Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Herr Minister, herzlichen Dank für Ihren Bericht. Ich darf
meine Kolleginnen und Kollegen aus dem Finanzausschuss entschuldigen, die nicht anwesend sind, weil
gleichzeitig der Finanzaussschuss tagt. Das ist eine zeitlich etwas unglückliche Konstellation. Deswegen bitte ich
darum, mehrere kurze Fragen stellen zu dürfen.
Bitte sehr.
Stimmen die Länder dem Vorgehen, wie Sie es jetzt vorgetragen haben, zu oder gibt es hier gravierende Differenzen, sodass davon auszugehen ist, dass es ein Streitthema wird und im Bundesrat keine Zustimmung findet?
Nachdem
zunächst die Bundesbank selber die Diskussion über zwei
Modelle eingeleitet hatte und sich nicht entscheiden
konnte, welches Modell sie präferiert, habe ich den intensiven Versuch unternommen, über alle Fragen mit den
Bundesländern zu einem Einvernehmen zu kommen, obwohl es sich nicht um ein zustimmungspflichtiges Gesetz
handelt, sondern um ein Einspruchsgesetz. Das hat zu einer gemeinsamen Expertenkommission - mit je vier Vertretern von Länderseite und von Bundesseite benannt geführt, die ihren Bericht vor den Sommerferien des
vergangenen Jahres vorgelegt hat, in dem auch eine Bewertung der beiden alternativen Modelle der Bundesbank
vorgenommen worden ist.
Ich bedauere sehr, dass sich die Länder anschließend in
keiner Weise an die Empfehlung der Expertenkommission gehalten haben, auch nicht an das, was einstimmig von allen Experten, auch von denen der Länderseite,
empfohlen wurde, wie den Wegfall der Vorbehaltszuständigkeiten, der einfach erforderlich ist, um Vielfacharbeit
in der Bundesbank zu vermeiden. - Wir haben eine Fülle
von Abteilungen zehnmal, in der Zentrale der Deutschen
Bundesbank und in allen Landesbanken. - Diese Empfehlung hat anschließend nicht die Zustimmung der Länder gefunden. Dadurch ist eine Menge Zeit verloren gegangen.
Ich habe auf alle Belange der Länder, auf die aus meiner Sicht Rücksicht genommen werden muss, Rücksicht
genommen, sogar über die Vorschläge der Bundesbank hinaus. Das heißt: Ich stelle keinen einzigen Standort infrage. Ich stelle auch nicht infrage, dass die Länder die
Landeszentralbankpräsidenten im bisherigen Verfahren,
aber mit Zustimmung des Bankvorstandes, bestellen können. Ich stelle allerdings den Zentralbankrat infrage, weil
er seine Zuständigkeit verloren hat, sowie die Mitwirkung
der Landesbankpräsidenten in dem einheitlichen Leitungsgremium, weil wir ein so großes Leitungsgremium
nicht mehr brauchen. Man wird sehen, ob dieser einzig
verbleibene Punkt wirklich zu einem Streitpunkt im Verfahren mit den Ländern wird. Das muss offen und argumentativ ausgetragen werden.
Eine weitere Frage? Bitte sehr, Herr Kollege.
Einer der zentralen Punkte war von jeher die Unabhängigkeit der Bundesbank; dies hat auch bei der Aushandlung des Vertrags von Maastricht eine sehr wesentliche
Rolle gespielt. Ich will es einmal ein wenig zugespitzt sagen: Es bleibt also ein Zentralvorstand der Bundesbank
übrig mit einem Präsidenten, der von der Bundesregierung bestimmt wird
({0})
- gut, aber im Einvernehmen -, der auch keinen Zentralbankrat mehr hat, sondern allein die Verantwortung für
die Geldpolitik trägt und dies gegenüber der EZB zu verantworten hat. Sehen Sie nicht eher eine Schwächung der
Bedeutung dieses Mannes durch seine - ich unterstelle
das nicht Ihnen - grundsätzlich größere Abhängigkeit von
der Politik? Inwieweit wird damit die Rolle der Bundesbank im System der Europäischen Zentralbank gestärkt?
Der Bundesbankpräsident hat keine größere Abhängigkeit von der
Politik als in den vergangenen Jahrzehnten. Er wird vom
Bundespräsidenten auf Vorschlag der Bundesregierung
ernannt; daran hat sich nichts geändert. Geändert hat sich
die geldpolitische Zuständigkeit der Deutschen Bundesbank. Weil die geldpolitische Zuständigkeit der Deutschen Bundesbank entfallen ist, kann es auch das Gremium nicht mehr geben, das diese Zuständigkeit
wahrgenommen hat.
Die Präsidenten der Landeszentralbanken werden - so
ist es vorgesehen - den Bundesbankpräsidenten und den
Vorstand beraten. Daran ändert sich nichts. Aber sie können nicht mehr abstimmen; es findet keine Abstimmung
mehr statt, weil sich die Verhältnisse geändert haben. Allerdings gibt es im System der Europäischen Zentralbank
eine Schwächung der Position der Deutschen Bundesbank und ihres Präsidenten, weil sich diejenigen, die nicht
mehr zuständig sind, zu einem erheblichen Teil abweichend von der Position des Bundesbankpräsidenten und
der Europäischen Zentralbank zu geldpolitischen Fragen
öffentlich äußern. Das ist schädlich, schwächt die Stellung der Bundesbank und muss beendet werden.
Sie haben eine weitere Frage, Herr Kollege Hauser? - Bitte sehr.
Wenn ich es richtig verstanden habe, bestimmt in diesem
künftigen Zentralvorstand der Präsident seine Vorstandskollegen zumindest weitgehend mit. Ich glaube, es war
sogar so formuliert, dass er sie sich alleine aussuchen
kann.
Nein, das
ist nicht richtig. Vielmehr ernennt der Bundespräsident
auf Vorschlag der Bundesregierung den Präsidenten und
den Vizepräsidenten. Die übrigen Mitglieder werden vom
Bundespräsidenten auf Vorschlag des Bundesbankpräsidenten im Einvernehmen mit der Bundesregierung ernannt.
Das ist somit doch eine Stellung, wie sie beispielsweise
ein Vorstandsvorsitzender eines Unternehmens nie erreichen würde; denn er könnte sich seine Kollegen nicht
selbst aussuchen.
Der entscheidende Punkt ist: Bisher gibt es bei allen Mitgliedern,
die als Präsident einer Landeszentralbank bestellt werden
sollen, hinsichtlich ihrer Eignung ein Votum des Zentralbankrates. Diesem Modus ist das geplante Vorgehen
nachgebildet. Wenn es nun keinen Zentralbankrat mehr
geben kann, weil dessen Zuständigkeit entfallen ist, kann
dort kein Votum gefällt werden. Da eine Selbstkooptation
dieses Gremiums nicht vorgesehen ist, muss es jemanden
geben, der die fachliche Eignung beurteilen kann. Deswegen muss in diesen Fragen ein Einvernehmen zwischen
dem Bundesbankpräsidenten und der Bundesregierung
hergestellt werden. In dieser Absicht sehe ich eher eine
Stärkung der fachlichen Kompetenz des Vorstandes der
Deutschen Bundesbank.
Sie möchten noch
eine weitere Zusatzfrage stellen, Herr Hauser.
Sie haben sich heute nicht mit den anderen Fragestellungen beschäftigt, die dieser Themenkomplex beinhaltet,
Stichwort: Allfinanzaufsicht. In den Zeitungen steht, der
Grund sei ein Formfehler. Können Sie das näher begründen und sagen, wann ein Konzept vorgelegt wird?
Nein, es
handelt sich nicht um einen Formfehler. Ein endgültiges
Konzept wird so rechtzeitig vorgelegt, dass wir es unmittelbar nach der Sommerpause im parlamentarischen Verfahren erörtern können.
Der Hintergrund ist ein anderer: Im Gegensatz zum
Bundesbankgesetz brauchen wir dafür auch Änderungen
des öffentlichen Dienstrechts. Das hat damit zu tun - so
sieht es jedenfalls mein Konzept vor -, dass wir Mitarbeiter benötigen, die aus den Märkten kommen und die wir
mit dem Gehaltsgefüge des öffentlichen Dienstes nicht gewinnen können. Zu diesem Bereich müssen daher noch
Anhörungen durchgeführt werden, die aber für den Gesetzentwurf zur Bundesbankstrukturreform keine Rolle
spielen. Deshalb werden die angesprochenen Pläne erst
später im Kabinett behandelt. Aber, wie gesagt, die Beratung wird so gesteuert, dass der Themenkomplex im parlamentarischen Verfahren zusammengeführt werden kann.
Nun möchte der Kollege Fromme Fragen stellen. - Bitte sehr, Herr Kollege.
Herr Minister, Sie haben davon gesprochen, die Bundesbank selbst
habe zwei Modelle vorgelegt. Können Sie einmal erläutern, wie sich Ihre Vorschläge zu den Vorschlägen der
Bundesbank verhalten?
Es besteht Übereinstimmung - inzwischen hat das nicht nur das
Direktorium, sondern auch der Zentralbankrat der Deutschen Bundesbank mit Mehrheit festgestellt - hinsichtlich
des Modells Nummer eins. Damit hat sich auch der Zentralbankrat der Deutschen Bundesbank mehrheitlich, mit
9 zu 6 Stimmen, einverstanden erklärt.
Eine weitere Frage,
bitte sehr.
Im Hinblick
auf die übrigen Aufgaben - über die währungspolitische
Zuständigkeit, die sie verloren hat, hinaus - der Deutschen Bundesbank: Halten Sie es in diesem Zusammenhang für richtig, dass sozusagen die Bundesländer hinsichtlich der Verantwortung des Vorstandes völlig
ausgeklammert werden?
Die Bundesländer waren niemals in die Verantwortung des Vorstandes eingebunden. Das Direktorium der Deutschen
Bundesbank wird von der Bundesregierung ernannt. Die
Präsidenten der Landeszentralbanken werden, wie Sie
wissen, auf Vorschlag der Landesregierungen, in deren Bereich die einzelnen Landeszentralbanken fallen, vom Bundesrat gewählt. Der Hintergrund für dieses Vorgehen war
die geldpolitische Zuständigkeit, die nunmehr entfallen ist.
Aber die Zuständigkeiten der Bundesbank haben sich doch nicht auf
die Geldpolitik beschränkt; sie ist beispielsweise auch für
die Bankenaufsicht zuständig.
Nein, das
ist, mit Verlaub, ganz falsch. Die Länder haben keinerlei
Zuständigkeiten bezüglich der Bankenaufsicht. Die Bankenaufsicht fällt in die alleinige Zuständigkeit des Bundes
und wird durch den Deutschen Bundestag kontrolliert. Sie
obliegt dem Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen.
Die Bundesbank wirkt daran mit. Sie werden übrigens sehen, dass Veränderungen an dem Entwurf vorgenommen
worden sind. Das andere Gesetz wird zu einer ganz engen
und viel systematischeren Verschränkung und Mitwirkung der Deutschen Bundesbank bei der Bankenaufsicht
als in der Vergangenheit führen.
Ich möchte ein Beispiel anführen. Heute führen zwar
die Landeszentralbanken Ermittlungen vor Ort durch.
Aber wenn deren Ermittlungsergebnisse Maßnahmen
zeitigen sollen, dann darf sich das Bundesaufsichtsamt für
das Kreditwesen noch nicht einmal auf diese Ergebnisse
stützen - das ist rechtlich so festgelegt -, sondern ist
gehalten, eigene Ermittlungen durchzuführen. Das halte
ich für eine unsinnige Doppelarbeit. Künftig werden die
Ermittlungsergebnisse, die die Landeszentralbanken
erzielt haben, die rechtliche Grundlage für die Entscheidungen der Allfinanzaufsicht sein.
Auch an der Spitze wird es eine systematische Einbindung geben. Das Forum für Finanzmarktaufsicht
besteht im Moment nur auf Vereinbarungsbasis. Künftig
wird es eine gesetzliche Basis erhalten und somit dafür
gesorgt werden, dass die Bundesbank ganz eng in die Finanzmarktaufsicht eingebunden wird. Aber dies ist nicht
Bestandteil des vorliegenden Gesetzentwurfes, sondern
desjenigen, den der Kollege Hauser angesprochen hat und
über den das Bundeskabinett noch beraten wird.
Auch wenn
die Länder nicht formal beteiligt waren, so ist es doch ein
Unterschied, ob sie sozusagen über eine Person ihres Vertrauens - das war der Landeszentralbankpräsident eingebunden sind oder nicht. Halten Sie es gerade in dem
Augenblick, in dem die entscheidende Umstellung auf
den Euro auf uns zukommt und das Vertrauen der Menschen in die neue Währung gestärkt werden muss, für
richtig, einen Konflikt mit den Ländern im Währungsbereich vom Zaun zu brechen? Denn das Problem ist, dass
die Frage, ob es um diese oder jene Zuständigkeit geht, in
der Bevölkerung gar nicht so differenziert wahrgenommen wird.
Es ist
doch ganz einfach: Es gab und gibt keine Zuständigkeit
der Länder und auch keine des Bundes im Geldbereich.
Wenn Sie etwas anderes behaupten, dann ist das falsch. Es
gab eine Bundesbank - sie wird es auch künftig geben -,
deren Zentralbankrat für die Geldpolitik zuständig war
und der in seinen geldpolitischen Entscheidungen - das ist
der zentrale Punkt - unabhängig war. Aber dieser
Zuständigkeitsbereich ist nun weg. Sie können nicht immer sagen: „Wir bauen Europa“, und dann zu Hause so
tun, als könne der Heizer auf der E-Lok weitermachen.
Eine solche Haltung sorgt für Europaverdrossenheit.
Wenn die Zuständigkeit für geldpolitische Entscheidungen nun beim Zentralbankrat der Europäischen Zentralbank liegt, dann müssen daraus selbstverständlich Konsequenzen für unsere nationalen Institutionen gezogen
werden.
Es geht mir
nur um die Frage, ob man einen Konflikt mit den Ländern
zu einem Zeitpunkt vom Zaun brechen sollte, an dem es
eigentlich darum geht, das Vertrauen der Bevölkerung in
die neue Währung zu stärken.
Es gibt
gar keinen Konflikt. Den Ländern kann nichts weggenommen werden, was sie sowieso nie hatten und auch
künftig nicht haben werden. Sie haben und hatten keine
geldpolitischen Zuständigkeiten.
Aber es gibt
jetzt einen formellen Konflikt um die Bundesbank.
Aber daran bin ich doch nicht schuld. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird die Konsequenz aus dem gezogen, was
auch die Länder im Bundesrat mitbeschlossen haben,
nämlich die Einführung des Euro und die Etablierung des
Europäischen Systems der Zentralbanken. Es geht also
nur noch um die Frage, ob man die nationalen Institutionen so tun lassen sollte, als ob sie ihre Bedeutung noch
immer hätten, obwohl sie sie in bestimmten Punkten
längst verloren haben. Ich bin der Meinung, dass daraus
die Konsequenzen gezogen werden müssen. Das wird
sich auch finanziell auswirken; denn die Bundesbank
muss schlanker werden. Darüber gibt es mit den Ländern
keinen Konflikt. Es ist überhaupt nicht mehr zu begründen, dass der Vorstand der Bundesbank aus 17 Mitgliedern besteht. Das lässt sich mit nichts begründen.
Möchten Sie noch
einmal nachhaken, Herr Kollege? - Bitte sehr.
Es geht mir
gar nicht darum, dass es möglichst keine Veränderungen
gibt. Über die notwendigen Veränderungen sind wir uns ja
einig. Aber es geht darum, ob man in dem Augenblick, in
dem die Stellung der Bundesbank für die Bevölkerung
eine ganz wichtige Rolle spielt, einen Konflikt zwischen
Bund und Ländern herbeiführen sollte oder nicht.
Ich führe
doch gar keinen Konflikt herbei. Ich ziehe nur die Konsequenzen aus dem, was wir gemeinsam in Europa beschlossen haben. Man kann ja fragen, ob über das, was wir
jetzt beschließen wollen, nicht bereits zum 1. Januar 1999
hätte entschieden werden müssen. Es wäre vielleicht klüger gewesen. Das meine ich gar nicht bösartig. Wie gesagt, ich führe keinen Konflikt herbei, sondern setze lediglich das um, was wir gemeinsam - übrigens,
einvernehmlich - beschlossen haben, nämlich die Übertragung von Kompetenzen auf die Europäische Zentralbank. Das muss nun Konsequenzen für die nationalen Institutionen haben.
Wenn Sie einen Gesetzentwurf vorlegen, der von den Ländern nicht
akzeptiert wird, dann ist das ein Konflikt, ob man das will
oder nicht.
Aber ich
habe den Konflikt doch nicht herbeigeführt. Die Europäische Zentralbank ist im Einvernehmen mit den Ländern
eingerichtet worden und die geldpolitische Zuständigkeit
ist auf sie übertragen worden. Ich kann mich doch nicht
weigern, daraus die Konsequenzen zu ziehen.
Mir geht es
ja nur darum, dass man dafür einen Weg suchen muss, der
Gemeinsamkeit schafft, weil man das Vertrauen behalten
muss. Wenn ein Gesetzentwurf vorgelegt wird, dem die
Länder nicht zustimmen, dann ist das ein Konflikt, ausgelöst von demjenigen, der den Gesetzentwurf vorlegt.
Die Modelle der Deutschen Bundesbank, übrigens auch die, hinBundesminister Hans Eichel
ter der die Mehrheit der Landeszentralbankpräsidenten
gestanden hat, haben eine Reduzierung der Zahl der
Landeszentralbanken vorgesehen. Ich darf darauf hinweisen, dass ich das nicht tue. Ich gehe mit den Länderinteressen so schonend um, wie man damit nur umgehen
kann. Aber ich kann eines nicht: Kompetenzen wiederherstellen, die nicht mehr da sind.
Nun möchte der Kollege Hauser noch eine Frage stellen.
Herr Minister, es ist ja verständlich, dass Sie nicht den
Konflikt führen. Aber Tatsache ist doch nun einmal, dass
aufseiten der Länder, und zwar quer durch alle Parteien,
offensichtlich andere Meinungen vorherrschen. Insofern
gibt es natürlich einen Konflikt zwischen dem Bund, vertreten durch Sie, und den Ländern, vertreten durch die
Länderfinanzminister.
Ich möchte noch einmal auf den Zentralbankrat
zurückkommen, der hier seine Funktion verloren hat. Das
ist absolut richtig; darüber sind wir uns auch einig. Aus
dem Aufgabenbereich des künftigen - ich nenne es wieder
so - Zentralvorstandes wird die Beschäftigung mit der
Vorbereitung und Ausführung der europäischen Geldpolitik gestrichen, weil dies auf die EZB übertragen worden
ist. Das ist richtig. Wenn ich es aber richtig verstanden
habe, soll künftig auch auf die Teilnahme von Mitgliedern
der Bundesregierung verzichtet werden. Damit wird sich
dieses Gremium - wenn bisher auch nur intern, aber da
gab es ja durchaus offene Diskussionen - auch nicht mehr
mit Themen wie Stabilitätspolitik beschäftigen. Ist das so
richtig?
Ja.
Darauf wird verzichtet.
Dann habe ich noch eine abschließende Frage: In
welchem Umfang wird es zu Personalabbau, vielleicht
auch zu Standortschließungen und ähnlichen Dingen
kommen? Gibt es dazu schon ein Konzept?
Nein.
Das liegt ja in der Verantwortung des Vorstandes der
Deutschen Bundesbank.
Sie wissen, dass ich nie Zahlen genannt habe. Die Länder haben in einer Pressekonferenz Zahlen genannt, nämlich bis zu 4 500 Mitarbeiter. Der Bundesbankpräsident
hat eine niedrigere Zahl genannt. Ich sehe keinen Sinn
darin, mich sozusagen extern an dieser Debatte zu beteiligen. Aber allen ist klar, dass es eine erhebliche
Verschlankung der Deutschen Bundesbank geben wird,
geben muss und dass insbesondere die Fülle von Doppelzuständigkeiten, die jetzt im System liegt und die durch
die Vorbehaltszuständigkeiten begründet ist, beendet werden muss.
Gibt es zum Gesetzentwurf zur Änderung des Bundesbankgesetzes noch Fragen? - Das ist nicht der Fall. Gibt es im Rahmen der
Regierungsbefragung sonst noch Fragen an die Bundesregierung? - Auch das ist nicht der Fall. Dann beende ich
die heutige Regierungsbefragung.
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 2:
Fragestunde
- Drucksache 14/6138, 14/6157 Zu Beginn der Fragestunde rufe ich gemäß Ziffer 10
der Richtlinien für die Fragestunde die dringliche Frage
des Abgeordneten Eckart von Klaeden auf:
Treffen Informationen von „Welt am Sonntag“ ({0})
aus dem Bundeskanzleramt und der SPD-Führung zu, dass die
Bundesregierung inzwischen annimmt, dass das Protokoll über
ein Gespräch zwischen Bundeskanzler Gerhard Schröder und
US-Präsident George W. Bush von amerikanischen Stellen gezielt
an die Öffentlichkeit lanciert wurde, um deutsche Wirtschaftsinteressen in Libyen zu durchkreuzen, und wenn ja, wie kommt die
Bundesregierung dazu, sich zu diesen jüngsten Vermutungen veranlasst zu sehen?
Zur Beantwortung steht Herr Staatsminister Dr. Ludger
Volmer zur Verfügung. - Bitte sehr, Herr Staatsminister.
Herr von Klaeden, uns sind keine Indizien oder Fakten bekannt, die eine solche Spekulation rechtfertigen
würden.
Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, da ich davon ausgehe, dass Sie diese Meldung für eine
Falschmeldung halten: Wäre es nicht angesichts der Tatsache, dass als Quelle immerhin das Bundeskanzleramt
genannt wird, angemessen gewesen, diese Meldung Ihrerseits wenigstens zu dementieren, um nicht den Eindruck zu erwecken, man ließe antiamerikanische Ressentiments im Raum stehen?
Im Zusammenhang mit der Erörterung der letzten
zwei Wochen sind so manche Spekulationen aufgebracht
worden. Die Bundesregierung hat sich entschlossen, zu
Spekulationen über einen Bericht, der unter Bruch der
Geheimhaltungsvorschriften an die Öffentlichkeit gelangt
ist, nicht Stellung zu nehmen.
Zweite Zusatzfrage,
bitte sehr.
Herr Staatsminister, zunächst einmal bin ich Ihnen für Ihre Klarstellung in
aller Öffentlichkeit dankbar, dass die Panne, die zu dem
außenpolitischen Schaden geführt hat, nicht auf eine amerikanische Indiskretion, sondern auf Vorgänge innerhalb
der Bundesregierung zurückgeht. Ich möchte Sie, was die
Zusammenarbeit mit Ministerialdirektor Steiner angeht,
Folgendes fragen: Erfüllt aus Sicht des Auswärtigen
Amtes Herr Steiner als beamteter Leiter der Abteilung
Außenpolitik im Kanzleramt die Kriterien, die einen
guten Beamten als Zuarbeiter der Politik auszeichnen,
insbesondere im Hinblick auf Effizienz, Zurückhaltung,
Diskretion und Professionalität? Kann das Auswärtige
Amt bestätigen, dass Herr Steiner in der Koordinierung
der Zusammenarbeit zwischen Bundeskanzleramt und
Auswärtigem Amt einen exzellenten Job macht? Man
sollte die Berichterstattung in der Presse über seine Person berücksichtigen; ich zitiere die „Süddeutsche Zeitung“ von heute:
Zum anderen Teil hängt es damit zusammen, dass
Steiner gerne über die Außenpolitik, den Kanzler und
sich selbst spricht - manchmal nicht in dieser Reihenfolge.
Die „Zeit“ hat geschrieben:
Steiner macht Außenpolitik im Muscle-Shirt. Seine
Qualitäten schlagen gelegentlich um: in Risiko, Uneinsichtigkeit, Geltungssucht.
Zunächst, Herr Klaeden, weise ich Ihre beiden Wertungen „Panne“ und „außenpolitischer Schaden“ entschieden zurück. Zu Ihrer Frage bezüglich Herrn Steiner
sage ich eindeutig: Ja. Die Pressezitate möchte ich nicht
kommentieren.
Herr Kollege
Spranger, Sie haben für die Fragestunde zwei Fragen zu
diesem Themenbereich eingereicht, die später aufgerufen
werden. Möchten Sie dennoch in diesem Zusammenhang
eine Zusatzfrage stellen?
Ja.
Bitte sehr.
Ich beziehe mich
auf den in der Frage vom Kollegen Klaeden angesprochenen Bericht, in dem behauptet wird, dass die Amerikaner dieses Protokoll aufgrund von Informationen aus
dem Kanzleramt lanciert hätten. Sie sprachen davon, dass
man keine weiteren Spekulationen anheizen wolle. Wäre
es nicht, um weitere Spekulationen zu verhindern, sinnvoll gewesen, dass eine klare Stellungnahme des Auswärtigen Amtes oder des Kanzleramtes erfolgt, aus der hervorgeht, dass die Amerikaner diese Information nicht
lanciert haben?
Ich habe mich zu diesen Spekulationen deutlich
geäußert. Ich möchte noch einmal festhalten: Wir können
generell keine Spekulationen kommentieren, die auf der
Grundlage von unrechtmäßig veröffentlichten Dokumenten des Auswärtigen Amtes beruhen; sonst würde sich die
Bundesregierung durch jeden, der meint, über Indiskretionen Stellungnahmen provozieren zu können, angreifbar machen.
Nachdem die dringliche Frage beantwortet worden ist, rufe ich nun diejenigen Fragen des Geschäftsbereichs des Auswärtigen Amtes auf, die sich auf dasselbe Thema beziehen. Wir
kommen also zu den Fragen 36 bis 45. Nach Ziffer 10 der
Richtlinien für die Fragestunde und für die schriftlichen
Einzelfragen dürfen diese Fragen vorgezogen werden.
Wir kommen nun zur Frage 36 des Kollegen Carl-Dieter
Spranger:
Wie erklärt sich die Bundesregierung die Veröffentlichung des
von Botschafter Jürgen Chrobog am 31. März 2001 verfassten
Protokolls des Gesprächs zwischen dem amerikanischen Präsidenten George W. Bush und Bundeskanzler Gerhard Schröder und
wie bewertet die Bundesregierung die Auswirkungen der Veröffentlichung dieses Protokolls auf das Ansehen des deutschen auswärtigen Dienstes im Ausland ({0})?
Herr Spranger, ich möchte noch einmal betonen
- ich sagte das gerade schon einmal; was ich sage, gilt für
alle Fragen dieses Komplexes -, dass die Bundesregierung keine Informationen kommentiert, die unter Verstoß
gegen geltende Geheimhaltungsvorschriften an die Öffentlichkeit gegeben wurden. Es handelt sich in diesem
Fall übrigens um einen Verstoß, der strafrechtlich und
auch dienstrechtlich relevant ist.
Nun zu Ihrer konkreten Frage: Informationen über
das Gespräch, auf das sich Ihre Frage bezieht, wurden
unter Bruch des Dienstgeheimnisses an unbefugte Dritte
weitergegeben. Die Ermittlungen, wer dafür verantwortlich war, dauern an. Der Vorgang ist außerordentlich
ärgerlich. Die Bundesregierung sieht dennoch keine
Auswirkungen auf das Ansehen des deutschen auswärtigen Dienstes im Ausland.
Eine Zusatzfrage,
Herr Kollege? - Bitte sehr.
Herr Staatsminister, teilt die Bundesregierung die Meinung, die veröffentlichten herabsetzenden Bemerkungen - unter anderem über Präsident Putin, den jordanischen König,
Präsident Arafat oder die syrische Regierung - würden
unsere Beziehungen zu diesen Persönlichkeiten und Regierungen belasten? Was hindert andere staatliche Repräsentanten und Regierungen daran, die Befürchtung zu haben, zukünftig ähnliche herabsetzende Bemerkungen des
Bundeskanzlers und seines Gehilfen Steiner in der Presse
nachlesen zu können?
Herr Kollege Spranger, die Charakterisierung dieser
angeblich gefallenen Bemerkungen kann ich mir nicht zu
Eigen machen. Ansonsten möchte ich darauf verweisen,
dass dieser gesamte Komplex heute Morgen unter dem
Geheimhaltungsgrad „VS-Vertraulich“ im Auswärtigen
Ausschuss erläutert wurde. Ich kann Dinge, die dort unter
„VS-Vertraulich“ diskutiert wurden, hier nicht in öffentlicher Rede darstellen.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte sehr.
Herr Staatsminister, ist es nicht ein Beleg für die Fassungslosigkeit, mit
der das Ausland den Bericht, seinen Inhalt und die Veröffentlichung zur Kenntnis nehmen musste, dass Staatspräsident Putin den Bericht zunächst für eine Fälschung hielt
und dann, als er die Wahrheit erfuhr, mit Empörung reagierte? Oder hat sich der jordanische König bei seinem
jüngsten Besuch in Berlin für die Bewertung durch den
Herrn Bundeskanzler bei diesem bedankt?
Es wurde selbstverständlich über den Bericht geredet. Der jordanische König hat aber daran keinen Anstoß
genommen. Herr Putin hat sich nicht über den Gehalt als
vielmehr über die Indiskretion bei der Veröffentlichung
empört gezeigt.
Eine Zusatzfrage der
Kollegin Bonitz, bitte sehr.
Herr Staatsminister, Sie
haben sich teilweise darauf bezogen, dass heute Morgen
einige Ausführungen im Auswärtigen Ausschuss unter
„Vertraulich“ gemacht wurden. Ich beziehe mich auf das,
was öffentlich bekannt ist.
Da Sie sagen, es gebe keinen außenpolitischen Schaden oder Ansehensverlust, möchte ich fragen: Ist der Bundesregierung denn entgangen, dass zum Beispiel das
„Wall Street Journal“ in elektronischer Form am 22. Mai
veröffentlicht hat - ich zitiere -:
Die peinliche undichte Stelle befrachtet die deutschamerikanischen Beziehungen mit neuen Spannungen, die bereits durch Differenzen in Verteidigungsangelegenheiten, insbesondere im Zusammenhang
mit dem geplanten Raketenschutzschild, und eine
Anzahl von anderen Fragen von transatlantischen
Handelsstreitigkeiten bis zu grenzüberschreitenden
Sorgerechtsfällen belastet sind. Das kontroverse Protokoll könnte durchaus das Vertrauen Washingtons in
Deutschland als zuverlässigen und diskreten Gesprächspartner erschüttern.
Reuters veröffentlichte am 17. Mai 2001 in Amerika
- ich zitiere -:
Was geschieht, wenn jemand anderes zu Gesprächen
kommt, Chinesen, Europäer, wer auch immer? Was
werden sie bei Verhandlungen sagen, wenn sie befürchten, dass sie es am nächsten Tag in der Zeitung
lesen werden?
Ist das kein außenpolitischer Schaden?
Frau Bonitz, das sind Kommentierungen in Zeitungen, in denen Redakteure ihre Thesen vortragen. Die
Wirklichkeit sieht aber anders aus. Es ist insbesondere im
Verhältnis zu den USA kein Schaden eingetreten, weil
über den Vorgang sofort auf verschiedenen Ebenen intensiv geredet worden ist. Die amerikanische Seite hat uns
deutlich zu verstehen gegeben, dass sie die Beziehungen
dadurch in keiner Weise belastet sieht und dass durch dieses angebliche Protokoll keine Irritationen entstanden
sind.
Nun rufe ich die
Frage 37 des Kollegen Carl-Dieter Spranger auf:
Wie erklärt sich die Bundesregierung den großen Verteilerkreis des Drahtberichts von Botschafter Jürgen Chrobog über das
Arbeitsgespräch zwischen dem amerikanischen Präsidenten
George W. Bush und dem deutschen Bundeskanzler Gerhard
Schröder und welche Konsequenzen sind nach Auffassung der
Bundesregierung aus der Veröffentlichung des Gesprächsprotokolls für die künftige Behandlung und den Verteilerkreis von
Drahtberichten deutscher Botschaften im Ausland zu ziehen?
Herr Staatsminister, bitte sehr.
Herr Spranger, ich verweise auf meine Vorbemerkung zu Frage 36 bezüglich der Nichtkommentierung solcher Vorgänge durch die Bundesregierung. Allgemein
kann ich allerdings sagen, dass der Verteilerkreis von
Drahtberichten davon abhängt, wer aus dienstlichen Gründen unterrichtet werden muss. So wie bisher wird auch in
Zukunft gelten, dass immer eine Abwägung zwischen dem
Informationsbedürfnis und der Gewährleistung des notwendigen Schutzes erforderlich ist. Dabei ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die Adressaten die jedem Beamten obliegende Amtsverschwiegenheit wahren.
In Anbetracht des vorliegenden Verstoßes gegen die
Geheimhaltungsvorschriften hat der Bundesminister des
Auswärtigen am 23. Mai 2001 mit sofortiger Wirkung angeordnet, dass Berichte über Gespräche von Staats- und
Regierungschefs, die ohnehin schon klassifiziert sind,
noch höher eingestuft werden.
Zusatzfrage, bitte
sehr.
Herr Staatsminister, wie in der Presse, zum Beispiel im „Focus“ vom
21. Mai, zu lesen war, lautet einer der umstrittenen Sätze
in dem Drahtbericht: Ministerialdirektor Steiner berichtet
über seine Gespräche mit Gaddafi in Libyen; dieser habe
eingestanden, dass sich Libyen an terroristischen Aktionen - „La Belle“, Lockerbie - beteiligt habe. Diese Formulierung ist an Eindeutigkeit nicht zu übertreffen. Ich
frage Sie: Von wem stammt der Zusatz „La Belle“,
Lockerbie in diesem Bericht? Von Botschafter Chrobog
oder von Herrn Steiner?
Herr Spranger, ich kann nur noch einmal betonen,
dass die Bundesregierung zu Berichten, die aufgrund des
Bruchs von Geheimhaltungsvorschriften zustande gekommen sind, öffentlich keine Stellung nimmt. Ansonsten verweise ich Sie auf die Stellungnahme des Außenministers heute Morgen im Auswärtigen Ausschuss zu genau
diesem Themenkomplex. Sie waren ja anwesend.
({0})
Herr Spranger hat
eine Zusatzfrage.
Da haben wir
auch nichts erfahren, deshalb fragen wir hier. Meine
Frage: Können Sie ausschließen, dass Herr Steiner diese
zwei Worte dem von ihm modifizierten Bericht hinzugefügt hat?
Noch einmal, Herr Spranger: Die Bundesregierung
nimmt öffentlich zu Berichten, die durch Indiskretionen
zustande gekommen sind, keine Stellung.
Herr Kollege Gehrcke
hat eine Zusatzfrage, dann kommt Herr Polenz.
Herr Staatsminister, ich
will Sie natürlich nicht dazu verleiten, hier irgendetwas
kundzutun, was im Auswärtigen Ausschuss vertraulich
geäußert wurde. So etwas zu versuchen liegt mir fern.
Aber da Sie mehrmals darauf hingewiesen haben und wir
beide heute Morgen an der Sitzung teilgenommen haben,
frage ich Sie: Können Sie meinen Eindruck bestätigen,
dass heute Morgen im Auswärtigen Ausschuss nichts gesagt worden ist, was nicht schon längst in der Presse gestanden hat?
Herr Gehrcke, ich weiß nicht, was alles in der Presse
gestanden hat.
({0})
Ich habe jedenfalls den Eindruck, dass die Bundesregierung zu diesem Komplex erschöpfend Stellung genommen hat.
({1})
Die nächste Zusatzfrage hat der Kollege Polenz.
Herr Staatsminister,
können Sie uns, nachdem es auch heute im Ausschuss
nicht ohne weiteres zu klären war, mitteilen, ob Sie inzwischen wissen, wie viele Adressaten diesen vertraulichen Bericht bekommen haben? Mich würde die reine
Zahl interessieren.
({0})
Weil es sich hierbei um eine Verschlusssache handelt, kann ich auch über die Form der Verteilung wenig sagen. Generell kann ich Ihnen sagen, dass die Bundesregierung zwischen dem Geheimhaltungsinteresse auf der
einen und der Arbeitseffizienz auf der anderen Seite abwägen muss. Arbeitseffizienz heißt, dass die Stellen den
Bericht erhalten müssen, die sich mit den Themen befassen, die in dem Bericht abgehandelt werden. Dies ist eine
seit Jahrzehnten gängige Routine. Diese gab es auch
während Ihrer Amtszeit.
Nun hat Herr von
Klaeden eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, Sie merken, dass uns besonders die nach Ihrer Ansicht
exzellente Zusammenarbeit zwischen dem Auswärtigen
Amt und Herrn Steiner im Kanzleramt interessiert. Deswegen frage ich Sie nach einem Vorgang, der nicht den
Geheimhaltungsvorschriften unterliegt. In der „Welt am
Sonntag“ aus der letzten Woche schreibt Lord Weidenfeld,
dass bei einem Treffen Anfang vorigen Jahres mit Herrn
Steiner Herr Steiner sich gebrüstet habe, er sei der Architekt der Sanktionen gegen Österreich gewesen. Ich frage
Sie: Ist diese Darstellung von Herrn Steiner richtig oder
handelt es sich hierbei wieder um eine Falschmeldung?
Herr von Klaeden, so wie ich die Geschäftsordnung
des Deutschen Bundestages kenne, dürfen Nachfragen nur
zu dem Fragenkomplex der Hauptfrage gestellt werden.
({0})
Sie müssten demnach die Präsidentin fragen, ob ich die
Frage beantworten muss.
({1})
- Ich habe nicht kritisiert, sondern eine Frage gestellt.
Ich werte die Antwort
des Herrn Staatsministers als Antwort auf Ihre Frage und
gebe der Kollegin Bonitz für eine Zusatzfrage das Wort.
Herr Staatsminister, können Sie wenigstens dazu Stellung nehmen, welche Stellen
konkret bei der Klassifizierung des Protokolls, um das es
hier geht, beteiligt waren? War es ausschließlich der deutsche Botschafter in den USA oder war es zum Beispiel
auch das Kanzleramt?
Ich kann dies nicht konkret kommentieren, ich kann
nur sagen, dass in der Regel Protokolle von dem Botschafter oder seinen Vertretern verfasst werden. Diese
werden von den Gesprächsführenden gegengelesen. In
der Regel verständigt man sich auf einen Text. Auch zu
dem Text, der hier in Rede ist, kann ich nur sagen, dass
alle, die ihn legitimerweise erhalten haben, keinen Anlass
sahen, weitere Fragen an diesen Text zu knüpfen.
Nun kommt die
nächste Frage. Ich möchte noch darauf hinweisen, dass
zum selben Komplex noch eine große Zahl von Fragen
vorliegen. Sie müssen also nicht bei dieser einen Frage
schon die Zusatzfragen stellen. Aber das nur als Hinweis.
Bitte sehr, Herr Kollege.
Herr
Staatsminister, Sie haben syntaktisch die passive Form
gewählt: Das Protokoll ist weitergegeben worden. Könnten Sie mit einer aktiven Formulierung sagen, wer das
Protokoll weitergegeben hat?
Ich habe nicht nur passiv formuliert, sondern auch
äußerst generell und habe diesen konkreten Vorgang gar
nicht kommentiert.
({0})
Nun kommen wir zur
Frage 38 des Kollegen Schmidt. Eigentlich gehört die
Frage 39 gleich dazu. Aber ich weiß nicht, ob Sie diese lieber getrennt beantwortet haben wollen.
Ich habe die Antworten getrennt vorbereitet, Frau
Präsidentin.
Dann rufe ich
zunächst die Frage 38 des Kollegen Chrtistian Schmidt
({0}) auf:
Hat der Leiter der Abteilung Außenpolitik im Bundeskanzleramt, Ministerialdirektor Michael Steiner, während des Arbeitsgesprächs des Bundeskanzlers Gerhard Schröder mit dem amerikanischen Präsidenten George W. Bush die im Protokoll von
Botschafter Jürgen Chrobog enthaltene Aussage über ein Gespräch mit Staatschef Muammar al-Gaddafi in Libyen gemacht
({1})?
Herr Schmidt, ich verweise auf meine Vorbemerkung zur Frage 36 des Herrn Kollegen Spranger bezüglich
der Nichtkommentierung solcher Vorgänge durch die
Bundesregierung. Aus den bereits genannten Gründen
kann ich solche Fragen hier nicht öffentlich beantworten.
Der Auswärtige Ausschuss wurde jedoch heute vertraulich unterrichtet.
Zusatzfrage eins, bitte
sehr.
Frau Präsidentin, eine Korrektur, wenn Sie erlauben: Der Auswärtige Ausschuss wurde hierüber vertraulich nicht unterrichtet.
({0})
Ich habe folgende Zusatzfrage: Der Bericht des „Spiegel“ vom 21. Mai erwähnt in diesem Kontext einen weiteren Vermerk des Herrn Ministerialdirektors Steiner über
sein Gespräch mit dem libyschen Staatschef Gaddafi, in
dem darüber gesprochen worden sein soll, ex gratia, das
heißt ohne Anerkennung einer rechtlichen Verpflichtung,
eine Entschädigung für die leider immer noch auf Entschädigung wartenden Opfer des „La Belle“-Diskotheken-Anschlags zu zahlen. Ist dies zutreffend?
So es sich um einen vertraulichen Gesprächsvermerk von Herrn Steiner handeln sollte, kann ich das nicht
kommentieren. Aber zur Substanz Ihrer Frage kann ich sagen: Wann immer die Bundesregierung mit libyschen
Stellen zusammentrifft, wird der Gesamtkomplex
„La Belle“ angesprochen, mit welchen Worten auch immer. Dabei wird auch immer die Frage der Entschädigung
angeschnitten. Das Ergebnis dieser Gespräche ist allerdings auch immer dasselbe: Die libysche Seite sagt, dass
sie zivilrechtlich nicht in Leistung treten könne und wolle,
bevor nicht auf der strafrechtlichen Ebene die Schuldfrage eindeutig geklärt sei.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, stimmen Sie mit mir überein, dass es ein intellektuell schwierig nachzuvollziehendes Begründungsmuster der Bundesregierung ist, einerseits mitzuteilen, dass,
wenn man mit Libyen spreche, immer über „La Belle“ gesprochen werde, eine Gesprächsnotiz, einen Drahtbericht
über ein Gespräch zwischen Bundeskanzler Schröder und
Präsident Bush anzufertigen, wo über ein solches Gespräch berichtet wird und wo „La Belle“ erwähnt wird, andererseits im Nachhinein mitzuteilen, es sei nie über
„La Belle“ gesprochen worden?
Herr Schmidt, wir kommentieren nicht öffentlich
Berichte über vertrauliche Gespräche zwischen Staatschefs.
({0})
Unabhängig davon gibt es eine Libyenpolitik der Bundesregierung; sie habe ich Ihnen gerade skizziert. Das
könnte ich weiter ausführen, das ist nicht geheim. Ich
würde sie auch jederzeit auf einer Pressekonferenz öffentlich darstellen.
Nun hat der Kollege
Spranger eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, ist es zutreffend, dass die erste Fassung des veröffentlichten Berichts von Herrn Chrobog an Herrn Steiner
ging, dass dieser sie massiv korrigierte und dass die dann
in den Zeitungen veröffentlichte Fassung letztendlich die
Fassung von Herrn Steiner ist?
Herr Spranger, ich kann nur erneut wiederholen, dass
wir keine unter Bruch der Geheimhaltungsvorschriften an
die Öffentlichkeit gelangten Dokumente kommentieren.
Nun hat die Kollegin
Bonitz eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, da
Sie sich darauf zurückziehen, dass Sie zu bestimmten
Punkten hier nicht öffentlich Stellung nehmen können:
Habe ich Sie eben richtig verstanden, dass bei jedem Gespräch, das zwischen der Bundesregierung und der libyschen Regierung stattgefunden hat, das Thema „La Belle“
angesprochen worden ist, in welcher Form auch immer,
dass aber die Bundesregierung nach Veröffentlichung von
Teilen des Chrobog- oder Steiner-Protokolls behauptet
hat, dass dieses Thema bei dem besagten Gespräch zwischen Gaddafi und Steiner nicht zur Sprache gekommen
ist? Ich sehe hier einen Widerspruch.
Frau Bonitz, den Widerspruch sehe ich überhaupt
nicht. Bei allen Gesprächen der Bundesregierung mit der
libyschen Seite kommt das Thema zur Sprache, in welcher Form auch immer. Deshalb kann man zwischen der
generellen und der konkreten Form keinen Widerspruch
konstruieren.
Nun hat der Kollege
Dr. Lippelt eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, können Sie den Kollegen nicht mal
den Unterschied zwischen der Intensität eines Gesprächs,
das im Rahmen der allgemeinen Libyenpolitik geführt
worden ist, und eines Gesprächs zwischen dem amerikanischen Präsidenten und dem deutschen Bundeskanzler,
({0})
das, wie wir aus den Zeitungen wissen, anderthalb oder
zwei Stunden gedauert hat
({1})
und bei dem in einer Tour d’Horizon über sehr viele Themen gesprochen worden ist, erklären?
({2})
Denn wenn man diesen Unterschied richtig reflektiert,
stellt man fest, dass bei letzterem Gespräch über das Detail Libyen nur in sehr allgemeiner Form gesprochen worden sein kann.
({3})
- Ich habe Schlussfolgerungen aus der Länge der
Gespräche gezogen; das ist Ihnen offensichtlich schwer
zugänglich.
({4})
Herr Staatsminister.
Bei Gesprächen zwischen Staatschefs ist es in der
Regel so, dass eine Fülle von Themen abgehandelt werden, meistens hinsichtlich der Ergebnisse und nicht mit allen Details, während die Details bei den vorbereitenden
Gesprächen, die auf der Ebene von Beamten oder auch
von Staatssekretären bzw. Staatsministern geführt werden, sehr genau besprochen werden. Die Ergebnisse dieser Detailbesprechungen erhält das Kanzleramt natürlich
immer zur Kenntnis; das dient dann zur Vorbereitung der
Chefgespräche.
Nun hat der Kollege
Polenz eine Zusatzfrage. Bitte sehr.
Herr Staatsminister,
zur Beantwortung - oder sollte ich besser sagen: zur Abwehr - unserer Fragen verweisen Sie häufig darauf, dass
Sie Vorgänge, die unter Bruch der Geheimhaltungsvorschriften an die Öffentlichkeit gelangen, nicht kommentieren könnten. Nun haben wir heute vom Außenminister
gehört, das Außenministerium habe eine Taskforce eingerichtet, um zu untersuchen, wo das Leck war, durch das
diese Informationen in die Öffentlichkeit gelangt sind.
Meine Frage ist: Erstreckt sich die Kompetenz dieser
Taskforce nur auf Ermittlungen im Hinblick auf Bedienstete, die dem Auswärtigen Amt unterstehen, oder ist auch
das Kanzleramt einbezogen?
({0})
Zunächst einmal: Die Veröffentlichung dieses Protokolls bedeutet einen Gesetzesbruch, ein Dienstvergehen
und zudem einen Vertrauensbruch im kollegialen
Zusammenhang. Deshalb wird dem nachgegangen. Der
Außenminister hat dazu im Auswärtigen Amt - dafür ist
er zuständig - eine Sonderarbeitsgruppe eingerichtet.
Ich gehe davon aus, dass auch andere Ministerien in
ihren Häusern nach denkbaren undichten Stellen suchen.
Solange kein Beweis für eine konkrete Täterschaft - so
muss man es nennen - auf dem Tisch liegt, halte ich es
nicht für angebracht, irgendwen zu verdächtigen.
Nun hat der Kollege
Schmidt noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, Sie haben davon gesprochen, dass Sie davon
ausgehen, dass in anderen Ministerien eine Untersuchung
stattfindet, dass Sie es aber nicht wissen. Heißt das, dass
Sie das Kanzleramt ausschließen und dass Sie den Begriff
„undichte Stellen“ auf das Kanzleramt grundsätzlich nicht
anwenden wollen?
Herr Schmidt, solche Drahtberichte gehen übrigens
vom Auswärtigen Amt nicht nur an das Kanzleramt, sondern auch an andere Ministerien. Ich möchte ganz explizit hinzufügen, dass Drahtberichte oft auch an den Deutschen Bundestag bzw. an dessen Ausschüsse gehen, weil
auch Abgeordnete ein Informationsbedürfnis haben. Deshalb halte ich die Konzentrierung Ihrer Frage auf das
Kanzleramt für nicht legitim.
Nun rufe ich die
Frage 39 des Kollegen Christian Schmidt ({0}) auf:
Wenn ja, warum hat die Bundesregierung diese Information
nicht der zuständigen Staatsanwaltschaft im noch laufenden „La
Belle“-Prozess in Berlin zur Verfügung gestellt?
Herr Schmidt, der Bundesregierung liegen keine
Erkenntnisse vor, wonach Libyen hinsichtlich des „La
Belle“-Attentats eine Tatbeteiligung eingestanden hat. Insofern waren keine Informationen an die zuständige
Staatsanwaltschaft weiterzuleiten.
Zusatzfrage eins.
Herr Staatsminister, bemüht sich die Bundesregierung auch während
des Fortgangs des Strafverfahrens, von Libyen eine ExGratia-Entschädigung für die bedauerlicherweise noch
immer nicht entschädigten und bis heute unter ihren körperlichen Schädigungen leidenden Opfer dieses Diskothekenanschlags von 1986 zu erreichen?
Herr Schmidt, die Bundesregierung versteht das Anliegen, das Sie zum Ausdruck bringen, und teilt es. Wir
verstehen das Anliegen der Angehörigen der Opfer bzw.
der überlebenden Opfer nach Entschädigung. Diese Frage
wird der libyschen Seite immer vorgelegt, wenn nicht sogar die libysche Seite das selber anspricht, weil sie ja
weiß, dass eine Klärung dieser Probleme Voraussetzung
für eine Normalisierung der Beziehungen ist.
Die libysche Seite weist aber immer wieder darauf hin,
dass sie keine Entschädigungsleistungen erbringen kann,
solange nicht in einem ordentlichen Gerichtsverfahren
eine libysche Täterschaft bzw. Mittäterschaft festgestellt
worden ist. Das ist bis heute nicht der Fall. Dennoch ist
dies immer Gesprächsthema.
Zusatzfrage zwei.
Herr Staatsminister, verstehen Sie, dass ich mit Rücksicht auf die
Würde des Hauses an Sie die Frage nicht richte, ob der
besagte Ministerialdirektor Steiner wie weiland Jakob
Mierscheid eine virtuelle Figur ist oder ob er tatsächlich
existiert?
({0})
Herr Schmidt, dazu kann ich Ihnen nur sagen, dass
wir generell ein Interesse daran haben, dass sich Libyen
in die internationale Staatengemeinschaft reintegriert. Libyen hat entsprechende Signale ausgesendet. Wir sprechen deshalb auf allen Ebenen intensiv miteinander. Das
hat auch Ministerialdirektor Steiner getan. Dabei machen
wir den Libyern deutlich, dass der von mir gerade bezeichnete Komplex gelöst werden muss, bevor es zu einer
vollständigen Normalisierung kommen kann.
Nun rufe ich die
Frage 40 der Kollegin Bonitz auf:
Warum hat der sicherheitspolitische Berater im Bundeskanzleramt, Ministerialdirektor Michael Steiner, die Passage des von
Botschafter Jürgen Chrobog verfassten Protokolls, die das Gespräch zwischen Michael Steiner und dem libyschen Staatschef
Muammar al-Gaddafi behandelt, nicht korrigiert, wenn er sie für
missverständlich oder falsch wiedergegeben hielt?
Herr Staatsminister, bitte sehr.
Frau Bonitz, ich verweise erneut auf meine Eingangsbemerkung zur Frage 36: Zum Inhalt von Dokumenten, die unter Verletzung von Geheimhaltungsvorschriften an Unbefugte gegeben wurden, kann die
Bundesregierung hier öffentlich ebenso wenig Stellung
nehmen wie zu abgeleiteten Fragen. Dazu hat jedoch Herr
Steiner heute Morgen vor dem zuständigen Ausschuss
vertraulich vorgetragen.
Zusatzfrage eins.
Herr Staatsminister, ich
erlaube mir zunächst die Anmerkung, dass ich nicht nur
nicht Mitglied des Auswärtigen Ausschusses bin und daher diesen Informationsstand nicht habe,
({0})
sondern dass ich mich auch in meinen parlamentarischen
Rechten verletzt sehe, wenn ich von Ihnen diese Information zu einem inzwischen öffentlich intensiv behandelten
Thema nicht bekomme. Ich frage Sie deshalb: Warum hat
kein Verantwortlicher, weder Herr Botschafter Chrobog
noch Kanzlerberater Steiner noch Außenminister Fischer
noch Bundeskanzler Schröder die Brisanz der Libyen betreffenden Passage im Protokoll bemerkt?
Erstens, Frau Bonitz, kann ich diese Wertung von
Ihnen nicht teilen
({0})
und zweitens bleibe ich dabei, dass bestimmte außenpolitisch sensible Fragen vor dem entsprechenden Gremium,
vor dem Auswärtigen Ausschuss, unter einem Geheimhaltungsgrad besprochen werden.
Zusatzfrage zwei.
Eine ganz kurze Anmerkung: Da Sie diese Wertung nicht nachvollziehen können,
heißt das, dass Sie die Brisanz nicht erkennen, obgleich es
im Grunde genommen völlig egal ist, ob nur eine falsche
Wiedergabe eines zutreffenden Gesprächsinhaltes erfolgt
ist oder eine richtige Wiedergabe eines unzutreffenden
Gesprächsinhaltes.
({0})
Ich stelle daraufhin folgende Frage: Hat es, nachdem
dem Kanzleramt und dem Außenministerium aufgrund
der öffentlichen Berichterstattung klar geworden ist, dass
hier eine Brisanz vorliegen könnte, unmittelbar Gespräche zwischen Herrn Chrobog und Herrn Steiner gegeben, um diese entsprechende Passage, die ich für fehlerhaft halte - Sie stellen sie möglicherweise als
Missverständnis dar -, zu klären? Ich meine den Zeitraum
- ich präzisiere das -, bevor offiziell zur Sitzung des Auswärtigen Ausschusses eingeladen worden ist.
Frau Bonitz, ich kommentiere diese Passage weder
dahin gehend, dass sie richtig sei, noch dahin, dass sie
falsch sei, noch dahin, dass sie ein Missverständnis gewesen sein könnte. Alle legitimen Adressaten haben die
Stelle so verstanden, wie man sie nur verstehen konnte.
Für alle legitimen Adressaten war völlig klar, dass dies,
bezogen auf die bilateralen Beziehungen zu Libyen, keine
solche Veränderung war, dass man sich intensiver damit
hätte befassen müssen. Das Problem entstand lediglich
mit der rechtsmissbräuchlichen Veröffentlichung dieses
Papiers.
Nun hat der Kollege
Schockenhoff eine Zusatzfrage.
Herr
Staatsminister, gehören zu den von Ihnen erwähnten legitimen Adressaten auch ausländische Regierungen und wie
erklären Sie sich die offizielle Stellungnahme eines
amerikanischen Regierungssprechers, der sich gegen Versuche verwahrt, die Zuständigkeit für die Veröffentlichung in die Nähe der amerikanischen Administration zu
rücken?
Die amerikanische Seite, mit der wir, sobald diese
Dinge in der Öffentlichkeit diskutiert wurden, auf vielen
Ebenen direkt Kontakt aufgenommen haben, hat uns gegenüber deutlich erklärt, dass sie diesem Vorgang keine
Bedeutung beimisst und auch nicht irritiert ist. Das hat der
amerikanische Außenminister gestern noch dem unseren
versichert. Auch der amerikanische Regierungssprecher
hat sich in dieser Richtung eingelassen.
({0})
Sie kommen mit
Ihren Fragen gleich dran, Herr Kollege. Eine Zusatzfrage
haben Sie jetzt nicht.
Aber der Kollege Gehrcke hat eine Zusatzfrage. Bitte
sehr.
Herr Staatsminister, da
Sie vor kurzem dem Hause gesagt haben, Sie könnten
nicht zahlenmäßig belegen, wie viele legitime Adressaten
es gab, jetzt aber gesagt haben, dass alle legitimen Adressaten die Stelle richtig verstanden haben, frage ich Sie:
Wie kommen Sie auf diese gewagte Schlussfolgerung?
({0})
Herr Gehrcke, ich habe nicht gesagt, dass ich nicht
alle Adressaten belegen kann, sondern dass ich nicht alle
belegen will, weil das ebenfalls ein Vertraulichkeitsbruch
wäre.
({0})
Wenn der Inhalt dieses Textes Anlass zu einer Veränderung unserer Politik gegeben hätte, dann wäre er im
Hause mit Sicherheit nicht unkommentiert zur Kenntnis
genommen worden.
Ich rufe die Frage 41
der Kollegin Bonitz auf:
Welche konkreten Schritte hat die Bundesregierung unternommen, um eine Entschädigung der „La Belle“-Opfer zu erreichen, insbesondere auch im Hinblick auf die Erzielung einer
außergerichtlichen Einigung, wie diese in vergleichbar gelagerten
Fällen in Frankreich und Großbritannien möglich war?
Herr Staatsminister, bitte.
Frau Bonitz, der Bundesregierung liegen keine Informationen vor, wonach es im Fall Lockerbie zwischen
Großbritannien und Libyen eine außergerichtliche Einigung über eine Entschädigung gegeben habe. Im Falle des
Anschlags auf eine französische UTA-Maschine hat es
eine Verständigung zwischen Frankreich und Libyen über
Entschädigungsfragen gegeben, nachdem eine libysche
Tatbeteiligung durch rechtskräftiges Strafurteil festgestellt war und Libyen dies als Grundlage für Kompensationsleistungen akzeptiert hatte.
Inwieweit von Libyen eine Entschädigung der „La
Belle“-Opfer verlangt werden kann, hängt daher zunächst
von der Frage einer libyschen Tatbeteiligung ab. Diese
Frage ist Gegenstand eines laufenden Strafverfahrens vor
dem Berliner Landgericht. Im Übrigen hat die Bundesregierung klare Hinweise darauf, dass Libyen nur dann in
einen Dialog über Entschädigungen eintreten wird, wenn
der „La Belle“-Prozess abgeschlossen und eine libysche
Tatbeteiligung durch Strafurteil festgestellt ist. So hat der
libysche Außenminister in einer Rede vor der VN-Vollversammlung am 14. September letzten Jahres in Bezug
auf Lockerbie jegliche Entschädigungsforderung vor einem Urteil strikt abgelehnt.
Gerade im Interesse der Opfer an einer baldigen
Klärung der Entschädigungsfrage hat sich die Bundesregierung kontinuierlich für die zügige Durchführung des
Rechtshilfeersuchens des Berliner Landgerichtes eingesetzt, um im Prozess voranzukommen. So konnten im Oktober letzten Jahres in Tripolis Zeugenvernehmungen
durchgeführt werden, an denen ein Vertreter der Staatsanwaltschaft und ein Ermittlungsbeamter teilnahmen. Bei
meinem eigenen Besuch in Libyen am 17./18. April dieses Jahres hat mir der stellvertretende libysche Außenminister zugesagt, dass sein Land die weiteren Ermittlungen
deutscher Staatsanwälte unterstützen wird.
Die Bundesregierung hofft deshalb auf einen baldigen
Abschluss des Verfahrens, sodass auf der Grundlage einer
gerichtlichen Entscheidung gegebenenfalls sofort konkrete Schritte zugunsten der Opfer und ihrer Entschädigung unternommen werden können.
Zusatzfrage eins.
Zunächst herzlichen
Dank für die Antwort, es ist ja tatsächlich mal eine. Da sowohl Libyen als auch die Bundesregierung ein Interesse
daran haben müssen, dass es zu einem Urteil kommt, in
dem dann möglicherweise eine Tatbeteiligung Libyens
festgestellt wird, frage ich konkret nach: Welche konkreten Erkenntnisse aus ihren zahlreichen Gesprächen mit libyscher Seite hat die Bundesregierung von sich aus an das
Landgericht Berlin weitergegeben, um hier den Prozessfortschritt zu befördern?
Wie ich soeben schon ausführte, haben wir das Ersuchen des Landgerichts Berlin, dort Zeugenbefragungen
durchführen zu können, unterstützt. Das hat zu dem eben
von mir dargestellten Erfolg geführt. Bei meinem jüngsten Besuch in Libyen habe ich das noch einmal nachdrücklich vertreten und die erwähnte Zusage von libyscher Seite bekommen.
Ansonsten: Die Recherche der Umstände obliegt dem
Gericht und ist nicht Aufgabe der Regierung.
Zusatzfrage zwei.
Da in dem Landgerichtsprozess das geheime Protokoll mit der entsprechenden
Passage zu Libyen eine Rolle spielt und die Bundesregierung dies, so glaube ich, bislang nicht an die Staatsanwaltschaft weitergegeben hat, frage ich mich, ob denn eigentlich niemandem, der dieses Protokoll gelesen hat,
aufgefallen ist, dass diese Passage des Protokolls eine Relevanz für diesen Prozess haben könnte. Muss ich davon
ausgehen, dass keiner der Empfänger dieses Protokolls
die Brisanz erkannt hat, dass es nur diplomatische Dilettanten in diesem Bereich gibt, die die Brisanz einer solchen
Passage für einen Gerichtsprozess nicht erkennen können?
Frau Bonitz, dass dieses Protokoll eine Rolle spielt,
ist Ihre Wertung. Es gibt keine Anfrage der Staatsanwaltschaft an das Auswärtige Amt dieses Protokoll betreffend.
Von daher wissen Sie vielleicht mehr als alle anderen Prozessbeteiligten. Die meisten jedenfalls schließen sich im
Moment Ihrer Einschätzung hinsichtlich der historischen
Bedeutsamkeit des Dokumentes offensichtlich nicht an.
Nun kommen wir zur
Frage 42 des Kollegen Dr. Schockenhoff:
Treffen Presseberichte zu, nach denen es im Zusammenhang
mit der Veröffentlichung des Gesprächsprotokolls von Botschafter Jürgen Chrobog vom 31. März 2001 zu Streitigkeiten zwischen
dem Auswärtigen Amt und dem Bundeskanzleramt gekommen ist,
und ist nach Auffassung der Bundesregierung vor dem Hintergrund der Umstände der Veröffentlichung des Gesprächsprotokolls weiterhin eine vertrauensvolle und enge Zusammenarbeit
der Abteilung Außenpolitik des Bundeskanzleramtes und ihres
Leiters, Ministerialdirektor Michael Steiner, mit dem Auswärtigen
Amt, insbesondere mit den Vertretungen der Bundesrepublik
Deutschland im Ausland, gegeben?
Bitte sehr, Herr Staatsminister.
Herr Schockenhoff, derartige Presseberichte sind
falsch. Die Zusammenarbeit zwischen dem Bundeskanzleramt und dem Auswärtigen Amt wird auch in Zukunft
eng und vertrauensvoll sein.
({0})
Zusatzfrage eins.
Herr
Staatsminister, ist in der Bundesregierung darüber geredet
worden, ob vertrauliche Gespräche des Bundeskanzlers
mit anderen Staats- und Regierungschefs auch künftig in
Anwesenheit von Ministerialdirektor Steiner geführt werden können? Gehen Sie davon aus, dass auch andere Regierungs- und Staatschefs in Anwesenheit von Ministerialdirektor Steiner glauben, vertrauliche Gespräche blieben
vertraulich?
Wir gehen davon aus, dass durch diese Indiskretion,
die höchst ärgerlich ist, kein nachhaltiger Schaden
entstanden ist. Gestern haben zum Beispiel vertrauliche Gespräche über die sensibelsten NATO-Fragen stattgefunden.
Wie der Bundeskanzler seine Delegation, seinen Beraterstab zusammenstellt, ist ihm überlassen. Das sollte man
von dieser Seite aus nicht kommentieren.
Zusatzfrage zwei.
Herr
Staatsminister, Sie haben hier vorher schon unterstrichen,
die amerikanische Regierung habe betont, sie messe dieser Angelegenheit keinerlei Bedeutung zu. Wie erklären
Sie sich die Tatsache, dass die amerikanische Regierung
diese Äußerung seit etwa einer Woche mehrfach täglich
wiederholt?
Sehen Sie, Sie müssen sich schon entscheiden, ob
Sie den Schaden, der nicht da ist, herbeireden wollen oder
ob Sie daran mitwirken, dass kein Schaden entsteht.
({0})
Die Bundesregierung hat jedenfalls in dem Moment, wo
dies ein öffentliches Thema wurde, mit der amerikanischen Seite auf verschiedenen Ebenen darüber gesprochen. Man ist sogar den Text selbst durchgegangen und
hat dabei gemeinsam festgestellt, dass er keinen Anlass
für Irritationen bietet.
Nun kommt eine Zusatzfrage des Kollegen Schmidt.
Herr Staatsminister, Sie hatten - wenn ich Sie richtig verstanden habe mitgeteilt, dass dem Auswärtigen Amt bis heute noch
keine Anfrage von der Staatsanwaltschaft hinsichtlich des
als historisch oder nicht historisch einzuschätzenden Dokuments vorliegt. Wie erklären Sie sich das vor dem Hintergrund, dass zum einen - wenn ich mich recht entsinne an dem Tag, an dem der Artikel in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ stand, sich der zuständige Oberstaatsanwalt in einer der Abendnachrichten der öffentlich-rechtlichen Sender äußerst verwundert darüber gezeigt hat, dass
die Staatsanwaltschaft über dieses Dokument nicht in
Kenntnis gesetzt worden ist, und sinngemäß geäußert hat,
die Staatsanwaltschaft werde sich darum bemühen, dieses
Dokument zu erhalten, und dass zum anderen Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye bereits kurz darauf mitgeteilt
hat, Herr Steiner werde Aussagegenehmigung in dieser
Frage erhalten, was doch darauf hinweist, dass die Staatsanwaltschaft zumindest hinsichtlich der Zeugenvernehmung Anträge gestellt haben muss?
Der Antrag auf Zeugenvernehmung von Herrn
Steiner steht in der Tat. Die Bundesregierung berät zurzeit, inwieweit eine Aussagegenehmigung erteilt werden
kann. Ein Ersuchen nach Aushändigung dieses Gesprächsprotokolls ist bis jetzt noch nicht eingegangen.
Es ist verständlich, dass sich der Staatsanwalt auf der
Basis der öffentlichen Berichterstattung Gedanken darüber
macht, ob dies ein verwertbares Beweismittel sein könnte.
Diese Debatte zielt auf einen konkreten Punkt, nämlich
auf die Frage, ob Gaddafi eine libysche Tatbeteiligung offiziell eingestanden hat. Ich sage daher noch einmal in
aller Deutlichkeit: Ein solches konkretes Tateingeständnis
der libyschen Seite gibt es nicht.
Nun kommt eine Zusatzfrage des Kollegen Polenz.
In dem von „Spiegel
online“ veröffentlichten Protokoll heißt es wörtlich:
MD Steiner berichtet über seine Gespräche mit
Gaddafi in Libyen. Dieser habe eingestanden, dass
sich Libyen an terroristischen Aktionen ({0}) beteiligt habe.
Sie haben heute ausgeführt, dass jeder, der im ordentlichen Verteiler war, diese Äußerung im Protokoll nur
richtig habe verstehen können, nämlich dass es - entgegen dem klaren Wortlaut - kein Eingeständnis Gaddafis
gewesen sei. Wird die Bundesregierung das auch dem Gericht so vortragen?
Herr Kollege, dieses Protokoll werde ich aus den
mehrmals erläuterten Gründen nicht kommentieren. Ich
kann Ihnen aber noch einmal bestätigen, dass Libyen seit
geraumer Zeit Anstrengungen unternimmt, seine internationalen Beziehungen zu normalisieren, und dass wir als
Bundesrepublik ein Interesse daran haben, daran mitzuwirken. So wollen wir Libyen etwa in den euro-mediterranen Dialog einbeziehen und es dafür gewinnen, die
maghrebinische Union wieder in Kraft zu setzen.
Bevor in diesem Sinne wieder eine vollständige Einbeziehung in die internationalen Beziehungen stattfinden
kann, muss dieser Gesamtkomplex gelöst werden. Dazu
gehören Stichworte wie Lockerbie und „La Belle“, wobei
wir als Deutsche ein besonderes Interesse an der Aufarbeitung des „La-Belle“-Komplexes haben.
Nun kommt die Kollegin Grießhaber mit einer Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, Herr Kollege Schockenhoff hat sich
in seiner Zusatzfrage nach den Reaktionen in den USA erkundigt.
Ich war letzte Woche mit dem Unterausschuss Vereinte
Nationen in den Vereinigten Staaten. Es war erstaunlich,
dass diese Frage weder bei den Kongressabgeordneten
noch bei den Senatoren noch sonst irgendwo von Interesse
war. Kein Mensch hat sich dafür interessiert. Haben auch
Sie den Eindruck, dass diese Frage in den USA und den
dortigen Medien keinesfalls die gleiche Bedeutung hat
wie hier, wo ein Sturm im Wasserglas entstanden ist?
Weder hat die Substanz der Gespräche zwischen der
deutschen und der libyschen Seite solch neue Erkenntnisse gebracht, dass die internationale Politik eine Wende
vornehmen müsste, noch hat sich in den USA ein nennenswerter Teil der Öffentlichkeit dafür interessiert, dass
in Deutschland jemand per Rechtsbruch ein Dokument
veröffentlicht hat.
Nun kommt der Kollege Spranger mit einer Zusatzfrage.
Allmählich müssen wir etwas darauf achten, dass auch
die anderen Fragesteller noch an die Reihe kommen.
({0})
Frau Präsidentin,
ich glaube, man sollte es der Opposition, den Fragestellern überlassen, wie viele Fragen gestellt werden.
Es gibt ja auch noch
weitere Fragen aus der Opposition. Diese will ich auch
noch zulassen dürfen. Das ist doch das Problem.
Zu diesem
Thema kann man gar nicht genug Fragen stellen; das spürt
man doch.
Herr Staatsminister, Sie sagen, das Steiner-Protokoll
sei in der Libyen-Passage falsch. Können Sie uns dann
noch andere Passagen aus diesem Protokoll nennen, die
ebenfalls falsch sind? Sie können sich hier doch nicht selektiv zu bestimmten Passagen äußern.
Herr Steiner - ({0})
- Sorry, Herr Spranger. Sie sehen, mit wem ich Sie schon
verwechsle.
Das kommt davon,
wenn man mit virtuellen Personen zu tun hat. - Herr
Staatsminister, bitte sehr.
Herr Spranger, ich habe diese Passage nicht als
falsch bezeichnet, sondern ich habe sie nicht kommentiert. Dabei bleibe ich. Die Vermutung allerdings, Gaddafi
habe ein konkretes Schuldeingeständnis abgegeben - diese
Vermutung wurde, von wem auch immer, in den letzten
Wochen geäußert -, ist falsch; ein solches Eingeständnis
hat es nicht gegeben.
Nun kommt die Frage
der Kollegin Bonitz.
Herr Staatsminister, da
Sie nicht kommentieren wollen, ob die Passage, um die es
geht, richtig, falsch oder auch nur widersprüchlich ist,
frage ich Sie, ob Sie ausschließen können, dass Herr
Steiner durch seine Äußerungen zumindest den Eindruck
erweckt hat, dass ein Gespräch des in den Protokollen zitierten Inhalts stattgefunden habe.
Das kann ich nicht bestätigen.
Nun kommt die
Frage 43:
Hat Ministerialdirektor Michael Steiner bei seinem Gespräch
mit dem libyschen Staatschef Muammar al-Gaddafi darauf hingewirkt, dass sich Libyen an der Aufklärung der Hintergründe des
Anschlages auf die Diskothek „La Belle“ in Berlin konstruktiv beteiligt, und wie gedenkt sich die Bundesregierung in Zukunft für
die Opfer des Anschlages auf die Diskothek „La Belle“ einzusetzen und sich gegenüber Libyen dafür zu verwenden, dass sich
Libyen an der Aufklärung der Hintergründe des Attentates beteiligt und Entschädigung leistet?
Bitte sehr, Herr Staatsminister.
Herr Schockenhoff, ich nehme auf meine Antwort
auf die Frage 41 der Abgeordneten Bonitz Bezug und
weise noch einmal darauf hin, dass die Frage einer libyschen Tatbeteiligung Gegenstand eines laufenden Strafverfahrens ist. Um die Hintergründe des Attentats aufzuklären, hat das Gericht ein Rechtshilfeersuchen nach
Libyen übermittelt. Nicht zuletzt aufgrund der intensiven
Bemühungen des Auswärtigen Amtes hat Libyen der
Durchführung der Rechtshilfe zugestimmt und Zeugenvernehmungen in Tripolis zugelassen. Im Übrigen wiederhole ich auch an dieser Stelle, dass die Bundesregierung
auf einen baldigen Abschluss des Verfahrens hofft, sodass
auf der Grundlage einer gerichtlichen Entscheidung gegebenenfalls sofort konkrete Schritte zugunsten von Opfern
und deren Entschädigung unternommen werden können.
Erste Zusatzfrage.
Herr
Staatsminister, Sie haben eben gesagt, Libyen versuche
seit geraumer Zeit, seine Beziehungen zu anderen Staaten
zu normalisieren. Aus dem an die Öffentlichkeit gelangten Steiner-Protokoll vernehmen wir, dass Libyen seit
„geraumer Zeit“ dem Terrorismus abgeschworen habe.
Lässt sich daraus die logische Folgerung ableiten, dass es
vor geraumer Zeit anders gewesen sein könnte?
Ohne nun auf das von Ihnen gerade zitierte Protokoll Bezug zu nehmen, kann ich sagen, dass wir uns mit
der libyschen Seite in einer intensiven politischen Diskussion befinden: über die libysche Vergangenheit, ihre
heutige Distanzierung vom Terrorismus und ihre Ansprüche und Wünsche, in die internationale Staatengemeinschaft reintegriert zu werden. Man muss sich nur
einmal die Geschichte der Dekolonialisierung in Afrika
und in der arabischen Welt anschauen, dann erkennt man
sofort, dass damals zu Mitteln gegriffen wurde, die man
in anderen historischen Situationen - jedenfalls vor dem
Hintergrund unserer Werte und des Völkerrechts - nicht
akzeptieren kann. Libyen räumt ein, dass es in dem Prozess der Dekolonialisierung zu solchen Mitteln gegriffen
hat, und distanziert sich heute davon. Libyen nimmt davon heute ganz klar und unseres Erachtens auch glaubwürdig Abstand und vertritt nunmehr die Auffassung,
dass sich ein Land nicht selbst isolieren darf, indem es zu
Mitteln greift, die von der Völkergemeinschaft nicht akzeptiert werden.
Libyen sucht uns als Ansprechpartner, um über uns den
Dialog mit der Europäischen Union und mit der westlichen Staatengemeinschaft insgesamt zu erreichen. Es gibt
allerdings auch ein sehr stark nach Afrika gerichtetes
Interesse. So ist gestern die Afrikanische Union, die auf
Betreiben Gaddafis zustande kam, offiziell gegründet
worden. Libyen schwankt also in seiner Orientierung zwischen einer afrikanischen und einer europäischen Option.
Wir wollen Libyen dafür gewinnen, eine Brücke zwischen
diesen beiden Kontinenten zu schlagen. Voraussetzung
für eine solche Politik ist allerdings, dass die hier intensiv
erörterten Fragen, wie die Komplexe „La Belle“ und
Lockerbie, für alle Seiten befriedigend gelöst werden.
Eine Zusatzfrage der
Kollegin Grießhaber.
Herr Staatsminister, Sie haben eben von den Bemühungen
berichtet, Libyen wieder in die internationale Staatengemeinschaft einzubinden. Können Sie sagen, wie weit dies
beispielsweise über den so genannten Barcelona-Prozess
abläuft?
Durch den Barcelona-Prozess, mit dem die Beziehungen zwischen der EU und den afrikanischen Mittelmeeranliegerstaaten organisiert werden, versuchen wir,
Libyen einzubinden. Libyen hatte bei der letzten Tagung
einen Beobachterstatus. Auch bei meinem letzten Besuch
in Tripolis habe ich die libysche Seite eingeladen, sich
weiter an diesem Prozess zu beteiligen.
Es gibt allerdings eine gewisse Zurückhaltung, weil die
Libyer nicht genau wissen, wie die westliche bzw. europäische Seite auf ihre Signale reagiert, sich aus ihrer Vergangenheit zu lösen und einer neuen Politikform zuzuwenden. In dem Maße, wie wir den Dialog - auch bilateral - pflegen und Fehlperzeptionen abbauen, die auf beiden Seiten im Spiel sind, wird es möglich sein, Libyen gerade auch in den Barcelona-Prozess zu integrieren. Wir
sollten diese Chance ergreifen. Sie alle wissen, dass
Libyen aus der Sicht mancher westlicher Staaten als besonders besorgniserregend gilt. Aber auch in der amerikanischen Diskussion schneidet Libyen in der Bewertung
seit einigen Tagen erheblich besser ab, als es noch im letzten Jahr der Fall war.
Jetzt laufen wir Gefahr, in eine Libyen-Debatte einzutreten.
Herr Dr. Schockenhoff hat noch eine Frage. Bitte sehr.
Sie haben
die von Ihnen beschriebene Verhaltensweise, Herr Staatsminister, als neue Politikform bezeichnet. Wie war denn
die alte Politikform - „vor einigen Tagen“?
Herr Schockenhoff, Sie wissen doch, wie sich Befreiungs-, wie sich Dekolonialisierungsprozesse abspielten: So mancher Staat, der sich auf der Basis eines
Dekolonialisierungsprozesses gebildet hatte, wurde vom
Westen nicht gerade willkommen geheißen. Oft suchte
man sein Glück in der Anlehnung an den seinerzeit noch
bestehenden gegnerischen Block und hat dabei Politikformen entwickelt, die nach unserem Werte-, Rechtsund Völkerrechtsverständnis nicht akzeptabel sind.
Wichtig ist, dass Staaten, die aus einer solchen Vergangenheit gelernt haben und sich umorientieren wollen,
diese Umorientierung erleichtert wird, ohne dabei die
Aufarbeitung der alten Komplexe außer Acht zu lassen.
Eine Zusatzfrage des
Kollegen Polenz.
Es ist sicherlich sehr
begrüßenswert, dass die Bundesregierung die Politik verfolgt, dabei zu helfen, Libyen wieder in die internationale
Staatengemeinschaft zurückzuführen. Glauben Sie, dass
die Protokollveröffentlichung diesem Ziel gedient hat?
Herr Polenz, ich glaube nicht, dass sie geschadet hat.
Die libysche Seite fragt natürlich nach den Hintergründen. Sie bekommt eine ordentliche Antwort.
({0})
Ansonsten: Ich habe mir bei meinem letzten Besuch
erlaubt, meinen direkten Counterpart, den stellvertretenden Außenminister, für den Herbst nach Deutschland
einzuladen. Ich würde mich freuen, wenn er die Gelegenheit hätte, auch mit der CDU/CSU-Fraktion zu reden.
({1})
Eine Zusatzfrage des
Kollegen Dr. Lippelt.
Herr Staatsminister, können Sie angesichts der letzten
Frage des Herrn Schockenhoff ihm ein bisschen über die
Wandlung von Jomo Kenyatta oder den Führer des ANC
in Südafrika erzählen, die heute in aller Welt sehr anerkannt sind?
Für eine solche Wandlung, Herr Kollege Lippelt,
gibt es viele Beispiele. Ich erinnere mich an eine Diskussion über die PLO, die wir hier vor einigen Monaten in der
Fragestunde hatten.
Nun rufe ich die
Frage 44 des Kollegen Eckart von Klaeden auf:
Wird sich die Bundesregierung beim amerikanischen Präsidenten George W. Bush und den Staats- und Regierungschefs der
weiteren von der „Protokoll-Affäre“ der Bundesregierung betroffenen Staaten für den entstandenen Schaden an Vertrauen und
Glaubwürdigkeit in die deutsche auswärtige Politik entschuldigen
und wenn ja, in welcher Weise wird dies geschehen?
Herr Staatsminister, das ist die letzte Frage zu diesem
Komplex.
Herr Kollege, die Bundesregierung bedauert die unbefugte Weitergabe vertraulicher Aufzeichnungen, die
einen gravierenden Verstoß gegen Geheimhaltungsvorschriften darstellt. Unser enges und vertrauensvolles Verhältnis zu den Vereinigten Staaten von Amerika wird jedoch durch diesen Vorgang nicht belastet. Dies sieht auch
die amerikanische Seite so.
Zusatzfrage eins.
Herr Staatsminister, Sie haben jetzt mehrfach erklärt, durch den Vorgang sei kein außenpolitischer Schaden entstanden. Als
Antwort auf diese Erklärung des Auswärtigen Amtes vor
einiger Zeit hat der Staatspräsident Russlands, Wladimir
Putin, Folgendes gesagt: Mit dem Steiner/Chrobog-Protokoll werde das Ziel verfolgt, „die Beziehungen zwischen Russland und der Europäischen Union, zwischen
Russland und Deutschland zu zerstören“.
Meine Frage: Ist das kein außenpolitischer Schaden?
Was wäre eigentlich nach Ihren Maßstäben ein außenpolitischer Schaden?
Herr von Klaeden, Sie haben richtig zitiert, was Herr
Putin für den Schaden gehalten hat: Er hat nicht den Gehalt des Protokolls für den Schaden gehalten, sondern dessen Veröffentlichung. Das halten auch wir für rechtsmissbräuchlich.
({0})
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, Sie haben zwar zugestanden, dass der Vorgang ärgerlich sei, aber gleichzeitig meine Klassifizierung als
„Panne“ zurückgewiesen. Muss ich dann davon ausgehen, dass es sich um einen systematischen Fehler gehandelt hat?
Herr von Klaeden, wir müssen erst einmal fragen:
Was war das eigentliche Problem? Das Problem war die
Veröffentlichung.
({0})
- Das war mehr als eine Panne. Ich habe vorhin deutlich
gesagt: Das war ein Rechtsbruch, ein Dienstvergehen, und
das war ein Vertrauensbruch. In diesem Sinne wird das
auch behandelt werden. Wir werden den Dingen ganz dezidiert nachgehen.
Eine Zusatzfrage von
Herrn Dr. Lippelt.
Herr Staatsminister, würden Sie mir darin zustimmen,
dass bei Indiskretionen solcher Art, die es in der Geschichte ja öfter gegeben hat, die Bewertungen von
Staatsmännern gelegentlich auch positiv ausfallen,
({0})
wie in diesem Fall die Bewertung des russischen Präsidenten Putin - ich glaube nicht, dass ihn das geärgert hat,
denn er ist sehr positiv dabei weggekommen -,
({1})
während andere Bemerkungen wie beispielsweise die,
dass ein Land mehr Kapital in dunkle Kanäle ins Ausland
fließen lässt, als es einnimmt, im Zusammenhang mit den
Schulden für ein solches Land vielleicht ganz heilsam
sind, sodass die Frage des Schadens, der hier entstanden
ist, durchaus von zwei Seiten gesehen werden kann und
nicht so eindeutig ist, wie die Opposition es immer meint?
Herr Kollege, Sie verstehen, dass ich dies nicht
kommentieren kann,
({0})
weil Sie ebenfalls Bezug genommen haben auf einen
Text, den ich nicht kommentieren darf.
Eine Zusatzfrage des
Herrn Kollegen Brecht.
Herr Staatsminister,
können Sie bestätigen, dass die amerikanische Öffentlichkeit einen so genannten außenpolitischen Schaden
aufgrund der illegalen Veröffentlichung des Washingtoner
Protokolls nicht konstatiert und dass die amerikanische
Öffentlichkeit den ganzen Vorgang wenn überhaupt, dann
nur amüsiert wahrnimmt als eine innerdeutsche Angelegenheit?
Herr Kollege Brecht, genau den Eindruck kann ich
bestätigen.
Nun kommt die
Kollegin Bonitz mit einer Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, wer
übernimmt in welcher Form die Verantwortung für die
eklatanten Fehler, die im Zusammenhang mit der Abfassung und der Verteilung des Protokolls gemacht wurden?
Frau Kollegin Bonitz, ich kann eklatante Fehler weder bei der Abfassung noch bei der Verteilung bestätigen.
Ich kann eine Fehlhandlung bestätigen, das ist die
Veröffentlichung dieses Protokolls. Das war mehr als ein
Fehler, das war eine Straftat.
({0})
Nun kommt der Kollege Spranger.
Herr Staatsminister, wenn die Bemerkungen über bestimmte Staatsmänner in diesem Steiner-Protokoll so positive Auswirkungen haben, wie Sie dies im Zusammenhang mit
Präsident Putin deklariert haben, warum veröffentlichen
Sie dann nicht den gesamten Bericht? Vielleicht sind dann
andere auch noch positiv berührt.
Herr Spranger, das ist eine politische Diskussion,
die Sie vielleicht mit dem Kollegen Lippelt führen sollten.
({0})
Jetzt wird es allmählich so, dass ich sagen muss: Es reicht mit diesem Fragenkomplex - Herr Dr. Schockenhoff, bitte sehr.
Frau Präsidentin, ich wollte meine Frage eigentlich zurückziehen,
aber Ihre Bemerkung „Jetzt reicht es allmählich“ veranlasst mich dazu, sie doch zu stellen.
Kann man die Frage des Kollegen Lippelt so interpretieren, dass die Bundesregierung die Veröffentlichung
dieses Protokolls gezielt und beabsichtigt vorgenommen
hat, um eine positive Bewertung des russischen Staatspräsidenten zu provozieren?
Nein.
Herr Kollege, meine
Ermahnung „Jetzt reicht es allmählich“ hat sich darauf bezogen, dass ich auch für die Ernsthaftigkeit einer Debatte
verantwortlich bin. Deswegen erlaube ich mir, gelegentlich darauf hinzuweisen, dass noch andere Fragen gestellt
wurden.
({0})
Herr Kollege Polenz, bitte.
Herr Staatsminister,
bei der Frage nach einem möglichen außenpolitischen
Schaden haben Sie darauf verwiesen, dass der russische
Präsident Putin die Indiskretion als Provokation verurteilt
habe. Das ist sicherlich richtig.
Treffen nach Ihren Erkenntnissen Presseberichte zu,
wonach die erste Reaktion des russischen Staatspräsidenten war, bei dem Protokoll könne es sich nur um eine
Fälschung handeln?
Das ist mir nicht bekannt. Dazu kann ich Ihnen
nichts sagen.
Jetzt hat die Kollegin
Kopp eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, sehen Sie
sich dazu in der Lage, uns zu sagen, welche Konsequenzen organisatorischer oder sonstiger Art Sie aus dieser so
genannten „Protokoll-Affäre“ ziehen?
({0})
Eine Konsequenz ist schon gezogen worden: Der
Außenminister hat - wie ich vorhin schon ausgeführt
habe - die Vorschriften dahin gehend modifiziert, dass ab
dem 23. Mai Chefgespräche in der Skala der Geheimhaltungsgrade höher angesiedelt werden. Zudem hat das
Auswärtige Amt die vorher schon erwähnte Sonderarbeitsgruppe eingesetzt, die recherchieren soll, wo sich
das Leck befindet; dabei ist nicht bewiesen, dass sich das
Leck im Auswärtigen Amt befinden muss.
({0})
Herr Kollege Erler
hat eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, nachdem
wir hier mehrfach Zeuge von Sorgen unserer Kollegen
über eine eventuelle, aber nicht zutreffende Störung des
deutsch-amerikanischen Verhältnisses geworden sind:
Würden Sie meine Auffassung teilen, dass man, wenn
man ernstlich Sorgen hinsichtlich einer Störung dieses
Verhältnisses hat, jetzt am ehesten einen Beitrag zu einem
guten, gedeihlichen Verhältnis beider Staaten leisten
könnte, indem man die von den Amerikanern eher
belächelte Behandlung dieses Falles zu einem Abschluss
bringt? Wäre das nicht der beste Dienst, den man zugunsten eines guten Verhältnisses zwischen Deutschland
und Amerika leisten könnte?
({0})
In der Tat, Herr Kollege, auch ich vertrete diese Meinung.
({0})
Die Bundesregierung räumt ein, dass es ein gravierendes
Problem gab, nämlich die Veröffentlichung. Man sollte
aber nicht den gesamten Komplex derartig aufblasen, dass
man annehmen könnte, es ginge um mehr als um genau
dieses Problem. Ich denke, es wäre ein Zeichen von politischer, insbesondere außenpolitischer Verantwortlichkeit, wenn man sich daran beteiligte, den öffentlichen
Schaden zu begrenzen.
({1})
Das wusste ich: Jetzt
hat der Herr Kollege Lamers eine Zusatzfrage. Bitte sehr.
Herr Staatsminister, würden Sie meiner Feststellung zustimmen, dass das gravierende Problem, von dem Sie gerade gesprochen haben,
nur wegen des Inhalts entstehen konnte?
Ich möchte es einmal so ausdrücken: Derjenige, der
das veröffentlicht hat, meinte, dem Inhalt eine Bedeutung
zumessen zu können, die wir als legitime Adressaten nicht
entdecken können.
({0})
Es gibt keine weiteren
Zusatzfragen.
Die Frage 45 des Kollegen von Klaeden ist zurückgezogen.
Wir sind damit am Ende dieses Komplexes, der Dringlichkeitsfragen und der Fragen im Zusammenhang mit
diesem Fragekreis. Ich bedanke mich bei Herrn Staatsminister Dr. Volmer, der die Fragen beantwortet hat.
Wir fahren nun in der normalen Reihenfolge fort. Die
Frage 1 des Kollegen Fuchtel zum Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie wird
schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung. Die Fragen zu diesem Komplex, das sind die Fragen 2 und 3, werden ebenfalls schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit. Zur Beantwortung der Fragen
steht die Parlamentarische Staatssekretärin Gudrun
Schaich-Walch zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 4 des Kollegen Dietmar Schlee auf:
Welche Auswirkungen erwartet die Bundesregierung auf die
Bundesrepublik Deutschland von der in der Schweiz angestrebten
Novellierung des Betäubungsmittelgesetzes, mit der der Anbau
und Verkehr von Cannabis legalisiert und der Konsum harter Drogen einschließlich der damit zusammenhängenden Vorbereitungshandlungen geduldet werden sollen?
Frau Staatssekretärin, bitte sehr.
Herr Kollege, die
Auswirkungen der geplanten Schweizer Drogengesetzgebung hängen vom Ausgang der parlamentarischen Beratungen und dem endgültigen Wortlaut der neuen Drogenvorschriften ab. Ob, wann und mit welchem Inhalt die
neuen Vorschriften in der Schweiz in Kraft treten werden,
entscheidet der dortige Gesetzgeber. Die Bundesregierung beteiligt sich nicht an Spekulationen darüber.
Zusatzfrage Nummer
eins.
Frau Staatssekretärin,
Sie wissen ja, dass es die so genannte Alpeninformationspartnerschaft gibt. Hat die Bundesregierung dieses für uns
so wichtige Thema, das für Deutschland nachhaltige Auswirkungen haben könnte, im Rahmen der Alpeninformationspartnerschaft zum Gesprächsgegenstand gemacht?
Sie hat es in diesem
Rahmen nicht zum Gesprächsgegenstand gemacht. Aber
ich kann Ihnen versichern, dass mit der Schweiz über
dieses wichtige Thema bereits auf Minister- und Staatssekretärebene Gespräche geführt worden sind und dass
wir den Schweizer Kolleginnen und Kollegen unsere Befürchtungen mit auf den Weg gegeben haben.
Zusatzfrage Nummer
zwei.
Frau Staatssekretärin,
können Sie mir zusagen, dass Sie die Bedenken, die die
Bundesregierung nach den Gesprächen des zuständigen
Ministers und des Staatssekretärs mit den Schweizer
Behörden offensichtlich hat, auch im Rahmen der Alpeninformationspartnerschaft zum Ausdruck bringen werden? Es wäre sicherlich auch wichtig, die Vertreter der
Grenzregionen wie zum Beispiel des Landes BadenWürttemberg in die Gespräche einzubeziehen.
Das sage ich Ihnen
gerne zu.
Vielen Dank.
Keine weiteren Zusatzfragen. Dann rufe ich die Frage 5 des Kollegen
Dietmar Schlee auf:
Teilt die Bundesregierung die Sorge, dass diese Legalisierung
eine erhebliche Sogwirkung auf Konsumenten und Dealer auslösen und damit der grenzüberschreitende Drogentourismus nachhaltig gefördert wird?
Frau Staatssekretärin, bitte.
Die Bundesregierung nimmt jeden Vorgang sehr ernst, der einen Anstieg
des Handels mit und des Konsums von illegalen Drogen
in Deutschland auslösen könnte. Die Drogenpolitik der
Bundesregierung stellt sicher, dass auf solche Vorgänge
jeweils effizient und ausgewogen reagiert werden kann,
zum einen durch verstärkte Aufklärung, Beratung und
Hilfe insbesondere für junge Drogenkonsumenten, zum
anderen durch gezielte Fahndungsmaßnahmen der Polizei, des Zolls und des Bundesgrenzschutzes.
Zusatzfrage Nummer
eins, bitte sehr.
Frau Staatssekretärin,
vor dem Hintergrund der Tatsache, dass der Bundesinnenminister und auch der zuständige Staatssekretär bereits mit den Schweizer Stellen Gespräche geführt haben,
frage ich Sie, ob die Bundesregierung der Meinung ist,
dass die Schweiz neben den Niederlanden zum zentralen
Drogenumschlagplatz in Europa werden würde, wenn das
dort geltende Betäubungsmittelgesetz tatsächlich so novelliert werden würde, wie es geplant ist.
Die Frage, ob die
Schweiz zum zentralen Drogenumschlagplatz in Europa
werden würde, kann man erst dann beantworten, wenn
man den genauen Wortlaut der Schweizer Gesetze kennt.
Wir haben in den Gesprächen - an einem habe ich persönlich teilgenommen - auf unsere Befürchtung hingewiesen, dass es unter Umständen Probleme in den deutschen Grenzregionen geben könnte, wenn bestimmte
Sicherheitsmaßnahmen in der Schweiz nicht eingehalten
würden.
Zusatzfrage Nummer
zwei.
Frau Staatssekretärin,
Sie haben gerade gesagt, dass es in den angrenzenden
Bundesländern besondere Probleme geben könnte. Hat
die Bundesregierung mit den betroffenen Bundesländern
bereits „Sicherheitsgespräche“ geführt, in denen deutlich
gemacht worden ist, welche Konsequenzen aus der
Schweizer Gesetzgebung gezogen werden müssten? Wird
zum Beispiel daran gedacht, Einheiten des Bundesgrenzschutzes vermehrt einzusetzen?
Ich hatte bereits gesagt, dass wir uns im entsprechenden Fall auf Präventionsund Fahndungsmaßnahmen von Zoll und Bundesgrenzschutz kaprizieren werden. Ich kann Ihnen auch mitteilen,
dass die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, die in
der betroffenen Grenzregion beheimatet ist und die die
speziellen Auswirkungen auf die Grenzregion genau
kennt, bereits Gespräche über die Frage führt, wie man im
entsprechenden Fall auf deutscher Seite reagieren könnte
und was man in Bezug auf bessere Aufklärung und besseren Schutz an der Grenze unternehmen kann.
Weitere Zusatzfragen
gibt es nicht. Vielen Dank, Frau Staatssekretärin.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Die
Fragen 6 und 7 werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums
der Finanzen auf. Zur Beantwortung steht Frau Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 8 des Abgeordneten Wolfgang
Dehnel auf:
Vergibt die Bundesregierung die für die Länder aus den
UMTS-Erlösen bereitgestellten Infrastrukturmittel direkt an Projekte, und werden die Prioritäten der Verteilung durch den Bund
oder von den Ländern festgelegt?
Frau Staatssekretärin, bitte.
Danke schön, Frau Präsidentin.
Herr Kollege Dehnel, Ausgaben für die Infrastruktur
im Rahmen des Zukunftsinvestitionsprogramms der Bundesregierung werden ausschließlich aus dem Einzelplan 12 des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen geleistet. Im Bereich der Einzelpläne
der Bundesministerien für Wirtschaft, für Umwelt sowie
für Forschung und Bildung werden keine Infrastrukturprojekte im engeren Sinne gefördert. Diese Mittel werden
vielmehr zur Intensivierung der Energieforschung, zur
Förderung der Genomforschung und regionaler Wachstumskerne bzw. für neue Akzente bei der Hochschulförderung und bei den beruflichen Schulen genutzt. Ebenfalls nicht zu den Infrastrukturmaßnahmen in diesem
Sinne gehören die Mittel des CO2-Minderungsprogramms der Bundesregierung.
Soweit nach den Infrastrukturprojekten im Verkehrswegebereich gefragt wird, ist zunächst das Ortsumgehungsprogramm hervorzuheben, das 125 namentlich
benannte Ortsumgehungsprojekte enthält. Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen haben dies in Umsetzung des vom Parlament verabschiedeten Bedarfsplanes so beschlossen. Die Umsetzung, etwa die jährliche
Dotierung der Maßnahmen und die Festlegung des jeweiligen Baubeginns, bleibt den Bund-Länder-Finanzierungsprogrammbesprechungen vorbehalten.
Die Schienenwegeinvestitionen als Schwerpunkt des
Zukunftsinvestitionsprogramms umfassen circa 40 000 Einzelmaßnahmen zur Netzsanierung, verteilt auf 22 Netzregionen. Die Aufstockung der Investitionsmittel dient
insbesondere der Sanierung und Modernisierung des
Oberbaus: Langsamfahrstellen sollen abgebaut, Leit- und
Sicherungstechniken erneuert sowie Brücken- und Tunnelbauten instand gesetzt werden. Darüber hinaus erlauben es die zusätzlichen Mittel, im Bau befindliche Vorhaben des Bedarfsplans Schiene zügiger fortzusetzen. Dabei
setzt die DBAG als selbstständiges Unternehmen die vom
Bund bereitgestellten Investitionsmittel weitgehend eigenverantwortlich ein.
Zusatzfrage eins.
Bitte sehr, Herr Kollege Dehnel.
Frau Staatssekretärin, ich habe Sie ganz konkret gefragt, inwieweit der Bund
Einfluss auf die Prioritätensetzung bei der Umsetzung
dieser Mittel nimmt, ob Sie zum Beispiel konkret Einfluss
darauf nehmen, welche Umgehungsstraßen in Sachsen
gebaut werden können oder ob das Land selbst festlegt,
welche Prioritäten dort zu setzen sind.
Herr Kollege Dehnel, ich
hatte Ihnen gesagt, dass wir schon 125 namentlich benannte Ortsumgehungsprojekte konkret definiert haben.
Zu denen gehören natürlich auch einige in Sachsen. Was
die Investitionen im Schienenbereich anbelangt, kommt
es - wie ich Ihnen eben abschließend auf Ihre Frage sagte
- auf die von der DB AG in eigener Verantwortung vorzuschlagenden Maßnahmen an. Das haben wir nicht konkret festgelegt. Aber bei Ortsumgehungen gibt es 125 festgelegte Projekte.
Nun kommt die
Frage 9 des Kollegen Dehnel:
Wie viele Mittel wurden bzw. werden für welche Projekte im
Freistaat Sachsen bewilligt?
Herr Kollege Dehnel, im
Ortsumgehungsprogramm sind im Freistaat Sachsen folgende Maßnahmen mit einem Volumen von insgesamt
150 Millionen DM zusätzlich zu den ohnehin eingeplanten Mitteln in Höhe von 187 Millionen DM aus den schon
bestehenden Hauptbautiteln konkret vorgesehen: B 180
Ortsumgehung Stollberg, B 95 Ortsumgehung Borna,
B 101 Ortsumgehung Meißen, zweiter Bauabschnitt, A 17
Ortsumgehung Dresden-Kesselsdorf, B 173 Ortsumgehung Mylau, B 92 Ortsumgehung Oelsnitz im Vogtland
und B 6 zwischen A 14 und Gerichshain, zweiter Bauabschnitt. Vier substanzerhaltende Brückenmaßnahmen
sind vorgesehen, unter anderem an der Friedensbrücke in
Plauen.
Zu den Schienenwegeinvestitionen kann ich noch
keine Aussagen machen. Das bezieht sich natürlich auf
Sachsen genauso wie auf das gesamte Bundesgebiet. Detailplanungen der DB AG sind nicht vor Mitte dieses Jahres zu erwarten.
Erste Zusatzfrage,
bitte sehr.
Ich möchte eine
Frage zur Höhe der Mittel stellen. Wird es aufgrund der
vorliegenden Haushaltslage irgendwelche Einschränkungen geben - zum Beispiel wollen das Verteidigungsministerium und das Verbraucherschutzministerium zusätzliche Mittel haben - oder sind die einmal festgelegten
Summen sichergestellt?
Diese Summen sind sichergestellt. Sie können ganz allgemein auf die Verlässlichkeit der Haushaltspolitik dieser Bundesregierung vertrauen.
Zweite Zusatzfrage.
Inwieweit war der
Bund an der Prioritätensetzung der von Ihnen soeben vorgenommenen Aufzählung beteiligt? Inwieweit war das
Land einbezogen? Haben beide zusammengearbeitet?
Die Länder waren insofern
einbezogen, als sie die Maßnahmen im Rahmen des Bundesverkehrswegeplans natürlich schon vorher - mit Priorität - angemeldet hatten. Wegen der beschränkten zur
Verfügung stehenden Mittel war die Umsetzung der Bauvorhaben bisher nicht vorgesehen, weil einfach nicht
genügend Geld da war. Mit dem zusätzlichen Geld - es ist
eine Menge; in Sachsen stehen, das ist sozusagen das originäre Geld, 187 Millionen DM zur Verfügung und
150 Millionen DM kommen dazu; das ist zwar nicht ganz,
aber fast eine Verdoppelung des originären Betrages kann einiges mehr gemacht werden.
Anhand der sowieso vorgelegten Prioritätenliste werden die Vorhaben nun rascher abgearbeitet; insofern waren die Länder beteiligt. Selbstverständlich konnten in das
Ortsumgehungsprogramm - schließlich soll es rasch wirken - nur diejenigen Maßnahmen aufgenommen werden,
für die das Planfeststellungsverfahren vollständig abgeschlossen war.
({0})
Nun rufe ich die
Frage 10 des Kollegen Klaus Hofbauer auf:
Welche Chancen sieht die Bundesregierung zu einer verstärkten Rückverlegung der Regionalpolitik bzw. Regionalförderung
von der EU-Ebene in die nationalen Zuständigkeiten?
Frau Staatssekretärin, bitte.
Herr Kollege Hofbauer,
mit der Vorlage des zweiten Berichts der Europäischen
Kommission über den wirtschaftlichen und sozialen
Zusammenhalt am 31. Januar 2001 ist die Diskussion über
die Zukunft der europäischen Strukturpolitik in einer erweiterten Europäischen Union von 27 Mitgliedstaaten
nach 2006 angelaufen. Im Rahmen dieser Diskussion
spielt auch die stärkere Rückverlegung von Kompetenzen
im Bereich der Regionalförderung auf die nationale
Ebene für die Bundesregierung eine wichtige Rolle.
Eine genauere, dem Subsidiaritätsprinzip entsprechende Kompetenzabgrenzung zwischen der EU und den
Mitgliedstaaten ist auch Thema der durch den Europäischen Rat in Nizza eingeleiteten Debatte über die Europäische Union. Die Meinungsbildung dazu in den anderen
Mitgliedstaaten hat allerdings gerade erst begonnen.
Eine Zusatzfrage,
Herr Kollege? - Bitte sehr.
Frau Staatssekretärin,
Sie wissen, dass im Rahmen der Verhandlungen nach Nizza auch ein Programm zur Förderung der Regionen in den
Beitrittsländern aufgelegt werden soll. Dieses Programm,
so wird von der EU signalisiert, soll nicht mit zusätzlichen
EU-Geldern ausgestattet werden. Können Sie sich vorstellen, dass in unserer Republik die Voraussetzungen gegeben sind, um ein solches Programm mit nationalen Mitteln auszustatten? Zum Beispiel ist geplant, die GA
aufzustocken bzw. zusätzliche Mittel zur Verfügung zu
stellen. Reichen die Vorgaben der EU aus, um dieses Programm mit Leben zu erfüllen? Schließlich wird es ohne
zusätzliches Geld nicht umsetzbar sein.
Herr Kollege Hofbauer, es
gibt unter den mittlerweile 15 Mitgliedstaaten der Europäischen Union eine schlüssige Verständigung darüber,
dass die Obergrenze der europäischen Mittel - 1,27 Prozent des Bruttoinlandsproduktes der Europäischen Union nicht überschritten werden wird. Natürlich wächst das
Bruttoinlandsprodukt mit; insofern sind die 1,27 Prozent
eine dynamische Größe. Selbstverständlich ist es so, dass
Länder auf die ihnen bis dahin zugeflossenen Strukturfördermittel - teilweise oder vollständig - werden verzichten
müssen, wenn im Zuge des Beitrittsprozesses weitere
Länder zur Europäischen Union hinzustoßen.
Das Wesen der Europäischen Union ist, dass diejenigen Länder, die Mitglied der Europäischen Union sind
oder werden, gleichsam an den Durchschnitt der Lebensverhältnisse in der Europäischen Union herangeführt werden. Das bedeutet: Wenn jemand schon länger dabei ist
und diesen Durchschnitt bereits erreicht hat, dann wird er
in Zukunft auf Strukturfördermittel verzichten müssen,
weil diese in die neuen Mitgliedstaaten fließen müssen.
Eine weitere Zusatzfrage? - Bitte sehr.
Frau Staatssekretärin,
ich möchte nachfragen. Es geht darum, dass nationale
Programme ausgebaut werden müssen, um diese Programme für die Länder entlang der Grenze zu den Beitrittsländern mit Leben zu erfüllen. Es wird ja in Kürze ein
erster Entwurf vorgelegt, wie dieser Beschluss von Nizza
umgesetzt werden soll. Das hat zur Folge, dass verstärkt
nationale Gelder eingesetzt werden müssen, wenn EUGelder nicht zur Verfügung stehen.
Sie haben gerade schon die
Bedingung „wenn EU-Gelder nicht zur Verfügung stehen“ genannt. Sie wissen natürlich, dass die Regionen, die
jetzt noch an der Außengrenze der Europäischen Union
liegen - beispielsweise Teile des Freistaates Sachsen und
des Freistaates Bayern oder Teile von Brandenburg und
Mecklenburg-Vorpommern -, in neue Förderprogramme
aufgenommen werden, die es bis jetzt noch nicht gab, weil
die so genannten Interreg-Fördermittel - das sind Mittel
aus einem EU-Förderprogramm - zielgerichtet gerade in
den Regionen eingesetzt werden, wo nach der Erweiterung eine neue Binnengrenze entsteht. Ich kann also im
Vorhinein nicht sagen, ob Ihre Vermutung richtig ist, dass
dann EU-Mittel nicht zur Verfügung stehen.
Im Übrigen mag es so sein, dass zum Beispiel im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur Schwerpunkte der Förderung verlagert werden müssen. Dies bleibt aber dem
Planungsausschuss des Bundes und der Länder zur Verteilung der Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe vorbehalten.
Die Frage 11 wird
schriftlich beantwortet.
Damit sind wir am Ende des Geschäftsbereichs des
Bundesministeriums der Finanzen. Vielen Dank, Frau
Staatssekretärin.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft. Der Parlamentarische Staatssekretär
Dr. Gerald Thalheim steht zur Beantwortung der Fragen
zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 12 des Kollegen Helmut Heiderich
auf:
Wann beabsichtigt die Bundesregierung entsprechende rechtliche Regelungen zur Feststellung eines Schwellenwertes für den
zufälligen Besatz von konventionellem Saatgut mit GVO-Bestandteilen ({0}) zu
schaffen vor dem Hintergrund der jährlich wieder neu aufflammenden Debatten um die angebliche „Verunreinigung von Saatgut“ sowie in Befolgung der Empfehlungen der Wissenschaftler
in dem Sachstandsbericht des Büros für Technikfolgenabschätzung ({1}) „Risikoabschätzung und Nachzulassung-Monitoring
transgener Pflanzen“ vom November des Jahres 2000?
Herr Staatssekretär, bitte.
Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft: Sehr geehrter Herr Kollege Heiderich,
die saatgutrechtlichen Regelungen bieten ebenso wie das
Gentechnikrecht derzeit national keinen Spielraum, Toleranzwerte für Verunreinigungen von Saatgut mit gentechParl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks
nisch veränderten Organismen, so genannten GVOs, festzulegen. Dafür müssen zunächst auf europäischer Ebene
die Voraussetzungen im Saatgutbereich geschaffen und
im Rahmen der novellierten Freisetzungsrichtlinie entsprechende Durchführungsvorschriften zur Festlegung
von Schwellenwerten für die Kennzeichnung erlassen
werden.
Die Kommission hat aktuell für den Bereich des Saatgutrechts ein inoffizielles Arbeitspapier vorgelegt, das Toleranzwerte für Verunreinigungen mit in der EU zugelassenen Konstrukten enthält. Unter Berücksichtigung des
Schwellenwertes bei Novel Food, der 1 Prozent beträgt,
wurde für Selbstbefruchter, wie zum Beispiel Mais, ein
Wert von 0,5 Prozent und für Fremdbefruchter, wie zum
Beispiel Raps, ein Wert von 0,3 Prozent vorgeschlagen.
Derzeit ist nicht absehbar, wann die Kommission einen
offiziellen Regelungsvorschlag unterbreiten wird. Sobald
Vorschläge hierzu vorliegen, wird die Bundesregierung
nach sorgfältiger Prüfung ihre Haltung festlegen.
Für in der EU nicht zugelassene Konstrukte sieht das
Kommissionspapier entsprechend der geltenden Rechtslage keine Toleranzwerte vor. Daraus ergibt sich vor allem
bei der Einfuhr von Saatgut eine besondere Problematik.
Die in Schleswig-Holstein Ende April von der Umweltbehörde Hamburg festgestellten Verunreinigungen mit
GVOs in zwei Maissaatgutpartien aus importiertem Saatgut waren durch nicht zugelassene Konstrukte - wie zum
Beispiel in einer Probe durch das Konstrukt Bt 176, dessen gentechnikrechtliche Genehmigung auf Forschungsund Beobachtungszwecke beschränkt ist - verursacht
worden. Ein unmittelbarer Bezug der Festsetzung von
Schwellenwerten zu dem in der Frage erwähnten Sachstandsbericht des Büros für Technikfolgenabschätzung
wird nicht gesehen.
Zusatzfrage? - Bitte
sehr, Herr Kollege.
Herr Staatssekretär,
hat die Bundesregierung eigene Bemühungen in Form
von wissenschaftlichen Gutachten oder anderen Überlegungen zu dem Thema „Schwellenwerte“ unternommen,
um dieses in die Diskussion auf der europäischen Ebene
mit einzubringen?
Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft: In dieser Richtung wurde bisher nichts
unternommen. Es gibt an der Stelle auch keinen Handlungsbedarf; denn wie in meiner Antwort dargestellt, ist
die entscheidende Frage: Handelt es sich überhaupt um
Konstrukte, die in der Europäischen Union zugelassen
sind? Das Problem bei dem Fall in Schleswig-Holstein
besteht ja am Ende darin, dass es sich um Konstrukte, also
gentechnisch veränderte Organismen, handelt, für die es
in der Europäischen Union und auch in der Bundesrepublik Deutschland überhaupt keine Zulassung gibt. Deshalb kann die Forderung nur lauten, gar keine Toleranz
zuzulassen.
Zusatzfrage zwei.
Sie haben eben davon gesprochen, dass es auf der europäischen Ebene den
Entwurf für eine Durchführungsrichtlinie gibt. Hat die
Bundesregierung die Absicht, diese Durchführungsrichtlinie, wenn sie denn verabschiedet ist, sofort in nationales Recht umzusetzen?
Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft: Wie ich in meiner Antwort dargestellt
habe, muss die Richtlinie erst einmal auf dem Tisch liegen. Dann wird die Bundesregierung dazu Position beziehen. Ich gehe davon aus, dass wir dann, wenn es zu einer
Verabschiedung auf europäischer Ebene kommt, auch
sehr schnell eine entsprechende Verordnung in Deutschland erlassen werden, weil es natürlich auf diesem Gebiet - das zeigen die Vorgänge in Schleswig-Holstein Handlungsbedarf gibt.
Nun kommt die
Frage 13 des Kollegen Helmut Heiderich:
Hat die Bundesregierung für die Beurteilung der Frage, ob ein
Saatgut „verunreinigt“ ist oder nicht, bereits entsprechende Verfahren der Probenahme und der Analyse festgelegt und für eine
objektive Ergebnisermittlung entsprechende Referenzlabors anerkannt, oder wann beabsichtigt sie dieses zu tun vor dem Hintergrund der Tatsache, dass verschiedene Proben derselben Partien
von Saatgut einmal keinerlei „Verunreinigungen“, ein andermal
Geringstspuren aufgezeigt haben und somit die Ergebnisse stark
vom Zufall abhängig sind und sich im Bereich der Nachweisgrenze bewegen?
Herr Staatssekretär, bitte.
Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft: Herr Kollege Heiderich, die Überwachung der Bestimmungen des Gentechnikrechts ist nach
§ 25 Abs. 1 des Gesetzes zur Regelung der Gentechnik
Aufgabe der Länder. Im Rahmen dieser Überwachungstätigkeit ist die Analyse von Stichproben zum Nachweis
gentechnischer Veränderungen sowie zur Charakterisierung und Identifizierung von gentechnisch veränderten
Organismen unverzichtbar. Zurzeit steht hierfür nur ein
begrenztes Spektrum an standardisierten Untersuchungsverfahren zur Verfügung. Dies trifft insbesondere für
quantitative Analysen zu und erschwert insoweit eine
Aussage über den Grad der Verunreinigung.
Die Länderbehörden arbeiten bei der Methodenentwicklung zusammen. Die Erfahrungen aus der Lebensmittelüberwachung und die für diesen Bereich bereits etablierten Methoden werden dabei auch für den Vollzug des
Gentechnikrechts genutzt. Um bei den Untersuchungen
von konventionellem Saatgut auf Verunreinigungen mit
GVOs möglichst vergleichbare Ergebnisse erreichen zu
können, wird ein einheitliches methodisches Vorgehen
in den Ländern angestrebt. Hierzu wurde ein Konzept
für ein einheitliches Vorgehen bei der experimentellen
gentechnischen Überwachung von GVO-Anteilen in
Parl. Staatssekretär Dr. Gerald Thalheim
konventionellem Saatgut entwickelt. Die für das Gentechnikrecht zuständigen Länderbehörden werden bei der
Überwachung von den für das Saatgutrecht zuständigen
Länderdienststellen unterstützt. So wird die Probenahme
in der Regel von den Saatgutverkehrskontrollstellen nach
der Probenehmer-Richtlinie der Arbeitsgemeinschaft für
landwirtschaftliches Saat- und Pflanzgut in Amtshilfe
vorgenommen.
Referenzlabors wurden bislang noch nicht eingerichtet. Aus Sicht der Bundesregierung empfiehlt es sich,
diesbezüglich auch die Ergebnisse und Empfehlungen der
von der Kommission eingesetzten Arbeitsgruppe „Methoden zum Nachweis von Verunreinigungen durch gentechnisch veränderte Organismen in konventionellem Saatgut“ abzuwarten.
Alles klar? - Zusatzfrage eins, bitte sehr.
Herr Staatssekretär,
habe ich Sie richtig verstanden, dass die Bundesregierung
derzeit nicht die Absicht hat, solche einheitlichen standardisierten Verfahren zu entwickeln, und sich auch nicht
an der Entwicklung beteiligt?
Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft: Sie interpretieren meine Aussage falsch.
Zuständig sind die Länder. Das ist als Erstes festzuhalten.
Die Länder bemühen sich gegenwärtig in Arbeitsgruppen,
sich auf einen einheitlichen Standard bei den Analysemethoden, dem Probenahme-Verfahren und am Ende auch
der Einrichtung von Referenzlabors zu verständigen.
Natürlich stellen an der Stelle die ungeheure Dynamik der
Entwicklung und die Schwierigkeit, im Grenzbereich
- davon reden wir ja, denn die Nachweisgrenze beträgt
0,1 Prozent - quantitative Aussagen über die Verunreinigung mit GVOs machen zu können, Probleme dar.
Zusatzfrage zwei.
Habe ich Sie eben
richtig verstanden, dass Sie in Ihren Ausführungen erklärt
haben, dass die bisherigen Verfahren nicht als standardisierte Verfahren bezeichnet werden können und die bisherigen Ergebnisse doch sehr stark davon abhängig waren, wo sie gerade erhoben bzw. welche Verfahren
durchgeführt worden sind?
Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft: Das Problem - so ist meine Antwort zu
verstehen - stellt sich insbesondere für die quantitative
Analyse. Bei dem Fall in Schleswig-Holstein, der die Diskussion ausgelöst hat, ging es um die Frage, ob überhaupt
Konstrukte in dem Saatgut vorhanden waren, also nicht
um eine quantitative Aussage, sondern um die Frage des
Ob. Dafür sind die Methoden vorhanden. Hier war eine
zweifelsfreie Aussage möglich. Aber ich wiederhole: Das
Bemühen der Länder ist, zu einer Vereinheitlichung der
Verfahren und vor allem der Probenahmen zu kommen,
was insbesondere bei der Probenahme nicht schwierig ist,
da das Saatgutverkehrsgesetz vorgibt, wie so etwas zu erfolgen hat.
Vielen Dank, Herr
Staatssekretär Thalheim.
Die Fragen 14 und 15 werden schriftlich beantwortet.
Damit haben wir die Fragen zu Ihrem Geschäftsbereich
abgearbeitet.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Zur Beantwortung steht
die Parlamentarische Staatssekretärin Brigitte Schulte zur
Verfügung.
Die Fragen 16, 17, 18 und 19 werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe nun die Frage 20 des Kollegen Wolfgang
Gehrcke auf:
Warum hat der Bundesminister der Verteidigung, Rudolf
Scharping - wie aus einem Artikel in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom 22. März 2001 zu schlussfolgern ist -, einen
Antrag auf einstweilige Verfügung gegen die WDR-Sendung „Es
begann mit einer Lüge“ vom Februar 2001 zurückgezogen?
Frau Staatssekretärin, bitte.
Herr Kollege Gehrcke, die kritische öffentliche Reaktion auf den Film des WDR hat gezeigt, dass die notwendige Auseinandersetzung auf breiter
Ebene stattgefunden hat. Rechtliche Schritte wären deshalb nach Einschätzung des Bundesministeriums der Verteidigung weniger hilfreich gewesen, zumal Bundesminister Scharping als Person nicht antragsberechtigt war.
Zusatzfrage, Herr
Kollege.
Frau Staatssekretärin,
zunächst freue ich mich, dass Sie die Fragen beantworten.
Könnten Sie mir Auskunft geben, in welchem Umfang
Rechtsanwaltskosten für die Prüfung, ob eine einstweilige
Verfügung beantragt wird oder nicht, entstanden sind und
wer die Kosten letztendlich tragen muss - der Steuerzahler über den Haushalt oder wer?
Herr Kollege Gehrcke, es
sollte Ihnen bewusst sein, dass sich unter den 137 000 zivilen Mitarbeitern der Bundeswehr ein nicht unbeträchtlicher Teil an Juristen befindet. Über Kosten, die außerhalb des Hauses angefallen sind, ist mir nichts bekannt.
Noch eine Zusatzfrage, bitte sehr.
Parl. Staatssekretär Dr. Gerald Thalheim
Dann kann ich davon ausgehen, dass die Informationen, die mir zugänglich gemacht worden sind, nämlich dass 15 000 DM Rechtsanwaltskosten und über 100 000 DM Recherchekosten
angefallen sind, nicht richtig sind?
Das kann ich mir überhaupt
nicht vorstellen. Aber ich bin sehr gern bereit, das zu prüfen, wenn Sie mir Ihre Quelle nennen. Dann können wir
auch feststellen, wer diese Zahl entdeckt hat.
Nun kommt die
Frage 21 des Kollegen Gehrcke:
Auf welche Art hat die Bundesregierung im Zusammenhang
mit dieser Sendung eigene Recherchen angestellt?
Frau Staatssekretärin, bitte.
Herr Kollege, es dürfte auch
Ihnen nicht verborgen geblieben sein, dass am Anfang des
Kosovo-Konflikts leider schwerste Menschenrechtsverletzungen durch die jugoslawischen Sicherheitskräfte auf
Weisung des damaligen Präsidenten Milosevic standen,
die über Jahre hinaus ausgeführt wurden und Anfang 1999
ihren Höhepunkt fanden. Sie wissen auch genau, dass gerade in der fraglichen ARD-Sendung die Bilder ausgespart worden sind, die den Beweis dafür erbracht haben
- deswegen auch die Empörung über den Bericht - und
die letzten Endes auch dazu geführt haben, dass nicht nur
die Bundesrepublik Deutschland, sondern auch andere
Staaten ein militärisches Eingreifen für notwendig hielten, um nicht noch größere Menschenrechtsverletzungen
zuzulassen.
Zusatzfrage, bitte
sehr.
Frau Staatssekretärin,
das, was Sie mir geantwortet haben, ist mir, einschließlich
des Falles von Menschenrechtsverletzungen, für die das
Regime Milosevic verantwortlich gewesen ist, durchaus
bekannt. Danach hatte ich nicht gefragt. Was ich kenne,
muss ich nicht unbedingt erfragen. Ich hatte gefragt, ob im
Zusammenhang mit dem Filmbericht spezielle Recherchen im Kosovo vorgenommen worden sind.
Vor dem Filmbericht hat sich
die Bundesregierung im Rahmen ihrer Entscheidung, die
sie auch dem Bundestag vorgelegt hat, sorgfältig über die
Lage im Kosovo informiert. Ich könnte Ihnen jetzt in der
Tat eine ganze Reihe von Fakten nennen, die Sie auch
kennen. Ich weiß das, deswegen tue ich das nicht. Diese
Ereignisse beginnen bereits vor 1999. Dies ist auch der
Vorwurf an die Sendung, dass sie all diese nachgewiesenen Fakten ausgespart hat. Deswegen mussten wir nicht
anschließend noch eigene Recherchen anstellen. Wir
wussten ja, angesichts welcher Fakten es zu dieser Entscheidung gekommen ist. Ich bin sehr gern bereit, Ihnen
das alles noch einmal vorzutragen.
Ich bedanke mich
nochmals - man wird ja auch dadurch klüger, dass Sachen
wiederholt werden -, dass Sie nur das wiederholen, was
mir schon bekannt ist, was uns allen hier bekannt war. Ich
hatte aber gezielt nach Recherchen im Zusammenhang
mit dem Filmbericht gefragt. Wenn Sie sagen, die Bundesregierung habe gar nicht erst recherchieren müssen,
weil sie schon alles gewusst habe, frage ich mich, warum
Sie sich nicht deutlicher und klarer, auch unter Nutzung
aller rechtlichen Möglichkeiten, mit dem Filmbericht auseinander gesetzt haben.
Herr Kollege, das ist
jetzt eher eine Intervention; außerdem ist es schon Ihre
dritte Frage und damit ohnehin an der Grenze.
Entschuldigung. - Meine
Frage: Gab es nach Erscheinen des Filmberichtes gezielt
spezielle Recherchen?
Der Filmbericht hat nicht nur
das Bundesverteidigungsministerium entsetzt. Ich habe
ihn zufällig an dem Abend gesehen. Ich muss sagen: Bei
einer so einseitigen Darstellung brauchten wir, nach all
den Erfahrungen, die wir gemacht haben, im Grunde
keine zusätzlichen Recherchen, um festzustellen, dass
hier einwandfrei Manipulation betrieben worden ist.
Nun gehöre ich zu jenen langjährigen Abgeordneten,
die der Meinung sind, dass wir es in einer freien Gesellschaft ertragen können, wenn Medien Falschdarstellungen vornehmen. Aber in diesem Fall war die Empörung so
groß, weil immerhin auch eine ganze Reihe von Soldatinnen und Soldaten aus der Bundesrepublik Deutschland
geholfen hatten, den Konflikt wieder einzuschränken.
Das sollten wir bei der ganzen Diskussion um diesen
Film nicht vergessen: Innerhalb der Sendung ist ein Zusammenhang dargestellt worden, der meiner Meinung
nach nicht korrekt war. Dass sich das Verteidigungsministerium daraufhin geäußert hat - es haben sich Gott
sei Dank auch eine Reihe von Kolleginnen und Kollegen
des Hohen Hauses dazu geäußert -, halte ich für richtig
und notwendig. Auf der anderen Seite empfehle ich uns
immer eine größere Gelassenheit im Umgang mit den Medien. Ich glaube, die Bürger sind in der Beurteilung sehr
viel klüger.
Herr Kollege Erler
hat eine Zusatzfrage.
({0})
Frau Staatssekretärin, können
Sie bestätigen, dass dem Bundesverteidigungsministerium eine ganze Reihe von Aussagen, zum Teil an Eides
statt geleistet, vorliegen, aus denen hervorgeht, dass die
Zeugen entweder falsch wiedergegeben werden oder dass
sie mit Äußerungen zitiert werden, ohne dass parallel gemachte Äußerungen, die der wiedergegebenen Äußerung
widersprechen, erwähnt werden, und dass in diesem Film
auch aus dem Zusammenhang gerissene Teile von Interviews mit ihnen auftauchen?
Herr Kollege Erler, das will ich
Ihnen ausdrücklich bestätigen. Es ist positiv, dass sich einige sofort von sich aus gemeldet haben, weil sie über das,
was in dem Filmbericht dargestellt worden ist, relativ entsetzt waren; denn sie wollten ja eigentlich helfen.
Damit kommen wir zu
Frage 22 des Kollegen Werner Siemann nach der Studierfähigkeit bzw. -eignung von Offiziersanwärtern:
Wie vielen Offiziersanwärtern wurde in den letzten drei Jahren durch die Offizierprüfzentrale eine uneingeschränkte Studierfähigkeit, eine eingeschränkte Studierfähigkeit und keine Studieneignung attestiert und wie viele dieser Offiziersanwärter wurden
zum Studium zugelassen?
Herr Kollege Siemann, die unterschiedlichen Offiziersverwendungen sehen überwiegend einen Ausbildungsgang mit Studium, für bestimmte
Bewerbergruppen und Verwendungen aber auch ohne
Studium vor. Sie selbst wissen, dass wir vor allen Dingen
jene länger - zwölf Jahre - dienenden Zeitsoldaten bzw.
diejenigen, die Berufsoffiziere werden wollen, nach Möglichkeit mit einem abgeschlossenen Hochschulstudium
einstellen bzw. sie dieses Studium bei uns erhalten sollen.
Die Offiziersbewerberprüfzentrale hat jedes Jahr circa
10 000 Offiziersbewerbungen. Von diesen eignen sich
80 Prozent allein daher, dass sie den formalen Abschluss
des Abiturs haben.
Dennoch haben wir in der Offiziersbewerberprüfzentrale die Erfolgswahrscheinlichkeit dieser Bewerber in
den gewünschten Studiengängen geprüft. Dabei unterscheiden wir drei Stufen: Die erste Stufe umfasst die Empfohlenen, von denen wir glauben, dass sie nicht nur die
Offiziersausbildung, sondern auch das Studium erfolgreich abschließen können. In der zweiten Stufe sind die
mit Einschränkung Empfohlenen; die Bewerber in der
dritten Stufe werden nicht empfohlen, was ein bisschen
problematisch ist, wenn sie das Abitur haben.
Die Feststellung, dass trotz vorhandener Bildungsvoraussetzungen „keine Studieneignung“ vorliegt, wird aber
nicht getroffen. Es wird nur gesagt: nicht empfohlen. Die
Kategorisierung wird vorgenommen, um in Verbindung
mit der allgemeinen Offizierseignung Entscheidungskriterien für die Vergabe begrenzter Studienkapazitäten zu
haben.
In den letzten drei Jahren wurden im Ausbildungsgang
mit Studium für den Truppen- und Sanitätsdienst eingestellt:
1998: 1 643 Offiziersanwärter, Frauen und Männer.
Davon hatten 622 die Studienempfehlung Stufe 1, 1 021
Stufe 2, also mit Beschränkung empfohlen.
Im Jahr 1999 hatten wir eine ähnliche Zahl, nämlich
1 649 Offiziersanwärter. Davon hatten 483 Offiziersanwärter die Studienempfehlung Stufe 1, 1 110 Stufe 2 und
56 Stufe 3. Letztgenannte sind aber diejenigen, die wahrscheinlich nicht für ein Studium infrage kommen.
Im Jahr 2000 hatten wir 1 681 Offiziersanwärter, davon
mit Studienempfehlung, also mit Stufe 1, 430, mit Stufe 2
1 122 und mit Stufe 3 129.
Eine Nachfrage des
Kollegen Siemann.
Frau Staatssekretärin,
die Zahlen, die Sie genannt haben, lassen erkennen, dass
sich die Anzahl derjenigen, die der Stufe 3 angehören, erhöht hat. Kann man davon ausgehen, dass diesen Soldaten
aufgrund von Bewerberengpässen vermehrt eine Studieneignung zuerkannt werden wird, obwohl man weiß, dass
sie für ein Studium nicht qualifiziert sind?
Als mir Ihre schriftlich eingereichte Frage und die entsprechende Antwort vorgelegt
wurden, habe ich genau die gleiche Frage gestellt und
habe dann zu meinem Interesse gehört, dass die Art und
Weise der Beurteilung, ob diese Soldaten wirklich ein
Studium abschließen können, im Rahmen der Studienempfehlung überarbeitet wird. Ich habe gefragt: Tut ihr
das, weil ihr nicht mehr genügend entsprechend qualifiziertes Personal bekommt? Darauf wurde geantwortet:
Nein, sondern deshalb, weil die Beurteilungskriterien dahin gehend, wer den Hochschulabschluss wirklich schaffen will, erst jetzt erarbeitet worden sind. - Ich bin sehr
gespannt auf die zukünftige Entwicklung. Herr Kollege,
ich bin gerne bereit, Sie darüber zu unterrichten.
Unter diesen 129 Offiziersanwärtern sind auch Personen, von denen wir glauben, dass sie als Zeitsoldaten für
ein Studium geeignet sind, die aber kein Interesse daran
haben, ein Studium abzuschließen. Da muss man abwarten.
Ich habe ähnlich wie Sie gefragt, ob es nicht genug Offiziersanwärter mit Studieneignung gibt. Da wurde geantwortet: Nein, es gibt ja in der Stufe 2 1 222 Offiziersanwärter; da sind wir in der Beurteilung hinsichtlich der
Studieneignung vorsichtiger. Damit haben wir eine ausreichende Zahl; denn wir brauchen in jedem Jahr etwa
1 400. - Bei den anderen handelt es sich, wenn Sie so wollen, um Personen, die ganz gezielt auf ein Studium verzichten.
Eine zweite Nachfrage des Kollegen Siemann.
Frau Staatssekretärin,
Sie hatten zu Beginn Ihrer Ausführungen, wenn ich das
richtig in Erinnerung habe, von 10 000 Bewerbern pro
Jahr gesprochen. Haben Sie konkrete Erkenntnisse dahin
gehend, dass diese Bewerberzahlen in den vergangenen
Jahren deutlich zurückgegangen sind, und gibt es eine Begründung dafür?
Das habe auch ich mich gefragt, als ich die Ergebnisse gesehen habe. Ich will Ihnen
ja, wie Sie wissen, eine vernünftige Auskunft geben.
({0})
Nein, auch das ist nicht zutreffend. Um Ihnen noch
weiter entgegenzukommen, habe ich mir einmal die Zahlen der Jahre von 1991 bis 1999/2000 angesehen und dabei festgestellt, dass es hinsichtlich der Einstellung Unterschiede gibt. Einen Tiefstand an Offizierseinstellungen
haben wir zum Beispiel in den Jahren 1993 und 1994 gehabt. Da erfolgte ja die Auflösung der Armee der ehemaligen DDR bzw. die Zusammenführung der beiden Armeen und da bestand die Frage, wie groß der Bedarf ist.
Den höchsten Bedarf haben wir interessanterweise 1997
gehabt, und zwar deshalb, um die früheren niedrigeren
Zahlen ein Stück auszugleichen.
Ich sehe da eigentlich eine Kontinuität. Denn wir hatten im Jahre 1998 1 788, im Jahre 1999 1 825 und im
Jahre 2000 sogar 1 866 Offizierseinstellungen. Ein Rückgang der Bewerberzahlen ist also zum jetzigen Zeitpunkt
nicht festzustellen.
Ich verhehle allerdings nicht, dass ich wie Sie die
Sorge habe, dass ein solcher Rückgang aufgrund der besseren wirtschaftlichen Bedingungen und der schwächeren
Geburtenjahrgänge drohen kann. Aber es gibt dafür keinen Nachweis. Das kann ich nach den Nachforschungen,
die ich extra betrieben habe, feststellen.
Damit kommen wir
zur Frage 23 des Kollegen Siemann, zur Frage nach dem
Sachstand hinsichtlich der Einführung der Softwareprogramme in die Bundeswehr:
Wie ist der Sachstand hinsichtlich der Einführung der Softwareprogramme SAP/SASPF in die Bundeswehr, und wie ist der
Sachstand einer möglichen Übernahme von Teilprojekten des ITDirektors bzw. des IT-Amtes durch die Gesellschaft für Entwicklung, Beschaffung und Betrieb?
Bitte schön.
Herr Präsident, nicht des Bundestages.
Ich habe gesagt: in die
Bundeswehr.
Ja, das ist richtig. Ich habe ja
nur daran gedacht, dass wir das alles auch einmal im Bundestag ändern sollten.
Herr Kollege Siemann, die Strategie der Einführung
für eine Produktfamilie einer Standardanwendungssoftware - das, Herr Präsident, war der Grund dafür, warum
ich an den Bundestag gedacht habe - für die Bundeswehr,
abgekürzt SASPF, in deren Zentrum die weltweit verbreitete betriebswirtschaftliche Standardsoftware SAP R/3
der Firma SAP AG steht, wurde durch die Leitung des
Bundesministeriums der Verteidigung am 31. Oktober
2000 gebilligt. Vorangegangen war dem ja die Tatsache,
dass so viele unterschiedliche Softwareentscheidungen
und -regelungen bestanden.
Die Realisierung wurde als Teil des Pilotprojektes „Betrieb von administrativen Rechenzentren der Bundeswehr
und Einführung von SASPF“ aus dem Rahmenvertrag
„Innovation, Investition und Wirtschaftlichkeit in der
Bundeswehr“ vom 15. Dezember 1999 angewiesen. Für
die Ausschreibung dieses Pilotprojektes, das zusammen
mit den Pilotprojekten „Herstellung eines leistungsfähigen
Kommunikations- und Datennetzes für die Bundeswehr“
und „Ausbau und Aufbau der IT-Liegenschaftsnetze“ vergeben werden soll, wird derzeit eine Leistungsbeschreibung fertig gestellt. Der öffentliche Teilnahmewettbewerb
soll im nächsten Monat beginnen. Das Vergabeverfahren
soll im Jahr 2002 noch vor der parlamentarischen Sommerpause abgeschlossen werden.
Intern wird zurzeit die Programmorganisation SASPF
aufgebaut, in der Bedarfsdecker, Bedarfsträger und Industrie gemeinsam für die Umsetzung der fachlichen Anforderungen der Nutzer und der Prozesse verantwortlich sein
werden. Daneben werden Vorarbeiten im Bereich des betrieblichen Rechnungswesens und der Datenkonzeption
durchgeführt sowie die für eine prozessorientierte Software wie SAP R/3 erforderlichen Sollprozesse und fachlichen Abläufe definiert und für die Abbildung in SAP R/3
festgeschrieben. In ausgewählten Bereichen der Hauptprozesse Personal und Logistik werden darüber hinaus
unter Einbeziehung der Nutzer in verschiedenen Dienststellen Erprobungen vorbereitet bzw. durchgeführt.
Entsprechend der gebilligten Vorhabenplanung wird
die erste Entwicklungsstufe SASPF, in der etwa 60 bis
70 Prozent der erforderlichen Funktionalitäten abgebildet
werden sein sollen, 2003 abgeschlossen und danach in
den Dienststellen eingeführt werden. Der Abschluss des
Gesamtprojektes - deswegen sage ich Ihnen das so ausführlich - ist bis 2007 vorgesehen.
Der Auftrag der Gesellschaft für Entwicklung, Beschaffung und Betrieb, kurz: GEBB, ist im Vertrag zwischen dem Bundesministerium der Verteidigung und der
Gesellschaft vom 12. Dezember 2000 festgelegt. Danach
hat die GEBB im Geschäftsbereich IT kurzfristig „Vorschläge zur Optimierung der gesellschaftsrechtlichen
Konstruktion für den Betrieb der Liegenschafts- und
Weitverkehrsnetze, der IT-Rechenzentren und zur Einführung von SAP R/3“ zu machen. Dieser Auftrag ist
weitgehend abgearbeitet.
Die Übernahme von Teilprojekten des IT-Direktors
bzw. IT-Amtes durch die GEBB ist nicht vorgesehen.
Kollege Siemann.
Ich habe eine Zusatzfrage zur GEBB, die hier angesprochen worden ist. Frau
Staatssekretärin, trifft es eigentlich zu, dass die GEBB
bisher durch den Verkauf von Teilen des Bundeswehrkrankenhauses Gießen Erlöse von 27 Millionen DM erzielt hat, wobei dieser Verkauf nicht auf Aktivitäten der
GEBB zurückzuführen ist, und diese Erlöse in Aktien angelegt worden sind?
Herr Kollege Siemann, Sie haben
Ihre Frage eben selbst beantwortet. Nicht die GEBB, sondern die Bundesvermögensverwaltung hat das Krankenhaus Gießen für 27 Millionen DM verkauft. Wie kann dann
die GEBB das Geld in Aktien anlegen? Das bekommen der
Finanzminister und der Verteidigungsminister für die weiteren Investitionen.
Hat die GEBB in keinem Fall - das ist die zweite Frage
Ja.
- Erlöse, die sie erzielt hat, in Aktien angelegt?
Es ist mir zu diesem Fall nichts
darüber bekannt, dass die Erlöse in Aktien angelegt wurden.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bauund Wohnungswesen.
Die Fragen 24 und 25 werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe Frage 26 auf - Kollege Peter Weiß fragt nach
der Tagesordnung des deutsch-französischen Gipfeltreffens am 12. Juni 2001 -:
Werden auf der Tagesordnung des deutsch-französischen Gipfeltreffens am 12. Juni 2001 in Freiburg im Breisgau auch Themen
der deutsch-französischen Zusammenarbeit stehen, die die Region am Oberrhein unmittelbar betreffen, wie zum Beispiel die
Forderung nach einer rechtlichen Trinationalisierung des EuroAirports Basel-Mulhouse-Freiburg, die Verknüpfung des TGV
Rhin-Rhône und des TGV Européen Est mit dem deutschen Schienennetz?
Bitte schön.
Sehr geehrter Herr Kollege Weiß, die Verknüpfung des TGV
Rhein-Rhone und des TGV Est mit dem deutschen Schienennetz sowie die Trinationalisierung des Flughafens Basel-Mülhausen-Freiburg sind als Themen für das deutschfranzösische Gipfeltreffen am 12. Juni dieses Jahres nicht
vorgesehen.
Eine Nachfrage.
Herr
Staatssekretär, nachdem der Ministerpräsident des Landes
Baden-Württemberg, Erwin Teufel, und mehrere Landräte in schriftlicher Form sowie der Oberbürgermeister
der Stadt Freiburg und der Bürgermeister der Stadt Mulhouse auch in persönlicher Vorsprache am 11. April bei
Abteilungsleiter Steiner aus dem Bundeskanzleramt die
Bitte vorgetragen haben, dass die eben genannten Themen
Gegenstand der Besprechung auf dem deutsch-französischen Gipfel am 12. Juni in Freiburg werden, möchte ich
Sie fragen: Sind denn diese Vorstellungen der Repräsentanten des betreffenden Bundeslandes und der Region auf
so taube Ohren gestoßen, dass man es nicht für nötig befunden hat, wenigstens ein paar Minuten zur Erörterung
dieser regionalen Themen beim deutsch-französischen
Gipfel vorzusehen?
Sehr geehrter Herr Weiß, es hat eine Reihe von Anfragen im
Kanzleramt gegeben, die zum Ziel hatten, Themen, wie
Sie sie jetzt eben angesprochen haben, auf die Tagesordnung des deutsch-französischen Gipfeltreffens zu setzen.
Sie sind mit den Briefeschreibern ausführlich behandelt
worden. Dabei ist dargelegt worden, dass es der gegenwärtige Stand dieser Projekte nicht erlaubt, dies auf einer
dermaßen hohen Ebene zu bearbeiten.
Was die Frage der Verbindung der Hochgeschwindigkeitsnetze betrifft, so sind gegenwärtig Arbeitsgespräche zwischen der Deutschen Bahn und der SNCF im
Gange. Diese Gespräche sollen die Projekte nach vorn
bringen. Die Absichtserklärungen dafür liegen vor. Es
geht hierbei auch darum, diese Projekte in den neuen Bundesverkehrswegeplan aufzunehmen. Bevor solche Entscheidungen nicht getroffen worden sind, lohnt sich ein
Gespräch auf dieser Ebene nicht.
Ähnlich verhält es sich mit dem Flughafen BaselMulhouse-Freiburg. Wir unterstützen dieses Projekt.
Gleichwohl ist das Land Baden-Württemberg bis dato
nicht bereit, sich mit finanziellen Eigenbeteiligungen für
ein solches Projekt zu engagieren. Damit fehlen die Voraussetzungen, auf einer solchen Ebene dieses Projekt zu
behandeln.
Eine zweite Nachfrage.
Herr
Staatssekretär, es besteht ja großes Verständnis dafür, dass
ein solcher deutsch-französischer Gipfel nicht nur in einer
der Hauptstädte stattfindet, sondern auch einmal in einer
Gegend, die als besonders schöne und gottgesegnete
Landschaft in Deutschland und europaweit bekannt ist.
({0})
Besteht bei der Bundesregierung nicht ein bestimmtes
Verständnis dafür, bei einer solchen Gelegenheit zumindest eines der wichtigen regionalen Themen auf einem
Gipfel mitzubehandeln und mitzubesprechen? Angesichts
der Tatsache, dass man sich in dieser Region zwischen
Baden und Elsass seit Jahren um eine besonders intensive grenzüberschreitende Zusammenarbeit bemüht, ist
das ein wichtiges Herzstück der deutsch-französischen
Freundschaft, zumal zu dem Thema, das Sie eben selbst
angesprochen haben, nämlich zur Verknüpfung der Hochgeschwindigkeitszüge zwischen Deutschland und Frankreich. Es sind schon sehr weit gehende und sehr lange andauernde Vorgespräche geführt worden. An und für sich
sind die Sachverhalte relativ klar, auch die Entscheidungsnotwendigkeit ist relativ klar, zu einer schnelleren
Realisierung dieser Verknüpfung zu kommen, insbesondere was den TGV bei Strassburg/Kehl anbelangt.
Sehr geehrter Herr Weiß, wir wissen die landschaftlichen Reize
und die wirtschaftliche Bedeutung der baden-württembergischen Region im Allgemeinen und der Emmendinger im Besonderen sehr wohl zu schätzen. Das ist ja einer der Gründe dafür, dass der Ort dieses Gipfeltreffens in
Ihre Region hinein verlagert wurde. Gleichwohl bitte ich
Sie um Verständnis dafür, dass sich die Tagesordnung dieses deutsch-französischen Gipfeltreffens an nationalen
Gesichtspunkten zu orientieren hat.
Sobald die Projekte, die Sie angesprochen haben, eine
Reife erreicht haben, dass es sich lohnt, auf dieser Ebene
darüber zu verhandeln, werden wir dies auch an anderen
Orten, an denen ein solches Gipfeltreffen stattfindet,
erörtern.
Danke schön.
Die Frage 27 wird schriftlich beantwortet. Die Antwort
zu Frage 31 wird zu einem späteren Zeitpunkt abgedruckt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit.
Die Fragen 28 bis 30 werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundeskanzleramtes. Die Fragen 31 bis 33 werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Auswärtigen
Amtes. Zur Beantwortung der Fragen steht Staatsminister
Volmer zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 34 des Abgeordneten Dieter
Schloten auf:
Hat die Bundesregierung, ungeachtet der bisherigen deutschen
Beteiligung an der von der WEU im Auftrag und unter Finanzierung durch die EU seit 1997 in Albanien durchgeführten Polizeiausbildungs- und Beratungsmission MAPE ({0})/MAPEXT ({1}),
eine Weiterführung von MAPE/MAPEXT durch die EU nach dem
22. Juni 2001 abgelehnt, und wenn ja, aus welchen Gründen?
Herr Staatsminister Volmer, bitte schön.
Mit Ihrer Zustimmung, Herr Schloten und Herr Präsident, würde ich die Fragen 34 und 35, die in unmittelbarem Zusammenhang stehen, gemeinsam beantworten.
Einverstanden.
Ich rufe die Frage 35 auf:
Was wird politisch unternommen werden, um die Ergebnisse
der Mission MAPE zu sichern und den Ausbildungsstandard der
albanischen Polizei weiter zu verbessern?
Zur Frage 34, Herr Schloten, lautet die Antwort:
Nein. Die Bundesregierung hat eine Weiterführung von
MAPE oder MAPEXT nicht abgelehnt, sondern sich vielmehr dafür eingesetzt, dass die EU die Verantwortung für
Polizeiberatungsmaßnahmen in Albanien von der WEU
übernimmt. Der WEU-Ministerrat von Marseille hat die
grundsätzliche Zustimmung der EU zur Übernahme der
direkten Leitung der Polizeizusammenarbeit mit Albanien
zur Kenntnis genommen.
Der Europäische Rat in Nizza hat den Grundsatzbeschluss getroffen, dass die EU im Zuge der Übernahme
der Krisenbewältigungsfunktionen der WEU durch die
EU die direkte Verantwortung für Beratung und Ausbildung der albanischen Polizei von der WEU übernehmen
wird.
Zu Ihrer Frage 35: Die Europäische Kommission hat
ein im Juni 2001 beginnendes Projekt vorgelegt, das eine
Fortsetzung der Unterstützung der albanischen Polizei
durch Beratung und Ausbildung gewährleistet.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, es ist
zurzeit von einer Übergangsregelung durch die EU die
Rede, die dieses bisherige recht erfolgreiche Programm
der Ausbildung albanischer Polizisten zunächst in verkleinertem Rahmen weiterführt.
Ist aus Sicht der Bundesregierung die bisherige Ausbildung der albanischen Polizisten durch die WEU verbesserungsbedürftig, sodass dieses Übergangsprogramm
nötig ist? Warum kann nicht direkt in das neue Programm
der EU eingestiegen werden?
Zunächst, Herr Kollege Schloten, kann ich bestätigen: Die Europäische Kommission wird für den Zeitraum
vom 1. Juni 2001 bis zum 31. März 2002 zunächst ein
durch Reallokation von PHARE-2000-Mitteln finanziertes Projekt auflegen. Dieses Projekt soll die notwendige
Kontinuität zwischen den von MAPE begonnenen oder
umgesetzten Maßnahmen besonders im Bereich der strategischen Beratung der albanischen Polizeibehörden und
der Ausbildung für hohe Polizeibeamte einerseits und der
Vorbereitung eines spezifischen polizeibezogenen Projektes der Kommission im Rahmen des CARDS-Programms andererseits unterstützen. Im ersten Quartal 2002
soll dann ein Programm der Zusammenarbeit im Bereich
Justiz und Inneres im Rahmen des CARDS-Programms
für den westlichen Balkan beginnen.
Dass es zu dieser Zwischenlösung kam, hängt damit
zusammen, dass durch die Übernahme der WEU-Funktionen durch die EU noch Kompetenzfragen im Rahmen
Peter Weiß ({0})
der Kommission und im Verhältnis der Kommission zu
den einzelnen an der Mission beteiligten Staaten zu klären
sind. Das wird einige Zeit in Anspruch nehmen. Um die
Zwischenzeit zu überbrücken, wird dieses Programm
durchgeführt.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, ist ein
Zeitrahmen vorgesehen, in dem das EU-Projekt abgeschlossen werden soll?
Nach unseren Informationen soll das neue Projekt
im ersten Quartal 2002 auf Kommissionsebene greifen.
Danke schön.
Wir kommen nun zum
Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern.
Die Fragen 46 bis 48 werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 49 des Abgeordneten Joachim
Günther zur Unterstützung von Russlanddeutschen auf:
Liegt der Unterstützung von Russlanddeutschen ein Gesamtkonzept der Bundesregierung zugrunde und welche Schwerpunkte beinhaltet dieses?
Herr Staatssekretär Körper, bitte schön.
Herr Kollege Günther, ich beantworte Ihre Fragen wie folgt: Seit der politischen Wende in
Osteuropa und in der damaligen Sowjetunion vor etwa
zehn Jahren hat die Bundesregierung auch die deutschen
Minderheiten in den neu entstandenen Staaten dort durch
breit gefächerte Maßnahmen unterstützt.
Aufgrund der Erfahrungen der ersten Jahre wurde
durch die 1999 vorgelegte Konzeption „Aussiedlerpolitik
2000“ auch die Hilfenpolitik für die deutschen Minderheiten neu konzipiert. Dieses Konzept berücksichtigt,
dass es bei der Durchführung größerer intensiver Projekte
sowie von Infrastrukturmaßnahmen in den Jahren vor
1999 erhebliche Probleme gegeben hat. Solche Maßnahmen werden deshalb grundsätzlich nicht mehr gefördert.
Im Mittelpunkt der deutschen Bemühungen steht nunmehr die so genannte Breitenarbeit mit der Begegnungsstättenarbeit und der Förderung des außerschulischen
Deutschunterrichts in Russland und Kasachstan. In über
470 Begegnungsstätten wird ein breit angelegtes Angebot
für die Angehörigen der deutschen Minderheiten und für
ihre interessierten nicht deutschen Nachbarn angeboten.
Ein besonderer Schwerpunkt liegt bei der Jugendarbeit
und - das will ich besonders betonen - bei Aus- und Fortbildungsmaßnahmen. Neben den gemeinschaftsfördernden Maßnahmen umfasst das Hilfenprogramm der
Bundesregierung auch Wirtschaftshilfen in Form von
Existenzgründungsdarlehen für Kleingewerbe und Handwerk, von Darlehen zur Wohnraum- und Arbeitsplatzbeschaffung in Russland sowie von Landwirtschaftshilfen;
Beratung, Saatgut, Geräte und Kleinkredite sind hier als
Stichworte zu nennen.
Ferner werden Hilfen im medizinischen Bereich und
im Sozialbereich geleistet. Ausstattungshilfen für Krankenhäuser sowie Medikamentenhilfen sollen die schwierige medizinische Versorgungslage verbessern.
Für besonders Bedürftige - das sind in der ehemaligen
Sowjetunion vor allem die früheren Angehörigen der
Trud-Armee - wird individuelle humanitäre Lebenshilfe
in Form von Paket- und Einzelhilfen über karitative Einrichtungen geleistet.
Diese Fördermaßnahmen werden durch kulturelle und
bildungspolitische Förderung im Rahmen der deutschen
auswärtigen Kulturpolitik ergänzt.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Sie haben hier die Initiativen von Deutschland
breit dargestellt. Ist der Bundesregierung bekannt, dass es
im russischen Innenministerium inzwischen keinen Ansprechpartner für die deutsche Minderheit mehr gibt, und
was beabsichtigt die Bundesregierung in diesem Zusammenhang zu unternehmen?
Herr Kollege Günther, Ihre Frage
deckt sich nicht mit meinen Informationen. In dem von Ihnen genannten Ministerium gab es offensichtlich organisatorische Maßnahmen, die zu einem Wechsel zwischen
Abteilung und Referat geführt haben. Ich kann nicht bestätigen, dass es dort keine Ansprechpartner mehr gebe.
Dann kommen wir zur
Frage 50:
Verfügt die Bundesregierung über ein Konzept zur Förderung
des Deutschunterrichts für Deutschlandrussen und zur Pflege der
deutschen Kultur in Russland?
Herr Kollege Günther, die Förderung der deutschen Sprache ist ein Schwerpunkt sowohl
der gemeinschaftsfördernden Maßnahmen, für die das
Bundesministerium des Innern federführend ist, als auch
der kulturellen und bildungspolitischen Förderung der
russlanddeutschen Minderheit, die vom Auswärtigen Amt
verantwortet wird. Beide Ministerien stimmen ihre Maßnahmen eng miteinander ab.
Für die in ihren Herkunftsgebieten in Russland verbleibenden Russlanddeutschen werden vom Bundesministerium des Innern finanzierte außerschulische Sprachkurse durchgeführt. Dieses Sprachkursangebot und die
ihm zugrunde liegenden umfangreichen, speziell auf die
Bedürfnisse der Russlanddeutschen zugeschnitten Lehrmaterialien sind unter fachlich-konzeptioneller Begleitung des Goethe-Instituts und eines deutsch-russischen
Autorenteams erarbeitet worden. Die Deutschkurse stellen mit der Jugendarbeit sowie beruflichen Aus- und FortStaatsminister Dr. Ludger Volmer
bildungsmaßnahmen einen Kernbereich der Bleibehilfen
dar, um den Deutschstämmigen vor Ort eine dauerhafte
Lebensperspektive zu eröffnen.
Darüber hinaus fördert das Auswärtige Amt über das
Goethe-Institut Inter Nationes Sprachlernzentren in den
Siedlungsschwerpunkten der deutschen Minderheit in
Russland. Die Kurse der Sprachlernzentren erreichen in
aller Regel ein höheres Niveau als die Kurse der so genannten Breitenarbeit. Interessierte Absolventen der
Sprachkurse der Breitenarbeit haben die Möglichkeit, an
diesen Sprachlernzentren ihre Fähigkeiten auszubauen.
Außerdem fördert das Auswärtige Amt vor allem über das
Goethe-Institut in Moskau kulturelle Veranstaltungen der
Russlanddeutschen. Bei der Auswahl der geförderten Projekte wird großer Wert auf eine enge Zusammenarbeit mit
russlanddeutschen Initiativen im Kulturbereich gelegt.
Das Bundesministerium des Innern leistet in Ergänzung zu den vom Auswärtigen Amt ergriffenen Maßnahmen durch vielfältige Programmaktivitäten an 400 Begegnungsstätten allein in Russland überwiegend in
ländlichen Siedlungsgebieten einen maßgeblichen Beitrag zur Pflege von Kultur und Identitätsfindung der
Russlanddeutschen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Sie haben eben über die Goethe-Institute gesprochen. Es lohnt sich nicht, jetzt über deren Finanzierung zu
diskutieren. Es gibt noch eine deutschsprachige Zeitung
im Moskauer Gebiet, die im Endeffekt für alle Russlanddeutschen gemacht wird. Gegenüber der Vergangenheit
ist deren Förderung so weit zurückgegangen, dass die Zeitung vor dem Aus steht. Was beabsichtigt die Bundesregierung in diesem Zusammenhang zu unternehmen?
Bei solchen Problemen sind wir
gern bereit, mit den Betroffenen ihre Sorgen und Probleme zu diskutieren. Dort, wo wir helfen können, tun wir
es gern.
Herzlichen Dank. Damit sind wir am Ende der Fragestunde.
Ich unterbreche die Sitzung für sechs Minuten; wir beginnen wieder um 15.35 Uhr.
({0})
Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Die Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 sowie die Zusatzpunkte 1 und 3 auf:
3. Vereinbarte Debatte
Entschädigung für NS-Zwangsarbeiter
ZP 1 Antrag der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU,
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der F.D.P.
und der PDS
Feststellung ausreichender Rechtssicherheit für
deutsche Unternehmen nach § 17 Abs. 2 des Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“
- Drucksache 14/6158 ZP 3 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses zu dem Antrag der Fraktion der PDS
- Drucksache 14/5788 Sofortige Auszahlung an die Opfer der NSZwangsarbeit
- Drucksache 14/6165 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Bevor ich die Aussprache eröffne, möchte ich Gäste
begrüßen. Auf der Ehrentribüne hat der Präsident des
ukrainischen Parlaments, Herr Iwan Pljuschtsch, mit
einer Abgeordnetendelegation Platz genommen. Ich darf
Sie von hier aus im Namen des ganzen Hauses noch einmal herzlich begrüßen.
({0})
In den Gesprächen und Begegnungen heute und in den
kommenden Tagen werden Sie spüren, mit wie viel Interesse wir den Fortgang des Reformprozesses in Ihrem
Land verfolgen, der in jüngster Zeit vor allem auf wirtschaftlichem Gebiet zu ermutigenden Ergebnissen geführt hat. Wir hoffen mit Ihnen, dass die Ukraine auch unter dem neuen Ministerpräsidenten, der unter Ihrem
Vorsitz gestern gewählt wurde, diesen Kurs unbeirrt fortsetzen wird. Die Zusammenarbeit zwischen unseren beiden Parlamenten kann dazu einen wichtigen Beitrag leisten.
Es freut mich, dass Sie die Gelegenheit haben, an dieser auch für viele Menschen in der Ukraine wichtigen Sitzung des Bundestages teilzunehmen. Ich danke Ihnen für
Ihren Besuch und wünsche Ihnen einen angenehmen Aufenthalt in unserem Land.
({1})
Auf der Zuschauertribüne haben weitere Gäste Platz
genommen: Vertreter der Bundesstiftung, der Partnerstiftungen aus Weißrussland, aus der Ukraine, aus Russland, aus Polen und aus Tschechien. Ich begrüße Sie alle
sehr herzlich zu dieser wichtigen Debatte.
({2})
Nun eröffne ich die Aussprache und erteile als erstem
Redner das Wort dem Herrn Bundeskanzler Gerhard
Schröder.
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte
mit einem Wort beginnen, das die Erleichterung und die
Genugtuung, die wir heute alle empfinden, trifft, und dieses Wort heißt: endlich.
({0})
Dieses Wort war der häufigste Kommentar in der vergangenen Woche, nachdem in den Vereinigten Staaten die
letzte große juristische Hürde für die Auszahlung an die
überlebenden Zwangsarbeiter genommen war. Damit und
mit der anschließenden Erklärung der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft ist der Weg geebnet für die
heutige Entscheidung des Deutschen Bundestags, nämlich ausreichende Rechtssicherheit für deutsche Unternehmen festzustellen und damit die Mittel für die ehemaligen NS-Zwangsarbeiter freizugeben. Es war ein langer
und mühsamer Prozess, zeitweise - das ist zuzugeben mit Enttäuschungen für manche Beteiligte, insbesondere
für die überlebenden Zwangsarbeiter. Dieser Prozess ist
damit zum Abschluss gebracht worden.
Ich möchte kurz erinnern: Das Vorhaben nahm Ende
1998 seinen konkreten Anfang in ersten Kontakten zwischen der Bundesregierung und führenden deutschen Unternehmen. Nach einem Gespräch zwischen den Vorständen und mir erklärten sich die Unternehmen am
16. Februar 1999 bereit, eine Stiftung für ehemalige NSZwangsarbeiter und andere unter Mitwirkung deutscher
Unternehmen geschädigte NS-Opfer mitzutragen.
Mittlerweile sind mehr als 6 300 Unternehmen engagiert. Das ist zugegebenermaßen keine unbeträchtliche
Zahl; aber genauso klar ist: Es könnten noch mehr sein
und müssen noch mehr werden.
({1})
Im März 2000 hat dann das Bundeskabinett in der Kontinuität deutscher Wiedergutmachungspolitik den Entwurf
eines Gesetzes zur Errichtung eines Stiftung „Erinnerung,
Verantwortung und Zukunft“ beschlossen. Vorausgegangen waren viele hochkomplizierte internationale Verhandlungsrunden. Weitere folgten und mündeten in die so
genannte „Gemeinsame Erklärung“ aller Verhandlungspartner vom Juli 2000 und in das deutsch-amerikanische
Regierungsabkommen vom Oktober 2000.
Zielsetzung all dieser Bemühungen war von Anfang
an, den noch heute lebenden NS-Opfern mit der materiellen Zuwendung vor allem auch ein Zeichen der Genugtuung zu geben; denn wirkliche Wiedergutmachung in
des Wortes Bedeutung ist kaum möglich.
Daneben stand - auch das gilt es festzuhalten - das berechtigte Interesse der deutschen Wirtschaft an dauerhaftem Rechtsfrieden. Schließlich waren in den Vereinigten
Staaten ursprünglich insgesamt 68 Klagen gegen die deutsche Wirtschaft anhängig. Die verklagten Unternehmen
wollten verständlicherweise davor geschützt werden,
zweimal für die gleiche historische Schuld zahlen zu müssen. Die Bundesregierung hatte zudem das Interesse, Beschädigungen der transatlantischen wirtschaftlichen und
auch politischen Beziehungen zu vermeiden.
An dieser Stelle möchte ich im Namen der gesamten
Bundesregierung meinem Beauftragten Graf Lambsdorff
für seine kluge und beharrliche Verhandlungsführung ausdrücklich danken. Wir sind Ihnen, Graf Lambsdorff, sehr
verpflichtet.
({2})
Sehr geehrter Herr Graf Lambsdorff, ich muss einräumen - ich tue das gerne -: Dass wir jetzt am Ziel sind, ist
in ganz besonderem Maße Ihrer Fähigkeit zu verdanken,
um Lösungen zu ringen, die manchmal schon gar nicht
mehr für möglich gehalten worden sind. Sie haben sich
mit dieser Leistung über das, was Sie für das Land geleistet hatten, hinaus wirklich bleibende und unvergessliche
Verdienste erworben.
({3})
Respekt und Anerkennung gebührt auch den übrigen
an den Verhandlungen beteiligten Partnern. Zu nennen
sind die US-Regierung; übrigens hat sich auch die neue
Regierung unter Präsident Bush von Anfang an für das
Vorhaben engagiert. Zu nennen ist Stuart Eizenstat sowie die Regierungen der hauptbetroffenen Staaten Mittel- und Osteuropas und Israels. Zu nennen sind ferner
die Jewish Claims Conference, einige Klägeranwälte
und nicht zuletzt alle - ich betone: alle - im Deutschen
Bundestag vertretenen Parteien.
Lassen Sie mich auch den an der Stiftungsinitiative
beteiligten Unternehmen meine Anerkennung aussprechen. Es ist richtig, dass wir manche harte Diskussion um
den richtigen Weg zu führen hatten. Entscheidend für den
Erfolg war aber, dass Bundesregierung und Stiftungsinitiative der Wirtschaft die oft schwierigen Verhandlungssituationen, die auch mit unterschiedlichen Interessenlagen zu tun hatten, gemeinsam gemeistert haben. Die
Bundesstiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“, die mit unserer heutigen Entscheidung mit den
Auszahlungen beginnen wird, setzt das weltweit beachtete Zeichen dafür, dass sich Deutschland der schrecklichen Verbrechen seiner Vergangenheit bewusst ist und
dass dies auch so bleibt.
Ich danke Ihnen, dem deutschen Parlament, für Ihre
Unterstützung und dafür, dass wir dieses letzte große offene Kapitel unserer historischen Verantwortung
schließlich doch zu einem guten Ende haben bringen
können.
Danke für die Aufmerksamkeit.
({4})
Das Wort hat nun der
Beauftragte des Bundeskanzlers für die Stiftungsinitiative
Deutscher Unternehmen, Dr. Otto Graf Lambsdorff.
Dr. Otto Graf Lambsdorff, Beauftragter des Bundeskanzlers für die Stiftungsinitiative Deutscher Unternehmen ({0}): Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen! Meine Herren! Heute halte ich meine dritte letzte
Rede vor dem Deutschen Bundestag.
({1})
Sehen Sie mir das bitte nach. Es soll wirklich meine letzte
sein. Ich bin keine alternde Operndiva.
({2})
Ich will in drei Sätzen noch einmal skizzieren, worum
es bei der ausreichenden Rechtssicherheit für deutsche
Unternehmen in den Vereinigten Staaten ging. Wir mussten einen Weg finden, der es US-amerikanischen Richtern
erlaubt, zu akzeptieren, dass sich Regierungen und legitimierte Vertreter ehemaliger Zwangsarbeiter und NS-Opfer auf eine komplexe Lösung geeinigt hatten, die der
Individualgerechtigkeit überlegen ist, und dass das Engagement der US-amerikanischen Regierung den Gerichten die Zuständigkeit für eine individuelle Entscheidung
entzieht. Die US-amerikanische Regierung musste dabei
verständlicherweise darauf achten, dass sie ihrerseits
nicht wegen Eingriffe in Eigentumsrechte ihrer eigenen
Bürger angreifbar wird. Die Lösung, von Juristen der Stiftungsinitiative und US-Regierungsanwälten ersonnen, hat
nach einigen positiven Einzelentscheidungen ihre Feuerprobe vor dem Berufungsgericht in New York großartig
bestanden. Damit ist das Präjudiz geschaffen worden, das
die Unternehmen der Stiftungsinitiative von ausreichender Rechtssicherheit überzeugte.
Ich unterstreiche mit Nachdruck: Das Statement of Interest ist von der US-Administration vereinbarungsgemäß
abgegeben worden und es hat in sehr vielen Fällen Erfolg
gehabt. Darauf gründet sich meine Zuversicht, dass sich
die US-Regierung auch bei den noch anhängigen und bei
eventuellen künftigen Klagen für „legal peace“ einsetzen
wird und dass sie auch administrativen Behinderungen
vor allem in den Einzelstaaten der USA entgegentreten
wird. Diese gibt es besonders im Bereich der Versicherungen und der Banken.
Es ging aber nicht nur um Rechtssicherheit. In den für
die ehemaligen Zwangsarbeiter endlosen Monaten der
zähen und arbeitsintensiven juristischen Verhandlungen
vollzog sich bei uns in Deutschland eine eindrucksvolle
Entwicklung, die lange weiterleben soll. In zahlreichen
Gemeinden, Betrieben und Familien fragten sich Junge
und Alte, was es mit den Zwangsarbeitern und den KZArbeitern vor mehr als 55 Jahren gerade an ihren deutschen Leidensorten eigentlich auf sich hatte. Die Arbeit,
die Organisationen wie der Verein „Gegen Vergessen Für Demokratie“ oder die Aktion Sühnezeichen seit Jahrzehnten eher im Verborgenen geleistet hatten, blühte vielerorts auf und trägt weiter Früchte. Kleine Betriebe - ich
denke an das Beispiel einer privaten Hamburger Baumschule -, Landwirte - ich denke an ein Beispiel aus dem
Saarland - und Familien erinnerten sich an kleine Gruppen von Zwangsarbeitern, selbst an ein ukrainisches
Hausmädchen, und zogen im Dialog mit mir, der Stiftungsinitiative oder mit der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ daraus moralische und materielle
Konsequenzen.
Die veröffentlichte Meinung in Deutschland stand in
dieser Frage eindeutig aufseiten des Bundestages, der
Bundesregierung und meistens auch der deutschen Wirtschaft. In den meisten der vielleicht 2 000 Briefe, die mich
erreichten, wurde Anerkennung zum Ausdruck gebracht.
Die vielen Beweise der Zustimmung haben mich bei meiner Arbeit ermutigt, so der Taxifahrer in Berlin oder die
Lufthansa-Stewardess während des x-ten Fluges nach
Washington.
Meine Damen und Herren, wir sollten uns aber dennoch keinen Illusionen hingeben. Zu tief sind die Wunden, die Krieg und Vertreibung auch bei unseren Landsleuten hinterlassen haben. Zu groß ist das menschliche
Bedürfnis, Vergangenes zu verdrängen und zu vergessen.
Auch wenn ich selbst bei dieser Arbeit von Ausländerfeindlichkeit und Antisemitismus wenig erfahren habe,
es gibt das leider auch in Deutschland. Wegsehen hilft da
nicht.
({3})
Wir alle müssen dem entgegenwirken. Deswegen ist der
Zukunftsfonds, den wir mit 700 Millionen DM versehen
haben, so wichtig.
Meine Damen und Herren, in den zweijährigen Verhandlungen ging es um zweierlei: erstens auf eine moralische und politische Last der deutschen Vergangenheit
eine angemessene Antwort zu finden, zweitens das Ansehen der deutschen Wirtschaft in der Welt und die transatlantischen wirtschaftlichen und politischen Beziehungen vor weiterem Schaden zu bewahren. Ich glaube,
beides ist im Rahmen des wirtschaftlich und politisch
Möglichen gelungen.
Dieser Lösung - das ist für mich das eigentliche Wunder - haben zum Schluss alle zugestimmt: die maßgeblichen Kräfte der deutschen Wirtschaft unter der Führung
von Dr. Manfred Gentz, die US-Regierung, bis zum Januar 2001 vertreten durch meinen langjährigen Bekannten Stuart Eizenstat, jetzt vertreten durch Vize-Außenminister Richard Armitage - einige persönliche und
briefliche Kontakte haben mich von der vollen Loyalität
der neuen Administration gegenüber allen Verpflichtungen der früheren Administration in diesem Bereich überzeugt; der Bundeskanzler hat hier auch den amerikanischen Präsidenten zitiert -, die Regierungen Polens,
Russlands, der Tschechischen Republik, Weißrusslands
und der Ukraine, die Regierung des Staates Israel und die
Claims Conference als maßgeblicher Vertreter der Sklavenarbeiter und nicht zuletzt die von Professor Neuborne
koordinierten amerikanischen Klägeranwälte. Dass
23 Class Action Lawyers hier in Berlin die gemeinsame
Erklärung unterschrieben haben, grenzt, wie gesagt, an
ein Wunder. Die Entsendung von Professor Neuborne in
das Kuratorium der Stiftung hat sich als besonders glücklicher Schritt erwiesen.
Dieser Konsens, trotz aller möglichen Vorbehalte, ist
ein hohes politisches Gut, das die Stiftung „Erinnerung,
Verantwortung und Zukunft“ im Kuratorium unter Leitung von Botschafter Kastrup und durch den Vorstand aus
Dr. Jansen, Dr. Bräutigam und Botschafter Primor erhalten muss. Der Deutsche Bundestag, und dabei vor allem
Beauftragter des Bundeskanzlers Dr. Otto Graf Lambsdorff
seine Mitglieder Herr Beck, Herr Bosbach, Frau Jelpke,
Herr Reuter und Herr Stadler, wird sicherlich darüber wachen, dass diese Gemeinsamkeit der Überzeugungen
erhalten bleibt.
({4})
In dieser Stunde, meine Damen und Herren, gedenken
wir der Sklaven und Zwangsarbeiter, Menschen, die
Deutsche vor mehr als zwei Generationen in ihrer Menschenwürde verletzten, ihrer Arbeitskraft und Jahre ihrer
Jugend beraubten. Wir denken vor allem an diejenigen,
die verstorben sind, für die unsere Bemühungen Jahrzehnte zu spät gekommen sind.
Meine Aufgabe, Herr Bundeskanzler, ist damit im Wesentlichen beendet. Ich habe sie aus meiner Verantwortung als deutscher Staatsbürger übernommen und,
wenn auch mit vielen Mühen, mit großer Befriedigung bis
zum heutigen Punkt geführt. Ich danke Ihnen für Ihr Vertrauen und danke dem Deutschen Bundestag in all seinen
Fraktionen für die wirklich unerschütterliche Unterstützung auch in schwierigen Phasen in den letzten zwei Jahren. Ihnen, Herr Bundeskanzler, herzlichen Dank für Ihre
freundlichen Worte hier an dieser Stelle.
Ich bin vielen Menschen für ihre Hilfe, ihren Rat, ihre
Begleitung Dank schuldig. Ich kann in dieser Stunde nur
wenige nennen.
Bundespräsident Rau hat mit seiner Erklärung vom
17. Dezember 1999 die moralische und historische Verantwortung der Deutschen in den Mittelpunkt unserer
Anstrengungen gestellt. Dr. Manfred Gentz und Stuart
Eizenstat haben immer wieder Lösungen für schwierige
Probleme gefunden, weil sie ein Ergebnis wollten. Die
Verhandlungsführer der mittel- und osteuropäischen Staaten haben es fertig gebracht, einen Aufteilungsschlüssel
über den auf sie entfallenden Betrag unter sich zu vereinbaren. Das wäre für mich eine nahezu unlösbare Aufgabe
geworden. Der frühere US-Außenminister Lawrence
Eagleburger hat in einer entscheidenden Frage das Zustandekommen der Stiftung ermöglicht. Ohne die unermüdliche Mitarbeit von Michael Geier vom Auswärtigen
Amt hätte ich das alles nie geschafft. Arbeitsstab nannte
sich das Ganze ziemlich pompös. Der Arbeitsstab war im
Wesentlichen eine Person: Michael Geier.
({5})
Ich habe mich gefreut, Herr Bundeskanzler, dass Sie mir
eben sagten, in der heutigen Kabinettsitzung sei seine Beförderung beschlossen worden. Das hat er wahrlich verdient.
({6})
Ständiger Gesprächspartner von Herrn Geier war der
amerikanische Sonderbotschafter J. D. Bindenagel,
vielen von uns als Stellvertreter des amerikanischen Botschafters bekannt. Das war noch zu Bonner Zeiten so;
aber er hat auch in Berlin amtiert, und zwar schon vor der
Wende. Ich weiß, dass unser Freund Bindenagel hier auf
der Tribüne sitzt. Zwar darf man ihn nach den Regeln des
Bundestages nicht ansprechen; dennoch darf ich sagen:
Ich freue mich, dass er hier ist.
({7})
Wer sich von den konstruktiven Beiträgen Bindenagels
ein Bild machen will, der lese die heutigen Ausgaben der
„Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ und der „Financial
Times Deutschland“. Ich mache keine Werbung für die
Zeitungen, sondern für den Interviewten.
({8})
Ihnen allen, die ich hier genannt habe, und vielen anderen danke ich, nicht zuletzt dem früheren US-Präsidenten Bill Clinton und Bundeskanzler Schröder. Aber, meine
Damen und Herren, ich habe mich auch zu entschuldigen:
bei denen, für die unsere Arbeit zu lange gedauert hat. Die
Verzögerungen waren und sind schmerzlich, weil wir
viele der Opfer nicht mehr lebend erreichen konnten.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen, meine
Herren, erlauben Sie mir eine Schlussbemerkung, auch
wenn ich mich damit wiederhole. Wir haben uns bemüht,
einen finanziellen Schlussstrich unter das dunkelste Kapitel unserer Geschichte zu ziehen - einen finanziellen
Schlussstrich. Einen moralischen Schlussstrich kann
und darf es nicht geben.
({9})
Nur wenn wir das einsehen, dann kann es für unser Land
den Weg aus einer dunklen Vergangenheit in eine helle
Zukunft geben.
Vielen Dank.
({10})
Graf Lambsdorff, ich
darf Ihnen im Namen des ganzen Hauses unseren Dank
und unseren Respekt für Ihre Arbeit, für Ihr großes Engagement aussprechen. Herzlichen Dank!
({0})
Ich erteile nun dem Kollegen Wolfgang Bosbach,
CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Heute ist ein guter Tag. Das
gilt für viele Opfer des Naziterrors ebenso wie für uns
alle. Der interfraktionelle Antrag zur Feststellung ausreichender Rechtssicherheit für deutsche Unternehmen ist
zwar kurz und schlicht formuliert, aber von großer Bedeutung. Die entscheidenden Sätze lauten:
Der Deutsche Bundestag stellt fest, dass ausreichende Rechtssicherheit gemäß § 17 Absatz 2 des
Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung „Erinnerung,
Verantwortung und Zukunft“ hergestellt ist.
Die Stiftung ... wird daher ermächtigt, den Partnerorganisationen ... Stiftungsmittel zur Verfügung zu
stellen.
Dieser Beschluss ist die Voraussetzung dafür, dass die
Bundesstiftung und ihre Partnerorganisationen nunmehr
- nach monatelangen, teils quälenden Entscheidungsprozessen und schier endlosen Debatten - endlich mit ihrer
Beauftragter des Bundeskanzlers Dr. Otto Graf Lambsdorff
eigentlichen Arbeit beginnen können. Es ist zunächst ein
guter Tag für einen Teil der Opfer: für die heute noch lebenden ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter. Sie wurden verschleppt, entrechtet, misshandelt
und ausgebeutet. Endlich, über 56 Jahre nach dem Ende
der Nazibarbarei, können sie nun damit rechnen, schon in
kurzer Zeit die ihnen zustehenden Leistungen zu erhalten.
Spät, für viele leider zu spät, soll ihnen in Form einer humanitären Geste zumindest ein Stück Gerechtigkeit und
Wiedergutmachung zuteil werden. Dies gilt insbesondere für jene Opfer, die bis heute die umfangreichen
Entschädigungs- und Wiedergutmachungsleistungen der
Bundesrepublik Deutschland nicht in Anspruch nehmen
konnten.
Leider konnte in den vergangenen Wochen der Eindruck entstehen, als würde erst jetzt mit der Entschädigung für NS-Unrecht begonnen. Richtig ist, dass die
Stiftungsinitiative an das Entschädigungs- und Versöhnungswerk anknüpft, das schon Anfang der 50er-Jahre
von Bundeskanzler Konrad Adenauer begründet wurde.
Leider gab es in letzter Zeit nur wenige Veröffentlichungen, in denen darauf hingewiesen wurde, dass die
Bundesrepublik in den vergangenen Jahrzehnten bereits
weit über 100 Milliarden DM an Wiedergutmachungsleistungen erbracht hat und dass wir auch zukünftig - unabhängig von der Bundesstiftung für die Entschädigung von
NS-Zwangsarbeit - auf der Basis geltenden Rechts weitere erhebliche Leistungen erbringen werden. Es muss erlaubt sein, heute auch darauf hinzuweisen, dass sich unser
Land in den vergangenen Jahrzehnten redlich und ernsthaft darum bemüht hat, die dunkelsten Kapitel seiner Geschichte nicht zu verdrängen oder gar zu vergessen, sondern aufzuarbeiten und aus ihnen für die Zukunft
notwendige Konsequenzen zu ziehen. Wir haben den
Worten stets auch Taten folgen lassen.
Einen Schlussstrich unter das dunkelste Kapitel unserer Geschichte, die Verbrechen der Nazityrannei, und die
sich daraus ergebende besondere historische Verantwortung unseres Landes, insbesondere gegenüber den noch
lebenden Opfern des Naziterrors, kann und darf es nicht
geben.
({0})
Von dieser besonderen historischen Verantwortung können wir uns nicht befreien - nicht durch Worte und nicht
durch Geld. Aber dies kann im Umkehrschluss nicht
bedeuten, dass wir nun Jahr für Jahr neue Entschädigungsdebatten beginnen und damit fast zwangsläufig bei
vielen Menschen in vielen Ländern der Erde Hoffnungen
erwecken, die wir nicht erfüllen können. Vor diesem Hintergrund ist es auch ein Ziel der Bundesstiftung für die
Entschädigung von Zwangsarbeit, das Kapitel „Finanzielle Entschädigung für NS-Unrecht“ abzuschließen.
Es ist aber auch ein guter Tag für uns alle; denn wir
wollen und können jetzt den Blick nach vorne in eine gute
Zukunft richten. Deswegen ist der Zukunftsfonds, den
Graf Lambsdorff gerade angesprochen hat, von überragender Bedeutung. Ausgestattet mit einem Vermögen von
700 Millionen DM muss er jetzt mit Leben erfüllt werden:
mit konkreten Projekten, von denen vor allem junge Menschen profitieren sollten.
Ebenso wenig, wie die individuellen Entschädigungsleistungen zweckwidrig verwandt werden dürfen, darf das
Vermögen des Zukunftsfonds zweckwidrig eingesetzt
werden. Das Vermögen soll der Völkerverständigung, der
Pflege der Beziehungen zu überlebenden Opfern, dem
Austausch von Schülern und Studenten sowie dem Kampf
gegen extremistisches und rassistisches Gedankengut und
gegen totalitäre Systeme aller Art dienen. Leider spielt
dieser Fonds in der Öffentlichkeit kaum eine Rolle, obwohl gerade er für die Zukunft wichtig ist.
Dass wir heute diesen wichtigen Beschluss fassen können, verdanken wir nicht zuletzt Ihnen, lieber Graf
Lambsdorff. Sie und Ihre Verhandlungsführung sind in
den vergangenen Wochen und Monaten mehrfach und zu
Recht gelobt worden. Auch die CDU/CSU-Bundestagsfraktion dankt Ihnen von Herzen für Ihr unermüdliches
Engagement.
({1})
Ihnen und Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern war
kein Weg zu weit und kein Problem zu kompliziert. Sie
waren zur richtigen Zeit der richtige Mann am richtigen
Ort. Nicht nur die Opfer, sondern auch unser Land haben
Ihnen viel zu verdanken.
Wir fassen heute einen wichtigen Beschluss. Aber wir
sind noch lange nicht am Ziel - noch lange nicht. Im
Grunde beginnen wir erst jetzt mit der eigentlichen Arbeit.
Haben wir in der Vergangenheit nicht schon zu viel, zu
laut und auch zu früh gefeiert? Zunächst wurde die Einigung über die Höhe des Stiftungsvermögens bejubelt,
dann der Allokationsbeschluss und danach die gemeinsame Erklärung aller Verhandlungspartner. Das waren in
der Tat wichtige Schritte auf dem Weg zum Ziel. Aber erreicht haben wir das Ziel noch lange nicht. Das Ziel haben
wir erst dann erreicht, wenn die Opfer, die ehemaligen
Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, die ihnen zustehenden Leistungen erhalten haben, und zwar in voller
Höhe.
({2})
Nichts wäre schlimmer und würde das Stiftungswerk und
den Stiftungszweck mehr diskreditieren als eine zweckwidrige Verwendung der Stiftungsmittel.
Die Verantwortung dafür, dass die Mittel nicht in irgendwelchen Administrationen versickern, tragen die
Bundesstiftung und die Partnerorganisationen in gleicher
Weise. Nicht alleine gegenüber dem deutschen Steuerzahler, der mit circa 7,5 Milliarden DM belastet wird, sondern auch und in erster Linie gegenüber den Opfern der
Nazidiktatur.
Zu den Zielen der Stiftung gehört aber auch ein dauerhafter und umfassender Rechtsfrieden für deutsche Unternehmen in den USA. Wenn wir heute „ausreichende
Rechtssicherheit“ feststellen, bedeutet das leider nicht,
dass schon jetzt von einem dauerhaften und umfassenden
Rechtsfrieden im Sinne der internationalen Vereinbarungen gesprochen werden kann. Es sind immer noch Klagen
gegen deutsche Unternehmen in den USA anhängig. Neue
Klagen sind angedroht und immer noch gibt es - zumindest in einzelnen US-Bundesstaaten - legislative und administrative Behinderungen für deutsche Unternehmen
auf dem amerikanischen Markt.
Die deutsche Wirtschaft weist aus guten Gründen auf
diese Umstände hin. Die Stiftungsinitiative hat zwar stets
betont, dass sie in der Gewährung der Stiftungsmittel eine
humanitäre, auf die Aussöhnung und Verständigung gerichtete Maßnahme sieht, gleichzeitig hat sie aber auch
deutlich gemacht, dass sie die Hälfte des Stiftungsvermögens nur unter der Bedingung zur Verfügung stellt, dass
im Gegenzug in den USA für die deutsche Wirtschaft ein
ausreichendes Maß an Rechtssicherheit und Rechtsfrieden gewährleistet wird. Das war auch die Geschäftsgrundlage, auf der die Stiftungsinitiative in der deutschen
Wirtschaft für Beiträge geworben hat. Diese Forderung ist
von allen Verhandlungspartnern, auch von den beteiligten
Klägeranwälten, akzeptiert worden. Sie findet sich im
deutsch-amerikanischen Regierungsabkommen ebenso
wieder wie in der gemeinsamen Erklärung vom 17. Juli
des vergangenen Jahres.
Die deutsche Wirtschaft ist in den vergangenen Monaten für ihr Verhalten oft und kräftig kritisiert worden, gelegentlich sogar zu Recht. Man kann sie jetzt aber nicht
auch noch dafür kritisieren, dass sie darauf besteht, dass
die ihr gegenüber abgegebenen Erklärungen und vertraglichen Vereinbarungen eingehalten werden. Verträge machen nur dann Sinn, wenn sich alle Vertragspartner in gleicher Weise an die getroffenen Vereinbarungen gebunden
fühlen.
({3})
Meine Damen und Herren, die Stiftungsinitiative sollte
bedenken, dass es gut wäre, wenn nicht schon unmittelbar
nach dem heutigen Tag neue Kontroversen ausgetragen
werden. Daher wäre es wichtig, dass der von der Stiftungsinitiative zugesagte Betrag von 5,1 Milliarden DM
rasch an die Bundesstiftung gezahlt wird, und zwar mit allen Zinsen.
({4})
Wer an die Stiftungsinitiative gezahlt hat, der wollte den
Stiftungszweck unterstützen. Zweck der Stiftung kann es
aber nicht sein, Zinsen zu erwirtschaften. Auch diese sollten daher den Opfern zugute kommen.
({5})
Mit großem Interesse haben viele unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger in den vergangenen Monaten die Diskussionen und Verhandlungen über die Entschädigung für
ehemalige Zwangsarbeiter verfolgt. Auch die heutige Debatte werden sie mit großer Aufmerksamkeit begleiten.
Dies gilt besonders für jene Mitbürger, die früher selber
verschleppt, gequält und unter unvorstellbar grausamen
Bedingungen in der Sowjetunion oder in anderen Staaten
Zwangsarbeit verrichten mussten. Auch an ihr Schicksal,
das in der öffentlichen Berichterstattung kaum eine Rolle
spielt, sollten wir heute einmal erinnern. Es geht dabei
nicht um Aufrechnung. Es muss aber erlaubt sein, darauf
hinzuweisen, dass auch viele Deutsche Opfer von Ausbeutung unter in jeder Hinsicht unmenschlichen Bedingungen waren.
({6})
Diese Opfer, unsere Mitbürger, werden wissen, dass es
ihnen so gut wie unmöglich ist, durch die Einreichung
oder Androhung von Klagen in anderen Ländern Druck
auszuüben, um auf diese Weise eine finanzielle Entschädigung zu erhalten. Dieser Umstand ändert aber an der
Schwere des erlittenen Schicksals nichts. Deshalb gilt,
dass auch ehemalige deutsche Zwangsarbeiter - so wie
alle anderen Opfer von Unmenschlichkeit und Tyrannei ein Recht auf eine humanitäre Geste haben.
Die Bundesregierung hat uns vor wenigen Tagen mitgeteilt, dass sie nicht daran denke, diesbezüglich mit anderen Staaten in Gespräche oder gar Verhandlungen einzutreten. Dies müssen die betroffenen Menschen als
Brüskierung empfinden.
({7})
Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen sollten
ihre Haltung überdenken. Waren die ehemaligen deutschen Zwangsarbeiter nicht auch Opfer von Unmenschlichkeit, haben sie nicht auch ein ähnlich schweres
Schicksal erlitten? Wenn auch ihnen in gleicher Weise ein
Stück Gerechtigkeit und Wiedergutmachung zuteil würde, wäre das ein weiterer guter Tag.
({8})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Peter Struck, SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident.
Meine Damen und Herren! Wir dürfen mit Fug und Recht
sagen: Dies ist eine bedeutende Stunde des deutschen Parlaments. Mit unserem heutigen Beschluss machen wir
deutlich, dass wir uns der Verantwortung für unsere Geschichte bewusst sind.
Es gilt heute vielen zu danken, die das Zustandekommen dieser Lösung möglich gemacht haben. Bevor ich das
tue, möchte ich aber zunächst vor allem an die Opfer, die
Zwangsarbeiter, denken und ihnen für die Geduld danken,
mit der sie das zähe Ringen um eine tragfähige, rechtlich
sichere Vereinbarung ertragen haben.
({0})
Bei der Freude darüber, jetzt endlich mit der Zahlung
an etwa 1,5 Millionen ehemalige Zwangsarbeiter beginnen zu können, sollten wir gerade heute aber nicht vergessen, dass ungezählte Opfer dieses Zeichen der Wiedergutmachung nicht mehr erlebt haben. Ihnen gilt unsere
Erinnerung. Und wir haben Anlass - wie es Bundespräsident Johannes Rau schon bei der Einigung über die Höhe
des Stiftungsvermögens im Dezember 1999 getan hat Wolfgang Bosbach
alle, die unter deutscher Herrschaft Sklavenarbeit und
Zwangsarbeit leisten mussten, auch von dieser Stelle aus
heute um Vergebung zu bitten.
Ich stimme ausdrücklich Graf Lambsdorff zu: Wenn
wir heute parlamentarisch einen finanziellen Schlussstrich - einen finanziellen - unter das dunkelste Kapitel
der deutschen Geschichte ziehen, müssen wir gleichzeitig
deutlich machen, dass es einen moralischen Schlussstrich niemals geben darf.
({1})
Gerade um das zu beweisen, ist die heutige Entscheidung
so wichtig. Die deutsche Politik und die deutsche Wirtschaft machen klar, dass sie sich auch nach mehr als einem halben Jahrhundert nach dem Naziterror der moralischen Pflicht nicht entziehen, die aus dem damaligen
Unrecht erwachsen ist.
Ich danke ganz besonders Bundeskanzler Gerhard
Schröder dafür, dass er die widerstreitenden Interessen
zusammengeführt hat. Ohne seinen Einsatz - auch bei der
amerikanischen Administration -, seine Beharrlichkeit
und seinen unbedingten Willen zum Konsens wäre dieses
Ergebnis nicht möglich gewesen.
({2})
Graf Lambsdorff, Sie haben dankende Worte des Bundeskanzlers und meines Kollegen Bosbach erfahren.
Natürlich schließe ich mich ihnen an. Ob Sie, Graf
Lambsdorff, in der Tat nicht doch noch einmal gebraucht
werden - für welche Aufgabe auch immer - wollen wir
dahingestellt sein lassen.
({3})
Das, was Sie geleistet haben, ist vom Bundeskanzler richtig gewürdigt worden.
({4})
Ich möchte an dieser Stelle aber auch nicht vergessen,
ganz besonders meinen Fraktionskollegen Bernd Reuter
zu nennen, der mit mir seit 1980 im Deutschen Bundestag
ist und seit diesem Zeitpunkt an dieser Aufgabe gearbeitet
hat. Ich danke ihm ausdrücklich dafür.
({5})
Lieber Bernd Reuter, ich glaube, du kannst stolz darauf
sein, dass diese Regierung, diese rot-grüne Koalition, das
geschafft hat, was alle Vorgängerregierungen nicht geschafft bzw. versäumt haben.
({6})
Daran haben - das möchte ich ausdrücklich erwähnen die Berichterstatter aller Fraktionen - Volker Beck,
Wolfgang Bosbach, Ulla Jelpke und Max Stadler - engagiert mitgearbeitet. Auch ihnen gilt mein herzlicher Dank.
({7})
Die Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft hat in
den letzten Monaten Beachtliches geleistet. Trotz mancher Anfechtungen habe ich niemals Zweifel an der Lauterkeit des Bemühens gehabt. Die Anstrengungen von
Herrn Gentz und anderen - das sollten wir nicht vergessen - haben die größte Sammelaktion der deutschen Wirtschaft zuwege gebracht. Damit haben die beteiligten Unternehmen sich, aber auch dem Ansehen Deutschlands
sehr geholfen.
Ich freue mich, dass nicht nur Michael Jansen, der Vorstandsvorsitzende der Stiftung, diese Debatte verfolgt.
Mit ihm sind viele Repräsentanten der Partnerstiftungen
in Russland, Weißrussland, der Ukraine, Polen, Tschechien und auch Vertreter des Jewish Council anwesend.
Ich begrüße Sie alle ganz herzlich und habe die Bitte: Helfen Sie mit, dass wir jetzt unverzüglich mit der Auszahlung an alle Betroffenen beginnen können! Viele Anträge
sind in den Ländern der Betroffenen noch nicht bearbeitet. Lediglich in Polen und Tschechien sind die Vorarbeiten der Partnerorganisationen weit vorangeschritten, sodass dem voraussichtlichen Zahlungsbeginn Ende des
Monats dort nichts im Wege steht. Ich habe Verständnis
für diejenigen, die sich für eine Verlängerung der Antragsfrist aussprechen. Ob sie nötig sein wird, werden
wir rechtzeitig entscheiden müssen. Aber wir sollten auch
bedenken, dass wir deshalb immer auf eine schnelle Lösung gedrängt haben, weil wir den teilweise hochbetagten
Opfern noch Wiedergutmachung zukommen lassen wollten.
Ich halte es für wichtig, dass alle Fraktionen diese Entscheidung mittragen. Es ist für unsere Nachbarn und Partner ein bedeutendes Zeichen, dass sich das Parlament als
Ganzes seiner moralischen Verantwortung für die Geschichte bewusst ist.
({8})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Volker Beck, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist eine historische Stunde: Der Deutsche Bundestag stellt fest, dass
die gesetzlichen Voraussetzungen für den Beginn der
Entschädigungsauszahlungen gegeben sind. Mit dem
heutigen Beschluss des Bundestages ist der Weg für die
Entschädigung der noch lebenden Zwangs- und Sklavenarbeiter endlich frei.
56 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges erkennt
Deutschland das Unrecht der Zwangsarbeit als solches an
und zieht daraus die richtige Konsequenz: die Entschädigung der Opfer. Mit dieser humanitären Geste können wir
das Unrecht nicht wieder gutmachen. Aber wir können
den Menschen ganz konkret helfen, die von Deutschland
und durch Deutsche so viel erleiden mussten.
Ich muss Ihnen sagen: Ich bin unendlich erleichtert,
dass die Opfer jetzt ihr Geld bekommen. In spätestens vier
Wochen werden die ersten Zahlungen bei den ehemaligen
Zwangsarbeitern ankommen. Ich war in den letzten Wochen nicht sicher, ob wir dies auf dem Weg, den wir eingeschlagen hatten, überhaupt schaffen würden. Das hat
mich mit großer Sorge erfüllt. Wenn ich die Vertreter der
osteuropäischen Verbände oder der Jewish Claims Conference sah und ihnen noch immer nicht sagen konnte, wann
das Geld endlich an die Opfer gezahlt wird - diese Opfervertreter waren zu Hause selber unter Druck -, dann
war das eine peinliche, beschämende und traurige Situation.
Ich hoffe trotzdem, dass die Zwangsarbeiter die humanitäre Geste dieser Entschädigungsleistung als dargereichte Hand Deutschlands zur Versöhnung, zur Entschuldigung für das ihnen zugefügte Unrecht annehmen.
Möge dieses große Entschädigungswerk, das wir heute
abschließen, einen Beitrag zur Versöhnung und zu nachhaltigem Frieden auf dem europäischen Kontinent leisten.
({0})
Aber bei aller Erleichterung: Am heutigen Tag gehen
einem auch einige bittere Gedanken durch den Kopf.
Viele Opfer sind verstorben, bevor sich Bundesregierung
und deutsche Wirtschaft 1998 zur Entschädigung bereit
gefunden haben. Zwei Jahre lang haben wir zäh verhandelt, bis im Sommer 2000 internationale Vereinbarungen
und das Stiftungsgesetz verabschiedet werden konnten.
Seitdem ist nun schon wieder fast ein ganzes Jahr vergangen, ein Jahr, in dem nach Angaben der Opferverbände an
jedem Tag 200 Berechtigte gestorben sind. Für sie kommt
der heutige Beschluss zu spät. Dies bedauern wir zutiefst.
Die Diskussion in den letzten Wochen hat das Anliegen
der Bundesstiftung manchmal schon fast vergessen lassen. Um es noch einmal klar und deutlich zu sagen: Der
Stiftungszweck heißt nicht Herstellung der Rechtssicherheit für deutsche Unternehmen; gleichwohl ist das ein
wichtiges Anliegen des Bundestages. Die Stiftung dient
vielmehr vorrangig der Entschädigung der Opfer des Nationalsozialismus.
({1})
Es geht uns als Deutschem Bundestag um die Übernahme von Verantwortung für historisches Unrecht.
15 Jahre lang haben wir Grünen im Parlament für diese
Entschädigung gestritten. Bis 1998 haben alle Bundesregierungen rechtlich und politisch gegen diese Entschädigung der Zwangsarbeiter argumentiert. Ich möchte an dieser Stelle meinen Kollegen Christian Ströbele und Antje
Vollmer danken, die diese Arbeit in den 80er-Jahren begonnen haben, die dann von Wolfgang Ullmann und
Ingrid Köppe fortgesetzt wurde. Ich glaube, ihnen gebührt
Dank dafür, dass wir dieses Thema nicht aus dem Gedächtnis verloren haben und dass wir an dieser Front
keine Ruhe hatten. Ansonsten wären wir heute vielleicht
nicht so weit gekommen.
({2})
Auch Appelle des Deutschen Bundestages und des Europäischen Parlamentes an die Wirtschaft hatten in den
80er-Jahren nichts erreichen können. Erst nach der Bundestagswahl 1998 und nach den Sammelklagen in den
USA ist bei Politik und Wirtschaft eine neue Situation eingetreten. Wir können heute sagen: Wir haben wirklich viel
erreicht und es war ein langer, zäher, beschwerlicher und
trauriger Weg.
Ich bin besonders froh, dass unser Freund Alfred
Hauser, der in den 80er-Jahren die Interessengemeinschaft der Zwangsarbeiter in Deutschland gegründet hat,
diesen Tag noch erleben kann, obwohl er alt und gebrechlich ist. Wir können feststellen: Seine Arbeit für die Menschen, die mit ihm unter dem Zwangsarbeiterprogramm
gelitten haben - ob sie aus dem Ausland kamen oder als
Deutsche Zwangsarbeit leisten mussten -, hat sich gelohnt. Vielen Dank, Alfred!
({3})
Ich möchte mich auch bei den Unternehmen bedanken, die sich der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft freiwillig angeschlossen haben. Sie haben damit
gezeigt: Ein großer Teil der deutschen Wirtschaft sieht
seine historische Verantwortung. Besonders stolz bin ich
dabei auf die Unternehmen, die nach 1945 gegründet wurden und die selber offensichtlich nicht unmittelbar vom
Zwangsarbeiterprogramm profitiert haben, die aber sagen: Als Teil der deutschen Wirtschaft ist die Entschädigung unsere gemeinsame Verantwortung. Das verdient
besondere Anerkennung.
({4})
Aber an einem solchen Tag muss man auch fragen: Besteht die deutsche Wirtschaft nur aus 6 300 Unternehmen?
Ist unser Land wirtschaftlich wirklich so schwach oder
haben wir nicht noch viel mehr kleine, mittlere und große
Unternehmen, die sich an diesem Werk beteiligen könnten?
({5})
Wo sind die Fuldaer Reifenwerke? Wo ist Dallmayr aus
München, Haribo aus Bonn oder der große Bauer-Verlag?
Warum sind sie der Stiftungsinitiative noch nicht beigetreten? Es ist noch nicht zu spät. Denn wir werden noch
viel mehr Geld brauchen als das, was wir jetzt haben, um
der von Herrn Bosbach erhobenen Forderung, dass alle
den vollen Betrag, auf den sie Anspruch haben, bekommen, tatsächlich gerecht zu werden.
Ich appelliere heute an die Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft - im vorliegenden Antrag wird dies in
gewisser Weise auch getan -, jetzt ohne jedes Zaudern
und Zögern, ohne erneutes Fechten um Termine und ohne
Feilschen um Zinsen unverzüglich die gesamten 5 Milliarden DM und mindestens 100 Millionen DM Zinsen an
die Bundesstiftung zu überweisen. Es ist das Geld der OpVolker Beck ({6})
fer. Lassen Sie uns diese große Leistung nicht durch kleinliche Debatten im Nachgang minimieren.
({7})
Meine Damen und Herren, wir als Bundestag haben in
dieser Debatte um die Entschädigung der Zwangsarbeiter
noch drei Aufgaben. Wir müssen aus humanitären und aus
rechtlichen Gründen noch vor der Sommerpause die im
Stiftungsgesetz festgesetzten Antragsfristen verlängern.
Die Richtlinien im Vermögensbereich, nach denen bestimmt wird, wer überhaupt etwas bekommt, sind noch
gar nicht veröffentlicht, zum Teil noch nicht einmal
beschlossen. Wir können nicht am 13. August sagen: Bis
zum 12. August hättet ihr Anträge stellen müssen; jetzt sagen wir euch, ob ihr etwas bekommen hättet. Da müssen
wir handeln. Wir müssen dies auch aus humanitären
Gründen tun. Viele Opfer haben nicht einmal gewusst, ob
es tatsächlich einmal Geld gibt, und mit ihrem Antrag gewartet. Die meisten Opfer, das erzählen uns die Praktiker
aus dem Bereich der Entschädigung, stellen dann ihren
Antrag, wenn sie hören, dass Leidensgenossen bereits
Geld bekommen haben. Deshalb sollten wir mindestens
bis zum Jahresende jedem die Chance geben, sein Anliegen vorzubringen.
({8})
Wir als Kuratoren, aber auch der ganze Deutsche Bundestag müssen den Stiftungsvorstand dabei unterstützen,
darüber zu wachen, dass die Auszahlung tatsächlich bei
den Opfern und nur bei den Opfern ankommt, ohne einen
großen Popanz an Bürokratie aufzubauen. Ich glaube, hier
können wir mit der Unterstützung des ganzen Hauses
rechnen.
Wir werden darauf achten müssen, dass der so genannte „Rest der Welt“, die nicht jüdischen Opfer außerhalb von Polen, Tschechien und GUS, bei der Höhe der
Auszahlung nicht benachteiligt werden. Wir haben uns
die Welt beim Stiftungsgesetz und bei den Verhandlungen
zum Teil zulasten Dritter schöngerechnet und schöngeredet. Es darf nicht dazu kommen, dass es vom Wohnsitz abhängt, wie viel Geld man bekommt.
Deshalb auch der Appell an die Bürgerinnen und Bürger draußen im Lande: Jetzt ist die Zahlung frei. Wer sich
engagieren will, kann diese Bundesstiftung durch Zustiftungen aufstocken. Dann können wir den Opfern noch
mehr helfen.
Wir als Bundestag müssen uns, wenn wir - vielleicht
in einem Jahr - Bilanz ziehen, fragen, wie viele Berechtigte wir tatsächlich haben und ob wir noch einmal helfen
müssen.
Meine Damen und Herren, zum Schluss möchte auch
ich ganz besonders Graf Lambsdorff und seinem Arbeitsstab danken, dessen Leistungen wirklich riesig waren. Ich
bin froh, dass wir heute sagen können: Den größten Teil
der Arbeit haben Sie hinter sich gebracht.
Wir haben jetzt die Arbeit an Herrn Bräutigam, Herrn
Jansen und Herrn Primor vom Stiftungsvorstand weitergegeben. Sie haben jetzt einen Riesenberg von Arbeit vor
sich, um die Entschädigungszahlungen abzuwickeln, zusammen mit Dr. Brozik von der Jewish Claims Conference, mit den Vorsitzenden der Partnerorganisationen aus
Osteuropa und der IOM. Wir wünschen ihnen dabei eine
glückliche Hand. Sie können bei dieser Arbeit immer auf
die Unterstützung des ganzen Deutschen Bundestages
bauen.
({9})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Max Stadler, F.D.P.-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr
geehrten Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag
hat immer das Versprechen abgegeben, die Stiftungsmittel schnellstmöglich für die Auszahlung an die Opfer
freizugeben, sobald die gesetzlichen Voraussetzungen
vorliegen. Es hat leider lange gedauert, bis die im Stiftungsgesetz geforderte ausreichende Rechtssicherheit gegeben war - beinahe zu lange für die ehemaligen
Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, beinahe zu
lange für das Ansehen der deutschen Wirtschaft und der
deutschen Politik in der Weltöffentlichkeit. Der Streit um
die Rechtssicherheit war so sehr in das Zentrum der öffentlichen Auseinandersetzung gerückt, dass die große
Leistung, Politik und Wirtschaft in einer gemeinsamen
Bundesstiftung zusammengeführt zu haben, zu verblassen drohte.
Deshalb war unsere Erleichterung über die jüngste Entwicklung bei den Sammelklagen groß. Jetzt kann guten
Gewissens von ausreichender Rechtssicherheit im Sinne
des Stiftungsgesetzes gesprochen werden. Damit kann der
Deutsche Bundestag, der in den beiden letzten Debatten
die Opfer und die Öffentlichkeit immer wieder um Geduld
bitten musste, heute endlich das lange erhoffte positive Signal setzen: Der Weg für die Auszahlung der symbolischen Entschädigungsleistungen ist frei.
({0})
Meine Damen und Herren, es wäre unehrlich, zu leugnen, dass es noch unterschiedliche Auffassungen über Detailfragen gibt. Aber diese Fragen sind nicht das zentrale
Thema der heutigen Debatte. Sie werden zu gegebener
Zeit und am gegebenen Ort - zum Beispiel im Kuratorium
der Stiftung - diskutiert werden. Ich bin davon überzeugt,
dass der finanzielle Beitrag der Stiftungsinitiative der
deutschen Wirtschaft demnächst bei der Bundesstiftung
eingehen wird. Die Probleme hinsichtlich der Verlängerung von Antragslisten, der Zinsen und der bürokratischen
Hemmnisse, die es vielleicht noch zu bewältigen gibt,
werden gelöst werden. Dies ist zwar wichtig, aber es sind
eben doch nur Nebenaspekte, genau wie die Vorgeschichte, die gerade noch einmal apostrophiert worden ist.
Die zentrale Botschaft von heute ist eben eine andere,
nämlich die: Alle Fraktionen des Deutschen Bundestages,
Volker Beck ({1})
die Bundesregierung und die Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft sind sich darin einig, dass nun unverzüglich mit den Auszahlungen an die Opfer begonnen
werden kann.
({2})
Damit hat dieses schwierige Projekt die letzte große
Hürde genommen, wofür die F.D.P.-Fraktion natürlich
insbesondere dem Beauftragten des Bundeskanzlers,
Dr. Otto Graf Lambsdorff, sehr herzlich dankt.
({3})
Wir schließen uns den ehrenden Worten des Bundeskanzlers und der anderen Redner an. Dass es zu der heutigen
einvernehmlichen Beschlussfassung nun doch kommt, ist
vor allem das Verdienst von Otto Graf Lambsdorff.
Diesen Beschluss herbeizuführen war indes nicht so
problemlos, wie die heutige allgemeine Übereinstimmung suggerieren könnte. Die Fraktionen des Deutschen
Bundestages waren sich ihrer Verantwortung auch für das
Ansehen Deutschlands in der Welt bei diesem Projekt
stets bewusst. Deswegen haben wir bei dieser Problematik ganz bewusst auf eine parteipolitische Auseinandersetzung verzichtet; ich will mich auch heute daran halten.
Es darf aber doch festgestellt werden, dass in der entscheidenden Phase vor etwa zwei Wochen manche Kollegen - aus verständlichen Gründen - hinsichtlich des weiteren Vorgehens vorsichtig und zögerlich gewesen sind.
Die F.D.P.-Fraktion hat die Frage der Rechtssicherheit
sehr sorgfältig geprüft. Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, dass nach dem Verlauf der Rechtsprechung in den
USA keine Verurteilungen deutscher Unternehmen vor
amerikanischen Gerichten drohen. Das Statement of Interest hat sich in der Praxis nach unserer Auffassung hinreichend bewährt. Die somit juristisch gut begründete Entscheidung, Rechtssicherheit festzustellen, war politisch
dringend und rasch geboten. Ich glaube, es überschreitet
nicht die Grenzen des Taktes und ist nicht parteipolitische
Auseinandersetzung, wenn ich feststelle, dass unser Fraktionsvorsitzender Wolfgang Gerhardt dies im richtigen
Moment erkannt hat und in der Öffentlichkeit mit Nachdruck dafür eingetreten ist, dass wir diese Entscheidung
heute treffen. Denn jeder Tag des Zuwartens wäre ein verlorener Tag gewesen.
({4})
Meine Damen und Herren, nun kann endlich wieder ins
öffentliche Bewusstsein rücken, was die Stiftungsinitiative, die Bundesregierung, Graf Lambsdorff und der Deutsche Bundestag mit den internationalen Verhandlungspartnern in den letzten zwei Jahren erreicht haben - das
ist nicht wenig, ich möchte sogar sagen: es ist bewegend -,
nämlich ein Bekenntnis zu Schuld und historischer Verantwortung statt des Verdrängens und Vergessens, eine
Geste der Wiedergutmachung und Versöhnung anstelle
des Rückzugs auf juristische Abwehrpositionen, eine
symbolische Geldleistung an die ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter - übrigens auch an die,
deren Betriebe keine Rechtsnachfolger haben, sodass eine
gerichtliche Einklagung der Ansprüche gar nicht möglich
gewesen wäre -, statt jahrelanger Prozesse mit ungewisser Aussicht der Opfer, je entschädigt zu werden.
Ich glaube, der heutige Beschluss des Bundestages
wird dazu beitragen, dass die späte, aber doch großartige
Idee der gemeinsamen Bundesstiftung in der Geschichte
eine positive Würdigung erfahren wird.
({5})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Roland Claus, PDS-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Entschädigung der ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter ist in
der Tat ein wichtiger Schritt in der deutschen Nachkriegsgeschichte, der längst überfällig war. Was wir heute auf
Antrag aller Fraktionen beschließen, sollte daher nicht gering geschätzt oder herabgewürdigt werden, aber ich empfinde es auch als gut, dass wir uns hierbei jeglicher Selbstzufriedenheit enthalten.
({0})
Gewiss, meine Damen und Herren, es ist an dieser
Stelle vielen zu danken. Ich schließe mich namens der
PDS-Fraktion dem Dank an die bereits Genannten herzlich und gerne an. Unser Dank gilt aber vor allem den
Betroffenenverbänden, die mit ihrem beharrlichen
Nachdruck den wohl größten Anteil am heutigen Ergebnis haben.
({1})
Vergessen wir nicht: Sie sind keine Bittsteller, sondern haben einen höchst moralischen Anspruch.
Eigentlich gingen wir alle davon aus, dass mit der Verabschiedung des Gesetzes zur Stiftung für die Zwangsarbeiterentschädigung, dem ersten von allen Fraktionen gemeinsam eingebrachten Gesetz, die Entscheidung getroffen war.
Dann aber - auch das gehört zur Wahrheit - hat die deutsche Wirtschaft, genauer gesagt: die Interessenvertretung der deutschen Wirtschaftsspitzen, mit dem Deutschen Bundestag Monopoly gespielt. Der Gipfel war wohl
die Forderung, das Parlament solle das gerade beschlossene Gesetz mal eben so gemäß dem Wunsch der Unternehmerverbände ändern. Nun sagt aber zum Glück das
Grundgesetz der Bundesrepublik in Art. 20: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“, nicht aber: Alle Staatsgewalt
geht vom Haus der deutschen Wirtschaft aus. Meiner Meinung nach haben die Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft damit das internationale Ansehen der Bundesrepublik nachhaltig beschädigt, im Übrigen auch das Ansehen
von Unternehmen, die von sich aus der Stiftungsinitiative
beigetreten sind.
({2})
Meine Damen und Herren, setzen wir für einen Moment diese 5 Milliarden DM, über die so viel gestritten
wurde, in einen Vergleich. Es ist weniger Geld, als die
Bankgesellschaft Berlin bei ihren so genannten „ganz normalen“ Geschäften in den Sand gesetzt hat. Man muss sich
das einmal aus der Sicht osteuropäischer Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter vorstellen: Da macht die deutsche Hauptstadt mal eben ein paar Milliarden D-Mark
Schulden und schon ist man dabei, zu erklären, dass man
den Schaden selbstverständlich irgendwie werde ausgleichen können, aber um eine geringere Summe für Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter gibt es ein endloses, an
Würdelosigkeit kaum zu überbietendes Gezerre. Angesichts dessen muss man sich schon fragen, wo hier die
Maßstäbe geblieben sind.
({3})
Gestatten Sie mir noch einen Blick auf die Geschichte:
Die heutige Entscheidung des Deutschen Bundestages
wäre wohl ohne die Überwindung der Blockkonfrontation
und ohne die deutsche Vereinigung nicht möglich geworden. Die früheren Systeme hatten sich auch in dieser
Frage im wahrsten Sinne des Wortes gegenseitig blockiert.
Da ist also mit dem Beitritt der DDR nicht nur einfach etwas dazugekommen, es sind neue Dimensionen eröffnet,
neue Chancen gewonnen worden, die wir wahrnehmen,
aber auch vertun können. Deutschland wird nicht allein
wegen seiner Wirtschaftsmacht internationale Anerkennung finden, sondern man erwartet von uns auch das
öffentliche Signal: Politik und Moral gehören zusammen - und nicht getrennt.
({4})
In drei Wochen jährt sich zum 60. Mal der Überfall
Deutschlands auf die Sowjetunion - und nicht umgekehrt,
Herr Bosbach -, das Land, das dann im Zweiten Weltkrieg
die meisten Opfer brachte. Nicht der Diktator Stalin
wurde nach diesem Überfall versklavt, sondern Millionen
unschuldiger Menschen traf dieses Schicksal. Vor diesem
60. Jahrestag muss die Auszahlung an die Opfer beginnen.
({5})
Sie haben Recht, Herr Bundeskanzler: Eine wirkliche
Entschädigung ist das nicht, weil diesen Schaden niemand
tilgen kann. Aber ein wichtiger historischer Schritt ist jetzt
und heute geboten. Deshalb steht die PDS-Fraktion zu
dem gemeinsamen Antrag aller Bundestagsfraktionen.
Vielen Dank.
({6})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Martin Hohmann, CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr
Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! In wenigen Minuten wird der Bundestag „ausreichende Rechtssicherheit“ feststellen. Das ist Anlass zur
Freude, insbesondere zur Freude mit den hochbetagten,
ehemaligen Zwangsarbeitern, denen mit einigen tausend
D-Mark echte Hilfe geleistet wird. Das ist natürlich auch
Anlass für ein kräftiges Dankeschön und für verdientes
Lob.
Mein erstes Lob gilt der deutschen Wirtschaft und
ihren Vertretern.
({0})
Damit möchte ich den über weite Strecken unverdienten
Tadel ausgleichen, der auf die Wirtschaft in den letzten
Wochen niederprasselte und zum Teil noch niederprasselt.
Dann bin ich schon bei Graf Lambsdorff, einem Mann
mit hervorragenden Talenten und einem ganz außergewöhnlichen Pflichtethos. Er spricht von einer Mischung
aus Geschäft und Moral. Das ist lebenskluger Realitätssinn, der ihn davor bewahrt, in tiefer Ergriffenheit zu sich
selbst aufzublicken. Wir sollten ihn heute darin zum Vorbild nehmen.
Wie war die Entstehungsgeschichte der Zwangsarbeiterinitiative? Da war zuerst der Einzelkämpfer von
Münchhausen. Der eigentliche Anstoß kam dann aus der
rot-grünen Koalitionswerkstatt des Jahres 1998. Helmut
Kohl hatte kurz zuvor gesagt, die Staatskasse werde
nicht wieder geöffnet, eine solche reparationsähnliche
Entschädigung könnte die Büchse der Pandora öffnen.
Griechische Begehrlichkeiten scheinen das zu bestätigen.
Bei der konzeptionellen Arbeit waren die Bundestagsabgeordneten in der Rolle von Zaungästen. Die Schlagzahl gaben Amerikaner vor, der bindende Text ist in Englisch. So entstanden unumstößliche Vorgaben, wie zum
Beispiel die Verteilung des „Topfes“, die so genannte Allokation.
Beim Werben für das Projekt waren deutsche Politiker
dann natürlich wieder nützlich, in erster Linie die der rotgrünen Regierungskoalition. Es ist verständlich, dass sie
die bisherigen deutschen Wiedergutmachungsleistungen
dabei nicht besonders herausstellten. Aber sie müssen genannt werden: Nach heutigem Wert sind an rassisch, religiös oder politisch Verfolgte nach dem BEG rund
233 Milliarden DM gezahlt worden. Rund 100 000 Verfolgte erhalten derzeit BEG-Renten in einem jährlichen
Gesamtvolumen von 1,2 Milliarden DM. Seit Konrad
Adenauer und Ben Gurion hat Deutschland in einzigartiger Weise Verantwortung übernommen.
({1})
Man fragt sich manchmal, warum diese riesige Entschädigungsleistung nicht deutlich kommuniziert wird.
({2})
- Ich komme jetzt zu Ihnen.
Ärgerlich wird es aber, wenn ein Politiker der Regierungskoalition hier im Bundestag behauptet:
Die Zwangsarbeiter sind Menschen, die von unserem
Staat nie etwas bekommen haben.
Die Wahrheit ist, dass neun von zehn Zahlungsempfängern bereits Entschädigungsleistungen aus deutschen
Kassen erhalten haben. Das konnten Sie im „Focus“ und
in der „FAZ“ lesen.
({3})
- Ja, lachen Sie ruhig. Das hat auch die Bundesregierung
bestätigt.
({4})
Wir alle wissen, welch unsägliches Leid jüdischen
Menschen und Menschen anderer Völker durch Deutsche
im letzten Jahrhundert beigebracht worden ist.
({5})
Aber dieses gute Argument braucht kein wahrheitswidriges Übertreiben und kein übermäßiges Moralisieren. Faktum ist, dass bis heute jede Bundesregierung rechtliche
Ansprüche von Zwangsarbeitern zurückgewiesen hat.
Faktum ist, dass bis heute kein einziges Gericht Zwangsarbeiterentschädigungen rechtskräftig zugesprochen hat.
Faktum ist, dass der Stiftungsinitiative der deutschen
Wirtschaft der große Schrecken über die erfolgreiche
1,25-Milliarden-Dollar-Kampagne gegen die Schweizer
Banken in die Knochen fuhr.
({6})
Unter befreundeten Staaten gebraucht man das Wort Erpressung nicht. Aber eine sehr wirksame Einladung zur
Aufnahme sehr ernsthafter Verhandlungen waren die von
B’nai B’rith International und dem American Jewish Congress in den USA geschalteten Anzeigen schon.
Faktum ist, dass erst das Zusammenwirken von mehreren Umständen und Wirkungen das heutige Ergebnis
herbeigeführt hat. Da sind die Geschäftsinteressen großer
deutscher Firmen in den USA. Da ist das Institut der amerikanischen Sammelklage mit ihren horrenden Klagesummen.
({7})
Da ist der Fortfall Deutschlands als wichtigster Verbündeter der USA nach dem Ende des Kalten Krieges. Da
ist, wie es Stuart Eizenstat anlässlich der 1998er-Abschlussfeier der jüdischen Yeshiva-Universität ausdrückte, das Erstarken und das In-den-Mittelpunkt-desamerikanischen-Lebens-Rücken der Juden in den USA.
Da ist auf deutscher Seite die Verantwortung bei Politikern, für die der Erfolg der 68er-Vergangenheitsbewältigung ein prägendes Erlebnis war.
({8})
- Meine sehr geehrten Damen und Herren, Sie sollten die
Fakten zur Kenntnis nehmen können; denn Politik heißt,
das zu sagen, was ist.
({9})
Ich komme zum Schluss.
({10})
- Wenn Sie zu meinem Schlussappell wieder klatschen,
dann sehe ich, dass Sie Menschenrechte ernst nehmen.
({11})
Wenn heute der Versuch gemacht wird, historisches
Leid mit einer moralischen Geste zu lindern, dann dürfen
wir das Leid und die Menschenrechte deutscher Zwangsarbeiter nicht schweigend übergehen.
({12})
Mein Schlussappell an Sie, Herr Bundeskanzler: Haben
Sie auch für deutsche Zwangsarbeiter ein Herz!
({13})
Ich schließe die Aus-
sprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des Bündnisses 90/
Die Grünen, der F.D.P. und der PDS zur Feststellung aus-
reichender Rechtssicherheit für deutsche Unternehmen
nach § 17 Abs. 2 des Gesetzes zur Errichtung einer Stif-
tung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“. Zu
dieser Abstimmung liegt eine schriftliche Erklärung des
Kollegen Kauder und weiterer 13 Abgeordneter der
CDU/CSU-Fraktion vor1). Wer stimmt für diesen Antrag
auf Drucksache 14/6158? - Wer stimmt dagegen? Stimmenthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen
von SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen, F.D.P. und
PDS bei einigen Gegenstimmen aus der CDU/CSU-Fraktion angenommen.
({0})
Ich möchte auch meinerseits allen, die an diesem wich-
tigen Werk beteiligt waren, ein herzliches Wort des Dan-
kes aussprechen.
Wir kommen nun zur Beschlussempfehlung des Innen-
ausschusses zu dem Antrag der Fraktion der PDS zur so-
fortigen Auszahlung an die Opfer der NS-Zwangsarbeit,
Drucksache 14/6165. Der Ausschuss empfiehlt, den An-
trag auf Drucksache 14/5788 für erledigt zu erklären. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! -
Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig
angenommen.
1) Anlage 2
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe Zusatzpunkt 2 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU
Haltung der Bundesregierung zum drastischen
Anstieg der Inflation auf 3,5 Prozent
Bevor ich die Aussprache eröffne, bitte ich die Kolleginnen und Kollegen, die den Saal verlassen wollen, das
möglichst schnell zu tun, damit die Aussprache ungestört
vor sich gehen kann.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Friedhelm Ost, CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die Inflation hat einen Namen: Rot-Grün.
({0})
- Natürlich; ich werde Ihnen das gleich erläutern.
Vor einigen Jahren hat einmal ein Bundesbankpräsident gesagt: Inflation ist Betrug am Sparer, ja an allen
kleinen Leuten. Dieser Bundesbankpräsident kam aus den
Reihen der SPD. Die Inflationsrate lag damals nicht, wie
heute, bei 3,5 Prozent, sondern unter 2 Prozent.
Natürlich wissen Sie selbst das ganz genau: Eine Inflationsrate von 3,5 Prozent bedeutet eine gewaltige Geldentwertung. Die Preissteigerungen treffen vor allem die
sozial Schwächeren.
Das ist aber nicht das einzige Ziel des Wachstums- und
Stabilitätsgesetzes, das verfehlt worden ist. Alle Ziele sind
verfehlt worden. Sie haben saisonbereinigt wieder eine
steigende Arbeitslosigkeit. Sie haben ein unbefriedigendes wirtschaftliches Wachstum; es geht zurück. Der
Bundeskanzler muss seine eigenen Prognosen laufend
zurücknehmen. Sie haben ein Ungleichgewicht in der
Außenwirtschaft, und Sie haben eine hohe Inflationsrate.
Sie können von renommierten wissenschaftlichen Instituten wie dem DIW erfahren, welch außerordentlich
negative Folgen eine so hohe Inflationsrate hat. Das DIW
schreibt in seiner jüngsten Analyse, angesichts dieser
Preisentwicklung bliebe für den privaten Konsum in realer Rechnung kaum noch etwas von dem Anstieg übrig.
Man fragt sich heute: Wie verträgt sich das eigentlich
mit den Verheißungen wie „Wir machen nicht alles anders, aber wir machen alles besser“? Bei 3,5 Prozent Inflation - das ist eine Rekordzahl in den letzten sieben Jahren - können Sie doch nicht davon sprechen, dass alles
besser gemacht worden ist. Die Selbstherrlichkeit, mit der
Sie sich gerade in der Wirtschafts- und Finanzpolitik präsentiert haben, erleidet jetzt Schiffbruch. Sie treiben unser
Land wirtschaftspolitisch in einen wirklichen GAU. Sie
verfehlen alle wichtigen wirtschaftspolitischen Ziele.
({1})
- Ich täusche mich nicht.
({2})
- Sie müssen nur die offiziellen Zahlen zur Kenntnis nehmen. Sie dürfen nicht dauernd dazwischenreden, sonst
können Sie das nicht richtig wahrnehmen.
({3})
Sie sind hier angetreten mit der selbstherrlichen Erkenntnis: Energie ist zu billig. Ich weiß gar nicht, woher
Sie diese großartige Erkenntnis hatten. Fragen Sie einmal
den Autofahrer an der Tankstelle, fragen Sie die Familie,
die die Heizkostenabrechnung bekommen hat und jetzt
nicht nur nachzahlen, sondern auch höhere Vorauszahlungen leisten muss, ob Energie zu billig ist. Sie sind die
Preistreiber der Nation. Diesen Titel haben Sie sich wirklich verdient.
({4})
Sie können nachrechnen; Sie können ja sonst mit Zahlen gut jonglieren: Eine vierköpfige Familie ist in diesem
Jahr mit gut 650 DM höher belastet als 1998. Sie lächeln
darüber und sagen, das sei gar nichts.
({5})
- Doch, Sie nehmen das mit einer Chuzpe hin, die unsozial ist. Sie verschlimmbessern alles.
({6})
Ich erinnere Sie in diesem Zusammenhang an Goethe:
Einmal die Weste falsch geknöpft, ist immer falsch geknöpft. Sie können knöpfen, wie Sie wollen, Sie kommen
immer mit einer falsch geknöpften Weste an.
({7})
Sie sind falsch geknöpft; das sage ich Ihnen ganz offen.
({8})
Eine Inflationsrate von 3,5 Prozent bedeutet eine gewaltige Geldentwertung. Sie sprechen doch auch von Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand. Sie wollen eine gerechte Verteilung vornehmen und die Kluft zwischen Arm
und Reich schließen. Wenn Sie die Inflationsrate von
3,5 Prozent im Zusammenhang mit einem Geldvermögen
von 7 Billionen DM sehen - das sind die Spargroschen der
kleinen Leute, das sind die Vorsorgegroschen von Rentnern und anderen -, müssen Sie erkennen: Sie rauben damit den Leuten in diesem Jahr 24 Milliarden DM. Sie machen jetzt im Zusammenhang mit der Entlastung der
Familien im Umfang von 4 Milliarden DM große Schlagzeilen, nehmen ihnen aber gleichzeitig 24 Milliarden DM
als Folge der Inflation weg.
Außerdem muss ich Ihnen sagen: Was Sie im Zusammenhang mit dem Euro machen - die zweite Quelle der
Inflation - ist auch unsozial. Sie kümmern sich nicht um
den Wert der Währung. Die Importpreise steigen um
5,1 Prozent. Dies bedeutet einen zusätzlichen Anstieg
der Preise, den alle Menschen bald negativ spüren werden.
Deshalb sage ich Ihnen: Sie können sich nicht einfach
verstecken und sagen: Wir hören, sehen und tun nichts.
Präsident Wolfgang Thierse
Sie sind herausgefordert, auch für die Stabilität etwas zu
tun.
Herzlichen Dank.
({9})
Ich erteile der Parlamentarischen Staatssekretärin Barbara Hendricks das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Nach vorläufigen Angaben
des Statistischen Bundesamtes sind, auf der Grundlage
der Daten aus sechs Bundesländern, die Verbraucherpreise seit Mai vorigen Jahres um 3,5 Prozent gestiegen.
Isoliert betrachtet ist das ein drastischer Anstieg. Jedoch
besteht unter Stabilitätsgesichtspunkten kein Anlass,
diese Entwicklung zu dramatisieren, so wie Sie, Herr Kollege, es getan haben.
({0})
Die Preisstabilität ist nicht gefährdet.
Die Ursachen für den Preisauftrieb im Mai sind vorübergehend und klar zu identifizieren. Sämtliche Wirtschaftsexperten und auch die Europäische Zentralbank
rechnen im Jahresverlauf mit wieder rückläufigen
Preissteigerungsraten. Die Verbraucherpreise werden nach
wie vor hauptsächlich durch die Entwicklung der Mineralölpreise bestimmt. Hier kam es im vergangenen Jahr bei
heftigen Auf- und Abbewegungen zu einem deutlichen
Anstieg. Teilweise wirkt sich das erst jetzt bei uns aus, zum
Beispiel bei der Anpassung der Preise für Gas und Fernwärme oder der Umlagen für Heizung und Warmwasser.
Hinzu kommt der jüngste Anstieg der Benzinpreise aufgrund knapperer Raffineriekapazitäten in den USA sowie
der wieder etwas schwächere Euro, der unsere Einfuhren
aus Ländern außerhalb des Euro-Raumes verteuert.
Der zweite preistreibende Faktor sind die Tierkrankheiten BSE und Maul- und Klauenseuche, die zu deutlichen Preisanhebungen bei Schweinefleisch und Geflügel,
aber auch bei als Substitut gekauften Lebensmitteln wie
Fisch und Frischgemüse geführt haben. Nahrungsmittel
sind im Mai binnen Jahresfrist in den sechs Bundesländern, in denen Vorerhebungen gemacht worden sind, um
5,7 bis 9,9 Prozent teurer geworden.
Wir haben für den Mai zwar noch keine detaillierten
Angaben, schätzen aber, dass gut ein Drittel der Jahresrate
von 3,5 Prozent auf die Energieverteuerung und knapp ein
Drittel auf die Nahrungsmittelverteuerung zurückzuführen sind. Die so genannte Kerninflationsrate - das
heißt: ohne Energie und Nahrungsmittel - dürfte auch im
Mai die 1,5-Prozent-Marke nicht überschritten haben.
Der jüngste Preisauftrieb ist also hauptsächlich auf vorübergehende Sonderfaktoren zurückzuführen. Es besteht
deshalb kein Anlass zur Beunruhigung. Die Grundtendenz der Preisentwicklung ist weiterhin moderat.
Dies hat einen statistischen und einen ökonomischen
Hintergrund. Der Einfluss der Euro-Abwertung seit Februar sowie der einsetzenden Mineralölverteuerung ab
Mai letzten Jahres wird zunehmend in der Vorjahresvergleichsbasis enthalten sein. Entsprechendes gilt für die
Nahrungsmittelpreise. Schon aufgrund dieses so genannten Basiseffektes, der auch Ihnen, Herr Kollege, nicht
fremd sein dürfte,
({1})
ist deshalb im Weiteren wieder mit rückläufigen Preissteigerungsraten zu rechnen. Aufgrund der uns vorliegenden Daten halten wir es für durchaus wahrscheinlich, dass
der Verbraucherpreisanstieg im September dieses Jahres
die 2-Prozent-Marke wieder unterschreiten kann. Eine
ähnliche Voraussage hat auch Präsident Duisenberg in den
letzten Tagen gemacht.
Wissenschaft, internationale Institutionen und Finanzmärkte sind sich darin einig: Die Gefahren einer hausgemachten Inflation sind - zumal in Deutschland - äußerst
gering. Die Europäische Zentralbank hat ihre Leitzinssenkung vom 10. Mai damit begründet, dass die Risiken für
die Preisstabilität auf mittlere Sicht etwas nachgelassen
hätten. Sie nennt dabei nicht nur die weltwirtschaftlich bedingte Verlangsamung des Wachstums, sondern auch die
Lohnabschlüsse, die trotz des Ölpreisschocks sehr moderat ausgefallen sind. Die Tarifparteien haben sich beschäftigungskonform und äußerst verantwortungsbewusst verhalten. Im Zusammenspiel mit unserer soliden
Finanzpolitik ist - unabhängig von temporären Einflüssen - die Grundlage für stabile Preise gelegt.
Herzlichen Dank.
({2})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Rainer Brüderle, F.D.P.-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist amtlich: Grün-Rot kommt uns
teuer zu stehen.
({0})
Die jetzige Steigerungsrate der Lebenshaltungskosten
von 3,5 Prozent ist die höchste seit Dezember 1993.
({1})
Die Einfuhrpreise sind im April dieses Jahres um 5,1 Prozent und die Erzeugerpreise in der gewerblichen Wirtschaft um 5,4 Prozent gestiegen. Das sind keine guten
Vorboten.
({2})
So stark sind die Preise in der gewerblichen Wirtschaft
seit 20 Jahren nicht mehr gestiegen. Das zeigt: Grün-Rot
ist teuer.
({3})
Der dramatische Anstieg der Preise ist zum großen Teil
hausgemacht. Die Bundesregierung sorgt mit ihrer Politik
für eine künstliche Verteuerung von Energie.
({4})
Das ist nichts anderes als Preistreiberei auf dem Rücken
der Verbraucher.
({5})
Die durch die Ökosteuer bedingten hohen Preise für Benzin, Heizöl und Gas sowie die zusätzliche Erhöhung der
Strompreise durch die Umlagen für Ökostrom sind doppelt schädlich: Sie lassen dem Bürger nicht nur weniger
Geld in der Tasche, sondern entziehen über die Geldentwertung zusätzliche Kaufkraft. Die Regierung würgt mit
ihrer Preistreiberei in einer bedenklichen Konjunktursituation den privaten Konsum ab. Es gibt eine gefährliche Nachfrageschwäche. Grün-Rot stranguliert die Wirtschaftsentwicklung.
({6})
- Herr Baron, Sie sollten nicht lachen.
({7})
Hinzu kommen Kostenbelastungen für die Wirtschaft
durch das geplante Zwangspfand,
({8})
- Herr Baron belieben zu scherzen -, die Verschlechterung der Investitionsbedingungen durch die Neugestaltung der Abschreibungstabellen und die Verschärfung der
betrieblichen Mitbestimmung. Dies wird die Preise weiter anheizen.
Auch der schwache Euro trägt nicht unerheblich zu der
hohen Inflationsrate bei. Bundesbankpräsident Welteke
hat dieser Tage darauf hingewiesen. Die importierte Preissteigerung nimmt, wie die Zahlen belegen, deutlich zu.
Die Bundesregierung schwächt den Euro und beschleunigt so den Preisauftrieb, weil sie notwendige Strukturreformen etwa auf dem Arbeitsmarkt unterlässt. Die Aussage des Bundeskanzlers aus dem vergangenen Jahr, dass
ein schwacher Euro gar nicht so schlimm sei, weil er der
Exportwirtschaft nütze, diese Milchmädchenökonomie,
hat den Kurs der europäischen Währung zusätzlich belastet. Angesichts der mut- und perspektivlosen Politik der
Bundesregierung - in Italien und Frankreich sieht es ähnlich aus - sind die Aussichten auf eine Erholung des Euro
sehr düster. Ich würde mich nicht wundern, wenn der
Euro-Kurs noch nicht seinen Tiefpunkt erreicht hat.
Gemeinsam mit der Wachstumsflaute droht am Horizont das Gespenst der Stagflation. Doch Grün-Rot tut
nichts, um die streng stabilitätsorientierten Mitglieder der
Europäischen Zentralbank zu stärken. Unwidersprochen
blieben die Forderungen des französischen Premiers nach
einer europäischen Wirtschaftsregierung. Dies wäre eine
zusätzliche Schwächung der Europäischen Zentralbank.
Die Politik der Geldentwertung ist die ungerechteste
Politik. Gerade die tüchtigen, anständigen kleinen Leute
sind die Leidtragenden einer Geldentwertung. Das ist sozial tief ungerecht.
({9})
Die hohen Inflationsraten verstärken zudem die Gefahr
der Lohn-Preis-Spirale. Das Bündnis für Arbeit in seiner
wachsweichen Performance und Umsetzung hat hier
keine guten Grundlagen gelegt. Erste Andeutungen von
den Gewerkschaften lassen hier nichts Gutes ahnen. Ein
Blitzprogramm ist notwendig, damit die Bundesregierung
den Trend umkehrt. Das heißt: Stopp mit der Ökosteuer,
Stopp mit dem Zwangspfand, Stopp mit der teuren betrieblichen Mitbestimmung.
({10})
- Herr Baron, Sie spüren es dank Ihrer hohen Diäten nicht.
Es gibt aber Leute, die weniger als Sie haben. Denen tut
das weh. Sie lachen darüber. Den Rentnern, den Arbeitslosen tut es weh, Ihnen nicht. Lachen Sie weiter, verhöhnen Sie Ihre Wähler!
({11})
Stattdessen brauchen wir eine sofortige weitere Absenkung der steuerlichen Belastung, eine Senkung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge und einen Verzicht auf
die Verschlechterung der Abschreibungsbedingungen. Es
gibt nur einen Weg, diese schlechte Entwicklung zu stoppen: Das ist eine Umkehr der Politik!
({12})
Wenn Sie das so weiter treiben lassen und nicht den
Mut haben, Ihre Politik zu korrigieren, werden Sie das
ernten, was das Schlimmste ist: weitere Geldentwertung
und keine wirtschaftliche Dynamik. So kriegt man die
Arbeitslosigkeit nicht herunter. Da hilft auch kein Schönungsprozess in der Statistik. Da helfen nur andere, bessere Rahmenbedingungen, um die Weichen für mehr
Arbeit in Deutschland zu stellen. Stagflation ist ein drohendes Gespenst. Tun Sie etwas, bevor es Realität wird!
({13})
Ich gebe das
Wort dem Kollegen Dr. Reinhard Loske für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
muss schon sagen, es ist etwas absonderlich, wenn Herr
Ost und Herr Brüderle hier als Verteidiger der kleinen
Leute auftreten. Das nimmt ihnen doch kein Mensch ab.
({0})
Sehen Sie sich doch die Politik dieser Regierung insgesamt an.
({1})
Was haben wir bei der Steuerreform gemacht? Das muss
man Ihnen immer und immer wieder erklären. Wir haben
den Eingangssteuersatz gesenkt. Wir haben die Grundfreibeträge erhöht. Wir haben die Steuersätze insgesamt
gesenkt. Wir haben den Spitzensteuersatz gesenkt. Wir
haben die Wirtschaft entlastet.
({2})
Das sind alles Dinge, die Sie nicht gemacht haben. Insofern klingt die Kritik aus Ihrem Munde nicht besonders
berufen.
Aber ich will zum Thema kommen. Wir haben im Moment in der Tat vorübergehend eine hohe Inflationsrate.
Das gibt Grund zur Sorge; keine Frage. Aber gerade weil
das so ist, tun wir, glaube ich, gut daran - wie die Frau
Staatssekretärin das getan hat -, nüchtern die Ursachen zu
beleuchten.
({3})
Es sind im Wesentlichen zwei Ursachen zu nennen. Wir
haben es mit einem vorübergehenden Preisbuckel zu tun,
der, glaube ich, überschaubar ist. Zum einen ist das die
Entwicklung der Nahrungsmittelpreise. Wir haben einen
überdurchschnittlichen Anstieg bei den Nahrungsmittelpreisen. Es ist jetzt sicherlich nicht der Ort, eine agrarpolitische Grundsatzdebatte zu führen. Aber wenn man schon
auf dieses polemische Niveau herabsteigt, auf das Sie sich
begeben haben, muss man sagen: Die Ursache dafür, dass
die Nahrungsmittelpreise jetzt hoch sind, sind die BSEKrise und die anderen Agrarkrisen. Dafür haben Sie eine
ganz große Verantwortung aus der Vergangenheit.
({4})
Die Regierung versucht jetzt, eine Agrarwende hinzubekommen, die mehr Transparenz schafft, die den Verbraucherinnen und Verbrauchern wieder die Verantwortung zurückgibt und damit auch die Unsicherheit auf dem
Nahrungsmittelmarkt beendet.
Das zweite Thema ist ohne Zweifel die Energie; Herr
Brüderle, das ist nicht ganz falsch. Aber Sie müssen natürlich ehrlicherweise zugeben, dass es im Wesentlichen externe Faktoren sind, die hier Einfluss haben.
({5})
Das ist zum einen die Entwicklung der Rohölpreise. Es ist
zum anderen die Entwicklung der Benzinpreise
({6})
wegen der knappen Raffineriekapazitäten in den Vereinigten Staaten.
({7})
Daran hat natürlich auch der Euro einen gewissen Anteil. Diese keifende Meute dort an der Bank ist etwas ungewöhnlich. Aber gut, sei es drum. Offenbar sind die Argumente gut.
({8})
Die energiepolitischen Rahmenbedingungen, die die
Bundesregierung gesetzt hat, spielen hier eine nachgeordnete Rolle.
Die entscheidende Frage ist: Welche Schlüsse ziehen
wir daraus? Der entscheidende Schluss kann doch nur
sein: Wir müssen unsere Abhängigkeit vom Erdöl reduzieren. Das muss die strategische Antwort sein. Wir müssen weg vom Öl.
({9})
Wir glauben, dass wir uns aus diesem Klammergriff der
OPEC-Länder nur befreien können, wenn wir eine konsequente Stretegie der Energieeinsparung fahren, wenn wir
mit der Effizienzrevolution Ernst machen.
Wir haben ein Erneuerbare-Energien-Gesetz. Wir
brauchen Energieeinsparungen. Wir haben ein Altbausanierungsprogramm aufgelegt. Wir haben zusätzliche Mittel in die Bahn investiert. All das führt dazu, dass unsere
Abhängigkeit vom Erdöl zurückgeht. Das ist gut so. Diesen Weg werden wir konsequent fortsetzen. Wir wollen,
dass Ölimporte durch heimischen Ingenieurverstand und
durch heimische Handwerksleistungen ersetzt werden;
denn damit stärken wir den Wirtschaftsstandort Deutschland und damit schaffen wir neue Arbeitsplätze.
({10})
Das ist die einzig vernünftige Lehre, die man daraus ziehen kann.
Den Christenmenschen auf der rechten Seite will ich
zum Abschied gern die Worte des Diözesanrates des
Bistums Passau angedeihen lassen - dies ist direkt an Ihre
Adressen gerichtet -:
Verzichten Sie darauf, den Menschen vorzugaukeln,
niemand brauche seine Lebensgewohnheiten zu ändern, da es auch künftig genügend billiges Öl geben
werde. Aus geologischen und ökonomischen Gründen geht die Zeit des billigen Öls bald unwiderruflich
zu Ende. Je früher die Menschen es erfahren, umso
besser ist es.
Danke schön für Ihre Aufmerksamkeit.
({11})
Für die
Fraktion der PDS spricht die Kollegin Dr. Barbara Höll.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Sachstand lässt sich relativ einfach konstatieren: Die Wärme in der Stube ist teurer geworden; Fahrpreise und Benzinpreise steigen; Butter,
Milch, Wurst und Fleisch sowie Obst und Gemüse werden
immer teurer; Schuhe, Taschen und Lederwaren werden
spätestens ab Herbst dieses Jahres mehr kosten.
Die Inflationsrate wird im Mai bei über 3,5 Prozent liegen. Das hat verschiedene Ursachen. Der Anstieg des
Rohölpreises auf dem Weltmarkt ist - das wissen wir - ein
entscheidender Grund. Natürlich hat auch die Ökosteuer
ihr Scherflein dazu beigetragen. Ich denke, das kann man
nicht verleugnen. BSE sowie Maul- und Klauenseuche
sind zu nennen, aber auch die Umstellung auf den Euro.
Sie wurde bisher noch nicht erwähnt. Es gibt eine Selbstverpflichtung des Einzelhandels, im zweiten Halbjahr
dieses Jahres die Preise nicht mehr zu erhöhen. Erhöhen
wir die Preise doch lieber gleich im ersten Halbjahr. Ein
Abfallen der Inflationsrate auf unter 2 Prozent im zweiten
Halbjahr dieses Jahres ist trotzdem nicht zu erwarten.
Der Skandal besteht eigentlich darin, wie die Regierung nicht reagiert. Sie alle haben bisher noch nichts zur
Lage der 2,8 Millionen Menschen in der Bundesrepublik
Deutschland, die von Sozialhilfe leben, gesagt. Diese
Menschen trifft die hohe Inflationsrate natürlich am allerstärksten.
({0})
Zwischen 1993 und 1996 - das ist an die alte Regierung und an die alte Koalition gerichtet - haben Sie im Zusammenhang mit den Sozialhilferegelsätzen ein großes
Spiel begonnen: Sie haben sie nicht mehr an die realen
Lebenshaltungskosten angepasst. Das führte bereits in
diesem Zeitraum, also in einem Zeitraum von drei Jahren,
zu einem Absinken des realen Niveaus um 5 Prozent.
Die gesamte damalige Opposition forderte, dass die
Sozialhilferegelsätze an die Lebenshaltungskosten gebunden werden müssen. Nachdem sie die Regierungsverantwortung übernommen hatte, war es damit nicht mehr
so weit her. Zum 1. Juli 2000 wurden die Regelsätze entsprechend der Preissteigerung erhöht. Allerdings wurde
dieser Erhöhung die Inflationsrate von 1999 - 0,7 Prozent - zugrunde gelegt.
Zum 1. Juli dieses Jahres soll wieder eine Anhebung
der Regelsätze für die Sozialhilfe erfolgen, allerdings gekoppelt an die Lohnentwicklung. Aus einer Antwort der
Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der CDU/CSU
zur Entwicklung der Regelsätze geht hervor - Frau
Hendricks hat das bestätigt -, dass die Regierung aufgrund der sehr moderaten Verhandlungen eine Erhöhung
der Löhne und Gehälter um höchstens 2 Prozent erwartet.
Das heißt: Auch Sie richten die Steigerung der Sozialhilferegelsätze danach aus, was für Sie günstiger ist, was weniger kostet. Sie entscheiden nicht danach, wie die Kosten für die Bürgerinnen und Bürger sind, die von diesem
Geld leben müssen.
Im Februar dieses Jahres betrug die Inflationsrate
2,8 Prozent, im März 2,7 Prozent, im April 3,1 Prozent
und im Mai beträgt sie wahrscheinlich über 3,5 Prozent.
Darauf werden Sie bei der Anpassung der Sozialhilferegelsätze voraussichtlich nicht ausreichend reagieren. Das
ist die Fortsetzung einer Politik, wie Sie sie schon mit der
Einführung der Ökosteuer durchgesetzt haben. Sie haben
diese Steuer ohne Rücksicht auf jeglichen sozialen Ausgleich für Studenten und Studentinnen, für Rentner und
Rentnerinnen sowie für Sozialhilfeempfänger und Sozialhilfeempfängerinnen durchgedrückt.
Heute hat das Kabinett beschlossen, das Kindergeld
um 30 DM zu erhöhen. Alle sollen sich freuen.
({1})
In der Realität ist das allerdings nicht viel mehr als eine
Anpassung an die Inflationsrate.
Ich komme zum Sozialhilferegelsatz zurück; denn die
Grundlage für die Berechnung Ihrer Kindergelderhöhung
ist der regelmäßige Bericht der Bundesregierung über die
Höhe des Existenzminimums von Erwachsenen und Kindern. Die Berechnung dieses Existenzminimums beruht
auf dem Sozialhilfeniveau, dem Sozialhilferegelsatz. Das
heißt ganz schlicht und einfach: Ein zu niedriges Sozialhilfeniveau führt zu einem zu niedrig berechneten Existenzminimum der Kinder. Daraus resultieren wiederum
zu niedrige Kinderfreibeträge und ein zu niedriges Kindergeld. Damit hat sich der Kreis geschlossen.
Was Sie heute verabschiedet haben, ist nur auf den ersten Blick etwas sozial Gutes. Es hat aber nichts mit einem
Leistungsausgleich zu tun, sondern ist nur ein ganz klein
wenig mehr als der Inflationsausgleich, der auch noch
gemäß Ihrem konkreten Regelungsvorschlag zu einem
großen Teil insbesondere durch Alleinerziehende gegenfinanziert wird. Hinzu kommt, dass Sie jetzt noch bemüht
sind, das ganze Verfahren innerhalb von vier Wochen
durchzuziehen, um zu verhindern, dass die Öffentlichkeit
tatsächlich richtig mitbekommt, was läuft. Sie versuchen
damit, auch die Kritik aus den Verbänden, die es schon gibt,
abzuwürgen und nicht zur Sprache kommen zu lassen.
In diesem Sinne ist es richtig, über den Anstieg der Inflationsrate zu sprechen. Wir müssen aber auch darüber
sprechen, wie wir als Parlament darauf reagieren. Das ist
insbesondere für die Menschen wichtig, die darauf angewiesen sind, dass wir reagieren. Das vermissen wir als
PDS bisher. Aber wir werden darauf hinwirken.
Ich danke Ihnen.
({2})
Ich erteile
das Wort dem Kollegen Max Straubinger für die
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon erstaunlich:
Wir haben in unserem Land die höchste Inflationsrate seit
1993. Aber wenn ich die Ausführungen der Staatssekretärin Frau Hendricks vorhin richtig verstanden habe,
komme ich zu dem Schluss, dass die Regierung auf das
Prinzip Hoffnung setzt.
({0})
Das Prinzip Hoffnung ist sehr trügerisch: Die Regierung hat zu Beginn des Jahres darauf gehofft, dass wir im
heurigen Jahr fast 3 Prozent Wirtschaftswachstum haben
werden. Jetzt liegen wir aber nur bei 1,5 Prozent.
({1})
Verehrte Frau Staatssekretärin, es wäre wesentlich wichtiger und besser, politische Initiativen und Maßnahmen zu
ergreifen, um diesem unerträglichen Inflationsschub Einhalt zu gebieten.
({2})
Ich möchte daran erinnern, dass wir 1998 bzw. 1999 fast
Preisstabilität hatten. 1999 war eine Preissteigerung - das
war natürlich noch Ausfluss der Arbeit der Bundesregierung von CDU/CSU und F.D.P. - von nur 0,6 Prozent zu
verzeichnen.
({3})
Seit Einführung der Ökosteuer und der unsäglichen, ideologisch motivierten Belastungen, die Ihre Politik sozusagen mitbegründet, gibt es mittlerweile in MecklenburgVorpommern eine Preissteigerungsrate von 4,1 Prozent.
Hier müssen die Alarmglocken endlich schrillen.
({4})
Der Kollege Loske hat vorhin ausgeführt, die Belastung durch die Ökosteuer sei eigentlich vernachlässigbar.
({5})
Herr Kollege Loske, Heizöl wurde um 4 Pfennig je Liter
und Erdgas um 3,60 DM je Megawattstunde zusätzlich
besteuert. Die Stromsteuer wird bis zum Jahr 2003 um
5 Pfennig je Kilowattstunde erhöht. Die Mineralölsteuer
wurde seit 1999 um 25 Pfennig je Liter erhöht. Insgesamt,
Herr Kollege Loske, sind die Bürgerinnen und Bürger gegenüber 1998 um 70 Milliarden DM zusätzlich belastet
worden. Dies ist letztendlich mit die Ursache für diese
unsägliche Preistreiberei.
({6})
Es ist ein Trugschluss, wenn jemand glaubt, er könne
auf die notwendigen Reformen verzichten und er könne
die Rentenkassen mit einer zusätzlichen Steuer sanieren,
um damit die Renten zu sichern. Vielmehr muss der Reformwille erkennbar werden. Wir können das Gesundheitssystem nicht dadurch kurieren, dass wir Mindestbeitragssätze einführen, die letztendlich eine zusätzliche
Preistreiberei auslösen werden. Aber die eigentliche Ursache liegt in der falschen Haushaltspolitik, wie sie RotGrün letztendlich betrieben hat. Erinnern wir uns: Es heißt
immer, wir haben einen Sparhaushalt. Dass aber der vormalige Finanzminister Lafontaine das Haushaltsvolumen
in einem Jahr um 8 Prozent ausgeweitet hat, ist mit eine
der Ursachen dafür, dass wir heute eine solche Inflationsrate aufzuweisen haben.
({7})
- Das ist sie nicht.
Verlierer dieser Politik sind die Rentner in unserem
Land. Ich kann mich noch daran erinnern, dass bei Einführung der Ökosteuer Grüne und SPD-Politiker großartig darlegten, auch die Rentner wären Gewinner der Einführung einer Ökosteuer, weil ihre Renten ja gemäß den
Nettolöhnen angepasst und diese steigen würden. Als die
Nettolöhne gestiegen sind, hat
Die Renten werden nur noch gemäß der
Inflationsrate angepasst. Zugrunde gelegt wurde aber die
Inflationsrate aus der Zeit der CDU/CSU-F.D.P.-Bundesregierung, nämlich 0,6 Prozent. 0,6 Prozent Rentenerhöhung, aber 3,5 Prozent Preissteigerungsrate im Mai dieses Jahres - das ist ein Skandal und führt zu realen
Verlusten für die Rentnerinnen und Rentner.
({0})
Die gleichen Verluste erleiden natürlich auch die Sparer. Wenn einer 10 000 DM als Not- oder Spargroschen
oder Sonstiges - Friedhelm Ost hat es anhand hoher Summen dargelegt, ich möchte es anhand kleiner darlegen auf seinem Sparbuch angelegt hat, bekommt er im Jahr bei
einem Eckzins von 1 Prozent 100 DM Zinsen, gleichzeitig erleidet er einen Wertverlust von 350 DM.
({1})
Dies zeigt sehr deutlich, dass Rentner, Sparer und natürlich Familien mit Kindern die eigentlichen Verlierer der
rot-grünen Politik sind.
({2})
Deshalb gilt es, jetzt eine Politikwende herbeizuführen. Verzichten Sie auf die weitere Erhöhung der Ökosteuer in Zukunft - wenn Sie schon die Ökosteuer an sich
nicht zurücknehmen wollen - weil damit wiederum
überdimensionale Belastungen auf die Bürgerinnen und
Bürger zukommen werden, nämlich zum 1. Oktober 2001
plus 3 Pfennig Schwefelsteuer, zum 1. Januar 2002 plus
7 Pfennig Ökosteuer je Liter Benzin und zum 1. Januar
2003 wieder 7 Pfennig Ökosteuer je Liter Benzin mehr.
Wenn dieses so käme, würde das bedeuten, dass eine weitere Preisspirale in Gang gesetzt würde. Darüber hinaus
sind die Lohnempfänger die Gelackmeierten.
Noch ein Letztes: Ich hoffe nicht, dass wir so weit
kommen, dass solche unsäglichen Lohnforderungen gestellt werden müssen, wie sie mittlerweile die Flugzeugpiloten verlangen, nämlich 30 Prozent mehr Lohn. Ich
hoffe nicht, dass sie dieses im Zusammenhang mit dem
Inflationsausgleich gesehen haben.
Besten Dank für die Aufmerksamkeit.
({3})
Für die
SPD-Fraktion spricht die Kollegin Nina Hauer. Bevor Sie
das Wort ergreifen, darf ich Ihnen im Namen des Hauses
herzlich zu Ihrem heutigen Geburtstag gratulieren.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vielen Dank für die Glückwünsche.
Herr Straubinger, wenn es nach dem Willen von
CDU/CSU gegangen wäre, hätten die Rentner und Rentnerinnen schon in diesem Jahr eine Rentenkürzung hinnehmen müssen, gleichzeitig aber hätten die Beschäftigten viel höhere Lohnnebenkosten zahlen müssen.
({0})
Die Tatsache, dass es andersherum funktioniert, ist der
rot-grünen Bundesregierung zu verdanken. Ich denke, das
wissen die Rentner und Rentnerinnen auch.
({1})
Lieber Herr Brüderle, verehrter Herr Ost, die Ausführungen, die Sie in Ihren Beiträgen gemacht haben, sind
wirtschaftspolitisch grob fahrlässig. Sie verfahren nach
dem Motto: Unsere Akzeptanz in der Bevölkerung sinkt,
deswegen reden wir das Wachstum herunter und die Inflation hoch.
({2})
Sie geben wider besseres Wissen
({3})
die falschen Signale an die deutsche Wirtschaft und für
das wirtschaftliche Ansehen Deutschlands im Ausland.
({4})
Sie wissen ja, dass diese Inflation zum größten Teil importiert ist: Die Rohöl- und Erzeugerpreise sind angestiegen, natürlich sind auch die Nahrungsmittelpreise angestiegen, weil wir zwei schwer wiegende Krisen in der
Fleischproduktion hinter uns haben bzw. zum Teil noch
mittendrin stecken. Das hat natürlich Auswirkungen auf
die Preisentwicklung gehabt. Man muss sehen, dass auch
die wirtschaftliche Entwicklung externen Faktoren unterworfen ist.
({5})
Die Entwicklung in den Vereinigten Staaten hat natürlich auch Einfluss auf eine Volkswirtschaft wie die deutsche, die extrem exportorientiert ist. Wenn Sie sich die
Zahlen des Wirtschaftswachstums einmal genau anschauen, erkennen Sie, dass allein schon die Entwicklung
in der Bauwirtschaft die Wachstumsprognosen nach unten
korrigiert.
Ich hatte angenommen, nach der Hannover-Messe
würden Sie sich etwas zurückhalten, weil dort auch die
Wirtschaftsverbände deutlich gemacht haben, dass sie den
von Ihnen verbreiteten Pessimismus nicht wollen, weil es
dazu keinen Anlass gibt. Es gibt Branchen in Deutschland, die Wachstumsraten bis zu 7 oder 8 Prozent haben.
Das gilt nicht nur für die Elektrotechnik oder für den Maschinenbau, das gilt auch für die Dienstleister, es gilt für
alle Branchen im Bereich der Informationstechnologien.
Sie schaffen nicht nur wirtschaftliches Wachstum, sondern auch Arbeitsplätze. Denn irgendwo müssen ja die
1,3 Millionen Beschäftigungsverhältnisse, die in den letzten zwei Jahren dazugekommen sind, ihre Grundlage haben.
({6})
Sie entstanden gerade in den Branchen, in denen in den
letzten Jahren Leute eingestellt worden sind, wo Wachstum unterstützt wurde und auch Löhne angehoben wurden.
Sie werfen den Tarifpartnern vor, sie würden ihren Teil
zur Inflation beitragen. Das finde ich in Anbetracht der
Tatsache, dass wir es geschafft haben, dass sich die Tarifpartner im Bündnis für Arbeit zusammengesetzt und
moderate Lohnentwicklungen vereinbart haben, eine Unverschämtheit.
Ich weiß nicht, ob sich die PDS einen Gefallen tut,
wenn sie es so darstellt, als ob allein die soziale Transferleistung ein Ausdruck sozialer Gerechtigkeit und sozialer
Unterstützung wäre.
({7})
Unsere Politik ist es, dieses Wachstum zu stärken. Aber
unsere Politik ist es auch, denjenigen, die von Sozialhilfe
leben, in unserer Gesellschaft eine neue Chance zu geben.
Ich denke, da kann sich unser politisches Ergebnis sehen
lassen. Wir konsolidieren den Haushalt; das wirkt auch
ganz gut gegen Inflation.
({8})
Wir betreiben eine aktive Arbeitsmarktpolitik; wir betreiben aktive Forschungspolitik. Wir haben dazu beigetragen, dass ausländische Investitionen in Deutschland attraktiver geworden und damit angestiegen sind. Wir
haben dazu beigetragen, dass die Wirtschaft im Ausland
weiß: Es lohnt sich wieder, in Deutschland zu investieren.
Das gilt natürlich auch für die Wirtschaft im Inland.
Ich verstehe gar nicht, warum Sie, Herr Brüderle, immer auf der Steuerreform herumhacken. Es war glücklicherweise auch das Land Rheinland-Pfalz, wo die F.D.P.
mitregiert, das diese Steuerreform im Bundesrat unterstützt hat.
({9})
Wir haben damit in der Tat eine Grundlage für wirtschaftlichen Aufschwung schaffen.
({10})
Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters
Wir haben aber auch die Grundlage dafür geschaffen, dass
die Leute am Ende des Jahres mehr Geld in der Tasche haben.
({11})
Das ist nicht nur für die Wirtschaft wichtig, das hat auch
etwas mit sozialer Gerechtigkeit zu tun.
({12})
Ich kann zu Ihrem Pessimismus nur sagen: Reden Sie
so weiter! Sie werden irgendwann dahin kommen, dass
Sie weder in den Verbänden noch in der Bevölkerung irgendjemand ernst nimmt. Wir vertrauen in die wirtschaftliche Kraft Deutschlands. Wir tun etwas dafür. Wir haben
im Mittelstand und bei den Beschäftigten auch die richtigen Bündnispartner dafür.
Vielen Dank.
({13})
Ich gebe das
Wort dem Kollegen Hartmut Schauerte. Er spricht für die
CDU/CSU-Fraktion.
Ich meine, wir sollten uns ohne Schön- oder Schlechtreden an den Fakten
orientieren.
({0})
Wir reden über ein wichtiges wirtschaftspolitisches
Thema. 3,5 Prozent Inflation entsprechen bei einem Bruttosozialprodukt von etwa 4 000 Milliarden DM in
Deutschland einem Betrag von 140 Milliarden DM. Das
ist dreimal so viel, wie Sie nach fünf Jahren Steuerreform
an Beträgen pro Jahr zurückgeben wollen. Das ist mehr
als 30-mal so viel, wie Sie für das Kindergeld ausgeben.
Diese 140 Milliarden DM landen nicht irgendwo in der
Luft, sondern bei ganz konkret betroffenen Menschen, in
der Regel bei Verbrauchern, bei Familien, bei Rentnern,
bei niemandem sonst. Wer eine solche Entwicklung nicht
wahrnimmt und von „Schlechtreden“ spricht oder sie verharmlost und wenig dagegen tut, der handelt nicht verantwortungsbewusst.
({1})
Das ist eine schwerwiegende Herausforderung. Ich denke,
wir müssen uns ihr stellen.
Es gibt natürlich Dinge, die man nicht beeinflussen
kann. Aber es gibt auch Dinge, die man beeinflussen kann.
Wenn man schon einiges laufen lassen muss, dann sollte
man wenigstens in den Fällen handeln, in denen das möglich ist, damit nicht alles noch schlimmer wird. Ihre Ökosteuer ist genau der Punkt, an dem Sie alleinverantwortlich preistreibend wirken. Wenn dann widrige Umstände
hinzukommen, wären Sie gut beraten, zu sagen: Nun halten wir inne, nun nehmen wir ein Stück zurück, damit die
Belastungen nicht plötzlich die Strukturen bei den einfachen Leuten zerschlagen. - Dazu fordern wir Sie auf.
({2})
Natürlich gab es auch bei der CDU Inflation. Zu Beginn der Wiedervereinigung stieg die Rate auf mehr als
5 Prozent. Das hat uns unglaublich belastet; aber wir
wussten, woran es lag. Es bestand die Sorge, es könnten
auch 10 Prozent werden, weil die Wiedervereinigung so
plötzlich und ungeplant finanziert werden musste.
({3})
Aber in den letzten fünf Jahren unserer Regierungszeit
sank die Inflationsrate von 1,7 auf 0,5 Prozent. Jetzt regieren Sie seit zweieinhalb Jahren. Bevor man einen guten
Prozess in einer großen Volkswirtschaft mit 80 Millionen
Menschen umkehrt, braucht es seine Zeit: Im Jahr 2000
hatten wir 1,9 Prozent Inflation, in diesem Jahr haben wir
3,5 Prozent. Das sind die Früchte Ihrer Politik, die Sie uns
jetzt nicht mehr als Ergebnis der Vergangenheit in die
Schuhe schieben können. Das ist Ihre Inflationsrate; für
die Wertzerstörung in Höhe von 140 Milliarden DM zulasten der deutschen Bürgerinnen und Bürger sind Sie verantwortlich.
({4})
Dem müssen Sie sich stellen.
Ich will einmal darstellen, welche Auswirkungen das
auf die privaten Haushalte hat. Ein normaler Haushalt hat
laut Angaben des Statistischen Bundesamtes Aufwendungen für den privaten Verbrauch - mit allen staatlichen
Transferzahlungen und allem Drum und Dran - in Höhe
von durchschnittlich 4 031 DM. Bei diesem Betrag kostet
eine Inflation von 3,5 Prozent monatlich 183 DM.
({5})
- Für einen durchschnittlichen Haushalt sind das mehr als
2 000 DM im Jahr.
Sie können gar nicht so viele staatliche Transferleistungen organisieren, dass Sie das wieder auffangen können. Deswegen wundere ich mich, dass Sie in dieser Situation nicht ein einziges Rezept haben, nicht eine einzige
Handlung andeuten, womit Sie zeigen würden: Wir wollen umsteuern; wir wollen das wieder auf ein verträgliches Maß zurückführen.
Die hohen Inflationsraten, die wir seinerzeit zu verantworten hatten, waren durch die Wiedervereinigung und
die Risiken, die damit verbunden waren, begründet. Ich
will das hier niemandem in die Schuhe schieben. Sie waren vernünftig; es ging wohl nicht anders.
({6})
- Ich bitte um Vorschläge, wie Sie es besser gemacht hätten. Die Besserwisser kennen wir. - Aber jetzt erhöhen Sie
die Inflation ohne Not, ohne einen solchen epochalen Einschnitt. Das macht die Sache in der Tat ganz schön
schlimm.
Noch schnell eine Korrektur. Wenn hier gesagt wird,
Sie hätten die Abgabenquote gesenkt, muss ich feststellen - an Ihrem Geburtstag möchte ich nur sehr freundlich
mit Ihnen umgehen, Frau Kollegin Hauer -: Die Abgabenquote lag im Oktober 1998 bei 42,3 Prozent; jetzt liegt
sie bei 43 Prozent.
({7})
Die Steuerquote lag in unserer Volkswirtschaft im Oktober 1998, zu dem Zeitpunkt, da wir die Regierung übergeben haben, bei 22 Prozent; heute liegt sie bei 23,1 Prozent. Sie haben sowohl die Steuerquote als auch die
Abgabenquote in dieser Zeit erhöht. Nun erhöhen Sie die
Inflationsrate auf diese immense Höhe, sagen aber gleichzeitig: Alles ist schön, wer etwas anderes sagt, redet unser
Land schlecht; Rezepte haben wir nicht, doch es wird
schon wieder besser werden.
Ich warne Sie: Das ist der Anfang der fatalen Situation,
die wir damals hatten, als irgendein Bundeskanzler gesagt
hat: Was habt ihr eigentlich? Mir sind 5 Prozent Inflation
lieber als 5 Prozent Arbeitslose. - Wohin uns das geführt
hat, daran erinnern sich noch die, die dabei waren. Wenn
Sie nicht gegensteuern, laufen Sie in die gleiche Falle. Davor wollen wir unser Volk rechtzeitig gewarnt haben.
Herzlichen Dank.
({8})
Die Kollegin Andrea Fischer spricht nun für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie haben gesagt, die Inflation werde von uns verharmlost. Das
habe ich von keinem Kollegen, der seitens der sozialdemokratischen und der grünen Fraktion gesprochen hat,
so gehört. Die Kollegen haben einfach nur versucht, sich
mit Ihnen darüber zu verständigen - ich habe aber sehr
stark den Eindruck, dass das nicht Ihr heutiges Interesse
ist -, welche Fakten sind und wie man diese zu bewerten
hat. Denn selbstverständlich ist Inflation etwas, was wir
nicht gutheißen und was wir nicht wollen.
({0})
Die Frage ist doch, ob man auf den Anstieg der Inflationsrate so aufgeregt reagieren muss, wie Sie das tun, oder
ob es nicht vielmehr so ist, dass Sie sich denken: Okay,
jetzt sagen wir all das, was wir schon immer an der Politik der Bundesregierung doof fanden, und diesmal stellen
wir es unter die Überschrift „Inflation“. - Das kann man
tun. Das dürfen Sie als Opposition machen; das ist Ihnen
unbenommen. Aber deswegen müssen wir hier nicht hektisch werden. Das ist der entscheidende Punkt.
Natürlich beschäftigt der Anstieg der Inflationsrate
auch die Fachwelt; das wird Ihnen wahrscheinlich nicht
entgangen sein. Die meisten Wirtschaftsforschungsinstitute sagen: Das ist ein aktueller Effekt, der sehr viele
externe Ursachen hat. - Die Fachwelt geht aber davon
aus, dass sich die Preissteigerungsrate im Laufe des Jahres wieder auf 2 Prozent einpendeln wird.
({1})
Professor Siebert vom Kieler Weltwirtschaftsinstitut hat
gesagt - ihm ist da wirklich zuzustimmen -, die Lage sei
ernst, weil die Preissteigerung unerwartet hoch ausgefallen sei. Aber er erwarte im Herbst wieder eine Inflationsrate von 2 Prozent. Das wird von vielen in der Fachwelt
geteilt.
Wenn das so ist, dann ist es doch nicht verharmlosend,
wenn wir sagen: Wir schauen uns das genau an,
({2})
lassen uns aber in unserer Wirtschaftspolitik nicht beirren,
weil diese im Prinzip dazu geeignet ist, Wachstum und
Beschäftigung nicht nur sicherzustellen, sondern sogar zu
fördern.
({3})
Dass Sie die Ökosteuer nicht mögen, ist Ihnen unbenommen. Trotzdem sollten Sie aufhören, über die Fakten
hinwegzusehen. Kollege Loske hat nicht gesagt, dass die
Ökosteuer keine Rolle spielt. Er hat nur darauf hingewiesen, dass die Ökosteuer nicht den Effekt hat, wie Sie es die
ganze Zeit behaupten.
({4})
Ich will das mit einer Zahl belegen: Seit Anfang des Jahres 2000 sind die Benzinpreise um 50 Pfennig gestiegen.
Der Effekt der Ökosteuer an diesem Preisanstieg beträgt
genau 6 Pfennig.
({5})
Da frage ich Sie nun: Ist dieser Preisanstieg nicht auf externe Effekte zurückzuführen, die wir nicht beeinflussen
können? Ist es wirklich richtig - dies wurde ja schon gefordert -, es der OPEC, die die Preise erhöht, leicht zu
machen und sofort mit Steueränderungen zu reagieren?
({6})
Ich glaube auch, dass Sie den Einfluss der Lebensmittelpreise, die hier eine Rolle spielen, nicht richtig bewerten. Der Bundesverband des Deutschen LebensmittelEinzelhandels sagt, dass es zwar infolge der Agrarkrise
besondere Effekte gibt, dass aber damit zu rechnen sei,
dass sich im Laufe des Jahres die Steigerung der Lebensmittelpreise auf den uns längst vertrauten Wert von 1 Prozent einpendeln wird.
Wenn das alles so ist, sollen wir dann plötzlich hektische Kehrtwendungen machen, wie Sie das hier von uns
fordern?
({7})
Würden wir das tun, würden Sie mit Recht sagen, dass wir
einen wirtschaftspolitischen Schlingerkurs führen.
({8})
Ich kann nur wiederholen, was schon viele gesagt haben - das kann ich Ihnen nicht ersparen -: Wir haben in
der Steuerpolitik das Ruder herumgeworfen und die
Privathaushalte auf eine Art und Weise entlastet, wie es
Ihnen die ganzen Jahre über nicht gelungen ist, obwohl
Sie genauso wie wir erkannt haben, wie notwendig das
ist. Das ist für die Konjunktur von großer Bedeutung.
Entgegen dem, was Sie immer behaupten, ist ein Drittel
aller im Rahmen dieser Steuerreform durchgeführten
Entlastungen bei den kleinen und mittleren Unternehmen wirksam. Auch das ist positiv für die Konjunktur.
({9})
Sie haben von der Arbeitsmarktpolitik gesprochen.
Deshalb will ich darauf hinweisen: Derzeit kommt es zu
ausgesprochen maßvollen Lohnabschlüssen. Sie wissen,
wie wichtig das für die Frage ist, ob die Preise steigen
oder nicht. Das hat nicht zuletzt damit zu tun, dass das
Bündnis für Arbeit die dafür erforderlichen Rahmenbedingungen geschaffen hat. Wir wissen auch, dass es weiterhin diese maßvollen Lohnabschlüsse geben muss,
wenn wir nicht in eine Lohn-Preis-Spirale geraten wollen.
Ein letztes Wort: Ich bin wirklich geplättet, dass Herr
Ost sagt: Was Sie da mit dem Euro machen; dass Sie das
einfach so laufen lassen! - Mit Verlaub, habe ich irgendetwas in Bezug auf die Unabhängigkeit der Europäischen
Zentralbank verpasst?
({10})
Die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank ist
meiner Kenntnis nach im Maastrichter Vertrag, der noch
unter der Kohl-Regierung abgeschlossen wurde, verankert worden. Eine unabhängige Zentralbank halte ich für
eine ausgesprochen kluge Idee. Ich bin der Auffassung,
dass der Europäische Zentralbankrat eine ausgesprochen
gute Politik gemacht hat. Wenn Sie hier sagen, das mit
dem Euro werde alles noch viel schlimmer, ist dies verantwortungslos.
({11})
Natürlich ist die Situation schwierig; der Euro muss sich
das Vertrauen der Märkte und der Bürgerinnen und Bürger erst erwerben. Sie aber machen es ihm schwer, sich
dieses Vertrauen zu erwerben. Das kann niemand gebrauchen. Das finde ich wirklich verantwortungslos, selbst
wenn man in Rechnung stellt, dass Sie eine verzweifelte
Opposition sind.
({12})
Ich erteile
nunmehr das Wort dem Kollegen Wolfgang Meckelburg
für CDU und CSU.
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dass ich als Sozialpolitiker in dieser Debatte über die Inflationsrate rede,
ist sicherlich notwendig. Denn wir haben versucht - eine
Ausnahme waren die Jahre, wo die Einheit zu bewältigen
war -, eine Politik zu machen, bei der Preisstabilität
herrscht. Die Preisstabilität ist die sozialste Politik gerade
für die unteren Lohngruppen,
({0})
gerade für die Rentner und Rentnerinnen, für die Sozialhilfeempfänger, für Studenten, also für alle, deren Einkommen sich am unteren Ende der Skala bewegt.
({1})
- Für die kleinen Leute.
Wenn wir die Regierungsbilanz, die wir im Oktober
1998 überlassen haben, mit dem vergleichen, was jetzt ist,
dann stellen wir fest, dass entscheidende Daten auf der
Rutsche sind:
Das Wirtschaftswachstum betrug am Ende der Regierung Kohl 2,7 Prozent. Jetzt müssen Sie das Wirtschaftswachstum Monat für Monat nach unten korrigieren. Man
erwartet heute - in der Presse ist das nachzulesen - nur
noch 1,5 Prozent.
Bei der Arbeitslosigkeit hat es keine große Bewegung gegeben. Bei uns waren es 3,9 Millionen; im letzten Monat
sind wir bei 3,8 Millionen gewesen. Ich will die Zahlen nicht
so einfach vergleichen, weil sie nicht vergleichbar sind.
({2})
- Nein, nein. - Den größten Rückgang innerhalb eines
Jahres, von Januar bis September, hat es im Wahljahr 1998
gegeben.
({3})
In keinem Jahr danach wurde dies geschafft. Ich sage das
deswegen ganz deutlich, weil der Bundeskanzler an dieser
Stelle mit einer Zahl operiert - 4,8 Millionen -, die wir im
Januar hatten, die aber nicht Durchschnitt des Jahres war.
({4})
Jetzt will ich am Beispiel der Rentner deutlich machen,
was das bedeutet. Beim Thema Inflation haben Sie sowieso immer Schwierigkeiten.
({5})
Andrea Fischer ({6})
Herr Kollege Poß, Sie haben den Rentnerinnen und Rentnern über den Bundeskanzler im ersten Regierungsjahr
versprochen: Wir bleiben bei der nettolohnbezogenen
Rente.
({7})
Dieses Versprechen haben Sie gebrochen. Sie haben gesagt: Es gibt nur noch einen Inflationsausgleich. Das ist
weniger gewesen. Als es dann konkret wurde, mussten
wir feststellen, dass die Rentenerhöhung im Jahr 2000
0,6 Prozent betrug, aber die Inflationsrate im Jahr 2000
bei 1,9 Prozent lag. Das war kein Inflationsausgleich, weil
die Inflation des Vorjahres zugrunde gelegt wurde.
Damit Sie einmal merken, was das für einen Rentnerhaushalt bedeutet, nehme ich einmal eine nachrechenbare
Zahl.
({8})
Eine Rente von 2 000 DM ist zum 1. Juli 2000 auf
2 012 DM erhöht worden. Aber der Kaufkraftverlust von
1,9 Prozent bedeutet, dass diese 2 012 DM nur noch einen
Wert von 1 974 DM haben. Das spüren die Rentnerinnen
und Rentner. Sie spüren es an der Zapfsäule. Sie spüren es
gerade in diesem Monat auch bei den Heizkostennachzahlungen. Das ist sicherlich mit ein Grund, warum die
Inflationsrate so hoch ist.
Das geht im Jahr 2001 weiter. Rentenanpassung West:
1,9 Prozent, Inflation: 2,5 oder 2,3 Prozent; keiner weiß
das so genau. Jedenfalls wird auch in diesem Jahr ein ähnliches Verhältnis gegeben sein. Selbst wenn man einmal
gutmütig rechnet - bei Rot-Grün weiß man ja nie, wie die
Ergebnisse sein werden -, dass Sie im Wahljahr 2002
möglicherweise mit der Rentenerhöhung 0,3 oder 0,4 Prozent über der Inflationsrate liegen, reicht das bei weitem
nicht aus, um das auszugleichen, was Sie vorher den Rentnerinnen und Rentnern aus der Tasche gezogen haben mit
Inflationsraten, die weit über den Rentenanpassungen liegen, die Sie ihnen gegeben haben.
({9})
Das Gleiche gilt für Familien. Wir haben immer gerechnet: Ein Prozentpunkt mehr oder weniger Inflationsrate bedeutet, aufs Jahr gesehen, 18 Milliarden DM mehr
oder weniger Kaufkraft. Wenn man dem gegenüberstellt,
dass Sie die Familien mit 30 DM Kindergeld beruhigen
wollen - eine Gesamtsumme von 4,6 Milliarden DM -,
dann hat man den klassischen Beweis dafür, dass es notwendig ist, eine Politik zu betreiben, die auf Preisstabilität
achtet. Das ist das Sicherste und Wichtigste und entlastet
die Familien viel mehr als die 4,6 Milliarden DM, die Sie
ihnen über das Kindergeld geben: 18 Milliarden DM
könnten ihnen über die Kaufkraft verloren gehen.
Im Übrigen gilt für die Empfänger von Sozialhilfe
- deren Änderungen sind ja an die Rentenanpassung gekoppelt - genau dasselbe.
Ich finde die Ergebnisse, die man in der Sozialpolitik
festhalten kann, blamabel für eine Regierung, die mit dem
Slogan angetreten ist, soziale Gerechtigkeit zu schaffen.
Das, was Sie mit der Preissteigerungsrate hier anrichten,
ist größte soziale Ungerechtigkeit. Ich fordere Sie auf:
Schwenken Sie auf den Weg sozialer Gerechtigkeit! Sorgen Sie dafür, dass Preisstabilität im Land herrscht! Damit wäre gerade den unteren Einkommen sehr geholfen.
({10})
Herr Kollege Bernd Scheelen spricht nun für die Fraktion der SPD.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Schauerte, Vorschläge wären eigentlich von der Opposition zu erwarten. Aber Sie vermeiden ja tunlichst, konkrete Vorschläge zu machen.
({0})
Der Kollege Ost - er ist leider nicht mehr hier - hat
vorhin gesagt, Inflation habe einen Namen, sie hieße RotGrün. Dazu kann ich nur sagen: Demagogie hat einen Namen und der heißt Schwarz-Gelb.
({1})
Was der Kollege Ost hier vorgetragen hat, muss man ja
einmal in der Dimension der vergangenen zehn, 15 oder
16 Jahre sehen.
({2})
- Herr Schauerte, ich komme sofort auf Sie zurück.
Der Kollege Ost war zu Ihrer Regierungszeit in relativ
verantwortlichen Positionen tätig. Da wird er wissen, dass
die Inflationsrate für den Monat Mai im Jahre 1993 bei
4,4 Prozent lag, also deutlich höher, als sie in diesem Jahr
liegt. 1992 lag sie sogar bei 6,3 Prozent. Sie haben das
eben ein bisschen beschönigt und gesagt: „an die 5 Prozent“.
({3})
Es ist natürlich ein bisschen sehr billig, Herr Schauerte, zu
behaupten, das habe an der deutschen Einheit gelegen.
Das hing mit der Art und Weise zusammen, wie Sie die
deutsche Einheit finanziert haben. Das war nämlich dilettantisch und stümperhaft.
({4})
Über Verschuldung haben Sie das Ganze geregelt. Mit
frisch gedrucktem Geld, mit staatlicher Neuverschuldung
haben Sie die Einheit finanziert.
({5})
Die Probleme haben wir jetzt am Hals, die müssen wir
jetzt lösen. Wir haben von Ihnen eine Staatsverschuldung
von 1,5 Billionen DM übernommen. Wir sind dabei, diesen Schuldenberg abzubauen. Es ist ein schweres Erbe,
das wir von Ihnen übernommen haben, aber wir stellen
uns dieser Aufgabe und haben erste Erfolge auf diesem
Sektor zu verzeichnen.
Ich frage mich: Wie hieß denn die Inflation in den 90erJahren? Jedenfalls muss sie doch schwarz-gelb gewesen
sein. Herr Brüderle, wenn Sie sagen, die Inflation sei sozial tief ungerecht, dann haben Sie natürlich im Prinzip
Recht. Nur müssen Sie sich dann an die eigene Brust
schlagen, denn Sie haben doch jahrelang eine sozial tief
ungerechte Politik unterstützt.
Sie benutzen das Thema Inflationsrate heute wieder als
Hintertür für ein anderes Thema. Sie haben uns in diesem
Jahr sechs- oder achtmal - ich weiß nicht, wie oft - mit
Aktuellen Stunden zum Thema Ökosteuer überrascht und
erfreut. Nun haben Sie gemerkt, dass sich das Thema irgendwie totläuft, und brauchen einen neuen Aufhänger.
Daher versuchen Sie es mit Inflation. Dabei kommen Sie
mir ein bisschen so vor wie der Student, der sich für seine
Biologieprüfung auf den Wurm vorbereitet hat. Nun wird
er aber nach dem Elefanten gefragt. Und er beginnt seine
Ausführungen: Der Elefant hat einen wurmförmigen
Rüssel.
So arbeiten Sie! Sie versuchen jetzt über eine Debatte
zur Inflation wieder auf die Ökosteuer zu kommen. Deswegen will ich Ihnen gerne noch etwas zur Ökosteuer sagen. Sie sagen, die Ökosteuer treibe die Preise.
({6})
- Das kann ich Ihnen nachher noch einmal unter vier Augen erklären, wenn Sie es nicht verstanden haben. Vielleicht verstehen Sie das hier jetzt auch nicht. Aber ich
hoffe doch noch auf Ihre Einsicht.
Wenn Sie behaupten, die Ökosteuer treibe die Preise,
dann darf ich Sie noch einmal an diesen Zeitungsartikel
erinnern, der überschrieben ist mit: „Teures Autofahren - Benzinpreis steigt zum 1. Januar um 18 Pfennig“.
Das ist ein Artikel aus dem Jahr 1993, und zwar vom
31. Dezember.
Damals haben Sie zum 1. Januar 1994 die Mineralölsteuer um 18 Pfennig angehoben. Nach Ihrer Logik hätte
im Januar 1994 die Inflationsrate dramatisch ansteigen
müssen. Ist sie aber nicht. Sie ist von 4,4 Prozent im
Dezember 1993 trotz Ihrer dramatischen Steuererhöhung
im Januar 1994 auf 3,2 Prozent gefallen. Das heißt, Sie
haben mit einer einzigen Erhöhung das gemacht, wofür
wir uns jetzt drei Jahre Zeit genommen haben, um in dezenten Stufen die Energiepreise anzuheben. Das heißt, einen direkten Einfluss auf die Inflationsrate hat so etwas
nicht, denn sie basiert nicht nur auf einem einzigen Preis,
sondern setzt sich aus Einzelpreisen vieler Bereiche zusammen.
Noch einmal - wie Sie angemahnt haben, Herr
Schauerte - zu den Fakten: Es steht außer Frage, dass wir
alle eine Inflationsrate von 3,5 Prozent im Mai nicht gut
finden. Trotzdem lohnt es sich, einmal genau hinzusehen,
wie sich diese zusammensetzt. Dazu sind sicherlich Grafiken manchmal ganz hilfreich. Ich habe Ihnen hier noch
eine mitgebracht. Ich weiß nicht, ob Sie das sehen können.
({7})
Die untere schwarze Linie bewegt sich für den Zeitraum
von 1998 bis 2001 auf einem Niveau von etwa 1 Prozent.
Das ist die Inflationsrate unter Ausschluss der Kraftstoffund Nahrungsmittelpreise, sozusagen die Kerninflation.
Sie beträgt auch im Mai dieses Jahres nur 1 Prozent. Der
Rest verteilt sich auf Energiekosten - 1,4 Prozent - und
auf Nahrungsmittelpreise - 1,1 Prozent -, wobei Letzteres im Wesentlichen saisonal bedingt ist.
({8})
Ihre Hochschätzung für die Bundesregierung kann ich gut
verstehen; aber Sie halten sie manchmal ursächlich für
Dinge, auf die sie leider keinen Einfluss hat. Wenn sich
die Ölscheichs einig sind und die Fördermengen drosseln,
dann steigt der Energiepreis. Darauf hat die Bundesregierung relativ wenig Einfluss. Die Bundesregierung hat
auch relativ wenig Einfluss darauf, wenn in England die
Raffinerie „Killinghome“ abbrennt, die den amerikanischen Markt mit Benzin versorgt hat. Die Bundesregierung hat relativ wenig Einfluss auf das Wetter, darauf, ob
der Mai sehr trocken ist und den Bauern damit die Ernte
verhagelt, um das einmal salopp zu formulieren. Das sind
Einflüsse, die zugegebenermaßen die Inflationsrate jetzt
im Mai - für einen einzelnen Monat - auf 3,5 Prozent
hochgetrieben haben.
Der Präsident der EZB, Wim Duisenberg, sagt genau
das Gleiche: Das sind saisonale Einflüsse, bedingt durch
die Energiepreiserhöhung, MKS und BSE-Krise; das wird
sich wieder regulieren. Wir müssten uns Sorgen machen,
wenn die Kerninflation über 1 Prozent läge. Das trifft aber
nicht zu. Deswegen sage ich: Es ist gut, dass die Bundesregierung hier eine ruhige Hand bewahrt und in ihrer
Haushaltskonsolidierungs- und Steuersenkungspolitik
fortfährt. Das ist der richtige Weg; das ist die richtige Antwort auf steigende Preise.
Vielen Dank.
({9})
Ich gebe das
Wort dem Kollegen Klaus-Peter Willsch für die
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Bernd
Scheelen, die Leute schauen ins Portemonnaie und merken, dass am Ende vom Monat weniger übrig ist, dass sie
weniger in der Tasche haben. Es ist ihnen dann egal, in
welche einzelnen Komponenten sich die Inflation zerlegt.
Entscheidend ist: Es reicht unter dem Strich nicht mehr.
Dafür seid Ihr mitverantwortlich.
({0})
Es ist immer recht aufschlussreich, einmal zurückzublenden und sich vor Augen zu führen, was zu ähnlichen
Themen in vorangegangenen Debatten gesagt worden ist.
Ich habe in einem Protokoll aus dem Monat September
2000 nachgeschaut. Die Kollegen von Rot-Grün werden
sich gut daran erinnern: Damals gab es intensive Debatten über den Benzinpreis und mögliche Kompensationen.
Wie sah denn die Lage damals aus? - Das Rohöl kostete 35 Dollar je Barrel. Finanzminister Eichel sagte,
25 Dollar pro Barrel sei ein für die Weltwirtschaft vernünftiger Wert. Das Wachstum für 2001 wurde mit rund
3 Prozent prognostiziert. Eichel sagte, die Inflation entwickele sich moderat. Im August letzten Jahres hatten wir
eine Inflationsrate von 1,8 Prozent. In dieser Situation gab
es hektische Betriebsamkeit bei der Regierung: Entfernungspauschale, Heizkostenzuschuss und all die anderen
Regelungen.
Vergleichen wir einmal diese Situation mit der heutigen:
Ein Barrel Rohöl kostet 26 Dollar; das entspricht ungefähr
der eichelschen Wunschgröße. Die Prognose für das
Wachstum beläuft sich auf 1,5 Prozent, vielleicht ein bisschen mehr. Die Inflation beträgt 3,5 Prozent, die höchste
Rate seit sieben Jahren. Das soll dann Grundlage für business as usual sein? - Das passt doch nicht zusammen.
({1})
Bei solchen Themen sollten Sie auch einmal auf die
Wissenschaft hören. Professor Siebert hat am letzten
Sonntag in der „Bild am Sonntag“ erklärt:
Da ist die Öko-Steuer nicht ganz unschuldig dran.
Die Energiepreiserhöhungen sind deshalb auch
hausgemacht.
({2})
Er sagt weiter:
Wir müssen uns fragen, ob wir die richtige Energiepolitik betreiben. Der deutsche Ausstieg aus der
Kernenergie ist eine Einladung an die Ölanbieter,
diese Situation auszunutzen.
Das liegt doch auch völlig auf der Hand:
({3})
Sie als rot-grüne Regierung geben noch zusätzlich das
Signal, der Benzinpreis sei zu niedrig. Die Grünen propagierten seinerzeit: „5 DM pro Liter!“ - vielleicht schaffen
wir es ja, wenn Sie so weitermachen.
({4})
Sie haben seit der Regierungsübernahme 1998 den
Preis pro Liter Benzin locker um 21 Pfennig erhöht. Da
dürfen Sie sich doch nicht wundern, wenn bei Preisbildungsprozessen der Eindruck entsteht, da sei noch Luft,
da sei die Grenze der Belastbarkeit noch nicht erreicht,
wenn sich in einer solchen Situation andere dranhängen
und zusätzliche Gewinne realisieren.
({5})
Tatsache ist: Wenn wir an die Tankstelle fahren und
tanken, weiß jeder Einzelne von uns und wissen die vielen Bürger draußen, dass alles, was über zwei Mark je Liter hinausgeht, aufgrund Ihrer so genannten Ökosteuer
ausschließlich von Ihnen zu verantworten ist.
({6})
Stichwort Euro: Sie haben vielleicht gelesen, dass drei
Viertel der Deutschen nach einer Emnid-Umfrage der
Meinung sind, dass die Ausgabe der neuen Zahlungsmittel am 1. Januar 2002 zu verdeckten Preissteigerungen
führen wird. Angesichts der Erfahrungen bei der Umstellung der gerade eingeführten Entfernungspauschale müssen sie solche Befürchtungen natürlich auch haben: Sie
appellieren auf der einen Seite an den Handel und alle
möglichen anderen Adressaten, man möge sich bei der
Euro-Umstellung bitte ordentlich verhalten, und auf der
anderen Seite klauen Sie den Leuten auf diese Weise bei
der Entfernungspauschale 10 Pfennig. Über ein solches
Verhalten kann man nur den Kopf schütteln.
Wir müssen erst einmal abwarten, ob sich die Befürchtungen der Bürger in diese Richtung bewahrheiten werden
und inwieweit auch der eine oder andere preissteigende
Effekt daraus folgen wird. Das ist zumindest ein zusätzliches Risiko, das wir zu gewärtigen haben.
Kollege Schauerte hat vorhin bereits das nette Zitat von
Bundeskanzler Schmidt seinerzeit gebracht. Der Ministerpräsident Schröder hat sich 1995 dieses Zitat zu Eigen
gemacht. Er hat damals im „Spiegel“ gesagt, man dürfe
„nicht das abwürgen, was wir zum Blühen bringen wollen, die Beschäftigung.“ Auch für ihn gelte wie für den
ehemaligen
Lieber 5 Prozent Inflation als 5 Prozent Arbeitslosigkeit. - Ich traue dem
Bundeskanzler die 5 Prozent Inflation zu, nicht aber die
5 Prozent Arbeitslosigkeit.
Wenn sich die Regierung schon mit ökonomischen
Kurvenverläufen beschäftigen will, dann empfehle ich:
Weg mit der Phillips-Kurve! Wer Inflation laufen lässt
oder gar anheizt, wie Sie das mit Ihrer so genannten Ökosteuer machen, nimmt den kleinen Leuten ihr Erspartes,
bestraft Rentner, Arbeitslose und Beschäftigte mit Realeinkommensverlusten und hat am Ende weniger Beschäftigung und mehr Arbeitslosigkeit. Das ist das Ergebnis.
({0})
Wenn Sie sich Kurven anschauen wollen, dann nehmen
Sie sich einmal die Laffer-Kurve vor. Trauen Sie sich an
einen großen Wurf bei der Steuerreform - Vereinfachung
des Systems, runter mit den Sätzen - und Sie werden Dynamik vor allem bei der Binnenmarktentwicklung lostreten und zu Wachstum, zu Beschäftigung und zu sprudelnden Einnahmen kommen. Nehmen Sie die Vorschläge
von Gunnar Uldall, von Friedrich Merz, von Professor
Kirchhof als Blaupause! Dann werden wir mit der Politik
hier bei uns im Land auf den richtigen Weg kommen. So,
wie Sie es machen, machen Sie es falsch. Damit sind Sie
mitverantwortlich dafür, dass wir eine so hohe Inflationsrate zu beklagen haben.
Vielen Dank.
({1})
Nun erhält
das Wort der Kollege Wolfgang Weiermann für die SPDFraktion.
({0})
Ich habe nicht den geringsten Grund, mich zu ergeben, weil vieles von dem,
was Sie gesagt haben, einfach nicht der Wahrheit entspricht.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Bundesverfassungsgericht hat nicht uns gerügt, als es die Politiker aufforderte, eine bessere Familienpolitik zu machen,
sondern das Urteil wandte sich gegen Ihre Regierungspolitik. Das ist die Wahrheit.
({0})
Wenn wir über die Rentenpolitik reden, muss ich Ihnen
Folgendes entgegenhalten: Als wir den Kassensturz machten, mussten wir feststellen, dass durch sachfremde Ausgaben - die Sie und nicht wir getätigt hatten - die Rücklage bei der Rente auf zwei Drittel einer Monatsausgabe
gesunken war. Das bedeutet, dass diese Rücklage gar
nicht mehr verfassungsgemäß war. Wir haben nun dafür
gesorgt, dass wir allmählich mehr als eine Monatsrücklage haben. Wer hat da denn die Schweinerei gemacht, Sie
oder wir, die wir sie korrigiert haben?
Sie sagten, die Inflationsrate sei bei der Rentenanpassung nicht berücksichtigt worden.
({1})
Wer hat denn seit 1994 - schauen Sie sich das einmal in
aller Ruhe an - kontinuierlich, Jahr für Jahr, die Renten
nicht einmal um mehr als die Höhe der Inflationsrate angehoben? Das waren doch Sie! Haben Sie wirklich nicht
gemerkt, dass Sie in den Jahren an der Regierung und für
diese Politik verantwortlich waren?
({2})
Was ich heute gehört habe, klingt so, als ob Ihnen die
Krokodilstränen, die Sie vergießen, den Blick auf die laufende Konjunktur eher trüben, als dass sie Klarheit in das
Geschehen bringen.
Ich möchte festhalten, dass sich die konjunkturellen
Schwächen nicht allein auf die Bundesrepublik Deutschland beschränken,
({3})
sondern es handelt sich, wenn Sie so wollen, um ein Phänomen, das auch in anderen Ländern der Europäischen
Union in Erscheinung tritt.
({4})
Wir reden immer über die Höhe der Mai-Inflationsrate. Das französische Amt für Statistik - auch das muss man
an dieser Stelle einmal sagen - hat für den besagten Zeitraum den geringsten Zuwachs des Bruttoinlandsproduktes seit 1998 errechnet.
({5})
Tun Sie doch nicht so, als würden sich diese Dinge nicht
europaweit und weltweit widerspiegeln und als seien allein wir an dieser Entwicklung maßgeblich beteiligt.
Es geht hier nicht um die klassische Inflation, Herr
Schauerte. Damit haben wir es nicht zu tun; denn diese
wäre die Folge einer überhitzten Konjunktur, wie Sie genau wissen.
({6})
Von Überhitzung ist aber keine Rede. Vielmehr ist der Anstieg der Inflationsrate das Resultat einer Entwicklung,
deren Hauptursache auf der Kostenseite zu suchen ist. Das
ist der qualitative, aber wichtige Unterschied in der Beurteilung der gegenwärtigen Situation.
({7})
Das Statistische Bundesamt hat dafür drei Bereiche genannt. Sie wurden hier schon genannt. Ich will es also an
dieser Stelle nicht noch einmal tun. Ich darf aber sagen,
dass sich in etlichen Euro-Ländern die Inflationsrate bereits im April im Durchschnitt auf 2,9 Prozent erhöht hat.
In Spanien betrug sie 4 Prozent, in Irland 4,3 Prozent und
in den Niederlanden 5,3 Prozent.
Die Ursachen sind klar: Es handelt sich um den Anstieg - das gilt auch für unser Land - der Lebensmittelpreise. Aber ich füge hinzu, dass die Preise für Gas, Gasöl
und Rohölprodukte die Folge einer überhöhten Energienachfrage in den Vereinigten Staaten sind. Das macht
uns schmerzhaft klar, wie abhängig wir vom Öl und von
den Konzernen sind, die den Anstieg der Preise weitergeben.
({8})
Sie haben einige Male die Ökosteuer genannt. Ich
möchte Sie einmal bitten, in Ruhe zu überlegen: Ohne dieses Lenkungsinstrument, das einen sparsamen Umgang
mit dem teuren Rohstoff und den schleunigen Umstieg
auf andere Energieformen erzwingt, wären wir längerfristig den unkontrollierbaren Schwankungen auf diesem
Markt mit allen Folgen für die Preisentwicklung in weit
stärkerem Maße als zurzeit ausgeliefert. Es ist also ein
Korrektiv, ein korrigierendes Element. Wir sollten die
Ökosteuer nicht verteufeln. Das ist der realistische Fakt,
der hier festzustellen ist.
({9})
Es gibt eine Reihe großer Banken, die damit rechnen,
dass sich die Teuerungsrate in Deutschland in der zweiten Jahreshälfte beruhigen wird. Der Chef des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, Professor Siebert, erklärte,
der Preisbuckel sei zwar unerwartet hoch ausgefallen,
aber er werde sich im Herbst wieder normalisieren.
Siebert rechnet dann mit einer Inflationsrate von 2 Prozent.
Ich nehme an, dass ich mit meinen Ausführungen zum
Ende kommen muss. Ich würde aber gerne noch mit Ihnen weiter diskutieren.
({10})
Aktuelle Stunden sind ganz nett, aber Ihnen müssen einmal die Flausen in Form einer Berichterstattung gegenüber dem Volk aus dem Kopf getrieben werden, die alles
andere als ehrlich ist.
({11})
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({12})
Als letzter
Redner in dieser Aktuellen Stunde spricht nun für die
SPD-Fraktion der Kollege Thomas Sauer.
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Ich finde es immer richtig und gut, wenn sich
der Deutsche Bundestag mit den Eckdaten der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung auseinander setzt. Aber es
hat wenig Sinn, eine solche Diskussion zu führen, wenn
das Ganze zu einer ritualhaften, reflexartigen Diskussion
verkommt.
({0})
- „Flausen“ habe ich gar nicht gesagt, das war jemand anders. Ich meine, dass diese Sache eine ernsthaftere Diskussion wert gewesen wäre.
({1})
- Es gibt auch aus unseren Reihen solche Diskussionsbeiträge. Aber was Herr Ost, der leider gleich nach seiner
Rede weggegangen ist, und auch Herr Brüderle hier abgeliefert haben, ist Karnevalsprogramm, aber keine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Problemen der Menschen in unserem Land.
({2})
Auch das Umgehen mit Zitaten ist immer wieder interessant. Herr Siebert wurde hier zitiert als derjenige, der
nun beweisen würde, dass die Ökosteuer Preistreiber
Nummer eins sei. „Ein klein wenig dazu beigetragen“ so ist das Siebert-Originalzitat. Wenn man ihn zu Ende zitiert, dann heißt es in Bezug auf die Inflationsrate: „Die
Lage ist zwar ernst, weil der Preisbuckel unerwartet hoch
ausgefallen ist, aber er wird sich im Herbst wieder abflachen.“ Dann erwartet er eine Inflationsrate um 2 Prozent.
Es ist auch extrem unredlich, mit dem einmaligen Anstieg auf 3,5 Prozent im Mai, einem Monatswert, der Bevölkerung zu suggerieren, es handele sich hier um die Jahresdurchschnittsinflation. Es ist höchst unredlich, wenn
man diese Dinge in einer ernsthaften Debatte so thematisiert.
({3})
Es wirft kein gutes Licht auf den deutschen Parlamentarismus, wenn hier mit solch falschen Zahlen operiert wird.
({4})
- Einen Augenblick mal, Herr Schauerte. Wenn die Inflationsrate im April niedriger ist als im Mai, wenn sie auch
im Januar, im Februar und im März niedriger ist und wenn
erwartet wird, dass sie im Herbst wieder sinkt, kann man
nicht davon ausgehen, dass die einmalig im Mai 3,5 Prozent betragende Inflationsrate auch den Jahresdurchschnitt bilden wird.
({5})
- Die 3,5 Prozent sind in diesem Monat einmal da, aber
das ist nicht der Jahresdurchschnittswert. Dass ich Ihnen
das alles erklären muss, ist ganz schön peinlich für Sie.
({6})
Für mich als Sozialdemokrat ist bei den neuesten Prognosen über die wirtschaftliche Entwicklung ganz besonders wichtig: Gelingt es uns tatsächlich, die Massenarbeitslosigkeit deutlich zu reduzieren? Wir sind auf diesem
Weg schon ein gutes Stück vorangekommen.
({7})
- Meine Kollegin Nina Hauer hat das hier ausgeführt. Sie
wären doch froh gewesen, wenn Sie eine Wachstumsrate
erreicht hätten, wie wir sie im Jahr 2000 mit real 3 Prozent erreicht haben.
({8})
Sie wären auch froh gewesen, wenn Sie die Wachstumsrate dieses Jahres erreicht hätten, denn die letzte Wachstumsrate, die Sie 1997 noch zu verantworten hatten, lag
deutlich niedriger als die, die jetzt von den Wirtschaftsforschungsinstituten prognostiziert wird.
({9})
- In Bayern ist sowieso alles viel besser.
Ich habe von Herrn Brüderle gehört, dass er ein Blitzprogramm auflegen will, und Kernforderungen seines
Blitzprogramms sind die Abschaffung der Ökosteuer und
die Abschaffung der Ökosteuer sowie die Abschaffung
der Ökosteuer und außerdem eine steuerliche Entlastung
im Unternehmenssektor.
({10})
Wenn Sie zur Kenntnis nehmen würden, dass die Ökosteuer beim Heizöl überhaupt nicht erhoben wurde und
der Preis für Heizöl trotzdem massiv gestiegen ist, dann
würden Sie erkennen, dass die Preissteigerung durch die
Ökosteuer letztendlich wahrscheinlich gegen Null tendiert. Ich behaupte - das beweist die Entwicklung der
Heizölpreise -, dass die Heizölpreise auch ohne Ökosteuer genauso angestiegen wären, nur hätten sich die
Monopolprofite der Mineralölkonzerne erhöht. Zu deren
Sachwaltern machen Sie sich in diesem Hohen Hause
ständig.
({11})
- Den Klassenkampf beherrschen Sie schon gut, Herr
Brüderle. Das weiß ich. Man hat Mühe, dagegen anzukommen.
({12})
Herr Brüderle, Sie haben vielleicht die Regierungspolitik der vergangenen Jahre nicht verfolgt. Sonst wüssten
Sie, dass wir eine Steuerpolitik machen, die die Steuerlast
für Mittelstand und Arbeitnehmer massiv reduziert. Wenn
Sie es uns schon nicht glauben, glauben Sie es ja vielleicht
dem Institut für Weltwirtschaft. Ich zitiere nur eine ganz
kurze Passage aus dem März-Bericht: „Die Finanzpolitik
wird im Jahr 2001 die Konjunktur stützen. Entscheidend
dafür ist die Steuersenkung zum 1. Januar 2001. Alles in
allem werden die Abgaben um 44 Milliarden DM gesenkt.“
Ich glaube, man kann sagen: Mit der mittelstands- und
arbeitnehmerorientierten großen Steuerreform trägt diese
Regierung mit dazu bei, die Binnenkonjunktur zu stützen
und Wachstum und Beschäftigung zu fördern. Ein aktionistisches Blitzprogramm à la Brüderle, im Mai 2001 aufgelegt um die Inflation zu bekämpfen und die Beschäftigung in diesem Jahr zu erhöhen, kommt leider viel zu
spät. Sie hätten Ihre Vorschläge reichlich früher einbringen müssen.
({13})
Diese Regierung hat gottlob längst gehandelt. Herrn
Brüderles Blitzprogramm kommt mir vor wie der Hase im
Wettrennen mit dem Igel: Der schlaue Igel Eichel ruft dem
hechelnden, aber blitzschnellen Hasen Brüderle stets ein
„Ick bin all dor“ zu.
Die Steuerpolitik der Bundesregierung ist allerdings
nicht diskretionär, sondern Bestandteil einer langfristigen
Politik, die Konsolidierung, Steuerentlastung und die Schaffung von Beschäftigung strategisch miteinander verbindet.
Ich komme zum Schluss: Nach allem, was wir wissen,
wird die Inflationsrate wieder deutlich zurückgehen. Banker erwarten bereits im Frühjahr nächsten Jahres eine Inflationsrate von 1,5 Prozent. Ich gehe davon aus, dass Sie
dann eine Aktuelle Stunde beantragen, um die Erfolge der
Bundesregierung bei der Senkung der Inflationsrate und
der Stabilisierung der Preise zu thematisieren. Das wäre
eine schöne Sache.
Vielen Dank.
({14})
Die Aktuelle
Stunde ist beendet.
Damit sind wir am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 31. Mai, 9.00 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.