Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Als
nächster Redner hat das Wort der Kollege Karl Lamers
von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Verehrte
Kolleginnen und Kollegen! Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird dem Antrag der Bundesregierung auf Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der internationalen
Sicherheitspräsenz im Kosovo zustimmen; denn ohne die
KFOR würde sich die Gewalt im Kosovo wieder Bahn
brechen und das wenige, mühsam Erreichte sofort zerstört
werden.
Wir stimmen auch der Ausweitung des Mandats auf die
Boden- und Luftsicherheitszone zu, wohl wissend, dass
damit eine gewisse Vergrößerung des Risikos verbunden
ist, aber, wie wir meinen, eine begrenzte, wie der bislang
friedlich verlaufende Einzug der jugoslawischen Streitkräfte in diese Zone hoffen lässt. Gleichzeitig sind wir allerdings davon überzeugt, dass wir die gleichen Rechte
und Pflichten wie unsere Verbündeten haben. So sehen es
übrigens auch unsere Soldaten, denen ich an dieser Stelle
zum wiederholten Male meinen Dank und meinen Respekt für ihre vorzügliche Arbeit aussprechen möchte.
({0})
Wir verbinden jedoch, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, mit unserer Zustimmung klare
Erwartungen. Zum einen muss der politische Stabilisierungsprozess auf dem Balkan beschleunigt und intensiviert sowie der Stabilitätspakt in dieser Hinsicht weiterentwickelt werden. Zum anderen muss die Finanzierung
der Bundeswehr verbessert werden.
({1})
Ich weiß zwar, dass es vergeblich ist, aber dennoch
sage ich Ihnen: Wenn Sie es ernst meinten, dann müssten
Sie unserem Entschließungsantrag, den wir heute vorgelegt haben, zustimmen.
({2})
Ich kündige übrigens schon heute an, dass wir im
nächsten Jahr die Forderung nach einer konstitutiven Befassung des Bundestages mit der Verlängerung des Mandates erneut stellen werden.
({3})
Den Entschließungsantrag der F.D.P.-Fraktion, verehrte Kollegen von der Mitopposition, lehnen wir allerdings ab.
({4})
Ohne die Worte zu benutzen, die der Kollege Brecht in
seiner Rede gefunden hat, muss ich Ihnen sagen: Ich bin
sehr erstaunt über das, was in Ihrem Entschließungsantrag
zum Ausdruck kommt.
({5})
Politisch wie rechtlich ist Ihr Antrag ungewöhnlich problematisch: politisch deswegen, weil durch ihn das Risiko
der Soldaten nicht vermindert, sondern erhöht werden
würde; rechtlich deswegen, weil Sie in Ihrem Entschließungsantrag eine Forderung erheben, die nur ein
Trick ist, um das geltende Recht zu umgehen.
({6})
Sie wissen, wir können den Antrag der Bundesregierung nicht verändern, egal, ob er uns passt oder nicht
passt. Das ist so. Er passt mir hinsichtlich der Veränderungen, die die Grünen vorgenommen haben, auch
nicht. Aber Sie erliegen noch viel mehr als die Grünen der
Versuchung, Feldherr zu spielen. Das geht nicht. Das Parlament kann nicht die militärischen Einzelheiten eines
Einsatzes unserer Streitkräfte festlegen. Das will und
kann ich nicht unterstützen.
({7})
Herr Kollege Westerwelle, das sind altgrüne Anwandlungen, die unter koalitionspolitischen Gesichtspunkten für
jede Option ganz gewiss untauglich sind.
({8})
Ich will nicht auf die Frage der Finanzierung der
Bundeswehr im Zusammenhang mit dem Einsatz unserer Streitkräfte eingehen. Das wird der Kollege Merz vor
der Abstimmung für unsere Fraktion tun. Ich will allerdings auf eine kleine Meldung vom 16. Mai in der „Welt“
hinweisen, von der ich wirklich meine, dass sie einen kleinen Skandal zum Gegenstand hat. Denn darin wird die
Aussage von General Reinhardt wiedergegeben, dass unsere Soldaten keine Sommeruniformen haben. Das könnte
ein wenig banal klingen; aber wer die sommerlichen Temperaturen in dieser Region kennt, der weiß, eine wie große
Beeinträchtigung das für unsere Soldaten ist. Herr Bundesverteidigungsminister, an dieser kleinen Meldung wird
eigentlich die Unhaltbarkeit der Finanzierung der Bundeswehr deutlich. Das müssen Sie doch sofort abstellen!
({9})
Ich will mich im Übrigen auf die andere Erwartung
konzentrieren, die wir haben, nämlich eine Intensivierung
und Beschleunigung des politischen Prozesses. Bei der
Gewährleistung eines sicheren Umfeldes für die Flüchtlingsrückkehr und einer militärischen Absicherung der
Friedensregelung für den Kosovo auf der Grundlage der
UN-Resolution 1244 gibt es nämlich Defizite, die durch
die unklare politische Perspektive bedingt sind. Das hat
unmittelbare Auswirkungen auf die Arbeit der KFOR und
damit auch auf ihren Umfang und den Zeithorizont ihres
Verbleibs. Sorge macht mir vor allem der bislang faktisch
gescheiterte Versuch, ein friedliches Zusammenleben von
Albanern und Serben zu erreichen. Im Augenblick kann
niemand die Rückkehr der geflohenen Serben in den Kosovo verantwortungsbewusst fordern; denn ihre Sicherheit ist nicht gewährleistet. Ich frage mich beispielsweise,
Herr Außenminister, welche Folgen das für ihre Teilnahme oder Nichtteilnahme an den für den Herbst geplanten kosovarischen Wahlen haben wird.
Aber ich sage auch in aller Klarheit und mit großem
Ernst: Vorstellungen von einer jahrzehntelangen unveränderten westlichen militärischen Präsenz auf dem Balkan
sind völlig unrealistisch; nicht nur deshalb, weil in den
westlichen Demokratien dafür die Bereitschaft nicht vorhanden ist, sondern auch deswegen, weil die von der Präsenz betroffenen Völker und Staaten dies nicht so lange
akzeptieren werden. Die sich abzeichnende Entfremdung
zwischen der KFOR und den Albanern ist eine deutliche
Warnung, die wir zur Kenntnis nehmen müssen.
Der politische Prozess, der zu einer dauerhaften und
stabilen Friedensordnung in der Region führen soll, muss
deshalb konkretisiert und beschleunigt werden. Die Ausformulierung der in der UN-Resolution 1244 für den Kosovo vorgesehenen substanziellen Autonomie durch den
am 15. Mai in Kraft getretenen Verfassungsrahmen und
somit die Parlamentswahlen sind ein wichtiger Schritt;
aber er reicht ohne jeden Zweifel nicht aus, um eine Stabilisierung in der gesamten Region herbeizuführen. Spätestens nach den November-Wahlen wird eine demokratisch legitimierte Volksvertretung - das ist gewiss keine
kühne Prognose - die Unabhängigkeit des Kosovo fordern. Ich bin gespannt auf die westliche Reaktion.
In Mazedonien sind NATO und EU mit allen Kräften
darum bemüht, eine Eskalation des Konfliktes zwischen
Mazedoniern und Albanern zu unterbinden.
Herr Kollege Lamers, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Brecht?
Ja, bitte.
Bitte
schön, Herr Brecht.
Herr Kollege Lamers,
ich habe Ihnen jetzt sehr aufmerksam zugehört. Ich
möchte Sie nur fragen, welche der beiden Forderungen
denn für die CDU/CSU verbindlich ist. Ich habe für beide
Positionen eine gewisse Sympathie. Sie sagen, wir müssen jetzt ernsthaft über den künftigen Status diskutieren.
Kollege Rühe hat genau dies in seiner Rede am 10. Mai
mit den Worten ausgeschlossen, wir müssten
wegkommen von der ständigen Diskussion über die
Frage des endgültigen Status, die aus meiner Sicht
jetzt nicht zu lösen ist. Dieser Status wird erst am
Ende eines regionalen Prozesses stehen ...
Können Sie mich über diesen Widerspruch aufklären?
Herr Kollege Brecht, wenn
ich mich recht erinnere, dann habe ich das Wort „Status“
bislang überhaupt nicht in den Mund genommen; ich habe
vielmehr davon gesprochen, dass wir eine klare politische
Perspektive entwickeln müssen. Ihr Versuch, zwischen
dem Kollegen Rühe und mir insofern einen Gegensatz zu
konstruieren, ist ganz gewiss nicht erfolgversprechend,
Kollege Brecht. Wir sind uns doch alle einig, dass es bislang keine konkrete politische Perspektive gibt. Es geht
darum, eine solche Perspektive zu entwickeln. Natürlich
muss am Ende dieses Prozesses die Klärung der Statusfrage stehen.
Zurück zu Mazedonien. Ich nutze die Gelegenheit
gerne, um Generalsekretär Robertson und vor allen
Dingen Javier Solana für ihre vorzügliche Arbeit und für
ihren ungeheuren Einsatz zu danken.
({0})
Ich möchte hinzufügen, Herr Minister: Es ist nach meiner
festen Überzeugung unerlässlich, dass die EU mit einem
ständigen hohen Repräsentanten in Skopje vertreten ist;
Pendeldiplomatie reicht nicht. Ich bitte Sie wirklich, in
der Europäischen Union entsprechenden Druck auszuüben. Ich muss gestehen: Ich bleibe trotz der jüngsten Erfolge skeptisch. Auch die Situation in Bosnien ist nicht
übermäßig befriedigend. Wir müssen schon sehen, dass es
mehr als dessen bedarf, was die westliche Staatengemeinschaft bislang vorgeschlagen hat.
Natürlich bin ich mir darüber im Klaren, welche
Schwierigkeiten einer konkreten Perspektive entgegenstehen. Nicht nur die einander widersprechenden Ziele
der Betroffenen bilden ein schwer überwindbares Hindernis auf dem Weg zu einer politischen Lösung, sondern
auch die Barriere in unseren eigenen - westlichen - KöpKarl Lamers
fen. Das reine Status-quo-Denken, dass wir zwar wissen,
was wir nicht wollen, aber nicht, was wir wollen, zumindest nicht bis heute, und wenn doch, dann nur in allzu groben Umrissen, bringt uns nicht weiter.
Im letzten Jahr habe ich vorgeschlagen, dass die Balkanregion als Teil der Europäischen Union eine politische
Union, eine Art südosteuropäische Union, bilden soll, um
den Grenzen in der Region ihre Bedeutung und einer
womöglich weiteren Fragmentierung die Dramatik zu
nehmen. Das soll dadurch geschehen, dass die regionale
Kooperation soweit wie möglich institutionalisiert wird
und dass als Reaktion auf die neu entstandene, zersplitterte politische Ordnung eine zusätzliche Struktur, eine
europäische, das heißt eine integrative, zusammenführende und Grenzen überwindende Struktur geschaffen
wird. Im Übrigen soll die europäische Perspektive auf
diesem Wege statt in unerreichbarer Ferne in näherer Zukunft möglich sein.
Ich freue mich darüber, dass die Regierung jetzt von einer europäischen Lösung spricht. Lassen Sie uns gemeinsam darüber reden, wie wir die europäische Perspektive ein wenig konkreter werden lassen können, als
sie es bislang ist.
({1})
Ausgangspunkt für einen regionalen Zusammenschluss - von unserer Seite wird es dazu demnächst etwas
konkretere Vorschläge geben - könnte der Stabilitätspakt
sein. Er müsste weiterentwickelt, das heißt politischer
ausgerichtet und institutionalisiert werden. Bedauerlicherweise - das müssen wir alle gemeinsam feststellen verliert der Stabilitätspakt gegenwärtig an Dynamik, anstatt notwendige neue Initiativen zu entwickeln. Auch die
wirtschaftlichen Projekte des Stabilitätspakts, die den
Menschen vor Ort ein unmittelbares Signal des Aufbruchs
und der Verbesserung ihrer Lebenssituation geben sollten,
kommen leider nur sehr zögerlich voran. Eine Desillusionierung der Bevölkerung vor Ort vor dem Hintergrund
der Aufgaben, die vor ihr liegen, und der Notwendigkeit,
dass sie sich für den Frieden und für den Aufbau ihres
Landes aktiv engagiert, müssen wir unbedingt vermeiden;
aber genau sie bahnt sich im Augenblick an.
Unsere Soldaten verhindern gemeinsam mit unseren
Partnern den erneuten Ausbruch von Gewalt im Kosovo.
Ich sage nochmals: Dafür gebührt ihnen unser Dank.
({2})
Frieden aber kann nur eine politische Lösung bringen, für
die wir eine wesentlich genauere, realistischere und zukunftsweisendere Vorstellung als bislang entwickeln
müssen, aber nicht den anderen auferlegen dürfen. Jetzt
und nicht in irgendeiner fernen Zukunft müssen wir solche Vorstellungen entwickeln. Die Zeit drängt. Die Bundesregierung hat dies nach meiner festen Überzeugung
noch nicht ausreichend begriffen. Wir werden sie drängen, damit sie es schneller begreift.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({3})
Als nächste Rednerin hat die Kollegin Angelika Beer vom Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Herr
Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Zwei
Jahre nach den Luftangriffen auf das ehemalige Jugoslawien stehen wir heute nicht nur vor der Verlängerung,
sondern auch vor einer Ausweitung des Mandats für unsere Soldaten, die mit KFOR versuchen, einen sehr
schwierigen Friedensprozess auf dem Balkan in Gang zu
setzen und zu sichern. Meine Fraktion wird heute diesem
Antrag der Bundesregierung zustimmen
({0})
- und das angesichts einer höchst kritischen Situation auf
dem Balkan.
Vor wenigen Wochen hatte ich erneut Gelegenheit, sowohl mit den Soldaten von SFOR und KFOR als auch mit
Vertretern politischer Parteien zu sprechen. Ich will nicht
verhehlen, dass mich die Eindrücke dieser Reise und die
Informationen über die aktuelle Entwicklung beunruhigen. Gott sei Dank hat sich diese Situation seit gestern
wieder entspannt.
Wir wissen, dass man die Probleme bezüglich Presevo-Tal, Südserbien, Kosovo und Mazedonien nicht
voneinander trennen kann. Ich will die Lage zwar nicht
dramatisieren. Ich will aber unterstreichen, dass uns die
Abwägung vor dem Hintergrund der politischen Entwicklung und Konflikte sowohl im Kosovo als auch in Mazedonien veranlasst, unseren Soldaten für ein weiteres Jahr
den politischen Auftrag zu geben, ihren unverzichtbaren
Einsatz im Kosovo weiterzuführen.
Auch wenn es heute um das Mandat von KFOR und
dessen Ausweitung auf das Presevo-Tal geht, können wir
doch nicht den Blick von Mazedonien abwenden. Wir
müssen zur Kenntnis nehmen, dass trotz aller nichtmilitärischen Bemühungen bzw. militärischen Bemühungen
im Kosovo durch die internationale Staatengemeinschaft
der fragile Friedensprozess durch eine Minderheit, nämlich durch die militante UCK, bewusst infrage gestellt
wird. Die internationale Staatengemeinschaft bemüht sich
mit allen Mitteln, die Allparteienkoalition in Mazedonien
zu stärken. Ich hoffe, dass die entsprechenden Verhandlungen auch zu Kompromissen mit der albanischen Minderheit in Mazedonien führen werden. Denn es ist zu befürchten: Wenn dieser Prozess scheitern sollte, stehen wir
in der gesamten Region vor einem Scherbenhaufen.
Wir werden die Ausweitung des Mandats für unser Kontingent im Rahmen des internationalen Einsatzes unterstützen, weil wir es nicht zulassen können, dass in der ehemaligen Sicherheitszone weiterhin ein Vakuum besteht, das
diese Sicherheitszone sozusagen zu einer Unsicherheitszone macht, in der sich die UCK rekrutiert, um dann in Mazedonien oder im Kosovo militärisch zu agieren.
Vor diesem Hintergrund appelliere ich mit aller Ernsthaftigkeit an die F.D.P., ihre populistische Haltung,
({1})
die sehr viel mit Innenpolitik und Wahlkampf, aber nichts
mit den Sicherheitserfordernissen auf dem Balkan zu tun
hat, aufzugeben.
({2})
Ihr hehres Ziel - trotz fehlender politischer Inhalte -,
18 Prozent zu erreichen, sollte nicht zulasten der internationalen Friedensbemühungen im Kosovo und in Mazedonien und auch nicht zulasten des Vertrauens unserer
Soldaten gehen.
({3})
Es ist das erste Mal, dass Sie einem Antrag die Zustimmung verweigern, mit dem wir unserer Parlamentsarmee den Auftrag erteilen, im Rahmen der internationalen
Staatengemeinschaft im Ausland zu agieren. Sie wollen
den deutschen Soldaten nicht den Auftrag geben, das Presevo-Tal abzusichern; Sie wollen ihnen nicht den Auftrag
geben, die unbewaffneten EU-Emissäre zu schützen. Ich
glaube, dass es politisch fahrlässig ist, mit der Sicherheitspolitik Wahlkampf zu machen.
({4})
Herr Kinkel, erlauben Sie mir, dass ich Sie als ehemaligen Außenminister anspreche. Sie haben umfassende
Erfahrungen mit der Situation auf dem Balkan. Sie wissen, dass jede außen- und sicherheitspolitische Entscheidung, wenn es um Instrumente für die Friedensstabilisierung auf dem Balkan geht, auch heute noch eine
Gratwanderung ist. Ich möchte Sie bitten, Ihr Abstimmungsverhalten an Ihren Erfahrungen als ehemaliger
Außenminister zu orientieren, nicht an der wahltaktischen
Oppositionsstrategie. Ich glaube, es wäre gut, wenn wenigstens Sie den Soldaten das Signal gäben, dass dieser
Auftrag richtig und wichtig ist.
({5})
Lassen Sie mich noch etwas zu den Freunden von der
PDS sagen. Mit Ihrer Vorstellung, SFOR und KFOR sofort abzuziehen und allenfalls einige Blauhelme dort zu
stationieren, verschließen Sie die Augen davor, dass die
unterschiedlichen Ethnien aufgrund ihrer traumatischen
Kriegserfahrungen, ihrer Erfahrungen mit Bürgerkriegen, Vertreibungen und Vergewaltigungen, heute einfach
noch nicht in der Lage sind, ohne internationale Hilfe
überhaupt zu einem Friedensprozess zu kommen.
({6})
Wäre Ihr Antrag mehrheitsfähig, würde das bedeuten,
dass der gesamte Balkan innerhalb weniger Wochen auseinander bräche.
Ich möchte zum Schluss noch etwas zu dem Antrag der
CDU/CSU sagen. Sie stimmen heute zu; das ist gut so. Sie
konditionieren Ihren Antrag mit der Forderung an die
Bundesregierung, im nächsten Jahr den Verteidigungshaushalt um relevante Summen aufzustocken. Ich warne
davor!
({7})
Ich warne vor diesem durchsichtigen Wahlkampfmanöver, das Sie heute vorbereiten und im nächsten Jahr
zuspitzen, indem Sie drohen, dann nicht mehr zuzustimmen - mit der Begründung, Sie hätten ja frühzeitig gewarnt. So würden Sie im nächsten Jahr den Fehler wiederholen, den Ex-Verteidigungsminister Rühe während
seiner Amtszeit immer wieder gemacht hat: Sie
instrumentalisieren die Bundeswehr und in diesem Fall
den Auslandseinsatz der Bundeswehr für wahltaktische
Manöver. Ich glaube, dass Ihr Verhalten, angelegt bis zum
Ende nächsten Jahres, katastrophale Auswirkungen auf
die außen- und sicherheitspolitischen Maßnahmen haben
wird, die wir auf dem Balkan zu treffen haben. Gerade
Sie, Herr Rühe, wissen sehr gut, genauso gut wie Herr
Kinkel, aufgrund welcher Defizite wir in die heutige Situation gekommen sind. Ich hoffe, dass Sie sich nach
Ihrem Antrag heute, den wir natürlich ablehnen, eines
Besseren besinnen.
Sie können uns kritisieren.
({8})
Sie können unsere Bundeswehrreform, unsere Haushaltspolitik kritisieren. Sie können auch unsere Politik auf dem
Balkan kritisieren. Aber dann tun Sie das inhaltlich, mit
Argumenten und verknüpfen Sie nicht die innenpolitische
Wahlkampfschlacht mit außenpolitischen Erfordernissen!
Frau Kollegin Beer, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin
Lippmann von der PDS?
({0})
Ja
Frau
Lippmann, bitte schön
Frau Kollegin, Sie haben den
Großteil Ihrer jetzt nahezu sechs Minuten Redezeit darauf
verwendet, den Fraktionen, die nicht den Regierungskurs
mittragen, wahlkampftaktische Momente zu unterstellen.
Sind Sie denn auch in der Lage, eine inhaltliche Begründung für die Ausweitung des Mandats in die Sicherheitszone zu erteilen?
({0})
Und vor allem: Sind Sie in der Lage, den Freifahrtschein,
der mit dem heutigen Parlamentsbeschluss ausgestellt
werden soll, hinsichtlich der Auftragsgestaltung für die
deutschen KFOR-Soldaten in der Ground Safety Zone zu
konkretisieren? Denn ich meine, ein Großteil der Kritik ist
darin begründet, dass es einen Freifahrtschein gibt, dass
also kein Auftrag konkret erteilt wird.
({1})
Frau
Kollegin Lippmann, statt die Minuten meiner Redezeit zu
zählen, hätten Sie vielleicht lieber zuhören sollen.
({0})
- Wenn Sie fragen, sollten Sie auch zulassen, dass ich antworte. Ich möchte hier noch einmal ganz deutlich sagen,
dass derjenige, der heute die Zustimmung verweigert, das
Risiko eingeht, dass in der ehemaligen Sicherheitszone
weiterhin ein Vakuum besteht, das die UCK dazu nutzt, zu
rekrutieren und sich militärisch zu positionieren, weil sie
den Friedensprozess auf dem Balkan nicht will. Wer eine
solche Politik für richtig hält, nimmt in Kauf, dass die politischen Versuche, Makedonien zu stabilisieren, in kürzester Zeit scheitern würden, weil die militärischen Vorbereitungen für Angriffe auf Makedonien auch aus der
Region des Presovo-Tals erfolgt sind.
Deswegen ist es noch einmal notwendig zu unterstreichen: Die EU-Monitäre, die wegen der vertrauensbildenden Maßnahmen dort sind - die die serbische Seite zugesagt hat, damit es in Südserbien nicht zu Eskalationen
zwischen der albanischen Minderheit und den Serben
kommt -, haben natürlich für den Fall, dass sie angegriffen werden, das Recht auf militärischen Schutz. Zugleich
halte ich es für richtig, auszuschließen, dass unser deutsches Kontingent mit dem Auftrag zu Kampfeinsätzen in
die Region geht. Wir wollen dort eine Stabilisierung erreichen und damit den Frieden sichern. Ich bin nach den
Erfolgen im Nord- und Südteil des Sektors Bravo, also
des Presovo-Tales, optimistisch und hoffe, dass die gestern begonnene Öffnung des Sektors Mitte im PresovoTal ebenfalls ohne militärische Auseinandersetzungen
vonstatten geht. Ich hoffe das natürlich im Interesse von
allen. Wir wissen, dass wir die endgültige Bewertung der
Situation erst in einigen Wochen vornehmen können. Ich antworte Ihnen noch, Frau Lippmann, Sie können stehen bleiben.
Entschuldigung, die Antworten können nicht unendlich ausgedehnt werden. Fragen und Antworten sollen kurz und präzise sein. Ich bitte Sie daher, zum Schluss zu kommen.
({0})
Die
Frage war sehr umfassend. - Es ist notwendig, jene Anträge, die diese politisch schwierige Situation instrumentalisieren, zu kritisieren und zurückzuweisen. Auch das
will ich hier noch einmal unterstreichen.
Ich bitte,
zum Schluss zu kommen, Frau Kollegin.
Der
Auslandseinsatz unserer Soldaten darf nicht für innenund parteipolitische Wahltaktik missbraucht werden.
({0})
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum
Schluss. Ich denke, dass es heute der richtige Zeitpunkt
ist, den Soldatinnen und Soldaten, aber auch den nicht militärischen Organisationen für ihren Einsatz sowohl in
Bosnien-Herzegowina als auch im Kosovo zu danken.
Frau Kollegin, ich bitte wirklich, zum Schluss zu kommen. Sie haben Ihre Redezeit weit überzogen.
Es ist
der richtige Zeitpunkt, zu hoffen und zu wünschen, dass
alle, die diesen Dienst in Zukunft tun, gesund wiederkommen.
({0})
Als
nächster Redner hat der Kollege Dr. Guido Westerwelle
von der F.D.P.-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Freien Demokraten lehnen den Antrag der Bundesregierung ab. Wir stellen heute einen eigenen Entschließungsantrag zur Abstimmung. Wir als
F.D.P. wollen ausdrücklich eine Verlängerung des Mandats, das wir selbst mit erteilt haben, und stellen dies auch
in unserem Antrag klar.
Meine Fraktion ist aber nach einer sehr ausführlichen
Diskussion und reiflicher Überlegung zu dem Ergebnis
gekommen, dass wir aus folgenden Gründen die Entscheidung der Bundesregierung nicht unterstützen werden: Wir wollen eine Verlängerung des Mandates, wir
wollen jedoch keine pauschale Erweiterung eines Mandates, deren Notwendigkeit nicht ausreichend erklärt, deren Ausgestaltung nicht ausreichend eingegrenzt und deren Konsequenzen nicht ausreichend durchdacht sind.
({0})
Bei allem Respekt: Ich empfinde es schon als geradezu
lächerlich bis grotesk, Frau Kollegin von den Grünen,
wenn Sie uns, der F.D.P., hier irgendwelche Belehrungen
über staatspolitische Verantwortung geben wollen.
({1})
Sie wären heute bei Sitzblockaden und ließen sich wegtragen. Was man bei Ihnen erlebt, ist ein unkritisches
Durchnicken von Anträgen der Bundesregierung ohne
eine eigene kompetente inhaltliche Prüfung.
({2})
Wenn Sie hier erzählen, das Parlament sei nicht der
Oberbefehlshaber,
({3})
dann erinnere ich Sie einmal daran: Das Parlament ist sehr
wohl der Auftraggeber; denn wir haben eine Parlamentsarmee und keine Regierungsarmee. Wir haben zu entscheiden.
({4})
Wenn wir als Abgeordnete nach den Vorträgen der Regierung zu dem Ergebnis kommen, dass das Mandat risikoreich, nicht eingegrenzt, unkalkulierbar ist und wenn
eine Erweiterung gegen unsere Überzeugung ist, dann ist
es das Recht eines jeden Abgeordneten hier, diesen Antrag
der Regierung abzulehnen.
({5})
Wenn sichergestellt werden soll, dass Verbindungselemente der Bundeswehr an Gesprächen in der Bodensicherheitszone teilnehmen können, wenn sichergestellt
werden soll, dass deutsche Sanitäter humanitäre Hilfe
leisten können, und wenn sichergestellt werden soll, dass
unbemannte Aufklärungsflüge stattfinden können, dann
kann die Bundesregierung dies auch in das Mandat hineinschreiben, wie wir das vorschlagen.
Diese Einsatzoptionen hat die Bundesregierung uns
ausdrücklich genannt; aber sie ist nicht bereit, sie auch
ausdrücklich in ihren Antrag hineinzuschreiben. Wenn es
nur um das ginge, was die Bundesregierung mündlich
vorträgt, dann könnte man sich einigen. Aber wenn Sie
hier eine Carte blanche zur Abstimmung vorlegen,
({6})
werden Sie unsere Zustimmung nicht bekommen.
({7})
Nach dem Antrag der Bundesregierung können grundsätzlich alle deutschen KFOR-Truppenteile für einen Einsatz in der Bodensicherheitszone infrage kommen. Die
F.D.P. lehnt jedoch aufgrund der Sicherheitslage im Sektor B, der Bodensicherheitszone, den Einsatz von gepanzerten und ungepanzerten Patrouillen sowie die dauerhafte
Truppenstationierung dort ausdrücklich ab. Die F.D.P. ist
für eine Verlängerung des bestehenden Mandates, für dessen vorbildliche Durchführung wir an dieser Stelle allen
Soldatinnen und Soldaten ausdrücklich danken.
({8})
Ich höre sehr wohl, verehrte Kolleginnen und Kollegen
von den Regierungsfraktionen, dass auch Sie den Soldatinnen und Soldaten danken; wir haben Ihnen da Beifall
gegeben. Aber es reicht nicht aus, dass Sie als Abgeordnete der Regierungsfraktionen den Soldatinnen und Soldaten wohlfeil danken und anschließend bei den Kürzungen des Verteidigungshaushaltes dafür sorgen, dass
die Soldatinnen und Soldaten ihrem Auftrag nicht mehr
richtig gerecht werden können.
({9})
Die Bundeswehr braucht nicht den rhetorischen Dank des
Parlaments; die Bundeswehr braucht harte Abstimmungsfakten des Parlaments. Geben Sie der Bundeswehr endlich die Mittel, die sie braucht!
({10})
Geht man die möglichen Einsatzszenarien durch,
dann kommt man beispielsweise sehr schnell zu der Notwendigkeit möglicher Geiselbefreiungen, etwa von unbewaffneten EU-Mitarbeitern. Staatssekretär Pleuger aus
dem Auswärtigen Amt hat dazu in meiner Fraktion gesagt,
in dem Fall müsse man eingreifen und sie herausholen.
Das macht deutlich, dass die Bundesregierung selbst von
notwendigen Kampfhandlungen ausgeht, die sie ihren
Soldaten in dem Antrag aber untersagen will.
({11})
Wir sind der Auffassung, dass das widersprüchlich ist.
Dieser Satz in dem Antrag ist nichts anderes als weiße
Salbe auf grüner Seele; das ist keine durchdachte Sicherheits- und Außenpolitik.
({12})
- Ich wäre dankbar, wenn die Zwischenrufe von der Regierungsbank an dieser Stelle unterblieben. Das Parlament diskutiert hier und ich empfinde es als einen Eingriff
in die Debatte, wenn der Bundesminister des Auswärtigen
die Redner mit Zwischenrufen belästigt.
({13})
Wenn Sie dazwischenrufen wollen, setzen Sie sich auf
Ihren Abgeordnetenstuhl und nicht als Außenminister auf
die Regierungsbank!
({14})
Ich möchte Ihnen gerne zwei Zitate vortragen. Der Vorsitzende des Deutschen Bundeswehr-Verbandes,
Bernhard Gertz, hat vor wenigen Tagen knapp und zutreffend zusammengefasst: Die Mandatserweiterung bringt
zusätzliche Kosten; die Bundeswehr ist unterfinanziert. Der Generalinspekteur der Bundeswehr, General Kujat,
sagte einer öffentlichen Tageszeitung, die Bundeswehr sei
derzeit nicht zu 100 Prozent einsatzbereit.
Wir als F.D.P. sind der Meinung: Man kann der Bundeswehr nicht immer mehr Aufträge erteilen wollen, aber
gleichzeitig hier im Parlament der Bundeswehr die notwendigen finanziellen Mittel verweigern.
({15})
Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Union, ich
sehe, dass Sie noch darauf hoffen, dass Ihre Entschließungsanträge zugunsten einer besseren Ausstattung
der Bundeswehr bei den Regierungsfraktionen irgendetwas bewirken. Diesen Glauben habe ich, offen gestanden,
nicht. Wenn Sie wirklich daran glauben, dass die irgendetwas ändern, fürchte ich, schätzen Sie die Regierungsfraktionen an dieser Stelle falsch ein. Diese Regierungsfraktionen werden mit der Bundeswehr weiter Schindluder
treiben, wenn das Parlament jetzt nicht endlich Klartext
mit dieser Bundesregierung redet.
({16})
Deswegen halte ich fest: Wir als F.D.P. unterstützen die
Bundeswehr. Wir als F.D.P. sind der Auffassung, dass der
Auftrag der Bundeswehr verlängert werden muss. Eine
undifferenzierte Ausweitung des Auftrages der Bundeswehr kommt für uns nicht in Betracht, erst recht nicht,
wenn man die Bundeswehr an anderer Stelle kurz und
klein spart.
({17})
Als
nächster Redner hat der Kollege Wolfgang Gehrcke von
der PDS-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die PDS-Bundestagsfraktion
wird beide Teile des Antrags der Bundesregierung - Verlängerung und Ausweitung des Mandats - ablehnen.
({0})
Stattdessen haben wir Ihnen vorgeschlagen, die Mandate
nicht zu verlängern und dafür einzutreten, dass das
KFOR-Mandat in ein UNO-Blauhelmmandat umgewandelt wird.
Ich möchte mich aber doch mit einigen Argumenten
auseinander setzen, die in der Diskussion gefallen sind
und die ich sehr bezeichnend finde. Zunächst möchte ich
Ihnen, Frau Beer, einen politischen und einen persönlichen Rat zur Position der Grünen geben. Zuerst der politische Rat: Ihre gesamte Rede hatte den Gestus: Wer sich
beschwert, wird belehrt.
({1})
Ich finde, diese Belehrungsarie können sich die Grünen
endlich einmal sparen. Sie sollten stattdessen zur Sache
diskutieren. - Und der persönliche Rat: Ich habe schon
immer Vorbehalte gegen die gehabt, die 150-prozentig
sein möchten.
({2})
Sie waren in der Vergangenheit 150-prozentig für das eine
und sind heute kritiklos 150-prozentig für das andere.
Zum Kollegen Brecht und meinem Vorschlag, dass die
Bundesregierung ihren Antrag in zwei Anträge teilen
sollte: Dieser Vorschlag ist von der Sache her begründet.
Das werde ich Ihnen noch einmal vortragen. Ich finde
aber auch, dass er insofern begründet ist, als es Kolleginnen und Kollegen gibt, die - anders als ich - vielleicht einem Teil dieses Antrags zustimmen und einen anderen
Teil ablehnen wollen. Es wäre demokratisch, für demokratische Rechte auch dann einzutreten, wenn man sie selber nicht in Gebrauch nehmen will. Das muss man akzeptieren.
({3})
Der Versuch, der F.D.P. immer zu unterstellen, dass sie den
Sirenenklängen der PDS erlegen sei, entspricht dem alten
Strickmuster antikommunistischen Denkens und des Denkens des Kalten Krieges. Das ist hier einfach unangebracht.
({4})
Was die Bundesregierung eigentlich vermeiden will
und weswegen sie einer solchen Abstimmung aus dem
Wege geht, ist, dass sie nicht öffentlich sichtbar machen
will, dass die Zustimmung zu ihrer Balkanpolitik bröckelt;
in der Öffentlichkeit und auch hier im Hause. Die Zustimmung bröckelt aus sehr unterschiedlichen Gründen, aber
sie bröckelt. Das müssen Sie zur Kenntnis nehmen.
({5})
Ausweitung und Verlängerung des Mandats gehören
auch inhaltlich nicht zusammen. Ich mache die Kolleginnen und Kollegen des Hauses darauf aufmerksam, dass
die Ausweitung des Mandats keine völkerrechtliche
Grundlage hat. Sie müssen wissen, über was Sie hier abstimmen. Die VN-Resolution 1244 und das MilitärischTechnische Abkommen erlauben lediglich die luftgeschützte Beobachtung der Sicherheitszone zur Prüfung,
ob das Abkommen von serbischer Seite eingehalten wird.
Sollten jetzt KFOR-Truppenbewegungen in dieser
Zone stattfinden, müsste entweder das durch die VN-Resolution 1244 gedeckte Mandat vom Sicherheitsrat erweitert oder ein neues Abkommen abgeschlossen werden,
und zwar zwischen der Bundesrepublik Jugoslawien und
der KFOR. Das ist aber nicht der Fall. Insofern ist die
KFOR-Präsenz mit Bodentruppen in der Sicherheitszone
nicht erlaubt bzw. nicht mandatiert - und damit auch nicht
die Präsenz der Bundeswehr.
({6})
Wird vom Bundestag ein solches Mandat für einen Bundeswehreinsatz beschlossen, muss zur Kenntnis genommen werden: Es gibt dafür keine völkerrechtliche Grundlage. Das ist für die Bundesregierung nichts Neues. Denn
sie ist in diesen Fragen immer über das Völkerrecht hinweggegangen. Aber die Mitglieder dieses Hauses sollten
sich darüber klar sein. Und da Sie keine getrennten Anträge vorlegen, sondern über beide Teile zusammen abstimmen lassen, gibt es nur eine Lösung: Man muss Ihren
Antrag ablehnen. Ich hoffe, dass das viele Kolleginnen
und Kollegen tun werden.
({7})
Das eigentliche politische Problem, das dahinter steht,
ist, dass aus dem Kosovo heraus die Instabilität der gesamten Region erfolgt: Vom Kosovo gehen die Aktionen
der UCK in Mazedonien bzw. in Südserbien aus. Über den
Kosovo läuft der Nachschub an Waffen und werden die
Kämpfe der UCK gesteuert, um ein unabhängiges Kosovo
und Grenzveränderungen gegenüber Mazedonien und
Serbien zu erzielen. Für all das, was im Kosovo passiert,
trägt nach der UNO-Resolution 1244 die KFOR die rechtliche Verantwortung.
Es ist Ihre Verantwortung, die Sie dann auch einlösen
müssen. Die NATO hatte sich faktisch zum Kriegsverbündeten der UCK gemacht. Dienste der NATO haben die
UCK ausgebildet - übrigens auch in Sabotageaktionen -,
gefördert und bewaffnet. Man hat die albanische Seite in
dem Glauben gelassen, es werde schlussendlich auf ein
unabhängiges Kosovo hinauslaufen.
Was Sie nun erleben, ist faktisch das Gleiche, was Sie
schon einmal in Afghanistan erlebt haben: Die UCK
macht sich selbstständig; wir haben es mit einer Talibanisierung der UCK zu tun. Man wird dieses Problem politisch nur dann lösen können, wenn man endlich anfängt,
die UNO-Resolution 1244 konsequent einzulösen.
({8})
Das kann eine UNO-Truppe besser als eine NATOTruppe, die Krieg im Kosovo geführt hat.
Insofern sollten Sie eine grundsätzliche Veränderung
Ihrer Balkanpolitik einleiten. Sie sollten Klarheit darüber
schaffen, dass Sie die Beschlüsse der UNO einhalten wollen. Sie sollten endlich einmal auch gegenüber der UCK
Klartext reden. Dies tun Sie nicht. Sie sprechen hier mit
einer gespaltenen Zunge. Deswegen sollte man dem Antrag der Bundesregierung nicht zustimmen.
Schönen Dank.
({9})
Als
nächster Redner hat der Kollege Peter Zumkley von der
SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Ziel europäischer und somit auch deutscher
Politik auf dem Balkan ist nach wie vor die langfristige
und nachhaltige Stabilisierung der Gesamtregion. Dies
hat weiterhin höchste Priorität. Die Region gehört zu Europa; die Ereignisse dort berühren uns unmittelbar.
Deshalb ist es wichtig, dass wir unsere politischen Aktivitäten steigern und die Präsenz von Streitkräften aufrechterhalten. Wir sind uns auch bewusst, dass ein langfristiges Engagement wahrscheinlich und leider
notwendig ist. Bis zu einem friedlichen Zusammenleben
der verschiedenen Ethnien ist es noch ein langer Weg.
Ich denke, dass sich insgesamt die bisherige Bilanz des
Engagements im Kosovo sehen lassen kann. Es gibt
kleine, aber durchaus sichtbare Fortschritte zur Erhöhung
der Stabilität der äußeren und inneren Sicherheit.
({0})
Dazu hat auch die internationale Sicherheitspräsenz
beigetragen. Die KFOR wird respektiert, geachtet und arbeitet erfolgreich auf der Grundlage der UN-Resolution
1244 weiter. Dies gilt ebenso für die SFOR. Auch unsere
Soldaten leisten gemeinsam mit internationaler Polizei
und zivilen Organisationen einen maßgeblichen Beitrag
für die Sicherheit und den Aufbau dieser Region. Ihr Engagement und ihre Leistungen sind vorbildlich und beispielgebend. Dafür ist ihnen zu Recht von allen gedankt
worden; auch ich tue das.
({1})
Die Lage im Kosovo, auch die im Verantwortungsbereich der deutschen Streitkräfte, ist aber weiterhin schwierig. Auf die militärische Präsenz der internationalen Staatengemeinschaft kann daher noch nicht verzichtet
werden. Deswegen halten wir die Mandatsverlängerung
für den Einsatz deutscher Soldaten im Kosovo für notwendig. Sie werden weiterhin für Überwachungs- und
Schutzaufgaben, humanitäre Hilfen und Unterstützungsleistungen beim Aufbau ziviler Strukturen benötigt - und
dies zusammen mit vielen Partnern innerhalb und außerhalb der NATO.
Die weiterhin schwierige Situation - mit Sorge beobachten wir die angespannte Lage in Mazedonien - zeigt
aber auch, dass der politische Prozess in der Region beharrlich und energisch fortgesetzt werden muss. Der Einsatz von Soldaten darf nicht zu einer routinierten Dauerlösung werden. Der Stabilitätspakt hat sich als guter Weg
erwiesen. Die aufgelegten Programme zur wirtschaftlichen Entwicklung und Vernetzung der Gesamtregion sind
wichtige Schritte in eine bessere Balkanzukunft. Wir hoffen, dass die begonnenen Projekte und Reformen die verschiedenen gesellschaftlichen Kräfte zu mehr Eigeninitiative veranlassen.
Die Vereinbarung über eine substanzielle Autonomie
wird umgesetzt. Der dafür notwendige Verfassungsrahmen ist geschaffen. Im November 2001 werden die ersten
kosovoweiten freien Parlamentswahlen durchgeführt.
Damit ist auch die demokratische Entwicklung auf einen
guten Weg gebracht.
Das bisherige politische und militärische Engagement
hat entscheidend dazu beigetragen, dass sich die demokratischen Kräfte auch in Belgrad durchgesetzt haben.
Damit haben sich neue Möglichkeiten konstruktiver
Zusammenarbeit zur Stabilisierung der Gesamtregion ergeben.
({2})
Hierzu zählt auch die Umsetzung des MilitärischTechnischen Abkommens mit der Bundesrepublik Jugoslawien. Den jugoslawischen Sicherheitskräften wurde
der Zugang in die Bodensicherheitszone rund um das Kosovo gewährt. Diese Maßnahme hat sich bewährt. Bisher
haben zum Beispiel - ich rufe das in Erinnerung - mehr
als 450 UCPMB-Angehörige freiwillig ihre Waffen niedergelegt. Das kann man durchaus als einen kleinen Fortschritt ansehen.
Um die politischen Anstrengungen zu einer gewaltfreien Entwicklung friedlicher und demokratischer StrukWolfgang Gehrcke
turen zu unterstützen, ist das aktive Mitwirken aller
KFOR-Staaten erforderlich. Die deutsche Teilhabe als
verlässlicher Bündnispartner ist notwendig. Die vorliegende Mandatsausweitung ist hierfür Voraussetzung und
findet unsere Unterstützung.
Aus unserer Sicht erfordert es die sicherheitspolitische
Lage, dass sowohl der Kosovo-Einsatz deutscher Soldaten fortgesetzt als auch ihr Einsatz in den Sicherheitszonen entsprechend den im Antrag der Bundesregierung
festgelegten Regeln ermöglicht wird.
Wir bedauern - auch ich darf das noch einmal aufgreifen -, dass sich die F.D.P.-Fraktion diesen sicherheitspolitischen Erfordernissen nicht anzuschließen vermag.
({3})
Ihrem Entschließungsantrag zur Trennung von Mandatsverlängerung und Mandatserweiterung können
wir nicht zustimmen. Beide Elemente sind im Zusammenhang zu sehen und führen zu mehr Sicherheit in den
betroffenen Regionen.
Herr Kollege Westerwelle, eine pauschale Erweiterung
oder eine Carte blanche, wie Sie es bezeichnet haben, ist
mit diesem zur Abstimmung stehenden Antrag der Bundesregierung nun wirklich nicht verbunden.
({4})
- Nein. Sie gestatten, dass wir eine andere Auffassung haben. Wir werden ja sehen, wie das draußen bewertet wird.
Sie müssen mit dieser Ihrer Entscheidung, die wir natürlich zu respektieren haben, die wir aber nicht teilen, selber fertig werden. Da wird es noch interessante außenund sicherheitspolitische Diskussionen geben;
({5})
denn Sie begeben sich jetzt auf einen anderen Weg. Aber
es ist Ihre Entscheidung.
Wir begrüßen, dass die CDU/CSU der Mandatsverlängerung und -erweiterung, wenn auch konditioniert, zustimmt. Damit wird, wie in der Vergangenheit, grundsätzlich der Konsens in diesen wichtigen außen- und
sicherheitspolitischen Fragen fortgesetzt.
Kollege Lamers hat, wie ich finde, hierzu wichtige
Bemerkungen gemacht. Die Ausrüstung unserer Einsatzkontingente ist qualitativ hochwertig. Dieser
Standort wird auch zukünftig beibehalten und, wo immer möglich, auch verbessert werden. Herr Kollege
Lamers, dazu gehört auch die Frage der Sommeruniformen, um die wir uns zusammen mit dem Verteidigungsminister ebenfalls kümmern und die nach meiner Kenntnis - und nun gestatten Sie mir den militärischen Jargon im Zulauf sind.
({6})
Hätten wir aber, wie geboten, die Bundeswehr Mitte 1995
schon umstrukturiert und auf die neuen Aufgaben vorbereitet, Herr Kollege Merz, dann hätten wir diesen Punkt
vielleicht schon abgehakt. So müssen wir ihn nachholen.
({7})
Die Ausbildung erfolgt auf sehr hohem Niveau und ist
auf die speziellen Einsatzerfordernisse abgestimmt. Dies
wird national wie international anerkannt.
Mit der von uns eingeleiteten Bundeswehrreform werden wir auch die seit Jahren bestehenden Mängel in der
übrigen Bewaffnung und Ausrüstung der Bundeswehr
schrittweise beseitigen. Wir werden die jeweiligen
Reformschritte ausreichend und in Teilbereichen anders
finanzieren, als man es bisher gewohnt war. Dem Verteidigungsminister werden mehr Finanzmöglichkeiten als
bisher geplant eingeräumt. Zugegeben, es ist knapp; aber
es reicht, wenn die vorgesehenen, vereinbarten Ziele
durch die Bundesregierung und das Parlament energisch
und konsequent verfolgt werden. Kritik sollte sich am Ergebnis orientieren und nicht schon zu Beginn in Fundamentalkritik münden.
Für den Einsatz im Kosovo stehen, genau wie in Bosnien-Herzegowina, ohne jeden Zweifel genügend Finanzmittel für die Erfüllung der Aufträge zur Verfügung.
Die Ausweitung des Mandates erfordert keine weiteren
Mittel. Es sind keine höheren Personalkosten zu erwarten,
da keine Erhöhung des Personalbestandes stattfindet. Es
werden auch keine neuen Ausrüstungserfordernisse nachgeschoben werden müssen. Insofern kann man zum Glück
sagen, dass sich hieraus keine Kostensteigerung ergibt.
Deswegen sollten Sie diesen Punkt auch nicht überstrapazieren.
Ich bin im Übrigen zuversichtlich, dass Sie, meine Damen und Herren von der Union, auch im nächsten Jahr einer eventuellen Mandatsverlängerung nach Ihren von
uns in diesem Fall nicht geteilten Konditionen werden zustimmen können. Verlängerung und Ausweitung des
Mandates sind im Interesse unserer bisher verfolgten Balkanpolitik erforderlich. Deshalb stimmen wir, wie meine
Vorredner aus der Koalition es bereits gesagt haben, dem
Antrag der Bundesregierung zu.
({8})
Das Wort
hat jetzt der Kollege Christian Schmidt von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Aufgabe der Opposition ist es, die Bundesregierung zu kritisieren - nachhaltig zu kritisieren -,
Optionen für richtige Politik vorzuschlagen und dort,
wo das gemeinsame Interesse unseres Landes auf dem
Spiel steht, auch dann Zustimmung zu geben, wenn es
schwer fällt. Und es fällt in der Tat schwer, einem
schlampig vorbereiteten und schlampig gemachten Antrag zuzustimmen.
({0})
Die Schlampigkeit fängt damit an, dass bereits vor
zwei Jahren, als der Ausgangsantrag für das KosovoMandat eingebracht wurde, das Militärisch-Technische
Abkommen, über das jetzt eine Diskussion hier entsteht,
nicht beinhaltet war.
({1})
Der Bundesaußenminister hat den Auswärtigen Ausschuss darauf hingewiesen, das sei deswegen so gewesen,
weil das Abkommen damals noch nicht vorgelegen habe.
Herr Bundesaußenminister, Sie irren. Am 11. Juni 1999
hat der Bundestag auf Antrag der Bundesregierung das
Kosovo-Mandat erteilt. Bereits am 9. Juni lag das Militärisch-Technische Abkommen vor. Da muss man natürlich die Frage stellen: Wo war die Voraussicht der Bundesregierung, wenn dieses so wichtige Abkommen zur
Implementierung der Resolution 1244 überhaupt nicht
berücksichtigt worden ist, obwohl wir darauf hingewiesen
hatten? Sie geraten jetzt in die Bredouille, fast schon im
Nachlauf ein Mandat auszudehnen, das die anderen
NATO-Länder ihren Soldaten schon vor langer Zeit erteilt
hatten.
Das Problem wird noch dadurch verschärft, dass die
Bundesregierung der Mut verlassen hat, hierzu zu stehen.
Das Geschenk an die Grünen, eine halbe Eingrenzung
- das ist etwas Halbseidenes -, macht die Zustimmung
nicht leichter. Dennoch gehen wir nach gewissenhafter
Prüfung, die wir in unserer Fraktion wie zu unseren Regierungszeiten auch jetzt sehr intensiv vorgenommen haben, davon aus, dass sich gerade nach den letzten Tagen,
als die jetzt demokratische Bundesrepublik Jugoslawien
keine Milosevic-Soldaten mehr in die benannten Pufferzonen geschickt hat, sondern die Truppen mit der Zustimmung und unter der Aufsicht der KFOR eingerückt sind,
die Gefährdung für unsere Soldaten in diesem Bereich in
einem unvergleichbaren Maße gegenüber dem geändert
hat, dem sie - das darf man nicht vergessen - beim KFORMandat ausgesetzt sind.
Unsere Sorge ist, dass sich die Bundesregierung in
einem Automatismus der Mandatsverlängerung letztendlich um die Perspektiven nicht genug kümmert. Der
Kollege Lamers hat den politischen Aspekt angesprochen. Wo bleibt die Weiterentwicklung der Konzeptionen?
({2})
Die militärische Frage ist: Was sollen unsere Soldaten tun,
wenn sie sich zunehmend in einem kritischen Umfeld bewegen, wenn die Bevölkerung nicht mehr Blumensträuße
reicht, sondern das Gefühl hat, es müsse sich etwas ändern? Die Frage der Gefährdung unserer Soldaten müssen
wir im Auge behalten. Deswegen wollen und werden wir
die deutsche Beteiligung jährlich überprüfen. Das ist der
eine Punkt.
({3})
Der zweite Punkt ist: Wer die Bundeswehr auf die
schiefe Ebene setzt, der setzt auch unsere internationale
Reputation auf die schiefe Ebene.
({4})
Deswegen ist es berechtigt, wenn wir diesen Antrag auch
dazu nutzen, auf die Gefahren und auf das hinzuweisen,
was in der Entwicklung der Bundeswehr selbst nicht in
Ordnung ist. Wir haben in Bosnien nach wie vor die
SFOR stationiert. Wir haben im Kosovo die KFOR stationiert. Möge Gott und eine kluge Politik verhüten, dass
Mazedonien, in dem übrigens ein Teil des KFOR-Kontingents stationiert ist, eine weitere militärische Befriedung
braucht. Wenn dieser Fall eintreten würde, dann kann ich
nur sagen: Die Bundesregierung hat die Bundeswehr bereits so weit entbeint, dass sie nicht in der Lage wäre, ein
drittes Kontingent zu stellen. Das ist die schiefe Ebene,
auf die Sie die Bundeswehr gesetzt haben.
({5})
Diese Gefahr droht auch für das Kosovo-Mandat,
wenn sich nichts ändert. Wir haben zurzeit eine Bundeswehr Ausland und eine Bundeswehr Inland, die nicht einmal über Sommeruniformen und möglicherweise bald
nicht mehr über Winteruniformen verfügt, um diese Lappalien anzusprechen. Bei der Bundeswehr geht es an die
Substanz. Wir sind nicht in der Situation, darüber zu sprechen, ob etwas „nice to have“, gut zu haben, wäre. Nein,
die Bundeswehr geht bald auf dem Zahnfleisch, sowohl
finanziell als auch technisch. Das ist die Gefahr, der wir
unsere Soldaten nicht aussetzen dürfen. Wer von uns will
die Sicherheit unserer Soldaten bei ihrem Einsatz im Kosovo auf die leichte Schulter nehmen? Niemand will das
tun. Wenn man ihre Sicherheit nicht auf die leichte Schulter nehmen will, dann darf man auch im Bundeshaushalt
den Einzelplan 14 nicht vernachlässigen.
({6})
Ich kann an die Bundesregierung nur appellieren. Lieber Kollege Zumkley, ich greife Ihre Worte auf. Ich sehe
noch nicht, dass die Bundesregierung bisher in der Lage
ist, auf die ernsthaften Hinweise, die wir als dem Staatswohl verpflichtete Opposition in der Grundsatzfrage der
internationalen Beziehungen, aber auch in unserer Verantwortung für die Bundeswehr geben, einzugehen. Wenn
Ihre Worte stimmen, dann müssen ihnen Taten folgen im
Bundeshaushalt, und zwar in einer drastischen Art und
Weise. Sie machen die Bundeswehr kaputt. Sie fahren sie
an die Wand. Einer solchen Bundeswehr dürfen Sie nicht
zusätzlich auferlegen, die internationalen Verpflichtungen
zu erfüllen, die Sie selbst nicht in der Lage sind durchzusetzen.
Diese Probleme müssen jetzt angesprochen werden.
Wer diese Probleme im Haushalt des nächsten Jahres
nicht aufgreift, läuft Gefahr, die schiefe Ebene so weit zu
beschreiten, dass die Bundeswehr abrutscht. In diesem
Falle bräuchten wir uns dann nicht über Befriedungsnotwendigkeiten und schon gar nicht darüber zu unterhalten,
dass die USA den Europäern - unabhängig von allen anChristian Schmidt ({7})
deren Irritationen - nicht gut gesinnt sind. Wenn die Europäer nicht in der Lage sind, ihren Beitrag zu leisten,
dann werden sie dies politisch zu spüren bekommen. Sie
sind gegenwärtig dabei, international auf die schiefe
Ebene zu gelangen. Ändern Sie Ihre Politik.
({8})
Das Wort
hat jetzt der Bundesminister Joseph Fischer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie
mir, dass ich für die Bundesregierung zu ihrem Antrag
und zu der Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses Stellung nehme. Ich tue dies auch im Namen
meines Kollegen Bundesverteidigungsminister Rudolf
Scharping.
Die Präsenz von KFOR ist auch in Zukunft das unverzichtbare Fundament für jede politische Lösung der Konflikte dieser leidgeprüften Region.
({0})
Deutsche Soldaten leisten als Teil von KFOR seit zwei
Jahren eine hervorragende Arbeit. Ich möchte ihnen, aber
auch allen, die dort als zivile Kräfte eingesetzt werden, sowie den Vertretern der zahlreichen NGOs, im Namen der
Bundesregierung recht herzlich für die geleistete Arbeit
danken.
({1})
Ihre fortgesetzte Präsenz ist die Voraussetzung für die
Umsetzung der VN-Sicherheitsratsresolution 1244, das
heißt für eine erfolgreiche Arbeit der Vereinten Nationen
vor Ort sowie der deutschen Polizisten und Wiederaufbauhelfer. Sie ist auch Voraussetzung für einen Erfolg
des Stabilitätspaktes und seine Fortentwicklung hin zu regionaler Sicherheit. Sie ist die einzige umfassende Antwort der internationalen Gemeinschaft auf die Krisen und
Kriege der Region.
Darin liegt doch der entscheidende Fortschritt - das
müssen wir sehen -: Milosevic ist nicht mehr Präsident
von Jugoslawien.
({2})
Er sitzt heute im Gefängnis und wird sich morgen in Den
Haag vor einem UN-Tribunal als unabhängigem Gericht
für seine Taten und Untaten zu verantworten haben. Wir
haben heute in Belgrad Demokratie. Diese Tatsache
schafft gleichzeitig eine Perspektive für regionale Stabilität, Frieden und Entwicklung einer ganzen Region in
Richtung Europa.
({3})
Unsere Haltung zu diesem Problem ist eine entscheidende Frage für die Sicherheit Europas. Es ist keine
Frage, die sich für innenpolitische - meinetwegen notwendige - Auseinandersetzungen eignet. Die Soldaten
haben ein Anrecht darauf, dass wir nicht nur alles Mögliche dafür tun, dass sie optimale Einsatzbedingungen haben. Wenn die politische Analyse, die hier eine breite Zustimmung findet, dass dieser Einsatz unverzichtbar ist,
aufrechterhalten wird, bedeutet das, dass die Präsenz der
Truppen vor Ort unverzichtbar ist. Ich möchte in diesem
Zusammenhang an die Opposition appellieren, die Innenpolitik nicht mit diesem notwendigen Einsatz zu verknüpfen.
({4})
Das würde zulasten der Bundesrepublik Deutschland und
ihrer außenpolitischen Handlungsfähigkeit gehen.
Es ist aber auch eine Bündnisfrage; denn wenn Sie
mehrheitlich mit Nein stimmten - Sie wissen das nur zu
gut; Sie haben kluge und erfahrene Außen- und Sicherheitspolitiker -, wäre dies nicht nur für die Region eine
Katastrophe, sondern auch für die Interessen der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich ihres Standings im
Bündnis.
({5})
Zur F.D.P. gewandt möchte ich nur sagen:
({6})
Ich frage mich, was Walter Scheel, Hans-Dietrich Genscher
und auch mein unmittelbarer Vorgänger, Klaus Kinkel, zu
Ihrer Taktik sagen; es ist ja reine Taktik, Sie sind nicht
überzeugungsgesteuert. Es ist ja nicht so, dass Sie zu einer anderen Lageanalyse kommen. Ich habe davon in dem
sehr lauten Beitrag von Herrn Westerwelle nichts gehört.
({7})
Ich habe von einer entsprechenden Analyse nichts gehört.
Es sind Besorgnisse artikuliert worden, die wir teilen. Sie
haben das Argument der PDS von einer angeblichen Carte
Blanche übernommen.
Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee. Wenn sie
eine Parlamentsarmee ist, dann muss das Mandat auch
vom Parlament entschieden und verantwortet werden.
({8})
Das bedeutet aber auch, dass wir nicht mit jeder Formulierung eines Mandats auf die konkrete taktische Situation
vor Ort werden eingehen können.
Ich bin froh, dass ich in Budapest vom SACEUR, dem
militärischen Oberbefehlshaber der NATO, mitgeteilt bekommen habe, dass die Öffnung der Sicherheitszone B
bisher erfolgreich und friedlich verlaufen ist und dass man
deshalb damit weitermachen will. Wenn es wirklich so
friedlich bleibt - was wir alle hoffen wollen -, dann wird
die Mandatserweiterung im Lichte der heutigen Sicht
zwar notwendig gewesen sein, die Besorgnisse aber werden sich als überflüssig erwiesen haben. Das wünschen
Christian Schmidt ({9})
wir uns doch alle. Daraus aber ein innenpolitisches Nein
zu begründen, bezeichne ich als rein parteipolitische Taktik. Mit außenpolitischer Verantwortung hat das nichts
mehr zu tun, meine Damen und Herren von der F.D.P.
({10})
Gestatten Sie mir, noch jemandem zu danken. Ich
möchte - ich hoffe, ich mache das in unser aller Namen Javier Solana und George Robertson für die geleistete Arbeit danken.
({11})
Meine Damen und Herren, daran können Sie sehen, welchen Fortschritt wir erreicht haben: Kollege Kinkel wird
sich noch gut daran erinnern, dass es ein Anathema im EUKreis war, an eine Kooperation von NATO-Generalsekretär und EU überhaupt zu denken. Heute ist das eine
Selbstverständlichkeit geworden; das Zusammenspiel von
Robertson und Solana, von NATO und Europäischer
Union, ist bei der Lösung der Mazedonien-Krise essenziell. Wir sollten froh sein, dass es einen solchen Fortschritt gegeben hat; wir sollten parteiübergreifend darüber
froh sein, denn das ist nicht nur die Leistung dieser
Bundesregierung, sondern auch die der Vorgängerregierung. Vor allen Dingen ist es aber die Leistung unserer Soldaten gemeinsam mit den anderen Soldaten vor Ort. Sie
haben die politisch positiven Veränderungen in dieser Region möglich gemacht.
Deswegen, meine Damen und Herren, appelliere ich an
Sie alle, vor allen Dingen appelliere ich aber an die Abgeordneten der F.D.P.: Bekennen Sie sich zu dieser großen
Tradition, die Ihre Außenminister bisher bei dem Einsatz
auf dem Balkan repräsentiert haben! Überwinden Sie Ihre
taktische Orientierung, die ja legitim ist und für die ich
grundsätzlich auch Verständnis habe. Entscheiden Sie
sich heute aber für die außenpolitischen Interessen der
Bundesrepublik Deutschland! Entscheiden Sie sich für
die Kontinuität Ihrer Position! Entscheiden Sie sich dafür,
dass wir Frieden und Stabilität auf dem Balkan unter dem
Einsatz der Bundeswehr fortentwickeln können!
Ich bedanke mich.
({12})
Ich
schließe die Aussprache.
Bevor wir zur Abstimmung kommen, haben wir noch
zwei Wortmeldungen nach § 31 der Geschäftsordnung.
Zunächst erteile ich dem Vorsitzenden der Fraktion der
CDU/CSU, Friedrich Merz, das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Die heutige Parlamentsdebatte zeigt, wie richtig es ist, dass sich der Deutsche Bundestag jedes Jahr erneut mit diesem Einsatz befasst und sich damit seiner Verantwortung für die Soldaten in diesem schwierigen und gefährlichen Einsatz stellt.
({0})
Zu dem vorliegenden Antrag der Bundesregierung
möchte ich eine persönliche Erklärung abgeben, wobei
ich gleichzeitig für die überwältigende Mehrheit der Mitglieder der CDU/CSU-Bundestagsfraktion spreche.
({1})
Der Bundeskanzler und der Bundesverteidigungsminister
haben die Bundeswehr in die schwerste Krise seit ihrem
Bestehen gestürzt.
({2})
Der Bundeswehr fehlen in einem Zeitraum von vier Jahren fast 20 Milliarden DM.
({3})
Auch wenn Ausstattung und Ausrüstung der Bundeswehr
im Kosovo noch sachgerecht sind, Ausstattung und Ausrüstung der gesamten Streitkräfte leiden zunehmend und
spürbar.
({4})
Das Vertrauen der Soldaten in die politische Führung ist
tief erschüttert und mittlerweile so gut wie zerstört.
({5})
Meine Damen und Herren, die CDU und die CSU haben - ({6})
Liebe
Kolleginnen und Kollegen, ich bitte, die Erklärung in
Ruhe abzuwarten.
({0})
Ich bitte den Redner, zur Abstimmung zu sprechen.
({1})
Meine Damen und Herren, die CDU und die CSU haben in den vergangenen
Jahren die wachsende Verantwortung unseres Landes
konsequent übernommen und auch glaubwürdig wahrgeBundesminister Joseph Fischer
nommen. Wir stimmen heute der Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der KFOR-Präsenz im Kosovo um
ein weiteres Jahr zu,
({0})
weil wir uns der Verantwortung bewusst sind, die wir gemeinsam tragen.
Wenn aber die drastische Unterfinanzierung der Bundeswehr nicht korrigiert wird und im nächsten Haushaltsjahr keine spürbaren, grundlegenden Verbesserungen eintreten, dann können wir unter den heutigen Umständen
- Herr Bundeskanzler und Herr Verteidigungsminister,
Sie sollten das heute wissen - eine erneute Verlängerung
des KFOR-Mandates im nächsten Jahr nicht mehr mittragen.
({1})
Wir nehmen mit dieser differenzierten Position Rücksicht auf die internationalen Verpflichtungen, die wir als
Bundesrepublik Deutschland in den vergangenen Jahren
unter anderem mit der Beteiligung an den KFOR-Kräften
eingegangen sind.
Meine Damen und Herren, wir wollen, dass Deutschland auch in Zukunft ein verlässlicher Partner im Bündnis
ist, der seine Verpflichtungen in der NATO und in der Europäischen Union glaubhaft und berechenbar erfüllen
kann.
({2})
Deswegen stellen wir uns unserer Verantwortung.
Herr Präsident, lassen Sie mich einen letzten Satz zur
F.D.P. gewandt sagen: Wenn Sie heute in der Regierungsverantwortung stünden, würden Sie einer solchen Entscheidung des Deutschen Bundestages zustimmen.
({3})
Meine Damen und Herren, wir wollen uns nicht nur in
Ritualen der Danksagung an die Soldaten der Bundeswehr erschöpfen.
({4})
Die Bundeswehr hat verdient, dass ihr der Deutsche Bundestag die Ausstattung und Ausrüstung gibt, die für diesen
Einsatz auf die Dauer notwendig sind.
({5})
Deswegen haben wir gestern die Botschafter der NATOStaaten über unser heutiges Abstimmungsverhalten und
das für das nächste Jahr angekündigte Abstimmungsverhalten informiert.
({6})
Die Bundesregierung muss wissen, dass sie den notwendigen Konsens des Deutschen Bundestages über den
Einsatz der Bundeswehr aufkündigt, wenn sie sich der
Bundeswehr gegenüber weiter so verhält, wie das in diesen Wochen und Monaten deutlich geworden ist.
Ich bedanke mich für die teilweise Aufmerksamkeit in
diesem Hause.
({7})
Das Wort
zu einer persönlichen Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung hat nun der Kollege Gernot Erler von der SPDFraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Gegensatz zu Herrn Kollegen Merz
möchte ich tatsächlich eine Erklärung zur Abstimmung
abgeben.
({0})
Diese Erklärung bezieht sich auf mein persönliches
Abstimmungsverhalten und das des überwiegenden Teils
der SPD-Bundestagsfraktion zu der von der CDU/CSU
eingebrachten Entschließung.
Wir werden dieser Entschließung nicht zustimmen,
({1}) - Zuruf von
der F.D.P.: Überraschend!)
obwohl sie in einem Punkt positiv ist: Wir haben gehört,
dass die CDU/CSU neuerdings an der Fortführung des
Stabilitätspaktes interessiert ist.
({2})
Wir erinnern uns noch, wie viel Kraft Sie vergeudet haben, um sich über ihn lächerlich zu machen und Ihre
Pfeile auf den Sonderkoordinator abzuschießen. Wir
freuen uns, dass Sie bezüglich dieses Punktes einen Lernprozess durchlaufen haben.
({3})
Wir können dieser Entschließung nicht zustimmen,
weil Sie darin ankündigen, dass Sie im nächsten Jahr einer Verlängerung des KFOR-Mandates nicht zustimmen werden, wenn eine bestimmte Bedingung nicht erfüllt wird. Herr Merz, Sie stellen hier ein unzulässiges und
unakzeptables Junktim her.
({4})
Es kann doch wohl nicht sein, dass die Bundesregierung
die Erfüllung der internationalen Verpflichtungen der
Bundesrepublik davon abhängig macht, ob Sie Ihre parteipolitische Vorstellung im Hinblick auf eine Erweiterung des Bundeswehretats durchsetzen können. Ich frage
mich, in welche provinziellen Niederungen Sie Ihre Partei, die eine lange Tradition und Geschichte im Hinblick
auf die internationale Politik hat, noch führen wollen.
({5})
Ich stelle für meine Fraktion mit allem Nachdruck fest:
Die Bundesregierung wird alle ihre Verpflichtungen gegenüber der Bundeswehr wie bisher einhalten und die Reform, die Sie nicht zustande bekommen haben, zu einem
guten Ende führen.
({6})
Wir werden alle internationalen Verpflichtungen einhalten und dies nicht von einem solchen Junktim abhängig
machen, wie Sie es vorgeschlagen haben.
Ich bitte Sie: Nehmen Sie Ihren Entschließungsantrag
zurück. Wir werden ihm jedenfalls nicht zustimmen.
({7})
Ich gebe
jetzt die Namen der Kolleginnen und Kollegen bekannt,
die schriftliche Erklärungen nach § 31 der Geschäftsordnung abgegeben haben: Annelie Buntenbach, Monika
Knoche, Steffi Lemke, Irmingard Schewe-Gerigk,
Christian Simmert, Hans-Christian Ströbele, Winfried
Hermann und Sylvia Voß von der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen, Sylvia Bonitz und Jochen-Konrad
Fromme von der CDU/CSU-Fraktion, Jürgen Koppelin
von der F.D.P.-Fraktion sowie Klaus Barthel ({0}),
Waltraud Wolff ({1}) und René Röspel von der
SPD-Fraktion. Wir nehmen diese Erklärungen zu Proto-
koll.1)
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem
Antrag der Bundesregierung auf Fortsetzung der deut-
schen Beteiligung an der internationalen Sicherheitsprä-
senz im Kosovo auf Drucksache 14/6180. Der Ausschuss
empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/5972 anzuneh-
men. Die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grü-
nen verlangen namentliche Abstimmung.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle Urnen be-
setzt? - Das scheint der Fall zu sein.
Ich eröffne die Abstimmung. Ist noch ein Mitglied an-
wesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist
nicht der Fall.
Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftfüh-
rerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin-
nen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später be-
kannt gegeben.2)
Wir kommen nun zu den Abstimmungen über die Ent-
schließungsanträge. Ich bitte Platz zu nehmen, damit wir
das Abstimmungsverfahren sauber durchführen können.
Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf
Drucksache 14/6190. Wer stimmt für diesen Ent-
schließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Dann ist der Entschließungsantrag abgelehnt mit
den Stimmen aller Fraktionen bei Zustimmung der
CDU/CSU-Fraktion.
Entschließungsantrag der Fraktion der F.D.P. auf Druck-
sache 14/6191. Wer stimmt für diesen Entschließungs-
antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die-
ser Entschließungsantrag ist abgelehnt mit den Stimmen
aller Fraktionen bei Zustimmung der F.D.P.-Fraktion.
Entschließungsantrag der Fraktion der PDS auf Druck-
sache 14/6192. Wer stimmt für diesen Entschließungsan-
trag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Dieser
Entschließungsantrag ist abgelehnt mit den Stimmen aller
Fraktionen bei Zustimmung der PDS-Fraktion.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 19 a bis 19 c sowie
Zusatzpunkt 12 auf:
19 a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-
regierung
Jahreswirtschaftsbericht 2001 der Bundesre-
gierung: Reformkurs fortsetzen - Wachstums-
dynamik stärken
- Drucksache 14/5201 -
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung
Jahresgutachten 2000/01 des Sachverständi-
genrates zur Begutachtung der gesamtwirt-
schaftlichen Entwicklung
- Drucksache 14/4792 -
c) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Dreißigster Rahmenplan der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ für den Zeitraum 2001 bis
2004 ({2})
- Drucksache 14/5600 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({3})
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
ZP 12 Beratung des Antrags der Abgeordneten Gunnar
Uldall, Matthias Wissmann, Wolfgang Börnsen
({4}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Konjunkturabschwung stoppen - Wachstumskräfte stärken
- Drucksache 14/6161 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({5})
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Gesundheit
1) Anlagen 3 bis 7
2) Seite 17085 C
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat das
Wort der Kollege Joachim Poß von der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr
geehrten Damen und Herren! Der deutschen Wirtschaft
geht es schlecht. Das sagt die Opposition. Doch das ist
schlichter Unsinn.
({0})
Deshalb sagt es außer der Union auch niemand. Natürlich
wäre es uns lieber gewesen, im Jahreswirtschaftsbericht
2001 die vorhergesagte Wachstumsrate des realen Bruttoinlandsproduktes von 2,75 Prozent nicht nach unten revidieren zu müssen. 2,75 Prozent Wachstum sind mit Sicherheit besser für Konjunktur und Beschäftigung als
2 Prozent.
Die gegenwärtige konjunkturelle Lage ist allerdings
ambivalent. Es gibt ohne Zweifel Risiken; aber es gibt
auch Anzeichen dafür, dass die Entwicklung besser verläuft, als wir es im Moment erwarten oder als es Institute
prognostizieren. Einerseits ist der Kaufkraftentzug vor allem durch die stark gestiegenen Energie- und Nahrungsmittelpreise enorm und schwächt die private Nachfrage; andererseits ist es nicht ausgeschlossen, dass sich
die Konjunktur in den USA wieder stabilisiert, was für
die gesamte Weltwirtschaft von großer Bedeutung wäre.
Hinzu kommt: Die bedeutenden, bereits in diesem und im
vorigen Jahr gefällten sowie die noch anstehenden finanzpolitischen Entscheidungen werden zeigen, dass die
Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen auch
in der Vorwahlzeit nicht vom Kurs der Verlässlichkeit und
der Solidität abweichen werden.
({1})
Das gibt der Ökonomie sowohl auf der Angebots- als
auch auf der Nachfrageseite Sicherheit in ihren Planungen
und Erwartungen; so werden Investitionen und Konsum
befördert und verstetigt werden. Der in zwei Wochen von
der Bundesregierung vorzulegende Entwurf des Bundeshaushaltes 2002 und die Fortschreibung der Finanzplanung werden deutlich machen: Die Haushaltskonsolidierung wird auch in den Folgejahren fortgeführt. Die
Nettokreditaufnahme des Bundes wird, wie geplant, weiterhin stetig zurückgeführt.
Mit den rund 4,6 Milliarden DM, die den Familien im
Rahmen des zweiten Familienförderungsgesetzes zusätzliche finanzielle Möglichkeiten eröffnen werden - auch
darüber werden wir in diesem Hause heute noch reden -,
gehen wir allerdings an die Grenze des für die öffentlichen Haushalte Verkraftbaren. Darüber muss man sich im
Klaren sein.
({2})
Das ist nämlich auch eine Rahmenbedingung unseres
Handelns. Es ist ein Stück finanzpolitischer Realität in der
Bundesrepublik Deutschland, über die man sich nicht mit
irgendwelchen Fantasievorschlägen hinwegsetzen kann,
wie es die Opposition in den letzten Wochen getan hat.
({3})
Diese Entlastung für Familien bringt auch eine Erhöhung der privaten Kaufkraft um mehrere Milliarden DM und ist deshalb konjunkturell bedeutsam. Die
Koalition hat die wirtschaftliche Entwicklung tatkräftig
und erfolgreich unterstützt. Ihre Handschrift bleibt aber
auch in diesem Jahr erkennbar. Unser Kurs, die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen Schritt für Schritt und
Jahr für Jahr zu verbessern, wird ohne Unterbrechung
fortgesetzt. Durch Maßnahmen wie das zweite Familienförderungsgesetz und durch die Fortführung der Haushaltskonsolidierung schaffen wir Vertrauen. Es handelt
sich um ein Vertrauen, das durch den Bundesfinanzminister Hans Eichel repräsentiert wird. Es kann durch keine
Ihrer Attacken und schon gar nicht durch Ihre inhaltlichen
Vorschläge beeinträchtigt werden.
({4})
Hinzu kommen in dieser Legislaturperiode von der Regierungskoalition gegen die letztlich wirkungslose Fundamentalopposition der Union durchgesetzte Steuerentlastungen von rund 100 Milliarden DM, die auf die
Wirtschaftsentwicklung mittelfristig deutlich durchschlagen werden. Die Entlastungen durch die Steuerreform sind
auch deutlich höher als die Belastungen durch die gestiegenen Energiepreise. Allein in diesem Jahr sinkt die Steuerlast
durch die Einkommensteuer um rund 45 Milliarden DM.
Dies alles vor Augen kann der weiteren gesamtwirtschaftlichen Entwicklung mit Gelassenheit und Zuversicht entgegengeblickt werden. Wir stehen für eine Wirtschafts- und Finanzpolitik der ruhigen Hand und gegen Aktionismus.
({5})
Ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts in diesem
Jahr von real 2 Prozent ist ein Wert, der deutlich über dem
Durchschnitt der 90er-Jahre liegt. Das wird nur deshalb
nicht so deutlich, weil das letzte Jahr, das Jahr 2000, mit
einem Wachstum des Bruttoinlandsprodukts um 3 Prozent
ein ausgesprochenes Boomjahr war. Ängste vor einem
wirtschaftlichen Abschwung sind nach Abwägung der
Aspekte sachlich nicht gerechtfertigt. Im Gegenteil: Immer nur vom Abschwung zu reden kann ganz fatal sein.
Man kann durch Verunsicherung der Wirtschaft Abschwungtendenzen auch herbeireden wollen. Angesichts
der Beiträge der Opposition in den letzten Wochen kann
man diesen Eindruck gewinnen.
({6})
Mit dieser Art Politik, die Sie betreiben, ist den Bundesbürgern nicht gedient.
In diesem Zusammenhang ist auch die derzeit fast
regelmäßig vorgebrachte Forderung nach weiteren
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Steuerentlastungen zur Beförderung der Konjunktur
einzuordnen. Auch hier steht die Opposition in ihrer
Orientierungslosigkeit in vorderster Front, um fast verzweifelt ein Wahlkampfthema zu erhaschen. Kaum wollen die USA die Steuern senken, schon werden - frei nach
Pawlow - in der Bundesrepublik Steuersenkungsforderungen der Union oder auch der F.D.P. laut. Dabei haben
die USA anders als wir Haushaltsüberschüsse zu verteilen, während wir von Ihnen nur Schulden geerbt haben.
({7})
Dies ist ein ganz entscheidender Unterschied. Schon deshalb kann man hier keine Parallelen ziehen.
Wenn Sie die Steuersenkung in den USA zu unseren
Steuersenkungen in dieser Legislaturperiode ins Verhältnis setzen, dann können Sie feststellen, dass wir gemessen an der jeweiligen Wirtschaftskraft besser abschneiden. Die Kollegin Scheel hat in den letzten Tagen längere
Ausführungen dazu gemacht. Machen Sie sich also erst
einmal sachkundig, bevor Sie versuchen, in der Wirtschaftsdebatte mitzuhalten!
({8})
Es ist bezeichnend, dass im Mittelpunkt der Forderungen nach weiteren Steuerentlastungen in erster Linie eine
starke Senkung des Spitzensteuersatzes steht, und zwar
weit über die von uns bereits beschlossene Absenkung auf
42 Prozent hinaus. In den USA gibt es im Übrigen die Einkommensteuer auch noch in den Einzelstaaten. Wenn Sie
also eine Gesamtsteuerlast errechnen wollen, dann müssen Sie diesen Steuersatz zu dem nationalen Steuersatz
addieren. Auch diese Rechnung wird gelegentlich bei Ihnen nicht vorgenommen.
Welche positiven ökonomischen Wirkungen sollten
von einer weiteren Absenkung des Spitzensteuersatzes
ausgehen? Wenn Sie wie wir sagen, der Mittelstand müsse
bei uns im Vordergrund stehen - wir sind gerade dabei, all
Ihre mittelstandspolitischen Versäumnisse der letzten
Jahrzehnte konsequent abzuarbeiten; unsere Steuerreform
war ein überzeugendes Beispiel dafür -,
({9})
dann muss man dazu bemerken, dass die allermeisten
Mittelständler überhaupt nichts von einer weiteren Senkung des Spitzensteuersatzes haben, wie Sie den Zahlenvergleichen entnehmen können.
({10})
Es geht hier offenkundig nicht um Wirtschaftspolitik,
sondern es geht - um es einmal beim Namen zu nennen um Gruppenegoismus und Wahlkampfopportunismus.
({11})
Ich zitiere den Sachverständigenrat:
Die Politik hat begonnen, den wachstumshemmenden Reformstau aufzulösen.
Für diesen Stau waren Sie von CDU/CSU und F.D.P. verantwortlich.
({12})
Die Beseitigung dieses Staus erfolgt schrittweise durch
uns durch die von mir genannten Verbesserungen der Rahmenbedingungen und durch eine Steuersenkung um rund
100 Milliarden DM.
Wenn Sie jetzt mehr fordern und sagen, schneller,
höher, weiter sei das Gebot der Stunde, dann fragen Sie
doch einmal bei den CDU-geführten Bundesländern im
Osten oder im Saarland oder gar in Berlin nach, was diese
von weiteren Steuersenkungen halten. Dort gibt es, wie
Sie genau wissen, keinen Pfennig mehr zu verteilen.
Es bleibt festzuhalten: Auch wenn die wirtschaftliche
Entwicklung sicherlich noch besser sein könnte, gibt es
keinerlei Grund zu Konjunkturängsten und schon gar
nicht zur Panikmache.
({13})
- Ich bin nicht ängstlich; es entspricht überhaupt nicht
meiner Mentalität, wie Sie wissen, Herr Ost, ängstlich zu
sein. Da können Sie ganz beruhigt sein.
({14})
Aber es entspricht meiner Mentalität, dann deutlich zu widersprechen, wenn Sie oder andere in Panik machen. Das
lassen wir Ihnen vor der deutschen Bevölkerung nicht
durchgehen.
({15})
Es gibt keinerlei Veranlassung, den von der Regierungskoalition verfolgten Pfad der haushalts- und finanzpolitischen Solidität und Verlässlichkeit zu verlassen. Das
ist es auch, was die Bürgerinnen und Bürger von der Politik, zumal von der Politik der Regierungskoalition und
der Bundesregierung verlangen: Gelassenheit anstelle
von hektischem Aktionismus, mittel- und langfristige
Orientierung und Nachhaltigkeit der Politik anstelle der
Ausrichtung an Prognosen, deren Halbwertszeit mittlerweile nur noch wenige Wochen umfasst.
({16})
Die anders lautenden Vorschläge aus den Reihen der
Opposition, ob es um die Steuersenkungsfantasien oder
um kurzfristig orientierte Beschäftigungsprogramme geht,
({17})
sind ausgegoren und fügen sich nicht im Mindesten zu
stringenten und in den eigenen Reihen abgestimmten
Konzeptionen. Sie kommen aus Ihrem Grunddilemma als
Opposition nicht heraus. Ihnen fehlt nicht nur die personelle Alternative zur Regierungspolitik, wie man jeden
Tag lesen kann, Ihnen fehlt auch das inhaltliche Konzept,
das vor der Realität, auch vor der finanzpolitischen Realität, Bestand haben könnte, meine Damen und Herren.
Davor drücken Sie sich. Wenn Sie konkurrenzfähig werden wollen, müssen Sie sich erst einmal auf das Parkett
der soliden Auseinandersetzung, gemessen an finanzpolitischen Realitäten, begeben.
Danke schön.
({18})
Bevor ich
dem nächsten Redner das Wort erteile, gebe ich Ihnen das
Ergebnis der namentlichen Abstimmung zum Antrag der
Bundesregierung „Fortsetzung der deutschen Beteiligung
an der internationalen Sicherheitspräsenz im Kosovo“,
Drucksachen 14/5972 und 14/6180, bekannt. Abgegebene
Stimmen: 598. Mit Ja haben gestimmt 491, mit Nein haben gestimmt 92; Enthaltungen 15.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 598;
davon
ja: 491
nein: 92
enthalten: 15
Ja
SPD
Brigitte Adler
Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Dr. Hans Peter Bartels
Eckhardt Barthel ({0})
Ingrid Becker-Inglau
Wolfgang Behrendt
Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher
Petra Bierwirth
Rudolf Bindig
Lothar Binding ({1})
Kurt Bodewig
Anni Brandt-Elsweier
Willi Brase
Rainer Brinkmann ({2})
Bernhard Brinkmann
({3})
Hans-Günter Bruckmann
Edelgard Bulmahn
Dr. Michael Bürsch
Hans Büttner ({4})
Marion Caspers-Merk
Wolf-Michael Catenhusen
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Christel Deichmann
Peter Dreßen
Detlef Dzembritzki
Dieter Dzewas
Dr. Peter Eckardt
Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Marga Elser
Peter Enders
Petra Ernstberger
Annette Faße
Lothar Fischer ({5})
Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster
Dagmar Freitag
Lilo Friedrich ({6})
Harald Friese
Anke Fuchs ({7})
Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Iris Gleicke
Günter Gloser
Renate Gradistanac
Günter Graf ({8})
Angelika Graf ({9})
Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Achim Großmann
Karl-Hermann Haack
({10})
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Manfred Hampel
Alfred Hartenbach
Klaus Hasenfratz
Nina Hauer
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Monika Heubaum
Reinhold Hiller ({11})
Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann ({12})
Walter Hoffmann
({13})
Iris Hoffmann ({14})
Frank Hofmann ({15})
Ingrid Holzhüter
Eike Hovermann
Lothar Ibrügger
Barbara Imhof
Brunhilde Irber
Gabriele Iwersen
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung ({16})
Sabine Kaspereit
Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Siegrun Klemmer
Hans-Ulrich Klose
Walter Kolbow
Karin Kortmann
Anette Kramme
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Konrad Kunick
Dr. Uwe Küster
Werner Labsch
Brigitte Lange
Christian Lange ({17})
Detlev von Larcher
Christine Lehder
Waltraud Lehn
Robert Leidinger
Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann
({18})
Erika Lotz
Dieter Maaß ({19})
Winfried Mante
Dirk Manzewski
Tobias Marhold
Lothar Mark
Ulrike Mascher
Christoph Matschie
Heide Mattischeck
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer ({20})
Ursula Mogg
Christoph Moosbauer
Michael Müller ({21})
Jutta Müller ({22})
Christian Müller ({23})
Franz Müntefering
Andrea Nahles
Volker Neumann ({24})
Gerhard Neumann ({25})
Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese
Dietmar Nietan
Günter Oesinghaus
Leyla Onur
Manfred Opel
Holger Ortel
Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Martin Pfaff
Georg Pfannenstein
Johannes Pflug
Karin Rehbock-Zureich
Dr. Carola Reimann
Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter
Christel RiemannHanewinckel
Reinhold Robbe
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({26})
Birgit Roth ({27})
Gerhard Rübenkönig
Marlene Rupprecht
Thomas Sauer
Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch
Rudolf Scharping
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Otto Schily
Dieter Schloten
Horst Schmidbauer
({28})
Ulla Schmidt ({29})
Silvia Schmidt ({30})
Dagmar Schmidt ({31})
Wilhelm Schmidt ({32})
Dr. Frank Schmidt
({33})
Heinz Schmitt ({34})
Dr. Emil Schnell
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Ottmar Schreiner
Gerhard Schröder
Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann
({35})
Brigitte Schulte ({36})
Reinhard Schultz ({37})
Volkmar Schultz ({38})
Ewald Schurer
Dietmar Schütz ({39})
Dr. Angelica Schwall-Düren
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Erika Simm
Dr. Cornelie SonntagWolgast
Wieland Sorge
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Dr. Ditmar Staffelt
Antje-Marie Steen
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Reinhold Strobl ({40})
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Franz Thönnes
Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak
Rüdiger Veit
Simone Violka
Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis ({41})
Matthias Weisheit
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen
({42})
Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker
Jochen Welt
Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Dr. Norbert Wieczorek
Jürgen Wieczorek ({43})
Helmut Wieczorek ({44})
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dieter Wiefelspütz
Heino Wiese ({45})
Klaus Wiesehügel
Brigitte Wimmer ({46})
Engelbert Wistuba
Barbara Wittig
Dr. Wolfgang Wodarg
Verena Wohlleben
Hanna Wolf ({47})
Heidemarie Wright
Uta Zapf
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Dietrich Austermann
Günter Baumann
Brigitte Baumeister
Meinrad Belle
Hans-Dirk Bierling
Dr. Heribert Blens
Peter Bleser
Dr. Norbert Blüm
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Paul Breuer
Monika Brudlewsky
Georg Brunnhuber
Klaus Bühler ({48})
Hartmut Büttner
({49})
Dankward Buwitt
Cajus Caesar
Peter H. Carstensen ({50})
Wolfgang Dehnel
Hubert Deittert
Renate Diemers
Thomas Dörflinger
Hansjürgen Doss
Marie-Luise Dött
Rainer Eppelmann
Dr. Hans Georg Faust
Albrecht Feibel
Ulf Fink
Dirk Fischer ({51})
Axel E. Fischer ({52})
Dr. Gerhard Friedrich ({53})
Dr. Hans-Peter Friedrich
({54})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Dr. Heiner Geißler
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Kurt-Dieter Grill
Hermann Gröhe
Manfred Grund
Horst Günther ({55})
Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein
Gottfried Haschke ({56})
Gerda Hasselfeldt
Hansgeorg Hauser ({57})
Klaus-Jürgen Hedrich
Helmut Heiderich
Ursula Heinen
Manfred Heise
Siegfried Helias
Hans Jochen Henke
Peter Hintze
Klaus Hofbauer
Martin Hohmann
Klaus Holetschek
Dr. Karl-Heinz Hornhues
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Georg Janovsky
Dr.-Ing. Rainer Jork
Dr. Harald Kahl
Steffen Kampeter
Dr.-Ing. Dietmar Kansy
Irmgard Karwatzki
Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Dr. Helmut Kohl
Norbert Königshofen
Eva-Maria Kors
Thomas Kossendey
Dr. Martina Krogmann
Dr. Paul Krüger
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl A. Lamers ({58})
Dr. Norbert Lammert
Helmut Lamp
Dr. Paul Laufs
Karl-Josef Laumann
Werner Lensing
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Walter Link ({59})
Dr. Klaus W. Lippold ({60})
Wolfgang Lohmann ({61})
Julius Louven
Dr. Michael Luther
Erich Maaß ({62})
Erwin Marschewski
({63})
Dr. Martin Mayer
({64})
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Meinolf Michels
Dr. Gerd Müller
Bernward Müller ({65})
Elmar Müller ({66})
Bernd Neumann ({67})
Günter Nooke
Friedhelm Ost
Eduard Oswald
Anton Pfeifer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Marlies Pretzlaff
Dr. Bernd Protzner
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Helmut Rauber
Peter Rauen
Christa Reichard ({68})
Katherina Reiche
Erika Reinhardt
Hans-Peter Repnik
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Dr. Klaus Rose
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Volker Rühe
Anita Schäfer
Dr. Wolfgang Schäuble
Heinz Schemken
Karl-Heinz Scherhag
Norbert Schindler
Dietmar Schlee
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({69})
Dr.-Ing. Joachim Schmidt
({70})
Andreas Schmidt ({71})
Reinhard Freiherr von
Schorlemer
Dr. Erika Schuchardt
Gerhard Schulz
Diethard Schütze ({72})
Clemens Schwalbe
Dr. Christian SchwarzSchilling
Wilhelm-Josef Sebastian
Dr. h. c. Rudolf Seiters
Bernd Siebert
Werner Siemann
Bärbel Sothmann
Margarete Späte
Wolfgang Steiger
Erika Steinbach
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten
Andreas Storm
Dorothea Störr-Ritter
Matthäus Strebl
Thomas Strobl ({73})
Michael Stübgen
Dr. Rita Süssmuth
Dr. Susanne Tiemann
Edeltraut Töpfer
Gunnar Uldall
Arnold Vaatz
Angelika Volquartz
Andrea Voßhoff
Peter Weiß ({74})
Gerald Weiß ({75})
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({76})
Hans-Otto Wilhelm ({77})
Klaus-Peter Willsch
Bernd Wilz
Werner Wittlich
Wolfgang Zeitlmann
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Marieluise Beck ({78})
Volker Beck ({79})
Matthias Berninger
Ekin Deligöz
Franziska Eichstädt-Bohlig
Hans-Josef Fell
Andrea Fischer ({80})
Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen.
Ich erteile jetzt das Wort dem Kollegen Matthias
Wissmann von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Der Blick auf die Eckdaten der deutschen Wirtschaft gibt bei nüchterner Betrachtung, abstrahiert von
partei taktischen Vorstellungen, Anlass zur Sorge. Seit
Mitte 2000 verlangsamt sich das Wachstum in Deutschland.
Das reale Bruttoinlandsprodukt stieg in den OECD-Ländern
in den beiden vergangenen Jahren durchschnittlich um etwa
3 bzw. 4,3 Prozent, in Deutschland um 1,5 und 3 Prozent.
Die Skepsis der Fachleute, und zwar quer durch alle Institute, Banken und internationalen Institutionen, nimmt
- ich bedaure das - zu. Die bedeutende internationale Investmentbank Goldman Sachs erwartet für 2001 ein
Wachstum von nur 1,3 Prozent, die Deutsche Bank Research von 1,6 Prozent. Auch das Kieler Institut für Weltwirtschaft geht von einem Wachstum von inzwischen unter 2 Prozent aus.
Wir alle wissen, dass sich die schlechtere Wirtschaftslage bei den Steuereinnahmen bemerkbar macht und auf
dem Arbeitsmarkt bereits höchst problematische Spuren
hinterlässt. Das Geschäftsklima in Deutschland hat sich
dramatisch verschlechtert. Das IFO-Institut hat ein weiteres Absinken des Indexes auf 93,9 Prozentpunkte festgestellt. Eine Trendwende ist nach IFO nicht in Sicht.
Die Preissteigerungsrate ist mit 3,5 Prozent auf
Rekordniveau. Das ist der höchste Stand seit Dezember 1993. Im Vergleich zum Vorjahr ist es eine Zunahme
um das Zweifache, im Vergleich zum letzten Regierungsjahr der Vorgängerregierung eine Zunahme um das Dreifache und es ist der stärkste Anstieg innerhalb Jahresfrist
seit 20 Jahren.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wissen, dass auch der Arbeitsmarkt stagniert
und der Beschäftigungszuwachs fast ausschließlich auf
den statistischen Effekten der 630-Mark-Regelung beruht.
Wenn wir den Blick auf die neuen Länder, die uns
ja besonderen Anlass zu Hinwendung und leider auch
zu Sorge geben, richten, stellen wir fest, dass sich die
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Joseph Fischer ({0})
Katrin Göring-Eckardt
Rita Grießhaber
Gerald Häfner
Antje Hermenau
Ulrike Höfken
Michaele Hustedt
Dr. Angelika Köster-Loßack
Dr. Helmut Lippelt
Dr. Reinhard Loske
Kerstin Müller ({1})
Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Cem Özdemir
Simone Probst
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt ({2})
Werner Schulz ({3})
Christian Sterzing
Dr. Antje Vollmer
Dr. Ludger Volmer
Helmut Wilhelm ({4})
Margareta Wolf ({5})
F.D.P.
Dr. Klaus Kinkel
Nein
SPD
Konrad Gilges
CDU/CSU
Otto Bernhardt
Renate Blank
Sylvia Bonitz
Wolfgang Börnsen ({6})
Leo Dautzenberg
Albert Deß
Herbert Frankenhauser
Georg Girisch
Siegfried Hornung
Bartholomäus Kalb
Rudolf Kraus
Eduard Lintner
Franz Obermeier
Franz Romer
Michael von Schmude
Max Straubinger
Willy Wimmer ({7})
Benno Zierer
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Monika Knoche
Hans-Christian Ströbele
Sylvia Voß
F.D.P.
Ina Albowitz
Hildebrecht Braun ({8})
Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Gisela Frick
Horst Friedrich ({9})
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Joachim Günther ({10})
Dr. Karlheinz Guttmacher
Dr. Helmut Haussmann
Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto ({11})
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Gerhard Schüßler
Marita Sehn
Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk
PDS
Dr. Dietmar Bartsch
Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Dr. Heinrich Fink
Dr. Ruth Fuchs
Dr. Klaus Grehn
Dr. Gregor Gysi
Uwe Hiksch
Carsten Hübner
Sabine Jünger
Gerhard Jüttemann
Dr. Evelyn Kenzler
Dr. Heidi Knake-Werner
Ursula Lötzer
Heidemarie Lüth
Pia Maier
Manfred Müller ({12})
Kersten Naumann
Christine Ostrowski
Petra Pau
Dr. Uwe-Jens Rössel
Christina Schenk
Gustav-Adolf Schur
Dr. Ilja Seifert
Dr. Winfried Wolf
Enthalten
SPD
Klaus Barthel ({13})
Renate Rennebach
Gudrun Roos
René Röspel
Waltraud Wolff ({14})
CDU/CSU
Susanne Jaffke
Vera Lengsfeld
Dr. Manfred Lischewski
Norbert Otto ({15})
Hans Raidel
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Annelie Buntenbach
Winfried Hermann
Steffi Lemke
Irmingard Schewe-Gerigk
Christian Simmert
ökonomische Lage in den neuen Bundesländern seit der
Regierungsübernahme im Herbst 1998 verschlechtert hat.
Das Bruttoinlandsprodukt der neuen Länder ist inzwischen auf den Stand von Mitte der 90er-Jahre zurückgefallen. Die Schere zwischen dem Wachstum in den alten
und den neuen Ländern hat sich stark geöffnet. Für 2001
und 2002 erwarten alle Fachleute ein weiteres Auseinanderdriften.
Schließlich, um einen Bereich herauszugreifen, dem es
besonders schlecht geht, komme ich zur Situation der deutschen Bauwirtschaft: Sie kann nur noch mit dem Wort
„dramatisch“ beschrieben werden. Im Osten des Landes
droht eine massive Existenzkrise. Nach jüngsten Schätzungen sind dort weitere 60 000 Arbeitsplätze bedroht.
({16})
Bei einem kurzen Blick in die nationale und die internationale Presse stellen wir fest, wie dort, im Unterschied
zu dem, was soeben vom Redner der SPD gesagt wurde,
die Lage eingeschätzt wird. „Handelsblatt“: „Deutscher
Abschwung noch nicht zu Ende“. „Die Welt“: „Das
Wachstum der deutschen Wirtschaft bricht ein.“ „Le
Monde“: „Deutschland, die rote Laterne in Europa“.
Meine Damen und Herren, stehlen Sie sich nicht an der
Wahrheit vorbei. Deutschland hat heute und, wenn Sie so
weitermachen, leider auch morgen die rote Konjunkturlaterne in ganz Europa. Für den, dem es um unser
Land und um die Zukunft unserer wirtschaftlichen Entwicklung geht, kann das doch kein Anlass zur Zufriedenheit sein.
({17})
Wir lesen heute in den Zeitungen, dass der Euro inzwischen auf dem tiefsten Stand seit sechs Monaten angelangt ist. Niemand wird sagen, dass daran allein die
Bundesregierung schuld ist.
({18})
Dass aber Ihre Wirtschaftspolitik nach dem Motto „Weiter so!“ ohne wirklichen Reformschwung und neue Ansätze zu dieser Entwicklung des Euro-Dollar-Verhältnisses wesentlich beiträgt,
({19})
kann doch nicht mehr bestritten werden. Das ist eine traurige Tatsache. Wir sagen dies mit Bedauern.
({20})
Im letzten Jahr - etwa zur gleichen Zeit - hat sich der
Bundeskanzler intensiv für eine Debatte im Deutschen
Bundestag zur Lage der Konjunktur in Deutschland eingesetzt.
({21})
Die Aussprache im Plenum wurde mit einer Karikatur in
der „Süddeutschen Zeitung“ begleitet, in der der Bundeskanzler die „Sonne des Aufschwungs“ mit beiden Händen
in die Höhe hält. Heute wissen wir: Diese Sonne ist leider
untergegangen.
({22})
Wärme und Licht der damals guten Konjunktur sind
ungenutzt entwichen. Der Bundeskanzler ist in der wirtschaftspolitischen Diskussion weitgehend in der Versenkung verschwunden. Dass heute weder der Bundeskanzler
noch der Bundesfinanzminister, noch der Bundeswirtschaftsminister hier ist, ist ein Zeichen dafür, dass, wenn
die Lage schlechter ist, die Steuerleute von Bord gehen
und keine Antworten mehr geben auf die Anfragen der
Bürger und die Sorgen der Menschen in unserem Lande.
({23})
1999 und 2000 wurde die Bundesregierung von einer
weltweit guten Konjunkturlage verwöhnt. Ihre Wirtschaftspolitik war jedoch ohne Kontur und Biss. Die Zeit
für strukturelle Wirtschaftsreformen blieb ungenutzt. Mit
unserem Entschließungsantrag zum Jahreswirtschaftsbericht, zum Gutachten des Sachverständigenrats und zur
Beschlussempfehlung zum Bericht des Finanzausschusses stellen wir ein Alternativkonzept vor. Wir weisen Sie
auf das hin, was jetzt getan werden muss, wenn wir einer
drohenden Verschlechterung der Wirtschaftslage entgegentreten und strukturelle Reformen anpacken wollen.
Deutschland braucht keine Bundesregierung, deren Wirtschaftspolitik sich in Marketingstrategien erschöpft, sondern endlich wieder eine mutige,
({24})
der sozialen Marktwirtschaft verpflichtete Wirtschaftspolitik.
({25})
Wir sehen, wie notwendig das Handeln am Arbeitsmarkt ist. Heute schreibt die „Süddeutsche Zeitung“ unter der Überschrift „Riesters Arbeitsmarkt-Kosmetik“ zu
den Vorschlägen der Bundesregierung:
All dies jedoch wird nicht wirklich helfen, wenn die
Regierung Schröder sich weiterhin durchgreifenden
Reformen auf dem Arbeitsmarkt verschließt.
Weiter schreibt sie:
Nicht enthalten sind im „Job-Aqtiv-Gesetz“ Niedriglohnjobs, Kombilöhne für Sozialhilfeempfänger
oder ein Abbau des künstlichen zweiten Arbeitsmarkts.
Ich füge hinzu: Dazu gehören auch mutige Reformen zur
Deregulierung und Flexibilisierung des Arbeitsmarktes.
Bisher konnten Sie über die strukturellen Probleme am
Arbeitsmarkt noch durch demographische Effekte und die
günstige Konjunkturlage hinwegtäuschen. Das wird Ihnen in Zukunft nicht mehr möglich sein. Deswegen stelMatthias Wissmann
len Sie sich endlich dieser Herausforderung! Handeln Sie
entsprechend unseren Vorschlägen.
({26})
Auch der Osten Deutschlands braucht hinsichtlich des
Arbeitsmarktes und der anderen Bereiche keine zusätzlichen Subventionen, sondern er braucht verstärkt Investitionen. Der Arbeitsmarkt braucht keine zusätzliche Regulierung, wie durch das Betriebsverfassungs- und das
Zwangsteilzeitgesetz, sondern er braucht Deregulierung
und Flexibilisierung. Führen Sie diese Reformen durch;
dann haben Sie unsere Unterstützung.
({27})
Ein Beispiel: Wir geben in Mecklenburg-Vorpommern
inzwischen mehr Geld für die künstliche Stützung des Arbeitsmarktes aus als für Investitionen.
({28})
Der OECD-Wirtschaftsbericht 2001 stellt fest, dass 1999
das Subventionsvolumen im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt in Ostdeutschland das 3,5fache des Westniveaus betragen hat und gleichwohl die Produktivität der
Ostbetriebe dem Westniveau deutlich hinterherhinkt.
({29})
Es bedarf dringend einer Lösung der strukturellen Probleme. Die Schere der unterschiedlichen Entwicklung
geht auseinander. Im Jahre 2000 gab es in den alten Ländern ein Wirtschaftswachstum von 3,1 Prozent, in den
neuen Ländern von 1,3 Prozent. Die neuen Länder blieben beim Wirtschaftswachstum das vierte Jahr in Folge
hinter den alten Ländern zurück. Das Bruttoinlandsprodukt ist auf circa 60 Prozent des Niveaus im früheren Bundesgebiet gefallen. Bei einer Arbeitslosenquote von
knapp 18 Prozent hilft weder Demographie noch Marketingverschönerung.
Ich sage es Ihnen ganz klar: Haben Sie endlich den
Mut, fragwürdige Konsumtransfers in die neuen Bundesländer zurückzuführen und stattdessen die Investitionen deutlich zu erhöhen,
({30})
die Investitionen in die Schiene, in die Straße, in die Forschung, in kommunale Aufgaben - nicht durch neue
Schulden, sondern durch die Kürzung von fragwürdigen
Konsumtransfers. Nur wenn Sie an die Wurzel der Probleme gehen, werden Sie den Menschen in den neuen
Ländern helfen und die strukturellen Schwierigkeiten
Schritt für Schritt meistern.
Auch die makroökonomischen Probleme werden in
den neuen Bundesländern bedauerlicherweise nicht angegangen. Die Liberalisierung von Telekommunikations-,
Post- und Energiemärkten durch die Regierung Kohl hat
große Erfolge für Wirtschaft und Verbraucher bewirkt.
({31})
Doch zunehmend macht sich die gegenwärtige Bundesregierung zum Vorreiter einer Re-Regulierung. War
Deutschland in Sachen Liberalisierung der Märkte noch
vor kurzem die Speerspitze Europas, so gleiten wir jetzt
mehr und mehr ins Mittelfeld ab.
({32})
Völlig unverständlich ist es beispielsweise, dass der
Bundeskanzler der französischen Regierung eine Aussetzung der Liberalisierung der Energiemärkte zugesagt
hat. Das heißt doch: Wir haben unsere Märkte geöffnet,
wir haben dem Verbraucher, den Industriebetrieben, dem
Mittelstand geholfen, wettbewerbsfähigere Preise zu erreichen, und in Frankreich bleibt es mit Zustimmung des
Bundeskanzlers bei verkrusteten, staatlich geprägten
Strukturen.
({33})
So stelle ich mir europäische Wirtschaftspolitik nicht
vor. Wir müssen den Weg einer Liberalisierung der Energie-, der Telekommunikations-, der Post- und Gasmärkte
weitergehen: im Interesse des Bürgers, im Interesse des
Verbrauchers und im Interesse einer dynamischeren Wirtschaft.
({34})
Große Sorgen macht uns die Lage im Mittelstand, in
den kleinen und mittleren Betrieben, bei den in den letzten Jahren gegründeten neuen Betrieben, aber auch bei
den Betrieben, die schon lange existieren. Hier wird die
Sorge größer. Hier sinkt die Eigenkapitalquote. Hier
glaubt man keinem von Ihnen, wenn Sie die Lage schöner
reden, als sie ist.
Von den in den letzten zehn, 15 Jahren neu geschaffenen Arbeitsplätzen kommen 90 Prozent aus Betrieben mit
zwischen einem und 100 Beschäftigten, 10 Prozent aus
Betrieben mit zwischen 100 und 1 000 Beschäftigten und
im Schnitt kein neuer Arbeitsplatz aus den großen Unternehmen.
Wenn wir auf dem Arbeitsmarkt vorankommen und
unserer Volkswirtschaft helfen wollen, müssen wir unsere
Steuer- und Wirtschaftspolitik viel stärker auf die kleinen
und mittleren Betriebe, auf den Mittelstand ausrichten.
({35})
Dann müssen Sie endlich bereit sein, bei der Lohn- und
Einkommensteuerreform deren Anliegen in den Blick zu
nehmen.
({36})
Deswegen sage ich: Ziehen Sie die Entlastung durch die
Senkung der Einkommensteuer vor! Gehen Sie endlich an
eine grundlegende Vereinfachung und Entbürokratisierung unseres Steuerrechts! Folgen Sie den Überlegungen
von Professor Kirchhof, den Ideen von Friedrich Merz
und Gunnar Uldall, den Ideen der Union!
({37})
Wenn Sie jetzt die Kraft zu einer wirklichen Steuerreform hätten, die allen Bürgern und nicht nur denjenigen
dient, die von der Körperschaftsteuer betroffen sind, wäre
das das entscheidende Signal für eine Verbesserung der
wirtschaftlichen Lage.
({38})
Sie müssen dafür sorgen, dass der Arbeitsmarkt wieder atmen kann. Sie müssen mithelfen, die Beschäftigungskrise
zu überwinden, statt die Arbeitslosenstatistik zu frisieren.
({39})
Die Gesetzesnovelle zum Betriebsverfassungsgesetz
ist rückwärts gewandt: ein Mehr an Regulierungen, ein
Mehr an Bürokratie. Ein wirklicher Beitrag zu Deregulierung des Arbeitsmarkts wäre die Zusammenlegung von
Arbeitslosen- und Sozialhilfe, wie dies die Union vorgeschlagen hat. Handeln Sie hier und folgen Sie denen, die
Sie - auch aus befreundeten Kreisen - fragen: Wo bleibt
eigentlich der Mut dieser Regierung zu den angekündigten Reformen?
Angekündigt hat die Regierung Schröder eine mutige,
eine auf Modernisierung gerichtete, eine liberale, eine
der Marktwirtschaft verpflichtete Wirtschaftspolitik.
Geschafft haben Sie außer der sicher richtigen Reform
der Körperschaftsteuer und dem richtigen Ansatz, etwas
bei der privaten Altersvorsorge im Rahmen der Rentenversicherung zu machen, keine wirkliche strukturelle
Reform. Sie haben mit dem Betriebsverfassungsgesetz,
mit dem 630-Mark-Gesetz und mit dem Scheinselbstständigkeitsgesetz in Wahrheit mit einer Re-Regulierung
der deutschen Volkswirtschaft begonnen. Sie machen
dasselbe bei den Telekommunikations-, Gas- und Energiemärkten.
Sie haben jetzt, in einer sich verschlechternden Wirtschaftslage, nur noch wenige Monate Zeit zum Handeln.
Wir fordern Sie auf: Haben Sie endlich die Kraft für eine
moderne Wirtschaftspolitik! Denn ich garantiere Ihnen eines: Lange werden sich weder der Bundeskanzler und der
Bundesfinanzminister noch der Bundeswirtschaftsminister - soweit er überhaupt Politik machen will - noch wegducken können. Wir werden Sie stellen und Sie werden
sich in den kommenden anderthalb Jahren bis zur Wahl
pausenlos mit diesem Thema beschäftigen müssen. Sie
werden spüren, dass Sie dann, wenn Sie nicht den besseren Alternativen der Union entsprechend handeln, in die
Defensive geraten. Reden Sie sich die Lage nicht mit den
demoskopischen Daten des Mai, Juni 2001 schön, sondern nehmen Sie die wirtschaftlichen Daten wahr. Handeln Sie danach! Dann würden Sie auch unsere Unterstützung bekommen.
({40})
Ich erteile
dem Kollegen Werner Schulz für die Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kollege Wissmann, wir müssen uns nicht gegenseitig belehren und in der Sorge um die Wirtschaftsentwicklung
übertreffen. Die Inflationsrate im Mai dieses Jahres von
3,5 Prozent ist deutlich zu hoch. Das ist keine Frage. Die
Wachstumsprognosen sind nicht optimal. Auch die allgemeine Konjunkturlage in Deutschland und in der Welt
könnte besser sein. Darin stimmen wir sicherlich überein.
Aber es besteht kein Grund - wie das auch im Frühjahrsgutachten der Forschungsinstitute steht -, deswegen in
hektischen Aktionismus zu verfallen. Ich glaube, auch in
der Opposition trägt man Verantwortung. Die besteht meines Erachtens darin, dass man sich nicht in der Dramatisierung der Verhältnisse übt. Das wird uns hier nicht weiterbringen.
Betrachten wir also nüchtern die Fakten: Ob wir im
Moment ein Wirtschaftswachstum von 2 oder 2,3 Prozent
haben, kann keiner genau sagen. Wir erleben, dass sich die
Jahresprognosen der Institute im Wochenrhythmus
ändern. Da sind viele Unwägbarkeiten mit dabei.
Entscheidend ist, festzustellen, wo dieses Wirtschaftswachstum stattfindet. In der verarbeitenden Industrie - da
können wir zufrieden sein - haben wir ein Wirtschaftswachstum von 6 Prozent. Gerade in der verarbeitenden Industrie in den von Ihnen, Herr Wissmann, angesprochenen neuen Bundesländern ist das Wirtschaftswachstum
noch besser.
Man sollte einmal die Not leidende Bauindustrie, die
sich in einer Strukturkrise befindet, außer Acht lassen. Die
ist ja nicht naturgegeben. Die haben wir vielmehr von Ihnen geerbt. Hier sind Überkapazitäten aufgebaut worden.
({0})
- Herr Uldall, vor allen Dingen im Wohnungsbau sind im
Rahmen eines einzigartigen Baubooms Überkapazitäten
aufgebaut worden,
({1})
was, wie gesagt, zu großen Fehlallokationen von Kapital
geführt hat. Hiermit sind eine ganze Menge anderer Probleme verbunden.
Wenn wir das ausblenden, was in der Bauindustrie in
sicherlich tragischer Weise stattfindet, dann erkennt man,
dass das Wirtschaftswachstum eigentlich gar nicht so
schlecht ist. Es ist überhaupt kein Niedergang festzustellen, sondern das, was man in entwickelten Industriestaaten normalerweise erlebt: ein Strukturwandel. Auf der
einen Seite ein Branchenschrumpfen und auf der anderen
Seite ein Branchenwachsen, also das, was wir erreichen
wollen. Das, was wir gerade in einer Schlüsselindustrie,
in der Energiewirtschaft, erreicht haben - das sollten Sie
sich einmal vorurteilsfrei anschauen -, ist bahnbrechend.
Eine Steigerung des Bruttoinlandsproduktes um 2 Prozent ist also auf der einen Seite ein durchaus guter Wert
für ein entwickeltes Industrieland. Wir können uns in dieser Hinsicht überhaupt nicht mit Portugal oder Irland
vergleichen, die ihre Wachstumsraten von einem ganz anderen Niveau aus erzielt haben. Das ist für ein entwickeltes Industrieland, wie es Deutschland ist, nicht möglich.
Auf der anderen Seite erleben wir eine weltweite Konjunkturdämpfung; das dürfen wir nicht vernachlässigen.
Der Welthandel hat sich von 12 auf 7 Prozent verringert.
Das Weltsozialprodukt ist von 4,8 auf 3 Prozent gefallen
und das Wirtschaftswachstum der USA von 5 auf jetzt
1,3 Prozent. Das geht natürlich an keinem Exportland
spurlos vorbei. Europa, ganz besonders Deutschland, ist
davon betroffen. Hier geht also, wenn man so will, ein
Aufschwung zu Ende. Aber dies ist keine ausgeprägte
Konjunkturschwäche; auch das stellen die Institute in
ihren Frühjahrsgutachten fest.
Herr Brüderle - um Ihnen das zu sagen -, wer in diesem Zusammenhang von Stagflation spricht, der redet
wirklich Unsinn.
({2})
Der hat sich offenbar die Aufforderung „Trink, trink,
Brüderle trink!“ zu Eigen gemacht und zu tief ins Glas anstatt in die Prognosen geschaut.
({3})
Was Sie da tun, ist nun wirklich Panikmache. Es ist mit
nichts gerechtfertigt.
({4})
- Ich rede nicht schön.
({5})
Die Maiinflationsrate ist zwar hoch; das ist schon bedenklich. Aber man muss diese Entwicklung genau analysieren. Denn es sind vor allen Dingen externe Faktoren,
die hier zu Buche schlagen: Es sind in erster Linie die
gestiegenen Rohölpreise
({6})
und es ist weniger die Ökosteuer. Das weiß man auch auf
F.D.P.-Seite. Ich kann mich gut daran erinnern, dass Herr
van Essen und Herr Solms kurz vor Ostern im Fernsehen
die Ölkonzerne wegen ihrer Preisabsprachen und ihrer
Preistreiberei angeprangert und darauf hingewiesen haben, dass die Konzerne die Feiertage nutzen, um die Benzinpreise hoch zu treiben, und dass deswegen das Kartellamt eingeschaltet werden sollte. Da ging es nicht um die
Ökosteuer. Sie sollten sich schon entscheiden, ob die Ökosteuer oder die Ölkonzerne die Benzinpreise hoch treiben.
({7})
Zweitens gibt es den Faktor der höheren Nahrungsgüterpreise. Sie stiegen um 5 Prozent bis 9 bzw. 10 Prozent, bedingt natürlich durch die Krisen, die wir hier erlebt haben: BSE, MKS und eine über Jahre hinweg
fehlorientierte Landwirtschaftspolitik, die wir jetzt auszugleichen haben. Das schlägt auf die Verbraucherpreise
durch. Bei den Lederwaren werden wir das demnächst erleben.
Aber wenn man die Kerninflationsrate betrachtet,
wenn wir also einmal die Energiepreise und die Nahrungsmittelpreise herausrechnen, dann liegen wir bei einer Inflationsrate von etwa 1,5 Prozent. Das heißt, hier
liegt eine Besonderheit vor, auf die wir uns konzentrieren
müssen. Auch die Institute sagen, die jetzige Inflationsrate sei vorübergehend. Im Herbst werde sie wieder niedriger sein.
({8})
Wir haben natürlich - und das ist beruhigend - in den
letzten zweieinhalb Jahren durch unsere Politik enorm gegengewirkt. Wir haben eine Haushaltskonsolidierung in
Gang gesetzt, die diesen Namen wirklich verdient. Wir haben eine solide Finanzpolitik, die in die Zukunft gerichtet
ist. Wenn man sieht, was wir übernommen und in dieser
Hinsicht durch einen einzigartigen Kraftakt geschafft haben und demnächst fortführen werden, dann gibt es keinen
Grund - das hat Kollege Poß hier ausgeführt -, von diesem
Kurs abzuweichen. Das schafft ja gerade Vertrauen in die
Haushaltspolitik, in die staatliche Politik. Wir werden an
dieser Haushaltssanierung festhalten.
Nehmen wir die Steuerreform - ich nenne nur Stichworte -: Wir haben über sämtliche Tarife hinweg eine
große Entlastung durchgeführt. Wir haben den Eingangssteuersatz gesenkt, den Spitzensteuersatz gesenkt, den
Grundfreibetrag erhöht, das Kindergeld erhöht und dergleichen mehr. Es hat ja enorme Entlastungen gegeben,
um die Kaufkraft zu verbessern, sodass selbst diese Inflationsrate von 3,5 Prozent aufs ganze Jahr gerechnet
- wenn man sie einmal unterstellen würde - nicht durchschlagen würde, weil sich das Nettoeinkommen der Familien gegenüber 1998 eben fühlbar erhöht hat.
({9})
Das sind Fakten, die uns mit Optimismus in die Zukunft
schauen lassen.
Auch an der Lohnpolitik - die übrigens im Frühjahrsgutachten gelobt wird, weil wir moderate Abschlüsse gehabt haben - sollte festgehalten werden. Ich kann nur
empfehlen, angesichts der Arbeitslosigkeit an dem
Grundprinzip festzuhalten, dass die Lohnentwicklung an
die Produktivitätsentwicklung gekoppelt werden muss.
Vielleicht lernt die Opposition auch noch den Wert des
Betriebsverfassungsgesetzes schätzen. Hoffentlich machen nicht solche Beispiele wie der Pilotenstreik der Vereinigung Cockpit Schule: dass sich eventuell Spezialisten
mit Extra- und Separatforderungen durchsetzen und den
sozialen Frieden in unserem Land gefährden. Ich glaube,
es gibt gute Gründe, die Betriebsräte in dieser Hinsicht zu
stärken, um die Lohnpolitik auf diese Weise nach wie vor
gerecht und übersichtlich zu gestalten.
Wenn man dieser Regierung vorwirft, dass sie keine
Veränderungen, keine Reformen vorgenommen hätte,
dann will ich nur Stichworte nennen: Rentenreform, Agrarreform, die wir eingeleitet haben, Bundeswehrreform, Justizreform. Es ist eine Masse an einzelnen Schritten und
Maßnahmen durchgesetzt worden. Vielleicht muss man im
Gegenteil eher aufpassen, dass es nicht zu viel wird.
Ich frage mich manchmal, ob es neben dem Phänomen
des Phantomschmerzes - also einem Schmerzempfinden
Werner Schulz ({10})
in Gliedern, die man nicht mehr besitzt - in der Opposition vielleicht auch so etwas wie einen Phantomdruck
gibt. Das heißt, man hat die Macht verloren und empfindet den selbst erzeugten Reformstau noch. Vielleicht gibt
es so etwas wie Phantomdruck, den Sie hier empfinden,
sodass Sie diese Reformen, die wir eingeleitet haben, gar
nicht wahrnehmen.
Kollege Wissmann, ich habe mir Ihre Vorschläge im
Einzelnen angeschaut. Da findet man alles Wünschenswerte. Es ist ein breiter Katalog. Sie wollen die Steuerreform vorziehen. Komischerweise finden Sie jetzt gar
nichts Schlimmes mehr an dieser Steuerreform. Ich frage
mich, warum Sie sie im Bundestag abgelehnt haben. Jetzt
kann es Ihnen nicht schnell genug gehen.
({11})
Im Grunde genommen haben Sie an dieser Steuerreform
nichts mehr auszusetzen. Das ist jetzt alles in Ordnung,
nur ein Jahr früher sollte das Ganze kommen.
({12})
- Ja, er hat die Unternehmensteuerreform gelobt; das ist
richtig.
Dann wollen Sie die Ökosteuer abschaffen. Das ist eine
populäre Forderung. Und es soll der Soli abgeschafft werden. Das ist die Forderung von Herrn Waigel. Wie Sie
dann den Solidarpakt II finanzieren wollen, bleibt im Nebel. Es soll keine Änderung der Erbschaftsteuer geben,
aber eine Entlastung des Mittelstandes und eine Infrastrukturoffensive. All das sind Forderungen, die in Ihrem
Antrag stehen; grob gerechnet 60 oder 90 Milliarden DM,
die Sie ausgeben wollen, und das in einem Staatshaushalt,
der wirklich angespannt ist. Das ist schon kräftiger als
das, was George Bush macht. Es ist kräftig aufgepuscht,
was Sie da vorschlagen.
Ich will im Zusammenhang mit der Ökosteuer sagen
- weil das ein beliebtes Thema ist, auf dem Sie immer herumreiten -: Es wäre fatal - in diesem Moment vor allem
klimapolitisch fatal -, von der Ökosteuer gerade jetzt abzurücken, wo wir die ersten Lenkungseffekte nachweisen
können, wo uns Analysen des DIW ganz klar sagen: Es
gibt Effekte auf dem Arbeitsmarkt, es gibt eine Verringerung des Energieverbrauches, es gibt eine Verringerung
der CO2-Emissionen. Es ist also ein wirklich bewährtes
Instrument, das wir eingeführt haben. Es ist ein Instrument für den ökologischen Strukturwandel. Es ist ein Instrument, das vor allem an dem Leitbild einer ökologischsozialen Marktwirtschaft festhält.
({13})
Von diesen Begriffen redet hier kaum noch jemand. Sie
reden von moderner Wirtschaftspolitik. Aber was ist das?
Was kann eine moderne Wirtschaftspolitik anderes sein
als ökologisch-soziale Wirtschaftspolitik?
Kollege Wissmann, ich prophezeie Ihnen - in diesem
Land der späten und nachträglichen Anerkennung -: So
wie man den Grünen bescheinigt hat, dass es sehr wichtig
war, die Ökologie, den Umweltschutz in die Politik einzuführen, wird man den Bündnisgrünen in einigen Jahren
bescheinigen, dass es sehr wichtig und vor allem bahnbrechend war, das Prinzip der Nachhaltigkeit und der Ressourcenproduktivität in die praktische Wirtschaftspolitik
einzubinden. Das haben wir getan. Darin liegen der Erfolg
und die Zukunftsfähigkeit der jetzigen Wirtschaftspolitik.
({14})
Für die
Fraktion der F.D.P. spricht nun der Kollege Rainer
Brüderle.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als ich vor einigen Wochen an dieser
Stelle die Wachstumsprognose der Bundesregierung von
knapp 3 Prozent anzweifelte, wurde ich insbesondere von
den Grünen - von Ihnen, Herr Schulz, heute auch - als
Miesmacher beschimpft.
({0})
Heute wissen wir: Nicht ich bin es, Sie sind die Miesmacher. Sie machen so miese Wirtschaftspolitik, dass Sie
selbst die dramatisch nach unten korrigierten Wachstumsvorhersagen des Frühjahrsgutachtens von 2 Prozent nicht
mehr erreichen; diese sind schon Makulatur.
({1})
Die Sozialdemokraten sollten in der Regierungskoalition Acht geben, dass sie nicht zusammen mit den Grünen
auf deren altes grünes Traumziel von null Wachstum hinarbeiten. Ich bin mir sicher, viele Grüne empfinden klammheimlich Freude beim Resultat ihrer eigenen Bremspolitik.
Das Geschäftsklima wird frostiger. Das Konsumentenvertrauen nimmt ab. Die Einzelhandelsumsätze bleiben niedrig. Die Exportkonjunktur stockt. Die Baukrise weitet sich
dramatisch aus. Die fünf Wirtschaftsweisen sehen beim
Wachstum schon die Eins vor dem Komma. Konjunkturforscher sagen Ähnliches. Einige Bankvolkswirte sprechen
schon von 1,3 Prozent Wachstum.
({2})
Dazu kommt der Preisauftrieb von 3,5 Prozent. An dem
trägt die Bundesregierung eine Mitschuld, weil sie mit der
Ökosteuer und der Subventionierung von grünem Strom
die Preise auf die Spitze treibt.
({3})
Die Euro-Schwäche erreicht einen neuen Tiefpunkt
und facht zusätzlich die Inflation an, wie vergangene Woche der Bundesbankpräsident, Ernst Welteke, bestätigte.
Auch hier steht die Bundesregierung in der Verantwortung. Als größte Volkswirtschaft Europas dümpelt
Deutschland immer noch auf dem letzten Platz in der
Euro-Zone herum. Selbst die „New York Times“ stellt
fest, dass die Schwäche Deutschlands mittlerweile den
ganzen Euro-Raum nach unten zieht.
({4})
Werner Schulz ({5})
Das zeigt: Auch im Ausland wird der Ruf Deutschlands
als große Wirtschaftsnation immer mehr beschädigt. So
wird das Vertrauen in die europäische und insbesondere
die deutsche Wirtschaft nicht gestärkt.
Herr Schulz, das ist keine Erfindung der F.D.P.
({6})
In der „Zeit“ dieser Woche - Herausgeber ist Herr
Naumann, vor kurzem noch Minister der rot-grünen Regierung - heißt es im Leitartikel des Chefredakteurs:
Wachstum sinkt, Arbeitsmarkt hinkt, Schröder stellt
sich blind.
Das reimt sich sogar.
({7})
Das steht im Leitartikel der „Zeit“; das ist keine Erfindung
von mir.
Solange sich an all dem nichts ändert, wird der Euro
schwach bleiben. Ein gutes halbes Jahr vor der Bargeldeinführung ist dies kein positives Signal für die Bürger.
Ich wiederhole meine Warnung aus der Aktuellen
Stunde vom Mittwoch: Die fatale Mischung aus Wachstumsschwäche und Geldentwertung birgt die Gefahr einer
Stagflation. Ich sage jetzt in aller Ruhe: Wenn die Bundesregierung nicht eine Kurswende einleitet, verstärkt sie
diese stagflationären Tendenzen in Deutschland.
({8})
Durch Gesundbeten, Schönreden und dadurch, dass Sie
die Schuld bei den Scheichs, den Amerikanern, der Europäischen Zentralbank oder sonst wo suchen, machen Sie
die Lage nicht besser. Der Bundeskanzler betont gern,
Wirtschaftspolitik sei zu 50 Prozent Psychologie. Aber
Wirtschaftspolitik ist nur dann zu 50 Prozent Psychologie,
wenn die anderen 50 Prozent ordentlich gemacht werden.
Ordentlich werden sie nicht gemacht.
({9})
Stichwort betriebliche Mitbestimmung: Dem Mittelstand wird eine Zusatzlast von 1 bis 2 Milliarden DM aufgebürdet. In der Gesetzesbegründung heißt es, man müsse
den Nutzen aus dem Betriebsfrieden gegenrechnen. Das
zeugt von absolutem Realitätsverlust. Die Bundesregierung tut so, als ob in jedem Mittelstandsbetrieb der
Kriegszustand herrscht. Jeder vernunftbegabte Politiker
müsste eigentlich wissen: In kleinen und mittleren Firmen
werden viele Probleme auf dem kleinen Dienstweg gelöst.
Grün-Rot will eine gewachsene Struktur verbürokratisieren. Resultat: Die Reform der Mitbestimmung wird für
den Mittelstand nicht nur ein Kostenfaktor, sondern ein
Auftragskiller und kein Friedensengel sein.
({10})
Stichwort Zwangspfand: Es wird für Handel und
Kunden eine Zusatzlast von bis zu 4 Milliarden DM bis
zur Einführung und eine halbe Milliarde DM in jedem
weiteren Jahr mit sich bringen. Einen ökologischen Sinn
hat diese kostenträchtige Maßnahme nicht. Sie dient nur
zur Befriedung der Zwangspfandneurose eines längst
sturmreif geschossenen, ideologisch geführten Umweltministeriums.
({11})
Stichwort Verlängerung des Postmonopols: Es bedeutet eine Zusatzbelastung von 7 Milliarden DM plus der gestrandeten Investitionen von potenziellen Wettbewerbern.
Doch das Herz von Monopolminister Müller schlägt eben
nicht für Wettbewerb und Wirtschaftswachstum. Ich frage
mich: Ist Herr Müller noch im Amt? Ich sehe ihn nicht im
Bundestag. Heute ist eine wichtige Debatte über den Jahreswirtschaftsbericht, aber Herr Müller ist nicht da. Interessiert ihn nicht mehr, was der Bundestag in Deutschland
macht? Ich finde das sehr merkwürdig.
({12})
- Dann wäre es doch ein Hochgenuss, den Geburtstag mit
uns zu verbringen. Gibt es etwas Schöneres, als mit mir
über Wirtschaftspolitik zu diskutieren? Er beschädigt sich
dadurch eher selbst.
({13})
Herr Müller brüstet sich gerne mit den Liberalisierungserfolgen bei der Telekommunikation und auf dem Energiesektor. Doch die Liberalisierung hat Günter Rexrodt
gegen erheblichen Widerstand aus dem roten Lager durchgesetzt. Seit Monopolminister Müller Wirtschaftsminister
ist, wird die Uhr zurückgedreht. Von den gut 15 Milliarden DM Entlastungen aus der Rexrodt-Liberalisierung hat
der Monopolminister bereits 12,5 Milliarden DM mit Ökosteuer und Ökoumlagen wieder verfrühstückt.
„Was für den Winzer die Reblaus ist, ist der Bundeswirtschaftsminister für die deutsche Wirtschaft.“
({14})
Das ist kein Zitat von mir, sondern das Zitat eines IHKPräsidenten. Es ist selten, dass die Wirtschaft ihren Minister so hart angeht. Die Wirtschaft sieht jedoch deutlich,
dass der Monopolminister Müller wenig für Markt, Wettbewerb und Dynamik übrig hat. Er steht für Monopolpolitik, Stillstand und Staatswirtschaft.
Die Wachstums- und Wettbewerbspartei F.D.P. wird erfolgreich dafür kämpfen, dass Herr Müller seine Drohungen an die deutsche Wirtschaft, für eine zweite Amtszeit
zu kandidieren, nicht verwirklichen kann. Bis dahin fordere ich Herrn Müller auf: Lassen Sie den wirtschaftspolitischen Unfug mit der Mitbestimmung, lassen Sie den
Unfug mit dem Zwangspfand, lassen Sie den Unfug beim
Postmonopol!
({15})
Wenn Herr Müller ganz mutig wäre, würde er weitere
Erleichterungen durchsetzen. Doch ich befürchte, auf
seine Vorschläge zur Bekämpfung des Abschwungs
werden wir vergeblich warten müssen. Hier mein Vorschlag: Ich fordere von der Bundesregierung ein Blitzprogramm gegen die stagflationären Tendenzen.
Erstens. Ich fordere die sofortige Senkung der Einkommen- und Körperschaftsteuer. Dazu ist gemäß dem
Stabilitäts- und Wachstumsgesetz von Karl Schiller nur
eine Rechtsverordnung notwendig. Mittelfristig braucht
Deutschland eine Steuerreform II mit niedrigen Steuersätzen und transparenter Bemessungsgrundlage.
({16})
Zweitens. Ich fordere den Verzicht auf die nächste
Stufe der Ökosteuer. Der doppelte Kaufkraftentzug aus
Steuerbelastung und Preistreiberei muss gestoppt werden.
({17})
Drittens. Ich fordere eine Senkung der Arbeitslosenbeiträge um einen Prozentpunkt zum 1. Juli dieses Jahres.
Das entlastet die Beitragszahler um gut 13 Milliarden DM, senkt die Lohnnebenkosten und steigert die Nettoeinkommen der Verbraucher. Wir haben eine Nachfrageschwäche. Dagegen kann man konkret etwas tun.
({18})
Viertens. Ich fordere den kompletten Verzicht auf die
Verschärfung der Abschreibungsbedingungen. 3,5 Milliarden DM Mehrbelastung sind Gift für notwendige Investitionen.
({19})
Die akuten Probleme der deutschen Konjunktur treffen
die Arbeitslosen besonders hart. Der Kanzler hat zuerst
versprochen, die Zahl der Arbeitslosen auf 3 Millionen zu
senken, dann hat er die Zahl auf 3,5 Millionen korrigiert.
Versprechen kann sich jeder einmal. Angesichts der Wirtschaftsflaute und der Untätigkeit der Bundesregierung ist
selbst dieses Minimalziel von 3,5 Millionen mit „legalen“Mitteln nicht mehr zu erreichen.
Die Bundesregierung verteilt lieber Heftpflästerchen.
Das geplante „Job-Aqtiv-Gesetz“ taugt nicht mehr als
Wahlkampfgag. Dass die Bundesregierung jetzt eine Statistiktrickserei beginnen will, grenzt geradezu an eine
Verzweiflungstat.
({20})
Verwenden Sie Ihr Hirnschmalz lieber auf die längst fälligen Strukturreformen auf dem Arbeitsmarkt statt auf das
Frisieren von Arbeitsmarktzahlen! Deutschland braucht
endlich mehr Mut auf dem Arbeitsmarkt, sonst beseitigen
wir die Arbeitsmarktprobleme nie. Ich frage die Bundesregierung: Wo bleibt die Flexibilisierung des Flächentarifvertrages? Wo bleibt das Aufbrechen des Tarifkartells?
Wo bleibt die Schaffung eines Niedriglohnsektors?
({21})
Wo bleibt die striktere Handhabung des Lohnabstandsgebots zwischen Sozialhilfe und Erwerbseinkommen? Wo
bleiben die Kombieinkommen, die bessere Hinzuverdienstmöglichkeiten für Sozialhilfeempfänger zulassen?
Wo bleibt die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe
und Sozialhilfe?
Eines frage ich Herrn Schlauch ganz persönlich: Wo
bleibt die Ausweitung des Günstigkeitsprinzips für die
Beschäftigungssicherung, damit in Not geratene Betriebe
und Unternehmen Arbeitsplätze retten können? Herr
Schlauch hat kürzlich behauptet, solche Pläne seien derzeit politisch nicht durchsetzbar. Stillschweigend hat er
damit den Sozialdemokraten Unbeweglichkeit vorgeworfen. Die grünen Fundis sind aber die eigentlichen Bremser. Wie es anders geht, sehen Sie in Rheinland-Pfalz, wo
die Sozialdemokraten zusammen mit der F.D.P. regieren.
Dort wurde vereinbart, das Günstigkeitsprinzip zu überprüfen, und zwar mit dem Ziel, es zu ändern.
({22})
Das zeigt zum wiederholten Male, dass die Grünen
Bremskraftverstärker sind. Notwendig ist aber ein Turbo
und keine grünen Bremser. Sie sehen auch: Dort, wo die
F.D.P. auf Länderebene mitregiert, liegt die Arbeitslosigkeit deutlich unter dem Durchschnitt der westdeutschen
Bundesländer; dort, wo die Grünen mitregieren, liegt sie
oberhalb des Bundesdurchschnitts. Das ist der konkrete
Praxistest dieser Bundesregierung.
({23})
Die Bevölkerung hat die schwache Wirtschaftspolitik
der Grünen genau registriert. Gerade einmal ein Hundertstel ihrer Wähler billigt den Grünen Wirtschaftskompetenz
zu, wie aus ihrer eigenen Auftragsstudie hervorgeht. Das
zu Recht: Null Wachstum, null Ahnung, null Arbeitsplätze, aber für einen Liter Benzin fünf Mark fordern - so
sieht grüne Wirtschaftspolitik aus. Damit können Sie die
Arbeitslosigkeit in Deutschland nicht beseitigen. Es wird
nur dann aufwärts gehen, wenn Sie den Mut haben, eine
Korrektur Ihrer Politik vorzunehmen.
Wenn Sie so weitermachen wie bisher, dann ist die Gefahr, Herr Schulz, in der Tat groß, dass Stagnation in
Deutschland einziehen könnte. Ich wünsche uns das nicht,
aber es ist unsere Pflicht als Opposition, rechtzeitig darauf
hinzuweisen und öffentlich zu sagen: Machen Sie nicht so
weiter! Die Leidtragenden sind die tüchtigen und anständigen kleinen Leute. Es sind die, die draußen stehen und
auf eine Chance auf einen Arbeitsplatz warten. Es sind
Menschen, die Angst um ihren Arbeitsplatz haben. Sie
sind Opfer, wenn nicht gehandelt wird, nur weil grüne
Ideologie Sie lähmt. Tun Sie was!
({24})
Zu einer
Kurzintervention erhält der Kollege Oswald Metzger das
Wort.
Lieber Kollege Brüderle, Sie müssen eine argumentative
Auseinandersetzung um die Wirtschaftspolitik etwas substanzvoller führen, wenn Sie hier reden.
({0})
Verschätzen können sich viele. Ich rufe in Erinnerung,
wie Ihre Fraktion - ebenso wie der Vorsitzende der
CDU/CSU-Fraktion Merz - im September letzten Jahres
dieser Regierung vorgeworfen hat, sie habe in ihrer Haushaltsplanung die Wachstumsraten für das Jahr 2001 zu gering angesetzt, sie werde damit Geld ansparen und den
Bürgern vorenthalten, die Nettokreditaufnahme nicht entsprechend stärker reduzieren und die Steuern nicht ausreichend senken. Heute hinken Sie, die Sie uns damals
höhere Wachstumsraten aufs Auge drücken wollten, der
Entwicklung hinterher, indem Sie sagen, wir hätten jetzt
schlechtere Wachstumsraten als prognostiziert.
({1})
- Doch, Herr Schauerte, es ist korrekt. Sie sollten einmal
ganz ruhig die Fakten betrachten.
({2})
Ich will folgende Botschaft senden: Die F.D.P. - ich
reagiere auf die Ausführungen des Kollegen Brüderle hat sich jetzt die Senkung des Beitrages zur Arbeitslosenversicherung auf die Fahnen geschrieben. Wissen Sie,
was Sie im Wahljahr 1998, als Sie zusammen mit Ihrem
damaligen Partner Kohl in Regierungsverantwortung waren, gemacht haben? Sie haben 350 000 „WahlkampfABM-Beschäftigungsverhältnisse“ finanziert, um die
Statistik - vor allem im Osten - für den Wahlkampf zu
schönen und um den Leuten etwas vorzumachen. Die Arbeitslosigkeit war nicht wirklich zurückgegangen; der
scheinbare Rückgang war staatlich finanziert.
({3})
Damals haben Sie den Beitragszahlern das Geld nicht in
der Tasche gelassen. Wir können innerhalb unserer Koalition in der Tat darüber diskutieren, ob wir die Arbeitslosenversicherungsbeiträge nicht im nächsten Jahr senken.
({4})
Ich finde, das ist ein gutes Signal beispielsweise an die Tarifpartner. Denn dann wüsste man, dass netto mehr in der
Tasche bleibt, sodass der Lohnrunde ein wenig Druck genommen wird. Das sind - keine Frage! - Argumente für
eine wirtschaftspolitische Diskussion.
Kollege Brüderle, wenn Ihre eigenen Bundesländer übrigens selbst Rheinland-Pfalz - im Bundesrat immer
dann, wenn es um Verhandlungen mit dem Bund geht, den
Sack zuhalten und - beispielsweise beim Familienleistungsausgleich - nicht mehr leisten wollen, können
Sie sich aber nicht, wenn es um die Einkommensteuer
geht, hinstellen und den großen „Versprechungsonkel“
machen. Das ist inkonsequent. Solidität verlangt, dass Sie
den Abbau der Staatsverschuldung mit politischen Maßnahmen wie Angeboten an die Wirtschaft kombinieren.
Das bedeutet: Senkung der Steuern, Senkung der Abgaben, Senkung der Staatsverschuldung. Wir sind auf diesem Weg; er ist Markenzeichen dieser Regierung. Das
werden Sie im dritten und vierten Quartal dieses Jahres
auch merken, wenn die Wachstumszahlen wieder vorsichtig nach oben gehen werden und die Dynamik der
Weltwirtschaft wieder zunimmt. Davon bin ich fest überzeugt; das ist keine Gesundbeterei.
({5})
Zur Erwiderung der Kollege Brüderle.
Herr Kollege Metzger,
zunächst einmal vielen Dank für die Kurzintervention.
Meine Redezeit war leider sehr begrenzt, sodass ich nur
einen Bruchteil von dem, was ich heute sagen wollte, auch
sagen konnte. Deshalb ist es fair, dass Sie mir diese Vorlage liefern.
({0})
- Herr Schulz, Sie sollten nicht ablenken. Die Lage
draußen ist ernst. Mit so billigen Sprüchen werden Sie
nicht auskommen.
({1})
Gerade in den neuen Bundesländern, in denen Sie immer so viel beklagen, sollten sie die Dinge ernst nehmen
und nicht mit Sprüchen überspielen. Es ist zu billig,
wenn Sie als Hofsänger der Bundesregierung auftreten;
Sie müssen sich schon mit den Sachen auseinander setzen.
Herr Metzger, die Veränderungen in den Trends waren
sehr wohl erkennbar. Es war ja nicht ein Blitzeinfall von
mir, dass ich erkannt habe, dass die Zahlen nicht erreicht
werden. Als die Projektion noch vorgetragen wurde, waren die Warnungen, dass sie nicht haltbar sei, von den Instituten, von Volkswirten aus Banken und Research-Abteilungen, schon längst da. Obwohl es erkennbar war,
wurde vor der Wahl an den Werten festgehalten, weil man
versuchte, die Diskussion zu vermeiden.
Es ist ganz typisch für Ihren Beitrag, dass alles rückwärts gewandt war. Sie kommen immer mit Ihren so genannten Erblastargumenten. Für mich ist das eine Erblastlüge.
({2})
Sie erzählen, was 1998, was 1996, was 1991 war. Für die
Wirtschaftshistoriker ist das hochinteressant, aber Sie
vergessen, dass Sie heute regieren und dass wir aktuelle
Probleme haben,
({3})
zum Beispiel weil die Bauwirtschaft im Osten zusammenbricht. Deswegen müssen Sie jetzt handeln und können nicht immer die Geschichte von Vorgestern erzählen;
damit kommen Sie wahrlich nicht über die Runden.
Sie, Frau Scheel und Frau Wolf, haben eine merkwürdige Rolle bei den Grünen: Sie werden immer vorgeschickt, um etwas Schönes - zum Beispiel, dass Sie eine
Abgabenentlastung von 13 Milliarden DM machen wollen;
aber das bekommen Sie nicht hin - zu erzählen. Zu den
630-Mark-Verträgen haben Sie zuletzt dieser Tage in einem
längeren Interview im Fernsehen gesagt, das sei ein
schreckliches Bürokratiemonster. Recht haben Sie! Aber
Sie haben doch die Hand gehoben und diesen Mist politisch
mit umgesetzt! Das ist Ihre Verantwortung und Schuld.
({4})
So können Sie nicht Politik betreiben. Bei den Mittelständlern erzählen Sie dann, wie schrecklich all das sei,
was die Regierung macht, und sagen, Sie seien nicht dabei gewesen, das seien nur die anderen gewesen, Sie wollten etwas ganz anderes und würden dafür kämpfen. Aber
in diesem Hause heben Sie die Hand und stimmen zu! Das
ist nicht aufrichtig; das ist keine redliche Politik. Ihre
Sprüche sind Tiger, die als Bettvorleger enden.
({5})
Machen Sie doch einmal etwas! Ich wäre dankbar, wenn
Sie die 630-Mark-Verträge vernünftig gestalten würden.
Ich weiß von zwei Fällen aus meinem Wahlkreis, dass es
unglaublich ist, was an Bürokratie und Unsinn hoch gezüchtet wurde.
({6})
Sie haben Recht, wenn Sie das kritisieren. Aber dann tun
Sie doch etwas! Stehen Sie auf, stimmen Sie dagegen und
werben Sie in Ihrer Fraktion dafür, dass sich etwas verändert!
Noch einige Sätze zur Steuerreform. Wenn Sie uns in
Rheinland-Pfalz vorwerfen, wir hätten dabei um Geld geschachert, halte ich Ihnen entgegen: Rheinland-Pfalz ist
das einzige Bundesland, das - ohne Gegenleistungen zu
fordern - ausschließlich für die Wiedereinführung des
halben Steuersatzes für den Mittelstand und damit gegen
eine schreiende Ungerechtigkeit gekämpft hat. Wir haben
nicht wie Berlin um ein Olympiastadion und Kultureinrichtungen gefeilscht, wir haben nicht wie Brandenburg
um Infrastruktur gefeilscht, wir haben nicht wie Bremen
um Geld gefeilscht. Die SPD/F.D.P.-Regierung des Landes Rheinland-Pfalz hat für die Bürger gekämpft und dabei niemanden abgezockt. Darin besteht der Unterschied
in der Politik, wenn wir mitregieren.
({7})
Ich bin überzeugt, dass Sie den Dialog in Kurzinterventionen fortsetzen könnten, aber das ist nun nicht mehr möglich.
Jetzt hat Frau Dr. Christa Luft für die Fraktion der PDS
das Wort.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Poß, der leider nicht
mehr im Saal ist, hat einzig dem Prinzip Hoffnung das
Wort geredet. Ich weiß genau, Optimismus ist in der Politik nicht unwichtig. Aber Sachlichkeit bei der Kenntnisnahme harter Fakten darf nicht als Miesmacherei abgestempelt werden, denn den Menschen, die uns heute
zuschauen und um deren Probleme es bei dieser Debatte
über Fragen der Wirtschaft geht - Wirtschaft soll im
Dienste der Menschen stehen -, wird das Prinzip Hoffnung als Antwort nicht ausreichen.
Herr Kollege Schulz hat sich wieder einmal als Meister
im Pirouettendrehen gezeigt.
({0})
Man kommt doch aber nicht umhin, festzustellen, dass
kaum ein anderer Jahreswirtschaftsbericht der letzten Dekade in seinen wichtigsten Eckdaten so rasch überholt war
wie dieser. Damit ist dem in diesem Bericht von der
Regierung angebotenen Reformvorhaben weitestgehend
die Basis entzogen.
Ich nenne das prognostizierte Wirtschaftswachstum Fehlanzeige. Damit aber ist die Annahme der Regierung
obsolet, vor allem ein robustes Wachstum, wie es wörtlich
im Jahreswirtschaftsbericht heißt, bringe einen Beschäftigungszuwachs hervor.
Ich nenne die prognostizierte Teuerungsrate - glatte
Fehlanzeige. Gegenwärtig beläuft sich die Inflationsrate
auf 3,5 Prozent. Das führt zu realen Einkommensverlusten bei der Bevölkerung und schwächt die Binnenkaufkraft, von der aber nach Ihrer Auffassung - und diese Auffassung ist richtig - Impulse ausgehen sollten.
Nehmen wir schließlich die Arbeitslosenzahlen. Hier
verheißt der Jahreswirtschaftsbericht 2001, die Zahl der
Arbeitslosen werde um 270 000 abnehmen und damit im
Jahresdurchschnitt nur noch wenig über 3,5 Millionen liegen. - Fehlanzeige; es gibt immer noch 3,9 Millionen Arbeitslose. Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im Osten ist gegenüber April 2000 sogar um
70 300 zurückgegangen. In vielen Branchen droht weiterer Arbeitsplatzabbau - nicht nur in der Bauwirtschaft, die
hier immer wieder angeführt wird.
Schon diese wenigen Beispiele müssten doch bei der
Regierung zu dem Schluss führen, dass das, was im Jahreswirtschaftsbericht als Reformvorhaben gepriesen
wird, den Gegebenheiten und Erfordernissen nicht gerecht wird.
({1})
Es erweist sich als untaugliche, weil unsichere Strategie, als Grundlage für die Arbeitsplatzschaffung einseitig
auf hohes Wirtschaftswachstum zu setzen. Dies muss
durch andere Maßnahmen flankiert werden. Dafür reicht
das, was in den nächsten Wochen vor der Sommerpause
angeboten werden soll, nicht aus: die Ausdehnung von
Leiharbeit, die Einführung der Jobrotation, die verbesserte Zusammenarbeit von Sozialamt und Arbeitsamt.
Kollege Brüderle strebt sogar die Ausdehnung des Niedriglohnsektors an.
Ich kann nur sagen: Wer aus dem Osten kommt, der
weiß, dass fast der ganze Osten ein Niedriglohnsektor ist.
Wie man darauf kommt, diesen Sektor noch ausdehnen zu
wollen, ist mir völlig schleierhaft. Man darf auch einmal
daran erinnern, dass ein Drittel der 80 Millionen Bundesbürger schon heute weniger als die Hälfte des Durchschnittseinkommens zur Verfügung hat. Mir fehlt also
wirklich jegliches Verständnis dafür, wenn solchen Strategien das Wort geredet wird.
Wir fordern zum Beispiel als flankierende Maßnahme,
das Arbeitszeitgesetz zu novellieren und die wöchentliche
Höchstarbeitszeit auf 40 Stunden zu beschränken. Das
wäre ein substanzieller Beitrag zum Abbau von Überstunden gewesen. Wir haben diesbezüglich bereits einen
Antrag in den Deutschen Bundestag eingebracht.
({2})
Wir fordern seit Jahren, für arbeitsintensive Dienstleistungen einen niedrigeren Mehrwertsteuersatz in Anwendung zu bringen. Das würde vor allem dem Reparaturhandwerk Auftrieb geben. Wie man lesen kann, sieht das
Handwerk ja wieder schwarz.
({3})
Ich wundere mich schon, dass CDU/CSU und F.D.P., die
sich sonst so stark für Steuersenkungen besonders für
kleine und mittlere Unternehmen einsetzen, unserem Antrag nicht folgen wollen.
Wir fordern, die Vergabe von Fördermitteln in geeigneter Weise an Beschäftigungseffekte zu binden. Öffentliches Geld darf in der privaten Wirtschaft nicht unkonditioniert als verlorener Zuschuss versickern.
({4})
Das ist wichtiger, finde ich, Herr Kollege Wissmann, als
- bezogen zum Beispiel auf Mecklenburg-Vorpommern den Abbau der aktiven Arbeitsmarktpolitik zu fordern. Es
ist doch niemand ein Fan von ABM und SAM. Vielmehr
möchte jeder einen gesicherten Arbeitsplatz auf dem ersten Arbeitsmarkt haben. Aber dafür wäre eine Voraussetzung, dass man die vielen Fördergelder, die in die private
Wirtschaft fließen, nicht als verlorene Zuschüsse versickern lässt. Vielmehr muss man, wie gesagt, die Vergabe
der Fördermittel an Beschäftigungseffekte binden.
Auch die Erwartung, dass massive Steuerentlastungen von den Unternehmen mit Erhöhung der Investitionen und einem Beschäftigungschub beantwortet würden,
hat sich nicht erfüllt. Wo ist die Gegenleistung der Konzerne, die Beteiligungen steuerfrei veräußern dürfen?
Fehlanzeige!
({5})
Wo ist die Gegenleistung für den gesenkten Körperschaftsteuersatz? Schon die Kohl-Regierung hatte mit ihrer Strategie, die Steuern zugunsten der Unternehmen zu
senken, nicht den erwarteten Erfolg. Aber Rot-Grün setzt
diesen Weg fort und muss nun die gleichen Erfahrungen
machen. Steuersenkungen sorgen nicht automatisch für einen Beschäftigungsschub. Ich frage mich, welche belastbaren Daten Union und F.D.P. eigentlich für den
Zusammenhang von Steuerentlastungen und Beschäftigungsschub haben. Ein Vorziehen der nächsten Steuerreformschritte würde vor allem größere Löcher in die Kassen
der öffentlichen Haushalte reißen und großen Unternehmen
noch mehr Anlagen auf den Finanzmärkten oder im Immobiliengeschäft ermöglichen. Aber kleine und mittlere Unternehmen stellen nicht schon deshalb mehr Personal ein,
weil die Steuern gesenkt werden. Sie brauchen vor allen
Dingen Absatzchancen. Aber diese sind sehr rar.
Wenn schon an der Steuerschraube gedreht wird, dann
gilt es einen Modus zu finden, der beschäftigungsschaffende Initiativen von Unternehmen belohnt und der umgekehrt, wie es in Frankreich der Fall sein wird, Massenentlastungen bei jenen Unternehmen teurer macht, die
Arbeitsplätze abbauen und Standorte schließen, obwohl
sie schwarze Zahlen schreiben.
Der Bundeskanzler sagt trotz des unübersehbar weiter
wachsenden Abstandes zwischen den alten und den neuen
Bundesländern hinsichtlich der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung zu Forderungen nach Aktions- oder
Sonderprogrammen: Basta! Schluss mit der Debatte! Warum sagt er aber nicht zu Herrn Beck aus RheinlandPfalz und Herrn Faltlhauser aus Bayern basta, wenn sie
öffentlich die Reduzierung der Finanzhilfen für den Osten
ins Gespräch bringen? Bei allem Verständnis dafür, dass
die Menschen in den alten Bundesländern Gewissheit
über die zeitliche Perspektive der Senkung beispielsweise
des Solidarzuschlags haben wollen, sage ich: Es muss
auch Verständnis dafür geben, dass die Menschen in den
neuen Bundesländern einen Fahrplan haben wollen, anhand dessen sie sehen können, wie es mit der Angleichung
wichtiger Daten der Lebensverhältnisse weitergehen soll.
Aber das wird immer für abwegig und unrealistisch gehalten. Ein solcher Fahrplan wird verweigert. Das passt
doch nicht zusammen.
Die PDS meint, gerade angesichts der abflauenden
Konjunktur ist ein Maßnahmenbündel für Ostdeutschland - es ist egal, ob man das nun Sonder- oder Aktionsprogramm nennt; darauf kommt es nicht an - notwendig,
wie wir es für den Zeitraum bis 2005 vorgeschlagen haben. Ein solches Programm, mit dem die wirtschaftliche
und soziale Entwicklung in Ostdeutschland vorangebracht werden soll, schließt auch die Bündelung von Förderprogrammen ein. Fast jedes Ministerium hat ein Miniprogramm und brüstet sich damit. Aber wir brauchen eine
Bündelung der Förderprogramme, damit weniger Geld
für die Verwaltung der Programme draufgeht. Wir brauchen die Konzentration der Fördermittel auf Schwerpunkte und mehr Geld, um die Versuche ostdeutscher Unternehmen, neue Märkte zu erschließen, zu unterstützen
und sie auch in die Lage zu versetzen, ihre guten Produkte
auf Märkten, die sie schon früher einmal erschlossen hatten und die sie verloren haben, wieder abzusetzen. Wir
haben dafür ein Konzept vorgelegt und erwarten, dass die
Bundesregierung darauf eine Antwort gibt.
Man kann den Erfolg von Wirtschaftspolitik nicht so
messen, wie es aus diesem Jahreswirtschaftsbericht hervorgeht, nämlich nur anhand von Steuersenkungen, reduzierter Neuverschuldung oder abgeflachter Staatsquote.
Wir brauchen als Maßstab für Wirtschafts- und Finanzpolitik, dass sich das Allgemeinwohl der Bevölkerung erhöht, dass sich der Volkswohlstand erhöht. Da hat diese
Bundesregierung die Nagelprobe noch vor sich.
({6})
Ich gebe das
Wort dem Parlamentarischen Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie Siegmar
Mosdorf.
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Tempo der Weltwirtschaft hat sich verlangsamt. Deshalb ist es gut, dass
wir heute über diese Veränderung der Rahmenbedingungen diskutieren.
Die OECD hat im Mai eine Korrektur der Wachstumsprognosen vorgenommen, und zwar für die USA minus
1,8 Prozent, für Japan minus 1,3 Prozent, für die Niederlande minus 0,9 Prozent, insgesamt für die Volkswirtschaften im OECD-Raum minus 1,3 Prozent. Für
Deutschland ist die Wachstumsprognose ebenfalls reduziert worden, und zwar um 0,5 Prozent. Diese Daten und
auch die neueste Prognose des IWF, nämlich dass der
Welthandel in diesem Jahr im Volumen deutlich abnehmen wird, sind natürlich wichtige Daten für die Entwicklung einer Volkswirtschaft. Aber es wäre nichts gefährlicher, als jetzt etwa schwarz zu malen oder herunterzureden. Das wäre Gift für die Konjunktur. Deshalb müssen wir sensibel in der Argumentation sein und versuchen,
mit diesen Zahlen behutsam umzugehen.
({0})
Übrigens, wenn ein Mann wie Herr Kannegiesser
- wie in einem Interview vor drei Tagen - davor warnt, die
Beschäftigungslage schlechtzureden und Schwarzmalerei
zu betreiben, und berichtet, dass die Metallwirtschaft in
der Zeit von März 2000 bis heute 90 000 neue Arbeitsplätze geschaffen hat, obwohl sie eigentlich vermutet
hatte, sie müsste welche abbauen, und wenn er dann wörtlich hinzufügt: „Wir sollten deshalb nicht aus taktischen
Gründen die Beschäftigungslage schlechtreden; sie ist positiv“, dann ist das ein deutliches Signal. Das sollten wir
zum Ausdruck bringen und auch berücksichtigen.
({1})
Ähnliches hört man von der Hannover-Messe. Herr
Wissmann und auch Herr Brüderle haben zu Recht auf die
Bauwirtschaft hingewiesen. Das ist eine sehr spezielle
Branche, die erhebliche Schwierigkeiten hat. Es gibt aber
auch Sektoren, die sich positiv behaupten. Das gilt für die
Elektrotechnik, den Maschinenbau und für andere, die auf
der Hannover-Messe vertreten waren. Der Messe-Direktor sagte: Es gibt keine Spur von einer gebremsten Konjunktur. Wir haben volle Auftragsbücher. Die Investitionsgüterkonjunktur läuft noch erstaunlich gut. - Insofern
sollten wir differenzieren und uns davor hüten, schwarz
zu malen.
Ich sage das auch deshalb, weil jetzt ein neuer Trend
sichtbar wird. Die Konjunktur in den USA hat dazu geführt, dass jetzt viele amerikanische Investoren den europäischen Binnenmarkt entdecken und zu uns kommen
wollen. Sie kommen auch deshalb, weil der amerikanische Markt überkapitalisiert ist. Wenn man solchen Investoren dann mit einem Schwall von Negativdaten kommt,
werden sie hier nicht begeistert anpacken.
Im „Handelsblatt“ ist heute ein interessantes Ergebnis
einer Bankumfrage zu lesen, die jährlich durchgeführt
wird. Sie kommt zu folgendem Ergebnis:
Der Mittelstand bleibt vom wachsenden Konjunkturpessimismus in Deutschland unbeeindruckt. Dies
ist das Ergebnis der Frühjahrs-Mittelstands-Umfrage
der DG Bank. Die Umfrageergebnisse sprächen
dafür, dass die deutsche Konjunktur „nicht vollends
zum Opfer einer stimmungsgetriebenen, sich selbst
verstärkenden Abschwächung“ werden wird.
Das sind wichtige und harte Worte, die deutlich machen:
Das ist eine labile Situation. Das kleine Pflänzchen der
Konjunktur muss behütet werden.
Wenn man dann in der Umfrage weiter liest, dass
knapp 30 Prozent der befragten Betriebe in den kommenden sechs Monaten zusätzliche Mitarbeiter einstellen
wollen und mit einem Wachstum von 6 Prozent rechnen,
dann zeigt das: Es gibt auch im Mittelstand klare Zeichen
dafür, dass man beharrlich an einem nachhaltigen Wachstum arbeitet. Deshalb sollten wir dazu auch einen Beitrag
leisten.
Ich habe mir den von der CDU/CSU für die heutige Sitzung vorgelegten Antrag angesehen. Herr Wissmann hat
gesagt, er beinhalte das Alternativprogramm für die gegenwärtig schwierige Konjunkturlage. Ihr Antrag enthält
fünf Punkte.
Erstens. Die Steuerbelastung soll gesenkt werden, damit es sich endlich wieder lohnt, legal zu arbeiten. Ich
halte fest: Wir haben eine große Steuerreform durchgeführt. Wir sind dabei, den Eingangssteuersatz von
25,9 Prozent - so hoch war er, als wir die Regierung übernommen haben - auf 15 Prozent zu senken. Das ist deutlich weniger. Mit Ihrem Vorschlag unterstützen Sie unsere
Politik und dafür können wir uns nur bedanken.
({2})
Zweitens. Sie schlagen in Ihrem Antrag vor, die Lohnnebenkosten zu senken.
({3})
Sie schreiben, wir müssten deutlich machen, dass wir
dazu wirklich bereit sind. Dazu sage ich Ihnen: Als wir die
Regierung übernommen haben, lag die Höhe der Lohnnebenkosten bei 42,3 Prozent; mittlerweile liegt sie bei
40,8 Prozent. Das, was Sie in Ihrem Antrag fordern, haben wir schon gemacht. Ich hoffe, dass Sie uns bei der
Senkung der Lohnnebenkosten weiterhin begleiten.
({4})
Drittens. Sie schlagen in Ihrem Antrag vor, Arbeitsmarktpolitik zu betreiben. Von uns gibt es ganz konkrete
Initiativen für ein Konzept, Langzeitarbeitslose systematisch in Arbeitsverhältnisse zurückzubringen. Das ist ein
ganz wichtiger Punkt. Wir übernehmen mit der hohen Anzahl von Langzeitarbeitslosen ein Problem, das in Ihrer
Regierungszeit entstanden ist. Jetzt fordern Sie uns auf,
schnell etwas zu tun. Wir sind dabei, ein ganz konkretes
Konzept zu entwickeln.
Viertens. Sie haben vorgeschlagen, im Rahmen von
Infrastrukturinitiativen mehr in die Schiene zu investieren. Wir haben die UMTS-Milliarden extra zurückgelegt,
um Schulden zu tilgen. Wir investieren drei Jahre lang
jährlich 2 Milliarden DM, die uns durch nicht mehr zu
zahlende Zinsen zur Verfügung stehen, zusätzlich in die
Infrastruktur. Wir machen also das, was Sie fordern. Unsere Bitte ist, dass Sie diesen Kurs auch weiterhin unterstützen.
Das Gleiche gilt natürlich auch - da haben Sie Recht,
Herr Wissmann - im Hinblick auf die Regulierung. Wir
haben im Zusammenhang mit der Reziprozität ein echtes
Problem. Im Frühjahr 1998 sind Gesetzentwürfe zur
Energiereform verabschiedet worden. Die Folge der Tatsache, dass es damals keine Abstimmung mit der EU gab,
ist, dass jetzt manch andere Länder sozusagen aus einer
Monopolsituation heraus auf unseren Märkten agieren.
Das ist eine schwierige Lage. Lassen Sie uns diesen Weg
gemeinsam fortsetzen!
Die OECD hat in ihrem „German Outlook“ vor wenigen Tagen mitgeteilt, wir hätten große Fortschritte bei der
Liberalisierung gemacht und wir seien weiter als andere
Länder. In Bezug auf eine Reihe von Feldern stimmt das.
Ich weiß, wie kontrovers darüber damals, als wir noch in
der Opposition waren, diskutiert wurde. Ich erinnere mich
noch, dass nicht alle aus unseren Reihen begeistert waren.
Es ist richtig: Unser Land hat Fortschritte gemacht und
dieser Weg muss fortgesetzt werden.
Trotz aller Unkenrufe und aller schwierigen Daten
- man soll sie nicht herunterspielen; das Umfeld ist
schwierig - müssen wir jetzt Kurs halten: Wir müssen den
Haushalt konsolidieren, wir müssen die Steuern senken,
wir müssen weiterhin die Lohnnebenkosten senken, wir
müssen die Reform des Arbeitsmarktes voranbringen und
wir müssen weiter in die Zukunft investieren. Diesen Kurs
betreiben wir und wir werden ihn fortsetzen. Wir bitten
Sie, diesen Kurs zu unterstützen.
Ich möchte noch zwei Punkte ansprechen. Es wird immer wieder behauptet, wir führten in den neuen Bundesländern zu viele Beschäftigungsmaßnahmen durch und
investierten dort zu wenig. Die Zahlen für das Jahr 2000
besagen - ich habe sie mir eben geben lassen -, dass wir
in den neuen Bundesländern 26,672 Milliarden DM investiert haben; gleichzeitig wurden für beschäftigungsschaffende Maßnahmen 7,124 Milliarden DM ausgegeben.
Damit das klar ist: Selbst wenn man die Kofinanzierung der Länder dazuzählt, liegt - das ist richtig so - das
Volumen der finanziellen Mittel für Beschäftigungsmaßnahmen deutlich unter dem für investive Maßnahmen. Das gilt übrigens auch für das Land MecklenburgVorpommern. Dort lag die Höhe der Investitionen bei
3,1 Milliarden DM und die der Ausgaben für beschäftigungssichernde Maßnahmen bei 1,1 Milliarden DM; das
Verhältnis ist also ähnlich. Verwenden Sie also bitte keine
falschen Zahlen! In den neuen Bundesländern muss viel
investiert werden. Das tun wir. Wir bündeln die vorhandenen Mittel.
Wir beraten heute nicht nur den Antrag der CDU/CSU
und den Jahreswirtschaftsbericht 2001, sondern auch den
Rahmenplan der Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe
„Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“.
Dieser Rahmenplan ist eines der wichtigsten strukturpolitischen Maßnahmenpakete, das uns zur Verfügung steht.
Vor allem in den neuen Bundesländern trägt das Maßnahmenpaket der GA zu einer modernen und innovativen
Wirtschaftsstruktur ganz wesentlich bei. Trotz des konsequenten Konsolidierungskurses der Bundesregierung stehen im Haushalt 2001 für diese GA Mittel in Höhe von
rund 2,3 Milliarden DM bereit. Hinzu kommen Verpflichtungsermächtigungen in Höhe von 1,8 Milliarden DM.
Nimmt man die Kofinanzierung hinzu, dann stehen insgesamt 3,6 Milliarden DM zur Verfügung. Wir machen
also eine ganze Menge.
Gestern gab es die Mitteilung - das ist eine positive
Nachricht -, dass die GA-Förderung in den deutschen Fördergebieten für kleine und mittlere Unternehmen von der
Europäischen Kommission genehmigt ist. Dies ist ein
wichtiger Erfolg. Die Förderregeln gelten bis zum Jahr
2003. Das ist eine klare Grundlage, auf der jetzt Förderanträge in diesen Gebieten bewilligt werden können. In der
jetzigen Situation ist das ein wichtiger Schritt nach vorn.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Es
ist keine Frage, dass wir eine schwierige weltwirtschaftliche Situation mit komplizierten Rahmenbedingungen haben. Wir müssen daher entschlossen Kurs halten in Richtung eines nachhaltigen Wachstums. Wenn der „Economist“ in diesen Tagen schreibt: „But the German economy is better tuned than it was“, dann ist das ein klares
Signal dafür, dass wir Fortschritte machen. Für manchen
geht es vielleicht nicht schnell genug voran. Aber eines ist
ganz klar: Dieser Kurs muss fortgesetzt werden. Dann
werden wir auch wieder ein nachhaltiges Wachstum bekommen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({5})
Für die
Fraktion von CDU/CSU spricht der Kollege Ernst
Hinsken.
Werter Herr Präsident!
Werte Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich mich recht
erinnere, dann hat unser Bundeskanzler vor einigen Monaten gesagt, die Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik sei
Chefsache. Heute steht der Jahreswirtschaftsbericht auf
der Tagesordnung. Aber weder er noch seine zwei „Abteilungsleiter“, nämlich der Bundesfinanzminister und
der Bundeswirtschaftsminister, sind anwesend. Ich frage:
Was ist das für ein Betrieb, wenn ein wichtiges Gespräch
angesetzt ist, aber die Chefetage fehlt?
({0})
Ich muss schon auf diesen Umstand hinweisen.
Eichel war bisher immer „Hans im Glück“. Mit Stolz
haben er und Bundeskanzler Schröder auf das bisher
zu verzeichnende Wirtschaftswachstum verwiesen. Verschwiegen haben aber beide, dass sie davon profitierten,
dass die Regierung Kohl bis 1998 Weichenstellungen und
Deregulierungen vorgenommen hat, die sich erst in den
letzten zwei Jahren ausgewirkt haben.
({1})
Begünstigt wurde die Wirtschaft unseres Landes des
Weiteren durch die weltweite Aufwärtsentwicklung,
durch die Euro-Schwäche, durch die demographische
Entwicklung und durch die niedrigen Energiepreise, Frau
Kollegin Skarpelis-Sperk. Sie haben anscheinend vergessen, dass wir mit der Deregulierung des Energiemarktes
die jährlichen Kosten für die Energie um 15 bis 20 Milliarden DM gesenkt haben. Das ist eine Leistung von
CDU/CSU und F.D.P.
({2})
Dies war die Grundlage für eine einigermaßen gut laufende Wirtschaft. Davon und nicht von Ihrer Wirtschaftspolitik haben Sie profitiert.
Es muss auch festgestellt werden, dass das Glück den
Bundesfinanzminister und den Bundeskanzler anscheinend verlassen hat. Die Wirtschaftswachstumserwartungen liegen weit unter 2 Prozent. Die Inflationsrate lag
im Mai dieses Jahres bei 3,5 Prozent. Das bedeutet eine
Verfünffachung seit dem Regierungswechsel im Herbst
1998 und ist der höchste Preisanstieg seit 1993.
({3})
- Herr Kollege Weiermann, wenn ich so denken würde
wie Sie, dann ja. Ich bin aber zutiefst betrübt darüber, dass
Sie nicht in der Lage sind, zu erkennen, was sich sozusagen für eine Musik in negativer Hinsicht dahinter verbirgt.
Die Menschen merken, dass die Preise steigen, dass die
Zahl der Arbeitslosen nicht abnimmt und dass der Staat
immer mehr Steuern und Abgaben kassiert, aber immer
weniger leistet. Im Jahr 2001 werden wir nach allen Prognosen sogar die rote Laterne beim Wachstum in der EU
haben. Das zeigt, dass die deutsche Konjunkturschwäche
hausgemacht ist.
({4})
Schuld ist die verfehlte Wirtschafts-, Steuer- und Arbeitsmarktpolitik der rot-grünen Bundesregierung, die in hohem Maße mitverantwortlich ist für das schwache Wachstum und den stagnierenden Arbeitsmarkt.
Der Versuch von Kanzler Schröder, den Zorn der Bürger wegen der hohen Benzinpreise auf die Mineralölkonzerne zu lenken, verfängt nicht.
Die Bürger wissen, Sie sind doch die großen Abzocker.
({5})
Bei 2,17 DM Benzinpreis sind Sie mit 1,48 DM Steuern
dabei, davon allein 21 Pfennig Ökosteuer. Das ist eine Politik gegen den Mittelstand, das ist eine Politik gegen die
Wirtschaft, das ist eine Politik gegen den kleinen Mann,
für den wir einstehen und nicht Sie.
({6})
Ablenken heißt hier die Devise. Mit seiner „Faulenzer“-Äußerung hat der Bundeskanzler eine zu nichts
führende Debatte angestoßen. Als Helmut Kohl einmal
vom „Freizeitpark Deutschland“ sprach, war die Hölle
los. Wie haben Sie damals protestiert! Und was sagen Sie
heute? Bei Ihnen dauert es halt etwas länger, bis Sie zu Erkenntnissen kommen, zu denen man kommen muss, um
eine weit reichende, zukunftsgestaltende Politik betreiben
zu können.
Was die Bürger bei uns in der Bundesrepublik brauchen, sind nicht Beruhigungspillen, sondern ist energisches Handeln in der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik. Im Zeitalter der Globalisierung ist ein neues
Staatsverständnis erforderlich. Einmischungen des Staates und Bevormundungen der Bürger müssen zurückgedrängt werden. Was wir brauchen, ist mehr Zutrauen in
die Mündigkeit der Bürger, mehr Freiheit und Selbstverantwortung und den Rückzug des Staates auf seine Kernkompetenzen.
({7})
Zum Beispiel muss die Staatsquote in Deutschland radikal gesenkt werden. Kollege Schauerte, Kollege Uldall,
Kollege Rauen und auch Kollege Scherhag mahnen das
immer wieder nicht nur im Wirtschaftsausschuss an.
({8})
Die USA haben 30 Prozent Staatsquote - das sind fast
20 Prozent weniger als bei uns in der Bundesrepublik
Deutschland -, Spanien, Kanada, Japan und Großbritannien liegen unter 40 Prozent Staatsquote. Genehmigungen, Anmeldungen, Steuererklärungen, Ausschreibungen
per Internet müssen zum Standard werden. Es ist doch leider wahr: Während bei uns eine Anlage geplant wird, steht
diese bei gleichem Start in Japan oder in den USA bereits,
noch ehe bei uns überhaupt eine Genehmigung erteilt
wird.
({9})
Die entscheidende Frage ist aber: Was wird für die Zukunft getan? Wo sind die Perspektiven sowohl für die Binnen- als auch für die Exportwirtschaft? Was kann und
muss getan werden, um weiterhin weltwirtschaftlich bestehen zu können?
Mit großer Sorge beobachte ich, dass es in verschiedenen Schlüsselbereichen, insbesondere in großen Teilen
des Mittelstandes, verheerend aussieht. Matthias
Wissmann hat bereits darauf verwiesen.
({10})
Ich möchte nur zwei Beispiel herausgreifen. Das erste
Beispiel ist die Bauwirtschaft. Vor fünf Jahren waren
hier noch 1,4 Millionen Beschäftigte zu verzeichnen, zurzeit sind es noch knapp 1 Million. Am Jahresende werden
es 50 000 weniger sein. Herr Poß, Sie haben vorhin versucht, ein heiles Bild von der Wirtschaft zu zeichnen, was
nicht stimmt. Ich bringe dieses Beispiel, damit auch Sie
mitbekommen, was im Lande draußen los ist.
({11})
Am Jahresende wird es in der Bauwirtschaft 50 000 Mitarbeiter weniger geben. Jeder vierte Betrieb muss Mitarbeiter „ausstellen“. Die Zahl der Beschäftigten im Bauhauptgewerbe wird erstmals in der Geschichte der
Bundesrepublik Deutschland unter 1 Million sinken.
Ein zweites Beispiel, die Automobilwirtschaft: Das
schlechte Jahr 2000 wird im Moment noch unterboten.
Aktuelle Zahlen liegen 5 Prozent unter denen des Vorjahres. In allen Geschäftsbereichen ist ein Minus zu verzeichnen. Die PKW-Neuanmeldungen liegen in diesem
Jahr um 7 Prozent niedriger als im Vorjahreszeitraum. Die
Automobilwirtschaft erwartet erneut einen Wegfall von
mehreren tausend Arbeitsplätzen, nachdem im letzten
Jahr 5 000 Beschäftigte ihren Arbeitsplatz verloren haben.
Ich bitte Sie, bei Kollegen Scherhag Nachhilfeunterricht
zu nehmen,
({12})
wie es speziell in diesem Bereich um die Arbeitsplätze bestellt ist.
({13})
Arbeitsplätze können nur von der Wirtschaft, vor allem
vom Mittelstand, geschaffen werden. Es geht nicht so wie
bei einer Wasserleitung, die man auf- und zudrehen kann.
Deshalb meine ich: Sie haben in den letzten zwei Jahren
vor allem auf diesem Gebiet versagt. Sie haben Politik für
die Großwirtschaft gemacht und dabei die kleinen und
mittleren Betriebe total vergessen.
({14})
Was haben Sie sonst noch alles versprochen, um die so genannte Neue Mitte zu ködern? Was haben Sie gehalten?
Ernüchterung ist eingekehrt. Leider ist nichts von dem
übrig geblieben.
Früher war Deutschland Wachstumsmotor in Europa.
({15})
Heute sind wir - das ist blamabel - Schlusslicht im EuroRaum. Bei einem Wachstum von weit unter 2 Prozent
sind keine neuen Stellen zu erwarten. Ihre arbeitsmarktpolitische Bilanz wird sich nicht verbessern. Deutschland
braucht eine wachstumsorientierte Wirtschafts- und Finanzpolitik, insbesondere für den Mittelstand. Hierzu
möchte ich abschließend feststellen:
Erstens. Die erst für das Jahr 2005 vorgesehenen Steuererleichterungen für die Bürger und für den Mittelstand
müssen vorgezogen werden. Die Staats- und die Abgabenquote muss herunter.
({16})
Zweitens. Die starren Strukturen am Arbeitsmarkt
müssen beseitigt werden. Die von der Bundesregierung
geplanten Änderungen des Betriebsverfassungsgesetzes
dürfen nicht in Kraft treten.
({17})
Drittens. Es muss sofort Schluss gemacht werden mit
weiteren Erhöhungen der Ökosteuer, bei der insbesondere
die Großkonzerne ausgenommen sind.
({18})
Viertens. Die gesamtwirtschaftlichen Investitionen
müssen gefördert und die öffentlichen Investitionen müssen gestärkt werden. Dringend erforderlich ist eine Infrastrukturoffensive für den beschleunigten Ausbau der
Autobahnen und Straßen, der Schienenwege, der kommunalen Infrastruktur sowie des Wohnungs- und Städtebaus.
Herr Kollege Hinsken.
Herr Schulz, 980 Milliarden DM brauchen die Kommunen, um das erledigen zu
können, was sie an Infrastrukturaufbau erledigen müssten. Leider ist hier das Verständnis nicht da,
({0})
dass man zusammenstehen und Überlegungen anstellen
muss, wie man das Problem regeln kann.
Herr Kollege Hinsken, jetzt ist es gut.
Wir wollen für eine faire
Wirtschaftspolitik eintreten. Dafür stehen und kämpfen
wir!
({0})
Jetzt gebe ich
das Wort für die SPD-Fraktion der Kollegin Dr. Sigrid
Skarpelis-Sperk. Auch Ihnen gebe ich zwei Minuten länger.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Präsident! Nachdem die
Opposition vielfach die Globalisierung beschwört und
auch in dieser Sitzung zumindest in einigen Nebensätzen
beschworen, aber in ihren Schlussfolgerungen wieder
vergessen hat, muss ich sie doch an ein paar Fakten erinnern: Es ist unbestritten, dass die deutsche Wirtschaft
stark in die Weltwirtschaft eingebunden ist und allein im
vergangenen Jahr 1 167 Milliarden DM Umsatz - das sind
immerhin 29,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts - auf
den Weltmärkten erzielt hat. Diese Exportleistung macht
Deutschlands Wirtschaft nicht nur zum Vizeweltmeister
auf diesem Gebiet, sondern zeigt auch beeindruckend ihre
Leistungsfähigkeit in der globalisierten Wirtschaft, die
sich in den letzten Jahren, wenn man sich die Lohnstückkosten, die Produktivität und die Innovationsraten
ansieht, deutlich bestätigt hat.
Größter Absatzmarkt ist und bleibt die Europäische
Union. Zweitwichtigster ist mit einem Absatz von immerhin 130 Milliarden DM Nordamerika, das heißt die
NAFTA-Staaten. Von daher ist es nicht verwunderlich,
dass die Exporte einen wesentlichen Beitrag zum Anstieg
des deutschen Bruttoinlandsprodukts und natürlich auch
zur Sicherung unserer Arbeitsplätze leisten, die Exportdynamik eine wichtige Rolle für die Konjunkturlage in
Europa insgesamt und eine entscheidende für die Konjunktur in Deutschland spielt. Aber - darauf haben ja alle
hingewiesen - es bläst uns in der Weltwirtschaft vor allen
Dingen aus den USA ein zunehmend kälterer Wind entgegen.
Bereits Mitte des Jahres 2000 hat sich die weltwirtschaftliche Expansion deutlich verlangsamt und eine
Phase ungewöhnlich hoher wirtschaftlicher Dynamik
wurde beendet. Maßgeblich dafür war unzweifelhaft der
Anstieg der Ölpreise und die lange Zeit bewusst und deutlich bremsende Geldpolitik der Zentralbanken der großen
Industrienationen. Besonders stark kühlte die Konjunktur
in den USA ab. Hier kam die Ausweitung der gesamtwirtschaftlichen Produktion gegen Ende des Jahres nahezu zum Stillstand. Die Ausrüstungsinvestitionen gingen
zuletzt sogar zurück, besonders im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien. Das wiederum
hatte massive Einbrüche an den US-Börsen zur Folge und
damit dämpfende Auswirkungen auf den hohen Binnenkonsum in den USA.
Aber mit dieser deutlich schwächeren Expansion der
US-Wirtschaft fällt und fiel eine maßgebliche Lokomotive der weltwirtschaftlichen Dynamik aus. Deutlich
spürbar ist das in den Schwellenländern Asiens, vor allem bei den Hightechgütern. Auch bei uns im EuroRaum ging das Expansionstempo deutlich zurück. Die
Gründe dafür sind die gleichen wie die bereits für die
Weltwirtschaft genannten: der Anstieg der Ölpreise und
die restriktive Geldpolitik der Europäischen Zentralbank.
Herr Kollege Hinsken, was die Mineralölpreise und
insbesondere die Mineralölsteuer angeht, scheint die Opposition genau wie Sie an kollektiver Amnesie zu leiden.
({0})
Darf ich Sie deswegen daran erinnern, dass in der Amtszeit des Bundesfinanzministers Dr. Theodor Waigel die
Mineralölsteuer um immerhin 50 Pfennig erhöht wurde,
({1})
nur, damit Sie sich das noch einmal vor Augen halten und
überlegen, welche Konsequenzen das damals hatte, damit
Ihre Krokodilstränen etwas ehrlicher wirken.
({2})
Hinzu kommt der Anstieg der Nahrungsmittelpreise
durch die BSE-Krise und durch die Maul- und Klauenseuche. Die Bundesregierung hat den Rindfleischmarkt
bewusst gestützt, hat bewusst darauf geachtet, dass es
durch die Maul- und Klauenseuche nicht zu einem massiven Einbruch kam.
({3})
Jetzt sagen Sie, dadurch hätten sich die Preise erhöht.
({4})
Hätten wir denn die Preise in diesem Bereich total abstürzen lassen sollen? - Ich finde Ihre Worte unangemessen.
Sie müssen doch deutlich sagen, dass die Nahrungsmittelpreise nicht zuletzt aus diesen Gründen angestiegen sind.
({5})
Die deutsche Wirtschaft hat sich in dieser schwierigen Lage zunächst exzellent gehalten. Die Ausfuhren sind
bis zu Beginn dieses Jahres kräftig gestiegen und sie steigen in einzelnen Bereichen weiter, worauf der Kollege
Mosdorf hingewiesen hat.
({6})
Aber die nachlassende Dynamik in den USA und weltweit
musste sich auf die Konjunkturlage in der Europäischen
Union und besonders auf die deutsche Exportwirtschaft
auswirken. Damit ist doch klar, warum das wirtschaftliche
Wachstum in der gesamten Euro-Zone signifikant abgenommen hat. Eines will ich Ihnen sagen: Ohne die massiven Steuererleichterungen in Europa, bei denen diese
Bundesregierung die Führung übernommen hatte, sähe
die Konjunktur in Europa deutlich schlechter aus. Darin
müssten wir uns alle einig sein.
({7})
Wie es weitergeht, wird stark von der weiteren Konjunkturentwicklung in den USA und deren Ausstrahlung
in den asiatischen und europäischen Wirtschaftsraum abhängen. Dabei sind für die nähere Zukunft zwei
Entwicklungspfade denkbar, auf die wir nur begrenzten
Einfluss haben.
Durch die erste Option - das wäre die beste - könnte es
zu einer Wachstumsbeschleunigung im Frühsommer
kommen. Dazu hat der Kollege Mosdorf bereits angeführt, dass einiges auch von unserer Seite unternommen
worden ist, um das zu stützen.
({8})
Dies setzt eine Erholung des Wirtschaftswachstums in
den USA voraus. Zinssenkungen um insgesamt 250 Basispunkte und das Steuersenkungsprogramm lassen darauf hoffen. Außerdem sind für die Erholung des
Wirtschaftswachstums die Stabilisierung der Wirtschaftslage in Japan, das Anhalten des moderaten Wirtschaftswachstums in Asien und Lateinamerika und vor allem die
Stabilisierung der Erdölpreise auf dem Niveau von
25 Dollar je Barrel notwendig,
({9})
darüber hinaus merkliche Zinssenkungen auch im europäischen Raum.
Der zweite Entwicklungspfad wäre nicht so günstig;
dazu würde es kommen, wenn die konjunkturelle Wende
in den USA nicht eintritt. In einer stark beachteten Rede
vor einer Woche hat der Chairman des US Federal Reserve Bord geschätzt, dass die konjunkturelle Abkühlung
in den USA ihren Tiefpunkt noch nicht erreicht hat. Alan
Greenspan hat wörtlich gesagt: Wir sind nicht vor dem Risiko gefeit, dass die wirtschaftliche Schwäche größer sein
wird als gegenwärtig erwartet und eine weitere geldpolitische Antwort notwendig macht.
Die aktuellen Daten, die in den letzten Tagen aus den
USA bekannt geworden sind, können uns nicht optimistischer stimmen. Eine solche Entwicklung in Nordamerika
und Japan hätte auch negative Auswirkungen auf die
asiatischen, südamerikanischen und osteuropäischen
Drittmärkte. Wenn also diese weltwirtschaftlichen Entwicklungen anhalten, wird sich die Gefahr einer weltweiten, gleich gerichteten Abschwächung weiter erhöhen.
Europa und besonders Deutschland werden sich dem nur
schwer entziehen können.
Auf welchem dieser zwei Wachstums- und Entwicklungspfade, Abschwächung oder Erholung, sich die Weltwirtschaft in diesem Sommer bewegen wird, hängt stark
von der Konjunkturentwicklung in den USA, ihrer Ausstrahlung auf die Weltwirtschaft und den grundsätzlichen
wirtschafts-, finanz- und geldpolitischen Entscheidungen
der wichtigsten Industrienationen der Welt ab.
Nun haben wir ein Problem, über das wir hier offen
miteinander reden müssen. Besonders wichtig werden die
Entscheidungen der geldpolitischen Instanzen innerhalb
der G-7-Länder werden. Das große Problem dabei ist,
dass sich die zwei Hauptakteure, die US-Notenbank und
die Europäische Zentralbank, nach stark unterschiedlichen Handlungsphilosophien ausrichten.
Die US-Notenbank ist prinzipiell wachstumsorientiert
und gegenüber ihrer Wirtschaft deutlich optimistisch. Als
zum Beispiel zu Beginn der 90er-Jahre das Wachstumspotenzial der USA alles andere als rosig aussah, ging sie
dennoch auf einen stark expansiven Kurs. In der Folge hat
es den stärksten Boom seit dem Zweiten Weltkrieg gegeben, ohne dass eine wirklich starke Inflation entstanden
wäre. Auch jetzt, da sich die Konjunkturaussichten für die
USA stark verdüstert haben, reagierte die US-Notenbank
mit entschlossener, expansiver Geldpolitik.
Demgegenüber hat die Europäische Zentralbank eine
prinzipiell pessimistischere Einstellung gegenüber dem
Wachstumspotenzial der europäischen Wirtschaft. Sie
meint, weil die europäische Wirtschaft in den letzten
15 Jahren - unter anderem in Ihrer Regierungszeit - so
schwach expandiert hat, müsse das unter allen Umständen
auch künftig so sein.
Wir meinen, die Gründe dafür sind nicht mehr vorhanden. Wir haben eine rasche Verbreitung neuer Technologien. Wir haben ein zügiges Produktivitätswachstum. Wir
haben hohe verfügbare Erwerbspotenziale. Damit wäre
auch bei hoher Preisstabilität ein höheres Wachstum in
Europa prinzipiell möglich. Das heißt also: Die EZB
sollte und könnte sich mehr bewegen.
({10})
Dies erfordert - jetzt komme ich zum Schluss - eine
verstärkte Koordination aller weltwirtschaftlich wichtigen Akteure der Wirtschafts-, Finanz- und Geldpolitik,
um dieser Abschwächung entgegenzuwirken:
Dafür müssen erstens auch wir in Europa unsere Hausaufgaben machen, besser als bisher unsere Wirtschaftsund Finanzpolitik koordinieren und dabei die berechtigten Interessen unserer Nachbarn im Osten im Auge behalten.
Zweitens. Die Europäische Zentralbank und die USNotenbank müssen ihre gemeinsame Verantwortung für
die Konjunktur in ihren Wirtschaftsregionen annehmen
und dürfen dabei nicht vergessen, dass ihre Entscheidungen bedeutende Auswirkungen auf andere Wirtschaftsräume, auch auf die Entwicklungsländer, haben.
Drittens. Wir müssen auf dem Weltwirtschaftsgipfel in
Genua gemeinsam Konsequenzen aus den dann absehbaren Entwicklungen der Weltwirtschaft ziehen.
Eines sage ich Ihnen auch: Sie können reden, was Sie
wollen, aber die Weltwirtschaft kann niemand allein kurieren. Wir alle, vor allem aber die großen Industrieländer - die USA, Europa und Japan -, tragen gemeinsam
dafür Verantwortung. Wir dürfen uns dieser Verantwortung nicht entziehen.
({11})
Ich gebe
dem Kollegen Ulrich Klinkert, CDU/CSU-Fraktion, das
Wort.
Herr Präsident! Meine
Herren und Damen! Meine Vorredner sind im Wesentlichen auf die katastrophale wirtschaftliche Situation eingegangen, in die die Bundesrepublik Deutschland seit
1998 geschlittert ist. Selbst bei der Rede von Herrn Schulz
fehlte der bei ihm sonst übliche Biss. Herr Schulz, Sie haben schon optimistischer und überzeugter als heute geklungen, als Sie über die wirtschaftliche Lage Deutschlands gesprochen haben.
({0})
Mein Schwerpunkt ist die wirtschaftliche Situation in
den neuen Bundesländern. Damit im Zusammenhang
steht der Dreißigste Rahmenplan der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“,
eines der wesentlichsten Finanzierungsinstrumente des
Aufschwungs Ost.
Die wichtigste Aussage des Dreißigsten Rahmenplans
ist, dass für die Chefsache Aufbau Ost der Bundessparkommissar Eichel jährlich Hunderte Millionen Mark weniger ausgeben wird.
Herr Mosdorf, Sie haben in Ihrer Rede zu Recht auf die
Bedeutung der Gemeinschaftsaufgabe hingewiesen. Aber
Sie hätten der Öffentlichkeit auch erklären sollen, warum
die Bundesregierung die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe von 3 Milliarden DM im Jahre 1998 auf 1,7 Milliarden DM im Jahre 2004 kürzt. Das ist eine Kürzung von
43 Prozent.
({1})
Dabei nimmt die wirtschaftliche und soziale Situation in
den neuen Bundesländern immer dramatischere Ausmaße
an, wie in der Zwischenzeit auch einige SPD-Politiker erkannt haben. Also wäre eher eine Aufstockung der Mittel
für die GA notwendig gewesen.
Lassen Sie mich einige Zahlen nennen - ich habe sie
dem Thierse-Papier entnommen -: Seit 1998 ist die Beschäftigung um 200 000 Menschen zurückgegangen. Es
gibt 10 Prozent mehr Langzeitarbeitslose, 15 Prozent
mehr jugendliche Arbeitslose und es ist eine deutliche
Abwanderung aus den neuen Bundesländern zu verzeichnen. Das Dramatischste ist: Die Arbeitslosigkeit
Ost ist bisher vom 1,8-fachen des Jahres 1998 auf das
2,5-fache der westdeutschen Arbeitslosigkeit angestiegen.
({2})
So ist es für die neuen Bundesländer überhaupt kein
Trost, sondern eher besorgniserregend, dass die rot-grüne
Politik es in der Zwischenzeit geschafft hat, auch die
Konjunktur im Westen abzuwürgen. Selbst ein Wirtschaftswachstum von 2 Prozent, das ja schon nach unten
korrigiert worden ist, hat sich in der Zwischenzeit genauso als Illusion erwiesen wie die nach oben korrigierte
Prognose von 3,5 Millionen Arbeitslosen deutschlandweit. Das wirtschaftliche Zugpferd Bundesrepublik
Deutschland, das wir einmal in der Europäischen Union
waren, ist zum lahmen Gaul geworden, der der Entwicklung hinterhertrabt und die rote Laterne trägt.
({3})
Unter diesen Rahmenbedingungen ist es für die Wirtschaft der neuen Bundesländer natürlich besonders
schwer, Fuß zu fassen. In meinem Wahlkreis herrscht eine
Arbeitslosigkeit von 25 Prozent. Der Arbeitsamtbezirk
Bautzen verzeichnet bei insgesamt 2 000 freien Stellen
70 000 Arbeitslose. Dies sind 10 000 Arbeitslose mehr als
1998.
Was sagt der Bundeskanzler dazu? Er sagt den
70 000 Arbeitslosen, dass sie kein Recht auf Faulheit hätten. Man hat den Eindruck, der Bundeskanzler möchte
diese Menschen auch noch verhöhnen.
({4})
Umgekehrt sollte man dem Bundeskanzler sagen, dass er
kein Recht auf Faulheit hat. Dies ist ein Eindruck, der sich
aufdrängt, wenn man seine Wahlkampfversprechen mit
dem vergleicht, was er in der Zwischenzeit erreicht hat.
({5})
Stattdessen unternimmt diese Regierung alles, um die
zarte Pflanze der wirtschaftlichen Entwicklung und insbesondere die des Mittelstandes zu zertrampeln. Die Zahl
der Firmenpleiten in den neuen Bundesländern ist in der
Zwischenzeit fast so hoch wie die Zahl der Neugründungen. In Mecklenburg-Vorpommern und in Sachsen-Anhalt ist die Zahl der Firmenpleiten in der Zwischenzeit
höher als die Zahl der Firmengründungen.
({6})
In einer Anzeige einer Handwerksinnung in einer Berliner Zeitung habe ich gelesen:
Die Bundesregierung betreibt ... eine beispiellose
Anti-Handwerkspolitik! - Rücknahme der gekürzten
Lohnfortzahlungen - Ökosteuer - steuerliche Benachteiligung von Personengesellschaften - Einschränkungen bei befristeten Arbeitsverträgen Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit - mittelstandsfeindliches Betriebsverfassungsgesetz ...
({7})
- Dies ist eine Anzeige einer Handwerksinnung, Herr
Kollege Hirche. - Diese Anzeige schließt folgerichtig:
Schluss mit dem „Bündnis-für-Arbeit-Gerede“, solange immer neue Gesetze dem Handwerk die wirtschaftliche Existenzgrundlage entziehen!
({8})
Herr Schulz, Sie machen es sich zu einfach, wenn Sie
das Auseinandergehen der Ost-West-Schere ausschließlich auf das Zurückfahren einer angeblich überhitzten
Baukonjunktur zurückführen. Ich halte es sogar für makaber, wenn Sie und große Teile der SPD das Ankurbeln
der Bauwirtschaft zu Beginn der 90er-Jahre als einen Fehler hinstellen. Hunderttausende Arbeitsplätze sind entstanden. Infrastrukturelle und bauliche Voraussetzungen
für den Aufschwung Ost und schließlich lebens- und liebenswerte Städte und Dörfer sind geschaffen worden.
Wenn man schon feststellt, dass die Baukonjunktur
zurückgeht, dann kann man sich nicht wie Herr
Schwanitz - er hat nur noch seine Akten hier gelassen und
hat offensichtlich anderes zu tun - zurücklehnen und warten, dass die Wirtschaft endlich von allein anspringt.
Die Wirtschaft wird schon deswegen nicht von allein
anspringen, weil dringend benötigte Mittel von der Bundesregierung gekürzt worden sind. Es kam zu drastischen
Reduzierungen zum Beispiel im Bundesfernstraßenbau,
wo die rot-grüne Bundesregierung für den Zeitraum 1999
bis 2002 2 Milliarden DM weniger zur Verfügung stellt
als von der alten Bundesregierung geplant. Es kam im
Weiteren zu Kürzungen im Schienenbau, im sozialen
Wohnungsbau, bei der Braunkohlesanierung usw.
Und was macht der Herr Staatsminister im Bundeskanzleramt Schwanitz?
({9})
Er verteidigt tapfer alle Kürzungen zulasten der neuen
Bundesländer als notwendige Korrekturen und hat offensichtlich ansonsten alle Hände voll zu tun, die nächste
Sommer-Sonnen-PR-Tour des Bundeskanzlers durch die
neuen Bundesländer vorzubereiten.
({10})
Aber er sollte dem Bundeskanzler sagen, dass sich die
Menschen nicht länger blenden lassen werden. Es wird
die Bundesregierung und den Bundeskanzler vielleicht
wundern, aber viele Menschen in den neuen Bundesländern haben diesen Kanzler einmal ernst genommen, als er
gesagt hat, an der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit wolle
er sich messen lassen.
Inzwischen macht sich ja Unmut auch bei einigen
SPD-Kollegen aus den neuen Bundesländern breit, wie
man in der Presse lesen kann. Herr Thierse spricht vom
Kippen der neuen Bundesländer, andere davon, dass die
Chefsache Ost nicht zur Nebensache Ost werden dürfe.
Sie haben völlig Recht, aber Sie dürfen die Öffentlichkeit nicht vergessen machen, dass Sie all die Kürzungen, all
die Nachteile, die die Bundesregierung vorgesehen hatte,
durch Ihr Verhalten im Parlament mit abgesegnet haben.
({11})
Meine Damen und Herren, es gibt dennoch Chancen
und Alternativen, wir haben sie oft genug vorgestellt und
auch in unserem Antrag formuliert.
({12})
Wir sollten das Infrastrukturprogramm ankurbeln, den
Straßen- und Schienenbau voranbringen, damit die Baukrise entschärfen, Investitionsvoraussetzungen schaffen.
Ich kann mir vorstellen, dass 10 000 bis 20 000 Arbeitsplätze in der Altlastensanierung geschaffen werden können.
Mit dem Exportförderprogramm können wir die Konjunktur ankurbeln und die Chance der Osterweiterung nutzen.
Allerdings befürchte ich - das möchte ich zum Schluss
in aller Eindeutigkeit sagen -, dass dies alles mit der SPD
und den Grünen nicht zu machen ist. Aber die Menschen
im Land wissen das inzwischen.
Herzlichen Dank.
({13})
Als letztem
Redner in dieser Debatte gebe ich das Wort dem Kollegen
Jörg-Otto Spiller für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Die Verlangsamung der
weltwirtschaftlichen Expansion strahlt auch auf die Konjunktur in Deutschland aus.
({0})
Das ist unvermeidlich und wir nehmen das auch ernst.
Aber dass ein Land, das außenwirtschaftlich so stark verflochten und im Export so erfolgreich ist wie Deutschland, stärker von außenwirtschaftlichen Entwicklungen
betroffen ist als andere,
({1})
ist eine normale Folge, die man einfach zur Kenntnis nehmen muss. Das heißt aber nicht, dass wir diese Entwicklung
nicht ernst nehmen. Aber jetzt Hektik zu fordern, Strohfeuer entfachen zu wollen, das wäre die falsche Antwort.
({2}) -
Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Aber ihr tut
doch gar nichts!)
Herr Kollege Brüderle, es hat mich nicht gewundert,
dass wie bei jeder wirtschaftspolitischen Debatte, in der
Sie sich geäußert haben, auch diesmal wieder bei Ihnen
das Wort „Öko“ ganz oft vorkam: Öko, Öko, Öko. Sie
sind sozusagen der „Öko-Nom“ der F.D.P. Aber man kann
die Ökonomie nicht ausschließlich auf das Wort „Öko“ reduzieren. Ich war ja schon erleichtert, dass Sie auch noch
über Flaschenpfand gesprochen haben.
({3})
Das reicht auch nicht aus. Als eine wohltuende Entwicklung in der F.D.P., Herr Kollege Brüderle, empfinde ich,
dass es offenbar bei Ihnen inzwischen die Erkenntnis
gibt:
({4})
Für wirtschaftliche Entwicklungen trägt auch die Politik
eine Mitverantwortung.
Als Sie den Bundeswirtschaftsminister gestellt haben,
hörte sich das ganz anders an. Der damalige Bundeswirtschaftsminister Rexrodt hat doch laut erklärt: Wirtschaft
findet in der Wirtschaft statt. Das hat er nicht nur abends
in der Wirtschaft gesagt, das hat er auch noch am Vormittag im Bundestag erklärt.
({5})
Insofern finde ich, Herr Kollege Brüderle, dass Ihr Engagement mit den vier Punkten, die Sie jetzt verlangen, ein
Fortschritt ist. Wenn man all diese Punkte allerdings konkret betrachtet, merkt man leider, dass sie nicht anwendbar sind.
Ich fange einmal mit dem ersten Punkt an. Sie sagen:
Karl Schiller - der hat das gut gemacht, der war ein guter
Mann ({6})
hat damals mit der Mehrheit des Bundestages die Möglichkeit in das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz hineingeschrieben, dass der Bund bei einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts - das unterstellen
Sie jetzt offenbar - auch auf dem Verordnungswege Steuern senken könne.
({7})
Wir haben rund 2 Prozent Wachstum.
({8})
- Auch wenn es 1,6 Prozent oder 1,5 Prozent sind: Das ist,
wie ich finde, immer noch ein bemerkenswertes Wachstum. - In Anbetracht dessen und auch in Anbetracht der
jetzigen Inflationsrate sowie unserer Situation in der
Außenwirtschaft von einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zu reden ist sehr originell.
({9})
Es gibt aber einen anderen Hintergrund. Als Karl
Schiller 1967 diese Regelung im Stabilitäts- und Wachstumsgesetz untergebracht hat,
({10})
da hatte die Bundesrepublik eine mäßige Verschuldung.
Wir haben dank der Politik von 16 Jahren F.D.P.CDU/CSU-Regierung eine Verschuldung, die den Spielraum zur Konjunkturpolitik nach klassischem Muster
nahezu auf null reduziert hat. Das muss man leider feststellen.
({11})
Sie kommen immer wieder mit Ihrer Legende - die Ihnen inzwischen aber niemand mehr glaubt -, es habe keine
Alternative zur Finanzierung der Einheit ausschließlich
durch Schulden gegeben. Sie haben ausschließlich Schulden gemacht. Jetzt wollen Sie uns einreden, es sei wieder
die richtige Politik, ausschließlich Schulden zu machen.
Sie sagen so mir nichts, dir nichts: Wir senken eben die
Steuern, und zwar egal wie; Hauptsache, es passiert irgendwas. Welche Wirkungen das hat, interessiert Sie offenbar überhaupt nicht.
({12})
Herr Kollege Spiller, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schauerte?
Aber gerne.
Herr Kollege
Spiller, ich meine, wir sollten bei der Wortwahl vorsichtig sein. Sie haben gerade gesagt, dass wir die deutsche
Einheit ausschließlich über Schulden finanziert hätten.
Sie wissen doch, dass wir den Solidaritätszuschlag eingeführt haben.
({0})
Das war zumindest ein Teil, der über Steuern finanziert
wurde. Sie wissen, dass wir eine Menge Probleme über
Beiträge mit abgefangen haben. Außerdem haben wir die
Einheit über eine stärkere Verschuldung finanziert. Das
waren drei Finanzierungsquellen. Wie können Sie da sagen, wir hätten die deutsche Einheit ausschließlich über
Schulden finanziert?
Ich habe mich an dem orientiert, was der damalige Bundesfinanzminister Waigel
vorgelegt hat. Er hat Zahlen über Transferleistungen veröffentlicht - auch wenn diese im Zweifelsfall strittig waren. Dabei hat er auch die Renovierung von Kasernen in
Ostdeutschland als Transferleistung bezeichnet; das ist
originell. Es wurde jedenfalls einfach addiert: Was ist von
West nach Ost geflossen?
({0})
Dabei kam er auf eine Größenordnung von 1,1 Billionen DM.
({1})
In dem Zeitraum, in dem Helmut Kohl als Bundeskanzler unser Land regiert hat, sind die Schulden des
Bundes von 350 Milliarden DM auf 1 450 Milliarden DM
gestiegen. Das sind exakt 1,1 Billionen DM.
({2})
Ich sehe hier einen Zusammenhang.
({3})
Der Kollege Wissmann hat erfreulicherweise etwas zu
Steuern erzählt. Mir hat es gefallen, dass Herr Wissmann
ein Bekenntnis dazu abgelegt hat, dass unsere Steuerreform bzw. die Körperschaftsteuerreform, gerade was die
Behandlung von Kapitalgesellschaften angeht, genau
richtig war.
({4})
- Herr Wissmann hat gesagt: Das, was bei der Körperschaftsteuer gemacht wurde, war richtig. Das hat er gesagt.
({5})
- Aber sicher.
({6})
- Nein, das hat er nicht gesagt. Er sprach von der sicherlich richtigen Reform der Körperschaftsteuer. Wir können
es ja nachlesen. Er hat deswegen offenbar mit Herrn Merz
ein paar Schwierigkeiten bekommen.
Aber es ist ohnehin ein Problem, Herr Uldall: Die Union
ist eine interessante Ansammlung von klugen Köpfen,
({7})
die gelegentlich Seminare veranstalten. Dort erzählt jeder,
was er will. Dadurch gibt es einen bunten Strauß von Forderungen, wie Steuerpolitik zu machen ist.
Ich nenne ein Beispiel. Heute sagte Herr Wissmann:
Wir machen eine Steuervereinfachung nach dem Muster
von Paul Kirchhof.
({8})
Am selben Tag, an dem das im Finanzausschuss von Ihren
Kollegen der CDU/CSU gesagt worden ist, hat die Fraktion
einen Antrag eingebracht - wir haben ihn neulich diskutiert -, der eine Fülle von Detailregelungen enthält, die im
krassen Widerspruch zu dem stehen, was Kirchhof fordert.
({9})
Das, was die Bundesregierung und die sie tragende Koalition machen, ist etwas ganz anderes. Wir gehen weg
von hektischer Politik.
({10})
Wir machen eine geradlinige Strukturreform, die von Ihnen seit langem versäumt worden ist.
({11})
Das hat der Sachverständigenrat zu Recht festgestellt.
Die wirtschaftswissenschaftlichen Institute haben dies bestätigt. Der Reformstau ist aufgehoben. Wir haben eine
konsequente Steuerreform gemacht, die übrigens auch
dem Mittelstand sehr zugute kommt.
({12})
Wir haben bewirkt, dass die Kaufkraft in der Bevölkerung wieder zugenommen hat. Wir haben seit langem zum
ersten Mal - das haben übrigens die wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute in ihrem Frühjahrsgutachten noch einmal unterstrichen - die Situation, dass die
Nettolöhne und -gehälter stärker als die Bruttolöhne und
-gehälter steigen. Das haben wir in der ganzen Zeit, als Sie
regiert haben, nie erlebt. Das war überfällig.
({13})
Herr Kollege Spiller, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Barthle?
Gerne.
Herr Kollege Spiller,
Sie haben soeben aus der Sitzung des Finanzausschusses
berichtet. Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass
die von der CDU/CSU-Fraktion eingebrachten Anträge
darauf gerichtet sind, die Mängel in dem bestehenden
Steuersystem zu beseitigen, sich also auf das Steuersystem, das Sie gemacht haben, beziehen?
Wenn wir uns an anderer Stelle zu den Vorschlägen von
Professor Kirchhof äußern, dann geht es darum, ein
grundsätzlich anderes Steuersystem einzuführen. Deshalb
ist es Unfug, dies beides miteinander zu vergleichen.
({0})
Ich entnehme Ihren Worten,
dass bei Ihnen das Prinzip gilt: Man muss am Vormittag
nicht dasselbe machen wie am Nachmittag.
({0})
Im Übrigen ist es so: Das, was Sie vorgeschlagen haben, war eine zusätzliche Verkomplizierung des Einkommensteuerrechtes gegenüber dem herrschenden Zustand.
Ich sage Ihnen noch einmal, was wir gemacht haben. Wir
haben beim Einkommensteuerrecht etwas ganz Wichtiges
gemacht, nämlich die Tarife gesenkt. Als Sie regiert haben, lag der Spitzensteuersatz bei der Einkommensteuer
bei 53 Prozent. Heute ist er bei 48,5 Prozent. Im
Jahre 2005 wird er bei 42 Prozent liegen.
Was die Mittelständler besonders interessiert: Wir haben die Verrechnung der Gewerbesteuer mit der Einkommensteuerschuld ermöglicht, sodass die Gewerbesteuer faktisch keine Belastung mehr ist. Deswegen rate
ich Ihnen davon ab, in Bezug auf den Mittelstand immer
Zeter und Mordio zu schreien; das kommt bei den Mittelständlern nämlich gar nicht mehr an. Wir hören viel Zustimmung.
({1})
Ich sage zum Abschluss noch etwas, was jenseits
der von Ihnen geäußerten Kritik für uns wichtig ist: Wir
brauchen eine Politik der ruhigen Hand, auch in Ostdeutschland. In Ostdeutschland gibt es unterschiedliche
Entwicklungen. Der Rückgang der Baunachfrage ist eine
starke Belastung; das wissen alle. Aber keiner von Ihnen
wird doch wohl behaupten wollen, man könne unabhängig von Kosten und dem tatsächlich Machbaren einfach
sagen: Beton, Beton, Beton.
Wichtiger ist die Stärkung der Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit der ostdeutschen Wirtschaft. Gerade im
verarbeitenden Gewerbe ist viel erreicht worden; in diesem Bereich nimmt die Beschäftigung auch zu.
({2})
Wir brauchen den Mut zur Konsequenz, so wie wir ihn in
den vergangenen zwei Jahren hatten, und setzen unsere
geradlinige Politik fort. Man wird auch annehmen dürfen,
dass sozusagen die eingebauten Stabilisatoren in der Konjunkturentwicklung wirken; das heißt, wir machen keine
Konjunkturspritzen, nehmen aber hin, dass wegen einer Abschwächung der Konjunktur der eine oder andere Posten im
Haushalt vielleicht wieder etwas größer werden muss.
Vielen Dank.
({3})
Ich schließe
die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
Drucksachen 14/5600 und 14/6161 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Das
Haus ist damit einverstanden. Dann ist es so beschlossen.
Ich rufe die Zusatzpunkte 13 und 14 auf:
ZP 13 Erste Beratung des von den Fraktionen der
SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes
zur Familienförderung
- Drucksache 14/6160 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({0})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
Sonderausschuss Maßstäbe-/Finanzausgleichsgesetz
Haushaltsausschuss
ZP 14 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Barbara
Höll, Rosel Neuhäuser, Monika Balt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Gerechte Chancen am Start - Kinderarmut
bekämpfen
- Drucksache 14/6173 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({1})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich erteile zunächst für die SPD-Fraktion der Kollegin
Nicolette Kressl das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dass Kinder in Familien mit gesicherten wirtschaftlichen Verhältnissen aufwachsen können, wollen wir - davon gehe ich aus - alle. Wir sind aber
der Überzeugung, dass Mütter und Väter Rahmenbedingungen vorfinden müssen, die es ihnen ermöglichen, ihre
ganz persönlichen Lebensplanungen in die Familie mit
einzubringen und ihre ganz persönliche Lebensplanung
zu verwirklichen.
({0})
Sie wissen, dass sich die Lebensplanungen junger Menschen nicht mehr genauso gestalten, wie das vor 20 Jahren
der Fall war. Mit dem Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur
Familienförderung, den wir hier einbringen, machen wir
deutlich, dass wir diese politische Aufgabe nicht nur ernst
nehmen, sondern auch die entsprechenden gesetzlichen
Grundlagen dafür schaffen.
Mit der von uns vorgeschlagenen Kindergelderhöhung
um 30 DM auf 300 DM für das erste und zweite Kind verbessern wir die wirtschaftliche Situation von Familien
nochmals - ich sage: nochmals - im Umfang von 5 Milliarden DM jährlich.
({1})
Das bedeutet allein in dieser Legislaturperiode eine Erhöhung um 80 DM je Kind und Monat.
({2})
Damit hat diese Regierung in nur drei Jahren die familienpolitischen Leistungen - im Zusammenhang mit Steuererleichterungen - um insgesamt 24 Milliarden DM erhöht.
({3})
Sie hat das keineswegs, wie manchmal behauptet wird
- das ist ein ganz wichtiger Punkt -, nur aufgrund von
Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts getan.
Ich erinnere daran: Die Erhöhung des Kindergeldes von
220 auf 250 DM war ausschließlich eine politische Entscheidung dieser Koalition.
({4})
Ich weise zudem darauf hin, dass wir mit der Kindergelderhöhung und mit dem neuen Freibetrag für Betreuung, Erziehung und Ausbildung die Betreuungs- und
Erziehungsleistungen von Männern und Frauen unabhängig davon berücksichtigen, ob sie ausschließlich
selbst betreuen, ob sie durch Dritte betreuen lassen oder
ob sie die Betreuung gemeinsam mit Dritten leisten. Wir
berücksichtigen diese Leistungen zum einen, weil das
Verfassungsgericht entsprechende Vorgaben gemacht
hat, aber zum anderen ausdrücklich auch deshalb, weil
wir wollen, dass die unterschiedlichsten Formen vom ZuJörg-Otto Spiller
sammenleben in der Familie gute Rahmenbedingungen
haben.
({5})
Wir wissen aber, dass die Frage, ob sich Männer und
Frauen für Kinder entscheiden, keineswegs allein von der
Höhe des Kindergeldes abhängig ist. Für uns ist klar, dass
für viele junge Menschen die Frage, ob es ihnen gelingen
wird, den Kinderwunsch mit der Möglichkeit zu verbinden, ihre Qualifikationen aktiv in das Erwerbsleben einzubringen, viel entscheidender ist.
({6})
Viele junge Menschen wollen inzwischen beides. Wenn
wir diese Entscheidung erleichtern, fördern wir nicht nur
die Zufriedenheit von Menschen in der Familie,
({7})
sondern schaffen gleichzeitig für Frauen die Möglichkeit,
ihre Qualifikation in den Arbeitsmarkt einzubringen.
({8})
Wir wollen Familienpolitik für Familien von heute machen.
({9})
Zur Verwirklichung dieser Vereinbarkeit von Familie und
Beruf enthält der Gesetzentwurf das Angebot für Eltern,
dass sie, wenn sie durch Erwerbstätigkeit erhöhte Betreuungskosten haben, diese auch bis zur Höchstgrenze von
3 000 DM zusätzlich zum Freibetrag geltend machen
können.
({10})
- Ich höre von der F.D.P. immer, das sei lachhaft. Sie hatten doch viel Zeit, etwas zu machen; aber in der Frage der
Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist überhaupt nichts
passiert.
({11})
Wir legen Ihnen einen Gesetzentwurf vor, der wichtige
Punkte enthält. So steigt das sachliche Existenzminimum
an, sodass es an die aktuellen Lebensverhältnisse angepasst wird.
Frau Kollegin Kressl, gestatten Sie eine Zwischenfrage Ihrer Kollegin Ina Lenke?
({0})
Ich freue mich sehr darauf.
({0})
Frau Kressl, die Absetzbarkeit der
Kinderbetreuungskosten haben wir schon 1999 in einem
Bundestagsantrag gefordert.
({0})
SPD und Grüne haben das abgelehnt. Nicht nur in dieser
Legislaturperiode, sondern auch in der letzten haben wir
uns immer dafür ausgesprochen, das zu machen. Wir werden bei den Wahlen unsere Prozentzahlen steigern und
dann genügend Einfluss im Bundestag haben, um das
durchzusetzen.
({1})
Ich habe eine Frage an Sie, Frau Kressl. Haben Sie einmal ausgerechnet, zu wie viel echter Entlastung im Portemonnaie Ihre Deckelung bei 3 000 DM bei einem Durchschnittssteuersatz von 30 Prozent führt?
Sehr geehrte Frau Lenke, ich
finde es nett, dass Sie gleich zu Anfang richtigerweise gesagt haben, dass Sie 1999 einen Antrag gestellt haben.
({0})
Vielleicht haben Sie vergessen, dass Sie bis 1998 in der
Lage gewesen wären, etwas zu tun. Wir haben immer
darauf gewartet; aber nichts ist passiert.
({1})
Ich will Ihnen etwas zu den Alleinerziehenden sagen.
In der letzten Legislaturperiode haben wir zweimal beantragt, den Vorbehalt der Eltern bei der Frage der Absetzbarkeit von Betreuungskosten abzuschaffen. Denn wir haben es für unglaublich gehalten, eine solche Eigenbelastung zuzulassen. Dieser Antrag der SPD ist mit den
Stimmen Ihrer Fraktion 1997 abgelehnt worden. Falls Sie
sich nicht erinnern können, schicken wir Ihnen gerne das
Protokoll zum Nachlesen.
({2})
Möchten Sie
noch eine zweite Frage beantworten?
Bitte.
Frau Kressl, Sie haben in Ihrem
Eingangsstatement von der notwendigen Erweiterung der
Regelung zur Kinderbetreuung gesprochen. Wo steht das
eigentlich in Ihrem Antrag?
Offensichtlich haben Sie
noch nicht richtig reingeschaut, Frau Lenke.
({0})
Wir haben gesagt, dass wir das Angebot machen, dass,
wenn durch Berufstätigkeit höhere Betreuungskosten
entstehen, diese bei der Steuer geltend gemacht werden
können.
({1})
- In § 33 c des Entwurfes.
({2})
- Sie können ruhig sagen, dass das dort ganz klein steht. Uns
ist es eigentlich egal, wie viele Zeilen das sind. Uns ist wichtig, dass die entsprechende Wirkung eintritt, Frau Lenke.
({3})
Zurück zu unseren Kernpunkten. Wir fügen dem Freibetrag für das Existenzminimum einen neuen Freibetrag
für Betreuung, Erziehung und Ausbildung hinzu.
({4})
Dieser Freibetrag in Höhe von 4 212 DM gilt durchgehend bis zum Alter von 27 Jahren. Im Gegensatz dazu galt
der bisherige Betreuungsfreibetrag nur bis zum Alter von
16 Jahren. Wir folgen hiermit einer Empfehlung des Verfassungsgerichts und fassen kindbedingte Freibeträge,
eben auch den Ausbildungsfreibetrag, zusammen.
({5})
Er wird also keineswegs, wie manchmal behauptet wird,
einfach nur gestrichen.
({6})
- Frau Lenke, Sie sollten wirklich noch einmal in das Gesetz gucken.
Es macht Sinn, diese Freibeträge zusammenzufassen,
weil natürlich eine logische Entwicklung vorhanden ist.
Sie besteht darin, dass der anfängliche Betreuungsbedarf
von Kindern zunächst zum Erziehungsbedarf und anschließend zum Ausbildungsbedarf jeweils in Höhe von
4 212 Mark wechselt. Oder wollen Sie ernsthaft behaupten, dass wir 22-jährige Studierende noch mit einem Betreuungsbedarf ausstatten müssen?
({7})
Für uns Sozialdemokraten war beim Thema steuerliche
Freistellung des Existenzminimums immer wichtig, dass
sich die Schere zwischen Freibetragswirkung und Kindergeld möglichst wenig öffnet. Mit dieser Kindergelderhöhung um 30 DM ist es uns gelungen, den Unterschied
zwischen Freibetragswirkung und Kindergeldwirkung für
einkommensschwächere Familien bis 2005 stetig kleiner
werden zu lassen.
({8})
Diese Aufgabe, die uns das Verfassungsgericht gestellt
hat, nämlich zwangsläufig die Freibeträge zu erhöhen, hat
uns vor eine sicherlich nicht leichte Aufgabe gestellt, weil
wir die mangelnde soziale Gerechtigkeit mit einer Kindergelderhöhung ausgleichen wollten. Das gelingt uns
mit dieser parallelen Kindergelderhöhung.
Gleich anschließend werden wir von der Opposition
wahrscheinlich wieder hören, wir hätten beschlossen, den
Haushaltsfreibetrag für Alleinerziehende zu streichen.
({9})
In Wirklichkeit ist die Ausgangslage aber eine völlig andere. In der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
wurde festgestellt, dass es nicht der Verfassung entspricht,
den Haushaltsfreibetrag nur den Alleinerziehenden zukommen zu lassen.
({10})
Diesen Haushaltsfreibetrag in der bisherigen Form einfach auf alle Familien zu übertragen hätte bedeutet, dass
wir den Familien in einer sozial äußerst ungerechten
Weise 20 Milliarden DM ausschließlich in Form von Freibeträgen gegeben hätten.
({11})
Das kam für uns so nicht infrage.
({12})
Was tun wir also? Wir wandeln diesen Haushaltsfreibetrag, den es bisher einmal pro Monat gibt, in einen pauschalen Freibetrag für Betreuung, Erziehung und Ausbildung in Höhe von 4 212 DM um, wohlgemerkt pro Kind.
Weil wir aber die oft schwierige Situation von Alleinerziehenden kennen, haben wir uns entschlossen, nicht
gleichzeitig sofort den Haushaltsfreibetrag zu streichen,
sondern sämtlichen politischen Spielraum auszunutzen
und ihn noch bis 2005 parallel zu diesem pauschalen Freibetrag beizubehalten - um auch dies hier noch einmal
ganz klar und deutlich zu sagen.
({13})
Zusätzlich zur Umsetzung der Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts haben wir uns entschieden,
endlich etwas für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu tun.
({14})
Ich sage es noch einmal: Diesen Schritt ist die alte Bundesregierung nie gegangen. Ich weiß nicht, ob Sie nicht mutig genug waren oder ob Ideologie dabei eine Rolle spielte.
({15})
Das geht uns auch nichts an. Wir tun aber endlich etwas
auf diesem Gebiet. Wir schaffen mit einem nach oben begrenzten Abzug erwerbsbedingter Betreuungskosten bessere Bedingungen, um Familie und Erwerbstätigkeit miteinander vereinbaren zu können.
({16})
Wie stark diese Regelung den Bedürfnissen der Menschen entspricht, macht eine Umfrage von dieser Woche
deutlich. 83 Prozent aller Deutschen fordern, dass berufstätige Eltern einen Teil ihrer Kosten für Kinderbetreuung
von der Steuer absetzen können.
({17})
Wenn ich entsprechende Pressemitteilungen lese,
drängt sich mir die an die CDU/CSU zu stellende Frage
auf: Wollen Sie wirklich weiterhin gegen diesen Vorschlag polemisieren? Wollen Sie wirklich den Vorwurf
aufrechterhalten, wir bevorzugten die Erwerbstätigen gegenüber den Nichterwerbstätigen? Es ist doch häufig so,
dass eine Frau oder ein Mann, wenn sie sich nach einer
Familienphase dafür entscheiden, in den Beruf zurückzukehren, feststellen muss, dass trotz Erwerbstätigkeit
weniger übrig bleibt als vorher beim Ehegattensplitting,
wenn von den Einkünften die Kosten für die Kinderbetreuung abgezogen werden. Hier gibt es also schon eine
Lenkungswirkung. Wenn Sie polemisieren, scheinen Sie
immer zu vergessen, wie die Wirklichkeit tatsächlich ist.
Wir sorgen endlich für ein Stück Fairness, die junge
Frauen und Männer schon lange verdient haben.
({18})
Ich möchte jetzt auf die visionäre Alternative von
CDU/CSU zu sprechen kommen. In letzter Zeit wird immer ein Familiengeld in Höhe von 1 200 DM aus der Tasche gezaubert. Frau Hasselfeldt hat in einem Interview,
das ich gestern gelesen habe, gesagt, dieses Familiengeld
solle das jetzige Kindergeld mit dem Erziehungsgeld zusammenfassen und diese Größenordnung solle innerhalb
von zehn Jahren auf 1 200 DM pro Monat erhöht werden.
Dann wollen wir uns doch einmal ein konkretes Beispiel anschauen: Eine Frau, die sich im Jahr 2002 entscheiden wird, ein Jahr Kinderpause zu machen, und die,
weil sie ein niedriges Einkommen hat, Erziehungsgeld bekommt, soll also in zehn Jahren 1 200 DM bekommen.
Was aber bekommt sie im nächsten Jahr, nach der Verabschiedung unseres Gesetzentwurfes? Sie erhält 300 DM
Kindergeld und 900 DM Erziehungsgeld.
({19})
Wenn ich richtig gerechnet habe, dann sind das 1 200 DM.
Das ist die Vision der CDU/CSU in der Familienpolitik.
Das können Sie doch nicht ernst meinen. Dass Sie für die
Familienförderung 60 Milliarden DM benötigen, liegt
ausschließlich daran, dass Sie auch einkommensstärkere
Familien fördern wollen, die bisher kein Erziehungsgeld
bekommen haben. Das können Sie doch nicht im Ernst
vorschlagen!
({20})
Wenn ich mir diese Vorstellungen vor Augen führe, dann
kann ich trotz wohlklingender Parteitagsanträge der CDU
daraus nur ableiten: Windeln wechseln und warme Worte
für Mütter.
({21})
So sah die Familienpolitik der CDU/CSU aus und so
scheint sie noch immer zu sein.
Wir schlagen Ihnen heute vor: Unterstützen Sie die Koalitionsfraktionen und die Bundesregierung auf dem Weg,
gute Rahmenbedingungen für Familien zu schaffen!
Stimmen Sie unserem Gesetzentwurf zu. Denn das würde
den Familien sicherlich gut tun.
Vielen Dank.
({22})
Ich gebe das
Wort nunmehr der Kollegin Ilse Falk für die CDU/CSUFraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dieser Einstieg hat deutlich gemacht, wie genau wir besonders als Familienpolitiker hinschauen müssen, wenn wir wirklich erkennen wollen, was
hier eigentlich vorgelegt worden ist,
({0})
welche Teile des vorliegenden Gesetzentwurfes auf die
Umsetzung des Bundesverfassungsgerichtsurteils zurückgehen, in dem die Rückzahlung zu viel gezahlter Steuern
verlangt wird, und welche Teile sich tatsächlich auf die,
wie es im Titel des Gesetzentwurfes heißt, Familienförderung beziehen.
Natürlich freut sich auch die Opposition, wenn die
Leistungen für Familien verbessert werden und Sie das
Kindergeld für das erste und zweite Kind jeweils um
30 DM pro Monat anheben. Allerdings muss ich mahnend
darauf hinweisen, dass Sie es entgegen früherer Ankündigungen bei einer Erhöhung des Kindergeldes für das erste
und zweite Kind belassen haben. Sie hätten jetzt eigentlich die kinderreichen Familien, die nach den Erkenntnissen des gerade vorgelegten Armuts- und Reichtumsberichtes besonders bedürftig sind und besonders von Armut
betroffen sind,
({1})
berücksichtigen und ihnen mehr zugute kommen lassen
müssen.
({2})
Frau Kollegin Falk, gestatten Sie eine Zwischenfrage Ihrer Fraktionskollegin Schnieber-Jastram?
Ja.
Liebe Frau
Kollegin Falk, ist Ihnen bekannt, dass zum Beispiel in
meiner Heimatstadt Hamburg, aber auch in anderen SPDNicolette Kressl
regierten Kommunen die jetzt geplante Erhöhung des
Kindergeldes sofort für die Kindergartenbeiträge wieder
draufgeht?
({0})
Genau das ist der Punkt. Einmal berechnet sich das nach dem Einkommen der Eltern,
und zum anderen weckt es natürlich auch Begehrlichkeiten, wenn mehr Geld vorhanden ist, dies auf die Kindergartenbeiträge aufzuschlagen. Da stimme ich Ihnen völlig
zu.
({0})
Hinzu kommt, dass diese 30 DM kaum dazu angetan sind,
die Auswirkungen der Ökosteuer und der erhöhten Inflationsrate aufzufangen, sodass es unter dem Strich auf ein
Nullsummenspiel hinausläuft.
({1})
Wir freuen uns, dass Sie in zwei Punkten Vernunft angenommen haben. Und zwar haben Sie zwei Streichungen, die Sie vorgesehen hatten, wieder zurückgenommen.
Zum einen wollen Sie die Streichung der Absetzbarkeit
von Schulgeldern nicht mehr vornehmen und zum anderen haben Sie auf die völlige Abschaffung des Ausbildungsfreibetrages verzichtet, wenngleich er der Höhe
und seinem Anwendungsbereich nach dramatisch zurückgefahren worden ist.
({2})
Wir begrüßen auch die Erhöhung des Freibetrages für
das sächliche Existenzminimum und die Ergänzung des
bisherigen Betreuungsfreibetrages um einen Erziehungsund Ausbildungsanteil. Allerdings bleiben Sie bei beiden
Freibeträgen weit hinter den von Ihnen im August 1999
selbst geplanten Größenordnungen zurück. Damals wollten Sie den Sachbedarf von 6 912 DM auf 7 452 DM erhöhen. Jetzt bleiben Sie bei 7 128 DM stehen. Für den Erziehungsbedarf planten Sie noch 1999 einen Freibetrag
von 2 052 DM. Jetzt sind davon 1 188 DM geblieben.
Das, was eine Angleichung der Familien an die Steuererleichterungen für die Alleinerziehenden sein soll, entpuppt sich als Nullsummenspiel oder unter dem Strich sogar als weniger als vorher.
({3})
- Wenn ich mir Ihren Finanzierungsplan ansehe, kann ich
das nur so sagen.
Sie heben den Kinderfreibetrag um 1,24 Milliarden DM an. Hinzu kommen für nachgewiesene Betreuungskosten 315 Millionen DM. Dagegen steht der Abbau
des Haushaltsfreibetrages um 1,815 Milliarden DM. Das
ergibt ein Minus von 260 Millionen DM im Bereich der
Freibeträge für Betreuungs- und Erziehungsaufwand.
({4})
Von einem wirklichen Fortschritt bei der Familienförderung kann auch deshalb nicht die Rede sein, weil ein
großer Teil der Verbesserungen für die Familien von ihnen selber aufgebracht wird. In Ihrem Gesetzentwurf geben Sie selber an, dass von den Fördermaßnahmen zugunsten der Familien in Höhe von 7,5 Milliarden DM, die
genannt werden, die Familien und Alleinerziehenden
2,86 Milliarden DM allein aufbringen müssen. Das ist ein
Prozentsatz von 38 Prozent. Damit ist jede Mark Ihrer
Fördermaßnahmen nur noch 62 Pfennig wert.
({5})
Neben den schon genannten Maßnahmen sparen Sie
durch die Streichung der Abzugsfähigkeit des so genannten Dienstmädchenprivilegs 95 Millionen DM.
({6})
Dabei übersehen Sie erstens, dass damit Arbeitsplätze entstanden sind, und zweitens, dass es sich dabei nicht um ein
Privileg für Reiche handelt, sondern um eine echte Hilfe
für Familien mit Kindern und Familien mit pflege- und
betreuungsbedürftigen Familienangehörigen.
({7})
Durch die Reduzierung der Ausbildungsfreibeträge
sparen Sie fast 1 Milliarde DM.
({8})
Dies wird bei weitem nicht aufgefangen durch Ihre Ausbildungskomponente beim Freibetrag. Diese Vorgehensweise scheint auch Ihrem kleinen Koalitionspartner nicht
zu behagen. Dieser schreibt in seinem aktuellen Familienpapier, es dürfe unter keinen Umständen dazu kommen,
dass die Familien selber diese so genannten Verbesserungen finanzieren.
Völlig inakzeptabel sind auch die Pläne zur steuerlichen Behandlung der Betreuungskosten.
({9})
Sie räumen wiederum gezielt nur Alleinerziehenden und
Eltern, die beide berufstätig sind, einen Abzug für besondere Belastungen durch Fremdbetreuungskosten für Kinder ein.
({10})
Mit dieser Regelung werden erneut die Ehepaare gezielt
benachteiligt, bei denen ein Ehepartner auf ein eigenes
Einkommen verzichtet, weil er sich um die Familie kümmert und vielleicht auch Angehörige betreut.
({11})
- Sie müssen den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts genau lesen. Da wird ganz klar gesagt, um was es
geht.
({12})
Sie versuchen, die Freiheit der Lebensgestaltung und der
innerfamiliären Aufgabenteilung in nicht vertretbarer und
schlicht verfassungswidriger Weise einzugrenzen. Einer
Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht würde
diese Regelung wohl kaum standhalten. Ich zitiere aus
dem Beschluss:
In diesem Zusammenhang darf nicht danach unterschieden werden, in welcher Weise der Bedarf des
Kindes gedeckt wird. Das Einkommensteuergesetz
hat den Betreuungsbedarf eines Kindes stets zu verschonen, mögen die Eltern das Kind persönlich betreuen, mögen sie eine zeitweilige Fremdbetreuung
des Kindes, z. B. im Kindergarten, pädagogisch für
richtig halten oder mögen sich beide Eltern für eine
Erwerbstätigkeit entscheiden und deshalb eine
Fremdbetreuung in Anspruch nehmen. Dieser Bedarf
ist deshalb - anders als der erwerbsbedingte Bedarf - unabhängig von tatsächlich gezahlten Aufwendungen zu berücksichtigen.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin
Kressl?
Im Augenblick möchte ich
meinen Vortrag fortsetzen.
Nicht nur mir werden Sie erklären müssen, wieso das
alles nicht mehr gelten soll, sobald Sie dieselbe Unterscheidung unter einem neuen Etikett, nämlich als „besondere Belastung“ statt als Bestandteil des Familienleistungsausgleichs, wieder einführen.
Diese Regelungen zusammen mit der ohne jede sachliche Begründung vorgeschlagenen Reduzierung des
Ausbildungsfreibetrages zeigen, dass der rot-grünen
Bundesregierung Kinder unterschiedlich viel Wert sind.
({0})
- Hören Sie doch erst einmal zu! - Für Kinder bis
14 Jahre, deren Elternteile beide berufstätig sind, können
Kinderbetreuungskosten geltend gemacht werden, für
Kinder aus Familien, in denen ein Elternteil berufstätig
ist, dagegen nicht. Kinder, die älter als 14 Jahre sind,
scheinen auch für Elternteile, die beide berufstätig sind,
plötzlich preisgünstiger zu werden; denn die Anrechnung
der Kinderbetreuungskosten entfällt.
({1})
- Das steht so in Ihrem Gesetzentwurf. - Für auswärtig
untergebrachte Kinder über 18 Jahre, die sich in einer
Ausbildung befinden, gilt wenigstens noch ein Ausbildungsfreibetrag in Höhe von 1 800 DM.
({2})
Zu Hause lebenden Kindern über 18 Jahre, die sich ebenfalls in einer Ausbildung befinden, wird dieser Betrag
künftig ebenso verweigert wie minderjährigen Kindern,
die um ihrer Ausbildung willen auswärtig untergebracht
sind. - Das sollte jemand einmal wiederholen! Das ist so
kompliziert, wird kaum jemand schaffen.
({3})
Bisher sah der Ausbildungsfreibetrag so aus: 1 800 DM
für auswärtig untergebrachte Minderjährige, 2 400 DM
für bei den Eltern wohnende erwachsene Kinder,
4 200 DM für auswärtig untergebrachte Erwachsene.
({4})
- Ich schaue mir an, was bei der Rechnung unterm Strich
herauskommt. Wenn man das tut, dann wird ganz deutlich, was Sie gemacht haben.
Ebenso schieflastig ist die Situation für Alleinerziehende. Das Verfassungsgericht hat zwar entschieden,
dass Eltern zu viel Steuern zahlen.
({5})
Dies aber auf Kosten der Alleinerziehenden zu korrigieren war sicherlich nicht die Intention des Gerichts.
({6})
Alleinerziehende bekommen in Zukunft einen geringeren
Freibetrag. Während sie früher für das erste Kind Betreuungskosten in Höhe von 4 000 DM zuzüglich eines Haushaltsfreibetrags von 5 616 DM geltend machen konnten,
reduziert sich der Freibetrag nach den neuen Zahlen nun
um insgesamt 600 DM. Falls Alleinerziehende ihre Kinder betreuen lassen - denen kommen Sie etwas entgegen -, können sie zusätzliche Betreuungskosten, die die
4 212 DM übersteigen, bis 3 000 DM absetzen. Das ist
eine zusätzliche Entlastung für jemanden, der Betreuungskosten hat, die höher als 350 DM im Monat sind.
({7})
- Nein, ich möchte in meiner Rede fortfahren. - Bedenkt
man noch die schon eben erwähnten steigenden Beiträge,
dann zeigt sich, dass es eine Illusion ist, zu glauben, dass
das eine wirkliche Erleichterung sei. Erst bei einer vollständigen Ausschöpfung des Freibetrages bedeuten diese
Regelungen eine Verbesserung für Alleinerziehende.
({8})
Frau Kressl,
Frau Falk möchte keine Zwischenfrage zulassen.
Misst man den Gesetzentwurf
aber an den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts, das
gerade die Schlechterstellung von verheirateten Paaren
mit Kindern gegenüber Alleinerziehenden als verfassungswidrig angesehen hat, so gibt es wohl noch viel zu
erklären.
({0})
- Ich sage das, was Ihr Gesetzentwurf als Wahrheit ausgibt. Aus diesem geht hervor, dass im Vergleich zum maximalen Freibetrag für Alleinerziehende verheiratete Eltern, bei denen nur ein Elternteil erwerbstätig ist, lediglich
einen um 60 Prozent niedrigeren Freibetrag geltend machen können. Das werden wir in den anstehenden Beratungen sicherlich zu klären haben.
({1})
- Das ist kein Quatsch. Sie sollten Ihren Gesetzentwurf
selbst einmal lesen.
Sie sind angetreten - das haben Sie selbst eben wiederholt -, die Schere zwischen Kindergeld und steuerlicher Entlastung zu schließen;
({2})
doch auch nach der zweiten Stufe ist die Schere mitnichten geschlossen. Im letzten Jahr ist sie sogar wesentlich
weiter auseinander gegangen: Während 1999 die Differenz zwischen maximaler Steuererstattung und Kindergeld bei 55 DM lag, liegt sie seit 2000 bei 152 DM. Die
Grünen haben zum Teil die Schieflage erkannt. Sie fordern wie wir eine Erhöhung des Kindergeldes auf 600 DM
({3})
und eine Nichtanrechnung eines Teils des Kindergeldes
auf die Sozialhilfe.
Aber insgesamt ist die Regelung so kompliziert, dass
wir nur dafür plädieren können, die von uns vorgeschlagene, viel transparentere Lösung mit der Einführung des
Familiengeldes ernsthaft zu diskutieren, das unabhängig
vom Einkommen der Eltern gezahlt wird, das steuer- und
sozialabgabenfrei ist und das dynamisiert wird. Damit erreichen wir, dass keine Familie allein wegen der Kosten
für ihre Kinder in die Sozialhilfe gerät. Das ist ein Ansatz,
der in keinem Ihrer Konzepte bisher zu finden ist. Wir
sollten diesen Weg gemeinsam verfolgen und in der
anschließenden Diskussion in diese Richtung gehen.
({4})
Zu einer
Kurzintervention gebe ich der Kollegin Nicolette Kressl
das Wort.
Liebe Kollegin Falk, ich
habe mich zu einer Kurzintervention gemeldet, weil Ihre
falsche Darstellung bezüglich der Freibeträge nicht unwidersprochen bleiben kann. Sollte Ihnen etwa entgangen
sein, dass die von Ihnen genannten Betreuungskosten in
Höhe von 4 000 DM nur dann steuerlich geltend gemacht
werden konnten, wenn es dafür einen Nachweis gab? Wir
wissen aber, dass im Durchschnitt Betreuungskosten in
Höhe von nur 420 DM geltend gemacht worden sind.
Unser Betreuungs-, Erziehungs- und Ausbildungsfreibetrag gilt dagegen pauschal, also ohne Kostennachweis.
Das heißt, wir stellen die Familien mit diesem Freibetrag
wesentlich besser.
({0})
Ich gebe
jetzt das Wort der Kollegin Christine Scheel für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben mit diesem Gesetz die Konsequenzen gezogen, die
sich aus der Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts ergeben haben. Weil die alte Regierung nicht in der Lage war,
({0})
die Familien ausreichend zu entlasten, hat das Bundesverfassungsgericht der neuen Regierung den Auftrag gegeben, diese Altlasten abzubauen.
({1})
Das erreichen wir mit einer stärkeren Förderung der Familien mit Kindern, die in diesem Gesetz verankert ist.
Ich verstehe gar nicht, warum bei diesem Thema immer Zwischenrufe vonseiten der F.D.P. kommen. Man
muss immer wieder betonen: Sie haben 29 Jahre Zeit gehabt,
({2})
aber in der Regierung zusammen mit CDU und CSU in
der Familienförderung nicht das zustande gebracht, was
wir in drei Jahren erreicht haben. Das ist die Wahrheit!
({3})
Da hilft Ihnen auch nicht, dass Sie jetzt in der Opposition dreiste Forderungen aufstellen:
({4})
Herr Westerwelle fordert - wie heute Morgen -, der Bundeswehretat müsse erhöht werden. Jemand anderes aus
Ihren Reihen sagt, die Steuern müssten weiter gesenkt
werden,
({5})
aber der Staat dürfe sich nicht weiter einmischen und solle
sich zurückziehen.
({6})
Und hier wird jetzt gefordert, man müsse mehr für die Familie tun.
Ihre Linie ist überhaupt nicht mehr nachvollziehbar:
Einmal soll der Staat zubuttern; dann soll er sich wieder
zurückziehen. Auf der einen Seite sollen die Steuern gesenkt werden, aber auf der anderen Seite werden mehr
Steuereinnahmen benötigt, um das zu finanzieren, was Sie
alles fordern. Irgendwann müssen Sie sich einmal in der
Fraktion darüber verständigen, welche finanzpolitische
Linie Sie überhaupt fahren wollen.
({7})
Wir haben das Kindergeld auf 301,20 DM angehoben.
Es gab die Befürchtung, dass die Euro-Umstellung zulasten des Kindergeldes gehen und man versuchen könne,
das Kindergeld unter 300 DM zu belassen. Diese Befürchtungen sind jetzt eindeutig widerlegt. Das Kindergeld wird ab dem nächsten Jahr 301,20 DM betragen.
Wir haben - bitte halten Sie sich das einmal vor Augen - damit im Laufe dieser Legislaturperiode pro Kind
eine Steigerung von 960 DM im Jahr erreicht.
({8})
Bezüglich der Freibeträge - das ist von Ihnen recht eigenartig vorgestellt worden; aber Frau Kressl hat das klargestellt - führen wir zum 1. Januar 2002 eine neue Regelung ein. Die bisherigen Freibeträge werden in einem
Freibetrag für Betreuung, für Erziehung und Ausbildung
zusammenfasst.
({9})
Dieser Freibetrag wird, wie gesagt, pauschal gewährt und
nicht mehr nur bei Nachweis. Das ist der Erfolg, der in
dieser Zusammenfassung der Freibeträge steckt.
({10})
Man muss berücksichtigen, dass wir mit diesem Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Familienförderung, mit
dem wir das Kindergeld anheben und die Freibeträge umgestalten wollen, unsere Möglichkeiten, unsere Kompetenz
als Bundesregierung, das Leben mit Kindern sowohl finanziell als auch von der strukturellen Situation her zu verbessern, genutzt haben. So haben wir zum Beispiel die Entscheidung getroffen, den Grundfreibetrag von 12 300 DM
auf 15 000 DM in der letzten Stufe zu erhöhen und den Eingangssteuersatz von 25,9 Prozent auf 15 Prozent zu senken.
({11})
Das sind Entscheidungen, die gerade Beziehern geringer
und mittlerer Einkommen sowie Familien mit mehreren
Kindern zugute kommen. Diese werden durch solche
steuerpolitischen Maßnahmen massiv entlastet. In Zukunft werden 40 000 DM der Einkünfte steuerfrei bleiben.
Das ist ein Riesenerfolg, den diese Regierung zu verbuchen hat.
({12})
Neben den steuerrechtlichen Regelungen kann der
Bund auch über Finanzhilfen lenkend eingreifen. Wir
haben Familien mit niedrigen Einkommen und mehreren
Kindern das Erziehungsgeld erhöht. Wir haben das
Baukindergeld auf insgesamt 5,4 Milliarden DM angehoben und somit gerade gestärkt. Wir haben die BAföG-Mittel auf insgesamt 3,5 Milliarden DM erhöht - eine Steigerung um 1 Milliarde DM.
Daran und an vielen anderen Punkten kann man erkennen, dass Bildung, Ausbildung, Förderung steuerpolitischer Art und Kindergeld zusammengehören. Das
sind die Förderungen, die man zusammengenommen sehen muss, um beurteilen zu können, was diese Bundesregierung für Familien leistet. Wir kommen mittlerweile
auf eine finanzielle Entlastung der Familien von insgesamt annähernd 100 Milliarden DM. Im Moment sind es
rund 98 Milliarden DM. In den nächsten Jahren werden
es noch mehr sein, weil es Anpassungen geben wird, so
zum Beispiel beim Bundeserziehungsgeld, im Jahr 2003
auf 6,1 Milliarden DM. Die Summe der Förderung für
Familien wird die 100-Milliarden-DM-Grenze überschreiten.
Ich meine trotzdem, dass es Aufgabe der gesamten
Gesellschaft sein muss, ein kinderfreundliches Klima zu
gestalten. In der Tat bedarf es dazu finazieller Unterstützung. Es ist notwendig, das zu tun, was wir von der
Haushaltssituation her verantworten können. Dabei
muss man sehen: Wenn wir Haushaltskonsolidierung
betreiben, wenn wir Maßnahmen ergreifen, um den riesigen Schuldenberg, den Sie angehäuft haben, abzubauen, ist auch dies Politik für die Zukunft, Politik für
Kinder.
({13})
Ich darf an dieser Stzelle darauf hinweisen - Frau
Kressl hat es angesprochen -, was unsere Förderung
heute in der Konsequenz bedeutet: dass wir schon heute
ein Kindergeld von 1 200 DM, das, was Sie erst in zehn
Jahren umsetzen wollen, erreicht haben. Wenn ich mir
Herrn Stoiber und andere von der CDU/CSU- und der
F.D.P.-Fraktion anhöre, die sagen, sie wollten die Familien mit 1 200 DM pro Kind fördern, muss ich ihnen genau das entgegnen: Was heute an Förderung speziell für
Kinder in Familien mit niedrigerem Einkommen gewährt
wird, liegt schon heute über dem, was Sie mit einem Betrag von 1 200 DM fordern. Sie dürfen nicht nur das Erziehungs- und das Kindergeld betrachten, sondern müssen auch die besonderen Leistungen berücksichtigen, die
zum Beispiel nach dem Sozialhilfegesetzbuch gewährt
werden.
Herr Stoiber sagt, alle Maßnahmen von staatlicher
Seite für Kinder sollen zu einem Betrag von 1 200 DM zusammengefasst werden.
({14})
Das würde dazu führen, dass gerade Familien mit mehreren Kindern und niedrigem Einkommen weniger Familienförderung erhalten, als sie heute von dieser Regierung
an Familienförderung bekommen.
({15})
Frau Kollegin Scheel, Sie müssen jetzt zum Schluss kommen.
Ja,
ich komme zum Schluss. - Ich bin froh, dass die CDU und
die CSU ihr vorsintflutliches Familienbild ein wenig relativieren. So wird klar, dass Mütter und Väter auch Betreuungseinrichtungen brauchen. Die Schaffung dieser
Betreuungseinrichtungen ist eine originäre Aufgabe der
Kommunen und der Länder. Herr Stoiber hat ein Pilotprojekt von Einrichtungen für Kinder unter drei Jahren
gestartet. In Zukunft wird es in Bayern vier Einrichtungen
geben, die gefördert werden.
({0})
Dazu kann ich nur sagen: Guten Morgen, Herr Stoiber, es
wird Zeit, dass Sie endlich kapieren, dass für die Betreuung auch die notwendige Infrastruktur geschaffen werden
muss. Alle, auch die Länder und Kommunen, müssen mithelfen, dies zu gewährleisten. Es ist nicht damit getan,
ständig mit dem Finger auf den Bund zu zeigen und zu sagen, was dieser alles zu bezahlen habe. Wir tun das, was
wir verantworten können.
Als Letztes möchte ich sagen: Wir haben die Mittel für
Ausgaben im Familienbereich enorm angehoben. Dies ist
im Rahmen der Haushaltsgestaltung des Bundes verantwortungsvoll geschehen.
Danke schön.
({1})
Ich gebe das
Wort der Kollegin Ina Lenke für die F.D.P.-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! O-Ton des SPD-Wahlprogramms zur Bundestagswahl 1998:
({0})
„Alleinerziehende verdienen die besondere Unterstützung der Gesellschaft“ - aber anscheinend nicht die dieser Regierung; denn diese Regierung kürzt erst einmal bei
den Alleinerziehenden.
({1})
Der Haushaltsfreibetrag, den gerade die Alleinerziehenden zur Steuerentlastung dringend brauchen, wird abgebaut. Was sollen allein erziehende Mütter eigentlich sagen, wenn zwar das Kindergeld um 30 DM erhöht wird
und die Kinderbetreuung in begrenztem Umfang steuerlich absetzbar ist, ihnen auf der anderen Seite aber der
Haushaltsfreibetrag gestrichen wird?
({2})
Frau Kressl, dies ist wirklich symptomatisch für den
vorliegenden Antrag von Rot-Grün:
({3})
Die Familienentlastung wird nicht von der Allgemeinheit
- durch Steuern - gewährleistet; nein, die Familien selbst
werden zur Finanzierung herangezogen.
({4})
Erstens. Eichel holt sich 95 Millionen DM von den Familien, indem er die steuerlichen Vergünstigungen für
Haushaltshilfen streicht. Frau Kressl, auch Sie wissen
ganz genau, dass die Regelungen zur Haushaltshilfe im
Gesetz verankert wurden, damit Schwarzarbeit im Haushalt verhindert werden kann. Sie schaffen nicht nur diese
Regelungen, sondern sogar die 630-Mark-Jobs ab, weil es
zu kompliziert wird.
({5})
- Ich komme aus dem Steuerfach, meine Kenntnisse sind
gut. Sie brauchen mir keinen Nachhilfeunterricht zu geben.
({6})
Ein überaus sinnvolles Angebot, das auch half, Schwarzarbeit zu vermeiden, ist gestrichen worden.
({7})
Zweitens. Eichel holt sich 950 Millionen DM von Familien, deren Kinder studieren. Der jährliche Freibetrag
für auswärtige Unterbringung wird auf 1 800 DM reduziert.
({8})
Bei einem Durchschnittssteuersatz von 30 Prozent erhalten die Familien vom Staat künftig eine Entlastung von
45 DM monatlich. Mein Sohn hat studiert. Um über die
Runden zu kommen, benötigt man 1 100 DM monatlich,
wenn man nicht selber arbeiten geht. Sie kürzen in diesem
Bereich und bieten eine steuerliche Entlastung von lediglich 45 DM pro Monat an. Das erklären Sie doch einmal
den Studenten!
({9})
Drittens. Eichel holt sich 1,8 Milliarden DM von den
Familien, indem er die Steuervergünstigungen für AlleinChristine Scheel
erziehende abschafft. Und die Grünen - Frau Scheel,
lässt grüßen - tragen dies alles tapfer mit.
({10})
Insgesamt holt sich Eichel an Gegenfinanzierungen
gemäß Ihrem Antrag 2,8 Milliarden DM von den Familien, bei Vergünstigungen von 7,5 Milliarden DM.
({11})
- Das ist nach Adam Riese richtig. Sie können dreimal
nachrechnen, es wird nicht besser. - Das heißt, fast
40 Prozent finanzieren die Familien bei Ihrem Antrag
selbst.
({12})
Das sind politische Taschenspielertricks, die wir als Opposition offen legen müssen.
({13})
Dann will ich Ihnen etwas zu den Gesamtsteuereinnahmen von Minister Eichel und dem Abwarten der Steuerschätzung sagen. Es hieß: Wenn Eichel genug Geld hat!
Wenn es die Steuerschätzung hergibt! Das entspricht der
Devise des Ministers: laut klagen, still kassieren.
Die Gesamteinnahmen in 2001 betragen 891 Milliarden DM. 2002 werden es 929 Milliarden DM sein. 2004
werden die Einnahmen von Bund, Ländern und Gemeinden
bei mehr als 1 Billion DM liegen. Sie steigen also ständig;
das wissen Sie ganz genau. Das war auch in der Vergangenheit so. Ich habe das, seit ich 1998 in den Bundestag gekommen bin, sehr genau beobachtet. Die Steuerschätzung
und die ordentlichen Einnahmen sind immer besser geworden.
Sie aber machen dieses Paket noch immer von irgendeiner Steuerschätzung abhängig. Der Bundeskanzler
macht dieses Spiel mit. Aber vielleicht - ich kenne ihn ja
aus Niedersachsen - weiß er das nicht besser.
({14})
- Ich verstehe davon sehr wohl etwas, Herr Larcher; ich
verstehe auch sehr genau Ihre Zwischenrufe.
({15})
Die F.D.P.-Bundestagsfraktion fordert von dieser Bundesregierung eine steuerliche Entlastung, die diesen Namen verdient. Wir haben Vorschläge für eine Steuerreform mit Sätzen von 15, 25 und 35 Prozent gemacht. Wir
haben 1999 einen Antrag zur Familienförderung eingebracht. Sie werden von uns einen neuen bekommen, damit Sie sich an all das erinnern, was wir schon vorgeschlagen haben.
Frau Scheel, Sie fahren immer die Neidkampagne, dass
besser verdienende Familien durch Freibeträge höher entlastet würden.
({16})
Ich will Ihnen einmal etwas sagen: In Hamburg hat eine
Sozialhilfeempfängerin monatlich 75 DM für einen Kindergartenplatz zu bezahlen. Eine Familie, in der die Frau
wieder arbeiten gehen will, hat bis zu 750 DM im Monat
zu bezahlen. Aber Sie fahren noch immer die Neidkampagne, dass die Steuerentlastung höher sei.
({17})
Ich sage Ihnen: Sie verhindern, wenn Sie die Steuerfreibeträge derart niedrig halten, einen Wiedereinstieg von
Frauen in den Beruf.
({18})
Ich komme zum Schluss. Die Ankündigungen von
SPD und Grünen vor der letzten Bundestagswahl sind das
Papier nicht wert, auf dem die Wahlversprechen gemacht
worden sind.
({19})
Wir brauchen ein umfassendes Konzept. Frau Kressl hat
von mehr Kinderbetreuungsmöglichkeiten gesprochen,
was man aber in diesem Antrag nicht findet. Da hätten Sie
einmal konkreter werden müssen. Meines Erachtens müssen neben der steuerlichen Entlastung auch Konzepte zur
Vereinbarung von Familie und Beruf - da müssen wir mit
den Kommunen reden - erstellt werden. Als Oppositionspartei wird die F.D.P. eigene Vorstellungen darlegen und
Vorschläge machen. Die Regierung hat für dieses Flickwerk Kritik verdient.
({20})
Ich erteile das Wort
Kollegin Barbara Höll, PDS-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute ist der 1. Juni. Deshalb gratuliere ich allen Kindern und jungen Jugendlichen zum
heutigen Internationalen Tag des Kindes.
({0})
Gleichzeitig möchte ich mich bei ihren Eltern gewissermaßen dafür entschuldigen, dass die Politik es bis
heute nicht geschafft hat, Kinder materiell abzusichern,
die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu gewährleisten und eine ausreichende Kinderganztagsbetreuung
vom Kindergarten bis zur Schule in der Bundesrepublik
Deutschland zu verwirklichen.
Frau Kressl, Sie haben sich im Laufe dieser Debatte
doch ziemlich aufgeregt; Sie waren nicht die Einzige in
Ihrer Fraktion. Ich frage mich allerdings: Warum verweigern Sie sich eigentlich einer seriösen Beratung dieses
Gesetzentwurfes? Sie versuchen, ihn innerhalb von vier
Wochen hier durchzupauken. Auch das ist ein Punkt, um
den es geht: Sie versuchen, uns Parlamentarierinnen und
Parlamentarier, aber auch die Verbände und die betroffenen Eltern zu entmündigen. Es ist nicht möglich, innerhalb von drei Wochen wirklich seriös zu diskutieren, all
die Fallstricke zu finden, die in Ihrem Gesetzentwurf versteckt sind und zu ermitteln, welche Verteilungswirkung
des Ganze hat.
Erstens. Sie haben in Ihrem Gesetzentwurf eine Entlastung für Menschen mit Kindern in Höhe von insgesamt
4,6 Milliarden DM vorgeschlagen.
({1})
Das ist nichts verglichen mit den Entlastungen im Rahmen
der Unternehmensteuerreform. Noch dazu wurde das alles
unter Finanzierungsvorbehalt gestellt. Außerdem müssen
die Familien die Entlastung zum Teil selber gegenfinanzieren.
Zweitens. Zielstellung der gesellschaftlichen Diskussionen der letzten Jahre war es, dass es darum gehen
müsste, Familien wieder stärker am gesellschaftlichen
Wohlstand teilhaben zu lassen. Ihr Gesetzentwurf macht
aber nichts in diese Richtung. Im Gegenteil: Sie koppeln
die Familien vom gesellschaftlichen Wohlstand weiter ab.
Zur Illustration zwei Zahlen: Bis zum Jahr 2005 werden
Singles ohne Kind mit einem Jahreseinkommen in Höhe
von 40 000 DM steuerlich dreimal höher entlastet als Alleinerziehende mit gleichem Einkommen. Das kann doch
wohl nicht gerecht sein.
({2})
Ein Single ohne Kind mit einem Jahreseinkommen in
Höhe von 60 000 DM erhält immer noch eine doppelt so
hohe steuerliche Entlastung wie Alleinerziehende.
({3})
Drittens. Es stimmt leider nicht, dass sich die Schere
zwischen reichen und armen Familien wieder schließt.
Nein, das ist nicht der Fall.
({4})
Durch die Beibehaltung des dualen Systems - Kindergeld
und Kinderfreibeträge - kommt es zu einer sehr unterschiedlich starken Entlastung. Sie erhöhen zwar das Kindergeld für das erste und zweite Kind um monatlich
30 DM pro Kind, schaffen damit aber nur eine tatsächliche monatliche Entlastung in Höhe von 300 DM. Die monatliche Entlastung für Spitzenverdiener beträgt, fasst
man den Betreuungsfreibetrag und den Kinderfreibetrag
zusammen, 460 DM. Das sind 160 DM pro Monat mehr.
Solange Sie in der Opposition waren, haben Sie das duale
System massiv kritisiert. Jetzt sind Sie an der Macht und
halten daran fest. Das kann niemand mehr verstehen.
({5})
Selbst der Wissenschaftliche Beirat beim Familienministerium - man höre und staune - schließt sich der Forderung nach einer Beseitigung des dualen Systems an. Nicht
einmal dem folgen Sie.
Viertens. Ihr Gesetzentwurf enthält reale Mehrbelastungen für allein erziehende Eltern. Wieder ein Beispiel
mit Zahlen, denn das macht sich besser: Alleinerziehende,
die 60 000 DM im Jahr verdienen - diese soll es tatsächlich geben - und Betreuungskosten in Höhe von
4 000 DM haben, zahlen unter Berücksichtigung aller Tarifentlastungen durch die Steuersenkungsgesetze, die wir
in Ihrer Regierungszeit so hatten, im Jahre 2003 590 DM
mehr Steuern als 1999. Im Jahre 2005 werden es sogar
noch mehr sein. Eine Alleinerziehende mit einem Jahreseinkommen in Höhe von 45 000 DM und Kinderbetreuungskosten in Höhe von 3 000 DM muss im Jahre 2003
165 DM mehr an Steuern zahlen. Im Jahre 2005 sind es
250 DM mehr.
Die größte Schweinerei besteht darin - das muss man
so sagen -, dass Sie sozialhilfeberechtigte Kinder und Jugendliche wieder nicht an der Kindergelderhöhung teilhaben lassen wollen. Die Erhöhung um 30 DM wird auf
die Sozialhilfe angerechnet. Schon beim letzten Mal haben wir darum gekämpft, dass wenigstens 10 DM bei diesen ankommen.
({6})
Muss denn dieser Kampf jedes Mal aufs Neue geführt
werden?
({7})
Sie hätten natürlich eine Möglichkeit, da herauszukommen. Da Sie in der Diskussion aber bisher darauf nicht
eingegangen sind, sage ich es Ihnen.
Wir haben Ihnen den Antrag mit dem Titel „Gerechte
Chancen am Start - Kinderarmut bekämpfen“ vorgelegt.
Danach soll es ein Kindergeld für alle Kinder in Höhe von
mindestens 410 DM und Zulagen in existenzsichernder
Höhe von 800 DM für die Kinder geben, deren Eltern wenig Geld haben. Das ist auch finanzierbar.
({8})
Es ist unter anderem durch eine Individualisierung des
Steuerrechts finanzierbar. Das wissen Sie, aber Sie verwirklichen es wider besseres Wissen bisher nicht.
({9})
Ich erteile der Kollegin Christel Humme, SPD-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Von den vielen Luftnummern
kommen wir jetzt vielleicht zur Lebenswirklichkeit
zurück.
({0})
Familien sind in. 88 Prozent der jungen Menschen
wünschen sich Kinder und Familie - so das Ergebnis der
Shell-Jugendstudie aus dem Jahre 1998. Dennoch stellen
wir fest: 40 Prozent aller Akademikerinnen zwischen 35
und 39 Jahren haben keine Kinder. Denn die jungen Menschen sehen die Schwierigkeiten, die mit der Familiengründung verbunden sind. Zum einen muss der finanzielle Rahmen stimmen. Zum anderen befürchten
gerade junge Frauen, dass ihr Wunsch nach dauerhafter
Erwerbstätigkeit mit einer Familie nur schwer zu vereinbaren ist. In ist also auch, im Beruf Erfolg zu haben und
Erfüllung zu finden. Dies gilt für Männer und Frauen.
Out ist danach eindeutig, dass Frauen ihre hervorragenden beruflichen Qualifikationen nach der Geburt eines
Kindes nicht nutzen können. Out ist - um es auf einen
Nenner zu bringen - eine konservative Familienpolitik,
({1})
eine Familienpolitik - das sage ich bewusst in Richtung
der CDU/CSU -, die zum Beispiel ein Familiengehalt
von bis zu 1 200 DM monatlich fordert.
({2})
Dass für diesen Betrag kaum ein Mann seinen Beruf aufgibt, ist sonnenklar. Dass dieser Betrag nur mit einer drastischen Steuererhöhung zu finanzieren wäre, kommt
hinzu. Mütter aber schickt dieses Familiengehalt
({3})
ins berufliche Abseits. Denn das Geld soll nur bekommen,
wer auf Berufstätigkeit verzichtet.
({4})
Wer das aber über viele Jahre tut, landet im beruflichen Aus.
Kollegin Humme, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Eichhorn?
Ich möchte jetzt erst einmal
fortfahren. Wir können Ihre Frage, Frau Eichhorn, vielleicht am Schluss klären.
Inzwischen schießen die unterschiedlichsten populistischen Vorschläge - von Familienrabatten über Familiengeld bis hin zu weiteren Steuerfreibeträgen - ins Kraut.
Besonders wir Frauen aber haben allen Grund, alles, was
so familienfreundlich daherkommt, genauer zu prüfen.
({0})
„Familienpolitik - ungenügend“ hat das Bundesverfassungsgericht der CDU/CSU- und F.D.P.-Regierung
mit seinem Urteil aus dem Jahre 1998 ins Stammbuch geschrieben. Wir, die SPD und das Bündnis 90/Die Grünen,
haben seit Herbst 1998 Familien dahin gerückt, wohin sie
gehören: ins Zentrum unseres politischen Handelns. Wir
haben erstens ihre wirtschaftliche Situation verbessert
und zweitens Rahmenbedingungen für eine verbesserte
Vereinbarkeit von Familie und Beruf geschaffen.
({1})
Schauen wir uns die wirtschaftlichen Vorteile, die wir
in den letzten zweieinhalb Jahren für Familien geschaffen
haben, etwas näher an: Die heute vorgestellte zweite Stufe
der Familienförderung ist eine der vielen Maßnahmen zur
Entlastung und Förderung von Familien. Die darin vorgesehene Kindergelderhöhung zum 1. Januar 2002 ist die
dritte innerhalb von drei Jahren. Wir, die rot-grüne Koalition, haben seit 1998 das Kindergeld von 220 DM auf
300 DM erhöht. Das ist eine Anhebung um 80 DM, eine
Steigerung um sage und schreibe 36 Prozent.
Seit dem 1. Januar des letzten Jahres bringt der Betreuungsfreibetrag von 3 024 DM weitere Entlastungen.
Ab 2002 gibt es neben dem Kinderfreibetrag - jetzt sollten Sie von der Opposition einmal genauer hinhören; denn
ich glaube, Sie haben einiges nicht richtig verstanden - einen Betreuungs-, Erziehungs- und Ausbildungsfreibetrag
von 4 212 DM, der im Übrigen durchgängig bis zum
27. Lebensjahr gewährt wird, und zusätzlich 1 800 DM
für auswärtig untergebrachte, volljährige studierende
Kinder. Es gibt also keine Kürzungen, sondern wir legen
sogar noch etwas oben drauf, Frau Falk.
({2})
Über Kindergelderhöhungen und Betreuungsfreibetrag
hinaus gab es bereits weitere Entlastungen für Familien.
Ich nenne nur die geringe Steuer- und Abgabenlast aufgrund der Steuerreform,
({3})
die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und insbesondere der
Jugendarbeitslosigkeit - dies ist unsere Erfolgsstory überhaupt -, die Anhebung der Einkommensgrenzen beim Erziehungsgeld, die bessere finanzielle Förderung der Ausbildung von Kindern durch die Reform des BAföG sowie die
Reform des Wohngelds. All dies hat die wirtschaftliche Situation der Familien und natürlich auch die der Alleinerziehenden spürbar verbessert. Wir haben damit in Sachen
Familienpolitik ein gerechtes Reformpaket geschnürt.
Was haben wir gleichzeitig geleistet, um für junge Familien die wichtige Frage zu beantworten, wie Familie
und Beruf zu vereinbaren sind? Aufgrund der Flexibilisierung der Elternzeit sowie der Einführung des Rechtsanspruchs auf Teilzeitarbeit
({4})
geben wir nun auch Männern die Chance, sich an der Erziehung ihrer Kinder zu beteiligen.
({5})
Die heute diskutierte zweite Stufe der Familienförderung
unterstützt gerade das Ziel, die Berufstätigkeit zugunsten
von Kindererziehung nicht aufgeben zu müssen.
Zurzeit wird eine für mich unverständliche Debatte darüber geführt, dass Kinder das größte Armutsrisiko seien.
Ich hoffe, die Kinder hören das nicht.
({6})
Dabei wird allerdings übersehen, dass in Wirklichkeit das
entgangene Gehalt das Loch in die Haushaltskasse reißt
und damit am stärksten zum Armutsrisiko beiträgt.
Darum begrüße ich im Konzept der zweiten Stufe der
Familienförderung besonders die von uns neu eingeführte
steuerliche Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten.
Sind beide Elternteile erwerbstätig, sollen sie ihre
erwerbsbedingten Kinderbetreuungskosten steuerlich
geltend machen können.
({7})
Damit leisten wir einen wichtigen und wesentlichen Beitrag zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
Liebe Kollegen und Kolleginnen, flexibilisierte Elternzeit, Rechtsanspruch auf Teilzeit und steuerliche Absetzbarkeit erwerbsbedingter Betreuungskosten sind wichtige
Schritte für die Besserstellung der Familien. Wir brauchen
aber auch - und da stimme ich Ihnen natürlich zu, wie
Frau Scheel auch - mehr Betreuungsangebote für kleine
und große Kinder. Ganztagsbetreuung, Ganztagsschulen
müssen flächendeckend angeboten werden. Das ist eine
große Herausforderung der kommenden Jahre für Bund,
Länder und Gemeinden.
({8})
Wir stellen uns dieser Herausforderung. Gemeinsam
mit Ländern und Kommunen arbeiten wir bereits an tragfähigen und finanzierbaren Lösungen. Auch Firmen
- jetzt hören Sie noch einmal genauer zu - haben die
Zeichen der Zeit erkannt. Sie sehen mittlerweile in ihren
Mitarbeitern Väter und Mütter und schaffen zunehmend
Betreuungsangebote.
Das ist, denke ich, die Politik, die, von uns mitgetragen
und nach vorn gebracht, die Zukunft darstellen wird, nämlich ein Bündnis für die Familie. Das ist auch ein Standortvorteil für Deutschland.
Vielen Dank.
({9})
Zu einer Kurzintervention erteile ich Kollegin Maria Eichhorn, das Wort.
Frau Kollegin Humme
hat das Familiengeld angesprochen. Da muss ich denn
doch etwas zurechtrücken.
Sie haben nämlich gesagt, mit dem Familiengeld sei
beabsichtigt, dass nur diejenigen es bekommen würden,
die nicht erwerbstätig seien. Unser Familiengeld ist im
Gegensatz dazu so konzipiert, dass es echte Wahlfreiheit
gewährt. Das heißt, es ist einkommensunabhängig, unabhängig von jeder Erwerbstätigkeit. Es können also Eltern,
die beide erwerbstätig sind, das Familiengeld genauso in
Anspruch nehmen wie diejenigen, die die Rollenverteilung auf andere Art und Weise bewältigen. Wenn sich also
einer der Kindererziehung widmet und der andere erwerbstätig ist, haben sie denselben Anspruch.
Wir wollen genau das verwirklichen, was Sie vorher
abgestritten haben, nämlich beiden Elternteilen die echte
Wahlfreiheit ermöglichen.
In diesem Zusammenhang auch noch etwas zur Gegenrechnung. Das Familiengeld beinhaltet keineswegs,
dass andere Familienleistungen abgeschafft werden.
Alle anderen Leistungen wie Wohngeld und Unterhaltsvorschuss bleiben natürlich bestehen. Es geht nur darum,
in den ersten drei Jahren Erziehungsgeld und Kindergeld
zusammenzufassen, wobei das eine ein Kostenersatz für
das ist, was den Eltern vorenthalten wird, also ein Ausgleich, und das andere eine echte Familienförderung. Ich
wollte das noch klargestellt haben.
({0})
Kollegin Humme, Sie
haben die Gelegenheit zur Antwort.
Frau Eichhorn, erstens zu
dem, was Frau Kressl bereits gesagt hat. Die von Ihnen
genannten 1 200 DM werden bei uns schon über das Erziehungsgeld und das Kindergeld pro Kind gezahlt. Auf
diese 1 200 DM brauchen wir also nicht länger zu warten.
({0})
Zweitens. Wenn Sie das wirklich so meinen, wie Sie es
gerade gesagt haben, dann bitte ich Sie, Frau Eichhorn,
darauf hinzuwirken, dass in Ihrem Parteiprogramm
tatsächlich steht, dass alle, unabhängig vom Einkommen,
diese 1 200 DM erhalten. Aus Ihrem Programm geht das
so nicht hervor.
({1})
Ich weiß aber - und das möchte ich jetzt einmal zu
Ende ausführen - von einem Modellprojekt in BadenWürttemberg. Wir wissen ja alle, wer in Baden-Württemberg regiert. Wir sind es nicht, soweit ich weiß. Da gibt es
ein Modellprojekt: 1 500 DM Familiengeld für Familien,
deren Mütter zu Hause bleiben und für die Kinder sorgen.
Ergebnis dieses Modellprojektes war bedauerlicherweise,
dass all die Mütter, die dieses Modell in Anspruch genommen haben, hinterher der Sozialhilfe anheim gefallen
sind.
({2})
Das ist ein Projekt, das wir nicht fördern. Von daher
wäre es ganz gut, wenn Sie in Ihrem Programm Ihre Aussagen etwas konkretisieren würden.
Danke schön.
({3})
Nun erteile ich der
Kollegin Elke Wülfing, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, wir sollten von
der Lebenswirklichkeit der Frau Humme jetzt wieder zu
der Lebenswirklichkeit dieses Gesetzentwurfes kommen.
({0})
Also, es war wie folgt: Die Mitglieder der Regierung
haben miteinander gestritten: Herr Eichel mit Frau
Bergmann, Frau Bergmann mit Herrn Eichel, hin und her,
vor und zurück - und das monatelang.
({1})
Dann hat die SPD untereinander gestritten, später die SPD
mit den Grünen und die Grünen mit der SPD. Plötzlich
entstand im Geiersturzflug ein Gesetzentwurf.
({2})
Die Druckerschwärze war noch nicht trocken, Frau
Scheel, da las ich in AFP, dass das alles gar nicht mehr aktuell ist und dass es sich um Makulatur handelt.
({3})
Kaum ist ein Gesetzentwurf fertig, haben Sie wieder etwas zu kritisieren. Ich denke, man kann mit Fug und
Recht sagen, dass Sie noch immer nicht gelernt haben zu
regieren. Das scheint sehr schwer zu sein.
({4})
Ich denke, dass es vernünftigerweise so sein sollte, dass
man sich, bevor man einen Gesetzentwurf einbringt, vorher auf die Inhalte einigt und nicht nachher übereinander
herfällt.
Jetzt wollen wir einmal zum Inhalt kommen: Wir als
CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßen, dass die Regierung versucht, ihre Pflicht zu erfüllen und das Urteil des
Bundesverfassungsgerichts umzusetzen. Von den angekündigten 22 Milliarden DM, die dieses Urteil nach
Aussagen des Bundesfinanzministeriums direkt nach der
Verkündung kosten sollte, sind in diesem Gesetzentwurf
circa 4,5 Milliarden DM übrig geblieben.
({5})
Also steht über diesem Gesetzentwurf ein falsches Etikett.
Er ist ein Etikettenschwindel; denn von Familienförderung kann hier überhaupt nicht die Rede sein.
({6})
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist nicht so
gemeint, wie Sie es umsetzen. Das Verfassungsgericht
hat ja kritisiert, dass Sie die Alleinerziehenden besser
stellen als die verheirateten Eltern bzw. dass die verheirateten Eltern schlechter gestellt sind als die Alleinerziehenden.
({7})
Unsere Regierung hat die Alleinerziehenden damals
deswegen besser gestellt, weil Sie mit uns zusammen argumentiert haben, dass sie auch mehr Bedarf haben.
({8})
Das hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt und
kritisiert.
({9})
Was tun Sie jetzt? Sie tun Folgendes: - ({10})
- Ich kann noch viel lauter sprechen.
({11})
- Herr von Larcher, Sie brauchen gar nicht so zu schreien.
Sie pöbeln nur.
Das Verfassungsgericht hat nicht gemeint, dass Sie den
Haushaltsfreibetrag der Alleinerziehenden ab 2005 ganz
auf null fahren, sondern es hat genau das Umgekehrte gemeint:
({12})
dass die verheirateten Eltern genauso viel bekommen sollen wie die Alleinerziehenden. Hier liegt ein Schwachpunkt.
({13})
Ich denke, dass wir gemeinsam froh sein können, dass
das Kindergeld um 30 DM erhöht werden soll. Wenn
man sich allerdings das Finanzierungstableau ansieht,
dann kann man nur schier erschrocken sein. Beim Finanzierungsteil machen Sie nämlich Folgendes: Senkung des
Haushaltsfreibetrags bei Alleinerziehenden, Streichung
der steuerlichen Absetzbarkeit von Haushaltshilfen und
Reduzierung der Ausbildungsfreibeträge.
({14})
- Schauen Sie sich den Gesetzentwurf doch an: 2,8 Milliarden DM werden den Familien erst einmal weggenommen, ehe sie wieder etwas bekommen.
({15})
Mir als Oppositionspolitikerin werden Sie es zwar
nicht glauben, aber wir werden im Finanzausschuss eine
Expertenanhörung beschließen. In dieser Anhörung wird
man Ihnen das dann sagen.
Kollegin Wülfing, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Heil?
Bitte schön, gerne.
Frau Kollegin, eine ganz kurze
Frage: Können Sie mir erläutern, auf welches Jahr und auf
wessen Regierungszeit sich das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, von dem Sie hier sprechen, bezieht? Ich
frage dies, weil Sie behauptet haben, es handele sich um
ein Urteil zu unserer Politik. War damals nicht jemand anders Kanzler?
({0})
Herr Heil, Sie wissen ganz
genau, auf welche Jahre sich das Verfassungsgerichtsurteil bezieht, nämlich auf die Jahre bis 1996.
({0})
- Nicht „Hahaha“. - Sie wissen genau, dass es sich auf die
Jahre bis 1996 bezog. Wir, die damalige CDU/CSU- und
F.D.P.-Regierung, haben 1997 gemeinsam mit dem
SPD-dominierten Bundesrat eine Kindergeldumstellung
gemacht, die hervorragend war und die vom Bundesverfassungsgericht nicht angegriffen worden ist. Das wissen
Sie ganz genau.
({1})
Wir wollen wieder zu dem Gesetzentwurf kommen. Er
beinhaltet das, was jetzt wichtig ist. Man kann mit Fug und
Recht sagen, dass das, was Sie dort aufgeschrieben haben,
wie folgt aussieht: Freibetrag X plus Freibetrag Y plus Freibetrag Z minus Ausbildungsfreibetrag. Wissen Sie was? Ich
finde es immer gut, wenn man seine Kinder erziehen kann,
ohne daneben einen Steuerberater stehen zu haben.
({2})
Deswegen wäre es viel besser gewesen, wenn Sie sich
nicht immer etwas Neues ausdächten, was für die Familien
nur in Teilbereichen gilt, sondern wenn Sie die Freibeträge, die es schon jetzt gibt, mit uns zusammen erhöhen.
Danach können wir überlegen, was wir noch zusätzlich
machen können.
Ich möchte hierzu etwas ausführen. Sie haben die steuerliche Absetzbarkeit von Haushaltshilfen gestrichen. Wir
sollten darüber nachdenken, ob das vernünftig war. Man
sollte etwas anders vorgehen. Frau Kressl, Sie haben vollkommen Recht, wenn Sie sagen, dass die Absetzbarkeit
keine große Wirkung hatte. Das ist aber ganz normal; denn
wenn Sie den Menschen in einem normalen Haushalt Arbeitgeberpflichten aufdrücken, dann scheuen sie davor
zurück. Deswegen haben wir zusammen mit Bayern und
Baden-Württemberg überlegt, ob man die steuerliche Absetzbarkeit von Haushaltshilfen nicht auf Dienstleistungsagenturen umlegen kann. Das wäre nicht verkehrt.
({3})
Auch die 630-DM-Arbeitsverhältnisse wären dafür gut
geeignet. Damit wären drei Ziele erreicht: Erstens würde
dadurch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessert.
Zweitens würde etwas gegen Schwarzarbeit getan.
Schwarzarbeit ist gerade in privaten Haushalten gang und
gäbe. Drittens haben Sie zusätzlich eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung geschaffen. Lassen Sie uns
über diese Idee nachdenken. Es könnte sein, dass Bayern im
Bundesrat eine entsprechende Initiative einbringt. Es wäre
wirklich sehr vernünftig, wenn wir uns vorher im Finanzausschuss darüber unterhalten könnten, ob wir dem zustimmen.
({4})
Ich bin nicht gegen ein gemeinsames Handeln bei der
Familienförderung. Aber auch Frau Scheel hat mehrmals
öffentlich gesagt - heute hat sie sich allerdings zurückgehalten -, was es an der Familienförderung zu kritisieren
gibt. Wenn wir diesen Entwurf noch ein wenig verbessern,
können wir ihn gemeinsam beschließen. Aber er muss
dann mehr Substanz enthalten, Frau Kressl.
Danke.
({5})
Ich schließe die Aus-
sprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 14/6160 und 14/6173 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 21 a und 21 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion
der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes ({0})
- Drucksache 14/1211 ({1})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({2})
- Drucksache 14/5807 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Klaus Grehn
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({3}) zu der Unterrichtung durch
die Bundesregierung
Neunter Bericht der Bundesregierung über
Erfahrungen bei derAnwendung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes - AÜG - sowie über
die Auswirkungen des Gesetzes zur Bekämpfung
der illegalen Beschäftigung - BillBG - Drucksachen 14/4220, 14/5807 Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Klaus Grehn
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Wolfgang Meckelburg, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Wir gehen heute in die zweite
und dritte Beratung eines von uns eingebrachten Gesetzentwurfs zur Flexibilisierung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes.
Wir haben diesen Entwurf 1999 in den Bundestag eingebracht. Im Januar 2000 haben wir eine Anhörung durchgeführt. Bis zu der heutigen Abstimmung haben wir uns
Zeit gelassen, weil wir den Eindruck hatten, dass es in der
Koalition zu diesem Thema Bewegung gibt. Wir müssen
jetzt leider feststellen, dass Sie diesen Entwurf heute wohl
ablehnen werden, obwohl ich gleich noch einen Versuch
machen werde, Sie davon zu überzeugen, dass Sie ihm
eigentlich zustimmen müssten.
Zurzeit entwickelt sich der Arbeitsmarkt ziemlich negativ, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition. Der Rückgang der Arbeitslosenzahlen im Jahr 2000
ist eher bescheiden. Wenn man die Zahlen für die ersten
Monate dieses Jahres sieht, stellt man fest, dass die Arbeitslosigkeit saisonbereinigt sogar von Monat zu Monat
gestiegen ist. Wenn wir das Wirtschaftswachstum betrachten und sehen, wie Sie von der Regierung in den ersten Monaten dieses Jahres Ihre Prognosen dauernd haben
zurückschrauben müssen - von ehemals 2,7 Prozent über
2,5 Prozent auf jetzt offiziell 2,0 Prozent; gestern konnten
wir lesen, dass von einigen Experten nur noch 1,5 Prozent
erwartet werden -, dann müssen wir feststellen: Das Wirtschaftswachstum ist damit unterhalb der Schwelle, von
der aus nach Expertenmeinung noch Auswirkungen auf
den Arbeitsmarkt zu erwarten sind.
({0})
Gerade in einer solchen Situation wäre es eigentlich
wünschenswert, wenn Sie alle politischen Stellschrauben
so drehen würden, dass sie auf dem Arbeitsmarkt zu einem Push führen, anstatt genau das Gegenteil zu tun. Was
Sie in den vergangenen zwei Jahren gemacht haben, hat
nicht zur Erleichterung oder Flexibilisierung geführt. Sie
haben zusätzliche Belastungen geschaffen, die keine
Arbeitsplätze entstehen lassen. Sie haben mit den Regelungen zu den 630-DM-Jobs und zur Scheinselbstständigkeit angefangen. Sie haben eine Steuerreform durchgeführt, die im Bereich des Mittelstandes nicht wirkt,
obwohl das dringend notwendig wäre. Ihre Gesetzgebung
bei der Teilzeitarbeit hat Einstellungen eher verhindert als
gefördert und die Reform des Betriebsverfassungsgesetzes hat die Wirtschaft nicht ermuntert, neue Arbeitsplätze zu schaffen. Alle Ihre Maßnahmen gehen in die
falsche Richtung.
({1})
Vor diesem Hintergrund wäre es notwendig, jede Stellschraube zu nutzen; eine davon ist Arbeitnehmerüberlassung. Ich möchte Ihnen, Herr Brandner - da Sie nach
mir reden, können Sie darauf gerne eingehen -, eine Hilfestellung geben, wie die Koalitionsfraktionen vielleicht
doch noch zustimmen könnten.
Ich beginne einmal mit einem Zitat:
Wenn es richtig ist, dass die Arbeitswelt der Zukunft
durch Vielfalt der Arbeitsformen und größere Flexibilität gekennzeichnet sein wird, dann wird der Zeitoder Leiharbeit eine besondere Bedeutung zukommen.
An dieser Stelle müssten Sie klatschen, weil dieses
Zitat aus dem Bericht der Projektgruppe „Zukunft der Arbeit“ des SPD-Parteivorstandes vom März 2001 ist. Angesichts der Erkenntnisse, die Sie mittlerweile im Bundesvorstand haben, frage ich mich: Warum stimmen Sie
heute unserem Antrag eigentlich nicht zu, obwohl Sie,
meine Damen und Herren von der SPD, geistig schon so
weit sind?
Ich kann es gar nicht besser formulieren, als Sie das in
Ihrem Papier machen. Ich zitiere weiter:
Arbeitnehmerüberlassung kann Überstunden vermeiden und die reguläre Beschäftigung erhöhen, ...
Zitat aus der Projektgruppe des SPD-Parteivorstandes
„Zukunft der Arbeit“.
Weiter:
Arbeitnehmerüberlassung kann flexible, freiwillige
und individuelle Formen der Arbeitszeitverkürzung
erleichtern.
Ich brauche nicht mehr zu sagen, woraus dieses Zitat
stammt.
Ein weiteres Zitat:
Arbeitnehmerüberlassung kann durch Teilnahme der
Leiharbeitsfirmen an der privaten Arbeitsvermittlung
Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt rascher zueinander bringen und zur Eingliederung von
schwer vermittelbaren Arbeitslosen beitragen, ...
Ich habe ein weiteres Mal aus Ihrem Papier zitiert. Ich
frage mich noch immer: Warum stimmen Sie unserem Antrag, der sehr gemäßigt ist, eigentlich nicht zu?
({2})
Ein weiteres Zitat, Herr Brandner, und zwar wieder aus
dem Bericht der Projektgruppe des SPD-Parteivorstandes:
Arbeitnehmerüberlassung kann Arbeitnehmern, die
einen Arbeitsplatz mit maßgeschneiderter Arbeitszeit
oder mit einer ihren individuellen Bedürfnissen entsprechenden Befristung suchen, ein entsprechendes
Angebot zur Verfügung stellen.
Warum stimmen Sie unserem Antrag nicht zu? Wir haben Ihnen fast zwei Jahre Zeit für interne Diskussionen gelassen. Geben Sie sich doch einen Ruck und sagen Sie: Jawohl, das ist ein Antrag, der in die richtige Richtung geht.
Wir wollen das eigentlich auch, nur weil über dem Antrag
„CDU/CSU“ steht, können wir dem nicht zustimmen. Aber stimmen Sie doch wenigstens von der Sache her zu.
Ich gehe ein Stück weiter: Erst gestern wurden die Eckpunkte zur Reform der Arbeitsförderung veröffentlicht.
Interessanterweise verwenden Sie im Moment viel
Gehirnschmalz und Kreativität darauf, Projekte, die Sie
in die Welt setzen, mit besonders lyrischen Namen zu
versehen. Wir wissen nun, dass „Mozart“ nicht nur ein
Musiker ist, sondern auch ein Modellprogramm, das für
die Zusammenarbeit von Arbeits- und Sozialämtern steht.
({3})
- Ja, ich finde nur, bei „Mozart“ denke ich nicht an Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe. Dieses Vorgehen ist ein
Teil Ihrer Beschönigungspolitik. Inhaltlich geschieht wenig, weil Sie nicht den Mut haben, Arbeitslosenhilfe und
Sozialhilfe wirklich zusammenzubringen. Sie machen nur
Modelle und geben ihnen schöne Namen.
Sie sagen nicht, worum es eigentlich geht, nämlich um
Eckpunkte einer Arbeitsförderungsreform, die Sie eigentlich im letzten Jahr schon machen wollten. Sie haben sich
durch das Thema gequält und gestern Eckpunkte vorgelegt, die sich jetzt Job Aqtiv nennen.
({4})
- Ja - Dann liest man das nach und stellt fest, dass man
„aqtiv“ neuerdings mit „q“ schreibt, weil es eine komische Abkürzung ist.
({5})
Hören Sie doch endlich auf, Ihren Programmen lyrische Namen zu geben, die von dem, was Sie eigentlich wollen, ablenken! Machen Sie doch endlich etwas, damit wir auf dem
Arbeitsmarkt etwas mehr Flexibilisierung hinbekommen!
Auf der Seite 7 Ihres Papiers schreiben Sie - Herr
Brandner, vielleicht hilft Ihnen dieses Zitat, unserem Antrag heute zuzustimmen -:
Die Möglichkeit, Arbeitnehmerüberlassung als Einstieg zur beruflichen Integration von Arbeitslosen
mit weniger guten Vermittlungschancen einzusetzen,
wird verbessert: Die zulässige Überlassungsdauer
- das ist ein konkreter Punkt, den wir heute fordern und
den Sie ablehnen werden von Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmern
an denselben Entleiher wird für Arbeitslose ... verlängert.
Sie schreiben also genau das, was Sie heute ablehnen werden, als Zukunftsprojekt in Ihr Papier.
({6})
Was wollen Sie eigentlich?
({7})
Stimmen Sie dem heute zu, dann dauert es nicht noch länger!
Lassen Sie mich zum Abschluss noch eine Wertung aus
unserer Sicht vornehmen. Zeitarbeit ist ein Instrument,
das eine dynamisierende Wirkung für den Arbeitsmarkt
hat. Sie können das bei unseren europäischen Nachbarn
sehen: Das niederländische Wirtschafts-, Wachstums- und
Arbeitsmarktwunder beruht zu einem wesentlichen Teil
auf der Wachstumsbranche Zeitarbeit. Nehmen Sie ruhig
einmal den europäischen Vergleich: Zeitarbeitnehmer
machen dort einen Anteil von 4,6 Prozent, bei uns in
Deutschland aber nur bescheidende 0,7 Prozent aus. Sie
sehen, welche Kraft da noch drinsteckt, um den Arbeitsmarkt in Bewegung zu bringen.
Wir fordern dreierlei. Erstens. Die zulässige Höchstdauer der Überlassung eines Leiharbeitnehmers an denselben Entleiher ist von 12 auf 36 Monate zu erweitern.
Dies ermöglicht, Leiharbeit auch in Bereichen mit höher
qualifizierten Arbeitnehmern und zur Vertretung von Erziehungsurlaub einzusetzen.
({8})
Zweitens. Bisher durfte die Dauer des Arbeitsverhältnisses zwischen Leiharbeitnehmer und Verleiher mit
der Dauer der erstmaligen Weitergabe an einen Entleiher
nicht übereinstimmen. Wir wollen diese Beschränkung
abschaffen; das steht auch in Ihren Papieren. Eine solche
Neuregelung hilft gerade Geringqualifizierten erst einmal
einen Job zu finden, auch wenn sie keinen Anschlussjob
haben, und so schließlich schneller zu einem Anschlussjob zu kommen. Drittens. Die Beschränkung für befristete Arbeitsverträge zwischen Leiharbeitnehmer und
Verleiher soll abgeschafft werden.
Wenn die Bundesregierung in dem heute zu beratenden
Bericht selber zu dem Ergebnis kommt, dass die „Bedeutung der legalen Arbeitnehmerüberlassung für die deutsche Wirtschaft ... gewachsen“ sei und sich durch ihre
Vermittlungsfunktion in den regulären Arbeitsmarkt für
Arbeitslose auszeichne, dann verstehe ich wirklich nicht,
warum Sie unseren Antrag heute ablehnen. Wir verlieren
durch Ihr Ablehnungsverhalten Zeit.
({9})
Das ist schädlich für den Arbeitsmarkt.
({10})
Ich erteile dem Kollegen Klaus Brandner, SPD-Fraktion, das Wort.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
({0})
Mit der Flexibilisierung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes ein Wunder am Arbeitsmarkt auszulösen, daran
glaubt Herr Meckelburg allein. Denn die Veränderungen,
die in der Vergangenheit im Bereich der Arbeitnehmerüberlassung während der Regierungszeit der CDU/CSUF.D.P.-Koalition festzustellen waren, haben nicht gerade
zu einem Rückgang der Arbeitslosigkeit geführt. Wir erinnern uns gemeinsam: Während Ihrer Jahre ging es mit
der Arbeitslosigkeit bergauf, mit den Schulden bergauf
und mit den Abgaben bergauf. Zu dem, was Sie uns vorwerfen, nämlich Gehirnschmalz für Programme zu verbraten, die keine Wirkung zeigen, muss ich Ihnen sagen:
Wir haben Gehirnschmalz für Programme verbraten, die
dazu geführt haben, dass es mit der Arbeitslosigkeit
zurückgeht, dass die Abgabenbelastung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zurückgeführt wird und dass die
staatliche Verschuldung zurückgeführt wird. Das muss
hier deutlich gesagt werden.
({1})
Lassen Sie mich offen sagen, Herr Meckelburg: Sie
haben die Backen aufgeblasen, die Luft abgelassen, aber
im Ergebnis haben Sie uns nichts gebracht, was positiv
dazu beitragen könnte, dass wir die Arbeitslosigkeit wirksam bekämpfen.
({2})
Für uns, für die SPD und die Bündnisgrünen, bleibt es bei
dem, was wir in der Koalitionsvereinbarung als erstes und
wichtigstes Ziel festgelegt haben, nämlich den Abbau
der Arbeitslosigkeit zu organisieren.
({3})
- 1 Million neue Arbeitsplätze und rund 400 000 Arbeitslose weniger seit 1998 ({4})
ist das denn nichts, meine Damen und Herren?
Deshalb sage ich Ihnen ganz offen: Ihre ständigen Versuche, diesen Erfolg kleinzureden, ändert nichts daran,
dass die Datenlage für unsere Regierungszeit, die Sie sich
vorhalten lassen müssen - 1 Million neue Arbeitsplätze,
400 000 Arbeitslose weniger -, eine Marke ist, die Sie
nicht vorzuweisen hatten.
({5})
Von diesem Rednerpult aus haben Sie in den letzten
Wochen in mehreren Aktuellen Stunden versucht, darauf
hinzuweisen, dass der Rückgang der Arbeitslosigkeit auf
den Altersaufbau der Erwerbsbevölkerung oder auf
eine veränderte Erwerbsstatistik zurückzuführen sei. Es
wurde von uns mit Fakten belegt, dass diese Schwarzmalerei nicht zutrifft. Meine Damen und Herren von der Opposition, hören Sie deshalb auf, diese positive Beschäftigungsentwicklung zu diffamieren; hören Sie auf,
Nebelkerzen zu werfen. Nehmen Sie lieber die unqualifizierten Vorschläge, die Sie bisher vorgelegt haben, um
den Arbeitsmarkt zu entkrampfen, vom Tisch.
({6})
Heute steht mit dem Gesetzentwurf der Union zur
Arbeitnehmerüberlassung ein konkreter Vorschlag zur
Abstimmung; nur atmet er wieder den Ungeist einer vergangenen Zeit, des Abbaus von Arbeitnehmerrechten.
Das sage ich ganz offen.
({7})
Wie in 16 Jahren Kohl-Regierung werden einseitig
Schutzrechte der Arbeitnehmer zurückgenommen und demontiert; sie wurden allein der vagen Hoffnung überlassen, die Arbeitgeber würden, wenn die Deregulierung
fortgesetzt würde, automatisch mehr Arbeitsplätze schaffen. Dass die Position der Arbeitnehmer geschwächt
würde, war für Sie Beleg genug, dass sich die Arbeitgeber
engagieren und zusätzliche Arbeitsplätze zur Verfügung
stellen würden. Diese Annahme war, wie wir heute wissen, falsch. Dies haben die Auswirkungen der Lockerung
des Kündigungsschutzes eindrucksvoll bewiesen.
Der vorliegende Gesetzentwurf hilft uns bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit nicht weiter. Er verbessert
durch einseitige Deregulierung nur die Position der Verleiher. Leiharbeitnehmer hingegen verlieren ihre Schutzrechte. Deshalb werden wir diesem Gesetzentwurf nicht
zustimmen können.
Für weitere, substanzielle Deregulierungen der Arbeitnehmerüberlassung über diejenigen hinaus, die bereits die
frühere Bundesregierung vorgenommen hat, gibt es zurzeit keine Rechtfertigung. Eine Erfüllung der Forderung
von CDU/CSU nach einer Ausweitung der Überlassungsfrist auf 36 Monate wird keine wesentlichen beschäftigungspolitischen Wirkungen haben. Der Bericht
der Bundesregierung über die Erfahrungen mit der Arbeitnehmerüberlassung, wonach die von April 1997 an
gültige Verlängerung der zulässigen Überlassungsdauer
von neun auf zwölf Monate kaum genutzt wurde, bestätigt
dies ganz aktuell. Zwar werden keine Statistiken über die
Dauer der einzelnen Arbeitnehmerüberlassung geführt,
aber es können Rückschlüsse von der Dauer der Beschäftigung bei einem Verleiher auf die Überlassungsdauer gezogen werden. Erstere zeigen jedenfalls, dass die Überlassungsdauer im Unternehmen nur vergleichsweise kurz
bemessen ist. Etwa 10 bis 14 Prozent der Beschäftigungsverhältnisse endeten in den letzten Jahren bereits nach
wenigen Wochen. 60 bis 70 Prozent dauerten kürzer als
drei Monate.
In diesem Zusammenhang fordern Sie nun eine Ausdehnung der zulässigen Dauer der Arbeitnehmerüberlassung von 12 auf 36 Monate, obwohl Sie wissen, dass über
70 Prozent der Überlassungen in diesem Land kürzer als
drei Monate andauert.
({8})
Dieser Vorschlag weist nicht qualifiziert nach vorn. Deshalb werden wir Ihnen in diesem Punkt auch nicht folgen.
Auch die Forderung nach Aufhebung des so genannten
Synchronisationsverbotes müssen wir Sozialdemokraten mit Blick auf die Folgen ablehnen. Wenn Leiharbeitnehmer nur noch für bereits bestehende Verleihzeiten
eingesetzt und eingestellt werden, bedeutet das doch
für die Nichtbeschäftigungszeiten, dass das Arbeitsamt
einspringen muss. Die Aufhebung der bestehenden
Befristung hat deshalb zur Folge, dass das Beschäftigungsrisiko einseitig auf das Arbeitsamt übertragen wird
und die Folgekosten von der Versichertengemeinschaft zu
tragen sind. Wegen dieser Folge werden wir Ihrem Vorschlag auch in diesem Punkt nicht nachkommen.
({9})
Ich frage mich deshalb, wie sich dieser Vorschlag mit
Ihrem Gesetzentwurf - insbesondere im Hinblick auf die
Entwicklung des Arbeitsmarktes - zur Senkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrages verträgt, wenn Sie wissen, dass das Beschäftigungsrisiko von den Verleihfirmen
auf das Arbeitsamt zu übertragen ist, womit erhöhte Aufwendungen für das Arbeitsamt ausgelöst werden. Das
ist ein Widerspruch, den Sie selbst erläutern müssten.
Die rot-grüne Bundesregierung wird jedenfalls - das
steht fest - alle Möglichkeiten zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit nutzen.
({10})
Die Schaffung von zusätzlichen Arbeitsplätzen bleibt unser vorrangiges Ziel. Dazu kann eine stärkere Nutzung der
Arbeitnehmerüberlassung durchaus beitragen. Aber im
Gegensatz zu Ihrer Fraktion behalten wir den Blick für die
Realität.
({11})
Die arbeitsmarktpolitische Bedeutung der Zeitarbeit ist
nämlich weit geringer, als Sie mit Ihrem Gesetzentwurf
suggerieren.
Wir sind überzeugt, dass die Arbeitswelt der Zukunft
durch eine noch größere Vielfalt der Arbeitsformen und
größere Flexibilität gekennzeichnet sein wird. Sicher wird
dann auch der Zeit- und Leiharbeit eine größere Bedeutung zukommen. Weil das so sein wird, müssen wir, wenn
es um die Ausgestaltung eines Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes geht, Weitsicht walten lassen. Wir werden
entsprechende Vorschläge in den Projektgruppen entwickeln und sie Ihnen dann unterbreiten. Sie, meine Damen und Herren von der Union, haben bei der Formulierung Ihres Gesetzentwurfes leider die Weitsicht vermissen lassen.
Das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz ist ein Arbeitnehmerschutzgesetz. Wir werden deshalb nicht zulassen,
dass der notwendige Schutz der Arbeitnehmer gerade in
solch einem schwierigen Bereich wie der Arbeitnehmerüberlassung außer Acht gelassen wird. Wenn wir
das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz ändern, dann sollte
es unser Ziel sein, die arbeits- und sozialrechtliche Stellung von Leiharbeitnehmern zu verbessern und - um das
deutlich zu sagen - die Sicherung von Dauerarbeitsverhältnissen zu verstärken. Der Gesetzentwurf der Union
- ich habe das deutlich gemacht - würde jedoch das
Gegenteil bewirken. Deshalb werden wir ihn auch nicht
aufgreifen.
Nur wenn die Arbeitnehmerüberlassung arbeits- und
sozialrechtlichen Standards angemessen genügt, kann sie
Arbeitsplatzsicherheit mit flexiblem Arbeitseinsatz verbinden helfen. Nur in diesem Fall ist sie auch geeignet,
eine Scharnierfunktion zwischen der Fähigkeit, sich dem
Markt ständig anzupassen, und sozialer Regulierung zu
übernehmen. Sozialverträglich gestaltete Arbeitnehmerüberlassung kann Positives auf dem Arbeitsmarkt bewirken. Sie kann flexible, freiwillige und individuelle Formen der Arbeitszeitverkürzung erleichtern und vor
allem zur Eingliederung von Schwervermittelbaren
beitragen.
Von den derzeit rund 300 000 Zeitarbeitnehmerinnen
und -arbeitnehmern waren etwas mehr als die Hälfte vorher arbeitslos, 10 Prozent sogar länger als ein Jahr. Für ein
knappes Drittel der Beschäftigten ist Leiharbeit ein
Sprungbrett für den ersten Arbeitsmarkt, für ein Dauerarbeitsverhältnis. Dieses Beschäftigungspotenzial wollen
wir auch zukünftig sozialverträglich nutzen und werden
deshalb Ideen in dieser Richtung aufgreifen. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass die Möglichkeiten, die Arbeitnehmerüberlassung zu missbrauchen, eingeengt werden.
Deshalb bedarf es auch weiterhin einer speziellen gesetzlichen Regulierung dieses Arbeitsmarktinstrumentes. Es
muss sichergestellt sein, dass der Kündigungsschutz
nicht unterlaufen wird oder der unbefristete Arbeitsvertrag als Regelfall umgangen wird. Vor allem dürfen die
Tarifverträge in den Entleihfirmen nicht ausgehöhlt werden. Zu diesem Zweck müssen die Kontrolle der Arbeitnehmerüberlassung verbessert und Verstöße strenger geahndet werden.
Wir Sozialdemokraten haben aufmerksam registriert,
dass in jüngster Vergangenheit Fortschritte hinsichtlich
der sozialverträglichen Ausgestaltung der Leiharbeit zu
verzeichnen sind. Tarifverträge zum Beispiel zwischen
den Gewerkschaften und den Unternehmen der Zeit- und
Leiharbeitsbranche sind hierbei ein entscheidender Hebel. Das unterstützen wir; denn das ist vorbildlich. Im vergangenen Jahr wurde eine Reihe von Tarifverträgen abgeschlossen. Insbesondere in Nordrhein-Westfalen haben
die ÖTV, jetzt Verdi, und die IG Metall mit vielen Betrieben der Branche Tarifverträge abgeschlossen. Die zehn
größten Zeitarbeitsfirmen in Nordrhein-Westfalen haben
mit dem Arbeitsministerium in Düsseldorf die Vereinbarung getroffen, gezielt ältere Arbeitslose einzustellen.
Diese positiven Ansätze wollen wir auch im Rahmen der
anstehenden Reform des Arbeitsförderungsrechts unterstützen und aufgreifen.
Der DGB-Landesbezirk hat zusammen mit der IG Metall in NRW zum Beispiel das „Gütesiegel Zeitarbeit“
entwickelt und mit den Zeitarbeitsfirmen Offensiven zur
Qualitätssicherung gestartet, um die Branche, in der vormals nach dem Motto „Hire and fire“ verfahren wurde
und die deswegen ein negatives Image hatte und in der
Schmuddelecke stand, in eine sozialverträgliche Regelungskompetenz hineinzuführen.
Ich komme zum Schluss, meine Damen und Herren.
Wenn der notwendige Schutz der Leiharbeitnehmer durch
Tarifverträge gewährleistet ist, kann sich der Gesetzgeber
zurücknehmen. Vorher ist dies nach sozialdemokratischem Verständnis nicht möglich. Diese Tarifverträge
dürfen dann aber nicht die Ausnahme sein, sondern müsKlaus Brandner
sen auf breiter Front abgeschlossen werden. Insofern fördern wir diesen Prozess und können daher dem Vorschlag
der CDU/CSU-Fraktion nicht zustimmen. Wir werden
weiter an diesem Thema sozialverträglich arbeiten.
({12})
Ich erteile dem Kollegen Heinrich Kolb, F.D.P.-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen und Herr Kollege Brandner im
Speziellen! Mit Sorge habe ich zur Kenntnis genommen,
({0})
dass Sie aus Anlass dieser Debatte die Aufführung wiederholt haben, die Sie am Mittwoch im Ausschuss für
Arbeit und Sozialordnung gegeben haben, als wir auf
Drängen der Opposition die aktuelle Arbeitsmarktlage
diskutiert haben. Ich muss Ihnen wirklich sagen: Angesichts der neuesten Entwicklung der Konjunkturdaten und
der neuen Einschätzungen durch die breite Front der Wirtschaftsforschungsinstitute - das Wachstum liegt jetzt nur
noch bei 1,5, 1,6 Prozent -, angesichts einer explodierenden Inflationsrate von jetzt fast 3 Prozent
({1})
und angesichts des faktischen Stillstands auf dem Arbeitsmarkt ist es schon bemerkenswert, wenn Sie hier so
tun, als handele es sich nur um eine Wachstumsdelle, Sie
würden schon alles richtig machen. Weiter so, Augen zu
und durch, das kann nicht die Maxime der Stunde sein,
Herr Kollege.
({2})
Auch der rot-grünen Regierung und Koalition wohlgesonnene Beobachter konstatieren, dass das Versagen der
Bundesregierung nirgendwo so eklatant ist wie im Bereich der Arbeitsmarktpolitik.
({3})
Ich nenne auch den Beleg dafür: Das ist der von Ihrer
Bundesregierung eingesetzte Sachverständigenrat, der
auch in seinem letzten Gutachten 2002 - das ist das aktuelle - gefordert hat, dass Sie am Arbeitsmarkt nicht
rückregulieren sollen,
({4})
sondern dass Sie Freiheit schaffen sollen, damit es zu
mehr Arbeitsplätzen kommen kann.
({5})
Sie aber, Herr Kollege Brandner, machen in schöner Regelmäßigkeit das krasse Gegenteil. Man kann es nicht oft
genug wiederholen: die Verschärfung des Kündigungsschutzes, die 630-Mark-Gesetzgebung, die Sie durchgeführt haben, das Gesetz gegen die so genannte Scheinselbstständigkeit,
({6})
die Einführung eines einseitigen Teilzeitanspruches und
als Krönung jetzt auch noch das Betriebsverfassungsgesetz. Sie haben damit konsequent neue Regelungen in die
Arbeitsmarktverfassung eingeführt - gegen den Rat Ihres
Sachverständigenrates -, die nicht mehr Beschäftigung
schaffen, sondern die jeden Zuwachs an Beschäftigung
bremsen.
({7})
Das Gegenteil - ich sagte es bereits - ist erforderlich. Wir
müssen die Barrieren abbauen.
Deswegen, Herr Kollege Meckelburg, darf ich hier für
meine Fraktion sagen, dass wir den Gesetzentwurf der
CDU/CSU zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes als einen Schritt in die richtige Richtung begrüßen. Die vorgesehene Verlängerung der Verweildauer
des Leiharbeitnehmers bei einem Entleiher auf drei
Jahre eröffnet neue Beschäftigungspotenziale. Jetzt werden auch höher qualifizierte Mitarbeiter interessant, deren
Ausleihung sich für den Entleiher erst nach einem längeren Zeitraum rechnet.
Ich habe mit Interesse von Ihren Recherchen gehört,
Herr Kollege Meckelburg, die Sie bei der SPD betrieben
haben. Also, man weiß es dort offensichtlich und handelt
wider besseres Wissen.
({8})
Ich will das ergänzen. Ich habe mal bei den Grünen recherchiert. Dort gibt es genau das Gleiche, ein Papier
„Neue Wege in der Arbeitsmarktpolitik, Zugangsgerechtigkeit und Flexicurity“ - tolles Wort, Frau Kollegin
Dückert. Darin heißt es - bei den Grünen, Frau Dückert,
hören Sie zu -:
Wir schlagen vor, die Möglichkeit der Überlassung
von Leiharbeitnehmern zu verlängern. Die Vermittlung von Arbeitslosen über Zeitarbeitsfirmen war in
den letzten Jahren häufig ein Sprungbrett für Langzeitarbeitslose in eine Anschlussbeschäftigung.
Ihr Handeln in der Praxis ist aber das krasse Gegenteil
dessen, was Sie in Ihrem Grundsatzpapier vorschlagen.
Deshalb kann es eigentlich, wenn wir Debatten hier
noch ernst nehmen, nach dieser Diskussion nur die Konsequenz geben, dem Antrag der CDU/CSU zuzustimmen.
({9})
Herr Brandner, Sie scheinen wirklich grundlegende
Aversionen, Vorbehalte gegen die Arbeitnehmerüberlassung zu haben. Denn Sie lassen nichts unversucht, um die
Attraktivität der Arbeitnehmerüberlassung zu reduzieren. Dazu gehört auch, dass Sie jetzt im Betriebsverfassungsgesetz vorsehen wollen, Leiharbeitnehmern schon
nach drei Monaten im Entleihbetrieb ein Wahlrecht
einzuräumen. Sie begründen das in Ihrem Gesetzentwurf
zur Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes allen
Ernstes mit einem Trend zur partiellen Ersetzung der
Stammbelegschaft durch Leiharbeitnehmer. Tatsache ist
aber: Im ersten Halbjahr 2000 waren gerade einmal
286 000 Leiharbeitnehmer unter Vertrag; das ist weniger
als 1 Prozent der Erwerbstätigen. Es ist doch vollkommen klar: Ihre Gesetze sind für eine Arbeitswelt geschaffen, die es in der Form, wie Sie sie sich vorstellen, auf
keinen Fall gibt.
({10})
Wir sehen in dem Gesetzentwurf zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes - das will ich hier deutlich sagen - nur einen Baustein für eine tief greifende Reform der Arbeitsverfassung. Wir haben - daran will ich
aus Anlass dieser Debatte erinnern - in dieser Legislaturperiode schon eine ganze Reihe von Vorschlägen für eine
grundlegende Reform der Arbeitsverfassung vorgelegt,
die zu mehr Beschäftigung führen.
Es handelt sich zum einen um unseren Gesetzentwurf
„Intensivierung der Beschäftigungsförderung“, mit dem
wir befristete Arbeitsverhältnisse erleichtern wollen. Darüber hinaus haben wir den Antrag „Reform des Tarifrechts“
in den Deutschen Bundestag eingebracht, mit dem wir
echte betriebliche Bündnisse für Arbeit ermöglichen wollen.
({11})
Des Weiteren haben wir eine Reform des Betriebsverfassungsgesetzes angeregt, die zu einer Verbesserung
der Wettbewerbsbedingungen gerade für den Mittelstand führt. Es handelt sich also um das genaue Gegenteil dessen, was Sie vorschlagen. Unser Vorschlag respektiert die gewachsenen Betriebsstrukturen sowie die
formell und informell vorhandenen Formen der Mitbestimmung. Ich beziehe mich auf unseren Antrag „Reform der Mitbestimmung zur Stärkung des Mittelstandes“.
Herr Kollege Brandner, so sähe eine Arbeitsmarktpolitik aus, die den tatsächlichen aktuellen Anforderungen gerecht wird.
({12})
Das, was Sie heute vorgetragen haben, zeigt nur: Die
rot-grüne Bundesregierung verschließt ihre Augen vor
den aktuellen Verschlechterungen am Arbeitsmarkt und
vor den tatsächlichen Handlungsgegebenheiten. Ich kann
Sie nur dringend auffordern: Kehren Sie um und geben
Sie ihre Beratungsresistenz auf! Hören Sie zumindest ein
Stück weit auf das, was Ihnen die Opposition in diesem
Hause vorschlägt!
Vielen Dank.
({13})
Ich erteile der Kollegin Thea Dückert, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir alle hier
können gemeinsam eines festhalten: Völlig unabhängig
von dem Streit darüber, wer für die konjunkturelle Entwicklung
({0})
verantwortlich ist oder worin die Auswirkungen der korrigierten Wachstumszahlen bestehen, müssen wir weiterhin alles daransetzen, Arbeitslosen den Übergang in den
ersten Arbeitsmarkt leichter zu machen.
({1})
Das ist sicherlich ein gemeinsamer Ausgangspunkt.
Meine Damen und Herren von der Opposition, wir Abgeordneten der Koalitionsfraktionen haben uns mit dieser
Ausgangsbasis in den letzten Monaten zusammengesetzt,
um ein Eckpunktepapier auszuarbeiten, das sich genau
dieser Frage widmet. Wir haben gestern die „Eckpunkte
zum Job-Aqtiv-Gesetz“ vorgestellt. Dort werden viele unterschiedliche Ansätze vorgeschlagen - wir werden entsprechende Vorlagen in den Bundestag einbringen -, die
dazu beitragen sollen, dass Arbeitslosen der Eintritt in den
ersten Arbeitsmarkt erleichtert wird. Das wird ein Schwerpunkt auf der Agenda unserer zukünftigen Politik sein.
({2})
In diesem Zusammenhang - das haben Sie richtig zitiert - werden wir dem Bundestag vorschlagen - Sie können dann gerne mit uns stimmen -, dass gerade für Menschen mit schlechten Chancen auf dem Arbeitsmarkt die
Überlassungsdauer im Rahmen von Leiharbeit durch
Zeitarbeitsfirmen verlängert wird. Wir sind aber nicht so
vermessen wie Sie von der CDU, dass wir glauben, das sei
ein zentraler Ansatz, um die gegenwärtigen Arbeitsmarktprobleme zu lösen.
({3})
Auch meine Fraktion ist der Ansicht - Sie haben das
hier richtig vorgetragen -, dass die letzten Jahre bewiesen
haben, dass Zeit- und Leiharbeit ein Element der Arbeitsmarktpolitik sind, das Langzeitarbeitslosen den Einstieg
in den Arbeitsmarkt erleichtern kann.
({4})
Deswegen wollen wir eine Verlängerung der Überlassungsdauer.
Sie müssen aber auch sehen, dass die Zeitarbeit in der
Vergangenheit einen problematischen Aspekt beinhaltet
hat, weil sie gerade von den schwarzen Schafen der Branche für Lohn- und Sozialdumping genutzt wurde. Wir
müssen hier ein Gleichgewicht zwischen Erleichterungen
für die Zeitarbeitsfirmen und der sozialen Sicherung finden. Auf diesem Weg sind wir; es ist in den letzten Jahren
auf diesem Gebiet sehr viel passiert.
Die IG Metall in Niedersachsen hat beispielsweise im
Zusammenhang mit der EXPO mit der Gesellschaft
Adecco wesentliche Fortschritte erzielt,
({5})
was zeigt, dass sowohl die Zeitarbeitsfirmen als auch die
Gewerkschaften daran interessiert sind, die sozialen Verhältnisse der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer tarifvertraglich abzusichern. Genau darum geht es.
Sie führen die Diskussion sehr vordergründig. Wir
können nicht nur einzelne Aspekte des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes nehmen - für Regulierungen besteht ein Bedarf, was auch Sie anerkennen -, sondern wir
müssen genau betrachten, wie die sozialen Verhältnisse
auf dem Arbeitsmarkt sind. Wir können festhalten, dass
eine Verlängerung der Überlassungsdauer Sinn macht.
Dazu bekennen wir uns in unserem Job-Aqtiv-Gesetz.
Wir von den Grünen wollen noch weiter gehen. In diesem
Punkt gibt es Bewegung.
({6})
Im Gesetzentwurf der CDU/CSU sind noch andere
Punkte enthalten, zum Beispiel die Aufhebung des Synchronisationsverbotes. Auf der einen Seite reden Sie
über die Entwicklung in der Arbeitslosenversicherung;
auf der anderen Seite wollen Sie aber ein unternehmerisches Risiko der Zeitarbeitsfirmen einfach frech auf die
Sozialkassen übertragen. Was hinter der Aufhebung des
Synchronisationsverbotes steckt, ist die Übertragung des
Risikos der Verleihfirmen an die Bundesanstalt für Arbeit,
die dann Arbeitslosengeld zahlen muss, wenn die Beschäftigten keine Anschlussbeschäftigung finden. So geht
es nicht. Die Verleihfirmen müssen dieses unternehmerische Risiko selbst tragen.
Wenn wir über die viele Aspekte in diesem Bereich diskutieren - es sind nun einmal viele Aspekte, die dem Eintritt in den ersten Arbeitsmarkt erleichtern -, dann sollten
wir dies nicht wie Sie undifferenziert nach der Rasenmähermethode tun. Die Entwicklung von Gewerkschaften und Zeitarbeitsfirmen auf diesem Gebiet ist schon sehr
viel weiter fortgeschritten, sodass wir in Zukunft Lockerungen zulassen können.
Ich bin gespannt, wie Sie sich verhalten werden, wenn
wir das Job-Aqtiv-Gesetz einbringen. Ihre jetzigen Auffassungen sind der aktuellen Situation auf dem Arbeitsmarkt nicht angemessen. Sie sollten endlich aufhören,
Einzelvorschläge zu präsentieren und so zu tun, als könnten Sie damit die Arbeitsmarktsituation umfassend in den
Griff bekommen.
({7})
Damit streuen Sie den Leuten Sand in die Augen. Das ist
Teil einer ideologisierten Debatte, die wir in diesem Zusammenhang nicht gebrauchen können.
Schönen Dank.
({8})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Klaus Grehn, PDS-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollege Meckelburg, so recht kann
ich nicht glauben, dass Sie vom Inhalt Ihres Gesetzentwurfs selbst überzeugt sind. Wir können in drei Wochen
immerhin den zweiten Jahrestag des Einbringens dieses
Gesetzentwurfs begehen.
({0})
- Wir hätten vielleicht schon Ergebnisse behandelt können. Aber an solche Ergebnisse glaube ich nicht.
Ich will Ihnen deutlich sagen: Für mich ist der Gesetzentwurf nicht, wie es beim Wein der Fall ist, in den zwei
Jahren besser geworden. Wir können ihm nicht zustimmen, weil er in die falsche Richtung geht. Ich hätte Ihnen
genauso wie der Kollege Brandner die Zahlen vorgehalten, die im Bericht der Bundesregierung genannt sind.
Aber Sie hätten auch die Anhörungsprotokolle nachlesen
können. In der Anhörung ist sehr deutlich geworden, wie
die Sachverständigen und die Verbände diesen Antrag einschätzen, ja wie sie überhaupt die Leiharbeit einschätzen.
Ich hätte noch eine Zahl hinzugefügt, Kollege
Meckelburg: Über 90 Prozent aller Leiharbeitnehmer sind
weniger als ein Jahr beschäftigt. Wenn Sie sich diese Zahl
vor Augen halten, dann wissen Sie, worum es sich hierbei
eigentlich handelt. Das sollte man nicht weiter betreiben.
Ich möchte aber etwas anderes deutlich machen, was
hier nicht behandelt worden ist und was uns große Sorgen
bereitet; das ist in der Anhörung auch deutlich geworden.
Es ist die Tatsache, dass im Bereich der Leiharbeitnehmerschaft überwiegend keine Tarifverträge bestehen,
dass Niedriglöhne gezahlt werden, die 22 bis 40 Prozent
unter vergleichbaren Löhnen auf dem ersten Arbeitsmarkt
liegen, dass es sich um die schlechtesten Standards handelt, die sich in höherer Unfallhäufigkeit und höheren gesundheitlichen Risiken ausdrücken. Wenn dann trotzdem
Menschen solche Arbeitsverhältnisse annehmen, scheint
es mir so zu sein - gestatten Sie mir diesen Vergleich - wie
in dem geflügelten Wort vom Teufel, der auch Fliegen
schluckt, wenn nichts anderes da ist.
Überwiegend übernehmen Arbeitslose solche Arbeit.
Das ist übrigens - das sage ich an die Adresse der Regierungskoalition - ein Zeichen dafür, dass es sich hier nicht
um Menschen handelt, die faul oder arbeitsscheu sind und
in der Hängematte liegen, sondern um Menschen, die bereit
sind, sogar unter diesen Bedingungen Arbeit anzunehmen.
({1})
Wenn wir schon über Änderungen in diesem Bereich
beraten, sollten es Änderungen sein, die nach vorn zeigen.
Es sollten in Zukunft dauerhafte, existenzsichernde und
tariflich bezahlte Arbeitsplätze sein. Wenn das forciert
würde, könnten wir auf die Leiharbeitnehmerschaft, auf
diese Drangsalierung von Arbeitnehmern, verzichten.
Der Bericht behandelt auch illegale Beschäftigung und
Schwarzarbeit. Hier wird in dem Bericht etwas beschrieben, was wir schon in der Vergangenheit festgestellt haben. Wir sind im Prinzip nicht vorangekommen. Das, was
hier als Erfolg verkauft wird, ist nicht gesichert, weil uns
gesicherte Zahlen fehlen. Wenn Zahlen fehlen, kann man
das, was vorliegt, auch nicht als Erfolg verkaufen.
Wir meinen, dass die Quintessenz aus diesem Bericht
sein muss, mehr Rechtssicherheit und mehr Konfliktfähigkeit herzustellen, die Anreize, die durch einen
Betrugsbonus illegaler Beschäftigung gegeben sind - dieser Betrugsbonus kommt nicht den Arbeitnehmern zugute, die illegal beschäftigt sind oder Schwarzarbeit
durchführen, sondern ganz anderen -, zu beseitigen und
die Arbeitnehmerrechte zu stärken, damit die Arbeitnehmer nicht unter diesen Bedingungen arbeiten müssen.
Wenn Sie dies in die Wege leiten würden, würden Sie
einen Schritt hin zu mehr sozialer Gerechtigkeit tun und
hätten dabei auch die PDS auf Ihrer Seite.
({2})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Wolfgang Grotthaus, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Grundlage der Debatte
ist neben dem Entwurf der CDU/CSU-Fraktion zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes auch der
Neunte Bericht der Bundesregierung über Erfahrungen bei
der Anwendung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes
und des Gesetzes zur Bekämpfung illegaler Beschäftigung.
Ich hatte vor, mich mit dem zweiten Punkt zu beschäftigen. Ich will aber davon abweichen; denn Herr
Meckelburg und auch Herr Dr. Kolb haben einige Anmerkungen gemacht, die dazu reizen, etwas näher darauf
einzugehen.
({0})
Mein Kollege Brandner hat schon sehr viel von dem
gesagt, was zum Arbeitnehmerüberlassungsgesetz zu sagen ist. Ich möchte ihm beipflichten und nochmals betonen, dass die CDU/CSU-Fraktion mit ihrem vorgelegten
Gesetzentwurf einfach zu kurz gesprungen ist.
Herr Meckelburg, wenn Sie tatsächlich etwas für die
Leiharbeitnehmer tun wollen und dies mit den im Verhältnis zu Deutschland besseren Prozentsätzen im Ausland vergleichen, würde ich Sie bitten, in Ihren nächsten
Entwurf mit aufzunehmen, dass sich die Leiharbeitnehmerbedingungen hier an denen des Auslands zu orientieren haben. Es müsste dann die sofortige Rechtsgültigkeit
von Tarifverträgen, die Zahlung von Weihnachts- und Urlaubsgeld sowie eine bessere soziale Abfindung in Ihren
Antrag aufgenommen werden.
({1})
Dies steht nicht darin. Von daher ist es nicht zulässig, hier
einen Vergleich zwischen dem Ausland und Deutschland
anzustellen. Das geht nur dann, wenn gleiche soziale Bedingungen zugrunde gelegt werden.
Mir scheint aber, meine Damen und Herren von der
Opposition, dass Sie über die Ausweitung der Arbeitnehmerüberlassung einen neuerlichen Einstieg in eine amerikanische Hire-and-fire-Politik suchen. Dies ist Ihnen
schon beim ersten Versuch, das Kündigungsschutzgesetz
zu ändern, nicht gelungen. Das wird Ihnen heute ebenfalls nicht gelingen. Ich gehe davon aus - Sie können dieses schon als gegeben ansehen - dass Ihr Antrag mit den
Stimmen der Mehrheit dieses Hauses abgelehnt wird.
({2})
- Herr Dr. Kolb, ich möchte hierzu gleich eine Wertung
abgeben: Nicht die Anzahl der Zwischenrufe, sondern die
Qualität der Zwischenrufe ist entscheidend.
({3})
Gehen Sie einmal in sich und verbessern Sie sich qualitativ ein wenig. Auch Ihr Beitrag zielte ja auf Miesmachen,
Runterfahren und Verunsichern ab.
Sie propagierten in Ihrer Rede die Freiheit. Ich frage
mich: Freiheit für wen? Soll denjenigen, die bisher einen
Vollzeitarbeitsplatz haben, mehr Freiheit dadurch gewährt werden, dass sie demnächst nach Bedarf abgerufen
werden können?
({4})
Was das heißt, will ich Ihnen einmal an einem Beispiel aus
der Praxis deutlich machen: Betriebsräte haben in Großbetrieben und Konzernen die Erfahrung gemacht, dass
dort in der Form outgesourct wurde, dass man Arbeitnehmern gekündigt hat, ihre Arbeit anderen Firmen übertragen hat, gleichzeitig diesen Firmen aber die Auflage gemacht hat, die gekündigten Arbeitnehmer in den Betrieb
zurückzuschicken. Man hat also den gekündigten Arbeitnehmern im Rahmen des AÜG einen Arbeitsplatz in ihrer
früheren Firma angeboten. Dies geht nicht.
({5})
- Das ist nicht die Regel, aber wir wollen, wenn wir Veränderungen vornehmen, Verbesserungen auch für die Arbeitnehmer erzielen. Dagegen haben wir den Eindruck,
dass es Ihnen nur um mehr Freiheit für die Unternehmer
geht.
({6})
Ihre Überlegungen bergen in sich die Gefahr - ich sage
bewusst: Gefahr -, dass Stammbelegschaften reduziert
werden. Der umgekehrte Weg sollte eigentlich eingeschlagen werden, nämlich die Beibehaltung von Stammbelegschaften und die schnellstmögliche Eingliederung
von Arbeitslosen in die betriebliche Realität. Diesen Weg
werden wir gehen.
Hierzu gehört das Thema „Bekämpfung der illegalen
Beschäftigung“, wozu wir uns auch schon geäußert haben. Auch die illegale Beschäftigung wirkt sich letztendlich sehr negativ auf den Arbeitsmarkt aus. Die Bundesregierung hat in ihrem Bericht die Maßnahmen, die bisher
eingeleitet wurden, um dem Problem effizient zu begegnen, geschildert. Dieser Bericht liefert Daten darüber,
dass beispielsweise durch eine gute Zusammenarbeit zwischen Arbeitsämtern und Zollämtern sehr gute Ergebnisse
in der Bekämpfung illegaler Arbeit erreicht werden können. Ich persönlich habe gestern einmal beim Arbeitsamt
in meinem Wahlkreis Oberhausen nachgefragt, wie es
denn vor Ort um die Erfolge bestellt ist. Man hat mir gesagt, dass durch eine gute Kooperation zwischen den Institutionen, durch die verstärkte Nutzung der EDV und
nicht zuletzt durch das gesteigerte Unrechtsbewusstsein
bei der Bevölkerung in 2000 und 2001 erhebliche Erfolge
bei der Bekämpfung der illegalen Beschäftigung erzielt
worden sind.
Wir haben - praxisnah an den Erfahrungen der Arbeitsämter - innerhalb der Koalitionsfraktionen ein Eckpunktepapier zur Verbesserung der Bekämpfung der illegalen Beschäftigung und der Schwarzarbeit im Bundestag
vorgelegt und Mitte April verabschiedet. Darin forderten
wir die Bundesregierung auf, sehr rasch einen Gesetzentwurf vorzulegen. Ich kann Ihnen heute, nach nicht einmal
zwei Monaten, mitteilen, dass im BMA ein solcher Entwurf erarbeitet wurde und in Kürze dem Parlament zugeleitet werden wird. Wir gehen davon aus, dass dieser Gesetzentwurf weitere organisatorische und rechtliche
Voraussetzungen für eine wirksamere Bekämpfung von
illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit schaffen wird.
Des Weiteren gehen wir davon aus, dass sich die von uns
im Eckpunktepapier vorgeschlagenen Maßnahmen dort
ebenfalls wiederfinden werden.
Ich will Ihnen in Erinnerung rufen, welche Maßnahmen wir vorgeschlagen haben. Wir haben vorgeschlagen,
die Abschreckungswirkung zu erhöhen und Vollzugsdefizite auszuräumen. Das kann zum Beispiel durch die Anhebung der Höhe der Bußgelder, eine Ausdehnung der
Kompetenzen der Staatsanwaltschaft zur zeitnäheren
Ahndung oder die Durchsetzbarkeit der Sanktionen auch
außerhalb der Bundesgrenzen geschehen, was im Übrigen
- zumindest mit ein, zwei Ländern in Europa - schon ganz
gut klappt; wir wollen auf der nächsthöheren Ebene weitere Gespräche führen.
Wir wollen die Effizienz der Arbeit der Verfolgungsbehörden verbessern, und zwar durch die Nutzung von
Synergieeffekten durch organisierten Informationsaustausch. Außerdem wollen wir die Prävention verstärken,
indem wir das Unrechtsbewusstsein in der Bevölkerung
stärker sensibilisieren, und die Verantwortung der Unternehmen, der öffentlichen Hand als Arbeitgeber sowie der
Gewerkschaften herausstellen.
Sie sehen, meine Damen und Herren von der Opposition,
die Handlungsinitiative liegt bei uns. Sie hingegen singen
- das wurde heute wieder sehr deutlich - ständig das alte
Lied, dass alles, was unternommen werde, nicht ausreiche,
({7})
dass sogar die Arbeitslosenzahlen stiegen, obwohl, wie
fast alle Bürger in diesem Lande erkennen müssten, die
Arbeitslosenzahlen seit Januar 1998 - ich weiß, dass jetzt
wieder Widerspruch von Ihnen kommt ({8})
von in der Spitze 4,8 Millionen Arbeitslosen auf 3,8 Millionen gesunken sind.
({9})
- Diese Zahlen müssen Sie zur Kenntnis nehmen.
Lesen Sie das einmal nach und beschäftigen Sie sich
intensiver damit. Aber ich gehe davon aus, dass Sie das
nicht wollen, weil Ihnen dann nämlich Altlasten einfallen,
weil Ihnen dann einfällt, dass Sie in Ihrer Regierungszeit
zwei Verstetigungen hatten: Die Arbeitslosenzahl und die
Verschuldung sind angestiegen.
({10})
Dadurch haben Sie sich ausgezeichnet und dadurch haben
Sie uns in Bezug auf die jungen Menschen eine Hypothek
mit auf den Weg gegeben, die wir jetzt abtragen müssen.
({11})
Ihnen dies jedes Mal vorzuhalten ist unser gutes Recht;
das ist sogar unsere Pflicht.
In Bezug auf das zu erwartende Gesetz zur Bekämpfung illegaler Beschäftigung haben wir aber die Hoffnung - ähnlich wie bei den anderen eingebrachten Initiativen zur illegalen Beschäftigung -, dass Sie mit uns
stimmen werden; denn auch Ihnen sollte bewusst sein,
dass es sich hier um ein Problem handelt, das der Gesellschaft einen riesengroßen Schaden zufügt, und dass es den
Menschen dient, die arbeitslos sind, wenn wir an die Lösung dieses Problems gehen. Darin, diese Menschen
schnellstmöglich aus der Arbeitslosigkeit herauszuholen,
sollte unser gemeinsames Interesse liegen, statt zu überlegen, wie bestimmte Freiheiten, die vielleicht einseitig
genutzt werden, zulasten der Arbeitnehmer gesetzlich
verankert werden können.
({12})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Heinz Schemken, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident!
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Das Letztere
möchte ich entschieden zurückweisen: dass wir Ihnen
ständig etwas vorwerfen würden.
({0})
Ich hatte geglaubt, dass unser Entwurf dazu beiträgt,
miteinander an das Problem heranzugehen, das auch Sie
bisher nicht gelöst haben.
({1})
Auch Sie haben das Rad nicht erfunden. Sie wissen ganz
genau, dass auf dem Arbeitsmarkt keine Bewegung stattfindet, dass im Gegenteil Stagnation herrscht.
({2})
Ich gehe gar nicht auf die wirtschaftlichen Daten ein, die
nichts Gutes erwarten lassen.
({3})
Wir möchten diesen Weg, der auch durch den Bericht
der Bundesregierung vom 4. Oktober 2000 belegt wurde
- ich beziehe dabei die illegale Beschäftigung ein; selbstverständlich ist auch das für uns ein Thema -, ausbauen,
der mit 200 000 Arbeitsplätzen pro Jahr die Möglichkeit
schafft, Menschen in Arbeit zu bringen und flexibel zu
reagieren, und insbesondere für die mittelständischen Betriebe wirkungsvolle Lösungen anbietet, wenn Arbeitnehmer dem Betrieb aus familiären Gründen, aus Krankheitsgründen oder aus Gründen der Weiterbildung nicht
zur Verfügung stehen; denn dadurch können Stammarbeitsplätze geschützt werden. Das Beispiel Holland hat
gezeigt, dass kein Abbau der Stammarbeitsplätze, sondern
vielmehr ein Aufbau erfolgt ist. Sie haben eine davon abweichende Entwicklung eingeleitet.
Das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz ist 1972 verabschiedet worden. Es ist auch nach dem vorliegenden
Bericht ein nach wie vor sozialpolitisch und arbeitsmarktpolitisch sinnvolles Gesetz. Deshalb möchten wir es
ausbauen. Wir möchten insbesondere die darin enthaltenen Hemmnisse herausnehmen.
Herr Brandner, Sie haben gesagt, dass - wenn überhaupt - nur etwa 30 Prozent der Leiharbeitnehmer dauerhaft übernommen werden. Ich kann dazu nur sagen:
Sind es diese 30 Prozent nicht wert?
({4})
Sind es diese nicht wert, dass wir über die Höchstdauer
der Überlassung von zwölf Monaten hinausgehen?
Herr Grotthaus, Sie sprachen von 90 Prozent. Die
Quote derjenigen, die zwölf Monate dabei sind, liegt aber
bei 100 Prozent. Da die Überlassung nur für zwölf
Monate gilt, ist dies doch logisch. Da haben Sie eine
Milchmädchenrechnung aufgemacht. Sie sollten sich
vielleicht einmal mit einem Betriebsratsmitglied zusammensetzen, das etwas vom Rechnen versteht. Das ist ja
auch ganz wichtig.
({5})
- Entschuldigen Sie bitte. Wenn in dem Gesetz nur zwölf
Monate vorgesehen sind, kann ich nicht davon ausgehen,
dass die Möglichkeit der Beschäftigung auch darüber hinaus besteht. Das wollen wir ja jetzt gerade erreichen.
({6})
Wir sind sicherlich einer Meinung, dass wir insbesondere in den jungen Bundesländern große Probleme haben. Uns bedrückt es sehr, dass das wirtschaftliche
Wachstum in den jungen Bundesländern aufgrund der
konjunkturellen Entwicklung auch in diesem Jahr nur
1,3 Prozent beträgt
({7})
und es daher dort nicht zu dem gewünschten Beschäftigungsaufbau gekommen ist. Deshalb brauchen wir solche
Instrumente.
Sie wissen sehr wohl, dass sich die Dynamik des Abbaus der Arbeitslosigkeit von Oktober 2000 bis April
2001 auf 132 000 halbiert hat, die Arbeitsmarktlage also
nicht besonders günstig ist. Uns ist daran gelegen, diese
Arbeitsmarktlage miteinander zu verbessern. Deshalb
wundere ich mich immer wieder darüber, dass Sie uns,
wenn wir eine Initiative starten, nicht unterstützen, obwohl dies - Herr Meckelburg hat das deutlich gemacht in Ihrem Eckpunktepapier erwähnt ist.
In Ihrem Eckpunktepapier steht auch, dass nach zwölf
Wochen die Arbeitslosenunterstützung gestrichen werden
soll. Mit diesem Drohpotenzial erreichen Sie auf dem ersten Arbeitsmarkt natürlich gar nichts. Ein Instrument für
den ersten Arbeitsmarkt ist es vielmehr, wenn ich die
Möglichkeiten für die Betriebe erweitere.
Ich muss sagen: Sie haben unseren Gesetzentwurf
nicht gelesen; denn Sie haben behauptet, wir hätten uns
zur sozialen Flankierung nicht geäußert. Ich verweise
auf die Festlegungen im Entwurf: Aufhebung des Synchronisationsverbotes und eine tarifliche Bindung des
Verleihers an das bestehende Arbeitsverhältnis, weiterhin der uneingeschränkte Kündigungsschutz. Das ist
hier beschrieben. Ich verstehe gar nicht, wie Sie auf die
Idee kommen, dass wir dies nicht mit aufgenommen haben.
Auch im Bericht der Bundesregierung ist noch einmal
deutlich geworden, dass dies wegen der Bekämpfung der
illegalen Beschäftigung ein wichtiges Anliegen ist. Auch
wir haben dieses Anliegen - in der Fortschreibung dieses
Instrumentes aus dem Jahre 1972 - in den 16 Jahren unserer Regierung verfolgt. Tun Sie doch nicht so, als ob
hier die Arbeitnehmerrechte nicht geschützt würden.
({8})
Die Arbeitnehmerrechte sind geschützt. Dies gilt für
ein zwölfmonatiges Leiharbeitsverhältnis genauso wie für
ein 24-monatiges. Wir möchten diesen Weg weitergehen.
Wenn schon jetzt bei einem auf zwölf Monate beschränkten Leiharbeitsverhältnis von 200 000 Leiharbeiterinnen
und Leiharbeitern 30 Prozent dauerhaft übernommen
werden, daraus also sozusagen Stammarbeit wird, wird
die Chance bei einer Ausweitung auf 24 oder 36 Monate
noch größer. Dies steht außer Frage.
Darüber hinaus muss ich Ihnen noch sagen: Wir lassen
es nicht zu, dass an der Statistik manipuliert wird.
({9})
Sie kommen ja immer mit der Statistik. 600 000 Langzeitarbeitslosen über 58 Jahren soll jetzt bestätigt werden,
dass sie eigentlich in Rente gehen müssten. Das ist kontraproduktiv.
Soeben hast du, lieber Klaus, gesagt, dass es eine Vereinbarung zwischen der Landesregierung NRW und den
Leihunternehmen gebe, dass man gerade für ältere Arbeitslose etwas tun wolle. Welche Botschaft wird aber dadurch vermittelt, dass ich die über 58-Jährigen aus der
Statistik herausnehmen will? Auf der anderen Seite gibt es
die Aktion „50 plus - die können es!“ der Bundesanstalt
für Arbeit. Sollen wir diese Botschaft übermitteln oder
sollen wir sagen: trotz arbeitsfähigem Alter aufs Abstellgleis und verzweifeln?
({10})
- Die Bürger verstehen das, und zwar deshalb, weil der
Herr Bundeskanzler versprochen hat, die Arbeitslosenzahl
auf unter 3,5 Millionen zu senken, koste es, was es wolle.
({11})
Für den Fall, dass das nicht klappt, schiebt man die 58Jährigen ab. Man schickt sie also noch nicht einmal mehr
auf die Reservebank, sondern gleich in die Rente.
({12})
Das begreift der Bürger. Denn der Bundeskanzler kann
sein Wort nicht halten.
Auf der einen Seite verfolgt der Bundeskanzler die
Blair-Linie und auf der anderen Seite machen Sie im Rahmen der Gesetzgebung - da bin ich etwas näher bei Ihnen;
denn Sie sind wenigstens ehrlich - bei dem, was der
Bundeskanzler draußen verkündet, nicht mit. Es ist ja
hochinteressant, dass ihm das Bündnis für Arbeit die Einhaltung dieses Versprechens überhaupt noch abnimmt.
Das wundert mich immer wieder.
Nun zurück zum Thema:
({13})
- Ja, genau, Frau Lotz. - Die von uns vorgeschlagene Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes ist kein
Königsweg. Den haben auch Sie nicht. Das wissen Sie
ganz genau.
({14})
Bei den Arbeitsstunden kommt es in Deutschland sogar zu einem Abbau.
({15})
Die Arbeitsstunden sind entscheidend für die Sicherung
unserer Sozialsysteme. Hier ist ein dramatischer Vorgang
festzustellen.
Dieser Zusammenhang muss bei den vielen Wegen, die
zur Verbesserung der Situation beschritten werden können,
beachtet werden. Die vorgesehene Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes ist eine Stellschraube. Das ist
nicht alles; das wissen auch wir. Aber sie ist ein Angebot an
Sie, vor dem Hintergrund der Erkenntnisse der 90er-Jahre
das Übel der Arbeitslosigkeit mit uns gemeinsam stärker
anzugehen. Wir stehen Ihnen dabei zur Verfügung.
Wenn Sie allerdings Konzepte ablehnen, dann ist Ihnen
nicht zu helfen. Sie gehen die alten Wege, schauen nicht
nach Holland - dort ist diese Regelung mit Erfolg praktiziert worden - und stabilisieren damit die hohe Arbeitslosigkeit in Deutschland.
({16})
Das ist schade für den einzelnen betroffenen Arbeitslosen.
Schönen Dank.
({17})
Ich schließe die Aus-
sprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf
der Fraktion der CDU/CSU zur Änderung des Arbeitneh-
merüberlassungsgesetzes auf Drucksache 14/1211. Der
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung empfiehlt unter
Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 14/5807, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte die-
jenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das
Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? -
Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stim-
men von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS gegen die
Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. abgelehnt. Damit ent-
fällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung emp-
fiehlt der Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung, den Be-
richt der Bundesregierung auf Drucksache 14/4220 über
Erfahrungen bei der Anwendung des Arbeitnehmer-
überlassungsgesetzes sowie über die Auswirkungen des
Gesetzes zur Bekämpfung der illegalen Beschäftigung
zur Kenntnis zu nehmen. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Be-
schlussempfehlung ist damit einstimmig angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 20 a und 20 b auf:
a) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Organisationsreform in der landwirtschaftlichen Sozialversicherung ({0})
- Drucksache 14/5314 ({1})
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Organisationsreform in der landwirtschaftlichen Sozialversicherung ({2})
- Drucksache 14/5928 ({3})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({4})
- Drucksache 14/6177 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Peter Dreßen
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({5}) zu dem Antrag der Fraktion
der CDU/CSU
Landwirtschaftliche Sozialversicherung
zukunftsorientiert gestalten
- Drucksachen 14/3774, 14/6177 Berichterstattung:
Abgeordneter Peter Dreßen
Es war eine Aussprache von einer halben Stunde vorgesehen. Die Kollegen Waltraud Wolff ({6}),
Peter Dreßen, Siegfried Hornung, Steffi Lemke, Marita
Sehn und Kersten Naumann haben ihre Reden zu Proto-
koll gegeben.1)
Wir kommen damit zur Abstimmung über die von den
Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen
sowie von der Bundesregierung eingebrachten Entwürfe
eines Gesetzes zur Organisationsreform in der landwirtschaftlichen Sozialversicherung. Der Ausschuss für
Arbeit und Sozialordnung empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/6177, die Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 14/5314 und 14/5928 als
Gesetz zur Organisationsreform in der landwirtschaftlichen Sozialversicherung in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen des Hauses bei Stimmenthaltung der PDS-Fraktion
angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer
stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen des Hauses bei Stimmenthaltung der PDS-Fraktion angenommen.
Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung die Ablehnung
des Antrags der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache
14/3774 mit dem Titel „Landwirtschaftliche Sozialversicherung zukunftsorientiert gestalten“. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der SPD und von Bündnis 90/Die Grünen gegen
die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. bei Enthaltung
der PDS angenommen.
Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 23:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Rolf
Stöckel, Ekin Deligöz, Ingrid Fischbach, Klaus
Haupt, Rosel Neuhäuser und weiterer Abgeordneter
Eigenständiges Antragsrecht für die Kinderkommission des Deutschen Bundestages
- Drucksache 14/5346 ({7}) Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({8})
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Interfraktionell ist für die Aussprache eine Fünf-Minuten-Runde vereinbart worden. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Klaus Haupt, F.D.P.-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Heute ist der Internationale Kindertag. Deshalb erst einmal herzlichen Glückwunsch an alle Kinder
im Namen der Kinderkommission.
({0})
Heute ist der Internationale Kindertag und der Deutsche Bundestag debattiert einen Antrag zur Kompetenzerweiterung der Kinderkommission.
({1})
Das ist ein gutes Zeichen, ein hoffnungsvoller Anfang.
Die richtige und konsequente Fortsetzung ist die zügige
und ergebnisorientierte Beratung dieses Antrages in den
Ausschüssen, damit wir dann im September zum Weltkindertag - wieder sehr symbolisch - im Plenum mit der
Schlussabstimmung eine zukunftsweisende Entscheidung für eine kinderfreundlichere Gesellschaft treffen
können.
({2})
Seit 1988 gibt es die Kinderkommission des Deut-
schen Bundestages mit der Aufgabe, die Belange der
Kinder im Gesetzgebungsprozess des Deutschen Bun-
destages wahrzunehmen und die parlamentarisch-politi-
sche Lobby für Kinder als besonders schwache und
schutzwürdige Glieder unserer Gesellschaft zu sein. Des-
halb wurde bereits bei der Gründung ein Gremium mit
geradezu exotischem Sonderstatus geschaffen - im Übri-
gen ein einmaliger Weg in der deutschen Parlamentsge-
schichte:
Präsident Wolfgang Thierse
1) Anlage 8
Erstens. Die Kiko ist nicht von Proporz oder Mehrheitsverhältnissen geprägt. Jede Fraktion entsendet nur
einen Vertreter.
Zweitens. Beschlüsse werden nur einstimmig, also
nach dem Konsensprinzip gefasst.
Drittens. Das Amt des Vorsitzenden wechselt symbolträchtig alle neun Monate. Jedes Mitglied ist also im
Laufe einer Wahlperiode einmal Vorsitzender. Zurzeit
habe ich diese Ehre.
Trotz aller Besonderheiten: Alle Kinderkommissionen
vor uns, aber auch wir stießen in der praktischen Arbeit an
Grenzen, genauer an Kompetenzgrenzen.
Die Kiko ist nun 13 Jahre alt. Wie alle 13-Jährigen ist sie
reifer, flügger, erfahrener geworden. Folgerichtig wollen
wir jetzt mit starker Unterstützung vieler Kolleginnen und
Kollegen aller Fraktionen ein Antragsrecht für die Kiko
durchsetzen - nicht aus Profilneurose, sondern zugunsten
der Schwächsten in unserer Gesellschaft, der Kinder.
({3})
Wenn die Kiko mehr als ein politisches Feigenblatt sein
soll, wenn die Interessenvertretung der Kinder im Parlament ernst gemeint und ernst genommen wird, muss sie
mit entsprechenden Kompetenzen ausgestattet sein.
Dies wäre ganz im Sinne der National Coalition, in der
sich viele ganz unterschiedliche Organisationen für die
Kinderrechte stark machen und die deutlich sagt: Das vorhandene Instrument, die Kinderkommission, sollte gestärkt werden.
Dagegen sind nun aber einige Bedenken laut geworden,
die ich übrigens alle ernst nehme. Einige betonen, dass die
Geschäftsordnung des Bundestages nicht beliebig geändert
werden sollte. Ich selbst bin auch dieser Auffassung. Aber
die Geschäftsordnung ist kein hehres Naturgesetz, das nicht
verändert werden kann. Ich meine, es gibt gute Gründe,
dies jetzt, sehr verantwortungsvoll und zielbewusst zu tun.
Befürchtet wird auch ein Nachahmungseffekt. Da die
Einrichtung der Kinderkommission aber bewusst mit einem ganz besonderen, einzigartigen Status ausgestattet
ist, bin ich sicher, dass es nicht dazu kommen wird. Denn
jedem potenziell dafür infrage kommenden Nachahmer
fehlen diese Grundvoraussetzungen.
Auch die Angst vor einer Inflation von Anträgen aus
der Kinderkommission ist völlig unbegründet. Sie alle
wissen, dass wir nur im Konsens entscheiden können. Wir
sollten uns, wenn es um Kinder geht und dieser Konsens
über Parteigrenzen hinweg gegeben ist, im Parlament die
Chance eröffnen, solche mit Bedacht unterbreiteten Vorschläge gemeinsam zu beraten.
Schließlich gibt es Bedenken, insbesondere der Mutterausschuss der Kinderkommission könnte in seiner Bedeutung relativiert werden. Da kann ich nur sagen: Keiner
verliert etwas, aber alle, vor allem die Kinder, gewinnen,
wenn der Stellenwert von Kindern in den politischen Entscheidungsprozessen steigt.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, unser Antrag ist hoch
aktuell. Er steht vor dem Hintergrund, dass Kinderpolitik
zunehmend als bedeutendes Feld der Gesellschaftspolitik
erkannt wird und mittlerweile bei allen Parteien oben auf
der politischen Agenda steht. Gerade in diesem Jahr wird
dies auch international mit dem Weltkindergipfel in New
York überdeutlich werden.
Die Querschnittsaufgabe, Kinderrechte ernst zu nehmen und für eine kinderfreundliche Gesellschaft alles,
aber auch alles zu tun, ist eine Herausforderung zu Beginn
des neuen Jahrtausends, für die sich jede Mühe lohnt - sogar eine Änderung der Geschäftsordnung. Denn das, was
ein japanisches Sprichwort sagt, stimmt: Wer Großes will,
muss das Kleine tun. Deshalb ist unser Gruppenantrag
eine kleine, aber die richtige Antwort auf die großen Herausforderungen, vor denen der Deutsche Bundestag im
Hinblick auf die immer drängender werdenden kinderpolitischen Fragestellungen steht.
Lassen Sie uns, über alle Parteigrenzen hinweg, ein
Zeichen setzen für die Schwachen, die zugleich aber die
Zukunft unserer Gesellschaft sind: die Kinder.
Danke.
({5})
Ich erteile dem Kollegen Rolf Stöckel, SPD-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was soll
dieser formale Zwergenaufstand im Deutschen Bundestag?, denken sich nun die meisten. Ich möchte Ihnen kurz
begründen, warum auch ich mich sehr für die Kompetenzerweiterung dieser Kinderkommission einsetze. Ich
glaube, wir sind uns mehrheitlich darüber einig - das
wurde auch gestern Morgen in der Debatte über Gentechnik und Bioethik deutlich -, dass Kinder von null bis
18 Jahren, um die es hier geht, Grundrechtsträger sind.
Deswegen sind wir uns wahrscheinlich auch mehrheitlich
darüber einig, dass wir Kinderrechte nicht extra in den
Grundrechtskanon der Verfassung aufnehmen müssen.
Es geht hier um 17 Millionen Einwohnerinnen und
Einwohner dieses Landes, die die Kinderkommission in
der Bundespolitik vertreten und deren Interessen sie
durchsetzen soll. Insofern war es sicherlich ein guter Anfang, als es der Bundestag vor ungefähr elf Jahren wagte,
eine Kinderkommission einzurichten. Dies war eine
Folge des Internationalen Jahres des Kindes der Vereinten
Nationen aus dem Jahre 1979 und der Ratifizierung der
UN-Kinderrechtskonvention, in der sich die unterzeichnenden Nationen verpflichtet haben, diese Kinderrechtskommission in nationale Gesetzgebung umzusetzen.
Ich will Ihnen deutlich sagen, dass das, was bisher an
Schlussfolgerungen gezogen worden ist, für die Kinderinteressensvertretung in der Bundespolitik nicht ausreicht. Auch deshalb, weil Anträge einzelner Fraktionen,
mit denen versucht wurde, diese Interessensvertretung
auszuweiten, keine Mehrheit gefunden haben. Es geht
nicht nur darum, ob der Bundestag ein Zeichen für die
Schwächeren setzt, sondern auch darum, ob der Bundestag zu den Konsequenzen steht, die er in den Entschließungsanträgen immer wieder beschlossen hat.
Dass dies ganz konkrete Auswirkungen hat und nicht
nur Symbolik ist, will ich an einem kurzen Beispiel erläutern. Vor wenigen Wochen, kurz vor Ostern, ist in einer Berliner Kindertagesstätte ein kleiner Junge tödlich
verunglückt; er erdrosselte sich an der Rutsche in der
Kindertagesstätte mit der Kordel seines Anoraks. Die
Kinderkommission hatte vor etwa einem halben Jahr die
Initiative ergriffen und sich an das Wirtschaftsministerium gewandt mit der Bitte, die Textilbranche und die Verbraucherverbände an einen Tisch zu holen, weil solche
tödlichen Unfälle immer wieder passiert sind. Sie werden
in den Medien nicht immer so spektakulär behandelt wie
der tödliche Unfall durch einen Kampfhund in Hamburg.
Wir haben erreicht, dass sich die deutsche Textilbranche - eine entsprechende Regelung auf EU-Ebene würde
circa fünf Jahre dauern - im Rahmen einer Selbstverpflichtung entschlossen hat, ab der Herbst-/Winterkollektion 2001, also ungefähr ab September, keine gefährlichen
Kordeln im Halsbereich von Kinderkleidung bis Größe 142,
glaube ich, mehr zuzulassen. Es wird Klettverschlüsse sowie Kordeln mit Sollbruchstellen - das ist ein Pfennigartikel - geben, die ab einem Druck von 1,5 Kilogramm reißen.
Das ist sehr praktisch und schützt zudem Menschenleben.
Den Kolleginnen und Kollegen, die unseren Antrag unterstützen, möchte ich herzlich danken. Ich möchte aber
deutlich sagen, dass diejenigen Kolleginnen und Kollegen, die unseren Antrag nicht unterstützen können, deswegen nicht kinderfeindlich sind oder sich nicht genauso
für die Kinderinteressen in unserer Gesellschaft einsetzen. Wenn dieses Antragsrecht nicht durchkommen sollte,
möchte ich alle auffordern, sich ein wenig mehr Gedanken darüber zu machen, wie die Kinderinteressensvertretung im Deutschen Bundestag ernsthaft und mit
Durchschlagskraft geregelt werden kann.
Ich danke Ihnen.
({0})
Ich erteile der Kollegin Ingrid Fischbach, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich genauso wie der Vorsitzende der Kinderkommission, an diesem besonderen Tag, nämlich dem
Tag des Kindes, hier stehen zu dürfen und mit Ihnen über
ein Thema zu diskutieren, das sich um unsere Kinder
dreht und von unseren Kindern handelt. Ich denke, dies ist
auch für die Öffentlichkeit ein Zeichen, dass die Kinderlobby in diesem Plenum Gehör findet. Ich möchte denjenigen, die dafür Verantwortung tragen, dass wir diese Debatte führen können, ganz herzlich danken.
({0})
Worum geht es heute? Es geht um ein eigenes
Antragsrecht der Kinderkommission des Deutschen Bundestages. Das Ziel, das wir, die zurzeit in der Kinderkommission des Deutschen Bundestages sitzen, damit verfolgen, liegt auf der Hand: Wir möchten zukünftig als
Kinderkommission initiativ und vor allen Dingen schneller initiativ tätig werden können, um so unserem Auftrag,
sich für die Belange von Kindern im Parlament einzusetzen, angemessener gerecht zu werden.
Dagegen könnte man Einwände erheben, was auch einige von Ihnen tun. Ihnen werfe ich aber nicht, wie es der
Kollege Stöckel getan hat, Kinderfeindlichkeit vor, sondern ich denke, dass Sie bewusste und zu akzeptierende
Gegenargumente haben. Sie könnten fragen: Warum
reicht euch nicht das Mittel des Gruppenantrages in Verbindung mit dem 5-Prozent-Quorum? Ich könnte mir bei
besonders populären Anliegen für Kinder, denen ein herausragendes öffentliches Gewicht gegeben werden soll,
vorstellen, dass wir dieses Quorum auch erreichen werden; denn in einem solchen Antrag möchte jeder seinen
Namen wiederfinden. Aber was ist mit den nicht so populären Anliegen, die weniger herausragen? Auch diese
möchten wir als Kinderkommission in diesem Parlament
in angemessener Form vertreten wissen.
Zum anderen könnten Sie sagen, auch andere Unterausschüsse hätten kein Antragsrecht. Aber - ich wiederhole, was der Vorsitzende sagte -: Mit der Einsetzung der
Kinderkommission 1988 ist in der deutschen Parlamentsgeschichte ein einmaliger Weg beschritten worden, der
unterstreichen sollte, dass der Deutsche Bundestag die
Belange der Kinder als ein besonders schutzwürdiges
Sonderinteresse sieht und sie deshalb in besonderer Weise
der Fürsorge und Obhut eines parlamentarischen Gremiums anvertraut.
({1})
Das Gremium der Kinderkommission ist anders als andere Gremien: Wir haben je Fraktion nur ein stimmberechtigtes Mitglied - also nicht, wie andere Unterausschüsse, eine zahlenmäßige Aufteilung nach dem
Kräfteverhältnis der Fraktionen -, der Vorsitz wechselt
turnusmäßig und die Kommission arbeitet nach dem Konsensprinzip; das ist für mich das Wichtigste. Das heißt:
Jede Entscheidung der Kinderkommission - sei es ein Beschluss, sei es eine öffentliche Äußerung - kann nur einstimmig, also im Konsens, getroffen werden.
All das zeigt ganz deutlich: Die Kinderkommission ist
kein Unterausschuss wie andere. Deshalb diskutieren wir
heute unseren Antrag auf ein eigenständiges Antragsrecht.
Sie können davon ausgehen, dass die Kinderkommission
in der Praxis von einem eigenen Antragsrecht im Bundestag angemessen Gebrauch machen wird, denn durch das
Einstimmigkeitsprinzip ist, so glaube ich, auch eine
fraktionsübergreifende ausgewogene Anwendung des
Antragsrechts gewährleistet.
Ebenso können die Bedenken - ich höre das von Kollegen -, die Kinderkommission könnte als sehr kleines
Gremium - im Gegensatz zum sonstigen Antragsrecht
von mindestens 5 Prozent der Abgeordneten - dieses
Recht missbräuchlich anwenden, aufgrund der besondeRolf Stöckel
ren Zusammensetzung des Gremiums und des Konsensprinzips entkräftet werden.
Die Einräumung des Rederechts für die Mitglieder der
Kinderkommission - wir haben das in dieser Legislaturperiode bereits beschlossen - ist ein wichtiges Signal gewesen. Sie haben nun die Möglichkeit, die Arbeit der Kinderkommission im parlamentarischen Raum effektiv zu
unterstützen und zu stärken, indem Sie unserem Anliegen
Rechnung tragen.
Aufgrund der Erfahrungen aus einer 13-jährigen Tätigkeit kann ich feststellen: Das Fehlen eines Initiativrechts
für Anträge im Deutschen Bundestag stellt ein gravierendes Defizit dar.
({2})
Ich erinnere mich an die Möglichkeiten der Beschlussempfehlung im Ausschuss im Zusammenhang mit dem Thema
der Integration behinderter Kinder. Wir haben über dieses Thema debattiert, das Anliegen ist aber nicht wie ein
Antrag behandelt worden, es ist nicht darüber abgestimmt
und entschieden worden, sondern dies wurde lediglich zur
Kenntnis genommen. Hier hätte man wirklich Möglichkeiten, fraktionsübergreifend Themen der Kinderpolitik
angemessen im Plenum zu berücksichtigen.
Ich würde mich freuen, wenn Sie Ihre vielleicht vorhandenen Bedenken beiseite legen könnten und der Kinderkommission die Möglichkeit geben würden, eine wirksame Interessenvertretung für Kinder zu sein. Stärken Sie
die Handlungsfähigkeit der Kinderkommission und setzen Sie damit ein weiteres Signal für Kinderfreundlichkeit!
Danke schön.
({3})
Ich erteile der Kollegin Ekin Deligöz vom Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Herr
Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kindsein ist
kein Kinderspiel. Die Kinder, die in unserer Gesellschaft
aufwachsen, werden mit einer komplexen Umwelt konfrontiert; sie werden mit einer Vielfalt von Familienformen, Formen des Zusammenlebens und Kindheitserfahrungen konfrontiert.
Worüber debattieren wir hier eigentlich? Wir debattieren in diesem Parlament im Augenblick darüber, wie wir
die richtigen Rahmenbedingungen für Kinder und ihr
Aufwachsen in Deutschland setzen können. Wir haben
heute bereits über den Familienlastenausgleich debattiert,
wir reden über die Vereinbarkeit von Beruf und Familie,
über ökologische Kinderrechte oder den Schutz der Kinder vor Gewalt. All die Themen, über die wir reden, zeigen uns, dass Kinderpolitik nicht nur ein kleines Segment
ist, sondern dass gerade die Interessen der Kinder alle
Themenbereiche der Politik berühren und dass wir Kinderpolitik nicht auf einige wenige Bereiche einschränken
können. Dies zeigt uns, dass wir in jedem Gesetz, das wir
beschließen, die Rechte der Kinder in den Blick nehmen
müssen.
({0})
Wir reden immer über Familien und darüber, welche
Rechte, welche Rahmenbedingungen und welche Infrastruktur Eltern brauchen. Natürlich haben Eltern ihre
Rechte, aber auch Kinder sind - genauso wie Mama und
Papa - Trägerinnen und Träger von individuellen Rechten. Auf diese Rechte haben sie einen Anspruch. Nehmen
wir die Erziehung als Beispiel: Es mag Sache der Eltern
sein, welche Werte sie ihren Kindern weitergeben und wie
sie ihre Kinder erziehen wollen. Aber Gewalt darf in der
Erziehung keinen Platz haben. Vielmehr hat jedes Kind
das eigenständige Recht auf gewaltfreie Erziehung, bei
der die Menschenwürde des Kindes beachtet wird, und
darauf, in dieser Gesellschaft mit einer eigenständigen
Persönlichkeit aufzuwachsen.
({1})
Wenn wir auf die Kinder setzen, setzen wir auf unsere
eigene Zukunft. In der Kinderkommission setzen wir uns
auch mit der Situation behinderter Kinder auseinander.
Wir reden insgesamt über Mitberatungs- und Teilhaberechte von Kindern, denn unsere Kinder brauchen
Verlässlichkeit in der Gesellschaft. Damit meine ich die
Verlässlichkeit in den engsten sozialen Beziehungen, die
Verlässlichkeit in den Debatten und die Verlässlichkeit in
der Öffentlichkeit.
Seit langem fordern Ärzte und Psychologen immer
wieder zu Recht, dass den Kindern Mitspracherechte im
Hinblick auf Sorgerechtsfälle, auf das Scheidungsrecht
oder auf die Verhältnisse in den Familien im Allgemeinen
eingeräumt werden. Wir dürfen die Kinder also nicht
übergehen, denn sie sind ein Teil dieser Gesellschaft.
Dafür brauchen wir Weichenstellungen im Parlament und
in der Politik insgesamt. Wir müssen also die Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass diese uralten Forderungen
auch tatsächlich gehört werden. Wenn sich dann fünf Kollegen quer durch alle Fraktionen in der Auffassung einig
sind, dass etwas Bestimmtes für die Zukunft wichtig ist,
dann muss diese Angelegenheit ihren Platz im Parlament
bekommen. Dafür setzen wir uns ein.
({2})
In der Kinderkommission setzen wir uns zudem für die
Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention ein, und
zwar nicht nur in Deutschland, sondern auch auf internationaler Ebene. Wir reden also nicht nur über die Kinder
in unserem Land, sondern auch über die Kinder in den
Nachbarländern. Dabei spielt es keine Rolle, welche Abstammung oder Herkunft sie haben - stets setzen wir uns
für den Schutz ihrer Rechte ein.
Weil wir in der Kinderkommission uns mit der Kinderpolitik eine so anspruchsvolle Querschnittsaufgabe
und damit ein Feld ohne Anfang und ohne Ende ausgesucht haben - eine größere Verantwortung könnten wir
kaum übernehmen -, möchten wir das Gewicht dieser
Kommission im Parlament und in seiner täglichen Arbeit
vergrößern. Die Kommission muss das Recht haben, Debatten in diesem Parlament zu führen. Die Themen der
Kinderkommission müssen also wirklich eingebracht
werden können und dürfen nicht nur für den Papierkorb
produziert werden. Das ist der Grund für unser Engagement, denn wir möchten eine echte Lobbyarbeit für die
Zukunft unserer Kinder betreiben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich hoffe, dass wir
dafür Ihre Unterstützung bekommen.
({3})
Ich erteile der Kollegin Rosel Neuhäuser, PDS-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich möchte im Namen meiner Fraktion allen Kindern zum heutigen Internationalen
Kindertag die herzlichsten Glückwünsche aussprechen.
({0})
Dieser Internationale Kindertag findet heute zum 51. Mal
statt; er ist also älter als 50 Jahre. Ich finde es gut, dass wir
am heutigen Tag über unseren Gruppenantrag zur Kompetenzerweiterung der Kinderkommission beraten.
Auf einen Wermutstropfen weise ich aber hin: Es hätte dem Bundestag gut angestanden, wenn wir diese
25-minütige Debatte am heutigen 1. Juni zu Beginn der
Sitzung in der Kernzeit hätten führen können. Das wären
wir unseren Kindern schuldig gewesen.
({1})
Über viele Probleme, die mit dem Antragsrecht bzw.
der Arbeit der Kinderkommission zusammenhängen, haben wir bereits gesprochen. Dazu sind auch schon viele
Argumente dargelegt worden.
Bereits in der 13. Legislaturperiode, in der ich schon
das Glück hatte, Mitglied der Kinderkommission zu sein,
wurden Beschlussempfehlungen, die dieses Antragsrecht
der Kinderkommission vorsahen, einstimmig angenommen. Das Prinzip der Einstimmigkeit über Parteigrenzen
hinaus ist eine wichtige Basis für unsere Zusammenarbeit.
Wir konnten erfahren, dass wir trotz des Prinzips der Einstimmigkeit immer dann, wenn parteipolitische Interessen außen vor blieben, im Interesse der Kinder wirkungsvolle Schritte gehen konnten.
Frau Süssmuth hat vor einigen Jahren gesagt, Politik
für Kinder gehöre zu den Aufgaben des Parlaments; der
Bundestag wolle sich für eine kinderfreundliche Gesellschaft einsetzen. Wie Recht hatte sie damals.
({2})
Diese Worte sollten wir auch weiterhin zu unserer Arbeitsmaxime machen.
In Vorbereitung des Antrags - auch das klang hier
schon an - war immer wieder zu hören, wir wollten anderen Gremien ein Stück Arbeit wegnehmen. Darum geht es
überhaupt nicht; das müssen auch die Ausschüsse und die
anderen Gremien, die mit Kinderpolitik zu tun haben,
verstehen lernen. Es geht nicht um die Wegnahme von
Kompetenz. Wir wollen vielmehr dazu beitragen, bestimmte Situationen in dieser Gesellschaft, die Kindern
zum Nachteil gereichen, zu verändern.
Solange es in der Bundesrepublik Deutschland Berichte über Kinderarmut gibt, darüber, dass das Defizit in
der Kinderbetreuung nicht abnimmt, sondern wächst, die
Ganztagsbetreuung nicht geklärt und die Vereinbarkeit
von Arbeit und Kinderbetreuung nicht gegeben ist, Berichte darüber, dass der Bedarf an Hilfe und die Hilfsangebote immer weiter auseinander klaffen, dass die Bundesregierung nach wie vor nicht bereit ist, die Vorbehalte
gegen die Unterzeichnung der UN-Kinderrechtskonvention zurückzunehmen, solange diese Probleme nicht im
Interesse der Kinder gelöst sind, so lange sollten eine Regierung und ein Parlament sowie seine Ausschüsse einverstanden sein, dass es ein Gremium gibt, dessen Mitglieder daran mitarbeiten wollen, eine kinderfreundliche
Gesellschaft zu entwickeln.
({3})
In der Debatte kam bereits zum Ausdruck, dass viele
Abgeordnete unseren Antrag mittragen - darüber freuen
wir uns sehr -, auch Abgeordnete, die nicht Mitglieder der
Kinderkommission sind.
Sie, Herr Schmidt, als erster Vorsitzender der Kinderkommission im Deutschen Bundestag, haben allerdings
wenig Zivilcourage im Hinblick auf diese Probleme gezeigt.
({4})
Sie hätten diesen Antrag ruhig unterstützen können; dann
hätte er eine entsprechende Wertigkeit. Bei der Abstimmung aber können Sie dazu beitragen, dass unser Antrag
in Vorbereitung des Weltkindergipfels zum Erfolg geführt
werden kann, wie es unser Vorsitzender gesagt hat.
Es ist aus unserer Sicht wichtig, dass Kinder eine
Lobby brauchen. Dieser Feststellung wird wohl keine
Fraktion widersprechen. Diese Lobby soll jedoch nicht
nur so, wie es bislang war, ein reines Vorzeigeobjekt sein.
Der Kinderkommission sollen Rechte eingeräumt werden. Als Mitglieder der Kinderkommission sind wir recht
zuversichtlich, dass mit unserem Gruppenantrag die notwendigen Änderungen der Geschäftsordnung durchgesetzt werden können, um dem Ziel einer kinderfreundlichen Gesellschaft ein Stück näher zu kommen. Die
PDS-Fraktion hat sich bereits dafür ausgesprochen.
Vielen Dank.
({5})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/5346 ({0}) an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit
einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überwei-
sung so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 22 a und 22 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen
der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Verbesserung des Hinterbliebenenrentenrechts
- Drucksache 14/6043 ({1})
aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
({2})
- Drucksache 14/6178 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Andreas Storm
bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({3}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 14/6181 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Konstanze Wegner
Hans-Joachim Fuchtel
Jürgen Koppelin
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({4}) zu dem Antrag der Abgeord-
neten Dr. Maria Böhmer, Horst Seehofer,
Karl-Josef Laumann, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der CDU/CSU
Unzumutbare Belastungen in der Hinterblie-
benensicherung zurücknehmen
- Drucksachen 14/6042, 14/6178 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Andreas Storm
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung war für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Alle Reden
sind zu Protokoll gegeben, und zwar von den Kolleginnen
Erika Lotz, Brigitte Baumeister, Katrin Göring-Eckardt,
Dr. Irmgard Schwaetzer, Dr. Heidi Knake-Werner und
Ulrike Mascher.1)
Wir kommen damit zur Abstimmung über den von den
Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen
eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung
des Hinterbliebenenrechts. Der Ausschuss für Arbeit und
Sozialordnung empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/6178, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt
dagegen? - Stimmenthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist
damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von SPD,
Bündnis 90/Die Grünen, F.D.P. und PDS gegen die Stimmen der CDU/CSU angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie zuvor angenommen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Tagesordnungspunkt 22 b. Der Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung
die Ablehnung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU mit
dem Titel „Unzumutbare Belastungen in der Hinterbliebenensicherung zurücknehmen“ auf Drucksache 14/6042.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist
mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen
gegen die Stimmen der übrigen Fraktionen angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit ({5}) zu der Verordnung der Bundesregierung
Verordnung über die Erzeugung von Strom aus
Biomasse ({6})
- Drucksachen 14/6059, 14/6102 Nr. 1, 14/6179 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Monika Ganseforth
Cajus Caesar
Dr. Reinhard Loske
Birgit Homburger
Eva Bulling-Schröter
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung war für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Die Kollegin-
nen und Kollegen Monika Ganseforth, Rainer
Brinkmann, Franz Obermeier, Michaele Hustedt, Birgit
Homburger und Eva Bulling-Schröter haben ihre Reden
zu Protokoll gegeben.2)
Damit kommen wir zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu der Verordnung der
Bundesregierung über die Erzeugung von Strom aus Biomasse, Drucksache 14/6179. Der Ausschuss empfiehlt,
der Verordnung auf Drucksache 14/6059 zuzustimmen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der F.D.P. angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainer
Funke, Hans-Joachim Otto ({7}), Jörg van
Präsident Wolfgang Thierse
1) Anlage 9 2) Anlage 10
Essen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
F.D.P.
Die Zukunft gehört der Individuallizenz Vergütungsregelungen für private Vervielfältigungen im digitalen Umfeld
- Drucksache 14/5577 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({8})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Kultur und Medien
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
F.D.P. fünf Minuten Redezeit hat. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Rainer Funke.´
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Urheberrechtlich geschützte Werke, vor allem Musik, werden massenweise für den privaten Gebrauch vervielfältigt. Das Urheberrechtsgesetz muss
gewährleisten, dass die Urheberrechte durch private Vervielfältigungen nicht verletzt werden und die Kreativen
eine angemessene Vergütung erhalten.
Das Urheberrechtsgesetz sieht hierfür eine Kombination aus gesetzlicher Lizenz und pauschaler Abgabe auf
Geräte und Trägermedien vor. Damit wird die Möglichkeit privater Kopien abgegolten.
Für die so genannten analogen Vervielfältigungen hat
sich dieses System bewährt, weil eine gezielte Erfassung
einzelner Vervielfältigungen hier technisch gar nicht
möglich ist. Über die Anpassung der Vergütungssätze ist
sicherlich zu diskutieren. Den Vorschlag, die Vergütungssätze künftig durch Verordnung festzulegen, lehnt die
F.D.P. aber nachdrücklich ab. Eine Verlagerung von Kompetenzen in die Exekutive auch in diesem Bereich wäre,
meine ich, auch für das gesamte Haus nicht akzeptabel.
Die Musik spielt heutzutage aber immer weniger in
diesen klassischen analogen Medien. Von zunehmender
Bedeutung ist stattdessen der Bereich der digitalen Vervielfältigung. Die digitale Kopie ist bereits ein Massenphänomen. Hier wird es in absehbarer Zeit möglich sein,
gezielt einzelne Vervielfältigungen zu erfassen und zu lizenzieren. Das herkömmliche System der ungenauen
Pauschalabgabe verliert dann seine Berechtigung.
Der Vergütungsbericht der Bundesregierung macht zu
dieser bedeutsamen Entwicklung bedauerlicherweise nur
vage Andeutungen und enthält keine klaren Lösungsansätze für die zukünftige Entwicklung. Man will abwarten. Ein „Weiter so wie bisher“ ist hier aber, meine ich, der
falsche Weg. Die Bundesregierung hat ihre Chance verpasst, eine klare Perspektive für die Wahrung der Urheberrechte und der Interessen von Geräteherstellern und
Verbrauchern für die digitalen Vervielfältigungen aufzuzeigen. Es wäre an dieser Stelle angezeigt gewesen, dem
Bundestag konkrete Vorschläge zu präsentieren, wie der
Übergang vom analogen in das digitale Zeitalter befördert
werden kann.
Diese Lücke füllt jetzt der Antrag der F.D.P.-Fraktion.
Sobald die individuelle Lizenz nicht nur technisch möglich
ist, sondern auch flächendeckend zum Einsatz kommen
kann, muss sie, wo immer das möglich ist, die pauschale Abgeltung ersetzen. Das geltende Recht ist zumindest bislang
hierauf noch nicht vorbereitet. Es muss deswegen geprüft
werden, durch welche Maßnahmen des Gesetzgebers die
Einführung von Rechte-Management-Systemen unterstützt
werden kann. Dabei ist auch die jüngste Urheberrechtsrichtlinie der Europäischen Union zu berücksichtigen. Sie
muss unverzüglich umgesetzt werden.
Solange die neue Technik sich noch in der Anfangsphase befindet und noch nicht flächendeckend zur Verfügung steht, wird es notwendig sein, auch digitale Vervielfältigungen vorübergehend noch durch pauschale
Abgaben zu vergüten. Die Aussicht auf mittelfristig einsatzfähige Lizenzsysteme darf nicht dazu führen, dass die
Urheber in der Übergangszeit leer ausgehen.
Ausdrücklich befürwortet der Antrag deshalb eine befristete moderate Abgabe auf Geräte wie zum Beispiel den
CD-Brenner. Wir würden es außerordentlich begrüßen,
wenn sich in dieser Frage die Hersteller und Verwertungsgesellschaften gemeinsam auf die erforderliche
Übergangslösung einigen könnten.
({0})
Entsprechende Gespräche werden ja zum Teil auch unter Moderation von Parlamentskollegen geführt. Unser
Antrag enthält aber konkrete Vorschläge dafür, wie hier
auch der Gesetzgeber durch behutsame Maßnahmen unterstützend eingreifen kann.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({1})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Ludwig Stiegler, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unter den Parlamentariern bestand in
Sachen Urheberrecht immer eine große Gemeinsamkeit.
Wir tun gut daran, uns weiterhin um diese Gemeinsamkeit
zu kümmern.
({0})
Die Enquête-Kommission „Neue Medien“ ist zu gemeinsamen Schlussfolgerungen gekommen. Auf der
Grundlage dieser Schlussfolgerungen können wir in das
digitale Zeitalter gehen und die entsprechenden rechtlichen Regelungen schaffen. In diesen Schlussfolgerungen
sind die Individuallizenzen - sofern dies machbar ist durchaus vorgesehen.
Wer sich mit den Individuallizenzen im Detail befasst
und sämtliche damit verbundenen datenschutzrechtlichen
Probleme sowie den damit einhergehenden bürokratischen Aufwand studiert, der wird sehen, dass wir noch
eine gewisse Zeit brauchen, bis wir wirklich individualrechtliche Lösungen haben, die den Anforderungen des
Datenschutzes entsprechen. Herr Repnik, ich möchte
Präsident Wolfgang Thierse
nicht erleben, dass Ihr Leseverhalten aus Ihrer Abrechnung ersichtlich ist, wenn Sie die „taz“ oder irgendwelche
anderen Zeitschriften heimlich lesen.
({1})
Man muss sich diese Entwicklung anschauen. Ich erinnere an einen Kollegen im Bayerischen Landtag, der aufgrund der Abrechnungssysteme erheblichen Ärger hatte.
({2})
- Nein, das war ein Christlich-Sozialer, dessen Disposition nicht vermuten ließ, in welchen Gebieten er tätig war.
({3})
Herr Funke, wir haben die Individualabrechnungen
gemeinsam quasi erfunden und das wird von uns gemeinsam getragen. Es wird allerdings nicht einfach werden,
daraus ein handhabbares Instrument zu machen. Ich
warne Neugierige. Wir werden noch eine Zeit lang bei den
pauschalen Abrechnungen bleiben müssen.
({4})
In Ihrem Antrag fehlt mir das deutliche Bekenntnis dazu,
dass auch für private Vervielfältigungen am Ende gezahlt
werden muss. Eines der Grundprobleme in unserem Lande
ist, dass jeder sagt: „Ich muss meinen Strom bezahlen; ich
muss mein Kabel bezahlen“, dass man aber glaubt, die Inhalte kämen vom Heiligen Geist, weshalb sie freie Güter
seien, die, wie die Luft zum Atmen, nichts kosteten.
({5})
- Das werfe ich Ihnen nicht vor. - Ich sage nur: Ich hätte
es gerne gesehen, wenn Sie vorgesehen hätten, dass
§ 53 UrhG in Ihrer Fassung die strikte Forderung nach einer Vergütung enthält.
Die beteiligten Kreise sind nun dabei, eine Vereinbarung zu treffen. Wir sollten sie dazu ermuntern. Wir sollten wirklich sagen: Liebe Leute, ihr habt in der Sommerpause noch Zeit, euch zu verständigen; sonst wird euch
der Gesetzgeber auf die Sprünge helfen müssen. Wir können nicht zuschauen, wie das Urheberrecht gerade im Bereich der digitalen Aktivitäten massenhaft verletzt wird.
Wir können keine Entwicklung akzeptieren, in der zwar
unglaublich viel Geld in die Netze investiert wird, obwohl
uns der Content in diesen Netzen letzten Endes gleichgültig ist. Das darf so nicht sein. Wir sollten darin
übereinstimmen, dass wir den beteiligten Kreisen sagen:
Entweder ihr seid euch bis zum Ende der Sommerpause
einig oder ihr bekommt bis spätestens Weihnachten eine
gesetzliche Regelung, die das alles möglich macht.
Auch im Hinblick auf diejenigen, die meinen, sie könnten durch Verlagerungen ins Ausland der Zahlung der
entsprechenden Vergütungen entrinnen, werden wir Wege
finden, solche „Escape-Aktivitäten“ zu unterbinden. Niemand darf unter Ausnutzung von Regelungslücken versuchen, sich auf Kosten der inländischen Hersteller einen
Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. Es geht nicht an, dass
etwa derjenige Teil von Siemens, der noch in Deutschland
produziert, seine Urheberrechtsabgaben treu und brav bezahlt, während sich Dell einen Wettbewerbsvorteil verschafft und mit niedrigen Preisen wirbt.
({6})
Wer durch einen solchen Wettbewerbsvorteil hergestellte Produkte auf den Markt bringt, dem müssen wir sagen: Dein Produkt hat einen Rechtsmangel; du wirst entweder über deine Käuferbeziehungen, über deine
Händlerbeziehungen oder über sonstige Vertriebsbeziehungen gefasst. Es kann nicht sein, dass sich jemand auf
diese Art und Weise auf die Flucht begibt.
Ich kann deshalb nur hoffen, dass es im Rahmen der
Moderationen gelingt - auf diesem Gebiet ist die Bundesministerin der Justiz sehr aktiv engagiert -, zu einem
Erfolg zu kommen. Dieser Erfolg wird schneller zutage
treten, wenn sich dieses Parlament einig ist, dass wir nach
der Sommerpause handeln werden, weil wir der weiteren
Ausbeutung der nach dem Urheberrechtsgesetz Berechtigten nicht mehr länger zusehen können.
({7})
- Dann klatschen Sie doch, wenn Sie auch dieser Meinung sind.
({8})
- Damit ist die Zustimmung erteilt.
({9})
Das erwarte ich auch von der CDU/CSU.
({10})
Wir sollten ein entsprechendes Signal aussenden. Dann
haben wir im digitalen Zeitalter für die geistig tätigen
Menschen eine Menge geleistet.
Ich sehe, dass wir hier auf einem guten Wege sind.
({11})
- Nein, Ihrem Antrag kann man in dieser Form nicht zustimmen. - Wir werden den Antrag überweisen und beraten. Er wird die Grundlage für unsere weitere Arbeit sein.
Ich habe mit Herrn Funke in Fragen des Urheberrechts
früher in anderer Konstellation immer konstruktiv zusammengearbeitet und habe an seiner Urheberrechtstreue nie
einen Zweifel gehabt. Wir sind uns sicher einig, dass der
Antrag noch nicht ausreichend ist, obwohl er sinnvolle
Elemente enthält.
Uns wäre es am liebsten, wenn sich die beteiligten Kreise
selber verständigten und nicht sozusagen den Knüppel des
Gesetzgebers bräuchten; denn sie können am besten die
Lasten entsprechend ihrem Nutzen individuell verteilen.
Lasst uns ans Werk gehen und die notwendigen Signale
aussenden, damit sie auch ankommen!
Vielen Dank.
({12})
Ich erteile dem Kollegen Heinz Seiffert, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Der Antrag der F.D.P.
regt sicherlich zu Überlegungen an. Aber er kann nicht
ganz ohne Widerspruch bleiben.
Unbestritten ist, dass urheberrechtliche Leistungen
von Nachnutzern vergütet werden müssen. Geistiges Eigentum hat in der Bundesrepublik Deutschland einen hohen Stellenwert. Wo das in Europa noch nicht der Fall ist,
sollte es möglichst rasch dazu kommen.
({0})
Das Urheberrechtsgesetz von 1965 mit seinen diversen
Ergänzungen hat die geschützten Werke umfassend aufgezählt. Im Wesentlichen sind dies: die Sprachwerke, die
Werke der Musik, pantomimische Werke, Werke der
Kunst, Lichtbildwerke, Filmwerke und die Darstellungen
wissenschaftlicher und technischer Art.
Für die Vergütung wurde und wird auch in Zukunft sicher unterschieden, ob die Vervielfältigung dem privaten
Gebrauch oder ob sie gewerblichen Interessen dient. Auch
wenn die Auslegung des Urheberrechtsgesetzes bisher zu
manchem Rechtsstreit geführt hat, war die Handhabung
der Bestimmungen sowohl für die Urheber als auch für
die Nutznießer unter dem Strich brauchbar.
({1})
Bei aller Technik, die fortschreitet und die auf uns zukommt - dies gilt besonders bei den digitalen Systemen -,
gilt, dass die Nutzung von urheberrechtlich geschützten
Werken nicht dazu führen darf, dass der Verwaltungsaufwand für Zählung und Berechnung und für die Überprüfung der Rechnungen in übertriebener Weise aufgebläht wird. Dies will die F.D.P. ohnehin nicht.
({2})
Wenn die Freien Demokraten Sorge haben - so steht es
in der Begründung -, dass der Anteil der Urhebervergütung bei pauschalen Belastungen der Hersteller von Vervielfältigungsgeräten eine Gefahr für die Unternehmen
darstelle, so kann ich dies nur bedingt teilen, da bei den
Individualvergütungen der geistige Urheber oder die Organisation, die die Lizenzgebühren eintreibt, ein unheimlich aufgeblähtes Imperium mit Vergütungen in Millionenhöhe nach sich ziehen würde.
Ziel muss es daher sein, im Rahmen der Behandlung
des Antrags der F.D.P. mit allen Interessenvertretern gemeinsame Lösungen zu erarbeiten, die auf der einen Seite
dem Schutz des Urhebers dienen und auf der anderen
Seite den Anforderungen einer freien Informationsgesellschaft standhalten.
({3})
Auch die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen ITK-Branche darf nicht beeinträchtigt werden.
Das gemeinsame Ziel wohl aller Parteien - da haben
Sie Recht; so war es bisher und so soll es auch bleiben ist, dass der Urheber eine angemessene Vergütung erhält. Insofern ist eine Aufforderung an die Bundesregierung, zu überlegen, wie die Individualisierung der
Berechnung urheberrechtlicher Leistungen gefördert
werden kann, grundsätzlich richtig. Bis zu deren Verlässlichkeit muss die Geräteabgabe möglich sein, wobei
Computer, die als Multifunktionsgeräte relativ wenig
mit der Vervielfältigung zu tun haben, außen vor gelassen bleiben.
({4})
Dagegen muss man so genannte CD-Brenner, Scanner
und Drucker, wie von der F.D.P. vorgeschlagen, mit einer
gewissen pauschalen Gerätevergütung auch künftig angemessen belasten. Es ist aber die Frage, ob dies der allein richtige Weg ist. Der Grundsatz sollte sein, dass Eigenverantwortung gerade auch der Softwarehersteller
gefördert wird. Deshalb kann man alternativ auch über
eine Selbstverpflichtung der Hersteller nachdenken, indem man zum Beispiel eine Kopierschutzverpflichtung
erlässt. Die technischen Möglichkeiten dazu jedenfalls
sind gegeben.
({5})
Wichtig - das sollten wir bei all dem nicht vergessen ist, dass Abgaben nicht technologiefeindlich wirken dürfen. Zudem ist die Harmonisierung auf europäischer
Ebene eine unverzichtbare Voraussetzung für einen
chancengleichen Wettbewerb. Immerhin sind in drei Ländern Europas die Gebühren bisher nicht erhoben worden:
in Großbritannien, Irland und Luxemburg, Acht EU-Länder belasten reine Trägermedien und nur vier Länder fordern eine Abgabe auf die Geräte.
In den Beratungen werden wir uns also sehr bemühen
müssen, auch mit den Regierungsparteien Einigkeit zu erzielen, damit der Bundestag einheitlich die Bundesregierung auffordern kann, entsprechende Gesetze zu erlassen.
Vielen Dank.
({6})
Ich erteile das Wort
Kollegin Grietje Bettin, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr
Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag
der F.D.P.-Fraktion trägt den schönen Titel „Die Zukunft
gehört der Individuallizenz“.
({0})
Es ist schön, dass zumindest die F.D.P. in der Lage ist,
die technischen Entwicklungen vorauszusehen. Ich halte
das für recht vermessen; doch das scheint der Stil der
F.D.P. zu sein.
Die Individuallizenz wird sicherlich ein Baustein
zukünftiger Vergütungsregelungen im digitalen Zeitalter sein. Aber ich sage bewusst „ein Baustein“ und nicht
„der Baustein“, denn die digitale Vielfalt, die wir alle anstreben, erfordert keine Patent- oder Pauschallösungen,
sondern umfassende Konzepte.
({1})
Digitale Vielfalt bedeutet auch vielfältige Formen der
Vergütung. Natürlich kann ich in der Hoffnung, dass die
Internetnutzerinnen und -nutzer für ein Werk per Einzelabrechnung bezahlen, dieses entsprechend technisch geschützt in das Netz stellen. Genauso muss es aber möglich
sein, über Verwertungsgesellschaften für verbreitete
Texte entlohnt zu werden. Und wer sagt denn überhaupt,
dass ein Urheber nicht auch davon profitieren kann, dass
er sein Wissen kostenlos im Netz zur Verfügung stellt?
({2})
Das digitale Zeitalter hat bereits zahlreiche Künstler
und Künstlerinnen, Autorinnen und Autoren, Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen hervorgebracht, die
ihre Reputation und ihr Einkommen der Tatsache zu verdanken haben, dass sie von Anfang an neue Medien wie
das Internet offensiv zum Dialog und Wissenstransfer genutzt haben. Diese freie Struktur des Internet muss nach
grüner Sicht unbedingt erhalten bleiben. Wissen lässt sich
nun einmal nicht einsperren. Das Netz lässt sich nicht
nach traditionellen Regelungen kontrollieren und es wird
keine technische Lösung geben, die hundertprozentige Sicherheit für den Schutz digitaler Güter garantiert.
Geradezu kontraproduktiv für die globale Wissensgesellschaft, die wir alle ja wohl anstreben, wäre es jedoch,
wenn, wie in diesem Antrag gefordert, digitale Vervielfältigungen lückenlos durch den Einsatz von so genannten
Digital-Rights-Management-Systemen kontrolliert und
lizenziert werden sollten. Wenn wir das Netz nur in diese
technische Einbahnstraße pressen würden, würden wir
alle vor den Kopf stoßen, die das Netz zum freien Informationsaustausch nutzen, und die digitale Spaltung der
Gesellschaft damit vorantreiben.
({3})
Wissen zu erwerben darf nicht generell mit Kosten verbunden sein.
({4})
Die Qualität des Netzes besteht geradezu in der freien
Verfügbarkeit verschiedenster Inhalte. Eine vollkommene
Kommerzialisierung des Netzes muss aus Sicht von
Bündnis 90/Die Grünen unbedingt verhindert werden.
Wir dürfen den Internetnutzerinnen und -nutzern nicht
vorschreiben, zu welchen technischen Lösungen sie zu
greifen haben. Es werden im Netz von selbst neue Verkaufs- und Vertriebsmodelle entstehen, ohne dass wir
diese vorgeben oder schon vollständig kennen. In diesen
Mikroökonomien wird Platz für verschiedenste Abrechnungsmodelle und Formen von Wissenstransfer sein, die
wir nicht durch vorgeschriebene technische Mittel bändigen und kontrollieren dürfen. Einmal weiter gedacht: Da
die technische Entwicklung zum heutigen Zeitpunkt unübersehbar ist, muss Politik die Rahmenbedingungen so
flexibel gestalten, dass die Regelungen zur Sicherung der
Rechte der Urheber zu jedem Zeitpunkt flexibel angepasst
oder überarbeitet werden können.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sollten uns statt
für die Einführung von Digital-Rights-Management-Systemen lieber für die Einrichtung von öffentlichen Wissenschafts- oder Kulturservern einsetzen. Diese Server bringen für die Ausbildung und das lebenslange Lernen in der
Informationsgesellschaft sicherlich mehr als Restriktionen bei der freien Verbreitung und Verarbeitung von Wissen.
({5})
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({6})
Ich erteile das Wort
Kollegin Angela Marquardt, PDS-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe verbliebene, noch anwesende Kolleginnen und Kollegen!
({0})
Im Bereich der neuen Medien liegen die F.D.P. und ich
häufig gar nicht so weit auseinander. Das liegt sicherlich
vor allem daran, dass Sie sich aufgrund Ihres wirtschaftsliberalen Politikverständnisses möglichst wenig staatliche
Reglementierungen wünschen und ich mich als freiheitliche Sozialistin für ein möglichst unreglementiertes, freies
und unzensiertes Internet einsetze.
({1})
Deswegen kommen wir natürlich oft zu ähnlichen Schlussfolgerungen.
Auch in diesem Fall treibt die F.D.P. die Sorge vor einer Reglementierung um. Eine Individualabgabe ist in
diesem Fall marktorientierter und erscheint auf den ersten
Blick auch gerechter. Wie Sie möchte auch ich in dieser
Frage eine Überreglementierung verhindern und gleichzeitig natürlich die Rechte der Urheber schützen und stärken. Ich denke jedoch, dass eine Individualabgabe das
Gegenteil bewirken würde. Das Internet, wie hier schon
angesprochen, lebt natürlich davon, dass jeder diesen
Raum betreten, sich umgucken, etwas nehmen und
etwas geben
kann, wie es der Deutsche ICANN-Vertreter Andy
Müller-Maguhn in seiner so genannten Regierungserklärung treffend beschrieben hat. Er bezeichnete das Internet auch als „Geschenkkultur“ und „ein kleines elektronisches Paradies“. Nun können Sie sich vorstellen,
warum wir Sozialistinnen und Sozialisten das Internet so
spannend finden.
({2})
Müller-Maguhn warnte davor, dass dieser freie Raum im
Internet von Geschäftsleuten und Juristen kaputtreglementiert wird.
Stellen Sie sich einmal vor, wir müssten bei jeder Datenkopie und bei jedem Herunterladen unsere Kreditkartennummer angeben und uns bei jedem Kopieren oder
Herunterladen, bei jedem Brennen einer CD überlegen,
ob wir den dafür vorgesehenen Preis bezahlen wollen. Ich
befürchte, dies würde den Charakter des Internets komplett verändern und diesen freien Kommunikations- und
Informationsraum endgültig zu einem Kaufhaus machen.
Wenn aber das Surfen zum Einkaufsbummel wird, dann
hemmt das meines Erachtens die enormen kreativen und
innovativen Potenziale des Internets.
({3})
Es ist auch anzusprechen, dass ich nicht erkennen
kann, wie die Persönlichkeitsrechte und der Datenschutz gewährleist werden sollen, wenn jede einzelne
Anwendung individuell abgerechnet wird. Natürlich
müssen Urheber - Künstler, Journalisten und Wissenschaftler - ihr Urheberrecht geltend machen können.
Die Alternative - das wurde hier schon angesprochen stellt eine pauschale Vergütung dar. Sie kritisieren,
dass diese ungenauer und ungerechter sei. In gewisser
Weise stimmt das. Das ist wie bei der pauschalen
Gebührenerhebung für den öffentlich-rechtlichen
Rundfunk. Auch diese ist manchmal ungerecht, weil
nicht jeder, der einen Fernseher besitzt, öffentlichrechtliche Sender schaut, sondern vielleicht nur private
Sender. Dennoch ist mir in der Abwägung eine solche
Ungenauigkeit lieber, als wenn festgestellt würde, wie
lange jeder einzelne Fernsehzuschauer welchen Sender
eingeschaltet hat.
({4})
Ebenso wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist
auch das Internet für die Demokratie wichtig. Wir sollten
dabei drei Leitbilder berücksichtigen: erstens den freien
kreativen Charakter des Internets, zweitens eine möglichst große Gerechtigkeit und drittens einen sozialen
Preis. Der Zugang zu den neuen Medien darf nicht derart
teuer sein, dass Menschen aufgrund ihrer sozialen Situation ausgeschlossen sind. Lassen Sie uns in diese Richtung weiterdenken.
({5})
Die Kollegen Dirk
Manzewski und Dr. Freiherr von Stetten haben ihre Rede
zu Protokoll gegeben.1)
({0})
Ich schließe damit die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/5577 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 27 a und 27 b auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({1}) zu
dem Antrag der Fraktion der PDS
Einsetzung eines Untersuchungsausschusses
- Drucksachen 14/3822, 14/4966 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Rolf Niese
Josef Hollerith
Antje Hermenau
Jürgen Koppelin
Dr. Uwe-Jens Rössel
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({2}) zu dem Antrag der Abgeordneten Jürgen Türk, Walter Hirche, Dr. Heinrich Kolb,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Existenzbedrohung des Handwerks unterbinden
- Drucksachen 14/4413, 14/5809 Berichterstattung:
Abgeordneter Christian Lange ({3})
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung war für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Die Kollegin-
nen und Kollegen Christian Lange, Jelena Hoffmann,
Karl-Heinz Scherhag, Franziska Eichstädt-Bohlig und
Jürgen Türk haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.2) Nur
die Kollegin Heidemarie Ehlert wird jetzt zu uns sprechen.
({4})
Bitte schön.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Dass einige Kollegen ihre
Reden zu Protokoll gegeben haben, erschreckt mich
schon. Offensichtlich waren das diejenigen, die nicht am
Brandenburger Tor waren.
Es ist fast ein Jahr her, dass ich sehr konkret und direkt
mit den Problemen der Handwerker konfrontiert worden
bin. Zwar kannte ich schon einige Probleme aus meiner
beruflichen Praxis beim Finanzamt; aber das, was ich seit
Juni 2000 erfahren habe, überschritt alles, was ich bis dahin kannte.
({0})
Zur Erinnerung für diejenigen, die im Juni und im Sep-
tember/Oktober vergangenen Jahres möglichst immer ei-
nen großen Bogen um das Brandenburger Tor gemacht
haben: Handwerkerfrauen demonstrierten in diesen Wo-
chen mit einem Hungerstreik vor dem Brandenburger Tor.
Mithilfe dieses eigentlich letzten Mittels machten sie auf
ihre existenziellen Probleme aufmerksam. Durch nicht
bezahlte Rechnungen standen sie am Rande ihrer Exis-
1) Anlage 12 2) Anlage 13
tenz. Sie lebten teilweise schon von Sozialhilfe; ihre Arbeiter und Angestellten waren arbeitslos.
Die hungerstreikenden Frauen wurden durch Handwerker, Unternehmer und Gewerbetreibende vor allem
aus den neuen Bundesländern unterstützt. 1999 wurden
allein in Thüringen 1 513 und in Sachsen-Anhalt 1 549 Anträge auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens gestellt.
Die Auswirkungen dieser Firmenzusammenbrüche auf
Zulieferfirmen, auf Arbeitsplätze und auf familiäre
Schicksale sind in den Statistiken leider nicht erfasst.
Die Forderungen der hungerstreikenden Handwerkerinnen nach Einsetzung eines Untersuchungsausschusses,
Errichtung eines Hilfsfonds für unschuldig in Not geratene Handwerker sowie konkreten gesetzlichen Maßnahmen zur Verbesserung der Zahlungsmoral wurden dem
Petitionsausschuss im Oktober vergangenen Jahres in einer Massenpetition mit rund 6 700 Unterschriften übergeben. Darüber hinaus liegen zu diesem Thema zahlreiche
Einzelpetitionen sowohl bei Petitionsausschüssen der
Landtage wie auch beim Petitionsausschuss des Bundestages vor.
Der heute mitzuberatende Antrag der F.D.P. greift
ebenfalls wichtige Forderungen, insbesondere der Handwerkerinnen und Handwerker, auf. Deshalb unterstützen
wir diesen Antrag voll.
({1})
Aber aus den vielen Gesprächen mit den Betroffenen
und durch den Einblick in ihre Unterlagen, den ich genommen habe, wurde deutlich, dass das Elend eigentlich
schon beim Schritt in eine selbstständige Existenz in den
Nachwendejahren begonnen hatte.
Nach Aussage des Wissenschaftlichen Dienstes gab es
mehr als 1 000 verschiedene Förderprogramme. Ich
muss schon sagen: Hochachtung vor denen, die hier den
Durchblick behielten;
({2})
aber das scheinen nur wenige gewesen zu sein. Die Handwerker und Existenzgründer mussten sich auf eine solide
Beratung vonseiten der Hausbanken, aber auch der Handwerkskammern und der IHKs verlassen. Nach dem, was
ich an Kontenblättern, betriebswirtschaftlichen Auswertungen, Kontoauszügen und Kreditverträgen gesehen
habe, waren sie damit auch verlassen.
Deshalb hatte die PDS-Fraktion noch vor der Sommerpause im vergangenen Jahr einen Antrag zur Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses
eingebracht. Anhand der im Juni 2000 öffentlich bekannt
gewordenen Beispielfälle für unverschuldet in Zahlungsunfähigkeit geratene Handwerker soll geklärt werden, inwieweit Bundesmittel aus dem Eigenkapitalhilfeprogramm im Zeitraum 1990 bis 1993 entsprechend den
gesetzlichen Richtlinien verwendet und die Abschlüsse
von Verträgen mit den Hausbanken dem Anliegen des
Programms gerecht wurden.
({3})
Außerdem sind die Fragen zu beantworten, wo die
seinerzeit nicht ausgereichten Fördermittel des ERP-Tourismusprogramms Ost und die GA-Mittel verblieben sind
und ob die Deutsche Ausgleichsbank, die Berliner Industriebank und die Kreditanstalt für Wiederaufbau Anfang
der 90er-Jahre ihre gesetzlichen Kontrollpflichten für die
Ausreichung der Fördermittel ausreichend wahrgenommen haben.
Im Mai des letzten Jahres waren dem ERP-Ausschuss
13 verschiedene Einzelfälle zur Klärung übergeben worden. Bisher erfolgte keine Rückinformation über eventuelle Ergebnisse der Untersuchungen an die Betroffenen.
Aber ich weiß seit heute Mittag von einem Betroffenen,
dass aus den Unterlagen eindeutig ein Betrug durch die
Hausbanken hervorgeht. Deshalb fordere ich Sie auf, unseren Antrag zu unterstützen.
({4})
Es ist erfreulich, dass der Haushaltsausschuss im
Herbst 2000 durch den akuten Druck unseren Antrag zur
Errichtung eines Hilfsfonds in Höhe von 5 Millionen DM
unterstützt und beschlossen hat. In fünf Fällen konnte damit konkret geholfen werden. Das ist aber nur ein Tropfen
auf den heißen Stein.
Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir hatten uns
vorgestellt, dass der Großteil dieses Geldes an die Betroffenen und nicht an Wirtschaftsprüfer und Steuerberater geht.
({5})
Angeblich sollen es Managementfehler gewesen sein.
Aber es geht nicht um Managementfehler, sondern um die
Nichtbezahlung erbrachter Leistungen und die Umschuldung von Krediten der Ausgleichsbank durch die Hausbanken, und zwar vor allen Dingen in der tilgungsfreien
Zeit zum Stichtag 31. Dezember.
Liebe Kollegin, Sie
haben Ihre Redezeit schon deutlich überzogen.
Ich komme zum Schluss. Der jeweilige Zinsvorteil lag bei unter 1 DM monatlich.
Die Kosten für die Umschuldung dagegen betrugen mehrere Tausend DM für den Kreditnehmer. Hier fragt sich:
Wem nützt es?
Ich fordere Sie auf: Unterstützen Sie diesen Antrag, damit wir das aufklären können!
Ich danke Ihnen.
({0})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses zu dem Antrag der
Fraktion der PDS auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses, Drucksache 14/4966. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/3822 abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist
mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der PDSFraktion angenommen.
Wir kommen nun zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und
Technologie zu dem Antrag der Fraktion der F.D.P. mit
dem Titel „Existenzbedrohung des Handwerks unterbinden“, Drucksache 14/5809. Der Ausschuss empfiehlt,
den Antrag auf Drucksache 14/4413 abzulehnen. Wer
stimmt für die Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen
die Stimmen von CDU/CSU, F.D.P. und PDS angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 25 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur
Änderung des Postgesetzes
- Drucksache 14/6121 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({0})
Rechtsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung war für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Folgende Kol-
leginnen und Kollegen haben ihre Reden zu Protokoll ge-
geben: Klaus Barthel, Petra Bierwirth, Elmar Müller,
Michaele Hustedt, Birgit Homburger,1) Gerhard
Jüttemann sowie die Parlamentarische Staatssekretärin
Margareta Wolf. 2)
Ich schließe also die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 14/6121 federführend an den Ausschuss für Wirtschaft und Technologie sowie mitberatend
an den Rechtsausschuss vorgeschlagen. Sind Sie damit
einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Beratung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 20. Juni 2001, 13 Uhr, ein.
Ich wünsche Ihnen ein freundliches Pfingstwochenende.
Die Sitzung ist geschlossen.