Mühe unterziehen sollten, die japanische Regierung, die aus eigenen Gründen, nämlich aus Gründen der Reduktionsverpflichtung, ratifizieren will, in die Situation zu bringen, dass sie nur noch vor der Entscheidung steht: Soll wegen Japan das erste große internationale Umweltabkommen scheitern, das mit dem Namen der japanischen Stadt Kioto verbunden ist? Das wird neben vielen anderen Fragen, zum Beispiel, wie man mit flexiblen Mechanismen umgeht, die Schlüsselfrage sein. Selbstverständlich sind wir uns alle einig, dass das Pronk-Papier - natürlich nicht die darin enthaltenen einzelnen Positionen, aber das Papier insgesamt - die Verhandlungsgrundlage dafür sein wird. Dies ist immer unsere Position gewesen. Die entscheidende Frage wird aber sein, ob es uns gelingt, Japan dazu zu bewegen, zu dem folgenden Bekenntnis, das Europa und Japan immer gemeinsam getragen haben, zurückzukehren: Wir brauchen ein international verbindliches Abkommen, das zu wirklichen Reduktionen führt. Lassen Sie mich zum Abschluss darauf hinweisen, dass es in Bonn eine Aktion von Umweltverbänden geben wird, die eine große Arche Noah bauen werden. Sie wollen damit mahnen, die Klimaverhandlungen zu einem Erfolg zu führen. Ich halte diese Mahnung für unterstützenswert. Dennoch sollten wir uns hier im Deutschen Bundestag darin einig sein: Boote zu bauen und Deiche zu erhöhen mag vielfach notwendig sein. Aber dies kann nicht die einzige Antwort auf die größte umweltpolitische Herausforderung auf diesem Globus sein. Deswegen müssen wir in Bonn vom Verhandeln zum wirklichen Handeln kommen. Ich denke, dafür gibt es in diesem Hause einen breiten Konsens. Das ist erfreulich. ({7})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Birgit Homburger.

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die wissenschaftlichen Erkenntnisse der Klimaforschung weisen eindeutig darauf hin, dass es einen Zusammenhang zwischen menschlicher Aktivität und globaler Erwärmung gibt. Es mag zwar keinen endgültigen Beweis dafür geben. Aber die weltweit verfügbaren Daten, Berechnungen und vor allen Dingen die übereinstimmenden Aussagen der Mehrzahl von Wissenschaftlern unterschiedlicher Disziplinen lassen keinen anderen Schluss mehr zu. Eine andere politische Option als unverzügliches Gegensteuern, als ein wirksamer nationaler und internationaler Klimaschutz lässt sich nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand nicht vertreten. Deshalb bekräftigt die F.D.P. das nationale Klimaschutzziel, die CO2-Emissionen in Deutschland bis zum Jahre 2005 gegenüber 1990 um 25 Prozent zu senken. ({0}) Die in Kioto festgelegten Minderungsziele für Treibhausgase sind aus unserer Sicht ein unverzichtbarer erster Schritt in Richtung eines wirksamen internationalen Klimaschutzes. Deshalb kommt der Konferenz in Bonn eine ganz besondere Bedeutung zu. Es gilt, den Weg frei zu machen für die Ratifizierung des Kioto-Protokolls, um es in Kraft zu setzen. Die Ablehnung des Kioto-Protokolls durch die Regierung der USA war dabei ein schwerer Rückschlag, den es zu überwinden gilt. Dazu ist es vor allem nötig, zu vermitteln. Das heißt, einerseits den Gesprächsfaden mit den USA nicht abreißen zu lassen und andererseits mit besonderem Engagement Verbündete für den internationalen Prozess zu suchen ({1}) und Kompromisslinien zu erarbeiten. ({2}) Herr Trittin, ich will deutlich sagen: Regierung und Opposition sind sich in Deutschland einig, dass es auf jeden Fall zu einer Reduzierung von Emissionen kommen muss und dass die Industrieländer auch einen entsprechenden nationalen Beitrag zu leisten haben. ({3}) Auch wenn man das akzeptiert, muss man dennoch sagen, dass in diesem Rahmen eine höhere Flexibilität möglich ist als die, die von Ihnen in Den Haag an den Tag gelegt wurde. Ich finde das, was heute über den Ticker gelaufen ist, bemerkenswert. Demnach wollen Sie Japan entgegenkommen. Damit zeigen Sie Flexibilität. Wenn Sie das tun, haben Sie unsere Unterstützung. ({4}) Die F.D.P. hat Sie unmittelbar nach dem vorläufigen Scheitern der Konferenz in Den Haag aufgefordert, entsprechend aktiv zu werden. Dass Sie von der Koalition diesen Antrag im Umweltausschuss abgelehnt haben und ihn auch hier heute ablehnen werden, ist nicht weiter schlimm. Schlimm für Deutschland ist allerdings, dass Sie, Herr Trittin, diese Herausforderung nicht angenommen haben. Der Bericht gestern im Ausschuss hat deutlich gemacht, dass Sie sich bilateral bemüht haben - zumindest verglichen mit der Temperamentlosigkeit von vor Den Haag. Immerhin haben Sie mit den USA geredet, wenn auch erst nach der Konferenz der Minister in New York. Es musste also erst eine Einladung von Herrn Pronk an alle Umweltminister nach New York erfolgen, bis Sie es für notwendig gehalten haben, Gespräche mit den USA zu führen. Es wäre besser gewesen, Sie hätten vorher Kontakt aufgenommen. ({5}) Hinzu kommt aber, dass seitdem weitere Gespräche Fehlanzeige sind. Ich finde das, was Sie gerade in Ihrer Rede gesagt haben, völlig richtig: Wenn man die USA zurückholen will, dann muss man intensive Gespräche führen. Unter intensiven Gesprächen verstehe ich aber etwas anderes als das, was Sie bisher unternommen haben. Das Bemühen anderer Länder, wie zum Beispiel Japans, die USA zu einer Rückkehr zum Protokoll zu bewegen, ist bei weitem intensiver, und das, obwohl Sie eine besondere Verantwortung für diese Konferenz tragen; sie findet schließlich in Bonn statt. Stattdessen wurden die Parlamentarier im Umweltausschuss mehrfach dazu aufgefordert, ihre Kontakte zu nutzen, um international Fortschritte zu erzielen. Das hat die F.D.P. getan. Ich habe, auch unter Nutzung von Kontakten vieler Kolleginnen und Kollegen, eine Vielzahl von Gesprächen geführt, und zwar in den USA, bei europäischen Partnern, mit Abgeordneten, mit Regierungsstellen und mit Botschaftern vieler Länder hier in Berlin. Dabei habe ich stets deutlich gemacht, dass es für die Ratifizierung unter den genannten Bedingungen in Deutschland einen Konsens zwischen Regierung und Opposition gibt. Die F.D.P. hat, zum Beispiel auch bei einer Reise unseres Fraktionsvorsitzenden Gerhardt in den USA, massiv dafür geworben, international endlich zu handeln und nicht nur zu forschen. ({6}) Die Erfahrungen aus diesen Gesprächen zeigen mir, dass die Aussicht für das Gelingen der Konferenz in Bonn nicht hoffnungslos ist. Zwar ist nicht mit einer Ratifizierung durch die USA zu rechnen; aber es gibt auch ohne sie eine Chance, das Protokoll in Kraft zu setzen. Dafür werben wir auch bei anderen Ländern. Deshalb muss Deutschland, unabhängig vom Ausgang der Konferenz in Bonn, endlich alle erforderlichen Schritte einleiten, die für eine deutsche Ratifizierung erforderlich sind. Dazu fordern wir Sie in unserem Antrag auf. ({7}) Ich frage mich - ich habe diese Frage gestern an Ihre Staatssekretärin im Ausschuss gestellt; Sie waren leider nicht dort -: Was spricht eigentlich gegen ein solches starkes Signal an die internationale Staatengemeinschaft? Ihr Antrag fordert verschiedene andere Länder auf, den Vertrag zu ratifizieren. Sie selbst haben dazu aber keine Vorbereitungen getroffen. ({8}) Klar ist auch: In Deutschland gibt es für einen modernen Klimaschutz noch immer kein schlüssiges Konzept, sondern nur ein altbackenes Klimaschutzprogramm mit den Instrumenten der 80er-Jahre, nämlich Ökosteuer, dirigistischen Vorschriften und teuren Subventionsprogrammen. ({9}) Während andere europäische Länder die modernen Instrumente des Kioto-Protokolls längst nutzen, gibt es in Deutschland gerade einmal eine Arbeitsgruppe, die im Verborgenen vor sich hinwurschtelt. Eine andere Arbeitsgruppe hat mangels Interesse der Regierung zwischenzeitlich entnervt aufgegeben. ({10}) Die Grünen haben zu Beginn dieser Woche beschlossen, die Ökosteuer über das Jahr 2003 hinaus beizubehalten. Während die CO2-Emissionen in Deutschland im letzten Jahr erstmals wieder angestiegen sind, verzetteln Sie sich national in immer neuen dirigistischen Maßnahmen. Es ist nicht im Entferntesten erkennbar, wie dieses nationale Klimaschutzprogramm, von dem Sie immer reden, mit den Kioto-Mechanismen verbunden werden soll. Kurz: Es findet sich in Deutschland keine Spur von den Instrumenten, über die in wenigen Tagen in Bonn weiter verhandelt werden soll. ({11}) Die F.D.P. legt heute erneut einen Antrag vor, in dem glaubwürdige Schritte zur effektiven Verminderung der durch den Menschen verursachten Treibhausgasemissionen vorgeschlagen werden. Dazu gehören vor allem die Nutzung der flexiblen Mechanismen des Kioto-Protokolls und die Vorbereitung des Handels mit Zertifikaten in Deutschland. Die Erfahrungen anderer europäischer Länder zeigen - ({12}) - Niederlande, Großbritannien, Norwegen, Dänemark, um nur vier zu nennen. ({13}) Nach Ihrem Kenntnisstand sind das wohl keine europäischen Länder. ({14}) - Herr Kollege Müller, Sie können nachher etwas dazu sagen. Die Erfahrungen dieser europäischen Länder zeigen, dass man auf diesem Weg ökologische Wirksamkeit mit ökonomischer Effizienz und technologischer Dynamik verbinden kann. Dadurch erreicht man auf nationaler Ebene Akzeptanz für den Klimaschutz sowie internationale Anerkennung und Kompetenz. Dies ist - das will ich Ihnen sagen, Herr Minister Trittin - neben einem deutlich stärkeren Engagement unserer Regierung in bilateralen Verhandlungen dringend erforderlich, wenn wir international doch noch zu Emissionsreduktionen kommen wollen. Das Kioto-Protokoll darf nicht ausgerechnet in der ehemaligen Bundeshauptstadt Bonn endgültig scheitern. Die F.D.P. wird sich weiter dafür einsetzen. Ich hoffe, Sie tun das auch. ({15})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Eva Bulling-Schröter.

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! COP 6 in Den Haag ist gescheitert. Die Vertragsstaatenkonferenz in Bonn steht uns bevor. Hier wird sich entscheiden, ob der Kioto-Prozess endgültig scheitert oder ob wenigstens ein erster Schritt in Richtung eines globalen Klimaschutzes gewagt werden kann. Das wäre allerdings unserer Meinung nach nur ein sehr kleiner Schritt. Denn ich darf daran erinnern, dass nach dem Kioto-Protokoll von den Industrie- und MOE-Staaten bis zum Jahre 2012 global 5,2 Prozent der Klimagase eingespart werden sollen. Nun sollen gleichzeitig genau diese Länder ihren Klimagasausstoß bis zum Jahre 2050 um 80 Prozent verringern. So wollen es das IPPC, die Klima-Enquête des Bundestages, an die ich noch einmal erinnern möchte, und auch die Bundesregierung. Würde aber das Tempo von Kioto beibehalten, würde der Klimagasausstoß bis zum Jahre 2050 um lediglich 15 Prozent gesenkt. Dann käme auf uns nicht nur der Klimawandel, sondern auch eine Klimakatastrophe zu. Das sollten wir nicht vergessen. Doch nun steht selbst dieses langsame Tempo für die ersten Jahre infrage. Die USA blockieren den Kioto-Prozess, angeblich um die Wirtschaft am Brummen zu halten. Wenn jede Regierung für sich das Recht in Anspruch nähme, wegen einer vermeintlichen oder tatsächlichen Bedrohung der Interessen des eigenen Staates andere Länder anzugreifen - so wie es Washington für sich selbstherrlich tut -, müsste nun die gesamte Völkergemeinschaft über die USA herfallen; denn sie ist der mit weitem Abstand größte CO2-Emittent der Welt und schert sich einen Dreck darum. Doch nicht nur die US-Regierung und die amerikanische Wirtschaft betreiben eine Umweltaggression - ich bezeichne das jetzt so -, sondern fast alle Industrie- und Schwellenländer sind in unterschiedlichem Maße daran beteiligt. Zudem fordern die Entwicklungsländer ihr Recht auf Wachstum und Wohlstand ein. Ich meine, dies ist eine sehr berechtigte Forderung. Beim Klimaschutz innerhalb der Europäischen Union ist im Durchschnitt zwar kein Rückschritt zu verzeichnen; in der Tendenz sind die Ergebnisse allerdings alarmierend. Der CO2-Ausstoß blieb praktisch gleich. Dennoch ist die große Mehrheit der Mitgliedstaaten weit von ihren Kioto-Zielen entfernt. Ziel ist laut Kioto eine Reduktion der Treibhausgase in der EU bis zu den Jahren 2008 bis 2012 um 8 Prozent. Dies ist kaum noch zu schaffen, weil die Treibhausgasemissionen lediglich in Deutschland, Großbritannien und Luxemburg reduziert wurden - darüber wurde schon gesprochen -, während sie in allen anderen EU-Ländern anstiegen. Laut Bericht der EU-Kommission wird Europa im Jahre 2010 das niedrige Ziel des Kioto-Protokolls für das EU-Gebiet ohne weitere Maßnahmen um über 80 Prozent verfehlen. Ausschlaggebend für diese verhängnisvolle Entwicklung sind an erster Stelle die verkehrsbedingten Emissionen. Auch die Bundesrepublik wird ihr selbst gestecktes Klimaschutzziel ohne zusätzliche Maßnahmen kaum mehr erreichen. Nach einigen Jahren der Einsparung steigen die Klimagasemissionen wieder an. Wie andere Industriestaaten macht sich Deutschland so mitschuldig an Überschwemmungen, Stürmen und Hungerkatastrophen, den heute schon sichtbaren Auswirkungen des Klimawandels. Deutschland hat zwar im Jahr 2000 gegenüber 1990 rund 15 Prozent Kohlendioxid eingespart. Dies beruht aber mitnichten auf einem grundlegenden technologischen und konsumtiven Wandel. Dieser steht nach wie vor aus. Deutschland zehrt bis heute - statistisch gesehen vom Zusammenbruch der ostdeutschen Industrie in den neuen Ländern. Vom gesamten Rückgang der CO2-Emissionen zwischen 1990 und 1999 in Deutschland entfielen mehr als drei Viertel auf die ersten drei Jahre nach der Wende. Kollege Bury hat dies kurz angesprochen. Seitdem verlangsamte sich die Reduktion drastisch. Weitere Impulse für den Klimaschutz sind hier nicht zu erwarten. Im Jahre 2000 stiegen die Emissionen dann auch in ganz Deutschland wieder temperaturbereinigt um 1 Prozent gegenüber dem Vorjahr an. Ohne eine radikale Wende, vor allem in der Verkehrspolitik, wird sich diese Entwicklung unserer Meinung nach fortsetzen. Es gibt genügend Umweltinstitute, die dies immer wieder anprangern. Auch im Bereich der Energieumwandlung sind die Weichen unserer Meinung nach falsch gestellt. Im so genannten Konsens zwischen der deutschen Stromwirtschaft und der Bundesregierung zur Förderung der klimafreundlichen Kraft-Wärme-Kopplung sollen praktisch nur existierende Anlagen unterstützt werden. Doch gerade in der Industrie könnten mit neuen, größeren KraftWärme-Kopplungsanlagen Emissionen effizient verhindert werden. Riesige CO2-Einsparmöglichkeiten werden verschenkt, weil die Stromerzeuger weitere Konkurrenten auf dem Energiemarkt verhindern wollen. Frau Homburger, von dirigistischen Maßnahmen ist wirklich nichts zu sehen; im Gegenteil: Manchmal fehlen sie. Das heißt, der Klimaschutz steckt national und international in der Krise und die Wirtschaftsinteressen, insbesondere die der internationalen Mineralöl- und Automobilkonzerne, setzen sich regelmäßig gegen den globalen Umweltschutz durch. Die Folge davon - man kann das sehen - sind unzureichende Zielstellungen in den Verträgen oder gar der Bruch von Verträgen. Vor diesem Hintergrund wird Bonn sehr schwierig werden. Die hilflosen Instrumente der Klimaschutzpolitik setzten auf hochkomplizierte Regelwerke wie den fossilen Emissionshandel und Anrechnungsverfahren. Schlupflöcher für die fossil-atomaren Energiestrukturen sind vorprogrammiert, müssen aber - wir diskutieren darüber schon die ganze Zeit - geschlossen werden. Internationaler Klimaschutz wird nicht als Chance zu einem Übergang ins Solarzeitalter und zur Schaffung einer ökologisch nachhaltigen sowie sozial gerechten Mobilität, sondern lediglich als Last und Lastenverteilung begriffen. Wir fordern: Diese Politik muss endlich durchbrochen werden. Wir alle müssen uns darum bemühen, dass Bonn zumindest ein kleiner Erfolg wird, um Zeichen zu setzen. Ich denke, die Öffentlichkeit - auch in anderen Ländern muss sich darum bemühen, Druck auszuüben. Danke. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Jetzt hat der Abgeordnete Michael Müller das Wort.

Michael Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001561, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Von Antonio Gramsci stammt der Satz: „Alles hat ein Innen und ein Außen“. Zu den beklagten Zuständen gehören auch diejenigen, die diese Zustände hinnehmen. Das heißt, es geht immer darum, nicht nur zu klagen, sondern auch zu verändern. Es passt nicht zusammen, auf der einen Seite die Globalisierung der Umweltprobleme zu beklagen und auf der anderen Seite zu sagen, sie seien wegen der Globalisierung auch nicht lösbar. Diesen Zirkelschluss müssen wir durchbrechen. Man muss sehen: Der Hauptakteur in dieser Frage, die Vereinigten Staaten mit dem weitaus höchsten Energieverbrauch und den weitaus höchsten Emissionen, ({0}) - pro Kopf und insgesamt - ist ein Gefangener seiner eigenen Wachstums- und Industrieinteressen. Das zeigt sich immer deutlicher. Die Vereinigten Staaten haben laut Kioto-Protokoll bis zum Jahre 2010 eine Reduktion ihrer CO2-Emissionen um 6,2 Prozent vorzunehmen. Nach dem augenblicklichen Trend werden sie aber einen Zuwachs von 21 Prozent haben. Darum geht es in Wahrheit. Wir sollten für diese einfache Tatsache nicht irgendwelche schiefen Erklärungen suchen. In Wahrheit ist die Klimaschutzpolitik in Amerika nicht durchsetzbar. Nun geht es um die Frage, welche Schlussfolgerungen wir in Europa und anderen Teilen der Welt daraus ziehen. ({1}) Glauben wir bei dieser Ausgangssituation und diesen Bedingungen - noch einmal: statt minus 6,2 Prozent ein tatsächliches Wachstum von 21 Prozent im Trend - im Ernst, dass es eine Verständigung geben wird, die nur halbwegs den von uns aufgestellten Klimaschutzzielen entsprechen wird? Das ist das eigentliche Problem, vor dem wir stehen. Ich teile die Position des Bundesumweltministers, dass es schon lange nicht mehr um die CO2Reduktion geht, die eigentlich notwendig wäre, sondern dass es nur noch darum geht, jetzt den Einstieg in international verpflichtende Verhandlungen zu schaffen. Wir müssen sehen: Selbst Kioto ist von der Lösung des Klimaschutzproblems, auch unter den gegenwärtigen Bedingungen, kilometerweit entfernt. Deshalb ist es völlig verfehlt, wenn Sie von Maximalpositionen reden. ({2}) Wovon haben wir uns eigentlich entfernt? Von welchen Gemeinsamkeiten sind wir in der letzten Zeit weggekommen? Darin sehe ich die problematische Seite. Wenn wir einknicken, haben die Hardliner in den USA anscheinend Recht, wenn sie behaupten, dass wir uns nur hinter hohen, anspruchsvollen Zielen versteckt haben, um im Zweifelsfall sagen zu können: Weil die Amerikaner es nicht tun, tun wir es auch nicht. - Wir würden denen Recht geben, wenn wir so handeln würden. Auch deshalb warne ich davor, eine solche Strategie zu verfolgen. Ihre Strategie ist falsch. Ich habe einen sehr interessanten Aufsatz von Klaus Töpfer gelesen - ich nehme an, viele von Ihnen auch -, „Die Moral des Klimaschutzes“. Dort heißt es: Es gibt keine Gewinner der globalen Erwärmung. Aber die großen Verlierer sind die Ärmsten der Armen. Es ist schon interessant, dass die Debatte eigentlich nur in den Industriestaaten geführt wird. Dies hat viel mit der Moral und den Interessen bei diesem Thema zu tun. Das wollen wir nicht akzeptieren, gerade weil wir - auch hier im Hause - beim Klimaschutz schon einmal sehr viel weiter waren. Deshalb appelliere ich an Sie: Stützen Sie, zumindest bis zu den Konferenzen, die bisherige Grundposition! Was beispielsweise Sie machen, Frau Homburger, kann man einfach nicht akzeptieren: Beschlüsse, die Sie während Ihrer Regierungszeit gefasst haben, bezeichnen Sie jetzt als alte Kamellen. In dem Beschluss des Kabinetts zum Klimaschutz von 1990 ist beispielsweise die Ökosteuer enthalten - falls Sie das schon vergessen haben sollten. Die Länder, die auf diesem Gebiet heute sehr viel weiter sind - Sie haben sie genannt: zum Beispiel Dänemark und Niederlande -, haben alle die Ökosteuer; sie verbinden sie mit weiter gehenden Instrumenten. Sie aber wollen nicht einmal die Ökosteuer. ({3}) Was für Beispiele ziehen Sie hier heran! ({4}) Sie sind unfähig, wenn es darum geht, unangenehme Wahrheiten zu akzeptieren und Verantwortung zu übernehmen. Das ist der Punkt, den man Ihnen vorwerfen kann und den wir Ihnen leider auch vorwerfen müssen. ({5}) Betrachten wir noch einmal die Situation: Im Augenblick ist das Notwendige nicht durchsetzbar und das, was durchsetzbar ist, ist weit von dem entfernt, was notwendig ist. Wollen wir uns denn ernsthaft mit diesem Tatbestand zufrieden geben? Die Schlüsselfrage wird sein, ob es die Europäer mit der ökologischen Modernisierung Ernst meinen oder nicht. In den USA beispielsweise verbrauchen 43 Prozent aller neu zugelassenen PKW 20 Liter oder mehr auf 100 Kilometer. Der Benzinverbrauch stieg im letzten Jahr um 8,6 Millionen Barrel. Angesichts dessen machen wir uns doch etwas vor, wenn wir glauben, auf der bevorstehenden Weltklimakonferenz werde es eine akzeptable Lösung geben, die im Sinne des Klimaschutzes von allen getragen werden könne. Deshalb plädiere ich dafür, dass Europa gerade jetzt Standfestigkeit zeigt. ({6}) Wir haben schon viel zu viel Zeit verloren. Was für weitreichende Ziele wurden 1988, auf der ersten Weltkonferenz zum Schutz des Klimas in Toronto, formuliert: minus 20 Prozent bei den CO2-Emissionen bis zum Jahre 2005! Im Augenblick gibt es - mit Ausnahme der speziellen Situation in Osteuropa - gerade drei Industriestaaten, die knapp unter dem Niveau von 1990 liegen. Es kann doch nicht wahr sein, dass so die Verantwortung der Weltgemeinschaft aussieht und dass wir das auch noch entschuldigen. ({7}) Deshalb plädiere ich sehr dafür, dass die Europäer nicht nur Standfestigkeit zeigen, sondern die Initiative ergreifen und eine europäische Richtlinie beschließen, ({8}) die alle EU-Staaten darauf verpflichtet, die Kioto-Ziele auch umzusetzen. Erst dann wird es nämlich Ernst. ({9}) Frau Homburger, ich finde es ja gut, wenn viele von uns mit amerikanischen Politikern, Vertretern der amerikanischen Industrie reden. Dort ist das Bild ja auch sehr viel differenzierter, als es hier bekannt ist. ({10}) Es gibt in den USA auch ganz andere Trends; es gibt viele Bundesstaaten, die die gerade entgegengesetzte Richtung der Regierung einschlagen. ({11}) Im Kern ist dies ein Streit zwischen altem und neuem ökonomischen Denken. Wir sollten nichts dazu beitragen, diesem alten ökonomischen Denken auch noch Vorschub zu leisten. ({12}) - Genau, Frau Homburger: Wie viele andere war auch der Bundeskanzler in Washington in dieser Frage vorstellig. Sie können doch nicht so tun, als gebe es in Europa niemanden, der im Vorfeld Standfestigkeit gezeigt hätte - im Gegenteil! Wir verfolgen diesen doppelten Kurs weiter: in der Bundesrepublik durch nationale Anstrengungen glaubwürdig zu zeigen, dass wir den Klimaschutz Ernst nehmen, und gleichzeitig von der Europäischen Union zu verlangen, dass sie in dieser Frage eine gestaltende Rolle in der Weltpolitik einnimmt, anstatt sich wie bisher zu verstecken. „Manche mögen‘s heiߓ heißt ein schöner Film. Aber für unsere Politik sollte dies kein Motto sein. ({13}) Michael Müller ({14})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Kurt-Dieter Grill.

Kurt Dieter Grill (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002665, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Unterschiede der Reden in Bezug auf die Akzentuierung sind ganz interessant: Die einen waren eher auf die Innenpolitik gerichtet; der Einzige, der sich wirklich mit der internationalen Situation im Sinne dessen, was wir erreichen können, beschäftigt hat, waren Sie, Herr Trittin. ({0}) Herr Bury hat über Innenpolitik geredet. ({1}) Wir reden hier aber über globale Politik, über die Frage, wie wir mit denen umgehen, die nicht dieselbe Auffassung haben wie wir. Wir können uns ärgern und schimpfen; aber wir werden weder mit Schimpfen noch mit einer Politik, wie sie im Entschließungsantrag der beiden Koalitionsfraktionen dargelegt ist, irgendjemanden dazu bewegen, sich positiv zu unseren Verhandlungszielen einzulassen. ({2}) Herr Müller, Sie haben über damals, das Minus von 20 Prozent und darüber geredet, was alles verabredet worden ist. Damals gab es einen Bundeskanzler, der sich wie kein anderer Bundeskanzler dieser Republik in internationaler Umweltpolitik engagiert hat. ({3}) Das vermissen wir beim heutigen Bundeskanzler. ({4}) Ein Konsens im Deutschen Bundestag ist sicherlich wichtig, auch für die Position der Bundesregierung in Bonn. Aber das darf nicht heißen, dass wir uns nicht kritisch mit dem auseinander setzen, was Sie uns hier vorlegen. Ich tue dies an zwei Punkten: Erstens. Der Antrag von Rot-Grün - Herr Müller, Sie haben das gerade wiederholt - ist von dem fatalen Fehler geprägt, das Scheitern des Kioto-Prozesses und der Klimapolitik einzig und allein bei der Regierung Bush abzuladen. Sie haben in Ihrem Antrag nicht zur Kenntnis genommen, dass Positionen, die die Bush-Politik zu Beginn bedauerlicherweise bestimmten, längst revidiert wurden. Das gilt etwa für die Anerkennung des Klimaproblems als eines zentralen globalen Problems. Wenn hier gesagt worden ist, Erfolg brauche ein Klima, dann ist Ihr Antrag jedenfalls nicht dazu geeignet, das richtige Klima für Bonn herzustellen. Sie ignorieren, wie gesagt, die Korrekturen, die in Amerika vorgenommen worden sind, und im Übrigen auch die Mehrheitsverhältnisse und das Maß an Zustimmung in den Häusern des amerikanischen Parlaments. Man kann sogar fast zu der Überzeugung kommen, dass wegen der durch die Bush-Absage entstandenen Bewegung mehr Senatoren und Kongressabgeordnete für Kioto sind als vor der Kündigung des Protokolls. ({5}) Zweitens. Der Antrag von Rot-Grün ignoriert ferner, dass sich auch in Den Haag und in anderen Verhandlungsrunden eine ganze Reihe von anderen Ländern hinter Amerika versteckt haben und dankbar waren, dass die Amerikaner ihnen diese Arbeit abgenommen haben. Ehrlich war das nicht. ({6}) - Dann sagen Sie es hier auch. ({7}) Das ist in Ihrem Antrag jedenfalls nicht zum Ausdruck gekommen. Wir sind uns auch einig, dass wir die Verlierer dort suchen müssen, wo Herr Müller es beschrieben hat. Aber wenn Sie, meine Damen und Herren, wirklich an Gemeinsamkeit interessiert gewesen wären, dann wäre es einen Versuch wert gewesen, eine fraktionsübergreifende Entschließung auf den Tisch zu legen. Das haben Sie nicht ernsthaft versucht; daran waren Sie offensichtlich auch nicht interessiert. Ich stelle das hier nur noch einmal fest, weil Sie, Herr Trittin, für Ihre Position gerne eine gemeinsame Position dieses Hauses mitnehmen wollen. Diese lässt sich aber nicht auf diese Art und Weise herstellen. Herr Müller hat nun gefordert, dass Europa standhaft bleiben müsse. Das ist eine tolle Sache. Aber auf welchem Niveau bitte? Frau Bulling-Schröter hat die CO2-Einsparungen in Deutschland auf den Zusammenbruch der ostdeutschen Industrie geschoben, was der Wahrheit natürlich nicht gerecht wird. An die Adresse von Herrn Bury sage ich: Nach den neuesten DIW-Zahlen über die letzten zehn Jahre - also im Wesentlichen während unserer Regierungszeit - ist die Energieeffizienz jedes Jahr um 2 Prozent gestiegen. Das ist eine ausgesprochen gute Rate. ({8}) Vieles von dem, was heute zu Technologien von Herrn Bury vorgetragen worden ist, ist in unserer Zeit überhaupt erst so weit erforscht und entwickelt worden, dass es heute genutzt werden kann. ({9}) Wenn Sie den Bericht der Europäischen Union zu den CO2-Bilanzen in Europa zur Kenntnis nehmen, dann wäre es hier in diesem Hause angebracht, die Bundesregierung aufzufordern, nicht nur eine internationale Offensive einzuleiten sowie gegenüber den USA standhaft zu bleiben und flexibel zu verhandeln, sondern eine europäische Initiative zu starten. Sehen Sie sich doch einmal die Bilanz an! In Großbritannien ärgert „Maggi“ Thatcher die Gewerkschaften und wechselt von Kohle zu Gas. In Luxemburg wird Arbed Stahl stillgelegt. Dann kommen wir als Deutsche. Der Rest EU-Europas - das sind zwölf Staaten - verzeichnet seit 1990 einen Anstieg der CO2-Emissionen. Deswegen rate ich uns dringend, dass wir uns nicht als die vorbildlichen Europäer herausstellen. Europa hat seine Hausaufgaben genauso wenig gemacht wie Amerika. ({10}) - Ich will das hier aus meiner Sicht beleuchten. Es ist dringend an der Zeit, dass wir in Europa unsere Hausaufgaben machen. Umso glaubwürdiger können wir von Japan und von Amerika die Leistungen einfordern, die notwendig sind, wenn wir trotz Globalisierung oder gerade auch mit den Mitteln der Globalisierung unsere klimapolitischen Ziele durchsetzen und das umsetzen wollen, was im Sinne der Vorsorge notwendig ist, um bestimmte Dinge, wie sie auch hier geschildert worden sind, zu verhindern. Trotz KWK und EEG, die Sie hier angesprochen haben, kommen wir in drei oder vier Jahren in eine Phase der deutschen Politik hinein, in der es um mehr als nur ein paar Megawatt gehen wird. Ich habe mir noch einmal eine vor kurzem bei der Vorstellung des Necar 5 von DaimlerChrysler in Berlin gehaltene Rede des Bundeskanzlers zu Gemüte geführt. Ich rate Ihnen dringend, sie einmal zu lesen. Denn der Bundeskanzler sagte zum einen: Wir werden mit Solar- und Windenergie die Ziele nicht erreichen. ({11}) Das stimmt in etwa mit der Aussage des Bundeswirtschaftsministers überein, die Klimalücke könne vor dem Hintergrund des Ausstiegs aus der Kernenergie nicht geschlossen werden. ({12}) Zum anderen hat niemand anders als der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, Gerhard Schröder, gesagt: Wir werden Großkraftwerke auf Braunkohle- und Steinkohlebasis bauen müssen, um die Energieprobleme zu lösen. Dies ist genau das Gegenteil dessen, was Sie heute vorgetragen haben. ({13}) Deshalb halte ich es für wirklich an der Zeit, dass Sie uns mit einem Energiekonzept nachweisen, dass das, was Sie hier als Ziel proklamieren, auch wirklich erreichbar ist. Wir wissen ja mittlerweile, dass es nicht mehr als einen Bericht geben wird. Deswegen sage ich Ihnen: Sowohl in Europa als auch in Deutschland haben wir alle Veranlassung, an unseren Zielen festzuhalten, so zu verhandeln, dass es zu Erfolgen kommt, aber etwas bescheidener zu sein und nicht zu meinen, dass nur anderen die Schuld in die Schuhe geschoben werden müsste. Herzlichen Dank. ({14})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Reinhard Loske.

Dr. Reinhard Loske (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003176, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal zur internationalen Politik, bevor ich dann gleich zur Innenpolitik komme. Allen hier im Raum ist klar, dass das in Bonn in Angriff zu nehmende Unterfangen schwierig ist, weil wir in einem Spannungsfeld stehen. Auf der einen Seite wollen wir das Kioto-Protokoll ratifizierungsfähig machen. Das erfordert Flexibilität, das erfordert vielleicht auch Kompromisse - hoffentlich keine faulen Kompromisse. ({0}) Auf der anderen Seite wollen wir natürlich, dass die ökologische Integrität des Protokolls erhalten bleibt. Es muss also Substanz haben; denn eine Sache, die keine Substanz hat, ist es auch nicht wert, sich für sie einzusetzen. In diesem Spannungsfeld stehen wir. Darum können Sie nicht herumreden. Bevor ich zu all den Details komme, halte ich es für wichtig, dass wir uns bei dieser Debatte die elementaren Grundwahrheiten noch einmal vor Augen führen. Das sind nach meinem Dafürhalten vier Punkte. Erstens. Der zusätzliche Treibhauseffekt ist eine ernsthafte Bedrohung für die Menschheit. Sie zu ignorieren wäre gefährlich und könnte uns teuer zu stehen kommen. Darüber sind wir uns einig. Zweitens. Die Industrieländer tragen die Hauptverantwortung. Historisch gesehen haben die Industrieländer 80 Prozent der Emissionen verursacht. Also müssen sie auch eine Vorreiterrolle einnehmen. Auch darüber sollte eigentlich Einvernehmen bestehen. Wenn ich einigen von Ihnen zuhöre, bin ich mir da aber nicht mehr ganz so sicher. Drittens. Die Entwicklungsländer tragen, zumindest historisch gesehen, keine nennenswerte Verantwortung für die Existenz dieses Problems. Deswegen verlangen sie zu Recht von uns, dass wir unsere Hausaufgaben erledigen und dass wir Technologien und Finanztransfers bereitstellen. Das ist eine Frage der internationalen Gerechtigkeit und vor allen Dingen der Glaubwürdigkeit. Sie werden erst dann handeln, wenn wir glaubwürdig voranschreiten. ({1}) Viertens und letztens. Frau Homburger, wir sind beim Thema Emissionshandel gar nicht so weit auseinander. Aber es ist doch so - das muss man einmal feststellen -: Klimaschutz funktioniert nicht vorrangig über Emissionshandel, Senken oder die wechselseitige Anrechnung von Treibhausgasen. ({2}) Klimaschutz funktioniert im Wesentlichen über Technologie und Lebensstilwandel. Man kann ein Protokoll auch kaputt flexibilisieren. Das wollen wir nicht. ({3}) Wenn wir von diesen Einsichten ausgehen, dann kann man sagen - das ist kein unhöflicher Akt gegenüber unseren amerikanischen Freunden -: Das, was Präsident Bush gemacht hat, ist - das muss man leider in dieser Schärfe sagen - eine verantwortungslose Absage an die Interessen der Staatengemeinschaft und an die Interessen der zukünftigen Generationen. ({4}) Wer sagt, dass Klimaschutz nichts anderes als ein Kostenfaktor und ein Entwicklungshemmnis ist, der verkennt die wirtschaftlichen Potenziale ökologischer Innovationen. Wer sagt, es könne nicht wahr sein, dass die Amerikaner handeln müssen, während die Entwicklungsländer untätig bleiben, den wird man bei aller Freundschaft vielleicht auf die simple Tatsache hinweisen dürfen, dass ein Amerikaner im Durchschnitt für 20 Tonnen, ein Chinese für 2 Tonnen und ein Inder für 1 Tonne CO2 pro Jahr verantwortlich ist. Wer für zehn- bis zwanzigmal so viel CO2 verantwortlich ist als andere, der sollte besser erst einmal vor seiner eigenen Haustür kehren, bevor er anderen gute Ratschläge erteilt. ({5}) Es wurde hier viel von den Vereinigten Staaten gesprochen. Da wir wissen, dass sie das Protokoll nicht ratifizieren werden, können wir uns nicht an ihren Positionen orientieren. Ich will sogar so weit gehen, zu sagen, dass gerade diejenigen, die in Amerika für den Klimaschutz sind, von uns erwarten, dass wir konsequent agieren und die ökologische Integrität des Kioto-Protokolls erhalten, damit sie sich in Amerika für diese Sache einsetzen können. Ich sehe mit großer Freude, dass der Klimaschutz in den letzten Monaten eine breite Unterstützung von Wissenschaftlern, Industrieunternehmen, Umweltschützern, Künstlern und zunehmend auch Politikern erfährt. Ich glaube, das ist gut so. Ich gehe davon aus: Wenn wir das Kioto-Protokoll in Kraft setzen, dann wird es die amerikanische Industrie sein, die von so interessanten Instrumenten wie dem Emissionshandel und dem Technologietransfer nicht ausgeschlossen sein will. ({6}) Sie werden Druck für eine Ratifizierung machen. Das ist meine These. Die Europäische Union hat jetzt vor allen Dingen zwei Aufgaben - der Minister hat sie, wie ich finde, zutreffend skizziert -: Zum einen müssen wir versuchen, mit Japan zusammenzukommen. Zu Japan will ich noch ein Wort sagen - das wurde auch schon im Umweltausschuss deutlich -: Gegenüber Japan besteht in der Tat kein Grund zum Hochmut; denn von dem, was die Japaner in Sachen Energieeffizienz und Klimaschutz gemacht haben, können wir uns alle eine Scheibe abschneiden. Wir sollten wirklich versuchen, zusammen mit den Japanern einen Weg zu finden, der ihre Interessen abdeckt. Das ist wichtig. Die Bundesregierung ist auf diesem Weg. Zum anderen müssen wir im Hinblick auf Russland sehen, dass wir bei der ökologischen Modernisierung der Energiewirtschaft helfen. Ich glaube, dass Deutschland als Partner Russlands eine wichtige Aufgabe hat. Wenn wir diese beiden Aufgaben erledigen, dann haben wir gute Aussichten, das Kioto-Protokoll ratifizierungsfähig zu machen. Das ist kein Antiamerikanismus, sondern internationale Verantwortung. ({7}) Richtig ist auch - das wurde bereits mehrfach gesagt -, dass die Europäische Union etwas für ihre Glaubwürdigkeit tun muss. Diese Auffassung teile ich ganz und gar. Das ist vollkommen berechtigt. Wenn nur drei von 15 Staaten ihre Hausaufgaben erledigt haben, dann ist das nicht gut genug. Bei vielen Themenfeldern sind wir noch nicht wirklich vorangekommen. Beim Abbau umweltschädlicher Subventionen, bei der Harmonisierung der Ökosteuern, auch bei anderen Themen, wie beispielsweise der Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene oder beim ökologischen Landbau, ist in der Tat noch viel zu tun. Wenn sich Europa als Kontinent der globalen Verantwortung positionieren will, dann muss es dies durch globales und glaubwürdiges Handeln zu Hause beweisen. Hier steht der Beweis in der Tat noch aus. Jetzt komme ich zur deutschen Politik, weil sich viele der vorliegenden Anträge auf die deutsche Klimapolitik beziehen. Es ist so, dass wir uns in diesem Hause - Minister Trittin hat zu Recht darauf hingewiesen - weitestgehend einig sind. Wir haben ein nationales Klimaschutzziel, eine Reduktion der CO2-Emissionen um 25 Prozent bis 2005, das noch unter der Regierung Kohl beschlossen wurde. Wir als Bundestag - jedenfalls die meisten von Ihnen; ich war noch nicht dabei - haben beschlossen, dass wir eine Reduktion der Kohlendioxidemissionen bis 2020 um 40 Prozent und bis 2050 um 80 Prozent erreichen wollen. Das heißt also: In diesem Hause besteht Einvernehmen. Auch besteht Einvernehmen darüber - das möchte ich einmal festhalten -, dass für viele von uns die Diplomatie zu langsam vorangeht und dass wir uns nicht nur auf dieser langsamen Fahrspur bewegen wollen. Wir sehen zwar ein, dass wir diese Langsamfahrspur brauchen. Aber wir wollen uns in Sachen Klimaschutz doch auf der Schnellfahrspur bewegen. Wir wollen neue Technologien, neue Verfahren und neue Instrumente einsetzen sowie eine Vorreiterrolle einnehmen, genau deshalb, weil wir glauben - wie es Herr Bury gesagt hat -, dass Klimaschutz nicht nur eine Last, sondern vor allen Dingen auch eine Chance für die Umwelt, die Arbeitsplätze und die Zukunftsmärkte ist. ({8}) Ich möchte jetzt auf unsere Bilanz zu sprechen kommen, ohne mich mit dem ganzen Kleinklein aufzuhalten, von dem Sie gesprochen haben. Nehmen wir einmal das Beispiel der ökologischen Steuerreform, die Sie hier so häufig kritisieren. Wir haben vor wenigen Wochen vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung ein wunderbares Zwischenzeugnis ausgestellt bekommen: Der Energieverbrauch im Verkehrssektor geht zurück; Bahn und ÖPNV legen zu; energieeffiziente Fahrzeuge sind auf dem Vormarsch; der Umfang der CO2-Emissionen wird allein durch die Ökosteuer um 25 Millionen Tonnen zurückgehen. Zu diesem Zwischenzeugnis hätte ich gerne etwas von der Opposition gehört. ({9}) Wir sind in der Tat der Meinung, dass die ökologische Steuerreform auch nach 2004 weitergeführt werden sollte. ({10}) Nur wenn die Energiepreise schrittweise steigen, lohnen sich Investitionen in Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz und zur Einsparung von Energie. ({11}) Selbst wenn dieses Projekt unpopulär ist, sage ich: Aus Gründen des Klimaschutzes ist es unverzichtbar. ({12}) Aus der volkswirtschaftlichen Perspektive müssen wir noch klarer sehen: Wenn die Energiepreise zu niedrig sind, dann rechnen sich Energiesparmaßnahmen nicht mehr. Schlimmer noch: Sinkende Energiepreise entwerten sogar Investitionen in Maßnahmen zur Energieeinsparung. Summa summarum: Wenn man die ökologische Steuerreform und all die Einzelprojekte wie das ErneuerbareEnergien-Gesetz, die Bonusregelung für Kraft-WärmeKopplung, das Altbausanierungsprogramm, die zusätzlichen Investitionsmittel für die Bahn und das Marktanreizprogramm zusammennimmt, dann können wir mit erhobenem Haupt und gutem Selbstvertrauen nach Bonn gehen. Ich kann der Bundesregierung nur eine glückliche Hand wünschen. Ich glaube, Herr Minister, Sie werden die Parlamentsdelegation auf Ihrer Seite haben, wenn Sie in Bonn agieren. Danke schön. ({13})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dr. Christian Ruck.

Dr. Christian Ruck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001893, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte in der Schlussrunde dieser Debatte mit dem beginnen, worüber Konsens besteht. Die Lage ist ernst. Die menschenbedingte Erwärmung der Erde ist eine reale Bedrohung, die schon in naher Zukunft, spätestens bei unseren Enkeln, zu einschneidenden ökonomischen und sozialen Folgen führen könnte. Auch ich bin der Meinung, die Reaktion der Weltgemeinschaft ist bis heute unangemessen, obwohl wir damals in Rio so hoffnungsvoll gestartet sind. Auch ich bin der Meinung, dass der Erfolg der anstehenden Vertragsstaatenkonferenz noch ungewiss ist und dass uns allmählich die Zeit knapp wird. Auf der erst vor kurzem stattgefundenen Klimakonferenz der Union hat Professor Schellenhuber eindringlich gemahnt, dass der Zeithorizont drängt und dass wir handeln müssen. Die Frage, über die wir in dieser Debatte seriös diskutieren können und müssen, ist: Wie können das deutsche Parlament und die Bundesregierung einen positiven Einfluss auf das Geschehen ausüben? Wir können - das ist schon gesagt worden - zwei Dinge machen: Erstens müssen wir unsere Hausaufgaben machen. ({0}) Zweitens müssen wir unser internationales politisches Gewicht mehr in die Waagschale werfen. Die EU - das wurde auch schon gesagt - hat sich nicht mit Ruhm bekleckert. ({1}) Sie darf jetzt nicht wackeln und muss notfalls - das ist auch meine Meinung - das Kioto-Protokoll erst einmal ohne die USA umsetzen. Aber auch die Europäer müssen wachgerüttelt werden. Es stärkt nicht gerade - wenn ich das einmal so sagen darf - die europäische Verhandlungsposition, wenn Belgien vor wenigen Tagen lapidar eingesteht, dass es die Kioto-Verpflichtungen bisher nicht erfüllen konnte, es aber bei den Klimaschutzverhandlungen in den nächsten Tagen und Wochen für Europa ein ganz wichtiger Verhandlungspartner sein wird und eine herausragende Rolle spielen wird. Was dieses internationale Gewicht anbelangt, ist Deutschland, ist die Bundesregierung, stärker gefordert. Herr Bury, Sie haben etwas kleinkariert, wie ich finde, über die Rolle des früheren Bundeskanzlers gesprochen. Er war nicht nur in Rio dabei; ohne ihn wäre das Ergebnis von Rio nicht zustande gekommen ({2}) und wären auch nicht die Erfolge erreicht worden, die wir bis dato eingefahren haben. ({3}) Ich erwarte mir vom Bundeskanzler auch, dass er endlich seine Liebe zum Umwelt- und Klimaschutz entdeckt und dass er sich zum Beispiel nach der Klimakonferenz genauso rühmen kann - das gönne ich ihm dann auch -, in Europa Einfluss zu haben, wie er es neulich bei der Übernahmerichtlinie getan hat. Ich erwarte, dass er sich da stärker in Position bringt. ({4}) - Der Hinweis, dass er mit der Autoindustrie verbandelt ist, stammt nicht von mir, sondern vom Kollegen Hübner. Was die USA und Japan anbelangt: Es ist völlig richtig, dass Klimaschutz auf Dauer natürlich nicht ohne die Hauptemittenten von CO2 betrieben werden kann. Ich glaube, dass wir konsequent bleiben sollten, und zwar auch im Hinblick auf faule Kompromisse. Das sage ich mit Bezug auf das aktuelle Pronk-Papier. Wir sollten auch deshalb konsequent sein - das kann man ruhig in die Debatte bringen -, weil es ja nicht nur um Ökologie geht. Wenn die einen die Klimaschutzziele einhalten, wie es die Bundesrepublik tut, und die anderen das nicht tun, dann ist das eine ganz massive Wettbewerbsverzerrung. Das müssen wir gegenüber den Amerikanern ins Spiel bringen. Das wird, glaube ich, auch verstanden. In Amerika ist wirklich vieles in Bewegung geraten. So gibt es zum Beispiel unter den Abgeordneten und Senatoren eine Kioto-Fraktion, die ständig Zulauf erhält. Mittlerweile haben auch 32 große Wirtschaftsunternehmen, darunter zum Beispiel alle Elektrizitätsversorger, eine Kioto-Fraktion gebildet. Das stimmt mich eigentlich hoffnungsfroh. Deswegen bin auch ich der Meinung, dass wir für konstruktive Vorschläge der USA wirklich offen sein sollten. Herr Trittin, es waren ja die amerikanischen Umweltverbände, die Ihnen vorgeworfen haben, die Amerikaner in Den Haag falsch behandelt zu haben. Ich möchte das nicht kommentieren, aber eines ist sicher: Bonn darf keine Showveranstaltung für die Innenpolitik werden. Der Erfolg der Verhandlungen hängt ganz entscheidend davon ab, ob man fair mit konstruktiven Vorschlägen umgeht und ob man auch auf ernsthafte Besorgnisse eingeht. ({5}) In dem Zusammenhang nenne ich drei Punkte, die auch in den Vereinigten Staaten eine Rolle spielen. Mit denen sollten wir uns wirklich befassen, weil sie auch uns betreffen. Zunächst zum Thema Entwicklungsländer. - Es ist richtig, dass wir diese Länder schneller und stärker in den Kioto-Prozess einbinden müssen, als das bisher geplant war. ({6}) Die Entwicklungsländer sind einerseits die Hauptbetroffenen - das wurde schon gesagt -, aber andererseits werden sie in wenigen Jahren uns Industrieländer als CO2Emittenten bereits überholt haben. Dort sind also die größten politischen Wirkungspotenziale. Was ist Ihre Antwort, meine Damen und Herren von Rot-Grün? - Entgegen Ihren Wahlversprechungen und entgegen auch den wohlklingenden Formulierungen in Ihrem Antrag kürzten Sie die Entwicklungshilfe um bereits 10 Prozent. ({7}) - Das ist ein alter Hut. - Das ist schon ein handfester Skandal ({8}) angesichts dessen, dass eine vernünftige und erfolgreiche Energiepolitik nicht ohne eine viel stärkere Entwicklungspolitik betrieben werden kann. ({9}) Jetzt ist die Rede davon, dass man den Entwicklungsländern in zwei Wochen 1 Milliarde DM anbietet. 1 Milliarde DM ist nicht nichts, aber im Vergleich zu den 450 Milliarden DM, die jährlich weltweit in den Energiebereich investiert werden, ist diese 1 Milliarde DM wirkungslos. Deswegen fordern wir Sie auf: Nehmen Sie die Kürzungen im Entwicklungshaushalt zurück! Fahren Sie den Entwicklungshaushalt wieder hoch und sorgen Sie damit auch dafür, dass wir den dringend notwendigen Technologietransfer in die Entwicklungsländer verstärken können! In dem Zusammenhang noch ein Wort zu einem wichtigen Detail, zu den Senken. Es gibt von vielen Seiten wirklich blödsinnige Vorschläge zum Thema Senken. Ich bitte darum - auch das steht in unserem Antrag -, dass wir versuchen sollen, den Schutz der Naturwälder mit der Senkenproblematik zu verbinden. Die Wissenschaftler sagen uns, dass allein 1997 30 Prozent der CO2-Emissionen auf das Konto der brennenden Naturwälder in Borneo gehen. Wenn das wahr ist, dann muss der Umkehrschluss richtig sein, dass wir den Waldschutz stärker mit den flexiblen Mechanismen verbinden können. ({10}) Dafür gibt es bereits Modelle. Wir müssen uns der Diskussion über dieses Thema stellen. Die beiden anderen Stichworte sind „Technologieoffenheit“ und „ökonomische Effizienz“. Herr Müller, in dieser Frage - das muss man deutlich ansprechen; wir werden das in den nächsten Jahren natürlich tun - haben wir keinen Konsens. Wir sind der Meinung - ich sage es einmal vorsichtig -, dass Sie nicht technologieoffen sind, siehe Atomausstieg. ({11}) Wir sind auch der Meinung, dass Sie, was die ökologische Lenkungswirkung Ihrer Energiepolitik angeht - angefangen bei der Ökosteuer über das EEG bis hin zu Ihrem neuesten Gag, der KWK -, viel zu teure Instrumente benutzen. Umgekehrt: Mit dem vielen Geld, das Sie inzwischen einsetzen - Sie nehmen es direkt oder indirekt aus den Portemonnaies der Steuerzahler -, erzielen Sie eine zu geringe Lenkungswirkung. ({12}) Zu genau diesem Punkt sagen wir: Sie haben Ihre Hausaufgaben nicht gemacht. ({13}) - Photovoltaik im eigenen Land zum Beispiel. Ich sage abschließend: Wir wünschen unserer Delegation, unseren Verhandlungspartnern - einige Abgeordnete sind dabei - in Bonn viel Erfolg in einer sehr schwierigen Gefechtslage. Wir fordern Sie auf, Ihre Energiepolitik grundlegend zu überdenken und in der Entwicklungspolitik eine deutliche Kehrtwende vorzunehmen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege, die Zeit.

Dr. Christian Ruck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001893, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wenn das geschieht, dann werden Sie in den internationalen Verhandlungen mehr Gewicht haben. Je eher Sie diese Korrekturen anbringen, desto schneller werden Sie an internationalem Einfluss gewinnen. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Kollegin Monika Ganseforth.

Prof. Monika Ganseforth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000630, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Die Situation, die wir jetzt vorfinden, erinnert mich sehr stark an die Zeit im Vorfeld des Weltgipfels von Rio. Auch damals wollten die Amerikaner von ihrem American Way of Life keinen Abschied nehmen. Der damalige Präsident George Bush war der Wortführer der sagte: Das ist mit uns nicht zu machen. Die starre Haltung der USA hat zur damaligen Zeit dazu geführt, dass die Fronten, die sich im Vorfeld aufgebaut hatten - hier die Industrieländer, dort die Entwicklungsländer -, aufgebrochen wurden. Ich will zwar nicht sagen, dass die USA damals gegen den Rest der Welt standen; die Fronten damals waren aber sehr eindeutig. Es ist gelungen, einen Zusammenschluss der übrigen Industrieländer und der Entwicklungsländer zustande zu bringen. Es hat sich eine ganz neue Dynamik ergeben. Es ist richtig, dass der Vertreter der damaligen Bundesregierung, Herr Töpfer, diese Dynamik hervorragend genutzt hat. Wir haben in Rio ein sehr gutes Ergebnis erzielt, obwohl das im Vorfeld kaum zu erwarten war. In diesem Hause waren wir uns damals über alle Parteigrenzen hinweg einig, dass es gilt, Töpfer zu unterstützen. Herr Ruck, es ist nicht wahr, dass es Rio ohne den damaligen Kanzler Kohl nicht gegeben hätte. Die Verhandlungsführung hat hinter verschlossenen Türen - eine Bundestagsdelegation, zu der auch ich gehörte, war ebenfalls in Rio - dazu beigetragen, dass dieses Ergebnis zustande gekommen ist. Nun geht es um die Umsetzung des Kioto-Protokolls. Merkwürdigerweise ist die Situation so ähnlich wie damals: Diesmal agiert der Sohn Bushs und wiederum legen die USA eine starre Haltung an den Tag und tragen Kioto nicht mit. Jeder internationale Prozess hat seine eigene Dynamik. Ich weiß nicht, ob sich aus diesem Prozess nicht doch wieder etwas ergeben kann, sodass wir zu einem Erfolg kommen. Im Augenblick ist es jedenfalls so, dass sich in den USA die Kräfte bündeln, die es anders sehen als die Regierung, dass Europa näher zusammenrückt und dass die Entwicklungsländer mit uns und Europa an einem Strang ziehen. Insofern könnte sich wieder eine Dynamik ergeben, wenn sich nicht Länder - wie zum Beispiel Japan hinter den USA verstecken und ebenfalls aussteigen. Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, dass gerade Japan dazu beiträgt, dass das Scheitern des internationalen Klimaprozesses mit dem Namen Kioto verbunden wird. Es kommt nämlich - neben der Tatsache, dass Kioto in Japan liegt - hinzu, dass Japan seine Hausaufgaben bereits gemacht hat. Es ist schon angesprochen worden: Japan hat sehr niedrige Pro-Kopf-Treibhausgasemissionen. Das hängt auch damit zusammen, dass sie im letzten Jahrzehnt eine Industriepolitik der hohen Strom- und Energiepreise betrieben haben. Dadurch haben sie Effizienzreserven aktiviert. Diese sind in den anderen Ländern noch längst nicht ausgeschöpft. Ich glaube, dass unser Antrag, der die Regierung auffordert, den Kioto-Prozess in Bonn erfolgreich weiterzuführen, gerade zur richtigen Zeit kommt, um dies zu erreichen. ({0}) Ich finde, man kann die internationalen Belange und das nationale Handeln, so wie es Herr Grill hier versucht hat, nicht gegeneinander ausspielen. Beides gehört zusammen. Unabhängig davon, wie die internationalen Verhandlungen weitergehen, müssen wir - das fordern wir in unserem Antrag - den Weg auf nationaler Ebene weiter gehen; auch Europa muss dies tun. Wenn Sie kritisieren, dass Europa zu wenig angesprochen wird, dann muss ich Ihnen sagen, dass Sie unseren Antrag nicht gelesen haben. Wir sagen nämlich genau das und fordern, dass dies auch weiterhin geschieht. In den anderen europäischen Ländern sind die erfolgten Reduktionen noch nicht ausreichend. Man darf aber auch nicht vergessen, dass einigen Ländern zusätzliche Emissionen zugesagt worden sind. Diese - ich nenne Griechenland und Portugal - sind auf dem Weg, das angestrebte Ziel zu erreichen bzw. es sogar zu übertreffen. Wir können nicht nur die Reduktion betrachten, sondern müssen es im Ganzen sehen. Es ist aber richtig, dass noch weiter gehende Vereinbarungen notwendig sind. Die rot-grüne Regierung hat die ehrgeizigen Ziele, die die alte Regierung öffentlich verkündet hat, übernommen und deren Umsetzung zugesagt, obwohl wir wussten, dass dazu nur sehr wenig Zeit vorhanden war, und wir es mit nicht gemachten Hausaufgaben und einer Altlast Ihrer Regierung zu tun hatten. Ich finde es grotesk, dass Sie sich hier hinstellen und sagen, dass wir die Kioto-Ziele und die dort gemachten Zusagen nicht erreichen, sondern eindeutig verfehlen würden. Sie hatten so viele Jahre dazu Zeit, blieben aber weit hinter den Zielen zurück. ({1}) - Jede Studie hat ergeben, dass Sie es nicht auf den Weg gebracht haben. Wir fanden eine Situation vor, in der wir uns gefragt haben, ob wir überhaupt noch zu den Zielen stehen und versuchen können, sie mit einer großen Kraftanstrengung zu erreichen. Wir haben eine ganze Menge auf den Weg gebracht. Als Sie in der Regierungsverantwortung waren, haben wir Ihre Vorhaben mitgetragen. Leider haben Sie dies bei den Vorhaben, die wir auf den Weg gebracht haben, nicht getan, sondern sie abgelehnt. Ich nenne die Ökosteuer, das Erneuerbare-Energien-Gesetz, ({2}) das Vorschaltgesetz und die Kraft-Wärme-Kopplung, im Gegenteil: Sie haben es bekämpft und dagegen gestimmt. Ich weiß nicht, warum Herr Ruck unser 100 000-DächerProgramm, unser Altbausanierungsprogramm, unser Marktanreizprogramm und all das, was wir gemacht haben, industrie- und technologiefeindlich nennt. Aber auch diese Programme reichen noch nicht aus. ({3}) Es sind noch Lücken vorhanden. Die Bundesregierung hat uns das Klimaschutzprogramm vorgelegt; die KraftWärme-Kopplung wird auf den Weg gebracht. Aber auch das Problem der Effizienz muss beachtet werden. Herr Ruck, auf unserer Seite hat sich niemand nur auf das Erneuerbare-Energien-Gesetz konzentriert; für uns ist auch die Energieeffizienz sehr wichtig. Wir warten noch auf die Energieeinsparverordnung. Ferner möchte ich nennen: die Verdoppelung der erneuerbaren Energien, Offshore, wie es der Minister angesprochen hat, sowie die Biomassenutzung. Eine Menge Dinge sind auf den Weg gebracht worden. Zugegebenermaßen muss noch mehr passieren. Der Verkehrssektor ist ein Problem. Dazu ist in dem Klimaschutzprogramm der Bundesregierung auch einiges angesprochen. Wir haben den Fahrradplan eingebracht. ({4}) - Das finden Sie komisch? Das ist ein wichtiges Verkehrsmittel! Außerdem ist eine Aufklärungskampagne für energiesparendes Fahren nötig. Sie wird etwas bringen. Wir brauchen die vergleichende Verbrauchskennzeichnung von PKWs. Es ist klar: Die Automobilindustrie will das nicht, weil sie weiß, dass dann die Verbraucher vielleicht Autos kaufen, die weniger verbrauchen. Das alles muss schnell umgesetzt werden. Ich bin davon überzeugt, dass Klimaschutz nicht etwa die Wirtschaftsentwicklung hemmt. Klimaschutz ist im Gegenteil, wenn die Investitionszyklen berücksichtigt werden, sogar der Motor für Fortschritt und Entwicklung, schafft Arbeitsplätze und bietet Chancen für Innovationen. Wer nicht dabei ist, wird Nachteile haben. Das weiß inzwischen auch ein großer Teil der amerikanischen Industrie. Die haben Sorgen, dass sie abgehängt werden. Allerdings erfordert Klimaschutz auch eine Umstrukturierung; denn die bisherigen Produktions- und Lebensweisen sind nicht nachhaltig. Gegen die Umstrukturierung wehren sich natürlich die rückwärts gewandten Beharrungskräfte und die Verlierer einer solchen Entwicklung. Wir merken das in den eigenen Reihen. Wir erhalten permanent Briefe von Branchen und Lobbyisten, die nicht Gewinner sind, seien es die Mineralölwirtschaft, die Automobilindustrie, die chemische Industrie, die Aluminiumindustrie, Ziegeleien, elektrische Wärmeerzeuger und Ähnliches. Leider fallen doch viele - vor allen Dingen auf Ihrer Seite - auf diese Argumente herein, weil sie unbequeme Wahrheiten und die Verantwortung für diese Umstrukturierung scheuen. Wir müssen auch helfen - da hat Herr Ruck Recht -, dass die Entwicklungsländer nicht die gleichen Fehler begehen, die wir gemacht haben, sondern dass sie zu einer nachhaltigen Wirtschafts- und Produktionsweise kommen, zumal die Nutzung der Solarenergie in den Entwicklungsländern natürlich nahe liegt. Dazu brauchen sie Know-how-Transfer; dazu brauchen sie Geld; dazu brauchen sie unsere Unterstützung. In unserem Antrag fordern wir auch, dass dies getan wird. Alles, was an Kritik von Ihnen gekommen ist, ist meiner Ansicht nach in dem Antrag berücksichtigt. Ich habe am Anfang sogar geglaubt, wir könnten hier zu einer gemeinschaftlichen Verabschiedung des Antrags kommen. Wir üben keine Kritik an der Vergangenheit, an dem, was Ihre Regierung getan hat, sondern es ist ein Antrag, der nach vorn weist und fordert: das Kioto-Protokoll ratifizieren und umsetzen. Die Debatte hat mir gezeigt, dass diese Gemeinsamkeit hier im Hause leider nicht mehr besteht. ({5}) Von der F.D.P., bei der sich die gesamte Klimapolitik nur noch auf Emissionshandel reduziert, ist dabei ganz zu schweigen. Das ist ein additives Instrument, aber es ist nicht das Kerninstrument beim Klimaschutz. Ich hoffe also, dass unser Antrag eine Mehrheit bekommt: Er will die Regierung unterstützen und mit dazu beitragen, alles, was möglich ist, hinzubekommen, damit der Klimaprozess und das Kioto-Protokoll in Bonn in 14 Tagen zum Erfolg geführt werden. Schönen Dank. ({6})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich schließe damit die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung, über den Antrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 14/6542 mit dem Titel „Das Kioto-Protokoll ratifizieren und umsetzen“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. bei Enthaltung der PDS angenommen worden. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf Drucksache 14/6187. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Entschließungsantrags der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/4887 zur Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung zur 6. Weltklimakonferenz. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung des Ausschusses? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. angenommen worden. Die PDS hat sich enthalten. Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der F.D.P. auf Drucksache 14/4890 mit dem Titel „Agenda für eine Initiative Deutschlands zum internationalen Klimaschutz“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung des Ausschusses? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. angenommen worden. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der F.D.P. auf Drucksache 14/1234 mit dem Titel „Solarbericht“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung des Ausschusses? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von CDU/CSU, F.D.P. und PDS angenommen worden. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 14/4729 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie einverstanden? - Das ist der Fall. Dann verfahren wir auch so. Tagesordnungspunkt 5 d: Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf Drucksache 14/5588 zu dem Antrag der Fraktion der F.D.P. mit dem Titel „Börsenhandel mit Emissionszertifikaten in Deutschland konkret vorbereiten“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/4395 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen der F.D.P. bei Enthaltung der CDU/CSU angenommen worden. Tagesordnungspunkt 5 e: Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen auf Drucksache 14/5302 zu dem Antrag der Fraktion der F.D.P. mit dem Titel „CO2-Ausstoß im Gebäudebereich senken“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/660 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung des Ausschusses? - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der F.D.P. bei Enthaltung von CDU/CSU und PDS angenommen worden. Tagesordnungspunkt 5 f: Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf Drucksache 14/5596 zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel „Offensive zur Reduktion von CO2-Emissionen im Gebäudebestand starten“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/4379 abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des Ausschusses? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der CDU/CSU bei Enthaltung von F.D.P. und PDS angenommen worden. Tagesordnungspunkt 5 g: Wir kommen zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel „Die 6. Vertragsstaatenkonferenz ({0}) muss zum Erfolg führen Für eine nachhaltige Entwicklungs- und Klimapolitik“. Abweichend von der Tagesordnung soll über den Antrag heute abgestimmt werden. Wer stimmt für diesen Antrag auf Drucksache 14/6439? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von F.D.P. und CDU/CSU bei Enthaltung der PDS abgelehnt worden. Zusatzpunkt 5: Abstimmung über den Antrag der Fraktion der F.D.P. auf Drucksache 14/6547 zu einer „Initiative Deutschlands für einen Durchbruch beim internationalen Klimaschutz“. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. abgelehnt worden. Zusatzpunkt 6: Abstimmung über den Antrag der Fraktion der PDS mit dem Titel „Klimapolitik international und national auf eine neue Grundlage stellen“. Wer stimmt für den Antrag auf Drucksache 14/6570? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen des ganzen Hauses gegen die Stimmen der PDS, die zugestimmt hat, abgelehnt worden. Ich rufe Tagesordnungspunkt 6 sowie Zusatzpunkt 7 und 8 auf: 6. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Maria Böhmer, Norbert Barthle, Meinrad Belle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Kein Import von und keine Forschung an embryonalen Stammzellen in Deutschland bis zu einer Entscheidung des Deutschen Bundestages - Drucksache 14/6314 ({1}) Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({2}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ZP 7 Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Für eine sorgfältige und umfassende Prüfung des Imports und der Forschung mit embryonalen Stammzellen - Drucksache 14/6551 Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike Flach, Cornelia Pieper, Birgit Homburger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P. Kein Verbot und kein Moratorium für den Import embryonaler Stammzellen - Drucksache 14/6550 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Widerspruch gibt es nicht. Dann werden wir auch so verfahren. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst die Abgeordnete Maria Böhmer. ({3})

Dr. Maria Böhmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002630, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute vor fünf Wochen, am 31. Mai, haben wir die erste Grundsatzdebatte in dieser Legislaturperiode zur Bio- und Gentechnologie geführt. An diesem Tag ist sehr deutlich zum Ausdruck gekommen, welch hohe Verantwortung sich mit diesen Entscheidungen verbindet. Je mehr der Mensch selbst zum Gegenstand der Forschung wird, desto mehr müssen wir uns hier im Bundestag den Fragen des Lebens, des Menschseins, des Schutzes des menschlichen Lebens und der menschlichen Würde stellen. ({0}) Wie sehr jeder von uns um Antworten ringt, hat diese Debatte gezeigt. Über die Fraktionsgrenzen hinweg ist deutlich geworden, dass wir in diesen ethischen Fragen der Bio- und Gentechnologie vor Gewissensentscheidungen stehen. Das müssen wir auch beibehalten. Es geht in diesen Fragen wirklich um Gewissensentscheidungen. ({1}) Ich bin allerdings sehr betroffen, dass der so gut begonnene Weg von der Regierungsseite heute verlassen wird. Denn Sie stellen mit Ihrem Vorgehen die Koalitionsfrage über die Gewissensfrage. ({2}) Macht oder Moral, das kann und darf nicht die Alternative sein. Daher bitte ich Sie herzlich, Ihr Vorgehen noch einmal zu überdenken. ({3}) Lassen Sie mich kurz den politischen Ablauf der letzten fünf Wochen rekapitulieren: Just an dem Tag, an dem der Deutsche Bundestag, also wir alle hier, über die Fragen der Bio- und Gentechnologie debattiert haben und an dem wir uns über die Fraktionsgrenzen hinweg - ich betone das noch einmal - darüber im Klaren waren, dass wir uns für eine gründliche Debatte Zeit geben wollen, dass wir die Fragen wirklich ausloten wollen und dass wir dann aber auch zu Entscheidungen kommen müssen, hat der Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen von Israel aus erklärt, dass er den Import von und die Forschung an embryonalen Stammzellen in seinem Bundesland fördern will. Ich finde, das ist ein starkes Stück. Das ist ein Affront gegen den Deutschen Bundestag. ({4}) Wir debattieren und der Ministerpräsident von NordrheinWestfalen will Fakten schaffen. Ich glaube, das hat nicht nur Einzelne, sondern uns alle berührt. Wir wissen, dass mit einem solchen Vorpreschen Fakten geschaffen werden, die unsere Entscheidungsfindung beeinträchtigen und reduzieren. Wie in den Reihen der Regierungskoalition darüber gedacht wird, das hat die Abstimmung im nordrhein-westfälischen Landtag am 20. Juni dieses Jahres gezeigt: CDU und Grüne haben sich dort gegen das Vorhaben des Ministerpräsidenten ausgesprochen. ({5}) Ich finde es beachtlich, dass sich die Grünen in Nordrhein-Westfalen an ihre Beschlüsse und an ihre ethischen Maßstäbe gehalten haben. Dafür möchte ich den nordrhein-westfälischen Grünen ganz herzlich danken. Denn das ist in ihrer Position von besonderer Bedeutung. Wie anders aber stellt sich die Situation auf Bundesebene dar? Es ist einer Grundsatzdebatte leider nicht angemessen - das muss ich wirklich betonen -, wenn jetzt eine parteipolitische Auseinandersetzung geführt wird. Zuerst wurde sie in der Bundesregierung geführt und jetzt wird sie im Bundestag geführt. Deshalb muss ich sagen: Den Vorwurf, den ich vom Fraktionsvorsitzenden der SPD gehört habe, nämlich dass unser Moratorium bezüglich des Imports von und der Forschung an embryonalen Stammzellen verlogen sei, finde ich ungeheuerlich. Ich weise das strikt zurück. ({6}) Wir wollen nicht, dass durch das Vorpreschen des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Fakten am Parlament vorbei geschaffen werden. Eine Entscheidung über den Import von und die Forschung an embryonalen Stammzellen kann nur im Deutschen Bundestag und nicht außerhalb getroffen werden. Es gilt dabei, das Votum der Enquête-Kommission „Recht und Ethik in der modernen Medizin“ in die Entscheidungsfindung einzubeziehen. Das ist nicht nur eine Sachfrage; das ist eine Frage des Selbstverständnisses unseres Parlaments. Deshalb haben wir den Antrag für ein Moratorium in den Deutschen Bundestag eingebracht. ({7}) Wir haben die Form des Antrags gewählt, weil wir bewusst eine Brücke zu den Kolleginnen und Kollegen der anderen Fraktionen bauen wollten. ({8}) Es geht uns hier um die Sache. Wir haben das daran deutlich gemacht, dass wir auf Sie zugegangen sind und gesagt Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer haben, wir würden diesen Antrag zurückstellen, wenn es zu einem Gruppenantrag aus der Mitte des Parlamentes käme. Darauf habe ich lange gehofft; nicht nur ich habe Gespräche geführt, sondern auch meine Kollegen haben Gespräche geführt. Wir wissen, wie schwierig die Situation inzwischen bei Ihnen geworden ist. Ich bedaure es sehr, dass es nicht zu solch einer Initiative mitten aus dem Parlament kommt. Damit hätte deutlich gemacht werden können, dass wir bezüglich des Imports und der Erforschung von embryonalen Stammzellen keine Fakten geschaffen haben wollen, sondern zuerst eine Entscheidung im Deutschen Bundestag getroffen werden muss. ({9}) Die Regierungskoalition hat angekündigt, unseren Antrag abzulehnen. Sie stellen aber ebenfalls einen Antrag, der nichts anderes beinhaltet als ein Moratorium, wenn auch in recht abgeschwächter Form. Ich sehe das als den kleinsten gemeinsamen Nenner an. Ihr Appell an Wissenschaftler und Forschungsinstitutionen, einer Entscheidung des Deutschen Bundestages nicht durch Schaffung vollendeter Tatsachen vorzugreifen, entspricht in der Tat der Form nach einem Moratorium. Deshalb hätte ich mir gewünscht, dass eine Brücke gebaut worden wäre und wir aufeinander zugegangen wären, um unser gemeinsames Ziel deutlich zu machen. Wenn ein solches Moratorium das Ziel sein sollte, dann bitte ich Sie noch einmal herzlich, unserem Antrag zuzustimmen, damit wir dieses gemeinsam nach außen deutlich machen können. Wenn Sie kein Moratorium wollen, dann sollten Sie Ihren Antrag zurückziehen. Ich habe gestern bei einer Rede des Bundeskanzlers erhebliche Zweifel bekommen, was eigentlich mit diesem Antrag erreicht werden soll. Auch darüber muss gesprochen werden. Der Bundeskanzler hat nämlich bei der Jahresversammlung der Deutschen Forschungsgemeinschaft ganz klar gesagt, dass er nicht nur die Erwartung hegt, sondern davon ausgeht - das hat er gegenüber der Deutschen Forschungsgemeinschaft deutlich ausgedrückt -, dass eine Entscheidung darüber im Dezember dort zu treffen sei. Zugleich hat er gesagt, dass das Embryonenschutzgesetz in dieser Legislaturperiode nicht mehr geändert werden soll. Diesen Punkt haben wir übrigens auch immer miteinander diskutiert, aber offensichtlich haben sich die Verhältnisse geändert. Nehmen wir uns einmal diese Worte des Bundeskanzlers vor. Sie heißen doch im Klartext: Die Tür im Embryonenschutzgesetz für den Import embryonaler Stammzellen und damit auch für die Forschung an diesen soll offen gehalten werden. Wir hier im Deutschen Bundestag dürfen debattieren; die Entscheidung liegt aber in der Hand der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Ich will deshalb in aller Klarheit hier feststellen: Das Drängen des Bundeskanzlers kann die Notwendigkeit einer Entscheidung hier im Deutschen Bundestag nicht aushebeln. ({10}) Schauen wir uns einmal an, was in den letzten Wochen geschehen ist. Beginnen muss ich mit der Änderung der Haltung der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die sie am 3. Mai dieses Jahres vollzogen hat. Bis zu diesem Datum sagte sie noch: keine Forschung an embryonalen Stammzellen. Danach hat sie eine Empfehlung für die Forschung an und vor allen Dingen für den Import von embryonalen Stammzellen ausgesprochen. Zugleich erklärte sie aber, dass therapeutisches Klonen in Deutschland nicht zulässig sein solle. Inzwischen gibt es Wissenschaftler - ich nenne zwei, weil sie sich auch öffentlich geäußert haben, Professor Ganten und Professor Bartram -, die demgegenüber offen erklären, dass die Forschung ohne therapeutisches Klonen kaum zu anwendbaren Therapien führen werde. ({11}) Ich sehe in der Tat, dass man Schritt für Schritt in diese Richtung gehen wird. Erst wird die Frage gestellt werden: Können die importierten embryonalen Stammzellen möglicherweise - einige, wie Professor Bartram selbst, sagen ja schon, dass Import von Doppelmoral zeuge - nicht hier in Deutschland erzeugt werden, indem man die verwaisten tiefgekühlten Embryonen dafür nutzt? Dabei muss ich mich sowieso fragen, was das Wort „verwaist“ bedeutet. Als Nächstes wird wahrscheinlich die Frage gestellt, wie man beim therapeutischen Klonen verfährt; denn die Wissenschaftler wissen, dass mit der Verwendung eines derart erzeugten Gewebes keine Abstoßungsprozesse verbunden wären. Die Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts weist zu Recht darauf hin, dass man zunächst einmal überlegen muss, inwieweit Forschungsergebnisse in einem überschaubaren Zeitraum überhaupt realistisch sind und was Forschung möglich macht. Ich füge hinzu: Wir müssen überlegen, welche Alternativen es gibt. Wir dürfen nicht isoliert über die Forschung an embryonalen Stammzellen sprechen, sondern müssen auch die Möglichkeiten der Forschung an adulten Stammzellen, an fetalen Stammzellen und an Stammzellen aus Nabelschnurblut wieder verstärkt in die Diskussion mit einbringen; denn all das gibt Menschen die Chance, dass sich deren Heilungsaussichten verbessern. Ich frage mich deswegen immer wieder: Warum konzentrieren wir uns in der Diskussion auf den ethisch problematischen Bereich der embryonalen Stammzellen? Warum setzen wir nicht stärker auf die unproblematische Forschung an adulten und fetalen Stammzellen, auch, um Deutschland in diesem Bereich im Spitzenfeld der Forschung zu halten? ({12}) Angesichts dessen glaube ich, dass wir in der nächsten Zeit nicht nur die Frage des Imports von embryonalen Stammzellen und die Forschung daran im Blick haben dürfen; wir müssen uns vielmehr der viel grundsätzlicheren Frage der verbrauchenden Embryonenforschung zuwenden. Nur wenn man das ganze Feld im Blick hat, kann man wirklich verantwortlich über die Frage des Imports von und der Forschung an embryonalen Stammzellen entscheiden. Wir alle müssen uns deutlich vor Augen führen: Es gibt keine embryonalen Stammzellen ohne die Tötung eines Embryos und damit die Vernichtung menschlichen Lebens. ({13})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.

Dr. Maria Böhmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002630, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Unter diesem Gesichtspunkt haben wir dieses Moratorium hier eingebracht. Ich appelliere noch einmal sehr herzlich an Sie: Stimmen Sie diesem Moratorium zu. In ihm wird die Bundesregierung aufgefordert, sicherzustellen, dass bis zu einer Entscheidung des Deutschen Bundestages kein Import von und keine Forschung an embryonalen Stammzellen stattfinden soll. Wir bitten darin die Deutsche Forschungsgemeinschaft, so lange von einer entsprechenden Förderung abzusehen. Darüber hinaus wenden wir uns auch an die Wissenschaftler und richten den Appell auch an sie, das zu berücksichtigen. Es geht um Fragen des Menschseins und des Lebens. Um diese zu entscheiden, brauchen wir Zeit und die gediegene Auseinandersetzung mit all diesen Fragen. Ich bin gewillt, dass wir das zügig tun und uns mit aller Kraft damit auseinandersetzen. Es kann aber nicht sein, dass Fakten geschaffen werden und wir mit diesen Fakten konfrontiert werden. Herzlichen Dank. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Margot von Renesse von der SPD-Fraktion das Wort.

Margot Renesse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001820, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Kollegin Dr. Böhmer, ich hoffe, dass die Auseinandersetzung um die Art und Weise, wie diese Anträge zustande gekommen sind, die gute Zusammenarbeit, die wir am 31. Mai dieses Jahres begonnen haben und die auch in der Enquête-Kommission stattfindet, Herr Lensing, nicht beeinträchtigen wird. Deswegen ist es mir wichtig, den Punkt an den Anfang meiner Rede zu stellen, worin wir übereinstimmen, nämlich darin, dass die Entscheidung hier im Deutschen Bundestag fallen muss. ({0}) Lassen Sie mich aber deutlich erklären, warum wir Ihrem Antrag in der Sache nicht zustimmen können. Andere mögen etwas über den Verdacht sagen, dass sie gar keinen sachlichen Antrag vorlegen wollten, sondern die Brandfackel in das Haus der Koalition haben werfen wollen. ({1}) Ich verstehe davon nicht genug, um darüber viel sagen zu können. Das, was Sie vorhin gesagt haben, Frau Böhmer, hat mich etwas zweifelnd gemacht; das hätte ich bis jetzt gar nicht geglaubt. Darüber will ich aber gar nicht viel reden, sondern will auf die Sache selbst eingehen. Es gibt ein paar Gründe, warum Ihrem Antrag von uns nicht zugestimmt werden kann. Wären Sie im Status Nascendi dieses Antrages zu uns gekommen, so hätten wir vielleicht eine gemeinsame Ebene finden können. Aber einfach diesen Antrag zu stellen und uns zu sagen, wir könnten ja zustimmen, ist vielleicht doch nicht die richtige Methode der Zusammenarbeit zwischen einer Regierungskoalition und der Opposition, so gerne man diese Zusammenarbeit auch hat. Lassen Sie es mich von der Sache her begründen. Das Erste: Sie haben in Ihrem Antrag erklärt, dass das Embryonenschutzgesetz die Produktion und den Import von Stammzellen offen lasse bzw. nicht erfasse, weil man das damals nicht gekannt habe. Dies sieht so aus, als ob das Embryonenschutzgesetz diese Tatbestände erfassen müsse. Nun ist das Embryonenschutzgesetz ein reines strafrechtliches Nebengesetz. Ob das Embryonenschutzgesetz diese beiden Fälle umfassen müsste, ist unter uns enorm streitig. Es kann dazu also keinen Antrag geben, den wir alle unterschreiben können; jedenfalls nicht zum jetzigen Zeitpunkt. Das Zweite: Ein Moratorium ist etwas, das Betroffene freiwillig vereinbaren können. Aber die Sprache des Deutschen Bundestages ist ein Gesetz. ({2}) Sie hatten einen Gesetzentwurf vorbereitet. Davon weiß ich und davon wissen wir alle. Sie haben sich selber nicht einigen können und die Vorstellung, der Deutsche Bundestag könne wie ein absoluter Fürst, ohne das Wort „Gesetz“ in den Mund zu nehmen, Leuten etwas ge- oder verbieten, beruht auf der Inanspruchnahme einer Autorität, die wir nicht haben und die unsere wirkliche Autorität eher verdunkeln würde. Das mache ich nicht mit. ({3}) Das Dritte: Sie fordern ganz konsequent die Bundesregierung dazu auf, dass sie sicherstellen solle, dass der Import von Stammzellen nicht geschieht. Wie soll eine Bundesregierung dies sicherstellen, ohne dass ihr der Bundestag ein Gesetz dafür liefert? ({4}) Das geht nun einmal nicht und das machen wir nicht mit. Wir bleiben bei der Autorität, die wir haben, das heißt, wir sagen: Wir sollen selber etwas tun. Lassen Sie mich Ihnen und auch den Forschern, der DFG und anderen, die damit zu tun haben, ganz aufrichtig sagen: Ich frage mich seit geraumer Zeit, ob wir als Gesetzgeber nicht einiges verschlafen haben und ob wir nicht die Hängepartie, die wir Forschern zumuten - auch ehrlichen Forschern wie Brüstle, die öffentlich Anträge stellen und nicht heimlich importieren, die es auch gibt -, mit verschuldet haben, weil wir möglicherweise geschlafen und nicht gesehen haben, was passiert. Sie haben selber einiges genannt, worüber wir möglicherweise holterdiepolter Entscheidungen treffen müssen, die wir aber hoffentlich sorgfältig vorbereiten. Die Enquête-Kommission wird das Ihre dazu tun. Dafür stehen alle Mitglieder der Enquête. Dies wird aber nach der Zeit, in der wir uns hinter einem Embryonenschutzgesetz verschanzt haben, welches ohne Zweifel ein Glücksfall in der deutschen Rechtsgeschichte ist, aber im Zusammenhang der Lebenswissenschaften hätte fortgeschrieben werden müssen, nicht einfach sein. ({5}) - Nein, bitte, Herr Lensing, ein andermal. Entschuldigen Sie bitte. ({6}) - Ja, hier. Aber der Deutsche Bundestag muss das Ergebnis in Form eines Berichts zur Kenntnis nehmen und das werden wir tun. Nun der vierte Grund, warum wir Ihrem Antrag nicht zustimmen: Wenn wir an die Forscher den Appell richten - das Einzige, was wir tun können -, immer noch auf uns zu warten, dürfen wir auch nicht trödeln. Dann müssen wir handeln. ({7}) Dann muss der Deutsche Bundestag auch sagen, dass er jetzt etwas tun wird. Er muss den Leuten sagen, dass nicht das passiert, was sich einige in diesem Hause wünschen, nämlich zu sagen, dass die Forscher warten sollen, sie aber anschließend bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag warten zu lassen. Diese kalte Küche darf es hier im Parlament nicht geben. Wir werden uns entscheiden. Wir werden es tun. Ich hoffe, dass wir uns richtig entscheiden. Wir betreten vermintes Gelände, das wissen wir alle. Wie auch immer wir uns entscheiden - eines will ich ganz deutlich sagen: Gesetzt den Fall, dass wir die Heuchelei der Nichtgewinnung von Stammzellen in Deutschland nicht vermeiden und auch gleichermaßen den Import verbieten, werden wir dann eines Tages auch die Erkenntnisimporte verneinen, werden wir diese auch verbieten? Werden wir unseren Forschern verbieten, nach Amerika zu gehen und dort zu tun, was nach deutschem Recht - Entschuldigung, das sage ich auch als Juristin - nach der Strafrechtsandrohung sowohl nach Handlungs- als auch nach Erfolgsunrecht ({8}) eher eine lässliche Sünde ist, mit maximal drei Jahren Freiheitsentzug bestraft wird? Dies ist schon bei Diebstahl mehr. Ich frage mich, ob wir so heilig werden können, wie wir vorgeben zu sein. ({9}) Das Embryonenschutzgesetz sieht jedenfalls manches offensichtlich anders: Warum ist der Status eines verwaisten Embryos höher als der eines abgegangenen oder abgetriebenen Fötus, von dem keiner behauptet, er sei nicht Forschungsobjekt? Er ist es schon seit über 100 Jahren. ({10}) Die Embryologie lebt davon. - Fragen über Fragen! Wenn wir konsistent und konsequent bleiben wollen - das sage ich nun all denen, die an Standortfragen interessiert sind, was meine Sache nicht ist -, kann Deutschland nur bei moralisch und ethisch geradem Weg Standort für Wissenschaft und Wirtschaft sein. Es gibt in Deutschland, in dessen Nachbarschaft das alles geschieht, keine Möglichkeit, etwas zu tun, was das Licht der Öffentlichkeit scheuen müsste. Das muss der Wirtschaft gesagt werden und das muss der Wissenschaft gesagt werden. Diejenigen, die Stammzellen importiert haben, ohne dass die Öffentlichkeit etwas davon wusste - anders als Brüstle -, haben die Diskussion erheblich belastet, weil sie das Misstrauen vergrößert haben. ({11}) Die Diskussion ebenso belastet haben Journalisten, die den Namen und die Adresse von Brüstle deutlich gekennzeichnet haben, um ihn an den Pranger zu stellen; er bekommt bereits Morddrohungen. Das sind Methoden, die in diesem Hause und auch außerhalb zwischen Kontrahenten verschiedener Meinungen nicht angemessen sind. Lassen Sie mich noch etwas sagen: Wir haben mit Menschenwürde zu tun und wir haben sie zu achten; sie ist nicht abwägbar. Darum müssen wir uns die Frage stellen, wie verzichtbar Forschung sein kann. Die adulten Stammzellen sind deswegen kein Thema, weil sie ohne ethisches Problem gefördert werden. Deshalb erscheint es mir unter dem Gesichtspunkt des Art. 5 des Grundgesetzes, der Forschungsfreiheit garantiert, fraglich, dass der Deutsche Bundestag die Frage nach einer sinnvollen Forschung beantworten soll. Ich glaube, das ist nicht unser Thema, sondern wir werden die Frage nach der Verletzung der Menschenwürde beantworten müssen, und zwar nach Gewissen und Wissen. Es gibt kein Grundrecht sozusagen auf Respekt vor Tabus. Wir müssen jedes Verbot, das wir aussprechen wollen, mit Rechtsgütern, die in der Verfassung ihre Grundlage haben, legitimieren. Das allgemeine Entsetzen und das allgemeine Gefühl der Abscheu sind kein ausreichender Grund für ein Verbot. Wir müssen das Problem klar benennen und nüchtern darüber diskutieren. ({12}) Letzter Punkt: Wir reden immer vom Embryo. Das ist auch richtig, denn die Menschenwürde, die sich im Embryo verwirklicht, weil sie ihm nach der allgemeinen Überzeugung des Deutschen Bundestags zukommt, steht in Rede. Reden wir aber auch vom Ende des Lebens. Ich spreche ein ethisches Problem an, das mich in letzter Zeit bei der Stammzellenforschung bewegt: Ich habe Angst vor einer Vampirmedizin, die Alter, altersbedingten Verfall, vielleicht auch den Tod, als Krankheit identifiziert und deswegen die Lebenskraft anderer Lebewesen benötigt, um das Lebenslicht, so wie man auf eine erlöschende Kerze eine andere steckt, zu verlängern. Ich möchte, dass wir immer noch einen Begriff von Krankheit und von der Endlichkeit des Lebens haben; wir müssen begreifen, wo sich das Leben rundet und wo es sich vollenden darf. Danke sehr. ({13})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Werner Lensing von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.

Werner Lensing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002722, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Weil ich eben nicht die Gelegenheit hatte, eine Frage stellen zu dürfen - was ich aber im Übrigen durchaus verstehe -, nutze ich das Mittel der Kurzintervention. Es wird hier mit hohem Ethos beschworen, dass wir uns in diesen Fragen, bei denen es im wahrsten Sinne des Wortes um Leben und Tod geht, möglichst breit zwischen den Parteien verständigen und dabei naturgemäß auch eine Gewissensentscheidung berücksichtigen. Aber die Arbeitsbasis - Frau Kollegin Böhmer hat bereits darauf hingewiesen - wird uns allen in dem Augenblick entzogen, in dem man bei dem Vorschlag einer Partei, in diesem Fall der CDU/CSU-Fraktion, sagt, er sei verlogen, und im anderen Falle meint, man habe die Wahrheit gepachtet. Deswegen möchte ich Folgendes mit Nachdruck feststellen: Es kann überhaupt nicht sein, dass auf der einen Seite in einem Antrag gefordert wird, der Bundestag solle sich als höchster Souverän - ich unterstütze das vom Grundsatz - mit dieser Frage befassen, was „befassen“ immer heißen mag, und auf der anderen Seite erklärt wird, man wolle über das Embryonenschutzgesetz während dieser Legislaturperiode nicht verhandeln. Es stellt sich die Frage: Entweder scheidet die Möglichkeit, dass sich der Deutsche Bundestag für ein dauerhaftes Verbot des Imports der infrage stehenden Stammzellen entscheidet, nach allgemeiner Ansicht ganz aus oder aber der Deutsche Bundestag kann sich zwar möglicherweise ein dauerhaftes Verbot wünschen, wird es aber nicht wirksam im Embryonenschutzgesetz verankern können. Das bedeutet im Klartext: Egal, wie wir uns verhalten, der Import kann - da wir nicht an das Embryonenschutzgesetz herangehen wollen - automatisch weiter laufen, weil er auch schon jetzt erfolgt. Das ist eine Doppelmoral, die - um den Ausdruck zu zitieren - verlogen ist. Ich frage die SPD und Bündnis 90/Die Grünen: Was soll die viel beschworene Diskussion eigentlich erbringen, wenn wir doch nicht handeln können? Wenn man uns vorwirft, wir hätten keinen eigenen Antrag eingebracht, sich selbst aber auch weigert, Ähnliches zu tun, dann wird dieser Appell, der hier heute groß beschworen wird, aus meiner Sicht zur Farce. Vielen Dank. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Ulrike Flach von der F.D.P.-Fraktion das Wort.

Ulrike Flach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003119, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was nicht verboten ist, ist erlaubt. Keine Strafe ohne Gesetz - das ist einer der wichtigsten Grundsätze unseres freiheitlichen Rechtsstaates. Mit anderen Worten: Es darf nur das Tun bestraft werden, das zum Zeitpunkt der Tat unter Strafandrohung per Gesetz verboten war. Für unsere derzeitige Debatte heißt dies: Der Import embryonaler pluripotenter Stammzellen zum Zweck der Forschung ist zulässig; denn er ist laut Embryonenschutzgesetz nicht verboten. Die deutschen Forscher - von Kiel bis München - haben die Rechtssicherheit, Embryonenforschung durchführen zu dürfen. Wer dies verhindern will, liebe Kollegen von der CDU/CSU, muss das Embryonenschutzgesetz ändern. ({0}) Dass dies zumindest indirekt von allen Antragstellern akzeptiert wird, ist ein erfreuliches Ergebnis der Debatten der letzten Wochen. ({1}) Es ist vor diesem Hintergrund in hohem Maße unseriös, Forscher zu diskriminieren, die auf unser Grundgesetz bauen und die bestehende Rechtslage nutzen. ({2}) Die F.D.P. erwartet von allen Antragstellern, egal, ob sie für ein Moratorium, ein Verbot des Imports sind oder nicht, dass sie dies auch akzeptieren und nicht das legale Verhalten von Wissenschaftlern in eine halbkriminelle Ecke rücken. ({3}) Die deutsche Wissenschaft hat zu keinem Zeitpunkt der Debatte über die Nutzung embryonaler Stammzellen Zweifel daran gelassen, dass ihre Forschungen dem Zweck der Entwicklung von Therapien für kranke Menschen dienen. Das Interesse der Forscher ist das Interesse der Kranken. Therapie und Heilung sind auch die primären Ziele, die die F.D.P. leiten. Aus diesem Grunde sind wir entschieden gegen den Versuch, Forschungen, die unsere Lebensbedingungen verbessern, zu behindern oder gar zu verbieten. Die F.D.P. spricht sich deshalb deutlich gegen den Antrag der CDU, Import und Forschung bis zu einer EntMargot von Renesse scheidung des Bundestages auszusetzen, aus. Wir wollen kein Moratorium, nicht nur deshalb nicht, weil es sich um eine rein rhetorische Maßnahme handelt, wie Herr Lensing gerade sehr deutlich gemacht hat, sondern auch, weil wir die Forschung auf diesem für die medizinische Entwicklung so wichtigen Gebiet nicht behindern wollen. Wer heute ein Moratorium verabschiedet, lähmt einen ganzen Forschungszweig, liebe Kollegen. Das mag gut für die Debattenkultur in Deutschland sein - es ist schädlich für die Menschen, die an Krebs, Parkinson, Alzheimer, Diabetes oder Osteoporose leiden und auf Linderung, wenn nicht Heilung hoffen. ({4}) Unsere Aufgabe, liebe Kollegen, ist es nicht, Gräben zwischen Wissenschaft und Gesellschaft aufzureißen. Unsere Aufgabe ist es, Gesetze zu verabschieden, die mit hoher moralischer Verantwortung eine gesicherte Basis für eine streng kontrollierte, transparente Forschung ermöglichen. Das geht weit - das muss ich auch Ihnen sagen, Frau von Renesse - über ein Moratorium oder das Warten auf Ethikrat-Entscheidungen hinaus. Wir sind in der Pflicht, ein Gesetzeswerk zu schaffen, welches Forschung nicht nur über Gesetzeslücken und Import aus dem Ausland erlaubt. Import als Ausweg aus Ihren Koalitionsproblemen - das ist zu wenig. Wir brauchen eine klare gesetzliche Grundlage, gerade weil wir es mit komplexen ethischen Fragen zu tun haben. ({5}) Dabei können wir uns natürlich von Ethikräten, Kommissionen und Fachgremien beraten lassen, aber das Parlament soll und darf sich nicht den Zeitplan von Gremien diktieren lassen, die ihre Legitimität nicht vom Volk, sondern aus dem Kanzleramt erhalten haben. Deshalb lehnen wir auch den „Koalitionsbefriedungsantrag“ der Regierungsfraktionen ab. Auch Sie binden das Parlament, indem Sie die Stellungnahmen der Enquête-Kommission, des Ethikrates und der DFG zur Vorbedingung einer Befassung des Bundestages machen. Das mag gut für den Koalitionsfrieden in der Sommerpause sein, aber im Herbst werden Sie um eine Entscheidung nicht herumkommen. Wir, die F.D.P., werden dann einen eigenen Gesetzesantrag einbringen und wir wünschen auch, dass darüber entschieden wird. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat ihre Entscheidung über eine Förderung des Stammzellenprojektes von Oliver Brüstle verschoben. Das ist die freie Entscheidung der DFG. Dafür erwarten aber die Forscher zu Recht, dass das Parlament deutlich macht - hier stimme ich Ihnen ausdrücklich zu, Frau von Renesse -, ob es diese Forschung will oder nicht. Sie können nicht einfach „halt“ rufen und glauben, damit sei das Problem gelöst. Die Forschung im Ausland geht weiter und wenn es bei uns politisch so weitergeht, gehen unsere Forscher natürlich ins Ausland. Wir erwarten von Ihnen, dass Sie nicht den Weg des kleinsten gemeinsamen Nenners Ihrer Koalition gehen. Falls Sie auf Zeit spielen und meinen, Querelen dadurch entgehen zu können, dass Sie die Welt außerhalb Deutschlands Embryonen für deutsche Forschung zur Verfügung stellen lassen, dann irren Sie sich. Spätestens bei der Frage, wie man denn mit Medikamenten und Heilungsverfahren umgeht, die im Ausland durch Embryonenforschung entstanden sind, werden Sie Farbe bekennen müssen. Oder wollen Sie den Deutschen erklären, dass wir dann alle darauf verzichten? ({6}) Die F.D.P. will noch in diesem Jahr eine Novellierung des Embryonenschutzgesetzes mit dem Ziel der Forschung an überzähligen Embryonen aus der künstlichen Befruchtung. Dafür werden wir kämpfen, liebe Kollegen, und ich bin sicher, auf diesem Wege werden uns auch Kollegen der anderen Fraktionen folgen. Die Freiheit des Gewissens ist keine Einbahnstraße im Sinne der Forschungsgegner. Lassen Sie uns nicht noch mehr Zeit verlieren. Nehmen Sie die Forschungsministerin beim Wort und machen Sie Tempo für Entscheidungen. Stimmen Sie gegen ein Moratorium und für unseren Antrag. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Andrea Fischer vom Bündnis 90/Die Grünen.

Andrea Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002652, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich halte den Koalitionsantrag, den wir heute einbringen und zur Abstimmung stellen, für die angemessene Reaktion auf die Entwicklungen der letzten Zeit. Er ist deshalb angemessen, weil sich der Bundestag an die Forscher wendet und an sie appelliert, zu respektieren, dass er der Souverän ist und diese Fragen entscheidet. Zugleich machen wir deutlich, dass der Bundestag gewillt ist, diesen Entscheidungsprozess voranzutreiben. Im Ziel gibt es dabei durchaus Übereinstimmung mit manchem, was im CDU/CSU-Antrag steht. Der Hauptgrund, warum ich glaube, dass dieser Antrag in der jetzigen Form nicht angenommen werden kann, ist, dass es nach der gegenwärtigen Rechtslage überhaupt nicht erkennbar ist, was die Bundesregierung zur Durchsetzung eines solchen Moratoriums tun könnte. Um es etwas flapsig auszudrücken: Ich hoffe nicht, dass Sie erwarten, dass die Bundesregierung eine schnelle Eingreiftruppe in die entsprechenden Forschungslabors schickt. ({0}) Insoweit ist nach meinem Dafürhalten unser Antrag die angemessene Reaktion. Der Bundestag muss sich zu der gegenwärtigen Entwicklung verhalten. Zugleich braucht er Zeit dafür. Ich selbst habe die Erfahrung gemacht, dass das vergangene Jahr offenkundig bei allen Fraktionen als zu früh galt, ({1}) sich mit einem Fortpflanzungsmedizingesetz als Weiterentwicklung des Embryonenschutzgesetzes zu befassen. ({2}) Ich will noch etwas zu dem Vorwurf sagen, wer die Steilvorlage aus unserer guten Debatte vom 31. Mai dazu gegeben habe, jetzt wieder in ein parteipolitisches Hickhack zurückzufallen. Vollkommen klar ist, dass wir es mit moralischen Fragen zu tun haben, die in der Politik einen ganz eigenen Sprengsatz darstellen. Am Ende wird es einige strittige Punkte geben, die nur quer durch die Fraktionen entschieden werden können, weil sie Gewissensfragen sind. Trotzdem sind wir hier nicht im politikfreien Raum und damit auch nicht im machtpolitisch freien Raum. Deswegen sollte das auch niemand unterstellen. Bislang haben wir uns alle mit ziemlich viel Anstand in dieser Debatte bewegt. Dies sollten wir beibehalten, dürfen aber nicht so tun, als seien sämtliche Regeln der Politik, die sonst gelten, außer Kraft gesetzt. ({3}) Ich möchte mich noch kurz auf die Sache einlassen: Die Debattenlage spitzt sich nach meiner Wahrnehmung immer stärker darauf zu, dass vonseiten der Forschung gesagt wird, es könne nicht angehen, dass die Politik erstens so lange braucht und zweitens, wenn sie einmal entscheidet, sich gegen etwas entscheidet, was die Forschung machen will. Ich habe viel Verständnis für das Problem des Timelags, der Differenz zwischen der von der Politik für eine wirklich nicht einfach zu führende gesellschaftliche Diskussion benötigten Zeit und der Ungeduld der Forscher. Ich kann das gut nachvollziehen. Trotzdem meine ich, dass es nicht unbillig ist, Respekt vor dieser zeitlichen Differenz zu verlangen, weil solche Entscheidungen in einem politischen und parlamentarischen Prozess wirklich schwierig sind. ({4}) Die zweite Frage geht ins Grundsätzliche. Was wäre, wenn das Parlament - in welcher Form auch immer - eines Tages entschiede, eine bestimmte Form von Forschung nicht zulassen zu wollen, weil sie an einem Material erfolgt, dessen Verwendung wir für ethisch nicht zulässig halten? Damit kommen wir zu einer Kernfrage. Heißt das, dass die Politik die Forschungsfreiheit infrage stellt? - Ich beantworte diese Frage mit Nein. Auch jetzt schon bewegt sich die Forschung nicht in einem rechtsfreien Raum. ({5}) Das beginnt mit Sicherheitsbestimmungen für die Labors und reicht bis zum Verbot von fremdnütziger Forschung und von Menschenversuchen. Das heißt: Wir reden nicht zum ersten Mal darüber, dass es bestimmte Regeln geben muss. Daher plädiere ich an diesem Punkt definitiv dafür, hinsichtlich der in den letzten Wochen deutlich gewordenen Spirale etwas abzurüsten. Ich will, wie ich das schon vor vier Wochen getan habe, noch einmal betonen: Es gibt zurzeit eine ausgeprägte öffentliche Wahrnehmung und auch Wertschätzung der Erfolge der Lebenswissenschaften, der Erfolge der Gentechnologie und der Biotechnologie. Es gibt massive öffentliche Förderung für die Stammzellenforschung. Strittig ist allein ein Bereich, in dem es um Stammzellen geht, die durch den Verbrauch von Embryonen gewonnen werden. Das ist ein relativ kleiner Bereich der gesamten Stammzellenforschung. Auch das möchte ich noch einmal gegenüber denjenigen betonen, die diese Alternative - entweder Heilung oder keine Forschung an Stammzellen - aufmachen, die ich in dieser Entgegensetzung für polemisch halte. ({6}) Ich empfinde es als berechtigt, nicht ganz so schlunzig darüber hinwegzugehen und von einer Forschung zu sprechen, die als Rohstoff den Menschen in seinem frühesten Stadium benutzen will. Uns allen sind die philosophischen Auseinandersetzungen der letzten Wochen über die Frage, ob dieses frühe Stadium denselben Status an Menschenwürde und Lebensschutz wie spätere Stadien verdient, wohlvertraut. Ich habe meine Position dazu deutlich gemacht. Ich will an diesem Punkt vor allem noch einmal unterstreichen: Wenn wir diese politische Entscheidung treffen, dann müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass wir damit einen irreversiblen Schritt tun. Es wurde vorhin schon darauf hingewiesen: Wir werden dann nicht bei den paar angeblich überzähligen Embryonen stehen bleiben. Der nächste Schritt wird vielmehr sein, aktiv in die Produktion von Embryonen einzusteigen. Professor Ganten wies darauf hin, dass es dann auch kein starkes Argument mehr dafür gibt, nicht mit dem therapeutischen Klonen zu beginnen, was by the way auch bedeutet, in die massive Gewinnung von weiblichen Eizellen einzusteigen. Die Tatsache, dass das therapeutische Klonen nur mit dieser Ressource wird funktionieren können, ist ein Aspekt, der meiner Ansicht nach in dieser Diskussion sträflich vernachlässigt wird. ({7}) Aus diesem Grund halte ich es für berechtigt, dies nicht nur als Appell an den Bundestag, den man, wie ich nach dieser Debatte meine, nicht mehr davon überzeugen muss, dass er hierzu gefragt ist, sondern auch an die Gemeinschaft der Forschenden zu richten. Es ist notwendig und sinnvoll, sich dieser Frage sehr gründlich zu stellen. Ich meine übrigens auch, dass das Argument, die anderen machten es ja, wenig überzeugend ist. Wir lassen uns auch bei anderen grundsätzlichen Fragen hinsichtlich unserer Vorstellung, was die Regeln des menschlichen Zusammenlebens sein sollen, wie wir zusammenleben wollen, nicht darauf ein, zu sagen, die anderen haben es aber so oder so entschieden. Von daher ist die Frage berechtigt: Wollen wir in Deutschland aktiv in die Forschung unter Verbrauch von Embryonen und deren HerAndrea Fischer ({8}) stellung zu diesem Zweck einsteigen? Man könnte auch sagen: Deutschland beschreitet in der Forschung aktiv einen anderen Weg. Das heißt, diese Entscheidung bleibt uns nicht erspart. Sie ist auch nicht so leicht, als dass man sagen könnte: Wir folgen einfach den anderen. Dies gilt insbesondere, wenn man sich anschaut, dass auch in anderen Ländern, nicht zuletzt in den USA, diese Frage mindestens so umstritten ist wie in der Bundesrepublik. ({9}) Ein weiterer Punkt: Bei der Frage, welchen Sinn und welche zwingende Begründung es dafür gibt, unbedingt an menschlichen embryonalen Stammzellen zu forschen, stellt man fest, dass dies offenkundig in der Community und auch unter den Wissenschaftlern selber umstritten ist, nicht nur unter bedenkenträgerischen Politikern. Ich finde, das gibt allen Anlass dazu, hier mit Bedacht vorzugehen und nicht nur den Stand der Wissenschaft gründlich zu bedenken, sondern dabei auch die grundsätzlichen Fragen zu erörtern. In diesem Sinne möchte ich sagen: Die Forscher sind mit ihrer Arbeit ein Teil der Gesellschaft. ({10}) Diese Gesellschaft hat sich bestimmte Regeln gegeben und nimmt lebhaft Anteil an dem, was die Forschung tut. Die Forschung und die Forscher sind kein außergesellschaftlicher Bereich, der sich davon irritiert fühlt, dass andere, die nicht ganz so viel davon verstehen, ihre Bedenken äußern, diese angemessen erörtern und gegebenenfalls Regeln aufstellen. Das ist eine Form von Selbstbeschränkung dieser Gesellschaft. Diese Auseinandersetzung ist uns auch in anderen Bereichen nicht unvertraut. Deswegen sollten wir hier nicht so diskutieren, als wollten wir zum ersten Mal eine Grenze setzen. ({11}) Ich will abschließend noch etwas zum Verfahren sagen. Wer hier welchen Weg verlassen hat, liebe Frau Kollegin Böhmer, ist wahrscheinlich schwer festzustellen. Ich schlage Folgendes vor: Erstens. Da unser Antrag manches von dem enthält, was auch in Ihrem Antrag steht, könnten umgekehrt Sie überlegen, ob Sie unserem Antrag zustimmen wollen. ({12}) Zweitens. Wir haben es - das habe ich vorhin schon gesagt - nicht mit einem politikfreien Raum zu tun, in dem alle sonst geltenden Regeln außer Kraft gesetzt sind. Was aber gilt, ist, dass wir im Moment eine Art von Debatte führen, die der Schwierigkeit und auch der Tragweite dieses Themas meines Erachtens sehr angemessen ist. Auch die Auseinandersetzung untereinander verläuft gut. Es wäre schön, wenn das weiterhin so möglich wäre. Wenn wir ein Interesse daran haben, eine Gewissensentscheidung zu treffen, werden wir überlegen müssen, ob wir uns an Verfahren, die wir aus früheren Debatten über moralisch schwierige Fragen kennen, orientieren. Dort haben wir uns bemüht, bei den unstrittigen Fragen einen möglichst breiten Konsens herzustellen, sodass sich die Debatte auf wenige strittige Fragen konzentriert. ({13}) Wir alle sollten die Sommerpause dafür nutzen, darüber nachzudenken, welche Art von Verfahren das sein kann, um weiterhin dem Wunsch gerecht zu werden, uns mit diesem Thema angemessen zu befassen, ohne so zu tun, als würden wir nun alle keine Parteien mehr kennen. Letzter Punkt. Zu den vielen Räten, die wir haben. Ich finde: Bei so einem Thema kann man gar nicht genug Ratschläge bekommen, aber entscheiden werden wir, der Deutsche Bundestag. ({14})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat der Kollege Dr. Ilja Seifert von der PDS-Fraktion das Wort.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir stehen hier vor einer Richtungsentscheidung, aber wir stehen nicht allein: Die Menschheit steht vor einer Richtungsentscheidung. Ausweichen geht nicht. Es scheint so zu sein, als stünde ewige Gesundheit gegen immer währende Unvollkommenheit. Aber Richtungsentscheidungen sollte man nicht unter Zeitdruck fällen. Noch weniger jedoch dürfen wir sie blinden Marktkräften überlassen. Diese Demokratie kennt als Ort für solche Entscheidungen das Parlament, und zwar nur das Parlament. In diesem Punkte scheinen wir uns alle einig zu sein. Das will ich gern hervorheben. Die Forschung an embryonalen Stammzellen verheißt sagenhafte Fortschritte: Ersatzorgane, Linderung für Parkinsonkranke, Heilung von Querschnittslähmung und andere Dinge. Aber schon mit diesen Hoffnungen, Frau Flach, verändern wir unser Menschenbild. ({0}) Wenn Sie hier so tun, als ob die Kranken morgen geheilt werden könnten - dieses Bild haben Sie hier vermittelt -, ({1}) dann verunsichern Sie die Menschen in starkem Maße und machen ihnen Hoffnungen, die nicht erfüllbar sind. Sie wissen so gut wie ich, dass die ersten Versuche mit embryonalen Stammzellen an Parkinsonkranken die Krankheit verschlechtert bzw. dazu geführt haben, dass die meisten so behandelten Patienten Krebs bekommen haben. Ich weiß nicht, ob das besser ist. Ich komme auf das Menschenbild zurück. Bis jetzt ist die menschliche Unvollkommenheit das Selbstverständlichste von der Welt, egal, ob man das vom religiösen oder Andrea Fischer ({2}) vom humanistisch-aufklärerischen Standpunkt sieht. Wenn es aber zukünftig anders wäre, dann wäre die Unvollkommenheit vielleicht ein Makel. Dann muss man sich vielleicht dafür entschuldigen, nicht einem bestimmten Schönheitsideal - oder gar einer bestimmten Mode - zu entsprechen, weil angeblich alles „reparierbar“ sei. Ich mache keinen Hehl daraus, dass auch bei uns in der PDS-Fraktion unterschiedliche Meinungen zu den vorliegenden Fragen existieren. Das ist das Normalste von der Welt. Aber wir haben auf die Vorlage eines Antrages zur heutigen Debatte verzichtet, weil wir keine parteipolitische Komponente hineinbringen wollten. Was hätte es denn genützt, wenn Sie unseren Antrag, auch wenn er noch so gut gewesen wäre, abgelehnt hätten, nur weil er von uns gekommen ist? Noch ist nicht klar, wie die Risiken und die Chancen der Forschung an embryonalen Stammzellen verteilt sind. Klar ist nur: Wenn eine solche Forschung in großem Stil eingesetzt hat, dann ist sie nicht mehr rückholbar. Die Kollegin Fischer hat eben darauf hingewiesen. Und dann stehen wir vor vollendeten Tatsachen, die von den freien Kräften des Marktes oder von dem „unbändigen Forschungswillen“ Einzelner geschaffen worden sind. Man kann in der heutigen Ausgabe der „Süddeutschen Zeitung“ nachlesen, dass sich Frau Kollek und Frau Schneider nicht des Verdachtes entziehen können, dass gar nicht die viel beschworene „Ethik des Heilens“, sondern der „Wettlauf um Patente“ im Vordergrund steht. Das ist ein gewaltiger Unterschied. Bei Letzterem geht es nämlich um die Verwertungsrechte. Das ist etwas anderes als der Wunsch, in erster Linie anderen zu helfen. Wenn uns die Forschung vor vollendete Tatsachen stellt, dann ist es - quasi unter der Hand - gesellschaftlich akzeptiert, dass Embryonen getötet werden können. Und zwar für Forschungszwecke. Die ethische Dimension ist hier wohl unübersehbar. Wenn wir jetzt einen Moment innehalten, das heißt vier bis fünf Monate, dann gewinnen wir ein bisschen Muße, um noch einmal im Rahmen eines breiten gesellschaftlichen Diskurses darüber nachzudenken, ob wir Embryonen opfern wollen, ob wir Organersatzbanken wollen und ob wir programmiert wachsende Zellen zur Krankheitsbekämpfung implantiert haben wollen. Niemand weiß, ob solche Zellen aufhören zu wachsen, wenn ihre „Aufgabe“ erfüllt ist. Niemand weiß heute, ob die Organzüchtung wirklich funktioniert. Aber was, bitte schön, wird aus den so genannten Zwischenergebnissen? Sind das dann medizinische Kollateralschäden? Lasten dann vielleicht nur „verbrauchte Embryonen“ auf unseren Gewissen? Es gibt noch viele andere Fragen, die heute bereits von Frau von Renesse, von Frau Böhmer und von Frau Fischer gestellt worden sind. Der politische Begriff für „Innehalten“ lautet „Moratorium“. Wenn der Bundestag jetzt ein Moratorium beschließt, dann kann es eine starke moralische Wirkung entfalten. Das ist etwas anderes als nur „bitte, bitte“ zu machen. Es würde den Zeitrahmen für die Vorbereitung von Entscheidungen schaffen. Das Parlament könnte dann seine Verantwortung sachgerecht und bewusst wahrnehmen. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und hoffe auf eine gute weitere Diskussion sowie auf eine faire Behandlung aller Anträge, egal, wer sie gestellt hat. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Wolfgang Wodarg von der SPDFraktion.

Dr. Wolfgang Wodarg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002828, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich hatte mir so viel zu dem Thema aufgeschrieben. Nun ist das Meiste schon gesagt worden. Es sind gute Reden gehalten worden. Die Gemeinsamkeiten wurden betont. Es sind wirklich viele Gemeinsamkeiten da. Wir alle sind der Meinung, dass der Deutsche Bundestag zuständig ist. Wir alle wollen uns beraten lassen, von wem auch immer - wir sind da offen -, und wollen uns die Zeit dafür nehmen. Ich bin nicht der Meinung, Herr Seifert, dass das Ganze in Muße geschieht. Wir werden Knochenarbeit leisten müssen. Wir werden uns daranmachen müssen, um das einzuholen, was wir zu spät angefangen haben. Ich sage nicht „Wir haben schon vor einem Jahr die Enquête-Kommission eingerichtet“, sondern ich sage „Wir haben sie erst vor einem Jahr eingerichtet“. Das war ein Fehler. Wir hätten es gleich tun sollen. ({0}) Die Enquête-Kommission hat Vorarbeit geleistet. Sie hat sich des Themas der Forschung an embryonalen Stammzellen gleich zu Anfang angenommen und hat dieses Thema systematisch bearbeitet. Es ist ja auch keine einfache Frage, die mit Ja oder Nein beantwortet werden kann. Stammzellforschung ist vielfältig. Stammzellen können aus Tieren und aus Menschen gewonnen werden. Sie können von Embryonen gewonnen werden. Sie können Föten entnommen werden, die abgegangen sind. Sie können, wie wir jetzt gehört haben, sogar Leichen entnommen werden. Es gibt sehr viele Möglichkeiten. Sie können Patienten entnommen werden, im Labor bearbeitet werden und in veränderter Form als Therapeutikum demselben Patienten wieder zugeführt werden; das sind dann die adulten Stammzellen. In allen diesen Bereichen gibt es weltweit intensivste Forschungsarbeit. Wir sprechen hier über einen ganz kleinen Ausschnitt dieser Stammzellforschung. Zur Forschung an embryonalen Stammzellen möchte ich Professor Markl, den Präsidenten der Max-PlanckGesellschaft, zitieren. Er sagt: Was die Wissenschaft über die Entwicklung des Säugetierorganismus‘ zu erforschen sucht, kann sie viel besser an Mäusen oder anderen Versuchstieren erarbeiten. Er sagt das für die Grundlagenforschung. Für die Grundlagenforschung brauchen wir keine menschlichen embryonalen Stammzellen, so Professor Markl. Menschliche embryonale Stammzellen würden wir erst dann brauchen, wenn wir ganz konkrete therapeutische Anwendungen für den Menschen ableiten wollten, wenn sie wirklich konkret da wären. ({1}) Wenn wir das aber wollen und mit embryonalen Stammzellen des Menschen tatsächlich forschen, dann haben wir ein Problem, das hier auch schon ein bisschen angeklungen ist; Frau Fischer hat es, glaube ich, gesagt. Uns nützt diese Forschung wenig; denn diese Stammzellen, die wir dann nutzen, stammen von einem Embryo mit einer ganz bestimmten genetischen Ausstattung. Wenn wir daraus Medikamente, Organe und Gewebe für einen Patienten herstellen wollen, dann haben wir das Problem der Unverträglichkeit. Das heißt: Wir müssen etwas tun, damit diese Zellen und das Gewebe verträglich sind. Wenn es wirklich um die Entwicklung von Therapeutika geht, dann ist also die Diskussion um das therapeutische Klonen angesagt; das ist dann unvermeidbar. Wer da A sagt, muss automatisch B sagen. Das ist miteinander verbunden. Das wissen alle, die an dieser Thematik arbeiten. Ich weise jetzt darauf hin; denn wenn wir uns in Richtung der Forschung an embryonalen Stammzellen entscheiden, wenn wir dazu Ja sagen, dann werden wir auch dieses Thema zu behandeln haben, ob wir das wollen oder nicht. Wenn es um die Grundlagenforschung geht - das muss hier ganz klar sein -, brauchen wir die embryonalen Stammzellen nicht. Ich möchte dann noch ein Thema ansprechen, das noch nicht behandelt worden ist, was aber drängt. Es geht um die Frage: Welche Motive können sonst dahinter stehen? Wie stellt sich die Forschungslandschaft dar? - Da sind wir einfach verpflichtet, genau hinzusehen. Die Forscher sind verpflichtet, uns die Hintergründe, ihre Motive, die Alternativen, die sie kennen, ausführlich zu nennen und nichts hinter dem Berg zu halten. ({2}) Ich ärgere mich darüber, wenn ich im Nachhinein höre, dass Forscher, die Forschungsanträge stellen, schon längst das Feld, die Claims mit Patenten abgesteckt haben, ohne dass sie es von Anfang an gesagt haben. Das hätte gleich gesagt werden müssen. Erst gestern wieder hat ein Forscher für einen ganz anderen Bereich - da ging es nicht um Nervenzellen, sondern um Herzmuskelzellen - gesagt: Wenn wir wollen, dass zur Hilfe für Patienten mit Herzinsuffizienz oder mit schweren Herzkrankheiten Herzmuskelzellen hergestellt werden können, dann brauchen wir die Forschung an embryonalen Stammzellen. So hat sich gestern in einem Presseinterview ein bekannter Herzspezialist geäußert. Was dieser Herzspezialist gesagt hat, stimmt nicht. Es gibt bereits Forschungsergebnisse, die besagen, dass Herzmuskelzellen aus mesenchymalen Zellen des Knochenmarks vom Menschen selbst hergestellt worden sind. Darüber sagt dieser Herzspezialist kein Wort. Das Ganze wirkt sehr verdächtig, da der gleiche Forscher - das muss nachgeprüft werden - sogar Patente über die Herstellung von Herzzellen aus embryonalen Stammzellen hat. ({3}) Es geht eben nicht um Heilungsversprechen, sondern darum, wie man sich über das Erwerben von Marktanteilen wirtschaftliche Vorteile verschaffen kann. Uns allen muss klar sein: Wir können nicht mitmachen, wenn wir so hinters Licht geführt werden, wenn solche Vorgänge unserer Entscheidung zugrunde liegen, wenn also allein die Förderung der wirtschaftlichen Interessen Einzelner, die sich auch noch unfair verhalten, das Ergebnis sein soll. Ich hoffe, dass wir die Zeit haben, das alles zu durchleuchten. Wir wollen auch wissen: Woher kommen die embryonalen Stammzellen, die importiert werden? Haben die Eltern der Embryonen, aus denen diese Stammzellen gewonnen werden, diesem Vorgang wirklich zugestimmt? Ist das dokumentiert? Oder stimmt vielmehr das Gerücht, dass die embryonalen Stammzellen, die aus Amerika kommen, nicht von eingefrorenen, sondern von frischen Embryonen stammen? Wenn das so ist - darauf gibt es sehr viele Hinweise -, dann stammen diese Stammzellen nicht von überzähligen Embryonen, sondern sie sind extra zu Forschungszwecken hergestellt worden. Das will ganz Europa nicht. Sogar in der BioethikKonvention des Europarates steht, dass die Herstellung von Embryonen zu Forschungszwecken in ganz Europa verboten werden soll. Ich weise darauf hin, auch wenn wir dieses Dokument aus anderen Gründen - darin ist nämlich vieles andere nicht erwähnt - nicht unterzeichnet haben. Wir müssen also ganz viele Fragen beantworten. Wir werden auch in der Enquête-Kommission unsere Ergebnisse so deutlich aufbereiten, dass wir in den Bericht ein umfangreiches Kapitel zur Stammzellforschung, mit dem der Versuch verbunden ist, dem Deutschen Bundestag Lösungen für die einzelnen Bereiche der Stammzellforschung darzubringen, einfügen. Von diesen Erwägungen werden wir - das wird schon in diesem Herbst geschehen - einen Teilbericht zum Import von embryonalen Stammzellen sozusagen abzweigen, den wir dem Deutschen Bundestag vorher präsentieren können. Die Fraktionen sind sich in diesem Vorhaben einig und das ist auch möglich. Ich hoffe, dass wir eine Lösung erarbeiten, die wir gemeinsam tragen können. Ich brauche die Gründe dafür, warum hier drei Anträge vorliegen, nicht zu wiederholen. Wir sollten uns auf die allen Anträgen gemeinsamen Forderungen konzentrieren. Wir fordern die Wissenschaft auf, nichts gegen die Meinung der Volksvertreter, die für die öffentliche Meinung stehen - wer sonst soll sie darstellen? -, zu unternehmen. Wir fordern dazu auf, keine vollendeten Tatsachen zu schaffen und nicht nur die Embryonen in Forschungsinstituten, sondern auch die in privaten Unternehmen - ich gehe davon aus, dass es sie gibt; das habe ich schon vorher getan - nicht zu nutzen, bis wir hier eine Entscheidung getroffen haben. Wir müssen schnell arbeiten, die entsprechenden Regelungen zügig formulieren und in Gesetzesform bringen, damit die Forschung nicht allzu lang in die falsche Richtung läuft. Ich glaube, auch darüber sind wir uns einig. Ich hoffe, dass wir in Zukunft nicht noch einmal erleben - die CDU/CSU hat damit leider angefangen -, dass das Ziel, dieses Thema überfraktionell zu behandeln und gemäß unserem Gewissen zu entscheiden, zugunsten von fraktionstaktischen Überlegungen aufgegeben wird. Wenn man auf Vorgänge reagiert, die aus ganz anderen Motiven und in ganz anderen Zusammenhängen auf Landesebene geschehen, dann wird das unsere Arbeit verzögern und stören. Ich hoffe auf eine gute Zusammenarbeit. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat der Kollege Horst Seehofer von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.

Horst Seehofer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002140, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir diskutieren heute erneut unbestritten über eine Schlüsselfrage des 21. Jahrhunderts. Ich möchte mit einer kurzen Betrachtung beginnen, wie die Deutschen in den letzten Jahren mit dem schwierigen Thema Gentechnik und Biotechnologie umgegangen sind. Die Debatte darüber war ja oft von Ängsten bestimmt. Ich denke, wir können heute nach gut zehn Jahren durchaus festhalten, dass wir in Deutschland Anfang der 90er-Jahre diesbezüglich ein vorbildliches Recht geschaffen haben, das für viele andere Mitgliedstaaten in der Europäischen Union zum Vorbild geworden ist, nachgeahmt und Grundlage für europäische Richtlinien wurde sowie in all den Jahren in Deutschland auch sehr verantwortungsvoll umgesetzt worden ist. Was die Umsetzung dieses Themas und die Erfahrungen damit betrifft, befindet sich die Bundesrepublik Deutschland weltweit im Spitzenfeld. Es wurden viele Fortschritte erreicht, die heute schon einen Segen für die Menschen bedeuten, nicht nur im Umwelt- und Nahrungsmittelbereich, sondern auch in der Medizin; ich denke gerade im Medikamentenbereich an Interferone, Insulin und Wachstumshormone. Das alles war möglich, weil diese Debatte in den letzten gut zehn Jahren, jedenfalls ganz überwiegend, ebenso auf blinden Fortschrittsoptimismus wie auf irrationale Technikfeindlichkeit verzichtet hat. Ich möchte festhalten: Es gibt keinen einzigen Schadensfall, es ist kein einziges neues Problemfeld in den letzten zehn Jahren entstanden. Dem liegt nicht blinde Fortschrittsgläubigkeit zugrunde, sondern ein ethisch verantwortlicher Umgang mit diesem sensiblen Thema. ({0}) Meine Damen und Herren, wenn man in einer früheren Bundesregierung fast sieben Jahre federführend für dieses Thema zuständig war, dann muss es erlaubt sein, zu sagen, dass wir es gerade in der Medizin der Neugier der Forscher und ihrer beharrlichen Arbeit verdanken, bei uns im Lande einen medizinischen Fortschritt und einen medizinischen Standard erreicht zu haben, der für viele schwer kranke Menschen einen Segen bedeutet. Wir sollten dafür den Forschern dankbar sein. ({1}) In der Vergangenheit ging es vornehmlich um die Frage, Biotechnologie und Gentechnik durch den Menschen zur Anwendung zu bringen. Jetzt geht es verstärkt um die Frage, diese Technologie beim Menschen zur Anwendung zu bringen. Ich stimme allen zu, die sagen, dabei handele es sich um ethisch, juristisch, wissenschaftlich und medizinisch hochkomplexe Fragen. Ich denke, dass wir angesichts der Komplexität dieses Themas sehr sorgfältig, sensibel und ernsthaft damit umgehen sollten. Herr Dr. Seifert, ich habe als Gesundheitsminister vor übertriebenen Hoffnungen, was Heilung und Linderung von Krankheiten betrifft, gewarnt. Ich muss Ihnen aber ganz ehrlich sagen, dass mich oft Begegnungen bewegt haben. Ich denke dabei an eine Begegnung im Herzzentrum hier in Berlin, wo ich einem Patienten mit einem Kunstherzen in der Brust gegenüberstand, der um seine begrenzte Lebenserwartung ohne ein Spenderorgan wusste und mir sagte: Helfen Sie uns, helfen Sie mir! Da beginnt im Herzen der Traum zu wachsen, vielleicht eines Tages doch mit den Mitteln der Forschung Lösungen zu finden, um heute noch nicht beherrschbare Krankheiten eines Tages zu lindern oder vielleicht sogar zu heilen. Ich spreche ausdrücklich von einem Traum, nicht von einer realistischen Hoffnung.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Seehofer, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Ilja Seifert?

Horst Seehofer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002140, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Seifert.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Kollege Seehofer, Sie haben gerade mit großer Ernsthaftigkeit davon gesprochen, wie sehr sich Menschen Heilung oder Linderung erhoffen, wenn sie von schweren Krankheiten betroffen sind. Ich gehe davon aus, dass Sie mir abnehmen, dass ich mindestens genauso oft wie Sie mit solchen Menschen zusammenkomme, die diese Hoffnung haben. Aber muss uns die Frage, vor der wir heute stehen, nicht mindestens genauso bewegen: Wie helfen wir ihnen heute, mit ihrer Beeinträchtigung zu leben? Wie helfen wir ihnen heute, soviel Bewusstsein zu entwickeln, dass sie mit der Spanne des Lebens, die ihnen noch bleibt - selbst wenn sie wissen, dass sie sterben müssen; wir müssen auch über das Sterben reden -, so würdevoll umgehen, wie Sie und ich das selbstverständlich erwarten? Ist es in diesem Zusammenhang tatsächlich der richtige Weg, ihnen etwas zu verheißen, was vielleicht in 20 oder 50 Jahren auf Kosten der von mir vorhin „medizinische Kollateralschäden“ genannten Dinge Realität sein könnte? Ich frage das mit so viel Konjunktiven, wie mir überhaupt nur einfallen.

Horst Seehofer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002140, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Dr. Seifert, da stimme ich Ihnen völlig zu. Mit möglichen Lösungen in der Zukunft dürfen wir nicht die Gegenwart bewältigen, sondern wir müssen in der Gegenwart das tun, was mit den heutigen medizinischen Möglichkeiten und auch unter den sozialen Gegebenheiten erreichbar ist. Aber - und darauf wollte ich mit dem Ausgangspunkt Herzzentrum hinaus - für mich gibt es auch eine ethische Verpflichtung, alles Verantwortbare zu tun, um die Suche der Forscher nach Möglichkeiten zur Überwindung und Beherrschung von Krankheiten zu unterstützen. Für mich gibt es auch eine ethische Begründungspflicht, wenn jemand einen solchen Weg aus nicht tragfähigen Gründen versperrt. ({0}) Deshalb möchte ich ganz eindeutig sagen: Ich habe, wie wohl die eindeutige Mehrheit des Hauses, eine klare Position dazu, was nicht geht, und eine Meinung dazu, worüber wir ernsthaft weiter debattieren und was wir weiter untersuchen müssen. Die eindeutige Position ist, dass wir die Eingriffe in die menschliche Keimbahn nicht nur heute, sondern auch in Zukunft unterlassen müssen, ({1}) dass wir keinen Eingriff in die Keimbahn durchführen dürfen mit Veränderungen, die auf Nachkommen übertragen werden - also nicht das Klonen von Menschen, um es deutlich zu sagen. Ich habe eine eindeutige Position, was die Herstellung von Embryonen zu Forschungszwecken betrifft. Dies ist übrigens ein Punkt, den die Deutschen, Herr Kollege Schmidt-Jortzig, bei der Formulierung der Bioethik-Konvention verankert haben: keine Herstellung von Embryonen zu Forschungszwecken. Ich denke, das sollte auch eine Grenze sein, die wir um Gottes willen nie überschreiten dürfen. Ich rede heute nicht über die Entstehung des Lebens, sondern mich beschäftigen bei diesem zweiten Punkt einige Wertungswidersprüche, die für mich noch nicht ausreichend aufgearbeitet sind. Wie wollen wir den Menschen erklären, dass wir als Gesellschaft es akzeptieren, dass Embryonen, die im Zusammenhang mit der künstlichen Befruchtung hergestellt und nicht gebraucht werden - die so genannten überzähligen Embryonen - konserviert, eingefroren, verworfen werden - „verworfen“ ist eine Umschreibung für absterben -, die Forschung an diesen überzähligen Embryonen aber unter Strafe stellen? ({2}) Wie wollen wir weiterhin der Gesellschaft den folgenden Wertungswiderspruch erklären - jeder, der sich mit dem Thema beschäftigt, weiß, dass künstliche Befruchtung heute und in Zukunft nur unter verbrauchender Embryonenforschung möglich ist und sein wird; denn wir sind mit den Erkenntnissen dabei noch nicht am Ende -: dass auf der einen Seite die Anwendung der Forschungsergebnisse in Deutschland von der Krankenkasse finanziert wird, die zugrunde liegende Forschung allerdings in Deutschland unter Strafe gestellt wird? Ich kämpfe mit dem dritten Wertungswiderspruch. Es geht dabei nur um die Forschung an überzähligen embryonalen Stammzellen, nicht um die Herstellung von embryonalen Stammzellen zu Forschungszwecken. Wollen wir uns wirklich dem Wertungswiderspruch aussetzen, dass wir die Forschung auf diesem Gebiet ins Ausland verlagern und später, nach einigen Jahren, die Erkenntnisse und den Nutzen aus der Forschung aus dem Ausland in die Bundesrepublik Deutschland importieren? Ich weiß aus der jahrelangen Diskussion um die BioethikKonvention: Wenn man sich aus einer Diskussion ausblendet, weil man Fundamentalpositionen vertritt, dann verliert man auch europa- und weltweit die Gestaltungsfreiheit auf einem wichtigen Feld. Ich möchte nicht, dass wir in Deutschland bestimmte Regeln aufstellen, aber in Kauf nehmen, dass die Deutschen - das ist mehrfach gesagt worden - dort hinfahren, wo diese Regeln nicht beachtet werden, weil sie sich einen medizinischen Nutzen davon versprechen. ({3}) Deshalb müssen wir uns mit vielen juristischen, wissenschaftlichen, medizinischen, aber auch mit vielen Wertungswidersprüchen auseinander setzen. Dafür braucht man Zeit. Ich empfehle sehr, dass wir Deutschen uns von der Suche nach Möglichkeiten, heute nicht beherrschbare Krankheiten eines Tages lindern oder gar heilen zu können, nicht verabschieden - in engen Grenzen, die mehrfach beschrieben worden und in der Öffentlichkeit bekannt sind. Drittens, Frau von Renesse, bin ich als Politiker, der gegenüber diesen Dingen offen ist, trotzdem der Meinung, dass der Antrag meiner Fraktion auf ein Moratorium, den ich sehr unterstützt und auch mitformuliert habe, keine Brandfackel ist, auch keine - Herr Struck ist nicht da - „Verlogenheit“, sondern die seriöse und notwendige Konsequenz, wenn man dafür plädiert, über dieses Thema ernsthaft zu diskutieren. Für diese ernsthafte Diskussion braucht man Zeit, Frau von Renesse. ({4}) Das heißt nicht, dass die Entscheidung auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben werden soll. Das muss in absehbarer Zeit entschieden werden. Aber für die Lösung eines so sensiblen Themas brauchen Sie das Vertrauen der Bevölkerung und müssen Sie die Menschen mitnehmen. Die Menschen nehmen Sie nur mit, wenn Sie transparent, offen und mit Argumenten diskutieren. ({5}) - Das tun Sie, das tut das Parlament; aber das wäre nicht möglich, wenn man - das sage ich an die Adresse der F.D.P. - ein Moratorium nicht für erforderlich hält. Vertrauen schaffen Sie nur durch Offenheit und Transparenz. Wir sollten uns ein Beispiel an einem der letzten Themen nehmen, das ähnlich schwierig war, der Transplantationsmedizin in Deutschland, bei dem es um die Frage ging, wann ein Mensch tot ist, um die Frage der Feststellung des Hirntodes, um die Fragen, wer zustimmen muss und unter welchen Voraussetzungen eine Lebendspende möglich sein kann. Ich finde, auch für diese Diskussion haben wir uns sehr viel Zeit genommen. Wir haben sie sehr ernsthaft geführt, wir haben sie ohne parteipolitische Schranken geführt und wir haben bis zum Ende unseren Vorsatz durchgehalten, dass jeder Abgeordnete und jede Abgeordnete so entscheiden muss, wie es mit dem eigenen Gewissen verantwortbar ist. Ich wünsche mir das auch in dieser Diskussion; denn immer wenn sich das deutsche Parlament Zeit genommen und sich ernsthaft und unter Einsatz des Gewissens mit einer Sache auseinander gesetzt hat, hat das anschließend in der Bevölkerung Akzeptanz gefunden, hat es befriedet. All das, worüber damals, 1995/96, heftig, zum Teil auch mit Emotionen diskutiert wurde, ist in der Bevölkerung heute akzeptiert. Deshalb plädiere ich für die Gewissensfreiheit, für dieses Moratorium, für eine ernsthafte Auseinandersetzung bei sehr schwierigen und sensiblen Fragen, für eine Aufarbeitung der Wertungswidersprüche und möchte uns auffordern, in den nächsten Monaten Wege zu finden, die ethisch vertretbar, aber auch wissenschaftlich hoffnungsvoll sind. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat nun der Kollege René Röspel von der SPD-Fraktion das Wort.

René Röspel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003210, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute wird der Deutsche Bundestag beschließen, die Frage des Imports embryonaler pluripotenter Stammzellen auf der Grundlage von Stellungnahmen, unter anderem der Enquête-Kommission des Deutschen Bundestages, noch in diesem Jahr zu entscheiden. Er wird an die Wissenschaftler in diesem Land appellieren, dieser Entscheidung nicht durch Schaffung von Tatsachen und Fakten vorzugreifen. Infolge unserer Diskussion - das, denke ich, kann man sagen - hat auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft vorgestern beschlossen, erst im Dezember eine Entscheidung zu treffen. Der Zeitdruck ist also gemildert und das ist auch gut so. Die Enquête-Kommission hat eigens eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die sich mit den Fragen der Stammzellforschung beschäftigt, übrigens zu einem Zeitpunkt, als die wenigsten in diesem Lande überhaupt wussten, was eine Stammzelle ist. In dieser Arbeitsgruppe befassen sich sachkundige Mediziner, Theologen, Naturwissenschaftler und Philosophen seit Herbst letzten Jahres fast jeden Montag mit einer Vielzahl von unterschiedlichen wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Stellungnahmen und Gutachten. Bereits im April dieses Jahres haben wir unter anderem mit Professor Brüstle in einem sehr guten Expertengespräch, das ruhig und sachlich verlaufen ist, diskutieren können. Wahrscheinlich wäre das angesichts des heutigen Zeitdrucks und der jetzt entstandenen Atmosphäre nicht mehr so einfach möglich. Wir sind aber noch längst nicht so weit, Empfehlungen abgeben zu können, weil wir als Enquête-Kommission den Anspruch haben, dem Parlament und der Gesellschaft die Möglichkeiten und Konsequenzen beschreitbarer Wege fundiert aufzuzeigen. ({0}) Nebenbei gesagt: Natürlich stellen wir dem Nationalen Ethikrat unser Material gerne zur Verfügung. So wird es ihm dann vielleicht möglich sein, bis zum Dezember dieses Jahres eine ähnlich fundierte Arbeit vorzulegen. ({1}) Trotz sorgfältiger Arbeit - vielleicht sogar gerade deswegen - werden die Kernfragen, um die es sich dreht, der Spekulation überlassen bleiben. Denn niemand - auch die Wissenschaftler nicht und schon gar nicht die Politiker kann mit Gewissheit sagen, welcher der richtige Weg sein wird. Das macht die Sache so ungeheuer kompliziert und auch nicht einfacher. Natürlich wollen wir - Herr Seehofer, das ist an Sie gerichtet - alles dazu tun, um Krankheiten zu lindern. Das ist, so glaube ich, völlig unbestritten. Das eignet sich in dieser Auseinandersetzung nicht als Argument. Wir müssen uns aber fragen, was wirklich möglich ist und wo Hoffnungen geweckt werden, die nicht erfüllbar zu sein scheinen. Frau Flach, Herr Schmidt-Jortzig, in dem Antrag der F.D.P. wird zum Beispiel die Möglichkeit genannt, Mukoviszidose mit pluripotenten Stammzellen zu heilen bzw. Linderungen herbeizuführen. Sie hätten sich einmal, was diese Aussage anbelangt, mit Ihrem Sachverständigen in der Enquête-Kommission absprechen sollen. Das ist nämlich eine Frage, die in den Bereich der Präimplantationsdiagnostik gehört. Wenn Sie mir nur ein Beispiel nennen können - auch wenn es utopisch ist -, wie gerade Mukoviszidose durch Stammzellforschung bekämpft werden könnte, so bin ich gerne bereit, das entgegenzunehmen. ({2}) Ich habe gerade heute mit Pneumologen diskutiert: Es gibt keine auch nur ansatzweise realistische Möglichkeit. ({3}) Also entweder haben Sie ein bisschen schlampig gearbeitet oder Sie wecken wieder Hoffnungen, die nicht erfüllbar sind. Das ist der falsche Weg und das kritisieren wir. Wir als Abgeordnete haben nicht nur die Aufgabe, Lösungen für Probleme zu suchen, sondern geradezu die Pflicht, Fragen zu stellen, die die Zukunft unserer Gesellschaft betreffen. Viele Fragen sind eben noch unbeantwortet: Welche Konsequenzen hat eine Technologie für die Gesellschaft? In welcher Gesellschaft wollen wir leben? - Diese beiden Fragen betreffen auch andere Bereiche. - Was passiert, wenn man den Import so genannter pluripotenter Stammzellen zulässt? Übrigens, wer noch immer nicht weiß - das ist nachzusehen; denn das ist eine fast akademische Frage -, was pluripotent und was totipotent ist, dem will ich das an einem Beispiel klarer machen: Aus einer totipotenten Zelle entstehen der Embryo und die Nachgeburt, während aus einer pluripotenten Zelle „nur“ noch der Embryo und Teile der Nachgeburt entstehen können. Wenn es also den Forschern irgendwann gelingen wird - im Tiermodell wird bereits daran gewerkelt -, eine Plazenta, also den Mutterkuchen, auf künstliche Art und Weise zur Verfügung zu stellen, wird die Diskussion um scheinbar unproblematische pluripotente Zellen, die sich dann nämlich zu einem Embryo entwickeln können, sicherlich eine andere Richtung bekommen. ({4}) Zurück zur heutigen Fragestellung: Wozu kann der Import solcher pluripotenter Zellen führen? Ich denke, dass nach kurzer Zeit unweigerlich die Forderung kommt - das ist verständlich; auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft sieht dies in ihrer Empfehlung vom 3. Mai 2001 vor -, auch in Deutschland so genannte überzählige Embryonen zu Forschungszwecken zu „vernutzen“, zu zerstören; ich habe noch immer nicht den richtigen Ausdruck dafür gefunden. Nach neuesten Erkenntnissen gibt es in Deutschland etwa 15 eingefrorene „überzählige“ Embryonen. Was passiert denn, wenn noch ein oder zwei oder vielleicht zehn Embryonen gebraucht werden, um, wie das in der Forschung häufig üblich ist, die letzten Versuche zu machen, um den Durchbruch wirklich zu schaffen? Werden wir dann wirklich der Forderung, nicht auch die Herstellung von Embryonen zu Forschungszwecken zu erlauben - denn es sind eben nur ein paar, die hergestellt werden müssen -, standhalten können? Wir sehen am Beispiel Großbritannien, wo bereits etwa 50 000 Embryonen zu Forschungszwecken genutzt worden sind, dass das Ergebnis und die Erkenntnisse, die aus dieser Forschung erwachsen sind und die sich therapeutisch nutzen lassen, relativ gering sind. ({5}) Wir haben noch keine eindeutigen Antworten. Im Gegensatz zu anderen, die uns das glauben machen wollen, gestehe ich das zu. Der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Herr Professor Winnacker, hat gestern auf der Jahresversammlung der Deutschen Forschungsgemeinschaft in Berlin deutlich gemacht, dass die DFG vor drei Jahren noch eine ablehnende Haltung gegenüber dem Import von Stammzellen hatte. Die rasanten Fortschritte aber haben zu einem Meinungswandel der DFG geführt, die nun den Import befürwortet. Die Herstellung von Embryonen zu Forschungszwecken, das so genannte therapeutische Klonen, also die „Dolly-Schaf-Methode“, und der Keimbahneingriff werden von der DFG als unethisch abgelehnt. Das ist auch gut so. Die Frage ist aber: Wie lange noch? Professor Ganten vom Max-Delbrück-Zentrum, ein Kollege von Professor Winnacker im Nationalen Ethikrat, wird in der „Financial Times Deutschland“ von gestern wie folgt zitiert: Er halte die Pläne der DFG, das therapeutische Klonen nicht zuzulassen, für falsch. In zwei oder drei Jahren werde die DFG diese Entscheidung korrigieren. Professor Bartram aus Heidelberg plädiert für die Zulassung des therapeutischen Klonens. Michael Kyba vom Whitehead-Institute in Boston hält therapeutisches Klonen für den „aussichtsreichsten Weg, um in der Zukunft kompatibles Gewebe direkt vom Patienten gewinnen zu können“. Übrigens gibt es kein Wort zu der Frage, welchen Frauen denn die Zehntausenden von Eizellen, die benötigt werden, entnommen werden sollen. ({6}) Die Frage, die wir stellen müssen, lautet: Wie lange wird also die Ablehnung solcher Verfahren noch halten? Bis die nächste Heilung von Krankheiten in Aussicht gestellt wird und wir deshalb wieder unter Druck entscheiden sollen? Die gute Nachricht lautet - das haben einige Kollegen schon gesagt -: Wir sind nicht alternativlos. Auch die DFG gibt den so genannten adulten Stammzellen, die aus erwachsenen Menschen gewonnen werden, den Vorrang und will die Forschung ausweiten. Das ist nur zu begrüßen. Diese Zellen sind ethisch unproblematisch und werden wegen ihrer immunologischen Eigenschaften letztlich die bessere Therapie sein. ({7}) Herr Seehofer, das kann gegenüber dem Ausland ein gewaltiger Vorteil sein. ({8}) Das wird uns nicht zurückwerfen. Wir werden uns auch nicht aus der Suche nach Heilung verabschieden, sondern wir werden einen anderen Weg aufzeigen. Vielen von Ihnen ist sicherlich bekannt, dass aus Knochenmark Blutzellen gewonnen werden können, mit denen die Leukämie bekämpft werden kann. Mittlerweile kann man daraus auch Knorpelzellen gewinnen. Dies ist ein guter und richtiger Weg. Beispiele dafür können Sie auch in der heutigen Ausgabe der „Süddeutschen Zeitung“ lesen, die von Professor Kollek und von Dr. Schneider stammen. Das ist insgesamt ein lesenswerter Artikel, in dem auch eine weitere Erklärung für den Zeitdruck genannt wird, unter dem wir heute stehen: der Wunsch, Patente anzumelden und Rechte absichern zu lassen, was per se nichts Schlechtes ist. ({9}) Letztendlich werden Politik und Gesellschaft über eine sehr schwierige und spekulative Technologie entscheiden müssen. Können die Heilsversprechen eingelöst werden? Sind die warnenden Stimmen zu vorsichtig oder gar unberechtigt? Werden wir die Geister, die wir jetzt rufen, je wieder los? Ist es nicht besser, den ethisch unproblematischeren Weg zu gehen - auch wenn er vielleicht etwas länger ist -, bevor man Fakten schafft, die nicht mehr rückholbar sind? Weil diese Fragen so schwer zu beantworten sind, ist klug beraten, wer sich auf der Suche nach der Antwort Zeit zur Abwägung nimmt und keine vorschnellen Entscheidungen zulässt. Das wollen wir tun. ({10})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zu dem Antrag der Fraktion der CDU/ CSU mit dem Titel „Kein Import von und keine Forschung an embryonalen Stammzellen in Deutschland bis zu einer Entscheidung des Deutschen Bundestages“. Abweichend von der Tagesordnung soll über diesen Antrag heute abgestimmt werden. Wer stimmt für den Antrag auf Drucksache 14/6314 ({0})? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist bei Zustimmung der CDU/ CSU-Fraktion und bei einer Enthaltung aus der CDU/ CSU-Fraktion abgelehnt. ({1}) - Ich habe nur eine Enthaltung gesehen. Ich werde daher die Abstimmung wiederholen. Wer stimmt für den Antrag auf Drucksache 14/6314 ({2})? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Das ist eine gemischte Lage. Im Wesentlichen hat die CDU/CSU-Fraktion bei zwei Enthaltungen zugestimmt. Es gibt Gegenstimmen aus der SPDFraktion, der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen, der F.D.P.-Fraktion und einige Gegenstimmen aus der PDSFraktion bei einigen Enthaltungen aus allen Fraktionen mit Ausnahme der SPD-Fraktion. ({3}) - Dann bitte ich Sie, das Handzeichen so zu geben, dass man es eindeutig erkennen kann. ({4}) - Trotzdem stimmt das Ergebnis. Zusatzpunkt 7: Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen mit dem Titel „Für eine sorgfältige und umfassende Prüfung des Imports und der Forschung mit embryonalen Stammzellen“. Wer stimmt für den Antrag auf Drucksache 14/6551? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? Zugestimmt haben die Koalitionsfraktionen. Dagegen gestimmt haben CDU/CSU und F.D.P. Bei der PDS gab es unterschiedliche Abstimmungen. ({5}) Wir kommen zum Zusatzpunkt 8: Abstimmung über den Antrag der Fraktion der F.D.P. mit dem Titel „Kein Verbot und kein Moratorium für den Import embryonaler Stammzellen“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist der Antrag mit den Stimmen aller Fraktionen mit Ausnahme der F.D.P.-Fraktion bei je einer Enthaltung aus der F.D.P.Fraktion und der CDU/CSU-Fraktion abgelehnt. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 10 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({6}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Renate Blank, Dirk Fischer ({7}), Dr.-Ing. Dietmar Kansy, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Binnenschifffahrt erhalten und sichern - zu dem Antrag der Abgeordneten Horst Friedrich ({8}), Hans-Michael Goldmann, Dr. Karlheinz Guttmacher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P. Wasserstraßen ausbauen und Nachteile der Deutschen Flagge im EU-weiten Wettbewerb der Binnenschifffahrt beseitigen - zu dem Antrag der Abgeordneten Annette Faße, Hans-Günter Bruckmann, Dr. Peter Danckert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Helmut Wilhelm ({9}), Albert Schmidt ({10}), Kerstin Müller ({11}), Rezzo Schlauch und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Potenziale im Wasserstraßentransport umwelt- und naturverträglich nutzen - Intermodalität stärken - Drucksachen 14/4387, 14/4602, 14/5667, 14/6503 Berichterstattung: Abgeordnete Annette Faße Hans-Michael Goldmann Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat die Parlamentarische Staatssekretärin Angelika Mertens das Wort.

Angelika Mertens (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002734

Herr Präsident! Meine Damen und Herren -

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Mertens, eine Moment. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die an dieser Debatte nicht teilnehmen möchten, den Plenarsaal zu verlassen und die Gespräche außerhalb des Plenarsaales weiter zu führen. Frau Kollegin Mertens, bitte schön.

Angelika Mertens (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002734

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was ist die Ausgangsposition der heutigen Debatte? Wir können feststellen, dass es einen breiten politischen Konsens über die Bedeutung der Binnenschifffahrt gibt. Wir alle stimmen darin überein, dass das Binnenschiff weiter zu fördern ist und dass die Binnenschifffahrt als Verkehrsträger so auszugestalten ist, dass sie die ökologischen und ökonomischen Erwartungen erfüllen kann. Alle Prognosen sagen einen erheblichen Zuwachs im Verkehrsbereich voraus, und zwar im Personen- wie im Güterverkehr. Wer glaubt, dass diese Zuwächse vor allem auf der Straße abzufahren sind, der ist blauäugig. Wer glaubt, dass diese Zuwächse durch Neubau von Straßen aufzufangen sind, ist ebenso blauäugig. Wer solche Gedanken dann in ein verkehrspolitisches Konzept einfließen lässt, der handelt verantwortungslos, nicht nur, weil Deutschland ein dicht besiedeltes Land ist, in dem bei der Verkehrsinfrastruktur immer Nutzerkonflikte entstehen, und nicht nur, weil es in jeder Regierung immer nur begrenzte finanzielle Mittel gibt, sondern auch, weil er damit die anderen Verkehrsträger, die es auch noch gibt, eigentlich nicht ernst nimmt. ({0}) Zu diesen anderen Verkehrsträgern gehört eben auch das Binnenschiff. In dieser Debatte treffen sich dann wieder die üblichen Verdächtigen, um sich gegenseitig darin zu bestätigen, wie wichtig die Binnenschifffahrt ist. Diese Verdächtigen treffen sich seit Jahren, vielleicht sogar seit Jahrzehnten, aber der richtige Durchbruch ist noch nicht erzielt worden. Ich denke, dass wir jetzt mit einer integrierten Verkehrspolitik auf dem richtigen Weg sind. Es ist ein schwieriger Weg. Ich glaube, wir werden mehr als einmal dabei mitleidig belächelt werden. Ich könnte mir vorstellen, dass 90 Prozent unserer Kolleginnen und Kollegen, was die Straße und die Eisenbahn angeht, sicherlich hundertprozentige Experten sind. Ich vermute aber, dass diese vielen Kollegen nicht unbedingt wissen, dass das Binnenschiff 90 Prozent dessen transportiert, was mit DB Cargo befördert wird. Sie wissen auch nicht unbedingt, dass eine Just-in-time-Lieferung nicht so schnell wie möglich, sondern dann, wenn man sie braucht, eintreffen soll. Sie verbinden die Binnenschifffahrt vielleicht mit romantischen Abenden an Bord und Wäsche auf der Leine. Sie wissen aber vielleicht nicht unbedingt, dass das Binnenschiff nach dem Seeschiff der Verkehrsträger mit der ökologisch günstigsten Bilanz ist. Ich glaube, hier gilt es anzusetzen. Binnenschifffahrt ist kein Exotenthema. Wir brauchen die Binnenschifffahrt, um mit dem Verkehr fertig zu werden. Man prognostiziert der Binnenschifffahrt trotzdem ein unterproportionales Wachstum. Wir sollten gemeinsam versuchen, diese Prognose nicht wahr werden zu lassen. ({1}) Wenig hilfreich ist es, diesen Prozess mit nicht erfüllbaren finanziellen Forderungen zu überfrachten. Ich denke, damit ist weder dem Gewerbe noch uns gedient. Ich bin jedenfalls nicht bereit, etwas zu versprechen, was ich hinterher nicht halten kann. ({2}) Wir können gemeinsam - neben infrastrukturellen Maßnahmen - alles tun, um das Image der Binnenschifffahrt zu verbessern. Die Bundesregierung wird die Forderungen und die Prüfungsaufträge des Bundestages bei der Gestaltung der Rahmenbedingungen und Initiativen zugunsten der Binnenschifffahrt im Rahmen der finanzpolitischen Leitlinien berücksichtigen. Sie wird insbesondere mit Nachdruck dafür eintreten, die nationalen und europäischen Wettbewerbsbedingungen für die Binnenschifffahrt weiter zu harmonisieren, damit der Ausflaggungstrend gestoppt wird und beim anstehenden Beitritt der MOE-Staaten zur EU keine neuen Verwerfungen zulasten der Binnenschifffahrt entstehen. ({3}) Wir werden die Wasserstraßeninfrastruktur zielgerichtet erneuern und ausbauen und dabei die Belange des Natur- und Umweltschutzes verstärkt integrieren. Wir werden Initiativen ergreifen, um das Güterverkehrswachstum auf die Binnenschifffahrt zu verlagern; dies gilt insbesondere im kombinierten Verkehr und beim Großraum- und Schwergutverkehr. Wir werden die Forschung zugunsten der Binnenschifffahrt stärken, die Strukturbereinigung in der Binnenschifffahrt vollenden und einen Modernisierungsprozess mitgestalten. Nach der Sommerpause wird der BMVBW einen Bericht über die Zukunft der deutschen Binnenschifffahrt vorlegen und dabei auch auf einzelne Forderungen des Bundestages näher eingehen. ({4}) Ich wünsche mir, dass wir beim nächsten Mal, wenn wir über die Binnenschifffahrt diskutieren, den Kreis der sonst üblichen Verdächtigen deutlich erweitern können. Danke. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Renate Blank von der CDU/CSUFraktion.

Renate Blank (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000194, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Frau Staatssekretärin, Ihre Worte hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube; denn mit diesem Antrag der SPD und der Grünen gelingt der Durchbruch für die Binnenschifffahrt nicht. Ich erinnere mich: Als ich vor zehn Jahren in diesem Hause davon sprach, dass auch in der Binnenschifffahrt Just-in-time-Lieferungen durchgeführt werden können, kam großes Gelächter von der SPD-Fraktion. ({0}) Ich freue mich, dass mittlerweile allgemein bekannt ist, dass dies auch in der Binnenschifffahrt möglich ist. ({1}) Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, unser Antrag datiert vom Oktober 2000. Ihr Antrag, den Sie sich weiß Gott abgequält haben, datiert vom März 2001. ({2}) Sie hatten also genug Zeit, Ihren Antrag zu formulieren. Ich weiß, dass Sie eine Einigung zwischen Rot und Grün herbeiführen mussten, ({3}) aber eigentlich hätte diese lange Überlegungszeit ausreichen müssen, um einen Antrag vorzulegen, der mehr Inhalte aufweist. ({4}) Ihr Antrag ist ohne konkrete Vorschläge, und die dirigistischen Eingriffe, die Sie darin vorschlagen, lehnen wir natürlich ab. Aus unserer Sicht ist der Wettbewerb auf dem Markt ein Regulativ, soweit die Rahmenbedingungen stimmen. Lassen Sie mich auf einige Punkte Ihres Antrags eingehen: Wasserstraßenausbau findet bei Ihnen absolut nicht statt; es steht nichts davon im Antrag. ({5}) Wenn Sie dauernd von einer Verlagerung des Verkehrs von der Straße auf die Schiene und auf das Wasser reden, müssen Sie natürlich auch die Wasserstraßen entsprechend ausbauen, um eine ganzjährige Befahrbarkeit zu gewährleisten. ({6}) Ich komme nun auf den Donauausbau zu sprechen: Alle Untersuchungen sind abgeschlossen. Was hindert Sie eigentlich daran, uns eine Vorlage zum Donauausbau zu machen? Sie müssen sich doch vertragsgerecht verhalten und den Vertrag zwischen dem Bund und dem Land Bayern erfüllen. Mehr Untersuchungen sind im Grunde genommen nicht möglich. ({7}) Ich wundere mich darüber, dass der Ausschuss zu diesem Thema noch keine Vorlage hat. Vielleicht liegt das auch ein bisschen an den Grünen. Ich erinnere mich an den Bau des Main-Donau-Kanals, bei dem die Grünen massiv dagegen waren. Ich erinnere mich auch daran, dass damals ein SPD-Verkehrsminister vom dümmsten Bauwerk aller Zeiten sprach. ({8}) Man muss das alles im Hinterkopf haben. Vielleicht ist es aber so, dass es beim Donauausbau so geht wie beim Altmühlausbau. Einige Grüne haben, als sie mit dem Hubschrauber geflogen sind, gesagt, so toll wie die Altmühl ausgebaut ist, sollte es auch bei den anderen Strecken sein. Dabei war das bereits eine ausgebaute Strecke. Vielleicht passiert Ihnen das Gleiche bei der Donau zwischen Straubing und Vilshofen. ({9}) Auf jeden Fall ist es ein Unsinn, die fehlenden 69 Kilometer nicht mehr auszubauen. Wir haben eine Verbindung zwischen Rotterdam und dem Schwarzen Meer mit einer Gesamtlänge von 7 000 Kilometern. Ich zitiere den ehemaligen SPD-Wirtschaftsreferenten der Stadt Nürnberg, der zugleich Vorsitzender des Deutschen Wasserstraßen- und Schifffahrtsvereins war, der sagte, es sei ein Unsinn, die fehlenden Kilometer nicht mehr auszubauen. Es ist vor allen Dingen eine Belastung für die Schifffahrt und ein Kostenfaktor, wenn für die fehlenden 69 Kilometer abgeleichtert werden muss. Es ist eine unüberbrückbare Belastung für die deutsche Binnenschifffahrt. Ich mache auch darauf aufmerksam, dass ein normales Binnenschiff rund 30 LKW ersetzt. Vielleicht sollten Sie einmal darüber nachdenken, mehr Verkehr auf das Binnenschiff zu verlagern. Ein Wort zum Donauausbau in Richtung Jugoslawien: Wir rechnen damit, dass noch mehr Güter auf Binnenschiffen transportiert werden können. Wenn die Donau nicht ausgebaut ist - wir brauchen die Verkehre in Richtung Jugoslawien und zum Schwarzen Meer -, wird dort wesentlich mehr auf den Straßen transportiert, als es eigentlich notwendig wäre. Nun zum Binnenschifffahrtsfonds: Dieser Fonds ist keine Erfindung der Bundesregierung, sondern er gründet sich auf eine europäische Verordnung und ist im Grunde genommen aus der Abwrackaktion, die Deutschland immer Geld gebracht hat, entstanden. Ein Wort zu den Verkehren mit Polen: Wir haben vor Jahren die Aufteilung 50/50 beschlossen, aber diese Aufteilung war schon immer ein Problem. Zu unserer Regierungszeit, bis 1998, gab es eine Aufteilung 80/20, und jetzt werden nahezu 100 Prozent von der polnischen Seite transportiert. Die Frage ist: Wo bleibt die deutsche Binnenschifffahrt und wie will die Bundesregierung handeln, damit die deutsche Binnenschifffahrt auch an diesem Güterverkehrsaufkommen partizipieren kann? Wir würden uns sehr darüber freuen, wenn Sie unserem Antrag „Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Binnenschifffahrt erhalten und sichern“ im Ausschuss und im Plenum zustimmen würden. ({10}) All die Wünsche, die in unserem Antrag enthalten sind, waren nämlich bis 1998 Ihre Forderungen an die damalige Regierung. Nur für den Donauausbau gilt das nicht; alles andere waren Ihre Wünsche. Ich wundere mich, dass Sie jetzt Abstand davon nehmen, denn es entspricht nicht den Gepflogenheiten, Abschied von den eigenen Forderungen zu nehmen. ({11}) Aber das müssen Sie verantworten. Meine Damen und Herren, wir fordern in unserem Antrag auch mehr Geld für den Wasserstraßenausbau. ({12}) Ich glaube, dass Rot-Grün der Wille zum Aufbringen von Finanzmitteln fehlt. Vielleicht betätigen sich die Grünen auch als Bremser; das würde ich einmal locker behaupten. Wir würden mehr Geld für den Wasserstraßenausbau zur Verfügung stellen; ({13}) denn eine ganzjährige Befahrbarkeit ist dringend erforderlich. ({14}) Sie strecken ja auch Mittel. Wenn ich zum Beispiel an das Verkehrsprojekt Nummer 17 oder an den Ausbau von Weser, Elbe oder Saale denke, so sind dies alles Ausbaumaßnahmen, die dringend erforderlich wären, um mehr Verkehr auf das Binnenschiff zu lenken. Ich frage mich auch, warum Sie das Thema Schifferkinderheime bei den letzten Haushaltsberatungen so schlecht behandelt haben. Die Mittel dafür sind gekürzt worden. ({15}) - Doch, Kollegin Faße, das ist bei den Haushaltsberatungen geschehen. ({16}) Bezüglich der EU-Harmonisierung legen wir großen Wert darauf, dass auf EU-Ebene im fiskalischen und sozialen Bereich unter Berücksichtigung der in den Niederlanden bestehenden Staatsgarantien bei der Kreditfinanzierung für die Binnenschifffahrt auch von unserer Seite etwas geschieht. Das würde ich im europäischen Kontext Harmonisierung nennen. Hierzu bedarf es noch großer Anstrengungen der Bundesregierung. In unserem Antrag reden wir auch von der Vernetzung der Binnenschifffahrt mit den übrigen Verkehrsträgern. Das ist durchaus sinnvoll; denn nur durch eine Vernetzung von Straße, Schiene und Wasserweg fließt mehr Verkehr zur Binnenschifffahrt. ({17}) Bei der EU-Osterweiterung muss alles dafür getan werden, dass die Wettbewerbsposition der deutschen Binnenschifffahrt bei einem EU-Beitritt von Polen, Tschechien und Ungarn gehalten und gesichert wird. Meine Damen und Herren, ein Wort zu den Unfällen, die auf Donau und Main geschehen sind. Hier besteht dringender Handlungsbedarf. Ich unterbreite auch Vorschläge dazu: Vielleicht wäre es möglich, bestimmte Nachweise - zum Beispiel bezüglich Streckenkunde und Sprachkenntnissen - zu verlangen. Darüber sollten vonseiten der Bundesregierung Verhandlungen geführt werden. Zudem müssen die Unfälle genauestens untersucht werden; denn es dient der Binnenschifffahrt nicht, wenn ständig Schlagzeilen über Unfälle in der Zeitung stehen. Im vergangenen Jahr sind mehr Güter von der Binnenschifffahrt transportiert worden, aber leider nicht von der deutschen. Wir wollen, dass nicht nur die ausländische Binnenschifffahrt, sondern auch die deutsche am höheren Güterverkehrsaufkommen partizipiert. Aussagen und politisches Handeln stimmen bei Rot-Grün nicht überein. Es genügt nicht, in Sonntagsreden die Bedeutung der Binnenschifffahrt hervorzuheben, aber anschließend nichts zu tun. ({18}) Meine Damen und Herren von der Koalition und von der Bundesregierung, handeln Sie jetzt; denn die deutsche Binnenschifffahrt braucht dringend Hilfe! Stimmen Sie unserem Antrag zu! Ich habe schon erwähnt, dass diese Forderungen bis 1998 auch von Ihnen erhoben wurden. Sie bremsen, wenn Sie unseren Antrag ablehnen, die Binnenschifffahrt aus und treiben sie in den Ruin. Bitte stimmen Sie unserem Antrag zu. ({19})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat der Kollege Helmut Wilhelm vom Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Helmut Wilhelm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002825, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sicherung und Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Binnenschifffahrt ist der Bundesregierung und, wie die Anträge zeigen, offenkundig allen hier im Hause zentrales Anliegen. Weil wir uns gerade im Wettbewerb um die Frage befinden, wer früher dran war, möchte ich doch an Folgendes erinnern: Bereits in der Koalitionsvereinbarung hat Rot-Grün festgeschrieben, dass möglichst hohe Anteile des Straßen- und Luftverkehrs auf Schiene und Wasserstraße verlegt werden sollten und dass die internationale Marktposition deutscher Unternehmen insbesondere im Bereich der Binnenschifffahrt gestärkt werden muss. Ich freue mich, dass wir in dieser Grundtendenz in allen Fraktionen Einigkeit haben. Der Wasserstraßentransport ist Bestandteil eines internationalen Verkehrssystems. Jede Tonne, die statt auf der Straße auf dem Wasserweg transportiert wird, ist ein Beitrag zur Engpassbeseitigung. ({0}) Bei natur- und umweltverträglichem Ausbau ist das Verkehrssystem Schiff/Wasserstraße in vielen Fällen besonders geeignet, verkehrspolitische, ökonomische und ökologische Ziele miteinander zu verbinden. Immerhin kommt die von der Binnenschifffahrt 1999 transportierte Tonnage der Größenordnung der Bahntransporte nahe. Dem trägt die Bundesregierung auch Rechnung. Für Wasserstraßeninvestitionen werden im Haushalt 2001 1,3 Milliarden DM zur Verfügung gestellt, im Investitionsprogramm 1999 bis 2002 für Ersatz und Erhaltung sowie Ausbau 4,05 Milliarden DM und im Anti-Stau-Programm ab 2003 weitere 900 Millionen DM. Eines aber darf nicht übersehen werden und einzig der Antrag von Rot-Grün trägt dem Rechnung: Flüsse reagieren sensibel auf Eingriffe. ({1}) Sorgfältige und ausgewogene Planungen auch in ökologischer Hinsicht sind Voraussetzung. ({2}) - Fragt sich, wie groß die Pötte sind. ({3}) Bei allen Maßnahmen zur Steigerung des Transportanteils der Schifffahrt sind daher ökologische Funktionen der Fließgewässer zu erhalten oder wiederherzustellen. Diesen Belangen aber wurde in der Vergangenheit nicht immer ausreichend Rechnung getragen. Oft genug haben sich die Flüsse zum Beispiel durch höheres Hochwasser oder niedrigeres Niedrigwasser - siehe Überleitung von Donauwasser über den RMD-Kanal - bemerkbar gemacht. Die Koalition forciert eine integrierte Verkehrsplanung, bei der Straße, Schiene und Wasserstraße unter Berücksichtigung des Prinzips der Nachhaltigkeit aufeinander abgestimmt sind und der kombinierte Ladungsverkehr eine wichtige Rolle spielt. Dies dient als Grundlage einer intelligenten Vernetzung der Verkehrsträger. Die Rolle der Häfen als Schnittstellen ist dabei von besonderer Bedeutung, ebenso die Hinterlandanbindung der Binnenhäfen. Konsens zwischen allen Fraktionen besteht darin, Wettbewerbsverzerrungen im EU-Bereich insbesondere angesichts der anstehenden Osterweiterung abzubauen bzw. zu vermeiden und die deutsche Binnenschifffahrt in ihrer Wettbewerbssituation zu stärken. Mit einem „Schiff ahoi“ bedanke ich mich für die Aufmerksamkeit. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Hans-Michael Goldmann von der F.D.P.-Fraktion.

Hans Michael Goldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich kann man es ganz kurz und knapp machen. ({0}) Sie brauchen nur die Überschrift unseres Antrages in die Tat umzusetzen. ({1}) Da stehen zwei Dinge: Binnenwasserstraßen ausbauen - natürlich vernünftig und sachgerecht; das ist überhaupt keine Frage - und die Nachteile für die deutsche Binnenschifffahrt im EU-Vergleich beseitigen. ({2}) Wenn Sie das machen, ({3}) dann fällt Ihnen im Grunde alles andere, was hier angesprochen wurde, wie reife Früchte in den Schoß. Dann werden unsere Binnenschiffer wieder Vertrauen in die Zukunft haben. Dann werden sie wieder neue Schiffe bestellen. Dann werden sie auch durchaus Schiffe bestellen, die neuen Anforderungen gerecht werden, wie das die Niederländer machen. Die haben mittlerweile Schiffe entwickelt, die gerade im schnellen Containerverkehr auch auf nicht so tief ausgebaggerten Wasserstraßen hervorragende Erfolge haben. Dann werden wieder Menschen diesen Beruf nachfragen. Dann wird es wieder Auszubildende geben. Dann brauchen wir kein Förderprogramm mehr, damit Auszubildende in diesen Beruf gehen. Dann wird die deutsche Binnenschifffahrt endlich wieder Zukunft haben. ({4}) Aber alles Darumherumreden, liebe Freunde, bringt nichts. Der Antrag von Rot-Grün ist insofern sehr verdächtig. Er bezeichnet in seiner Überschrift nämlich genau die Einschränkungen, die die Zukunftschancen der Binnenschifffahrt zerstören. In dieser Überschrift sagen Sie nämlich: Potenziale im Wasserstraßentransport umwelt- und naturverträglich nutzen - Intermodalität stärken. Das ist genau der Punkt. Für Sie hat die Einschränkung durch die Überbetonung des Natur- und des Umweltschutzes Vorrang vor allen ökonomischen Überlegungen. Wenn Sie diesen Grundsatz verfolgen, liebe Kollegen von Rot-Grün, dann hat die deutsche Binnenschifffahrt keine Zukunft. ({5}) Helmut Wilhelm ({6}) Das beweisen Sie mit Ihrem Umgang mit dem Ausbau der Donau. Dort sind wir gewesen, Frau Faße. Ich weiß, dass Ihnen das unangenehm ist, aber immerhin waren Sie auch mit vor Ort. Wir waren uns völlig einig, dass die ökologischen Staustufen in diesem Bereich eine neue, bessere Situation schaffen und diese sehr wichtige West-Ost-Verbindung in der Gesamtheit für die deutsche Binnenschifffahrt ein Potenzial eröffnet, das ihr wirklich über die Hürden hilft; denn die Kritik an ihr, dass sie vergleichsweise wenig Leistung aufweise, ist nicht berechtigt. Sie hat deshalb zum Beispiel auf der Donau so wenig Leistung, weil man zwischendurch abladen muss. Abladen kostet Geld. Damit kommen andere Verkehrsträger in die Vorhand. Deswegen verliert die deutsche Binnenschifffahrt im internationalen Verkehr Zug um Zug an Boden; deshalb geht es der deutschen Binnenschifffahrt im Grunde genommen schlecht. ({7}) Liebe Frau Mertens, Hilfe für die deutsche Binnenschifffahrt ist wirklich nicht durch Imageverbesserung zu erreichen, denn das hat etwas mit den harten Fakten zu tun. Wenn Sie mit einem europäischen Anbieter wie zum Beispiel den Niederländern im Wettbewerb stehen, die bessere Rahmenbedingungen haben, und wenn Sie dann noch unsere potenziellen Wasserstraßen nicht zumindest ein Stück in Richtung EU-Erweiterung, in Richtung Zukunft öffnen, dann haben wir keine Chance. Ich verstehe Ihre Position nicht so ganz. In Ihrer letzten Pressemitteilung vom 2. Juli - es gibt dauernd solche Mitteilungen - steht zum Beispiel: Short-Sea-Shipping-Promotion-Center Deutschland eröffnet. Parlamentarischer Staatssekretär Nagel sagt: Wir wollen weg von der Straße, wir wollen auf den Wasserweg. Aber Sie bauen nicht; Sie helfen weder den Häfen noch den Binnenwasserstraßen, Sie helfen der Binnenschifffahrt nicht. Das, was wir bisher in der Parlamentariergruppe Binnenschifffahrt für die Binnenschiffer auf den Weg gebracht haben, sind doch noch nicht einmal Peanuts. Diesbezüglich müssen wir doch ehrlich sein, Frau Faße. Das ist im Grunde genommen nichts Substanzielles. Wir müssen in den Kernbereich hinein. Der Kernbereich sind eindeutig der intelligente Ausbau und die Abschaffung der Wettbewerbsverzerrungen zum Nachteil deutscher Binnenschiffer. ({8}) Es ist also wirklich ganz einfach: Nehmen Sie unseren Antrag an, in dem genau das steht: Wir müssen bauen und die Nachteile beseitigen. Dann sind die deutschen Binnenschiffer sehr wohl selbst in der Lage, für sich eine gute Zukunft auszugestalten. Das wird ihnen bestens gelingen; diesen Weg sollten wir gehen. ({9})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Winfried Wolf von der PDS-Fraktion.

Dr. Winfried Wolf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002830, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die Staatssekretärin Mertens hat richtig begonnen, indem sie sagte, alle hier Anwesenden seien sich weitgehend einig, dass die Binnenschifffahrt gefördert werden müsse. Aber die Realitäten sehen eben doch erheblich anders aus. Die Tonnage auf den Binnenschiffen ist minimal gestiegen; die Tonnage auf den deutschen Binnenschiffen sinkt kontinuierlich weiter. Der Anteil der Binnenschifffahrt am gesamten Güterverkehrsmarkt sank seit dem Jahr 1995, als 14,9 Prozent erreicht wurden, bis zum Jahr 1999 kontinuierlich auf 12,8 Prozent. Das alles ist bemessen auf ein Binnenschifffahrtsnetz von 7 300 km, das teilweise weiter ausgebaut wurde und bei dem sich das Bruttoanlagevermögen von 84,5 Milliarden DM auf 88,5 Milliarden DM erheblich erhöhte. Das führt zu einer strukturell schlechten Gesamtbilanz. Das führt zum Beispiel dazu, dass die Einnahmen aus der deutschen Binnenschifffahrt massiv sinken. Allein im letzten Jahrzehnt sind sie nominal von 3,1 Milliarden DM auf 2,5 Milliarden DM gesunken; in realen Preisen ist dieser Rückgang noch größer. Das führt dazu, dass der Wegekostendeckungsgrad in der Binnenschifffahrt weiterhin dramatisch niedrig liegt, nämlich bei ungefähr 10 Prozent. ({0}) In der Bilanz muss man sagen: Es stimmt, was hier alle erklären, nämlich dass Schiff und Schiene die umweltfreundlichsten bzw. die am wenigsten umweltschädlichen Verkehrsträger sind. Es stimmt aber auch, dass ausgerechnet Schiene und Schiff die meisten Subventionen brauchen, weil der Markt real nicht vorhanden ist, weil es keine Kostenwahrheit gibt und weil externe Kosten - vor allem im LKW-Verkehr - nicht inkorporiert sind. Trotz der hohen Subventionen hat die Politik real versagt. Die Entwicklung geht bisher in eine negative Richtung: Der Anteil der Binnenschifffahrt hat sich verringert. ({1}) Das heißt für mich, Herr Kollege Goldmann, dass die Lösung nicht aus Anträgen bestehen kann, wie Sie sie vorgelegt haben und die zu einem „Weiter so!“ auffordern. Sie kann auch nicht aus allgemeinen Erklärungen in der Art von SPD und Bündnis 90/Die Grünen bestehen, die zwar sehr nett zu lesen, aber nicht sehr konkret sind. Darin stimme ich Herrn Goldmann zu. ({2}) Ich meine, dass eine nüchterne Gesamtbilanz gezogen werden muss: Es darf nicht zu einem vollständigen Dumping im Transportsektor kommen. Die Transportpreise sind überall und in allen Bereichen real zu niedrig. Es darf auch nicht sein, dass eine Rede zur Binnenschifffahrt und eine andere zur Schiene gehalten wird. Schiff und Schiene müssen eine Einheit, einen Umweltverbund darstellen. ({3}) Wenn wir weitermachen wie bisher, werden die falschen Signale ausgesandt. Ich befürchte aber, dass gerade im Hinblick auf die Osterweiterung das Preisdumping weitergehen wird - und damit werden diese falschen Signale weiter ausgesandt werden. Danke schön. ({4})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Jetzt spricht die Kollegin Annette Faße für die SPD-Fraktion.

Annette Faße (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002650, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Erstes begrüße ich ganz herzlich den Fanklub der Binnenschifffahrt hier im Bundestag. ({0}) Als Mitglied des Fanklubs der Binnenschifffahrt meine ich, dass man die Binnenschifffahrt mit ihren Chancen, ihren Leistungen und Möglichkeiten nicht schlecht reden sollte. ({1}) Es gehört zu einem echten Fanklub, dass er sich mit den Punkten sehr sachlich auseinander setzt und darauf hinweist, welche Leistungen unsere Binnenschiffer und die Reedereien erbringen, und zwar unter nicht einfachen Bedingungen. ({2}) - Auf diesen Satz sage ich Ihnen: Die Binnenschiffer und die Reedereien haben schon jahrzehntelang darauf gewartet, dass ihre Probleme und Fragen geklärt werden. Ich halte es für nicht sachgerecht, dass wir die Sorgen und Nöte der Binnenschifffahrt heute nur in Bezug auf einen Hauptpunkt diskutieren, nämlich den Ausbau der Wasserstraßen. Dies allein trägt nicht zur Rettung der Binnenschifffahrt bei. Ich sage ganz deutlich, dass wir natürlich in den Flussausbau investieren. ({3}) Über 1 Milliarde DM sind im nächsten Haushalt dafür eingestellt. ({4}) Das ist immer zu wenig. Auch mir ist das zu wenig, Herr Goldmann. ({5}) Aber man muss sich die Situation insgesamt ansehen. ({6}) Natürlich hätte ich mich gefreut, wenn auch wir Mittel aus der Versteigerung der UMTS-Lizenzen bekommen hätten, aber das haben wir nicht. Ich habe jedoch eine gute Nachricht zu vermelden: Aus dem Anti-Stau-Programm bekommen wir 900 Millionen DM für die Binnenschifffahrt. Ich meine, dies ist eine gute Leistung. ({7}) Eines sollten wir öffentlich ganz laut verkünden - Frau Mertens hat dies schon gesagt; ich wiederhole es aber ganz bewusst, weil ich der Ansicht bin, dass das Meinungsbild über die Binnenschifffahrt in der Öffentlichkeit nicht so ist, wie sie es verdient -: ({8}) Die Binnenschifffahrt transportiert 90 Prozent des Güteraufkommens von DB Cargo. Das möge man sich einmal vorstellen. Wenn dem nicht so wäre, wäre das Chaos auf der Straße noch viel größer und die Probleme bei der Schiene noch schlimmer. Wir wissen, dass wir auch ohne einen weiteren Flussausbau große Kapazitäten haben, nämlich in der freien Nutzung durch das Binnenschiff. Natürlich gibt es Entscheidungen, die nicht einfach sind. Das sind nicht die Maßnahmen zur Unterhaltung, sondern zum Ausbau. Ich will mich zur Entscheidung über den Ausbau der Donau, die dieses Jahr ansteht, Herr Goldmann, nicht herumdrücken. Dass Ihnen das zu lange dauert, kann ich verstehen. Auch mir dauert es schon zu lange. Nichtsdestotrotz wird eine sachliche Entscheidung gefällt werden, ({9}) die sowohl der Binnenschifffahrt helfen wird als auch der Umwelt gerecht werden wird. Ich gehe davon aus, dass wir gemeinsam mit dem Land Bayern eine Lösung finden werden, die diesen beiden Kriterien entspricht. Harren Sie noch ein bisschen der Dinge! Wir bekommen das schon in den Griff, Herr Goldmann. ({10}) Flussausbauten alleine lösen das Problem aber nicht. Darum müssen wir sehen, in welchen anderen Bereichen wir der Binnenschifffahrt helfen können. Es ist ja nicht so, dass wir bisher nicht in diesen Bereichen tätig gewesen sind. Man mag ja der Meinung sein, dass im Bundeshaushalt nicht in ausreichendem Maße Mittel für den Forschungsbereich eingestellt worden seien. Aber ich möchte auf das Forschungsprogramm der Bundesregierung „Schiffbau und Meerestechnik für das 21. Jahrhundert“ hinweisen, wovon sowohl die See- als auch die BinnenDr. Winfried Wolf schifffahrt profitieren. Wir helfen der Binnenschifffahrt auch, indem wir für die Ausbildungsförderung 3 Millionen DM in den Haushalt eingestellt haben. Des Weiteren, Frau Blank, haben wir für die Schifferkinderheime 100 000 DM in den jetzigen Haushaltsentwurf eingestellt. Dieses Jahr muss also kein Antrag auf Erhöhung dieser Mittel gestellt werden. Ich sage auch ganz deutlich: Es ist ein ganz wichtiges Zeichen, dass im Promotion-Center, das von der Bundesregierung geschaffen worden ist und das von den Küstenländern sowie von der Wirtschaft getragen wird, auch die Binnenschifffahrt ihren Fuß in der Tür hat. Das war auch eine Aktion für die Binnenschifffahrt. Ich freue mich sehr, dass sich die beiden großen Verbände der Schifffahrt zusammengefunden und deutlich gesagt haben: Wir betreiben gemeinsam das Promotion-Center und nutzen die Chancen. Diese sollte man nicht unterschätzen. Das Promotion-Center in den Niederlanden hat sehr gute Erfolge vorzuweisen. Dort gibt es jeweils ein Promotion-Center für die Binnenschifffahrt und die Seeschifffahrt. Wir haben beide Bereiche in einem Center integriert. Ich gehe davon aus, dass die Binnenschifffahrt davon sehr profitieren wird. Ich halte nichts davon, dass der Teil unseres Antrages, in dem wir fordern, mehr Schwerverkehr auf das Wasser zu bringen, kritisiert worden ist. Schon alleine die Androhung, dass man weitergehen will, als nur die Ergebnisse eines Projektes abzuwarten und einen Probelauf zu machen, hat dazu geführt, dass sich diejenigen, die Schwergüter zu transportieren haben, schon im Ministerium informiert haben, wie die Zusammenarbeit in Zukunft besser gestaltet werden könnte. Ich halte das für einen ganz wichtigen Punkt; denn Schwerverkehre müssen nicht unbedingt auf der Straße fahren. ({11}) Wir werden außerdem über den Fonds, den wir nicht erfunden haben, noch in diesem Jahr diskutieren. Wir werden auch darüber diskutieren müssen, was mit den Zinsen geschehen soll; denn darüber können wir in Deutschland selber entscheiden. Ich sage ganz deutlich: Unser Antrag ist realistisch. ({12}) Wir müssen weiter für die Binnenschifffahrt arbeiten, und zwar auch in anderen Bereichen. Ich habe mich gewundert, dass heute niemand die Änderung des § 6 des Einkommensteuergesetzes gefordert hat. Hier besteht tatsächlich Handlungsbedarf. ({13}) - Es muss nicht alles im Antrag stehen, Kollege Goldmann. Man kann sich auch außerhalb der Anträge noch etwas einfallen lassen. Alle Kolleginnen und Kollegen, die heute zu diesem Thema gesprochen haben, gehören der parlamentarischen Gruppe „Binnenschifffahrt“ an. Insgesamt sind über 70 Abgeordnete Mitglied in dieser Gruppe. Ich meine, nicht jeder Verkehrsträger hat eine solche Lobby im Parlament. Ich wünsche mir, dass alle 70 zum erweiterten Fanklub der Binnenschifffahrt gehören und für diese aktiv werden. Danke schön. ({14})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen auf Drucksache 14/6503. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/4387 mit dem Titel „Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Binnenschifffahrt erhalten und sichern“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen der Fraktionen von CDU/CSU und F.D.P. angenommen. Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der F.D.P. auf Drucksache 14/4602 mit dem Titel „Wasserstraßen ausbauen und Nachteile der deutschen Flagge im EU-weiten Wettbewerb der Binnenschifffahrt beseitigen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Auch diese Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen der Fraktionen von CDU/CSU und F.D.P. angenommen. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung die Annahme des Antrags der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 14/5667 mit dem Titel „Potenziale im Wasserstraßentransport umwelt- und naturverträglich nutzen Intermodalität stärken“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen der Fraktionen von CDU/CSU und F.D.P. bei Enthaltung der PDS-Fraktion angenommen. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 8 auf: Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P. Frieden, Stabilität und Einheit auf der koreanischen Halbinsel - Drucksache 14/6210 Im Namen aller Kolleginnen und Kollegen des Hauses möchte ich auf der Besuchertribüne eine Delegation der Koreanisch-Deutschen Parlamentariergruppe der Nationalversammlung der Republik Korea unter Leitung ihres Vorsitzenden Hwa-Kap Hahn herzlich willkommen heißen. ({0}) Es ist selten genug, dass wir die Gelegenheit haben, zeitgleich zur parlamentarischen Debatte über ein außenpolitisches Thema die entsprechenden Gäste auf der Tribüne zu begrüßen. Wir freuen uns deshalb ganz besonders, dass das zeitlich so geklappt hat. Die Parlamentarierinnen und Parlamentarier des Deutschen Bundestages begrüßen die Fortschritte, die seit der gemeinsamen Erklärung der Präsidenten beider koreanischer Staaten vom Juni 2000 erzielt worden sind. Wir unterstützen nachträglich die Berliner Erklärung von Präsident Kim Dae-jung mit dem Aufruf zu ersten Schritten bei der innerkoreanischen Annäherung mit dem Ziel, die Teilung Koreas zu überwinden. Liebe Kolleginnen und Kollegen auf der Besuchertribüne, wir wünschen Ihnen viel Erfolg bei Ihrer parlamentarischen Arbeit und hoffen, dass Sie einen sehr interessanten und anregenden Aufenthalt in der Bundesrepublik und in Berlin, besonders im Deutschen Bundestag, haben. ({1}) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner ist für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Hartmut Koschyk.

Hartmut Koschyk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001186, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Der Deutsche Bundestag befasst sich heute nach längerer Zeit einmal wieder mit der Lage auf der koreanischen Halbinsel. Wir wollen durch diese Debatte unsere besondere Anteilnahme als deutsches Parlament am Teilungsschicksal des koreanischen Volkes unterstreichen. ({0}) Südkoreas Staatspräsident und Friedensnobelpreisträger Kim Dae-jung hat bei seinem Besuch in Berlin im März 2000 die besondere Verbundenheit Deutschlands und Koreas zum Ausdruck gebracht. In seiner inzwischen als historisch zu wertenden Berliner Rede vom 9. März 2000 an der Freien Universität Berlin, mit der der südkoreanische Präsident seinen Wunsch nach einer Annäherung gegenüber Nordkorea bekräftigt und das historische Gipfeltreffen mit dem Führer Nordkoreas Kim Jong-il in Pjöngjang vorbereitet hatte, hat Präsident Kim Dae-jung ein koreanisches Sprichwort zitiert: Die Kranken mit gleicher Krankheit haben füreinander immer das größte Mitleid. - Deutschland und Korea, so Präsident Kim Dae-jung, empfänden deshalb füreinander eine besonders große Solidarität, weil die beiden Völker unter dem gleich starken Schmerz der Teilung des Landes gelitten haben, was unser Volk anbelangt, bzw. noch heute leiden, was Korea anbelangt. Mit dem heute zu verabschiedenden interfraktionellen Antrag begrüßt der Deutsche Bundestag die durch die gemeinsame Erklärung von Süd- und Nordkorea begründete Perspektive für eine neue Qualität in den innerkoreanischen Beziehungen. Zugleich dankt der Deutsche Bundestag dem südkoreanischen Staatspräsidenten Kim Dae-jung für seinen beharrlichen Einsatz für Demokratie und Menschenrechte sowie für die von ihm eingeleitete mutige „Sonnenscheinpolitik“. ({1}) Der Deutsche Bundestag gratuliert dem südkoreanischen Präsidenten Kim Dae-jung zur Verleihung des Friedensnobelpreises sicherlich fraktions- und parteiübergreifend. Es waren gerade Kolleginnen und Kollegen aus diesem Hause - ich sehe hier den Kollegen Neumann und andere -, die diesen Vorschlag für den Deutschen Bundestag bereits in einer Zeit begründet haben, als Kim Dae-jung noch ein verfolgter, inhaftierter und vom Tode bedrohter Oppositioneller in Südkorea gewesen ist. ({2}) Mit diesem interfraktionellen Antrag wollen wir aber auch würdigen, dass die Verantwortlichen in der politischen Führung Nordkoreas durch die Erklärung von Pjöngjang ihre Bereitschaft gezeigt haben, den durch die gemeinsame Erklärung vorgezeichneten Weg für eine Annäherung auf der koreanischen Halbinsel zu beschreiten. Innerkoreanische Begegnungen atmen bis heute immer den Geist des Besonderen und sind noch längst keine Normalität. Es war deshalb zu begrüßen, dass die Leitungen des Deutschen Evangelischen Kirchentages und des Kirchenamtes der Evangelischen Kirche in Deutschland zum Evangelischen Kirchentag in Frankfurt jeweils eine Delegation aus dem Norden und aus dem Süden der koreanischen Halbinsel eingeladen haben ({3}) und dass Delegationen aus dem Norden und aus dem Süden der koreanischen Halbinsel an diesem Evangelischen Kirchentag teilgenommen haben. ({4}) Zu den Besonderheiten der koreanischen Teilungsgeschichte zählt ein vom Hyundai-Konzern betriebenes Fremdenverkehrsprojekt im Kumgang-Gebirge Nordkoreas. Vor allem im Hinblick auf die Selbstvergewisserung junger Menschen im Süden des Landes über das Teilungsschicksal spielt dieses Projekt eine wichtige Rolle. Es ist sicherlich klug und richtig, dass sich die Regierung der Republik Korea jetzt entschlossen hat, in dieses Projekt, nachdem es defizitär geworden ist, zu investieren, weil es ein ganz schmales Tor der Begegnung von Menschen des geteilten Koreas, von Menschen des Südens mit solchen des Nordens darstellt. Wir können die südkoreanische Seite nur ermutigen, auf dem Weg, vor allem menschliche Annäherung und Begegnung zu suchen, fortzufahren. Wenn man dieses Projekt als Annäherung im Kleinen versteht, dann wird man die zwischenstaatliche Politik mit Blick auf Korea als das Bemühen bezeichnen müssen, jetzt auch eine Annäherung im Großen zu organisieren. Wir begrüßen die Bereitschaft der Vereinigten Staaten, den mehr als fünf Monate unterbrochenen Dialog mit der nordkoreanischen Seite fortzusetzen. Die Ankündigung der USA, diesen Dialog wieder aufzunehmen, wird von südkoreanischer Seite zu Recht begrüßt. Vizepräsidentin Petra Bläss Wir teilen die Besorgnis, die - nicht nur - in der Republik Korea und in den Vereinigten Staaten im Hinblick auf das Atomprogramm Pjöngjangs herrscht. Auch wir wollen eine nachprüfbare Beschränkung der Weiterentwicklung von Raketen durch Nordkorea und das Ende von Raketenexporten. Darüber - wie auch über andere Fragen; ich denke zum Beispiel an die Truppenkonzentration entlang der entmilitarisierten Zone - muss mit der nordkoreanischen Seite gesprochen werden. Es ist wichtig und richtig, dass mit Nordkorea über diese Fragen vonseiten der Vereinigten Staaten wieder gesprochen wird. ({5}) Die Mitglieder der Deutsch-Koreanischen Parlamentariergruppe des Bundestages hatten im Mai in Seoul die Möglichkeit, Staatspräsident Kim Dae-jung zu treffen und mit ihm über die aktuelle Lage auf der koreanischen Halbinsel zu sprechen. Es war für uns sehr beeindruckend, bei dieser Begegnung zu erfahren, wie der südkoreanische Staatspräsident die wirtschaftliche Lage im Norden einschätzt und für wie wichtig er das wirtschaftliche Engagement der Nachbarn in der Region - dabei denken wir sicher an die Russische Föderation, an China, an Japan, aber auch an die Vereinigten Staaten - erachtet. Wir waren nämlich gerade zu dem Zeitpunkt in Seoul, als die Delegation der EU-Spitze vom Norden, wo sie wichtige Gespräche geführt hat, in den Süden gereist ist. Wir haben gespürt, wie wichtig für die südkoreanische Seite ein Engagement der Europäischen Union und damit auch der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen der weiteren Annäherung auf der koreanischen Halbinsel ist. Es ist deshalb wichtig und richtig, dass heute nahezu alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union diplomatische Beziehungen mit Nordkorea aufgenommen haben und damit auch vonseiten der Europäischen Union ein Beitrag zur weiteren Intensivierung des innerkoreanischen Dialogs und der innerkoreanischen Annäherung geleistet wird. Wir als deutsches Parlament sollten es als unsere Verpflichtung empfinden, diesen Annäherungsprozess intensiv zu begleiten, auch, indem wir jetzt ganz bewusst Kontakte zu der obersten Vollversammlung Nordkoreas suchen. Wir wollten dies als Parlamentariergruppe bei unserem Besuch auf der koreanischen Halbinsel tun; wir sind auch von unseren Parlamentskollegen aus der Republik Korea und unseren politischen Gesprächspartnern dazu ermutigt worden. Man hat uns bei unserem Besuch auf der koreanischen Halbinsel die Einreise in den Norden vom Süden aus noch nicht gestattet; deshalb konnte der Besuch nicht stattfinden. Wir wollen diesen Besuch aber nachholen und auch als Deutsch-Koreanische Parlamentariergruppe des Deutschen Bundestages den Kontakt mit der obersten Vollversammlung Nordkoreas aufnehmen. Es wäre sicher gut und richtig, wenn auch Fachausschüsse des Deutschen Bundestages in einen direkten Dialog mit den Fachebenen der obersten Vollversammlung Nordkoreas treten würden. ({6}) Wir begrüßen auch, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass sich die deutschen Bundesländer hier zunehmend engagieren und, wie jüngst aus Bayern, Wirtschaftsdelegationen mit dem Wirtschaftsminister nach Nordkorea fahren, um auszuloten, wie sich die deutsche Wirtschaft in diesen Annäherungs- und Öffnungsprozess einklinken kann. Auch das war ein Ergebnis, lieber Kollege Pflug, lieber Kollege Fink, liebe Kollegin Reinhardt und all die anderen Kollegen, die mit dabei waren; wir sollten allerdings sehr nüchtern sehen, wie die deutsche Wirtschaft die wirtschaftlichen Entwicklungschancen in Nordkorea zurzeit beurteilt. Ich glaube, es ist gut und richtig und ein wichtiges Signal, dass wir diesen fraktionsübergreifenden Antrag heute hier in diesem Hause mit großer Mehrheit verabschieden. Wir erinnern uns, dass es günstige internationale Rahmenbedingungen gewesen sind, die die Herstellung der Einheit Deutschlands in den Epoche machenden Jahren 1989/90 ermöglicht haben. Warum sollte dem koreanischen Volk nicht Gleiches widerfahren dürfen? Günstige politische Rahmenbedingungen entstehen jedoch nicht aus purem Zufall; es gilt, beharrlich auf sie hinzuarbeiten. Auch die Bundesrepublik Deutschland sollte das ihr Mögliche und Notwendige tun und zu einer Verbesserung der internationalen Rahmenbedingungen in dieser Region beitragen, damit eines Tages auch das geteilte Volk auf der koreanischen Halbinsel seine Einheit in Frieden und Freiheit finden kann. Herzlichen Dank. ({7})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die SPD-Fraktion spricht der Kollege Johannes Pflug.

Johannes Pflug (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003207, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als wir am 4. Mai dieses Jahres mit der Deutsch-Koreanischen Parlamentariergruppe des Deutschen Bundestages im Rahmen unseres Korea-Besuches die Sokkuram-Grotte in Kyangju besuchten, wurden wir als Parlamentarier plötzlich von einer großen Schar von Schulkindern umringt. Die Schulkinder freuten sich über die Schar von „Langnasen“ und machten sich einen Spaß daraus, uns um Autogramme zu bitten. Diese Begegnung erinnerte mich an das Jahr 1957. Damals war ich gerade elf Jahre alt und traf zum ersten Mal Menschen aus Asien, die in größerer Zahl als Gastarbeiter in meine Heimatstadt Duisburg gekommen waren, um als Bergleute oder als Krankenschwestern dort zu arbeiten. Meines Wissens waren Koreaner die ersten Gastarbeiter überhaupt, die auf Schachtanlagen in Duisburg arbeiteten. Diese kleine Anekdote aus meiner Jugend zeigt, dass es eine langjährige deutsch-koreanische Verbindung gibt, die auf Arbeitsaustausch und Wirtschaftsbeziehungen beruht. Darüber hinaus gibt es die gemeinsame Erfahrung von geteilten Vaterländern, die eine enge Beziehung und gegenseitige Solidarität begründet hat. Der gemeinsame Antrag, den wir gerade beraten, atmet genau diesen Geist der Solidarität. Wir als Abgeordnete des Deutschen Bundestages wünschen uns sehr, dass Südund Nordkorea in nicht allzu ferner Zukunft wieder ein vereintes Vaterland sind. ({0}) Dazu fordern wir die Bundesregierung in unserem Antrag auf, das ihr Mögliche zu tun, um beide koreanischen Staaten zu beraten und zu unterstützen. Dies gilt für immaterielle Unterstützung, aber es gilt auch für materielle Hilfen insbesondere für Nordkorea, wenn sich konkrete Fortschritte auf belastbaren Verhandlungsergebnissen abzeichnen. Aber die erste Euphorie der Annäherung im Sommer 2000 ist verflogen. Ernüchterung ist eingetreten in der Einschätzung von Fortschritten auf dem Weg zur Wiedervereinigung der beiden koreanischen Staaten. Das hat mit mangelnder Reformwilligkeit des nordkoreanischen Regimes auf dem wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Sektor zu tun. Es hat vor allem zu tun mit dem mangelnden Transformationswillen Nordkoreas hin zu einer parlamentarischen Demokratie. Nordkorea ist nicht nur ein armes Land; es ist ein völlig isoliertes Land, das den Weg der Isolation selbst gewählt hat und nun vor der Entscheidung steht, sich wieder für die internationale Völkergemeinschaft zu öffnen. Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Deutschland und Nordkorea seit dem 1. März dieses Jahres soll dabei helfen. Viele weitere Staaten der Europäischen Gemeinschaft haben auch auf Wunsch Südkoreas und der Vereinigten Staaten diesen Weg der Aufnahme diplomatischer Beziehungen beschritten. Das hatte die neue amerikanischer Regierung zunächst jedoch nicht davon abgehalten, dem südkoreanischen Präsidenten Kim Dae-jung am 7. März bei seinem Besuch in Washington ihre Skepsis gegenüber Nordkorea und ihre Zurückhaltung gegenüber der „Sunshine Policy“ zum Ausdruck zu bringen. Zwischenzeitlich - der Kollege Koschyk hat darauf hingewiesen - hat die Regierung der Vereinigten Staaten ihre Korea-Politik modifiziert und korrigiert und unterstützt diesen Prozess wieder. Aber die mit großem Elan im vergangenen Jahr begonnenen Begegnungen und Gespräche zwischen Südund Nordkorea sind seit Beginn dieses Jahres ins Stocken geraten. Die Troika-Mission der Europäer am 3. Mai kam zwar zum richtigen Zeitpunkt, konnte aber auch nichts an der festgefahrenen Situation ändern. Es gibt Absichtserklärungen des nordkoreanischen Präsidenten Kim Jong-il, seinen Kollegen in Seoul zu besuchen, aber es gibt keine Festlegung auf einen Termin. Beide Seiten sollten ermuntert werden, den einmal beschrittenen Weg des letzten Jahres beharrlich und konsequent fortzuführen. ({1}) Zur dauerhaften Sicherung des Friedens auf der koreanischen Halbinsel und zur Kooperation der beiden koreanischen Staaten bis hin zur Wiedervereinigung gibt es keine Alternative. Das betonen auch die Unterstützermächte der „Sonnenscheinpolitik“ von Kim Dae-jung, namentlich die Vereinigten Staaten, China, Russland, Japan und die Europäische Union, die ihre Anstrengungen durchaus vergrößern sollte. Nordkorea ist nicht nur aus wirtschaftlicher und politischer Perspektive ein schwieriges Land, sondern auch wegen seiner Sicherheitspolitik. Nordkorea hat viel Geld in die Entwicklung von Raketen gesteckt, mit denen es seine Nachbarn in der Region und militärische Stützpunkte der Vereinigten Staaten bedrohen kann. Das amerikanische Vorhaben zum Bau von Raketenabwehrsystemen ist nicht zuletzt durch nordkoreanische Aufrüstungsprogramme motiviert worden. Außerdem hat Nordkorea durch einen massiven Export von Raketentechnologien zu neuen Bedrohungssituationen in den unterschiedlichsten Teilen der Welt beigetragen. Nordkorea stand bis Mitte der 90er-Jahre unter dem Verdacht, Atombomben bauen zu wollen. Es war zwar Vollmitglied der Internationalen Atomenergiebehörde, IAEO, weigerte sich aber, die damit verbundenen Überprüfungen seiner Kernkraftwerke zuzulassen. Nordkorea hat sich die Bereitschaft, auf ein militärisches Atomprogramm zu verzichten, 1994 abkaufen lassen. Der Preis bestand in der Schenkung von zwei modernen Kernreaktoren im Werte von 4,6 Milliarden Dollar plus kostenlosen Schweröllieferungen der USA bis zur Fertigstellung der Reaktoren. An der Organisation KEDO, die diese Vereinbarung umsetzt, ist inzwischen auch die Europäische Union beteiligt. Nordkorea unterliegt seitdem wieder den Sicherheitskontrollen der IAEO, die ständige Inspektoren im Lande unterhält. Diese Inspektoren wachen darüber, dass es bei den alten, in nordkoreanischem Besitz befindlichen Reaktorkernen zu keinen Veränderungen und Bewegungen kommt. Darüber hinausgehende Kontrollen lässt Nordkorea nach wie vor nicht zu. Die SPD-Bundestagsfraktion unterstützt alle Bemühungen der Bundesregierung und der Staatengemeinschaft, Nordkorea in dieser Frage zu größerer Öffnung zu veranlassen. ({2}) All dies zeigt, dass es gravierende Probleme, aber zugleich auch existenzielle Interessen nicht nur der Süd- und Nordkoreaner, sondern auch der internationalen Völkergemeinschaft an Frieden, Abrüstung und Kooperation auf der koreanischen Halbinsel gibt. Wenn ich vorhin von Ernüchterung sprach, dann hoffe ich, deutlich gemacht zu haben, dass die genannten Probleme ohne nüchterne Betrachtung und Handhabung, aber auch ohne Beharrlichkeit nicht gelöst werden können. Dabei ist neben der deutschen Bereitschaft zur materiellen Hilfe für den Norden bei unseren Freunden in Südkorea natürlich die deutsche Erfahrung auf dem Weg zur Wiedervereinigung sehr gefragt. Waren es in der Vergangenheit vor allem Fragen der Angleichung und Vereinheitlichung des Rechts, der Verwaltungen und der Lebensbedingungen in West- und Ostdeutschland, die unsere südkoreanischen Freunde interessierten, so sind es heute immer mehr die Anfänge der deutsch-deutschen Gipfeltreffen Anfang der 70er-Jahre und die Fragen des Finanztransfers von West nach Ost. In der Tat: Deutschland ist nicht ohne weiteres mit Korea zu vergleichen: Im Gegensatz zu Korea gab es in Deutschland keinen Bürgerkrieg. Im Gegensatz zu Südkorea gegenüber Nordkorea hat die Bundesrepublik Deutschland nie eine völlige Abschottungspolitik gegenüber der DDR betrieben. Im Gegensatz zu Korea gab es bei uns fast immer Kommunikation zwischen den beiden Deutschlands und bei allen Scheußlichkeiten der ostdeutschen Grenzeinrichtungen eine zumindest für Westdeutsche durchlässige Grenze. Im Gegensatz zu Nordkorea gab es in der DDR eine hervorragend informierte Gesellschaft und im Vergleich zu Nordkorea war die DDR eine wohlhabende Gesellschaft. In Deutschland gab es eine geteilte Stadt Berlin, die immer wieder Kontakte und Gespräche zwischen den Garantiemächten, aber auch den beiden deutschen Staaten erforderte. In beiden Teilen Deutschlands standen sich Ost- und Westblock hoch gerüstet gegenüber. Jeder wusste, dass eine bewaffnete Konfrontation den dritten Weltkrieg und zugleich das Ende der menschlichen Existenz hätten bedeuten können. Gerade deshalb ist es wichtig, dass wir unsere Erfahrungen aus den 70er-Jahren weitergeben, dass wir uns mit unseren europäischen Partnern in Korea engagieren und dass wir unsere südkoreanischen Freunde unserer Solidarität versichern, bis hin zur Wiedervereinigung. ({3})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die F.D.P.-Fraktion spricht jetzt der Kollege Ulrich Irmer.

Ulrich Irmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000996, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Kollegen Koschyk und Pflug haben hier viel Richtiges gesagt. Ich kann mich dem anschließen. Ich will nur auf eines hinweisen: Wir sollten uns keine Illusionen machen. Wir sind alle in hohem Maße daran interessiert, die Situation in Korea zu verbessern, insbesondere den Dialog zu fördern, der dort dank Kim Jong-il, dem mutigen Präsidenten von Südkorea, zustande gekommen ist. Aber - der Kollege Pflug hat es eindringlich dargestellt - die Situation in Deutschland ist mit der in Korea nicht vergleichbar. Im Vergleich zu dem, was sich in Nordkorea abspielt, war die DDR - ohne dass ich das Regime in irgendeiner Weise verharmlosen oder beschönigen will - geradezu ein Paradies der Freiheit. Ich will es an einem Beispiel klarmachen. Die deutsche Delegation war im Frühjahr 1991 im Rahmen der Interparlamentarischen Union zehn Tage in Nordkorea. Dabei war der Kollege Haschke aus der früheren DDR, der sagte: Um Gottes willen, jetzt merke ich erst, was uns erspart geblieben ist! - Als wir damals auf der Rückreise in Peking zwischenlanden mussten - das war kurz nach dem Massaker auf dem Tiananmen-Platz -, sind wir aus dem Flugzeug gestiegen, haben tief durchgeatmet und gesagt: Back to the free world again, endlich wieder in der freien Welt - und das in Peking, anderthalb Jahre nach dem Massaker auf dem Tiananmen! Man kann sich nicht vorstellen, was das Regime in Nordkorea mit den Menschen gemacht hat: Sie haben von nichts Kenntnis. Sie sind völlig abgeschottet und völlig isoliert. Das Schlimme ist: Sie sind einer sektiererischen Gehirnwäsche unterzogen worden, und das über Jahrzehnte. Selbst wenn jetzt eine gewisse Auflockerung eintreten sollte, wenn Kontakte in ganz begrenztem Maße ermöglicht werden sollten, wird es Jahrzehnte dauern, bis diese Fixierung überhaupt aus den Köpfen verschwunden ist. Damit wird man wohl rechnen müssen. Es ist ja wunderschön - der Kollege Koschyk hat es gesagt -, wenn der bayerische Minister Wiesheu nach Nordkorea reist und dort eine „bayerisch-nordkoreanische Kommission“ ins Leben ruft, die nicht nur ausloten soll, welche gigantischen Wirtschaftspotenziale für bayerische Unternehmen in Nordkorea bereitstehen, sondern die sich auch um die politische Annäherung kümmern soll. Nach dieser Reise hat er dem „Bayernkurier“ anvertraut, er habe als ersten Schritt gelernt, mit Stäbchen zu essen. Das ist eine gigantische vertrauensbildende Maßnahme. Ich wünsche guten Appetit! Wenn wir als Deutsche - gerade wegen unserer Verantwortung aufgrund unserer geschichtlichen Erfahrung der jahrzehntelangen Teilung - irgendwie dazu beitragen können, die Situation auf der koreanischen Halbinsel zu verbessern, dann sollten wir das tun. Wie dies allerdings die Bundesregierung im letzten Jahr begonnen hat - diese kritische Bemerkung müssen Sie mir gestatten -, das, so fand ich, war kein Gipfel der Diplomatenkunst. Denn hier ist Deutschland mit einer völlig unnötigen und zunächst isolierten Anerkennungspolitik vorgeprescht. Ich halte es für richtig, dass man letzten Endes diplomatische Beziehungen zu Nordkorea aufgenommen hat. Aber ausgerechnet die deutsche Bundesregierung hat es sich zu leicht gemacht: Sie hat sich nicht in das Konzert der Europäer eingeordnet, obwohl dies ein klassisches Feld gewesen wäre, auf dem man gemeinsame europäische Politik hätte betreiben können. Sie hat aber auch keine Bedingungen hinsichtlich der Menschenrechte gestellt. Ich meine, wenn wir in Zukunft die Beziehungen zu Nordkorea in irgendeiner Weise intensivieren wollen, dann müssen wir das konditionieren. Es gibt dort die grässlichsten Straflager. Wir verlangen, dass dort internationale Beobachter endlich Zutritt bekommen. ({0}) Wir verlangen, dass für Journalisten und für Diplomaten, aber auch für humanitäre Hilfsorganisationen jegliche Beschränkungen der Freizügigkeit endlich aufgehoben werden. Hier hat man einfach gesagt: „Wir präsentieren euch die Aufnahme diplomatischer Beziehungen auf dem Silbertablett“, ohne dass man irgendwelche Bedingungen gestellt hat. Wenn wir in Nordkorea irgendetwas erreichen wollen, dann müssen wir auch eine gewisse Entschlossenheit und Härte zeigen und dürfen nicht Geschenke machen, die uns dann nicht honoriert werden. ({1}) Das Regime in Nordkorea ist nicht verständigungswillig. Ob es verständigungsfähig ist, ist eine andere Frage. Nur unter internationalem Druck wird es gelingen, dort irgendwelche Fortschritte zu machen. Ich begrüße die Delegation aus Südkorea. Ich wünsche Ihnen alles Gute. Wir leiden mit Ihnen unter der Teilung und wir hoffen, dass es eines Tages gelingen wird, die Teilung zu überwinden, zumindest aber, leichte Fortschritte zu erzielen. Ich danke Ihnen. ({2})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Das Wort hat der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Ludger Volmer.

Not found (Gast)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung begrüßt, dass die Kernanliegen der deutschen Politik gegenüber den beiden koreanischen Staaten und die Richtigkeit der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Nordkorea am 1. März dieses Jahres - dies haben wir übrigens von Anfang an in enger Abstimmung mit den anderen Europäern organisiert - von einem breiten Konsens in diesem Hause getragen werden. ({0}) Die Bundesregierung wird sich im Interesse von Frieden, Stabilität und der Einhaltung der Menschenrechte auf der koreanischen Halbinsel auch in Zukunft mit den EU-Partnern sowie den USA, Japan und Südkorea eng abstimmen. Die Lage dort ist nach wie vor angespannt. Nirgendwo auf der Welt stehen sich auf engstem Raum so viele Streitkräfte gegenüber wie am 38. Breitengrad. Dies stellt ein Krisenpotenzial globalen Ausmaßes dar. Die Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, durch ihre Politik zur Verringerung dieses Potenzials beizutragen. Wesentliches Ziel ist vor allem die Verhinderung der Weiterentwicklung und Proliferation von Massenvernichtungswaffen und Trägersystemen durch Nordkorea. Beim Besuch der EU-Troika unter Leitung des schwedischen Ministerpräsidenten Persson hat die nordkoreanische Regierung Anfang Mai eine dreijährige Verlängerung ihres Raketentestmoratoriums bekannt gegeben und ihre weitere Gesprächsbereitschaft bekundet. Dies ist ein ermutigendes Zeichen. ({1}) Hauptgesprächspartner Nordkoreas in diesen Fragen ist aus Sicht Pjöngjangs aber Washington. Die USA haben ihren mehrmonatigen „policy review“ in Bezug auf Nordkorea Anfang Juni abgeschlossen. Derzeit scheinen die Verhandlungen zwischen den USA und Nordkorea jedoch noch nicht recht vom Fleck zu kommen. Wir werden mit den USA bei den G-8-Treffen in Rom und in Genua auch die Koreapolitik konsultieren und dabei prüfen, ob Deutschland und die EU einen Beitrag dazu leisten können, wieder Bewegung in diesen Verhandlungsprozess zu bringen. ({2}) Ein unberechenbares Nordkorea könnte die gesamte Region gefährden. Die katastrophale wirtschaftliche und humanitäre Situation des fast völlig isolierten Landes könnte zu dieser Unberechenbarkeit beitragen. Das Zerbrechen des Wirtschaftssystems, das auf der die Autarkie betonende Juche-Ideologie beruht, hat für die nordkoreanische Bevölkerung extreme Leiden mit sich gebracht. Diese werden noch verstärkt durch ein lückenloses Überwachungs- und Kontrollsystem, dessen Bedeutung für den Systemerhalt durch die Verschlechterung der Wirtschaftslage steigt. Hinzu kommt, dass die perfekte Weltabgeschiedenheit zu extremer Weltfremdheit geführt hat. Niemand weiß, wie viele Tote der Hunger in den letzten zehn Jahren gefordert hat. Es gibt für die Mehrzahl der Nordkoreaner kaum noch medizinische Versorgung. Durch die Dürre in den letzten Monaten hat die humanitäre Nothilfe für die hungernden Menschen noch an Bedeutung gewonnen. Die Bundesregierung wird sich hier verstärkt engagieren. Aber wir sind der Meinung, dass die Ernährungskrisen in Nordkorea nicht nur durch zyklisch eintretende Katastrophen bedingt sind, ({3}) sondern einer strukturellen Fehlorganisation der Wirtschaft und insbesondere der Landwirtschaft geschuldet sind. ({4}) Wir haben durch die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen unsere Möglichkeiten verbessern können - Herr Kollege Irmer, das war eine Bedingung, die wir explizit daran geknüpft haben; das haben wir im Auswärtigen Ausschuss vorgetragen und gemeinsam diskutiert -, in Zusammenarbeit mit den Mitarbeitern des World Food Programme zumindest in Ansätzen zu kontrollieren, ob Hilfslieferungen die wirklich Bedürftigen erreichen. Auch die Verbesserungen bei der Reisefreiheit für die Angehörigen unserer Botschaft und die Erleichterungen für die Tätigkeit von Vertretern deutscher Medien, denen die nordkoreanische Regierung im Zuge der Verhandlungen über die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zugestimmt hat, werden sich hier positiv auswirken, Herr Irmer. Die ersten Journalisten haben schon das Land bereisen können. Die humanitäre Hilfe kann jedoch nur die ärgsten Auswirkungen der Probleme Nordkoreas mildern; sie kann sie nicht lösen. Wichtig ist vor allem, Nordkorea Schritt für Schritt zur wirtschaftlichen und auch zur politischen Öffnung zu bewegen. Jeder Schritt der Öffnung ist ein Schritt zur Normalisierung. ({5}) Nur so ist zu erreichen, dass in Zukunft mit der nordkoreanischen Führung auch über Themen gesprochen werden kann, zu denen ein sinnvoller Dialog heute erst in Ansätzen möglich ist. Dabei denke ich vor allem an die Menschenrechte. Nordkorea hat bei meinem Besuch in Pjöngjang einem Dialog über die Menschenrechte mit uns zugestimmt. Wir werden diesen Dialog suchen. ({6}) Nur über eine Öffnung Nordkoreas kann auch ein verstärkter wirtschaftlicher Austausch in Gang kommen, der für die Erholung der nordkoreanischen Wirtschaft dringend nötig ist. Die ersten Verhandlungen über ein Investitionsschutzabkommen in Berlin in der vergangenen Woche haben gezeigt, dass selbst die Schaffung der rechtlichen Grundlagen für einen solchen Wirtschaftsaustausch mit Nordkorea außerordentlich schwierig ist. Wichtigster Partner Nordkoreas auf dem Weg zur Normalisierung ist natürlich Südkorea. Im März 2000 hatte der südkoreanische Präsident Kim Dae-jung in seiner „Berliner Erklärung“ hier in der Hauptstadt des wiedervereinigten Deutschlands die Grundzüge seiner „Sonnenscheinpolitik“ gegenüber Nordkorea dargestellt. Die Wahl Berlins für die Abgabe dieser Erklärung war ein Symbol für die besonderen Erwartungen Koreas an Deutschland, die aufgrund der gemeinsamen Erfahrungen mit der Teilung bestehen. Im Ergebnis der Sonnenscheinpolitik entstand auch in der politischen Führung Nordkoreas die Bereitschaft, über erste konkrete Schritte der politischen Annäherung der verfeindeten Nachbarstaaten nachzudenken. Die gemeinsame Erklärung des ersten innerkoreanischen Gipfels vom Juni 2000 war der bisherige Höhepunkt dieser Entwicklung. Es folgten Familienbegegnungen, die Wiedereröffnung der Verbindungsbüros in Panmunjom sowie erste gemeinsame Verkehrsprojekte. Die Bundesregierung hat diese Politik Kim Dae-jungs vom ersten Tag an aktiv unterstützt und wird das auch weiterhin tun, auch und gerade wenn die innerkoreanische Annäherung gegenwärtig stagniert und Rückschläge nicht auszuschließen sind. ({7}) Wir wissen aufgrund unserer eigenen historischen Erfahrung, dass dieser Weg der einzig richtige ist. Wir wissen jedoch auch, wie lang er ist und welche Widerstände überwunden werden müssen. Kollege Pflug hat darauf hingewiesen, worin die Unterschiede zwischen der deutschen und der koreanischen Situation bestehen. Meine Damen und Herren, eine Vielzahl von Aufgaben kommt auf uns hier in Berlin und auf unsere Diplomaten auf dem schwierigen Posten Pjöngjang zu. Es ist gut, dass mit dem vorliegenden Antrag die parteiübergreifende Unterstützung für die von uns und von den Angehörigen der Botschaft umzusetzende Koreapolitik der Bundesregierung dokumentiert wird. Dafür möchte ich Ihnen allen ausdrücklich danken, besonders den Kolleginnen und Kollegen, die durch eigene Reisen zur Intensivierung der Beziehungen beitragen. ({8})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Wolfgang Gehrcke für die PDS-Fraktion.

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dass ich an einer Rede des Kollegen Koschyk im Wesentlichen nichts herumzunörgeln habe, kommt nicht allzu häufig vor. Ich hoffe, dass es dem Kollegen Koschyk nicht peinlich ist. Ich habe jedenfalls kein Problem damit. ({0}) Ich möchte meinerseits unsere südkoreanischen Kolleginnen und Kollegen begrüßen. Ich freue mich sehr über ihren Besuch. Wir haben uns in ihrem Land kennen gelernt, als ich mit Gregor Gysi zusammen Nord- und Südkorea besucht habe. Ich weiß, dass man in ihnen sehr realistische und verlässliche Partner einer auf Entspannung orientierten Politik hat. Wir alle wissen - das braucht man nicht zu wiederholen -, wie kompliziert und belastet die Situation auf der koreanischen Halbinsel noch immer ist. Wer einmal am 38. Breitengrad in Panmunjom war, der wird erkannt haben, dass der Frieden noch sehr fragil ist. Ich weiß gar nicht, ob der Begriff „Friede“ passend ist. Es ist ein Nicht-Krieg oder Noch-nicht-Friede, also eine schwierige Übergangssituation. Ich habe mir bei meinem Besuch vorgestellt, dass die Gebäude und Befestigungen vielleicht einmal so etwas wie ein Museum des Kalten Krieges werden könnten. Hinsichtlich der Frage, ob das allerdings in das Weltkulturerbe der UNESCO aufgenommen wird, bin ich eher skeptisch. Das, was sich dort ausdrückt, ist aber leider ein Erbe unserer Generation. ({1}) Ich glaube, wir sollten sehr viel tun, damit aus diesem Zustand des Nicht-Krieges bzw. Noch-nicht-Friedens so etwas wie ein gesicherter und stabiler Friede wird. ({2}) Deshalb sollten wir den Entspannungsprozess mit dem, was wir können, unterstützen. Wir sollten beiden Staatsführern ermutigend sagen, dass wir Schritte der Begegnung, der menschlichen Kontakte, des Austausches, des Handels - was immer möglich ist - so weit unterstützen, wie es in den Kräften unserer Politik, unseres Landes steht. Notwendig ist es, Ängste abzubauen - da bin ich mir ganz sicher -, und weite Demokratisierung in beiden Ländern einzuleiten und durchzusetzen. Gesetze, die menschliche Kontakte mit Strafe belegen, müssen fallen. Das passt nicht in unser Jahrhundert. ({3}) Wir werden auch ein Verständnis für einen anderen Zeitfaktor, für das Aufeinandertreffen anderer Kulturen zeigen müssen. Was können also die deutschen Interessen sein? Da ich nur noch wenig Zeit habe, nur kurz einige Stichworte. Deutsches Interesse muss sein, zu Frieden und Stabilität beizutragen. Es war im wohl verstandenen deutschen wie internationalen - also auch europäischen - Interesse, die diplomatischen Beziehungen aufzunehmen. Ich möchte ausdrücklich dazu sagen: Ich glaube, dass wir in Sprache und Gestus in hohem Maße ein Fingerspitzengefühl für das entwickeln müssen, was akzeptiert und was nicht akzeptiert werden kann. ({4}) Wir sollten unsere Erfahrungen mit der deutschen Einheit, die wir selbst ja sehr unterschiedlich bewerten, mit unseren koreanischen Freunden teilen. Wir müssen begreifen: Der Prozess in Korea muss von den Menschen auf beiden Seiten beschritten werden. Man kann helfen - es gibt nichts Vergleichbares - und Rat geben, wenn er gefragt ist. Man sollte aber seinen Rat nicht aufdrängen, wenn er nicht erwünscht ist. In einem größeren Maße als wir stehen die Signatarmächte des Waffenstillstandsabkommens in der Verpflichtung, aus dem Waffenstillstand heraus zu einem gesicherten Frieden und einer Kooperation auf der koreanischen Halbinsel zu kommen. Das sollten wir einmal deutlich machen, vor allem auch gegenüber unseren amerikanischen Kolleginnen und Kollegen. Diejenigen, die die besten Beziehungen zu unseren amerikanischen Kolleginnen und Kollegen haben - andere haben sicherlich bessere Beziehungen als ich -, sollten den Verantwortlichen sagen, dass der Prozess in Korea nicht misstrauisch beäugt werden sollte, sondern auch vonseiten der USA gefördert und vorangebracht werden muss. ({5}) Wir sollten ihnen sagen, dass man nichts tun sollte, was die Sicherheit im asiatischen Raum insgesamt gefährden könnte. Meine Redezeit ist abgelaufen; die Frau Präsidentin hat schon das Blinklicht am Rednerpult ausgelöst. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Ich habe auch ganz diskrete Methoden. Ich schließe die Aussprache. - Bevor wir zur Abstimmung kommen, bedanke ich mich noch einmal im Namen aller Kolleginnen und Kollegen des Hauses für Ihr Interesse, liebe Gäste aus Korea. Ich bin mir sicher, dass diese Debatte eine Anregung für Sie war. Erzählen Sie zu Hause, dass wir im Parlament die Freundschaft zu Ihrem Land sehr Ernst nehmen. ({0}) Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des Bündnisses 90/Die Grünen und der F.D.P. auf Drucksache 14/6210 mit dem Titel „Frieden, Stabilität und Einheit auf der koreanischen Halbinsel“. Wer stimmt für diesen Antrag? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist bei einigen Enthaltungen aus der PDS-Fraktion angenommen. Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 9 sowie Zusatzpunkt 9: 9. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Karlheinz Guttmacher, Hans-Michael Goldmann, Horst Friedrich ({1}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P. Mehr Eigentum, mehr private Anbieter und zielgenaue Hilfen zum Strukturwandel am Wohnungsmarkt in den neuen Bundesländern - Drucksache 14/6055 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({2}) Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder Haushaltsausschuss ZP 9 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({3}) zu dem Antrag der Abgeordneten Christine Ostrowski, Gerhard Jüttemann, Rolf Kutzmutz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS Maßnahme-Programm zum wohnungswirtschaftlichen Strukturwandel in den neuen Ländern vorlegen - Drucksachen 14/6051, 14/6565 Berichterstattung: Abgeordneter Norbert Otto ({4}) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner ist der Kollege Dr. Karlheinz Guttmacher für die F.D.P.-Fraktion.

Dr. Karlheinz Guttmacher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000754, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die hohen, flächendeckenden Wohnungsleerstände in den neuen Bundesländern sind sowohl das Ergebnis der noch nicht bewältigten Erblasten der DDR ({0}) als auch des wirtschaftlichen Strukturwandels in den neuen Bundesländern, der sich schwieriger gestaltet, als wir dies noch vor zehn Jahren geglaubt haben. Besonders die fehlenden Arbeitsplätze in den neuen Bundesländern führen dazu, dass es dort zu einem Rückgang der Bevölkerungszahl kommt. So wohnen nicht mehr 16,7 Millionen, sondern nur noch 15,2 Millionen Menschen in den neuen Ländern. Heute stehen auf dem dortigen Wohnungsmarkt 1 Million Wohnungen leer. Dieser Markt ist gekennzeichnet durch zu wenige kleine, private Vermieter sowie zu wenige Eigentümer mit selbst genutztem Wohneigentum. ({1}) Allein die bei dem GdW erfassten 380 000 leer stehenden Wohnungen führen zu einem jährlichen Mietausfall von 1,6 Milliarden DM, die der Wohnungswirtschaft, aber auch vor allem der Bauwirtschaft dringend fehlen. Die F.D.P. fordert in ihrem Antrag, der heute hier vorgelegt wird, erneut eine Strukturhilfe für die Wohnungswirtschaft Ost. ({2}) Die Altschulden für dauerhaft leer stehende Wohnungen oberhalb von 5 Prozent des Bestandes müssen bei Vorlage eines wohnungswirtschaftlichen Konzeptes in Absprache mit den Kommunen grundsätzlich gestrichen werden. ({3}) Dringend notwendig erscheint uns auch, dass die Städtebaufördermittel des Bundes und der Länder sowie das Programm „Soziale Stadt“ mit einem Schwerpunkt zur Wohnumfeldverbesserung und -gestaltung aufgestockt werden. Dieser Städtebaustrukturansatz, den wir bereits im März auf dem von GdW und Deutschem Städtetag in Leipzig veranstalteten Kongress zum Wohnungsleerstand vorgestellt haben, fand große Zustimmung. ({4}) Ebenso wurde unsere Vorstellung einer Öffnung des Wohnungsmodernisierungsprogramms der KfW für strukturverbessernde Maßnahmen im Wohnumfeld im Zusammenhang mit einem städtebaulichen Konzept der Kommunen von der Wohnungswirtschaft als dringend notwendig angesehen. ({5}) Wenn wir den dringenden Aufgaben nachkommen wollen, die Wohnungswirtschaft und damit den Wohnungsmarkt wieder in Ordnung zu bringen, dann halten wir die Neuauflage des sozialen Wohnungsbaus durch die Bundesregierung für kontraproduktiv. Mein Kollege Goldmann hat unlängst in einer wohnungspolitischen Debatte die Meinung der F.D.P. zu diesem Thema vorgetragen. Dringend notwendig wäre es, die Wohnungsnachfrage wirtschaftlich zu stärken. Wir haben in den neuen Bundesländern einen großen Überhang an Wohnungen, aber keine entsprechende Nachfrage. Zur Erleichterung des Strukturwandels müssen wir in der Fiskalpolitik auch den Mut haben, Sonderregelungen wie die befristete Befreiung von der Grunderwerbsteuer, die ausschließlich der Strukturbereinigung dienen, bei Verkäufen zuzulassen. Die F.D.P.-Fraktion sieht sich in ihrer zügigen und konstruktiven Mitarbeit zur Verbesserung der Wohnungswirtschaft durch das in den letzten Tagen von der Bundesregierung aufgelegte Programm zur Umsetzung des wohnungswirtschaftlichen Strukturwandels in den neuen Bundesländern in vollem Maße bestätigt. ({6}) Die Finanzierung des 300 Millionen DM schweren Regierungsprogramms ist allerdings eine Mogelpackung; dabei bleiben wir. So sollen 100 Millionen DM Städtebaufördermittel, die bereits jetzt für strukturverbessernde Maßnahmen vorgesehen sind, in dieses angebliche Sonderprogramm eingebracht werden. ({7}) Weitere 100 Millionen DM sollen aus der Gemeinschaftsaufgabe - aus Mitteln, die in diesem Jahr, aus welchem Grunde auch immer, nicht abfließen - für die nächsten drei Jahre gebunden werden, um sie in dieses Programm aufzunehmen. ({8}) So werden lediglich 100 Millionen DM zusätzlich eingebracht. Das Programm zum wohnungswirtschaftlichen Strukturwandel in den neuen Bundesländern muss unserer Meinung nach aber mit mindestens 300 Millionen DM jährlich zusätzlich ausgestattet werden. ({9}) Auch fordert die F.D.P. ein Programm im Umfang von 1 Milliarde DM - mit Mitteln aus dem Erblastentilgungsfonds; schließlich geht es um den Abbau von Erblasten aus der DDR. So wie beim Altschuldenhilfe-Gesetz kann die Bundesregierung die Wohnungswirtschaft nicht noch einmal im Regen stehen lassen. Mit dem unzureichend finanzierten Strukturprogramm der Bundesregierung ist es so, als ob man einem Ertrinkenden eine Badehose zuwirft. Damit ist der Wohnungswirtschaft Ost nicht geholfen, sie braucht Boden unter den Füßen. ({10})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die SPD-Fraktion spricht die Kollegin Iris Gleicke.

Iris Gleicke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000687, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich würde mich freuen, wenn wir uns über alle Parteigrenzen hinweg darauf verständigen würden, dass der Stadtumbau Ost eine nationale und damit gesamtdeutsche Aufgabe ist. ({0}) Es geht darum, eine Krise zu meistern, die vielfältige Ursachen hat. Wir müssen verhindern, dass aus dieser Krise eine Katastrophe wird, denn der Leerstand im Osten hat schon jetzt verheerende Folgen für die Entwicklung der Städte und ihrer Quartiere. Wenn der schöne Satz stimmt, dass in jeder Krise eine Chance steckt und diese Chance darin besteht, aus Fehlern der Vergangenheit zu lernen, können wir aus der Leerstandskrise eine ganze Menge für die Zukunft lernen. Auch die F.D.P. könnte eine Menge lernen, denn ihr Antrag ist leider gänzlich frei von jeder Selbstkritik. Sie formulieren rosa wolkig, dass in der Vergangenheit notwendigen Investitionen im Zweifel Vorrang vor ungeklärten Rückgabeansprüchen eingeräumt worden sei. Dabei weiß zumindest im Osten jeder - Herr Guttmacher, Sie wissen es auch -, was das Prinzip „Rückgabe vor Entschädigung“ trotz aller Vorranggesetze angerichtet hat, und zwar wahrlich nicht nur beim Wohnungsbau. ({1}) Auch Ihre Ausführungen zum Altschuldenhilfe-Gesetz sind, freundlich formuliert, eher beschönigend als erhellend. Herr Kollege Guttmacher, wir sind beide 1990 in den Bundestag gewählt worden. Ich finde es zum Teil fast erheiternd, was Sie zum Altschuldenhilfe-Gesetz gesagt haben. Man denke nur daran, wie sich seinerzeit Ihre Ministerin geziert hat, überhaupt einer Altschuldenhilferegelung für die Wohnungen im Osten zuzustimmen. Herr Guttmacher, das Altschuldenhilfe-Gesetz ist damals im Rahmen des Solidarpakts durch die SPD-Länder eingebracht worden. Das ist die Wahrheit. ({2}) Nach Erklärungen für die Ursachen des hohen Wohnungsleerstandes in Ostdeutschland sucht man in Ihrem Antrag vergebens. Da ist nur die Rede von nicht näher erläuterten Strukturproblemen. Das klingt ein bisschen, als seien Sie zwischen 1990 und 1998 nicht dabei gewesen. Wir können aus der Leerstandskrise eine Menge lernen. Wir können daraus lernen, die Fehler der Vergangenheit künftig zu vermeiden. Damit meine ich nicht nur städtebauliche Sünden, sondern auch eine teilweise verfehlte Subventions- und Förderpolitik sowie schwerwiegende Fehler beim Umgang mit den Altschulden der ostdeutschen Wohnungswirtschaft. Der Leerstand eröffnet darüber hinaus die Chance einer wirklichen Umgestaltung der ostdeutschen Städte. Beim Stadtumbau geht es nämlich nicht nur darum, zu entscheiden, ob wir mit Dynamit oder mit der Abrissbirne arbeiten. Der Stadtumbau ist auch keine Konjunkturspritze für die daniederliegende Bauwirtschaft, obwohl diese zweifellos davon profitieren wird. Der Stadtumbau ist auch kein Arbeitsbeschaffungsprogramm nach dem Motto, das wir zu DDR-Zeiten hatten: Wir bauen auf, wir reißen nieder - Arbeit gibt es immer wieder. - So kann es auch nicht sein. Was wir mit dem Stadtumbauprogramm erreichen müssen, ist mehr Lebensqualität für Ostdeutschland, sind lebenswerte Städte ohne hässliche Ruinen und mit einem spürbar verbesserten Wohnumfeld, ({3}) ist eine kinder- und familienfreundliche Gesamtstruktur mit kurzen Wegen von der Wohnung zur Arbeit, sind attraktive, lebendige Innenstädte. Die Bundesregierung ist bis jetzt beileibe nicht untätig gewesen. Schon jetzt sind wichtige Rahmenbedingungen für die Erarbeitung von Lösungskonzepten zur Strukturanpassung geschaffen worden. Das darf ich an dieser Stelle auch einmal sagen: Ich danke dem Parlamentarischen Staatssekretär Achim Großmann für sein anhaltendes Engagement für die neuen Bundesländer. ({4}) Eine der wichtigsten Maßnahmen war die Novellierung des Altschuldenhilfe-Gesetzes, mit der die notwendige Rechts- und Planungssicherheit für die ostdeutschen Wohnungsunternehmen hergestellt wurde. Insbesondere die Verordnung zur Härtefallregelung des § 6 a des Altschuldenhilfe-Gesetzes ermöglicht eine spürbare finanzielle Entlastung all der Wohnungsunternehmen, die Altschuldenhilfe erhalten haben und die aufgrund erheblicher Leerstände in ihrer wirtschaftlichen Existenz gefährdet sind. ({5}) Es ist wichtig und es ist richtig, dass wir diesen Wohnungsunternehmen helfen. Allein im Rahmen des § 6 a des Altschuldenhilfe-Gesetzes können 700 Millionen DM Bundesmittel zur Tilgung von Altkrediten für die vom Markt genommenen Wohnungen in Anspruch genommen werden. ({6}) Die Bundesregierung wird darüber hinaus die notwendigen finanziellen Mittel für den Stadtumbau zur Verfügung stellen. Das ist, wie Sie alle wissen, beschlossene Sache. In den kommenden drei Jahren sind dies jeweils 300 Millionen DM. Dabei erwartet der Bund - das, finde ich, zu Recht -, dass die Länder diese Mittel komplementieren und sich hier mit engagieren, denn dies ist eine Aufgabe, die gesamtdeutsch, gesamtstaatlich geleistet werden muss. ({7}) Mit diesem Programm stehen den ostdeutschen Gemeinden einschließlich der Komplementärfinanzierung von 2002 bis 2004 insgesamt 1,8 Milliarden DM zur Verfügung. Das Programm soll nach 2004 fortgesetzt werden. Das bedeutet zum einen Geld für den von der Leerstandskommission geforderten notwendigen Abriss von rund 350 000 Wohnungen, den man von mir aus auch vornehmer als Rückbau bezeichnen kann. Ich halte es allerdings mehr mit den Vokabeln, die sagen, was da ist. Das bedeutet zum anderen, dass die besonders wichtigen und für das urbane Leben wertvollen Altbauten saniert werden können, die jetzt zum Teil schlicht unbewohnbar sind. Die Städte müssen insgesamt gestärkt werden und auch dafür wird Geld zur Verfügung stehen; denn eine der Hauptursachen für den Wohnungsleerstand liegt in der Abwanderung ins Umland, im Neubau auf der grünen Wiese. Die Menschen wandern ins Umland ab, weil die Städte nicht attraktiv genug sind. Mit wachsendem Leerstand werden die Städte noch unattraktiver. ({8}) Dadurch nimmt die Abwanderung weiter zu. Das schaukelt sich immer weiter hoch. Es freut mich, dass wir da offensichtlich einer Meinung sind, Herr Kollege Guttmacher. ({9}) Deshalb müssen die Städte insgesamt aufgewertet werden. Das bedeutet Anpassung der städtischen Infrastruktur, Wiedernutzung freigelegter Flächen und Restaurierung von Gebäuden, die das Stadtbild prägen. Ich mache auf zwei weitere wichtige Programme aufmerksam: zum einen auf das Programm „Soziale Stadt“, zum anderen auf das Wohnraummodernisierungsprogramm der KfW. Beide haben eine wichtige Funktion, das eine im Hinblick auf die Stadtteile, das andere im Hinblick auf die Sanierung des Wohnungsbestandes. Die Menschen erleben damit nicht nur, dass leer stehende Gebäude abgerissen werden, sondern auch, dass etwas Neues, Besseres entsteht. Das ist für das Lebensgefühl der Betroffenen von besonderer Bedeutung. ({10}) Wenn das Stadtumbauprogramm gelingt - davon bin ich überzeugt -, wird es eine echte Pilot- und Vorbildfunktion auch für den Westen der Republik übernehmen können; denn das Leerstandsproblem ist kein reines Problem des Ostens. Auch in den alten Bundesländern entsteht zunehmend Wohnungsleerstand. Wenn der Stadtumbau Ost gelingen soll, müssen die Städte hierfür schlüssige Gesamtkonzepte entwickeln. Gefordert sind die Kreativität und Fantasie aller Beteiligten. Ich wünsche uns auf diesem Weg viel Erfolg. ({11})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die CDU/CSUFraktion spricht jetzt der Kollege Norbert Otto.

Norbert Otto (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001668, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Bundestag beschäftigt sich heute zum wiederholten Male mit der Problematik der Wohnungswirtschaft und speziell mit der Wohnungssituation in den neuen Ländern. Das ist ein Zeichen dafür, welche Bedeutung wir dieser Thematik beimessen. Lieber Kollege Guttmacher, liebe Iris Gleicke, im Grunde genommen sind wir ganz dicht beieinander. Die von Kollegin Gleicke geschilderte Zielstellung ist auch unsere. Es gibt nur einen einzigen Knackpunkt - zu ihm komme ich noch -, der uns hinsichtlich der Zielstellung leider trennt. Ich bin ebenso wie Iris Gleicke und Karl Guttmacher seit 1990 dabei und bin stolz darauf. Wir können auf die Entwicklung auch wirklich stolz sein, die wir im Bereich des Wohnungswesens zu verzeichnen haben. Nur wer blind ist, sieht nicht, was sich in unserem Lande, in unseren Städten getan hat: Ganze Stadtteile wurden saniert, Innenstädte vor dem Verfall gerettet und historische Bausubstanz entstand in alter Schönheit. Fielen 1991 noch die wenigen sanierten Häuser auf, so fallen heute die wenigen unsanierten Bauruinen auf. Das mag zwar nicht überall so sein, aber in Thüringen, zum Beispiel in Erfurt, kann Ihnen das unter Beweis gestellt werden. ({0}) - Oder nach Schleusingen. Wir können mit Stolz auf die Erfolge zurückblicken, deren Grundlage wir in vielen Bereichen zum Teil im großen Dialog überparteilich gelegt haben. In diesem Zusammenhang nenne ich ausdrücklich den Kollegen Achim Großmann. Wie wir alle wissen, gibt es aber nicht nur die positive Entwicklung auf dem Wohnungsmarkt. ({1}) Sprachen wir noch 1990 von einer Wohnungsnot in den neuen Ländern, so gibt es jetzt mehr als 1 Million leer stehende Wohnungen. 1991 betrug die Leerstandsquote in den neuen Ländern 2 Prozent; das waren die nicht bewohnbaren Wohnungen. Nunmehr liegt die Leerstandsquote bei durchschnittlich über 14 Prozent. Die Ursachen dafür sind vielfältig: der Bevölkerungsrückgang, die Wanderung von Ost nach West, aber auch die Sanierung und der Wiederbezug von ehemals unbewohnbaren Stadtvierteln insbesondere in den Innenstädten. Ich erinnere in diesem Zusammenhang daran, dass am Ende der DDRÄra viele Innenstädte aufgrund der schlechten Bausubstanz entvölkert waren. Diese Innenstädte werden jetzt langsam, aber sicher wieder bewohnt. Die Leerstände in den neuen Ländern führen zu erheblichen Problemen, die letztlich einen generellen Strukturwandel in der Wohnungswirtschaft, aber auch in der Stadtplanung nach sich ziehen müssen. Die wirtschaftliche Lage der Wohnungsunternehmen ist zum Teil katastrophal. Die soziale Situation in mancherorts nur noch teilweise bewohnten Gebieten spitzt sich zu. Leer stehende Gebäude verleiten zu Vandalismus. Dieser trägt wiederum zur weiteren Entvölkerung von noch bewohnten Gebäuden bei. Das ist ein Dominoeffekt, den wir unterbrechen müssen. ({2}) Im Auftrag der Bundesregierung wurde die bekannte Expertenkommission zum wohnungswirtschaftlichen Strukturwandel in den neuen Ländern eingesetzt. Diese Kommission hat ihren Bericht vorgelegt. Eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe hat sich mit ihm beschäftigt und entsprechende Konsequenzen vorgeschlagen. Auch die Bauministerkonferenz hat hierzu Beschlüsse gefasst. Deren Kernstück ist, dass die Finanzhilfen des Bundes zur Förderung des Stadtumbaus erhöht und nicht zulasten anderer bereits laufender Programme gehen. Dies ist aber nach der jetzigen Finanzplanung der Bundesregierung vorgesehen. Genau das ist der Knackpunkt, den ich vorhin ansprach. Das neue Stadtumbauprogramm Ost soll durch Einschnitte bei der Städtebauförderung und der Gemeinschaftsaufgabe Ost finanziert werden. Traurige Tatsache ist auch, dass die bereitgestellten Mittel bei weitem nicht ausreichen. Die Bund-Länder-Arbeitsgruppe - also nicht die Opposition - hat festgestellt, dass mit der jetzigen Finanzausstattung 85 000 Wohnungen vom Markt genommen werden können. Angesichts des Leerstandes im Umfang von 1 Million Wohnungen kann man sich ausrechnen, welchen Zeitraum wir dafür benötigen. ({3}) Es kommt aber noch schlimmer. Im Vergleich von 1998 zu 2001 sind die Finanzhilfen für den sozialen Wohnungsbau, für die Städtebauförderung und für den Titel „Soziale Stadt“ gesunken. 1998 waren das noch 1,9 Milliarden DM; im Jahr 2001 sind es noch 1,2 Milliarden DM. Bezogen auf die neuen Länder entspricht dies einem Rückgang von 1 Milliarde DM auf 735 Millionen DM. Wir sind sehr gespannt, welche konkreten Programme die Bundesregierung nunmehr auf der Grundlage der Empfehlung der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur wirksamen Bekämpfung des Wohnungsleerstandes und des Stadtumbaus vorlegen wird. Das bisher Bekannte ist jedenfalls nicht ausreichend, wenngleich es in die richtige Richtung geht. ({4}) Der notwendige wohnungswirtschaftliche Strukturwandel in den neuen Bundesländern kann sich natürlich nicht allein auf die Leerstandsproblematik beziehen. In manchen Städten wird es sicherlich zu erheblichen Strukturveränderungen kommen. Leere Plattenbaugebiete an den Stadträndern müssen durch eine attraktive Gestaltung des Umfelds und eine gute Infrastruktur aufgewertet und somit für neue Mieter attraktiv gemacht werden. Demgegenüber sind auch in Zukunft leer stehende Wohngebäude inklusive der Infrastruktur zurückzubauen. Es hat zum Beispiel keinen Zweck, in solche Gebiete noch eine Straßenbahn- oder Buslinie fahren zu lassen oder große Abwasserkanäle zu haben. ({5}) Wichtig ist auch ein vernünftiger Mix des Wohnungsbestandes aus Sozialwohnungen, Wohnungen des freien Wohnungsbaus und selbstgenutztem Wohneigentum. Gerade im Bereich des privaten Eigentums gibt es in den neuen Ländern noch erheblichen Nachholbedarf. Einer Eigentumsquote West von 43 Prozent steht eine Quote Ost von 31 Prozent gegenüber. Es ist nicht verständlich, dass es Absichten gibt, die Eigenheimförderung zu reduzieren. Die Bürgerinnen und Bürger in den neuen Ländern haben genauso wie diejenigen in den alten den Wunsch, in einem schönen Eigenheim zu wohnen. ({6}) Wir werden deshalb alle Vorschläge ablehnen, die auf eine Verschlechterung der Eigentumsförderung abzielen. ({7}) Ebenso lehnen wir eine Reduzierung des Eigenheimneubaus zugunsten des innerstädtischen Bauens ab. Allerdings sollten die Rahmenbedingungen für das Bauen in der Innenstadt verbessert werden. Wer sieht, was sich manche städtischen Baubehörden einfallen lassen, der ist nicht verwundert, wenn manche Investoren Reißaus nehmen und auf der grünen Wiese vor der Stadt anstatt in der Stadt selbst investieren. Wir wollen nicht nach hinten schauen. Aber ich spreche jetzt die Regierungsfraktionen an: Ich möchte Sie an die Forderungen erinnern, die Sie 1998 aufgestellt haben, als Sie noch in der Opposition waren. Sie forderten von der damaligen Bundesregierung mehr Mittel. Wenn diese heute auf dem Tisch liegen würden, wären wir zufrieden. Ihre genauen Forderungen von damals können Sie in den Ausschussprotokollen sicherlich nachlesen. Erinnern Sie aber vor allen Dingen Bundeskanzler Schröder an die Chefsache Ost und sein Versprechen vor der Wahl, die Förderung der Wohnungswirtschaft zu verdreifachen und den sozialen Wohnungsbau wieder zu einem schlagkräftigen Instrument zu machen. Im Interesse der Bürgerinnen und Bürger in den neuen Ländern hoffe ich, dass wir am Ende dieser Legislaturperiode feststellen können: versprochen und gehalten. Ansonsten, liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition, müssen Sie ein wohnungspolitisches Fiasko in den neuen Bundesländern verantworten. Vielen Dank. ({8}) Norbert Otto ({9})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Die nächste Rednerin ist die Kollegin Franziska Eichstädt-Bohlig für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.

Franziska Eichstädt-Bohlig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002643, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal finde ich es sehr gut, dass sich alle Fraktionen einig sind, dass gehandelt werden muss, ({0}) und anerkennen - auch das habe ich mehr oder weniger herausgehört -, dass die Koalition, die Regierung und vor allem Achim Großmann wirklich handeln. Wir sollten jetzt nicht polemisch Pingpong spielen. Danach ist mir nicht zumute. ({1}) Wenn ich am F.D.P.-Antrag trotzdem einiges kritisiere, dann tue ich das nicht, um besserwisserisch zu sein, sondern weil ich es für wichtig halte, dass wir in der Problembeschreibung sehr aufpassen, damit wir bei der Lösung nicht alte Fehler wiederholen. Von daher finde ich - das sage ich bewusst ohne Polemik -: Es ist an der Zeit, dass wir einige falsche Weichenstellungen der 90er-Jahre ernsthaft aufarbeiten. Bei aller Anerkennung - das sage ich genauso wie Kollege Otto - der Leistungen und der Errungenschaften - das sollten wir nicht klein reden, damit bin ich absolut d’accord - müssen wir bestimmte Fehler, wie etwa die Regelung: Rückgabe vor Entschädigung, bedenken. ({2}) - Doch, Kollege Guttmacher. Ich nenne diesen Punkt deswegen, weil wir gerade jetzt einen extrem hohen Leerstand bei Altbauten haben. Er hat damit zu tun, dass damals beim Eigentumsrecht die Weichen so gestellt worden sind. ({3}) Ich sage das ohne Polemik: Eine solche Einheit macht man nur einmal. Aber es ist wichtig, dass wir richtig an die Ursachen herangehen. ({4}) Ein zweiter Punkt in Ihrem Antrag, der mir wichtig ist, ist, dass Sie stark die Eigentumsorientierung betonen - der Kollege Otto hat vorhin auf Eigentum an Neubauten abgestellt -, ohne den Zusammenhang zwischen der Leerstandsproblematik und der wachsenden Stadt-Umland-Wanderung zu thematisieren. Auch dies ist ein Punkt, zu dem wir alle keine Lösung haben und keinen Joker aus dem Ärmel ziehen können. Hieran müssen wir sehr ernsthaft arbeiten. Das werden wir nicht in dieser Legislaturperiode schaffen. Das wird uns in der nächsten Legislaturperiode weiter beschäftigen. In dieser Problematik müssen wir Schritt für Schritt umsteuern, damit wir zu mehr Bestandseigentum kommen. Kollege Otto, Sie haben vorhin so nett gesagt: Sie wünschen sich, dass die Bürger Ost das gleiche Recht haben, in einem schönen Neubau zu wohnen. Ich wünsche den Bürgern Ost, dass sie das Recht und die Möglichkeit haben, in einem schönen alten, sanierten Fachwerkbau zu wohnen. ({5}) Auch das gehört für mich dazu. Das ist ökologisch und städtebaulich und strukturell eine gute Lösung. Ich freue mich, dass Sie hierzu nicken. ({6}) Wir bekommen diese Probleme nicht so einfach in den Griff. Es ist sehr viel getan worden - nicht nur während der Arbeit der Expertenkommission. Iris Gleicke hat darauf hingewiesen, dass es im vorigen Jahr nicht einfach war, den § 6 a des Altschuldenhilfe-Gesetzes zu ändern und die 700 Millionen DM zur Härtefallregelung für von der Altschuldenhilfe betroffene Wohnungsunternehmen auf den Weg zu bringen. Natürlich ist es einfacher, als Opposition mehr Geld zu verlangen, während die Regierung und die Koalitionsfraktionen die Kassen eines hoch verschuldeten Staates im Auge behalten müssen. Auch hier, denke ich, sollten wir das Maß für das Mögliche fair aushandeln. ({7}) - Ich habe jetzt wirklich keine Lust, darauf einzugehen. Wir alle wissen, dass der Osten im Hinblick auf die Verschuldung eine große Rolle spielt. Das ist nun einmal so. Ich wünsche mir bei diesem Thema einfach sehr viel Gemeinsamkeit. Ich möchte - da meine Redezeit gleich zu Ende ist - nur noch kurz auf ein paar wichtige Punkte hinweisen. Es ist so weit, dass wir Ihre zentrale Forderung nach einem Programm erfüllen und dafür 900 Millionen DM in drei Jahren zur Verfügung stellen. Sie haben Recht, wenn Sie sagen, dass das teilweise umfinanziert sei. Aber teilweise handelt es sich auch um „fresh money“. ({8}) - Okay, aber es ist doch egal, ob man das auf Deutsch oder Englisch sagt. - Ich finde es wichtig, dass damit den Ländern und Kommunen ein wichtiger Impuls gegeben wird und ihnen die bundespolitischen Instrumente, mit denen sie wirklich handeln können, an die Hand gegeben werden. Ich halte es auch für einen sehr wichtigen Baustein, dass wir das 16-Millionen-DM-Programm für Wettbewerb im Osten auf den Weg bringen, damit die Kommunen gute Konzepte bekommen. Des Weiteren gibt es KfW-Kredite für den Abriss von Gebäuden. Außerdem wird intensiv an der Veränderung der Investitionszulage in Richtung mehr Selbstbehalt und Anhebung der Kostenobergrenze bei entsprechenden Erneuerungsmaßnahmen gearbeitet. Auch das wird, glaube ich, ein sehr wichtiger Punkt sein. Lassen Sie mich als Letztes etwas zur Änderung der Eigenheimzulage sagen. Ich meine - ich befinde mich hier in einem Zwiespalt -, dass es sehr schwierig werden wird, sie noch in dieser Legislaturperiode ostspezifisch zu ändern. Ich glaube, wir müssen akzeptieren - so sehr ich das Problem sehe -, dass wir erst in der nächsten Legislaturperiode eine umfassende Novelle der Eigenheimzulage auf den Weg bringen können, und zwar genau aus diesem Grund, den Iris Gleicke genannt hat: Wir sollten nicht denken - auch wenn die momentane Situation im Osten sehr dramatisch ist und dort schnell gehandelt werden muss, weil sonst die Wohnungsbauwirtschaft tatsächlich zusammenbrechen wird und die Städte auseinander brechen werden; die Beschreibung der sozialen Situation war ja richtig -, dass der Westen angesichts von stagnierendem oder sogar rückläufigem Bevölkerungswachstum in einer Reihe von Städten und Regionen nicht vor ähnlichen Problemen wie der Osten steht. Der Westen muss vom Osten lernen, wie man mit solchen Problemen umgeht. Daher ist es gut, wenn wir das als gesamtdeutsche Aufgabe betrachten und wenn wir entsprechend an die Arbeit gehen. Die Instrumente sind vom Bund schon weitgehend vorbereitet. Ein paar Hausaufgaben müssen noch in diesem Sommer erledigt werden. Dann sollten wir alle in die Hände spucken, die Ärmel hochkrempeln und auf der Ebene der Länder, der Kommunen und der Wohnungswirtschaft konkret beginnen, und zwar gemeinsam und ohne Besserwisserei. Ich danke schön. ({9})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Die letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin Christine Ostrowski für die PDS-Fraktion.

Christine Ostrowski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001662, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Guttmacher, 1 Million leer stehende Wohnungen waren es noch vor einem Jahr. Heute hat sich die Anzahl bereits erhöht. In diesem einen Jahr hat es, von Einzelfällen einmal abgesehen, keine Marktbereinigung auf dem ostdeutschen Wohnungsmarkt gegeben. Frau Gleicke, von den 700 Millionen DM für die Härtefallregelung - in diesem Jahr sollten es 60 Millionen DM sein - ist nicht eine müde Mark geflossen. Das ist zunächst einmal der Stand. Das liegt schlicht und ergreifend an der Politik. Das möchte ich festhalten. Insofern freue ich mich sogar über den F.D.P.-Antrag, weil er Anlass gibt, das Problem im Bundestag wieder einmal zu thematisieren. Ich muss Ihnen allerdings sagen, dass Ihr Antrag ein merkwürdiges Gemisch aus richtigen Forderungen und falschen Einschätzungen ist und keine inhaltliche Stringenz aufweist. Da meine Redezeit nur drei Minuten beträgt, möchte ich punktuell nur auf die richtigen Forderungen eingehen. Das ist zum Beispiel die Forderung nach Streichung der Altschulden auf leer stehenden Wohnungen. ({0}) - Sie können mir eine Zwischenfrage stellen. Ich wäre dafür sehr dankbar. ({1}) - Schade. ({2}) Die Streichung der Altschulden haben wir schon sehr lange gefordert. Schön, dass Sie unsere Forderung aufgegriffen haben. Des Weiteren fordern Sie ein Strukturprogramm. Auch das haben wir schon lange gefordert. Die Forderung nach Befreiung von der Grunderwerbsteuer ist ein alter Hut. Das können Sie auch bei uns nachlesen. Wichtiger als Ihr Antrag, der sowieso nicht angenommen werden wird, scheint mir aber das Stadtumbauprogramm der Bundesregierung zu sein. Darüber sind hier schon viele lobende Worte gemacht worden. Selbst ich - dazu habe ich mich immerhin durchringen können - habe vorhin zweimal in die Hände geklatscht, Herr Staatssekretär, weil es besser als nichts ist. Aber bisher sind sozusagen nur Oberflächlichkeiten genannt worden. Ich möchte Ihnen die Fakten nennen, die hier noch nicht zur Sprache kamen. ({3}) Erstens. Der Bund gibt 300 Millionen DM, und zwar über drei Jahre, zusammen 900 Millionen DM. ({4}) Den Rest bis zu 2,25 Milliarden DM zahlen Länder und Kommunen. Das heißt, auch die finanzschwachen ostdeutschen Kommunen sollen das zahlen. Zweitens. Das Geld kommt zu zwei Dritteln von Mitteln der Städtebauförderung und der Gemeinschaftsaufgabe. Da beißt sich die Katze in den Schwanz; denn Städtebauförderung und Gemeinschaftsaufgabe sind nun gerade Fördertöpfe, mit denen verhindert werden soll, dass die Städte entvölkert werden, die dazu beitragen sollen, die Städte zu beleben. ({5}) Wenn ich Geld daraus nehme, um den Wohnungsmarkt zu bereinigen, dann, denke ich, mache ich etwas falsch. ({6}) Drittens. Ein Teil dieses Geldes, Frau Gleicke - niemand weiß, wie viel -, ist für den Abriss vorgesehen, nämlich 100 DM pro Quadratmeter. Weil aber 100 DM pro Quadratmeter nicht reichen, müssen die Wohnungsunternehmen Kredite aufnehmen. Deshalb wird ein Kreditfinanzierungsprogramm der KfW aufgelegt. Nun sind aber die Wohnungsunternehmen bis zur Halskrause verschuldet. ({7}) Da muss ja wohl die Frage erlaubt sein, ob man die Wohnungsunternehmen überhaupt noch mit neuen Krediten belasten kann. Nun kommt das Allerwitzigste. In der Öffentlichkeit wird es immer so dargestellt, als ob man die ersten 300 Millionen DM im nächsten Jahr einsetzen könne, etwa nach dem Motto: Jetzt haben wir 300 Millionen DM, jetzt können wir schön umbauen und abreißen. - Mitnichten! Im nächsten Jahr stehen gerade mal 5 Prozent bereit. Das sind 15 Millionen DM Barmittel, Frau Gleicke. Während dieser Zeit werden die Wohnungsleerstände weiter steigen. Um noch einmal das Verhältnis darzustellen: Der Bund gibt 900 Millionen DM. Lassen Sie mich dazu bitte aus dem Gutachten der Expertenkommission zitieren. Da heißt es: Alle ostdeutschen Vermieter haben erstens Mietausfälle jährlich - jährlich! - in Höhe von 2,2 Milliarden DM und zweitens die gleich hohe Belastung durch Kredite, die auf den Wohnungen liegen. - Das heißt, die ostdeutschen Vermieter haben es mit Belastungen in Höhe von insgesamt 4 Milliarden DM zu tun und der Bund gibt 900 Millionen DM. - Das nur zur Verhältnismäßigkeit der Mittel. ({8}) Wie ich vorhin voller Interesse mitbekommen habe, entspricht der Betrag, 900 Millionen DM, dem, was für die Binnenschifffahrt zur Verfügung gestellt wird. Das ist hochinteressant. ({9}) Ich komme sofort zum Schluss, Frau Präsidentin. Ich will noch etwas zur Bedeutung dieses Themas hier im Bundestag sagen. Dazu zähle ich nur auf: Die PDS-Fraktion hat zu dem Problem „Wohnungsleerstand Ost“ insgesamt elf Gesetze und Anträge eingebracht; die mächtige CDU/CSU-Fraktion hat sich zu zwei schlappen Anträgen durchgerungen, ({10}) die F.D.P.-Fraktion ebenfalls zu zwei schlappen Anträgen und die Fraktionen der Regierungskoalition haben eine einzige parlamentarische Initiative eingebracht, ({11}) nämlich die von der Regierung übernommene Novelle des Altschuldenhilfe-Gesetzes. - Das sind die Fakten. ({12})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 14/6055 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Sie sind, wie man sieht, damit einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir kommen jetzt zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen auf Drucksache 14/6565 zu dem Antrag der Fraktion der PDS mit dem Titel „Maßnahme-Programm zum wohnungswirtschaftlichen Strukturwandel in den neuen Ländern vorlegen“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/6051 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen der PDS-Fraktion angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung des Magnetschwebebahnbedarfsgesetzes - Drucksache 14/5067 ({0}) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({1}) - Drucksache 14/6500 Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Winfried Wolf Dazu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/6554 vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Erster Redner ist für die SPD-Fraktion der Kollege Reinhold Hiller.

Reinhold Hiller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000901, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die SPD-Bundestagsfraktion stimmt dem heute vorliegenden Gesetzentwurf der Regierung zur Aufhebung des Magnetschwebebahnbedarfsgesetzes zu ({0}) und lehnt gleichzeitig den von den Unionsfraktionen dazu eingebrachten Entschließungsantrag ab. Der Gesetzentwurf der Regierung ist notwendig. Wegen der Grundsatzvereinbarung zum Transrapid vom 5. Februar 2000 haben sich die Bundesregierung, die Bahn AG, Thyssen Krupp und Daimler-Chrysler Rail Systems darauf verständigt, die Magnetschnellbahnstrecke Hamburg-Berlin nicht mehr zu errichten. Damit ist der Regelungsbedarf entfallen. Damit hat sich auch gezeigt, meine Damen und Herren, dass sich ein Bedarf nicht einfach durch ein Gesetz im Bundestag festlegen lässt. ({1}) Die Kritik der Fachleute, aber auch der damaligen Oppositionsparteien bei den vielen Anhörungen zu diesem Thema hat sich bestätigt. Alle Beteiligten haben diese Tatsache inzwischen registriert. Nur die jetzigen Oppositionsfraktionen CDU/CSU und F.D.P. wollen dies aus ideologischen Gründen nicht zur Kenntnis nehmen. ({2}) Es ist nicht immer angenehm, Recht zu bekommen. Die alte Regierung und die jetzigen Oppositionsfraktionen haben mit ihrem Verhalten der hervorragenden Technik wertvolle Zeit gestohlen; außerdem hat es viel Geld gekostet. ({3}) Gleichzeitig haben sie den auf dieser Bahnstrecke Reisenden einen Bärendienst erwiesen. ({4}) Die rot-grüne Regierung hat den Transrapid wieder auf die Spur gebracht. ({5}) In China - hören Sie zu, Herr Goldmann - wird bereits, ohne Bedarfsgesetz, mit Hochdruck gebaut. Stellen Sie sich das einmal vor! ({6}) Nach Ihrer Ideologie wäre das gar nicht möglich. Eine Delegation des Verkehrsausschusses ist dort gewesen. Wir hoffen, dass diese Technik nicht nur in China, sondern auch in Deutschland den Durchbruch schafft. ({7}) Wir wären mit der Strecke Hamburg-Berlin auf den Bauch gefallen. Diese Technik hätte sich nicht durchgesetzt, weil sich in der Verkehrspolitik nur die Maßnahmen durchsetzen, die finanziert werden können und für die ein wirklicher Bedarf vorhanden ist. Genau das gilt für diese Strecke nicht. ({8}) Die rot-grüne Regierung hat auch etwas für die Reisenden zwischen Hamburg und Berlin getan. Mit dem neuen Fahrplan ist die Reisezeit fast eine Viertelstunde kürzer geworden und die bereits beschlossenen Investitionen werden dafür sorgen, dass die Bahn AG auf dieser Strecke fast an die Zeit des Transrapids herankommen kann. ({9}) Die Konservativen wollen nur an dem festhalten, was sie sich irgendwann einmal ideologisch zurechtgelegt haben. ({10}) Nur so kann ich Ihren Entschließungsantrag verstehen. Da heißt es nämlich: Mit dem Magnetschwebebahnbedarfsgesetz wurde der Bedarf für eine leistungsfähige, spurgeführte Hochgeschwindigkeitsstrecke von Berlin nach Hamburg festgestellt. Weiterhin schreiben Sie: Dieser Bedarf ist weiterhin vorhanden. Sie sagen basta; denn Sie wollen die Realität nicht sehen. ({11}) Sie verhalten sich in diesem Punkt rein ideologisch. Wie sind Sie überhaupt zu dieser Feststellung gekommen? ({12}) - Ich dachte, dass Ihnen das gefallen würde, weil auch Sie manchmal entsprechend kritisieren. Im Übrigen möchte ich Sie daran erinnern: Vor zehn Jahren haben Sie von einem „Investitionsprojekt deutsche Einheit Hamburg-Berlin“ gesprochen. Sie sind dafür verantwortlich, dass die Strecke von Hamburg nach Berlin jetzt die langsamste ist und dass diese Städte nicht angemessen verbunden sind. ({13}) Sie halten uns vor, die Transrapidstrecke sei aus Kostengründen aufgegeben worden. ({14}) Dabei mussten wir feststellen, dass eine Industriefirma nach der anderen abgesprungen ist oder abspringen wollte. ({15}) All diese Firmen haben sich gesagt, dass damit kein Geld zu verdienen ist. Auch heute wäre es möglich, dort dieses System zu bauen; doch mir ist nicht bekannt, dass das - außer Ihnen - irgendjemand ernsthaft in Erwägung zieht. Es geht nicht nur um Kosten, sondern auch um zu erwartende Erträge. ({16}) Die Verpflichtung des Bundes, jetzt eine Finanzierungslösung zu finden, die Sie in dem Bedarfsgesetz sehen, ist absurd. ({17}) Reinhold Hiller ({18}) Sorgen wir also dafür, dass das Gesetz aufgehoben wird. Wenn das geschieht, gibt es keine Verpflichtung des Bundes mehr, den „Transrapid-Unsinn“ auf dieser Strecke zu finanzieren. ({19}) Die Abkehr davon ist eine Chance, insbesondere für die Magnetschwebebahntechnik. In China - das haben wir dort gehört und das können diejenigen von der CDU/CSU, die dabei waren, auch nicht bestreiten - wird neben der Referenzstrecke von Shanghai nach Pudong der Bau von 13 weiteren Strecken, zum Teil mit einer Länge von mehr als 1 000 Kilometern, in Erwägung gezogen. ({20}) Hier liegen die Chancen. Im Gegensatz zu Ihnen, Herr Goldmann, hat die Industrie nicht gejammert, sondern die Ärmel hochgekrempelt und im Zusammenwirken mit der Bundesregierung die Voraussetzungen für einen internationalen Durchbruch dieser Technik geschaffen. Das ist die Wahrheit. ({21}) Wir begrüßen, dass sich die Industrie im Gegensatz zu Ihnen unideologisch und undogmatisch verhält. Wir sehen, dass diese Verhaltensweise zum Durchbruch führt. Der Auftrag aus China, eine 30 Kilometer lange Referenzstrecke zu bauen, wird sich schon zum 1. Januar 2004 bewähren, wenn die ersten Fahrten auf dieser Strecke stattfinden werden. Dann besteht für diese Technik weltweit ein Demonstrationsobjekt. ({22}) Wenn Sie das in den Zeitungen verfolgen, dann können Sie feststellen, dass in der ganzen Welt darauf geschaut wird, ob die Magnetschwebebahn auch vernünftig laufen wird. Die Terminplanung für diese Strecke ist eine anspruchsvolle Herausforderung für die deutsche Industrie und ihre chinesischen Partner. Das Bauvorhaben ist auf einem guten Weg; das haben wir kürzlich übereinstimmend festgestellt. Der Chef von Thyssen Krupp, Ekkehard Schulz, geht in einem Gespräch mit dem „Handelsblatt“ davon aus, dass die gegenwärtige Entwicklung den Durchbruch für die internationale Vermarktung darstellt. Meine Damen und Herren, ich darf noch einmal daran erinnern, dass man, wenn man sich ausschließlich auf Ihre Pläne konzentriert hätte, diese Ergebnisse nicht erreicht hätte. ({23}) - Das hat sehr viel miteinander zu tun, Herr Goldmann. Ich habe aber den Eindruck, dass Sie immer nur dazwischenrufen und nichts zur Sache beitragen. ({24}) - Ich habe Ihnen doch gesagt, dass Sie hier in Deutschland ein völlig falsches Instrumentarium anwenden wollten ({25}) und dass man in China diese Strecken ohne Ihre ideologische Scheuklappen Wirklichkeit werden lässt. Das ist der Unterschied. ({26}) Die Chancen, dass an die deutsche Industrie Aufträge für den Bau weiterer Strecken in China erteilt werden, sind gut. Für das große chinesische Interesse spricht das Ausmaß des für die Erstellung des Fahrweges des Transrapid eingerichteten Werkes. Wenn man das gesehen hat, wird einem klar, dass man so etwas nicht errichten würde, wenn man nicht weitere Vorhaben realisieren wollte. Für Ekkehard Schulz von Thyssen Krupp liegt die Chance, den Zuschlag für die Strecke Shanghai-Peking zu bekommen, bei 50 Prozent. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das von Ihnen entfachte Störfeuer schadet den deutschen Interessen und auch der Technik. Wir fordern Sie auf, die Kämpfe der Vergangenheit, die Sie hier immer wieder ausfechten, ({27}) endlich zu den Akten zu legen und gemeinsam für den Durchbruch des Transrapid zu kämpfen. Wir begrüßen, dass die Bundesregierung auch aktiv an der Realisierung von Transrapidstrecken in Deutschland mitwirkt. ({28}) Sie können sich ja einmal mit dem bayerischen Minister Wiesheu unterhalten; er wird Ihnen dann etwas über die Realisierungschancen einer Strecke in Bayern erzählen. Auch das ignorieren Sie. Ich kann Ihnen schon jetzt voraussagen: Für den Bau dieser Strecke ist Ihr Bedarfsgesetz nicht nötig. Deshalb werden wir es heute abschaffen. ({29}) - Herr Goldmann, das hat damit zu tun. ({30}) - Mein Gott, können Sie nicht einmal ein bisschen leiser sein! - Das hat damit sehr viel zu tun: Sie haben versucht, den Bedarf ausschließlich über ein Gesetz festzustellen. ({31}) Wenn Sie das ignorieren wollen, dann können Sie ja dem Aufhebungsantrag der Bundesregierung hier und heute zustimmen; ({32}) Reinhold Hiller ({33}) dann ist das Thema erledigt. Aber da Sie das nicht tun wollen, schaden Sie gleichzeitig den Realisierungschancen für Transrapidstrecken in Deutschland. ({34}) Meine Damen und Herren, es gibt gute Gründe, das Bedarfsgesetz abzuschaffen. Ich hatte es schon gesagt: Wir werden dem Antrag der Bundesregierung zustimmen und lehnen Ihren ideologischen Entschließungsantrag ab. Herzlichen Dank. ({35})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die CDU/CSUFraktion spricht jetzt der Kollege Georg Brunnhuber.

Georg Brunnhuber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000284, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist heute trotz des herrlichen Sommertages ein schlechter Tag für Deutschland, ({0}) ein schlechter Tag für die Technologie in Deutschland und für den Technologiestandort Deutschland. ({1}) Herr Kollege Hiller, es war schon fast bedauernswert anzusehen, wie hilflos und argumentationslos Ihre Partei ist, wie sie mit schlechtem Gewissen versucht, uns noch Ideologie bei einer Technik zu unterstellen, die einmal von einem SPD-Bundeskanzler auf den Weg gebracht wurde. Nur weil die CDU/CSU klare Konzeptionen entwickelt hat, sind Sie heute in einer sehr schlechten Position; denn Sie wissen, dass es Leute auch bei Ihnen gibt, die sagen: Der Transrapid ist wirklich die beste Technik nach der Erfindung des Flugzeugs, die einzige moderne Verkehrstechnikinnovation. ({2}) Diese haben Sie jetzt mit einem Federstrich kaputtgemacht. Ihr schlechtes Gewissen führt natürlich dazu, dass Sie hier herumeiern müssen; denn Sie haben in Hamburg Wahlkampf. In Hamburg gibt es einen rot-grünen Senat, und dieser rot-grüne Senat kämpft an der Seite der CDU/CSU und F.D.P. hier im Deutschen Bundestag für dieses Projekt. Dazu haben Sie keinen Wort gesagt. Herr Hiller, ich möchte einfach nur ein paar Dinge aufklären, weil Sie so danebenliegen, dass man sagen muss: So kann man es nicht stehen lassen. Erstens. Der Transrapid wurde unter einer SPD-geführten Regierung von einem SPD-Verkehrsminister namens Klimmt kaputtgemacht, ({3}) der sich von einem gewissen Herrn Mehdorn über den Tisch ziehen ließ, der Sie in diesen anderthalb Jahren schon fünfmal in anderen Bereichen über den Tisch gezogen hat. Das war der Anfang seiner Tricksereien. ({4}) Er hat Ihnen nämlich ein X für ein U vorgemacht, indem er sagte: Am 1. Juli 2001 - das war übrigens vor vier Tagen - fährt der ICE, ertüchtigt mit 380 Millionen DM, fast so schnell wie der Transrapid von Hamburg nach Berlin. Das garantiere ich. - Das hat er übrigens auch im Ausschuss gesagt. Wir haben das nie geglaubt und Sie doch eigentlich auch nicht. Aber dieses Argument haben Sie aufgenommen, um den Transrapid durch Herrn Mehdorn kaputtmachen zu lassen. ({5}) Ich finde, das ist ein Armutszeugnis für Ihre Partei und für Ihre Politik. Genauso ist es ein Armutszeugnis, dass der einzige Minister, der heute hier sitzt, der Kulturminister ist. Wahrscheinlich ist das der Letzte in der Regierung, der noch an diese Technologie glaubt; das vermute ich einmal. ({6}) Ein zweites Argument, Herr Hiller! Sie erklären ständig, dass die Strecke Hamburg-Berlin von der CDU/CSU in Verbindung mit der F.D.P. mit falschen Zahlen entwickelt worden sei, dass die gesamten Wirtschaftlichkeitsberechnungen quasi eine Erfindung des Ministers Wissmann oder anderer gewesen seien. ({7}) Dabei wissen Sie ganz genau, Herr Hiller, denn Sie sind schon lange genug dabei - Herr Hilsberg kann das nicht wissen; der war damals noch nicht aktiv -: Wir haben sämtliche Untersuchungen von unabhängigen Institutionen und vor allen Dingen von der Bahn AG selber durchführen lassen. ({8}) Die Bahn AG hat noch ein halbes Jahr vor der Absage durch Mehdorn amtlich festgestellt: Mit etwa 8 Millionen Fahrgästen ist garantiert zu rechnen, und mit 7 Millionen fahren wir schon wirtschaftlich. Sie haben also im Grunde genommen überhaupt kein Argument, das sticht, wenn Sie sagen: Die Verbindung Hamburg-Berlin war nicht wirtschaftlich und deshalb haben wir das abgesagt. ({9}) Ein Weiteres. Sie erklären hier, die Wirtschaft, die beteiligten Unternehmen, hätten den Transrapid sterben lassen. Das ist absolut falsch. Ich unterstelle Ihnen nicht, dass Sie hier gelogen hätten; vielleicht wissen Sie es wirklich nicht besser oder verdrängen es. Alle IndustriebeReinhold Hiller ({10}) triebe, die beteiligt waren, haben bis zum Schluss gekämpft. ({11}) Sie sind in jener Nacht zur Sitzung gekommen und haben noch Sonderfinanzierungsvorschläge und Alternativvorschläge in Bezug auf die Technik gemacht. Nur Herr Mehdorn hat am Schluss erklärt: Das interessiert mich alles nicht, ich will den Transrapid nicht. Ich will ihn nicht, denn - jetzt kommt es - überall, wo parallel eine Schiene liegt, passt das nicht in mein System. Jetzt erklären Sie hier an diesem Pult und zum x-ten Mal, auch mit Herrn Mehdorn zusammen: Aber ich kann mir vorstellen, dass das in Nordrhein-Westfalen funktioniert. - Dort haben wir mindestens drei Parallelstrecken, neben der Schiene noch zwei S-Bahn-Linien. Wie soll es denn da funktionieren? ({12}) Wie soll das überhaupt finanziert werden? Da lache ich wirklich. Das ist ein Treppenwitz, was hier heute erzählt wird. Ich möchte Ihnen deutlich machen - das muss man, weil heute sozusagen notariell beglaubigt werden muss, wer dafür verantwortlich ist, dass in diesem Land in diesem Jahrzehnt kein Transrapid gebaut werden kann -: Sie machen hier eine Technik kaputt. ({13}) Sie machen mit einem Federstrich zehn Jahre Planungsaufwand kaputt, nur weil Sie nicht die Kraft hatten, die 6,5 oder 6,6 Milliarden DM zu finanzieren, die man in Deutschland gebraucht hätte, um die Transrapidstrecke von Hamburg nach Berlin zu bauen. Jetzt loben Sie sich noch, dass der Transrapid in China fährt und das deutsche Steuergeld zur Unterstützung nach China fließt. Es ist geradezu hanebüchen, dass man das hier im Deutschen Bundestag hören muss! ({14}) Ich möchte kein Sozialminister in dieser Regierung sein ({15}) und jeden Monat erleben müssen, wie die Arbeitslosigkeit steigt, statt zu sinken, und Dimensionen annimmt, bei denen Sie selber langsam kalte Füße bekommen - Sie sowieso, Herr Hilsberg, weil Sie davon am wenigsten verstehen; das möchte ich hier einmal deutlich machen. Sie verstehen von der Verkehrspolitik nicht viel, aber von diesem Thema wahrscheinlich überhaupt nichts. Dass der Minister nicht eingreift, wundert einen. Denn jetzt hätte man eine Technik, bei der die ganze Welt darauf wartet, dass sie endlich eingesetzt wird. Die Planungen waren bis auf einen kleinen Teil abgeschlossen. Alles werfen Sie weg; 350 Milliarden DM werden zum Fenster hinausgeworfen, ohne Gegenwert. Anschließend erklären Sie: Aber in München oder in Nordrhein-Westfalen könnten wir den Transrapid auf die Strecke bringen. Ich sage Ihnen hier: Wenn Sie ehrlich gewesen wären ({16}) und gesagt hätten: „Wir haben die Strecke zwischen Hamburg und Berlin gestrichen und glauben selber nicht mehr, dass wir das in diesem Jahrzehnt schaffen“, dann hätte ich noch Hochachtung. Sie erklären aber den Leuten, dass das Ganze in den nächsten zwei, drei Jahren irgendwie geschehen wird. ({17}) Allein die Planfeststellung für die Strecke zwischen Dortmund und Düsseldorf oder auch für die Strecke zwischen dem Flughafen München und der Stadt München wird mindestens drei bis fünf Jahre dauern und dann haben Sie noch immer kein Baurecht, sondern müssen sich im Zweifelsfall erst mit Klagen auseinander setzen. Dann ist dieses Jahrzehnt vorbei, ohne dass diese moderne Technik in Deutschland gebaut worden ist. Wir bedauern das. Die CDU/CSU - das darf ich hier sagen - hat wirklich mit Herzblut für den Transrapid gekämpft. ({18}) Deshalb haben wir einen Entschließungsantrag vorgelegt, der beinhaltet, warum man dieses Bedarfsgesetz nicht aufheben darf, nicht zuletzt deshalb, weil dieses Bedarfsgesetz mit der Finanzierung direkt nichts zu tun hat. Wir haben so viele Autobahnstrecken in Bedarfsgesetzen enthalten, ({19}) aber kein Mensch käme auf die Idee, zu sagen: Wir streichen all das, weil wir das gerade nicht finanzieren können. Der Bedarf wurde 1992 festgestellt und Sie heben jetzt ein Gesetz auf, weil Sie nicht den Mut und auch nicht die Fähigkeit haben, die Transrapidstrecke zwischen Hamburg und Berlin weiterzuplanen. Hätten Sie doch wenigstens - wir haben Ihnen diese Bitte im Ausschuss oft genug vorgetragen - die Planfeststellung bis zum Ende durchführen lassen, damit wir einen kompletten Planfeststellungsbeschluss für die Strecke zwischen Hamburg und Berlin gehabt hätten, dann hätten wir nämlich, wenn die Finanzierung in nächster Zeit möglich geworden wäre, tatsächlich bauen können! Jetzt haben Sie das alles kaputtgemacht. Nichts stimmt mehr von dem. ({20}) Nach all dem, was Sie hier vorgetragen haben, kann man nur zu folgendem Ergebnis kommen: Wir brauchen die Aufhebung dieses Bedarfsgesetzes nicht, sondern wir müssen weiterhin an der Strecke Hamburg-Berlin festhalten. Wir haben dazu einen Entschließungsantrag vorgelegt. Eine Begründung hierfür habe ich vorgetragen. Es wäre klug von der SPD und den Grünen, wenn Sie sich durchringen könnten, unserem Entschließungsantrag zuzustimmen, weil Sie damit für den Technologiestandort Deutschland etwas Besonderes, etwas Positives schaffen könnten. ({21}) Wenn es so kommt, wie es in Ihrem Gesetzentwurf vorgesehen ist, dann kann man dazu nur sagen: Armes Deutschland, was Technologie anbelangt! ({22})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Brunnhuber, es gibt noch den Wunsch nach einer Zwischenfrage. ({0}) Gestatten Sie die? - Bitte.

Dirk Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000549, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Brunnhuber, ist Ihnen aufgefallen, dass Kollege Hiller hinsichtlich des von uns eingebrachten Entschließungsantrages mehrfach den Vorwurf einer ideologischen Position erhoben hat, und wie bewerten Sie diese Auffassung des Kollegen Hiller unter dem Aspekt, dass jedes Wort unseres Entschließungsantrages identisch ist mit dem Text, den der rotgrüne Hamburger Senat im Bundesrat vorgelegt hat? ({0})

Georg Brunnhuber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000284, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Fischer, das ist mir nicht nur aufgefallen, sondern das ist auch der Beweis dafür, dass das schlechte Gewissen der SPD so groß ist, dass sie noch nicht einmal richtige Argumente finden konnte. Herr Kollege Hiller musste in seinen Ausführungen dreimal China erwähnen - ich sage nur: China, China, China -, weil er weiß, dass ihn nachher ansonsten der Hamburger Bürgermeister angerufen und gesagt hätte, er habe eine schlechte Vorlage für den Hamburger Wahlkampf gegeben. ({0}) Die SPD und Sie, Herr Hiller, haben eindeutig bewiesen - daher ist die Frage von Herrn Fischer berechtigt -: Sie haben keine Argumente. Sie haben vielmehr versucht - und das ist Ideologie -, ({1}) mit ideologischen Vorhaltungen eine moderne Technik kaputtzumachen. Ich sage Ihnen, lieber Herr Hiller: ({2}) Mit dem, was Herr Fischer aufgegriffen hat, hat er nicht nur Recht. Man kann dies nur ausdrücklich bestätigen. Es ist schade, dass Sie den Argumenten der rot-grünen Regierung in Hamburg nicht zustimmen können. ({3})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Nächster Redner ist für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen der Kollege Albert Schmidt.

Albert Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002779, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich müsste hier anstelle dieses Wassers ein Gläschen Sekt stehen. ({0}) Dann würde ich das Glas erheben, Ihnen freundlich zuprosten und sagen - denn das passiert ja nicht allzu oft im politischen Leben -: Es ist einfach schön, nach so vielen Jahren nicht nur Recht zu haben, sondern Recht zu bekommen. - Ich nehme stattdessen das hier stehende Glas Wasser. Prost! ({1}) Zum Zweiten beschäftigt uns in der heutigen Debatte ein Entschließungsantrag der CDU/CSU und ein „Schließungsantrag“ der Regierungskoalition, der zum Inhalt hat, die Akte „Transrapid Hamburg-Berlin“ nunmehr auch formal endgültig zu schließen. Die ist sinnvoll, richtig, notwendig und überfällig. - Da kommt sogar die Kollegin Altmann und eilt an ihren Abgeordnetenplatz, um dem zu lauschen. ({2}) Kollege Hiller hat es schon ausgeführt: Es nützt doch nichts, verehrter Herr Kollege Brunnhuber, wenn Sie jetzt sagen: Lasst uns am Transrapid von Hamburg nach Berlin festhalten - und wenn die Welt in Scherben fällt! - Sie sollten einfach einmal die Tatsachen zur Kenntnis nehmen: Bereits am 5. Februar 2000 wurde gemeinsam von der Deutschen Bahn AG und der Bundesregierung, aber auch von der Siemens AG, von der Thyssen Krupp Industries AG sowie von der Daimler-Chrysler Rail Systems GmbH in einer Grundsatzvereinbarung zum Transrapid festgestellt, dass man die Strecke Berlin-Hamburg nicht realisieren will. Das wurde ausführlich begründet. ({3}) - Um Himmels willen, wollen Sie denn die Fakten ignorieren und wollen Sie immer noch mit der Fahne, dass der Transrapid zwischen Hamburg und Berlin gebaut werden sollte, herumlaufen? Das ist doch gespenstisch! ({4}) Wir sind doch hier in keiner Geisterstunde, sondern wir sind hier in einer Debatte des Deutschen Bundestages.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Schmidt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dirk Fischer?

Albert Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002779, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich möchte mit Rücksicht auf die fortgeschrittene Zeit keine Zwischenfragen zulassen. Ich verspreche auch, dass ich meine Redezeit nicht ausschöpfen werde. ({0}) Der Transrapid wurde in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts entwickelt; er wurde 1922 erfunden. Die Magnetbahntechnik wurde 1937 patentiert. ({1}) Bis zum Jahr 2001 hat er sich weltweit nirgendwo durchgesetzt - außer im letzten totalitären und planwirtschaftlichen System, das es auf dieser Welt noch gibt, nämlich in der Volksrepublik China. Aber auch dort wird er nur mithilfe von Subventionen aus dem kapitalistischen Deutschland gebaut. ({2}) Was will uns das sagen? ({3}) Sie können sich die Antwort selber geben. ({4}) Ich bin zutiefst davon überzeugt: Das Magnetbahnsystem ist an seiner eigenen Innovationsschwäche gescheitert. ({5}) Die Geschwindigkeitslücke ist längst durch die schnellen Züge geschlossen. Das Gefährt, das noch schneller als der ICE ist, ist längst erfunden: das Flugzeug. Das Flugzeug braucht keine Infrastruktur; es kann von dem Transrapid nicht eingeholt werden. Es bleibt noch die Frage zu prüfen, inwieweit sich diese Technik in Nordrhein-Westfalen für den Nahverkehr als ein der S-Bahn ähnliches System und in München als Verbindung vom Flughafen zur Innenstadt eignet. Ich persönlich bin äußerst skeptisch. Ich glaube nicht an die Zukunft der rasenden Straßenbahnen. ({6}) Aber es muss nicht nach meiner grünen Nase gehen. Ich bin sehr einverstanden, dass dies einer in der Machbarkeitsstudie nüchtern analysiert und durchgerechnet wird. Ich sage Ihnen: In absehbarer Zeit sehen wir uns wieder. Was die Strecke Hamburg-Berlin betrifft: Bitte begreifen Sie endlich! Die Tür zu diesem Projekt ist längst zu. Heute machen wir auch noch das Licht aus. ({7})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Jetzt erteile ich zu einer Kurzintervention dem Kollegen Fischer das Wort.

Dirk Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000549, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Am Sonnabendnachmittag des 5. Februar trafen sich Herr Klimmt, Herr Mehdorn und die Vertreter des Industriekonsortiums. Dabei hat der Bundesverkehrsminister gesagt, die DB AG wolle den Bauauftrag nicht realisieren und der Bund wolle das Projekt nicht weiter verfolgen. Darauf haben die Vertreter des Industriekonsortiums erklärt: Wenn der Bund mit der notwendigen Vorfinanzierung des Fahrweges ausscheide, die DB AG die Baugesellschaft nicht weiter führen wolle und damit folglich die Betriebsführung nicht übernehmen wolle, ({0}) sei es für das Industriekonsortium unmöglich, das Projekt alleine durchzuführen. ({1}) Der Kollege Schmidt hat nicht zum ersten Mal - eben wieder - insinuiert, es sei der Wunsch des Industriekonsortiums gewesen, aus dem Projekt Hamburg-Berlin auszusteigen, weil dieses Projekt vom Industriekonsortium ebenfalls für nicht realisierbar und für nicht wirtschaftlich gehalten werde. Diese Darstellung entbehrt jeder Grundlage. Sie ist eine falsche Inanspruchnahme des Industriekonsortiums und seiner Absichten und eine völlige Verzerrung der Wirklichkeit. Es kommt hinzu, dass Herr Mehdorn in unverantwortlicher Weise mit Dumpingangeboten und -preisen ein Klima geschaffen hat, bei dem man den Eindruck haben konnte, das Projekt sei gar nicht vonnöten. Lesen Sie im „Stern“-Interview vom 3. Februar 2000 nach. Zwei Tage vor dem Ereignis, das ich eben geschildert habe, sagte er: Wir brauchen das gar nicht; denn wir fahren in anderthalb Jahren auf einer für 350 Millionen DM ertüchtigten Strecke in 90 Minuten zwischen Hamburg und Berlin. Ich stelle hier fest: Nichts von diesen Zusagen ist eingelöst worden. Es ist noch nicht einmal der Versuch gemacht worden, das gegebene Wort zu halten. Es ist heute bei keinem der 52 Bahnübergänge ein einziger Spatenstich erfolgt. Das heißt, die Öffentlichkeit und das Parlament sind nach Strich und Faden belogen worden. Ich halte drittens fest: Die Infrastrukturentscheidung bei Kanälen, bei Schienenwegen, bei Straßen, bei Bundesfernstraßen und auch bei Transrapidstrecken trifft immer noch das Parlament. ({2}) Es darf einer einzelnen Aktiengesellschaft nicht erlaubt sein, Herr Kollege Schmidt, Infrastrukturentscheidungen des Parlaments, die wir in Form von Bedarfsplänen und Ausbaugesetzen hier beschließen, zu konterkarieren, sich oberhalb des Parlaments anzusiedeln und damit auch Entscheidungen des Gesetzgebers zu zerstören. Dies ist in der deutschen Parlamentsgeschichte ein sehr skandalöser Vorgang. Deswegen müssen wir wissen, ob wir als Parlament in Zukunft noch die Entscheidung treffen wollen oder ob wir es einzelnen Aktiengesellschaften überlassen wollen, dies zu tun. ({3})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Zur Erwiderung Herr Kollege Schmidt, bitte.

Albert Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002779, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Fischer, Ihre ganze geheuchelte heilige Erregung kann nicht darüber hinwegtäuschen, ({0}) dass wir genau heute als Parlament diese Entscheidung treffen werden und niemand sonst. Sie brauchen hier nicht irgendeinen Konzernvorstand als den Transrapiddiktator der Republik zu stilisieren. Der Vorgang, um den es damals ging, ist völlig anders gewesen, als Sie es dargestellt haben. Die Industrie war damals bereit zu investieren. Sie war bereit, erhoffte Erlöse und Gewinne zu kassieren. Aber sie war nicht bereit - das war der entscheidende Punkt -, ({1}) in einem angemessenen Umfang Risiken zu übernehmen. Das Risiko sollte bei der Deutschen Bahn AG abgeladen und damit beim Steuerzahler abgeladen werden. Dem hat sich die Deutsche Bahn AG mit Recht entgegengestellt. ({2}) Diese Entscheidung bestätigen wir heute. ({3}) - Lieber Herr Kollege Fischer, es hat keinen Sinn. Jedes weitere Wort zu diesem Thema ähnelt immer mehr einem Nekrolog. Dafür bin ich nicht der richtige Redner. Sie sollten sich dafür auch zu schade sein.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Jetzt spricht der Kollege Michael Goldmann für die F.D.P.-Fraktion. ({0})

Hans Michael Goldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine Kollege von der SPD meinte eben: Jetzt kriegen wir wieder Schmerzensgeld! Wissen Sie was: Ich fahre am Wochenende ins Emsland. Ich fahre nach Lathen zu Transrapid. ({0}) Wenn sich einer hier hinstellt - ich weiß nicht, wie Sie das empfinden; ich will keine Worte darum machen, weil ich sonst gerügt werde - und meint, Sekt trinken zu müssen, weil Arbeitsplätze in Deutschland vernichtet werden, dann fällt mir nicht mehr viel ein. ({1}) Herr Schmidt, ich schätze Sie sonst sehr; das wissen Sie. Aber Sie haben sich eben total vertan. Auch ich fand das, was Herr Fischer eben gemacht hat, nicht besonders ergebnisorientiert. Sie haben hier von „geheuchelter heiliger Erregung“ gesprochen. Sie selbst sitzen im Aufsichtsrat der Bahn AG. Herr Schmidt, Sie sind in dieser Sache doch so viel Partei wie kein anderer. ({2}) Wissen Sie, wenn ich - wie Sie - da drin wäre, dann würde ich mich dazu nicht äußern; denn eines ist so sicher wie das Amen in der Kirche: Die Bahn wollte den Ausbau der Strecke Hamburg-Berlin nicht und hat alle Schritte unternommen, um die Strecke zu beerdigen. ({3}) Das war die Vorgehensweise der Bahn. Ich meine, in einem solchen Fall sind Sie hier einfach nicht berechtigt, sich so dazu zu äußern, wie Sie es gerade getan haben. ({4}) Ich will einen zweiten Punkt ansprechen. Kollege Hiller, ich schätze Sie sehr; das wissen Sie. Wissen Sie was? Ich würde alles das, was Sie eben gesagt haben, einmal dem Europaminister in Niedersachsen, Herrn Senff, erzählen - nebenbei gesagt, er gehört Ihrer Partei an - und ich würde es dem Kollegen Reinhold Robbe erzählen. Dann steht morgen mit Sicherheit in der Zeitung, dass er weiter für eine echte Anwendungsstrecke für den Transrapid in Deutschland kämpft. ({5}) Aber Herr Kollege, dass die beste Anwendungsstrecke im Grunde genommen die Strecke Berlin-Hamburg, weiterführend nach Skandinavien, von Berlin weiter nach Warschau, von Hamburg über Groningen weiter nach Amsterdam ist, wissen Sie doch genauso gut wie ich. ({6}) Sie wissen genauso gut wie ich, dass die Niederländer Ihr Ballungsproblem in Randstad - das kennen Sie doch, Sie kommen aus dieser Region; Sie wissen, wovon wir beide reden - dadurch lösen wollen, dass sie die Metropolregion Amsterdam mit der Metropolregion Hamburg verbinden und wir die Metropolregion Hamburg-Berlin Dirk Fischer ({7}) als eine Einheit sehen. Sie fahren doch wie ich mit dem ICE von Hamburg nach Bremen und wissen, dass derjenige, der in Bremen die Fahrgäste verabschiedet, immer sagt: Wir bedanken uns bei den Pendlern dafür, dass sie heute wieder von Hamburg nach Bremen gefahren sind. So hatte ich den Traum und so habe ich nach wie vor den Wunsch, diese Technologie zwischen Hamburg und Berlin zur Anwendung zu bringen. ({8}) Weil ich die Technologie nun wirklich kenne und Freunde habe, die neben der Anwendungsstrecke in Lathen wohnen und dort im Garten sitzen, weiß ich, dass sie sehr umweltverträglich und sicher und so lärmarm wie keine andere Technik ist. Herr Schmidt, wenn Sie eine Verbindung zum Fliegen herstellen und im Umweltausschuss immer wieder darauf hinweisen, wie umweltfeindlich das Fliegen gerade im nationalen Verkehr ist, dann muss ich wirklich sagen, dass ich mit dem, was Sie hier vertreten, schlicht und ergreifend nicht mehr klarkomme. ({9}) Dieses Magnetschwebebahnbedarfsgesetz ist die gesetzliche Grundlage für die Realisierung einer bestimmten Maßnahme. Das haben wir in sehr vielen Fällen im Bereich der Infrastruktur. Ich halte es für einen Fehler, dass wir uns diese Option nehmen. Dass Sie dies mit dem Planungsrecht in China vergleichen, ist nun wirklich der Gipfel, weil man das überhaupt nicht miteinander vergleichen kann. Wenn Sie auf der Grundlage dieses Gesetzes Verbindungen zum Metrocity oder zu Strecken in München herstellen, muss ich Ihnen sagen, dass das völlig andere Anwendungsformen für eine Technologie sind, die ihre speziellen Fähigkeiten über längere Zeiträume entwickeln kann und die auch - das weiß jeder, der hier sitzt - keineswegs teurer ist als andere Hochgeschwindigkeitsstrecken. ({10}) Ich kann hier nur noch einmal an Sie appellieren: Lassen Sie uns diese Optionskarte, diese Ideenkarte, nicht aus der Hand geben. Lassen Sie uns weiterhin ein Stück darauf hinarbeiten, irgendwann eine vernünftige Transrapid-Anwendung in Deutschland zu haben. ({11}) Dafür bietet sich die Verbindung zwischen dem Ballungsraum Berlin mit 4 Millionen Menschen und dem Ballungsraum Hamburg sowie dem Ballungsraum Skandinavien und auch den Niederlanden ganz besonders an. Dies wäre eine großartige Sache für Deutschland. Jeder, der sich damit befasst hat, weiß, dass das ein Signal für Zukunft und Entwicklung in die Welt hinaus wäre, die uns sehr gut anstehen würde. Deswegen bitte ich Sie, Ihre Position noch einmal zu überdenken. Herzlichen Dank. ({12})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Der letzte Redner dieser Debatte ist der Kollege Dr. Winfried Wolf für die PDSFraktion.

Dr. Winfried Wolf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002830, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Sehr geehrte Präsidentin! Wehrte Kolleginnen und Kollegen! Man könnte sagen: Spät kommt er, doch er kommt. Wir haben jetzt endlich das Gesetz, das die Verpflichtung, eine Magnetschwebebahn zwischen Hamburg und Berlin zu bauen, aufheben soll. Ich möchte nicht in Triumphalismus verfallen, doch dezent darauf verweisen, dass wir Ende 1998 den ersten Antrag dieser Art gestellt haben. Danach haben wir noch zwei weitere gestellt, wobei der letzte Antrag exakt den gleichen Wortlaut hatte wie der vorletzte. Diese sind trotzdem von allen Parteien abgelehnt worden. Kollege Hiller sagt, dass am 5. Februar 2000 die Entscheidung gefallen sei, dass man aussteigen müsse. Ich möchte darauf hinweisen, dass am 28. September 2000 die letzte Debatte zu diesem Thema stattfand, in der unser Antrag mit den Stimmen der SPD, der Grünen und natürlich auch mit denen der F.D.P. und der CDU/CSU abgelehnt wurde. Die CDU/CSU stellt nun, nach all dem Hoch- und Herunterrechnen der nicht korrekten - gefälschten - Zahlen und nach dem Ausstieg der Industrie, fest, dass weiterhin ein Bedarf für die Strecke Hamburg-Berlin besteht. Ich glaube, es ist klar: Hier wird eine pure und tumbe Lobbyarbeit gemacht. Meine Damen und Herren, man könnte sagen: So weit, so gut. So ist es aber leider nicht. Die Technologie wird weiterhin mit Steuermitteln gefördert. Es wurde hier groß dargestellt: An China sollen 250 Millionen DM oder auch mehr aus dem - wenn ich es richtig verstehe - Entwicklungshilfefonds für eine Flughafenanbindung gezahlt werden. Es geht hierbei nicht um eine Verbindung zwischen dem Flughafen und der Stadtmitte von Shanghai, sondern um eine Verbindung zwischen dem Flughafen und dem Stadtrand von Shanghai. Verkehrspolitisch ist es völlig unsinnig, eine solche Fahrt zu machen. Herr Hiller sagt, dass dies in China ohne Bedarfsgesetz gemacht wird. Ich sage: Das, was in China konkret geplant wird, wird auch ohne Bedarf gemacht. Die PDS-Fraktion und ich als Berichterstatter haben in dem vorliegenden Text erklärt, dass es zu begrüßen sei, dass ein solches Projekt jedenfalls in Deutschland nicht geplant sei. Ich muss sagen: Das war eine falsche Annahme. Vor vier Wochen stellte ich in Oberhausen bei einer Veranstaltung fest, dass die Planungen bezüglich des Metrorapid vor Ort heute viel konkreter sind und dort ein Projekt läuft, das ähnlich unsinnig ist wie das Projekt Hamburg-Berlin. Ich stellte fest, dass die Leute vor Ort sehr beunruhigt sind, wie dieses Projekt durchgesetzt werden soll. Wir haben nicht nur die CDU/CSU-Hinterlassenschaft in Form des Magnetschwebebedarfsgesetzes, wir haben auch die Hinterlassenschaft eines Magnetschwebebahnplanungsgesetzes, in dem geregelt ist, Enteignungen bei der Planung und dem Bau von Magnetbahnen vorzunehmen. Ich glaube, so wie wir einen kurzen, praktischen und quadratischen Antrag zur Abschaffung des Magnetschwebebahnbedarfsgesetzes gestellt haben, werden wir auch einen Antrag einbringen müssen, das Magnetschwebebahnplanungsgesetz abzuschaffen, damit nicht auf diese Art und Weise die nicht ausgereifte Technik zum Beispiel im Ruhrgebiet oder in München - zum Flughafen - angewendet wird. Danke schön. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Ich schließe die Aus- sprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung des Magnetschwebebahnbedarfsgesetzes auf Drucksache 14/5067. Der Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen empfiehlt auf Drucksache 14/6500, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei- chen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung gegen die Stimmen der CDU/CSU und der F.D.P.-Fraktion ange- nommen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit gegen die Stimmen der CDU/CSU und der F.D.P.-Fraktion angenommen. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Ent-schließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/6554. Wer stimmt für diesen Ent- schließungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist gegen die Stimmen der CDU/CSU - und der F.D.P.-Fraktion abgelehnt. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 11 a bis 11 e auf: a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Wolfgang Börnsen ({0}), Dirk Fischer ({1}), Eduard Oswald, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion der CDU/CSU Verkehrssicherheitslage 2000 für eine nationale Verkehrssicherheitskampagne - Drucksachen 14/3871, 14/5583 - b) Beratung des Antrags der Abgordneten Wolfgang Börnsen ({2}), Dirk Fischer ({3}), Eduard Oswald, weiterer Abeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Frontpartien von Fahrzeugen europaweit fußgängersicher gestalten - Drucksache 14/6316 Überweisungsvorschlag: Aussschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({4}) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({5}) zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang Börnsen ({6}), Eduard Lintner, Dirk Fischer ({7}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Nationale Verkehssicherheitskampagne - Son- derprogramm für junge Autofahrerinnen und Autofahrer zur Verhinderung von alkohol- und drogenbedingten Verkehrsunfällen - Drucksache 14/659 d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({8}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dirk Fischer ({9}), Dr.-Ing. Dietmar Kansy, Renate Blank, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Überprüfung von Kraftfahrzeugen nach Un- fallreparaturen - Drucksache 14/1207 e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({10}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dirk Fischer ({11}), Dr.-Ing. Dietmar Kansy, Renate Blank, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen im Fahrerlaubniswesen - Drucksachen 14/1209, 14/2187 Berichterstattung: Abgeordneter Horst Friedrich ({12}) Zur Großen Anfrage liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der F.D.P. vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner für die CDU/CSU-Fraktion ist der Kollege Wolfgang Börnsen.

Wolfgang Börnsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000227, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben mehrere Anträge vorgelegt, weil wir der Auffassung sind, dass wir, die Union - egal, ob in der Regierung oder in der Opposition -, für die Optimierung der Verkehrssicherheit in Deutschland mitverantwortlich sind. Deshalb haben wir ganz konkrete Anträge vorgelegt, um dafür zu sorgen, dass mehr Leid, Trauer und Unglück in Deutschland verhindert werden. Es lohnt sich, jede Anstrengung zu unternehmen, um für eine bessere Verkehrssicherheit zu sorgen. Auch wenn die Anzahl der im Straßenverkehr Getöteten von Jahr zu Jahr zurückgeht, ist dies noch keine Entwarnung. 1999 verloren 7 700 Menschen auf Deutschlands Straßen ihr Leben. Das ist die niedrigste Zahl seit drei Jahrzehnten; vor dreißig Jahren gab es über 21 000 Tote im Straßenverkehr. Doch nicht allein die Anzahl der Getöteten ist entscheidend, vielmehr ist jeder Verunglückte eine Mahnung an uns, für mehr Sicherheit auf Deutschlands Straßen zu sorgen. ({0}) Alarmierend ist die große Zahl der registrierten Unfälle. Allein 1999 wurden 530 000 Menschen in Deutschland zum Teil schwer verletzt, fast 5 Prozent mehr als im Vorjahr. Das heißt, während die Schwere der einzelnen Unfälle sinkt, steigt die Anzahl der Unfallopfer. Das muss uns mahnen. Das Mehr an Verkehrsunfällen im Jahr 1999 um 6,4 Prozent bedeutet absolut 2,4 Millionen Verkehrsunfälle in Deutschland. Noch nie hat es in der Republik so viele Verkehrsunfälle gegeben wie im ersten Jahr der alleinigen Regierungsverantwortung von Rot-Grün. ({1}) Abgesehen vom persönlichen Leid der Betroffenen wird der volkswirtschaftliche Schaden, der durch diese Unfälle entsteht, auf über 70 Milliarden DM beziffert. Das ist eine Rekordmarke; noch nie war der Schaden so hoch. Jeder Unfalltote und jeder Verletzte mahnen zum Handeln. Die rot-grüne Bundesregierung schien das 1998 begriffen zu haben; sie hat die Mittel für die Verkehrssicherheit auf 26 Millionen DM erhöht. Doch dieser richtige Anstoß blieb im Ansatz stecken. Schon ein Jahr später - wie auch in diesem Jahr - wurde wieder an der Verkehrssicherheit gespart, und zwar insgesamt 8 Millionen DM. Das ist angesichts der tatsächlichen Gegebenheiten nicht nur eine krasse Fehleinschätzung, sondern eine eklatante Fehlleistung. ({2}) Noch am 12. Mai 1999 hatte der damalige Verkehrsminister Franz Müntefering die Eckpunkte einer nationalen Verkehrspolitik bekannt gegeben. Der Unfallverhütung wurde oberste Priorität eingeräumt und eine verbesserte Finanzierung in Aussicht gestellt. Heute müssen wir feststellen: Die Lippen wurden gespitzt, doch gepfiffen wurde nicht - weder von ihm noch von seinem ersten Nachfolger, Herrn Klimmt, noch von seinem zweiten Nachfolger, Herrn Bodewig. Es ist schon anzuerkennen, dass die Regierung zumindest zwei Initiativen aus der vorangegangenen Regierungszeit übernommen hat, dass der Entzug der Fahrerlaubnis in einem EU-Staat jetzt allgemein in EU-Staaten anerkannt wird und dass beim Kraftfahrt-Bundesamt in Flensburg das zentrale Führerscheinregister eingerichtet worden ist. Das ist richtig, das ist notwendig, damit es zu einem effektiven Datenaustausch kommt. Aber wer eine solche bedeutende Behörde mit mehr Aufgaben versieht, sollte auch dazu beitragen, dass es nicht gleichzeitig zu einem Abbau von Arbeitsplätzen kommt. Bei Matthias Wissmann - darauf will ich noch einmal hinweisen - war die Verkehrssicherheit Chefsache. Dieser Rang sollte ihr möglichst auch von der jetzigen Regierung eingeräumt werden. ({3}) Ein Blick auf die Aussagen des Europäischen Sicherheitsrates macht die Notwendigkeit dieser Forderung deutlich. Einer von drei EU-Bürgern muss im Laufe seines Lebens infolge eines Autounfalls ins Krankenhaus. Einer von 20 EU-Bürgern wird durch einen solchen Unfall getötet oder Invalide und einer von 80 EU-Bürgern beendet sein Leben aufgrund eines Unfalls etwa 40 Jahre zu früh. Jeden Tag sterben in den Ländern der EU 123 Menschen im Straßenverkehr. Im vorletzten Jahr waren es über 42 000. Was Brüssel des Weiteren ermittelt hat, geht uns ebenfalls alle an: Motorradfahren ist das riskanteste Manöver, sich im Verkehr durchzusetzen. Zu Fuß gehen ist über neunmal riskanter als mit dem Auto zu fahren. Alle EUStaaten gemeinsam haben über 160 Milliarden Euro an Schäden zu beklagen. Das ist das Doppelte des EU-Haushalts. Ich finde schon, dass man auf diese schwerwiegenden und traurigen Zahlen eingehen muss und dass es notwendig ist, neben den europäischen Sicherheitsprogramm auch dann abzuklopfen, was wir auf nationaler Ebene tun. Experten sagen: Drei Kritikpunkte gibt es. Der europäische Sicherheitsplan ist nicht mit dem nationalen abgestimmt. Es gibt da eine falsche Strategie. Das europäische Programm ist in seinen Zielen nicht mit dem nationalen abgestimmt. Das nationale Programm, das wir haben, ist unzureichend, weil die Kontrolle fehlt. Es fehlt das, was man im modernen Verkehrsmanagement braucht, nämlich eine Controlling-Instanz, die abklopft, ob das, was man tut, auch richtig ist. Eine solche Kontrolle hat es früher gegeben. Mit dem Programm für junge Autofahrer unter dem Titel „Trinken und fahren könnt ihr euch sparen“ gegeben. Damit wurde eine Veränderung der damaligen Situation erreicht. Dies war richtig so; denn es betraf eine der schwierigsten Zielgruppen, die wir im Verkehr haben. Jeder vierte Getötete gehört zur Gruppe der 18- bis 24-Jährigen. 8 Prozent beträgt ihr Anteil an der Bevölkerung, aber mit 22 Prozent sind sie an den schweren und tödlichen Unfällen beteiligt. Ich glaube schon, dass es richtig gewesen ist, in den drei Pilotregionen Flensburg/Schleswig, Saarbrücken und im Oberlausitz-Kreis klarzumachen, dass ein solch gezieltes Programm die richtige Maßnahme ist. Die Bundesanstalt für Straßenwesen hat noch einmal bestätigt. Es ist eine vernünftige Sache. Um bis zu 40 Prozent wurden die Verkehrsunfälle, an denen junge Fahrer beteiligt waren, reduziert. Leider ist das Programm nur kurze Zeit in 31 Kreisen fortgesetzt worden. Die Pilotprojekte wurden nicht verlängert. Eine bundesweite Ausweitung der Kampagne hat es nicht gegeben. Es wurden finanzielle Gründe dafür genannt. ({4}) Wolfgang Börnsen ({5}) Wenn man versucht, von den UMTS-Milliarden nicht nur Mittel für Bahn und Straße freizustellen, sondern auch einen Fonds für die Verkehrssicherheit einzurichten, schafft man die Voraussetzung dafür, dort zielgruppengemäß arbeiten, wo ein Abbau von Unglücken und Verkehrsunfällen erreicht werden kann. Das dänische Beispiel hat deutlich gemacht: Wenn man eine solche Aktion gezielt und über viele Jahre durchführt, dann reduziert man die Zahl der Verkehrsunfälle um mehr als die Hälfte. Dann erzielt man eine Wirkung. Hier ist sie zum Schaden der jungen Fahrer und letzten Endes auch der Verkehrssicherheit in Deutschland abgebrochen worden. Das ist schade. Nur weil Christdemokraten und freie Demokraten einmal dieses Programm aufgelegt haben, ({6}) sollte man es heute nicht mit der Begründung aufgeben, dass finanzielle Gründe dagegen sprächen. ({7}) Das wäre nicht notwendig gewesen. ({8}) Es ist richtig, darauf erneut aufmerksam zu machen. Es ist nicht vernünftig und fair, etwas aus parteipolitischen Gründen zu beenden, wenn sich die Beendigung mit sachlichen Zahlen nicht begründen lässt. Ich bedanke mich von dieser Stelle aus bei denen, die sich für die Verkehrssicherheit zuständig fühlen: die großen Verbände vom Verkehrssicherheitsrat bis hin zur Verkehrswacht, die Schulen und Kindergärten, die Technischen Überwachungsvereine und auch die Polizei. Sie leisten eine wirklich hervorragende Arbeit und versuchen das umzusetzen, was wir alle wollen, nämlich durch Kontrolle, Schulung und Weiterbildung dazu beizutragen, dass bei uns eine höhere Sensibilität entsteht. Auch bedanke ich mich - das wird selten genug getan; aber hier sind wir uns alle einig - bei denen, die Rettungsdienste leisten. Mein Dank gilt sowohl den 25 000 hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Rettungsdienst quer durch ganz Deutschland, die bei Unfällen schnell helfen, als auch den ehrenamtlichen Helfern. Man muss sich das einmal vorstellen: Von diesen ehrenamtlichen Helfern im Rettungsdienst werden über 4 Millionen Stunden im Jahr geleistet. Das ist ein großartiger Einsatz von Mitbürgern unseres Landes. ({9}) Wenn man gezielt bei der Vorbeugung und Prävention weiterarbeiten will, aber aufgrund der Finanzlage nicht über ausreichende Mittel verfügt, dann sollte man über einen Vorschlag nachdenken, den ich für ganz klug halte: Den deutschen Versicherungen kommt es sehr zugute, wenn man präventiv im Vorfeld tätig ist, weil es dann zu weniger Unfällen kommt. Daher sollte bei jedem abgeschlossenen Haftpflichtvertrag 1 Euro in einen Verkehrssicherheitsfonds abgezweigt werden, den die Verbände verwalten sollten, um mit mehr Mitteln gezielt in Kindergärten, in Schulen und bei der Weiterbildung für mehr Verkehrssicherheit werben zu können. Unabhängig von der Notwendigkeit, den Verkehrssicherheitsetat im Haushalt 2002 zu erhöhen, wäre dies ein Weg, zu mehr Verkehrssicherheit zu kommen. ({10}) Verkehrspolitik in Deutschland muss Mobilität garantieren, Sicherheit gewährleisten und ein leistungsfähiges Verkehrssystem schaffen.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Börnsen, Sie müssen jetzt bitte zum Schluss kommen.

Wolfgang Börnsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000227, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, ich komme zum Schluss. - Dieser in der Vergangenheit gültigen Ausrichtung in der Verkehrssicherheitspolitik sollte auch die jetzige Bundesregierung folgen. Einen Kurswechsel zu weiterer Einsparung und Reglementierung, wie er eingeschlagen worden ist, machen wir nicht mit. Danke schön. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Das Wort für die SPDFraktion hat die Kollegin Rita Streb-Hesse.

Rita Streb-Hesse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003242, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kollege Börnsen, Sie haben mit einem Zitat geendet. Ich beginne mit einem Zitat aus einer Erklärung des Verkehrsministers anlässlich der Präsentation des neuen Verkehrssicherheitsprogramms. Sie werden sich wundern, welche Ähnlichkeit beide Zitate aufweisen. Wir können mit wachsendem Verkehr leben und mobil bleiben, aber Mobilität muss auch sicher sein. Diese Aussage des Verkehrsministers bekräftigt den hohen Stellenwert der Verkehrssicherheit auch im Rahmen rot-grüner Politik. Diese umfasst ein ganzes Bündel von Maßnahmen, um den Schutz aller Verkehrsteilnehmer zu verbessern. Im Rahmen dieser Aussprache konzentriere ich mich auf zwei Punkte: zum einen auf die technische Ausstattung von Autos und zum anderen auf die jungen Fahranfänger und Fahranfängerinnen. Wir alle sind uns insbesondere des Gefährdungspotenzials von Unfällen im Hinblick auf tödliche oder schwere Verletzungen bewusst. Obwohl es viele technische Verbesserungen - insbesondere im Inneren des Autos - gibt, müssen wir heute feststellen, dass die Frontpartien unserer Fahrzeuge leider immer noch Mängel aufweisen. Aktuelles Thema sind die Geländewagen mit Frontschutzbügeln. Diese Fahrzeuge sind für das freie Gelände konzipiert, wobei ich dahingestellt sein lasse, ob es unbedingt immer die Prärie sein muss, wie im CDU/CSU-Antrag dargestellt; in Südamerika heißt das anders. Sie mögen bei uns in der Land- und Forstwirtschaft von Nutzen Wolfgang Börnsen ({0}) sein. Auf den Straßen aber hat diese Art von Frontschutz, die auch als Kuhfänger bekannt ist, nur eine Zierfunktion als zusätzliche Stoßstange. Diese allerdings stellt für Fahrradfahrer und Fußgänger ein erhebliches zusätzliches Verletzungsrisiko und aufgrund der Erhöhung und Härte der Aufprallfläche in Kopfhöhe für Kinder sogar Lebensgefahr dar. Eine solche Gefährdung können und werden wir nicht zulassen. Gemeinsames Anliegen der Regierung und aller Fraktionen ist es daher, zusammen mit den Automobilherstellern und auf europäischer Ebene einheitliche Regelungen für eine fußgängersichere Konstruktion der Frontpartien zu finden und ein Verbot von Kuhfängern an Geländewagen auf europäischer Ebene zu erreichen. Die Bundesregierung ist seit 1998 mehrfach initiativ geworden. Zuletzt hat Bundesminister Bodewig der EUKommission im Januar vorgeschlagen, kurzfristig im so genannten Anpassungsverfahren zumindest einheitliche Vorschriften für Frontschutzbügel zu beschließen. Selbstverständlich hat die Bundesregierung auch ein nationales Verbot in ihre Überlegungen einbezogen. Das bringt aber nichts, da aufgrund der inzwischen eingeführten EU-Typgenehmigungen von Neufahrzeugen weiterhin Geländewagen mit serienmäßigen Frontschutzbügeln auf unseren Straßen fahren würden. Das war Ihnen, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, bei der Antragstellung bekannt. Ihre Große Anfrage wurde von der Bundesregierung noch im Monat April ausführlich beantwortet. Im Mai votierte der Petitionsausschuss dieses Hauses für die Weiterleitung einer diesbezüglichen Petition an das Europäische Parlament. Er hat damit ebenfalls eine EU-Regelung als notwendig und richtig erachtet. Vor diesem Hintergrund kann der Antrag Ihrer Fraktion, der nun die Bundesregierung auffordert, die Einführung technischer Vorschriften auf EU-Ebene zügig zu erreichen - man höre und staune, Kollege Börnsen; Sie haben sich eben in Bezug auf Europa und nationale Vorstellungen anders ausgedrückt - und in der Bundesrepublik für den Übergangszeitraum ein Zulassungsverbot vorzunehmen, nur als populistisch bezeichnet werden. Das haben Ihre Ausführungen gezeigt. Ihr Antrag führt auf keinen Fall zu dem Ziel, das wir gemeinsam erreichen wollen. ({1}) Festzuhalten ist: Die EU-Kommission hat das Thema aufgrund der engagierten Bemühungen der Bundesregierung erneut aufgegriffen. ({2}) Wir alle erwarten, dass baldmöglichst eine kinder- und fußgängersichere Regelung für alle Menschen nicht nur in der Bundesrepublik, sondern in Europa kommt. ({3}) Ein weiterer Schwerpunkt der Verkehrssicherheitspolitik war und ist das Fahrverhalten junger Fahranfängerinnen und Fahranfänger. Kollege Börnsen hat ein Modellprojekt in Bezug auf Alkohol- und Drogengefährdung bei jungen Leuten, das 1997 von der alten Bundesregierung zusammen mit den für Verkehrssicherheit zuständigen Verbänden gestartet wurde, zu Recht gelobt. Es ist in verschiedenen Beratungen sehr ausführlich dargestellt worden, sodass ich mir dies hier ersparen werde. Alle Fraktionen freuen sich darüber, dass der Modellversuch sehr gut verlaufen ist. Sie wussten aber bei Ihrer Antragstellung 1999, dass dieses Konzept nur eine zweimonatige Aktion in ländlichen Regionen vorsah. Sie wussten, dass die Kampagne 1998 in 17 Regionen durchgeführt werden und 1999 in weiteren 14 Regionen laufen sollte. Sie wussten auch, dass die auf drei Jahre angelegte Kampagne jährlich 2 bis 3 Millionen DM kostet und im Haushalt so etatisiert war. Wenn Sie - nun in der Opposition - eine bundesweite Ausrichtung und darüber hinaus eine Verlängerung des Modellprojektes für alle um vier Jahre fordern und bemerken, das koste nur 4 Millionen DM pro Jahr mehr, dann kann man auch hier nur sagen: Eigentlich müssten Sie rechnen können. Abgesehen von der Tatsache, dass Ihnen auch 1999 bekannt war, dass die Zahl der Handy-Benutzer unter jungen Menschen ebenso hoch war wie bei den Erwachsenen und die Telefonkarte sicherlich kein Anreiz mehr gewesen wäre, wissen Sie selbst, dass die Ausweitung Ihrer Kampagne auf 6,5 Millionen Menschen im Alter von 18 bis 24 Jahren 70 Millionen DM erfordert hätte. Ich glaube, dem hätte Ihre gesamte Fraktion bei einem Etat von insgesamt 22 Millionen DM für Verkehrssicherheit nicht zugestimmt. Daran sieht man, wie ernsthaft Ihr Antrag gewesen ist. ({4}) Kollege Börnsen, es sind nicht nur die Kosten gewesen. Sie als Fachexperte mit vielen Ihrer Kolleginnen und Kollegen aus der CDU/CSU-Fraktion wissen: Modellprojekte im Rahmen von Verkehrssicherheitsprogrammen haben ausschließlich Anstoßcharakter. Sie sollen eine Verhaltensveränderung erzielen, aber auch Anstoß zu Handlungsinitiativen vor Ort sein. In diesem Fall wäre das die Ermöglichung von Verkehrsangeboten wie Sammeltaxis, Nachtbusse und Ähnliches gewesen. Kollege Börnsen, wenn man zitiert, dann sollte man richtig zitieren, weil auch die Regierung sehr genau liest, was Organisationen schreiben. Der von Ihnen zitierte Deutsche Verkehrssicherheitsrat hat sich für eine Fortführung der Kampagne ausgesprochen, aber in Eigenregie der Länder und nur in Landkreisen mit hoher Alkoholunfallbelastung. Ein Verkehrssicherheitsprogramm erschöpft sich nicht allein in Kampagnen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin, bitte kommen Sie zum Schluss.

Rita Streb-Hesse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003242, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Zu den Maßnahmen gegen Alkohol am Steuer gehört auch die von uns vorgenommene Festlegung von 0,5 Promille und die Verlängerung des Führerscheins auf Probe für weitere zwei Jahre. Ansonsten empfehle ich Ihnen, das neue Verkehrssicherheitsprogramm sehr ausführlich zu lesen. Sie werden sehen, dass die Reduzierung des Unfallrisikos junger Fahrerinnen und Fahrer zu Recht weiterhin Priorität hat. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat der Kollege Horst Friedrich von der F.D.P.-Fraktion das Wort.

Horst Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000593, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen! Wir debattieren heute einen sehr umfangreichen Tagesordnungspunkt mit sehr vielen Einzelpunkten. Die vielen aufgeführten Einzelpunkte zeigen, wie zersplittert die Arbeit im Zusammenhang mit der Verkehrssicherheit aus unserer Sicht ist. Es ist müßig, auf die Einzelpunkte einzugehen. Wenn wir tatsächlich erreichen wollen, dass sich die Verkehrssicherheit anders darstellt, müssen wir die Debatte wieder auf die Füße stellen und nicht die Auswüchse bekämpfen. Wir müssen dafür sorgen, dass die Ursachen angegangen werden. Sehr verehrte Frau Kollegin StrebHesse, auch das neue Verkehrssicherheitsprogramm des Ministeriums zeigt nicht sehr viel Neues auf. Es ist eine Aufzählung bekannter Fakten. ({0}) Die Unfallzahlen in Deutschland sind von drei wesentlichen Kriterien abhängig: Das eine ist die aktive und passive Sicherheit des Autos. Das andere ist die funktionierende Infrastruktur. Das Letzte sind die mehr oder weniger gut funktionierenden Rettungssysteme in Deutschland. Alle drei zusammengenommen haben dazu geführt, dass in den letzten Jahren die Unfallzahl, die Zahl der Getöteten und der Schwerverletzten, kontinuierlich nach unten gegangen ist. Alles andere ist Schaulaufen und geht an den eigentlichen Ansätzen vorbei. Es ist bestenfalls sektoral und punktuell umzusetzen. Woran es tatsächlich fehlt, ist eine Konzentration aller Anstrengungen. Es ist aus unserer Sicht nach wie vor so, dass die Deutsche Verkehrswacht, der Deutsche Verkehrssicherheitsrat, das Verkehrsministerium und einige andere Institutionen zwar mit sehr viel Engagement und auch einigermaßen Geld ausgestattet vorgehen, aber doch nebeneinander herlaufen. Die Kampagne, die jetzt an den Autobahnen plakatiert wird - „Gelassen läufts“, wobei Tierfamilien gezeigt werden -, ist wunderschön anzuschauen. Die Frage ist aber: Was ist die Botschaft? Wo fange ich tatsächlich damit an? Anfangen müsste man grundsätzlich beim Führerscheinrecht. Wir haben mittlerweile offene Grenzen. Wir haben ein offenes Europa. Wir haben in den europäischen Ländern verschiedene Führerscheinausbildungen. Wir haben aber keinerlei Beschränkungen für Bürger aus anderen Staaten, bei uns zu fahren. Wann beginnt die Bundesregierung endlich damit, das gemeinsame Führerscheinrecht und die Ausbildung in Europa insgesamt auf den Prüfstand zu stellen? ({1}) Dies gilt logischerweise auch für Deutschland. In Deutschland muss das Führerscheinrecht untersucht werden. Die Fahrschulausbildung soll die Schule der Nation sein. Sie soll all die Defizite ausgleichen, die im Elternhaus und in der Schule nicht ausgeglichen werden können. Dafür ist man jedoch nicht einmal bereit, eine Eingangsqualifikation für den Beruf des Fahrlehrers zu schaffen, sodass wenigstens mittlere Reife vorgeschrieben ist. Man muss natürlich - das muss man zusätzlich sehen die Frage stellen: Kann es bei der Verkehrsdichte und der Verkehrsentwicklung auf Dauer dabei bleiben, dass das Fahrzeug im Schnitt alle zwei Jahre zur technischen Untersuchung muss, während derjenige, der das Fahrzeug fährt, ob nun Mann oder Frau, ein einziges Mal, nämlich zu Beginn seiner Fahrausbildung, zur Prüfung gehen muss? Wie viele Autofahrerinnen und Autofahrer mit Brille - auch ich trage eine - fahren nach dem Motto: Die Augen sind zwar noch gut, aber die Arme sind zu kurz. Daraus ergibt sich zwangsläufig - man wird zu spät auf Gefahrensituationen aufmerksam, weil man sie einfach zu spät sieht - ein Fehlverhalten, das zu Unfällen führt. Wenn man sich jenseits aller Ideologie die Tabellen in der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Kollegen von der CDU/CSU anschaut, dann stellt man fest, dass man die Sau „Alkohol“ nicht jeden Tag - man kann das eigentlich nur aus Horrorgründen tun - aufs Neue durch das Dorf jagen muss. Die Zahl der Unfälle, bei denen bei den Fahrern eine Alkoholkonzentration von über 3 Promille gemessen wurde, geht seit 1991 konsequent zurück. Das ist auch richtig so. Aber auch hier fehlt die Konsequenz: Es werden nach wie vor viel zu wenige verdachtslose Kontrollen zur Überwachung der neuen Vorschriften durchgeführt. Das ist der eigentliche Casus knacksus, die eigentliche Krux. Des Weiteren werden immer mehr Vorschriften erlassen, zum Beispiel das Verbot des Telefonierens mit dem Handy am Steuer. Selbst die Polizei räumt mittlerweile ein, dass ein solches Verbot nicht zu handhaben - weil nicht zu kontrollieren - ist. Nur, was nützen Gesetze, von denen jeder weiß, dass sie ein Placebo sind und dass es sich nur um Schaulaufen handelt? Niemand läuft Gefahr, bestraft zu werden, weil die Umsetzung der Gesetze nicht kontrolliert werden kann. Wenn Sie mit offenen Augen durch die Gegend fahren, werden Sie feststellen, dass sich niemand an das Handyverbot hält. Nach wie vor telefoniert jede zweite Autofahrerin bzw. jeder zweite Autofahrer mit dem Handy am Steuer und fährt quietschvergnügt durch die Gegend. Es bedarf also auch einer Sinnhaftigkeit der Gesetzgebung, keines Aktionismus. ({2}) Deswegen haben wir einen Entschließungsantrag vorgelegt, in dem das alles in den großen Zusammenhang gestellt wird. Ich bin gespannt, ob wir uns in den Ausschussberatungen auf die in unserem Entschließungsantrag enthaltenen Forderungen einigen können; denn alles das, was ich jetzt gefordert habe, steht in unserem Antrag. Ich bin gespannt, ob die Bundesregierung bereit ist, sich neben dem Verkehrssicherheitsbericht, den sie vorgelegt hat und der aus unserer Sicht nicht ausreichend ist, mit unseren Forderungen hinlänglich zu befassen. Wenn sie dazu bereit ist, werden wir im Ausschuss zu entsprechenden Ergebnissen kommen. Vielen Dank. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Helmut Wilhelm vom Bündnis 90/Die Grünen.

Helmut Wilhelm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002825, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Verkehrssicherheit liegt uns, wie man sieht, offenbar allen am Herzen. Das begrüße ich natürlich ausdrücklich. Darum kann ich die von der Union verfolgten Ziele inhaltlich auch unterstützen. Immerhin gilt es, die Zahl der Unfälle auf unseren Straßen zu reduzieren und damit die Zahl der Ursachen großen menschlichen Leids zu verringern. Dafür ist jede Anstrengung willkommen. ({0}) Auch die Problemanalyse, die allerdings nichts Neues enthält, ist zutreffend: Aufklärung hilft, Unfälle zu vermeiden. Hierfür eignen sich Sicherheitskampagnen und Sonderprogramme, die auf die Gefahren durch Alkohol und andere Drogen am Steuer gerade auch für junge Menschen hinweisen. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, Sie beschreiben in Ihrem Antrag drei Modellversuche der verflossenen Bundesregierung, die diese immerhin erst nach 15 Regierungsjahren auf den Weg gebracht hat, und das auch nur kleinräumig. Mehr brauche ich, glaube ich, nicht auszuführen; denn das hat meine Kollegin Frau Streb-Hesse bereits ausgiebig getan. Seit Februar 2001 liegt aber ein Verkehrssicherheitsprogramm des Bundesverkehrsministers vor, welches alle gesellschaftlichen Kräfte zur Mitwirkung an der Verbesserung der Verkehrssicherheit aufruft. Die wesentlichen Säulen sind: Verbesserung des Verkehrsklimas; Schutz der schwächeren Verkehrsteilnehmer; Reduzierung des Unfallrisikos bei jungen Fahrern; Minderung der Gefahren bei schweren Nutzfahrzeugen; Erhöhung der Sicherheit auf Landstraßen. Wesentlicher Bestandteil des Programms ist eine Kampagne zur Verkehrssicherheit, die zu mehr Gelassenheit im Straßenverkehr beitragen soll. Bei der überproportional hohen Zahl von Unfällen junger Fahrzeugführer ist das Alkohol- und Drogenproblem natürlich evident. Ob hier allerdings allein auf Aufklärung und freiwilligen Verzicht gesetzt werden kann, wage ich zu bezweifeln; denn bei Unfällen vor allem junger Menschen ist fast immer Alkohol mit daraus folgender Selbstüberschätzung im Spiel. Wir Bündnisgrünen haben darauf immer schon die wohl verkehrspädagogische richtige Antwort verlangt: Wer trinken möchte, soll sein Auto zu Hause lassen. ({1}) Doch der Vorschlag, die Promillegrenze von 0,8 wenigstens auf 0,5 abzusenken, hat in der vergangenen Wahlperiode unter der CDU/CSU-geführten Regierung zu schier endlosen Diskussionen und schließlich nur zu einem sehr halbherzigen Kompromiss geführt, nämlich: Promillegrenze 0,5 im Prinzip ja, aber richtig ernst wird es doch erst bei 0,8 Promille. Die SPD-Bündnisgrüne-Regierungskoalition war da schon konsequenter und hat für eine klare Grenze bei 0,5 Promille gesorgt - mit voller Sanktionierung bei Überschreitung. ({2}) Unfälle junger Menschen ereignen sich vor allem in Wochenendnächten, in den Nächten von Freitag auf Samstag und von Samstag auf Sonntag. Es handelt sich um die altbekannten Diskounfälle. Oft sind nicht nur die durch Alkohol, möglicherweise Drogen oder einfach nur durch gute Stimmung enthemmten Fahrer, sondern gleich mehrere Mitfahrerinnen und Mitfahrer betroffen. Woran liegt das? Diskos und ähnliche Lokale sind häufig nur mit dem Auto erreichbar, einfach deswegen, weil es eine Busverbindung, die eine sichere Heimfahrt oder Weiterfahrt zur nächsten Disko bietet, nicht gibt. Um dieses Defizit ursächlich zu beheben, bedarf es besserer ÖPNV-Angebote, vor allem im ländlichen Raum. Bis heute gibt es leider nur inselhaft gute Angebote von Nacht- und Diskobussen, eventuell ergänzt durch Anrufsammeltaxis. Nehmen wir das Beispiel Münsterland, ganz bewusst ein großes, weithin ländliches Gebiet, in dem angeblich das Angebot Diskobus nicht machbar oder nicht finanzierbar sein soll. Dort existieren aber in Wahrheit bereits 16 Nachtbuslinien und jede zweite Gemeinde hat ein Anrufsammeltaxi. Nachtschwärmer finden also ein fast flächendeckendes ÖPNV-Angebot vor. ({3}) Die Finanzierung solcher Nachtbusse ist mit einiger Kreativität kein Problem. Im geschilderten Beispiel gilt etwa folgende Faustformel: Ein Drittel der Kosten tragen die Fahrgäste. Ein Drittel wird von Sponsoren wie Versicherungen aufgebracht. Das letzte Drittel zahlen die Kommunen. Letztere zahlen in der Regel nicht mehr als 1 DM bis 2 DM pro Einwohner und Jahr. Dieser Bagatellbetrag rechnet sich schon sehr schnell, wenn nur alle fünf oder zehn Jahre ein einziger schwerer Unfall vermieden wird. Was ist die Quintessenz? Es kommt nicht allein auf Aufklärung und auf freiwilligen Verzicht an; mindestens ebenso wichtig sind Alternativen. Hierbei ist nicht nur der Bund, sondern sind auch die kommunale Politik und die Landespolitik in der Verantwortung. Horst Friedrich ({4}) Prinzipiell, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, zielt auch Ihr Begehren, eine Überprüfung von Unfallreparaturen zu verlangen, in die richtige Richtung. Wenn Unfallfahrzeuge in Eigenregie repariert werden, besteht in der Tat die Gefahr, dass das nicht fachgemäß geschieht. Das erhöht zweifelsohne das Unfallrisiko, wobei die Schätzungen der Technischen Überwachungs-Vereine allerdings sehr grob sind und auseinander gehen. Darüber hinaus wird der Polizei eine neue Rolle bei der Bewertung und Weitermeldung der Folgen zugewiesen, ohne dass geprüft ist, ob die Polizei dies überhaupt leisten kann. Eine automatische Überprüfung durch Sachverständige erscheint zumindest in den Fällen überflüssig, in denen die Reparatur in einer anerkannten Fachwerkstatt erfolgt ist. Die Bundesregierung hat bereits 1999 die Bundesanstalt für Straßenwesen beauftragt, zu überprüfen, inwieweit die Verkehrssicherheit wirklich durch fehlerhafte Reparaturen gefährdet wird. Abhängig von den Ergebnissen dieser Überprüfung sollte bei einer Bestätigung des Gefährdungspotenzials in der Tat ein Verfahren zur Überprüfung schwer verunfallter Fahrzeuge entwickelt und gegebenenfalls rasch vorgeschrieben werden. Dabei kann man sich sehr wohl an dem Verfahren orientieren, das in den Staaten angewandt wird, die die CDU/CSU aufgelistet hat. Zusammenfassend Folgendes: Auch in Sachen Verkehrssicherheit kann uns, meine ich, niemand Taten- oder Konzeptionslosigkeit vorhalten. Immerhin sinken die Unfallzahlen trotz des gestiegenen Verkehrsaufkommens. Die Bundesregierung ist also offenkundig doch auf dem richtigen Weg. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Der Kol- lege Dr. Winfried Wolf gibt seine Rede zu Protokoll.1) Er gibt damit ein gutes Beispiel. ({0}) Jetzt hat der Parlamentarische Staatssekretär Stephan Hilsberg das Wort.

Stephan Hilsberg (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000904

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn das Parlament redet, dann darf die Regierung nicht schweigen. Wenn die kleinste Fraktion nicht redet, dann ist das ihre Sache. Es handelt sich um ein wichtiges Thema, zu dem man auch zu dieser Tageszeit durchaus etwas Wichtiges sagen kann. Es ist immer gut, über Straßenverkehr und über Sicherheit zu sprechen. Wir haben in unserem Haus vor allen Dingen drei Probleme ausgemacht, die den Bürgern hinsichtlich der Straßenverkehrssicherheit große Sorgen bereiten. Es handelt sich zum einen um die hohe Unfallrate der 18- bis 24-Jährigen. Diese Gruppe stellt 20 Prozent all derjenigen, die an Unfällen beteiligt sind. Dieser Anteil ist weit höher als ihr Bevölkerungsanteil. Es handelt sich zum anderen um die Gefahren durch schwere LKW. Viele Menschen, seien es Fußgänger, Radoder Autofahrer, fühlen sich durch sie bedroht. Ob das zu Recht oder zu Unrecht geschieht, ist hier gar nicht die Frage. Fakt ist: Es gibt in Deutschland über 2,5 Millionen LKW und allein 160 000 Sattelzüge. Die Entwicklung ist rasant; die Anzahl der LKW wird sich weiterhin erhöhen. Insofern wird dieser Punkt auch in Zukunft ein Bedrohungspotenzial beinhalten. Es handelt sich zum Dritten um die hohe Aggressivität im Straßenverkehr: Raserei, verbale Attacken bis hin zu Handgreiflichkeiten - es ist sogar von Prominenten die Rede; ich erinnere an einige Schauspieler - sind heute keine Seltenheit mehr. Die Menschen, die das tun, geben ein schlechtes Beispiel ab. Wo sind wir hingekommen? An diesem Punkt setzen wir den Hebel an. Wir haben ein Programm für mehr Sicherheit im Straßenverkehr aufgelegt. Wir wollen nämlich das Verkehrsklima in Deutschland verbessern. ({0}) Wir wollen die Schwerpunkte von Unfallursachen entschärfen und wir wollen damit den erfreulichen Trend der letzten Jahrzehnte fortsetzen. Vor allen Dingen wollen und müssen wir dabei jeder Verkehrsteilnehmerin und jedem Verkehrsteilnehmer klarmachen: Es kommt auf einen selbst an. Jeder trägt Verantwortung, und zwar nicht nur für sich selbst, sondern auch für den anderen, der neben ihm im Auto oder auf dem Fahrrad fährt bzw. als Fußgänger am Verkehr teilnimmt. Mit unserer Kampagne „Gelassen läufts“ werben wir für mehr Geduld und Besonnenheit sowie für weniger Aggressivität auf unseren Straßen. Meines Erachtens ist diese Kampagne inzwischen jedem bekannt; das beweisen die zahlreichen Anfragen, die unser Haus bekommt. Das Echo zeigt: Unsere Arbeit für mehr Sicherheit im Straßenverkehr wird wahrgenommen. Dass Sie die Kampagne gelegentlich kritisieren, trägt zu ihrer Bekanntheit bei. Die Kampagne erfüllt auf diese Art und Weise ihren Zweck, für mehr Gelassenheit im Straßenverkehr zu sorgen. Glauben Sie mir: Es gibt viele Situationen, die man nur mit Gelassenheit bewältigen kann. ({1}) Sie sehen, dass Regierung und Opposition manchmal auf erfreuliche Art und Weise zusammenarbeiten. Diese Kampagne ist aber nur ein Teil unseres Programms für mehr Sicherheit im Straßenverkehr. Wir verfolgen natürlich weitere Ziele. Wir wollen den Schutz der schwächeren Verkehrsteilnehmer erhöhen. Fußgänger, Fahrrad- und Motorradfahrer sind immer einem besonHelmut Wilhelm ({2}) 1) Anlage 4 ders hohen Risiko ausgesetzt. Sie alle kennen die Zahlen, die das belegen. Das gilt in besonderem Maße für den Unfallschwerpunkt Landstraße und für das Gefahrenpotenzial LKW. Von daher sind die Sorgen, die sich die Bürger machen, nicht von ungefähr. Ich will auch an die Katastrophe im Tauerntunnel erinnern, die bei uns übrigens zu einem großen Forschungsprogramm geführt hat, dessen Ergebnisse inzwischen in die Verbesserung der Straßensicherheit sowie in den Bau und in die Pflege von Tunnel eingehen. Das heißt, wir setzen die Analysen, die wir uns mittlerweile erarbeitet haben, um. Wir haben uns hohe Ziele gesteckt. Natürlich ergreifen wir mehrere Maßnahmen, um diese Ziele zu erreichen. Dazu gehört zum Beispiel die verstärkte Überwachung von Lenk- und Ruhezeiten bei LKW und Bussen. Wir haben das Straßenverkehrsgesetz geändert, indem wir die 0,5-Promille-Grenze eingeführt haben. Meine Damen und Herren von der Opposition, warum haben Sie dem eigentlich nicht zugestimmt? Diese Maßnahme ist ein wirkungsvolles Instrument, um die Verkehrssicherheit zu verbessern. ({3}) Dazu zählt auch - ich könnte Ihnen das im Einzelnen aufführen - die Novelle zur Straßenverkehrsordnung. Es handelt sich um ein schwieriges, sehr differenziertes Feld. Wir sind auf all diesen Feldern tätig. Wir haben in den Innenstädten die Einführung von Tempo-30-Zonen ermöglicht und wir haben das Telefonieren im Auto reglementiert. Die Polizei mag gelegentlich feststellen, dass dieses Verbot schwer kontrollierbar sei. Dennoch ist es richtig, das Telefonieren ohne Freisprechanlage zu verbieten, weil es ein enormes Gefahrenpotenzial beinhaltet und weil es zu einem ungeheuren Stress beim Autofahren führt. ({4}) Ich kann an dieser Stelle nur appellieren: Lassen Sie das Telefonieren mit dem Handy direkt am Ohr sein. Das schadet Ihnen! ({5}) - Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Das ist mit keiner einzigen Zahl zu belegen!) - Das ist inzwischen mit genügend Zahlen zu belegen; das kann ich Ihnen durchaus verdeutlichen. Dazu zählt auch unser Auftrag an die Bundesanstalt für Straßenwesen, die Verkehrserziehung an den weiterführenden Schulen wissenschaftlich zu unterstützen und zu untersuchen. ({6}) - Nein, das ist nicht der Fall. Die Bundesanstalt für Straßenwesen wird das weiter unterstützen. - Wir werden auch sicheres Fahrverhalten durch finanzielle Anreize weiter fördern. Das sind nur einige der Maßnahmen, die wir ergriffen haben. Insbesondere geht es - das ist ja zu Recht angesprochen worden - um die so genannten Frontschutzbügel an Fahrzeugen. Meines Erachtens gehörten diese Bauteile an Autos in die Pampa oder in die Taiga. Hier bezahlen Kinder mit ihrem Leben dafür. Das geht nicht. ({7}) Diese Vorrichtungen dienen natürlich in erster Linie dem Showeffekt. Die Leute sollten lieber Mercedes fahren. Damit erzielen sie vielleicht noch mehr Aufsehen und schaden den Kindern und anderen Fußgängern nicht so sehr. Diese Frontschutzbügel sind jedenfalls in hohem Maße schädlich. Deshalb brauchen wir hier eine europäische Lösung. Das Problem ist nämlich nicht nur ein deutsches, sondern ein europäisches. Man kann es nur auf dieser Ebene lösen. Wir begrüßen die entsprechende europäische Initiative und werden uns intensiv dafür einsetzen, dass sie verabschiedet und umgesetzt wird. ({8}) - Herr Börnsen -, ich nehme Ihnen Ihr ehrliches Bemühen um dieses Thema durchaus ab. Das ist gar keine Frage. Bei der Großen Anfrage, die ja ein Anlass dieser Debatte ist, kann man sich besonders auf die Antworten verlassen. Das ist kein Wunder, denn sie sind ja von uns. Die Politik, die Sie auf dieser Grundlage machen, ist manchmal aber ein wenig unredlich. Es ist zwar völlig richtig, auf problematische Elemente in der Unfallstatistik hinzuweisen, aber zu unterstellen, während unserer Regierungszeit sei die Zahl der Unfälle gestiegen, ist nicht redlich; das Gegenteil ist der Fall. ({9}) - Lesen Sie sich Ihre Große Anfrage durch, Herr Fischer. Sie sind zwar Sprecher Ihrer Arbeitsgruppe, aber vielleicht haben Sie sie gar nicht gelesen. Ich würde Ihnen das empfehlen. In allen Fallgruppen hat sich die Unfallstatistik vom Jahr 1999 zum Jahr 2000 erheblich verbessert: Die Anzahl der Getöteten ist gesunken, sogar auf einen historisch einmaligen Stand, die Anzahl der Unfälle ist gesunken, die Zahl der Unfälle mit Personenschaden und alles, was sonst noch da hineingehört. Meine Damen und Herren, mit dieser Art Politik können Sie vielleicht Ihre eigenen Wähler verdummen, ein Beitrag zur Verkehrssicherheit ist das nur in Maßen. ({10}) Wir lassen uns nicht beirren und gehen den erfolgreichen Weg, der zu mehr Verkehrssicherheit führt, weiter. Ich freue mich deshalb, dass wir die Gelegenheit nutzen konnten, das hier einmal zu thematisieren. ({11})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat der Kollege Norbert Königshofen das Wort.

Norbert Königshofen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002703, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Verlauf der Debatte haben wir schon einige wichtige Beiträge zur Bedeutung der Verkehrssicherheit gehört. Insbesondere die Rede meines geschätzten Kollegen Wolfgang Börnsen hat uns eindringlich vor Augen geführt, dass wir bei der Verkehrssicherheit in unseren Bemühungen nicht nachlassen dürfen. ({0}) Von daher finden wir es geradezu fatal, dass Sie den Etatansatz für die Verkehrssicherheit im Haushalt von 26 Millionen DM im Jahr 1999 auf 22 Millionen DM im Jahre 2000 reduziert haben. ({1}) Das ist bedauerlich und ist Sparen am falschen Ende, Herr Staatssekretär. ({2}) Jede Mark, die wir dort sparen, erhöht die Gefahren im Verkehr. Es zeigt sich einmal mehr am heutigen Abend, dass wir in unseren Bekenntnissen weitgehend übereinstimmen. Wenn gehandelt werden muss, tun Sie sich aber manchmal außerordentlich schwer. Der Teufel steckt ja bekanntlich im Detail. ({3}) Deswegen möchte ich auf die zwei Anträge der CDU/CSU-Fraktion eingehen, die heute Abend vorliegen. Zum einen fordern wir mit Antrag vom 22. Juni 1999 - solange hat es gedauert, bis sich das Hohe Haus damit beschäftigt ({4}) die Überprüfung von Kraftfahrzeugen nach Unfallreparaturen. Ein Großteil der 5 Millionen Unfallwagen wird in Selbsthilfe repariert. Das gilt insbesondere für Fahrzeuge, die älter als acht Jahre sind. Von diesen werden 30 Prozent in Selbsthilfe repariert. Nach Erkenntnissen der Technischen Überwachungs-Vereine sind gerade diese selbst reparierten PKWs an circa 30 000 Unfällen jährlich beteiligt. Unsachgemäße Reparaturen an Lenkung, Bremsen, Fahrgestell sind häufig unfallauslösend und ebenso Mängel bei Sitzen, Gurten, Gurtverankerungen und Gurtstraffern. Deswegen möchten wir, dass sie vor Wiederinbetriebnahme durch einen Sachverständigen geprüft werden und eine entsprechende Regelung in die Straßenverkehrs-Zulassungsordnung aufgenommen wird. Wenn gesagt wird, es sei mit der Abgrenzung außerordentlich schwierig, so müssen wir darauf hinweisen, dass in den EU-Mitgliedsländern Belgien, Frankreich, Italien, Luxemburg, den Niederlanden, Österreich und Spanien und auch in der Schweiz eine besondere Überprüfung schwer verunfallter Fahrzeuge nach ihrer Reparatur verlangt wird. Was in anderen Ländern geht, muss auch bei uns möglich sein. ({5}) Zum Zweiten fordern wir mit Antrag vom 20. Juni 1999, dass die Frontpartien von Fahrzeugen europaweit fußgängersicherer gestaltet werden. Andere Redner haben auch schon darauf hingewiesen und markig gesagt, diese „Kuhfänger“ müssten weg. Ja, meine Damen und Herren, dann lassen Sie uns doch etwas dagegen tun! ({6}) - Ich weiß, Frau Hesse: Sie verstecken sich hinter europäischen Regelungen, die natürlich ihre Zeit dauern. Das wissen wir auch. Aber warum wird denn nicht der Versuch gemacht, beispielsweise mit den Herstellern über Selbstverpflichtungen zu reden? ({7}) Man kann doch erst einmal versuchen, auf die Einsicht der Leute zu bauen und zu erreichen, dass solche Dinge beseitigt werden. Denn es ist in der Tat so: Wir haben bei 66 000 Unfällen zwischen Fußgängern und Fahrradfahrern einerseits und PKWs andererseits allein im Jahr 1999 drei Tote bei den PKW-Insassen, aber 868 Tote nur bei Fußgängern und Fahrradfahrern zu beklagen. Deswegen muss an der Frontpartie etwas geändert werden. Wir müssen die Frontschutzbügel beseitigen. Wir müssen auch dazu kommen, dass die Frontpartien elastisch sind, sodass sie nicht einen so großen Schaden anrichten. ({8}) Die Verkehrssicherheit erfordert Anstrengungen in vielen Bereichen. Darauf ist verschiedentlich hingewiesen worden. Hier liegen Ihnen zwei ganz konkrete Anträge vor, denen Sie zustimmen können. Sie haben damit die Möglichkeit, in zwei konkreten Fällen etwas für die Verkehrssicherheit zu tun. Ich fordere Sie auf, nicht nur den Mund zu spitzen, sondern auch zu pfeifen. Stimmen Sie unseren Anträgen zu! Sie helfen damit, die Verkehrssicherheit zu verbessern, und Sie helfen auch, Leben zu retten. ({9})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt hat die Kollegin Margrit Wetzel von der SPD-Fraktion das Wort.

Dr. Margrit Wetzel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002494, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Chefsache hat einen Namen: „Gelassen läufts“ heißt die Verkehrssicherheitskampagne, mit der der Verkehrsminister ein neues Leitbild der Selbstverantwortung, Souveränität und Gelassenheit im Verkehr breit in unserer Gesellschaft verankern möchte. In aller Gelassenheit deshalb ein kurzes Wort zu Ihren Anträgen. Sie fordern, was lange Realität ist: die ständige und beharrliche gemeinsame Arbeit von Regierung, Parlament, Verkehrswacht, Verkehrssicherheitsrat, die an einem - übrigens zum ersten Mal - aufgelegten Verkehrssicherheitsprogramm 2000 mitgewirkt haben, das gemeinsam mit den Schulen, der Polizei, vielen engagierten Organisationen aus dem Hilfs- und Rettungswesen, den Medien, den Ländern und Kommunen umgesetzt werden soll. Der Bund stößt Kampagnen an, erteilt viele Forschungsaufträge, um Gefahrenpotenziale zu erkennen, und greift auch ordnungspolitisch durch. So ist im letzten Jahrzehnt die Zahl der Unfälle unter Alkoholeinfluss - das wurde bereits mehrfach erwähnt - um mehr als 30 Prozent zurückgegangen. Der größte Rückgang wurde 1998 nach dem In-Kraft-Treten der Absenkung der Promillegrenze erzielt. Bei der Kindersicherung im PKW zum Beispiel haben wir nach erheblichen Anlaufschwierigkeiten inzwischen Sicherungsquoten von 94 Prozent, auf dem Beifahrersitz von 98 Prozent erreicht. Damit entspricht die Sicherung von Kindern endlich der von Erwachsenen, ({0}) ein Erfolg übrigens der gemeinsamen Arbeit von Regierung und Opposition, der guten Kooperation von Parlamentariern. - Herr Börnsen, Sie brauchen nicht wegzuschauen, ich erinnere mich gut an die Zusammenarbeit und bin Ihnen noch heute dafür dankbar. Aber wir müssen mit der Zeit gehen. Verkehrssicherheit braucht ständig neue Aufmerksamkeit, neue Vermittlungspotenzen, muss immer wieder neu aktuell bewusst werden. Über die Telefonkarte von gestern sind die jungen Handybesitzerinnen nicht mehr zu gewinnen; aber die vorgeschriebene Freisprechanlage im PKW spricht die Technikfreudigkeit der jungen Generation an und beugt damit schon auf diesem Weg neuen Gefahrenquellen vor. Wir wollen die enge Kooperation mit den Ländern und Kommunen, um die Verkehrssicherheit auf den Landstraßen zu erhöhen. Diese erreichen wir nicht mit nationalen Kampagnen, sondern durch ganz gezielte lokale Aktivitäten, manchmal sogar durch „blöde“ Sprüche, wenn sie denn „blöd“ genug sind, um Aufmerksamkeit zu erzielen und lokal wahrgenommen zu werden. Wir wollen Anreize versicherungstechnischer Art, freiwillige Weiterbildung und viel Training für junge Fahrer, aber natürlich auch harte Sanktionen bei Verstößen gegen die Verkehrssicherheit. Seit 1995 ist - entgegen Ihren Behauptungen, zumindest denen in den Anträgen - die Zahl der Unfälle mit Personenschäden - bezogen auf die gestiegene Fahrleistung - durchschnittlich um 4 Prozent, die Zahl der getöteten Menschen um mehr als 20 Prozent zurückgegangen. Ich denke, das ist ein Erfolg, an dem wir permanent und täglich weiterarbeiten müssen. ({1}) Das Verkehrssicherheitsprogramm 2000 setzt deshalb auch ganz bewusst auf die Entschärfung erkannter Unfallschwerpunkte, sei es, dass sich Kampagnen in der warmen Jahreszeit an die dann besonders gefährdeten Zweiradfahrer richten, in den Wintermonaten an die Rücksicht auf Fußgänger appellieren oder aber die technische und ordnungspolitische Risikominimierung bei LKWs zum Schwerpunkt gemacht wird. Ich freue mich ganz besonders über die Medien, TV und Rundfunk, die zu besten Sendezeiten besondere Zielgruppen ansprechen, die Kindern über beliebte Figuren und Sendungen das Bewusstsein für die Aufmerksamkeit im Verkehr und die wichtigsten Regeln vermitteln - ich denke, das ist die geschickteste Art, Kinder anzusprechen -, die Schüler gezielt auf das Verhalten im Schulbus hinweisen, die Jugendlichen für die Gefahren von Discounfällen sensibilisieren sowie die Folgen überhöhter Geschwindigkeit und die Selbstverantwortung der Jugendlichen deutlich machen. Ich denke, wir müssen auch noch viel stärker die alten Menschen als schwächere Verkehrsteilnehmer im Blick haben. Alter bringt irgendwann unvermeidbar eine reduzierte Reaktionsfähigkeit, eine Überforderung durch Geschwindigkeiten und das Sehen lässt nach; wir kennen diese Probleme. Alter fordert einfach unsere Rücksicht. Deshalb sind wir dem Minister ganz besonders dankbar, dass er sich so intensiv gegen Aggressivität im Straßenverkehr wendet und ein Klima der Gelassenheit und Souveränität einfordert. Helfen wir ihm dabei, auch dadurch, dass wir diese Debatte ohne Aggressivität, sondern in harmonischem Miteinander führen - zumindest zum Teil ist das ja auch erfolgt -, vor allem aber mit einem gemeinsamen Dank - Herr Börnsen hat die Debatte damit eröffnet und ich möchte sie gerne so beschließen an und großer Anerkennung für all diejenigen, die täglich aktiv für die Sicherheit im Straßenverkehr arbeiten und eintreten. Ich wünsche dem Minister im Namen der Koalitionsfraktionen allen Erfolg bei der Umsetzung seiner Kampagne und seines Verkehrssicherheitsprogramms 2000! ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Tagesordnungspunkt 11 a: Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Entschließungsantrag der Fraktion der F.D.P. auf Drucksache 14/6584 zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen und zur Mitberatung an den Rechtsausschuss und an den Innenausschuss zu überweisen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Tagesordnungspunkt 11 b: Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 14/6316 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Tagesordnungspunkt 11 c: Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bauund Wohnungswesen auf Drucksache 14/6569 zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel „Nationale Verkehrssicherheitskampagne - Sonderprogramm für junge Autofahrerinnen und Autofahrer zur Verhinderung von alkohol- und drogenbedingten Verkehrsunfällen“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/659 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen der CDU/CSU bei Enthaltung der F.D.P. angenommen. Tagesordnungspunkt 11 d: Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen auf Drucksache 14/6553 zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU zur Überprüfung von Kraftfahrzeugen nach Unfallreparaturen. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/1207 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Dann ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der F.D.P. und der PDS gegen die Stimmen der CDU/CSU angenommen. Tagesordnungspunkt 11 e: Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel „Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen im Fahrerlaubniswesen“, Drucksache 14/2187. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/1209 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 12 sowie Zusatzpunkt 10 auf: 12. Beratung des Antrags der Abgeordneten Bodo Seidenthal, Klaus Barthel ({0}), HansWerner Bertl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Hans-Josef Fell, Dr. Reinhard Loske, Christian Simmert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN 6. Forschungsrahmenprogramm 2002-2006 ({1}) - Europäische Forschung stärken - Drucksache 14/6541 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für. Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({2}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike Flach, Cornelia Pieper, Birgit Homburger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P. 6. Forschungsrahmenprogramm 2002-2006 ({3}) - Transparenter und unbürokratischer gestalten - KMU besser einbeziehen - Europäische Energieforschung weiter ausbauen - Drucksache 14/6549 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({4}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Alle Redner wollen ihre Reden zu Protokoll geben. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Es handelt sich um die Redner Bodo Seidenthal von der SPD, Erich Maaß ({5}) von der CDU/CSU, Hans- Josef Fell vom Bündnis 90/Die Grünen, Ulrike Flach von der F.D.P., Maritta Böttcher von der PDS und um den Par- lamentarischen Staatssekretär Wolf-Michael Catenhusen.1) Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 14/6549 - es handelt sich um Zusatzpunkt 10 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Vorlage auf Drucksache 14/6541 - es handelt sich um Tagesordnungspunkt 12 - soll an dieselben Ausschüsse überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 13 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Börnsen ({6}), Dirk Fischer ({7}), Eduard Oswald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Feste Fehmarnbelt-Querung - Klarheit und Konkretisierung - ökonomisch geboten, ökologisch sinnvoll - Drucksache 14/6313 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({8}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Tourismus Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss Auch hier sollen alle Reden zu Protokoll gegeben werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Es handelt sich um die Reden von Dr. Christine Lucyga und Reinhold Hiller ({9}) von der SPD, Wolfgang Börnsen ({10}) von der CDU/CSU, Grietje Bettin vom Bündnis 90/Die Grünen, Jürgen Koppelin von der F.D.P. und Winfried Wolf von der PDS. 2) Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 14/6313 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms 1) Anlage 5 2) Anlage 6 verstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 14 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten HansJoachim Otto ({11}), Ina Albowitz, Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P. Kulturföderalismus in Deutschland erhalten - Drucksache 14/4911 ({12}) Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien ({13}) Rechtsausschuss Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder Ausschuss für Tourismus Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Auch hier sollen alle Reden zu Protokoll gegeben werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Es handelt sich um die Reden von Eckardt Barthel ({14}) von der SPD, Dr. Norbert Lammert von der CDU/CSU, Dr. Antje Vollmer vom Bündnis 90/Die Grünen, HansJoachim Otto ({15}) von der F.D.P., Heinrich Fink von der PDS und von dem Staatsminister Professor Dr. Nida-Rümelin.1) Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 14/4911 neu an die in der Tagesordnung auf- geführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- verstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Jetzt rufe ich die Tagesordnungspunkte 15 a und 15 b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Norbert Blüm, Klaus-Jürgen Hedrich, Ingrid Fischbach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU RUGMARK bei geplanter Fusion mit Care & Fairunterstützen und gleichzeitig Vorsorge für ein mögliches Scheitern der Verhandlungen treffen - Drucksache 14/6317 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({16}) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({17}) zu dem Antrag der Abgeordneten Erika Reinhardt, Dr. Norbert Blüm, Klaus-Jürgen Hedrich, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Gegen den Missbrauch von Kindern als Soldaten - Drucksachen 14/2243, 14/6289 Berichterstattung: Abgeordnete Karin Kortmann Erika Reinhardt Dr. Angelika Köster-Loßack Joachim Günther ({18}) Carsten Hübner Hier wollen leider nur zwei Kolleginnen und Kollegen ihre Reden zu Protokoll geben. In Anbetracht der geringen Zahl der Zuhörer wäre es eigentlich angemessen, auch die anderen würden ihre Reden zu Protokoll zu geben. Aber es steht den Kolleginnen und Kollegen natürlich frei zu reden. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der Kollege Dr. Norbert Blüm von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.

Dr. Norbert Blüm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000204, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist im Kampf gegen die Kinderarbeit so spät wie heute Abend im Parlament. Aber ich würde auch um 2 Uhr nachts noch gegen die Kinderarbeit reden. ({0}) Aus meiner Sicht nimmt die Kinderarbeit eine Schlüsselstelle im Kampf gegen die Armut in der Welt ein. Ich brauche keine Futurologen: Wie es den Kindern heute geht, so sieht die Zukunft für die Erwachsenen aus. Nun gibt es unterschiedliche Mittel. Eines der intelligentesten Mittel - nicht das Patentrezept - ist RUGMARK. Was ist RUGMARK? Teppiche aus Indien, aus Nepal und aus Pakistan werden mit einem Label versehen, das besagt, dass sie kinderarbeitsfrei sind. Damit schlägt man mit der Logik des Wettbewerbs sozusagen ein soziales Schnippchen im Sinne der sozialen Marktwirtschaft. Ich habe gelernt - das ist auch richtig -, dass der Kunde König ist. Er kann seine Kundenmacht auch für moralische Ziele einsetzen. Er kann einen Teppich kaufen, der von Kinderhänden geknüpft ist. Aber er muss es nicht. Es gab von jeher die Figur des ehrbaren Kaufmanns. Warum kann es nicht auch den anständigen Kunden geben, dessen Macht im Kampf gegen Ausbeutung eingesetzt wird? Ich bin mir sicher, dass darin alle übereinstimmen. Im Tierschutz ist es uns schon gelungen, bestimmte Angebote sozusagen zu diskriminieren. Es läuft heute niemand mehr mit Elfenbeinschmuck oder mit einem Tigerfell durch die Gegend. Was für den Tierschutz richtig ist, das ist für den Kinderschutz dreimal richtig. ({1}) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms 1) Anlage 7 Ich sage es noch einmal: Es ist kein Patentrezept. Aber es sind die marktwirtschaftlichen Mittel, mit denen klargestellt werden muss: Ausbeutung darf kein Geschäft sein. So einfach ist das. ({2}) Ich will ausdrücklich die Kunden und auch die Handelshäuser loben, die sich auf RUGMARK eingelassen haben: Karstadt, Otto-Versand, Teppich Kibeck und viele andere. RUGMARK verfolgt eine Doppelstrategie, weil sie einerseits den Kunden Hilfe zur moralischen Orientierung gibt und andererseits dafür sorgt, dass die Exporteure in Indien 0,25 Prozent des Exportpreises und die Importeure hier 1 Prozent des Importpreises an RUGMARK zahlen. Davon werden 0,25 Prozent für RUGMARK Deutschland für Aufklärung und Öffentlichkeitsarbeit abgeführt. Das Geld kommt Hilfsprogrammen für diese Kinder und ihren Familien zugute. Es ist also eine Doppelstrategie, einerseits abzustempeln - diesmal positiv abzustempeln - und andererseits Geld zu nehmen, um zu handeln. Das verdient auch die Unterstützung der Bundesregierung. ({3}) Ich sehe aber, dass diese Unterstützung abnimmt. 1999 waren es 265 000 DM, im Jahr 2000 240 000 DM und im ersten Halbjahr dieses Jahres sind es 80 000 DM. Es gibt also eine abnehmende Tendenz. Das ist die falsche Richtung. Dieser Gedanke braucht Unterstützung und Rückenwind. Nun ist eine Fusion von RUGMARK und Care & Fair geplant. Care & Fair ist eine andere Initiative, die ebenfalls eine Abgabe verlangt, die auch Hilfsprogrammen zugute kommt - so weit, so gut. Diese Hilfsprogramme sind ausdrücklich willkommen. Aber das ist zu wenig. Es ist ja eine Art Ablasshandel. Damit haben wir schon vor der Reformation schlechte Erfahrungen gemacht. Wenn RUGMARK und Care & Fair fusionieren, dann nur auf der Grundlage der sauberen Kriterien von RUGMARK. ({4}) Das Label darf seinen Qualitätsbeweis nicht verleihen. Nur unter diesem Gesichtspunkt ist eine solche Fusion herzlich willkommen. Ich will noch einen institutionellen Aspekt erwähnen. Ich habe meine Zweifel, ob es der beste Gedanke ist - das schlagen manche vor -, dieses unter dem Dach des Teppichverbandes zu machen. Die Verbraucherschutzzentrale ist ja auch keine Unterabteilung des Groß- und Einzelhandelsverbandes. Aber das ist eine institutionelle Frage. Also: Fusion ja, aber nicht um jeden Preis. Wenn die Fusion scheitert, darf RUGMARK nicht in der Luft hängen. An der Stelle ist der Geldhahn das falsche Instrument, um Druck zu machen. RUGMARK muss erhalten bleiben. Immerhin sind die Erfolge ja nicht gering. In Indien laufen 25 Prozent des Teppichhandels unter diesem Label, in Nepal sind es sogar 60 Prozent; in Pakistan sind es mehrere Tausend Webstühle. Ich verspreche mir von dem Gedanken, dass von ihm eine gewisse Ansteckung auch auf andere Produkte ausgeht. Ich sage noch einmal, meine Damen und Herren: Ich sehe RUGMARK nicht als Patentrezept im Kampf gegen Kinderarbeit. Wir brauchen weiterhin erstens das Verbot und zweitens die Hilfe. Wir brauchen weiterhin die Unterstützung der ILO für den Kampf gegen Kinderarbeit, wobei ich der ILO als Freund vorschlage, weniger Workshops und Meetings abzuhalten und das Geld direkt gegen die Kinderarbeit einzusetzen. ({5}) Ich habe dafür Beispiele: In Europa ist das Geld genommen worden, um Computer im Ministerium anzuschaffen. Ich habe nichts dagegen, dass Computer gekauft werden. Aber einen unmittelbaren Zusammenhang mit dem Kampf gegen die Kinderarbeit sehe ich nicht. ({6}) Also, bürokratisch werdet ihr diese Ausbeutung nicht bekämpfen. Dafür brauchen wir schon einen etwas handfesteren Ansatz. Weitere Meetings und dicke Bücher brauchen wir auch nicht; denn es ist fast alles gesagt, was zu diesem Thema zu sagen ist. Man braucht handfeste Aktionen. Eine der handfestesten und klügsten Aktionen ist RUGMARK. Ich hoffe, wir stimmen darin überein, dass RUGMARK erhalten und weiter unterstützt werden muss, dass die harten, klaren Kriterien der Zertifikation erhalten bleiben müssen. Eine Fusion ist herzlich willkommen, aber nur unter Beibehaltung der harten Kriterien von RUGMARK. Eine Geldabgabe allein ist nicht das geeignete Mittel. Ich wünsche jedenfalls jedem auf einem Teppich, der mit Kinderhänden geknüpft worden ist, keine fröhliche Party. Ich wünsche keinem Partygast auf einem auf Kinderausbeutung beruhenden Teppich ein fröhliches Fest. Das muss man auch unter die Leute bringen. ({7}) Das, Herr Präsident, ist fast alles. Was das Thema Kindersoldaten angeht, so hoffe ich, dass man dazu in diesem Saal nicht viele Worte machen muss und dass die Philologen jetzt nicht anfangen, an einem Text herumzuarbeiten. Bei Kindersoldaten und Kinderprostitution würde ich noch nicht einmal das angesehene Wort „Arbeit“ in den Mund nehmen. Das ist einfach ein Verbrechen, ein handfestes Verbrechen. ({8}) Das ist nicht nur Sache des Staates, sondern auch von Befreiungsaktionen. Das ist Kindersklaverei. Kinder werden als Minenhunde eingesetzt. Da, wo die Hunde nicht mehr hingeschickt werden, werden Kinder hingeschickt. Darüber kann es nur eine gemeinsame Verachtung geben. Ich gehe davon aus, dass wir in diesem Haus in dieser Verachtung ohne Abstriche übereinstimmen und dass wir uns jetzt nicht an die parteipolitische Feinarbeit machen und darüber diskutieren, ob man irgendeinen Satz besser formulieren könnte. Die Absicht muss klar sein. ({9}) Der langen Rede kurzer Sinn - Herr Präsident, auch um 24 Uhr würde ich noch dasselbe sagen -: Kinderarbeit ist eine Schande in dieser Welt. Kinderarbeit ist die Fortsetzung der Armut: Weil die Kinder nicht zur Schule gehen, werden sie als Erwachsene arbeitslos sein. Weil sie als Erwachsene arbeitslos sind, werden deren Kinder wieder in die Kinderarbeit geschickt. So wälzt sich der Teufelskreis fort. Deshalb hoffe ich, dass viele mitkämpfen. Wir unterstützen die ILO und wir unterstützen den Gedanken der RUGMARK, weil er ein intelligenter, marktwirtschaftlicher Gedanke ist. ({10})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002190, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Karin Kortmann von der SPDFraktion das Wort.

Karin Kortmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003161, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident, Sie haben eben gesagt, es wäre schön, wenn wir alle die Reden zu Protokoll geben würden. Das hätte ich gern getan. Aber Herr Blüm wollte es nicht tun. Herr Blüm, ich habe ein Problem, wenn Sie hier an die Moral und Ethik appellieren; denn die Frage ist immer, welches der richtige Weg des politischen Handelns ist. Von der Zielsetzung her kann ich Ihnen folgen. Aber ich verstehe viele andere Dinge nicht, wie unter anderem die Tatsache, dass Sie im letzten Jahr bei den Haushaltsberatungen im Ausschuss für Menschenrechte unbedingt eine Kürzung der Unicef-Gelder herbeiführen wollten, weil sie Ihnen in der politischen Linie nicht gepasst hat. ({0}) Deswegen müssen wir Acht geben, in welchem Kontext Sie die Moral einfordern.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Kortmann, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Blüm?

Karin Kortmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003161, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, Herr Blüm hatte gerade zehn Minuten und ich habe jetzt noch ganze zwölf. ({0}) - Es mangelt mir überhaupt nicht an Souveränität, sonst würde ich hier nicht stehen. ({1}) Ich werde die Souveränität inhaltlich unterfüttern, damit Sie mal wissen, worüber wir überhaupt reden. In der heutigen Debatte reden wir nämlich über zwei spezifische Aspekte der Kinderarbeit, einmal - Sie haben es angesprochen, Kollege Blüm - über Kinder in der Teppichindustrie und zum Zweiten über den Antrag „Gegen den Missbrauch von Kindern als Soldaten“. Ich glaube, wir müssen beide Anträge im Lichte der Bemühungen sehen, bei denen es um die Ratifizierung des Übereinkommens über das Verbot und die unverzüglichen Maßnahmen zur Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit geht. Die Konvention 182 der ILO haben wir in dieser Woche auch im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung beraten. In der Tendenz sind wir uns einig gewesen und haben einstimmig zugestimmt, dass der Antrag der Bundesregierung Unterstützung findet und wir diese ILO-Konvention endlich auch in Deutschland ratifizieren können. Der Bundesregierung sei Dank dafür ausgesprochen, dass sie die Vorarbeiten dafür hervorragend geleistet hat. ({2}) Die ILO-Konvention beschreibt einen doppelten Auftrag: Die Unterzeichner und Unterzeichnerinnen verpflichten sich einerseits, in ihren jeweils nationalen Bereichen und andererseits im internationalen Kontext dafür Sorge zu tragen, dass die Beseitigung der Kinderarbeit vorrangiges Ziel sein muss und dafür unverzügliche und umfassende Maßnahmen einzuleiten sind. 60 Staaten hatten dieses Abkommen bis Anfang des Jahres bereits ratifiziert. Indien, ein Land, in dem Kinderarbeit in der Teppichindustrie angeprangert wird, und Länder wie Angola, Burundi, die Demokratische Republik Kongo oder beispielsweise der Sudan und Uganda, in denen der Einsatz von Kindern als Soldaten immer noch möglich ist, fehlen auf dieser Liste. Wir sollten alles dafür tun, dass auch sie dieses Abkommen ratifizieren. Trotz vieler Widerstände - auch aus den Entwicklungsländern - bei der Erarbeitung dieses Abkommens konnten bemerkenswerte Ergebnisse erzielt werden. Das Wichtigste - ich glaube, das können wir alle begrüßen ist die gemeinsame Definition dessen, was unter den schlimmsten Formen der Kinderarbeit zu verstehen ist. Es wurden vier Kategorien genannt. Erstens benennt das Abkommen alle Formen der Sklaverei wie den Verkauf von Kindern, den Kinderhandel, die Schuldknechtschaft, die Leibeigenschaft und die Zwangsoder Pflichtarbeit einschließlich der Zwangs- oder Pflichtrekrutierung von Kindern für den Einsatz in bewaffneten Konflikten, also den so genannten Kindersoldaten, über die wir hier sprechen. Zweitens fallen unter die schlimmsten Formen der Kinderarbeit das Heranziehen, Vermitteln und Anbieten eines Kindes zur Prostitution und zur Herstellung von Pornographie. Man mag es kaum glauben. Drittens wird das Heranziehen, Vermitteln oder Anbieten eines Kindes zu unerlaubten Tätigkeiten, insbesondere zur Gewinnung von und zum Handeln mit Drogen, genannt. Viertens ist jede Arbeit verboten, die ihrer Natur nach oder aufgrund der Umstände, unter denen sie verrichtet wird, voraussichtlich für die Gesundheit, die Sicherheit oder die Sittlichkeit von Kindern schädlich ist, wie beispielsweise die Arbeit von Kindern in der Teppichindustrie. Bemerkenswert ist auch, dass sich die Mitglieder der ILO auf die Altersschutzgrenze von 18 Jahren einigen konnten. Damit konnte nämlich der Standard, den die UNKinderrechtskonvention vorgibt, erhalten werden und auch in diesen Bereichen Anwendung finden. Ich glaube, es ist in Ordnung, wenn ich hier sage: Wir fordern, dass diese Schutzgrenze auch in anderen Bereichen, wie zum Beispiel beim Flüchtlingsstatus und bei der Asylbeantragung, eine ungeteilte Gültigkeit erlangt. Die Unterzeichnerstaaten verpflichten sich weiter, Kindern, die aus der schlimmsten Form der Kinderarbeit befreit wurden, eine freie Grundbildung zu gewähren und ihnen möglichst auch eine Berufsausbildung zu ermöglichen. Wir wissen, dass die soziale Eingliederung unter gleichzeitigem Eingehen auf die Bedürfnisse der Familie eine wirkungsvolle Möglichkeit ist. Sehr wichtig und besonders zu begrüßen ist die Einbeziehung von Nichtregierungsorganisationen in die Planung und Durchführung von Aktionsprogrammen zur Bekämpfung von Kinderarbeit. Denken wir an die Arbeit von Misereor, des Roten Kreuzes, von Terre des hommes, aber auch an diejenigen, die durch faire Handelsbeziehungen mit dazu beitragen, Produkte, die ohne ausbeuterische Kinderarbeit hergestellt werden, zu vermarkten: die Welthungerhilfe, die gepa und TRANSFAIR. Bei allen Bestrebungen, gegen die schlimmsten Formen der Kinderarbeit vorzugehen, sind wir uns doch alle darin einig, dass Kinderarbeit größtenteils durch Armut verursacht wird. Mit dem Aktionsprogramm 2015 hat die Bundesregierung einen neuen Weg eingeschlagen. Jenseits aller Ressortpolitik hat sie die Bekämpfung der Armut zum Programm der gesamten Regierung erklärt. Dies trägt zu einer kohärenten und nachhaltigen Zielerreichung, so wie wir sie immer fordern, bei. Ich freue mich, dass dies erstmals in der Bundesrepublik gelungen ist. Die Zustimmung und aktive Mitarbeit der Kirchen und Nichtregierungsorganisationen zeigt, dass der Weg, den wir gehen, richtig ist. Wir setzen auf Bildung und Qualifizierung von Kindern und Erwachsenen. Wir sehen die langfristigen Lösungen in einem nachhaltigen Wirtschaftswachstum und einer nachhaltigen sozialen Entwicklung, an der alle Teile der Bevölkerung partizipieren müssen. Warum erwähne ich das alles in dieser epischen Breite? Weil wir genau deshalb die Initiative begrüßen, die 1995 zur Gründung von RUGMARK, einer internationalen Initiative gegen Kinderarbeit in der Teppichindustrie, geführt hat. Ich war damals noch Bundesvorsitzende beim BDKJ, Herr Blüm; wir haben diese Initiative außerordentlich unterstützt und tun es bis heute, auch in der parlamentarischen Debatte. Es war nicht leicht, die Teppichproduzenten und Teppichhändler sowie die Käuferinnen und Käufer von der Idee zu überzeugen, zwei Strategien unter dem Dach von Wirtschaftsinteressen zu vereinen. Durch RUGMARK ist es erstmals gelungen - zuerst in Nepal und dann in Pakistan -, eine Produktkontrolle und Zertifizierung am Produktionsstandort zu erreichen sowie einen Teil des Verkaufserlöses für Sozialprogramme für teppichknüpfende Kinder und deren Familien bereitzustellen. Gleichzeitig ist es durch eine begleitende Öffentlichkeitsarbeit gelungen, in der indischen, aber auch in der deutschen Gesellschaft ein Bewusstsein für die Arbeitsbedingungen von Kindern in den Entwicklungsländern insgesamt und in der Teppichindustrie im Besonderen zu wecken. Die Einführung dieses „Gütesiegels“ hat zu mehr Transparenz und einer Überprüfung der Arbeitsbedingungen geführt; sie hat auch Auswirkungen auf andere Produktionsbereiche gehabt. RUGMARK wurde zu einem besonderen Gütekriterium, an dessen Erfolg - Herr Blüm, ich will Ihre Leistung überhaupt nicht schmälern - Sie einen ganz besonderen Anteil hatten, wofür wir Ihnen zu danken haben. ({3}) Nun weiß aber jeder - damit kommen wir zu Ihrem Antrag -, der die Bedingungen der Marktwirtschaft kennt, dass eine solche Initiative nicht nur eine ordentliche Anschubfinanzierung, sondern auch eine kräftige Regelförderung braucht. Diese Regelförderung, Herr Blüm, hat in dem Haushalt des BMZ bisher mit mehr als 2,5 Millionen Mark zu Buche geschlagen. ({4}) Deshalb ist die Frage - nicht nur unter haushaltstechnischen Gesichtspunkten -, wie RUGMARK seitens des Bundes weiter unterstützt werden soll, ({5}) absolut zulässig. Sehr problematisch ist die Forderung der Union nach einer mittel- und langfristigen weiteren Förderung. Sie ist weder entwicklungspolitisch sinnvoll noch instrumentell einsetzbar und - Sie wissen das selber - nicht finanzierbar. Außerdem ist ein Siegel entwicklungspolitisch nur dann wertvoll, wenn es sich als Instrument einer Verbraucherpolitik nach einer gewissen Zeit selber tragen kann. Nur dann ist die von uns immer so hoch gepriesene Nachhaltigkeit auch in der Praxis gewährleistet. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung - speziell die Parlamentarische Staatssekretärin, Frau Eid, - ist seit Monaten in intensiven Verhandlungen, um die Idee von RUGMARK unter neuen finanziellen Bedingungen absichern zu helfen. Eine Fusion mit Care & Fair unterstützen wir seitens der SPD-Bundestagsfraktion. Dass RUGMARK damit seine Grundprinzipien nicht aufgeben darf, aber auch Verhandlungsbereitschaft mitbringen muss - das Gleiche gilt für Care & Fair -, liegt auf der Hand. Die Situation ist ähnlich wie bei Tarifverhandlungen. Sie wissen es ganz genau: Wer sich in Verhandlungen keinen Millimeter bewegt, ist als Verhandlungspartner schnell am Ende. Die BMZ-Leitung hat eine wertvolle Vermittlungshilfe geleistet und tut dies auch weiterhin, kann sich aber nicht zum Anwalt einer Vertragspartei erklären. Anträge der Art, wie Sie sie uns vorlegen, helfen in der augenblicklichen Situation wenig weiter. ({6}) Lassen Sie uns aber die Gemeinsamkeiten festhalten, die auch für das weitere Verfahren wichtig sind: Erstens. Wir wollen, dass es weiterhin ein Teppichsiegel gibt. Zweitens. Wir wollen, dass sich die Produktionsbedingungen nach wie vor an vereinbarten, transparenten und überprüfbaren Kriterien messen lassen. Drittens. Wir wollen, dass die so genannten Mehreinnahmen weiterhin für Sozialprogramme zur Verfügung gestellt werden. Viertens. Wir wollen, dass es zu einer Ausweitung von fair geknüpften Teppichen und damit zu einer Reduktion des Teppichhandels ohne Siegel kommt. Wir wissen aber, dass wir dazu - fünftens - eine intensivere Verbraucherinformation brauchen. Wir wollen die Standards und die Qualität der Prüfungskriterien von RUGMARK erhalten. Genau deshalb sind diese Verhandlungen nicht von heute auf morgen, wie Ihr Antrag es suggeriert, zur Zufriedenheit aller abzuschließen. Ich sehe es schon jetzt als einen großen Erfolg der Verhandlungen an, dass sich Care & Fair der Frage von Prüfungen im Herkunftsland nicht mehr verschließt. Offen ist - das können wir hier im Parlament allerdings nicht klären -: Was ist die geeignetste Rechtskonstruktion der beiden Organisationen RUGMARK und Care & Fair? Daraus ergibt sich dann auch, ob und wie eine zukünftige Förderung über das BMZ sichergestellt werden kann. Lassen Sie mich die letzten anderthalb Minuten meiner Redezeit für das Thema Kindersoldaten verwenden. Wir haben uns mit diesem Thema im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit wahrlich intensiv beschäftigt. Wir sind uns einig, dass der vor kurzem vorgelegte Bericht zur internationalen Koordination von Kindersoldaten erschreckend ist; denn nach wie vor sind 300 000 Kinder davon betroffen. Die Altersgrenze wird immer niedriger und man hat den Eindruck, es bewegt sich kaum etwas, gemessen an dem, was an Hilfeprogrammen notwendig wäre. Die entscheidenden Punkte aber, Herr Blüm und Kolleginnen und Kollegen von der Union, warum wir Ihrem Antrag nicht zustimmen können, liegen auf der Hand; das haben wir deutlich gemacht. Erstens. Der UN-Generalsekretär, Unicef, der UNHochkommissar für Menschenrechte, der Sonderbeauftragte des UN-Generalsekretärs für Kinder in bewaffneten Konflikten, viele Regierungen, Regionalzusammenschlüsse und Nichtregierungsorganisationen haben immer wieder auf die Schutzaltersgrenze von 18 Jahren hingewiesen und gesagt: Bitte keine gewaltsame Rekrutierung von unter 18-Jährigen! Das ist der entscheidende Punkt in unserem Antrag: Wir brauchen die „Straight 18“Forderung. - Diesen Schritt ist Ihre Fraktion nicht mitgegangen. Zweitens haben Sie als Ultima Ratio gefordert, die finanzielle Zusammenarbeit mit den Ländern, in denen keine Veränderungen im Bereich der Hilfe für Kindersoldaten erfolgen, aufzukündigen. Wir sagen nach wie vor: Wir werden den Kindern, die unsere Hilfe und Unterstützung brauchen, diese auch weiterhin gewähren, wir werden dies so weit wie möglich ausreizen und jede Form von Verhandlung aufrecht erhalten, um mit den Staaten Einigungen zu erreichen. Wir werden in der Sache am Ball bleiben. Ich hoffe, dass Sie die Beschlussvorlage des Deutschen Bundestages von 1999 tatkräftig mitunterstützen. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Norbert Blüm das Wort.

Dr. Norbert Blüm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000204, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Frau Kollegin, ich will nur klarstellen: Mein Antrag, die Mittel für Unicef zu blockieren, hat nichts damit zu tun, dass ich womöglich für eine Reduzierung der Mittel für den Kampf gegen Kinderarbeit wäre. So weit sind wir noch nicht. Ich habe diesen Antrag gestellt - das würde ich auch wiederholen -, weil sich Unicef im Sudan gegenüber Nichtregierungsorganisationen, die im Sudan Impfaktionen durchgeführt haben, schäbig benommen hat. Mein Antrag hat überhaupt nichts mit Kinderarbeit zu tun. Einen solchen Zusammenhang können Sie nicht herstellen. Des Weiteren will ich klarstellen: Was die Verhandlungen zwischen Organisationen betrifft - hier ist ja empfohlen worden, sich zu bewegen -, so gibt es bei den Kriterien nicht einmal den Spielraum eines Millimeters. Die Kriterien müssen bleiben, wie sie sind. Im Übrigen: Hier wird über 80 000 DM für RUGMARK diskutiert vor dem Hintergrund des großen Haushalts des BMZ, der sicher noch größer sein könnte, wenn Sie ihn nicht gekürzt hätten. Damit wird RUGMARK in Bedrängnis gebracht: Was passiert, wenn die Fusion nicht zustande kommt und der Bund kein Geld mehr gibt? RUGMARK darf aber nicht infrage gestellt werden, sondern braucht Rückenwind. Ehrlich gesagt, Frau Kollegin, in der Verteidigung dieser Maßnahme haben Sie das Soll parteipolitisch übererfüllt. Das brauchen Sie auch spätabends nicht zu tun. So muss man sich parteipolitisch nicht verhalten. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zur Erwiderung erhält Frau Kortmann das Wort.

Karin Kortmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003161, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Blüm, ich werfe Ihnen Folgendes vor: Weil Ihnen die Arbeit von Unicef im Sudan nicht gepasst hat, haben Sie mit dem Vorschlag der Streichung der Haushaltsmittel für Unicef die gesamte Organisation und deren Arbeit diffamiert. Das nehmen wir nicht hin und das kritisieren wir weiter, ob es Ihnen passt oder nicht. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Jetzt hat das Wort die Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Uschi Eid.

Ursula Eid-Simon (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000454

Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Das Ziel des BMZ ist die nachhaltige Bekämpfung der Kinderarbeit. Wir unterstützen dieses Ziel mit großem inhaltlichen und finanziellen Engagement. So fördern wir zum Beispiel über die Internationale Arbeitsorganisation ein Programm zur Bekämpfung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit mit 100 Millionen DM. Das alleine reicht aber nicht. Wir müssen uns auf allen Ebenen engagieren, um gegen die Ausbeutung von Kindern vorzugehen. Dazu gehört auch das Engagement der Verbraucher und Verbraucherinnen, die durch gezielte Nachfrage zum Kampf gegen die Kinderarbeit beitragen können. Viele Verbraucherinnen und Verbraucher möchten wissen, ob Produkte wie Teppiche von Kindern unter menschenunwürdigen Bedingungen hergestellt worden sind oder nicht. Damit diese Verbraucher ihren Wunsch nach nicht von Kindern hergestellten Teppichen umsetzen können, brauchen sie glaubwürdige Informationen. Aufgeklärte Verbraucherpolitik bedeutet heute, dass wir den Menschen diese Informationen geben. So können sie durch bewussteres Einkaufen Sozialstandards in Entwicklungsländern fördern. Zurzeit engagieren sich die beiden Initiativen RUGMARK und Care & Fair gegen Kinderarbeit in der Teppichindustrie. Heute sind wir endlich in einer Situation, auf die viele schon lange gewartet haben: Beide Initiativen wollen sich zusammenschließen. Die beiden Initiativen, Vertreterinnen und Vertreter des Teppichhandels und Nichtregierungsorganisationen haben das BMZ um eine Mittlerrolle gebeten. Ich habe diese Rolle gerne in mehreren Gesprächen übernommen. Das letzte gemeinsame Treffen fand gerade vor einer Woche statt. Mit der Fusion von RUGMARK und Care & Fair soll ein einheitliches Siegel geschaffen werden. Die Zertifizierung gewinnt dadurch an Gewicht und so kann der Kampf gegen Kinderarbeit verstärkt werden. Gleichzeitig erlangen kritische Verbraucher und Verbraucherinnen, die Wert darauf legen, einen Teppich zu kaufen, der ohne ausbeuterische Kinderarbeit hergestellt worden ist, eine bessere - weil vereinfachte - Marktübersicht. Die beiden Organisationen haben sich ausdrücklich darauf geeinigt, dass es wirksame Vor-Ort-Kontrollen geben soll. Auch die Träger von RUGMARK, nämlich Terre des Hommes, Brot für die Welt, Misereor und Unicef, unterstützen den Plan eines gemeinsamen Siegels. Ich bin davon überzeugt, dass diese Organisationen wie schon bisher auf die wirksame Umsetzung des Monitoring drängen werden. Auch aus meiner Sicht sind solche Kontrollen unentbehrlich. Deshalb kann ich auch Ihre Sorge entkräften, dass es keine Kontrollen mehr geben soll, das Siegel also wirkungslos werden würde. Gleichzeitig haben sich die Hilfswerke Unicef, RUGMARK und Care & Fair darauf geeinigt, dass zukünftig die Hilfsmaßnahmen aller Träger in enger Zusammenarbeit durchgeführt werden. Wir werden die Organisationen dabei unterstützen. Das BMZ hat RUGMARK in den vergangenen sechs Jahren mit insgesamt 2,5 Millionen DM, zuletzt mit 240 000 DM jährlich, gefördert. Die Förderung wird zurzeit fortgesetzt. ({0}) RUGMARK und Care & Fair wollen eine Unterstützung für den möglichen Zusammenschluss, dann aber weiter ohne öffentliche Zuschüsse arbeiten. Ich bin der Meinung, dass wir ein solches Vorgehen unterstützen sollten. Mit einem Zusammenschluss von RUGMARK und Care & Fair entstünde eine viel stärkere Organisation, als es zurzeit der Fall ist. Sie hätte die Chance, sich in kurzer Frist selbst zu finanzieren. Durch den geplanten Zusammenschluss nehmen wir aus beiden Organisationen das Beste: die Vor-Ort-Kontrolle und das Wissen hinsichtlich des Monitorings von RUGMARK und die finanzielle Selbstständigkeit und Nähe zum Handel von Care & Fair. So erzielen wir die beste Wirkungskraft, um das zu erreichen, was hier mein wichtigstes Anliegen ist: Die Anzahl der Teppiche, die ein Siegel gegen Kinderarbeit tragen, würde sich verdoppeln oder gar verdreifachen. Dadurch würde etwa die Hälfte aller Teppichimporte aus Indien durch eine unabhängige Nichtregierungsorganisation überwacht. Damit hätten wir einen großen Schritt bei der Bekämpfung der Kinderarbeit getan. Ich danke Ihnen. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die Rede von Dr. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger für die F.D.P. und die Rede von Carsten Hübner für die PDS werden zu Protokoll genommen.1) Ich schließe die Aus- sprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 14/6317 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- verstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 15 b, zur Be- schlussempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung auf Drucksache 14/6289 zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel „Gegen den Missbrauch von Kindern als Sol- daten“. 1) Anlage 8 Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/2243 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dann ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, bei Gegenstimmen der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bei Enthaltung der PDS angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Dr. Christa Luft, Heidemarie Ehlert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS Wiedererhebung der Vermögensteuer - Drucksache 14/6112 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({0}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung Haushaltsausschuss Hier wollen alle mit Ausnahme der Kollegin Dr. Barbara Höll ihre Reden zu Protokoll geben. Es han- delt sich um die Redner Lydia Westrich von der SPD- Fraktion, Gerhard Schulz von der CDU/CSU-Fraktion, Christine Scheel von der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen und Professor Gisela Frick von der F.D.P.-Frak- tion.1) Ich gebe dann Frau Dr. Barbara Höll das Wort.

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Inzwischen ist es draußen wieder dunkel. In geübter Weise diskutieren wir ziemlich spät in der Nacht über einen Antrag der PDS-Fraktion. Aber vielleicht hilft unser Antrag zur Wiedererhebung der Vermögensteuer, ein wenig Helligkeit in Ihr Denken zu bringen. ({0}) Oder verstehen Sie den Antrag als die Lampe, die Ihnen helfen soll, Ihre Wahlprogramme von 1998 noch einmal gründlich zu lesen. Die SPD schrieb damals: „Hohe Privatvermögen an der Finanzierung der Bildung beteiligen“. Bündnis 90/Die Grünen forderten gar eine Reform der Erbschaft- und Schenkungsteuer, damit eine größere Verteilungsgerechtigkeit erreicht wird. So heißt es in ihrem Wahlprogramm: Das Vermögen, das vererbt oder verschenkt wird, soll nach seinem tatsächlichem Ertragswert besteuert werden. Wir befinden uns im dritten Jahr dieser Legislaturperiode. Es ist abzusehen, dass von Ihrer Seite nichts geschehen wird. Wir diskutieren diesen Antrag der PDS heute - ganz bewusst noch vor der Sommerpause -, um Ihnen Zeit zu geben, bevor wir in die parlamentarische Beratung des Haushalts des Jahres 2002 eintreten. Dieser Haushalt soll ja wieder ein so genannter Sparhaushalt sein. Er wird wieder damit verbunden sein, dass Länder und Kommunen genau wie der Bund feststellen müssen, dass das Geld nicht ausreicht, um die öffentliche Daseinsvorsorge tatsächlich ordentlich realisieren zu können. Mit unserem Antrag zur Wiedererhebung der Vermögensteuer zeigen wir Ihnen eine mögliche wesentliche Quelle zur Finanzierung gesellschaftlicher Aufgaben auf. Das wäre ein konkreter Beitrag gegen das immer stärkere Auseinanderdriften von Arm und Reich in der Bundesrepublik Deutschland. Gerade die Einkommens- und Vermögenspolarisierung und ihre Zunahme ist eben kein Schreckensmärchen vonseiten der PDS, sondern bittere Realität. Das belegt der jüngste Reichtums- und Armutsbericht. ({1}) Das wirklich Schlimme daran ist, dass auch die rotgrüne Regierung in den Jahren ihrer Verantwortlichkeit durch ihre Steuerpolitik zu einem weiteren Auseinanderdriften zwischen Arm und Reich beigetragen hat. Die Zahlen sind von meiner Seite und vonseiten der PDS in den letzten Monaten oft genannt worden, aber man kann sie scheinbar nicht oft genug nennen. Ich will nur zwei Punkte ansprechen; vielleicht prägen Sie sie sich ein. Durch die Senkung des Körperschaftsteuersatzes auf 25 Prozent gehen dem Bund rund 63 Milliarden DM, den Ländern 57 Milliarden DM bis zum Jahr 2006 verloren, durch die Steuerfreiheit von Veräußerungsgewinnen jeweils 7 Milliarden DM seitens des Bundes und der Länder. Das heißt: Es fehlen Ihnen Milliarden in zweistelliger Größenordnung zur Erfüllung dringender Aufgaben. Wir lesen, dass Bündnis 90/Die Grünen ein neues Familienprogramm auflegen will. Wir hören - morgen wird es Realität werden -, wie gern doch die SPD das Kindergeld erhöhen würde, nicht nur um 30 DM, sondern - wenn sie könnte - sogar um 40 oder 50 DM. Warum tun Sie es dann nicht? Sie verzichten freiwillig auf Finanzierungsquellen und erzählen uns dann, dass für Familienpolitik kein Geld da ist. Unser Antrag zeigt Ihnen deutlich auf, wie man es machen könnte, wie man tatsächlich Geld für fehlende Kinderbetreuung, für den Aufbau von Infrastruktur und für die Beseitigung von grundlegenden Mängeln in der Schulbildung einnehmen würde. Das sind wesentliche Grundlagen für die Zunahme von Armut in der Bevölkerung und insbesondere von Armut und damit erheblich schlechteren Startbedingungen für Kinder und Jugendliche. ({2}) Ich sage es noch einmal eindeutig: Dieser Antrag ist eben nicht die Ausgeburt einer Neiddiskussion. Wir wollen nicht, wie es in der „Bild“-Zeitung vermutet wurde, die Perlenkette besteuern oder Oma ihr klein Häuschen wegnehmen. Das ist alles Blödsinn. Es geht darum, die wirklich Vermögenden in unserer Gesellschaft entsprechend dem Grundgesetz stärker zur Finanzierung gesellschaftlicher Aufgaben heranzuziehen. ({3}) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms 1) Anlage 9 Den Handlungsspielraum dafür haben wir, weil Sie mit Ihrer Steuersenkungspolitik eben nicht nur alle entlastet haben, sondern Sie haben die Besserverdienenden und die ertragsstarken Unternehmen überdurchschnittlich entlastet. Damit ist Handlungsspielraum vorhanden. ({4}) - Natürlich ist das wahr; das wissen Sie auch. In unserem Antrag zeigen wir Ihnen auf, wie eine wirklich maßvolle Besteuerung möglich wäre, von 0,5 bis 3 Prozent. Vermögen bis 200 000 DM pro Person bleiben steuerfrei. Oma ihr klein Häuschen als selbst genutztes Wohneigentum bleibt natürlich aus jeglicher Besteuerung außen vor. Aber aufgrund einer solchen maßvollen Besteuerung wäre es möglich, 15 Milliarden DM bis 20 Milliarden DM jährlich einzunehmen. Nach den Programmen der SPD und der Grünen würden für den Aufbau einer bedarfsgerechte Kinderbetreuung etwa 15 Milliarden DM benötigt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Kommen Sie bitte zum Schluss, Frau Höll.

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Also: Werden Sie aktiv! ({0}) Entschließen Sie sich zur Vermögensbesteuerung! Entschließen Sie sich zur Verwirklichung Ihres Wahlprogramms! Dann haben Sie für den Aufbau einer ordentlichen Kinderbetreuung auch Finanzierungsquellen. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 14/6112 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Monika Griefahn, Jörg Tauss, Doris Barnett, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Grietje Bettin, Kerstin Müller ({0}), Rezzo Schlauch und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Digitale Spaltung der Gesellschaft überwinden eine Informationsgesellschaft für alle schaffen - Drucksache 14/6374 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien ({1}) Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Auch hierzu sollen die Reden zu Protokoll gegeben werden. Es handelt sich um die Reden der Kolleginnen und Kollegen Monika Griefahn und Jürgen Tauss von der SPD-Fraktion, Dr. Martina Krogmann von der CDU/ CSU-Fraktion, Grietje Bettin vom Bündnis 90/Die Grünen, Hans-Joachim Otto ({2}) von der F.D.P.- Fraktion, Angela Marquardt von der PDS und Staatsmi- nister Dr. Julian Nida-Rümelin für die Bundesregierung.1) Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 14/6374 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Jetzt rufe ich den Tagesordnungspunkt 19 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Anpassung bestimmter Bedingungen in der Seeschifffahrt an den internationalen Standard ({3}) - Drucksache 14/6455 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({4}) Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Tourismus Auch hierzu sollen alle Reden zu Protokoll gegeben werden. Es handelt sich um die Reden der Kolleginnen und Kollegen Annette Faße, SPD-Fraktion, Wolfgang Börnsen ({5}), CDU/CSU-Fraktion, Gila Altmann, Bündnis 90/Die Grünen, Hans-Michael Goldmann, F.D.P.-Fraktion, und der Parlamentarischen Staatssekre- tärin Angelika Mertens für die Bundesregierung.2) Die PDS hat keine Rede zu Protokoll gegeben. Sie will aber auch nicht reden, wie ich höre. ({6}) Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 14/6455 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 6. Juli 2001, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.