Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Als nächster Redner
hat der Kollege Ronald Pofalla von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! 101 Jahre ist das Bürgerliche
Gesetzbuch Anfang dieses Jahres alt geworden. Am 1. Januar 1900 trat es in Kraft.
({0})
So alt können Sie gar nicht werden.
Seit 101 Jahren gilt damit auch - in natürlich immer
wieder veränderter und ergänzter Form - das im Bürgerlichen Gesetzbuch geregelte Schuldrecht.
({1})
- Sie sollten sich angesichts Ihres Alters durchaus zurückhalten.
Trotz zahlreicher Nebengesetze und Ergänzungen,
trotz der Rechtsfortbildung durch die Rechtsprechung
blieb jedoch die dem Schuldrecht zugrunde liegende Systematik weitgehend unverändert. Einer der Hauptgründe
hierfür ist die hervorragende fachliche und intellektuelle
Arbeit der damals an der Entwicklung und Zusammenfassung des Zivilrechts in Deutschland beteiligten Juristen. Über Jahre wurde an dem Gesetzeswerk gearbeitet.
Fachliche Überlegungen dominierten und sachliche
Lösungen siegten über die meist parteipolitischen Interessen.
Das Resultat dieser Arbeit konnte und kann sich noch
immer sehen lassen. Das Bürgerliche Gesetzbuch und damit das Schuldrecht sucht hinsichtlich der juristischen
Qualität seinesgleichen: kurze, verständliche Paragraphen, eine geradezu mathematische Genauigkeit der Definitionen, eine klare, von juristischem Sachverstand geprägte Struktur. Das alles soll sich nun nach dem Entwurf,
den wir heute hier diskutieren, ändern - ein bemerkenswerter Vorgang.
Im Vergleich zu vielen heutzutage erlassenen Gesetzen
mit ihren Bandwurmparagraphen und ihren technischen
und zum Teil unverständlichen Formulierungen ist das
BGB ein juristisches Meisterwerk, im wahrsten Sinne des
Wortes ein Jahrhundertwerk. Angesichts der Bemühungen der Schöpfer des BGB mutet der vorliegende Gesetzentwurf dagegen - ich drücke mich einmal vorsichtig
aus - bescheiden an. Um es auf den Punkt zu bringen: Ein
mit heißer Nadel gestrickter Gesetzentwurf soll hier mit
aller Gewalt durch den Gesetzgebungsvorgang getrieben
werden.
({2})
Begründet wird diese Eile zunächst mit dem Ablauf der
Umsetzungsfristen dreier EU-Richtlinien bis Mitte
nächsten Jahres. Der Gesetzentwurf hämmert nun die
Umsetzung der Richtlinien und die neun Jahre zurückliegenden Ergebnisse der Schuldrechtskommission zusammen und verbindet sie mit der Aufnahme zahlreicher sozusagen verwandter Nebengesetze in das BGB. Dann
werden die Paragraphen noch schnell angeglichen und
fertig ist das große Reformvorhaben des Schuldrechts.
({3})
Diese Schuldrechtsreform wurde zwar seit Jahren gefordert. Es gab aber gute Gründe für die Vorgängerbundesregierungen, das bewährte, in seiner Klarheit und
Deutlichkeit einzigartige Schuldrecht keiner kurzfristigen
Reform zu unterziehen. Es gibt eben kein besseres und
qualifizierteres Schuldrecht; ein solches wäre auch nur
über eine jahrelange Vorbereitung durch Wissenschaft
und Praxis zu erarbeiten.
({4})
Bundesministerin Dr. Herta Däubler-Gmelin
Meine Damen und Herren von der SPD und von Bündnis 90/Die Grünen, Reformvorhaben sind nicht so einfach
vorzubereiten, wie Sie glauben, das tun zu können.
({5})
Natürlich gab es Gründe dafür, warum die Schuldrechtsreform nicht schon längst durchgeführt worden ist.
({6})
Ein über 100 Jahre altes Gesetz bedarf selbstverständlich
einer kritischen Überprüfung und gegebenenfalls einer
Angleichung an veränderte gesellschaftliche, ökonomische und sonstige Gegebenheiten. Doch ein Gesetz kann
nicht beliebig dem jeweiligen Zeitgeist angepasst werden.
({7})
- Herr Hartenbach, wenn ich Ihre Erregung sehe, nehme
ich an, dass in Ihrer Arbeitsgruppe und in Ihrem Gesetzentwurf einiges in Unordnung ist; sonst hätten Sie keine
Veranlassung, sich so aufzuregen.
({8})
Ein Gesetz muss zwar den gesellschaftlichen Realitäten angepasst werden; aber ein Gesetzgebungsvorgang
von dieser Bedeutung muss Regelungen im Blick haben,
die eine dauernde Geltung beanspruchen können und
nicht wieder in wenigen Jahren - das ist bei Ihrem Entwurf vorhersehbar - einer Änderung unterzogen werden
müssen.
Was ebenfalls wichtig ist: Es darf durch diese Volksvertretung kein schlechtes Recht geschaffen werden. Es
muss vermieden werden, dass infolge von zu großer Hast
im Gesetzgebungsverfahren Lücken entstehen oder Dinge
ungeregelt bleiben. Nicht umsonst haben unsere Vormütter und Vorväter das BGB gründlich vorbereitet, bevor es
in Kraft getreten ist. Die vergleichsweise wenigen Lücken
und Ungenauigkeiten beweisen dies eindrucksvoll.
Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, warum muss jetzt eine Gesetzesänderung übers Knie
gebrochen werden, warum muss zum jetzigen Zeitpunkt
mit aller Macht eine Veränderung vorgenommen werden,
obwohl das Ergebnis dieser Arbeit um Längen schlechter
sein wird als das bestehende, geltende Recht?
({9})
Es ist richtig: Die EU-Richtlinien müssen umgesetzt
werden. Aber warum, um Himmels willen,
({10})
muss diese Umsetzung mit der vollständigen Reform des
Schuldrechts verbunden werden? Warum müssen auch
die Nebengesetze in das BGB integriert werden, obwohl
damit unter Umständen die filigrane Systematik des bestehenden Gesetzeswerkes zerstört wird?
Ich will an dieser Stelle noch nicht auf die einzelnen im
Gesetzentwurf vorgesehenen Regelungen eingehen, will
aber zumindest zu bedenken geben, dass es im Sinne der
Sache, im Zusammenhang mit der Suche nach einem
guten neuen Recht, doch konstruktiver wäre, wenn mit
größerer Ruhe und weniger Eile an der Reform des
Schuldrechts gearbeitet werden könnte.
Mir stellt sich beispielsweise die Frage, warum die Nebengesetze, die hauptsächlich dem Verbraucherschutz
dienen, nicht in einem mit dem BGB korrespondierenden
eigenen Gesetz zusammengefasst werden; die neu umzusetzenden EU-Richtlinien könnten dabei gleich mit integriert werden. Über die notwendigen Änderungen des im
BGB verankerten Schuldrechts ließe sich dann in einer
viel unverkrampfteren Art diskutieren.
({11})
Um es hier gleich zu Beginn der Diskussion über eine
Reform des Schuldrechts festzustellen: Die Union verschließt sich keinesfalls einer Reform des Schuldrechts.
Wir verschließen uns allerdings einer Reform, die auf Ergebnisse hinausläuft, die qualitativ schlechter, unsystematischer und ungenauer sein werden als das bestehende
Recht.
({12})
Wenn ich angesichts dieser Überlegungen an meine
Ausgangsfrage denke, warum hier eine solche Eile bei der
Reform des Schuldrechts an den Tag gelegt wird, so
drängt sich mir der Eindruck auf, dass hier ausschließlich
parteipolitische Interessen verfolgt werden.
({13})
Es soll bewährtes Recht geopfert werden, damit die Regierungskoalition und die von ihr getragene Bundesregierung als die großen Reformer in den nächsten Wahlkampf
ziehen können. Frau Ministerin, Sie wollen von Ihrer gescheiterten ZPO-Reform ablenken.
({14})
- Lesen Sie doch die heute erschienenen Zeitungen! Der
Artikel in der heutigen Ausgabe der „FAZ“ zu Ihrer Reform, Frau Ministerin, trägt die Überschrift: „Zurechtgestutzt - Von den Plänen der Bundesjustizministerin zur Reform des Zivilprozesses ist nicht viel übrig“. So
sehe auch ich es und so sieht es meine Fraktion ebenfalls.
({15})
Frau Ministerin, Sie sind mit dem gestern verabschiedeten Gesetz an einer ganz zentralen Frage der von Ihnen
beabsichtigten Politik gescheitert. Sie wollen durch eine
andere umfassende Reform davon ablenken, die ungenügend vorbereitet und in der Sache schlecht ausgeführt
worden ist und bei der viele Gelegenheiten, mit den Abgeordneten des Deutschen Bundestages zu diskutieren,
ausgelassen worden sind.
({16})
Ich verstehe deshalb Ihr Anliegen.
({17})
Aber ich sage Ihnen: Das ist keine Entschuldigung dafür,
dass die Reform des Schuldrechts in dieser Art und Weise
vorbereitet worden ist.
Die Bundesregierung hat, wenn ich mich richtig erinnere, auf ihrer vorletzten Kabinettssitzung einen Gesetzentwurf beschlossen, der mit dem jetzt vorliegenden wortgleich ist. Ich sage denjenigen, die heute zuhören,
Folgendes, damit sie Bescheid wissen: Die Bundesregierung hätte ihren Gesetzentwurf heute nicht zur Beratung
in den Deutschen Bundestag einbringen können; denn er
ist zustimmungspflichtig und der Bundesrat hätte an den
Beratungen beteiligt werden müssen. Das wollte die Bundesregierung nicht. Deshalb haben die Koalitionsfraktionen den Gesetzentwurf der Bundesregierung wortgleich
übernommen, um wochenlange Diskussionen mit dem
Bundesrat und weitere Vorbereitungen abzublocken und
so bereits heute eine Diskussion über den Gesetzentwurf
zu ermöglichen.
({18})
Das ist ein Vorgehen, das für sich selber spricht und das
wir entschieden ablehnen.
({19})
Ihrem parteipolitischen Eifer um jeden Preis ist jetzt
schon die Reform der Rente, des Betriebsverfassungsgesetzes, gestern die der Zivilprozessordnung und vor einigen Wochen des Mietrechts
({20})
- ich weiß, dass Sie es nicht gerne hören - zum Opfer gefallen. In der Sache sind Lösungen gefunden worden, die
Sie selber schon in wenigen Monaten und Jahren korrigieren müssen; denn die Reformen sind nicht ausgereift.
({21})
Wir sollten vermeiden, dass wieder einmal ein halb gares Gesetz dieses Haus verlässt. Wir sollten alles daran
setzen, die Teile aus dem Gesetzentwurf herauszunehmen, die jetzt umgesetzt werden müssen. Das betrifft im
Kern die Teile, mit denen die drei EU-Richtlinien in nationales Recht umgesetzt werden sollen. Ich biete Ihnen
für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion an, in der nächsten
Legislaturperiode - dann natürlich unter unserer Führung ({22})
eine grundlegende Reform des Schuldrechts vorzunehmen, die durchdacht und qualifiziert sein wird, sich am
Markt orientieren und in der Sache deutlich besser sein
wird als das, was diese Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen jetzt vorgelegt haben.
Herzlichen Dank.
({23})
Als
nächster Redner hat das Wort der Kollege Volker Beck
von der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das, was die
Kollegen von der Union in den rechtspolitischen Debatten aufführen, ist mittlerweile kabarettreif. Gestern
musste Herr Geis einen Eiertanz aufführen, als er entdeckt
hat, dass sein eigener Gesetzentwurf nichts taugt und er
ihn deshalb zurückziehen muss.
({0})
Auf einmal standen Sie, Herr Geis, bei der Justizreform
ohne Hemd und ohne Konzept da. Wir haben unsere Justizreform durchgesetzt. Sie wird sich bewähren.
({1})
Nun haben Sie heute, Herr Pofalla, einen ganz besonderen Sündenfall der Koalition festgestellt, den ich auch
frei bekenne. In der Tat: Die Koalitionsfraktionen haben
einen Gesetzentwurf eingebracht und das Kabinett hat
den gleichen beschlossen. Der Bundesrat wird jetzt seine
Stellungnahme abgeben können und dann werden wir beides gemeinsam in die Ausschussberatungen einbeziehen.
Dieses Verfahren haben Sie in der letzten Wahlperiode
wahrscheinlich mindestens 20-mal selber gewählt; aber
wenn wir das machen, ist das natürlich ein besonderes Delikt und verdient fast schon eine strafrechtliche Würdigung.
({2})
Das ist wirklich Unsinn!
Wenn wir frühzeitig etwas einbringen, damit sich auch
das Parlament rechtzeitig damit befassen kann, dann
wahrt dies doch gerade die Rechte der Opposition, weil
wir nicht im stillen Kämmerlein und in der Koalition beraten, sondern eine Anhörung im Rechtsausschuss durchführen und Berichterstattergespräche führen, sodass wir
hinreichend Zeit haben, die fachlichen Einwände und Vorschläge von Ihrer Seite und von den Sachverständigen zu
prüfen und eine vernünftige Reformdiskussion zu führen.
Dass wir einerseits diese Reform hinbekommen und
andererseits aber auch den Sachverstand und die Diskussion in der Gesellschaft und in den Fachkreisen umfassend einbeziehen, das verunsichert Sie ja so. Dass das
Angst macht, verstehe ich, weil diese Koalition bei den
Reformen durchaus etwas eifrig ist. Das liegt einfach daran, dass wir einen riesigen Reformstau vorgefunden haben, den wir abarbeiten müssen.
({3})
Mit der Reform des Schuldrechts entrümpeln wir unser
angestaubtes Bürgerliches Gesetzbuch und bringen es
wieder auf Hochglanz. Wir gleichen das BGB internationalen Standards an und machen es für die Rechtsanwender, also für die Bürgerinnen und Bürger in unserem
Lande, verständlicher.
Diese Modernisierung ist auch zu Recht umfassend;
denn die Umsetzung der EU-Richtlinien allein hätte
eine unerträgliche Rechtszersplitterung zur Folge gehabt.
Die Modernisierung des Schuldrechts verhilft dem BGB
wieder zu der herausragenden Bedeutung, die es ursprünglich einmal besaß.
Mit der Integration wichtiger Gesetze wie des Verbraucherkreditgesetzes oder des Fernabsatzgesetzes in
das BGB wird dieses wieder zu dem zentralen Gesetzbuch
für die Bürgerinnen und Bürger. Die Schuldrechtsreform
ist eine Reform für die Verbraucher und sie dient letztlich
sogar dem Umweltschutz.
({4})
Denn die Verlängerung der kaufrechtlichen Gewährleistungspflicht von sechs Monaten auf zwei Jahre wird dazu
beitragen, dass in den Regalen künftig weniger Ramsch
zu finden sein wird. Die verlängerten Garantiefristen sind
auch ein Nachhaltigkeitsförderungsprogramm. Billigprodukte, die nach einigen Monaten ihren Geist aufgeben und
auf Mülldeponien landen, werden auf dem Markt früher
oder später unter diesen neuen rechtlichen Rahmenbedingungen schlechtere Chancen haben. Der Ramsch verschwindet, Qualität wird sich durchsetzen.
Ich mache gar keinen Hehl daraus, dass meine Fraktion
auch mit einer Garantiezeit von drei Jahren, wie sie ursprünglich noch im Diskussionsentwurf angedacht war,
kein Problem gehabt hätte. Die Bedenken der Wirtschaft,
es werde zu unverhältnismäßig großen Belastungen für
den Handel kommen, teile ich ausdrücklich nicht. Denn
einer Studie zufolge treten Mängel jedenfalls bei industriellen Massengütern ganz überwiegend während der ersten
sechs Monate auf. Diese Studie wird auch in der Gesetzesbegründung zitiert.
Eine weitere Befürchtung haben wir dem Handel genommen: Mit dem Rückgriffsanspruch des Händlers gegen den Hersteller werden die Letztverkäufer den Ansprüchen der Käufer nicht mehr schutzlos ausgesetzt. Ist
eine Sache mangelhaft und ist der Fehler nicht im Bereich
des Letztverkäufers entstanden, so ist es nur gerecht,
wenn der Einzelhandel hier entsprechend gestärkt wird.
Ich freue mich darüber, dass unter anderem auch wegen
dieser Regelung die Reform seitens des ZDH uneingeschränkte Zustimmung erfährt.
({5})
Ob zwei oder drei Jahre Garantie: Es kommt zu einer
deutlichen Verbesserung des Verbraucherschutzes.
Wir Bündnisgrünen haben im Verlauf der Beratungen
entscheidend dazu beigetragen, dass die so verbesserte
Rechtstellung des Käufers an anderer Stelle des Entwurfs
nicht wieder ausgehöhlt wird: Ich meine die noch im Diskussionsentwurf vorgesehene Pflicht, den Mangel einer
Ware innerhalb von zwei Monaten zu rügen. Mit solch einer Regelung wäre die Ausdehnung der Garantiezeit quasi
leer gelaufen. Ich freue mich deshalb, dass diese Pflicht
jetzt vom Tisch ist.
Der Entwurf macht auch Schluss mit dem Verjährungsfristen-Wirrwarr im BGB. Für uns ist eine Regelverjährungsfrist von drei Jahren akzeptabel und für
den Bürger ist das eine große Hilfe bei der Rechtsanwendung. Auch hier hat meine Fraktion auf eine maßgebliche
Änderung im Vergleich zum Diskussionsentwurf gedrängt. Wir haben uns dafür eingesetzt, dass die Verjährung erst mit Kenntnis bzw. grob fahrlässiger Unkenntnis der den Anspruch begründenden Umstände
beginnt; auch die Person des Schuldners muss bekannt
sein. Das ist jetzt eine faire Regelung.
Meine Damen und Herren, sicherlich wird es Umstellungen vor allem für diejenigen geben, die täglich mit dem
BGB arbeiten. Aber seien wir doch einmal ehrlich: Ein
Gesetzbuch, das über 100 Jahre alt ist und das den Hauptfall der vertraglichen Leistungsstörungen, die so genannte
positive Vertragsverletzung, noch nicht einmal explizit
enthält, sondern mittlerweile alles der Rechtsprechung
überlässt, gehört auf Vordermann gebracht.
Dies tun wir jetzt zum Beispiel mit der Einführung eines einfachen und praktikablen Haftungssystems. Mit
dieser Lösung orientieren wir uns auch an dem Leistungsstörungsrecht des UN-Kaufrechts, das die internationale Rechtsentwicklung und auch die europäischen
Vertragsrechtsprinzipien entscheidend prägt. Daher bin
ich mir sicher, dass wir uns bei den anstehenden Verhandlungen über ein gemeinsames Europäisches Zivilgesetzbuch, die wir beeinflussen und auch vorantreiben wollen, mit diesem neuen BGB nicht verstecken müssen.
Meine Damen und Herren, dieses Vorhaben hatte einen
Beratungsvorlauf wie zuvor kaum ein anderes: Es ist auf
nationaler und auch auf internationaler Ebene ausführlichst erörtert und vorbereitet worden. Bis zuletzt hat das
BMJ mit Gesprächs- und Kompromissbereitschaft auf die
Bedenken und Anregungen aus Rechtswissenschaft und
Praxis reagiert. Die Kritiker sind eingeladen worden, sich
in Arbeitsgruppen einzubringen, und ihre Vorschläge sind
berücksichtigt worden. Diese Offenheit hat maßgeblich
dazu beigetragen, dass die Schuldrechtsreform „querbeet“,
Volker Beck ({6})
also bei Anwälten und Richtern, bei Verbraucherverbänden und Wirtschaft sowie in den Ländern, auf große Zustimmung stößt.
({7})
- Herr Kollege Geis, trotzdem werfen Sie uns vor, wir
würden den totalen Umbau des Schuldrechts durchpeitschen; Herr Pofalla hat das auch gesagt.
Ich erinnere Sie nur an Folgendes: Seit den 70er- und
80er-Jahren haben diverse Zivilrechtslehrertagungen
stattgefunden, unzählige Gutachten sind eingeholt worden und sieben Jahre lang hat sich die berühmte Schuldrechtskommission mit dem Vorhaben beschäftigt. Wie erfolgreich diese Expertenkommission gearbeitet hat, sieht
man nicht nur daran, dass viele ihrer Vorschläge letztendlich in diesen Entwurf eingeflossen sind. Die Ergebnisse
der Schuldrechtskommission haben auch ganz massiv die
EU-Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie beeinflusst. Diese
verbraucherfreundliche Richtlinie setzen wir heute ebenfalls in nationales Recht um, und zwar pünktlich und fristgerecht. Denn anders, als es die Vorgängerregierung zum
Beispiel beim Reisevertragsrecht gemacht hat, wollen wir
unser Land nicht in die Gefahr von Schadensersatzforderungen bringen.
Meine Damen und Herren von der Opposition, wenn
Sie uns gleichwohl vor dem Hintergrund dieser Historie
des Gesetzes vorwerfen, wir würden hier Rechtspolitik
„mit der Brechstange“ betreiben und alles übereilen, so
spricht daraus der blanke Neid.
({8})
Sie müssen ein weiteres Mal mit ansehen, wie die rotgrüne Koalition nicht nur über Verbesserungen redet, sondern diese auch mutig umsetzt.
Herr Kollege Funke, was die „erhebliche Rechtsunsicherheit“ anbelangt, die Sie in Ihrer Presseerklärung vom
10. Mai heraufbeschwören, so sollten Sie sich einmal die
Mühe machen, die Grundzüge der Reform zu verinnerlichen. Sie tun ja so, als würden wir das BGB abschaffen
wollen und als würden in unserem Land ab nächstem Jahr
völlig neue Rechtsprinzipien gelten. Das Gegenteil ist
richtig: Wir restaurieren mithilfe europäischer Richtlinien
das BGB; das geschieht auf der Grundlage der bisherigen
Kriterien. Aber in der Tat braucht man zu einer solchen
Modernisierung etwas Mumm, und der fehlt den Liberalen ja häufig.
({9})
Es wird sich immer der eine oder andere Hochschullehrer
finden lassen, der eine derart umfassende Reform kritisiert. Diese Kritik muss man auch aushalten können.
Verehrte Kollegen von der F.D.P., es war Ihr damaliger
Justizminister Kinkel, der 1991 den Abschlussbericht der
Schuldrechtskommission mit den Worten kommentierte:
Ich hoffe, dass … wir in absehbarer Zeit zu einem
Gesetzentwurf kommen werden.
Herr Kinkel, Ihre Hoffnung erfüllt sich heute mit diesem
großartigen Reformwerk der rot-grünen Koalition. Meine
lieben Kollegen von der F.D.P., es erweist sich wieder
einmal: Mit Rot-Grün werden liberale Träume wahr.
({10})
Das Wort
hat jetzt der Kollege Rainer Funke von der F.D.P.-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Die Bundesjustizministerin nimmt die Verpflichtung zur Umsetzung der schon erwähnten drei europäischen Richtlinien zum Anlass, das gesamte Schuldrecht des BGB einer Revision zu unterziehen und zu
verändern. Hierzu wird uns eine 686-seitige Drucksache
vorgelegt, die in kürzester Zeit im Bundestag zu beraten
sei. Dabei wird der übliche Weg einer Gesetzesinitiative
der Bundesregierung - von der Bundesregierung zum
Bundesrat, von dort wieder zurück zur Bundesregierung
und erst dann zum Bundestag - nicht verfolgt. Die fleißigen Abgeordneten der Koalitionsfraktionen haben es
übernommen, diese 686 Seiten durch Handauflegen in
den Bundestag einzubringen.
({0})
Ich möchte ganz offen sagen: Dieses verkürzte Verfahren hat natürlich auch Vorzüge. Dadurch erhalten wir
nämlich die Möglichkeit, etwas länger über dieses Gesetz
zu beraten. Zugleich wird aber das Verfassungsorgan
Bundesrat missachtet.
({1})
Der Bundesrat wird sicherlich auch eine Stellungnahme
abgeben wollen. Diese Stellungnahme kann aber bei diesem Verfahren im Bundestag gar nicht bzw. nur verspätet
berücksichtigt werden.
({2})
Man fragt sich ganz automatisch: Warum diese Hast?
Dadurch können nur Fehler passieren, wie sie der Bundesregierung bei § 284 Abs. 3 BGB, der beim Gesetz zur
Beschleunigung fälliger Zahlungen geändert wurde, unterlaufen sind. Dieses Missgeschick in § 284 Abs. 3 BGB
wollen Sie jetzt schnell wieder ausbügeln. Auch kleine redaktionelle Fehler sind vorhanden; ich möchte nur § 309
BGB erwähnen, in dem Sie von Wertungswertungsmöglichkeit, nicht von Wertungsmöglichkeit sprechen. Das ist
sprachlich nicht in Ordnung. Das passiert, wenn man
große Hast an den Tag legt.
Auch der Hinweis auf die drei umzusetzenden europäischen Richtlinien geht fehl, denn diese könnten, wie andere Richtlinien vorher auch - im Übrigen mit Ihrer Unterstützung -, durch Sondergesetze in nationales Recht
Volker Beck ({3})
umgesetzt werden. Wir bräuchten dazu nicht das gesamte
BGB und insbesondere das Schuldrecht zu ändern.
({4})
Es ist durchaus richtig, dass die Grundzüge des Schuldrechts des Bürgerlichen Gesetzbuchs seit über 100 Jahren
gelten. Was sich 100 Jahre bewährt hat, muss nicht unbedingt schlecht sein. Vieles, was sich an wirtschaftlichen
und gesellschaftspolitischen Entwicklungen getan hat, ist
durch Gesetzesänderungen und durch die Rechtsprechung
aufgefangen worden. Dadurch wurden adäquate Ergänzungen vorgenommen. Herr Kollege Beck, Sie erwähnen
die positiven Vertragsverletzungen. Regelungen dazu hat
bereits das Reichsgericht entwickelt.
({5})
Dies gilt auch für die culpa in contrahendo. Es ist nicht
notwendig, für diese Regelungen eine Änderung des
Schuldrechts vorzunehmen.
Die Praxis - darauf weisen auch zahlreiche Wissenschaftler hin - kann mit dem derzeit geltenden Schuldrecht vernünftig umgehen. Der Rechtsschutz des Bürgers
ist in keiner Weise gefährdet. Eine hastige Umsetzung des
Reformvorhabens ist nicht geboten.
({6})
Vielmehr sollten Anregungen und Bedenken der Schuldrechtskommission und der Schuldrechtslehrer, die in Regensburg und Berlin auf ihren extra durchgeführten Sondertagungen heftige Kritik geäußert haben - Frau
Ministerin, das haben Sie nicht erwähnt -, berücksichtigt
werden.
({7})
- Ich war auch dabei.
({8})
Sie waren am Sonnabend dort und ich am Freitag.
({9})
- Ihr Staatssekretär Geiger saß neben mir. Frau Ministerin, Sie sind erst am Sonnabendmorgen gekommen.
({10})
- Das ist sehr schön.
Ich habe genauso wie Sie in der „ZIP“ - die entsprechende Ausgabe der „ZIP“ ist uns in den letzten Tagen zugegangen - die Erörterung der Schuldrechtslehrer nachgelesen. Der Gesetzentwurf wirft eine Vielzahl neuer,
schwieriger Probleme auf, die mit den Praktikern in der
Wirtschaft und auch sicherlich mit den Schuldrechtslehrern eingehend diskutiert werden müssen.
Das BGB ist sechs Jahre lang im Reichstag beraten
worden, nachdem die Wissenschaft viele Jahre darüber
diskutiert hatte. Wir aber sollen im Bundestag in wenigen
Wochen - es sind nur wenige Wochen, wenn man die
Sommerpause abzieht - über dieses Gesetz beraten. Ich
glaube nicht, dass das eine angemessene Zeit ist.
({11})
Nun will ich gar nicht beanspruchen, dass es hier einen
solch langen Zeitraum wie bei der Beratung des BGB im
Reichstag geben muss. Aber die wenigen Wochen, die wir
für die Beratung haben, reichen mit Sicherheit nicht aus.
Es kann jedenfalls nicht richtig sein, dass das Bundesministerium der Justiz mit all seinen hoch qualifizierten
Beamten zwei Jahre Vorbereitungszeit für diesen Gesetzentwurf hat, während der Bundestag als zentrales Gesetzgebungsorgan innerhalb weniger Wochen dieses so wichtige Gesetz abnicken soll.
({12})
Aber so stellen Sie sich anscheinend die Arbeit des Parlaments vor.
Die einzelnen Probleme des Entwurfs können auch
nicht durch eine eintägige Anhörung von Sachverständigen hinreichend erörtert werden. Wir müssen die einzelnen Gebiete miteinander gründlich beraten.
({13})
Wir haben über viele Jahre gesagt - im Übrigen auch
von der Bundesjustizministerin, damals noch Oppositionsabgeordnete, unterstützt -, wir wollen die europäischen Richtlinien nicht ins BGB einstellen. Wir und auch
das Bundesjustizministerium haben aus guten Gründen
immer die Lösung favorisiert, aus den Richtlinien Sondergesetze zu machen, um die Systematik des BGB nicht
zu zerstören. Sie aber haben eine Kehrtwendung gemacht
und wollen die europäischen Richtlinien sowie die vielen
Nebengesetze in das BGB integrieren. Das kommt der
Systematik des BGB sicherlich nicht entgegen.
({14})
Man kann dann auch nicht mehr von Transparenz reden, wie das Herr Beck getan hat. Wir sollten uns um der
Systematik des BGB willen auf die Aufnahme grundlegender Änderungen beschränken und die vielen europäischen Richtlinien in Nebengesetze - meinetwegen in ein
Verbrauchergesetz - aufnehmen.
Meine Anregung ist daher: Lassen Sie uns zügig an die
Beratung hinsichtlich der Umsetzung der drei europäischen Richtlinien in nationales Recht gehen. Von unserer
Seite sichere ich Ihnen fristgerechte Umsetzung zu. Hinsichtlich der Schuldrechtsmodernisierung sehen wir auch
aufgrund der Berichte der Schuldrechtskommission
Handlungsbedarf. Wir wollen die notwendigen Änderungen, zum Beispiel im Bereich der Verjährung und der Gewährleistung, gemeinsam mit Ihnen gründlich beraten,
ohne dass Verzögerungen eintreten. Aber es ist völlig ausreichend, wenn diese Schuldrechtsmodernisierung im
nächsten Jahr ohne Hast beschlossen wird
({15})
und dann etwa ein Jahr oder eineinhalb Jahre später in
Kraft tritt.
Denken Sie bitte bei der Frage des In-Kraft-Tretens
auch daran, dass Sie der Wirtschaft und ebenso den Verbrauchern zum 1. Januar 2002 einiges zumuten:
({16})
Am 1. Januar 2002 soll nämlich die Änderung der ZPO in
Kraft treten. Außerdem werden sich die Verbraucher und
die Wirtschaft auf den Euro einstellen müssen. Jetzt soll
auch noch das Schuldrecht hinzukommen. Dessen Reform wird wahrscheinlich im November oder im Dezember dieses Jahres im Bundesgesetzblatt stehen. Wer ein
bisschen von der Wirtschaft versteht - das sollte eigentlich auch eine Justizministerin -, der weiß ({17})
- deswegen sage ich das; offensichtlich ist es notwendig,
Frau Ministerin -,
({18})
dass sich das Wirtschaftsleben nicht nur an Paragraphen
wie denen im BGB orientiert.
({19})
Zunächst müssen die Voraussetzungen geschaffen werden, damit Paragraphen in die Praxis umgesetzt werden
können: Man braucht Formulare, man muss die Software
ändern; die Ziviljustiz muss Vorbereitungen treffen, man
braucht eine gewisse Kommentierung und Handreichungen durch die Verbände. All das - das müsste doch jeder
einsehen - kann man nicht zwischen November 2001 und
1. Januar 2002 schaffen.
({20})
Die von Ihnen vorgesehene Frist für die Umsetzung bis
zum 1. Januar 2002 ist nicht nur unpraktikabel, sondern
sie wird uns in der Wirtschaft auch ganz erhebliche
Schwierigkeiten bereiten. Wir sind auf jeden Fall zur konstruktiven Mitarbeit bereit, allerdings ohne Hast. Wir wollen eine gründliche Beratung.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({21})
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Dr. Evelyn Kenzler von
der PDS-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Gerade erst wurde die Justizreform beschlossen und schon folgt die Reform des Bürgerlichen Gesetzbuches. Eine Herausforderung jagt die
andere.
({0})
- Richtig.
So neu ist der Wunsch, das Schuldrecht zu reformieren, bekanntlich nicht. Die Bemühungen um eine grundlegende Schuldrechtsreform dauern bereits 20 Jahre an.
Die Umsetzung der drei EU-Richtlinien ist durchaus ein
geeigneter Moment, um die Überarbeitung des Schuldrechts in Angriff zu nehmen. Aber der Entwurf kommt
angesichts des Zieles, ihn bereits in sieben Monaten in
Kraft zu setzen, sehr spät. Ich sage das, auch wenn ich
nicht verkenne, dass es dafür durchaus objektive Zwänge
gibt.
Das Problem ist meines Erachtens nicht so sehr die
Einhaltung der Zeitschiene im Parlament - daran sind wir
gewöhnt -, sondern die Umsetzung in der Rechtspraxis.
Im Moment wissen viele praktizierende Juristen und von
der Reform betroffene Unternehmen in Wirtschaft und
Handel noch nicht, dass es jetzt wirklich ernst wird. Ein
Problem bei solchen Endlosdebatten ist ja, dass am
Schluss kaum noch jemand an ein greifbares Ergebnis
glaubt. Das wird ein logistisches Problem, das noch aus
dem Weg geräumt werden muss.
Nun zu der Reform selbst. Sie werden mir nachsehen,
dass ich die über 28 000 Zeilen mit mehr als 1,5 Millionen Zeichen - die Leerzeichen eingerechnet - auf fast
700 Seiten nicht in fünf Minuten Redezeit auch nur in
groben Umrissen abhandeln kann. Ich bin zwar einiges
gewöhnt; aber ein solches Missverhältnis zwischen der
Redezeit und der Bedeutung der heutigen Debatte stellt
ein groteskes Ausmaß dar.
({1})
Zunächst begrüße ich die Aktualisierung und die Modernisierung des Bürgerlichen Gesetzbuches. Wenn der
angestrebte Zuwachs an Übersichtlichkeit, Rechtssicherheit und Europafähigkeit erreicht werden könnte, dann
wäre das in der Tat ein großer Gewinn. Positiv sind
grundsätzlich die Schaffung eines einheitlichen Tatbestandes der Pflichtverletzung, die Verlängerung der
gesetzlichen Gewährleistungsfrist, die konsumentenfreundliche Beweislastumkehr in § 476 BGB, die Verpflichtung des Verkäufers, eine mangelfreie Ware zu liefern, einschließlich seiner Haftung für die versprochenen
Eigenschaften und nach unserer Auffassung auch die Integration der verstreuten Verbraucherschutzgesetze in das
Schuldrecht.
Problematisch erscheint mir dagegen die Reduzierung
der regelmäßigen Verjährungsfrist auf drei Jahre. Diese
Frist ist extrem knapp und wird wohl nicht selten zum
Verlust berechtigter Ansprüche führen. Schließlich wird
die Chance versäumt, auch völlig überholte Vorschriften
anderer Titel des BGB der europäischen Rechtslage anzupassen. So ist die Stellung einer Bürgschaft gemäß
§ 232 Abs. 2 BGB weiterhin als Ausnahmefall geregelt
und § 239 BGB verlangt noch immer einen inländischen
Sitz. Jedenfalls die letztere Regelung entspricht nicht
mehr primärem europäischen Gemeinschaftsrecht und
sollte ebenfalls angepasst werden.
Alles in allem bin ich aber sehr gespannt auf die Expertenanhörung. Abgesehen von Lob, Kritik und Vorschlägen zum Regelungsinhalt erwarte ich auf der Anhörung zu dieser Reform auch Aussagen zur
Verständlichkeit, also zur Übersichtlichkeit und Transparenz der Regelung.
({2})
Auch diesbezüglich scheint mir die eine oder andere
Nachbesserung zumindest wünschenswert.
Mit einem Sprachbruch zugunsten der Allgemeinverständlichkeit und damit im Interesse der Bürgerinnen und
Bürger sollten Juristen auch leben können. Um nur ein
Beispiel zu nennen: Was klimatisierte Räume sind, weiß
man, aber was soll sich der Bürger unter Verträgen vorstellen, die „unter Verwendung von ... automatisierten Geschäftsräumen“ geschlossen werden, § 312 b?
({3})
Da wir gestern erst die Justizreform verabschiedet haben, möchte ich abschließend auf Folgendes aufmerksam
machen - Herr Funke hat bereits in der Richtung argumentiert -: Mit der Schuldrechtsmodernisierung wird die
Justizreform vor ihre erste richtige Bewährungsprobe gestellt. Die Amtsrichter haben mit Beginn des neuen Jahres
gleich mit einer dreifachen Belastung zu kämpfen: Erstens sind es die Anforderungen aufgrund der Justizreform.
Zum Zweiten sind es die neuen Anforderungen aus der
Schuldrechtsmodernisierung in Verbindung mit ihrer eigenen Qualifizierung. Zum Dritten ist es auch die gewiss
ansteigende Zahl von Klagen aufgrund der Unsicherheiten und Fehler, die bei der Anwendung des neuen Rechts
gemacht bzw. durch ihre Nichtanwendung entstehen
werden.
Dass diese Reform die öffentlichen Haushalte nichts
kostet, wie es im Entwurf heißt, kann ich angesichts des
ganz erheblichen Fortbildungsbedarfs nicht glauben, auch
nicht angesichts der Notwendigkeit, in erheblichem Umfang neue Literatur anschaffen zu müssen. Da wird es
nicht bei den Nachlieferungen für den „Schönfelder“ bleiben können.
({4})
Das Wort
hat jetzt der Kollege Dirk Manzewski von der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach der Mietrechtsreform und der Zivilrechtsreform packt die Bundesregierung mit der
Schuldrechtsreform nun ein weiteres großes Gesetzesvorhaben zur Modernisierung von Recht und Justiz an. Mit
dem vorgelegten Gesetzentwurf werden nicht nur drei
EU-Richtlinien, unter anderem die so bedeutsame Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie, in deutsches Recht umgesetzt. Das deutsche Schuldrecht wird auch - endlich, muss
man wohl sagen - modernisiert und den heutigen Anforderungen angepasst.
Was bedeutet das nun im Wesentlichen konkret, liebe
Kolleginnen und Kollegen? Das Schuldrecht wird übersichtlicher und vor allem vollständiger gestaltet werden.
Insbesondere bisher in Sondervorschriften geregelte Verbrauchergesetze wie das Haustürwiderrufsgesetz oder der
materielle Teil des Gesetzes über die Allgemeinen Geschäftsbedingungen werden in das Bürgerliche Gesetzbuch integriert. Das BGB wird dadurch wieder zu dem,
was es einmal war, nämlich die zentrale umfassende zivilrechtliche Gesetzessammlung.
Das Vertragsrecht wird wieder übersichtlicher, da das
geltende Recht nicht mehr aus den unterschiedlichsten
Gesetzen zusammengesucht werden muss. Für den
Rechtsanwender wird dies mehr Rechtsklarheit und
Transparenz bedeuten. Nichtjuristen werden eher in die
Lage versetzt werden, die sie betreffenden Vorschriften
überhaupt zu finden.
({0})
Das so eminent wichtige Verjährungsrecht wird endlich eine Systematik erhalten. Allein das Bürgerliche Gesetzbuch kennt Verjährungsfristen von sechs Wochen, von
sechs Monaten, von einem, zwei, drei, vier, fünf oder
dreißig Jahren. Derzeit befinden sich in über 80 Gesetzen
mehr als sage und schreibe 130 Verjährungsvorschriften.
Dass hier kaum noch jemand durchblickt, ist nachvollziehbar, zumal diese Regelungen weder aufeinander abgestimmt sind noch vielfach den heutigen Erfordernissen
im Rechtsverkehr gerecht werden.
({1})
Mit der Vereinheitlichung und Anpassung wird mit diesem Durcheinander Schluss gemacht. Das Verjährungsrecht wird hierdurch endlich verständlich und auf
die tatsächlichen Bedürfnisse im Rechtsverkehr zugeschnitten.
({2})
Das Leistungsstörungsrecht wird neu geregelt. Die am
häufigsten auftretende Art der Leistungsstörung, die
Schlechtleistung, ist bislang im BGB nicht direkt geregelt
gewesen. Die hierzu deshalb von der Rechtsprechung entwickelten Rechtsinstitute werden nun endlich - es ist
längst überfällig - festgeschrieben. Die Voraussetzungen
und Rechtsfolgen der Verletzung von Verträgen werden
einfacher geregelt werden. Die bisherige Alternativität
von Rücktritt und Schadensersatz wird zugunsten eines
Rücktritts mit Schadensersatzanspruch aufgegeben. Das
Recht auf Rücktritt wird davon abhängig gemacht, dass
der Schuldner eine ihm vom Gläubiger gesetzte Nachfrist
ungenutzt verstreichen lässt.
Das bedeutet, die Regularien bei Vertragsverletzung
werden vereinheitlicht, verständlicher und dadurch
schlicht vereinfacht.
({3})
Den Vertragsparteien werden ihre Rechte und Pflichten
hierdurch klarer werden.
Die Stellung der Verbraucher - auch dies ist bereits zur
Sprache gekommen - im alltäglichen Geschäftsverkehr
wird unabhängig von der grundsätzlichen Vereinfachung
von Vertragsrecht, Verjährung und Leistungsstörungsrecht weiter gestärkt. So soll der Verkäufer zukünftig zum
Beispiel auch dafür haften, dass eine Sache die angepriesenen Eigenschaften aufweist, die der Hersteller in seiner
Werbung und Etikettierung angepriesen hat. Eine eigene
Zusicherung ist nicht mehr nötig.
Ich bin mir durchaus bewusst, liebe Kolleginnen und
Kollegen von der Opposition, dass nicht nur viele Juristen
dieses Gesetzesvorhaben etwas ängstlich begleiten werden, bedeutet es für sie doch in vielen Punkten ein Umdenken und die Aufgabe vieler lieb gewonnener Gewohnheiten, was - das wissen wir alle - für Juristen nicht
immer leicht ist.
Soweit behauptet wird, dass das Gesetzgebungsverfahren viel zu zügig durchgeführt wird - auch das ist hier bei
Ihnen zur Sprache gekommen -,
({4})
kann ich das nicht ganz nachvollziehen. Ich erinnere an
Folgendes: Der dem Gesetzentwurf vorangegangene
„Diskussionsentwurf“ ist schon Mitte letzten Jahres vorgelegt worden.
({5})
Dieser wiederum basiert ganz maßgeblich auf den Ergebnissen der „Kommission zur Überarbeitung des Schuldrechts“, die sich über einen Zeitraum von acht Jahren intensiv mit der Überarbeitung des Schuldrechts befasst
hatte. Deren Abschlussbericht wurde im Übrigen bereits
1992 veröffentlicht.
({6})
Wer sich also informieren wollte, konnte dies auch rechtzeitig tun. Insoweit bin ich über die Verwunderung, die
Sie hier an den Tag legen, ein bisschen erstaunt.
({7})
Natürlich ist es richtig, dass sich das Ministerium für
das Gesetzgebungsverfahren einen äußerst ehrgeizigen
Zeitplan gesetzt hat. Meiner Auffassung nach muss es das
aber auch. Der enge Zeitplan ist nun einmal wegen der bis
Ende des Jahres notwendigen Umsetzung der so genannten EU-Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie zwingend notwendig. Ich halte es dabei trotz des Zeitdrucks aus fachlichen Gründen für völlig richtig, dass die Bundesregierung
dies für eine umfangreiche Schuldrechtsüberarbeitung genutzt hat.
Wäre nur die Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie umgesetzt worden, hätte dies bedeutet, dass für eine Vielzahl
von Bereichen nicht mehr die Bestimmungen des BGB,
sondern Sondernormen anzuwenden gewesen wären.
({8})
Das BGB hätte damit an Bedeutung nicht gewonnen, wie
es hier vorhin behauptet worden ist, sondern verloren. Für
den Rechtsuchenden wäre es immer komplizierter geworden, die für seinen Fall maßgeblichen Rechtsvorschriften
überhaupt zu finden.
Zudem wäre dies - auch da bin ich völlig anderer Meinung als Sie, Herr Kollege Funke - für den Wirtschaftsverkehr verheerend gewesen. Wirtschaft und Verbraucher
wollen wissen, woran sie sind, und sich nicht im Zustand
der Rechtsunsicherheit befinden.
({9})
Aber nichts anderes wäre doch eingetreten, Kollege
Funke, wenn das Schuldrecht nach kurzer Zeit noch einmal hätte geändert werden müssen.
({10})
Allein aus Gründen der Rechtssicherheit, Kollege Hirche,
ist damit die umfassende Reform des Schuldrechts geboten.
Ich will Ihnen noch einen weiteren Gesichtspunkt nennen, der mir in diesem Zusammenhang ebenso wichtig erscheint. Dabei geht es um die Entwicklung des Zivilrechts
auf europäischer Ebene. Wer auf europäischer Ebene Einfluss auf eine zukünftige zivilrechtliche Gesamtkodifikation nehmen will, kann dies nur, wenn hierfür eine umfassende nationale Regelung vorliegt, die modernen
Ansprüchen genügt. Das ist wichtig. Der zurzeit bestehende deutsche „Flickenteppich“ aus BGB, Sonder- und
Nebengesetzen führt auf europäischer Ebene dazu, dass
andere nationale Gesetzesregelungen, zum Beispiel die
niederländische, von der Mehrheit der EU-Nationen zur
Grundlage der Diskussion gemacht werden. Dies kann
doch niemand von uns ernsthaft wollen.
({11})
Lassen Sie mich abschließend jemanden zitieren, der
diese ganze Angelegenheit viel besser auf den Punkt
bringt, als ich es jemals könnte:
Wir sollten uns keine Illusionen machen - die Tür
steht uns vermutlich nur jetzt offen. Denn sich
zunächst auf eine Umsetzung der Richtlinie über den
Verbrauchsgüterkauf zu beschränken und darauf zu
vertrauen, dass man das Leistungsstörungsrecht später immer noch reformieren könne, halte ich für
ebenso unrealistisch wie unökonomisch, weil die mit
der Änderung verbundenen Kosten und Lasten dann
zweimal anfallen würden.
({12})
Wer für eine „kleine“ Lösung plädiert, nimmt daher
in Wahrheit zugleich das Risiko in Kauf - oder strebt
es sogar unausgesprochen an -, dass es eine „große“
Lösung auf unabsehbare Zeit nicht geben wird - und
zwar weder hinsichtlich des Kaufrechts noch hinsichtlich der Reform des allgemeinen Leistungsstörungsrechts, sodass dieses auf Dauer in seinem
derzeitigen
- darauf verweise ich jetzt besonders antiquierten und teilweise desolaten Zustand verharren wird ...
({13})
- Kollege Hirche, dieses Zitat ist vom gestrigen Tage aus
der „JZ“ und stammt von niemand Geringerem als von
Professor Dr. Claus-Wilhelm Canaris, einer der größten
juristischen Koryphäen unseres Landes.
({14})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wo der Mann Recht hat,
hat er Recht.
Ich danke Ihnen.
({15})
Das Wort
hat jetzt der Justizminister des Freistaates Thüringen,
Dr. Andreas Birkmann.
Dr. Andreas Birkmann, Minister ({0}): Herr
Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nur
wenige Stunden nach der Verabschiedung des von den
Ländern in der ursprünglichen Fassung hart attackierten
Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses muss sich das
Hohe Haus heute - ich glaube, etwas überraschend - mit
einem weiteren so genannten Reformwerk beschäftigen.
Ich meine, es wäre gut gewesen, wenn die Länder vorher
Gelegenheit zur Stellungnahme gehabt hätten und Sie
das Gesetzesvorhaben erst im Anschluss daran beraten
würden.
({1})
Denn dann könnten von Anfang an all die Argumente einfließen, die aus der Sicht der Länder vorzutragen sind. Ich
kann Ihnen sagen: Auch dieses Reformwerk ist bei den
Ländern nicht unumstritten.
Es handelt sich bei dem Entwurf des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes um ein Reformwerk, das in
seinen Auswirkungen sicherlich noch weitreichender als
das gestern verabschiedete Gesetz sein dürfte. Eben ist
unter dem Aspekt der Redezeit das Volumen angesprochen worden. Alleine im BGB gehen die Änderungen so
weit, dass auch das tiefste Erbrecht erfasst wird, und
zwar - ich habe eben einmal nachgeschaut und gehe davon aus, dass wir alle den Entwurf sehr gründlich gelesen haben, wenn wir heute darüber sprechen - bis zum
§ 2376 BGB.
Meine Damen und Herren, es ist keine Frage: Eine
Modernisierung vor allem des schuldrechtlichen Teils
des Bürgerlichen Gesetzbuches ist nötig. Was mich und
mit mir die große Mehrheit der juristischen Fachöffentlichkeit aber mit großer Sorge erfüllt, ist die Geschwindigkeit, mit der die Bundesregierung versucht, ein so bedeutsames Gesetzgebungswerk wie die Reform des
Schuldrechts auf dem Rücken der Fachwelt und der Bürger durchzusetzen.
({2})
Geht es nach den Vorstellungen des Bundesregierung,
müssen wir uns zum 1. Januar 2002 auf ein in wesentlichen Teilen geändertes Zivilrecht einstellen, ohne darauf
auch nur ansatzweise vorbereitet zu sein. Ich spreche insofern von den Bürgern und damit von denen, die mit dem
Recht umgehen müssen. Selbst wenn der Gesetzentwurf
im Eiltempo durch Bundestag und Bundesrat gebracht
wird, kann das Gesetz - der Abgeordnete Funke hat bereits darauf hingewiesen - erst kurz vor Jahresbeginn verabschiedet werden; und wir können sicher sein, dass dieses Gesetz bis zu diesem Zeitpunkt noch eine Menge
Veränderungen erfahren wird.
({3})
Schon in den letzten Monaten hat das Bundesjustizministerium quasi im Monatsrhythmus immer wieder neue
Entwürfe vorgelegt, mit denen hektisch auf die Kritik aus
Wissenschaft und Praxis reagiert wurde. Auch der Inhalt
der Regelungsmaterie änderte sich ständig: Einmal ist
eine umfangreiche Änderung des Werkvertragrechts
dem Gesetzentwurf einverleibt, ein anderes Mal nicht.
Die letzten Entwürfe - so auch der heute zu beratende sehen nunmehr massive Änderungen des Gewährleistungsrechts beim Werkvertrag vor.
Durch das Gesetz sollen das gesamte Kaufrecht - das
Herzstück des besonderen Teils des Schuldrechts - sowie
das gesamte Leistungsstörungsrecht - der Kernbereich
des allgemeinen Teils des Schuldrechts - völlig umgestaltet werden. Gleiches gilt für das in der Praxis besonders bedeutsame Recht der Verjährung. Das alles muss
innerhalb kürzester Zeit zur Umsetzung vorbereitet werden. Herr Abgeordneter Funke hat auf die technischen
Schwierigkeiten hingewiesen. Jeder, der im Rechts- und
Geschäftsleben steht, weiß, welches Rechtschaos uns
dann blüht. Herr Abgeordneter Beck, auch Sie haben auf
die Schwierigkeiten bei der Umstellung hingewiesen; ich
wundere mich, dass Sie dem dann nicht Rechnung tragen
wollen.
Im Übrigen stehe ich mit meinen Befürchtungen nicht
allein da. Sie haben soeben 600 Zivilrechtsprofessoren
erwähnt. Unlängst haben aber 149 andere renommierte
Zivilrechtsprofessoren
({4})
in einer gemeinsamen Erklärung genau diese Befürchtungen zum Ausdruck gebracht. Professor Wolfgang Ernst
aus Bonn, einer der Mitunterzeichner der Erklärung,
brachte es auf einer Diskussionsveranstaltung zu diesem
Entwurf auf den Punkt: „Wir fahren mit geschlossenen
Augen über die rote Ampel.“
({5})
- Sehr geehrter Herr Hartenbach, ich gehe noch ein
Stückchen weiter: Die gleichen Töne werden sogar von
Fachleuten angeschlagen, die wahrlich nicht in dem Verdacht stehen, der Bundesregierung im Allgemeinen und
der Bundesjustizministerin im Besonderen übel gesonnen
zu sein. So hat der bekannte innen- und rechtspolitische
Kommentator der „Süddeutschen Zeitung“, Heribert
Prantl, in einem Kommentar vom 17. April dieses Jahres
Folgendes ausgeführt:
Im Schweinsgalopp kann die epochale Reform aber
wirklich nicht bewältigt werden, ohne dass das
Rechtswesen in den GAU stürzt.
({6})
Warum also diese ungeheuere Eile? Schuld soll, so
heißt es seitens der Bundesregierung, Europa sein, und
zwar die Umsetzung der EU-Richtlinie zum Verbrauchsgüterkauf und zweier weiterer Richtlinien in nationales Recht bis Ende dieses Jahres. Der Ihnen heute
vorliegende Entwurf des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes geht weit über die Umsetzung dieser drei EURichtlinien hinaus; das ist heute schon gesagt worden. Die
geplanten neuen Regelungen zum Kaufrecht sind viel
weitgehender, als dies die EU-Richtlinie zum Verbrauchsgüterkauf vorsieht. Während sich die Richtlinie
nur auf das Verhältnis des Verbrauchers zum gewerblichen Verkäufer bezieht, sieht der Entwurf in großen Teilen die Umsetzung der Richtlinie für alle Kaufverträge,
also insbesondere auch für solche unter Unternehmern
oder unter Verbrauchern, vor.
({7})
- Dazu werde ich gleich kommen. Dann werden Sie sehen, wie nachteilig die Vereinfachung ist.
Mit einer solchen Übererfüllung der Richtlinie stehen wir in Europa völlig isoliert da. Deshalb mein Appell
an die Bundesregierung: Lassen Sie uns gemeinsam für
eine saubere, fristgemäße Umsetzung der EU-Richtlinien
zum 1. Januar 2002 sorgen und beschäftigen wir uns dann
in Ruhe und mit der gebotenen Sorgfalt mit der Novellierung des übrigen Schuldrechts.
({8})
Ich kann hier nur das wiederholen, was gestern schon
einmal gesagt wurde: Der Grundsatz „Tempo vor Sorgfalt“ sollte nicht zum Tragen kommen. Ich weiß, dass ich
mit dieser Forderung unzähligen Juristen aus der Seele
spreche, nicht nur den bereits erwähnten 149 Zivilrechtslehrern.
Verschiedentlich wurde der Vorschlag unterbreitet,
man könne das anstehende Chaos dadurch verhindern,
dass man den Inkraftsetzungszeitpunkt für den Restteil,
also für das, was über die EU-Richtlinie hinausgeht, auf
das Jahr 2004 verschiebt. Ich denke, das ist Augenwischerei. Das löst das eigentliche Problem nicht. Wir
benötigen weitere Zeit, um den vorliegenden - immerhin
fast 700 Seiten - starken Entwurf in intensiver fachlicher
Diskussion zu überarbeiten.
Lassen Sie mich ein Beispiel nennen, das für viele steht
und zeigt, wie unausgegoren der Gesetzentwurf an vielen
Stellen noch ist. Professor Löwisch, der bekannte Arbeitsrechtler aus Freiburg, hat es vor wenigen Tagen in der
„Neuen Zeitschrift für Arbeitsrecht“ formuliert: Die Neuregelung des Leistungsstörungsrechts hat die - vom geistigen Urheber offensichtlich nicht bedachte - Folge, dass
der durch die Neuregelung eingeführte erhöhte Verzugszinssatz für Schuldner auch für Arbeitnehmer gilt.
({9})
Dies dem Justizministerium vorgetragen, führt zu der
lapidaren Antwort: Dann sind Arbeitnehmer eben Verbraucher,
({10})
getreu der Devise: Osterhasen sind Weihnachtsmänner im
Sinne der Verordnung.
({11})
- Ich gebe Ihnen ja Recht. - Die Antwort ist zwar originell; aber das Problem löst sich dadurch nicht. Wie immer
steckt auch hier der Teufel im Detail.
Lassen Sie mich - meine Redezeit geht bald zu Ende noch ein anderes Beispiel nennen: Der durch § 439 des
Entwurfs neu eingeführte Nachbesserungsanspruch gilt
nicht nur für den Verbrauchsgüterkauf, sondern für alle
Kaufverträge. Dies hat - wenn ich einmal die praktischen
Auswirkungen darlegen darf - zur Folge, dass ein Student, der seinen 15 Jahre alten Gebrauchtwagen für
2 000 DM an einen Kommilitonen verkauft, für eventuelle Mängel genauso haftet und in Anspruch genommen
werden kann wie ein professioneller Gebrauchtwagenhändler. Ist der Gebrauchtwagen mangelhaft, so haftet unser Student nach dem Gesetz - entgegen der wirtschaftlichen Vernunft - seinem Kommilitonen zwei Jahre lang
Minister Dr. Andreas Birkmann ({12})
auf Nachlieferung oder Nachbesserung, falls sich in dieser Zeit herausstellt, dass der Wagen beim Verkauf einen
Mangel aufgewiesen hat. Ich denke, ein Bedürfnis dafür,
den Verbraucherschutz auch auf Verträge zwischen Verbrauchern zu erstrecken, ist schwer nachvollziehbar.
Damit komme ich auf die eben gestellte Frage: Der
Diskussionsbedarf im Einzelnen ist noch groß. Das
Thüringer Justizministerium plant, in diesem Sommer ein
umfangreiches Symposium zum Thema der Schuldrechtsmodernisierung durchzuführen. Ich möchte Sie,
Frau Bundesjustizministerin, schon jetzt herzlich nach
Thüringen einladen, um über dieses so wichtige Thema zu
diskutieren. Lassen Sie uns die notwendige Reform des
Schuldrechts gemeinsam und mit der gebotenen Sorgfalt
angehen. Wir sind dazu gerne bereit.
({13})
Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat nun der
Kollege Alfred Hartenbach von der SPD-Fraktion das
Wort.
({0})
Ich begrüße Sie sehr herzlich, Herr Präsident! Ich begrüße Sie, liebe Kolleginnen
und Kollegen, die Sie Interesse an der Rechtsdiskussion
haben. Und ich begrüße die Lümmel in der vierten Bank
bei der CDU/CSU. Diese Reform wird eine spannende
Sache, aber zunächst einmal freue ich mich, dass das
Drehbuch manchmal richtig gut ist: Ich freue mich, dass
der ehemalige Bundesjustizminister und Bundesaußenminister Kinkel heute hier ist und miterleben darf, wie nun
endlich das, was Sie, Herr Dr. Kinkel, eigentlich auch gewollt haben, woran Sie aber von der CDU gehindert worden sind, in die Tat umgesetzt wird.
({0})
Eben war auch noch Herr Professor Dr. SchmidtJortzig anwesend, der genauso daran gehindert worden
ist, hier tätig zu werden. Ich weiß, dass er es wollte, aber
nicht durfte.
({1})
Er ist von seinem Parlamentarischen Staatssekretär, dem
ewiggestrigen Herrn Funke, gehindert worden.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des
({2})
Herr Pofalla, wo Sie Recht haben, haben Sie Recht. Ich
bin gern bereit, dieses auch zu konzedieren. Auch ich
hätte mir gewünscht - was Sie gestern bei der ZPO-Reform beklagt haben -, dass vom Einbringen dieses wichtigen Gesetzes, das wir extra in eine gute Debattenzeit
gelegt haben, damit die Bevölkerung in Deutschland davon Kenntnis nimmt, heute hier mehr Kollegen Kenntnis
genommen hätten.
({3})
Denn dies ist ein Gesetz, welches die persönlichen Verhältnisse aller,
({4})
ob sie nun Rechtsanwälte sind, ob sie einfache Bürger
sind, ob sie in der Industrie sind oder wo auch immer, regeln wird, und zwar besser als das bisherige Gesetz regeln
wird.
({5})
- Norbert, nun sei doch mal still.
Nun beklagen Sie, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, und ziehen als Beispiel die Beratung des BGB von
vor 116 oder 118 Jahren heran, dass hier zu wenig Vorberatungszeit gegeben sei. Zunächst einmal stelle ich
fest, dass sich seit 1974 namhafte Schuldrechtler mit der
Reform des Bürgerlichen Gesetzbuches befassen. Seit
über einem Jahr steht der Gesetzestext in wesentlichen
Formulierungen allen zur Beratung zur Verfügung. Nun
beklagen Sie einen Akt, den wir hier begehen, nämlich
dass wir nun die parlamentarische Beratung möglichst
schnell beginnen wollen.
({6})
- Lieber Norbert, liebe Kolleginnen und Kollegen, da verstehe ich nun den selbstbewussten, frei gewählten und
hier mit der ganzen Kraft seines Wortes stehenden Abgeordneten nicht mehr. Wollen Sie denn wirklich warten, bis
uns Verwaltungsbeamte vorgegeben haben, wie dieses
Gesetz aussehen soll?
({7})
- Ich komme gleich noch dazu.
Das zeigt - gestern habe ich es angekündigt, Herr
Gerhardt -, dass Sie rechtspolitisch entwöhnt sind. Sie haben 16 Jahre lang keine eigenen Ideen, keine eigenen Gedanken in der Rechtspolitik gehabt.
({8})
- So etwas macht man aber nicht. - Wir wollen Sie nun
langsam wieder dahin führen, dass Sie eine eigenständige
Rechtspolitik machen können.
({9})
Dafür sollten Sie uns eigentlich dankbar sein.
({10})
Minister Dr. Andreas Birkmann ({11})
Sie haben hier beklagt, dass wir angesichts der Tatsache, dass das BGB im Reichstag sechs Jahre lang beraten worden ist, zu schnell vorgingen. Damals musste über
das gesamte BGB, das fünf Bücher umfasst, beraten werden und es gab weder Fax noch Kopiergerät, auch kein Internet. Alles musste mit der Hand geschrieben werden.
Deshalb dauerte es sechs Jahre.
({12})
Wir beraten heute über ein einziges Buch, nämlich über
das Schuldrecht, und brauchen dafür ein Jahr. Das passt
doch zeitlich hundertprozentig zusammen.
({13})
Sie haben darauf hingewiesen, dass es in diesem Zusammenhang unterschiedliche Lehrmeinungen gibt. Die
meisten, die ich hier sitzen sehe - bei einigen ist es schon
so lange her, dass es in Vergessenheit geraten ist -, haben
einmal Jura studiert. Sie auch, Herr Gehb, oder?
({14})
- Wunderbar. - Sie wissen also, dass es immer eine
herrschende Meinung gibt, aber in jedem Kommentar
zu jedem Paragraphen auch diejenigen angeführt werden, die anderer Ansicht sind. Im Palandt gibt es immer
mindestens fünf. Deswegen finde ich es überhaupt nicht
schlimm, wenn ein Teil der hoch qualifizierten Schuldrechtslehrer anderer Ansicht ist als die große Mehrheit.
Das ist ein Stück weit Freiheit von Forschung und
Lehre.
({15})
Wir sollten uns diese Freiheit gewissermaßen zunutze machen und dies in unsere Beratungen einbeziehen.
Sie haben natürlich Recht: Das BGB ist ein Denkmal.
Wenn Sie sich aber einmal meine abgegriffene Paperback-Ausgabe anschauen, dann sehen Sie, dass sie eigentlich renovierungsbedürftig ist.
({16})
Genauso ist es mit dem BGB als solchem. Ein Denkmal
muss gepflegt werden. Wenn es nicht gepflegt wird, stürzt
es in sich zusammen und ist kaputt.
({17})
Unser BGB ist kurz davor, weil Sie 16 Jahre lang nichts
gemacht haben. Sie haben noch nicht einmal den Taubendreck weggewischt, Herr Geis.
({18})
Wir werden dieses Denkmal so renovieren, dass es zu
unseren neuen internationalen Beziehungen, in denen wir
als Rechtsnation stehen, passt. Wir müssen diese EURichtlinien umsetzen, wenn wir im internationalen Konzert mithalten wollen.
Nun haben Sie gesagt, man könne ja das eine so und
das andere so machen. Alle meine Vorredner haben aber
schon gesagt, wie wichtig es ist, ein Schuldrecht aus einem Guss zu haben.
({19})
Ich weiß, dass es in der Praxis keine Probleme mit der
Anwendung der ZPO und des neuen Mietrechts, wenn es
in Kraft tritt, geben wird. Genauso wird es keine Probleme
mit der Anwendung des neuen Schuldrechts geben.
({20})
Als ich 1976 junger Staatsanwalt war, trat das Sechste
Strafrechtsänderungsgesetz in Kraft. Zwei meiner damaligen Kollegen bei der Staatsanwaltschaft Kassel sind daraufhin in Pension gegangen; denn sie wollten die neuen
Vorschriften nicht mehr lernen. Ich habe damals als junger, dynamischer Staatsanwalt gesagt: Es ist gut, dass die
in Rente gehen. Wenn es nun tatsächlich unter den Richtern und Rechtsanwälten einige geben sollte, die es nicht
anwenden wollen - es werden nur ganz wenige sein, weil
die große Mehrzahl dieses Gesetz richtig und vernünftig
anwenden wird -, dann wäre es kein Schaden, wenn auch
sie frühzeitig in Pension gingen.
({21})
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der
CDU/CSU und der F.D.P., ich bitte Sie einmal, darüber
nachzudenken,
({22})
ob Sie nicht angesichts der Töne hier ein bisschen früh in
den Bundestagswahlkampf gestartet sind. Auch Sie könnten in Rente gehen; das wäre kein Problem.
({23})
Ich lade Sie wirklich ein: Zeigen Sie endlich einmal,
dass Sie sich von der Rechtspolitik des früheren Ministers
Kanther und von der Rechtspolitik in Bayern abgenabelt
haben!
({24})
Heute mussten Sie sich von Herrn Birkmann, weil Sie
nicht genügend Redner zu diesem wichtigen Thema haben, sagen lassen, dass Sie sich von Ihren Ländern abgenabelt haben. Zeigen Sie, dass Sie eine eigenständige
Rechtspolitik machen können! Dazu lade ich Sie sehr
herzlich ein, auch unser Misanthröpchen Funke.
Vielen Dank.
({25})
Ich
schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Gesetzent-
wurf auf der Drucksache 14/6040 zur federführenden Be-
ratung an den Rechtsausschuss, zur Mitberatung an den
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie, den Aus-
schuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirt-
schaft, den Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung sowie
den Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen zu
überweisen. Gibt es anderweitige Vorschläge? - Das ist
nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 15 a und 15 b sowie
den Zusatzpunkt 8 auf:
15 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang
Bosbach, Erwin Marschewski ({0}),
Meinrad Belle, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU
EU-Richtlinienvorschlag zu Mindestnormen in
Asylverfahren überarbeiten
- Drucksache 14/5759 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({1})
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang
Bosbach, Erwin Marschewski ({2}),
Meinrad Belle, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU
EU-Richtlinienvorschlag zur Gewährung vorübergehenden Schutzes im Falle eines Massenzustroms überarbeiten
- Drucksache 14/5754 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({3})
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla
Jelpke, Carsten Hübner, Uwe Hiksch, Petra Pau
und der Fraktion der PDS
EU-Richtlinienvorschlag zu Mindeststandards
in Asylverfahren ist ein wichtiger Schritt für
einen wirksamen Flüchtlingsschutz in Europa
- Drucksache 14/6050 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({4})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der
Kollege Erwin Marschewski von der CDU/CSU-Fraktion
das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Wenn man einmal beschreiben will, was in den Bereichen
Asyl und Einwanderung in Brüssel nahezu unbemerkt
von der Öffentlichkeit geschieht, so kann man es mit folgenden Worten auf den Punkt bringen: In Brüssel beschließt man etwas, stellt es dann in den Raum und wartet, was passiert. Wenn es kein großes Geschrei und keine
Aufstände gibt, weil die meisten gar nicht begreifen, was
dort beschlossen wird, dann macht man weiter, und zwar
Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt. Das ist
Brüssel. Die Bundesregierung, Herr Bundesinnenminister, schaut zu - mehr nicht.
({0})
Wir reden hier nicht über irgendetwas. Wir reden über
ein Thema, das im Zentrum der innenpolitischen Auseinandersetzungen steht: die Gestaltung unseres zukünftigen Zuwanderungs- und Asylrechts. Seit 1999 - Sie wissen das - ist nach dem Amsterdamer Vertrag nicht mehr
Deutschland dafür zuständig. Wir, die Union, haben ein
geschlossenes Gesamtkonzept mit Zahlenbegrenzung, sozialer Steuerung und Integration. Der europäische Bereich nimmt bei uns einen breiten Raum ein. Nach unserer Auffassung muss bereits auf europäischer Ebene alles
getan werden, um den Zuwanderungsdruck aus den Staaten der Dritten Welt nach Europa zu reduzieren.
({1})
Deswegen wollen wir gleiche Regelungen für die Aufnahme, den Aufenthalt und die Aufenthaltsbeendigung.
Wir wollen vor allen Dingen eine gerechte europäische
Lastenverteilung bei Asylbewerbern und Bürgerkriegsflüchtlingen.
({2})
Deshalb, Herr Bundesinnenminister, darf Deutschland die
vorliegenden Vorschläge der Europäischen Kommission nicht akzeptieren. Sie führen zu einer Ausweitung
der ungesteuerten Zuwanderung.
({3})
Aber Sie, meine Damen und Herren von der Bundesregierung, haben bisher kein Konzept zur Zuwanderungssteuerung vorgelegt. Das gilt für die SPD-Fraktion und
auch für Sie, Herr Bundesinnenminister. Sie können es
nämlich nicht. Während die eine Seite bei Ihnen immer
noch von der multikulturellen Gesellschaft träumt und angesichts des Verhaltens der EU Morgenluft wittert, bietet
die andere Seite mit Ihnen, sehr verehrter Herr Bundesinnenminister, einen Minister auf, der in den eigenen Reihen leider völlig isoliert ist und im Parlament höchstens
von der Union unterstützt wird.
({4})
Ich gebe Ihnen Beispiele en masse. Ein Beispiel sind
die Familienzusammenführungsrichtlinien aus Brüssel. Sie, Herr Bundesinnenminister, haben davor gewarnt,
diese zu akzeptieren. In Brüssel haben die Sozialisten und
die Grünen dazu Ja gesagt. Die SPD-Bundestagsfraktion
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
und die grüne Bundestagsfraktion haben Ja gesagt, und
zwar gegen Ihren ausdrücklichen Willen und gegen Ihre
Warnung, dass dann 200 000 bis 300 000 Ausländer ungesteuert nach Deutschland kommen können, Herr Bundesinnenminister.
Ein weiteres Beispiel: Während Sie fordern, die Drittstaatenregelung zu erhalten, während Sie einfache und
kurze Rechtswege fordern, sagen die Grünen und die SPD
in einer Bundestagsinitiative ganz genau das Gegenteil.
({5})
Legen Sie doch als Fraktion endlich ein Konzept vor, das
eine vernünftige Zuwanderungssteuerung, eine vernünftige Zuwanderungsbegrenzung enthält!
({6})
Mit diesem Mangel an Handlungsfähigkeit lassen sich
in Brüssel keine Verhandlungen führen. Also, meine Damen und Herren, entweder handeln Sie jetzt oder - noch
besser - handeln Sie nicht, sparen Sie sich die Arbeit und
schließen Sie sich ohne Wenn und Aber dem Konzept von
CDU und CSU an!
({7})
- Herr Kollege Stiegler, Sie täten uns damit einen kleinen
Gefallen, unserem Land aber einen riesengroßen Gefallen.
({8})
Denn was auf uns zukommt, ist mehr als beunruhigend.
Brüssel hat vor allen Dingen kein Gesamtkonzept. Es
werden punktuelle Lösungen angeboten. Wer aber diese
komplexe Problemstellung - Zuwanderung, Asylrecht ohne Berücksichtigung von Zusammenhängen erledigen
will, verliert zwangsläufig den Überblick. Sie, meine Damen und Herren, wollen ein Haus bauen, aber Ihnen fehlt
der Bauplan, und das kann nicht gut gehen.
Herr Minister, Ihre jüngste Äußerung, es sei Ihnen
wichtig, die Diskussion nicht auf das Schlagwort eines
Zuwanderungsbegrenzungsgesetzes einzuengen, und Ihr
Hinweis, neben der Zuwanderung aus wirtschaftlichen
Gründen müssten auch Verbesserungen eintreten, bedeuten doch nichts anderes als den Beginn des Rückzuges
vom ambitioniertesten Gesetzesvorhaben der Regierung
in dieser Legislaturperiode. Das ist doch die Ankündigung, dass eben kein notwendiges Zuwanderungssteuerungs- und -begrenzungsgesetz von Ihnen vorgelegt wird,
Herr Bundesinnenminister, und das ist problematisch.
({9})
In Brüssel spielt die Musik, in Brüssel werden Entscheidungen gefällt. Wenn die Richtlinien zu Mindeststandards in Bezug auf das Asylverfahren Wirklichkeit
werden, wird unser bestehendes Asylrecht auf den Kopf
gestellt. Denn Brüssel will, was Sie bisher in diesem
Hause noch gar nicht diskutiert haben - deswegen müssen wir dies den Menschen in unserem Lande sagen -,
unser Asylrecht nahezu abschaffen. Die Drittstaatenregelung, die Flughafenregelung und die Herkunftsstaatenregelung sollen gekippt werden. Man will verfahrensbeschleunigende Maßnahmen aufheben, man will ein
dreistufiges Verfahren mit zwei Überprüfungsinstanzen,
man will keine Beschleunigung bei Folgeanträgen, obwohl 30 Prozent der Asylanträge Folgeanträge werden.
Ich wiederhole: Unser Asylrecht wird dann auf den
Kopf gestellt. Unser Asylrecht war erfolgreich. Sie wissen, dass wir gegenüber fast 450 000 Asylbewerbern im
Jahr 1993 nur noch rund 80 000 im vergangenen Jahr
hatten.
Auch das noch einmal zur Erinnerung: Sie wissen, dass
der jetzige Bundeskanzler, damals Ministerpräsident von
Niedersachsen, zu diesem Asylkompromiss Nein gesagt
hat. Aber unser Asylrecht war erfolgreich und soll nun
von Europa her abgeschafft werden.
({10})
Sie wollen ein Asylrecht mit subjektiven Ansprüchen
schaffen. Das kann nicht gut gehen.
Ich appelliere an die Bundesregierung: Investieren Sie
weniger Zeit in Medienauftritte, kehren Sie zu Sachdebatten zurück, bieten Sie sachgerechte Lösungen an!
Bremsen Sie in Europa Herrn Vitorino und die rot-grüne
Europafraktion! Sie haben eine historische Chance zur
Gestaltung eines modernen Ausländer- und Asylrechts,
zur Gestaltung eines Zuwanderungsbegrenzungsrechts.
Aber Sie haben auch eine historische Verpflichtung. Bis
zum Jahre 2004 ist nach dem Amsterdamer Vertrag die
Vergemeinschaftung der Asyl- und Flüchtlingspolitik
zu vollziehen, und nur bis dahin gilt das Prinzip der Einstimmigkeit. Seien Sie sich deswegen der außergewöhnlichen Verantwortung bewusst! Was Sie jetzt mittragen
oder initiieren, wird nie wieder rückgängig zu machen
sein.
Deswegen rufe ich Sie auf: Gehen Sie verantwortungsvoll
mit dieser historischen Verpflichtung um!
({11})
Folgen Sie unseren Anträgen und setzen Sie sich in
Brüssel durch, damit das, was dort geplant ist, nicht Wirklichkeit wird. Herr Bundesinnenminister, legen Sie endlich ein Gesamtkonzept zur Zuwanderung, Integration,
Arbeitsmigration und zur Zuwanderungsbegrenzung vor!
Die Menschen in unserem Lande wollen ein solches Gesamtkonzept, Herr Bundesinnenminister. Es ist auch nicht
unanständig, die Interessen von 80 Millionen Menschen
kraftvoll zu vertreten; das ist unsere und das ist auch Ihre
Pflicht.
({12})
Das Wort
hat jetzt der Herr Bundesminister Otto Schily.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Lieber Herr
Marschewski, Sie vermissen gegen Vorhaben in Brüssel
Erwin Marschewski ({0})
Geschrei und Aufstand. Ich bin Ihnen dafür dankbar, dass
Ihrerseits das Geschrei heute Morgen relativ moderat ausgefallen ist. Ich kann Ihnen sagen: In Brüssel werden Sie
mit Aufständen nicht sehr weit kommen.
Ich habe durchaus ein gewisses Verständnis dafür, dass
Sie für die CDU/CSU-Fraktion den Versuch unternehmen, wieder etwas europapolitische Kompetenz zurückzugewinnen. Ob Sie das allerdings mit Ihrem heutigen
Beitrag geleistet haben, muss ich mit einem großen Fragezeichen versehen.
({1})
Ich finde, die Sportart „Offene Türen einrennen“ ist auch
nicht besonders eindrucksvoll. Man kann sich dabei übrigens Verletzungen zuziehen, Herr Marschewski.
({2})
Deshalb, meine ich, sollten wir die Kirche im Dorf lassen.
Wir haben doch gemeinsam - so hat sich die
CDU/CSU früher geäußert - in die Europapolitik die Vorstellung eingebracht, dass wir eine Europäisierung des
Asyl- und Zuwanderungsrechtes wollen. Sie haben doch
die Amsterdamer Verträge ausgehandelt; das hat doch
nicht diese Regierung getan, die alte Regierung hat sie
ausgehandelt. Nun können Sie sich doch nicht darüber beklagen, dass das so geschehen ist und wir auf diesem
Wege weitergehen müssen.
Sie haben selbstverständlich darin Recht, dass wir uns
über die Einzelheiten unterhalten müssen. Sie werden
wissen, dass ich mich in Brüssel sowie auf den Justiz- und
Innenministerkonferenzen stets dafür eingesetzt habe,
auch auf der europäischen Ebene ein konsistentes Programm zu entwickeln, das alle Aspekte umfasst. Leider
entspricht das methodische Vorgehen der Kommission
nicht ganz meinem Wunsch. Die Kommission hat sich
- man muss dabei natürlich die Fristsetzungen, das Scoreboard, das hinsichtlich des Fortschritts bestimmte Vorhaben vorsieht, vor Augen haben; insofern muss man Verständnis für die Kommission haben - nun auf den Weg
begeben, Einzelmaßnahmen vorzuschlagen.
Wenn ich von der Bundestagsverwaltung richtig unterrichtet worden bin, Herr Kollege Marschewski, unterhalten wir uns heute Morgen über zwei Vorschläge der Kommission. Ich will auf beide kurz eingehen, damit wir zu
einer sachlichen Diskussion kommen. Wir werden noch
Gelegenheit haben, über das andere Thema, das Sie angesprochen haben, ausführlich zu reden. Ich will am Schluss
meiner Ausführungen aber einige Bemerkungen dazu machen.
Es geht zunächst um den Richtlinienvorschlag zur Gewährung vorübergehenden Schutzes im Falle eines Massenzustromes. An dieser Stelle will ich sagen: Ich begrüße
ausdrücklich, dass die Kommission einen Vorschlag gemacht hat und die schwedische Präsidentschaft versucht,
diesen Richtlinienvorschlag noch während der Dauer ihrer Präsidentschaft zu verabschieden. Das ist eine sehr
vernünftige Initiative. Es war ja auch das Anliegen der alten Bundesregierung, insoweit eine EU-weite Regelung
zu erreichen.
Die Verhandlungen über einzelne Fragen des Entwurfs
sind noch nicht abgeschlossen. Vorbehaltlich der noch bestehenden Streitpunkte bin ich der Meinung, dass der Vorschlag seitens der Kommission eine gute Grundlage für
eine Regelung ist. Das gilt insbesondere für das Verhältnis von vorübergehendem Schutz und Asylverfahren. Der
Richtlinienvorschlag gibt den Mitgliedstaaten ausdrücklich die Möglichkeit vorzusehen, dass die sich aus dem
vorübergehenden Schutz ergebenden Rechte nicht mit
dem Status eines Asylbewerbers, dessen Antrag geprüft
wird, kumuliert werden können. Das ist doch auch eines
Ihrer Anliegen, wenn ich Sie richtig verstanden habe. Gegen den Widerstand anderer Mitgliedstaaten hat sich die
Bundesrepublik mit Erfolg dafür eingesetzt, dass die Prüfung von Asylanträgen für die Dauer des vorübergehenden Schutzes ausgesetzt werden kann.
Beim Stimmenquorum zur Auslösung und Beendigung des vorübergehenden Schutzes - auch das haben
Sie, Herr Kollege Marschewski, angesprochen - sprechen
die besseren Gründe für eine qualifizierte Mehrheit. Das
Erfordernis der Einstimmigkeit, das Sie favorisieren, hat
einen großen Nachteil, nämlich den, dass das Veto nur eines Mitgliedstaates eine EU-weite Gewährung des vorübergehenden Schutzes verhindern kann. Es ist absehbar,
dass dann ein vorübergehender Schutz in der EU nur selten oder überhaupt nicht gewährt würde. Wir wären dann
bei der Kosovo-Krise möglicherweise blockiert gewesen.
Ich erinnere mich an die damaligen Diskussionen noch
sehr genau.
Ohne eine gesamteuropäische Lösung der Aufteilung
der Verantwortung unter den Mitgliedstaaten, also ohne
jegliche Regelung würde die Bundesrepublik voraussichtlich die Hauptlast des Flüchtlingsstromes tragen und
würde es anderen Mitgliedstaaten erleichtert, sich vor der
Verantwortung, eine nennenswerte Anzahl von Vertriebenen aufzunehmen, zu drücken. Sie wissen doch, was damals - Sie waren an der Regierung - geschehen ist, als der
Konflikt in Bosnien-Herzegowina ausgebrochen ist. Damals kamen rund 350 000 Flüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina in Deutschland an. Von Lastenteilung konnte
keine Rede sein.
Gleiches gilt für die Aufhebung des vorübergehenden
Schutzes. Auch hier könnte bei einem Einstimmigkeitserfordernis das Veto eines Mitgliedstaates - zum Beispiel
eines Staates, der nur eine sehr geringe Zahl von
Vertriebenen aufgenommen hat - einen Aufhebungsbeschluss verhindern. Das kann nicht in unserem Interesse
sein; denn dadurch würde eine schnelle Rückführung der
Vertriebenen bei einer Verbesserung der Situation im Herkunftsland verhindert und würde die im CDU/CSU-Antrag geforderte Rückkehrorientierung der Richtlinie gerade nicht erreicht.
Die Lastenteilung - darüber haben wir, Herr
Marschewski, oft gesprochen; ich bevorzuge übrigens
den Ausdruck Solidarität, weil ich glaube, dass er der bessere ist; aber darüber müssen wir uns nicht streiten - ist
ein Kernstück des Richtlinienentwurfs. Die Verknüpfung
von vorübergehendem Schutz und einer ausgewogenen
Verteilung der Belastungen bei der Aufnahme von Flüchtlingen und Vertriebenen ist von der Bundesrepublik und
insbesondere von dieser Bundesregierung stets massiv
gefordert worden. Der Vorschlag der Kommission realisiert diese Forderung und konkretisiert die Solidarität
durch das so genannte Bietungs- bzw. „pledging“-Verfahren, das auf einen im Jahre 1999, also während der deutschen Ratspräsidentschaft, von mir eingebrachten Vorschlag zurückgeht. Dieses Verfahren führt nicht dazu,
dass sich die Vertriebenen das Land mit den besten sozialen Leistungen einfach aussuchen können. Das wollen wir
auch nicht. Eine Aufnahme von Vertriebenen erfolgt nur
in der Größenordnung, die der jeweilige Mitgliedstaat bei
der Auslösung des vorübergehenden Schutzes angegeben
hat.
Die Funktionsfähigkeit dieses Modells hat sich in der
Kosovo-Krise bewährt. Ich muss Sie daran erinnern, was
wir während der Kosovo-Krise erreicht haben:
Erstens. Wir haben dafür gesorgt, dass der übergroße
Teil der Flüchtlinge in der Region Schutz gefunden hat.
Zweitens. Als die Notwendigkeit bestand, einen Teil der
Flüchtlinge aus Mazedonien nach Europa zu evakuieren,
haben wir eine Lastenteilung durchgesetzt. Deutschland
hat von insgesamt etwa 100 000 Flüchtlingen nur 15 000
aufgenommen. Sie sehen also, dass diese gute Lösung ist.
Zu der von Ihnen immer wieder geforderten Quotenlösung muss ich Ihnen, Herr Marschewski, sagen, dass
Sie offenbar den Stand der europäische Diskussion nicht
kennen. Man weiß seit Jahren, dass diese Lösung nicht
durchsetzbar ist. Sie werden die Franzosen von der Quotenlösung nie überzeugen können, ganz egal, welche politische Kraft in Frankreich an der Regierung ist.
Eine an der Einwohnerzahl orientierte Quorumsregelung - auch daran muss ich Sie erinnern - liegt außerdem
gar nicht im deutschen Interesse, weil sie Deutschland sogar verpflichten könnte, noch mehr Flüchtlinge als bisher
aufzunehmen. Das lässt sich durch die Entwicklung der
Asylbewerberzahlen belegen. Im vergangenen Jahr hat
Deutschland, gemessen an seiner Einwohnerzahl - auch
das sollten Sie der Öffentlichkeit einmal deutlich machen -, bei der Aufnahme von Flüchtlingen nur einen Mittelplatz belegt. Deutschland steht keineswegs mehr an der
Spitze, auch nicht bei den absoluten Zahlen. Großbritannien hat die meisten Flüchtlinge aufgenommen. Wir
hatten im vergangenen Jahr rund 80 000 Asylbewerber
und Großbritannien rund 100 000. Wenn Sie die Einwohnerzahlen zugrunde legen, verändern sich die Proportionen noch mehr.
Ich glaube also, dass wir bei dieser Richtlinie auf einem guten Wege sind. Es gibt ein paar Fragen, die noch
nicht zu Ende diskutiert sind. Dazu gehört die Familienzusammenführung. Man kann - ich habe mit Herrn
Kommissar Vitorino darüber gesprochen - sich überlegen, ob wir die Familienzusammenführung aus der Richtlinie überhaupt ausklammern und sie lieber in der allgemeinen Richtlinie regeln. Darüber sind wir im Gespräch.
Die Regelungen dürfen auch nicht zu weit gehen, damit
wir nicht Dinge regeln, die sich eigentlich aus der Praxis
viel besser ergeben. Ich erinnere noch einmal an das Kosovo. Wir haben selbstverständlich, als wir aus Mazedonien evakuiert haben, in erster Linie Frauen, Kinder und
Kranke berücksichtigt und im Einvernehmen und in Zusammenarbeit mit dem UNHCR natürlich auch dafür
gesorgt, dass die Familien nicht auseinander gerissen
werden.
({3})
Dazu braucht man keine verrechtlichte Regelung. Das
geht auch, wenn man darüber vernünftig diskutiert.
Nun bin ich bei dem zweiten Punkt. Dazu muss ich allerdings sagen: Bei der Richtlinie über Mindestnormen
in Asylverfahren gibt es noch ganz erheblichen Diskussionsbedarf.
({4})
- Ja, Frau Jelpke, da haben Sie einen anderen Standpunkt.
Das ist in Ordnung. Aber ich habe eine andere Verantwortung als Sie.
Diese Mindestnormen sind so nicht akzeptabel. Sie haben einige Stichworte genannt: Die Drittstaatenregelung
ist so, wie sie dort ausformuliert ist, für uns nicht akzeptabel.
({5})
Nicht akzeptabel ist die Regelung bei den offensichtlich unbegründeten Anträgen, bei den Folgeanträgen und
bei vielen anderen Stichworten mehr. Ich will das hier gar
nicht im Einzelnen darstellen. Ich habe Ihnen den Standpunkt der Bundesregierung dazu schon in verschiedenen
Darstellungen vor dem Innenausschuss mitgeteilt. Ich bin
aber gerne bereit, noch einmal in den Innenausschuss zu
kommen, um das im Detail darzulegen.
Es ist übrigens auch nicht so, dass es quasi nur die Bundesregierung, die Kommission, den Bundestag und das
Europaparlament gibt, Herr Marschewski. Es gibt auch
den Ministerrat, der ein Wörtchen mitzureden hat.
({6})
Im Ministerrat ist die Kritik an diesem Richtlinienentwurf
nun wahrlich nicht auf den deutschen Innenminister beschränkt.
Sie können sich vorstellen, dass ich in dieser Richtung
auch mit meinen Innenministerkollegen in Europa rede
und mit ihnen sehr intensive Gespräche führe. Das wird
eine Zeit dauern. Die Sachen sind erst andiskutiert worden. Nun seien Sie an der Stelle mal nicht so hektisch! Sie
brauchen sich in der Richtung keine Sorge zu machen,
wir würden die Dinge so regeln, dass wir dabei Schaden
nehmen.
Allerdings stehen diese Fragen in der Tat in einem Zusammenhang mit anderen Fragen. Ich würde es begrüßen,
wenn wir in der europäischen Diskussion wie auch in
Deutschland zu einem Einvernehmen über ein Gesamtkonzept gelangten. Das ist übrigens auch der Ehrgeiz der
belgischen Präsidentschaft, die dazu eine Konferenz einberufen wird. Ich hoffe, dass man auf dem Wege vorankommen wird.
Lassen Sie mich zum Schluss - wenn es der Herr Präsident erlaubt - noch einige wenige Sätze zu Ihren allgemeinen Bemerkungen über Zuwanderungspolitik und
Ähnliches anfügen. Ich sage Ihnen ausdrücklich: Ich begrüße, dass die CDU unter dem Vorsitz von Herrn Ministerpräsidenten Müller ein ausführliches Papier erarbeitet hat. Das Papier kann ich nur loben. Es enthält sehr
gute Passagen. Ich halte es für ein gutes Papier, um auf
dessen Grundlage und auf der Grundlage anderer Überlegungen, die es bei der F.D.P. gibt, die es bei der SPD
gibt, die es bei den Grünen und auf welcher Seite immer
gibt, zu einem allgemeinen Konsens in diesen Fragen zu
kommen.
({7})
- Auch die CSU, Entschuldigung! Die CSU, die Schwesterpartei, hat auch ein interessantes Papier vorgelegt.
({8})
- Ja, natürlich: eine außerordentlich wichtige Partei.
Sie wissen, dass ich eine Kommission unter dem Vorsitz eines Mitglieds Ihrer Fraktion, einer herausragenden
Persönlichkeit, Frau Professor Süssmuth, einberufen
habe. Diese Kommission hat eine interessante Zusammensetzung, weil sie nämlich alle Gesichtspunkte, die
bei einer Zuwanderungsregelung zu berücksichtigen
sind, repräsentiert. Ich denke, allein die Tatsache, dass
sich viele um die Zugehörigkeit zu dieser Kommission
bemüht haben, beweist, dass es richtig war, eine solche
Kommission einzuberufen. Alle Wirtschaftsverbände haben sich gedrängt, in dieser Kommission mitzuarbeiten.
Ich bin denjenigen sehr dankbar, die sich dazu bereit gefunden haben.
Diese Kommission wird ihre Vorschläge demnächst
vorlegen. Sie hat übrigens alles das, was etwa von Ihrer
Parteikommission oder von anderen vorgelegt worden ist,
in ihre Überlegungen einbezogen.
Ich glaube, dass wir zu einer vernünftigen Regelung
kommen können, die sowohl eine Steuerung und Begrenzung erlaubt als auch die Wahrung der humanitären
Grundsätze, auf die wir uns in der Verfassung festgelegt
haben. Deshalb appelliere ich an alle, an diesem Konsens
mitzuwirken. Herr Marschewski, wenn Sie dazu auch einen Beitrag leisten wollen und auf Geschrei und Aufständigkeit verzichten, dann würde ich das sehr begrüßen.
Danke schön.
({9})
Als
nächster Redner hat das Wort der Kollege Dr. Max Stadler
von der F.D.P.-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr
geehrten Damen und Herren! Oft ist es ganz nützlich,
wenn man bei Anträgen, über die hier zu diskutieren ist,
auch das liest, was nicht ausdrücklich in ihnen enthalten
ist. So scheinen sich die beiden Anträge der CDU/CSU
dem Wortlaut nach an die Bundesregierung zu richten, indem sie aufgefordert wird, in bestimmter Weise in Brüssel zu agieren. Man kann sich aber unschwer ausmalen,
dass Adressat der Anträge natürlich auch die eigenen Parteimitglieder und Anhänger sind; denn, liebe Kolleginnen
und Kollegen von der CDU/CSU, es war ja für Sie ein
weiter Weg von der Position, dass Deutschland kein Einwanderungsland sei, bis zu dem Papier, das Sie dankenswerterweise jetzt vorgelegt haben. Es war ein langer Weg
nach Tipperary.
({0})
Man kann sich leicht vorstellen, dass viele bei Ihnen
diesen Weg nicht so schnell mitzugehen bereit sind. Da ist
es natürlich der innerparteilichen Willensbildung förderlich, wenn man diesen Schwenk und diese neue Erkenntnis, dass Deutschland faktisch natürlich ein Einwanderungsland ist, mit einer besonders kritischen Haltung
gegenüber dem Asylverfahren und dem garniert, was in
Brüssel dazu vorgeschlagen wird.
({1})
Unabhängig davon ist es berechtigt und verdienstvoll,
dass Sie dieses Thema hier zu Debatte stellen und dass
aufgrund Ihrer Anträge und des Antrags der PDS der
Deutsche Bundestag überhaupt über einen Richtlinienentwurf der EU diskutiert. Es ist ja ein zentrales Thema, hinsichtlich dessen wir uns im Innenausschuss seit langem
Gedanken darüber machen, wie wir es besser bewältigen
können, dass wichtigste Entscheidungen, die die deutsche
Innenpolitik maßgeblich verändern, in Brüssel in einer
Situation getroffen werden, in der das Europaparlament
immer noch keine echte Mitsprachemöglichkeit hat und
in der der Deutsche Bundestag nur zur Kenntnis nimmt,
was in einer Richtlinie vorgegeben wird.
({2})
Aus diesem Grund bin ich sehr dankbar, dass die Anträge
Gelegenheit geben, einiges klarzustellen.
Die Debatte über das Asylrecht und die Europäisierung
des Asylrechts ist von Teilen der deutschen Öffentlichkeit
von vorneherein mit einer falschen Erwartungshaltung
geführt worden. Manche, denen unser Asylrecht immer
noch zu liberal ist, haben nämlich die Hoffnung damit verbunden, dass sich - so wurde immer behauptet - das deutsche Grundrecht auf Asyl nicht mehr halten lasse, wenn
eine Europäisierung dieses Rechtsgebiets erfolge. Nun
müssen Sie zu Ihrer Enttäuschung, meine Damen und
Herren von der Union, feststellen: Art. 16 a des Grundgesetzes kann auch im europäischen Kontext sehr wohl Bestand haben. Im Gegenteil: Zu Ihrer Überraschung werden vonseiten der EU zum Teil weitreichendere und
liberalere Vorstellungen geäußert, als wir sie im Asylkompromiss seinerzeit vereinbart haben.
({3})
Dies hätten Sie schon seit langem wissen können, wenn
Sie sich genauer informiert hätten.
Das Flughafenverfahren in Frankreich zeichnet sich
zum Beispiel dadurch aus, dass dann, wenn innerhalb von
18 Tagen keine Entscheidung über die Anerkennung oder
Nichtanerkennung eines Bewerbers gefallen ist, der Bewerber in Frankreich einreisen darf und das weitere Asylverfahren im Inland geführt wird. Dieses Verfahren geht
viel weiter als die bei uns bestehende Regelung. So
braucht es einen nicht zu verwundern, dass auch die EU
über die deutschen Regelungen hinausgehende Vorschläge macht.
({4})
Das lässt einen interessanten politischen Aspekt in einem anderen Licht erscheinen: Die Union wird jetzt von
ihrer These eingeholt, die europäische Integration zwinge
zu einer Verschärfung des deutschen Asylrechts. Da sich
diese These offenkundig nicht bewahrheitet, stellt sie nun
eigene Anträge, um diese Verschärfung zu propagieren.
Das nennt man Dialektik.
({5})
Herr Kollege Stadler, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Jelpke?
Ja, gerne.
Frau
Jelpke, bitte schön.
Herr Kollege Stadler, wir haben
diese Frage ja schon einmal diskutiert. Sie haben eben das
französische Modell vorgestellt. Ich persönlich würde es
sehr befürworten, wenn es bei uns eingeführt würde, um
eine menschenwürdige Regelung für Flüchtlinge herzustellen. Geben Sie mir Recht, dass Sie einem Antrag der
PDS im Innenausschuss, der genau in diese Richtung tendiert hat, nämlich das Flughafenverfahren abzuschaffen
und die Asylbewerber nicht zu inhaftieren, wenn man das
Asylverfahren nicht rasch abschließen kann, nicht zugestimmt haben?
Frau Kollegin Jelpke, ich
bestätige Ihnen gerne, dass wir den allermeisten Ihrer Anträge im Innenausschuss und im Plenum nicht zustimmen.
Das geschieht allerdings nicht aus einem Automatismus
heraus. Gerade beim G-10-Gesetz haben wir ja eine gemeinsame Position vertreten und diese ist auch bei den
Abstimmungen zum Ausdruck gekommen. Aber - da
gebe ich Herrn Schily Recht - es bedarf für den gesamten
Bereich einer Gesamtkonzeption, auf die ich gleich zu
sprechen komme. Unabhängig davon sind etwa in der
Praxis des Flughafenverfahrens ohne Änderung der
Rechtsgrundlage sehr wohl Verbesserungen möglich und
notwendig. Sie wurden uns von der rot-grünen Regierungskoalition auch schon seit langer Zeit versprochen,
ohne dass sie bisher verwirklicht wurden.
Meine Damen und Herren, ich habe gesagt, dass ein
Gesamtkonzept für die Zuwanderungspolitik nötig sei.
Die F.D.P. hat daher als erste Partei ein Zuwanderungsgesetz in den Bundestag eingebracht.
({0})
Das haben alle anderen Fraktionen abgelehnt. Wir haben
mit dem Gesetzentwurf vom 2. Juni 2000 einen neuen
Versuch unternommen. Wir hoffen nun, dass jetzt wirklich das gesamte Parlament eine Gesetzesinitiative ergreift.
({1})
- Herr Kollege Stiegler, Sie tragen dafür die Hauptverantwortung; denn Sie leiten die im Geheimen tagende Arbeitsgruppe der SPD. Sie tagt so sehr im Verborgenen,
dass man bis heute nicht weiß, was sie vorschlagen wird.
({2})
Ihre Fraktion war sogar die einzige, die sich geweigert
hat, vor der Süssmuth-Kommission ihre Vorstellungen
vorzutragen. Wir sind sehr neugierig, was Sie machen
werden, wenn die Süssmuth-Kommission ihren Schlussbericht vorlegt. Dann ist es nämlich allerhöchste Zeit,
dass die Zuwanderungsproblematik gesetzlich geregelt
wird.
Nach Auffassung der F.D.P. muss sich die Zuwanderungspolitik auf zwei Säulen stützen: zum einen auf die
Zuwanderung, die wir aus eigenem wirtschaftlichen Interesse und arbeitsmarktpolitischen Gründen brauchen
- hierbei hilft solches Flickwerk wie die Green-CardRegelung überhaupt nicht -, zum anderen auf die Einhaltung der Verpflichtungen, die wir aus humanitären Gründen eingegangen sind. Deshalb bleiben für uns das
Grundrecht auf Asyl und ebenso die Verfahrensgarantie
des Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz für Asylbewerber bestehen.
({3})
Wir fühlen uns durch den Entwurf der EU-Richtlinie in
unseren Positionen bestätigt.
({4})
Meine Redezeit reicht nicht aus, die 15 Detailpunkte,
die die Union in ihren Anträgen aufgeführt hat, im Plenum
auch nur anzusprechen. Das bleibt der Diskussion im Ausschuss vorbehalten. Ich meine nur, dass die Union in ihrer
Gesamttendenz insofern falsch liegt, als in ihrem Antrag
nach einem kurzen pflichtschuldigen Lob dafür, dass sich
auf europäischer Ebene überhaupt etwas bewegt, ein
Trommelfeuer von Kritik kommt, die nur in einigen Punkten berechtigt ist. Zwar wollen auch wir keine Erschwerungen bei der Ablehnung von Asylfolgeanträgen, wir
meinen aber, dass die Lage in anderen Punkten von Ihnen
zu skeptisch gesehen wird. Das betrifft zum Beispiel die
Drittstaatenregelung, die immer umstritten war, auf die
wir uns aber im Asylkompromiss geeinigt haben. Sie wird
nämlich ihre Bedeutung in dem Moment fast komplett
einbüßen, in dem die EU-Osterweiterung über die Bühne
gegangen ist. Danach wird Deutschland mit Ausnahme
der Schweiz nur noch von EU-Mitgliedstaaten umgeben
sein. Der ewige Streit um die Drittstaatenregelung erledigt sich dann gewissermaßen von selbst.
Ich komme zum Schluss. Sie von der Union erwecken
den Eindruck, als könne man bei einer EU-Beschlussfassung das deutsche Recht hundertprozentig durchsetzen.
Das muss nicht sein und wird auch nicht gelingen. Wir
glauben, dass mit dieser Richtlinie ein richtiger Weg in
Richtung Harmonisierung des europäischen Asylrechts
beschritten wird. Wir als F.D.P. bleiben dabei, dass wir
eine Zuwanderung nach Deutschland im eigenen Interesse brauchen
({5})
und dass wir die humanitären Verpflichtungen, die uns das
Grundgesetz aufgegeben hat, auch in diesem Zusammenhang voll erfüllen müssen.
({6})
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Marieluise Beck vom
Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich stimme Herrn Stadler zu, dass
die beiden Anträge der Union, die vom April datieren, ein
anderes Gewicht gehabt hätten, wenn damals schon die
Müller-Kommission mit ihren Ergebnissen an die Öffentlichkeit getreten wäre. Man kann daran sehen, dass es innerhalb der Union eine heftige Bewegung in Richtung
Realitätstüchtigkeit gegeben hat.
({0})
Die Realität ist nämlich, dass man auf dem humanitären Gebiet des Asyls und des Flüchtlingsschutzes
nicht einfach drauflos fuhrwerken kann. Es gibt eben völkerrechtliche - international und auch EU-weit - Verbindlichkeiten, bei denen sich Deutschland nicht einfach
auf einen Sonderweg begeben und sich zum Außenseiter
machen kann. Mit unserer Position sozusagen in der Mitte
der Auffassungen der EU-Länder sind wir gut aufgehoben.
Insofern muss ich feststellen, dass es einen offensichtlichen Widerspruch gibt zwischen Herrn Marschewski auf
der einen Seite und Herrn Stoiber und Frau Merkel auf der
anderen Seite, die sich in diesen Fragen geeinigt haben.
Das muss man einmal sehr deutlich hervorheben.
({1})
Durch die Einlassungen in diesen Anträgen wird der
Eindruck erweckt, als ob man Asylbewerberzahlen
durch die Art, wie man Gesetze formuliert, drücken
könnte. Diese Auffassung vernebelt einen ganz wichtigen
Zusammenhang: Asylbewerberzahlen steigen nämlich
dann, wenn es Krisen vor der eigenen Haustür gibt. So
hatten wir in den 90er-Jahren hohe Asylbewerberzahlen,
weil wir vor der Haustür vier Kriege hatten. Die Menschen gingen über die Grenze, um bei uns Schutz zu suchen. Der Zusammenhang aber, den Sie immer wieder
herstellen, nämlich dass ausschließlich der Asylkompromiss von 1993 mit einer massiven Beschneidung von
Rechten die Asylbewerberzahlen gedrückt hätte, ist nicht
richtig.
({2})
- Sie haben den Bosniern, die zu uns kamen, einen anderen Status gegeben. Trotzdem hat es sich um Schutzsuchende gehandelt.
({3})
Es ist auch wichtig, noch einmal deutlich zu machen,
dass Deutschland nicht das Asylbewerberland Nummer
eins ist. Ich halte es für gefährlich, diesen Eindruck in der
Bevölkerung aufrechtzuerhalten; denn dann entsteht in
der Tat die falsche Einschätzung, alle Asylsuchenden kämen nach Deutschland, weil wir die höchsten Schutznormen haben. Wir bewegen uns im europäischen Mittelfeld;
wir haben keine herausragenden Standards. Sowohl
Art. 16 a des Grundgesetzes als auch die Umsetzung der
Genfer Flüchtlingskonvention entsprechen weitgehend
europäischen Standards und Normen.
({4})
Nun zum EU-Richtlinienentwurf zur Gewährung
vorübergehenden Schutzes. Es ist richtig und gut, dass
die schwedische Präsidentschaft das Verfahren noch im
Mai zum Abschluss bringen möchte. Wenn Sie ernsthaft
fordern, dass es eine Flexibilität im europäischen Aufnahmeverhalten geben muss, aber gleichzeitig auf das
Einstimmigkeitsprinzip setzen, dann konstruieren Sie
einen Widerspruch; denn wir wissen aus Erfahrung, dass
gerade das Einstimmigkeitsprinzip jedem Mitgliedstaat
eine Blockademöglichkeit eröffnet. Wenn Sie wirklich an
Flexibilität interessiert sind, dann können Sie nicht für das
Einstimmigkeitsprinzip, sondern dann müssen Sie für ein
Mehrheitsprinzip plädieren. Nur das wird uns die notDr. Max Stadler
wendige Beweglichkeit bei Entscheidungen innerhalb der
Europäischen Union geben.
({5})
Wir werden darüber im Innenausschuss noch einmal diskutieren. Ich möchte wirklich wissen, wie Sie diesen Widerspruch auflösen wollen.
({6})
Während der Kosovo-Krise hat sich auch gezeigt - im
Gegensatz zur letzten Bundesregierung war diese Bundesregierung in dieser Hinsicht erfolgreich -, dass in die
Europäische Union im Hinblick auf Absprachen über die
Aufnahme von Flüchtlingen tatsächlich Bewegung gekommen ist. Uns ist die gerechte Lastenverteilung sehr
wichtig. Klar ist aber auch, dass sich alle Staaten sowohl
bei der Aufnahme von Flüchtlingen als auch bei der „Verteilung der Solidarität“ - so hat es der Bundesinnenminister eben genannt - schwer tun.
Zu Zeiten des Kriegs in Bosnien hatten wir es innerhalb
der EU mit einer Blockade zu tun und es kam dazu, dass
Deutschland die überwiegende Zahl von Flüchtlingen
aufgenommen hat. Das Pledging-Verfahren in der Kosovo-Krise war ein erster großer Schritt hin zu einer Verständigung der europäischen Länder über die Aufnahme
von Flüchtlingen. Der damals eingeschlagene Weg war
gut und es ist begrüßenswert, ihn in die Richtlinie aufzunehmen.
Ich möchte die Familienzusammenführung ansprechen. Ich kann schwer nachvollziehen, dass eine Partei,
die für sich ehrlicherweise in Anspruch nimmt, aufseiten
der Familie zu stehen, eine solch rigide Haltung in Sachen
Familienzusammenführung einnimmt.
({7})
Es geht bei der Aufnahmeentscheidung um Menschen,
bei denen man ohne Zweifel festgestellt hat, dass sie wegen Menschenrechtsverletzungen, wegen Bedrohungen
Schutz bekommen müssen. Vor diesem Hintergrund zu
sagen: „Die Familien dürfen nicht zusammenkommen“,
das ist eine Haltung, die ich überhaupt nicht nachvollziehen möchte. Ich glaube, dass es für eine solche Härte
gegenüber den Flüchtlingen innerhalb der Bevölkerung
keine Mehrheit gibt. Wir brauchen Regelungen, die eine
Familienzusammenführung ermöglichen. Wir Grünen
wünschen uns einen entsprechenden Anspruch; zumindest muss es ein sich in Richtung Anspruch verdichtendes
Ermessen geben.
({8})
Nun möchte ich noch einige integrationspolitische
Überlegungen anstellen. Es ist klar, dass wir uns mit der
Richtlinie zum vorübergehenden Schutz auf eine schiefe
Ebene begeben, weil die Genfer Flüchtlingskonvention
für die Dauer der Anwendung dieser Richtlinie ausgehebelt wird. Das bedeutet, dass wir wirklich attraktive Angebote schaffen müssen und den Flüchtlingen, die unter
den temporären Schutz fallen - durch ihn sind sie vom gesellschaftlichen Leben weitgehend ausgeschlossen -,
nicht abverlangen dürfen, auf die Rechte, die sie durch die
Anerkennung als Flüchtlinge gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention bekämen, zu verzichten.
Wir sollten bei der Umsetzung in innerstaatliches
Recht darauf achten, dass die Zugänge zur Gesellschaft
- das sind Arbeitsmarkt und auch Familienzusammenführung - offen stehen, damit nicht diejenigen Flüchtlinge
bestraft werden, die sich darauf einlassen, unter der Richtlinie über den Massenzustrom subsumiert zu werden, statt
ihre Rechte als Flüchtlinge gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention individuell zu beantragen.
Ich möchte noch einige Sätze über die Richtlinie zu
Mindestnormen für Asylverfahren in den EU-Staaten sagen. Es ist eindeutig, dass die Europäische Union nicht
vorhat, einzelne Mitgliedstaaten zu Verfassungsänderungen zu zwingen. Die Kommission strebt an, dass die verfassungsrechtlichen Bestimmungen der Mitgliedstaaten
weiterhin ihren Bestand haben. Die von Ihnen geäußerte
Befürchtung, die Drittstaatenregelung werde abgeschafft,
ist so nicht haltbar.
Eines ist aber klar: Die Drittstaatenregelung verliert
sowieso an Bedeutung; denn durch die Erweiterung der
Europäischen Union nach Osten wird das Dubliner
Abkommen eine zentrale Rolle bei der Beantwortung der
Frage nach dem Aufnahmeland der Flüchtlinge spielen. Wir werden künftig auf der Grundlage des Dubliner Abkommens verhandeln. Damit kommt Art. 16 a
Abs. 5 GG zum Tragen und es wird nicht mehr um die
Drittstaatenregelung gehen.
Das Bundesverwaltungsgericht hat bereits 1991 festgestellt - auch das ist wichtig für die nationale Debatte -,
dass sich aus der Genfer Flüchtlingskonvention bei der
Umsetzung in Deutschland ein subjektives Recht und
damit ein Anspruch auf Schutzgewährung ergibt.
({9})
Das sollten auch Sie vonseiten der Union endlich einmal
akzeptieren. Deswegen liegt es nicht am Richtlinienentwurf der EU, wenn hier ein subjektives Recht besteht,
sondern es liegt an Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz, in dem die
Rechtswegegarantie festgelegt ist, und an den Formulierungen in Art. 33 der Genfer Flüchtlingskonvention, sodass wir es zu tun haben mit dem subjektiven Recht der
Flüchtlinge auf Schutz. Die entsprechenden Verfahren
müssen einer rechtlichen Überprüfung standhalten können.
Wir Grünen sehen in dieser Richtlinie für Mindestnormen in kleinen Bereichen noch Änderungsbedarf,
ebenso wie die Fachverbände Caritas und Diakonisches
Werk. Die Vorgaben für offensichtlich unbegründete
Asylanträge scheinen weiter zu sein als in Deutschland.
Wir gehen davon aus, dass sich die Ablehnung als offensichtlich unbegründet nicht ausschließlich auf formale
Gründe berufen darf, sondern dass der Antrag auch inhaltlich unbegründet sein muss, wie das in Art. 30 Abs. 3
Asylverfahrensgesetz festgeschrieben ist.
Marieluise Beck ({10})
Noch ein Wort zur nationalen deutschen Debatte. Wir
alle sind für die Harmonisierung; auch Sie sind ja nicht
gegen die Harmonisierung in der EU. Man kann in Brüssel einiges Kopfschütteln über die hoch emotionalisierte,
aufgeladene und auch ideologisch angereicherte Diskussion um Flüchtlingsschutz und Asyl wahrnehmen. Gerade
in Zeiten, in denen die Asylbewerberzahlen dramatisch
nach unten gehen, sollten wir uns mit großer Sachlichkeit
dieser humanitären Verpflichtung, die zum Glück innerhalb der Europäischen Union anerkannt wird, stellen und
nicht darüber klagen, sondern sie im Konzert der europäischen Nationen mit erfüllen.
Schönen Dank.
({11})
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Ulla Jelpke.
Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Die CDU/CSU hat heute zwei Anträge vorgelegt, mit denen wieder einmal der Versuch gemacht
wird, die Harmonisierung des Asylrechts auf europäischer Ebene abzubremsen. Es wundert mich, ehrlich gesagt, nicht, dass Herr Schily auch gleich wieder bereit ist,
die Bremse zu ziehen.
Zur Erinnerung: Als der berüchtigte Asylkompromiss
beschlossen wurde, hat man gesagt: Wir müssen unsere
Standards absenken, damit Deutschland die Harmonisierung des Asylrechts in Europa nicht behindert. Heute sagt
eine unheilige Allianz von Union und Innenminister
Schily: Europa muss die Standards absenken, damit
Deutschland zustimmen kann.
Herr Schily, Sie haben schon in vielerlei Hinsicht bewiesen, wie wenig kompromissbereit Sie bei europäischen Vorschlägen sind. Ich erinnere daran, dass der Bundestag zwar beschlossen hat, die Kinderrechtskonvention
zu unterzeichnen, dass Sie es aber bis heute nicht getan
haben, was dazu führt, dass Rechte von Kindern erheblich
eingeschränkt werden. Die Wanderrechtskonvention ist
nicht unterzeichnet worden, nach der Menschen, die hier
zuwandern, tatsächlich sozial gleichgestellt würden.
Nicht zuletzt wurde die Staatsbürgerschaftskonvention
nicht unterzeichnet, weil dann Deutschland auch die
Mehrstaatlichkeit hätte akzeptieren müssen.
Ich komme zu den Richtlinien und möchte wenige Beispiele aufgreifen. Um welche Punkte geht es eigentlich? In
der Tat schlägt die EU-Richtlinie vor, die Drittstaatenregelung etwas aufzuweichen und nicht - das bemerke ich - sie
abzuschaffen. Gegenwärtig ist ein Flüchtling grundsätzlich vom Asylverfahren ausgeschlossen, wenn er über einen so genannten Drittstaat, also über unsere Nachbarstaaten, nach Deutschland einreist und Asyl begehrt.
Die einzige Änderung durch diese Richtlinie wäre,
dass ein Flüchtling auch dann das Recht hätte, in Deutschland einen Asylantrag zu stellen, wenn er nicht sicher sein
kann, dass er in dem Drittstaat ins Asylverfahren kommt
bzw. ob ihm entsprechende Folgen drohen.
Das ist nicht viel. Das wäre ein Akt der Humanisierung,
dem wir zustimmen könnten. Ich verstehe auch nicht die
Forderungen nach Änderung des Art. 16 a des Grundgesetzes. Da gibt es auch Fachleute, die genau das Gegenteil sagen. Wir werden diese Frage mit Sicherheit weiterhin im Innenausschuss diskutieren.
Besonders wichtig an dem Richtlinienvorschlag der
EU-Kommission ist, dass minderjährige Flüchtlinge
mehr Rechte erhalten sollen. Das ist eine Grundsatzforderung, die viele in diesem Haus, besonders aber
die PDS, immer vertreten haben. Volljährig ist man mit
18 Jahren und nicht mit 16 Jahren. Das würde bedeuten,
dass Minderjährige sich nach dieser Richtlinie nicht mehr
einem Asylverfahren unterziehen müssten; das wäre erst
ab 18 Jahren möglich.
Meiner Meinung nach hätte das erhebliche Folgen. Ich
muss mir nur anschauen, wie in einigen Städten gegenwärtig wieder Versuche unternommen werden, Minderjährige abzuschieben, wie gerade heute Nacht einen
16-Jährigen nach Sierra Leone, in ein Bürgerkriegsland;
auch in Berlin gibt es solche Fälle. Ich hoffe jedenfalls, dass die Richtlinien wesentliche Verbesserungen
bringen.
Wir haben einen Entschließungsantrag eingebracht,
mit dem wir unsere Hoffnung zum Ausdruck bringen,
dass sich der Bundestag in dieser Debatte eindeutig dazu
bekennt, dass es hier um den Schutz von Menschenrechten und um Asylschutz in Europa insgesamt geht, dass
ein verfolgter Mensch hier Schutz finden kann, dass
Flüchtlinge hier sicher und menschenwürdig leben können. Nicht zuletzt fordern wir in unserem Entschließungsantrag ein Schutzsystem in Europa, das die
Genfer Flüchtlingskonvention, die Europäische Menschenrechtskonvention und andere Verträge umfassend
verwirklicht.
In diesem Sinne werden wir viele Dinge zu diskutieren
haben. Ich werde mich auf die Richtlinie zur Masseneinwanderung nicht weiter beziehen. Das ist in der Tat etwas
komplizierter; man kann das nicht in wenigen Minuten
diskutieren. Aber ich denke, wir werden im Ausschuss
dazu Zeit haben.
Danke.
({0})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Hans-Peter Uhl.
Frau Präsidentin!
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Jahrelang
war Deutschland durch den massenhaften Asylmissbrauch wie gelähmt.
({0})
Erst durch den Asylkompromiss, Frau Marieluise Beck,
und die entsprechende Grundgesetzänderung haben wir
unsere Handlungsfähigkeit in Teilbereichen wiedererlangt.
({1})
Marieluise Beck ({2})
Wenn Sie dies bis heute noch nicht erkannt haben, können
wir Ihnen wirklich nicht helfen.
Helfen können wir Ihnen aber auch nicht, Herr Minister Schily, wenn Sie von solchen Geistern, die die Realität
nicht zur Kenntnis nehmen können, politisch umgeben
sind.
Wir, die CDU/CSU, haben immer gesagt: Zuwanderung muss man nicht schicksalhaft hinnehmen, sondern
Zuwanderung muss man regeln, steuern, begrenzen.
({3})
Doch kaum haben wir unsere eigene Handlungsfähigkeit wiedererlangt, schon droht uns durch Bevormundung
aus Brüssel eine neue Handlungsunfähigkeit. Es ist richtig,
Herr Minister Schily - Sie haben darauf hingewiesen -:
Über den Amsterdamer Vertrag ist in der letzten Legislaturperiode verhandelt worden und er ist 1999 in Kraft getreten. Aber es ist auch richtig, dass wir niemals gewollt
haben, dass die deutschen Interessen durch den Vollzug
dieses Vertrages auf der Strecke bleiben. Wir befinden uns
jetzt in dieser fünfjährigen Phase, in der wir noch drei
Jahre Restlaufzeit haben, in einer kritischen Zeit; denn wir
können nach dem Einstimmigkeitsprinzip zurzeit noch
die Weichen stellen. Wir können noch unser Veto einlegen, wir können noch nicht überstimmt werden. Diese
Zeit, Herr Minister Schily, müssen wir natürlich nutzen,
damit uns Brüssel nicht mit falschen Regelungen bevormundet. Das ist der Punkt.
({4})
Dankenswerterweise hat der Bundesrat diesen Richtlinien zum Asylrecht bereits nicht zugestimmt. Jetzt kommt
es darauf an, dass auch der Bundestag diese Richtlinien
ablehnt, damit Ihre Verhandlungsposition in Brüssel
durch ein negatives Votum beider deutscher Kammern gestärkt wird.
Wir führen zurzeit eine bundesweit breit angelegte
Zuwanderungsdebatte. Dabei sind wir froh und dankbar, dass man jetzt endlich auch in Kreisen der Regierungskoalition die richtigen Fragen stellen darf, dass das
Tabu gebrochen ist. Es verstößt jetzt nicht mehr gegen die
Political Correctness, zu fragen, wie viele Ausländer das
Land verträgt; es verstößt nicht mehr gegen die Political
Correctness, zu fragen, welche Ausländer das Land
braucht. Das darf man jetzt aussprechen, ohne gleich in
eine bestimmte Ecke gestellt zu werden.
({5})
In den Kommissionen wird in überraschender Gemeinsamkeit verhandelt. Das geschieht übrigens, Frau
Beck, überhaupt nicht hoch emotionalisiert. Vielmehr
werden ganz nüchtern, ganz gelassen, ganz ruhig sehr
konstruktive, tief greifende Debatten über das richtige
Maß an Zuwanderung geführt - angesichts unserer demographischen Probleme, unserer vielen nicht besetzbaren
Stellen auf dem Arbeitsmarkt, aber auch der drückenden
Belastung durch 4 Millionen Arbeitslose.
Der Kollege Stadler hat gemeint, er müsse uns vorhalten, einen langen Weg hinter uns zu haben.
({6})
Herr Stadler, wer noch die damalige Debatte zum Asylkompromiss in Erinnerung hat, der weiß, was für ein
quälender Prozess es war, Ihren Kollegen Burkhard
Hirsch von seinem Holzweg abzubringen. Deshalb sollten
Sie uns nicht vorwerfen, wir hätten einen langen Weg hinter uns. Ich glaube, Herr Kollege Stadler, es ist Ihre Partei, die einen langen Weg vor sich hat: hin zur selbst ernannten Volkspartei mit 18 Prozent.
({7})
Darf ich Ihnen übrigens einen Rat geben? Wenn wir - als
Mitglieder einer anerkannten Volkspartei - einmal nur
18 Prozent haben sollten, dann würden wir uns nicht mehr
Volkspartei nennen. Dann sind wir nämlich eine Klientelpartei, die irgendwelche Partikularinteressen vertritt.
({8})
In die nationale Zuwanderungsdebatte, die wir auf allen Ebenen und in allen Gremien führen, platzt jetzt eine
Richtlinie nach der anderen aus Brüssel. Diese europäischen Gesetzentwürfe - sollten sie wirklich Recht werden - machen unsere Zuwanderungskommissionen Herr Minister Schily, auch die Ihrige - zu reinen Sandkastenspielen. Es kann nicht im Interesse des deutschen Parlaments sein, dass Parteien und die Regierung mit großem
Ernst Diskussionen in Zuwanderungskommissionen
führen und dass im Parlament nicht zur Kenntnis genommen wird, welche Rechtsetzungsakte an anderer Stelle,
wo wir nur Zaungast sind, über unseren Kopf hinweg beschlossen werden und die deshalb unabänderlich auf uns
zukommen.
Wir müssen diese Rechtsetzungsakte aus der Geheimdiplomatie der Ministerratssitzungen herausbringen. Sie
müssen in den Bundestag und müssen einer breiten öffentlichen Debatte zugeführt werden. Bei dieser Debatte
wird sich herausstellen, dass der Geist der Brüsseler Zuwanderungspolitik von einem ziemlich freien Spiel der
Kräfte getragen ist. Aus vorwiegend ökonomischen Gründen will man eine weitgehend ungesteuerte Zuwanderung
von Drittstaatlern in großer Zahl zulassen. In Brüssel sieht
man darin den Vorteil des Wachsens europäischer Volkswirtschaften.
({9})
- Das ist nicht neben der Sache: Man sieht darin in der Tat
den Vorteil des Wachsens europäischer Volkswirtschaften. Man hat in Brüssel nicht die bitteren Erfahrungen gemacht, die wir - vor allem als Kommunalpolitiker in den
Großstädten - mit der Integration von einer Vielzahl von
Ausländern gemacht haben. Diese Art von Manchestertum in der Zuwanderungspolitik lehnen wir strikt ab, weil
es die komplexen Zusammenhänge des Zusammenlebens
zwischen Fremden und Einheimischen nicht zur Kenntnis
nimmt, sondern unter den Tisch kehrt.
Es ist überhaupt kein Zufall, dass die unsensibelsten
Vorschläge hinsichtlich einer Zuwanderungspolitik von
Europabeamten kommen. Denn deren Schreibtische sind
am weitesten von den Problemen vor unserer Haustür entfernt.
({10})
Kommunalpolitiker gehen mit dem Thema der Integration
von Ausländern viel sensibler um als Europapolitiker in
Brüssel.
({11})
Im Bereich des Asylrechts darf eine Rechtsharmonisierung nicht zur Ausweitung ungesteuerter Zuwanderung in die EU führen. Wir dürfen unsere Ziele nicht aus
den Augen verlieren. Wir müssen die immer noch zu hohe
Zahl der Asylbewerber in Europa verringern. Wir müssen
im gesamten EU-Raum die gleichen Regelungen für Aufnahme, Aufenthalt und Aufenthaltsbeendigung schaffen.
Das geht nur, wenn wir ein weitgehend angeglichenes,
schnelles und den rechtsstaatlichen Ansprüchen genügendes Asylverfahren bekommen.
Was macht Brüssel? Es präsentiert uns eine Richtlinie,
die über das Niveau des deutschen Asylrechts, das weltweit das höchste ist, noch hinausgeht. Es wäre besser,
diese Richtlinie nicht „Mindeststandards in Asylverfahren“ zu nennen, wie man es in Brüssel tut, sondern „Neue
Höchststandards zur Verlängerung von Asylverfahren“.
Würden eine Fülle der EU-Vorschläge umgesetzt, würden
Verfahren verschleppt, neue Verfahren betrieben und der
Aufenthalt abgelehnter Asylbewerber verlängert werden
können. Die Richtlinie hat erkennbar zum Ziel, den Asylbewerbern immer mehr und immer weitere Rechtsansprüche zuzubilligen.
Wir sind zunächst einmal froh darüber, dass Sie, Herr
Minister Schily, gesagt haben, dass Sie hinsichtlich dieser Richtlinie einen ganz erheblichen Diskussionsbedarf
sehen. Sie haben dafür unseren Applaus bekommen. Uns
ist natürlich nicht verborgen geblieben, dass sich in
den Kreisen der SPD und der Grünen keine Hand gerührt
hat.
({12})
Wenn man Frau Marieluise Beck zu diesem Thema gehört
hat, wird es verständlich, dass sich keine Hand gerührt
hat. Denn in dieser Sache gibt es zwischen großen Teilen
von Rot-Grün keine Gemeinsamkeiten. Deswegen bitte
ich Sie, Herr Schily: Kommen Sie mit Ihren Problemen in
den Innenausschuss. Wir werden dort offen über diese
Dinge diskutieren und dafür sorgen, dass Sie wenigstens
unsere Unterstützung, die der Union, bekommen, wenn
Sie schon die von Rot-Grün nicht haben.
({13})
Wir müssen hier die richtigen Signale aussenden. Alle
Migrationsforscher sind sich einig, dass es so nicht
weitergeht, dass die Zuwanderung eher noch zunimmt
und nicht abnimmt und dass wir uns davor bewahren
müssen.
Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Natürlich muss
Deutschland seinen humanitären Verpflichtungen nachkommen und wird ihnen auch immer nachkommen. Wir
sollten es hier mit dem großen Sozialdemokraten Carlo
Schmid halten, der sich 1948 im Parlamentarischen Rat zu
diesem Thema wie folgt geäußert hat: Die Asylgewährung
ist eine Frage der Generosität. Wenn man generös sein
will, muss man riskieren, sich gegebenenfalls in der Person geirrt zu haben. - Er sprach von der einzelnen Person.
Er hätte niemals formuliert: Wenn man generös sein will,
muss man riskieren, sich gegebenenfalls bei 100 000 Personen geirrt zu haben. - So viel zu Carlo Schmid.
({14})
Wir sollten die Bundesregierung heute zu Folgendem
auffordern: Erstens: Schluss mit der Geheimdiplomatie in
Ministerratssitzungen! Zweitens: Strikte Ablehnung der
beiden Richtlinienentwürfe! Drittens: Die Bundesregierung muss dem Parlament darlegen, wie sie die deutschen
Interessen in Brüssel umsetzen will und was sie dabei erreicht hat - und dies nicht mit Geschrei, sondern ganz ruhig und sachlich. Im Übrigen sollten wir alle zusammen,
Bundesregierung und Bundesländer, dafür sorgen, dass an
den entscheidenden Stellen in der Brüsseler Kommission, in der diese Richtlinien durchweg produziert werden, mehr deutsche Vertreter anzutreffen sind.
Danke schön.
({15})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Rüdiger Veit.
Frau Präsidentin! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Dieses Strickmuster, lieber
Herr Uhl, kennen wir eigentlich schon zur Genüge: die
CDU/CSU, Herr Marschewski, in der Rolle der ungebetenen Hilfstruppen des ach so allein gelassenen bundesdeutschen Innenministers. Sie haben auch aus seinem
Mund gehört, dass das zumindest in Ansehung der EURichtlinie zur Gewährung vorübergehenden Schutzes
völlig neben der Sache ist und dass das übrige Haus inhaltlich völlig mit dem übereinstimmt, was uns die Richtlinie vorschlägt. Ich will Ihnen einmal sagen: Nach meiner Wahrnehmung sind Sie diejenigen, die sich isolieren.
Ich möchte aus dem Beitrag des Kollegen Ingo Schmitt
aus Berlin, Europaabgeordneter der CDU, zitieren. Er hat
in der Debatte vom 15. Juni 2000, als die Eckpunkte für
diese Richtlinie auf den Weg gebracht worden sind, unter
anderem Folgendes ausgeführt:
Ich weiß, dass das Asylrecht ein sehr schwieriges
und politisch sensibles Thema ist. Wir haben aber
aus meiner Sicht in den letzten Monaten in der Diskussion im Ausschuss einen Anfang gemacht. Dort
haben wir sehr konstruktiv und fair miteinander diskutiert. Diese Diskussion hat mir Mut gemacht und
ich bin jetzt davon überzeugt, dass wir in der Lage
sind, als Parlament gemeinsam das weitere Gesetzesvorhaben zu begleiten
- gemeint ist dasjenige, über das wir hier und heute
reden und möglicherweise auch andere schwierige Themen
wie ein Zuwanderungsgesetz miteinander konstruktiv zu diskutieren.
Das sollten wir in der Tat tun.
Herr Kollege,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Marschewski?
Ja.
Herr Kollege Veit, Sie haben auf das Verhältnis der SPDFraktion zu Herrn Bundesminister Schily Bezug genommen. Ist es richtig, dass Sie vor ein paar Wochen in einer
Debatte zu mir gesagt haben, ich müsse mich langsam daran gewöhnen, dass Herr Minister Schily der CDU und
mir näher stehe als Ihnen?
Nein, genau das habe ich nicht
gesagt. Ich habe vielmehr darauf hingewiesen, dass zu
manchen Positionen unterschiedliche Auffassungen bestehen. Das ist richtig, das kann man nicht leugnen. Das
soll man auch nicht verschweigen und zu vertuschen versuchen.
Ich hoffe, Sie haben hier und heute genau zugehört und
dann auch vernommen, dass der Innenminister etwa bezüglich der Richtlinie zur Gewährung vorübergehenden
Schutzes der Auffassung ist, sie sei, von wenigen kleinen
Punkten abgesehen, im Grundsatz richtig. Diesen Ausführungen möchte ich mich - auch wenn Sie das jetzt
überrascht - mit einer kleinen Ausnahme, auf die ich
gleich zu sprechen komme, ausdrücklich anschließen.
Diese Ausnahme, Herr Marschewski, betrifft die Frage
der Familienzusammenführung. Ich denke, hier kann
man die CDU an ihre eigene familienpolitische Position
erinnern.
({0})
- Das können Sie machen und vorlesen. Dann werden Sie
sehen, dass ich Recht habe und nicht Sie.
Nun zurück zur Familienzusammenführung, denn hier
müssen wir ein wenig Nachhilfe leisten, Herr Marschewski.
Wenn Sie von Familienzusammenführung im Zusammenhang mit der Gewährung vorübergehenden Schutzes reden,
verkennen Sie, dass diese Richtlinie die Zusammenführung
der Familien in dem Sinne meint, wie die Familie in ihrem
Herkunftsland, aus dem sie geflohen sind, bestanden hat und
auf der Flucht auseinander gerissen wurde. Auch hierzu hat
Herr Bundesminister Schily inhaltlich eine klare Position
vertreten; übrigens auch Sie selber. Sie schreiben in Ihrem
entsprechenden Antrag, man wolle Familien gerade nicht
auseinander reißen. Daher verstehe ich auch nicht, warum
Sie das an dieser Stelle so aufblasen wollen.
Schwierig - das ist einzuräumen - ist der EU-Richtlinienvorschlag zu Mindestnormen in Asylverfahren.
Hierzu steht der Diskussionsprozess noch am Anfang, ein
Diskussionsprozess, an dem Sie sich beteiligt haben, an
dem sich die PDS beteiligt hat, und an dem sich auch die
SPD-Fraktion beteiligt. Sie arbeitet an dem Thema, hat
aber die Meinungsbildung noch nicht abgeschlossen. Das
will ich Ihnen ausdrücklich sagen.
Gelegentlich ist es hilfreich, sich mit besonders Sachkundigen zu unterhalten. Ich glaube, dass der Europäische
Kommissar für Inneres und Justiz, Vitorino, mit dem vergangenen Montag einige Mitglieder der Arbeitsgruppe
unter anderem auch dieses Problem haben besprechen
dürfen, außerordentlich sachverständig ist. Er hat uns klar
gesagt: Selbstverständlich ist die deutsche Position wichtig. Die nimmt er sehr ernst. Aber natürlich ist die deutsche Position nicht die einzige, die er zu vertreten hat. Es
gibt bekanntlich noch ein paar andere europäische Länder
und andere europäische Interessen.
Ich sage bei dieser Gelegenheit, dass ich es schon sehr
bemerkenswert und erstaunlich finde, welche europapolitische Grundhaltung in den Beiträgen von Herrn
Marschewski und Herrn Uhl zum Ausdruck kommt. Es
geht nach dem Motto: Wenn in Europa nicht alles nach unserem Willen geht - 1:1, nicht die geringste Abweichung
wird zugelassen -, ist Europa schlecht. Nur wenn alle anderen das machen, was wir wollen, ist Europa gut.
({1})
Dann hätten Sie aber diese Verträge nicht schließen
dürfen.
Im Übrigen empfehle ich Ihnen, Herr Kollege Uhl,
vor Ihrem nächsten Diskussionsbeitrag diese Verträge
noch einmal zu lesen. Sie haben versucht, uns alle ein
wenig in Torschlusspanik zu versetzen, nach dem Motto:
Wir haben nur noch drei Jahre, danach ist das
Einstimmigkeitsprinzip komplett weg. - Was sich ändert, ist lediglich, dass nur noch die Kommission - nicht
mehr die nationalen Regierungen - Vorschläge für Initiativen machen darf. Ansonsten ändert sich insoweit
nichts. Schauen Sie also freundlicherweise noch einmal
in die Verträge!
Ich möchte zum Schluss kommen und sagen: Die meisten Redner haben es mir als letztem Redner in dieser Debatte leicht gemacht, freundlich und sachlich sprechen zu
können. Es gab aber auch einige Zinken, zum Beispiel den
Ausdruck der „unheiligen Allianz“ durch Frau Jelpke, die
ich bitten möchte, ihn bei Gelegenheit wieder einzusammeln. Ausdrücklich bedanken möchte ich mich jedoch für
die Ausführungen des Kollegen Dr. Stadler,
({2})
die ich hundertprozentig, auch in dem Umfang, teile. Auf
diese Art und Weise kann ich auf fast sieben Minuten meiner Redezeit verzichten.
({3})
- Das tue ich auch.
Damit diese Debatte versöhnlich ausklingt und wir
nicht nur den Eindruck erwecken, als würden wir uns auf
einen gemeinsamen Pfad begeben, was Ausländer-, Asylund Zuwanderungsfragen betrifft, und diesbezüglich zu
gemeinsamen Beschlüssen kommen, will ich auf einen
Punkt in dem Antrag von CDU/CSU aufmerksam machen, der mich ganz besonders überrascht und auch gefreut hat. Dort steht zu lesen:
Das bedeutet, dass künftig jede drohende Verletzung
von ({4}) Artikel 3 EMRK, wonach niemand der
Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender
Strafe oder Behandlung unterworfen werden darf,
zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft führen
kann. Nach nationaler Rechtslage sind diese Völkervertragsrechtsnormen Teil des ausländerrechtlichen
Abschiebungsschutzes
- in der Tat; das ist in § 53 Abs. 6 des Ausländergesetzes
geregelt und nicht der Asylzuerkennung. Dagegen ist eine
Verbesserung des derzeitigen ausländerrechtlichen
Aufenthaltsstatus zu erwägen.
Da ich langsam vorgelesen habe, muss ich die Passage
nicht wiederholen. Sie haben zugehört.
Ich will Ihnen sagen, was daran sensationell ist. - Ich
weiß nicht, wer der Verfasser ist, ob es jemand von Ihnen
war, und ob dieser die Tragweite des Passus begriffen hat.
({5})
- Sie haben es selber verfasst, Herr Marschewski?
({6})
- Herzlichen Glückwunsch! Ich freue mich und sage:
Willkommen im Klub! Wissen Sie nämlich, was dieser
Passus bedeutet? - Sie sagen damit, dass Ihnen bei nicht
staatlicher Verfolgung oder beispielsweise geschlechtsspezifischer Menschenrechtsverletzung,
({7})
wie sie die GFK und die EMRK kennen, der Abschiebeschutz, den § 53Abs. 6 des Ausländergesetzes gewährleistet, nicht reicht.
({8})
Das ist eine ausgezeichnete Auffassung. Wir stimmen Ihnen ausdrücklich zu. Lassen Sie uns gemeinsam darüber
reden, in das Gesetz aufzunehmen, dass jemand, der nicht
staatlicher oder geschlechtsspezifischer Verfolgung unterworfen ist, in Deutschland als Flüchtling anerkannt wird
und somit geschützt ist.
({9})
Wenn Sie dies mit dieser Initiative meinen, dann bin ich
außerordentlich froh darüber.
Ich war sehr erstaunt, diese Passage in Ihrem Antrag zu
lesen. Und wenn ich jetzt höre, dass Sie, Herr Uhl und
Herr Marschewski, diese eigenhändig verfasst haben,
({10})
dann bin ich guter Hoffnung, dass wir in den nächsten Jahren zu einer mit breiter Unterstützung getragenen Asyl-,
Flüchtlings- und Zuwanderungspolitik kommen werden.
Herzlichen Dank.
({11})
Ich schließe da-
mit die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 14/5759, 14/5754 und 14/6050 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall.
Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 16 a und 16 b sowie
Zusatzpunkt 9 auf:
16 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jella
Teuchner, Matthias Weisheit, Brigitte Adler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Ulrike Höfken, Steffi
Lemke, Kerstin Müller ({0}), Rezzo Schlauch
und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN
Vorsorgende Verbraucherpolitik gestalten und
stärken
- Drucksache 14/6067 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft ({1})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
b) Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU
Verbraucherschutz auf nationaler und EUEbene fortentwickeln
- Drucksache 14/6039 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft ({2})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Gudrun
Kopp, Rainer Brüderle, Ulrich Heinrich, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Acht Maßnahmen für eine umfassende und
eigenständige Verbraucherpolitik
- Drucksache 14/6053 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft ({3})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst die
Frau Bundesministerin Renate Künast.
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Ich will Ihnen sechs Punkte
zum vorbeugenden Verbraucherschutz nennen.
Erstens. Verbraucherschutz heißt, Gerechtigkeit herzustellen; denn Verbraucherschutz ist insofern eine Frage
der Gerechtigkeit, als die Verbraucher gegenüber den Produzenten auf gleicher Augenhöhe sein müssen. Es ist das
gute Recht der Verbraucher, dass wir uns vorbeugend Gedanken um ihre Sicherheit und Gesundheit machen und
dass wir uns für die wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher einsetzen. Dies gilt ebenso für kommende
Generationen. Auch das ist eine Definition der Gerechtigkeit.
({0})
Gerechtigtkeit regelt sich nicht allein über den Markt.
Der Markt ist nicht der Interessenvertreter der Verbraucher. Das regelt sich nur, wenn es Markttransparenz und
Informationen gibt, sodass die Verbraucher wirklich rational über Kauf- und Konsuminteressen entscheiden
können und wissen, was sie in der Hand haben.
Dem Staat obliegt dabei die Pflicht, eine aktive Rolle
einzunehmen. Das Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft - diese Bundesregierung - und auch die Koalitionsfraktionen tun dies.
Künftig sitzen die Verbraucherinnen und Verbraucher
mit am Tisch. Andere haben jahrelang darüber geredet.
Seit Anfang dieses Jahres ist es so: Wir reden nicht nur
mit Landwirten, der Lebensmittelindustrie und weiteren
Lobbyisten und Interessenvertretern,
({1})
sondern die Verbraucherschutzverbände, die Stiftung Warentest werden immer mit angehört und sind das Sprachrohr der Verbraucherinnen und Verbraucher. Sie sagen unabhängig, was deren Interesse ist.
({2})
Zweitens. Verbraucherschutz geht nicht ohne eigenverantwortliche Verbraucher. Sie wirken mit. Moderne
Verbraucherschutzpolitik heißt, dass der Staat nicht nur
reguliert, sondern dass die Verbraucher mit ihrem Handeln - ich sage immer: mit dem Einkaufskorb - Politik
machen. Insofern ist dies tatsächlich das Passstück zu Information und Transparenz in der Wirtschaft.
Drittens. Wir wollen durch vorbeugenden Verbraucherschutz die Marktwirtschaft sozial und ökologisch
prägen. Verbraucherschutzpolitik, wie ich sie verstehe, ist
genau dafür eine entscheidende Voraussetzung. Um nicht
einseitig zu sein, dient sie aber auch den Interessen der
Unternehmen; denn sie hilft den Unternehmen, ihre Stellung am Markt zu behaupten oder sogar auszubauen. Sie
sollen sagen können: Wir wirtschaften erfolgreicher, indem wir an die Verbraucher denken und ökologisch und
sozial handeln. Verbraucherschutzpolitik hilft auch der
Wirtschaft und den Unternehmen, weil sie dazu beiträgt,
den schwarzen Schafen das Handwerk zu legen.
({3})
Sie hilft im Übrigen auch - das merke ich bei vielen
Diskussionen -, die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen
Industrie auf dem Weltmarkt zu verbessern. Was ist unsere
Stärke? Wo andere niedrigere Arbeitslöhne haben, müssen
wir in sozialer Verantwortung für die Sicherung von Arbeitsplätzen sorgen. Aber Qualität, nachhaltige Erwirtschaftung, „consumer interests“ zu wahren, mit Transparenz und Informationen vorzugehen, ist etwas, was auf
internationaler Ebene für uns tatsächlich ein Wettbewerbsvorteil ist. Ich habe gerade gestern bei Gesprächen mit der
Lebensmittelwirtschaft gemerkt, dass diese genau weiß:
Da liegen ihre Expansionsmöglichkeiten.
Viertens. Verbraucherschutzpolitik heißt für uns, sichere und hochwertige Lebensmittel zu schaffen. Auch
dies ist eine Frage der Gerechtigkeit: Sichere Lebensmittel und hohe Qualität dürfen nichts Elitäres sein, etwas,
was sich nur die mit viel Geld leisten können. Nahrungsmittelsicherheit ist nach unserer Vorstellung unteilbar.
({4})
Wir passen die rechtlichen Standards an. Wir heben
den Sicherheitsstandard.
({5})
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Wir sind für die rasche Einrichtung einer europäischen
Lebensmittelbehörde. Wir schaffen ein Bundesamt für
Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit. Wir dehnen das Überwachungskonzept für Lebensmittel zusammen mit den Ländern durch bundeseinheitliche Regelungen aus. Was haben wir an der Stelle schon getan? Wir
haben beispielsweise nach vielen Jahren endlich Krebs erregende Aromastoffe verboten. Wir haben dem Bundesrat
den Verordnungsentwurf für ein Stallbuch vorgelegt, um
antibiotische Zusatzstoffe im Fleisch zu verhindern, und
manches andere mehr.
Qualität gibt es nicht zum Nulltarif. Das ist uns bewusst. Aber wir wissen eines: dass in Wahrheit Qualität
am Ende nicht nur mit dem Geldbeutel zu tun hat, sondern
auch etwas mit dem Bewusstsein der Menschen.
Trotzdem ist eines klar - das ist der fünfte Punkt beim
Verbraucherschutz -: Wir werden auch die wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher schützen. Was heißt das?
Wir werden als ersten Schritt - als Ergänzung zu ihrem
Handeln und zu Klarheit und Transparenz - in der nächsten Woche nach einem weiteren Gespräch mit den Betroffenen das Ökosiegel vorstellen. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir dann sagen können: „Alle machen mit“ etwas, was viele Jahre lang in Deutschland nicht geschafft
wurde.
Wir werden den Verbrauchern nicht nur diese Handreichung geben, sondern auch dafür sorgen, dass die wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher insofern geschützt werden, als auch aktuelle wirtschaftliche und
technologische Entwicklungen aufgenommen werden. Es
kann nicht sein, dass alles, was neu ist, dazu führt, dass
den Verbrauchern Schaden zugefügt wird.
Zur Gerechtigkeit gehört auch, dass mit den neuen
Technologien kein Schindluder mit personenbezogenen
Daten getrieben wird, zum Beispiel im Onlinehandel.
Die Privatsphäre muss Tabu bleiben. Beim Onlinebanking
muss sichergestellt werden, dass sich der Verbraucher auf
die technologischen Systeme, auf seinen persönlichen
Datenschutz verlassen kann.
({6})
Wir wollen - sechstens - dafür sorgen, dass auch angesichts von Marktöffnung und Deregulierung nicht die
Verbraucher selbst zusehen müssen, wo sie bleiben, sondern dass ihnen auch Vorteile bleiben, zum Beispiel bei
den Versorgungsdienstleistungen im Zusammenhang mit
der privaten Rente. Gemeinsam mit der Stiftung Warentest werden der Kollege Riester und ich die Verträge, die
angeboten werden, genau betrachten und bewerten.
Das kann man weiterführen bis in den Bildungsbereich hinein: Mit der Stiftung Warentest geht es auch darum - die Gewerkschaften planen dies auch -, eine Weiterbildungsinitiative mit der Kontrolle der angebotenen
Weiterbildung zu begleiten. Die Verbraucher können
oftmals nicht selbst entscheiden, was gute Angebote
sind, die ihnen auf dem Markt weiterhelfen werden. Sie
sind den Anbietern ausgesetzt. Wir werden dafür sorgen,
dass eine systematische Kontrolle dieser Angebote stattfindet.
Wir werden dafür sorgen, dass im Gesundheitssystem
Patienten und Kunden auf gleicher Höhe mit Krankenkassen, Ärzten und Dienstleistern stehen. Es ist eine Frage
der Gerechtigkeit, dafür zu sorgen, dass zwar der Wechsel
zwischen den Krankenkassen möglich ist, dass sich junge
Menschen und wohlhabendere Menschen aber nicht ständig, quasi per Krankenkassen-Hopping, die billigsten
Krankenkassen aussuchen können. Ulla Schmidt hat
kürzlich auf diesem Gebiet für einen Ausgleich gesorgt
und, wie ich meine, das Notwendige getan.
({7})
- Sie sind ja gleich dran; was ist denn los?
Wir wollen beides sicherstellen: dass einerseits die
gleiche Versorgung für alle gewährleistet ist und dass es
andererseits Vertragsfreiheit gibt.
Wir haben im Verbraucherschutz - das haben Sie heute
Morgen diskutiert - durch die Vorlage „Modernisierung
des Schuldrechts“ die Rechte der Verbraucher erweitert.
Nun muss man nicht mehr alle Gesetze durchblättern,
sondern findet an einer Stelle, was Recht ist, mit einer
Gewährleistungsfrist, die viel länger ist als alle Fristen
vorher.
({8})
Wir werden dafür Sorge tragen, dass die Verbraucherschutzverbände, die Stiftung Warentest und unabhängige
Verlage ihre Arbeit fortführen können und dazu auch finanziell in die Lage versetzt werden. Auch deshalb haben
wir sie alle mit an unserem Tisch.
Für uns gilt, dass beim Verbraucherschutz der Staat
Pflichten hat, aber dass wir auch Respekt gegenüber den
Verbrauchern üben müssen. Sie haben Recht auf Sicherheit, auf Information, auf Wahlfreiheit und auch ein Recht
darauf, gehört zu werden. Ich sehe deshalb mit Freuden,
dass sich die Verbraucher weiter organisieren. Vielleicht
schaffen wir es, dass tatsächlich wie in den USA die Verbraucher zu einer Art Bürgerbewegung werden. Wir als
Bundesregierung werden versuchen, ihre Anwältin zu
sein. Ich finde, wir haben dazu in den letzten vier Monaten mehr Schritte unternommen und mehr erreicht als andere in vielen Jahrzehnten.
({9})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Klaus Lippold.
Frau
Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Frau Ministerin, die Bilanz, die Sie gerade vorgelegt haben, war ungeheuer geschönt. Sie haben im Zusammenhang mit Ihren Aktivitäten auf EU-Ebene davon gesprochen, dass jetzt Antibiotika nicht mehr verfüttert werden
dürfen. Sie haben verschwiegen, dass das erst in fünf Jahren der Fall ist und dass Sie keine bessere Regelung
durchsetzen konnten. Sie haben auch nicht von den vielen
Initiativen gesprochen, die Sie sowohl hier im Parlament
als auch gegenüber den Medien angekündigt haben, von
denen Sie aber keine umgesetzt haben.
({0})
Verehrte Frau Ministerin, es ist schon eine gewisse Zumutung, wenn Sie den Begriff der Gerechtigkeit in den
Vordergrund stellen und dabei auf die Krankenkassen verweisen - nachdem Sie doch gerade die Wahlmöglichkeiten der Patienten in Bezug auf den Wechsel der Krankenkasse eingeschränkt haben. Sie tun genau das
Gegenteil dessen, was Sie hier gesagt haben!
({1})
Das heißt: Sie haben das Prinzip der Gerechtigkeit durch
Ihre Worte verletzt. Wenn Ihre Regierung die Kassenwahlfreiheit einschränkt, so wie Frau Ministerin Schmidt
das gemacht hat, können Sie sich doch nicht hinstellen
und sagen, es sei alles ganz anders.
Es gibt in Ihrem Koalitionsantrag einen zweiten Punkt,
den ich - ich sage es einmal so - für sehr kühn halte. Sie
wollen, so lese ich unter anderem „Maßnahmen ... ergreifen, damit die Vorteile des offenen Wettbewerbs auf dem
Energiemarkt im vollen Maße auch den privaten Stromverbrauchern zugute kommen“. Das ist wirklich der
Hohn. Wir haben das Energiewirtschaftsrecht novelliert.
Daraufhin sind die Preise gefallen. Danach hat es eine
Reihe von Maßnahmen gegeben, durch die Sie kontinuierlich dafür gesorgt haben, dass die Preise wieder steigen.
Sie belasten die Verbraucher auf diesem Feld mit zusätzlich rund 15 Milliarden DM. Damit sind die Vorzüge, die
das Energiewirtschaftsgesetz möglich machte, wieder
aufgezehrt.
({2})
Sie stellen sich hier hin und behaupten das Gegenteil. Das
ist unsozial.
Wie sehr Ihre Politik gerade die Kleinen, die sozial
Schwachen, trifft, werden diese feststellen, wenn neben
der Miete die Zusatzkosten abgerechnet werden. Die
Leute werden dann begreifen, was Sie auf diesem Feld
angestellt haben. Sie gehen noch weiter: Mit der Ökosteuer planen Sie zusätzliche Belastungen, die genauso
unsozial sind. Trotzdem stellen Sie sich hier hin und sprechen von Gerechtigkeit. Frau Ministerin, man könnte Sie
Satz für Satz widerlegen, wenn man hinreichend Zeit
hätte.
({3})
Nach unserem Dafürhalten sind bestimmte Punkte, die
Sie angesprochen haben, schlicht selbstverständlich. Dass
die Lebensmittel in den Regalen unserer Geschäfte sicher
sind, ist doch wohl die mindeste Voraussetzung. Nur wenn
diese erfüllt ist, können wir überhaupt das Vertrauen der
Verbraucher gewinnen. Das zu erreichen muss oberstes
Ziel sein. Dafür müssen Sie aber auch auf die Instrumente
eingehen und sagen, wie das erreicht werden kann. Das,
Frau Ministerin, haben Sie in Ihrem Beitrag nicht gemacht. Ich meine, das muss anders werden.
({4})
Für uns wird dieser Punkt sehr wichtig sein, weil wir
Gesundheitsfürsorge als zentrales Element unseres
Konzepts sehen. Wir wollen Gesundheitsfürsorge aber
nicht nur über das Ordnungsrecht durchsetzen, Frau Ministerin, sondern wollen dafür auch Instrumente des
Marktes nutzen. Wir wollen auf marktwirtschaftliche Prozesse setzen. Was meine ich damit? Sie haben zu Recht
die Eigenverantwortung des Verbrauchers angesprochen.
In diesem Punkt haben wir einen Konsens; das will ich gar
nicht bestreiten. Auch wir wollen Verbraucherbildung,
wollen einen mündigen Verbraucher.
Wir brauchen aber auch die andere Seite, Frau Ministerin, die Eigenverantwortung der Produzenten. Davon
haben sie überhaupt nicht gesprochen. Auch diese Eigenverantwortung muss gestärkt werden, denn Sie können
die Lebensmittelsicherheit, die wir alle wollen, doch
überhaupt nicht garantieren, Frau Künast. Staatliche Kontrolle reicht da nicht.
({5})
Wenn wir nicht das Instrument der Eigenverantwortung
der Produzenten stärken, ist das alles nichts. Sie müssen
doch den gesamten Lebensmittelbereich sehen und nicht
nur die Probleme im Zusammenhang mit der BSE-Krise.
Wenn wir derart umfangreiche Kontrollvorschriften, wie
wir sie bei BSE haben, auf dem gesamten Lebensmittelmarkt durchsetzen wollten, wären wir doch hoffnungslos überfordert.
Also muss staatliche Kontrolle in einem Maße stattfinden, wie das nötig ist, aber auch die Eigenverantwortung
der Produzenten muss gestärkt werden. Hier müssen Systeme, die es in einigen Bereichen schon gibt, flächendeckend werden. Frau Künast, sehen Sie sich einmal die
Fruchtsaftindustrie an: Hier haben sich kleinere und
größere mittelständische Betriebe zusammengetan, um
Qualität von Anfang an zu garantieren. Sie haben ein eigenes System aufgebaut, das beim Erzeuger - auch in fernen Ländern - ansetzt. So etwas würden Sie doch politisch überhaupt nicht hinbekommen. Sie müssten das über
die WTO erreichen, aber das schaffen Sie nicht. Sie müssten dann wenigstens versuchen, das auf europäischer
Ebene zu erreichen. Auf diesem Feld aber - ich habe es
eben schon gesagt - haben Sie versagt.
Die Fruchtsaftmittelindustrie hat es erreicht, dass bei
ihren Produzenten Qualitätssicherungskontrollen vorgenommen werden. Man hat verabredet, dass derjenige, der
gegen die verabredeten Regeln verstößt, mit Sanktionen
belangt und notfalls gerichtlich gegen ihn vorgegangen
wird. Das schafft der Markt, Frau Künast. Deshalb sollten
Sie nicht einseitig auf administrative Maßnahmen, also
auf den behördlichen Vollzug, setzen. Beide Komponenten - staatliche Kontrolle und industrielle Selbstkontrolle - sind wichtig. Wir wollen ein besser konzipiertes und
schlankeres Verbraucherschutzgesetz als das, das Sie
nach der BSE-Krise hastig hingeschludert haben, damit
Dr. Klaus W. Lippold ({6})
entsprechende Kontrollinstrumentarien geschaffen werden können. Wir fordern: Administration nur so weit wie
nötig! Mehr Transparenz sowohl für die Verbraucher als
auch für die Wirtschaft durch eine entsprechende Verbraucherschutzgesetzgebung!
({7})
Frau Künast, ich sage Ihnen ganz deutlich: Nationale
Alleingänge werden uns nichts bringen. Wenn in den anderen Ländern die Lebensmittelsicherheit nicht genauso
gewährleistet ist wie bei uns, dann importieren wir unsichere Lebensmittel. Hier muss man ansetzen. Nicht der
nationale Alleingang, sondern eine abgestimmte Vorgehensweise zumindest auf der europäischen Ebene ist entscheidend. Wir wünschen uns, dass Sie in diesem Sinne in
Zukunft wesentlich erfolgreicher sind als in der Vergangenheit. Wenn wir nur auf nationaler Ebene für entsprechende Regelungen sorgen - das gilt auch für den Tierschutz -, dann verlagert sich die Produktion in das
benachbarte europäische Ausland. Es ist völlig egal, wie
hoch unsere Ansprüche sind, wenn die Produktion zum
Beispiel nach Frankreich verlagert wird und wir die Produkte dann von dort importieren. Frau Ministerin, Sie
müssen für ein abgestimmtes Vorgehen sorgen.
Die Koalition hatte ja versprochen, vieles anders und
manches besser zu machen. In der Verbraucherschutzpolitik kann davon zurzeit keine Rede sein. Sie ergehen sich
nur in Aktionismus und stellen immer wieder ein neues
Wort in den Mittelpunkt Ihrer Reden. Heute haben Sie von
Gerechtigkeit gesprochen. Dass es die im Augenblick
nicht gibt, habe ich dargelegt. Bei der nächsten Rede werden Sie sicherlich ein anderes Wort in den Mittelpunkt
stellen. Aber es geht nicht um das Reden, sondern um das
Handeln. Letzteres vermissen wir bei Ihnen.
({8})
Das Wort hat
jetzt die Kollegin Jella Teuchner.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Der CDU/CSU-Antrag trägt den Titel: „Verbraucherschutz auf nationaler und EU-Ebene fortentwickeln“. Es
verwundert mich, dass Herr Lippold trotzdem nur Allgemeinplätze verwendet hat, die auch noch widersprüchlich
waren. Am Anfang seiner Rede hat er eine Regelung auf
nationaler Ebene und zum Schluss eine auf europäischer
Ebene gefordert. Das kann man in einer solchen Debatte
nicht machen.
({0})
Ich kann es nur begrüßen, dass die Bundesregierung
die politische Verantwortung für den Verbraucherschutz
in einem Ressort gebündelt hat. Ich begrüße es auch, dass
wir nicht nur die Zuständigkeit des Landwirtschaftsausschusses um den Verbraucherschutz erweitert haben,
sondern ihm durch eine Vergrößerung auch ein größeres
Gewicht gegeben haben. Ich gehe davon aus, dass aufgrund der organisatorischen Stärkung der Verbraucherpolitik die Verbraucherinteressen auch inhaltlich
stärker berücksichtigt werden. Ministerin Renate Künast
hat in ihrer Rede deutlich gemacht, dass sie ihre Aufgabe
nicht nur in der Gewährleistung der Lebensmittelsicherheit sieht und dass die Kritik der CDU/CSU ins Leere
läuft. Im Verbraucherschutzministerium wird die ganze
Themenvielfalt der Verbraucherpolitik bearbeitet.
Wir alle sind uns doch darüber einig, dass eine umfassende Verbraucherpolitik weit über sichere Lebensmittel
hinausgeht. Eine gute Grundlage für die Definition der
Ziele der Verbraucherpolitik bietet Art. 153 Abs. 1 des
Vertrages von Amsterdam:
Zur Förderung der Interessen der Verbraucher und
zur Gewährleistung eines hohen Verbraucherschutzniveaus leistet die Gemeinschaft einen Beitrag zum
Schutz der Gesundheit, der Sicherheit und der wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher sowie zur
Förderung ihres Rechtes auf Information, Erziehung
und Bildung von Vereinigungen zur Wahrung ihrer
Interessen.
Verbraucherpolitik heißt also zum einen, Chancengleichheit zwischen Anbietern und Verbrauchern herzustellen. Die Verbraucherinnen und Verbraucher sind tendenziell in einer schwächeren Position. Aber soziale
Marktwirtschaft kann nur dann funktionieren, wenn die
Verbraucher ihre Entscheidungen bewusst treffen können
und der Informationsvorsprung der Anbieter ausgeglichen
wird.
({1})
Die Politik muss daher mit rechtlich vorgeschriebenen Produktstandards und über Garantie- und Haftungsvorschriften die Qualität von Waren und Dienstleistungen sicherstellen und durch Verbraucherberatung
und Kennzeichnungspflichten die Eigenschaften von
Waren und Dienstleistungen transparent machen. Sie
muss auch ein Gegengewicht zur kommerziellen Werbung aufbauen.
Verbraucherpolitik heißt zum anderen, die Gesundheit
und Sicherheit von Verbraucherinnen und Verbrauchern
zu schützen. Das Recht auf körperliche Unversehrtheit
beinhaltet eine staatliche Schutzpflicht. Der Staat ist hier
aktiv gefordert. Er muss über Gebote und Verbote sicherstellen, dass angebotene Produkte die Konsumenten nicht
gefährden.
Die Kontrolle der rechtlichen Vorschriften und Selbstverpflichtungen der Wirtschaft sind weitere Instrumente,
um die verbraucherpolitischen Ziele zu erreichen.
Verbraucherpolitik kann nur erfolgreich sein, wenn sie
vorsorgend ist. Insbesondere beim Gesundheitsschutz
müssen wir das Vorsorgeprinzip konsequent anwenden.
Der Europäische Rat hat mittlerweile Kriterien für die Anwendung des Vorsorgeprinzips beschlossen und festgelegt, wie wir mit wissenschaftlich noch nicht erfassbaren
Risiken umgehen müssen. Wir können und dürfen nicht
abwarten, bis Risiken wissenschaftlich bestätigt sind. Ich
denke, das haben wir alle aus der BSE-Krise gelernt. Wir
Dr. Klaus W. Lippold ({2})
müssen Maßnahmen ergreifen, wenn mit dem Eintreten
gefährlicher Folgen gerechnet werden muss.
({3})
Wir sind uns - davon gehe ich aus - alle einig, dass Verbraucherschutz ein Querschnittsthema ist, das alle Ressorts betrifft. Der Wettbewerb im Energiemarkt, Bildungsangebote, Finanzdienstleistungen, Ernährung und
Onlinehandel sind einige Stichworte, die die Bandbreite
der Verbraucherpolitik aufzeigen. Sogar das Auswärtige
Amt entscheidet mit seinen Reisewarnungen über Reiserücktrittsrechte von Urlaubern.
Wir sind uns sicher auch einig, dass der Verbraucherschutz immer wieder vor neuen Herausforderungen steht.
Die Gesellschaft verändert sich und mit ihr ändern sich
die Gefahren und Geschäftsmodelle. Gerade in diesem
Wandel brauchen die Verbraucherinnen und Verbraucher
verlässliche Orientierungshilfen.
Deutlich werden die Herausforderungen für die Verbraucherpolitik zum Beispiel im Onlinehandel. Den Verbraucherinnen und Verbrauchern fehlen Orientierungspunkte. Den „Laden um die Ecke“ können wir
einschätzen: Man sucht sich die Ware aus, geht zur Kasse
und weiß, wohin man sich bei Reklamationen wenden
muss. Im Internet sieht dies aber anders aus: Wir können
oft nicht einschätzen, ob ein Händler seriös ist. Wir fühlen
uns nicht wohl, wenn wir unsere Kreditkartennummer
übers Netz verschicken, und Reklamationen sind schwieriger abzuwickeln.
Der Handel im Internet lebt davon, diese Barrieren zu
überwinden. Tests von Onlineshops ergeben aber immer
wieder eine mangelnde Verbraucherorientierung. Der Datenschutz wird oft nicht beachtet. Der Bundesdatenschutzbeauftragte erklärte zum Datenschutz in seinem
18. Tätigkeitsbericht: „Was mich im Berichtszeitraum vor
allem störte: Das Interesse der privaten Wirtschaft an
Transparenz und Aufklärung ihrer Kunden war nicht sehr
ausgeprägt.“
Die Politik ist daher gefordert, den Verbraucherinnen
und Verbrauchern verlässliche Rahmenbedingungen zu
schaffen. Das Fernabsatzgesetz war dazu ein wichtiger
Schritt. Sie ist auch gefordert, die Entwicklung der Technik zu begleiten und so zu steuern, dass die Rechtssicherheit, die Sicherheit der finanziellen Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher, aber auch der Schutz
ihrer Daten und ihrer Privatsphäre gewährleistet werden.
Sicher spielen rechtliche Vorschriften eine wichtige
Rolle in der Verbraucherpolitik. Ebenso wichtig sind aber
die Verbraucherinformation und die Transparenz der
Märkte. Verbraucherinnen und Verbraucher können und
sollen ihre Entscheidungen am Markt selbst treffen, wenn
sie die notwendigen Informationen haben. Sie müssen die
Technik im Onlinehandel so weit kennen, dass sie die Risiken abschätzen können. Sie müssen die Inhaltsstoffe
von Lebensmitteln kennen und sie brauchen eine unabhängige Verbraucherberatung.
Gerade in Bereichen wie der privaten Altersvorsorge,
im liberalisierten Energiemarkt oder im Bildungsmarkt,
gerade in den Bereichen also, die schwer zu überblicken
sind, können Produktlabels und Zertifizierungen den
Verbraucherinnen und Verbrauchern eine sinnvolle Orientierung bieten.
Wenn wir dazu noch die Kennzeichnungsregeln verständlich und transparent gestalten und über die Stärkung
der Verbraucherorganisationen und der Stiftung Warentest
eine unabhängige Verbraucherberatung sicherstellen,
sind wir auf einem guten Weg, die Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher zu schützen.
({4})
Wir dürfen natürlich nicht vergessen, dass wir diesen Weg
mit den Verbraucherinnen und Verbrauchern gemeinsam
gehen müssen. Außerdem müssen wir die Verbraucherorganisationen bei relevanten Entscheidungen einbeziehen.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, auch wenn wir heute über einzelne Maßnahmen
diskutieren und über die richtige Organisation der Verbraucherpolitik debattieren, sind wir uns doch in den Zielen der Verbraucherpolitik sehr nahe, was auch Ihr vorgelegter Antrag bestätigt. Darüber freue ich mich. Dies
gibt mir die Zuversicht, dass die Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher in Zukunft an Gewicht gewinnen werden. Dazu bitte ich Sie um Ihre Unterstützung.
({5})
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Gudrun Kopp.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Herren und Damen! Frau Ministerin Künast, Sie haben das Wort „Gerechtigkeit“ ins Zentrum Ihrer Rede gestellt. Wir, die F.D.P.-Bundestagsfraktion, erwarten von
Ihnen eigentlich eine Bilanz der Redlichkeit. Eine solche
Bilanz hat es heute Morgen nicht gegeben; keinerlei konkrete Aussagen haben wir dazu gehört.
({0})
Ich komme jedenfalls zu dem Schluss, dass von Ihnen
bisher weder Klasse noch Masse an substanzieller, konkreter Verbraucherpolitik geleistet wurde. Nicht nur ich,
sondern auch viele Menschen außerhalb dieses Hauses,
die große Erwartungen an die Übernahme Ihres Amtes
knüpften, sehen sich ernüchtert und bitter enttäuscht. Als
einziges Beispiel nenne ich die riesigen Restbestände an
Tiermehl, die nicht einmal verbrannt wurden und hinsichtlich deren überhaupt nicht geklärt ist, was mit ihnen
geschieht. Ich halte dies für unverantwortlich.
({1})
Die gesamte Agrardebatte zeigt, dass Sie sich bisher in
erster Linie bemüht haben, die Krisen um BSE und MKS
zu bewältigen, was aber längst noch nicht gelungen ist.
Begriffe wie Massenschlachtungen, „Herodes-Prämie“,
Tötungen zur Marktbereinigung zeigen allerdings in
wirklich beschämender Art und Weise, welches Verständnis bei Ihnen vom Umgang mit Tieren vorherrscht. Ich
hätte nicht gedacht, dass so etwas unter grüner Regie
möglich wäre. Daher wird die F.D.P.-Bundestagsfraktion
in Kürze zum dritten Mal den Antrag auf Aufnahme des
Tierschutzes als Staatsziel in das Grundgesetz einreichen.
({2})
Wie ist es mit Perspektiven für die so genannte Agrarwende? Kein Wort haben wir davon gehört, nichts ist zu
sehen. Deshalb sage ich Ihnen, worauf wir, die F.D.P.Bundestagsfraktion, hinaus wollen:
Wir wollen für die Landwirte weniger Plan und sehr
viel mehr Markt. Wir wollen von den Quoten weg.
({3})
- Ja, das können Sie ruhig machen. - Ferner wollen wir
eine produktunabhängige Grundprämie für die Pflege der
Kulturlandschaft, nicht aber neue Regelungen und Gängelungen, wie wir sie bisher gehabt haben.
({4})
- Denken Sie doch nur daran, dass Rot-Grün noch vor wenigen Wochen im zuständigen Ausschuss unser Modellprojekt zur Förderung des Heil- und Gewürzpflanzenbaus
kategorisch abgelehnt hat.
({5})
Das wäre der richtige Beginn einer Kooperation zwischen
Landwirten und Wirtschaft gewesen.
({6})
Auch wir sagen Ja zur Förderung des ökologischen
Landbaus und von Ökoprodukten. Sie aber wollen nach
dem, was wir bisher der Presse entnommen haben, ein
neues Ökodiktat. Dem werden wir nicht folgen. - Es wäre
sehr freundlich, Frau Ministerin, wenn Sie einmal zuhörten.
Wir stellen den Verbraucher mit Einkaufskorb in den
Mittelpunkt. Das bedeutet, dass der Verbraucher die Ökoprodukte annehmen und insoweit auch bereit sein muss,
höhere Preise zu zahlen. Umgekehrt geht es nicht.
({7})
Des Weiteren fordern wir, dass die Förderung der Prionen- und Eiweißforschung gestärkt und nicht vernachlässigt werden sollte. Sie haben nichts dazu gesagt, wie es
mit einer umfassenden Produktkennzeichnung weitergehen soll. Sie haben jetzt die Einführung eines Öko-Prüfzeichens angekündigt; es wäre ja hervorragend, wenn es
endlich ein verlässliches gäbe. Die F.D.P.-Bundestagsfraktion möchte aber kein weiteres Label für Produkte haben, die im konventionellen Landbau hergestellt werden
und die stigmatisiert werden, indem es nur für die Einhaltung von Mindeststandards bürgt. Dabei bleibt ja auch
noch die Frage offen, was Sie unter Mindeststandards verstehen.
({8})
Ich nenne Ihnen acht Forderungen, zu denen Sie
heute Morgen kaum etwas gesagt haben: Sie haben
nichts dazu gesagt, wie Sie Mindest- und Qualitätsstandards für Produkte und Dienstleistungen einführen wollen. Sie haben nichts dazu gesagt, wie Sie sich die Umsetzung einer verständlichen Produktkennzeichnung
vorstellen.
({9})
Nichts wurde zum Thema Weiterentwicklung von Produkthaftung mit Versicherungspflicht gesagt. Kein Wort
wurde zur Verbesserung der Sicherheitsinfrastruktur bei
Internetnutzung gesagt.
({10})
Kein Wort kam zum Thema Vermittlung von Verbraucherinformationen schon an Schulen und an Weiterbildungseinrichtungen für Erwachsene.
({11})
- Schreien Sie doch nicht so. Hören Sie zu!
({12})
Kein Wort kam zu Transparenz von Informationen im Gesundheitsbereich. Jetzt kommt das Allerschärfste: Sie
stellen sich hier als Förderer der Stiftung Warentest dar,
dabei waren Sie es, die im vergangenen Jahr deren Mittel
erheblich kürzen wollten.
({13})
Die Grünen haben - das wurde sogar von Ihnen, Frau
Ministerin Künast, unterstützt - an eine Sonderabgabe
der Verbraucher für die Stiftung Warentest zum Aufbau
eines Stiftungskapitals gedacht. Ich finde, das ist skandalös.
({14})
Sie wollen ein Konzept zur Weiterbildung und Altersvorsorge gemeinsam mit der Stiftung Warentest erarbeiten. Wie Sie sich das vorstellen - mehr Arbeit und weniger Geld -, müssen Sie uns einmal erklären. Nach unserer
Vorstellung hat die Bundesregierung die Verpflichtung,
die Stiftung Warentest nachhaltig zu unterstützen, und
zwar auch durch den Aufbau von Stiftungskapital, damit
diese hervorragende Stiftung auch in Zukunft ihre Arbeit
weiterhin unbehelligt leisten kann.
Die F.D.P. bleibt bei ihrer Forderung, dass dringend ein
eigenständiger Verbraucherausschuss eingerichtet werden muss.
({15})
Es reicht nicht aus, dem Agrarausschuss lediglich diese
Thematik zuzuweisen. Dabei bleiben all die Inhalte, die
ich eben genannt habe, automatisch außen vor.
Frau Künast, ein letztes Wort: Sie bezeichneten die
Verbraucher als Bürgerbewegung. Passen Sie auf, dass
sich diese Bürgerbewegung nicht gegen Sie selbst richtet.
({16})
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Kersten Naumann.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Ob als Kunde, als Patient, als Reisender, als Versicherungsnehmer, als Bausparer oder als
Internetsurfer - die Verbraucher haben so ihre Erfahrungen mit unzureichender Verbraucherschutzpolitik gemacht. Zu oft standen hausgemachte Produkt- oder Steuerskandale in fast allen Wirtschaftsbereichen auf der
Tagesordnung; diese sind mittlerweile im Bewusstsein
der Verbraucher verankert.
Vor allem gegen die allgemeinen Verbraucherrechte
wird tagtäglich verstoßen. Der Missbrauch wirtschaftlicher Macht gehört auch in Deutschland zum System: Ich
denke da nur an die monopolartige Gestaltung der Benzinpreise, das Vitaminkartell, Abzockerei von Finanzberatern oder an Produkte, die mittels Kinderarbeit hergestellt werden. Die meisten der Betroffenen haben keine
Lobbyisten und können ihren Rechtsanspruch nicht
durchsetzen. Das soll sich ja jetzt alles ändern.
Man glaubt es kaum, was für eine Lawine durch BSE,
eigentlich nur von einem kleinen Eiweißbaustein, dem
Prion, losgetreten worden ist und wie sie ganze Branchen
sowie die Politik in die Knie zwingt. Die Fraktionen übertreffen sich plötzlich geradezu an Vorschlägen, wie man
den Verbraucherschutz besser ausgestalten sollte. Dabei
muss die F.D.P. wohl erst noch lernen, was Verbraucherschutz heißt; nämlich gerade nicht, marktgerechtes Verhalten, möglichst schon bei Kindern, anzuerziehen.
({0})
Es wäre ja noch schöner, wenn entsprechendes Verbraucherverhalten gleich mit der „Muttermilch“ der Konzerne
eingesogen werden könnte.
Sehr geehrte Damen und Herren von der Koalition, mit
Ihrem Antrag haben Sie sich ja wirklich viel vorgenommen. Er zeigt die ganze Bandbreite dessen, was in der
Marktwirtschaft bezüglich Verbraucherschutz auf dem
Kopf steht und jahrelang vernachlässigt wurde. Ich hoffe
nur, Sie sind sich der Tragweite Ihres Antrages bewusst.
Die PDS wird die politische Umsetzung in Zukunft an der
Entwicklung und Ausgestaltung von Verbraucherschutz
und Verbraucherrechten messen.
Gleich die erste Forderung Ihres Antrages stellt den politischen Umgang mit den Interessen von Verbraucherinnen und Verbrauchern als demokratisches Prinzip endlich vom Kopf auf die Füße. Ich zitiere - das muss man
sich auf der Zunge zergehen lassen -:
Der Bundestag fordert: den Verbraucherschutz als eines der durchgängigen Leitprinzipien anzuerkennen
und bei politischen ... Maßnahmen dazu beizutragen,
dass die Interessen von Verbraucherinnen und Verbrauchern zur Richtschnur der Politik bei allen Entscheidungen ... werden.
Wenn sich diese Forderung tatsächlich politisch in der gesamten Breite dieser Aussage durchsetzen soll, dann muss
in vielen Fällen das marktwirtschaftliche Profit- und Ellenbogensystem stark zurückgedrängt werden.
({1})
Demnach müsste - so interpretiere ich das jetzt hinein;
aber die Koalition kann mich da gern aufklären - folgendes Exempel politisch für die Zukunft recht schnell geklärt werden: Die Verbraucher lehnen seit Jahren und
sogar zunehmend genveränderte Lebensmittel, Gen-Futtermittel und die Freisetzung von gentechnisch modifizierten Pflanzen zu 70 bis 80 Prozent ab. 70 bis 80 Prozent: Von so einem Abstimmungsergebnis träumt so
mancher Politiker.
Selbst Professor Jany vom Wissenschaftlerkreis
„Grüne Gentechnik“ konnte in einer ARD-Sendung trotz
hinreichender Pro-und-Kontra-Diskussion kaum Verbraucher auf seine Seite ziehen. Nun stellen Sie sich einmal vor, es würde tatsächlich basisdemokratisch zugehen.
Abzusehen ist dennoch, dass die Wirtschaft den längeren
Arm hat und bestimmt, was, wie und in welcher Qualität
auf den Markt kommt.
In allen Anträgen spielt die Kennzeichnung von Produkten eine besondere Rolle, wobei es das Geheimnis der
Antragsteller bleibt, was sie denn mit „vollständiger“,
„transparenter“ oder gar „offener“ Kennzeichnung nun
wirklich meinen. Ein Beispiel soll verdeutlichen, dass der
Verbraucher mit der bestehenden Kennzeichnung ohnehin
maßlos überfordert ist.
Die Zusammensetzung von Keksen, wie man sie
gemäß den Richtlinien in ganz kleinen Buchstaben
- meist gleich in mehreren Sprachen - auf der Rückseite
einer handelsüblichen Packung lesen kann, lautet: Weizenmehl, Zucker, Pflanzenfett, modifizierte Maisstärke,
Invertierzuckersirup, Malzextrakt, Salz, Backtriebmittel,
Ammoniumhydrogencarbonat, Natriumhydrogencarbonat,
Diphosphornatriumsäure, Sojalecithinemulgat, Säuremittel E 330, Emulgator E 322, Aromastoffe und Magermilchpulver. Nun muss aber gemäß einer neuen Verordnung auf diesem Etikett noch angegeben werden, ob
gentechnisch veränderte Organismen verwendet wurden.
Will man also sein Recht auf freie Auswahl ernsthaft
wahrnehmen, muss man zukünftig alles auf der Verpackung aufmerksam lesen: die Zusammensetzung, den
Preis, das Gewicht, das Verpackungsdatum, das Verfallsdatum, das Herkunftszertifikat, ja, sogar den Rückverfolgbarkeitsnachweis. Wenn man bei jedem Produkt, das
man kauft, eine solche Leseorgie veranstalten muss, dauert es vermutlich länger, die Kekse auszuwählen, als sie
selbst zu backen.
({2})
Der Verbraucher möchte aber nicht das Handbuch der Lebensmittelchemie ständig bei sich tragen, sondern würde
einfach nur gern Waren kaufen, die gesund und sicher
sind - egal ob für Groß oder Klein, Jung oder Alt.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen viel Spaß beim
nächsten Einkauf und beim Lesen von Packungshinweisen. Wie heißt es so schön in der Werbung? - Bei Risiken
und Nebenwirkungen fragen Sie Ihre Verbraucherschutzministerin.
({3})
Das Wort hat
jetzt die Kollegin Ilse Janz.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Auf der Seite von CDU/CSU und F.D.P.
hatte ich eben den Eindruck, als seien Sie ein bisschen
neidisch auf unsere zupackende Ministerin.
({0})
Sie haben weder konstruktive Vorschläge gemacht, noch
haben Sie gesagt, in welche Richtung Sie eigentlich gehen
wollen. Ich bin deshalb umso überraschter von Ihren Beiträgen.
Wenn ich mir die Anträge von CDU/CSU und F.D.P.
durchlese, dann muss ich feststellen, dass sie eine Reihe
von Punkten enthalten, die auch im Antrag der SPD-Fraktion zu finden sind und deren Umsetzung wir seit Jahren
fordern. Wenn Sie, liebe Opposition, zum Beispiel 1996
unserem Antrag „Vorsorgende Verbraucherpolitik“ zugestimmt hätten, dann wären wir in diesem Hause schon ein
ganzes Stück weiter.
({1})
Dass Verbraucherschutz eine Querschnittsaufgabe ist
und nicht nur auf den Teil Ernährung beschränkt werden
darf, das wissen wir alle seit Jahren. Gehandelt haben Sie,
meine Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, in
Ihrer Verantwortung allerdings nicht. Sie hatten bisher
und haben eine andere Vorstellung. Ihre damalige Kollegin Limbach hat immer nur von mehr Eigenverantwortung der Verbraucherinnen und Verbraucher geredet. Verstärktes Handeln durch den Bund hat sie - zumindest für
die CDU/CSU - konsequent abgelehnt. Das ist nachzulesen in ihrer Rede aus dem Jahre 1996.
({2})
Wenn es aber richtig ist, dass auch die Eigenverantwortung der Verbraucher gestärkt werden muss, dann
kann dies nur mit dem Marktgleichgewicht zwischen Verbrauchern und Anbietern einhergehen. Aktives staatliches
Handeln zum Schutz der Verbraucher ist notwendig. Das
heißt klar und deutlich: Die Möglichkeiten für den Verbraucher, Information und Aufklärung zu erhalten, müssen produktunabhängig und vielfältig sein. Dafür zu sorgen sind Bund und Länder nach unserer Auffassung
verpflichtet; sie können nicht, wie es von Ihnen - Ihre
Fraktion ist eine ehemalige Regierungsfraktion - bisher
propagiert wurde, den Staat möglichst außen vor lassen
und die Verantwortung nur den Verbraucherinnen und
Verbrauchern zuschieben.
({3})
Ein Schritt in diese Richtung ist - die Bundesregierung hat dies bereits angekündigt - die Einrichtung einer
Behörde für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit. Die Einrichtung dieser Behörde geht weit über
Ihren Vorschlag, die Kompetenzen des Bundesinstituts
für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin zu erweitern, hinaus. Es kann nicht sein, dass wir
bei der Bündelung der Maßnahmen - in Ihrem Redebeitrag eben wurde das bereits getan - immer wie das Kaninchen auf die Schlange starren. Wir dürfen nicht nur
auf europäischer Ebene nach Lösungen suchen. Wenn
sich Europa - in diesem Fall ist es sozusagen die
Schlange - nicht bewegt, dann brauchen wir dringend nationale Lösungen.
({4})
Die Verbraucher werden es nämlich nicht hinnehmen,
dass wir politische Lösungen immer auf die EU-Ebene
abschieben.
Vorhin hat der Kollege Carstensen - jetzt ist er weg einen Zwischenruf gemacht, der sich auf die Stiftung Warentest bezog. Dazu kann ich nur sagen: Unsere Fraktion
begrüßt sehr, dass die Ministerin angekündigt hat, die
Stiftung Warentest zu stärken.
({5})
Ich sage ganz klar, dass die Verbraucherzentralen und die
Verbraucherschutzverbände deutlich gestärkt werden
müssen. Das gilt nicht nur für den Bund, der die Projektförderung betreibt, sondern auch für Länder und Kommunen, die in einigen Fällen ausgerechnet auf diesem
Gebiet Einsparpotenziale erkennen. Frau Ministerin, Sie
können sicher sein: In diesem Fall stehen wir auf Ihrer
Seite und wir kämpfen mit dem Finanzminister darum,
dass der Haushalt an den entsprechenden Stellen aufgestockt wird.
({6})
Wir alle haben doch ernsthaft vor, weg von der Reparatur und hin zur vorsorgenden Verbraucherpolitik zu
kommen; denn eine vorausschauende Verbraucherpolitik
ist die Sicherheit für unsere natürlichen Lebensgrundlagen. Sie ist gleichzeitig ein dauerhafter Anreiz zur Produktverbesserung und sichert damit Absatzchancen sowie
Ar-beitsplätze. Verbraucherschutz ist eben keine Bremse
für die Wirtschaftsentwicklung. Im Gegenteil, sie sorgt
dafür, dass leistungsfähige Unternehmen erfolgreicher
sind, dass sich die besten Produkte durchsetzen und dass
eine ständige Produktverbesserung erfolgt. Verbraucherinnen und Verbraucher haben ein Recht auf Information
und Aufklärung. Sie haben ein Recht auf Schutz vor Gesundheitsgefahren und auf Unterstützung bei der Durchsetzung von Schadenersatzansprüchen.
Für Lebensmittel sind klare Kennzeichnungsregelungen erforderlich. Nur durch eine lückenlose Etikettierung
kann der Verbraucher den Weg des Lebensmittels verfolgen und nur dadurch kann Vertrauen zurückgewonnen
werden. Es muss eine umfassende Information geben:
Was ist enthalten? Woher kommt es? Wie wurde das Produkt hergestellt? Welche Risiken gibt es? - Die Aufklärung muss gut vergleichbar und auch gut verständlich
sein. Klar muss auch sein, dass Hersteller und Anbieter
die Verantwortung für ihre Produkte tragen.
Durch Kaufentscheidungen können alle Verbraucherinnen und Verbraucher dazu beitragen, dass neue ökologische Ziele erreicht werden. In diesem Punkt muss aus
Sicht der SPD-Fraktion auch in Schulen und Weiterbildungseinrichtungen etwas passieren. Nur gut informierte
Schülerinnen und Schüler können kritische Verbraucher
werden.
({7})
Deshalb muss unsere Bitte, wenn nicht gar unsere Forderung an die Länder immer wieder lauten: Die Verbraucherbildung muss in die Lehrpläne aufgenommen
werden.
({8})
Dazu wird auch noch mein Kollege Heinz Schmitt etwas
ausführen.
Die Verbraucherorganisationen haben sich eine neue
Struktur gegeben, die ab dem 1. Juli greift. Dies ist aus unserer Sicht eine erhebliche Verbesserung für alle Verbraucherinnen und Verbraucher, da die Tätigkeiten der bisherigen drei Organisationen erheblich effizienter gestaltet
werden können. Die Forderung des neuen Bundesverbandes BVZV, ein Verbraucherinformationsgesetz zu schaffen, muss meines Erachtens unbedingt auf Machbarkeit
geprüft werden.
Wir, die Politiker, müssen die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen. Wir müssen die rechtlichen
Lücken schließen und die Kontrollen verbessern. Das
müsste aus meiner Sicht das Haus gemeinsam machen. In
den vorliegenden Anträgen gibt es ja auch viele Gemeinsamkeiten, obwohl ich bei Ihnen, Frau Kollegin Kopp,
festgestellt habe, dass zumindest Ihre Rede nicht mit
Ihrem Antrag übereingestimmt hat.
({9})
Vielleicht gelingt es uns ja in der Ausschussdebatte, einen
gemeinsamen Weg herauszuarbeiten.
Vielen Dank.
({10})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Albert Deß.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich finde es gut, dass wir darüber streiten, wie der Verbraucherschutz gerade im
Ernährungsbereich weiter verbessert werden kann. Aber
es ärgert mich und viele Landwirte in Deutschland, dass
von bestimmten Seiten in den letzten Monaten der Eindruck erweckt worden ist, es hätte bisher keinen Verbraucherschutz gegeben bzw. er müsste neu erfunden
werden.
({0})
Deutschland zählte auch schon bisher zu den Ländern mit
den strengsten Vorschriften und Auflagen für die Erzeugung und Veredelung von Lebensmitteln.
Es geht heute darum, den hohen Stand an Lebensmittelsicherheit weiter zu verbessern und gewisse Schwachstellen zu beseitigen. Wer wie Frau Ministerin Künast und
Bundeskanzler Schröder die Bauern in ihrer Gesamtheit
an den Pranger stellt, handelt schlichtweg unverantwortlich.
(Beifall bei der CDU/CSU - Widerspruch bei
der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Wer versucht, die Landwirtschaft in eine gute und eine
schlechte Landwirtschaft einzuteilen, wird seiner Verantwortung weder den Landwirten noch den Verbrauchern
gegenüber gerecht.
({1})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die
CDU/CSU-Fraktion tritt dafür ein, dass alle Nahrungsmittel, die in unserem Land produziert werden, den Verbraucherinnen und Verbrauchern eine nach heutigem
wissenschaftlichen Stand höchstmögliche Sicherheit geben. Am Beispiel der Milchproduktion sieht man, dass
Milcherzeuger und -verarbeiter auch ohne staatliche Auflagen ein Interesse daran haben, unseren Verbraucherinnen und Verbrauchern eine höchstmögliche Sicherheit zu
geben.
Ich trage seit vielen Jahren Verantwortung bei den
Milchwerken in Regensburg. Dort haben wir bereits vor
der BSE-Krise beschlossen, in unsere Milchsammeltankwagen eine moderne Technik einzubauen. Es wird jeden
Tag von jedem Landwirt eine Probe genommen.
({2})
- Von der Milch jedes Landwirts wird eine Probe genommen. Entschuldigung! - Auf der Fahrt von der letzten
Sammelstelle zum Milchhof wird in einem Schnelltestverfahren festgestellt, ob in der Milch aus dem Milchtank
Antibiotikarückstände enthalten sind. Wenn Antibiotikarückstände enthalten sind, gelangt diese Milch nicht in
den Produktionskreislauf. Anhand der Einzelproben kann
festgestellt werden, welcher Landwirt antibiotikahaltige
Milch abgeliefert hat. Dieser Landwirt ist dann verantwortlich für die Kosten, die für die Beseitigung dieser
Milch entstehen. An diesem Beispiel sieht man, dass die
Wirtschaft ohne staatliche Auflagen bereit ist, selbst höchste Qualitätsstandards zu erfüllen.
({3})
Eines geht jedoch nicht: in Deutschland höchste Standards verlangen und unsere Bauern dem europäischen
und weltweiten Wettbewerb aussetzen. Es gibt nur zwei
Möglichkeiten: Entweder gelten EU-weit die gleichen
Bedingungen, oder Produkte, die nicht unseren Standards
entsprechen, dürfen nicht nach Deutschland geliefert werden. Das gilt auch für Einfuhren aus Drittländern. Wie soll
denn der Verbraucherschutz gesichert werden, wenn in einem freien europäischen Markt unterschiedliche Bedingungen gegeben sind? Es reicht nicht aus, Frau Künast,
wenn in Deutschland schrille Töne zu hören sind und in
Brüssel nichts umgesetzt wird.
Bis heute haben wir in der Kälberfütterung unterschiedliche Standards. In anderen Ländern darf weiter tierisches Fett eingesetzt werden, mit der Folge, dass dort
wesentlich billiger produziert werden kann. Mir ist nicht
bekannt, Frau Künast, dass Kalbfleisch, das unter diesen
Bedingungen produziert wird, nicht nach Deutschland geliefert werden darf. Wo bleibt denn hier der Verbraucherschutz?
({4})
Sie werden Ihrer Verantwortung schlichtweg nicht gerecht.
Unverantwortlich ist aber auch das Verhalten bestimmter Medien; das muss heute hier einmal angesprochen werden. Wenn Hysterie verbreitet wird und die Verbraucher verunsichert werden, steigen anscheinend die
Auflagen und die Einschaltquoten; das gilt aber nicht für
die Qualität.
({5})
Eine große deutsche Zeitung mit vielen Bildern hat am
22. Januar 2001 geschrieben:
Jetzt erschüttert ein neuer Skandal Bayern und
Österreich. Schweine sollen flächendeckend mit
Antibiotika und anderen Medikamenten gemästet
worden sein. Experten befürchten: Die Schweinepillen sind für die Verbraucher noch gefährlicher
als BSE.
Vor kurzem stand in einer Passauer Zeitung
({6})
unter der Überschrift „Landwirte gaben keine verbotenen
Medikamente“:
Die Großrazzia auf 33 Bauernhöfen in Ostbayern
Anfang Februar hat sich als Schlag ins Wasser
erwiesen. Die Testergebnisse der bei den Schweinen genommenen Blut- und Urinproben fielen negativ aus: Sie enthielten keine verbotenen Substanzen.
Und der Leitende Oberstaatsanwalt in Regensburg erklärte:
Es gibt ... keine Erkenntnisse, dass die Landwirte
ihren Tieren unerlaubte Mittel gegeben haben.
Wo bleiben die Entschuldigungen von denen, die hier
Verdächtigungen ausgesprochen haben, die die Bauern
kriminalisiert haben? Auch hier im Parlament haben sich
Mitglieder von SPD und Grünen damals massiv an den
Anschuldigungen beteiligt.
({7})
Wenn Sie Charakter haben, gehen Sie nun ans Rednerpult
und entschuldigen Sie sich für die vollmundigen Vorwürfe und Verdächtigungen.
({8})
Leider ist die Kollegin Wright heute nicht anwesend, die
damals die größten Verdächtigungen ausgesprochen hat.
Was machen bestimmte Medien? Sie sind nicht einmal
bereit, die Meldungen über das Ergebnis der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen zu bringen. Ich glaube, es
wäre in unserem Land notwendig, nicht nur über ein Produkthaftungsgesetz nachzudenken, sondern auch über ein
Medienhaftungsgesetz.
({9})
Wer bezahlt den Schaden, der von einer zum Teil unverantwortlichen Berichterstattung verursacht wurde?
Was wir brauchen, ist neben einem überzeugenden
Verbraucherschutz auch eine Perspektive für unsere Bauern. Unsere Bauern waren in ihrer großen Mehrzahl bisher bereit, eine hohe Qualität zu produzieren, und haben
es nicht verdient, von Rot-Grün an den Pranger gestellt zu
werden.
({10})
Was unternimmt der Kanzler der Beliebigkeit, um unseren Bauern eine Perspektive zu geben? - Fehlanzeige
auf der ganzen Linie. Er kassiert von der EU 4 Milliarden DM, die zurückfließen, und ist nicht bereit, Geld für
eine Weiterentwicklung der deutschen Landwirtschaft
und des Verbraucherschutzes auszugeben. Bayern allein
nimmt mehr Geld in die Hand, um seine Bauern zu unterstützen und den Verbraucherschutz zu verbessern, als
die Bundesrepublik Deutschland.
Geradezu lächerlich wirkt Rot-Grün mit der Forderung
nach mehr Ökolandwirtschaft. In den Bundesländern
Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein, wo RotGrün regiert, gibt es die geringsten Flächenprämien für
den ökologischen Landbau.
({11})
Eine Aufstellung der „FAZ“ vom 2. Februar 2001 zeigt
die Zahlen: Bayern gibt für den ökologischen Landbau
pro Hektar 707 DM aus. Zweitbestes Land - das gebe ich
gerne zu - ist Rheinland-Pfalz. Aber dort regiert nicht
Rot-Grün, sondern Rot-Gelb.
({12})
Rheinland-Pfalz gibt immerhin noch 392 DM aus. In
Nordrhein-Westfalen, wo Rot-Grün regiert, sind es
191 DM
({13})
und in Schleswig-Holstein 60 DM, nicht einmal ein Zehntel dessen, was in Bayern ausgegeben wird. Entlarvender
können Zahlen gar nicht sein. So groß ist die Diskrepanz
zwischen rot-grünem Gerede und rot-grünem Handeln.
({14})
Die CDU/CSU wird dafür sorgen, dass dieses Schauspiel entlarvt und eine bessere Alternative dagegengesetzt
wird.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({15})
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Uli Höfken.
Sehr
geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Deutsche Bundestag hat heute erstmals die Gelegenheit, derartig umfassend über Verbraucherschutz zu
diskutieren. Aber Herr Deß nimmt diese Gelegenheit
nicht wahr; er diskutiert über die Abschaffung der Pressefreiheit und darüber hinaus äußerst widersprüchlich über
die EU-Standards.
({0})
Auf der einen Seite sollen wir sie alle einhalten, auf der
anderen Seite aber wird beim Thema BSE ein Alleingang
der Bundesrepublik, möglichst Bayerns, gefordert. Ich
denke, so geht das nicht.
In dem Antrag der Koalitionsfraktionen haben wir unseren politischen Willen zur Schaffung eines umfassenden Verbraucherschutzes erklärt. Durch eine vorsorgende Verbraucherpolitik wollen wir Verbraucherinnen und
Verbraucher unter gesundheitlichen und unter finanziellen Aspekten schützen.
({1})
Wir wollen die Stellung der Verbraucher im Verhältnis zu
den Anbietern deutlich stärken; wir wollen bessere Markttransparenz und bessere Information.
Frau Naumann, natürlich ist Verbraucherpolitik ein
Teil der Wirtschaftspolitik und der sozialen Marktwirtschaft. Verbraucherschutz muss ressortübergreifend sein
und als Querschnittsaufgabe in alle relevanten Bereiche
der Politik aufgenommen werden. Unser Antrag und das
Handeln der Bundesregierung weisen ganz im Gegensatz
zu dem, was Sie in der Regierungszeit von CDU/CSU und
F.D.P. praktiziert haben, genau in diese Richtung.
Das Beispiel BSE hat gezeigt, wie fatal die Vernachlässigung vorsorgender Verbraucherschutzpolitik gewesen ist. Dazu muss man einmal sagen, dass uns das unter
Ihrer Regierungsverantwortung geltende Denkverbot, die
Tabuisierung und die Vernachlässigung, ja die Fahrlässigkeit im Verbraucherschutz, in die Situation gebracht haben, in der wir jetzt sind.
({2})
Das war auch im Hinblick auf Herrn Lippold nachzutragen.
Wir werden den Verbraucher auch in anderen Bereichen als dem Lebensmittelbereich in den Mittelpunkt
stellen. Tatsächlich war es doch bisher so, dass Ressortdenken und Lobbyismus hinsichtlich einzelner Wirtschaftsanliegen vor der Betrachtung und Berücksichtigung von Verbraucherinteressen gestanden haben.
({3})
Ich sage es noch einmal: Verbraucherschutz und Verbraucherpolitik müssen Teil der Wirtschaftspolitik und - darin
unterstütze ich die Ministerin - ein wichtiges Mittel zur
Schaffung sozialer Gerechtigkeit sein. Was Herr Lippold
hinsichtlich der sozialen Gerechtigkeit fordert, das ist, gerade soweit Gesundheitspolitik betroffen ist, in Wirklichkeit ein Angriff auf das Solidarsystem: Abschaffung und
Plattmachen der Gesundheitsversorgung für die ärmeren
und kränkeren Bevölkerungsteile. Es geht darum, eine
Balance zu finden. Wir werden diese Balance finden; Ihre
Politik aber geht in eine völlig falsche Richtung.
({4})
Die Bundesregierung hat bereits das Ministerium für
Verbraucherschutz geschaffen - das ist ein Paradigmenwechsel -, dort die Ministerin Renate Künast eingesetzt - auch das ist ein Paradigmenwechsel ({5})
und die strukturellen Voraussetzungen für die Umsetzung
der Ziele des Verbraucherschutzes geschaffen. Bis Juni
werden die Vorschläge für die weiteren Schritte in Richtung eines Bundesamtes für den Verbraucherschutz zu
einer besseren Koordination zwischen Bund, Ländern und
der EU vorliegen.
Es ist richtig: Die Politik kann und soll nicht alle Bereiche des täglichen Lebens regeln. Sie muss aber die
Rahmenbedingungen und die Instrumente schaffen, um
den Verbrauchern eine Orientierung gegenüber der Wirtschaft, den Finanzanbietern, den Krankenhäusern, den
neuen Kommunikationstechniken und insgesamt den raschen technischen und gesellschaftlichen Entwicklungen
zu geben.
Dazu will ich ein Beispiel wählen. Im Bereich des
Energiemarktes - das hat Herr Lippold schon erwähnt Albert Deß
haben wir die Situation, dass die mangelhafte Aufklärung
beim Kauf von Elektrogeräten mit Stand-by-Funktion
und Leerlaufverbrauch dazu geführt hat, dass sich die
Leerlaufkosten allein in den privaten Haushalten auf jährlich 4,5 Milliarden DM addieren. Das ist ein Beispiel für
die bisherige Vernachlässigung von Verbraucherschutzpolitik und für die Weichenstellung, die Sie in Ihrer Regierungszeit vorgenommen haben. Sie mögen immer über
die Ökosteuer schimpfen; aber dieses Beispiel zeigt doch,
wie man durch Installation einer vernünftigen Verbraucherpolitik in einer sinnvollen Art und Weise umsteuern
kann.
({6})
Ein anderes Beispiel, bei dem die Weichenstellungen
von der jetzigen Opposition vorgenommen worden sind,
sind die Handys, die die Kommunikation enorm erleichtert haben. Wir haben zwar ein Telekommunikationsgesetz; aber es gibt eine ganze Reihe von offenen Fragen, die
wir im Zusammenhang mit einer übergreifenden und umfassenden Verbraucherschutzpolitik diskutieren werden.
Das fängt damit an, dass Jugendliche mit finanziellen
Nachforderungen konfrontiert werden: Ohne dass sie es
wissen, haben sie mit ihren SMS ihre Prepaid Card überzogen. Es gibt ernst zu nehmende Hinweise auf eine Gesundheitsgefährdung durch elektromagnetische Strahlen.
Aus Vorsorgegründen werden wir darüber diskutieren,
ob die zulässigen Grenzwerte zu senken sind; ich denke in
diesem Zusammenhang beispielsweise an Italien und die
Schweiz. In Zusammenarbeit mit den Ländern sollen Sicherheitsabstände zu besonders sensiblen Bereichen, also
zu Schulen und Kindergärten, eingeführt werden. Eine
entscheidende Rolle kommt auch hier der Zusammenarbeit mit der Wirtschaft und dem Handel zu.
Die Strahlungsleistungen der Handys sind sehr unterschiedlich. Die jeweiligen Werte müssen transparent
gekennzeichnet werden. Das jetzige Verfahren, auf die
Handys einfach Zahlen zu schreiben, die die Verbraucher
nicht verstehen können, kann es nicht sein. Wir werden
hier weitere Vorschläge entwickeln, zum Beispiel die
Handys mit entsprechenden Labels, anhand deren erkennbar wird, ob die Strahlenbelastung durch das jeweilige Handy gering, mittelstark oder hoch ist, zu versehen.
Es geht darum, das Kommunikationsinstrument Handy
sinnvoll einzusetzen und gleichzeitig die Verbraucher zu
schützen.
Wir haben - das ist richtig - in Bezug auf unsere künftige Verbraucherschutzpolitik einen hohen Anspruch gesetzt. Wir erwarten in diesem Bereich eine konstruktive
Haltung der Opposition. Die genannten Beispiele sind
recht deutlich. Wir unterstützen vor allem Ministerin
Renate Künast bei der Umsetzung dieser anspruchsvollen
Aufgabe.
Danke schön.
({7})
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Annette Widmann-Mauz.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Selten ist der
Graben zwischen Anspruch und Wirklichkeit derart breit
und tief gewesen wie in der Verbraucherschutzpolitik dieser Bundesregierung.
({0})
Seit mehr als vier Monaten ist die neue Verbraucherschutzministerin jetzt im Amt. Selbst die Vertreter der Koalition haben Mühe, zu erklären, worin denn die substanziellen Beiträge von Frau Künast zum Verbraucherschutz
eigentlich liegen. Auf welchen Feldern hat sie in der Europäischen Union greifbare Fortschritte erzielt, außer dass
sie im Ministerrat von einer Abstimmungsniederlage zur
anderen eilt? Auf welchen Feldern hat sie dort, wo sie es
könnte, nämlich in der nationalen Agrarpolitik, irgendetwas bewegt? Selbst der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Clement wirft ihr per Zeitungsinterview jede
Menge Versäumnisse vor und stellt fest, sie selbst habe
bislang für die von ihr pausenlos als überfällig bezeichnete Agrarwende nichts getan.
({1})
Man kann die Verbraucherschutzpolitik von Frau
Künast nicht besser zusammenfassen, als es Thomas
Gack vor wenigen Tagen in der „Stuttgarter Zeitung“ getan hat: „Schlagworte, die auf Dauer eine wirksame Politik nicht ersetzen können“, „Etikettenschwindel“,
„Ankündigungen“ und „wortreiche Tatenlosigkeit“.
({2})
Denn selbst auf den Feldern, auf denen Frau Künast unbestritten zuständig ist, arbeitet sie entweder halbherzig
oder überhaupt nicht.
In dieser Woche kündigten Sie, Frau Künast, eine
„Qualitätsoffensive bei Lebensmitteln mit zwei Sorten
von Gütesiegeln“ an: einem Ökogütesiegel für Produkte
aus dem Ökolandbau und einem zweiten Gütesiegel für
Produkte aus der konventionellen Landwirtschaft.
Das hört sich auf Anhieb gut an. Heute allerdings haben
Sie darüber kein einziges Wort verloren. Wie lässt sich
dies erklären? Wenn man der Sache auf den Grund geht,
stellt man fest, dass die erforderlichen Standards wohl
auf den niedrigsten Level heruntergefahren werden sollen, nämlich auf EU-Standard. Ergebnis: Mit einem
Schlag wird es in den Regalen Ökoprodukte in Hülle und
Fülle geben, weil auf einmal fast alles öko wird. Der
Standard wird gesenkt, damit die Ökoquoten steigen;
das ist staatlich organisierter Etikettenschwindel. Das
zarte Pflänzlein Ökonische wird dadurch kaputtgemacht, weil auf einmal fast alles öko ist, nur eben ökolight, Frau Künast.
({3})
- Dann sprechen Sie doch mit Naturland, mit Demeter
oder mit Bioland. Diese Befürchtungen bestehen. Es ist
doch verwunderlich, dass wir nichts dazu hören. Frau
Künast, Sie haben die Messlatte wieder einmal hoch gelegt. Jetzt springen Sie einmal mehr darunter durch.
Gestatten Sie
eine Zwischenfrage der Kollegin Höfken?
Ja.
Es ist
erstaunlich, innerhalb einer einzigen Fraktion derart diametral entgegengesetzte Aussagen zu hören.
({0})
Ich frage Sie deshalb, wie Sie denn dann zur Aussage des
Kollegen Deß stehen, man solle eine Harmonisierung der
EU-Standards möglichst unterstützen, da es keinerlei
Möglichkeiten gebe, von diesen abzuweichen, wenn man
eine richtige Politik machen würde.
Liebe Frau
Höfken, Ihre Fraktion und Ihre Ministerin sind vor vier
Monaten hier angetreten und haben verkündet: Deutschland soll bei den Ökoprodukten einen Anteil von 20 Prozent erreichen.
({0})
Sie wollen viel Geld in die Förderung des Ökolandbaus
stecken, damit wir über die Ökoprodukte mehr Produkte
mit dem hohen deutschen Qualitätsniveau in den Regalen
haben. Wenn Sie den angedachten Weg gehen, diese Quoten durch eine Reduzierung auf den europäischen Standard zu erreichen, mag das formal zu dem richtigen Ergebnis führen. Aber Sie werden so Ihrem Anspruch, den
Sie sich selbst gestellt haben, nicht gerecht werden.
({1})
Hiermit werden Sie Ihre Glaubwürdigkeit verspielen und
es ist das Recht der Opposition, die Widersprüche in Ihrer
Politik hier klar aufzuzeigen.
({2})
Wie sieht es denn auf den anderen Feldern des Verbraucherschutzes aus? Die Antwort ist: Bis jetzt haben wir
zu all den Themen, die heute angesprochen wurden, überhaupt nichts gehört. Verbraucherschutz wurde in den letzten vier Monaten ausnahmslos auf Lebensmittel und
Ernährung reduziert. Bei allen anderen Themen, die die
Verbraucher betreffen, herrscht Funkstille.
({3})
Warum muss denn bitte Herr Jauch Pressekampagnen machen? Unsere Verbraucherschutzministerin hat sich zur
Euro-Umstellung nicht im Sinne der Verbraucherinnen
und Verbraucher geäußert. Hier wären klare Aussagen im
Sinne der Menschen in unserem Land längst überfällig
gewesen.
({4})
Die Bürger wollen sich nicht nur vor BSE geschützt
wissen, sondern auch vor anderen Risiken, denen sie im
täglichen Leben ausgesetzt sind. Die Stichworte sind gefallen: Euro-Umstellung, Finanzdienstleistungen, Schutz
im täglichen Geschäftsverkehr, Elektrosmog, Strompreise, Patientenschutz und Versichertenrechte, E-Commerce und, und, und.
Bei Ihrem Antrag, zu dem Sie nun nach den langen Verhandlungen, die es wohl zwischen den Koalitionsfraktionen gegeben hat, gekommen sind, muss man genau auf
die Wortwahl schauen: „prüfen“, „prüfen“, „prüfen“,
„Vorschläge erarbeiten“, „Absichten unterstützen“, aber
nichts Konkretes.
Die Verbraucherschutzpolitik dieser Bundesregierung
hat bis heute keine effiziente Struktur, es gibt kein Personal - und Geld schon gar nicht. Bis zum heutigen Tag wurden weder die Aufgaben innerhalb der Bundesregierung
im Sinne eines ganzheitlichen Verbraucherschutzes klar
geregelt, noch wurden der Ministerin umfassende und
klar umrissene Zuständigkeitsbereiche zugewiesen. Das
beste Beispiel dafür ist, dass der Arbeitsgruppe im Justizministerium zur Abschaffung des Rabattgesetzes zwar
Vertreter der Verbraucherverbände angehören, aber niemand aus Ihrem Hause. Dies ist keine effiziente Struktur.
({5})
All Ihre Ankündigungen für einen vorsorgenden Verbraucherschutz sind angesichts dessen, wie der Bund die
Verbraucherzentralen finanziell ausbluten lässt, nichts
als Schalmeienklänge. Sie haben Kürzungen vorgenommen, erklären aber, wie sehr Sie sie fördern wollen. Wenn
Sie heute einmal einen Betrag genannt hätten, den Sie in
die Haushaltsplanverhandlung einbringen wollten, wäre
das einmal eine konkrete Angabe gewesen, die den Menschen in unserem Land auch etwas gebracht hätte. Aber es
ist nichts Konkretes dazu zu hören, wie viel Herrn Eichel
die Stärkung des Verbraucherschutzes in der Bundesrepublik wert ist. Wir werden es sehen; aber Antworten haben
wir heute nicht erhalten.
Der Bericht der Wedel-Kommission liegt bis zum
heutigen Tag nicht vor. Der Verbraucherbeirat der Bundesregierung hat seit Ihrem Amtsantritt, Frau Künast,
noch nicht ein einziges Mal getagt.
({6})
Es reicht nicht aus, den Titel des Landwirtschaftsministeriums um den Begriff „Verbraucherschutz“ zu erweitern,
die Reihenfolge im Namen zu ändern und zu glauben, damit sei dem Verbraucherschutz Genüge getan. Ein Türschild allein sagt noch lange nichts darüber aus, ob dort
auch jemand wohnt. Man könnte fast meinen, wir sprechen hier nicht über ein Verbraucherschutzministerium,
sondern über eine Briefkastenfirma.
({7})
- Ganz ruhig bleiben. Es scheint Sie sehr zu treffen.
({8})
Der Verbraucherschutz gehört zu den zentralen politischen Aufgaben in Deutschland. Die Menschen erwarten
klare Konzepte für eine ganzheitliche Verbraucherschutzpolitik, die auf Grundpfeilern wie Transparenz, Eigenverantwortung bzw. Kontrolle und Nachhaltigkeit aufbaut.
Deshalb fordert die Unionsfraktion die Bundesregierung auf, endlich klare und einheitliche Regeln für den
Verbraucherschutz in Deutschland zu schaffen. Deshalb
fordern wir in unserem Antrag, dass der Verbraucherschutz in einem eigenständigen Ressort gebündelt wird
und damit von Anfang an Interessenkonflikte vermieden
bzw. transparent gemacht werden. Deshalb fordern wir
die Bundesregierung auf, in einem jährlichen Verbraucherschutzbericht Stellung zu allen verbraucherrelevanten Fragen zu nehmen, wie dies in anderen Ländern,
zum Beispiel den USA, üblich ist.
Verbraucherschutzpolitik ist für uns ein fester Bestandteil unserer sozialverpflichteten marktwirtschaftlichen Ordnung. Transparenz und Wettbewerb, Eigenverantwortung, Kontrolle und Nachhaltigkeit - dies alles
gehört zusammen. Dies sind - ganz ideologiefrei - die
Grundpfeiler einer Politik für einen ganzheitlichen, vorsorgenden Verbraucherschutz, wie er von unserer Fraktion vertreten wird.
Verbraucherschutzpolitik braucht keine staatliche Bevormundung und Umerziehung; Verbraucherschutzpolitik braucht auch keine ideologischen Zwangsjacken. Verbraucherschutzpolitik hat möglichst nah am Menschen zu
sein. Es geht um individuelle Verantwortung, Wettbewerb
und sozialen Schutz. Eigeninteresse und Kontrolle, beides
gehört zusammen: So viel Eigenverantwortung wie möglich, so viel Kontrolle wie nötig. Deswegen ist der „aufgeklärte Verbraucher“ keine bloße Floskel, sondern ein
Grundanliegen unserer sozialen Marktwirtschaft und damit ein Grundanliegen gerade der Christlich Demokratischen Union.
({9})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Heinz Schmitt.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vorsorgender Verbraucherschutz
funktioniert nur mit gut informierten und entsprechend
vorgebildeten Verbraucherinnen und Verbrauchern. Wir
brauchen den kritisch mitdenkenden und mündigen Kunden, aber natürlich auch den verantwortungsvollen Politiker.
Frau Kopp, Frau Widmann-Mauz, Herr Lippold und
Herr Deß, wenn man die Anträge Ihrer Fraktionen liest,
hat man fast das Gefühl, Sie vollzögen einen Bewusstseinswandel, Sie hätten die Gefahren erkannt und den
Handlungsbedarf gesehen. Nach Ihren Reden hier bleibt
aber nichts übrig außer billiger Polemik und der Ablenkung auf Politikbereiche, die mit diesem Thema überhaupt nichts zu tun haben. Sie haben die Ökosteuer und
die Pressefreiheit angesprochen; Sie redeten von Etikettenschwindel. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der
F.D.P. und der CDU/CSU, eine solche Polemik wollen die
Menschen in diesem Land nicht mehr hören.
({0})
Die Menschen in diesem Land wollen gesunde Lebensmittel. Sie wollen Nahrungsmittel kaufen, die sie mit Genuss verzehren können. Verbraucherschutz als ressortübergreifende Aufgabe bedeutet also neue Aufgaben für
die Bildungspolitik.
Man hat das Gefühl, dass Sie durch Ihre Redebeiträge
von Ihrem Fehlverhalten, von Ihrer Passivität in den letzten 16 Jahren ablenken wollen, aber erwarten, dass die
Agrarwende in unserem Land in vier Monaten vollzogen
wird. Dies ist in der kurzen Zeit nicht zu bewerkstelligen.
Wir werden diese und auch die nächste Legislaturperiode
dazu verwenden, die Agrarwende zu vollziehen. Darauf
können Sie bauen.
({1})
Wenn wir Verbraucherinnen und Verbraucher schützen
wollen, etwa vor Risiken bei der Ernährung, dann brauchen wir auf der einen Seite sicherlich eine staatliche
Kontrolle zum Schutz vor gesundheitlichen Risiken und
Gefährdungen. Auf der anderen Seite aber müssen wir die
Menschen auch dazu befähigen, Entscheidungen kompetent zu treffen, um als Nachfrager größeren Einfluss auf
das Angebot nehmen zu können.
Die Entscheidung über die Güte und die Qualität der
Produkte und damit im Endeffekt die Entscheidung über
die Güte und die Qualität der Produktion wird letztlich an
der Ladentheke getroffen. Dies gilt insbesondere für unsere Ernährung, für unsere Nahrungs- und Lebensmittel.
Neben der staatlichen Sicherheits- und Qualitätskontrolle muss Verbraucherschutz also auch der Aufklärung
dienen. Bei einem oftmals erschlagenden und unüberschaubaren Produktangebot braucht der Kunde zu seiner
Orientierung ein umfangreiches Wissen. Die Kennzeichnung der Herkunft und der Inhalte, Prüfsiegel und
Qualitätszertifikate sind nur die eine Seite. Auf der anderen Seite sind Information und Verbraucherbildung unerlässlich, damit die Menschen souverän und bewusst
über das Angebot entscheiden können.
Es gibt bereits ein breites Angebot an Aufklärung. Es
kann auf Ratgeber und Ernährungsseminare zurückgegriffen werden. Aber das Problem dabei ist, dass dies fast
ausnahmslos mit einem hohen persönlichen Einsatz verAnnette Widmann-Mauz
bunden ist und zum Teil das Engagement des Einzelnen
überfordert. Weniger engagierte Kunden verlieren immer
mehr die Übersicht.
Durch Fastfood und Lebensmittelveredelung sind im
Ernährungsbereich viele ehemals vorhandene Kenntnisse
über gesunde Ernährung bereits in Vergessenheit geraten.
Der technische Standard heutiger Hightech-Küchen steht
oftmals im krassen Gegensatz zu den genormten Speisen
und Gerichten, die darin zubereitet werden.
({2})
Alles muss billig und schnell sein - so das Credo der
Lebensmittelindustrie. Falsche Ernährung, zu hoher
Fleisch- und Zuckerkonsum und Übergewicht führen zudem zu den bekannten gesundheitlichen Problemen.
Wenn wir also die neue Wertigkeit von Verbraucherschutz
mit Leben füllen wollen, muss die Verbraucherinformation und Verbraucherbildung auf eine breite, grundlegende Basis gestellt werden.
Infolge der BSE-Krise und der Maul- und Klauenseuche haben wir uns im Ernährungsbereich die Agrarwende
vorgenommen. Wir wollen eine umweltgerechte Agrarproduktion fördern. Ein solches Umsteuern ist nur dann
möglich, wenn es gelingt, die Verbraucherinnen und Verbraucher für eine solche Politik zu gewinnen. Dazu gehört
zwingend ein vorsorgender Verbraucherschutz durch Information, Bildung und Verbesserung der Kenntnisse
der Verbraucher, um deren Stellung im Marktprozess zu
stärken.
({3})
Im Bildungsbereich gibt es hierzu vieles zu tun. Zum
Beispiel wäre ein Besuch in so genannten Agrarfabriken
mit der typischen Massentierhaltung, wo oftmals der Tatbestand der Tierquälerei erfüllt wird, gerade für junge
Menschen sicherlich eine wichtige Erfahrung und könnte
zu einer lebenslangen Bewusstseinsbildung beitragen.
Aufklärungsarbeit muss bereits bei Kindern und Jugendlichen in den allgemein- und berufsbildenden Schulen beginnen. Darum regen wir an, dass in den Ländern
entsprechende Informations- und Lehrangebote an Schulen beginnen.
Die Grundlagen des Verbraucherschutzes müssen einen Platz in den Lehrbüchern bekommen. Wir denken dabei nicht an zusätzliche neue Fächer; denn diese Inhalte
können in den bestehenden Fächern wie Chemie, Biologie und Sozial- und Naturkunde ihren Platz finden. Auch
im Bereich der Erwachsenenbildung und der beruflichen
Bildung sowie der Weiterbildung sollten die genannten
Lehrinhalte stärker Zugang finden.
Um diesen Prozess zu beschleunigen, müssen wir in
der Lehrerfortbildung, im Ernährungs- und Verbraucherschutz Themen besetzen. Wir müssen die Lehrkräfte befähigen, entsprechende Unterrichtsinhalte zu vermitteln.
Wir wollen dabei der Schule nicht noch mehr gesellschaftliche Pflichten aufhalsen. Wir wissen, dass Lehrerinnen und Lehrer oftmals schon jetzt über Gebühr belastet sind. Wir erhoffen uns durch die Beteiligung vieler
gesellschaftlicher Kräfte eine Atmosphäre, die das Umsteuern bei Verbrauchern und bei Produzenten dauerhaft
in Gang setzt. Auch die Werbewirtschaft könnte mit einer
Selbstverpflichtung einen guten Beitrag dazu leisten.
Unser vorliegender Antrag beschreibt sehr genau die
Handlungsansätze, wie wir auf Dauer mit einer Mischung
aus Anreizen und Angeboten eine vorsorgliche Verbraucherpolitik realisieren werden. In vielen Ihrer Beiträge
und in den Anträgen war sehr oft Übereinstimmung wahrzunehmen. Das kann man nachlesen. Ich denke, es dürfte
Ihnen aus diesem Grunde sicherlich nicht schwer fallen,
unserem Antrag zuzustimmen.
Ich bedanke mich.
({4})
Ich schließe da-
mit die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 14/6067, 14/6039 und 14/6053 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen. Einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die
Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 17 a und 17 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Günter Nooke, Ulrich Adam, Hartmut
Büttner ({0}), weiteren Abgeordneten
und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten
Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Bereinigung
von SED-Unrecht ({1})
- Drucksache 14/3665 ({2})
aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Angelegenheiten der neuen
Länder ({3})
- Drucksache 14/6064 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Barbara Wittig
bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({4}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 14/6065 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Hans Georg Wagner
Oswald Metzger
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Christa Luft
Hans Jochen Henke
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Angelegenheiten der
neuen Länder ({5}) zu dem Antrag der
Fraktion der PDS
Erleichterte und erweiterte Rehabilitierung
und Entschädigung für Opfer der politischen
Verfolgung in der DDR
Heinz Schmitt ({6})
- Drucksachen 14/2928, 14/6062 Berichterstattung:
Abgeordnete Barbara Wittig
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zuerst die Abgeordnete Barbara Wittig.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am 17. Juni 1992 bezeugte der Deutsche
Bundestag mit einer Ehrenerklärung all jenen tiefen
Respekt und Dank, die durch ihr persönliches Opfer dazu
beigetragen haben, das geteilte Deutschland in Freiheit
wieder zu einen. Diese Ehrenerklärung ist heute, wenn
wir über ein Drittes SED-Unrechtsbereinigungsgesetz
sprechen, aktueller denn je.
Die Rehabilitierung und Entschädigung der Menschen,
die in der DDR und zuvor in der sowjetischen Besatzungszone Opfer politischer Verfolgung geworden sind,
kann nur eine Anerkennung des Leids der Verfolgten und
ihrer Widerstandsleistung sein. Das erlittene Schicksal,
das ihnen zugefügte Unrecht ist, mit wie viel Geld auch
immer, nicht aufzuwiegen und wieder gutzumachen.
({0})
Den Freiheitsentzug können wir nicht rückgängig machen, das erlittene Unrecht nicht ungeschehen.
Die Rehabilitierungsgesetze der alten CDU/CSUF.D.P.-Regierung hatten viele Lücken und Mängel. Sie
hatten damals einen Entwurf vorgelegt, der eine Kapitalentschädigung in Höhe von 300 DM pro Monat vorsah.
Erst im Vermittlungsausschuss wurde auf Druck der SPDSeite für diejenigen, die nach der Haft in der damaligen
DDR verbleiben mussten, der Betrag auf 550 DM angehoben.
Von Anfang an gab es Kritik. Doch was sagte der damalige Parlamentarische Staatssekretär Funke am 10. Februar 1993?
Ein weiteres SED-Unrechtsbereinigungsgesetz zur
Schließung verbleibender Lücken wird es nicht
geben.
Herr Büttner, Sie haben uns vorgehalten:
... liebe Fraktion der SPD, mit Blick auf die angespannte Lage der Staatsfinanzen und die finanziellen
Leistungen des Bundes für die neuen Länder wissen
wir, dass wir nicht alle notwendigen Aufgaben
gleichzeitig finanzieren können.
Außerdem sei es nicht zu verantworten, die Verschuldung unseres Staates zulasten künftiger Generationen zu
erhöhen. Jede Entschädigungshöhe löse Fragen der Haushaltsgerechtigkeit aus.
Auch eine einheitliche Kapitalentschädigung in Höhe
von 600 DM, die unser Gesetzentwurf in der 13. Legislaturperiode beinhaltete, wurde nicht akzeptiert.
In diesem Zusammenhang muss ich noch einmal auf
die Plenardebatte am 17. Juni 1992 zurückkommen.
46 Abgeordnete der Fraktion der CDU/CSU hatten sich
der Erklärung des Abgeordneten Hartmut Büttner angeschlossen, mit der sie klarstellten, dass sie eine monatliche Kapitalentschädigung in Höhe von 600 DM für angemessen hielten. Zu den Unterzeichnern gehörten auch
Frau Dr. Angela Merkel und Dr. Paul Krüger.
Ich frage Sie, meine Damen und Herren von der
CDU/CSU: Wenn Ihnen die Forderungen der Opferverbände so wichtig waren, wie Sie es in Ihrer Erklärung betont haben, warum haben Sie diese dann bei Theo Waigel
nicht durchgesetzt?
({1})
Erst die neue Bundesregierung hat trotz aller Sparzwänge und im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten
die Kritik der Verbände aufgegriffen und umgesetzt, Unzulänglichkeiten und Härten beseitigt und die Entschädigungsleistungen verbessert. Mit unserem ab dem 1. Januar 2000 geltenden Gesetz haben wir genau das
gemacht, was bei Ihnen nur Lippenbekenntnis geblieben
ist,
({2})
nämlich einheitliche Kapitalentschädigung in Höhe von
600 DM pro Monat rechtsstaatswidriger Haft und Verbesserung der Anerkennung haftbedingter Gesundheitsschäden. Denn parallel zu der in Kraft getretenen Novelle
hatte die Bundesregierung die Bundesländer gebeten, alle
seit 1991 abgelehnten Anträge auf Anerkennung gesundheitlicher Verfolgungsschäden nochmals zentral von
Amts wegen zu überprüfen und in Zukunft in den Fällen,
in denen eine Ablehnung des Antrags beabsichtigt ist, eine
zentrale Überprüfung durch besonders geschulte und erfahrene Gutachter vorzunehmen. Die Länder zeigten sich
dabei übrigens sehr kooperativ. An dieser Stelle möchte
ich darauf verweisen, dass noch vor der Sommerpause ein
Bericht der Bundesregierung zu diesem Bereich vorgelegt
werden wird.
Weiterhin gehört zu diesen Verbesserungen, dass die
Leistungen für die Hinterbliebenen dahin gehend verändert wurden, dass die Stiftung für ehemalige politische
Häftlinge ohne Einkommensprüfung Zahlungen leistet. In
den Jahren 2000 bis 2005 werden der Stiftung zusätzlich
1,2 Millionen DM pro Jahr zur Verfügung gestellt. So
können auch die aus den Gebieten östlich von Oder und
Neiße Verschleppten besser unterstützt werden. 2001
wurden die Mittel der Stiftung um weitere 5 Millionen DM aufgestockt. Schließlich haben wir die Antragsfristen verlängert. - Dies sind die Verbesserungen,
die wir vorgenommen haben.
Sie gestatten, dass ich an dieser Stelle aus dem „Stacheldraht“ 6/99, dem Infoblatt des Bundes der stalinistisch Verfolgten, zitiere:
Damit geht das Jahrtausend doch noch erfolgreich
für uns zu Ende, wird der Einsatz für Demokratie und
Menschenrechte gewürdigt.
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Unser Dank gilt der rot-grünen Bundesregierung, die
sich unseren Forderungen angenommen hat, und allen Politikern, gleich welcher Ebene, die mit uns und
für uns gekämpft haben.
Soweit das Zitat aus dem „Stacheldraht“ 6/99.
({3})
Dass diese Verbesserungen im federführenden Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder einstimmig
gebilligt wurden - also auch mit Ihrer Stimme -, scheinen
Sie auch schon wieder vergessen zu haben. Sie wollen die
gerade erst erhöhte Kapitalentschädigung von 600 DM
auf 1 000 DM erhöhen und Sie wollen eine Ehrenpension.
Die Kosten für die Umsetzung Ihres Gesetzentwurfs beziffern Sie mit 1,5 Milliarden DM. Sie schweigen sich
aber darüber aus, woher wir diese Summe, die Sie früher
nie einzusetzen bereit waren, jetzt nehmen sollen. Sie
bringen keinen Deckungsvorschlag, weil Sie dazu nicht in
der Lage sind. Sie hätten es doch während Ihrer Regierungszeit in der Hand gehabt, eine Ehrenrente in Höhe
von 1 000 DM für jeden Betroffenen zu beschließen.
Warum haben Sie es nicht gemacht? Diese Frage müssen
Sie sich gefallen lassen und auf diese Frage müssen Sie
eine Antwort geben.
({4})
Hinzu kommt, dass die seit mehreren Jahren angewendeten Rehabilitierungsgesetze Ausgleichsleistungen vorsehen - ich habe sie vorhin genannt -, eine Ehrenpension
aber eine Pauschalentschädigung wäre. Das heißt, die
Einführung einer Ehrenpension bei einer Verfolgtenrente
wäre mit dem konzeptionellen Ansatz der Rehabilitierungsgesetze nicht vereinbar, da zusätzlich zu den nach
dem Baukastensystem gewährten Ausgleichsleistungen
keine Pauschalentschädigung gewährt werden kann.
Außerdem werfen Sie unterschiedlich schwere Schicksale
in einen Topf.
({5})
Wir stellen fest:
Erstens. Selbst in der Regierungsverantwortung war
die CDU/CSU nicht bereit, wirkliche Verbesserungen rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften vorzunehmen.
Zweitens. Obwohl sofort nach dem Regierungswechsel die Leistungen für die Opfer im Rahmen des bestehenden Regelwerks - auch mit Ihren Stimmen - wesentlich verbessert wurden, hat die CDU/CSU weitere
unerfüllbare Hoffnungen bei den Betroffenen geweckt.
Frau Kollegin, Sie
müssen bitte zum Schluss kommen.
Mein letzter Satz: Dies ist
unverantwortlich gegenüber den Betroffenen.
Danke.
({0})
Das Wort für die
CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Günter Nooke.
Frau Präsidentin! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Wir hatten gestern in
diesem Hause über den Aufbau Ost gestritten. Kollege
Werner Schulz von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
übte sich dabei in heftiger Polemik gegen den von meiner
Fraktion eingebrachten Antrag zum Leitbild für den Osten.
({0})
Er hat unter anderem kritisiert, dass das Thema Erinnerungskultur nach seinem Geschmack viel zu knapp ausgefallen war. Kollege Schulz hatte dabei leider nicht bis
zum Ende gelesen; denn in unserem Antrag sind wir auch
auf das Dritte SED-Unrechtsbereinigungsgesetz eingegangen, das jetzt Tagesordnungspunkt ist. Dieser Gesetzentwurf ist für uns ein Element, zur Erinnerung an die
zweite deutsche Diktatur beizutragen.
({1})
Mindestens an diesem einen Punkt wird mit der heutigen Tagesordnung die Debatte von gestern fortgesetzt, und
die Sorgen des Kollegen Werner Schulz, unsere Fraktion
würde zu wenig zur Erinnerungskultur in diesem Lande
beitragen, können spätestens heute zerstreut werden.
({2})
Nur ist unverständlich, warum heute von Rot-Grün genau das Gegenteil gesagt wird, nämlich dass die in unserem Gesetzentwurf vorgesehenen Zahlungen nicht zu
knapp, sondern zu üppig ausfallen.
({3})
Auch der Verweis darauf, Frau Wittig, dass Unrecht auch
mit noch so viel Geld nicht ungeschehen gemacht werden
kann, hilft da nicht weiter. Das wissen wir auch.
Es geht um etwas ganz anderes: Die Mitglieder dieses
Hohen Hauses haben heute darüber abzustimmen, was ihnen das Erinnern an Diktatur wert ist. Aber nicht nur das:
Wir haben auch darüber abzustimmen, wie ernst wir es
mit dem bürgerschaftlichen Engagement meinen. Zu
einem solchen Engagement wird ja immer aufgerufen.
Diejenigen, für die wir diesen Gesetzentwurf erarbeitet
haben - übrigens unter erheblicher Beteiligung der Betroffenen und in Zusammenarbeit mit ihnen -, haben unter schwierigsten Bedingungen dieses bürgerschaftliche
Engagement gezeigt, nämlich unter den Bedingungen einer kommunistischen Diktatur.
Wir haben für unseren Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer Ehrenpension in den bisherigen parlamentarischen Beratungen keine Mehrheit bei Rot-Grün gefunden. Nicht einmal den Mut zur freien Abstimmung
haben SPD und Grüne aufgebracht.
({4})
Die Situation, über die wir heute diskutieren, hat sich
aber - deshalb ist der Verweis auf die Kassenlage von
Theo Waigel auch nicht richtig -, seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom April 1999 verändert.
({5})
Wenn wir das in der Tagesordnung nachfolgende Renten-Überleitungsgesetz für Mitarbeiter der Staatssicherheit und für viele Privilegierte im SED-System in unsere
Betrachtungen einbeziehen, dann ist die Situation eindeutig: Diejenigen, die die SED-Diktatur zu verantworten
hatten oder von ihr profitierten und gegen Freiheit kämpften, werden vom freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat,
vom wiedervereinigten Deutschland, belohnt. Diejenigen, die für Freiheit und Demokratie kämpften, gehen leer
aus
({6})
und müssen zum Teil sogar von Sozialhilfe leben. Das,
was heute hier geschieht, können die Opfer der SED-Diktatur zu Recht nicht nachvollziehen.
({7})
Politiker, die heute zum Kampf gegen Extremismus
aufrufen, sind unglaubwürdig, wenn sie nicht bereit sind,
denjenigen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, die sogar in einer Diktatur bereit waren, sich gegen den Staatsterror zu stellen, und mit Verlust von Beruf und Gesundheit sowie nicht selten sogar mit dem Leben dafür bezahlt
haben.
({8})
Frau Wittig, es entsteht leider der falsche Eindruck,
dass die Opfer der beiden deutschen Diktaturen des vergangenen Jahrhunderts in der Öffentlichkeit und von RotGrün bewusst unterschiedlich behandelt werden. Noch
immer hängt die 68er-Generation dem falschen linken
Weltbild an, dass der Sozialismus bzw. Kommunismus
eine gute und fortschrittliche Sache sei
({9})
und dass nur die Mittel der Stalinisten, der MfS-Offiziere
und der Parteisekretäre problematisch gewesen seien.
({10})
- Hören Sie bitte zu! - Anders als beim totalitären
System der Nazidiktatur erfindet man, zum Beispiel Ihr
Kollege Bahr, für die DDR Begriffe wie „undemokratischer Rechtsstaat“. Dass SPD und Grüne den antitotalitären Konsens schon 1968 verlassen haben, ist ja
bekannt.
({11})
Aber das hat heute leider Auswirkungen auf die Entschädigung der Opfer der zweiten Diktatur in Deutschland.
({12})
Das, über was wir hier diskutieren, passt nicht in Ihr politisches Koordinatensystem. Wer den Unterschied zwischen Diktaturen stärker betont als den zwischen Diktatur
und Demokratie, der macht sehr schnell auch einen Unterschied bei der Entschädigung der Opfer.
({13})
Insofern ist die heutige Debatte auch ein Aufschrei gegen
die öffentliche Meinungsbildung: Rechts ist gleich rechtsextrem; links ist einfach nur gut; linksextrem hat es nie
gegeben und gibt es auch heute nicht.
({14})
Seit knapp einem Jahr liegt unser Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Bereinigung von SED-Unrecht in den
Ausschüssen vor. Sie wollen ihn heute niederstimmen.
Wir haben heute darüber abzustimmen, was uns das
Engagement einzelner Menschen für Demokratie und
Rechtsstaat wert ist. Diese konkrete Form der Erinnerungskultur hat nicht nur etwas mit der Vergangenheit,
sondern auch sehr viel mit der Zukunft unseres Landes zu
tun. Dessen sollten sich alle bewusst sein.
Wir müssen genau hinhören und hinschauen, wie unser
Umgang im Deutschen Bundestag mit 40 Jahren SEDDiktatur von den Opfern wahrgenommen wird, die sich
dagegen aufgelehnt haben. Die Hoffnungen derjenigen,
die bis 1989 dem politischen System der DDR Opposition
und Widerstand entgegengesetzt haben,
({15})
haben sich allerdings nur zum geringen Teil erfüllt. Ich
wiederhole als Mitglied der CDU/CSU-Fraktion und deren stellvertretender Vorsitzender ganz bewusst das, was
ich schon vor knapp einem Jahr hier gesagt habe: In diesem Hohen Hause ist bisher zu wenig für die Opfer der
SED-Diktatur getan worden, und das trifft auch auf unsere
Fraktion zu.
({16})
Aber bitte: Ich halte es für richtig, dass wir uns auch angesichts dieses Bundesverfassungsgerichtsurteils vom
April 1999 jetzt noch einmal die Frage stellen, ob die Würdigung der Opfer der SED-Diktatur wirklich angemessen
ist und ob wir hier nicht die Chance haben, auch einen politischen Willen zu demonstrieren. Es kann doch nicht
sein, dass wir als Gesetzgeber nur Geld haben, wenn uns
das Verfassungsgericht dazu zwingt, und politisch überhaupt keine eigene Meinung dazu haben, wie wir für das,
was wir politisch für richtig halten, Mittel bereitstellen
können.
({17})
Meine Damen und Herren, wir, die Mitglieder des
Deutschen Bundestages, sollten den politischen Willen
demonstrieren und durchsetzen, eine solche angemessene
Entschädigung auf den Weg zu bringen, und zwar jetzt.
({18})
Eine Behandlung des Themas ausschließlich nach Kassenlage halte ich für schädlich und unaufrichtig.
({19})
- Ich habe Ihnen doch gesagt, dass es heute eine andere
Situation gibt. Das werden wir gleich beim nächsten Tagesordnungspunkt behandeln.
Die Nachzahlungen für die Zusatz- und Sonderversorgungssysteme, die viele ehemalige SED-Kader in Anspruch genommen haben und noch nehmen werden, erfordern letztendlich auch viel Geld. Die Größenordnung
dieser Nachzahlungen ist dieselbe wie die für die von uns
vorgeschlagene Ehrenpension. Alle rechtspositivistischen
Argumente, man könne das eine nicht mit dem anderen
vermengen, sind politisch nicht akzeptabel.
({20})
Übrigens hat ja gerade unser Gesetzentwurf auch den
Vorteil, dass die Entschädigung für Haftopfer und die Anerkennung und Würdigung von Opposition und Widerstand in der DDR eben nicht über das Rentensystem
verwirklicht werden soll. Wir haben das bewusst „Ehrenpension“ genannt.
Die Fraktion der CDU/CSU möchte mit dem vorliegenden Entwurf für ein Drittes Gesetz zur Bereinigung
von SED-Unrecht eine abschließende und, wie wir meinen, auch allgemein akzeptable Würdigung von Opposition und Widerstand erreichen. Wir halten die jetzige
Regelung für politische Opfer des SED-Regimes für nicht
ausreichend und demzufolge für ungerecht. Auch Opposition und Widerstand gegen die SED-Diktatur, die diese
schließlich ja beseitigt haben, gehören zu den historischen
Leistungen, auf die alle Deutschen mit Recht stolz sein
können.
({21})
Aber solange sich die Opfer des SED-Regimes wie politische Opfer zweiter Klasse fühlen müssen, so lange ist
nach meiner Auffassung der Rechtsstaat und sind wir hier
in der Pflicht.
Der materielle Wert dieser Ehrenpension kann natürlich nicht die verlorenen Jahre der Haft wiederbringen
oder die intensive Verfolgung durch die Staatssicherheit
der DDR ungeschehen machen. Das wissen wir. Das hat
übrigens auch nie einer der Betroffenen gefordert. Aber
wir wissen auch, dass uns dieses Thema bei einem negativem Votum, wie ich es aus Ihren Zwischenbemerkungen
hier heraushöre, trotzdem noch lange beschäftigen wird.
Die von uns vorgeschlagene Ehrenpension ist nicht nur
aus dem Blickwinkel des Haushalts zu betrachten.
Meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, ich fordere Sie noch einmal eindringlich auf, hier
jetzt über Ihren Schatten zu springen und ein Zeichen zu
setzen, ein politisches Zeichen mit Langzeitwirkung.
Wenn nicht, so wird auch das von langer Wirkung sein,
aber es nützt keinem von uns, und meines Erachtens schadet es sogar der Freiheit und der Demokratie.
Danke.
({22})
Jetzt spricht der Herr
Kollege Christian Ströbele für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Das war unter Ihrem Niveau, Herr Kollege Nooke.
({0})
Sie versuchen, die Hoffnungen und Sorgen der Verfolgten
für parteipolitische Ziele zu missbrauchen.
({1})
Sie wissen genau, dass es für Bündnis 90/Die Grünen seit
ihrer Gründung, seit der Vereinigung, ein Anliegen von
grundsätzlicher Bedeutung, geradezu ein Gründungsanliegen war, sich um die Verfolgten und deren Rechte und
soziale Sicherheit zu kümmern.
({2})
Daran waren Sie beteiligt, so lange Sie noch bei den Grünen gewesen sind.
({3})
Auch wissen Sie ganz genau, dass alle unsere Versuche
in der Zeit von 1990 bis 1998 Jahr für Jahr, Legislaturperiode für Legislaturperiode ins Leere gelaufen sind,
({4})
weil die Bundesregierung und die damalige Koalition
nicht bereit waren, irgendetwas zu tun. Sie, Herr Nooke,
haben sich damals selbst darüber aufgeregt, dass die alte
Koalition es für richtig gehalten hat, dass man den in der
DDR Inhaftierten nur die Hälfte der Haftentschädigung
gibt, die Gefangene in der Bundesrepublik bekommen
hätten.
({5})
Über diese Ungerechtigkeit haben Sie sich damals aufgeregt. Wo ist heute Ihre Empörung?
({6})
Herr Kollege Nooke, wir haben unsere Versprechungen gehalten. Wir haben - das wissen Sie auch, weil Sie
dabei waren - nie eine Ehrenpension oder eine Ehrenrente
gefordert. Dieses Instrument stammt aus DDR-Zeiten; es
ist eine Erfindung der DDR. Deshalb gibt es dieses Instrument im System der Entschädigung für politisch Verfolgte in der Bundesrepublik grundsätzlich nicht.
({7})
Sie wissen auch, dass das, was wir nachher diskutieren
werden, nämlich die Schlussfolgerungen aus dem Urteil
des Bundesverfassungsgerichts, dass die Renten der
Stasi-Mitarbeiter angepasst werden müssten, keine rotgrüne Erfindung ist. Das haben wir uns doch nicht ausgedacht! Aber wir müssen dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts folgen. Das wissen Sie und das ist kein
Anlass, hier eine solche Regelung vorzuschlagen.
({8})
Wir sind erstens deshalb gegen diese gesetzliche Regelung, weil sie nicht finanzierbar ist. Unter dem Strich kostet sie pro Jahr nicht 1,5 Milliarden DM, sondern bis zu
2 Milliarden DM. Sie wollen diese Regelung mindestens
zehn Jahre lang anwenden; in dieser Zeit werden dafür
mindestens 20 Milliarden DM aufzubringen sein. Eine
Aussage, woher wir dieses Geld angesichts der leeren
Kassen nehmen sollen, die Sie uns hinterlassen haben,
vergessen Sie in Ihrem Entwurf.
({9})
Wir sind zweitens deshalb gegen diese Regelung, weil
sie in sich ungerecht ist und in dem System der Entschädigung, das in der Bundesrepublik Deutschland seit Jahrzehnten praktiziert wird, neue Ungerechtigkeiten schaffen
würde. Wir sind der Auffassung, dass die Leute, die seinerzeit im Gefängnis gewesen sind, dafür die Entschädigung bekommen sollen, die sie auch in der Bundesrepublik bekommen hätten. Deshalb haben wir trotz der
Kassenlage, die Sie uns hinterlassen haben, eine Regelung gefunden - eine solche Regelung haben wir früher
immer gefordert; für sie sind die Bündnisgrünen und die
SPD in den Wahlkampf gegangen -, die eine Verdoppelung der Entschädigung beinhaltet. Diese Leistung haben
Sie in den acht Jahren zuvor, in denen die CDU an der Regierung war, nicht fertig gebracht.
({10})
Herr Kollege
Ströbele, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Nooke?
Ja, wenn es nicht auf meine Redezeit angerechnet
wird.
Herr Kollege Ströbele,
ich wollte heute über Ihre Politik und Ihren politischen
Willen reden. Aber Sie haben jetzt wieder die Kassenlage
nach vorne geschoben. Ich frage Sie, ob Sie für die Opfer
der SED-Diktatur Verständnis haben, wenn sie heute sagen, sie hätten dieses wiedervereinigte Deutschland
1989/90 ein Stück weit auf den Weg gebracht, ohne sie
gäbe es dieses wiedervereinigte Deutschland nicht. Ohne
diese Opfer würden wir heute hier nicht stehen, ohne diese
Opfer hätte auch der Finanzminister seine Mobilfunklizenzen nicht für ganz Deutschland, sondern nur für eine
um ein Fünftel kleinere Bevölkerung verkaufen können.
({0})
Dieses eine Fünftel macht schon die 20 Milliarden DM
aus, die Sie gerade angesprochen haben, wobei die Zahl
übrigens falsch ist. Die von Ihnen vorgetragenen Zahlen
sind viel zu hoch. Es kostet weniger; gucken Sie in unseren Gesetzentwurf.
Herr Kollege Nooke, wenn ich es richtig in Erinnerung habe, hat Ihre Partei die UMTS-Milliarden schon
mehrfach ausgegeben.
({0})
Sie können also nicht immer wieder mit diesem Geld argumentieren.
({1})
Wir versuchen, mit diesem Geld - das ist von diesem
Podium aus schon häufig genug gesagt worden - ein bisschen von dem wiedergutzumachen, womit Sie die gesamte Bundesrepublik Deutschland geschädigt haben,
nämlich von dem Schuldenberg, der die vernünftige Politik, die wir uns vorstellen, leider nicht vollständig möglich macht.
({2})
Wir können ja nur in einem bestimmten Rahmen agieren,
weil wir ununterbrochen damit beschäftigt sind, Ihre alten
Schulden abzubauen.
Nun sage ich Ihnen, warum Ihr Vorschlag in sich ungerecht ist: Sie setzen es gleich, ob jemand ein Jahr oder
fünf Jahre oder 15 Jahre lang in der ehemaligen DDR in
Haft gewesen ist oder ob er mit anderen Maßnahmen
außerhalb von Haftanstalten, etwa durch Observation, geschädigt worden ist. Sie wollen dem, der 15 Jahre in Bautzen gewesen ist, genau so viel Pension wie dem geben, der
zwei Jahre lang Observationsmaßnahmen ertragen
musste. Das war schlimm genug. Aber das eine war ein
Vermögensschaden, während das andere ein unendlich
großer Schaden für seine Person, seine Familie und seine
Gesundheit war. Man kann das nicht gleichsetzen. Dieser
Vorschlag ist deshalb in sich ungerecht. So kann man es
auf gar keinen Fall machen.
({3})
Der Vorschlag passt aber auch nicht in das System. In
der Bundesrepublik Deutschland gibt es im System der
Entschädigung politisch Verfolgter keine Ehrenpension.
Es wäre ungerecht, wenn wir für diesen Teil der politisch
Verfolgten eine entsprechende Regelung schaffen würden. Dies würde zu erheblichen Ungleichbehandlungen
und schwer hinnehmbaren Tatbeständen im Vergleich zu
anderen politisch Verfolgten in der Bundesrepublik, über
die wir gerade in der letzten Zeit so viel reden, führen. Wir
müssen zu gerechten Lösungen kommen.
Bündnis 90/Die Grünen ist mit seinen Bemühungen
auch noch nicht am Ende.
({4})
Wir werden vorschlagen, zu überprüfen, ob Verbesserungen für politisch Verfolgte, die in eine soziale Notlage geraten sind, möglich sind. Wir sind bereit, darüber nachzudenken, und werden die Bundesregierung drängen,
genaue Berichte dazu vorzulegen, wie politisch Verfolgte
im Rentensystem der Bundesrepublik heute behandelt
werden. Es muss geprüft werden, ob in diesem Bereich
Verbesserungen vorgenommen werden können und ob die
Haft- bzw. Nachhaftzeiten mehr als in der Vergangenheit
angerechnet werden müssen.
Zusätzlich zu den Leistungen, die diese Bundesregierung auf den Weg gebracht hat, wollen wir, dass weitere
soziale Leistungen erbracht werden. Wir sind uns darin einig, dass man die Wiedergutmachung der Leiden niemals
mit Geld erreichen kann. Man kann auch jahrzehntelange
Gefängnisaufenthalte nicht wiedergutmachen und kann
die dem Betroffenen und seiner Familie entstandenen
Schäden nicht mit Geld aufwiegen. Man kann aber dazu
beitragen, dass diese Menschen heute ein einigermaßen
sozial gesichertes Leben führen können. Wir sind bereit,
weiter über Verbesserungsvorschläge nachzudenken, sie
zu beraten und möglicherweise in Zukunft auch umzusetzen.
({5})
Nächster Redner ist
für die F.D.P.-Fraktion der Kollege Jürgen Türk.
Sehr geehrte Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollege Ströbele, es
reicht nicht aus, immer wieder damit zu argumentieren,
dass die Vorgängerregierung es nicht gemacht habe und
die jetzige Regierung es deshalb ebenfalls nicht machen
müsse.
({0})
Das ist wirklich billige Polemik.
({1})
Im November 1999 hat die F.D.P. - natürlich viel zu
spät - einen Entschließungsantrag zum Entwurf eines
Zweiten Rehabilitierungsgesetzes der Bundesregierung in
den Bundestag eingebracht.
({2})
Wir haben aus vollster Überzeugung eine Opferpension
gefordert. Da wir eben nicht beratungsresistent sind, fordern wir, dass in diesem Bereich noch etwas passieren
muss. Man kann das Leid zwar nicht ganz mit Geld aufwiegen, man muss aber zum Ausdruck bringen, dass hier
etwas wiedergutzumachen ist.
({3})
Gemäß dem alten Spiel „Wenn die Opposition einen
Vorschlag unterbreitet, wird dieser generell abgelehnt“ ist
auch dieser Entschließungsantrag leider abgelehnt worden. Jetzt aber haben wir die Gelegenheit, ein Stück weit
mehr Gerechtigkeit für die Betroffenen herzustellen, gerade im Vergleich zum AAÜG - das kann zwar niemand
aussprechen, aber es muss in dem Zusammenhang beachtet werden -,
({4})
gemäß dem die Täter teilweise mehr Geld bekommen sollen. Das muss man ganz einfach in Bezug setzen und auch
den Opfern mehr Geld geben. Sie sagen ja immer wieder
gebetsmühlenartig, dass Sie dies nicht regeln müssen,
weil wir es auch nicht geregelt hätten. Das ist wirklich
kein Argument.
({5})
Es ist richtig, dass man in dieser Sache mehr hätte machen
müssen; das bestreiten wir gar nicht. Aber jetzt ist die Gelegenheit da!
({6})
Um einmal Ihre alten Sprüche aufzuwärmen: Sie haben
gesagt, Sie wollten alles besser machen. Machen Sie es
doch jetzt ganz einfach mit uns zusammen!
({7})
Lassen Sie uns mit der Opferrente den Mut der Menschen,
die überdurchschnittlich viel Zivilcourage gezeigt haben
- das waren ja nicht ganz so viele -, anerkennen. Wenn
wir das gemeinsam hinbekommen, werden sich diese
Menschen bei uns gemeinsam bedanken.
({8})
Es wird nun immer geklagt, es sei zu wenig Geld vorhanden. Als wenn unser Handeln nur vom Geld abhängig
wäre! Ich glaube, es kommt auf den Willen an - siehe Kindergeld.
({9})
Ich will einen ganz praktischen Vorschlag machen. Wir
stellen richtigerweise Mittel für die Nazi-Opfer bereit.
Dieser Personenkreis nimmt natürlich immer mehr ab.
Warum können wir nicht gemeinsam darüber nachdenken, wie wir diese Mittel schrittweise umschichten können, um damit auch in der DDR politisch Verfolgten zu
entschädigen?
({10})
Ich sage es noch einmal: Wo ein politischer Wille ist
- den kann ich allerdings bei Ihnen nicht erkennen -, ist
auch ein Weg.
({11})
Da dieser Wille aber im Entwurf der CDU/CSU zu erkennen ist, bitte ich Sie, wie wir diesem Entwurf zuzustimmen und den PDS-Antrag nicht abzulehnen.
Vielen Dank.
({12})
Zu einer Kurzintervention erteile ich jetzt dem Kollegen Werner Schulz das
Wort.
Günter Nooke hat mich in Bezug auf die gestrige
Debatte persönlich angesprochen. Er scheint diese Debatte noch nicht verdaut zu haben.
({0})
Ich will deutlich sagen: Es geht hier nicht um Erinnerungskultur. Während Christian Ströbele gesprochen hat,
habe ich das Schlagwort „RAF-Rente“ gehört.
({1})
Hier geht es nicht um Erinnerungskultur, sondern es geht
Ihnen darum, auf dem Rücken der Opfer eine parteipolitische Auseinandersetzung um ein diffuses, anachronistisches Links/Rechts-Verständnis auszutragen.
({2})
Um es ganz klar zu sagen: Ich lehne den von Ihnen eingebrachten Gesetzentwurf ab. Herr Klinkert, ich lehne
aber nicht den Auftrag und die Verantwortung ab, dass wir
uns für eine bessere materielle Entschädigung der Opfer
politischer Verfolgung und für ihre bessere gesellschaftliche Anerkennung einsetzen müssen. Aber genau da liegt
der wunde Punkt in Ihrem Antrag: Was haben Sie denn in
der Zeit von 1990 bis 1998 getan? Wir sind es, die heute
Reparaturarbeiten durchführen müssen. Das gilt auch für
den nächsten Tagesordnungspunkt, die Stasi-Renten.
({3})
Günter Nooke hat öffentlich auf zynische Art und
Weise den Zusammenhang hergestellt, dass wir die Täter
belohnen würden, aber nichts für die Opfer täten.
({4})
Sie waren es, die das Rentenrecht als Strafrecht missbraucht haben.
({5})
Wir haben hier ein Defizit der Ära Kohl zu beseitigen. Es
tut mir bitter weh, dass wir das tun müssen. Es gab beispielsweise für einen Fluchthelfer aus Westdeutschland
300 DM pro Monat Haftentschädigung, wenn er in Bautzen einsaß. Aber Willi Stoph, der ehemalige Ministerpräsident und Verteidigungsminister der DDR, bekam für
seine Untersuchungshaft im vereinigten Deutschland eine
Haftentschädigung von 600 DM pro Monat. Mit diesem
Unrecht konnten Sie locker leben.
Die neue Bundesregierung gesteht jedem Opfer diese
600 DM pro Monat Entschädigung zu, Herr Büttner.
({6})
Es gibt Nachzahlungen und verbesserte Entschädigungszahlungen. Wir haben das getan, wozu Sie nicht bereit
waren.
({7})
Ihr Gesetzentwurf ist unglaubwürdig, ungerecht und
unbezahlbar. Er ist im Grunde genommen unverschämt.
({8})
Zur Erwiderung, Herr
Kollege Nooke, bitte.
({0})
Lieber Kollege Werner
Schulz, ich sage ganz deutlich, dass ich in puncto Zynismus nicht mit Ihnen in Konkurrenz treten will. Ich glaube
auch nicht, dass ich das könnte.
({0})
- Wer hier was nicht verarbeitet hat, lassen wir einmal dahingestellt.
Unsere Fraktion und ich persönlich haben ganz klar gesagt: Wir haben bis 1998 zu wenig für die Entschädigung
der Opfer der SED-Diktatur getan.
({1})
- Daran gibt es jetzt überhaupt nichts zu kritisieren. Es
muss doch möglich sein - Herr Türk hat es bereits gesagt -, aufgrund neuer Situationen wieder nachzudenken
und zu neuen Schlussfolgerungen zu kommen.
Wir haben nicht nur Schulden hinterlassen, sondern haben auch eine ganze Menge für die deutsche Einheit getan. Trotzdem kann man sich fragen, wo es noch offene
Punkte gibt. Wir wurden durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts gezwungen, einer anderen Gruppe
höhere Renten zu gewähren. Wenn wir diejenigen belohnen müssen, die gegen Freiheit und Demokratie waren,
dann müssen wir uns schon fragen, ob wir nicht auch für
diejenigen Geld haben, die Freiheit und Demokratie erkämpft haben.
({2})
- Kollege, zurzeit habe ich hier das Wort.
Herr Kollege Nooke,
bitte beenden Sie die Diskussion und fahren Sie mit Ihrer
Kurzintervention fort.
Ich will auf die
Links-rechts-Diskussion nicht eingehen.
({0})
- Ich habe meine Meinung dazu gesagt. - Auf das, was der
Kollege Werner Schulz hier geäußert hat, möchte ich entgegnen: Wieso wird denn sonst nicht bei einer Diskussion
über die Entschädigung von Opfern die Kassenlage
bemüht, sondern nur Moralität ins Gespräch gebracht?
Auch in Bezug auf die Opfer der zweiten Diktatur in
Deutschland sollte es nicht - jedenfalls nicht in erster Linie - um die Kassenlage gehen, sondern um unseren politischen Willen.
({1})
Auf 5 Milliarden DM der deutschen Wirtschaft kann man
ganz nebenbei verzichten.
({2})
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, ich bitte darum, dem Kollegen Nooke die
Möglichkeit zu lassen, seine Kurzintervention zu beenden.
Als Letztes : Als wir diesen Gesetzentwurf im Sommer des vergangenen Jahres
hier eingebracht haben, ging ich davon aus, dass wir es
- der Kollege Ströbele hat es gesagt - mit keiner einfachen Gesetzgebungsmaterie zu tun haben; denn es gilt zu
klären, wie hoch, wie gerecht und in welcher Form man
die Entschädigung konzipiert. Ich habe gehofft, dass wir
darüber einmal reden und vielleicht genau überprüfen,
wie viel Geld uns zur Verfügung steht. Dass Sie sagen,
eine Ehrenpension sei zu teuer und funktioniere nicht,
dass Sie sie im Prinzip ablehnen und dass Sie sich weigern, mit uns in der Sache zu diskutieren, wird eine Langzeitwirkung haben. Wir sind mit diesem Thema heute
nicht fertig.
({0})
- Je lauter Sie schreien, desto lauter wird das Echo von
draußen sein.
Danke.
({1})
Nächster Redner ist
der Staatsminister Rolf Schwanitz.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will folgende Bemerkung vorausschicken. Ich habe davor Respekt, dass die Opfer von SED-Unrecht eine Ehrenpension
wollen und dafür streiten. Diese Menschen mussten übrigens acht Jahre lang warten, bis sie 600 DM Kapitalentschädigung bekommen konnten. Dieses Geld haben sie
erst nach dem Regierungswechsel erhalten. Bei diesen
Menschen sind Bitterkeit und Verletzungen entstanden.
Das ist ganz schwierig.
Man muss den Betroffenen aber auch sagen, dass das
Modell Ehrenpension nicht realisierbar ist, und zwar nicht
nur, weil Sie die Zahlen schönrechnen. Sie wissen doch
selbst, dass die Ehrenpension ein Element der Entschädigung ist, die es nur für NS-Opfer in den neuen Bundesländern, die dort schon zur DDR-Zeit gelebt haben, gibt.
Dass das Recht auf den Bezug einer solchen Pension verlängert worden ist, hat weniger etwas damit zu tun, dass
man die NS-Opfer in gleichem Maße entschädigen wollte,
als vielmehr damit, dass die DDR vor allen Dingen in
ihrem diplomatischen Verhältnis zu Israel Schindluder getrieben hatte. Man wollte die deutsche Einheit nicht herbeiführen und zuallererst das Recht auf den Bezug der Ehrenpension streichen. Das war das eigentliche Thema.
Wenn man jetzt - das wissen Sie - alle SED- und
SBZ-Opfer diesbezüglich mit den NS-Opfern gleichstellen wollte, dann hätte das weit über dieses Thema und
weit über Deutschland hinaus auf alle NS-Opfer eine präjudizierende Wirkung. Darüber haben wir im Ausschuss
intensiv gesprochen, auch wenn Sie das hier nicht mehr
wahrhaben wollen.
({0})
Herr Staatsminister,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Büttner?
Nein. Ich habe ruhig und geduldig zugehört; jetzt hören
Sie auch mir einmal zu.
({0})
Dass gerade Sie jetzt parlamentarisch für die Ehrenpension eintreten, das finde ich einfach unanständig.
({1})
Ich sage Ihnen, warum:
Erstens. Sie haben die Emotionen durch Ihren Umgang
mit diesem Verfassungsgerichtsurteil und mit dem Thema
Stasirenten ganz bewusst angeheizt.
({2})
Ich habe alles gelesen, was in dieser Hinsicht geschrieben
und von Ihnen entsprechend kommentiert worden ist:
Superrenten würden da gemacht. Wir werden den Tagesordnungspunkt nachher diskutieren, ich will dem nicht
vorgreifen. In der Regelung wird keinen Zentimeter über
das hinausgegangen,
({3})
was das Verfassungsgericht dem Deutschen Bundestag
als Pflichtenlage aufgetragen hat. Das haben wir uns nicht
ausgesucht, sondern - Sie haben darauf hingewiesen,
Herr Schulz auch noch einmal - das ist Ihr Recht gewesen.
({4})
Über das verfassungsrechtliche Risiko ist im Deutschen
Bundestag intensiv diskutiert worden, damals übrigens
mit anderen Anträgen von der Opposition. Tun Sie nicht
so, als sei das alles überraschend gekommen.
({5})
Der zweite Punkt: Ich habe mir die Liste mit den Namen derer angesehen, die Ihren Antrag unterschrieben haben. Ein großer Teil derer, die sich auf die Unterschriftenliste gedrängt und den Antrag unterschrieben haben,
hat in der namentlichen Abstimmung damals gegen die
600 DM Kapitalentschädigung gestimmt.
({6})
Sie, Herr Nooke, waren damals noch nicht im Deutschen
Bundestag, aber ich erinnere mich daran, dass Sie als
Volkskammerabgeordneter 1990 noch nicht einmal für
den Einigungsvertrag stimmen konnten, in dem das Rehabilitierungsrecht enthalten war. Sie haben gar keinen
moralischen Anspruch, heute so etwas politisch hier zu
vertreten.
({7})
Wie Sie das als ostdeutscher Interessenvertreter hinkriegen, ohne für den Einigungsvertrag gestimmt zu haben, müssen Sie in Ihren eigenen Reihen irgendwann einmal klären, vielleicht auch vor dem Parlament.
({8})
Meine Damen und Herren, Sie wollen heute von Ihrem
politischen Versagen in doppelter Art und Weise profitieren: einmal, weil sie den Opfern wichtige Verbesserungen
der Leistungen vorenthalten haben, und zum Zweiten,
weil Sie die Ursache für dieses Verfassungsgerichtsurteil
gesetzt haben. Das finde ich perfide. Ich würde still sein,
leise sein, ruhig sein und nicht versuchen, politisches Kapital daraus zu schlagen, was Sie hier tun.
({9})
Wir werden - das haben wir mit dem Verbesserungsgesetz 1999 auch erklärt - die offenen Fragen weiter angehen: die Auswertung der Überprüfung der Anerkennung gesundheitlicher Haftschäden, die Antragsfrage,
die wir noch in diesem Jahr behandeln müssen, und auch
die Empfehlung des Bundesrates, bei den verfolgten
Schülern im Rentenrecht in die Prüfung einzutreten. Das
haben wir zugesagt, und das werden wir auch tun. Im
Herbst werden wir darüber reden. Aber hören Sie auf, solche Schaufensteranträge zu stellen. Das ist nichts anderes
als die politische Instrumentalisierung der Wünsche und
Hoffnungen der Opfer.
({10})
Letzte Rednerin in
dieser Debatte ist die Kollegin Petra Pau für die PDSFraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es stimmt, 1999 hatten wir in der Debatte um das Zweite Gesetz zur Verbesserung der Rehabilitierung hier sehr große Einigkeit, was sich dann auch in
den Abstimmungsergebnissen ausdrückte. Drei Fragen
spielten aber auch damals schon eine Rolle, sowohl in der
Anhörung als auch hier in der Debatte und in den Gesprächen und Treffen mit den Betroffenen einschließlich
ihrer Verbände.
Nachdem dieses Gesetz nun über ein Jahr gilt, zeigt die
Praxis, dass diese Probleme nach wie vor auf der Tagesordnung stehen. Es geht um die Frage der Nachzahlung
von Amts wegen. Offensichtlich ist die Hürde der Information und Antragstellung für die einzelnen Betroffenen
nach wie vor zu hoch. Es geht um die verfolgten Schüler,
welche - bis auf eine ganz kleine Gruppe - weiter von einer Entschädigung ausgeschlossen sind. Und es gibt in der
Praxis nach wie vor erhebliche Probleme beim Nachweis
und bei der Anerkennung von Gesundheitsschäden durch
Haft oder Verfolgung.
Ich finde, das Argument, welches uns in den Ausschussberatungen entgegen gehalten wurde, der Aufwand, sich diesen drei Themen zuzuwenden und insbesondere von Amts wegen tätig zu werden, sei zu hoch, ist
kein Argument, wenn wir uns klar machen, dass es hier
um konkrete Schicksale, um Menschen geht, die offensichtlich auch über das Gesetz und die Ansprüche hinaus
Hilfestellung brauchen, um diese Ansprüche überhaupt
geltend machen zu können.
So weit zu dem Antrag der PDS. Ich habe eben vernommen, dass Sie sich dem Thema im Herbst zuwenden
wollen. Es sollte Ihnen deshalb leicht fallen, diesem Antrag heute zuzustimmen; denn darin werden Sie nur
aufgefordert, tätig zu werden. Wir haben ja nicht gesagt,
wie das Gesetz aussehen soll.
({0})
Nun zum CDU/CSU-Entwurf. Kollege Nooke, ich
gebe zu: Sie machen es mir sehr schwer, meine Empfehlung an meine Fraktion auf Zustimmung zu Ihrem Antrag
aufrechtzuerhalten. Denn wer heute in der Debatte und im
folgenden Schlagabtausch Zwangsarbeiterinnen und
Zwangsarbeiter und Verfolgte des Naziregimes gegen diejenigen stellt, die in der DDR Opfer geworden sind, - wie
Sie es auch gerade mit Ihrem Zwischenruf wieder getan
haben - zeigt mir, dass es ihm offensichtlich tatsächlich
nicht um diejenigen geht, die betroffen sind, sondern dass
er hier nur ein ideologisches Spiel betreibt.
({1})
Trotzdem ganz kurz noch zu diesem Antrag. Wir haben
in Gesprächen mit den Verfolgten des Stalinismus deutlich gemacht, dass wir uns mit dem Begriff der Ehrenpension - nicht nur aufgrund der Gleichsetzung - nicht
anfreunden können, dass wir aber dem Gedanken einer
pauschalisierten Zahlung an die Betroffenen, der schon
damals in den Anhörungen eine Rolle spielte, durchaus
näher treten können, aus diesem Grunde unsere Vorbehalte gegen die Begründungen, die letztendlich nicht abgestimmt werden, zurückstellen und im Interesse der
Menschen einem solchen Antrag zustimmen; denn es geht
um ihr Schicksal und die Anerkennung nicht nur ihrer Lebensleistung, sondern vor allem dessen, was ihnen widerfahren ist.
Danke schön.
({2})
Ich schließe die Aus-
sprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entwurf eines
Dritten SED-Unrechtsbereinigungsgesetzes der Fraktion
der CDU/CSU; es handelt sich um die Drucksache
14/3665. Der Ausschuss für Angelegenheiten der neuen
Länder empfiehlt auf Drucksache 14/6064, den Gesetz-
entwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz-
entwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist in zweiter Beratung gegen die Stimmen von
CDU/CSU-, F.D.P.- und PDS-Fraktion bei einer Enthal-
tung bei Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.
Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die wei-
tere Beratung.
Wir kommen jetzt zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Angelegenheiten der neuen Länder zu dem
Antrag der Fraktion der PDS mit dem Titel „Erleichterte
und erweiterte Rehabilitierung und Entschädigung für
Opfer der politischen Verfolgung in der DDR“, Drucksa-
che 14/6062. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf
Drucksache 14/2928 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltung? -
Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen der
PDS-Fraktion bei Enthaltung von CDU/CSU- und F.D.P.-
Fraktion sowie eine Enthaltung bei Bündnis 90/Die Grü-
nen angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 18 a und 18 b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten
Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des
Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes ({0})
- Drucksache 14/5640 ({1})
aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
({2})
- Drucksache 14/6063 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Erika Lotz
bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({3}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 14/6073 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Konstanze Wegner
Hans-Joachim Fuchtel
Antje Hermenau
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Christa Luft
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({4})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Claudia
Nolte, Manfred Grund, Dr. Michael Luther,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Einheitliches Versorgungsrecht für die Eisenbahner herstellen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Heidi
Knake-Werner, Monika Balt, Heidemarie
Lüth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der PDS
Regelung von Ansprüchen und Anwartschaften aus den Systemen der Altersversorgung der Deutschen Reichsbahn und
der Deutschen Post der DDR
- zu dem Antrag der Abgeordneten Monika
Balt, Petra Bläss, Dr. Ruth Fuchs, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Anerkennung von rentenrechtlichen Zeiten
von Selbstständigen und deren mithelfenden Familienangehörigen in Land- und
Forstwirtschaft und im Handwerk der DDR
- zu dem Antrag der Abgeordneten Monika
Balt, Petra Bläss, Dr. Ruth Fuchs, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Anerkennung der Rentenversicherungszeiten von Blinden- und Sonderpflegegeldempfängerinnen und Sonderpflegegeldempfängern der DDR
- Drucksachen 14/2522, 14/2729, 14/4038,
14/4041, 14/6063 Berichterstattung:
Abgeordnete Erika Lotz
Zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes liegen ein Änderungsantrag der Fraktion der F.D.P.
und fünf Änderungsanträge der Fraktion der PDS vor.
Weiterhin liegen vier Entschließungsanträge vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Erste Rednerin in dieser
Debatte ist die Berichterstatterin Erika Lotz.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich muss hier nur eine Änderung
vortragen. In der Beschlussempfehlung, Drucksache
14/6063, sind zwei kleine redaktionelle Berichtigungen
vorzunehmen.
Erstens. Auf Seite 8 muss es in der rechten Spalte
rechtsförmlich korrekt heißen: „2. § 6 wird wie folgt geändert“.
Zweitens. Auf Seite 16 fehlt bei Punkt 8 in der rechten
Spalte das Wort „unverändert“.
Nur so viel, damit die Beschlussempfehlung korrekt
wird.
Danke schön.
Ich danke Ihnen, Frau
Kollegin. Wir beachten das bei der entsprechenden Abstimmung.
Jetzt spricht die Parlamentarische Staatssekretärin im
Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung, Ulrike
Mascher.
Frau Präsidentin!
Sehr geehrte Damen und Herren! Der zur Beratung anstehende Regierungsentwurf eines Zweiten Gesetzes zur
Änderung und Ergänzung des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes setzt die zwingenden Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes um. Das Gericht hat mit seinen Urteilen vom 28. April 1999 den
Gesetzgeber beauftragt, verfassungswidrige Teile der
Überleitung der Zusatz- und Sonderversorgungssysteme
der ehemaligen DDR in das bundesdeutsche Rentenrecht
dem Grundgesetz entsprechend zu ändern. Gleichzeitig
hat das Gericht die Grundsatzentscheidung des Gesetzgebers bestätigt, die Ansprüche und Anwartschaften aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen in die gesetzliche
Rentenversicherung zu überführen.
Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts
und die konkretisierende Rechtsprechung des Bundessozialgerichts haben die notwendige Klärung herbeigeführt. Bei der Umsetzung der Vorgaben der Gerichte für
eine verfassungskonforme Regelung der Überführung
setzt der Gesetzgeber die zwingenden Vorgaben des Gerichts 1:1 verbindlich um. Die daraus resultierenden Korrekturen, für die vom Bund und von den neuen Ländern
erhebliche finanzielle Leistungen erbracht werden müssen, haben für die betroffenen Menschen ganz erhebliche
Auswirkungen.
Im Einzelnen regelt der Gesetzentwurf Folgendes: Der
Vertrauensschutz für rentennahe Jahrgänge wird auf den
Zeitraum bis zum 30. Juni 1995 ausgedehnt. Die in verfassungskonformer Auslegung geforderte Dynamisierung des besitzgeschützten Zahlbetrages wird entsprechend der Auslegung des Bundessozialgerichtes mit den
Anpassungswerten der alten Bundesländer durchgeführt.
Die Zahlbetragsbegrenzung wird für die nicht systemnahen Zusatzversorgungssysteme aufgehoben; im Übrigen bleibt die Zahlbetragsbegrenzung 2 010 DM für
Sonderversorgungs- und systemnahe Zusatzversorgungssysteme bestehen.
Die Zahlbetragsbegrenzung für das Versorgungssystem des Ministeriums für Staatssicherheit bzw. des Amtes für Nationale Sicherheit wird verfassungskonform
festgelegt. Sie orientiert sich an den Bestimmungen des
Volkskammergesetzes über die Aufhebung der Versorgungsordnung des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit. Die Entgeltbegrenzung für die Bemessungsgrundlage zur Rentenberechnung für Angehörige
des Versorgungssystems des Ministeriums für Staatssicherheit wird von 70 Prozent auf 100 Prozent des Durchschnittsentgelts angehoben. Entsprechend den Vorgaben
des Bundessozialgerichtes wird die Neuberechnung von
Bestandsrenten zum Zeitpunkt der Rentenüberleitung im
Wege der Vergleichsberechnung vorgenommen.
Bestandteil des Änderungsgesetzes sind darüber hinaus Regelungen zu den Beschäftigungszeiten bei der
Deutschen Reichsbahn und bei der Deutschen Post. Sie
berücksichtigen die Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 10. November 1998 über die Anrechnung des
Arbeitsverdienstes oberhalb von 600 Mark für Beschäftigungszeiten bei der Deutschen Reichsbahn und der Deutschen Post. Dabei wird klargestellt, dass auch für Beschäftigungszeiten bei der Deutschen Reichsbahn und bei
der Deutschen Post bei der Rentenberechnung grundsätzlich nur der erzielte Arbeitsverdienst, für den tatsächlich
Beiträge gezahlt worden sind, in die Ermittlung der Entgeltpunkte eingeht.
Für Beschäftigungszeiten vom 1. März 1971 bis zum
31. Dezember 1973 soll das tatsächlich erzielte Arbeitsentgelt auch ohne Beachtung der Beitragszahlung zur
Freiwilligen Zusatzrentenversicherung der ehemaligen
DDR berücksichtigt werden. Für Versicherte, die am
31. Dezember 1973 bereits zehn Jahre bei der Deutschen
Reichsbahn oder bei der Deutschen Post beschäftigt gewesen sind, soll für den Zeitraum vom 1. Januar 1974 bis
zum 30. Juni 1990 ein Arbeitsverdienst bis zu 1 250 Mark
monatlich ebenfalls ohne Beitragszahlung zur FZR
berücksichtigungsfähig sein.
Vizepräsidentin Petra Bläss
Ich möchte es bei dieser Gelegenheit noch einmal ganz
klar sagen: Die beabsichtigten Rechtsänderungen ergeben
sich daraus, dass von 1956 bis 1973 für Post und Reichsbahn besondere betriebliche Alterssicherungssysteme bestanden haben, die ab dem 1. Januar 1974 bereits in die
Sozialversicherung der ehemaligen DDR überführt worden sind. Wegen dieser betrieblichen Alterssicherung hatten Beschäftigte mit langjähriger Betriebszugehörigkeit
von März 1971 bis Dezember 1973 keine Veranlassung,
der FZR beizutreten. Denn eine Beitragszahlung zur FZR
hätte nicht zu höheren Rentenanwartschaften geführt, als
sie bereits die zusätzliche Alterssicherung einräumte.
Für andere wären solche Beitragszahlungen zur FZR
wegen des Versorgungsanspruches nach den ab 1. Januar
1974 bei der Überleitung der Ansprüche und Anwartschaften in die allgemeine Sozialversicherung geltenden
Vorschriften nicht wirtschaftlich gewesen. Die Verbesserungen bei der rentenrechtlichen Bewertung der Beschäftigungszeiten bei der Deutschen Reichsbahn und bei
der Deutschen Post sollen deshalb für einen großzügig bemessenen Zeitraum, nämlich bis 30. Juni 1990, gelten.
Allerdings wollen wir nicht die Regelungen der bereits
1974 geschlossenen betrieblichen Altersvorsorgesysteme
der Deutschen Reichsbahn und der Deutschen Post uneingeschränkt in das Rentenrecht des Sechsten Buches
Sozialgesetzbuch übertragen. Denn bei der beabsichtigten
Neuregelung ist nicht nur die Grundentscheidung der
Rentenüberleitung zu beachten, nämlich nur die Arbeitsverdienste rentenwirksam zu machen, für die tatsächlich
Beiträge gezahlt worden sind. Auch zu berücksichtigen
sind die sozialversicherungsrechtlichen Bedingungen anderer Beschäftigtengruppen in der ehemaligen DDR, die
eine höhere Alterssicherung ausschließlich über eine Beitragszahlung an die FZR erlangen konnten. Dies trifft zum
Beispiel für Personen zu, die zum Zeitpunkt der Überleitung der Versorgungsregelungen in die allgemeine Sozialversicherung Berufsanfänger waren und demzufolge noch
nicht zehn zusammenhängende Beschäftigungsjahre vorweisen konnten.
Der Gesetzentwurf hat sich im parlamentarischen
Verfahren bzw. in den Erörterungen in den zuständigen
Ausschüssen als sachgerecht erwiesen. Die von verschiedenen Seiten erhobenen Forderungen würden demgegenüber nicht nur erhebliche weitere Kosten auslösen. Sie
würden auch den von der Rechtsprechung vorgegebenen
rechtlichen Rahmen sprengen und darüber hinaus im Widerspruch zu den im Einigungsvertrag getroffenen Regelungen stehen. Ich spreche hier zum Beispiel von der Forderung, die Vertrauensschutzregelung über den 30. Juni
1995 hinaus zu verlängern. Wer eine Erweiterung des Bestandsschutzes über den 30. Juni 1995 hinaus fordert, widerspricht damit den im Einigungsvertrag festgelegten
Regelungen und verlässt den Grundsatz einer 1:1-Umsetzung des Bundesverfassungsgerichtsurteils.
({0})
Dann zur Forderung, den bestandsgeschützten Zahlbetrag gemäß dem Rentenwert Ost anzupassen: Auch diese
steht im Widerspruch zur höchstrichterlichen Rechtsprechung. Das Bundesverfassungsgericht hat festgelegt, dass
der bestandsgeschützte Zahlbetrag zu dynamisieren ist,
und hat es dem höchsten deutschen Fachgericht, dem
Bundessozialgericht, überlassen, festzulegen, mit welchem Betrag zu dynamisieren ist. Das Bundessozialgericht hat, diesen Vorgaben folgend, in seiner Entscheidung
vom 3. August 1999 festgelegt, dass die Dynamisierung
dieses Vertrauensschutzbetrages mit dem aktuellen Rentenwert, also mit dem Westwert, zu dynamisieren ist.
Denn Grundlage für die Anpassung mit dem Rentenwert
Ost sind Renten, denen ihrerseits Entgeltpunkte Ost zugrunde liegen.
Bei dem bestandsgeschützten Zahlbetrag handelt es
sich dagegen um einen Zahlbetrag, der sich gerade nicht
auf die jeweiligen Entgelte des Versicherten während seines gesamten Versicherungslebens bezieht, sondern der
vielmehr auf das letzte Gehalt abstellt. Das Bundesverfassungsgericht hat betont, dass sich der Mehraufwand,
der durch die Dynamisierung des bestandsgeschützten
Betrages ergibt, laufend durch die Anpassung der neu
berechneten SGB-VI-Rente vermindert. Diese vom Bundesverfassungsgericht beschriebene Folge wäre aber ausgeschlossen, wenn eine Dynamisierung der SGB-VIRente und auch des bestandsgeschützten Betrages mit den
gleichen Werten erfolgen würde. Auf all dies hat das Bundessozialgericht hingewiesen. Daran hat sich auch der
Gesetzgeber zu halten.
Nun zur Forderung, auch Nachzahlungen für die Zeit
vor dem 1. Mai 1999 in den Fällen vorzunehmen, in denen ein Überführungsbescheid oder Rentenbescheid bereits bestandskräftig geworden ist: Der Gesetzgeber war
aufgrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes von Verfassung wegen nicht verpflichtet, die
Wirkung der vorliegenden Entscheidungen auf bereits
bestandskräftige Bescheide zu erstrecken. Dies entspricht allgemeinen verwaltungsrechtlichen Grundsätzen und ist sowohl im Steuerrecht als auch im Sozialrecht üblich.
Wir haben das im Gesetz noch einmal klargestellt.
Auch wenn das Argument für den einzelnen Betroffenen
nicht einsichtig sein mag: Würde man - entgegen der dem
Gesetzgeber vom Bundesverfassungsgericht eingeräumten Möglichkeit - Nachzahlungen nicht auf die Personen
beschränken, die Rechtsmittel gegen die Bescheide von
Rentenversicherungsträgern und Versorgungsträgern eingelegt haben, würden sich die Kosten für Nachzahlungen
rund verfünffachen auf ein Ausgabevolumen von rund
3,25 Milliarden DM. Dies hält der Gesetzgeber angesichts
der aktuellen Notwendigkeit zur Stabilisierung der finanziellen Grundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung
aber für nicht tragbar.
Der Gesetzentwurf hält sich an die höchstrichterlichen
Vorgaben: die des Bundesverfassungsgerichts und die des
Bundessozialgerichts. Er beachtet sie und setzt sie verfassungsgemäß um. Deshalb bitte ich Sie, unserem Entwurf
zuzustimmen.
Danke.
({1})
Für die CDU/CSUFraktion spricht jetzt die Kollegin Claudia Nolte.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Schon beim vorhergehenden
Tagesordnungspunkt haben wir gespürt, dass diese beiden
Themen sehr eng zusammengehören.
({0})
- Doch, das eine hat sehr wohl mit dem anderen zu tun.
Dieses unaussprechliche Gesetz, das AAÜG, behandelt
rentenrechtliche Fragen der Überführung von DDR-Recht
auf heute bundesdeutsches Recht. Aber es enthält natürlich Teile, die uns - das sage ich zumindest für mich - aus
den neuen Ländern sehr wohl berühren. Ich hatte auch den
Eindruck, dass es Ihnen zum Teil genauso ging, als die Urteile des Bundesverfassungsgerichts und des Bundessozialgerichts verkündet worden sind.
Mich hat die Schärfe in dieser Auseinandersetzung
schon sehr überrascht. Es kann - positiv unterstellt - eigentlich nur daran liegen, dass Sie uns, wenn es nach
Ihrem Herzen ginge, eigentlich gern folgen würden, es
aber aus fiskalischen Gründen nicht dürfen.
({1})
Ich kann mir wirklich nicht vorstellen - das haben die
Redner Ihrer Partei in meinen Augen auch nicht plausibel
machen können -, dass es sachliche Gründe dagegen gibt,
mehr für die Opfer des alten Systems zu tun, vor allem
wenn wir beauflagt werden, etwas zu tun, was nicht unbedingt unserer Überzeugung entspricht, nämlich Rentensteigerungen für ehemalige Mitarbeiter des MfS
durchzusetzen, ohne auf der anderen Seite etwas für Opfer zu tun, die genau unter diesen Leuten gelitten haben.
Das passt nicht zusammen, ist nicht zu verstehen und auch
nicht nach außen hin zu vertreten.
({2})
Ich finde es unerträglich und nicht akzeptabel, dass Sie
uns hier unterstellen, die Opfer zu instrumentalisieren.
({3})
Nur weil wir uns intensiv mit ihnen zusammensetzen, mit
ihnen sprechen und deren Belange verstehen und ihnen
entgegenkommen wollen,
({4})
können Sie uns diese Instrumentalisierung nicht unterstellen. Auch Sie wissen, dass bestimmte Dinge Anfang
der 90er-Jahre nicht so leistbar waren, wie wir sie leisten
wollten.
Die Abgeordneten meiner Fraktion aus den neuen Ländern haben auch damals dafür gefochten, dass wir eine
Haftentschädigung in Höhe von 600 DM statt 300 DM
bekommen. Auch wir unterlagen diesen fiskalischen
Zwängen. Deswegen haben wir auch Verständnis für die
Zwänge auf Ihrer Seite. Aber dann sagen Sie dies ehrlich
und tun Sie nicht so, als ob wir in der Sache auseinander
wären. Meines Erachtens gibt es keinen Grund für Differenzen in der Sache.
({5})
Ich halte es auch für fatal, wenn sich hier die demokratischen Parteien Kampfbegriffe der PDS zu Eigen
machen. Dazu gehört unter anderem der Begriff „Rentenstrafrecht“. Ich weiß nicht, wer von Ihnen mit in der
Volkskammer war. Aber ich glaube, damals gab es aus tiefer Überzeugung einen sehr großen Konsens unter uns
Abgeordneten der deutschen Volkskammer darüber,
durch unsere Gesetzgebung wenigstens ein Stück weit
Dinge zurechtzurücken, Ungerechtigkeiten abzumildern.
Dazu gehörten auch die Pensions- und Rentenansprüche
von bestimmten Berufsgruppen der ehemaligen DDR.
Jetzt kann man zu Recht sagen, dass wir vielleicht mit zu
viel Überschwang gehandelt und vielleicht an einigen
Stellen überzogen haben. Im Bundestag haben wir in der
Tat noch einmal eine Verschärfung gegenüber dem Volkskammerrecht vorgenommen.
Aber jetzt haben wir durch das Bundesverfassungsgericht sogar ausdrücklich bestätigt bekommen, dass die
Entgeltbegrenzung auf 100 Prozent in Ordnung ist. Also
lassen Sie uns an dieser Stelle nicht von Rentenstrafrecht
sprechen, sondern von einer Schaffung eines stückweiten
Ausgleichs für in einem Unrechtssystem geschehene
Dinge, welche sich nach so langer Zeit in der Tat nur
schwer beseitigen lassen. Ungerechtigkeiten bleiben bestehen.
Ich denke, wir werden in unseren Sprechstunden die
gleichen Überraschungen erleben wie schon zu Zeiten der
Volkskammer. Dort wird nämlich gefragt werden: Kann
es denn wirklich sein, dass die Leute vom MfS jetzt mehr
Geld bekommen? Was wird für uns getan? - In Ihre
Sprechstunden kommen doch auch diese Menschen. Mir
fällt es schwer, zu begründen, warum wir hier etwas tun,
auf der anderen Seite aber nichts, obwohl Anträge vorliegen.
({6})
Unser Fraktionsvorsitzender, Herr Friedrich Merz, hat
den Bundeskanzler rechtzeitig angeschrieben mit der
Bitte, über diese Frage zu sprechen. Dies ist auch in der
Sache vernünftig, wenn wir einen Konsens zum AAÜG
herstellen wollen. Sie waren aber nicht einmal bereit, über
die so genannte Bonzenklausel zu sprechen, also über die
Überlegung, diejenigen, die gegen die Grundsätze der
Menschlichkeit verstoßen haben, von der Aufhebung der
Rentenbegrenzung auszuschließen. Wenn so wenig Gesprächsbereitschaft besteht, dann können wir Ihnen die
Hand nicht reichen. Das habe ich für unsere Fraktion
schon in der Rede zur Einbringung dieses Gesetzentwurfes sehr deutlich gesagt.
Dieser Gesetzentwurf behandelt aber noch einige andere Fragen. Ich muss Ihnen sagen, sehr geehrte Frau
Staatssekretärin, dass ich mit Ihnen in einigen Punkten
nicht übereinstimme. Sie sagen, dass Sie sich hier streng
an Urteilen orientieren und versuchen, keine Ungleichheiten zu schaffen. Es gibt aber sehr wohl Punkte, wo man
hätte anders entscheiden können; darüber haben wir bereits im Ausschuss diskutiert.
Hier geht es insbesondere um die Überführung der Zusatz- und Sonderversorgungssysteme in die Rentenversicherung. Das Bundesverfassungsgericht hat uns aufgetragen, bei diesen Renten eine Dynamisierung
vorzunehmen. Dies ist derzeit nicht der Fall; denn als die
Zusatz- und Sonderversorgungssysteme in die gesetzliche
Rentenversicherung übernommen wurden, hat man garantierte Zahlbeträge festgelegt. Wir hatten damals durchaus eine Begründung dafür, die wir für rechtens hielten:
Da diese Renten nicht beitragsbezogen sind, gibt es keinen Grund, sie wie eine normale Rente zu dynamisieren.
Das Bundesverfassungsgericht sagt hierzu eindeutig
etwas anderes; in diesem Punkt mussten wir uns belehren
lassen.
({7})
Das Bundesverfassungsgericht kam zu der Auffassung,
dass die Entscheidung, alle Zusatz- und Sonderversorgungssysteme in die gesetzliche Rentenversicherung zu
überführen, nur dann mit der Verfassung in Übereinstimmung gebracht werden kann, wenn die Besonderheiten
dieses Systems berücksichtigt werden. Zu diesen Besonderheiten gehört natürlich, dass aufgrund der individuellen Erwerbsbiografien und der Stellung im Berufsleben
unterschiedliche Ansprüche erwachsen sind. Dieser Unterschied im Niveau darf laut Bundesverfassungsgericht
durch die Überführung in die gesetzliche Rentenversicherung nicht nivelliert werden. Er wird aber nivelliert, wenn
man einen fixen Betrag festsetzt. Ergo muss dynamisiert
werden.
Diese Nivellierung findet aber auch dann statt, wenn
ein im Vergleich zu anderen Renten deutlich geringerer
Dynamisierungsfaktor gewählt wird. Wenn man also das
Urteil des Bundesverfassungsgerichts umsetzen will, entspricht es doch der Logik, den gleichen Faktor für die Dynamisierung zu verwenden, wie er auch für die anderen
Renten gilt, also den Rentenwertfaktor Ost.
Nun stützt sich die Bundesregierung auf ein Urteil des
Bundessozialgerichts. Sie wissen aber genauso gut wie
wir, dass dieses Urteil durchaus juristisch umstritten ist.
Als Gesetzgeber haben wir aber die Freiheit zu sagen:
({8})
Wir möchten das umsetzen, was unserer Meinung nach
dem Sinn des Urteils des Bundesverfassungsgerichts entspricht.
Es gibt noch andere Punkte, zum Beispiel die Berechnung nach dem 20-Jahres-Zeitraum - darüber haben wir
im Ausschuss bereits ausführlich gesprochen - und die
Frage der besonderen Steigerungssätze für andere
Berufsgruppen, zum Beispiel für die Beschäftigten im
Gesundheitswesen. Ich möchte dazu nur sagen, dass wir
auch hier eine andere Regelung vorgezogen hätten.
Dies gilt auch für die Frage der Übergangszeiten. Es
ist richtig, Frau Mascher, dass im Einigungsvertrag als
Übergangsdatum Mitte 1995 festgelegt worden ist. Wir
haben aber recht schnell festgestellt, dass dieser Zeitraum
nicht ausreicht, und deshalb schon beim Renten-Überleitungsgesetz ein anderes Übergangsdatum gewählt, nämlich Ende 1996. Wenn man also schon von Gleichbehandlung spricht, wenn man die Zusatz- und Sonderversorgten
den übrigen Rentnern gleichstellen will, dann bietet es
sich doch an, den Vertrauensschutz in diesem Fall auf das
gleiche Datum auszudehnen, also auf den 31. Dezember 1996.
Die Tatsache, dass wir zu den Punkten, die ich angesprochen habe, keine eigenen Änderungsanträge eingebracht haben - es wird schnell nachgefragt: Warum bringt
ihr keine eigenen Anträge ein? -, erklärt sich zum einen
daraus, dass wir dieses Gesetz aus grundsätzlichen Erwägungen ablehnen. Daher macht es keinen Sinn, eigene
Änderungsanträge einzubringen. Zum anderen muss man
respektieren, dass die neuen Bundesländer höchstwahrscheinlich anders abstimmen werden, wobei sie dafür sicherlich ihre Gründe haben werden.
Es ist mir wichtig, einen Punkt anzusprechen, der in
diesem Gesetzentwurf in der Tat befriedigend geregelt
worden ist. Das sind die Überführungen der Ansprüche
der Reichsbahner und der Postler. Wir haben uns um dieses Thema sehr bemüht und - das weiß auch Frau
Mascher - viele Gespräche geführt.
({9})
- Das ist in der Tat so. Sie können die betroffenen Gruppen selber fragen. Diese werden Ihnen dies guten Gewissens bestätigen können.
Wir haben uns sehr darum bemüht, dass es mit diesem
Gesetzentwurf zu einer befriedigenden Regelung kommt.
Die betroffenen Gruppen bekommen sowohl den
anderthalbprozentigen Steigerungssatz als auch die FZR
zuerkannt. Auch das Problem der Anrechnungszeiten zwischen 1971 und 1973 wird geregelt.
Was offen bleibt - das ist allerdings ein Punkt, der nicht
im AAÜG geregelt werden kann; das wissen wir -, ist die
betriebliche Versorgung. Ich finde, das Verkehrsministerium sollte noch einmal prüfen, inwieweit es nicht auch
für die Reichsbahner äquivalent zu den Bundesbahnern
die betriebliche Altersversorgung endlich einräumt und
gewährleistet.
({10})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich fürchte - das ist
deutlich geworden -, dass das Ziel dieses Gesetzentwurfs,
Rechtsfrieden zu schaffen, verfehlt wird. Es wird zu
neuen Klagen kommen. Vor dem Bundesverfassungsgericht, vor dem Bundessozialgericht und den Sozialgerichten der Länder werden neue Klagen eingereicht werden,
sodass ich vermute, dass wir zu diesem Thema nicht die
letzte Debatte hatten.
Danke schön.
({11})
Für die Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen spricht jetzt die Kollegin Ekin
Deligöz.
Frau
Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Staatssekretärin Frau Mascher hat bereits alles Wesentliche zu diesem Gesetzentwurf ausgeführt, sodass ich zu
ihren Ausführungen in der Sache nicht mehr viel zu ergänzen habe. Ich kann sie nur unterstützen und ihr zustimmen.
Worum geht es in diesem Gesetz? Es geht darum, dass
wir auf der Grundlage des Urteils des Bundesverfassungsgerichts bestimmte Festlegungen treffen, wobei wir
uns streng an die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts halten und diese in Bezug auf die Anwartschaftenüberführungen umsetzen.
Eines möchte ich noch ergänzen. Frau Nolte, bei Ihnen
klang es so, als ob uns das Ganze überhaupt nichts kosten
würde und wir das Gesetz ohne Probleme umsetzen könnten. Das stimmt nicht. Dieses Gesetz kostet uns etwas. Es
führt beim Bund und bei den Ländern zu Mehrausgaben:
für die Nachzahlung bis zum Jahr 1999 in Höhe von rund
690 Millionen DM und zu weiteren jährlichen Mehraufwendungen von rund 325 Millionen DM. Das ist die
Summe, die uns das Ganze kostet. Sie können also nicht
davon sprechen, dass wir in diesem Bereich finanzielle
Kriterien zugrunde legen.
Wir sollten diese ganze Debatte sehr nüchtern und sehr
sachlich führen.
({0})
Wenn Sie schon eine Verbindung zwischen der vorherigen
und der jetzigen Debatte herstellen, dann sollten Sie auch
erwähnen - das ist untergegangen -, dass wir in diesem
Rahmen bereits eine sehr intensive Debatte hatten, in der
es um die Verbesserung von rehabilitationsrechtlichen
Vorschriften für die Opfer von politisch Verfolgten der
ehemaligen DDR gegangen ist.
Ich möchte nur einiges von dem nennen, was wir schon
erreicht haben, um manches von dem, was Sie gesagt haben, richtig zu stellen. Wir haben bereits eine einheitliche
Erhöhung der Kapitalentschädigung auf 600 DM pro
Haftmonat erreicht. Seit dem 1. Januar 2000 sind verbesserte Leistungen für Hinterbliebene in Kraft getreten. Wir
haben Verbesserungen der Leistungen nach dem Häftlingsgesetz für Verschleppte aus den Gebieten jenseits
von Oder und Neiße durchgesetzt. Die Antragsfristen hinsichtlich der Reha-Gesetze wurden verlängert. Die Anerkennung von haftbedingten Gesundheitsschäden wurde
erleichtert. Wir haben also bisher eine ganze Menge gemacht.
Wir setzen jetzt die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts um. In der Tat, wir stehen nicht dafür, in irgendeiner Form weitere Leistungsverbesserungen für Privilegierte aus der ehemaligen DDR zu verstetigen oder sie
besser zu stellen. Wir haben in diesem Gesetz vielmehr
die Verbesserungen vorgesehen, die sich aus diesem Urteil ergeben, die in diesem Urteil zwingend vorgegeben
werden. Es geht uns nicht darum, irgendwelche Bonbons
zu verteilen, sondern die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zu erfüllen.
In diesem Sinne sollten wir dem Ganzen zustimmen.
({1})
Das Wort hat die Kollegin Dr. Irmgard Schwaetzer für die F.D.P.-Fraktion.
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung
hält sich mit ihrem Gesetzentwurf eng an die Vorgaben
des Bundesverfassungsgerichtes und des Bundessozialgerichtes, kann aber keineswegs den berechtigten Wünschen und Interessen der Betroffenen genügen. Der
Wunsch, mit diesem Gesetz Rechtsfrieden herzustellen,
ist die pure Illusion.
({0})
Die F.D.P. hat mit unterschiedlichen Gruppen von Anspruchsberechtigten gesprochen und kommt deshalb insgesamt zu einer Ablehnung dieses Gesetzentwurfes. Ich
bedauere, dass sich die Mehrheit offensichtlich zu fein
war, unser Gesprächsangebot für gemeinsame Lösungen
anzunehmen. Dies ist in der üblichen Art der Arroganz der
Mehrheit einfach durchgepeitscht worden. Ich glaube, im
Interesse der Betroffenen wäre es besser gewesen, zumindest zu versuchen, zu gemeinsamen Lösungen zu kommen.
({1})
Lassen Sie mich kurz sechs Anmerkungen machen.
Erstens. Die F.D.P. hat sich immer dagegen ausgesprochen, das Rentenrecht mit politischen Motiven zu verknüpfen. Deshalb akzeptieren wir, dass das Bundesverfassungsgericht nun die Versorgung der Bediensteten in
staatsnahen Zusatz- oder Sonderversorgungssystemen auf
etwa die Höhe angehoben hat, die die Volkskammer 1990
empfohlen hat. Für weitergehende Verbesserungen, wie in
den Anträgen der PDS gefordert, sehen wir allerdings
keine Notwendigkeit.
Zweitens. Der vorliegende Gesetzentwurf führt zu einer Besserstellung der für die Beschäftigungszeiten bei
der Deutschen Reichsbahn und der Deutschen Post
berücksichtigungsfähigen Arbeitsverdienste, und zwar
auch dann, wenn keine Beiträge zur Freiwilligen Zusatzrentenversicherung gezahlt worden sind. Wir begrüßen
dies als eine notwendige Klarstellung, meinen aber, dass
es durchaus wünschenswert wäre, für diesen Personenkreis zu Regelungen zu kommen, die ein wenig stärker an
das anknüpfen, was für die Bediensteten der Deutschen
Bundesbahn in bestimmten Bereichen gilt.
Drittens. Ein Thema, das völlig unzureichend behandelt wurde, ist die Altersversorgung vieler Hochschuldozenten. Die F.D.P. ist der Auffassung, dass man sie anders
bewerten muss als viele andere in den systemnahen Sonder- und Zusatzversorgungssystemen, einfach weil die
Position der Professoren in der ehemaligen DDR nicht mit
der in den Ministerien oder der Stasi zu vergleichen gewesen ist.
({2})
Deswegen hat die F.D.P. in einem Entschließungsantrag
beantragt, dass, anders als im Gesetzentwurf vorgesehen,
der so genannte Zahlbetrag rückwirkend vom 1. Januar
1992 an zu dynamisieren ist, also der Einkommensentwicklung angepasst wird.
Wir legen außerdem Wert darauf, dass die Dynamisierung nicht mit den niedrigen Westwerten, sondern mit den
höheren Ostwerten für diesen Personenkreis vollzogen
wird. Frau Mascher, es ist zwar richtig, dass das Bundessozialgericht zugelassen hat, dass die niedrigere Westanpassung zugrunde gelegt wird, aber es hat die höhere
Ostanpassung natürlich nicht ausgeschlossen. Deswegen
ist es gerechtfertigt, dies für den Personenkreis der Professoren anders zu machen als für andere.
({3})
Viertens. Eine Gruppe ist in diesem Gesetzentwurf
überhaupt nicht berücksichtigt: der mittlere medizinische Dienst der DDR. Seine Mitarbeiter hatten ein vergleichsweise geringes Einkommen, obwohl sie sehr
verantwortungsvolle Tätigkeiten mit erheblichen Belastungen ausgeübt haben. Häufig war es ihnen nicht einmal
möglich, der damaligen Freiwilligen Zusatzrentenversicherung beizutreten. Gleichwohl wird im Renten-Überleitungsgesetz jedenfalls denjenigen, die erst nach dem
1. Januar 1997 in Rente gingen, der an sich für sie vorgesehene Steigerungssatz von 1,5 Punkten verweigert. Dazu
sind noch einige Klagen beim Bundesverfassungsgericht
anhängig. Dennoch möchte ich für uns heute schon sagen,
dass diesem Missstand abgeholfen werden muss. Auch
diejenigen, die nach 1997 in Rente gegangen sind, müssen den Steigerungssatz von 1,5 Punkten bekommen.
({4})
Fünftens. Die Berücksichtigung der kommunalen
Wahlbeamten haben Sie bisher immer ausgeklammert.
Ich frage mich, ob das für Sie ein Personenkreis ist, der
Ihnen nur lästig ist. Es geht darum, dass die Demokraten
der ersten Stunde nach dem Mai 1990 in beiden Systemen,
in der gesetzlichen Rentenversicherung wie in der Beamtenversorgung, vielfach durch den Rost gefallen sind.
({5})
Das wollen wir mit unserem ausformulierten Gesetzentwurf korrigieren. Ich bedaure es, dass Sie im Ausschuss
nicht einmal darüber diskutiert oder nachgefragt haben.
Sie interessieren sich für diesen Personenkreis nicht. Wir
werden diese Tatsache bei ostdeutschen Wahlen zur Sprache bringen.
({6})
Frau Kollegin
Schwaetzer, ich muss Sie an Ihre Redezeit erinnern.
Zum Schluss
sechstens: Wir halten es für nicht erträglich, dass Sie es
abgelehnt haben, in eine Debatte über eine bessere Entschädigung der Opfer durch eine Ehrenrente oder eine
stärkere Rentenanpassung als Ersatz und Ausgleich für
verloren gegangene Lebenschancen einzutreten. Deswegen sehen wir hier eine Verknüpfung - wie es bereits gesagt worden ist - und wir bestehen darauf, dass diese Elemente zusammen verhandelt werden.
Danke schön.
({0})
Letzte Rednerin in
dieser Debatte ist die Kollegin Monika Balt für die PDSFraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Weil die PDS so beharrlich gestritten und
gekämpft hat, verändern sich ab 1. Juli die Rentenansprüche für die ehemaligen Beschäftigten von Post und
Bahn der DDR in positiver Weise.
({0})
Nach zehn Jahren deutscher Einheit erhalten Wissenschaftler, Ärzte, Ingenieure, Polizisten, Zöllner und viele
andere immer noch nicht die ihnen zustehende Rente. Ihnen wird unterstellt, ihren Beruf in der DDR missbraucht
zu haben, Täter zu sein und völlig überhöhte Gehälter kassiert zu haben. Seit zehn Jahren werden permanent Sozialrecht und Strafrecht vermischt, werden Renten willkürlich gekürzt und Beitragszahlungen einfach ignoriert.
Nun gibt es aber 310 000 offene Ansprüche und
3,5 Millionen Anwartschaften aus den eingezahlten
Beiträgen in die Zusatz- und Sonderversorgungssysteme
der ehemaligen DDR. Ich frage Sie, meine Damen und
Herren von der Regierungskoalition: Ist es nicht zutiefst
inhuman, dem Einzelnen ohne Nachweis einer individuellen Schuld mit einer Rentenstrafe als Racheakt zu begegnen? Wieso wird bei der Rentenberechnung Ost die
politische Biografie berücksichtigt, wo doch im anderen
Teil der Bundesrepublik jeder ohne Ansehen seiner Person eine Rente entsprechend seinen Beitragsleistungen
bekommt?
Wie entsprechende Gutachten, die dem Bundesverfassungsgericht vorliegen, nachweisen, ist es keinesfalls so,
dass aus Staats- und Systemnähe allein die Vermutung abgeleitet werden kann, diesen Personengruppen seien
Löhne und Gehälter gezahlt worden, die nicht durch Leistung und Arbeit gerechtfertigt gewesen seien. Wollen Sie
trotz dieser Erkenntnisse hinter den Urteilen des Bundesverfassungsgerichtes zurückbleiben?
Der Gesetzentwurf beseitigt nicht das seit zehn Jahren
bestehende Rentenstrafrecht. Die um eine gerechte
Rente geprellten Ostdeutschen werden erneut klagen. Ich
höre immer wieder die Argumente der Abgeordneten von
SPD und Bündnis 90/Die Grünen: Was wollen die denn
noch? Mehr geht eben nicht! Ich wiederhole: Sie wollen
eine Rente für ihre Lebensarbeitsleistung,so wie sie für
jeden Mann und jede Frau gewährt wird.
({1})
Was sagen Sie einem Facharzt und Prof. Dr. habil. der
Militärmedizinischen Akademie? Ihm werden immer
noch 13 seiner beitragspflichtigen Jahre auf 1,0 Entgeltpunkte gekürzt. Nach der Versorgungsordnung der NVA
hätte seine Rente 3 010 DM betragen. Im Juli 1990 wurde
sie auf 2 010 DM gekürzt. Er hätte jetzt Anspruch auf
3 600 DM, wenn eine Dynamisierung nach dem Rentenwert Ost erfolgt wäre.
({2})
Seine Rente nach dem SGB VI beträgt jetzt 2 270 DM;
ohne Kürzung auf das Niveau eines Krankenpflegers über
einen Zeitraum von 13 Jahren erhielte er wenigstens
2 750 DM. Sind das überhöhte Ansprüche eines hoch qualifizierten Arztes?
Vielleicht verstehen Sie jetzt, warum die PDS fordert,
dass die besitzgeschützten Zahlbeträge nach den aktuellen Rentenwerten Ost anzupassen sind und alle Entgeltkürzungen fallen müssen.
Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, in einem können Sie ganz sicher sein - das wird Sie
sicherlich nicht verwundern -: Die PDS wird sich auch
weiterhin für die Beseitigung des Rentenstrafrechts einsetzen.
Danke.
({3})
Ich schließe die Aus-
sprache.
Bevor wir zu den Abstimmungen kommen, teile ich
mit, dass die Kollegin Sylvia Voß von der Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen und der Kollege Hans-
Joachim Hacker von der SPD-Fraktion schriftliche
Erklärungen nach § 31 der Geschäftsordnung abgegeben
haben.1)
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Zweiten
Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Anspruchs-
und Anwartschaftsüberführungsgesetzes, Drucksachen
14/5640 und 14/6063. Der Ausschuss für Arbeit und So-
zialordnung empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussemp-
fehlung, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung an-
zunehmen. Dazu liegen ein Änderungsantrag der Fraktion
der F.D.P. und fünf Änderungsanträge der Fraktion der
PDS vor.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion
der F.D.P. auf Drucksache 14/6105? - Wer stimmt dage-
gen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist gegen
die Stimmen der Fraktionen von CDU/CSU, F.D.P. und
PDS abgelehnt.
Wir kommen nun zur Abstimmung über die Ände-
rungsanträge der Fraktion der PDS. Wer stimmt für den
Änderungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksa-
che 14/6087? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? -
Der Änderungsantrag ist gegen die Stimmen der PDS-
Fraktion bei einer Enthaltung aus der SPD-Fraktion abge-
lehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der
PDS auf Drucksache 14/6088? - Wer stimmt dagegen? -
Wer enthält sich? - Auch dieser Änderungsantrag ist ge-
gen die Stimmen der PDS-Fraktion bei einer Enthaltung
aus der SPD-Fraktion abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der
PDS auf Drucksache 14/6089? - Wer stimmt dagegen? -
Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist gegen die Stim-
men der PDS-Fraktion und eine Stimme aus der SPD-
Fraktion abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der
PDS auf Drucksache 14/6090? - Wer stimmt dagegen? -
Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist gegen die
Stimmen der PDS-Fraktion bei einer Enthaltung aus der
SPD-Fraktion abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der
PDS auf Drucksache 14/6091? - Wer stimmt dagegen? -
Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist gegen die
Stimmen der PDS-Fraktion bei einer Enthaltung aus der
SPD-Fraktion abgelehnt.
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung mit der vorhin von der Berichterstatte-
rin vorgetragenen Berichtigung zustimmen wollen, um
das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung gegen die
Stimmen der Fraktionen von CDU/CSU, F.D.P. und PDS
angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf
ist gegen die Stimmen der Fraktionen von CDU/CSU,
F.D.P. und PDS bei einer Stimme aus der SPD-Fraktion
angenommen.
Wir kommen nun zur Abstimmung über die Ent-
schließungsanträge. Wer stimmt für den Entschließungs-
antrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksa-
che 14/6106? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? -
Der Entschließungsantrag ist gegen die Stimmen der
Fraktionen von CDU/CSU und F.D.P. abgelehnt.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion
der F.D.P. auf Drucksache 14/6086? - Wer stimmt dage-
gen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist
gegen die Stimmen der Fraktionen von CDU/CSU, F.D.P.
und PDS abgelehnt.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion
der F.D.P. auf Drucksache 14/6104? - Wer stimmt dage-
gen? - Enthaltungen? - Auch dieser Entschließungsan-
trag ist gegen die Stimmen der Fraktionen von CDU/CSU,
F.D.P. und PDS abgelehnt.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion
der PDS auf Drucksache 14/6092? - Wer stimmt dage-
1) Anlagen 2 und 3
gen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist ge-
gen die Stimmen der PDS-Fraktion abgelehnt.
Der Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung empfiehlt
unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 14/6063 die Ablehnung des Antrags der Fraktion der
CDU/CSU mit dem Titel „Einheitliches Versorgungsrecht
für die Eisenbahner herstellen“, Drucksache 14/2522.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegen-
probe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist
gegen die Stimmen von CDU/CSU-, F.D.P.- und PDS-
Fraktion angenommen.
Unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der
Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der
PDS zur „Regelung von Ansprüchen und Anwartschaften
aus den Systemen der Altersversorgung der Deutschen
Reichsbahn und der Deutschen Post der DDR“, Druck-
sache 14/2729. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschluss-
empfehlung ist gegen die Stimmen der PDS-Fraktion
angenommen.
Weiterhin unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung
empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der
Fraktion der PDS zur „Anerkennung von rentenrechtli-
chen Zeiten von Selbstständigen und deren mithelfenden
Familienangehörigen in Land- und Forstwirtschaft und
im Handwerk der DDR“, Drucksache 14/4038. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! -
Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist gegen die
Stimmen der PDS-Fraktion bei Enthaltung der F.D.P.-
Fraktion angenommen.
Ebenfalls unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung
empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags
der PDS zur „Anerkennung der Rentenversicherungszei-
ten von Blinden- und Sonderpflegegeldempfängerinnen
und Sonderpflegegeldempfängern der DDR“, Druck-
sache 14/4041. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschluss-
empfehlung ist gegen die Stimmen der PDS-Fraktion bei
Enthaltung der F.D.P.-Fraktion angenommen.
Damit haben wir die Abstimmungen überstanden.
Jetzt rufe ich die Tagesordnungspunkte 21 a und 21 b
auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit ({0}) zu der Ver-
ordnung der Bundesregierung
Zweite Verordnung zur Änderung der
Verpackungsverordnung
- Drucksachen 14/5941, 14/6019 Nr. 2.2, 14/6072 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Ulrich Kelber
Michaele Hustedt
Eva Bulling-Schröter
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit ({1}) zu dem Antrag der Abgeordneten Birgit Homburger, Ulrike
Flach, Horst Friedrich ({2}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Novellierung der Verpackungsverordnung und
Flexibilisierung der Mehrwegquote
- Drucksachen 14/3814, 14/5301 Berichterstattung:
Abgeordnete Marion Caspers-Merk
Winfried Hermann
Eva Bulling-Schröter
Zur Verordnung der Bundesregierung liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der F.D.P. vor, über den
wir nachher abstimmen werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Debatte eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner für die SPDFraktion ist der Kollege Ulrich Kelber.
Frau Präsidentin! Meine sehr
geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie uns heute gemeinsam an dieser Stelle
etwas tun! Lassen Sie uns gemeinsam Schluss machen mit
Dosen im Wald, am Strand, auf Berggipfeln und in den
Parks! Verhindern wir gemeinsam angeschwemmte Plastikflaschen an den Ufern unserer Seen und Flüsse und akzeptieren wir nicht länger, dass unsere Landesstraßen, unsere Bundesstraßen und unsere Autobahnen aussehen, als
ob dort ein Müllfahrzeug seine Ladung verloren hätte!
({0})
Wir können dies alles mit einer intelligenten Lösung
tun, die die Vermüllung vermeidet, anstatt darauf zu setzen, den Müll nachträglich einzusammeln; einer intelligenten Lösung, die effizient mit Rohstoffen und Energieverbrauch umgeht; einer intelligenten Lösung, die kleine
und mittlere Unternehmen schützt und fördert; einer intelligenten Lösung, die nach letzten Umfragen von fast
drei Vierteln aller Bürgerinnen und Bürger unseres Landes unterstützt wird. Diese intelligente Lösung heißt
Pfand auf ökologisch nachteilige Verpackung.
Das Pfand ist gut gegen die Vermüllung unserer Landschaft. 25 Prozent dieses Mülls, der umherfliegt, der umherkullert, stammt schon heute von Getränkeverpackungen. Die Tendenz ist weiter steigend.
({1})
Freiwillige Vereinbarungen oder Abgaben, wie sie
CDU und F.D.P. vorschweben, lösen dieses Problem leider nicht.
({2})
Vizepräsidentin Petra Bläss
Ich nenne dafür ein Beispiel: In dem Angebot, das von
Teilen der Wirtschaft gemacht wird - die Wirtschaft ist ja
in dieser Frage in ihrer Auffassung sehr gespalten -,
wurde vorgeschlagen, 250 Millionen DM für die
nachträgliche Beseitigung des Einwegmülls in der Landschaft auszugeben. Damit man sich vorstellen kann, was
das für eine Größenordnung wäre: Nur für die Reinigung
des Umfelds der Container des Dualen Systems werden
heute schon 125 Millionen DM ausgegeben. Wie sollte
dann das Geld reichen, quer durch die Nationalparks, entlang den Flussläufen, quer durch die Parks und Innenstädte den gesamten Müll einzusammeln? Nachträgliches
Einsammeln von Müll in der Landschaft ist ohnehin keine
besonders schlaue Lösung.
({3})
Ich halte die Lösung, das Problem über Pfand in den
Griff zu bekommen, für die einfachere: Niemand wird bepfandete Verpackungen in die Landschaft werfen. Oder
werfen Sie ein Fünfzigpfennigstück oder ein Markstück
einfach so ins Gras oder ins Wasser?
({4})
Worauf Politik immer auch achten muss, ist die Frage,
wie eine Lösung akzeptiert wird, mit der man ein Problem
angeht. Dazu ist Folgendes festzustellen: Die Akzeptanz
für eine Pfandlösung ist in der Bevölkerung und auch in
der Wirtschaft hoch. Je nach Umfrage stimmen 67 bis
74 Prozent der Verbraucher einer Pfandlösung zu, auch
deswegen, weil sie wissen, dass sie das Pfand zurückbekommen. Auch die kleinen und mittleren Unternehmen
unterstützen dieses System, weil sie wissen, dass der
Wettbewerb bei Brauereien und Mineralwasserbrunnen,
bei Abfüllern, beim Handel und in der Entsorgungsbranche gestärkt wird.
Ich nenne zwei Zahlen, die gleichzeitig die hohe Akzeptanz zeigen und auch schon eine Aussage zur ökologischen Lenkungswirkung machen: 57 Prozent aller Käufer
von Einwegverpackungen wollen, wenn es ein Pfand auf
Einweg gibt, wieder verstärkt zu Mehrweg greifen, also
den richtigen Weg beschreiten. Fast die Hälfte aller kleinen Läden will, wenn das Pfand auf Einweg kommt, Einweg aussortieren und nur 2,6 Prozent will mehr auf Einweg setzen. Auch das zeigt schon, wohin es geht: in
Richtung einer ökologischen Lenkungswirkung.
Wir haben über die Frage, ob das Pfand seine ökologische Lenkungswirkung, also eine Stabilisierung von
Mehrweg, erreicht oder nicht, ja öffentlich Streit geführt.
Dazu gibt es eine unparteiische Studie des Umweltbundesamtes, aus der ich zitiere:
Bei Abwägung aller Faktoren erscheint ein positiver
Lenkungseffekt wahrscheinlich, ein kontraproduktiver Effekt unwahrscheinlich. Zusätzlich werden
durch ein Pfand Qualität und Menge der verwerteten
Materialien erhöht und insbesondere die Landschaftsverschandelung durch herum liegende Flaschen und Dosen weitgehend beendet.
Es gibt viele Studien, die zu sehr unterschiedlichen
Ergebnissen kommen. Die Studie, für die die meisten
Menschen befragt wurden und die nicht nur auf Annahmen gesetzt hat, die Sprenger-Studie, kommt zum selben
Ergebnis wie das Umweltbundesamt. Auch das Beispiel
Schweden, wo Pfand eingeführt wurde, hat zwei
Dinge gezeigt: Erstens reagierte der Markt auf die Einführung des Pfandes und zweitens wurde der Anteil
von Mehrweg nicht nur stabilisiert, sondern stieg sogar
wieder.
Die bequeme Ex-und-Hopp-Mentalität, die Einweg so
prägt - ich kaufe etwas und bin danach nicht mehr verantwortlich; wenn es hoch kommt, werfe ich es noch in einen Müllkorb -, ist mit dem Pfand beendet.
Es gibt einen weiteren Hinweis auf die ökologische
Lenkungswirkung. Beobachten Sie die Diskussion genau:
Alle, die kein Interesse daran haben, dass es Mehrweg
gibt, weil sie zum Beispiel ihr Geld mit Einweg verdienen, sind gegen das Pfand. Diejenigen, die ein Interesse
an Mehrweg haben, und die Umweltverbände sind für das
Pfand. Das gibt mir persönlich ein sicheres Gefühl, dass
wir mit dem Pfand den Anteil von Mehrweg stabilisieren
und eher sogar steigern werden.
({5})
Teile der Wirtschaft haben im April noch einmal einen
Alternativvorschlag vorgelegt. Damit ich diesen jetzt
nicht selber bewerten muss, beziehe ich mich auf das
„Handelsblatt“, eine eher wirtschaftsnahe Zeitung, die
dieses Angebot am 19. April 2001 als „dürftig“ bezeichnet hat:
({6})
weil die Vermüllung nicht gelöst wird, weil Mehrweg
nicht stabilisiert wird - im Gegenteil, es wird sogar versucht, den Mehrweganteil, der heute die vorgegebene
Zielgröße nicht erreicht, noch einmal zu unterschreiten und weil für die Unterschreitung keine Sanktionen vorgesehen sind.
Auch CDU/CSU und F.D.P. lassen in dieser Frage die
Umweltpolitik wieder einmal im Stich.
({7})
Das ist umso weniger verständlich, als die Verpackungsverordnung doch von CDU/CSU und F.D.P.
stammt. Sie wurde 1991 von CDU-Minister Töpfer vorgelegt und am 21. August 1998 von der CDU-Ministerin
Merkel bekräftigt. Jetzt geben CDU/CSU und F.D.P.
Mehrweg auf.
({8})
- Dann belege ich das mit einem Zitat: Herr Dr. Paziorek,
umweltpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, hat am 10. Mai 2001
({9})
eine eindeutige Erklärung abgegeben:
Da Mehrweg-Getränkeverpackungen im Getränkemarkt fest etabliert sowie die Rücknahme und
Verwertung von Einweg-Getränkeverpackungen sichergestellt sind, bedarf es keiner gesetzlichen Schutzmaßnahmen mehr.
Das heißt, Sie wollen Mehrweg nicht mehr schützen.
({10})
Das ist ein eklatanter Vertrauensbruch. Frau Merkel hatte
nämlich den Betreibern von mittelständischen Brauereien
und Abfüllanlagen beim Erlass des Gesetzes ihr Wort gegeben. Diese haben im Vertrauen auf ihr Wort und auf das
Gesetz Milliarden DM in Mehrweg investiert. Diese Unternehmen stellen bis zu 250 000 Arbeitsplätze, die durch
Mehrweg in diesem Land gesichert werden. Die Inhaber
dieser Arbeitsplätze werden jetzt im Stich gelassen, weil
das Wort vom August 1998 nicht mehr gelten soll.
Die großen Abfüller und die großen Brauereien würden
ohne einen gesetzlichen Schutz von Mehrweg den Markt
mit Einwegverpackungen überfluten. Die Kleinen könnten nicht gegenhalten, weil sie nicht das Geld dazu haben,
um noch einmal in neue Anlagen zu investieren. Sie würden vom Markt verschwinden und es würde ein Monopol
entstehen. Damit einher gingen höhere Preise. All das ist
die Folge davon, dass Frau Merkel sich in dieser Frage
wie bei anderen umweltpolitischen Fragen nicht mehr an
das erinnern will, was sie einst als Umweltministerin versprochen hat.
({11})
CDU und F.D.P. versuchen den Eindruck zu erwecken,
als würden SPD und Grüne jetzt zum ersten Mal in der
Geschichte dieses Landes ein Zwangspfand einführen
wollen. Dabei ist das Gegenteil richtig: Ohne unsere Novelle wäre immer noch altes CDU/CSU-F.D.P.-Recht in
Kraft. Das würde bedeuten: Pfand auf Bier-, Wasser- und
übrigens auch auf Weinflaschen, was ja keiner will, dafür
kein Pfand auf Cola-Dosen. Es würde kein Verbraucher
verstehen, warum er für das eine Pfand, für das andere
aber kein Pfand bezahlen müsste.
Der heute ebenfalls vorliegende F.D.P.-Vorschlag setzt
auf eine Selbstverpflichtung.
({12})
Dabei ist schon 1991 die Verpackungsverordnung in Kraft
gesetzt worden, weil die Versuche mit Selbstverpflichtungen und festen Vorgaben gescheitert sind. Selbst wenn bei
Nichterfüllung Sanktionen angedroht werden, ist zu fragen: Wer in der Wirtschaft würde glauben, dass CDU und
F.D.P. eine solche Sanktion durchsetzen würden?
({13})
Die Sanktionen, die Sie 1998 angedroht haben, trauen Sie
sich ja heute auch nicht umzusetzen. Noch vor drei Jahren
haben Sie angedroht, dass ein Pfand eingeführt wird,
wenn die Wirtschaft sich nicht an die ökologischen Rahmenbedingungen hält.
({14})
Auch Sie, Herr Wittlich, waren ja als CDU-Parlamentarier bei der Sitzung des Umweltausschusses am Mittwoch dabei und sollten gehört haben, was Ihr Parteifreund, der Chef des Umweltbundesamtes, Herr Professor
Dr. Troge, gesagt hat. Sie hätten einmal zuhören sollen,
als er dort sagte: Wenn Politik glaubwürdig und ökologisch sein will, muss sie jetzt das Pfand umsetzen.
({15})
Die Novelle der Verpackungsverordnung, die von uns
vorgeschlagen wurde, stellt eine intelligente Lösung dar,
weil sie zum Beispiel auf die spezifische Situation der
Weinbauern Rücksicht nimmt und die Weinflaschen vom
Pfand ausnimmt. Die CDU wollte vor zwei Jahren noch
das Gegenteil. Es ist intelligent, ein einheitliches Pfand
zu erheben und nicht nach Getränkearten zu unterscheiden, wie es CDU und F.D.P. noch 1998 wollten. Es ist intelligent, zuerst auf die Vermeidung von Müll zu setzen,
statt zuzulassen, dass Müll entsteht und weggeschmissen
wird, und ihn dann erst aufzusammeln und zu verwerten.
Es ist außerdem intelligent, zwischen ökologisch vorteilhaften und ökologisch nachteiligen Verpackungen zu unterscheiden, weil dadurch die Hersteller angespornt werden, ökologisch immer vorteilhaftere Verpackungen
herzustellen.
({16})
Ich hoffe trotz all der Polemik, die insbesondere in den
Zwischenrufen zum Ausdruck kam, auch auf Zustimmung aus den Reihen der Opposition. Der Bayerische
Landtag hat ein gutes Beispiel gegeben, als er mit den
Stimmen der CSU dafür stimmte - zu Recht: Es ist nämlich schöner, Bier aus dem Glas zu trinken als aus der
Dose.
({17})
Schließlich haben sich auch alle bayerischen Brauereien
für das Pfand ausgesprochen. Auch in den meisten Städten wurden mit den Stimmen von CDU oder CSU dementsprechende Beschlüsse gefasst.
Die Gesellschaft muss aufhören, wider besseres Wissen Problemabfälle zum Beispiel durch Einwegverpackungen zu produzieren. Mehrweg stellt hier eine intelligente Lösung dar, um diese zu vermeiden. Deswegen
brauchen wir jetzt das Pfand auf ökologisch nachteilige
Getränkeverpackungen.
Vielen Dank.
({18})
Für die CDU/CSUFraktion spricht jetzt der Kollege Werner Wittlich.
({0})
Freiheit für Ihre Flasche! - Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und
Kollegen! Der Entwurf der Bundesregierung, der ein
Zwangspfand für Getränkeflaschen vorsieht, wird von der
CDU/CSU-Bundestagsfraktion abgelehnt.
({0})
Dieser ist ökologisch falsch und in wirtschaftlicher Hinsicht nicht vertretbar. Die 1991 von der CDU/CSU und
F.D.P. unter dem damaligen Umweltminister Töpfer erlassene Verpackungsverordnung war erfolgreich. Sie hat
dazu geführt, dass in Deutschland mehr Verpackungen
gesammelt und verwertet werden als in irgendeinem anderen Land der Welt. Das gilt gerade auch für Getränkeverpackungen.
({1})
Beispielsweise ist das Altglasrecycling für viele Bürger
geradezu der Inbegriff gelebten Umweltschutzes geworden. Diese ökologische Erfolgsgeschichte will der Bundesumweltminister Trittin nun mit seinem Zwangspfand
zerstören.
({2})
Die geltende Verpackungsverordnung hat auf dem Gebiet des Mehrwegschutzes die richtigen Signale gesetzt:
1991 wurden in Deutschland 19,4 Milliarden Liter Getränke in Mehrwegflaschen abgefüllt. 1998 waren es nach
uns vorliegenden Informationen mehr als 22,5 Milliarden
Liter. Das ist kein Rückgang, sondern eine Steigerung um
16 Prozent.
({3})
Ich verwahre mich dagegen, dass der Bundesumweltminister entgegen dieser Fakten den Mythos schaffen
will, die Wirtschaft hätte in den zurückliegenden Jahren
die Verpackungsverordnung sozusagen mit Füßen getreten und müsste deshalb bestraft werden. Das Gegenteil ist
der Fall: In wohl keinem anderen Umweltbereich hat die
Wirtschaft in den zurückliegenden Jahren mehr getan als
bei der Verminderung und Verwertung von Verpackungsabfällen.
({4})
Damit die positive Entwicklung der zurückliegenden
Jahre weitergeht, muss Mehrweg - Herr Kollege Kelber,
ich sage ausdrücklich: Mehrweg - in zeitgemäßer Form
geschützt werden.
({5})
Der technische Fortschritt und der Wandel der Lebensverhältnisse müssen berücksichtigt werden. Es gibt einen
anhaltenden Trend zu Klein- und Singlehaushalten. Es
gibt auch einen Trend zu neuen Getränkearten, beispielsweise zu Sport- und Gesundheitsgetränken.
Zudem haben vom Umweltbundesamt anerkannte
Ökobilanzen ergeben, dass recyclingfähige Einwegverpackungen genauso umweltfreundlich sein können wie
Mehrweg. Deshalb will die CDU/CSU-Fraktion, dass die
Wirtschaft künftig sicherstellen muss, dass mindestens
24 Milliarden Liter Getränke in ökologisch vorteilhaften
Verpackungen abgefüllt werden. Das unterstützt auch die
mittelständischen Kleinbrauereien.
Zugleich streben wir an, dass der Anteil der erfassten
und verwerteten Einwegverpackungen deutlich erhöht
wird. Die Wirtschaft bekommt damit eine neue Messlatte,
die Mehrwegschutz auf hohem Niveau mit Flexibilität
verbindet. Diese anspruchsvolle Verpflichtung der Wirtschaft soll mit harten Sanktionsmechanismen verbunden
werden,
({6})
falls die Ziele nicht erreicht werden.
Es ist enttäuschend und verantwortungslos, dass die
Mehrheit im Umweltausschuss unser Angebot abgelehnt
hat, in dieser Frage zu einem Konsens zu kommen.
({7})
Stattdessen treibt der Bundesumweltminister sein Zwangspfand voran, ohne sich mit den eigentlichen Konsequenzen zu befassen. Es geht ihm augenscheinlich nicht mehr
um den Schutz von Mehrweg, sondern schlicht um eine
politische Machtdemonstration.
({8})
Was würde denn durch das Zwangspfand erreicht? Der Einzelhandel wäre gezwungen, Rücknahmeautomaten für leere Flaschen und Dosen aufzustellen.
({9})
Nach Berechnung von Roland Berger wird dies fast 3 Milliarden DM kosten, nach Schätzung der Bundesregierung
immerhin noch fast 2 Milliarden DM. Dazu kommen jedes Jahr erhebliche Betriebskosten und wirtschaftliche
Risiken.
Mit diesem großen Aufwand wird nur erreicht - das
muss man sich wirklich einmal vor Augen halten -, dass
Verpackungen, die der Bürger bisher in Altglas-Iglus oder
in die Wertstofftonne gegeben hat, in teuren Automaten
erfasst werden müssen. Im Ergebnis wird der Einzelhandel gezwungen sein, das neue System so wirtschaftlich
wie möglich zu gestalten. Darum schafft das Pfand einen
ökonomischen Zwang, mehr Einweg zu verkaufen als bisher. Vor dieser Entwicklung haben besonders auch die
Umweltverbände gewarnt. Eine Vielzahl wissenschaftlicher Untersuchungen ist zum gleichen Ergebnis gekommen.
Auch in der Praxis hat sich bestätigt, dass das Zwangspfand dem Mehrweg überhaupt nicht hilft. In Schweden,
wo es seit Jahren ein Zwangspfand gibt, ist der Mehrweganteil bei Bier nicht einmal mehr halb so hoch wie in
Deutschland. Heute Morgen konnte man den Nachrichten
entnehmen, dass es in Schweden wegen illegaler Einfuhr
aus anderen Ländern bei Dosen einen Rücklauf von - man
höre und staune - 120 Prozent gibt.
Der Bundesumweltminister hat offenbar keinen einzigen neutralen Gutachter gefunden, der ihm eine positive
Lenkungswirkung seines Zwangspfandes bescheinigt.
({10})
- Ich komme darauf zurück.
Außer einem wenige Seiten langen Papier des Umweltbundesamtes, nach dem eine positive Wirkung des
Zwangspfandes, Herr Kollege Kelber, nicht ausgeschlossen werden kann, hat er nichts, aber auch gar nichts vorzuweisen.
({11})
Damit ist die berechtigte Forderung der Länder nicht erfüllt, vor Erlass der Vorschrift nachzuweisen, dass sie der
Umwelt tatsächlich nutzt.
Das Gleiche gilt für die angebliche Landschaftsverschmutzung durch Getränkeverpackungen.
({12})
Eine repräsentative Untersuchung des TÜV hat ergeben,
dass nur 6 Prozent der Verschmutzung der Innenstädte
und der sonstigen öffentlichen Flächen durch Dosen oder
Flaschen hervorgerufen werden. Laut TÜV würde das
Zwangspfand kaum etwas dazu beitragen, Deutschlands
Straßen und Plätze sauberer zu machen. All diese Gutachten können Sie gar nicht widerlegen.
({13})
Es steht fest, dass umfassende Maßnahmen - Verbraucherinformationen, mehr Sammelbehälter, Reinigung von Verschmutzungsschwerpunkten, konsequenter
Vollzug des Ordnungsrechts - viel mehr bewirken würden. Dieses Vorgehen wird durch die Zusage der Wirtschaft erleichtert, die Kommunen um Kosten in Höhe von
250 Millionen DM zu entlasten, damit gegen die Landschaftsverschmutzung besser vorgegangen werden kann.
Weil die Sachargumente ausgegangen sind, klammern
sich SPD und Grüne an Meinungsumfragen, die von den
Anhängern des Zwangspfandes in Auftrag gegeben wurden. Ähnliche Umfrageergebnisse gab es auch für die
Ökosteuer, solange sich die Bürger über die Konsequenzen nicht im Klaren waren.
Wenn die Verbraucher an einem Samstag zum ersten
Mal vor den Zwangspfandautomaten Schlange stehen,
dann wird die Stimmung umschlagen. Das Zwangspfand
führt zu einer Verteuerung der Getränke,
({14})
weil die Milliardenkosten für das neue Rücknahmesystem
gar nicht anders finanziert werden können. Zudem bürdet
es den Verbrauchern erkennbar sinnlose Tätigkeiten auf.
Das Zwangspfand wird in der Praxis genauso unbeliebt
wie das Abkassieren des Autofahrers an der Zapfsäule
sein. So bleibt dem Bundesumweltminister als letzte Zuflucht nur noch die Drohung, dass er die alte Verpackungsverordnung anwenden werde, wenn sein
Zwangspfand scheitere.
({15})
Dazu sage ich: Nur zu, Herr Minister! Weder die Union
noch die Länder werden sich dadurch einschüchtern lassen. Bei korrekter Anwendung des geltenden Rechts wird
es in dieser Legislaturperiode nämlich kein Zwangspfand
geben.
({16})
Das Verfahren wurde von Herrn Trittin in den ersten
Monaten seiner Amtszeit eingeleitet, obwohl die prozentuale Mehrwegquote gar nicht eindeutig unterschritten
war.
({17})
Vielmehr war der Messfehler der amtlichen Statistik
größer als die angebliche Unterschreitung der Mehrwegquote. Der Vollzug wäre daher wohl rechtswidrig. Dagegen klagen bereits betroffene Unternehmen vor dem Verwaltungsgericht Berlin. Außerdem gibt es einen breiten
politischen Konsens, dass Wein, Getränkekartons und
Diätgetränke nicht bepfandet werden sollen. Zudem fehlt
bisher jede fundierte Aussage darüber, ob nicht auch
PET-Einwegflaschen das Prädikat der ökologischen Vorteilhaftigkeit erwerben werden.
Eine Bewertung als „ökologisch vorteilhaft“ ist auch
dann möglich, wenn eine solche Verpackung in der vom
Dualen System zu erbringenden Rücklaufquote einer
hochwertigen Verwertung zugeführt wird. Das zeigt das
Beispiel der Kartonverbundverpackungen. Behauptungen
aus dem Bundesumweltministerium, ein solches Ergebnis
sei nur über hohe Rücklaufquoten im Rahmen einer Pfandregelung möglich, sind daher haltlos. Deswegen muss der
Vollzug der geltenden Regelung ausgesetzt werden. In
der nächsten Legislaturperiode werden wir dann aus einer
anderen Position gerne daran mitwirken, die Verpackungsverordnung umfassend zu novellieren.
Um seine Niederlage noch abzuwenden, schaltet der
Bundesumweltminister jetzt sogar Anzeigen, in denen er
für seinen Zwangspfand wirbt. Die Bundesregierung ist
nicht berechtigt, mit dem Geld des Steuerzahlers Werbung
zu bezahlen, um in einer laufenden Beratung die politische Opposition niederzuwalzen. Der Bundesumweltminister wird sein Ziel nicht erreichen, sondern Opposition
und Länder nur noch weiter gegen sich aufbringen. Er
wird nicht verhindern können, dass am Ende des Weges
ein Kompromiss ohne Zwangspfand steht, der für Umwelt, Verbraucher und Wirtschaft die bessere Lösung ist.
Vielen Dank.
({18})
Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, noch ein Nachtrag zu Tagesordnungspunkt 18: Bei den vielen Abstimmungen ist eine
Zustimmung aus der SPD-Fraktion zum Entschließungsantrag der PDS im Gewühl untergegangen.
Jetzt erteile ich das Wort dem Bundesumweltminister
Jürgen Trittin.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! 9 Milliarden Liter Getränke werden
jedes Jahr in Einwegverpackungen abgefüllt, davon
- Tendenz: steigend - 3 Milliarden in Dosen. All die Beispiele, die Sie hier genannt haben, können überhaupt nicht
erklären, warum man diese neuen Getränke in Dosen abfüllen muss. Es gibt viele andere Möglichkeiten.
Damals hat Klaus Töpfer einen Mechanismus festgeschrieben, der besagt: Wenn die Quote der Mehrwegverpackungen von 72 Prozent unterschritten wird, tritt
eine Sanktion in Kraft. Sie haben noch 1998 unter meiner
Amtsvorgängerin dieses alles bestätigt und ausgebaut.
Sie, Herr Kollege Wittlich, haben eine Rede gehalten gegen die Position von Frau Merkel und gegen die Position
von Herrn Töpfer.
({0})
Wenn ich höre: „Wir brauchen eine Selbstverpflichtung“, sage ich: Das, was 1991 verabschiedet worden ist,
war eine Selbstverpflichtung. - Der Staat hat nicht gesagt:
„Macht das so oder so“, sondern der Staat hat gesagt: Ihr
müsst die Quote halten. Wie ihr es erreicht, das ist eure Sache. - Jetzt sagen Sie: Wir müssen eine neue Messlatte anlegen. -Wissen Sie, wie Sie mir vorkommen? Wie ein
Hochspringer, der dreimal gerissen hat und sagt: Dann
hänge ich das Ganze 50 Zentimeter tiefer. Das ist das Gegenteil einer glaubwürdigen Umweltpolitik!
({1})
Ich hätte mich ja auch des Nichtstuns befleißigen können.
({2})
Wissen Sie, was dann käme? Dann käme jetzt das MerkelPfand. Das hieße, Bier und Mineralwasser würden bepfandet, Pepsi und Cola nicht, Weinflaschen hingegen
doch.
({3})
- Das ist eine intelligente Lösung, Frau Homburger. Das
glaube ich in der Tat.
({4})
Die Unternehmen, die in diesem Sektor tätig sind,
brauchen Rechtssicherheit. Die Verpackungsverordnung
ist vor zehn Jahren eingeführt worden. Im Vertrauen auf
diese Regelungen haben deutsche Brauereien über 1 Milliarde DM in modernste Mehrwegsysteme investiert. Sie
verdienen von unserer Seite, vonseiten des Bundestages,
des Bundesrates und der Bundesregierung, für diese Investition einen Vertrauensschutz.
({5})
Wir haben lange über Alternativen zum Pfand verhandelt. Das wissen Sie. Aber eines ist auch wahr: Einige sagen, es gebe bessere Sanktionsmöglichkeiten. Bevor Sie
die aber zitieren, sollten Sie zu Ende lesen. Die sagen
nämlich: Pfand vielleicht nicht, stattdessen machen wir
eine Abgabe oder gar eine Verpackungssteuer. Ich freue
mich schon darauf, wenn die Landesregierung von Baden-Württemberg eine neue Verpackungssteuer einführen
will, da in der gestrigen Umweltministerkonferenz deutlich geworden ist, dass als Erste die Hessen in dieser
Frage Nein rufen.
Halten wir also fest: Alternativen sind nach dreijährigen Verhandlungen entweder nicht mehrheitsfähig oder
sie stellen nichts anderes dar als die Absenkung der alten
Quote im Rahmen der Selbstverpflichtung. Sie haben
keinerlei ökologische Lenkungswirkung.
({6})
Wir haben eine sehr präzise und überschaubare Zusammenfassung aller Erkenntnisse über die ökologische
Lenkungswirkung in Form des Gutachtens des Umweltbundesamtes vorgelegt. Das ist präzise nachzulesen. Das
Umweltbundesamt kommt zu einem eindeutigen Ergebnis, Herr Kelber hat das Gutachten zitiert. Aber wissen Sie, was mich viel mehr überzeugt als das Gutachten
meines eigenen Umweltbundesamtes? Es ist die inzwischen sehr stark zunehmende Zahl von Schreiben derjenigen, die Einwegverpackungen herstellen. Wenn Ihre Behauptung stimmen würde, dass das Pfand dem Mehrweg
nicht hilft, warum läuft dann die ganze Einwegindustrie
dagegen Sturm? Die müssten doch Hurra schreien, da
müssten doch die Champagnerkorken knallen, wenn das
richtig wäre.
({7})
Die Stellungnahmen derjenigen, die davon unmittelbar
betroffen sind, sind in der Tat völlig eindeutig.
Bevor Sie noch einmal ein TÜV-Gutachten zur Vermüllung der Landschaft zitieren, Herr Kollege Wittlich,
will ich Sie auf Folgendes hinweisen. Der TÜV hat untersucht, wie groß die Fläche ist, die inzwischen von Müll
bedeckt ist, und hat herausgefunden, dass es 6 Prozent
sind. Das finde ich schon ziemlich erschreckend. Aber er
hat nicht gesagt, dass nur 6 Prozent des in der Landschaft
herumliegenden Mülls Getränkeverpackungen sind.
Nein, der Anteil der Getränkeverpackungen beträgt
20 Prozent, ein Fünftel des in der Landschaft herumliegenden Mülls.
({8})
Dann hat der TÜV noch einen Fehler gemacht. Er hat
nämlich nur die Landschaft und nicht die Autobahnen und
ihre Ausfahrten betrachtet; er hat also 11 000 Kilometer
aus der Betrachtung herausgelassen. So solide sind Ihre
Gutachter. Sie sollten das demnächst nachlesen, bevor Sie
einfach einen Text vortragen, den Ihnen jemand anders
aufgeschrieben hat.
({9})
Deswegen glaube ich: Für die Menschen in diesem
Lande liegen die Argumente für das Dosenpfand im wörtlichen Sinne auf der Straße. Sie wollen sich mit der zunehmenden Vermüllung unserer Parks und der ganzen
Landschaft nicht abfinden. Sie haben sehr wenig Verständnis für Vorschläge wie: „Wir haben ein Müllproblem, deshalb geben wir jetzt im Rahmen einer freiwilligen Selbstverpflichtung eine viertel Milliarde oder gar
eine halbe Milliarde aus, um den ganzen Müll wieder einzusammeln“, wenn es eine Alternative gibt, dass dieser
Müll gar nicht erst in die Landschaft kommt. Die Alternative ist das Pfand; denn es bleibt wahr: Niemand
schmeißt ohne Grund Geld auf die Straße.
({10})
Ich will Sie nur noch an eines erinnern. Sie sollten das
nicht unter dem Stichwort „machtpolitische Spielchen“
oder Ähnlichem abtun. Es hat 1991 eine Entschließung
des Bundesrates zur Verpackungsverordnung gegeben.
Damals hat man gesagt, das Ziel einer Mehrwegquote
von 72 Prozent sei nicht ambitioniert genug; wir bräuchten ein ambitionierteres Ziel. Deshalb hat der Bundesrat
die Bundesregierung in einer Entschließung aufgefordert,
die Mehrwegquote nicht etwa zu halten, sondern sie zu
dynamisieren. Nach dem Beschluss des Bundesrates, damals mit den Stimmen von CDU- und CSU-Ländern gefasst, müssten wir heute eine Mehrwegquote von 81 Prozent haben.
({11})
Wenn Sie das berücksichtigen, dann dürfte es Sie nicht
wundern, dass das Ganze für einen parteipolitischen Streit
überhaupt nicht taugt. Deswegen freue ich mich, dass der
Bayerische Landtag in Kenntnis der Situation in Bayern
so beschlossen hat, wie er beschlossen hat. Es ist nämlich
auch in Bayern deutlich geworden: Es geht hier nicht nur
um umweltgerechte Kreislaufwirtschaft, es geht auch und
gerade darum, Zehntausende von Arbeitsplätzen in der
mittelständischen Brauereiwirtschaft, in den mittelständischen Getränkefach- und -großhandlungen zu erhalten.
Es geht, jenseits aller Umweltpolitik und aller wirtschaftspolitischen Auswirkungen, auch darum, das zu erhalten, was unsere Kultur sehr prägt, nämlich die Vielfalt
kleiner Brauereien und der unterschiedlichen Traditionen
in diesem Lande, Bier zu produzieren. Das soll nicht
durch die Dose und durch Einweg platt gemacht werden.
({12})
Jetzt spricht die Kollegin Birgit Homburger für die F.D.P.-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Das Thema, das uns heute
hier beschäftigt, beschäftigt auch die Menschen im Land.
Sie aber diskutieren das Thema hier in einer halben
Stunde; es wird im Plenum durchgepeitscht. Das halte ich
für absolut unangemessen.
({0})
Es ist bezeichnend für die Koalition: nur nicht viel Zeit für
eine Sachdebatte, für Inhalte; sie könnte ja dazu genutzt
werden, Ihre Argumente zu entkräften.
({1})
Deshalb gilt für Sie trotz vielfältiger Bedenken der
Länder, der EU-Kommission, der Wirtschaft oder auch
des BUND, der nicht in Verdacht steht, der F.D.P. nahe zu
stehen: Sie wollen die Sache jetzt durchtrotzen, obwohl
klar ist, dass das Zwangspfand ökologisch und ökonomisch unsinnig, ein Bärendienst für die Umwelt ist.
({2})
Aus diesem Grunde lehnt die F.D.P. die Novelle der
Verpackungsverordnung ab. Uns ist ökologische Sachpolitik wichtiger als ideologische Prestigeobjekte zur Rettung der Grünen.
({3})
Die aktuellen Ökobilanzen des Umweltbundesamtes
zeigen ohnehin, dass Mehrwegverpackungen nicht durchgängig als ökologisch vorteilhaft bezeichnet werden können. Vielmehr sind moderne Getränkekartons der Glasmehrwegflasche ökologisch gleichwertig. Das erkennt
die von Ihnen vorgelegte Novelle ja nun auch durch die
Einteilung in ökologisch vorteilhafte und ökologisch
nachteilige Verpackungen an. Konsequenterweise müsste
Herr Trittin jetzt aber auch zugeben, dass der Anteil ökologisch sinnvoller Verpackungen in den letzten Jahren
eben nicht gesunken, sondern gestiegen ist. Wir sind jetzt
bei einem Anteil von ungefähr 80 Prozent.
({4})
Aus ökologischer Sicht gibt es also überhaupt keinen
Grund, ein Zwangspfand zu erheben. Das Ganze ist ein
Schildbürgerstreich erster Klasse.
({5})
Herr Trittin, ich kann Ihnen nur sagen: Bei Ihnen siegt
einmal mehr ideologische Verbohrtheit über ökologische
Erkenntnis und intellektuelle Redlichkeit.
({6})
Hören Sie endlich auf zu sagen, wir wollten nichts mehr
von dem wissen, was wir früher gemacht haben! Die alte
Verpackungsverordnung und die Novelle von 1998 sind
zu einer Zeit entstanden, als die neuen Erkenntnisse noch
nicht vorlagen; sie sind auf dem damaligen Stand der Wissenschaft.
({7})
Wir sind lernfähig und wollen die neuen Erkenntnisse in
der neuen Verordnung umsetzen.
({8})
- Wenn Sie so dazwischenrufen, zeigt das, dass man Sie
getroffen hat.
Die Politik ist nun einmal nicht dazu da, Steckenpferde
vor sich herzutragen, sondern muss neue wissenschaftliche Studien zur Kenntnis nehmen. Deshalb ist eines ganz
klar: Weder die von Ihnen vorgelegte Novelle noch die
alte Verpackungsverordnung ist eine Lösung für die Zukunft.
({9})
Es muss eine komplette Neufassung im Sinne des F.D.P.Antrags her. Herr Trittin, Ihr Entwurf ist nicht die bessere,
sondern die schlechtere Alternative.
({10})
Als Gegenleistung für einen ins Groteske steigenden
Sammel- und Transportaufwand müssen die Verbraucher höhere Preise zahlen, weil - ich will nur den Grünen
Punkt als ein Beispiel nennen - die Einnahmeausfälle
durch das Zwangspfand auf die restlichen Verpackungen
umgelegt werden. Das Zwangspfand ist also eine Veralberung der Bürgerinnen und Bürger: Je mehr gesammelt
und getrennt wird, desto teurer wird der Spaß.
({11})
Im Übrigen lässt sich das Problem der Vermüllung
der Landschaft nicht durch ein Zwangspfand lösen. Ich
danke Herrn Trittin, dass er Herrn Kelber in diesem
Punkt korrigiert hat. Die Getränkeverpackungen haben
nämlich nur einen Anteil von 20 Prozent und nicht von
25 Prozent.
({12})
Spielen Sie doch nicht ständig den Menschen vor, die
Landschaft würde wieder sauber, wenn dieser Anteil aussortiert worden ist! In der Landschaft liegt doch noch viel
mehr. Nehmen Sie das endlich zur Kenntnis! Wir wollen,
dass Sie nicht weiter verantwortungslos handeln, sondern
dass insgesamt Lösungen für die Zukunft gefunden
werden.
Deswegen werden wir überlegen müssen, wie man der
Vermüllung der Landschaft entgegenwirken kann. Anstatt
dass Sie Trittin als Dosenpolizist in Stellung bringen, sollten Sie sich besser einmal Gedanken darüber machen, was
man in Umweltbildung und Umwelterziehung Sinnvolles
tun könnte!
({13})
Warum machen Sie nicht beispielsweise Aktionen zusammen mit den Herstellern von Dosen und richten einen
Fonds ein? Wenn Ihnen so sehr daran liegt, dann starten
Sie doch Aktionen zum Sammeln von Dosen! Das wäre
dann ein Beitrag zur Umweltbildung und -erziehung und
für eine bessere umweltpolitische Zukunft.
Vielen Dank.
({14})
Ich erteile der Kollegin Eva Bulling-Schröter für die PDS-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal muss
ich Frau Homburger Recht geben, denn auch ich halte
eine halbe Stunde Diskussion für sehr kurz.
Ich habe zu diesem Thema einen praktischen Vorschlag. Man könnte dem Problem doch in Form einer
Bierprobe näher treten: Weizenbier aus einem schönen
Glas und Weizenbier aus der Dose. Vielleicht, Herr
Wittlich, würden Sie dann ganz anders über diese Frage
denken, denn sie entscheidet sich doch letztlich in der
Kaufhalle.
Worum ging es denn in der Verpackungsverordnung?
Was war denn die Intention ihrer Einführung? Es ging ja
nicht nur um die Vermüllung der Umwelt und der Landschaften. Das ist zwar sicher ein Problem, aber es ging
doch auch um Ressourcenschonung und um Kreislaufwirtschaft. Darüber hat heute leider niemand gesprochen.
Gestern habe ich tolle große Reden zum Thema Nachhaltigkeit in Europa gehört. Ich denke, Nachhaltigkeit ist
auch im Bereich der Müllvermeidung ein wichtiges
Thema. Nicht zuletzt deswegen wurde die Verpackungsverordnung eingeführt.
Wir haben darüber im Umweltausschuss diskutiert.
Die PDS hat einen entsprechenden Antrag eingebracht.
Wir wollten, dass § 9 der Verpackungsverordnung weiterhin eine gesetzliche Überprüfungspflicht vorsieht. Leider haben alle übrigen Fraktionen des Hauses das abgelehnt. Offensichtlich wurde ich auch missverstanden.
Jetzt gibt es diese gesetzliche Verpflichtung zur Überprüfung leider nicht mehr.
Wir wollten darüber hinaus eine verbindliche Mehrwegquote festschreiben, die in § 9 der Verpackungsverordnung jetzt auch nicht mehr vorhanden ist. Ich denke,
das ist sehr schade. Sie vergeben sich damit etwas. Mal sehen, ob in Zukunft, wenn es also keine gesetzliche Überprüfungspflicht mehr gibt, noch so überprüft wird wie
bisher. Das wäre eine wichtige Sache gewesen. Ich finde
es schade, dass Sie hier nicht mitgehen konnten.
({0})
Im Zusammenhang mit den Dosen wurde über den
Wandel der Verhältnisse gesprochen. Ich denke, das ist
auch eine Frage der Mischkalkulation der Kaufhäuser.
Darüber sollten wir noch einmal sprechen. Auch über
ökologische Bilanzen wurde hier schon diskutiert. Es ist
wirklich so, dass bei der Ökobilanz von Dosen Entfernungen durchaus eine Rolle spielen. Auch sollten wir
über regionale Kreisläufe sprechen. Das ist nicht getan
worden.
Ich meine, Einweg kann kein Weg sein. Die Novellierung der Verpackungsverordnung ist ein erster Schritt. Allerdings würde ich gerne von Herrn Trittin wissen - leider
kann er mir nicht mehr antworten -, was mit dem
Zwangspfand passiert, wenn die Quoten weiter sinken.
Auf diese Frage kann ich heute leider keine Antwort mehr
erhalten. Ich hoffe, dass wir uns nächstes Jahr wieder darüber unterhalten.
Danke.
({1})
Ich schließe die Aussprache.
Es liegen schriftliche Erklärungen nach § 31 der Geschäftsordnung vor, und zwar seitens der SPD-Fraktion
von Andrea Nahles, Bernhard Brinkmann ({0}),
René Röspel, Willi Brase und Heino Wiese ({1})
sowie seitens der CDU/CSU-Fraktion von Hartmut
Koschyk.1)
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zur
Zweiten Verordnung der Bundesregierung zur Änderung
der Verpackungsverordnung, Drucksachen 14/5941 und
14/6072. Der Ausschuss empfiehlt, der Verordnung der
Bundesregierung zuzustimmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Bei Zustimmung der SPD und des Bündnisses 90/
Die Grünen sowie einiger Kollegen der CDU/CSUFraktion
({2})
- ich hatte drei gesehen; also gut, von genau zwei Abgeordneten der CDU/CSU -, bei Ablehnung der CDU/CSU
im Übrigen, bei Ablehnung der F.D.P. sowie bei Enthaltung der PDS ist die Beschlussempfehlung angenommen.
({3})
Wir stimmen über den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/6103 ab. Wer ist
für den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/
CSU? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist abgelehnt.
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der
F.D.P. zur Novellierung der Verpackungsverordnung und
Flexibilisierung der Mehrwegquote, Drucksache 14/5301.
Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/3814 abzulehnen. Wer ist für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 19 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgit
Homburger, Marita Sehn, Ulrike Flach, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Für eine wirksame und vernunftgeleitete
Chemikaliengesetzgebung
- Drucksache 14/5761 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({4})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Die Reden der Kollegen der SPD, der CDU/CSU, des
Bündnisses 90/Die Grünen, der F.D.P. und der PDS zu
diesem Tagesordnungspunkt sind zu Protokoll gegeben
worden.2)
Interfraktionell wird Überweisung des Antrags der
F.D.P. auf Drucksache 14/5761 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie
damit einverstanden? - Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 22 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Vorbereitung eines registergestützten Zensus
({5})
- Drucksache 14/5736 ({6})
a) Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({7})
- Drucksache 14/6068 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Barbara Wittig
Beatrix Philipp
Cem Özdemir
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
b) Bericht des Haushaltsausschusses ({8})
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 14/6069 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Gunter Weißgerber
Dietrich Austermann
Oswald Metzger
Dr. Werner Hoyer
Dr. Christa Luft
Ich eröffne die Aussprache. Auch bei diesem Tages-
ordnungspunkt sind Reden zu Protokoll gegeben wor-
den.3)
Für die PDS spricht die Kollegin Petra Pau.
1) Anlage 4 und 5
2) Anlage 6
3) Anlage 7
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das, was jetzt auf der Tagesordnung
steht, klingt im Verhältnis zu den Dingen, die wir heute
bereits debattiert haben, vergleichsweise harmlos:
({0})
„Vorbereitung eines registergestützten Zensus.“ Aber
schon die Überschrift führt uns in die Irre.
Worum geht es eigentlich? Es geht um nicht mehr und
nicht weniger als um ein Gesetz, welches dem vom Bundesverfassungsgericht vorgegebenen und kreierten informationellen Selbstbestimmungsrecht von Bürgerinnen
und Bürgern zumindest in Teilen widerspricht.
({1})
In einem noch unter der Vorgängerregierung gefassten
Bundestagsbeschluss aus dem Jahre 1998 begrüßte der
Deutsche Bundestag ausdrücklich, zukünftige Erhebungen und Volkszählungen nur noch in Form einer stichtagsbezogenen Auswertung der Melderegister vorzunehmen.
In diesem Gesetz aber - wenn es denn hier angenommen wird - nehmen wir uns vor, erstens eigens das
Sozialgesetzbuch zu ändern, zweitens die Daten der Melderegister und der Bundesanstalt für Arbeit zusammenzuführen und drittens 750 000 Bürgerinnen und Bürger mit
einem Fragebogen mit 120 bis 150 Fragen zu belästigen.
Wenn sie nicht bereit sind, diese Fragen - sowohl zu ihrer
Person als auch zu bisher geschlossenen und geschiedenen Ehen sowie dem Zusammenleben in nicht ehelichen
Lebensgemeinschaften - zu beantworten, sind sie entsprechend dem Statistikgesetz auch Sanktionen unterworfen.
Letztendlich geht es also um einen erheblichen Eingriff
in das informationelle Selbstbestimmungsrecht der Bürgerinnen und Bürger.
({2})
Es besteht die Gefahr, welche nicht nur von uns, sondern
auch von einzelnen Landesdatenschutzbeauftragten gesehen wird,
({3})
dass, über die eigentliche Erhebung der Statistik hinaus,
Persönlichkeitsprofile erstellt werden können. Das
heißt, die Methoden, die hier getestet werden, erlauben es,
die Bürger über die Statistik hinaus zu katalogisieren und
zu registrieren.
Letztendlich beschließen wir hier eine Volkszählung
hinter dem Rücken der Bürgerinnen und Bürger. Ehrlich
wäre es gewesen, als Überschrift zu wählen: „Gesetz über
eine neue Form der Volkszählung“. Deshalb lehnen wir
diesen Gesetzentwurf ab.
({4})
Da die übrigen Reden
zu Protokoll gegeben worden sind, kann ich die Aussprache schließen.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Zensusvorbereitungsgesetzes, Drucksache 14/5736. Der Innenausschuss empfiehlt auf Drucksache 14/6068, den
Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung gegen die Stimmen der
PDS angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung: Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Der Gesetzentwurf ist gegen die Stimmen der
PDS angenommen.
Ich rufe Zusatzpunkt 10 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Maritta
Böttcher, Dr. Heinrich Fink, Pia Maier, weiteren
Abgeordneten und der Fraktion der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Absicherung der verfassten Studierendenschaft
- Drucksache 14/5760 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({0})
Rechtsausschuss
Haushaltsausschuss
Die Reden der Kollegen der SPD, der CDU/CSU, des
Bündnisses 90/Die Grünen und der F.D.P. sind zu Proto-
koll gegeben worden.1)
Ich erteile der Kollegin Maritta Böttcher für die PDSFraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Da-
men und Herren! Die Aufsetzung dieses Tagesordnungs-
punktes hat die PDS beantragt; daher möchte ich schon
unseren Standpunkt darlegen. Es liegt nicht an mir, dass
er erst um diese Zeit behandelt wird.
„Demokratie statt Zwang - Aufstehen für freie Bildung
und kritische Wissenschaft!“ - So lautete das Motto eines
bundesweiten Aktionstages an diesem Mittwoch, zu dem
zahlreiche Studierendenvertretungen und studentische
Organisationen aufgerufen hatten.
„Demokratie statt Zwang“ könnte auch über unserem
Gesetzentwurf stehen. Die PDS fordert den Deutschen
Bundestag zur Lösung eines Problems auf, mit dem wir es
seit über 30 Jahren zu tun haben, spätestens seit 1968, als
der Studierendenschaft der Universität Tübingen gericht-
lich untersagt wurde, gegen die Erschießung des Studen-
ten Benno Ohnesorg zu protestieren. Denn - so führte das
Verwaltungsgericht damals aus - „nicht jeder Tod eines
Studenten ist hochschulbezogen.“
1) Anlage 8
Demokratisch gewählte Studierendenvertretungen
müssen sich immer wieder wegen rechtswidriger Wahrnehmung des so genannten allgemeinpolitischen Mandats
vor Gericht verantworten. Studentenausschüssen und Studentenräten drohen Ordnungsgelder in Höhe von bis zu
500 000 DM. Deren Vorsitzende wurden wiederholt auch
strafrechtlich zur Verantwortung gezogen.
Insbesondere an den Hochschulen in den neuen Ländern stößt diese Rechtslage auf absolutes Unverständnis;
denn gerade dort hat 1989 eine demokratische Studentenbewegung für das Recht auf Mitbestimmung und Selbstverwaltung sowie für Meinungs- und Demonstrationsfreiheit gestritten.
({0})
In den letzten Jahren hat die Zahl der Klagen und
Gerichtsentscheidungen gegen Studierendenvertretungen
wieder deutlich zugenommen. Immer häufiger wird sogar
das Engagement gegen Rechtsextremismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit sowie die kritische
Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus als
verbotene Wahrnehmung des so genannten allgemeinpolitischen Mandats unterbunden und kriminalisiert. So
wurde beispielsweise der AStA der Freien Universität
Berlin mit einem Ordnungsgeld in Höhe von 10 000 DM
bestraft, weil er eine Veranstaltung zum Thema „Rassistische Diskurse - Rassistischer Alltag“ organisiert hatte.
Der AStA der Universität Münster musste ebenfalls ein
Ordnungsgeld bezahlen, weil die Fachschaftsvertretung
für Geschichte ein Zeitzeugengespräch mit dem ehemaligen KZ-Häftling und Widerstandskämpfer Emil
Carlebach veranstaltet hatte.
Es ist doch geradezu absurd: Politikerinnen und Politiker, aber auch die Hochschulrektorenkonferenz - so mit
ihrer Erklärung vom Oktober 2000 - rufen die Hochschulmitglieder aus Sorge um das internationale Ansehen
zu Recht dazu auf, gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus einzutreten.
({1})
Gewählte Studierendenvertreter, die diese Appelle ernst
nehmen, begeben sich aber buchstäblich mit einem Bein
ins Gefängnis. Das dürfen wir nicht länger zulassen.
({2})
Die PDS-Fraktion beantragt daher eine Änderung des
Hochschulrahmengesetzes. Studentinnen und Studenten
müssen an der Debatte über die gesellschaftlichen Grundlagen und Rahmenbedingungen von Forschung, Lehre
und Studium aktiv teilhaben können,
({3})
erst recht dann, wenn es um die Autonomie der Hochschulen geht; darin stimmen Bund und Länder überein.
Hierzu gehört auch das Recht - nach meinem Verständnis
sogar die Pflicht -, zu allen gesellschaftlichen Fragen
Stellung beziehen zu können.
Wie der Deutsche Industrie- und Handelstag, ebenfalls
eine öffentlich-rechtliche Körperschaft mit Pflichtmitgliedschaft, ganz selbstverständlich über sein so genanntes wirtschaftspolitisches Mandat hinaus beispielsweise
die Einführung von Studiengebühren fordert, müssen sich
auch Studierendenvertretungen in aktuelle Auseinandersetzungen um die Rentenversicherung oder die Steuergesetzgebung einmischen dürfen.
({4})
Hochschulpolitik und Allgemeinpolitik lassen sich
nicht künstlich trennen. Sollen sich die Studierenden zur
BAföG-Reform äußern, aber schweigen, wenn es um
die haushaltspolitische Deckung, zum Beispiel durch
Senkung der Rüstungsausgaben, geht? Nein, nicht mit
uns!
SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben 1998 im Wahlkampf versprochen, durch eine Änderung des Hochschulrahmengesetzes die verfasste Studierendenschaft abzusichern. In Kürze wird die Bundesregierung aus Anlass der
Reform des Hochschuldienstrechts einen Entwurf für eine
HRG-Novelle vorlegen, jedoch ohne die versprochene
Absicherung. Ich frage Sie, meine Damen und Herren von
den Koalitionsfraktionen: Worauf warten Sie eigentlich
noch? Ich weiß, dass die Studierenden, auch soweit sie in
den Jugendverbänden der Regierungsparteien organisiert
sind, keine Geduld mehr mit Ihnen haben.
Mit unserem Gesetzentwurf zeigen wir Ihnen auf, wie
einfach es wäre, Wahlversprechen zu erfüllen. Und in diesem Fall kostet es noch nicht einmal etwas.
Stimmen Sie also unserem Gesetzentwurf zu! Ich habe
ein offenes Ohr für begründete Änderungsanträge. Eine
Ablehnung aber wäre wirklich ein Schlag in das Gesicht
der Studentinnen und Studenten, die übrigens - das
möchte ich Ihnen fairerweise sagen - vor der Tür warten
und der Entscheidung entgegensehen.
({5})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 14/5760 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Sie sind damit
einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 sowie den
Zusatzpunkt 11 auf:
24. Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung des Hinterbliebenenrechts
- Drucksache 14/6043 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung ({0})
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
ZP 11 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Maria
Böhmer, Horst Seehofer, Karl-Josef Laumann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/
CSU
Unzumutbare Belastungen in der Hinterbliebenensicherung zurücknehmen
- Drucksache 14/6042 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung ({1})
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Die Reden sind alle zu Protokoll gegeben worden.1)
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksache 14/6043 und 14/6042 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Damit sind Sie einverstanden. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf:
25. Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Eindämmung illegaler Betätigung im Baugewerbe
- Drucksache 14/4658 ({2})
Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({3})
- Drucksache 14/6071 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dieter Grasedieck
Elke Wülfing
Carl-Ludwig Thiele
Heidemarie Ehlert
Auch hier sind die Redebeiträge zu Protokoll gegeben
worden.2)
Damit kommen wir sogleich zur Abstimmung über den
vom Bundesrat eingebrachten Gesetzentwurf zur Eindämmung illegaler Betätigung im Baugewerbe, Drucksachen 14/4658 und 14/6071. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen worden.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Ich
stelle mit großer Freude fest, dass der Gesetzentwurf einstimmig, also mit der Zustimmung aller Fraktionen, angenommen worden ist.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 30. Mai 2001, 13 Uhr, ein.
Ich wünsche Ihnen allen ein schönes Wochenende.
Die Sitzung ist geschlossen.