Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 6/22/2001

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Sabine Kaspereit (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002695, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 1. Juni 2001 den Vermittlungsausschuss angerufen mit dem Ziel, im Rahmen des 2. AAÜG-Änderungsgesetzes neben der Erfüllung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts für ehemals Sonder- und Zusatzversorgte und der Schließung der Rentenlücke für Mitarbeiter von Bahn und Post Verbesserungen für politisch Verfolgte in der ehemaligen DDR zu erreichen. Ich bin dem BMA für den vorgelegten Vermittlungsvorschlag dankbar; denn die nun gefundene Lösung ist mit dem Prinzip der Lohn- und Beitragsbezogenheit im System der gesetzlichen Rentenversicherung vereinbar. Weder im Bundesrat noch im Vermittlungsausschuss wurde eine Ehrenpension, wie sie der Kollege Nooke sicher gleich in seinem Redebeitrag fordern wird, in Erwägung gezogen oder gar aufgegriffen, weil auch den Ländern bewusst ist, dass mit solchen Forderungen Erwartungshaltungen geweckt werden, die nicht erfüllbar sind. Sie, Herr Nooke, spielen ein unwürdiges Doppelspiel wider besseres Wissen und instrumentalisieren die Opfer von Verfolgung. ({0}) - Das kommt noch; Sie können sich darauf verlassen. Das Vermittlungsergebnis wurde mit übergroßer Mehrheit befürwortet. Damit hat die Bundesregierung die Zusage vom Mai dieses Jahres, weitere Verbesserungen beim Nachteilsausgleich für politisch Verfolgte zu prüfen, eingelöst. Dass die Prüfung durch das Votum des Bundesrates eine Beschleunigung erfahren hat, ist in Ordnung. Es freut mich, dass die Verbesserungen nun drei Monate früher in Kraft treten können. Die im Vermittlungsausschuss zusätzlich beschlossenen Regelungen sehen vor, neben dem AAÜG das Berufliche Rehabilitierungsgesetz zu ändern und sicherzustellen, dass der Versicherte mindestens die Rente bekommt, die er bei Weiterführung seiner beruflichen Tätigkeit ohne die Verfolgung bekommen hätte. Darüber hinaus werden Personen, die schon als Schüler politisch verfolgt wurden, durch die Verdoppelung der anrechnungsfähigen Ausbildungsjahre einen rentenrechtlichen Nachteilsausgleich erhalten. Ich bin mir dessen bewusst, dass wir mit diesem Nachteilsausgleich nicht die Gerechtigkeit wiederherstellen, die das SED-Regime mit Füßen getreten hat; dies ist sicher nicht möglich. Aber wir schaffen einen Ausgleich im Rahmen des Möglichen. Dafür bitte ich um Ihre Zustimmung. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile dem Kollegen Günter Nooke, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

Günter Nooke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003200, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Jeder Beschluss, der zur Verbesserung der sozialen Situation von SED-Opfern führt, findet die Zustimmung meiner Fraktion. Deshalb begrüßen wir die auf Initiative der Länder Thüringen und Sachsen am Mittwoch im Vermittlungsausschuss herbeigeführte Entscheidung zugunsten von SED-Opfern. Nicht durch das BMA, sondern dadurch, dass Sie durch die Initiative unserer Länder vom Bundesrat dazu gezwungen wurden, das AAÜG nicht unverändert zu beschließen, sondern überhaupt etwas für die SED-Opfer zu tun, ist es zu diesem Vermittlungsergebnis gekommen. ({0}) Dieses Ergebnis kann aber nur ein kleiner Schritt hin zu einer wirklich befriedigenden Lösung sein. Ich möchte daran erinnern, dass insbesondere nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom April 1999, durch die bestehende Beschränkungen bei der Rentenzahlung zum Beispiel für ehemalige Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes der DDR aufgehoben werden sollten, eine dramatische Situation für die Opfer der SED-Diktatur eingetreten ist. Letztere leben zu einem großen Teil von geringen Renten bzw. von Sozialhilfe. Die Stasi-Offiziere, die nicht nur Träger des SED-Regimes, sondern auch die Verantwortlichen für die politische Verfolgung Andersdenkender waren, sollen dagegen in den Genuss hoher Renten kommen. Die Gerechtigkeitslücke zwischen Tätern und Opfern des SED-Regimes wurde damit extrem groß. Meine Fraktion bedauert es zutiefst, dass sich die Koalition in den Debatten um das von uns vorgeschlagene Dritte SED-Unrechtsbereinigungsgesetz sowohl in den Ausschüssen als auch im Plenum zu keinerlei Entgegenkommen durchringen konnte. ({1}) Am 18. Mai dieses Jahres haben die Koalitionsfraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen unseren Gesetzentwurf abgelehnt. Ich möchte für meine Fraktion erklären, dass wir uns weiterhin für eine spürbare Verbesserung der Situation der Opfer des SED-Regimes einsetzen werden. Nach unserer Auffassung kann eine solche nur in Form einer Ehrenpension erfolgen. Abgesehen davon, dass eine Regelung Präsident Wolfgang Thierse im Rahmen des Rentensystems auf enge Grenzen stößt, ist es uns - neben der berechtigten materiellen Anerkennung - besonders wichtig, ein politisches Zeichen des vereinten Deutschlands zu setzen. Der Mut und das Engagement von Menschen, die sich unter den Bedingungen einer brutalen Diktatur für Freiheit einsetzten und dies mit ihrem Leben, ihrer Gesundheit und einschneidenden Benachteiligungen im beruflichen Leben bezahlten, müssen anerkannt werden. ({2}) Sie müssen anerkannt werden, wenn dieses Land auch im Denken der Menschen glaubhaft die beiden Diktaturen des letzten Jahrhunderts überwinden will. Um es noch einmal zu sagen: Die CDU/CSU-Fraktion begrüßt jeden Schritt, der zu einer Verbesserung der Situation der SED-Opfer führt, auch diesen kleinen Schritt des Vermittlungsausschusses vom Mittwoch. Aber das Thema ist nicht abgeschlossen. Vielmehr wurde es durch den Bundesrat neu auf die Tagesordnung gesetzt. ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegin Kerstin Müller, Bündnis 90/Die Grünen.

Kerstin Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002741, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese Urteile des Bundesverfassungsgerichts zur Rentenregelung für ehemalige Stasimitarbeiter haben zu Recht - das sehen, glaube ich, fast alle hier so - vor allem bei den Opfern politischer Verfolgung durch das SED-Regime zu heftigen Kontroversen geführt. Ich betreibe normalerweise keine Urteilsschelte; aber dieses Urteil habe ich persönlich bedauert. Nun mussten wir es umsetzen. Das wissen wir alle. Der Bundesrat hat zu diesem Gesetzentwurf der Bundesregierung den Vermittlungsausschuss angerufen. Ziel war es, auch für die politisch Verfolgten Verbesserungen im Rentenrecht zu erreichen. Nun haben wir am Mittwoch ein einstimmiges Ergebnis gefunden. Ich finde, dabei sollten wir es belassen. Wir sollten jetzt auch einstimmig und gemeinsam gegenüber den Opferverbänden argumentieren. Hinzu kommt: Wir haben eine weitere Änderung beschlossen, über die ich sehr froh bin: Auch alle verfolgten Schüler, die aufgrund ihrer Verfolgung längere Ausbildungszeiten hatten, bekommen diesen Nachteil rentenrechtlich ausgeglichen. Rentenrechtlich ist die Lage damit erschöpft. Herr Nooke, Sie wissen das. Rentenrechtlich ist jetzt nicht mehr machbar. Deshalb kann die Forderung nach einer Ehrenpension auch rechtlich nicht weiter aufrechterhalten werden. Sie wissen das und sollten nicht wider besseres Wissen weiterhin Erwartungen bei den Opferverbänden schüren, die wir nicht erfüllen können. ({0}) Wir sollten stattdessen aber gemeinsam überlegen, wie wir im Entschädigungsrecht weitere Lücken schließen können, um soziale Härtefälle zu beseitigen. Auch hier ist schon einiges geschehen; die Bundesregierung hat hier bereits einiges umgesetzt. Wir haben zum Beispiel zu Beginn unserer Regierungszeit die Zahlungen an politische Häftlinge von 300 DM - das sah damals Ihr Gesetzentwurf vor - auf 600 DM im Monat verdoppelt. Das war eine ungeheure Anstrengung und das ist eine Verbesserung für die politischen Häftlinge. Wir haben die Mittel der Stiftung für ehemalige politische Häftlinge aufgestockt. Wir vom Bündnis 90/Die Grünen haben seit 1990 immer auf der Seite der Opfer gestanden; wir haben ihre Interessen vertreten. Viele unserer Anträge in der letzten Legislaturperiode sind leider abgelehnt worden. Wir setzen uns auch weiterhin für sie ein. Deshalb sage ich hier und heute: Lassen Sie uns gemeinsam überlegen, ob wir nicht eine Initiative zur Verbesserung des Entschädigungsrechts ergreifen können. Wir schlagen zum Beispiel vor, Opfer von Verfolgung, Haft oder Zersetzung, die aufgrund der Verfolgung heute auf Sozialhilfe angewiesen sind, materiell besser zu stellen, aber eben nur sie. Das könnte zum Beispiel durch eine weitere Aufstockung der Mittel für die Stiftung „Häftlingshilfegsetz“ geschehen. Wir schlagen weiter vor, über den Kreis der politischen Häftlinge hinaus Opfern so genannter Zersetzungsmaßnahmen analog zu den Regelungen des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes eine Entschädigung zu gewähren. Das sind Wege, die man prüfen kann und die wir vielleicht gemeinsam gehen können. Aber ich möchte Sie wirklich bitten, keine falschen Erwartungen zu wecken. Im Rentenrecht können wir nicht mehr machen, als wir jetzt im Vermittlungsausschuss vereinbart haben. Das ist ausgeschöpft. Wir sollten sehr froh über diese Vereinbarung sein und wir sollten jetzt auch gegenüber den Opferverbänden gemeinsam auftreten. Danke schön. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile Kollegin Irmgard Schwaetzer das Wort.

Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002120, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die F.D.P.-Bundestagsfraktion wird dem Vermittlungsergebnis zustimmen. Wir wollen die im Vermittlungsausschuss beschlossenen Verbesserungen für die Opfer der SED-Diktatur, weil sie in der DDR um ihre Entwicklungschancen gebracht worden sind. Aber ich empfinde es schon als eine Verhöhnung der Opfer, wenn sich jetzt die Koalitionsfraktionen, und zwar sowohl Frau Kaspereit als auch Frau Müller, hier hinstellen und sagen, wie toll sie doch seien, dass sie dies jetzt durchgesetzt hätten. Das, meine Damen und Herren, hätten Sie alles schon früher haben können, wenn Sie ernsthaft mit uns im Bundestag bei der Verabschiedung des AAÜG verhandelt hätten. ({0}) Wir waren gesprächsbereit; aber in der bei Ihnen üblichen Art und Weise haben Sie das alles wieder nur durchgepeitscht und abgelehnt, was von der Opposition vorgeschlagen worden ist. ({1}) Und jetzt stellen Sie sich hierhin und tun so, als seien Sie die tollsten Menschen dieser Welt. Das ist wirklich eine Verhöhnung der Opfer. ({2}) Die jetzt erreichte Lösung schreibt fest, dass die SEDOpfer zumindest die Rente bekommen, die sie hätten haben können, wenn sie nicht verfolgt worden wären. Wir begrüßen es, dass bei der Rentenberechnung an den Verdienst angeknüpft wird, der vor Eintritt der Verfolgung erreicht worden ist. Jeder von uns weiß ja, dass die Verfolgung sehr häufig damit begann, dass Berufe aufgegeben werden mussten, dass die Betroffenen in andere Tätigkeiten hineingezwungen worden sind, die deutlich schlechter bezahlt wurden. Insofern ist ein Opferausgleich richtig, mit dem an die vorherigen Entgelte angeknüpft wird. Wir haben auch Verständnis für das Argument, dass rentenrechtliche Schwierigkeiten bei der Einführung einer Ehrenpension aufgetreten wären. Auch insofern stimmen wir diesem Ergebnis zu. Wir begrüßen es außerdem, dass für verfolgte Schüler die Zahl der bei der Rentenberechnung anzurechnenden, Ausbildungsjahre von drei auf sechs erhöht worden ist. ({3}) - Wenn Sie sagen „eine alte Forderung“, warum haben Sie das dann nicht schon während unserer Beratungen im Bundestag eingebracht? Da hatten wir das alles auf dem Tisch; aber Sie haben nicht verhandelt. Trotzdem möchte ich für die F.D.P. anmerken, dass wir mit diesen Verbesserungen einverstanden sind. Aber aus unserer Sicht sind mindestens noch drei Punkte offen - darüber werden wir auch weiterhin miteinander reden müssen -: Nach wie vor ist die Problematik der kommunalen Wahlbeamten nicht gelöst, die häufig weder beamtenrechtlich noch im Rentenrecht eine Berücksichtigung finden. Nicht gelöst ist die Frage der Anpassungssätze für die Hochschuldozenten in den neuen Ländern, bei denen die Renten nach wie vor mit den niedrigen Westanpassungssätzen statt mit den höheren Ostanpassungssätzen dynamisiert werden. Nach wie vor nicht gelöst sind auch die Fragen des mittleren medizinischen Dienstes der DDR, dessen ehemalige Mitarbeiter nach wie vor um die notwendigen Steigerungssätze gebracht werden. Darüber werden wir weiterhin reden müssen. Danke schön. ({4})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Roland Claus, PDS-Fraktion.

Roland Claus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003065, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Nooke hat hier soeben die Länder Thüringen und Sachsen als „unsere Länder“ bezeichnet. Das können wir nur so verstehen, als meinte er, sie seien im Besitz der CDU. Dazu muss Ihnen klar und deutlich gesagt werden: Thüringen und Sachsen, meine Damen und Herren, sind nicht Ihre Länder. Weil auch die Herren Diepgen und Landowsky das schon verwechselt haben, sind sie jetzt dort, wo sie sind. ({0}) Die gleichen Themen, über die wir heute reden, sind im Bundestag vor vier Wochen besprochen worden, allerdings damals nicht verknüpft, sondern in Form von zwei verschieden zu behandelnden Gegenständen. Damals hat die PDS gesagt, sie sei unzufrieden mit der Stelle, wo es um die Schließung von Überführungslücken bei der Rente für Ärzte, Professoren und Angehörige des öffentlichen Dienstes der DDR gehe, und hat deshalb gegen das Wortungetüm „AAÜG“ gestimmt. Wir haben zur gleichen Zeit aber einem Vorstoß der CDU/CSU-Fraktion zur Entschädigung der Opfer von Unrecht in der DDR unsere Zustimmung gegeben. Am nächsten Tag war in großen deutschen Zeitungen von „einem völlig neuen Weltbild“ die Rede. Wir haben es heute mit einer Verknüpfung der Dinge zu tun. Wir bleiben bei unserer kritischen Sicht auf die Problematik der Rentenüberleitung, sagen aber klar und deutlich, dass auch die PDS-Fraktion für die Entschädigung der Opfer von Unrecht in der DDR eintritt. Deshalb stimmen wir hier auch mit Ja. Das sollte damit klargestellt sein. Da uns zuweilen unterstellt wird, wir würden momentan unser Abstimmungsverhalten sozusagen in den Zeitgeist hängen, möchte ich Ihnen den Titel eines Antrages vorlesen, der im Bundestag verhandelt wird. Er heißt: „Erleichterte und erweiterte Rehabilitierung und Entschädigung für Opfer der politischen Verfolgung in der DDR“. Dieser Antrag - das muss hier gesagt werden - trägt das Datum 15. März 2000 und stammt von der Fraktion der PDS. ({1}) Abschließend will ich die Gelegenheit nutzen, um zu sagen: Es kann von uns nicht länger hingenommen werden, dass wir als Fraktion im Vermittlungsausschuss nicht beteiligt, gewissermaßen ausgeschlossen sind. Dadurch haben wir immer die Schwierigkeit, die komplizierten Vermittlungsergebnisse gewissermaßen nachzuvollziehen und im Nachhinein zu beurteilen. Wir wollen, dass dieser Zustand überwunden wird. Ich denke, Sie kommen allmählich ebenfalls in die Situation, dass Sie sich das wünschen. Vielen Dank. ({2})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Wir kommen zur Abstimmung. Der Vermittlungsausschuss hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, dass im Deutschen Bundestag über die Änderungen gemeinsam abzustimmen ist. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 14/6355? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist vom ganzen Haus bei zwei Gegenstimmen aus der CDU/CSU-Fraktion angenommen worden. Ich rufe den Zusatzpunkt 11 auf: Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes ({0}) zu dem Gesetz zur Anpassung der Formvorschriften des Privatrechts und anderer Vorschriften an den modernen Rechtsgeschäftsverkehr - Drucksachen 14/4987, 14/5561, 14/6044, 14/6353 Berichterstattung: Abgeordneter Ludwig Stiegler Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wird das Wort zu Erklärungen gewünscht? - Auch das ist nicht der Fall. Dann kommen wir zur Abstimmung. Der Vermittlungsausschuss hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, dass im Deutschen Bundestag über die Änderungen gemeinsam abzustimmen ist. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 14/6353? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des Hauses bei Stimmenthaltung der PDS-Fraktion angenommen worden. Ich rufe den Zusatzpunkt 12 auf: Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes ({1}) zu dem Gesetz zur Vorbereitung eines registergestützten Zensus ({2}) - Drucksachen 14/5736, 14/6068, 14/6292, 14/6354 Berichterstattung: Abgeordneter Ludwig Stiegler Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wird das Wort zu Erklärungen gewünscht? - Auch das ist nicht der Fall. Dann kommen wir zur Abstimmung. Auch hier gilt, dass gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 über die Änderungen gemeinsam abzustimmen ist. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 14/6354? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und F.D.P. gegen die Stimmen der PDS-Fraktion bei Stimmenthaltung der CDU/CSU angenommen worden. Ich rufe den Zusatzpunkt 13 auf: Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes ({3}) zu dem Gesetz zur Umsetzung der UVP-Änderungsrichtlinie, der IVU-Richtlinie und weiterer EG-Richtlinien zum Umweltschutz - Drucksachen 14/4599, 14/5204, 14/5750, 14/6045, 14/6357 Berichterstattung: Abgeordneter Michael Müller ({4}) Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Das ist offensichtlich nicht der Fall. Wird das Wort zu Erklärungen gewünscht? - Auch das ist nicht der Fall. Dann kommen wir zur Abstimmung. Auch hier gilt, dass wir über die Änderungen gemeinsam abstimmen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 14/6357? - Gegenprobe! - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von F.D.P. und PDS angenommen worden. Ich rufe den Zusatzpunkt 14 auf: Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes ({5}) zu dem Gesetz zur Änderung verkehrsrechtlicher Vorschriften ({6}) - Drucksachen 14/3646, 14/4221, 14/4648, 14/6358 Berichterstattung: Abgeordneter Michael Müller ({7}) Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Wird das Wort zu Erklärungen ge- wünscht? - Auch das ist nicht der Fall. Dann kommen wir zur Abstimmung. Auch hier wird über die Änderungen gemeinsam abgestimmt. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des Vermittlungs- ausschusses auf Drucksache 14/6358? - Wer stimmt da- gegen? - Stimmenthaltungen? - Die Beschlussempfeh- lung ist mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU, Bünd- nis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der F.D.P. bei Stimmenthaltung der PDS angenommen worden.1) Ich rufe den Zusatzpunkt 15 auf: Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, F.D.P. und PDS eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ - Drucksache 14/6370 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({8}) Rechtsausschuss Interfraktionell ist vereinbart, dass eine Aussprache nicht erfolgen soll. - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Präsident Wolfgang Thierse 1) Anlage 3, Erklärung gem. § 90 GOBT der Abg. Dr. Winfried Wolf und Eva Bulling-Schröter ({9}) Wir kommen damit gleich zur Überweisung. Interfrak- tionell wird dieÜberweisung des Gesetzentwurfs an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla- gen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 18 a und b auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des Betriebsverfassungsgesetzes ({10}) - Drucksache 14/5741 ({11}) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({12}) - Drucksache 14/6352 Berichterstattung: Abgeordneter Gerald Weiß ({13}) b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({14}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Horst Seehofer, Peter Rauen, Karl-Josef Laumann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Soziale Partnerschaft stärken - Betriebsverfassungsgesetz zukunftsfähig modernisieren - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Heinrich L. Kolb, Dirk Niebel, Detlef Parr, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P. Reform der Mitbestimmung zur Stärkung des Mittelstandes - Drucksachen 14/5753, 14/5764, 14/6352 Berichterstattung: Abgeordneter Gerald Weiß ({15}) Zum Gesetzentwurf zur Reform des Betriebsverfassungsgesetzes liegen ein Änderungsantrag und ein Entschließungsantrag der Fraktion der PDS vor. Über den Gesetzentwurf und den Änderungsantrag hierzu wird namentlich abgestimmt werden. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Klaus Brandner, SPD-Fraktion, das Wort.

Klaus Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003053, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der heute vorliegende Gesetzentwurf zur Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes bildet die Grundlage für eine zukunftsfähige und erfolgreiche Betriebsratsarbeit. Die Reform ist eine zeitgemäße Antwort auf die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen; sie steht in der Kontinuität dessen, was die Kolleginnen und Kollegen 1972 gemacht haben. Ich erinnere hier an den damaligen Berichterstatter zum Betriebsverfassungsgesetz, Hermann Buschfort, mit dem mich auch eine persönliche Biografie verbindet. Die Reform wurde damals wie heute von hektischen und heftigen Debattenbeiträgen der Opposition und verschiedener Wirtschaftsverbände begleitet. Selbst die CDU hat Furcht vor Betriebsräten verbreitet. Norbert Blüm sah sich deshalb erst kürzlich auf dem CDA-Bundeskongress genötigt, mitzuteilen, die größte Sorge der CDU scheine zu sein, die Arbeitgeber vor ungewollten Betriebsräten zu schützen. Unsere Erfahrung ist, dass der enorme Veränderungsprozess in der Wirtschaft ohne die Begleitung und Mitgestaltung durch Betriebsräte nicht so reibungslos und nicht so sozial verantwortlich abliefe, wie es heute in aller Regel der Fall ist. ({0}) Nicht der Zugang zum Kapital, sondern der Zugang zu den besten Mitarbeitern entscheidet heute, wer sich am Weltmarkt durchsetzt. Ich zitiere nicht, wie Sie vielleicht denken mögen, aus einer Gewerkschaftsbroschüre, sondern aus einem Schreiben von vier Arbeitsdirektoren internationaler Energiekonzerne. ({1}) - Diese Aussage deckt sich übrigens, Herr Hinsken, mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen der BertelsmannStiftung. Ich könnte die Leitlinie für unsere Reform des Betriebsverfassungsgesetzes nicht schöner formulieren. Meine Damen und Herren, nach fast 30 Jahren wollen wir die Betriebsverfassung modernisieren und revitalisieren. Für uns ist sie eindeutig ein Standortvorteil. ({2}) Der Nutzen übersteigt die Kosten. Dies räumen, wie Sie soeben gehört haben, auch viele Arbeitgeber ein. Deshalb muss das langsame Ausbluten der Betriebsratsarbeit gestoppt werden. ({3}) Wir wollen also wieder mehr Betriebsräte, vor allem in kleinen und mittleren Betrieben. Wir wollen die Arbeitsfähigkeit der gewählten Betriebsräte verbessern. Wir wollen die Beteiligungsrechte der Betriebsräte aufwerten. Vor allem in Bezug auf die Beschäftigungssicherung und die Förderung von Qualifizierung besteht Handlungsbedarf. Wir wollen das Betriebsverfassungsgesetz durch Aufgabe des Gruppenprinzips und vor allen Dingen in Bezug auf das Wahlverfahren entbürokratisieren. ({4}) Präsident Wolfgang Thierse Wir wollen einen Beitrag zur Verwirklichung der Chancengleichheit von Frauen und Männern in den Betrieben leisten. ({5}) Schließlich wollen wir die Voraussetzungen dafür schaffen, dass Jugendliche auch künftig in außerbetrieblichen Ausbildungseinrichtungen eine eigenständige Interessenvertretung wählen können. ({6}) Das Bundeskabinett hatte in sorgfältigen Beratungen unter Federführung von Walter Riester einen Gesetzentwurf beschlossen, der diese Ziele berücksichtigt. ({7}) Er war von Anfang an gut, er war ausgewogen. Deswegen hat es auch nur wenige Änderungsanträge gegeben. Für Kleinbetriebe stellt das bisherige komplizierte Wahlverfahren ein Hindernis dar. Deshalb haben wir im Gesetzentwurf ein vereinfachtes Wahlverfahren für alle Unternehmen, die bis zu 50 Arbeitnehmer beschäftigen, festgeschrieben. Damit haben wir eine wesentliche Neuerung auf breiter Fläche geschaffen. Die Option für Betriebe mit 51 bis 100 Beschäftigten kommt noch hinzu. Jetzt gilt es, mit diesen Neuregelungen Erfahrungen zu sammeln. Sinnvoll wäre es - das möchte ich hier anregen -, diese Erfahrungen gemeinsam mit den Tarifvertragsparteien sorgfältig auszuwerten und darüber einen fundierten Bericht vorzulegen. Manche Unternehmer sind verunsichert. Die Verbände haben leider mit gezielten Fehlinformationen Stimmung gemacht. ({8}) - Sie werden das hören, Herr Hinsken. - Sie haben nicht sachlich aufgeklärt und beraten. Sie haben agitiert und mit gezielten Falschinformationen ihre Mitgliedsbetriebe verunsichert. ({9}) Ich möchte dazu ein konkretes Beispiel aus dem Kreis Gütersloh anführen, um Ihnen dies deutlich zu machen. Der Hotel- und Gaststättenverband Nordrhein-Westfalen hat seinen Mitgliedsbetrieben detailliert dargestellt, wie wirkungsvoll gegen die Reform des Betriebsverfassungsgesetzes Flagge gezeigt werden kann, und hat sie dazu aufgefordert. ({10}) In diesem Brief heißt es: Ein Betrieb besteht aus einem Unternehmer, einer mitarbeitenden Unternehmerin, einem Koch, einer Aushilfe für die Küche, einer Aushilfe für Service und letztlich einer Aushilfe als Reinigungskraft. Die drei zuletzt Genannten, also die Aushilfen, gründen innerhalb von 14 Tagen einen Betriebsrat, der aus einem Vorsitzenden und zwei Stellvertretern besteht. ({11}) Dieses Ergebnis muss sicherlich nicht weiter erläutert werden. - So weit zur Verbandsempfehlung. Pustekuchen, meine Damen und Herren! Dieses Beispiel ist, wie wir wissen, völlig absurd - so betreibt man Brunnenvergiftung -; denn in diesem Betrieb gibt es noch nicht einmal fünf wahlberechtigte Arbeitnehmer, ({12}) also die Grundvoraussetzung für einen Betriebsrat. - Wer so Arbeitgeber aufhetzt und mit solchen Mitteln versucht, die Betriebsverfassungsreform zu diskreditieren, organisiert ein politisches Klima, das dem Gedanken der Demokratie und der Sozialpartnerschaft abträglich ist. ({13}) Die Kritik insbesondere vonseiten der Arbeitgeber, hier sollten Zwangsbetriebsräte installiert werden, ist völliger Humbug. Die Wahl von Betriebsräten wird nach wie vor eine freiwillige Option der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bleiben. ({14}) Auch Zwangsbetriebsräte gegen den Willen der Belegschaft wird es mit der SPD nicht geben. Mit dem neuen Betriebsverfassungsgesetz werden lediglich bürokratische Hindernisse für die Wahl eines Betriebsrats beseitigt und Anreize für die Arbeitnehmer geschaffen, mehr Betriebsräte zu wählen. Bei dieser Reform der Betriebsverfassung ging es uns vorrangig um die Anpassung der gesetzlichen Regelungen an die veränderte Arbeitswelt. ({15}) Wie Sie alle wissen, sah die Arbeitswelt 1972, bei der letzten Novellierung, noch ganz anders aus. Daher ist es nicht verwunderlich, dass sich die Betriebsverfassung von damals grundsätzlich an Vollbeschäftigung orientierte. Angesichts der Arbeitslosenzahlen muss sich die Betriebsverfassung heute vorrangig der Frage der Sicherung der Beschäftigung und der Schaffung von Arbeitsplätzen stellen. ({16}) Außerdem haben Versäumnisse in der Weiterbildung schon jetzt in einigen Bereichen zu einem Fachkräftemangel geführt. Dies monieren nicht nur die Gewerkschaften, sondern auch die Arbeitgeber selbst. Deshalb soll eine frühzeitige Beteiligung des Betriebsrats bei Qualifizierungsmaßnahmen in Zukunft Defiziten vorbeugen. Der Betriebsrat soll auch von sich aus Initiativen ergreifen können, wenn sich, wie es heute in der Regel der Fall ist, betriebliche Änderungen kontinuierlich und schleichend vollziehen. Mit der Einführung des erweiterten Mitbestimmungsrechts kann in den Betrieben eine neue Lernkultur entstehen. Neben einer gezielten Ausbildung ist ein berufsbegleitendes Lernen unverzichtbar geworden. Bereits heute steht fest, dass Unternehmen und Betriebe Kosten sparen können, wenn sie schnell, aktuell und effizient auf neue Ausbildungs- und Qualifizierungsanforderungen reagieren. ({17}) Den Betrieb durch Qualifizierung zukunftsfest zu machen ist auch im Interesse von vorausschauenden Arbeitgebern. Der Betriebsrat ist dafür ein idealer Mittler. Hätten wir schon ein modernes Betriebsverfassungsgesetz, wäre unter Umständen die Green-Card-Aktion überflüssig gewesen. ({18})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege Brandner, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hinsken?

Klaus Brandner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003053, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, danke, nicht mehr. Die anstehende Reform ist eine zeitgemäße Antwort auf die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen in diesem Lande. Sie soll zukunftsgerichtet ein positives Leitbild für den innerbetrieblichen demokratischen Umgang miteinander vorgeben. Dazu reicht ein verständnisvoller Unternehmer oder ein kooperativer Vorstand nicht aus. Die Mitarbeiter brauchen auch Rechte, auf die sie sich gegebenenfalls berufen können. Menschen, die engagiert mitarbeiten, müssen auch an den Entscheidungen beteiligt werden. Mit der Reform des Betriebsverfassungsgesetzes legen wir dazu die entscheidende Grundlage. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Johannes Singhammer, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Johannes Singhammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002800, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die hektischen Korrekturen in zentralen Punkten ({0}) in den letzten Stunden vor der Verabschiedung dieses Gesetzes dokumentieren schlechtes Gewissen, Unsicherheit und mangelnde Verlässlichkeit. ({1}) Nur noch das Wirtschaftswachstum muss Rot-Grün schneller nach unten korrigieren als die eigenen Gesetzentwürfe. ({2}) Eine moderne Betriebsverfassung nutzt den Arbeitnehmern, bringt den Arbeitgebern erhebliche Vorteile und ist ein Qualitätsmerkmal für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Wir als Union wollen eine moderne Betriebsverfassung, ({3}) die auf Zusammenarbeit gerichtet ist, die Kooperation fördert und den Betriebsfrieden sichert. ({4}) Das vorliegende Gesetz erfüllt diese Zukunftskriterien eindeutig nicht. ({5}) Wir denken nicht nur an diejenigen, die in den Betrieben tätig sind, sondern auch an die, die Arbeit brauchen, weil sie jetzt noch arbeitslos sind. ({6}) Das vorliegende Gesetz entspricht in einer Reihe von Wirkungen einem Bündnis für weniger Arbeit, ({7}) und das in einer Zeit, in der die Konjunktur abschmiert und Wachstumsprognosen täglich nach unten korrigiert werden müssen. Der Wirtschaftsminister erwartet ein Nullwachstum; das bedeutet auch: null Arbeitsplätze zusätzlich. ({8}) Die Inflation ist mit 3,6 Prozent an einem neuen Höchstwert angelangt. ({9}) Auf dem Göteborger EU-Gipfel erhält Deutschland die schlechtesten Noten und hat die rote Laterne im wirtschaftlichen Geleitzug Europas übernommen. ({10}) In dieser Phase zünden Sie einen neuen Treibsatz für mehr Bürokratie und weniger Solidarität. ({11}) Wir von der Opposition haben gemeinsam mit den unabhängigen Betriebsräten und den kleineren Gewerkschaften erreicht, dass zumindest ein Fundament der Demokratie, nämlich der innerbetriebliche Minderheitenschutz, nicht sang- und klanglos abgeschafft wird. ({12}) Bis Montag dieser Woche wollten Sie noch, dass die Mehrheit bestimmt, welche Betriebsräte in den Ausschüssen sitzen sollen. ({13}) Bis Montag dieser Woche wollte Rot-Grün noch, dass die Minderheit nicht entsprechend ihrer Stimmenzahl im Gesamtbetriebsrat vertreten sein soll. ({14}) Der IG-Metall Chef Klaus Zwickel hat noch vor zwei Tagen gesagt: Diese Änderung - die Sie jetzt endlich, auf unseren Druck hin, durchgesetzt haben - wird unabhängigen Kandidaten oder christlichen Gewerkschaften größere Chancen eröffnen. Genau so ist es. Wir haben Ihre Pläne durchkreuzt, und das ist gut so für die Demokratie. ({15})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege Singhammer, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Dückert?

Johannes Singhammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002800, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber gerne. ({0})

Dr. Thea Dückert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003071, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Singhammer, wenn Sie sich so sehr für die Beibehaltung des Verhältniswahlrechts im neuen Betriebsverfassungsgesetz eingesetzt haben, wie können Sie uns dann erklären, dass Sie gerade in diesem Punkt gegen das Gesetz stimmen werden?

Johannes Singhammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002800, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Dückert, Sie hätten nicht nur in diesem Punkt unseren Bedenken folgen müssen, ({0}) sondern ich liste Ihnen jetzt mindestens vier weitere ganz entscheidende Bereiche auf, in denen Sie das Gesetz hätten korrigieren müssen. Dann wäre es ein gutes und zukunftsweisendes Betriebsverfassungsgesetz geworden. ({1}) Ich nenne Ihnen die Todsünden, die in dem Gesetz versteckt sind.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege Singhammer, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage der Kollegin Schwaetzer? ({0})

Johannes Singhammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002800, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wenn ich, Herr Präsident, erst einmal der Kollegin Dückert die vier Punkte schildern darf! Punkt eins, Frau Kollegin Dückert: Die Solidaritätsbalance zwischen Betriebsrat und Firmenleitung wird nicht zukunftsweisend neu justiert. ({0}) - Doch, das sind genau die Punkte, Frau Dr. Dückert, die Sie angesprochen haben. Statt unabhängige und selbstbewusste Betriebsräte zu fördern, öffnen Sie Tür und Tor für mehr Einflussnahme der Funktionärszentralen, damit die mehr hineinregieren können. Das ist einer der Gründe! ({1}) - Ja, Sie hören das nicht gern, Herr Kollege Brandner, aber es ist so! Wir wollen Betriebsräte, die unabhängig sind. Darum geht es! Ich sage Ihnen auch: Die Regelungen, die Sie jetzt gefunden haben, sind verfassungsrechtlich zumindest bedenklich, weil sie nämlich in den Bereich der negativen Koalitionsfreiheit hineinwirken. Arbeitnehmer, die nicht Mitglied einer Gewerkschaft sind und deshalb auch keinen Einfluss auf die Willensbildung der Gewerkschaften haben, werden jetzt ohne großes Federlesen mit einbezogen. Das ist ein Riesenproblem! Ich nenne Ihnen den zweiten Punkt: Bürokratie und Kostenbelastungen werden nicht geringer, sondern größer, sie steigen. Ich sage Ihnen dazu auch ein Beispiel: Die Zahl der freigestellten Betriebsräte wird ausgeweitet, und zwar kostenintensiv insbesondere für die kleineren Betriebe. ({2}) In einem Kleinbetrieb mit bis zu 200 Mitarbeitern wird künftig ein Betriebsrat von der Arbeit freigestellt, und in einem Großbetrieb mit 3 000 Mitarbeitern wird ein freigestellter Betriebsrat für 600 Mitarbeiter vorgesehen. ({3}) Genau darin liegt das Problem. Sie müssen nämlich sehen, dass in der Konsequenz beim Erreichen der Schwellenwerte viele Betriebe zögern werden, neue Arbeitnehmer einzustellen. Wir wollen aber das Gegenteil: Wir wollen, dass mehr Arbeitnehmer eingestellt werden. ({4}) Deshalb sind diese Grenzwerte problematisch. ({5}) Nicht nur wir, sondern auch eine ganze Reihe von Stimmen in Zeitungen und aus der Wissenschaft sagen Folgendes: Die Zahl der Betriebsräte jetzt zu erhöhen, das ist noch nicht die Lösung dafür, dass der Betriebsfrieden gefördert wird. Sonst wäre es doch auch so, dass, wenn ich die Zahl der Apotheker um 100 Prozent steigere, auch die Volksgesundheit um 100 Prozent steigen müsste. ({6}) Das ist viel zu kurz gedacht. Entscheidend ist doch, dass die innere Befindlichkeit stimmt. ({7}) Ein weiterer Punkt betrifft die Politisierung des Betriebsrates. In § 74 haben Sie zu Recht festgestellt, dass parteipolitische Betätigung in den Betriebsräten nichts zu suchen hat. Das ist in Ordnung. Aber auf der anderen Seite verlangen Sie jetzt, dass der Betriebsrat Fremdenfeindlichkeit bekämpfen soll. ({8}) Die Bekämpfung der Fremdenfeindlichkeit ist eine Aufgabe der Politik und zumal dieser Bundesregierung, und dabei unterstützen wir sie. Aber in die Betriebsräte diese politischen Aufgaben hineinzutragen, die im Übrigen Gott sei Dank in der Praxis keine Rolle spielen, weil hier nämlich gute Kooperation herrscht, das ist so nicht richtig! ({9}) Der nächste Punkt: Sie haben jetzt in wenigen Tagen ohne Beratung das Gesetz überraschend in einer ganzen Reihe von Kernpunkten noch einmal geändert. Dabei geht es auch um den § 97, der jetzt umfassende Mitbestimmungsmöglichkeiten bei der beruflichen Weiterbildung vorsieht. Um es ganz klar zu sagen: Wir sind für berufliche Weiterbildung als Grundlage; ({10}) aber in dem, was Sie jetzt ohne entsprechende Beratungszeit eingefügt haben, dass nämlich bei jeder Änderung eines Arbeitsplatzes umfassende Mitbestimmungsmöglichkeiten gegeben sind, liegt ein großes Problem, ({11}) weil nämlich durch diese Möglichkeiten die Planungssicherheit von Investitionsentscheidungen ganz massiv betroffen sein kann. Sie müssten doch auch wissen, welche Auswirkungen das ({12}) auf Investitionsentscheidungen und Ansiedlungspläne hat. ({13}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, der eigentliche Grund, warum Sie dieses Gesetz jetzt in dieser Weise durchpeitschen wollen, wird ganz deutlich. Mir ist ein Schreiben des Sprechers der SPD-Fraktion vom vergangenen Jahr in die Hände gefallen. Er schrieb damals an die Genossen: Wir haben bei den letzten Wahlen sehen können, wie schwierig es ist, unsere Stammwähler zu mobilisieren. Das stimmt. ({14}) Am Ende des Briefes sagte er: Das wichtige Thema Betriebsverfassungsgesetz ist daher ein guter Anlass, wieder mit Betriebsräten und Gewerkschaftsfunktionären intensiver ins Gespräch zu kommen! ({15}) Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Regierung, ich sage Ihnen: Nichts ist weniger geeignet für eine derartige Wahltaktik und einen solchen Wahlkampf als das Betriebsverfassungsgesetz und der Betriebsfrieden. ({16}) Eigentlich ist niemand mit diesem Gesetzentwurf zufrieden. Viele Arbeitgeber, insbesondere der Mittelstand, sprechen im Zusammenhang mit diesem Gesetz von einem Schwarzen Freitag ({17}) mit mehr Bürokratie und Kostensteigerung. Viele Arbeitnehmer sind enttäuscht, weil der Modernisierungseffekt fehlt, weil der Modernisierungsgesichtspunkt hier nur unwesentlich auftaucht. Sie haben die große Chance einer zukunftweisenden Weiterentwicklung des Betriebsverfassungsgesetzes nicht genutzt. Eine Flexibilisierung und die Möglichkeit, Bündnisse für Arbeit auf lokaler Ebene vorzusehen, sind dort nicht so enthalten, wie wir es uns vorgestellt hätten. Das rot-grüne Gesetz ist vielmehr aus einem Blickwinkel der Vergangenheit heraus erarbeitet worden, ({18}) nämlich aus dem Blickwinkel von Arbeit und Kapital. Aber die Zeit hat sich doch geändert! ({19}) Die Mitarbeiter in den Betrieben helfen mit. Sie wollen den gemeinsamen Erfolg ihres Unternehmens. Deshalb ist dieser Gegensatz schon längst durch die Wirklichkeit überholt. ({20}) Ich möchte Ihnen dazu, was ein neues, zukunftweisendes Betriebsverfassungsgesetz hätte regeln müssen, einige Einzelheiten sagen: kürzere Einspruchsfristen bei frühzeitiger Information, beschleunigte Verfahren bei den Einigungsstellen, echte Erleichterungen beim Wahlverfahren und eine Stärkung des Persönlichkeitsrechts bei den Wahlverfahren, zum Beispiel durch die Möglichkeiten des Kumulierens und Panaschierens, womit einzelne Persönlichkeiten in besonderer Weise herausgestellt werden können. Meine sehr verehrten Damen und Herren, dieses heutige Gesetz ist ein falsches Gesetz zum falschen Zeitpunkt. Falls Sie an die Erarbeitung eines Konjunkturprogramms denken sollten, dann rate ich Ihnen: Das beste Konjunkturprogramm wäre, dieses Gesetz zu schubladisieren. ({21})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile der Kollegin Thea Dückert, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

Dr. Thea Dückert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003071, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das, was der Kollege Singhammer hier gerade eben vorgeführt hat, ist bezeichnend für die gesamte Debatte in der letzten Zeit. ({0}) Das war einmal wieder ein kleines Lehrstück für politische Doppelzüngigkeit. ({1}) Er stellt sich hier hin und behauptet, er und seine Fraktion seien für mehr Mitbestimmung bei Qualifizierung und Weiterbildung. Aber gleichzeitig stimmen Sie genau an diesem Punkt gegen dieses Gesetz. Sie behaupten, für die Beibehaltung des Verhältniswahlrechts in diesem Gesetz zum Schutze von Minderheiten in den Betrieben gekämpft zu haben. Trotzdem stimmen Sie gegen unser Gesetz, das genau diesen Punkt enthält. Sie stellen sich hier hin und behaupten, Ihnen liege die Mitbestimmung in den Betrieben in der Bundesrepublik Deutschland am Herzen, werden aber nachher gegen das Gesetz stimmen, mit dem wir genau diese Punkte, die Erleichterung und Unterstützung der Mitbestimmung in den kleinen und den großen Betrieben in diesem Lande, voranbringen wollen. Das ist nichts anderes als die Fortführung eines ideologischen Grabenkampfes. Sie werden dabei nur noch von den Kollegen aus der F.D.P.-Fraktion getoppt, die hier sogar einen Änderungsantrag einbringen werden, der die Mitbestimmung aus kleinen Betrieben heraushalten will. Es geht darum, mehr Demokratie und Partizipation, das heißt auch Mitbestimmung, in den Betrieben in der Bundesrepublik Deutschland zu verankern. Ich sage Ihnen deutlich: Die Ausweitung der Partizipation und Mitbestimmung in allen gesellschaftlichen Bereichen war in der grünen Politik immer ein treibendes Moment. Deshalb waren wir von Anfang an, auch in den Koalitionsvereinbarungen und in der Politik dieser Koalition, immer auf der Seite von mehr Mitbestimmung, immer auf der Seite derjenigen, die die Reform des Mitbestimmungsgesetzes für notwendig erachten. Dieses Mitbestimmungsgesetz - das sage ich auch und insbesondere an viele Kolleginnen und Kollegen in den Gewerkschaften gerichtet - wäre ohne die Grünen nicht zustande gekommen. ({2}) Ein Unterschied zu dem, was Sie uns nachher vortragen werden, ist zum Beispiel, dass wir mit diesem Gesetz gerade in den kleinen Betrieben, in denen die Mitbestimmung immer weiter zurückgedrängt worden ist, durch ein vereinfachtes Wahlverfahren die Möglichkeiten erweitern wollen, die Mitbestimmung wieder voranzubringen. Sie wollen die Mitbestimmung gerade aus den kleinen Unternehmen, wo sie schon in der Vergangenheit kaum Fuß fassen konnte, heraushalten. Wir dagegen sagen: Demokratie und Mitbestimmung gehören auch in die kleinste Hütte. Wir nehmen das, was Willy Brandt gefordert hat, nämlich mehr Demokratie zu wagen, besonders an dieser Stelle sehr ernst. ({3}) Aber gerade die grüne Seite stellt besondere Forderungen an die betriebliche Mitbestimmung, an das, was wir unter demokratischen Formen und Partizipation verstehen. Uns geht es bei der Mitbestimmung natürlich darum, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durch eine Konstruktion der kollektiven Vertretung zu stärken. Uns geht es aber auch darum, die individuellen Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu stärken. Auch dies ist ein Prinzip der Demokratie. Uns geht es ebenso darum, die Rechte von Gruppen und nicht nur die Rechte von Institutionen zu stärken. Deswegen sind in diesem Gesetz Elemente zur Stärkung von Individualrechten vertreten, zum Beispiel dadurch, dass wir dafür sorgen, dass Kolleginnen und Kollegen in den Betrieben Themen in die Betriebsratsarbeit einbringen können, auf die Tagesordnung setzen können, zum Beispiel dadurch, dass wir erstmals in einem Mitbestimmungsgesetz die Möglichkeit der Delegation von Mitbestimmungsrechten von den Betriebsräten an Arbeitsgruppen, an Gruppen, die im Team arbeiten, verankert haben. Es ist sicherlich ein behutsamer Schritt, den wir da gegangen sind. Aber es ist für uns, gerade für meine Fraktion, ein wichtiger Schritt, weil auch das zur innerbetrieblichen Demokratie gehört. Ich möchte noch einen anderen Punkt ansprechen. Für uns ist der Schutz von Minderheiten überall, auch in den Betrieben, ein konstitutives Element von Partizipation und Demokratie. ({4}) Deswegen haben wir in den vergangenen Wochen um die Beibehaltung des Verhältniswahlrechtes im Betriebsverfassungsgesetz gestritten. Wir wollen auch kleine Listen, wir wollen auch kleine Gruppen in den entsprechenden Gremien des Betriebes vertreten wissen. Deswegen haben wir uns für dieses Recht eingesetzt. Ich sage Ihnen: Ich bin sehr froh, dass dies gelungen ist. Ich fordere Sie von der CDU/CSU an dieser Stelle auf, diesem Gesetzentwurf zuzustimmen. ({5}) Das neue Betriebsverfassungsgesetz ist notwendig geworden - das wissen wir alle -, weil das alte Gesetz vielen Anforderungen einer modernen und dynamischen Wirtschaft überhaupt nicht mehr Rechnung trägt und weil wir bei den Anforderungen an die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie an die Betriebsräte eine rasante Entwicklung haben, dass die alten Strukturen an vielen Stellen nicht mehr gepasst haben. Wir haben neue Formen der Arbeitnehmerschaft, die sich ausweiten. Auf der anderen Seite haben wir neue Formen von betrieblichen Strukturen. Deswegen mussten wir das Betriebsverfassungsgesetz modernisieren. Ich denke, wir haben einen klugen Weg eingeschlagen, indem wir eben nicht versucht haben, den Betriebsbegriff oder den Arbeitnehmerbegriff abschließend zu definieren, sondern flexible Elemente in dieses Betriebsverfassungsgesetz integriert haben, beispielsweise die Möglichkeit von Organisationsvereinbarungen, also zu verhandelnde Mitbestimmung in den Betrieben. Verhandelnde Mitbestimmung ist dort nötig, wo sich betriebliche Strukturen verändern und sich an die einzelnen Unternehmen anpassen müssen, die so ihre Strukturen in den Betriebsräten selber gestalten können. Wir haben gerade aufgrund der verstärkten Anforderung an die Betriebsräte die Notwendigkeit erkannt, ihre materielle und sachliche Arbeit zu unterstützen, zum Beispiel durch das Hinzuziehen von Sachverständigen. Auch war es notwendig, dass in vielen Punkten, wie etwa dem Schutz von Arbeitsplätzen, die betriebliche Mitbestimmung im Zusammenhang mit der Qualifizierung, aber eben auch mit der Beschäftigungssicherung ausgedehnt worden ist. Durch die Änderungsanträge, die in den letzten Tagen diskutiert worden sind, haben wir noch einmal einen Schritt nach vorne gemacht. Es geht nicht darum, ob in den Betrieben technische Neuerungen eingeführt werden, sondern darum, den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern eine Chance zu geben und sie durch ihre Betriebsräte dabei zu unterstützen, sich durch Weiterbildung und Qualifikation den neuen Techniken anzupassen. Mit unserer Regelung haben wir einen Schritt in die richtige Richtung getan. Auch in anderen Bereichen sind wir tätig geworden, zum Beispiel bei der Stärkung der Rechte von Frauen. Dies war für meine Fraktion, aber auch für unseren Koalitionspartner SPD, ein wichtiger Punkt. Wir hatten in unseren Gesetzentwurf zunächst eine Geschlechterquote hineingeschrieben. ({6}) Aber wir sind in vielen Diskussionen mit Betriebsräten auf folgenden Punkt aufmerksam gemacht worden: Unsere Formulierung hätte dazu geführt, dass Frauen gerade dort, wo sie in den Betriebsräten stärker vertreten sind, als es ihrem Anteil an der Belegschaft entspricht - das ist in der Regel nicht der Fall -, bei der nächsten Wahl wieder aus den Betriebsräten gekickt worden wären. Das wollten wir verhindern. Deswegen haben wir in unserem Änderungsantrag eine neue Formulierung gefunden, über die am Mittwoch abgestimmt wurde und mit der ein Minderheitenschutz im Betriebsrat verankert wird. ({7}) Es war übrigens besonders für Frauen aus meiner Fraktion eine sehr spannende Auseinandersetzung, noch einmal über die Notwendigkeit von Quoten zu diskutieren. Es war interessant, zu hören, wer mit wem übereinstimmte und welche Argumente gegen die Notwendigkeit eines Frauen- und Minderheitenschutzes in den Betrieben genannt wurden. Wir kennen sie aus der Vergangenheit. All diese Déjà-vu-Argumente wurden unter dem Motto angeführt: Die Frauen sind doch so qualifiziert, dass sie es schon schaffen werden. Mit diesem Argument ist immer wieder versucht worden, dieses Vorhaben zu torpedieren. Ich bin froh, dass wir diesen Minderheitenschutz für die Frauen im neuen Betriebsverfassungsgesetz verankern werden. Es geht aber noch um einen anderen Punkt. Wir wollen natürlich, dass Jugendliche ihre Geschicke in den Betrieben verstärkt in die eigene Hand nehmen können. Dazu lässt sich einiges im Betriebsverfassungsgesetz finden. Es ging uns natürlich auch um die außerbetrieblichen Ausbildungsstätten. Der Entschließungsantrag, der von der PDS-Fraktion eingebracht worden ist, sieht vor, die Jugendlichen in den außerbetrieblichen Ausbildungsstätten, die keine Betriebe sind, den Jugendlichen, die in Betrieben mit Betriebsrat beschäftigt sind, gleichzustellen und auch ihnen das Recht auf Mitbestimmung einzuräumen. Ich weiß, dass darüber diskutiert wird, ob das Betriebsverfassungsgesetz dahin gehend geändert werden soll. Aber wir müssen die gültige Rechtsprechung berücksichtigen, nach der es unmöglich ist, die Mitbestimmung für außerbetriebliche Einrichtungen im Betriebsverfassungsgesetz zu regeln. Wenn wir es dennoch täten, dann hätte eine solche Regelung nicht lange Bestand. Deswegen schlagen wir Ihnen die vorliegende Regelung vor. Ich glaube, dass diese die Mitbestimmung der Jugendlichen ein Stück voranbringt. Wichtig ist uns auch, dass im neuen Betriebsverfassungsgesetz ein besonderes Augenmerk auf die blinden Stellen des alten Gesetzes gerichtet worden ist. Blinde Stellen gab es beispielsweise überall dort, wo es um den Umweltschutz geht. Dieser stand 1972 natürlich noch nicht auf der Tagesordnung. Die Umweltverbände und die Grünen haben in den letzten Jahren dafür gesorgt, dass der Umweltschutz in das Bewusstsein der Menschen gedrungen ist. Dieses Thema liegt den Betriebsräten und auch den Belegschaften tagtäglich am Herzen. Deswegen ist es notwendig und ein Gebot eines modernen Betriebsverfassungsgesetzes, auch Regelungen zum Umweltschutz aufzunehmen. ({8}) Die CDU/CSU sagt nun - das ist einer der Vorwürfe -, dass ihr die von uns vorgenommenen Veränderungen nicht weit genug gehen. Das ist absurd. Kürzlich, vor zwei, drei Wochen, hat der Vorsitzende der CDU/CSUFraktion auf einer CDA-Tagung die Kolleginnen und Kollegen, die das Fähnlein der Aufrechten hochgehalten und für die Verbesserung der Mitbestimmung gekämpft haben, gefragt, ob sie in der CDU eigentlich noch richtig aufgehoben seien. Das macht deutlich, dass Sie mit dem, was Sie zum Beispiel im Zusammenhang mit den Jugendvertretern einfordern, letzten Endes nur eine Feigenblattdiskussion für Ihre Partei führen wollen, die in Wahrheit die betriebliche Mitbestimmung nicht verbessern will. Es gibt eine ganze Reihe von Vorwürfen, die im Zusammenhang mit dem neuen Betriebsverfassungsgesetz erhoben werden, zum Beispiel den, dass es neue Formen der Kooperation und Mitbestimmung, wie sie beispielsweise in Betrieben aus dem IT-Bereich entstanden sind, zerstören würde. Auch hier wird nur eine Scheindebatte geführt; denn es gibt keinen Betriebsrat, der gegen die eigene Belegschaft im Betrieb arbeiten kann und will. Es ist zwar gut, dass neue Unternehmen ihre Formen der Kooperation finden. Aber es ist auch gut - das zeigen die Entwicklungen in den letzten Monaten bzw. des letzten Jahres -, dass auch diejenigen, die in neuen Unternehmen beschäftigt sind, auf das Betriebsverfassungsgesetz zurückgreifen können; denn auch diese Belegschaften merken im Alltag immer wieder, dass sie am kürzeren Hebel sitzen. Deswegen brauchen wir im Betriebsverfassungsgesetz die Schutzbestimmung, nach der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auch gegen den Willen ihres Arbeitgebers einen Betriebsrat einsetzen können. Dafür setzen sich die Grünen an vorderster Stelle ein. ({9}) Ich komme zum Schluss. ({10}) Über das neue Betriebsverfassungsgesetz ist lebhaft diskutiert worden. Wir brauchen jetzt eine hohe Akzeptanz in den Betrieben. ({11}) Dort muss dieses Gesetz mit Leben gefüllt werden. ({12}) Zu der von Ihnen immer wieder aufgestellten Behauptung, dass mehr Mitbestimmung letzten Endes der Sargnagel für die wirtschaftliche Prosperität sei, ({13}) sage ich: Andersherum wird ein Schuh daraus. Die Vergangenheit hat gezeigt - streiten Sie das nicht ab! -, dass die betriebliche Mitbestimmung zu sozialem Frieden in diesem Land geführt hat, der ein Standortvorteil ist. ({14}) Deswegen ist das von uns heute vorgelegte Mitbestimmungsgesetz eine Art Hebamme für mehr Demokratie in den Betrieben und eine Stärkung des Standortvorteils, den wir der Mitbestimmung in diesem Lande zu verdanken haben. Ich danke Ihnen. ({15})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile dem Kollegen Günter Rexrodt, F.D.P.-Fraktion, das Wort. ({0})

Dr. Günter Rexrodt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002759, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir diskutieren über diese so genannte Reform vor dem Hintergrund einer Besorgnis erregenden Wirtschaftslage; die Institute revidieren ihre Wachstumsprognosen nach unten. Die Bundesregierung bleibt bei 2 Prozent, obwohl seit mittlerweile elf Monaten der Ifo-Geschäftsklimaindex nach unten zeigt. Wir alle wissen - das ist empirisch belegt -, dass in Deutschland einer Talfahrt der Prognosen eine Talfahrt des wirtschaftlichen Wachstums folgt. ({0}) Wir jubeln darüber nicht. Diese Entwicklung ist Anlass, Ursachen aufzuzeigen und Korrekturen anzumahnen. ({1}) Damit sind wir beim Thema des heutigen Vormittags. ({2}) - Hören Sie gut zu! - Ich sage nicht so plump: Ausweitung der Mitbestimmung, Reform des Betriebsverfassungsgesetzes gleich Einbruch der Konjunktur. Ein wirtschaftlicher Einbruch hat immer mehrere Ursachen. Hier ist zunächst festzustellen: Der Einbruch, der in diesen Monaten stattfindet, ist hausgemacht. ({3}) Er hat etwas mit den Zukunftserwartungen der Wirtschaft zu tun. Diese Zukunftserwartungen sind wiederum das Ergebnis einer miesen Stimmung, die Sie in den letzten Monaten erzeugt haben. ({4}) - Detlev von Larcher [SPD]: Wie konnte der nur Wirtschaftsminister wer- den? - Klaus Brandner [SPD]: Diese Stimmung haben Sie organisiert oder versucht zu organi- sieren!) Weshalb ist die Stimmung nach einem Zwischenhoch im Jahre 2000 so mies? Während andere Länder ihr Arbeitsrecht reformieren, mehr Flexibilität erzeugen, ihre Regelwerke vereinfachen, Abgaben abschaffen und ihr Steuersystem vereinfachen, hat sich die Wirtschaftspolitik in der Bundesrepublik Deutschland dazu entschlossen, neue Wunderwaffen einzusetzen. Die Wunderwaffe Nummer eins zur Belebung der wirtschaftlichen Konjunktur ist die Erfindung des Dosenpfandes - ein Volltreffer in der Wirtschaft und bei den Verbrauchern! ({5}) Die Wunderwaffe Nummer zwei ist die Tatsache, dass fast die Hälfte der Energiewirtschaft - sie wurde zu unserer Regierungszeit liberalisiert - wieder reguliert wird ein Volltreffer für die Verbraucher und für die Energiewirtschaft! ({6}) Die Wunderwaffe Nummer drei ist die Verlängerung des Postmonopols, über die an diesem Vormittag beschlossen werden soll - ein Volltreffer für unsere Wirtschaft und für den Verbraucher! Nachdem der Mittelstand nicht nur durch die Steuerreform benachteiligt und verärgert, sondern auch durch die Ökosteuer gebeutelt worden ist, kommt es heute zur Reform des Betriebsverfassungsrechts. Damit wird die Stimmung richtig mies gemacht und der Mittelstand so richtig vor den Kopf geschlagen. ({7}) Warum diese Reform? Der Hintergrund ist ganz einfach: Sie ist der Preis, den die rot-grüne Koalition für die Steuerreform und die Rentenreform zahlt. Sie ist der Preis, der an die Gewerkschaften gezahlt wird, damit sie stillhalten und mitmachen, wenn es an mancher Stelle schwierig geworden ist. ({8}) Sie ist der Preis, den Herr Riester - im Auftrag des Herrn Zwickel - zu zahlen hat. Das ist der eigentliche Hintergrund. ({9}) - Wenn Sie weiter nichts zu sagen haben, Herr von Larcher, sprechen Ihre Worte für sich selbst. ({10}) Hinter dem, was hier vorgetragen wurde, verbergen sich keine hehren Ziele. Das Thema eines Ungleichgewichts zwischen Kapital und Arbeit hat längst eine andere Dimension erhalten; es ist ein Thema der alten Industriegesellschaft, das wir gemeinsam in den 60er- und 70erJahren bei der Diskussion über die nunmehr geltende Mitbestimmung aufgenommen haben. Die F.D.P. hat damals daran mitgewirkt. Das hatte seine Berechtigung und hat sich letztlich auch bewährt. ({11}) Heute haben wir aber eine andere Arbeitswelt. Damals ging es um lange Arbeitszeiten, Abhängigkeiten und Anonymität in der Arbeitswelt. Es war nachvollziehbar, dass Betriebsräte, starke Gewerkschaften und Regelwerke über den Umgang miteinander notwendig waren. Gegenüber heute muss man differenzieren; denn heute geht es um etwas ganz anderes: Die Arbeitswelten, in denen die Gewerkschaften eine starke Stellung hatten, sind in Bewegung geraten und im Rückzug begriffen. ({12}) Ich sage nicht, dass sie ganz verschwinden. Aber die neuen Arbeitswelten werden immer stärker dominieren. Die Gewerkschaften haben Angst, dass sie nicht mehr gebraucht werden. ({13}) Deshalb soll das Betriebsverfassungsgesetz reformiert werden. ({14}) Es geht um Posten und Pöstchen und es geht um die Tatsache, dass den Gewerkschaften die Mitglieder weglaufen. Dadurch schrumpft das Beitragsvolumen. Das sind die Fakten. Schauen Sie in die Statistik; Sie kennen sie ganz genau. Sie regen sich hier auf; es geht um Posten und Pöstchen und Sie zahlen den Preis an die Gewerkschaften. ({15}) Wer dieses brandmarkt, dem wird unterstellt, er wolle die alte Subordination zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern wieder herbeiführen. Das liegt doch neben der Sache. Jeder Mensch, der einen Betrieb von innen kennt, weiß, dass dieser Betrieb nur laufen kann, wenn es ein Miteinander, eine Kooperation, einen Austausch aller BeDr. Günter Rexrodt teiligten gibt. Nötig ist eine Partizipation bei der Arbeit und beim Ergebnis dieser Arbeit. ({16}) Die neue Arbeitswelt, auf die wir uns einstellen müssen, ist durch kleine Einheiten, größere Selbstständigkeit, den Wechsel und die Vermischung von selbstständiger und unselbstständiger Arbeit, weltweite Vernetzung, Projektarbeit, bei der man zusammenkommt und wieder auseinander geht, mehrere parallele Beschäftigungsverhältnisse, ungewöhnliche Beschäftigungszeiten und eine ungewöhnliche Beschäftigungsdauer gekennzeichnet. ({17}) Das ist der Trend, in dem sich die Arbeitswelt entwickelt. Die Industriegesellschaft geht zu Ende. ({18}) In der neuen Gesellschaft, die die alte nicht vollständig verdrängen wird, vermischen sich Arbeitgeber- und Arbeitnehmerfunktionen. Das ist eine Tatsache. ({19}) Der Kapitalist wird gleichzeitig Arbeitnehmer; Arbeitgeber und Arbeitnehmer arbeiten im Betrieb auf gleicher Augenhöhe. Die Arbeitnehmer werden Kapitalisten. ({20}) Das ist gut so. ({21}) Ich füge hinzu: Gott sei Dank ist heute die Zahl der Aktionäre größer als die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder. ({22}) Wer in einem Betrieb ein Problem hat, spricht mit seinem Arbeitgeber, und zwar in gleicher Augenhöhe. ({23}) Diese Form der Mitbestimmung braucht weniger Betriebsräte und schon gar keine Gewerkschaftsfunktionäre. ({24}) Mitbestimmung erfolgt durch Beteiligung am Ertrag und am Kapital, nicht umgekehrt. Das ist gut so. ({25}) Ich kann nachvollziehen, dass man beim DGB und in der IG Metall ins Grübeln kommt. Man sagt: Wir müssen die Arbeitnehmer in der neuen Arbeitswelt schützen. Ich sage Ihnen: Die Arbeitnehmer können sich in dieser neuen Arbeitswelt heute häufig sehr viel besser selber schützen als früher. In Wirklichkeit wollen die Gewerkschaften in dieser neuen Arbeitswelt dabei sein. Deshalb werden mit der Reform des Betriebsverfassungsgesetzes vereinfachte Verfahren zur Installierung von Betriebsräten in Kleinbetrieben eingeführt, die Schwellenwerte herabgesetzt und Mitwirkungsrechte unter der Überschrift Umweltschutz auf quasi alle betrieblichen Investitionen ausgedehnt. Man schlägt die Unternehmer, die Entscheidungsträger, damit vor den Kopf. Auch das führt zu Attentismus bei Investitionen. Dieser ist ursächlich für die schlechte Konjunkturlage. ({26}) Während auf der einen Seite Initiativrechte an Stellen eingeführt werden, an die sie gar nicht hingehören, werden auf der anderen Seite Schlichtungsprozedere wie runder Tisch und andere, die dabei hätten helfen können, Probleme im Betrieb zu lösen, nicht installiert, sondern sogar abgeschafft. Dieser Ansatz ist falsch und führt zum Gegenteil dessen, was wir wollen. ({27}) Wir aber wundern uns, dass sich die Mittelständler vor den Kopf geschlagen fühlen und nicht mehr investieren. ({28}) Meine Damen und Herren, Sie hatten am Anfang der Legislaturperiode drei richtige Grundsatzentscheidungen getroffen, und zwar bezüglich der steuerlichen Entlastung, der privaten Vorsorge in der Rente und der Konsolidierung der öffentlichen Haushalte. ({29}) Bei den ersten beiden Punkten haben Sie die Chancen durch die steuerliche Ungleichbehandlung von Personen- und Kapitalgesellschaften und durch die unselige Ökosteuer total verspielt. Die Rentenreform haben Sie durch Zulassungs- und Zertifizierungsstellen verkompliziert und dadurch viel kaputtgemacht. Schließlich haben Sie noch draufgesattelt, indem Sie bei den EVUs und der Post wieder rereguliert haben. Das treibt die Preise, sodass wir heute eine höhere Inflationsrate haben. Nun, da Sie die Mitbestimmung ausweiten wollen, geht die Konjunktur bei insgesamt passablen weltwirtschaftlichen Daten und einem günstigen Euro-Kurs in den Keller. In Bezug auf das wirtschaftliche Wachstum sind wir das Schlusslicht in Europa. ({30}) Die Arbeitslosigkeit steigt. Sie werden Ihre Versprechungen für das Jahr 2002 nicht halten können.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Rexrodt, Sie müssen zum Ende kommen. ({0})

Dr. Günter Rexrodt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002759, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich komme sofort zum Ende, Herr Präsident. - Letzter Satz: Die Krise ist hausgemacht, meine Damen und Herren. Sie fliegt Ihnen im Jahre 2002 um die Ohren. Und das ist gut so. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile der Kollegin Heidi Knake-Werner, PDS-Fraktion, das Wort.

Dr. Heidi Knake-Werner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002700, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das war also nun die Wunderwaffe der F.D.P. für den Berliner Wahlkampf: ({0}) Alte muffige Klassenkampfparolen von vorgestern. Und das ist gut so. ({1}) Ich komme zum eigentlichen Thema: Mutig, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist die Reform des Betriebsverfassungsgesetzes wirklich nicht. Die gute Botschaft: Es gibt mit dieser Reform endlich einmal keine Verschlechterungen. Damit scheint der Trend der letzten Jahre gebrochen, wonach alles, was als Reform daherkam, mit Demokratieabbau und Leistungskürzungen versehen war. Der heutige Gesetzentwurf hat positive Seiten, aber er hat auch erhebliche Mängel. Lassen Sie mich mit dem Positiven beginnen - da kann ich mich relativ kurz fassen -: ({2}) Zunächst ist festzustellen, dass das vereinfachte Wahlverfahren ein richtiger Schritt ist, um die Zahl der Vertretungen auch in den kleineren Betrieben endlich wieder zu erhöhen. Auch die verbesserte Freistellung ist ein wichtiger Ansatz. Dadurch kann die Arbeit der Betriebsräte an Qualität gewinnen. Auch die Einführung der Mindestquote halten wir für einen wichtigen Schritt, weil vor allen Dingen die Frauen davon profitieren werden. Schließlich begrüßen wir die Beibehaltung des Verhältniswahlrechtes. Weil all dies, was ich jetzt erwähnt habe, die Stellung der abhängig Beschäftigten und der Gewerkschaften in den Betrieben verbessern wird, wird die PDS diesem Gesetzentwurf zustimmen. Ich sage Ihnen aber auch ganz offen, dass diese Reform weder einer entspricht, die angesichts der rasanten Entwicklungen bei der Arbeitsweise und der Technik notwendig gewesen wäre, noch der, die Sie versprochen haben. An den entscheidenden Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechten haben Sie nicht ein Jota verändert; und das ist nicht gut so. ({3}) Wenn in der Öffentlichkeit trotzdem der Eindruck entstehen konnte, dass dieses Gesetz die Verhältnisse im Betrieb zum Tanzen bringt, dann verdankt es diese Wertschätzung vor allem der völlig überzogenen Reaktion aus dem Arbeitgeberlager. Die Sympathisanten haben wir ja gerade gehört. Sogar das Schreckgespenst der kalten Enteignung wurde wieder aus der Mottenkiste geholt. Das alles ist natürlich blanker Unsinn. Es sind - das sage ich Ihnen ganz klar - die starken Gegner, die dem schwachen Gesetz dieses Medienecho bescheren konnten. Die Unternehmerverbände haben mit einer kaum noch zu überbietenden Drohkulisse versucht, nicht nur die betriebliche Mitbestimmung in diesem Prozess zu demontieren, ({4}) sondern gleich auch noch den Tarifvertrag auszuhöhlen. Mit ihrer Absicht, durch die Abkehr vom Günstigkeitsprinzip die Tarifpolitik in die Betriebe zu verlagern und die Gewerkschaften durch die Aufweichung des Flächentarifvertrages zu schwächen, sind sie zum Glück gescheitert, weil die Koalition trotz mancher Eierei insbesondere in den Reihen der Bündnisgrünen an diesem Punkt standhaft geblieben ist; auch das ist gut so. Dennoch werden Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, mit diesem Gesetzentwurf weder den Erwartungen der Gewerkschaften noch denen der Praktikerinnen und Praktiker in den Betrieben noch der Notwendigkeit einer zeitgemäßen Reform gerecht. Im Gegenteil: Die PDS ist der Auffassung, dass Sie an der untersten Schwelle dessen bleiben, was eine demokratische Betriebsverfassung den Arbeitgebern abverlangen muss, wenn man, Herr Singhammer, weiterhin das Verhältnis von Arbeit und Kapital auch am Sozialstaatsgebot unserer Verfassung orientieren will. Darauf legen wir allerdings sehr viel Wert. ({5}) Kommen wir zurück zum vereinfachten Wahlverfahren. Wir alle wissen, dass dieses Verfahren nicht der alleinige Grund für die zunehmende Zahl von betriebsratsfreien Zonen ist. Entscheidend ist, dass auf die Beschäftigten zunehmend Druck ausgeübt wird: So kommt es vor, dass sie willkürlich entlassen werden, wenn bekannt wird, dass sie einen Betriebsrat wählen wollen. Zahllose Unternehmen verstoßen seit Jahren gegen das Gesetz und klagen hemmungslos darüber, dass die Einhaltung dieses Gesetzes zu teuer ist. Das ist wirklich ein merkwürdiges Demokratieverständnis. Leider hat die Koalition nicht den Mut aufgebracht, die Wahl von Betriebsräten zu einem unumgänglichen demokratischen Muss zu machen. Gerade das aber wäre im Interesse der Beschäftigten gewesen. Die größte Schwäche des Reformgesetzes zeigt sich im Kern der Betriebsverfassung. An diesem Punkt ist das, was der Kollege Rexrodt gesagt hat, blanker Unsinn. ({6}) Es gibt keine Veränderung in der tatsächlichen Mitbestimmung. Dabei war doch die Anpassung der Mitbestimmung an die neuen Produktionskonzepte, an die veränderten Arbeitsabläufe und Organisationsformen oder an die neuen Technologien der eigentliche Grund für diese Reform. ({7}) Sie selbst, Herr Minister Rexrodt ({8}) - Entschuldigung; ich meine natürlich Herrn Minister Riester -, haben immer wieder zu Recht darauf hingewiesen, dass die Veränderungen der letzten 20 Jahre die Mitbestimmungsrechte nach und nach überholen werden. War es denn nicht die SPD, die ständig das Bild der Kugelkopfmaschine bemüht hat, die bei der Ausarbeitung des Betriebsverfassungsgesetzes 1972 Pate gestanden hat? Das ist, wie ich finde, ein schöner und bildhafter Vergleich, mit dem man den Menschen deutlich machen kann, was sich in den letzten Jahren wirklich verändert hat. Allerdings sind Sie - das müssen Sie sich sagen lassen - im Zeitalter der Kugelkopfmaschine stehen geblieben. ({9}) Uns ist das zu wenig. ({10}) - Kollege Larcher, dass Sie in solchen Fragen immer besonders kompetent sind, kann man an Ihren Zwischenrufen sehr schnell nachvollziehen. ({11}) Nehmen wir zum Beispiel die Einführung der Gruppenarbeit. Natürlich ist es gut, dass Betriebsräte dafür Grundsätze aufstellen können. Aber was hilft ihnen das, wenn sie bei die Einführung der Gruppenarbeit nicht mitbestimmen können? Oder die Frage des Umweltschutzes: Natürlich ist es gut, dass der Aufgabenkatalog erweitert wird. Aber es gibt in diesem Bereich kein wirkliches Mitbestimmungsrecht der Betriebsräte. Das ist einfach zu wenig. Lassen Sie mich zum Schluss noch einen Punkt erwähnen, der uns besonders am Herzen liegt. Ich meine die Wahl der Jugend- und Auszubildendenvertretungen und den verbesserten Schutz ihrer gewählten Mitglieder. Hier hätten Sie keinem Arbeitgeber ernsthaft wehgetan, wenn Sie den Vorschlägen der Gewerkschaftsjugend gefolgt wären. ({12}) Warum lassen Sie in über- und außerbetrieblichen Lehrwerkstätten Auszubildende zweiter Klasse zu, die schlechter gestellt sind - das wissen Sie genau - als ihre Kolleginnen und Kollegen im Betrieb? Wir wollen, dass auch diese jungen Leute die Rechte und den Schutz des Betriebsverfassungsgesetzes bekommen. Wir halten Ihre vorgeschlagene Regelung für das falsche Signal.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollegin KnakeWerner, Sie müssen zum Ende kommen.

Dr. Heidi Knake-Werner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002700, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ich komme zum Schluss. Deshalb haben wir uns - obwohl es eine Fülle von Änderungsbedarf gegeben hat - mit unserem Änderungsantrag darauf konzentriert, zugunsten der Jugendlichen und der Auszubildendenvertretungen zu wirken. Ich finde, es sollte Ihnen die Sache wert sein, hier der PDS - einmal ist ja immer das erste Mal - zuzustimmen. Ich garantiere Ihnen aber auch - so verstehe ich die Botschaft der Gewerkschaften -: Nach der Reform ist vor der Reform. Vielen Dank. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort der Kollegin Anette Kramme, SPD-Fraktion.

Anette Kramme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003162, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute wird eines der großen Reformprojekte der rot-grünen Koalition verabschiedet. ({0}) Die letzte Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes liegt immerhin schon 30 Jahre zurück. Wir passen das Gesetz den heutigen Gegebenheiten an und geben den Betriebsräten neue und hervorragende Arbeitsmöglichkeiten. ({1}) Das Gesetz ist aber nicht nur ein Gesetz für die Betriebsrätinnen und für die Betriebsräte; es ist nicht nur ein Gesetz für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Es ist auch Standortvorteil für die deutsche Wirtschaft. Moderne Unternehmensstrategie ist es, betriebliche Hierarchien abzubauen. Genau dies tun wir. Wir schaffen mit der neuen Betriebsverfassung hierfür die gesetzlichen Rahmenbedingungen. Wir sollten aber nicht außer Acht lassen, dass gerade die Betriebsverfassung wesentlicher Faktor für die Schaffung des sozialen Friedens in der Bundesrepublik Deutschland war und ist. Sie ist die Ergänzung zur Streikkultur der Tarifvertragsparteien. Leider mussten die Regierungsfraktionen feststellen, dass gerade die F.D.P. sich von dem jahrzehntelangen Konsens, dem Konsens der sozialen Marktwirtschaft, verabschiedet hat. Die F.D.P. hat Ade zur Betriebsverfassung gesagt. ({2}) Sie legen hier ein Sammelsurium von Schauerlichkeiten vor: ({3}) anteilige Berücksichtigung von Teilzeitbeschäftigten bei den Schwellenwerten, Verkleinerung der Betriebsratsgremien, Freistellungen von Arbeitnehmern für die Betriebsratsarbeit erst ab 500 Arbeitnehmern, § 87 des Betriebsverfassungsgesetzes - das Mark aller Mitbestimmung - erst ab 300 Arbeitnehmern, Aushebelung des § 77 Abs. 3. Frau Schwaetzer und Herr Niebel, ich muss Sie fragen: Was ist aus Ihrer alten Partei geworden? ({4}) Schämen Sie sich nicht? ({5}) Herr Rexrodt, Sie trauen sich wirklich, in Berlin in den Straßenwahlkampf zu ziehen. Ihr Ziel,18 Prozent, ist mit Sicherheit nicht erreichbar. ({6}) Einige der Kolleginnen und Kollegen der Opposition scheinen nicht recht wahrgenommen zu haben, was wir als rot-grüne Koalition hier machen. Es war erforderlich, die Arbeitnehmergrenzzahlen für die Freistellung von Betriebsratsmitgliedern herabzusetzen. Ab 200 Beschäftigten kann sich nun ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin ausschließlich um die Interessen der Belegschaft kümmern. Das war dringend notwendig. ({7}) Die Arbeitsbelastung der Betriebsräte ist in den letzten Jahren sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht massiv angestiegen. Betriebsräte haben sich immer häufiger mit Outsourcing - so lautet das eine Schlagwort - und mit Unternehmensverschmelzungen auseinander zu setzen. Aber auch jede technische Einrichtung, die heute in den Betrieb hineinkommt, ist mitbestimmungspflichtig, weil sie eine intensive Verhaltens- und Leistungskontrolle ermöglicht. Das beginnt bei einer ganz banalen ISDN-Anlage. Über diese kann ohne weiteres die Arbeitsfähigkeit, die Arbeitsleistung eines Mitarbeiters, beispielsweise in einem Callcenter, überprüft werden. Wir haben uns weiter entschlossen, in Betrieben mit bis zu 50 Beschäftigten das Wahlverfahren zu vereinfachen. In Betrieben mit bis zu 100 Beschäftigten kann dieses einfache Wahlverfahren vereinbart werden. Bislang war die Betriebsratswahl auch in kleinen Betrieben mindestens so schwierig wie die Durchführung einer Bundestagswahl. Bedauerlicherweise mussten wir feststellen, dass einige Arbeitgeber diese Gelegenheit genutzt haben, um die Errichtung von Betriebsratsgremien zu verhindern. Da sind Versammlungen zur Einberufung eines Wahlvorstandes auf Veranlassung des Arbeitgebers lautstark gestört worden, da haben beispielsweise alle Arbeitnehmer am entscheidenden Tag Freizeit erhalten. Jede Gewerkschaft kann zahlreiche Beispiele nennen. Vor allem ist es immer wieder zu überraschenden Kündigungen von interessierten Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen gekommen. ({8}) - Ja. Ich bin Rechtsanwältin, und zwar ausschließlich mit dem Tätigkeitsschwerpunkt Arbeitsrecht. ({9}) Meine Tätigkeit umfasst Interessenausgleichs- und Sozialplanverhandlungen. Ich meine, ich nehme sehr intensiv die tägliche Arbeit von Betrieben wahr. ({10}) Wir geben den Betriebsräten ein Initiativ- und Mitbestimmungsrecht bei der Einführung von betrieblichen Berufsbildungsmaßnahmen. Die Regierungskoalition hat in diesem Punkt den Regierungsentwurf abgeändert und damit dieser Novelle einen eigenen und markanten Stempel aufgedrückt. Qualifizierung war und ist das Herzstück sozialdemokratischer Politik. Die Anforderungen am Arbeitsplatz ändern sich ständig und auch immer schneller. Lebenslanges Lernen ist erforderlich. Und das ist gut und richtig so. Aber wir wollen auch, dass alle mithalten können. Deshalb geben wir den Betriebsräten ein volles Mitbestimmungsrecht bei geplanten oder bereits durchgeführten Maßnahmen des Arbeitgebers, die dazu führen, dass die beruflichen Kenntnisse der Beschäftigten nicht mehr ausreichen. ({11}) Das wird auch den Unternehmen gut tun. Sicherlich wird die Neuregelung den einen oder anderen Innovationsschub bewirken. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Rot-Grün schafft Perspektiven. ({12}) Wir haben die Arbeitssituation vieler Menschen verbessert. Auch dieses Betriebsverfassungsgesetz wird hierzu beitragen. Ich bedanke mich. ({13})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort der Kollegin Dorothea Störr-Ritter von der CDU/CSUFraktion.

Dorothea Störr-Ritter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003241, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn wir heute dieses Gesetz ablehnen, geschieht dies ganz bestimmt nicht gegen die Mittelständler, weil die Mittelständler etwa, wie Sie, Herr Brandner, glauben machen wollen, dieses Gesetz haben zu wollen, sondern es geschieht, weil die Mittelständler und ihre gesamten Belegschaften dieses Gesetz eben nicht haben wollen ({0}) - diese Rundschreiben kamen auch aus anderer Richtung -, weil die Mittelständler ganz genau spüren, dass die Regierung hier einen Schritt nach links tut, das arbeitsmarktpolitische Ruder zu einer neuen Linken hinsteuert und eine Rückkehr in die Mitte nicht mehr möglich ist. ({1}) Um die soziale Marktwirtschaft und auch den sozialen Frieden zu erhalten, braucht es Ordnungspolitik, aber es braucht eben auch eine Garantie für Freiheit, Eigentum und Selbstbestimmung der Bürger. ({2}) Diese Garantien tritt der Gesetzentwurf mit Füßen. Die Koordinaten werden nach links verschoben; die Freiheit der im Wettbewerb stehenden Unternehmen wird mehr und mehr beschnitten und die Freiheit der Arbeitnehmer soll unterbunden werden durch Fremdbestimmung vonseiten der Gewerkschaften. ({3}) Das Misstrauen zwischen den Sozialpartnern wird zur Basis betrieblicher Partnerschaft erklärt. ({4}) Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Regierungskoalition, unterstellen den Unternehmern, dass diese grundsätzlich kalt agierten. Sie unterstellen aber auch den mündig gewordenen Arbeitnehmern, dass nur Betriebsräte die für jeden Einzelnen günstigsten Bestimmungen an seinem Arbeitsplatz aushandeln könnten. Mit der verbohrten Einstellung, dass nicht sein kann, was nicht sein darf, ignorieren Sie, dass das bisherige Betriebsverfassungsgesetz seinen Zweck erfüllt und wir in Deutschland im Vergleich mit allen Industrieländern bereits den höchsten Grad von Mitbestimmung haben. Soziale Partnerschaften sind unter dem bisherigen Betriebsverfassungsgesetz entstanden und funktionieren auch. Sie wollen nicht wahrhaben, meine sehr geehrten Damen und Herren der Regierungskoalition, dass es jetzt darum gehen muss, diese entstandenen Partnerschaften zu stärken und sie zukunftsfähig zu machen. ({5}) Mit Beharrlichkeit schauen Sie immer nur dorthin, wo es schlecht läuft. ({6}) Ihre Angst vor der Allmacht der Konzerne - selbstverständlich nur dann, wenn es keine SPD-Konzerne sind verstellt Ihnen den Blick für die mittelständische Wirtschaft. ({7}) Sie haben ja vielleicht einen Kanzler der Bosse und einen Kanzler der Genossen. Wir verstehen, dass da bei allem Talent für einen Kanzler der Mittelständler kein Platz mehr bleibt. ({8}) Sie ignorieren aufgrund Ihrer Unkenntnis oder auch mit Absicht, dass soziale Partnerschaften, in denen Unternehmerinnen und Unternehmer ein hohes persönliches Risiko eingehen, eine direkte persönliche Verantwortung für Mitarbeiter, Kunden, Geldgeber und auch die eigenen Familien tragen, bereits heute gut funktionieren. ({9}) Damit meine ich 90 Prozent aller Unternehmen in Deutschland, nämlich die Personenunternehmen des Mittelstandes. ({10}) Dort steht nicht die Kapitalrendite im Vordergrund, sondern der Mensch, seine Existenz und seine soziale Verantwortung. ({11}) Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, sind keine managergeführten Betriebe, sondern eben inhabergeführte Betriebe.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dreßen?

Dorothea Störr-Ritter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003241, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe mit Herrn Dreßen im Ausschuss so viel diskutiert; das genügt. ({0}) Regelungen, die für Konzerne gelten sollen, wollen Sie einmal mehr dem Mittelstand überstülpen. Tatsache ist aber, dass in diesen Betrieben in den letzten 15 Jahren 1,4 Millionen Arbeitsplätze geschaffen worden sind. Die Konzerne haben 800 000 Arbeitnehmer entlassen. Sie erwarten ganz selbstverständlich, dass sich die Unternehmerfamilien mit ihrer gesamten Existenz in diese mittelständischen Betriebe einbringen. Gleichzeitig erweitern Sie aber die Möglichkeiten außerbetrieblicher Institutionen, das heißt der Gewerkschaften und der Einigungsstellen, letztendlich die unternehmerischen Entscheidungen zu fällen. ({1}) Sie finden es dabei richtig, dass bei Fehlentscheidungen Unternehmer und ihre Familien allein die finanziellen Folgen zu tragen haben. ({2}) Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist Ihr Verständnis von sozialer Gerechtigkeit, nicht unser Verständnis. ({3}) Diese Betriebe überfrachten Sie mit unzumutbarer Bürokratie und mit nicht umlegbaren Kosten. ({4}) Sie wissen nicht, was es heißt, tagtäglich im Wettbewerb zu stehen und sich bewähren zu müssen. ({5}) Meine sehr verehrten Damen und Herren der Regierungskoalition, dabei spreche ich insbesondere für die Betriebe der Old Economy. Sie werden in den nächsten Wochen merken, wie sehr Sie diese Betriebe noch benötigen werden. ({6}) Die größten Fehlentscheidungen gegenüber mittelständischen Betrieben möchte ich kurz erwähnen: In diesen Betrieben gibt es keine Juristenstäbe, die in der Lage sind, schwammige Rechtslagen zu analysieren und für die Betriebe umzusetzen. ({7}) Es gibt in diesen Belegschaften auch keine Springer, die kostenneutral einzusetzen wären, wenn Betriebsräte ihrer Arbeit nachgehen müssen. ({8}) Dass die geplante Absenkung der für die Betriebsratsgrößen maßgeblichen Arbeitnehmerzahlen erhebliche Belastungen bringt und in einem Missverhältnis steht, hat Kollege Singhammer schon erwähnt. Nach wie vor kann ich mir auch nicht erklären, warum Sie davon ausgehen, dass ein Betrieb mit fünf Mitarbeitern eine Betriebsratsdichte von 20 Prozent, ein Betrieb mit 9 000 Mitarbeitern aber nur von 0,4 Prozent braucht. Erklären Sie mir diesen Widerspruch! ({9}) Die Absenkung des Schwellenwertes für Freistellungen wirkt sich auf mittelständische Betriebe fatal aus: Diesen Betrieben stehen künftig Kosten in Höhe von 2,7 Milliarden DM ins Haus, die nicht umgelegt werden können. ({10}) Wofür? Können Sie mir erklären, was ein vollständig freigestellter Betriebsrat in einem Betrieb mit 200 Mitarbeitern die ganze Zeit über zu tun hat? ({11}) Um wettbewerbsfähig zu bleiben, leben mittelständische Betriebe längst von Teamarbeit. Die neu formulierten Grundsätze über die Durchführung von Gruppenarbeit, für die außerbetriebliche Stellen die Vorschriften erstellen können, machen teamorientierte Arbeit uninteressant bzw. dort, wo sie heute schon besteht, kaputt. Das sagen Ihnen alle Betriebe. Effizienzwirkungen kommen eben nicht von den Betriebsräten oder von außerbetrieblichen Einigungsstellen, sondern von Mitarbeitern, die gewillt sind, für ihren Betrieb durchs Feuer zu gehen, weil sie sich davon persönliche Vorteile erhoffen können. ({12}) Mit Ihrer Regulierungswut sperren Sie aber auch die Freiheit der Arbeitnehmer aus. ({13}) Freilich sind Sie in einem Dilemma: Die Gewerkschaften wollten selbstbewusste Arbeitnehmer. Nun, da wir diese selbstbewussten Arbeitnehmer haben, verlieren die Gewerkschaften an Einfluss. Die inzwischen selbstbewussten Arbeitnehmer wollen die zu leistende Arbeit mitgestalten und über die Bedingungen ihrer Tätigkeiten individuell bestimmen. Kein Mensch versteht, dass neue Organisationsformen nur durch Tarifverträge vorgeschrieben und nicht von den Belegschaften selbst entwickelt werden dürfen. ({14}) Kein Mensch versteht, warum in Ihrem Gesetzentwurf Entscheidungsprozesse nicht beschleunigt werden. Warum macht ein Korsett bürokratischer Detailvorschriften unmöglich, dass sich Arbeitnehmer in freier Entscheidung auch für den Erfolg ihres Unternehmens einsetzen dürfen? Ich gebe Ihnen die Antwort: Weil Sie als Regierung den Gewerkschaften die Macht sichern wollen. ({15}) Dass ein verantwortungsvolles Miteinander längst vorhanden ist, beweist die Mehrzahl der Unternehmen. Ich empfehle Ihnen, sich vor Ort danach zu erkundigen. ({16}) Diese Unternehmen sind im Übrigen auch erfolgreich, weil sie eben ein verantwortungsvolles Miteinander zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern pflegen. ({17}) Sie wollen das nicht wahrhaben, weil es nicht in Ihr Weltbild passt. Sie haben immer noch nicht begriffen, dass es in den meisten Betrieben - insbesondere in den Betrieben des Mittelstandes - keinen kalten Krieg mehr gibt, sondern dass es darum geht, die betriebliche Partnerschaft zeitgemäß zu stärken. ({18}) Im Übrigen findet in diesen Betrieben, Frau Dr. Dückert, seit längerer Zeit Qualifizierung statt, weil sie längst begriffen haben, dass ein Bestehen im Wettbewerb und ein Fortkommen anders nicht möglich sind. ({19}) Aber diese Qualifizierung braucht nicht vorgeschrieben zu werden, sondern kann in den Betrieben vor Ort zwischen den betroffenen Arbeitnehmern und Arbeitgebern ausgehandelt werden. Diese Qualifizierung wird stimmig sein. ({20}) Das Gesetz stellt auch keinen Standortvorteil dar. Wenn Sie sich beispielsweise bei Unternehmen aus der Schweiz erkundigen, die in Deutschland investieren wollen - diese Erfahrung bringe ich aus dem Grenzland mit -, dann werden Sie erfahren, dass diese Unternehmen nicht mehr gewillt sind, sich Dinge aufdrücken zu lassen, die letztendlich ein völlig anderes Wirtschaften ({21}) als in anderen Ländern verlangen. Die Nachteile Ihrer Regelung werden auch auf diesem Gebiet stark zu spüren sein. ({22}) Zum Schluss möchte ich in einem Fazit zusammenfassen: Dieser Gesetzentwurf entstand auf Druck der Gewerkschaftsfunktionäre. ({23}) Es ist ein längst überfälliger Rosenstrauß an die Gewerkschaften. Die Dornen hat der Mittelstand zu tragen. ({24})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich gebe dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Walter Riester, das Wort. ({0}) Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung ({1}): Herr Präsident! Meine sehr verehrte Damen und Herren! Die Entscheidungen, die wir jetzt treffen werden, sind wichtige und gute Entscheidungen für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, ({2}) sind wichtige und gute Entscheidungen für eine gute Zusammenarbeit zwischen den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und den Geschäftsleitungen und sind wichtige Entscheidungen für den Sozialstaat und für die soziale Marktwirtschaft. ({3}) Diese Entscheidungen in einem Gesetz, das in den Betrieben wie eine Art kleines Grundgesetz wirkt, sind nach 30 Jahren, nach starken Veränderungen in den Betrieben längst überfällig. ({4}) Worum geht es in diesen Entscheidungen? Wir wollen als Erstes flexible, angepasste Entscheidungen, dass die Arbeitnehmer ihre Informationen, ihre Beteiligung und ihre Mitbestimmung - ja, Herr Rexrodt - auf gleicher Augenhöhe ausüben können. ({5}) Dies werden wir dadurch sicherstellen, dass die Strukturen flexibel über Tarifvertrag und, wo dies nicht geht, über Betriebsvereinbarung so ausgebildet werden, dass die Entscheidung dort, wo sie getroffen wird, unter Einbeziehung der Arbeitnehmer erfolgt. ({6}) Wir stellen als Nächstes sicher, dass durch die Entschlackung, die Vereinfachung und Beschleunigung der Wahlverfahren dieses in den Kleinbetrieben nicht mehr ein Wahlverhinderungsverfahren darstellt, sondern überall dort, wo die Belegschaften einen Betriebsrat wählen wollen, dies auch einfach und zügig geht. ({7}) Wir werden mit dieser Betriebsverfassungsreform auch sicherstellen, dass die Betriebsräte im notwendigen Umfang und mit der notwendigen Sachausstattung in die Lage versetzt werden, ihre Aufgaben tatsächlich wahrzunehmen. ({8}) Wir werden - das ist der qualitativ wichtigste Bereich einen großen Schwerpunkt auf die Beschäftigungssicherung und die Qualifizierung setzen. ({9}) Mir sind noch zu viele Situationen in Betrieben bekannt, dass Vorschläge von Beschäftigten und Betriebsräten zur Beschäftigungssicherung eingebracht worden sind und kein Gehör fanden. Wir stellen sicher, dass über Vorschläge zur Beschäftigungssicherung beraten werden muss. Wenn sie abgelehnt werden, muss zumindest eine Begründung dafür vorliegen. ({10}) Ich weiß, dass viele Betriebe heute noch bestehen würden, wenn man sich rechtzeitig der Kreativität, des Sachwissens und der Mitarbeit der Beschäftigten bedient hätte. ({11}) Wir werden des Weiteren über die Betriebsverfassung sicherstellen, dass dort, wo Veränderungen in den Betrieben dazu führen, dass vorhandene Qualifikationen nicht mehr eingesetzt werden können, der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht bekommt. Über den Nachweis des Qualifikationsbedarfs und über die durch die Mitbestimmung durchsetzbare Qualifikation soll bewirkt werden, dass die Beschäftigten ihren Arbeitsplatz halten können. Dies ist einer der wichtigsten Punkte. Ich darf Ihnen sagen, dass ich sehr froh bin, dass meine IG Metall in Baden-Württemberg vor wenigen Tagen einen Tarifvertrag zu diesem Thema abgeschlossen hat. ({12}) Damit haben wir die Chance, die systematische Qualifizierung als Kernpunkt des lebenslangen Lernens und des Erhaltens der Qualifikation zu verankern. Denn was sonst haben wir in diesem Standort, der von Waren und Dienstleistungen mit hoher Wertschöpfung lebt, einzubringen als qualifizierte Mitarbeiter? Deswegen ist es so entscheidend, dies in den Mittelpunkt eines Betriebsverfassungsgesetzes zu stellen. ({13}) Neben der Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes werden wir für weitere Beschleunigungselemente sorgen. Wir werden das Arbeitsgerichtsgesetz so ändern, dass die Verfahren in den Einigungsstellen beschleunigt und kostengünstiger durchgeführt werden können. ({14}) Nun komme ich zu einigen Debattenbeiträgen, die wir in den letzten Minuten hören konnten. Herr Rexrodt, Sie beschworen, dass es Ihnen darum geht, auf gleicher Augenhöhe zu verhandeln. ({15}) Sie sagten: Betriebsräte waren einmal notwendig und wichtig. Sie sind dies heute aber nicht mehr. Heute muss der Beschäftigte mit dem Arbeitgeber auf gleicher Augenhöhe sprechen können. ({16}) Ich empfehle Ihnen, dem Bandarbeiter bei Daimler zu sagen, er solle zu Schrempp gehen und mit ihm auf gleicher Augenhöhe reden. ({17}) Da wird sich sehr schnell zeigen, wie das mit den Verhandlungen auf gleicher Augenhöhe ist. ({18}) Mein Gott, Herr Rexrodt, was war das noch für eine Zeit, als der Aufruf, mehr Demokratie zu wagen, auch eine F.D.P. dazu veranlasst hat, Entscheidungen für mehr Demokratie in den Betrieben mitzutragen. Davon sind Sie heute meilenweit entfernt. ({19}) Dann habe ich mir Herrn Singhammer angehört. Herr Singhammer ({20}) hat erklärt: Um Gottes willen, die Konjunktur schmiert ab. ({21}) Das müssen Sie noch ein paar Mal sagen, Herr Singhammer, dann realisiert es sich vielleicht. ({22}) Dann hat er die Verbindung gefunden und gesagt: Um Gottes willen, die Konjunktur schmiert ab, und jetzt gibt es auch noch eine neue Betriebsverfassung. ({23}) Da Sie diesen Bogen spannen, Herr Singhammer und auch Herr Rexrodt, muss ich Sie auf einiges hinweisen: Zurzeit gilt noch das alte Betriebsverfassungsgesetz. ({24}) Nun zu der breiten Debatte über das Verhältniswahlrecht. Hier möchte ich ein paar Dinge zurechtrücken. ({25}) Mir geht es weiterhin darum, dass dann, wenn der Betriebsrat gewählt ist, die Ausschüsse mit den qualifiziertesten Personen besetzt werden. ({26}) Weiterhin geht es mir darum, nicht den Gruppenproporz als Grundlage zu nehmen. ({27}) Ich akzeptiere das Anliegen der Fraktion der Grünen - sie hat sich sehr stark dafür eingesetzt -, das Verhältniswahlrecht im Betriebsverfassungsgesetz zu belassen. ({28}) Aber nach dem, wie Sie in der Opposition das diskutiert haben, hatte ich den Eindruck, Ihnen ginge es nicht um das Betriebsverfassungsgesetz, sondern um Artenschutz. ({29}) Sie, Herr Singhammer, sagten, Sie könnten dem Gesetzentwurf trotzdem nicht zustimmen, weil die Solidaritätsbalance nicht verändert worden sei. ({30}) In welche Richtung hätten Sie die Solidaritätsbalance im Betrieb denn gern verändert? Nach dem, was ich bisher von der Union gehört habe, doch eindeutig zulasten der Arbeitnehmer. Dafür werden Sie uns nicht gewinnen können. ({31})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Herr Kollege Riester, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Singhammer?

Walter Riester (Minister:in)

Politiker ID: 11003616

Ja, gerne.

Johannes Singhammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002800, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundesarbeitsminister, wollen Sie bitte zur Kenntnis nehmen, dass es bei der Frage des Minderheitenschutzes nicht um den Artenschutz von kleineren Gewerkschaften oder Unabhängigen gegangen ist, sondern darum, dass das Prinzip der innerbetrieblichen Demokratie mit Chancengerechtigkeit auch für die kleineren Arbeitnehmervertretungen verwirklicht werden sollte, ({0}) und Sie unseren Vorschlägen bis zum Dienstag dieser Woche nicht gefolgt sind? Hätten Sie es von Anfang an gemacht, hätten Sie sich diese Diskussion erspart und müssten jetzt nicht einlenken. ({1})

Walter Riester (Minister:in)

Politiker ID: 11003616

Ich nehme das, was Sie mir gerade gesagt haben, zur Kenntnis. Ich weise nur darauf hin, dass Sie vorher selbst gesagt haben, dass es Ihnen darum geht, dass der Christliche Gewerkschaftsbund geschützt wird. Mir geht es um die Besetzung der Gremien mit den qualifiziertesten Personen, und nur darum. Diese sollen an die richtigen Stellen kommen. ({0}) Dann hat Herr Singhammer gesagt, ihn störe total, dass die Freistellung schon in Betrieben mit 200 Arbeitnehmern erfolgt. Nach mir wird, wie ich gesehen habe, Herr Weiß sprechen. Er kann Herrn Singhammer vielleicht darüber aufklären, dass die Arbeitnehmerbank der Union noch im Oktober vorgeschlagen hat, die Freistellung schon ab 100 Arbeitnehmern zu gewähren. ({1}) Erst als er dann zurückgepfiffen und ein Stillhalteabkommen vereinbart wurde, kam ein Schwenk. Ich habe mich die ganze Zeit gefragt: Warum erregt sich der Herr Abgeordnete Singhammer so? ({2}) Ich empfehle jedem, die „Süddeutsche Zeitung“ von heute zu lesen. Darin steht die ungeheure Nachricht: Im „Bayernkurier“ wird ein Betriebsrat gewählt. ({3}) Die Welten ändern sich also, Herr Singhammer! Aber ich sage Ihnen zu: Wir werden auch den „Bayernkurier“ erhalten. ({4})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Das Wort hat für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Gerald Weiß.

Gerald Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003256, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Riester, die soziale Marktwirtschaft hat die CDU/CSU in Deutschland begründet. Die soziale Partnerschaft hat, als Ihre Genossen „Klassenkampf“ geschrien haben, die Union in Deutschland begründet. ({0}) Und unter dem ersten Betriebsverfassungsgesetz steht der Name des Bundeskanzlers Konrad Adenauer. Wir lassen uns von Ihnen diesen belehrenden Ton, was Sozialpartnerschaft ist, nicht gefallen. Merken Sie sich das! ({1}) Sie feiern hier ein großes politisches Erntedankfest, aber Sie wissen, dass Sie nur ein kleines Gesetz vorgelegt haben. Es ist ein Gesetz, das die Sozialpartnerschaft nicht weiterentwickelt. Auf die Fragen von heute und morgen gibt Ihr Gesetz - das ist der fundamentale Fehler - viel zu viele gestrige Antworten. Das ist das Strukturproblem dieses Gesetzes. ({2}) Auch in nachgebesserter Fassung taugt es nicht, Sozialpartnerschaft in Deutschland weiterzuführen. Ich frage allerdings auch Herrn Rexrodt: Wenn Sie für die Dezentralisierung der Tarifpolitik sind - es spricht sehr vieles dafür, sie in diesem Sinne weiterzuentwickeln -, ({3}) dann brauchen wir doch mehr Betriebsräte! Denn dann brauchen wir mandatierte Verhandlungsführer auf der Arbeitnehmerseite. ({4}) Wieso sind Sie für das eine und nicht für die logische Konsequenz aus dem anderen? Deshalb ist es ein ordentlicher weiterführender Gedanke, Bürokratismen wegzuräumen, mehr Flexibilität, Beschleunigung, Vereinfachung herbeizuführen. Das ist alles richtig, Herr Riester. ({5}) Aber es war ja nicht so, dass von Anfang an ein ordnungsgemäßes, faires Verfahren im Gesetz vorgesehen war, sondern es war ein Hauruckverfahren. Das zweistufige faire, ordentliche Verfahren ist ja wie manches andere erst jetzt ins Gesetz hineingeboxt worden. Das ist überhaupt Ihr Problem, dass manches, was dem natürlichen Demokratieprinzip entspricht, erst mühsam wieder in Ihr Gesetz hineingeboxt werden muss, Herr Riester. ({6}) Viele Ansätze im ordnungsrechtlichen Teil sind positiv und in Ordnung. Sie sind auf der anderen Seite aber auch sehr halbherzig. Vor allen Dingen werden sie durch aufwendige Bürokratien und komplizierte Verfahren an anderer Stelle zunichte gemacht. Sie sind eben mit wenigen Worten auf das Thema Minderheitenschutz eingegangen. Wenn Sie - das war eine Entgleisung, wie ich sie in diesem Hause noch nicht erlebt habe - die Minderheiten, die eine Chance auf Teilhabe haben müssen, in den Betriebsausschüssen bei Freistellungen jetzt unter „Artenschutz“ gestellt sehen, ({7}) dann ist das eine Diskriminierung und Verunglimpfung der Arbeit des CGB, des Beamtenbundes, der Unabhängigen. ({8}) Es bedurfte ganz erheblichen Drucks der ChristlichSozialen Union, des CGB, des Beamtenbundes und der Organisation Unabhängiger Betriebsräte - und - das gebe ich zu - auch Ihres Koalitionspartners -, um das Demokratieprinzip an dieser Stelle wieder in das Gesetz hineinzubringen. Sie sagen, Ihnen gehe es um die Sicherung von Qualität bei der Arbeit in den Betriebsausschüssen und im Hinblick auf Freistellungen, aber das ist eine enge Sicht. In Wahrheit glauben Sie doch, nur DGB-Leute verfügten über die Qualifikation, um in diesen Organen arbeiten zu können. ({9}) Wir wurden jetzt - Frau Dückert hat es getan - aufgefordert, dem Gesetz wegen dieses Punktes zuzustimmen, aber ich muss sagen, Frau Dückert, zu viele andere sind schlecht gelöst und unzureichend. ({10}) Ich greife Ihr Beispiel der Jugendlichen auf. Es sind immerhin 200 000, die sich in außer- und überbetrieblichen Ausbildungsstätten befinden. Da kreißte der Koalitionsberg und er gebar einen Entschließungsantrag mit einer Aufforderung an diese - in ihrer Effizienz sehr umstrittene - Regierung, im Berufsbildungsgesetz eine Lösung zu schaffen. Jetzt halte ich Ihnen einmal vor, was der DBG zu dieser Lösung sagt: Die favorisierte Regelung im Berufsbildungsgesetz birgt die Gefahr einer neuen Ungleichbehandlung von betrieblichen und außerbetrieblichen Auszubildenden. Parallel zu den durch das Betriebsverfassungsgesetz legitimierten Gremien könnten Sondergremien mit minderen Rechten geschaffen werden. Hier gehen wir weiter. Nehmen Sie doch unseren Antrag an, mit einer weiterführenden Norm sicherzustellen, dass Demokratie, Teilhabe und bürgerschaftliches Engagement in den außerbetrieblichen Ausbildungsstätten für diese jungen Leute gleichermaßen möglich sind. ({11}) Da bleiben Sie weit zurück. Es gibt viele andere Bedenken zu diesem Gesetz, die wir festhalten müssen. Sie schrammen mit diesem Gesetz an mehreren Stellen das Verfassungsrecht. Sie haben in § 3 eine Regelung geschaffen, die die negative KoaliGerald Weiß ({12}) tionsfreiheit tangiert. Sie haben eine Geschlechterquote geschaffen, die verfassungsrechtlich ebenso bedenklich wie unpraktikabel ist. Diese schludrige Arbeit kann man doch nicht akzeptieren. Schließlich setzen Sie fast ausschließlich - insoweit hat dieses Gesetz einen ganz unmodernen Schliff - auf kollektive Mitbestimmung. ({13}) Sie unterziehen sich nicht der Mühe, die individuellen Rechte der Arbeitnehmer - die Mitbestimmung am Arbeitsplatz -, weil sie Ihnen ideologisch nicht ins Konzept passen, weiterzuentwickeln. Frau Dückert hat vor einem Jahr glänzende Verheißungen zur Stärkung der Partizipation der einzelnen Arbeitnehmer in den Betrieben für das Betriebsverfassungsgesetz angekündigt. Lediglich Spurenelemente, Frau Dückert - Sie meinen ja selber, jetzt behutsame Schritte gemacht zu haben -, sind zu finden. Herr Riester, wenn das Betriebsverfassungsgesetz das Grundgesetz für die Betriebe ist, dann müssten wir doch auch über die Grundrechte, die Individualrechte, gestärkte unmittelbare Mitwirkung und Mitverantwortung der Arbeitnehmer reden. In Ihrem Entwurf drücken Sie sich völlig darum herum. ({14}) Dieses Gesetz trägt dem Gedanken der Subsidiarität zu wenig Rechnung. Für uns ist Subsidiarität Maßstab für Modernität. Ihr Gesetz bleibt unterhalb der Modernitätsschwelle. ({15}) Das gilt auch für den Punkt, den Sie als den wichtigsten bezeichnet haben: die Beschäftigungssicherung. Warum geben Sie, wenn der Aspekt der Beschäftigungssicherung der wichtigste ist, den Betriebsräten nicht wirklich mehr Mitverantwortung, wenn es um die so genannten Bündnisse für Arbeit in unserer Wirtschaft geht? Warum gestehen Sie den Betriebräten nicht mehr Gestaltungsmöglichkeiten - in verantworteter Weise geregelt - zu? Ich weiß, dass es, wenn wir das falsch konstruieren, ein Risiko gibt: das Risiko, die Tarifautonomie zu verletzen. Wir haben Ihnen den Vorschlag gemacht, vier Bremsen einzubauen, damit Bündnisse für Arbeit rechtlich geregelt werden können, ohne dass wir die Tarifautonomie gefährden. Ich glaube, fast jeder Kollege in diesem Hause kann aus seinem Wahlkreis berichten, wie viele Bündnisse für Arbeit es gibt, die sich in einer rechtlichen Grauzone bewegen. Aber jeder sagt, sie müssen stattfinden, damit die Beschäftigung gesichert und die Arbeitsplätze gerettet werden können. Deshalb regeln Sie doch, was nach einer Regelung schreit, in verantwortbarer Weise! Sehen Sie vor, dass die Bündnisse für Arbeit auf eine ordentliche rechtliche Grundlage gestellt werden. ({16}) - Auch mir ist bekannt, dass es viele Öffnungsklauseln gibt. Wir brauchen aber rechtliche Regelungen, um für einen gefährdeten Betrieb ganz flexible Abmachungen treffen zu können. ({17}) - Herr Brandner, Sie wissen, dass das ein ungerechter Vorwurf ist. ({18}) Wenn wir das Vetorecht der Tarifvertragsparteien gegen falsch getroffene Regelungen vorsehen, ist das eine ausreichende und effiziente Bremse gegen genau diese Gefahr. Trotz dieses Gesetzes - auch wegen dieses Gesetzes kann die Regierung nicht behaupten, dass sie die Interessen der Arbeitnehmerschaft wirklich wahrt. Sie wahrt vielleicht die Interessen des DGB, aber nicht die Interessen der Arbeitnehmer draußen in den Betrieben. ({19}) Das fügt sich in ein Leistungsbild - besser gesagt: in ein Bild mangelhafter Leistung - ein. Wir sehen, dass die Wachstumsraten unter die Schwelle fallen, ab der sie beschäftigungswirksam sind; wir sehen, dass die Arbeitslosigkeit saisonal bereinigt steigt; wir sehen, dass die Inflationsrate bedrohlich zunimmt; wir sehen, dass die Arbeitnehmereinkünfte an realer Kaufkraft verlieren. Dieser Bundesregierung muss ins Stammbuch geschrieben werden: Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind die Verlierer dieser Politik, die miserable volkswirtschaftliche Daten aufweist. ({20}) Diese Regierung zu unterstützen sind wir nicht gewillt, auch nicht dadurch, dass wir ein unzulängliches und unmodernes Betriebsverfassungsgesetz mit unserem bejahenden Votum versehen. Danke. ({21})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die SPD-Fraktion spricht nun der Kollege Wolfgang Weiermann. ({0})

Wolfgang Weiermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002447, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mich hat schon einigermaßen überrascht - das muss ich Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, an dieser Stelle sagen -, wie Sie Mitbestimmung mit Fremdbestimmung gleichsetzen können. Das ist eine Formulierung, die den Geist dessen, was Sie zum Betriebsverfassungsgesetz vorbringen, mehr als deutlich macht; das muss an dieser Stelle genauso deutlich gesagt werden. ({0}) Gerald Weiß ({1}) Wenn man das gesamte Spektrum der Diskussion heute Morgen verfolgt hat, dann stellt man fest, dass die Kritik der Unternehmen und der Wirtschaftsverbände sowie Ihre Kritik am Entwurf des Betriebsverfassungsgesetzes im Grunde genommen eine einzige Fundamentalkritik ist. Ihnen geht es doch bei dieser Debatte und bei den vorherigen Debatten überhaupt nicht darum, die eine oder andere Ihrer Vorstellungen im Detail in das Gesetz hineinzubekommen. Nein, es geht Ihnen darum - das ist Ihr wichtigstes Ziel -, dieses Betriebsverfassungsgesetz, diese Erneuerung zu verhindern. Aber dann sagen Sie das doch auch deutlich! ({2}) Das Betriebsverfassungsrecht sowie die Mitbestimmung insgesamt haben nie den Anspruch erhoben, Gegensätze zwischen Kapital und Arbeit aufzuheben. Aber sie haben die Möglichkeit geschaffen - die gegenwärtig verstärkt wird -, eine Einigung zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern in dem Betrieb vor Ort herbeizuführen. Deswegen ist eine Veränderung des Betriebsverfassungsgesetzes so wichtig, weil sie größere Chancen bringt. ({3}) Das Gespräch auf gleicher Augenhöhe, das hier immer genannt wurde, bedeutet nichts anderes, als dass wir mehr Demokratie in die wirtschaftlichen und betrieblichen Abläufe hineinbringen. Ich frage mich bei Ihrer Einstellung, meine Damen und Herren von der Opposition: Was wäre bei den Umstrukturierungen passiert, wie sie zum Beispiel an der Ruhr stattgefunden haben, wenn es die Mitbestimmung und die betriebsverfassungsrechtlichen Elemente nicht gegeben hätte? Es hätte ein Chaos gegeben. Es wäre zu einem Wirtschaftseinbruch und zu Strukturbrüchen gekommen. Die Zeche hätten allein die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gezahlt, auf deren Rücken sich dieser Strukturbruch abgespielt hätte. ({4}) Deswegen bin ich froh, dass wir ein solches Instrument in der Hand haben, das es uns ermöglicht, nicht nur zu reagieren, sondern auch zu agieren. Wenn Sie immer wieder von den Mehrbelastungen von - was hat man nicht alles gelesen - rund 2,5 Milliarden DM sprechen, ({5}) dann vergessen Sie bitte nicht, dass es nur deshalb zu Mehrkosten kommen kann, weil bislang 60 Prozent der Betriebe keine betriebsratsgeschützten und betriebsratgestützten Unternehmen waren. ({6}) Das können Sie so übernehmen, wie ich es gerade gesagt habe. Sprechen wir einmal über die finanzielle Seite: Die Kosten werden im Grunde genommen nicht über ein halbes Prozent der entnommenen Gewinne der Unternehmen hinausgehen. Das ist die Wahrheit. ({7}) Ich will an dieser Stelle deutlich machen, wie die Situation in den anderen EU-Staaten ist. Wir haben in zwölf EU-Staaten Betriebsratsgremien mit Informations- und Beratungsrechten, die auch in den wirtschaftlichen Bereich hineinreichen. So können zum Beispiel Betriebsräte in Frankreich und in den Niederlanden bei Fehlern des Managements Rechtsverfahren einleiten. In Schweden können Entlassungen durch einen einstweiligen Antrag gestoppt werden. In Österreich kann der Betriebsrat bei Schließungen oder Massenentlassungen eine Schiedskommission einsetzen und anrufen. Ich sage an dieser Stelle noch einmal: Wir sollten heute diesem von den Grünen und den Sozialdemokraten vorgelegten Entwurf zustimmen. Dies ist ein richtiger Schritt für mehr Demokratie und für mehr Mitbeteiligung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in unseren Betrieben. Dazu ein herzliches Glückauf und ein gutes Gelingen bei der Abstimmung! ({8})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich gebe der Kollegin Christel Humme für die SPD-Fraktion das Wort.

Christel Humme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003155, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Lassen Sie mich kurz vor dem Schluss einen wichtigen Punkt ansprechen, der in dieser Debatte bisher etwas zu kurz gekommen ist, nämlich die Gleichstellung von Männern und Frauen im Betrieb. Ich denke, Herr Weiß, ich bin in diesem Punkt anderer Auffassung: Diese Maßnahme hat dem Betriebsverfassungsgesetz endgültig den modernen Schliff gegeben, den es jetzt hat. Gender Mainstreaming war 1972, bei der ersten Reform des Betriebsverfassungsgesetzes, kein Thema. Heute, fast 30 Jahre später, stellt uns dieses Prinzip auch beim Betriebsverfassungsgesetz vor neue Herausforderungen; denn die Herstellung betrieblicher Chancengleichheit ist eine Aufgabe, die uns alle betrifft. Dazu sind wir nicht nur durch Grundgesetz und Europarecht, sondern auch durch das Gebot der wirtschaftlichen Logik verpflichtet; denn wirtschaftlicher Erfolg ist ohne Frauen nicht möglich. ({0}) Wer heute das Potenzial gut ausgebildeter Frauen nicht nutzt, wird morgen vom internationalen Wettbewerb bestraft werden. Der IT-Bereich ist dafür ein gutes Beispiel. Wir, SPD und Bündnis 90/Die Grünen, geben mit der Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes der Chancengleichheit von Männern und Frauen im Erwerbsleben neue Impulse; denn die Gleichstellung von Männern und Frauen und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf gehören jetzt ausdrücklich zum Aufgabenkatalog des Betriebsrates. Teilzeitbeschäftigte - das sind überwiegend Frauen - bekommen verbesserte Möglichkeiten, sich im Betriebsrat zu engagieren. Klassisch im Sinne des Gender Mainstreaming ist nun die Vertretung in den Betriebsräten geregelt; denn zukünftig muss das Geschlecht, das in der Minderheit ist, egal ob Mann oder Frau, mindestens entsprechend seinem Anteil im Betrieb vertreten sein. ({1}) Die Arbeitgeber werden aber auch zu mehr Engagement in Sachen Chancengleichheit verpflichtet. Sie müssen über den Stand der Gleichstellung im Betrieb Bericht erstatten. Außerdem muss der Arbeitgeber bei der Personalplanung die Gleichstellung berücksichtigen und seine Vorstellungen mit dem Betriebsrat beraten. Genau darum geht es: Arbeitnehmer und Arbeitgeber müssen vereinbaren, welche Maßnahmen in ihrem Betrieb geeignet sind, die Gleichstellung voranzubringen. Deshalb machen wir Arbeitnehmer und Arbeitgeber zu Partnern in Sachen Gleichstellung; denn sie wissen am besten, welche Maßnahmen zur Herstellung der Gleichstellung für sie vor Ort geeignet und umsetzbar sind. Sie sehen, die Verbesserungen im Betriebsverfassungsgesetz bieten den Akteuren einen Handlungsspielraum, den sie für die Gleichstellung von Frauen und Männern gut nutzen können. Das begrüßen wir aus frauenpolitischer Sicht ausdrücklich. ({2}) Aber nicht jeder Betrieb hat einen Betriebsrat. Nicht jeder Betriebsrat und nicht jeder Arbeitgeber - ich habe davon gehört - haben sich die Gleichstellung auf die Fahne geschrieben. Deshalb müssen wir das Betriebsverfassungsgesetz durch weitere Maßnahmen flankieren. Wir setzen dabei natürlich zunächst auf verbindliche Selbstverpflichtungen der Unternehmer, die die Einleitung konkreter Maßnahmen zur betrieblichen Gleichstellung von Männern und Frauen erkennen lassen. Hier räumen wir den Unternehmen große Spielräume im Hinblick auf die zu ergreifenden Maßnahmen ein. Sollte es aber zeitnah, bis zum September dieses Jahres, nicht zu geeigneten Selbstverpflichtungen der Wirtschaft kommen, ist für uns, SPD und Bündnis 90/Die Grünen, ein Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft unverzichtbar. Vielen Dank. ({3})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, sich bereitzuhalten, damit wir nach dem letzten Redner unmittelbar und zügig in die namentliche Abstimmung eintreten können. Als letztem Redner in dieser Debatte gebe ich das Wort nunmehr dem Kollegen Franz Thönnes für die SPD-Fraktion.

Franz Thönnes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002818, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit der gleich stattfindenden namentlichen Abstimmung wird eine gut zweijährige Diskussion über das Betriebsverfassungsgesetz in diesem Haus zu einem guten Abschluss gebracht werden. ({0}) Ich möchte einige Aspekte in Erinnerung rufen. Erstens. Damit wird deutlich, Reformpolitik äußert sich nicht nur in einer entlastenden Steuerpolitik, in der Konsolidierung der öffentlichen Haushalte und in vermehrten Investitionen in Forschung und Bildung, nein, zu einer Reformpolitik gehört auch der Ausbau der Arbeitnehmerrechte in dieser Gesellschaft. ({1}) Mehr Beteiligung und Mitgestaltung schwächen den Standort Deutschland nicht, nein, sie stärken ihn. ({2}) Zweitens. Mitbestimmung und Betriebsverfassungsgesetz, Herr Kollege Singhammer, sind wesentliche Eckpfeiler unserer demokratischen Gesellschaftskultur. ({3}) Mit der Entbürokratisierung und Vereinfachung des Wahlverfahrens wird der Rückgang der Zahl der Beschäftigten, die durch Betriebsräte vertreten werden, gestoppt. Dass zukünftig wieder mehr Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, insbesondere auch junge Menschen, die demokratischen Möglichkeiten in den Betrieben in Anspruch nehmen können, ist ein gutes Zeichen für eine lebendige demokratische Gesellschaft. Demokratie macht für die Sozialdemokraten vor den Werkstoren nicht Halt! ({4})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Herr Kollege Thönnes, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Franz Thönnes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002818, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein. Ich möchte möglichst bald zum Schluss kommen. Drittens. Die Kritik von Teilen der Arbeitgeberverbände war für uns nichts Neues. Der Streit ist so alt wie die Frage der Mitbestimmung selbst und wie die Auseinandersetzung um die Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Wir haben gute und ernsthafte Dialoge mit Arbeitgebervertretern geführt. Untersuchungen des Instituts der deutschen Wirtschaft zeigen: 70 Prozent bis 80 Prozent der Manager schätzen die Arbeit der Betriebsräte als gut bis sehr gut ein. Aber wir wissen auch: Es gibt Arbeitgebervertreter, die keine Mitbestimmung wollen. Wie sonst ist das Dienstleistungsangebot des Einzelhandelsverbandes Nord-Ost e. V. aus Schleswig-Holstein/Mecklenburg-Vorpommern zu verstehen, der bei der Beratung zum Betriebsverfassungsrecht in seiner Werbebroschüre wörtlich anbietet: „Möglichkeiten des Arbeitgebers bei Betriebsratswahlen bzw. deren Verhinderung“? Das ist das überkommene Herrschaftsverständnis des 19. Jahrhunderts und nicht unser Bild einer demokratischen und aufgeklärten Gesellschaft. ({0}) Schon allein deswegen geht es jetzt darum, auch in den Betrieben den demokratischen Gedanken zu stärken und zu stabilisieren. ({1}) Viertens. Gestern haben wir gehört, dass die erste und die wichtigste Forderung des CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden zur Verbesserung der konjunkturellen Situation war: Stoppen Sie die Betriebsverfassung! Es ist unverdächtig, gegen dieses konjunkturpolitische Meisterprogramm des Kollegen Merz den Rat von Professor Joachim Scheide vom Kieler Weltwirtschaftsinstitut zu setzen, der in der „SZ“ vom 20. Juni 2001 sagte: Die Abschwächung wurde nicht durch Fehler der Politik ausgelöst, deshalb gibt es auch keine solchen zu korrigieren. Unser Rat ist: Keine Hektik! ({2}) Unabhängig von diesem Rat will ich deutlich sagen: Die jetzige Regierungskoalition macht Demokratie und Arbeitnehmerrechte nicht von der konjunkturellen Windrichtung abhängig. ({3}) Fünftens. Die Opposition hat heute wieder mehrfach Fremdbestimmung und zentralistischen Gewerkschaftseinfluss in den Mittelpunkt der Debatte gestellt. 200 000 betriebliche Interessenvertreter - von den Kolleginnen und Kollegen in den Betrieben gewählt - sind keine willfährigen, ferngesteuerten Funktionärselemente, sondern verantwortungsbewusste, engagierte und aktive Arbeitnehmervertreterinnen und Arbeitnehmervertreter, denen wir im Internationalen Jahr der Freiwilligen auch an dieser Stelle einen herzlichen Dank für ihr Engagement sagen sollten. ({4}) Sechstens. Es ist gesagt worden: Die Betriebsverfassung ist zu teuer. Die Arbeit der Betriebsräte wurde mit Horrorzahlen diskreditiert. Ich sage Ihnen: Demokratie ist nicht zum Nulltarif zu haben. Die Arbeit der Betriebsräte ist von unschätzbarem Wert. Die deutsche Einheit und die Bewältigung der Strukturkrisen in der Eisen- und Stahlindustrie wären ohne die Betriebsräte nicht so friedlich und so sozialverträglich abgelaufen. Betriebsräte sind keine Bremsklötze, sondern ein Garant für den sozialen Frieden und die Fähigkeit einer Industriegesellschaft zum notwendigen Wandel. ({5}) Siebtens. Es ist deutlich geworden, dass die Opposition auch bei dem wichtigen Thema Betriebsverfassung einen Kurs fährt, der teilweise in die Irre führt. Der ehemalige CDA-Vorsitzende hat auf dem letzten CDA-Kongress deutlich gemacht, er wisse, dass 80 Prozent der Arbeitnehmer einen Betriebsrat wollen, aber nur 40 Prozent einen haben. Das alles findet in einem Klima statt, das dadurch gekennzeichnet ist, dass Frau Merkel sagt, der Arbeitnehmerflügel sei sehr wichtig, während Herr Merz auf dem CDA-Kongress feststellt hat: Ich habe das Gefühl, ich bin in einer Veranstaltung, in der keine Christdemokraten mehr sind. - Wo ist eigentlich Ihr sozialpolitisches Profil geblieben? Sie zeigen auch bei diesem Streit, dass Sie weder oppositions- noch regierungsfähig sind. ({6}) Abschließend: Heute ist deutlich geworden: Da sitzen die, die keine Mitbestimmung wollen. ({7}) Da sitzen die, die nicht wissen, was sie wollen. Da sitzen die, die alles wollen. Und da sitzen die Fraktionen der Regierungskoalition, die soziale Gerechtigkeit und Modernisierung ausgewogen zusammenbringen. ({8}) Ich bin mir sehr sicher: Wir werden mit diesem Gesetz heute einen neuen Grundstein für den sozialen Frieden und die Wettbewerbsfähigkeit in Deutschland legen. ({9})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich lasse eine Kurzintervention des Kollegen Hinsken zu, beschränke sie aber auf eine Minute, wobei der Redner antworten kann. ({0})

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident, ich bin dankbar dafür, dass ich diese Kurzintervention machen kann, nachdem ich mich zweimal gemeldet habe und mir jeweils versagt worden ist, meine Frage zu stellen. Ich stelle zum Schluss dieser Debatte - unmittelbar vor der Abstimmung - fest: Es haben sechs Sozialdemokraten gesprochen, die alle DGB-Funktionäre oder Gewerkschaftsmitglieder sind. Es hat nicht ein einziger Mittelständler oder Betriebsinhaber das Wort ergriffen. Wenn hier von Kooperation gesprochen wird, muss ich sagen: Zur Kooperation gehören zwei Seiten. Sie von der SPD haben eine große Unterlassungssünde begangen. Wenn Sie glauben, zum Betriebsverfassungsgesetz für die Mehrheit in der Bundesrepublik Deutschland sprechen zu dürfen, stelle ich das in Abrede. Das wollte ich noch zur Kenntnis bringen. ({0})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Reform des Betriebsverfassungsgesetzes auf Drucksache 14/5741. Der Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/6352 die Annahme des Gesetzentwurfes in der Ausschussfassung. Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/6383 vor, über den wir zuerst abstimmen. Die Fraktion der PDS verlangt namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehen Plätze einzunehmen. - Sind alle Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung. Darf ich fragen, ob alle Kolleginnen und Kollegen ihre Stimme abgegeben haben? Ich schließe die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen Abstimmung unterbreche ich die Sitzung. ({0})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Die Sitzung ist wieder eröffnet. Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/6383 bekannt. Abgegebene Stimmen 542. Mit Ja haben gestimmt 33, mit Nein haben gestimmt 508, Enthaltungen 1. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 542; davon ja: 33 nein: 508 enthalten: 1 Ja PDS Monika Balt Dr. Dietmar Bartsch Maritta Böttcher Eva Bulling-Schröter Dr. Heinrich Fink Wolfgang Gehrcke Dr. Klaus Grehn Uwe Hiksch Dr. Barbara Höll Ulla Jelpke Sabine Jünger Gerhard Jüttemann Dr. Evelyn Kenzler Rolf Kutzmutz Heidi Lippmann Ursula Lötzer Dr. Christa Luft Heidemarie Lüth Pia Maier Angela Marquardt Manfred Müller ({0}) Kersten Naumann Dr. Uwe-Jens Rössel Christina Schenk Gustav-Adolf Schur Dr. Ilja Seifert Dr. Winfried Wolf Nein SPD Brigitte Adler Gerd Andres Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Hermann Bachmaier Ernst Bahr Doris Barnett Dr. Hans Peter Bartels Eckhardt Barthel ({1}) Klaus Barthel ({2}) Ingrid Becker-Inglau Wolfgang Behrendt Dr. Axel Berg Hans-Werner Bertl Friedhelm Julius Beucher Petra Bierwirth Rudolf Bindig Lothar Binding ({3}) Anni Brandt-Elsweier Willi Brase Rainer Brinkmann ({4}) Bernhard Brinkmann ({5}) Edelgard Bulmahn Ursula Burchardt Dr. Michael Bürsch Hans Büttner ({6}) Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Dr. Peter Danckert Christel Deichmann Karl Diller Peter Dreßen Detlef Dzembritzki Dieter Dzewas Dr. Peter Eckardt Sebastian Edathy Ludwig Eich Marga Elser Peter Enders Gernot Erler Petra Ernstberger Annette Faße Lothar Fischer ({7}) Gabriele Fograscher Iris Follak Norbert Formanski Rainer Fornahl Hans Forster Dagmar Freitag Lilo Friedrich ({8}) Harald Friese Anke Fuchs ({9}) Arne Fuhrmann Monika Ganseforth Konrad Gilges Iris Gleicke Günter Gloser Uwe Göllner Renate Gradistanac Günter Graf ({10}) Angelika Graf ({11}) Dieter Grasedieck Monika Griefahn Kerstin Griese Wolfgang Grotthaus Karl-Hermann Haack ({12}) Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann Alfred Hartenbach Klaus Hasenfratz Nina Hauer Hubertus Heil Reinhold Hemker Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Monika Heubaum Reinhold Hiller ({13}) Stephan Hilsberg Gerd Höfer Jelena Hoffmann ({14}) Walter Hoffmann ({15}) Iris Hoffmann ({16}) Frank Hofmann ({17}) Ingrid Holzhüter Eike Hovermann Lothar Ibrügger Barbara Imhof Brunhilde Irber Gabriele Iwersen Renate Jäger Jann-Peter Janssen Ilse Janz Dr. Uwe Jens Volker Jung ({18}) Johannes Kahrs Susanne Kastner Ulrich Kelber Hans-Peter Kemper Klaus Kirschner Hans-Ulrich Klose Walter Kolbow Karin Kortmann Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters Nicolette Kressl Volker Kröning Angelika Krüger-Leißner Horst Kubatschka Ernst Küchler Helga Kühn-Mengel Ute Kumpf Konrad Kunick Dr. Uwe Küster Werner Labsch Christine Lambrecht Brigitte Lange Christian Lange ({19}) Detlev von Larcher Christine Lehder Waltraud Lehn Robert Leidinger Klaus Lennartz Dr. Elke Leonhard Eckhart Lewering Götz-Peter Lohmann ({20}) Christa Lörcher Erika Lotz Dr. Christine Lucyga Dieter Maaß ({21}) Winfried Mante Dirk Manzewski Tobias Marhold Lothar Mark Ulrike Mascher Christoph Matschie Heide Mattischeck Ulrike Mehl Ulrike Merten Angelika Mertens Dr. Jürgen Meyer ({22}) Ursula Mogg Christoph Moosbauer Michael Müller ({23}) Christian Müller ({24}) Franz Müntefering Andrea Nahles Volker Neumann ({25}) Dr. Edith Niehuis Günter Oesinghaus Eckhard Ohl Leyla Onur Manfred Opel Holger Ortel Adolf Ostertag Kurt Palis Albrecht Papenroth Joachim Poß Karin Rehbock-Zureich Dr. Carola Reimann Margot von Renesse Renate Rennebach Bernd Reuter Dr. Edelbert Richter Christel RiemannHanewinckel Reinhold Robbe Gudrun Roos René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth ({26}) Birgit Roth ({27}) Marlene Rupprecht Thomas Sauer Gudrun Schaich-Walch Rudolf Scharping Bernd Scheelen Dr. Hermann Scheer Siegfried Scheffler Horst Schild Otto Schily Dieter Schloten Horst Schmidbauer ({28}) Ulla Schmidt ({29}) Silvia Schmidt ({30}) Dagmar Schmidt ({31}) Wilhelm Schmidt ({32}) Dr. Frank Schmidt (Weilburg Regina Schmidt-Zadel Heinz Schmitt ({33}) Carsten Schneider Dr. Emil Schnell Karsten Schönfeld Ottmar Schreiner Gerhard Schröder Dr. Mathias Schubert Richard Schuhmann ({34}) Brigitte Schulte ({35}) Volkmar Schultz ({36}) Ewald Schurer Dr. Angelica Schwall-Düren Rolf Schwanitz Bodo Seidenthal Erika Simm Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Dr. Cornelie SonntagWolgast Wieland Sorge Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Dr. Ditmar Staffelt Ludwig Stiegler Rolf Stöckel Rita Streb-Hesse Reinhold Strobl ({37}) Dr. Peter Struck Joachim Stünker Joachim Tappe Jörg Tauss Jella Teuchner Franz Thönnes Adelheid Tröscher Hans-Eberhard Urbaniak Rüdiger Veit Simone Violka Ute Vogt ({38}) Hans Georg Wagner Hedi Wegener Dr. Konstanze Wegner Matthias Weisheit Gert Weisskirchen ({39}) Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker Jochen Welt Dr. Rainer Wend Hildegard Wester Lydia Westrich Inge Wettig-Danielmeier Dr. Margrit Wetzel Jürgen Wieczorek ({40}) Helmut Wieczorek ({41}) Dieter Wiefelspütz Brigitte Wimmer ({42}) Engelbert Wistuba Barbara Wittig Dr. Wolfgang Wodarg Verena Wohlleben Hanna Wolf ({43}) Waltraud Wolff ({44}) Heidemarie Wright Uta Zapf Peter Zumkley CDU/CSU Ilse Aigner Peter Altmaier Dietrich Austermann Norbert Barthle Dr. Wolf Bauer Günter Baumann Brigitte Baumeister Meinrad Belle Dr. Sabine Bergmann-Pohl Otto Bernhardt Hans-Dirk Bierling Dr. Joseph-Theodor Blank Renate Blank Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert Wolfgang Börnsen ({45}) Dr. Wolfgang Bötsch Klaus Brähmig Dr. Ralf Brauksiepe Cajus Caesar Peter H. Carstensen ({46}) Leo Dautzenberg Wolfgang Dehnel Hubert Deittert Albert Deß Renate Diemers Marie-Luise Dött Maria Eichhorn Rainer Eppelmann Anke Eymer ({47}) Ilse Falk Dr. Hans Georg Faust Albrecht Feibel Axel E. Fischer ({48}) Herbert Frankenhauser Dr. Gerhard Friedrich ({49}) Dr. Hans-Peter Friedrich ({50}) Erich G. Fritz Jochen-Konrad Fromme Dr. Jürgen Gehb Norbert Geis Georg Girisch Dr. Reinhard Göhner Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Kurt-Dieter Grill Hermann Gröhe Manfred Grund Horst Günther ({51}) Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein Gerda Hasselfeldt Hansgeorg Hauser ({52}) Helmut Heiderich Ursula Heinen Manfred Heise Siegfried Helias Hans Jochen Henke Peter Hintze Klaus Hofbauer Martin Hohmann Klaus Holetschek Josef Hollerith Siegfried Hornung Hubert Hüppe Georg Janovsky Dr.-Ing. Rainer Jork Dr. Harald Kahl Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter Volker Kauder Eckart von Klaeden Ulrich Klinkert Eva-Maria Kors Hartmut Koschyk Rudolf Kraus Dr. Martina Krogmann Dr. Paul Krüger Dr. Paul Laufs Vera Lengsfeld Peter Letzgus Walter Link ({53}) Eduard Lintner Dr. Manfred Lischewski Wolfgang Lohmann ({54}) Erwin Marschewski ({55}) Dr. Martin Mayer ({56}) Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Friedrich Merz Hans Michelbach Bernward Müller ({57}) Elmar Müller ({58}) Claudia Nolte Franz Obermeier Friedhelm Ost Norbert Otto ({59}) Dr. Peter Paziorek Der Änderungsantrag ist abgelehnt. Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei- chen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Ge- setzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Die Fraktionen der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen und der F.D.P. verlangen na- mentliche Abstimmung. Zu dieser Abstimmung liegt eine schriftliche Erklärung nach § 31 unserer Geschäftsord- nung von Professor Dr. Uwe Jens vor, die zu Protokoll ge- nommen wird.1) Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, ihre Plätze einzunehmen. - Ich sehe, das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung. Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters Anton Pfeifer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Ruprecht Polenz Marlies Pretzlaff Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Helmut Rauber Peter Rauen Christa Reichard ({60}) Katherina Reiche Klaus Riegert Franz Romer Dr. Klaus Rose Kurt J. Rossmanith Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Anita Schäfer Hartmut Schauerte Karl-Heinz Scherhag Dr. Gerhard Scheu Norbert Schindler Christian Schmidt ({61}) Dr.-Ing. Joachim Schmidt ({62}) Andreas Schmidt ({63}) Birgit Schnieber-Jastram Dr. Rupert Scholz Reinhard Freiherr von Schorlemer Dr. Erika Schuchardt Wolfgang Schulhoff Gerhard Schulz Diethard Schütze ({64}) Clemens Schwalbe Dr. Christian SchwarzSchilling Horst Seehofer Heinz Seiffert Bernd Siebert Werner Siemann Bärbel Sothmann Margarete Späte Erika Steinbach Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten Max Straubinger Matthäus Strebl Thomas Strobl ({65}) Michael Stübgen Edeltraut Töpfer Gunnar Uldall Arnold Vaatz Andrea Voßhoff Peter Weiß ({66}) Gerald Weiß ({67}) Heinz Wiese ({68}) Hans-Otto Wilhelm ({69}) Klaus-Peter Willsch Bernd Wilz Willy Wimmer ({70}) Werner Wittlich Dagmar Wöhrl Elke Wülfing Wolfgang Zeitlmann Wolfgang Zöller BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Gila Altmann ({71}) Marieluise Beck ({72}) Volker Beck ({73}) Matthias Berninger Grietje Bettin Annelie Buntenbach Ekin Deligöz Dr. Uschi Eid Andrea Fischer ({74}) Joseph Fischer ({75}) Katrin Göring-Eckardt Gerald Häfner Antje Hermenau Ulrike Höfken Michaele Hustedt Dr. Angelika Köster-Loßack Steffi Lemke Dr. Reinhard Loske Oswald Metzger Kerstin Müller ({76}) Winfried Nachtwei Christa Nickels Cem Özdemir Simone Probst Christine Scheel Irmingard Schewe-Gerigk Rezzo Schlauch Albert Schmidt ({77}) Werner Schulz ({78}) Christian Simmert Christian Sterzing Hans-Christian Ströbele Jürgen Trittin Dr. Antje Vollmer Sylvia Voß Helmut Wilhelm ({79}) Margareta Wolf ({80}) F.D.P. Ina Albowitz Hildebrecht Braun ({81}) Ernst Burgbacher Jörg van Essen Ulrike Flach Gisela Frick Paul K. Friedhoff Horst Friedrich ({82}) Rainer Funke Dr. Wolfgang Gerhardt Joachim Günther ({83}) Klaus Haupt Dr. Helmut Haussmann Ulrich Heinrich Dr. Werner Hoyer Ulrich Irmer Dr. Klaus Kinkel Dr. Heinrich L. Kolb Gudrun Kopp Jürgen Koppelin Ina Lenke Sabine LeutheusserSchnarrenberger Dirk Niebel Günther Friedrich Nolting Hans-Joachim Otto ({84}) Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Marita Sehn Dr. Max Stadler Carl-Ludwig Thiele Jürgen Türk Dr. Guido Westerwelle Enthalten SPD Klaus Wiesehügel Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen des Europarates und der WEU, der Parlamentarischen Versammlung der NATO, der OSZE oder der IPU Abgeordnete({85}) Adam, Ulrich Bühler ({86}), Klaus Maaß ({87}), Erich CDU/CSU CDU/CSU CDU/CSU Schmitz ({88}), Hans Peter von Schmude, Michael Zierer, Benno SPD CDU/CSU CDU/CSU 1) Anlage 4 Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? ({89}) - Ich frage noch einmal, ob ein Mitglied des Hauses an- wesend ist, das seine Stimme nicht abgegeben hat. - Das ist nun nicht mehr der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.1) Wir kommen nun zur Abstimmung über den Entsch- ließungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksa- che 14/6382. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der PDS abge- lehnt. Wir kommen zu den Abstimmungen zu Tagesord- nungspunkt 18 b und damit zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung auf Drucksa- che 14/6352: Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU auf Drucksache 14/5753 mit dem Titel „Soziale Partnerschaft stärken - Be- triebsverfassungsgesetz zukunftsfähig modernisieren“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegen- probe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der CDU/CSU angenommen. Unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung emp- fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Frak- tion der F.D.P. auf Drucksache 14/5764 zur Reform der Mitbestimmung zur Stärkung des Mittelstands. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der F.D.P. ange- nommen. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe d seiner Beschlussempfehlung die Annahme einer Entschlie- ßung. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Ge- genprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. ange- nommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 19 a bis c auf: a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Ulf Fink, Horst Seehofer, Wolfgang Lohmann ({90}), weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der CDU/CSU Zukunft des Gesundheitswesens - Drucksachen 14/3887, 14/5700 - b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst Seehofer, Wolfgang Lohmann ({91}), Dr. Wolf Bauer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Informationsmöglichkeiten der Krankenversicherten umgehend verbessern - Drucksache 14/5678 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit ({92}) Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Land- wirtschaft c) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ablösung des Arznei- und Heilmittelbudgets ({93}) - Drucksache 14/6309 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit Zur Großen Anfrage zur Zukunft des Gesundheitswesens liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor. Interfraktionell ist eine Aussprache von anderthalb Stunden vereinbart worden. Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort für die CDU/CSU-Fraktion dem Kollegen Ulf Fink.

Ulf Fink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor einem Jahr hat meine Fraktion eine Große Anfrage zur Zukunft des Gesundheitswesens eingebracht, weil wir der Auffassung waren, dass Bedeutung und Dramatik dieses Themas eine Große Anfrage rechtfertigen. ({0}) Die Bundesregierung hat sich für die Antwort Zeit gelassen. Das wäre dann zu begrüßen, wenn die Bundesregierung diese Zeit genutzt hätte, um zu überlegen, wie man die Richtung ändern muss, um die Zukunft des Gesundheitswesens zu sichern. ({1}) Eine Lektüre der Antwort aber zeigt, dass sich die Bundesregierung der Dramatik und der Bedeutung dieses Themas nach wie vor nicht bewusst ist. ({2}) Dabei hätte aller Anlass zur Neuorientierung bestanden. Was ist denn das wichtigste Ziel des Gesundheitswe- sens? Die Menschen müssen die Leistungen erhalten, die zu ihrer Gesundung notwendig sind. Die Wahrheit aber ist, dass es unter der Regierungsverantwortung von SPD und Grünen dazu gekommen ist, dass in Deutschland die Kassenpatienten nicht mehr die notwendigen Medika- mente erhalten haben: Zuckerkranken wurden die notwendigen Teststreifen zur Kontrolle vorenthalten. Krebskranken wurden die notwendigen Lymphdrainagen nicht mehr verordnet. Pa- tienten, die aus Krankenhäusern entlassen wurden und der Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters 1) Ergebnis Seite 17423 C ambulanten Nachbehandlung bedurften, wurde unter Hinweis auf Regressandrohung das Medikament verweigert, auf das sie eingestellt waren. Kassenpatienten wurden in vielen Bereichen nicht mehr nach modernen - weil teureren - Standards behandelt. Betroffen sind besonders die Alzheimer- und Herz/Kreislauf-Leiden, Schizophrenie, Depressionen, Diabetes, chronische Bronchitis und Epilepsie. Es ist besonders wichtig, dies zu erwähnen, weil Sie 1998 bei den Menschen in Deutschland mit dem Argument geworben haben, Sie würden dafür sorgen, dass es nicht zu einer Zweiklassenmedizin kommt. Sie haben damals gesagt, unter der Regierungsverantwortung von CDU und CSU werde es dazu kommen. Die Wahrheit aber ist, dass es unter Ihrer Regierungsverantwortung in Deutschland zum ersten Mal zu einer Zweiklassenmedizin gekommen ist. ({3}) Da haben auch keine Härte- und Überforderungsklauseln geholfen; denn bei einer Budgetierung gibt es solche Klauseln im Gegensatz zur Selbstbeteiligung nicht. Ich sage Ihnen deshalb klar: Budgetierung ist die brutalste Form der Selbstbeteiligung, die man sich überhaupt vorstellen kann. ({4}) Heute legt die Regierungskoalition einen Gesetzentwurf vor, der die von ihr selbst eingeführte Arzneimittelbudgetierung wieder abschaffen soll. ({5}) Das ist gut so. Aber während dieser Gesetzentwurf gerade erst vorgelegt worden ist, kommt eine schlechte Nachricht nach der anderen. Dieser Tage hören wir, dass die gesetzlichen Krankenkassen im ersten Quartal dieses Jahres ein Defizit von über 2 Milliarden DM erwirtschaftet haben. Wenn man sich dazu die neueste Nachricht vor Augen führt, dass eine der großen Krankenkassen, nämlich die AOK in Hessen, beschließen musste, ihren Beitragssatz vom Beginn des nächsten Monats an von 13,8 Prozent auf - sage und schreibe - 14,8 Prozent zu erhöhen, lässt sich einordnen, was das bedeutet. Sie haben mit unglaublich viel Aufwand - Ökosteuer und dergleichen mehr - dafür gesorgt, dass der Rentenversicherungsbeitrag um vielleicht 0,1 oder 0,2 Prozentpunkte geringer ausfällt. ({6}) Jetzt wird der Beitragssatz einer großen gesetzlichen Krankenkasse um zehnmal 0,1 Prozent erhöht. Das ist doch ein Menetekel für Ihre Politik! ({7}) Dies wird nicht die einzige Krankenkasse bleiben. Wir wissen von sehr vielen weiteren Krankenkassen, dass bereits Beitragsanhebungen angedroht wurden. Es droht eine Beitragserhöhungswelle auf breiter Front. Und wenn nichts Entscheidendes geschieht, drohen als Folge der demographischen Veränderungen und des medizinischen Fortschritts in nicht einmal 30 Jahren Beitragssätze von 24, 26, ja 30 Prozent. Was nun? In dieser Situation hören wir Stimmen aus der Regierungskoalition, wonach das Gesetz zur Abschaffung der Arzneimittelbudgetierung nun doch nicht in Kraft treten solle - so beispielsweise der Abgeordnete der Grünen Herr Metzger in einem Artikel in der „Welt“ von gestern. Aber, meine Damen und Herren, das wäre die ganz falsche Antwort. Erstens sind es nicht nur die Arzneimittelkosten, die im ersten Quartal dieses Jahres massiv nach oben gegangen sind, und zweitens müssen Sie den Beteiligten, den Krankenkassen und den Ärzteverbänden, auch Zeit lassen, um zu klären, wie man am besten und sparsam verordnet. Das kann man nicht von heute auf morgen entscheiden. Wir hätten längst den Zustand guter Vereinbarungen, wenn Sie nicht unser Gesetz aus dem Jahre 1998 wieder kassiert hätten. Damals waren die Kassen und die Ärzteverbände schon so weit, sich auf solche Dinge zu verständigen. Erst durch Ihre Politik ist dies alles abgeschnitten worden. ({8}) Man sollte ein Weiteres bedenken: Man darf sich nicht nur auf einen Punkt konzentrieren, man muss das System insgesamt sehen. Sie haben damals als eine Ihrer ersten Taten die von uns eingeführten maßvollen Zuzahlungen bei Arzneimitteln wieder verringert. ({9}) Das hat die Krankenkassen nicht nur mehr als eine Milliarde DM gekostet, sondern auch dazu geführt, dass die ohnehin geringen Steuerungswirkungen praktisch zunichte gemacht worden sind. ({10}) Bei einem verschreibungspflichtigen Arzneimittel der kleinsten Packungsgröße N 1 muss man jetzt 8 DM, bei der Packungsgröße N 3, also der größten, 10 DM zuzahlen, also 2 DM mehr als bei der kleinsten Packung. ({11}) Der Mehrpreis der großen Packung gegenüber der kleinen liegt aber bei vielen verschreibungspflichtigen Arzneimitteln bei 10, 100, 200 oder mehr Mark. Es macht also wirtschaftlich Sinn, statt einer großen Packung sich eine kleine Packung verschreiben zu lassen. Wenn man die wirtschaftlichen Anreize so setzt, muss man sich nicht wundern, wenn die Menschen falsch reagieren, und muss man sich nicht wundern, dass in der Bundesrepublik Deutschland Jahr für Jahr ungenutzte Medikamente für 3 Milliarden DM weggeworfen werden. ({12}) In der Gesundheitspolitik kann es nicht mehr nur um Varianten gehen, hier kann es nur noch um grundsätzliche Alternativen gehen. Die CDU, meine Partei, hat deshalb nach dem Regierungswechsel im Rahmen ihrer Sozialstaatskommission eine Gesundheitskommission eingesetzt und mich mit ihrer Leitung beauftragt. In dieser mit herausragenden Experten besetzten Kommission haben wir in einer sehr intensiven Arbeit das Gesundheitssystem der Bundesrepublik Deutschland durchleuchtet und ein Gesamtkonzept erarbeitet, das noch im Laufe dieses Jahres vorgelegt wird. Wichtige Grundzüge dieses Konzeptes sind Folgende: Damit der medizinische Fortschritt auch in Zukunft allen Menschen unabhängig von ihrem Geldbeutel zur Verfügung gestellt werden kann, wollen wir nicht auf mehr Staat, mehr Budgetierung oder dergleichen setzen. Stattdessen ist es richtig, auf mehr Eigenverantwortung und mehr Transparenz zu setzen. Diese Instrumente haben sich - natürlich in einem vom Staat vorgegebenen Rahmen - überall in der Welt als die besseren Methoden herausgestellt, um für hohe Qualität und gleichzeitig für einen sparsamen Mitteleinsatz zu sorgen. Der unter unserer Regierungsverantwortung eingeführte Wettbewerb zwischen den Krankenkassen darf deshalb nicht eingeschränkt werden. Er muss verbessert werden, zum Beispiel durch einen morbiditätsgerechten Risikostrukturausgleich. Keinesfalls aber kann der Plan der Bundesregierung akzeptiert werden, Krankenkassen, die nur einen niedrigen Beitragssatz brauchen, staatlich zu zwingen, ihren Beitragssatz künstlich auf 12,5 Prozent zu erhöhen. ({13}) Es ist notwendig, den Krankenkassen mehr Wettbewerbsparameter an die Hand zu geben. Heute sind die Krankenkassen in den meisten Bereichen gezwungen, einheitlich und gemeinsam zu handeln. Das ist falsch. Was heute Regel ist, muss künftig Ausnahme sein. Wie anders als durch eine Unterscheidung von anderen Kassen und Kassenarten kann man sich den Wettbewerb vorstellen? Wenn eine Kasse gezwungen ist, immer genau das Gleiche zu tun wie die andere, erzeugt das Geleitzugmentalität. Keine Kasse hat dann Interesse daran, sich besonders anzustrengen. Wir brauchen aber nicht nur mehr Wettbewerb zwischen den Krankenkassen. Wir brauchen auch mehr Wettbewerb auf der Anbieterseite, also bei den Krankenhäusern und Ärzten. Konsequenterweise bedeutet dies die Überprüfung der kollektivvertraglichen Strukturen in allen Versorgungsbereichen und eine Neuausrichtung des Sicherstellungsauftrags. Die Bindung der Krankenkassen an das Vertragsmonopol der Kassenärztlichen Vereinigung muss gelockert werden. Es ist ja unbestritten, dass es zur Organisation der ambulanten ärztlichen Versorgung einer koordinierenden, selbstverwaltenden Instanz bedarf. Aber der bisherige Zustand, dass man einen Vertrag entweder mit allen Ärzten oder mit keinem Arzt abschließen darf, ist in einem wettbewerbsorientierten System nicht mehr tragbar. Mehr Wettbewerb muss es auch für den Krankenhausbereich geben. Es kann nicht richtig sein, dass die Länder mit ihrer Krankenhausplanung faktisch ein Drittel der Krankenkassenausgaben bestimmen, ohne dass die Krankenversicherungen eine echte Möglichkeit der Einflussnahme hätten. Mehr Wettbewerb bedeutet auch, den Krankenkassen das Recht einzuräumen, ihren Versicherten mehr Wahlfreiheit zu gewähren. Natürlich muss dafür gesorgt werden, dass alle über einen Versicherungsschutz verfügen, der die notwendigen medizinischen Leistungen abdeckt. Wir wollen keine Verhältnisse wie in den Vereinigten Staaten von Amerika, wo 40 Millionen Menschen über keinerlei und weitere 40 Millionen Menschen über einen völlig unzureichenden Versicherungsschutz verfügen. Wir sind stolz darauf, dass wir in der Bundesrepublik Deutschland allen einen ungehinderten Zugang zu den Höchstleistungen der Medizin garantieren können. ({14}) Aber das kann doch nicht bedeuten, jegliche Wahlmöglichkeit oder Variation von Leistungen zu untersagen. Warum soll man den Versicherungen nicht ermöglichen, Leistungspakete anzubieten, die mehr beinhalten - dann zu einem höheren Preis -, oder Leistungspakete, die weniger beinhalten, dann zu einem niedrigeren Preis? Der Einwand der Bundesgesundheitsministerin, das sei nicht möglich oder auch unethisch, trifft doch einfach nicht. Warum soll man es dem einzelnen Menschen nicht erlauben, zum Beispiel Fahrtkosten nicht mitzuversichern, weil er jemanden in der Familie hat, der ihn im Zweifelsfall fährt? Warum zwingen Sie ihn dazu? ({15}) Lassen Sie doch den Versicherten und ihren Selbstverwaltungen mehr Spielraum! Die Versicherten und ihre Selbstverwaltungen wissen doch sehr viel besser als die Ministerialbeamten, was ihnen gut tut. Gleichzeitig könnte man mit dem merkwürdigen Zustand Schluss machen, dass der Gesundheitsmarkt zwar einer der größten Wachstumsbereiche ist - Hoffnungen auf neue Arbeitsplätze sind hier sehr realistisch -, wir im geltenden System aber alles tun, um diese Wachstumschancen zunichte zu machen. Die Wahlfreiheit könnte umso größer ausfallen, je weniger versicherungsfremde Leistungen und Umverteilungsmaßnahmen über den Beitragssatz finanziert werden. In einem ersten Schritt sollten daher die versicherungsfremden Leistungen von dem bezahlt werden, der dafür zuständig ist, nämlich vom Staat. Darüber hinaus sollte sich der Staat nicht länger an den Krankenversicherungen bereichern, indem er den vollen Mehrwertsteuersatz auf Medikamente erhebt, worauf sonst mit Ausnahme von Österreich in ganz Europa verzichtet wird. ({16}) Wir brauchen mehr Transparenz. Überall weiß man, was die Dinge kosten und was man für sein Geld bekommt, nur nicht im Gesundheitswesen. Das kann nicht richtig sein. Wir haben noch in der letzten Legislaturperiode einen Gesetzesauftrag beschlossen, der genau dies zum Inhalt hat. Aber was tut die Bundesregierung eigentlich, damit dieser Auftrag auch umgesetzt wird? Die Menschen müssen doch darüber Bescheid wissen, welche Leistungen sie bekommen und was sie kosten. Das ist doch nicht zu viel verlangt. ({17}) Die Finanzierung der Krankenversicherung erfolgt bisher über die Anbindung an den Lohn. Das ist grundsätzlich richtig. Aber mit Beitragseinnahmen aus dem Lohn allein werden der medizinische Fortschritt und die demographische Herausforderung nicht zu finanzieren sein. Es gibt nun ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts bezüglich der Gleichbehandlung von freiwillig und pflichtversicherten Rentnern. Ich bin sehr gespannt, welche Antwort Sie darauf geben. Es gibt auf der ganzen Welt kein Gesundheitswesen, das darauf verzichten könnte, dass sich der einzelne Versicherte auch selbst um seine Gesundheit kümmert. Wir sind der Auffassung, dass derjenige, der sich um seine Gesundheit kümmert, einen Bonus bekommen sollte. Wer unverantwortlich mit seiner Gesundheit umgeht, muss wissen, dass der Solidartopf kein Selbstbedienungsladen ist. Für uns bleibt klar: Medizinischer Fortschritt muss für alle zugänglich bleiben. Wir brauchen den sozialen Ausgleich zwischen Gesunden und Kranken und die Inanspruchnahme der medizinischen Leistung darf keine Frage des Geldbeutels sein. (Lachen bei der SPD Diese Frage lässt sich aber nicht durch mehr Budgetierung und mehr Staat, sondern nur dadurch beantworten, dass mehr Transparenz, mehr Eigenverantwortung und mehr Wettbewerb erlaubt werden. Herzlichen Dank. ({18})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Bevor ich das Wort weitergebe, komme ich zu Tagesordnungspunkt 18 a zurück und gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Schlussabstimmung über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Reform des Betriebsverfassungsgesetzes in der Ausschussfassung auf den Drucksachen 14/5741 und 14/6352 bekannt. Abgegebene Stimmen 544. 17423 Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 544; davon ja: 336 nein: 208 Ja SPD Brigitte Adler Gerd Andres Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Hermann Bachmaier Ernst Bahr Doris Barnett Dr. Hans Peter Bartels Eckhardt Barthel ({0}) Klaus Barthel ({1}) Ingrid Becker-Inglau Wolfgang Behrendt Dr. Axel Berg Hans-Werner Bertl Friedhelm Julius Beucher Petra Bierwirth Rudolf Bindig Lothar Binding ({2}) Anni Brandt-Elsweier Willi Brase Rainer Brinkmann ({3}) Bernhard Brinkmann ({4}) Edelgard Bulmahn Ursula Burchardt Dr. Michael Bürsch Hans Büttner ({5}) Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Dr. Peter Danckert Christel Deichmann Karl Diller Peter Dreßen Detlef Dzembritzki Dieter Dzewas Dr. Peter Eckardt Sebastian Edathy Ludwig Eich Marga Elser Peter Enders Gernot Erler Petra Ernstberger Annette Faße Lothar Fischer ({6}) Gabriele Fograscher Iris Follak Norbert Formanski Rainer Fornahl Hans Forster Dagmar Freitag Lilo Friedrich ({7}) Harald Friese Anke Fuchs ({8}) Arne Fuhrmann Monika Ganseforth Konrad Gilges Iris Gleicke Günter Gloser Uwe Göllner Renate Gradistanac Günter Graf ({9}) Angelika Graf ({10}) Dieter Grasedieck Monika Griefahn Kerstin Griese Wolfgang Grotthaus Karl-Hermann Haack ({11}) Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann Alfred Hartenbach Klaus Hasenfratz Nina Hauer Hubertus Heil Reinhold Hemker Rolf Hempelmann Gustav Herzog Monika Heubaum Reinhold Hiller ({12}) Stephan Hilsberg Gerd Höfer Jelena Hoffmann ({13}) Walter Hoffmann ({14}) Iris Hoffmann ({15}) Frank Hofmann ({16}) Ingrid Holzhüter Eike Hovermann Lothar Ibrügger Barbara Imhof Brunhilde Irber Gabriele Iwersen Renate Jäger Jann-Peter Janssen Ilse Janz Dr. Uwe Jens Volker Jung ({17}) Johannes Kahrs Susanne Kastner Ulrich Kelber Hans-Peter Kemper Klaus Kirschner Hans-Ulrich Klose Walter Kolbow Karin Kortmann Nicolette Kressl Volker Kröning Angelika Krüger-Leißner Horst Kubatschka Ernst Küchler Helga Kühn-Mengel Ute Kumpf Konrad Kunick Dr. Uwe Küster Werner Labsch Christine Lambrecht Brigitte Lange Christian Lange ({18}) Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters Detlev von Larcher Christine Lehder Waltraud Lehn Robert Leidinger Klaus Lennartz Dr. Elke Leonhard Eckhart Lewering Götz-Peter Lohmann ({19}) Christa Lörcher Erika Lotz Dr. Christine Lucyga Dieter Maaß ({20}) Winfried Mante Dirk Manzewski Tobias Marhold Lothar Mark Ulrike Mascher Christoph Matschie Heide Mattischeck Ulrike Mehl Ulrike Merten Angelika Mertens Dr. Jürgen Meyer ({21}) Ursula Mogg Christoph Moosbauer Michael Müller ({22}) Christian Müller ({23}) Franz Müntefering Andrea Nahles Volker Neumann ({24}) Dr. Edith Niehuis Günter Oesinghaus Eckhard Ohl Leyla Onur Manfred Opel Holger Ortel Adolf Ostertag Kurt Palis Albrecht Papenroth Joachim Poß Karin Rehbock-Zureich Dr. Carola Reimann Margot von Renesse Renate Rennebach Bernd Reuter Dr. Edelbert Richter Christel RiemannHanewinckel Reinhold Robbe Gudrun Roos René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth ({25}) Birgit Roth ({26}) Marlene Rupprecht Thomas Sauer Gudrun Schaich-Walch Rudolf Scharping Bernd Scheelen Dr. Hermann Scheer Siegfried Scheffler Horst Schild Otto Schily Dieter Schloten Horst Schmidbauer ({27}) Ulla Schmidt ({28}) Silvia Schmidt ({29}) Dagmar Schmidt ({30}) Wilhelm Schmidt ({31}) Dr. Frank Schmidt ({32}) Regina Schmidt-Zadel Heinz Schmitt ({33}) Carsten Schneider Dr. Emil Schnell Karsten Schönfeld Ottmar Schreiner Gerhard Schröder Dr. Mathias Schubert Richard Schuhmann ({34}) Brigitte Schulte ({35}) Reinhard Schultz ({36}) Ewald Schurer Dr. Angelica Schwall-Düren Rolf Schwanitz Bodo Seidenthal Erika Simm Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Dr. Cornelie SonntagWolgast Wieland Sorge Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Dr. Ditmar Staffelt Ludwig Stiegler Rolf Stöckel Rita Streb-Hesse Reinhold Strobl ({37}) Dr. Peter Struck Joachim Stünker Joachim Tappe Jörg Tauss Jella Teuchner Franz Thönnes Adelheid Tröscher Hans-Eberhard Urbaniak Rüdiger Veit Simone Violka Ute Vogt ({38}) Hans Georg Wagner Hedi Wegener Dr. Konstanze Wegner Matthias Weisheit Gert Weisskirchen ({39}) Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker Jochen Welt Dr. Rainer Wend Hildegard Wester Lydia Westrich Inge Wettig-Danielmeier Dr. Margrit Wetzel Jürgen Wieczorek ({40}) Helmut Wieczorek ({41}) Dieter Wiefelspütz Klaus Wiesehügel Brigitte Wimmer ({42}) Engelbert Wistuba Barbara Wittig Dr. Wolfgang Wodarg Verena Wohlleben Hanna Wolf ({43}) Waltraud Wolff ({44}) Heidemarie Wright Uta Zapf Peter Zumkley BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Gila Altmann ({45}) Marieluise Beck ({46}) Volker Beck ({47}) Matthias Berninger Grietje Bettin Annelie Buntenbach Ekin Deligöz Dr. Uschi Eid Andrea Fischer ({48}) Joseph Fischer ({49}) Katrin Göring-Eckardt Gerald Häfner Antje Hermenau Ulrike Höfken Michaele Hustedt Dr. Angelika Köster-Loßack Steffi Lemke Dr. Reinhard Loske Oswald Metzger Kerstin Müller ({50}) Winfried Nachtwei Christa Nickels Cem Özdemir Simone Probst Christine Scheel Irmingard Schewe-Gerigk Rezzo Schlauch Albert Schmidt ({51}) Werner Schulz ({52}) Christian Simmert Christian Sterzing Hans-Christian Ströbele Jürgen Trittin Dr. Antje Vollmer Sylvia Voß Helmut Wilhelm ({53}) Margareta Wolf ({54}) PDS Monika Balt Dr. Dietmar Bartsch Maritta Böttcher Eva Bulling-Schröter Dr. Heinrich Fink Wolfgang Gehrcke Dr. Klaus Grehn Uwe Hiksch Dr. Barbara Höll Ulla Jelpke Sabine Jünger Gerhard Jüttemann Dr. Evelyn Kenzler Rolf Kutzmutz Heidi Lippmann Ursula Lötzer Dr. Christa Luft Heidemarie Lüth Pia Maier Angela Marquardt Manfred Müller ({55}) Kersten Naumann Petra Pau Dr. Uwe-Jens Rössel Christina Schenk Gustav-Adolf Schur Dr. Ilja Seifert Dr. Winfried Wolf Nein CDU/CSU Ilse Aigner Peter Altmaier Dietrich Austermann Norbert Barthle Dr. Wolf Bauer Günter Baumann Brigitte Baumeister Meinrad Belle Dr. Sabine Bergmann-Pohl Otto Bernhardt Hans-Dirk Bierling Dr. Joseph-Theodor Blank Renate Blank Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert Wolfgang Börnsen ({56}) Wolfgang Bosbach Dr. Wolfgang Bötsch Klaus Brähmig Dr. Ralf Brauksiepe Cajus Caesar Peter H. Carstensen ({57}) Leo Dautzenberg Wolfgang Dehnel Hubert Deittert Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters Albert Deß Renate Diemers Marie-Luise Dött Maria Eichhorn Rainer Eppelmann Anke Eymer ({58}) Ilse Falk Dr. Hans Georg Faust Albrecht Feibel Axel E. Fischer ({59}) Herbert Frankenhauser Dr. Gerhard Friedrich ({60}) Dr. Hans-Peter Friedrich ({61}) Erich G. Fritz Jochen-Konrad Fromme Dr. Jürgen Gehb Norbert Geis Georg Girisch Dr. Reinhard Göhner Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Kurt-Dieter Grill Hermann Gröhe Manfred Grund Horst Günther ({62}) Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein Gerda Hasselfeldt Hansgeorg Hauser ({63}) Helmut Heiderich Ursula Heinen Manfred Heise Siegfried Helias Hans Jochen Henke Peter Hintze Klaus Hofbauer Martin Hohmann Klaus Holetschek Josef Hollerith Siegfried Hornung Hubert Hüppe Georg Janovsky Dr.-Ing. Rainer Jork Dr. Harald Kahl Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter Volker Kauder Eckart von Klaeden Ulrich Klinkert Eva-Maria Kors Hartmut Koschyk Rudolf Kraus Dr. Martina Krogmann Dr. Paul Krüger Dr. Paul Laufs Vera Lengsfeld Peter Letzgus Walter Link ({64}) Eduard Lintner Dr. Manfred Lischewski Wolfgang Lohmann ({65}) Erwin Marschewski ({66}) Dr. Martin Mayer ({67}) Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Friedrich Merz Hans Michelbach Bernward Müller ({68}) Elmar Müller ({69}) Claudia Nolte Franz Obermeier Friedhelm Ost Norbert Otto ({70}) Dr. Peter Paziorek Anton Pfeifer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Ruprecht Polenz Marlies Pretzlaff Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Helmut Rauber Peter Rauen Christa Reichard ({71}) Katherina Reiche Klaus Riegert Franz Romer Dr. Klaus Rose Kurt J. Rossmanith Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Anita Schäfer Hartmut Schauerte Karl-Heinz Scherhag Dr. Gerhard Scheu Norbert Schindler Christian Schmidt ({72}) Dr.-Ing. Joachim Schmidt ({73}) Andreas Schmidt ({74}) Birgit Schnieber-Jastram Dr. Rupert Scholz Reinhard Freiherr von Schorlemer Dr. Erika Schuchardt Wolfgang Schulhoff Gerhard Schulz Diethard Schütze ({75}) Clemens Schwalbe Dr. Christian SchwarzSchilling Horst Seehofer Heinz Seiffert Bernd Siebert Werner Siemann Bärbel Sothmann Margarete Späte Erika Steinbach Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten Max Straubinger Matthäus Strebl Thomas Strobl ({76}) Michael Stübgen Edeltraut Töpfer Dr. Hans-Peter Uhl Gunnar Uldall Arnold Vaatz Andrea Voßhoff Peter Weiß ({77}) Gerald Weiß ({78}) Heinz Wiese ({79}) Hans-Otto Wilhelm ({80}) Klaus-Peter Willsch Bernd Wilz Willy Wimmer ({81}) Werner Wittlich Dagmar Wöhrl Elke Wülfing Wolfgang Zeitlmann Wolfgang Zöller F.D.P. Ina Albowitz Hildebrecht Braun ({82}) Ernst Burgbacher Jörg van Essen Ulrike Flach Gisela Frick Paul K. Friedhoff Horst Friedrich ({83}) Rainer Funke Dr. Wolfgang Gerhardt Joachim Günther ({84}) Klaus Haupt Dr. Helmut Haussmann Ulrich Heinrich Dr. Werner Hoyer Ulrich Irmer Dr. Klaus Kinkel Dr. Heinrich L. Kolb Gudrun Kopp Jürgen Koppelin Ina Lenke Sabine LeutheusserSchnarrenberger Dirk Niebel Günther Friedrich Nolting Hans-Joachim Otto ({85}) Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Marita Sehn Dr. Max Stadler Carl-Ludwig Thiele Jürgen Türk Dr. Guido Westerwelle Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen des Europarates und der WEU, der Parlamentarischen Versammlung der NATO, der OSZE oder der IPU Abgeordnete({86}) Adam, Ulrich Bühler ({87}), Klaus Maaß ({88}), Erich CDU/CSU CDU/CSU CDU/CSU Schmitz ({89}), Hans Peter von Schmude, Michael Zierer, Benno SPD CDU/CSU CDU/CSU Mit Ja haben gestimmt 336, mit Nein haben gestimmt 208, Enthaltungen keine. Der Gesetzentwurf ist angenommen. ({90}) Ich erteile nunmehr das Wort der Bundesministerin für Gesundheit, der Kollegin Ulla Schmidt. Ulla Schmidt, Bundesministerin für Gesundheit ({91}): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Fink, ich habe Ihnen genau zugehört und sogar die Brille aufgesetzt; aber ich habe mich doch gewundert, dass Sie hier über dieses Thema so reden können, ohne dass Ihnen die Schamesröte ins Gesicht gestiegen ist. ({92}) Manchmal hat man das Gefühl, dass in Ihrem Gedächtnis einzelne Jahre fehlen. Sie haben nämlich vergessen, zu sagen, dass Sie das alles hätten haben können, solange Sie noch regierten. Die heutigen Hauptprobleme im Gesundheitswesen stellen doch Ihre Hinterlassenschaft dar. ({93}) - Sie können jetzt lachen, soviel Sie wollen. Es ist die Hinterlassenschaft des Kollegen Seehofer. Es ist Ihr Erbe. ({94}) Hätten Sie 1998 ein wirklich durchstrukturiertes und transparentes Gesundheitswesen hinterlassen, dann wären Sie nicht abgewählt worden. Die Menschen haben Sie auch wegen Ihrer Gesundheitspolitik abgewählt. ({95}) Diese Bundesregierung hat mit dem Umlenken begonnen ({96}) und wird diesen Weg auch weitergehen. Im Gegensatz zu manchen Ihrer Äußerungen, die ich in den letzten Tagen gehört habe, geht es uns um eine bessere Versorgung der Menschen, vor allen Dingen der chronisch kranken Menschen. ({97}) Uns geht es um die Realisierung vorhandener Einsparmöglichkeiten, damit unser Gesundheitswesen bezahlbar bleibt, ohne den Weg, den Sie immer gegangen sind, beschreiten zu müssen: Bei Ihnen mussten die Menschen hohe Beiträge und dazu immer mehr aus der eigenen Tasche bezahlen. ({98}) Wir haben mit der Gesundheitsreform 2000 wichtige Weichenstellungen vorgenommen: Qualitätssteigerung, Patientenorientierung, bessere Verzahnung der Leistungsbereiche, Förderung von Prävention und Selbsthilfe. ({99}) Auf diesem Weg werden wir weitergehen. Aber Reformen dauern nun einmal, ({100}) bis sie umgesetzt werden können, weil viele Barrieren zu überwinden sind. Heute geht es unter anderem darum, eine Antwort auf die 39-Milliarden-DM-Frage zu finden. So groß ist nämlich das Volumen der Arzneimittelausgaben in Deutschland. Die Tendenz ist steigend, trotz Budgets, die Sie eingeführt haben, und trotz Kollektivhaftung, die Herr Seehofer eingeführt hat. ({101}) Fest steht, dass Budgets und Kollektivhaftung nicht den erhofften Erfolg gebracht haben. Fest steht aber auch, dass es ohne Ausgabensteuerung in der Arzneimittelversorgung nicht geht. Auch Sie, Herr Kollege Seehofer - daran möchte ich erinnern -, hatten seinerzeit eine Bremse vorgesehen, nämlich durch die so genannte Koppelungsregelung. Manche haben vielleicht vergessen, was es bedeutet hätte, wenn es diese heute gäbe: Wenn eine Krankenkasse ihren Beitragssatz zum Beispiel wegen steigender Arzneimittelausgaben erhöht, hätten die Patientinnen und Patienten höhere Zuzahlungen leisten müssen. Patienten, die in der AOK Bayern sind, müssten heute für die kleine Packung 14 DM bezahlen, für die mittlere 16 DM und für die größere 18 DM. ({102}) Wenn die AOK Hessen, wie sie es jetzt macht, den Beitragssatz um 1 Prozent erhöht, ({103}) hätten die Patienten nach Horst Seehofer einen Tag nach dieser Erhöhung für die kleine Packung 19 DM, für die mittlere 21 DM und für die größere 23 DM zahlen müssen. ({104}) Auf die Zuzahlungen im Krankheitswesen bezüglich der Fahrtkosten und der Krankenhausaufenthalte möchte ich gar nicht erst eingehen. Für alles hätte 10 DM mehr gezahlt werden müssen. ({105}) Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters Ich möchte nur daran erinnern, dass die Zuzahlungen zurzeit 8, 9 und 10 DM betragen. Herr Zöller, Sie können so laut rufen, wie Sie wollen: Allein den Kranken immer tiefer in die Tasche greifen zu wollen ist allenfalls ein Zeichen Ihrer Steuerungspolitik. Dies entspricht aber nicht unserem Verständnis von Solidarität. ({106}) Deshalb beraten wir heute über neue Steuerungsinstrumente des Arzneimittel- und Heilmittelbudgets. Wahr ist, Herr Kollege Fink: Auch unter der alten Bundesregierung sind die Arzneimittelausgaben deutlich oberhalb der Grundlohnentwicklung gestiegen. Nur ein einziges Mal, im Jahr 1997, gingen die Arzneimittelausgaben zurück, aber nur, weil der Kollege Seehofer mit Ihrer Zustimmung die Zuzahlungen für Arzneimittel radikal angehoben hatte. Dies hat aber nur ein Jahr gewirkt. Im Jahr 1998 stiegen die Arzneimittelausgaben trotz der Erhöhung der Zuzahlungen um 5,4 Prozent. ({107}) In einem haben Sie Recht, Herr Kollege Fink: Bei allem Streit um so genannte Obergrenzen, um Budgetierungen, um Kollektivhaftungen oder um Anpassungen sind weder die Ärzte und Ärztinnen noch die Pharmaindustrie jemals die Leidtragenden gewesen. Dieser Streit wurde immer - das ist das Schlimme - auf dem Rücken der Patientinnen und Patienten ausgetragen, die darum kämpfen mussten - das war seit Jahren so -, die Rezepte zu bekommen, die sie wirklich brauchten. Eines muss doch klar sein: Wir können auf Dauer nicht zulassen, dass der Streit auf dem Rücken der Kranken ausgetragen wird; denn gerade die Kranken brauchen Sicherheit, Vertrauen und Hilfe. ({108}) Deshalb bitte ich Sie ganz intensiv, sich wirklich mit den Fragen auseinander zu setzen, auf die wir auch angesichts der steigenden Arzneimittelausgaben eine Antwort finden müssen. Wir müssen uns mit der Frage auseinander setzen, warum in einigen Kassenärztlichen Vereinigungen die Ärzte überwiegend hochpreisige Generika verschreiben, während in anderen KVen die Ärzte deutlich mehr preisgünstige Generika verordnen. Warum liegen in den neuen Ländern die Anteile teurer Analogpräparate mit gegebenenfalls geringem therapeutischen Zusatznutzen auffällig über dem Bundesdurchschnitt, während sie in anderen Regionen den Bundesdurchschnitt zum Teil deutlich unterschreiten? Warum liegt der Anteil reimportierter Arzneimittel in den Kassenärztlichen Vereinigungen von Berlin und Nordrhein bei 20 bzw. 18 Prozent, in Bayern zum Beispiel aber nur bei 5 Prozent? Die Antwort ist ganz einfach: Dort, wo die Vertragspartner aktiv auf das Verordnungsgeschehen eingewirkt haben, konnten Wirtschaftlichkeitspotenziale erschlossen werden. Dass es im Arzneimittelbereich enorme Wirtschaftlichkeitsreserven gibt, belegen nicht nur diese Beispiele. Wenn Sie sich einmal die Auswertung des AOK-eigenen wissenschaftlichen Instituts vom April 2001 ansehen, stellen Sie fest: Wenn man die Potenziale auf dem AOKMarkt zusammenfasst, die sich durch generische Substitutionen und Wirkstoffsubstitution erschließen, ergibt sich für die AOK für das Jahr 2000 ein Wirtschaftlichkeitspotenzial in Höhe von 18,5 Prozent des Arzneimittelumsatzes, der ja zulasten der AOK geht. Dies macht allein für die AOK im Jahr 3 Milliarden DM aus. Würde man das für die gesamte GKV hochrechnen, käme man auf 7,2 Milliarden DM. Deshalb lohnt es sich, über andere Instrumente nachzudenken. Ich habe auf jeden Fall eines aus den Erfahrungen mit dem Arznei- und Heilmittelbudget gelernt: Wir können letztlich dem dynamischen und konkreten Handeln vieler Ärztinnen und Ärzte nicht mit starren und abstrakten Instrumenten wie den Budgets begegnen. ({109}) - Wir ändern dies aber noch während unserer Regierungszeit und gehen neue Wege. Erst durch Sie ist es zu den heutigen Problemen gekommen. ({110}) Wie sollen eigentlich die Beteiligten eine Obergrenze aushandeln, die sie nicht adäquat korrigieren können und die noch dazu von einer Vertragspartei massiv bekämpft wird? Wie soll die Ausgabenentwicklung gesteuert werden, wenn es gar keine oder zu späte Datenlieferungen gibt? ({111}) Ich bin davon überzeugt: Durch konkrete Zielvereinbarungen mit einem Frühwarnsystem schaffen wir Steuerungsmöglichkeiten und stärken damit die Selbstverwaltung, um diese auch umzusetzen. ({112}) Ich sage noch einmal ganz klar, worum es geht: Erstens. Mit dem vorgelegten Gesetzentwurf entlassen wir die Ärztinnen und Ärzte nicht aus der Verantwortung. Diese haben gerade im Arzneimittelsektor eine Schlüsselstellung inne. Deshalb brauchen wir ihre Mitwirkung. Sie müssen sich gemeinsam mit den Krankenkassen nicht nur auf Ausgabenvolumen und Richtgrößen, sondern auch auf Versorgungs- und Wirtschaftlichkeitsziele einigen. Stichworte dazu sind: Generika, Reimporte, die Reduzierung teurer Analogprodukte. Nur durch eine Bundesministerin Ulla Schmidt Steuerung in diesen Bereichen ist auf Dauer sicherzustellen, dass Patientinnen und Patienten am medizinischen Fortschritt im Bereich der Arzneimitteltherapie teilhaben können, dieses Gesundheitswesen aber trotzdem bezahlbar bleibt. ({113}) Zweitens. Diese Zielsetzungen werden mit Informationen und Beratung der Ärztinnen und Ärzte durch die Vertragsparteien verbunden, sodass rechtzeitig umgesteuert werden kann. Drittens. Ich lege besonderen Wert auf die aktive und verantwortliche Rolle der Selbstverwaltungspartner. Deshalb sollen die Kassenärztlichen Vereinigungen und die Kassen selbst regeln, wie sie die Einhaltung des vereinbarten Ausgabevolumens und der Versorgungsziele erreichen. Interessant für die Vertragspartner ist die Möglichkeit, Bonusregelungen für Unterschreitungen vorzusehen. Die Selbstverwaltungspartner bestimmen auch, welche Grenzwerte ein Prüfverfahren auslösen und welche Folgen einschließlich des Individualregresses eine Grenzwertüberschreitung haben wird. ({114}) Viertens. Die gemeinsame Selbstverwaltung auf Bundesebene unterstützt die Vertragspartner durch gemeinsame verbindliche Rahmenvorgaben, die jährlich festgelegt werden. Fünftens. Falls sich die Vertragspartner nicht einigen, entscheidet das Schiedsamt. Keine Seite kann also die Verhandlungen blockieren. ({115}) Sechstens. Um flexibler auf eine Überschreitung reagieren zu können, werden die Ausgabenvolumen für Arznei- und Heilmittel voneinander getrennt. Siebtens - auch das ist klar -: Wer sich unwirtschaftlich und therapeutisch fragwürdig verhält, muss mit einem Prüfverfahren und gegebenenfalls mit einem Regressverfahren rechnen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die aktuelle Ausgabenentwicklung im Arzneimittelbereich im ersten Quartal dieses Jahres mit einer Steigerung um fast 9,7 Prozent im Vergleich zum ersten Quartal des Vorjahres ist Anlass zur Sorge. Es wäre aber zu einfach, allein die Ankündigung der Aufhebung des Arzneimittelbudgets hierfür verantwortlich zu machen. Auch in der Vergangenheit gab es überproportionale Ausgabenanstiege, insbesondere etwa im vierten Quartal 2000 mit mehr als 9 Prozent, und das vor der Ankündigung der Neuordnung. Das zeigt also: Wir können auch aktuell nicht auf die vorhandene oder vermeintliche Sicherheit eines immer noch bestehenden Budgets oder auch der immer noch bestehenden Kollektivhaftung bauen, sondern wir müssen handeln. Die gemeinsame Selbstverwaltung hat dabei schon ihre erste Bewährungsprobe bestanden. Vor einer Woche haben Ärzteschaft und Krankenkassen auf Bundesebene eine Empfehlung zur Steuerung der Arzneimittel- und Verbandmittelausgaben für 2001 verabschiedet. Sie wendet damit vorweg neue Instrumente des vorliegenden Gesetzentwurfes an. Jetzt sind die Selbstverwaltung und die politisch Verantwortlichen in den Ländern gefordert, die praktische Umsetzung voranzutreiben. Wir haben vereinbart, dass die Beteiligten auf der Bundesebene schon Anfang August über die Umsetzung der Bundesempfehlung berichten werden. Dass solche Lösungen zustande kommen, zeigen im Moment die KV Berlin und die AOK Berlin. Sie haben sich auf einen Vertrag geeinigt, der Zuschläge beim Honorar als Ausgleich für Einsparungen im Arzneimittelsektor vorsieht. Ich glaube, dass dies der richtige Weg ist, um Anreize zu setzen. ({116}) - Nein, Herr Zöller. Das kann allenfalls noch in Ihrem Denken von einer Gesundheitsreform vorkommen. ({117}) Wir haben Qualitäts- und Versorgungsziele und die Einhaltung dieser Ziele wird auch kontrolliert. Ihre Antwort war, den Menschen immer mehr in die Tasche zu greifen. Das wollen wir nicht. ({118}) Ich glaube, dass das Beispiel hier in Berlin zeigen wird, dass es anders geht. Die Selbstverwaltung muss sich stärken. Das ist der richtige Weg. Wir wollen keine Privatisierung der Krankenversicherung, ({119}) sondern wir wollen eine Lenkung der im System verankerten Steuerungskräfte der Selbstverwaltung. Das ist die Lösung für die Zukunft und das ist auch die Antwort auf die Zukunftsfragen. ({120}) Meine Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, Sie können schon jetzt am Beispiel einer bedarfsgerechten und wirtschaftlichen Lösung für den Arzneimittelbereich beweisen, wie ernst Sie es denn mit dem Ausbau der Selbstverwaltung und der Stärkung der Position von Patientinnen und Patienten im Gesundheitswesen meinen. ({121}) - Wenn das alles im Gesetz stand, dann erwarte ich am Ende eine Zustimmung des ganzen Hauses zu diesem Gesetz. ({122}) Bundesministerin Ulla Schmidt Dann wird sich zeigen, ob Sie nur destruktiv sind oder ob Sie wirklich bereit sind, neue Wege in der Gesundheitspolitik mitzugehen. Vielen Dank. ({123})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die F.D.P.-Fraktion spricht jetzt der Kollege Dr. Dieter Thomae.

Dr. Dieter Thomae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002320, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Große Anfrage der CDU/CSU wurde beantwortet und man stellt fest: Der Leistungskatalog ist überhaupt nicht das Problem, sondern das große Problem sind die Fehlversorgung, die Überversorgung und die Unterversorgung sowie die mangelnden Qualitätsleistungen. ({0}) Das ist die Antwort der Regierung auf diese Thematik. ({1}) - Moment! Sie sollten das genauer lesen. Ohne Zweifel ist die Qualität der medizinischen Leistungen gut und ein ganz wichtiger Faktor. Natürlich gibt es hier und da Probleme. Aber das als Grundlage für ein Gesetzespaket zu machen, wie Sie dies Anfang 1999 getan haben, ist sicherlich der völlig falsche Weg. ({2}) Sie behaupten nämlich, Sie könnten alles finanzieren, wenn Sie die Unterversorgung, die Fehlversorgung, die Überversorgung eliminieren würden. Schwachsinn, echter Schwachsinn! Sie haben seit Anfang Ihrer Regierungszeit Milliarden aus diesem System herausgenommen. Milliardenbeträge! Da wundern Sie sich nun, wenn Sie feststellen, dass die gesetzlichen Krankenkassen die Beiträge erhöhen müssen. Das ist die Konsequenz Ihrer verfehlten Politik, seitdem Sie an der Regierung sind. ({3}) Es ist doch auch nicht so, dass nur eine AOK die Beiträge erhöhen wird, sondern andere haben das schon angekündigt. Und es wird nicht nur im AOK-Bereich geschehen. Soviel ich weiß, hat ja die AOK bei der Gesetzgebung Ihrer Regierung häufig intensiv mitgearbeitet, sodass man sich wundert, dass sie jetzt bei der Beitragssatzerhöhung federführend ist. Eigentlich erstaunlich! Meine Damen und Herren, die Krankenkassen stehen mit dem Rücken an der Wand. ({4}) Sie können nicht mehr. Sie müssten mit ihnen darüber diskutieren, die Leistungspakete zu ändern. Und das ist Ihr großes Problem. ({5}) Sie gaukeln der Bevölkerung vor, das traditionelle Leistungssystem könnte ohne Abstriche, mit gleichen Beitragssätzen, trotz dynamischer Entwicklung der Technologie, trotzt Alterspyramide erhalten bleiben. Das ist Ihr großer Trugschluss. ({6}) Sie werden in dieser Wahlperiode nichts machen. Sie werden dem Bürger weiterhin vorgaukeln, dass dieses alte, traditionelle System zu erhalten ist. Nach den Bundestagswahlen wird dies nicht mehr zu halten sein. Daher, Frau Ministerin, werden wir schon ein bisschen aggressiv. Hier und da drehen Sie an Schrauben und glauben, das Problem lösen zu können. Aber Sie halten im Kernbereich an den traditionellen Vorstellungen fest. ({7}) Sie bleiben beim Leistungspaket, Sie wollen keinen Wettbewerb, Sie wollen, wenn das Problem auftaucht, den Wettbewerb - Stichwort Mindestbeitrag - sogar noch mehr eliminieren. Da sind wir wieder im traditionellen System der Planwirtschaft. Alle Systeme der Planwirtschaft sind gescheitert. Ich möchte Ihnen eine Freifahrtkarte nach England und Schweden schicken, ({8}) damit Sie einmal erkennen, wie diese Systeme dort auf Dauer gegen die Wand gefahren werden. Wir sind auf dem besten Wege dahin. ({9}) Nehmen Sie sich einmal die Zeit, in diese Länder zu fahren; dann werden Sie sich wundern. Kümmern Sie sich einmal um die Krankenversicherungssysteme dort. Meine Damen und Herren, es ist doch nicht so, als ob wir mit unserer Auffassung alleine ständen. Ob es die Ludwig-Erhard-Stiftung ist, ob es die Bertelsmann-Stiftung ist - dort arbeiten sogar Mitglieder der SPD und auch der Grünen mit und verkünden Perspektiven, die man nur unterstützen kann -, sie stimmen uns zu. Aber in der praktischen Politik tauchen diese Abgeordneten unter. ({10}) Wir können nur sagen: Die Transparenz in diesem System muss gesteigert werden. Da gibt es für uns zwei Elemente. Wir wollen hin zur Kostenerstattung und weg vom Sachleistungssystem. ({11}) Wir möchten, dass der Arbeitnehmer weiß, welche Beiträge er bezahlt. Darum muss der Arbeitgeberanteil Bundesministerin Ulla Schmidt mit ausgezahlt werden. Dann kann der Versicherte wählen. ({12}) Das sind zwei wichtige Elemente. Ein weiteres Element ist: Wir müssen den Bürgern ehrlicherweise sagen: Wir müssen zwischen Kern- und Wahlleistungen unterscheiden; anderenfalls ist dieses System nicht zu halten. ({13}) - Erkundigen Sie sich bei Ihrer Expertengruppe. Ich nenne nur Rudolf Scharping, Klimmt, die schon ähnlich in dieser Richtung denken. Sie, die traditionellen SPDAbgeordneten, brauchen noch viel Zeit. Aber auch Sie werden dahin kommen, meine Damen und Herren. ({14}) Ein weiterer wichtiger Punkt, den Herr Fink auch angesprochen hat - darüber freue ich mich -: Wir müssen die Vertragsgestaltungsmöglichkeiten erweitern. Es kann doch wohl nicht wahr sein, dass es zu einheitlichen, gemeinsamen Vertragsgestaltungsmöglichkeiten mit den Leistungserbringern kommt. Meine Damen und Herren, die Zeiten sind vorbei. Das sind die Instrumente, um Unterversorgung, Überversorgung und Fehlleitungen zu beseitigen. Das bekommen Sie nur durch kluge Vertragsgestaltungsmöglichkeiten, aber nicht durch Budgetierungen hin. Wenn Sie sagen, wir wollen das Arzneimittelbudget beseitigen, dann meine ich: Prima, dann hätten Sie unser Gesetz 1998 beibehalten können. ({15}) Darin stand alles das, was Sie jetzt als große Leistung dieser Regierungskoalition preisen. Als Sie damals die Regierung übernommen haben, haben Sie alle Maßnahmen zurückgenommen. Das war einer der größten Fehler Ihrer Politik. Glauben Sie nicht, dass nur das Arzneimittelbudget zur Debatte stehen muss. Vielmehr müssen Sie die Budgetierung insgesamt in allen Bereichen, also im ärztlichen, zahnärztlichen und vor allen Dingen im Krankenhausbereich, zur Diskussion stellen. Was helfen die DRGs, wenn Sie mit Budgetierung arbeiten? Das ist Schizophrenie; das hat nichts mit vernünftiger Politik zu tun. Frau Ministerin, Sie reden von Konzepten; das tun auch die Kollegen von SPD und Grünen. Ich habe seit Wochen und Monaten kein SPD-Konzept gesehen. ({16}) Nur Flickschusterei, hier und da wird gedreht. Es wäre Ihre Aufgabe, vor der Bundestagswahl der deutschen Bevölkerung ein Gesamtkonzept auf den Tisch zu legen und zu zeigen, wie wir unser Gesundheitssystem erhalten können - damit die Bürger wenigstens vernünftig versorgt werden; nicht wie in England und Schweden; wir rutschen auf diese Schiene -, wie Sie diesen großen Bereich auf Dauer organisieren wollen, damit die Qualität und die Leistung steigen und der Gesundheitsbereich erfolgreich in die Europäische Gemeinschaft integriert wird. Aber da fehlen Ihnen Kreativität und der Mut. ({17})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Das Wort für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen hat jetzt die Kollegin Monika Knoche.

Monika Knoche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002701, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Herren und Damen! Herr Dr. Thomae und auch Herr Fink, wir werden Ihnen den Gefallen nicht tun, ({0}) ein hochmodernes System auch nur in einer Nuance schlechtreden zu lassen, nur damit Ihre ideologischen Präferenzen Platz greifen können. ({1}) Sie haben sehr viele Bereiche angesprochen. Ich habe Ihre Anträge und Anfragen ernsthaft gelesen. Es wäre natürlich schön gewesen, wir hätten darauf etwas mehr Bezug nehmen können. Aber es ist doch einfach erstaunlich - das möchte ich an die Reihen der CDU/CSU gewandt sagen -, dass Sie sich, Herr Fink - sosehr ich Sie persönlich schätze, auch aufgrund Ihres Engagements für Personenkreise in der Gesundheitsversorgung, die traditionell diskriminiert worden sind - hier zum Fahnenträger eines neoliberalen Konzeptes machen. ({2}) Das kann ich nicht verstehen. Sie sprechen davon, Leistungen auszugrenzen, Sie sprechen von Privatisierung, Sie sprechen von umfassender Deregulierung und sprechen der Politik die Fähigkeit und die Verantwortung ab, durch einen robusten Reformwillen immer wieder da einzugreifen, wo die Selbstregulierungskräfte es nicht schaffen, soziale Gerechtigkeit herzustellen. ({3}) Wettbewerb um Qualität - bitte nicht ideologisch befrachten ({4}) ist unser Stichwort in den Koalitionsvereinbarungen; es durchzieht die gesamten Reformvorstellungen. Durch ungezügelten Wettbewerb erreichen Sie das Gegenteil von Qualität. ({5}) Alle, die sich in der Gesundheitspolitik und in den Systemen auskennen, wissen, dass die Garantie der allseitigen Bundesministerin Ulla Schmidt Zugänglichkeit und Verfügbarkeit insbesondere medizinischer Innovationen und pharmakologischer Innovationen ({6}) zwingend voraussetzt, dass alle, unabhängig von ihrer Krankheit und ihrem Einkommen, durch eine qualitativ hochwertige Versorgung jederzeit Zugang zu den Medikamenten haben. ({7}) Das ist in das Stichwort evidenzbasierte Medizin gekleidet. Das ist das, was unsere Reformpolitik seit nunmehr fast drei Jahren durchzieht. ({8}) Das ist wahr und das ist richtig; das können Sie auch nicht in Abrede stellen. ({9}) In dem Moment, in dem man in eine durch die Politik vorgegebene Ausgrenzung von Krankheitsbildern einsteigt, steigt man in eine gezielte Unterversorgung derjenigen ein, die sich dieses Vollpaket, wie Sie es nennen, nicht leisten können. ({10}) Das hat mit unserem System, das noch immer soziale Marktwirtschaft heißt, dann nichts mehr zu tun. Wenn Sie das wollen, führen Sie bitte eine ganz seriöse, hochpolitische, systemanalytische Diskussion und dann werden wir in einen Wettstreit darüber eintreten, was das ökonomisch Richtige, Wahre und Sinnvolle ist. ({11}) - Gleich, Herr Fink. - Es gibt weltweit kein krisenfesteres, souveräneres sowie staatlichen und politischen Eingriffen unzugänglicheres System als das paritätisch finanzierte Versicherungssystem, wie wir es haben. ({12}) Die ökonomischen Fragen, die dahinter stehen, sind arbeitsmarktabhängig. Um die Freiheit und Gleichheit der Bürgerinnen und Bürger im Gesundheitssystem sicherzustellen, diskutieren wir nicht umsonst darüber - nicht nur wir Grüne, sondern die ganze Gesellschaft -, dass es in Zukunft für die Diskontinuität der Erwerbsverhältnisse, der Veränderung der Erwerbsbiographien und der Familienstrukturen unverzichtbar ist, die Versicherungspflicht allgemein zu etablieren. Das stärkt die GKV finanziell und stabilisiert die Beitragssätze. ({13}) Das ist eine ökonomische Wahrheit. Eine Kostenexplosion hat es weder in der Zeit der CDU/CSU-Regierung noch unter Rot-Grün gegeben. ({14}) Die Ausgaben der GKV sind, am Bruttoinlandsprodukt gemessen, nachweisbar gesunken. Keiner soll sagen, medizinische Innovation sei nicht mehr bezahlbar. Unsere Politik zeigt doch, wie hochflexibel und innovativ das System der gesetzlichen Krankenversicherung ist. ({15}) Dies müssen wir politisch offensiv verteidigen, weil Sie das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in dieses System erodieren wollen. Das ist das Politische daran.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Frau Kollegin Knoche, ich muss Sie jetzt einmal zum Luftholen animieren. Der Kollege Fink möchte jetzt gerne seine Frage stellen.

Ulf Fink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Knoche, klar ist, dass unser Gesundheitswesen, dessen elementare Grundlagen von uns gelegt worden sind, ({0}) eine Mischung aus Staat und Markt ist. Ich frage Sie: Haben Sie denn in Anbetracht der Ereignisse der letzten zwei Jahre - Sie können auch noch weiter zurückgehen - nicht den Eindruck, dass die Entwicklung hin zu mehr Staat, zum Beispiel durch die Budgetierung, genau die falsche Richtung ist? Auch die Ministerin hat gerade eingeräumt, dass es in Ihrer Regierungsverantwortung durch die Budgetierung dazu gekommen ist, dass notwendige Medikamente nicht mehr verordnet worden sind. Wären Sie bereit, zuzugeben, dass ein Paradigmenwechsel offensichtlich notwendig ist?

Monika Knoche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002701, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Fink, ich nehme Ihre Frage gerne auf. ({0}) Die Frage der Arzneimittelbudgets hängt eng damit zusammen, dass es sektorierte Budgets gibt. Es ist Ihnen und sicherlich auch der Öffentlichkeit bekannt, dass es ein Hauptanliegen des Reformkonzepts 2000 war, von der sektorierten Budgetierung wegzukommen und zu einer globaleren, leistungsgerechten und integrativen Versorgung zu kommen. Das ist an den Bundesländern gescheitert, in denen Sie mit Ihren Mehrheiten bekanntlich agiert haben. ({1}) Niemand, der lange Gesundheitspolitik macht, stellt in Abrede, dass Budgetierung kein allzu intelligentes Instrument ist. ({2}) Lieber wäre uns, die Honorierung im ambulanten Bereich würde sich nach diesen evidenzbasierten Kriterien vollziehen. Aber das ist Gegenstand der Selbstverwaltung der KVen. Bislang hat sich erwiesen, dass sich mit diesem Budget im Rücken - deshalb sprach ich von einem robusten Mandat der Politik - in doch nahezu der Hälfte der KVen in Deutschland ein Einhalten dieses Arzneimittelbudgets ohne Qualitätsverluste realisieren ließ. Wenn jetzt die KVen mit Unterstützung des konsensualorientierten Dialogs ({3}) der Ministerin sagen, sie könnten garantieren, die qualitativen Zuwächse und die Versorgungsgerechtigkeit sicherzustellen, dann kann man ihnen die Selbstverantwortung dafür Schritt für Schritt übertragen. ({4}) Ich selber bin der Meinung, es hängt davon ab, ob sie diese hohe politische Kompetenzzuweisung, die sie durch den Sicherstellungsauftrag bekommen haben, tatsächlich erfüllen. Wenn es um die Realisierung eines Vorhabens geht, bin ich der Auffassung, dass sich das, was wir gesellschaftlich wollen, noch immer über Gesetze am deutlichsten ausdrückt. Diese rhetorische Umschreibung wird auch den KVen klarmachen, dass sie, wenn sie sich auf das CDU/CSU-Konzept mit den darin enthaltenen Vorgaben, die politisch zukunftsweisend sein sollen, einließen - das haben Sie zwar nicht gesagt, aber das ist die logische Konsequenz; ich habe Ihnen sehr gerne und genau zugehört -, ihren Sicherstellungsauftrag verlieren. Ich bin mit meiner Antwort fertig. Frau Präsidentin, Sie können die Zeit jetzt weiterlaufen lassen. Ich bin mir nicht sicher, ob die Kassenärztlichen Vereinigungen wissen, dass Sie ihnen mit Ihrem Wettbewerbsmodell den Sicherungsstellungsauftrag aufkündigen und damit ihre Existenz bedrohen. Die Konsequenz aus einer solchen Deregulierungspolitik, wie Sie sie heute vorgestellt haben, sind die völlige Steuerungslosigkeit und keine Sicherheit für die Vertragspartner. Wenn die Kassenärztlichen Vereinigungen das erst einmal verstanden haben, werden sie auch sehr schnell merken, dass ihnen durch Einkaufsmodelle viel engere Korsetts angelegt werden, als wenn sie sich jetzt verpflichten, ein vernünftiges Arzneimittelbudget aufzustellen und vernünftige Honorierungssysteme zu etablieren. ({5}) Das Gleiche gilt für etwas, was Sie hier nicht weiter ausgeführt haben, was aber in seiner systemischen Wirkung ein Reformakt ist, den in der Bundesrepublik Deutschland noch keine Regierung angegangen ist, nämlich dass im Krankenhaussektor mit den DRGs ein neues Preisermittlungssystem gefunden worden ist. Ich kenne diese Thematik gut. Ich bin ausgesprochen für die Entwicklung eines Klassifizierungssystems, das für Transparenz sorgt und mit dem sich Art, Umfang und Qualität der Leistung des Pflegepersonals vergleichbar abbilden lassen; denn dann wissen wir endlich, welche Leistungen mit welcher Qualität in den Krankenhäusern erbracht werden. Das halte ich im Hinblick auf unsere Verantwortung für die Patientenversorgung für sehr wichtig. Ich will aber nicht, dass mit der Einführung der DRGs als Preissystem gleichzeitig Einkaufsmodelle etabliert werden. Ich will, dass die Länder ihre Verantwortung für die Daseinsvorsorge und für die Krankenhauslandschaft behalten. Aber wenn man das umsetzt, was Sie in Ihrer Rede ausgeführt haben, dann können die Ministerpräsidenten die Gesundheitsministerien in ihren Ländern eigentlich abschaffen und künftig darauf hinweisen, dass sich die Daseinsvorsorge über die Börse regele. Darauf wird es am Ende hinauslaufen. Das ist in der Tat keine Politik, die mit dem Auftrag der Daseinsvorsorge kompatibel gemacht werden kann. Wenn wir im Parlament den Begriff „Innovation“ verwenden, bitte ich darum, den Menschen im Land, die uns zuhören, deutlich zu machen, zu welchen großen Umwälzungen die politischen Konzepte der jeweiligen Parteien führen könnten, nämlich dass sie, wenn das umgesetzt würde, was Sie hier vorgetragen haben, keine Garantie mehr hätten, dass die Politik Fehlsteuerungen und Fehlentwicklungen zurückregulieren könnte. Aber wir als Parlamentarierinnen und Parlamentarier müssen nicht nur offen und flexibel sein, wenn das Ziel der Qualitätssicherung erreicht werden soll, sondern auch jederzeit in der Lage sein zu intervenieren, wenn die Selbstverwaltung die Entwicklung nicht in unserem politischen Sinne steuern kann. Das ist moderne Politik auf der Grundlage eines hochmodernen Sicherungssystems namens GKV. Dafür streiten Grüne und Sozialdemokraten. Ich hoffe, dass das auch so bleibt. Bisher gibt es jedenfalls keine gegenteiligen Anzeichen. ({6}) Ich möchte noch kurz auf ein paar andere Bereiche eingehen. Wir müssen auch über die Arzneimittelausgaben reden. Wir wissen - Herr Rebscher, der Vorstandsvorsitzende des Verbandes der Angestellten-Krankenkassen, hat bereits darauf hingewiesen -, dass in Deutschland die Mehrwertsteuer, die auf Arzneimittel erhoben wird, im europäischen Vergleich seit langem am höchsten ist. Das kostet die Kassen fast 5 Milliarden DM. Damit erbringen die gesetzlich Versicherten letztlich eine Haushaltsleistung. Das hat mit dem Verordnungsverhalten der Ärzte nichts zu tun. Es gibt noch viele andere Komponenten, die die Einnahmen- und Ausgabenseite der gesetzlichen Krankenkassen belasten und die nichts mit dem Verordnungsverhalten der Ärzte sowie mit dem Bedürfnis der Patientinnen und Patienten nach adäquater medizinischer Versorgung zu tun haben. Herr Dr. Thomae, ich widerspreche Ihnen ausdrücklich, wenn Sie behaupten, dass die Ausgrenzung einzelner Leistungen - auch im Versorgungssinne - den Patienten irgendetwas bringt. Das, was für die Leistung ausschlaggebend ist, ist immer die medizinische Indikation, also die Entscheidung des Arztes, was für die Behandlung erforderlich ist. Aus diesem Grund ist es, wenn man qualitativ hochwertige Behandlungen anstrebt, völlig verkehrt, den Leistungskatalog einzuschränken, ({7}) zumal die Ärzte und die Krankenkassen selbst festlegen, was den Patientinnen und Patienten nach dem Leistungskatalog zusteht. ({8}) Von diesem Sektor ist der Staat in hohem Maße entfernt. Ich interessiere mich sehr für die diversen liberalen Ideologien, die immer wieder um sich greifen. Mittlerweile muss man sich verteidigen, wenn man sagt: Lasst uns bitte seriöse ökonomische und gesundheitspolitische Diskussionen führen. Wenn Sie den Umfang der Leistungen der GKV auf Kernleistungen reduzieren wollen, ({9}) dann betreiben gerade Sie als Freidemokraten eine Politik hin zu einem Wohlfahrtsstaat. Sie schaffen Mündel, die der Staat subventionieren muss. Das ist das genaue Gegenteil der heutigen Situation. ({10}) Vielleicht sind Ihnen politische Theorien nicht so geläufig. Ich weiß: Neoliberalismus führt zu Paternalismus, man leitet vom Sozialstaat in einen Wohlfahrtsstaat über. ({11}) Gesundheitsleistungen sind in Amerika so teuer - das ist die Wahrheit -, weil der Staat die Ärmsten über Steuermittel finanzieren muss, da sie keine eigenen, gewachsenen Ansprüche auf Leistungen von ihrer Versicherung haben. ({12}) Auch in diesem Hause muss endlich einmal thematisiert werden, welche Dimensionen mit dem, was wir als Sozialstaat und als bürgerrechtliche Freiheit begreifen, verbunden sind. Es muss klar werden, was für die Fortentwicklung des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung von Bedeutung ist. Es ist hochmodern und intelligent, dieses System weiterzuentwickeln ({13}) und sich gegen modische Attitüden seitens des Neoliberalismus immun zu machen. ({14}) Es ist mir egal, wie mich die Wirtschaftsseiten großer Zeitungen zitieren. Ich bin, was diese Sache angeht, sehr ruhig. ({15}) Ich weiß: Mit Ruhe, mit Kompetenz und mit einem robusten Reformwillen werden wir die Bevölkerung überzeugen. ({16}) Sie wird sehen, dass sie sich auf die rot-grüne Gesundheitspolitik verlassen kann und dass es sich lohnt, sich daran zu orientieren. ({17}) Ich teile die Einschätzung - dieser Gedanke wurde heute kurz angesprochen -, dass es rechtfertigungspflichtig ist, die Beitragssatzsouveränität der gesetzlichen Krankenkassen - ich schätze sie hoch - durch die Einführung eines Mindestbeitragssatzes einzuschränken. ({18}) Die Rechtfertigung besteht darin, dass wir die unsozialen Verwerfungen durch einen nicht regulierten Wettbewerb ausgleichen. ({19}) Entscheidend ist, ob es gelingt, dafür zu sorgen, dass sich diejenigen Krankenkassen - ich will nicht von „privilegierten Kassen“ sprechen -, die sich dem allgemeinen umfassenden Versorgungsauftrag gegenüber ihren Versicherten nicht in dem Maße stellen, wie es andere Kassen tun müssen, aufgrund ihrer Mehreinnahmen über den Risikostrukturausgleich an der Ausbalancierung beteiligen. ({20}) Wenn das über das Gesetz erreicht werden kann, dann halte ich einen Mindestbeitragssatz für gerechtfertigt. ({21}) Er ist absolut kein Mittel, das wir freiwillig wählen; vielmehr handelt es sich um eine Interventionsnotwendigkeit. Lieber wäre mir, der RSA wäre schon zu Ihrer Amtszeit eingeführt worden. ({22}) Alle wissen, dass Sie die Probleme des RSA dazu genutzt haben, regionale Beitragssätze einzuführen. Sie wollten doch eigentlich das RSA-System insgesamt aufkündigen. Deshalb hat es einige Zeit gedauert, bis es auf stabile Füße gestellt werden konnte. Jetzt ist der Prozess abgeschlossen. Wenn es erforderlich sein sollte, in diesem System Interventionen zu machen, bin ich dazu bereit, soweit Elemente eines solidarischen Ausgleichs erreicht werden können. Wir werden uns in den Anhörungen darüber unterhalten, wie die Probleme am intelligentesten gelöst werden können. Ich verhehle nicht, dass es in meiner eigenen Fraktion Stimmen gibt, die auf einen freien Wettbewerb setzen. Über den zweiten Halbsatz, in dem es heißt, eine Intervention sei nicht notwendig, soweit der RSA eine bessere Feinsteuerung erhält, der Fehlentwicklungen ausgleicht, ist nicht gesprochen worden. Das alles betrifft aber nur Details. Die wichtige Botschaft lautet: Wir wollen ein solidarisches Sicherungssystem mit wettbewerblichen Elementen, gleichzeitig aber einen selbstbewussten Staat, der die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger durch Regulierung gewährleistet. Das ist die Botschaft. Danke. ({23})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die PDS-Fraktion spricht die Kollegin Dr. Ruth Fuchs.

Dr. Ruth Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000615, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegin Monika Knoche, meine Achtung und meinen absoluten Respekt vor Ihrem Beitrag. Ich hoffe, Ihnen wird es nicht schaden, dass ich Ihnen das sage. ({0}) Das Modell eines Gesundheitswesens, wie Sie es hier vorgestellt haben, ist wirklich zukunftsfähig. Aber ich muss auch sagen: Die Wirklichkeit sieht leider anders aus. Wenn die Bundesregierung auf die Große Anfrage der CDU/CSU-Fraktion unter anderem antwortet, dass sie mit dem Gesundheitsreformgesetz 2000 eine Grundlage für die Zukunftsfähigkeit des Systems geschaffen hat, liegt ein extremer Fall von Realitätsverlust vor. In Wahrheit sind die Probleme nicht gelöst und die zentralen Fragen gar nicht aufgegriffen worden. Beispiele für letzteres sind - trotz der Bemühungen um Integration - die systematische Zersplitterung und die Steuerung des Leistungsgeschehens. Das erfolgt nicht allein nach medizinischer Indikation, sondern - leider - zu beträchtlichen Teilen über das Geld. Reformvorhaben, wie die Stärkung der Hausärzte, integrierte Versorgungsformen oder die Schaffung einer Positivliste, wurden so angegangen, dass entweder keine oder erst nach längerer Zeit Wirkungen erwartet werden konnten, ganz zu schweigen von der Freisetzung von Rationalisierungsreserven. Fast das einzige, was von der Gesundheitsreform sofort spürbar wurde, war ein harter und undifferenzierter Kostendruck für Ärzte, Krankenhäuser und andere Leistungsanbieter. Es war ein Trugschluss anzunehmen, dass man - wie die Regierung heute noch behauptet - mit flächendeckender Mittelverknappung eine rationalere Medizin erzwingen kann. Was die Versicherten erleben mussten, war die Verweigerung oder Verschiebung nicht nur fragwürdiger, sondern leider auch medizinisch notwendiger Leistungen. Das ist die Realität. Die Ärzte wurden mit einem unzumutbaren Arzneimittelbudget und - besonders in Ostdeutschland - einer zunehmend schlechteren Honorarsituation konfrontiert. Das Krankenhauspersonal sieht sich wachsenden Arbeitsbelastungen und zunehmendem Tarifdruck ausgesetzt. Im Ergebnis hat die Reform zu erheblicher Unruhe und Unzufriedenheit in der Bevölkerung geführt. ({1}) Eine solche Entwicklung musste die Bundesregierung früher oder später auf den Plan rufen. Wer wiedergewählt werden will, muss handeln. So war wohl der Wechsel an der Spitze des Ministeriums eine Art Befreiungsschlag des Kanzlers. Die neue Ministerin ist nun mit Schadensreparatur beschäftigt. Ein Beispiel ist der Entwurf des Arzneimittelbudget-Ablösungsgesetzes. Er zeigt den schmalen Grat, auf dem zu balancieren ist; denn einerseits korrigiert er bisherige Fehlleistungen, indem der Kollektivregress abgeschafft und das sektorale Budget durch regionale Ausgabenobergrenzen und Richtgrößen ersetzt wird. Andererseits muss deutlich gesagt werden: Allein mit diesem Gesetz wird die Selbstverwaltung nicht zu einer rationelleren Arzneimitteltherapie kommen. ({2}) Unerlässlich sind flankierende Maßnahmen der Regierung. So muss die ungehemmte Preistreiberei der Pharmaindustrie, vor allem bei pseudoinnovativen Arzneimitteln endlich unterbunden werden. Der weiche Kompromiss zur Festbetragsregelung lässt allerdings befürchten, dass die Regierung weder willens noch in der Lage ist, diesen Kampf aufzunehmen. Frau Ministerin, Sie beklagten vorhin das unterschiedliche Verschreibungsverhalten der Ärzte in den einzelnen KV-Regionen. Liegt das vielleicht daran, dass die Fortbildung der Ärzte in Fragen der Arzneimitteltherapie nicht fachlich unabhängig gestaltet wird, sondern fest in der Hand der Hersteller liegt und über weite Strecken nur aus reinem Marketing besteht? Andere Punkte betreffen die Positivliste, auf die unserer Meinung nach nicht verzichtet werden darf, ({3}) und eine bessere Information der Bevölkerung über Sinn und Nutzen der Arzneimittelanwendung. ({4}) Frau Ministerin, manches an Ihrem gesundheitspolitischen Neuansatz ist verständlich. Passen Sie aber auf, dass Sie nicht zum Spielball der Gewinn- und Einkommensinteressen der Hauptakteure im Gesundheitswesen werden! ({5}) Das dicke Lob der Pharmaindustrie sollte Ihnen schon etwas zu denken geben. Andererseits ist es wirklich ernst zu nehmen, wenn führende Kassenvertreter eine schnelle Konsolidierung der Finanzsituation der GKV anmahnen. Für alle Zweifler am bestehenden Solidarsystem ist gerade die Tatsache steigender Beiträge ein willkommener Angriffspunkt. Deshalb ist ein klar bemessener Einzelschritt zur Verbesserung der Kasseneinnahmen erforderlich. Vorschläge dafür liegen auf dem Tisch und sind schon genannt worden, so zum Beispiel die Halbierung oder Streichung der Mehrwertsteuer auf Arzneimittel, wie sie in einigen europäischen Nachbarländern üblich sind. Wir haben von Anfang an gesagt, dass dies möglich ist. ({6}) Es gibt auch kein Sachargument gegen die ordnungspolitisch richtige Finanzierung des Mutterschaftsgeldes aus Steuermitteln. Beides wäre nur ein Ausgleich für die massive Entlastung des Bundeshaushalts, die bis jetzt immer auf Kosten der GKV und der Beitragszahler realisiert worden ist. Meine Damen und Herren, auf unserer Seite würde das Scheitern dieser Gesundheitsreform eine ernste Besorgnis auslösen. Ihr bedeutendster Vorzug bestand darin, dass sie das Solidarsystem und seine tragenden Bestandteile erhalten will. Wenn aber eine solche Reform die Akzeptanz des Systems nicht stärkt, wird der Boden für jene bereitet, die schon immer ein anderes Gesundheitswesen wollten. Dessen Charakteristika werden von CDU/CSU und F.D.P. unermüdlich propagiert. ({7}) Der heutige Entschließungsantrag der F.D.P. enthält sie in klassischer Form: ({8}) für die Patienten mehr Eigenbeteiligung zusätzlich zu den Versicherungsbeiträgen, für die Beschäftigten im Gesundheitswesen ein harter Rentabilitätsdruck in der medizinischen Arbeit anstelle von Wissenschaftlichkeit und Humanität, ({9}) Regel- und Wahlleistungen sowie ein grenzenloser ökonomischer Wettbewerb von Kassen und Leistungsanbietern. Liebe Kollegen von der F.D.P., Respekt für die klare und folgerichtige Darstellung eines marktgesteuerten Gesundheitswesens in Ihrem Entschließungsantrag. Man kann auch sagen: Bei Ihnen weiß man genau, woran man ist. ({10}) Bei der CDU/CSU muss man immer hin- und herschwenken. Lieber Herr Kollege Thomae, das Problem besteht aber darin, dass Sie Marktmechanismen auf einen Bereich anwenden wollen, in dem - im Gegensatz zur Wirtschaft der Markt gerade nicht mehr effizient ist und keine bessere Bedarfsdeckung hervorbringt. ({11}) Lieber Kollege Thomae, Sie wollen uns nach England schicken, ich schicke Sie in die USA. ({12}) Sagen Sie mir: Wie ist es möglich, dass es in den USA das marktwirtschaftlichste aber zugleich auch das sozial ineffizienteste und mit Abstand teuerste Gesundheitswesen der Welt gibt? Ich möchte nicht, dass ein Drittel unversichert ist. Wenn Sie für dieses System eintreten, dann ist das Ihre Sache. ({13}) - Lesen Sie einmal im Grundgesetz nach, was soziale Marktwirtschaft bedeutet. Ich komme zum Wettbewerb zwischen den Krankenkassen bei uns: Ich bin für einen Qualitätswettbewerb. Der bei uns stattfindende Wettbewerb richtet sich allerdings ausschließlich auf die Quantität. Für mich ist es ein absolut zweischneidiges Schwert, wie dieser in Deutschland durchgeführt wird. Er hat nämlich zur Entsolidarisierung geführt. Durch Ihren Vorschlag fördern Sie eine weitere Entsolidarisierung. Mit Ihrer Politik führen Sie uns noch weiter in eine Sackgasse. Unserer Meinung nach bedeutet Ihre Politik das Aus für ein sozial gerechtes Gesundheitswesen. Die PDS wird alle Kräfte, die dem Druck von Privatisierung und Marktsteuerung des Gesundheitswesens entgegenwirken, unterstützen. Sie wird auf der Seite derer stehen, die die Solidarität im Gesundheitswesen erhalten wollen. ({14}) Aus unserer Sicht müssen die Menschen auch in Zukunft die Gewissheit haben, dass unabhängig vom jeweiligen Geldbeutel alles medizinisch Notwendige getan wird. Für den sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft wäre es verheerend, wenn eine marktradikale Deregulierung auch auf diesen sensiblen Bereich der Daseinsvorsorge durchschlagen sollte. Wir fordern eine strukturelle Erneuerung der gesetzlichen Krankenversicherung und des gesundheitlichen Versorgungssystems, und zwar im Sinne von Solidarität und sozialer Gerechtigkeit. Danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({15})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Das Wort hat der Kollege Aribert Wolf für die CDU/CSU-Fraktion.

Aribert Wolf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003269, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bundeskanzler Gerhard Schröder hat in seiner ersten Regierungserklärung im Deutschen Bundestag am 10. November 1998 ({0}) den Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes zum Gesundheitswesen Folgendes versprochen: Im Gesundheitswesen werden wir die Belastungen der Kranken, vor allem der chronisch Kranken und der älteren Patienten, zurückführen... Wir stehen auch in diesen Bereichen für eine Reform, die sich an den Realitäten orientiert. ({1}) Meine Damen und Herren, was ist heute, drei Jahre später, von diesen vollmundigen Versprechungen geblieben? An diesen Ankündigungen müssen Sie sich messen lassen. Die Krankenkassen erhöhen auf breiter Front die Beiträge. Was bedeutet das für viele Menschen in diesem Land? Dass entgegen den Ankündigungen der SPD auf den Wahlplakaten, auf denen dann auch noch „Wir wollen, dass Sie gesund werden und nicht arm“ stand, die Menschen in Deutschland ({2}) für ihre Krankenversicherung heute so tief in die Tasche greifen und so viel Geld hinlegen müssen wie noch nie zuvor in diesem Land. ({3}) Liebe Frau Knoche, es ist ja interessant, welche tollen theoretischen Überlegungen Sie angestellt haben. Aber Fakt ist doch, dass Sie eine grüne Gesundheitsministerin hatten, die genau diese Beitragssatzerhöhungen in wesentlichen Teilen zu verantworten hatte; sie hat sie doch auf den Weg gebracht. ({4}) Wenn man sich einmal anschaut, was diese Regierung alles versprochen hat, dann erkennen wir, dass nach der Rentenlüge, nach der Ökosteuerlüge und nach dem kaum zu haltenden Versprechen, dass die Arbeitslosenzahlen bis 2002 auf unter 3,5 Millionen gedrückt werden, jetzt auch noch die schrödersche Beitragslücke winkt. ({5}) Meine Damen und Herren von Rot-Grün, glauben Sie denn im Ernst, dass es dieser Regierung gelingt, die Lohnnebenkosten auf unter 40 Prozent zu senken ({6}) und das trotz der vielen Milliarden, die die Bürger wegen der Ökosteuer zusätzlich zu den Milliarden durch die Sozialversicherungsbeiträge zu bezahlen haben? ({7}) Sie werden sehen: Ihr Kanzler wird eines Tages als ein Kanzler der gebrochenen Versprechen in die Geschichte eingehen. ({8}) Das sehen nicht nur wir so. Ich darf Ihnen ein Zitat aus der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung“ vorlesen. ({9}) - Da können Sie schreien, wie Sie wollen: Dieser Journalist brachte es am 20. Juni 2001 sehr treffend auf den Punkt, als er schrieb: Da bringen Autofahrer, Heizöl- und Stromverbraucher jährlich weit mehr als zehn Milliarden Mark zusätzlich auf, damit die Beiträge zur Rentenversicherung um 0,1 Prozentpunkte gesenkt werden können. ({10}) Und dann winkt den Kassenmitgliedern und Arbeitgebern auf einem Schlag die zehnfache Erhöhung des Beitragssatzes zur Krankenkasse. ({11}) Es lässt sich nicht anders beurteilen: Die Gesundheitspolitik ist von der Bundesregierung bei Teilnahmslosigkeit der SPD-Fraktion in ein Fiasko gesteuert worden. ({12}) Genau so ist es. Die Gesundheitspolitik dieser rot-grünen Bundesregierung ist ein einziges Fiasko. ({13}) Denn die Menschen müssen nicht nur mehr für ihre Gesundheit zahlen; vielmehr - und das ist das Schlimmste daran - erhalten sie gleichzeitig weniger Leistungen als jemals zuvor. ({14}) Manchmal glaube ich, dass manche von Ihnen an Gedächtnisschwund leiden. Frau Schmidt, wer hat denn diese Gesetze auf den Weg gebracht? Es ging doch um Ihre Vorschläge und geschah mit Ihren Stimmen. Jetzt fangen Sie - wie bei den Arznei- und Heilmitteln - an, Ihr rot-grünes Gebäude teilweise wieder einzureißen. Sie schaffen doch jetzt Ihr eigenes Budgetierungsgesetz wieder ab. Wenn Sie nicht den Mut haben, ({15}) das Gebäude nicht nur in Teilbereichen einzureißen, sondern es von Grund auf zu renovieren, dann droht Ihnen Sie werden das sehen - das, was mit Gebäuden - diejenigen, die mit Gebäuden zu tun haben, wissen das - dann nun einmal geschieht: Der Rest des Gebäudes wird unkontrolliert einstürzen. Damit fügen Sie dann dem gesamten Gesundheitswesen noch größeren Schaden zu als jemals zuvor. ({16}) Deswegen fordere ich Sie, meine Damen und Herren von Rot-Grün, auf: Sagen Sie den Menschen, wo es lang geht! ({17}) Sie können nicht versuchen, die Menschen mit Beruhigungspillen bis nach der Wahl zu beschwichtigen. Es besteht ein umfassender politischer Handlungsbedarf. ({18}) Wenn Sie nicht handeln, dann werden Sie sehen, dass sich die Probleme sehr schnell zu einer einzigen Katastrophe auswachsen. Lassen Sie es mich einmal so beschreiben: Horst Seehofer hat Ihnen ein Gesundheitswesen hinterlassen, das man mit einem modernen, technisch einwandfreien, frisch gewaschenen und voll getankten Fahrzeug vergleichen kann. ({19}) Als Sie die Regierungsverantwortung übernommen haben, gab es einen Überschuss von 2 Milliarden DM in der gesetzlichen Krankenversicherung. ({20}) Horst Seehofer hat auch die Fahrtrichtung richtig vorgegeben: mehr Freiheit, mehr Wettbewerb und Vorfahrt für die Selbstverwaltung. ({21}) 1998 gab es keine staatlich geregelten Budgets, keine staatlichen Regulierungen, die der Selbstverwaltung keinen Gestaltungsspielraum mehr gelassen haben. Sie von Rot-Grün haben unsere Regelungen abgeschafft. Bevor - um im Bild zu bleiben - das Fahrzeug richtig laufen konnte, haben Sie die Fahrtrichtung um 180 Grad geändert. So sind Sie in den Sumpf gekommen. ({22}) Autofahrer wissen, was passiert, wenn ein Fahrzeug keine Bodenhaftung mehr hat. Genau das ist Ihnen passiert: Sie haben kräftig Gas gegeben, sodass die Reifen durchdrehten und es einen fürchterlichen Krach gegeben hat. Trotzdem sind Sie nicht vom Fleck gekommen. ({23}) - Richtig, Dreck hat es auch gegeben. - Deswegen musste Frau Fischer nach einiger Zeit aus dem Auto aussteigen. Jetzt sind Sie am Steuer, Frau Schmidt. ({24}) Sie haben den Auftrag, nicht so viel Krach und so viel Wirbel zu machen und sich ruhig zu verhalten. Das tun Sie auch. ({25}) - Sie hat überhaupt keinen Gang eingelegt. ({26}) Sie versucht nur, sich ruhig zu verhalten. Sie werden sehen, das Fahrzeug, also unser Gesundheitswesen, steht nach wie vor im Sumpf. Wenn man nichts unternimmt, hilft das nicht weiter. Das Auto wird immer weiter einsinken. Liebe Frau Ministerin, da hilft nur eine radikale Umkehr. Verlassen Sie dieses sumpfige Gelände, kehren Sie zum seehoferschen Ausgangspunkt zurück und fangen Sie neu an! ({27}) Schlagen Sie doch einmal die Fahrtrichtung der Union ein, die wir vorgegeben haben! Der Kollege Ulf Fink hat sie schon aufgezeigt: ({28}) keine Budgetierung und keine staatliche Reglementierung. Auch Sie werden sehen, dass Sie eines Tages nicht daran vorbeikommen, auf mehr Eigenverantwortung, auf mehr Wahlfreiheit für die Versicherten, auf mehr Transparenz und auf mehr Wettbewerb zu setzen. Sie werden sehen - wie es schon bei der Rente der Fall war -, dass es auf Dauer dazu keine tragfähige Alternative gibt. Wir wissen doch alle um die demographischen Probleme in unserem Land, die auch vor dem Gesundheitswesen nicht Halt machen. Wir wissen um die drängenden Fragen der Versorgungsqualität. Hier muss die Politik schnell handeln und darf nicht erst nach der Bundestagswahl damit beginnen, konkrete Maßnahmen anzupacken. Nehmen wir zum Beispiel einmal die Arbeitsbedingungen im Krankenhaus. Frau Schmidt-Zadel, da können Sie lachen, so viel Sie wollen: Haben Sie sich einmal mit den personellen Engpässen auf einer Intensivstation auseinander gesetzt? ({29}) Meine Frau ist Journalistin. Sie war neulich in Greifswald auf einer Intensivstation und hat ein Ärzte- und Pflegeteam bei der Arbeit begleitet. Sie konnte feststellen, welche Arbeitsbedingungen der Budgetdruck diktiert. ({30}) Nach zehn Stunden Nachtdienst am OP-Tisch können die Ärzte und Pfleger am nächsten Tag nicht einfach nach Hause gehen. ({31}) Daran schließt sich noch ein Bereitschaftsdienst an, der sich nicht gerade durch Ruhe auszeichnet. Wir können von diesen Menschen doch nicht erwarten, dass sie am nächsten Tag nicht gereizt reagieren, sondern immer noch ein nettes Wort auf den Lippen haben und immer noch zu menschlicher Zuwendung fähig sind. ({32}) Ich frage Sie: Überfordern wir nicht viele, die im Gesundheitswesen - von der Altenpflege einmal ganz zu schweigen - einen hohen Arbeitseinsatz leisten? Sie können doch nicht einfach nichts tun, die Dinge laufen lassen und nur irgendwelche theoretischen Ausführungen machen. Nein, hier muss die Politik jetzt konkrete Antworten geben. ({33}) Lassen Sie sich ins Stammbuch schreiben: Das Leben bestraft nicht nur den, der zu spät kommt, sondern auch den, der nichts tut. Deswegen, Frau Ministerin, fordere ich Sie auf: Geben Sie konkrete Antworten auf die Forderungen des Hartmannbundes, der uns vorrechnet, dass allein in deutschen Krankenhäusern infolge der Einsparungen durch Budgetkürzungen heute bis zu 15 000 Ärzte und bis zu 10 000 Pflegekräfte fehlen! Hier muss die Politik Entscheidungen treffen und Antworten geben. Darin liegt Ihre Aufgabe und nicht darin, in Talkshows aufzutreten. ({34}) Die Warnzeichen sind unübersehbar. Es ist Dampf im Kessel, der sich einen Ausweg sucht. Im Gesundheitswesen muss jetzt gehandelt werden, bevor die Dinge außer Kontrolle geraten. Frau Ministerin, ich gebe Ihnen den guten Rat: Handeln Sie rechtzeitig! Sonst werden Sie erleben, dass auch Ihre Tage als Ministerin gezählt sind. Ich danke Ihnen. ({35})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Das Wort für die SPDFraktion hat der Kollege Dr. Hansjörg Schäfer.

Dr. Hansjörg Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002768, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Große Anfragen haben ein Ziel. Ihres ist die Abschaffung der solidarischen Krankenversicherung in der jetzigen Form. Sie gehen dabei von der Behauptung aus, dass die Einnahmen auf Dauer die notwendigen Ausgaben nicht decken. Ihre Konsequenz: Sie wollen ein anderes System, und zwar ein System, das die Belastung der Kranken erhöht. ({0}) Sie wollen die Aufspaltung der GKV in einen Kern- und einen Wahlteil, wobei nach Ihren Vorstellungen unter anderem Mutter-Kind-Kuren, Zahnersatz und Kieferorthopädie für Erwachsene zum Wahlteil werden. Ich zitiere Herrn Lohmann aus dem „Deutschen Ärzteblatt“. Er beziffert die möglichen Einsparungen dabei auf 25 Milliarden DM. Wer zahlt denn das? - Das zahlen nach Ihren Vorstellungen die Patienten. ({1}) Wie ein roter Faden zieht sich durch die Anfrage Ihr Ansinnen, die GKV auf eine Grundversorgung zu reduzieren. Wenn man wie der Kollege Storm, Ihr Obmann in der Enquête-Kommission „Demographischer Wandel“, formuliert - ich zitiere -: Der Leistungskatalog in der GKV muss alle therapeutisch notwendigen Maßnahmen beinhalten und eine umfassende Prävention gewährleisten so kann ich dem folgen. ({2}) Schwierig wird jedoch Definition des therapeutisch Notwendigen. Hier scheiden sich die Geister. Wir verstehen darunter eine ausreichende, qualitativ hochwertige Versorgung. Wir sind davon überzeugt, dass die Einsparpotenziale noch lange nicht ausgeschöpft sind. Ich denke hier vor allem an den Arzneimittelsektor und den stationären Bereich. ({3}) Gleichwohl wird in der Zukunft zu diskutieren sein, wie die Finanzierungsgrundlagen der GKV zu verbreitern sind: etwa, wie der Deutsche Ärztetag in Ludwigshafen vorgeschlagen hat, durch Einbeziehung aller Einkunftsarten oder, was andere vorschlagen, durch die Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze. Beides, Rationalisierung und Verbreiterung der Einnahmebasis, wird die GKV langfristig absichern. ({4}) Die Verlagerung der Risiken auf den kranken Menschen ist der falsche Weg. ({5}) Wir sind der Überzeugung, dass sich der Leistungskatalog der GKV über die Jahrzehnte bewährt hat. Eine Binsenweisheit ist dabei, dass er sich an neue medizinische Erkenntnisse anpassen und vor allem Über-, Unter- und Fehlversorgung vermeiden muss. Aber das haben wir ja bereits im Rahmen der Gesundheitsreform 2000 begonnen. Wichtig ist uns insbesondere, dass auch sozial- und familienpolitische Risiken, die durch Krankheit entstehen, abgefedert werden. Insofern sagen wir: Der Leistungskatalog entspricht dem Prinzip der Solidarität. Er ist umfassend, er erfasst das medizinisch Notwendige und er macht das therapeutisch Sinnvolle möglich. ({6}) - Das wird man sehen. ({7}) Sicherlich müssen wir auch den Mut haben, die Diskussion stärker auf die medizinisch nicht notwendigen Leistungen zu lenken. In der Antwort der Bundesregierung werden zum Beispiel nicht indizierte radiologische Untersuchungen genannt. Ganz typisch sind hier Doppeluntersuchungen bei stationärer Einweisung. ({8}) Wir werden uns auch noch über Qualität und Notwendigkeit vieler Mammographien unterhalten müssen. Der europäische Vergleich zeigt uns bei diesem Thema, dass Quantität und Qualität hierzulande massiv auseinander klaffen. Auch zu weit gestellte Operationsindikationen wie zum Beispiel bei Appendizitis oder bei gynäkologischen Erkrankungen bedürfen mit Sicherheit der Qualitätsüberprüfung. ({9}) Diese Beispiele weisen eindeutig nach, dass Qualitätsverbesserung nicht notwendigerweise mit Mehrkosten einhergeht, sondern, im Gegenteil, erhebliche Kosten sparen kann. Für organisatorische Abläufe und bessere Verzahnung der verschiedenen Sektoren gilt das Gleiche. ({10}) Ich bin der festen Überzeugung, dass die Ausschöpfung der Rationalisierungsreserven und die Verbesserung der Qualität in der medizinischen Versorgung zwei Seiten einer Medaille sind, und zwar gute Seiten. Wenn so Rationalisierung und Qualitätssicherung Hand in Hand gehen, werden die Beitragssätze so bleiben, wie sie sind. Dem widerspricht auch die Beitragserhöhung der AOK Hessen und einiger Betriebskrankenkassen nicht. Ich bin mir jedoch darüber im Klaren, dass dies einen stabilen Arbeitsmarkt voraussetzt. Eine deutliche Qualitätsverbesserung wird auch die Vernetzung präventiver, akuter und rehabilitativer Therapieformen bringen. Ziel des Sozialgesetzbuches IX, über das wir derzeit beraten, ist es, dauerhafte Behinderungen von vornherein zu vermeiden. Das erfordert aber nicht nur ein neues Gesetzbuch, sondern auch die Qualifizierung von Ärzten im Reha-Bereich. An dieser Stelle erinnere ich an die Notwendigkeit einer neuen Approbationsordnung, die auch das Ausbildungsziel „Rehabilitation behinderter Menschen“ enthält. Seit der letzten Legislaturperiode hat sich in dieser Hinsicht nichts bewegt. Es wird Zeit, dass dieses wichtige Anliegen in den nächsten Wochen ein wesentliches Stück vorangebracht wird. ({11}) Hier müssen sich vor allem auch die Länder bewegen, ({12}) auch ({13}) diejenigen, an deren Regierungen die F.D.P. beteiligt ist. ({14}) Weiterhin müssen wir Krankenhaus- und niedergelassene Ärzte für die Mitwirkung an Rehabilitationsmaßnahmen fit machen. Auf diesem Gebiet ist Weiterbildung also ein zentrales Anliegen. Wichtig ist der Aufbau ambulanter Rehabilitationsangebote, um so langfristig eine konsequente Verzahnung ambulanter und stationärer Reha-Angebote zu erreichen. Das Prinzip, das in der kurativen Medizin gilt - so viel ambulant wie möglich -, muss auch für die Rehabilitation gelten. Die gleiche Stoßrichtung hat die Leistung Soziotherapie. Sie verhindert wiederholte stationäre Aufenthalte. Die Kosten der ambulanten Soziotherapie werden durch Einsparungen im stationären Bereich mehrfach ausgeglichen. ({15}) Die stärkere finanzielle Förderung der Selbsthilfe wird ähnliche Effekte haben. Eine Stärkung der Eigenverantwortung trägt ganz wesentlich dazu bei, sich mit Krankheiten aktiv auseinander zu setzen und deren Folgen eher zu bewältigen. Einen meiner Meinung nach übertrieben breiten Raum in der Großen Anfrage nehmen die Urteile des Europäischen Gerichtshofes und ihre Folgen ein. Sicherlich wäre die theoretische Konsequenz eine Steigerung der Ausgaben der GKV, aber eine massenhafte Inanspruchnahme dieser Möglichkeiten ist noch nicht einmal im grenznahen Raum vorstellbar. Um aber einer falschen Entwicklung vorzubeugen, ist der Weg von Verträgen mit ausländischen Versicherungsträgern und Leistungserbringern denkbar, über den allerdings erst im Licht weiterer EuGH-Urteile zu entscheiden wäre. Einen zu Recht breiten Raum in Ihrer Anfrage nimmt die Prävention ein. Die alte Volksweisheit „Vorbeugen ist besser als Heilen“ hat für die GKV zweifache Bedeutung. ({16}) Zum einen verfolgt sie das Ziel, die Gesundheit der Bevölkerung nachhaltig zu steigern, zum anderen hat sie logischerweise den Zweck, die Kosten zu senken. Das Gesundheitsreformgesetz 2000 hat in § 20 SGB V Leistungen zur Primärprävention, zur betrieblichen Gesundheitsförderung und zur Verbesserung der Selbsthilfeförderung geregelt. Prävention kann nicht alles, aber wir erwarten von Prävention, die im Kindesalter beginnt, eine deutliche Verringerung der Gesundheitsrisiken im weiteren Leben. Insbesondere die Steigerung der Lebenserwartung und die Vermeidung chronischer Erkrankungen sind Erfolge einer konsequenten Verhaltens- und Verhältnisprävention. Einen großen Stellenwert nimmt auch die Suchtvorbeugung ein. Nicht zuletzt die Sterbezahlen - beim Rauchen etwa 100 000 Menschen pro Jahr, beim Alkohol rund 40 000 - zeigen die Dimension dieses Problems. Die Folgekosten von suchtbedingten Erkrankungen sind volkswirtschaftlich nur sehr schwer einzuschätzen. Die Größenordnung dieses Problems lässt sich jedoch deutlich an der Zahl von rund 6 Millionen Menschen mit riskanten Alkoholkonsummustern ablesen. Prävention bedeutet hier Aufklärung und die Auseinandersetzung mit suchtfördernden Stoffen. Die vielfältigen Programme und Aktionen zur Suchtprävention möchte ich hier nicht weiter aufzählen. Ich möchte mich jedoch bei dieser Gelegenheit nochmals für das Gesetzesvorhaben „Nichtraucherschutz am Arbeitsplatz“ einsetzen, das in diesem Hause in erster Lesung die Mehrheit gefunden hat. ({17}) Erwähnen muss man die vielfältigen Initiativen und Programme wie zum Beispiel „Europa gegen den Krebs“, die Aufklärungsaktion „Kampf dem Herzinfarkt“ oder auch die Kampagne gegen die Osteoporose. Sicher wird auch die Prävention umweltbedingter Erkrankungen in Zukunft einen noch größeren Raum einnehmen. Die Osteoporose-Problematik ist eines der besten Beispiele, um die Notwendigkeit von Prävention aufzuzeigen. Pro Jahr sterben mehr Frauen an dieser Krankheit als an Brust- und Magenkrebs zusammengenommen. Der nicht medikamentösen und der medikamentösen Vorbeugung von Osteoporose kommt eine enorme Bedeutung zu. Das Risiko von Oberschenkelhals- oder Wirbelbrüchen kann um bis zu 70 Prozent gemindert werden. Es ist jedoch zu beachten, dass die Östrogentherapie weiterhin im Hinblick auf die Möglichkeit anderer Risiken wie Brustkrebsinzidenz beobachtet werden muss. Dies gebietet sich von selbst; aber es deutet sich auch an, dass die Folgen bei weitem nicht so dramatisch sind, wie sie ohne eine Östrogenbehandlung wären. Gesundheitliche Prävention beschränkt sich nicht auf die Gesundheitspolitik. Sie betrifft praktisch alle Ressorts: Ob im Bereich Umweltschutz, ob bei der Verkehrsplanung, ob beim Arbeitsschutz, überall begegnen wir der Notwendigkeit der gesundheitlichen Prävention. Die Antwort der Bundesregierung beschreibt eine Vielzahl von Initiativen, Gesetzesänderungen und Modellprojekten, deren Ziel es ist, Prävention in alle Politikfelder einzuführen. Ich gehe noch kurz auf ein Thema ein, das in Ihrer Anfrage leider keine oder nur eine untergeordnete Rolle spielt und zu dem meine Fraktion einen Antrag formuliert hat: die frauenspezifische Gesundheitsversorgung. In diesem Antrag wird auf die Tatsache aufmerksam gemacht, dass Frauen anders als Männer erkranken: Sie haben andere Krankheitsverläufe, gehen anders mit ihren Krankheiten um und nehmen sie anders wahr. ({18}) - Herr Wolf, das war ein müder Witz. Aber das adelt Sie. Das zeigt sich in den unterschiedlichen Zahlen verschiedener Erkrankungen wie Depressionen, psychosomatische Beschwerden oder Medikamentenabhängigkeit. Konsequenzen müssen in Forschung, Datenerhebung, Berichterstattung und Fördervorhaben erfolgen. Damit wird endlich ein lange vernachlässigter Bereich der Gesundheitsversorgung einer öffentlichen Diskussion zugeführt. Die Tendenz Ihres gesamten Fragenkomplexes ist klar - ich wiederhole es -: Sie wollen ein anderes System, Sie wollen eine Minimalversorgung durch die GKV, während alles andere zusatzversichert und privat finanziert sein soll. Wir hingegen wollen weiterhin eine solidarische Krankenversicherung, die alles leistet, was medizinisch notwendig und therapeutisch sinnvoll ist, nicht weniger. Wir wollen dabei die Belastungen der Beitragszahler stabil halten. Mit der Gesundheitsreform 2000 haben wir uns auf diesen Weg begeben. Wir werden ihn weiter gehen. Vielen Dank. ({19})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Jetzt spricht Herr Kollege Detlef Parr für die F.D.P.-Fraktion.

Detlef Parr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001676, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bis heute haben SPD und Grüne einen quälend langen Lernprozess hinter sich gebracht. Zu Recht heißt es in dem Gesetzentwurf, wenn auch etwas lapidar und verschämt, dass das stringente Arzneimittelbudget, verbunden mit einer Kollektivhaftung der Ärzte, mit erheblichen Umsetzungsproblemen behaftet gewesen sei. Kollegin Schmidt-Zadel, die jetzt leider nicht mehr im Saal ist, verharmloste den Rückzieher in unserer Heimatzeitung mit dem Hinweis, die Budgets seien nicht intelligent. Nein, meine Damen und Herren, man muss es schon deutlicher sagen: Die Wiedereinführung der Ausgabendeckelung mit dem Regierungswechsel war grober Unfug. ({0}) Sie hätten Patienten und Ärzten manchen Ärger und manche Sorge erspart, hätten Sie das Neuordnungsgesetz von 1997 wenigstens in diesem Bereich unangetastet gelassen. ({1}) Wird nun wenigstens das, was lange währt, wirklich gut? Wir haben unsere Zweifel. Statt die arztgruppenspezifischen Richtgrößen zum bestimmenden Faktor zu maDr. Hansjörg Schäfer chen und auf dieser Ebene festzulegen, was für eine ausreichende Versorgung der Patienten mit Arzneimitteln notwendig ist, wird das Ausgabenvolumen zur bestimmenden Größe. Das Ausgabenvolumen ist aber im Prinzip nichts anderes als das heutige Arzneimittelbudget. Das zeigt sich darin, dass für den Übergang auf die Ausgabenvolumina vorgesehen ist, die Budgets des Jahres 2001 zur Grundlage zu machen. Insbesondere dann, wenn Vereinbarungen in die Schiedsstelle gehen, wird dieser gar nichts anderes übrig bleiben, als auf die alten Werte zurückzugreifen. Das Arzneimittelbudgetablösungsgesetz droht dann zu einem bloßen Arzneimittelbudgetanpassungsgesetz zu werden. Das aber darf nicht geschehen, meine Damen und Herren. Veränderungen in der Zahl oder Struktur der Versicherten oder durch Markteinführung innovativer Arzneimittel sollen zwar berücksichtigt werden, jedoch wiederum nicht auf der Ebene der Richtgrößen, die für den einzelnen Arzt von entscheidender Bedeutung sind, sondern auf der Ebene der Ausgabenvolumina. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Praxis zu Folgendem führen wird: Die Ärzte haben nun zwar nicht mehr mit einem Kollektivregress zu leben, dafür aber mit einem viel stärker drückenden Instrument, nämlich den Richtgrößen, die nicht aufgrund medizinischer Notwendigkeiten bestimmt werden, sondern indem das Ausgabenvolumen nach bestimmten Kriterien aufgeteilt wird. Zudem gerät der Arzt bereits ab einer Überschreitung von 5 Prozent in die Wirtschaftlichkeitsprüfung und nicht etwa, wie es unter der alten Koalition der Fall war, erst ab 10 Prozent. ({2}) In der Begründung zu § 84 Abs. 1 heißt es: Versorgungsziele sollen z. B. die eingeschränkte Verordnung von Arzneimitteln mit ... nicht oder nicht ausreichend nachgewiesener therapeutischer Wirksamkeit zum Gegenstand haben. Das bedeutet, dass die Selbstverwaltung de facto bestimmte Arzneimittel von der Verordnung ausschließen soll. Wie passt das mit der Rechtsprechung zusammen, die dem Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen eine solche Kompetenz abgesprochen hat und dies auf der Ebene der Vertragspartner Krankenkassen und Ärzte sicherlich nicht anders sehen wird? Ich möchte noch eine Bemerkung zum CDU/CSU-Antrag machen. Sie fordern zu Recht, dass die Versicherten über Umfang und Kosten der von ihnen in Anspruch genommenen Leistungen direkt und zeitnah unterrichtet werden. Wir brauchen bei weiteren Reformschritten aber ein bisschen mehr Mut. Gehen Sie doch mit uns ein entscheidendes Schrittchen weiter! Lösen wir das Sachleistungsprinzip endlich durch die Kostenerstattung ab! ({3}) Das brauchen wir auch vor dem Hintergrund von Europa. Dies ist ein ebenso dringend notwendiger Schritt wie die Abschaffung der Honorarbudgetierung für die Ärzte und der Krankenhausbudgetierung. ({4}) Wir brauchen ein Gesundheitssystem mit mehr Eigenverantwortung, Wettbewerb, Wahlfreiheit und Transparenz. Manchmal gibt der Druckfehlerteufel allerdings Anlass zum Schmunzeln bei ernstem Hintergrund. So wird in dem Entwurf in Art. 1 Ziffer 6 Zeile 2 von „Richgrößenvolumen“ gesprochen. Bleibt nur zu hoffen, dass es bei SPD und Grünen genügend „Riechgrößen“ gibt, die sich auf die Fährte zu diesem liberalen Gesundheitssystem setzen. Danke. ({5})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Nächster Redner ist der Kollege Fritz Schösser für die SPD-Fraktion.

Fritz Schösser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003230, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestern noch haben die Kollegen Seehofer und Lohmann öffentlich angekündigt, sie würden der Regierung in Sachen Gesundheitsreform ordentlich Feuer machen. Heute haben sie bis jetzt zwei feuchte Streichhölzer gezündet: Ulf Fink hat wider besseres Wissen die Rezepte der Fraktion verteilen müssen und von Herrn Wolf wissen wir, was er in dieser Frage zu erzählen hat. ({0}) Meine Damen und Herren, mit einer Großen Anfrage zur Zukunft des Gesundheitswesens stellt die CDU/CSU der Bundesregierung 124 Fragen. Offensichtlich sind Sie im Formulieren von Fragen geübter als im Lösen von Problemen, wenn Sie selbst in der Regierungsverantwortung stehen. ({1}) Ich werde bei einem Großteil dieser Fragen den Eindruck nicht los, dass Sie jetzt von uns wissen wollen, was Sie über 16 Jahre hinweg falsch gemacht haben. ({2}) Nur wenige Ihrer Fragen basieren nämlich auf neuen Erkenntnissen. Das merkt man schon an der ersten Frage. Sie lautet sinnigerweise: Hat sich der in der über 100-jährigen Entwicklung der GKV bis heute aufgebaute Leistungskatalog bewährt? Wenn nein: In welche Richtung will die Bundesregierung den Leistungskatalog verändern? Warum eigentlich „wenn nein“? Warum fragen Sie nicht: „wenn ja“? Warum verbinden Sie diese Frage eigentlich nicht mit der Frage: Wie können wir gemeinsam den Leistungskatalog stabil halten und mit den vorhandenen Ressourcen auch finanzieren? Das wäre eine Frage, die zu stellen ist. ({3}) Sie hätten gut daran getan, wenn Sie all diese Fragen zwischen 1993 und 1998, als der Gesundheitsminister Seehofer hieß, gestellt hätten. Aber damals, vor drei Jahren, gab es anscheinend nichts mehr zu regeln. Denn auf die Frage: „Werden Sie noch einmal für ein Ministeramt zur Verfügung stehen, falls die Koalition die nächste Bundestagswahl gewinnt?“, antwortete Seehofer: Ja, aber als Gesundheitsminister sehe ich nicht mehr viele Betätigungsfelder; denn wir haben in den letzten fünf Jahren alles erledigt, was wir uns vorgenommen haben. ({4}) Das war im Juli 1997. Zur gleichen Zeit - Herr Wolf, daran wird deutlich, was uns Herr Seehofer hinterlassen hat lauteten die Überschriften in den Zeitungen: „Seehofers Selbstdemontage“, „Seehofers chaotische Gesundheitsreform“ ({5}) oder „Vom Musterknaben zum Prügelknaben“. Unsere gemeinsame gute Bekannte, die „Süddeutsche Zeitung“, schrieb am 9. März 1998: Als Bettvorleger gelandet. Am 23. März schrieb sie: Seehofers Bananenrepublik. Am Ende war er amtsmüde. Dem Herrn Seehofer - er ist leider nicht mehr da - kann ich nur sagen: Ihnen konnte eigentlich nichts Besseres passieren, als die Wahl zu verlieren. ({6}) Er war am Ende der Don Quichotte, die traurige Gestalt des Gesundheitswesens. Dies ist das wahre Bild des Jahres 1998. ({7}) In diese Situation - das sage ich klar und deutlich wollen wir unsere Ministerin nicht bringen. ({8}) Wir werden nichts aussitzen. Wir werden sehen, welcher Handlungsbedarf vorhanden ist, und wir werden handeln. Wir werden erst einmal das tun, was schon jetzt getan werden muss und getan werden kann. Das ist nicht wenig. Neben dem Arzneimittelbudgetabschaffungsgesetz werden wir weitere Gesetzesvorhaben, auch die Neuregelung der Krankenkassenwahlrechte, in Angriff nehmen, so die Einführung des Wohnortprinzips bei Honorarvereinbarungen für Ärzte und Zahnärzte, die Anpassung über die Festsetzung von Festbeträgen für Arzneimittel, das Pflege-Leistungsgesetz im Hinblick auf Demenzkranke, das Medizinproduktegesetz, das Gesetz zum Risikostrukturausgleich und die Einführung von Krankenhaus-Fallpauschalen. Das Heimgesetz und das Pflege-Qualitätssicherungsgesetz haben wir bereits gelesen. Es ist also nicht so, dass wir nichts tun. Ganz im Gegenteil: Wir packen die Gesetze Punkt für Punkt an. ({9}) Wir sagen auch nicht wie Sie im Jahre 1997, dass es nichts mehr zu tun gäbe. Nein, wir werden mit den Beteiligten an einem runden Tisch eine langfristige Sicherung der bewährten Strukturen erarbeiten ({10}) und das Gesundheitswesen modern, transparent, wirtschaftlich, zukunftsfähig und patientenfreundlich machen. Dabei lassen wir uns nicht treiben. Wir stellen auch niemanden ruhig, wie Herr Seehofer das formuliert. ({11}) Gestern erschien die Presseerklärung von Lohmann und Seehofer zum Thema „Gesundheitspolitik auf der ganzen Linie gescheitert“. ({12}) Diese Erklärung, Herr Thomae, kommt leider drei Jahre zu spät. ({13}) Darin erklären sie unter anderem - ich will Ihnen das gern nachweisen -: Die Menschen erhalten immer weniger Leistungen und müssen dafür immer mehr bezahlen. Dazu kann ich nur sagen: Welch eine Realsatire! Sie ist eigentlich nicht mehr zu überbieten. Was haben Sie für ein Kurzzeitgedächtnis? Das ist ja schon krankhaft. ({14}) Wer war es denn, der allein nach dem 1. Juli 1997 - Herr Thomae, Sie stellen sich auch noch hin und sagen: Darauf sind wir stolz - bei Mütterkuren den Eigenbeitrag erhöht hat? Wer hat den Eigenbeitrag bei Rehabilitationskuren angehoben? ({15}) Wer war für die Zuzahlung in Höhe von 20 Prozent für Bandagen und andere Hilfsmittel? Wer hat die Kuren auf drei Wochen gekürzt? Wer hat das Krankengeld um 10 Prozent gekürzt? Wer hat den Zuschuss für die Brillenfassungen gestrichen? Wer hat den nach 1978 geborenen Kindern den Zuschuss für Zahnersatz und Kronen gestrichen? Sagen Sie uns das einmal! ({16}) - Das ist die Wahrheit, Herr Thomae. Zur Wahrheit gehört auch, dass wir eine Reihe dieser unsozialen Belastungsspitzen wieder abgeschafft haben. Heute gibt es für den Krankenversicherungsbeitrag nicht weniger Leistung, sondern mehr. ({17}) - Wahrscheinlich sind Sie nicht gesetzlich krankenversichert, sonst würden Sie anders reden. Ich bin bei der AOK versichert und kann Ihnen aus eigener Erfahrung sagen, was da läuft. Herr Thomae, Sie reden immer nur über Dinge, die Sie nicht betreffen. ({18}) Wir wissen, dass das Gesundheitswesen in Deutschland im Hinblick auf Mitteleinsatz und Nutzen, also in Bezug auf die Effizienz, nach einer Studie der Weltgesundheitsorganisation in der Welt nur an 25. Stelle steht. Wir liegen auch bei der Lebenserwartung unserer Bevölkerung sowie bei weiteren Gesundheitsfaktoren wie Herz-Kreislauferkrankungen und Krebserkrankungen nur im Mittelfeld vergleichbarer Nationen. Defizite sind auch bei der Bekämpfung chronischer Erkrankungen wie zum Beispiel Diabetes und Asthma auszumachen. Wir zahlen also vergleichsweise mehr Geld als andere für Gesundheitsgüter, erhalten dafür aber nur durchschnittliche, ja mittelmäßige Ergebnisse. Herr Wolf, unsere österreichischen Nachbarn beispielsweise erreichen einen vergleichbaren medizinischen Standard mit einem Aufwand, der - gemessen am Bruttosozialprodukt - um 25 Prozent niedriger ist als bei uns. Welche logische Folge ergibt sich nun aus diesem Tatbestand? Dem Gesundheitswesen steht nach wie vor genügend Geld zur Verfügung. Es wird aber alles andere als optimal eingesetzt. Ich fordere Sie auf: Verteilen Sie nicht weiterhin verbale Ruhekissen an die Schlafmützen unter den Leistungserbringern im Gesundheitswesen! Ihre Behauptung war zum Beispiel - ich zitiere noch einmal Horst Seehofer; er sagt das in „Klartext“ im Oktober 1999 -: In keinem anderen Politikfeld wurde so eisern gespart wie im deutschen Gesundheitswesen. Das ist schlichtweg falsch und ein fatales Signal für die Leistungserbringer. Sie haben nicht gespart; Sie haben Versicherte und Patienten einseitig belastet. Wer so diskutiert, der verteilt Freifahrtscheine für alle, die die Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen mit Füßen treten. Es darf nicht sein, dass weiterhin Geld teilweise in den falschen Kanälen versickert, wo es zwar verbraucht wird, aber entweder wenig oder gar keinen Nutzen hat. Die mit der Gesundheitsreform 2000 beschlossene Budgetierung war also vom Grundsatz her berechtigt. Die Budgetierung sollte alle am Gesundheitswesen Beteiligten dazu anhalten, der Geldverschwendung endlich den Riegel vorzuschieben und Wirtschaftlichkeitsreserven zu mobilisieren. Dem niedergelassenen Arzt sollte dabei eine besondere Schlüsselrolle zukommen. Er verursacht zwar nur 17 Prozent der Kosten, macht aber direkt oder indirekt weitere 28 Prozent als Auslöser geltend. Dafür sollten die niedergelassenen Ärzte auch in hohem Maße die finanzielle Verantwortung mittragen. Statt in dieser Maßnahme nun eine Chance zu erkennen, haben Sie von der Opposition zur Rechten diesen richtigen Gedanken mit Ihrer Polemik politisch verunglimpft und die Ärzteschaft geradezu ermuntert, gegen die Budgetierung Sturm zu laufen. ({19}) Soweit es sich dabei nur um politischen Protest handelte, kann man eigentlich noch darüber hinwegsehen. Man darf aber nicht übersehen, meine Damen und Herren, dass sich damit Partikularinteressen in übler Weise und auf Kosten der Versichertengemeinschaft breit gemacht haben. Unverzeihbar ist das Verhalten einiger Ärzte, sich der Budgetierung trotzig zu verweigern oder sie ohne Not auf dem Rücken der Patienten auszutragen. ({20}) Die Chance, durch die Budgetierung zu mehr Wirtschaftlichkeit und Effizienz zu kommen, ist vertan. Darauf können Sie stolz sein, meine Herren von der Union! ({21}) - Im Wesentlichen rühren sich dabei ja die Herren, die Herren Wolf, Lohmann, Seehofer usw. Ich wollte die Damen an der Stelle noch schonen. Sie kommen erst nachher. Das werde ich dann mit Zwischenrufen machen. Es geht also darum, Einsparziele zur Geltung zu bringen. Jetzt aber gilt es, die Vertrauensbasis zu stärken, also den Schaden, den Sie mit Ihrer Polemik angerichtet haben, einigermaßen wieder zu bereinigen. Deshalb wird es ein Arzneimittelbudget-Ablösungsgesetz geben. Dieses Gesetz wird sich von Ihrer Gesetzesinitiative unter anderem dadurch unterscheiden, dass wir den Vertragspartnern klar und eindeutig mit auf den Weg geben, auf KV-Ebene Prüfungen nach Richtgrößen vorzunehmen und abgestufte Sanktionen bis hin zu einem Regress für die Ärzte festzulegen, die unwirtschaftlich verordnen. Das ist die Konsequenz. Großzügige Freigrenzen, wie Sie sie beispielsweise vorsehen, sind meines Erachtens geradezu lächerlich. ({22}) Regressnotwendigkeiten festschreiben zu wollen, wenn die Richtgrößen um 25 Prozent überschritten sind, das öffnet Tür und Tor für die Verschwendung. Also: Die Ärzte bleiben auch nach dem Wegfall der Kollektivhaftung in der Verantwortung. Insbesondere die Ärzteschaft muss klar wissen, dass die Bundesgesundheitsministerin ihnen ein neuerlich großes Vertrauen mit in die Zukunft gibt ({23}) und dass es jetzt darum geht, dass die Selbstverwaltung im Gesundheitswesen endlich reagiert und ihre Hausaufgaben macht. In diesem Sinne kommen wir, so glaube ich, ein gutes Stück vorwärts und kommen auch nach dem runden Tisch zu einer Reform, die sich sehen lassen kann und die das Leistungsprinzip, das Prinzip der gesetzlichen Krankenkassen in der Bundesrepublik Deutschland auf einen sicheren Zukunftspfad bringt. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({24})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin Annette Widmann-Mauz für die CDU/CSU-Fraktion.

Annette Widmann-Mauz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003259, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Das politische Kalkül Schröders, den Gesundheitsbereich bis zur Bundestagswahl ruhig zu stellen, geht, auch wenn Sie es heute wieder versucht haben, nicht auf. Der Dampf im Kessel einer gescheiterten Politik sucht seinen Ausweg. Die Beitragssätze steigen allein in diesem Jahr dramatisch: bis zu einem Beitragssatzpunkt mehr. Das ist kein Pappenstiel. Das ist die dramatischste Beitragserhöhung der gesetzlichen Krankenkassen, die die Menschen in unserem Land seit Jahren hinnehmen müssen. ({0}) Ich muss schon sagen: All die Reden, die in dieser Debatte von den Vertretern der Koalitionsfraktionen gehalten wurden, zeigen einmal mehr, wie weit Sie sich in so kurzer Zeit, in gerade einmal zweieinhalb Jahren, von der Realität im Gesundheitswesen, aber vor allen Dingen von den Menschen und ihren Befindlichkeiten in unserem Land entfernt haben. ({1}) Die AOK Bayern hat die Anhebung bereits vollzogen: plus 0,5 Prozent. Herr Schösser, ich hätte mich gefreut, wenn Sie heute erläutert hätten, wie Ihre Kollegen vom DGB Bayern bei dieser Beitragserhöhung die Begründung formuliert haben. ({2}) Sie waren ja mit dabei. Es wäre ganz interessant gewesen, zu hören, warum die AOK Bayern die Beiträge erhöht hat. Ich kann ja verstehen, dass Sie dazu nichts gesagt haben; ({3}) denn wenn Sie es getan hätten, wäre allen Menschen in diesem Hause und in unserem Land deutlich geworden, dass der Versuch, den Sie heute machen wollen - zu suggerieren, dass unsere Regierungspolitik daran schuld sei -, nicht aufgegangen wäre. Die Verantwortlichkeiten werden klar Ihrer Regierung zugewiesen. ({4}) - Dass Sie sich heute davor gedrückt haben, die Realitäten und die Wahrheiten, die zu diesen Beitragsbelastungen geführt haben, zu benennen. ({5}) Die AOK Hamburg: plus 4 Prozent. ({6}) Die AOK Hessen hat ebenfalls Erhöhungen beschlossen. Ende nächster Woche heißt es dort: plus 1 Prozent. Weitere Kassen werden spätestens zum Jahreswechsel nachlegen und ebenfalls drastisch erhöhen müssen. ({7}) - Wissen Sie, das ist ganz einfach: Die Bevölkerung - die Beitragszahler - wird Ihre Äußerungen und Ihre Zwischenrufe in wenigen Wochen und Monaten ganz klar anhand der Abrechnungen vergleichen können. ({8}) Da geht eben nichts mehr mit Versprechungen. ({9}) Das Ganze ist die Fortsetzung einer unsäglichen Politik im Gesundheitsbereich.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Frau Kollegin Widmann-Mauz, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Wodarg?

Annette Widmann-Mauz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003259, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich möchte gern fortfahren; denn ich möchte, Herr Wodarg, Ihnen gern ein Zitat Ihres Fraktionskollegen Pfaff - der heute nicht hier sein kann - vorhalten. Wir konnten heute in der „BZ“ nachlesen, was er uns sagen will. In der „BZ“ heißt es - ich zitiere -: Wenn die Regierung nicht schnell etwas zur Entlastung der Krankenkassen tut, sind weitere Beitragserhöhungen unumgänglich. In Ihren eigenen Reihen wird ja die Kritik an Ihrem Kurs immer lauter. ({0}) Hier können Sie lange erzählen. Die Menschen merken es, sie spüren es. Das zeigt nur, wie weit Sie von ihnen entfernt sind. ({1}) Ihnen steht, genauso wie der gesetzlichen Krankenversicherung, das Wasser bis zum Halse. Anfang 2002 wird es eine Flut von Beitragsanhebungen auch bei den Ersatz- und den großen Betriebskrankenkassen geben. 4 Millionen Versicherte allein bei den Betriebskrankenkassen sollen, wenn es nach Ihren Vorstellungen geht, vom 1. Januar 2002 an einen erhöhten Beitrag zahlen, und zwar nur deshalb, weil Sie sich bisher einer echten Reform des Risikostrukturausgleichs verweigert haben. In Ihrer Koalitionsvereinbarung haben Sie den Menschen Beitragssatzstabilität versprochen, um Arbeitsplätze zu schaffen. Ich zitiere: Ziel der neuen Bundesregierung ist es, den Anstieg der Krankenversicherungsbeiträge zu stoppen und die Beträge dauerhaft zu stabilisieren ... Wir werden die Sozialversicherungsbeiträge ... auf unter 40 Prozent senken. Ihre Versprechen haben kurze Beine. Die Lohnnebenkosten werden über die 40-Prozent-Marke steigen und die Arbeitslosigkeit wird nicht weiter sinken. Eine Inflation haben wir heute in Höhe von gut 3 Prozent. Da muss man schon fragen: Nehmen Sie das überhaupt noch wahr? Wissen Sie eigentlich, was das für die Menschen in unserem Land bedeutet? Ich will Ihnen das einmal verdeutlichen: Nehmen Sie einen Facharbeiter, verheiratet, zwei Kinder, Lohn 5 000 DM im Monat. Dieser Mann muss jetzt durchschnittlich 0,7 Prozent zusätzlich für seine Krankenversicherung zahlen. Das sind 210 DM mehr im Jahr. Hinzu kommt bei einer Inflation von 3,5 Prozent eine Einkommensminderung von 2 100 DM. Das bedeuet 2 310 DM weniger im Jahr. Das ist knapp ein halbes Monatsgehalt weniger, was Sie den Menschen durch Ihre Politik zumuten. Da können Sie auch mit der Kindergelderhöhung um 30 DM nichts bewirken. ({2}) Die Menschen haben Monat für Monat weniger Geld in der Tasche. Das ist keine himmlische Heimsuchung, sondern das ist die logische Folge politischer Fehlentscheidungen und die Konsequenz Ihrer Politik. ({3}) Die gesundheitspolitischen Maßnahmen sind von krassen Fehlentscheidungen gekennzeichnet. Auch der liebe Herr Finanzminister Eichel ist kein finanzpolitischer Saubermann. Er arbeitet, gerade was die sozialen Sicherungssysteme angeht, wie ein Taschendieb. Mit den Verschiebebahnhöfen greift der Finanzminister den Beitragszahlern nämlich ebenfalls immer tiefer in die Taschen. ({4}) Verhängnisvoll für die Finanzen der Krankenkassen wirkt sich darüber hinaus die Absenkung der Beitragszahlungen für die Arbeitslosengeld- und Arbeitslosenhilfebezieher aus. Hinzu kommen die Beitragsausfälle durch Ihre willkürlichen politischen Eingriffe hinsichtlich der Absenkung des Rentenniveaus und zukünftig auch in der Konsequenz aus der unsäglichen Rentenreform. Das rechnen Ihnen die Krankenkassen ja vor. Die Belastungen - ich will sie in den Milliardenbeträgen gar nicht weiter differenzieren; Sie kennen sie - sind nicht gesunken, sondern gestiegen. Da nutzt auch das Abkassieren bei den 630-Mark-Jobs nichts; denn am Ende fehlt das Geld. Die Konsequenzen sind klar: Wir haben den Druck, wir haben die Rationierung, und die Qualität in unserem Gesundheitssystem leidet. Wir debattieren heute über die Zukunft des Gesundheitswesens in Deutschland. Wir konnten feststellen und die Menschen merken es: Ihre Politik funktioniert nicht. Sie begrenzen die Einnahmen und versprechen den Menschen alles zu gewohnten Bedingungen. Mit begrenzten Mitteln können Sie aber keine unbegrenzten Leistungen erbringen, ({5}) zumal bei unserer Bevölkerungsentwicklung und dem Fortschritt in der Medizin. ({6}) Die Wirklichkeit - das müssten doch eigentlich auch Sie erkennen - sieht heute ganz anders aus. Die Leistungen, die die Kassen für ihre Patienten bezahlen können, werden immer weniger, die Beiträge immer höher. Ich frage mich wirklich, ob Sie den Unmut der Menschen über die Versorgungssituation nicht sehen oder nicht sehen wollen. Sie müssen für Ihre Fehler jeden Tag mehr bezahlen. Die finanzielle Seite ist die eine, die qualitative die andere. Auch da muss man sich wirklich fragen, ob Sie überhaupt noch in diesem Land leben. Sprechen Sie doch einmal mit Vertretern der einen oder anderen Selbsthilfegruppe. Sie haben vorhin das Beispiel genannt. Chronisch kranke Menschen beklagen sich bei uns über ihre Situation. Sie berichten uns, dass die Versorgung der Menschen immer schlechter wird. Budgetierung bedeutet Rationierung; daran führt nun einmal kein Weg vorbei. Sie können die Menschen auch nicht ständig ruhig stellen, indem Sie den Selbsthilfegruppen zwar einen Titel bei den Kassen versprechen, die Auszahlung durch die Kassen aber angesichts der großen finanziellen Schwierigkeiten immer schleppender vollzogen wird; denn das ist am Ende Augenwischerei, davon hat am Ende niemand etwas. Sie halten Ihre Versprechen nicht. Sie wissen das auch ganz genau, tun hier aber so, als sei das alles nicht wahr. So können Sie mit den Menschen nicht umgehen. Mein Kollege Aribert Wolf hat auf die Situation in den Krankenhäusern durch den vor uns liegenden Fachkräftemangel ({7}) und die Umsetzung des EuGH-Urteils hingewiesen. Ich hätte mir gewünscht, dass die Ministerin dazu heute einmal etwas gesagt hätte! ({8}) Aber keine Aussage dazu. Das sind enorme Kosten, die zusätzlich auf unser System zukommen, und das sind Leistungen, die wir brauchen, damit die Qualität stimmt. ({9}) Aber unsere Gesundheitsministerin schweigt. ({10}) Wir haben - das wissen Sie - einen Mangel an Pflegekräften auch in den Altenheimen. Das kommt schon bald einem Notstand gleich. Uns was machen Sie? Nicht der Personalschlüssel wird verbessert, sondern der Druck auf die Beschäftigten weiter erhöht. Die Beschäftigten können diesem Druck nicht länger standhalten; sie müssen ihn, ob sie es wollen oder nicht, oftmals in der Versorgung an den Patienten weitergeben. Beide, Patienten und Beschäftigte, sind die Opfer Ihrer Gesundheitspolitik. ({11}) - So ist es. Frau Schmidt, Sie können zwar bis zur Bundestagswahl lächelnd durchs Land ziehen und Beruhigungspillen verteilen; aber die Menschen schlucken das nicht so einfach. Es gibt nämlich Missstände, die keinen Aufschub dulden. Diese Situation ist sehr ernst. Ihre gesundheitspolitischen Maßnahmen greifen nicht. Es sind nur bunte Pflästerchen, die die Lage im Gegenteil weiter verschärfen. Sie müssen endlich vernünftig handeln, damit unser Gesundheitswesen eine Zukunft hat, mit mehr Wahlfreiheiten für die Versicherten, mehr Gestaltungsfreiheiten für die Vertragspartner in der Selbstverwaltung und mehr Transparenz und Information für die Beteiligten bezüglich Kosten und Qualität. Nur so stellen Sie den Menschen in den Mittelpunkt. Nur mit dieser Grundausrichtung eines modernen Sozialstaates hat das Gesundheitswesen in unserem Land eine Zukunft. Vielen Dank. ({12})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der F.D.P. auf Drucksache 14/6384. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist gegen die Stimmen der F.D.P.-Fraktion bei Enthaltung der CDU/CSU-Fraktion abgelehnt. ({0}) Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 14/5678 und 14/6309 an die in der Ta- gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Ich sehe Einverständnis im ganzen Hause. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 20 a und 20 b auf: a) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des Wohnungsbaurechts - Drucksache 14/5538 ({1}) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des Wohnungsbaurechts - Drucksachen 14/5911, 14/6145 ({2}) - Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Zweiten Wohnungsbaugesetzes und anderer wohnungsrechtlicher Gesetze - Drucksache 14/627 ({3}) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({4}) - Drucksachen 14/6344, 14/6375 - Berichterstattung: Abgeordnete Wolfgang Spanier Franziska Eichstädt-Bohlig Christine Ostrowski b) - Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr.-Ing. Dietmar Kansy, Dirk Fischer ({5}), Eduard Oswald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Für eine vorausschauende Wohnungs- und Städtebaupolitik - Drucksache 14/6048 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({6}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Reform des Wohnungsbaurechts liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der PDS und jeweils ein Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, der F.D.P. und der PDS vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner für die SPDFraktion ist der Kollege Wolfgang Spanier. - Wo ist er? Es ist Freitagnachmittag. Daher muss alles ein bisschen schneller gehen.

Wolfgang Spanier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002803, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Entschuldigen Sie meine kleine Verzögerung. Aber um diese Tageszeit bin ich wahrscheinlich nicht mehr ganz der Schnellste. Es ist heute nicht nur für die Wohnungspolitikerinnen und Wohnungspolitiker, sondern insgesamt ein wichtiger Tag. Davon darf man sich auch nicht durch die überaus „große“ Zahl von anwesenden Abgeordneten irritieren lassen. ({0}) Heute werden wir die dritte Säule unserer sozialen Wohnungspolitik verabschieden. Der soziale Wohnungsbau hat eine 50-jährige Erfolgsgeschichte hinter sich. Durch ihn ist es auch in ganz schwierigen Zeiten, zum Beispiel in den NachkriegsjahAnnette Widmann-Mauz ren, gelungen, Menschen mit einem Dach über dem Kopf zu versorgen. Aber es war an der Zeit, und zwar schon seit längerem, dass wir den sozialen Wohnungsbau grundlegend reformieren. Ich bin froh, dass heute der Tag ist, an dem dies endlich geschieht. Nach zwei bis drei Jahren Vorbereitungszeit und intensiven Gesprächen zwischen Bund und Ländern können wir heute dieses Gesetz zur sozialen Wohnraumförderung endlich verabschieden. ({1}) Was uns grundsätzlich wichtig ist: Der Bund bekennt sich nach wie vor zu seiner Beteiligung an dieser Gemeinschaftsaufgabe. Es ist eine Gemeinschaftsaufgabe von Bund, Ländern und Kommunen. Die Freien Demokraten nehmen in dieser Frage einer Außenseiterposition ein. Alle Bundesländer, alle wohnungswirtschaftlichen Verbände und natürlich die übergroße Mehrheit in diesem Hause wollen an dieser Gemeinschaftsaufgabe und der Objektförderung, um diesen technokratischen Ausdruck zu gebrauchen, festhalten. ({2}) Dafür gibt es gute Gründe. Nur wenn wir weiterhin Neubau und Modernisierung im Wohnungsbestand fördern, können wir zielgenau fördern, also genau in den Kommunen und Regionen, in denen die Wohnungsnot besonders groß ist. Auch heute gibt es wieder Kommunen, in denen man fast schon wieder von Wohnungsnot sprechen kann. ({3}) München ist dafür das klassische Beispiel. ({4}) Objektförderung ist auch wichtig, weil wir Wohnungspolitik im Zusammenhang mit Stadtentwicklungspolitik sehen müssen und weil sich dieses Gesetz dadurch auszeichnet, dass neue Instrumente eingeführt werden, um die drängenden Probleme in der Stadtentwicklungspolitik tatsächlich ein Stück weit lösen zu können. Dass die Freien Demokraten hier eine Außenseiterposition einnehmen, hat letztlich etwas mit ideologischen Gründen zu tun. ({5}) Sie sind nun einmal davon überzeugt, dass es richtig sei, die Wohnungspolitik allein dem Markt zu überlassen. Allerdings sollten Sie wissen: Der Markt ist sozial blind. Auch Sie sind offensichtlich - das haben Sie mit Ihrem Vorschlag zur Reform des Mietrechts demonstriert - mindestens auf einem Auge sozial blind. ({6}) Wen wollen wir fördern? Die bisherige Zielgruppe des sozialen Wohnungsbaus, nämlich breite Schichten der Bevölkerung, wird ein Stück enger, präziser gefasst. ({7}) Ich sage es einmal mit einfachen Worten: Es werden die kleinen Leute mit kleinen bzw. normalen Einkommen und diejenigen gefördert, die aus anderen Gründen Schwierigkeiten haben, eine Wohnung zu bekommen, und zwar nicht nur in den Städten und Kommunen, in denen sich der Wohnungsmarkt schwierig darstellt. Ein wichtiger Punkt der Modernisierung des sozialen Wohnungsbaurechts ist dessen Vereinfachung. Wir haben dafür gesorgt, dass eine große Zahl von Vorschriften weggefallen ist. Wir setzen nur den Rahmen. Das ist vernünftig; denn wir geben den Ländern und vor allen Dingen Kommunen dadurch Gestaltungsspielraum. Damit sind natürlich die Kommunen - das sage ich als langjähriger Kommunalpolitiker - wieder stärker in der politischen Verantwortung für die Wohnungspolitik in den Städten. Wir bieten Instrumente wie den Kooperationsvertrag an, der es ermöglicht, gemeinsam mit den örtlichen Wohnungsunternehmen die Wohnraumversorgung in der einzelnen Kommune sicherzustellen. Neu ist auch - dies wird sicherlich eher von Fachleuten als entscheidende Neuerung verstanden -, dass wir vom Prinzip der Kostenmiete abgehen, allerdings erst zukünftig, nicht rückwirkend, und zwar in allererster Linie deswegen, weil wir die Mieterinnen und Mieter, die bisher in preiswerten Sozialwohnungen gelebt haben, nicht mit unnötigen, überhöhten Mietsteigerungen belasten wollen. Die Neubauförderung wird nach wie vor wichtig sein. Ich hoffe, dass die Bundesländer die Mittel dort konzentrieren, wo der Wohnungsbedarf am größten ist. In Bayern gab es zum Beispiel im Jahr 2000 nur noch knapp 6 000 öffentlich geförderte Wohnungen. ({8}) Bundesweit sind für den sozialen Wohnungsbau insgesamt Mittel in einer beachtlichen Größenordnung ausgegeben worden. Angesichts dessen ist es sicherlich die Aufgabe der Landesregierungen, die Mittel dort zu konzentrieren, wo der Wohnungsbedarf am größten ist. ({9}) Neu ist, dass wir neben der Neubauförderung auch die Bestandsförderung in das Gesetz aufgenommen haben. Ich glaube, das ist wohnungspolitisch ein wichtiger Schritt. Einkommensgrenzen, Belegungsbindungen und Ausgleichsabgaben werden flexibel gestaltet. Der Bund - das habe ich schon vorhin erwähnt - setzt nur einen Rahmen und schafft Gestaltungsspielraum vor Ort, Regelungen für die Einkommensgrenzen, die Belegungsbindungen und die Ausgleichsabgaben zu treffen. Diese Instrumente können entsprechend der jeweiligen Situation vor Ort - das ist sinnvoll, da die einzelnen Wohnungsmärkte in Deutschland sehr unterschiedlich sind - angepasst werden. Das ist sozusagen kein Einheitsanzug, aber auch kein Maßanzug, sondern eine Art Maßkonfektion. Ich weiß, wovon ich spreche. Diese Instrumente werden ein Stück weit dabei helfen, die Bewohnerstrukturen wieder sozial ausgewogener zu gestalten. Wir alle können nur hoffen, dass die Länder, die Kommunen und die Wohnungswirtschaft die Instrumente, die wir ihnen jetzt anbieten, in den kommenden Jahren konsequent nutzen werden. ({10}) Lassen Sie mich noch etwas genauer auf die Einkommensgrenzen eingehen, weil diese in den Diskussionen der letzten Wochen durchaus eine wichtige Rolle gespielt haben. Wir setzen nur Basisgrenzen. Die Länder können nach oben, aber auch nach unten abweichen. Das kann vor Ort durchaus Sinn machen. Wenn eine Kommune zum Beispiel gezielt den Wohnungslosen helfen möchte, dann ist es durchaus sinnvoll, wenn sie die zu fördernde Zielgruppe enger fasst, um innerhalb von drei bis vier Jahren den Wohnungsnotstand zu beseitigen. Diejenigen, die die Einkommensgrenzen für zu niedrig halten, zum Beispiel die CDU/CSU, bitte ich aber, daran zu denken, dass wir beides sehen müssen: die Einkommensgrenzen und die Einkommensermittlung. Die Freibeträge sind beträchtlich: Beispielsweise werden Paaren unter 40, die keine Kinder haben, im Jahr 4 000 Euro vom Bruttoeinkommen abgezogen. Die Basisgrenzen sind mit dem Bruttoeinkommen eben nicht gleichzusetzen. Ich glaube, dass wir die Verengung nicht zu weit getrieben haben. Immerhin sind auch nach der Reform 40 Prozent der Haushalte wohnungsscheinberechtigt. Die Koalitionsfraktionen haben auf diesem Gebiet zusätzliche Akzente gesetzt. Wir haben dafür gesorgt - ich räume gerne frank und frei ein, dass das auch das Ergebnis einer Diskussion im Berichterstattergespräch war -, dass die alte Regelung für kinderreiche Familien mit drei und mehr Kindern abgeändert wurde, sodass nun von Familien mit zwei und mehr Kindern die Rede ist. Im Hinblick auf die Wohneigentumsförderung durch Mittel aus dem sozialen Wohnungsbau ist das ganz wichtig. Zusätzlich zu den anderen Freibeträgen, die sowieso zur Geltung kommen, haben wir wieder den Freibetrag für Alleinerziehende eingeführt. Außerdem haben wir den im Gesetz bereits verankerten Freibeträgen einen Kinderzuschlag von 500 Euro pro Kind hinzugefügt. Damit ist ganz klar und gezielt ein familienpolitischer Akzent gesetzt worden. Und das ist auch gut so. ({11}) Aufgrund der Beratungen in den Koalitionsfraktionen ist in diesem Gesetzentwurf die Bedeutung des genossenschaftlichen Wohnens - ich schaue meinen Kollegen Dieter Maaß an - unterstrichen. Ich sage Ihnen an dieser Stelle: Neben der Mietwohnung, neben dem selbst genutzten Wohneigentum wird das genossenschaftliche Wohnen in Zukunft von ganz besonderer Bedeutung sein, gerade in den Ballungszentren. ({12}) Da werden wir sicherlich noch mehr als das, was wir mit diesem Reformgesetz jetzt auf den Weg bringen, tun müssen. In der öffentlichen Diskussion der letzten Wochen haben auch die Pauschalen eine Rolle gespielt. Natürlich hat die Wohnungswirtschaft darauf ein besonderes Augenmerk gerichtet. Ich glaube, dass wir durch den von den Koalitionsfraktionen eingebrachten Änderungsantrag eine Lösung gefunden haben, die einerseits eine angemessene Erhöhung - sie war notwendig - sicherstellt und andererseits gewährleistet, dass diese Erhöhung bei allen Wohnungsunternehmen, gleich, welche Wohnungsbestände sie haben, tatsächlich ankommt. Ich komme zu den Finanzen. Sicherlich werden alle Redner der Oppositionsfraktionen, zum Beispiel Herr Dr. Kansy, besonders auf dieses Thema eingehen. Im Gesetz ist nach wie vor die Mindestsumme von 450 Millionen DM, sprich: 230 Millionen Euro, verankert. In diesem Punkt sieht unser Gesetzentwurf keine Änderung vor. Es stellt sich die Frage, inwieweit es möglich sein wird, im Haushalt zusätzliches Geld bereitzustellen. Ich sage Ihnen ganz offen: Ich persönlich und meine Kolleginnen und Kollegen halten einen solchen Schritt durchaus für wünschenswert; aber wir stehen selbstverständlich unter dem Zwang der Haushaltskonsolidierung. Sie sind eigentlich die Letzten, die uns etwas vorwerfen können; schließlich mussten wir Ihren völlig desolaten Haushalt und Ihre völlig desolaten Finanzen - es gab x Schattenhaushalte - übernehmen. Wir müssen endlich wieder das ist keine Aufgabe von zwei oder drei Jahren - festen Boden unter die Füße bekommen. ({13}) Lassen Sie mich zum Schluss noch Folgendes sagen: Soziale Sicherheit ist in einer Zeit, in der überall ein tief greifender Strukturwandel stattfindet, den die Menschen unmittelbar zu spüren bekommen, von hohem Stellenwert; das gilt ganz besonders für das Wohnen. Deswegen halten wir es für wichtig, dass die soziale Wohnungspolitik den Stellenwert bekommt, den sie verdient. Wir haben Wort gehalten: Wohngeldgesetz, Mietrecht und soziale Wohnraumförderung. ({14}) Was wir getan haben, ist auch wohnungspolitisch wichtig. ({15}) - Sie müssen der Präsidentin nicht vorschreiben, wie sie hier zu agieren hat. - Wir haben in diesem Gesetzentwurf die Verzahnung von Wohnungs- und Stadtentwicklungspolitik und - das möchte ich betonen - die regionale Differenzierung der Förderung durchgesetzt. So vorzugehen wird auch im Hinblick auf andere Förderbereiche notwendig sein. Wir stehen vor einem Paradigmenwechsel in der Wohnungs- und Stadtentwicklungspolitik. Die ersten Schritte sind getan; weitere Schritte werden wir in der nächsten Legislaturperiode mit Ihrer freundlichen Begleitung tun. Schönen Dank. ({16})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die CDU/CSUFraktion spricht der Kollege Dr. Dietmar Kansy.

Dr. - Ing. Dietmar Kansy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001064, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Spanier, Sie werden das alles vielleicht in der Opposition, wenn Sie so weitermachen, tun. ({0}) Ein menschlich vernünftiges Verhältnis und ein angenehmes Klima im Ausschuss, so wie wir es bei der Beratung dieser Materie hatten, kann uns aber nicht davon abhalten, ein wenig Klartext zu reden. Glücklicherweise haben Sie zum Schluss Ihrer Ausführungen die Sache etwas aufgemischt. Ich darf zunächst einmal an Folgendes erinnern: Es war im November 1997, als im Bundestag die erste Lesung des Entwurfs eines Wohnraumreformgesetzes stattfand, das von dem damaligen Bauminister der CDU, Klaus Töpfer, vorgelegt worden war. Wesentliche Punkte dieses Entwurfs waren eine neue Bewertung der Zielgruppe - damals von Ihnen abgelehnt -, eine verbesserte und flexiblere Bestandspolitik, die Abschaffung der Kostenmiete - von Ihnen verteufelt -, eine verstärkte Stellung der Kommunen usw. ({1}) Unser damaliger Gesetzentwurf hat die erste Lesung nicht überlebt; denn wir wurden das erste Opfer der lafontaineschen Blockadepolitik. Von wegen Reformstau, meine Damen und Herren von der Opposition! ({2}) In der damaligen Diskussion wurden von Ihnen im Wesentlichen zwei Argumente geltend gemacht: Das eine betraf das Wohngeld, das mit unserem Entwurf überhaupt nichts zu tun hatte. Das zweite Argument betraf, Herr Kollege Spanier, den Verpflichtungsrahmen. Wir hatten damals - wie Sie richtig sagen - genau wie heute 450 Millionen DM zur Verfügung; allerdings hatten wir im letzten Jahr der Regierungszeit von Helmut Kohl tatsächlich noch immer 1,35 Milliarden DM im Haushalt zum Ausgeben. Das ist der kleine Unterschied. Der Kollege Großmann, als sozialdemokratischer wohnungspolitischer Sprecher damals mein Sprecherkollege und heute Staatssekretär, legte einen Entwurf vor Bundestagsdrucksache 13/7841 -, in dem ein ganzes Kapitel dem Thema Finanzsicherheit im sozialen Wohnungsbau gewidmet ist. Es heißt dort: Eine effektive Wohnungsbauförderung ist jedoch nur möglich, wenn eine stetige und angemessene Finanzierung seitens des Bundes und der Länder gewährleistet wird ... Es heißt dort weiter: Der bisherige gesetzlich vorgeschriebene Mindestrahmen für die Bundesfinanzhilfen ist deutlich zu erhöhen. ({3}) Das Gleiche gilt auch für die Kollegen der Grünen. Leider ist die Kollegin Eichstädt-Bohlig, die damals so herumgetobt hat, heute nicht da. Sie forderte - nachzulesen auf Bundesdrucksache 13/7710 - noch im Jahre 1997 1 Milliarde DM, zusätzlich zu den Rückflüssen in den Haushalt im Umfang von 1,6 Milliarden DM. Das ist die Wahrheit. Was bedeutet denn, Herr Spanier, in diesem Zusammenhang „Wort gehalten“? Sie müssen sich das fragen lassen. ({4}) In diesem Zusammenhang ist auch der Hamburger Bausenator Wagner zu nennen, der übrigens noch immer Bausenator ist, aber zugegebenermaßen wahrscheinlich nicht mehr lange. Er hat gesagt, 1,3 Milliarden DM seien „ein weiterer Beweis dafür, dass sich die jetzige Bundesregierung“ - er meinte die damalige Regierung Kohl - „in Wahrheit aus der Verantwortung seitwärts in die Büsche stiehlt“. Wohin stiehlt sich denn die heutige Bundesregierung? So dichte Büsche, wie Sie sie benötigen, gibt es ja gar nicht. Sie werden dabei ertappt, wie Ihr großartiges Reformvorhaben - das wir in Teilen ja mittragen - heiße Luft bleibt, weil das Moos fehlt, um das alles umzusetzen. ({5}) So beraten wir heute nicht zum ersten Mal und fast vier Jahre später - ich sage noch einmal: von wegen Reformstau! - einen solchen Gesetzentwurf. Schwerpunkte sind - siehe da - wieder: eine neue Bewertung der Zielgruppe - diesmal einvernehmlich -, eine verbesserte und flexiblere Bestandspolitik, die Abschaffung der Kostenmiete - diesmal einvernehmlich -, eine Verstärkung der Stellung der Kommunen usw. ({6}) Vieles von dem, was damals strittig war, ist heute vielleicht nicht jedes Detail, aber im Grundsatz - konsensfähig. Das ist gut so. Deswegen verweigert sich die heutige Opposition - jedenfalls was die CDU/CSU-Fraktion betrifft - nicht. Wir haben im Deutschen Bundestag und im Bundesrat konstruktiv mitberaten und an Verbesserungen mitgewirkt; denn in diesem Bereich besteht - wie auch schon vor vier Jahren - ein dringender Reformbedarf. Denn dieses Gesetz ist zumindest seit 1956 Herr Spanier hat es richtig gesagt - in wesentlichen Zügen unverändert geblieben. Meine Damen und Herren, ich möchte auf diesem Wege allen beteiligten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern unseres Ministeriums und auch ihren Kollegen in den Ländern, die daran auch über lange Zeit mitgewirkt haben, herzlich danken. Ich erkenne an, dass die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen auf eine Reihe von Einwänden und Vorschlägen vom Bundesrat und auch von der CDU/CSU-Opposition eingegangen sind. Hierzu gehört zum Beispiel die schon von Herrn Spanier angesprochene Pauschalenregelung. Ich weiß zwar aufgrund der wenigen Stunden, die wir für die Bewertung Zeit hatten, nicht, ob die neue nun wirklich die beste ist, aber damit wird ein Riesenschritt in die richtige Richtung getan. Wir freuen uns natürlich auch - das haben Sie ebenfalls bereits ausgeführt -, dass jetzt die Zahl von mindestens zwei Kindern als Voraussetzung für die Eigentumsförderung im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus gilt. Trotz all der Wahlkämpfe, die gerade stattfinden, hat die CDU/CSU in den Ausschussberatungen eine ganze Reihe von Anträgen auch der Regierungsfraktionen, nämlich 26 von 40 gestellten Anträgen, unterstützt. Bedauerlicherweise sind unsere acht eigenen Anträge alle gescheitert; Sie hätten ja angesichts des oben genannten Verhältnisses bei zwei oder drei auch einmal zustimmen können. Sie haben eine Änderung der Einkommensgrenzen, stärkere kommunale Beteiligung, bessere Eigentumsförderung für junge Ehepaare und eine verbesserte Sicherung der Rückflussmittel abgelehnt. Ich sage Ihnen, Herr Staatssekretär Großmann, eines voraus: Wenn das stimmt, was ich auf der Verwaltungsebene auf Länderseite gehört habe, dass Sie heute 1,6 Milliarden DM an Rückflussmitteln einnehmen und nur noch 450 Millionen DM für den sozialen Wohnungsbau ausgeben und darüber hinaus Ihr groß angekündigtes Aufbauprogramm Ost noch durch Kürzung der Städtebauförderungsmittel für den Osten wie den Westen gegenfinanzieren wollen, dann sehen wir uns hier sehr bald wieder. Ich möchte da nur einmal die ARGEBAU-Minister-Konferenz abwarten. ({7}) Ich sagte schon, dass wir vor allen Dingen mit unserem zentralen Anliegen einer angemessenen Erhöhung des gesetzlichen Verpflichtungsrahmens gescheitert sind. Für die zuhörenden Bürgerinnen und Bürger, die die Begriffe nicht verstehen: Damit sind die mindestens zur Verfügung stehenden Mittel gemeint. Bei der Umsetzung dieses Gesetzes werden wir von vornherein auf riesige Schwierigkeiten stoßen, wenn wir den gesetzlichen Verpflichtungsrahmen nicht den neu dazugekommenen Aufgaben anpassen, derentwegen wir alle dieses Gesetz so preisen. Der Hinweis auf die kommenden Haushaltsberatungen, Kollege Spanier, nutzt doch überhaupt nichts, wie uns die Erfahrung lehrt. Der Gesetzgeber - das ist der Deutsche Bundestag, also wir, und nicht die Bundesregierung muss bei einer solchen Gelegenheit eine höhere gesetzliche Mindestverpflichtung vorgeben. In den vergangenen Jahrzehnten haben wir doch Erfahrungen mit dem Wechselspiel zwischen Wohnungsleerstand und Wohnungsnot, zwischen überschwappender Baukonjunktur und dann wieder, wie heute, einer tiefer Rezession auf dem Bau gemacht. Allein in den letzten zwei Jahren sind 100 000 Arbeitsplätze auf dem Bau verloren gegangen, 50 000 werden es in diesem Jahr sein. Neben Gegenden mit leer stehenden Wohnungen gibt es im Übrigen aber auch schon wieder Gegenden, wie süddeutsche Großstädte, in denen man an den Bäumen Zettel mit der Aufschrift findet: Biete 2 000 DM für Vermittlung einer Wohnung. Hierbei handelt es sich nicht um Wahlkampfgeschrei, sondern um Realität. Die Situation in München sieht eben anders aus als anderswo. Ich hoffe, dass Sie, Herr Kollege Wolf, uns das vielleicht bei Gelegenheit noch einmal etwas deutlicher darstellen. Es gibt also nur den sicheren Weg der Verstetigung der Mittel. Wir haben für den sozialen Wohnungsbau 500 Millionen Euro gefordert. Wer es ernst meint mit einer besseren Bestandsförderung, mit der Schaffung besserer Möglichkeiten beim Erwerb von Belegungsrechten, mit Kooperationsverträgen und mit vielem anderen mehr, was in dieses Gesetz hineinkommt - darüber hinaus brauchen wir nach Meinung der CDU/CSU-Fraktion auch noch den Neubau -, der muss doch jetzt, ob er nun will oder nicht, den Anträgen der CDU/CSU hier zustimmen. Denn genau das, was wir brauchen, wird darin gefordert. Sie, meine Damen und Herren, sagen, Sie hätten jetzt Ihr Programm erledigt. Ich will jetzt aus Zeitgründen nicht im Einzelnen darauf eingehen, die Probleme beim Wohngeld und beim sozialen Wohnungsbau habe ich genannt. Schauen Sie doch einfach einmal in das Land hinaus: Von der Wohngeldanhebung zum 1. Januar ist nach der Explosion der Heizkosten fast nichts mehr übrig geblieben. Wenn nächstes Jahr die Heizkostenpauschale wieder wegfällt, bleibt davon gar nichts mehr übrig. ({8}) Die Wohnkosten sind um 3,7 Prozent gestiegen und stellen damit einen der Spitzentreiber bei der Inflation dar. Die Investoren sind aus dem Mietwohnungsbau nahezu vollständig ausgestiegen: Im ersten Quartal dieses Jahres gab es 24 Prozent weniger Baugenehmigungen. Sogar der Eigenheimbau, der immer die Spitze darstellte, bricht zusammen: Da haben wir bei den Baugenehmigungen ein Minus von 26 Prozent. Dieser Schweinezyklus schlägt eben durch. Meine Damen und Herren, deswegen frage ich Sie: Wann wollen Sie endlich das Wort des Bundeskanzlers Schröder einlösen? Als Schröder noch im Wahlkampf war, hat er in Bezug auf die Regierung Kohl, die dreimal so viel Mittel für den sozialen Wohnungsbau wie die heutige Regierung zur Verfügung gestellt hat, gesagt, die Bundesregierung habe den Etat in diesem Bereich „drastisch zusammengestrichen“, wohingegen er den „Trend stoppen“ und den sozialen Wohnungsbau wieder zu einem „schlagkräftigen Instrument der Wohnungspolitik machen“ wolle. Wohlgemerkt: Das war der O-Ton von Gerhard Schröder vor der letzten Wahl. Wann, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, haben Sie die Chance, diese Versprechen einzulösen? Jetzt, heute, indem Sie unserem Antrag zustimmen. ({9})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile dem Kollegen Helmut Wilhelm, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

Helmut Wilhelm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002825, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kansy, genau das, was Sie im letzten Satz angesprochen haben, tun wir. Die Bundesregierung ist 1998 angetreten, den Reformstau aufzulösen, die überfällige Modernisierung unseres Landes anzupacken und eine ökologische und soziale Wende einzuleiten. In der Wohnungs- und Baupolitik haben wir das konsequent umgesetzt: Wir haben eine Wohngeldreform beschlossen und den Menschen damit zu mehr Wohngeld verholfen, das insbesondere Familien mit Kindern bitter nötig haben. Wir haben das Mietrecht modernisiert und für die überfällige Regelung des Ausgleichs der Interessen von Mietern und Vermietern gesorgt. Wir haben das Altschuldenhilfe-Gesetz reformiert und damit der Not leidenden ostdeutschen Wohnungswirtschaft Hilfestellung geleistet. Wir bringen den Stadtumbau Ost voran; wir haben die Energieeinsparungsverordnung auf den Weg gebracht und haben das größte Altbaumodernisierungsprogramm der deutschen Geschichte beschlossen. Heute werden wir mit der Reform des sozialen Wohnungsbaus den letzten großen wohnungspolitischen Baustein setzen. Wir haben also gehalten, was wir versprochen haben. Wir haben die wohnungspolitischen Instrumentarien unseres Landes runderneuert, ökologisch modernisiert, sozial gerechter ausgestaltet und zukunftsfest gemacht. Ich meine, diese Bilanz kann sich sehen lassen. ({0}) Die wohnungspolitischen Rahmenbedingungen in unserem Land haben sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten verändert. Die Bedeutung des sozialen Wohnungsbau in den 50er- und 60er-Jahren lag vornehmlich darin, flächendeckend Wohnungsnot zu bekämpfen und die breiten Schichten der Bevölkerung mit Wohnraum zu versorgen. Diese Aufgabe hat der soziale Wohnungsbau mit Bravour geleistet, denn mit Ausnahme regionaler Spitzen ist heute die Versorgung der Bevölkerung mit Wohnraum weitgehend gesichert. Wer, meine Kollegen von der F.D.P., daraus allerdings die Forderung ableitet, der Bund solle sich von seiner Verantwortung für die soziale Wohnraumversorgung verabschieden, begeht meines Erachtens einen Fehler. Nach wie vor brauchen Haushalte mit kleinen Einkommen, kinderreiche Familien, behinderte Menschen und andere am Wohnungsmarkt benachteiligte Gruppen nämlich Hilfe bei der Wohnraumversorgung. ({1}) Diesen Menschen gilt unsere Aufmerksamkeit und diesen Menschen soll das reformierte Wohnungsbaurecht zu einer angemessenen und bezahlbaren Wohnung verhelfen. Statt mit der Gießkanne soll künftig zielgenau gefördert werden. Auch wenn die Zielgruppe heute eine andere als in den vergangenen Jahren ist, stehen wir zu der Verantwortung des Bundes für eine soziale Wohnraumversorgung und damit auch zu einer sozial gerechten Wohnungspolitik. ({2}) Zunächst geht es um eine umfassende Rechtsvereinfachung und Entschlackung des geltenden Rechts. Das Wohnungsbindungsgesetz, die Neubaumietenverordnung und die Zweite Berechnungsverordnung gelten nur noch für die vorhandenen Sozialwohnungsbestände, nicht mehr für das neue Wohnraumförderungsgesetz. Die verschiedenen Förderwege werden zusammengeführt. Das Kostenmietprinzip wird abgeschafft. Die regionalen Unterschiede bei der Wohnraumversorgung - wir haben in diesem Haus schon mehrfach über die Problematik der Wohnungsknappheit in Ballungsräumen wie zum Beispiel München oder Frankfurt gesprochen erfordern auch eine Flexibilisierung der Instrumente des Wohnungsbaurechts. Wir ermöglichen es den Ländern nunmehr, auf regional differenzierte Problemsituationen flexibel zu reagieren. Die Länder werden in die Lage versetzt, die Einkommensgrenzen regional differenziert auszugestalten. Für Kommunen und die Wohnungswirtschaft wird es neue, flexible Instrumente wie Kooperationsverträge und die mittelbare Belegung geben. Damit kann die Nutzung vorhandener Sozialwohnungsbestände gesichert und zugleich die Bildung von sozialen Brennpunkten vermieden werden. Mit der Reform des Wohnungsbaurechts werden endlich Neubau- und Bestandsförderung gleichgesetzt. Auch der Ankauf von Gebäuden wird künftig genauso gefördert wie der Neubau. Wir tun dies, weil die Wohnungsbaubestände der 50er- und 60er-Jahre nicht nur instand gehalten werden müssen, sie müssen auch modernisiert und den heutigen Wohnbedürfnissen angepasst werden. Dies betrifft die Freiflächengestaltung ebenso wie moderne, familiengerechte Grundrisse. Im Verlauf der intensiven Beratungen in den Ausschüssen und als Ergebnis der wirklich hervorragenden Anhörung haben die Regierungsfraktionen eine Reihe von Änderungsanträgen eingebracht. Die Förderung von Familien wird durch die Einführung eines Freibetrages für Alleinerziehende und durch die Anpassung der Einkommensgrenzen im Falle von Kindern weiter verbessert. Damit bekennen sich die Regierungsfraktionen zu einer sozialen Familienförderung, die die besondere Problemlage von jungen Familien anerkennt. ({3}) Mit der Anhebung der Verwaltungs- und Instandhaltungskostenpauschalen ermöglichen wir einerseits der Wohnungswirtschaft ein wirtschaftliches Arbeiten, vermeiden aber gleichzeitig überhöhte Mietsteigerungen für die Mieter. Wir werden der Bedeutung von Mietgenossenschaften als dritter Säule neben Miete und Eigentum dadurch gerecht, dass wir die Wohngenossenschaften unter anderem in § 1 des Gesetzes gesondert herausstellen. Die Opposition stellt heute eine Reihe von Änderungsanträgen zur Abstimmung, auf die ich kurz eingehen will. Sehr geehrter Herr Kansy, im Verlauf der Beratungen hatte ich eigentlich den Eindruck gewonnen - ein wenig haben Sie es gerade bestätigt -, dass Sie mit dem Gesetzentwurf in einigen Punkten zufrieden sind. Dass Sie aber heute sozusagen das Haar in die Suppe suchen und ausgerechnet die Einkommensgrenzen drastisch anheben und damit Ziel und Zweck des Gesetzes aushebeln wollen, verwundert mich etwas. ({4}) Die große Mehrheit der Experten in der Ausschussanhörung war sich in einem Punkt einig: Soziale Wohnraumversorgung muss sich in Zukunft zielgruppengenau an diejenigen richten, die tatsächlich Marktzugangsschwierigkeiten haben, und nicht an die breite Masse der Bevölkerung. Damit kommen wir zu der zweiten zentralen Forderung: mehr Geld. Wer Steuergelder mit der Gießkanne ausstreut, braucht tatsächlich mehr Geld. Dies können wir uns leider nicht leisten - brauchen wir auch nicht. Wir fördern da, wo Förderung benötigt wird. Dafür ist eine Mindestausstattung von 450 Millionen DM zusammen mit der Rückflussbindung ausreichend. Ich bin froh, dass wir damit die Bundeskompetenz für den sozialen Wohnungsbau sichern. Bedauerlich ist meines Erachtens allerdings der Vorschlag, an einem überholten Familienbegriff festzuhalten und nicht eheliche Lebensgemeinschaften mit Kindern von der gleichberechtigten Förderung auszuschließen. Das kann ich nicht unterstützen. ({5}) Die Anträge der F.D.P. demonstrieren, dass Sie die wohnungspolitischen Herausforderungen der Gegenwart wohl nicht ganz verstanden haben. Letztlich wollen Sie doch den sozialen Wohnungsbau ganz abschaffen. So wichtig die Subjektförderung auch ist: Mit der Wohngeldreform haben wir gezeigt, wie wichtig uns dieses Thema ist. Wir müssen an der Objektförderung festhalten. ({6}) Es ist doch Realität, dass insbesondere in den Wachstumsregionen unserer Städte zahlreiche Menschen Schwierigkeiten haben, Zugang zu einer angemessenen Wohnung zu finden. Da hilft auch kein Wohngeld weiter. ({7}) Wenn die F.D.P. im selben Antrag gleichzeitig die Erhöhung der Finanzausstattung durch den Bund und den Ausstieg des Bundes aus der Wohnraumförderung fordert, verstehe ich die Logik nicht mehr ganz. ({8}) Zur PDS nur ein Wort: Mit Ihren Anträgen demonstrieren Sie ein ums andere Mal, dass Sie viel vom Geldausgeben verstehen. Das hat aber nichts mit nachhaltiger Finanzpolitik und noch weniger mit zielgruppengenauer Förderungspolitik zu tun. Wenn ich Ihre Anträge studiere, könnte ich fast auf den Gedanken kommen, Sie planten den Wiedereinstieg in die Wohnraumversorgungspolitik der DDR. Das ist aber mit uns nicht zu machen. Danke schön. ({9})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Hans-Michael Goldmann, F.D.P.-Fraktion. ({0})

Hans Michael Goldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man hat mich aufgefordert, nicht so laut zu sein. Aber ich hoffe, ich bin deutlich. Das wird mir glücken, denke ich. Zunächst sage ich Dank für das Verfahren. Es war sehr nett miteinander, nur war es substanzlos, weil sich die Regierungsparteien nicht bewegt haben, obwohl sie eigentlich in allen Phasen erkennen mussten, dass ihr Gesetz nicht die richtigen Lösungen der Probleme bringt, die wir haben. Deswegen möchte ich vorweg deutlich, aber nicht laut feststellen: Ich halte diese Reform des Wohnungsbaurechts für einen sozialpolitischen Skandal. ({0}) Ich halte diese Reform des Wohnungsbaurechts für wohnungspolitischen Betrug. ({1}) Ich möchte Ihnen sagen, was heute in den „Stuttgarter Nachrichten“ steht - ich meine, die haben hundertprozentig Recht -: „Rot-Grün zeigt wenig Herz für Sozialschwache.“ Genau das ist der Punkt. ({2}) Für die wirklich Bedürftigen zeigen Sie mit diesem Gesetz eben genau kein Herz. Weil ich das, was ich sage, auch begründe, möchte ich Ihnen Folgendes darlegen. Mit diesem Gesetz werden ungefähr 40 Prozent der deutschen Haushalte Anspruchsberechtigte. Die Rechnung umfasste, nachdem Sie noch andere hinzugenommen haben, ungefähr 16 Millionen Haushalte. Es stimmt nicht, wenn Sie, Herr Spanier, sagen, dass es sich um eine Grundausstattung handele. Sie müssen in Ihre mittelfristige Finanzplanung schauen. Darin steht: Dauerhaft 450 Millionen DM. Wenn Sie die 450 Millionen DM - machen wir es leichter - durch 15 Millionen berechtigte Haushalte teilen, fördern Sie jede Familie mit 30 DM pro Jahr. Das ist das Ergebnis Ihrer Finanzausstattung und das Ergebnis Ihres Berechtigungsrahmens. Das halte ich, Herr Spanier, wie ich eben gesagt habe, für sozialpolitisch wirklich verwerflich. ({3}) Der zweite Punkt: Frau Fuchs, gerade weil Sie mir den Gefallen tun, an dieser Stelle zu schmunzeln, will ich sagen, was ich auch für schlicht unkorrekt halte. Sie haben einen großen Mietertag in Bielefeld gehabt. Leider ist mein Zug, wie es üblich ist, wenn er vom Norden kommt, nicht zeitig genug angekommen; aber ich habe Ihre Ausführungen gelesen. Sie forderten unter dem tosenden Beifall der Anwesenden: „Zwei Milliarden müssen her!“ Und heute stimmen Sie einem Gesetz zu, mit dem dauerhaft 450 Millionen DM vorgesehen sind. Das ist unseriös. ({4}) Das ist Vorgaukeln falscher Tatsachen. Das ist nicht in Ordnung. Ich weiß nicht, wie Sie das empfinden. Wir hatten eine Anhörung. In dieser Anhörung haben alle, die sich mit diesem Thema beschäftigen, gesagt, das gehe in die richtige Richtung, die Länderkompetenzen müssten gestärkt werden, die Reform sei dringend notwendig. Es haben aber auch alle gesagt, wir brauchten mindestens 1,2, 1,5 oder bis zu 2 Milliarden DM. Wenn Sie ein Gesetz auf den Weg bringen und eine Anhörung dazu durchführen, wenn Sie sozusagen Sachverstand einfordern, dann aber dieses Gesetz so ausstatten, dass Sie damit dem, was in der Anhörung an uns herangetragen worden ist, überhaupt nicht Rechnung tragen können, finde ich das unseriös, unsolide, dann ist das im Grunde genommen auch unsozial und nicht die richtige wohnungsbaupolitische Antwort. ({5}) Wenn hier der eine von einer Säule und der Kollege Wilhelm von einem weiteren Baustein spricht - Frau Eichstädt-Bohlig hätte das wohl noch viel dramatischer gesagt -, kann ich nur fragen: In welcher Welt leben Sie eigentlich? Lesen Sie keine Zeitung? Gehen Sie nicht auf eine Baustelle? Sprechen Sie nicht mit Arbeitslosen? Kennen Sie nicht die Zahlen, die hier genannt worden sind? Baugenehmigungen von Januar bis März 2001: Wohnungen insgesamt minus 21,6 Prozent, Wohneigentum minus 23,6 Prozent, Mehrfamilienhäuser minus 26,9 Prozent, Ein- und Zweifamilienhäuser minus 24,5 Prozent. Dann behaupteten Sie hier ernsthaft, Sie hätten mit den Dingen, die Sie im Mietrecht, im sozialen Wohnungsbau, bei der Berücksichtigung der Immobilien für die Altersvorsorge und beim Wohngeld beschlossen haben, ein neues, modernes, zukunftsfähiges Wohnungsbauprogramm auf den Weg gebracht. Das kann doch wirklich nicht Ihr Ernst sein. ({6}) - Nein, Herr Spanier. Die Antworten, die Sie in all diesen Punkten geben, kann man am Markt ablesen: Einbruch bei den Fertigstellungen, Anstieg der Mieten, weil Sie die Mieten zusätzlich belasten, und Mangel an Investitionen. Resultierend daraus kommt es zu einer Erhöhung der Arbeitslosigkeit. In diesem Zusammenhang ist der Vorwurf an die F.D.P., sie habe in diesem Bereich ihre Hausaufgaben nicht gemacht, schlicht und ergreifend unberechtigt. ({7}) Zu allen von Ihnen eingebrachten Initiativen haben wir sehr konkrete, qualifizierte Anträge gestellt. ({8}) Wir haben ein eigenes Mietgesetz auf den Weg gebracht. ({9}) - Frau Fuchs, das Mietrecht, das wir auf den Weg gebracht haben, ist hervorragend. Es wird nämlich dafür sorgen, dass Menschen bereit sind, Wohnungen zu bauen. Das Bauen von Wohnungen ist die beste Sozialfürsorge für Menschen, die Wohnungen nachfragen. ({10}) Es gibt noch einen anderen Bereich. Es gibt Menschen, die sich keine eigene Wohnung leisten können, weil ihr Einkommen dazu nicht ausreicht. ({11}) - Ich habe manchmal den Eindruck, dass Sie als wohnungsbaupolitischer Sprecher Ihrer Fraktion ebenso wie Herr Dr. Kansy, Herr Spanier oder Herr Maaß, Ihr Selbstverständnis aus dieser Funktion ableiten. Deswegen muss im Haushalt unbedingt eine Haushaltsstelle erscheinen, aufgrund deren sich wohnungsbaupolitische Sprecher selbst verwirklichen können. Damit kommen wir zu unserem Vorschlag, diese Mittel lieber dem Wohngeld zuzuschlagen und mit dieser übermäßigen Bürokratisierung, mit dem damit verbundenen Verwaltungsaufwand Schluss zu machen. Das erscheint sinnvoll, wenn diese 450 Millionen DM durch einen unheimlichen bürokratischen Aufwand aufgezehrt werden, wenn in der Anhörung alle Vertreter der Länder feststellen, es sei nicht sinnvoll, München und Rostock, Zwickau und das Emsland über einen Kamm zu scheren, statt individuelle Lösungen vor Ort zu finden, und wenn hier ein Kollege völlig zu Recht sagt, allein in Bayern würden 600 Millionen DM und damit in einem einzigen Bundesland 150 Millionen DM mehr als im Bund insgesamt bereit gestellt. Wenn wir diesen oben genannten Vorschlag unterbreiten, halten Sie uns vor, wir wollten den Schwachen nicht helfen. Gerade durch die Umwidmung in Wohngeld helfen wir genau den Menschen. ({12}) Das ist der Punkt. Wir helfen den Menschen. Sie wissen doch ganz genau, in welchem Umfang Mittel aus dem Wohngeld gerade für sozial Schwache zur Verfügung gestellt werden, dass die Prozentanteile in diesen Bereichen riesig sind. Deshalb meine ich, dass Ihr Vorwurf uns gegenüber unberechtigt ist. ({13}) Ich halte es für bedauerlich und traurig, dass Sie uns aufgrund eines sehr vernünftigen Antrags, der hundertprozentig in die richtige Richtung geht, in eine Ecke stellen, in die wir nicht hineingehören. Wir haben keine Angst vor dieser Ecke, weil wir in all diesen Punkten den Beweis wohnungsbaupolitischer Kompetenz geliefert haben. Ich bin stolz darauf, dass wir als F.D.P. - ebenso ich als wohnungsbaupolitischer Sprecher - 50 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges die Zeichen der Zeit erkannt haben. Wir brauchen intelligente Lösungen, Investitionsbereitschaft, weniger Bürokratie und mehr Eigenverantwortung. Das wird der Situation der Mieter in Deutschland wesentlich besser gerecht als das, was Sie mit diesem Gesetz auf den Weg bringen. ({14}) Vielen Dank. ({15})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile dem Parlamentarischen Staatssekretär Achim Großmann das Wort.

Achim Großmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000735

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach fast 50 Jahren der Geltung des sehr bewährten Gesetzes zum sozialen Wohnungsbau schaffen wir heute - den Zeiterfordernissen angemessen - ein sehr innovatives, modernes Gesetz. Wir sichern damit das soziale Wohnen; wir sorgen für gute Nachbarschaften. Wir gestalten damit die gesetzlichen Rahmenbedingungen auf diesem Gebiet familienfreundlicher und freundlicher für die Investoren. Wir bauen Reglementierungen und Bürokratie ab. Wir schaffen mehr Eigentum. Wir beseitigen den Förderwirrwarr und kümmern uns viel stärker als bisher um den Bestand an Wohnungen und nicht nur um deren Neubau. Das sind die wirklichen Kernpunkte dieses neuen Gesetzes. ({0}) Wenn ich jetzt die Kritik daran höre, dann frage ich mich, ob diejenigen, die diese Kritik äußern, das Gesetz wirklich gelesen und verstanden haben. ({1}) Ich gehe auf ein paar Punkte ein, zunächst auf die Versorgungssituation. Wir haben uns alle darauf geeinigt, dass es heute nicht mehr erforderlich ist, für die so genannten breiten Schichten der Bevölkerung zu bauen. Das war unmittelbar nach dem Krieg ein Problem; seinerzeit musste ganz viel neu gebaut werden, damit das Problem der quantitativen Versorgung mit Wohnungen gelöst wurde. Heute muss das Problem der qualitativen Versorgung gelöst werden. Deshalb ist es völlig falsch, nur auf das Wohngeld zu setzen. ({2}) Das Wohngeld ist dafür da, den Menschen zu helfen, die aus eigener Kaufkraft heraus keine Wohnung bezahlen können. Das Fördern von Wohnungen, also die Objektförderung, hilft den Menschen, die zwar Einkommen haben, möglicherweise ein geringes Einkommen, die aber aus anderen Gründen Schwierigkeiten haben, sich am Wohnungsmarkt zu versorgen. Dazu zählen zum Beispiel kinderreiche Familien, Alleinerziehende und auch viele ausländische Familien. Denen nutzt das Wohngeld überhaupt nichts; ihnen müssen wir Wohnungen zur Verfügung stellen. Das haben Sie nicht begriffen. ({3}) Dieses Problem lösen wir mit diesem Gesetz. Ich bin froh, dass derjenige, der in Deutschland über das größte ordnungspolitische Renommee verfügt, Professor Eekhoff, dies in der Anhörung klargestellt hat. Dabei sah die F.D.P. alt aus; sie war mit ihrer Auffassung völlig allein. ({4}) - Lesen Sie es einfach einmal nach, Herr Goldmann! Dies ist keine Frage der Lautstärke, sondern eine Frage des Nachlesens. Schauen wir uns nun den zweiten Kritikpunkt an, die Finanzen: Wir reden über die Mindestausstattung, die wir in das Gesetz hineingeschrieben haben. Herr Kansy, Sie haben eben darauf hingewiesen, dass Sie 1997 selbst einen Gesetzentwurf vorgelegt hatten. Liest man in ihm nach, stößt man verblüfft auf die Zahl 450 Millionen DM. Das, was wir als Mindestausstattung in unseren Gesetzentwurf hineingeschrieben haben, haben Sie schon vor über drei Jahren vertreten. Wären Sie damals konsequent gewesen, hätten Sie Ihr eigenes Gesetz ablehnen müssen; aber es ist ja nicht zur Beschlussreife gekommen. ({5}) Es geht also um die Mindestausstattung und ich nehme Ihre Hinweise gern auf, damit Sie mir später nicht vorhalten können, was ich bis jetzt gesagt habe. Natürlich wünschte ich mir - vielleicht schaffen wir das in den nächsten Jahren gemeinsam -, dass wir das Gesetz zum sozialen Wohnungsbau mit mehr Mitteln dotieren. Tatsache war aber doch, dass wir beim Kassensturz 1998 festgestellt haben, dass Sie das Geld, das wir dafür ausgeben wollten, bereits in den Sand gesetzt hatten. Es war bereits ausgegeben. ({6}) Dann haben wir uns den Reformbedarf angesehen. Ich sage Ihnen jetzt einmal, was wir geschaffen haben. Die Reform des Wohngeldes kostet uns 700 Millionen DM pro Jahr zusätzlich. ({7}) Wir haben 1,3 Milliarden DM in die Hand nehmen müssen, um das Altschuldenhilfe-Gesetz zu reparieren, das Sie uns hinterlassen haben. Wir haben die Städtebauförderung West um 100 Millionen DM erhöht. Wir haben ein Programm „Soziale Stadt“ aufgelegt. Wir haben 2 Milliarden DM für das Gebäudesanierungsprogramm bereitgestellt. Wir packen jetzt 900 Millionen DM in das Stadtumbauprogramm Ost. Zusammengenommen fließen also 5 Milliarden DM in den Wohnungs- und Städtebau. Wir tun etwas für den Wohnungs- und Städtebau, wir packen die Reformen an, die Sie haben liegen lassen. Wir setzen das durch, was vorrangig gemacht werden muss. Das ist eine sehr gute Zielrichtung ({8}) In dem Gesetzentwurf der heute zur zweiten und dritten Lesung ansteht, geht es zunächst um das Sichern des sozialen Wohnens. Indem wir weiterhin auf die Objektförderung setzen, das Ganze aber sehr viel flexibler machen, schaffen wir eine zeitgemäße Lösung. Wir räumen damit auch eine Menge Vorurteile aus, die der soziale Wohnungsbau immer noch mit sich herumträgt; machen wir uns da nichts vor. Wir sorgen erstmalig für gute und stabile Nachbarschaften, indem wir nicht mehr bloß auf die zu bauenden Wände schauen, sondern darauf achten, wo sie gebaut werden. Wir schaffen also ein städtebauliches Umfeld und schreiben eine so flexible Regelung in das Gesetz, dass wir stabile, gute Nachbarschaften in den Stadtvierteln sichern, die heute langsam wegzukippen drohen. Wir sorgen also mit diesem Gesetz für die dringend notwendige soziale Stabilisierung ganzer Wohnviertel. ({9}) Wir verändern die Prioritäten. Herr Goldmann, es reicht nicht aus, einfach Subventionen in den Wohnungsmarkt hineinzugeben - Sie haben eben die Zahlen der Baugenehmigungen vorgelesen -; denn es baut niemand nur deshalb, weil er Subventionen bekommt. ({10}) Gebaut wird nur, wenn Nachfrage vorhanden ist. ({11}) Wenn in den neuen Bundesländern 1 Million Wohnungen leer stehen, dann müssen Sie uns hier nicht wegbrechende Baugenehmigungszahlen vorwerfen. In den neuen Bundesländern baut angesichts dieses Wohnungsleerstandes niemand. ({12}) Machen Sie hier keine Milchmädchenrechnung auf, sondern schauen Sie sich den Markt genau an! ({13}) Wenn wir jetzt das Gesetz ändern, dann tun wir dies auch dadurch, dass wir nicht mehr nur auf den Neubau setzen, sondern auch auf den Altbau. Natürlich ist es schön, wenn man in eine neue, dem heutigen Standard entsprechende Sozialwohnung einziehen kann; sie ist besonders attraktiv. Wir wollen aber auch, dass ältere Wohnungen modernisiert und für die Menschen gesichert werden, die auf preiswerte Wohnungen angewiesen sind. Das heißt: Wir öffnen dieses Gesetz auch für die Modernisierung älterer Wohnungen. Dies ist dringend notwendig. Ich möchte auf einen Punkt zurückkommen, den ich bereits angesprochen habe, nämlich auf den Förderwirrwarr. Bislang mussten die Investoren stundenlang dieses Gesetz und die Ausführungsbestimmungen der Länder lesen, um herauszufinden, ob die Möglichkeit besteht, ihr Bauvorhaben vernünftig fördern zu lassen. Dies schaffen wir ab. Wir führen ein Baukastensystem ein: Die Investoren können sich mit denen, die diese Vorhaben fördern, zusammensetzen und genau überlegen, welchem Zweck der soziale Wohnungsbau dienen soll, welche Rahmenbedingungen wichtig sind, auf welchem Niveau die Mieten fixiert werden sollen, ob die Mieten langsam steigen oder zunächst einmal eine Zeit lang eingefroren werden sollen. Es wird also Verhandlungsfreiheit geben. Dies ist auch notwendig, weil wir die Investoren nur so wieder für den sozialen Wohnungsbau gewinnen können. Dieser Gesetzentwurf beinhaltet also eine gewisse Flexibilität. Mit diesem Gesetz bauen wir auch die Ungerechtigkeiten ab. Zwischenzeitlich war es so, dass viele kommunale Wohnungsbaugesellschaften gar nicht mehr im sozialen Wohnungsbau tätig werden konnten, weil die privaten Investoren dafür viel bessere Rahmenbedingungen hatten. Die meisten Wohnungsbaugesellschaften können keine steuerlichen Abschreibungen vornehmen, die privaten Investoren hingegen schon. Das hatte zur Konsequenz, dass in vielen Ländern private Investoren bis zu 85 Prozent des sozialen Wohnungsbaus übernommen haben. Das macht mir zwar keine Sorgen. Aber es macht Sinn, dass die kommunalen Wohnungsbaugesellschaften, die eine andere Form von Daseinsfürsorge betreiben und denen wir hinsichtlich des Umgangs mit den Mieterinnen und Mietern viel stärker vertrauen können, sich wieder gleichberechtigt auf diesem Markt bewegen können. Das bedeutet, dass die Steuererleichterungen, die die Investoren bekommen, mit den Subventionen verrechnet werden müssen. Dieser Gesetzentwurf ist sozial gerecht, was die Leistungen anbetrifft, die der Staat den Investoren gewährt, die bauen. Wir setzen auch auf mehr Wohneigentum; das habe ich ebenfalls bereits erwähnt. Für viele Menschen, die sich damit beschäftigen, ist der soziale Wohnungsbau nur der pure Mietwohnungsbau. Das stimmt aber nicht. In der Vergangenheit ist dadurch - leider zunehmend weniger auch Wohneigentum geschaffen worden. Wir wollen, dass der soziale Wohnungsbau mit der Eigenheimzulage verknüpft wird, damit mehr Menschen, die ein schmaleres Portemonnaie haben, in der Lage sind, Wohneigentum zu schaffen. Sie sollen über die Eigenheimzulage und den sozialen Wohnungsbau die Möglichkeit haben, das notwendige Geld für die eigenen vier Wände aufzubringen. Schließlich haben wir - darauf ist schon hingewiesen worden - die Rahmenbedingungen für die Familien verbessert. Nun sind nicht mehr drei Kinder für eine begünstigende Einkommensermittlung notwendig, sondern nur noch zwei, weil dies der gesellschaftspolitischen Realität viel besser angepasst ist. ({14}) Zudem heben wir die Einkommensgrenzen um 1 000 DM pro Kind an. Dies hilft den Familien in besonderem Maße. ({15}) Wenn man diesen Gesetzentwurf in die Zahl der Reformvorhaben einreiht - es täte Ihnen weh, wenn ich diese hier alle anführen würde -, dann kann man feststellen, dass das, was wir uns zu Beginn der Legislaturperiode vorgenommen haben, fast vollständig umgesetzt ist. Natürlich liegen noch Aufgaben vor uns. Wir sind aber mit der Umsetzung der wohnungs- und städtebaupolitischen Forderungen, die wir uns selber gestellt haben, sehr, sehr weit gekommen. Weil wir nicht so viele Sozialwohnungen bauen können, wie es der Zahl derer, die Wohnungsberechtigungsscheine bekommen können, entspricht, brauchen wir ein gerechtes System, eine Verzahnung zwischen Wohngeld und sozialem Wohnungsbau. Das Wohngeld, das uns die alte Regierung hinterlassen hat, Herr Goldmann, ({16}) lag, wenn man die fiktiven Einkommensgrenzen berechnet, um circa 30 Prozent niedriger als die Einkommensgrenzen im sozialen Wohnungsbau. Der erste Schritt zu einer Gerechtigkeit auf dem Wohnungsmarkt war also die Anhebung des Wohngeldes. Das haben wir durchgesetzt. ({17}) Als Nächstes haben wir das Gesetz zum sozialen Wohnungsbau reformiert. Wir haben ein Gebäudesanierungsprogramm aufgelegt, durch das die Sanierungskosten der Eigentümer, die sonst voll auf die Miete durchschlagen würden, reduziert werden. Mit diesem Programm beteiligt sich der Staat in Höhe von ungefähr 25 Prozent an den Maßnahmen der gebäudeenergetischen Sanierung. Das ist eine ganz großartige Leistung. Wir haben das Altschuldenhilfe-Gesetz reformiert. Wir haben ein Stadtumbauprogramm auf den Weg gebracht. Wir haben die Städtebaufördermittel erhöht und das Programm „Soziale Stadt“ aufgelegt. Dies ist eine wohnungsund städtebaupolitische Leistung, die sich wirklich sehen lassen kann und auf die wir stolz sein können. Herr Kansy, im Grunde würden Sie uns gerne zustimmen. Sie haben sich in den letzten Wochen weniger darum bemüht, Verbesserungsmöglichkeiten zu finden. Dennoch bedanke ich mich sehr für Ihre Mitarbeit. Aber die Anträge, die Sie teilweise gestellt haben, haben Sie nur gestellt, um überhaupt Anträge einzubringen. Denn viele Verbesserungsmöglichkeiten gibt es nicht. ({18}) In erster Linie haben Sie sich Gedanken darüber gemacht, welchen Grund Sie anführen können, um den Gesetzentwurf abzulehnen. Schade, dass Sie heute nicht zustimmen. Ich weiß aber, dass Sie mit dem Herzen für dieses Gesetz stimmen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({19})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile der Kollegin Christine Ostrowski, PDS-Fraktion, das Wort.

Christine Ostrowski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001662, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Liebster Herr Spanier, ich würde Sie wirklich gern einmal von Herzen loben, aber leider ist es mit der Reform so, als ob ich ein wunderbares Kleid entwerfe, es schneidern möchte, dann aber feststelle, dass der Stoff nur für den Rocksaum reicht. Man könnte auch sagen: so viele Paragraphen und so wenig Geld. Es stellt sich für mich das Problem: Was nützen die vielen tollen Maßnahmen, die unbestritten in dem Gesetzentwurf enthalten sind, wenn sie am Ende nicht realisiert werden können, weil das Geld fehlt? Natürlich sehe ich den Widerspruch zwischen den mindestens 15 Millionen Haushalten, die - gemessen an ihrem Einkommen - berechtigt wären, in eine Sozialwohnung zu ziehen, plus weiterer, die aus anderen Gründen Anspruch auf eine Sozialwohnung haben, und dem vorhandenen Bestand an Sozialwohnungen, der bekanntermaßen rasant abnimmt. Das muss ich Ihnen alles nicht erzählen. In Zukunft stellen Sie dann nur noch 450 Millionen DM zur Verfügung. Dazu ein Rechenbeispiel: Die Durchschnittsgröße einer Wohnung liegt bei 70 Quadratmetern. Wenn wir einen Preis von 1 000 DM pro Quadratmeter zugrunde legen, reichen die 450 Millionen DM, die Sie pro Jahr zur Verfügung stellen, Herr Wilhelm, für rund 6 500 modernisierte oder rund 3 000 neu gebaute Wohnungen jährlich. Das sind aus unserer Sicht zu wenig. ({0}) Ich möchte ein pikantes Detail, das mich davon überzeugt, dass Sie mitnichten bereit sind, mehr als 450 Millionen DM pro Jahr zu geben, anführen: Ursprünglich stand in Ihrem Gesetzentwurf unter dem entsprechenden Paragraphen: Es gibt jährlich 450 Millionen DM und darüber hinaus weitere nach Maßgabe des Haushalts. Dieses „und“ galt im Sinne von „plus“. Dieses kleine Wörtchen „und“ wurde liquidiert und durch ein Komma ersetzt, sodass jetzt dort steht: 450 Millionen DM, darüber hinaus weitere usw. Dies ist ein großer inhaltlicher Unterschied. Die erste Version bedeutete - deswegen haben Sie es geändert -: Es gibt einen Basisbetrag plus weitere Mittel. Die jetzige Formulierung bedeutet, dass es letztendlich nur diesen Basisbetrag gibt. Bei ihrer Reform gibt es noch ein Problem. Sie sind in Ihrer öffentlichen Argumentation nicht ganz ehrlich, sondern unsauber und in sich widersprüchlich gewesen. Sie waren zum Beispiel unsauber hinsichtlich der Zielgruppen. Heute haben Sie wieder betont, dass es darum geht, sich auf die wirklich Bedürftigen statt wie bisher auf breite Schichten zu konzentrieren. Sie haben aber die Einkommensgrenzen aus dem Jahre 1994 übernommen und sogar durch die Kinderkomponente noch ein bisschen aufgestockt. Durch diese Einkommensgrenzen zielt das Gesetz auf eine riesengroße Gruppe, nämlich auf 15 Millionen Haushalte, und mitnichten auf eine kleine. Sie verkleinern diese Gruppe dennoch - hier schießen Sie jetzt von hinten durch die Brust ins Auge - über die schlechte Finanzausstattung. Aber ein Betroffener, der ins Gesetz schaut, macht sich jetzt Hoffnungen und sagt: Ich bin berechtigt, das ist ja wunderbar. Dieser wird erst später merken, dass er in der Praxis aufgrund der fehlenden Mittel leer ausgeht. Das halte ich nicht für sauber. Es ist auch unsauber, den Eindruck zu erwecken, dass die Einkommensgrenzen durch die Länder nur nach oben zu verändern sind. Selbst Sie sind fast vor Überraschung vom Stuhl gefallen - Herr Dr. Kansy ebenfalls; davon abgesehen haben Sie beide das Gesetz nie ordentlich gelesen -, als Sie gemerkt haben, dass sie auch nach unten verändert werden können. Hinsichtlich dessen, ob die Regelung nun so oder so ausgelegt wird, werden wir sehen, was die Praxis bringt. Die Länder haben genauso wenig Geld wie Sie. Noch etwas zur Ehrlichkeit und Sauberkeit: Herr Staatssekretär Großmann hat eben wieder von ökologischen Anforderungen, sozialer Durchmischung sowie darüber gesprochen, welche Grundsätze Sie dazu ins Gesetz geschrieben haben. Sie haben diese Grundsätze hineingeschrieben; das ist wahr. Da geht es ja wirklich um ganz wichtige Dinge, um das genossenschaftliche Wohnen, um die Anbindung der Wohnungen an den öffentlichen Verkehr usw. Was Sie aber auch heute wieder verschweigen, ist, dass die Länder diese Grundsätze ganz oder teilweise aushebeln können. Das steht in Ihrem Gesetzestext. Da darf ich doch einmal fragen: Was sind denn diese Grundsätze wert, wenn jedes Land frei entscheiden kann, sie anzuwenden oder nicht anzuwenden? ({1}) Das heißt: Ihre ökologischen Anforderungen und Ihr Beitrag zur sozialen Durchmischung werden zur Makulatur. Das Gleiche trifft auch für die Rückflussbindung zu. In Ihrer Antwort auf eine Anfrage unsererseits haben Sie sehr deutlich gesagt - das weiß eigentlich auch jeder Fachmann -, dass in Zukunft mit einem deutlichen Rückgang bei dieser Rückflussbindung zu rechnen ist. Von diesem Geld können wir uns in absehbarer Zeit verabschieden. Sie haben zum Beispiel das Problem auch nicht geregelt, dass es nicht günstig ist, vorfristig zu tilgen, die Förderdarlehen und damit die Bindungsdauer vorfristig abzulösen. Auch das hatten Sie uns in einer Antwort versprochen, dass Sie nämlich mit der Reform des sozialen Wohnungsbaus genau dieses Problem lösen. Sie haben es nicht gelöst. Wir haben in vielen Dingen eine andere Auffassung, wie die Reform des sozialen Wohnungsbaus aussehen müsste. Sie ist erstens in unserem Entschließungsantrag dargelegt. Zweitens haben wir versucht, mit zwei Änderungsanträgen wenigstens auf zwei Probleme aufmerksam zu machen, die uns wichtig erscheinen. Herr Wilhelm, sagen Sie Frau Eichstädt-Bohlig einen schönen Gruß. Sie soll Ihnen in Zukunft nicht mehr solch einen Schwachsinn aufschreiben; ({2}) denn mit Geldforderungen haben beide Anträge nur sehr mittelbar zu tun. ({3}) Überlegen Sie sich besser vorher, was Sie vorlesen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollegin Ostrowski, Ihre Redezeit ist überschritten.

Christine Ostrowski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001662, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ich bin am Schluss. Weil diese Reform einen Anschein hat, dem sie in Wirklichkeit nicht gerecht werden kann, ist das Maximale, wozu wir uns heute durchringen werden, eine Enthaltung. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Aribert Wolf, CDU/CSU-Fraktion.

Aribert Wolf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003269, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dem vorliegenden Gesetz zur Reform des Wohnungsbaurechts hätten wir als Union zwar gern zugestimmt. Wir können dies aber leider nicht tun. Sie wissen, dass auch wir - das darf ich noch einmal betonen - gern das seit 1956 in seinen Grundzügen unverändert gebliebene Recht verändert hätten und der Meinung sind, dass es einer umfassenden Reform bedarf. Deswegen haben wir - das ist ja bereits erwähnt worden zu unserer Regierungszeit einen Reformanlauf unternommen, den Sie damals aus vordergründigen und wahltaktischen Motiven im Bundesrat blockiert haben. Wir hätten heute gern zugestimmt; aber so, wie Fachleute Ihren Gesetzentwurf ablehnen, müssen auch wir diesen Gesetzentwurf aus einer ganzen Reihe von Gründen ablehnen. Die Situation in der Wohnungspolitik ist wie folgt. Ich darf Ihnen das einmal am Beispiel Münchens schildern. Dann werden Sie verstehen, Herr Staatssekretär Großmann, dass es nicht nur ein vordergründiges Neinsagen ist, sondern dass sehr handfeste Gründe dahinter stehen, warum wir nicht mitmachen können. Heute ist die Situation am Wohnungsmarkt in der Tat so, dass der frei finanzierte Wohnungsbau durch private Kapitalanleger fast vollständig abgewürgt ist. Sie kennen auch die Gründe dafür; sie sind ja schon genannt worden: Sie haben die Spekulationsfrist beim Weiterverkauf privater Immobilien von zwei Jahren auf zehn Jahre verlängert und Sie haben den Verlustabzug im Steuerrecht für Vermietung und Verpachtung ebenfalls eingeschränkt. Deswegen ist es dazu gekommen, dass Eigentumswohnungen fast nur noch für Selbstbezieher gebaut werden und keine Anlageobjekte mehr zum Vermieten sind. Wenn Sie sagen, Herr Großmann, das würde nur für die neuen Länder zutreffen und es würden deswegen dort keine Wohnungen gebaut werden, weil keine Nachfrage besteht, dann sehen Sie sich einmal die Situation in München an. In München haben wir eine gewaltige Nachfrage nach Wohnungen. Wir haben steigende Mieten. Wir haben einen riesigen Verdrängungswettbewerb. Aber in München ist der private Wohnungsbau faktisch zum Erliegen gekommen. Das führt dazu, dass viele Menschen in München nur dann noch eine Wohnung bekommen, wenn sie in der Lage sind, viel Geld hinzublättern. Ich frage mich schon, warum sich hier kein Kollege aus München von der SPD oder von den Grünen beteiligt; denn dieses Thema bewegt in München sehr viele Menschen und viele Menschen haben gewaltige Probleme, am Wohnungsmarkt überhaupt noch zum Zug zu kommen. - und das von einer Partei, die früher immer gesagt hat: Wir sind die Partei des kleinen Mannes, wir wollen uns als Anwalt der Mieter profilieren. Herr Präsident, muss das eigentlich sein, dass der Bundesaußenminister dauernd dazwischenredet? Ich denke, das darf man von der Regierungsbank aus nicht.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Er redet nicht dazwischen, sondern er redet mit Ihrem werten Kollegen Ramsauer. Ertragen Sie das?

Aribert Wolf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003269, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, das ertrage ich nicht. Ich wäre dankbar, wenn man das einstellte. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Dann bitte ich die Kollegen Ramsauer und Fischer, ihre intensive Unterhaltung etwas weiter weg fortzusetzen.

Aribert Wolf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003269, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bedanke mich herzlich. Ich glaube schon, dass die Frage, wie es in der Wohnungspolitik insgesamt weitergeht, für München wichtig ist. Deswegen ist es für uns auch wichtig, wenn wir jetzt über das soziale Wohnrecht reden, zu erfahren, warum Sie beispielsweise die Einkommensgrenzen nicht deutlich anheben. Im Münchener Stadtrat sind die SPD und auch die Grünen immer mit uns der Meinung gewesen, dass das ein wichtiger Schritt ist, um in den Ballungsräumen endlich sozial ausgewogene Nachbarschaften zu schaffen. Wenn Sie heute in den Städten die Einkommensgrenzen nicht anheben ({0}) - das können die eben nicht in dem erforderlichen Umfang machen, ({1}) wenn der Bund die Rahmenbedingungen nicht vorgibt -, dann bedeutet das, dass die sozialen Gettos bestehen bleiben ({2}) und dass die Städte viel Geld aufwenden müssen, um den Menschen in diesen kommunalen Brennpunkten über Betreuung entsprechende Hilfen zu geben. Ich glaube, das Geld wäre besser angelegt, wenn Sie sich gleich für eine richtige und angemessene soziale Wohnraumversorgung eingesetzt hätten, sodass Sie besser auf sozial problematische Nachbarschaften hätten reagieren können. Um die tatsächliche Lage am Wohnungsmarkt in München darzustellen, schildere ich einmal, was heute passiert, wenn in München beispielsweise eine 60-Quadratmeter-Wohnung in der Zeitung angeboten wird. Sie haben dafür eine Nettokaltmiete von rund 1 800 DM zu bezahlen. Obwohl diese gewaltige Mietsumme gefordert wird, melden sich bis zu 120 Bewerber bei dem Vermieter. Sie können sich mit etwas Phantasie vorstellen, welche entwürdigenden Szenen da ablaufen und wie wenig Chancen schwangere Frauen haben.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Wolf, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Großmann?

Aribert Wolf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003269, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das mache ich gern, bitte.

Achim Großmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000735, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich weiß, dass wir Freitagnachmittag haben, Herr Wolf. Ich will es ganz kurz machen. Sind Sie bereit, mir zuzugestehen, dass die Regelung, die wir im Gesetz haben, dazu berechtigt, dass in München die Einkommensgrenzen deutlich angehoben werden können?

Aribert Wolf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003269, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, ich bin nicht bereit, Ihnen das zuzugestehen. ({0}) - Nein, wir sind der Auffassung, dass Sie das Bundesgesetz entsprechend hätten ändern können. Auch der Münchener Oberbürgermeister - der ja Ihrer Partei angehört -, schreibt Ihnen tagtäglich, dass er diese Regelungen in diesem Gesetz für unzureichend hält. Dazu kann ich nur sagen: In diesem Punkt schließe ich mich gern einem Mann aus Ihrer eigenen Partei an. ({1}) Wir haben in der Tat in München eine Situation, dass Familien mit Kindern fast keine Chance haben, auf dem freien Wohnungsmarkt zum Zug zu kommen. Deswegen sind wir der Meinung, dass Sie, wenn Mieter mit rapide steigenden Mieten zu kämpfen haben, im Recht des sozialen Wohnungsbaus einige Korrekturen vornehmen müssen, wie das heute bereits angeklungen ist. ({2}) Wir sind der Auffassung, dass Sie die kommunale Beteiligung verstärken müssen. Wir sind dafür, dass Sie eine stärkere Wohneigentumsförderung, insbesondere für junge Ehepaare, im Gesetz vorsehen. ({3}) Wir sind dafür, dass Sie klarere Regelungen zur Vermeidung von Leistungsmissbrauch aufstellen. Wir meinen vor allem, dass die Regelungen, die Sie im Gesetz vorsehen, in die richtige Richtung gehen, aber in der Praxis doch nicht zum Tragen kommen, weil sie nämlich für die Freistellung und die Übertragung von Belegungsbindungen viel zu unflexibel und uneffizient sind, sodass das in der Praxis keine Anwendung finden wird. Auch hier gehen Sie an den Bedürfnissen der Menschen vorbei. Einer der wichtigsten Punkte ist die finanzielle Ausstattung der sozialen Wohnraumförderung. Das ist bereits angeklungen. Hier müssen Sie einfach eingestehen, dass ein neuer Geldbeutel nicht reicht. Vielmehr müssen Sie in diesen Geldbeutel auch die nötigen Finanzmittel tun, wenn Sie den Menschen wirklich helfen wollen. Dieses alles haben Sie in Ihrem Gesetz unzureichend geregelt. Ich darf Ihnen sagen, dass wir hier nicht allein stehen, sondern dass die Wohnungspolitik dieser Bundesregierung in Ihren eigenen Reihen auf erheblichen Widerstand stößt. Ich darf zitieren, was der Münchner Oberbürgermeister - er heißt Ude und kommt von der SPD - dieser Regierung am 6. Februar 2001 in der „Süddeutschen Zeitung“ ins Stammbuch geschrieben hat: Man schränkt die Abschreibungsmöglichkeiten ein und senkt im Gegenzug die Steuern. Für uns hatte das unerwünschte Folgen, weil in München Wohnungsmangel besteht. ({4}) Deshalb ist die Forderung nach Steuererleichterungen für den Wohnungsbau richtig. Allerdings hat sie politisch kaum Chancen ... Denn SPD und Grüne lehnen dies auf Bundesebene ab. Ein weiterer Punkt. Ihr Münchener Oberbürgermeister sagt auch - damit ist klar, wer die Verantwortung trägt -, warum viele Münchenerinnen und Münchener und viele Menschen in den Ballungsräumen heute für ihre Miete tiefer in die Tasche greifen müssen: dass nämlich die Neueinführung einer zehnjährigen Spekulationsfrist, die Sie ebenfalls zu vertreten haben, mit dafür verantwortlich ist, dass die Mieten in Deutschland wieder kräftig steigen. Mit Ihrem Gesetzentwurf zum sozialen Wohnungsbau jedenfalls werden Sie den Hoffnungen vieler Menschen, die darauf setzen, dass sie außerhalb der frei finanzierten Wohnungswirtschaft, im Sozialbereich, die Chance haben, zum Zuge zu kommen, nicht gerecht. ({5}) - Sie schützen in der Tat Spekulanten, indem Sie das Angebot verknappen und diesen die Möglichkeit geben, die Mieten nach oben zu treiben. Hören Sie auf Ihre eigenen Leute. Wir können diesem Gesetzentwurf nach bestem Wissen und Gewissen nicht zustimmen. ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich schließe die Aus- sprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von den Frak- tionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen ein- gebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Woh- nungsbaurechts auf Drucksache 14/5538. Der Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/6344, den Gesetzentwurf für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt da- gegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen. Abstimmung über den von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Woh- nungsbaurechts auf Drucksache 14/5911. Der Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/6344, den Gesetzentwurf in Kenntnis der Unterrich- tung durch die Bundesregierung auf Drucksache 14/6145 in der Ausschussfassung anzunehmen. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/6362 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Ent- haltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der PDS abgelehnt. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus- schussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzent- wurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. bei Stimmenthaltung der PDS an- genommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grü- nen gegen die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. bei Enthaltung der PDS angenommen. Wir kommen nun zur Abstimmung über die Ent- schließungsanträge. Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/6348. Wer stimmt für diesen Entschlie- ßungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Ent- schließungsantrag ist gegen die Stimmen der CDU/CSU mit den Stimmen des übrigen Hauses abgelehnt. Entschließungsantrag der Fraktion der F.D.P. auf Drucksache 14/6359. Wer stimmt für diesen Entschlie- ßungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Ent- schließungsantrag ist gegen die Stimmen der F.D.P. abge- lehnt. Entschließungsantrag der Fraktion der PDS auf Druck- sache 14/6349. Wer stimmt für diesen Entschließungs- antrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschlie- ßungsantrag ist gegen die Stimmen der PDS-Fraktion abgelehnt. Abstimmung über den vom Bundesrat eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Zweiten Wohnungsbau- gesetzes und anderer wohnungsrechtlicher Gesetze, Drucksache 14/627. Der Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschluss- empfehlung auf Drucksache 14/6344, den Gesetzentwurf für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschluss- empfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des Hau- ses bei Enthaltung der PDS-Fraktion angenommen. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 3 seiner Beschluss- empfehlung auf Drucksache 14/6344 die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- lung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschluss- empfehlung ist mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der F.D.P. bei Enthaltung der PDS angenommen. Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 20 b. Inter- fraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Druck- sache 14/6048 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstan- den? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so be- schlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 21 a und 21 b auf: 21 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten KlausJürgen Hedrich, Dr. Norbert Blüm, Hermann Gröhe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Deutsche Entwicklungszusammenarbeit und Demokratisierungshilfe für die zentralasiatischen Nachfolgestaaten der Sowjetunion verstärken - Drucksache 14/5251 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({0}) Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Haushaltsausschuss b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker Rühe, Karl Lamers, Klaus-Jürgen Hedrich, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Die strategische Bedeutung der Kaukasus-Republiken, Armenien, Aserbaidschan und Georgien politisch umsetzen - Drucksache 14/5961 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({1}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich begrüße zu diesem Tagesordnungspunkt unserer Debatte eine Delegation der Nationalversammlung der Republik Armenien unter Leitung des stellvertretenden Vorsitzenden der Nationalversammlung, Herrn Gagik Aslanyan. Seien Sie uns herzlich willkommen, liebe Gäste. ({2}) Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Peter Weiß, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen aus dem armenischen Parlament! Als vor einem Jahrzehnt die Sowjetunion zerfiel, entstanden, verbunden mit vielen Erwartungen und Hoffnungen, die fünf neuen Staaten Zentralasiens Kasachstan, Kirgistan, Usbekistan, Tadschikistan und Turkmenistan sowie die drei neuen Staaten im Südkaukasus Armenien, Aserbaidschan und Georgien. Für viele Menschen in Europa und auch bei uns in Deutschland sind diese Länder nicht nur geographisch, sondern auch im öffentlichen Bewusstsein noch immer weit entfernt. Doch mit der Osterweiterung der Europäischen Union rücken wir näher an diese Länder heran. Dann gilt erst recht, dass Krieg und Frieden, Armut und Wohlstand, Unterjochung und Freiheit, Willkür und Rechtsstaatlichkeit in diesen Ländern, die die Drehtüren zwischen Ost und West darstellen, unmittelbare Folgen für die Zukunft Europas haben. Deshalb ist es höchste Zeit, dass die politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit mit den Ländern der Kaukasusregion und Zentralasiens stärker in das Zentrum deutscher und europäischer Politik gerückt wird. ({0}) Offenkundig ist zum Beispiel das hohe wirtschaftliche Interesse, das wir haben. Deutschland ist der größte Erdöl- und Erdgasimporteur in Europa. Je mehr jedoch unsere traditionellen Bezugsquellen für unsere eigene Versorgungssicherheit versiegen, umso bedeutender werden die Erdöl- und Erdgasvorkommen im Kaspischen Becken. Die Nachfrage nach deutscher Technologie, deutschen Maschinen und Anlagen bei der Erschließung der Rohstoffvorkommen wird in den kommenden Jahren wachsen. Ein anderes Beispiel: Bei Experten längst bekannt, in der deutschen Öffentlichkeit noch wenig nachvollzogen, ist, dass ungefähr 90 Prozent der Opiate, die nach Westeuropa gelangen, in Afghanistan produziert werden und ihren Weg über Zentralasien und über Nachbarstaaten nach Europa finden. Für die Taliban in Afghanistan ist die Drogenproduktion mittlerweile eine der wichtigsten Einnahmequellen geworden. Für die zunehmend verarmten Länder Zentralasiens ist der Drogenhandel aus Afghanistan in Richtung Westeuropa ebenfalls eine wichtige Einnahmequelle geworden. In Tadschikistan sollen die EinkünfteausdemRauschgifthandelmittlerweileeinSechstel der gesamten Bruttoinlandsproduktion ausmachen. Dass globale Umweltprobleme nicht an staatlichen Grenzen Halt machen, ist allgemein bekannt. Zentralasien ist eine ökologische Katastrophenzone. In Kasachstan gibt es riesige, durch sowjetische Atomversuche verseuchte Landgebiete. Die Region leidet zunehmend an gewaltigem Wassermangel durch Übernutzung und Verschmutzung. Das Katastrophensymbol schlechthin ist der mittlerweile fast verschwundene Aralsee. Sicherheit und Prosperität in Europa gibt es nur, wenn auch bei unseren unmittelbaren Nachbarn stabile Verhältnisse herrschen. Doch Zentralasien ist heute eine der Regionen, die zunehmend dem - aus Afghanistan herüberschwappenden - Fundamentalismus und kriegerischen Attacken von Milizen ausgesetzt sind. Organisierte Kriminalität und internationaler Terrorismus destabilisieren die gesamte Region. Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und die Achtung der Menschenrechte sind unterentwickelt. Die staatliche Macht ist äußerst brüchig. Die Situation in den drei kaukasischen Republiken ist durch eine ganze Reihe regionaler Konflikte geprägt. Die eingefrorenen Konflikte um Nagorny-Karabach zwischen Armenien und Aserbaidschan sowie um Abchasien und Südossetien in Georgien behindern die wirtschaftliche und politische Entwicklung der gesamten Region. Sie können jederzeit wieder gewaltsam ausbrechen, mit all Präsident Wolfgang Thierse den Folgen für die regionale Stabilität und die Stabilität in Europa insgesamt. Die deutsche Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik bezüglich der Länder Zentralasiens und der Kaukasus-Region ist europäisch fest eingebunden und international verankert. Das ist zwar gut so. Aber diese Verankerung darf nicht dazu führen, dass sich die deutsche Politik aus der Verantwortung zieht. Wir erwarten - deswegen haben wir die heutige Debatte beantragt -, dass die Bundesrepublik Deutschland künftig auch selbst einen stärkeren Beitrag leistet, um bei der Bewältigung der Konflikte in diesen Regionen zu helfen und zu einer nachhaltigen positiven Entwicklung der neu entstandenen Staaten beizutragen. Man kann sich nicht nur hinter der EU verstecken oder alles auf die EU schieben. Herr Bundesaußenminister, Sie haben kürzlich eine Reise unternommen ({1}) - gut, Sie unternehmen viele Reisen -, die Sie auch in die Länder des Kaukasus, über die wir heute debattieren, geführt hat. Aber wenn Sie in der Kaukasus-Region nur Aserbaidschan und nicht Armenien besuchen, dann muss man sich fragen, wie es um unseren ernsthaften Beitrag zur Lösung des seit über zwölf Jahren bestehenden Konfliktes um Nagorny-Karabach bestellt ist und warum Sie sich nicht in beiden Ländern kundig machen. Seit 1992 gehört Deutschland der so genannten Minsk-Gruppe an, die sich um die Vermittlung zwischen Armenien und Aserbaidschan kümmern soll. Doch von Deutschland hat man schon seit vielen Jahren nichts mehr gehört. Wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie zusammen mit ihren Partnern in der Kaukasus-Region endlich selbst aktiv wird. Wir fordern, dass ein hochrangiger Beauftragter Deutschlands für die Kaukasus-Region benannt wird, der mit entsprechendem politischem Rückhalt einen kontinuierlichen Dialog mit den Regierungen der betroffenen Ländern selbst, aber auch mit den Regionalmächten Russland, Türkei und Iran sowie mit den Verantwortlichen in der US-Administration und unseren europäischen Partnern über die friedliche Beilegung der Konflikte führt; denn die Beilegung der Konflikte wird schmerzliche Kompromisse von den Beteiligten erfordern. Ohne konzertierten politischen Druck der wichtigsten Akteure einschließlich der internationalen Organisationen werden diese Kompromisse nicht zu erzielen sein. Wir erwarten einen aktiveren Beitrag der Bundesrepublik Deutschland zur Stabilisierung der Staaten Zentralasiens und deren Begleitung auf dem Weg zu Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und marktwirtschaftlicher Ordnung. Umweltverschmutzung, Drogenhandel, internationaler Terrorismus, organisierte Kriminalität und Fundamentalismus - all dies sind riesige Probleme, die derzeit die Länder Zentralasiens erschüttern - werden uns in Westeuropa irgendwann selbst einholen, wenn wir nicht präventiv tätig werden. ({2}) Bei der Beantwortung der Frage: „Was haben die Deutschen wirklich vor, um zu einer nachhaltigen Entwicklung sowie zur politischen und wirtschaftlichen Stabilität der Länder Zentralasiens und des Kaukasus beizutragen?“, kann man sich leider nicht allein auf die wertvollen Erklärungen des Herrn Bundesaußenministers oder auf die so genannte Kaukasus-Initiative der Frau Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung verlassen. Die eigentliche Antwort darauf findet man im Bundeshaushalt. Der Beschluss, den die Bundesregierung in der vergangenen Woche gefasst hat, ist schlichtweg eine Katastrophe. Er bedeutet, dass es im Grunde genommen keinerlei Perspektive für die Entwicklungszusammenarbeit mit den zentralasiatischen Ländern und der Kaukasus-Region gibt. Mit dem Entwurf für den Bundeshaushalt 2002 werden die Mittel für die Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion um circa 15,2 Prozent abgesenkt und die so genannten Transform-Programme werden um zwei Drittel gekürzt. Die verbleibenden Baransätze sollen nur noch dazu dienen, in den nächsten Jahren die eingegangenen Rechtsverpflichtungen zu bedienen. Neue Verpflichtungsermächtigungen - das heißt auch: Mittel für neue Projekte - gibt es nicht mehr. Die Titel, die für diese Länder bislang hauptsächlich zuständig waren, sollen in den nächsten Jahren restlos beseitigt werden. Natürlich bietet die Bundesregierung einen Ausweg an: Die Arbeit in Osteuropa, in Zentralasien und in der Kaukasus-Region möge künftig über die so genannten normalen Titel der Entwicklungszusammenarbeit finanziert werden. Diese Titel werden für diesen Zweck jedoch nicht etwa erhöht, sondern zum Teil sogar weiter abgesenkt. Besonders perfide finde ich diese Strategie gegenüber den nicht staatlichen Trägern der Entwicklungszusammenarbeit. Da die Entwicklung einer starken und aktiven Zivilgesellschaft für den gelingenden Transformationsprozess sowie für die Demokratisierung der Länder Zentralasiens und des Kaukasus von größter Bedeutung ist, haben sich im letzten Jahrzehnt die Kirchen, die politischen Stiftungen und eine Vielzahl von Nichtregierungsorganisationen in diesen Ländern zu Recht engagiert. Angesichts der Tatsache, dass fast alle Länder Zentralasiens und der Kaukasus-Region im Hinblick auf Korruption - leider - weltweit an der Spitze stehen, war und ist es wichtig, verlässliche und solide Partner der Entwicklungszusammenarbeit im nicht staatlichen Bereich zu finden. Deshalb ist diese Arbeit von der Bundesregierung immer gefördert worden. Doch auch die Mittel dafür soll es in Zukunft nicht mehr geben; stattdessen sollen Kirchen, Stiftungen und Nichtregierungsorganisationen ihre Ostarbeit künftig aus ihren eigenen Haushaltstiteln für die Südarbeit mitfinanzieren. Um es deutlicher zu sagen: Das, was die Bundesregierung jetzt vorschlägt, heißt: Ostarbeit, Arbeit in Zentralasien und in der Kaukasus-Region, gibt es künftig nur zulasten der Südarbeit, sprich: zulasten der Zusammenarbeit mit den ärmsten Ländern des Südens. Die Situation, vor die wir gestellt sind, halte ich für vollkommen verquer. ({3}) Der Bundeskanzler hat auf dem Millenniumsgipfel der Vereinten Nationen verkündet, dass Deutschland das Peter Weiß ({4}) große Ziel, die extreme Armut weltweit bis zum Jahr 2015 zu reduzieren, mit einem eigenen Beitrag unterstützen werde. Das Bundeskabinett hat Anfang April dieses Jahres mit der Unterstützung aller Bundesressorts ein Aktionsprogramm für einen deutschen Beitrag zur Reduzierung der weltweiten Armut beschlossen. Der Herr Bundeskanzler hat heute, zum 60. Jahrestag des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941, den Nachfolgestaaten weitere Hilfe bei gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Reformen sowie eine Intensivierung der Beziehungen angeboten. Doch gleichzeitig legt man uns einen Haushaltsentwurf vor, der genau das Gegenteil dessen, was für eine solche Politik notwendig ist, beinhaltet. Wo bleibt da die internationale Glaubwürdigkeit der Bundesregierung? Wo bleibt die Glaubwürdigkeit gegenüber all denjenigen Mitbürgerinnen und Mitbürgern, die sich in zum Teil großartiger Weise in Verbänden, Nichtregierungsorganisationen oder anderen Initiativen engagieren? Wo bleibt die Glaubwürdigkeit gegenüber unseren Partnern in den Kirchen, in den Stiftungen, in den Nichtregierungsorganisationen oder in den vielen entwicklungsorientierten Initiativen und Gruppierungen? Die hehren politischen Erklärungen, in denen wir weitgehend übereinstimmen, sind alle null und nichtig, wenn man die Zusammenarbeit gerade mit den Transformationsländern Osteuropas, Mitteleuropas, Südosteuropas, der Kaukasus-Region und Zentralasiens in der Art und Weise, wie es der Bundeshaushalt 2002 ausweist, einschränkt und praktisch sogar auf null reduziert. Das ist keine Perspektive. Deswegen fordern wir von Ihnen nicht nur politische Erklärungen, sondern auch konkretes Handeln, das diese Erklärungen rechtfertigt. Vielen Dank. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile der Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul das Wort.

Heidemarie Wieczorek-Zeul (Minister:in)

Politiker ID: 11002503

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir tragen eine politische Gesamtverantwortung für die Regionen, über die wir heute diskutieren, das heißt für Zentralasien und den Kaukasus, den Südkaukasus zumal. Denn die Befreiung von sowjetischer Herrschaft und Dominierung ist das eine, aber unsere Verantwortung jetzt für den sich fortsetzenden Prozess der Transformation dieser Länder ist das andere. Wir stehen zu dieser Verantwortung, da die Leistungen, die von diesen Ländern verlangt werden, groß sind. Es geht darum, sich vom Staatskapitalismus hin zu einer sozialen Marktwirtschaft und zu einer stabilen Wirtschaft zu entwickeln. Es geht darum, sich hin zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu entwickeln. Es geht darum, dazu beizutragen, Konflikte frühzeitig abzubauen und damit mögliche Krisen und Kriege präventiv zu verhindern. Ich möchte an dieser Stelle vor allen Dingen all den Menschen danken, die in diesen Ländern die Veränderungen vollziehen, die mit dem Transformationsprozess verbunden sind. Sie leisten die wirkliche Arbeit dort. ({0}) Wer in diesen Ländern war - ich zum Beispiel war in allen drei Ländern des Südkaukasus, in Georgien, Aserbaidschan und Armenien, und habe mit einem Teil der Bevölkerung, nicht nur mit den politisch Handelnden, gesprochen -, der sieht, was von den Menschen in diesen Ländern an Veränderungen verlangt wird. Deshalb ist es wichtig, dass wir die dort geleistete Arbeit mit unterstützen. Wir werden unsere Anstrengungen weiter fortsetzen, denn wir haben ein Interesse an der Stabilität dieser Regionen. Wir haben ein Interesse - Kollege Weiß hat es zu Beginn seiner Ausführungen angesprochen - an einer guten wirtschaftlichen Kooperation. Dazu gehört übrigens auch eine wechselseitige kooperative Energieversorgung; das kann sehr offen und deutlich gesagt werden. Wir haben ein Interesse daran, das Prinzip der regionalen Integration, das für uns in Europa ein friedens- und wohlstandssicherndes Prinzip ist, auch für andere Regionen fruchtbar zu machen. Das heißt, dass in der Region größere Märkte gefördert werden müssen, zum Beispiel für die zusammen 73 Millionen Einwohner des Südkaukasus und der zentralasiatischen Länder. Es müssen die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass sie selbst größere Märkte und damit eine bessere Ausgangsposition haben, um ihre eigene wirtschaftliche Entwicklung voranzubringen. ({1}) Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen - weil uns das häufig zu wenig präsent ist, und ich verstehe mich als eine Ministerin, die solche Punkte in einer solchen Diskussion in Erinnerung ruft -: Wir haben ein dramatisches Wohlstandsgefälle zwischen Europa und den entsprechenden Regionen sowie eine zunehmende Verarmung der dortigen Regionen. Die durchschnittlichen Pro-KopfEinkommen betragen in den einzelnen Regionen zwischen 300 US-Dollar in Kirgisistan und etwa 1 250 USDollar in Kasachstan. Die Wirtschaftsleistung beträgt etwa 1,2 Prozent bzw. 5 Prozent des deutschen Bruttosozialproduktes. Das ist ein dramatisches Ungleichgewicht. Die Region leidet wegen des lang währenden Transformationsprozesses von der Planwirtschaft zur Marktwirtschaft an einer Verarmung neuer Art. Es besteht eine strukturelle Arbeitslosigkeit, da der Markt der früheren Sowjetunion weggebrochen ist und die Arbeitsteilung, in die die frühere Sowjetunion diese Länder gepresst hat, entfallen ist. Wer dort ist und sieht, welche Schäden diese Arbeitsteilung in einem Land wie Aserbaidschan hinterlassen hat, wird sagen: Das war ein Verbrechen, das gegenüber diesen Ländern begangen worden ist. ({2}) Peter Weiß ({3}) Auch an dieser Stelle möchte ich Zahlen nennen: So erreichte zum Beispiel das Bruttosozialprodukt Georgiens 1999 nur noch 34 Prozent der 1989 offiziell vermeldeten Zahlen. In Armenien und Aserbaidschan sieht es etwas besser aus. Das geringe Finanzaufkommen ermöglicht es diesen Ländern kaum noch, die Leistungen zu erbringen, die für die Bevölkerung, zumal für die armen Teile, wichtig sind: Bildungs- und Gesundheitspolitik. Beide Regionen bestehen aus Staaten mit einem hohen Konfliktpotenzial und bergen daher ein besonderes Risiko der Instabilität. Im Kaukasus sind sogar erneute kriegerische Auseinandersetzungen nicht ausgeschlossen. Angesichts dieses Sachverhaltes konzentriert sich unsere Entwicklungspolitik besonders auf Beratung und Unterstützung in den Bereichen Rechtsstaatlichkeit und Demokratieentwicklung. An dieser Stelle möchte ich sagen: Unsere Zusammenarbeit wird besonders geschätzt, zumal die Erwartung hinzukommt, dass wir Erfahrungen aufgrund des deutschen Einigungs- und Transformationsprozesses an diese Staaten weitergeben und sie dort fruchtbar werden können. Das ist in der Tat möglich, auch wenn die Situation nicht übertragbar ist. Die Kaukasus-Länder sind bereits Mitglied des Europarates. Die Region Kaukasus wird Nachbar der Europäischen Union. Auch Zentralasien sieht in der EU einen neutralen Partner. Wir konzentrieren unsere Entwicklungszusammenarbeit auf Georgien sowie auf fünf Partnerländer, nämlich Armenien, Aserbaidschan, Kasachstan, Kirgisistan und Usbekistan. Nichtpartnerländer sind bisher Tadschikistan und Turkmenistan. Dennoch leisten wir in Tadschikistan Hilfe bei der Nahrungsmittelunterstützung. Aufgrund der politischen Situation in den beiden Ländern ist eine offizielle Entwicklungszusammenarbeit bisher für uns nicht möglich. Schwerpunkte sind für uns immer, den Aufbau der sozialen Marktwirtschaft zu unterstützen, den Finanzsektor zu reformieren, kleine und mittlere Unternehmen zu unterstützen, die Berufsbildung voranzubringen und in der Rechtsberatung tätig zu sein. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer vor Ort erfahren hat, wie groß der Wunsch in den betroffenen Ländern - besonders im Kaukasus - ist, zum kontinentaleuropäischen Rechtssystem zurückzukehren, der weiß, wie wichtig diese Zusammenarbeit ist. Der oberste Präsident des Gerichtshofs in Georgien etwa, Herr Tschantschuria, hat als Austauschstudent des Deutschen Akademischen Austauschdienstes in Deutschland seine Ausbildung genossen, ist dann nach Georgien zurückgegangen und hat dort mit anderen zusammen das georgische Justizsystem aufgebaut. Solche Beratungen beim Aufbau von Rechtssystemen leisten wir vor einem ganz zentralen Hintergrund: Es geht um Demokratie, aber auch um wirtschaftliche Chancen für die Länder. Es geht darum, die Chancen zu verbessern, dass in diesen Ländern Investitionen vorgenommen werden und somit Arbeitsplätze geschaffen werden können. ({4}) Zum Schluss möchte ich noch einige Anmerkungen machen: Wir haben nicht erst auf die Empfehlung von Herrn Weiß hin praxisorientiert gehandelt, sondern ich habe bereits während meiner Reise eine entsprechende Kaukasus-Initiative unseres Ministeriums vorgestellt. Wir sind bereits in Verhandlungen mit den Regierungen von Georgien, Armenien und Aserbaidschan. Dieses wollte ich Ihnen zum Schluss meiner Ausführungen noch einmal darstellen. Im Übrigen bin ich der Meinung, dass in erster Linie die EU eine solche Stabilitätsinitiative voranbringen sollte. Ich glaube nämlich nicht, dass wir warten können, bis erneut Konflikte ausbrechen. Wir sollten vertrauensbildende Maßnahmen fördern, unterstützen und dazu beitragen, dass die Menschen in der Region miteinander reden, und zwar auch über die jeweiligen Grenzen hinweg. Es reicht nicht, dass nur die Staatspräsidenten miteinander sprechen. Wir müssen den Kontakt zwischen den Menschen fördern und das tun wir auch. ({5}) Das Anliegen meiner Reise - ich war im April in den drei Ländern im Kaukasus - war, dazu beizutragen, die Friedensförderung durch regionale Kooperationen in wichtigen Bereichen voranzubringen. Dadurch sollen die einzelnen Länder auch wirtschaftlich enger miteinander verknüpft werden. Die Reaktionen waren insgesamt positiv, jedoch unterschiedlich in den einzelnen Ländern. Verabredet wurde - das lässt sich sehen, das hat vor uns niemand erreicht - eine Initiative für die Jahre 2001 und 2002 mit bilateraler Entwicklungszusammenarbeit in einer Größenordnung von jeweils 100 Millionen DM. Wir haben mit der Umsetzung bereits begonnen. Ich sage Ihnen nun stichpunktartig, worum es geht. Zunächst geht es um Rechtsberatung und Rechtssysteme sowie Stärkung der kommunalen Demokratie. Dazu zählen zum Beispiel Dialogprogramme der politischen Stiftungen, Aus- und Fortbildungsinstitutionen, Journalistenkontakte, Juristenzusammenarbeit, Förderung des Energiesektors. Alle drei Länder im südlichen Kaukasus leiden unter erheblichen Energieproblemen. Deshalb geht es uns darum, mit der Kooperation einen regionalen Energieverbund für Strom und Gas zu fördern. Darüber hinaus geht es um die Förderung der Privatwirtschaft. Ich denke insofern vor allem auch an Existenzgründungen. Dazu haben wir überregional - für die drei Länder - einen Kreditgarantiefonds für Klein- und Mittelbetriebe geschaffen, der dazu beiträgt, dass die Möglichkeiten des größeren Marktes genutzt werden. Zudem unterstützen wir die Länder überregional bei der Bekämpfung von Krankheiten. Dazu zählen auch die neuen alten Krankheiten; damit meine ich die Krankheiten, die - wie Tuberkulose - mit der Armut wieder zurückgekommen sind. Außerdem unterstützen wir die drei Länder in der regionalen Zusammenarbeit beim Aufbau von Biosphärenreservaten.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Ministerin, Sie müssen zum Ende kommen.

Heidemarie Wieczorek-Zeul (Minister:in)

Politiker ID: 11002503

Jawohl, Herr Präsident, das trifft sich gut. ({0}) Zusätzlich zu all dem sind wir nicht nur bilateral tätig, sondern auch in der EU, in der Weltbank und in den Regionalbanken. Vor dem Hintergrund der anhaltenden Veränderungen in der Region tun wir, wie ich denke, gut daran, solche regionale Zusammenarbeit zu fördern. Wir haben deutlich gemacht, dass wir darüber nicht nur reden, sondern dass wir auch konkret handeln. Ich denke, die jeweiligen Länder wissen, wovon die Rede ist. Es liegt uns wirklich daran, eine gute Zusammenarbeit zwischen den Ländern herzustellen. Zum Schluss möchte ich unsere Freunde, die Kolleginnen und Kollegen aus Armenien, die heute anwesend sind, herzlich grüßen und ihnen sagen: Sie können sich auf unsere Arbeit und Zusammenarbeit verlassen. Ich danke Ihnen sehr herzlich. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile dem Kollegen Carsten Hübner, PDS-Fraktion, das Wort.

Carsten Hübner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003154, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als ich mir die beiden Anträge, die wir heute beraten, das erste Mal angesehen habe, habe ich, gelinde gesagt, einen Schreck bekommen. Dabei beziehe ich mich gar nicht auf eine ganze Reihe von Details, Forderungen und Einschätzungen, die ich - nicht zuletzt aus entwicklungspolitischer Sicht - durchaus teile. Das betrifft etwa Armut, ökologische Probleme sowie Probleme der Transformation oder der Demokratisierung. Insofern herrscht, denke ich, in diesem Hause weitestgehender Konsens. Kein Konsens herrscht aber, lieber Kollege Weiß, was die Logik anbetrifft, nach der die Bundesrepublik aktiv werden soll. Das betrifft zunächst einmal die sich durch Ihren Antrag ziehende Logik der offenen oder zumindest deutlich erkennbar formulierten Interessenkollision zwischen der Bundesrepublik bzw. dem Westen auf der einen und Russland bzw. China auf der anderen Seite. Letztlich wird damit einem geostrategischen Wettlauf das Wort geredet; nicht zuletzt ist es der Wettlauf um die ökonomischpolitische Vorherrschaft in Zentralasien insgesamt. ({0}) Das ist ein Denken, das ich nicht allein aufgrund der Gewinner-und-Verlierer-Logik ablehne, die solchen Wettläufen zugrunde liegt. Vielmehr entsprechen die Konfrontation und Konflikte, die mit einer derartigen Politik einhergehen, die von ihr geradezu gefördert und provoziert werden und die schließlich wohl machtpolitisch entschieden werden sollen, einem Politikverständnis, das ich grundsätzlich ablehne und das politisch nicht verantwortbar ist. ({1}) Wie kann man sich - das frage ich Sie ernsthaft - gerade in dieser brisanten Region, gerade im Bereich der globalen Problematik der natürlichen Ressourcen - also Öl und Gas - einer derartigen Logik hingeben, anstatt auf regionale und gleichzeitig globale Integration sowie auf einen Prozess des nachhaltigen und ökologisch vertretbaren Interessenausgleichs zu setzen? ({2}) Dieser Prozess muss Russland und China als Partner - genauso wie internationale Organisation - einschließen, wenn er erfolgreich sein will. Mit einem zukunftsfähigen entwicklungspolitischen Ansatz hat diese hier vorgetragene Denke jedenfalls wenig zu tun. Ich will noch auf einen zweiten Aspekt hinweisen, nämlich auf die Tendenz, die Entwicklungszusammenarbeit zu einer Agentur der Außenwirtschaftsförderung und der geostrategischen Interessen des Westens gegenüber dem Osten und natürlich gegenüber dem Süden zu machen. Erschreckenderweise findet sich genau dieser Ansatz im entwicklungspolitischen Antrag ebenso deutlich wie im Antrag über die strategische Bedeutung der Region. Diese Denkweise, die weit blicken lässt, lehnt die PDS-Bundestagsfraktion aus prinzipiellen Erwägungen ab. ({3}) Ich sage das aber auch - und gerade - mit Blick auf Stimmen aus der Bundesregierung, die ebenfalls einer derartigen Verstümmelung der Entwicklungszusammenarbeit das Wort reden. Ich erinnere in diesem Zusammenhang nur an die bisher durch nichts untersetzte Bejubelung des Konzepts der Public Private Partnership zwischen öffentlicher Hand und Privatwirtschaft, das inzwischen quasi als Zauberwort alle Bereiche der Debatten über die Entwicklungszusammenarbeit durchzieht. Dieses Konzept ist doch wohl nichts anderes als das Feigenblatt für einen sinkenden BMZ-Haushalt. Die Entwicklungszusammenarbeit ist aber weit mehr; sie ist etwas gänzlich anderes. Gerade im Sinne einer nachhaltigen globalen Strukturpolitik, wie sie von der Bundesregierung immer und immer wieder beschworen wird, soll sie die Grundbedingungen für eine solidarische und gerechte globale Entwicklung schaffen und soll nicht weitere Absatzmärkte und Zugänge zu Rohstoffen für die eh schon mächtigen Ökonomien der Welt gegen andere durchsetzen helfen. An diesem Punkt, liebe Kolleginnen und Kollegen, gibt es aus unserer Sicht noch erheblichen Diskussionsbedarf in den Ausschüssen. Wenn Sie dieses Thema so beschäftigt, wie man Ihren Äußerungen entnehmen kann, Herr Außenminister, dann würde ich mich freuen, wenn auch Sie an den Debatten in unserem Ausschuss teilhaben könnten. Danke schön. ({4})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Helmut Lippelt, Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Helmut Lippelt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001352, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Es ist gut, dass die CDU/CSU diese beiden Anträge einBundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul gebracht hat, weil wir damit die Gelegenheit haben, über dieses Thema endlich einmal grundsätzlich zu diskutieren. Wir werden das in den Ausschüssen tun; hier kann man das nicht, dazu sind fünf Minuten zu kurz. Man muss also feststellen, dass man dieses Thema angesichts der großen Probleme in dieser Region im Rahmen der heutigen Debatte nur sehr allgemein behandeln kann. Es liegen heute zwei Anträge der CDU/CSU vor. Der eine Antrag wurde von den Außenpolitikern und der andere Antrag von den Entwicklungspolitikern der CDU/CSU geschrieben. Herr Weiß, Sie tun uns leid, denn Sie haben das Problem, dass Sie als Entwicklungspolitiker auch den außenpolitischen Antrag vertreten müssen, weil kein einziger Außenpolitiker der CDU/CSU anwesend ist. ({0}) Dass bei dem Teil Ihrer Rede, der sich mit der strategischen Bedeutung der Kaukasus-Republiken beschäftigt, nur Unsinn herauskommt, kann also nicht verwundern. Ich will mich im Folgenden auf den Kaukasus konzentrieren. Herr Rühe ist durch diese Region gereist und hat nur die geostrategischen Interessen gesehen: Erdöl, Erdgas - Pipelines! Über kein anderes Thema kann man so wunderbar herumpolitisieren wie über Pipelines, die durch die Türkei oder durch die Ukraine verlaufen sollen. Es ist bedauerlich, dass wir diese wichtige Debatte auf der Basis eines schlecht gestellten Antrags bestreiten. ({1}) Ich will Ihnen vorweg sagen, wo das Problem liegt, wenn Sie über die notwendige Stabilität dieses Raumes reden: Gerade die geopolitischen Interessen ferner Mächte zerstören die Stabilität eines solchen Raumes. ({2}) Wir müssen über die soziale, die innenpolitische und die demokratische Stabilität reden. Aber auch in diesem Punkt machen Sie es sich zu einfach. Sie schreiben einfach - dieser Satz ist wunderbar -: „Seit Aufnahme in den Europarat ... haben diese Länder ihren festen Platz in der europäischen Staatenfamilie.“ Ja, diese Länder gehören zu Europa. Aber Sie müssten sich einmal von Ihren Mitgliedern in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates berichten lassen, wie dort diese Fragen diskutiert werden. Diese Länder sind nur deshalb - und auch nur mit den allergrößten Bedenken - aufgenommen worden, weil der Kontakt zu Europa als notwendig angesehen wurde. Sie sind gegen schwere Bedenken aufgenommen worden; denn dort gibt es immer noch umfangreiche Wahlmanipulationen und die Kultur des Machtwechsels ist überhaupt noch nicht eingeübt, weshalb es enorm viele politische Gefangene gibt. Vor der Aufnahme Aserbaidschans in den Europarat - ich spreche nicht von Armenien; dort sind die Verhältnisse etwas günstiger, aber auch noch problematisch - haben wir mehrere Hundert politische Gefangene aus den Gefängnissen geholt. Aber einige Hundert sitzen dort immer noch. Seit der Aufnahme in den Europarat werden es wieder mehr, übrigens in Georgien auch, obwohl die Zahlen dort niedriger sind. Das Problem ist, dass diese Länder sagen: Nun haben wir den Europarat-Stempel. Der Europarat ist aber nicht mehr das, was er zu Anfang einmal war, sozusagen der Stempel „europäische Demokratie“, sondern der Europarat ist inzwischen die Agentur der Demokratisierung dieser Länder, mit dem Wunsch, sie nach Europa zu holen. Aber das bedeutet überhaupt nicht, dass das bereits gelungen ist. Dann hereinzukommen und von der geopolitischen Lage zu sprechen ist sträflich. Die letzte Bemerkung - die Zeit läuft davon; Herr Präsident, ich werde mich ganz kurz fassen -: Ich komme gerade aus Baku. Dort tagte die Parlamentarische Versammlung der Schwarzmeerkooperation. Dort saßen die Delegationen von Aserbaidschan, Armenien und Georgien; man konnte mit ihnen wunderbar reden. Nur hatten wir beschlossen, dass von der Opposition jemand und von den Regierungsparteien jemand - das war ich - hinfahren würde. Im Protokoll der Obleute des Auswärtigen Ausschusses vom März steht „Der Arbeitskreis Außenpolitik der CDU/CSU wird aufgefordert, einen Vertreter zu entsenden“. Er war nicht da. Dann reist Herr Rühe einmal durch die Gegend, sagt: „Ich habe es begriffen“ und kommt uns hier mit Unsinn. Der größte Unsinn ist die Forderung nach einem Dialog mit Moskau, Teheran und Ankara. Die Äquidistanz zu den großen Mächten um den Kaukasus ist verheerend. Warum? Die Länder aus dem früheren Einflussbereich der Sowjetunion entwickeln ihre Souveränität. Man muss natürlich den Dialog mit Moskau führen. Aber gleichzeitig auch gleichberechtigt mit den anderen etwas hin und her zu balancieren, ist falsch. ({3}) - Ich weiß, Sie kriegen jetzt alles ab. Sagen Sie es den Außenpolitikern weiter! ({4}) Dazu das letzte Beispiel. Ich beziehe mich auf Aserbaidschan.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Lippelt, Sie müssen jetzt wirklich zum Ende kommen. ({0})

Dr. Helmut Lippelt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001352, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident, Sie haben völlig Recht. Ich spreche jetzt den letzten Satz, vielleicht mit zwei Kommas. ({0}) Wenn Sie mit den Initiativen, mit den Helsinki-Komitees, mit all den Menschenrechtsorganisationen, die es dort auch gibt und mit denen man den Dialog führen muss, reden, würden die Ihnen erzählen: Die Leute haben nach dem Erdölvertrag 1994 gedacht, jetzt werde es ihnen besser gehen. Es war nicht so. Sie haben nach dem Beitritt zum Europarat gedacht, jetzt würde es ihnen besser gehen. Es war nicht so. Die grenzenlose Not führte dazu, dass inzwischen aus den Flüchtlingslagern 10 000 Schüler in die Koranschulen des Iran gegangen sind. Was das für die Zukunft dieses Gebietes bedeutet, können Sie sich ausrechnen. Erzählen Sie das Ihren politischen Freunden! Dann können wir sinnvoll in den Ausschüssen diskutieren. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Lippelt, das waren ungefähr 17 Kommas. ({0}) Ich erteile das Wort dem Kollegen Johannes Pflug, SPD-Fraktion.

Johannes Pflug (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003207, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Kaukasus ist eine Region, welche die politische Fantasie anregt. Hier treffen die beiden Großmächte Russland und USA aufeinander. Hier sind das NATO-Mitglied Türkei und der Problemstaat Iran als Nachbarn mit im Spiel. Hier geht es um politische Einflusszonen, und es geht um das Abstecken der letzten noch nicht verteilten Claims im Energiebereich. So liest sich auch über weite Strecken der CDU/CSUAntrag. Es geht um die Existenzsicherung von drei ungefestigten Staaten und um das Ausbalancieren des Selbstbestimmungsrechtes der Völker und des Anspruches auf territoriale Integrität. Vor allem muss es uns um die Lebens- und Überlebenschancen der Menschen in der Region gehen. ({0}) Der Ausgang dieses politischen Dramas ist offen. Diese Offenheit wirkt auf manche wie eine Einladung zum Mitspielen. Ich hoffe nicht, dass sich die CDU/CSU bei der Formulierung ihres Antrags von den Motiven der großen Geostrategen hat leiten lassen. Aber in ihrer Forderung, deutsche Politik solle den Südkaukasus unter „strategischen“ Gesichtspunkten betrachten, klingt ja doch der Wunsch durch, dort - wie andere auch - mitmischen zu wollen. Hätte der Begriff „strategisch“ den begrenzten Sinn, dass deutsche Unternehmen auch künftig kaspischens Öl kaufen können und Zugang zu den südkaukasischen Märkten haben sollten, dann wäre das eine zutreffende Umschreibung unserer Interessenlage. Aber die CDU/CSU will mehr: Sie fordert Einfluss auf den Verlauf der so genannten strategischen Achsen quer durch den Kaukasus, sie fordert die Überwindung der so genannten regionalen Blockbildung und die Organisation eines Dialogs mit Washington, Moskau, Ankara und Teheran zur Stabilisierung der Region. Das sieht alles danach aus, als solle Deutschland nach dem Willen der CDU/CSU im Südkaukasus ein strategischer Player sein. Meine sehr verehrten Damen und Herren von der CDU/CSU, dabei würden wir uns nur überheben. Derartige Wunschträume haben auf absehbare Zeit keine Aussicht auf Realisierung. Deutsche Unternehmen bauen dort keine Pipelines und werden deswegen auch nicht über deren Trassenführung entscheiden. Deutschland ist kein unmittelbarer Akteur bei der Lösung des Konfliktes um Berg Karabach. Es kann auch nichts daran ändern, dass sich die Präsidenten Aserbaidschans und Armeniens lieber in Moskau und Florida als in Berlin treffen. Gerade für deutsche und europäische Kaukasuspolitik ist Realismus und Sinn für das derzeit Erreichbare wichtig. Wir sind im Kaukasus kein Player, auch wenn wir ein wirtschaftliches und politisches Interesse an Stabilität in der Region haben. Es ist ja richtig, dass wir uns einen Kaukasus ohne Konflikte, wirtschaftlich prosperierend, frei und unabhängig, demokratisch, mit funktionsfähigen Verwaltungen und Gerichten wünschen, verantwortungsbewusst, wo jeder mit jedem kooperiert und alle genügend Kaufkraft haben, um sich unsere Produkte leisten zu können. Zu glauben, deutsche Politik könnte dies alles allein oder gemeinsam mit der EU in absehbarer Zeit bewerkstelligen, ist Selbstüberschätzung. Wir können und müssen mit unseren Freunden und Partnern reden, aber wir können nicht von uns aus das Heft in die Hand nehmen. Was wir brauchen, ist Augenmaß und der Einsatz von Mitteln dort, wo sie konkrete Verbesserungen bewirken können: ({1}) bei der Modernisierung der Infrastruktur - Frau Ministerin hat darauf hingewiesen -, beim Umweltschutz, beim Ausbau des Rechtssystems, bei der Energiesicherung, bei der beruflichen Qualifizierung und in all den Bereichen, die für den Übergang von der Plan- zur Marktwirtschaft und von der Einparteienherrschaft zur Demokratie von zentraler Bedeutung sind. Dies hat die frühere Bundesregierung getan; dies tut in verstärktem Maße die heutige Bundesregierung. Sie kann sich dabei auf ein vergrößertes Engagement der Europäischen Union stützen und leistet auch Beiträge zur Entspannung der politischen Probleme im Zusammenhang mit Abchasien, Südossetien und Berg Karabach. Die Förderung regionaler Kooperation ist hierfür ein Schlüssel. So sind ja auch die europäischen Programme angelegt. Mit Ihrem Antrag - das hat gerade auch Herr Kollege Weiß getan - erweckt die CDU/CSU den Anschein, als könnten die im Vorspann des Antrags genannten Probleme des Kaukasus durch mehr Geld hier und mehr Koordination und Beratung dort gelöst werden. Das ist nicht der Fall. Selbst wenn die Bundesrepublik Deutschland und die Europäische Union ihre materiellen Unterstützungsleistungen verdoppelten, könnten wir die strukturellen Defizite der Region, die im Antrag zum größten Teil zutreffend beschrieben sind, nicht beseitigen. Das müssen die Länder selber tun. Es erfordert den Willen der Politiker in den drei Republiken, diesbezüglich etwas zu ändern. Deutsche Politik kann dies ermutigen, kann mit Beratung und Vorschlägen unterstützen; umsetzen müssen dies allerdings die Länder selbst. ({2}) Die militärischen Konflikte zwischen Armenien und Aserbaidschan um Nargornij Karabach und in Georgien sind zurzeit eingefroren. Es gibt zwar in Abchasien und um Nargornij Karabach herum immer wieder einmal Schießereien, aber insgesamt halten die Waffenstillstände. Was für eine Friedensregelung fehlt, ist der politische Wille zum Kompromiss. Obwohl die beiden einflussreichsten Mächte in der Region, Russland und die USA, eine Vermittlerrolle übernommen haben, hat all ihre Stärke nicht ausgereicht, um eine friedliche Regelung herbeizuführen. Nichts deutet darauf hin, dass Deutschland oder die Europäische Union hierbei erfolgreicher sein könnten. Dennoch gab es Bewegung: Die Präsidenten Aserbaidschans und Armeniens haben sich mehrfach getroffen. Solange nicht geschossen wird, kann es immer wieder eine Chance geben. ({3}) Zu dieser Bewegung, meine sehr verehrten Damen und Herren, zähle ich auch den jüngsten Vorschlag des Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses der russischen Duma, Herrn Nikolajew, ein strategisches Gesamtkonzept für den Südkaukasus zu entwickeln, in dem Russland die Rolle einer Garantiemacht übernehmen soll. Russland hat sich auf dem OSZE-Gipfel in Istanbul 1999 verpflichtet, bis zum 1. Juli 2001 zwei Standorte russischer Streitkräfte aus Georgien abzuziehen. Gestern erreichte uns die Nachricht, dass die Streitkräfte aus dem Standort Vaziani zurzeit aufgelöst werden und der Abzug bis zum 29. Juni abgeschlossen sein soll. Das ist zu begrüßen. Demgegenüber sind russische Streitkräfte nach wie vor in dem abchasischen Standort Gudauta stationiert und es liegen keine Hinweise darauf vor, dass dieser Standort ebenfalls geräumt wird. Die Bundesregierung ist aufgefordert, die russische Seite zu drängen, ihren OSZEVerpflichtungen zeitgerecht nachzukommen. Da Russland eine zentrale Rolle für die Stabilisierung auch des Südkaukasus spielt, braucht es das Vertrauen der Staaten der Region. Die Erfüllung vertraglicher Verpflichtungen ist hierfür unumgänglich. Die SPD-Bundestagsfraktion hält die Initiativen des Auswärtigen Amtes, des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und auch die Initiativen auf europäischer Ebene für richtig und unterstützt sie. Sie sieht in ihnen wichtige Beiträge zur weiteren Entwicklung des Kaukasus, die auch Voraussetzungen für die Regelung der politischen Konflikte schaffen können. Diese Initiativen gehen deutlich weiter als das, was die CDU/CSU in ihrem Antrag vorgeschlagen hat, und sie sind zugleich realistischer und weniger vom Wunschdenken geprägt. ({4})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Bundesminister Joseph Fischer.

Joseph Fischer (Minister:in)

Politiker ID: 11000552

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Abgeordneter Pflug, ich gratuliere Ihnen zu Ihrer Rede, weil sie, im Wesentlichen von Realismus getragen, aufgezeigt hat, worin die Probleme bestehen, und zugleich klargemacht hat, dass wir uns völlig überhöben, wenn wir meinten, die Bundesrepublik Deutschland könne dort wie auch immer an einem strategischen Spiel teilhaben. ({0}) Ich weiß, es gehört zur Übung der Opposition - ich mache es Ihnen gar nicht zum Vorwurf -, stärkeres Engagement zu verlangen. Aber dann muss man auch sagen, was dies bedeutet. Man muss dann Verantwortung übernehmen, was sich in einem Mehr an Diplomatie, an Entwicklungszusammenarbeit und an Sicherheitszusammenarbeit ausdrücken müsste. Ich habe gerade jüngst im Nahen Osten die ganz konkrete praktische Erfahrung gemacht, was ein Mehr an Verantwortung bedeutet und wie schnell man an das Ende der Möglichkeiten einer europäischen Mittelmacht gelangt, wenn ganz andere Instrumente sowohl im zivilen als auch im Sicherheitsbereich gefordert sind. Insofern rate ich hier dringend zu Realismus auch vonseiten der Opposition. ({1}) Im Übrigen haben wir es in dieser Region mit Problemen zu tun - das sage ich der PDS -, die nicht so einfach zu lösen sind. Sicherlich, große und sehr große Mächte verfolgen dort ohne jeden Zweifel ihre Politik; das streite ich gar nicht ab. Aber wir sind gut beraten, unsere Politik in die der Europäischen Union einzuordnen. National, also auf der Grundlage bilateraler Beziehungen, betreiben wir Entwicklungszusammenarbeit; wir haben auch gute Beziehungen im wirtschaftlichen Bereich. Aber dass wir uns in einer Nachbarregion tatsächlich so engagieren könnten, dass wir dort auch die europäischen Interessen im Hinblick auf Frieden, Entwicklung und Menschenrechte - sie sind in dieser Region eine ganz zentrale Herausforderung ({2}) zum Tragen bringen könnten, ist völlig ausgeschlossen. Dies wird nur die Europäische Union und eine zweite multilaterale Organisation, die OSZE, können. Nirgendwo habe ich die Bedeutung der OSZE so stark wie in Zentralasien nachvollziehen können. Hier ist die OSZE wirklich die Organisation, die Möglichkeiten zur Verbesserung der Menschenrechtssituation und zur Stabilisierung der Demokratie bietet. Sie ist auch die einzige Organisation, die für die dortige demokratische Opposition einen Hoffnungsfunken in einer manchmal sehr düsteren politischen Umgebung bedeutet. Darüber hinaus müssen wir im Auge haben, dass es in all diesen Ländern Konflikte gibt, die denen auf dem Balkan sehr stark ähneln. Gleichzeitig aber wird aufgrund der Interessen von außen die Konfliktlösung nicht so betrieben, wie sie betrieben werden sollte, um die Konflikte tatsächlich lösen zu können - ob es um den Konflikt in Abchasien, Südossetien oder in Berg Karabach geht, ob es die Konflikte in Zentralasien sind. Hier wird natürlich ein bestimmtes politisches Spiel gespielt. Ich möchte darauf nicht näher eingehen, warne aber davor, dies einseitig zu verankern. Wenn wir uns aber dort engagieren, dann ist es wichtig, dies entlang unserer Grundsätze zu tun. Wirtschaftliche Zusammenarbeit, Handel und Wandel sind für mich kein Gegensatz zur Entwicklungszusammenarbeit. Dies kann sich hervorragend ergänzen; ({3}) die Kollegin Wieczorek-Zeul betont dies zu Recht immer wieder. Grundlage aber muss die Entwicklung der Demokratie sein. Das ist ein ganz entscheidender Gesichtspunkt, den ich während meiner Reise in Zentralasien in den Gesprächen mit den dort regierenden Präsidenten besonders betont habe. ({4}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich dies in der Kürze der Zeit zusammenfassen: Wenn ich unter dem Aspekt Frieden und Stabilität auf unsere Nachbarregionen schaue, dann sehe ich als Konfliktregion den Nahen und Mittleren Osten, den Kaukasus - nicht nur den Südkaukasus, sondern auch den Nordkaukasus, als Teil Russlands - und Zentralasien. Wir haben ein Interesse daran, dass die Entwicklung dort keine eskalierenden Tendenzen annimmt. Die Verknüpfung von Radikalismus, Nationalismus und religiösem Fundamentalismus, von Interessen aufstrebender Regionalmächte, die nicht zögern, aufgrund ihrer traditionellen regionalen Hegemonialpolitik auch militärische Optionen in Erwägung zu ziehen und vorzubereiten, die großen Öl- und Gasmächte, die in diesem Raum traditionell präsent sind - all dies schafft eine Konfliktlage, angesichts derer wir ein Interesse daran haben, uns als Europäer dort gemäß unseren Möglichkeiten entlang der Grundsätze Frieden, Demokratieentwicklung, wirtschaftliche Zusammenarbeit und wirtschaftliche Entwicklung zu engagieren. Aber all die neostrategischen Illusionen und Träumereien, die der Abgeordnete Pflug gerade zu Recht kritisiert hat, sollten wir dort belassen, wo sie hingehören, nämlich in die ideologische Besenkammer des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Vielen Dank. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Der Kollege Joachim Günther von der F.D.P. hat seine Rede zu Protokoll ge- geben.1) Damit sind wir am Schluss der Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 14/5251 und 14/5961 an die in der Ta- gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 22 a und 22 b sowie die Zusatzpunkte 7 und 8 auf: 22 a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({0}) zu dem Antrag der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P. Die Vereinten Nationen an der Schwelle zum neuen Jahrtausend - Drucksachen 14/5243, 14/5855 - Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Eberhard Brecht Clemens Schwalbe Ulrich Irmer b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({1}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Dietmar Bartsch, Petra Bläss, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS Deutsche Beiträge zur Umsetzung der Millenniums-Erklärung der Vereinten Nationen - Drucksachen 14/4525, 14/5851 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Eberhard Brecht Clemens Schwalbe Ulrich Irmer ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Frank Hempel, Adelheid Tröscher, Ingrid Becker-Inglau, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Dr. Angelika KösterLoßack, Hans-Christian Ströbele, Kerstin Müller ({2}), Rezzo Schlauch und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Aids-Bekämpfung in den Entwicklungsländern fördern - Drucksache 14/6320 ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Helmut Haussmann, Ulrich Irmer, Birgit Homburger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P. Für eine gemeinsame europäische VN-Politik - Drucksache 14/6083 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({3}) Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union 1) Anlage 5 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile zu seiner letzten Rede im Bundestag dem Kollegen Eberhard Brecht, SPD, das Wort.

Dr. Eberhard Brecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000254, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die für einen Freitagnachmittag typische Besetzung in diesem Hohen Haus ({0}) - ich nehme die Koalition selbstverständlich aus, die natürlich volle Präsenz zeigt ({1}) täuscht über den Stellenwert des Themas etwas hinweg. Die Zeit - wie noch in den 80er-Jahren - scheint vorbei zu sein, als UN-Politiker in Europa noch als Wolkenschieber abgetan wurden. Zwar haben sich unsere Träume nicht erfüllt - das war ja geradezu eine Euphorie -, dass nach dem Ende des Ost-West-Konflikts die UNO der bestimmende Faktor werden würde. Dennoch hat es eine vorsichtige Aufwertung der Vereinten Nationen gegeben, die nicht nur eine Folge der beendeten Lähmung des Sicherheitsrates während des Ost-West-Konflikts war. Die Handlungsunfähigkeit dieses Gremiums war eigentlich fast immer gegeben. Eine Ausnahme stellten solche Konflikte wie der im Kosovo dar. Nein, inzwischen zeigt sich auch, dass den vielen, meist innerstaatlichen Konflikten mit rein militärischen Mitteln kaum beizukommen ist. Mehr und mehr greifen wir auf Konzepte zurück, die in der UNO oder in deren Umfeld entwickelt worden sind: Konzepte der multilateralen Konfliktprävention und Friedenskonsolidierung. Ich denke, dies ist ein wichtiger Beitrag der UNO auch für die europäische Sicherheitspolitik. ({2}) Ich erinnere an dieser Stelle an den Anteil von 5 000 Polizisten bei den geplanten europäischen Krisenreaktionskräften. Ich erinnere an die immer enger werdende Vernetzung zwischen Nichtregierungsorganisationen und Regierungen, um Konflikte mit friedlichen Mitteln zu lösen. Ich glaube, das ist eine gute und wichtige Neuausrichtung europäischer Sicherheitspolitik, die stark von dem Denken in den Vereinten Nationen profitiert hat. Wenn dennoch die UNO im Millenniumsjahr in einigen Kolumnen wieder einmal als bürokratischer, ineffizienter Koloss kritisiert wurde, kann das nur heißen, dass diese Kommentatoren nicht begriffen haben, dass die Weltorganisation nun einmal die Heterogenität ihrer Mitgliedstaaten widerspiegelt. So sind zähflüssige Entscheidungen in der UNO nicht nur auf vermeintlich behäbige UN-Beamte zurückzuführen, sondern häufig genug die Folge nationaler Egoismen, die über die in der Charta der Vereinten Nationen niedergeschriebenen Grundwerte gestellt werden. Auch sollten sich Parlamente und Regierungen so lange mit ihrer Kritik an UN-Operationen zurückhalten, wie sie nicht bereit sind, angemessene freiwillige Leistungen, aber auch Pflichtbeiträge für den ordentlichen Haushalt und die Friedensmissionen in vollem Umfang zu zahlen. ({3}) So müssen wir den großen Beitragsschuldnern deutlich sagen, dass man nicht einerseits die Vereinten Nationen mit Aufgaben überfrachten, sie andererseits aber gleichzeitig in eine finanzielle Handlungsunfähigkeit führen bzw. die Zahlung von Pflichtbeiträgen von der Erfüllung von Bedingungen abhängig machen kann. Ich erinnere an die unglücklich verlaufene Wahl der Mitglieder der Menschenrechtskommission. Wir bedauern, dass die USA nicht in dieses Gremium hineingewählt wurden. Wir glauben auch, dass es wichtig ist, dass sich Europa mit seinen wichtigen transatlantischen Partnern abstimmt. Dennoch darf das Scheitern der Amerikaner bei dieser Wahl nicht dazu führen, dass das US-Repräsentantenhaus die Begleichung der Beitragsschulden in Höhe von 244 Millionen US-Dollar von einer Wiederwahl in dieses wichtige Gremium abhängig macht. Sitz und Stimme in den UN-Gremien sind nicht käuflich und dürfen dies auch nie werden. ({4}) Um nicht in den Verdacht des Pharisäertums zu geraten, indem wir nur das Beitragsverhalten anderer Staaten kritisieren, haben vier der fünf Fraktionen im Bundestag in ihrem gemeinsamen Antrag mit dem Titel „Die Vereinten Nationen an der Schwelle zum neuen Jahrtausend“ gefordert, dass Deutschland mittelfristig wieder angemessene freiwillige Beiträge an VN-Fonds und -Programme entrichtet. Diesen Appell richte ich heute nicht nur an die Bundesregierung, sondern auch an unsere Haushälter, bei denen manchmal das Verständnis für multilaterales Engagement nicht so sehr ausgeprägt ist. ({5}) - Anwesende Haushälter nehme ich selbstverständlich aus. Zu einer konstruktiven UN-Politik, die übrigens auch in unserem nationalen Interesse liegt, gehört, dass sich unser Land weiterhin für den Erhalt des Friedens engagiert - dies sowohl mit Methoden der Konfliktprävention als auch durch die Beteiligung an friedenserhaltenden Maßnahmen. Ich darf einmal daran erinnern, dass wir Anfang der 90er-Jahre einen Paradigmenwechsel vorgenommen haben, indem wir gesagt haben: Deutschland kann sich an solchen Operationen beteiligen. Das war ein sehr schwerer Prozess für einige Fraktionen in diesem Haus. Wir haben seit Kambodscha 1991 inzwischen mehr als 3,3 Milliarden DM aufgewendet, viele Tausende Soldaten in diese Friedensmissionen geschickt und an vielen Stellen auch sehr viel Erfolg gehabt. Präsident Wolfgang Thierse Gerade wegen unseres Engagements unterstützen wir auch die Forderung der Brahimi-Kommission, Einsätze durch den Sicherheitsrat nur dann zu beschließen, wenn auch eine langfristige Finanzierung gesichert ist und eine tragfähige Einsatzplanung vorliegt. Diese Klarheit sind wir unseren Soldaten, den bedrohten Menschen, denen wir ja Schutz vor Verfolgung bieten wollen, aber nicht zuletzt auch dem Steuerzahler schuldig. Deutschland ist an einer weiteren Verrechtlichung der internationalen Beziehungen im Rahmen der UNO interessiert. Ich glaube, das teilen alle Fraktionen in diesem Haus. Das Recht der Stärke sollte mehr von der Stärke des Rechts abgelöst werden. Die Bundesregierung hat sich im Rahmen der Verhandlungen und der Ratifizierung zum Internationalen Strafgerichtshof aus meiner Sicht vorbildlich verhalten. Nachdem wir einer Ratifizierung des Römischen Statuts im Deutschen Bundestag mit breiter Mehrheit zugestimmt haben, sollten wir jetzt auch andere Parlamente ermuntern, diesen Schritt zu tun. Die Vorbehalte unserer amerikanischen Freunde gegen die Einsetzung des Internationalen Strafgerichtshofs sind nach meiner Auffassung unbegründet. Weder kann ich die Gefahr einer Instrumentalisierung des Gerichtes erkennen, noch sind die Verfahrensrechte der Angeklagten dürftig. Zunächst einmal wird das nationale Gericht tätig, bevor der Internationale Strafgerichtshof angerufen wird. Ich glaube, dass das Römische Statut in jeder Hinsicht mit einer modernen westlichen Strafprozessordnung kompatibel ist. Deswegen kann ich diese Vorbehalte nicht nachvollziehen. ({6}) Mir ist insbesondere unverständlich, warum das USRepräsentantenhaus mit seinem „American ServiceMembers‘ Protection Act“ jetzt jene Staaten mit Sanktionen bestrafen will, die das Römische Statut zu ratifizieren beabsichtigen. ({7}) Ich appelliere daher an dieser Stelle an unsere Kollegen im amerikanischen Kongress, die Einrichtung des Internationalen Strafgerichtshofs nicht weiter zu behindern. ({8}) In der Vergangenheit waren nämlich die Vereinigten Staaten - sie haben eine ganz andere Tradition - vorbildlich an der strafrechtlichen Verfolgung schwerster Verbrechen gegen die Menschlichkeit beteiligt. Ich denke zum Beispiel an die Tribunale in Nürnberg, in Tokio oder Den Haag. Eine gegen den Internationalen Strafgerichtshof gerichtete Obstruktion würde daher dem Anspruch Amerikas entgegenstehen, für Freiheit, für Demokratie und Wahrung der Menschenrechte weltweit einzutreten. ({9}) Meine Damen und Herren, wenn man in Deutschland über die UNO redet, wird einem jeder Journalist sofort die Gretchenfrage stellen: Wie haltet ihr es denn nun mit dem ständigen Sitz im Sicherheitsrat? Ich glaube, dies ist keine primäre Frage deutscher Außenpolitik. Wie in allen Bereichen der Vereinten Nationen wollen wir auch die Reformbemühungen des Sicherheitsrates unterstützen, um dieses Gremium den Anforderungen des 21. Jahrhunderts anzupassen. Wenn hierfür ein ständiger Sitz Deutschlands im Weltsicherheitsrat hilfreich ist, werden wir diesen gern einnehmen. Mit einer Weiterentwicklung des EU-Vertragswerkes sind aber auch andere Optionen denkbar, die wir nicht von vornherein ausschließen wollen. Bevor im New Yorker Hauptquartier das letzte „window of opportunity“ zugeschlagen wird, sollten alle Beteiligten begreifen, dass es bei dieser Frage weniger um Prestige als vielmehr um Verantwortung geht. Dieser wollen wir uns in dieser Frage, aber auch in anderen Fragen bezüglich der Vereinten Nationen stellen. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({10})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Nächste Rednerin ist für die Fraktion der CDU/CSU die Kollegin Erika Reinhardt.

Erika Reinhardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001811, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Es ist fünf Minuten vor zwölf, also höchste Zeit für eine Gesamtstrategie zur Bekämpfung von HIV/Aids. Ich spreche zu dem Antrag der Regierungskoalition „Aids-Bekämpfung in den Entwicklungsländern fördern“, der uns hier vorliegt. Das ist etwas, was man nur unterstützen kann. Es ist alles hervorragend formuliert. Aber es ist nicht mehr und nicht weniger als ein Antrag, der im Grunde genommen die Papiere der Vereinten Nationen und des Wissenschaftlichen Dienstes hier im Hause zusammenfasst. Dieser Antrag ist eine hervorragende Zusammenfassung des aktuellen Standes der Aids-Epidemie. In dieser Arbeit wird die Dramatik des Problems ohne Zweifel deutlich. Nur, daraus muss man Konsequenzen ziehen und daraufhin muss man konkrete Forderungen stellen. Der vorliegende Antrag umschreibt zwar, was zu tun wäre, aber sonst nichts. Es genügt jedoch nicht, lediglich Absichten zu erklären und zu begrüßen, sondern man muss schon etwas fordern, was konkretes Handeln betrifft. In diesem Regierungsantrag ist aber eigentlich alles offen. Es ist klar: Forderungen haben natürlich auch Konsequenzen, was die Finanzen betrifft. Aber beides ist notwendig. Der Antrag ist diesbezüglich nichts als heiße Luft. Sie begrüßen den Umfang der Mittel, die die Bundesregierung bis 1999 für bilaterale Projekte der AidsBekämpfung zur Verfügung gestellt hat. Auch ich begrüße das ausdrücklich. Es waren Mittel in Höhe von fast 400 Millionen DM. Nur zu Ihrer Erinnerung: Das war noch unter einer CDU/CSU-Regierung. Für die Haushalte 2000 und 2001 nennt der Antrag schöne Zahlen, die ich Ihnen gerne genauer erläutern möchte. Ein Etat zur bilateralen Aids-Bekämpfung existiert aber überhaupt nicht. Die Mittel zur Aids-Bekämpfung stecken in erster Linie in den Bereichen „Soziale Grunddienste“ und „Bevölkerungspolitik“. Die sozialen Grunddienste aber, die sich in der 20/20-Regelung von Kopenhagen niederschlagen, haben im BMZ-Haushalt weiterhin keine angemessene Bedeutung, im Gegenteil: Im vergangenen Jahr wurde hier ein neuer Tiefstand erreicht. Auch die Mittel, die der Bevölkerungspolitik zugute kommen sollen, sind gesunken: von 137,5 Millionen DM im Jahre 1999 auf 45 Millionen DM im Jahre 2000. Das sind konkrete Zahlen, die Ihnen zu denken geben müssten. Selbst trotz der nun angekündigten Erhöhung der BMZ-Mittel für soziale Grunddienste kann von einer angemessenen Steigerung überhaupt keine Rede sein. In Relation zum sektoral aufteilbaren Betrag der deutschen Entwicklungszusammenarbeit sinkt der Anteil der sozialen Grunddienste weiter. Sie hätten die Möglichkeit gehabt, in Ihrem Antrag konkrete Forderungen zu stellen. Wer es mit der Aids-Bekämpfung ernst meint und nicht nur Schönrederei betreiben will, muss - vor allem im Haushalt - handeln. Natürlich, wir wissen alle: Es gibt kein Patentrezept gegen Aids. Deshalb ist es wichtig, in den Entwicklungsländern darauf hinzuwirken, dass die Aids-Bekämpfung ein Bündel von Maßnahmen umfasst: Prävention, Bewusstseinsbildung, Therapie und natürlich Impfstoffforschung. Nur im Verbund dieser Maßnahmen werden wir in den Entwicklungsländern Erfolg haben. Im vorliegenden Antrag ist ein in meinen Augen entscheidender Schritt zur Aids-Bekämpfung nicht vorhanden. Meine Damen und Herren, was die Welt dringend braucht, ist ein Aids-Impfstoff. Im November 2000 haben die Entwicklungsminister in Brüssel angekündigt, die Impfstoffentwicklung für Entwicklungsländer zu forcieren. Auch hier gilt: Den Ankündigungen müssen Taten folgen. Fakt ist aber: Ende des Jahres 2000 ist die Bundesförderung für die Aids-Impfstoffforschung ausgelaufen. Die Entscheidung über eine neue Bundesförderung liegt bis heute nicht vor. Also auch hier heiße Luft und nicht mehr. Die Deutsche Aids-Stiftung rechnet mit einem Bedarf an Bundesmitteln für die Impfstoffforschung in Höhe von 350 Millionen DM bis zum Jahr 2007. Wie gedenkt die Bundesregierung, sich hier einzubringen? Wenn Ende Juni in New York die Sondergeneralversammlung zu Aids einen Aidsfonds beschließt, dann muss dieser Aidsfonds auch ein Impuls für die Impfstoffforschung sein. Warum ist das nicht Teil einer offiziellen Strategie für New York? Warum taucht dieser Sachverhalt in Ihrem Antrag überhaupt nicht auf? Da muss man sich schon fragen: Wie ernst meinen Sie es eigentlich mit diesem Antrag, wenn Sie hier keine konkreten Forderungen stellen? Die Bundesregierung geht konzeptlos und ohne Strategie nach New York. Das ist so. ({0}) Es ist nicht gelungen, national zu einer abgestimmten Position, ja nicht einmal zu einer Abstimmung in Schwerpunktbereichen zu gelangen. Es ist noch weniger gelungen, im Rahmen der Europäischen Union zu einer abgestimmten Position beizutragen. Auch im vorliegenden Antrag ist der Bedeutung einer EU-weit abgestimmten Strategie gegen Aids/HIV nicht Rechnung getragen worden. Ferner wissen wir bis zum jetzigen Zeitpunkt nicht, wie der Aidsfonds, um den es in New York ja auch gehen wird, nach Meinung der Bundesregierung aussehen soll, welche Aufgaben er erfüllen soll. Darüber gibt es in dem Antrag überhaupt keine Aussage. Dort gibt es nur die Aussage, man solle sich bemühen, einen Fonds einzurichten; aber etwas Konkretes ist auch hier nicht zu finden. Noch weniger wissen wir darüber, in welchem Umfang sich die Bundesregierung an diesem Aidsfonds beteiligen wird. Auch dazu ist bisher nichts gesagt worden. Sie sehen also: 1 000 Fragen, die offen bleiben. Wenn ich heute aus Regierungskreisen höre, dass die Haltung der Bundesregierung in New York reaktiv sein werde, dann heißt das doch im Klartext: Wir haben keine Strategie, wir haben keine Vorschläge, wir sind einfach nicht vorbereitet. Das ist noch weniger als wenig; das ist eigentlich nichts. Die Hausaufgaben sind nicht gemacht. Ein Antrag macht nur dann Sinn, wenn er auch Substanz hinsichtlich einer Umsetzung enthält. Absichtserklärungen helfen niemandem weiter. In Ihrem Antrag finden sich viele große Worte, alles wichtig und richtig. ({1}) Der Antrag ist an sich hervorragend formuliert; eine bessere Zusammenfassung kann man gar nicht bekommen. Aber welche Konsequenzen daraus gezogen werden sollen, bleibt offen; diese Antwort bleiben Sie schuldig. Ohne konkrete Handlungsverpflichtungen für die Bundesregierung ist ein solcher Antrag Makulatur. ({2}) - Das macht nichts. Wenn Sie das gerne hören wollen, sage ich es gerne noch ein viertes Mal. Er ist Makulatur. ({3}) - Es wird nicht besser; da haben Sie Recht. ({4}) Es wird dadurch leider Gottes nicht besser. Ich würde mich freuen, wenn es besser würde. Wir werden uns bei der Abstimmung der Stimme enthalten, weil uns die Sache zu wichtig ist. Wir halten die Aidsbekämpfung für eine ganz wichtige Maßnahme; aber es kann nicht sein, dass nur große Reden gehalten werden und dahinter keine Forderungen stehen. ({5}) - Ich weiß, Sie hören es nicht so gern. Herzlichen Dank. ({6})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Jetzt spricht die Kollegin Rita Grießhaber für die Fraktion des Bündnisses 90/ Die Grünen.

Rita Grießhaber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002664, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich zuallererst ein ganz herzliches Dankeschön an Eberhard Brecht sagen. Er hat unseren Unterausschuss „Vereinte Nationen“ wirklich wunderbar kollegial und mit großer Umsicht geführt. Es war ein schwieriges Thema, es war viel einzubinden, ein breites Themenspektrum. Es war immer ein sehr, sehr angenehmes Klima. Ein herzliches Dankeschön! ({0}) Die Vereinten Nationen stehen vor immensen Herausforderungen und wichtigen Entscheidungen, ob nun hinsichtlich der Armuts- und Aidsbekämpfung, der Umsetzung des Kioto-Protokolls oder insbesondere des Schutzes von Frieden und Sicherheit. Heute haben die Vereinten Nationen als Hüterin des Weltfriedens mehr denn je große Bedeutung. Die Mitgliedstaaten - das sind wir alle - sind gefordert, Abrüstungsinitiativen, Krisenprävention und Frieden schaffende und erhaltende Maßnahmen mitzutragen. Friedenssicherung heute ist mit dem klassischen „peacekeeping“ nicht mehr gleichzusetzen. Heutzutage spielt sich die Mehrheit von Konflikten innerhalb der Staaten, oft als Bürgerkriege, ab. Heutzutage müssen die Vereinten Nationen eingreifen, um Hungersnöte, Massenmigration und drohenden Genozid zu verhindern. Obwohl es Erfolge gibt - Eberhard Brecht hat darauf hingewiesen -, prägen doch eher die schlimmen Misserfolge das Erscheinungsbild der Vereinten Nationen in der Weltöffentlichkeit. Ich erinnere hier nur an Ruanda. Ruanda oder Osttimor illustrieren ein Dilemma: Obwohl die Vereinten Nationen über ein ausgebautes Frühwarnsystem verfügen, kommt es oft nicht zu den notwendigen Einsatzentscheidungen. So groß das Erschrecken über Gräueltaten in sich destabilisierenden oder auseinander fallenden Staaten ist, so groß sind die Zweifel und vor allem die Angst davor, sich in unlösbare Konflikte zu verstricken. Ebenso groß ist die Ungewissheit, ob tatsächlich Chancen bestehen, Schlimmeres zu vermeiden. Interventionspolitik ist ein Wort, bei dem viele zusammenzucken. Aber oft genug beklagen wir hinterher die Opfer und müssen uns dann im Nachhinein fragen: Wie hätte man sie verhindern können? Bei jedem Eingriff wägen wir zu Recht skeptisch ab: Muss er wirklich sein? Können wir nicht noch abwarten? Immer öfter gerät die internationale Staatengemeinschaft in solche Entscheidungszwänge. Ich denke hier als Beispiel an den in den nächsten Wochen oder Monaten bevorstehenden Einsatz in Mazedonien. So sehr wir alle Empfehlungen aus dem Brahimi-Bericht begrüßen, so schwer tun wir uns, rechtzeitig ausreichende Mittel und Personal zur Verfügung zu stellen, wenn die Vereinten Nationen rufen. Vor zwei Tagen haben die Vereinten Nationen zum ersten Mal den Weltflüchtlingstag begangen. Für uns ist klar: Wer Flucht verhindern will, muss vor allen Dingen die Ursachen von Flucht angehen, aber auch nach kriegerischen Auseinandersetzungen einen Rahmen zur Konfliktbearbeitung und -bereinigung bieten. Deshalb ist es uns so wichtig, dass der Internationale Strafgerichtshof seine Arbeit endlich aufnehmen kann. ({1}) Ich hoffe, dass es im amerikanischen Senat keine Mehrheit für den Gesetzesvorschlag zum Schutz der amerikanischen Streitkräfte geben wird. ({2}) Diesem Versuch, den Strafgerichtshof nicht nur zu torpedieren, sondern durch Einschüchterung auch Dritte von der Ratifizierung abzuhalten, wird die Europäische Union auch weiterhin mit vereinter Stimme entgegentreten. ({3}) Hochaktuell ist die Entwicklung im Falle Irak. Schon lange ist eine neue Sanktionspolitik gegenüber dem Irak überfällig. Wir alle wissen, dass Saddam Hussein die Zivilbevölkerung zu seiner Geisel gemacht hat, während das Regime selbst von den Sanktionen profitiert. Auch das aufgelegte Programm der Vereinten Nationen „Öl gegen Nahrungsmittel“ hat Saddam Hussein nicht für seine Bevölkerung genutzt. Im Februar dieses Jahres hat Außenminister Powell unserem Außenminister einen Richtungswechsel in der IrakPolitik zugesagt. Jetzt gibt es konkrete Pläne der Regierungen Großbritanniens und der USA - seit gestern auch einen Vorschlag der Franzosen -, in welchem die Idee intelligenter, gezielter Sanktionen aufgegriffen wird. Das ist der lang erhoffte Schritt in die richtige Richtung. ({4}) Wichtig ist dabei aber, weiterhin zu verhindern, dass der Irak in die Lage versetzt wird, Massenvernichtungswaffen zu produzieren. Die internationale Gemeinschaft darf das Ziel, die Proliferation zu vermeiden, nicht aufgeben. Insgesamt braucht die ganze Region ein Sicherheitsarrangement. Es tut gut, dass mit der Person Kofi Annans die Vereinten Nationen endlich auch in Israel willkommen sind. ({5}) Die Aufgaben der Vereinten Nationen in der globalen Welt werden zahlreicher und schwieriger. Sie selber haben viel getan, um mit den Mitteln sparsamer und effizienter umzugehen. Bei vielen Organisationsproblemen ist es dem Generalsekretär gelungen, mit pragmatischen Reformschritten eine Menge zu verbessern. Letztlich liegt es an uns, an allen Mitgliedstaaten, die VN mit ganzer Kraft zu unterstützen. Das tun wir gerne. Vielen Dank. ({6})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die F.D.P.-Fraktion spricht jetzt die Kollegin Birgit Homburger.

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Antrag, über den wir heute beraten, wird die Bundesregierung aufgefordert, das deutsche Engagement im Rahmen der Vereinten Nationen zu verstärken. Das ist aus Sicht der F.D.P.-Fraktion ein dringendes Anliegen. Deshalb freue ich mich, dass es zum Schluss doch noch gelungen ist, diesen Antrag interfraktionell einzubringen. Ich möchte auf einige Punkte hinweisen, die aus unserer Sicht von besonderer Bedeutung sind. Dazu gehört ein Punkt, der bisher noch nicht angesprochen worden ist. Da andere Staaten im Vergleich zu ihren Pflichtbeiträgen und freiwilligen Leistungen eine überproportional starke personelle Repräsentanz in den Vereinten Nationen aufweisen, ist nach meiner Meinung eine engagiertere deutsche Personalpolitik in der Tat dringend geboten, die der Bedeutung Deutschlands im VN-System gerecht wird. Ich denke, darum sollten Sie sich kümmern, Herr Außenminister. ({0}) Insbesondere ist auch ein stärkeres deutsches Engagement bei den längst überfälligen UN-Reformen notwendig. ({1}) Der Sicherheitsrat hat aus Sicht meiner Fraktion dabei eine herausragende Bedeutung. Bei den Konflikten in Bosnien und im Kosovo ist nämlich überdeutlich geworden, dass Handlungsfähigkeit jedenfalls etwas anderes ist als das, was dort stattgefunden hat. So müssen insbesondere die fünf ständigen Mitglieder bei den Reformen stärker in die Pflicht genommen werden. Für meine Fraktion führt der Weg zu einem handlungsfähigen und glaubwürdigen Sicherheitsrat über seine Erweiterung nach einem regionalen Schlüssel. Eine vernünftige Grundlage dafür bietet der Razali-Plan von 1997. Wenn aber eine Anpassung der Zusammensetzung des Sicherheitsrates an die weltpolitischen Realitäten des 21. Jahrhunderts, wie Sie, Herr Dr. Brecht, es formuliert haben, erfolgen soll, dann ist aus unserer Sicht auch ein ständiger deutscher Sitz im Sicherheitsrat unerlässlich; ({2}) denn Realität ist auch, dass Deutschland als drittgrößter Beitragszahler und als große Handelsnation seit der Wiedervereinigung weltweit zusätzliche Verantwortung übernommen hat. Dies sieht die weit überwiegende Mehrheit der Staatengemeinschaft so. Deshalb ist es aus unserer Sicht enttäuschend, dass sich die Regierungskoalition noch immer nicht zu einem klaren Bekenntnis zur deutschen Kandidatur durchringen kann. ({3}) Es wäre für uns deswegen wünschenswert gewesen, wenn in dem gemeinsamen Antrag eine deutlichere Aufforderung an die Bundesregierung aufgenommen worden wäre. Stattdessen findet sich dort nur der Hinweis auf die halbherzige Äußerung des Bundeskanzlers, Deutschland sei bereit, „Verantwortung für Frieden und internationale Sicherheit zu übernehmen“. Für uns ist auch die Straffung und Verbesserung der Effizienz von Friedensmissionen im Sinne des BrahimiReports von besonderer Bedeutung. Im Antrag wird begrüßt, dass die Bundesregierung den Vereinten Nationen ein ziviles und militärisches Stand-by-Angebot unterbreitet hat. Aber dabei ist für uns ganz klar, dass sich Deutschland nur nach vorheriger Zustimmung des Deutschen Bundestages derartige Verpflichtungen auferlegen kann. Hier trägt der interfraktionelle Antrag ganz deutlich die liberale Handschrift. Das haben Sie zuerst nicht so gesehen. ({4}) Besonders erwähnenswert erscheint mir auch die Forderung nach einer stärkeren Rolle für das Flüchtlingswerk UNHCR. Dies ist vernünftig, bedeutet jedoch logischerweise auch, dass die deutschen Beiträge für den UNHCR, aber auch für UNICEF oder für UNRWA nicht weiter gekürzt, sondern aufgestockt werden müssen. Dafür werden wir uns bei den bevorstehenden Haushaltsberatungen mit Nachdruck einsetzen, so wie wir es schon bei den letzten Haushaltsberatungen getan haben. ({5}) Ich möchte nur kurz auf den Internationalen Strafgerichtshof eingehen und mich ansonsten den Ausführungen meiner Vorredner anschließen. Auch die F.D.P.-Bundestagsfraktion hat absolut kein Verständnis für die Haltung des US-amerikanischen Senats. Wir hoffen, dass der Internationale Strafgerichtshof bald arbeitsfähig sein wird. ({6}) Wir behandeln heute auch einen Antrag der Koalitionsfraktionen zur Bekämpfung von Aids in den Entwicklungsländern. Die Kollegin Reinhardt hat sich ja schon sehr ausführlich mit diesem Antrag auseinander gesetzt. Ich möchte für meine Fraktion sagen, dass wir diesen Antrag unterstützen, weil wir ihn für wichtig halten. Aber wir müssen auch feststellen, dass es unredlich ist, solche Anträge zu formulieren und gleichzeitig existenzielle Einschnitte im Entwicklungshilfeetat vorzunehmen. Das passt einfach nicht zusammen. ({7}) Das gilt über den Antrag zur Bekämpfung von Aids in den Entwicklungsländern hinaus. Aus unserer Sicht sollte neun Monate nach dem Millenniumsgipfel endlich die konkrete Umsetzung der Millenniumserklärung beginnen. Wie so etwas aber beispielsweise bei der Armutsverringerung auf nationaler Ebene aussieht, zeigte sich am vorletzten Mittwoch. Mit weiteren massiven Kürzungen im Etat des BMZ kann Deutschland nach außen nicht glaubwürdig ein ernsthaftes Engagement für eine weltweite Armutsverringerung geltend machen. Daran können auch die 100 Millionen Euro, die Bundesministerin Wieczorek-Zeul dem Finanzminister in letzter Minute abgerungen hat, nichts ändern. Diese Mittel sind aus unserer Sicht reine Kosmetik. Gemessen an dem hohen moralischen Anspruch, mit dem diese Regierung angetreten ist, ist das schon ein derber Offenbarungseid. ({8}) Wenn wir für eine stärkere Rolle der Vereinten Nationen in der Entwicklungspolitik plädieren, dann muss Deutschland verstärkt für die Global-Compact-Initiative von Generalsekretär Kofi Annan eintreten. Für uns ist wichtig, dass alle damit verbundenen Aufgaben in Zusammenarbeit mit unseren europäischen Partnern effizient bewältigt werden. Die F.D.P.-Bundestagsfraktion hat dazu einen eigenen Antrag eingebracht, über den wir heute in erster Lesung im Plenum beraten. Zwar kann ich aus Zeitgründen nicht näher darauf eingehen; aber wir werden noch Gelegenheit haben, uns damit detailliert zu befassen. Abschließend möchte ich Folgendes sagen: Wir werden den PDS-Antrag ablehnen. Dem interfraktionellen Antrag werden wir aus liberaler Sicht zustimmen, obwohl er manche Schwäche - die eine oder andere habe ich schon genannt; zusätzlich gilt das zum Beispiel im Hinblick auf die Unabhängigkeit der Bretton-Woods-Institutionen - aufweist. Wir sind der Meinung: Für Kleinkariertheiten ist die Zukunft der Vereinten Nationen einfach zu wichtig; deshalb werden wir diesem Antrag trotzdem zustimmen. Vielen Dank. ({9})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Das Wort für die PDSFraktion hat der Kollege Wolfgang Gehrcke.

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ehe ich mich mit den vorliegenden Anträgen im Einzelnen auseinander setze, möchte ich uns alle daran erinnern, dass wir diese Debatte an einem historischen Datum, nämlich am 60. Jahrestag des Überfalls auf die Sowjetunion, führen. Die Niederlage des deutschen Faschismus und die Befreiung der europäischen Völker vom Faschismus waren zugleich die Gründungsvoraussetzung für die Vereinten Nationen. Auch auf diese Umstände muss man in dieser Debatte aufmerksam machen. ({0}) Die Lehren aus dem faschistischen Krieg und die Befreiung vom Faschismus waren im Hinblick auf die Gründung der Vereinten Nationen konstituierende Momente. „Nie wieder Krieg!“ und „Nie wieder Faschismus!“ sind Grundgedanken der Charta der Vereinten Nationen und auch, wie ich ausdrücklich sagen möchte, unseres Grundgesetzes. Zeit und Anlass der heutigen Bundestagsdebatte geben nicht die Chance, über die wechselvolle Geschichte der Vereinten Nationen etwas ausführlicher zu sprechen; deswegen möchte ich uns einiges nur sehr knapp, sozusagen in Stichworten, in Erinnerung rufen. Man kann feststellen, dass die Charta der Vereinten Nationen Krieg als Mittel der Politik ausschließt und Gewalt, selbst die Androhung von Gewalt aus dem Zusammenleben der Völker verbannen will. Wir sollten uns in Erinnerung rufen, dass die Vereinten Nationen nicht nur die Frage nach einem dauerhaften Frieden, sondern auch die Frage nach einem gerechten Frieden - sozialer Ausgleich, Kampf gegen Hunger und Armut, Verhinderung ökologischer Katastrophen stellen. Die Vereinten Nationen sind, wenn man so will, ein weltweiter runder Tisch der Staaten und - Gott sei Dank - in zunehmendem Maße auch der Völker. Jetzt zu den Anträgen selbst: Der Antrag von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU und F.D.P. beschäftigt sich aus meiner Sicht primär mit der Frage, wie Deutschland in den Vereinten Nationen eine größere Rolle spielen kann. Der Antrag meiner Fraktion hat das Ziel, die Autorität der Vereinten Nationen selbst zu stärken. ({1}) Das ist der grundsätzliche Unterschied beider Anträge. Ich habe mich oft geärgert - das gebe ich zu -, wenn meine Fraktion nicht eingeladen worden ist, solche interfraktionellen Anträge mitzugestalten. ({2}) Was die Außen- und Sicherheitspolitik angeht, spiegelt dieses Verhalten die politischen Mehrheitsverhältnisse und Denkweisen in diesem Hause realistisch wider. Wir haben es eben in der Außen- und Sicherheitspolitik mit einer größtmöglichen grundsätzlichen Koalition der vier Parteien und einer Oppositionspartei, der PDS, zu tun. ({3}) Deswegen kommen in diesen Fragen so wenig übereinstimmende Positionen zusammen. Ich möchte das ausdrücklich festhalten; auch Herr Müntefering spricht ja immer davon und ich möchte ihn in dieser Frage bestätigen. ({4}) Wenn man sich die einzelnen Anträge ansieht, muss man feststellen, dass beide Anträge davon sprechen, dass die Regeln des Völkerrechts gestärkt werden sollten, wofür die Charta der Vereinten Nationen verbindlich sein sollte. Der PDS-Antrag fügt hinzu: ohne Ausnahme. Ich finde, wenn die Bundesregierung es mit diesem Thema ernst meint, muss sie erklären, dass sie zumindest die Charta der Vereinten Nationen einhält und an keiner Militäraktion teilnimmt, die nicht in voller Übereinstimmung mit dem Sicherheitsrat und auf Beschluss des Sicherheitsrates unternommen wird; das muss ohne Ausnahme gelten. Nach dieser Logik müsste dann auch die neue NATO-Doktrin, das neue strategische Konzept der NATO, vom Tisch. Beide Anträge sprechen von der Notwendigkeit der Abrüstung. Die PDS schlägt vor, die UN-Konferenz zur nuklearen Abrüstung in Deutschland auszurichten und sich zusätzlich den US-Raketenplänen und einer Militarisierung des Weltraums zu widersetzen. Der interfraktionelle Antrag will einen deutschen Sitz im VN-Sicherheitsrat erreichen. Die PDS ist davon überzeugt, dass es besser wäre, Afrika, Lateinamerika und Asien im Weltsicherheitsrat zu stärken. Die PDS hält es für notwendig, den Vereinten Nationen bessere Instrumente zur Regulierung internationaler Finanzmärkte zu geben. Seitdem Lafontaine weg ist, macht sich auch die SPD über solche Punkte keine Gedanken mehr. Der Antrag jedenfalls schweigt sich dazu aus. Die PDS schlägt weiterhin vor, Deutschland soll seine Möglichkeiten nutzen, um auf die USA einzuwirken, ihre Politik der Unterhöhlung und der Blockade der Vereinten Nationen zu beenden. Im Vierer-Antrag kommt dieses Problem noch nicht einmal zum Ausdruck. Das sind grundsätzliche Differenzen in der Außenpolitik und deswegen geht auf diesem Feld wenig zusammen. ({5}) Abschließend möchte ich dem Kollegen Brecht, der mich gerade kritisiert, für seine künftige Arbeit als Oberbürgermeister alles Gute wünschen. Man hat sich im Hause aneinander gewöhnt und ich muss sagen: Ich werde Sie vermissen. ({6})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Das Wort hat der Bundesminister des Auswärtigen, Joseph Fischer.

Joseph Fischer (Minister:in)

Politiker ID: 11000552

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will mich den besten Glückwünschen und der Danksagung an den Kollegen Brecht anschließen, der über viele Jahre hinweg Vorsitzender des Unterausschusses „Vereinte Nationen“ war. Ich möchte Ihnen für die Zusammenarbeit recht herzlich danken und für Ihr neues Amt als Oberbürgermeister der wunderbaren Stadt Quedlinburg alles Gute wünschen. ({0}) Einen Satz zu meinem geschätzten Kollegen Gehrcke: Sie haben Recht, unsere Positionen gehen nicht zusammen. Ich glaube, es besteht ein sehr tiefer Unterschied in der Frage der Westbindung Deutschlands und der Interpretation dessen, was dies tatsächlich bedeutet und welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind. Die PDS hat in dieser Frage eine andere Position. Ich würde aber nicht so weit gehen zu behaupten, sie sei deshalb die einzige Opposition. Sie vertritt vielmehr eine falsche Position. Ich sehe voraus, dass Sie diese Position nach und nach korrigieren werden. Sie haben es ja auf einem Parteitag - das ist sehr schwierig; ich kenne das Geschäft - bereits versucht. ({1}) Ich will Ihnen nur sagen, Herr Gehrcke: Ich nehme an, da ich Sie sehr schätze und für einen klugen Mann halte, dass Sie es weiter versuchen werden. Es ist völlig richtig, auf das Datum des heutigen Tages hinzuweisen. Es ist der Jahrestag des Überfalls von NaziDeutschland auf die damalige Sowjetunion. Es war nicht der Beginn des Zweiten Weltkrieges; aber es war der Beginn des brutalsten, barbarischsten Abschnitts des Zweiten Weltkrieges und der definitive Weg in die Selbstzerstörung, der unzählige Menschen - man muss hinzufügen: auch sehr viele unserer Landsleute - auf furchtbare Art und Weise das Leben gekostet hat. Man muss auch herausstellen, dass es eines Krieges, das heißt eines bewaffneten Widerstandes, des Kampfes gegen den Nationalsozialismus, gewissermaßen bis zur letzten Patrone, bis nach Berlin, bis in dieses Gebäude, bedurfte. Dass wir heute eine deutsche Demokratie haben und wiedervereinigt in Frieden und Freiheit sind, verdanken wir der Tatsache, dass eine Nachkriegsordnung geschaffen wurde, zu der zentral die Gründung der Vereinten Nationen, aber auch die Westintegration, die NATO und die Europäische Union gehören. Auch das muss man an einem solchen Tage unterstreichen. Bei aller Kritik: Es gibt nichts Besseres als die Vereinten Nationen. Sie sind einmalig. Insofern sind sie nicht nur erhaltenswert, sondern auf ihre Rolle als Ausgleichsfaktor zwischen den unterschiedlichen Interessen der Staaten kann überhaupt nicht verzichtet werden. Gewiss sind sie reformbedürftig. Aber was ist nicht reformbedürftig auf dieser Welt? Sie sind erneuerungsbedürftig und zugleich auch erneuerungsfähig. Die Vereinten Nationen sind das Gremium, in dem die Interessen ausbalanciert werden, das im Wesentlichen den internationalen Frieden und die internationale Entwicklung sowie den Ausgleich des Unterschiedes zwischen Reich und Arm garantiert. Sie sind das Gremium, das mehr und mehr, wie ich hoffe, die Kraft erhält, über den internationalen Frieden zu wachen. Die Entscheidungsinstanz - das ist der Sicherheitsrat - sollte so etwas wie ein internationales Gewaltmonopol erhalten, um den Frieden tatsächlich durchzusetzen. ({2}) Davon sind wir leider noch ein gutes Stück entfernt. Da die Leistungsfähigkeit der Vereinten Nationen, wenn man es realistisch betrachtet, beschränkt ist, muss man auch hinzufügen: Ich begrüße es, dass regionale Sicherheitsorganisationen - dazu gehören die NATO in Europa, aber auch die regionalen Sicherheitsorganisationen im südlichen und im westlichen Afrika - mehr und mehr in enger Kooperation mit den Vereinten Nationen eine wichtige Rolle zu spielen beginnen. Darin erkenne ich eine der zukünftigen Entwicklungen. Gerade in Asien, wo es, wie wir feststellen müssen, ein Defizit an regionaler Sicherheitstradition gibt, wo nicht in kooperativen Sicherheitsstrukturen gedacht wird, entwickeln sich - das können Sie sehr genau sehen - Krisen. Wir haben darüber in der vorangegangenen Debatte gesprochen, aber Ähnliches gilt auch für andere Bereiche in Asien. Kooperative Sicherheit wird also mehr und mehr an regionale Organisationen gebunden, die wiederum an die Vereinten Nationen angebunden sind und sehr stark mit ihnen kooperieren. Das ist ein sehr wichtiger Gesichtspunkt. Die Frage des internationalen Klimaschutzes hängt ja eng mit der Rio-Konferenz zusammen. In Rio ging es nicht nur um die Frage des globalen Umwelt- bzw. Klimaschutzes, sondern auch um globale Entwicklungschancen. Warum müssen die reichen Industrieländer ihre Emissionen von CO2 und anderen klimaschädlichen Stoffen reduzieren? Weil Schwellenländer und unterentwickelte Länder ihre Entwicklungschance haben wollen und haben müssen - so zumindest die Position der Bundesregierung. Deswegen ist es unabdingbar, dass wir an diesem Prozess weiterarbeiten, dass wir das Kioto-Protokoll zum Klimaschutz wirklich in Kraft setzen und implementieren. ({3}) Das gilt auch für die Beendigung der Blockade der Vereinten Nationen vonseiten der USA. Ich frage mich, ob, wenn die PDS das in Washington vertreten wird, der Erfolg durchschlagend sein wird und das wirklich zu einem generellen Kurswechsel führen wird. Das zeigt, dass das bisweilen nicht nur eine Frage der Überzeugung ist, sondern auch eine Frage der Gesprächsfähigkeit. Man muss ein Interesse daran haben, diese zu erhalten, vor allen Dingen dann, wenn man es mit einem so wichtigen Partner wie den Vereinigten Staaten zu tun hat. Wir hoffen, dass wir bei allen Interessendifferenzen, um die man in der Tat nicht herumreden muss, auch die USA noch überzeugen können, eine Klimaschutzpolitik zu betreiben. Ein anderer wichtiger Punkt ist die Bekämpfung der Armut. Hier ist nach wie vor auf die Kölner Entschuldungsinitiative während der deutschen G-8-Präsidentschaft zu verweisen. Diese ist meines Erachtens eine der wichtigsten Initiativen. ({4}) Hinzu kommt der Kampf gegen Aids. Dass Kofi Annan, der Generalsekretär der Vereinten Nationen, jetzt einen globalen Gesundheitsfonds einrichtet, halten wir für hervorragend. Wir werden über die deutsche Unterstützung, auch was die privaten und die öffentlichen Anteile daran betrifft, noch sehr intensiv beraten. Ich denke, wir werden diese Initiative unterstützen. Etwas Weiteres möchte ich Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, noch sagen: Eine stärkere Rolle der Vereinten Nationen setzt mehr Geld voraus. Wir können natürlich das übliche Spiel machen: Wir fordern zum einen in den Fachdebatten für alles mehr Geld - mehr Geld für die Bundeswehr, mehr Geld für die Vereinten Nationen, mehr Geld für die Entwicklungszusammenarbeit, mehr Geld für die auswärtige Kulturpolitik -, zum anderen fordern wir Steuersenkungen und dieses und jenes für die verschiedenen Sektoren, zum Beispiel für die Verkehrspolitik, und dann, wenn wir einen Strich darunter machen, stellen wir fest, dass dabei illusorische Zahlen herauskommen. So etwas wird weder von der Bevölkerung noch von uns selber ernst genommen. ({5}) - Im Gegensatz zu Ihnen bin ich schon lange ein Realist, Herr Ramsauer. ({6}) Der entscheidende Punkt wird sein - insofern begrüße ich diesen Antrag -, dass wir unsere freiwilligen Leistungen in den Vereinten Nationen auf mittlere Sicht wieder erhöhen müssen. ({7}) Mir blutet das Herz, dass wir im Rahmen der Haushaltssanierung in diesem Bereich Kürzungen vornehmen mussten. Sie können mir glauben, dass mir das Herz blutet, wenn ich mir unsere Leistungen etwa bei der Flüchtlingshilfe, bei UNICEF und an vielen anderen Punkten anschaue. Sobald Licht am Ende des Tunnels erkennbar wird, werden wir - die Bundesrepublik Deutschland als eines der reichsten Industrieländer, Gott sei Dank wiedervereinigt und in einem zusammenwachsenden Europa gelegen - Ernst machen müssen und in der Außenpolitik finanzpolitisch, bezogen auf den Gesamthaushalt, andere Prioritäten setzen müssen. ({8}) - Liebe Frau Homburger, das ist nicht unglaublich. Wir haben doch ein Erbe übernommen, das uns zur Haushaltssanierung zwingt; unter diesem Erbe steht eben auch „F.D.P.“. ({9}) Das müssen Sie wissen, denn diese Erblast wiegt. ({10}) Ich bedauere den momentanen Zustand, aber ich verspreche Ihnen, dass wir in den kommenden Jahren die Gelegenheit haben werden, das zu korrigieren. ({11}) Ich versichere Ihnen, wir werden alles tun, um hier wieder Aufwüchse zu erzielen. Ich bedanke mich. ({12})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Der Kollege Clemens Schwalbe hat seine Rede zu Protokoll gegeben.1) - Ich sehe dazu keinen Widerspruch im Saal. Letzter Redner in dieser Debatte ist nun der Kollege Frank Hempel.

Frank Hempel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003145, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Werte Kolleginnen und Kollegen! Auch wenn es heute Nachmittag schon vergleichsweise heiter zugegangen ist - das Wochenende steht ja auch bevor -, so möchte ich doch zu einem ernsthaften Thema zurückkommen, nämlich zu dem Thema HIV und Aids. In direktem Zusammenhang mit der MillenniumsErklärung der Vereinten Nationen, die die Unterzeichnerstaaten verpflichtet, Anstrengungen gegen die Ausbreitung von HIV und Aids zu unternehmen, steht unser Antrag „Aids-Bekämpfung in den Entwicklungsländern fördern“. Nun ist ja Frau Reinhardt leider nicht mehr anwesend, sodass ich Sie, Herr Ramsauer, stellvertretend und - in Ihren Reihen sieht es ja von der Besetzung her sehr mau aus - alleine ansprechen muss. Frau Reinhardt hat meinen Antrag in Bausch und Bogen verdammt. Ich frage mich aber, warum sie ankündigt, sich bei der Abstimmung darüber zu enthalten. Wenn der Antrag so schlecht wäre, müsste sie ihn doch ablehnen. Das machen Sie aber insgesamt nicht, weil Sie Bauchschmerzen damit hätten; deswegen enthalten Sie sich lieber. Dabei handelt es sich nämlich um einen guten Antrag. Die Verbreitung von HIV und Aids in den letzten 20 Jahren hat mittlerweile fast alle Länder auf allen Kontinenten erreicht und ist zu einem globalen gesellschaftlichen und gesundheitspolitischen Entwicklungsproblem geworden. Wenn wir dem nicht entgegenwirken, werden Entwicklungserfolge der Vergangenheit weiter revidiert und die Tragödie wird sich fortsetzen. Seit dem Beginn der Epidemie haben sich fast 60 Millionen Menschen mit dem Virus infiziert, von denen bis heute über 22 Millionen verstorben sind. Bedenken Sie, dass sich täglich mehr als 15 000 Menschen neu infizieren; rund 1 700 davon sind Kinder unter 15 Jahren. Dieser Antrag trägt den Titel „Aids-Bekämpfung in den Entwicklungsländern fördern“, da sich 95 Prozent der Pandemie in Entwicklungsregionen konzentrieren: in Regionen, die durch Armut und unzureichende, meist total überforderte staatliche Gesundheitsversorgungssysteme gekennzeichnet sind. Im Afrika südlich der Sahara ist die Situation besonders verheerend. Auf diese Region konzentrieren sich etwa 70 Prozent der weltweiten HIV- und Aids-Fälle. Einige Länder in dieser Region sind so schwer betroffen, dass jegliche Entwicklungsbemühungen nicht nachhaltig sein werden, wenn diese Länder und die Weltgemeinschaft die HIV/Aids-Epidemie nicht in den Griff bekommen. ({0}) Zum Beispiel Botswana weist mit 35,8 Prozent die höchs- te Prävalenzrate bei Menschen im Alter von 15 bis 49 Jah- ren auf. Das heißt, mehr als jeder Dritte im reproduktiven Alter ist infiziert. Für andere Länder wie Swasiland, Zimbabwe und Lesotho, bei denen jeder Vierte im repro- duktiven Alter infiziert ist, gilt Ähnliches. Aber nicht nur die Prävalenzrate, also die gesellschaft- liche Durchdringung der Epidemie, sondern auch die ab- solute Zahl der Infizierten in einem Land gibt Auskunft über das Ausmaß der Epidemie. So schätzen Experten die Zahl der HIV-Infizierten in Südafrika auf circa 5 Milli- onen. Für Südafrika bedeutet dies, dass etwa 20 Prozent, also jeder fünfte Südafrikaner bzw. jede fünfte Südafrika- nerin zwischen 15 und 49 Jahren, infiziert sind. Aber trotz des Ausmaßes der Epidemie im südlichen Afrika dürfen wir die anderen Entwicklungsregionen nicht aus dem Blick verlieren. Neben den regionalen Kerngebieten gibt es auch ge- sellschaftliche Schwerpunkte. Waren es aufgrund höherer Mobilität und Promiskuität anfangs überwiegend Männer, die von der Epidemie betroffen waren, verlagert sich der Infektionsschwerpunkt heute. Immer mehr Frauen und Kinder sind selbst infiziert oder werden als Aids-Witwen und -Waisen gesellschaftlich ausgegrenzt. Bereits heute sind fast die Hälfte der HIV-positiven Erwachsenen Frauen; besonders im südlichen Afrika sind sie überpro- portional von der Infektion betroffen. Kinder stellen das schwächste Glied in dieser Kette dar und werden schuld- los in die Tragödie Aids mit einbezogen. Sie können vor, während und nach der Geburt von der Mutter infiziert werden oder durch die Seuche zu einem der abertausend Aids-Waisen werden: Bis Ende 1999 wurden 13,2 Milli- onen Kinder durch Aids zu Waisen. Aber nicht nur soziale Strukturen der Gesellschaften sind durch den Zerfall der Familien betroffen. Auch die wirtschaftliche Basis dieser Entwicklungsländer ist ge- fährdet; denn wertvolle Arbeitskraft geht der Gesellschaft und der Volkswirtschaft verloren. Die Produktivität ver- ringert sich, Exporte und Investitionen nehmen ab und schließlich wird die Gesamtwirtschaft dadurch ge- schwächt. Durch die gleichzeitige Bedrohung der sozia- len und der ökonomischen Basis der betroffenen Staaten werden die Strukturen der Gesellschaften erodiert und ökonomische Entwicklung wird unmöglich. Es wird Zeit, jetzt darauf zu reagieren und konkrete Maßnahmen zu forcieren, um dem Problem entgegenzu- wirken. Hierbei müssen die Entwicklungsländer in die Verantwortung genommen werden. Natürlich muss auch auf ihr Problembewusstsein eingewirkt werden. Die Un- terstützung durch die Industrieländer muss partizipativ und den Bedürfnissen entsprechend abgestimmt werden. Lassen Sie uns die Sondergeneralversammlung der Vereinten Nationen „HIV/Aids“, die vom 25. bis 27. Juni 2001, also in der kommenden Woche, in New York statt- findet, zum Anlass nehmen, als deutsches Parlament zum globalen Problem Aids Stellung zu beziehen und eindeu- tige Signale zu setzen, indem wir gemeinsam und ge- schlossen dem Anliegen dieses Antrages zustimmen. Wir als Deutsche, die im September letzten Jahres die Resolu- tion 55/2 der Generalversammlung „Millenniums-Er- klärung der Vereinten Nationen“ unterzeichnet haben, müssen uns zu dieser auch bekennen. In ihr heißt es unter 1) Anlage 6 anderem unter Punkt 19, bis zum Jahr 2015 - ich zitiere „ ... die Ausbreitung von HIV/Aids ... zum Stillstand gebracht und allmählich zum Rückgang gezwungen zu haben“. Lassen Sie uns unseren Beitrag dazu beisteuern, um dieser gemeinsamen Verpflichtung nachzukommen! Da eine Heilung der HIV-Infektion und von Aids beim heutigen Stand der Medizin nicht möglich ist, muss unser Bestreben sein, die weitere Verbreitung der Pandemie durch umfassende Prävention zu vermeiden und die Entwicklung eines wirksamen Impfstoffes zu forcieren. Doch was ist mit den vielen Millionen Menschen, die bereits infiziert sind? Wie kann denen geholfen werden? Für diese Menschen muss es auch mit der bitteren Diagnose HIVpositiv noch eine Lebenschance geben. Die gibt es aber nur, wenn sie Zugang zu bezahlbaren Medikamenten bekommen, die ihnen ein menschenwürdiges Weiterleben ermöglichen können. ({1}) Wo die Infektion nicht bekannt ist, wird sie unwissentlich weitergegeben. Konservative Schätzungen gehen davon aus, dass neun Zehntel der HIV-Positiven nicht wissen, dass sie überhaupt infiziert sind. Also muss den infizierten Menschen der Zugang zu einem kostenlosen HIV-Test ermöglicht werden. Lassen Sie uns gemeinsam den Menschen beistehen, ihr Grundrecht auf Gesundheit zu verwirklichen, und lassen Sie uns im Rahmen der WTO-TRIPS-Vereinbarung den betroffenen Staaten helfen, ihre Möglichkeiten zur Bekämpfung der HIV/Aids-Bedrohung voll auszuschöpfen! Wir begrüßen sehr, dass HIV/Aids-Bekämpfung eine Querschnittsaufgabe der bilateralen deutschen Entwicklungszusammenarbeit geworden ist und dass - besonders aufgrund des Fehlens von Impfstoffen - umfassende Präventionsprogramme äußerste Priorität haben. Auch das Aufstocken der finanziellen Mittel durch die Bundesregierung und das Mitwirken deutscher Konzerne im Rahmen von Public Private Partnership werden sehr begrüßt. Doch wir müssen uns fragen, ob dieses Engagement ausreicht, um Aids, gemäß der Millenniums-Erklärung der Weltgemeinschaft, umfassend zu bekämpfen. Die Dringlichkeit des Problems bedarf eines geschlossenen Auftretens und Handelns. Ich hoffe, dass bei dieser menschlichen Tragödie HIV/Aids alle Vertreter dieses Hauses - egal welcher politischen Couleur - am gleichen Strang ziehen und diesen Antrag unterstützen werden. Danke schön. ({2})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Ich schließe die Aussprache und schließe mich ausdrücklich den guten Wünschen für den Kollegen Dr. Eberhard Brecht an. Wir kommen jetzt zur Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 14/5855 zu dem Antrag der Fraktionen von SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und F.D.P. mit dem Titel „Die Vereinten Nationen an der Schwelle zum neuen Jahrtausend“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/5243 in der Ausschussfassung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen der PDS-Fraktion angenommen. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 14/5851 zu dem Antrag der Fraktion der PDS mit dem Titel „Deutsche Beiträge zur Umsetzung der Millenniums-Erklärung der Vereinten Nationen“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/4525 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? Auch diese Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen der PDS-Fraktion angenommen worden. Jetzt kommen wir zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Aids-Bekämpfung in den Entwicklungsländern fördern“. Wer stimmt für den Antrag auf Drucksache 14/6320? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist bei Enthaltung der CDU/CSU angenommen. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 14/6083 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Alle sind damit einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Mineralölsteuergesetzes - Drucksache 14/6141 ({0}) a) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({1}) - Drucksache 14/6337 Berichterstattung: Abgeordnete Reinhard Schultz ({2}) Norbert Schindler b) Bericht des Haushaltsausschusses ({3}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 14/6338 - Berichterstattung: Abgeordnete Hans Jochen Henke Hans Georg Wagner Oswald Metzger Jürgen Koppelin Dr. Uwe-Jens Rössel Die Kolleginnen und Kollegen Reinhard Schulz, Norbert Barthle, Ulrike Höfken, Marita Sehn und Kersten Naumann haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.1) - Ich sehe Einverständnis im gesamten Haus. Deswegen kommen wir sofort zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzent- wurf zur Änderung des Mineralölsteuergesetzes, Druck- sachen 14/6141 und 14/6337. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen 1) Anlage 7 wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung gegen die Stimmen der F.D.P.-Fraktion bei Enthaltung von CDU/CSU und PDS angenommen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf: Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Förderung eines freiwilligen sozialen Jahres und zur Änderung des Gesetzes zur Förderung eines freiwilligen ökologischen Jahres - Drucksache 14/5120 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({4}) Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Die Kolleginnen und Kollegen Marlene Rupprecht, Christian Simmert, Klaus Haupt, Sabine Jünger sowie der Sozialminister des Landes Baden-Württemberg, Dr. Friedhelm Repnik, haben ihre Reden zu Protokoll ge- geben.1) - Auch hier gibt es keinen Widerspruch im Hause. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 14/5120 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Auch damit gibt es Einverständnis. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 27 auf: Erste Beratung des von den Abgeordneten Ulla Jelpke, Sabine Jünger, Dr. Evelyn Kenzler, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Asylverfahrensgesetzes und anderer Vorschriften - Drucksache 14/6129 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({5}) Rechtsausschuss Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Die Kolleginnen und Kollegen Rüdiger Veit, Wolfgang Zeitlmann, Marieluise Beck, Dr. Max Stadler sowie Ulla Jelpke haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.2) - Auch hierzu gibt es keinen Widerspruch. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 14/6129 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Es gibt keine anderweitigen Vorschläge. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Deshalb rufe ich jetzt Tagesordnungspunkt 28 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über rechtliche Rahmenbedingungen für den elektronischen Geschäftsverkehr ({6}) - Drucksache 14/6098 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({7}) Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirt- schaft Ausschuss für Tourismus Ausschuss für Kultur und Medien Die Kolleginnen und Kollegen Hubertus Heil, Dr. Wolfgang Götze3), Andrea Fischer, Rainer Funke, Ursula Lötzer sowie der Parlamentarische Staatssekretär Siegmar Mosdorf haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.4) - Auch hiergegen erhebt sich kein Widerspruch im Saal. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 14/6098 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Zusatzpunkt 9 auf: Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Klarstellung des Spätaussiedlerstatus ({8}) - Drucksache 14/6310 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({9}) Rechtsausschuss Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung Die Kolleginnen und Kollegen Günter Graf, Hartmut Koschyk, Marieluise Beck, Dr. Max Stadler sowie Petra Pau haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.5) - Auch hier konstatiere ich große Begeisterung im Saale. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 14/6310 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Ich stelle Einverständnis im gesamten Hause fest. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 27. Juni 2001, 13 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.