Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Der Bundesrat hat in seiner Sitzung
am 1. Juni 2001 den Vermittlungsausschuss angerufen mit
dem Ziel, im Rahmen des 2. AAÜG-Änderungsgesetzes
neben der Erfüllung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts für ehemals Sonder- und Zusatzversorgte und der
Schließung der Rentenlücke für Mitarbeiter von Bahn und
Post Verbesserungen für politisch Verfolgte in der ehemaligen DDR zu erreichen.
Ich bin dem BMA für den vorgelegten Vermittlungsvorschlag dankbar; denn die nun gefundene Lösung ist
mit dem Prinzip der Lohn- und Beitragsbezogenheit im
System der gesetzlichen Rentenversicherung vereinbar.
Weder im Bundesrat noch im Vermittlungsausschuss
wurde eine Ehrenpension, wie sie der Kollege Nooke
sicher gleich in seinem Redebeitrag fordern wird, in Erwägung gezogen oder gar aufgegriffen, weil auch den
Ländern bewusst ist, dass mit solchen Forderungen Erwartungshaltungen geweckt werden, die nicht erfüllbar
sind. Sie, Herr Nooke, spielen ein unwürdiges Doppelspiel wider besseres Wissen und instrumentalisieren die
Opfer von Verfolgung.
({0})
- Das kommt noch; Sie können sich darauf verlassen.
Das Vermittlungsergebnis wurde mit übergroßer Mehrheit befürwortet. Damit hat die Bundesregierung die Zusage vom Mai dieses Jahres, weitere Verbesserungen
beim Nachteilsausgleich für politisch Verfolgte zu prüfen,
eingelöst. Dass die Prüfung durch das Votum des Bundesrates eine Beschleunigung erfahren hat, ist in Ordnung. Es freut mich, dass die Verbesserungen nun drei
Monate früher in Kraft treten können.
Die im Vermittlungsausschuss zusätzlich beschlossenen
Regelungen sehen vor, neben dem AAÜG das Berufliche
Rehabilitierungsgesetz zu ändern und sicherzustellen,
dass der Versicherte mindestens die Rente bekommt, die er
bei Weiterführung seiner beruflichen Tätigkeit ohne die
Verfolgung bekommen hätte. Darüber hinaus werden Personen, die schon als Schüler politisch verfolgt wurden,
durch die Verdoppelung der anrechnungsfähigen Ausbildungsjahre einen rentenrechtlichen Nachteilsausgleich erhalten.
Ich bin mir dessen bewusst, dass wir mit diesem Nachteilsausgleich nicht die Gerechtigkeit wiederherstellen,
die das SED-Regime mit Füßen getreten hat; dies ist sicher nicht möglich. Aber wir schaffen einen Ausgleich im
Rahmen des Möglichen. Dafür bitte ich um Ihre Zustimmung.
({1})
Ich erteile dem Kollegen Günter Nooke, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Jeder Beschluss, der zur Verbesserung der sozialen Situation von SED-Opfern führt,
findet die Zustimmung meiner Fraktion. Deshalb begrüßen wir die auf Initiative der Länder Thüringen und
Sachsen am Mittwoch im Vermittlungsausschuss herbeigeführte Entscheidung zugunsten von SED-Opfern. Nicht
durch das BMA, sondern dadurch, dass Sie durch die Initiative unserer Länder vom Bundesrat dazu gezwungen
wurden, das AAÜG nicht unverändert zu beschließen,
sondern überhaupt etwas für die SED-Opfer zu tun, ist es
zu diesem Vermittlungsergebnis gekommen.
({0})
Dieses Ergebnis kann aber nur ein kleiner Schritt hin
zu einer wirklich befriedigenden Lösung sein. Ich möchte
daran erinnern, dass insbesondere nach der Entscheidung
des Bundesverfassungsgerichts vom April 1999, durch
die bestehende Beschränkungen bei der Rentenzahlung
zum Beispiel für ehemalige Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes der DDR aufgehoben werden sollten,
eine dramatische Situation für die Opfer der SED-Diktatur eingetreten ist. Letztere leben zu einem großen Teil
von geringen Renten bzw. von Sozialhilfe. Die Stasi-Offiziere, die nicht nur Träger des SED-Regimes, sondern
auch die Verantwortlichen für die politische Verfolgung
Andersdenkender waren, sollen dagegen in den Genuss
hoher Renten kommen. Die Gerechtigkeitslücke zwischen Tätern und Opfern des SED-Regimes wurde damit
extrem groß.
Meine Fraktion bedauert es zutiefst, dass sich die Koalition in den Debatten um das von uns vorgeschlagene
Dritte SED-Unrechtsbereinigungsgesetz sowohl in den
Ausschüssen als auch im Plenum zu keinerlei Entgegenkommen durchringen konnte.
({1})
Am 18. Mai dieses Jahres haben die Koalitionsfraktionen
von SPD und Bündnis 90/Die Grünen unseren Gesetzentwurf abgelehnt.
Ich möchte für meine Fraktion erklären, dass wir uns
weiterhin für eine spürbare Verbesserung der Situation der
Opfer des SED-Regimes einsetzen werden. Nach unserer
Auffassung kann eine solche nur in Form einer Ehrenpension erfolgen. Abgesehen davon, dass eine Regelung
Präsident Wolfgang Thierse
im Rahmen des Rentensystems auf enge Grenzen stößt, ist
es uns - neben der berechtigten materiellen Anerkennung - besonders wichtig, ein politisches Zeichen des
vereinten Deutschlands zu setzen. Der Mut und das Engagement von Menschen, die sich unter den Bedingungen
einer brutalen Diktatur für Freiheit einsetzten und dies mit
ihrem Leben, ihrer Gesundheit und einschneidenden Benachteiligungen im beruflichen Leben bezahlten, müssen
anerkannt werden.
({2})
Sie müssen anerkannt werden, wenn dieses Land auch im
Denken der Menschen glaubhaft die beiden Diktaturen
des letzten Jahrhunderts überwinden will.
Um es noch einmal zu sagen: Die CDU/CSU-Fraktion
begrüßt jeden Schritt, der zu einer Verbesserung der Situation der SED-Opfer führt, auch diesen kleinen Schritt
des Vermittlungsausschusses vom Mittwoch. Aber das
Thema ist nicht abgeschlossen. Vielmehr wurde es durch
den Bundesrat neu auf die Tagesordnung gesetzt.
({3})
Ich erteile das Wort
Kollegin Kerstin Müller, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Diese Urteile des Bundesverfassungsgerichts zur Rentenregelung für ehemalige Stasimitarbeiter haben zu Recht
- das sehen, glaube ich, fast alle hier so - vor allem bei
den Opfern politischer Verfolgung durch das SED-Regime zu heftigen Kontroversen geführt. Ich betreibe
normalerweise keine Urteilsschelte; aber dieses Urteil
habe ich persönlich bedauert.
Nun mussten wir es umsetzen. Das wissen wir alle. Der
Bundesrat hat zu diesem Gesetzentwurf der Bundesregierung den Vermittlungsausschuss angerufen. Ziel war es,
auch für die politisch Verfolgten Verbesserungen im Rentenrecht zu erreichen. Nun haben wir am Mittwoch ein
einstimmiges Ergebnis gefunden. Ich finde, dabei sollten
wir es belassen. Wir sollten jetzt auch einstimmig und gemeinsam gegenüber den Opferverbänden argumentieren.
Hinzu kommt: Wir haben eine weitere Änderung beschlossen, über die ich sehr froh bin: Auch alle verfolgten
Schüler, die aufgrund ihrer Verfolgung längere
Ausbildungszeiten hatten, bekommen diesen Nachteil
rentenrechtlich ausgeglichen.
Rentenrechtlich ist die Lage damit erschöpft. Herr
Nooke, Sie wissen das. Rentenrechtlich ist jetzt nicht
mehr machbar. Deshalb kann die Forderung nach einer
Ehrenpension auch rechtlich nicht weiter aufrechterhalten
werden. Sie wissen das und sollten nicht wider besseres
Wissen weiterhin Erwartungen bei den Opferverbänden
schüren, die wir nicht erfüllen können.
({0})
Wir sollten stattdessen aber gemeinsam überlegen, wie
wir im Entschädigungsrecht weitere Lücken schließen
können, um soziale Härtefälle zu beseitigen. Auch hier ist
schon einiges geschehen; die Bundesregierung hat hier
bereits einiges umgesetzt. Wir haben zum Beispiel zu Beginn unserer Regierungszeit die Zahlungen an politische
Häftlinge von 300 DM - das sah damals Ihr Gesetzentwurf vor - auf 600 DM im Monat verdoppelt. Das war
eine ungeheure Anstrengung und das ist eine Verbesserung für die politischen Häftlinge. Wir haben die Mittel
der Stiftung für ehemalige politische Häftlinge aufgestockt.
Wir vom Bündnis 90/Die Grünen haben seit 1990 immer auf der Seite der Opfer gestanden; wir haben ihre Interessen vertreten. Viele unserer Anträge in der letzten Legislaturperiode sind leider abgelehnt worden. Wir setzen
uns auch weiterhin für sie ein.
Deshalb sage ich hier und heute: Lassen Sie uns gemeinsam überlegen, ob wir nicht eine Initiative zur Verbesserung des Entschädigungsrechts ergreifen können.
Wir schlagen zum Beispiel vor, Opfer von Verfolgung,
Haft oder Zersetzung, die aufgrund der Verfolgung heute
auf Sozialhilfe angewiesen sind, materiell besser zu stellen, aber eben nur sie. Das könnte zum Beispiel durch eine
weitere Aufstockung der Mittel für die Stiftung „Häftlingshilfegsetz“ geschehen.
Wir schlagen weiter vor, über den Kreis der politischen
Häftlinge hinaus Opfern so genannter Zersetzungsmaßnahmen analog zu den Regelungen des Strafrechtlichen
Rehabilitierungsgesetzes eine Entschädigung zu gewähren.
Das sind Wege, die man prüfen kann und die wir vielleicht gemeinsam gehen können. Aber ich möchte Sie
wirklich bitten, keine falschen Erwartungen zu wecken.
Im Rentenrecht können wir nicht mehr machen, als wir
jetzt im Vermittlungsausschuss vereinbart haben. Das ist
ausgeschöpft. Wir sollten sehr froh über diese Vereinbarung sein und wir sollten jetzt auch gegenüber den
Opferverbänden gemeinsam auftreten.
Danke schön.
({1})
Ich erteile Kollegin
Irmgard Schwaetzer das Wort.
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die F.D.P.-Bundestagsfraktion wird dem Vermittlungsergebnis zustimmen. Wir
wollen die im Vermittlungsausschuss beschlossenen Verbesserungen für die Opfer der SED-Diktatur, weil sie in
der DDR um ihre Entwicklungschancen gebracht worden
sind. Aber ich empfinde es schon als eine Verhöhnung der
Opfer, wenn sich jetzt die Koalitionsfraktionen, und zwar
sowohl Frau Kaspereit als auch Frau Müller, hier hinstellen und sagen, wie toll sie doch seien, dass sie dies jetzt
durchgesetzt hätten. Das, meine Damen und Herren, hätten Sie alles schon früher haben können, wenn Sie ernsthaft mit uns im Bundestag bei der Verabschiedung des
AAÜG verhandelt hätten.
({0})
Wir waren gesprächsbereit; aber in der bei Ihnen üblichen
Art und Weise haben Sie das alles wieder nur durchgepeitscht und abgelehnt, was von der Opposition vorgeschlagen worden ist.
({1})
Und jetzt stellen Sie sich hierhin und tun so, als seien Sie
die tollsten Menschen dieser Welt. Das ist wirklich eine
Verhöhnung der Opfer.
({2})
Die jetzt erreichte Lösung schreibt fest, dass die SEDOpfer zumindest die Rente bekommen, die sie hätten haben können, wenn sie nicht verfolgt worden wären. Wir
begrüßen es, dass bei der Rentenberechnung an den Verdienst angeknüpft wird, der vor Eintritt der Verfolgung erreicht worden ist. Jeder von uns weiß ja, dass die Verfolgung sehr häufig damit begann, dass Berufe aufgegeben
werden mussten, dass die Betroffenen in andere Tätigkeiten hineingezwungen worden sind, die deutlich schlechter bezahlt wurden. Insofern ist ein Opferausgleich richtig, mit dem an die vorherigen Entgelte angeknüpft wird.
Wir haben auch Verständnis für das Argument, dass
rentenrechtliche Schwierigkeiten bei der Einführung einer Ehrenpension aufgetreten wären. Auch insofern stimmen wir diesem Ergebnis zu.
Wir begrüßen es außerdem, dass für verfolgte Schüler
die Zahl der bei der Rentenberechnung anzurechnenden,
Ausbildungsjahre von drei auf sechs erhöht worden ist.
({3})
- Wenn Sie sagen „eine alte Forderung“, warum haben Sie
das dann nicht schon während unserer Beratungen im
Bundestag eingebracht? Da hatten wir das alles auf dem
Tisch; aber Sie haben nicht verhandelt.
Trotzdem möchte ich für die F.D.P. anmerken, dass wir
mit diesen Verbesserungen einverstanden sind. Aber aus
unserer Sicht sind mindestens noch drei Punkte offen
- darüber werden wir auch weiterhin miteinander reden
müssen -: Nach wie vor ist die Problematik der kommunalen Wahlbeamten nicht gelöst, die häufig weder
beamtenrechtlich noch im Rentenrecht eine Berücksichtigung finden. Nicht gelöst ist die Frage der Anpassungssätze für die Hochschuldozenten in den neuen Ländern,
bei denen die Renten nach wie vor mit den niedrigen
Westanpassungssätzen statt mit den höheren Ostanpassungssätzen dynamisiert werden. Nach wie vor nicht
gelöst sind auch die Fragen des mittleren medizinischen
Dienstes der DDR, dessen ehemalige Mitarbeiter nach
wie vor um die notwendigen Steigerungssätze gebracht
werden. Darüber werden wir weiterhin reden müssen.
Danke schön.
({4})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Roland Claus, PDS-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Der Kollege Nooke hat hier soeben die Länder Thüringen und Sachsen als „unsere Länder“ bezeichnet. Das können wir nur so verstehen, als meinte er, sie
seien im Besitz der CDU. Dazu muss Ihnen klar und deutlich gesagt werden: Thüringen und Sachsen, meine Damen und Herren, sind nicht Ihre Länder. Weil auch die
Herren Diepgen und Landowsky das schon verwechselt
haben, sind sie jetzt dort, wo sie sind.
({0})
Die gleichen Themen, über die wir heute reden, sind im
Bundestag vor vier Wochen besprochen worden, allerdings damals nicht verknüpft, sondern in Form von zwei
verschieden zu behandelnden Gegenständen. Damals hat
die PDS gesagt, sie sei unzufrieden mit der Stelle, wo es
um die Schließung von Überführungslücken bei der Rente
für Ärzte, Professoren und Angehörige des öffentlichen
Dienstes der DDR gehe, und hat deshalb gegen das Wortungetüm „AAÜG“ gestimmt. Wir haben zur gleichen Zeit
aber einem Vorstoß der CDU/CSU-Fraktion zur Entschädigung der Opfer von Unrecht in der DDR unsere Zustimmung gegeben. Am nächsten Tag war in großen deutschen Zeitungen von „einem völlig neuen Weltbild“ die
Rede.
Wir haben es heute mit einer Verknüpfung der Dinge zu
tun. Wir bleiben bei unserer kritischen Sicht auf die Problematik der Rentenüberleitung, sagen aber klar und deutlich, dass auch die PDS-Fraktion für die Entschädigung der
Opfer von Unrecht in der DDR eintritt. Deshalb stimmen
wir hier auch mit Ja. Das sollte damit klargestellt sein.
Da uns zuweilen unterstellt wird, wir würden momentan
unser Abstimmungsverhalten sozusagen in den Zeitgeist
hängen, möchte ich Ihnen den Titel eines Antrages vorlesen, der im Bundestag verhandelt wird. Er heißt: „Erleichterte und erweiterte Rehabilitierung und Entschädigung für
Opfer der politischen Verfolgung in der DDR“. Dieser Antrag - das muss hier gesagt werden - trägt das Datum
15. März 2000 und stammt von der Fraktion der PDS.
({1})
Abschließend will ich die Gelegenheit nutzen, um zu
sagen: Es kann von uns nicht länger hingenommen werden, dass wir als Fraktion im Vermittlungsausschuss nicht
beteiligt, gewissermaßen ausgeschlossen sind. Dadurch
haben wir immer die Schwierigkeit, die komplizierten
Vermittlungsergebnisse gewissermaßen nachzuvollziehen und im Nachhinein zu beurteilen. Wir wollen, dass
dieser Zustand überwunden wird. Ich denke, Sie kommen
allmählich ebenfalls in die Situation, dass Sie sich das
wünschen.
Vielen Dank.
({2})
Wir kommen zur Abstimmung. Der Vermittlungsausschuss hat gemäß § 10
Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, dass
im Deutschen Bundestag über die Änderungen gemeinsam abzustimmen ist.
Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 14/6355? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist
vom ganzen Haus bei zwei Gegenstimmen aus der
CDU/CSU-Fraktion angenommen worden.
Ich rufe den Zusatzpunkt 11 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes ({0}) zu dem Gesetz zur Anpassung der
Formvorschriften des Privatrechts und anderer Vorschriften an den modernen Rechtsgeschäftsverkehr
- Drucksachen 14/4987, 14/5561, 14/6044,
14/6353 Berichterstattung:
Abgeordneter Ludwig Stiegler
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Das
ist nicht der Fall. Wird das Wort zu Erklärungen gewünscht? - Auch das ist nicht der Fall.
Dann kommen wir zur Abstimmung. Der Vermittlungsausschuss hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, dass im Deutschen Bundestag über die Änderungen gemeinsam abzustimmen ist.
Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 14/6353? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist
mit den Stimmen des Hauses bei Stimmenthaltung der
PDS-Fraktion angenommen worden.
Ich rufe den Zusatzpunkt 12 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes ({1}) zu dem Gesetz zur Vorbereitung eines
registergestützten Zensus ({2})
- Drucksachen 14/5736, 14/6068, 14/6292,
14/6354 Berichterstattung:
Abgeordneter Ludwig Stiegler
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Das
ist nicht der Fall. Wird das Wort zu Erklärungen gewünscht? - Auch das ist nicht der Fall.
Dann kommen wir zur Abstimmung. Auch hier gilt,
dass gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 über die Änderungen gemeinsam abzustimmen ist.
Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 14/6354? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist
mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und
F.D.P. gegen die Stimmen der PDS-Fraktion bei Stimmenthaltung der CDU/CSU angenommen worden.
Ich rufe den Zusatzpunkt 13 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes ({3}) zu dem Gesetz zur Umsetzung der
UVP-Änderungsrichtlinie, der IVU-Richtlinie
und weiterer EG-Richtlinien zum Umweltschutz
- Drucksachen 14/4599, 14/5204, 14/5750,
14/6045, 14/6357 Berichterstattung:
Abgeordneter Michael Müller ({4})
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Das
ist offensichtlich nicht der Fall. Wird das Wort zu Erklärungen gewünscht? - Auch das ist nicht der Fall.
Dann kommen wir zur Abstimmung. Auch hier gilt,
dass wir über die Änderungen gemeinsam abstimmen.
Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 14/6357? - Gegenprobe! - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
von SPD, CDU/CSU und Bündnis 90/Die Grünen gegen
die Stimmen von F.D.P. und PDS angenommen worden.
Ich rufe den Zusatzpunkt 14 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes ({5}) zu dem Gesetz zur Änderung verkehrsrechtlicher Vorschriften ({6})
- Drucksachen 14/3646, 14/4221, 14/4648,
14/6358 Berichterstattung:
Abgeordneter Michael Müller ({7})
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Das
ist nicht der Fall. Wird das Wort zu Erklärungen ge-
wünscht? - Auch das ist nicht der Fall.
Dann kommen wir zur Abstimmung. Auch hier wird
über die Änderungen gemeinsam abgestimmt. Wer
stimmt für die Beschlussempfehlung des Vermittlungs-
ausschusses auf Drucksache 14/6358? - Wer stimmt da-
gegen? - Stimmenthaltungen? - Die Beschlussempfeh-
lung ist mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU, Bünd-
nis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der F.D.P. bei
Stimmenthaltung der PDS angenommen worden.1)
Ich rufe den Zusatzpunkt 15 auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD,
der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, F.D.P. und PDS eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes
zur Errichtung einer Stiftung „Erinnerung,
Verantwortung und Zukunft“
- Drucksache 14/6370 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({8})
Rechtsausschuss
Interfraktionell ist vereinbart, dass eine Aussprache
nicht erfolgen soll. - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.
Präsident Wolfgang Thierse
1) Anlage 3, Erklärung gem. § 90 GOBT der Abg. Dr. Winfried Wolf
und Eva Bulling-Schröter ({9})
Wir kommen damit gleich zur Überweisung. Interfrak-
tionell wird dieÜberweisung des Gesetzentwurfs an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht
der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 18 a und b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Reform des Betriebsverfassungsgesetzes
({10})
- Drucksache 14/5741 ({11})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({12})
- Drucksache 14/6352 Berichterstattung:
Abgeordneter Gerald Weiß ({13})
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({14})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Horst
Seehofer, Peter Rauen, Karl-Josef Laumann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Soziale Partnerschaft stärken - Betriebsverfassungsgesetz zukunftsfähig modernisieren
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Heinrich
L. Kolb, Dirk Niebel, Detlef Parr, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Reform der Mitbestimmung zur Stärkung
des Mittelstandes
- Drucksachen 14/5753, 14/5764, 14/6352 Berichterstattung:
Abgeordneter Gerald Weiß ({15})
Zum Gesetzentwurf zur Reform des Betriebsverfassungsgesetzes liegen ein Änderungsantrag und ein Entschließungsantrag der Fraktion der PDS vor. Über den
Gesetzentwurf und den Änderungsantrag hierzu wird namentlich abgestimmt werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Klaus Brandner, SPD-Fraktion, das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der heute vorliegende Gesetzentwurf zur Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes bildet die Grundlage für eine zukunftsfähige und erfolgreiche Betriebsratsarbeit. Die
Reform ist eine zeitgemäße Antwort auf die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen; sie steht in
der Kontinuität dessen, was die Kolleginnen und Kollegen 1972 gemacht haben. Ich erinnere hier an den damaligen Berichterstatter zum Betriebsverfassungsgesetz,
Hermann Buschfort, mit dem mich auch eine persönliche
Biografie verbindet.
Die Reform wurde damals wie heute von hektischen
und heftigen Debattenbeiträgen der Opposition und verschiedener Wirtschaftsverbände begleitet. Selbst die
CDU hat Furcht vor Betriebsräten verbreitet. Norbert
Blüm sah sich deshalb erst kürzlich auf dem CDA-Bundeskongress genötigt, mitzuteilen, die größte Sorge der
CDU scheine zu sein, die Arbeitgeber vor ungewollten
Betriebsräten zu schützen.
Unsere Erfahrung ist, dass der enorme Veränderungsprozess in der Wirtschaft ohne die Begleitung
und Mitgestaltung durch Betriebsräte nicht so reibungslos und nicht so sozial verantwortlich abliefe,
wie es heute in aller Regel der Fall ist.
({0})
Nicht der Zugang zum Kapital, sondern der Zugang
zu den besten Mitarbeitern entscheidet heute, wer
sich am Weltmarkt durchsetzt.
Ich zitiere nicht, wie Sie vielleicht denken mögen, aus einer Gewerkschaftsbroschüre, sondern aus einem Schreiben von vier Arbeitsdirektoren internationaler Energiekonzerne.
({1})
- Diese Aussage deckt sich übrigens, Herr Hinsken, mit
den wissenschaftlichen Erkenntnissen der BertelsmannStiftung. Ich könnte die Leitlinie für unsere Reform des
Betriebsverfassungsgesetzes nicht schöner formulieren.
Meine Damen und Herren, nach fast 30 Jahren wollen
wir die Betriebsverfassung modernisieren und revitalisieren. Für uns ist sie eindeutig ein Standortvorteil.
({2})
Der Nutzen übersteigt die Kosten. Dies räumen, wie Sie
soeben gehört haben, auch viele Arbeitgeber ein. Deshalb
muss das langsame Ausbluten der Betriebsratsarbeit gestoppt werden.
({3})
Wir wollen also wieder mehr Betriebsräte, vor allem in
kleinen und mittleren Betrieben. Wir wollen die Arbeitsfähigkeit der gewählten Betriebsräte verbessern. Wir wollen die Beteiligungsrechte der Betriebsräte aufwerten.
Vor allem in Bezug auf die Beschäftigungssicherung und
die Förderung von Qualifizierung besteht Handlungsbedarf. Wir wollen das Betriebsverfassungsgesetz durch
Aufgabe des Gruppenprinzips und vor allen Dingen in
Bezug auf das Wahlverfahren entbürokratisieren.
({4})
Präsident Wolfgang Thierse
Wir wollen einen Beitrag zur Verwirklichung der Chancengleichheit von Frauen und Männern in den Betrieben
leisten.
({5})
Schließlich wollen wir die Voraussetzungen dafür schaffen, dass Jugendliche auch künftig in außerbetrieblichen
Ausbildungseinrichtungen eine eigenständige Interessenvertretung wählen können.
({6})
Das Bundeskabinett hatte in sorgfältigen Beratungen
unter Federführung von Walter Riester einen Gesetzentwurf beschlossen, der diese Ziele berücksichtigt.
({7})
Er war von Anfang an gut, er war ausgewogen. Deswegen
hat es auch nur wenige Änderungsanträge gegeben.
Für Kleinbetriebe stellt das bisherige komplizierte
Wahlverfahren ein Hindernis dar. Deshalb haben wir im
Gesetzentwurf ein vereinfachtes Wahlverfahren für
alle Unternehmen, die bis zu 50 Arbeitnehmer beschäftigen, festgeschrieben. Damit haben wir eine wesentliche
Neuerung auf breiter Fläche geschaffen. Die Option
für Betriebe mit 51 bis 100 Beschäftigten kommt noch
hinzu. Jetzt gilt es, mit diesen Neuregelungen Erfahrungen zu sammeln. Sinnvoll wäre es - das möchte ich hier
anregen -, diese Erfahrungen gemeinsam mit den Tarifvertragsparteien sorgfältig auszuwerten und darüber einen fundierten Bericht vorzulegen.
Manche Unternehmer sind verunsichert. Die Verbände
haben leider mit gezielten Fehlinformationen Stimmung
gemacht.
({8})
- Sie werden das hören, Herr Hinsken. - Sie haben nicht
sachlich aufgeklärt und beraten. Sie haben agitiert und mit
gezielten Falschinformationen ihre Mitgliedsbetriebe verunsichert.
({9})
Ich möchte dazu ein konkretes Beispiel aus dem Kreis
Gütersloh anführen, um Ihnen dies deutlich zu machen.
Der Hotel- und Gaststättenverband Nordrhein-Westfalen
hat seinen Mitgliedsbetrieben detailliert dargestellt, wie
wirkungsvoll gegen die Reform des Betriebsverfassungsgesetzes Flagge gezeigt werden kann, und hat sie dazu
aufgefordert.
({10})
In diesem Brief heißt es: Ein Betrieb besteht aus einem
Unternehmer, einer mitarbeitenden Unternehmerin, einem Koch, einer Aushilfe für die Küche, einer Aushilfe
für Service und letztlich einer Aushilfe als Reinigungskraft. Die drei zuletzt Genannten, also die Aushilfen,
gründen innerhalb von 14 Tagen einen Betriebsrat, der aus
einem Vorsitzenden und zwei Stellvertretern besteht.
({11})
Dieses Ergebnis muss sicherlich nicht weiter erläutert
werden. - So weit zur Verbandsempfehlung.
Pustekuchen, meine Damen und Herren! Dieses Beispiel ist, wie wir wissen, völlig absurd - so betreibt man
Brunnenvergiftung -; denn in diesem Betrieb gibt es noch
nicht einmal fünf wahlberechtigte Arbeitnehmer,
({12})
also die Grundvoraussetzung für einen Betriebsrat. - Wer
so Arbeitgeber aufhetzt und mit solchen Mitteln versucht,
die Betriebsverfassungsreform zu diskreditieren, organisiert ein politisches Klima, das dem Gedanken der Demokratie und der Sozialpartnerschaft abträglich ist.
({13})
Die Kritik insbesondere vonseiten der Arbeitgeber,
hier sollten Zwangsbetriebsräte installiert werden, ist völliger Humbug. Die Wahl von Betriebsräten wird nach wie
vor eine freiwillige Option der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bleiben.
({14})
Auch Zwangsbetriebsräte gegen den Willen der Belegschaft wird es mit der SPD nicht geben. Mit dem neuen
Betriebsverfassungsgesetz werden lediglich bürokratische Hindernisse für die Wahl eines Betriebsrats beseitigt
und Anreize für die Arbeitnehmer geschaffen, mehr Betriebsräte zu wählen.
Bei dieser Reform der Betriebsverfassung ging es uns
vorrangig um die Anpassung der gesetzlichen Regelungen an die veränderte Arbeitswelt.
({15})
Wie Sie alle wissen, sah die Arbeitswelt 1972, bei der letzten Novellierung, noch ganz anders aus. Daher ist es nicht
verwunderlich, dass sich die Betriebsverfassung von damals grundsätzlich an Vollbeschäftigung orientierte. Angesichts der Arbeitslosenzahlen muss sich die Betriebsverfassung heute vorrangig der Frage der Sicherung der
Beschäftigung und der Schaffung von Arbeitsplätzen stellen.
({16})
Außerdem haben Versäumnisse in der Weiterbildung
schon jetzt in einigen Bereichen zu einem Fachkräftemangel geführt. Dies monieren nicht nur die Gewerkschaften, sondern auch die Arbeitgeber selbst. Deshalb
soll eine frühzeitige Beteiligung des Betriebsrats bei Qualifizierungsmaßnahmen in Zukunft Defiziten vorbeugen.
Der Betriebsrat soll auch von sich aus Initiativen ergreifen können, wenn sich, wie es heute in der Regel der Fall
ist, betriebliche Änderungen kontinuierlich und schleichend vollziehen.
Mit der Einführung des erweiterten Mitbestimmungsrechts kann in den Betrieben eine neue Lernkultur entstehen. Neben einer gezielten Ausbildung ist ein berufsbegleitendes Lernen unverzichtbar geworden. Bereits heute
steht fest, dass Unternehmen und Betriebe Kosten sparen
können, wenn sie schnell, aktuell und effizient auf
neue Ausbildungs- und Qualifizierungsanforderungen
reagieren.
({17})
Den Betrieb durch Qualifizierung zukunftsfest zu machen ist auch im Interesse von vorausschauenden Arbeitgebern. Der Betriebsrat ist dafür ein idealer Mittler. Hätten wir schon ein modernes Betriebsverfassungsgesetz,
wäre unter Umständen die Green-Card-Aktion überflüssig gewesen.
({18})
Herr Kollege Brandner,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hinsken?
Nein, danke, nicht mehr.
Die anstehende Reform ist eine zeitgemäße Antwort
auf die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen in diesem Lande. Sie soll zukunftsgerichtet ein positives Leitbild für den innerbetrieblichen demokratischen
Umgang miteinander vorgeben. Dazu reicht ein verständnisvoller Unternehmer oder ein kooperativer Vorstand
nicht aus. Die Mitarbeiter brauchen auch Rechte, auf die
sie sich gegebenenfalls berufen können. Menschen, die
engagiert mitarbeiten, müssen auch an den Entscheidungen beteiligt werden. Mit der Reform des Betriebsverfassungsgesetzes legen wir dazu die entscheidende Grundlage.
({0})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Johannes Singhammer, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die hektischen Korrekturen in zentralen Punkten
({0})
in den letzten Stunden vor der Verabschiedung dieses Gesetzes dokumentieren schlechtes Gewissen, Unsicherheit
und mangelnde Verlässlichkeit.
({1})
Nur noch das Wirtschaftswachstum muss Rot-Grün
schneller nach unten korrigieren als die eigenen Gesetzentwürfe.
({2})
Eine moderne Betriebsverfassung nutzt den Arbeitnehmern, bringt den Arbeitgebern erhebliche Vorteile und
ist ein Qualitätsmerkmal für den Wirtschaftsstandort
Deutschland. Wir als Union wollen eine moderne Betriebsverfassung,
({3})
die auf Zusammenarbeit gerichtet ist, die Kooperation
fördert und den Betriebsfrieden sichert.
({4})
Das vorliegende Gesetz erfüllt diese Zukunftskriterien
eindeutig nicht.
({5})
Wir denken nicht nur an diejenigen, die in den Betrieben tätig sind, sondern auch an die, die Arbeit brauchen,
weil sie jetzt noch arbeitslos sind.
({6})
Das vorliegende Gesetz entspricht in einer Reihe von Wirkungen einem Bündnis für weniger Arbeit,
({7})
und das in einer Zeit, in der die Konjunktur abschmiert und
Wachstumsprognosen täglich nach unten korrigiert werden
müssen. Der Wirtschaftsminister erwartet ein Nullwachstum; das bedeutet auch: null Arbeitsplätze zusätzlich.
({8})
Die Inflation ist mit 3,6 Prozent an einem neuen Höchstwert angelangt.
({9})
Auf dem Göteborger EU-Gipfel erhält Deutschland die
schlechtesten Noten und hat die rote Laterne im wirtschaftlichen Geleitzug Europas übernommen.
({10})
In dieser Phase zünden Sie einen neuen Treibsatz für mehr
Bürokratie und weniger Solidarität.
({11})
Wir von der Opposition haben gemeinsam mit den unabhängigen Betriebsräten und den kleineren Gewerkschaften erreicht, dass zumindest ein Fundament der Demokratie, nämlich der innerbetriebliche Minderheitenschutz, nicht sang- und klanglos abgeschafft wird.
({12})
Bis Montag dieser Woche wollten Sie noch, dass die
Mehrheit bestimmt, welche Betriebsräte in den Ausschüssen sitzen sollen.
({13})
Bis Montag dieser Woche wollte Rot-Grün noch, dass die
Minderheit nicht entsprechend ihrer Stimmenzahl im Gesamtbetriebsrat vertreten sein soll.
({14})
Der IG-Metall Chef Klaus Zwickel hat noch vor zwei
Tagen gesagt: Diese Änderung - die Sie jetzt endlich, auf
unseren Druck hin, durchgesetzt haben - wird unabhängigen Kandidaten oder christlichen Gewerkschaften
größere Chancen eröffnen. Genau so ist es. Wir haben Ihre
Pläne durchkreuzt, und das ist gut so für die Demokratie.
({15})
Herr Kollege
Singhammer, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Dückert?
Aber gerne.
({0})
Herr Kollege Singhammer, wenn Sie sich so sehr für die
Beibehaltung des Verhältniswahlrechts im neuen Betriebsverfassungsgesetz eingesetzt haben, wie können Sie
uns dann erklären, dass Sie gerade in diesem Punkt gegen
das Gesetz stimmen werden?
Frau Kollegin
Dückert, Sie hätten nicht nur in diesem Punkt unseren Bedenken folgen müssen,
({0})
sondern ich liste Ihnen jetzt mindestens vier weitere ganz
entscheidende Bereiche auf, in denen Sie das Gesetz hätten korrigieren müssen. Dann wäre es ein gutes und zukunftsweisendes Betriebsverfassungsgesetz geworden.
({1})
Ich nenne Ihnen die Todsünden, die in dem Gesetz versteckt sind.
Herr Kollege
Singhammer, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage
der Kollegin Schwaetzer?
({0})
Wenn ich,
Herr Präsident, erst einmal der Kollegin Dückert die vier
Punkte schildern darf!
Punkt eins, Frau Kollegin Dückert: Die Solidaritätsbalance zwischen Betriebsrat und Firmenleitung wird
nicht zukunftsweisend neu justiert.
({0})
- Doch, das sind genau die Punkte, Frau Dr. Dückert, die
Sie angesprochen haben.
Statt unabhängige und selbstbewusste Betriebsräte zu
fördern, öffnen Sie Tür und Tor für mehr Einflussnahme
der Funktionärszentralen, damit die mehr hineinregieren
können. Das ist einer der Gründe!
({1})
- Ja, Sie hören das nicht gern, Herr Kollege Brandner,
aber es ist so!
Wir wollen Betriebsräte, die unabhängig sind. Darum
geht es!
Ich sage Ihnen auch: Die Regelungen, die Sie jetzt gefunden haben, sind verfassungsrechtlich zumindest bedenklich, weil sie nämlich in den Bereich der negativen
Koalitionsfreiheit hineinwirken. Arbeitnehmer, die nicht
Mitglied einer Gewerkschaft sind und deshalb auch keinen Einfluss auf die Willensbildung der Gewerkschaften
haben, werden jetzt ohne großes Federlesen mit einbezogen. Das ist ein Riesenproblem!
Ich nenne Ihnen den zweiten Punkt: Bürokratie und
Kostenbelastungen werden nicht geringer, sondern
größer, sie steigen. Ich sage Ihnen dazu auch ein Beispiel:
Die Zahl der freigestellten Betriebsräte wird ausgeweitet, und zwar kostenintensiv insbesondere für die kleineren Betriebe.
({2})
In einem Kleinbetrieb mit bis zu 200 Mitarbeitern wird
künftig ein Betriebsrat von der Arbeit freigestellt, und in
einem Großbetrieb mit 3 000 Mitarbeitern wird ein freigestellter Betriebsrat für 600 Mitarbeiter vorgesehen.
({3})
Genau darin liegt das Problem. Sie müssen nämlich sehen, dass in der Konsequenz beim Erreichen der Schwellenwerte viele Betriebe zögern werden, neue Arbeitnehmer einzustellen. Wir wollen aber das Gegenteil: Wir
wollen, dass mehr Arbeitnehmer eingestellt werden.
({4})
Deshalb sind diese Grenzwerte problematisch.
({5})
Nicht nur wir, sondern auch eine ganze Reihe von
Stimmen in Zeitungen und aus der Wissenschaft sagen
Folgendes: Die Zahl der Betriebsräte jetzt zu erhöhen, das
ist noch nicht die Lösung dafür, dass der Betriebsfrieden
gefördert wird. Sonst wäre es doch auch so, dass, wenn
ich die Zahl der Apotheker um 100 Prozent steigere, auch
die Volksgesundheit um 100 Prozent steigen müsste.
({6})
Das ist viel zu kurz gedacht. Entscheidend ist doch, dass
die innere Befindlichkeit stimmt.
({7})
Ein weiterer Punkt betrifft die Politisierung des Betriebsrates. In § 74 haben Sie zu Recht festgestellt, dass
parteipolitische Betätigung in den Betriebsräten nichts zu
suchen hat. Das ist in Ordnung. Aber auf der anderen Seite
verlangen Sie jetzt, dass der Betriebsrat Fremdenfeindlichkeit bekämpfen soll.
({8})
Die Bekämpfung der Fremdenfeindlichkeit ist eine Aufgabe der Politik und zumal dieser Bundesregierung, und
dabei unterstützen wir sie. Aber in die Betriebsräte diese
politischen Aufgaben hineinzutragen, die im Übrigen
Gott sei Dank in der Praxis keine Rolle spielen, weil
hier nämlich gute Kooperation herrscht, das ist so nicht
richtig!
({9})
Der nächste Punkt: Sie haben jetzt in wenigen Tagen
ohne Beratung das Gesetz überraschend in einer ganzen
Reihe von Kernpunkten noch einmal geändert. Dabei geht
es auch um den § 97, der jetzt umfassende Mitbestimmungsmöglichkeiten bei der beruflichen Weiterbildung vorsieht. Um es ganz klar zu sagen: Wir sind für berufliche Weiterbildung als Grundlage;
({10})
aber in dem, was Sie jetzt ohne entsprechende Beratungszeit eingefügt haben, dass nämlich bei jeder Änderung eines Arbeitsplatzes umfassende Mitbestimmungsmöglichkeiten gegeben sind, liegt ein großes Problem,
({11})
weil nämlich durch diese Möglichkeiten die Planungssicherheit von Investitionsentscheidungen ganz massiv
betroffen sein kann. Sie müssten doch auch wissen, welche Auswirkungen das
({12})
auf Investitionsentscheidungen und Ansiedlungspläne hat.
({13})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der eigentliche Grund, warum Sie dieses Gesetz jetzt in dieser Weise
durchpeitschen wollen, wird ganz deutlich. Mir ist ein
Schreiben des Sprechers der SPD-Fraktion vom vergangenen Jahr in die Hände gefallen. Er schrieb damals an die
Genossen:
Wir haben bei den letzten Wahlen sehen können, wie
schwierig es ist, unsere Stammwähler zu mobilisieren.
Das stimmt.
({14})
Am Ende des Briefes sagte er:
Das wichtige Thema Betriebsverfassungsgesetz ist
daher ein guter Anlass, wieder mit Betriebsräten und
Gewerkschaftsfunktionären intensiver ins Gespräch
zu kommen!
({15})
Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Regierung, ich sage Ihnen: Nichts ist weniger geeignet für eine
derartige Wahltaktik und einen solchen Wahlkampf als
das Betriebsverfassungsgesetz und der Betriebsfrieden.
({16})
Eigentlich ist niemand mit diesem Gesetzentwurf zufrieden. Viele Arbeitgeber, insbesondere der Mittelstand,
sprechen im Zusammenhang mit diesem Gesetz von einem Schwarzen Freitag
({17})
mit mehr Bürokratie und Kostensteigerung. Viele Arbeitnehmer sind enttäuscht, weil der Modernisierungseffekt
fehlt, weil der Modernisierungsgesichtspunkt hier nur unwesentlich auftaucht. Sie haben die große Chance einer
zukunftweisenden Weiterentwicklung des Betriebsverfassungsgesetzes nicht genutzt. Eine Flexibilisierung und die
Möglichkeit, Bündnisse für Arbeit auf lokaler Ebene vorzusehen, sind dort nicht so enthalten, wie wir es uns vorgestellt hätten. Das rot-grüne Gesetz ist vielmehr aus einem Blickwinkel der Vergangenheit heraus erarbeitet
worden,
({18})
nämlich aus dem Blickwinkel von Arbeit und Kapital.
Aber die Zeit hat sich doch geändert!
({19})
Die Mitarbeiter in den Betrieben helfen mit. Sie wollen
den gemeinsamen Erfolg ihres Unternehmens. Deshalb ist
dieser Gegensatz schon längst durch die Wirklichkeit
überholt.
({20})
Ich möchte Ihnen dazu, was ein neues, zukunftweisendes Betriebsverfassungsgesetz hätte regeln müssen, einige Einzelheiten sagen: kürzere Einspruchsfristen bei
frühzeitiger Information, beschleunigte Verfahren bei den
Einigungsstellen, echte Erleichterungen beim Wahlverfahren und eine Stärkung des Persönlichkeitsrechts bei
den Wahlverfahren, zum Beispiel durch die Möglichkeiten des Kumulierens und Panaschierens, womit einzelne
Persönlichkeiten in besonderer Weise herausgestellt werden können.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, dieses heutige Gesetz ist ein falsches Gesetz zum falschen Zeitpunkt. Falls Sie an die Erarbeitung eines Konjunkturprogramms denken sollten, dann rate ich Ihnen: Das beste
Konjunkturprogramm wäre, dieses Gesetz zu schubladisieren.
({21})
Ich erteile der Kollegin Thea Dückert, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das, was der Kollege Singhammer
hier gerade eben vorgeführt hat, ist bezeichnend für die
gesamte Debatte in der letzten Zeit.
({0})
Das war einmal wieder ein kleines Lehrstück für politische Doppelzüngigkeit.
({1})
Er stellt sich hier hin und behauptet, er und seine Fraktion
seien für mehr Mitbestimmung bei Qualifizierung und
Weiterbildung. Aber gleichzeitig stimmen Sie genau an
diesem Punkt gegen dieses Gesetz. Sie behaupten, für die
Beibehaltung des Verhältniswahlrechts in diesem Gesetz
zum Schutze von Minderheiten in den Betrieben gekämpft
zu haben. Trotzdem stimmen Sie gegen unser Gesetz, das
genau diesen Punkt enthält. Sie stellen sich hier hin und behaupten, Ihnen liege die Mitbestimmung in den Betrieben
in der Bundesrepublik Deutschland am Herzen, werden
aber nachher gegen das Gesetz stimmen, mit dem wir genau diese Punkte, die Erleichterung und Unterstützung der
Mitbestimmung in den kleinen und den großen Betrieben
in diesem Lande, voranbringen wollen.
Das ist nichts anderes als die Fortführung eines ideologischen Grabenkampfes. Sie werden dabei nur noch von
den Kollegen aus der F.D.P.-Fraktion getoppt, die hier sogar einen Änderungsantrag einbringen werden, der die
Mitbestimmung aus kleinen Betrieben heraushalten will.
Es geht darum, mehr Demokratie und Partizipation,
das heißt auch Mitbestimmung, in den Betrieben in der
Bundesrepublik Deutschland zu verankern. Ich sage Ihnen deutlich: Die Ausweitung der Partizipation und Mitbestimmung in allen gesellschaftlichen Bereichen war in
der grünen Politik immer ein treibendes Moment. Deshalb
waren wir von Anfang an, auch in den Koalitionsvereinbarungen und in der Politik dieser Koalition, immer auf
der Seite von mehr Mitbestimmung, immer auf der Seite
derjenigen, die die Reform des Mitbestimmungsgesetzes
für notwendig erachten.
Dieses Mitbestimmungsgesetz - das sage ich auch und
insbesondere an viele Kolleginnen und Kollegen in den
Gewerkschaften gerichtet - wäre ohne die Grünen nicht
zustande gekommen.
({2})
Ein Unterschied zu dem, was Sie uns nachher vortragen
werden, ist zum Beispiel, dass wir mit diesem Gesetz gerade in den kleinen Betrieben, in denen die Mitbestimmung immer weiter zurückgedrängt worden ist, durch ein
vereinfachtes Wahlverfahren die Möglichkeiten erweitern
wollen, die Mitbestimmung wieder voranzubringen. Sie
wollen die Mitbestimmung gerade aus den kleinen Unternehmen, wo sie schon in der Vergangenheit kaum Fuß fassen konnte, heraushalten. Wir dagegen sagen: Demokratie und Mitbestimmung gehören auch in die kleinste
Hütte. Wir nehmen das, was Willy Brandt gefordert hat,
nämlich mehr Demokratie zu wagen, besonders an dieser
Stelle sehr ernst.
({3})
Aber gerade die grüne Seite stellt besondere Forderungen an die betriebliche Mitbestimmung, an das, was wir
unter demokratischen Formen und Partizipation verstehen. Uns geht es bei der Mitbestimmung natürlich darum,
die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durch eine
Konstruktion der kollektiven Vertretung zu stärken. Uns
geht es aber auch darum, die individuellen Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu stärken. Auch
dies ist ein Prinzip der Demokratie. Uns geht es ebenso
darum, die Rechte von Gruppen und nicht nur die Rechte
von Institutionen zu stärken. Deswegen sind in diesem
Gesetz Elemente zur Stärkung von Individualrechten
vertreten, zum Beispiel dadurch, dass wir dafür sorgen,
dass Kolleginnen und Kollegen in den Betrieben Themen
in die Betriebsratsarbeit einbringen können, auf die Tagesordnung setzen können, zum Beispiel dadurch, dass
wir erstmals in einem Mitbestimmungsgesetz die Möglichkeit der Delegation von Mitbestimmungsrechten von
den Betriebsräten an Arbeitsgruppen, an Gruppen, die im
Team arbeiten, verankert haben.
Es ist sicherlich ein behutsamer Schritt, den wir da gegangen sind. Aber es ist für uns, gerade für meine Fraktion, ein wichtiger Schritt, weil auch das zur innerbetrieblichen Demokratie gehört.
Ich möchte noch einen anderen Punkt ansprechen. Für
uns ist der Schutz von Minderheiten überall, auch in den
Betrieben, ein konstitutives Element von Partizipation
und Demokratie.
({4})
Deswegen haben wir in den vergangenen Wochen um die
Beibehaltung des Verhältniswahlrechtes im Betriebsverfassungsgesetz gestritten. Wir wollen auch kleine Listen,
wir wollen auch kleine Gruppen in den entsprechenden
Gremien des Betriebes vertreten wissen. Deswegen haben
wir uns für dieses Recht eingesetzt. Ich sage Ihnen: Ich
bin sehr froh, dass dies gelungen ist. Ich fordere Sie von
der CDU/CSU an dieser Stelle auf, diesem Gesetzentwurf
zuzustimmen.
({5})
Das neue Betriebsverfassungsgesetz ist notwendig
geworden - das wissen wir alle -, weil das alte Gesetz
vielen Anforderungen einer modernen und dynamischen Wirtschaft überhaupt nicht mehr Rechnung trägt
und weil wir bei den Anforderungen an die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie an die Betriebsräte
eine rasante Entwicklung haben, dass die alten Strukturen an vielen Stellen nicht mehr gepasst haben. Wir haben neue Formen der Arbeitnehmerschaft, die sich ausweiten. Auf der anderen Seite haben wir neue Formen
von betrieblichen Strukturen. Deswegen mussten wir
das Betriebsverfassungsgesetz modernisieren.
Ich denke, wir haben einen klugen Weg eingeschlagen, indem wir eben nicht versucht haben, den
Betriebsbegriff oder den Arbeitnehmerbegriff abschließend zu definieren, sondern flexible Elemente
in dieses Betriebsverfassungsgesetz integriert haben,
beispielsweise die Möglichkeit von Organisationsvereinbarungen, also zu verhandelnde Mitbestimmung in
den Betrieben. Verhandelnde Mitbestimmung ist dort
nötig, wo sich betriebliche Strukturen verändern und
sich an die einzelnen Unternehmen anpassen müssen,
die so ihre Strukturen in den Betriebsräten selber gestalten können.
Wir haben gerade aufgrund der verstärkten Anforderung an die Betriebsräte die Notwendigkeit erkannt, ihre
materielle und sachliche Arbeit zu unterstützen, zum Beispiel durch das Hinzuziehen von Sachverständigen. Auch
war es notwendig, dass in vielen Punkten, wie etwa dem
Schutz von Arbeitsplätzen, die betriebliche Mitbestimmung im Zusammenhang mit der Qualifizierung, aber
eben auch mit der Beschäftigungssicherung ausgedehnt
worden ist.
Durch die Änderungsanträge, die in den letzten Tagen
diskutiert worden sind, haben wir noch einmal einen
Schritt nach vorne gemacht. Es geht nicht darum, ob in
den Betrieben technische Neuerungen eingeführt werden,
sondern darum, den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern eine Chance zu geben und sie durch ihre Betriebsräte dabei zu unterstützen, sich durch Weiterbildung und
Qualifikation den neuen Techniken anzupassen. Mit unserer Regelung haben wir einen Schritt in die richtige
Richtung getan.
Auch in anderen Bereichen sind wir tätig geworden,
zum Beispiel bei der Stärkung der Rechte von Frauen.
Dies war für meine Fraktion, aber auch für unseren Koalitionspartner SPD, ein wichtiger Punkt. Wir hatten in
unseren Gesetzentwurf zunächst eine Geschlechterquote
hineingeschrieben.
({6})
Aber wir sind in vielen Diskussionen mit Betriebsräten
auf folgenden Punkt aufmerksam gemacht worden: Unsere Formulierung hätte dazu geführt, dass Frauen gerade
dort, wo sie in den Betriebsräten stärker vertreten sind, als
es ihrem Anteil an der Belegschaft entspricht - das ist in
der Regel nicht der Fall -, bei der nächsten Wahl wieder
aus den Betriebsräten gekickt worden wären. Das wollten
wir verhindern. Deswegen haben wir in unserem Änderungsantrag eine neue Formulierung gefunden, über die
am Mittwoch abgestimmt wurde und mit der ein Minderheitenschutz im Betriebsrat verankert wird.
({7})
Es war übrigens besonders für Frauen aus meiner Fraktion eine sehr spannende Auseinandersetzung, noch einmal über die Notwendigkeit von Quoten zu diskutieren.
Es war interessant, zu hören, wer mit wem übereinstimmte und welche Argumente gegen die Notwendigkeit
eines Frauen- und Minderheitenschutzes in den Betrieben
genannt wurden. Wir kennen sie aus der Vergangenheit.
All diese Déjà-vu-Argumente wurden unter dem Motto
angeführt: Die Frauen sind doch so qualifiziert, dass sie es
schon schaffen werden. Mit diesem Argument ist immer
wieder versucht worden, dieses Vorhaben zu torpedieren.
Ich bin froh, dass wir diesen Minderheitenschutz für die
Frauen im neuen Betriebsverfassungsgesetz verankern
werden.
Es geht aber noch um einen anderen Punkt. Wir wollen
natürlich, dass Jugendliche ihre Geschicke in den Betrieben verstärkt in die eigene Hand nehmen können. Dazu
lässt sich einiges im Betriebsverfassungsgesetz finden. Es
ging uns natürlich auch um die außerbetrieblichen Ausbildungsstätten. Der Entschließungsantrag, der von der
PDS-Fraktion eingebracht worden ist, sieht vor, die Jugendlichen in den außerbetrieblichen Ausbildungsstätten,
die keine Betriebe sind, den Jugendlichen, die in Betrieben mit Betriebsrat beschäftigt sind, gleichzustellen und
auch ihnen das Recht auf Mitbestimmung einzuräumen.
Ich weiß, dass darüber diskutiert wird, ob das Betriebsverfassungsgesetz dahin gehend geändert werden soll.
Aber wir müssen die gültige Rechtsprechung berücksichtigen, nach der es unmöglich ist, die Mitbestimmung für
außerbetriebliche Einrichtungen im Betriebsverfassungsgesetz zu regeln. Wenn wir es dennoch täten, dann hätte
eine solche Regelung nicht lange Bestand. Deswegen
schlagen wir Ihnen die vorliegende Regelung vor. Ich
glaube, dass diese die Mitbestimmung der Jugendlichen
ein Stück voranbringt.
Wichtig ist uns auch, dass im neuen Betriebsverfassungsgesetz ein besonderes Augenmerk auf die blinden
Stellen des alten Gesetzes gerichtet worden ist. Blinde
Stellen gab es beispielsweise überall dort, wo es um den
Umweltschutz geht. Dieser stand 1972 natürlich noch
nicht auf der Tagesordnung. Die Umweltverbände und die
Grünen haben in den letzten Jahren dafür gesorgt, dass der
Umweltschutz in das Bewusstsein der Menschen gedrungen ist. Dieses Thema liegt den Betriebsräten und auch
den Belegschaften tagtäglich am Herzen. Deswegen ist es
notwendig und ein Gebot eines modernen Betriebsverfassungsgesetzes, auch Regelungen zum Umweltschutz aufzunehmen.
({8})
Die CDU/CSU sagt nun - das ist einer der Vorwürfe -,
dass ihr die von uns vorgenommenen Veränderungen
nicht weit genug gehen. Das ist absurd. Kürzlich, vor
zwei, drei Wochen, hat der Vorsitzende der CDU/CSUFraktion auf einer CDA-Tagung die Kolleginnen und Kollegen, die das Fähnlein der Aufrechten hochgehalten und
für die Verbesserung der Mitbestimmung gekämpft haben, gefragt, ob sie in der CDU eigentlich noch richtig
aufgehoben seien. Das macht deutlich, dass Sie mit dem,
was Sie zum Beispiel im Zusammenhang mit den Jugendvertretern einfordern, letzten Endes nur eine Feigenblattdiskussion für Ihre Partei führen wollen, die in Wahrheit die betriebliche Mitbestimmung nicht verbessern
will.
Es gibt eine ganze Reihe von Vorwürfen, die im Zusammenhang mit dem neuen Betriebsverfassungsgesetz
erhoben werden, zum Beispiel den, dass es neue Formen
der Kooperation und Mitbestimmung, wie sie beispielsweise in Betrieben aus dem IT-Bereich entstanden sind,
zerstören würde. Auch hier wird nur eine Scheindebatte
geführt; denn es gibt keinen Betriebsrat, der gegen die
eigene Belegschaft im Betrieb arbeiten kann und will.
Es ist zwar gut, dass neue Unternehmen ihre Formen der
Kooperation finden. Aber es ist auch gut - das zeigen
die Entwicklungen in den letzten Monaten bzw. des
letzten Jahres -, dass auch diejenigen, die in neuen Unternehmen beschäftigt sind, auf das Betriebsverfassungsgesetz zurückgreifen können; denn auch diese Belegschaften merken im Alltag immer wieder, dass sie am
kürzeren Hebel sitzen. Deswegen brauchen wir im Betriebsverfassungsgesetz die Schutzbestimmung, nach
der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auch gegen
den Willen ihres Arbeitgebers einen Betriebsrat einsetzen können. Dafür setzen sich die Grünen an vorderster
Stelle ein.
({9})
Ich komme zum Schluss.
({10})
Über das neue Betriebsverfassungsgesetz ist lebhaft diskutiert worden. Wir brauchen jetzt eine hohe Akzeptanz in
den Betrieben.
({11})
Dort muss dieses Gesetz mit Leben gefüllt werden.
({12})
Zu der von Ihnen immer wieder aufgestellten Behauptung, dass mehr Mitbestimmung letzten Endes der Sargnagel für die wirtschaftliche Prosperität sei,
({13})
sage ich: Andersherum wird ein Schuh daraus. Die Vergangenheit hat gezeigt - streiten Sie das nicht ab! -,
dass die betriebliche Mitbestimmung zu sozialem Frieden in diesem Land geführt hat, der ein Standortvorteil
ist.
({14})
Deswegen ist das von uns heute vorgelegte Mitbestimmungsgesetz eine Art Hebamme für mehr Demokratie in
den Betrieben und eine Stärkung des Standortvorteils, den
wir der Mitbestimmung in diesem Lande zu verdanken
haben.
Ich danke Ihnen.
({15})
Ich erteile dem Kollegen Günter Rexrodt, F.D.P.-Fraktion, das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Wir diskutieren über diese so genannte Reform vor dem Hintergrund einer Besorgnis erregenden Wirtschaftslage; die Institute revidieren ihre
Wachstumsprognosen nach unten. Die Bundesregierung
bleibt bei 2 Prozent, obwohl seit mittlerweile elf Monaten
der Ifo-Geschäftsklimaindex nach unten zeigt. Wir alle
wissen - das ist empirisch belegt -, dass in Deutschland
einer Talfahrt der Prognosen eine Talfahrt des wirtschaftlichen Wachstums folgt.
({0})
Wir jubeln darüber nicht. Diese Entwicklung ist Anlass,
Ursachen aufzuzeigen und Korrekturen anzumahnen.
({1})
Damit sind wir beim Thema des heutigen Vormittags.
({2})
- Hören Sie gut zu! - Ich sage nicht so plump: Ausweitung der Mitbestimmung, Reform des Betriebsverfassungsgesetzes gleich Einbruch der Konjunktur. Ein wirtschaftlicher Einbruch hat immer mehrere Ursachen. Hier
ist zunächst festzustellen: Der Einbruch, der in diesen
Monaten stattfindet, ist hausgemacht.
({3})
Er hat etwas mit den Zukunftserwartungen der Wirtschaft
zu tun. Diese Zukunftserwartungen sind wiederum das
Ergebnis einer miesen Stimmung, die Sie in den letzten
Monaten erzeugt haben.
({4}) - Detlev von Larcher [SPD]:
Wie konnte der nur Wirtschaftsminister wer-
den? - Klaus Brandner [SPD]: Diese Stimmung
haben Sie organisiert oder versucht zu organi-
sieren!)
Weshalb ist die Stimmung nach einem Zwischenhoch
im Jahre 2000 so mies? Während andere Länder ihr Arbeitsrecht reformieren, mehr Flexibilität erzeugen, ihre
Regelwerke vereinfachen, Abgaben abschaffen und ihr
Steuersystem vereinfachen, hat sich die Wirtschaftspolitik in der Bundesrepublik Deutschland dazu entschlossen,
neue Wunderwaffen einzusetzen.
Die Wunderwaffe Nummer eins zur Belebung der wirtschaftlichen Konjunktur ist die Erfindung des Dosenpfandes - ein Volltreffer in der Wirtschaft und bei den
Verbrauchern!
({5})
Die Wunderwaffe Nummer zwei ist die Tatsache, dass
fast die Hälfte der Energiewirtschaft - sie wurde zu unserer Regierungszeit liberalisiert - wieder reguliert wird ein Volltreffer für die Verbraucher und für die Energiewirtschaft!
({6})
Die Wunderwaffe Nummer drei ist die Verlängerung
des Postmonopols, über die an diesem Vormittag beschlossen werden soll - ein Volltreffer für unsere Wirtschaft und für den Verbraucher!
Nachdem der Mittelstand nicht nur durch die Steuerreform benachteiligt und verärgert, sondern auch durch die
Ökosteuer gebeutelt worden ist, kommt es heute zur Reform des Betriebsverfassungsrechts. Damit wird die Stimmung richtig mies gemacht und der Mittelstand so richtig
vor den Kopf geschlagen.
({7})
Warum diese Reform? Der Hintergrund ist ganz einfach: Sie ist der Preis, den die rot-grüne Koalition für die
Steuerreform und die Rentenreform zahlt. Sie ist der
Preis, der an die Gewerkschaften gezahlt wird, damit sie
stillhalten und mitmachen, wenn es an mancher Stelle
schwierig geworden ist.
({8})
Sie ist der Preis, den Herr Riester - im Auftrag des Herrn
Zwickel - zu zahlen hat. Das ist der eigentliche Hintergrund.
({9})
- Wenn Sie weiter nichts zu sagen haben, Herr von
Larcher, sprechen Ihre Worte für sich selbst.
({10})
Hinter dem, was hier vorgetragen wurde, verbergen
sich keine hehren Ziele. Das Thema eines Ungleichgewichts zwischen Kapital und Arbeit hat längst eine andere
Dimension erhalten; es ist ein Thema der alten Industriegesellschaft, das wir gemeinsam in den 60er- und 70erJahren bei der Diskussion über die nunmehr geltende Mitbestimmung aufgenommen haben. Die F.D.P. hat damals
daran mitgewirkt. Das hatte seine Berechtigung und hat
sich letztlich auch bewährt.
({11})
Heute haben wir aber eine andere Arbeitswelt. Damals
ging es um lange Arbeitszeiten, Abhängigkeiten und Anonymität in der Arbeitswelt. Es war nachvollziehbar, dass
Betriebsräte, starke Gewerkschaften und Regelwerke
über den Umgang miteinander notwendig waren. Gegenüber heute muss man differenzieren; denn heute geht es
um etwas ganz anderes: Die Arbeitswelten, in denen die
Gewerkschaften eine starke Stellung hatten, sind in Bewegung geraten und im Rückzug begriffen.
({12})
Ich sage nicht, dass sie ganz verschwinden. Aber die
neuen Arbeitswelten werden immer stärker dominieren.
Die Gewerkschaften haben Angst, dass sie nicht mehr gebraucht werden.
({13})
Deshalb soll das Betriebsverfassungsgesetz reformiert
werden.
({14})
Es geht um Posten und Pöstchen und es geht um die
Tatsache, dass den Gewerkschaften die Mitglieder weglaufen. Dadurch schrumpft das Beitragsvolumen. Das
sind die Fakten. Schauen Sie in die Statistik; Sie kennen
sie ganz genau. Sie regen sich hier auf; es geht um Posten
und Pöstchen und Sie zahlen den Preis an die Gewerkschaften.
({15})
Wer dieses brandmarkt, dem wird unterstellt, er wolle die
alte Subordination zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern wieder herbeiführen. Das liegt doch neben der Sache. Jeder Mensch, der einen Betrieb von innen kennt,
weiß, dass dieser Betrieb nur laufen kann, wenn es ein
Miteinander, eine Kooperation, einen Austausch aller BeDr. Günter Rexrodt
teiligten gibt. Nötig ist eine Partizipation bei der Arbeit
und beim Ergebnis dieser Arbeit.
({16})
Die neue Arbeitswelt, auf die wir uns einstellen müssen, ist durch kleine Einheiten, größere Selbstständigkeit,
den Wechsel und die Vermischung von selbstständiger
und unselbstständiger Arbeit, weltweite Vernetzung,
Projektarbeit, bei der man zusammenkommt und wieder
auseinander geht, mehrere parallele Beschäftigungsverhältnisse, ungewöhnliche Beschäftigungszeiten und eine
ungewöhnliche Beschäftigungsdauer gekennzeichnet.
({17})
Das ist der Trend, in dem sich die Arbeitswelt entwickelt. Die Industriegesellschaft geht zu Ende.
({18})
In der neuen Gesellschaft, die die alte nicht vollständig
verdrängen wird, vermischen sich Arbeitgeber- und Arbeitnehmerfunktionen. Das ist eine Tatsache.
({19})
Der Kapitalist wird gleichzeitig Arbeitnehmer; Arbeitgeber und Arbeitnehmer arbeiten im Betrieb auf gleicher
Augenhöhe. Die Arbeitnehmer werden Kapitalisten.
({20})
Das ist gut so.
({21})
Ich füge hinzu: Gott sei Dank ist heute die Zahl der Aktionäre größer als die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder.
({22})
Wer in einem Betrieb ein Problem hat, spricht mit seinem Arbeitgeber, und zwar in gleicher Augenhöhe.
({23})
Diese Form der Mitbestimmung braucht weniger Betriebsräte und schon gar keine Gewerkschaftsfunktionäre.
({24})
Mitbestimmung erfolgt durch Beteiligung am Ertrag und
am Kapital, nicht umgekehrt. Das ist gut so.
({25})
Ich kann nachvollziehen, dass man beim DGB und in
der IG Metall ins Grübeln kommt. Man sagt: Wir müssen
die Arbeitnehmer in der neuen Arbeitswelt schützen.
Ich sage Ihnen: Die Arbeitnehmer können sich in dieser
neuen Arbeitswelt heute häufig sehr viel besser selber
schützen als früher.
In Wirklichkeit wollen die Gewerkschaften in dieser
neuen Arbeitswelt dabei sein. Deshalb werden mit der Reform des Betriebsverfassungsgesetzes vereinfachte Verfahren zur Installierung von Betriebsräten in Kleinbetrieben eingeführt, die Schwellenwerte herabgesetzt und
Mitwirkungsrechte unter der Überschrift Umweltschutz
auf quasi alle betrieblichen Investitionen ausgedehnt.
Man schlägt die Unternehmer, die Entscheidungsträger,
damit vor den Kopf. Auch das führt zu Attentismus bei Investitionen. Dieser ist ursächlich für die schlechte Konjunkturlage.
({26})
Während auf der einen Seite Initiativrechte an Stellen eingeführt werden, an die sie gar nicht hingehören, werden
auf der anderen Seite Schlichtungsprozedere wie runder
Tisch und andere, die dabei hätten helfen können, Probleme im Betrieb zu lösen, nicht installiert, sondern sogar
abgeschafft. Dieser Ansatz ist falsch und führt zum Gegenteil dessen, was wir wollen.
({27})
Wir aber wundern uns, dass sich die Mittelständler vor
den Kopf geschlagen fühlen und nicht mehr investieren.
({28})
Meine Damen und Herren, Sie hatten am Anfang der
Legislaturperiode drei richtige Grundsatzentscheidungen getroffen, und zwar bezüglich der steuerlichen Entlastung, der privaten Vorsorge in der Rente und der
Konsolidierung der öffentlichen Haushalte.
({29})
Bei den ersten beiden Punkten haben Sie die Chancen
durch die steuerliche Ungleichbehandlung von Personen- und Kapitalgesellschaften und durch die unselige
Ökosteuer total verspielt. Die Rentenreform haben Sie
durch Zulassungs- und Zertifizierungsstellen verkompliziert und dadurch viel kaputtgemacht. Schließlich haben Sie noch draufgesattelt, indem Sie bei den EVUs
und der Post wieder rereguliert haben. Das treibt
die Preise, sodass wir heute eine höhere Inflationsrate
haben.
Nun, da Sie die Mitbestimmung ausweiten wollen,
geht die Konjunktur bei insgesamt passablen weltwirtschaftlichen Daten und einem günstigen Euro-Kurs in den
Keller. In Bezug auf das wirtschaftliche Wachstum sind
wir das Schlusslicht in Europa.
({30})
Die Arbeitslosigkeit steigt. Sie werden Ihre Versprechungen für das Jahr 2002 nicht halten können.
Kollege Rexrodt, Sie
müssen zum Ende kommen.
({0})
Ich komme sofort zum
Ende, Herr Präsident. - Letzter Satz: Die Krise ist hausgemacht, meine Damen und Herren. Sie fliegt Ihnen im
Jahre 2002 um die Ohren. Und das ist gut so.
({0})
Ich erteile der Kollegin Heidi Knake-Werner, PDS-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das war also nun die
Wunderwaffe der F.D.P. für den Berliner Wahlkampf:
({0})
Alte muffige Klassenkampfparolen von vorgestern. Und
das ist gut so.
({1})
Ich komme zum eigentlichen Thema: Mutig, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist die Reform des Betriebsverfassungsgesetzes wirklich nicht. Die gute Botschaft: Es
gibt mit dieser Reform endlich einmal keine Verschlechterungen. Damit scheint der Trend der letzten Jahre gebrochen, wonach alles, was als Reform daherkam, mit Demokratieabbau und Leistungskürzungen versehen war.
Der heutige Gesetzentwurf hat positive Seiten, aber er hat
auch erhebliche Mängel.
Lassen Sie mich mit dem Positiven beginnen - da kann
ich mich relativ kurz fassen -:
({2})
Zunächst ist festzustellen, dass das vereinfachte Wahlverfahren ein richtiger Schritt ist, um die Zahl der Vertretungen auch in den kleineren Betrieben endlich wieder zu erhöhen. Auch die verbesserte Freistellung ist ein wichtiger
Ansatz. Dadurch kann die Arbeit der Betriebsräte an Qualität gewinnen. Auch die Einführung der Mindestquote
halten wir für einen wichtigen Schritt, weil vor allen Dingen die Frauen davon profitieren werden. Schließlich begrüßen wir die Beibehaltung des Verhältniswahlrechtes.
Weil all dies, was ich jetzt erwähnt habe, die Stellung der
abhängig Beschäftigten und der Gewerkschaften in den
Betrieben verbessern wird, wird die PDS diesem Gesetzentwurf zustimmen.
Ich sage Ihnen aber auch ganz offen, dass diese Reform
weder einer entspricht, die angesichts der rasanten Entwicklungen bei der Arbeitsweise und der Technik notwendig gewesen wäre, noch der, die Sie versprochen haben.
An den entscheidenden Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechten haben Sie nicht ein Jota verändert; und
das ist nicht gut so.
({3})
Wenn in der Öffentlichkeit trotzdem der Eindruck entstehen konnte, dass dieses Gesetz die Verhältnisse im Betrieb zum Tanzen bringt, dann verdankt es diese Wertschätzung vor allem der völlig überzogenen Reaktion aus
dem Arbeitgeberlager. Die Sympathisanten haben wir ja
gerade gehört. Sogar das Schreckgespenst der kalten Enteignung wurde wieder aus der Mottenkiste geholt. Das alles ist natürlich blanker Unsinn. Es sind - das sage ich Ihnen ganz klar - die starken Gegner, die dem schwachen
Gesetz dieses Medienecho bescheren konnten.
Die Unternehmerverbände haben mit einer kaum noch
zu überbietenden Drohkulisse versucht, nicht nur die betriebliche Mitbestimmung in diesem Prozess zu demontieren,
({4})
sondern gleich auch noch den Tarifvertrag auszuhöhlen.
Mit ihrer Absicht, durch die Abkehr vom Günstigkeitsprinzip die Tarifpolitik in die Betriebe zu verlagern und
die Gewerkschaften durch die Aufweichung des
Flächentarifvertrages zu schwächen, sind sie zum Glück
gescheitert, weil die Koalition trotz mancher Eierei insbesondere in den Reihen der Bündnisgrünen an diesem
Punkt standhaft geblieben ist; auch das ist gut so.
Dennoch werden Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen
von der Koalition, mit diesem Gesetzentwurf weder den
Erwartungen der Gewerkschaften noch denen der Praktikerinnen und Praktiker in den Betrieben noch der Notwendigkeit einer zeitgemäßen Reform gerecht. Im Gegenteil: Die PDS ist der Auffassung, dass Sie an der
untersten Schwelle dessen bleiben, was eine demokratische Betriebsverfassung den Arbeitgebern abverlangen
muss, wenn man, Herr Singhammer, weiterhin das Verhältnis von Arbeit und Kapital auch am Sozialstaatsgebot
unserer Verfassung orientieren will. Darauf legen wir allerdings sehr viel Wert.
({5})
Kommen wir zurück zum vereinfachten Wahlverfahren. Wir alle wissen, dass dieses Verfahren nicht der alleinige Grund für die zunehmende Zahl von betriebsratsfreien Zonen ist. Entscheidend ist, dass auf die
Beschäftigten zunehmend Druck ausgeübt wird: So
kommt es vor, dass sie willkürlich entlassen werden,
wenn bekannt wird, dass sie einen Betriebsrat wählen
wollen. Zahllose Unternehmen verstoßen seit Jahren gegen das Gesetz und klagen hemmungslos darüber, dass
die Einhaltung dieses Gesetzes zu teuer ist. Das ist wirklich ein merkwürdiges Demokratieverständnis. Leider hat
die Koalition nicht den Mut aufgebracht, die Wahl von
Betriebsräten zu einem unumgänglichen demokratischen
Muss zu machen. Gerade das aber wäre im Interesse der
Beschäftigten gewesen.
Die größte Schwäche des Reformgesetzes zeigt sich im
Kern der Betriebsverfassung. An diesem Punkt ist das,
was der Kollege Rexrodt gesagt hat, blanker Unsinn.
({6})
Es gibt keine Veränderung in der tatsächlichen Mitbestimmung. Dabei war doch die Anpassung der Mitbestimmung an die neuen Produktionskonzepte, an die veränderten Arbeitsabläufe und Organisationsformen oder an
die neuen Technologien der eigentliche Grund für diese
Reform.
({7})
Sie selbst, Herr Minister Rexrodt
({8})
- Entschuldigung; ich meine natürlich Herrn Minister
Riester -, haben immer wieder zu Recht darauf hingewiesen, dass die Veränderungen der letzten 20 Jahre die Mitbestimmungsrechte nach und nach überholen werden.
War es denn nicht die SPD, die ständig das Bild der Kugelkopfmaschine bemüht hat, die bei der Ausarbeitung
des Betriebsverfassungsgesetzes 1972 Pate gestanden
hat? Das ist, wie ich finde, ein schöner und bildhafter Vergleich, mit dem man den Menschen deutlich machen
kann, was sich in den letzten Jahren wirklich verändert
hat. Allerdings sind Sie - das müssen Sie sich sagen
lassen - im Zeitalter der Kugelkopfmaschine stehen geblieben.
({9})
Uns ist das zu wenig.
({10})
- Kollege Larcher, dass Sie in solchen Fragen immer besonders kompetent sind, kann man an Ihren Zwischenrufen sehr schnell nachvollziehen.
({11})
Nehmen wir zum Beispiel die Einführung der Gruppenarbeit. Natürlich ist es gut, dass Betriebsräte dafür
Grundsätze aufstellen können. Aber was hilft ihnen das,
wenn sie bei die Einführung der Gruppenarbeit nicht mitbestimmen können? Oder die Frage des Umweltschutzes: Natürlich ist es gut, dass der Aufgabenkatalog
erweitert wird. Aber es gibt in diesem Bereich kein wirkliches Mitbestimmungsrecht der Betriebsräte. Das ist einfach zu wenig.
Lassen Sie mich zum Schluss noch einen Punkt erwähnen, der uns besonders am Herzen liegt. Ich meine die
Wahl der Jugend- und Auszubildendenvertretungen
und den verbesserten Schutz ihrer gewählten Mitglieder.
Hier hätten Sie keinem Arbeitgeber ernsthaft wehgetan,
wenn Sie den Vorschlägen der Gewerkschaftsjugend gefolgt wären.
({12})
Warum lassen Sie in über- und außerbetrieblichen Lehrwerkstätten Auszubildende zweiter Klasse zu, die
schlechter gestellt sind - das wissen Sie genau - als ihre
Kolleginnen und Kollegen im Betrieb? Wir wollen, dass
auch diese jungen Leute die Rechte und den Schutz des
Betriebsverfassungsgesetzes bekommen. Wir halten Ihre
vorgeschlagene Regelung für das falsche Signal.
Kollegin KnakeWerner, Sie müssen zum Ende kommen.
Ich komme zum
Schluss.
Deshalb haben wir uns - obwohl es eine Fülle von Änderungsbedarf gegeben hat - mit unserem Änderungsantrag darauf konzentriert, zugunsten der Jugendlichen und
der Auszubildendenvertretungen zu wirken. Ich finde, es
sollte Ihnen die Sache wert sein, hier der PDS - einmal ist
ja immer das erste Mal - zuzustimmen. Ich garantiere Ihnen aber auch - so verstehe ich die Botschaft der Gewerkschaften -: Nach der Reform ist vor der Reform.
Vielen Dank.
({0})
Ich erteile das Wort
der Kollegin Anette Kramme, SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute wird eines der
großen Reformprojekte der rot-grünen Koalition verabschiedet.
({0})
Die letzte Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes
liegt immerhin schon 30 Jahre zurück. Wir passen das Gesetz den heutigen Gegebenheiten an und geben den Betriebsräten neue und hervorragende Arbeitsmöglichkeiten.
({1})
Das Gesetz ist aber nicht nur ein Gesetz für die Betriebsrätinnen und für die Betriebsräte; es ist nicht nur ein
Gesetz für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Es
ist auch Standortvorteil für die deutsche Wirtschaft. Moderne Unternehmensstrategie ist es, betriebliche Hierarchien abzubauen. Genau dies tun wir. Wir schaffen mit der
neuen Betriebsverfassung hierfür die gesetzlichen Rahmenbedingungen.
Wir sollten aber nicht außer Acht lassen, dass gerade
die Betriebsverfassung wesentlicher Faktor für die Schaffung des sozialen Friedens in der Bundesrepublik
Deutschland war und ist. Sie ist die Ergänzung zur Streikkultur der Tarifvertragsparteien. Leider mussten die Regierungsfraktionen feststellen, dass gerade die F.D.P. sich
von dem jahrzehntelangen Konsens, dem Konsens der sozialen Marktwirtschaft, verabschiedet hat. Die F.D.P. hat
Ade zur Betriebsverfassung gesagt.
({2})
Sie legen hier ein Sammelsurium von Schauerlichkeiten vor:
({3})
anteilige Berücksichtigung von Teilzeitbeschäftigten bei
den Schwellenwerten, Verkleinerung der Betriebsratsgremien, Freistellungen von Arbeitnehmern für die Betriebsratsarbeit erst ab 500 Arbeitnehmern, § 87 des
Betriebsverfassungsgesetzes - das Mark aller Mitbestimmung - erst ab 300 Arbeitnehmern, Aushebelung
des § 77 Abs. 3. Frau Schwaetzer und Herr Niebel,
ich muss Sie fragen: Was ist aus Ihrer alten Partei geworden?
({4})
Schämen Sie sich nicht?
({5})
Herr Rexrodt, Sie trauen sich wirklich, in Berlin in den
Straßenwahlkampf zu ziehen. Ihr Ziel,18 Prozent, ist mit
Sicherheit nicht erreichbar.
({6})
Einige der Kolleginnen und Kollegen der Opposition
scheinen nicht recht wahrgenommen zu haben, was wir
als rot-grüne Koalition hier machen. Es war erforderlich,
die Arbeitnehmergrenzzahlen für die Freistellung von
Betriebsratsmitgliedern herabzusetzen. Ab 200 Beschäftigten kann sich nun ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin ausschließlich um die Interessen der Belegschaft kümmern. Das war dringend notwendig.
({7})
Die Arbeitsbelastung der Betriebsräte ist in den letzten
Jahren sowohl in quantitativer als auch in qualitativer
Hinsicht massiv angestiegen. Betriebsräte haben sich immer häufiger mit Outsourcing - so lautet das eine Schlagwort - und mit Unternehmensverschmelzungen auseinander zu setzen. Aber auch jede technische Einrichtung, die
heute in den Betrieb hineinkommt, ist mitbestimmungspflichtig, weil sie eine intensive Verhaltens- und Leistungskontrolle ermöglicht. Das beginnt bei einer ganz banalen ISDN-Anlage. Über diese kann ohne weiteres die
Arbeitsfähigkeit, die Arbeitsleistung eines Mitarbeiters,
beispielsweise in einem Callcenter, überprüft werden.
Wir haben uns weiter entschlossen, in Betrieben mit bis
zu 50 Beschäftigten das Wahlverfahren zu vereinfachen.
In Betrieben mit bis zu 100 Beschäftigten kann dieses einfache Wahlverfahren vereinbart werden. Bislang war die
Betriebsratswahl auch in kleinen Betrieben mindestens so
schwierig wie die Durchführung einer Bundestagswahl.
Bedauerlicherweise mussten wir feststellen, dass einige
Arbeitgeber diese Gelegenheit genutzt haben, um die Errichtung von Betriebsratsgremien zu verhindern. Da sind
Versammlungen zur Einberufung eines Wahlvorstandes
auf Veranlassung des Arbeitgebers lautstark gestört worden, da haben beispielsweise alle Arbeitnehmer am entscheidenden Tag Freizeit erhalten. Jede Gewerkschaft
kann zahlreiche Beispiele nennen. Vor allem ist es immer
wieder zu überraschenden Kündigungen von interessierten Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen gekommen.
({8})
- Ja. Ich bin Rechtsanwältin, und zwar ausschließlich mit
dem Tätigkeitsschwerpunkt Arbeitsrecht.
({9})
Meine Tätigkeit umfasst Interessenausgleichs- und Sozialplanverhandlungen. Ich meine, ich nehme sehr intensiv
die tägliche Arbeit von Betrieben wahr.
({10})
Wir geben den Betriebsräten ein Initiativ- und Mitbestimmungsrecht bei der Einführung von betrieblichen Berufsbildungsmaßnahmen. Die Regierungskoalition hat in
diesem Punkt den Regierungsentwurf abgeändert und damit dieser Novelle einen eigenen und markanten Stempel
aufgedrückt.
Qualifizierung war und ist das Herzstück sozialdemokratischer Politik. Die Anforderungen am Arbeitsplatz ändern sich ständig und auch immer schneller. Lebenslanges
Lernen ist erforderlich. Und das ist gut und richtig so.
Aber wir wollen auch, dass alle mithalten können. Deshalb geben wir den Betriebsräten ein volles Mitbestimmungsrecht bei geplanten oder bereits durchgeführten
Maßnahmen des Arbeitgebers, die dazu führen, dass die
beruflichen Kenntnisse der Beschäftigten nicht mehr ausreichen.
({11})
Das wird auch den Unternehmen gut tun. Sicherlich wird
die Neuregelung den einen oder anderen Innovationsschub bewirken.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Rot-Grün schafft
Perspektiven.
({12})
Wir haben die Arbeitssituation vieler Menschen verbessert. Auch dieses Betriebsverfassungsgesetz wird hierzu
beitragen.
Ich bedanke mich.
({13})
Ich erteile das Wort
der Kollegin Dorothea Störr-Ritter von der CDU/CSUFraktion.
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn wir heute
dieses Gesetz ablehnen, geschieht dies ganz bestimmt
nicht gegen die Mittelständler, weil die Mittelständler
etwa, wie Sie, Herr Brandner, glauben machen wollen,
dieses Gesetz haben zu wollen, sondern es geschieht, weil
die Mittelständler und ihre gesamten Belegschaften dieses Gesetz eben nicht haben wollen
({0})
- diese Rundschreiben kamen auch aus anderer Richtung -, weil die Mittelständler ganz genau spüren, dass
die Regierung hier einen Schritt nach links tut, das arbeitsmarktpolitische Ruder zu einer neuen Linken hinsteuert und eine Rückkehr in die Mitte nicht mehr möglich ist.
({1})
Um die soziale Marktwirtschaft und auch den sozialen Frieden zu erhalten, braucht es Ordnungspolitik, aber
es braucht eben auch eine Garantie für Freiheit, Eigentum
und Selbstbestimmung der Bürger.
({2})
Diese Garantien tritt der Gesetzentwurf mit Füßen. Die
Koordinaten werden nach links verschoben; die Freiheit
der im Wettbewerb stehenden Unternehmen wird mehr
und mehr beschnitten und die Freiheit der Arbeitnehmer
soll unterbunden werden durch Fremdbestimmung vonseiten der Gewerkschaften.
({3})
Das Misstrauen zwischen den Sozialpartnern wird zur Basis betrieblicher Partnerschaft erklärt.
({4})
Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von der
Regierungskoalition, unterstellen den Unternehmern,
dass diese grundsätzlich kalt agierten. Sie unterstellen
aber auch den mündig gewordenen Arbeitnehmern, dass
nur Betriebsräte die für jeden Einzelnen günstigsten Bestimmungen an seinem Arbeitsplatz aushandeln könnten.
Mit der verbohrten Einstellung, dass nicht sein kann, was
nicht sein darf, ignorieren Sie, dass das bisherige Betriebsverfassungsgesetz seinen Zweck erfüllt und wir in
Deutschland im Vergleich mit allen Industrieländern bereits den höchsten Grad von Mitbestimmung haben.
Soziale Partnerschaften sind unter dem bisherigen Betriebsverfassungsgesetz entstanden und funktionieren
auch. Sie wollen nicht wahrhaben, meine sehr geehrten
Damen und Herren der Regierungskoalition, dass es jetzt
darum gehen muss, diese entstandenen Partnerschaften zu
stärken und sie zukunftsfähig zu machen.
({5})
Mit Beharrlichkeit schauen Sie immer nur dorthin, wo
es schlecht läuft.
({6})
Ihre Angst vor der Allmacht der Konzerne - selbstverständlich nur dann, wenn es keine SPD-Konzerne sind verstellt Ihnen den Blick für die mittelständische Wirtschaft.
({7})
Sie haben ja vielleicht einen Kanzler der Bosse und einen Kanzler der Genossen. Wir verstehen, dass da bei allem Talent für einen Kanzler der Mittelständler kein Platz
mehr bleibt.
({8})
Sie ignorieren aufgrund Ihrer Unkenntnis oder auch
mit Absicht, dass soziale Partnerschaften, in denen Unternehmerinnen und Unternehmer ein hohes persönliches
Risiko eingehen, eine direkte persönliche Verantwortung
für Mitarbeiter, Kunden, Geldgeber und auch die eigenen
Familien tragen, bereits heute gut funktionieren.
({9})
Damit meine ich 90 Prozent aller Unternehmen in
Deutschland, nämlich die Personenunternehmen des Mittelstandes.
({10})
Dort steht nicht die Kapitalrendite im Vordergrund, sondern der Mensch, seine Existenz und seine soziale Verantwortung.
({11})
Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, sind
keine managergeführten Betriebe, sondern eben inhabergeführte Betriebe.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dreßen?
Ich habe mit
Herrn Dreßen im Ausschuss so viel diskutiert; das genügt.
({0})
Regelungen, die für Konzerne gelten sollen, wollen
Sie einmal mehr dem Mittelstand überstülpen. Tatsache
ist aber, dass in diesen Betrieben in den letzten 15 Jahren 1,4 Millionen Arbeitsplätze geschaffen worden
sind. Die Konzerne haben 800 000 Arbeitnehmer entlassen.
Sie erwarten ganz selbstverständlich, dass sich die Unternehmerfamilien mit ihrer gesamten Existenz in diese
mittelständischen Betriebe einbringen. Gleichzeitig
erweitern Sie aber die Möglichkeiten außerbetrieblicher
Institutionen, das heißt der Gewerkschaften und der Einigungsstellen, letztendlich die unternehmerischen Entscheidungen zu fällen.
({1})
Sie finden es dabei richtig, dass bei Fehlentscheidungen
Unternehmer und ihre Familien allein die finanziellen
Folgen zu tragen haben.
({2})
Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist Ihr
Verständnis von sozialer Gerechtigkeit, nicht unser Verständnis.
({3})
Diese Betriebe überfrachten Sie mit unzumutbarer Bürokratie und mit nicht umlegbaren Kosten.
({4})
Sie wissen nicht, was es heißt, tagtäglich im Wettbewerb
zu stehen und sich bewähren zu müssen.
({5})
Meine sehr verehrten Damen und Herren der Regierungskoalition, dabei spreche ich insbesondere für die Betriebe der Old Economy. Sie werden in den nächsten Wochen merken, wie sehr Sie diese Betriebe noch benötigen
werden.
({6})
Die größten Fehlentscheidungen gegenüber mittelständischen Betrieben möchte ich kurz erwähnen: In diesen
Betrieben gibt es keine Juristenstäbe, die in der Lage sind,
schwammige Rechtslagen zu analysieren und für die Betriebe umzusetzen.
({7})
Es gibt in diesen Belegschaften auch keine Springer, die
kostenneutral einzusetzen wären, wenn Betriebsräte ihrer
Arbeit nachgehen müssen.
({8})
Dass die geplante Absenkung der für die Betriebsratsgrößen maßgeblichen Arbeitnehmerzahlen erhebliche Belastungen bringt und in einem Missverhältnis steht, hat
Kollege Singhammer schon erwähnt. Nach wie vor kann
ich mir auch nicht erklären, warum Sie davon ausgehen,
dass ein Betrieb mit fünf Mitarbeitern eine Betriebsratsdichte von 20 Prozent, ein Betrieb mit 9 000 Mitarbeitern
aber nur von 0,4 Prozent braucht. Erklären Sie mir diesen
Widerspruch!
({9})
Die Absenkung des Schwellenwertes für Freistellungen wirkt sich auf mittelständische Betriebe fatal aus:
Diesen Betrieben stehen künftig Kosten in Höhe von
2,7 Milliarden DM ins Haus, die nicht umgelegt werden
können.
({10})
Wofür? Können Sie mir erklären, was ein vollständig freigestellter Betriebsrat in einem Betrieb mit 200 Mitarbeitern die ganze Zeit über zu tun hat?
({11})
Um wettbewerbsfähig zu bleiben, leben mittelständische Betriebe längst von Teamarbeit. Die neu formulierten Grundsätze über die Durchführung von Gruppenarbeit, für die außerbetriebliche Stellen die Vorschriften
erstellen können, machen teamorientierte Arbeit uninteressant bzw. dort, wo sie heute schon besteht, kaputt. Das
sagen Ihnen alle Betriebe. Effizienzwirkungen kommen
eben nicht von den Betriebsräten oder von außerbetrieblichen Einigungsstellen, sondern von Mitarbeitern, die gewillt sind, für ihren Betrieb durchs Feuer zu gehen, weil
sie sich davon persönliche Vorteile erhoffen können.
({12})
Mit Ihrer Regulierungswut sperren Sie aber auch die
Freiheit der Arbeitnehmer aus.
({13})
Freilich sind Sie in einem Dilemma: Die Gewerkschaften
wollten selbstbewusste Arbeitnehmer. Nun, da wir diese
selbstbewussten Arbeitnehmer haben, verlieren die Gewerkschaften an Einfluss. Die inzwischen selbstbewussten Arbeitnehmer wollen die zu leistende Arbeit mitgestalten und über die Bedingungen ihrer Tätigkeiten
individuell bestimmen.
Kein Mensch versteht, dass neue Organisationsformen
nur durch Tarifverträge vorgeschrieben und nicht von den
Belegschaften selbst entwickelt werden dürfen.
({14})
Kein Mensch versteht, warum in Ihrem Gesetzentwurf
Entscheidungsprozesse nicht beschleunigt werden.
Warum macht ein Korsett bürokratischer Detailvorschriften unmöglich, dass sich Arbeitnehmer in freier Entscheidung auch für den Erfolg ihres Unternehmens einsetzen
dürfen? Ich gebe Ihnen die Antwort: Weil Sie als Regierung den Gewerkschaften die Macht sichern wollen.
({15})
Dass ein verantwortungsvolles Miteinander längst vorhanden ist, beweist die Mehrzahl der Unternehmen. Ich
empfehle Ihnen, sich vor Ort danach zu erkundigen.
({16})
Diese Unternehmen sind im Übrigen auch erfolgreich,
weil sie eben ein verantwortungsvolles Miteinander zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern pflegen.
({17})
Sie wollen das nicht wahrhaben, weil es nicht in Ihr
Weltbild passt. Sie haben immer noch nicht begriffen,
dass es in den meisten Betrieben - insbesondere in den
Betrieben des Mittelstandes - keinen kalten Krieg mehr
gibt, sondern dass es darum geht, die betriebliche Partnerschaft zeitgemäß zu stärken.
({18})
Im Übrigen findet in diesen Betrieben, Frau Dr. Dückert,
seit längerer Zeit Qualifizierung statt, weil sie längst begriffen haben, dass ein Bestehen im Wettbewerb und ein
Fortkommen anders nicht möglich sind.
({19})
Aber diese Qualifizierung braucht nicht vorgeschrieben
zu werden, sondern kann in den Betrieben vor Ort zwischen den betroffenen Arbeitnehmern und Arbeitgebern
ausgehandelt werden. Diese Qualifizierung wird stimmig
sein.
({20})
Das Gesetz stellt auch keinen Standortvorteil dar.
Wenn Sie sich beispielsweise bei Unternehmen aus der
Schweiz erkundigen, die in Deutschland investieren wollen - diese Erfahrung bringe ich aus dem Grenzland
mit -, dann werden Sie erfahren, dass diese Unternehmen
nicht mehr gewillt sind, sich Dinge aufdrücken zu lassen,
die letztendlich ein völlig anderes Wirtschaften
({21})
als in anderen Ländern verlangen. Die Nachteile Ihrer
Regelung werden auch auf diesem Gebiet stark zu spüren
sein.
({22})
Zum Schluss möchte ich in einem Fazit zusammenfassen: Dieser Gesetzentwurf entstand auf Druck der Gewerkschaftsfunktionäre.
({23})
Es ist ein längst überfälliger Rosenstrauß an die Gewerkschaften. Die Dornen hat der Mittelstand zu tragen.
({24})
Ich gebe
dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung,
Walter Riester, das Wort.
({0})
Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung ({1}):
Herr Präsident! Meine sehr verehrte Damen und Herren!
Die Entscheidungen, die wir jetzt treffen werden, sind
wichtige und gute Entscheidungen für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer,
({2})
sind wichtige und gute Entscheidungen für eine gute Zusammenarbeit zwischen den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und den Geschäftsleitungen und sind wichtige Entscheidungen für den Sozialstaat und für die
soziale Marktwirtschaft.
({3})
Diese Entscheidungen in einem Gesetz, das in den Betrieben wie eine Art kleines Grundgesetz wirkt, sind nach
30 Jahren, nach starken Veränderungen in den Betrieben
längst überfällig.
({4})
Worum geht es in diesen Entscheidungen? Wir wollen
als Erstes flexible, angepasste Entscheidungen, dass die
Arbeitnehmer ihre Informationen, ihre Beteiligung und
ihre Mitbestimmung - ja, Herr Rexrodt - auf gleicher Augenhöhe ausüben können.
({5})
Dies werden wir dadurch sicherstellen, dass die Strukturen flexibel über Tarifvertrag und, wo dies nicht geht, über
Betriebsvereinbarung so ausgebildet werden, dass die
Entscheidung dort, wo sie getroffen wird, unter Einbeziehung der Arbeitnehmer erfolgt.
({6})
Wir stellen als Nächstes sicher, dass durch die Entschlackung, die Vereinfachung und Beschleunigung der
Wahlverfahren dieses in den Kleinbetrieben nicht mehr
ein Wahlverhinderungsverfahren darstellt, sondern überall dort, wo die Belegschaften einen Betriebsrat wählen
wollen, dies auch einfach und zügig geht.
({7})
Wir werden mit dieser Betriebsverfassungsreform
auch sicherstellen, dass die Betriebsräte im notwendigen
Umfang und mit der notwendigen Sachausstattung in die
Lage versetzt werden, ihre Aufgaben tatsächlich wahrzunehmen.
({8})
Wir werden - das ist der qualitativ wichtigste Bereich einen großen Schwerpunkt auf die Beschäftigungssicherung und die Qualifizierung setzen.
({9})
Mir sind noch zu viele Situationen in Betrieben bekannt,
dass Vorschläge von Beschäftigten und Betriebsräten zur
Beschäftigungssicherung eingebracht worden sind und
kein Gehör fanden. Wir stellen sicher, dass über Vorschläge zur Beschäftigungssicherung beraten werden
muss. Wenn sie abgelehnt werden, muss zumindest eine
Begründung dafür vorliegen.
({10})
Ich weiß, dass viele Betriebe heute noch bestehen würden,
wenn man sich rechtzeitig der Kreativität, des Sachwissens und der Mitarbeit der Beschäftigten bedient hätte.
({11})
Wir werden des Weiteren über die Betriebsverfassung
sicherstellen, dass dort, wo Veränderungen in den Betrieben dazu führen, dass vorhandene Qualifikationen nicht
mehr eingesetzt werden können, der Betriebsrat ein
Mitbestimmungsrecht bekommt. Über den Nachweis des
Qualifikationsbedarfs und über die durch die Mitbestimmung durchsetzbare Qualifikation soll bewirkt werden,
dass die Beschäftigten ihren Arbeitsplatz halten können.
Dies ist einer der wichtigsten Punkte. Ich darf Ihnen sagen, dass ich sehr froh bin, dass meine IG Metall in Baden-Württemberg vor wenigen Tagen einen Tarifvertrag
zu diesem Thema abgeschlossen hat.
({12})
Damit haben wir die Chance, die systematische Qualifizierung als Kernpunkt des lebenslangen Lernens und
des Erhaltens der Qualifikation zu verankern. Denn was
sonst haben wir in diesem Standort, der von Waren und
Dienstleistungen mit hoher Wertschöpfung lebt, einzubringen als qualifizierte Mitarbeiter? Deswegen ist es so
entscheidend, dies in den Mittelpunkt eines Betriebsverfassungsgesetzes zu stellen.
({13})
Neben der Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes
werden wir für weitere Beschleunigungselemente sorgen.
Wir werden das Arbeitsgerichtsgesetz so ändern, dass die
Verfahren in den Einigungsstellen beschleunigt und kostengünstiger durchgeführt werden können.
({14})
Nun komme ich zu einigen Debattenbeiträgen, die wir
in den letzten Minuten hören konnten. Herr Rexrodt, Sie
beschworen, dass es Ihnen darum geht, auf gleicher Augenhöhe zu verhandeln.
({15})
Sie sagten: Betriebsräte waren einmal notwendig und
wichtig. Sie sind dies heute aber nicht mehr. Heute muss
der Beschäftigte mit dem Arbeitgeber auf gleicher Augenhöhe sprechen können.
({16})
Ich empfehle Ihnen, dem Bandarbeiter bei Daimler zu sagen, er solle zu Schrempp gehen und mit ihm auf gleicher
Augenhöhe reden.
({17})
Da wird sich sehr schnell zeigen, wie das mit den Verhandlungen auf gleicher Augenhöhe ist.
({18})
Mein Gott, Herr Rexrodt, was war das noch für eine
Zeit, als der Aufruf, mehr Demokratie zu wagen, auch
eine F.D.P. dazu veranlasst hat, Entscheidungen für mehr
Demokratie in den Betrieben mitzutragen. Davon sind Sie
heute meilenweit entfernt.
({19})
Dann habe ich mir Herrn Singhammer angehört. Herr
Singhammer
({20})
hat erklärt: Um Gottes willen, die Konjunktur schmiert ab.
({21})
Das müssen Sie noch ein paar Mal sagen, Herr
Singhammer, dann realisiert es sich vielleicht.
({22})
Dann hat er die Verbindung gefunden und gesagt: Um
Gottes willen, die Konjunktur schmiert ab, und jetzt gibt
es auch noch eine neue Betriebsverfassung.
({23})
Da Sie diesen Bogen spannen, Herr Singhammer und
auch Herr Rexrodt, muss ich Sie auf einiges hinweisen:
Zurzeit gilt noch das alte Betriebsverfassungsgesetz.
({24})
Nun zu der breiten Debatte über das Verhältniswahlrecht. Hier möchte ich ein paar Dinge zurechtrücken.
({25})
Mir geht es weiterhin darum, dass dann, wenn der Betriebsrat gewählt ist, die Ausschüsse mit den qualifiziertesten Personen besetzt werden.
({26})
Weiterhin geht es mir darum, nicht den Gruppenproporz
als Grundlage zu nehmen.
({27})
Ich akzeptiere das Anliegen der Fraktion der Grünen - sie
hat sich sehr stark dafür eingesetzt -, das Verhältniswahlrecht im Betriebsverfassungsgesetz zu belassen.
({28})
Aber nach dem, wie Sie in der Opposition das diskutiert
haben, hatte ich den Eindruck, Ihnen ginge es nicht um
das Betriebsverfassungsgesetz, sondern um Artenschutz.
({29})
Sie, Herr Singhammer, sagten, Sie könnten dem Gesetzentwurf trotzdem nicht zustimmen, weil die Solidaritätsbalance nicht verändert worden sei.
({30})
In welche Richtung hätten Sie die Solidaritätsbalance im
Betrieb denn gern verändert? Nach dem, was ich bisher
von der Union gehört habe, doch eindeutig zulasten
der Arbeitnehmer. Dafür werden Sie uns nicht gewinnen
können.
({31})
Herr Kollege Riester, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Singhammer?
Ja, gerne.
Herr Bundesarbeitsminister, wollen Sie bitte zur Kenntnis nehmen,
dass es bei der Frage des Minderheitenschutzes nicht um
den Artenschutz von kleineren Gewerkschaften oder Unabhängigen gegangen ist, sondern darum, dass das Prinzip der innerbetrieblichen Demokratie mit Chancengerechtigkeit auch für die kleineren Arbeitnehmervertretungen verwirklicht werden sollte,
({0})
und Sie unseren Vorschlägen bis zum Dienstag dieser Woche nicht gefolgt sind? Hätten Sie es von Anfang an gemacht, hätten Sie sich diese Diskussion erspart und müssten jetzt nicht einlenken.
({1})
Ich nehme das, was Sie mir gerade gesagt
haben, zur Kenntnis. Ich weise nur darauf hin, dass Sie
vorher selbst gesagt haben, dass es Ihnen darum geht, dass
der Christliche Gewerkschaftsbund geschützt wird. Mir
geht es um die Besetzung der Gremien mit den qualifiziertesten Personen, und nur darum. Diese sollen an die
richtigen Stellen kommen.
({0})
Dann hat Herr Singhammer gesagt, ihn störe total, dass
die Freistellung schon in Betrieben mit 200 Arbeitnehmern erfolgt. Nach mir wird, wie ich gesehen habe, Herr
Weiß sprechen. Er kann Herrn Singhammer vielleicht darüber aufklären, dass die Arbeitnehmerbank der Union
noch im Oktober vorgeschlagen hat, die Freistellung
schon ab 100 Arbeitnehmern zu gewähren.
({1})
Erst als er dann zurückgepfiffen und ein Stillhalteabkommen vereinbart wurde, kam ein Schwenk.
Ich habe mich die ganze Zeit gefragt: Warum erregt
sich der Herr Abgeordnete Singhammer so?
({2})
Ich empfehle jedem, die „Süddeutsche Zeitung“ von
heute zu lesen. Darin steht die ungeheure Nachricht: Im
„Bayernkurier“ wird ein Betriebsrat gewählt.
({3})
Die Welten ändern sich also, Herr Singhammer! Aber ich
sage Ihnen zu: Wir werden auch den „Bayernkurier“ erhalten.
({4})
Das Wort
hat für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Gerald Weiß.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr
Riester, die soziale Marktwirtschaft hat die CDU/CSU in
Deutschland begründet. Die soziale Partnerschaft hat, als
Ihre Genossen „Klassenkampf“ geschrien haben, die
Union in Deutschland begründet.
({0})
Und unter dem ersten Betriebsverfassungsgesetz steht der
Name des Bundeskanzlers Konrad Adenauer. Wir lassen
uns von Ihnen diesen belehrenden Ton, was Sozialpartnerschaft ist, nicht gefallen. Merken Sie sich das!
({1})
Sie feiern hier ein großes politisches Erntedankfest,
aber Sie wissen, dass Sie nur ein kleines Gesetz vorgelegt
haben. Es ist ein Gesetz, das die Sozialpartnerschaft
nicht weiterentwickelt. Auf die Fragen von heute und
morgen gibt Ihr Gesetz - das ist der fundamentale Fehler - viel zu viele gestrige Antworten. Das ist das Strukturproblem dieses Gesetzes.
({2})
Auch in nachgebesserter Fassung taugt es nicht, Sozialpartnerschaft in Deutschland weiterzuführen.
Ich frage allerdings auch Herrn Rexrodt: Wenn Sie für
die Dezentralisierung der Tarifpolitik sind - es spricht
sehr vieles dafür, sie in diesem Sinne weiterzuentwickeln -,
({3})
dann brauchen wir doch mehr Betriebsräte! Denn dann
brauchen wir mandatierte Verhandlungsführer auf der Arbeitnehmerseite.
({4})
Wieso sind Sie für das eine und nicht für die logische
Konsequenz aus dem anderen?
Deshalb ist es ein ordentlicher weiterführender Gedanke, Bürokratismen wegzuräumen, mehr Flexibilität,
Beschleunigung, Vereinfachung herbeizuführen. Das ist
alles richtig, Herr Riester.
({5})
Aber es war ja nicht so, dass von Anfang an ein ordnungsgemäßes, faires Verfahren im Gesetz vorgesehen
war, sondern es war ein Hauruckverfahren. Das zweistufige faire, ordentliche Verfahren ist ja wie manches andere
erst jetzt ins Gesetz hineingeboxt worden. Das ist überhaupt Ihr Problem, dass manches, was dem natürlichen
Demokratieprinzip entspricht, erst mühsam wieder in Ihr
Gesetz hineingeboxt werden muss, Herr Riester.
({6})
Viele Ansätze im ordnungsrechtlichen Teil sind positiv
und in Ordnung. Sie sind auf der anderen Seite aber auch
sehr halbherzig. Vor allen Dingen werden sie durch aufwendige Bürokratien und komplizierte Verfahren an
anderer Stelle zunichte gemacht.
Sie sind eben mit wenigen Worten auf das Thema Minderheitenschutz eingegangen. Wenn Sie - das war eine
Entgleisung, wie ich sie in diesem Hause noch nicht erlebt
habe - die Minderheiten, die eine Chance auf Teilhabe haben müssen, in den Betriebsausschüssen bei Freistellungen jetzt unter „Artenschutz“ gestellt sehen,
({7})
dann ist das eine Diskriminierung und Verunglimpfung der
Arbeit des CGB, des Beamtenbundes, der Unabhängigen.
({8})
Es bedurfte ganz erheblichen Drucks der ChristlichSozialen Union, des CGB, des Beamtenbundes und der
Organisation Unabhängiger Betriebsräte - und - das gebe
ich zu - auch Ihres Koalitionspartners -, um das Demokratieprinzip an dieser Stelle wieder in das Gesetz hineinzubringen. Sie sagen, Ihnen gehe es um die Sicherung von
Qualität bei der Arbeit in den Betriebsausschüssen und im
Hinblick auf Freistellungen, aber das ist eine enge Sicht.
In Wahrheit glauben Sie doch, nur DGB-Leute verfügten
über die Qualifikation, um in diesen Organen arbeiten zu
können.
({9})
Wir wurden jetzt - Frau Dückert hat es getan - aufgefordert, dem Gesetz wegen dieses Punktes zuzustimmen,
aber ich muss sagen, Frau Dückert, zu viele andere sind
schlecht gelöst und unzureichend.
({10})
Ich greife Ihr Beispiel der Jugendlichen auf. Es sind immerhin 200 000, die sich in außer- und überbetrieblichen
Ausbildungsstätten befinden. Da kreißte der Koalitionsberg und er gebar einen Entschließungsantrag mit einer
Aufforderung an diese - in ihrer Effizienz sehr umstrittene - Regierung, im Berufsbildungsgesetz eine Lösung
zu schaffen. Jetzt halte ich Ihnen einmal vor, was der DBG
zu dieser Lösung sagt:
Die favorisierte Regelung im Berufsbildungsgesetz
birgt die Gefahr einer neuen Ungleichbehandlung
von betrieblichen und außerbetrieblichen Auszubildenden. Parallel zu den durch das Betriebsverfassungsgesetz legitimierten Gremien könnten Sondergremien mit minderen Rechten geschaffen werden.
Hier gehen wir weiter. Nehmen Sie doch unseren Antrag
an, mit einer weiterführenden Norm sicherzustellen, dass
Demokratie, Teilhabe und bürgerschaftliches Engagement in den außerbetrieblichen Ausbildungsstätten für
diese jungen Leute gleichermaßen möglich sind.
({11})
Da bleiben Sie weit zurück.
Es gibt viele andere Bedenken zu diesem Gesetz, die
wir festhalten müssen. Sie schrammen mit diesem Gesetz
an mehreren Stellen das Verfassungsrecht. Sie haben in
§ 3 eine Regelung geschaffen, die die negative KoaliGerald Weiß ({12})
tionsfreiheit tangiert. Sie haben eine Geschlechterquote
geschaffen, die verfassungsrechtlich ebenso bedenklich
wie unpraktikabel ist. Diese schludrige Arbeit kann man
doch nicht akzeptieren. Schließlich setzen Sie fast ausschließlich - insoweit hat dieses Gesetz einen ganz unmodernen Schliff - auf kollektive Mitbestimmung.
({13})
Sie unterziehen sich nicht der Mühe, die individuellen
Rechte der Arbeitnehmer - die Mitbestimmung am Arbeitsplatz -, weil sie Ihnen ideologisch nicht ins Konzept
passen, weiterzuentwickeln. Frau Dückert hat vor einem
Jahr glänzende Verheißungen zur Stärkung der Partizipation der einzelnen Arbeitnehmer in den Betrieben für das
Betriebsverfassungsgesetz angekündigt. Lediglich Spurenelemente, Frau Dückert - Sie meinen ja selber, jetzt behutsame Schritte gemacht zu haben -, sind zu finden.
Herr Riester, wenn das Betriebsverfassungsgesetz das
Grundgesetz für die Betriebe ist, dann müssten wir doch
auch über die Grundrechte, die Individualrechte, gestärkte
unmittelbare Mitwirkung und Mitverantwortung der Arbeitnehmer reden. In Ihrem Entwurf drücken Sie sich völlig darum herum.
({14})
Dieses Gesetz trägt dem Gedanken der Subsidiarität zu
wenig Rechnung. Für uns ist Subsidiarität Maßstab für
Modernität. Ihr Gesetz bleibt unterhalb der Modernitätsschwelle.
({15})
Das gilt auch für den Punkt, den Sie als den wichtigsten
bezeichnet haben: die Beschäftigungssicherung. Warum
geben Sie, wenn der Aspekt der Beschäftigungssicherung
der wichtigste ist, den Betriebsräten nicht wirklich mehr
Mitverantwortung, wenn es um die so genannten Bündnisse für Arbeit in unserer Wirtschaft geht? Warum gestehen Sie den Betriebräten nicht mehr Gestaltungsmöglichkeiten - in verantworteter Weise geregelt - zu?
Ich weiß, dass es, wenn wir das falsch konstruieren, ein
Risiko gibt: das Risiko, die Tarifautonomie zu verletzen.
Wir haben Ihnen den Vorschlag gemacht, vier Bremsen
einzubauen, damit Bündnisse für Arbeit rechtlich geregelt werden können, ohne dass wir die Tarifautonomie gefährden. Ich glaube, fast jeder Kollege in diesem Hause
kann aus seinem Wahlkreis berichten, wie viele Bündnisse für Arbeit es gibt, die sich in einer rechtlichen Grauzone bewegen. Aber jeder sagt, sie müssen stattfinden, damit die Beschäftigung gesichert und die Arbeitsplätze
gerettet werden können.
Deshalb regeln Sie doch, was nach einer Regelung
schreit, in verantwortbarer Weise! Sehen Sie vor, dass die
Bündnisse für Arbeit auf eine ordentliche rechtliche
Grundlage gestellt werden.
({16})
- Auch mir ist bekannt, dass es viele Öffnungsklauseln
gibt. Wir brauchen aber rechtliche Regelungen, um für einen gefährdeten Betrieb ganz flexible Abmachungen treffen zu können.
({17})
- Herr Brandner, Sie wissen, dass das ein ungerechter
Vorwurf ist.
({18})
Wenn wir das Vetorecht der Tarifvertragsparteien gegen
falsch getroffene Regelungen vorsehen, ist das eine ausreichende und effiziente Bremse gegen genau diese Gefahr.
Trotz dieses Gesetzes - auch wegen dieses Gesetzes kann die Regierung nicht behaupten, dass sie die Interessen der Arbeitnehmerschaft wirklich wahrt. Sie wahrt
vielleicht die Interessen des DGB, aber nicht die Interessen der Arbeitnehmer draußen in den Betrieben.
({19})
Das fügt sich in ein Leistungsbild - besser gesagt: in
ein Bild mangelhafter Leistung - ein. Wir sehen, dass die
Wachstumsraten unter die Schwelle fallen, ab der sie beschäftigungswirksam sind; wir sehen, dass die Arbeitslosigkeit saisonal bereinigt steigt; wir sehen, dass die Inflationsrate bedrohlich zunimmt; wir sehen, dass die
Arbeitnehmereinkünfte an realer Kaufkraft verlieren.
Dieser Bundesregierung muss ins Stammbuch geschrieben werden: Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind die Verlierer dieser Politik, die miserable
volkswirtschaftliche Daten aufweist.
({20})
Diese Regierung zu unterstützen sind wir nicht gewillt,
auch nicht dadurch, dass wir ein unzulängliches und unmodernes Betriebsverfassungsgesetz mit unserem bejahenden Votum versehen.
Danke.
({21})
Für die
SPD-Fraktion spricht nun der Kollege Wolfgang
Weiermann.
({0})
Herr Präsident! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Mich hat schon einigermaßen überrascht - das muss ich Ihnen, meine Damen
und Herren von der Opposition, an dieser Stelle sagen -,
wie Sie Mitbestimmung mit Fremdbestimmung gleichsetzen können. Das ist eine Formulierung, die den Geist
dessen, was Sie zum Betriebsverfassungsgesetz vorbringen, mehr als deutlich macht; das muss an dieser Stelle genauso deutlich gesagt werden.
({0})
Gerald Weiß ({1})
Wenn man das gesamte Spektrum der Diskussion heute
Morgen verfolgt hat, dann stellt man fest, dass die Kritik
der Unternehmen und der Wirtschaftsverbände sowie Ihre
Kritik am Entwurf des Betriebsverfassungsgesetzes im
Grunde genommen eine einzige Fundamentalkritik ist. Ihnen geht es doch bei dieser Debatte und bei den vorherigen Debatten überhaupt nicht darum, die eine oder andere
Ihrer Vorstellungen im Detail in das Gesetz hineinzubekommen. Nein, es geht Ihnen darum - das ist Ihr wichtigstes Ziel -, dieses Betriebsverfassungsgesetz, diese Erneuerung zu verhindern. Aber dann sagen Sie das doch
auch deutlich!
({2})
Das Betriebsverfassungsrecht sowie die Mitbestimmung insgesamt haben nie den Anspruch erhoben, Gegensätze zwischen Kapital und Arbeit aufzuheben. Aber
sie haben die Möglichkeit geschaffen - die gegenwärtig
verstärkt wird -, eine Einigung zwischen Arbeitnehmern
und Arbeitgebern in dem Betrieb vor Ort herbeizuführen.
Deswegen ist eine Veränderung des Betriebsverfassungsgesetzes so wichtig, weil sie größere Chancen bringt.
({3})
Das Gespräch auf gleicher Augenhöhe, das hier immer genannt wurde, bedeutet nichts anderes, als dass wir mehr
Demokratie in die wirtschaftlichen und betrieblichen Abläufe hineinbringen.
Ich frage mich bei Ihrer Einstellung, meine Damen und
Herren von der Opposition: Was wäre bei den Umstrukturierungen passiert, wie sie zum Beispiel an der Ruhr
stattgefunden haben, wenn es die Mitbestimmung und die
betriebsverfassungsrechtlichen Elemente nicht gegeben
hätte? Es hätte ein Chaos gegeben. Es wäre zu einem
Wirtschaftseinbruch und zu Strukturbrüchen gekommen.
Die Zeche hätten allein die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gezahlt, auf deren Rücken sich dieser Strukturbruch abgespielt hätte.
({4})
Deswegen bin ich froh, dass wir ein solches Instrument in
der Hand haben, das es uns ermöglicht, nicht nur zu reagieren, sondern auch zu agieren.
Wenn Sie immer wieder von den Mehrbelastungen
von - was hat man nicht alles gelesen - rund 2,5 Milliarden DM sprechen,
({5})
dann vergessen Sie bitte nicht, dass es nur deshalb zu
Mehrkosten kommen kann, weil bislang 60 Prozent der
Betriebe keine betriebsratsgeschützten und betriebsratgestützten Unternehmen waren.
({6})
Das können Sie so übernehmen, wie ich es gerade gesagt
habe. Sprechen wir einmal über die finanzielle Seite: Die
Kosten werden im Grunde genommen nicht über ein halbes Prozent der entnommenen Gewinne der Unternehmen
hinausgehen. Das ist die Wahrheit.
({7})
Ich will an dieser Stelle deutlich machen, wie die Situation in den anderen EU-Staaten ist. Wir haben in zwölf
EU-Staaten Betriebsratsgremien mit Informations- und
Beratungsrechten, die auch in den wirtschaftlichen Bereich hineinreichen. So können zum Beispiel Betriebsräte
in Frankreich und in den Niederlanden bei Fehlern des
Managements Rechtsverfahren einleiten. In Schweden
können Entlassungen durch einen einstweiligen Antrag
gestoppt werden. In Österreich kann der Betriebsrat bei
Schließungen oder Massenentlassungen eine Schiedskommission einsetzen und anrufen.
Ich sage an dieser Stelle noch einmal: Wir sollten heute
diesem von den Grünen und den Sozialdemokraten vorgelegten Entwurf zustimmen. Dies ist ein richtiger Schritt
für mehr Demokratie und für mehr Mitbeteiligung der
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in unseren Betrieben. Dazu ein herzliches Glückauf und ein gutes Gelingen
bei der Abstimmung!
({8})
Ich gebe der
Kollegin Christel Humme für die SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Lassen Sie mich kurz vor dem
Schluss einen wichtigen Punkt ansprechen, der in dieser
Debatte bisher etwas zu kurz gekommen ist, nämlich die
Gleichstellung von Männern und Frauen im Betrieb. Ich
denke, Herr Weiß, ich bin in diesem Punkt anderer Auffassung: Diese Maßnahme hat dem Betriebsverfassungsgesetz endgültig den modernen Schliff gegeben, den
es jetzt hat.
Gender Mainstreaming war 1972, bei der ersten Reform des Betriebsverfassungsgesetzes, kein Thema.
Heute, fast 30 Jahre später, stellt uns dieses Prinzip auch
beim Betriebsverfassungsgesetz vor neue Herausforderungen; denn die Herstellung betrieblicher Chancengleichheit ist eine Aufgabe, die uns alle betrifft. Dazu sind
wir nicht nur durch Grundgesetz und Europarecht, sondern auch durch das Gebot der wirtschaftlichen Logik
verpflichtet; denn wirtschaftlicher Erfolg ist ohne Frauen
nicht möglich.
({0})
Wer heute das Potenzial gut ausgebildeter Frauen nicht
nutzt, wird morgen vom internationalen Wettbewerb bestraft werden. Der IT-Bereich ist dafür ein gutes Beispiel.
Wir, SPD und Bündnis 90/Die Grünen, geben mit der
Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes der Chancengleichheit von Männern und Frauen im Erwerbsleben
neue Impulse; denn die Gleichstellung von Männern und
Frauen und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf
gehören jetzt ausdrücklich zum Aufgabenkatalog des Betriebsrates. Teilzeitbeschäftigte - das sind überwiegend
Frauen - bekommen verbesserte Möglichkeiten, sich im
Betriebsrat zu engagieren. Klassisch im Sinne des Gender
Mainstreaming ist nun die Vertretung in den Betriebsräten
geregelt; denn zukünftig muss das Geschlecht, das in der
Minderheit ist, egal ob Mann oder Frau, mindestens entsprechend seinem Anteil im Betrieb vertreten sein.
({1})
Die Arbeitgeber werden aber auch zu mehr Engagement in Sachen Chancengleichheit verpflichtet. Sie müssen über den Stand der Gleichstellung im Betrieb Bericht
erstatten. Außerdem muss der Arbeitgeber bei der Personalplanung die Gleichstellung berücksichtigen und seine
Vorstellungen mit dem Betriebsrat beraten. Genau darum
geht es: Arbeitnehmer und Arbeitgeber müssen vereinbaren, welche Maßnahmen in ihrem Betrieb geeignet sind,
die Gleichstellung voranzubringen. Deshalb machen wir
Arbeitnehmer und Arbeitgeber zu Partnern in Sachen
Gleichstellung; denn sie wissen am besten, welche Maßnahmen zur Herstellung der Gleichstellung für sie vor Ort
geeignet und umsetzbar sind. Sie sehen, die Verbesserungen im Betriebsverfassungsgesetz bieten den Akteuren einen Handlungsspielraum, den sie für die Gleichstellung
von Frauen und Männern gut nutzen können. Das begrüßen wir aus frauenpolitischer Sicht ausdrücklich.
({2})
Aber nicht jeder Betrieb hat einen Betriebsrat. Nicht jeder Betriebsrat und nicht jeder Arbeitgeber - ich habe davon gehört - haben sich die Gleichstellung auf die Fahne
geschrieben. Deshalb müssen wir das Betriebsverfassungsgesetz durch weitere Maßnahmen flankieren. Wir
setzen dabei natürlich zunächst auf verbindliche Selbstverpflichtungen der Unternehmer, die die Einleitung
konkreter Maßnahmen zur betrieblichen Gleichstellung
von Männern und Frauen erkennen lassen. Hier räumen
wir den Unternehmen große Spielräume im Hinblick auf
die zu ergreifenden Maßnahmen ein. Sollte es aber zeitnah, bis zum September dieses Jahres, nicht zu geeigneten Selbstverpflichtungen der Wirtschaft kommen, ist für
uns, SPD und Bündnis 90/Die Grünen, ein Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft unverzichtbar.
Vielen Dank.
({3})
Ich bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, sich bereitzuhalten,
damit wir nach dem letzten Redner unmittelbar und zügig
in die namentliche Abstimmung eintreten können.
Als letztem Redner in dieser Debatte gebe ich das Wort
nunmehr dem Kollegen Franz Thönnes für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr
geehrten Damen und Herren! Mit der gleich stattfindenden namentlichen Abstimmung wird eine gut zweijährige
Diskussion über das Betriebsverfassungsgesetz in diesem
Haus zu einem guten Abschluss gebracht werden.
({0})
Ich möchte einige Aspekte in Erinnerung rufen.
Erstens. Damit wird deutlich, Reformpolitik äußert
sich nicht nur in einer entlastenden Steuerpolitik, in der
Konsolidierung der öffentlichen Haushalte und in vermehrten Investitionen in Forschung und Bildung, nein, zu
einer Reformpolitik gehört auch der Ausbau der Arbeitnehmerrechte in dieser Gesellschaft.
({1})
Mehr Beteiligung und Mitgestaltung schwächen den
Standort Deutschland nicht, nein, sie stärken ihn.
({2})
Zweitens. Mitbestimmung und Betriebsverfassungsgesetz, Herr Kollege Singhammer, sind wesentliche Eckpfeiler unserer demokratischen Gesellschaftskultur.
({3})
Mit der Entbürokratisierung und Vereinfachung des
Wahlverfahrens wird der Rückgang der Zahl der Beschäftigten, die durch Betriebsräte vertreten werden, gestoppt. Dass zukünftig wieder mehr Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer, insbesondere auch junge Menschen,
die demokratischen Möglichkeiten in den Betrieben in
Anspruch nehmen können, ist ein gutes Zeichen für eine
lebendige demokratische Gesellschaft. Demokratie macht
für die Sozialdemokraten vor den Werkstoren nicht Halt!
({4})
Herr Kollege Thönnes, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein. Ich möchte möglichst
bald zum Schluss kommen.
Drittens. Die Kritik von Teilen der Arbeitgeberverbände war für uns nichts Neues. Der Streit ist so alt wie
die Frage der Mitbestimmung selbst und wie die Auseinandersetzung um die Rechte der Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer. Wir haben gute und ernsthafte Dialoge mit
Arbeitgebervertretern geführt. Untersuchungen des Instituts der deutschen Wirtschaft zeigen: 70 Prozent bis 80 Prozent der Manager schätzen die Arbeit der Betriebsräte als
gut bis sehr gut ein.
Aber wir wissen auch: Es gibt Arbeitgebervertreter, die
keine Mitbestimmung wollen. Wie sonst ist das Dienstleistungsangebot des Einzelhandelsverbandes Nord-Ost
e. V. aus Schleswig-Holstein/Mecklenburg-Vorpommern
zu verstehen, der bei der Beratung zum Betriebsverfassungsrecht in seiner Werbebroschüre wörtlich anbietet:
„Möglichkeiten des Arbeitgebers bei Betriebsratswahlen
bzw. deren Verhinderung“? Das ist das überkommene
Herrschaftsverständnis des 19. Jahrhunderts und nicht unser Bild einer demokratischen und aufgeklärten Gesellschaft.
({0})
Schon allein deswegen geht es jetzt darum, auch in den
Betrieben den demokratischen Gedanken zu stärken und
zu stabilisieren.
({1})
Viertens. Gestern haben wir gehört, dass die erste und
die wichtigste Forderung des CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden zur Verbesserung der konjunkturellen Situation
war: Stoppen Sie die Betriebsverfassung! Es ist unverdächtig, gegen dieses konjunkturpolitische Meisterprogramm des Kollegen Merz den Rat von Professor Joachim
Scheide vom Kieler Weltwirtschaftsinstitut zu setzen, der
in der „SZ“ vom 20. Juni 2001 sagte:
Die Abschwächung wurde nicht durch Fehler der Politik ausgelöst, deshalb gibt es auch keine solchen zu
korrigieren. Unser Rat ist: Keine Hektik!
({2})
Unabhängig von diesem Rat will ich deutlich sagen: Die
jetzige Regierungskoalition macht Demokratie und Arbeitnehmerrechte nicht von der konjunkturellen Windrichtung abhängig.
({3})
Fünftens. Die Opposition hat heute wieder mehrfach
Fremdbestimmung und zentralistischen Gewerkschaftseinfluss in den Mittelpunkt der Debatte gestellt. 200 000 betriebliche Interessenvertreter - von den Kolleginnen und
Kollegen in den Betrieben gewählt - sind keine willfährigen, ferngesteuerten Funktionärselemente, sondern verantwortungsbewusste, engagierte und aktive Arbeitnehmervertreterinnen und Arbeitnehmervertreter, denen wir
im Internationalen Jahr der Freiwilligen auch an dieser
Stelle einen herzlichen Dank für ihr Engagement sagen
sollten.
({4})
Sechstens. Es ist gesagt worden: Die Betriebsverfassung ist zu teuer. Die Arbeit der Betriebsräte wurde mit
Horrorzahlen diskreditiert. Ich sage Ihnen: Demokratie ist
nicht zum Nulltarif zu haben. Die Arbeit der Betriebsräte
ist von unschätzbarem Wert. Die deutsche Einheit und die
Bewältigung der Strukturkrisen in der Eisen- und Stahlindustrie wären ohne die Betriebsräte nicht so friedlich und
so sozialverträglich abgelaufen. Betriebsräte sind keine
Bremsklötze, sondern ein Garant für den sozialen Frieden
und die Fähigkeit einer Industriegesellschaft zum notwendigen Wandel.
({5})
Siebtens. Es ist deutlich geworden, dass die Opposition auch bei dem wichtigen Thema Betriebsverfassung
einen Kurs fährt, der teilweise in die Irre führt. Der ehemalige CDA-Vorsitzende hat auf dem letzten CDA-Kongress deutlich gemacht, er wisse, dass 80 Prozent der Arbeitnehmer einen Betriebsrat wollen, aber nur 40 Prozent
einen haben. Das alles findet in einem Klima statt, das dadurch gekennzeichnet ist, dass Frau Merkel sagt, der Arbeitnehmerflügel sei sehr wichtig, während Herr Merz
auf dem CDA-Kongress feststellt hat: Ich habe das Gefühl, ich bin in einer Veranstaltung, in der keine Christdemokraten mehr sind. - Wo ist eigentlich Ihr sozialpolitisches Profil geblieben? Sie zeigen auch bei diesem
Streit, dass Sie weder oppositions- noch regierungsfähig
sind.
({6})
Abschließend: Heute ist deutlich geworden: Da sitzen
die, die keine Mitbestimmung wollen.
({7})
Da sitzen die, die nicht wissen, was sie wollen. Da sitzen
die, die alles wollen. Und da sitzen die Fraktionen der Regierungskoalition, die soziale Gerechtigkeit und Modernisierung ausgewogen zusammenbringen.
({8})
Ich bin mir sehr sicher: Wir werden mit diesem Gesetz
heute einen neuen Grundstein für den sozialen Frieden
und die Wettbewerbsfähigkeit in Deutschland legen.
({9})
Ich lasse
eine Kurzintervention des Kollegen Hinsken zu, beschränke sie aber auf eine Minute, wobei der Redner antworten kann.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident, ich bin dankbar dafür, dass ich diese Kurzintervention machen kann, nachdem ich mich zweimal gemeldet habe und mir jeweils versagt worden ist, meine Frage
zu stellen.
Ich stelle zum Schluss dieser Debatte - unmittelbar vor
der Abstimmung - fest: Es haben sechs Sozialdemokraten
gesprochen, die alle DGB-Funktionäre oder Gewerkschaftsmitglieder sind. Es hat nicht ein einziger Mittelständler oder Betriebsinhaber das Wort ergriffen. Wenn
hier von Kooperation gesprochen wird, muss ich sagen:
Zur Kooperation gehören zwei Seiten. Sie von der SPD
haben eine große Unterlassungssünde begangen. Wenn
Sie glauben, zum Betriebsverfassungsgesetz für die
Mehrheit in der Bundesrepublik Deutschland sprechen zu
dürfen, stelle ich das in Abrede.
Das wollte ich noch zur Kenntnis bringen.
({0})
Ich schließe
die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Reform
des Betriebsverfassungsgesetzes auf Drucksache 14/5741.
Der Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/6352 die Annahme des Gesetzentwurfes in der Ausschussfassung.
Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der PDS
auf Drucksache 14/6383 vor, über den wir zuerst abstimmen. Die Fraktion der PDS verlangt namentliche Abstimmung.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehen Plätze einzunehmen. - Sind alle Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung.
Darf ich fragen, ob alle Kolleginnen und Kollegen ihre
Stimme abgegeben haben?
Ich schließe die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen
Abstimmung unterbreche ich die Sitzung.
({0})
Die Sitzung
ist wieder eröffnet. Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion
der PDS auf Drucksache 14/6383 bekannt. Abgegebene
Stimmen 542. Mit Ja haben gestimmt 33, mit Nein haben
gestimmt 508, Enthaltungen 1.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 542;
davon
ja: 33
nein: 508
enthalten: 1
Ja
PDS
Monika Balt
Dr. Dietmar Bartsch
Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter
Dr. Heinrich Fink
Wolfgang Gehrcke
Dr. Klaus Grehn
Uwe Hiksch
Dr. Barbara Höll
Ulla Jelpke
Sabine Jünger
Gerhard Jüttemann
Dr. Evelyn Kenzler
Rolf Kutzmutz
Heidi Lippmann
Ursula Lötzer
Dr. Christa Luft
Heidemarie Lüth
Pia Maier
Angela Marquardt
Manfred Müller ({0})
Kersten Naumann
Dr. Uwe-Jens Rössel
Christina Schenk
Gustav-Adolf Schur
Dr. Ilja Seifert
Dr. Winfried Wolf
Nein
SPD
Brigitte Adler
Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Dr. Hans Peter Bartels
Eckhardt Barthel ({1})
Klaus Barthel ({2})
Ingrid Becker-Inglau
Wolfgang Behrendt
Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher
Petra Bierwirth
Rudolf Bindig
Lothar Binding ({3})
Anni Brandt-Elsweier
Willi Brase
Rainer Brinkmann ({4})
Bernhard Brinkmann
({5})
Edelgard Bulmahn
Ursula Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Büttner ({6})
Marion Caspers-Merk
Wolf-Michael Catenhusen
Dr. Peter Danckert
Christel Deichmann
Karl Diller
Peter Dreßen
Detlef Dzembritzki
Dieter Dzewas
Dr. Peter Eckardt
Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Marga Elser
Peter Enders
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Annette Faße
Lothar Fischer ({7})
Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster
Dagmar Freitag
Lilo Friedrich ({8})
Harald Friese
Anke Fuchs ({9})
Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Günter Graf ({10})
Angelika Graf ({11})
Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Wolfgang Grotthaus
Karl-Hermann Haack
({12})
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
Klaus Hasenfratz
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Monika Heubaum
Reinhold Hiller ({13})
Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann ({14})
Walter Hoffmann
({15})
Iris Hoffmann ({16})
Frank Hofmann ({17})
Ingrid Holzhüter
Eike Hovermann
Lothar Ibrügger
Barbara Imhof
Brunhilde Irber
Gabriele Iwersen
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung ({18})
Johannes Kahrs
Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Hans-Ulrich Klose
Walter Kolbow
Karin Kortmann
Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Konrad Kunick
Dr. Uwe Küster
Werner Labsch
Christine Lambrecht
Brigitte Lange
Christian Lange ({19})
Detlev von Larcher
Christine Lehder
Waltraud Lehn
Robert Leidinger
Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann
({20})
Christa Lörcher
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß ({21})
Winfried Mante
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Ulrike Mascher
Christoph Matschie
Heide Mattischeck
Ulrike Mehl
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer ({22})
Ursula Mogg
Christoph Moosbauer
Michael Müller ({23})
Christian Müller ({24})
Franz Müntefering
Andrea Nahles
Volker Neumann ({25})
Dr. Edith Niehuis
Günter Oesinghaus
Eckhard Ohl
Leyla Onur
Manfred Opel
Holger Ortel
Adolf Ostertag
Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Joachim Poß
Karin Rehbock-Zureich
Dr. Carola Reimann
Margot von Renesse
Renate Rennebach
Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter
Christel RiemannHanewinckel
Reinhold Robbe
Gudrun Roos
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({26})
Birgit Roth ({27})
Marlene Rupprecht
Thomas Sauer
Gudrun Schaich-Walch
Rudolf Scharping
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Otto Schily
Dieter Schloten
Horst Schmidbauer
({28})
Ulla Schmidt ({29})
Silvia Schmidt ({30})
Dagmar Schmidt ({31})
Wilhelm Schmidt ({32})
Dr. Frank Schmidt (Weilburg
Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt ({33})
Carsten Schneider
Dr. Emil Schnell
Karsten Schönfeld
Ottmar Schreiner
Gerhard Schröder
Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann
({34})
Brigitte Schulte ({35})
Volkmar Schultz ({36})
Ewald Schurer
Dr. Angelica Schwall-Düren
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie SonntagWolgast
Wieland Sorge
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Reinhold Strobl ({37})
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Franz Thönnes
Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak
Rüdiger Veit
Simone Violka
Ute Vogt ({38})
Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Dr. Konstanze Wegner
Matthias Weisheit
Gert Weisskirchen
({39})
Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker
Jochen Welt
Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Jürgen Wieczorek ({40})
Helmut Wieczorek
({41})
Dieter Wiefelspütz
Brigitte Wimmer ({42})
Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Hanna Wolf ({43})
Waltraud Wolff
({44})
Heidemarie Wright
Uta Zapf
Peter Zumkley
CDU/CSU
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Dietrich Austermann
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Brigitte Baumeister
Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Otto Bernhardt
Hans-Dirk Bierling
Dr. Joseph-Theodor Blank
Renate Blank
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen
({45})
Dr. Wolfgang Bötsch
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Cajus Caesar
Peter H. Carstensen
({46})
Leo Dautzenberg
Wolfgang Dehnel
Hubert Deittert
Albert Deß
Renate Diemers
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Rainer Eppelmann
Anke Eymer ({47})
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Albrecht Feibel
Axel E. Fischer
({48})
Herbert Frankenhauser
Dr. Gerhard Friedrich
({49})
Dr. Hans-Peter Friedrich
({50})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Georg Girisch
Dr. Reinhard Göhner
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Kurt-Dieter Grill
Hermann Gröhe
Manfred Grund
Horst Günther ({51})
Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein
Gerda Hasselfeldt
Hansgeorg Hauser
({52})
Helmut Heiderich
Ursula Heinen
Manfred Heise
Siegfried Helias
Hans Jochen Henke
Peter Hintze
Klaus Hofbauer
Martin Hohmann
Klaus Holetschek
Josef Hollerith
Siegfried Hornung
Hubert Hüppe
Georg Janovsky
Dr.-Ing. Rainer Jork
Dr. Harald Kahl
Bartholomäus Kalb
Steffen Kampeter
Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Ulrich Klinkert
Eva-Maria Kors
Hartmut Koschyk
Rudolf Kraus
Dr. Martina Krogmann
Dr. Paul Krüger
Dr. Paul Laufs
Vera Lengsfeld
Peter Letzgus
Walter Link ({53})
Eduard Lintner
Dr. Manfred Lischewski
Wolfgang Lohmann
({54})
Erwin Marschewski
({55})
Dr. Martin Mayer
({56})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Friedrich Merz
Hans Michelbach
Bernward Müller ({57})
Elmar Müller ({58})
Claudia Nolte
Franz Obermeier
Friedhelm Ost
Norbert Otto ({59})
Dr. Peter Paziorek
Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Ge-
setzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Die Fraktionen der SPD, des
Bündnisses 90/Die Grünen und der F.D.P. verlangen na-
mentliche Abstimmung. Zu dieser Abstimmung liegt eine
schriftliche Erklärung nach § 31 unserer Geschäftsord-
nung von Professor Dr. Uwe Jens vor, die zu Protokoll ge-
nommen wird.1)
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, ihre
Plätze einzunehmen. - Ich sehe, das ist der Fall. Ich
eröffne die Abstimmung.
Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters
Anton Pfeifer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Marlies Pretzlaff
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Helmut Rauber
Peter Rauen
Christa Reichard ({60})
Katherina Reiche
Klaus Riegert
Franz Romer
Dr. Klaus Rose
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Anita Schäfer
Hartmut Schauerte
Karl-Heinz Scherhag
Dr. Gerhard Scheu
Norbert Schindler
Christian Schmidt ({61})
Dr.-Ing. Joachim Schmidt
({62})
Andreas Schmidt ({63})
Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Rupert Scholz
Reinhard Freiherr von
Schorlemer
Dr. Erika Schuchardt
Wolfgang Schulhoff
Gerhard Schulz
Diethard Schütze ({64})
Clemens Schwalbe
Dr. Christian SchwarzSchilling
Horst Seehofer
Heinz Seiffert
Bernd Siebert
Werner Siemann
Bärbel Sothmann
Margarete Späte
Erika Steinbach
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl ({65})
Michael Stübgen
Edeltraut Töpfer
Gunnar Uldall
Arnold Vaatz
Andrea Voßhoff
Peter Weiß ({66})
Gerald Weiß ({67})
Heinz Wiese ({68})
Hans-Otto Wilhelm ({69})
Klaus-Peter Willsch
Bernd Wilz
Willy Wimmer ({70})
Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Elke Wülfing
Wolfgang Zeitlmann
Wolfgang Zöller
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Gila Altmann ({71})
Marieluise Beck ({72})
Volker Beck ({73})
Matthias Berninger
Grietje Bettin
Annelie Buntenbach
Ekin Deligöz
Dr. Uschi Eid
Andrea Fischer ({74})
Joseph Fischer ({75})
Katrin Göring-Eckardt
Gerald Häfner
Antje Hermenau
Ulrike Höfken
Michaele Hustedt
Dr. Angelika Köster-Loßack
Steffi Lemke
Dr. Reinhard Loske
Oswald Metzger
Kerstin Müller ({76})
Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Cem Özdemir
Simone Probst
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt ({77})
Werner Schulz ({78})
Christian Simmert
Christian Sterzing
Hans-Christian Ströbele
Jürgen Trittin
Dr. Antje Vollmer
Sylvia Voß
Helmut Wilhelm ({79})
Margareta Wolf ({80})
F.D.P.
Ina Albowitz
Hildebrecht Braun
({81})
Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Gisela Frick
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich ({82})
Rainer Funke
Dr. Wolfgang Gerhardt
Joachim Günther ({83})
Klaus Haupt
Dr. Helmut Haussmann
Ulrich Heinrich
Dr. Werner Hoyer
Ulrich Irmer
Dr. Klaus Kinkel
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Ina Lenke
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto
({84})
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Marita Sehn
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele
Jürgen Türk
Dr. Guido Westerwelle
Enthalten
SPD
Klaus Wiesehügel
Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen des Europarates und der WEU, der Parlamentarischen Versammlung der NATO, der OSZE oder der IPU
Abgeordnete({85})
Adam, Ulrich Bühler ({86}), Klaus Maaß ({87}), Erich
CDU/CSU CDU/CSU CDU/CSU
Schmitz ({88}), Hans Peter von Schmude, Michael Zierer, Benno
SPD CDU/CSU CDU/CSU
1) Anlage 4
Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme noch nicht abgegeben hat?
({89})
- Ich frage noch einmal, ob ein Mitglied des Hauses an-
wesend ist, das seine Stimme nicht abgegeben hat. - Das
ist nun nicht mehr der Fall. Ich schließe die Abstimmung
und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der
Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung
wird Ihnen später bekannt gegeben.1)
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Entsch-
ließungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksa-
che 14/6382. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? -
Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den
Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der PDS abge-
lehnt.
Wir kommen zu den Abstimmungen zu Tagesord-
nungspunkt 18 b und damit zur Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung auf Drucksa-
che 14/6352: Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b
seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags
der Fraktionen der CDU/CSU auf Drucksache 14/5753
mit dem Titel „Soziale Partnerschaft stärken - Be-
triebsverfassungsgesetz zukunftsfähig modernisieren“.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegen-
probe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist
mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der
CDU/CSU angenommen.
Unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung emp-
fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Frak-
tion der F.D.P. auf Drucksache 14/5764 zur Reform der
Mitbestimmung zur Stärkung des Mittelstands. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! -
Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der F.D.P. ange-
nommen.
Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe d
seiner Beschlussempfehlung die Annahme einer Entschlie-
ßung. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Ge-
genprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist
mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und
PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. ange-
nommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 19 a bis c auf:
a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Ulf Fink, Horst Seehofer, Wolfgang
Lohmann ({90}), weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion der CDU/CSU
Zukunft des Gesundheitswesens
- Drucksachen 14/3887, 14/5700 -
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst
Seehofer, Wolfgang Lohmann ({91}),
Dr. Wolf Bauer, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der CDU/CSU
Informationsmöglichkeiten der Krankenversicherten umgehend verbessern
- Drucksache 14/5678 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit ({92})
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Land-
wirtschaft
c) Erste Beratung des von den Fraktionen der
SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Ablösung des Arznei- und Heilmittelbudgets ({93})
- Drucksache 14/6309 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit
Zur Großen Anfrage zur Zukunft des Gesundheitswesens liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der
CDU/CSU vor.
Interfraktionell ist eine Aussprache von anderthalb
Stunden vereinbart worden.
Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort für die
CDU/CSU-Fraktion dem Kollegen Ulf Fink.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor einem Jahr hat meine
Fraktion eine Große Anfrage zur Zukunft des Gesundheitswesens eingebracht, weil wir der Auffassung waren,
dass Bedeutung und Dramatik dieses Themas eine Große
Anfrage rechtfertigen.
({0})
Die Bundesregierung hat sich für die Antwort Zeit gelassen. Das wäre dann zu begrüßen, wenn die Bundesregierung diese Zeit genutzt hätte, um zu überlegen, wie
man die Richtung ändern muss, um die Zukunft des
Gesundheitswesens zu sichern.
({1})
Eine Lektüre der Antwort aber zeigt, dass sich die Bundesregierung der Dramatik und der Bedeutung dieses
Themas nach wie vor nicht bewusst ist.
({2})
Dabei hätte aller Anlass zur Neuorientierung bestanden.
Was ist denn das wichtigste Ziel des Gesundheitswe-
sens? Die Menschen müssen die Leistungen erhalten, die
zu ihrer Gesundung notwendig sind. Die Wahrheit aber
ist, dass es unter der Regierungsverantwortung von SPD
und Grünen dazu gekommen ist, dass in Deutschland die
Kassenpatienten nicht mehr die notwendigen Medika-
mente erhalten haben:
Zuckerkranken wurden die notwendigen Teststreifen
zur Kontrolle vorenthalten. Krebskranken wurden die
notwendigen Lymphdrainagen nicht mehr verordnet. Pa-
tienten, die aus Krankenhäusern entlassen wurden und der
Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters
1) Ergebnis Seite 17423 C
ambulanten Nachbehandlung bedurften, wurde unter Hinweis auf Regressandrohung das Medikament verweigert,
auf das sie eingestellt waren. Kassenpatienten wurden in
vielen Bereichen nicht mehr nach modernen - weil teureren - Standards behandelt. Betroffen sind besonders die
Alzheimer- und Herz/Kreislauf-Leiden, Schizophrenie,
Depressionen, Diabetes, chronische Bronchitis und Epilepsie.
Es ist besonders wichtig, dies zu erwähnen, weil Sie
1998 bei den Menschen in Deutschland mit dem Argument geworben haben, Sie würden dafür sorgen, dass es
nicht zu einer Zweiklassenmedizin kommt. Sie haben damals gesagt, unter der Regierungsverantwortung von
CDU und CSU werde es dazu kommen. Die Wahrheit
aber ist, dass es unter Ihrer Regierungsverantwortung in
Deutschland zum ersten Mal zu einer Zweiklassenmedizin gekommen ist.
({3})
Da haben auch keine Härte- und Überforderungsklauseln
geholfen; denn bei einer Budgetierung gibt es solche
Klauseln im Gegensatz zur Selbstbeteiligung nicht. Ich
sage Ihnen deshalb klar: Budgetierung ist die brutalste
Form der Selbstbeteiligung, die man sich überhaupt vorstellen kann.
({4})
Heute legt die Regierungskoalition einen Gesetzentwurf vor, der die von ihr selbst eingeführte Arzneimittelbudgetierung wieder abschaffen soll.
({5})
Das ist gut so. Aber während dieser Gesetzentwurf gerade
erst vorgelegt worden ist, kommt eine schlechte Nachricht
nach der anderen. Dieser Tage hören wir, dass die gesetzlichen Krankenkassen im ersten Quartal dieses Jahres ein
Defizit von über 2 Milliarden DM erwirtschaftet haben.
Wenn man sich dazu die neueste Nachricht vor Augen
führt, dass eine der großen Krankenkassen, nämlich die
AOK in Hessen, beschließen musste, ihren Beitragssatz
vom Beginn des nächsten Monats an von 13,8 Prozent auf
- sage und schreibe - 14,8 Prozent zu erhöhen, lässt sich
einordnen, was das bedeutet. Sie haben mit unglaublich
viel Aufwand - Ökosteuer und dergleichen mehr - dafür
gesorgt, dass der Rentenversicherungsbeitrag um vielleicht 0,1 oder 0,2 Prozentpunkte geringer ausfällt.
({6})
Jetzt wird der Beitragssatz einer großen gesetzlichen
Krankenkasse um zehnmal 0,1 Prozent erhöht. Das ist
doch ein Menetekel für Ihre Politik!
({7})
Dies wird nicht die einzige Krankenkasse bleiben. Wir
wissen von sehr vielen weiteren Krankenkassen, dass bereits Beitragsanhebungen angedroht wurden. Es droht
eine Beitragserhöhungswelle auf breiter Front. Und wenn
nichts Entscheidendes geschieht, drohen als Folge der demographischen Veränderungen und des medizinischen
Fortschritts in nicht einmal 30 Jahren Beitragssätze von
24, 26, ja 30 Prozent.
Was nun? In dieser Situation hören wir Stimmen aus
der Regierungskoalition, wonach das Gesetz zur Abschaffung der Arzneimittelbudgetierung nun doch nicht in
Kraft treten solle - so beispielsweise der Abgeordnete der
Grünen Herr Metzger in einem Artikel in der „Welt“ von
gestern.
Aber, meine Damen und Herren, das wäre die ganz
falsche Antwort. Erstens sind es nicht nur die Arzneimittelkosten, die im ersten Quartal dieses Jahres massiv nach
oben gegangen sind, und zweitens müssen Sie den Beteiligten, den Krankenkassen und den Ärzteverbänden, auch
Zeit lassen, um zu klären, wie man am besten und sparsam verordnet. Das kann man nicht von heute auf morgen
entscheiden. Wir hätten längst den Zustand guter Vereinbarungen, wenn Sie nicht unser Gesetz aus dem Jahre
1998 wieder kassiert hätten. Damals waren die Kassen
und die Ärzteverbände schon so weit, sich auf solche
Dinge zu verständigen. Erst durch Ihre Politik ist dies alles abgeschnitten worden.
({8})
Man sollte ein Weiteres bedenken: Man darf sich nicht
nur auf einen Punkt konzentrieren, man muss das System
insgesamt sehen. Sie haben damals als eine Ihrer ersten
Taten die von uns eingeführten maßvollen Zuzahlungen
bei Arzneimitteln wieder verringert.
({9})
Das hat die Krankenkassen nicht nur mehr als eine Milliarde DM gekostet, sondern auch dazu geführt, dass die
ohnehin geringen Steuerungswirkungen praktisch zunichte gemacht worden sind.
({10})
Bei einem verschreibungspflichtigen Arzneimittel der
kleinsten Packungsgröße N 1 muss man jetzt 8 DM, bei
der Packungsgröße N 3, also der größten, 10 DM zuzahlen, also 2 DM mehr als bei der kleinsten Packung.
({11})
Der Mehrpreis der großen Packung gegenüber der kleinen
liegt aber bei vielen verschreibungspflichtigen Arzneimitteln bei 10, 100, 200 oder mehr Mark. Es macht also wirtschaftlich Sinn, statt einer großen Packung sich eine
kleine Packung verschreiben zu lassen.
Wenn man die wirtschaftlichen Anreize so setzt, muss
man sich nicht wundern, wenn die Menschen falsch reagieren, und muss man sich nicht wundern, dass in der
Bundesrepublik Deutschland Jahr für Jahr ungenutzte
Medikamente für 3 Milliarden DM weggeworfen werden.
({12})
In der Gesundheitspolitik kann es nicht mehr nur um
Varianten gehen, hier kann es nur noch um grundsätzliche
Alternativen gehen. Die CDU, meine Partei, hat deshalb
nach dem Regierungswechsel im Rahmen ihrer Sozialstaatskommission eine Gesundheitskommission eingesetzt und mich mit ihrer Leitung beauftragt. In dieser mit
herausragenden Experten besetzten Kommission haben
wir in einer sehr intensiven Arbeit das Gesundheitssystem
der Bundesrepublik Deutschland durchleuchtet und ein
Gesamtkonzept erarbeitet, das noch im Laufe dieses Jahres vorgelegt wird.
Wichtige Grundzüge dieses Konzeptes sind Folgende:
Damit der medizinische Fortschritt auch in Zukunft allen
Menschen unabhängig von ihrem Geldbeutel zur Verfügung gestellt werden kann, wollen wir nicht auf mehr
Staat, mehr Budgetierung oder dergleichen setzen. Stattdessen ist es richtig, auf mehr Eigenverantwortung und
mehr Transparenz zu setzen. Diese Instrumente haben
sich - natürlich in einem vom Staat vorgegebenen Rahmen - überall in der Welt als die besseren Methoden herausgestellt, um für hohe Qualität und gleichzeitig für einen sparsamen Mitteleinsatz zu sorgen.
Der unter unserer Regierungsverantwortung eingeführte Wettbewerb zwischen den Krankenkassen darf
deshalb nicht eingeschränkt werden. Er muss verbessert
werden, zum Beispiel durch einen morbiditätsgerechten
Risikostrukturausgleich. Keinesfalls aber kann der Plan
der Bundesregierung akzeptiert werden, Krankenkassen,
die nur einen niedrigen Beitragssatz brauchen, staatlich zu
zwingen, ihren Beitragssatz künstlich auf 12,5 Prozent zu
erhöhen.
({13})
Es ist notwendig, den Krankenkassen mehr Wettbewerbsparameter an die Hand zu geben. Heute sind die
Krankenkassen in den meisten Bereichen gezwungen,
einheitlich und gemeinsam zu handeln. Das ist falsch.
Was heute Regel ist, muss künftig Ausnahme sein. Wie
anders als durch eine Unterscheidung von anderen Kassen
und Kassenarten kann man sich den Wettbewerb vorstellen? Wenn eine Kasse gezwungen ist, immer genau das
Gleiche zu tun wie die andere, erzeugt das Geleitzugmentalität. Keine Kasse hat dann Interesse daran, sich besonders anzustrengen.
Wir brauchen aber nicht nur mehr Wettbewerb zwischen den Krankenkassen. Wir brauchen auch mehr Wettbewerb auf der Anbieterseite, also bei den Krankenhäusern und Ärzten. Konsequenterweise bedeutet dies die
Überprüfung der kollektivvertraglichen Strukturen in allen Versorgungsbereichen und eine Neuausrichtung des
Sicherstellungsauftrags. Die Bindung der Krankenkassen
an das Vertragsmonopol der Kassenärztlichen Vereinigung muss gelockert werden.
Es ist ja unbestritten, dass es zur Organisation der ambulanten ärztlichen Versorgung einer koordinierenden,
selbstverwaltenden Instanz bedarf. Aber der bisherige Zustand, dass man einen Vertrag entweder mit allen Ärzten
oder mit keinem Arzt abschließen darf, ist in einem wettbewerbsorientierten System nicht mehr tragbar.
Mehr Wettbewerb muss es auch für den Krankenhausbereich geben. Es kann nicht richtig sein, dass die Länder
mit ihrer Krankenhausplanung faktisch ein Drittel der
Krankenkassenausgaben bestimmen, ohne dass die Krankenversicherungen eine echte Möglichkeit der Einflussnahme hätten.
Mehr Wettbewerb bedeutet auch, den Krankenkassen
das Recht einzuräumen, ihren Versicherten mehr Wahlfreiheit zu gewähren. Natürlich muss dafür gesorgt werden, dass alle über einen Versicherungsschutz verfügen,
der die notwendigen medizinischen Leistungen abdeckt.
Wir wollen keine Verhältnisse wie in den Vereinigten
Staaten von Amerika, wo 40 Millionen Menschen über
keinerlei und weitere 40 Millionen Menschen über einen
völlig unzureichenden Versicherungsschutz verfügen.
Wir sind stolz darauf, dass wir in der Bundesrepublik
Deutschland allen einen ungehinderten Zugang zu den
Höchstleistungen der Medizin garantieren können.
({14})
Aber das kann doch nicht bedeuten, jegliche Wahlmöglichkeit oder Variation von Leistungen zu untersagen.
Warum soll man den Versicherungen nicht ermöglichen,
Leistungspakete anzubieten, die mehr beinhalten - dann
zu einem höheren Preis -, oder Leistungspakete, die weniger beinhalten, dann zu einem niedrigeren Preis? Der
Einwand der Bundesgesundheitsministerin, das sei nicht
möglich oder auch unethisch, trifft doch einfach nicht.
Warum soll man es dem einzelnen Menschen nicht erlauben, zum Beispiel Fahrtkosten nicht mitzuversichern,
weil er jemanden in der Familie hat, der ihn im Zweifelsfall fährt? Warum zwingen Sie ihn dazu?
({15})
Lassen Sie doch den Versicherten und ihren Selbstverwaltungen mehr Spielraum! Die Versicherten und ihre
Selbstverwaltungen wissen doch sehr viel besser als die
Ministerialbeamten, was ihnen gut tut. Gleichzeitig
könnte man mit dem merkwürdigen Zustand Schluss machen, dass der Gesundheitsmarkt zwar einer der größten
Wachstumsbereiche ist - Hoffnungen auf neue Arbeitsplätze sind hier sehr realistisch -, wir im geltenden System aber alles tun, um diese Wachstumschancen zunichte
zu machen.
Die Wahlfreiheit könnte umso größer ausfallen, je weniger versicherungsfremde Leistungen und Umverteilungsmaßnahmen über den Beitragssatz finanziert werden. In einem ersten Schritt sollten daher die
versicherungsfremden Leistungen von dem bezahlt
werden, der dafür zuständig ist, nämlich vom Staat. Darüber hinaus sollte sich der Staat nicht länger an den Krankenversicherungen bereichern, indem er den vollen Mehrwertsteuersatz auf Medikamente erhebt, worauf sonst mit
Ausnahme von Österreich in ganz Europa verzichtet wird.
({16})
Wir brauchen mehr Transparenz. Überall weiß man, was
die Dinge kosten und was man für sein Geld bekommt,
nur nicht im Gesundheitswesen. Das kann nicht richtig
sein. Wir haben noch in der letzten Legislaturperiode einen Gesetzesauftrag beschlossen, der genau dies zum Inhalt hat. Aber was tut die Bundesregierung eigentlich, damit dieser Auftrag auch umgesetzt wird? Die Menschen
müssen doch darüber Bescheid wissen, welche Leistungen sie bekommen und was sie kosten. Das ist doch nicht
zu viel verlangt.
({17})
Die Finanzierung der Krankenversicherung erfolgt bisher über die Anbindung an den Lohn. Das ist grundsätzlich richtig. Aber mit Beitragseinnahmen aus dem Lohn
allein werden der medizinische Fortschritt und die demographische Herausforderung nicht zu finanzieren sein. Es
gibt nun ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts bezüglich der Gleichbehandlung von freiwillig und pflichtversicherten Rentnern. Ich bin sehr gespannt, welche Antwort Sie darauf geben.
Es gibt auf der ganzen Welt kein Gesundheitswesen, das
darauf verzichten könnte, dass sich der einzelne Versicherte auch selbst um seine Gesundheit kümmert. Wir sind
der Auffassung, dass derjenige, der sich um seine Gesundheit kümmert, einen Bonus bekommen sollte. Wer unverantwortlich mit seiner Gesundheit umgeht, muss wissen,
dass der Solidartopf kein Selbstbedienungsladen ist.
Für uns bleibt klar: Medizinischer Fortschritt muss für
alle zugänglich bleiben. Wir brauchen den sozialen Ausgleich zwischen Gesunden und Kranken und die Inanspruchnahme der medizinischen Leistung darf keine
Frage des Geldbeutels sein.
(Lachen bei der SPD
Diese Frage lässt sich aber nicht durch mehr Budgetierung und mehr Staat, sondern nur dadurch beantworten,
dass mehr Transparenz, mehr Eigenverantwortung und
mehr Wettbewerb erlaubt werden.
Herzlichen Dank.
({18})
Bevor ich
das Wort weitergebe, komme ich zu Tagesordnungspunkt 18 a zurück und gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Schlussabstimmung über den Gesetzentwurf der
Bundesregierung zur Reform des Betriebsverfassungsgesetzes in der Ausschussfassung auf den Drucksachen 14/5741 und 14/6352 bekannt. Abgegebene Stimmen 544.
17423 Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 544;
davon
ja: 336
nein: 208
Ja
SPD
Brigitte Adler
Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Dr. Hans Peter Bartels
Eckhardt Barthel ({0})
Klaus Barthel ({1})
Ingrid Becker-Inglau
Wolfgang Behrendt
Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher
Petra Bierwirth
Rudolf Bindig
Lothar Binding ({2})
Anni Brandt-Elsweier
Willi Brase
Rainer Brinkmann ({3})
Bernhard Brinkmann
({4})
Edelgard Bulmahn
Ursula Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Büttner ({5})
Marion Caspers-Merk
Wolf-Michael Catenhusen
Dr. Peter Danckert
Christel Deichmann
Karl Diller
Peter Dreßen
Detlef Dzembritzki
Dieter Dzewas
Dr. Peter Eckardt
Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Marga Elser
Peter Enders
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Annette Faße
Lothar Fischer ({6})
Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster
Dagmar Freitag
Lilo Friedrich ({7})
Harald Friese
Anke Fuchs ({8})
Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Renate Gradistanac
Günter Graf ({9})
Angelika Graf ({10})
Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Wolfgang Grotthaus
Karl-Hermann Haack
({11})
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
Klaus Hasenfratz
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Gustav Herzog
Monika Heubaum
Reinhold Hiller ({12})
Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann ({13})
Walter Hoffmann
({14})
Iris Hoffmann ({15})
Frank Hofmann ({16})
Ingrid Holzhüter
Eike Hovermann
Lothar Ibrügger
Barbara Imhof
Brunhilde Irber
Gabriele Iwersen
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung ({17})
Johannes Kahrs
Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Hans-Ulrich Klose
Walter Kolbow
Karin Kortmann
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Konrad Kunick
Dr. Uwe Küster
Werner Labsch
Christine Lambrecht
Brigitte Lange
Christian Lange ({18})
Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters
Detlev von Larcher
Christine Lehder
Waltraud Lehn
Robert Leidinger
Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann
({19})
Christa Lörcher
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß ({20})
Winfried Mante
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Ulrike Mascher
Christoph Matschie
Heide Mattischeck
Ulrike Mehl
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer ({21})
Ursula Mogg
Christoph Moosbauer
Michael Müller ({22})
Christian Müller ({23})
Franz Müntefering
Andrea Nahles
Volker Neumann ({24})
Dr. Edith Niehuis
Günter Oesinghaus
Eckhard Ohl
Leyla Onur
Manfred Opel
Holger Ortel
Adolf Ostertag
Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Joachim Poß
Karin Rehbock-Zureich
Dr. Carola Reimann
Margot von Renesse
Renate Rennebach
Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter
Christel RiemannHanewinckel
Reinhold Robbe
Gudrun Roos
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({25})
Birgit Roth ({26})
Marlene Rupprecht
Thomas Sauer
Gudrun Schaich-Walch
Rudolf Scharping
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Otto Schily
Dieter Schloten
Horst Schmidbauer
({27})
Ulla Schmidt ({28})
Silvia Schmidt ({29})
Dagmar Schmidt ({30})
Wilhelm Schmidt ({31})
Dr. Frank Schmidt
({32})
Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt ({33})
Carsten Schneider
Dr. Emil Schnell
Karsten Schönfeld
Ottmar Schreiner
Gerhard Schröder
Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann
({34})
Brigitte Schulte ({35})
Reinhard Schultz
({36})
Ewald Schurer
Dr. Angelica Schwall-Düren
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie SonntagWolgast
Wieland Sorge
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Reinhold Strobl ({37})
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Franz Thönnes
Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak
Rüdiger Veit
Simone Violka
Ute Vogt ({38})
Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Dr. Konstanze Wegner
Matthias Weisheit
Gert Weisskirchen
({39})
Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker
Jochen Welt
Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Jürgen Wieczorek ({40})
Helmut Wieczorek
({41})
Dieter Wiefelspütz
Klaus Wiesehügel
Brigitte Wimmer ({42})
Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Hanna Wolf ({43})
Waltraud Wolff
({44})
Heidemarie Wright
Uta Zapf
Peter Zumkley
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Gila Altmann ({45})
Marieluise Beck ({46})
Volker Beck ({47})
Matthias Berninger
Grietje Bettin
Annelie Buntenbach
Ekin Deligöz
Dr. Uschi Eid
Andrea Fischer ({48})
Joseph Fischer ({49})
Katrin Göring-Eckardt
Gerald Häfner
Antje Hermenau
Ulrike Höfken
Michaele Hustedt
Dr. Angelika Köster-Loßack
Steffi Lemke
Dr. Reinhard Loske
Oswald Metzger
Kerstin Müller ({50})
Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Cem Özdemir
Simone Probst
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt ({51})
Werner Schulz ({52})
Christian Simmert
Christian Sterzing
Hans-Christian Ströbele
Jürgen Trittin
Dr. Antje Vollmer
Sylvia Voß
Helmut Wilhelm ({53})
Margareta Wolf ({54})
PDS
Monika Balt
Dr. Dietmar Bartsch
Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter
Dr. Heinrich Fink
Wolfgang Gehrcke
Dr. Klaus Grehn
Uwe Hiksch
Dr. Barbara Höll
Ulla Jelpke
Sabine Jünger
Gerhard Jüttemann
Dr. Evelyn Kenzler
Rolf Kutzmutz
Heidi Lippmann
Ursula Lötzer
Dr. Christa Luft
Heidemarie Lüth
Pia Maier
Angela Marquardt
Manfred Müller ({55})
Kersten Naumann
Petra Pau
Dr. Uwe-Jens Rössel
Christina Schenk
Gustav-Adolf Schur
Dr. Ilja Seifert
Dr. Winfried Wolf
Nein
CDU/CSU
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Dietrich Austermann
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Brigitte Baumeister
Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Otto Bernhardt
Hans-Dirk Bierling
Dr. Joseph-Theodor Blank
Renate Blank
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen
({56})
Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Cajus Caesar
Peter H. Carstensen
({57})
Leo Dautzenberg
Wolfgang Dehnel
Hubert Deittert
Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters
Albert Deß
Renate Diemers
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Rainer Eppelmann
Anke Eymer ({58})
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Albrecht Feibel
Axel E. Fischer
({59})
Herbert Frankenhauser
Dr. Gerhard Friedrich
({60})
Dr. Hans-Peter Friedrich
({61})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Georg Girisch
Dr. Reinhard Göhner
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Kurt-Dieter Grill
Hermann Gröhe
Manfred Grund
Horst Günther ({62})
Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein
Gerda Hasselfeldt
Hansgeorg Hauser ({63})
Helmut Heiderich
Ursula Heinen
Manfred Heise
Siegfried Helias
Hans Jochen Henke
Peter Hintze
Klaus Hofbauer
Martin Hohmann
Klaus Holetschek
Josef Hollerith
Siegfried Hornung
Hubert Hüppe
Georg Janovsky
Dr.-Ing. Rainer Jork
Dr. Harald Kahl
Bartholomäus Kalb
Steffen Kampeter
Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Ulrich Klinkert
Eva-Maria Kors
Hartmut Koschyk
Rudolf Kraus
Dr. Martina Krogmann
Dr. Paul Krüger
Dr. Paul Laufs
Vera Lengsfeld
Peter Letzgus
Walter Link ({64})
Eduard Lintner
Dr. Manfred Lischewski
Wolfgang Lohmann
({65})
Erwin Marschewski
({66})
Dr. Martin Mayer
({67})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Friedrich Merz
Hans Michelbach
Bernward Müller ({68})
Elmar Müller ({69})
Claudia Nolte
Franz Obermeier
Friedhelm Ost
Norbert Otto ({70})
Dr. Peter Paziorek
Anton Pfeifer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Marlies Pretzlaff
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Helmut Rauber
Peter Rauen
Christa Reichard ({71})
Katherina Reiche
Klaus Riegert
Franz Romer
Dr. Klaus Rose
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Anita Schäfer
Hartmut Schauerte
Karl-Heinz Scherhag
Dr. Gerhard Scheu
Norbert Schindler
Christian Schmidt ({72})
Dr.-Ing. Joachim Schmidt
({73})
Andreas Schmidt ({74})
Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Rupert Scholz
Reinhard Freiherr von
Schorlemer
Dr. Erika Schuchardt
Wolfgang Schulhoff
Gerhard Schulz
Diethard Schütze ({75})
Clemens Schwalbe
Dr. Christian SchwarzSchilling
Horst Seehofer
Heinz Seiffert
Bernd Siebert
Werner Siemann
Bärbel Sothmann
Margarete Späte
Erika Steinbach
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl ({76})
Michael Stübgen
Edeltraut Töpfer
Dr. Hans-Peter Uhl
Gunnar Uldall
Arnold Vaatz
Andrea Voßhoff
Peter Weiß ({77})
Gerald Weiß ({78})
Heinz Wiese ({79})
Hans-Otto Wilhelm ({80})
Klaus-Peter Willsch
Bernd Wilz
Willy Wimmer ({81})
Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Elke Wülfing
Wolfgang Zeitlmann
Wolfgang Zöller
F.D.P.
Ina Albowitz
Hildebrecht Braun
({82})
Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Gisela Frick
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich ({83})
Rainer Funke
Dr. Wolfgang Gerhardt
Joachim Günther ({84})
Klaus Haupt
Dr. Helmut Haussmann
Ulrich Heinrich
Dr. Werner Hoyer
Ulrich Irmer
Dr. Klaus Kinkel
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Ina Lenke
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto
({85})
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Marita Sehn
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele
Jürgen Türk
Dr. Guido Westerwelle
Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen des Europarates und der WEU, der Parlamentarischen Versammlung der NATO, der OSZE oder der IPU
Abgeordnete({86})
Adam, Ulrich Bühler ({87}), Klaus Maaß ({88}), Erich
CDU/CSU CDU/CSU CDU/CSU
Schmitz ({89}), Hans Peter von Schmude, Michael Zierer, Benno
SPD CDU/CSU CDU/CSU
Mit Ja haben gestimmt 336, mit Nein haben gestimmt
208, Enthaltungen keine. Der Gesetzentwurf ist angenommen.
({90})
Ich erteile nunmehr das Wort der Bundesministerin für
Gesundheit, der Kollegin Ulla Schmidt.
Ulla Schmidt, Bundesministerin für Gesundheit ({91}): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Fink, ich habe Ihnen genau zugehört und sogar die Brille aufgesetzt; aber
ich habe mich doch gewundert, dass Sie hier über dieses
Thema so reden können, ohne dass Ihnen die Schamesröte
ins Gesicht gestiegen ist.
({92})
Manchmal hat man das Gefühl, dass in Ihrem Gedächtnis
einzelne Jahre fehlen. Sie haben nämlich vergessen, zu sagen, dass Sie das alles hätten haben können, solange Sie
noch regierten. Die heutigen Hauptprobleme im Gesundheitswesen stellen doch Ihre Hinterlassenschaft dar.
({93})
- Sie können jetzt lachen, soviel Sie wollen. Es ist die
Hinterlassenschaft des Kollegen Seehofer. Es ist Ihr Erbe.
({94})
Hätten Sie 1998 ein wirklich durchstrukturiertes und
transparentes Gesundheitswesen hinterlassen, dann wären
Sie nicht abgewählt worden. Die Menschen haben Sie
auch wegen Ihrer Gesundheitspolitik abgewählt.
({95})
Diese Bundesregierung hat mit dem Umlenken begonnen
({96})
und wird diesen Weg auch weitergehen. Im Gegensatz zu
manchen Ihrer Äußerungen, die ich in den letzten Tagen
gehört habe, geht es uns um eine bessere Versorgung der
Menschen, vor allen Dingen der chronisch kranken Menschen.
({97})
Uns geht es um die Realisierung vorhandener Einsparmöglichkeiten, damit unser Gesundheitswesen bezahlbar
bleibt, ohne den Weg, den Sie immer gegangen sind, beschreiten zu müssen: Bei Ihnen mussten die Menschen
hohe Beiträge und dazu immer mehr aus der eigenen Tasche bezahlen.
({98})
Wir haben mit der Gesundheitsreform 2000 wichtige
Weichenstellungen vorgenommen: Qualitätssteigerung,
Patientenorientierung, bessere Verzahnung der Leistungsbereiche, Förderung von Prävention und Selbsthilfe.
({99})
Auf diesem Weg werden wir weitergehen. Aber Reformen
dauern nun einmal,
({100})
bis sie umgesetzt werden können, weil viele Barrieren zu
überwinden sind.
Heute geht es unter anderem darum, eine Antwort auf
die 39-Milliarden-DM-Frage zu finden. So groß ist nämlich das Volumen der Arzneimittelausgaben in Deutschland. Die Tendenz ist steigend, trotz Budgets, die Sie eingeführt haben, und trotz Kollektivhaftung, die Herr
Seehofer eingeführt hat.
({101})
Fest steht, dass Budgets und Kollektivhaftung nicht den
erhofften Erfolg gebracht haben. Fest steht aber auch, dass
es ohne Ausgabensteuerung in der Arzneimittelversorgung nicht geht.
Auch Sie, Herr Kollege Seehofer - daran möchte ich
erinnern -, hatten seinerzeit eine Bremse vorgesehen,
nämlich durch die so genannte Koppelungsregelung.
Manche haben vielleicht vergessen, was es bedeutet hätte,
wenn es diese heute gäbe: Wenn eine Krankenkasse ihren
Beitragssatz zum Beispiel wegen steigender Arzneimittelausgaben erhöht, hätten die Patientinnen und Patienten
höhere Zuzahlungen leisten müssen. Patienten, die in der
AOK Bayern sind, müssten heute für die kleine Packung
14 DM bezahlen, für die mittlere 16 DM und für die
größere 18 DM.
({102})
Wenn die AOK Hessen, wie sie es jetzt macht, den Beitragssatz um 1 Prozent erhöht,
({103})
hätten die Patienten nach Horst Seehofer einen Tag nach
dieser Erhöhung für die kleine Packung 19 DM, für die
mittlere 21 DM und für die größere 23 DM zahlen müssen.
({104})
Auf die Zuzahlungen im Krankheitswesen bezüglich der
Fahrtkosten und der Krankenhausaufenthalte möchte ich
gar nicht erst eingehen. Für alles hätte 10 DM mehr gezahlt werden müssen.
({105})
Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters
Ich möchte nur daran erinnern, dass die Zuzahlungen zurzeit 8, 9 und 10 DM betragen.
Herr Zöller, Sie können so laut rufen, wie Sie wollen:
Allein den Kranken immer tiefer in die Tasche greifen zu
wollen ist allenfalls ein Zeichen Ihrer Steuerungspolitik.
Dies entspricht aber nicht unserem Verständnis von
Solidarität.
({106})
Deshalb beraten wir heute über neue Steuerungsinstrumente des Arzneimittel- und Heilmittelbudgets.
Wahr ist, Herr Kollege Fink: Auch unter der alten
Bundesregierung sind die Arzneimittelausgaben deutlich oberhalb der Grundlohnentwicklung gestiegen. Nur
ein einziges Mal, im Jahr 1997, gingen die Arzneimittelausgaben zurück, aber nur, weil der Kollege Seehofer
mit Ihrer Zustimmung die Zuzahlungen für Arzneimittel radikal angehoben hatte. Dies hat aber nur ein
Jahr gewirkt. Im Jahr 1998 stiegen die Arzneimittelausgaben trotz der Erhöhung der Zuzahlungen um 5,4 Prozent.
({107})
In einem haben Sie Recht, Herr Kollege Fink: Bei allem Streit um so genannte Obergrenzen, um Budgetierungen, um Kollektivhaftungen oder um Anpassungen sind
weder die Ärzte und Ärztinnen noch die Pharmaindustrie
jemals die Leidtragenden gewesen. Dieser Streit wurde
immer - das ist das Schlimme - auf dem Rücken der Patientinnen und Patienten ausgetragen, die darum kämpfen
mussten - das war seit Jahren so -, die Rezepte zu bekommen, die sie wirklich brauchten. Eines muss doch klar
sein: Wir können auf Dauer nicht zulassen, dass der Streit
auf dem Rücken der Kranken ausgetragen wird; denn gerade die Kranken brauchen Sicherheit, Vertrauen und
Hilfe.
({108})
Deshalb bitte ich Sie ganz intensiv, sich wirklich mit
den Fragen auseinander zu setzen, auf die wir auch angesichts der steigenden Arzneimittelausgaben eine Antwort
finden müssen. Wir müssen uns mit der Frage auseinander setzen, warum in einigen Kassenärztlichen Vereinigungen die Ärzte überwiegend hochpreisige Generika
verschreiben, während in anderen KVen die Ärzte deutlich mehr preisgünstige Generika verordnen. Warum liegen in den neuen Ländern die Anteile teurer Analogpräparate mit gegebenenfalls geringem therapeutischen
Zusatznutzen auffällig über dem Bundesdurchschnitt,
während sie in anderen Regionen den Bundesdurchschnitt
zum Teil deutlich unterschreiten?
Warum liegt der Anteil reimportierter Arzneimittel in
den Kassenärztlichen Vereinigungen von Berlin und
Nordrhein bei 20 bzw. 18 Prozent, in Bayern zum Beispiel
aber nur bei 5 Prozent? Die Antwort ist ganz einfach:
Dort, wo die Vertragspartner aktiv auf das Verordnungsgeschehen eingewirkt haben, konnten Wirtschaftlichkeitspotenziale erschlossen werden. Dass es im Arzneimittelbereich enorme Wirtschaftlichkeitsreserven gibt,
belegen nicht nur diese Beispiele.
Wenn Sie sich einmal die Auswertung des AOK-eigenen wissenschaftlichen Instituts vom April 2001 ansehen,
stellen Sie fest: Wenn man die Potenziale auf dem AOKMarkt zusammenfasst, die sich durch generische Substitutionen und Wirkstoffsubstitution erschließen, ergibt
sich für die AOK für das Jahr 2000 ein Wirtschaftlichkeitspotenzial in Höhe von 18,5 Prozent des Arzneimittelumsatzes, der ja zulasten der AOK geht. Dies macht allein
für die AOK im Jahr 3 Milliarden DM aus. Würde man das
für die gesamte GKV hochrechnen, käme man auf
7,2 Milliarden DM. Deshalb lohnt es sich, über andere Instrumente nachzudenken.
Ich habe auf jeden Fall eines aus den Erfahrungen mit
dem Arznei- und Heilmittelbudget gelernt: Wir können
letztlich dem dynamischen und konkreten Handeln vieler
Ärztinnen und Ärzte nicht mit starren und abstrakten Instrumenten wie den Budgets begegnen.
({109})
- Wir ändern dies aber noch während unserer Regierungszeit und gehen neue Wege. Erst durch Sie ist es zu
den heutigen Problemen gekommen.
({110})
Wie sollen eigentlich die Beteiligten eine Obergrenze
aushandeln, die sie nicht adäquat korrigieren können und
die noch dazu von einer Vertragspartei massiv bekämpft
wird? Wie soll die Ausgabenentwicklung gesteuert werden, wenn es gar keine oder zu späte Datenlieferungen
gibt?
({111})
Ich bin davon überzeugt: Durch konkrete Zielvereinbarungen mit einem Frühwarnsystem schaffen wir Steuerungsmöglichkeiten und stärken damit die Selbstverwaltung, um diese auch umzusetzen.
({112})
Ich sage noch einmal ganz klar, worum es geht:
Erstens. Mit dem vorgelegten Gesetzentwurf entlassen
wir die Ärztinnen und Ärzte nicht aus der Verantwortung. Diese haben gerade im Arzneimittelsektor eine
Schlüsselstellung inne. Deshalb brauchen wir ihre Mitwirkung. Sie müssen sich gemeinsam mit den Krankenkassen nicht nur auf Ausgabenvolumen und Richtgrößen,
sondern auch auf Versorgungs- und Wirtschaftlichkeitsziele einigen. Stichworte dazu sind: Generika, Reimporte,
die Reduzierung teurer Analogprodukte. Nur durch eine
Bundesministerin Ulla Schmidt
Steuerung in diesen Bereichen ist auf Dauer sicherzustellen, dass Patientinnen und Patienten am medizinischen
Fortschritt im Bereich der Arzneimitteltherapie teilhaben
können, dieses Gesundheitswesen aber trotzdem bezahlbar bleibt.
({113})
Zweitens. Diese Zielsetzungen werden mit Informationen und Beratung der Ärztinnen und Ärzte durch die Vertragsparteien verbunden, sodass rechtzeitig umgesteuert
werden kann.
Drittens. Ich lege besonderen Wert auf die aktive und
verantwortliche Rolle der Selbstverwaltungspartner.
Deshalb sollen die Kassenärztlichen Vereinigungen und
die Kassen selbst regeln, wie sie die Einhaltung des vereinbarten Ausgabevolumens und der Versorgungsziele
erreichen. Interessant für die Vertragspartner ist die Möglichkeit, Bonusregelungen für Unterschreitungen vorzusehen. Die Selbstverwaltungspartner bestimmen auch,
welche Grenzwerte ein Prüfverfahren auslösen und welche Folgen einschließlich des Individualregresses eine
Grenzwertüberschreitung haben wird.
({114})
Viertens. Die gemeinsame Selbstverwaltung auf Bundesebene unterstützt die Vertragspartner durch gemeinsame verbindliche Rahmenvorgaben, die jährlich festgelegt werden.
Fünftens. Falls sich die Vertragspartner nicht einigen,
entscheidet das Schiedsamt. Keine Seite kann also die
Verhandlungen blockieren.
({115})
Sechstens. Um flexibler auf eine Überschreitung reagieren zu können, werden die Ausgabenvolumen für Arznei- und Heilmittel voneinander getrennt.
Siebtens - auch das ist klar -: Wer sich unwirtschaftlich und therapeutisch fragwürdig verhält, muss mit einem Prüfverfahren und gegebenenfalls mit einem Regressverfahren rechnen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die aktuelle Ausgabenentwicklung im Arzneimittelbereich im ersten
Quartal dieses Jahres mit einer Steigerung um fast
9,7 Prozent im Vergleich zum ersten Quartal des Vorjahres ist Anlass zur Sorge. Es wäre aber zu einfach, allein
die Ankündigung der Aufhebung des Arzneimittelbudgets
hierfür verantwortlich zu machen. Auch in der Vergangenheit gab es überproportionale Ausgabenanstiege, insbesondere etwa im vierten Quartal 2000 mit mehr als
9 Prozent, und das vor der Ankündigung der Neuordnung.
Das zeigt also: Wir können auch aktuell nicht auf die vorhandene oder vermeintliche Sicherheit eines immer noch
bestehenden Budgets oder auch der immer noch bestehenden Kollektivhaftung bauen, sondern wir müssen handeln.
Die gemeinsame Selbstverwaltung hat dabei schon
ihre erste Bewährungsprobe bestanden. Vor einer Woche
haben Ärzteschaft und Krankenkassen auf Bundesebene
eine Empfehlung zur Steuerung der Arzneimittel- und
Verbandmittelausgaben für 2001 verabschiedet. Sie wendet damit vorweg neue Instrumente des vorliegenden Gesetzentwurfes an.
Jetzt sind die Selbstverwaltung und die politisch Verantwortlichen in den Ländern gefordert, die praktische
Umsetzung voranzutreiben. Wir haben vereinbart, dass
die Beteiligten auf der Bundesebene schon Anfang August über die Umsetzung der Bundesempfehlung berichten werden.
Dass solche Lösungen zustande kommen, zeigen im
Moment die KV Berlin und die AOK Berlin. Sie haben
sich auf einen Vertrag geeinigt, der Zuschläge beim Honorar als Ausgleich für Einsparungen im Arzneimittelsektor vorsieht. Ich glaube, dass dies der richtige Weg ist, um
Anreize zu setzen.
({116})
- Nein, Herr Zöller. Das kann allenfalls noch in Ihrem
Denken von einer Gesundheitsreform vorkommen.
({117})
Wir haben Qualitäts- und Versorgungsziele und die Einhaltung dieser Ziele wird auch kontrolliert. Ihre Antwort
war, den Menschen immer mehr in die Tasche zu greifen.
Das wollen wir nicht.
({118})
Ich glaube, dass das Beispiel hier in Berlin zeigen wird,
dass es anders geht. Die Selbstverwaltung muss sich stärken. Das ist der richtige Weg. Wir wollen keine Privatisierung der Krankenversicherung,
({119})
sondern wir wollen eine Lenkung der im System verankerten Steuerungskräfte der Selbstverwaltung. Das ist die
Lösung für die Zukunft und das ist auch die Antwort auf
die Zukunftsfragen.
({120})
Meine Kolleginnen und Kollegen von der Opposition,
Sie können schon jetzt am Beispiel einer bedarfsgerechten und wirtschaftlichen Lösung für den Arzneimittelbereich beweisen, wie ernst Sie es denn mit dem Ausbau der Selbstverwaltung und der Stärkung der Position
von Patientinnen und Patienten im Gesundheitswesen
meinen.
({121})
- Wenn das alles im Gesetz stand, dann erwarte ich am
Ende eine Zustimmung des ganzen Hauses zu diesem Gesetz.
({122})
Bundesministerin Ulla Schmidt
Dann wird sich zeigen, ob Sie nur destruktiv sind oder ob
Sie wirklich bereit sind, neue Wege in der Gesundheitspolitik mitzugehen.
Vielen Dank.
({123})
Für die F.D.P.-Fraktion spricht jetzt der Kollege Dr. Dieter Thomae.
Frau Präsidentin! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Die Große Anfrage der
CDU/CSU wurde beantwortet und man stellt fest: Der
Leistungskatalog ist überhaupt nicht das Problem, sondern das große Problem sind die Fehlversorgung, die
Überversorgung und die Unterversorgung sowie die mangelnden Qualitätsleistungen.
({0})
Das ist die Antwort der Regierung auf diese Thematik.
({1})
- Moment! Sie sollten das genauer lesen.
Ohne Zweifel ist die Qualität der medizinischen Leistungen gut und ein ganz wichtiger Faktor. Natürlich gibt
es hier und da Probleme. Aber das als Grundlage für ein
Gesetzespaket zu machen, wie Sie dies Anfang 1999 getan haben, ist sicherlich der völlig falsche Weg.
({2})
Sie behaupten nämlich, Sie könnten alles finanzieren,
wenn Sie die Unterversorgung, die Fehlversorgung, die
Überversorgung eliminieren würden. Schwachsinn, echter Schwachsinn!
Sie haben seit Anfang Ihrer Regierungszeit Milliarden
aus diesem System herausgenommen. Milliardenbeträge!
Da wundern Sie sich nun, wenn Sie feststellen, dass die
gesetzlichen Krankenkassen die Beiträge erhöhen müssen. Das ist die Konsequenz Ihrer verfehlten Politik, seitdem Sie an der Regierung sind.
({3})
Es ist doch auch nicht so, dass nur eine AOK die
Beiträge erhöhen wird, sondern andere haben das schon
angekündigt. Und es wird nicht nur im AOK-Bereich geschehen. Soviel ich weiß, hat ja die AOK bei der Gesetzgebung Ihrer Regierung häufig intensiv mitgearbeitet,
sodass man sich wundert, dass sie jetzt bei der Beitragssatzerhöhung federführend ist. Eigentlich erstaunlich!
Meine Damen und Herren, die Krankenkassen stehen
mit dem Rücken an der Wand.
({4})
Sie können nicht mehr. Sie müssten mit ihnen darüber diskutieren, die Leistungspakete zu ändern. Und das ist Ihr
großes Problem.
({5})
Sie gaukeln der Bevölkerung vor, das traditionelle Leistungssystem könnte ohne Abstriche, mit gleichen Beitragssätzen, trotz dynamischer Entwicklung der Technologie, trotzt Alterspyramide erhalten bleiben. Das ist Ihr
großer Trugschluss.
({6})
Sie werden in dieser Wahlperiode nichts machen. Sie
werden dem Bürger weiterhin vorgaukeln, dass dieses
alte, traditionelle System zu erhalten ist.
Nach den Bundestagswahlen wird dies nicht mehr zu
halten sein. Daher, Frau Ministerin, werden wir schon ein
bisschen aggressiv. Hier und da drehen Sie an Schrauben
und glauben, das Problem lösen zu können. Aber Sie halten im Kernbereich an den traditionellen Vorstellungen
fest.
({7})
Sie bleiben beim Leistungspaket, Sie wollen keinen Wettbewerb, Sie wollen, wenn das Problem auftaucht, den
Wettbewerb - Stichwort Mindestbeitrag - sogar noch
mehr eliminieren. Da sind wir wieder im traditionellen
System der Planwirtschaft. Alle Systeme der Planwirtschaft sind gescheitert. Ich möchte Ihnen eine Freifahrtkarte nach England und Schweden schicken,
({8})
damit Sie einmal erkennen, wie diese Systeme dort auf
Dauer gegen die Wand gefahren werden. Wir sind auf dem
besten Wege dahin.
({9})
Nehmen Sie sich einmal die Zeit, in diese Länder zu fahren; dann werden Sie sich wundern. Kümmern Sie sich
einmal um die Krankenversicherungssysteme dort.
Meine Damen und Herren, es ist doch nicht so, als ob
wir mit unserer Auffassung alleine ständen. Ob es die
Ludwig-Erhard-Stiftung ist, ob es die Bertelsmann-Stiftung ist - dort arbeiten sogar Mitglieder der SPD und auch
der Grünen mit und verkünden Perspektiven, die man nur
unterstützen kann -, sie stimmen uns zu. Aber in der praktischen Politik tauchen diese Abgeordneten unter.
({10})
Wir können nur sagen: Die Transparenz in diesem System muss gesteigert werden. Da gibt es für uns zwei Elemente. Wir wollen hin zur Kostenerstattung und weg
vom Sachleistungssystem.
({11})
Wir möchten, dass der Arbeitnehmer weiß, welche
Beiträge er bezahlt. Darum muss der Arbeitgeberanteil
Bundesministerin Ulla Schmidt
mit ausgezahlt werden. Dann kann der Versicherte
wählen.
({12})
Das sind zwei wichtige Elemente.
Ein weiteres Element ist: Wir müssen den Bürgern ehrlicherweise sagen: Wir müssen zwischen Kern- und
Wahlleistungen unterscheiden; anderenfalls ist dieses
System nicht zu halten.
({13})
- Erkundigen Sie sich bei Ihrer Expertengruppe. Ich
nenne nur Rudolf Scharping, Klimmt, die schon ähnlich
in dieser Richtung denken. Sie, die traditionellen SPDAbgeordneten, brauchen noch viel Zeit. Aber auch Sie
werden dahin kommen, meine Damen und Herren.
({14})
Ein weiterer wichtiger Punkt, den Herr Fink auch angesprochen hat - darüber freue ich mich -: Wir müssen
die Vertragsgestaltungsmöglichkeiten erweitern. Es
kann doch wohl nicht wahr sein, dass es zu einheitlichen,
gemeinsamen Vertragsgestaltungsmöglichkeiten mit den
Leistungserbringern kommt. Meine Damen und Herren,
die Zeiten sind vorbei.
Das sind die Instrumente, um Unterversorgung, Überversorgung und Fehlleitungen zu beseitigen. Das bekommen Sie nur durch kluge Vertragsgestaltungsmöglichkeiten, aber nicht durch Budgetierungen hin.
Wenn Sie sagen, wir wollen das Arzneimittelbudget
beseitigen, dann meine ich: Prima, dann hätten Sie unser
Gesetz 1998 beibehalten können.
({15})
Darin stand alles das, was Sie jetzt als große Leistung dieser Regierungskoalition preisen. Als Sie damals die Regierung übernommen haben, haben Sie alle Maßnahmen
zurückgenommen. Das war einer der größten Fehler Ihrer
Politik.
Glauben Sie nicht, dass nur das Arzneimittelbudget zur
Debatte stehen muss. Vielmehr müssen Sie die Budgetierung insgesamt in allen Bereichen, also im ärztlichen,
zahnärztlichen und vor allen Dingen im Krankenhausbereich, zur Diskussion stellen. Was helfen die DRGs, wenn
Sie mit Budgetierung arbeiten? Das ist Schizophrenie; das
hat nichts mit vernünftiger Politik zu tun.
Frau Ministerin, Sie reden von Konzepten; das tun
auch die Kollegen von SPD und Grünen. Ich habe seit
Wochen und Monaten kein SPD-Konzept gesehen.
({16})
Nur Flickschusterei, hier und da wird gedreht. Es wäre
Ihre Aufgabe, vor der Bundestagswahl der deutschen Bevölkerung ein Gesamtkonzept auf den Tisch zu legen und
zu zeigen, wie wir unser Gesundheitssystem erhalten können - damit die Bürger wenigstens vernünftig versorgt
werden; nicht wie in England und Schweden; wir rutschen
auf diese Schiene -, wie Sie diesen großen Bereich auf
Dauer organisieren wollen, damit die Qualität und die
Leistung steigen und der Gesundheitsbereich erfolgreich
in die Europäische Gemeinschaft integriert wird. Aber da
fehlen Ihnen Kreativität und der Mut.
({17})
Das Wort für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen hat jetzt die Kollegin
Monika Knoche.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Herren und Damen! Herr Dr. Thomae und auch Herr Fink, wir werden
Ihnen den Gefallen nicht tun,
({0})
ein hochmodernes System auch nur in einer Nuance
schlechtreden zu lassen, nur damit Ihre ideologischen Präferenzen Platz greifen können.
({1})
Sie haben sehr viele Bereiche angesprochen. Ich habe
Ihre Anträge und Anfragen ernsthaft gelesen. Es wäre
natürlich schön gewesen, wir hätten darauf etwas mehr
Bezug nehmen können. Aber es ist doch einfach erstaunlich - das möchte ich an die Reihen der CDU/CSU gewandt sagen -, dass Sie sich, Herr Fink - sosehr ich Sie
persönlich schätze, auch aufgrund Ihres Engagements für
Personenkreise in der Gesundheitsversorgung, die traditionell diskriminiert worden sind - hier zum Fahnenträger
eines neoliberalen Konzeptes machen.
({2})
Das kann ich nicht verstehen. Sie sprechen davon, Leistungen auszugrenzen, Sie sprechen von Privatisierung,
Sie sprechen von umfassender Deregulierung und sprechen der Politik die Fähigkeit und die Verantwortung ab,
durch einen robusten Reformwillen immer wieder da einzugreifen, wo die Selbstregulierungskräfte es nicht schaffen, soziale Gerechtigkeit herzustellen.
({3})
Wettbewerb um Qualität - bitte nicht ideologisch befrachten ({4})
ist unser Stichwort in den Koalitionsvereinbarungen; es
durchzieht die gesamten Reformvorstellungen. Durch ungezügelten Wettbewerb erreichen Sie das Gegenteil von
Qualität.
({5})
Alle, die sich in der Gesundheitspolitik und in den Systemen auskennen, wissen, dass die Garantie der allseitigen
Bundesministerin Ulla Schmidt
Zugänglichkeit und Verfügbarkeit insbesondere medizinischer Innovationen und pharmakologischer Innovationen
({6})
zwingend voraussetzt, dass alle, unabhängig von ihrer
Krankheit und ihrem Einkommen, durch eine qualitativ
hochwertige Versorgung jederzeit Zugang zu den Medikamenten haben.
({7})
Das ist in das Stichwort evidenzbasierte Medizin gekleidet. Das ist das, was unsere Reformpolitik seit nunmehr fast drei Jahren durchzieht.
({8})
Das ist wahr und das ist richtig; das können Sie auch nicht
in Abrede stellen.
({9})
In dem Moment, in dem man in eine durch die Politik
vorgegebene Ausgrenzung von Krankheitsbildern einsteigt, steigt man in eine gezielte Unterversorgung derjenigen ein, die sich dieses Vollpaket, wie Sie es nennen,
nicht leisten können.
({10})
Das hat mit unserem System, das noch immer soziale
Marktwirtschaft heißt, dann nichts mehr zu tun. Wenn Sie
das wollen, führen Sie bitte eine ganz seriöse, hochpolitische, systemanalytische Diskussion und dann werden wir
in einen Wettstreit darüber eintreten, was das ökonomisch
Richtige, Wahre und Sinnvolle ist.
({11})
- Gleich, Herr Fink. - Es gibt weltweit kein krisenfesteres, souveräneres sowie staatlichen und politischen Eingriffen unzugänglicheres System als das paritätisch finanzierte Versicherungssystem, wie wir es haben.
({12})
Die ökonomischen Fragen, die dahinter stehen, sind arbeitsmarktabhängig. Um die Freiheit und Gleichheit der
Bürgerinnen und Bürger im Gesundheitssystem sicherzustellen, diskutieren wir nicht umsonst darüber - nicht nur
wir Grüne, sondern die ganze Gesellschaft -, dass es in
Zukunft für die Diskontinuität der Erwerbsverhältnisse,
der Veränderung der Erwerbsbiographien und der Familienstrukturen unverzichtbar ist, die Versicherungspflicht
allgemein zu etablieren. Das stärkt die GKV finanziell
und stabilisiert die Beitragssätze.
({13})
Das ist eine ökonomische Wahrheit.
Eine Kostenexplosion hat es weder in der Zeit der
CDU/CSU-Regierung noch unter Rot-Grün gegeben.
({14})
Die Ausgaben der GKV sind, am Bruttoinlandsprodukt
gemessen, nachweisbar gesunken. Keiner soll sagen, medizinische Innovation sei nicht mehr bezahlbar. Unsere
Politik zeigt doch, wie hochflexibel und innovativ das
System der gesetzlichen Krankenversicherung ist.
({15})
Dies müssen wir politisch offensiv verteidigen, weil Sie
das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in dieses System erodieren wollen. Das ist das Politische daran.
Frau Kollegin Knoche,
ich muss Sie jetzt einmal zum Luftholen animieren. Der
Kollege Fink möchte jetzt gerne seine Frage stellen.
Frau Kollegin Knoche, klar ist,
dass unser Gesundheitswesen, dessen elementare Grundlagen von uns gelegt worden sind,
({0})
eine Mischung aus Staat und Markt ist. Ich frage Sie: Haben Sie denn in Anbetracht der Ereignisse der letzten zwei
Jahre - Sie können auch noch weiter zurückgehen - nicht
den Eindruck, dass die Entwicklung hin zu mehr Staat,
zum Beispiel durch die Budgetierung, genau die falsche
Richtung ist? Auch die Ministerin hat gerade eingeräumt,
dass es in Ihrer Regierungsverantwortung durch die Budgetierung dazu gekommen ist, dass notwendige Medikamente nicht mehr verordnet worden sind. Wären Sie bereit,
zuzugeben, dass ein Paradigmenwechsel offensichtlich
notwendig ist?
Herr Fink, ich nehme Ihre Frage gerne auf.
({0})
Die Frage der Arzneimittelbudgets hängt eng damit zusammen, dass es sektorierte Budgets gibt. Es ist Ihnen und
sicherlich auch der Öffentlichkeit bekannt, dass es ein
Hauptanliegen des Reformkonzepts 2000 war, von der
sektorierten Budgetierung wegzukommen und zu einer
globaleren, leistungsgerechten und integrativen Versorgung zu kommen. Das ist an den Bundesländern gescheitert, in denen Sie mit Ihren Mehrheiten bekanntlich agiert
haben.
({1})
Niemand, der lange Gesundheitspolitik macht, stellt in
Abrede, dass Budgetierung kein allzu intelligentes Instrument ist.
({2})
Lieber wäre uns, die Honorierung im ambulanten Bereich
würde sich nach diesen evidenzbasierten Kriterien vollziehen. Aber das ist Gegenstand der Selbstverwaltung der
KVen. Bislang hat sich erwiesen, dass sich mit diesem
Budget im Rücken - deshalb sprach ich von einem robusten Mandat der Politik - in doch nahezu der Hälfte der
KVen in Deutschland ein Einhalten dieses Arzneimittelbudgets ohne Qualitätsverluste realisieren ließ.
Wenn jetzt die KVen mit Unterstützung des konsensualorientierten Dialogs
({3})
der Ministerin sagen, sie könnten garantieren, die qualitativen Zuwächse und die Versorgungsgerechtigkeit sicherzustellen, dann kann man ihnen die Selbstverantwortung
dafür Schritt für Schritt übertragen.
({4})
Ich selber bin der Meinung, es hängt davon ab, ob sie
diese hohe politische Kompetenzzuweisung, die sie durch
den Sicherstellungsauftrag bekommen haben, tatsächlich
erfüllen.
Wenn es um die Realisierung eines Vorhabens geht, bin
ich der Auffassung, dass sich das, was wir gesellschaftlich
wollen, noch immer über Gesetze am deutlichsten ausdrückt. Diese rhetorische Umschreibung wird auch den
KVen klarmachen, dass sie, wenn sie sich auf das
CDU/CSU-Konzept mit den darin enthaltenen Vorgaben,
die politisch zukunftsweisend sein sollen, einließen - das
haben Sie zwar nicht gesagt, aber das ist die logische Konsequenz; ich habe Ihnen sehr gerne und genau zugehört -,
ihren Sicherstellungsauftrag verlieren. Ich bin mit meiner
Antwort fertig. Frau Präsidentin, Sie können die Zeit jetzt
weiterlaufen lassen.
Ich bin mir nicht sicher, ob die Kassenärztlichen Vereinigungen wissen, dass Sie ihnen mit Ihrem Wettbewerbsmodell den Sicherungsstellungsauftrag aufkündigen und
damit ihre Existenz bedrohen. Die Konsequenz aus einer
solchen Deregulierungspolitik, wie Sie sie heute vorgestellt haben, sind die völlige Steuerungslosigkeit und
keine Sicherheit für die Vertragspartner. Wenn die Kassenärztlichen Vereinigungen das erst einmal verstanden
haben, werden sie auch sehr schnell merken, dass ihnen
durch Einkaufsmodelle viel engere Korsetts angelegt
werden, als wenn sie sich jetzt verpflichten, ein vernünftiges Arzneimittelbudget aufzustellen und vernünftige
Honorierungssysteme zu etablieren.
({5})
Das Gleiche gilt für etwas, was Sie hier nicht weiter
ausgeführt haben, was aber in seiner systemischen Wirkung ein Reformakt ist, den in der Bundesrepublik
Deutschland noch keine Regierung angegangen ist, nämlich dass im Krankenhaussektor mit den DRGs ein neues
Preisermittlungssystem gefunden worden ist. Ich kenne
diese Thematik gut. Ich bin ausgesprochen für die Entwicklung eines Klassifizierungssystems, das für Transparenz sorgt und mit dem sich Art, Umfang und Qualität der
Leistung des Pflegepersonals vergleichbar abbilden lassen; denn dann wissen wir endlich, welche Leistungen mit
welcher Qualität in den Krankenhäusern erbracht werden.
Das halte ich im Hinblick auf unsere Verantwortung für
die Patientenversorgung für sehr wichtig.
Ich will aber nicht, dass mit der Einführung der DRGs
als Preissystem gleichzeitig Einkaufsmodelle etabliert
werden. Ich will, dass die Länder ihre Verantwortung für
die Daseinsvorsorge und für die Krankenhauslandschaft
behalten. Aber wenn man das umsetzt, was Sie in Ihrer
Rede ausgeführt haben, dann können die Ministerpräsidenten die Gesundheitsministerien in ihren Ländern eigentlich abschaffen und künftig darauf hinweisen, dass
sich die Daseinsvorsorge über die Börse regele. Darauf
wird es am Ende hinauslaufen. Das ist in der Tat keine Politik, die mit dem Auftrag der Daseinsvorsorge kompatibel gemacht werden kann.
Wenn wir im Parlament den Begriff „Innovation“ verwenden, bitte ich darum, den Menschen im Land, die uns
zuhören, deutlich zu machen, zu welchen großen Umwälzungen die politischen Konzepte der jeweiligen Parteien
führen könnten, nämlich dass sie, wenn das umgesetzt
würde, was Sie hier vorgetragen haben, keine Garantie
mehr hätten, dass die Politik Fehlsteuerungen und Fehlentwicklungen zurückregulieren könnte. Aber wir als
Parlamentarierinnen und Parlamentarier müssen nicht nur
offen und flexibel sein, wenn das Ziel der Qualitätssicherung erreicht werden soll, sondern auch jederzeit in der
Lage sein zu intervenieren, wenn die Selbstverwaltung
die Entwicklung nicht in unserem politischen Sinne steuern kann. Das ist moderne Politik auf der Grundlage eines
hochmodernen Sicherungssystems namens GKV. Dafür
streiten Grüne und Sozialdemokraten. Ich hoffe, dass das
auch so bleibt. Bisher gibt es jedenfalls keine gegenteiligen Anzeichen.
({6})
Ich möchte noch kurz auf ein paar andere Bereiche eingehen. Wir müssen auch über die Arzneimittelausgaben
reden. Wir wissen - Herr Rebscher, der Vorstandsvorsitzende des Verbandes der Angestellten-Krankenkassen,
hat bereits darauf hingewiesen -, dass in Deutschland die
Mehrwertsteuer, die auf Arzneimittel erhoben wird, im
europäischen Vergleich seit langem am höchsten ist. Das
kostet die Kassen fast 5 Milliarden DM. Damit erbringen
die gesetzlich Versicherten letztlich eine Haushaltsleistung. Das hat mit dem Verordnungsverhalten der Ärzte
nichts zu tun. Es gibt noch viele andere Komponenten, die
die Einnahmen- und Ausgabenseite der gesetzlichen
Krankenkassen belasten und die nichts mit dem Verordnungsverhalten der Ärzte sowie mit dem Bedürfnis der
Patientinnen und Patienten nach adäquater medizinischer
Versorgung zu tun haben.
Herr Dr. Thomae, ich widerspreche Ihnen ausdrücklich, wenn Sie behaupten, dass die Ausgrenzung einzelner
Leistungen - auch im Versorgungssinne - den Patienten
irgendetwas bringt. Das, was für die Leistung ausschlaggebend ist, ist immer die medizinische Indikation, also
die Entscheidung des Arztes, was für die Behandlung erforderlich ist. Aus diesem Grund ist es, wenn man qualitativ hochwertige Behandlungen anstrebt, völlig verkehrt,
den Leistungskatalog einzuschränken,
({7})
zumal die Ärzte und die Krankenkassen selbst festlegen,
was den Patientinnen und Patienten nach dem Leistungskatalog zusteht.
({8})
Von diesem Sektor ist der Staat in hohem Maße entfernt.
Ich interessiere mich sehr für die diversen liberalen
Ideologien, die immer wieder um sich greifen. Mittlerweile muss man sich verteidigen, wenn man sagt: Lasst
uns bitte seriöse ökonomische und gesundheitspolitische
Diskussionen führen.
Wenn Sie den Umfang der Leistungen der GKV auf
Kernleistungen reduzieren wollen,
({9})
dann betreiben gerade Sie als Freidemokraten eine Politik
hin zu einem Wohlfahrtsstaat. Sie schaffen Mündel, die
der Staat subventionieren muss. Das ist das genaue Gegenteil der heutigen Situation.
({10})
Vielleicht sind Ihnen politische Theorien nicht so
geläufig. Ich weiß: Neoliberalismus führt zu Paternalismus, man leitet vom Sozialstaat in einen Wohlfahrtsstaat
über.
({11})
Gesundheitsleistungen sind in Amerika so teuer - das ist
die Wahrheit -, weil der Staat die Ärmsten über Steuermittel finanzieren muss, da sie keine eigenen, gewachsenen Ansprüche auf Leistungen von ihrer Versicherung
haben.
({12})
Auch in diesem Hause muss endlich einmal thematisiert werden, welche Dimensionen mit dem, was wir als
Sozialstaat und als bürgerrechtliche Freiheit begreifen,
verbunden sind. Es muss klar werden, was für die Fortentwicklung des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung von Bedeutung ist. Es ist hochmodern und intelligent, dieses System weiterzuentwickeln
({13})
und sich gegen modische Attitüden seitens des Neoliberalismus immun zu machen.
({14})
Es ist mir egal, wie mich die Wirtschaftsseiten großer Zeitungen zitieren. Ich bin, was diese Sache angeht, sehr
ruhig.
({15})
Ich weiß: Mit Ruhe, mit Kompetenz und mit einem robusten Reformwillen werden wir die Bevölkerung überzeugen.
({16})
Sie wird sehen, dass sie sich auf die rot-grüne Gesundheitspolitik verlassen kann und dass es sich lohnt, sich daran zu orientieren.
({17})
Ich teile die Einschätzung - dieser Gedanke wurde
heute kurz angesprochen -, dass es rechtfertigungspflichtig ist, die Beitragssatzsouveränität der gesetzlichen
Krankenkassen - ich schätze sie hoch - durch die Einführung eines Mindestbeitragssatzes einzuschränken.
({18})
Die Rechtfertigung besteht darin, dass wir die unsozialen
Verwerfungen durch einen nicht regulierten Wettbewerb
ausgleichen.
({19})
Entscheidend ist, ob es gelingt, dafür zu sorgen, dass sich
diejenigen Krankenkassen - ich will nicht von „privilegierten Kassen“ sprechen -, die sich dem allgemeinen umfassenden Versorgungsauftrag gegenüber ihren Versicherten nicht in dem Maße stellen, wie es andere Kassen tun
müssen, aufgrund ihrer Mehreinnahmen über den Risikostrukturausgleich an der Ausbalancierung beteiligen.
({20})
Wenn das über das Gesetz erreicht werden kann, dann
halte ich einen Mindestbeitragssatz für gerechtfertigt.
({21})
Er ist absolut kein Mittel, das wir freiwillig wählen; vielmehr handelt es sich um eine Interventionsnotwendigkeit.
Lieber wäre mir, der RSA wäre schon zu Ihrer Amtszeit eingeführt worden.
({22})
Alle wissen, dass Sie die Probleme des RSA dazu genutzt
haben, regionale Beitragssätze einzuführen. Sie wollten
doch eigentlich das RSA-System insgesamt aufkündigen.
Deshalb hat es einige Zeit gedauert, bis es auf stabile Füße
gestellt werden konnte. Jetzt ist der Prozess abgeschlossen. Wenn es erforderlich sein sollte, in diesem System Interventionen zu machen, bin ich dazu bereit, soweit Elemente eines solidarischen Ausgleichs erreicht werden
können. Wir werden uns in den Anhörungen darüber unterhalten, wie die Probleme am intelligentesten gelöst
werden können.
Ich verhehle nicht, dass es in meiner eigenen Fraktion
Stimmen gibt, die auf einen freien Wettbewerb setzen.
Über den zweiten Halbsatz, in dem es heißt, eine Intervention sei nicht notwendig, soweit der RSA eine bessere
Feinsteuerung erhält, der Fehlentwicklungen ausgleicht,
ist nicht gesprochen worden. Das alles betrifft aber nur
Details. Die wichtige Botschaft lautet: Wir wollen ein solidarisches Sicherungssystem mit wettbewerblichen Elementen, gleichzeitig aber einen selbstbewussten Staat, der
die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger durch Regulierung gewährleistet. Das ist die Botschaft.
Danke.
({23})
Für die PDS-Fraktion
spricht die Kollegin Dr. Ruth Fuchs.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegin Monika Knoche, meine
Achtung und meinen absoluten Respekt vor Ihrem Beitrag. Ich hoffe, Ihnen wird es nicht schaden, dass ich Ihnen das sage.
({0})
Das Modell eines Gesundheitswesens, wie Sie es hier vorgestellt haben, ist wirklich zukunftsfähig. Aber ich muss
auch sagen: Die Wirklichkeit sieht leider anders aus.
Wenn die Bundesregierung auf die Große Anfrage der
CDU/CSU-Fraktion unter anderem antwortet, dass sie mit
dem Gesundheitsreformgesetz 2000 eine Grundlage für
die Zukunftsfähigkeit des Systems geschaffen hat, liegt
ein extremer Fall von Realitätsverlust vor. In Wahrheit
sind die Probleme nicht gelöst und die zentralen Fragen
gar nicht aufgegriffen worden. Beispiele für letzteres
sind - trotz der Bemühungen um Integration - die systematische Zersplitterung und die Steuerung des Leistungsgeschehens. Das erfolgt nicht allein nach medizinischer
Indikation, sondern - leider - zu beträchtlichen Teilen
über das Geld.
Reformvorhaben, wie die Stärkung der Hausärzte, integrierte Versorgungsformen oder die Schaffung einer Positivliste, wurden so angegangen, dass entweder keine
oder erst nach längerer Zeit Wirkungen erwartet werden
konnten, ganz zu schweigen von der Freisetzung von Rationalisierungsreserven. Fast das einzige, was von der Gesundheitsreform sofort spürbar wurde, war ein harter und
undifferenzierter Kostendruck für Ärzte, Krankenhäuser
und andere Leistungsanbieter. Es war ein Trugschluss anzunehmen, dass man - wie die Regierung heute noch behauptet - mit flächendeckender Mittelverknappung eine
rationalere Medizin erzwingen kann.
Was die Versicherten erleben mussten, war die Verweigerung oder Verschiebung nicht nur fragwürdiger, sondern leider auch medizinisch notwendiger Leistungen.
Das ist die Realität. Die Ärzte wurden mit einem unzumutbaren Arzneimittelbudget und - besonders in Ostdeutschland - einer zunehmend schlechteren Honorarsituation konfrontiert. Das Krankenhauspersonal sieht sich
wachsenden Arbeitsbelastungen und zunehmendem Tarifdruck ausgesetzt. Im Ergebnis hat die Reform zu erheblicher Unruhe und Unzufriedenheit in der Bevölkerung geführt.
({1})
Eine solche Entwicklung musste die Bundesregierung
früher oder später auf den Plan rufen. Wer wiedergewählt
werden will, muss handeln. So war wohl der Wechsel an
der Spitze des Ministeriums eine Art Befreiungsschlag
des Kanzlers. Die neue Ministerin ist nun mit Schadensreparatur beschäftigt. Ein Beispiel ist der Entwurf des
Arzneimittelbudget-Ablösungsgesetzes. Er zeigt den
schmalen Grat, auf dem zu balancieren ist; denn einerseits
korrigiert er bisherige Fehlleistungen, indem der Kollektivregress abgeschafft und das sektorale Budget durch regionale Ausgabenobergrenzen und Richtgrößen ersetzt
wird. Andererseits muss deutlich gesagt werden: Allein
mit diesem Gesetz wird die Selbstverwaltung nicht zu einer rationelleren Arzneimitteltherapie kommen.
({2})
Unerlässlich sind flankierende Maßnahmen der Regierung. So muss die ungehemmte Preistreiberei der
Pharmaindustrie, vor allem bei pseudoinnovativen Arzneimitteln endlich unterbunden werden. Der weiche
Kompromiss zur Festbetragsregelung lässt allerdings
befürchten, dass die Regierung weder willens noch in der
Lage ist, diesen Kampf aufzunehmen.
Frau Ministerin, Sie beklagten vorhin das unterschiedliche Verschreibungsverhalten der Ärzte in den einzelnen
KV-Regionen. Liegt das vielleicht daran, dass die Fortbildung der Ärzte in Fragen der Arzneimitteltherapie
nicht fachlich unabhängig gestaltet wird, sondern fest in
der Hand der Hersteller liegt und über weite Strecken nur
aus reinem Marketing besteht?
Andere Punkte betreffen die Positivliste, auf die unserer Meinung nach nicht verzichtet werden darf,
({3})
und eine bessere Information der Bevölkerung über Sinn
und Nutzen der Arzneimittelanwendung.
({4})
Frau Ministerin, manches an Ihrem gesundheitspolitischen Neuansatz ist verständlich. Passen Sie aber auf,
dass Sie nicht zum Spielball der Gewinn- und Einkommensinteressen der Hauptakteure im Gesundheitswesen
werden!
({5})
Das dicke Lob der Pharmaindustrie sollte Ihnen schon etwas zu denken geben.
Andererseits ist es wirklich ernst zu nehmen, wenn
führende Kassenvertreter eine schnelle Konsolidierung
der Finanzsituation der GKV anmahnen. Für alle Zweifler am bestehenden Solidarsystem ist gerade die Tatsache
steigender Beiträge ein willkommener Angriffspunkt.
Deshalb ist ein klar bemessener Einzelschritt zur Verbesserung der Kasseneinnahmen erforderlich. Vorschläge
dafür liegen auf dem Tisch und sind schon genannt worden, so zum Beispiel die Halbierung oder Streichung der
Mehrwertsteuer auf Arzneimittel, wie sie in einigen europäischen Nachbarländern üblich sind. Wir haben von
Anfang an gesagt, dass dies möglich ist.
({6})
Es gibt auch kein Sachargument gegen die ordnungspolitisch richtige Finanzierung des Mutterschaftsgeldes aus
Steuermitteln. Beides wäre nur ein Ausgleich für die massive Entlastung des Bundeshaushalts, die bis jetzt immer
auf Kosten der GKV und der Beitragszahler realisiert
worden ist.
Meine Damen und Herren, auf unserer Seite würde das
Scheitern dieser Gesundheitsreform eine ernste Besorgnis
auslösen. Ihr bedeutendster Vorzug bestand darin, dass sie
das Solidarsystem und seine tragenden Bestandteile erhalten will. Wenn aber eine solche Reform die Akzeptanz
des Systems nicht stärkt, wird der Boden für jene bereitet,
die schon immer ein anderes Gesundheitswesen wollten.
Dessen Charakteristika werden von CDU/CSU und F.D.P.
unermüdlich propagiert.
({7})
Der heutige Entschließungsantrag der F.D.P. enthält sie in
klassischer Form:
({8})
für die Patienten mehr Eigenbeteiligung zusätzlich zu
den Versicherungsbeiträgen, für die Beschäftigten im Gesundheitswesen ein harter Rentabilitätsdruck in der medizinischen Arbeit anstelle von Wissenschaftlichkeit und
Humanität,
({9})
Regel- und Wahlleistungen sowie ein grenzenloser ökonomischer Wettbewerb von Kassen und Leistungsanbietern.
Liebe Kollegen von der F.D.P., Respekt für die klare
und folgerichtige Darstellung eines marktgesteuerten Gesundheitswesens in Ihrem Entschließungsantrag. Man
kann auch sagen: Bei Ihnen weiß man genau, woran
man ist.
({10})
Bei der CDU/CSU muss man immer hin- und herschwenken. Lieber Herr Kollege Thomae, das Problem besteht
aber darin, dass Sie Marktmechanismen auf einen Bereich
anwenden wollen, in dem - im Gegensatz zur Wirtschaft der Markt gerade nicht mehr effizient ist und keine bessere Bedarfsdeckung hervorbringt.
({11})
Lieber Kollege Thomae, Sie wollen uns nach England
schicken, ich schicke Sie in die USA.
({12})
Sagen Sie mir: Wie ist es möglich, dass es in den USA das
marktwirtschaftlichste aber zugleich auch das sozial ineffizienteste und mit Abstand teuerste Gesundheitswesen
der Welt gibt? Ich möchte nicht, dass ein Drittel unversichert ist. Wenn Sie für dieses System eintreten, dann ist
das Ihre Sache.
({13})
- Lesen Sie einmal im Grundgesetz nach, was soziale
Marktwirtschaft bedeutet.
Ich komme zum Wettbewerb zwischen den Krankenkassen bei uns: Ich bin für einen Qualitätswettbewerb.
Der bei uns stattfindende Wettbewerb richtet sich allerdings ausschließlich auf die Quantität. Für mich ist es ein
absolut zweischneidiges Schwert, wie dieser in Deutschland durchgeführt wird. Er hat nämlich zur Entsolidarisierung geführt. Durch Ihren Vorschlag fördern Sie eine
weitere Entsolidarisierung. Mit Ihrer Politik führen Sie
uns noch weiter in eine Sackgasse. Unserer Meinung nach
bedeutet Ihre Politik das Aus für ein sozial gerechtes Gesundheitswesen.
Die PDS wird alle Kräfte, die dem Druck von Privatisierung und Marktsteuerung des Gesundheitswesens
entgegenwirken, unterstützen. Sie wird auf der Seite derer stehen, die die Solidarität im Gesundheitswesen erhalten wollen.
({14})
Aus unserer Sicht müssen die Menschen auch in Zukunft
die Gewissheit haben, dass unabhängig vom jeweiligen
Geldbeutel alles medizinisch Notwendige getan wird. Für
den sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft wäre es verheerend, wenn eine marktradikale Deregulierung auch auf
diesen sensiblen Bereich der Daseinsvorsorge durchschlagen sollte.
Wir fordern eine strukturelle Erneuerung der gesetzlichen Krankenversicherung und des gesundheitlichen Versorgungssystems, und zwar im Sinne von Solidarität und
sozialer Gerechtigkeit.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({15})
Das Wort hat der Kollege Aribert Wolf für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Bundeskanzler Gerhard Schröder hat in
seiner ersten Regierungserklärung im Deutschen Bundestag am 10. November 1998
({0})
den Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes zum Gesundheitswesen Folgendes versprochen:
Im Gesundheitswesen werden wir die Belastungen
der Kranken, vor allem der chronisch Kranken und
der älteren Patienten, zurückführen... Wir stehen
auch in diesen Bereichen für eine Reform, die sich an
den Realitäten orientiert.
({1})
Meine Damen und Herren, was ist heute, drei Jahre
später, von diesen vollmundigen Versprechungen geblieben? An diesen Ankündigungen müssen Sie sich messen
lassen. Die Krankenkassen erhöhen auf breiter Front die
Beiträge. Was bedeutet das für viele Menschen in diesem
Land? Dass entgegen den Ankündigungen der SPD auf
den Wahlplakaten, auf denen dann auch noch „Wir wollen, dass Sie gesund werden und nicht arm“ stand, die
Menschen in Deutschland
({2})
für ihre Krankenversicherung heute so tief in die Tasche
greifen und so viel Geld hinlegen müssen wie noch nie
zuvor in diesem Land.
({3})
Liebe Frau Knoche, es ist ja interessant, welche tollen
theoretischen Überlegungen Sie angestellt haben. Aber
Fakt ist doch, dass Sie eine grüne Gesundheitsministerin
hatten, die genau diese Beitragssatzerhöhungen in
wesentlichen Teilen zu verantworten hatte; sie hat sie
doch auf den Weg gebracht.
({4})
Wenn man sich einmal anschaut, was diese Regierung
alles versprochen hat, dann erkennen wir, dass nach der
Rentenlüge, nach der Ökosteuerlüge und nach dem kaum
zu haltenden Versprechen, dass die Arbeitslosenzahlen bis
2002 auf unter 3,5 Millionen gedrückt werden, jetzt auch
noch die schrödersche Beitragslücke winkt.
({5})
Meine Damen und Herren von Rot-Grün, glauben Sie
denn im Ernst, dass es dieser Regierung gelingt, die Lohnnebenkosten auf unter 40 Prozent zu senken ({6})
und das trotz der vielen Milliarden, die die Bürger wegen
der Ökosteuer zusätzlich zu den Milliarden durch die Sozialversicherungsbeiträge zu bezahlen haben?
({7})
Sie werden sehen: Ihr Kanzler wird eines Tages als ein
Kanzler der gebrochenen Versprechen in die Geschichte
eingehen.
({8})
Das sehen nicht nur wir so. Ich darf Ihnen ein Zitat aus
der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung“ vorlesen.
({9})
- Da können Sie schreien, wie Sie wollen: Dieser Journalist brachte es am 20. Juni 2001 sehr treffend auf den
Punkt, als er schrieb:
Da bringen Autofahrer, Heizöl- und Stromverbraucher jährlich weit mehr als zehn Milliarden Mark zusätzlich auf, damit die Beiträge zur Rentenversicherung um 0,1 Prozentpunkte gesenkt werden können.
({10})
Und dann winkt den Kassenmitgliedern und Arbeitgebern auf einem Schlag die zehnfache Erhöhung
des Beitragssatzes zur Krankenkasse.
({11})
Es lässt sich nicht anders beurteilen: Die Gesundheitspolitik ist von der Bundesregierung bei Teilnahmslosigkeit der SPD-Fraktion in ein Fiasko gesteuert worden.
({12})
Genau so ist es. Die Gesundheitspolitik dieser rot-grünen
Bundesregierung ist ein einziges Fiasko.
({13})
Denn die Menschen müssen nicht nur mehr für ihre Gesundheit zahlen; vielmehr - und das ist das Schlimmste
daran - erhalten sie gleichzeitig weniger Leistungen als
jemals zuvor.
({14})
Manchmal glaube ich, dass manche von Ihnen an Gedächtnisschwund leiden. Frau Schmidt, wer hat denn
diese Gesetze auf den Weg gebracht? Es ging doch um
Ihre Vorschläge und geschah mit Ihren Stimmen. Jetzt
fangen Sie - wie bei den Arznei- und Heilmitteln - an,
Ihr rot-grünes Gebäude teilweise wieder einzureißen. Sie
schaffen doch jetzt Ihr eigenes Budgetierungsgesetz wieder ab. Wenn Sie nicht den Mut haben,
({15})
das Gebäude nicht nur in Teilbereichen einzureißen, sondern es von Grund auf zu renovieren, dann droht Ihnen Sie werden das sehen - das, was mit Gebäuden - diejenigen, die mit Gebäuden zu tun haben, wissen das - dann
nun einmal geschieht: Der Rest des Gebäudes wird unkontrolliert einstürzen. Damit fügen Sie dann dem gesamten Gesundheitswesen noch größeren Schaden zu als
jemals zuvor.
({16})
Deswegen fordere ich Sie, meine Damen und Herren
von Rot-Grün, auf: Sagen Sie den Menschen, wo es lang
geht!
({17})
Sie können nicht versuchen, die Menschen mit Beruhigungspillen bis nach der Wahl zu beschwichtigen. Es besteht ein umfassender politischer Handlungsbedarf.
({18})
Wenn Sie nicht handeln, dann werden Sie sehen, dass sich
die Probleme sehr schnell zu einer einzigen Katastrophe
auswachsen.
Lassen Sie es mich einmal so beschreiben: Horst
Seehofer hat Ihnen ein Gesundheitswesen hinterlassen,
das man mit einem modernen, technisch einwandfreien,
frisch gewaschenen und voll getankten Fahrzeug vergleichen kann.
({19})
Als Sie die Regierungsverantwortung übernommen haben, gab es einen Überschuss von 2 Milliarden DM in der
gesetzlichen Krankenversicherung.
({20})
Horst Seehofer hat auch die Fahrtrichtung richtig vorgegeben: mehr Freiheit, mehr Wettbewerb und Vorfahrt für
die Selbstverwaltung.
({21})
1998 gab es keine staatlich geregelten Budgets, keine
staatlichen Regulierungen, die der Selbstverwaltung keinen Gestaltungsspielraum mehr gelassen haben.
Sie von Rot-Grün haben unsere Regelungen abgeschafft. Bevor - um im Bild zu bleiben - das Fahrzeug
richtig laufen konnte, haben Sie die Fahrtrichtung um
180 Grad geändert. So sind Sie in den Sumpf gekommen.
({22})
Autofahrer wissen, was passiert, wenn ein Fahrzeug keine
Bodenhaftung mehr hat. Genau das ist Ihnen passiert: Sie
haben kräftig Gas gegeben, sodass die Reifen durchdrehten und es einen fürchterlichen Krach gegeben hat. Trotzdem sind Sie nicht vom Fleck gekommen.
({23})
- Richtig, Dreck hat es auch gegeben. - Deswegen musste
Frau Fischer nach einiger Zeit aus dem Auto aussteigen.
Jetzt sind Sie am Steuer, Frau Schmidt.
({24})
Sie haben den Auftrag, nicht so viel Krach und so viel
Wirbel zu machen und sich ruhig zu verhalten. Das tun Sie
auch.
({25})
- Sie hat überhaupt keinen Gang eingelegt.
({26})
Sie versucht nur, sich ruhig zu verhalten.
Sie werden sehen, das Fahrzeug, also unser Gesundheitswesen, steht nach wie vor im Sumpf. Wenn man
nichts unternimmt, hilft das nicht weiter. Das Auto wird
immer weiter einsinken. Liebe Frau Ministerin, da hilft
nur eine radikale Umkehr. Verlassen Sie dieses sumpfige
Gelände, kehren Sie zum seehoferschen Ausgangspunkt
zurück und fangen Sie neu an!
({27})
Schlagen Sie doch einmal die Fahrtrichtung der Union
ein, die wir vorgegeben haben! Der Kollege Ulf Fink hat
sie schon aufgezeigt:
({28})
keine Budgetierung und keine staatliche Reglementierung. Auch Sie werden sehen, dass Sie eines Tages nicht
daran vorbeikommen, auf mehr Eigenverantwortung, auf
mehr Wahlfreiheit für die Versicherten, auf mehr Transparenz und auf mehr Wettbewerb zu setzen. Sie werden
sehen - wie es schon bei der Rente der Fall war -, dass es
auf Dauer dazu keine tragfähige Alternative gibt.
Wir wissen doch alle um die demographischen Probleme in unserem Land, die auch vor dem Gesundheitswesen nicht Halt machen. Wir wissen um die drängenden Fragen der Versorgungsqualität. Hier muss die
Politik schnell handeln und darf nicht erst nach der Bundestagswahl damit beginnen, konkrete Maßnahmen anzupacken.
Nehmen wir zum Beispiel einmal die Arbeitsbedingungen im Krankenhaus. Frau Schmidt-Zadel, da können
Sie lachen, so viel Sie wollen: Haben Sie sich einmal mit
den personellen Engpässen auf einer Intensivstation
auseinander gesetzt?
({29})
Meine Frau ist Journalistin. Sie war neulich in Greifswald
auf einer Intensivstation und hat ein Ärzte- und Pflegeteam bei der Arbeit begleitet. Sie konnte feststellen, welche Arbeitsbedingungen der Budgetdruck diktiert.
({30})
Nach zehn Stunden Nachtdienst am OP-Tisch können die
Ärzte und Pfleger am nächsten Tag nicht einfach nach
Hause gehen.
({31})
Daran schließt sich noch ein Bereitschaftsdienst an, der
sich nicht gerade durch Ruhe auszeichnet. Wir können
von diesen Menschen doch nicht erwarten, dass sie am
nächsten Tag nicht gereizt reagieren, sondern immer noch
ein nettes Wort auf den Lippen haben und immer noch zu
menschlicher Zuwendung fähig sind.
({32})
Ich frage Sie: Überfordern wir nicht viele, die im Gesundheitswesen - von der Altenpflege einmal ganz zu
schweigen - einen hohen Arbeitseinsatz leisten? Sie können doch nicht einfach nichts tun, die Dinge laufen lassen
und nur irgendwelche theoretischen Ausführungen machen. Nein, hier muss die Politik jetzt konkrete Antworten geben.
({33})
Lassen Sie sich ins Stammbuch schreiben: Das Leben
bestraft nicht nur den, der zu spät kommt, sondern auch
den, der nichts tut. Deswegen, Frau Ministerin, fordere
ich Sie auf: Geben Sie konkrete Antworten auf die Forderungen des Hartmannbundes, der uns vorrechnet, dass
allein in deutschen Krankenhäusern infolge der Einsparungen durch Budgetkürzungen heute bis zu 15 000 Ärzte und
bis zu 10 000 Pflegekräfte fehlen! Hier muss die Politik
Entscheidungen treffen und Antworten geben. Darin liegt
Ihre Aufgabe und nicht darin, in Talkshows aufzutreten.
({34})
Die Warnzeichen sind unübersehbar. Es ist Dampf im
Kessel, der sich einen Ausweg sucht. Im Gesundheitswesen muss jetzt gehandelt werden, bevor die Dinge außer
Kontrolle geraten. Frau Ministerin, ich gebe Ihnen den
guten Rat: Handeln Sie rechtzeitig! Sonst werden Sie erleben, dass auch Ihre Tage als Ministerin gezählt sind.
Ich danke Ihnen.
({35})
Das Wort für die SPDFraktion hat der Kollege Dr. Hansjörg Schäfer.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Große Anfragen haben ein
Ziel. Ihres ist die Abschaffung der solidarischen Krankenversicherung in der jetzigen Form. Sie gehen dabei
von der Behauptung aus, dass die Einnahmen auf Dauer
die notwendigen Ausgaben nicht decken. Ihre Konsequenz: Sie wollen ein anderes System, und zwar ein System, das die Belastung der Kranken erhöht.
({0})
Sie wollen die Aufspaltung der GKV in einen Kern- und
einen Wahlteil, wobei nach Ihren Vorstellungen unter anderem Mutter-Kind-Kuren, Zahnersatz und Kieferorthopädie für Erwachsene zum Wahlteil werden. Ich zitiere
Herrn Lohmann aus dem „Deutschen Ärzteblatt“. Er beziffert die möglichen Einsparungen dabei auf 25 Milliarden DM. Wer zahlt denn das? - Das zahlen nach Ihren
Vorstellungen die Patienten.
({1})
Wie ein roter Faden zieht sich durch die Anfrage Ihr
Ansinnen, die GKV auf eine Grundversorgung zu reduzieren. Wenn man wie der Kollege Storm, Ihr Obmann in
der Enquête-Kommission „Demographischer Wandel“,
formuliert - ich zitiere -:
Der Leistungskatalog in der GKV muss alle therapeutisch notwendigen Maßnahmen beinhalten und
eine umfassende Prävention gewährleisten
so kann ich dem folgen.
({2})
Schwierig wird jedoch Definition des therapeutisch
Notwendigen. Hier scheiden sich die Geister. Wir verstehen darunter eine ausreichende, qualitativ hochwertige
Versorgung. Wir sind davon überzeugt, dass die Einsparpotenziale noch lange nicht ausgeschöpft sind. Ich denke
hier vor allem an den Arzneimittelsektor und den stationären Bereich.
({3})
Gleichwohl wird in der Zukunft zu diskutieren sein, wie
die Finanzierungsgrundlagen der GKV zu verbreitern
sind: etwa, wie der Deutsche Ärztetag in Ludwigshafen
vorgeschlagen hat, durch Einbeziehung aller Einkunftsarten oder, was andere vorschlagen, durch die Anhebung
der Beitragsbemessungsgrenze. Beides, Rationalisierung
und Verbreiterung der Einnahmebasis, wird die GKV langfristig absichern.
({4})
Die Verlagerung der Risiken auf den kranken Menschen
ist der falsche Weg.
({5})
Wir sind der Überzeugung, dass sich der Leistungskatalog der GKV über die Jahrzehnte bewährt hat. Eine Binsenweisheit ist dabei, dass er sich an neue medizinische
Erkenntnisse anpassen und vor allem Über-, Unter- und
Fehlversorgung vermeiden muss. Aber das haben wir ja
bereits im Rahmen der Gesundheitsreform 2000 begonnen. Wichtig ist uns insbesondere, dass auch sozial- und
familienpolitische Risiken, die durch Krankheit entstehen, abgefedert werden. Insofern sagen wir: Der Leistungskatalog entspricht dem Prinzip der Solidarität. Er
ist umfassend, er erfasst das medizinisch Notwendige und
er macht das therapeutisch Sinnvolle möglich.
({6})
- Das wird man sehen.
({7})
Sicherlich müssen wir auch den Mut haben, die Diskussion stärker auf die medizinisch nicht notwendigen
Leistungen zu lenken. In der Antwort der Bundesregierung werden zum Beispiel nicht indizierte radiologische
Untersuchungen genannt. Ganz typisch sind hier Doppeluntersuchungen bei stationärer Einweisung.
({8})
Wir werden uns auch noch über Qualität und Notwendigkeit vieler Mammographien unterhalten müssen. Der
europäische Vergleich zeigt uns bei diesem Thema, dass
Quantität und Qualität hierzulande massiv auseinander
klaffen. Auch zu weit gestellte Operationsindikationen
wie zum Beispiel bei Appendizitis oder bei gynäkologischen Erkrankungen bedürfen mit Sicherheit der Qualitätsüberprüfung.
({9})
Diese Beispiele weisen eindeutig nach, dass Qualitätsverbesserung nicht notwendigerweise mit Mehrkosten
einhergeht, sondern, im Gegenteil, erhebliche Kosten sparen kann. Für organisatorische Abläufe und bessere Verzahnung der verschiedenen Sektoren gilt das Gleiche.
({10})
Ich bin der festen Überzeugung, dass die Ausschöpfung der Rationalisierungsreserven und die Verbesserung
der Qualität in der medizinischen Versorgung zwei Seiten
einer Medaille sind, und zwar gute Seiten. Wenn so Rationalisierung und Qualitätssicherung Hand in Hand
gehen, werden die Beitragssätze so bleiben, wie sie sind.
Dem widerspricht auch die Beitragserhöhung der AOK
Hessen und einiger Betriebskrankenkassen nicht. Ich bin
mir jedoch darüber im Klaren, dass dies einen stabilen Arbeitsmarkt voraussetzt.
Eine deutliche Qualitätsverbesserung wird auch die Vernetzung präventiver, akuter und rehabilitativer Therapieformen bringen. Ziel des Sozialgesetzbuches IX, über
das wir derzeit beraten, ist es, dauerhafte Behinderungen
von vornherein zu vermeiden. Das erfordert aber nicht nur
ein neues Gesetzbuch, sondern auch die Qualifizierung von
Ärzten im Reha-Bereich.
An dieser Stelle erinnere ich an die Notwendigkeit einer neuen Approbationsordnung, die auch das Ausbildungsziel „Rehabilitation behinderter Menschen“ enthält.
Seit der letzten Legislaturperiode hat sich in dieser Hinsicht nichts bewegt. Es wird Zeit, dass dieses wichtige Anliegen in den nächsten Wochen ein wesentliches Stück
vorangebracht wird.
({11})
Hier müssen sich vor allem auch die Länder bewegen,
({12})
auch
({13})
diejenigen, an deren Regierungen die F.D.P. beteiligt ist.
({14})
Weiterhin müssen wir Krankenhaus- und niedergelassene Ärzte für die Mitwirkung an Rehabilitationsmaßnahmen fit machen. Auf diesem Gebiet ist Weiterbildung
also ein zentrales Anliegen.
Wichtig ist der Aufbau ambulanter Rehabilitationsangebote, um so langfristig eine konsequente Verzahnung ambulanter und stationärer Reha-Angebote zu erreichen. Das
Prinzip, das in der kurativen Medizin gilt - so viel ambulant wie möglich -, muss auch für die Rehabilitation gelten.
Die gleiche Stoßrichtung hat die Leistung Soziotherapie. Sie verhindert wiederholte stationäre Aufenthalte. Die
Kosten der ambulanten Soziotherapie werden durch Einsparungen im stationären Bereich mehrfach ausgeglichen.
({15})
Die stärkere finanzielle Förderung der Selbsthilfe wird
ähnliche Effekte haben. Eine Stärkung der Eigenverantwortung trägt ganz wesentlich dazu bei, sich mit Krankheiten aktiv auseinander zu setzen und deren Folgen eher
zu bewältigen.
Einen meiner Meinung nach übertrieben breiten Raum
in der Großen Anfrage nehmen die Urteile des Europäischen Gerichtshofes und ihre Folgen ein. Sicherlich wäre
die theoretische Konsequenz eine Steigerung der Ausgaben der GKV, aber eine massenhafte Inanspruchnahme
dieser Möglichkeiten ist noch nicht einmal im grenznahen
Raum vorstellbar. Um aber einer falschen Entwicklung
vorzubeugen, ist der Weg von Verträgen mit ausländischen
Versicherungsträgern und Leistungserbringern denkbar,
über den allerdings erst im Licht weiterer EuGH-Urteile zu
entscheiden wäre.
Einen zu Recht breiten Raum in Ihrer Anfrage nimmt
die Prävention ein. Die alte Volksweisheit „Vorbeugen ist
besser als Heilen“ hat für die GKV zweifache Bedeutung.
({16})
Zum einen verfolgt sie das Ziel, die Gesundheit der Bevölkerung nachhaltig zu steigern, zum anderen hat sie
logischerweise den Zweck, die Kosten zu senken. Das Gesundheitsreformgesetz 2000 hat in § 20 SGB V Leistungen
zur Primärprävention, zur betrieblichen Gesundheitsförderung und zur Verbesserung der Selbsthilfeförderung geregelt. Prävention kann nicht alles, aber wir erwarten von
Prävention, die im Kindesalter beginnt, eine deutliche
Verringerung der Gesundheitsrisiken im weiteren Leben.
Insbesondere die Steigerung der Lebenserwartung und die
Vermeidung chronischer Erkrankungen sind Erfolge einer
konsequenten Verhaltens- und Verhältnisprävention.
Einen großen Stellenwert nimmt auch die Suchtvorbeugung ein. Nicht zuletzt die Sterbezahlen - beim Rauchen etwa 100 000 Menschen pro Jahr, beim Alkohol rund
40 000 - zeigen die Dimension dieses Problems. Die Folgekosten von suchtbedingten Erkrankungen sind volkswirtschaftlich nur sehr schwer einzuschätzen. Die Größenordnung dieses Problems lässt sich jedoch deutlich an der
Zahl von rund 6 Millionen Menschen mit riskanten Alkoholkonsummustern ablesen.
Prävention bedeutet hier Aufklärung und die Auseinandersetzung mit suchtfördernden Stoffen. Die vielfältigen Programme und Aktionen zur Suchtprävention
möchte ich hier nicht weiter aufzählen. Ich möchte mich
jedoch bei dieser Gelegenheit nochmals für das Gesetzesvorhaben „Nichtraucherschutz am Arbeitsplatz“ einsetzen, das in diesem Hause in erster Lesung die Mehrheit
gefunden hat.
({17})
Erwähnen muss man die vielfältigen Initiativen und
Programme wie zum Beispiel „Europa gegen den Krebs“,
die Aufklärungsaktion „Kampf dem Herzinfarkt“ oder
auch die Kampagne gegen die Osteoporose. Sicher wird
auch die Prävention umweltbedingter Erkrankungen in
Zukunft einen noch größeren Raum einnehmen.
Die Osteoporose-Problematik ist eines der besten
Beispiele, um die Notwendigkeit von Prävention aufzuzeigen. Pro Jahr sterben mehr Frauen an dieser Krankheit
als an Brust- und Magenkrebs zusammengenommen. Der
nicht medikamentösen und der medikamentösen Vorbeugung von Osteoporose kommt eine enorme Bedeutung zu.
Das Risiko von Oberschenkelhals- oder Wirbelbrüchen
kann um bis zu 70 Prozent gemindert werden. Es ist jedoch zu beachten, dass die Östrogentherapie weiterhin im
Hinblick auf die Möglichkeit anderer Risiken wie Brustkrebsinzidenz beobachtet werden muss. Dies gebietet sich
von selbst; aber es deutet sich auch an, dass die Folgen bei
weitem nicht so dramatisch sind, wie sie ohne eine Östrogenbehandlung wären.
Gesundheitliche Prävention beschränkt sich nicht auf
die Gesundheitspolitik. Sie betrifft praktisch alle Ressorts: Ob im Bereich Umweltschutz, ob bei der Verkehrsplanung, ob beim Arbeitsschutz, überall begegnen wir der
Notwendigkeit der gesundheitlichen Prävention. Die Antwort der Bundesregierung beschreibt eine Vielzahl von
Initiativen, Gesetzesänderungen und Modellprojekten,
deren Ziel es ist, Prävention in alle Politikfelder einzuführen.
Ich gehe noch kurz auf ein Thema ein, das in Ihrer Anfrage leider keine oder nur eine untergeordnete Rolle
spielt und zu dem meine Fraktion einen Antrag formuliert
hat: die frauenspezifische Gesundheitsversorgung. In
diesem Antrag wird auf die Tatsache aufmerksam gemacht, dass Frauen anders als Männer erkranken: Sie haben andere Krankheitsverläufe, gehen anders mit ihren
Krankheiten um und nehmen sie anders wahr.
({18})
- Herr Wolf, das war ein müder Witz. Aber das adelt Sie.
Das zeigt sich in den unterschiedlichen Zahlen verschiedener Erkrankungen wie Depressionen, psychosomatische Beschwerden oder Medikamentenabhängigkeit.
Konsequenzen müssen in Forschung, Datenerhebung, Berichterstattung und Fördervorhaben erfolgen. Damit wird
endlich ein lange vernachlässigter Bereich der Gesundheitsversorgung einer öffentlichen Diskussion zugeführt.
Die Tendenz Ihres gesamten Fragenkomplexes ist
klar - ich wiederhole es -: Sie wollen ein anderes System,
Sie wollen eine Minimalversorgung durch die GKV,
während alles andere zusatzversichert und privat finanziert sein soll. Wir hingegen wollen weiterhin eine solidarische Krankenversicherung, die alles leistet, was medizinisch notwendig und therapeutisch sinnvoll ist, nicht
weniger. Wir wollen dabei die Belastungen der Beitragszahler stabil halten. Mit der Gesundheitsreform 2000 haben wir uns auf diesen Weg begeben. Wir werden ihn weiter gehen.
Vielen Dank.
({19})
Jetzt spricht Herr Kollege Detlef Parr für die F.D.P.-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Bis heute haben SPD und Grüne einen
quälend langen Lernprozess hinter sich gebracht. Zu Recht
heißt es in dem Gesetzentwurf, wenn auch etwas lapidar
und verschämt, dass das stringente Arzneimittelbudget,
verbunden mit einer Kollektivhaftung der Ärzte, mit erheblichen Umsetzungsproblemen behaftet gewesen sei.
Kollegin Schmidt-Zadel, die jetzt leider nicht mehr im
Saal ist, verharmloste den Rückzieher in unserer Heimatzeitung mit dem Hinweis, die Budgets seien nicht intelligent. Nein, meine Damen und Herren, man muss es schon
deutlicher sagen: Die Wiedereinführung der Ausgabendeckelung mit dem Regierungswechsel war grober Unfug.
({0})
Sie hätten Patienten und Ärzten manchen Ärger und manche Sorge erspart, hätten Sie das Neuordnungsgesetz von
1997 wenigstens in diesem Bereich unangetastet gelassen.
({1})
Wird nun wenigstens das, was lange währt, wirklich
gut? Wir haben unsere Zweifel. Statt die arztgruppenspezifischen Richtgrößen zum bestimmenden Faktor zu maDr. Hansjörg Schäfer
chen und auf dieser Ebene festzulegen, was für eine ausreichende Versorgung der Patienten mit Arzneimitteln
notwendig ist, wird das Ausgabenvolumen zur bestimmenden Größe. Das Ausgabenvolumen ist aber im Prinzip nichts anderes als das heutige Arzneimittelbudget. Das
zeigt sich darin, dass für den Übergang auf die Ausgabenvolumina vorgesehen ist, die Budgets des Jahres 2001 zur
Grundlage zu machen. Insbesondere dann, wenn Vereinbarungen in die Schiedsstelle gehen, wird dieser gar
nichts anderes übrig bleiben, als auf die alten Werte
zurückzugreifen. Das Arzneimittelbudgetablösungsgesetz
droht dann zu einem bloßen Arzneimittelbudgetanpassungsgesetz zu werden. Das aber darf nicht geschehen,
meine Damen und Herren.
Veränderungen in der Zahl oder Struktur der Versicherten oder durch Markteinführung innovativer Arzneimittel sollen zwar berücksichtigt werden, jedoch wiederum nicht auf der Ebene der Richtgrößen, die für den
einzelnen Arzt von entscheidender Bedeutung sind, sondern auf der Ebene der Ausgabenvolumina. Man kann
sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Praxis zu Folgendem führen wird: Die Ärzte haben nun zwar nicht
mehr mit einem Kollektivregress zu leben, dafür aber mit
einem viel stärker drückenden Instrument, nämlich den
Richtgrößen, die nicht aufgrund medizinischer Notwendigkeiten bestimmt werden, sondern indem das Ausgabenvolumen nach bestimmten Kriterien aufgeteilt wird.
Zudem gerät der Arzt bereits ab einer Überschreitung von
5 Prozent in die Wirtschaftlichkeitsprüfung und nicht
etwa, wie es unter der alten Koalition der Fall war, erst ab
10 Prozent.
({2})
In der Begründung zu § 84 Abs. 1 heißt es:
Versorgungsziele sollen z. B. die eingeschränkte
Verordnung von Arzneimitteln mit ... nicht oder nicht
ausreichend nachgewiesener therapeutischer Wirksamkeit zum Gegenstand haben.
Das bedeutet, dass die Selbstverwaltung de facto bestimmte Arzneimittel von der Verordnung ausschließen
soll. Wie passt das mit der Rechtsprechung zusammen,
die dem Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen
eine solche Kompetenz abgesprochen hat und dies auf der
Ebene der Vertragspartner Krankenkassen und Ärzte sicherlich nicht anders sehen wird?
Ich möchte noch eine Bemerkung zum CDU/CSU-Antrag machen. Sie fordern zu Recht, dass die Versicherten
über Umfang und Kosten der von ihnen in Anspruch genommenen Leistungen direkt und zeitnah unterrichtet
werden. Wir brauchen bei weiteren Reformschritten aber
ein bisschen mehr Mut. Gehen Sie doch mit uns ein entscheidendes Schrittchen weiter! Lösen wir das Sachleistungsprinzip endlich durch die Kostenerstattung ab!
({3})
Das brauchen wir auch vor dem Hintergrund von Europa.
Dies ist ein ebenso dringend notwendiger Schritt wie die
Abschaffung der Honorarbudgetierung für die Ärzte und
der Krankenhausbudgetierung.
({4})
Wir brauchen ein Gesundheitssystem mit mehr Eigenverantwortung, Wettbewerb, Wahlfreiheit und Transparenz. Manchmal gibt der Druckfehlerteufel allerdings Anlass zum Schmunzeln bei ernstem Hintergrund. So wird in
dem Entwurf in Art. 1 Ziffer 6 Zeile 2 von „Richgrößenvolumen“ gesprochen. Bleibt nur zu hoffen, dass es bei SPD
und Grünen genügend „Riechgrößen“ gibt, die sich auf die
Fährte zu diesem liberalen Gesundheitssystem setzen.
Danke.
({5})
Nächster Redner ist
der Kollege Fritz Schösser für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Gestern noch haben die
Kollegen Seehofer und Lohmann öffentlich angekündigt,
sie würden der Regierung in Sachen Gesundheitsreform
ordentlich Feuer machen. Heute haben sie bis jetzt zwei
feuchte Streichhölzer gezündet: Ulf Fink hat wider besseres Wissen die Rezepte der Fraktion verteilen müssen und
von Herrn Wolf wissen wir, was er in dieser Frage zu erzählen hat.
({0})
Meine Damen und Herren, mit einer Großen Anfrage
zur Zukunft des Gesundheitswesens stellt die CDU/CSU
der Bundesregierung 124 Fragen. Offensichtlich sind Sie
im Formulieren von Fragen geübter als im Lösen von Problemen, wenn Sie selbst in der Regierungsverantwortung
stehen.
({1})
Ich werde bei einem Großteil dieser Fragen den Eindruck
nicht los, dass Sie jetzt von uns wissen wollen, was Sie
über 16 Jahre hinweg falsch gemacht haben.
({2})
Nur wenige Ihrer Fragen basieren nämlich auf neuen Erkenntnissen. Das merkt man schon an der ersten Frage.
Sie lautet sinnigerweise:
Hat sich der in der über 100-jährigen Entwicklung
der GKV bis heute aufgebaute Leistungskatalog bewährt? Wenn nein: In welche Richtung will die Bundesregierung den Leistungskatalog verändern?
Warum eigentlich „wenn nein“? Warum fragen Sie nicht:
„wenn ja“? Warum verbinden Sie diese Frage eigentlich
nicht mit der Frage: Wie können wir gemeinsam den Leistungskatalog stabil halten und mit den vorhandenen Ressourcen auch finanzieren? Das wäre eine Frage, die zu
stellen ist.
({3})
Sie hätten gut daran getan, wenn Sie all diese Fragen
zwischen 1993 und 1998, als der Gesundheitsminister
Seehofer hieß, gestellt hätten. Aber damals, vor drei Jahren, gab es anscheinend nichts mehr zu regeln. Denn auf
die Frage: „Werden Sie noch einmal für ein Ministeramt
zur Verfügung stehen, falls die Koalition die nächste Bundestagswahl gewinnt?“, antwortete Seehofer: Ja, aber als
Gesundheitsminister sehe ich nicht mehr viele Betätigungsfelder; denn wir haben in den letzten fünf Jahren alles erledigt, was wir uns vorgenommen haben.
({4})
Das war im Juli 1997. Zur gleichen Zeit - Herr Wolf, daran
wird deutlich, was uns Herr Seehofer hinterlassen hat lauteten die Überschriften in den Zeitungen: „Seehofers
Selbstdemontage“, „Seehofers chaotische Gesundheitsreform“
({5})
oder „Vom Musterknaben zum Prügelknaben“. Unsere
gemeinsame gute Bekannte, die „Süddeutsche Zeitung“,
schrieb am 9. März 1998:
Als Bettvorleger gelandet.
Am 23. März schrieb sie:
Seehofers Bananenrepublik.
Am Ende war er amtsmüde. Dem Herrn Seehofer - er
ist leider nicht mehr da - kann ich nur sagen: Ihnen konnte
eigentlich nichts Besseres passieren, als die Wahl zu verlieren.
({6})
Er war am Ende der Don Quichotte, die traurige Gestalt
des Gesundheitswesens. Dies ist das wahre Bild des Jahres 1998.
({7})
In diese Situation - das sage ich klar und deutlich wollen wir unsere Ministerin nicht bringen.
({8})
Wir werden nichts aussitzen. Wir werden sehen, welcher
Handlungsbedarf vorhanden ist, und wir werden handeln.
Wir werden erst einmal das tun, was schon jetzt getan
werden muss und getan werden kann. Das ist nicht
wenig.
Neben dem Arzneimittelbudgetabschaffungsgesetz
werden wir weitere Gesetzesvorhaben, auch die Neuregelung der Krankenkassenwahlrechte, in Angriff nehmen,
so die Einführung des Wohnortprinzips bei Honorarvereinbarungen für Ärzte und Zahnärzte, die Anpassung über
die Festsetzung von Festbeträgen für Arzneimittel, das
Pflege-Leistungsgesetz im Hinblick auf Demenzkranke,
das Medizinproduktegesetz, das Gesetz zum Risikostrukturausgleich und die Einführung von Krankenhaus-Fallpauschalen. Das Heimgesetz und das Pflege-Qualitätssicherungsgesetz haben wir bereits gelesen. Es ist also nicht
so, dass wir nichts tun. Ganz im Gegenteil: Wir packen die
Gesetze Punkt für Punkt an.
({9})
Wir sagen auch nicht wie Sie im Jahre 1997, dass es
nichts mehr zu tun gäbe. Nein, wir werden mit den Beteiligten an einem runden Tisch eine langfristige Sicherung
der bewährten Strukturen erarbeiten
({10})
und das Gesundheitswesen modern, transparent, wirtschaftlich, zukunftsfähig und patientenfreundlich machen.
Dabei lassen wir uns nicht treiben. Wir stellen auch
niemanden ruhig, wie Herr Seehofer das formuliert.
({11})
Gestern erschien die Presseerklärung von Lohmann und
Seehofer zum Thema „Gesundheitspolitik auf der ganzen
Linie gescheitert“.
({12})
Diese Erklärung, Herr Thomae, kommt leider drei Jahre
zu spät.
({13})
Darin erklären sie unter anderem - ich will Ihnen das gern
nachweisen -:
Die Menschen erhalten immer weniger Leistungen
und müssen dafür immer mehr bezahlen.
Dazu kann ich nur sagen: Welch eine Realsatire! Sie ist eigentlich nicht mehr zu überbieten. Was haben Sie für ein
Kurzzeitgedächtnis? Das ist ja schon krankhaft.
({14})
Wer war es denn, der allein nach dem 1. Juli 1997
- Herr Thomae, Sie stellen sich auch noch hin und sagen:
Darauf sind wir stolz - bei Mütterkuren den Eigenbeitrag
erhöht hat? Wer hat den Eigenbeitrag bei Rehabilitationskuren angehoben?
({15})
Wer war für die Zuzahlung in Höhe von 20 Prozent für
Bandagen und andere Hilfsmittel? Wer hat die Kuren auf
drei Wochen gekürzt? Wer hat das Krankengeld um
10 Prozent gekürzt? Wer hat den Zuschuss für die Brillenfassungen gestrichen? Wer hat den nach 1978 geborenen Kindern den Zuschuss für Zahnersatz und Kronen gestrichen? Sagen Sie uns das einmal!
({16})
- Das ist die Wahrheit, Herr Thomae.
Zur Wahrheit gehört auch, dass wir eine Reihe dieser
unsozialen Belastungsspitzen wieder abgeschafft haben.
Heute gibt es für den Krankenversicherungsbeitrag nicht
weniger Leistung, sondern mehr.
({17})
- Wahrscheinlich sind Sie nicht gesetzlich krankenversichert, sonst würden Sie anders reden. Ich bin bei der AOK
versichert und kann Ihnen aus eigener Erfahrung sagen,
was da läuft. Herr Thomae, Sie reden immer nur über
Dinge, die Sie nicht betreffen.
({18})
Wir wissen, dass das Gesundheitswesen in Deutschland im Hinblick auf Mitteleinsatz und Nutzen, also in
Bezug auf die Effizienz, nach einer Studie der Weltgesundheitsorganisation in der Welt nur an 25. Stelle steht.
Wir liegen auch bei der Lebenserwartung unserer Bevölkerung sowie bei weiteren Gesundheitsfaktoren wie
Herz-Kreislauferkrankungen und Krebserkrankungen nur
im Mittelfeld vergleichbarer Nationen. Defizite sind auch
bei der Bekämpfung chronischer Erkrankungen wie zum
Beispiel Diabetes und Asthma auszumachen. Wir zahlen
also vergleichsweise mehr Geld als andere für Gesundheitsgüter, erhalten dafür aber nur durchschnittliche, ja
mittelmäßige Ergebnisse. Herr Wolf, unsere österreichischen Nachbarn beispielsweise erreichen einen vergleichbaren medizinischen Standard mit einem Aufwand, der
- gemessen am Bruttosozialprodukt - um 25 Prozent niedriger ist als bei uns.
Welche logische Folge ergibt sich nun aus diesem Tatbestand? Dem Gesundheitswesen steht nach wie vor
genügend Geld zur Verfügung. Es wird aber alles andere
als optimal eingesetzt. Ich fordere Sie auf: Verteilen Sie
nicht weiterhin verbale Ruhekissen an die Schlafmützen
unter den Leistungserbringern im Gesundheitswesen!
Ihre Behauptung war zum Beispiel - ich zitiere noch
einmal Horst Seehofer; er sagt das in „Klartext“ im Oktober 1999 -:
In keinem anderen Politikfeld wurde so eisern gespart wie im deutschen Gesundheitswesen.
Das ist schlichtweg falsch und ein fatales Signal für die
Leistungserbringer. Sie haben nicht gespart; Sie haben
Versicherte und Patienten einseitig belastet. Wer so diskutiert, der verteilt Freifahrtscheine für alle, die die Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen mit Füßen treten. Es
darf nicht sein, dass weiterhin Geld teilweise in den
falschen Kanälen versickert, wo es zwar verbraucht wird,
aber entweder wenig oder gar keinen Nutzen hat.
Die mit der Gesundheitsreform 2000 beschlossene
Budgetierung war also vom Grundsatz her berechtigt.
Die Budgetierung sollte alle am Gesundheitswesen Beteiligten dazu anhalten, der Geldverschwendung endlich den
Riegel vorzuschieben und Wirtschaftlichkeitsreserven zu
mobilisieren.
Dem niedergelassenen Arzt sollte dabei eine besondere
Schlüsselrolle zukommen. Er verursacht zwar nur 17 Prozent der Kosten, macht aber direkt oder indirekt weitere
28 Prozent als Auslöser geltend. Dafür sollten die niedergelassenen Ärzte auch in hohem Maße die finanzielle Verantwortung mittragen.
Statt in dieser Maßnahme nun eine Chance zu erkennen, haben Sie von der Opposition zur Rechten diesen
richtigen Gedanken mit Ihrer Polemik politisch verunglimpft und die Ärzteschaft geradezu ermuntert, gegen
die Budgetierung Sturm zu laufen.
({19})
Soweit es sich dabei nur um politischen Protest handelte, kann man eigentlich noch darüber hinwegsehen.
Man darf aber nicht übersehen, meine Damen und Herren,
dass sich damit Partikularinteressen in übler Weise und
auf Kosten der Versichertengemeinschaft breit gemacht
haben.
Unverzeihbar ist das Verhalten einiger Ärzte, sich der
Budgetierung trotzig zu verweigern oder sie ohne Not auf
dem Rücken der Patienten auszutragen.
({20})
Die Chance, durch die Budgetierung zu mehr Wirtschaftlichkeit und Effizienz zu kommen, ist vertan. Darauf können Sie stolz sein, meine Herren von der Union!
({21})
- Im Wesentlichen rühren sich dabei ja die Herren, die
Herren Wolf, Lohmann, Seehofer usw. Ich wollte die Damen an der Stelle noch schonen. Sie kommen erst nachher. Das werde ich dann mit Zwischenrufen machen.
Es geht also darum, Einsparziele zur Geltung zu bringen.
Jetzt aber gilt es, die Vertrauensbasis zu stärken, also
den Schaden, den Sie mit Ihrer Polemik angerichtet haben, einigermaßen wieder zu bereinigen. Deshalb wird es
ein Arzneimittelbudget-Ablösungsgesetz geben. Dieses
Gesetz wird sich von Ihrer Gesetzesinitiative unter anderem dadurch unterscheiden, dass wir den Vertragspartnern
klar und eindeutig mit auf den Weg geben, auf KV-Ebene
Prüfungen nach Richtgrößen vorzunehmen und abgestufte Sanktionen bis hin zu einem Regress für die Ärzte
festzulegen, die unwirtschaftlich verordnen. Das ist die
Konsequenz.
Großzügige Freigrenzen, wie Sie sie beispielsweise
vorsehen, sind meines Erachtens geradezu lächerlich.
({22})
Regressnotwendigkeiten festschreiben zu wollen, wenn
die Richtgrößen um 25 Prozent überschritten sind, das
öffnet Tür und Tor für die Verschwendung.
Also: Die Ärzte bleiben auch nach dem Wegfall der
Kollektivhaftung in der Verantwortung. Insbesondere die
Ärzteschaft muss klar wissen, dass die Bundesgesundheitsministerin ihnen ein neuerlich großes Vertrauen mit
in die Zukunft gibt
({23})
und dass es jetzt darum geht, dass die Selbstverwaltung
im Gesundheitswesen endlich reagiert und ihre Hausaufgaben macht.
In diesem Sinne kommen wir, so glaube ich, ein gutes
Stück vorwärts und kommen auch nach dem runden Tisch
zu einer Reform, die sich sehen lassen kann und die das
Leistungsprinzip, das Prinzip der gesetzlichen Krankenkassen in der Bundesrepublik Deutschland auf einen sicheren Zukunftspfad bringt.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({24})
Letzte Rednerin in
dieser Debatte ist die Kollegin Annette Widmann-Mauz
für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Das politische Kalkül Schröders, den Gesundheitsbereich bis
zur Bundestagswahl ruhig zu stellen, geht, auch wenn
Sie es heute wieder versucht haben, nicht auf. Der
Dampf im Kessel einer gescheiterten Politik sucht seinen Ausweg. Die Beitragssätze steigen allein in diesem
Jahr dramatisch: bis zu einem Beitragssatzpunkt mehr.
Das ist kein Pappenstiel. Das ist die dramatischste
Beitragserhöhung der gesetzlichen Krankenkassen, die
die Menschen in unserem Land seit Jahren hinnehmen
müssen.
({0})
Ich muss schon sagen: All die Reden, die in dieser Debatte
von den Vertretern der Koalitionsfraktionen gehalten wurden, zeigen einmal mehr, wie weit Sie sich in so kurzer
Zeit, in gerade einmal zweieinhalb Jahren, von der Realität im Gesundheitswesen, aber vor allen Dingen von den
Menschen und ihren Befindlichkeiten in unserem Land
entfernt haben.
({1})
Die AOK Bayern hat die Anhebung bereits vollzogen:
plus 0,5 Prozent. Herr Schösser, ich hätte mich gefreut,
wenn Sie heute erläutert hätten, wie Ihre Kollegen vom
DGB Bayern bei dieser Beitragserhöhung die Begründung formuliert haben.
({2})
Sie waren ja mit dabei. Es wäre ganz interessant gewesen, zu hören, warum die AOK Bayern die Beiträge erhöht hat. Ich kann ja verstehen, dass Sie dazu nichts gesagt haben;
({3})
denn wenn Sie es getan hätten, wäre allen Menschen in
diesem Hause und in unserem Land deutlich geworden,
dass der Versuch, den Sie heute machen wollen - zu suggerieren, dass unsere Regierungspolitik daran schuld sei -,
nicht aufgegangen wäre. Die Verantwortlichkeiten werden
klar Ihrer Regierung zugewiesen.
({4})
- Dass Sie sich heute davor gedrückt haben, die Realitäten und die Wahrheiten, die zu diesen Beitragsbelastungen
geführt haben, zu benennen.
({5})
Die AOK Hamburg: plus 4 Prozent.
({6})
Die AOK Hessen hat ebenfalls Erhöhungen beschlossen.
Ende nächster Woche heißt es dort: plus 1 Prozent. Weitere Kassen werden spätestens zum Jahreswechsel nachlegen und ebenfalls drastisch erhöhen müssen.
({7})
- Wissen Sie, das ist ganz einfach: Die Bevölkerung - die
Beitragszahler - wird Ihre Äußerungen und Ihre Zwischenrufe in wenigen Wochen und Monaten ganz klar anhand der Abrechnungen vergleichen können.
({8})
Da geht eben nichts mehr mit Versprechungen.
({9})
Das Ganze ist die Fortsetzung einer unsäglichen Politik im Gesundheitsbereich.
Frau Kollegin
Widmann-Mauz, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Wodarg?
Ich möchte
gern fortfahren; denn ich möchte, Herr Wodarg, Ihnen
gern ein Zitat Ihres Fraktionskollegen Pfaff - der heute
nicht hier sein kann - vorhalten. Wir konnten heute in der
„BZ“ nachlesen, was er uns sagen will. In der „BZ“ heißt
es - ich zitiere -:
Wenn die Regierung nicht schnell etwas zur Entlastung der Krankenkassen tut, sind weitere Beitragserhöhungen unumgänglich.
In Ihren eigenen Reihen wird ja die Kritik an Ihrem
Kurs immer lauter.
({0})
Hier können Sie lange erzählen. Die Menschen merken
es, sie spüren es. Das zeigt nur, wie weit Sie von ihnen entfernt sind.
({1})
Ihnen steht, genauso wie der gesetzlichen Krankenversicherung, das Wasser bis zum Halse. Anfang 2002
wird es eine Flut von Beitragsanhebungen auch bei den
Ersatz- und den großen Betriebskrankenkassen geben. 4 Millionen Versicherte allein bei den Betriebskrankenkassen sollen, wenn es nach Ihren Vorstellungen
geht, vom 1. Januar 2002 an einen erhöhten Beitrag zahlen, und zwar nur deshalb, weil Sie sich bisher einer
echten Reform des Risikostrukturausgleichs verweigert
haben.
In Ihrer Koalitionsvereinbarung haben Sie den Menschen Beitragssatzstabilität versprochen, um Arbeitsplätze zu schaffen. Ich zitiere:
Ziel der neuen Bundesregierung ist es, den Anstieg
der Krankenversicherungsbeiträge zu stoppen und
die Beträge dauerhaft zu stabilisieren ... Wir werden
die Sozialversicherungsbeiträge ... auf unter 40 Prozent senken.
Ihre Versprechen haben kurze Beine. Die Lohnnebenkosten werden über die 40-Prozent-Marke steigen und die
Arbeitslosigkeit wird nicht weiter sinken. Eine Inflation
haben wir heute in Höhe von gut 3 Prozent. Da muss man
schon fragen: Nehmen Sie das überhaupt noch wahr?
Wissen Sie eigentlich, was das für die Menschen in unserem Land bedeutet?
Ich will Ihnen das einmal verdeutlichen: Nehmen Sie einen Facharbeiter, verheiratet, zwei Kinder, Lohn 5 000 DM
im Monat. Dieser Mann muss jetzt durchschnittlich
0,7 Prozent zusätzlich für seine Krankenversicherung zahlen. Das sind 210 DM mehr im Jahr. Hinzu kommt bei einer Inflation von 3,5 Prozent eine Einkommensminderung
von 2 100 DM. Das bedeuet 2 310 DM weniger im Jahr.
Das ist knapp ein halbes Monatsgehalt weniger, was Sie
den Menschen durch Ihre Politik zumuten. Da können Sie
auch mit der Kindergelderhöhung um 30 DM nichts bewirken.
({2})
Die Menschen haben Monat für Monat weniger Geld in
der Tasche. Das ist keine himmlische Heimsuchung, sondern das ist die logische Folge politischer Fehlentscheidungen und die Konsequenz Ihrer Politik.
({3})
Die gesundheitspolitischen Maßnahmen sind von krassen
Fehlentscheidungen gekennzeichnet.
Auch der liebe Herr Finanzminister Eichel ist kein finanzpolitischer Saubermann. Er arbeitet, gerade was die
sozialen Sicherungssysteme angeht, wie ein Taschendieb. Mit den Verschiebebahnhöfen greift der Finanzminister den Beitragszahlern nämlich ebenfalls immer tiefer
in die Taschen.
({4})
Verhängnisvoll für die Finanzen der Krankenkassen
wirkt sich darüber hinaus die Absenkung der Beitragszahlungen für die Arbeitslosengeld- und Arbeitslosenhilfebezieher aus. Hinzu kommen die Beitragsausfälle
durch Ihre willkürlichen politischen Eingriffe hinsichtlich
der Absenkung des Rentenniveaus und zukünftig auch in
der Konsequenz aus der unsäglichen Rentenreform. Das
rechnen Ihnen die Krankenkassen ja vor.
Die Belastungen - ich will sie in den Milliardenbeträgen gar nicht weiter differenzieren; Sie kennen sie - sind
nicht gesunken, sondern gestiegen. Da nutzt auch das Abkassieren bei den 630-Mark-Jobs nichts; denn am Ende
fehlt das Geld. Die Konsequenzen sind klar: Wir haben
den Druck, wir haben die Rationierung, und die Qualität
in unserem Gesundheitssystem leidet.
Wir debattieren heute über die Zukunft des Gesundheitswesens in Deutschland. Wir konnten feststellen und
die Menschen merken es: Ihre Politik funktioniert nicht.
Sie begrenzen die Einnahmen und versprechen den Menschen alles zu gewohnten Bedingungen. Mit begrenzten
Mitteln können Sie aber keine unbegrenzten Leistungen
erbringen,
({5})
zumal bei unserer Bevölkerungsentwicklung und dem
Fortschritt in der Medizin.
({6})
Die Wirklichkeit - das müssten doch eigentlich auch
Sie erkennen - sieht heute ganz anders aus. Die Leistungen, die die Kassen für ihre Patienten bezahlen können,
werden immer weniger, die Beiträge immer höher. Ich
frage mich wirklich, ob Sie den Unmut der Menschen
über die Versorgungssituation nicht sehen oder nicht sehen wollen. Sie müssen für Ihre Fehler jeden Tag mehr bezahlen.
Die finanzielle Seite ist die eine, die qualitative die
andere. Auch da muss man sich wirklich fragen, ob Sie
überhaupt noch in diesem Land leben. Sprechen Sie doch
einmal mit Vertretern der einen oder anderen Selbsthilfegruppe. Sie haben vorhin das Beispiel genannt. Chronisch
kranke Menschen beklagen sich bei uns über ihre Situation. Sie berichten uns, dass die Versorgung der Menschen immer schlechter wird. Budgetierung bedeutet
Rationierung; daran führt nun einmal kein Weg vorbei. Sie
können die Menschen auch nicht ständig ruhig stellen, indem Sie den Selbsthilfegruppen zwar einen Titel bei den
Kassen versprechen, die Auszahlung durch die Kassen
aber angesichts der großen finanziellen Schwierigkeiten
immer schleppender vollzogen wird; denn das ist am Ende
Augenwischerei, davon hat am Ende niemand etwas.
Sie halten Ihre Versprechen nicht. Sie wissen das auch
ganz genau, tun hier aber so, als sei das alles nicht wahr.
So können Sie mit den Menschen nicht umgehen. Mein
Kollege Aribert Wolf hat auf die Situation in den
Krankenhäusern durch den vor uns liegenden Fachkräftemangel
({7})
und die Umsetzung des EuGH-Urteils hingewiesen. Ich
hätte mir gewünscht, dass die Ministerin dazu heute einmal etwas gesagt hätte!
({8})
Aber keine Aussage dazu. Das sind enorme Kosten, die
zusätzlich auf unser System zukommen, und das sind
Leistungen, die wir brauchen, damit die Qualität stimmt.
({9})
Aber unsere Gesundheitsministerin schweigt.
({10})
Wir haben - das wissen Sie - einen Mangel an Pflegekräften auch in den Altenheimen. Das kommt schon
bald einem Notstand gleich. Uns was machen Sie? Nicht
der Personalschlüssel wird verbessert, sondern der Druck
auf die Beschäftigten weiter erhöht. Die Beschäftigten
können diesem Druck nicht länger standhalten; sie müssen ihn, ob sie es wollen oder nicht, oftmals in der Versorgung an den Patienten weitergeben. Beide, Patienten
und Beschäftigte, sind die Opfer Ihrer Gesundheitspolitik.
({11})
- So ist es.
Frau Schmidt, Sie können zwar bis zur Bundestagswahl lächelnd durchs Land ziehen und Beruhigungspillen
verteilen; aber die Menschen schlucken das nicht so einfach. Es gibt nämlich Missstände, die keinen Aufschub
dulden. Diese Situation ist sehr ernst. Ihre gesundheitspolitischen Maßnahmen greifen nicht. Es sind nur bunte
Pflästerchen, die die Lage im Gegenteil weiter verschärfen. Sie müssen endlich vernünftig handeln, damit
unser Gesundheitswesen eine Zukunft hat, mit mehr
Wahlfreiheiten für die Versicherten, mehr Gestaltungsfreiheiten für die Vertragspartner in der Selbstverwaltung
und mehr Transparenz und Information für die Beteiligten
bezüglich Kosten und Qualität. Nur so stellen Sie den
Menschen in den Mittelpunkt. Nur mit dieser Grundausrichtung eines modernen Sozialstaates hat das Gesundheitswesen in unserem Land eine Zukunft.
Vielen Dank.
({12})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der F.D.P. auf Drucksache 14/6384. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag?
- Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist gegen die Stimmen der F.D.P.-Fraktion bei Enthaltung der CDU/CSU-Fraktion abgelehnt.
({0})
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 14/5678 und 14/6309 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. -
Ich sehe Einverständnis im ganzen Hause. Dann sind die
Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 20 a und 20 b
auf:
a) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen
SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des
Wohnungsbaurechts
- Drucksache 14/5538 ({1})
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Reform des Wohnungsbaurechts
- Drucksachen 14/5911, 14/6145 ({2})
- Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Zweiten Wohnungsbaugesetzes und
anderer wohnungsrechtlicher Gesetze
- Drucksache 14/627 ({3})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
({4})
- Drucksachen 14/6344, 14/6375 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Wolfgang Spanier
Franziska Eichstädt-Bohlig
Christine Ostrowski
b) - Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr.-Ing. Dietmar Kansy, Dirk Fischer ({5}),
Eduard Oswald, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU
Für eine vorausschauende Wohnungs- und
Städtebaupolitik
- Drucksache 14/6048 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({6})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Reform
des Wohnungsbaurechts liegt ein Änderungsantrag der
Fraktion der PDS und jeweils ein Entschließungsantrag
der Fraktionen der CDU/CSU, der F.D.P. und der PDS vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner für die SPDFraktion ist der Kollege Wolfgang Spanier. - Wo ist er? Es ist Freitagnachmittag. Daher muss alles ein bisschen
schneller gehen.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen! Liebe Kollegen! Entschuldigen Sie meine
kleine Verzögerung. Aber um diese Tageszeit bin ich
wahrscheinlich nicht mehr ganz der Schnellste.
Es ist heute nicht nur für die Wohnungspolitikerinnen
und Wohnungspolitiker, sondern insgesamt ein wichtiger
Tag. Davon darf man sich auch nicht durch die überaus
„große“ Zahl von anwesenden Abgeordneten irritieren
lassen.
({0})
Heute werden wir die dritte Säule unserer sozialen Wohnungspolitik verabschieden.
Der soziale Wohnungsbau hat eine 50-jährige Erfolgsgeschichte hinter sich. Durch ihn ist es auch in ganz
schwierigen Zeiten, zum Beispiel in den NachkriegsjahAnnette Widmann-Mauz
ren, gelungen, Menschen mit einem Dach über dem Kopf
zu versorgen. Aber es war an der Zeit, und zwar schon seit
längerem, dass wir den sozialen Wohnungsbau grundlegend reformieren. Ich bin froh, dass heute der Tag ist, an
dem dies endlich geschieht. Nach zwei bis drei Jahren
Vorbereitungszeit und intensiven Gesprächen zwischen
Bund und Ländern können wir heute dieses Gesetz zur sozialen Wohnraumförderung endlich verabschieden.
({1})
Was uns grundsätzlich wichtig ist: Der Bund bekennt
sich nach wie vor zu seiner Beteiligung an dieser Gemeinschaftsaufgabe. Es ist eine Gemeinschaftsaufgabe
von Bund, Ländern und Kommunen. Die Freien Demokraten nehmen in dieser Frage einer Außenseiterposition
ein. Alle Bundesländer, alle wohnungswirtschaftlichen
Verbände und natürlich die übergroße Mehrheit in diesem
Hause wollen an dieser Gemeinschaftsaufgabe und der
Objektförderung, um diesen technokratischen Ausdruck
zu gebrauchen, festhalten.
({2})
Dafür gibt es gute Gründe. Nur wenn wir weiterhin
Neubau und Modernisierung im Wohnungsbestand fördern, können wir zielgenau fördern, also genau in den
Kommunen und Regionen, in denen die Wohnungsnot besonders groß ist. Auch heute gibt es wieder Kommunen,
in denen man fast schon wieder von Wohnungsnot sprechen kann.
({3})
München ist dafür das klassische Beispiel.
({4})
Objektförderung ist auch wichtig, weil wir Wohnungspolitik im Zusammenhang mit Stadtentwicklungspolitik
sehen müssen und weil sich dieses Gesetz dadurch auszeichnet, dass neue Instrumente eingeführt werden, um
die drängenden Probleme in der Stadtentwicklungspolitik
tatsächlich ein Stück weit lösen zu können.
Dass die Freien Demokraten hier eine Außenseiterposition einnehmen, hat letztlich etwas mit ideologischen
Gründen zu tun.
({5})
Sie sind nun einmal davon überzeugt, dass es richtig sei,
die Wohnungspolitik allein dem Markt zu überlassen. Allerdings sollten Sie wissen: Der Markt ist sozial blind.
Auch Sie sind offensichtlich - das haben Sie mit Ihrem
Vorschlag zur Reform des Mietrechts demonstriert - mindestens auf einem Auge sozial blind.
({6})
Wen wollen wir fördern? Die bisherige Zielgruppe des
sozialen Wohnungsbaus, nämlich breite Schichten der Bevölkerung, wird ein Stück enger, präziser gefasst.
({7})
Ich sage es einmal mit einfachen Worten: Es werden die
kleinen Leute mit kleinen bzw. normalen Einkommen und
diejenigen gefördert, die aus anderen Gründen Schwierigkeiten haben, eine Wohnung zu bekommen, und zwar
nicht nur in den Städten und Kommunen, in denen sich der
Wohnungsmarkt schwierig darstellt.
Ein wichtiger Punkt der Modernisierung des sozialen
Wohnungsbaurechts ist dessen Vereinfachung. Wir haben dafür gesorgt, dass eine große Zahl von Vorschriften
weggefallen ist. Wir setzen nur den Rahmen. Das ist vernünftig; denn wir geben den Ländern und vor allen Dingen Kommunen dadurch Gestaltungsspielraum. Damit
sind natürlich die Kommunen - das sage ich als langjähriger Kommunalpolitiker - wieder stärker in der politischen Verantwortung für die Wohnungspolitik in den
Städten. Wir bieten Instrumente wie den Kooperationsvertrag an, der es ermöglicht, gemeinsam mit den örtlichen Wohnungsunternehmen die Wohnraumversorgung
in der einzelnen Kommune sicherzustellen.
Neu ist auch - dies wird sicherlich eher von Fachleuten als entscheidende Neuerung verstanden -, dass wir
vom Prinzip der Kostenmiete abgehen, allerdings erst
zukünftig, nicht rückwirkend, und zwar in allererster Linie deswegen, weil wir die Mieterinnen und Mieter, die
bisher in preiswerten Sozialwohnungen gelebt haben,
nicht mit unnötigen, überhöhten Mietsteigerungen belasten wollen.
Die Neubauförderung wird nach wie vor wichtig
sein. Ich hoffe, dass die Bundesländer die Mittel dort konzentrieren, wo der Wohnungsbedarf am größten ist. In
Bayern gab es zum Beispiel im Jahr 2000 nur noch knapp
6 000 öffentlich geförderte Wohnungen.
({8})
Bundesweit sind für den sozialen Wohnungsbau insgesamt
Mittel in einer beachtlichen Größenordnung ausgegeben
worden. Angesichts dessen ist es sicherlich die Aufgabe
der Landesregierungen, die Mittel dort zu konzentrieren,
wo der Wohnungsbedarf am größten ist.
({9})
Neu ist, dass wir neben der Neubauförderung auch die
Bestandsförderung in das Gesetz aufgenommen haben.
Ich glaube, das ist wohnungspolitisch ein wichtiger
Schritt. Einkommensgrenzen, Belegungsbindungen und
Ausgleichsabgaben werden flexibel gestaltet. Der Bund
- das habe ich schon vorhin erwähnt - setzt nur einen
Rahmen und schafft Gestaltungsspielraum vor Ort, Regelungen für die Einkommensgrenzen, die Belegungsbindungen und die Ausgleichsabgaben zu treffen. Diese Instrumente können entsprechend der jeweiligen Situation
vor Ort - das ist sinnvoll, da die einzelnen Wohnungsmärkte in Deutschland sehr unterschiedlich sind - angepasst werden. Das ist sozusagen kein Einheitsanzug, aber
auch kein Maßanzug, sondern eine Art Maßkonfektion.
Ich weiß, wovon ich spreche.
Diese Instrumente werden ein Stück weit dabei helfen,
die Bewohnerstrukturen wieder sozial ausgewogener zu
gestalten. Wir alle können nur hoffen, dass die Länder, die
Kommunen und die Wohnungswirtschaft die Instrumente,
die wir ihnen jetzt anbieten, in den kommenden Jahren
konsequent nutzen werden.
({10})
Lassen Sie mich noch etwas genauer auf die Einkommensgrenzen eingehen, weil diese in den Diskussionen
der letzten Wochen durchaus eine wichtige Rolle gespielt
haben. Wir setzen nur Basisgrenzen. Die Länder können
nach oben, aber auch nach unten abweichen. Das kann vor
Ort durchaus Sinn machen. Wenn eine Kommune zum
Beispiel gezielt den Wohnungslosen helfen möchte, dann
ist es durchaus sinnvoll, wenn sie die zu fördernde Zielgruppe enger fasst, um innerhalb von drei bis vier Jahren
den Wohnungsnotstand zu beseitigen.
Diejenigen, die die Einkommensgrenzen für zu niedrig
halten, zum Beispiel die CDU/CSU, bitte ich aber, daran
zu denken, dass wir beides sehen müssen: die Einkommensgrenzen und die Einkommensermittlung. Die Freibeträge sind beträchtlich: Beispielsweise werden Paaren
unter 40, die keine Kinder haben, im Jahr 4 000 Euro vom
Bruttoeinkommen abgezogen. Die Basisgrenzen sind mit
dem Bruttoeinkommen eben nicht gleichzusetzen. Ich
glaube, dass wir die Verengung nicht zu weit getrieben haben. Immerhin sind auch nach der Reform 40 Prozent der
Haushalte wohnungsscheinberechtigt.
Die Koalitionsfraktionen haben auf diesem Gebiet zusätzliche Akzente gesetzt. Wir haben dafür gesorgt - ich
räume gerne frank und frei ein, dass das auch das Ergebnis einer Diskussion im Berichterstattergespräch war -,
dass die alte Regelung für kinderreiche Familien mit drei
und mehr Kindern abgeändert wurde, sodass nun von Familien mit zwei und mehr Kindern die Rede ist. Im Hinblick auf die Wohneigentumsförderung durch Mittel aus
dem sozialen Wohnungsbau ist das ganz wichtig. Zusätzlich zu den anderen Freibeträgen, die sowieso zur Geltung
kommen, haben wir wieder den Freibetrag für Alleinerziehende eingeführt. Außerdem haben wir den im Gesetz
bereits verankerten Freibeträgen einen Kinderzuschlag
von 500 Euro pro Kind hinzugefügt. Damit ist ganz klar
und gezielt ein familienpolitischer Akzent gesetzt worden. Und das ist auch gut so.
({11})
Aufgrund der Beratungen in den Koalitionsfraktionen
ist in diesem Gesetzentwurf die Bedeutung des genossenschaftlichen Wohnens - ich schaue meinen Kollegen
Dieter Maaß an - unterstrichen. Ich sage Ihnen an dieser
Stelle: Neben der Mietwohnung, neben dem selbst genutzten Wohneigentum wird das genossenschaftliche
Wohnen in Zukunft von ganz besonderer Bedeutung sein,
gerade in den Ballungszentren.
({12})
Da werden wir sicherlich noch mehr als das, was wir
mit diesem Reformgesetz jetzt auf den Weg bringen, tun
müssen.
In der öffentlichen Diskussion der letzten Wochen haben auch die Pauschalen eine Rolle gespielt. Natürlich
hat die Wohnungswirtschaft darauf ein besonderes Augenmerk gerichtet. Ich glaube, dass wir durch den von den
Koalitionsfraktionen eingebrachten Änderungsantrag
eine Lösung gefunden haben, die einerseits eine angemessene Erhöhung - sie war notwendig - sicherstellt und
andererseits gewährleistet, dass diese Erhöhung bei allen
Wohnungsunternehmen, gleich, welche Wohnungsbestände sie haben, tatsächlich ankommt.
Ich komme zu den Finanzen. Sicherlich werden alle
Redner der Oppositionsfraktionen, zum Beispiel Herr
Dr. Kansy, besonders auf dieses Thema eingehen. Im Gesetz ist nach wie vor die Mindestsumme von 450 Millionen DM, sprich: 230 Millionen Euro, verankert. In diesem Punkt sieht unser Gesetzentwurf keine Änderung vor.
Es stellt sich die Frage, inwieweit es möglich sein wird,
im Haushalt zusätzliches Geld bereitzustellen. Ich sage
Ihnen ganz offen: Ich persönlich und meine Kolleginnen
und Kollegen halten einen solchen Schritt durchaus für
wünschenswert; aber wir stehen selbstverständlich unter
dem Zwang der Haushaltskonsolidierung. Sie sind eigentlich die Letzten, die uns etwas vorwerfen können;
schließlich mussten wir Ihren völlig desolaten Haushalt
und Ihre völlig desolaten Finanzen - es gab x Schattenhaushalte - übernehmen. Wir müssen endlich wieder das ist keine Aufgabe von zwei oder drei Jahren - festen
Boden unter die Füße bekommen.
({13})
Lassen Sie mich zum Schluss noch Folgendes sagen:
Soziale Sicherheit ist in einer Zeit, in der überall ein tief
greifender Strukturwandel stattfindet, den die Menschen
unmittelbar zu spüren bekommen, von hohem Stellenwert; das gilt ganz besonders für das Wohnen. Deswegen
halten wir es für wichtig, dass die soziale Wohnungspolitik den Stellenwert bekommt, den sie verdient. Wir haben
Wort gehalten: Wohngeldgesetz, Mietrecht und soziale
Wohnraumförderung.
({14})
Was wir getan haben, ist auch wohnungspolitisch
wichtig.
({15})
- Sie müssen der Präsidentin nicht vorschreiben, wie sie
hier zu agieren hat. - Wir haben in diesem Gesetzentwurf
die Verzahnung von Wohnungs- und Stadtentwicklungspolitik und - das möchte ich betonen - die regionale Differenzierung der Förderung durchgesetzt. So vorzugehen
wird auch im Hinblick auf andere Förderbereiche notwendig sein. Wir stehen vor einem Paradigmenwechsel in
der Wohnungs- und Stadtentwicklungspolitik. Die ersten
Schritte sind getan; weitere Schritte werden wir in der
nächsten Legislaturperiode mit Ihrer freundlichen Begleitung tun.
Schönen Dank.
({16})
Für die CDU/CSUFraktion spricht der Kollege Dr. Dietmar Kansy.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Spanier, Sie
werden das alles vielleicht in der Opposition, wenn Sie so
weitermachen, tun.
({0})
Ein menschlich vernünftiges Verhältnis und ein angenehmes Klima im Ausschuss, so wie wir es bei der Beratung
dieser Materie hatten, kann uns aber nicht davon abhalten,
ein wenig Klartext zu reden. Glücklicherweise haben Sie
zum Schluss Ihrer Ausführungen die Sache etwas aufgemischt.
Ich darf zunächst einmal an Folgendes erinnern: Es war
im November 1997, als im Bundestag die erste Lesung des
Entwurfs eines Wohnraumreformgesetzes stattfand, das
von dem damaligen Bauminister der CDU, Klaus Töpfer,
vorgelegt worden war. Wesentliche Punkte dieses Entwurfs
waren eine neue Bewertung der Zielgruppe - damals von
Ihnen abgelehnt -, eine verbesserte und flexiblere Bestandspolitik, die Abschaffung der Kostenmiete - von Ihnen verteufelt -, eine verstärkte Stellung der Kommunen usw.
({1})
Unser damaliger Gesetzentwurf hat die erste Lesung
nicht überlebt; denn wir wurden das erste Opfer der
lafontaineschen Blockadepolitik. Von wegen Reformstau,
meine Damen und Herren von der Opposition!
({2})
In der damaligen Diskussion wurden von Ihnen im Wesentlichen zwei Argumente geltend gemacht: Das eine betraf das Wohngeld, das mit unserem Entwurf überhaupt
nichts zu tun hatte. Das zweite Argument betraf, Herr Kollege Spanier, den Verpflichtungsrahmen. Wir hatten damals - wie Sie richtig sagen - genau wie heute 450 Millionen DM zur Verfügung; allerdings hatten wir im letzten
Jahr der Regierungszeit von Helmut Kohl tatsächlich
noch immer 1,35 Milliarden DM im Haushalt zum Ausgeben. Das ist der kleine Unterschied.
Der Kollege Großmann, als sozialdemokratischer
wohnungspolitischer Sprecher damals mein Sprecherkollege und heute Staatssekretär, legte einen Entwurf vor Bundestagsdrucksache 13/7841 -, in dem ein ganzes Kapitel dem Thema Finanzsicherheit im sozialen Wohnungsbau gewidmet ist. Es heißt dort:
Eine effektive Wohnungsbauförderung ist jedoch nur
möglich, wenn eine stetige und angemessene Finanzierung seitens des Bundes und der Länder gewährleistet wird ...
Es heißt dort weiter:
Der bisherige gesetzlich vorgeschriebene Mindestrahmen für die Bundesfinanzhilfen ist deutlich zu erhöhen.
({3})
Das Gleiche gilt auch für die Kollegen der Grünen.
Leider ist die Kollegin Eichstädt-Bohlig, die damals so
herumgetobt hat, heute nicht da. Sie forderte - nachzulesen auf Bundesdrucksache 13/7710 - noch im Jahre 1997
1 Milliarde DM, zusätzlich zu den Rückflüssen in den
Haushalt im Umfang von 1,6 Milliarden DM. Das ist die
Wahrheit. Was bedeutet denn, Herr Spanier, in diesem Zusammenhang „Wort gehalten“? Sie müssen sich das fragen lassen.
({4})
In diesem Zusammenhang ist auch der Hamburger
Bausenator Wagner zu nennen, der übrigens noch immer
Bausenator ist, aber zugegebenermaßen wahrscheinlich
nicht mehr lange. Er hat gesagt, 1,3 Milliarden DM seien
„ein weiterer Beweis dafür, dass sich die jetzige Bundesregierung“ - er meinte die damalige Regierung Kohl - „in
Wahrheit aus der Verantwortung seitwärts in die Büsche
stiehlt“. Wohin stiehlt sich denn die heutige Bundesregierung? So dichte Büsche, wie Sie sie benötigen, gibt es ja
gar nicht. Sie werden dabei ertappt, wie Ihr großartiges
Reformvorhaben - das wir in Teilen ja mittragen - heiße
Luft bleibt, weil das Moos fehlt, um das alles umzusetzen.
({5})
So beraten wir heute nicht zum ersten Mal und fast vier
Jahre später - ich sage noch einmal: von wegen Reformstau! - einen solchen Gesetzentwurf. Schwerpunkte
sind - siehe da - wieder: eine neue Bewertung der Zielgruppe - diesmal einvernehmlich -, eine verbesserte und
flexiblere Bestandspolitik, die Abschaffung der Kostenmiete - diesmal einvernehmlich -, eine Verstärkung der
Stellung der Kommunen usw.
({6})
Vieles von dem, was damals strittig war, ist heute vielleicht nicht jedes Detail, aber im Grundsatz - konsensfähig. Das ist gut so. Deswegen verweigert sich die
heutige Opposition - jedenfalls was die CDU/CSU-Fraktion betrifft - nicht. Wir haben im Deutschen Bundestag
und im Bundesrat konstruktiv mitberaten und an Verbesserungen mitgewirkt; denn in diesem Bereich besteht
- wie auch schon vor vier Jahren - ein dringender Reformbedarf. Denn dieses Gesetz ist zumindest seit 1956 Herr Spanier hat es richtig gesagt - in wesentlichen Zügen unverändert geblieben.
Meine Damen und Herren, ich möchte auf diesem
Wege allen beteiligten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
unseres Ministeriums und auch ihren Kollegen in den
Ländern, die daran auch über lange Zeit mitgewirkt haben, herzlich danken. Ich erkenne an, dass die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen auf eine Reihe von
Einwänden und Vorschlägen vom Bundesrat und auch
von der CDU/CSU-Opposition eingegangen sind. Hierzu
gehört zum Beispiel die schon von Herrn Spanier angesprochene Pauschalenregelung. Ich weiß zwar aufgrund
der wenigen Stunden, die wir für die Bewertung Zeit hatten, nicht, ob die neue nun wirklich die beste ist, aber damit wird ein Riesenschritt in die richtige Richtung getan.
Wir freuen uns natürlich auch - das haben Sie ebenfalls
bereits ausgeführt -, dass jetzt die Zahl von mindestens
zwei Kindern als Voraussetzung für die Eigentumsförderung im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus gilt.
Trotz all der Wahlkämpfe, die gerade stattfinden, hat
die CDU/CSU in den Ausschussberatungen eine ganze
Reihe von Anträgen auch der Regierungsfraktionen, nämlich 26 von 40 gestellten Anträgen, unterstützt. Bedauerlicherweise sind unsere acht eigenen Anträge alle gescheitert; Sie hätten ja angesichts des oben genannten
Verhältnisses bei zwei oder drei auch einmal zustimmen
können. Sie haben eine Änderung der Einkommensgrenzen, stärkere kommunale Beteiligung, bessere Eigentumsförderung für junge Ehepaare und eine verbesserte
Sicherung der Rückflussmittel abgelehnt. Ich sage Ihnen,
Herr Staatssekretär Großmann, eines voraus: Wenn das
stimmt, was ich auf der Verwaltungsebene auf Länderseite gehört habe, dass Sie heute 1,6 Milliarden DM an
Rückflussmitteln einnehmen und nur noch 450 Millionen
DM für den sozialen Wohnungsbau ausgeben und darüber
hinaus Ihr groß angekündigtes Aufbauprogramm Ost
noch durch Kürzung der Städtebauförderungsmittel für
den Osten wie den Westen gegenfinanzieren wollen, dann
sehen wir uns hier sehr bald wieder. Ich möchte da nur
einmal die ARGEBAU-Minister-Konferenz abwarten.
({7})
Ich sagte schon, dass wir vor allen Dingen mit unserem
zentralen Anliegen einer angemessenen Erhöhung des gesetzlichen Verpflichtungsrahmens gescheitert sind. Für
die zuhörenden Bürgerinnen und Bürger, die die Begriffe
nicht verstehen: Damit sind die mindestens zur Verfügung
stehenden Mittel gemeint. Bei der Umsetzung dieses Gesetzes werden wir von vornherein auf riesige Schwierigkeiten stoßen, wenn wir den gesetzlichen Verpflichtungsrahmen nicht den neu dazugekommenen Aufgaben
anpassen, derentwegen wir alle dieses Gesetz so preisen.
Der Hinweis auf die kommenden Haushaltsberatungen,
Kollege Spanier, nutzt doch überhaupt nichts, wie uns die
Erfahrung lehrt. Der Gesetzgeber - das ist der Deutsche
Bundestag, also wir, und nicht die Bundesregierung muss bei einer solchen Gelegenheit eine höhere gesetzliche Mindestverpflichtung vorgeben.
In den vergangenen Jahrzehnten haben wir doch Erfahrungen mit dem Wechselspiel zwischen Wohnungsleerstand und Wohnungsnot, zwischen überschwappender
Baukonjunktur und dann wieder, wie heute, einer tiefer
Rezession auf dem Bau gemacht. Allein in den letzten
zwei Jahren sind 100 000 Arbeitsplätze auf dem Bau verloren gegangen, 50 000 werden es in diesem Jahr sein. Neben Gegenden mit leer stehenden Wohnungen gibt es im
Übrigen aber auch schon wieder Gegenden, wie süddeutsche Großstädte, in denen man an den Bäumen Zettel mit
der Aufschrift findet: Biete 2 000 DM für Vermittlung einer Wohnung. Hierbei handelt es sich nicht um
Wahlkampfgeschrei, sondern um Realität. Die Situation
in München sieht eben anders aus als anderswo. Ich hoffe,
dass Sie, Herr Kollege Wolf, uns das vielleicht bei Gelegenheit noch einmal etwas deutlicher darstellen.
Es gibt also nur den sicheren Weg der Verstetigung
der Mittel. Wir haben für den sozialen Wohnungsbau
500 Millionen Euro gefordert. Wer es ernst meint mit einer besseren Bestandsförderung, mit der Schaffung besserer Möglichkeiten beim Erwerb von Belegungsrechten,
mit Kooperationsverträgen und mit vielem anderen mehr,
was in dieses Gesetz hineinkommt - darüber hinaus brauchen wir nach Meinung der CDU/CSU-Fraktion auch
noch den Neubau -, der muss doch jetzt, ob er nun will
oder nicht, den Anträgen der CDU/CSU hier zustimmen.
Denn genau das, was wir brauchen, wird darin gefordert.
Sie, meine Damen und Herren, sagen, Sie hätten jetzt
Ihr Programm erledigt. Ich will jetzt aus Zeitgründen
nicht im Einzelnen darauf eingehen, die Probleme beim
Wohngeld und beim sozialen Wohnungsbau habe ich genannt. Schauen Sie doch einfach einmal in das Land hinaus: Von der Wohngeldanhebung zum 1. Januar ist nach
der Explosion der Heizkosten fast nichts mehr übrig geblieben. Wenn nächstes Jahr die Heizkostenpauschale
wieder wegfällt, bleibt davon gar nichts mehr übrig.
({8})
Die Wohnkosten sind um 3,7 Prozent gestiegen und
stellen damit einen der Spitzentreiber bei der Inflation dar.
Die Investoren sind aus dem Mietwohnungsbau nahezu
vollständig ausgestiegen: Im ersten Quartal dieses Jahres
gab es 24 Prozent weniger Baugenehmigungen. Sogar der
Eigenheimbau, der immer die Spitze darstellte, bricht zusammen: Da haben wir bei den Baugenehmigungen ein
Minus von 26 Prozent. Dieser Schweinezyklus schlägt
eben durch.
Meine Damen und Herren, deswegen frage ich Sie:
Wann wollen Sie endlich das Wort des Bundeskanzlers
Schröder einlösen? Als Schröder noch im Wahlkampf
war, hat er in Bezug auf die Regierung Kohl, die dreimal
so viel Mittel für den sozialen Wohnungsbau wie die heutige Regierung zur Verfügung gestellt hat, gesagt, die
Bundesregierung habe den Etat in diesem Bereich „drastisch zusammengestrichen“, wohingegen er den „Trend
stoppen“ und den sozialen Wohnungsbau wieder zu einem
„schlagkräftigen Instrument der Wohnungspolitik machen“ wolle. Wohlgemerkt: Das war der O-Ton von
Gerhard Schröder vor der letzten Wahl.
Wann, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, haben
Sie die Chance, diese Versprechen einzulösen? Jetzt,
heute, indem Sie unserem Antrag zustimmen.
({9})
Ich erteile dem Kollegen Helmut Wilhelm, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kansy, genau das, was Sie im letzten Satz angesprochen haben, tun wir.
Die Bundesregierung ist 1998 angetreten, den Reformstau aufzulösen, die überfällige Modernisierung unseres Landes anzupacken und eine ökologische und
soziale Wende einzuleiten. In der Wohnungs- und Baupolitik haben wir das konsequent umgesetzt: Wir haben eine
Wohngeldreform beschlossen und den Menschen damit
zu mehr Wohngeld verholfen, das insbesondere Familien
mit Kindern bitter nötig haben. Wir haben das Mietrecht
modernisiert und für die überfällige Regelung des Ausgleichs der Interessen von Mietern und Vermietern
gesorgt. Wir haben das Altschuldenhilfe-Gesetz reformiert und damit der Not leidenden ostdeutschen Wohnungswirtschaft Hilfestellung geleistet. Wir bringen den
Stadtumbau Ost voran; wir haben die Energieeinsparungsverordnung auf den Weg gebracht und haben das
größte Altbaumodernisierungsprogramm der deutschen
Geschichte beschlossen. Heute werden wir mit der Reform des sozialen Wohnungsbaus den letzten großen
wohnungspolitischen Baustein setzen. Wir haben also
gehalten, was wir versprochen haben. Wir haben die wohnungspolitischen Instrumentarien unseres Landes runderneuert, ökologisch modernisiert, sozial gerechter ausgestaltet und zukunftsfest gemacht. Ich meine, diese Bilanz
kann sich sehen lassen.
({0})
Die wohnungspolitischen Rahmenbedingungen in
unserem Land haben sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten verändert. Die Bedeutung des sozialen Wohnungsbau in den 50er- und 60er-Jahren lag vornehmlich
darin, flächendeckend Wohnungsnot zu bekämpfen und
die breiten Schichten der Bevölkerung mit Wohnraum zu
versorgen. Diese Aufgabe hat der soziale Wohnungsbau
mit Bravour geleistet, denn mit Ausnahme regionaler
Spitzen ist heute die Versorgung der Bevölkerung mit
Wohnraum weitgehend gesichert. Wer, meine Kollegen
von der F.D.P., daraus allerdings die Forderung ableitet,
der Bund solle sich von seiner Verantwortung für die soziale Wohnraumversorgung verabschieden, begeht meines Erachtens einen Fehler. Nach wie vor brauchen Haushalte mit kleinen Einkommen, kinderreiche Familien,
behinderte Menschen und andere am Wohnungsmarkt benachteiligte Gruppen nämlich Hilfe bei der Wohnraumversorgung.
({1})
Diesen Menschen gilt unsere Aufmerksamkeit und diesen Menschen soll das reformierte Wohnungsbaurecht zu
einer angemessenen und bezahlbaren Wohnung verhelfen. Statt mit der Gießkanne soll künftig zielgenau gefördert werden. Auch wenn die Zielgruppe heute eine andere
als in den vergangenen Jahren ist, stehen wir zu der Verantwortung des Bundes für eine soziale Wohnraumversorgung und damit auch zu einer sozial gerechten
Wohnungspolitik.
({2})
Zunächst geht es um eine umfassende Rechtsvereinfachung und Entschlackung des geltenden Rechts. Das
Wohnungsbindungsgesetz, die Neubaumietenverordnung
und die Zweite Berechnungsverordnung gelten nur noch
für die vorhandenen Sozialwohnungsbestände, nicht
mehr für das neue Wohnraumförderungsgesetz. Die verschiedenen Förderwege werden zusammengeführt. Das
Kostenmietprinzip wird abgeschafft.
Die regionalen Unterschiede bei der Wohnraumversorgung - wir haben in diesem Haus schon mehrfach über die
Problematik der Wohnungsknappheit in Ballungsräumen
wie zum Beispiel München oder Frankfurt gesprochen erfordern auch eine Flexibilisierung der Instrumente des
Wohnungsbaurechts. Wir ermöglichen es den Ländern
nunmehr, auf regional differenzierte Problemsituationen
flexibel zu reagieren. Die Länder werden in die Lage versetzt, die Einkommensgrenzen regional differenziert auszugestalten.
Für Kommunen und die Wohnungswirtschaft wird es
neue, flexible Instrumente wie Kooperationsverträge und
die mittelbare Belegung geben. Damit kann die Nutzung
vorhandener Sozialwohnungsbestände gesichert und zugleich die Bildung von sozialen Brennpunkten vermieden
werden.
Mit der Reform des Wohnungsbaurechts werden endlich Neubau- und Bestandsförderung gleichgesetzt. Auch
der Ankauf von Gebäuden wird künftig genauso gefördert
wie der Neubau. Wir tun dies, weil die Wohnungsbaubestände der 50er- und 60er-Jahre nicht nur instand gehalten
werden müssen, sie müssen auch modernisiert und den
heutigen Wohnbedürfnissen angepasst werden. Dies betrifft die Freiflächengestaltung ebenso wie moderne,
familiengerechte Grundrisse.
Im Verlauf der intensiven Beratungen in den Ausschüssen und als Ergebnis der wirklich hervorragenden
Anhörung haben die Regierungsfraktionen eine Reihe
von Änderungsanträgen eingebracht. Die Förderung
von Familien wird durch die Einführung eines Freibetrages für Alleinerziehende und durch die Anpassung der
Einkommensgrenzen im Falle von Kindern weiter verbessert. Damit bekennen sich die Regierungsfraktionen
zu einer sozialen Familienförderung, die die besondere
Problemlage von jungen Familien anerkennt.
({3})
Mit der Anhebung der Verwaltungs- und Instandhaltungskostenpauschalen ermöglichen wir einerseits der
Wohnungswirtschaft ein wirtschaftliches Arbeiten, vermeiden aber gleichzeitig überhöhte Mietsteigerungen für
die Mieter.
Wir werden der Bedeutung von Mietgenossenschaften
als dritter Säule neben Miete und Eigentum dadurch gerecht, dass wir die Wohngenossenschaften unter anderem
in § 1 des Gesetzes gesondert herausstellen.
Die Opposition stellt heute eine Reihe von Änderungsanträgen zur Abstimmung, auf die ich kurz eingehen will.
Sehr geehrter Herr Kansy, im Verlauf der Beratungen
hatte ich eigentlich den Eindruck gewonnen - ein wenig
haben Sie es gerade bestätigt -, dass Sie mit dem Gesetzentwurf in einigen Punkten zufrieden sind. Dass Sie aber
heute sozusagen das Haar in die Suppe suchen und ausgerechnet die Einkommensgrenzen drastisch anheben und
damit Ziel und Zweck des Gesetzes aushebeln wollen,
verwundert mich etwas.
({4})
Die große Mehrheit der Experten in der Ausschussanhörung war sich in einem Punkt einig: Soziale Wohnraumversorgung muss sich in Zukunft zielgruppengenau
an diejenigen richten, die tatsächlich Marktzugangsschwierigkeiten haben, und nicht an die breite Masse der
Bevölkerung.
Damit kommen wir zu der zweiten zentralen Forderung: mehr Geld. Wer Steuergelder mit der Gießkanne
ausstreut, braucht tatsächlich mehr Geld. Dies können wir
uns leider nicht leisten - brauchen wir auch nicht. Wir fördern da, wo Förderung benötigt wird. Dafür ist eine Mindestausstattung von 450 Millionen DM zusammen mit
der Rückflussbindung ausreichend. Ich bin froh, dass wir
damit die Bundeskompetenz für den sozialen Wohnungsbau sichern.
Bedauerlich ist meines Erachtens allerdings der Vorschlag, an einem überholten Familienbegriff festzuhalten
und nicht eheliche Lebensgemeinschaften mit Kindern
von der gleichberechtigten Förderung auszuschließen.
Das kann ich nicht unterstützen.
({5})
Die Anträge der F.D.P. demonstrieren, dass Sie die
wohnungspolitischen Herausforderungen der Gegenwart
wohl nicht ganz verstanden haben. Letztlich wollen Sie
doch den sozialen Wohnungsbau ganz abschaffen. So
wichtig die Subjektförderung auch ist: Mit der Wohngeldreform haben wir gezeigt, wie wichtig uns dieses
Thema ist. Wir müssen an der Objektförderung festhalten.
({6})
Es ist doch Realität, dass insbesondere in den Wachstumsregionen unserer Städte zahlreiche Menschen
Schwierigkeiten haben, Zugang zu einer angemessenen
Wohnung zu finden. Da hilft auch kein Wohngeld weiter.
({7})
Wenn die F.D.P. im selben Antrag gleichzeitig die Erhöhung der Finanzausstattung durch den Bund und den
Ausstieg des Bundes aus der Wohnraumförderung fordert,
verstehe ich die Logik nicht mehr ganz.
({8})
Zur PDS nur ein Wort: Mit Ihren Anträgen demonstrieren Sie ein ums andere Mal, dass Sie viel vom Geldausgeben verstehen. Das hat aber nichts mit nachhaltiger
Finanzpolitik und noch weniger mit zielgruppengenauer
Förderungspolitik zu tun. Wenn ich Ihre Anträge studiere,
könnte ich fast auf den Gedanken kommen, Sie planten
den Wiedereinstieg in die Wohnraumversorgungspolitik
der DDR. Das ist aber mit uns nicht zu machen.
Danke schön.
({9})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Hans-Michael Goldmann, F.D.P.-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man
hat mich aufgefordert, nicht so laut zu sein. Aber ich
hoffe, ich bin deutlich. Das wird mir glücken, denke ich.
Zunächst sage ich Dank für das Verfahren. Es war sehr
nett miteinander, nur war es substanzlos, weil sich die Regierungsparteien nicht bewegt haben, obwohl sie eigentlich in allen Phasen erkennen mussten, dass ihr Gesetz
nicht die richtigen Lösungen der Probleme bringt, die wir
haben. Deswegen möchte ich vorweg deutlich, aber nicht
laut feststellen: Ich halte diese Reform des Wohnungsbaurechts für einen sozialpolitischen Skandal.
({0})
Ich halte diese Reform des Wohnungsbaurechts für wohnungspolitischen Betrug.
({1})
Ich möchte Ihnen sagen, was heute in den „Stuttgarter
Nachrichten“ steht - ich meine, die haben hundertprozentig Recht -: „Rot-Grün zeigt wenig Herz für Sozialschwache.“ Genau das ist der Punkt.
({2})
Für die wirklich Bedürftigen zeigen Sie mit diesem Gesetz eben genau kein Herz.
Weil ich das, was ich sage, auch begründe, möchte ich
Ihnen Folgendes darlegen. Mit diesem Gesetz werden ungefähr 40 Prozent der deutschen Haushalte Anspruchsberechtigte. Die Rechnung umfasste, nachdem Sie noch
andere hinzugenommen haben, ungefähr 16 Millionen
Haushalte. Es stimmt nicht, wenn Sie, Herr Spanier, sagen, dass es sich um eine Grundausstattung handele. Sie
müssen in Ihre mittelfristige Finanzplanung schauen.
Darin steht: Dauerhaft 450 Millionen DM. Wenn Sie die
450 Millionen DM - machen wir es leichter - durch
15 Millionen berechtigte Haushalte teilen, fördern Sie
jede Familie mit 30 DM pro Jahr. Das ist das Ergebnis Ihrer Finanzausstattung und das Ergebnis Ihres Berechtigungsrahmens. Das halte ich, Herr Spanier, wie ich eben
gesagt habe, für sozialpolitisch wirklich verwerflich.
({3})
Der zweite Punkt: Frau Fuchs, gerade weil Sie mir den
Gefallen tun, an dieser Stelle zu schmunzeln, will ich sagen, was ich auch für schlicht unkorrekt halte. Sie haben
einen großen Mietertag in Bielefeld gehabt. Leider ist
mein Zug, wie es üblich ist, wenn er vom Norden kommt,
nicht zeitig genug angekommen; aber ich habe Ihre Ausführungen gelesen. Sie forderten unter dem tosenden Beifall der Anwesenden: „Zwei Milliarden müssen her!“ Und
heute stimmen Sie einem Gesetz zu, mit dem dauerhaft
450 Millionen DM vorgesehen sind. Das ist unseriös.
({4})
Das ist Vorgaukeln falscher Tatsachen. Das ist nicht in
Ordnung. Ich weiß nicht, wie Sie das empfinden. Wir hatten eine Anhörung. In dieser Anhörung haben alle, die
sich mit diesem Thema beschäftigen, gesagt, das gehe in
die richtige Richtung, die Länderkompetenzen müssten
gestärkt werden, die Reform sei dringend notwendig. Es
haben aber auch alle gesagt, wir brauchten mindestens
1,2, 1,5 oder bis zu 2 Milliarden DM. Wenn Sie ein Gesetz auf den Weg bringen und eine Anhörung dazu durchführen, wenn Sie sozusagen Sachverstand einfordern,
dann aber dieses Gesetz so ausstatten, dass Sie damit dem,
was in der Anhörung an uns herangetragen worden ist,
überhaupt nicht Rechnung tragen können, finde ich das
unseriös, unsolide, dann ist das im Grunde genommen
auch unsozial und nicht die richtige wohnungsbaupolitische Antwort.
({5})
Wenn hier der eine von einer Säule und der Kollege
Wilhelm von einem weiteren Baustein spricht - Frau
Eichstädt-Bohlig hätte das wohl noch viel dramatischer
gesagt -, kann ich nur fragen: In welcher Welt leben Sie
eigentlich? Lesen Sie keine Zeitung? Gehen Sie nicht auf
eine Baustelle? Sprechen Sie nicht mit Arbeitslosen?
Kennen Sie nicht die Zahlen, die hier genannt worden
sind? Baugenehmigungen von Januar bis März 2001:
Wohnungen insgesamt minus 21,6 Prozent, Wohneigentum minus 23,6 Prozent, Mehrfamilienhäuser minus
26,9 Prozent, Ein- und Zweifamilienhäuser minus
24,5 Prozent.
Dann behaupteten Sie hier ernsthaft, Sie hätten mit den
Dingen, die Sie im Mietrecht, im sozialen Wohnungsbau,
bei der Berücksichtigung der Immobilien für die Altersvorsorge und beim Wohngeld beschlossen haben, ein
neues, modernes, zukunftsfähiges Wohnungsbauprogramm auf den Weg gebracht. Das kann doch wirklich
nicht Ihr Ernst sein.
({6})
- Nein, Herr Spanier.
Die Antworten, die Sie in all diesen Punkten geben,
kann man am Markt ablesen: Einbruch bei den Fertigstellungen, Anstieg der Mieten, weil Sie die Mieten zusätzlich belasten, und Mangel an Investitionen. Resultierend
daraus kommt es zu einer Erhöhung der Arbeitslosigkeit.
In diesem Zusammenhang ist der Vorwurf an die F.D.P.,
sie habe in diesem Bereich ihre Hausaufgaben nicht gemacht, schlicht und ergreifend unberechtigt.
({7})
Zu allen von Ihnen eingebrachten Initiativen haben wir
sehr konkrete, qualifizierte Anträge gestellt.
({8})
Wir haben ein eigenes Mietgesetz auf den Weg gebracht.
({9})
- Frau Fuchs, das Mietrecht, das wir auf den Weg gebracht
haben, ist hervorragend. Es wird nämlich dafür sorgen,
dass Menschen bereit sind, Wohnungen zu bauen. Das
Bauen von Wohnungen ist die beste Sozialfürsorge für
Menschen, die Wohnungen nachfragen.
({10})
Es gibt noch einen anderen Bereich. Es gibt Menschen,
die sich keine eigene Wohnung leisten können, weil ihr
Einkommen dazu nicht ausreicht.
({11})
- Ich habe manchmal den Eindruck, dass Sie als wohnungsbaupolitischer Sprecher Ihrer Fraktion ebenso wie
Herr Dr. Kansy, Herr Spanier oder Herr Maaß, Ihr Selbstverständnis aus dieser Funktion ableiten. Deswegen muss
im Haushalt unbedingt eine Haushaltsstelle erscheinen,
aufgrund deren sich wohnungsbaupolitische Sprecher
selbst verwirklichen können.
Damit kommen wir zu unserem Vorschlag, diese Mittel lieber dem Wohngeld zuzuschlagen und mit dieser
übermäßigen Bürokratisierung, mit dem damit verbundenen Verwaltungsaufwand Schluss zu machen. Das erscheint sinnvoll, wenn diese 450 Millionen DM durch einen unheimlichen bürokratischen Aufwand aufgezehrt
werden, wenn in der Anhörung alle Vertreter der Länder
feststellen, es sei nicht sinnvoll, München und Rostock,
Zwickau und das Emsland über einen Kamm zu scheren,
statt individuelle Lösungen vor Ort zu finden, und wenn
hier ein Kollege völlig zu Recht sagt, allein in Bayern
würden 600 Millionen DM und damit in einem einzigen
Bundesland 150 Millionen DM mehr als im Bund insgesamt bereit gestellt. Wenn wir diesen oben genannten Vorschlag unterbreiten, halten Sie uns vor, wir wollten den
Schwachen nicht helfen. Gerade durch die Umwidmung
in Wohngeld helfen wir genau den Menschen.
({12})
Das ist der Punkt. Wir helfen den Menschen. Sie wissen doch ganz genau, in welchem Umfang Mittel aus dem
Wohngeld gerade für sozial Schwache zur Verfügung gestellt werden, dass die Prozentanteile in diesen Bereichen
riesig sind. Deshalb meine ich, dass Ihr Vorwurf uns gegenüber unberechtigt ist.
({13})
Ich halte es für bedauerlich und traurig, dass Sie uns aufgrund eines sehr vernünftigen Antrags, der hundertprozentig in die richtige Richtung geht, in eine Ecke stellen,
in die wir nicht hineingehören. Wir haben keine Angst vor
dieser Ecke, weil wir in all diesen Punkten den Beweis
wohnungsbaupolitischer Kompetenz geliefert haben.
Ich bin stolz darauf, dass wir als F.D.P. - ebenso ich als
wohnungsbaupolitischer Sprecher - 50 Jahre nach Ende
des Zweiten Weltkrieges die Zeichen der Zeit erkannt haben. Wir brauchen intelligente Lösungen, Investitionsbereitschaft, weniger Bürokratie und mehr Eigenverantwortung. Das wird der Situation der Mieter in Deutschland
wesentlich besser gerecht als das, was Sie mit diesem Gesetz auf den Weg bringen.
({14})
Vielen Dank.
({15})
Ich erteile dem Parlamentarischen Staatssekretär Achim Großmann das Wort.
Herr
Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach
fast 50 Jahren der Geltung des sehr bewährten Gesetzes
zum sozialen Wohnungsbau schaffen wir heute - den
Zeiterfordernissen angemessen - ein sehr innovatives,
modernes Gesetz. Wir sichern damit das soziale Wohnen;
wir sorgen für gute Nachbarschaften. Wir gestalten damit
die gesetzlichen Rahmenbedingungen auf diesem Gebiet
familienfreundlicher und freundlicher für die Investoren.
Wir bauen Reglementierungen und Bürokratie ab. Wir
schaffen mehr Eigentum. Wir beseitigen den Förderwirrwarr und kümmern uns viel stärker als bisher um den Bestand an Wohnungen und nicht nur um deren Neubau. Das
sind die wirklichen Kernpunkte dieses neuen Gesetzes.
({0})
Wenn ich jetzt die Kritik daran höre, dann frage ich
mich, ob diejenigen, die diese Kritik äußern, das Gesetz
wirklich gelesen und verstanden haben.
({1})
Ich gehe auf ein paar Punkte ein, zunächst auf die Versorgungssituation. Wir haben uns alle darauf geeinigt,
dass es heute nicht mehr erforderlich ist, für die so genannten breiten Schichten der Bevölkerung zu bauen. Das
war unmittelbar nach dem Krieg ein Problem; seinerzeit
musste ganz viel neu gebaut werden, damit das Problem
der quantitativen Versorgung mit Wohnungen gelöst
wurde. Heute muss das Problem der qualitativen Versorgung gelöst werden. Deshalb ist es völlig falsch, nur auf
das Wohngeld zu setzen.
({2})
Das Wohngeld ist dafür da, den Menschen zu helfen, die
aus eigener Kaufkraft heraus keine Wohnung bezahlen
können. Das Fördern von Wohnungen, also die Objektförderung, hilft den Menschen, die zwar Einkommen haben, möglicherweise ein geringes Einkommen, die aber
aus anderen Gründen Schwierigkeiten haben, sich am
Wohnungsmarkt zu versorgen. Dazu zählen zum Beispiel
kinderreiche Familien, Alleinerziehende und auch viele
ausländische Familien. Denen nutzt das Wohngeld überhaupt nichts; ihnen müssen wir Wohnungen zur Verfügung stellen. Das haben Sie nicht begriffen.
({3})
Dieses Problem lösen wir mit diesem Gesetz. Ich
bin froh, dass derjenige, der in Deutschland über das
größte ordnungspolitische Renommee verfügt, Professor
Eekhoff, dies in der Anhörung klargestellt hat. Dabei sah
die F.D.P. alt aus; sie war mit ihrer Auffassung völlig allein.
({4})
- Lesen Sie es einfach einmal nach, Herr Goldmann! Dies
ist keine Frage der Lautstärke, sondern eine Frage des
Nachlesens.
Schauen wir uns nun den zweiten Kritikpunkt an, die
Finanzen: Wir reden über die Mindestausstattung, die
wir in das Gesetz hineingeschrieben haben. Herr Kansy,
Sie haben eben darauf hingewiesen, dass Sie 1997 selbst
einen Gesetzentwurf vorgelegt hatten. Liest man in ihm
nach, stößt man verblüfft auf die Zahl 450 Millionen DM.
Das, was wir als Mindestausstattung in unseren Gesetzentwurf hineingeschrieben haben, haben Sie schon vor
über drei Jahren vertreten. Wären Sie damals konsequent
gewesen, hätten Sie Ihr eigenes Gesetz ablehnen müssen;
aber es ist ja nicht zur Beschlussreife gekommen.
({5})
Es geht also um die Mindestausstattung und ich nehme
Ihre Hinweise gern auf, damit Sie mir später nicht vorhalten können, was ich bis jetzt gesagt habe. Natürlich
wünschte ich mir - vielleicht schaffen wir das in den
nächsten Jahren gemeinsam -, dass wir das Gesetz zum
sozialen Wohnungsbau mit mehr Mitteln dotieren. Tatsache war aber doch, dass wir beim Kassensturz 1998 festgestellt haben, dass Sie das Geld, das wir dafür ausgeben
wollten, bereits in den Sand gesetzt hatten. Es war bereits
ausgegeben.
({6})
Dann haben wir uns den Reformbedarf angesehen.
Ich sage Ihnen jetzt einmal, was wir geschaffen haben.
Die Reform des Wohngeldes kostet uns 700 Millionen DM pro Jahr zusätzlich.
({7})
Wir haben 1,3 Milliarden DM in die Hand nehmen müssen, um das Altschuldenhilfe-Gesetz zu reparieren, das
Sie uns hinterlassen haben. Wir haben die Städtebauförderung West um 100 Millionen DM erhöht. Wir haben ein
Programm „Soziale Stadt“ aufgelegt. Wir haben 2 Milliarden DM für das Gebäudesanierungsprogramm bereitgestellt. Wir packen jetzt 900 Millionen DM in das Stadtumbauprogramm Ost. Zusammengenommen fließen also
5 Milliarden DM in den Wohnungs- und Städtebau. Wir
tun etwas für den Wohnungs- und Städtebau, wir packen
die Reformen an, die Sie haben liegen lassen. Wir setzen
das durch, was vorrangig gemacht werden muss. Das ist
eine sehr gute Zielrichtung
({8})
In dem Gesetzentwurf der heute zur zweiten und dritten
Lesung ansteht, geht es zunächst um das Sichern des sozialen Wohnens. Indem wir weiterhin auf die Objektförderung setzen, das Ganze aber sehr viel flexibler machen,
schaffen wir eine zeitgemäße Lösung. Wir räumen damit
auch eine Menge Vorurteile aus, die der soziale Wohnungsbau immer noch mit sich herumträgt; machen wir
uns da nichts vor. Wir sorgen erstmalig für gute und stabile
Nachbarschaften, indem wir nicht mehr bloß auf die zu
bauenden Wände schauen, sondern darauf achten, wo sie
gebaut werden. Wir schaffen also ein städtebauliches Umfeld und schreiben eine so flexible Regelung in das Gesetz,
dass wir stabile, gute Nachbarschaften in den Stadtvierteln
sichern, die heute langsam wegzukippen drohen. Wir sorgen also mit diesem Gesetz für die dringend notwendige
soziale Stabilisierung ganzer Wohnviertel.
({9})
Wir verändern die Prioritäten. Herr Goldmann, es
reicht nicht aus, einfach Subventionen in den Wohnungsmarkt hineinzugeben - Sie haben eben die Zahlen der
Baugenehmigungen vorgelesen -; denn es baut niemand
nur deshalb, weil er Subventionen bekommt.
({10})
Gebaut wird nur, wenn Nachfrage vorhanden ist.
({11})
Wenn in den neuen Bundesländern 1 Million Wohnungen
leer stehen, dann müssen Sie uns hier nicht wegbrechende
Baugenehmigungszahlen vorwerfen. In den neuen Bundesländern baut angesichts dieses Wohnungsleerstandes
niemand.
({12})
Machen Sie hier keine Milchmädchenrechnung auf, sondern schauen Sie sich den Markt genau an!
({13})
Wenn wir jetzt das Gesetz ändern, dann tun wir dies
auch dadurch, dass wir nicht mehr nur auf den Neubau
setzen, sondern auch auf den Altbau. Natürlich ist es
schön, wenn man in eine neue, dem heutigen Standard
entsprechende Sozialwohnung einziehen kann; sie ist besonders attraktiv. Wir wollen aber auch, dass ältere Wohnungen modernisiert und für die Menschen gesichert werden, die auf preiswerte Wohnungen angewiesen sind. Das
heißt: Wir öffnen dieses Gesetz auch für die Modernisierung älterer Wohnungen. Dies ist dringend notwendig.
Ich möchte auf einen Punkt zurückkommen, den ich
bereits angesprochen habe, nämlich auf den Förderwirrwarr. Bislang mussten die Investoren stundenlang dieses
Gesetz und die Ausführungsbestimmungen der Länder lesen, um herauszufinden, ob die Möglichkeit besteht, ihr
Bauvorhaben vernünftig fördern zu lassen. Dies schaffen
wir ab. Wir führen ein Baukastensystem ein: Die Investoren können sich mit denen, die diese Vorhaben fördern,
zusammensetzen und genau überlegen, welchem Zweck
der soziale Wohnungsbau dienen soll, welche Rahmenbedingungen wichtig sind, auf welchem Niveau die Mieten
fixiert werden sollen, ob die Mieten langsam steigen oder
zunächst einmal eine Zeit lang eingefroren werden sollen.
Es wird also Verhandlungsfreiheit geben. Dies ist auch
notwendig, weil wir die Investoren nur so wieder für den
sozialen Wohnungsbau gewinnen können. Dieser Gesetzentwurf beinhaltet also eine gewisse Flexibilität.
Mit diesem Gesetz bauen wir auch die Ungerechtigkeiten ab. Zwischenzeitlich war es so, dass viele kommunale Wohnungsbaugesellschaften gar nicht mehr im
sozialen Wohnungsbau tätig werden konnten, weil die privaten Investoren dafür viel bessere Rahmenbedingungen
hatten. Die meisten Wohnungsbaugesellschaften können
keine steuerlichen Abschreibungen vornehmen, die privaten Investoren hingegen schon. Das hatte zur Konsequenz, dass in vielen Ländern private Investoren bis zu
85 Prozent des sozialen Wohnungsbaus übernommen haben. Das macht mir zwar keine Sorgen. Aber es macht
Sinn, dass die kommunalen Wohnungsbaugesellschaften,
die eine andere Form von Daseinsfürsorge betreiben und
denen wir hinsichtlich des Umgangs mit den Mieterinnen
und Mietern viel stärker vertrauen können, sich wieder
gleichberechtigt auf diesem Markt bewegen können. Das
bedeutet, dass die Steuererleichterungen, die die Investoren bekommen, mit den Subventionen verrechnet werden
müssen. Dieser Gesetzentwurf ist sozial gerecht, was die
Leistungen anbetrifft, die der Staat den Investoren gewährt, die bauen.
Wir setzen auch auf mehr Wohneigentum; das habe
ich ebenfalls bereits erwähnt. Für viele Menschen, die
sich damit beschäftigen, ist der soziale Wohnungsbau nur
der pure Mietwohnungsbau. Das stimmt aber nicht. In der
Vergangenheit ist dadurch - leider zunehmend weniger auch Wohneigentum geschaffen worden. Wir wollen, dass
der soziale Wohnungsbau mit der Eigenheimzulage verknüpft wird, damit mehr Menschen, die ein schmaleres
Portemonnaie haben, in der Lage sind, Wohneigentum zu
schaffen. Sie sollen über die Eigenheimzulage und den sozialen Wohnungsbau die Möglichkeit haben, das notwendige Geld für die eigenen vier Wände aufzubringen.
Schließlich haben wir - darauf ist schon hingewiesen
worden - die Rahmenbedingungen für die Familien verbessert. Nun sind nicht mehr drei Kinder für eine begünstigende Einkommensermittlung notwendig, sondern nur
noch zwei, weil dies der gesellschaftspolitischen Realität
viel besser angepasst ist.
({14})
Zudem heben wir die Einkommensgrenzen um 1 000 DM
pro Kind an. Dies hilft den Familien in besonderem Maße.
({15})
Wenn man diesen Gesetzentwurf in die Zahl der Reformvorhaben einreiht - es täte Ihnen weh, wenn ich diese
hier alle anführen würde -, dann kann man feststellen,
dass das, was wir uns zu Beginn der Legislaturperiode
vorgenommen haben, fast vollständig umgesetzt ist.
Natürlich liegen noch Aufgaben vor uns. Wir sind aber mit
der Umsetzung der wohnungs- und städtebaupolitischen
Forderungen, die wir uns selber gestellt haben, sehr, sehr
weit gekommen.
Weil wir nicht so viele Sozialwohnungen bauen können, wie es der Zahl derer, die Wohnungsberechtigungsscheine bekommen können, entspricht, brauchen wir ein
gerechtes System, eine Verzahnung zwischen Wohngeld
und sozialem Wohnungsbau. Das Wohngeld, das uns die
alte Regierung hinterlassen hat, Herr Goldmann,
({16})
lag, wenn man die fiktiven Einkommensgrenzen berechnet, um circa 30 Prozent niedriger als die Einkommensgrenzen im sozialen Wohnungsbau. Der erste Schritt zu
einer Gerechtigkeit auf dem Wohnungsmarkt war also die
Anhebung des Wohngeldes. Das haben wir durchgesetzt.
({17})
Als Nächstes haben wir das Gesetz zum sozialen Wohnungsbau reformiert. Wir haben ein Gebäudesanierungsprogramm aufgelegt, durch das die Sanierungskosten der
Eigentümer, die sonst voll auf die Miete durchschlagen
würden, reduziert werden. Mit diesem Programm beteiligt sich der Staat in Höhe von ungefähr 25 Prozent an den
Maßnahmen der gebäudeenergetischen Sanierung. Das ist
eine ganz großartige Leistung.
Wir haben das Altschuldenhilfe-Gesetz reformiert. Wir
haben ein Stadtumbauprogramm auf den Weg gebracht.
Wir haben die Städtebaufördermittel erhöht und das Programm „Soziale Stadt“ aufgelegt. Dies ist eine wohnungsund städtebaupolitische Leistung, die sich wirklich sehen
lassen kann und auf die wir stolz sein können.
Herr Kansy, im Grunde würden Sie uns gerne zustimmen. Sie haben sich in den letzten Wochen weniger darum
bemüht, Verbesserungsmöglichkeiten zu finden. Dennoch
bedanke ich mich sehr für Ihre Mitarbeit. Aber die Anträge, die Sie teilweise gestellt haben, haben Sie nur gestellt, um überhaupt Anträge einzubringen. Denn viele
Verbesserungsmöglichkeiten gibt es nicht.
({18})
In erster Linie haben Sie sich Gedanken darüber gemacht,
welchen Grund Sie anführen können, um den Gesetzentwurf abzulehnen. Schade, dass Sie heute nicht zustimmen. Ich weiß aber, dass Sie mit dem Herzen für dieses
Gesetz stimmen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({19})
Ich erteile der Kollegin Christine Ostrowski, PDS-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Liebster
Herr Spanier, ich würde Sie wirklich gern einmal von
Herzen loben, aber leider ist es mit der Reform so, als ob
ich ein wunderbares Kleid entwerfe, es schneidern
möchte, dann aber feststelle, dass der Stoff nur für den
Rocksaum reicht. Man könnte auch sagen: so viele Paragraphen und so wenig Geld.
Es stellt sich für mich das Problem: Was nützen die vielen tollen Maßnahmen, die unbestritten in dem Gesetzentwurf enthalten sind, wenn sie am Ende nicht realisiert
werden können, weil das Geld fehlt?
Natürlich sehe ich den Widerspruch zwischen den mindestens 15 Millionen Haushalten, die - gemessen an
ihrem Einkommen - berechtigt wären, in eine Sozialwohnung zu ziehen, plus weiterer, die aus anderen Gründen Anspruch auf eine Sozialwohnung haben, und dem
vorhandenen Bestand an Sozialwohnungen, der bekanntermaßen rasant abnimmt. Das muss ich Ihnen alles nicht
erzählen. In Zukunft stellen Sie dann nur noch 450 Millionen DM zur Verfügung.
Dazu ein Rechenbeispiel: Die Durchschnittsgröße einer Wohnung liegt bei 70 Quadratmetern. Wenn wir einen
Preis von 1 000 DM pro Quadratmeter zugrunde legen,
reichen die 450 Millionen DM, die Sie pro Jahr zur Verfügung stellen, Herr Wilhelm, für rund 6 500 modernisierte oder rund 3 000 neu gebaute Wohnungen jährlich.
Das sind aus unserer Sicht zu wenig.
({0})
Ich möchte ein pikantes Detail, das mich davon überzeugt, dass Sie mitnichten bereit sind, mehr als 450 Millionen DM pro Jahr zu geben, anführen: Ursprünglich
stand in Ihrem Gesetzentwurf unter dem entsprechenden
Paragraphen: Es gibt jährlich 450 Millionen DM und darüber hinaus weitere nach Maßgabe des Haushalts. Dieses
„und“ galt im Sinne von „plus“. Dieses kleine Wörtchen
„und“ wurde liquidiert und durch ein Komma ersetzt, sodass jetzt dort steht: 450 Millionen DM, darüber hinaus
weitere usw. Dies ist ein großer inhaltlicher Unterschied.
Die erste Version bedeutete - deswegen haben Sie es
geändert -: Es gibt einen Basisbetrag plus weitere Mittel.
Die jetzige Formulierung bedeutet, dass es letztendlich
nur diesen Basisbetrag gibt.
Bei ihrer Reform gibt es noch ein Problem. Sie sind in
Ihrer öffentlichen Argumentation nicht ganz ehrlich, sondern unsauber und in sich widersprüchlich gewesen. Sie
waren zum Beispiel unsauber hinsichtlich der Zielgruppen. Heute haben Sie wieder betont, dass es darum geht,
sich auf die wirklich Bedürftigen statt wie bisher auf
breite Schichten zu konzentrieren. Sie haben aber die Einkommensgrenzen aus dem Jahre 1994 übernommen und
sogar durch die Kinderkomponente noch ein bisschen
aufgestockt. Durch diese Einkommensgrenzen zielt das
Gesetz auf eine riesengroße Gruppe, nämlich auf 15 Millionen Haushalte, und mitnichten auf eine kleine.
Sie verkleinern diese Gruppe dennoch - hier schießen
Sie jetzt von hinten durch die Brust ins Auge - über die
schlechte Finanzausstattung. Aber ein Betroffener, der
ins Gesetz schaut, macht sich jetzt Hoffnungen und sagt:
Ich bin berechtigt, das ist ja wunderbar. Dieser wird erst
später merken, dass er in der Praxis aufgrund der fehlenden Mittel leer ausgeht. Das halte ich nicht für sauber.
Es ist auch unsauber, den Eindruck zu erwecken, dass
die Einkommensgrenzen durch die Länder nur nach oben
zu verändern sind. Selbst Sie sind fast vor Überraschung
vom Stuhl gefallen - Herr Dr. Kansy ebenfalls; davon abgesehen haben Sie beide das Gesetz nie ordentlich gelesen -, als Sie gemerkt haben, dass sie auch nach unten
verändert werden können. Hinsichtlich dessen, ob die
Regelung nun so oder so ausgelegt wird, werden wir sehen, was die Praxis bringt. Die Länder haben genauso wenig Geld wie Sie.
Noch etwas zur Ehrlichkeit und Sauberkeit: Herr
Staatssekretär Großmann hat eben wieder von ökologischen Anforderungen, sozialer Durchmischung sowie darüber gesprochen, welche Grundsätze Sie dazu ins Gesetz
geschrieben haben.
Sie haben diese Grundsätze hineingeschrieben; das ist
wahr. Da geht es ja wirklich um ganz wichtige Dinge, um
das genossenschaftliche Wohnen, um die Anbindung der
Wohnungen an den öffentlichen Verkehr usw. Was Sie
aber auch heute wieder verschweigen, ist, dass die Länder
diese Grundsätze ganz oder teilweise aushebeln können.
Das steht in Ihrem Gesetzestext. Da darf ich doch einmal
fragen: Was sind denn diese Grundsätze wert, wenn jedes
Land frei entscheiden kann, sie anzuwenden oder nicht
anzuwenden?
({1})
Das heißt: Ihre ökologischen Anforderungen und Ihr Beitrag zur sozialen Durchmischung werden zur Makulatur.
Das Gleiche trifft auch für die Rückflussbindung zu.
In Ihrer Antwort auf eine Anfrage unsererseits haben Sie
sehr deutlich gesagt - das weiß eigentlich auch jeder
Fachmann -, dass in Zukunft mit einem deutlichen Rückgang bei dieser Rückflussbindung zu rechnen ist. Von diesem Geld können wir uns in absehbarer Zeit verabschieden.
Sie haben zum Beispiel das Problem auch nicht geregelt, dass es nicht günstig ist, vorfristig zu tilgen, die Förderdarlehen und damit die Bindungsdauer vorfristig abzulösen. Auch das hatten Sie uns in einer Antwort
versprochen, dass Sie nämlich mit der Reform des sozialen Wohnungsbaus genau dieses Problem lösen. Sie haben
es nicht gelöst.
Wir haben in vielen Dingen eine andere Auffassung,
wie die Reform des sozialen Wohnungsbaus aussehen
müsste. Sie ist erstens in unserem Entschließungsantrag
dargelegt. Zweitens haben wir versucht, mit zwei Änderungsanträgen wenigstens auf zwei Probleme aufmerksam zu machen, die uns wichtig erscheinen.
Herr Wilhelm, sagen Sie Frau Eichstädt-Bohlig einen
schönen Gruß. Sie soll Ihnen in Zukunft nicht mehr solch
einen Schwachsinn aufschreiben;
({2})
denn mit Geldforderungen haben beide Anträge nur sehr
mittelbar zu tun.
({3})
Überlegen Sie sich besser vorher, was Sie vorlesen.
Kollegin Ostrowski,
Ihre Redezeit ist überschritten.
Ich bin am Schluss.
Weil diese Reform einen Anschein hat, dem sie in
Wirklichkeit nicht gerecht werden kann, ist das Maximale, wozu wir uns heute durchringen werden, eine Enthaltung.
({0})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Aribert Wolf, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Dem vorliegenden Gesetz
zur Reform des Wohnungsbaurechts hätten wir als Union
zwar gern zugestimmt. Wir können dies aber leider nicht
tun. Sie wissen, dass auch wir - das darf ich noch einmal
betonen - gern das seit 1956 in seinen Grundzügen unverändert gebliebene Recht verändert hätten und der Meinung sind, dass es einer umfassenden Reform bedarf.
Deswegen haben wir - das ist ja bereits erwähnt worden zu unserer Regierungszeit einen Reformanlauf unternommen, den Sie damals aus vordergründigen und wahltaktischen Motiven im Bundesrat blockiert haben.
Wir hätten heute gern zugestimmt; aber so, wie Fachleute Ihren Gesetzentwurf ablehnen, müssen auch wir diesen Gesetzentwurf aus einer ganzen Reihe von Gründen
ablehnen.
Die Situation in der Wohnungspolitik ist wie folgt. Ich
darf Ihnen das einmal am Beispiel Münchens schildern.
Dann werden Sie verstehen, Herr Staatssekretär
Großmann, dass es nicht nur ein vordergründiges Neinsagen ist, sondern dass sehr handfeste Gründe dahinter stehen, warum wir nicht mitmachen können.
Heute ist die Situation am Wohnungsmarkt in der Tat
so, dass der frei finanzierte Wohnungsbau durch private Kapitalanleger fast vollständig abgewürgt ist. Sie
kennen auch die Gründe dafür; sie sind ja schon genannt
worden: Sie haben die Spekulationsfrist beim Weiterverkauf privater Immobilien von zwei Jahren auf zehn Jahre
verlängert und Sie haben den Verlustabzug im Steuerrecht für Vermietung und Verpachtung ebenfalls eingeschränkt. Deswegen ist es dazu gekommen, dass Eigentumswohnungen fast nur noch für Selbstbezieher gebaut
werden und keine Anlageobjekte mehr zum Vermieten
sind.
Wenn Sie sagen, Herr Großmann, das würde nur für die
neuen Länder zutreffen und es würden deswegen dort
keine Wohnungen gebaut werden, weil keine Nachfrage
besteht, dann sehen Sie sich einmal die Situation in München an. In München haben wir eine gewaltige Nachfrage
nach Wohnungen. Wir haben steigende Mieten. Wir haben
einen riesigen Verdrängungswettbewerb. Aber in München ist der private Wohnungsbau faktisch zum Erliegen
gekommen. Das führt dazu, dass viele Menschen in München nur dann noch eine Wohnung bekommen, wenn sie
in der Lage sind, viel Geld hinzublättern. Ich frage mich
schon, warum sich hier kein Kollege aus München von
der SPD oder von den Grünen beteiligt; denn dieses
Thema bewegt in München sehr viele Menschen und viele
Menschen haben gewaltige Probleme, am Wohnungsmarkt überhaupt noch zum Zug zu kommen. - und das
von einer Partei, die früher immer gesagt hat: Wir sind die
Partei des kleinen Mannes, wir wollen uns als Anwalt der
Mieter profilieren. Herr Präsident, muss das eigentlich sein, dass der Bundesaußenminister dauernd dazwischenredet? Ich denke,
das darf man von der Regierungsbank aus nicht.
Er redet nicht dazwischen, sondern er redet mit Ihrem werten Kollegen
Ramsauer. Ertragen Sie das?
Nein, das ertrage ich nicht.
Ich wäre dankbar, wenn man das einstellte.
({0})
Dann bitte ich die
Kollegen Ramsauer und Fischer, ihre intensive Unterhaltung etwas weiter weg fortzusetzen.
Ich bedanke mich herzlich.
Ich glaube schon, dass die Frage, wie es in der Wohnungspolitik insgesamt weitergeht, für München wichtig
ist. Deswegen ist es für uns auch wichtig, wenn wir jetzt
über das soziale Wohnrecht reden, zu erfahren, warum Sie
beispielsweise die Einkommensgrenzen nicht deutlich
anheben. Im Münchener Stadtrat sind die SPD und auch
die Grünen immer mit uns der Meinung gewesen, dass das
ein wichtiger Schritt ist, um in den Ballungsräumen endlich sozial ausgewogene Nachbarschaften zu schaffen.
Wenn Sie heute in den Städten die Einkommensgrenzen
nicht anheben
({0})
- das können die eben nicht in dem erforderlichen Umfang machen,
({1})
wenn der Bund die Rahmenbedingungen nicht vorgibt -,
dann bedeutet das, dass die sozialen Gettos bestehen bleiben
({2})
und dass die Städte viel Geld aufwenden müssen, um den
Menschen in diesen kommunalen Brennpunkten über Betreuung entsprechende Hilfen zu geben. Ich glaube, das
Geld wäre besser angelegt, wenn Sie sich gleich für eine
richtige und angemessene soziale Wohnraumversorgung
eingesetzt hätten, sodass Sie besser auf sozial problematische Nachbarschaften hätten reagieren können.
Um die tatsächliche Lage am Wohnungsmarkt in München darzustellen, schildere ich einmal, was heute passiert, wenn in München beispielsweise eine 60-Quadratmeter-Wohnung in der Zeitung angeboten wird. Sie haben
dafür eine Nettokaltmiete von rund 1 800 DM zu bezahlen. Obwohl diese gewaltige Mietsumme gefordert wird,
melden sich bis zu 120 Bewerber bei dem Vermieter. Sie
können sich mit etwas Phantasie vorstellen, welche entwürdigenden Szenen da ablaufen und wie wenig Chancen
schwangere Frauen haben.
Kollege Wolf, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Großmann?
Das mache ich gern, bitte.
Ich weiß, dass wir Freitagnachmittag haben, Herr Wolf. Ich will es ganz kurz machen. Sind Sie bereit, mir zuzugestehen, dass die Regelung, die wir im Gesetz haben, dazu berechtigt, dass in
München die Einkommensgrenzen deutlich angehoben
werden können?
Nein, ich bin nicht bereit,
Ihnen das zuzugestehen.
({0})
- Nein, wir sind der Auffassung, dass Sie das Bundesgesetz entsprechend hätten ändern können. Auch der Münchener Oberbürgermeister - der ja Ihrer Partei angehört -,
schreibt Ihnen tagtäglich, dass er diese Regelungen in diesem Gesetz für unzureichend hält. Dazu kann ich nur sagen: In diesem Punkt schließe ich mich gern einem Mann
aus Ihrer eigenen Partei an.
({1})
Wir haben in der Tat in München eine Situation, dass
Familien mit Kindern fast keine Chance haben, auf dem
freien Wohnungsmarkt zum Zug zu kommen. Deswegen
sind wir der Meinung, dass Sie, wenn Mieter mit rapide
steigenden Mieten zu kämpfen haben, im Recht des sozialen Wohnungsbaus einige Korrekturen vornehmen
müssen, wie das heute bereits angeklungen ist.
({2})
Wir sind der Auffassung, dass Sie die kommunale Beteiligung verstärken müssen. Wir sind dafür, dass Sie eine
stärkere Wohneigentumsförderung, insbesondere für
junge Ehepaare, im Gesetz vorsehen.
({3})
Wir sind dafür, dass Sie klarere Regelungen zur Vermeidung von Leistungsmissbrauch aufstellen.
Wir meinen vor allem, dass die Regelungen, die Sie im
Gesetz vorsehen, in die richtige Richtung gehen, aber in
der Praxis doch nicht zum Tragen kommen, weil sie nämlich für die Freistellung und die Übertragung von Belegungsbindungen viel zu unflexibel und uneffizient sind,
sodass das in der Praxis keine Anwendung finden wird.
Auch hier gehen Sie an den Bedürfnissen der Menschen
vorbei.
Einer der wichtigsten Punkte ist die finanzielle Ausstattung der sozialen Wohnraumförderung. Das ist bereits
angeklungen. Hier müssen Sie einfach eingestehen, dass
ein neuer Geldbeutel nicht reicht. Vielmehr müssen Sie in
diesen Geldbeutel auch die nötigen Finanzmittel tun,
wenn Sie den Menschen wirklich helfen wollen.
Dieses alles haben Sie in Ihrem Gesetz unzureichend
geregelt. Ich darf Ihnen sagen, dass wir hier nicht allein
stehen, sondern dass die Wohnungspolitik dieser Bundesregierung in Ihren eigenen Reihen auf erheblichen Widerstand stößt. Ich darf zitieren, was der Münchner Oberbürgermeister - er heißt Ude und kommt von der SPD - dieser Regierung am 6. Februar 2001 in der „Süddeutschen
Zeitung“ ins Stammbuch geschrieben hat:
Man schränkt die Abschreibungsmöglichkeiten ein
und senkt im Gegenzug die Steuern. Für uns hatte
das unerwünschte Folgen, weil in München Wohnungsmangel besteht.
({4})
Deshalb ist die Forderung nach Steuererleichterungen für den Wohnungsbau richtig. Allerdings hat sie
politisch kaum Chancen ...
Denn SPD und Grüne lehnen dies auf Bundesebene ab.
Ein weiterer Punkt. Ihr Münchener Oberbürgermeister
sagt auch - damit ist klar, wer die Verantwortung trägt -,
warum viele Münchenerinnen und Münchener und viele
Menschen in den Ballungsräumen heute für ihre Miete
tiefer in die Tasche greifen müssen: dass nämlich die Neueinführung einer zehnjährigen Spekulationsfrist, die
Sie ebenfalls zu vertreten haben, mit dafür verantwortlich
ist, dass die Mieten in Deutschland wieder kräftig steigen.
Mit Ihrem Gesetzentwurf zum sozialen Wohnungsbau
jedenfalls werden Sie den Hoffnungen vieler Menschen,
die darauf setzen, dass sie außerhalb der frei finanzierten
Wohnungswirtschaft, im Sozialbereich, die Chance haben, zum Zuge zu kommen, nicht gerecht.
({5})
- Sie schützen in der Tat Spekulanten, indem Sie das Angebot verknappen und diesen die Möglichkeit geben, die
Mieten nach oben zu treiben.
Hören Sie auf Ihre eigenen Leute. Wir können diesem
Gesetzentwurf nach bestem Wissen und Gewissen nicht
zustimmen.
({6})
Ich schließe die Aus-
sprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von den Frak-
tionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen ein-
gebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Woh-
nungsbaurechts auf Drucksache 14/5538. Der Ausschuss
für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen empfiehlt unter
Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache
14/6344, den Gesetzentwurf für erledigt zu erklären. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt da-
gegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist
einstimmig angenommen.
Abstimmung über den von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Woh-
nungsbaurechts auf Drucksache 14/5911. Der Ausschuss
für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen empfiehlt unter
Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache
14/6344, den Gesetzentwurf in Kenntnis der Unterrich-
tung durch die Bundesregierung auf Drucksache 14/6145
in der Ausschussfassung anzunehmen. Hierzu liegt ein
Änderungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksache
14/6362 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt
für den Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Ent-
haltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen
des Hauses gegen die Stimmen der PDS abgelehnt.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. -
Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzent-
wurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von
SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von
CDU/CSU und F.D.P. bei Stimmenthaltung der PDS an-
genommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grü-
nen gegen die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. bei
Enthaltung der PDS angenommen.
Wir kommen nun zur Abstimmung über die Ent-
schließungsanträge.
Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf
Drucksache 14/6348. Wer stimmt für diesen Entschlie-
ßungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Ent-
schließungsantrag ist gegen die Stimmen der CDU/CSU
mit den Stimmen des übrigen Hauses abgelehnt.
Entschließungsantrag der Fraktion der F.D.P. auf
Drucksache 14/6359. Wer stimmt für diesen Entschlie-
ßungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Ent-
schließungsantrag ist gegen die Stimmen der F.D.P. abge-
lehnt.
Entschließungsantrag der Fraktion der PDS auf Druck-
sache 14/6349. Wer stimmt für diesen Entschließungs-
antrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschlie-
ßungsantrag ist gegen die Stimmen der PDS-Fraktion
abgelehnt.
Abstimmung über den vom Bundesrat eingebrachten
Gesetzentwurf zur Änderung des Zweiten Wohnungsbau-
gesetzes und anderer wohnungsrechtlicher Gesetze,
Drucksache 14/627. Der Ausschuss für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 14/6344, den Gesetzentwurf
für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? -
Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des Hau-
ses bei Enthaltung der PDS-Fraktion angenommen.
Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 3 seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 14/6344 die Annahme einer
Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU,
Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der F.D.P. bei
Enthaltung der PDS angenommen.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 20 b. Inter-
fraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Druck-
sache 14/6048 an die in der Tagesordnung aufgeführten
Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstan-
den? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so be-
schlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 21 a und 21 b auf:
21 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten KlausJürgen Hedrich, Dr. Norbert Blüm, Hermann
Gröhe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Deutsche Entwicklungszusammenarbeit und
Demokratisierungshilfe für die zentralasiatischen Nachfolgestaaten der Sowjetunion verstärken
- Drucksache 14/5251 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung ({0})
Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Haushaltsausschuss
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker
Rühe, Karl Lamers, Klaus-Jürgen Hedrich, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Die strategische Bedeutung der Kaukasus-Republiken, Armenien, Aserbaidschan und Georgien politisch umsetzen
- Drucksache 14/5961 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({1})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich begrüße zu diesem Tagesordnungspunkt unserer Debatte eine Delegation der Nationalversammlung der Republik Armenien unter Leitung des stellvertretenden Vorsitzenden der Nationalversammlung, Herrn Gagik Aslanyan.
Seien Sie uns herzlich willkommen, liebe Gäste.
({2})
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Peter Weiß, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und
Kollegen aus dem armenischen Parlament! Als vor einem
Jahrzehnt die Sowjetunion zerfiel, entstanden, verbunden
mit vielen Erwartungen und Hoffnungen, die fünf neuen
Staaten Zentralasiens Kasachstan, Kirgistan, Usbekistan,
Tadschikistan und Turkmenistan sowie die drei neuen
Staaten im Südkaukasus Armenien, Aserbaidschan und
Georgien.
Für viele Menschen in Europa und auch bei uns in
Deutschland sind diese Länder nicht nur geographisch,
sondern auch im öffentlichen Bewusstsein noch immer
weit entfernt. Doch mit der Osterweiterung der Europäischen Union rücken wir näher an diese Länder heran.
Dann gilt erst recht, dass Krieg und Frieden, Armut und
Wohlstand, Unterjochung und Freiheit, Willkür und
Rechtsstaatlichkeit in diesen Ländern, die die Drehtüren
zwischen Ost und West darstellen, unmittelbare Folgen
für die Zukunft Europas haben. Deshalb ist es höchste
Zeit, dass die politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit mit den Ländern der Kaukasusregion und Zentralasiens stärker in das Zentrum deutscher und europäischer Politik gerückt wird.
({0})
Offenkundig ist zum Beispiel das hohe wirtschaftliche
Interesse, das wir haben. Deutschland ist der größte Erdöl- und Erdgasimporteur in Europa. Je mehr jedoch unsere
traditionellen Bezugsquellen für unsere eigene Versorgungssicherheit versiegen, umso bedeutender werden die
Erdöl- und Erdgasvorkommen im Kaspischen Becken.
Die Nachfrage nach deutscher Technologie, deutschen
Maschinen und Anlagen bei der Erschließung der
Rohstoffvorkommen wird in den kommenden Jahren
wachsen.
Ein anderes Beispiel: Bei Experten längst bekannt, in
der deutschen Öffentlichkeit noch wenig nachvollzogen,
ist, dass ungefähr 90 Prozent der Opiate, die nach Westeuropa gelangen, in Afghanistan produziert werden und
ihren Weg über Zentralasien und über Nachbarstaaten
nach Europa finden. Für die Taliban in Afghanistan ist die
Drogenproduktion mittlerweile eine der wichtigsten
Einnahmequellen geworden. Für die zunehmend verarmten Länder Zentralasiens ist der Drogenhandel aus Afghanistan in Richtung Westeuropa ebenfalls eine wichtige
Einnahmequelle geworden. In Tadschikistan sollen die
EinkünfteausdemRauschgifthandelmittlerweileeinSechstel der gesamten Bruttoinlandsproduktion ausmachen.
Dass globale Umweltprobleme nicht an staatlichen
Grenzen Halt machen, ist allgemein bekannt. Zentralasien
ist eine ökologische Katastrophenzone. In Kasachstan
gibt es riesige, durch sowjetische Atomversuche verseuchte Landgebiete. Die Region leidet zunehmend an gewaltigem Wassermangel durch Übernutzung und Verschmutzung. Das Katastrophensymbol schlechthin ist der
mittlerweile fast verschwundene Aralsee.
Sicherheit und Prosperität in Europa gibt es nur, wenn
auch bei unseren unmittelbaren Nachbarn stabile Verhältnisse herrschen. Doch Zentralasien ist heute eine der Regionen, die zunehmend dem - aus Afghanistan herüberschwappenden - Fundamentalismus und kriegerischen
Attacken von Milizen ausgesetzt sind. Organisierte Kriminalität und internationaler Terrorismus destabilisieren
die gesamte Region. Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und
die Achtung der Menschenrechte sind unterentwickelt.
Die staatliche Macht ist äußerst brüchig.
Die Situation in den drei kaukasischen Republiken ist
durch eine ganze Reihe regionaler Konflikte geprägt. Die
eingefrorenen Konflikte um Nagorny-Karabach zwischen
Armenien und Aserbaidschan sowie um Abchasien und
Südossetien in Georgien behindern die wirtschaftliche
und politische Entwicklung der gesamten Region. Sie
können jederzeit wieder gewaltsam ausbrechen, mit all
Präsident Wolfgang Thierse
den Folgen für die regionale Stabilität und die Stabilität in
Europa insgesamt.
Die deutsche Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik bezüglich der Länder Zentralasiens und der Kaukasus-Region ist europäisch fest eingebunden und international verankert. Das ist zwar gut so. Aber diese
Verankerung darf nicht dazu führen, dass sich die deutsche Politik aus der Verantwortung zieht. Wir erwarten
- deswegen haben wir die heutige Debatte beantragt -,
dass die Bundesrepublik Deutschland künftig auch selbst
einen stärkeren Beitrag leistet, um bei der Bewältigung
der Konflikte in diesen Regionen zu helfen und zu einer
nachhaltigen positiven Entwicklung der neu entstandenen
Staaten beizutragen. Man kann sich nicht nur hinter der
EU verstecken oder alles auf die EU schieben.
Herr Bundesaußenminister, Sie haben kürzlich eine
Reise unternommen
({1})
- gut, Sie unternehmen viele Reisen -, die Sie auch in die
Länder des Kaukasus, über die wir heute debattieren, geführt hat. Aber wenn Sie in der Kaukasus-Region nur
Aserbaidschan und nicht Armenien besuchen, dann muss
man sich fragen, wie es um unseren ernsthaften Beitrag
zur Lösung des seit über zwölf Jahren bestehenden Konfliktes um Nagorny-Karabach bestellt ist und warum Sie
sich nicht in beiden Ländern kundig machen. Seit 1992
gehört Deutschland der so genannten Minsk-Gruppe an,
die sich um die Vermittlung zwischen Armenien und
Aserbaidschan kümmern soll. Doch von Deutschland hat
man schon seit vielen Jahren nichts mehr gehört.
Wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie zusammen mit ihren Partnern in der Kaukasus-Region endlich selbst aktiv wird. Wir fordern, dass ein hochrangiger
Beauftragter Deutschlands für die Kaukasus-Region benannt wird, der mit entsprechendem politischem Rückhalt
einen kontinuierlichen Dialog mit den Regierungen der
betroffenen Ländern selbst, aber auch mit den Regionalmächten Russland, Türkei und Iran sowie mit den Verantwortlichen in der US-Administration und unseren europäischen Partnern über die friedliche Beilegung der
Konflikte führt; denn die Beilegung der Konflikte wird
schmerzliche Kompromisse von den Beteiligten erfordern. Ohne konzertierten politischen Druck der wichtigsten Akteure einschließlich der internationalen Organisationen werden diese Kompromisse nicht zu erzielen sein.
Wir erwarten einen aktiveren Beitrag der Bundesrepublik Deutschland zur Stabilisierung der Staaten Zentralasiens und deren Begleitung auf dem Weg zu Demokratie,
Rechtsstaatlichkeit und marktwirtschaftlicher Ordnung.
Umweltverschmutzung, Drogenhandel, internationaler
Terrorismus, organisierte Kriminalität und Fundamentalismus - all dies sind riesige Probleme, die derzeit die
Länder Zentralasiens erschüttern - werden uns in Westeuropa irgendwann selbst einholen, wenn wir nicht
präventiv tätig werden.
({2})
Bei der Beantwortung der Frage: „Was haben die Deutschen wirklich vor, um zu einer nachhaltigen Entwicklung
sowie zur politischen und wirtschaftlichen Stabilität der
Länder Zentralasiens und des Kaukasus beizutragen?“,
kann man sich leider nicht allein auf die wertvollen Erklärungen des Herrn Bundesaußenministers oder auf die
so genannte Kaukasus-Initiative der Frau Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
verlassen. Die eigentliche Antwort darauf findet man im
Bundeshaushalt. Der Beschluss, den die Bundesregierung in der vergangenen Woche gefasst hat, ist schlichtweg
eine Katastrophe. Er bedeutet, dass es im Grunde genommen keinerlei Perspektive für die Entwicklungszusammenarbeit mit den zentralasiatischen Ländern und der
Kaukasus-Region gibt.
Mit dem Entwurf für den Bundeshaushalt 2002 werden
die Mittel für die Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion um circa 15,2 Prozent abgesenkt und die so genannten Transform-Programme werden um zwei Drittel gekürzt.
Die verbleibenden Baransätze sollen nur noch dazu dienen,
in den nächsten Jahren die eingegangenen Rechtsverpflichtungen zu bedienen. Neue Verpflichtungsermächtigungen
- das heißt auch: Mittel für neue Projekte - gibt es nicht
mehr. Die Titel, die für diese Länder bislang hauptsächlich
zuständig waren, sollen in den nächsten Jahren restlos beseitigt werden.
Natürlich bietet die Bundesregierung einen Ausweg an:
Die Arbeit in Osteuropa, in Zentralasien und in der Kaukasus-Region möge künftig über die so genannten normalen Titel der Entwicklungszusammenarbeit finanziert werden. Diese Titel werden für diesen Zweck jedoch nicht
etwa erhöht, sondern zum Teil sogar weiter abgesenkt.
Besonders perfide finde ich diese Strategie gegenüber
den nicht staatlichen Trägern der Entwicklungszusammenarbeit. Da die Entwicklung einer starken und aktiven
Zivilgesellschaft für den gelingenden Transformationsprozess sowie für die Demokratisierung der Länder Zentralasiens und des Kaukasus von größter Bedeutung ist,
haben sich im letzten Jahrzehnt die Kirchen, die politischen Stiftungen und eine Vielzahl von Nichtregierungsorganisationen in diesen Ländern zu Recht engagiert.
Angesichts der Tatsache, dass fast alle Länder Zentralasiens und der Kaukasus-Region im Hinblick auf Korruption - leider - weltweit an der Spitze stehen, war und
ist es wichtig, verlässliche und solide Partner der Entwicklungszusammenarbeit im nicht staatlichen Bereich
zu finden. Deshalb ist diese Arbeit von der Bundesregierung immer gefördert worden. Doch auch die Mittel dafür
soll es in Zukunft nicht mehr geben; stattdessen sollen
Kirchen, Stiftungen und Nichtregierungsorganisationen
ihre Ostarbeit künftig aus ihren eigenen Haushaltstiteln
für die Südarbeit mitfinanzieren. Um es deutlicher zu sagen: Das, was die Bundesregierung jetzt vorschlägt, heißt:
Ostarbeit, Arbeit in Zentralasien und in der Kaukasus-Region, gibt es künftig nur zulasten der Südarbeit, sprich:
zulasten der Zusammenarbeit mit den ärmsten Ländern
des Südens. Die Situation, vor die wir gestellt sind, halte
ich für vollkommen verquer.
({3})
Der Bundeskanzler hat auf dem Millenniumsgipfel der
Vereinten Nationen verkündet, dass Deutschland das
Peter Weiß ({4})
große Ziel, die extreme Armut weltweit bis zum Jahr 2015
zu reduzieren, mit einem eigenen Beitrag unterstützen
werde. Das Bundeskabinett hat Anfang April dieses Jahres mit der Unterstützung aller Bundesressorts ein Aktionsprogramm für einen deutschen Beitrag zur Reduzierung der weltweiten Armut beschlossen. Der Herr
Bundeskanzler hat heute, zum 60. Jahrestag des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941,
den Nachfolgestaaten weitere Hilfe bei gesellschaftlichen
und wirtschaftlichen Reformen sowie eine Intensivierung
der Beziehungen angeboten.
Doch gleichzeitig legt man uns einen Haushaltsentwurf vor, der genau das Gegenteil dessen, was für eine
solche Politik notwendig ist, beinhaltet. Wo bleibt da die
internationale Glaubwürdigkeit der Bundesregierung?
Wo bleibt die Glaubwürdigkeit gegenüber all denjenigen
Mitbürgerinnen und Mitbürgern, die sich in zum Teil
großartiger Weise in Verbänden, Nichtregierungsorganisationen oder anderen Initiativen engagieren? Wo bleibt
die Glaubwürdigkeit gegenüber unseren Partnern in den
Kirchen, in den Stiftungen, in den Nichtregierungsorganisationen oder in den vielen entwicklungsorientierten Initiativen und Gruppierungen?
Die hehren politischen Erklärungen, in denen wir weitgehend übereinstimmen, sind alle null und nichtig, wenn
man die Zusammenarbeit gerade mit den Transformationsländern Osteuropas, Mitteleuropas, Südosteuropas,
der Kaukasus-Region und Zentralasiens in der Art und
Weise, wie es der Bundeshaushalt 2002 ausweist, einschränkt und praktisch sogar auf null reduziert. Das ist
keine Perspektive. Deswegen fordern wir von Ihnen nicht
nur politische Erklärungen, sondern auch konkretes Handeln, das diese Erklärungen rechtfertigt.
Vielen Dank.
({5})
Ich erteile der Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul das Wort.
Herr
Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir tragen
eine politische Gesamtverantwortung für die Regionen,
über die wir heute diskutieren, das heißt für Zentralasien
und den Kaukasus, den Südkaukasus zumal. Denn die Befreiung von sowjetischer Herrschaft und Dominierung ist
das eine, aber unsere Verantwortung jetzt für den sich fortsetzenden Prozess der Transformation dieser Länder ist
das andere. Wir stehen zu dieser Verantwortung, da die
Leistungen, die von diesen Ländern verlangt werden,
groß sind.
Es geht darum, sich vom Staatskapitalismus hin zu einer sozialen Marktwirtschaft und zu einer stabilen Wirtschaft zu entwickeln. Es geht darum, sich hin zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu entwickeln. Es geht
darum, dazu beizutragen, Konflikte frühzeitig abzubauen
und damit mögliche Krisen und Kriege präventiv zu verhindern.
Ich möchte an dieser Stelle vor allen Dingen all den
Menschen danken, die in diesen Ländern die Veränderungen vollziehen, die mit dem Transformationsprozess verbunden sind. Sie leisten die wirkliche Arbeit dort.
({0})
Wer in diesen Ländern war - ich zum Beispiel war in allen drei Ländern des Südkaukasus, in Georgien, Aserbaidschan und Armenien, und habe mit einem Teil der Bevölkerung, nicht nur mit den politisch Handelnden,
gesprochen -, der sieht, was von den Menschen in diesen
Ländern an Veränderungen verlangt wird.
Deshalb ist es wichtig, dass wir die dort geleistete Arbeit mit unterstützen. Wir werden unsere Anstrengungen
weiter fortsetzen, denn wir haben ein Interesse an der Stabilität dieser Regionen. Wir haben ein Interesse - Kollege
Weiß hat es zu Beginn seiner Ausführungen angesprochen - an einer guten wirtschaftlichen Kooperation. Dazu
gehört übrigens auch eine wechselseitige kooperative
Energieversorgung; das kann sehr offen und deutlich gesagt werden. Wir haben ein Interesse daran, das Prinzip
der regionalen Integration, das für uns in Europa ein
friedens- und wohlstandssicherndes Prinzip ist, auch für
andere Regionen fruchtbar zu machen. Das heißt, dass in
der Region größere Märkte gefördert werden müssen,
zum Beispiel für die zusammen 73 Millionen Einwohner
des Südkaukasus und der zentralasiatischen Länder. Es
müssen die Voraussetzungen dafür geschaffen werden,
dass sie selbst größere Märkte und damit eine bessere
Ausgangsposition haben, um ihre eigene wirtschaftliche
Entwicklung voranzubringen.
({1})
Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen - weil uns
das häufig zu wenig präsent ist, und ich verstehe mich als
eine Ministerin, die solche Punkte in einer solchen Diskussion in Erinnerung ruft -: Wir haben ein dramatisches
Wohlstandsgefälle zwischen Europa und den entsprechenden Regionen sowie eine zunehmende Verarmung
der dortigen Regionen. Die durchschnittlichen Pro-KopfEinkommen betragen in den einzelnen Regionen zwischen 300 US-Dollar in Kirgisistan und etwa 1 250 USDollar in Kasachstan. Die Wirtschaftsleistung beträgt
etwa 1,2 Prozent bzw. 5 Prozent des deutschen Bruttosozialproduktes. Das ist ein dramatisches Ungleichgewicht.
Die Region leidet wegen des lang währenden Transformationsprozesses von der Planwirtschaft zur Marktwirtschaft an einer Verarmung neuer Art. Es besteht eine
strukturelle Arbeitslosigkeit, da der Markt der früheren
Sowjetunion weggebrochen ist und die Arbeitsteilung, in
die die frühere Sowjetunion diese Länder gepresst hat,
entfallen ist. Wer dort ist und sieht, welche Schäden diese
Arbeitsteilung in einem Land wie Aserbaidschan hinterlassen hat, wird sagen: Das war ein Verbrechen, das gegenüber diesen Ländern begangen worden ist.
({2})
Peter Weiß ({3})
Auch an dieser Stelle möchte ich Zahlen nennen: So erreichte zum Beispiel das Bruttosozialprodukt Georgiens
1999 nur noch 34 Prozent der 1989 offiziell vermeldeten
Zahlen. In Armenien und Aserbaidschan sieht es etwas
besser aus. Das geringe Finanzaufkommen ermöglicht es
diesen Ländern kaum noch, die Leistungen zu erbringen,
die für die Bevölkerung, zumal für die armen Teile, wichtig sind: Bildungs- und Gesundheitspolitik. Beide Regionen bestehen aus Staaten mit einem hohen Konfliktpotenzial und bergen daher ein besonderes Risiko der
Instabilität. Im Kaukasus sind sogar erneute kriegerische
Auseinandersetzungen nicht ausgeschlossen.
Angesichts dieses Sachverhaltes konzentriert sich unsere Entwicklungspolitik besonders auf Beratung und Unterstützung in den Bereichen Rechtsstaatlichkeit und
Demokratieentwicklung. An dieser Stelle möchte ich sagen: Unsere Zusammenarbeit wird besonders geschätzt,
zumal die Erwartung hinzukommt, dass wir Erfahrungen
aufgrund des deutschen Einigungs- und Transformationsprozesses an diese Staaten weitergeben und sie dort
fruchtbar werden können. Das ist in der Tat möglich, auch
wenn die Situation nicht übertragbar ist.
Die Kaukasus-Länder sind bereits Mitglied des Europarates. Die Region Kaukasus wird Nachbar der Europäischen Union. Auch Zentralasien sieht in der EU einen
neutralen Partner. Wir konzentrieren unsere Entwicklungszusammenarbeit auf Georgien sowie auf fünf Partnerländer, nämlich Armenien, Aserbaidschan, Kasachstan, Kirgisistan und Usbekistan. Nichtpartnerländer sind
bisher Tadschikistan und Turkmenistan. Dennoch leisten
wir in Tadschikistan Hilfe bei der Nahrungsmittelunterstützung. Aufgrund der politischen Situation in den beiden Ländern ist eine offizielle Entwicklungszusammenarbeit bisher für uns nicht möglich.
Schwerpunkte sind für uns immer, den Aufbau der sozialen Marktwirtschaft zu unterstützen, den Finanzsektor
zu reformieren, kleine und mittlere Unternehmen zu unterstützen, die Berufsbildung voranzubringen und in der
Rechtsberatung tätig zu sein. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer vor Ort erfahren hat, wie groß der Wunsch in
den betroffenen Ländern - besonders im Kaukasus - ist,
zum kontinentaleuropäischen Rechtssystem zurückzukehren, der weiß, wie wichtig diese Zusammenarbeit ist.
Der oberste Präsident des Gerichtshofs in Georgien etwa,
Herr Tschantschuria, hat als Austauschstudent des Deutschen Akademischen Austauschdienstes in Deutschland
seine Ausbildung genossen, ist dann nach Georgien
zurückgegangen und hat dort mit anderen zusammen das
georgische Justizsystem aufgebaut. Solche Beratungen
beim Aufbau von Rechtssystemen leisten wir vor einem
ganz zentralen Hintergrund: Es geht um Demokratie, aber
auch um wirtschaftliche Chancen für die Länder. Es geht
darum, die Chancen zu verbessern, dass in diesen Ländern
Investitionen vorgenommen werden und somit Arbeitsplätze geschaffen werden können.
({4})
Zum Schluss möchte ich noch einige Anmerkungen
machen: Wir haben nicht erst auf die Empfehlung von
Herrn Weiß hin praxisorientiert gehandelt, sondern ich
habe bereits während meiner Reise eine entsprechende
Kaukasus-Initiative unseres Ministeriums vorgestellt.
Wir sind bereits in Verhandlungen mit den Regierungen
von Georgien, Armenien und Aserbaidschan. Dieses
wollte ich Ihnen zum Schluss meiner Ausführungen noch
einmal darstellen.
Im Übrigen bin ich der Meinung, dass in erster Linie
die EU eine solche Stabilitätsinitiative voranbringen
sollte. Ich glaube nämlich nicht, dass wir warten können,
bis erneut Konflikte ausbrechen. Wir sollten vertrauensbildende Maßnahmen fördern, unterstützen und dazu beitragen, dass die Menschen in der Region miteinander reden, und zwar auch über die jeweiligen Grenzen hinweg.
Es reicht nicht, dass nur die Staatspräsidenten miteinander sprechen. Wir müssen den Kontakt zwischen den
Menschen fördern und das tun wir auch.
({5})
Das Anliegen meiner Reise - ich war im April in den
drei Ländern im Kaukasus - war, dazu beizutragen, die
Friedensförderung durch regionale Kooperationen in
wichtigen Bereichen voranzubringen. Dadurch sollen die
einzelnen Länder auch wirtschaftlich enger miteinander
verknüpft werden. Die Reaktionen waren insgesamt positiv, jedoch unterschiedlich in den einzelnen Ländern. Verabredet wurde - das lässt sich sehen, das hat vor uns niemand erreicht - eine Initiative für die Jahre 2001 und 2002
mit bilateraler Entwicklungszusammenarbeit in einer
Größenordnung von jeweils 100 Millionen DM. Wir haben mit der Umsetzung bereits begonnen.
Ich sage Ihnen nun stichpunktartig, worum es geht.
Zunächst geht es um Rechtsberatung und Rechtssysteme
sowie Stärkung der kommunalen Demokratie. Dazu
zählen zum Beispiel Dialogprogramme der politischen
Stiftungen, Aus- und Fortbildungsinstitutionen, Journalistenkontakte, Juristenzusammenarbeit, Förderung des
Energiesektors. Alle drei Länder im südlichen Kaukasus
leiden unter erheblichen Energieproblemen. Deshalb geht
es uns darum, mit der Kooperation einen regionalen
Energieverbund für Strom und Gas zu fördern. Darüber
hinaus geht es um die Förderung der Privatwirtschaft. Ich
denke insofern vor allem auch an Existenzgründungen.
Dazu haben wir überregional - für die drei Länder - einen
Kreditgarantiefonds für Klein- und Mittelbetriebe geschaffen, der dazu beiträgt, dass die Möglichkeiten des
größeren Marktes genutzt werden.
Zudem unterstützen wir die Länder überregional bei
der Bekämpfung von Krankheiten. Dazu zählen auch die
neuen alten Krankheiten; damit meine ich die Krankheiten, die - wie Tuberkulose - mit der Armut wieder zurückgekommen sind. Außerdem unterstützen wir die drei
Länder in der regionalen Zusammenarbeit beim Aufbau
von Biosphärenreservaten.
Frau Ministerin, Sie
müssen zum Ende kommen.
Jawohl, Herr Präsident, das trifft sich gut.
({0})
Zusätzlich zu all dem sind wir nicht nur bilateral tätig,
sondern auch in der EU, in der Weltbank und in den Regionalbanken. Vor dem Hintergrund der anhaltenden Veränderungen in der Region tun wir, wie ich denke, gut
daran, solche regionale Zusammenarbeit zu fördern. Wir
haben deutlich gemacht, dass wir darüber nicht nur reden,
sondern dass wir auch konkret handeln. Ich denke, die jeweiligen Länder wissen, wovon die Rede ist. Es liegt uns
wirklich daran, eine gute Zusammenarbeit zwischen den
Ländern herzustellen.
Zum Schluss möchte ich unsere Freunde, die Kolleginnen und Kollegen aus Armenien, die heute anwesend
sind, herzlich grüßen und ihnen sagen: Sie können sich
auf unsere Arbeit und Zusammenarbeit verlassen.
Ich danke Ihnen sehr herzlich.
({1})
Ich erteile dem Kollegen Carsten Hübner, PDS-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als ich mir die beiden Anträge, die
wir heute beraten, das erste Mal angesehen habe, habe ich,
gelinde gesagt, einen Schreck bekommen. Dabei beziehe
ich mich gar nicht auf eine ganze Reihe von Details, Forderungen und Einschätzungen, die ich - nicht zuletzt aus
entwicklungspolitischer Sicht - durchaus teile. Das betrifft etwa Armut, ökologische Probleme sowie Probleme
der Transformation oder der Demokratisierung. Insofern
herrscht, denke ich, in diesem Hause weitestgehender
Konsens.
Kein Konsens herrscht aber, lieber Kollege Weiß, was
die Logik anbetrifft, nach der die Bundesrepublik aktiv
werden soll. Das betrifft zunächst einmal die sich durch
Ihren Antrag ziehende Logik der offenen oder zumindest
deutlich erkennbar formulierten Interessenkollision zwischen der Bundesrepublik bzw. dem Westen auf der einen
und Russland bzw. China auf der anderen Seite. Letztlich
wird damit einem geostrategischen Wettlauf das Wort geredet; nicht zuletzt ist es der Wettlauf um die ökonomischpolitische Vorherrschaft in Zentralasien insgesamt.
({0})
Das ist ein Denken, das ich nicht allein aufgrund der
Gewinner-und-Verlierer-Logik ablehne, die solchen Wettläufen zugrunde liegt. Vielmehr entsprechen die Konfrontation und Konflikte, die mit einer derartigen Politik
einhergehen, die von ihr geradezu gefördert und provoziert werden und die schließlich wohl machtpolitisch entschieden werden sollen, einem Politikverständnis, das ich
grundsätzlich ablehne und das politisch nicht verantwortbar ist.
({1})
Wie kann man sich - das frage ich Sie ernsthaft - gerade in dieser brisanten Region, gerade im Bereich der
globalen Problematik der natürlichen Ressourcen - also
Öl und Gas - einer derartigen Logik hingeben, anstatt auf
regionale und gleichzeitig globale Integration sowie auf
einen Prozess des nachhaltigen und ökologisch vertretbaren Interessenausgleichs zu setzen?
({2})
Dieser Prozess muss Russland und China als Partner - genauso wie internationale Organisation - einschließen,
wenn er erfolgreich sein will. Mit einem zukunftsfähigen
entwicklungspolitischen Ansatz hat diese hier vorgetragene Denke jedenfalls wenig zu tun.
Ich will noch auf einen zweiten Aspekt hinweisen, nämlich auf die Tendenz, die Entwicklungszusammenarbeit zu
einer Agentur der Außenwirtschaftsförderung und der
geostrategischen Interessen des Westens gegenüber dem
Osten und natürlich gegenüber dem Süden zu machen.
Erschreckenderweise findet sich genau dieser Ansatz im
entwicklungspolitischen Antrag ebenso deutlich wie im
Antrag über die strategische Bedeutung der Region. Diese
Denkweise, die weit blicken lässt, lehnt die PDS-Bundestagsfraktion aus prinzipiellen Erwägungen ab.
({3})
Ich sage das aber auch - und gerade - mit Blick auf Stimmen aus der Bundesregierung, die ebenfalls einer derartigen Verstümmelung der Entwicklungszusammenarbeit
das Wort reden.
Ich erinnere in diesem Zusammenhang nur an die bisher durch nichts untersetzte Bejubelung des Konzepts der
Public Private Partnership zwischen öffentlicher Hand
und Privatwirtschaft, das inzwischen quasi als Zauberwort alle Bereiche der Debatten über die Entwicklungszusammenarbeit durchzieht. Dieses Konzept ist doch
wohl nichts anderes als das Feigenblatt für einen sinkenden BMZ-Haushalt.
Die Entwicklungszusammenarbeit ist aber weit mehr;
sie ist etwas gänzlich anderes. Gerade im Sinne einer
nachhaltigen globalen Strukturpolitik, wie sie von der
Bundesregierung immer und immer wieder beschworen
wird, soll sie die Grundbedingungen für eine solidarische
und gerechte globale Entwicklung schaffen und soll nicht
weitere Absatzmärkte und Zugänge zu Rohstoffen für die
eh schon mächtigen Ökonomien der Welt gegen andere
durchsetzen helfen.
An diesem Punkt, liebe Kolleginnen und Kollegen,
gibt es aus unserer Sicht noch erheblichen Diskussionsbedarf in den Ausschüssen. Wenn Sie dieses Thema so beschäftigt, wie man Ihren Äußerungen entnehmen kann,
Herr Außenminister, dann würde ich mich freuen, wenn
auch Sie an den Debatten in unserem Ausschuss teilhaben
könnten.
Danke schön.
({4})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Helmut Lippelt, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen!
Es ist gut, dass die CDU/CSU diese beiden Anträge einBundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul
gebracht hat, weil wir damit die Gelegenheit haben, über
dieses Thema endlich einmal grundsätzlich zu diskutieren. Wir werden das in den Ausschüssen tun; hier kann
man das nicht, dazu sind fünf Minuten zu kurz. Man muss
also feststellen, dass man dieses Thema angesichts der
großen Probleme in dieser Region im Rahmen der heutigen Debatte nur sehr allgemein behandeln kann.
Es liegen heute zwei Anträge der CDU/CSU vor. Der
eine Antrag wurde von den Außenpolitikern und der andere Antrag von den Entwicklungspolitikern der
CDU/CSU geschrieben. Herr Weiß, Sie tun uns leid, denn
Sie haben das Problem, dass Sie als Entwicklungspolitiker auch den außenpolitischen Antrag vertreten müssen,
weil kein einziger Außenpolitiker der CDU/CSU anwesend ist.
({0})
Dass bei dem Teil Ihrer Rede, der sich mit der strategischen Bedeutung der Kaukasus-Republiken beschäftigt,
nur Unsinn herauskommt, kann also nicht verwundern.
Ich will mich im Folgenden auf den Kaukasus konzentrieren. Herr Rühe ist durch diese Region gereist und hat
nur die geostrategischen Interessen gesehen: Erdöl,
Erdgas - Pipelines! Über kein anderes Thema kann man
so wunderbar herumpolitisieren wie über Pipelines, die
durch die Türkei oder durch die Ukraine verlaufen sollen.
Es ist bedauerlich, dass wir diese wichtige Debatte auf der
Basis eines schlecht gestellten Antrags bestreiten.
({1})
Ich will Ihnen vorweg sagen, wo das Problem liegt,
wenn Sie über die notwendige Stabilität dieses Raumes
reden: Gerade die geopolitischen Interessen ferner Mächte zerstören die Stabilität eines solchen Raumes.
({2})
Wir müssen über die soziale, die innenpolitische und die
demokratische Stabilität reden. Aber auch in diesem
Punkt machen Sie es sich zu einfach. Sie schreiben einfach - dieser Satz ist wunderbar -: „Seit Aufnahme in den
Europarat ... haben diese Länder ihren festen Platz in der
europäischen Staatenfamilie.“
Ja, diese Länder gehören zu Europa. Aber Sie müssten
sich einmal von Ihren Mitgliedern in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates berichten lassen,
wie dort diese Fragen diskutiert werden. Diese Länder
sind nur deshalb - und auch nur mit den allergrößten Bedenken - aufgenommen worden, weil der Kontakt zu Europa als notwendig angesehen wurde. Sie sind gegen
schwere Bedenken aufgenommen worden; denn dort gibt
es immer noch umfangreiche Wahlmanipulationen und
die Kultur des Machtwechsels ist überhaupt noch nicht
eingeübt, weshalb es enorm viele politische Gefangene
gibt. Vor der Aufnahme Aserbaidschans in den Europarat
- ich spreche nicht von Armenien; dort sind die Verhältnisse etwas günstiger, aber auch noch problematisch - haben wir mehrere Hundert politische Gefangene aus den
Gefängnissen geholt. Aber einige Hundert sitzen dort immer noch. Seit der Aufnahme in den Europarat werden es
wieder mehr, übrigens in Georgien auch, obwohl die Zahlen dort niedriger sind.
Das Problem ist, dass diese Länder sagen: Nun haben
wir den Europarat-Stempel. Der Europarat ist aber nicht
mehr das, was er zu Anfang einmal war, sozusagen der
Stempel „europäische Demokratie“, sondern der Europarat ist inzwischen die Agentur der Demokratisierung dieser Länder, mit dem Wunsch, sie nach Europa zu holen.
Aber das bedeutet überhaupt nicht, dass das bereits gelungen ist. Dann hereinzukommen und von der geopolitischen Lage zu sprechen ist sträflich.
Die letzte Bemerkung - die Zeit läuft davon; Herr Präsident, ich werde mich ganz kurz fassen -: Ich komme gerade aus Baku. Dort tagte die Parlamentarische Versammlung der Schwarzmeerkooperation. Dort saßen die
Delegationen von Aserbaidschan, Armenien und Georgien; man konnte mit ihnen wunderbar reden. Nur hatten
wir beschlossen, dass von der Opposition jemand und von
den Regierungsparteien jemand - das war ich - hinfahren
würde. Im Protokoll der Obleute des Auswärtigen Ausschusses vom März steht „Der Arbeitskreis Außenpolitik
der CDU/CSU wird aufgefordert, einen Vertreter zu entsenden“. Er war nicht da. Dann reist Herr Rühe einmal
durch die Gegend, sagt: „Ich habe es begriffen“ und
kommt uns hier mit Unsinn.
Der größte Unsinn ist die Forderung nach einem Dialog mit Moskau, Teheran und Ankara. Die Äquidistanz zu
den großen Mächten um den Kaukasus ist verheerend.
Warum? Die Länder aus dem früheren Einflussbereich der
Sowjetunion entwickeln ihre Souveränität. Man muss
natürlich den Dialog mit Moskau führen. Aber gleichzeitig auch gleichberechtigt mit den anderen etwas hin und
her zu balancieren, ist falsch.
({3})
- Ich weiß, Sie kriegen jetzt alles ab. Sagen Sie es den
Außenpolitikern weiter!
({4})
Dazu das letzte Beispiel. Ich beziehe mich auf Aserbaidschan.
Kollege Lippelt, Sie
müssen jetzt wirklich zum Ende kommen.
({0})
Herr Präsident, Sie haben völlig Recht. Ich spreche jetzt
den letzten Satz, vielleicht mit zwei Kommas.
({0})
Wenn Sie mit den Initiativen, mit den Helsinki-Komitees, mit all den Menschenrechtsorganisationen, die es dort
auch gibt und mit denen man den Dialog führen muss, reden, würden die Ihnen erzählen: Die Leute haben nach
dem Erdölvertrag 1994 gedacht, jetzt werde es ihnen besser gehen. Es war nicht so. Sie haben nach dem Beitritt
zum Europarat gedacht, jetzt würde es ihnen besser gehen.
Es war nicht so. Die grenzenlose Not führte dazu, dass inzwischen aus den Flüchtlingslagern 10 000 Schüler in die
Koranschulen des Iran gegangen sind. Was das für die
Zukunft dieses Gebietes bedeutet, können Sie sich ausrechnen. Erzählen Sie das Ihren politischen Freunden!
Dann können wir sinnvoll in den Ausschüssen diskutieren.
({1})
Kollege Lippelt, das
waren ungefähr 17 Kommas.
({0})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Johannes Pflug,
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Der Kaukasus ist eine Region, welche die politische Fantasie anregt. Hier treffen
die beiden Großmächte Russland und USA aufeinander.
Hier sind das NATO-Mitglied Türkei und der Problemstaat Iran als Nachbarn mit im Spiel. Hier geht es um politische Einflusszonen, und es geht um das Abstecken der
letzten noch nicht verteilten Claims im Energiebereich.
So liest sich auch über weite Strecken der CDU/CSUAntrag.
Es geht um die Existenzsicherung von drei ungefestigten Staaten und um das Ausbalancieren des Selbstbestimmungsrechtes der Völker und des Anspruches auf territoriale Integrität. Vor allem muss es uns um die Lebens- und
Überlebenschancen der Menschen in der Region gehen.
({0})
Der Ausgang dieses politischen Dramas ist offen. Diese
Offenheit wirkt auf manche wie eine Einladung zum Mitspielen.
Ich hoffe nicht, dass sich die CDU/CSU bei der Formulierung ihres Antrags von den Motiven der großen
Geostrategen hat leiten lassen. Aber in ihrer Forderung,
deutsche Politik solle den Südkaukasus unter „strategischen“ Gesichtspunkten betrachten, klingt ja doch der
Wunsch durch, dort - wie andere auch - mitmischen zu
wollen. Hätte der Begriff „strategisch“ den begrenzten
Sinn, dass deutsche Unternehmen auch künftig kaspischens Öl kaufen können und Zugang zu den südkaukasischen Märkten haben sollten, dann wäre das eine zutreffende Umschreibung unserer Interessenlage. Aber die
CDU/CSU will mehr: Sie fordert Einfluss auf den Verlauf
der so genannten strategischen Achsen quer durch den
Kaukasus, sie fordert die Überwindung der so genannten
regionalen Blockbildung und die Organisation eines Dialogs mit Washington, Moskau, Ankara und Teheran zur
Stabilisierung der Region. Das sieht alles danach aus, als
solle Deutschland nach dem Willen der CDU/CSU im
Südkaukasus ein strategischer Player sein.
Meine sehr verehrten Damen und Herren von der
CDU/CSU, dabei würden wir uns nur überheben. Derartige Wunschträume haben auf absehbare Zeit keine Aussicht auf Realisierung. Deutsche Unternehmen bauen dort
keine Pipelines und werden deswegen auch nicht über deren Trassenführung entscheiden. Deutschland ist kein unmittelbarer Akteur bei der Lösung des Konfliktes um Berg
Karabach. Es kann auch nichts daran ändern, dass sich die
Präsidenten Aserbaidschans und Armeniens lieber in Moskau und Florida als in Berlin treffen. Gerade für deutsche
und europäische Kaukasuspolitik ist Realismus und Sinn
für das derzeit Erreichbare wichtig. Wir sind im Kaukasus
kein Player, auch wenn wir ein wirtschaftliches und politisches Interesse an Stabilität in der Region haben.
Es ist ja richtig, dass wir uns einen Kaukasus ohne
Konflikte, wirtschaftlich prosperierend, frei und unabhängig, demokratisch, mit funktionsfähigen Verwaltungen und Gerichten wünschen, verantwortungsbewusst,
wo jeder mit jedem kooperiert und alle genügend Kaufkraft haben, um sich unsere Produkte leisten zu können.
Zu glauben, deutsche Politik könnte dies alles allein oder
gemeinsam mit der EU in absehbarer Zeit bewerkstelligen, ist Selbstüberschätzung. Wir können und müssen mit
unseren Freunden und Partnern reden, aber wir können
nicht von uns aus das Heft in die Hand nehmen.
Was wir brauchen, ist Augenmaß und der Einsatz von
Mitteln dort, wo sie konkrete Verbesserungen bewirken
können:
({1})
bei der Modernisierung der Infrastruktur - Frau Ministerin hat darauf hingewiesen -, beim Umweltschutz, beim
Ausbau des Rechtssystems, bei der Energiesicherung, bei
der beruflichen Qualifizierung und in all den Bereichen,
die für den Übergang von der Plan- zur Marktwirtschaft
und von der Einparteienherrschaft zur Demokratie von
zentraler Bedeutung sind.
Dies hat die frühere Bundesregierung getan; dies tut in
verstärktem Maße die heutige Bundesregierung. Sie kann
sich dabei auf ein vergrößertes Engagement der Europäischen Union stützen und leistet auch Beiträge zur Entspannung der politischen Probleme im Zusammenhang
mit Abchasien, Südossetien und Berg Karabach. Die Förderung regionaler Kooperation ist hierfür ein Schlüssel.
So sind ja auch die europäischen Programme angelegt.
Mit Ihrem Antrag - das hat gerade auch Herr Kollege
Weiß getan - erweckt die CDU/CSU den Anschein, als
könnten die im Vorspann des Antrags genannten Probleme des Kaukasus durch mehr Geld hier und mehr Koordination und Beratung dort gelöst werden. Das ist nicht
der Fall. Selbst wenn die Bundesrepublik Deutschland
und die Europäische Union ihre materiellen Unterstützungsleistungen verdoppelten, könnten wir die strukturellen Defizite der Region, die im Antrag zum größten Teil
zutreffend beschrieben sind, nicht beseitigen. Das müssen
die Länder selber tun.
Es erfordert den Willen der Politiker in den drei Republiken, diesbezüglich etwas zu ändern. Deutsche Politik
kann dies ermutigen, kann mit Beratung und Vorschlägen
unterstützen; umsetzen müssen dies allerdings die Länder
selbst.
({2})
Die militärischen Konflikte zwischen Armenien und
Aserbaidschan um Nargornij Karabach und in Georgien
sind zurzeit eingefroren. Es gibt zwar in Abchasien und um
Nargornij Karabach herum immer wieder einmal Schießereien, aber insgesamt halten die Waffenstillstände. Was
für eine Friedensregelung fehlt, ist der politische Wille
zum Kompromiss. Obwohl die beiden einflussreichsten
Mächte in der Region, Russland und die USA, eine Vermittlerrolle übernommen haben, hat all ihre Stärke nicht
ausgereicht, um eine friedliche Regelung herbeizuführen.
Nichts deutet darauf hin, dass Deutschland oder die
Europäische Union hierbei erfolgreicher sein könnten.
Dennoch gab es Bewegung: Die Präsidenten Aserbaidschans und Armeniens haben sich mehrfach getroffen. Solange nicht geschossen wird, kann es immer wieder eine
Chance geben.
({3})
Zu dieser Bewegung, meine sehr verehrten Damen und
Herren, zähle ich auch den jüngsten Vorschlag des Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses der russischen
Duma, Herrn Nikolajew, ein strategisches Gesamtkonzept für den Südkaukasus zu entwickeln, in dem Russland die Rolle einer Garantiemacht übernehmen soll.
Russland hat sich auf dem OSZE-Gipfel in Istanbul 1999
verpflichtet, bis zum 1. Juli 2001 zwei Standorte russischer Streitkräfte aus Georgien abzuziehen. Gestern erreichte uns die Nachricht, dass die Streitkräfte aus dem
Standort Vaziani zurzeit aufgelöst werden und der Abzug
bis zum 29. Juni abgeschlossen sein soll. Das ist zu begrüßen. Demgegenüber sind russische Streitkräfte nach
wie vor in dem abchasischen Standort Gudauta stationiert
und es liegen keine Hinweise darauf vor, dass dieser
Standort ebenfalls geräumt wird. Die Bundesregierung ist
aufgefordert, die russische Seite zu drängen, ihren OSZEVerpflichtungen zeitgerecht nachzukommen. Da Russland eine zentrale Rolle für die Stabilisierung auch des
Südkaukasus spielt, braucht es das Vertrauen der Staaten
der Region. Die Erfüllung vertraglicher Verpflichtungen
ist hierfür unumgänglich.
Die SPD-Bundestagsfraktion hält die Initiativen des
Auswärtigen Amtes, des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und auch die Initiativen auf
europäischer Ebene für richtig und unterstützt sie. Sie
sieht in ihnen wichtige Beiträge zur weiteren Entwicklung
des Kaukasus, die auch Voraussetzungen für die Regelung
der politischen Konflikte schaffen können. Diese Initiativen gehen deutlich weiter als das, was die CDU/CSU in
ihrem Antrag vorgeschlagen hat, und sie sind zugleich
realistischer und weniger vom Wunschdenken geprägt.
({4})
Ich erteile das Wort
dem Bundesminister Joseph Fischer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Abgeordneter Pflug, ich gratuliere Ihnen zu Ihrer Rede, weil
sie, im Wesentlichen von Realismus getragen, aufgezeigt
hat, worin die Probleme bestehen, und zugleich klargemacht hat, dass wir uns völlig überhöben, wenn wir meinten, die Bundesrepublik Deutschland könne dort wie auch
immer an einem strategischen Spiel teilhaben.
({0})
Ich weiß, es gehört zur Übung der Opposition - ich mache es Ihnen gar nicht zum Vorwurf -, stärkeres Engagement zu verlangen. Aber dann muss man auch sagen, was
dies bedeutet. Man muss dann Verantwortung übernehmen, was sich in einem Mehr an Diplomatie, an Entwicklungszusammenarbeit und an Sicherheitszusammenarbeit
ausdrücken müsste. Ich habe gerade jüngst im Nahen
Osten die ganz konkrete praktische Erfahrung gemacht,
was ein Mehr an Verantwortung bedeutet und wie schnell
man an das Ende der Möglichkeiten einer europäischen
Mittelmacht gelangt, wenn ganz andere Instrumente sowohl im zivilen als auch im Sicherheitsbereich gefordert
sind. Insofern rate ich hier dringend zu Realismus auch
vonseiten der Opposition.
({1})
Im Übrigen haben wir es in dieser Region mit Problemen zu tun - das sage ich der PDS -, die nicht so einfach
zu lösen sind. Sicherlich, große und sehr große Mächte
verfolgen dort ohne jeden Zweifel ihre Politik; das streite
ich gar nicht ab. Aber wir sind gut beraten, unsere Politik
in die der Europäischen Union einzuordnen. National,
also auf der Grundlage bilateraler Beziehungen, betreiben
wir Entwicklungszusammenarbeit; wir haben auch gute
Beziehungen im wirtschaftlichen Bereich. Aber dass wir
uns in einer Nachbarregion tatsächlich so engagieren
könnten, dass wir dort auch die europäischen Interessen
im Hinblick auf Frieden, Entwicklung und Menschenrechte - sie sind in dieser Region eine ganz zentrale Herausforderung ({2})
zum Tragen bringen könnten, ist völlig ausgeschlossen.
Dies wird nur die Europäische Union und eine zweite
multilaterale Organisation, die OSZE, können.
Nirgendwo habe ich die Bedeutung der OSZE so stark
wie in Zentralasien nachvollziehen können. Hier ist die
OSZE wirklich die Organisation, die Möglichkeiten zur
Verbesserung der Menschenrechtssituation und zur Stabilisierung der Demokratie bietet. Sie ist auch die einzige
Organisation, die für die dortige demokratische Opposition einen Hoffnungsfunken in einer manchmal sehr düsteren politischen Umgebung bedeutet.
Darüber hinaus müssen wir im Auge haben, dass es in
all diesen Ländern Konflikte gibt, die denen auf dem Balkan sehr stark ähneln. Gleichzeitig aber wird aufgrund der
Interessen von außen die Konfliktlösung nicht so betrieben, wie sie betrieben werden sollte, um die Konflikte
tatsächlich lösen zu können - ob es um den Konflikt in
Abchasien, Südossetien oder in Berg Karabach geht, ob es
die Konflikte in Zentralasien sind. Hier wird natürlich ein
bestimmtes politisches Spiel gespielt. Ich möchte darauf
nicht näher eingehen, warne aber davor, dies einseitig zu
verankern.
Wenn wir uns aber dort engagieren, dann ist es wichtig, dies entlang unserer Grundsätze zu tun. Wirtschaftliche Zusammenarbeit, Handel und Wandel sind für mich
kein Gegensatz zur Entwicklungszusammenarbeit. Dies
kann sich hervorragend ergänzen;
({3})
die Kollegin Wieczorek-Zeul betont dies zu Recht immer
wieder. Grundlage aber muss die Entwicklung der Demokratie sein. Das ist ein ganz entscheidender Gesichtspunkt, den ich während meiner Reise in Zentralasien in
den Gesprächen mit den dort regierenden Präsidenten besonders betont habe.
({4})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich dies in der
Kürze der Zeit zusammenfassen: Wenn ich unter dem
Aspekt Frieden und Stabilität auf unsere Nachbarregionen
schaue, dann sehe ich als Konfliktregion den Nahen und
Mittleren Osten, den Kaukasus - nicht nur den Südkaukasus, sondern auch den Nordkaukasus, als Teil Russlands - und Zentralasien. Wir haben ein Interesse daran,
dass die Entwicklung dort keine eskalierenden Tendenzen
annimmt.
Die Verknüpfung von Radikalismus, Nationalismus
und religiösem Fundamentalismus, von Interessen aufstrebender Regionalmächte, die nicht zögern, aufgrund
ihrer traditionellen regionalen Hegemonialpolitik auch
militärische Optionen in Erwägung zu ziehen und vorzubereiten, die großen Öl- und Gasmächte, die in diesem
Raum traditionell präsent sind - all dies schafft eine Konfliktlage, angesichts derer wir ein Interesse daran haben,
uns als Europäer dort gemäß unseren Möglichkeiten entlang der Grundsätze Frieden, Demokratieentwicklung,
wirtschaftliche Zusammenarbeit und wirtschaftliche Entwicklung zu engagieren. Aber all die neostrategischen Illusionen und Träumereien, die der Abgeordnete Pflug gerade zu Recht kritisiert hat, sollten wir dort belassen, wo
sie hingehören, nämlich in die ideologische Besenkammer des ausgehenden 19. Jahrhunderts.
Vielen Dank.
({5})
Der Kollege Joachim
Günther von der F.D.P. hat seine Rede zu Protokoll ge-
geben.1)
Damit sind wir am Schluss der Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 14/5251 und 14/5961 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 22 a und 22 b sowie
die Zusatzpunkte 7 und 8 auf:
22 a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({0}) zu dem Antrag der Fraktionen der SPD, der
CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
und der F.D.P.
Die Vereinten Nationen an der Schwelle zum
neuen Jahrtausend
- Drucksachen 14/5243, 14/5855 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Eberhard Brecht
Clemens Schwalbe
Ulrich Irmer
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({1})
zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Dietmar
Bartsch, Petra Bläss, Wolfgang Gehrcke, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Deutsche Beiträge zur Umsetzung der Millenniums-Erklärung der Vereinten Nationen
- Drucksachen 14/4525, 14/5851 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Eberhard Brecht
Clemens Schwalbe
Ulrich Irmer
ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Frank
Hempel, Adelheid Tröscher, Ingrid Becker-Inglau,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Dr. Angelika KösterLoßack, Hans-Christian Ströbele, Kerstin Müller
({2}), Rezzo Schlauch und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Aids-Bekämpfung in den Entwicklungsländern
fördern
- Drucksache 14/6320 ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Helmut
Haussmann, Ulrich Irmer, Birgit Homburger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Für eine gemeinsame europäische VN-Politik
- Drucksache 14/6083 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({3})
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
1) Anlage 5
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile zu seiner letzten
Rede im Bundestag dem Kollegen Eberhard Brecht, SPD,
das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die für einen
Freitagnachmittag typische Besetzung in diesem Hohen
Haus
({0})
- ich nehme die Koalition selbstverständlich aus, die
natürlich volle Präsenz zeigt ({1})
täuscht über den Stellenwert des Themas etwas hinweg.
Die Zeit - wie noch in den 80er-Jahren - scheint vorbei zu sein, als UN-Politiker in Europa noch als Wolkenschieber abgetan wurden. Zwar haben sich unsere Träume
nicht erfüllt - das war ja geradezu eine Euphorie -, dass
nach dem Ende des Ost-West-Konflikts die UNO der bestimmende Faktor werden würde. Dennoch hat es eine
vorsichtige Aufwertung der Vereinten Nationen gegeben,
die nicht nur eine Folge der beendeten Lähmung des Sicherheitsrates während des Ost-West-Konflikts war. Die
Handlungsunfähigkeit dieses Gremiums war eigentlich
fast immer gegeben. Eine Ausnahme stellten solche Konflikte wie der im Kosovo dar.
Nein, inzwischen zeigt sich auch, dass den vielen,
meist innerstaatlichen Konflikten mit rein militärischen
Mitteln kaum beizukommen ist. Mehr und mehr greifen
wir auf Konzepte zurück, die in der UNO oder in deren
Umfeld entwickelt worden sind: Konzepte der multilateralen Konfliktprävention und Friedenskonsolidierung.
Ich denke, dies ist ein wichtiger Beitrag der UNO auch für
die europäische Sicherheitspolitik.
({2})
Ich erinnere an dieser Stelle an den Anteil von 5 000
Polizisten bei den geplanten europäischen Krisenreaktionskräften. Ich erinnere an die immer enger werdende
Vernetzung zwischen Nichtregierungsorganisationen und
Regierungen, um Konflikte mit friedlichen Mitteln zu lösen. Ich glaube, das ist eine gute und wichtige Neuausrichtung europäischer Sicherheitspolitik, die stark von
dem Denken in den Vereinten Nationen profitiert hat.
Wenn dennoch die UNO im Millenniumsjahr in einigen Kolumnen wieder einmal als bürokratischer, ineffizienter Koloss kritisiert wurde, kann das nur heißen, dass
diese Kommentatoren nicht begriffen haben, dass die
Weltorganisation nun einmal die Heterogenität ihrer Mitgliedstaaten widerspiegelt. So sind zähflüssige Entscheidungen in der UNO nicht nur auf vermeintlich behäbige
UN-Beamte zurückzuführen, sondern häufig genug die
Folge nationaler Egoismen, die über die in der Charta der
Vereinten Nationen niedergeschriebenen Grundwerte gestellt werden.
Auch sollten sich Parlamente und Regierungen so
lange mit ihrer Kritik an UN-Operationen zurückhalten,
wie sie nicht bereit sind, angemessene freiwillige Leistungen, aber auch Pflichtbeiträge für den ordentlichen
Haushalt und die Friedensmissionen in vollem Umfang zu
zahlen.
({3})
So müssen wir den großen Beitragsschuldnern deutlich
sagen, dass man nicht einerseits die Vereinten Nationen
mit Aufgaben überfrachten, sie andererseits aber gleichzeitig in eine finanzielle Handlungsunfähigkeit führen
bzw. die Zahlung von Pflichtbeiträgen von der Erfüllung
von Bedingungen abhängig machen kann.
Ich erinnere an die unglücklich verlaufene Wahl der
Mitglieder der Menschenrechtskommission. Wir bedauern, dass die USA nicht in dieses Gremium hineingewählt
wurden. Wir glauben auch, dass es wichtig ist, dass sich
Europa mit seinen wichtigen transatlantischen Partnern
abstimmt. Dennoch darf das Scheitern der Amerikaner bei
dieser Wahl nicht dazu führen, dass das US-Repräsentantenhaus die Begleichung der Beitragsschulden in Höhe
von 244 Millionen US-Dollar von einer Wiederwahl in
dieses wichtige Gremium abhängig macht. Sitz und
Stimme in den UN-Gremien sind nicht käuflich und dürfen dies auch nie werden.
({4})
Um nicht in den Verdacht des Pharisäertums zu geraten, indem wir nur das Beitragsverhalten anderer Staaten
kritisieren, haben vier der fünf Fraktionen im Bundestag
in ihrem gemeinsamen Antrag mit dem Titel „Die Vereinten Nationen an der Schwelle zum neuen Jahrtausend“ gefordert, dass Deutschland mittelfristig wieder angemessene freiwillige Beiträge an VN-Fonds und -Programme
entrichtet. Diesen Appell richte ich heute nicht nur an die
Bundesregierung, sondern auch an unsere Haushälter, bei
denen manchmal das Verständnis für multilaterales Engagement nicht so sehr ausgeprägt ist.
({5})
- Anwesende Haushälter nehme ich selbstverständlich
aus.
Zu einer konstruktiven UN-Politik, die übrigens auch
in unserem nationalen Interesse liegt, gehört, dass sich
unser Land weiterhin für den Erhalt des Friedens engagiert - dies sowohl mit Methoden der Konfliktprävention
als auch durch die Beteiligung an friedenserhaltenden
Maßnahmen. Ich darf einmal daran erinnern, dass wir
Anfang der 90er-Jahre einen Paradigmenwechsel vorgenommen haben, indem wir gesagt haben: Deutschland
kann sich an solchen Operationen beteiligen. Das war ein
sehr schwerer Prozess für einige Fraktionen in diesem
Haus. Wir haben seit Kambodscha 1991 inzwischen mehr
als 3,3 Milliarden DM aufgewendet, viele Tausende Soldaten in diese Friedensmissionen geschickt und an vielen
Stellen auch sehr viel Erfolg gehabt.
Präsident Wolfgang Thierse
Gerade wegen unseres Engagements unterstützen wir
auch die Forderung der Brahimi-Kommission, Einsätze
durch den Sicherheitsrat nur dann zu beschließen, wenn
auch eine langfristige Finanzierung gesichert ist und eine
tragfähige Einsatzplanung vorliegt. Diese Klarheit sind
wir unseren Soldaten, den bedrohten Menschen, denen
wir ja Schutz vor Verfolgung bieten wollen, aber nicht zuletzt auch dem Steuerzahler schuldig.
Deutschland ist an einer weiteren Verrechtlichung der
internationalen Beziehungen im Rahmen der UNO interessiert. Ich glaube, das teilen alle Fraktionen in diesem
Haus. Das Recht der Stärke sollte mehr von der Stärke des
Rechts abgelöst werden.
Die Bundesregierung hat sich im Rahmen der Verhandlungen und der Ratifizierung zum Internationalen
Strafgerichtshof aus meiner Sicht vorbildlich verhalten.
Nachdem wir einer Ratifizierung des Römischen Statuts
im Deutschen Bundestag mit breiter Mehrheit zugestimmt haben, sollten wir jetzt auch andere Parlamente ermuntern, diesen Schritt zu tun.
Die Vorbehalte unserer amerikanischen Freunde gegen
die Einsetzung des Internationalen Strafgerichtshofs sind
nach meiner Auffassung unbegründet. Weder kann ich die
Gefahr einer Instrumentalisierung des Gerichtes erkennen, noch sind die Verfahrensrechte der Angeklagten
dürftig. Zunächst einmal wird das nationale Gericht tätig,
bevor der Internationale Strafgerichtshof angerufen wird.
Ich glaube, dass das Römische Statut in jeder Hinsicht mit
einer modernen westlichen Strafprozessordnung kompatibel ist. Deswegen kann ich diese Vorbehalte nicht nachvollziehen.
({6})
Mir ist insbesondere unverständlich, warum das USRepräsentantenhaus mit seinem „American ServiceMembers‘ Protection Act“ jetzt jene Staaten mit Sanktionen bestrafen will, die das Römische Statut zu ratifizieren
beabsichtigen.
({7})
Ich appelliere daher an dieser Stelle an unsere Kollegen
im amerikanischen Kongress, die Einrichtung des Internationalen Strafgerichtshofs nicht weiter zu behindern.
({8})
In der Vergangenheit waren nämlich die Vereinigten Staaten - sie haben eine ganz andere Tradition - vorbildlich an
der strafrechtlichen Verfolgung schwerster Verbrechen
gegen die Menschlichkeit beteiligt. Ich denke zum Beispiel an die Tribunale in Nürnberg, in Tokio oder Den
Haag. Eine gegen den Internationalen Strafgerichtshof
gerichtete Obstruktion würde daher dem Anspruch Amerikas entgegenstehen, für Freiheit, für Demokratie und
Wahrung der Menschenrechte weltweit einzutreten.
({9})
Meine Damen und Herren, wenn man in Deutschland
über die UNO redet, wird einem jeder Journalist sofort die
Gretchenfrage stellen: Wie haltet ihr es denn nun mit dem
ständigen Sitz im Sicherheitsrat? Ich glaube, dies ist
keine primäre Frage deutscher Außenpolitik. Wie in allen
Bereichen der Vereinten Nationen wollen wir auch die Reformbemühungen des Sicherheitsrates unterstützen, um
dieses Gremium den Anforderungen des 21. Jahrhunderts
anzupassen. Wenn hierfür ein ständiger Sitz Deutschlands
im Weltsicherheitsrat hilfreich ist, werden wir diesen gern
einnehmen.
Mit einer Weiterentwicklung des EU-Vertragswerkes
sind aber auch andere Optionen denkbar, die wir nicht von
vornherein ausschließen wollen. Bevor im New Yorker
Hauptquartier das letzte „window of opportunity“ zugeschlagen wird, sollten alle Beteiligten begreifen, dass
es bei dieser Frage weniger um Prestige als vielmehr um
Verantwortung geht. Dieser wollen wir uns in dieser
Frage, aber auch in anderen Fragen bezüglich der Vereinten Nationen stellen.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({10})
Nächste Rednerin ist
für die Fraktion der CDU/CSU die Kollegin Erika
Reinhardt.
Frau Präsidentin!
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Es ist fünf Minuten vor zwölf, also höchste Zeit für eine Gesamtstrategie zur Bekämpfung von HIV/Aids. Ich spreche zu dem
Antrag der Regierungskoalition „Aids-Bekämpfung in
den Entwicklungsländern fördern“, der uns hier vorliegt.
Das ist etwas, was man nur unterstützen kann. Es ist alles
hervorragend formuliert. Aber es ist nicht mehr und nicht
weniger als ein Antrag, der im Grunde genommen die Papiere der Vereinten Nationen und des Wissenschaftlichen
Dienstes hier im Hause zusammenfasst. Dieser Antrag ist
eine hervorragende Zusammenfassung des aktuellen
Standes der Aids-Epidemie.
In dieser Arbeit wird die Dramatik des Problems ohne
Zweifel deutlich. Nur, daraus muss man Konsequenzen
ziehen und daraufhin muss man konkrete Forderungen
stellen. Der vorliegende Antrag umschreibt zwar, was zu
tun wäre, aber sonst nichts. Es genügt jedoch nicht, lediglich Absichten zu erklären und zu begrüßen, sondern man
muss schon etwas fordern, was konkretes Handeln betrifft. In diesem Regierungsantrag ist aber eigentlich alles
offen.
Es ist klar: Forderungen haben natürlich auch Konsequenzen, was die Finanzen betrifft. Aber beides ist notwendig. Der Antrag ist diesbezüglich nichts als heiße
Luft.
Sie begrüßen den Umfang der Mittel, die die Bundesregierung bis 1999 für bilaterale Projekte der AidsBekämpfung zur Verfügung gestellt hat. Auch ich begrüße
das ausdrücklich. Es waren Mittel in Höhe von fast
400 Millionen DM. Nur zu Ihrer Erinnerung: Das war
noch unter einer CDU/CSU-Regierung.
Für die Haushalte 2000 und 2001 nennt der Antrag
schöne Zahlen, die ich Ihnen gerne genauer erläutern
möchte. Ein Etat zur bilateralen Aids-Bekämpfung existiert
aber überhaupt nicht. Die Mittel zur Aids-Bekämpfung
stecken in erster Linie in den Bereichen „Soziale Grunddienste“ und „Bevölkerungspolitik“. Die sozialen Grunddienste aber, die sich in der 20/20-Regelung von Kopenhagen niederschlagen, haben im BMZ-Haushalt weiterhin
keine angemessene Bedeutung, im Gegenteil: Im vergangenen Jahr wurde hier ein neuer Tiefstand erreicht.
Auch die Mittel, die der Bevölkerungspolitik zugute
kommen sollen, sind gesunken: von 137,5 Millionen DM
im Jahre 1999 auf 45 Millionen DM im Jahre 2000. Das
sind konkrete Zahlen, die Ihnen zu denken geben müssten. Selbst trotz der nun angekündigten Erhöhung der
BMZ-Mittel für soziale Grunddienste kann von einer angemessenen Steigerung überhaupt keine Rede sein. In Relation zum sektoral aufteilbaren Betrag der deutschen
Entwicklungszusammenarbeit sinkt der Anteil der sozialen Grunddienste weiter. Sie hätten die Möglichkeit gehabt, in Ihrem Antrag konkrete Forderungen zu stellen.
Wer es mit der Aids-Bekämpfung ernst meint und nicht
nur Schönrederei betreiben will, muss - vor allem im
Haushalt - handeln. Natürlich, wir wissen alle: Es gibt
kein Patentrezept gegen Aids. Deshalb ist es wichtig, in
den Entwicklungsländern darauf hinzuwirken, dass die
Aids-Bekämpfung ein Bündel von Maßnahmen umfasst:
Prävention, Bewusstseinsbildung, Therapie und natürlich
Impfstoffforschung. Nur im Verbund dieser Maßnahmen
werden wir in den Entwicklungsländern Erfolg haben.
Im vorliegenden Antrag ist ein in meinen Augen entscheidender Schritt zur Aids-Bekämpfung nicht vorhanden.
Meine Damen und Herren, was die Welt dringend
braucht, ist ein Aids-Impfstoff. Im November 2000 haben die Entwicklungsminister in Brüssel angekündigt, die
Impfstoffentwicklung für Entwicklungsländer zu forcieren. Auch hier gilt: Den Ankündigungen müssen Taten
folgen. Fakt ist aber: Ende des Jahres 2000 ist die Bundesförderung für die Aids-Impfstoffforschung ausgelaufen. Die Entscheidung über eine neue Bundesförderung
liegt bis heute nicht vor. Also auch hier heiße Luft und
nicht mehr.
Die Deutsche Aids-Stiftung rechnet mit einem Bedarf
an Bundesmitteln für die Impfstoffforschung in Höhe von
350 Millionen DM bis zum Jahr 2007. Wie gedenkt die
Bundesregierung, sich hier einzubringen? Wenn Ende
Juni in New York die Sondergeneralversammlung zu Aids
einen Aidsfonds beschließt, dann muss dieser Aidsfonds
auch ein Impuls für die Impfstoffforschung sein. Warum
ist das nicht Teil einer offiziellen Strategie für New York?
Warum taucht dieser Sachverhalt in Ihrem Antrag überhaupt nicht auf? Da muss man sich schon fragen: Wie
ernst meinen Sie es eigentlich mit diesem Antrag, wenn
Sie hier keine konkreten Forderungen stellen?
Die Bundesregierung geht konzeptlos und ohne Strategie nach New York. Das ist so.
({0})
Es ist nicht gelungen, national zu einer abgestimmten Position, ja nicht einmal zu einer Abstimmung in Schwerpunktbereichen zu gelangen. Es ist noch weniger gelungen,
im Rahmen der Europäischen Union zu einer abgestimmten Position beizutragen. Auch im vorliegenden Antrag ist
der Bedeutung einer EU-weit abgestimmten Strategie gegen Aids/HIV nicht Rechnung getragen worden.
Ferner wissen wir bis zum jetzigen Zeitpunkt nicht,
wie der Aidsfonds, um den es in New York ja auch gehen
wird, nach Meinung der Bundesregierung aussehen soll,
welche Aufgaben er erfüllen soll. Darüber gibt es in dem
Antrag überhaupt keine Aussage. Dort gibt es nur die Aussage, man solle sich bemühen, einen Fonds einzurichten;
aber etwas Konkretes ist auch hier nicht zu finden.
Noch weniger wissen wir darüber, in welchem Umfang
sich die Bundesregierung an diesem Aidsfonds beteiligen
wird. Auch dazu ist bisher nichts gesagt worden. Sie sehen also: 1 000 Fragen, die offen bleiben.
Wenn ich heute aus Regierungskreisen höre, dass die
Haltung der Bundesregierung in New York reaktiv sein
werde, dann heißt das doch im Klartext: Wir haben keine
Strategie, wir haben keine Vorschläge, wir sind einfach
nicht vorbereitet.
Das ist noch weniger als wenig; das ist eigentlich
nichts. Die Hausaufgaben sind nicht gemacht. Ein Antrag
macht nur dann Sinn, wenn er auch Substanz hinsichtlich
einer Umsetzung enthält. Absichtserklärungen helfen
niemandem weiter. In Ihrem Antrag finden sich viele
große Worte, alles wichtig und richtig.
({1})
Der Antrag ist an sich hervorragend formuliert; eine bessere Zusammenfassung kann man gar nicht bekommen.
Aber welche Konsequenzen daraus gezogen werden sollen, bleibt offen; diese Antwort bleiben Sie schuldig.
Ohne konkrete Handlungsverpflichtungen für die Bundesregierung ist ein solcher Antrag Makulatur.
({2})
- Das macht nichts. Wenn Sie das gerne hören wollen,
sage ich es gerne noch ein viertes Mal. Er ist Makulatur.
({3})
- Es wird nicht besser; da haben Sie Recht.
({4})
Es wird dadurch leider Gottes nicht besser. Ich würde
mich freuen, wenn es besser würde.
Wir werden uns bei der Abstimmung der Stimme enthalten, weil uns die Sache zu wichtig ist. Wir halten die
Aidsbekämpfung für eine ganz wichtige Maßnahme; aber
es kann nicht sein, dass nur große Reden gehalten werden
und dahinter keine Forderungen stehen.
({5})
- Ich weiß, Sie hören es nicht so gern.
Herzlichen Dank.
({6})
Jetzt spricht die Kollegin Rita Grießhaber für die Fraktion des Bündnisses 90/
Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich zuallererst ein ganz herzliches Dankeschön
an Eberhard Brecht sagen. Er hat unseren Unterausschuss
„Vereinte Nationen“ wirklich wunderbar kollegial und
mit großer Umsicht geführt. Es war ein schwieriges
Thema, es war viel einzubinden, ein breites Themenspektrum. Es war immer ein sehr, sehr angenehmes Klima. Ein
herzliches Dankeschön!
({0})
Die Vereinten Nationen stehen vor immensen Herausforderungen und wichtigen Entscheidungen, ob nun hinsichtlich der Armuts- und Aidsbekämpfung, der Umsetzung des Kioto-Protokolls oder insbesondere des Schutzes
von Frieden und Sicherheit. Heute haben die Vereinten Nationen als Hüterin des Weltfriedens mehr denn je große Bedeutung. Die Mitgliedstaaten - das sind wir alle - sind
gefordert, Abrüstungsinitiativen, Krisenprävention und
Frieden schaffende und erhaltende Maßnahmen mitzutragen.
Friedenssicherung heute ist mit dem klassischen „peacekeeping“ nicht mehr gleichzusetzen. Heutzutage spielt sich
die Mehrheit von Konflikten innerhalb der Staaten, oft als
Bürgerkriege, ab. Heutzutage müssen die Vereinten Nationen eingreifen, um Hungersnöte, Massenmigration und
drohenden Genozid zu verhindern. Obwohl es Erfolge
gibt - Eberhard Brecht hat darauf hingewiesen -, prägen
doch eher die schlimmen Misserfolge das Erscheinungsbild der Vereinten Nationen in der Weltöffentlichkeit.
Ich erinnere hier nur an Ruanda. Ruanda oder Osttimor illustrieren ein Dilemma: Obwohl die Vereinten Nationen über ein ausgebautes Frühwarnsystem verfügen,
kommt es oft nicht zu den notwendigen Einsatzentscheidungen. So groß das Erschrecken über Gräueltaten in sich
destabilisierenden oder auseinander fallenden Staaten ist,
so groß sind die Zweifel und vor allem die Angst davor,
sich in unlösbare Konflikte zu verstricken. Ebenso groß
ist die Ungewissheit, ob tatsächlich Chancen bestehen,
Schlimmeres zu vermeiden.
Interventionspolitik ist ein Wort, bei dem viele zusammenzucken. Aber oft genug beklagen wir hinterher die Opfer und müssen uns dann im Nachhinein fragen: Wie hätte
man sie verhindern können? Bei jedem Eingriff wägen wir
zu Recht skeptisch ab: Muss er wirklich sein? Können wir
nicht noch abwarten? Immer öfter gerät die internationale
Staatengemeinschaft in solche Entscheidungszwänge. Ich
denke hier als Beispiel an den in den nächsten Wochen
oder Monaten bevorstehenden Einsatz in Mazedonien. So
sehr wir alle Empfehlungen aus dem Brahimi-Bericht begrüßen, so schwer tun wir uns, rechtzeitig ausreichende
Mittel und Personal zur Verfügung zu stellen, wenn die
Vereinten Nationen rufen.
Vor zwei Tagen haben die Vereinten Nationen zum ersten Mal den Weltflüchtlingstag begangen. Für uns ist
klar: Wer Flucht verhindern will, muss vor allen Dingen
die Ursachen von Flucht angehen, aber auch nach kriegerischen Auseinandersetzungen einen Rahmen zur Konfliktbearbeitung und -bereinigung bieten. Deshalb ist es
uns so wichtig, dass der Internationale Strafgerichtshof
seine Arbeit endlich aufnehmen kann.
({1})
Ich hoffe, dass es im amerikanischen Senat keine
Mehrheit für den Gesetzesvorschlag zum Schutz der amerikanischen Streitkräfte geben wird.
({2})
Diesem Versuch, den Strafgerichtshof nicht nur zu torpedieren, sondern durch Einschüchterung auch Dritte von
der Ratifizierung abzuhalten, wird die Europäische Union
auch weiterhin mit vereinter Stimme entgegentreten.
({3})
Hochaktuell ist die Entwicklung im Falle Irak. Schon
lange ist eine neue Sanktionspolitik gegenüber dem Irak
überfällig. Wir alle wissen, dass Saddam Hussein die Zivilbevölkerung zu seiner Geisel gemacht hat, während das
Regime selbst von den Sanktionen profitiert. Auch das
aufgelegte Programm der Vereinten Nationen „Öl gegen
Nahrungsmittel“ hat Saddam Hussein nicht für seine Bevölkerung genutzt.
Im Februar dieses Jahres hat Außenminister Powell unserem Außenminister einen Richtungswechsel in der IrakPolitik zugesagt. Jetzt gibt es konkrete Pläne der Regierungen Großbritanniens und der USA - seit gestern auch
einen Vorschlag der Franzosen -, in welchem die Idee intelligenter, gezielter Sanktionen aufgegriffen wird. Das ist
der lang erhoffte Schritt in die richtige Richtung.
({4})
Wichtig ist dabei aber, weiterhin zu verhindern, dass
der Irak in die Lage versetzt wird, Massenvernichtungswaffen zu produzieren. Die internationale Gemeinschaft
darf das Ziel, die Proliferation zu vermeiden, nicht aufgeben. Insgesamt braucht die ganze Region ein Sicherheitsarrangement. Es tut gut, dass mit der Person Kofi Annans
die Vereinten Nationen endlich auch in Israel willkommen
sind.
({5})
Die Aufgaben der Vereinten Nationen in der globalen
Welt werden zahlreicher und schwieriger. Sie selber haben viel getan, um mit den Mitteln sparsamer und effizienter umzugehen. Bei vielen Organisationsproblemen ist
es dem Generalsekretär gelungen, mit pragmatischen
Reformschritten eine Menge zu verbessern. Letztlich liegt
es an uns, an allen Mitgliedstaaten, die VN mit ganzer
Kraft zu unterstützen. Das tun wir gerne.
Vielen Dank.
({6})
Für die F.D.P.-Fraktion spricht jetzt die Kollegin Birgit Homburger.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Antrag, über den wir
heute beraten, wird die Bundesregierung aufgefordert, das
deutsche Engagement im Rahmen der Vereinten Nationen
zu verstärken. Das ist aus Sicht der F.D.P.-Fraktion ein
dringendes Anliegen. Deshalb freue ich mich, dass es zum
Schluss doch noch gelungen ist, diesen Antrag interfraktionell einzubringen.
Ich möchte auf einige Punkte hinweisen, die aus unserer Sicht von besonderer Bedeutung sind. Dazu gehört ein
Punkt, der bisher noch nicht angesprochen worden ist. Da
andere Staaten im Vergleich zu ihren Pflichtbeiträgen und
freiwilligen Leistungen eine überproportional starke personelle Repräsentanz in den Vereinten Nationen aufweisen, ist nach meiner Meinung eine engagiertere deutsche
Personalpolitik in der Tat dringend geboten, die der Bedeutung Deutschlands im VN-System gerecht wird. Ich
denke, darum sollten Sie sich kümmern, Herr Außenminister.
({0})
Insbesondere ist auch ein stärkeres deutsches Engagement bei den längst überfälligen UN-Reformen notwendig.
({1})
Der Sicherheitsrat hat aus Sicht meiner Fraktion dabei
eine herausragende Bedeutung. Bei den Konflikten in
Bosnien und im Kosovo ist nämlich überdeutlich geworden, dass Handlungsfähigkeit jedenfalls etwas anderes ist
als das, was dort stattgefunden hat. So müssen insbesondere die fünf ständigen Mitglieder bei den Reformen stärker in die Pflicht genommen werden. Für meine Fraktion
führt der Weg zu einem handlungsfähigen und glaubwürdigen Sicherheitsrat über seine Erweiterung nach einem
regionalen Schlüssel. Eine vernünftige Grundlage dafür
bietet der Razali-Plan von 1997.
Wenn aber eine Anpassung der Zusammensetzung des
Sicherheitsrates an die weltpolitischen Realitäten des
21. Jahrhunderts, wie Sie, Herr Dr. Brecht, es formuliert
haben, erfolgen soll, dann ist aus unserer Sicht auch ein
ständiger deutscher Sitz im Sicherheitsrat unerlässlich;
({2})
denn Realität ist auch, dass Deutschland als drittgrößter
Beitragszahler und als große Handelsnation seit der Wiedervereinigung weltweit zusätzliche Verantwortung übernommen hat. Dies sieht die weit überwiegende Mehrheit
der Staatengemeinschaft so. Deshalb ist es aus unserer
Sicht enttäuschend, dass sich die Regierungskoalition
noch immer nicht zu einem klaren Bekenntnis zur deutschen Kandidatur durchringen kann.
({3})
Es wäre für uns deswegen wünschenswert gewesen,
wenn in dem gemeinsamen Antrag eine deutlichere Aufforderung an die Bundesregierung aufgenommen worden
wäre. Stattdessen findet sich dort nur der Hinweis auf die
halbherzige Äußerung des Bundeskanzlers, Deutschland
sei bereit, „Verantwortung für Frieden und internationale
Sicherheit zu übernehmen“.
Für uns ist auch die Straffung und Verbesserung der Effizienz von Friedensmissionen im Sinne des BrahimiReports von besonderer Bedeutung. Im Antrag wird begrüßt, dass die Bundesregierung den Vereinten Nationen
ein ziviles und militärisches Stand-by-Angebot unterbreitet hat. Aber dabei ist für uns ganz klar, dass sich Deutschland nur nach vorheriger Zustimmung des Deutschen
Bundestages derartige Verpflichtungen auferlegen kann.
Hier trägt der interfraktionelle Antrag ganz deutlich die liberale Handschrift. Das haben Sie zuerst nicht so gesehen.
({4})
Besonders erwähnenswert erscheint mir auch die Forderung nach einer stärkeren Rolle für das Flüchtlingswerk
UNHCR. Dies ist vernünftig, bedeutet jedoch logischerweise auch, dass die deutschen Beiträge für den UNHCR,
aber auch für UNICEF oder für UNRWA nicht weiter
gekürzt, sondern aufgestockt werden müssen. Dafür werden wir uns bei den bevorstehenden Haushaltsberatungen
mit Nachdruck einsetzen, so wie wir es schon bei den letzten Haushaltsberatungen getan haben.
({5})
Ich möchte nur kurz auf den Internationalen Strafgerichtshof eingehen und mich ansonsten den Ausführungen meiner Vorredner anschließen. Auch die F.D.P.-Bundestagsfraktion hat absolut kein Verständnis für die
Haltung des US-amerikanischen Senats. Wir hoffen, dass
der Internationale Strafgerichtshof bald arbeitsfähig sein
wird.
({6})
Wir behandeln heute auch einen Antrag der Koalitionsfraktionen zur Bekämpfung von Aids in den Entwicklungsländern. Die Kollegin Reinhardt hat sich ja schon
sehr ausführlich mit diesem Antrag auseinander gesetzt.
Ich möchte für meine Fraktion sagen, dass wir diesen Antrag unterstützen, weil wir ihn für wichtig halten. Aber wir
müssen auch feststellen, dass es unredlich ist, solche Anträge zu formulieren und gleichzeitig existenzielle Einschnitte im Entwicklungshilfeetat vorzunehmen. Das
passt einfach nicht zusammen.
({7})
Das gilt über den Antrag zur Bekämpfung von Aids in
den Entwicklungsländern hinaus. Aus unserer Sicht sollte
neun Monate nach dem Millenniumsgipfel endlich die
konkrete Umsetzung der Millenniumserklärung beginnen. Wie so etwas aber beispielsweise bei der Armutsverringerung auf nationaler Ebene aussieht, zeigte sich am
vorletzten Mittwoch. Mit weiteren massiven Kürzungen
im Etat des BMZ kann Deutschland nach außen nicht
glaubwürdig ein ernsthaftes Engagement für eine weltweite Armutsverringerung geltend machen. Daran können auch die 100 Millionen Euro, die Bundesministerin
Wieczorek-Zeul dem Finanzminister in letzter Minute
abgerungen hat, nichts ändern. Diese Mittel sind aus unserer Sicht reine Kosmetik. Gemessen an dem hohen
moralischen Anspruch, mit dem diese Regierung angetreten ist, ist das schon ein derber Offenbarungseid.
({8})
Wenn wir für eine stärkere Rolle der Vereinten Nationen in der Entwicklungspolitik plädieren, dann muss
Deutschland verstärkt für die Global-Compact-Initiative von Generalsekretär Kofi Annan eintreten. Für uns ist
wichtig, dass alle damit verbundenen Aufgaben in Zusammenarbeit mit unseren europäischen Partnern effizient bewältigt werden. Die F.D.P.-Bundestagsfraktion hat
dazu einen eigenen Antrag eingebracht, über den wir
heute in erster Lesung im Plenum beraten. Zwar kann ich
aus Zeitgründen nicht näher darauf eingehen; aber wir
werden noch Gelegenheit haben, uns damit detailliert zu
befassen.
Abschließend möchte ich Folgendes sagen: Wir werden den PDS-Antrag ablehnen. Dem interfraktionellen
Antrag werden wir aus liberaler Sicht zustimmen, obwohl
er manche Schwäche - die eine oder andere habe ich
schon genannt; zusätzlich gilt das zum Beispiel im Hinblick auf die Unabhängigkeit der Bretton-Woods-Institutionen - aufweist. Wir sind der Meinung: Für Kleinkariertheiten ist die Zukunft der Vereinten Nationen
einfach zu wichtig; deshalb werden wir diesem Antrag
trotzdem zustimmen.
Vielen Dank.
({9})
Das Wort für die PDSFraktion hat der Kollege Wolfgang Gehrcke.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ehe ich mich mit den vorliegenden Anträgen im Einzelnen auseinander setze, möchte
ich uns alle daran erinnern, dass wir diese Debatte an einem historischen Datum, nämlich am 60. Jahrestag des
Überfalls auf die Sowjetunion, führen. Die Niederlage
des deutschen Faschismus und die Befreiung der europäischen Völker vom Faschismus waren zugleich die
Gründungsvoraussetzung für die Vereinten Nationen.
Auch auf diese Umstände muss man in dieser Debatte
aufmerksam machen.
({0})
Die Lehren aus dem faschistischen Krieg und die Befreiung vom Faschismus waren im Hinblick auf die Gründung der Vereinten Nationen konstituierende Momente.
„Nie wieder Krieg!“ und „Nie wieder Faschismus!“ sind
Grundgedanken der Charta der Vereinten Nationen und
auch, wie ich ausdrücklich sagen möchte, unseres Grundgesetzes.
Zeit und Anlass der heutigen Bundestagsdebatte geben
nicht die Chance, über die wechselvolle Geschichte der
Vereinten Nationen etwas ausführlicher zu sprechen; deswegen möchte ich uns einiges nur sehr knapp, sozusagen
in Stichworten, in Erinnerung rufen. Man kann feststellen,
dass die Charta der Vereinten Nationen Krieg als Mittel
der Politik ausschließt und Gewalt, selbst die Androhung
von Gewalt aus dem Zusammenleben der Völker verbannen will. Wir sollten uns in Erinnerung rufen, dass die
Vereinten Nationen nicht nur die Frage nach einem dauerhaften Frieden, sondern auch die Frage nach einem gerechten Frieden - sozialer Ausgleich, Kampf gegen Hunger
und Armut, Verhinderung ökologischer Katastrophen stellen. Die Vereinten Nationen sind, wenn man so will,
ein weltweiter runder Tisch der Staaten und - Gott sei
Dank - in zunehmendem Maße auch der Völker.
Jetzt zu den Anträgen selbst: Der Antrag von SPD,
Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU und F.D.P. beschäftigt sich aus meiner Sicht primär mit der Frage, wie
Deutschland in den Vereinten Nationen eine größere Rolle
spielen kann. Der Antrag meiner Fraktion hat das Ziel, die
Autorität der Vereinten Nationen selbst zu stärken.
({1})
Das ist der grundsätzliche Unterschied beider Anträge.
Ich habe mich oft geärgert - das gebe ich zu -, wenn
meine Fraktion nicht eingeladen worden ist, solche interfraktionellen Anträge mitzugestalten.
({2})
Was die Außen- und Sicherheitspolitik angeht, spiegelt
dieses Verhalten die politischen Mehrheitsverhältnisse
und Denkweisen in diesem Hause realistisch wider. Wir
haben es eben in der Außen- und Sicherheitspolitik mit einer größtmöglichen grundsätzlichen Koalition der vier
Parteien und einer Oppositionspartei, der PDS, zu tun.
({3})
Deswegen kommen in diesen Fragen so wenig übereinstimmende Positionen zusammen. Ich möchte das ausdrücklich festhalten; auch Herr Müntefering spricht ja immer davon und ich möchte ihn in dieser Frage bestätigen.
({4})
Wenn man sich die einzelnen Anträge ansieht, muss
man feststellen, dass beide Anträge davon sprechen, dass
die Regeln des Völkerrechts gestärkt werden sollten,
wofür die Charta der Vereinten Nationen verbindlich sein
sollte. Der PDS-Antrag fügt hinzu: ohne Ausnahme. Ich
finde, wenn die Bundesregierung es mit diesem Thema
ernst meint, muss sie erklären, dass sie zumindest die
Charta der Vereinten Nationen einhält und an keiner Militäraktion teilnimmt, die nicht in voller Übereinstimmung mit dem Sicherheitsrat und auf Beschluss des Sicherheitsrates unternommen wird; das muss ohne
Ausnahme gelten. Nach dieser Logik müsste dann auch
die neue NATO-Doktrin, das neue strategische Konzept
der NATO, vom Tisch.
Beide Anträge sprechen von der Notwendigkeit der
Abrüstung. Die PDS schlägt vor, die UN-Konferenz zur
nuklearen Abrüstung in Deutschland auszurichten und
sich zusätzlich den US-Raketenplänen und einer Militarisierung des Weltraums zu widersetzen.
Der interfraktionelle Antrag will einen deutschen Sitz
im VN-Sicherheitsrat erreichen. Die PDS ist davon
überzeugt, dass es besser wäre, Afrika, Lateinamerika und
Asien im Weltsicherheitsrat zu stärken.
Die PDS hält es für notwendig, den Vereinten Nationen
bessere Instrumente zur Regulierung internationaler Finanzmärkte zu geben. Seitdem Lafontaine weg ist, macht
sich auch die SPD über solche Punkte keine Gedanken
mehr. Der Antrag jedenfalls schweigt sich dazu aus.
Die PDS schlägt weiterhin vor, Deutschland soll seine
Möglichkeiten nutzen, um auf die USA einzuwirken, ihre
Politik der Unterhöhlung und der Blockade der Vereinten
Nationen zu beenden. Im Vierer-Antrag kommt dieses
Problem noch nicht einmal zum Ausdruck. Das sind
grundsätzliche Differenzen in der Außenpolitik und deswegen geht auf diesem Feld wenig zusammen.
({5})
Abschließend möchte ich dem Kollegen Brecht, der
mich gerade kritisiert, für seine künftige Arbeit als Oberbürgermeister alles Gute wünschen. Man hat sich im
Hause aneinander gewöhnt und ich muss sagen: Ich werde
Sie vermissen.
({6})
Das Wort hat der Bundesminister des Auswärtigen, Joseph Fischer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will
mich den besten Glückwünschen und der Danksagung an
den Kollegen Brecht anschließen, der über viele Jahre
hinweg Vorsitzender des Unterausschusses „Vereinte Nationen“ war. Ich möchte Ihnen für die Zusammenarbeit
recht herzlich danken und für Ihr neues Amt als Oberbürgermeister der wunderbaren Stadt Quedlinburg alles Gute
wünschen.
({0})
Einen Satz zu meinem geschätzten Kollegen Gehrcke:
Sie haben Recht, unsere Positionen gehen nicht zusammen. Ich glaube, es besteht ein sehr tiefer Unterschied in
der Frage der Westbindung Deutschlands und der Interpretation dessen, was dies tatsächlich bedeutet und welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind. Die PDS hat in
dieser Frage eine andere Position. Ich würde aber nicht so
weit gehen zu behaupten, sie sei deshalb die einzige Opposition. Sie vertritt vielmehr eine falsche Position. Ich
sehe voraus, dass Sie diese Position nach und nach korrigieren werden. Sie haben es ja auf einem Parteitag - das
ist sehr schwierig; ich kenne das Geschäft - bereits versucht.
({1})
Ich will Ihnen nur sagen, Herr Gehrcke: Ich nehme an, da
ich Sie sehr schätze und für einen klugen Mann halte, dass
Sie es weiter versuchen werden.
Es ist völlig richtig, auf das Datum des heutigen Tages
hinzuweisen. Es ist der Jahrestag des Überfalls von NaziDeutschland auf die damalige Sowjetunion. Es war nicht
der Beginn des Zweiten Weltkrieges; aber es war der Beginn des brutalsten, barbarischsten Abschnitts des Zweiten Weltkrieges und der definitive Weg in die Selbstzerstörung, der unzählige Menschen - man muss hinzufügen:
auch sehr viele unserer Landsleute - auf furchtbare Art
und Weise das Leben gekostet hat. Man muss auch herausstellen, dass es eines Krieges, das heißt eines bewaffneten Widerstandes, des Kampfes gegen den Nationalsozialismus, gewissermaßen bis zur letzten Patrone, bis
nach Berlin, bis in dieses Gebäude, bedurfte. Dass wir
heute eine deutsche Demokratie haben und wiedervereinigt in Frieden und Freiheit sind, verdanken wir der Tatsache, dass eine Nachkriegsordnung geschaffen wurde, zu
der zentral die Gründung der Vereinten Nationen, aber
auch die Westintegration, die NATO und die Europäische
Union gehören. Auch das muss man an einem solchen
Tage unterstreichen.
Bei aller Kritik: Es gibt nichts Besseres als die Vereinten Nationen. Sie sind einmalig. Insofern sind sie nicht
nur erhaltenswert, sondern auf ihre Rolle als Ausgleichsfaktor zwischen den unterschiedlichen Interessen der
Staaten kann überhaupt nicht verzichtet werden. Gewiss
sind sie reformbedürftig. Aber was ist nicht reformbedürftig auf dieser Welt? Sie sind erneuerungsbedürftig
und zugleich auch erneuerungsfähig. Die Vereinten Nationen sind das Gremium, in dem die Interessen ausbalanciert werden, das im Wesentlichen den internationalen
Frieden und die internationale Entwicklung sowie den
Ausgleich des Unterschiedes zwischen Reich und Arm
garantiert. Sie sind das Gremium, das mehr und mehr, wie
ich hoffe, die Kraft erhält, über den internationalen Frieden zu wachen. Die Entscheidungsinstanz - das ist der
Sicherheitsrat - sollte so etwas wie ein internationales Gewaltmonopol erhalten, um den Frieden tatsächlich durchzusetzen.
({2})
Davon sind wir leider noch ein gutes Stück entfernt.
Da die Leistungsfähigkeit der Vereinten Nationen,
wenn man es realistisch betrachtet, beschränkt ist, muss
man auch hinzufügen: Ich begrüße es, dass regionale Sicherheitsorganisationen - dazu gehören die NATO in
Europa, aber auch die regionalen Sicherheitsorganisationen im südlichen und im westlichen Afrika - mehr und
mehr in enger Kooperation mit den Vereinten Nationen
eine wichtige Rolle zu spielen beginnen. Darin erkenne
ich eine der zukünftigen Entwicklungen. Gerade in Asien,
wo es, wie wir feststellen müssen, ein Defizit an regionaler Sicherheitstradition gibt, wo nicht in kooperativen
Sicherheitsstrukturen gedacht wird, entwickeln sich - das
können Sie sehr genau sehen - Krisen. Wir haben darüber
in der vorangegangenen Debatte gesprochen, aber Ähnliches gilt auch für andere Bereiche in Asien. Kooperative
Sicherheit wird also mehr und mehr an regionale Organisationen gebunden, die wiederum an die Vereinten Nationen angebunden sind und sehr stark mit ihnen kooperieren. Das ist ein sehr wichtiger Gesichtspunkt.
Die Frage des internationalen Klimaschutzes hängt
ja eng mit der Rio-Konferenz zusammen. In Rio ging es
nicht nur um die Frage des globalen Umwelt- bzw. Klimaschutzes, sondern auch um globale Entwicklungschancen. Warum müssen die reichen Industrieländer ihre
Emissionen von CO2 und anderen klimaschädlichen Stoffen reduzieren? Weil Schwellenländer und unterentwickelte Länder ihre Entwicklungschance haben wollen
und haben müssen - so zumindest die Position der Bundesregierung. Deswegen ist es unabdingbar, dass wir an
diesem Prozess weiterarbeiten, dass wir das Kioto-Protokoll zum Klimaschutz wirklich in Kraft setzen und implementieren.
({3})
Das gilt auch für die Beendigung der Blockade der Vereinten Nationen vonseiten der USA. Ich frage mich, ob,
wenn die PDS das in Washington vertreten wird, der Erfolg durchschlagend sein wird und das wirklich zu einem
generellen Kurswechsel führen wird. Das zeigt, dass das
bisweilen nicht nur eine Frage der Überzeugung ist, sondern auch eine Frage der Gesprächsfähigkeit. Man muss
ein Interesse daran haben, diese zu erhalten, vor allen Dingen dann, wenn man es mit einem so wichtigen Partner
wie den Vereinigten Staaten zu tun hat. Wir hoffen, dass
wir bei allen Interessendifferenzen, um die man in der Tat
nicht herumreden muss, auch die USA noch überzeugen
können, eine Klimaschutzpolitik zu betreiben.
Ein anderer wichtiger Punkt ist die Bekämpfung der
Armut. Hier ist nach wie vor auf die Kölner Entschuldungsinitiative während der deutschen G-8-Präsidentschaft zu verweisen. Diese ist meines Erachtens eine der
wichtigsten Initiativen.
({4})
Hinzu kommt der Kampf gegen Aids. Dass Kofi Annan,
der Generalsekretär der Vereinten Nationen, jetzt einen
globalen Gesundheitsfonds einrichtet, halten wir für hervorragend. Wir werden über die deutsche Unterstützung,
auch was die privaten und die öffentlichen Anteile daran
betrifft, noch sehr intensiv beraten. Ich denke, wir werden
diese Initiative unterstützen.
Etwas Weiteres möchte ich Ihnen, liebe Kolleginnen
und Kollegen, noch sagen: Eine stärkere Rolle der Vereinten Nationen setzt mehr Geld voraus. Wir können
natürlich das übliche Spiel machen: Wir fordern zum einen in den Fachdebatten für alles mehr Geld - mehr Geld
für die Bundeswehr, mehr Geld für die Vereinten Nationen, mehr Geld für die Entwicklungszusammenarbeit,
mehr Geld für die auswärtige Kulturpolitik -, zum anderen fordern wir Steuersenkungen und dieses und jenes für
die verschiedenen Sektoren, zum Beispiel für die Verkehrspolitik, und dann, wenn wir einen Strich darunter
machen, stellen wir fest, dass dabei illusorische Zahlen
herauskommen. So etwas wird weder von der Bevölkerung noch von uns selber ernst genommen.
({5})
- Im Gegensatz zu Ihnen bin ich schon lange ein Realist,
Herr Ramsauer.
({6})
Der entscheidende Punkt wird sein - insofern begrüße
ich diesen Antrag -, dass wir unsere freiwilligen Leistungen in den Vereinten Nationen auf mittlere Sicht
wieder erhöhen müssen.
({7})
Mir blutet das Herz, dass wir im Rahmen der Haushaltssanierung in diesem Bereich Kürzungen vornehmen
mussten. Sie können mir glauben, dass mir das Herz blutet, wenn ich mir unsere Leistungen etwa bei der Flüchtlingshilfe, bei UNICEF und an vielen anderen Punkten
anschaue. Sobald Licht am Ende des Tunnels erkennbar
wird, werden wir - die Bundesrepublik Deutschland als
eines der reichsten Industrieländer, Gott sei Dank wiedervereinigt und in einem zusammenwachsenden Europa gelegen - Ernst machen müssen und in der Außenpolitik finanzpolitisch, bezogen auf den Gesamthaushalt, andere
Prioritäten setzen müssen.
({8})
- Liebe Frau Homburger, das ist nicht unglaublich. Wir
haben doch ein Erbe übernommen, das uns zur Haushaltssanierung zwingt; unter diesem Erbe steht eben auch
„F.D.P.“.
({9})
Das müssen Sie wissen, denn diese Erblast wiegt.
({10})
Ich bedauere den momentanen Zustand, aber ich verspreche Ihnen, dass wir in den kommenden Jahren die Gelegenheit haben werden, das zu korrigieren.
({11})
Ich versichere Ihnen, wir werden alles tun, um hier wieder Aufwüchse zu erzielen.
Ich bedanke mich.
({12})
Der Kollege Clemens
Schwalbe hat seine Rede zu Protokoll gegeben.1) - Ich
sehe dazu keinen Widerspruch im Saal.
Letzter Redner in dieser Debatte ist nun der Kollege
Frank Hempel.
Sehr geehrte Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Werte Kolleginnen und Kollegen! Auch wenn es heute Nachmittag schon vergleichsweise heiter zugegangen ist - das Wochenende steht ja
auch bevor -, so möchte ich doch zu einem ernsthaften
Thema zurückkommen, nämlich zu dem Thema HIV und
Aids. In direktem Zusammenhang mit der MillenniumsErklärung der Vereinten Nationen, die die Unterzeichnerstaaten verpflichtet, Anstrengungen gegen die Ausbreitung von HIV und Aids zu unternehmen, steht unser
Antrag „Aids-Bekämpfung in den Entwicklungsländern
fördern“.
Nun ist ja Frau Reinhardt leider nicht mehr anwesend,
sodass ich Sie, Herr Ramsauer, stellvertretend und - in
Ihren Reihen sieht es ja von der Besetzung her sehr mau
aus - alleine ansprechen muss. Frau Reinhardt hat meinen
Antrag in Bausch und Bogen verdammt. Ich frage mich
aber, warum sie ankündigt, sich bei der Abstimmung darüber zu enthalten. Wenn der Antrag so schlecht wäre,
müsste sie ihn doch ablehnen. Das machen Sie aber insgesamt nicht, weil Sie Bauchschmerzen damit hätten; deswegen enthalten Sie sich lieber. Dabei handelt es sich
nämlich um einen guten Antrag.
Die Verbreitung von HIV und Aids in den letzten
20 Jahren hat mittlerweile fast alle Länder auf allen Kontinenten erreicht und ist zu einem globalen gesellschaftlichen und gesundheitspolitischen Entwicklungsproblem
geworden. Wenn wir dem nicht entgegenwirken, werden
Entwicklungserfolge der Vergangenheit weiter revidiert
und die Tragödie wird sich fortsetzen. Seit dem Beginn
der Epidemie haben sich fast 60 Millionen Menschen mit
dem Virus infiziert, von denen bis heute über 22 Millionen
verstorben sind. Bedenken Sie, dass sich täglich mehr als
15 000 Menschen neu infizieren; rund 1 700 davon sind
Kinder unter 15 Jahren.
Dieser Antrag trägt den Titel „Aids-Bekämpfung in
den Entwicklungsländern fördern“, da sich 95 Prozent der
Pandemie in Entwicklungsregionen konzentrieren: in Regionen, die durch Armut und unzureichende, meist total
überforderte staatliche Gesundheitsversorgungssysteme
gekennzeichnet sind. Im Afrika südlich der Sahara ist die
Situation besonders verheerend. Auf diese Region konzentrieren sich etwa 70 Prozent der weltweiten HIV- und
Aids-Fälle. Einige Länder in dieser Region sind so schwer
betroffen, dass jegliche Entwicklungsbemühungen nicht
nachhaltig sein werden, wenn diese Länder und die Weltgemeinschaft die HIV/Aids-Epidemie nicht in den Griff
bekommen.
({0})
Zum Beispiel Botswana weist mit 35,8 Prozent die höchs-
te Prävalenzrate bei Menschen im Alter von 15 bis 49 Jah-
ren auf. Das heißt, mehr als jeder Dritte im reproduktiven
Alter ist infiziert. Für andere Länder wie Swasiland,
Zimbabwe und Lesotho, bei denen jeder Vierte im repro-
duktiven Alter infiziert ist, gilt Ähnliches.
Aber nicht nur die Prävalenzrate, also die gesellschaft-
liche Durchdringung der Epidemie, sondern auch die ab-
solute Zahl der Infizierten in einem Land gibt Auskunft
über das Ausmaß der Epidemie. So schätzen Experten die
Zahl der HIV-Infizierten in Südafrika auf circa 5 Milli-
onen. Für Südafrika bedeutet dies, dass etwa 20 Prozent,
also jeder fünfte Südafrikaner bzw. jede fünfte Südafrika-
nerin zwischen 15 und 49 Jahren, infiziert sind. Aber trotz
des Ausmaßes der Epidemie im südlichen Afrika dürfen
wir die anderen Entwicklungsregionen nicht aus dem
Blick verlieren.
Neben den regionalen Kerngebieten gibt es auch ge-
sellschaftliche Schwerpunkte. Waren es aufgrund höherer
Mobilität und Promiskuität anfangs überwiegend Männer,
die von der Epidemie betroffen waren, verlagert sich der
Infektionsschwerpunkt heute. Immer mehr Frauen und
Kinder sind selbst infiziert oder werden als Aids-Witwen
und -Waisen gesellschaftlich ausgegrenzt. Bereits heute
sind fast die Hälfte der HIV-positiven Erwachsenen
Frauen; besonders im südlichen Afrika sind sie überpro-
portional von der Infektion betroffen. Kinder stellen das
schwächste Glied in dieser Kette dar und werden schuld-
los in die Tragödie Aids mit einbezogen. Sie können vor,
während und nach der Geburt von der Mutter infiziert
werden oder durch die Seuche zu einem der abertausend
Aids-Waisen werden: Bis Ende 1999 wurden 13,2 Milli-
onen Kinder durch Aids zu Waisen.
Aber nicht nur soziale Strukturen der Gesellschaften
sind durch den Zerfall der Familien betroffen. Auch die
wirtschaftliche Basis dieser Entwicklungsländer ist ge-
fährdet; denn wertvolle Arbeitskraft geht der Gesellschaft
und der Volkswirtschaft verloren. Die Produktivität ver-
ringert sich, Exporte und Investitionen nehmen ab und
schließlich wird die Gesamtwirtschaft dadurch ge-
schwächt. Durch die gleichzeitige Bedrohung der sozia-
len und der ökonomischen Basis der betroffenen Staaten
werden die Strukturen der Gesellschaften erodiert und
ökonomische Entwicklung wird unmöglich.
Es wird Zeit, jetzt darauf zu reagieren und konkrete
Maßnahmen zu forcieren, um dem Problem entgegenzu-
wirken. Hierbei müssen die Entwicklungsländer in die
Verantwortung genommen werden. Natürlich muss auch
auf ihr Problembewusstsein eingewirkt werden. Die Un-
terstützung durch die Industrieländer muss partizipativ
und den Bedürfnissen entsprechend abgestimmt werden.
Lassen Sie uns die Sondergeneralversammlung der
Vereinten Nationen „HIV/Aids“, die vom 25. bis 27. Juni
2001, also in der kommenden Woche, in New York statt-
findet, zum Anlass nehmen, als deutsches Parlament zum
globalen Problem Aids Stellung zu beziehen und eindeu-
tige Signale zu setzen, indem wir gemeinsam und ge-
schlossen dem Anliegen dieses Antrages zustimmen. Wir
als Deutsche, die im September letzten Jahres die Resolu-
tion 55/2 der Generalversammlung „Millenniums-Er-
klärung der Vereinten Nationen“ unterzeichnet haben,
müssen uns zu dieser auch bekennen. In ihr heißt es unter
1) Anlage 6
anderem unter Punkt 19, bis zum Jahr 2015 - ich zitiere „ ... die Ausbreitung von HIV/Aids ... zum Stillstand gebracht und allmählich zum Rückgang gezwungen zu haben“. Lassen Sie uns unseren Beitrag dazu beisteuern, um
dieser gemeinsamen Verpflichtung nachzukommen!
Da eine Heilung der HIV-Infektion und von Aids beim
heutigen Stand der Medizin nicht möglich ist, muss unser
Bestreben sein, die weitere Verbreitung der Pandemie
durch umfassende Prävention zu vermeiden und die Entwicklung eines wirksamen Impfstoffes zu forcieren. Doch
was ist mit den vielen Millionen Menschen, die bereits infiziert sind? Wie kann denen geholfen werden? Für diese
Menschen muss es auch mit der bitteren Diagnose HIVpositiv noch eine Lebenschance geben. Die gibt es aber
nur, wenn sie Zugang zu bezahlbaren Medikamenten bekommen, die ihnen ein menschenwürdiges Weiterleben
ermöglichen können.
({1})
Wo die Infektion nicht bekannt ist, wird sie unwissentlich weitergegeben. Konservative Schätzungen gehen davon aus, dass neun Zehntel der HIV-Positiven nicht wissen, dass sie überhaupt infiziert sind. Also muss den
infizierten Menschen der Zugang zu einem kostenlosen
HIV-Test ermöglicht werden.
Lassen Sie uns gemeinsam den Menschen beistehen,
ihr Grundrecht auf Gesundheit zu verwirklichen, und
lassen Sie uns im Rahmen der WTO-TRIPS-Vereinbarung den betroffenen Staaten helfen, ihre Möglichkeiten
zur Bekämpfung der HIV/Aids-Bedrohung voll auszuschöpfen!
Wir begrüßen sehr, dass HIV/Aids-Bekämpfung eine
Querschnittsaufgabe der bilateralen deutschen Entwicklungszusammenarbeit geworden ist und dass - besonders
aufgrund des Fehlens von Impfstoffen - umfassende
Präventionsprogramme äußerste Priorität haben. Auch
das Aufstocken der finanziellen Mittel durch die Bundesregierung und das Mitwirken deutscher Konzerne im Rahmen von Public Private Partnership werden sehr begrüßt.
Doch wir müssen uns fragen, ob dieses Engagement
ausreicht, um Aids, gemäß der Millenniums-Erklärung
der Weltgemeinschaft, umfassend zu bekämpfen. Die
Dringlichkeit des Problems bedarf eines geschlossenen
Auftretens und Handelns. Ich hoffe, dass bei dieser
menschlichen Tragödie HIV/Aids alle Vertreter dieses
Hauses - egal welcher politischen Couleur - am gleichen
Strang ziehen und diesen Antrag unterstützen werden.
Danke schön.
({2})
Ich schließe die Aussprache und schließe mich ausdrücklich den guten Wünschen für den Kollegen Dr. Eberhard Brecht an.
Wir kommen jetzt zur Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 14/5855 zu dem
Antrag der Fraktionen von SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und F.D.P. mit dem Titel „Die Vereinten Nationen an der Schwelle zum neuen Jahrtausend“.
Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/5243 in der Ausschussfassung anzunehmen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist gegen die
Stimmen der PDS-Fraktion angenommen.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 14/5851 zu dem Antrag
der Fraktion der PDS mit dem Titel „Deutsche Beiträge
zur Umsetzung der Millenniums-Erklärung der Vereinten
Nationen“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf
Drucksache 14/4525 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? Auch diese Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen
der PDS-Fraktion angenommen worden.
Jetzt kommen wir zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen mit dem
Titel „Aids-Bekämpfung in den Entwicklungsländern fördern“. Wer stimmt für den Antrag auf Drucksache
14/6320? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der
Antrag ist bei Enthaltung der CDU/CSU angenommen.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/6083 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Alle sind damit einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Mineralölsteuergesetzes
- Drucksache 14/6141 ({0})
a) Beschlussempfehlung und Bericht des
Finanzausschusses ({1})
- Drucksache 14/6337 Berichterstattung:
Abgeordnete Reinhard Schultz ({2})
Norbert Schindler
b) Bericht des Haushaltsausschusses ({3}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 14/6338 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Hans Jochen Henke
Hans Georg Wagner
Oswald Metzger
Jürgen Koppelin
Dr. Uwe-Jens Rössel
Die Kolleginnen und Kollegen Reinhard Schulz,
Norbert Barthle, Ulrike Höfken, Marita Sehn und Kersten
Naumann haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.1) - Ich
sehe Einverständnis im gesamten Haus.
Deswegen kommen wir sofort zur Abstimmung über
den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzent-
wurf zur Änderung des Mineralölsteuergesetzes, Druck-
sachen 14/6141 und 14/6337. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
1) Anlage 7
wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter
Beratung gegen die Stimmen der F.D.P.-Fraktion bei Enthaltung von CDU/CSU und PDS angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Der
Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis
angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf:
Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Förderung eines freiwilligen sozialen
Jahres und zur Änderung des Gesetzes zur Förderung eines freiwilligen ökologischen Jahres
- Drucksache 14/5120 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({4})
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Die Kolleginnen und Kollegen Marlene Rupprecht,
Christian Simmert, Klaus Haupt, Sabine Jünger sowie
der Sozialminister des Landes Baden-Württemberg,
Dr. Friedhelm Repnik, haben ihre Reden zu Protokoll ge-
geben.1) - Auch hier gibt es keinen Widerspruch im Hause.
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 14/5120 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Auch damit
gibt es Einverständnis. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 27 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Ulla
Jelpke, Sabine Jünger, Dr. Evelyn Kenzler, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Asylverfahrensgesetzes und anderer
Vorschriften
- Drucksache 14/6129 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({5})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Die Kolleginnen und Kollegen Rüdiger Veit, Wolfgang
Zeitlmann, Marieluise Beck, Dr. Max Stadler sowie Ulla
Jelpke haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.2) - Auch
hierzu gibt es keinen Widerspruch.
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 14/6129 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Es gibt keine
anderweitigen Vorschläge. Dann ist die Überweisung so
beschlossen.
Deshalb rufe ich jetzt Tagesordnungspunkt 28 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über rechtliche Rahmenbedingungen für den elektronischen
Geschäftsverkehr ({6})
- Drucksache 14/6098 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({7})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirt-
schaft
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für Kultur und Medien
Die Kolleginnen und Kollegen Hubertus Heil,
Dr. Wolfgang Götze3), Andrea Fischer, Rainer Funke,
Ursula Lötzer sowie der Parlamentarische Staatssekretär
Siegmar Mosdorf haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.4)
- Auch hiergegen erhebt sich kein Widerspruch im Saal.
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 14/6098 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 9 auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Klarstellung
des Spätaussiedlerstatus ({8})
- Drucksache 14/6310 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({9})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Die Kolleginnen und Kollegen Günter Graf, Hartmut
Koschyk, Marieluise Beck, Dr. Max Stadler sowie Petra
Pau haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.5) - Auch hier
konstatiere ich große Begeisterung im Saale.
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 14/6310 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Ich stelle Einverständnis im gesamten Hause fest. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 27. Juni 2001, 13 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.