Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 5/30/2001

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Hansgeorg Hauser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000832, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, herzlichen Dank für Ihren Bericht. Ich darf meine Kolleginnen und Kollegen aus dem Finanzausschuss entschuldigen, die nicht anwesend sind, weil gleichzeitig der Finanzaussschuss tagt. Das ist eine zeitlich etwas unglückliche Konstellation. Deswegen bitte ich darum, mehrere kurze Fragen stellen zu dürfen.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Bitte sehr.

Hansgeorg Hauser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000832, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Stimmen die Länder dem Vorgehen, wie Sie es jetzt vorgetragen haben, zu oder gibt es hier gravierende Differenzen, sodass davon auszugehen ist, dass es ein Streitthema wird und im Bundesrat keine Zustimmung findet?

Hans Eichel (Minister:in)

Politiker ID: 11003522

Nachdem zunächst die Bundesbank selber die Diskussion über zwei Modelle eingeleitet hatte und sich nicht entscheiden konnte, welches Modell sie präferiert, habe ich den intensiven Versuch unternommen, über alle Fragen mit den Bundesländern zu einem Einvernehmen zu kommen, obwohl es sich nicht um ein zustimmungspflichtiges Gesetz handelt, sondern um ein Einspruchsgesetz. Das hat zu einer gemeinsamen Expertenkommission - mit je vier Vertretern von Länderseite und von Bundesseite benannt geführt, die ihren Bericht vor den Sommerferien des vergangenen Jahres vorgelegt hat, in dem auch eine Bewertung der beiden alternativen Modelle der Bundesbank vorgenommen worden ist. Ich bedauere sehr, dass sich die Länder anschließend in keiner Weise an die Empfehlung der Expertenkommission gehalten haben, auch nicht an das, was einstimmig von allen Experten, auch von denen der Länderseite, empfohlen wurde, wie den Wegfall der Vorbehaltszuständigkeiten, der einfach erforderlich ist, um Vielfacharbeit in der Bundesbank zu vermeiden. - Wir haben eine Fülle von Abteilungen zehnmal, in der Zentrale der Deutschen Bundesbank und in allen Landesbanken. - Diese Empfehlung hat anschließend nicht die Zustimmung der Länder gefunden. Dadurch ist eine Menge Zeit verloren gegangen. Ich habe auf alle Belange der Länder, auf die aus meiner Sicht Rücksicht genommen werden muss, Rücksicht genommen, sogar über die Vorschläge der Bundesbank hinaus. Das heißt: Ich stelle keinen einzigen Standort infrage. Ich stelle auch nicht infrage, dass die Länder die Landeszentralbankpräsidenten im bisherigen Verfahren, aber mit Zustimmung des Bankvorstandes, bestellen können. Ich stelle allerdings den Zentralbankrat infrage, weil er seine Zuständigkeit verloren hat, sowie die Mitwirkung der Landesbankpräsidenten in dem einheitlichen Leitungsgremium, weil wir ein so großes Leitungsgremium nicht mehr brauchen. Man wird sehen, ob dieser einzig verbleibene Punkt wirklich zu einem Streitpunkt im Verfahren mit den Ländern wird. Das muss offen und argumentativ ausgetragen werden.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Eine weitere Frage? Bitte sehr, Herr Kollege.

Hansgeorg Hauser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000832, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Einer der zentralen Punkte war von jeher die Unabhängigkeit der Bundesbank; dies hat auch bei der Aushandlung des Vertrags von Maastricht eine sehr wesentliche Rolle gespielt. Ich will es einmal ein wenig zugespitzt sagen: Es bleibt also ein Zentralvorstand der Bundesbank übrig mit einem Präsidenten, der von der Bundesregierung bestimmt wird ({0}) - gut, aber im Einvernehmen -, der auch keinen Zentralbankrat mehr hat, sondern allein die Verantwortung für die Geldpolitik trägt und dies gegenüber der EZB zu verantworten hat. Sehen Sie nicht eher eine Schwächung der Bedeutung dieses Mannes durch seine - ich unterstelle das nicht Ihnen - grundsätzlich größere Abhängigkeit von der Politik? Inwieweit wird damit die Rolle der Bundesbank im System der Europäischen Zentralbank gestärkt?

Hans Eichel (Minister:in)

Politiker ID: 11003522

Der Bundesbankpräsident hat keine größere Abhängigkeit von der Politik als in den vergangenen Jahrzehnten. Er wird vom Bundespräsidenten auf Vorschlag der Bundesregierung ernannt; daran hat sich nichts geändert. Geändert hat sich die geldpolitische Zuständigkeit der Deutschen Bundesbank. Weil die geldpolitische Zuständigkeit der Deutschen Bundesbank entfallen ist, kann es auch das Gremium nicht mehr geben, das diese Zuständigkeit wahrgenommen hat. Die Präsidenten der Landeszentralbanken werden - so ist es vorgesehen - den Bundesbankpräsidenten und den Vorstand beraten. Daran ändert sich nichts. Aber sie können nicht mehr abstimmen; es findet keine Abstimmung mehr statt, weil sich die Verhältnisse geändert haben. Allerdings gibt es im System der Europäischen Zentralbank eine Schwächung der Position der Deutschen Bundesbank und ihres Präsidenten, weil sich diejenigen, die nicht mehr zuständig sind, zu einem erheblichen Teil abweichend von der Position des Bundesbankpräsidenten und der Europäischen Zentralbank zu geldpolitischen Fragen öffentlich äußern. Das ist schädlich, schwächt die Stellung der Bundesbank und muss beendet werden.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Sie haben eine weitere Frage, Herr Kollege Hauser? - Bitte sehr.

Hansgeorg Hauser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000832, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wenn ich es richtig verstanden habe, bestimmt in diesem künftigen Zentralvorstand der Präsident seine Vorstandskollegen zumindest weitgehend mit. Ich glaube, es war sogar so formuliert, dass er sie sich alleine aussuchen kann.

Hans Eichel (Minister:in)

Politiker ID: 11003522

Nein, das ist nicht richtig. Vielmehr ernennt der Bundespräsident auf Vorschlag der Bundesregierung den Präsidenten und den Vizepräsidenten. Die übrigen Mitglieder werden vom Bundespräsidenten auf Vorschlag des Bundesbankpräsidenten im Einvernehmen mit der Bundesregierung ernannt.

Hansgeorg Hauser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000832, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das ist somit doch eine Stellung, wie sie beispielsweise ein Vorstandsvorsitzender eines Unternehmens nie erreichen würde; denn er könnte sich seine Kollegen nicht selbst aussuchen.

Hans Eichel (Minister:in)

Politiker ID: 11003522

Der entscheidende Punkt ist: Bisher gibt es bei allen Mitgliedern, die als Präsident einer Landeszentralbank bestellt werden sollen, hinsichtlich ihrer Eignung ein Votum des Zentralbankrates. Diesem Modus ist das geplante Vorgehen nachgebildet. Wenn es nun keinen Zentralbankrat mehr geben kann, weil dessen Zuständigkeit entfallen ist, kann dort kein Votum gefällt werden. Da eine Selbstkooptation dieses Gremiums nicht vorgesehen ist, muss es jemanden geben, der die fachliche Eignung beurteilen kann. Deswegen muss in diesen Fragen ein Einvernehmen zwischen dem Bundesbankpräsidenten und der Bundesregierung hergestellt werden. In dieser Absicht sehe ich eher eine Stärkung der fachlichen Kompetenz des Vorstandes der Deutschen Bundesbank.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Sie möchten noch eine weitere Zusatzfrage stellen, Herr Hauser.

Hansgeorg Hauser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000832, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie haben sich heute nicht mit den anderen Fragestellungen beschäftigt, die dieser Themenkomplex beinhaltet, Stichwort: Allfinanzaufsicht. In den Zeitungen steht, der Grund sei ein Formfehler. Können Sie das näher begründen und sagen, wann ein Konzept vorgelegt wird?

Hans Eichel (Minister:in)

Politiker ID: 11003522

Nein, es handelt sich nicht um einen Formfehler. Ein endgültiges Konzept wird so rechtzeitig vorgelegt, dass wir es unmittelbar nach der Sommerpause im parlamentarischen Verfahren erörtern können. Der Hintergrund ist ein anderer: Im Gegensatz zum Bundesbankgesetz brauchen wir dafür auch Änderungen des öffentlichen Dienstrechts. Das hat damit zu tun - so sieht es jedenfalls mein Konzept vor -, dass wir Mitarbeiter benötigen, die aus den Märkten kommen und die wir mit dem Gehaltsgefüge des öffentlichen Dienstes nicht gewinnen können. Zu diesem Bereich müssen daher noch Anhörungen durchgeführt werden, die aber für den Gesetzentwurf zur Bundesbankstrukturreform keine Rolle spielen. Deshalb werden die angesprochenen Pläne erst später im Kabinett behandelt. Aber, wie gesagt, die Beratung wird so gesteuert, dass der Themenkomplex im parlamentarischen Verfahren zusammengeführt werden kann.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun möchte der Kollege Fromme Fragen stellen. - Bitte sehr, Herr Kollege.

Jochen Konrad Fromme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003126, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, Sie haben davon gesprochen, die Bundesbank selbst habe zwei Modelle vorgelegt. Können Sie einmal erläutern, wie sich Ihre Vorschläge zu den Vorschlägen der Bundesbank verhalten?

Hans Eichel (Minister:in)

Politiker ID: 11003522

Es besteht Übereinstimmung - inzwischen hat das nicht nur das Direktorium, sondern auch der Zentralbankrat der Deutschen Bundesbank mit Mehrheit festgestellt - hinsichtlich des Modells Nummer eins. Damit hat sich auch der Zentralbankrat der Deutschen Bundesbank mehrheitlich, mit 9 zu 6 Stimmen, einverstanden erklärt.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Eine weitere Frage, bitte sehr.

Jochen Konrad Fromme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003126, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Im Hinblick auf die übrigen Aufgaben - über die währungspolitische Zuständigkeit, die sie verloren hat, hinaus - der Deutschen Bundesbank: Halten Sie es in diesem Zusammenhang für richtig, dass sozusagen die Bundesländer hinsichtlich der Verantwortung des Vorstandes völlig ausgeklammert werden?

Hans Eichel (Minister:in)

Politiker ID: 11003522

Die Bundesländer waren niemals in die Verantwortung des Vorstandes eingebunden. Das Direktorium der Deutschen Bundesbank wird von der Bundesregierung ernannt. Die Präsidenten der Landeszentralbanken werden, wie Sie wissen, auf Vorschlag der Landesregierungen, in deren Bereich die einzelnen Landeszentralbanken fallen, vom Bundesrat gewählt. Der Hintergrund für dieses Vorgehen war die geldpolitische Zuständigkeit, die nunmehr entfallen ist.

Jochen Konrad Fromme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003126, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber die Zuständigkeiten der Bundesbank haben sich doch nicht auf die Geldpolitik beschränkt; sie ist beispielsweise auch für die Bankenaufsicht zuständig.

Hans Eichel (Minister:in)

Politiker ID: 11003522

Nein, das ist, mit Verlaub, ganz falsch. Die Länder haben keinerlei Zuständigkeiten bezüglich der Bankenaufsicht. Die Bankenaufsicht fällt in die alleinige Zuständigkeit des Bundes und wird durch den Deutschen Bundestag kontrolliert. Sie obliegt dem Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen. Die Bundesbank wirkt daran mit. Sie werden übrigens sehen, dass Veränderungen an dem Entwurf vorgenommen worden sind. Das andere Gesetz wird zu einer ganz engen und viel systematischeren Verschränkung und Mitwirkung der Deutschen Bundesbank bei der Bankenaufsicht als in der Vergangenheit führen. Ich möchte ein Beispiel anführen. Heute führen zwar die Landeszentralbanken Ermittlungen vor Ort durch. Aber wenn deren Ermittlungsergebnisse Maßnahmen zeitigen sollen, dann darf sich das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen noch nicht einmal auf diese Ergebnisse stützen - das ist rechtlich so festgelegt -, sondern ist gehalten, eigene Ermittlungen durchzuführen. Das halte ich für eine unsinnige Doppelarbeit. Künftig werden die Ermittlungsergebnisse, die die Landeszentralbanken erzielt haben, die rechtliche Grundlage für die Entscheidungen der Allfinanzaufsicht sein. Auch an der Spitze wird es eine systematische Einbindung geben. Das Forum für Finanzmarktaufsicht besteht im Moment nur auf Vereinbarungsbasis. Künftig wird es eine gesetzliche Basis erhalten und somit dafür gesorgt werden, dass die Bundesbank ganz eng in die Finanzmarktaufsicht eingebunden wird. Aber dies ist nicht Bestandteil des vorliegenden Gesetzentwurfes, sondern desjenigen, den der Kollege Hauser angesprochen hat und über den das Bundeskabinett noch beraten wird.

Jochen Konrad Fromme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003126, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Auch wenn die Länder nicht formal beteiligt waren, so ist es doch ein Unterschied, ob sie sozusagen über eine Person ihres Vertrauens - das war der Landeszentralbankpräsident eingebunden sind oder nicht. Halten Sie es gerade in dem Augenblick, in dem die entscheidende Umstellung auf den Euro auf uns zukommt und das Vertrauen der Menschen in die neue Währung gestärkt werden muss, für richtig, einen Konflikt mit den Ländern im Währungsbereich vom Zaun zu brechen? Denn das Problem ist, dass die Frage, ob es um diese oder jene Zuständigkeit geht, in der Bevölkerung gar nicht so differenziert wahrgenommen wird.

Hans Eichel (Minister:in)

Politiker ID: 11003522

Es ist doch ganz einfach: Es gab und gibt keine Zuständigkeit der Länder und auch keine des Bundes im Geldbereich. Wenn Sie etwas anderes behaupten, dann ist das falsch. Es gab eine Bundesbank - sie wird es auch künftig geben -, deren Zentralbankrat für die Geldpolitik zuständig war und der in seinen geldpolitischen Entscheidungen - das ist der zentrale Punkt - unabhängig war. Aber dieser Zuständigkeitsbereich ist nun weg. Sie können nicht immer sagen: „Wir bauen Europa“, und dann zu Hause so tun, als könne der Heizer auf der E-Lok weitermachen. Eine solche Haltung sorgt für Europaverdrossenheit. Wenn die Zuständigkeit für geldpolitische Entscheidungen nun beim Zentralbankrat der Europäischen Zentralbank liegt, dann müssen daraus selbstverständlich Konsequenzen für unsere nationalen Institutionen gezogen werden.

Jochen Konrad Fromme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003126, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Es geht mir nur um die Frage, ob man einen Konflikt mit den Ländern zu einem Zeitpunkt vom Zaun brechen sollte, an dem es eigentlich darum geht, das Vertrauen der Bevölkerung in die neue Währung zu stärken.

Hans Eichel (Minister:in)

Politiker ID: 11003522

Es gibt gar keinen Konflikt. Den Ländern kann nichts weggenommen werden, was sie sowieso nie hatten und auch künftig nicht haben werden. Sie haben und hatten keine geldpolitischen Zuständigkeiten.

Jochen Konrad Fromme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003126, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber es gibt jetzt einen formellen Konflikt um die Bundesbank.

Hans Eichel (Minister:in)

Politiker ID: 11003522

Aber daran bin ich doch nicht schuld. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird die Konsequenz aus dem gezogen, was auch die Länder im Bundesrat mitbeschlossen haben, nämlich die Einführung des Euro und die Etablierung des Europäischen Systems der Zentralbanken. Es geht also nur noch um die Frage, ob man die nationalen Institutionen so tun lassen sollte, als ob sie ihre Bedeutung noch immer hätten, obwohl sie sie in bestimmten Punkten längst verloren haben. Ich bin der Meinung, dass daraus die Konsequenzen gezogen werden müssen. Das wird sich auch finanziell auswirken; denn die Bundesbank muss schlanker werden. Darüber gibt es mit den Ländern keinen Konflikt. Es ist überhaupt nicht mehr zu begründen, dass der Vorstand der Bundesbank aus 17 Mitgliedern besteht. Das lässt sich mit nichts begründen.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Möchten Sie noch einmal nachhaken, Herr Kollege? - Bitte sehr.

Jochen Konrad Fromme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003126, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Es geht mir gar nicht darum, dass es möglichst keine Veränderungen gibt. Über die notwendigen Veränderungen sind wir uns ja einig. Aber es geht darum, ob man in dem Augenblick, in dem die Stellung der Bundesbank für die Bevölkerung eine ganz wichtige Rolle spielt, einen Konflikt zwischen Bund und Ländern herbeiführen sollte oder nicht.

Hans Eichel (Minister:in)

Politiker ID: 11003522

Ich führe doch gar keinen Konflikt herbei. Ich ziehe nur die Konsequenzen aus dem, was wir gemeinsam in Europa beschlossen haben. Man kann ja fragen, ob über das, was wir jetzt beschließen wollen, nicht bereits zum 1. Januar 1999 hätte entschieden werden müssen. Es wäre vielleicht klüger gewesen. Das meine ich gar nicht bösartig. Wie gesagt, ich führe keinen Konflikt herbei, sondern setze lediglich das um, was wir gemeinsam - übrigens, einvernehmlich - beschlossen haben, nämlich die Übertragung von Kompetenzen auf die Europäische Zentralbank. Das muss nun Konsequenzen für die nationalen Institutionen haben.

Jochen Konrad Fromme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003126, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wenn Sie einen Gesetzentwurf vorlegen, der von den Ländern nicht akzeptiert wird, dann ist das ein Konflikt, ob man das will oder nicht.

Hans Eichel (Minister:in)

Politiker ID: 11003522

Aber ich habe den Konflikt doch nicht herbeigeführt. Die Europäische Zentralbank ist im Einvernehmen mit den Ländern eingerichtet worden und die geldpolitische Zuständigkeit ist auf sie übertragen worden. Ich kann mich doch nicht weigern, daraus die Konsequenzen zu ziehen.

Jochen Konrad Fromme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003126, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Mir geht es ja nur darum, dass man dafür einen Weg suchen muss, der Gemeinsamkeit schafft, weil man das Vertrauen behalten muss. Wenn ein Gesetzentwurf vorgelegt wird, dem die Länder nicht zustimmen, dann ist das ein Konflikt, ausgelöst von demjenigen, der den Gesetzentwurf vorlegt.

Hans Eichel (Minister:in)

Politiker ID: 11003522

Die Modelle der Deutschen Bundesbank, übrigens auch die, hinBundesminister Hans Eichel ter der die Mehrheit der Landeszentralbankpräsidenten gestanden hat, haben eine Reduzierung der Zahl der Landeszentralbanken vorgesehen. Ich darf darauf hinweisen, dass ich das nicht tue. Ich gehe mit den Länderinteressen so schonend um, wie man damit nur umgehen kann. Aber ich kann eines nicht: Kompetenzen wiederherstellen, die nicht mehr da sind.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun möchte der Kollege Hauser noch eine Frage stellen.

Hansgeorg Hauser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000832, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, es ist ja verständlich, dass Sie nicht den Konflikt führen. Aber Tatsache ist doch nun einmal, dass aufseiten der Länder, und zwar quer durch alle Parteien, offensichtlich andere Meinungen vorherrschen. Insofern gibt es natürlich einen Konflikt zwischen dem Bund, vertreten durch Sie, und den Ländern, vertreten durch die Länderfinanzminister. Ich möchte noch einmal auf den Zentralbankrat zurückkommen, der hier seine Funktion verloren hat. Das ist absolut richtig; darüber sind wir uns auch einig. Aus dem Aufgabenbereich des künftigen - ich nenne es wieder so - Zentralvorstandes wird die Beschäftigung mit der Vorbereitung und Ausführung der europäischen Geldpolitik gestrichen, weil dies auf die EZB übertragen worden ist. Das ist richtig. Wenn ich es aber richtig verstanden habe, soll künftig auch auf die Teilnahme von Mitgliedern der Bundesregierung verzichtet werden. Damit wird sich dieses Gremium - wenn bisher auch nur intern, aber da gab es ja durchaus offene Diskussionen - auch nicht mehr mit Themen wie Stabilitätspolitik beschäftigen. Ist das so richtig?

Hans Eichel (Minister:in)

Politiker ID: 11003522

Ja.

Hansgeorg Hauser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000832, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Darauf wird verzichtet. Dann habe ich noch eine abschließende Frage: In welchem Umfang wird es zu Personalabbau, vielleicht auch zu Standortschließungen und ähnlichen Dingen kommen? Gibt es dazu schon ein Konzept?

Hans Eichel (Minister:in)

Politiker ID: 11003522

Nein. Das liegt ja in der Verantwortung des Vorstandes der Deutschen Bundesbank. Sie wissen, dass ich nie Zahlen genannt habe. Die Länder haben in einer Pressekonferenz Zahlen genannt, nämlich bis zu 4 500 Mitarbeiter. Der Bundesbankpräsident hat eine niedrigere Zahl genannt. Ich sehe keinen Sinn darin, mich sozusagen extern an dieser Debatte zu beteiligen. Aber allen ist klar, dass es eine erhebliche Verschlankung der Deutschen Bundesbank geben wird, geben muss und dass insbesondere die Fülle von Doppelzuständigkeiten, die jetzt im System liegt und die durch die Vorbehaltszuständigkeiten begründet ist, beendet werden muss.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Gibt es zum Gesetzentwurf zur Änderung des Bundesbankgesetzes noch Fragen? - Das ist nicht der Fall. Gibt es im Rahmen der Regierungsbefragung sonst noch Fragen an die Bundesregierung? - Auch das ist nicht der Fall. Dann beende ich die heutige Regierungsbefragung. Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 2: Fragestunde - Drucksache 14/6138, 14/6157 Zu Beginn der Fragestunde rufe ich gemäß Ziffer 10 der Richtlinien für die Fragestunde die dringliche Frage des Abgeordneten Eckart von Klaeden auf: Treffen Informationen von „Welt am Sonntag“ ({0}) aus dem Bundeskanzleramt und der SPD-Führung zu, dass die Bundesregierung inzwischen annimmt, dass das Protokoll über ein Gespräch zwischen Bundeskanzler Gerhard Schröder und US-Präsident George W. Bush von amerikanischen Stellen gezielt an die Öffentlichkeit lanciert wurde, um deutsche Wirtschaftsinteressen in Libyen zu durchkreuzen, und wenn ja, wie kommt die Bundesregierung dazu, sich zu diesen jüngsten Vermutungen veranlasst zu sehen? Zur Beantwortung steht Herr Staatsminister Dr. Ludger Volmer zur Verfügung. - Bitte sehr, Herr Staatsminister.

Not found (Gast)

Herr von Klaeden, uns sind keine Indizien oder Fakten bekannt, die eine solche Spekulation rechtfertigen würden.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Zusatzfrage.

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, da ich davon ausgehe, dass Sie diese Meldung für eine Falschmeldung halten: Wäre es nicht angesichts der Tatsache, dass als Quelle immerhin das Bundeskanzleramt genannt wird, angemessen gewesen, diese Meldung Ihrerseits wenigstens zu dementieren, um nicht den Eindruck zu erwecken, man ließe antiamerikanische Ressentiments im Raum stehen?

Not found (Gast)

Im Zusammenhang mit der Erörterung der letzten zwei Wochen sind so manche Spekulationen aufgebracht worden. Die Bundesregierung hat sich entschlossen, zu Spekulationen über einen Bericht, der unter Bruch der Geheimhaltungsvorschriften an die Öffentlichkeit gelangt ist, nicht Stellung zu nehmen.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Zweite Zusatzfrage, bitte sehr.

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, zunächst einmal bin ich Ihnen für Ihre Klarstellung in aller Öffentlichkeit dankbar, dass die Panne, die zu dem außenpolitischen Schaden geführt hat, nicht auf eine amerikanische Indiskretion, sondern auf Vorgänge innerhalb der Bundesregierung zurückgeht. Ich möchte Sie, was die Zusammenarbeit mit Ministerialdirektor Steiner angeht, Folgendes fragen: Erfüllt aus Sicht des Auswärtigen Amtes Herr Steiner als beamteter Leiter der Abteilung Außenpolitik im Kanzleramt die Kriterien, die einen guten Beamten als Zuarbeiter der Politik auszeichnen, insbesondere im Hinblick auf Effizienz, Zurückhaltung, Diskretion und Professionalität? Kann das Auswärtige Amt bestätigen, dass Herr Steiner in der Koordinierung der Zusammenarbeit zwischen Bundeskanzleramt und Auswärtigem Amt einen exzellenten Job macht? Man sollte die Berichterstattung in der Presse über seine Person berücksichtigen; ich zitiere die „Süddeutsche Zeitung“ von heute: Zum anderen Teil hängt es damit zusammen, dass Steiner gerne über die Außenpolitik, den Kanzler und sich selbst spricht - manchmal nicht in dieser Reihenfolge. Die „Zeit“ hat geschrieben: Steiner macht Außenpolitik im Muscle-Shirt. Seine Qualitäten schlagen gelegentlich um: in Risiko, Uneinsichtigkeit, Geltungssucht.

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Zunächst, Herr Klaeden, weise ich Ihre beiden Wertungen „Panne“ und „außenpolitischer Schaden“ entschieden zurück. Zu Ihrer Frage bezüglich Herrn Steiner sage ich eindeutig: Ja. Die Pressezitate möchte ich nicht kommentieren.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege Spranger, Sie haben für die Fragestunde zwei Fragen zu diesem Themenbereich eingereicht, die später aufgerufen werden. Möchten Sie dennoch in diesem Zusammenhang eine Zusatzfrage stellen?

Carl Dieter Spranger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002205, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Bitte sehr.

Carl Dieter Spranger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002205, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich beziehe mich auf den in der Frage vom Kollegen Klaeden angesprochenen Bericht, in dem behauptet wird, dass die Amerikaner dieses Protokoll aufgrund von Informationen aus dem Kanzleramt lanciert hätten. Sie sprachen davon, dass man keine weiteren Spekulationen anheizen wolle. Wäre es nicht, um weitere Spekulationen zu verhindern, sinnvoll gewesen, dass eine klare Stellungnahme des Auswärtigen Amtes oder des Kanzleramtes erfolgt, aus der hervorgeht, dass die Amerikaner diese Information nicht lanciert haben?

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Ich habe mich zu diesen Spekulationen deutlich geäußert. Ich möchte noch einmal festhalten: Wir können generell keine Spekulationen kommentieren, die auf der Grundlage von unrechtmäßig veröffentlichten Dokumenten des Auswärtigen Amtes beruhen; sonst würde sich die Bundesregierung durch jeden, der meint, über Indiskretionen Stellungnahmen provozieren zu können, angreifbar machen.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nachdem die dringliche Frage beantwortet worden ist, rufe ich nun diejenigen Fragen des Geschäftsbereichs des Auswärtigen Amtes auf, die sich auf dasselbe Thema beziehen. Wir kommen also zu den Fragen 36 bis 45. Nach Ziffer 10 der Richtlinien für die Fragestunde und für die schriftlichen Einzelfragen dürfen diese Fragen vorgezogen werden. Wir kommen nun zur Frage 36 des Kollegen Carl-Dieter Spranger: Wie erklärt sich die Bundesregierung die Veröffentlichung des von Botschafter Jürgen Chrobog am 31. März 2001 verfassten Protokolls des Gesprächs zwischen dem amerikanischen Präsidenten George W. Bush und Bundeskanzler Gerhard Schröder und wie bewertet die Bundesregierung die Auswirkungen der Veröffentlichung dieses Protokolls auf das Ansehen des deutschen auswärtigen Dienstes im Ausland ({0})?

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Herr Spranger, ich möchte noch einmal betonen - ich sagte das gerade schon einmal; was ich sage, gilt für alle Fragen dieses Komplexes -, dass die Bundesregierung keine Informationen kommentiert, die unter Verstoß gegen geltende Geheimhaltungsvorschriften an die Öffentlichkeit gegeben wurden. Es handelt sich in diesem Fall übrigens um einen Verstoß, der strafrechtlich und auch dienstrechtlich relevant ist. Nun zu Ihrer konkreten Frage: Informationen über das Gespräch, auf das sich Ihre Frage bezieht, wurden unter Bruch des Dienstgeheimnisses an unbefugte Dritte weitergegeben. Die Ermittlungen, wer dafür verantwortlich war, dauern an. Der Vorgang ist außerordentlich ärgerlich. Die Bundesregierung sieht dennoch keine Auswirkungen auf das Ansehen des deutschen auswärtigen Dienstes im Ausland.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Eine Zusatzfrage, Herr Kollege? - Bitte sehr.

Carl Dieter Spranger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002205, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, teilt die Bundesregierung die Meinung, die veröffentlichten herabsetzenden Bemerkungen - unter anderem über Präsident Putin, den jordanischen König, Präsident Arafat oder die syrische Regierung - würden unsere Beziehungen zu diesen Persönlichkeiten und Regierungen belasten? Was hindert andere staatliche Repräsentanten und Regierungen daran, die Befürchtung zu haben, zukünftig ähnliche herabsetzende Bemerkungen des Bundeskanzlers und seines Gehilfen Steiner in der Presse nachlesen zu können?

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Herr Kollege Spranger, die Charakterisierung dieser angeblich gefallenen Bemerkungen kann ich mir nicht zu Eigen machen. Ansonsten möchte ich darauf verweisen, dass dieser gesamte Komplex heute Morgen unter dem Geheimhaltungsgrad „VS-Vertraulich“ im Auswärtigen Ausschuss erläutert wurde. Ich kann Dinge, die dort unter „VS-Vertraulich“ diskutiert wurden, hier nicht in öffentlicher Rede darstellen.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Eine weitere Zusatzfrage, bitte sehr.

Carl Dieter Spranger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002205, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, ist es nicht ein Beleg für die Fassungslosigkeit, mit der das Ausland den Bericht, seinen Inhalt und die Veröffentlichung zur Kenntnis nehmen musste, dass Staatspräsident Putin den Bericht zunächst für eine Fälschung hielt und dann, als er die Wahrheit erfuhr, mit Empörung reagierte? Oder hat sich der jordanische König bei seinem jüngsten Besuch in Berlin für die Bewertung durch den Herrn Bundeskanzler bei diesem bedankt?

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Es wurde selbstverständlich über den Bericht geredet. Der jordanische König hat aber daran keinen Anstoß genommen. Herr Putin hat sich nicht über den Gehalt als vielmehr über die Indiskretion bei der Veröffentlichung empört gezeigt.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Eine Zusatzfrage der Kollegin Bonitz, bitte sehr.

Sylvia Bonitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003052, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, Sie haben sich teilweise darauf bezogen, dass heute Morgen einige Ausführungen im Auswärtigen Ausschuss unter „Vertraulich“ gemacht wurden. Ich beziehe mich auf das, was öffentlich bekannt ist. Da Sie sagen, es gebe keinen außenpolitischen Schaden oder Ansehensverlust, möchte ich fragen: Ist der Bundesregierung denn entgangen, dass zum Beispiel das „Wall Street Journal“ in elektronischer Form am 22. Mai veröffentlicht hat - ich zitiere -: Die peinliche undichte Stelle befrachtet die deutschamerikanischen Beziehungen mit neuen Spannungen, die bereits durch Differenzen in Verteidigungsangelegenheiten, insbesondere im Zusammenhang mit dem geplanten Raketenschutzschild, und eine Anzahl von anderen Fragen von transatlantischen Handelsstreitigkeiten bis zu grenzüberschreitenden Sorgerechtsfällen belastet sind. Das kontroverse Protokoll könnte durchaus das Vertrauen Washingtons in Deutschland als zuverlässigen und diskreten Gesprächspartner erschüttern. Reuters veröffentlichte am 17. Mai 2001 in Amerika - ich zitiere -: Was geschieht, wenn jemand anderes zu Gesprächen kommt, Chinesen, Europäer, wer auch immer? Was werden sie bei Verhandlungen sagen, wenn sie befürchten, dass sie es am nächsten Tag in der Zeitung lesen werden? Ist das kein außenpolitischer Schaden?

Not found (Gast)

Frau Bonitz, das sind Kommentierungen in Zeitungen, in denen Redakteure ihre Thesen vortragen. Die Wirklichkeit sieht aber anders aus. Es ist insbesondere im Verhältnis zu den USA kein Schaden eingetreten, weil über den Vorgang sofort auf verschiedenen Ebenen intensiv geredet worden ist. Die amerikanische Seite hat uns deutlich zu verstehen gegeben, dass sie die Beziehungen dadurch in keiner Weise belastet sieht und dass durch dieses angebliche Protokoll keine Irritationen entstanden sind.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun rufe ich die Frage 37 des Kollegen Carl-Dieter Spranger auf: Wie erklärt sich die Bundesregierung den großen Verteilerkreis des Drahtberichts von Botschafter Jürgen Chrobog über das Arbeitsgespräch zwischen dem amerikanischen Präsidenten George W. Bush und dem deutschen Bundeskanzler Gerhard Schröder und welche Konsequenzen sind nach Auffassung der Bundesregierung aus der Veröffentlichung des Gesprächsprotokolls für die künftige Behandlung und den Verteilerkreis von Drahtberichten deutscher Botschaften im Ausland zu ziehen? Herr Staatsminister, bitte sehr.

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Herr Spranger, ich verweise auf meine Vorbemerkung zu Frage 36 bezüglich der Nichtkommentierung solcher Vorgänge durch die Bundesregierung. Allgemein kann ich allerdings sagen, dass der Verteilerkreis von Drahtberichten davon abhängt, wer aus dienstlichen Gründen unterrichtet werden muss. So wie bisher wird auch in Zukunft gelten, dass immer eine Abwägung zwischen dem Informationsbedürfnis und der Gewährleistung des notwendigen Schutzes erforderlich ist. Dabei ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die Adressaten die jedem Beamten obliegende Amtsverschwiegenheit wahren. In Anbetracht des vorliegenden Verstoßes gegen die Geheimhaltungsvorschriften hat der Bundesminister des Auswärtigen am 23. Mai 2001 mit sofortiger Wirkung angeordnet, dass Berichte über Gespräche von Staats- und Regierungschefs, die ohnehin schon klassifiziert sind, noch höher eingestuft werden.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Zusatzfrage, bitte sehr.

Carl Dieter Spranger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002205, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, wie in der Presse, zum Beispiel im „Focus“ vom 21. Mai, zu lesen war, lautet einer der umstrittenen Sätze in dem Drahtbericht: Ministerialdirektor Steiner berichtet über seine Gespräche mit Gaddafi in Libyen; dieser habe eingestanden, dass sich Libyen an terroristischen Aktionen - „La Belle“, Lockerbie - beteiligt habe. Diese Formulierung ist an Eindeutigkeit nicht zu übertreffen. Ich frage Sie: Von wem stammt der Zusatz „La Belle“, Lockerbie in diesem Bericht? Von Botschafter Chrobog oder von Herrn Steiner?

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Herr Spranger, ich kann nur noch einmal betonen, dass die Bundesregierung zu Berichten, die aufgrund des Bruchs von Geheimhaltungsvorschriften zustande gekommen sind, öffentlich keine Stellung nimmt. Ansonsten verweise ich Sie auf die Stellungnahme des Außenministers heute Morgen im Auswärtigen Ausschuss zu genau diesem Themenkomplex. Sie waren ja anwesend. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Spranger hat eine Zusatzfrage.

Carl Dieter Spranger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002205, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Da haben wir auch nichts erfahren, deshalb fragen wir hier. Meine Frage: Können Sie ausschließen, dass Herr Steiner diese zwei Worte dem von ihm modifizierten Bericht hinzugefügt hat?

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Noch einmal, Herr Spranger: Die Bundesregierung nimmt öffentlich zu Berichten, die durch Indiskretionen zustande gekommen sind, keine Stellung.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege Gehrcke hat eine Zusatzfrage, dann kommt Herr Polenz.

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Staatsminister, ich will Sie natürlich nicht dazu verleiten, hier irgendetwas kundzutun, was im Auswärtigen Ausschuss vertraulich geäußert wurde. So etwas zu versuchen liegt mir fern. Aber da Sie mehrmals darauf hingewiesen haben und wir beide heute Morgen an der Sitzung teilgenommen haben, frage ich Sie: Können Sie meinen Eindruck bestätigen, dass heute Morgen im Auswärtigen Ausschuss nichts gesagt worden ist, was nicht schon längst in der Presse gestanden hat?

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Herr Gehrcke, ich weiß nicht, was alles in der Presse gestanden hat. ({0}) Ich habe jedenfalls den Eindruck, dass die Bundesregierung zu diesem Komplex erschöpfend Stellung genommen hat. ({1})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Die nächste Zusatzfrage hat der Kollege Polenz.

Ruprecht Polenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002751, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, können Sie uns, nachdem es auch heute im Ausschuss nicht ohne weiteres zu klären war, mitteilen, ob Sie inzwischen wissen, wie viele Adressaten diesen vertraulichen Bericht bekommen haben? Mich würde die reine Zahl interessieren. ({0})

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Weil es sich hierbei um eine Verschlusssache handelt, kann ich auch über die Form der Verteilung wenig sagen. Generell kann ich Ihnen sagen, dass die Bundesregierung zwischen dem Geheimhaltungsinteresse auf der einen und der Arbeitseffizienz auf der anderen Seite abwägen muss. Arbeitseffizienz heißt, dass die Stellen den Bericht erhalten müssen, die sich mit den Themen befassen, die in dem Bericht abgehandelt werden. Dies ist eine seit Jahrzehnten gängige Routine. Diese gab es auch während Ihrer Amtszeit.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun hat Herr von Klaeden eine Zusatzfrage.

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, Sie merken, dass uns besonders die nach Ihrer Ansicht exzellente Zusammenarbeit zwischen dem Auswärtigen Amt und Herrn Steiner im Kanzleramt interessiert. Deswegen frage ich Sie nach einem Vorgang, der nicht den Geheimhaltungsvorschriften unterliegt. In der „Welt am Sonntag“ aus der letzten Woche schreibt Lord Weidenfeld, dass bei einem Treffen Anfang vorigen Jahres mit Herrn Steiner Herr Steiner sich gebrüstet habe, er sei der Architekt der Sanktionen gegen Österreich gewesen. Ich frage Sie: Ist diese Darstellung von Herrn Steiner richtig oder handelt es sich hierbei wieder um eine Falschmeldung?

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Herr von Klaeden, so wie ich die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages kenne, dürfen Nachfragen nur zu dem Fragenkomplex der Hauptfrage gestellt werden. ({0}) Sie müssten demnach die Präsidentin fragen, ob ich die Frage beantworten muss. ({1}) - Ich habe nicht kritisiert, sondern eine Frage gestellt.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich werte die Antwort des Herrn Staatsministers als Antwort auf Ihre Frage und gebe der Kollegin Bonitz für eine Zusatzfrage das Wort.

Sylvia Bonitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003052, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, können Sie wenigstens dazu Stellung nehmen, welche Stellen konkret bei der Klassifizierung des Protokolls, um das es hier geht, beteiligt waren? War es ausschließlich der deutsche Botschafter in den USA oder war es zum Beispiel auch das Kanzleramt?

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Ich kann dies nicht konkret kommentieren, ich kann nur sagen, dass in der Regel Protokolle von dem Botschafter oder seinen Vertretern verfasst werden. Diese werden von den Gesprächsführenden gegengelesen. In der Regel verständigt man sich auf einen Text. Auch zu dem Text, der hier in Rede ist, kann ich nur sagen, dass alle, die ihn legitimerweise erhalten haben, keinen Anlass sahen, weitere Fragen an diesen Text zu knüpfen.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun kommt die nächste Frage. Ich möchte noch darauf hinweisen, dass zum selben Komplex noch eine große Zahl von Fragen vorliegen. Sie müssen also nicht bei dieser einen Frage schon die Zusatzfragen stellen. Aber das nur als Hinweis. Bitte sehr, Herr Kollege.

Dr. Andreas Schockenhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002053, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, Sie haben syntaktisch die passive Form gewählt: Das Protokoll ist weitergegeben worden. Könnten Sie mit einer aktiven Formulierung sagen, wer das Protokoll weitergegeben hat?

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Ich habe nicht nur passiv formuliert, sondern auch äußerst generell und habe diesen konkreten Vorgang gar nicht kommentiert. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun kommen wir zur Frage 38 des Kollegen Schmidt. Eigentlich gehört die Frage 39 gleich dazu. Aber ich weiß nicht, ob Sie diese lieber getrennt beantwortet haben wollen.

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Ich habe die Antworten getrennt vorbereitet, Frau Präsidentin.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Dann rufe ich zunächst die Frage 38 des Kollegen Chrtistian Schmidt ({0}) auf: Hat der Leiter der Abteilung Außenpolitik im Bundeskanzleramt, Ministerialdirektor Michael Steiner, während des Arbeitsgesprächs des Bundeskanzlers Gerhard Schröder mit dem amerikanischen Präsidenten George W. Bush die im Protokoll von Botschafter Jürgen Chrobog enthaltene Aussage über ein Gespräch mit Staatschef Muammar al-Gaddafi in Libyen gemacht ({1})?

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Herr Schmidt, ich verweise auf meine Vorbemerkung zur Frage 36 des Herrn Kollegen Spranger bezüglich der Nichtkommentierung solcher Vorgänge durch die Bundesregierung. Aus den bereits genannten Gründen kann ich solche Fragen hier nicht öffentlich beantworten. Der Auswärtige Ausschuss wurde jedoch heute vertraulich unterrichtet.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Zusatzfrage eins, bitte sehr.

Christian Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002003, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin, eine Korrektur, wenn Sie erlauben: Der Auswärtige Ausschuss wurde hierüber vertraulich nicht unterrichtet. ({0}) Ich habe folgende Zusatzfrage: Der Bericht des „Spiegel“ vom 21. Mai erwähnt in diesem Kontext einen weiteren Vermerk des Herrn Ministerialdirektors Steiner über sein Gespräch mit dem libyschen Staatschef Gaddafi, in dem darüber gesprochen worden sein soll, ex gratia, das heißt ohne Anerkennung einer rechtlichen Verpflichtung, eine Entschädigung für die leider immer noch auf Entschädigung wartenden Opfer des „La Belle“-Diskotheken-Anschlags zu zahlen. Ist dies zutreffend?

Not found (Gast)

So es sich um einen vertraulichen Gesprächsvermerk von Herrn Steiner handeln sollte, kann ich das nicht kommentieren. Aber zur Substanz Ihrer Frage kann ich sagen: Wann immer die Bundesregierung mit libyschen Stellen zusammentrifft, wird der Gesamtkomplex „La Belle“ angesprochen, mit welchen Worten auch immer. Dabei wird auch immer die Frage der Entschädigung angeschnitten. Das Ergebnis dieser Gespräche ist allerdings auch immer dasselbe: Die libysche Seite sagt, dass sie zivilrechtlich nicht in Leistung treten könne und wolle, bevor nicht auf der strafrechtlichen Ebene die Schuldfrage eindeutig geklärt sei.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Zweite Zusatzfrage.

Christian Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002003, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, stimmen Sie mit mir überein, dass es ein intellektuell schwierig nachzuvollziehendes Begründungsmuster der Bundesregierung ist, einerseits mitzuteilen, dass, wenn man mit Libyen spreche, immer über „La Belle“ gesprochen werde, eine Gesprächsnotiz, einen Drahtbericht über ein Gespräch zwischen Bundeskanzler Schröder und Präsident Bush anzufertigen, wo über ein solches Gespräch berichtet wird und wo „La Belle“ erwähnt wird, andererseits im Nachhinein mitzuteilen, es sei nie über „La Belle“ gesprochen worden?

Not found (Gast)

Herr Schmidt, wir kommentieren nicht öffentlich Berichte über vertrauliche Gespräche zwischen Staatschefs. ({0}) Unabhängig davon gibt es eine Libyenpolitik der Bundesregierung; sie habe ich Ihnen gerade skizziert. Das könnte ich weiter ausführen, das ist nicht geheim. Ich würde sie auch jederzeit auf einer Pressekonferenz öffentlich darstellen.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun hat der Kollege Spranger eine Zusatzfrage.

Carl Dieter Spranger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002205, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, ist es zutreffend, dass die erste Fassung des veröffentlichten Berichts von Herrn Chrobog an Herrn Steiner ging, dass dieser sie massiv korrigierte und dass die dann in den Zeitungen veröffentlichte Fassung letztendlich die Fassung von Herrn Steiner ist?

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Herr Spranger, ich kann nur erneut wiederholen, dass wir keine unter Bruch der Geheimhaltungsvorschriften an die Öffentlichkeit gelangten Dokumente kommentieren.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun hat die Kollegin Bonitz eine Zusatzfrage.

Sylvia Bonitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003052, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, da Sie sich darauf zurückziehen, dass Sie zu bestimmten Punkten hier nicht öffentlich Stellung nehmen können: Habe ich Sie eben richtig verstanden, dass bei jedem Gespräch, das zwischen der Bundesregierung und der libyschen Regierung stattgefunden hat, das Thema „La Belle“ angesprochen worden ist, in welcher Form auch immer, dass aber die Bundesregierung nach Veröffentlichung von Teilen des Chrobog- oder Steiner-Protokolls behauptet hat, dass dieses Thema bei dem besagten Gespräch zwischen Gaddafi und Steiner nicht zur Sprache gekommen ist? Ich sehe hier einen Widerspruch.

Not found (Gast)

Frau Bonitz, den Widerspruch sehe ich überhaupt nicht. Bei allen Gesprächen der Bundesregierung mit der libyschen Seite kommt das Thema zur Sprache, in welcher Form auch immer. Deshalb kann man zwischen der generellen und der konkreten Form keinen Widerspruch konstruieren.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun hat der Kollege Dr. Lippelt eine Zusatzfrage.

Dr. Helmut Lippelt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001352, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatsminister, können Sie den Kollegen nicht mal den Unterschied zwischen der Intensität eines Gesprächs, das im Rahmen der allgemeinen Libyenpolitik geführt worden ist, und eines Gesprächs zwischen dem amerikanischen Präsidenten und dem deutschen Bundeskanzler, ({0}) das, wie wir aus den Zeitungen wissen, anderthalb oder zwei Stunden gedauert hat ({1}) und bei dem in einer Tour d’Horizon über sehr viele Themen gesprochen worden ist, erklären? ({2}) Denn wenn man diesen Unterschied richtig reflektiert, stellt man fest, dass bei letzterem Gespräch über das Detail Libyen nur in sehr allgemeiner Form gesprochen worden sein kann. ({3}) - Ich habe Schlussfolgerungen aus der Länge der Gespräche gezogen; das ist Ihnen offensichtlich schwer zugänglich. ({4})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Staatsminister.

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Bei Gesprächen zwischen Staatschefs ist es in der Regel so, dass eine Fülle von Themen abgehandelt werden, meistens hinsichtlich der Ergebnisse und nicht mit allen Details, während die Details bei den vorbereitenden Gesprächen, die auf der Ebene von Beamten oder auch von Staatssekretären bzw. Staatsministern geführt werden, sehr genau besprochen werden. Die Ergebnisse dieser Detailbesprechungen erhält das Kanzleramt natürlich immer zur Kenntnis; das dient dann zur Vorbereitung der Chefgespräche.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun hat der Kollege Polenz eine Zusatzfrage. Bitte sehr.

Ruprecht Polenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002751, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, zur Beantwortung - oder sollte ich besser sagen: zur Abwehr - unserer Fragen verweisen Sie häufig darauf, dass Sie Vorgänge, die unter Bruch der Geheimhaltungsvorschriften an die Öffentlichkeit gelangen, nicht kommentieren könnten. Nun haben wir heute vom Außenminister gehört, das Außenministerium habe eine Taskforce eingerichtet, um zu untersuchen, wo das Leck war, durch das diese Informationen in die Öffentlichkeit gelangt sind. Meine Frage ist: Erstreckt sich die Kompetenz dieser Taskforce nur auf Ermittlungen im Hinblick auf Bedienstete, die dem Auswärtigen Amt unterstehen, oder ist auch das Kanzleramt einbezogen? ({0})

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Zunächst einmal: Die Veröffentlichung dieses Protokolls bedeutet einen Gesetzesbruch, ein Dienstvergehen und zudem einen Vertrauensbruch im kollegialen Zusammenhang. Deshalb wird dem nachgegangen. Der Außenminister hat dazu im Auswärtigen Amt - dafür ist er zuständig - eine Sonderarbeitsgruppe eingerichtet. Ich gehe davon aus, dass auch andere Ministerien in ihren Häusern nach denkbaren undichten Stellen suchen. Solange kein Beweis für eine konkrete Täterschaft - so muss man es nennen - auf dem Tisch liegt, halte ich es nicht für angebracht, irgendwen zu verdächtigen.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun hat der Kollege Schmidt noch eine Zusatzfrage.

Christian Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002003, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, Sie haben davon gesprochen, dass Sie davon ausgehen, dass in anderen Ministerien eine Untersuchung stattfindet, dass Sie es aber nicht wissen. Heißt das, dass Sie das Kanzleramt ausschließen und dass Sie den Begriff „undichte Stellen“ auf das Kanzleramt grundsätzlich nicht anwenden wollen?

Not found (Gast)

Herr Schmidt, solche Drahtberichte gehen übrigens vom Auswärtigen Amt nicht nur an das Kanzleramt, sondern auch an andere Ministerien. Ich möchte ganz explizit hinzufügen, dass Drahtberichte oft auch an den Deutschen Bundestag bzw. an dessen Ausschüsse gehen, weil auch Abgeordnete ein Informationsbedürfnis haben. Deshalb halte ich die Konzentrierung Ihrer Frage auf das Kanzleramt für nicht legitim.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun rufe ich die Frage 39 des Kollegen Christian Schmidt ({0}) auf: Wenn ja, warum hat die Bundesregierung diese Information nicht der zuständigen Staatsanwaltschaft im noch laufenden „La Belle“-Prozess in Berlin zur Verfügung gestellt?

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Herr Schmidt, der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse vor, wonach Libyen hinsichtlich des „La Belle“-Attentats eine Tatbeteiligung eingestanden hat. Insofern waren keine Informationen an die zuständige Staatsanwaltschaft weiterzuleiten.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Zusatzfrage eins.

Christian Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002003, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, bemüht sich die Bundesregierung auch während des Fortgangs des Strafverfahrens, von Libyen eine ExGratia-Entschädigung für die bedauerlicherweise noch immer nicht entschädigten und bis heute unter ihren körperlichen Schädigungen leidenden Opfer dieses Diskothekenanschlags von 1986 zu erreichen?

Not found (Gast)

Herr Schmidt, die Bundesregierung versteht das Anliegen, das Sie zum Ausdruck bringen, und teilt es. Wir verstehen das Anliegen der Angehörigen der Opfer bzw. der überlebenden Opfer nach Entschädigung. Diese Frage wird der libyschen Seite immer vorgelegt, wenn nicht sogar die libysche Seite das selber anspricht, weil sie ja weiß, dass eine Klärung dieser Probleme Voraussetzung für eine Normalisierung der Beziehungen ist. Die libysche Seite weist aber immer wieder darauf hin, dass sie keine Entschädigungsleistungen erbringen kann, solange nicht in einem ordentlichen Gerichtsverfahren eine libysche Täterschaft bzw. Mittäterschaft festgestellt worden ist. Das ist bis heute nicht der Fall. Dennoch ist dies immer Gesprächsthema.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Zusatzfrage zwei.

Christian Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002003, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, verstehen Sie, dass ich mit Rücksicht auf die Würde des Hauses an Sie die Frage nicht richte, ob der besagte Ministerialdirektor Steiner wie weiland Jakob Mierscheid eine virtuelle Figur ist oder ob er tatsächlich existiert? ({0})

Not found (Gast)

Herr Schmidt, dazu kann ich Ihnen nur sagen, dass wir generell ein Interesse daran haben, dass sich Libyen in die internationale Staatengemeinschaft reintegriert. Libyen hat entsprechende Signale ausgesendet. Wir sprechen deshalb auf allen Ebenen intensiv miteinander. Das hat auch Ministerialdirektor Steiner getan. Dabei machen wir den Libyern deutlich, dass der von mir gerade bezeichnete Komplex gelöst werden muss, bevor es zu einer vollständigen Normalisierung kommen kann.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun rufe ich die Frage 40 der Kollegin Bonitz auf: Warum hat der sicherheitspolitische Berater im Bundeskanzleramt, Ministerialdirektor Michael Steiner, die Passage des von Botschafter Jürgen Chrobog verfassten Protokolls, die das Gespräch zwischen Michael Steiner und dem libyschen Staatschef Muammar al-Gaddafi behandelt, nicht korrigiert, wenn er sie für missverständlich oder falsch wiedergegeben hielt? Herr Staatsminister, bitte sehr.

Not found (Gast)

Frau Bonitz, ich verweise erneut auf meine Eingangsbemerkung zur Frage 36: Zum Inhalt von Dokumenten, die unter Verletzung von Geheimhaltungsvorschriften an Unbefugte gegeben wurden, kann die Bundesregierung hier öffentlich ebenso wenig Stellung nehmen wie zu abgeleiteten Fragen. Dazu hat jedoch Herr Steiner heute Morgen vor dem zuständigen Ausschuss vertraulich vorgetragen.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Zusatzfrage eins.

Sylvia Bonitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003052, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, ich erlaube mir zunächst die Anmerkung, dass ich nicht nur nicht Mitglied des Auswärtigen Ausschusses bin und daher diesen Informationsstand nicht habe, ({0}) sondern dass ich mich auch in meinen parlamentarischen Rechten verletzt sehe, wenn ich von Ihnen diese Information zu einem inzwischen öffentlich intensiv behandelten Thema nicht bekomme. Ich frage Sie deshalb: Warum hat kein Verantwortlicher, weder Herr Botschafter Chrobog noch Kanzlerberater Steiner noch Außenminister Fischer noch Bundeskanzler Schröder die Brisanz der Libyen betreffenden Passage im Protokoll bemerkt?

Not found (Gast)

Erstens, Frau Bonitz, kann ich diese Wertung von Ihnen nicht teilen ({0}) und zweitens bleibe ich dabei, dass bestimmte außenpolitisch sensible Fragen vor dem entsprechenden Gremium, vor dem Auswärtigen Ausschuss, unter einem Geheimhaltungsgrad besprochen werden.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Zusatzfrage zwei.

Sylvia Bonitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003052, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Eine ganz kurze Anmerkung: Da Sie diese Wertung nicht nachvollziehen können, heißt das, dass Sie die Brisanz nicht erkennen, obgleich es im Grunde genommen völlig egal ist, ob nur eine falsche Wiedergabe eines zutreffenden Gesprächsinhaltes erfolgt ist oder eine richtige Wiedergabe eines unzutreffenden Gesprächsinhaltes. ({0}) Ich stelle daraufhin folgende Frage: Hat es, nachdem dem Kanzleramt und dem Außenministerium aufgrund der öffentlichen Berichterstattung klar geworden ist, dass hier eine Brisanz vorliegen könnte, unmittelbar Gespräche zwischen Herrn Chrobog und Herrn Steiner gegeben, um diese entsprechende Passage, die ich für fehlerhaft halte - Sie stellen sie möglicherweise als Missverständnis dar -, zu klären? Ich meine den Zeitraum - ich präzisiere das -, bevor offiziell zur Sitzung des Auswärtigen Ausschusses eingeladen worden ist.

Not found (Gast)

Frau Bonitz, ich kommentiere diese Passage weder dahin gehend, dass sie richtig sei, noch dahin, dass sie falsch sei, noch dahin, dass sie ein Missverständnis gewesen sein könnte. Alle legitimen Adressaten haben die Stelle so verstanden, wie man sie nur verstehen konnte. Für alle legitimen Adressaten war völlig klar, dass dies, bezogen auf die bilateralen Beziehungen zu Libyen, keine solche Veränderung war, dass man sich intensiver damit hätte befassen müssen. Das Problem entstand lediglich mit der rechtsmissbräuchlichen Veröffentlichung dieses Papiers.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun hat der Kollege Schockenhoff eine Zusatzfrage.

Dr. Andreas Schockenhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002053, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, gehören zu den von Ihnen erwähnten legitimen Adressaten auch ausländische Regierungen und wie erklären Sie sich die offizielle Stellungnahme eines amerikanischen Regierungssprechers, der sich gegen Versuche verwahrt, die Zuständigkeit für die Veröffentlichung in die Nähe der amerikanischen Administration zu rücken?

Not found (Gast)

Die amerikanische Seite, mit der wir, sobald diese Dinge in der Öffentlichkeit diskutiert wurden, auf vielen Ebenen direkt Kontakt aufgenommen haben, hat uns gegenüber deutlich erklärt, dass sie diesem Vorgang keine Bedeutung beimisst und auch nicht irritiert ist. Das hat der amerikanische Außenminister gestern noch dem unseren versichert. Auch der amerikanische Regierungssprecher hat sich in dieser Richtung eingelassen. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Sie kommen mit Ihren Fragen gleich dran, Herr Kollege. Eine Zusatzfrage haben Sie jetzt nicht. Aber der Kollege Gehrcke hat eine Zusatzfrage. Bitte sehr.

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Staatsminister, da Sie vor kurzem dem Hause gesagt haben, Sie könnten nicht zahlenmäßig belegen, wie viele legitime Adressaten es gab, jetzt aber gesagt haben, dass alle legitimen Adressaten die Stelle richtig verstanden haben, frage ich Sie: Wie kommen Sie auf diese gewagte Schlussfolgerung? ({0})

Not found (Gast)

Herr Gehrcke, ich habe nicht gesagt, dass ich nicht alle Adressaten belegen kann, sondern dass ich nicht alle belegen will, weil das ebenfalls ein Vertraulichkeitsbruch wäre. ({0}) Wenn der Inhalt dieses Textes Anlass zu einer Veränderung unserer Politik gegeben hätte, dann wäre er im Hause mit Sicherheit nicht unkommentiert zur Kenntnis genommen worden.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich rufe die Frage 41 der Kollegin Bonitz auf: Welche konkreten Schritte hat die Bundesregierung unternommen, um eine Entschädigung der „La Belle“-Opfer zu erreichen, insbesondere auch im Hinblick auf die Erzielung einer außergerichtlichen Einigung, wie diese in vergleichbar gelagerten Fällen in Frankreich und Großbritannien möglich war? Herr Staatsminister, bitte.

Not found (Gast)

Frau Bonitz, der Bundesregierung liegen keine Informationen vor, wonach es im Fall Lockerbie zwischen Großbritannien und Libyen eine außergerichtliche Einigung über eine Entschädigung gegeben habe. Im Falle des Anschlags auf eine französische UTA-Maschine hat es eine Verständigung zwischen Frankreich und Libyen über Entschädigungsfragen gegeben, nachdem eine libysche Tatbeteiligung durch rechtskräftiges Strafurteil festgestellt war und Libyen dies als Grundlage für Kompensationsleistungen akzeptiert hatte. Inwieweit von Libyen eine Entschädigung der „La Belle“-Opfer verlangt werden kann, hängt daher zunächst von der Frage einer libyschen Tatbeteiligung ab. Diese Frage ist Gegenstand eines laufenden Strafverfahrens vor dem Berliner Landgericht. Im Übrigen hat die Bundesregierung klare Hinweise darauf, dass Libyen nur dann in einen Dialog über Entschädigungen eintreten wird, wenn der „La Belle“-Prozess abgeschlossen und eine libysche Tatbeteiligung durch Strafurteil festgestellt ist. So hat der libysche Außenminister in einer Rede vor der VN-Vollversammlung am 14. September letzten Jahres in Bezug auf Lockerbie jegliche Entschädigungsforderung vor einem Urteil strikt abgelehnt. Gerade im Interesse der Opfer an einer baldigen Klärung der Entschädigungsfrage hat sich die Bundesregierung kontinuierlich für die zügige Durchführung des Rechtshilfeersuchens des Berliner Landgerichtes eingesetzt, um im Prozess voranzukommen. So konnten im Oktober letzten Jahres in Tripolis Zeugenvernehmungen durchgeführt werden, an denen ein Vertreter der Staatsanwaltschaft und ein Ermittlungsbeamter teilnahmen. Bei meinem eigenen Besuch in Libyen am 17./18. April dieses Jahres hat mir der stellvertretende libysche Außenminister zugesagt, dass sein Land die weiteren Ermittlungen deutscher Staatsanwälte unterstützen wird. Die Bundesregierung hofft deshalb auf einen baldigen Abschluss des Verfahrens, sodass auf der Grundlage einer gerichtlichen Entscheidung gegebenenfalls sofort konkrete Schritte zugunsten der Opfer und ihrer Entschädigung unternommen werden können.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Zusatzfrage eins.

Sylvia Bonitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003052, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Zunächst herzlichen Dank für die Antwort, es ist ja tatsächlich mal eine. Da sowohl Libyen als auch die Bundesregierung ein Interesse daran haben müssen, dass es zu einem Urteil kommt, in dem dann möglicherweise eine Tatbeteiligung Libyens festgestellt wird, frage ich konkret nach: Welche konkreten Erkenntnisse aus ihren zahlreichen Gesprächen mit libyscher Seite hat die Bundesregierung von sich aus an das Landgericht Berlin weitergegeben, um hier den Prozessfortschritt zu befördern?

Not found (Gast)

Wie ich soeben schon ausführte, haben wir das Ersuchen des Landgerichts Berlin, dort Zeugenbefragungen durchführen zu können, unterstützt. Das hat zu dem eben von mir dargestellten Erfolg geführt. Bei meinem jüngsten Besuch in Libyen habe ich das noch einmal nachdrücklich vertreten und die erwähnte Zusage von libyscher Seite bekommen. Ansonsten: Die Recherche der Umstände obliegt dem Gericht und ist nicht Aufgabe der Regierung.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Zusatzfrage zwei.

Sylvia Bonitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003052, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Da in dem Landgerichtsprozess das geheime Protokoll mit der entsprechenden Passage zu Libyen eine Rolle spielt und die Bundesregierung dies, so glaube ich, bislang nicht an die Staatsanwaltschaft weitergegeben hat, frage ich mich, ob denn eigentlich niemandem, der dieses Protokoll gelesen hat, aufgefallen ist, dass diese Passage des Protokolls eine Relevanz für diesen Prozess haben könnte. Muss ich davon ausgehen, dass keiner der Empfänger dieses Protokolls die Brisanz erkannt hat, dass es nur diplomatische Dilettanten in diesem Bereich gibt, die die Brisanz einer solchen Passage für einen Gerichtsprozess nicht erkennen können?

Not found (Gast)

Frau Bonitz, dass dieses Protokoll eine Rolle spielt, ist Ihre Wertung. Es gibt keine Anfrage der Staatsanwaltschaft an das Auswärtige Amt dieses Protokoll betreffend. Von daher wissen Sie vielleicht mehr als alle anderen Prozessbeteiligten. Die meisten jedenfalls schließen sich im Moment Ihrer Einschätzung hinsichtlich der historischen Bedeutsamkeit des Dokumentes offensichtlich nicht an.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun kommen wir zur Frage 42 des Kollegen Dr. Schockenhoff: Treffen Presseberichte zu, nach denen es im Zusammenhang mit der Veröffentlichung des Gesprächsprotokolls von Botschafter Jürgen Chrobog vom 31. März 2001 zu Streitigkeiten zwischen dem Auswärtigen Amt und dem Bundeskanzleramt gekommen ist, und ist nach Auffassung der Bundesregierung vor dem Hintergrund der Umstände der Veröffentlichung des Gesprächsprotokolls weiterhin eine vertrauensvolle und enge Zusammenarbeit der Abteilung Außenpolitik des Bundeskanzleramtes und ihres Leiters, Ministerialdirektor Michael Steiner, mit dem Auswärtigen Amt, insbesondere mit den Vertretungen der Bundesrepublik Deutschland im Ausland, gegeben? Bitte sehr, Herr Staatsminister.

Not found (Gast)

Herr Schockenhoff, derartige Presseberichte sind falsch. Die Zusammenarbeit zwischen dem Bundeskanzleramt und dem Auswärtigen Amt wird auch in Zukunft eng und vertrauensvoll sein. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Zusatzfrage eins.

Dr. Andreas Schockenhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002053, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, ist in der Bundesregierung darüber geredet worden, ob vertrauliche Gespräche des Bundeskanzlers mit anderen Staats- und Regierungschefs auch künftig in Anwesenheit von Ministerialdirektor Steiner geführt werden können? Gehen Sie davon aus, dass auch andere Regierungs- und Staatschefs in Anwesenheit von Ministerialdirektor Steiner glauben, vertrauliche Gespräche blieben vertraulich?

Not found (Gast)

Wir gehen davon aus, dass durch diese Indiskretion, die höchst ärgerlich ist, kein nachhaltiger Schaden entstanden ist. Gestern haben zum Beispiel vertrauliche Gespräche über die sensibelsten NATO-Fragen stattgefunden. Wie der Bundeskanzler seine Delegation, seinen Beraterstab zusammenstellt, ist ihm überlassen. Das sollte man von dieser Seite aus nicht kommentieren.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Zusatzfrage zwei.

Dr. Andreas Schockenhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002053, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, Sie haben hier vorher schon unterstrichen, die amerikanische Regierung habe betont, sie messe dieser Angelegenheit keinerlei Bedeutung zu. Wie erklären Sie sich die Tatsache, dass die amerikanische Regierung diese Äußerung seit etwa einer Woche mehrfach täglich wiederholt?

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Sehen Sie, Sie müssen sich schon entscheiden, ob Sie den Schaden, der nicht da ist, herbeireden wollen oder ob Sie daran mitwirken, dass kein Schaden entsteht. ({0}) Die Bundesregierung hat jedenfalls in dem Moment, wo dies ein öffentliches Thema wurde, mit der amerikanischen Seite auf verschiedenen Ebenen darüber gesprochen. Man ist sogar den Text selbst durchgegangen und hat dabei gemeinsam festgestellt, dass er keinen Anlass für Irritationen bietet.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun kommt eine Zusatzfrage des Kollegen Schmidt.

Christian Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002003, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, Sie hatten - wenn ich Sie richtig verstanden habe mitgeteilt, dass dem Auswärtigen Amt bis heute noch keine Anfrage von der Staatsanwaltschaft hinsichtlich des als historisch oder nicht historisch einzuschätzenden Dokuments vorliegt. Wie erklären Sie sich das vor dem Hintergrund, dass zum einen - wenn ich mich recht entsinne an dem Tag, an dem der Artikel in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ stand, sich der zuständige Oberstaatsanwalt in einer der Abendnachrichten der öffentlich-rechtlichen Sender äußerst verwundert darüber gezeigt hat, dass die Staatsanwaltschaft über dieses Dokument nicht in Kenntnis gesetzt worden ist, und sinngemäß geäußert hat, die Staatsanwaltschaft werde sich darum bemühen, dieses Dokument zu erhalten, und dass zum anderen Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye bereits kurz darauf mitgeteilt hat, Herr Steiner werde Aussagegenehmigung in dieser Frage erhalten, was doch darauf hinweist, dass die Staatsanwaltschaft zumindest hinsichtlich der Zeugenvernehmung Anträge gestellt haben muss?

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Der Antrag auf Zeugenvernehmung von Herrn Steiner steht in der Tat. Die Bundesregierung berät zurzeit, inwieweit eine Aussagegenehmigung erteilt werden kann. Ein Ersuchen nach Aushändigung dieses Gesprächsprotokolls ist bis jetzt noch nicht eingegangen. Es ist verständlich, dass sich der Staatsanwalt auf der Basis der öffentlichen Berichterstattung Gedanken darüber macht, ob dies ein verwertbares Beweismittel sein könnte. Diese Debatte zielt auf einen konkreten Punkt, nämlich auf die Frage, ob Gaddafi eine libysche Tatbeteiligung offiziell eingestanden hat. Ich sage daher noch einmal in aller Deutlichkeit: Ein solches konkretes Tateingeständnis der libyschen Seite gibt es nicht.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun kommt eine Zusatzfrage des Kollegen Polenz.

Ruprecht Polenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002751, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

In dem von „Spiegel online“ veröffentlichten Protokoll heißt es wörtlich: MD Steiner berichtet über seine Gespräche mit Gaddafi in Libyen. Dieser habe eingestanden, dass sich Libyen an terroristischen Aktionen ({0}) beteiligt habe. Sie haben heute ausgeführt, dass jeder, der im ordentlichen Verteiler war, diese Äußerung im Protokoll nur richtig habe verstehen können, nämlich dass es - entgegen dem klaren Wortlaut - kein Eingeständnis Gaddafis gewesen sei. Wird die Bundesregierung das auch dem Gericht so vortragen?

Not found (Gast)

Herr Kollege, dieses Protokoll werde ich aus den mehrmals erläuterten Gründen nicht kommentieren. Ich kann Ihnen aber noch einmal bestätigen, dass Libyen seit geraumer Zeit Anstrengungen unternimmt, seine internationalen Beziehungen zu normalisieren, und dass wir als Bundesrepublik ein Interesse daran haben, daran mitzuwirken. So wollen wir Libyen etwa in den euro-mediterranen Dialog einbeziehen und es dafür gewinnen, die maghrebinische Union wieder in Kraft zu setzen. Bevor in diesem Sinne wieder eine vollständige Einbeziehung in die internationalen Beziehungen stattfinden kann, muss dieser Gesamtkomplex gelöst werden. Dazu gehören Stichworte wie Lockerbie und „La Belle“, wobei wir als Deutsche ein besonderes Interesse an der Aufarbeitung des „La-Belle“-Komplexes haben.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun kommt die Kollegin Grießhaber mit einer Zusatzfrage.

Rita Grießhaber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002664, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatsminister, Herr Kollege Schockenhoff hat sich in seiner Zusatzfrage nach den Reaktionen in den USA erkundigt. Ich war letzte Woche mit dem Unterausschuss Vereinte Nationen in den Vereinigten Staaten. Es war erstaunlich, dass diese Frage weder bei den Kongressabgeordneten noch bei den Senatoren noch sonst irgendwo von Interesse war. Kein Mensch hat sich dafür interessiert. Haben auch Sie den Eindruck, dass diese Frage in den USA und den dortigen Medien keinesfalls die gleiche Bedeutung hat wie hier, wo ein Sturm im Wasserglas entstanden ist?

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Weder hat die Substanz der Gespräche zwischen der deutschen und der libyschen Seite solch neue Erkenntnisse gebracht, dass die internationale Politik eine Wende vornehmen müsste, noch hat sich in den USA ein nennenswerter Teil der Öffentlichkeit dafür interessiert, dass in Deutschland jemand per Rechtsbruch ein Dokument veröffentlicht hat.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun kommt der Kollege Spranger mit einer Zusatzfrage. Allmählich müssen wir etwas darauf achten, dass auch die anderen Fragesteller noch an die Reihe kommen. ({0})

Carl Dieter Spranger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002205, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin, ich glaube, man sollte es der Opposition, den Fragestellern überlassen, wie viele Fragen gestellt werden.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Es gibt ja auch noch weitere Fragen aus der Opposition. Diese will ich auch noch zulassen dürfen. Das ist doch das Problem.

Carl Dieter Spranger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002205, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Zu diesem Thema kann man gar nicht genug Fragen stellen; das spürt man doch. Herr Staatsminister, Sie sagen, das Steiner-Protokoll sei in der Libyen-Passage falsch. Können Sie uns dann noch andere Passagen aus diesem Protokoll nennen, die ebenfalls falsch sind? Sie können sich hier doch nicht selektiv zu bestimmten Passagen äußern.

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Herr Steiner - ({0}) - Sorry, Herr Spranger. Sie sehen, mit wem ich Sie schon verwechsle.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Das kommt davon, wenn man mit virtuellen Personen zu tun hat. - Herr Staatsminister, bitte sehr.

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Herr Spranger, ich habe diese Passage nicht als falsch bezeichnet, sondern ich habe sie nicht kommentiert. Dabei bleibe ich. Die Vermutung allerdings, Gaddafi habe ein konkretes Schuldeingeständnis abgegeben - diese Vermutung wurde, von wem auch immer, in den letzten Wochen geäußert -, ist falsch; ein solches Eingeständnis hat es nicht gegeben.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun kommt die Frage der Kollegin Bonitz.

Sylvia Bonitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003052, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, da Sie nicht kommentieren wollen, ob die Passage, um die es geht, richtig, falsch oder auch nur widersprüchlich ist, frage ich Sie, ob Sie ausschließen können, dass Herr Steiner durch seine Äußerungen zumindest den Eindruck erweckt hat, dass ein Gespräch des in den Protokollen zitierten Inhalts stattgefunden habe.

Not found (Gast)

Das kann ich nicht bestätigen.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun kommt die Frage 43: Hat Ministerialdirektor Michael Steiner bei seinem Gespräch mit dem libyschen Staatschef Muammar al-Gaddafi darauf hingewirkt, dass sich Libyen an der Aufklärung der Hintergründe des Anschlages auf die Diskothek „La Belle“ in Berlin konstruktiv beteiligt, und wie gedenkt sich die Bundesregierung in Zukunft für die Opfer des Anschlages auf die Diskothek „La Belle“ einzusetzen und sich gegenüber Libyen dafür zu verwenden, dass sich Libyen an der Aufklärung der Hintergründe des Attentates beteiligt und Entschädigung leistet? Bitte sehr, Herr Staatsminister.

Not found (Gast)

Herr Schockenhoff, ich nehme auf meine Antwort auf die Frage 41 der Abgeordneten Bonitz Bezug und weise noch einmal darauf hin, dass die Frage einer libyschen Tatbeteiligung Gegenstand eines laufenden Strafverfahrens ist. Um die Hintergründe des Attentats aufzuklären, hat das Gericht ein Rechtshilfeersuchen nach Libyen übermittelt. Nicht zuletzt aufgrund der intensiven Bemühungen des Auswärtigen Amtes hat Libyen der Durchführung der Rechtshilfe zugestimmt und Zeugenvernehmungen in Tripolis zugelassen. Im Übrigen wiederhole ich auch an dieser Stelle, dass die Bundesregierung auf einen baldigen Abschluss des Verfahrens hofft, sodass auf der Grundlage einer gerichtlichen Entscheidung gegebenenfalls sofort konkrete Schritte zugunsten von Opfern und deren Entschädigung unternommen werden können.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Erste Zusatzfrage.

Dr. Andreas Schockenhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002053, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, Sie haben eben gesagt, Libyen versuche seit geraumer Zeit, seine Beziehungen zu anderen Staaten zu normalisieren. Aus dem an die Öffentlichkeit gelangten Steiner-Protokoll vernehmen wir, dass Libyen seit „geraumer Zeit“ dem Terrorismus abgeschworen habe. Lässt sich daraus die logische Folgerung ableiten, dass es vor geraumer Zeit anders gewesen sein könnte?

Not found (Gast)

Ohne nun auf das von Ihnen gerade zitierte Protokoll Bezug zu nehmen, kann ich sagen, dass wir uns mit der libyschen Seite in einer intensiven politischen Diskussion befinden: über die libysche Vergangenheit, ihre heutige Distanzierung vom Terrorismus und ihre Ansprüche und Wünsche, in die internationale Staatengemeinschaft reintegriert zu werden. Man muss sich nur einmal die Geschichte der Dekolonialisierung in Afrika und in der arabischen Welt anschauen, dann erkennt man sofort, dass damals zu Mitteln gegriffen wurde, die man in anderen historischen Situationen - jedenfalls vor dem Hintergrund unserer Werte und des Völkerrechts - nicht akzeptieren kann. Libyen räumt ein, dass es in dem Prozess der Dekolonialisierung zu solchen Mitteln gegriffen hat, und distanziert sich heute davon. Libyen nimmt davon heute ganz klar und unseres Erachtens auch glaubwürdig Abstand und vertritt nunmehr die Auffassung, dass sich ein Land nicht selbst isolieren darf, indem es zu Mitteln greift, die von der Völkergemeinschaft nicht akzeptiert werden. Libyen sucht uns als Ansprechpartner, um über uns den Dialog mit der Europäischen Union und mit der westlichen Staatengemeinschaft insgesamt zu erreichen. Es gibt allerdings auch ein sehr stark nach Afrika gerichtetes Interesse. So ist gestern die Afrikanische Union, die auf Betreiben Gaddafis zustande kam, offiziell gegründet worden. Libyen schwankt also in seiner Orientierung zwischen einer afrikanischen und einer europäischen Option. Wir wollen Libyen dafür gewinnen, eine Brücke zwischen diesen beiden Kontinenten zu schlagen. Voraussetzung für eine solche Politik ist allerdings, dass die hier intensiv erörterten Fragen, wie die Komplexe „La Belle“ und Lockerbie, für alle Seiten befriedigend gelöst werden.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Eine Zusatzfrage der Kollegin Grießhaber.

Rita Grießhaber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002664, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatsminister, Sie haben eben von den Bemühungen berichtet, Libyen wieder in die internationale Staatengemeinschaft einzubinden. Können Sie sagen, wie weit dies beispielsweise über den so genannten Barcelona-Prozess abläuft?

Not found (Gast)

Durch den Barcelona-Prozess, mit dem die Beziehungen zwischen der EU und den afrikanischen Mittelmeeranliegerstaaten organisiert werden, versuchen wir, Libyen einzubinden. Libyen hatte bei der letzten Tagung einen Beobachterstatus. Auch bei meinem letzten Besuch in Tripolis habe ich die libysche Seite eingeladen, sich weiter an diesem Prozess zu beteiligen. Es gibt allerdings eine gewisse Zurückhaltung, weil die Libyer nicht genau wissen, wie die westliche bzw. europäische Seite auf ihre Signale reagiert, sich aus ihrer Vergangenheit zu lösen und einer neuen Politikform zuzuwenden. In dem Maße, wie wir den Dialog - auch bilateral - pflegen und Fehlperzeptionen abbauen, die auf beiden Seiten im Spiel sind, wird es möglich sein, Libyen gerade auch in den Barcelona-Prozess zu integrieren. Wir sollten diese Chance ergreifen. Sie alle wissen, dass Libyen aus der Sicht mancher westlicher Staaten als besonders besorgniserregend gilt. Aber auch in der amerikanischen Diskussion schneidet Libyen in der Bewertung seit einigen Tagen erheblich besser ab, als es noch im letzten Jahr der Fall war.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Jetzt laufen wir Gefahr, in eine Libyen-Debatte einzutreten. Herr Dr. Schockenhoff hat noch eine Frage. Bitte sehr.

Dr. Andreas Schockenhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002053, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie haben die von Ihnen beschriebene Verhaltensweise, Herr Staatsminister, als neue Politikform bezeichnet. Wie war denn die alte Politikform - „vor einigen Tagen“?

Not found (Gast)

Herr Schockenhoff, Sie wissen doch, wie sich Befreiungs-, wie sich Dekolonialisierungsprozesse abspielten: So mancher Staat, der sich auf der Basis eines Dekolonialisierungsprozesses gebildet hatte, wurde vom Westen nicht gerade willkommen geheißen. Oft suchte man sein Glück in der Anlehnung an den seinerzeit noch bestehenden gegnerischen Block und hat dabei Politikformen entwickelt, die nach unserem Werte-, Rechtsund Völkerrechtsverständnis nicht akzeptabel sind. Wichtig ist, dass Staaten, die aus einer solchen Vergangenheit gelernt haben und sich umorientieren wollen, diese Umorientierung erleichtert wird, ohne dabei die Aufarbeitung der alten Komplexe außer Acht zu lassen.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Eine Zusatzfrage des Kollegen Polenz.

Ruprecht Polenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002751, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Es ist sicherlich sehr begrüßenswert, dass die Bundesregierung die Politik verfolgt, dabei zu helfen, Libyen wieder in die internationale Staatengemeinschaft zurückzuführen. Glauben Sie, dass die Protokollveröffentlichung diesem Ziel gedient hat?

Not found (Gast)

Herr Polenz, ich glaube nicht, dass sie geschadet hat. Die libysche Seite fragt natürlich nach den Hintergründen. Sie bekommt eine ordentliche Antwort. ({0}) Ansonsten: Ich habe mir bei meinem letzten Besuch erlaubt, meinen direkten Counterpart, den stellvertretenden Außenminister, für den Herbst nach Deutschland einzuladen. Ich würde mich freuen, wenn er die Gelegenheit hätte, auch mit der CDU/CSU-Fraktion zu reden. ({1})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Eine Zusatzfrage des Kollegen Dr. Lippelt.

Dr. Helmut Lippelt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001352, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatsminister, können Sie angesichts der letzten Frage des Herrn Schockenhoff ihm ein bisschen über die Wandlung von Jomo Kenyatta oder den Führer des ANC in Südafrika erzählen, die heute in aller Welt sehr anerkannt sind?

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Für eine solche Wandlung, Herr Kollege Lippelt, gibt es viele Beispiele. Ich erinnere mich an eine Diskussion über die PLO, die wir hier vor einigen Monaten in der Fragestunde hatten.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun rufe ich die Frage 44 des Kollegen Eckart von Klaeden auf: Wird sich die Bundesregierung beim amerikanischen Präsidenten George W. Bush und den Staats- und Regierungschefs der weiteren von der „Protokoll-Affäre“ der Bundesregierung betroffenen Staaten für den entstandenen Schaden an Vertrauen und Glaubwürdigkeit in die deutsche auswärtige Politik entschuldigen und wenn ja, in welcher Weise wird dies geschehen? Herr Staatsminister, das ist die letzte Frage zu diesem Komplex.

Not found (Gast)

Herr Kollege, die Bundesregierung bedauert die unbefugte Weitergabe vertraulicher Aufzeichnungen, die einen gravierenden Verstoß gegen Geheimhaltungsvorschriften darstellt. Unser enges und vertrauensvolles Verhältnis zu den Vereinigten Staaten von Amerika wird jedoch durch diesen Vorgang nicht belastet. Dies sieht auch die amerikanische Seite so.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Zusatzfrage eins.

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, Sie haben jetzt mehrfach erklärt, durch den Vorgang sei kein außenpolitischer Schaden entstanden. Als Antwort auf diese Erklärung des Auswärtigen Amtes vor einiger Zeit hat der Staatspräsident Russlands, Wladimir Putin, Folgendes gesagt: Mit dem Steiner/Chrobog-Protokoll werde das Ziel verfolgt, „die Beziehungen zwischen Russland und der Europäischen Union, zwischen Russland und Deutschland zu zerstören“. Meine Frage: Ist das kein außenpolitischer Schaden? Was wäre eigentlich nach Ihren Maßstäben ein außenpolitischer Schaden?

Not found (Gast)

Herr von Klaeden, Sie haben richtig zitiert, was Herr Putin für den Schaden gehalten hat: Er hat nicht den Gehalt des Protokolls für den Schaden gehalten, sondern dessen Veröffentlichung. Das halten auch wir für rechtsmissbräuchlich. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Zweite Zusatzfrage.

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, Sie haben zwar zugestanden, dass der Vorgang ärgerlich sei, aber gleichzeitig meine Klassifizierung als „Panne“ zurückgewiesen. Muss ich dann davon ausgehen, dass es sich um einen systematischen Fehler gehandelt hat?

Not found (Gast)

Herr von Klaeden, wir müssen erst einmal fragen: Was war das eigentliche Problem? Das Problem war die Veröffentlichung. ({0}) - Das war mehr als eine Panne. Ich habe vorhin deutlich gesagt: Das war ein Rechtsbruch, ein Dienstvergehen, und das war ein Vertrauensbruch. In diesem Sinne wird das auch behandelt werden. Wir werden den Dingen ganz dezidiert nachgehen.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Eine Zusatzfrage von Herrn Dr. Lippelt.

Dr. Helmut Lippelt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001352, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatsminister, würden Sie mir darin zustimmen, dass bei Indiskretionen solcher Art, die es in der Geschichte ja öfter gegeben hat, die Bewertungen von Staatsmännern gelegentlich auch positiv ausfallen, ({0}) wie in diesem Fall die Bewertung des russischen Präsidenten Putin - ich glaube nicht, dass ihn das geärgert hat, denn er ist sehr positiv dabei weggekommen -, ({1}) während andere Bemerkungen wie beispielsweise die, dass ein Land mehr Kapital in dunkle Kanäle ins Ausland fließen lässt, als es einnimmt, im Zusammenhang mit den Schulden für ein solches Land vielleicht ganz heilsam sind, sodass die Frage des Schadens, der hier entstanden ist, durchaus von zwei Seiten gesehen werden kann und nicht so eindeutig ist, wie die Opposition es immer meint?

Not found (Gast)

Herr Kollege, Sie verstehen, dass ich dies nicht kommentieren kann, ({0}) weil Sie ebenfalls Bezug genommen haben auf einen Text, den ich nicht kommentieren darf.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Eine Zusatzfrage des Herrn Kollegen Brecht.

Dr. Eberhard Brecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000254, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, können Sie bestätigen, dass die amerikanische Öffentlichkeit einen so genannten außenpolitischen Schaden aufgrund der illegalen Veröffentlichung des Washingtoner Protokolls nicht konstatiert und dass die amerikanische Öffentlichkeit den ganzen Vorgang wenn überhaupt, dann nur amüsiert wahrnimmt als eine innerdeutsche Angelegenheit?

Not found (Gast)

Herr Kollege Brecht, genau den Eindruck kann ich bestätigen.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun kommt die Kollegin Bonitz mit einer Zusatzfrage.

Sylvia Bonitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003052, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, wer übernimmt in welcher Form die Verantwortung für die eklatanten Fehler, die im Zusammenhang mit der Abfassung und der Verteilung des Protokolls gemacht wurden?

Not found (Gast)

Frau Kollegin Bonitz, ich kann eklatante Fehler weder bei der Abfassung noch bei der Verteilung bestätigen. Ich kann eine Fehlhandlung bestätigen, das ist die Veröffentlichung dieses Protokolls. Das war mehr als ein Fehler, das war eine Straftat. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun kommt der Kollege Spranger.

Carl Dieter Spranger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002205, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, wenn die Bemerkungen über bestimmte Staatsmänner in diesem Steiner-Protokoll so positive Auswirkungen haben, wie Sie dies im Zusammenhang mit Präsident Putin deklariert haben, warum veröffentlichen Sie dann nicht den gesamten Bericht? Vielleicht sind dann andere auch noch positiv berührt.

Not found (Gast)

Herr Spranger, das ist eine politische Diskussion, die Sie vielleicht mit dem Kollegen Lippelt führen sollten. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Jetzt wird es allmählich so, dass ich sagen muss: Es reicht mit diesem Fragenkomplex - Herr Dr. Schockenhoff, bitte sehr.

Dr. Andreas Schockenhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002053, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin, ich wollte meine Frage eigentlich zurückziehen, aber Ihre Bemerkung „Jetzt reicht es allmählich“ veranlasst mich dazu, sie doch zu stellen. Kann man die Frage des Kollegen Lippelt so interpretieren, dass die Bundesregierung die Veröffentlichung dieses Protokolls gezielt und beabsichtigt vorgenommen hat, um eine positive Bewertung des russischen Staatspräsidenten zu provozieren?

Not found (Gast)

Nein.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege, meine Ermahnung „Jetzt reicht es allmählich“ hat sich darauf bezogen, dass ich auch für die Ernsthaftigkeit einer Debatte verantwortlich bin. Deswegen erlaube ich mir, gelegentlich darauf hinzuweisen, dass noch andere Fragen gestellt wurden. ({0}) Herr Kollege Polenz, bitte.

Ruprecht Polenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002751, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, bei der Frage nach einem möglichen außenpolitischen Schaden haben Sie darauf verwiesen, dass der russische Präsident Putin die Indiskretion als Provokation verurteilt habe. Das ist sicherlich richtig. Treffen nach Ihren Erkenntnissen Presseberichte zu, wonach die erste Reaktion des russischen Staatspräsidenten war, bei dem Protokoll könne es sich nur um eine Fälschung handeln?

Not found (Gast)

Das ist mir nicht bekannt. Dazu kann ich Ihnen nichts sagen.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Jetzt hat die Kollegin Kopp eine Zusatzfrage.

Gudrun Kopp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003160, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatsminister, sehen Sie sich dazu in der Lage, uns zu sagen, welche Konsequenzen organisatorischer oder sonstiger Art Sie aus dieser so genannten „Protokoll-Affäre“ ziehen? ({0})

Not found (Gast)

Eine Konsequenz ist schon gezogen worden: Der Außenminister hat - wie ich vorhin schon ausgeführt habe - die Vorschriften dahin gehend modifiziert, dass ab dem 23. Mai Chefgespräche in der Skala der Geheimhaltungsgrade höher angesiedelt werden. Zudem hat das Auswärtige Amt die vorher schon erwähnte Sonderarbeitsgruppe eingesetzt, die recherchieren soll, wo sich das Leck befindet; dabei ist nicht bewiesen, dass sich das Leck im Auswärtigen Amt befinden muss. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege Erler hat eine Zusatzfrage.

Dr. h. c. Gernot Erler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000489, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, nachdem wir hier mehrfach Zeuge von Sorgen unserer Kollegen über eine eventuelle, aber nicht zutreffende Störung des deutsch-amerikanischen Verhältnisses geworden sind: Würden Sie meine Auffassung teilen, dass man, wenn man ernstlich Sorgen hinsichtlich einer Störung dieses Verhältnisses hat, jetzt am ehesten einen Beitrag zu einem guten, gedeihlichen Verhältnis beider Staaten leisten könnte, indem man die von den Amerikanern eher belächelte Behandlung dieses Falles zu einem Abschluss bringt? Wäre das nicht der beste Dienst, den man zugunsten eines guten Verhältnisses zwischen Deutschland und Amerika leisten könnte? ({0})

Not found (Gast)

In der Tat, Herr Kollege, auch ich vertrete diese Meinung. ({0}) Die Bundesregierung räumt ein, dass es ein gravierendes Problem gab, nämlich die Veröffentlichung. Man sollte aber nicht den gesamten Komplex derartig aufblasen, dass man annehmen könnte, es ginge um mehr als um genau dieses Problem. Ich denke, es wäre ein Zeichen von politischer, insbesondere außenpolitischer Verantwortlichkeit, wenn man sich daran beteiligte, den öffentlichen Schaden zu begrenzen. ({1})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Das wusste ich: Jetzt hat der Herr Kollege Lamers eine Zusatzfrage. Bitte sehr.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, würden Sie meiner Feststellung zustimmen, dass das gravierende Problem, von dem Sie gerade gesprochen haben, nur wegen des Inhalts entstehen konnte?

Not found (Gast)

Ich möchte es einmal so ausdrücken: Derjenige, der das veröffentlicht hat, meinte, dem Inhalt eine Bedeutung zumessen zu können, die wir als legitime Adressaten nicht entdecken können. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Es gibt keine weiteren Zusatzfragen. Die Frage 45 des Kollegen von Klaeden ist zurückgezogen. Wir sind damit am Ende dieses Komplexes, der Dringlichkeitsfragen und der Fragen im Zusammenhang mit diesem Fragekreis. Ich bedanke mich bei Herrn Staatsminister Dr. Volmer, der die Fragen beantwortet hat. Wir fahren nun in der normalen Reihenfolge fort. Die Frage 1 des Kollegen Fuchtel zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie wird schriftlich beantwortet. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung. Die Fragen zu diesem Komplex, das sind die Fragen 2 und 3, werden ebenfalls schriftlich beantwortet. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit. Zur Beantwortung der Fragen steht die Parlamentarische Staatssekretärin Gudrun Schaich-Walch zur Verfügung. Ich rufe die Frage 4 des Kollegen Dietmar Schlee auf: Welche Auswirkungen erwartet die Bundesregierung auf die Bundesrepublik Deutschland von der in der Schweiz angestrebten Novellierung des Betäubungsmittelgesetzes, mit der der Anbau und Verkehr von Cannabis legalisiert und der Konsum harter Drogen einschließlich der damit zusammenhängenden Vorbereitungshandlungen geduldet werden sollen? Frau Staatssekretärin, bitte sehr.

Gudrun Schaich-Walch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001939

Herr Kollege, die Auswirkungen der geplanten Schweizer Drogengesetzgebung hängen vom Ausgang der parlamentarischen Beratungen und dem endgültigen Wortlaut der neuen Drogenvorschriften ab. Ob, wann und mit welchem Inhalt die neuen Vorschriften in der Schweiz in Kraft treten werden, entscheidet der dortige Gesetzgeber. Die Bundesregierung beteiligt sich nicht an Spekulationen darüber.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Zusatzfrage Nummer eins.

Dietmar Schlee (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002778, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, Sie wissen ja, dass es die so genannte Alpeninformationspartnerschaft gibt. Hat die Bundesregierung dieses für uns so wichtige Thema, das für Deutschland nachhaltige Auswirkungen haben könnte, im Rahmen der Alpeninformationspartnerschaft zum Gesprächsgegenstand gemacht?

Gudrun Schaich-Walch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001939

Sie hat es in diesem Rahmen nicht zum Gesprächsgegenstand gemacht. Aber ich kann Ihnen versichern, dass mit der Schweiz über dieses wichtige Thema bereits auf Minister- und Staatssekretärebene Gespräche geführt worden sind und dass wir den Schweizer Kolleginnen und Kollegen unsere Befürchtungen mit auf den Weg gegeben haben.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Zusatzfrage Nummer zwei.

Dietmar Schlee (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002778, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, können Sie mir zusagen, dass Sie die Bedenken, die die Bundesregierung nach den Gesprächen des zuständigen Ministers und des Staatssekretärs mit den Schweizer Behörden offensichtlich hat, auch im Rahmen der Alpeninformationspartnerschaft zum Ausdruck bringen werden? Es wäre sicherlich auch wichtig, die Vertreter der Grenzregionen wie zum Beispiel des Landes BadenWürttemberg in die Gespräche einzubeziehen.

Gudrun Schaich-Walch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001939

Das sage ich Ihnen gerne zu.

Dietmar Schlee (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002778, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Keine weiteren Zusatzfragen. Dann rufe ich die Frage 5 des Kollegen Dietmar Schlee auf: Teilt die Bundesregierung die Sorge, dass diese Legalisierung eine erhebliche Sogwirkung auf Konsumenten und Dealer auslösen und damit der grenzüberschreitende Drogentourismus nachhaltig gefördert wird? Frau Staatssekretärin, bitte.

Gudrun Schaich-Walch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001939

Die Bundesregierung nimmt jeden Vorgang sehr ernst, der einen Anstieg des Handels mit und des Konsums von illegalen Drogen in Deutschland auslösen könnte. Die Drogenpolitik der Bundesregierung stellt sicher, dass auf solche Vorgänge jeweils effizient und ausgewogen reagiert werden kann, zum einen durch verstärkte Aufklärung, Beratung und Hilfe insbesondere für junge Drogenkonsumenten, zum anderen durch gezielte Fahndungsmaßnahmen der Polizei, des Zolls und des Bundesgrenzschutzes.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Zusatzfrage Nummer eins, bitte sehr.

Dietmar Schlee (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002778, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, vor dem Hintergrund der Tatsache, dass der Bundesinnenminister und auch der zuständige Staatssekretär bereits mit den Schweizer Stellen Gespräche geführt haben, frage ich Sie, ob die Bundesregierung der Meinung ist, dass die Schweiz neben den Niederlanden zum zentralen Drogenumschlagplatz in Europa werden würde, wenn das dort geltende Betäubungsmittelgesetz tatsächlich so novelliert werden würde, wie es geplant ist.

Gudrun Schaich-Walch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001939

Die Frage, ob die Schweiz zum zentralen Drogenumschlagplatz in Europa werden würde, kann man erst dann beantworten, wenn man den genauen Wortlaut der Schweizer Gesetze kennt. Wir haben in den Gesprächen - an einem habe ich persönlich teilgenommen - auf unsere Befürchtung hingewiesen, dass es unter Umständen Probleme in den deutschen Grenzregionen geben könnte, wenn bestimmte Sicherheitsmaßnahmen in der Schweiz nicht eingehalten würden.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Zusatzfrage Nummer zwei.

Dietmar Schlee (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002778, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, Sie haben gerade gesagt, dass es in den angrenzenden Bundesländern besondere Probleme geben könnte. Hat die Bundesregierung mit den betroffenen Bundesländern bereits „Sicherheitsgespräche“ geführt, in denen deutlich gemacht worden ist, welche Konsequenzen aus der Schweizer Gesetzgebung gezogen werden müssten? Wird zum Beispiel daran gedacht, Einheiten des Bundesgrenzschutzes vermehrt einzusetzen?

Gudrun Schaich-Walch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001939

Ich hatte bereits gesagt, dass wir uns im entsprechenden Fall auf Präventionsund Fahndungsmaßnahmen von Zoll und Bundesgrenzschutz kaprizieren werden. Ich kann Ihnen auch mitteilen, dass die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, die in der betroffenen Grenzregion beheimatet ist und die die speziellen Auswirkungen auf die Grenzregion genau kennt, bereits Gespräche über die Frage führt, wie man im entsprechenden Fall auf deutscher Seite reagieren könnte und was man in Bezug auf bessere Aufklärung und besseren Schutz an der Grenze unternehmen kann.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Weitere Zusatzfragen gibt es nicht. Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Die Fragen 6 und 7 werden schriftlich beantwortet. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen auf. Zur Beantwortung steht Frau Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks zur Verfügung. Ich rufe die Frage 8 des Abgeordneten Wolfgang Dehnel auf: Vergibt die Bundesregierung die für die Länder aus den UMTS-Erlösen bereitgestellten Infrastrukturmittel direkt an Projekte, und werden die Prioritäten der Verteilung durch den Bund oder von den Ländern festgelegt? Frau Staatssekretärin, bitte.

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Danke schön, Frau Präsidentin. Herr Kollege Dehnel, Ausgaben für die Infrastruktur im Rahmen des Zukunftsinvestitionsprogramms der Bundesregierung werden ausschließlich aus dem Einzelplan 12 des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen geleistet. Im Bereich der Einzelpläne der Bundesministerien für Wirtschaft, für Umwelt sowie für Forschung und Bildung werden keine Infrastrukturprojekte im engeren Sinne gefördert. Diese Mittel werden vielmehr zur Intensivierung der Energieforschung, zur Förderung der Genomforschung und regionaler Wachstumskerne bzw. für neue Akzente bei der Hochschulförderung und bei den beruflichen Schulen genutzt. Ebenfalls nicht zu den Infrastrukturmaßnahmen in diesem Sinne gehören die Mittel des CO2-Minderungsprogramms der Bundesregierung. Soweit nach den Infrastrukturprojekten im Verkehrswegebereich gefragt wird, ist zunächst das Ortsumgehungsprogramm hervorzuheben, das 125 namentlich benannte Ortsumgehungsprojekte enthält. Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen haben dies in Umsetzung des vom Parlament verabschiedeten Bedarfsplanes so beschlossen. Die Umsetzung, etwa die jährliche Dotierung der Maßnahmen und die Festlegung des jeweiligen Baubeginns, bleibt den Bund-Länder-Finanzierungsprogrammbesprechungen vorbehalten. Die Schienenwegeinvestitionen als Schwerpunkt des Zukunftsinvestitionsprogramms umfassen circa 40 000 Einzelmaßnahmen zur Netzsanierung, verteilt auf 22 Netzregionen. Die Aufstockung der Investitionsmittel dient insbesondere der Sanierung und Modernisierung des Oberbaus: Langsamfahrstellen sollen abgebaut, Leit- und Sicherungstechniken erneuert sowie Brücken- und Tunnelbauten instand gesetzt werden. Darüber hinaus erlauben es die zusätzlichen Mittel, im Bau befindliche Vorhaben des Bedarfsplans Schiene zügiger fortzusetzen. Dabei setzt die DBAG als selbstständiges Unternehmen die vom Bund bereitgestellten Investitionsmittel weitgehend eigenverantwortlich ein.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Zusatzfrage eins. Bitte sehr, Herr Kollege Dehnel.

Wolfgang Dehnel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000366, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, ich habe Sie ganz konkret gefragt, inwieweit der Bund Einfluss auf die Prioritätensetzung bei der Umsetzung dieser Mittel nimmt, ob Sie zum Beispiel konkret Einfluss darauf nehmen, welche Umgehungsstraßen in Sachsen gebaut werden können oder ob das Land selbst festlegt, welche Prioritäten dort zu setzen sind.

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Kollege Dehnel, ich hatte Ihnen gesagt, dass wir schon 125 namentlich benannte Ortsumgehungsprojekte konkret definiert haben. Zu denen gehören natürlich auch einige in Sachsen. Was die Investitionen im Schienenbereich anbelangt, kommt es - wie ich Ihnen eben abschließend auf Ihre Frage sagte - auf die von der DB AG in eigener Verantwortung vorzuschlagenden Maßnahmen an. Das haben wir nicht konkret festgelegt. Aber bei Ortsumgehungen gibt es 125 festgelegte Projekte.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun kommt die Frage 9 des Kollegen Dehnel: Wie viele Mittel wurden bzw. werden für welche Projekte im Freistaat Sachsen bewilligt?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Kollege Dehnel, im Ortsumgehungsprogramm sind im Freistaat Sachsen folgende Maßnahmen mit einem Volumen von insgesamt 150 Millionen DM zusätzlich zu den ohnehin eingeplanten Mitteln in Höhe von 187 Millionen DM aus den schon bestehenden Hauptbautiteln konkret vorgesehen: B 180 Ortsumgehung Stollberg, B 95 Ortsumgehung Borna, B 101 Ortsumgehung Meißen, zweiter Bauabschnitt, A 17 Ortsumgehung Dresden-Kesselsdorf, B 173 Ortsumgehung Mylau, B 92 Ortsumgehung Oelsnitz im Vogtland und B 6 zwischen A 14 und Gerichshain, zweiter Bauabschnitt. Vier substanzerhaltende Brückenmaßnahmen sind vorgesehen, unter anderem an der Friedensbrücke in Plauen. Zu den Schienenwegeinvestitionen kann ich noch keine Aussagen machen. Das bezieht sich natürlich auf Sachsen genauso wie auf das gesamte Bundesgebiet. Detailplanungen der DB AG sind nicht vor Mitte dieses Jahres zu erwarten.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Erste Zusatzfrage, bitte sehr.

Wolfgang Dehnel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000366, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich möchte eine Frage zur Höhe der Mittel stellen. Wird es aufgrund der vorliegenden Haushaltslage irgendwelche Einschränkungen geben - zum Beispiel wollen das Verteidigungsministerium und das Verbraucherschutzministerium zusätzliche Mittel haben - oder sind die einmal festgelegten Summen sichergestellt?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Diese Summen sind sichergestellt. Sie können ganz allgemein auf die Verlässlichkeit der Haushaltspolitik dieser Bundesregierung vertrauen.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Zweite Zusatzfrage.

Wolfgang Dehnel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000366, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Inwieweit war der Bund an der Prioritätensetzung der von Ihnen soeben vorgenommenen Aufzählung beteiligt? Inwieweit war das Land einbezogen? Haben beide zusammengearbeitet?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Die Länder waren insofern einbezogen, als sie die Maßnahmen im Rahmen des Bundesverkehrswegeplans natürlich schon vorher - mit Priorität - angemeldet hatten. Wegen der beschränkten zur Verfügung stehenden Mittel war die Umsetzung der Bauvorhaben bisher nicht vorgesehen, weil einfach nicht genügend Geld da war. Mit dem zusätzlichen Geld - es ist eine Menge; in Sachsen stehen, das ist sozusagen das originäre Geld, 187 Millionen DM zur Verfügung und 150 Millionen DM kommen dazu; das ist zwar nicht ganz, aber fast eine Verdoppelung des originären Betrages kann einiges mehr gemacht werden. Anhand der sowieso vorgelegten Prioritätenliste werden die Vorhaben nun rascher abgearbeitet; insofern waren die Länder beteiligt. Selbstverständlich konnten in das Ortsumgehungsprogramm - schließlich soll es rasch wirken - nur diejenigen Maßnahmen aufgenommen werden, für die das Planfeststellungsverfahren vollständig abgeschlossen war. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun rufe ich die Frage 10 des Kollegen Klaus Hofbauer auf: Welche Chancen sieht die Bundesregierung zu einer verstärkten Rückverlegung der Regionalpolitik bzw. Regionalförderung von der EU-Ebene in die nationalen Zuständigkeiten? Frau Staatssekretärin, bitte.

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Kollege Hofbauer, mit der Vorlage des zweiten Berichts der Europäischen Kommission über den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt am 31. Januar 2001 ist die Diskussion über die Zukunft der europäischen Strukturpolitik in einer erweiterten Europäischen Union von 27 Mitgliedstaaten nach 2006 angelaufen. Im Rahmen dieser Diskussion spielt auch die stärkere Rückverlegung von Kompetenzen im Bereich der Regionalförderung auf die nationale Ebene für die Bundesregierung eine wichtige Rolle. Eine genauere, dem Subsidiaritätsprinzip entsprechende Kompetenzabgrenzung zwischen der EU und den Mitgliedstaaten ist auch Thema der durch den Europäischen Rat in Nizza eingeleiteten Debatte über die Europäische Union. Die Meinungsbildung dazu in den anderen Mitgliedstaaten hat allerdings gerade erst begonnen.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Eine Zusatzfrage, Herr Kollege? - Bitte sehr.

Klaus Hofbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003149, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, Sie wissen, dass im Rahmen der Verhandlungen nach Nizza auch ein Programm zur Förderung der Regionen in den Beitrittsländern aufgelegt werden soll. Dieses Programm, so wird von der EU signalisiert, soll nicht mit zusätzlichen EU-Geldern ausgestattet werden. Können Sie sich vorstellen, dass in unserer Republik die Voraussetzungen gegeben sind, um ein solches Programm mit nationalen Mitteln auszustatten? Zum Beispiel ist geplant, die GA aufzustocken bzw. zusätzliche Mittel zur Verfügung zu stellen. Reichen die Vorgaben der EU aus, um dieses Programm mit Leben zu erfüllen? Schließlich wird es ohne zusätzliches Geld nicht umsetzbar sein.

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Kollege Hofbauer, es gibt unter den mittlerweile 15 Mitgliedstaaten der Europäischen Union eine schlüssige Verständigung darüber, dass die Obergrenze der europäischen Mittel - 1,27 Prozent des Bruttoinlandsproduktes der Europäischen Union nicht überschritten werden wird. Natürlich wächst das Bruttoinlandsprodukt mit; insofern sind die 1,27 Prozent eine dynamische Größe. Selbstverständlich ist es so, dass Länder auf die ihnen bis dahin zugeflossenen Strukturfördermittel - teilweise oder vollständig - werden verzichten müssen, wenn im Zuge des Beitrittsprozesses weitere Länder zur Europäischen Union hinzustoßen. Das Wesen der Europäischen Union ist, dass diejenigen Länder, die Mitglied der Europäischen Union sind oder werden, gleichsam an den Durchschnitt der Lebensverhältnisse in der Europäischen Union herangeführt werden. Das bedeutet: Wenn jemand schon länger dabei ist und diesen Durchschnitt bereits erreicht hat, dann wird er in Zukunft auf Strukturfördermittel verzichten müssen, weil diese in die neuen Mitgliedstaaten fließen müssen.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Eine weitere Zusatzfrage? - Bitte sehr.

Klaus Hofbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003149, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, ich möchte nachfragen. Es geht darum, dass nationale Programme ausgebaut werden müssen, um diese Programme für die Länder entlang der Grenze zu den Beitrittsländern mit Leben zu erfüllen. Es wird ja in Kürze ein erster Entwurf vorgelegt, wie dieser Beschluss von Nizza umgesetzt werden soll. Das hat zur Folge, dass verstärkt nationale Gelder eingesetzt werden müssen, wenn EUGelder nicht zur Verfügung stehen.

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Sie haben gerade schon die Bedingung „wenn EU-Gelder nicht zur Verfügung stehen“ genannt. Sie wissen natürlich, dass die Regionen, die jetzt noch an der Außengrenze der Europäischen Union liegen - beispielsweise Teile des Freistaates Sachsen und des Freistaates Bayern oder Teile von Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern -, in neue Förderprogramme aufgenommen werden, die es bis jetzt noch nicht gab, weil die so genannten Interreg-Fördermittel - das sind Mittel aus einem EU-Förderprogramm - zielgerichtet gerade in den Regionen eingesetzt werden, wo nach der Erweiterung eine neue Binnengrenze entsteht. Ich kann also im Vorhinein nicht sagen, ob Ihre Vermutung richtig ist, dass dann EU-Mittel nicht zur Verfügung stehen. Im Übrigen mag es so sein, dass zum Beispiel im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur Schwerpunkte der Förderung verlagert werden müssen. Dies bleibt aber dem Planungsausschuss des Bundes und der Länder zur Verteilung der Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe vorbehalten.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Die Frage 11 wird schriftlich beantwortet. Damit sind wir am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministeriums der Finanzen. Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft. Der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Gerald Thalheim steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung. Ich rufe die Frage 12 des Kollegen Helmut Heiderich auf: Wann beabsichtigt die Bundesregierung entsprechende rechtliche Regelungen zur Feststellung eines Schwellenwertes für den zufälligen Besatz von konventionellem Saatgut mit GVO-Bestandteilen ({0}) zu schaffen vor dem Hintergrund der jährlich wieder neu aufflammenden Debatten um die angebliche „Verunreinigung von Saatgut“ sowie in Befolgung der Empfehlungen der Wissenschaftler in dem Sachstandsbericht des Büros für Technikfolgenabschätzung ({1}) „Risikoabschätzung und Nachzulassung-Monitoring transgener Pflanzen“ vom November des Jahres 2000? Herr Staatssekretär, bitte. Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft: Sehr geehrter Herr Kollege Heiderich, die saatgutrechtlichen Regelungen bieten ebenso wie das Gentechnikrecht derzeit national keinen Spielraum, Toleranzwerte für Verunreinigungen von Saatgut mit gentechParl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks nisch veränderten Organismen, so genannten GVOs, festzulegen. Dafür müssen zunächst auf europäischer Ebene die Voraussetzungen im Saatgutbereich geschaffen und im Rahmen der novellierten Freisetzungsrichtlinie entsprechende Durchführungsvorschriften zur Festlegung von Schwellenwerten für die Kennzeichnung erlassen werden. Die Kommission hat aktuell für den Bereich des Saatgutrechts ein inoffizielles Arbeitspapier vorgelegt, das Toleranzwerte für Verunreinigungen mit in der EU zugelassenen Konstrukten enthält. Unter Berücksichtigung des Schwellenwertes bei Novel Food, der 1 Prozent beträgt, wurde für Selbstbefruchter, wie zum Beispiel Mais, ein Wert von 0,5 Prozent und für Fremdbefruchter, wie zum Beispiel Raps, ein Wert von 0,3 Prozent vorgeschlagen. Derzeit ist nicht absehbar, wann die Kommission einen offiziellen Regelungsvorschlag unterbreiten wird. Sobald Vorschläge hierzu vorliegen, wird die Bundesregierung nach sorgfältiger Prüfung ihre Haltung festlegen. Für in der EU nicht zugelassene Konstrukte sieht das Kommissionspapier entsprechend der geltenden Rechtslage keine Toleranzwerte vor. Daraus ergibt sich vor allem bei der Einfuhr von Saatgut eine besondere Problematik. Die in Schleswig-Holstein Ende April von der Umweltbehörde Hamburg festgestellten Verunreinigungen mit GVOs in zwei Maissaatgutpartien aus importiertem Saatgut waren durch nicht zugelassene Konstrukte - wie zum Beispiel in einer Probe durch das Konstrukt Bt 176, dessen gentechnikrechtliche Genehmigung auf Forschungsund Beobachtungszwecke beschränkt ist - verursacht worden. Ein unmittelbarer Bezug der Festsetzung von Schwellenwerten zu dem in der Frage erwähnten Sachstandsbericht des Büros für Technikfolgenabschätzung wird nicht gesehen.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Zusatzfrage? - Bitte sehr, Herr Kollege.

Helmut Heiderich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002946, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung eigene Bemühungen in Form von wissenschaftlichen Gutachten oder anderen Überlegungen zu dem Thema „Schwellenwerte“ unternommen, um dieses in die Diskussion auf der europäischen Ebene mit einzubringen? Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft: In dieser Richtung wurde bisher nichts unternommen. Es gibt an der Stelle auch keinen Handlungsbedarf; denn wie in meiner Antwort dargestellt, ist die entscheidende Frage: Handelt es sich überhaupt um Konstrukte, die in der Europäischen Union zugelassen sind? Das Problem bei dem Fall in Schleswig-Holstein besteht ja am Ende darin, dass es sich um Konstrukte, also gentechnisch veränderte Organismen, handelt, für die es in der Europäischen Union und auch in der Bundesrepublik Deutschland überhaupt keine Zulassung gibt. Deshalb kann die Forderung nur lauten, gar keine Toleranz zuzulassen.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Zusatzfrage zwei.

Helmut Heiderich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002946, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie haben eben davon gesprochen, dass es auf der europäischen Ebene den Entwurf für eine Durchführungsrichtlinie gibt. Hat die Bundesregierung die Absicht, diese Durchführungsrichtlinie, wenn sie denn verabschiedet ist, sofort in nationales Recht umzusetzen? Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft: Wie ich in meiner Antwort dargestellt habe, muss die Richtlinie erst einmal auf dem Tisch liegen. Dann wird die Bundesregierung dazu Position beziehen. Ich gehe davon aus, dass wir dann, wenn es zu einer Verabschiedung auf europäischer Ebene kommt, auch sehr schnell eine entsprechende Verordnung in Deutschland erlassen werden, weil es natürlich auf diesem Gebiet - das zeigen die Vorgänge in Schleswig-Holstein Handlungsbedarf gibt.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun kommt die Frage 13 des Kollegen Helmut Heiderich: Hat die Bundesregierung für die Beurteilung der Frage, ob ein Saatgut „verunreinigt“ ist oder nicht, bereits entsprechende Verfahren der Probenahme und der Analyse festgelegt und für eine objektive Ergebnisermittlung entsprechende Referenzlabors anerkannt, oder wann beabsichtigt sie dieses zu tun vor dem Hintergrund der Tatsache, dass verschiedene Proben derselben Partien von Saatgut einmal keinerlei „Verunreinigungen“, ein andermal Geringstspuren aufgezeigt haben und somit die Ergebnisse stark vom Zufall abhängig sind und sich im Bereich der Nachweisgrenze bewegen? Herr Staatssekretär, bitte. Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft: Herr Kollege Heiderich, die Überwachung der Bestimmungen des Gentechnikrechts ist nach § 25 Abs. 1 des Gesetzes zur Regelung der Gentechnik Aufgabe der Länder. Im Rahmen dieser Überwachungstätigkeit ist die Analyse von Stichproben zum Nachweis gentechnischer Veränderungen sowie zur Charakterisierung und Identifizierung von gentechnisch veränderten Organismen unverzichtbar. Zurzeit steht hierfür nur ein begrenztes Spektrum an standardisierten Untersuchungsverfahren zur Verfügung. Dies trifft insbesondere für quantitative Analysen zu und erschwert insoweit eine Aussage über den Grad der Verunreinigung. Die Länderbehörden arbeiten bei der Methodenentwicklung zusammen. Die Erfahrungen aus der Lebensmittelüberwachung und die für diesen Bereich bereits etablierten Methoden werden dabei auch für den Vollzug des Gentechnikrechts genutzt. Um bei den Untersuchungen von konventionellem Saatgut auf Verunreinigungen mit GVOs möglichst vergleichbare Ergebnisse erreichen zu können, wird ein einheitliches methodisches Vorgehen in den Ländern angestrebt. Hierzu wurde ein Konzept für ein einheitliches Vorgehen bei der experimentellen gentechnischen Überwachung von GVO-Anteilen in Parl. Staatssekretär Dr. Gerald Thalheim konventionellem Saatgut entwickelt. Die für das Gentechnikrecht zuständigen Länderbehörden werden bei der Überwachung von den für das Saatgutrecht zuständigen Länderdienststellen unterstützt. So wird die Probenahme in der Regel von den Saatgutverkehrskontrollstellen nach der Probenehmer-Richtlinie der Arbeitsgemeinschaft für landwirtschaftliches Saat- und Pflanzgut in Amtshilfe vorgenommen. Referenzlabors wurden bislang noch nicht eingerichtet. Aus Sicht der Bundesregierung empfiehlt es sich, diesbezüglich auch die Ergebnisse und Empfehlungen der von der Kommission eingesetzten Arbeitsgruppe „Methoden zum Nachweis von Verunreinigungen durch gentechnisch veränderte Organismen in konventionellem Saatgut“ abzuwarten.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Alles klar? - Zusatzfrage eins, bitte sehr.

Helmut Heiderich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002946, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, habe ich Sie richtig verstanden, dass die Bundesregierung derzeit nicht die Absicht hat, solche einheitlichen standardisierten Verfahren zu entwickeln, und sich auch nicht an der Entwicklung beteiligt? Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft: Sie interpretieren meine Aussage falsch. Zuständig sind die Länder. Das ist als Erstes festzuhalten. Die Länder bemühen sich gegenwärtig in Arbeitsgruppen, sich auf einen einheitlichen Standard bei den Analysemethoden, dem Probenahme-Verfahren und am Ende auch der Einrichtung von Referenzlabors zu verständigen. Natürlich stellen an der Stelle die ungeheure Dynamik der Entwicklung und die Schwierigkeit, im Grenzbereich - davon reden wir ja, denn die Nachweisgrenze beträgt 0,1 Prozent - quantitative Aussagen über die Verunreinigung mit GVOs machen zu können, Probleme dar.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Zusatzfrage zwei.

Helmut Heiderich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002946, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Habe ich Sie eben richtig verstanden, dass Sie in Ihren Ausführungen erklärt haben, dass die bisherigen Verfahren nicht als standardisierte Verfahren bezeichnet werden können und die bisherigen Ergebnisse doch sehr stark davon abhängig waren, wo sie gerade erhoben bzw. welche Verfahren durchgeführt worden sind? Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft: Das Problem - so ist meine Antwort zu verstehen - stellt sich insbesondere für die quantitative Analyse. Bei dem Fall in Schleswig-Holstein, der die Diskussion ausgelöst hat, ging es um die Frage, ob überhaupt Konstrukte in dem Saatgut vorhanden waren, also nicht um eine quantitative Aussage, sondern um die Frage des Ob. Dafür sind die Methoden vorhanden. Hier war eine zweifelsfreie Aussage möglich. Aber ich wiederhole: Das Bemühen der Länder ist, zu einer Vereinheitlichung der Verfahren und vor allem der Probenahmen zu kommen, was insbesondere bei der Probenahme nicht schwierig ist, da das Saatgutverkehrsgesetz vorgibt, wie so etwas zu erfolgen hat.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Vielen Dank, Herr Staatssekretär Thalheim. Die Fragen 14 und 15 werden schriftlich beantwortet. Damit haben wir die Fragen zu Ihrem Geschäftsbereich abgearbeitet. Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Brigitte Schulte zur Verfügung. Die Fragen 16, 17, 18 und 19 werden schriftlich beantwortet. Ich rufe nun die Frage 20 des Kollegen Wolfgang Gehrcke auf: Warum hat der Bundesminister der Verteidigung, Rudolf Scharping - wie aus einem Artikel in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom 22. März 2001 zu schlussfolgern ist -, einen Antrag auf einstweilige Verfügung gegen die WDR-Sendung „Es begann mit einer Lüge“ vom Februar 2001 zurückgezogen? Frau Staatssekretärin, bitte.

Brigitte Traupe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002099

Herr Kollege Gehrcke, die kritische öffentliche Reaktion auf den Film des WDR hat gezeigt, dass die notwendige Auseinandersetzung auf breiter Ebene stattgefunden hat. Rechtliche Schritte wären deshalb nach Einschätzung des Bundesministeriums der Verteidigung weniger hilfreich gewesen, zumal Bundesminister Scharping als Person nicht antragsberechtigt war.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Zusatzfrage, Herr Kollege.

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Staatssekretärin, zunächst freue ich mich, dass Sie die Fragen beantworten. Könnten Sie mir Auskunft geben, in welchem Umfang Rechtsanwaltskosten für die Prüfung, ob eine einstweilige Verfügung beantragt wird oder nicht, entstanden sind und wer die Kosten letztendlich tragen muss - der Steuerzahler über den Haushalt oder wer?

Brigitte Traupe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002099

Herr Kollege Gehrcke, es sollte Ihnen bewusst sein, dass sich unter den 137 000 zivilen Mitarbeitern der Bundeswehr ein nicht unbeträchtlicher Teil an Juristen befindet. Über Kosten, die außerhalb des Hauses angefallen sind, ist mir nichts bekannt.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Noch eine Zusatzfrage, bitte sehr. Parl. Staatssekretär Dr. Gerald Thalheim

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Dann kann ich davon ausgehen, dass die Informationen, die mir zugänglich gemacht worden sind, nämlich dass 15 000 DM Rechtsanwaltskosten und über 100 000 DM Recherchekosten angefallen sind, nicht richtig sind?

Brigitte Traupe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002099

Das kann ich mir überhaupt nicht vorstellen. Aber ich bin sehr gern bereit, das zu prüfen, wenn Sie mir Ihre Quelle nennen. Dann können wir auch feststellen, wer diese Zahl entdeckt hat.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun kommt die Frage 21 des Kollegen Gehrcke: Auf welche Art hat die Bundesregierung im Zusammenhang mit dieser Sendung eigene Recherchen angestellt? Frau Staatssekretärin, bitte.

Brigitte Traupe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002099

Herr Kollege, es dürfte auch Ihnen nicht verborgen geblieben sein, dass am Anfang des Kosovo-Konflikts leider schwerste Menschenrechtsverletzungen durch die jugoslawischen Sicherheitskräfte auf Weisung des damaligen Präsidenten Milosevic standen, die über Jahre hinaus ausgeführt wurden und Anfang 1999 ihren Höhepunkt fanden. Sie wissen auch genau, dass gerade in der fraglichen ARD-Sendung die Bilder ausgespart worden sind, die den Beweis dafür erbracht haben - deswegen auch die Empörung über den Bericht - und die letzten Endes auch dazu geführt haben, dass nicht nur die Bundesrepublik Deutschland, sondern auch andere Staaten ein militärisches Eingreifen für notwendig hielten, um nicht noch größere Menschenrechtsverletzungen zuzulassen.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Zusatzfrage, bitte sehr.

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Staatssekretärin, das, was Sie mir geantwortet haben, ist mir, einschließlich des Falles von Menschenrechtsverletzungen, für die das Regime Milosevic verantwortlich gewesen ist, durchaus bekannt. Danach hatte ich nicht gefragt. Was ich kenne, muss ich nicht unbedingt erfragen. Ich hatte gefragt, ob im Zusammenhang mit dem Filmbericht spezielle Recherchen im Kosovo vorgenommen worden sind.

Brigitte Traupe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002099

Vor dem Filmbericht hat sich die Bundesregierung im Rahmen ihrer Entscheidung, die sie auch dem Bundestag vorgelegt hat, sorgfältig über die Lage im Kosovo informiert. Ich könnte Ihnen jetzt in der Tat eine ganze Reihe von Fakten nennen, die Sie auch kennen. Ich weiß das, deswegen tue ich das nicht. Diese Ereignisse beginnen bereits vor 1999. Dies ist auch der Vorwurf an die Sendung, dass sie all diese nachgewiesenen Fakten ausgespart hat. Deswegen mussten wir nicht anschließend noch eigene Recherchen anstellen. Wir wussten ja, angesichts welcher Fakten es zu dieser Entscheidung gekommen ist. Ich bin sehr gern bereit, Ihnen das alles noch einmal vorzutragen.

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ich bedanke mich nochmals - man wird ja auch dadurch klüger, dass Sachen wiederholt werden -, dass Sie nur das wiederholen, was mir schon bekannt ist, was uns allen hier bekannt war. Ich hatte aber gezielt nach Recherchen im Zusammenhang mit dem Filmbericht gefragt. Wenn Sie sagen, die Bundesregierung habe gar nicht erst recherchieren müssen, weil sie schon alles gewusst habe, frage ich mich, warum Sie sich nicht deutlicher und klarer, auch unter Nutzung aller rechtlichen Möglichkeiten, mit dem Filmbericht auseinander gesetzt haben.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege, das ist jetzt eher eine Intervention; außerdem ist es schon Ihre dritte Frage und damit ohnehin an der Grenze.

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Entschuldigung. - Meine Frage: Gab es nach Erscheinen des Filmberichtes gezielt spezielle Recherchen?

Brigitte Traupe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002099

Der Filmbericht hat nicht nur das Bundesverteidigungsministerium entsetzt. Ich habe ihn zufällig an dem Abend gesehen. Ich muss sagen: Bei einer so einseitigen Darstellung brauchten wir, nach all den Erfahrungen, die wir gemacht haben, im Grunde keine zusätzlichen Recherchen, um festzustellen, dass hier einwandfrei Manipulation betrieben worden ist. Nun gehöre ich zu jenen langjährigen Abgeordneten, die der Meinung sind, dass wir es in einer freien Gesellschaft ertragen können, wenn Medien Falschdarstellungen vornehmen. Aber in diesem Fall war die Empörung so groß, weil immerhin auch eine ganze Reihe von Soldatinnen und Soldaten aus der Bundesrepublik Deutschland geholfen hatten, den Konflikt wieder einzuschränken. Das sollten wir bei der ganzen Diskussion um diesen Film nicht vergessen: Innerhalb der Sendung ist ein Zusammenhang dargestellt worden, der meiner Meinung nach nicht korrekt war. Dass sich das Verteidigungsministerium daraufhin geäußert hat - es haben sich Gott sei Dank auch eine Reihe von Kolleginnen und Kollegen des Hohen Hauses dazu geäußert -, halte ich für richtig und notwendig. Auf der anderen Seite empfehle ich uns immer eine größere Gelassenheit im Umgang mit den Medien. Ich glaube, die Bürger sind in der Beurteilung sehr viel klüger.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege Erler hat eine Zusatzfrage. ({0})

Dr. h. c. Gernot Erler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000489, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatssekretärin, können Sie bestätigen, dass dem Bundesverteidigungsministerium eine ganze Reihe von Aussagen, zum Teil an Eides statt geleistet, vorliegen, aus denen hervorgeht, dass die Zeugen entweder falsch wiedergegeben werden oder dass sie mit Äußerungen zitiert werden, ohne dass parallel gemachte Äußerungen, die der wiedergegebenen Äußerung widersprechen, erwähnt werden, und dass in diesem Film auch aus dem Zusammenhang gerissene Teile von Interviews mit ihnen auftauchen?

Brigitte Traupe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002099

Herr Kollege Erler, das will ich Ihnen ausdrücklich bestätigen. Es ist positiv, dass sich einige sofort von sich aus gemeldet haben, weil sie über das, was in dem Filmbericht dargestellt worden ist, relativ entsetzt waren; denn sie wollten ja eigentlich helfen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Damit kommen wir zu Frage 22 des Kollegen Werner Siemann nach der Studierfähigkeit bzw. -eignung von Offiziersanwärtern: Wie vielen Offiziersanwärtern wurde in den letzten drei Jahren durch die Offizierprüfzentrale eine uneingeschränkte Studierfähigkeit, eine eingeschränkte Studierfähigkeit und keine Studieneignung attestiert und wie viele dieser Offiziersanwärter wurden zum Studium zugelassen?

Brigitte Traupe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002099

Herr Kollege Siemann, die unterschiedlichen Offiziersverwendungen sehen überwiegend einen Ausbildungsgang mit Studium, für bestimmte Bewerbergruppen und Verwendungen aber auch ohne Studium vor. Sie selbst wissen, dass wir vor allen Dingen jene länger - zwölf Jahre - dienenden Zeitsoldaten bzw. diejenigen, die Berufsoffiziere werden wollen, nach Möglichkeit mit einem abgeschlossenen Hochschulstudium einstellen bzw. sie dieses Studium bei uns erhalten sollen. Die Offiziersbewerberprüfzentrale hat jedes Jahr circa 10 000 Offiziersbewerbungen. Von diesen eignen sich 80 Prozent allein daher, dass sie den formalen Abschluss des Abiturs haben. Dennoch haben wir in der Offiziersbewerberprüfzentrale die Erfolgswahrscheinlichkeit dieser Bewerber in den gewünschten Studiengängen geprüft. Dabei unterscheiden wir drei Stufen: Die erste Stufe umfasst die Empfohlenen, von denen wir glauben, dass sie nicht nur die Offiziersausbildung, sondern auch das Studium erfolgreich abschließen können. In der zweiten Stufe sind die mit Einschränkung Empfohlenen; die Bewerber in der dritten Stufe werden nicht empfohlen, was ein bisschen problematisch ist, wenn sie das Abitur haben. Die Feststellung, dass trotz vorhandener Bildungsvoraussetzungen „keine Studieneignung“ vorliegt, wird aber nicht getroffen. Es wird nur gesagt: nicht empfohlen. Die Kategorisierung wird vorgenommen, um in Verbindung mit der allgemeinen Offizierseignung Entscheidungskriterien für die Vergabe begrenzter Studienkapazitäten zu haben. In den letzten drei Jahren wurden im Ausbildungsgang mit Studium für den Truppen- und Sanitätsdienst eingestellt: 1998: 1 643 Offiziersanwärter, Frauen und Männer. Davon hatten 622 die Studienempfehlung Stufe 1, 1 021 Stufe 2, also mit Beschränkung empfohlen. Im Jahr 1999 hatten wir eine ähnliche Zahl, nämlich 1 649 Offiziersanwärter. Davon hatten 483 Offiziersanwärter die Studienempfehlung Stufe 1, 1 110 Stufe 2 und 56 Stufe 3. Letztgenannte sind aber diejenigen, die wahrscheinlich nicht für ein Studium infrage kommen. Im Jahr 2000 hatten wir 1 681 Offiziersanwärter, davon mit Studienempfehlung, also mit Stufe 1, 430, mit Stufe 2 1 122 und mit Stufe 3 129.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Eine Nachfrage des Kollegen Siemann.

Werner Siemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003236, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, die Zahlen, die Sie genannt haben, lassen erkennen, dass sich die Anzahl derjenigen, die der Stufe 3 angehören, erhöht hat. Kann man davon ausgehen, dass diesen Soldaten aufgrund von Bewerberengpässen vermehrt eine Studieneignung zuerkannt werden wird, obwohl man weiß, dass sie für ein Studium nicht qualifiziert sind?

Brigitte Traupe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002099

Als mir Ihre schriftlich eingereichte Frage und die entsprechende Antwort vorgelegt wurden, habe ich genau die gleiche Frage gestellt und habe dann zu meinem Interesse gehört, dass die Art und Weise der Beurteilung, ob diese Soldaten wirklich ein Studium abschließen können, im Rahmen der Studienempfehlung überarbeitet wird. Ich habe gefragt: Tut ihr das, weil ihr nicht mehr genügend entsprechend qualifiziertes Personal bekommt? Darauf wurde geantwortet: Nein, sondern deshalb, weil die Beurteilungskriterien dahin gehend, wer den Hochschulabschluss wirklich schaffen will, erst jetzt erarbeitet worden sind. - Ich bin sehr gespannt auf die zukünftige Entwicklung. Herr Kollege, ich bin gerne bereit, Sie darüber zu unterrichten. Unter diesen 129 Offiziersanwärtern sind auch Personen, von denen wir glauben, dass sie als Zeitsoldaten für ein Studium geeignet sind, die aber kein Interesse daran haben, ein Studium abzuschließen. Da muss man abwarten. Ich habe ähnlich wie Sie gefragt, ob es nicht genug Offiziersanwärter mit Studieneignung gibt. Da wurde geantwortet: Nein, es gibt ja in der Stufe 2 1 222 Offiziersanwärter; da sind wir in der Beurteilung hinsichtlich der Studieneignung vorsichtiger. Damit haben wir eine ausreichende Zahl; denn wir brauchen in jedem Jahr etwa 1 400. - Bei den anderen handelt es sich, wenn Sie so wollen, um Personen, die ganz gezielt auf ein Studium verzichten.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Eine zweite Nachfrage des Kollegen Siemann.

Werner Siemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003236, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, Sie hatten zu Beginn Ihrer Ausführungen, wenn ich das richtig in Erinnerung habe, von 10 000 Bewerbern pro Jahr gesprochen. Haben Sie konkrete Erkenntnisse dahin gehend, dass diese Bewerberzahlen in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen sind, und gibt es eine Begründung dafür?

Brigitte Traupe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002099

Das habe auch ich mich gefragt, als ich die Ergebnisse gesehen habe. Ich will Ihnen ja, wie Sie wissen, eine vernünftige Auskunft geben. ({0}) Nein, auch das ist nicht zutreffend. Um Ihnen noch weiter entgegenzukommen, habe ich mir einmal die Zahlen der Jahre von 1991 bis 1999/2000 angesehen und dabei festgestellt, dass es hinsichtlich der Einstellung Unterschiede gibt. Einen Tiefstand an Offizierseinstellungen haben wir zum Beispiel in den Jahren 1993 und 1994 gehabt. Da erfolgte ja die Auflösung der Armee der ehemaligen DDR bzw. die Zusammenführung der beiden Armeen und da bestand die Frage, wie groß der Bedarf ist. Den höchsten Bedarf haben wir interessanterweise 1997 gehabt, und zwar deshalb, um die früheren niedrigeren Zahlen ein Stück auszugleichen. Ich sehe da eigentlich eine Kontinuität. Denn wir hatten im Jahre 1998 1 788, im Jahre 1999 1 825 und im Jahre 2000 sogar 1 866 Offizierseinstellungen. Ein Rückgang der Bewerberzahlen ist also zum jetzigen Zeitpunkt nicht festzustellen. Ich verhehle allerdings nicht, dass ich wie Sie die Sorge habe, dass ein solcher Rückgang aufgrund der besseren wirtschaftlichen Bedingungen und der schwächeren Geburtenjahrgänge drohen kann. Aber es gibt dafür keinen Nachweis. Das kann ich nach den Nachforschungen, die ich extra betrieben habe, feststellen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Damit kommen wir zur Frage 23 des Kollegen Siemann, zur Frage nach dem Sachstand hinsichtlich der Einführung der Softwareprogramme in die Bundeswehr: Wie ist der Sachstand hinsichtlich der Einführung der Softwareprogramme SAP/SASPF in die Bundeswehr, und wie ist der Sachstand einer möglichen Übernahme von Teilprojekten des ITDirektors bzw. des IT-Amtes durch die Gesellschaft für Entwicklung, Beschaffung und Betrieb? Bitte schön.

Brigitte Traupe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002099

Herr Präsident, nicht des Bundestages.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich habe gesagt: in die Bundeswehr.

Brigitte Traupe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002099

Ja, das ist richtig. Ich habe ja nur daran gedacht, dass wir das alles auch einmal im Bundestag ändern sollten. Herr Kollege Siemann, die Strategie der Einführung für eine Produktfamilie einer Standardanwendungssoftware - das, Herr Präsident, war der Grund dafür, warum ich an den Bundestag gedacht habe - für die Bundeswehr, abgekürzt SASPF, in deren Zentrum die weltweit verbreitete betriebswirtschaftliche Standardsoftware SAP R/3 der Firma SAP AG steht, wurde durch die Leitung des Bundesministeriums der Verteidigung am 31. Oktober 2000 gebilligt. Vorangegangen war dem ja die Tatsache, dass so viele unterschiedliche Softwareentscheidungen und -regelungen bestanden. Die Realisierung wurde als Teil des Pilotprojektes „Betrieb von administrativen Rechenzentren der Bundeswehr und Einführung von SASPF“ aus dem Rahmenvertrag „Innovation, Investition und Wirtschaftlichkeit in der Bundeswehr“ vom 15. Dezember 1999 angewiesen. Für die Ausschreibung dieses Pilotprojektes, das zusammen mit den Pilotprojekten „Herstellung eines leistungsfähigen Kommunikations- und Datennetzes für die Bundeswehr“ und „Ausbau und Aufbau der IT-Liegenschaftsnetze“ vergeben werden soll, wird derzeit eine Leistungsbeschreibung fertig gestellt. Der öffentliche Teilnahmewettbewerb soll im nächsten Monat beginnen. Das Vergabeverfahren soll im Jahr 2002 noch vor der parlamentarischen Sommerpause abgeschlossen werden. Intern wird zurzeit die Programmorganisation SASPF aufgebaut, in der Bedarfsdecker, Bedarfsträger und Industrie gemeinsam für die Umsetzung der fachlichen Anforderungen der Nutzer und der Prozesse verantwortlich sein werden. Daneben werden Vorarbeiten im Bereich des betrieblichen Rechnungswesens und der Datenkonzeption durchgeführt sowie die für eine prozessorientierte Software wie SAP R/3 erforderlichen Sollprozesse und fachlichen Abläufe definiert und für die Abbildung in SAP R/3 festgeschrieben. In ausgewählten Bereichen der Hauptprozesse Personal und Logistik werden darüber hinaus unter Einbeziehung der Nutzer in verschiedenen Dienststellen Erprobungen vorbereitet bzw. durchgeführt. Entsprechend der gebilligten Vorhabenplanung wird die erste Entwicklungsstufe SASPF, in der etwa 60 bis 70 Prozent der erforderlichen Funktionalitäten abgebildet werden sein sollen, 2003 abgeschlossen und danach in den Dienststellen eingeführt werden. Der Abschluss des Gesamtprojektes - deswegen sage ich Ihnen das so ausführlich - ist bis 2007 vorgesehen. Der Auftrag der Gesellschaft für Entwicklung, Beschaffung und Betrieb, kurz: GEBB, ist im Vertrag zwischen dem Bundesministerium der Verteidigung und der Gesellschaft vom 12. Dezember 2000 festgelegt. Danach hat die GEBB im Geschäftsbereich IT kurzfristig „Vorschläge zur Optimierung der gesellschaftsrechtlichen Konstruktion für den Betrieb der Liegenschafts- und Weitverkehrsnetze, der IT-Rechenzentren und zur Einführung von SAP R/3“ zu machen. Dieser Auftrag ist weitgehend abgearbeitet. Die Übernahme von Teilprojekten des IT-Direktors bzw. IT-Amtes durch die GEBB ist nicht vorgesehen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Siemann.

Werner Siemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003236, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe eine Zusatzfrage zur GEBB, die hier angesprochen worden ist. Frau Staatssekretärin, trifft es eigentlich zu, dass die GEBB bisher durch den Verkauf von Teilen des Bundeswehrkrankenhauses Gießen Erlöse von 27 Millionen DM erzielt hat, wobei dieser Verkauf nicht auf Aktivitäten der GEBB zurückzuführen ist, und diese Erlöse in Aktien angelegt worden sind?

Brigitte Traupe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002099

Herr Kollege Siemann, Sie haben Ihre Frage eben selbst beantwortet. Nicht die GEBB, sondern die Bundesvermögensverwaltung hat das Krankenhaus Gießen für 27 Millionen DM verkauft. Wie kann dann die GEBB das Geld in Aktien anlegen? Das bekommen der Finanzminister und der Verteidigungsminister für die weiteren Investitionen.

Werner Siemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003236, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Hat die GEBB in keinem Fall - das ist die zweite Frage

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ja.

Werner Siemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003236, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

- Erlöse, die sie erzielt hat, in Aktien angelegt?

Brigitte Traupe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002099

Es ist mir zu diesem Fall nichts darüber bekannt, dass die Erlöse in Aktien angelegt wurden.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bauund Wohnungswesen. Die Fragen 24 und 25 werden schriftlich beantwortet. Ich rufe Frage 26 auf - Kollege Peter Weiß fragt nach der Tagesordnung des deutsch-französischen Gipfeltreffens am 12. Juni 2001 -: Werden auf der Tagesordnung des deutsch-französischen Gipfeltreffens am 12. Juni 2001 in Freiburg im Breisgau auch Themen der deutsch-französischen Zusammenarbeit stehen, die die Region am Oberrhein unmittelbar betreffen, wie zum Beispiel die Forderung nach einer rechtlichen Trinationalisierung des EuroAirports Basel-Mulhouse-Freiburg, die Verknüpfung des TGV Rhin-Rhône und des TGV Européen Est mit dem deutschen Schienennetz? Bitte schön.

Stephan Hilsberg (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000904

Sehr geehrter Herr Kollege Weiß, die Verknüpfung des TGV Rhein-Rhone und des TGV Est mit dem deutschen Schienennetz sowie die Trinationalisierung des Flughafens Basel-Mülhausen-Freiburg sind als Themen für das deutschfranzösische Gipfeltreffen am 12. Juni dieses Jahres nicht vorgesehen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Eine Nachfrage.

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, nachdem der Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg, Erwin Teufel, und mehrere Landräte in schriftlicher Form sowie der Oberbürgermeister der Stadt Freiburg und der Bürgermeister der Stadt Mulhouse auch in persönlicher Vorsprache am 11. April bei Abteilungsleiter Steiner aus dem Bundeskanzleramt die Bitte vorgetragen haben, dass die eben genannten Themen Gegenstand der Besprechung auf dem deutsch-französischen Gipfel am 12. Juni in Freiburg werden, möchte ich Sie fragen: Sind denn diese Vorstellungen der Repräsentanten des betreffenden Bundeslandes und der Region auf so taube Ohren gestoßen, dass man es nicht für nötig befunden hat, wenigstens ein paar Minuten zur Erörterung dieser regionalen Themen beim deutsch-französischen Gipfel vorzusehen?

Stephan Hilsberg (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000904

Sehr geehrter Herr Weiß, es hat eine Reihe von Anfragen im Kanzleramt gegeben, die zum Ziel hatten, Themen, wie Sie sie jetzt eben angesprochen haben, auf die Tagesordnung des deutsch-französischen Gipfeltreffens zu setzen. Sie sind mit den Briefeschreibern ausführlich behandelt worden. Dabei ist dargelegt worden, dass es der gegenwärtige Stand dieser Projekte nicht erlaubt, dies auf einer dermaßen hohen Ebene zu bearbeiten. Was die Frage der Verbindung der Hochgeschwindigkeitsnetze betrifft, so sind gegenwärtig Arbeitsgespräche zwischen der Deutschen Bahn und der SNCF im Gange. Diese Gespräche sollen die Projekte nach vorn bringen. Die Absichtserklärungen dafür liegen vor. Es geht hierbei auch darum, diese Projekte in den neuen Bundesverkehrswegeplan aufzunehmen. Bevor solche Entscheidungen nicht getroffen worden sind, lohnt sich ein Gespräch auf dieser Ebene nicht. Ähnlich verhält es sich mit dem Flughafen BaselMulhouse-Freiburg. Wir unterstützen dieses Projekt. Gleichwohl ist das Land Baden-Württemberg bis dato nicht bereit, sich mit finanziellen Eigenbeteiligungen für ein solches Projekt zu engagieren. Damit fehlen die Voraussetzungen, auf einer solchen Ebene dieses Projekt zu behandeln.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Eine zweite Nachfrage.

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, es besteht ja großes Verständnis dafür, dass ein solcher deutsch-französischer Gipfel nicht nur in einer der Hauptstädte stattfindet, sondern auch einmal in einer Gegend, die als besonders schöne und gottgesegnete Landschaft in Deutschland und europaweit bekannt ist. ({0}) Besteht bei der Bundesregierung nicht ein bestimmtes Verständnis dafür, bei einer solchen Gelegenheit zumindest eines der wichtigen regionalen Themen auf einem Gipfel mitzubehandeln und mitzubesprechen? Angesichts der Tatsache, dass man sich in dieser Region zwischen Baden und Elsass seit Jahren um eine besonders intensive grenzüberschreitende Zusammenarbeit bemüht, ist das ein wichtiges Herzstück der deutsch-französischen Freundschaft, zumal zu dem Thema, das Sie eben selbst angesprochen haben, nämlich zur Verknüpfung der Hochgeschwindigkeitszüge zwischen Deutschland und Frankreich. Es sind schon sehr weit gehende und sehr lange andauernde Vorgespräche geführt worden. An und für sich sind die Sachverhalte relativ klar, auch die Entscheidungsnotwendigkeit ist relativ klar, zu einer schnelleren Realisierung dieser Verknüpfung zu kommen, insbesondere was den TGV bei Strassburg/Kehl anbelangt.

Stephan Hilsberg (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000904

Sehr geehrter Herr Weiß, wir wissen die landschaftlichen Reize und die wirtschaftliche Bedeutung der baden-württembergischen Region im Allgemeinen und der Emmendinger im Besonderen sehr wohl zu schätzen. Das ist ja einer der Gründe dafür, dass der Ort dieses Gipfeltreffens in Ihre Region hinein verlagert wurde. Gleichwohl bitte ich Sie um Verständnis dafür, dass sich die Tagesordnung dieses deutsch-französischen Gipfeltreffens an nationalen Gesichtspunkten zu orientieren hat. Sobald die Projekte, die Sie angesprochen haben, eine Reife erreicht haben, dass es sich lohnt, auf dieser Ebene darüber zu verhandeln, werden wir dies auch an anderen Orten, an denen ein solches Gipfeltreffen stattfindet, erörtern.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Danke schön. Die Frage 27 wird schriftlich beantwortet. Die Antwort zu Frage 31 wird zu einem späteren Zeitpunkt abgedruckt. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Die Fragen 28 bis 30 werden schriftlich beantwortet. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundeskanzleramtes. Die Fragen 31 bis 33 werden schriftlich beantwortet. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Zur Beantwortung der Fragen steht Staatsminister Volmer zur Verfügung. Ich rufe die Frage 34 des Abgeordneten Dieter Schloten auf: Hat die Bundesregierung, ungeachtet der bisherigen deutschen Beteiligung an der von der WEU im Auftrag und unter Finanzierung durch die EU seit 1997 in Albanien durchgeführten Polizeiausbildungs- und Beratungsmission MAPE ({0})/MAPEXT ({1}), eine Weiterführung von MAPE/MAPEXT durch die EU nach dem 22. Juni 2001 abgelehnt, und wenn ja, aus welchen Gründen? Herr Staatsminister Volmer, bitte schön.

Not found (Gast)

Mit Ihrer Zustimmung, Herr Schloten und Herr Präsident, würde ich die Fragen 34 und 35, die in unmittelbarem Zusammenhang stehen, gemeinsam beantworten.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Einverstanden. Ich rufe die Frage 35 auf: Was wird politisch unternommen werden, um die Ergebnisse der Mission MAPE zu sichern und den Ausbildungsstandard der albanischen Polizei weiter zu verbessern?

Not found (Gast)

Zur Frage 34, Herr Schloten, lautet die Antwort: Nein. Die Bundesregierung hat eine Weiterführung von MAPE oder MAPEXT nicht abgelehnt, sondern sich vielmehr dafür eingesetzt, dass die EU die Verantwortung für Polizeiberatungsmaßnahmen in Albanien von der WEU übernimmt. Der WEU-Ministerrat von Marseille hat die grundsätzliche Zustimmung der EU zur Übernahme der direkten Leitung der Polizeizusammenarbeit mit Albanien zur Kenntnis genommen. Der Europäische Rat in Nizza hat den Grundsatzbeschluss getroffen, dass die EU im Zuge der Übernahme der Krisenbewältigungsfunktionen der WEU durch die EU die direkte Verantwortung für Beratung und Ausbildung der albanischen Polizei von der WEU übernehmen wird. Zu Ihrer Frage 35: Die Europäische Kommission hat ein im Juni 2001 beginnendes Projekt vorgelegt, das eine Fortsetzung der Unterstützung der albanischen Polizei durch Beratung und Ausbildung gewährleistet.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Eine Zusatzfrage.

Dieter Schloten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001986, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, es ist zurzeit von einer Übergangsregelung durch die EU die Rede, die dieses bisherige recht erfolgreiche Programm der Ausbildung albanischer Polizisten zunächst in verkleinertem Rahmen weiterführt. Ist aus Sicht der Bundesregierung die bisherige Ausbildung der albanischen Polizisten durch die WEU verbesserungsbedürftig, sodass dieses Übergangsprogramm nötig ist? Warum kann nicht direkt in das neue Programm der EU eingestiegen werden?

Not found (Gast)

Zunächst, Herr Kollege Schloten, kann ich bestätigen: Die Europäische Kommission wird für den Zeitraum vom 1. Juni 2001 bis zum 31. März 2002 zunächst ein durch Reallokation von PHARE-2000-Mitteln finanziertes Projekt auflegen. Dieses Projekt soll die notwendige Kontinuität zwischen den von MAPE begonnenen oder umgesetzten Maßnahmen besonders im Bereich der strategischen Beratung der albanischen Polizeibehörden und der Ausbildung für hohe Polizeibeamte einerseits und der Vorbereitung eines spezifischen polizeibezogenen Projektes der Kommission im Rahmen des CARDS-Programms andererseits unterstützen. Im ersten Quartal 2002 soll dann ein Programm der Zusammenarbeit im Bereich Justiz und Inneres im Rahmen des CARDS-Programms für den westlichen Balkan beginnen. Dass es zu dieser Zwischenlösung kam, hängt damit zusammen, dass durch die Übernahme der WEU-Funktionen durch die EU noch Kompetenzfragen im Rahmen Peter Weiß ({0}) der Kommission und im Verhältnis der Kommission zu den einzelnen an der Mission beteiligten Staaten zu klären sind. Das wird einige Zeit in Anspruch nehmen. Um die Zwischenzeit zu überbrücken, wird dieses Programm durchgeführt.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Zweite Zusatzfrage.

Dieter Schloten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001986, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, ist ein Zeitrahmen vorgesehen, in dem das EU-Projekt abgeschlossen werden soll?

Not found (Gast)

Nach unseren Informationen soll das neue Projekt im ersten Quartal 2002 auf Kommissionsebene greifen.

Dieter Schloten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001986, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Danke schön.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Die Fragen 46 bis 48 werden schriftlich beantwortet. Ich rufe die Frage 49 des Abgeordneten Joachim Günther zur Unterstützung von Russlanddeutschen auf: Liegt der Unterstützung von Russlanddeutschen ein Gesamtkonzept der Bundesregierung zugrunde und welche Schwerpunkte beinhaltet dieses? Herr Staatssekretär Körper, bitte schön.

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Herr Kollege Günther, ich beantworte Ihre Fragen wie folgt: Seit der politischen Wende in Osteuropa und in der damaligen Sowjetunion vor etwa zehn Jahren hat die Bundesregierung auch die deutschen Minderheiten in den neu entstandenen Staaten dort durch breit gefächerte Maßnahmen unterstützt. Aufgrund der Erfahrungen der ersten Jahre wurde durch die 1999 vorgelegte Konzeption „Aussiedlerpolitik 2000“ auch die Hilfenpolitik für die deutschen Minderheiten neu konzipiert. Dieses Konzept berücksichtigt, dass es bei der Durchführung größerer intensiver Projekte sowie von Infrastrukturmaßnahmen in den Jahren vor 1999 erhebliche Probleme gegeben hat. Solche Maßnahmen werden deshalb grundsätzlich nicht mehr gefördert. Im Mittelpunkt der deutschen Bemühungen steht nunmehr die so genannte Breitenarbeit mit der Begegnungsstättenarbeit und der Förderung des außerschulischen Deutschunterrichts in Russland und Kasachstan. In über 470 Begegnungsstätten wird ein breit angelegtes Angebot für die Angehörigen der deutschen Minderheiten und für ihre interessierten nicht deutschen Nachbarn angeboten. Ein besonderer Schwerpunkt liegt bei der Jugendarbeit und - das will ich besonders betonen - bei Aus- und Fortbildungsmaßnahmen. Neben den gemeinschaftsfördernden Maßnahmen umfasst das Hilfenprogramm der Bundesregierung auch Wirtschaftshilfen in Form von Existenzgründungsdarlehen für Kleingewerbe und Handwerk, von Darlehen zur Wohnraum- und Arbeitsplatzbeschaffung in Russland sowie von Landwirtschaftshilfen; Beratung, Saatgut, Geräte und Kleinkredite sind hier als Stichworte zu nennen. Ferner werden Hilfen im medizinischen Bereich und im Sozialbereich geleistet. Ausstattungshilfen für Krankenhäuser sowie Medikamentenhilfen sollen die schwierige medizinische Versorgungslage verbessern. Für besonders Bedürftige - das sind in der ehemaligen Sowjetunion vor allem die früheren Angehörigen der Trud-Armee - wird individuelle humanitäre Lebenshilfe in Form von Paket- und Einzelhilfen über karitative Einrichtungen geleistet. Diese Fördermaßnahmen werden durch kulturelle und bildungspolitische Förderung im Rahmen der deutschen auswärtigen Kulturpolitik ergänzt.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Eine Zusatzfrage.

Joachim Günther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000750, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, Sie haben hier die Initiativen von Deutschland breit dargestellt. Ist der Bundesregierung bekannt, dass es im russischen Innenministerium inzwischen keinen Ansprechpartner für die deutsche Minderheit mehr gibt, und was beabsichtigt die Bundesregierung in diesem Zusammenhang zu unternehmen?

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Herr Kollege Günther, Ihre Frage deckt sich nicht mit meinen Informationen. In dem von Ihnen genannten Ministerium gab es offensichtlich organisatorische Maßnahmen, die zu einem Wechsel zwischen Abteilung und Referat geführt haben. Ich kann nicht bestätigen, dass es dort keine Ansprechpartner mehr gebe.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Dann kommen wir zur Frage 50: Verfügt die Bundesregierung über ein Konzept zur Förderung des Deutschunterrichts für Deutschlandrussen und zur Pflege der deutschen Kultur in Russland?

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Herr Kollege Günther, die Förderung der deutschen Sprache ist ein Schwerpunkt sowohl der gemeinschaftsfördernden Maßnahmen, für die das Bundesministerium des Innern federführend ist, als auch der kulturellen und bildungspolitischen Förderung der russlanddeutschen Minderheit, die vom Auswärtigen Amt verantwortet wird. Beide Ministerien stimmen ihre Maßnahmen eng miteinander ab. Für die in ihren Herkunftsgebieten in Russland verbleibenden Russlanddeutschen werden vom Bundesministerium des Innern finanzierte außerschulische Sprachkurse durchgeführt. Dieses Sprachkursangebot und die ihm zugrunde liegenden umfangreichen, speziell auf die Bedürfnisse der Russlanddeutschen zugeschnitten Lehrmaterialien sind unter fachlich-konzeptioneller Begleitung des Goethe-Instituts und eines deutsch-russischen Autorenteams erarbeitet worden. Die Deutschkurse stellen mit der Jugendarbeit sowie beruflichen Aus- und FortStaatsminister Dr. Ludger Volmer bildungsmaßnahmen einen Kernbereich der Bleibehilfen dar, um den Deutschstämmigen vor Ort eine dauerhafte Lebensperspektive zu eröffnen. Darüber hinaus fördert das Auswärtige Amt über das Goethe-Institut Inter Nationes Sprachlernzentren in den Siedlungsschwerpunkten der deutschen Minderheit in Russland. Die Kurse der Sprachlernzentren erreichen in aller Regel ein höheres Niveau als die Kurse der so genannten Breitenarbeit. Interessierte Absolventen der Sprachkurse der Breitenarbeit haben die Möglichkeit, an diesen Sprachlernzentren ihre Fähigkeiten auszubauen. Außerdem fördert das Auswärtige Amt vor allem über das Goethe-Institut in Moskau kulturelle Veranstaltungen der Russlanddeutschen. Bei der Auswahl der geförderten Projekte wird großer Wert auf eine enge Zusammenarbeit mit russlanddeutschen Initiativen im Kulturbereich gelegt. Das Bundesministerium des Innern leistet in Ergänzung zu den vom Auswärtigen Amt ergriffenen Maßnahmen durch vielfältige Programmaktivitäten an 400 Begegnungsstätten allein in Russland überwiegend in ländlichen Siedlungsgebieten einen maßgeblichen Beitrag zur Pflege von Kultur und Identitätsfindung der Russlanddeutschen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Eine Zusatzfrage.

Joachim Günther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000750, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, Sie haben eben über die Goethe-Institute gesprochen. Es lohnt sich nicht, jetzt über deren Finanzierung zu diskutieren. Es gibt noch eine deutschsprachige Zeitung im Moskauer Gebiet, die im Endeffekt für alle Russlanddeutschen gemacht wird. Gegenüber der Vergangenheit ist deren Förderung so weit zurückgegangen, dass die Zeitung vor dem Aus steht. Was beabsichtigt die Bundesregierung in diesem Zusammenhang zu unternehmen?

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Bei solchen Problemen sind wir gern bereit, mit den Betroffenen ihre Sorgen und Probleme zu diskutieren. Dort, wo wir helfen können, tun wir es gern.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herzlichen Dank. Damit sind wir am Ende der Fragestunde. Ich unterbreche die Sitzung für sechs Minuten; wir beginnen wieder um 15.35 Uhr. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist wieder eröffnet. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 sowie die Zusatzpunkte 1 und 3 auf: 3. Vereinbarte Debatte Entschädigung für NS-Zwangsarbeiter ZP 1 Antrag der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der F.D.P. und der PDS Feststellung ausreichender Rechtssicherheit für deutsche Unternehmen nach § 17 Abs. 2 des Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ - Drucksache 14/6158 ZP 3 Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses zu dem Antrag der Fraktion der PDS - Drucksache 14/5788 Sofortige Auszahlung an die Opfer der NSZwangsarbeit - Drucksache 14/6165 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Bevor ich die Aussprache eröffne, möchte ich Gäste begrüßen. Auf der Ehrentribüne hat der Präsident des ukrainischen Parlaments, Herr Iwan Pljuschtsch, mit einer Abgeordnetendelegation Platz genommen. Ich darf Sie von hier aus im Namen des ganzen Hauses noch einmal herzlich begrüßen. ({0}) In den Gesprächen und Begegnungen heute und in den kommenden Tagen werden Sie spüren, mit wie viel Interesse wir den Fortgang des Reformprozesses in Ihrem Land verfolgen, der in jüngster Zeit vor allem auf wirtschaftlichem Gebiet zu ermutigenden Ergebnissen geführt hat. Wir hoffen mit Ihnen, dass die Ukraine auch unter dem neuen Ministerpräsidenten, der unter Ihrem Vorsitz gestern gewählt wurde, diesen Kurs unbeirrt fortsetzen wird. Die Zusammenarbeit zwischen unseren beiden Parlamenten kann dazu einen wichtigen Beitrag leisten. Es freut mich, dass Sie die Gelegenheit haben, an dieser auch für viele Menschen in der Ukraine wichtigen Sitzung des Bundestages teilzunehmen. Ich danke Ihnen für Ihren Besuch und wünsche Ihnen einen angenehmen Aufenthalt in unserem Land. ({1}) Auf der Zuschauertribüne haben weitere Gäste Platz genommen: Vertreter der Bundesstiftung, der Partnerstiftungen aus Weißrussland, aus der Ukraine, aus Russland, aus Polen und aus Tschechien. Ich begrüße Sie alle sehr herzlich zu dieser wichtigen Debatte. ({2}) Nun eröffne ich die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Herrn Bundeskanzler Gerhard Schröder.

Gerhard Schröder (Kanzler:in)

Politiker ID: 11002078

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte mit einem Wort beginnen, das die Erleichterung und die Genugtuung, die wir heute alle empfinden, trifft, und dieses Wort heißt: endlich. ({0}) Dieses Wort war der häufigste Kommentar in der vergangenen Woche, nachdem in den Vereinigten Staaten die letzte große juristische Hürde für die Auszahlung an die überlebenden Zwangsarbeiter genommen war. Damit und mit der anschließenden Erklärung der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft ist der Weg geebnet für die heutige Entscheidung des Deutschen Bundestags, nämlich ausreichende Rechtssicherheit für deutsche Unternehmen festzustellen und damit die Mittel für die ehemaligen NS-Zwangsarbeiter freizugeben. Es war ein langer und mühsamer Prozess, zeitweise - das ist zuzugeben mit Enttäuschungen für manche Beteiligte, insbesondere für die überlebenden Zwangsarbeiter. Dieser Prozess ist damit zum Abschluss gebracht worden. Ich möchte kurz erinnern: Das Vorhaben nahm Ende 1998 seinen konkreten Anfang in ersten Kontakten zwischen der Bundesregierung und führenden deutschen Unternehmen. Nach einem Gespräch zwischen den Vorständen und mir erklärten sich die Unternehmen am 16. Februar 1999 bereit, eine Stiftung für ehemalige NSZwangsarbeiter und andere unter Mitwirkung deutscher Unternehmen geschädigte NS-Opfer mitzutragen. Mittlerweile sind mehr als 6 300 Unternehmen engagiert. Das ist zugegebenermaßen keine unbeträchtliche Zahl; aber genauso klar ist: Es könnten noch mehr sein und müssen noch mehr werden. ({1}) Im März 2000 hat dann das Bundeskabinett in der Kontinuität deutscher Wiedergutmachungspolitik den Entwurf eines Gesetzes zur Errichtung eines Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ beschlossen. Vorausgegangen waren viele hochkomplizierte internationale Verhandlungsrunden. Weitere folgten und mündeten in die so genannte „Gemeinsame Erklärung“ aller Verhandlungspartner vom Juli 2000 und in das deutsch-amerikanische Regierungsabkommen vom Oktober 2000. Zielsetzung all dieser Bemühungen war von Anfang an, den noch heute lebenden NS-Opfern mit der materiellen Zuwendung vor allem auch ein Zeichen der Genugtuung zu geben; denn wirkliche Wiedergutmachung in des Wortes Bedeutung ist kaum möglich. Daneben stand - auch das gilt es festzuhalten - das berechtigte Interesse der deutschen Wirtschaft an dauerhaftem Rechtsfrieden. Schließlich waren in den Vereinigten Staaten ursprünglich insgesamt 68 Klagen gegen die deutsche Wirtschaft anhängig. Die verklagten Unternehmen wollten verständlicherweise davor geschützt werden, zweimal für die gleiche historische Schuld zahlen zu müssen. Die Bundesregierung hatte zudem das Interesse, Beschädigungen der transatlantischen wirtschaftlichen und auch politischen Beziehungen zu vermeiden. An dieser Stelle möchte ich im Namen der gesamten Bundesregierung meinem Beauftragten Graf Lambsdorff für seine kluge und beharrliche Verhandlungsführung ausdrücklich danken. Wir sind Ihnen, Graf Lambsdorff, sehr verpflichtet. ({2}) Sehr geehrter Herr Graf Lambsdorff, ich muss einräumen - ich tue das gerne -: Dass wir jetzt am Ziel sind, ist in ganz besonderem Maße Ihrer Fähigkeit zu verdanken, um Lösungen zu ringen, die manchmal schon gar nicht mehr für möglich gehalten worden sind. Sie haben sich mit dieser Leistung über das, was Sie für das Land geleistet hatten, hinaus wirklich bleibende und unvergessliche Verdienste erworben. ({3}) Respekt und Anerkennung gebührt auch den übrigen an den Verhandlungen beteiligten Partnern. Zu nennen sind die US-Regierung; übrigens hat sich auch die neue Regierung unter Präsident Bush von Anfang an für das Vorhaben engagiert. Zu nennen ist Stuart Eizenstat sowie die Regierungen der hauptbetroffenen Staaten Mittel- und Osteuropas und Israels. Zu nennen sind ferner die Jewish Claims Conference, einige Klägeranwälte und nicht zuletzt alle - ich betone: alle - im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien. Lassen Sie mich auch den an der Stiftungsinitiative beteiligten Unternehmen meine Anerkennung aussprechen. Es ist richtig, dass wir manche harte Diskussion um den richtigen Weg zu führen hatten. Entscheidend für den Erfolg war aber, dass Bundesregierung und Stiftungsinitiative der Wirtschaft die oft schwierigen Verhandlungssituationen, die auch mit unterschiedlichen Interessenlagen zu tun hatten, gemeinsam gemeistert haben. Die Bundesstiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“, die mit unserer heutigen Entscheidung mit den Auszahlungen beginnen wird, setzt das weltweit beachtete Zeichen dafür, dass sich Deutschland der schrecklichen Verbrechen seiner Vergangenheit bewusst ist und dass dies auch so bleibt. Ich danke Ihnen, dem deutschen Parlament, für Ihre Unterstützung und dafür, dass wir dieses letzte große offene Kapitel unserer historischen Verantwortung schließlich doch zu einem guten Ende haben bringen können. Danke für die Aufmerksamkeit. ({4})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun der Beauftragte des Bundeskanzlers für die Stiftungsinitiative Deutscher Unternehmen, Dr. Otto Graf Lambsdorff. Dr. Otto Graf Lambsdorff, Beauftragter des Bundeskanzlers für die Stiftungsinitiative Deutscher Unternehmen ({0}): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Heute halte ich meine dritte letzte Rede vor dem Deutschen Bundestag. ({1}) Sehen Sie mir das bitte nach. Es soll wirklich meine letzte sein. Ich bin keine alternde Operndiva. ({2}) Ich will in drei Sätzen noch einmal skizzieren, worum es bei der ausreichenden Rechtssicherheit für deutsche Unternehmen in den Vereinigten Staaten ging. Wir mussten einen Weg finden, der es US-amerikanischen Richtern erlaubt, zu akzeptieren, dass sich Regierungen und legitimierte Vertreter ehemaliger Zwangsarbeiter und NS-Opfer auf eine komplexe Lösung geeinigt hatten, die der Individualgerechtigkeit überlegen ist, und dass das Engagement der US-amerikanischen Regierung den Gerichten die Zuständigkeit für eine individuelle Entscheidung entzieht. Die US-amerikanische Regierung musste dabei verständlicherweise darauf achten, dass sie ihrerseits nicht wegen Eingriffe in Eigentumsrechte ihrer eigenen Bürger angreifbar wird. Die Lösung, von Juristen der Stiftungsinitiative und US-Regierungsanwälten ersonnen, hat nach einigen positiven Einzelentscheidungen ihre Feuerprobe vor dem Berufungsgericht in New York großartig bestanden. Damit ist das Präjudiz geschaffen worden, das die Unternehmen der Stiftungsinitiative von ausreichender Rechtssicherheit überzeugte. Ich unterstreiche mit Nachdruck: Das Statement of Interest ist von der US-Administration vereinbarungsgemäß abgegeben worden und es hat in sehr vielen Fällen Erfolg gehabt. Darauf gründet sich meine Zuversicht, dass sich die US-Regierung auch bei den noch anhängigen und bei eventuellen künftigen Klagen für „legal peace“ einsetzen wird und dass sie auch administrativen Behinderungen vor allem in den Einzelstaaten der USA entgegentreten wird. Diese gibt es besonders im Bereich der Versicherungen und der Banken. Es ging aber nicht nur um Rechtssicherheit. In den für die ehemaligen Zwangsarbeiter endlosen Monaten der zähen und arbeitsintensiven juristischen Verhandlungen vollzog sich bei uns in Deutschland eine eindrucksvolle Entwicklung, die lange weiterleben soll. In zahlreichen Gemeinden, Betrieben und Familien fragten sich Junge und Alte, was es mit den Zwangsarbeitern und den KZArbeitern vor mehr als 55 Jahren gerade an ihren deutschen Leidensorten eigentlich auf sich hatte. Die Arbeit, die Organisationen wie der Verein „Gegen Vergessen Für Demokratie“ oder die Aktion Sühnezeichen seit Jahrzehnten eher im Verborgenen geleistet hatten, blühte vielerorts auf und trägt weiter Früchte. Kleine Betriebe - ich denke an das Beispiel einer privaten Hamburger Baumschule -, Landwirte - ich denke an ein Beispiel aus dem Saarland - und Familien erinnerten sich an kleine Gruppen von Zwangsarbeitern, selbst an ein ukrainisches Hausmädchen, und zogen im Dialog mit mir, der Stiftungsinitiative oder mit der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ daraus moralische und materielle Konsequenzen. Die veröffentlichte Meinung in Deutschland stand in dieser Frage eindeutig aufseiten des Bundestages, der Bundesregierung und meistens auch der deutschen Wirtschaft. In den meisten der vielleicht 2 000 Briefe, die mich erreichten, wurde Anerkennung zum Ausdruck gebracht. Die vielen Beweise der Zustimmung haben mich bei meiner Arbeit ermutigt, so der Taxifahrer in Berlin oder die Lufthansa-Stewardess während des x-ten Fluges nach Washington. Meine Damen und Herren, wir sollten uns aber dennoch keinen Illusionen hingeben. Zu tief sind die Wunden, die Krieg und Vertreibung auch bei unseren Landsleuten hinterlassen haben. Zu groß ist das menschliche Bedürfnis, Vergangenes zu verdrängen und zu vergessen. Auch wenn ich selbst bei dieser Arbeit von Ausländerfeindlichkeit und Antisemitismus wenig erfahren habe, es gibt das leider auch in Deutschland. Wegsehen hilft da nicht. ({3}) Wir alle müssen dem entgegenwirken. Deswegen ist der Zukunftsfonds, den wir mit 700 Millionen DM versehen haben, so wichtig. Meine Damen und Herren, in den zweijährigen Verhandlungen ging es um zweierlei: erstens auf eine moralische und politische Last der deutschen Vergangenheit eine angemessene Antwort zu finden, zweitens das Ansehen der deutschen Wirtschaft in der Welt und die transatlantischen wirtschaftlichen und politischen Beziehungen vor weiterem Schaden zu bewahren. Ich glaube, beides ist im Rahmen des wirtschaftlich und politisch Möglichen gelungen. Dieser Lösung - das ist für mich das eigentliche Wunder - haben zum Schluss alle zugestimmt: die maßgeblichen Kräfte der deutschen Wirtschaft unter der Führung von Dr. Manfred Gentz, die US-Regierung, bis zum Januar 2001 vertreten durch meinen langjährigen Bekannten Stuart Eizenstat, jetzt vertreten durch Vize-Außenminister Richard Armitage - einige persönliche und briefliche Kontakte haben mich von der vollen Loyalität der neuen Administration gegenüber allen Verpflichtungen der früheren Administration in diesem Bereich überzeugt; der Bundeskanzler hat hier auch den amerikanischen Präsidenten zitiert -, die Regierungen Polens, Russlands, der Tschechischen Republik, Weißrusslands und der Ukraine, die Regierung des Staates Israel und die Claims Conference als maßgeblicher Vertreter der Sklavenarbeiter und nicht zuletzt die von Professor Neuborne koordinierten amerikanischen Klägeranwälte. Dass 23 Class Action Lawyers hier in Berlin die gemeinsame Erklärung unterschrieben haben, grenzt, wie gesagt, an ein Wunder. Die Entsendung von Professor Neuborne in das Kuratorium der Stiftung hat sich als besonders glücklicher Schritt erwiesen. Dieser Konsens, trotz aller möglichen Vorbehalte, ist ein hohes politisches Gut, das die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ im Kuratorium unter Leitung von Botschafter Kastrup und durch den Vorstand aus Dr. Jansen, Dr. Bräutigam und Botschafter Primor erhalten muss. Der Deutsche Bundestag, und dabei vor allem Beauftragter des Bundeskanzlers Dr. Otto Graf Lambsdorff seine Mitglieder Herr Beck, Herr Bosbach, Frau Jelpke, Herr Reuter und Herr Stadler, wird sicherlich darüber wachen, dass diese Gemeinsamkeit der Überzeugungen erhalten bleibt. ({4}) In dieser Stunde, meine Damen und Herren, gedenken wir der Sklaven und Zwangsarbeiter, Menschen, die Deutsche vor mehr als zwei Generationen in ihrer Menschenwürde verletzten, ihrer Arbeitskraft und Jahre ihrer Jugend beraubten. Wir denken vor allem an diejenigen, die verstorben sind, für die unsere Bemühungen Jahrzehnte zu spät gekommen sind. Meine Aufgabe, Herr Bundeskanzler, ist damit im Wesentlichen beendet. Ich habe sie aus meiner Verantwortung als deutscher Staatsbürger übernommen und, wenn auch mit vielen Mühen, mit großer Befriedigung bis zum heutigen Punkt geführt. Ich danke Ihnen für Ihr Vertrauen und danke dem Deutschen Bundestag in all seinen Fraktionen für die wirklich unerschütterliche Unterstützung auch in schwierigen Phasen in den letzten zwei Jahren. Ihnen, Herr Bundeskanzler, herzlichen Dank für Ihre freundlichen Worte hier an dieser Stelle. Ich bin vielen Menschen für ihre Hilfe, ihren Rat, ihre Begleitung Dank schuldig. Ich kann in dieser Stunde nur wenige nennen. Bundespräsident Rau hat mit seiner Erklärung vom 17. Dezember 1999 die moralische und historische Verantwortung der Deutschen in den Mittelpunkt unserer Anstrengungen gestellt. Dr. Manfred Gentz und Stuart Eizenstat haben immer wieder Lösungen für schwierige Probleme gefunden, weil sie ein Ergebnis wollten. Die Verhandlungsführer der mittel- und osteuropäischen Staaten haben es fertig gebracht, einen Aufteilungsschlüssel über den auf sie entfallenden Betrag unter sich zu vereinbaren. Das wäre für mich eine nahezu unlösbare Aufgabe geworden. Der frühere US-Außenminister Lawrence Eagleburger hat in einer entscheidenden Frage das Zustandekommen der Stiftung ermöglicht. Ohne die unermüdliche Mitarbeit von Michael Geier vom Auswärtigen Amt hätte ich das alles nie geschafft. Arbeitsstab nannte sich das Ganze ziemlich pompös. Der Arbeitsstab war im Wesentlichen eine Person: Michael Geier. ({5}) Ich habe mich gefreut, Herr Bundeskanzler, dass Sie mir eben sagten, in der heutigen Kabinettsitzung sei seine Beförderung beschlossen worden. Das hat er wahrlich verdient. ({6}) Ständiger Gesprächspartner von Herrn Geier war der amerikanische Sonderbotschafter J. D. Bindenagel, vielen von uns als Stellvertreter des amerikanischen Botschafters bekannt. Das war noch zu Bonner Zeiten so; aber er hat auch in Berlin amtiert, und zwar schon vor der Wende. Ich weiß, dass unser Freund Bindenagel hier auf der Tribüne sitzt. Zwar darf man ihn nach den Regeln des Bundestages nicht ansprechen; dennoch darf ich sagen: Ich freue mich, dass er hier ist. ({7}) Wer sich von den konstruktiven Beiträgen Bindenagels ein Bild machen will, der lese die heutigen Ausgaben der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ und der „Financial Times Deutschland“. Ich mache keine Werbung für die Zeitungen, sondern für den Interviewten. ({8}) Ihnen allen, die ich hier genannt habe, und vielen anderen danke ich, nicht zuletzt dem früheren US-Präsidenten Bill Clinton und Bundeskanzler Schröder. Aber, meine Damen und Herren, ich habe mich auch zu entschuldigen: bei denen, für die unsere Arbeit zu lange gedauert hat. Die Verzögerungen waren und sind schmerzlich, weil wir viele der Opfer nicht mehr lebend erreichen konnten. Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen, meine Herren, erlauben Sie mir eine Schlussbemerkung, auch wenn ich mich damit wiederhole. Wir haben uns bemüht, einen finanziellen Schlussstrich unter das dunkelste Kapitel unserer Geschichte zu ziehen - einen finanziellen Schlussstrich. Einen moralischen Schlussstrich kann und darf es nicht geben. ({9}) Nur wenn wir das einsehen, dann kann es für unser Land den Weg aus einer dunklen Vergangenheit in eine helle Zukunft geben. Vielen Dank. ({10})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Graf Lambsdorff, ich darf Ihnen im Namen des ganzen Hauses unseren Dank und unseren Respekt für Ihre Arbeit, für Ihr großes Engagement aussprechen. Herzlichen Dank! ({0}) Ich erteile nun dem Kollegen Wolfgang Bosbach, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

Wolfgang Bosbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002632, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute ist ein guter Tag. Das gilt für viele Opfer des Naziterrors ebenso wie für uns alle. Der interfraktionelle Antrag zur Feststellung ausreichender Rechtssicherheit für deutsche Unternehmen ist zwar kurz und schlicht formuliert, aber von großer Bedeutung. Die entscheidenden Sätze lauten: Der Deutsche Bundestag stellt fest, dass ausreichende Rechtssicherheit gemäß § 17 Absatz 2 des Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ hergestellt ist. Die Stiftung ... wird daher ermächtigt, den Partnerorganisationen ... Stiftungsmittel zur Verfügung zu stellen. Dieser Beschluss ist die Voraussetzung dafür, dass die Bundesstiftung und ihre Partnerorganisationen nunmehr - nach monatelangen, teils quälenden Entscheidungsprozessen und schier endlosen Debatten - endlich mit ihrer Beauftragter des Bundeskanzlers Dr. Otto Graf Lambsdorff eigentlichen Arbeit beginnen können. Es ist zunächst ein guter Tag für einen Teil der Opfer: für die heute noch lebenden ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter. Sie wurden verschleppt, entrechtet, misshandelt und ausgebeutet. Endlich, über 56 Jahre nach dem Ende der Nazibarbarei, können sie nun damit rechnen, schon in kurzer Zeit die ihnen zustehenden Leistungen zu erhalten. Spät, für viele leider zu spät, soll ihnen in Form einer humanitären Geste zumindest ein Stück Gerechtigkeit und Wiedergutmachung zuteil werden. Dies gilt insbesondere für jene Opfer, die bis heute die umfangreichen Entschädigungs- und Wiedergutmachungsleistungen der Bundesrepublik Deutschland nicht in Anspruch nehmen konnten. Leider konnte in den vergangenen Wochen der Eindruck entstehen, als würde erst jetzt mit der Entschädigung für NS-Unrecht begonnen. Richtig ist, dass die Stiftungsinitiative an das Entschädigungs- und Versöhnungswerk anknüpft, das schon Anfang der 50er-Jahre von Bundeskanzler Konrad Adenauer begründet wurde. Leider gab es in letzter Zeit nur wenige Veröffentlichungen, in denen darauf hingewiesen wurde, dass die Bundesrepublik in den vergangenen Jahrzehnten bereits weit über 100 Milliarden DM an Wiedergutmachungsleistungen erbracht hat und dass wir auch zukünftig - unabhängig von der Bundesstiftung für die Entschädigung von NS-Zwangsarbeit - auf der Basis geltenden Rechts weitere erhebliche Leistungen erbringen werden. Es muss erlaubt sein, heute auch darauf hinzuweisen, dass sich unser Land in den vergangenen Jahrzehnten redlich und ernsthaft darum bemüht hat, die dunkelsten Kapitel seiner Geschichte nicht zu verdrängen oder gar zu vergessen, sondern aufzuarbeiten und aus ihnen für die Zukunft notwendige Konsequenzen zu ziehen. Wir haben den Worten stets auch Taten folgen lassen. Einen Schlussstrich unter das dunkelste Kapitel unserer Geschichte, die Verbrechen der Nazityrannei, und die sich daraus ergebende besondere historische Verantwortung unseres Landes, insbesondere gegenüber den noch lebenden Opfern des Naziterrors, kann und darf es nicht geben. ({0}) Von dieser besonderen historischen Verantwortung können wir uns nicht befreien - nicht durch Worte und nicht durch Geld. Aber dies kann im Umkehrschluss nicht bedeuten, dass wir nun Jahr für Jahr neue Entschädigungsdebatten beginnen und damit fast zwangsläufig bei vielen Menschen in vielen Ländern der Erde Hoffnungen erwecken, die wir nicht erfüllen können. Vor diesem Hintergrund ist es auch ein Ziel der Bundesstiftung für die Entschädigung von Zwangsarbeit, das Kapitel „Finanzielle Entschädigung für NS-Unrecht“ abzuschließen. Es ist aber auch ein guter Tag für uns alle; denn wir wollen und können jetzt den Blick nach vorne in eine gute Zukunft richten. Deswegen ist der Zukunftsfonds, den Graf Lambsdorff gerade angesprochen hat, von überragender Bedeutung. Ausgestattet mit einem Vermögen von 700 Millionen DM muss er jetzt mit Leben erfüllt werden: mit konkreten Projekten, von denen vor allem junge Menschen profitieren sollten. Ebenso wenig, wie die individuellen Entschädigungsleistungen zweckwidrig verwandt werden dürfen, darf das Vermögen des Zukunftsfonds zweckwidrig eingesetzt werden. Das Vermögen soll der Völkerverständigung, der Pflege der Beziehungen zu überlebenden Opfern, dem Austausch von Schülern und Studenten sowie dem Kampf gegen extremistisches und rassistisches Gedankengut und gegen totalitäre Systeme aller Art dienen. Leider spielt dieser Fonds in der Öffentlichkeit kaum eine Rolle, obwohl gerade er für die Zukunft wichtig ist. Dass wir heute diesen wichtigen Beschluss fassen können, verdanken wir nicht zuletzt Ihnen, lieber Graf Lambsdorff. Sie und Ihre Verhandlungsführung sind in den vergangenen Wochen und Monaten mehrfach und zu Recht gelobt worden. Auch die CDU/CSU-Bundestagsfraktion dankt Ihnen von Herzen für Ihr unermüdliches Engagement. ({1}) Ihnen und Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern war kein Weg zu weit und kein Problem zu kompliziert. Sie waren zur richtigen Zeit der richtige Mann am richtigen Ort. Nicht nur die Opfer, sondern auch unser Land haben Ihnen viel zu verdanken. Wir fassen heute einen wichtigen Beschluss. Aber wir sind noch lange nicht am Ziel - noch lange nicht. Im Grunde beginnen wir erst jetzt mit der eigentlichen Arbeit. Haben wir in der Vergangenheit nicht schon zu viel, zu laut und auch zu früh gefeiert? Zunächst wurde die Einigung über die Höhe des Stiftungsvermögens bejubelt, dann der Allokationsbeschluss und danach die gemeinsame Erklärung aller Verhandlungspartner. Das waren in der Tat wichtige Schritte auf dem Weg zum Ziel. Aber erreicht haben wir das Ziel noch lange nicht. Das Ziel haben wir erst dann erreicht, wenn die Opfer, die ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, die ihnen zustehenden Leistungen erhalten haben, und zwar in voller Höhe. ({2}) Nichts wäre schlimmer und würde das Stiftungswerk und den Stiftungszweck mehr diskreditieren als eine zweckwidrige Verwendung der Stiftungsmittel. Die Verantwortung dafür, dass die Mittel nicht in irgendwelchen Administrationen versickern, tragen die Bundesstiftung und die Partnerorganisationen in gleicher Weise. Nicht alleine gegenüber dem deutschen Steuerzahler, der mit circa 7,5 Milliarden DM belastet wird, sondern auch und in erster Linie gegenüber den Opfern der Nazidiktatur. Zu den Zielen der Stiftung gehört aber auch ein dauerhafter und umfassender Rechtsfrieden für deutsche Unternehmen in den USA. Wenn wir heute „ausreichende Rechtssicherheit“ feststellen, bedeutet das leider nicht, dass schon jetzt von einem dauerhaften und umfassenden Rechtsfrieden im Sinne der internationalen Vereinbarungen gesprochen werden kann. Es sind immer noch Klagen gegen deutsche Unternehmen in den USA anhängig. Neue Klagen sind angedroht und immer noch gibt es - zumindest in einzelnen US-Bundesstaaten - legislative und administrative Behinderungen für deutsche Unternehmen auf dem amerikanischen Markt. Die deutsche Wirtschaft weist aus guten Gründen auf diese Umstände hin. Die Stiftungsinitiative hat zwar stets betont, dass sie in der Gewährung der Stiftungsmittel eine humanitäre, auf die Aussöhnung und Verständigung gerichtete Maßnahme sieht, gleichzeitig hat sie aber auch deutlich gemacht, dass sie die Hälfte des Stiftungsvermögens nur unter der Bedingung zur Verfügung stellt, dass im Gegenzug in den USA für die deutsche Wirtschaft ein ausreichendes Maß an Rechtssicherheit und Rechtsfrieden gewährleistet wird. Das war auch die Geschäftsgrundlage, auf der die Stiftungsinitiative in der deutschen Wirtschaft für Beiträge geworben hat. Diese Forderung ist von allen Verhandlungspartnern, auch von den beteiligten Klägeranwälten, akzeptiert worden. Sie findet sich im deutsch-amerikanischen Regierungsabkommen ebenso wieder wie in der gemeinsamen Erklärung vom 17. Juli des vergangenen Jahres. Die deutsche Wirtschaft ist in den vergangenen Monaten für ihr Verhalten oft und kräftig kritisiert worden, gelegentlich sogar zu Recht. Man kann sie jetzt aber nicht auch noch dafür kritisieren, dass sie darauf besteht, dass die ihr gegenüber abgegebenen Erklärungen und vertraglichen Vereinbarungen eingehalten werden. Verträge machen nur dann Sinn, wenn sich alle Vertragspartner in gleicher Weise an die getroffenen Vereinbarungen gebunden fühlen. ({3}) Meine Damen und Herren, die Stiftungsinitiative sollte bedenken, dass es gut wäre, wenn nicht schon unmittelbar nach dem heutigen Tag neue Kontroversen ausgetragen werden. Daher wäre es wichtig, dass der von der Stiftungsinitiative zugesagte Betrag von 5,1 Milliarden DM rasch an die Bundesstiftung gezahlt wird, und zwar mit allen Zinsen. ({4}) Wer an die Stiftungsinitiative gezahlt hat, der wollte den Stiftungszweck unterstützen. Zweck der Stiftung kann es aber nicht sein, Zinsen zu erwirtschaften. Auch diese sollten daher den Opfern zugute kommen. ({5}) Mit großem Interesse haben viele unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger in den vergangenen Monaten die Diskussionen und Verhandlungen über die Entschädigung für ehemalige Zwangsarbeiter verfolgt. Auch die heutige Debatte werden sie mit großer Aufmerksamkeit begleiten. Dies gilt besonders für jene Mitbürger, die früher selber verschleppt, gequält und unter unvorstellbar grausamen Bedingungen in der Sowjetunion oder in anderen Staaten Zwangsarbeit verrichten mussten. Auch an ihr Schicksal, das in der öffentlichen Berichterstattung kaum eine Rolle spielt, sollten wir heute einmal erinnern. Es geht dabei nicht um Aufrechnung. Es muss aber erlaubt sein, darauf hinzuweisen, dass auch viele Deutsche Opfer von Ausbeutung unter in jeder Hinsicht unmenschlichen Bedingungen waren. ({6}) Diese Opfer, unsere Mitbürger, werden wissen, dass es ihnen so gut wie unmöglich ist, durch die Einreichung oder Androhung von Klagen in anderen Ländern Druck auszuüben, um auf diese Weise eine finanzielle Entschädigung zu erhalten. Dieser Umstand ändert aber an der Schwere des erlittenen Schicksals nichts. Deshalb gilt, dass auch ehemalige deutsche Zwangsarbeiter - so wie alle anderen Opfer von Unmenschlichkeit und Tyrannei ein Recht auf eine humanitäre Geste haben. Die Bundesregierung hat uns vor wenigen Tagen mitgeteilt, dass sie nicht daran denke, diesbezüglich mit anderen Staaten in Gespräche oder gar Verhandlungen einzutreten. Dies müssen die betroffenen Menschen als Brüskierung empfinden. ({7}) Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen sollten ihre Haltung überdenken. Waren die ehemaligen deutschen Zwangsarbeiter nicht auch Opfer von Unmenschlichkeit, haben sie nicht auch ein ähnlich schweres Schicksal erlitten? Wenn auch ihnen in gleicher Weise ein Stück Gerechtigkeit und Wiedergutmachung zuteil würde, wäre das ein weiterer guter Tag. ({8})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Peter Struck, SPD-Fraktion.

Dr. Peter Struck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002278, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident. Meine Damen und Herren! Wir dürfen mit Fug und Recht sagen: Dies ist eine bedeutende Stunde des deutschen Parlaments. Mit unserem heutigen Beschluss machen wir deutlich, dass wir uns der Verantwortung für unsere Geschichte bewusst sind. Es gilt heute vielen zu danken, die das Zustandekommen dieser Lösung möglich gemacht haben. Bevor ich das tue, möchte ich aber zunächst vor allem an die Opfer, die Zwangsarbeiter, denken und ihnen für die Geduld danken, mit der sie das zähe Ringen um eine tragfähige, rechtlich sichere Vereinbarung ertragen haben. ({0}) Bei der Freude darüber, jetzt endlich mit der Zahlung an etwa 1,5 Millionen ehemalige Zwangsarbeiter beginnen zu können, sollten wir gerade heute aber nicht vergessen, dass ungezählte Opfer dieses Zeichen der Wiedergutmachung nicht mehr erlebt haben. Ihnen gilt unsere Erinnerung. Und wir haben Anlass - wie es Bundespräsident Johannes Rau schon bei der Einigung über die Höhe des Stiftungsvermögens im Dezember 1999 getan hat Wolfgang Bosbach alle, die unter deutscher Herrschaft Sklavenarbeit und Zwangsarbeit leisten mussten, auch von dieser Stelle aus heute um Vergebung zu bitten. Ich stimme ausdrücklich Graf Lambsdorff zu: Wenn wir heute parlamentarisch einen finanziellen Schlussstrich - einen finanziellen - unter das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte ziehen, müssen wir gleichzeitig deutlich machen, dass es einen moralischen Schlussstrich niemals geben darf. ({1}) Gerade um das zu beweisen, ist die heutige Entscheidung so wichtig. Die deutsche Politik und die deutsche Wirtschaft machen klar, dass sie sich auch nach mehr als einem halben Jahrhundert nach dem Naziterror der moralischen Pflicht nicht entziehen, die aus dem damaligen Unrecht erwachsen ist. Ich danke ganz besonders Bundeskanzler Gerhard Schröder dafür, dass er die widerstreitenden Interessen zusammengeführt hat. Ohne seinen Einsatz - auch bei der amerikanischen Administration -, seine Beharrlichkeit und seinen unbedingten Willen zum Konsens wäre dieses Ergebnis nicht möglich gewesen. ({2}) Graf Lambsdorff, Sie haben dankende Worte des Bundeskanzlers und meines Kollegen Bosbach erfahren. Natürlich schließe ich mich ihnen an. Ob Sie, Graf Lambsdorff, in der Tat nicht doch noch einmal gebraucht werden - für welche Aufgabe auch immer - wollen wir dahingestellt sein lassen. ({3}) Das, was Sie geleistet haben, ist vom Bundeskanzler richtig gewürdigt worden. ({4}) Ich möchte an dieser Stelle aber auch nicht vergessen, ganz besonders meinen Fraktionskollegen Bernd Reuter zu nennen, der mit mir seit 1980 im Deutschen Bundestag ist und seit diesem Zeitpunkt an dieser Aufgabe gearbeitet hat. Ich danke ihm ausdrücklich dafür. ({5}) Lieber Bernd Reuter, ich glaube, du kannst stolz darauf sein, dass diese Regierung, diese rot-grüne Koalition, das geschafft hat, was alle Vorgängerregierungen nicht geschafft bzw. versäumt haben. ({6}) Daran haben - das möchte ich ausdrücklich erwähnen die Berichterstatter aller Fraktionen - Volker Beck, Wolfgang Bosbach, Ulla Jelpke und Max Stadler - engagiert mitgearbeitet. Auch ihnen gilt mein herzlicher Dank. ({7}) Die Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft hat in den letzten Monaten Beachtliches geleistet. Trotz mancher Anfechtungen habe ich niemals Zweifel an der Lauterkeit des Bemühens gehabt. Die Anstrengungen von Herrn Gentz und anderen - das sollten wir nicht vergessen - haben die größte Sammelaktion der deutschen Wirtschaft zuwege gebracht. Damit haben die beteiligten Unternehmen sich, aber auch dem Ansehen Deutschlands sehr geholfen. Ich freue mich, dass nicht nur Michael Jansen, der Vorstandsvorsitzende der Stiftung, diese Debatte verfolgt. Mit ihm sind viele Repräsentanten der Partnerstiftungen in Russland, Weißrussland, der Ukraine, Polen, Tschechien und auch Vertreter des Jewish Council anwesend. Ich begrüße Sie alle ganz herzlich und habe die Bitte: Helfen Sie mit, dass wir jetzt unverzüglich mit der Auszahlung an alle Betroffenen beginnen können! Viele Anträge sind in den Ländern der Betroffenen noch nicht bearbeitet. Lediglich in Polen und Tschechien sind die Vorarbeiten der Partnerorganisationen weit vorangeschritten, sodass dem voraussichtlichen Zahlungsbeginn Ende des Monats dort nichts im Wege steht. Ich habe Verständnis für diejenigen, die sich für eine Verlängerung der Antragsfrist aussprechen. Ob sie nötig sein wird, werden wir rechtzeitig entscheiden müssen. Aber wir sollten auch bedenken, dass wir deshalb immer auf eine schnelle Lösung gedrängt haben, weil wir den teilweise hochbetagten Opfern noch Wiedergutmachung zukommen lassen wollten. Ich halte es für wichtig, dass alle Fraktionen diese Entscheidung mittragen. Es ist für unsere Nachbarn und Partner ein bedeutendes Zeichen, dass sich das Parlament als Ganzes seiner moralischen Verantwortung für die Geschichte bewusst ist. ({8})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Volker Beck, Bündnis 90/Die Grünen.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist eine historische Stunde: Der Deutsche Bundestag stellt fest, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für den Beginn der Entschädigungsauszahlungen gegeben sind. Mit dem heutigen Beschluss des Bundestages ist der Weg für die Entschädigung der noch lebenden Zwangs- und Sklavenarbeiter endlich frei. 56 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges erkennt Deutschland das Unrecht der Zwangsarbeit als solches an und zieht daraus die richtige Konsequenz: die Entschädigung der Opfer. Mit dieser humanitären Geste können wir das Unrecht nicht wieder gutmachen. Aber wir können den Menschen ganz konkret helfen, die von Deutschland und durch Deutsche so viel erleiden mussten. Ich muss Ihnen sagen: Ich bin unendlich erleichtert, dass die Opfer jetzt ihr Geld bekommen. In spätestens vier Wochen werden die ersten Zahlungen bei den ehemaligen Zwangsarbeitern ankommen. Ich war in den letzten Wochen nicht sicher, ob wir dies auf dem Weg, den wir eingeschlagen hatten, überhaupt schaffen würden. Das hat mich mit großer Sorge erfüllt. Wenn ich die Vertreter der osteuropäischen Verbände oder der Jewish Claims Conference sah und ihnen noch immer nicht sagen konnte, wann das Geld endlich an die Opfer gezahlt wird - diese Opfervertreter waren zu Hause selber unter Druck -, dann war das eine peinliche, beschämende und traurige Situation. Ich hoffe trotzdem, dass die Zwangsarbeiter die humanitäre Geste dieser Entschädigungsleistung als dargereichte Hand Deutschlands zur Versöhnung, zur Entschuldigung für das ihnen zugefügte Unrecht annehmen. Möge dieses große Entschädigungswerk, das wir heute abschließen, einen Beitrag zur Versöhnung und zu nachhaltigem Frieden auf dem europäischen Kontinent leisten. ({0}) Aber bei aller Erleichterung: Am heutigen Tag gehen einem auch einige bittere Gedanken durch den Kopf. Viele Opfer sind verstorben, bevor sich Bundesregierung und deutsche Wirtschaft 1998 zur Entschädigung bereit gefunden haben. Zwei Jahre lang haben wir zäh verhandelt, bis im Sommer 2000 internationale Vereinbarungen und das Stiftungsgesetz verabschiedet werden konnten. Seitdem ist nun schon wieder fast ein ganzes Jahr vergangen, ein Jahr, in dem nach Angaben der Opferverbände an jedem Tag 200 Berechtigte gestorben sind. Für sie kommt der heutige Beschluss zu spät. Dies bedauern wir zutiefst. Die Diskussion in den letzten Wochen hat das Anliegen der Bundesstiftung manchmal schon fast vergessen lassen. Um es noch einmal klar und deutlich zu sagen: Der Stiftungszweck heißt nicht Herstellung der Rechtssicherheit für deutsche Unternehmen; gleichwohl ist das ein wichtiges Anliegen des Bundestages. Die Stiftung dient vielmehr vorrangig der Entschädigung der Opfer des Nationalsozialismus. ({1}) Es geht uns als Deutschem Bundestag um die Übernahme von Verantwortung für historisches Unrecht. 15 Jahre lang haben wir Grünen im Parlament für diese Entschädigung gestritten. Bis 1998 haben alle Bundesregierungen rechtlich und politisch gegen diese Entschädigung der Zwangsarbeiter argumentiert. Ich möchte an dieser Stelle meinen Kollegen Christian Ströbele und Antje Vollmer danken, die diese Arbeit in den 80er-Jahren begonnen haben, die dann von Wolfgang Ullmann und Ingrid Köppe fortgesetzt wurde. Ich glaube, ihnen gebührt Dank dafür, dass wir dieses Thema nicht aus dem Gedächtnis verloren haben und dass wir an dieser Front keine Ruhe hatten. Ansonsten wären wir heute vielleicht nicht so weit gekommen. ({2}) Auch Appelle des Deutschen Bundestages und des Europäischen Parlamentes an die Wirtschaft hatten in den 80er-Jahren nichts erreichen können. Erst nach der Bundestagswahl 1998 und nach den Sammelklagen in den USA ist bei Politik und Wirtschaft eine neue Situation eingetreten. Wir können heute sagen: Wir haben wirklich viel erreicht und es war ein langer, zäher, beschwerlicher und trauriger Weg. Ich bin besonders froh, dass unser Freund Alfred Hauser, der in den 80er-Jahren die Interessengemeinschaft der Zwangsarbeiter in Deutschland gegründet hat, diesen Tag noch erleben kann, obwohl er alt und gebrechlich ist. Wir können feststellen: Seine Arbeit für die Menschen, die mit ihm unter dem Zwangsarbeiterprogramm gelitten haben - ob sie aus dem Ausland kamen oder als Deutsche Zwangsarbeit leisten mussten -, hat sich gelohnt. Vielen Dank, Alfred! ({3}) Ich möchte mich auch bei den Unternehmen bedanken, die sich der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft freiwillig angeschlossen haben. Sie haben damit gezeigt: Ein großer Teil der deutschen Wirtschaft sieht seine historische Verantwortung. Besonders stolz bin ich dabei auf die Unternehmen, die nach 1945 gegründet wurden und die selber offensichtlich nicht unmittelbar vom Zwangsarbeiterprogramm profitiert haben, die aber sagen: Als Teil der deutschen Wirtschaft ist die Entschädigung unsere gemeinsame Verantwortung. Das verdient besondere Anerkennung. ({4}) Aber an einem solchen Tag muss man auch fragen: Besteht die deutsche Wirtschaft nur aus 6 300 Unternehmen? Ist unser Land wirtschaftlich wirklich so schwach oder haben wir nicht noch viel mehr kleine, mittlere und große Unternehmen, die sich an diesem Werk beteiligen könnten? ({5}) Wo sind die Fuldaer Reifenwerke? Wo ist Dallmayr aus München, Haribo aus Bonn oder der große Bauer-Verlag? Warum sind sie der Stiftungsinitiative noch nicht beigetreten? Es ist noch nicht zu spät. Denn wir werden noch viel mehr Geld brauchen als das, was wir jetzt haben, um der von Herrn Bosbach erhobenen Forderung, dass alle den vollen Betrag, auf den sie Anspruch haben, bekommen, tatsächlich gerecht zu werden. Ich appelliere heute an die Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft - im vorliegenden Antrag wird dies in gewisser Weise auch getan -, jetzt ohne jedes Zaudern und Zögern, ohne erneutes Fechten um Termine und ohne Feilschen um Zinsen unverzüglich die gesamten 5 Milliarden DM und mindestens 100 Millionen DM Zinsen an die Bundesstiftung zu überweisen. Es ist das Geld der OpVolker Beck ({6}) fer. Lassen Sie uns diese große Leistung nicht durch kleinliche Debatten im Nachgang minimieren. ({7}) Meine Damen und Herren, wir als Bundestag haben in dieser Debatte um die Entschädigung der Zwangsarbeiter noch drei Aufgaben. Wir müssen aus humanitären und aus rechtlichen Gründen noch vor der Sommerpause die im Stiftungsgesetz festgesetzten Antragsfristen verlängern. Die Richtlinien im Vermögensbereich, nach denen bestimmt wird, wer überhaupt etwas bekommt, sind noch gar nicht veröffentlicht, zum Teil noch nicht einmal beschlossen. Wir können nicht am 13. August sagen: Bis zum 12. August hättet ihr Anträge stellen müssen; jetzt sagen wir euch, ob ihr etwas bekommen hättet. Da müssen wir handeln. Wir müssen dies auch aus humanitären Gründen tun. Viele Opfer haben nicht einmal gewusst, ob es tatsächlich einmal Geld gibt, und mit ihrem Antrag gewartet. Die meisten Opfer, das erzählen uns die Praktiker aus dem Bereich der Entschädigung, stellen dann ihren Antrag, wenn sie hören, dass Leidensgenossen bereits Geld bekommen haben. Deshalb sollten wir mindestens bis zum Jahresende jedem die Chance geben, sein Anliegen vorzubringen. ({8}) Wir als Kuratoren, aber auch der ganze Deutsche Bundestag müssen den Stiftungsvorstand dabei unterstützen, darüber zu wachen, dass die Auszahlung tatsächlich bei den Opfern und nur bei den Opfern ankommt, ohne einen großen Popanz an Bürokratie aufzubauen. Ich glaube, hier können wir mit der Unterstützung des ganzen Hauses rechnen. Wir werden darauf achten müssen, dass der so genannte „Rest der Welt“, die nicht jüdischen Opfer außerhalb von Polen, Tschechien und GUS, bei der Höhe der Auszahlung nicht benachteiligt werden. Wir haben uns die Welt beim Stiftungsgesetz und bei den Verhandlungen zum Teil zulasten Dritter schöngerechnet und schöngeredet. Es darf nicht dazu kommen, dass es vom Wohnsitz abhängt, wie viel Geld man bekommt. Deshalb auch der Appell an die Bürgerinnen und Bürger draußen im Lande: Jetzt ist die Zahlung frei. Wer sich engagieren will, kann diese Bundesstiftung durch Zustiftungen aufstocken. Dann können wir den Opfern noch mehr helfen. Wir als Bundestag müssen uns, wenn wir - vielleicht in einem Jahr - Bilanz ziehen, fragen, wie viele Berechtigte wir tatsächlich haben und ob wir noch einmal helfen müssen. Meine Damen und Herren, zum Schluss möchte auch ich ganz besonders Graf Lambsdorff und seinem Arbeitsstab danken, dessen Leistungen wirklich riesig waren. Ich bin froh, dass wir heute sagen können: Den größten Teil der Arbeit haben Sie hinter sich gebracht. Wir haben jetzt die Arbeit an Herrn Bräutigam, Herrn Jansen und Herrn Primor vom Stiftungsvorstand weitergegeben. Sie haben jetzt einen Riesenberg von Arbeit vor sich, um die Entschädigungszahlungen abzuwickeln, zusammen mit Dr. Brozik von der Jewish Claims Conference, mit den Vorsitzenden der Partnerorganisationen aus Osteuropa und der IOM. Wir wünschen ihnen dabei eine glückliche Hand. Sie können bei dieser Arbeit immer auf die Unterstützung des ganzen Deutschen Bundestages bauen. ({9})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Max Stadler, F.D.P.-Fraktion.

Dr. Max Stadler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002805, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag hat immer das Versprechen abgegeben, die Stiftungsmittel schnellstmöglich für die Auszahlung an die Opfer freizugeben, sobald die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen. Es hat leider lange gedauert, bis die im Stiftungsgesetz geforderte ausreichende Rechtssicherheit gegeben war - beinahe zu lange für die ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, beinahe zu lange für das Ansehen der deutschen Wirtschaft und der deutschen Politik in der Weltöffentlichkeit. Der Streit um die Rechtssicherheit war so sehr in das Zentrum der öffentlichen Auseinandersetzung gerückt, dass die große Leistung, Politik und Wirtschaft in einer gemeinsamen Bundesstiftung zusammengeführt zu haben, zu verblassen drohte. Deshalb war unsere Erleichterung über die jüngste Entwicklung bei den Sammelklagen groß. Jetzt kann guten Gewissens von ausreichender Rechtssicherheit im Sinne des Stiftungsgesetzes gesprochen werden. Damit kann der Deutsche Bundestag, der in den beiden letzten Debatten die Opfer und die Öffentlichkeit immer wieder um Geduld bitten musste, heute endlich das lange erhoffte positive Signal setzen: Der Weg für die Auszahlung der symbolischen Entschädigungsleistungen ist frei. ({0}) Meine Damen und Herren, es wäre unehrlich, zu leugnen, dass es noch unterschiedliche Auffassungen über Detailfragen gibt. Aber diese Fragen sind nicht das zentrale Thema der heutigen Debatte. Sie werden zu gegebener Zeit und am gegebenen Ort - zum Beispiel im Kuratorium der Stiftung - diskutiert werden. Ich bin davon überzeugt, dass der finanzielle Beitrag der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft demnächst bei der Bundesstiftung eingehen wird. Die Probleme hinsichtlich der Verlängerung von Antragslisten, der Zinsen und der bürokratischen Hemmnisse, die es vielleicht noch zu bewältigen gibt, werden gelöst werden. Dies ist zwar wichtig, aber es sind eben doch nur Nebenaspekte, genau wie die Vorgeschichte, die gerade noch einmal apostrophiert worden ist. Die zentrale Botschaft von heute ist eben eine andere, nämlich die: Alle Fraktionen des Deutschen Bundestages, Volker Beck ({1}) die Bundesregierung und die Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft sind sich darin einig, dass nun unverzüglich mit den Auszahlungen an die Opfer begonnen werden kann. ({2}) Damit hat dieses schwierige Projekt die letzte große Hürde genommen, wofür die F.D.P.-Fraktion natürlich insbesondere dem Beauftragten des Bundeskanzlers, Dr. Otto Graf Lambsdorff, sehr herzlich dankt. ({3}) Wir schließen uns den ehrenden Worten des Bundeskanzlers und der anderen Redner an. Dass es zu der heutigen einvernehmlichen Beschlussfassung nun doch kommt, ist vor allem das Verdienst von Otto Graf Lambsdorff. Diesen Beschluss herbeizuführen war indes nicht so problemlos, wie die heutige allgemeine Übereinstimmung suggerieren könnte. Die Fraktionen des Deutschen Bundestages waren sich ihrer Verantwortung auch für das Ansehen Deutschlands in der Welt bei diesem Projekt stets bewusst. Deswegen haben wir bei dieser Problematik ganz bewusst auf eine parteipolitische Auseinandersetzung verzichtet; ich will mich auch heute daran halten. Es darf aber doch festgestellt werden, dass in der entscheidenden Phase vor etwa zwei Wochen manche Kollegen - aus verständlichen Gründen - hinsichtlich des weiteren Vorgehens vorsichtig und zögerlich gewesen sind. Die F.D.P.-Fraktion hat die Frage der Rechtssicherheit sehr sorgfältig geprüft. Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, dass nach dem Verlauf der Rechtsprechung in den USA keine Verurteilungen deutscher Unternehmen vor amerikanischen Gerichten drohen. Das Statement of Interest hat sich in der Praxis nach unserer Auffassung hinreichend bewährt. Die somit juristisch gut begründete Entscheidung, Rechtssicherheit festzustellen, war politisch dringend und rasch geboten. Ich glaube, es überschreitet nicht die Grenzen des Taktes und ist nicht parteipolitische Auseinandersetzung, wenn ich feststelle, dass unser Fraktionsvorsitzender Wolfgang Gerhardt dies im richtigen Moment erkannt hat und in der Öffentlichkeit mit Nachdruck dafür eingetreten ist, dass wir diese Entscheidung heute treffen. Denn jeder Tag des Zuwartens wäre ein verlorener Tag gewesen. ({4}) Meine Damen und Herren, nun kann endlich wieder ins öffentliche Bewusstsein rücken, was die Stiftungsinitiative, die Bundesregierung, Graf Lambsdorff und der Deutsche Bundestag mit den internationalen Verhandlungspartnern in den letzten zwei Jahren erreicht haben - das ist nicht wenig, ich möchte sogar sagen: es ist bewegend -, nämlich ein Bekenntnis zu Schuld und historischer Verantwortung statt des Verdrängens und Vergessens, eine Geste der Wiedergutmachung und Versöhnung anstelle des Rückzugs auf juristische Abwehrpositionen, eine symbolische Geldleistung an die ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter - übrigens auch an die, deren Betriebe keine Rechtsnachfolger haben, sodass eine gerichtliche Einklagung der Ansprüche gar nicht möglich gewesen wäre -, statt jahrelanger Prozesse mit ungewisser Aussicht der Opfer, je entschädigt zu werden. Ich glaube, der heutige Beschluss des Bundestages wird dazu beitragen, dass die späte, aber doch großartige Idee der gemeinsamen Bundesstiftung in der Geschichte eine positive Würdigung erfahren wird. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Roland Claus, PDS-Fraktion.

Roland Claus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003065, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Entschädigung der ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter ist in der Tat ein wichtiger Schritt in der deutschen Nachkriegsgeschichte, der längst überfällig war. Was wir heute auf Antrag aller Fraktionen beschließen, sollte daher nicht gering geschätzt oder herabgewürdigt werden, aber ich empfinde es auch als gut, dass wir uns hierbei jeglicher Selbstzufriedenheit enthalten. ({0}) Gewiss, meine Damen und Herren, es ist an dieser Stelle vielen zu danken. Ich schließe mich namens der PDS-Fraktion dem Dank an die bereits Genannten herzlich und gerne an. Unser Dank gilt aber vor allem den Betroffenenverbänden, die mit ihrem beharrlichen Nachdruck den wohl größten Anteil am heutigen Ergebnis haben. ({1}) Vergessen wir nicht: Sie sind keine Bittsteller, sondern haben einen höchst moralischen Anspruch. Eigentlich gingen wir alle davon aus, dass mit der Verabschiedung des Gesetzes zur Stiftung für die Zwangsarbeiterentschädigung, dem ersten von allen Fraktionen gemeinsam eingebrachten Gesetz, die Entscheidung getroffen war. Dann aber - auch das gehört zur Wahrheit - hat die deutsche Wirtschaft, genauer gesagt: die Interessenvertretung der deutschen Wirtschaftsspitzen, mit dem Deutschen Bundestag Monopoly gespielt. Der Gipfel war wohl die Forderung, das Parlament solle das gerade beschlossene Gesetz mal eben so gemäß dem Wunsch der Unternehmerverbände ändern. Nun sagt aber zum Glück das Grundgesetz der Bundesrepublik in Art. 20: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“, nicht aber: Alle Staatsgewalt geht vom Haus der deutschen Wirtschaft aus. Meiner Meinung nach haben die Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft damit das internationale Ansehen der Bundesrepublik nachhaltig beschädigt, im Übrigen auch das Ansehen von Unternehmen, die von sich aus der Stiftungsinitiative beigetreten sind. ({2}) Meine Damen und Herren, setzen wir für einen Moment diese 5 Milliarden DM, über die so viel gestritten wurde, in einen Vergleich. Es ist weniger Geld, als die Bankgesellschaft Berlin bei ihren so genannten „ganz normalen“ Geschäften in den Sand gesetzt hat. Man muss sich das einmal aus der Sicht osteuropäischer Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter vorstellen: Da macht die deutsche Hauptstadt mal eben ein paar Milliarden D-Mark Schulden und schon ist man dabei, zu erklären, dass man den Schaden selbstverständlich irgendwie werde ausgleichen können, aber um eine geringere Summe für Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter gibt es ein endloses, an Würdelosigkeit kaum zu überbietendes Gezerre. Angesichts dessen muss man sich schon fragen, wo hier die Maßstäbe geblieben sind. ({3}) Gestatten Sie mir noch einen Blick auf die Geschichte: Die heutige Entscheidung des Deutschen Bundestages wäre wohl ohne die Überwindung der Blockkonfrontation und ohne die deutsche Vereinigung nicht möglich geworden. Die früheren Systeme hatten sich auch in dieser Frage im wahrsten Sinne des Wortes gegenseitig blockiert. Da ist also mit dem Beitritt der DDR nicht nur einfach etwas dazugekommen, es sind neue Dimensionen eröffnet, neue Chancen gewonnen worden, die wir wahrnehmen, aber auch vertun können. Deutschland wird nicht allein wegen seiner Wirtschaftsmacht internationale Anerkennung finden, sondern man erwartet von uns auch das öffentliche Signal: Politik und Moral gehören zusammen - und nicht getrennt. ({4}) In drei Wochen jährt sich zum 60. Mal der Überfall Deutschlands auf die Sowjetunion - und nicht umgekehrt, Herr Bosbach -, das Land, das dann im Zweiten Weltkrieg die meisten Opfer brachte. Nicht der Diktator Stalin wurde nach diesem Überfall versklavt, sondern Millionen unschuldiger Menschen traf dieses Schicksal. Vor diesem 60. Jahrestag muss die Auszahlung an die Opfer beginnen. ({5}) Sie haben Recht, Herr Bundeskanzler: Eine wirkliche Entschädigung ist das nicht, weil diesen Schaden niemand tilgen kann. Aber ein wichtiger historischer Schritt ist jetzt und heute geboten. Deshalb steht die PDS-Fraktion zu dem gemeinsamen Antrag aller Bundestagsfraktionen. Vielen Dank. ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Martin Hohmann, CDU/CSU-Fraktion.

Martin Hohmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003152, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! In wenigen Minuten wird der Bundestag „ausreichende Rechtssicherheit“ feststellen. Das ist Anlass zur Freude, insbesondere zur Freude mit den hochbetagten, ehemaligen Zwangsarbeitern, denen mit einigen tausend D-Mark echte Hilfe geleistet wird. Das ist natürlich auch Anlass für ein kräftiges Dankeschön und für verdientes Lob. Mein erstes Lob gilt der deutschen Wirtschaft und ihren Vertretern. ({0}) Damit möchte ich den über weite Strecken unverdienten Tadel ausgleichen, der auf die Wirtschaft in den letzten Wochen niederprasselte und zum Teil noch niederprasselt. Dann bin ich schon bei Graf Lambsdorff, einem Mann mit hervorragenden Talenten und einem ganz außergewöhnlichen Pflichtethos. Er spricht von einer Mischung aus Geschäft und Moral. Das ist lebenskluger Realitätssinn, der ihn davor bewahrt, in tiefer Ergriffenheit zu sich selbst aufzublicken. Wir sollten ihn heute darin zum Vorbild nehmen. Wie war die Entstehungsgeschichte der Zwangsarbeiterinitiative? Da war zuerst der Einzelkämpfer von Münchhausen. Der eigentliche Anstoß kam dann aus der rot-grünen Koalitionswerkstatt des Jahres 1998. Helmut Kohl hatte kurz zuvor gesagt, die Staatskasse werde nicht wieder geöffnet, eine solche reparationsähnliche Entschädigung könnte die Büchse der Pandora öffnen. Griechische Begehrlichkeiten scheinen das zu bestätigen. Bei der konzeptionellen Arbeit waren die Bundestagsabgeordneten in der Rolle von Zaungästen. Die Schlagzahl gaben Amerikaner vor, der bindende Text ist in Englisch. So entstanden unumstößliche Vorgaben, wie zum Beispiel die Verteilung des „Topfes“, die so genannte Allokation. Beim Werben für das Projekt waren deutsche Politiker dann natürlich wieder nützlich, in erster Linie die der rotgrünen Regierungskoalition. Es ist verständlich, dass sie die bisherigen deutschen Wiedergutmachungsleistungen dabei nicht besonders herausstellten. Aber sie müssen genannt werden: Nach heutigem Wert sind an rassisch, religiös oder politisch Verfolgte nach dem BEG rund 233 Milliarden DM gezahlt worden. Rund 100 000 Verfolgte erhalten derzeit BEG-Renten in einem jährlichen Gesamtvolumen von 1,2 Milliarden DM. Seit Konrad Adenauer und Ben Gurion hat Deutschland in einzigartiger Weise Verantwortung übernommen. ({1}) Man fragt sich manchmal, warum diese riesige Entschädigungsleistung nicht deutlich kommuniziert wird. ({2}) - Ich komme jetzt zu Ihnen. Ärgerlich wird es aber, wenn ein Politiker der Regierungskoalition hier im Bundestag behauptet: Die Zwangsarbeiter sind Menschen, die von unserem Staat nie etwas bekommen haben. Die Wahrheit ist, dass neun von zehn Zahlungsempfängern bereits Entschädigungsleistungen aus deutschen Kassen erhalten haben. Das konnten Sie im „Focus“ und in der „FAZ“ lesen. ({3}) - Ja, lachen Sie ruhig. Das hat auch die Bundesregierung bestätigt. ({4}) Wir alle wissen, welch unsägliches Leid jüdischen Menschen und Menschen anderer Völker durch Deutsche im letzten Jahrhundert beigebracht worden ist. ({5}) Aber dieses gute Argument braucht kein wahrheitswidriges Übertreiben und kein übermäßiges Moralisieren. Faktum ist, dass bis heute jede Bundesregierung rechtliche Ansprüche von Zwangsarbeitern zurückgewiesen hat. Faktum ist, dass bis heute kein einziges Gericht Zwangsarbeiterentschädigungen rechtskräftig zugesprochen hat. Faktum ist, dass der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft der große Schrecken über die erfolgreiche 1,25-Milliarden-Dollar-Kampagne gegen die Schweizer Banken in die Knochen fuhr. ({6}) Unter befreundeten Staaten gebraucht man das Wort Erpressung nicht. Aber eine sehr wirksame Einladung zur Aufnahme sehr ernsthafter Verhandlungen waren die von B’nai B’rith International und dem American Jewish Congress in den USA geschalteten Anzeigen schon. Faktum ist, dass erst das Zusammenwirken von mehreren Umständen und Wirkungen das heutige Ergebnis herbeigeführt hat. Da sind die Geschäftsinteressen großer deutscher Firmen in den USA. Da ist das Institut der amerikanischen Sammelklage mit ihren horrenden Klagesummen. ({7}) Da ist der Fortfall Deutschlands als wichtigster Verbündeter der USA nach dem Ende des Kalten Krieges. Da ist, wie es Stuart Eizenstat anlässlich der 1998er-Abschlussfeier der jüdischen Yeshiva-Universität ausdrückte, das Erstarken und das In-den-Mittelpunkt-desamerikanischen-Lebens-Rücken der Juden in den USA. Da ist auf deutscher Seite die Verantwortung bei Politikern, für die der Erfolg der 68er-Vergangenheitsbewältigung ein prägendes Erlebnis war. ({8}) - Meine sehr geehrten Damen und Herren, Sie sollten die Fakten zur Kenntnis nehmen können; denn Politik heißt, das zu sagen, was ist. ({9}) Ich komme zum Schluss. ({10}) - Wenn Sie zu meinem Schlussappell wieder klatschen, dann sehe ich, dass Sie Menschenrechte ernst nehmen. ({11}) Wenn heute der Versuch gemacht wird, historisches Leid mit einer moralischen Geste zu lindern, dann dürfen wir das Leid und die Menschenrechte deutscher Zwangsarbeiter nicht schweigend übergehen. ({12}) Mein Schlussappell an Sie, Herr Bundeskanzler: Haben Sie auch für deutsche Zwangsarbeiter ein Herz! ({13})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich schließe die Aus- sprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des Bündnisses 90/ Die Grünen, der F.D.P. und der PDS zur Feststellung aus- reichender Rechtssicherheit für deutsche Unternehmen nach § 17 Abs. 2 des Gesetzes zur Errichtung einer Stif- tung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“. Zu dieser Abstimmung liegt eine schriftliche Erklärung des Kollegen Kauder und weiterer 13 Abgeordneter der CDU/CSU-Fraktion vor1). Wer stimmt für diesen Antrag auf Drucksache 14/6158? - Wer stimmt dagegen? Stimmenthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen, F.D.P. und PDS bei einigen Gegenstimmen aus der CDU/CSU-Fraktion angenommen. ({0}) Ich möchte auch meinerseits allen, die an diesem wich- tigen Werk beteiligt waren, ein herzliches Wort des Dan- kes aussprechen. Wir kommen nun zur Beschlussempfehlung des Innen- ausschusses zu dem Antrag der Fraktion der PDS zur so- fortigen Auszahlung an die Opfer der NS-Zwangsarbeit, Drucksache 14/6165. Der Ausschuss empfiehlt, den An- trag auf Drucksache 14/5788 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen. 1) Anlage 2 Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe Zusatzpunkt 2 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU Haltung der Bundesregierung zum drastischen Anstieg der Inflation auf 3,5 Prozent Bevor ich die Aussprache eröffne, bitte ich die Kolleginnen und Kollegen, die den Saal verlassen wollen, das möglichst schnell zu tun, damit die Aussprache ungestört vor sich gehen kann. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Friedhelm Ost, CDU/CSU-Fraktion.

Friedhelm Ost (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001659, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die Inflation hat einen Namen: Rot-Grün. ({0}) - Natürlich; ich werde Ihnen das gleich erläutern. Vor einigen Jahren hat einmal ein Bundesbankpräsident gesagt: Inflation ist Betrug am Sparer, ja an allen kleinen Leuten. Dieser Bundesbankpräsident kam aus den Reihen der SPD. Die Inflationsrate lag damals nicht, wie heute, bei 3,5 Prozent, sondern unter 2 Prozent. Natürlich wissen Sie selbst das ganz genau: Eine Inflationsrate von 3,5 Prozent bedeutet eine gewaltige Geldentwertung. Die Preissteigerungen treffen vor allem die sozial Schwächeren. Das ist aber nicht das einzige Ziel des Wachstums- und Stabilitätsgesetzes, das verfehlt worden ist. Alle Ziele sind verfehlt worden. Sie haben saisonbereinigt wieder eine steigende Arbeitslosigkeit. Sie haben ein unbefriedigendes wirtschaftliches Wachstum; es geht zurück. Der Bundeskanzler muss seine eigenen Prognosen laufend zurücknehmen. Sie haben ein Ungleichgewicht in der Außenwirtschaft, und Sie haben eine hohe Inflationsrate. Sie können von renommierten wissenschaftlichen Instituten wie dem DIW erfahren, welch außerordentlich negative Folgen eine so hohe Inflationsrate hat. Das DIW schreibt in seiner jüngsten Analyse, angesichts dieser Preisentwicklung bliebe für den privaten Konsum in realer Rechnung kaum noch etwas von dem Anstieg übrig. Man fragt sich heute: Wie verträgt sich das eigentlich mit den Verheißungen wie „Wir machen nicht alles anders, aber wir machen alles besser“? Bei 3,5 Prozent Inflation - das ist eine Rekordzahl in den letzten sieben Jahren - können Sie doch nicht davon sprechen, dass alles besser gemacht worden ist. Die Selbstherrlichkeit, mit der Sie sich gerade in der Wirtschafts- und Finanzpolitik präsentiert haben, erleidet jetzt Schiffbruch. Sie treiben unser Land wirtschaftspolitisch in einen wirklichen GAU. Sie verfehlen alle wichtigen wirtschaftspolitischen Ziele. ({1}) - Ich täusche mich nicht. ({2}) - Sie müssen nur die offiziellen Zahlen zur Kenntnis nehmen. Sie dürfen nicht dauernd dazwischenreden, sonst können Sie das nicht richtig wahrnehmen. ({3}) Sie sind hier angetreten mit der selbstherrlichen Erkenntnis: Energie ist zu billig. Ich weiß gar nicht, woher Sie diese großartige Erkenntnis hatten. Fragen Sie einmal den Autofahrer an der Tankstelle, fragen Sie die Familie, die die Heizkostenabrechnung bekommen hat und jetzt nicht nur nachzahlen, sondern auch höhere Vorauszahlungen leisten muss, ob Energie zu billig ist. Sie sind die Preistreiber der Nation. Diesen Titel haben Sie sich wirklich verdient. ({4}) Sie können nachrechnen; Sie können ja sonst mit Zahlen gut jonglieren: Eine vierköpfige Familie ist in diesem Jahr mit gut 650 DM höher belastet als 1998. Sie lächeln darüber und sagen, das sei gar nichts. ({5}) - Doch, Sie nehmen das mit einer Chuzpe hin, die unsozial ist. Sie verschlimmbessern alles. ({6}) Ich erinnere Sie in diesem Zusammenhang an Goethe: Einmal die Weste falsch geknöpft, ist immer falsch geknöpft. Sie können knöpfen, wie Sie wollen, Sie kommen immer mit einer falsch geknöpften Weste an. ({7}) Sie sind falsch geknöpft; das sage ich Ihnen ganz offen. ({8}) Eine Inflationsrate von 3,5 Prozent bedeutet eine gewaltige Geldentwertung. Sie sprechen doch auch von Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand. Sie wollen eine gerechte Verteilung vornehmen und die Kluft zwischen Arm und Reich schließen. Wenn Sie die Inflationsrate von 3,5 Prozent im Zusammenhang mit einem Geldvermögen von 7 Billionen DM sehen - das sind die Spargroschen der kleinen Leute, das sind die Vorsorgegroschen von Rentnern und anderen -, müssen Sie erkennen: Sie rauben damit den Leuten in diesem Jahr 24 Milliarden DM. Sie machen jetzt im Zusammenhang mit der Entlastung der Familien im Umfang von 4 Milliarden DM große Schlagzeilen, nehmen ihnen aber gleichzeitig 24 Milliarden DM als Folge der Inflation weg. Außerdem muss ich Ihnen sagen: Was Sie im Zusammenhang mit dem Euro machen - die zweite Quelle der Inflation - ist auch unsozial. Sie kümmern sich nicht um den Wert der Währung. Die Importpreise steigen um 5,1 Prozent. Dies bedeutet einen zusätzlichen Anstieg der Preise, den alle Menschen bald negativ spüren werden. Deshalb sage ich Ihnen: Sie können sich nicht einfach verstecken und sagen: Wir hören, sehen und tun nichts. Präsident Wolfgang Thierse Sie sind herausgefordert, auch für die Stabilität etwas zu tun. Herzlichen Dank. ({9})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile der Parlamentarischen Staatssekretärin Barbara Hendricks das Wort.

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach vorläufigen Angaben des Statistischen Bundesamtes sind, auf der Grundlage der Daten aus sechs Bundesländern, die Verbraucherpreise seit Mai vorigen Jahres um 3,5 Prozent gestiegen. Isoliert betrachtet ist das ein drastischer Anstieg. Jedoch besteht unter Stabilitätsgesichtspunkten kein Anlass, diese Entwicklung zu dramatisieren, so wie Sie, Herr Kollege, es getan haben. ({0}) Die Preisstabilität ist nicht gefährdet. Die Ursachen für den Preisauftrieb im Mai sind vorübergehend und klar zu identifizieren. Sämtliche Wirtschaftsexperten und auch die Europäische Zentralbank rechnen im Jahresverlauf mit wieder rückläufigen Preissteigerungsraten. Die Verbraucherpreise werden nach wie vor hauptsächlich durch die Entwicklung der Mineralölpreise bestimmt. Hier kam es im vergangenen Jahr bei heftigen Auf- und Abbewegungen zu einem deutlichen Anstieg. Teilweise wirkt sich das erst jetzt bei uns aus, zum Beispiel bei der Anpassung der Preise für Gas und Fernwärme oder der Umlagen für Heizung und Warmwasser. Hinzu kommt der jüngste Anstieg der Benzinpreise aufgrund knapperer Raffineriekapazitäten in den USA sowie der wieder etwas schwächere Euro, der unsere Einfuhren aus Ländern außerhalb des Euro-Raumes verteuert. Der zweite preistreibende Faktor sind die Tierkrankheiten BSE und Maul- und Klauenseuche, die zu deutlichen Preisanhebungen bei Schweinefleisch und Geflügel, aber auch bei als Substitut gekauften Lebensmitteln wie Fisch und Frischgemüse geführt haben. Nahrungsmittel sind im Mai binnen Jahresfrist in den sechs Bundesländern, in denen Vorerhebungen gemacht worden sind, um 5,7 bis 9,9 Prozent teurer geworden. Wir haben für den Mai zwar noch keine detaillierten Angaben, schätzen aber, dass gut ein Drittel der Jahresrate von 3,5 Prozent auf die Energieverteuerung und knapp ein Drittel auf die Nahrungsmittelverteuerung zurückzuführen sind. Die so genannte Kerninflationsrate - das heißt: ohne Energie und Nahrungsmittel - dürfte auch im Mai die 1,5-Prozent-Marke nicht überschritten haben. Der jüngste Preisauftrieb ist also hauptsächlich auf vorübergehende Sonderfaktoren zurückzuführen. Es besteht deshalb kein Anlass zur Beunruhigung. Die Grundtendenz der Preisentwicklung ist weiterhin moderat. Dies hat einen statistischen und einen ökonomischen Hintergrund. Der Einfluss der Euro-Abwertung seit Februar sowie der einsetzenden Mineralölverteuerung ab Mai letzten Jahres wird zunehmend in der Vorjahresvergleichsbasis enthalten sein. Entsprechendes gilt für die Nahrungsmittelpreise. Schon aufgrund dieses so genannten Basiseffektes, der auch Ihnen, Herr Kollege, nicht fremd sein dürfte, ({1}) ist deshalb im Weiteren wieder mit rückläufigen Preissteigerungsraten zu rechnen. Aufgrund der uns vorliegenden Daten halten wir es für durchaus wahrscheinlich, dass der Verbraucherpreisanstieg im September dieses Jahres die 2-Prozent-Marke wieder unterschreiten kann. Eine ähnliche Voraussage hat auch Präsident Duisenberg in den letzten Tagen gemacht. Wissenschaft, internationale Institutionen und Finanzmärkte sind sich darin einig: Die Gefahren einer hausgemachten Inflation sind - zumal in Deutschland - äußerst gering. Die Europäische Zentralbank hat ihre Leitzinssenkung vom 10. Mai damit begründet, dass die Risiken für die Preisstabilität auf mittlere Sicht etwas nachgelassen hätten. Sie nennt dabei nicht nur die weltwirtschaftlich bedingte Verlangsamung des Wachstums, sondern auch die Lohnabschlüsse, die trotz des Ölpreisschocks sehr moderat ausgefallen sind. Die Tarifparteien haben sich beschäftigungskonform und äußerst verantwortungsbewusst verhalten. Im Zusammenspiel mit unserer soliden Finanzpolitik ist - unabhängig von temporären Einflüssen - die Grundlage für stabile Preise gelegt. Herzlichen Dank. ({2})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Rainer Brüderle, F.D.P.-Fraktion.

Rainer Brüderle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003059, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist amtlich: Grün-Rot kommt uns teuer zu stehen. ({0}) Die jetzige Steigerungsrate der Lebenshaltungskosten von 3,5 Prozent ist die höchste seit Dezember 1993. ({1}) Die Einfuhrpreise sind im April dieses Jahres um 5,1 Prozent und die Erzeugerpreise in der gewerblichen Wirtschaft um 5,4 Prozent gestiegen. Das sind keine guten Vorboten. ({2}) So stark sind die Preise in der gewerblichen Wirtschaft seit 20 Jahren nicht mehr gestiegen. Das zeigt: Grün-Rot ist teuer. ({3}) Der dramatische Anstieg der Preise ist zum großen Teil hausgemacht. Die Bundesregierung sorgt mit ihrer Politik für eine künstliche Verteuerung von Energie. ({4}) Das ist nichts anderes als Preistreiberei auf dem Rücken der Verbraucher. ({5}) Die durch die Ökosteuer bedingten hohen Preise für Benzin, Heizöl und Gas sowie die zusätzliche Erhöhung der Strompreise durch die Umlagen für Ökostrom sind doppelt schädlich: Sie lassen dem Bürger nicht nur weniger Geld in der Tasche, sondern entziehen über die Geldentwertung zusätzliche Kaufkraft. Die Regierung würgt mit ihrer Preistreiberei in einer bedenklichen Konjunktursituation den privaten Konsum ab. Es gibt eine gefährliche Nachfrageschwäche. Grün-Rot stranguliert die Wirtschaftsentwicklung. ({6}) - Herr Baron, Sie sollten nicht lachen. ({7}) Hinzu kommen Kostenbelastungen für die Wirtschaft durch das geplante Zwangspfand, ({8}) - Herr Baron belieben zu scherzen -, die Verschlechterung der Investitionsbedingungen durch die Neugestaltung der Abschreibungstabellen und die Verschärfung der betrieblichen Mitbestimmung. Dies wird die Preise weiter anheizen. Auch der schwache Euro trägt nicht unerheblich zu der hohen Inflationsrate bei. Bundesbankpräsident Welteke hat dieser Tage darauf hingewiesen. Die importierte Preissteigerung nimmt, wie die Zahlen belegen, deutlich zu. Die Bundesregierung schwächt den Euro und beschleunigt so den Preisauftrieb, weil sie notwendige Strukturreformen etwa auf dem Arbeitsmarkt unterlässt. Die Aussage des Bundeskanzlers aus dem vergangenen Jahr, dass ein schwacher Euro gar nicht so schlimm sei, weil er der Exportwirtschaft nütze, diese Milchmädchenökonomie, hat den Kurs der europäischen Währung zusätzlich belastet. Angesichts der mut- und perspektivlosen Politik der Bundesregierung - in Italien und Frankreich sieht es ähnlich aus - sind die Aussichten auf eine Erholung des Euro sehr düster. Ich würde mich nicht wundern, wenn der Euro-Kurs noch nicht seinen Tiefpunkt erreicht hat. Gemeinsam mit der Wachstumsflaute droht am Horizont das Gespenst der Stagflation. Doch Grün-Rot tut nichts, um die streng stabilitätsorientierten Mitglieder der Europäischen Zentralbank zu stärken. Unwidersprochen blieben die Forderungen des französischen Premiers nach einer europäischen Wirtschaftsregierung. Dies wäre eine zusätzliche Schwächung der Europäischen Zentralbank. Die Politik der Geldentwertung ist die ungerechteste Politik. Gerade die tüchtigen, anständigen kleinen Leute sind die Leidtragenden einer Geldentwertung. Das ist sozial tief ungerecht. ({9}) Die hohen Inflationsraten verstärken zudem die Gefahr der Lohn-Preis-Spirale. Das Bündnis für Arbeit in seiner wachsweichen Performance und Umsetzung hat hier keine guten Grundlagen gelegt. Erste Andeutungen von den Gewerkschaften lassen hier nichts Gutes ahnen. Ein Blitzprogramm ist notwendig, damit die Bundesregierung den Trend umkehrt. Das heißt: Stopp mit der Ökosteuer, Stopp mit dem Zwangspfand, Stopp mit der teuren betrieblichen Mitbestimmung. ({10}) - Herr Baron, Sie spüren es dank Ihrer hohen Diäten nicht. Es gibt aber Leute, die weniger als Sie haben. Denen tut das weh. Sie lachen darüber. Den Rentnern, den Arbeitslosen tut es weh, Ihnen nicht. Lachen Sie weiter, verhöhnen Sie Ihre Wähler! ({11}) Stattdessen brauchen wir eine sofortige weitere Absenkung der steuerlichen Belastung, eine Senkung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge und einen Verzicht auf die Verschlechterung der Abschreibungsbedingungen. Es gibt nur einen Weg, diese schlechte Entwicklung zu stoppen: Das ist eine Umkehr der Politik! ({12}) Wenn Sie das so weiter treiben lassen und nicht den Mut haben, Ihre Politik zu korrigieren, werden Sie das ernten, was das Schlimmste ist: weitere Geldentwertung und keine wirtschaftliche Dynamik. So kriegt man die Arbeitslosigkeit nicht herunter. Da hilft auch kein Schönungsprozess in der Statistik. Da helfen nur andere, bessere Rahmenbedingungen, um die Weichen für mehr Arbeit in Deutschland zu stellen. Stagflation ist ein drohendes Gespenst. Tun Sie etwas, bevor es Realität wird! ({13})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich gebe das Wort dem Kollegen Dr. Reinhard Loske für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Reinhard Loske (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003176, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss schon sagen, es ist etwas absonderlich, wenn Herr Ost und Herr Brüderle hier als Verteidiger der kleinen Leute auftreten. Das nimmt ihnen doch kein Mensch ab. ({0}) Sehen Sie sich doch die Politik dieser Regierung insgesamt an. ({1}) Was haben wir bei der Steuerreform gemacht? Das muss man Ihnen immer und immer wieder erklären. Wir haben den Eingangssteuersatz gesenkt. Wir haben die Grundfreibeträge erhöht. Wir haben die Steuersätze insgesamt gesenkt. Wir haben den Spitzensteuersatz gesenkt. Wir haben die Wirtschaft entlastet. ({2}) Das sind alles Dinge, die Sie nicht gemacht haben. Insofern klingt die Kritik aus Ihrem Munde nicht besonders berufen. Aber ich will zum Thema kommen. Wir haben im Moment in der Tat vorübergehend eine hohe Inflationsrate. Das gibt Grund zur Sorge; keine Frage. Aber gerade weil das so ist, tun wir, glaube ich, gut daran - wie die Frau Staatssekretärin das getan hat -, nüchtern die Ursachen zu beleuchten. ({3}) Es sind im Wesentlichen zwei Ursachen zu nennen. Wir haben es mit einem vorübergehenden Preisbuckel zu tun, der, glaube ich, überschaubar ist. Zum einen ist das die Entwicklung der Nahrungsmittelpreise. Wir haben einen überdurchschnittlichen Anstieg bei den Nahrungsmittelpreisen. Es ist jetzt sicherlich nicht der Ort, eine agrarpolitische Grundsatzdebatte zu führen. Aber wenn man schon auf dieses polemische Niveau herabsteigt, auf das Sie sich begeben haben, muss man sagen: Die Ursache dafür, dass die Nahrungsmittelpreise jetzt hoch sind, sind die BSEKrise und die anderen Agrarkrisen. Dafür haben Sie eine ganz große Verantwortung aus der Vergangenheit. ({4}) Die Regierung versucht jetzt, eine Agrarwende hinzubekommen, die mehr Transparenz schafft, die den Verbraucherinnen und Verbrauchern wieder die Verantwortung zurückgibt und damit auch die Unsicherheit auf dem Nahrungsmittelmarkt beendet. Das zweite Thema ist ohne Zweifel die Energie; Herr Brüderle, das ist nicht ganz falsch. Aber Sie müssen natürlich ehrlicherweise zugeben, dass es im Wesentlichen externe Faktoren sind, die hier Einfluss haben. ({5}) Das ist zum einen die Entwicklung der Rohölpreise. Es ist zum anderen die Entwicklung der Benzinpreise ({6}) wegen der knappen Raffineriekapazitäten in den Vereinigten Staaten. ({7}) Daran hat natürlich auch der Euro einen gewissen Anteil. Diese keifende Meute dort an der Bank ist etwas ungewöhnlich. Aber gut, sei es drum. Offenbar sind die Argumente gut. ({8}) Die energiepolitischen Rahmenbedingungen, die die Bundesregierung gesetzt hat, spielen hier eine nachgeordnete Rolle. Die entscheidende Frage ist: Welche Schlüsse ziehen wir daraus? Der entscheidende Schluss kann doch nur sein: Wir müssen unsere Abhängigkeit vom Erdöl reduzieren. Das muss die strategische Antwort sein. Wir müssen weg vom Öl. ({9}) Wir glauben, dass wir uns aus diesem Klammergriff der OPEC-Länder nur befreien können, wenn wir eine konsequente Stretegie der Energieeinsparung fahren, wenn wir mit der Effizienzrevolution Ernst machen. Wir haben ein Erneuerbare-Energien-Gesetz. Wir brauchen Energieeinsparungen. Wir haben ein Altbausanierungsprogramm aufgelegt. Wir haben zusätzliche Mittel in die Bahn investiert. All das führt dazu, dass unsere Abhängigkeit vom Erdöl zurückgeht. Das ist gut so. Diesen Weg werden wir konsequent fortsetzen. Wir wollen, dass Ölimporte durch heimischen Ingenieurverstand und durch heimische Handwerksleistungen ersetzt werden; denn damit stärken wir den Wirtschaftsstandort Deutschland und damit schaffen wir neue Arbeitsplätze. ({10}) Das ist die einzig vernünftige Lehre, die man daraus ziehen kann. Den Christenmenschen auf der rechten Seite will ich zum Abschied gern die Worte des Diözesanrates des Bistums Passau angedeihen lassen - dies ist direkt an Ihre Adressen gerichtet -: Verzichten Sie darauf, den Menschen vorzugaukeln, niemand brauche seine Lebensgewohnheiten zu ändern, da es auch künftig genügend billiges Öl geben werde. Aus geologischen und ökonomischen Gründen geht die Zeit des billigen Öls bald unwiderruflich zu Ende. Je früher die Menschen es erfahren, umso besser ist es. Danke schön für Ihre Aufmerksamkeit. ({11})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die Fraktion der PDS spricht die Kollegin Dr. Barbara Höll.

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Sachstand lässt sich relativ einfach konstatieren: Die Wärme in der Stube ist teurer geworden; Fahrpreise und Benzinpreise steigen; Butter, Milch, Wurst und Fleisch sowie Obst und Gemüse werden immer teurer; Schuhe, Taschen und Lederwaren werden spätestens ab Herbst dieses Jahres mehr kosten. Die Inflationsrate wird im Mai bei über 3,5 Prozent liegen. Das hat verschiedene Ursachen. Der Anstieg des Rohölpreises auf dem Weltmarkt ist - das wissen wir - ein entscheidender Grund. Natürlich hat auch die Ökosteuer ihr Scherflein dazu beigetragen. Ich denke, das kann man nicht verleugnen. BSE sowie Maul- und Klauenseuche sind zu nennen, aber auch die Umstellung auf den Euro. Sie wurde bisher noch nicht erwähnt. Es gibt eine Selbstverpflichtung des Einzelhandels, im zweiten Halbjahr dieses Jahres die Preise nicht mehr zu erhöhen. Erhöhen wir die Preise doch lieber gleich im ersten Halbjahr. Ein Abfallen der Inflationsrate auf unter 2 Prozent im zweiten Halbjahr dieses Jahres ist trotzdem nicht zu erwarten. Der Skandal besteht eigentlich darin, wie die Regierung nicht reagiert. Sie alle haben bisher noch nichts zur Lage der 2,8 Millionen Menschen in der Bundesrepublik Deutschland, die von Sozialhilfe leben, gesagt. Diese Menschen trifft die hohe Inflationsrate natürlich am allerstärksten. ({0}) Zwischen 1993 und 1996 - das ist an die alte Regierung und an die alte Koalition gerichtet - haben Sie im Zusammenhang mit den Sozialhilferegelsätzen ein großes Spiel begonnen: Sie haben sie nicht mehr an die realen Lebenshaltungskosten angepasst. Das führte bereits in diesem Zeitraum, also in einem Zeitraum von drei Jahren, zu einem Absinken des realen Niveaus um 5 Prozent. Die gesamte damalige Opposition forderte, dass die Sozialhilferegelsätze an die Lebenshaltungskosten gebunden werden müssen. Nachdem sie die Regierungsverantwortung übernommen hatte, war es damit nicht mehr so weit her. Zum 1. Juli 2000 wurden die Regelsätze entsprechend der Preissteigerung erhöht. Allerdings wurde dieser Erhöhung die Inflationsrate von 1999 - 0,7 Prozent - zugrunde gelegt. Zum 1. Juli dieses Jahres soll wieder eine Anhebung der Regelsätze für die Sozialhilfe erfolgen, allerdings gekoppelt an die Lohnentwicklung. Aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der CDU/CSU zur Entwicklung der Regelsätze geht hervor - Frau Hendricks hat das bestätigt -, dass die Regierung aufgrund der sehr moderaten Verhandlungen eine Erhöhung der Löhne und Gehälter um höchstens 2 Prozent erwartet. Das heißt: Auch Sie richten die Steigerung der Sozialhilferegelsätze danach aus, was für Sie günstiger ist, was weniger kostet. Sie entscheiden nicht danach, wie die Kosten für die Bürgerinnen und Bürger sind, die von diesem Geld leben müssen. Im Februar dieses Jahres betrug die Inflationsrate 2,8 Prozent, im März 2,7 Prozent, im April 3,1 Prozent und im Mai beträgt sie wahrscheinlich über 3,5 Prozent. Darauf werden Sie bei der Anpassung der Sozialhilferegelsätze voraussichtlich nicht ausreichend reagieren. Das ist die Fortsetzung einer Politik, wie Sie sie schon mit der Einführung der Ökosteuer durchgesetzt haben. Sie haben diese Steuer ohne Rücksicht auf jeglichen sozialen Ausgleich für Studenten und Studentinnen, für Rentner und Rentnerinnen sowie für Sozialhilfeempfänger und Sozialhilfeempfängerinnen durchgedrückt. Heute hat das Kabinett beschlossen, das Kindergeld um 30 DM zu erhöhen. Alle sollen sich freuen. ({1}) In der Realität ist das allerdings nicht viel mehr als eine Anpassung an die Inflationsrate. Ich komme zum Sozialhilferegelsatz zurück; denn die Grundlage für die Berechnung Ihrer Kindergelderhöhung ist der regelmäßige Bericht der Bundesregierung über die Höhe des Existenzminimums von Erwachsenen und Kindern. Die Berechnung dieses Existenzminimums beruht auf dem Sozialhilfeniveau, dem Sozialhilferegelsatz. Das heißt ganz schlicht und einfach: Ein zu niedriges Sozialhilfeniveau führt zu einem zu niedrig berechneten Existenzminimum der Kinder. Daraus resultieren wiederum zu niedrige Kinderfreibeträge und ein zu niedriges Kindergeld. Damit hat sich der Kreis geschlossen. Was Sie heute verabschiedet haben, ist nur auf den ersten Blick etwas sozial Gutes. Es hat aber nichts mit einem Leistungsausgleich zu tun, sondern ist nur ein ganz klein wenig mehr als der Inflationsausgleich, der auch noch gemäß Ihrem konkreten Regelungsvorschlag zu einem großen Teil insbesondere durch Alleinerziehende gegenfinanziert wird. Hinzu kommt, dass Sie jetzt noch bemüht sind, das ganze Verfahren innerhalb von vier Wochen durchzuziehen, um zu verhindern, dass die Öffentlichkeit tatsächlich richtig mitbekommt, was läuft. Sie versuchen damit, auch die Kritik aus den Verbänden, die es schon gibt, abzuwürgen und nicht zur Sprache kommen zu lassen. In diesem Sinne ist es richtig, über den Anstieg der Inflationsrate zu sprechen. Wir müssen aber auch darüber sprechen, wie wir als Parlament darauf reagieren. Das ist insbesondere für die Menschen wichtig, die darauf angewiesen sind, dass wir reagieren. Das vermissen wir als PDS bisher. Aber wir werden darauf hinwirken. Ich danke Ihnen. ({2})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich erteile das Wort dem Kollegen Max Straubinger für die CDU/CSU-Fraktion.

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon erstaunlich: Wir haben in unserem Land die höchste Inflationsrate seit 1993. Aber wenn ich die Ausführungen der Staatssekretärin Frau Hendricks vorhin richtig verstanden habe, komme ich zu dem Schluss, dass die Regierung auf das Prinzip Hoffnung setzt. ({0}) Das Prinzip Hoffnung ist sehr trügerisch: Die Regierung hat zu Beginn des Jahres darauf gehofft, dass wir im heurigen Jahr fast 3 Prozent Wirtschaftswachstum haben werden. Jetzt liegen wir aber nur bei 1,5 Prozent. ({1}) Verehrte Frau Staatssekretärin, es wäre wesentlich wichtiger und besser, politische Initiativen und Maßnahmen zu ergreifen, um diesem unerträglichen Inflationsschub Einhalt zu gebieten. ({2}) Ich möchte daran erinnern, dass wir 1998 bzw. 1999 fast Preisstabilität hatten. 1999 war eine Preissteigerung - das war natürlich noch Ausfluss der Arbeit der Bundesregierung von CDU/CSU und F.D.P. - von nur 0,6 Prozent zu verzeichnen. ({3}) Seit Einführung der Ökosteuer und der unsäglichen, ideologisch motivierten Belastungen, die Ihre Politik sozusagen mitbegründet, gibt es mittlerweile in MecklenburgVorpommern eine Preissteigerungsrate von 4,1 Prozent. Hier müssen die Alarmglocken endlich schrillen. ({4}) Der Kollege Loske hat vorhin ausgeführt, die Belastung durch die Ökosteuer sei eigentlich vernachlässigbar. ({5}) Herr Kollege Loske, Heizöl wurde um 4 Pfennig je Liter und Erdgas um 3,60 DM je Megawattstunde zusätzlich besteuert. Die Stromsteuer wird bis zum Jahr 2003 um 5 Pfennig je Kilowattstunde erhöht. Die Mineralölsteuer wurde seit 1999 um 25 Pfennig je Liter erhöht. Insgesamt, Herr Kollege Loske, sind die Bürgerinnen und Bürger gegenüber 1998 um 70 Milliarden DM zusätzlich belastet worden. Dies ist letztendlich mit die Ursache für diese unsägliche Preistreiberei. ({6}) Es ist ein Trugschluss, wenn jemand glaubt, er könne auf die notwendigen Reformen verzichten und er könne die Rentenkassen mit einer zusätzlichen Steuer sanieren, um damit die Renten zu sichern. Vielmehr muss der Reformwille erkennbar werden. Wir können das Gesundheitssystem nicht dadurch kurieren, dass wir Mindestbeitragssätze einführen, die letztendlich eine zusätzliche Preistreiberei auslösen werden. Aber die eigentliche Ursache liegt in der falschen Haushaltspolitik, wie sie RotGrün letztendlich betrieben hat. Erinnern wir uns: Es heißt immer, wir haben einen Sparhaushalt. Dass aber der vormalige Finanzminister Lafontaine das Haushaltsvolumen in einem Jahr um 8 Prozent ausgeweitet hat, ist mit eine der Ursachen dafür, dass wir heute eine solche Inflationsrate aufzuweisen haben. ({7}) - Das ist sie nicht. Verlierer dieser Politik sind die Rentner in unserem Land. Ich kann mich noch daran erinnern, dass bei Einführung der Ökosteuer Grüne und SPD-Politiker großartig darlegten, auch die Rentner wären Gewinner der Einführung einer Ökosteuer, weil ihre Renten ja gemäß den Nettolöhnen angepasst und diese steigen würden. Als die Nettolöhne gestiegen sind, hat

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Die Renten werden nur noch gemäß der Inflationsrate angepasst. Zugrunde gelegt wurde aber die Inflationsrate aus der Zeit der CDU/CSU-F.D.P.-Bundesregierung, nämlich 0,6 Prozent. 0,6 Prozent Rentenerhöhung, aber 3,5 Prozent Preissteigerungsrate im Mai dieses Jahres - das ist ein Skandal und führt zu realen Verlusten für die Rentnerinnen und Rentner. ({0}) Die gleichen Verluste erleiden natürlich auch die Sparer. Wenn einer 10 000 DM als Not- oder Spargroschen oder Sonstiges - Friedhelm Ost hat es anhand hoher Summen dargelegt, ich möchte es anhand kleiner darlegen auf seinem Sparbuch angelegt hat, bekommt er im Jahr bei einem Eckzins von 1 Prozent 100 DM Zinsen, gleichzeitig erleidet er einen Wertverlust von 350 DM. ({1}) Dies zeigt sehr deutlich, dass Rentner, Sparer und natürlich Familien mit Kindern die eigentlichen Verlierer der rot-grünen Politik sind. ({2}) Deshalb gilt es, jetzt eine Politikwende herbeizuführen. Verzichten Sie auf die weitere Erhöhung der Ökosteuer in Zukunft - wenn Sie schon die Ökosteuer an sich nicht zurücknehmen wollen - weil damit wiederum überdimensionale Belastungen auf die Bürgerinnen und Bürger zukommen werden, nämlich zum 1. Oktober 2001 plus 3 Pfennig Schwefelsteuer, zum 1. Januar 2002 plus 7 Pfennig Ökosteuer je Liter Benzin und zum 1. Januar 2003 wieder 7 Pfennig Ökosteuer je Liter Benzin mehr. Wenn dieses so käme, würde das bedeuten, dass eine weitere Preisspirale in Gang gesetzt würde. Darüber hinaus sind die Lohnempfänger die Gelackmeierten. Noch ein Letztes: Ich hoffe nicht, dass wir so weit kommen, dass solche unsäglichen Lohnforderungen gestellt werden müssen, wie sie mittlerweile die Flugzeugpiloten verlangen, nämlich 30 Prozent mehr Lohn. Ich hoffe nicht, dass sie dieses im Zusammenhang mit dem Inflationsausgleich gesehen haben. Besten Dank für die Aufmerksamkeit. ({3})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die SPD-Fraktion spricht die Kollegin Nina Hauer. Bevor Sie das Wort ergreifen, darf ich Ihnen im Namen des Hauses herzlich zu Ihrem heutigen Geburtstag gratulieren. ({0})

Nina Hauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003139, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vielen Dank für die Glückwünsche. Herr Straubinger, wenn es nach dem Willen von CDU/CSU gegangen wäre, hätten die Rentner und Rentnerinnen schon in diesem Jahr eine Rentenkürzung hinnehmen müssen, gleichzeitig aber hätten die Beschäftigten viel höhere Lohnnebenkosten zahlen müssen. ({0}) Die Tatsache, dass es andersherum funktioniert, ist der rot-grünen Bundesregierung zu verdanken. Ich denke, das wissen die Rentner und Rentnerinnen auch. ({1}) Lieber Herr Brüderle, verehrter Herr Ost, die Ausführungen, die Sie in Ihren Beiträgen gemacht haben, sind wirtschaftspolitisch grob fahrlässig. Sie verfahren nach dem Motto: Unsere Akzeptanz in der Bevölkerung sinkt, deswegen reden wir das Wachstum herunter und die Inflation hoch. ({2}) Sie geben wider besseres Wissen ({3}) die falschen Signale an die deutsche Wirtschaft und für das wirtschaftliche Ansehen Deutschlands im Ausland. ({4}) Sie wissen ja, dass diese Inflation zum größten Teil importiert ist: Die Rohöl- und Erzeugerpreise sind angestiegen, natürlich sind auch die Nahrungsmittelpreise angestiegen, weil wir zwei schwer wiegende Krisen in der Fleischproduktion hinter uns haben bzw. zum Teil noch mittendrin stecken. Das hat natürlich Auswirkungen auf die Preisentwicklung gehabt. Man muss sehen, dass auch die wirtschaftliche Entwicklung externen Faktoren unterworfen ist. ({5}) Die Entwicklung in den Vereinigten Staaten hat natürlich auch Einfluss auf eine Volkswirtschaft wie die deutsche, die extrem exportorientiert ist. Wenn Sie sich die Zahlen des Wirtschaftswachstums einmal genau anschauen, erkennen Sie, dass allein schon die Entwicklung in der Bauwirtschaft die Wachstumsprognosen nach unten korrigiert. Ich hatte angenommen, nach der Hannover-Messe würden Sie sich etwas zurückhalten, weil dort auch die Wirtschaftsverbände deutlich gemacht haben, dass sie den von Ihnen verbreiteten Pessimismus nicht wollen, weil es dazu keinen Anlass gibt. Es gibt Branchen in Deutschland, die Wachstumsraten bis zu 7 oder 8 Prozent haben. Das gilt nicht nur für die Elektrotechnik oder für den Maschinenbau, das gilt auch für die Dienstleister, es gilt für alle Branchen im Bereich der Informationstechnologien. Sie schaffen nicht nur wirtschaftliches Wachstum, sondern auch Arbeitsplätze. Denn irgendwo müssen ja die 1,3 Millionen Beschäftigungsverhältnisse, die in den letzten zwei Jahren dazugekommen sind, ihre Grundlage haben. ({6}) Sie entstanden gerade in den Branchen, in denen in den letzten Jahren Leute eingestellt worden sind, wo Wachstum unterstützt wurde und auch Löhne angehoben wurden. Sie werfen den Tarifpartnern vor, sie würden ihren Teil zur Inflation beitragen. Das finde ich in Anbetracht der Tatsache, dass wir es geschafft haben, dass sich die Tarifpartner im Bündnis für Arbeit zusammengesetzt und moderate Lohnentwicklungen vereinbart haben, eine Unverschämtheit. Ich weiß nicht, ob sich die PDS einen Gefallen tut, wenn sie es so darstellt, als ob allein die soziale Transferleistung ein Ausdruck sozialer Gerechtigkeit und sozialer Unterstützung wäre. ({7}) Unsere Politik ist es, dieses Wachstum zu stärken. Aber unsere Politik ist es auch, denjenigen, die von Sozialhilfe leben, in unserer Gesellschaft eine neue Chance zu geben. Ich denke, da kann sich unser politisches Ergebnis sehen lassen. Wir konsolidieren den Haushalt; das wirkt auch ganz gut gegen Inflation. ({8}) Wir betreiben eine aktive Arbeitsmarktpolitik; wir betreiben aktive Forschungspolitik. Wir haben dazu beigetragen, dass ausländische Investitionen in Deutschland attraktiver geworden und damit angestiegen sind. Wir haben dazu beigetragen, dass die Wirtschaft im Ausland weiß: Es lohnt sich wieder, in Deutschland zu investieren. Das gilt natürlich auch für die Wirtschaft im Inland. Ich verstehe gar nicht, warum Sie, Herr Brüderle, immer auf der Steuerreform herumhacken. Es war glücklicherweise auch das Land Rheinland-Pfalz, wo die F.D.P. mitregiert, das diese Steuerreform im Bundesrat unterstützt hat. ({9}) Wir haben damit in der Tat eine Grundlage für wirtschaftlichen Aufschwung schaffen. ({10}) Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters Wir haben aber auch die Grundlage dafür geschaffen, dass die Leute am Ende des Jahres mehr Geld in der Tasche haben. ({11}) Das ist nicht nur für die Wirtschaft wichtig, das hat auch etwas mit sozialer Gerechtigkeit zu tun. ({12}) Ich kann zu Ihrem Pessimismus nur sagen: Reden Sie so weiter! Sie werden irgendwann dahin kommen, dass Sie weder in den Verbänden noch in der Bevölkerung irgendjemand ernst nimmt. Wir vertrauen in die wirtschaftliche Kraft Deutschlands. Wir tun etwas dafür. Wir haben im Mittelstand und bei den Beschäftigten auch die richtigen Bündnispartner dafür. Vielen Dank. ({13})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich gebe das Wort dem Kollegen Hartmut Schauerte. Er spricht für die CDU/CSU-Fraktion.

Hartmut Schauerte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002770, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich meine, wir sollten uns ohne Schön- oder Schlechtreden an den Fakten orientieren. ({0}) Wir reden über ein wichtiges wirtschaftspolitisches Thema. 3,5 Prozent Inflation entsprechen bei einem Bruttosozialprodukt von etwa 4 000 Milliarden DM in Deutschland einem Betrag von 140 Milliarden DM. Das ist dreimal so viel, wie Sie nach fünf Jahren Steuerreform an Beträgen pro Jahr zurückgeben wollen. Das ist mehr als 30-mal so viel, wie Sie für das Kindergeld ausgeben. Diese 140 Milliarden DM landen nicht irgendwo in der Luft, sondern bei ganz konkret betroffenen Menschen, in der Regel bei Verbrauchern, bei Familien, bei Rentnern, bei niemandem sonst. Wer eine solche Entwicklung nicht wahrnimmt und von „Schlechtreden“ spricht oder sie verharmlost und wenig dagegen tut, der handelt nicht verantwortungsbewusst. ({1}) Das ist eine schwerwiegende Herausforderung. Ich denke, wir müssen uns ihr stellen. Es gibt natürlich Dinge, die man nicht beeinflussen kann. Aber es gibt auch Dinge, die man beeinflussen kann. Wenn man schon einiges laufen lassen muss, dann sollte man wenigstens in den Fällen handeln, in denen das möglich ist, damit nicht alles noch schlimmer wird. Ihre Ökosteuer ist genau der Punkt, an dem Sie alleinverantwortlich preistreibend wirken. Wenn dann widrige Umstände hinzukommen, wären Sie gut beraten, zu sagen: Nun halten wir inne, nun nehmen wir ein Stück zurück, damit die Belastungen nicht plötzlich die Strukturen bei den einfachen Leuten zerschlagen. - Dazu fordern wir Sie auf. ({2}) Natürlich gab es auch bei der CDU Inflation. Zu Beginn der Wiedervereinigung stieg die Rate auf mehr als 5 Prozent. Das hat uns unglaublich belastet; aber wir wussten, woran es lag. Es bestand die Sorge, es könnten auch 10 Prozent werden, weil die Wiedervereinigung so plötzlich und ungeplant finanziert werden musste. ({3}) Aber in den letzten fünf Jahren unserer Regierungszeit sank die Inflationsrate von 1,7 auf 0,5 Prozent. Jetzt regieren Sie seit zweieinhalb Jahren. Bevor man einen guten Prozess in einer großen Volkswirtschaft mit 80 Millionen Menschen umkehrt, braucht es seine Zeit: Im Jahr 2000 hatten wir 1,9 Prozent Inflation, in diesem Jahr haben wir 3,5 Prozent. Das sind die Früchte Ihrer Politik, die Sie uns jetzt nicht mehr als Ergebnis der Vergangenheit in die Schuhe schieben können. Das ist Ihre Inflationsrate; für die Wertzerstörung in Höhe von 140 Milliarden DM zulasten der deutschen Bürgerinnen und Bürger sind Sie verantwortlich. ({4}) Dem müssen Sie sich stellen. Ich will einmal darstellen, welche Auswirkungen das auf die privaten Haushalte hat. Ein normaler Haushalt hat laut Angaben des Statistischen Bundesamtes Aufwendungen für den privaten Verbrauch - mit allen staatlichen Transferzahlungen und allem Drum und Dran - in Höhe von durchschnittlich 4 031 DM. Bei diesem Betrag kostet eine Inflation von 3,5 Prozent monatlich 183 DM. ({5}) - Für einen durchschnittlichen Haushalt sind das mehr als 2 000 DM im Jahr. Sie können gar nicht so viele staatliche Transferleistungen organisieren, dass Sie das wieder auffangen können. Deswegen wundere ich mich, dass Sie in dieser Situation nicht ein einziges Rezept haben, nicht eine einzige Handlung andeuten, womit Sie zeigen würden: Wir wollen umsteuern; wir wollen das wieder auf ein verträgliches Maß zurückführen. Die hohen Inflationsraten, die wir seinerzeit zu verantworten hatten, waren durch die Wiedervereinigung und die Risiken, die damit verbunden waren, begründet. Ich will das hier niemandem in die Schuhe schieben. Sie waren vernünftig; es ging wohl nicht anders. ({6}) - Ich bitte um Vorschläge, wie Sie es besser gemacht hätten. Die Besserwisser kennen wir. - Aber jetzt erhöhen Sie die Inflation ohne Not, ohne einen solchen epochalen Einschnitt. Das macht die Sache in der Tat ganz schön schlimm. Noch schnell eine Korrektur. Wenn hier gesagt wird, Sie hätten die Abgabenquote gesenkt, muss ich feststellen - an Ihrem Geburtstag möchte ich nur sehr freundlich mit Ihnen umgehen, Frau Kollegin Hauer -: Die Abgabenquote lag im Oktober 1998 bei 42,3 Prozent; jetzt liegt sie bei 43 Prozent. ({7}) Die Steuerquote lag in unserer Volkswirtschaft im Oktober 1998, zu dem Zeitpunkt, da wir die Regierung übergeben haben, bei 22 Prozent; heute liegt sie bei 23,1 Prozent. Sie haben sowohl die Steuerquote als auch die Abgabenquote in dieser Zeit erhöht. Nun erhöhen Sie die Inflationsrate auf diese immense Höhe, sagen aber gleichzeitig: Alles ist schön, wer etwas anderes sagt, redet unser Land schlecht; Rezepte haben wir nicht, doch es wird schon wieder besser werden. Ich warne Sie: Das ist der Anfang der fatalen Situation, die wir damals hatten, als irgendein Bundeskanzler gesagt hat: Was habt ihr eigentlich? Mir sind 5 Prozent Inflation lieber als 5 Prozent Arbeitslose. - Wohin uns das geführt hat, daran erinnern sich noch die, die dabei waren. Wenn Sie nicht gegensteuern, laufen Sie in die gleiche Falle. Davor wollen wir unser Volk rechtzeitig gewarnt haben. Herzlichen Dank. ({8})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Die Kollegin Andrea Fischer spricht nun für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Andrea Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002652, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie haben gesagt, die Inflation werde von uns verharmlost. Das habe ich von keinem Kollegen, der seitens der sozialdemokratischen und der grünen Fraktion gesprochen hat, so gehört. Die Kollegen haben einfach nur versucht, sich mit Ihnen darüber zu verständigen - ich habe aber sehr stark den Eindruck, dass das nicht Ihr heutiges Interesse ist -, welche Fakten sind und wie man diese zu bewerten hat. Denn selbstverständlich ist Inflation etwas, was wir nicht gutheißen und was wir nicht wollen. ({0}) Die Frage ist doch, ob man auf den Anstieg der Inflationsrate so aufgeregt reagieren muss, wie Sie das tun, oder ob es nicht vielmehr so ist, dass Sie sich denken: Okay, jetzt sagen wir all das, was wir schon immer an der Politik der Bundesregierung doof fanden, und diesmal stellen wir es unter die Überschrift „Inflation“. - Das kann man tun. Das dürfen Sie als Opposition machen; das ist Ihnen unbenommen. Aber deswegen müssen wir hier nicht hektisch werden. Das ist der entscheidende Punkt. Natürlich beschäftigt der Anstieg der Inflationsrate auch die Fachwelt; das wird Ihnen wahrscheinlich nicht entgangen sein. Die meisten Wirtschaftsforschungsinstitute sagen: Das ist ein aktueller Effekt, der sehr viele externe Ursachen hat. - Die Fachwelt geht aber davon aus, dass sich die Preissteigerungsrate im Laufe des Jahres wieder auf 2 Prozent einpendeln wird. ({1}) Professor Siebert vom Kieler Weltwirtschaftsinstitut hat gesagt - ihm ist da wirklich zuzustimmen -, die Lage sei ernst, weil die Preissteigerung unerwartet hoch ausgefallen sei. Aber er erwarte im Herbst wieder eine Inflationsrate von 2 Prozent. Das wird von vielen in der Fachwelt geteilt. Wenn das so ist, dann ist es doch nicht verharmlosend, wenn wir sagen: Wir schauen uns das genau an, ({2}) lassen uns aber in unserer Wirtschaftspolitik nicht beirren, weil diese im Prinzip dazu geeignet ist, Wachstum und Beschäftigung nicht nur sicherzustellen, sondern sogar zu fördern. ({3}) Dass Sie die Ökosteuer nicht mögen, ist Ihnen unbenommen. Trotzdem sollten Sie aufhören, über die Fakten hinwegzusehen. Kollege Loske hat nicht gesagt, dass die Ökosteuer keine Rolle spielt. Er hat nur darauf hingewiesen, dass die Ökosteuer nicht den Effekt hat, wie Sie es die ganze Zeit behaupten. ({4}) Ich will das mit einer Zahl belegen: Seit Anfang des Jahres 2000 sind die Benzinpreise um 50 Pfennig gestiegen. Der Effekt der Ökosteuer an diesem Preisanstieg beträgt genau 6 Pfennig. ({5}) Da frage ich Sie nun: Ist dieser Preisanstieg nicht auf externe Effekte zurückzuführen, die wir nicht beeinflussen können? Ist es wirklich richtig - dies wurde ja schon gefordert -, es der OPEC, die die Preise erhöht, leicht zu machen und sofort mit Steueränderungen zu reagieren? ({6}) Ich glaube auch, dass Sie den Einfluss der Lebensmittelpreise, die hier eine Rolle spielen, nicht richtig bewerten. Der Bundesverband des Deutschen LebensmittelEinzelhandels sagt, dass es zwar infolge der Agrarkrise besondere Effekte gibt, dass aber damit zu rechnen sei, dass sich im Laufe des Jahres die Steigerung der Lebensmittelpreise auf den uns längst vertrauten Wert von 1 Prozent einpendeln wird. Wenn das alles so ist, sollen wir dann plötzlich hektische Kehrtwendungen machen, wie Sie das hier von uns fordern? ({7}) Würden wir das tun, würden Sie mit Recht sagen, dass wir einen wirtschaftspolitischen Schlingerkurs führen. ({8}) Ich kann nur wiederholen, was schon viele gesagt haben - das kann ich Ihnen nicht ersparen -: Wir haben in der Steuerpolitik das Ruder herumgeworfen und die Privathaushalte auf eine Art und Weise entlastet, wie es Ihnen die ganzen Jahre über nicht gelungen ist, obwohl Sie genauso wie wir erkannt haben, wie notwendig das ist. Das ist für die Konjunktur von großer Bedeutung. Entgegen dem, was Sie immer behaupten, ist ein Drittel aller im Rahmen dieser Steuerreform durchgeführten Entlastungen bei den kleinen und mittleren Unternehmen wirksam. Auch das ist positiv für die Konjunktur. ({9}) Sie haben von der Arbeitsmarktpolitik gesprochen. Deshalb will ich darauf hinweisen: Derzeit kommt es zu ausgesprochen maßvollen Lohnabschlüssen. Sie wissen, wie wichtig das für die Frage ist, ob die Preise steigen oder nicht. Das hat nicht zuletzt damit zu tun, dass das Bündnis für Arbeit die dafür erforderlichen Rahmenbedingungen geschaffen hat. Wir wissen auch, dass es weiterhin diese maßvollen Lohnabschlüsse geben muss, wenn wir nicht in eine Lohn-Preis-Spirale geraten wollen. Ein letztes Wort: Ich bin wirklich geplättet, dass Herr Ost sagt: Was Sie da mit dem Euro machen; dass Sie das einfach so laufen lassen! - Mit Verlaub, habe ich irgendetwas in Bezug auf die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank verpasst? ({10}) Die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank ist meiner Kenntnis nach im Maastrichter Vertrag, der noch unter der Kohl-Regierung abgeschlossen wurde, verankert worden. Eine unabhängige Zentralbank halte ich für eine ausgesprochen kluge Idee. Ich bin der Auffassung, dass der Europäische Zentralbankrat eine ausgesprochen gute Politik gemacht hat. Wenn Sie hier sagen, das mit dem Euro werde alles noch viel schlimmer, ist dies verantwortungslos. ({11}) Natürlich ist die Situation schwierig; der Euro muss sich das Vertrauen der Märkte und der Bürgerinnen und Bürger erst erwerben. Sie aber machen es ihm schwer, sich dieses Vertrauen zu erwerben. Das kann niemand gebrauchen. Das finde ich wirklich verantwortungslos, selbst wenn man in Rechnung stellt, dass Sie eine verzweifelte Opposition sind. ({12})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich erteile nunmehr das Wort dem Kollegen Wolfgang Meckelburg für CDU und CSU.

Wolfgang Meckelburg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001452, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dass ich als Sozialpolitiker in dieser Debatte über die Inflationsrate rede, ist sicherlich notwendig. Denn wir haben versucht - eine Ausnahme waren die Jahre, wo die Einheit zu bewältigen war -, eine Politik zu machen, bei der Preisstabilität herrscht. Die Preisstabilität ist die sozialste Politik gerade für die unteren Lohngruppen, ({0}) gerade für die Rentner und Rentnerinnen, für die Sozialhilfeempfänger, für Studenten, also für alle, deren Einkommen sich am unteren Ende der Skala bewegt. ({1}) - Für die kleinen Leute. Wenn wir die Regierungsbilanz, die wir im Oktober 1998 überlassen haben, mit dem vergleichen, was jetzt ist, dann stellen wir fest, dass entscheidende Daten auf der Rutsche sind: Das Wirtschaftswachstum betrug am Ende der Regierung Kohl 2,7 Prozent. Jetzt müssen Sie das Wirtschaftswachstum Monat für Monat nach unten korrigieren. Man erwartet heute - in der Presse ist das nachzulesen - nur noch 1,5 Prozent. Bei der Arbeitslosigkeit hat es keine große Bewegung gegeben. Bei uns waren es 3,9 Millionen; im letzten Monat sind wir bei 3,8 Millionen gewesen. Ich will die Zahlen nicht so einfach vergleichen, weil sie nicht vergleichbar sind. ({2}) - Nein, nein. - Den größten Rückgang innerhalb eines Jahres, von Januar bis September, hat es im Wahljahr 1998 gegeben. ({3}) In keinem Jahr danach wurde dies geschafft. Ich sage das deswegen ganz deutlich, weil der Bundeskanzler an dieser Stelle mit einer Zahl operiert - 4,8 Millionen -, die wir im Januar hatten, die aber nicht Durchschnitt des Jahres war. ({4}) Jetzt will ich am Beispiel der Rentner deutlich machen, was das bedeutet. Beim Thema Inflation haben Sie sowieso immer Schwierigkeiten. ({5}) Andrea Fischer ({6}) Herr Kollege Poß, Sie haben den Rentnerinnen und Rentnern über den Bundeskanzler im ersten Regierungsjahr versprochen: Wir bleiben bei der nettolohnbezogenen Rente. ({7}) Dieses Versprechen haben Sie gebrochen. Sie haben gesagt: Es gibt nur noch einen Inflationsausgleich. Das ist weniger gewesen. Als es dann konkret wurde, mussten wir feststellen, dass die Rentenerhöhung im Jahr 2000 0,6 Prozent betrug, aber die Inflationsrate im Jahr 2000 bei 1,9 Prozent lag. Das war kein Inflationsausgleich, weil die Inflation des Vorjahres zugrunde gelegt wurde. Damit Sie einmal merken, was das für einen Rentnerhaushalt bedeutet, nehme ich einmal eine nachrechenbare Zahl. ({8}) Eine Rente von 2 000 DM ist zum 1. Juli 2000 auf 2 012 DM erhöht worden. Aber der Kaufkraftverlust von 1,9 Prozent bedeutet, dass diese 2 012 DM nur noch einen Wert von 1 974 DM haben. Das spüren die Rentnerinnen und Rentner. Sie spüren es an der Zapfsäule. Sie spüren es gerade in diesem Monat auch bei den Heizkostennachzahlungen. Das ist sicherlich mit ein Grund, warum die Inflationsrate so hoch ist. Das geht im Jahr 2001 weiter. Rentenanpassung West: 1,9 Prozent, Inflation: 2,5 oder 2,3 Prozent; keiner weiß das so genau. Jedenfalls wird auch in diesem Jahr ein ähnliches Verhältnis gegeben sein. Selbst wenn man einmal gutmütig rechnet - bei Rot-Grün weiß man ja nie, wie die Ergebnisse sein werden -, dass Sie im Wahljahr 2002 möglicherweise mit der Rentenerhöhung 0,3 oder 0,4 Prozent über der Inflationsrate liegen, reicht das bei weitem nicht aus, um das auszugleichen, was Sie vorher den Rentnerinnen und Rentnern aus der Tasche gezogen haben mit Inflationsraten, die weit über den Rentenanpassungen liegen, die Sie ihnen gegeben haben. ({9}) Das Gleiche gilt für Familien. Wir haben immer gerechnet: Ein Prozentpunkt mehr oder weniger Inflationsrate bedeutet, aufs Jahr gesehen, 18 Milliarden DM mehr oder weniger Kaufkraft. Wenn man dem gegenüberstellt, dass Sie die Familien mit 30 DM Kindergeld beruhigen wollen - eine Gesamtsumme von 4,6 Milliarden DM -, dann hat man den klassischen Beweis dafür, dass es notwendig ist, eine Politik zu betreiben, die auf Preisstabilität achtet. Das ist das Sicherste und Wichtigste und entlastet die Familien viel mehr als die 4,6 Milliarden DM, die Sie ihnen über das Kindergeld geben: 18 Milliarden DM könnten ihnen über die Kaufkraft verloren gehen. Im Übrigen gilt für die Empfänger von Sozialhilfe - deren Änderungen sind ja an die Rentenanpassung gekoppelt - genau dasselbe. Ich finde die Ergebnisse, die man in der Sozialpolitik festhalten kann, blamabel für eine Regierung, die mit dem Slogan angetreten ist, soziale Gerechtigkeit zu schaffen. Das, was Sie mit der Preissteigerungsrate hier anrichten, ist größte soziale Ungerechtigkeit. Ich fordere Sie auf: Schwenken Sie auf den Weg sozialer Gerechtigkeit! Sorgen Sie dafür, dass Preisstabilität im Land herrscht! Damit wäre gerade den unteren Einkommen sehr geholfen. ({10})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Herr Kollege Bernd Scheelen spricht nun für die Fraktion der SPD. ({0})

Bernd Scheelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002772, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Schauerte, Vorschläge wären eigentlich von der Opposition zu erwarten. Aber Sie vermeiden ja tunlichst, konkrete Vorschläge zu machen. ({0}) Der Kollege Ost - er ist leider nicht mehr hier - hat vorhin gesagt, Inflation habe einen Namen, sie hieße RotGrün. Dazu kann ich nur sagen: Demagogie hat einen Namen und der heißt Schwarz-Gelb. ({1}) Was der Kollege Ost hier vorgetragen hat, muss man ja einmal in der Dimension der vergangenen zehn, 15 oder 16 Jahre sehen. ({2}) - Herr Schauerte, ich komme sofort auf Sie zurück. Der Kollege Ost war zu Ihrer Regierungszeit in relativ verantwortlichen Positionen tätig. Da wird er wissen, dass die Inflationsrate für den Monat Mai im Jahre 1993 bei 4,4 Prozent lag, also deutlich höher, als sie in diesem Jahr liegt. 1992 lag sie sogar bei 6,3 Prozent. Sie haben das eben ein bisschen beschönigt und gesagt: „an die 5 Prozent“. ({3}) Es ist natürlich ein bisschen sehr billig, Herr Schauerte, zu behaupten, das habe an der deutschen Einheit gelegen. Das hing mit der Art und Weise zusammen, wie Sie die deutsche Einheit finanziert haben. Das war nämlich dilettantisch und stümperhaft. ({4}) Über Verschuldung haben Sie das Ganze geregelt. Mit frisch gedrucktem Geld, mit staatlicher Neuverschuldung haben Sie die Einheit finanziert. ({5}) Die Probleme haben wir jetzt am Hals, die müssen wir jetzt lösen. Wir haben von Ihnen eine Staatsverschuldung von 1,5 Billionen DM übernommen. Wir sind dabei, diesen Schuldenberg abzubauen. Es ist ein schweres Erbe, das wir von Ihnen übernommen haben, aber wir stellen uns dieser Aufgabe und haben erste Erfolge auf diesem Sektor zu verzeichnen. Ich frage mich: Wie hieß denn die Inflation in den 90erJahren? Jedenfalls muss sie doch schwarz-gelb gewesen sein. Herr Brüderle, wenn Sie sagen, die Inflation sei sozial tief ungerecht, dann haben Sie natürlich im Prinzip Recht. Nur müssen Sie sich dann an die eigene Brust schlagen, denn Sie haben doch jahrelang eine sozial tief ungerechte Politik unterstützt. Sie benutzen das Thema Inflationsrate heute wieder als Hintertür für ein anderes Thema. Sie haben uns in diesem Jahr sechs- oder achtmal - ich weiß nicht, wie oft - mit Aktuellen Stunden zum Thema Ökosteuer überrascht und erfreut. Nun haben Sie gemerkt, dass sich das Thema irgendwie totläuft, und brauchen einen neuen Aufhänger. Daher versuchen Sie es mit Inflation. Dabei kommen Sie mir ein bisschen so vor wie der Student, der sich für seine Biologieprüfung auf den Wurm vorbereitet hat. Nun wird er aber nach dem Elefanten gefragt. Und er beginnt seine Ausführungen: Der Elefant hat einen wurmförmigen Rüssel. So arbeiten Sie! Sie versuchen jetzt über eine Debatte zur Inflation wieder auf die Ökosteuer zu kommen. Deswegen will ich Ihnen gerne noch etwas zur Ökosteuer sagen. Sie sagen, die Ökosteuer treibe die Preise. ({6}) - Das kann ich Ihnen nachher noch einmal unter vier Augen erklären, wenn Sie es nicht verstanden haben. Vielleicht verstehen Sie das hier jetzt auch nicht. Aber ich hoffe doch noch auf Ihre Einsicht. Wenn Sie behaupten, die Ökosteuer treibe die Preise, dann darf ich Sie noch einmal an diesen Zeitungsartikel erinnern, der überschrieben ist mit: „Teures Autofahren - Benzinpreis steigt zum 1. Januar um 18 Pfennig“. Das ist ein Artikel aus dem Jahr 1993, und zwar vom 31. Dezember. Damals haben Sie zum 1. Januar 1994 die Mineralölsteuer um 18 Pfennig angehoben. Nach Ihrer Logik hätte im Januar 1994 die Inflationsrate dramatisch ansteigen müssen. Ist sie aber nicht. Sie ist von 4,4 Prozent im Dezember 1993 trotz Ihrer dramatischen Steuererhöhung im Januar 1994 auf 3,2 Prozent gefallen. Das heißt, Sie haben mit einer einzigen Erhöhung das gemacht, wofür wir uns jetzt drei Jahre Zeit genommen haben, um in dezenten Stufen die Energiepreise anzuheben. Das heißt, einen direkten Einfluss auf die Inflationsrate hat so etwas nicht, denn sie basiert nicht nur auf einem einzigen Preis, sondern setzt sich aus Einzelpreisen vieler Bereiche zusammen. Noch einmal - wie Sie angemahnt haben, Herr Schauerte - zu den Fakten: Es steht außer Frage, dass wir alle eine Inflationsrate von 3,5 Prozent im Mai nicht gut finden. Trotzdem lohnt es sich, einmal genau hinzusehen, wie sich diese zusammensetzt. Dazu sind sicherlich Grafiken manchmal ganz hilfreich. Ich habe Ihnen hier noch eine mitgebracht. Ich weiß nicht, ob Sie das sehen können. ({7}) Die untere schwarze Linie bewegt sich für den Zeitraum von 1998 bis 2001 auf einem Niveau von etwa 1 Prozent. Das ist die Inflationsrate unter Ausschluss der Kraftstoffund Nahrungsmittelpreise, sozusagen die Kerninflation. Sie beträgt auch im Mai dieses Jahres nur 1 Prozent. Der Rest verteilt sich auf Energiekosten - 1,4 Prozent - und auf Nahrungsmittelpreise - 1,1 Prozent -, wobei Letzteres im Wesentlichen saisonal bedingt ist. ({8}) Ihre Hochschätzung für die Bundesregierung kann ich gut verstehen; aber Sie halten sie manchmal ursächlich für Dinge, auf die sie leider keinen Einfluss hat. Wenn sich die Ölscheichs einig sind und die Fördermengen drosseln, dann steigt der Energiepreis. Darauf hat die Bundesregierung relativ wenig Einfluss. Die Bundesregierung hat auch relativ wenig Einfluss darauf, wenn in England die Raffinerie „Killinghome“ abbrennt, die den amerikanischen Markt mit Benzin versorgt hat. Die Bundesregierung hat relativ wenig Einfluss auf das Wetter, darauf, ob der Mai sehr trocken ist und den Bauern damit die Ernte verhagelt, um das einmal salopp zu formulieren. Das sind Einflüsse, die zugegebenermaßen die Inflationsrate jetzt im Mai - für einen einzelnen Monat - auf 3,5 Prozent hochgetrieben haben. Der Präsident der EZB, Wim Duisenberg, sagt genau das Gleiche: Das sind saisonale Einflüsse, bedingt durch die Energiepreiserhöhung, MKS und BSE-Krise; das wird sich wieder regulieren. Wir müssten uns Sorgen machen, wenn die Kerninflation über 1 Prozent läge. Das trifft aber nicht zu. Deswegen sage ich: Es ist gut, dass die Bundesregierung hier eine ruhige Hand bewahrt und in ihrer Haushaltskonsolidierungs- und Steuersenkungspolitik fortfährt. Das ist der richtige Weg; das ist die richtige Antwort auf steigende Preise. Vielen Dank. ({9})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich gebe das Wort dem Kollegen Klaus-Peter Willsch für die CDU/CSU-Fraktion.

Klaus Peter Willsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003264, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Bernd Scheelen, die Leute schauen ins Portemonnaie und merken, dass am Ende vom Monat weniger übrig ist, dass sie weniger in der Tasche haben. Es ist ihnen dann egal, in welche einzelnen Komponenten sich die Inflation zerlegt. Entscheidend ist: Es reicht unter dem Strich nicht mehr. Dafür seid Ihr mitverantwortlich. ({0}) Es ist immer recht aufschlussreich, einmal zurückzublenden und sich vor Augen zu führen, was zu ähnlichen Themen in vorangegangenen Debatten gesagt worden ist. Ich habe in einem Protokoll aus dem Monat September 2000 nachgeschaut. Die Kollegen von Rot-Grün werden sich gut daran erinnern: Damals gab es intensive Debatten über den Benzinpreis und mögliche Kompensationen. Wie sah denn die Lage damals aus? - Das Rohöl kostete 35 Dollar je Barrel. Finanzminister Eichel sagte, 25 Dollar pro Barrel sei ein für die Weltwirtschaft vernünftiger Wert. Das Wachstum für 2001 wurde mit rund 3 Prozent prognostiziert. Eichel sagte, die Inflation entwickele sich moderat. Im August letzten Jahres hatten wir eine Inflationsrate von 1,8 Prozent. In dieser Situation gab es hektische Betriebsamkeit bei der Regierung: Entfernungspauschale, Heizkostenzuschuss und all die anderen Regelungen. Vergleichen wir einmal diese Situation mit der heutigen: Ein Barrel Rohöl kostet 26 Dollar; das entspricht ungefähr der eichelschen Wunschgröße. Die Prognose für das Wachstum beläuft sich auf 1,5 Prozent, vielleicht ein bisschen mehr. Die Inflation beträgt 3,5 Prozent, die höchste Rate seit sieben Jahren. Das soll dann Grundlage für business as usual sein? - Das passt doch nicht zusammen. ({1}) Bei solchen Themen sollten Sie auch einmal auf die Wissenschaft hören. Professor Siebert hat am letzten Sonntag in der „Bild am Sonntag“ erklärt: Da ist die Öko-Steuer nicht ganz unschuldig dran. Die Energiepreiserhöhungen sind deshalb auch hausgemacht. ({2}) Er sagt weiter: Wir müssen uns fragen, ob wir die richtige Energiepolitik betreiben. Der deutsche Ausstieg aus der Kernenergie ist eine Einladung an die Ölanbieter, diese Situation auszunutzen. Das liegt doch auch völlig auf der Hand: ({3}) Sie als rot-grüne Regierung geben noch zusätzlich das Signal, der Benzinpreis sei zu niedrig. Die Grünen propagierten seinerzeit: „5 DM pro Liter!“ - vielleicht schaffen wir es ja, wenn Sie so weitermachen. ({4}) Sie haben seit der Regierungsübernahme 1998 den Preis pro Liter Benzin locker um 21 Pfennig erhöht. Da dürfen Sie sich doch nicht wundern, wenn bei Preisbildungsprozessen der Eindruck entsteht, da sei noch Luft, da sei die Grenze der Belastbarkeit noch nicht erreicht, wenn sich in einer solchen Situation andere dranhängen und zusätzliche Gewinne realisieren. ({5}) Tatsache ist: Wenn wir an die Tankstelle fahren und tanken, weiß jeder Einzelne von uns und wissen die vielen Bürger draußen, dass alles, was über zwei Mark je Liter hinausgeht, aufgrund Ihrer so genannten Ökosteuer ausschließlich von Ihnen zu verantworten ist. ({6}) Stichwort Euro: Sie haben vielleicht gelesen, dass drei Viertel der Deutschen nach einer Emnid-Umfrage der Meinung sind, dass die Ausgabe der neuen Zahlungsmittel am 1. Januar 2002 zu verdeckten Preissteigerungen führen wird. Angesichts der Erfahrungen bei der Umstellung der gerade eingeführten Entfernungspauschale müssen sie solche Befürchtungen natürlich auch haben: Sie appellieren auf der einen Seite an den Handel und alle möglichen anderen Adressaten, man möge sich bei der Euro-Umstellung bitte ordentlich verhalten, und auf der anderen Seite klauen Sie den Leuten auf diese Weise bei der Entfernungspauschale 10 Pfennig. Über ein solches Verhalten kann man nur den Kopf schütteln. Wir müssen erst einmal abwarten, ob sich die Befürchtungen der Bürger in diese Richtung bewahrheiten werden und inwieweit auch der eine oder andere preissteigende Effekt daraus folgen wird. Das ist zumindest ein zusätzliches Risiko, das wir zu gewärtigen haben. Kollege Schauerte hat vorhin bereits das nette Zitat von Bundeskanzler Schmidt seinerzeit gebracht. Der Ministerpräsident Schröder hat sich 1995 dieses Zitat zu Eigen gemacht. Er hat damals im „Spiegel“ gesagt, man dürfe „nicht das abwürgen, was wir zum Blühen bringen wollen, die Beschäftigung.“ Auch für ihn gelte wie für den ehemaligen

Ulla Schmidt (Kanzler:in)

Politiker ID: 11002019

Lieber 5 Prozent Inflation als 5 Prozent Arbeitslosigkeit. - Ich traue dem Bundeskanzler die 5 Prozent Inflation zu, nicht aber die 5 Prozent Arbeitslosigkeit. Wenn sich die Regierung schon mit ökonomischen Kurvenverläufen beschäftigen will, dann empfehle ich: Weg mit der Phillips-Kurve! Wer Inflation laufen lässt oder gar anheizt, wie Sie das mit Ihrer so genannten Ökosteuer machen, nimmt den kleinen Leuten ihr Erspartes, bestraft Rentner, Arbeitslose und Beschäftigte mit Realeinkommensverlusten und hat am Ende weniger Beschäftigung und mehr Arbeitslosigkeit. Das ist das Ergebnis. ({0}) Wenn Sie sich Kurven anschauen wollen, dann nehmen Sie sich einmal die Laffer-Kurve vor. Trauen Sie sich an einen großen Wurf bei der Steuerreform - Vereinfachung des Systems, runter mit den Sätzen - und Sie werden Dynamik vor allem bei der Binnenmarktentwicklung lostreten und zu Wachstum, zu Beschäftigung und zu sprudelnden Einnahmen kommen. Nehmen Sie die Vorschläge von Gunnar Uldall, von Friedrich Merz, von Professor Kirchhof als Blaupause! Dann werden wir mit der Politik hier bei uns im Land auf den richtigen Weg kommen. So, wie Sie es machen, machen Sie es falsch. Damit sind Sie mitverantwortlich dafür, dass wir eine so hohe Inflationsrate zu beklagen haben. Vielen Dank. ({1})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Nun erhält das Wort der Kollege Wolfgang Weiermann für die SPDFraktion. ({0})

Wolfgang Weiermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002447, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich habe nicht den geringsten Grund, mich zu ergeben, weil vieles von dem, was Sie gesagt haben, einfach nicht der Wahrheit entspricht. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Bundesverfassungsgericht hat nicht uns gerügt, als es die Politiker aufforderte, eine bessere Familienpolitik zu machen, sondern das Urteil wandte sich gegen Ihre Regierungspolitik. Das ist die Wahrheit. ({0}) Wenn wir über die Rentenpolitik reden, muss ich Ihnen Folgendes entgegenhalten: Als wir den Kassensturz machten, mussten wir feststellen, dass durch sachfremde Ausgaben - die Sie und nicht wir getätigt hatten - die Rücklage bei der Rente auf zwei Drittel einer Monatsausgabe gesunken war. Das bedeutet, dass diese Rücklage gar nicht mehr verfassungsgemäß war. Wir haben nun dafür gesorgt, dass wir allmählich mehr als eine Monatsrücklage haben. Wer hat da denn die Schweinerei gemacht, Sie oder wir, die wir sie korrigiert haben? Sie sagten, die Inflationsrate sei bei der Rentenanpassung nicht berücksichtigt worden. ({1}) Wer hat denn seit 1994 - schauen Sie sich das einmal in aller Ruhe an - kontinuierlich, Jahr für Jahr, die Renten nicht einmal um mehr als die Höhe der Inflationsrate angehoben? Das waren doch Sie! Haben Sie wirklich nicht gemerkt, dass Sie in den Jahren an der Regierung und für diese Politik verantwortlich waren? ({2}) Was ich heute gehört habe, klingt so, als ob Ihnen die Krokodilstränen, die Sie vergießen, den Blick auf die laufende Konjunktur eher trüben, als dass sie Klarheit in das Geschehen bringen. Ich möchte festhalten, dass sich die konjunkturellen Schwächen nicht allein auf die Bundesrepublik Deutschland beschränken, ({3}) sondern es handelt sich, wenn Sie so wollen, um ein Phänomen, das auch in anderen Ländern der Europäischen Union in Erscheinung tritt. ({4}) Wir reden immer über die Höhe der Mai-Inflationsrate. Das französische Amt für Statistik - auch das muss man an dieser Stelle einmal sagen - hat für den besagten Zeitraum den geringsten Zuwachs des Bruttoinlandsproduktes seit 1998 errechnet. ({5}) Tun Sie doch nicht so, als würden sich diese Dinge nicht europaweit und weltweit widerspiegeln und als seien allein wir an dieser Entwicklung maßgeblich beteiligt. Es geht hier nicht um die klassische Inflation, Herr Schauerte. Damit haben wir es nicht zu tun; denn diese wäre die Folge einer überhitzten Konjunktur, wie Sie genau wissen. ({6}) Von Überhitzung ist aber keine Rede. Vielmehr ist der Anstieg der Inflationsrate das Resultat einer Entwicklung, deren Hauptursache auf der Kostenseite zu suchen ist. Das ist der qualitative, aber wichtige Unterschied in der Beurteilung der gegenwärtigen Situation. ({7}) Das Statistische Bundesamt hat dafür drei Bereiche genannt. Sie wurden hier schon genannt. Ich will es also an dieser Stelle nicht noch einmal tun. Ich darf aber sagen, dass sich in etlichen Euro-Ländern die Inflationsrate bereits im April im Durchschnitt auf 2,9 Prozent erhöht hat. In Spanien betrug sie 4 Prozent, in Irland 4,3 Prozent und in den Niederlanden 5,3 Prozent. Die Ursachen sind klar: Es handelt sich um den Anstieg - das gilt auch für unser Land - der Lebensmittelpreise. Aber ich füge hinzu, dass die Preise für Gas, Gasöl und Rohölprodukte die Folge einer überhöhten Energienachfrage in den Vereinigten Staaten sind. Das macht uns schmerzhaft klar, wie abhängig wir vom Öl und von den Konzernen sind, die den Anstieg der Preise weitergeben. ({8}) Sie haben einige Male die Ökosteuer genannt. Ich möchte Sie einmal bitten, in Ruhe zu überlegen: Ohne dieses Lenkungsinstrument, das einen sparsamen Umgang mit dem teuren Rohstoff und den schleunigen Umstieg auf andere Energieformen erzwingt, wären wir längerfristig den unkontrollierbaren Schwankungen auf diesem Markt mit allen Folgen für die Preisentwicklung in weit stärkerem Maße als zurzeit ausgeliefert. Es ist also ein Korrektiv, ein korrigierendes Element. Wir sollten die Ökosteuer nicht verteufeln. Das ist der realistische Fakt, der hier festzustellen ist. ({9}) Es gibt eine Reihe großer Banken, die damit rechnen, dass sich die Teuerungsrate in Deutschland in der zweiten Jahreshälfte beruhigen wird. Der Chef des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, Professor Siebert, erklärte, der Preisbuckel sei zwar unerwartet hoch ausgefallen, aber er werde sich im Herbst wieder normalisieren. Siebert rechnet dann mit einer Inflationsrate von 2 Prozent. Ich nehme an, dass ich mit meinen Ausführungen zum Ende kommen muss. Ich würde aber gerne noch mit Ihnen weiter diskutieren. ({10}) Aktuelle Stunden sind ganz nett, aber Ihnen müssen einmal die Flausen in Form einer Berichterstattung gegenüber dem Volk aus dem Kopf getrieben werden, die alles andere als ehrlich ist. ({11}) Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({12})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Als letzter Redner in dieser Aktuellen Stunde spricht nun für die SPD-Fraktion der Kollege Thomas Sauer.

Thomas Sauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003215, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde es immer richtig und gut, wenn sich der Deutsche Bundestag mit den Eckdaten der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung auseinander setzt. Aber es hat wenig Sinn, eine solche Diskussion zu führen, wenn das Ganze zu einer ritualhaften, reflexartigen Diskussion verkommt. ({0}) - „Flausen“ habe ich gar nicht gesagt, das war jemand anders. Ich meine, dass diese Sache eine ernsthaftere Diskussion wert gewesen wäre. ({1}) - Es gibt auch aus unseren Reihen solche Diskussionsbeiträge. Aber was Herr Ost, der leider gleich nach seiner Rede weggegangen ist, und auch Herr Brüderle hier abgeliefert haben, ist Karnevalsprogramm, aber keine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Problemen der Menschen in unserem Land. ({2}) Auch das Umgehen mit Zitaten ist immer wieder interessant. Herr Siebert wurde hier zitiert als derjenige, der nun beweisen würde, dass die Ökosteuer Preistreiber Nummer eins sei. „Ein klein wenig dazu beigetragen“ so ist das Siebert-Originalzitat. Wenn man ihn zu Ende zitiert, dann heißt es in Bezug auf die Inflationsrate: „Die Lage ist zwar ernst, weil der Preisbuckel unerwartet hoch ausgefallen ist, aber er wird sich im Herbst wieder abflachen.“ Dann erwartet er eine Inflationsrate um 2 Prozent. Es ist auch extrem unredlich, mit dem einmaligen Anstieg auf 3,5 Prozent im Mai, einem Monatswert, der Bevölkerung zu suggerieren, es handele sich hier um die Jahresdurchschnittsinflation. Es ist höchst unredlich, wenn man diese Dinge in einer ernsthaften Debatte so thematisiert. ({3}) Es wirft kein gutes Licht auf den deutschen Parlamentarismus, wenn hier mit solch falschen Zahlen operiert wird. ({4}) - Einen Augenblick mal, Herr Schauerte. Wenn die Inflationsrate im April niedriger ist als im Mai, wenn sie auch im Januar, im Februar und im März niedriger ist und wenn erwartet wird, dass sie im Herbst wieder sinkt, kann man nicht davon ausgehen, dass die einmalig im Mai 3,5 Prozent betragende Inflationsrate auch den Jahresdurchschnitt bilden wird. ({5}) - Die 3,5 Prozent sind in diesem Monat einmal da, aber das ist nicht der Jahresdurchschnittswert. Dass ich Ihnen das alles erklären muss, ist ganz schön peinlich für Sie. ({6}) Für mich als Sozialdemokrat ist bei den neuesten Prognosen über die wirtschaftliche Entwicklung ganz besonders wichtig: Gelingt es uns tatsächlich, die Massenarbeitslosigkeit deutlich zu reduzieren? Wir sind auf diesem Weg schon ein gutes Stück vorangekommen. ({7}) - Meine Kollegin Nina Hauer hat das hier ausgeführt. Sie wären doch froh gewesen, wenn Sie eine Wachstumsrate erreicht hätten, wie wir sie im Jahr 2000 mit real 3 Prozent erreicht haben. ({8}) Sie wären auch froh gewesen, wenn Sie die Wachstumsrate dieses Jahres erreicht hätten, denn die letzte Wachstumsrate, die Sie 1997 noch zu verantworten hatten, lag deutlich niedriger als die, die jetzt von den Wirtschaftsforschungsinstituten prognostiziert wird. ({9}) - In Bayern ist sowieso alles viel besser. Ich habe von Herrn Brüderle gehört, dass er ein Blitzprogramm auflegen will, und Kernforderungen seines Blitzprogramms sind die Abschaffung der Ökosteuer und die Abschaffung der Ökosteuer sowie die Abschaffung der Ökosteuer und außerdem eine steuerliche Entlastung im Unternehmenssektor. ({10}) Wenn Sie zur Kenntnis nehmen würden, dass die Ökosteuer beim Heizöl überhaupt nicht erhoben wurde und der Preis für Heizöl trotzdem massiv gestiegen ist, dann würden Sie erkennen, dass die Preissteigerung durch die Ökosteuer letztendlich wahrscheinlich gegen Null tendiert. Ich behaupte - das beweist die Entwicklung der Heizölpreise -, dass die Heizölpreise auch ohne Ökosteuer genauso angestiegen wären, nur hätten sich die Monopolprofite der Mineralölkonzerne erhöht. Zu deren Sachwaltern machen Sie sich in diesem Hohen Hause ständig. ({11}) - Den Klassenkampf beherrschen Sie schon gut, Herr Brüderle. Das weiß ich. Man hat Mühe, dagegen anzukommen. ({12}) Herr Brüderle, Sie haben vielleicht die Regierungspolitik der vergangenen Jahre nicht verfolgt. Sonst wüssten Sie, dass wir eine Steuerpolitik machen, die die Steuerlast für Mittelstand und Arbeitnehmer massiv reduziert. Wenn Sie es uns schon nicht glauben, glauben Sie es ja vielleicht dem Institut für Weltwirtschaft. Ich zitiere nur eine ganz kurze Passage aus dem März-Bericht: „Die Finanzpolitik wird im Jahr 2001 die Konjunktur stützen. Entscheidend dafür ist die Steuersenkung zum 1. Januar 2001. Alles in allem werden die Abgaben um 44 Milliarden DM gesenkt.“ Ich glaube, man kann sagen: Mit der mittelstands- und arbeitnehmerorientierten großen Steuerreform trägt diese Regierung mit dazu bei, die Binnenkonjunktur zu stützen und Wachstum und Beschäftigung zu fördern. Ein aktionistisches Blitzprogramm à la Brüderle, im Mai 2001 aufgelegt um die Inflation zu bekämpfen und die Beschäftigung in diesem Jahr zu erhöhen, kommt leider viel zu spät. Sie hätten Ihre Vorschläge reichlich früher einbringen müssen. ({13}) Diese Regierung hat gottlob längst gehandelt. Herrn Brüderles Blitzprogramm kommt mir vor wie der Hase im Wettrennen mit dem Igel: Der schlaue Igel Eichel ruft dem hechelnden, aber blitzschnellen Hasen Brüderle stets ein „Ick bin all dor“ zu. Die Steuerpolitik der Bundesregierung ist allerdings nicht diskretionär, sondern Bestandteil einer langfristigen Politik, die Konsolidierung, Steuerentlastung und die Schaffung von Beschäftigung strategisch miteinander verbindet. Ich komme zum Schluss: Nach allem, was wir wissen, wird die Inflationsrate wieder deutlich zurückgehen. Banker erwarten bereits im Frühjahr nächsten Jahres eine Inflationsrate von 1,5 Prozent. Ich gehe davon aus, dass Sie dann eine Aktuelle Stunde beantragen, um die Erfolge der Bundesregierung bei der Senkung der Inflationsrate und der Stabilisierung der Preise zu thematisieren. Das wäre eine schöne Sache. Vielen Dank. ({14})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Die Aktuelle Stunde ist beendet. Damit sind wir am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 31. Mai, 9.00 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.