Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 5/18/2001

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Als nächster Redner hat der Kollege Ronald Pofalla von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.

Ronald Pofalla (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001726, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 101 Jahre ist das Bürgerliche Gesetzbuch Anfang dieses Jahres alt geworden. Am 1. Januar 1900 trat es in Kraft. ({0}) So alt können Sie gar nicht werden. Seit 101 Jahren gilt damit auch - in natürlich immer wieder veränderter und ergänzter Form - das im Bürgerlichen Gesetzbuch geregelte Schuldrecht. ({1}) - Sie sollten sich angesichts Ihres Alters durchaus zurückhalten. Trotz zahlreicher Nebengesetze und Ergänzungen, trotz der Rechtsfortbildung durch die Rechtsprechung blieb jedoch die dem Schuldrecht zugrunde liegende Systematik weitgehend unverändert. Einer der Hauptgründe hierfür ist die hervorragende fachliche und intellektuelle Arbeit der damals an der Entwicklung und Zusammenfassung des Zivilrechts in Deutschland beteiligten Juristen. Über Jahre wurde an dem Gesetzeswerk gearbeitet. Fachliche Überlegungen dominierten und sachliche Lösungen siegten über die meist parteipolitischen Interessen. Das Resultat dieser Arbeit konnte und kann sich noch immer sehen lassen. Das Bürgerliche Gesetzbuch und damit das Schuldrecht sucht hinsichtlich der juristischen Qualität seinesgleichen: kurze, verständliche Paragraphen, eine geradezu mathematische Genauigkeit der Definitionen, eine klare, von juristischem Sachverstand geprägte Struktur. Das alles soll sich nun nach dem Entwurf, den wir heute hier diskutieren, ändern - ein bemerkenswerter Vorgang. Im Vergleich zu vielen heutzutage erlassenen Gesetzen mit ihren Bandwurmparagraphen und ihren technischen und zum Teil unverständlichen Formulierungen ist das BGB ein juristisches Meisterwerk, im wahrsten Sinne des Wortes ein Jahrhundertwerk. Angesichts der Bemühungen der Schöpfer des BGB mutet der vorliegende Gesetzentwurf dagegen - ich drücke mich einmal vorsichtig aus - bescheiden an. Um es auf den Punkt zu bringen: Ein mit heißer Nadel gestrickter Gesetzentwurf soll hier mit aller Gewalt durch den Gesetzgebungsvorgang getrieben werden. ({2}) Begründet wird diese Eile zunächst mit dem Ablauf der Umsetzungsfristen dreier EU-Richtlinien bis Mitte nächsten Jahres. Der Gesetzentwurf hämmert nun die Umsetzung der Richtlinien und die neun Jahre zurückliegenden Ergebnisse der Schuldrechtskommission zusammen und verbindet sie mit der Aufnahme zahlreicher sozusagen verwandter Nebengesetze in das BGB. Dann werden die Paragraphen noch schnell angeglichen und fertig ist das große Reformvorhaben des Schuldrechts. ({3}) Diese Schuldrechtsreform wurde zwar seit Jahren gefordert. Es gab aber gute Gründe für die Vorgängerbundesregierungen, das bewährte, in seiner Klarheit und Deutlichkeit einzigartige Schuldrecht keiner kurzfristigen Reform zu unterziehen. Es gibt eben kein besseres und qualifizierteres Schuldrecht; ein solches wäre auch nur über eine jahrelange Vorbereitung durch Wissenschaft und Praxis zu erarbeiten. ({4}) Bundesministerin Dr. Herta Däubler-Gmelin Meine Damen und Herren von der SPD und von Bündnis 90/Die Grünen, Reformvorhaben sind nicht so einfach vorzubereiten, wie Sie glauben, das tun zu können. ({5}) Natürlich gab es Gründe dafür, warum die Schuldrechtsreform nicht schon längst durchgeführt worden ist. ({6}) Ein über 100 Jahre altes Gesetz bedarf selbstverständlich einer kritischen Überprüfung und gegebenenfalls einer Angleichung an veränderte gesellschaftliche, ökonomische und sonstige Gegebenheiten. Doch ein Gesetz kann nicht beliebig dem jeweiligen Zeitgeist angepasst werden. ({7}) - Herr Hartenbach, wenn ich Ihre Erregung sehe, nehme ich an, dass in Ihrer Arbeitsgruppe und in Ihrem Gesetzentwurf einiges in Unordnung ist; sonst hätten Sie keine Veranlassung, sich so aufzuregen. ({8}) Ein Gesetz muss zwar den gesellschaftlichen Realitäten angepasst werden; aber ein Gesetzgebungsvorgang von dieser Bedeutung muss Regelungen im Blick haben, die eine dauernde Geltung beanspruchen können und nicht wieder in wenigen Jahren - das ist bei Ihrem Entwurf vorhersehbar - einer Änderung unterzogen werden müssen. Was ebenfalls wichtig ist: Es darf durch diese Volksvertretung kein schlechtes Recht geschaffen werden. Es muss vermieden werden, dass infolge von zu großer Hast im Gesetzgebungsverfahren Lücken entstehen oder Dinge ungeregelt bleiben. Nicht umsonst haben unsere Vormütter und Vorväter das BGB gründlich vorbereitet, bevor es in Kraft getreten ist. Die vergleichsweise wenigen Lücken und Ungenauigkeiten beweisen dies eindrucksvoll. Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, warum muss jetzt eine Gesetzesänderung übers Knie gebrochen werden, warum muss zum jetzigen Zeitpunkt mit aller Macht eine Veränderung vorgenommen werden, obwohl das Ergebnis dieser Arbeit um Längen schlechter sein wird als das bestehende, geltende Recht? ({9}) Es ist richtig: Die EU-Richtlinien müssen umgesetzt werden. Aber warum, um Himmels willen, ({10}) muss diese Umsetzung mit der vollständigen Reform des Schuldrechts verbunden werden? Warum müssen auch die Nebengesetze in das BGB integriert werden, obwohl damit unter Umständen die filigrane Systematik des bestehenden Gesetzeswerkes zerstört wird? Ich will an dieser Stelle noch nicht auf die einzelnen im Gesetzentwurf vorgesehenen Regelungen eingehen, will aber zumindest zu bedenken geben, dass es im Sinne der Sache, im Zusammenhang mit der Suche nach einem guten neuen Recht, doch konstruktiver wäre, wenn mit größerer Ruhe und weniger Eile an der Reform des Schuldrechts gearbeitet werden könnte. Mir stellt sich beispielsweise die Frage, warum die Nebengesetze, die hauptsächlich dem Verbraucherschutz dienen, nicht in einem mit dem BGB korrespondierenden eigenen Gesetz zusammengefasst werden; die neu umzusetzenden EU-Richtlinien könnten dabei gleich mit integriert werden. Über die notwendigen Änderungen des im BGB verankerten Schuldrechts ließe sich dann in einer viel unverkrampfteren Art diskutieren. ({11}) Um es hier gleich zu Beginn der Diskussion über eine Reform des Schuldrechts festzustellen: Die Union verschließt sich keinesfalls einer Reform des Schuldrechts. Wir verschließen uns allerdings einer Reform, die auf Ergebnisse hinausläuft, die qualitativ schlechter, unsystematischer und ungenauer sein werden als das bestehende Recht. ({12}) Wenn ich angesichts dieser Überlegungen an meine Ausgangsfrage denke, warum hier eine solche Eile bei der Reform des Schuldrechts an den Tag gelegt wird, so drängt sich mir der Eindruck auf, dass hier ausschließlich parteipolitische Interessen verfolgt werden. ({13}) Es soll bewährtes Recht geopfert werden, damit die Regierungskoalition und die von ihr getragene Bundesregierung als die großen Reformer in den nächsten Wahlkampf ziehen können. Frau Ministerin, Sie wollen von Ihrer gescheiterten ZPO-Reform ablenken. ({14}) - Lesen Sie doch die heute erschienenen Zeitungen! Der Artikel in der heutigen Ausgabe der „FAZ“ zu Ihrer Reform, Frau Ministerin, trägt die Überschrift: „Zurechtgestutzt - Von den Plänen der Bundesjustizministerin zur Reform des Zivilprozesses ist nicht viel übrig“. So sehe auch ich es und so sieht es meine Fraktion ebenfalls. ({15}) Frau Ministerin, Sie sind mit dem gestern verabschiedeten Gesetz an einer ganz zentralen Frage der von Ihnen beabsichtigten Politik gescheitert. Sie wollen durch eine andere umfassende Reform davon ablenken, die ungenügend vorbereitet und in der Sache schlecht ausgeführt worden ist und bei der viele Gelegenheiten, mit den Abgeordneten des Deutschen Bundestages zu diskutieren, ausgelassen worden sind. ({16}) Ich verstehe deshalb Ihr Anliegen. ({17}) Aber ich sage Ihnen: Das ist keine Entschuldigung dafür, dass die Reform des Schuldrechts in dieser Art und Weise vorbereitet worden ist. Die Bundesregierung hat, wenn ich mich richtig erinnere, auf ihrer vorletzten Kabinettssitzung einen Gesetzentwurf beschlossen, der mit dem jetzt vorliegenden wortgleich ist. Ich sage denjenigen, die heute zuhören, Folgendes, damit sie Bescheid wissen: Die Bundesregierung hätte ihren Gesetzentwurf heute nicht zur Beratung in den Deutschen Bundestag einbringen können; denn er ist zustimmungspflichtig und der Bundesrat hätte an den Beratungen beteiligt werden müssen. Das wollte die Bundesregierung nicht. Deshalb haben die Koalitionsfraktionen den Gesetzentwurf der Bundesregierung wortgleich übernommen, um wochenlange Diskussionen mit dem Bundesrat und weitere Vorbereitungen abzublocken und so bereits heute eine Diskussion über den Gesetzentwurf zu ermöglichen. ({18}) Das ist ein Vorgehen, das für sich selber spricht und das wir entschieden ablehnen. ({19}) Ihrem parteipolitischen Eifer um jeden Preis ist jetzt schon die Reform der Rente, des Betriebsverfassungsgesetzes, gestern die der Zivilprozessordnung und vor einigen Wochen des Mietrechts ({20}) - ich weiß, dass Sie es nicht gerne hören - zum Opfer gefallen. In der Sache sind Lösungen gefunden worden, die Sie selber schon in wenigen Monaten und Jahren korrigieren müssen; denn die Reformen sind nicht ausgereift. ({21}) Wir sollten vermeiden, dass wieder einmal ein halb gares Gesetz dieses Haus verlässt. Wir sollten alles daran setzen, die Teile aus dem Gesetzentwurf herauszunehmen, die jetzt umgesetzt werden müssen. Das betrifft im Kern die Teile, mit denen die drei EU-Richtlinien in nationales Recht umgesetzt werden sollen. Ich biete Ihnen für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion an, in der nächsten Legislaturperiode - dann natürlich unter unserer Führung ({22}) eine grundlegende Reform des Schuldrechts vorzunehmen, die durchdacht und qualifiziert sein wird, sich am Markt orientieren und in der Sache deutlich besser sein wird als das, was diese Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen jetzt vorgelegt haben. Herzlichen Dank. ({23})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Volker Beck von der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen. ({0})

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das, was die Kollegen von der Union in den rechtspolitischen Debatten aufführen, ist mittlerweile kabarettreif. Gestern musste Herr Geis einen Eiertanz aufführen, als er entdeckt hat, dass sein eigener Gesetzentwurf nichts taugt und er ihn deshalb zurückziehen muss. ({0}) Auf einmal standen Sie, Herr Geis, bei der Justizreform ohne Hemd und ohne Konzept da. Wir haben unsere Justizreform durchgesetzt. Sie wird sich bewähren. ({1}) Nun haben Sie heute, Herr Pofalla, einen ganz besonderen Sündenfall der Koalition festgestellt, den ich auch frei bekenne. In der Tat: Die Koalitionsfraktionen haben einen Gesetzentwurf eingebracht und das Kabinett hat den gleichen beschlossen. Der Bundesrat wird jetzt seine Stellungnahme abgeben können und dann werden wir beides gemeinsam in die Ausschussberatungen einbeziehen. Dieses Verfahren haben Sie in der letzten Wahlperiode wahrscheinlich mindestens 20-mal selber gewählt; aber wenn wir das machen, ist das natürlich ein besonderes Delikt und verdient fast schon eine strafrechtliche Würdigung. ({2}) Das ist wirklich Unsinn! Wenn wir frühzeitig etwas einbringen, damit sich auch das Parlament rechtzeitig damit befassen kann, dann wahrt dies doch gerade die Rechte der Opposition, weil wir nicht im stillen Kämmerlein und in der Koalition beraten, sondern eine Anhörung im Rechtsausschuss durchführen und Berichterstattergespräche führen, sodass wir hinreichend Zeit haben, die fachlichen Einwände und Vorschläge von Ihrer Seite und von den Sachverständigen zu prüfen und eine vernünftige Reformdiskussion zu führen. Dass wir einerseits diese Reform hinbekommen und andererseits aber auch den Sachverstand und die Diskussion in der Gesellschaft und in den Fachkreisen umfassend einbeziehen, das verunsichert Sie ja so. Dass das Angst macht, verstehe ich, weil diese Koalition bei den Reformen durchaus etwas eifrig ist. Das liegt einfach daran, dass wir einen riesigen Reformstau vorgefunden haben, den wir abarbeiten müssen. ({3}) Mit der Reform des Schuldrechts entrümpeln wir unser angestaubtes Bürgerliches Gesetzbuch und bringen es wieder auf Hochglanz. Wir gleichen das BGB internationalen Standards an und machen es für die Rechtsanwender, also für die Bürgerinnen und Bürger in unserem Lande, verständlicher. Diese Modernisierung ist auch zu Recht umfassend; denn die Umsetzung der EU-Richtlinien allein hätte eine unerträgliche Rechtszersplitterung zur Folge gehabt. Die Modernisierung des Schuldrechts verhilft dem BGB wieder zu der herausragenden Bedeutung, die es ursprünglich einmal besaß. Mit der Integration wichtiger Gesetze wie des Verbraucherkreditgesetzes oder des Fernabsatzgesetzes in das BGB wird dieses wieder zu dem zentralen Gesetzbuch für die Bürgerinnen und Bürger. Die Schuldrechtsreform ist eine Reform für die Verbraucher und sie dient letztlich sogar dem Umweltschutz. ({4}) Denn die Verlängerung der kaufrechtlichen Gewährleistungspflicht von sechs Monaten auf zwei Jahre wird dazu beitragen, dass in den Regalen künftig weniger Ramsch zu finden sein wird. Die verlängerten Garantiefristen sind auch ein Nachhaltigkeitsförderungsprogramm. Billigprodukte, die nach einigen Monaten ihren Geist aufgeben und auf Mülldeponien landen, werden auf dem Markt früher oder später unter diesen neuen rechtlichen Rahmenbedingungen schlechtere Chancen haben. Der Ramsch verschwindet, Qualität wird sich durchsetzen. Ich mache gar keinen Hehl daraus, dass meine Fraktion auch mit einer Garantiezeit von drei Jahren, wie sie ursprünglich noch im Diskussionsentwurf angedacht war, kein Problem gehabt hätte. Die Bedenken der Wirtschaft, es werde zu unverhältnismäßig großen Belastungen für den Handel kommen, teile ich ausdrücklich nicht. Denn einer Studie zufolge treten Mängel jedenfalls bei industriellen Massengütern ganz überwiegend während der ersten sechs Monate auf. Diese Studie wird auch in der Gesetzesbegründung zitiert. Eine weitere Befürchtung haben wir dem Handel genommen: Mit dem Rückgriffsanspruch des Händlers gegen den Hersteller werden die Letztverkäufer den Ansprüchen der Käufer nicht mehr schutzlos ausgesetzt. Ist eine Sache mangelhaft und ist der Fehler nicht im Bereich des Letztverkäufers entstanden, so ist es nur gerecht, wenn der Einzelhandel hier entsprechend gestärkt wird. Ich freue mich darüber, dass unter anderem auch wegen dieser Regelung die Reform seitens des ZDH uneingeschränkte Zustimmung erfährt. ({5}) Ob zwei oder drei Jahre Garantie: Es kommt zu einer deutlichen Verbesserung des Verbraucherschutzes. Wir Bündnisgrünen haben im Verlauf der Beratungen entscheidend dazu beigetragen, dass die so verbesserte Rechtstellung des Käufers an anderer Stelle des Entwurfs nicht wieder ausgehöhlt wird: Ich meine die noch im Diskussionsentwurf vorgesehene Pflicht, den Mangel einer Ware innerhalb von zwei Monaten zu rügen. Mit solch einer Regelung wäre die Ausdehnung der Garantiezeit quasi leer gelaufen. Ich freue mich deshalb, dass diese Pflicht jetzt vom Tisch ist. Der Entwurf macht auch Schluss mit dem Verjährungsfristen-Wirrwarr im BGB. Für uns ist eine Regelverjährungsfrist von drei Jahren akzeptabel und für den Bürger ist das eine große Hilfe bei der Rechtsanwendung. Auch hier hat meine Fraktion auf eine maßgebliche Änderung im Vergleich zum Diskussionsentwurf gedrängt. Wir haben uns dafür eingesetzt, dass die Verjährung erst mit Kenntnis bzw. grob fahrlässiger Unkenntnis der den Anspruch begründenden Umstände beginnt; auch die Person des Schuldners muss bekannt sein. Das ist jetzt eine faire Regelung. Meine Damen und Herren, sicherlich wird es Umstellungen vor allem für diejenigen geben, die täglich mit dem BGB arbeiten. Aber seien wir doch einmal ehrlich: Ein Gesetzbuch, das über 100 Jahre alt ist und das den Hauptfall der vertraglichen Leistungsstörungen, die so genannte positive Vertragsverletzung, noch nicht einmal explizit enthält, sondern mittlerweile alles der Rechtsprechung überlässt, gehört auf Vordermann gebracht. Dies tun wir jetzt zum Beispiel mit der Einführung eines einfachen und praktikablen Haftungssystems. Mit dieser Lösung orientieren wir uns auch an dem Leistungsstörungsrecht des UN-Kaufrechts, das die internationale Rechtsentwicklung und auch die europäischen Vertragsrechtsprinzipien entscheidend prägt. Daher bin ich mir sicher, dass wir uns bei den anstehenden Verhandlungen über ein gemeinsames Europäisches Zivilgesetzbuch, die wir beeinflussen und auch vorantreiben wollen, mit diesem neuen BGB nicht verstecken müssen. Meine Damen und Herren, dieses Vorhaben hatte einen Beratungsvorlauf wie zuvor kaum ein anderes: Es ist auf nationaler und auch auf internationaler Ebene ausführlichst erörtert und vorbereitet worden. Bis zuletzt hat das BMJ mit Gesprächs- und Kompromissbereitschaft auf die Bedenken und Anregungen aus Rechtswissenschaft und Praxis reagiert. Die Kritiker sind eingeladen worden, sich in Arbeitsgruppen einzubringen, und ihre Vorschläge sind berücksichtigt worden. Diese Offenheit hat maßgeblich dazu beigetragen, dass die Schuldrechtsreform „querbeet“, Volker Beck ({6}) also bei Anwälten und Richtern, bei Verbraucherverbänden und Wirtschaft sowie in den Ländern, auf große Zustimmung stößt. ({7}) - Herr Kollege Geis, trotzdem werfen Sie uns vor, wir würden den totalen Umbau des Schuldrechts durchpeitschen; Herr Pofalla hat das auch gesagt. Ich erinnere Sie nur an Folgendes: Seit den 70er- und 80er-Jahren haben diverse Zivilrechtslehrertagungen stattgefunden, unzählige Gutachten sind eingeholt worden und sieben Jahre lang hat sich die berühmte Schuldrechtskommission mit dem Vorhaben beschäftigt. Wie erfolgreich diese Expertenkommission gearbeitet hat, sieht man nicht nur daran, dass viele ihrer Vorschläge letztendlich in diesen Entwurf eingeflossen sind. Die Ergebnisse der Schuldrechtskommission haben auch ganz massiv die EU-Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie beeinflusst. Diese verbraucherfreundliche Richtlinie setzen wir heute ebenfalls in nationales Recht um, und zwar pünktlich und fristgerecht. Denn anders, als es die Vorgängerregierung zum Beispiel beim Reisevertragsrecht gemacht hat, wollen wir unser Land nicht in die Gefahr von Schadensersatzforderungen bringen. Meine Damen und Herren von der Opposition, wenn Sie uns gleichwohl vor dem Hintergrund dieser Historie des Gesetzes vorwerfen, wir würden hier Rechtspolitik „mit der Brechstange“ betreiben und alles übereilen, so spricht daraus der blanke Neid. ({8}) Sie müssen ein weiteres Mal mit ansehen, wie die rotgrüne Koalition nicht nur über Verbesserungen redet, sondern diese auch mutig umsetzt. Herr Kollege Funke, was die „erhebliche Rechtsunsicherheit“ anbelangt, die Sie in Ihrer Presseerklärung vom 10. Mai heraufbeschwören, so sollten Sie sich einmal die Mühe machen, die Grundzüge der Reform zu verinnerlichen. Sie tun ja so, als würden wir das BGB abschaffen wollen und als würden in unserem Land ab nächstem Jahr völlig neue Rechtsprinzipien gelten. Das Gegenteil ist richtig: Wir restaurieren mithilfe europäischer Richtlinien das BGB; das geschieht auf der Grundlage der bisherigen Kriterien. Aber in der Tat braucht man zu einer solchen Modernisierung etwas Mumm, und der fehlt den Liberalen ja häufig. ({9}) Es wird sich immer der eine oder andere Hochschullehrer finden lassen, der eine derart umfassende Reform kritisiert. Diese Kritik muss man auch aushalten können. Verehrte Kollegen von der F.D.P., es war Ihr damaliger Justizminister Kinkel, der 1991 den Abschlussbericht der Schuldrechtskommission mit den Worten kommentierte: Ich hoffe, dass … wir in absehbarer Zeit zu einem Gesetzentwurf kommen werden. Herr Kinkel, Ihre Hoffnung erfüllt sich heute mit diesem großartigen Reformwerk der rot-grünen Koalition. Meine lieben Kollegen von der F.D.P., es erweist sich wieder einmal: Mit Rot-Grün werden liberale Träume wahr. ({10})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Rainer Funke von der F.D.P.-Fraktion. ({0})

Rainer Funke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000624, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesjustizministerin nimmt die Verpflichtung zur Umsetzung der schon erwähnten drei europäischen Richtlinien zum Anlass, das gesamte Schuldrecht des BGB einer Revision zu unterziehen und zu verändern. Hierzu wird uns eine 686-seitige Drucksache vorgelegt, die in kürzester Zeit im Bundestag zu beraten sei. Dabei wird der übliche Weg einer Gesetzesinitiative der Bundesregierung - von der Bundesregierung zum Bundesrat, von dort wieder zurück zur Bundesregierung und erst dann zum Bundestag - nicht verfolgt. Die fleißigen Abgeordneten der Koalitionsfraktionen haben es übernommen, diese 686 Seiten durch Handauflegen in den Bundestag einzubringen. ({0}) Ich möchte ganz offen sagen: Dieses verkürzte Verfahren hat natürlich auch Vorzüge. Dadurch erhalten wir nämlich die Möglichkeit, etwas länger über dieses Gesetz zu beraten. Zugleich wird aber das Verfassungsorgan Bundesrat missachtet. ({1}) Der Bundesrat wird sicherlich auch eine Stellungnahme abgeben wollen. Diese Stellungnahme kann aber bei diesem Verfahren im Bundestag gar nicht bzw. nur verspätet berücksichtigt werden. ({2}) Man fragt sich ganz automatisch: Warum diese Hast? Dadurch können nur Fehler passieren, wie sie der Bundesregierung bei § 284 Abs. 3 BGB, der beim Gesetz zur Beschleunigung fälliger Zahlungen geändert wurde, unterlaufen sind. Dieses Missgeschick in § 284 Abs. 3 BGB wollen Sie jetzt schnell wieder ausbügeln. Auch kleine redaktionelle Fehler sind vorhanden; ich möchte nur § 309 BGB erwähnen, in dem Sie von Wertungswertungsmöglichkeit, nicht von Wertungsmöglichkeit sprechen. Das ist sprachlich nicht in Ordnung. Das passiert, wenn man große Hast an den Tag legt. Auch der Hinweis auf die drei umzusetzenden europäischen Richtlinien geht fehl, denn diese könnten, wie andere Richtlinien vorher auch - im Übrigen mit Ihrer Unterstützung -, durch Sondergesetze in nationales Recht Volker Beck ({3}) umgesetzt werden. Wir bräuchten dazu nicht das gesamte BGB und insbesondere das Schuldrecht zu ändern. ({4}) Es ist durchaus richtig, dass die Grundzüge des Schuldrechts des Bürgerlichen Gesetzbuchs seit über 100 Jahren gelten. Was sich 100 Jahre bewährt hat, muss nicht unbedingt schlecht sein. Vieles, was sich an wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Entwicklungen getan hat, ist durch Gesetzesänderungen und durch die Rechtsprechung aufgefangen worden. Dadurch wurden adäquate Ergänzungen vorgenommen. Herr Kollege Beck, Sie erwähnen die positiven Vertragsverletzungen. Regelungen dazu hat bereits das Reichsgericht entwickelt. ({5}) Dies gilt auch für die culpa in contrahendo. Es ist nicht notwendig, für diese Regelungen eine Änderung des Schuldrechts vorzunehmen. Die Praxis - darauf weisen auch zahlreiche Wissenschaftler hin - kann mit dem derzeit geltenden Schuldrecht vernünftig umgehen. Der Rechtsschutz des Bürgers ist in keiner Weise gefährdet. Eine hastige Umsetzung des Reformvorhabens ist nicht geboten. ({6}) Vielmehr sollten Anregungen und Bedenken der Schuldrechtskommission und der Schuldrechtslehrer, die in Regensburg und Berlin auf ihren extra durchgeführten Sondertagungen heftige Kritik geäußert haben - Frau Ministerin, das haben Sie nicht erwähnt -, berücksichtigt werden. ({7}) - Ich war auch dabei. ({8}) Sie waren am Sonnabend dort und ich am Freitag. ({9}) - Ihr Staatssekretär Geiger saß neben mir. Frau Ministerin, Sie sind erst am Sonnabendmorgen gekommen. ({10}) - Das ist sehr schön. Ich habe genauso wie Sie in der „ZIP“ - die entsprechende Ausgabe der „ZIP“ ist uns in den letzten Tagen zugegangen - die Erörterung der Schuldrechtslehrer nachgelesen. Der Gesetzentwurf wirft eine Vielzahl neuer, schwieriger Probleme auf, die mit den Praktikern in der Wirtschaft und auch sicherlich mit den Schuldrechtslehrern eingehend diskutiert werden müssen. Das BGB ist sechs Jahre lang im Reichstag beraten worden, nachdem die Wissenschaft viele Jahre darüber diskutiert hatte. Wir aber sollen im Bundestag in wenigen Wochen - es sind nur wenige Wochen, wenn man die Sommerpause abzieht - über dieses Gesetz beraten. Ich glaube nicht, dass das eine angemessene Zeit ist. ({11}) Nun will ich gar nicht beanspruchen, dass es hier einen solch langen Zeitraum wie bei der Beratung des BGB im Reichstag geben muss. Aber die wenigen Wochen, die wir für die Beratung haben, reichen mit Sicherheit nicht aus. Es kann jedenfalls nicht richtig sein, dass das Bundesministerium der Justiz mit all seinen hoch qualifizierten Beamten zwei Jahre Vorbereitungszeit für diesen Gesetzentwurf hat, während der Bundestag als zentrales Gesetzgebungsorgan innerhalb weniger Wochen dieses so wichtige Gesetz abnicken soll. ({12}) Aber so stellen Sie sich anscheinend die Arbeit des Parlaments vor. Die einzelnen Probleme des Entwurfs können auch nicht durch eine eintägige Anhörung von Sachverständigen hinreichend erörtert werden. Wir müssen die einzelnen Gebiete miteinander gründlich beraten. ({13}) Wir haben über viele Jahre gesagt - im Übrigen auch von der Bundesjustizministerin, damals noch Oppositionsabgeordnete, unterstützt -, wir wollen die europäischen Richtlinien nicht ins BGB einstellen. Wir und auch das Bundesjustizministerium haben aus guten Gründen immer die Lösung favorisiert, aus den Richtlinien Sondergesetze zu machen, um die Systematik des BGB nicht zu zerstören. Sie aber haben eine Kehrtwendung gemacht und wollen die europäischen Richtlinien sowie die vielen Nebengesetze in das BGB integrieren. Das kommt der Systematik des BGB sicherlich nicht entgegen. ({14}) Man kann dann auch nicht mehr von Transparenz reden, wie das Herr Beck getan hat. Wir sollten uns um der Systematik des BGB willen auf die Aufnahme grundlegender Änderungen beschränken und die vielen europäischen Richtlinien in Nebengesetze - meinetwegen in ein Verbrauchergesetz - aufnehmen. Meine Anregung ist daher: Lassen Sie uns zügig an die Beratung hinsichtlich der Umsetzung der drei europäischen Richtlinien in nationales Recht gehen. Von unserer Seite sichere ich Ihnen fristgerechte Umsetzung zu. Hinsichtlich der Schuldrechtsmodernisierung sehen wir auch aufgrund der Berichte der Schuldrechtskommission Handlungsbedarf. Wir wollen die notwendigen Änderungen, zum Beispiel im Bereich der Verjährung und der Gewährleistung, gemeinsam mit Ihnen gründlich beraten, ohne dass Verzögerungen eintreten. Aber es ist völlig ausreichend, wenn diese Schuldrechtsmodernisierung im nächsten Jahr ohne Hast beschlossen wird ({15}) und dann etwa ein Jahr oder eineinhalb Jahre später in Kraft tritt. Denken Sie bitte bei der Frage des In-Kraft-Tretens auch daran, dass Sie der Wirtschaft und ebenso den Verbrauchern zum 1. Januar 2002 einiges zumuten: ({16}) Am 1. Januar 2002 soll nämlich die Änderung der ZPO in Kraft treten. Außerdem werden sich die Verbraucher und die Wirtschaft auf den Euro einstellen müssen. Jetzt soll auch noch das Schuldrecht hinzukommen. Dessen Reform wird wahrscheinlich im November oder im Dezember dieses Jahres im Bundesgesetzblatt stehen. Wer ein bisschen von der Wirtschaft versteht - das sollte eigentlich auch eine Justizministerin -, der weiß ({17}) - deswegen sage ich das; offensichtlich ist es notwendig, Frau Ministerin -, ({18}) dass sich das Wirtschaftsleben nicht nur an Paragraphen wie denen im BGB orientiert. ({19}) Zunächst müssen die Voraussetzungen geschaffen werden, damit Paragraphen in die Praxis umgesetzt werden können: Man braucht Formulare, man muss die Software ändern; die Ziviljustiz muss Vorbereitungen treffen, man braucht eine gewisse Kommentierung und Handreichungen durch die Verbände. All das - das müsste doch jeder einsehen - kann man nicht zwischen November 2001 und 1. Januar 2002 schaffen. ({20}) Die von Ihnen vorgesehene Frist für die Umsetzung bis zum 1. Januar 2002 ist nicht nur unpraktikabel, sondern sie wird uns in der Wirtschaft auch ganz erhebliche Schwierigkeiten bereiten. Wir sind auf jeden Fall zur konstruktiven Mitarbeit bereit, allerdings ohne Hast. Wir wollen eine gründliche Beratung. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({21})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Dr. Evelyn Kenzler von der PDS-Fraktion das Wort.

Dr. Evelyn Kenzler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003159, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gerade erst wurde die Justizreform beschlossen und schon folgt die Reform des Bürgerlichen Gesetzbuches. Eine Herausforderung jagt die andere. ({0}) - Richtig. So neu ist der Wunsch, das Schuldrecht zu reformieren, bekanntlich nicht. Die Bemühungen um eine grundlegende Schuldrechtsreform dauern bereits 20 Jahre an. Die Umsetzung der drei EU-Richtlinien ist durchaus ein geeigneter Moment, um die Überarbeitung des Schuldrechts in Angriff zu nehmen. Aber der Entwurf kommt angesichts des Zieles, ihn bereits in sieben Monaten in Kraft zu setzen, sehr spät. Ich sage das, auch wenn ich nicht verkenne, dass es dafür durchaus objektive Zwänge gibt. Das Problem ist meines Erachtens nicht so sehr die Einhaltung der Zeitschiene im Parlament - daran sind wir gewöhnt -, sondern die Umsetzung in der Rechtspraxis. Im Moment wissen viele praktizierende Juristen und von der Reform betroffene Unternehmen in Wirtschaft und Handel noch nicht, dass es jetzt wirklich ernst wird. Ein Problem bei solchen Endlosdebatten ist ja, dass am Schluss kaum noch jemand an ein greifbares Ergebnis glaubt. Das wird ein logistisches Problem, das noch aus dem Weg geräumt werden muss. Nun zu der Reform selbst. Sie werden mir nachsehen, dass ich die über 28 000 Zeilen mit mehr als 1,5 Millionen Zeichen - die Leerzeichen eingerechnet - auf fast 700 Seiten nicht in fünf Minuten Redezeit auch nur in groben Umrissen abhandeln kann. Ich bin zwar einiges gewöhnt; aber ein solches Missverhältnis zwischen der Redezeit und der Bedeutung der heutigen Debatte stellt ein groteskes Ausmaß dar. ({1}) Zunächst begrüße ich die Aktualisierung und die Modernisierung des Bürgerlichen Gesetzbuches. Wenn der angestrebte Zuwachs an Übersichtlichkeit, Rechtssicherheit und Europafähigkeit erreicht werden könnte, dann wäre das in der Tat ein großer Gewinn. Positiv sind grundsätzlich die Schaffung eines einheitlichen Tatbestandes der Pflichtverletzung, die Verlängerung der gesetzlichen Gewährleistungsfrist, die konsumentenfreundliche Beweislastumkehr in § 476 BGB, die Verpflichtung des Verkäufers, eine mangelfreie Ware zu liefern, einschließlich seiner Haftung für die versprochenen Eigenschaften und nach unserer Auffassung auch die Integration der verstreuten Verbraucherschutzgesetze in das Schuldrecht. Problematisch erscheint mir dagegen die Reduzierung der regelmäßigen Verjährungsfrist auf drei Jahre. Diese Frist ist extrem knapp und wird wohl nicht selten zum Verlust berechtigter Ansprüche führen. Schließlich wird die Chance versäumt, auch völlig überholte Vorschriften anderer Titel des BGB der europäischen Rechtslage anzupassen. So ist die Stellung einer Bürgschaft gemäß § 232 Abs. 2 BGB weiterhin als Ausnahmefall geregelt und § 239 BGB verlangt noch immer einen inländischen Sitz. Jedenfalls die letztere Regelung entspricht nicht mehr primärem europäischen Gemeinschaftsrecht und sollte ebenfalls angepasst werden. Alles in allem bin ich aber sehr gespannt auf die Expertenanhörung. Abgesehen von Lob, Kritik und Vorschlägen zum Regelungsinhalt erwarte ich auf der Anhörung zu dieser Reform auch Aussagen zur Verständlichkeit, also zur Übersichtlichkeit und Transparenz der Regelung. ({2}) Auch diesbezüglich scheint mir die eine oder andere Nachbesserung zumindest wünschenswert. Mit einem Sprachbruch zugunsten der Allgemeinverständlichkeit und damit im Interesse der Bürgerinnen und Bürger sollten Juristen auch leben können. Um nur ein Beispiel zu nennen: Was klimatisierte Räume sind, weiß man, aber was soll sich der Bürger unter Verträgen vorstellen, die „unter Verwendung von ... automatisierten Geschäftsräumen“ geschlossen werden, § 312 b? ({3}) Da wir gestern erst die Justizreform verabschiedet haben, möchte ich abschließend auf Folgendes aufmerksam machen - Herr Funke hat bereits in der Richtung argumentiert -: Mit der Schuldrechtsmodernisierung wird die Justizreform vor ihre erste richtige Bewährungsprobe gestellt. Die Amtsrichter haben mit Beginn des neuen Jahres gleich mit einer dreifachen Belastung zu kämpfen: Erstens sind es die Anforderungen aufgrund der Justizreform. Zum Zweiten sind es die neuen Anforderungen aus der Schuldrechtsmodernisierung in Verbindung mit ihrer eigenen Qualifizierung. Zum Dritten ist es auch die gewiss ansteigende Zahl von Klagen aufgrund der Unsicherheiten und Fehler, die bei der Anwendung des neuen Rechts gemacht bzw. durch ihre Nichtanwendung entstehen werden. Dass diese Reform die öffentlichen Haushalte nichts kostet, wie es im Entwurf heißt, kann ich angesichts des ganz erheblichen Fortbildungsbedarfs nicht glauben, auch nicht angesichts der Notwendigkeit, in erheblichem Umfang neue Literatur anschaffen zu müssen. Da wird es nicht bei den Nachlieferungen für den „Schönfelder“ bleiben können. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Dirk Manzewski von der SPD-Fraktion.

Dirk Manzewski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003177, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach der Mietrechtsreform und der Zivilrechtsreform packt die Bundesregierung mit der Schuldrechtsreform nun ein weiteres großes Gesetzesvorhaben zur Modernisierung von Recht und Justiz an. Mit dem vorgelegten Gesetzentwurf werden nicht nur drei EU-Richtlinien, unter anderem die so bedeutsame Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie, in deutsches Recht umgesetzt. Das deutsche Schuldrecht wird auch - endlich, muss man wohl sagen - modernisiert und den heutigen Anforderungen angepasst. Was bedeutet das nun im Wesentlichen konkret, liebe Kolleginnen und Kollegen? Das Schuldrecht wird übersichtlicher und vor allem vollständiger gestaltet werden. Insbesondere bisher in Sondervorschriften geregelte Verbrauchergesetze wie das Haustürwiderrufsgesetz oder der materielle Teil des Gesetzes über die Allgemeinen Geschäftsbedingungen werden in das Bürgerliche Gesetzbuch integriert. Das BGB wird dadurch wieder zu dem, was es einmal war, nämlich die zentrale umfassende zivilrechtliche Gesetzessammlung. Das Vertragsrecht wird wieder übersichtlicher, da das geltende Recht nicht mehr aus den unterschiedlichsten Gesetzen zusammengesucht werden muss. Für den Rechtsanwender wird dies mehr Rechtsklarheit und Transparenz bedeuten. Nichtjuristen werden eher in die Lage versetzt werden, die sie betreffenden Vorschriften überhaupt zu finden. ({0}) Das so eminent wichtige Verjährungsrecht wird endlich eine Systematik erhalten. Allein das Bürgerliche Gesetzbuch kennt Verjährungsfristen von sechs Wochen, von sechs Monaten, von einem, zwei, drei, vier, fünf oder dreißig Jahren. Derzeit befinden sich in über 80 Gesetzen mehr als sage und schreibe 130 Verjährungsvorschriften. Dass hier kaum noch jemand durchblickt, ist nachvollziehbar, zumal diese Regelungen weder aufeinander abgestimmt sind noch vielfach den heutigen Erfordernissen im Rechtsverkehr gerecht werden. ({1}) Mit der Vereinheitlichung und Anpassung wird mit diesem Durcheinander Schluss gemacht. Das Verjährungsrecht wird hierdurch endlich verständlich und auf die tatsächlichen Bedürfnisse im Rechtsverkehr zugeschnitten. ({2}) Das Leistungsstörungsrecht wird neu geregelt. Die am häufigsten auftretende Art der Leistungsstörung, die Schlechtleistung, ist bislang im BGB nicht direkt geregelt gewesen. Die hierzu deshalb von der Rechtsprechung entwickelten Rechtsinstitute werden nun endlich - es ist längst überfällig - festgeschrieben. Die Voraussetzungen und Rechtsfolgen der Verletzung von Verträgen werden einfacher geregelt werden. Die bisherige Alternativität von Rücktritt und Schadensersatz wird zugunsten eines Rücktritts mit Schadensersatzanspruch aufgegeben. Das Recht auf Rücktritt wird davon abhängig gemacht, dass der Schuldner eine ihm vom Gläubiger gesetzte Nachfrist ungenutzt verstreichen lässt. Das bedeutet, die Regularien bei Vertragsverletzung werden vereinheitlicht, verständlicher und dadurch schlicht vereinfacht. ({3}) Den Vertragsparteien werden ihre Rechte und Pflichten hierdurch klarer werden. Die Stellung der Verbraucher - auch dies ist bereits zur Sprache gekommen - im alltäglichen Geschäftsverkehr wird unabhängig von der grundsätzlichen Vereinfachung von Vertragsrecht, Verjährung und Leistungsstörungsrecht weiter gestärkt. So soll der Verkäufer zukünftig zum Beispiel auch dafür haften, dass eine Sache die angepriesenen Eigenschaften aufweist, die der Hersteller in seiner Werbung und Etikettierung angepriesen hat. Eine eigene Zusicherung ist nicht mehr nötig. Ich bin mir durchaus bewusst, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, dass nicht nur viele Juristen dieses Gesetzesvorhaben etwas ängstlich begleiten werden, bedeutet es für sie doch in vielen Punkten ein Umdenken und die Aufgabe vieler lieb gewonnener Gewohnheiten, was - das wissen wir alle - für Juristen nicht immer leicht ist. Soweit behauptet wird, dass das Gesetzgebungsverfahren viel zu zügig durchgeführt wird - auch das ist hier bei Ihnen zur Sprache gekommen -, ({4}) kann ich das nicht ganz nachvollziehen. Ich erinnere an Folgendes: Der dem Gesetzentwurf vorangegangene „Diskussionsentwurf“ ist schon Mitte letzten Jahres vorgelegt worden. ({5}) Dieser wiederum basiert ganz maßgeblich auf den Ergebnissen der „Kommission zur Überarbeitung des Schuldrechts“, die sich über einen Zeitraum von acht Jahren intensiv mit der Überarbeitung des Schuldrechts befasst hatte. Deren Abschlussbericht wurde im Übrigen bereits 1992 veröffentlicht. ({6}) Wer sich also informieren wollte, konnte dies auch rechtzeitig tun. Insoweit bin ich über die Verwunderung, die Sie hier an den Tag legen, ein bisschen erstaunt. ({7}) Natürlich ist es richtig, dass sich das Ministerium für das Gesetzgebungsverfahren einen äußerst ehrgeizigen Zeitplan gesetzt hat. Meiner Auffassung nach muss es das aber auch. Der enge Zeitplan ist nun einmal wegen der bis Ende des Jahres notwendigen Umsetzung der so genannten EU-Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie zwingend notwendig. Ich halte es dabei trotz des Zeitdrucks aus fachlichen Gründen für völlig richtig, dass die Bundesregierung dies für eine umfangreiche Schuldrechtsüberarbeitung genutzt hat. Wäre nur die Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie umgesetzt worden, hätte dies bedeutet, dass für eine Vielzahl von Bereichen nicht mehr die Bestimmungen des BGB, sondern Sondernormen anzuwenden gewesen wären. ({8}) Das BGB hätte damit an Bedeutung nicht gewonnen, wie es hier vorhin behauptet worden ist, sondern verloren. Für den Rechtsuchenden wäre es immer komplizierter geworden, die für seinen Fall maßgeblichen Rechtsvorschriften überhaupt zu finden. Zudem wäre dies - auch da bin ich völlig anderer Meinung als Sie, Herr Kollege Funke - für den Wirtschaftsverkehr verheerend gewesen. Wirtschaft und Verbraucher wollen wissen, woran sie sind, und sich nicht im Zustand der Rechtsunsicherheit befinden. ({9}) Aber nichts anderes wäre doch eingetreten, Kollege Funke, wenn das Schuldrecht nach kurzer Zeit noch einmal hätte geändert werden müssen. ({10}) Allein aus Gründen der Rechtssicherheit, Kollege Hirche, ist damit die umfassende Reform des Schuldrechts geboten. Ich will Ihnen noch einen weiteren Gesichtspunkt nennen, der mir in diesem Zusammenhang ebenso wichtig erscheint. Dabei geht es um die Entwicklung des Zivilrechts auf europäischer Ebene. Wer auf europäischer Ebene Einfluss auf eine zukünftige zivilrechtliche Gesamtkodifikation nehmen will, kann dies nur, wenn hierfür eine umfassende nationale Regelung vorliegt, die modernen Ansprüchen genügt. Das ist wichtig. Der zurzeit bestehende deutsche „Flickenteppich“ aus BGB, Sonder- und Nebengesetzen führt auf europäischer Ebene dazu, dass andere nationale Gesetzesregelungen, zum Beispiel die niederländische, von der Mehrheit der EU-Nationen zur Grundlage der Diskussion gemacht werden. Dies kann doch niemand von uns ernsthaft wollen. ({11}) Lassen Sie mich abschließend jemanden zitieren, der diese ganze Angelegenheit viel besser auf den Punkt bringt, als ich es jemals könnte: Wir sollten uns keine Illusionen machen - die Tür steht uns vermutlich nur jetzt offen. Denn sich zunächst auf eine Umsetzung der Richtlinie über den Verbrauchsgüterkauf zu beschränken und darauf zu vertrauen, dass man das Leistungsstörungsrecht später immer noch reformieren könne, halte ich für ebenso unrealistisch wie unökonomisch, weil die mit der Änderung verbundenen Kosten und Lasten dann zweimal anfallen würden. ({12}) Wer für eine „kleine“ Lösung plädiert, nimmt daher in Wahrheit zugleich das Risiko in Kauf - oder strebt es sogar unausgesprochen an -, dass es eine „große“ Lösung auf unabsehbare Zeit nicht geben wird - und zwar weder hinsichtlich des Kaufrechts noch hinsichtlich der Reform des allgemeinen Leistungsstörungsrechts, sodass dieses auf Dauer in seinem derzeitigen - darauf verweise ich jetzt besonders antiquierten und teilweise desolaten Zustand verharren wird ... ({13}) - Kollege Hirche, dieses Zitat ist vom gestrigen Tage aus der „JZ“ und stammt von niemand Geringerem als von Professor Dr. Claus-Wilhelm Canaris, einer der größten juristischen Koryphäen unseres Landes. ({14}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wo der Mann Recht hat, hat er Recht. Ich danke Ihnen. ({15})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Justizminister des Freistaates Thüringen, Dr. Andreas Birkmann. Dr. Andreas Birkmann, Minister ({0}): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nur wenige Stunden nach der Verabschiedung des von den Ländern in der ursprünglichen Fassung hart attackierten Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses muss sich das Hohe Haus heute - ich glaube, etwas überraschend - mit einem weiteren so genannten Reformwerk beschäftigen. Ich meine, es wäre gut gewesen, wenn die Länder vorher Gelegenheit zur Stellungnahme gehabt hätten und Sie das Gesetzesvorhaben erst im Anschluss daran beraten würden. ({1}) Denn dann könnten von Anfang an all die Argumente einfließen, die aus der Sicht der Länder vorzutragen sind. Ich kann Ihnen sagen: Auch dieses Reformwerk ist bei den Ländern nicht unumstritten. Es handelt sich bei dem Entwurf des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes um ein Reformwerk, das in seinen Auswirkungen sicherlich noch weitreichender als das gestern verabschiedete Gesetz sein dürfte. Eben ist unter dem Aspekt der Redezeit das Volumen angesprochen worden. Alleine im BGB gehen die Änderungen so weit, dass auch das tiefste Erbrecht erfasst wird, und zwar - ich habe eben einmal nachgeschaut und gehe davon aus, dass wir alle den Entwurf sehr gründlich gelesen haben, wenn wir heute darüber sprechen - bis zum § 2376 BGB. Meine Damen und Herren, es ist keine Frage: Eine Modernisierung vor allem des schuldrechtlichen Teils des Bürgerlichen Gesetzbuches ist nötig. Was mich und mit mir die große Mehrheit der juristischen Fachöffentlichkeit aber mit großer Sorge erfüllt, ist die Geschwindigkeit, mit der die Bundesregierung versucht, ein so bedeutsames Gesetzgebungswerk wie die Reform des Schuldrechts auf dem Rücken der Fachwelt und der Bürger durchzusetzen. ({2}) Geht es nach den Vorstellungen des Bundesregierung, müssen wir uns zum 1. Januar 2002 auf ein in wesentlichen Teilen geändertes Zivilrecht einstellen, ohne darauf auch nur ansatzweise vorbereitet zu sein. Ich spreche insofern von den Bürgern und damit von denen, die mit dem Recht umgehen müssen. Selbst wenn der Gesetzentwurf im Eiltempo durch Bundestag und Bundesrat gebracht wird, kann das Gesetz - der Abgeordnete Funke hat bereits darauf hingewiesen - erst kurz vor Jahresbeginn verabschiedet werden; und wir können sicher sein, dass dieses Gesetz bis zu diesem Zeitpunkt noch eine Menge Veränderungen erfahren wird. ({3}) Schon in den letzten Monaten hat das Bundesjustizministerium quasi im Monatsrhythmus immer wieder neue Entwürfe vorgelegt, mit denen hektisch auf die Kritik aus Wissenschaft und Praxis reagiert wurde. Auch der Inhalt der Regelungsmaterie änderte sich ständig: Einmal ist eine umfangreiche Änderung des Werkvertragrechts dem Gesetzentwurf einverleibt, ein anderes Mal nicht. Die letzten Entwürfe - so auch der heute zu beratende sehen nunmehr massive Änderungen des Gewährleistungsrechts beim Werkvertrag vor. Durch das Gesetz sollen das gesamte Kaufrecht - das Herzstück des besonderen Teils des Schuldrechts - sowie das gesamte Leistungsstörungsrecht - der Kernbereich des allgemeinen Teils des Schuldrechts - völlig umgestaltet werden. Gleiches gilt für das in der Praxis besonders bedeutsame Recht der Verjährung. Das alles muss innerhalb kürzester Zeit zur Umsetzung vorbereitet werden. Herr Abgeordneter Funke hat auf die technischen Schwierigkeiten hingewiesen. Jeder, der im Rechts- und Geschäftsleben steht, weiß, welches Rechtschaos uns dann blüht. Herr Abgeordneter Beck, auch Sie haben auf die Schwierigkeiten bei der Umstellung hingewiesen; ich wundere mich, dass Sie dem dann nicht Rechnung tragen wollen. Im Übrigen stehe ich mit meinen Befürchtungen nicht allein da. Sie haben soeben 600 Zivilrechtsprofessoren erwähnt. Unlängst haben aber 149 andere renommierte Zivilrechtsprofessoren ({4}) in einer gemeinsamen Erklärung genau diese Befürchtungen zum Ausdruck gebracht. Professor Wolfgang Ernst aus Bonn, einer der Mitunterzeichner der Erklärung, brachte es auf einer Diskussionsveranstaltung zu diesem Entwurf auf den Punkt: „Wir fahren mit geschlossenen Augen über die rote Ampel.“ ({5}) - Sehr geehrter Herr Hartenbach, ich gehe noch ein Stückchen weiter: Die gleichen Töne werden sogar von Fachleuten angeschlagen, die wahrlich nicht in dem Verdacht stehen, der Bundesregierung im Allgemeinen und der Bundesjustizministerin im Besonderen übel gesonnen zu sein. So hat der bekannte innen- und rechtspolitische Kommentator der „Süddeutschen Zeitung“, Heribert Prantl, in einem Kommentar vom 17. April dieses Jahres Folgendes ausgeführt: Im Schweinsgalopp kann die epochale Reform aber wirklich nicht bewältigt werden, ohne dass das Rechtswesen in den GAU stürzt. ({6}) Warum also diese ungeheuere Eile? Schuld soll, so heißt es seitens der Bundesregierung, Europa sein, und zwar die Umsetzung der EU-Richtlinie zum Verbrauchsgüterkauf und zweier weiterer Richtlinien in nationales Recht bis Ende dieses Jahres. Der Ihnen heute vorliegende Entwurf des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes geht weit über die Umsetzung dieser drei EURichtlinien hinaus; das ist heute schon gesagt worden. Die geplanten neuen Regelungen zum Kaufrecht sind viel weitgehender, als dies die EU-Richtlinie zum Verbrauchsgüterkauf vorsieht. Während sich die Richtlinie nur auf das Verhältnis des Verbrauchers zum gewerblichen Verkäufer bezieht, sieht der Entwurf in großen Teilen die Umsetzung der Richtlinie für alle Kaufverträge, also insbesondere auch für solche unter Unternehmern oder unter Verbrauchern, vor. ({7}) - Dazu werde ich gleich kommen. Dann werden Sie sehen, wie nachteilig die Vereinfachung ist. Mit einer solchen Übererfüllung der Richtlinie stehen wir in Europa völlig isoliert da. Deshalb mein Appell an die Bundesregierung: Lassen Sie uns gemeinsam für eine saubere, fristgemäße Umsetzung der EU-Richtlinien zum 1. Januar 2002 sorgen und beschäftigen wir uns dann in Ruhe und mit der gebotenen Sorgfalt mit der Novellierung des übrigen Schuldrechts. ({8}) Ich kann hier nur das wiederholen, was gestern schon einmal gesagt wurde: Der Grundsatz „Tempo vor Sorgfalt“ sollte nicht zum Tragen kommen. Ich weiß, dass ich mit dieser Forderung unzähligen Juristen aus der Seele spreche, nicht nur den bereits erwähnten 149 Zivilrechtslehrern. Verschiedentlich wurde der Vorschlag unterbreitet, man könne das anstehende Chaos dadurch verhindern, dass man den Inkraftsetzungszeitpunkt für den Restteil, also für das, was über die EU-Richtlinie hinausgeht, auf das Jahr 2004 verschiebt. Ich denke, das ist Augenwischerei. Das löst das eigentliche Problem nicht. Wir benötigen weitere Zeit, um den vorliegenden - immerhin fast 700 Seiten - starken Entwurf in intensiver fachlicher Diskussion zu überarbeiten. Lassen Sie mich ein Beispiel nennen, das für viele steht und zeigt, wie unausgegoren der Gesetzentwurf an vielen Stellen noch ist. Professor Löwisch, der bekannte Arbeitsrechtler aus Freiburg, hat es vor wenigen Tagen in der „Neuen Zeitschrift für Arbeitsrecht“ formuliert: Die Neuregelung des Leistungsstörungsrechts hat die - vom geistigen Urheber offensichtlich nicht bedachte - Folge, dass der durch die Neuregelung eingeführte erhöhte Verzugszinssatz für Schuldner auch für Arbeitnehmer gilt. ({9}) Dies dem Justizministerium vorgetragen, führt zu der lapidaren Antwort: Dann sind Arbeitnehmer eben Verbraucher, ({10}) getreu der Devise: Osterhasen sind Weihnachtsmänner im Sinne der Verordnung. ({11}) - Ich gebe Ihnen ja Recht. - Die Antwort ist zwar originell; aber das Problem löst sich dadurch nicht. Wie immer steckt auch hier der Teufel im Detail. Lassen Sie mich - meine Redezeit geht bald zu Ende noch ein anderes Beispiel nennen: Der durch § 439 des Entwurfs neu eingeführte Nachbesserungsanspruch gilt nicht nur für den Verbrauchsgüterkauf, sondern für alle Kaufverträge. Dies hat - wenn ich einmal die praktischen Auswirkungen darlegen darf - zur Folge, dass ein Student, der seinen 15 Jahre alten Gebrauchtwagen für 2 000 DM an einen Kommilitonen verkauft, für eventuelle Mängel genauso haftet und in Anspruch genommen werden kann wie ein professioneller Gebrauchtwagenhändler. Ist der Gebrauchtwagen mangelhaft, so haftet unser Student nach dem Gesetz - entgegen der wirtschaftlichen Vernunft - seinem Kommilitonen zwei Jahre lang Minister Dr. Andreas Birkmann ({12}) auf Nachlieferung oder Nachbesserung, falls sich in dieser Zeit herausstellt, dass der Wagen beim Verkauf einen Mangel aufgewiesen hat. Ich denke, ein Bedürfnis dafür, den Verbraucherschutz auch auf Verträge zwischen Verbrauchern zu erstrecken, ist schwer nachvollziehbar. Damit komme ich auf die eben gestellte Frage: Der Diskussionsbedarf im Einzelnen ist noch groß. Das Thüringer Justizministerium plant, in diesem Sommer ein umfangreiches Symposium zum Thema der Schuldrechtsmodernisierung durchzuführen. Ich möchte Sie, Frau Bundesjustizministerin, schon jetzt herzlich nach Thüringen einladen, um über dieses so wichtige Thema zu diskutieren. Lassen Sie uns die notwendige Reform des Schuldrechts gemeinsam und mit der gebotenen Sorgfalt angehen. Wir sind dazu gerne bereit. ({13})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat nun der Kollege Alfred Hartenbach von der SPD-Fraktion das Wort. ({0})

Alfred Hartenbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002669, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich begrüße Sie sehr herzlich, Herr Präsident! Ich begrüße Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Sie Interesse an der Rechtsdiskussion haben. Und ich begrüße die Lümmel in der vierten Bank bei der CDU/CSU. Diese Reform wird eine spannende Sache, aber zunächst einmal freue ich mich, dass das Drehbuch manchmal richtig gut ist: Ich freue mich, dass der ehemalige Bundesjustizminister und Bundesaußenminister Kinkel heute hier ist und miterleben darf, wie nun endlich das, was Sie, Herr Dr. Kinkel, eigentlich auch gewollt haben, woran Sie aber von der CDU gehindert worden sind, in die Tat umgesetzt wird. ({0}) Eben war auch noch Herr Professor Dr. SchmidtJortzig anwesend, der genauso daran gehindert worden ist, hier tätig zu werden. Ich weiß, dass er es wollte, aber nicht durfte. ({1}) Er ist von seinem Parlamentarischen Staatssekretär, dem ewiggestrigen Herrn Funke, gehindert worden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des ({2}) Herr Pofalla, wo Sie Recht haben, haben Sie Recht. Ich bin gern bereit, dieses auch zu konzedieren. Auch ich hätte mir gewünscht - was Sie gestern bei der ZPO-Reform beklagt haben -, dass vom Einbringen dieses wichtigen Gesetzes, das wir extra in eine gute Debattenzeit gelegt haben, damit die Bevölkerung in Deutschland davon Kenntnis nimmt, heute hier mehr Kollegen Kenntnis genommen hätten. ({3}) Denn dies ist ein Gesetz, welches die persönlichen Verhältnisse aller, ({4}) ob sie nun Rechtsanwälte sind, ob sie einfache Bürger sind, ob sie in der Industrie sind oder wo auch immer, regeln wird, und zwar besser als das bisherige Gesetz regeln wird. ({5}) - Norbert, nun sei doch mal still. Nun beklagen Sie, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, und ziehen als Beispiel die Beratung des BGB von vor 116 oder 118 Jahren heran, dass hier zu wenig Vorberatungszeit gegeben sei. Zunächst einmal stelle ich fest, dass sich seit 1974 namhafte Schuldrechtler mit der Reform des Bürgerlichen Gesetzbuches befassen. Seit über einem Jahr steht der Gesetzestext in wesentlichen Formulierungen allen zur Beratung zur Verfügung. Nun beklagen Sie einen Akt, den wir hier begehen, nämlich dass wir nun die parlamentarische Beratung möglichst schnell beginnen wollen. ({6}) - Lieber Norbert, liebe Kolleginnen und Kollegen, da verstehe ich nun den selbstbewussten, frei gewählten und hier mit der ganzen Kraft seines Wortes stehenden Abgeordneten nicht mehr. Wollen Sie denn wirklich warten, bis uns Verwaltungsbeamte vorgegeben haben, wie dieses Gesetz aussehen soll? ({7}) - Ich komme gleich noch dazu. Das zeigt - gestern habe ich es angekündigt, Herr Gerhardt -, dass Sie rechtspolitisch entwöhnt sind. Sie haben 16 Jahre lang keine eigenen Ideen, keine eigenen Gedanken in der Rechtspolitik gehabt. ({8}) - So etwas macht man aber nicht. - Wir wollen Sie nun langsam wieder dahin führen, dass Sie eine eigenständige Rechtspolitik machen können. ({9}) Dafür sollten Sie uns eigentlich dankbar sein. ({10}) Minister Dr. Andreas Birkmann ({11}) Sie haben hier beklagt, dass wir angesichts der Tatsache, dass das BGB im Reichstag sechs Jahre lang beraten worden ist, zu schnell vorgingen. Damals musste über das gesamte BGB, das fünf Bücher umfasst, beraten werden und es gab weder Fax noch Kopiergerät, auch kein Internet. Alles musste mit der Hand geschrieben werden. Deshalb dauerte es sechs Jahre. ({12}) Wir beraten heute über ein einziges Buch, nämlich über das Schuldrecht, und brauchen dafür ein Jahr. Das passt doch zeitlich hundertprozentig zusammen. ({13}) Sie haben darauf hingewiesen, dass es in diesem Zusammenhang unterschiedliche Lehrmeinungen gibt. Die meisten, die ich hier sitzen sehe - bei einigen ist es schon so lange her, dass es in Vergessenheit geraten ist -, haben einmal Jura studiert. Sie auch, Herr Gehb, oder? ({14}) - Wunderbar. - Sie wissen also, dass es immer eine herrschende Meinung gibt, aber in jedem Kommentar zu jedem Paragraphen auch diejenigen angeführt werden, die anderer Ansicht sind. Im Palandt gibt es immer mindestens fünf. Deswegen finde ich es überhaupt nicht schlimm, wenn ein Teil der hoch qualifizierten Schuldrechtslehrer anderer Ansicht ist als die große Mehrheit. Das ist ein Stück weit Freiheit von Forschung und Lehre. ({15}) Wir sollten uns diese Freiheit gewissermaßen zunutze machen und dies in unsere Beratungen einbeziehen. Sie haben natürlich Recht: Das BGB ist ein Denkmal. Wenn Sie sich aber einmal meine abgegriffene Paperback-Ausgabe anschauen, dann sehen Sie, dass sie eigentlich renovierungsbedürftig ist. ({16}) Genauso ist es mit dem BGB als solchem. Ein Denkmal muss gepflegt werden. Wenn es nicht gepflegt wird, stürzt es in sich zusammen und ist kaputt. ({17}) Unser BGB ist kurz davor, weil Sie 16 Jahre lang nichts gemacht haben. Sie haben noch nicht einmal den Taubendreck weggewischt, Herr Geis. ({18}) Wir werden dieses Denkmal so renovieren, dass es zu unseren neuen internationalen Beziehungen, in denen wir als Rechtsnation stehen, passt. Wir müssen diese EURichtlinien umsetzen, wenn wir im internationalen Konzert mithalten wollen. Nun haben Sie gesagt, man könne ja das eine so und das andere so machen. Alle meine Vorredner haben aber schon gesagt, wie wichtig es ist, ein Schuldrecht aus einem Guss zu haben. ({19}) Ich weiß, dass es in der Praxis keine Probleme mit der Anwendung der ZPO und des neuen Mietrechts, wenn es in Kraft tritt, geben wird. Genauso wird es keine Probleme mit der Anwendung des neuen Schuldrechts geben. ({20}) Als ich 1976 junger Staatsanwalt war, trat das Sechste Strafrechtsänderungsgesetz in Kraft. Zwei meiner damaligen Kollegen bei der Staatsanwaltschaft Kassel sind daraufhin in Pension gegangen; denn sie wollten die neuen Vorschriften nicht mehr lernen. Ich habe damals als junger, dynamischer Staatsanwalt gesagt: Es ist gut, dass die in Rente gehen. Wenn es nun tatsächlich unter den Richtern und Rechtsanwälten einige geben sollte, die es nicht anwenden wollen - es werden nur ganz wenige sein, weil die große Mehrzahl dieses Gesetz richtig und vernünftig anwenden wird -, dann wäre es kein Schaden, wenn auch sie frühzeitig in Pension gingen. ({21}) Meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU und der F.D.P., ich bitte Sie einmal, darüber nachzudenken, ({22}) ob Sie nicht angesichts der Töne hier ein bisschen früh in den Bundestagswahlkampf gestartet sind. Auch Sie könnten in Rente gehen; das wäre kein Problem. ({23}) Ich lade Sie wirklich ein: Zeigen Sie endlich einmal, dass Sie sich von der Rechtspolitik des früheren Ministers Kanther und von der Rechtspolitik in Bayern abgenabelt haben! ({24}) Heute mussten Sie sich von Herrn Birkmann, weil Sie nicht genügend Redner zu diesem wichtigen Thema haben, sagen lassen, dass Sie sich von Ihren Ländern abgenabelt haben. Zeigen Sie, dass Sie eine eigenständige Rechtspolitik machen können! Dazu lade ich Sie sehr herzlich ein, auch unser Misanthröpchen Funke. Vielen Dank. ({25})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Gesetzent- wurf auf der Drucksache 14/6040 zur federführenden Be- ratung an den Rechtsausschuss, zur Mitberatung an den Ausschuss für Wirtschaft und Technologie, den Aus- schuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirt- schaft, den Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung sowie den Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen zu überweisen. Gibt es anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 15 a und 15 b sowie den Zusatzpunkt 8 auf: 15 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Bosbach, Erwin Marschewski ({0}), Meinrad Belle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU EU-Richtlinienvorschlag zu Mindestnormen in Asylverfahren überarbeiten - Drucksache 14/5759 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({1}) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Bosbach, Erwin Marschewski ({2}), Meinrad Belle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU EU-Richtlinienvorschlag zur Gewährung vorübergehenden Schutzes im Falle eines Massenzustroms überarbeiten - Drucksache 14/5754 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({3}) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Jelpke, Carsten Hübner, Uwe Hiksch, Petra Pau und der Fraktion der PDS EU-Richtlinienvorschlag zu Mindeststandards in Asylverfahren ist ein wichtiger Schritt für einen wirksamen Flüchtlingsschutz in Europa - Drucksache 14/6050 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({4}) Rechtsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der Kollege Erwin Marschewski von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.

Erwin Marschewski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001424, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn man einmal beschreiben will, was in den Bereichen Asyl und Einwanderung in Brüssel nahezu unbemerkt von der Öffentlichkeit geschieht, so kann man es mit folgenden Worten auf den Punkt bringen: In Brüssel beschließt man etwas, stellt es dann in den Raum und wartet, was passiert. Wenn es kein großes Geschrei und keine Aufstände gibt, weil die meisten gar nicht begreifen, was dort beschlossen wird, dann macht man weiter, und zwar Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt. Das ist Brüssel. Die Bundesregierung, Herr Bundesinnenminister, schaut zu - mehr nicht. ({0}) Wir reden hier nicht über irgendetwas. Wir reden über ein Thema, das im Zentrum der innenpolitischen Auseinandersetzungen steht: die Gestaltung unseres zukünftigen Zuwanderungs- und Asylrechts. Seit 1999 - Sie wissen das - ist nach dem Amsterdamer Vertrag nicht mehr Deutschland dafür zuständig. Wir, die Union, haben ein geschlossenes Gesamtkonzept mit Zahlenbegrenzung, sozialer Steuerung und Integration. Der europäische Bereich nimmt bei uns einen breiten Raum ein. Nach unserer Auffassung muss bereits auf europäischer Ebene alles getan werden, um den Zuwanderungsdruck aus den Staaten der Dritten Welt nach Europa zu reduzieren. ({1}) Deswegen wollen wir gleiche Regelungen für die Aufnahme, den Aufenthalt und die Aufenthaltsbeendigung. Wir wollen vor allen Dingen eine gerechte europäische Lastenverteilung bei Asylbewerbern und Bürgerkriegsflüchtlingen. ({2}) Deshalb, Herr Bundesinnenminister, darf Deutschland die vorliegenden Vorschläge der Europäischen Kommission nicht akzeptieren. Sie führen zu einer Ausweitung der ungesteuerten Zuwanderung. ({3}) Aber Sie, meine Damen und Herren von der Bundesregierung, haben bisher kein Konzept zur Zuwanderungssteuerung vorgelegt. Das gilt für die SPD-Fraktion und auch für Sie, Herr Bundesinnenminister. Sie können es nämlich nicht. Während die eine Seite bei Ihnen immer noch von der multikulturellen Gesellschaft träumt und angesichts des Verhaltens der EU Morgenluft wittert, bietet die andere Seite mit Ihnen, sehr verehrter Herr Bundesinnenminister, einen Minister auf, der in den eigenen Reihen leider völlig isoliert ist und im Parlament höchstens von der Union unterstützt wird. ({4}) Ich gebe Ihnen Beispiele en masse. Ein Beispiel sind die Familienzusammenführungsrichtlinien aus Brüssel. Sie, Herr Bundesinnenminister, haben davor gewarnt, diese zu akzeptieren. In Brüssel haben die Sozialisten und die Grünen dazu Ja gesagt. Die SPD-Bundestagsfraktion Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms und die grüne Bundestagsfraktion haben Ja gesagt, und zwar gegen Ihren ausdrücklichen Willen und gegen Ihre Warnung, dass dann 200 000 bis 300 000 Ausländer ungesteuert nach Deutschland kommen können, Herr Bundesinnenminister. Ein weiteres Beispiel: Während Sie fordern, die Drittstaatenregelung zu erhalten, während Sie einfache und kurze Rechtswege fordern, sagen die Grünen und die SPD in einer Bundestagsinitiative ganz genau das Gegenteil. ({5}) Legen Sie doch als Fraktion endlich ein Konzept vor, das eine vernünftige Zuwanderungssteuerung, eine vernünftige Zuwanderungsbegrenzung enthält! ({6}) Mit diesem Mangel an Handlungsfähigkeit lassen sich in Brüssel keine Verhandlungen führen. Also, meine Damen und Herren, entweder handeln Sie jetzt oder - noch besser - handeln Sie nicht, sparen Sie sich die Arbeit und schließen Sie sich ohne Wenn und Aber dem Konzept von CDU und CSU an! ({7}) - Herr Kollege Stiegler, Sie täten uns damit einen kleinen Gefallen, unserem Land aber einen riesengroßen Gefallen. ({8}) Denn was auf uns zukommt, ist mehr als beunruhigend. Brüssel hat vor allen Dingen kein Gesamtkonzept. Es werden punktuelle Lösungen angeboten. Wer aber diese komplexe Problemstellung - Zuwanderung, Asylrecht ohne Berücksichtigung von Zusammenhängen erledigen will, verliert zwangsläufig den Überblick. Sie, meine Damen und Herren, wollen ein Haus bauen, aber Ihnen fehlt der Bauplan, und das kann nicht gut gehen. Herr Minister, Ihre jüngste Äußerung, es sei Ihnen wichtig, die Diskussion nicht auf das Schlagwort eines Zuwanderungsbegrenzungsgesetzes einzuengen, und Ihr Hinweis, neben der Zuwanderung aus wirtschaftlichen Gründen müssten auch Verbesserungen eintreten, bedeuten doch nichts anderes als den Beginn des Rückzuges vom ambitioniertesten Gesetzesvorhaben der Regierung in dieser Legislaturperiode. Das ist doch die Ankündigung, dass eben kein notwendiges Zuwanderungssteuerungs- und -begrenzungsgesetz von Ihnen vorgelegt wird, Herr Bundesinnenminister, und das ist problematisch. ({9}) In Brüssel spielt die Musik, in Brüssel werden Entscheidungen gefällt. Wenn die Richtlinien zu Mindeststandards in Bezug auf das Asylverfahren Wirklichkeit werden, wird unser bestehendes Asylrecht auf den Kopf gestellt. Denn Brüssel will, was Sie bisher in diesem Hause noch gar nicht diskutiert haben - deswegen müssen wir dies den Menschen in unserem Lande sagen -, unser Asylrecht nahezu abschaffen. Die Drittstaatenregelung, die Flughafenregelung und die Herkunftsstaatenregelung sollen gekippt werden. Man will verfahrensbeschleunigende Maßnahmen aufheben, man will ein dreistufiges Verfahren mit zwei Überprüfungsinstanzen, man will keine Beschleunigung bei Folgeanträgen, obwohl 30 Prozent der Asylanträge Folgeanträge werden. Ich wiederhole: Unser Asylrecht wird dann auf den Kopf gestellt. Unser Asylrecht war erfolgreich. Sie wissen, dass wir gegenüber fast 450 000 Asylbewerbern im Jahr 1993 nur noch rund 80 000 im vergangenen Jahr hatten. Auch das noch einmal zur Erinnerung: Sie wissen, dass der jetzige Bundeskanzler, damals Ministerpräsident von Niedersachsen, zu diesem Asylkompromiss Nein gesagt hat. Aber unser Asylrecht war erfolgreich und soll nun von Europa her abgeschafft werden. ({10}) Sie wollen ein Asylrecht mit subjektiven Ansprüchen schaffen. Das kann nicht gut gehen. Ich appelliere an die Bundesregierung: Investieren Sie weniger Zeit in Medienauftritte, kehren Sie zu Sachdebatten zurück, bieten Sie sachgerechte Lösungen an! Bremsen Sie in Europa Herrn Vitorino und die rot-grüne Europafraktion! Sie haben eine historische Chance zur Gestaltung eines modernen Ausländer- und Asylrechts, zur Gestaltung eines Zuwanderungsbegrenzungsrechts. Aber Sie haben auch eine historische Verpflichtung. Bis zum Jahre 2004 ist nach dem Amsterdamer Vertrag die Vergemeinschaftung der Asyl- und Flüchtlingspolitik zu vollziehen, und nur bis dahin gilt das Prinzip der Einstimmigkeit. Seien Sie sich deswegen der außergewöhnlichen Verantwortung bewusst! Was Sie jetzt mittragen oder initiieren, wird nie wieder rückgängig zu machen sein. Deswegen rufe ich Sie auf: Gehen Sie verantwortungsvoll mit dieser historischen Verpflichtung um! ({11}) Folgen Sie unseren Anträgen und setzen Sie sich in Brüssel durch, damit das, was dort geplant ist, nicht Wirklichkeit wird. Herr Bundesinnenminister, legen Sie endlich ein Gesamtkonzept zur Zuwanderung, Integration, Arbeitsmigration und zur Zuwanderungsbegrenzung vor! Die Menschen in unserem Lande wollen ein solches Gesamtkonzept, Herr Bundesinnenminister. Es ist auch nicht unanständig, die Interessen von 80 Millionen Menschen kraftvoll zu vertreten; das ist unsere und das ist auch Ihre Pflicht. ({12})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Herr Bundesminister Otto Schily.

Otto Schily (Minister:in)

Politiker ID: 11001970

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Lieber Herr Marschewski, Sie vermissen gegen Vorhaben in Brüssel Erwin Marschewski ({0}) Geschrei und Aufstand. Ich bin Ihnen dafür dankbar, dass Ihrerseits das Geschrei heute Morgen relativ moderat ausgefallen ist. Ich kann Ihnen sagen: In Brüssel werden Sie mit Aufständen nicht sehr weit kommen. Ich habe durchaus ein gewisses Verständnis dafür, dass Sie für die CDU/CSU-Fraktion den Versuch unternehmen, wieder etwas europapolitische Kompetenz zurückzugewinnen. Ob Sie das allerdings mit Ihrem heutigen Beitrag geleistet haben, muss ich mit einem großen Fragezeichen versehen. ({1}) Ich finde, die Sportart „Offene Türen einrennen“ ist auch nicht besonders eindrucksvoll. Man kann sich dabei übrigens Verletzungen zuziehen, Herr Marschewski. ({2}) Deshalb, meine ich, sollten wir die Kirche im Dorf lassen. Wir haben doch gemeinsam - so hat sich die CDU/CSU früher geäußert - in die Europapolitik die Vorstellung eingebracht, dass wir eine Europäisierung des Asyl- und Zuwanderungsrechtes wollen. Sie haben doch die Amsterdamer Verträge ausgehandelt; das hat doch nicht diese Regierung getan, die alte Regierung hat sie ausgehandelt. Nun können Sie sich doch nicht darüber beklagen, dass das so geschehen ist und wir auf diesem Wege weitergehen müssen. Sie haben selbstverständlich darin Recht, dass wir uns über die Einzelheiten unterhalten müssen. Sie werden wissen, dass ich mich in Brüssel sowie auf den Justiz- und Innenministerkonferenzen stets dafür eingesetzt habe, auch auf der europäischen Ebene ein konsistentes Programm zu entwickeln, das alle Aspekte umfasst. Leider entspricht das methodische Vorgehen der Kommission nicht ganz meinem Wunsch. Die Kommission hat sich - man muss dabei natürlich die Fristsetzungen, das Scoreboard, das hinsichtlich des Fortschritts bestimmte Vorhaben vorsieht, vor Augen haben; insofern muss man Verständnis für die Kommission haben - nun auf den Weg begeben, Einzelmaßnahmen vorzuschlagen. Wenn ich von der Bundestagsverwaltung richtig unterrichtet worden bin, Herr Kollege Marschewski, unterhalten wir uns heute Morgen über zwei Vorschläge der Kommission. Ich will auf beide kurz eingehen, damit wir zu einer sachlichen Diskussion kommen. Wir werden noch Gelegenheit haben, über das andere Thema, das Sie angesprochen haben, ausführlich zu reden. Ich will am Schluss meiner Ausführungen aber einige Bemerkungen dazu machen. Es geht zunächst um den Richtlinienvorschlag zur Gewährung vorübergehenden Schutzes im Falle eines Massenzustromes. An dieser Stelle will ich sagen: Ich begrüße ausdrücklich, dass die Kommission einen Vorschlag gemacht hat und die schwedische Präsidentschaft versucht, diesen Richtlinienvorschlag noch während der Dauer ihrer Präsidentschaft zu verabschieden. Das ist eine sehr vernünftige Initiative. Es war ja auch das Anliegen der alten Bundesregierung, insoweit eine EU-weite Regelung zu erreichen. Die Verhandlungen über einzelne Fragen des Entwurfs sind noch nicht abgeschlossen. Vorbehaltlich der noch bestehenden Streitpunkte bin ich der Meinung, dass der Vorschlag seitens der Kommission eine gute Grundlage für eine Regelung ist. Das gilt insbesondere für das Verhältnis von vorübergehendem Schutz und Asylverfahren. Der Richtlinienvorschlag gibt den Mitgliedstaaten ausdrücklich die Möglichkeit vorzusehen, dass die sich aus dem vorübergehenden Schutz ergebenden Rechte nicht mit dem Status eines Asylbewerbers, dessen Antrag geprüft wird, kumuliert werden können. Das ist doch auch eines Ihrer Anliegen, wenn ich Sie richtig verstanden habe. Gegen den Widerstand anderer Mitgliedstaaten hat sich die Bundesrepublik mit Erfolg dafür eingesetzt, dass die Prüfung von Asylanträgen für die Dauer des vorübergehenden Schutzes ausgesetzt werden kann. Beim Stimmenquorum zur Auslösung und Beendigung des vorübergehenden Schutzes - auch das haben Sie, Herr Kollege Marschewski, angesprochen - sprechen die besseren Gründe für eine qualifizierte Mehrheit. Das Erfordernis der Einstimmigkeit, das Sie favorisieren, hat einen großen Nachteil, nämlich den, dass das Veto nur eines Mitgliedstaates eine EU-weite Gewährung des vorübergehenden Schutzes verhindern kann. Es ist absehbar, dass dann ein vorübergehender Schutz in der EU nur selten oder überhaupt nicht gewährt würde. Wir wären dann bei der Kosovo-Krise möglicherweise blockiert gewesen. Ich erinnere mich an die damaligen Diskussionen noch sehr genau. Ohne eine gesamteuropäische Lösung der Aufteilung der Verantwortung unter den Mitgliedstaaten, also ohne jegliche Regelung würde die Bundesrepublik voraussichtlich die Hauptlast des Flüchtlingsstromes tragen und würde es anderen Mitgliedstaaten erleichtert, sich vor der Verantwortung, eine nennenswerte Anzahl von Vertriebenen aufzunehmen, zu drücken. Sie wissen doch, was damals - Sie waren an der Regierung - geschehen ist, als der Konflikt in Bosnien-Herzegowina ausgebrochen ist. Damals kamen rund 350 000 Flüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina in Deutschland an. Von Lastenteilung konnte keine Rede sein. Gleiches gilt für die Aufhebung des vorübergehenden Schutzes. Auch hier könnte bei einem Einstimmigkeitserfordernis das Veto eines Mitgliedstaates - zum Beispiel eines Staates, der nur eine sehr geringe Zahl von Vertriebenen aufgenommen hat - einen Aufhebungsbeschluss verhindern. Das kann nicht in unserem Interesse sein; denn dadurch würde eine schnelle Rückführung der Vertriebenen bei einer Verbesserung der Situation im Herkunftsland verhindert und würde die im CDU/CSU-Antrag geforderte Rückkehrorientierung der Richtlinie gerade nicht erreicht. Die Lastenteilung - darüber haben wir, Herr Marschewski, oft gesprochen; ich bevorzuge übrigens den Ausdruck Solidarität, weil ich glaube, dass er der bessere ist; aber darüber müssen wir uns nicht streiten - ist ein Kernstück des Richtlinienentwurfs. Die Verknüpfung von vorübergehendem Schutz und einer ausgewogenen Verteilung der Belastungen bei der Aufnahme von Flüchtlingen und Vertriebenen ist von der Bundesrepublik und insbesondere von dieser Bundesregierung stets massiv gefordert worden. Der Vorschlag der Kommission realisiert diese Forderung und konkretisiert die Solidarität durch das so genannte Bietungs- bzw. „pledging“-Verfahren, das auf einen im Jahre 1999, also während der deutschen Ratspräsidentschaft, von mir eingebrachten Vorschlag zurückgeht. Dieses Verfahren führt nicht dazu, dass sich die Vertriebenen das Land mit den besten sozialen Leistungen einfach aussuchen können. Das wollen wir auch nicht. Eine Aufnahme von Vertriebenen erfolgt nur in der Größenordnung, die der jeweilige Mitgliedstaat bei der Auslösung des vorübergehenden Schutzes angegeben hat. Die Funktionsfähigkeit dieses Modells hat sich in der Kosovo-Krise bewährt. Ich muss Sie daran erinnern, was wir während der Kosovo-Krise erreicht haben: Erstens. Wir haben dafür gesorgt, dass der übergroße Teil der Flüchtlinge in der Region Schutz gefunden hat. Zweitens. Als die Notwendigkeit bestand, einen Teil der Flüchtlinge aus Mazedonien nach Europa zu evakuieren, haben wir eine Lastenteilung durchgesetzt. Deutschland hat von insgesamt etwa 100 000 Flüchtlingen nur 15 000 aufgenommen. Sie sehen also, dass diese gute Lösung ist. Zu der von Ihnen immer wieder geforderten Quotenlösung muss ich Ihnen, Herr Marschewski, sagen, dass Sie offenbar den Stand der europäische Diskussion nicht kennen. Man weiß seit Jahren, dass diese Lösung nicht durchsetzbar ist. Sie werden die Franzosen von der Quotenlösung nie überzeugen können, ganz egal, welche politische Kraft in Frankreich an der Regierung ist. Eine an der Einwohnerzahl orientierte Quorumsregelung - auch daran muss ich Sie erinnern - liegt außerdem gar nicht im deutschen Interesse, weil sie Deutschland sogar verpflichten könnte, noch mehr Flüchtlinge als bisher aufzunehmen. Das lässt sich durch die Entwicklung der Asylbewerberzahlen belegen. Im vergangenen Jahr hat Deutschland, gemessen an seiner Einwohnerzahl - auch das sollten Sie der Öffentlichkeit einmal deutlich machen -, bei der Aufnahme von Flüchtlingen nur einen Mittelplatz belegt. Deutschland steht keineswegs mehr an der Spitze, auch nicht bei den absoluten Zahlen. Großbritannien hat die meisten Flüchtlinge aufgenommen. Wir hatten im vergangenen Jahr rund 80 000 Asylbewerber und Großbritannien rund 100 000. Wenn Sie die Einwohnerzahlen zugrunde legen, verändern sich die Proportionen noch mehr. Ich glaube also, dass wir bei dieser Richtlinie auf einem guten Wege sind. Es gibt ein paar Fragen, die noch nicht zu Ende diskutiert sind. Dazu gehört die Familienzusammenführung. Man kann - ich habe mit Herrn Kommissar Vitorino darüber gesprochen - sich überlegen, ob wir die Familienzusammenführung aus der Richtlinie überhaupt ausklammern und sie lieber in der allgemeinen Richtlinie regeln. Darüber sind wir im Gespräch. Die Regelungen dürfen auch nicht zu weit gehen, damit wir nicht Dinge regeln, die sich eigentlich aus der Praxis viel besser ergeben. Ich erinnere noch einmal an das Kosovo. Wir haben selbstverständlich, als wir aus Mazedonien evakuiert haben, in erster Linie Frauen, Kinder und Kranke berücksichtigt und im Einvernehmen und in Zusammenarbeit mit dem UNHCR natürlich auch dafür gesorgt, dass die Familien nicht auseinander gerissen werden. ({3}) Dazu braucht man keine verrechtlichte Regelung. Das geht auch, wenn man darüber vernünftig diskutiert. Nun bin ich bei dem zweiten Punkt. Dazu muss ich allerdings sagen: Bei der Richtlinie über Mindestnormen in Asylverfahren gibt es noch ganz erheblichen Diskussionsbedarf. ({4}) - Ja, Frau Jelpke, da haben Sie einen anderen Standpunkt. Das ist in Ordnung. Aber ich habe eine andere Verantwortung als Sie. Diese Mindestnormen sind so nicht akzeptabel. Sie haben einige Stichworte genannt: Die Drittstaatenregelung ist so, wie sie dort ausformuliert ist, für uns nicht akzeptabel. ({5}) Nicht akzeptabel ist die Regelung bei den offensichtlich unbegründeten Anträgen, bei den Folgeanträgen und bei vielen anderen Stichworten mehr. Ich will das hier gar nicht im Einzelnen darstellen. Ich habe Ihnen den Standpunkt der Bundesregierung dazu schon in verschiedenen Darstellungen vor dem Innenausschuss mitgeteilt. Ich bin aber gerne bereit, noch einmal in den Innenausschuss zu kommen, um das im Detail darzulegen. Es ist übrigens auch nicht so, dass es quasi nur die Bundesregierung, die Kommission, den Bundestag und das Europaparlament gibt, Herr Marschewski. Es gibt auch den Ministerrat, der ein Wörtchen mitzureden hat. ({6}) Im Ministerrat ist die Kritik an diesem Richtlinienentwurf nun wahrlich nicht auf den deutschen Innenminister beschränkt. Sie können sich vorstellen, dass ich in dieser Richtung auch mit meinen Innenministerkollegen in Europa rede und mit ihnen sehr intensive Gespräche führe. Das wird eine Zeit dauern. Die Sachen sind erst andiskutiert worden. Nun seien Sie an der Stelle mal nicht so hektisch! Sie brauchen sich in der Richtung keine Sorge zu machen, wir würden die Dinge so regeln, dass wir dabei Schaden nehmen. Allerdings stehen diese Fragen in der Tat in einem Zusammenhang mit anderen Fragen. Ich würde es begrüßen, wenn wir in der europäischen Diskussion wie auch in Deutschland zu einem Einvernehmen über ein Gesamtkonzept gelangten. Das ist übrigens auch der Ehrgeiz der belgischen Präsidentschaft, die dazu eine Konferenz einberufen wird. Ich hoffe, dass man auf dem Wege vorankommen wird. Lassen Sie mich zum Schluss - wenn es der Herr Präsident erlaubt - noch einige wenige Sätze zu Ihren allgemeinen Bemerkungen über Zuwanderungspolitik und Ähnliches anfügen. Ich sage Ihnen ausdrücklich: Ich begrüße, dass die CDU unter dem Vorsitz von Herrn Ministerpräsidenten Müller ein ausführliches Papier erarbeitet hat. Das Papier kann ich nur loben. Es enthält sehr gute Passagen. Ich halte es für ein gutes Papier, um auf dessen Grundlage und auf der Grundlage anderer Überlegungen, die es bei der F.D.P. gibt, die es bei der SPD gibt, die es bei den Grünen und auf welcher Seite immer gibt, zu einem allgemeinen Konsens in diesen Fragen zu kommen. ({7}) - Auch die CSU, Entschuldigung! Die CSU, die Schwesterpartei, hat auch ein interessantes Papier vorgelegt. ({8}) - Ja, natürlich: eine außerordentlich wichtige Partei. Sie wissen, dass ich eine Kommission unter dem Vorsitz eines Mitglieds Ihrer Fraktion, einer herausragenden Persönlichkeit, Frau Professor Süssmuth, einberufen habe. Diese Kommission hat eine interessante Zusammensetzung, weil sie nämlich alle Gesichtspunkte, die bei einer Zuwanderungsregelung zu berücksichtigen sind, repräsentiert. Ich denke, allein die Tatsache, dass sich viele um die Zugehörigkeit zu dieser Kommission bemüht haben, beweist, dass es richtig war, eine solche Kommission einzuberufen. Alle Wirtschaftsverbände haben sich gedrängt, in dieser Kommission mitzuarbeiten. Ich bin denjenigen sehr dankbar, die sich dazu bereit gefunden haben. Diese Kommission wird ihre Vorschläge demnächst vorlegen. Sie hat übrigens alles das, was etwa von Ihrer Parteikommission oder von anderen vorgelegt worden ist, in ihre Überlegungen einbezogen. Ich glaube, dass wir zu einer vernünftigen Regelung kommen können, die sowohl eine Steuerung und Begrenzung erlaubt als auch die Wahrung der humanitären Grundsätze, auf die wir uns in der Verfassung festgelegt haben. Deshalb appelliere ich an alle, an diesem Konsens mitzuwirken. Herr Marschewski, wenn Sie dazu auch einen Beitrag leisten wollen und auf Geschrei und Aufständigkeit verzichten, dann würde ich das sehr begrüßen. Danke schön. ({9})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Dr. Max Stadler von der F.D.P.-Fraktion.

Dr. Max Stadler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002805, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Oft ist es ganz nützlich, wenn man bei Anträgen, über die hier zu diskutieren ist, auch das liest, was nicht ausdrücklich in ihnen enthalten ist. So scheinen sich die beiden Anträge der CDU/CSU dem Wortlaut nach an die Bundesregierung zu richten, indem sie aufgefordert wird, in bestimmter Weise in Brüssel zu agieren. Man kann sich aber unschwer ausmalen, dass Adressat der Anträge natürlich auch die eigenen Parteimitglieder und Anhänger sind; denn, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, es war ja für Sie ein weiter Weg von der Position, dass Deutschland kein Einwanderungsland sei, bis zu dem Papier, das Sie dankenswerterweise jetzt vorgelegt haben. Es war ein langer Weg nach Tipperary. ({0}) Man kann sich leicht vorstellen, dass viele bei Ihnen diesen Weg nicht so schnell mitzugehen bereit sind. Da ist es natürlich der innerparteilichen Willensbildung förderlich, wenn man diesen Schwenk und diese neue Erkenntnis, dass Deutschland faktisch natürlich ein Einwanderungsland ist, mit einer besonders kritischen Haltung gegenüber dem Asylverfahren und dem garniert, was in Brüssel dazu vorgeschlagen wird. ({1}) Unabhängig davon ist es berechtigt und verdienstvoll, dass Sie dieses Thema hier zu Debatte stellen und dass aufgrund Ihrer Anträge und des Antrags der PDS der Deutsche Bundestag überhaupt über einen Richtlinienentwurf der EU diskutiert. Es ist ja ein zentrales Thema, hinsichtlich dessen wir uns im Innenausschuss seit langem Gedanken darüber machen, wie wir es besser bewältigen können, dass wichtigste Entscheidungen, die die deutsche Innenpolitik maßgeblich verändern, in Brüssel in einer Situation getroffen werden, in der das Europaparlament immer noch keine echte Mitsprachemöglichkeit hat und in der der Deutsche Bundestag nur zur Kenntnis nimmt, was in einer Richtlinie vorgegeben wird. ({2}) Aus diesem Grund bin ich sehr dankbar, dass die Anträge Gelegenheit geben, einiges klarzustellen. Die Debatte über das Asylrecht und die Europäisierung des Asylrechts ist von Teilen der deutschen Öffentlichkeit von vorneherein mit einer falschen Erwartungshaltung geführt worden. Manche, denen unser Asylrecht immer noch zu liberal ist, haben nämlich die Hoffnung damit verbunden, dass sich - so wurde immer behauptet - das deutsche Grundrecht auf Asyl nicht mehr halten lasse, wenn eine Europäisierung dieses Rechtsgebiets erfolge. Nun müssen Sie zu Ihrer Enttäuschung, meine Damen und Herren von der Union, feststellen: Art. 16 a des Grundgesetzes kann auch im europäischen Kontext sehr wohl Bestand haben. Im Gegenteil: Zu Ihrer Überraschung werden vonseiten der EU zum Teil weitreichendere und liberalere Vorstellungen geäußert, als wir sie im Asylkompromiss seinerzeit vereinbart haben. ({3}) Dies hätten Sie schon seit langem wissen können, wenn Sie sich genauer informiert hätten. Das Flughafenverfahren in Frankreich zeichnet sich zum Beispiel dadurch aus, dass dann, wenn innerhalb von 18 Tagen keine Entscheidung über die Anerkennung oder Nichtanerkennung eines Bewerbers gefallen ist, der Bewerber in Frankreich einreisen darf und das weitere Asylverfahren im Inland geführt wird. Dieses Verfahren geht viel weiter als die bei uns bestehende Regelung. So braucht es einen nicht zu verwundern, dass auch die EU über die deutschen Regelungen hinausgehende Vorschläge macht. ({4}) Das lässt einen interessanten politischen Aspekt in einem anderen Licht erscheinen: Die Union wird jetzt von ihrer These eingeholt, die europäische Integration zwinge zu einer Verschärfung des deutschen Asylrechts. Da sich diese These offenkundig nicht bewahrheitet, stellt sie nun eigene Anträge, um diese Verschärfung zu propagieren. Das nennt man Dialektik. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Stadler, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Jelpke?

Dr. Max Stadler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002805, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, gerne.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Jelpke, bitte schön.

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Kollege Stadler, wir haben diese Frage ja schon einmal diskutiert. Sie haben eben das französische Modell vorgestellt. Ich persönlich würde es sehr befürworten, wenn es bei uns eingeführt würde, um eine menschenwürdige Regelung für Flüchtlinge herzustellen. Geben Sie mir Recht, dass Sie einem Antrag der PDS im Innenausschuss, der genau in diese Richtung tendiert hat, nämlich das Flughafenverfahren abzuschaffen und die Asylbewerber nicht zu inhaftieren, wenn man das Asylverfahren nicht rasch abschließen kann, nicht zugestimmt haben?

Dr. Max Stadler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002805, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin Jelpke, ich bestätige Ihnen gerne, dass wir den allermeisten Ihrer Anträge im Innenausschuss und im Plenum nicht zustimmen. Das geschieht allerdings nicht aus einem Automatismus heraus. Gerade beim G-10-Gesetz haben wir ja eine gemeinsame Position vertreten und diese ist auch bei den Abstimmungen zum Ausdruck gekommen. Aber - da gebe ich Herrn Schily Recht - es bedarf für den gesamten Bereich einer Gesamtkonzeption, auf die ich gleich zu sprechen komme. Unabhängig davon sind etwa in der Praxis des Flughafenverfahrens ohne Änderung der Rechtsgrundlage sehr wohl Verbesserungen möglich und notwendig. Sie wurden uns von der rot-grünen Regierungskoalition auch schon seit langer Zeit versprochen, ohne dass sie bisher verwirklicht wurden. Meine Damen und Herren, ich habe gesagt, dass ein Gesamtkonzept für die Zuwanderungspolitik nötig sei. Die F.D.P. hat daher als erste Partei ein Zuwanderungsgesetz in den Bundestag eingebracht. ({0}) Das haben alle anderen Fraktionen abgelehnt. Wir haben mit dem Gesetzentwurf vom 2. Juni 2000 einen neuen Versuch unternommen. Wir hoffen nun, dass jetzt wirklich das gesamte Parlament eine Gesetzesinitiative ergreift. ({1}) - Herr Kollege Stiegler, Sie tragen dafür die Hauptverantwortung; denn Sie leiten die im Geheimen tagende Arbeitsgruppe der SPD. Sie tagt so sehr im Verborgenen, dass man bis heute nicht weiß, was sie vorschlagen wird. ({2}) Ihre Fraktion war sogar die einzige, die sich geweigert hat, vor der Süssmuth-Kommission ihre Vorstellungen vorzutragen. Wir sind sehr neugierig, was Sie machen werden, wenn die Süssmuth-Kommission ihren Schlussbericht vorlegt. Dann ist es nämlich allerhöchste Zeit, dass die Zuwanderungsproblematik gesetzlich geregelt wird. Nach Auffassung der F.D.P. muss sich die Zuwanderungspolitik auf zwei Säulen stützen: zum einen auf die Zuwanderung, die wir aus eigenem wirtschaftlichen Interesse und arbeitsmarktpolitischen Gründen brauchen - hierbei hilft solches Flickwerk wie die Green-CardRegelung überhaupt nicht -, zum anderen auf die Einhaltung der Verpflichtungen, die wir aus humanitären Gründen eingegangen sind. Deshalb bleiben für uns das Grundrecht auf Asyl und ebenso die Verfahrensgarantie des Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz für Asylbewerber bestehen. ({3}) Wir fühlen uns durch den Entwurf der EU-Richtlinie in unseren Positionen bestätigt. ({4}) Meine Redezeit reicht nicht aus, die 15 Detailpunkte, die die Union in ihren Anträgen aufgeführt hat, im Plenum auch nur anzusprechen. Das bleibt der Diskussion im Ausschuss vorbehalten. Ich meine nur, dass die Union in ihrer Gesamttendenz insofern falsch liegt, als in ihrem Antrag nach einem kurzen pflichtschuldigen Lob dafür, dass sich auf europäischer Ebene überhaupt etwas bewegt, ein Trommelfeuer von Kritik kommt, die nur in einigen Punkten berechtigt ist. Zwar wollen auch wir keine Erschwerungen bei der Ablehnung von Asylfolgeanträgen, wir meinen aber, dass die Lage in anderen Punkten von Ihnen zu skeptisch gesehen wird. Das betrifft zum Beispiel die Drittstaatenregelung, die immer umstritten war, auf die wir uns aber im Asylkompromiss geeinigt haben. Sie wird nämlich ihre Bedeutung in dem Moment fast komplett einbüßen, in dem die EU-Osterweiterung über die Bühne gegangen ist. Danach wird Deutschland mit Ausnahme der Schweiz nur noch von EU-Mitgliedstaaten umgeben sein. Der ewige Streit um die Drittstaatenregelung erledigt sich dann gewissermaßen von selbst. Ich komme zum Schluss. Sie von der Union erwecken den Eindruck, als könne man bei einer EU-Beschlussfassung das deutsche Recht hundertprozentig durchsetzen. Das muss nicht sein und wird auch nicht gelingen. Wir glauben, dass mit dieser Richtlinie ein richtiger Weg in Richtung Harmonisierung des europäischen Asylrechts beschritten wird. Wir als F.D.P. bleiben dabei, dass wir eine Zuwanderung nach Deutschland im eigenen Interesse brauchen ({5}) und dass wir die humanitären Verpflichtungen, die uns das Grundgesetz aufgegeben hat, auch in diesem Zusammenhang voll erfüllen müssen. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Marieluise Beck vom Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Marieluise Beck-Oberdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002624, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich stimme Herrn Stadler zu, dass die beiden Anträge der Union, die vom April datieren, ein anderes Gewicht gehabt hätten, wenn damals schon die Müller-Kommission mit ihren Ergebnissen an die Öffentlichkeit getreten wäre. Man kann daran sehen, dass es innerhalb der Union eine heftige Bewegung in Richtung Realitätstüchtigkeit gegeben hat. ({0}) Die Realität ist nämlich, dass man auf dem humanitären Gebiet des Asyls und des Flüchtlingsschutzes nicht einfach drauflos fuhrwerken kann. Es gibt eben völkerrechtliche - international und auch EU-weit - Verbindlichkeiten, bei denen sich Deutschland nicht einfach auf einen Sonderweg begeben und sich zum Außenseiter machen kann. Mit unserer Position sozusagen in der Mitte der Auffassungen der EU-Länder sind wir gut aufgehoben. Insofern muss ich feststellen, dass es einen offensichtlichen Widerspruch gibt zwischen Herrn Marschewski auf der einen Seite und Herrn Stoiber und Frau Merkel auf der anderen Seite, die sich in diesen Fragen geeinigt haben. Das muss man einmal sehr deutlich hervorheben. ({1}) Durch die Einlassungen in diesen Anträgen wird der Eindruck erweckt, als ob man Asylbewerberzahlen durch die Art, wie man Gesetze formuliert, drücken könnte. Diese Auffassung vernebelt einen ganz wichtigen Zusammenhang: Asylbewerberzahlen steigen nämlich dann, wenn es Krisen vor der eigenen Haustür gibt. So hatten wir in den 90er-Jahren hohe Asylbewerberzahlen, weil wir vor der Haustür vier Kriege hatten. Die Menschen gingen über die Grenze, um bei uns Schutz zu suchen. Der Zusammenhang aber, den Sie immer wieder herstellen, nämlich dass ausschließlich der Asylkompromiss von 1993 mit einer massiven Beschneidung von Rechten die Asylbewerberzahlen gedrückt hätte, ist nicht richtig. ({2}) - Sie haben den Bosniern, die zu uns kamen, einen anderen Status gegeben. Trotzdem hat es sich um Schutzsuchende gehandelt. ({3}) Es ist auch wichtig, noch einmal deutlich zu machen, dass Deutschland nicht das Asylbewerberland Nummer eins ist. Ich halte es für gefährlich, diesen Eindruck in der Bevölkerung aufrechtzuerhalten; denn dann entsteht in der Tat die falsche Einschätzung, alle Asylsuchenden kämen nach Deutschland, weil wir die höchsten Schutznormen haben. Wir bewegen uns im europäischen Mittelfeld; wir haben keine herausragenden Standards. Sowohl Art. 16 a des Grundgesetzes als auch die Umsetzung der Genfer Flüchtlingskonvention entsprechen weitgehend europäischen Standards und Normen. ({4}) Nun zum EU-Richtlinienentwurf zur Gewährung vorübergehenden Schutzes. Es ist richtig und gut, dass die schwedische Präsidentschaft das Verfahren noch im Mai zum Abschluss bringen möchte. Wenn Sie ernsthaft fordern, dass es eine Flexibilität im europäischen Aufnahmeverhalten geben muss, aber gleichzeitig auf das Einstimmigkeitsprinzip setzen, dann konstruieren Sie einen Widerspruch; denn wir wissen aus Erfahrung, dass gerade das Einstimmigkeitsprinzip jedem Mitgliedstaat eine Blockademöglichkeit eröffnet. Wenn Sie wirklich an Flexibilität interessiert sind, dann können Sie nicht für das Einstimmigkeitsprinzip, sondern dann müssen Sie für ein Mehrheitsprinzip plädieren. Nur das wird uns die notDr. Max Stadler wendige Beweglichkeit bei Entscheidungen innerhalb der Europäischen Union geben. ({5}) Wir werden darüber im Innenausschuss noch einmal diskutieren. Ich möchte wirklich wissen, wie Sie diesen Widerspruch auflösen wollen. ({6}) Während der Kosovo-Krise hat sich auch gezeigt - im Gegensatz zur letzten Bundesregierung war diese Bundesregierung in dieser Hinsicht erfolgreich -, dass in die Europäische Union im Hinblick auf Absprachen über die Aufnahme von Flüchtlingen tatsächlich Bewegung gekommen ist. Uns ist die gerechte Lastenverteilung sehr wichtig. Klar ist aber auch, dass sich alle Staaten sowohl bei der Aufnahme von Flüchtlingen als auch bei der „Verteilung der Solidarität“ - so hat es der Bundesinnenminister eben genannt - schwer tun. Zu Zeiten des Kriegs in Bosnien hatten wir es innerhalb der EU mit einer Blockade zu tun und es kam dazu, dass Deutschland die überwiegende Zahl von Flüchtlingen aufgenommen hat. Das Pledging-Verfahren in der Kosovo-Krise war ein erster großer Schritt hin zu einer Verständigung der europäischen Länder über die Aufnahme von Flüchtlingen. Der damals eingeschlagene Weg war gut und es ist begrüßenswert, ihn in die Richtlinie aufzunehmen. Ich möchte die Familienzusammenführung ansprechen. Ich kann schwer nachvollziehen, dass eine Partei, die für sich ehrlicherweise in Anspruch nimmt, aufseiten der Familie zu stehen, eine solch rigide Haltung in Sachen Familienzusammenführung einnimmt. ({7}) Es geht bei der Aufnahmeentscheidung um Menschen, bei denen man ohne Zweifel festgestellt hat, dass sie wegen Menschenrechtsverletzungen, wegen Bedrohungen Schutz bekommen müssen. Vor diesem Hintergrund zu sagen: „Die Familien dürfen nicht zusammenkommen“, das ist eine Haltung, die ich überhaupt nicht nachvollziehen möchte. Ich glaube, dass es für eine solche Härte gegenüber den Flüchtlingen innerhalb der Bevölkerung keine Mehrheit gibt. Wir brauchen Regelungen, die eine Familienzusammenführung ermöglichen. Wir Grünen wünschen uns einen entsprechenden Anspruch; zumindest muss es ein sich in Richtung Anspruch verdichtendes Ermessen geben. ({8}) Nun möchte ich noch einige integrationspolitische Überlegungen anstellen. Es ist klar, dass wir uns mit der Richtlinie zum vorübergehenden Schutz auf eine schiefe Ebene begeben, weil die Genfer Flüchtlingskonvention für die Dauer der Anwendung dieser Richtlinie ausgehebelt wird. Das bedeutet, dass wir wirklich attraktive Angebote schaffen müssen und den Flüchtlingen, die unter den temporären Schutz fallen - durch ihn sind sie vom gesellschaftlichen Leben weitgehend ausgeschlossen -, nicht abverlangen dürfen, auf die Rechte, die sie durch die Anerkennung als Flüchtlinge gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention bekämen, zu verzichten. Wir sollten bei der Umsetzung in innerstaatliches Recht darauf achten, dass die Zugänge zur Gesellschaft - das sind Arbeitsmarkt und auch Familienzusammenführung - offen stehen, damit nicht diejenigen Flüchtlinge bestraft werden, die sich darauf einlassen, unter der Richtlinie über den Massenzustrom subsumiert zu werden, statt ihre Rechte als Flüchtlinge gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention individuell zu beantragen. Ich möchte noch einige Sätze über die Richtlinie zu Mindestnormen für Asylverfahren in den EU-Staaten sagen. Es ist eindeutig, dass die Europäische Union nicht vorhat, einzelne Mitgliedstaaten zu Verfassungsänderungen zu zwingen. Die Kommission strebt an, dass die verfassungsrechtlichen Bestimmungen der Mitgliedstaaten weiterhin ihren Bestand haben. Die von Ihnen geäußerte Befürchtung, die Drittstaatenregelung werde abgeschafft, ist so nicht haltbar. Eines ist aber klar: Die Drittstaatenregelung verliert sowieso an Bedeutung; denn durch die Erweiterung der Europäischen Union nach Osten wird das Dubliner Abkommen eine zentrale Rolle bei der Beantwortung der Frage nach dem Aufnahmeland der Flüchtlinge spielen. Wir werden künftig auf der Grundlage des Dubliner Abkommens verhandeln. Damit kommt Art. 16 a Abs. 5 GG zum Tragen und es wird nicht mehr um die Drittstaatenregelung gehen. Das Bundesverwaltungsgericht hat bereits 1991 festgestellt - auch das ist wichtig für die nationale Debatte -, dass sich aus der Genfer Flüchtlingskonvention bei der Umsetzung in Deutschland ein subjektives Recht und damit ein Anspruch auf Schutzgewährung ergibt. ({9}) Das sollten auch Sie vonseiten der Union endlich einmal akzeptieren. Deswegen liegt es nicht am Richtlinienentwurf der EU, wenn hier ein subjektives Recht besteht, sondern es liegt an Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz, in dem die Rechtswegegarantie festgelegt ist, und an den Formulierungen in Art. 33 der Genfer Flüchtlingskonvention, sodass wir es zu tun haben mit dem subjektiven Recht der Flüchtlinge auf Schutz. Die entsprechenden Verfahren müssen einer rechtlichen Überprüfung standhalten können. Wir Grünen sehen in dieser Richtlinie für Mindestnormen in kleinen Bereichen noch Änderungsbedarf, ebenso wie die Fachverbände Caritas und Diakonisches Werk. Die Vorgaben für offensichtlich unbegründete Asylanträge scheinen weiter zu sein als in Deutschland. Wir gehen davon aus, dass sich die Ablehnung als offensichtlich unbegründet nicht ausschließlich auf formale Gründe berufen darf, sondern dass der Antrag auch inhaltlich unbegründet sein muss, wie das in Art. 30 Abs. 3 Asylverfahrensgesetz festgeschrieben ist. Marieluise Beck ({10}) Noch ein Wort zur nationalen deutschen Debatte. Wir alle sind für die Harmonisierung; auch Sie sind ja nicht gegen die Harmonisierung in der EU. Man kann in Brüssel einiges Kopfschütteln über die hoch emotionalisierte, aufgeladene und auch ideologisch angereicherte Diskussion um Flüchtlingsschutz und Asyl wahrnehmen. Gerade in Zeiten, in denen die Asylbewerberzahlen dramatisch nach unten gehen, sollten wir uns mit großer Sachlichkeit dieser humanitären Verpflichtung, die zum Glück innerhalb der Europäischen Union anerkannt wird, stellen und nicht darüber klagen, sondern sie im Konzert der europäischen Nationen mit erfüllen. Schönen Dank. ({11})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Ulla Jelpke.

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU hat heute zwei Anträge vorgelegt, mit denen wieder einmal der Versuch gemacht wird, die Harmonisierung des Asylrechts auf europäischer Ebene abzubremsen. Es wundert mich, ehrlich gesagt, nicht, dass Herr Schily auch gleich wieder bereit ist, die Bremse zu ziehen. Zur Erinnerung: Als der berüchtigte Asylkompromiss beschlossen wurde, hat man gesagt: Wir müssen unsere Standards absenken, damit Deutschland die Harmonisierung des Asylrechts in Europa nicht behindert. Heute sagt eine unheilige Allianz von Union und Innenminister Schily: Europa muss die Standards absenken, damit Deutschland zustimmen kann. Herr Schily, Sie haben schon in vielerlei Hinsicht bewiesen, wie wenig kompromissbereit Sie bei europäischen Vorschlägen sind. Ich erinnere daran, dass der Bundestag zwar beschlossen hat, die Kinderrechtskonvention zu unterzeichnen, dass Sie es aber bis heute nicht getan haben, was dazu führt, dass Rechte von Kindern erheblich eingeschränkt werden. Die Wanderrechtskonvention ist nicht unterzeichnet worden, nach der Menschen, die hier zuwandern, tatsächlich sozial gleichgestellt würden. Nicht zuletzt wurde die Staatsbürgerschaftskonvention nicht unterzeichnet, weil dann Deutschland auch die Mehrstaatlichkeit hätte akzeptieren müssen. Ich komme zu den Richtlinien und möchte wenige Beispiele aufgreifen. Um welche Punkte geht es eigentlich? In der Tat schlägt die EU-Richtlinie vor, die Drittstaatenregelung etwas aufzuweichen und nicht - das bemerke ich - sie abzuschaffen. Gegenwärtig ist ein Flüchtling grundsätzlich vom Asylverfahren ausgeschlossen, wenn er über einen so genannten Drittstaat, also über unsere Nachbarstaaten, nach Deutschland einreist und Asyl begehrt. Die einzige Änderung durch diese Richtlinie wäre, dass ein Flüchtling auch dann das Recht hätte, in Deutschland einen Asylantrag zu stellen, wenn er nicht sicher sein kann, dass er in dem Drittstaat ins Asylverfahren kommt bzw. ob ihm entsprechende Folgen drohen. Das ist nicht viel. Das wäre ein Akt der Humanisierung, dem wir zustimmen könnten. Ich verstehe auch nicht die Forderungen nach Änderung des Art. 16 a des Grundgesetzes. Da gibt es auch Fachleute, die genau das Gegenteil sagen. Wir werden diese Frage mit Sicherheit weiterhin im Innenausschuss diskutieren. Besonders wichtig an dem Richtlinienvorschlag der EU-Kommission ist, dass minderjährige Flüchtlinge mehr Rechte erhalten sollen. Das ist eine Grundsatzforderung, die viele in diesem Haus, besonders aber die PDS, immer vertreten haben. Volljährig ist man mit 18 Jahren und nicht mit 16 Jahren. Das würde bedeuten, dass Minderjährige sich nach dieser Richtlinie nicht mehr einem Asylverfahren unterziehen müssten; das wäre erst ab 18 Jahren möglich. Meiner Meinung nach hätte das erhebliche Folgen. Ich muss mir nur anschauen, wie in einigen Städten gegenwärtig wieder Versuche unternommen werden, Minderjährige abzuschieben, wie gerade heute Nacht einen 16-Jährigen nach Sierra Leone, in ein Bürgerkriegsland; auch in Berlin gibt es solche Fälle. Ich hoffe jedenfalls, dass die Richtlinien wesentliche Verbesserungen bringen. Wir haben einen Entschließungsantrag eingebracht, mit dem wir unsere Hoffnung zum Ausdruck bringen, dass sich der Bundestag in dieser Debatte eindeutig dazu bekennt, dass es hier um den Schutz von Menschenrechten und um Asylschutz in Europa insgesamt geht, dass ein verfolgter Mensch hier Schutz finden kann, dass Flüchtlinge hier sicher und menschenwürdig leben können. Nicht zuletzt fordern wir in unserem Entschließungsantrag ein Schutzsystem in Europa, das die Genfer Flüchtlingskonvention, die Europäische Menschenrechtskonvention und andere Verträge umfassend verwirklicht. In diesem Sinne werden wir viele Dinge zu diskutieren haben. Ich werde mich auf die Richtlinie zur Masseneinwanderung nicht weiter beziehen. Das ist in der Tat etwas komplizierter; man kann das nicht in wenigen Minuten diskutieren. Aber ich denke, wir werden im Ausschuss dazu Zeit haben. Danke. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Hans-Peter Uhl.

Dr. Hans Peter Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003247, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Jahrelang war Deutschland durch den massenhaften Asylmissbrauch wie gelähmt. ({0}) Erst durch den Asylkompromiss, Frau Marieluise Beck, und die entsprechende Grundgesetzänderung haben wir unsere Handlungsfähigkeit in Teilbereichen wiedererlangt. ({1}) Marieluise Beck ({2}) Wenn Sie dies bis heute noch nicht erkannt haben, können wir Ihnen wirklich nicht helfen. Helfen können wir Ihnen aber auch nicht, Herr Minister Schily, wenn Sie von solchen Geistern, die die Realität nicht zur Kenntnis nehmen können, politisch umgeben sind. Wir, die CDU/CSU, haben immer gesagt: Zuwanderung muss man nicht schicksalhaft hinnehmen, sondern Zuwanderung muss man regeln, steuern, begrenzen. ({3}) Doch kaum haben wir unsere eigene Handlungsfähigkeit wiedererlangt, schon droht uns durch Bevormundung aus Brüssel eine neue Handlungsunfähigkeit. Es ist richtig, Herr Minister Schily - Sie haben darauf hingewiesen -: Über den Amsterdamer Vertrag ist in der letzten Legislaturperiode verhandelt worden und er ist 1999 in Kraft getreten. Aber es ist auch richtig, dass wir niemals gewollt haben, dass die deutschen Interessen durch den Vollzug dieses Vertrages auf der Strecke bleiben. Wir befinden uns jetzt in dieser fünfjährigen Phase, in der wir noch drei Jahre Restlaufzeit haben, in einer kritischen Zeit; denn wir können nach dem Einstimmigkeitsprinzip zurzeit noch die Weichen stellen. Wir können noch unser Veto einlegen, wir können noch nicht überstimmt werden. Diese Zeit, Herr Minister Schily, müssen wir natürlich nutzen, damit uns Brüssel nicht mit falschen Regelungen bevormundet. Das ist der Punkt. ({4}) Dankenswerterweise hat der Bundesrat diesen Richtlinien zum Asylrecht bereits nicht zugestimmt. Jetzt kommt es darauf an, dass auch der Bundestag diese Richtlinien ablehnt, damit Ihre Verhandlungsposition in Brüssel durch ein negatives Votum beider deutscher Kammern gestärkt wird. Wir führen zurzeit eine bundesweit breit angelegte Zuwanderungsdebatte. Dabei sind wir froh und dankbar, dass man jetzt endlich auch in Kreisen der Regierungskoalition die richtigen Fragen stellen darf, dass das Tabu gebrochen ist. Es verstößt jetzt nicht mehr gegen die Political Correctness, zu fragen, wie viele Ausländer das Land verträgt; es verstößt nicht mehr gegen die Political Correctness, zu fragen, welche Ausländer das Land braucht. Das darf man jetzt aussprechen, ohne gleich in eine bestimmte Ecke gestellt zu werden. ({5}) In den Kommissionen wird in überraschender Gemeinsamkeit verhandelt. Das geschieht übrigens, Frau Beck, überhaupt nicht hoch emotionalisiert. Vielmehr werden ganz nüchtern, ganz gelassen, ganz ruhig sehr konstruktive, tief greifende Debatten über das richtige Maß an Zuwanderung geführt - angesichts unserer demographischen Probleme, unserer vielen nicht besetzbaren Stellen auf dem Arbeitsmarkt, aber auch der drückenden Belastung durch 4 Millionen Arbeitslose. Der Kollege Stadler hat gemeint, er müsse uns vorhalten, einen langen Weg hinter uns zu haben. ({6}) Herr Stadler, wer noch die damalige Debatte zum Asylkompromiss in Erinnerung hat, der weiß, was für ein quälender Prozess es war, Ihren Kollegen Burkhard Hirsch von seinem Holzweg abzubringen. Deshalb sollten Sie uns nicht vorwerfen, wir hätten einen langen Weg hinter uns. Ich glaube, Herr Kollege Stadler, es ist Ihre Partei, die einen langen Weg vor sich hat: hin zur selbst ernannten Volkspartei mit 18 Prozent. ({7}) Darf ich Ihnen übrigens einen Rat geben? Wenn wir - als Mitglieder einer anerkannten Volkspartei - einmal nur 18 Prozent haben sollten, dann würden wir uns nicht mehr Volkspartei nennen. Dann sind wir nämlich eine Klientelpartei, die irgendwelche Partikularinteressen vertritt. ({8}) In die nationale Zuwanderungsdebatte, die wir auf allen Ebenen und in allen Gremien führen, platzt jetzt eine Richtlinie nach der anderen aus Brüssel. Diese europäischen Gesetzentwürfe - sollten sie wirklich Recht werden - machen unsere Zuwanderungskommissionen Herr Minister Schily, auch die Ihrige - zu reinen Sandkastenspielen. Es kann nicht im Interesse des deutschen Parlaments sein, dass Parteien und die Regierung mit großem Ernst Diskussionen in Zuwanderungskommissionen führen und dass im Parlament nicht zur Kenntnis genommen wird, welche Rechtsetzungsakte an anderer Stelle, wo wir nur Zaungast sind, über unseren Kopf hinweg beschlossen werden und die deshalb unabänderlich auf uns zukommen. Wir müssen diese Rechtsetzungsakte aus der Geheimdiplomatie der Ministerratssitzungen herausbringen. Sie müssen in den Bundestag und müssen einer breiten öffentlichen Debatte zugeführt werden. Bei dieser Debatte wird sich herausstellen, dass der Geist der Brüsseler Zuwanderungspolitik von einem ziemlich freien Spiel der Kräfte getragen ist. Aus vorwiegend ökonomischen Gründen will man eine weitgehend ungesteuerte Zuwanderung von Drittstaatlern in großer Zahl zulassen. In Brüssel sieht man darin den Vorteil des Wachsens europäischer Volkswirtschaften. ({9}) - Das ist nicht neben der Sache: Man sieht darin in der Tat den Vorteil des Wachsens europäischer Volkswirtschaften. Man hat in Brüssel nicht die bitteren Erfahrungen gemacht, die wir - vor allem als Kommunalpolitiker in den Großstädten - mit der Integration von einer Vielzahl von Ausländern gemacht haben. Diese Art von Manchestertum in der Zuwanderungspolitik lehnen wir strikt ab, weil es die komplexen Zusammenhänge des Zusammenlebens zwischen Fremden und Einheimischen nicht zur Kenntnis nimmt, sondern unter den Tisch kehrt. Es ist überhaupt kein Zufall, dass die unsensibelsten Vorschläge hinsichtlich einer Zuwanderungspolitik von Europabeamten kommen. Denn deren Schreibtische sind am weitesten von den Problemen vor unserer Haustür entfernt. ({10}) Kommunalpolitiker gehen mit dem Thema der Integration von Ausländern viel sensibler um als Europapolitiker in Brüssel. ({11}) Im Bereich des Asylrechts darf eine Rechtsharmonisierung nicht zur Ausweitung ungesteuerter Zuwanderung in die EU führen. Wir dürfen unsere Ziele nicht aus den Augen verlieren. Wir müssen die immer noch zu hohe Zahl der Asylbewerber in Europa verringern. Wir müssen im gesamten EU-Raum die gleichen Regelungen für Aufnahme, Aufenthalt und Aufenthaltsbeendigung schaffen. Das geht nur, wenn wir ein weitgehend angeglichenes, schnelles und den rechtsstaatlichen Ansprüchen genügendes Asylverfahren bekommen. Was macht Brüssel? Es präsentiert uns eine Richtlinie, die über das Niveau des deutschen Asylrechts, das weltweit das höchste ist, noch hinausgeht. Es wäre besser, diese Richtlinie nicht „Mindeststandards in Asylverfahren“ zu nennen, wie man es in Brüssel tut, sondern „Neue Höchststandards zur Verlängerung von Asylverfahren“. Würden eine Fülle der EU-Vorschläge umgesetzt, würden Verfahren verschleppt, neue Verfahren betrieben und der Aufenthalt abgelehnter Asylbewerber verlängert werden können. Die Richtlinie hat erkennbar zum Ziel, den Asylbewerbern immer mehr und immer weitere Rechtsansprüche zuzubilligen. Wir sind zunächst einmal froh darüber, dass Sie, Herr Minister Schily, gesagt haben, dass Sie hinsichtlich dieser Richtlinie einen ganz erheblichen Diskussionsbedarf sehen. Sie haben dafür unseren Applaus bekommen. Uns ist natürlich nicht verborgen geblieben, dass sich in den Kreisen der SPD und der Grünen keine Hand gerührt hat. ({12}) Wenn man Frau Marieluise Beck zu diesem Thema gehört hat, wird es verständlich, dass sich keine Hand gerührt hat. Denn in dieser Sache gibt es zwischen großen Teilen von Rot-Grün keine Gemeinsamkeiten. Deswegen bitte ich Sie, Herr Schily: Kommen Sie mit Ihren Problemen in den Innenausschuss. Wir werden dort offen über diese Dinge diskutieren und dafür sorgen, dass Sie wenigstens unsere Unterstützung, die der Union, bekommen, wenn Sie schon die von Rot-Grün nicht haben. ({13}) Wir müssen hier die richtigen Signale aussenden. Alle Migrationsforscher sind sich einig, dass es so nicht weitergeht, dass die Zuwanderung eher noch zunimmt und nicht abnimmt und dass wir uns davor bewahren müssen. Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Natürlich muss Deutschland seinen humanitären Verpflichtungen nachkommen und wird ihnen auch immer nachkommen. Wir sollten es hier mit dem großen Sozialdemokraten Carlo Schmid halten, der sich 1948 im Parlamentarischen Rat zu diesem Thema wie folgt geäußert hat: Die Asylgewährung ist eine Frage der Generosität. Wenn man generös sein will, muss man riskieren, sich gegebenenfalls in der Person geirrt zu haben. - Er sprach von der einzelnen Person. Er hätte niemals formuliert: Wenn man generös sein will, muss man riskieren, sich gegebenenfalls bei 100 000 Personen geirrt zu haben. - So viel zu Carlo Schmid. ({14}) Wir sollten die Bundesregierung heute zu Folgendem auffordern: Erstens: Schluss mit der Geheimdiplomatie in Ministerratssitzungen! Zweitens: Strikte Ablehnung der beiden Richtlinienentwürfe! Drittens: Die Bundesregierung muss dem Parlament darlegen, wie sie die deutschen Interessen in Brüssel umsetzen will und was sie dabei erreicht hat - und dies nicht mit Geschrei, sondern ganz ruhig und sachlich. Im Übrigen sollten wir alle zusammen, Bundesregierung und Bundesländer, dafür sorgen, dass an den entscheidenden Stellen in der Brüsseler Kommission, in der diese Richtlinien durchweg produziert werden, mehr deutsche Vertreter anzutreffen sind. Danke schön. ({15})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Rüdiger Veit.

Rüdiger Veit (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003249, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dieses Strickmuster, lieber Herr Uhl, kennen wir eigentlich schon zur Genüge: die CDU/CSU, Herr Marschewski, in der Rolle der ungebetenen Hilfstruppen des ach so allein gelassenen bundesdeutschen Innenministers. Sie haben auch aus seinem Mund gehört, dass das zumindest in Ansehung der EURichtlinie zur Gewährung vorübergehenden Schutzes völlig neben der Sache ist und dass das übrige Haus inhaltlich völlig mit dem übereinstimmt, was uns die Richtlinie vorschlägt. Ich will Ihnen einmal sagen: Nach meiner Wahrnehmung sind Sie diejenigen, die sich isolieren. Ich möchte aus dem Beitrag des Kollegen Ingo Schmitt aus Berlin, Europaabgeordneter der CDU, zitieren. Er hat in der Debatte vom 15. Juni 2000, als die Eckpunkte für diese Richtlinie auf den Weg gebracht worden sind, unter anderem Folgendes ausgeführt: Ich weiß, dass das Asylrecht ein sehr schwieriges und politisch sensibles Thema ist. Wir haben aber aus meiner Sicht in den letzten Monaten in der Diskussion im Ausschuss einen Anfang gemacht. Dort haben wir sehr konstruktiv und fair miteinander diskutiert. Diese Diskussion hat mir Mut gemacht und ich bin jetzt davon überzeugt, dass wir in der Lage sind, als Parlament gemeinsam das weitere Gesetzesvorhaben zu begleiten - gemeint ist dasjenige, über das wir hier und heute reden und möglicherweise auch andere schwierige Themen wie ein Zuwanderungsgesetz miteinander konstruktiv zu diskutieren. Das sollten wir in der Tat tun.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Marschewski?

Rüdiger Veit (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003249, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja.

Erwin Marschewski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001424, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Veit, Sie haben auf das Verhältnis der SPDFraktion zu Herrn Bundesminister Schily Bezug genommen. Ist es richtig, dass Sie vor ein paar Wochen in einer Debatte zu mir gesagt haben, ich müsse mich langsam daran gewöhnen, dass Herr Minister Schily der CDU und mir näher stehe als Ihnen?

Rüdiger Veit (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003249, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, genau das habe ich nicht gesagt. Ich habe vielmehr darauf hingewiesen, dass zu manchen Positionen unterschiedliche Auffassungen bestehen. Das ist richtig, das kann man nicht leugnen. Das soll man auch nicht verschweigen und zu vertuschen versuchen. Ich hoffe, Sie haben hier und heute genau zugehört und dann auch vernommen, dass der Innenminister etwa bezüglich der Richtlinie zur Gewährung vorübergehenden Schutzes der Auffassung ist, sie sei, von wenigen kleinen Punkten abgesehen, im Grundsatz richtig. Diesen Ausführungen möchte ich mich - auch wenn Sie das jetzt überrascht - mit einer kleinen Ausnahme, auf die ich gleich zu sprechen komme, ausdrücklich anschließen. Diese Ausnahme, Herr Marschewski, betrifft die Frage der Familienzusammenführung. Ich denke, hier kann man die CDU an ihre eigene familienpolitische Position erinnern. ({0}) - Das können Sie machen und vorlesen. Dann werden Sie sehen, dass ich Recht habe und nicht Sie. Nun zurück zur Familienzusammenführung, denn hier müssen wir ein wenig Nachhilfe leisten, Herr Marschewski. Wenn Sie von Familienzusammenführung im Zusammenhang mit der Gewährung vorübergehenden Schutzes reden, verkennen Sie, dass diese Richtlinie die Zusammenführung der Familien in dem Sinne meint, wie die Familie in ihrem Herkunftsland, aus dem sie geflohen sind, bestanden hat und auf der Flucht auseinander gerissen wurde. Auch hierzu hat Herr Bundesminister Schily inhaltlich eine klare Position vertreten; übrigens auch Sie selber. Sie schreiben in Ihrem entsprechenden Antrag, man wolle Familien gerade nicht auseinander reißen. Daher verstehe ich auch nicht, warum Sie das an dieser Stelle so aufblasen wollen. Schwierig - das ist einzuräumen - ist der EU-Richtlinienvorschlag zu Mindestnormen in Asylverfahren. Hierzu steht der Diskussionsprozess noch am Anfang, ein Diskussionsprozess, an dem Sie sich beteiligt haben, an dem sich die PDS beteiligt hat, und an dem sich auch die SPD-Fraktion beteiligt. Sie arbeitet an dem Thema, hat aber die Meinungsbildung noch nicht abgeschlossen. Das will ich Ihnen ausdrücklich sagen. Gelegentlich ist es hilfreich, sich mit besonders Sachkundigen zu unterhalten. Ich glaube, dass der Europäische Kommissar für Inneres und Justiz, Vitorino, mit dem vergangenen Montag einige Mitglieder der Arbeitsgruppe unter anderem auch dieses Problem haben besprechen dürfen, außerordentlich sachverständig ist. Er hat uns klar gesagt: Selbstverständlich ist die deutsche Position wichtig. Die nimmt er sehr ernst. Aber natürlich ist die deutsche Position nicht die einzige, die er zu vertreten hat. Es gibt bekanntlich noch ein paar andere europäische Länder und andere europäische Interessen. Ich sage bei dieser Gelegenheit, dass ich es schon sehr bemerkenswert und erstaunlich finde, welche europapolitische Grundhaltung in den Beiträgen von Herrn Marschewski und Herrn Uhl zum Ausdruck kommt. Es geht nach dem Motto: Wenn in Europa nicht alles nach unserem Willen geht - 1:1, nicht die geringste Abweichung wird zugelassen -, ist Europa schlecht. Nur wenn alle anderen das machen, was wir wollen, ist Europa gut. ({1}) Dann hätten Sie aber diese Verträge nicht schließen dürfen. Im Übrigen empfehle ich Ihnen, Herr Kollege Uhl, vor Ihrem nächsten Diskussionsbeitrag diese Verträge noch einmal zu lesen. Sie haben versucht, uns alle ein wenig in Torschlusspanik zu versetzen, nach dem Motto: Wir haben nur noch drei Jahre, danach ist das Einstimmigkeitsprinzip komplett weg. - Was sich ändert, ist lediglich, dass nur noch die Kommission - nicht mehr die nationalen Regierungen - Vorschläge für Initiativen machen darf. Ansonsten ändert sich insoweit nichts. Schauen Sie also freundlicherweise noch einmal in die Verträge! Ich möchte zum Schluss kommen und sagen: Die meisten Redner haben es mir als letztem Redner in dieser Debatte leicht gemacht, freundlich und sachlich sprechen zu können. Es gab aber auch einige Zinken, zum Beispiel den Ausdruck der „unheiligen Allianz“ durch Frau Jelpke, die ich bitten möchte, ihn bei Gelegenheit wieder einzusammeln. Ausdrücklich bedanken möchte ich mich jedoch für die Ausführungen des Kollegen Dr. Stadler, ({2}) die ich hundertprozentig, auch in dem Umfang, teile. Auf diese Art und Weise kann ich auf fast sieben Minuten meiner Redezeit verzichten. ({3}) - Das tue ich auch. Damit diese Debatte versöhnlich ausklingt und wir nicht nur den Eindruck erwecken, als würden wir uns auf einen gemeinsamen Pfad begeben, was Ausländer-, Asylund Zuwanderungsfragen betrifft, und diesbezüglich zu gemeinsamen Beschlüssen kommen, will ich auf einen Punkt in dem Antrag von CDU/CSU aufmerksam machen, der mich ganz besonders überrascht und auch gefreut hat. Dort steht zu lesen: Das bedeutet, dass künftig jede drohende Verletzung von ({4}) Artikel 3 EMRK, wonach niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden darf, zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft führen kann. Nach nationaler Rechtslage sind diese Völkervertragsrechtsnormen Teil des ausländerrechtlichen Abschiebungsschutzes - in der Tat; das ist in § 53 Abs. 6 des Ausländergesetzes geregelt und nicht der Asylzuerkennung. Dagegen ist eine Verbesserung des derzeitigen ausländerrechtlichen Aufenthaltsstatus zu erwägen. Da ich langsam vorgelesen habe, muss ich die Passage nicht wiederholen. Sie haben zugehört. Ich will Ihnen sagen, was daran sensationell ist. - Ich weiß nicht, wer der Verfasser ist, ob es jemand von Ihnen war, und ob dieser die Tragweite des Passus begriffen hat. ({5}) - Sie haben es selber verfasst, Herr Marschewski? ({6}) - Herzlichen Glückwunsch! Ich freue mich und sage: Willkommen im Klub! Wissen Sie nämlich, was dieser Passus bedeutet? - Sie sagen damit, dass Ihnen bei nicht staatlicher Verfolgung oder beispielsweise geschlechtsspezifischer Menschenrechtsverletzung, ({7}) wie sie die GFK und die EMRK kennen, der Abschiebeschutz, den § 53Abs. 6 des Ausländergesetzes gewährleistet, nicht reicht. ({8}) Das ist eine ausgezeichnete Auffassung. Wir stimmen Ihnen ausdrücklich zu. Lassen Sie uns gemeinsam darüber reden, in das Gesetz aufzunehmen, dass jemand, der nicht staatlicher oder geschlechtsspezifischer Verfolgung unterworfen ist, in Deutschland als Flüchtling anerkannt wird und somit geschützt ist. ({9}) Wenn Sie dies mit dieser Initiative meinen, dann bin ich außerordentlich froh darüber. Ich war sehr erstaunt, diese Passage in Ihrem Antrag zu lesen. Und wenn ich jetzt höre, dass Sie, Herr Uhl und Herr Marschewski, diese eigenhändig verfasst haben, ({10}) dann bin ich guter Hoffnung, dass wir in den nächsten Jahren zu einer mit breiter Unterstützung getragenen Asyl-, Flüchtlings- und Zuwanderungspolitik kommen werden. Herzlichen Dank. ({11})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich schließe da- mit die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 14/5759, 14/5754 und 14/6050 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla- gen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 16 a und 16 b sowie Zusatzpunkt 9 auf: 16 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jella Teuchner, Matthias Weisheit, Brigitte Adler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Ulrike Höfken, Steffi Lemke, Kerstin Müller ({0}), Rezzo Schlauch und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Vorsorgende Verbraucherpolitik gestalten und stärken - Drucksache 14/6067 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft ({1}) Innenausschuss Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss b) Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU Verbraucherschutz auf nationaler und EUEbene fortentwickeln - Drucksache 14/6039 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft ({2}) Innenausschuss Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Gudrun Kopp, Rainer Brüderle, Ulrich Heinrich, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P. Acht Maßnahmen für eine umfassende und eigenständige Verbraucherpolitik - Drucksache 14/6053 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft ({3}) Innenausschuss Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst die Frau Bundesministerin Renate Künast.

Renate Künast (Minister:in)

Politiker ID: 11003576

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will Ihnen sechs Punkte zum vorbeugenden Verbraucherschutz nennen. Erstens. Verbraucherschutz heißt, Gerechtigkeit herzustellen; denn Verbraucherschutz ist insofern eine Frage der Gerechtigkeit, als die Verbraucher gegenüber den Produzenten auf gleicher Augenhöhe sein müssen. Es ist das gute Recht der Verbraucher, dass wir uns vorbeugend Gedanken um ihre Sicherheit und Gesundheit machen und dass wir uns für die wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher einsetzen. Dies gilt ebenso für kommende Generationen. Auch das ist eine Definition der Gerechtigkeit. ({0}) Gerechtigtkeit regelt sich nicht allein über den Markt. Der Markt ist nicht der Interessenvertreter der Verbraucher. Das regelt sich nur, wenn es Markttransparenz und Informationen gibt, sodass die Verbraucher wirklich rational über Kauf- und Konsuminteressen entscheiden können und wissen, was sie in der Hand haben. Dem Staat obliegt dabei die Pflicht, eine aktive Rolle einzunehmen. Das Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft - diese Bundesregierung - und auch die Koalitionsfraktionen tun dies. Künftig sitzen die Verbraucherinnen und Verbraucher mit am Tisch. Andere haben jahrelang darüber geredet. Seit Anfang dieses Jahres ist es so: Wir reden nicht nur mit Landwirten, der Lebensmittelindustrie und weiteren Lobbyisten und Interessenvertretern, ({1}) sondern die Verbraucherschutzverbände, die Stiftung Warentest werden immer mit angehört und sind das Sprachrohr der Verbraucherinnen und Verbraucher. Sie sagen unabhängig, was deren Interesse ist. ({2}) Zweitens. Verbraucherschutz geht nicht ohne eigenverantwortliche Verbraucher. Sie wirken mit. Moderne Verbraucherschutzpolitik heißt, dass der Staat nicht nur reguliert, sondern dass die Verbraucher mit ihrem Handeln - ich sage immer: mit dem Einkaufskorb - Politik machen. Insofern ist dies tatsächlich das Passstück zu Information und Transparenz in der Wirtschaft. Drittens. Wir wollen durch vorbeugenden Verbraucherschutz die Marktwirtschaft sozial und ökologisch prägen. Verbraucherschutzpolitik, wie ich sie verstehe, ist genau dafür eine entscheidende Voraussetzung. Um nicht einseitig zu sein, dient sie aber auch den Interessen der Unternehmen; denn sie hilft den Unternehmen, ihre Stellung am Markt zu behaupten oder sogar auszubauen. Sie sollen sagen können: Wir wirtschaften erfolgreicher, indem wir an die Verbraucher denken und ökologisch und sozial handeln. Verbraucherschutzpolitik hilft auch der Wirtschaft und den Unternehmen, weil sie dazu beiträgt, den schwarzen Schafen das Handwerk zu legen. ({3}) Sie hilft im Übrigen auch - das merke ich bei vielen Diskussionen -, die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie auf dem Weltmarkt zu verbessern. Was ist unsere Stärke? Wo andere niedrigere Arbeitslöhne haben, müssen wir in sozialer Verantwortung für die Sicherung von Arbeitsplätzen sorgen. Aber Qualität, nachhaltige Erwirtschaftung, „consumer interests“ zu wahren, mit Transparenz und Informationen vorzugehen, ist etwas, was auf internationaler Ebene für uns tatsächlich ein Wettbewerbsvorteil ist. Ich habe gerade gestern bei Gesprächen mit der Lebensmittelwirtschaft gemerkt, dass diese genau weiß: Da liegen ihre Expansionsmöglichkeiten. Viertens. Verbraucherschutzpolitik heißt für uns, sichere und hochwertige Lebensmittel zu schaffen. Auch dies ist eine Frage der Gerechtigkeit: Sichere Lebensmittel und hohe Qualität dürfen nichts Elitäres sein, etwas, was sich nur die mit viel Geld leisten können. Nahrungsmittelsicherheit ist nach unserer Vorstellung unteilbar. ({4}) Wir passen die rechtlichen Standards an. Wir heben den Sicherheitsstandard. ({5}) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Wir sind für die rasche Einrichtung einer europäischen Lebensmittelbehörde. Wir schaffen ein Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit. Wir dehnen das Überwachungskonzept für Lebensmittel zusammen mit den Ländern durch bundeseinheitliche Regelungen aus. Was haben wir an der Stelle schon getan? Wir haben beispielsweise nach vielen Jahren endlich Krebs erregende Aromastoffe verboten. Wir haben dem Bundesrat den Verordnungsentwurf für ein Stallbuch vorgelegt, um antibiotische Zusatzstoffe im Fleisch zu verhindern, und manches andere mehr. Qualität gibt es nicht zum Nulltarif. Das ist uns bewusst. Aber wir wissen eines: dass in Wahrheit Qualität am Ende nicht nur mit dem Geldbeutel zu tun hat, sondern auch etwas mit dem Bewusstsein der Menschen. Trotzdem ist eines klar - das ist der fünfte Punkt beim Verbraucherschutz -: Wir werden auch die wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher schützen. Was heißt das? Wir werden als ersten Schritt - als Ergänzung zu ihrem Handeln und zu Klarheit und Transparenz - in der nächsten Woche nach einem weiteren Gespräch mit den Betroffenen das Ökosiegel vorstellen. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir dann sagen können: „Alle machen mit“ etwas, was viele Jahre lang in Deutschland nicht geschafft wurde. Wir werden den Verbrauchern nicht nur diese Handreichung geben, sondern auch dafür sorgen, dass die wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher insofern geschützt werden, als auch aktuelle wirtschaftliche und technologische Entwicklungen aufgenommen werden. Es kann nicht sein, dass alles, was neu ist, dazu führt, dass den Verbrauchern Schaden zugefügt wird. Zur Gerechtigkeit gehört auch, dass mit den neuen Technologien kein Schindluder mit personenbezogenen Daten getrieben wird, zum Beispiel im Onlinehandel. Die Privatsphäre muss Tabu bleiben. Beim Onlinebanking muss sichergestellt werden, dass sich der Verbraucher auf die technologischen Systeme, auf seinen persönlichen Datenschutz verlassen kann. ({6}) Wir wollen - sechstens - dafür sorgen, dass auch angesichts von Marktöffnung und Deregulierung nicht die Verbraucher selbst zusehen müssen, wo sie bleiben, sondern dass ihnen auch Vorteile bleiben, zum Beispiel bei den Versorgungsdienstleistungen im Zusammenhang mit der privaten Rente. Gemeinsam mit der Stiftung Warentest werden der Kollege Riester und ich die Verträge, die angeboten werden, genau betrachten und bewerten. Das kann man weiterführen bis in den Bildungsbereich hinein: Mit der Stiftung Warentest geht es auch darum - die Gewerkschaften planen dies auch -, eine Weiterbildungsinitiative mit der Kontrolle der angebotenen Weiterbildung zu begleiten. Die Verbraucher können oftmals nicht selbst entscheiden, was gute Angebote sind, die ihnen auf dem Markt weiterhelfen werden. Sie sind den Anbietern ausgesetzt. Wir werden dafür sorgen, dass eine systematische Kontrolle dieser Angebote stattfindet. Wir werden dafür sorgen, dass im Gesundheitssystem Patienten und Kunden auf gleicher Höhe mit Krankenkassen, Ärzten und Dienstleistern stehen. Es ist eine Frage der Gerechtigkeit, dafür zu sorgen, dass zwar der Wechsel zwischen den Krankenkassen möglich ist, dass sich junge Menschen und wohlhabendere Menschen aber nicht ständig, quasi per Krankenkassen-Hopping, die billigsten Krankenkassen aussuchen können. Ulla Schmidt hat kürzlich auf diesem Gebiet für einen Ausgleich gesorgt und, wie ich meine, das Notwendige getan. ({7}) - Sie sind ja gleich dran; was ist denn los? Wir wollen beides sicherstellen: dass einerseits die gleiche Versorgung für alle gewährleistet ist und dass es andererseits Vertragsfreiheit gibt. Wir haben im Verbraucherschutz - das haben Sie heute Morgen diskutiert - durch die Vorlage „Modernisierung des Schuldrechts“ die Rechte der Verbraucher erweitert. Nun muss man nicht mehr alle Gesetze durchblättern, sondern findet an einer Stelle, was Recht ist, mit einer Gewährleistungsfrist, die viel länger ist als alle Fristen vorher. ({8}) Wir werden dafür Sorge tragen, dass die Verbraucherschutzverbände, die Stiftung Warentest und unabhängige Verlage ihre Arbeit fortführen können und dazu auch finanziell in die Lage versetzt werden. Auch deshalb haben wir sie alle mit an unserem Tisch. Für uns gilt, dass beim Verbraucherschutz der Staat Pflichten hat, aber dass wir auch Respekt gegenüber den Verbrauchern üben müssen. Sie haben Recht auf Sicherheit, auf Information, auf Wahlfreiheit und auch ein Recht darauf, gehört zu werden. Ich sehe deshalb mit Freuden, dass sich die Verbraucher weiter organisieren. Vielleicht schaffen wir es, dass tatsächlich wie in den USA die Verbraucher zu einer Art Bürgerbewegung werden. Wir als Bundesregierung werden versuchen, ihre Anwältin zu sein. Ich finde, wir haben dazu in den letzten vier Monaten mehr Schritte unternommen und mehr erreicht als andere in vielen Jahrzehnten. ({9})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Klaus Lippold.

Dr. Klaus W. Lippold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001353, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Ministerin, die Bilanz, die Sie gerade vorgelegt haben, war ungeheuer geschönt. Sie haben im Zusammenhang mit Ihren Aktivitäten auf EU-Ebene davon gesprochen, dass jetzt Antibiotika nicht mehr verfüttert werden dürfen. Sie haben verschwiegen, dass das erst in fünf Jahren der Fall ist und dass Sie keine bessere Regelung durchsetzen konnten. Sie haben auch nicht von den vielen Initiativen gesprochen, die Sie sowohl hier im Parlament als auch gegenüber den Medien angekündigt haben, von denen Sie aber keine umgesetzt haben. ({0}) Verehrte Frau Ministerin, es ist schon eine gewisse Zumutung, wenn Sie den Begriff der Gerechtigkeit in den Vordergrund stellen und dabei auf die Krankenkassen verweisen - nachdem Sie doch gerade die Wahlmöglichkeiten der Patienten in Bezug auf den Wechsel der Krankenkasse eingeschränkt haben. Sie tun genau das Gegenteil dessen, was Sie hier gesagt haben! ({1}) Das heißt: Sie haben das Prinzip der Gerechtigkeit durch Ihre Worte verletzt. Wenn Ihre Regierung die Kassenwahlfreiheit einschränkt, so wie Frau Ministerin Schmidt das gemacht hat, können Sie sich doch nicht hinstellen und sagen, es sei alles ganz anders. Es gibt in Ihrem Koalitionsantrag einen zweiten Punkt, den ich - ich sage es einmal so - für sehr kühn halte. Sie wollen, so lese ich unter anderem „Maßnahmen ... ergreifen, damit die Vorteile des offenen Wettbewerbs auf dem Energiemarkt im vollen Maße auch den privaten Stromverbrauchern zugute kommen“. Das ist wirklich der Hohn. Wir haben das Energiewirtschaftsrecht novelliert. Daraufhin sind die Preise gefallen. Danach hat es eine Reihe von Maßnahmen gegeben, durch die Sie kontinuierlich dafür gesorgt haben, dass die Preise wieder steigen. Sie belasten die Verbraucher auf diesem Feld mit zusätzlich rund 15 Milliarden DM. Damit sind die Vorzüge, die das Energiewirtschaftsgesetz möglich machte, wieder aufgezehrt. ({2}) Sie stellen sich hier hin und behaupten das Gegenteil. Das ist unsozial. Wie sehr Ihre Politik gerade die Kleinen, die sozial Schwachen, trifft, werden diese feststellen, wenn neben der Miete die Zusatzkosten abgerechnet werden. Die Leute werden dann begreifen, was Sie auf diesem Feld angestellt haben. Sie gehen noch weiter: Mit der Ökosteuer planen Sie zusätzliche Belastungen, die genauso unsozial sind. Trotzdem stellen Sie sich hier hin und sprechen von Gerechtigkeit. Frau Ministerin, man könnte Sie Satz für Satz widerlegen, wenn man hinreichend Zeit hätte. ({3}) Nach unserem Dafürhalten sind bestimmte Punkte, die Sie angesprochen haben, schlicht selbstverständlich. Dass die Lebensmittel in den Regalen unserer Geschäfte sicher sind, ist doch wohl die mindeste Voraussetzung. Nur wenn diese erfüllt ist, können wir überhaupt das Vertrauen der Verbraucher gewinnen. Das zu erreichen muss oberstes Ziel sein. Dafür müssen Sie aber auch auf die Instrumente eingehen und sagen, wie das erreicht werden kann. Das, Frau Ministerin, haben Sie in Ihrem Beitrag nicht gemacht. Ich meine, das muss anders werden. ({4}) Für uns wird dieser Punkt sehr wichtig sein, weil wir Gesundheitsfürsorge als zentrales Element unseres Konzepts sehen. Wir wollen Gesundheitsfürsorge aber nicht nur über das Ordnungsrecht durchsetzen, Frau Ministerin, sondern wollen dafür auch Instrumente des Marktes nutzen. Wir wollen auf marktwirtschaftliche Prozesse setzen. Was meine ich damit? Sie haben zu Recht die Eigenverantwortung des Verbrauchers angesprochen. In diesem Punkt haben wir einen Konsens; das will ich gar nicht bestreiten. Auch wir wollen Verbraucherbildung, wollen einen mündigen Verbraucher. Wir brauchen aber auch die andere Seite, Frau Ministerin, die Eigenverantwortung der Produzenten. Davon haben sie überhaupt nicht gesprochen. Auch diese Eigenverantwortung muss gestärkt werden, denn Sie können die Lebensmittelsicherheit, die wir alle wollen, doch überhaupt nicht garantieren, Frau Künast. Staatliche Kontrolle reicht da nicht. ({5}) Wenn wir nicht das Instrument der Eigenverantwortung der Produzenten stärken, ist das alles nichts. Sie müssen doch den gesamten Lebensmittelbereich sehen und nicht nur die Probleme im Zusammenhang mit der BSE-Krise. Wenn wir derart umfangreiche Kontrollvorschriften, wie wir sie bei BSE haben, auf dem gesamten Lebensmittelmarkt durchsetzen wollten, wären wir doch hoffnungslos überfordert. Also muss staatliche Kontrolle in einem Maße stattfinden, wie das nötig ist, aber auch die Eigenverantwortung der Produzenten muss gestärkt werden. Hier müssen Systeme, die es in einigen Bereichen schon gibt, flächendeckend werden. Frau Künast, sehen Sie sich einmal die Fruchtsaftindustrie an: Hier haben sich kleinere und größere mittelständische Betriebe zusammengetan, um Qualität von Anfang an zu garantieren. Sie haben ein eigenes System aufgebaut, das beim Erzeuger - auch in fernen Ländern - ansetzt. So etwas würden Sie doch politisch überhaupt nicht hinbekommen. Sie müssten das über die WTO erreichen, aber das schaffen Sie nicht. Sie müssten dann wenigstens versuchen, das auf europäischer Ebene zu erreichen. Auf diesem Feld aber - ich habe es eben schon gesagt - haben Sie versagt. Die Fruchtsaftmittelindustrie hat es erreicht, dass bei ihren Produzenten Qualitätssicherungskontrollen vorgenommen werden. Man hat verabredet, dass derjenige, der gegen die verabredeten Regeln verstößt, mit Sanktionen belangt und notfalls gerichtlich gegen ihn vorgegangen wird. Das schafft der Markt, Frau Künast. Deshalb sollten Sie nicht einseitig auf administrative Maßnahmen, also auf den behördlichen Vollzug, setzen. Beide Komponenten - staatliche Kontrolle und industrielle Selbstkontrolle - sind wichtig. Wir wollen ein besser konzipiertes und schlankeres Verbraucherschutzgesetz als das, das Sie nach der BSE-Krise hastig hingeschludert haben, damit Dr. Klaus W. Lippold ({6}) entsprechende Kontrollinstrumentarien geschaffen werden können. Wir fordern: Administration nur so weit wie nötig! Mehr Transparenz sowohl für die Verbraucher als auch für die Wirtschaft durch eine entsprechende Verbraucherschutzgesetzgebung! ({7}) Frau Künast, ich sage Ihnen ganz deutlich: Nationale Alleingänge werden uns nichts bringen. Wenn in den anderen Ländern die Lebensmittelsicherheit nicht genauso gewährleistet ist wie bei uns, dann importieren wir unsichere Lebensmittel. Hier muss man ansetzen. Nicht der nationale Alleingang, sondern eine abgestimmte Vorgehensweise zumindest auf der europäischen Ebene ist entscheidend. Wir wünschen uns, dass Sie in diesem Sinne in Zukunft wesentlich erfolgreicher sind als in der Vergangenheit. Wenn wir nur auf nationaler Ebene für entsprechende Regelungen sorgen - das gilt auch für den Tierschutz -, dann verlagert sich die Produktion in das benachbarte europäische Ausland. Es ist völlig egal, wie hoch unsere Ansprüche sind, wenn die Produktion zum Beispiel nach Frankreich verlagert wird und wir die Produkte dann von dort importieren. Frau Ministerin, Sie müssen für ein abgestimmtes Vorgehen sorgen. Die Koalition hatte ja versprochen, vieles anders und manches besser zu machen. In der Verbraucherschutzpolitik kann davon zurzeit keine Rede sein. Sie ergehen sich nur in Aktionismus und stellen immer wieder ein neues Wort in den Mittelpunkt Ihrer Reden. Heute haben Sie von Gerechtigkeit gesprochen. Dass es die im Augenblick nicht gibt, habe ich dargelegt. Bei der nächsten Rede werden Sie sicherlich ein anderes Wort in den Mittelpunkt stellen. Aber es geht nicht um das Reden, sondern um das Handeln. Letzteres vermissen wir bei Ihnen. ({8})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Kollegin Jella Teuchner.

Jella Teuchner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002816, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Der CDU/CSU-Antrag trägt den Titel: „Verbraucherschutz auf nationaler und EU-Ebene fortentwickeln“. Es verwundert mich, dass Herr Lippold trotzdem nur Allgemeinplätze verwendet hat, die auch noch widersprüchlich waren. Am Anfang seiner Rede hat er eine Regelung auf nationaler Ebene und zum Schluss eine auf europäischer Ebene gefordert. Das kann man in einer solchen Debatte nicht machen. ({0}) Ich kann es nur begrüßen, dass die Bundesregierung die politische Verantwortung für den Verbraucherschutz in einem Ressort gebündelt hat. Ich begrüße es auch, dass wir nicht nur die Zuständigkeit des Landwirtschaftsausschusses um den Verbraucherschutz erweitert haben, sondern ihm durch eine Vergrößerung auch ein größeres Gewicht gegeben haben. Ich gehe davon aus, dass aufgrund der organisatorischen Stärkung der Verbraucherpolitik die Verbraucherinteressen auch inhaltlich stärker berücksichtigt werden. Ministerin Renate Künast hat in ihrer Rede deutlich gemacht, dass sie ihre Aufgabe nicht nur in der Gewährleistung der Lebensmittelsicherheit sieht und dass die Kritik der CDU/CSU ins Leere läuft. Im Verbraucherschutzministerium wird die ganze Themenvielfalt der Verbraucherpolitik bearbeitet. Wir alle sind uns doch darüber einig, dass eine umfassende Verbraucherpolitik weit über sichere Lebensmittel hinausgeht. Eine gute Grundlage für die Definition der Ziele der Verbraucherpolitik bietet Art. 153 Abs. 1 des Vertrages von Amsterdam: Zur Förderung der Interessen der Verbraucher und zur Gewährleistung eines hohen Verbraucherschutzniveaus leistet die Gemeinschaft einen Beitrag zum Schutz der Gesundheit, der Sicherheit und der wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher sowie zur Förderung ihres Rechtes auf Information, Erziehung und Bildung von Vereinigungen zur Wahrung ihrer Interessen. Verbraucherpolitik heißt also zum einen, Chancengleichheit zwischen Anbietern und Verbrauchern herzustellen. Die Verbraucherinnen und Verbraucher sind tendenziell in einer schwächeren Position. Aber soziale Marktwirtschaft kann nur dann funktionieren, wenn die Verbraucher ihre Entscheidungen bewusst treffen können und der Informationsvorsprung der Anbieter ausgeglichen wird. ({1}) Die Politik muss daher mit rechtlich vorgeschriebenen Produktstandards und über Garantie- und Haftungsvorschriften die Qualität von Waren und Dienstleistungen sicherstellen und durch Verbraucherberatung und Kennzeichnungspflichten die Eigenschaften von Waren und Dienstleistungen transparent machen. Sie muss auch ein Gegengewicht zur kommerziellen Werbung aufbauen. Verbraucherpolitik heißt zum anderen, die Gesundheit und Sicherheit von Verbraucherinnen und Verbrauchern zu schützen. Das Recht auf körperliche Unversehrtheit beinhaltet eine staatliche Schutzpflicht. Der Staat ist hier aktiv gefordert. Er muss über Gebote und Verbote sicherstellen, dass angebotene Produkte die Konsumenten nicht gefährden. Die Kontrolle der rechtlichen Vorschriften und Selbstverpflichtungen der Wirtschaft sind weitere Instrumente, um die verbraucherpolitischen Ziele zu erreichen. Verbraucherpolitik kann nur erfolgreich sein, wenn sie vorsorgend ist. Insbesondere beim Gesundheitsschutz müssen wir das Vorsorgeprinzip konsequent anwenden. Der Europäische Rat hat mittlerweile Kriterien für die Anwendung des Vorsorgeprinzips beschlossen und festgelegt, wie wir mit wissenschaftlich noch nicht erfassbaren Risiken umgehen müssen. Wir können und dürfen nicht abwarten, bis Risiken wissenschaftlich bestätigt sind. Ich denke, das haben wir alle aus der BSE-Krise gelernt. Wir Dr. Klaus W. Lippold ({2}) müssen Maßnahmen ergreifen, wenn mit dem Eintreten gefährlicher Folgen gerechnet werden muss. ({3}) Wir sind uns - davon gehe ich aus - alle einig, dass Verbraucherschutz ein Querschnittsthema ist, das alle Ressorts betrifft. Der Wettbewerb im Energiemarkt, Bildungsangebote, Finanzdienstleistungen, Ernährung und Onlinehandel sind einige Stichworte, die die Bandbreite der Verbraucherpolitik aufzeigen. Sogar das Auswärtige Amt entscheidet mit seinen Reisewarnungen über Reiserücktrittsrechte von Urlaubern. Wir sind uns sicher auch einig, dass der Verbraucherschutz immer wieder vor neuen Herausforderungen steht. Die Gesellschaft verändert sich und mit ihr ändern sich die Gefahren und Geschäftsmodelle. Gerade in diesem Wandel brauchen die Verbraucherinnen und Verbraucher verlässliche Orientierungshilfen. Deutlich werden die Herausforderungen für die Verbraucherpolitik zum Beispiel im Onlinehandel. Den Verbraucherinnen und Verbrauchern fehlen Orientierungspunkte. Den „Laden um die Ecke“ können wir einschätzen: Man sucht sich die Ware aus, geht zur Kasse und weiß, wohin man sich bei Reklamationen wenden muss. Im Internet sieht dies aber anders aus: Wir können oft nicht einschätzen, ob ein Händler seriös ist. Wir fühlen uns nicht wohl, wenn wir unsere Kreditkartennummer übers Netz verschicken, und Reklamationen sind schwieriger abzuwickeln. Der Handel im Internet lebt davon, diese Barrieren zu überwinden. Tests von Onlineshops ergeben aber immer wieder eine mangelnde Verbraucherorientierung. Der Datenschutz wird oft nicht beachtet. Der Bundesdatenschutzbeauftragte erklärte zum Datenschutz in seinem 18. Tätigkeitsbericht: „Was mich im Berichtszeitraum vor allem störte: Das Interesse der privaten Wirtschaft an Transparenz und Aufklärung ihrer Kunden war nicht sehr ausgeprägt.“ Die Politik ist daher gefordert, den Verbraucherinnen und Verbrauchern verlässliche Rahmenbedingungen zu schaffen. Das Fernabsatzgesetz war dazu ein wichtiger Schritt. Sie ist auch gefordert, die Entwicklung der Technik zu begleiten und so zu steuern, dass die Rechtssicherheit, die Sicherheit der finanziellen Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher, aber auch der Schutz ihrer Daten und ihrer Privatsphäre gewährleistet werden. Sicher spielen rechtliche Vorschriften eine wichtige Rolle in der Verbraucherpolitik. Ebenso wichtig sind aber die Verbraucherinformation und die Transparenz der Märkte. Verbraucherinnen und Verbraucher können und sollen ihre Entscheidungen am Markt selbst treffen, wenn sie die notwendigen Informationen haben. Sie müssen die Technik im Onlinehandel so weit kennen, dass sie die Risiken abschätzen können. Sie müssen die Inhaltsstoffe von Lebensmitteln kennen und sie brauchen eine unabhängige Verbraucherberatung. Gerade in Bereichen wie der privaten Altersvorsorge, im liberalisierten Energiemarkt oder im Bildungsmarkt, gerade in den Bereichen also, die schwer zu überblicken sind, können Produktlabels und Zertifizierungen den Verbraucherinnen und Verbrauchern eine sinnvolle Orientierung bieten. Wenn wir dazu noch die Kennzeichnungsregeln verständlich und transparent gestalten und über die Stärkung der Verbraucherorganisationen und der Stiftung Warentest eine unabhängige Verbraucherberatung sicherstellen, sind wir auf einem guten Weg, die Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher zu schützen. ({4}) Wir dürfen natürlich nicht vergessen, dass wir diesen Weg mit den Verbraucherinnen und Verbrauchern gemeinsam gehen müssen. Außerdem müssen wir die Verbraucherorganisationen bei relevanten Entscheidungen einbeziehen. Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, auch wenn wir heute über einzelne Maßnahmen diskutieren und über die richtige Organisation der Verbraucherpolitik debattieren, sind wir uns doch in den Zielen der Verbraucherpolitik sehr nahe, was auch Ihr vorgelegter Antrag bestätigt. Darüber freue ich mich. Dies gibt mir die Zuversicht, dass die Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher in Zukunft an Gewicht gewinnen werden. Dazu bitte ich Sie um Ihre Unterstützung. ({5})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Gudrun Kopp.

Gudrun Kopp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003160, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Herren und Damen! Frau Ministerin Künast, Sie haben das Wort „Gerechtigkeit“ ins Zentrum Ihrer Rede gestellt. Wir, die F.D.P.-Bundestagsfraktion, erwarten von Ihnen eigentlich eine Bilanz der Redlichkeit. Eine solche Bilanz hat es heute Morgen nicht gegeben; keinerlei konkrete Aussagen haben wir dazu gehört. ({0}) Ich komme jedenfalls zu dem Schluss, dass von Ihnen bisher weder Klasse noch Masse an substanzieller, konkreter Verbraucherpolitik geleistet wurde. Nicht nur ich, sondern auch viele Menschen außerhalb dieses Hauses, die große Erwartungen an die Übernahme Ihres Amtes knüpften, sehen sich ernüchtert und bitter enttäuscht. Als einziges Beispiel nenne ich die riesigen Restbestände an Tiermehl, die nicht einmal verbrannt wurden und hinsichtlich deren überhaupt nicht geklärt ist, was mit ihnen geschieht. Ich halte dies für unverantwortlich. ({1}) Die gesamte Agrardebatte zeigt, dass Sie sich bisher in erster Linie bemüht haben, die Krisen um BSE und MKS zu bewältigen, was aber längst noch nicht gelungen ist. Begriffe wie Massenschlachtungen, „Herodes-Prämie“, Tötungen zur Marktbereinigung zeigen allerdings in wirklich beschämender Art und Weise, welches Verständnis bei Ihnen vom Umgang mit Tieren vorherrscht. Ich hätte nicht gedacht, dass so etwas unter grüner Regie möglich wäre. Daher wird die F.D.P.-Bundestagsfraktion in Kürze zum dritten Mal den Antrag auf Aufnahme des Tierschutzes als Staatsziel in das Grundgesetz einreichen. ({2}) Wie ist es mit Perspektiven für die so genannte Agrarwende? Kein Wort haben wir davon gehört, nichts ist zu sehen. Deshalb sage ich Ihnen, worauf wir, die F.D.P.Bundestagsfraktion, hinaus wollen: Wir wollen für die Landwirte weniger Plan und sehr viel mehr Markt. Wir wollen von den Quoten weg. ({3}) - Ja, das können Sie ruhig machen. - Ferner wollen wir eine produktunabhängige Grundprämie für die Pflege der Kulturlandschaft, nicht aber neue Regelungen und Gängelungen, wie wir sie bisher gehabt haben. ({4}) - Denken Sie doch nur daran, dass Rot-Grün noch vor wenigen Wochen im zuständigen Ausschuss unser Modellprojekt zur Förderung des Heil- und Gewürzpflanzenbaus kategorisch abgelehnt hat. ({5}) Das wäre der richtige Beginn einer Kooperation zwischen Landwirten und Wirtschaft gewesen. ({6}) Auch wir sagen Ja zur Förderung des ökologischen Landbaus und von Ökoprodukten. Sie aber wollen nach dem, was wir bisher der Presse entnommen haben, ein neues Ökodiktat. Dem werden wir nicht folgen. - Es wäre sehr freundlich, Frau Ministerin, wenn Sie einmal zuhörten. Wir stellen den Verbraucher mit Einkaufskorb in den Mittelpunkt. Das bedeutet, dass der Verbraucher die Ökoprodukte annehmen und insoweit auch bereit sein muss, höhere Preise zu zahlen. Umgekehrt geht es nicht. ({7}) Des Weiteren fordern wir, dass die Förderung der Prionen- und Eiweißforschung gestärkt und nicht vernachlässigt werden sollte. Sie haben nichts dazu gesagt, wie es mit einer umfassenden Produktkennzeichnung weitergehen soll. Sie haben jetzt die Einführung eines Öko-Prüfzeichens angekündigt; es wäre ja hervorragend, wenn es endlich ein verlässliches gäbe. Die F.D.P.-Bundestagsfraktion möchte aber kein weiteres Label für Produkte haben, die im konventionellen Landbau hergestellt werden und die stigmatisiert werden, indem es nur für die Einhaltung von Mindeststandards bürgt. Dabei bleibt ja auch noch die Frage offen, was Sie unter Mindeststandards verstehen. ({8}) Ich nenne Ihnen acht Forderungen, zu denen Sie heute Morgen kaum etwas gesagt haben: Sie haben nichts dazu gesagt, wie Sie Mindest- und Qualitätsstandards für Produkte und Dienstleistungen einführen wollen. Sie haben nichts dazu gesagt, wie Sie sich die Umsetzung einer verständlichen Produktkennzeichnung vorstellen. ({9}) Nichts wurde zum Thema Weiterentwicklung von Produkthaftung mit Versicherungspflicht gesagt. Kein Wort wurde zur Verbesserung der Sicherheitsinfrastruktur bei Internetnutzung gesagt. ({10}) Kein Wort kam zum Thema Vermittlung von Verbraucherinformationen schon an Schulen und an Weiterbildungseinrichtungen für Erwachsene. ({11}) - Schreien Sie doch nicht so. Hören Sie zu! ({12}) Kein Wort kam zu Transparenz von Informationen im Gesundheitsbereich. Jetzt kommt das Allerschärfste: Sie stellen sich hier als Förderer der Stiftung Warentest dar, dabei waren Sie es, die im vergangenen Jahr deren Mittel erheblich kürzen wollten. ({13}) Die Grünen haben - das wurde sogar von Ihnen, Frau Ministerin Künast, unterstützt - an eine Sonderabgabe der Verbraucher für die Stiftung Warentest zum Aufbau eines Stiftungskapitals gedacht. Ich finde, das ist skandalös. ({14}) Sie wollen ein Konzept zur Weiterbildung und Altersvorsorge gemeinsam mit der Stiftung Warentest erarbeiten. Wie Sie sich das vorstellen - mehr Arbeit und weniger Geld -, müssen Sie uns einmal erklären. Nach unserer Vorstellung hat die Bundesregierung die Verpflichtung, die Stiftung Warentest nachhaltig zu unterstützen, und zwar auch durch den Aufbau von Stiftungskapital, damit diese hervorragende Stiftung auch in Zukunft ihre Arbeit weiterhin unbehelligt leisten kann. Die F.D.P. bleibt bei ihrer Forderung, dass dringend ein eigenständiger Verbraucherausschuss eingerichtet werden muss. ({15}) Es reicht nicht aus, dem Agrarausschuss lediglich diese Thematik zuzuweisen. Dabei bleiben all die Inhalte, die ich eben genannt habe, automatisch außen vor. Frau Künast, ein letztes Wort: Sie bezeichneten die Verbraucher als Bürgerbewegung. Passen Sie auf, dass sich diese Bürgerbewegung nicht gegen Sie selbst richtet. ({16})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Kersten Naumann.

Kersten Naumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003197, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ob als Kunde, als Patient, als Reisender, als Versicherungsnehmer, als Bausparer oder als Internetsurfer - die Verbraucher haben so ihre Erfahrungen mit unzureichender Verbraucherschutzpolitik gemacht. Zu oft standen hausgemachte Produkt- oder Steuerskandale in fast allen Wirtschaftsbereichen auf der Tagesordnung; diese sind mittlerweile im Bewusstsein der Verbraucher verankert. Vor allem gegen die allgemeinen Verbraucherrechte wird tagtäglich verstoßen. Der Missbrauch wirtschaftlicher Macht gehört auch in Deutschland zum System: Ich denke da nur an die monopolartige Gestaltung der Benzinpreise, das Vitaminkartell, Abzockerei von Finanzberatern oder an Produkte, die mittels Kinderarbeit hergestellt werden. Die meisten der Betroffenen haben keine Lobbyisten und können ihren Rechtsanspruch nicht durchsetzen. Das soll sich ja jetzt alles ändern. Man glaubt es kaum, was für eine Lawine durch BSE, eigentlich nur von einem kleinen Eiweißbaustein, dem Prion, losgetreten worden ist und wie sie ganze Branchen sowie die Politik in die Knie zwingt. Die Fraktionen übertreffen sich plötzlich geradezu an Vorschlägen, wie man den Verbraucherschutz besser ausgestalten sollte. Dabei muss die F.D.P. wohl erst noch lernen, was Verbraucherschutz heißt; nämlich gerade nicht, marktgerechtes Verhalten, möglichst schon bei Kindern, anzuerziehen. ({0}) Es wäre ja noch schöner, wenn entsprechendes Verbraucherverhalten gleich mit der „Muttermilch“ der Konzerne eingesogen werden könnte. Sehr geehrte Damen und Herren von der Koalition, mit Ihrem Antrag haben Sie sich ja wirklich viel vorgenommen. Er zeigt die ganze Bandbreite dessen, was in der Marktwirtschaft bezüglich Verbraucherschutz auf dem Kopf steht und jahrelang vernachlässigt wurde. Ich hoffe nur, Sie sind sich der Tragweite Ihres Antrages bewusst. Die PDS wird die politische Umsetzung in Zukunft an der Entwicklung und Ausgestaltung von Verbraucherschutz und Verbraucherrechten messen. Gleich die erste Forderung Ihres Antrages stellt den politischen Umgang mit den Interessen von Verbraucherinnen und Verbrauchern als demokratisches Prinzip endlich vom Kopf auf die Füße. Ich zitiere - das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen -: Der Bundestag fordert: den Verbraucherschutz als eines der durchgängigen Leitprinzipien anzuerkennen und bei politischen ... Maßnahmen dazu beizutragen, dass die Interessen von Verbraucherinnen und Verbrauchern zur Richtschnur der Politik bei allen Entscheidungen ... werden. Wenn sich diese Forderung tatsächlich politisch in der gesamten Breite dieser Aussage durchsetzen soll, dann muss in vielen Fällen das marktwirtschaftliche Profit- und Ellenbogensystem stark zurückgedrängt werden. ({1}) Demnach müsste - so interpretiere ich das jetzt hinein; aber die Koalition kann mich da gern aufklären - folgendes Exempel politisch für die Zukunft recht schnell geklärt werden: Die Verbraucher lehnen seit Jahren und sogar zunehmend genveränderte Lebensmittel, Gen-Futtermittel und die Freisetzung von gentechnisch modifizierten Pflanzen zu 70 bis 80 Prozent ab. 70 bis 80 Prozent: Von so einem Abstimmungsergebnis träumt so mancher Politiker. Selbst Professor Jany vom Wissenschaftlerkreis „Grüne Gentechnik“ konnte in einer ARD-Sendung trotz hinreichender Pro-und-Kontra-Diskussion kaum Verbraucher auf seine Seite ziehen. Nun stellen Sie sich einmal vor, es würde tatsächlich basisdemokratisch zugehen. Abzusehen ist dennoch, dass die Wirtschaft den längeren Arm hat und bestimmt, was, wie und in welcher Qualität auf den Markt kommt. In allen Anträgen spielt die Kennzeichnung von Produkten eine besondere Rolle, wobei es das Geheimnis der Antragsteller bleibt, was sie denn mit „vollständiger“, „transparenter“ oder gar „offener“ Kennzeichnung nun wirklich meinen. Ein Beispiel soll verdeutlichen, dass der Verbraucher mit der bestehenden Kennzeichnung ohnehin maßlos überfordert ist. Die Zusammensetzung von Keksen, wie man sie gemäß den Richtlinien in ganz kleinen Buchstaben - meist gleich in mehreren Sprachen - auf der Rückseite einer handelsüblichen Packung lesen kann, lautet: Weizenmehl, Zucker, Pflanzenfett, modifizierte Maisstärke, Invertierzuckersirup, Malzextrakt, Salz, Backtriebmittel, Ammoniumhydrogencarbonat, Natriumhydrogencarbonat, Diphosphornatriumsäure, Sojalecithinemulgat, Säuremittel E 330, Emulgator E 322, Aromastoffe und Magermilchpulver. Nun muss aber gemäß einer neuen Verordnung auf diesem Etikett noch angegeben werden, ob gentechnisch veränderte Organismen verwendet wurden. Will man also sein Recht auf freie Auswahl ernsthaft wahrnehmen, muss man zukünftig alles auf der Verpackung aufmerksam lesen: die Zusammensetzung, den Preis, das Gewicht, das Verpackungsdatum, das Verfallsdatum, das Herkunftszertifikat, ja, sogar den Rückverfolgbarkeitsnachweis. Wenn man bei jedem Produkt, das man kauft, eine solche Leseorgie veranstalten muss, dauert es vermutlich länger, die Kekse auszuwählen, als sie selbst zu backen. ({2}) Der Verbraucher möchte aber nicht das Handbuch der Lebensmittelchemie ständig bei sich tragen, sondern würde einfach nur gern Waren kaufen, die gesund und sicher sind - egal ob für Groß oder Klein, Jung oder Alt. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen viel Spaß beim nächsten Einkauf und beim Lesen von Packungshinweisen. Wie heißt es so schön in der Werbung? - Bei Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihre Verbraucherschutzministerin. ({3})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Kollegin Ilse Janz.

Ilse Janz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001019, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auf der Seite von CDU/CSU und F.D.P. hatte ich eben den Eindruck, als seien Sie ein bisschen neidisch auf unsere zupackende Ministerin. ({0}) Sie haben weder konstruktive Vorschläge gemacht, noch haben Sie gesagt, in welche Richtung Sie eigentlich gehen wollen. Ich bin deshalb umso überraschter von Ihren Beiträgen. Wenn ich mir die Anträge von CDU/CSU und F.D.P. durchlese, dann muss ich feststellen, dass sie eine Reihe von Punkten enthalten, die auch im Antrag der SPD-Fraktion zu finden sind und deren Umsetzung wir seit Jahren fordern. Wenn Sie, liebe Opposition, zum Beispiel 1996 unserem Antrag „Vorsorgende Verbraucherpolitik“ zugestimmt hätten, dann wären wir in diesem Hause schon ein ganzes Stück weiter. ({1}) Dass Verbraucherschutz eine Querschnittsaufgabe ist und nicht nur auf den Teil Ernährung beschränkt werden darf, das wissen wir alle seit Jahren. Gehandelt haben Sie, meine Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, in Ihrer Verantwortung allerdings nicht. Sie hatten bisher und haben eine andere Vorstellung. Ihre damalige Kollegin Limbach hat immer nur von mehr Eigenverantwortung der Verbraucherinnen und Verbraucher geredet. Verstärktes Handeln durch den Bund hat sie - zumindest für die CDU/CSU - konsequent abgelehnt. Das ist nachzulesen in ihrer Rede aus dem Jahre 1996. ({2}) Wenn es aber richtig ist, dass auch die Eigenverantwortung der Verbraucher gestärkt werden muss, dann kann dies nur mit dem Marktgleichgewicht zwischen Verbrauchern und Anbietern einhergehen. Aktives staatliches Handeln zum Schutz der Verbraucher ist notwendig. Das heißt klar und deutlich: Die Möglichkeiten für den Verbraucher, Information und Aufklärung zu erhalten, müssen produktunabhängig und vielfältig sein. Dafür zu sorgen sind Bund und Länder nach unserer Auffassung verpflichtet; sie können nicht, wie es von Ihnen - Ihre Fraktion ist eine ehemalige Regierungsfraktion - bisher propagiert wurde, den Staat möglichst außen vor lassen und die Verantwortung nur den Verbraucherinnen und Verbrauchern zuschieben. ({3}) Ein Schritt in diese Richtung ist - die Bundesregierung hat dies bereits angekündigt - die Einrichtung einer Behörde für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit. Die Einrichtung dieser Behörde geht weit über Ihren Vorschlag, die Kompetenzen des Bundesinstituts für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin zu erweitern, hinaus. Es kann nicht sein, dass wir bei der Bündelung der Maßnahmen - in Ihrem Redebeitrag eben wurde das bereits getan - immer wie das Kaninchen auf die Schlange starren. Wir dürfen nicht nur auf europäischer Ebene nach Lösungen suchen. Wenn sich Europa - in diesem Fall ist es sozusagen die Schlange - nicht bewegt, dann brauchen wir dringend nationale Lösungen. ({4}) Die Verbraucher werden es nämlich nicht hinnehmen, dass wir politische Lösungen immer auf die EU-Ebene abschieben. Vorhin hat der Kollege Carstensen - jetzt ist er weg einen Zwischenruf gemacht, der sich auf die Stiftung Warentest bezog. Dazu kann ich nur sagen: Unsere Fraktion begrüßt sehr, dass die Ministerin angekündigt hat, die Stiftung Warentest zu stärken. ({5}) Ich sage ganz klar, dass die Verbraucherzentralen und die Verbraucherschutzverbände deutlich gestärkt werden müssen. Das gilt nicht nur für den Bund, der die Projektförderung betreibt, sondern auch für Länder und Kommunen, die in einigen Fällen ausgerechnet auf diesem Gebiet Einsparpotenziale erkennen. Frau Ministerin, Sie können sicher sein: In diesem Fall stehen wir auf Ihrer Seite und wir kämpfen mit dem Finanzminister darum, dass der Haushalt an den entsprechenden Stellen aufgestockt wird. ({6}) Wir alle haben doch ernsthaft vor, weg von der Reparatur und hin zur vorsorgenden Verbraucherpolitik zu kommen; denn eine vorausschauende Verbraucherpolitik ist die Sicherheit für unsere natürlichen Lebensgrundlagen. Sie ist gleichzeitig ein dauerhafter Anreiz zur Produktverbesserung und sichert damit Absatzchancen sowie Ar-beitsplätze. Verbraucherschutz ist eben keine Bremse für die Wirtschaftsentwicklung. Im Gegenteil, sie sorgt dafür, dass leistungsfähige Unternehmen erfolgreicher sind, dass sich die besten Produkte durchsetzen und dass eine ständige Produktverbesserung erfolgt. Verbraucherinnen und Verbraucher haben ein Recht auf Information und Aufklärung. Sie haben ein Recht auf Schutz vor Gesundheitsgefahren und auf Unterstützung bei der Durchsetzung von Schadenersatzansprüchen. Für Lebensmittel sind klare Kennzeichnungsregelungen erforderlich. Nur durch eine lückenlose Etikettierung kann der Verbraucher den Weg des Lebensmittels verfolgen und nur dadurch kann Vertrauen zurückgewonnen werden. Es muss eine umfassende Information geben: Was ist enthalten? Woher kommt es? Wie wurde das Produkt hergestellt? Welche Risiken gibt es? - Die Aufklärung muss gut vergleichbar und auch gut verständlich sein. Klar muss auch sein, dass Hersteller und Anbieter die Verantwortung für ihre Produkte tragen. Durch Kaufentscheidungen können alle Verbraucherinnen und Verbraucher dazu beitragen, dass neue ökologische Ziele erreicht werden. In diesem Punkt muss aus Sicht der SPD-Fraktion auch in Schulen und Weiterbildungseinrichtungen etwas passieren. Nur gut informierte Schülerinnen und Schüler können kritische Verbraucher werden. ({7}) Deshalb muss unsere Bitte, wenn nicht gar unsere Forderung an die Länder immer wieder lauten: Die Verbraucherbildung muss in die Lehrpläne aufgenommen werden. ({8}) Dazu wird auch noch mein Kollege Heinz Schmitt etwas ausführen. Die Verbraucherorganisationen haben sich eine neue Struktur gegeben, die ab dem 1. Juli greift. Dies ist aus unserer Sicht eine erhebliche Verbesserung für alle Verbraucherinnen und Verbraucher, da die Tätigkeiten der bisherigen drei Organisationen erheblich effizienter gestaltet werden können. Die Forderung des neuen Bundesverbandes BVZV, ein Verbraucherinformationsgesetz zu schaffen, muss meines Erachtens unbedingt auf Machbarkeit geprüft werden. Wir, die Politiker, müssen die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen. Wir müssen die rechtlichen Lücken schließen und die Kontrollen verbessern. Das müsste aus meiner Sicht das Haus gemeinsam machen. In den vorliegenden Anträgen gibt es ja auch viele Gemeinsamkeiten, obwohl ich bei Ihnen, Frau Kollegin Kopp, festgestellt habe, dass zumindest Ihre Rede nicht mit Ihrem Antrag übereingestimmt hat. ({9}) Vielleicht gelingt es uns ja in der Ausschussdebatte, einen gemeinsamen Weg herauszuarbeiten. Vielen Dank. ({10})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Albert Deß.

Albert Deß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000376, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde es gut, dass wir darüber streiten, wie der Verbraucherschutz gerade im Ernährungsbereich weiter verbessert werden kann. Aber es ärgert mich und viele Landwirte in Deutschland, dass von bestimmten Seiten in den letzten Monaten der Eindruck erweckt worden ist, es hätte bisher keinen Verbraucherschutz gegeben bzw. er müsste neu erfunden werden. ({0}) Deutschland zählte auch schon bisher zu den Ländern mit den strengsten Vorschriften und Auflagen für die Erzeugung und Veredelung von Lebensmitteln. Es geht heute darum, den hohen Stand an Lebensmittelsicherheit weiter zu verbessern und gewisse Schwachstellen zu beseitigen. Wer wie Frau Ministerin Künast und Bundeskanzler Schröder die Bauern in ihrer Gesamtheit an den Pranger stellt, handelt schlichtweg unverantwortlich. (Beifall bei der CDU/CSU - Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wer versucht, die Landwirtschaft in eine gute und eine schlechte Landwirtschaft einzuteilen, wird seiner Verantwortung weder den Landwirten noch den Verbrauchern gegenüber gerecht. ({1}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, die CDU/CSU-Fraktion tritt dafür ein, dass alle Nahrungsmittel, die in unserem Land produziert werden, den Verbraucherinnen und Verbrauchern eine nach heutigem wissenschaftlichen Stand höchstmögliche Sicherheit geben. Am Beispiel der Milchproduktion sieht man, dass Milcherzeuger und -verarbeiter auch ohne staatliche Auflagen ein Interesse daran haben, unseren Verbraucherinnen und Verbrauchern eine höchstmögliche Sicherheit zu geben. Ich trage seit vielen Jahren Verantwortung bei den Milchwerken in Regensburg. Dort haben wir bereits vor der BSE-Krise beschlossen, in unsere Milchsammeltankwagen eine moderne Technik einzubauen. Es wird jeden Tag von jedem Landwirt eine Probe genommen. ({2}) - Von der Milch jedes Landwirts wird eine Probe genommen. Entschuldigung! - Auf der Fahrt von der letzten Sammelstelle zum Milchhof wird in einem Schnelltestverfahren festgestellt, ob in der Milch aus dem Milchtank Antibiotikarückstände enthalten sind. Wenn Antibiotikarückstände enthalten sind, gelangt diese Milch nicht in den Produktionskreislauf. Anhand der Einzelproben kann festgestellt werden, welcher Landwirt antibiotikahaltige Milch abgeliefert hat. Dieser Landwirt ist dann verantwortlich für die Kosten, die für die Beseitigung dieser Milch entstehen. An diesem Beispiel sieht man, dass die Wirtschaft ohne staatliche Auflagen bereit ist, selbst höchste Qualitätsstandards zu erfüllen. ({3}) Eines geht jedoch nicht: in Deutschland höchste Standards verlangen und unsere Bauern dem europäischen und weltweiten Wettbewerb aussetzen. Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder gelten EU-weit die gleichen Bedingungen, oder Produkte, die nicht unseren Standards entsprechen, dürfen nicht nach Deutschland geliefert werden. Das gilt auch für Einfuhren aus Drittländern. Wie soll denn der Verbraucherschutz gesichert werden, wenn in einem freien europäischen Markt unterschiedliche Bedingungen gegeben sind? Es reicht nicht aus, Frau Künast, wenn in Deutschland schrille Töne zu hören sind und in Brüssel nichts umgesetzt wird. Bis heute haben wir in der Kälberfütterung unterschiedliche Standards. In anderen Ländern darf weiter tierisches Fett eingesetzt werden, mit der Folge, dass dort wesentlich billiger produziert werden kann. Mir ist nicht bekannt, Frau Künast, dass Kalbfleisch, das unter diesen Bedingungen produziert wird, nicht nach Deutschland geliefert werden darf. Wo bleibt denn hier der Verbraucherschutz? ({4}) Sie werden Ihrer Verantwortung schlichtweg nicht gerecht. Unverantwortlich ist aber auch das Verhalten bestimmter Medien; das muss heute hier einmal angesprochen werden. Wenn Hysterie verbreitet wird und die Verbraucher verunsichert werden, steigen anscheinend die Auflagen und die Einschaltquoten; das gilt aber nicht für die Qualität. ({5}) Eine große deutsche Zeitung mit vielen Bildern hat am 22. Januar 2001 geschrieben: Jetzt erschüttert ein neuer Skandal Bayern und Österreich. Schweine sollen flächendeckend mit Antibiotika und anderen Medikamenten gemästet worden sein. Experten befürchten: Die Schweinepillen sind für die Verbraucher noch gefährlicher als BSE. Vor kurzem stand in einer Passauer Zeitung ({6}) unter der Überschrift „Landwirte gaben keine verbotenen Medikamente“: Die Großrazzia auf 33 Bauernhöfen in Ostbayern Anfang Februar hat sich als Schlag ins Wasser erwiesen. Die Testergebnisse der bei den Schweinen genommenen Blut- und Urinproben fielen negativ aus: Sie enthielten keine verbotenen Substanzen. Und der Leitende Oberstaatsanwalt in Regensburg erklärte: Es gibt ... keine Erkenntnisse, dass die Landwirte ihren Tieren unerlaubte Mittel gegeben haben. Wo bleiben die Entschuldigungen von denen, die hier Verdächtigungen ausgesprochen haben, die die Bauern kriminalisiert haben? Auch hier im Parlament haben sich Mitglieder von SPD und Grünen damals massiv an den Anschuldigungen beteiligt. ({7}) Wenn Sie Charakter haben, gehen Sie nun ans Rednerpult und entschuldigen Sie sich für die vollmundigen Vorwürfe und Verdächtigungen. ({8}) Leider ist die Kollegin Wright heute nicht anwesend, die damals die größten Verdächtigungen ausgesprochen hat. Was machen bestimmte Medien? Sie sind nicht einmal bereit, die Meldungen über das Ergebnis der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen zu bringen. Ich glaube, es wäre in unserem Land notwendig, nicht nur über ein Produkthaftungsgesetz nachzudenken, sondern auch über ein Medienhaftungsgesetz. ({9}) Wer bezahlt den Schaden, der von einer zum Teil unverantwortlichen Berichterstattung verursacht wurde? Was wir brauchen, ist neben einem überzeugenden Verbraucherschutz auch eine Perspektive für unsere Bauern. Unsere Bauern waren in ihrer großen Mehrzahl bisher bereit, eine hohe Qualität zu produzieren, und haben es nicht verdient, von Rot-Grün an den Pranger gestellt zu werden. ({10}) Was unternimmt der Kanzler der Beliebigkeit, um unseren Bauern eine Perspektive zu geben? - Fehlanzeige auf der ganzen Linie. Er kassiert von der EU 4 Milliarden DM, die zurückfließen, und ist nicht bereit, Geld für eine Weiterentwicklung der deutschen Landwirtschaft und des Verbraucherschutzes auszugeben. Bayern allein nimmt mehr Geld in die Hand, um seine Bauern zu unterstützen und den Verbraucherschutz zu verbessern, als die Bundesrepublik Deutschland. Geradezu lächerlich wirkt Rot-Grün mit der Forderung nach mehr Ökolandwirtschaft. In den Bundesländern Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein, wo RotGrün regiert, gibt es die geringsten Flächenprämien für den ökologischen Landbau. ({11}) Eine Aufstellung der „FAZ“ vom 2. Februar 2001 zeigt die Zahlen: Bayern gibt für den ökologischen Landbau pro Hektar 707 DM aus. Zweitbestes Land - das gebe ich gerne zu - ist Rheinland-Pfalz. Aber dort regiert nicht Rot-Grün, sondern Rot-Gelb. ({12}) Rheinland-Pfalz gibt immerhin noch 392 DM aus. In Nordrhein-Westfalen, wo Rot-Grün regiert, sind es 191 DM ({13}) und in Schleswig-Holstein 60 DM, nicht einmal ein Zehntel dessen, was in Bayern ausgegeben wird. Entlarvender können Zahlen gar nicht sein. So groß ist die Diskrepanz zwischen rot-grünem Gerede und rot-grünem Handeln. ({14}) Die CDU/CSU wird dafür sorgen, dass dieses Schauspiel entlarvt und eine bessere Alternative dagegengesetzt wird. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({15})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Uli Höfken.

Ulrike Höfken-Deipenbrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002680, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Deutsche Bundestag hat heute erstmals die Gelegenheit, derartig umfassend über Verbraucherschutz zu diskutieren. Aber Herr Deß nimmt diese Gelegenheit nicht wahr; er diskutiert über die Abschaffung der Pressefreiheit und darüber hinaus äußerst widersprüchlich über die EU-Standards. ({0}) Auf der einen Seite sollen wir sie alle einhalten, auf der anderen Seite aber wird beim Thema BSE ein Alleingang der Bundesrepublik, möglichst Bayerns, gefordert. Ich denke, so geht das nicht. In dem Antrag der Koalitionsfraktionen haben wir unseren politischen Willen zur Schaffung eines umfassenden Verbraucherschutzes erklärt. Durch eine vorsorgende Verbraucherpolitik wollen wir Verbraucherinnen und Verbraucher unter gesundheitlichen und unter finanziellen Aspekten schützen. ({1}) Wir wollen die Stellung der Verbraucher im Verhältnis zu den Anbietern deutlich stärken; wir wollen bessere Markttransparenz und bessere Information. Frau Naumann, natürlich ist Verbraucherpolitik ein Teil der Wirtschaftspolitik und der sozialen Marktwirtschaft. Verbraucherschutz muss ressortübergreifend sein und als Querschnittsaufgabe in alle relevanten Bereiche der Politik aufgenommen werden. Unser Antrag und das Handeln der Bundesregierung weisen ganz im Gegensatz zu dem, was Sie in der Regierungszeit von CDU/CSU und F.D.P. praktiziert haben, genau in diese Richtung. Das Beispiel BSE hat gezeigt, wie fatal die Vernachlässigung vorsorgender Verbraucherschutzpolitik gewesen ist. Dazu muss man einmal sagen, dass uns das unter Ihrer Regierungsverantwortung geltende Denkverbot, die Tabuisierung und die Vernachlässigung, ja die Fahrlässigkeit im Verbraucherschutz, in die Situation gebracht haben, in der wir jetzt sind. ({2}) Das war auch im Hinblick auf Herrn Lippold nachzutragen. Wir werden den Verbraucher auch in anderen Bereichen als dem Lebensmittelbereich in den Mittelpunkt stellen. Tatsächlich war es doch bisher so, dass Ressortdenken und Lobbyismus hinsichtlich einzelner Wirtschaftsanliegen vor der Betrachtung und Berücksichtigung von Verbraucherinteressen gestanden haben. ({3}) Ich sage es noch einmal: Verbraucherschutz und Verbraucherpolitik müssen Teil der Wirtschaftspolitik und - darin unterstütze ich die Ministerin - ein wichtiges Mittel zur Schaffung sozialer Gerechtigkeit sein. Was Herr Lippold hinsichtlich der sozialen Gerechtigkeit fordert, das ist, gerade soweit Gesundheitspolitik betroffen ist, in Wirklichkeit ein Angriff auf das Solidarsystem: Abschaffung und Plattmachen der Gesundheitsversorgung für die ärmeren und kränkeren Bevölkerungsteile. Es geht darum, eine Balance zu finden. Wir werden diese Balance finden; Ihre Politik aber geht in eine völlig falsche Richtung. ({4}) Die Bundesregierung hat bereits das Ministerium für Verbraucherschutz geschaffen - das ist ein Paradigmenwechsel -, dort die Ministerin Renate Künast eingesetzt - auch das ist ein Paradigmenwechsel ({5}) und die strukturellen Voraussetzungen für die Umsetzung der Ziele des Verbraucherschutzes geschaffen. Bis Juni werden die Vorschläge für die weiteren Schritte in Richtung eines Bundesamtes für den Verbraucherschutz zu einer besseren Koordination zwischen Bund, Ländern und der EU vorliegen. Es ist richtig: Die Politik kann und soll nicht alle Bereiche des täglichen Lebens regeln. Sie muss aber die Rahmenbedingungen und die Instrumente schaffen, um den Verbrauchern eine Orientierung gegenüber der Wirtschaft, den Finanzanbietern, den Krankenhäusern, den neuen Kommunikationstechniken und insgesamt den raschen technischen und gesellschaftlichen Entwicklungen zu geben. Dazu will ich ein Beispiel wählen. Im Bereich des Energiemarktes - das hat Herr Lippold schon erwähnt Albert Deß haben wir die Situation, dass die mangelhafte Aufklärung beim Kauf von Elektrogeräten mit Stand-by-Funktion und Leerlaufverbrauch dazu geführt hat, dass sich die Leerlaufkosten allein in den privaten Haushalten auf jährlich 4,5 Milliarden DM addieren. Das ist ein Beispiel für die bisherige Vernachlässigung von Verbraucherschutzpolitik und für die Weichenstellung, die Sie in Ihrer Regierungszeit vorgenommen haben. Sie mögen immer über die Ökosteuer schimpfen; aber dieses Beispiel zeigt doch, wie man durch Installation einer vernünftigen Verbraucherpolitik in einer sinnvollen Art und Weise umsteuern kann. ({6}) Ein anderes Beispiel, bei dem die Weichenstellungen von der jetzigen Opposition vorgenommen worden sind, sind die Handys, die die Kommunikation enorm erleichtert haben. Wir haben zwar ein Telekommunikationsgesetz; aber es gibt eine ganze Reihe von offenen Fragen, die wir im Zusammenhang mit einer übergreifenden und umfassenden Verbraucherschutzpolitik diskutieren werden. Das fängt damit an, dass Jugendliche mit finanziellen Nachforderungen konfrontiert werden: Ohne dass sie es wissen, haben sie mit ihren SMS ihre Prepaid Card überzogen. Es gibt ernst zu nehmende Hinweise auf eine Gesundheitsgefährdung durch elektromagnetische Strahlen. Aus Vorsorgegründen werden wir darüber diskutieren, ob die zulässigen Grenzwerte zu senken sind; ich denke in diesem Zusammenhang beispielsweise an Italien und die Schweiz. In Zusammenarbeit mit den Ländern sollen Sicherheitsabstände zu besonders sensiblen Bereichen, also zu Schulen und Kindergärten, eingeführt werden. Eine entscheidende Rolle kommt auch hier der Zusammenarbeit mit der Wirtschaft und dem Handel zu. Die Strahlungsleistungen der Handys sind sehr unterschiedlich. Die jeweiligen Werte müssen transparent gekennzeichnet werden. Das jetzige Verfahren, auf die Handys einfach Zahlen zu schreiben, die die Verbraucher nicht verstehen können, kann es nicht sein. Wir werden hier weitere Vorschläge entwickeln, zum Beispiel die Handys mit entsprechenden Labels, anhand deren erkennbar wird, ob die Strahlenbelastung durch das jeweilige Handy gering, mittelstark oder hoch ist, zu versehen. Es geht darum, das Kommunikationsinstrument Handy sinnvoll einzusetzen und gleichzeitig die Verbraucher zu schützen. Wir haben - das ist richtig - in Bezug auf unsere künftige Verbraucherschutzpolitik einen hohen Anspruch gesetzt. Wir erwarten in diesem Bereich eine konstruktive Haltung der Opposition. Die genannten Beispiele sind recht deutlich. Wir unterstützen vor allem Ministerin Renate Künast bei der Umsetzung dieser anspruchsvollen Aufgabe. Danke schön. ({7})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Annette Widmann-Mauz.

Annette Widmann-Mauz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003259, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Selten ist der Graben zwischen Anspruch und Wirklichkeit derart breit und tief gewesen wie in der Verbraucherschutzpolitik dieser Bundesregierung. ({0}) Seit mehr als vier Monaten ist die neue Verbraucherschutzministerin jetzt im Amt. Selbst die Vertreter der Koalition haben Mühe, zu erklären, worin denn die substanziellen Beiträge von Frau Künast zum Verbraucherschutz eigentlich liegen. Auf welchen Feldern hat sie in der Europäischen Union greifbare Fortschritte erzielt, außer dass sie im Ministerrat von einer Abstimmungsniederlage zur anderen eilt? Auf welchen Feldern hat sie dort, wo sie es könnte, nämlich in der nationalen Agrarpolitik, irgendetwas bewegt? Selbst der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Clement wirft ihr per Zeitungsinterview jede Menge Versäumnisse vor und stellt fest, sie selbst habe bislang für die von ihr pausenlos als überfällig bezeichnete Agrarwende nichts getan. ({1}) Man kann die Verbraucherschutzpolitik von Frau Künast nicht besser zusammenfassen, als es Thomas Gack vor wenigen Tagen in der „Stuttgarter Zeitung“ getan hat: „Schlagworte, die auf Dauer eine wirksame Politik nicht ersetzen können“, „Etikettenschwindel“, „Ankündigungen“ und „wortreiche Tatenlosigkeit“. ({2}) Denn selbst auf den Feldern, auf denen Frau Künast unbestritten zuständig ist, arbeitet sie entweder halbherzig oder überhaupt nicht. In dieser Woche kündigten Sie, Frau Künast, eine „Qualitätsoffensive bei Lebensmitteln mit zwei Sorten von Gütesiegeln“ an: einem Ökogütesiegel für Produkte aus dem Ökolandbau und einem zweiten Gütesiegel für Produkte aus der konventionellen Landwirtschaft. Das hört sich auf Anhieb gut an. Heute allerdings haben Sie darüber kein einziges Wort verloren. Wie lässt sich dies erklären? Wenn man der Sache auf den Grund geht, stellt man fest, dass die erforderlichen Standards wohl auf den niedrigsten Level heruntergefahren werden sollen, nämlich auf EU-Standard. Ergebnis: Mit einem Schlag wird es in den Regalen Ökoprodukte in Hülle und Fülle geben, weil auf einmal fast alles öko wird. Der Standard wird gesenkt, damit die Ökoquoten steigen; das ist staatlich organisierter Etikettenschwindel. Das zarte Pflänzlein Ökonische wird dadurch kaputtgemacht, weil auf einmal fast alles öko ist, nur eben ökolight, Frau Künast. ({3}) - Dann sprechen Sie doch mit Naturland, mit Demeter oder mit Bioland. Diese Befürchtungen bestehen. Es ist doch verwunderlich, dass wir nichts dazu hören. Frau Künast, Sie haben die Messlatte wieder einmal hoch gelegt. Jetzt springen Sie einmal mehr darunter durch.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Höfken?

Annette Widmann-Mauz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003259, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Ulrike Höfken-Deipenbrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002680, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Es ist erstaunlich, innerhalb einer einzigen Fraktion derart diametral entgegengesetzte Aussagen zu hören. ({0}) Ich frage Sie deshalb, wie Sie denn dann zur Aussage des Kollegen Deß stehen, man solle eine Harmonisierung der EU-Standards möglichst unterstützen, da es keinerlei Möglichkeiten gebe, von diesen abzuweichen, wenn man eine richtige Politik machen würde.

Annette Widmann-Mauz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003259, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Liebe Frau Höfken, Ihre Fraktion und Ihre Ministerin sind vor vier Monaten hier angetreten und haben verkündet: Deutschland soll bei den Ökoprodukten einen Anteil von 20 Prozent erreichen. ({0}) Sie wollen viel Geld in die Förderung des Ökolandbaus stecken, damit wir über die Ökoprodukte mehr Produkte mit dem hohen deutschen Qualitätsniveau in den Regalen haben. Wenn Sie den angedachten Weg gehen, diese Quoten durch eine Reduzierung auf den europäischen Standard zu erreichen, mag das formal zu dem richtigen Ergebnis führen. Aber Sie werden so Ihrem Anspruch, den Sie sich selbst gestellt haben, nicht gerecht werden. ({1}) Hiermit werden Sie Ihre Glaubwürdigkeit verspielen und es ist das Recht der Opposition, die Widersprüche in Ihrer Politik hier klar aufzuzeigen. ({2}) Wie sieht es denn auf den anderen Feldern des Verbraucherschutzes aus? Die Antwort ist: Bis jetzt haben wir zu all den Themen, die heute angesprochen wurden, überhaupt nichts gehört. Verbraucherschutz wurde in den letzten vier Monaten ausnahmslos auf Lebensmittel und Ernährung reduziert. Bei allen anderen Themen, die die Verbraucher betreffen, herrscht Funkstille. ({3}) Warum muss denn bitte Herr Jauch Pressekampagnen machen? Unsere Verbraucherschutzministerin hat sich zur Euro-Umstellung nicht im Sinne der Verbraucherinnen und Verbraucher geäußert. Hier wären klare Aussagen im Sinne der Menschen in unserem Land längst überfällig gewesen. ({4}) Die Bürger wollen sich nicht nur vor BSE geschützt wissen, sondern auch vor anderen Risiken, denen sie im täglichen Leben ausgesetzt sind. Die Stichworte sind gefallen: Euro-Umstellung, Finanzdienstleistungen, Schutz im täglichen Geschäftsverkehr, Elektrosmog, Strompreise, Patientenschutz und Versichertenrechte, E-Commerce und, und, und. Bei Ihrem Antrag, zu dem Sie nun nach den langen Verhandlungen, die es wohl zwischen den Koalitionsfraktionen gegeben hat, gekommen sind, muss man genau auf die Wortwahl schauen: „prüfen“, „prüfen“, „prüfen“, „Vorschläge erarbeiten“, „Absichten unterstützen“, aber nichts Konkretes. Die Verbraucherschutzpolitik dieser Bundesregierung hat bis heute keine effiziente Struktur, es gibt kein Personal - und Geld schon gar nicht. Bis zum heutigen Tag wurden weder die Aufgaben innerhalb der Bundesregierung im Sinne eines ganzheitlichen Verbraucherschutzes klar geregelt, noch wurden der Ministerin umfassende und klar umrissene Zuständigkeitsbereiche zugewiesen. Das beste Beispiel dafür ist, dass der Arbeitsgruppe im Justizministerium zur Abschaffung des Rabattgesetzes zwar Vertreter der Verbraucherverbände angehören, aber niemand aus Ihrem Hause. Dies ist keine effiziente Struktur. ({5}) All Ihre Ankündigungen für einen vorsorgenden Verbraucherschutz sind angesichts dessen, wie der Bund die Verbraucherzentralen finanziell ausbluten lässt, nichts als Schalmeienklänge. Sie haben Kürzungen vorgenommen, erklären aber, wie sehr Sie sie fördern wollen. Wenn Sie heute einmal einen Betrag genannt hätten, den Sie in die Haushaltsplanverhandlung einbringen wollten, wäre das einmal eine konkrete Angabe gewesen, die den Menschen in unserem Land auch etwas gebracht hätte. Aber es ist nichts Konkretes dazu zu hören, wie viel Herrn Eichel die Stärkung des Verbraucherschutzes in der Bundesrepublik wert ist. Wir werden es sehen; aber Antworten haben wir heute nicht erhalten. Der Bericht der Wedel-Kommission liegt bis zum heutigen Tag nicht vor. Der Verbraucherbeirat der Bundesregierung hat seit Ihrem Amtsantritt, Frau Künast, noch nicht ein einziges Mal getagt. ({6}) Es reicht nicht aus, den Titel des Landwirtschaftsministeriums um den Begriff „Verbraucherschutz“ zu erweitern, die Reihenfolge im Namen zu ändern und zu glauben, damit sei dem Verbraucherschutz Genüge getan. Ein Türschild allein sagt noch lange nichts darüber aus, ob dort auch jemand wohnt. Man könnte fast meinen, wir sprechen hier nicht über ein Verbraucherschutzministerium, sondern über eine Briefkastenfirma. ({7}) - Ganz ruhig bleiben. Es scheint Sie sehr zu treffen. ({8}) Der Verbraucherschutz gehört zu den zentralen politischen Aufgaben in Deutschland. Die Menschen erwarten klare Konzepte für eine ganzheitliche Verbraucherschutzpolitik, die auf Grundpfeilern wie Transparenz, Eigenverantwortung bzw. Kontrolle und Nachhaltigkeit aufbaut. Deshalb fordert die Unionsfraktion die Bundesregierung auf, endlich klare und einheitliche Regeln für den Verbraucherschutz in Deutschland zu schaffen. Deshalb fordern wir in unserem Antrag, dass der Verbraucherschutz in einem eigenständigen Ressort gebündelt wird und damit von Anfang an Interessenkonflikte vermieden bzw. transparent gemacht werden. Deshalb fordern wir die Bundesregierung auf, in einem jährlichen Verbraucherschutzbericht Stellung zu allen verbraucherrelevanten Fragen zu nehmen, wie dies in anderen Ländern, zum Beispiel den USA, üblich ist. Verbraucherschutzpolitik ist für uns ein fester Bestandteil unserer sozialverpflichteten marktwirtschaftlichen Ordnung. Transparenz und Wettbewerb, Eigenverantwortung, Kontrolle und Nachhaltigkeit - dies alles gehört zusammen. Dies sind - ganz ideologiefrei - die Grundpfeiler einer Politik für einen ganzheitlichen, vorsorgenden Verbraucherschutz, wie er von unserer Fraktion vertreten wird. Verbraucherschutzpolitik braucht keine staatliche Bevormundung und Umerziehung; Verbraucherschutzpolitik braucht auch keine ideologischen Zwangsjacken. Verbraucherschutzpolitik hat möglichst nah am Menschen zu sein. Es geht um individuelle Verantwortung, Wettbewerb und sozialen Schutz. Eigeninteresse und Kontrolle, beides gehört zusammen: So viel Eigenverantwortung wie möglich, so viel Kontrolle wie nötig. Deswegen ist der „aufgeklärte Verbraucher“ keine bloße Floskel, sondern ein Grundanliegen unserer sozialen Marktwirtschaft und damit ein Grundanliegen gerade der Christlich Demokratischen Union. ({9})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Heinz Schmitt.

Heinz Schmitt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002783, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vorsorgender Verbraucherschutz funktioniert nur mit gut informierten und entsprechend vorgebildeten Verbraucherinnen und Verbrauchern. Wir brauchen den kritisch mitdenkenden und mündigen Kunden, aber natürlich auch den verantwortungsvollen Politiker. Frau Kopp, Frau Widmann-Mauz, Herr Lippold und Herr Deß, wenn man die Anträge Ihrer Fraktionen liest, hat man fast das Gefühl, Sie vollzögen einen Bewusstseinswandel, Sie hätten die Gefahren erkannt und den Handlungsbedarf gesehen. Nach Ihren Reden hier bleibt aber nichts übrig außer billiger Polemik und der Ablenkung auf Politikbereiche, die mit diesem Thema überhaupt nichts zu tun haben. Sie haben die Ökosteuer und die Pressefreiheit angesprochen; Sie redeten von Etikettenschwindel. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der F.D.P. und der CDU/CSU, eine solche Polemik wollen die Menschen in diesem Land nicht mehr hören. ({0}) Die Menschen in diesem Land wollen gesunde Lebensmittel. Sie wollen Nahrungsmittel kaufen, die sie mit Genuss verzehren können. Verbraucherschutz als ressortübergreifende Aufgabe bedeutet also neue Aufgaben für die Bildungspolitik. Man hat das Gefühl, dass Sie durch Ihre Redebeiträge von Ihrem Fehlverhalten, von Ihrer Passivität in den letzten 16 Jahren ablenken wollen, aber erwarten, dass die Agrarwende in unserem Land in vier Monaten vollzogen wird. Dies ist in der kurzen Zeit nicht zu bewerkstelligen. Wir werden diese und auch die nächste Legislaturperiode dazu verwenden, die Agrarwende zu vollziehen. Darauf können Sie bauen. ({1}) Wenn wir Verbraucherinnen und Verbraucher schützen wollen, etwa vor Risiken bei der Ernährung, dann brauchen wir auf der einen Seite sicherlich eine staatliche Kontrolle zum Schutz vor gesundheitlichen Risiken und Gefährdungen. Auf der anderen Seite aber müssen wir die Menschen auch dazu befähigen, Entscheidungen kompetent zu treffen, um als Nachfrager größeren Einfluss auf das Angebot nehmen zu können. Die Entscheidung über die Güte und die Qualität der Produkte und damit im Endeffekt die Entscheidung über die Güte und die Qualität der Produktion wird letztlich an der Ladentheke getroffen. Dies gilt insbesondere für unsere Ernährung, für unsere Nahrungs- und Lebensmittel. Neben der staatlichen Sicherheits- und Qualitätskontrolle muss Verbraucherschutz also auch der Aufklärung dienen. Bei einem oftmals erschlagenden und unüberschaubaren Produktangebot braucht der Kunde zu seiner Orientierung ein umfangreiches Wissen. Die Kennzeichnung der Herkunft und der Inhalte, Prüfsiegel und Qualitätszertifikate sind nur die eine Seite. Auf der anderen Seite sind Information und Verbraucherbildung unerlässlich, damit die Menschen souverän und bewusst über das Angebot entscheiden können. Es gibt bereits ein breites Angebot an Aufklärung. Es kann auf Ratgeber und Ernährungsseminare zurückgegriffen werden. Aber das Problem dabei ist, dass dies fast ausnahmslos mit einem hohen persönlichen Einsatz verAnnette Widmann-Mauz bunden ist und zum Teil das Engagement des Einzelnen überfordert. Weniger engagierte Kunden verlieren immer mehr die Übersicht. Durch Fastfood und Lebensmittelveredelung sind im Ernährungsbereich viele ehemals vorhandene Kenntnisse über gesunde Ernährung bereits in Vergessenheit geraten. Der technische Standard heutiger Hightech-Küchen steht oftmals im krassen Gegensatz zu den genormten Speisen und Gerichten, die darin zubereitet werden. ({2}) Alles muss billig und schnell sein - so das Credo der Lebensmittelindustrie. Falsche Ernährung, zu hoher Fleisch- und Zuckerkonsum und Übergewicht führen zudem zu den bekannten gesundheitlichen Problemen. Wenn wir also die neue Wertigkeit von Verbraucherschutz mit Leben füllen wollen, muss die Verbraucherinformation und Verbraucherbildung auf eine breite, grundlegende Basis gestellt werden. Infolge der BSE-Krise und der Maul- und Klauenseuche haben wir uns im Ernährungsbereich die Agrarwende vorgenommen. Wir wollen eine umweltgerechte Agrarproduktion fördern. Ein solches Umsteuern ist nur dann möglich, wenn es gelingt, die Verbraucherinnen und Verbraucher für eine solche Politik zu gewinnen. Dazu gehört zwingend ein vorsorgender Verbraucherschutz durch Information, Bildung und Verbesserung der Kenntnisse der Verbraucher, um deren Stellung im Marktprozess zu stärken. ({3}) Im Bildungsbereich gibt es hierzu vieles zu tun. Zum Beispiel wäre ein Besuch in so genannten Agrarfabriken mit der typischen Massentierhaltung, wo oftmals der Tatbestand der Tierquälerei erfüllt wird, gerade für junge Menschen sicherlich eine wichtige Erfahrung und könnte zu einer lebenslangen Bewusstseinsbildung beitragen. Aufklärungsarbeit muss bereits bei Kindern und Jugendlichen in den allgemein- und berufsbildenden Schulen beginnen. Darum regen wir an, dass in den Ländern entsprechende Informations- und Lehrangebote an Schulen beginnen. Die Grundlagen des Verbraucherschutzes müssen einen Platz in den Lehrbüchern bekommen. Wir denken dabei nicht an zusätzliche neue Fächer; denn diese Inhalte können in den bestehenden Fächern wie Chemie, Biologie und Sozial- und Naturkunde ihren Platz finden. Auch im Bereich der Erwachsenenbildung und der beruflichen Bildung sowie der Weiterbildung sollten die genannten Lehrinhalte stärker Zugang finden. Um diesen Prozess zu beschleunigen, müssen wir in der Lehrerfortbildung, im Ernährungs- und Verbraucherschutz Themen besetzen. Wir müssen die Lehrkräfte befähigen, entsprechende Unterrichtsinhalte zu vermitteln. Wir wollen dabei der Schule nicht noch mehr gesellschaftliche Pflichten aufhalsen. Wir wissen, dass Lehrerinnen und Lehrer oftmals schon jetzt über Gebühr belastet sind. Wir erhoffen uns durch die Beteiligung vieler gesellschaftlicher Kräfte eine Atmosphäre, die das Umsteuern bei Verbrauchern und bei Produzenten dauerhaft in Gang setzt. Auch die Werbewirtschaft könnte mit einer Selbstverpflichtung einen guten Beitrag dazu leisten. Unser vorliegender Antrag beschreibt sehr genau die Handlungsansätze, wie wir auf Dauer mit einer Mischung aus Anreizen und Angeboten eine vorsorgliche Verbraucherpolitik realisieren werden. In vielen Ihrer Beiträge und in den Anträgen war sehr oft Übereinstimmung wahrzunehmen. Das kann man nachlesen. Ich denke, es dürfte Ihnen aus diesem Grunde sicherlich nicht schwer fallen, unserem Antrag zuzustimmen. Ich bedanke mich. ({4})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich schließe da- mit die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 14/6067, 14/6039 und 14/6053 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla- gen. Einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 17 a und 17 b auf: a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Günter Nooke, Ulrich Adam, Hartmut Büttner ({0}), weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Bereinigung von SED-Unrecht ({1}) - Drucksache 14/3665 ({2}) aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Angelegenheiten der neuen Länder ({3}) - Drucksache 14/6064 - Berichterstattung: Abgeordnete Barbara Wittig bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({4}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 14/6065 - Berichterstattung: Abgeordnete Hans Georg Wagner Oswald Metzger Dr. Günter Rexrodt Dr. Christa Luft Hans Jochen Henke b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Angelegenheiten der neuen Länder ({5}) zu dem Antrag der Fraktion der PDS Erleichterte und erweiterte Rehabilitierung und Entschädigung für Opfer der politischen Verfolgung in der DDR Heinz Schmitt ({6}) - Drucksachen 14/2928, 14/6062 Berichterstattung: Abgeordnete Barbara Wittig Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zuerst die Abgeordnete Barbara Wittig.

Barbara Wittig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003267, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am 17. Juni 1992 bezeugte der Deutsche Bundestag mit einer Ehrenerklärung all jenen tiefen Respekt und Dank, die durch ihr persönliches Opfer dazu beigetragen haben, das geteilte Deutschland in Freiheit wieder zu einen. Diese Ehrenerklärung ist heute, wenn wir über ein Drittes SED-Unrechtsbereinigungsgesetz sprechen, aktueller denn je. Die Rehabilitierung und Entschädigung der Menschen, die in der DDR und zuvor in der sowjetischen Besatzungszone Opfer politischer Verfolgung geworden sind, kann nur eine Anerkennung des Leids der Verfolgten und ihrer Widerstandsleistung sein. Das erlittene Schicksal, das ihnen zugefügte Unrecht ist, mit wie viel Geld auch immer, nicht aufzuwiegen und wieder gutzumachen. ({0}) Den Freiheitsentzug können wir nicht rückgängig machen, das erlittene Unrecht nicht ungeschehen. Die Rehabilitierungsgesetze der alten CDU/CSUF.D.P.-Regierung hatten viele Lücken und Mängel. Sie hatten damals einen Entwurf vorgelegt, der eine Kapitalentschädigung in Höhe von 300 DM pro Monat vorsah. Erst im Vermittlungsausschuss wurde auf Druck der SPDSeite für diejenigen, die nach der Haft in der damaligen DDR verbleiben mussten, der Betrag auf 550 DM angehoben. Von Anfang an gab es Kritik. Doch was sagte der damalige Parlamentarische Staatssekretär Funke am 10. Februar 1993? Ein weiteres SED-Unrechtsbereinigungsgesetz zur Schließung verbleibender Lücken wird es nicht geben. Herr Büttner, Sie haben uns vorgehalten: ... liebe Fraktion der SPD, mit Blick auf die angespannte Lage der Staatsfinanzen und die finanziellen Leistungen des Bundes für die neuen Länder wissen wir, dass wir nicht alle notwendigen Aufgaben gleichzeitig finanzieren können. Außerdem sei es nicht zu verantworten, die Verschuldung unseres Staates zulasten künftiger Generationen zu erhöhen. Jede Entschädigungshöhe löse Fragen der Haushaltsgerechtigkeit aus. Auch eine einheitliche Kapitalentschädigung in Höhe von 600 DM, die unser Gesetzentwurf in der 13. Legislaturperiode beinhaltete, wurde nicht akzeptiert. In diesem Zusammenhang muss ich noch einmal auf die Plenardebatte am 17. Juni 1992 zurückkommen. 46 Abgeordnete der Fraktion der CDU/CSU hatten sich der Erklärung des Abgeordneten Hartmut Büttner angeschlossen, mit der sie klarstellten, dass sie eine monatliche Kapitalentschädigung in Höhe von 600 DM für angemessen hielten. Zu den Unterzeichnern gehörten auch Frau Dr. Angela Merkel und Dr. Paul Krüger. Ich frage Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU: Wenn Ihnen die Forderungen der Opferverbände so wichtig waren, wie Sie es in Ihrer Erklärung betont haben, warum haben Sie diese dann bei Theo Waigel nicht durchgesetzt? ({1}) Erst die neue Bundesregierung hat trotz aller Sparzwänge und im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten die Kritik der Verbände aufgegriffen und umgesetzt, Unzulänglichkeiten und Härten beseitigt und die Entschädigungsleistungen verbessert. Mit unserem ab dem 1. Januar 2000 geltenden Gesetz haben wir genau das gemacht, was bei Ihnen nur Lippenbekenntnis geblieben ist, ({2}) nämlich einheitliche Kapitalentschädigung in Höhe von 600 DM pro Monat rechtsstaatswidriger Haft und Verbesserung der Anerkennung haftbedingter Gesundheitsschäden. Denn parallel zu der in Kraft getretenen Novelle hatte die Bundesregierung die Bundesländer gebeten, alle seit 1991 abgelehnten Anträge auf Anerkennung gesundheitlicher Verfolgungsschäden nochmals zentral von Amts wegen zu überprüfen und in Zukunft in den Fällen, in denen eine Ablehnung des Antrags beabsichtigt ist, eine zentrale Überprüfung durch besonders geschulte und erfahrene Gutachter vorzunehmen. Die Länder zeigten sich dabei übrigens sehr kooperativ. An dieser Stelle möchte ich darauf verweisen, dass noch vor der Sommerpause ein Bericht der Bundesregierung zu diesem Bereich vorgelegt werden wird. Weiterhin gehört zu diesen Verbesserungen, dass die Leistungen für die Hinterbliebenen dahin gehend verändert wurden, dass die Stiftung für ehemalige politische Häftlinge ohne Einkommensprüfung Zahlungen leistet. In den Jahren 2000 bis 2005 werden der Stiftung zusätzlich 1,2 Millionen DM pro Jahr zur Verfügung gestellt. So können auch die aus den Gebieten östlich von Oder und Neiße Verschleppten besser unterstützt werden. 2001 wurden die Mittel der Stiftung um weitere 5 Millionen DM aufgestockt. Schließlich haben wir die Antragsfristen verlängert. - Dies sind die Verbesserungen, die wir vorgenommen haben. Sie gestatten, dass ich an dieser Stelle aus dem „Stacheldraht“ 6/99, dem Infoblatt des Bundes der stalinistisch Verfolgten, zitiere: Damit geht das Jahrtausend doch noch erfolgreich für uns zu Ende, wird der Einsatz für Demokratie und Menschenrechte gewürdigt. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Unser Dank gilt der rot-grünen Bundesregierung, die sich unseren Forderungen angenommen hat, und allen Politikern, gleich welcher Ebene, die mit uns und für uns gekämpft haben. Soweit das Zitat aus dem „Stacheldraht“ 6/99. ({3}) Dass diese Verbesserungen im federführenden Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder einstimmig gebilligt wurden - also auch mit Ihrer Stimme -, scheinen Sie auch schon wieder vergessen zu haben. Sie wollen die gerade erst erhöhte Kapitalentschädigung von 600 DM auf 1 000 DM erhöhen und Sie wollen eine Ehrenpension. Die Kosten für die Umsetzung Ihres Gesetzentwurfs beziffern Sie mit 1,5 Milliarden DM. Sie schweigen sich aber darüber aus, woher wir diese Summe, die Sie früher nie einzusetzen bereit waren, jetzt nehmen sollen. Sie bringen keinen Deckungsvorschlag, weil Sie dazu nicht in der Lage sind. Sie hätten es doch während Ihrer Regierungszeit in der Hand gehabt, eine Ehrenrente in Höhe von 1 000 DM für jeden Betroffenen zu beschließen. Warum haben Sie es nicht gemacht? Diese Frage müssen Sie sich gefallen lassen und auf diese Frage müssen Sie eine Antwort geben. ({4}) Hinzu kommt, dass die seit mehreren Jahren angewendeten Rehabilitierungsgesetze Ausgleichsleistungen vorsehen - ich habe sie vorhin genannt -, eine Ehrenpension aber eine Pauschalentschädigung wäre. Das heißt, die Einführung einer Ehrenpension bei einer Verfolgtenrente wäre mit dem konzeptionellen Ansatz der Rehabilitierungsgesetze nicht vereinbar, da zusätzlich zu den nach dem Baukastensystem gewährten Ausgleichsleistungen keine Pauschalentschädigung gewährt werden kann. Außerdem werfen Sie unterschiedlich schwere Schicksale in einen Topf. ({5}) Wir stellen fest: Erstens. Selbst in der Regierungsverantwortung war die CDU/CSU nicht bereit, wirkliche Verbesserungen rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften vorzunehmen. Zweitens. Obwohl sofort nach dem Regierungswechsel die Leistungen für die Opfer im Rahmen des bestehenden Regelwerks - auch mit Ihren Stimmen - wesentlich verbessert wurden, hat die CDU/CSU weitere unerfüllbare Hoffnungen bei den Betroffenen geweckt.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Frau Kollegin, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.

Barbara Wittig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003267, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Mein letzter Satz: Dies ist unverantwortlich gegenüber den Betroffenen. Danke. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Das Wort für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Günter Nooke.

Günter Nooke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003200, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir hatten gestern in diesem Hause über den Aufbau Ost gestritten. Kollege Werner Schulz von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen übte sich dabei in heftiger Polemik gegen den von meiner Fraktion eingebrachten Antrag zum Leitbild für den Osten. ({0}) Er hat unter anderem kritisiert, dass das Thema Erinnerungskultur nach seinem Geschmack viel zu knapp ausgefallen war. Kollege Schulz hatte dabei leider nicht bis zum Ende gelesen; denn in unserem Antrag sind wir auch auf das Dritte SED-Unrechtsbereinigungsgesetz eingegangen, das jetzt Tagesordnungspunkt ist. Dieser Gesetzentwurf ist für uns ein Element, zur Erinnerung an die zweite deutsche Diktatur beizutragen. ({1}) Mindestens an diesem einen Punkt wird mit der heutigen Tagesordnung die Debatte von gestern fortgesetzt, und die Sorgen des Kollegen Werner Schulz, unsere Fraktion würde zu wenig zur Erinnerungskultur in diesem Lande beitragen, können spätestens heute zerstreut werden. ({2}) Nur ist unverständlich, warum heute von Rot-Grün genau das Gegenteil gesagt wird, nämlich dass die in unserem Gesetzentwurf vorgesehenen Zahlungen nicht zu knapp, sondern zu üppig ausfallen. ({3}) Auch der Verweis darauf, Frau Wittig, dass Unrecht auch mit noch so viel Geld nicht ungeschehen gemacht werden kann, hilft da nicht weiter. Das wissen wir auch. Es geht um etwas ganz anderes: Die Mitglieder dieses Hohen Hauses haben heute darüber abzustimmen, was ihnen das Erinnern an Diktatur wert ist. Aber nicht nur das: Wir haben auch darüber abzustimmen, wie ernst wir es mit dem bürgerschaftlichen Engagement meinen. Zu einem solchen Engagement wird ja immer aufgerufen. Diejenigen, für die wir diesen Gesetzentwurf erarbeitet haben - übrigens unter erheblicher Beteiligung der Betroffenen und in Zusammenarbeit mit ihnen -, haben unter schwierigsten Bedingungen dieses bürgerschaftliche Engagement gezeigt, nämlich unter den Bedingungen einer kommunistischen Diktatur. Wir haben für unseren Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer Ehrenpension in den bisherigen parlamentarischen Beratungen keine Mehrheit bei Rot-Grün gefunden. Nicht einmal den Mut zur freien Abstimmung haben SPD und Grüne aufgebracht. ({4}) Die Situation, über die wir heute diskutieren, hat sich aber - deshalb ist der Verweis auf die Kassenlage von Theo Waigel auch nicht richtig -, seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom April 1999 verändert. ({5}) Wenn wir das in der Tagesordnung nachfolgende Renten-Überleitungsgesetz für Mitarbeiter der Staatssicherheit und für viele Privilegierte im SED-System in unsere Betrachtungen einbeziehen, dann ist die Situation eindeutig: Diejenigen, die die SED-Diktatur zu verantworten hatten oder von ihr profitierten und gegen Freiheit kämpften, werden vom freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat, vom wiedervereinigten Deutschland, belohnt. Diejenigen, die für Freiheit und Demokratie kämpften, gehen leer aus ({6}) und müssen zum Teil sogar von Sozialhilfe leben. Das, was heute hier geschieht, können die Opfer der SED-Diktatur zu Recht nicht nachvollziehen. ({7}) Politiker, die heute zum Kampf gegen Extremismus aufrufen, sind unglaubwürdig, wenn sie nicht bereit sind, denjenigen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, die sogar in einer Diktatur bereit waren, sich gegen den Staatsterror zu stellen, und mit Verlust von Beruf und Gesundheit sowie nicht selten sogar mit dem Leben dafür bezahlt haben. ({8}) Frau Wittig, es entsteht leider der falsche Eindruck, dass die Opfer der beiden deutschen Diktaturen des vergangenen Jahrhunderts in der Öffentlichkeit und von RotGrün bewusst unterschiedlich behandelt werden. Noch immer hängt die 68er-Generation dem falschen linken Weltbild an, dass der Sozialismus bzw. Kommunismus eine gute und fortschrittliche Sache sei ({9}) und dass nur die Mittel der Stalinisten, der MfS-Offiziere und der Parteisekretäre problematisch gewesen seien. ({10}) - Hören Sie bitte zu! - Anders als beim totalitären System der Nazidiktatur erfindet man, zum Beispiel Ihr Kollege Bahr, für die DDR Begriffe wie „undemokratischer Rechtsstaat“. Dass SPD und Grüne den antitotalitären Konsens schon 1968 verlassen haben, ist ja bekannt. ({11}) Aber das hat heute leider Auswirkungen auf die Entschädigung der Opfer der zweiten Diktatur in Deutschland. ({12}) Das, über was wir hier diskutieren, passt nicht in Ihr politisches Koordinatensystem. Wer den Unterschied zwischen Diktaturen stärker betont als den zwischen Diktatur und Demokratie, der macht sehr schnell auch einen Unterschied bei der Entschädigung der Opfer. ({13}) Insofern ist die heutige Debatte auch ein Aufschrei gegen die öffentliche Meinungsbildung: Rechts ist gleich rechtsextrem; links ist einfach nur gut; linksextrem hat es nie gegeben und gibt es auch heute nicht. ({14}) Seit knapp einem Jahr liegt unser Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Bereinigung von SED-Unrecht in den Ausschüssen vor. Sie wollen ihn heute niederstimmen. Wir haben heute darüber abzustimmen, was uns das Engagement einzelner Menschen für Demokratie und Rechtsstaat wert ist. Diese konkrete Form der Erinnerungskultur hat nicht nur etwas mit der Vergangenheit, sondern auch sehr viel mit der Zukunft unseres Landes zu tun. Dessen sollten sich alle bewusst sein. Wir müssen genau hinhören und hinschauen, wie unser Umgang im Deutschen Bundestag mit 40 Jahren SEDDiktatur von den Opfern wahrgenommen wird, die sich dagegen aufgelehnt haben. Die Hoffnungen derjenigen, die bis 1989 dem politischen System der DDR Opposition und Widerstand entgegengesetzt haben, ({15}) haben sich allerdings nur zum geringen Teil erfüllt. Ich wiederhole als Mitglied der CDU/CSU-Fraktion und deren stellvertretender Vorsitzender ganz bewusst das, was ich schon vor knapp einem Jahr hier gesagt habe: In diesem Hohen Hause ist bisher zu wenig für die Opfer der SED-Diktatur getan worden, und das trifft auch auf unsere Fraktion zu. ({16}) Aber bitte: Ich halte es für richtig, dass wir uns auch angesichts dieses Bundesverfassungsgerichtsurteils vom April 1999 jetzt noch einmal die Frage stellen, ob die Würdigung der Opfer der SED-Diktatur wirklich angemessen ist und ob wir hier nicht die Chance haben, auch einen politischen Willen zu demonstrieren. Es kann doch nicht sein, dass wir als Gesetzgeber nur Geld haben, wenn uns das Verfassungsgericht dazu zwingt, und politisch überhaupt keine eigene Meinung dazu haben, wie wir für das, was wir politisch für richtig halten, Mittel bereitstellen können. ({17}) Meine Damen und Herren, wir, die Mitglieder des Deutschen Bundestages, sollten den politischen Willen demonstrieren und durchsetzen, eine solche angemessene Entschädigung auf den Weg zu bringen, und zwar jetzt. ({18}) Eine Behandlung des Themas ausschließlich nach Kassenlage halte ich für schädlich und unaufrichtig. ({19}) - Ich habe Ihnen doch gesagt, dass es heute eine andere Situation gibt. Das werden wir gleich beim nächsten Tagesordnungspunkt behandeln. Die Nachzahlungen für die Zusatz- und Sonderversorgungssysteme, die viele ehemalige SED-Kader in Anspruch genommen haben und noch nehmen werden, erfordern letztendlich auch viel Geld. Die Größenordnung dieser Nachzahlungen ist dieselbe wie die für die von uns vorgeschlagene Ehrenpension. Alle rechtspositivistischen Argumente, man könne das eine nicht mit dem anderen vermengen, sind politisch nicht akzeptabel. ({20}) Übrigens hat ja gerade unser Gesetzentwurf auch den Vorteil, dass die Entschädigung für Haftopfer und die Anerkennung und Würdigung von Opposition und Widerstand in der DDR eben nicht über das Rentensystem verwirklicht werden soll. Wir haben das bewusst „Ehrenpension“ genannt. Die Fraktion der CDU/CSU möchte mit dem vorliegenden Entwurf für ein Drittes Gesetz zur Bereinigung von SED-Unrecht eine abschließende und, wie wir meinen, auch allgemein akzeptable Würdigung von Opposition und Widerstand erreichen. Wir halten die jetzige Regelung für politische Opfer des SED-Regimes für nicht ausreichend und demzufolge für ungerecht. Auch Opposition und Widerstand gegen die SED-Diktatur, die diese schließlich ja beseitigt haben, gehören zu den historischen Leistungen, auf die alle Deutschen mit Recht stolz sein können. ({21}) Aber solange sich die Opfer des SED-Regimes wie politische Opfer zweiter Klasse fühlen müssen, so lange ist nach meiner Auffassung der Rechtsstaat und sind wir hier in der Pflicht. Der materielle Wert dieser Ehrenpension kann natürlich nicht die verlorenen Jahre der Haft wiederbringen oder die intensive Verfolgung durch die Staatssicherheit der DDR ungeschehen machen. Das wissen wir. Das hat übrigens auch nie einer der Betroffenen gefordert. Aber wir wissen auch, dass uns dieses Thema bei einem negativem Votum, wie ich es aus Ihren Zwischenbemerkungen hier heraushöre, trotzdem noch lange beschäftigen wird. Die von uns vorgeschlagene Ehrenpension ist nicht nur aus dem Blickwinkel des Haushalts zu betrachten. Meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, ich fordere Sie noch einmal eindringlich auf, hier jetzt über Ihren Schatten zu springen und ein Zeichen zu setzen, ein politisches Zeichen mit Langzeitwirkung. Wenn nicht, so wird auch das von langer Wirkung sein, aber es nützt keinem von uns, und meines Erachtens schadet es sogar der Freiheit und der Demokratie. Danke. ({22})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Jetzt spricht der Herr Kollege Christian Ströbele für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Das war unter Ihrem Niveau, Herr Kollege Nooke. ({0}) Sie versuchen, die Hoffnungen und Sorgen der Verfolgten für parteipolitische Ziele zu missbrauchen. ({1}) Sie wissen genau, dass es für Bündnis 90/Die Grünen seit ihrer Gründung, seit der Vereinigung, ein Anliegen von grundsätzlicher Bedeutung, geradezu ein Gründungsanliegen war, sich um die Verfolgten und deren Rechte und soziale Sicherheit zu kümmern. ({2}) Daran waren Sie beteiligt, so lange Sie noch bei den Grünen gewesen sind. ({3}) Auch wissen Sie ganz genau, dass alle unsere Versuche in der Zeit von 1990 bis 1998 Jahr für Jahr, Legislaturperiode für Legislaturperiode ins Leere gelaufen sind, ({4}) weil die Bundesregierung und die damalige Koalition nicht bereit waren, irgendetwas zu tun. Sie, Herr Nooke, haben sich damals selbst darüber aufgeregt, dass die alte Koalition es für richtig gehalten hat, dass man den in der DDR Inhaftierten nur die Hälfte der Haftentschädigung gibt, die Gefangene in der Bundesrepublik bekommen hätten. ({5}) Über diese Ungerechtigkeit haben Sie sich damals aufgeregt. Wo ist heute Ihre Empörung? ({6}) Herr Kollege Nooke, wir haben unsere Versprechungen gehalten. Wir haben - das wissen Sie auch, weil Sie dabei waren - nie eine Ehrenpension oder eine Ehrenrente gefordert. Dieses Instrument stammt aus DDR-Zeiten; es ist eine Erfindung der DDR. Deshalb gibt es dieses Instrument im System der Entschädigung für politisch Verfolgte in der Bundesrepublik grundsätzlich nicht. ({7}) Sie wissen auch, dass das, was wir nachher diskutieren werden, nämlich die Schlussfolgerungen aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, dass die Renten der Stasi-Mitarbeiter angepasst werden müssten, keine rotgrüne Erfindung ist. Das haben wir uns doch nicht ausgedacht! Aber wir müssen dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts folgen. Das wissen Sie und das ist kein Anlass, hier eine solche Regelung vorzuschlagen. ({8}) Wir sind erstens deshalb gegen diese gesetzliche Regelung, weil sie nicht finanzierbar ist. Unter dem Strich kostet sie pro Jahr nicht 1,5 Milliarden DM, sondern bis zu 2 Milliarden DM. Sie wollen diese Regelung mindestens zehn Jahre lang anwenden; in dieser Zeit werden dafür mindestens 20 Milliarden DM aufzubringen sein. Eine Aussage, woher wir dieses Geld angesichts der leeren Kassen nehmen sollen, die Sie uns hinterlassen haben, vergessen Sie in Ihrem Entwurf. ({9}) Wir sind zweitens deshalb gegen diese Regelung, weil sie in sich ungerecht ist und in dem System der Entschädigung, das in der Bundesrepublik Deutschland seit Jahrzehnten praktiziert wird, neue Ungerechtigkeiten schaffen würde. Wir sind der Auffassung, dass die Leute, die seinerzeit im Gefängnis gewesen sind, dafür die Entschädigung bekommen sollen, die sie auch in der Bundesrepublik bekommen hätten. Deshalb haben wir trotz der Kassenlage, die Sie uns hinterlassen haben, eine Regelung gefunden - eine solche Regelung haben wir früher immer gefordert; für sie sind die Bündnisgrünen und die SPD in den Wahlkampf gegangen -, die eine Verdoppelung der Entschädigung beinhaltet. Diese Leistung haben Sie in den acht Jahren zuvor, in denen die CDU an der Regierung war, nicht fertig gebracht. ({10})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Ströbele, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Nooke?

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, wenn es nicht auf meine Redezeit angerechnet wird.

Günter Nooke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003200, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Ströbele, ich wollte heute über Ihre Politik und Ihren politischen Willen reden. Aber Sie haben jetzt wieder die Kassenlage nach vorne geschoben. Ich frage Sie, ob Sie für die Opfer der SED-Diktatur Verständnis haben, wenn sie heute sagen, sie hätten dieses wiedervereinigte Deutschland 1989/90 ein Stück weit auf den Weg gebracht, ohne sie gäbe es dieses wiedervereinigte Deutschland nicht. Ohne diese Opfer würden wir heute hier nicht stehen, ohne diese Opfer hätte auch der Finanzminister seine Mobilfunklizenzen nicht für ganz Deutschland, sondern nur für eine um ein Fünftel kleinere Bevölkerung verkaufen können. ({0}) Dieses eine Fünftel macht schon die 20 Milliarden DM aus, die Sie gerade angesprochen haben, wobei die Zahl übrigens falsch ist. Die von Ihnen vorgetragenen Zahlen sind viel zu hoch. Es kostet weniger; gucken Sie in unseren Gesetzentwurf.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Nooke, wenn ich es richtig in Erinnerung habe, hat Ihre Partei die UMTS-Milliarden schon mehrfach ausgegeben. ({0}) Sie können also nicht immer wieder mit diesem Geld argumentieren. ({1}) Wir versuchen, mit diesem Geld - das ist von diesem Podium aus schon häufig genug gesagt worden - ein bisschen von dem wiedergutzumachen, womit Sie die gesamte Bundesrepublik Deutschland geschädigt haben, nämlich von dem Schuldenberg, der die vernünftige Politik, die wir uns vorstellen, leider nicht vollständig möglich macht. ({2}) Wir können ja nur in einem bestimmten Rahmen agieren, weil wir ununterbrochen damit beschäftigt sind, Ihre alten Schulden abzubauen. Nun sage ich Ihnen, warum Ihr Vorschlag in sich ungerecht ist: Sie setzen es gleich, ob jemand ein Jahr oder fünf Jahre oder 15 Jahre lang in der ehemaligen DDR in Haft gewesen ist oder ob er mit anderen Maßnahmen außerhalb von Haftanstalten, etwa durch Observation, geschädigt worden ist. Sie wollen dem, der 15 Jahre in Bautzen gewesen ist, genau so viel Pension wie dem geben, der zwei Jahre lang Observationsmaßnahmen ertragen musste. Das war schlimm genug. Aber das eine war ein Vermögensschaden, während das andere ein unendlich großer Schaden für seine Person, seine Familie und seine Gesundheit war. Man kann das nicht gleichsetzen. Dieser Vorschlag ist deshalb in sich ungerecht. So kann man es auf gar keinen Fall machen. ({3}) Der Vorschlag passt aber auch nicht in das System. In der Bundesrepublik Deutschland gibt es im System der Entschädigung politisch Verfolgter keine Ehrenpension. Es wäre ungerecht, wenn wir für diesen Teil der politisch Verfolgten eine entsprechende Regelung schaffen würden. Dies würde zu erheblichen Ungleichbehandlungen und schwer hinnehmbaren Tatbeständen im Vergleich zu anderen politisch Verfolgten in der Bundesrepublik, über die wir gerade in der letzten Zeit so viel reden, führen. Wir müssen zu gerechten Lösungen kommen. Bündnis 90/Die Grünen ist mit seinen Bemühungen auch noch nicht am Ende. ({4}) Wir werden vorschlagen, zu überprüfen, ob Verbesserungen für politisch Verfolgte, die in eine soziale Notlage geraten sind, möglich sind. Wir sind bereit, darüber nachzudenken, und werden die Bundesregierung drängen, genaue Berichte dazu vorzulegen, wie politisch Verfolgte im Rentensystem der Bundesrepublik heute behandelt werden. Es muss geprüft werden, ob in diesem Bereich Verbesserungen vorgenommen werden können und ob die Haft- bzw. Nachhaftzeiten mehr als in der Vergangenheit angerechnet werden müssen. Zusätzlich zu den Leistungen, die diese Bundesregierung auf den Weg gebracht hat, wollen wir, dass weitere soziale Leistungen erbracht werden. Wir sind uns darin einig, dass man die Wiedergutmachung der Leiden niemals mit Geld erreichen kann. Man kann auch jahrzehntelange Gefängnisaufenthalte nicht wiedergutmachen und kann die dem Betroffenen und seiner Familie entstandenen Schäden nicht mit Geld aufwiegen. Man kann aber dazu beitragen, dass diese Menschen heute ein einigermaßen sozial gesichertes Leben führen können. Wir sind bereit, weiter über Verbesserungsvorschläge nachzudenken, sie zu beraten und möglicherweise in Zukunft auch umzusetzen. ({5})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Nächster Redner ist für die F.D.P.-Fraktion der Kollege Jürgen Türk.

Jürgen Türk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002348, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollege Ströbele, es reicht nicht aus, immer wieder damit zu argumentieren, dass die Vorgängerregierung es nicht gemacht habe und die jetzige Regierung es deshalb ebenfalls nicht machen müsse. ({0}) Das ist wirklich billige Polemik. ({1}) Im November 1999 hat die F.D.P. - natürlich viel zu spät - einen Entschließungsantrag zum Entwurf eines Zweiten Rehabilitierungsgesetzes der Bundesregierung in den Bundestag eingebracht. ({2}) Wir haben aus vollster Überzeugung eine Opferpension gefordert. Da wir eben nicht beratungsresistent sind, fordern wir, dass in diesem Bereich noch etwas passieren muss. Man kann das Leid zwar nicht ganz mit Geld aufwiegen, man muss aber zum Ausdruck bringen, dass hier etwas wiedergutzumachen ist. ({3}) Gemäß dem alten Spiel „Wenn die Opposition einen Vorschlag unterbreitet, wird dieser generell abgelehnt“ ist auch dieser Entschließungsantrag leider abgelehnt worden. Jetzt aber haben wir die Gelegenheit, ein Stück weit mehr Gerechtigkeit für die Betroffenen herzustellen, gerade im Vergleich zum AAÜG - das kann zwar niemand aussprechen, aber es muss in dem Zusammenhang beachtet werden -, ({4}) gemäß dem die Täter teilweise mehr Geld bekommen sollen. Das muss man ganz einfach in Bezug setzen und auch den Opfern mehr Geld geben. Sie sagen ja immer wieder gebetsmühlenartig, dass Sie dies nicht regeln müssen, weil wir es auch nicht geregelt hätten. Das ist wirklich kein Argument. ({5}) Es ist richtig, dass man in dieser Sache mehr hätte machen müssen; das bestreiten wir gar nicht. Aber jetzt ist die Gelegenheit da! ({6}) Um einmal Ihre alten Sprüche aufzuwärmen: Sie haben gesagt, Sie wollten alles besser machen. Machen Sie es doch jetzt ganz einfach mit uns zusammen! ({7}) Lassen Sie uns mit der Opferrente den Mut der Menschen, die überdurchschnittlich viel Zivilcourage gezeigt haben - das waren ja nicht ganz so viele -, anerkennen. Wenn wir das gemeinsam hinbekommen, werden sich diese Menschen bei uns gemeinsam bedanken. ({8}) Es wird nun immer geklagt, es sei zu wenig Geld vorhanden. Als wenn unser Handeln nur vom Geld abhängig wäre! Ich glaube, es kommt auf den Willen an - siehe Kindergeld. ({9}) Ich will einen ganz praktischen Vorschlag machen. Wir stellen richtigerweise Mittel für die Nazi-Opfer bereit. Dieser Personenkreis nimmt natürlich immer mehr ab. Warum können wir nicht gemeinsam darüber nachdenken, wie wir diese Mittel schrittweise umschichten können, um damit auch in der DDR politisch Verfolgten zu entschädigen? ({10}) Ich sage es noch einmal: Wo ein politischer Wille ist - den kann ich allerdings bei Ihnen nicht erkennen -, ist auch ein Weg. ({11}) Da dieser Wille aber im Entwurf der CDU/CSU zu erkennen ist, bitte ich Sie, wie wir diesem Entwurf zuzustimmen und den PDS-Antrag nicht abzulehnen. Vielen Dank. ({12})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Zu einer Kurzintervention erteile ich jetzt dem Kollegen Werner Schulz das Wort.

Werner Schulz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002108, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Günter Nooke hat mich in Bezug auf die gestrige Debatte persönlich angesprochen. Er scheint diese Debatte noch nicht verdaut zu haben. ({0}) Ich will deutlich sagen: Es geht hier nicht um Erinnerungskultur. Während Christian Ströbele gesprochen hat, habe ich das Schlagwort „RAF-Rente“ gehört. ({1}) Hier geht es nicht um Erinnerungskultur, sondern es geht Ihnen darum, auf dem Rücken der Opfer eine parteipolitische Auseinandersetzung um ein diffuses, anachronistisches Links/Rechts-Verständnis auszutragen. ({2}) Um es ganz klar zu sagen: Ich lehne den von Ihnen eingebrachten Gesetzentwurf ab. Herr Klinkert, ich lehne aber nicht den Auftrag und die Verantwortung ab, dass wir uns für eine bessere materielle Entschädigung der Opfer politischer Verfolgung und für ihre bessere gesellschaftliche Anerkennung einsetzen müssen. Aber genau da liegt der wunde Punkt in Ihrem Antrag: Was haben Sie denn in der Zeit von 1990 bis 1998 getan? Wir sind es, die heute Reparaturarbeiten durchführen müssen. Das gilt auch für den nächsten Tagesordnungspunkt, die Stasi-Renten. ({3}) Günter Nooke hat öffentlich auf zynische Art und Weise den Zusammenhang hergestellt, dass wir die Täter belohnen würden, aber nichts für die Opfer täten. ({4}) Sie waren es, die das Rentenrecht als Strafrecht missbraucht haben. ({5}) Wir haben hier ein Defizit der Ära Kohl zu beseitigen. Es tut mir bitter weh, dass wir das tun müssen. Es gab beispielsweise für einen Fluchthelfer aus Westdeutschland 300 DM pro Monat Haftentschädigung, wenn er in Bautzen einsaß. Aber Willi Stoph, der ehemalige Ministerpräsident und Verteidigungsminister der DDR, bekam für seine Untersuchungshaft im vereinigten Deutschland eine Haftentschädigung von 600 DM pro Monat. Mit diesem Unrecht konnten Sie locker leben. Die neue Bundesregierung gesteht jedem Opfer diese 600 DM pro Monat Entschädigung zu, Herr Büttner. ({6}) Es gibt Nachzahlungen und verbesserte Entschädigungszahlungen. Wir haben das getan, wozu Sie nicht bereit waren. ({7}) Ihr Gesetzentwurf ist unglaubwürdig, ungerecht und unbezahlbar. Er ist im Grunde genommen unverschämt. ({8})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Zur Erwiderung, Herr Kollege Nooke, bitte. ({0})

Günter Nooke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003200, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lieber Kollege Werner Schulz, ich sage ganz deutlich, dass ich in puncto Zynismus nicht mit Ihnen in Konkurrenz treten will. Ich glaube auch nicht, dass ich das könnte. ({0}) - Wer hier was nicht verarbeitet hat, lassen wir einmal dahingestellt. Unsere Fraktion und ich persönlich haben ganz klar gesagt: Wir haben bis 1998 zu wenig für die Entschädigung der Opfer der SED-Diktatur getan. ({1}) - Daran gibt es jetzt überhaupt nichts zu kritisieren. Es muss doch möglich sein - Herr Türk hat es bereits gesagt -, aufgrund neuer Situationen wieder nachzudenken und zu neuen Schlussfolgerungen zu kommen. Wir haben nicht nur Schulden hinterlassen, sondern haben auch eine ganze Menge für die deutsche Einheit getan. Trotzdem kann man sich fragen, wo es noch offene Punkte gibt. Wir wurden durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts gezwungen, einer anderen Gruppe höhere Renten zu gewähren. Wenn wir diejenigen belohnen müssen, die gegen Freiheit und Demokratie waren, dann müssen wir uns schon fragen, ob wir nicht auch für diejenigen Geld haben, die Freiheit und Demokratie erkämpft haben. ({2}) - Kollege, zurzeit habe ich hier das Wort.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Nooke, bitte beenden Sie die Diskussion und fahren Sie mit Ihrer Kurzintervention fort.

Günter Nooke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003200, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich will auf die Links-rechts-Diskussion nicht eingehen. ({0}) - Ich habe meine Meinung dazu gesagt. - Auf das, was der Kollege Werner Schulz hier geäußert hat, möchte ich entgegnen: Wieso wird denn sonst nicht bei einer Diskussion über die Entschädigung von Opfern die Kassenlage bemüht, sondern nur Moralität ins Gespräch gebracht? Auch in Bezug auf die Opfer der zweiten Diktatur in Deutschland sollte es nicht - jedenfalls nicht in erster Linie - um die Kassenlage gehen, sondern um unseren politischen Willen. ({1}) Auf 5 Milliarden DM der deutschen Wirtschaft kann man ganz nebenbei verzichten. ({2})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte darum, dem Kollegen Nooke die Möglichkeit zu lassen, seine Kurzintervention zu beenden.

Günter Nooke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003200, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Als Letztes : Als wir diesen Gesetzentwurf im Sommer des vergangenen Jahres hier eingebracht haben, ging ich davon aus, dass wir es - der Kollege Ströbele hat es gesagt - mit keiner einfachen Gesetzgebungsmaterie zu tun haben; denn es gilt zu klären, wie hoch, wie gerecht und in welcher Form man die Entschädigung konzipiert. Ich habe gehofft, dass wir darüber einmal reden und vielleicht genau überprüfen, wie viel Geld uns zur Verfügung steht. Dass Sie sagen, eine Ehrenpension sei zu teuer und funktioniere nicht, dass Sie sie im Prinzip ablehnen und dass Sie sich weigern, mit uns in der Sache zu diskutieren, wird eine Langzeitwirkung haben. Wir sind mit diesem Thema heute nicht fertig. ({0}) - Je lauter Sie schreien, desto lauter wird das Echo von draußen sein. Danke. ({1})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Nächster Redner ist der Staatsminister Rolf Schwanitz.

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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will folgende Bemerkung vorausschicken. Ich habe davor Respekt, dass die Opfer von SED-Unrecht eine Ehrenpension wollen und dafür streiten. Diese Menschen mussten übrigens acht Jahre lang warten, bis sie 600 DM Kapitalentschädigung bekommen konnten. Dieses Geld haben sie erst nach dem Regierungswechsel erhalten. Bei diesen Menschen sind Bitterkeit und Verletzungen entstanden. Das ist ganz schwierig. Man muss den Betroffenen aber auch sagen, dass das Modell Ehrenpension nicht realisierbar ist, und zwar nicht nur, weil Sie die Zahlen schönrechnen. Sie wissen doch selbst, dass die Ehrenpension ein Element der Entschädigung ist, die es nur für NS-Opfer in den neuen Bundesländern, die dort schon zur DDR-Zeit gelebt haben, gibt. Dass das Recht auf den Bezug einer solchen Pension verlängert worden ist, hat weniger etwas damit zu tun, dass man die NS-Opfer in gleichem Maße entschädigen wollte, als vielmehr damit, dass die DDR vor allen Dingen in ihrem diplomatischen Verhältnis zu Israel Schindluder getrieben hatte. Man wollte die deutsche Einheit nicht herbeiführen und zuallererst das Recht auf den Bezug der Ehrenpension streichen. Das war das eigentliche Thema. Wenn man jetzt - das wissen Sie - alle SED- und SBZ-Opfer diesbezüglich mit den NS-Opfern gleichstellen wollte, dann hätte das weit über dieses Thema und weit über Deutschland hinaus auf alle NS-Opfer eine präjudizierende Wirkung. Darüber haben wir im Ausschuss intensiv gesprochen, auch wenn Sie das hier nicht mehr wahrhaben wollen. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Staatsminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Büttner?

Not found (Gast)

Nein. Ich habe ruhig und geduldig zugehört; jetzt hören Sie auch mir einmal zu. ({0}) Dass gerade Sie jetzt parlamentarisch für die Ehrenpension eintreten, das finde ich einfach unanständig. ({1}) Ich sage Ihnen, warum: Erstens. Sie haben die Emotionen durch Ihren Umgang mit diesem Verfassungsgerichtsurteil und mit dem Thema Stasirenten ganz bewusst angeheizt. ({2}) Ich habe alles gelesen, was in dieser Hinsicht geschrieben und von Ihnen entsprechend kommentiert worden ist: Superrenten würden da gemacht. Wir werden den Tagesordnungspunkt nachher diskutieren, ich will dem nicht vorgreifen. In der Regelung wird keinen Zentimeter über das hinausgegangen, ({3}) was das Verfassungsgericht dem Deutschen Bundestag als Pflichtenlage aufgetragen hat. Das haben wir uns nicht ausgesucht, sondern - Sie haben darauf hingewiesen, Herr Schulz auch noch einmal - das ist Ihr Recht gewesen. ({4}) Über das verfassungsrechtliche Risiko ist im Deutschen Bundestag intensiv diskutiert worden, damals übrigens mit anderen Anträgen von der Opposition. Tun Sie nicht so, als sei das alles überraschend gekommen. ({5}) Der zweite Punkt: Ich habe mir die Liste mit den Namen derer angesehen, die Ihren Antrag unterschrieben haben. Ein großer Teil derer, die sich auf die Unterschriftenliste gedrängt und den Antrag unterschrieben haben, hat in der namentlichen Abstimmung damals gegen die 600 DM Kapitalentschädigung gestimmt. ({6}) Sie, Herr Nooke, waren damals noch nicht im Deutschen Bundestag, aber ich erinnere mich daran, dass Sie als Volkskammerabgeordneter 1990 noch nicht einmal für den Einigungsvertrag stimmen konnten, in dem das Rehabilitierungsrecht enthalten war. Sie haben gar keinen moralischen Anspruch, heute so etwas politisch hier zu vertreten. ({7}) Wie Sie das als ostdeutscher Interessenvertreter hinkriegen, ohne für den Einigungsvertrag gestimmt zu haben, müssen Sie in Ihren eigenen Reihen irgendwann einmal klären, vielleicht auch vor dem Parlament. ({8}) Meine Damen und Herren, Sie wollen heute von Ihrem politischen Versagen in doppelter Art und Weise profitieren: einmal, weil sie den Opfern wichtige Verbesserungen der Leistungen vorenthalten haben, und zum Zweiten, weil Sie die Ursache für dieses Verfassungsgerichtsurteil gesetzt haben. Das finde ich perfide. Ich würde still sein, leise sein, ruhig sein und nicht versuchen, politisches Kapital daraus zu schlagen, was Sie hier tun. ({9}) Wir werden - das haben wir mit dem Verbesserungsgesetz 1999 auch erklärt - die offenen Fragen weiter angehen: die Auswertung der Überprüfung der Anerkennung gesundheitlicher Haftschäden, die Antragsfrage, die wir noch in diesem Jahr behandeln müssen, und auch die Empfehlung des Bundesrates, bei den verfolgten Schülern im Rentenrecht in die Prüfung einzutreten. Das haben wir zugesagt, und das werden wir auch tun. Im Herbst werden wir darüber reden. Aber hören Sie auf, solche Schaufensteranträge zu stellen. Das ist nichts anderes als die politische Instrumentalisierung der Wünsche und Hoffnungen der Opfer. ({10})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin Petra Pau für die PDSFraktion.

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es stimmt, 1999 hatten wir in der Debatte um das Zweite Gesetz zur Verbesserung der Rehabilitierung hier sehr große Einigkeit, was sich dann auch in den Abstimmungsergebnissen ausdrückte. Drei Fragen spielten aber auch damals schon eine Rolle, sowohl in der Anhörung als auch hier in der Debatte und in den Gesprächen und Treffen mit den Betroffenen einschließlich ihrer Verbände. Nachdem dieses Gesetz nun über ein Jahr gilt, zeigt die Praxis, dass diese Probleme nach wie vor auf der Tagesordnung stehen. Es geht um die Frage der Nachzahlung von Amts wegen. Offensichtlich ist die Hürde der Information und Antragstellung für die einzelnen Betroffenen nach wie vor zu hoch. Es geht um die verfolgten Schüler, welche - bis auf eine ganz kleine Gruppe - weiter von einer Entschädigung ausgeschlossen sind. Und es gibt in der Praxis nach wie vor erhebliche Probleme beim Nachweis und bei der Anerkennung von Gesundheitsschäden durch Haft oder Verfolgung. Ich finde, das Argument, welches uns in den Ausschussberatungen entgegen gehalten wurde, der Aufwand, sich diesen drei Themen zuzuwenden und insbesondere von Amts wegen tätig zu werden, sei zu hoch, ist kein Argument, wenn wir uns klar machen, dass es hier um konkrete Schicksale, um Menschen geht, die offensichtlich auch über das Gesetz und die Ansprüche hinaus Hilfestellung brauchen, um diese Ansprüche überhaupt geltend machen zu können. So weit zu dem Antrag der PDS. Ich habe eben vernommen, dass Sie sich dem Thema im Herbst zuwenden wollen. Es sollte Ihnen deshalb leicht fallen, diesem Antrag heute zuzustimmen; denn darin werden Sie nur aufgefordert, tätig zu werden. Wir haben ja nicht gesagt, wie das Gesetz aussehen soll. ({0}) Nun zum CDU/CSU-Entwurf. Kollege Nooke, ich gebe zu: Sie machen es mir sehr schwer, meine Empfehlung an meine Fraktion auf Zustimmung zu Ihrem Antrag aufrechtzuerhalten. Denn wer heute in der Debatte und im folgenden Schlagabtausch Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter und Verfolgte des Naziregimes gegen diejenigen stellt, die in der DDR Opfer geworden sind, - wie Sie es auch gerade mit Ihrem Zwischenruf wieder getan haben - zeigt mir, dass es ihm offensichtlich tatsächlich nicht um diejenigen geht, die betroffen sind, sondern dass er hier nur ein ideologisches Spiel betreibt. ({1}) Trotzdem ganz kurz noch zu diesem Antrag. Wir haben in Gesprächen mit den Verfolgten des Stalinismus deutlich gemacht, dass wir uns mit dem Begriff der Ehrenpension - nicht nur aufgrund der Gleichsetzung - nicht anfreunden können, dass wir aber dem Gedanken einer pauschalisierten Zahlung an die Betroffenen, der schon damals in den Anhörungen eine Rolle spielte, durchaus näher treten können, aus diesem Grunde unsere Vorbehalte gegen die Begründungen, die letztendlich nicht abgestimmt werden, zurückstellen und im Interesse der Menschen einem solchen Antrag zustimmen; denn es geht um ihr Schicksal und die Anerkennung nicht nur ihrer Lebensleistung, sondern vor allem dessen, was ihnen widerfahren ist. Danke schön. ({2})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Ich schließe die Aus- sprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Entwurf eines Dritten SED-Unrechtsbereinigungsgesetzes der Fraktion der CDU/CSU; es handelt sich um die Drucksache 14/3665. Der Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder empfiehlt auf Drucksache 14/6064, den Gesetz- entwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz- entwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung gegen die Stimmen von CDU/CSU-, F.D.P.- und PDS-Fraktion bei einer Enthal- tung bei Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die wei- tere Beratung. Wir kommen jetzt zur Beschlussempfehlung des Aus- schusses für Angelegenheiten der neuen Länder zu dem Antrag der Fraktion der PDS mit dem Titel „Erleichterte und erweiterte Rehabilitierung und Entschädigung für Opfer der politischen Verfolgung in der DDR“, Drucksa- che 14/6062. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/2928 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltung? - Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen der PDS-Fraktion bei Enthaltung von CDU/CSU- und F.D.P.- Fraktion sowie eine Enthaltung bei Bündnis 90/Die Grü- nen angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 18 a und 18 b auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes ({0}) - Drucksache 14/5640 ({1}) aa) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({2}) - Drucksache 14/6063 - Berichterstattung: Abgeordnete Erika Lotz bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({3}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 14/6073 - Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Konstanze Wegner Hans-Joachim Fuchtel Antje Hermenau Dr. Günter Rexrodt Dr. Christa Luft b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({4}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Claudia Nolte, Manfred Grund, Dr. Michael Luther, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Einheitliches Versorgungsrecht für die Eisenbahner herstellen - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Heidi Knake-Werner, Monika Balt, Heidemarie Lüth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS Regelung von Ansprüchen und Anwartschaften aus den Systemen der Altersversorgung der Deutschen Reichsbahn und der Deutschen Post der DDR - zu dem Antrag der Abgeordneten Monika Balt, Petra Bläss, Dr. Ruth Fuchs, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS Anerkennung von rentenrechtlichen Zeiten von Selbstständigen und deren mithelfenden Familienangehörigen in Land- und Forstwirtschaft und im Handwerk der DDR - zu dem Antrag der Abgeordneten Monika Balt, Petra Bläss, Dr. Ruth Fuchs, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS Anerkennung der Rentenversicherungszeiten von Blinden- und Sonderpflegegeldempfängerinnen und Sonderpflegegeldempfängern der DDR - Drucksachen 14/2522, 14/2729, 14/4038, 14/4041, 14/6063 Berichterstattung: Abgeordnete Erika Lotz Zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes liegen ein Änderungsantrag der Fraktion der F.D.P. und fünf Änderungsanträge der Fraktion der PDS vor. Weiterhin liegen vier Entschließungsanträge vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Erste Rednerin in dieser Debatte ist die Berichterstatterin Erika Lotz.

Erika Lotz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002726, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich muss hier nur eine Änderung vortragen. In der Beschlussempfehlung, Drucksache 14/6063, sind zwei kleine redaktionelle Berichtigungen vorzunehmen. Erstens. Auf Seite 8 muss es in der rechten Spalte rechtsförmlich korrekt heißen: „2. § 6 wird wie folgt geändert“. Zweitens. Auf Seite 16 fehlt bei Punkt 8 in der rechten Spalte das Wort „unverändert“. Nur so viel, damit die Beschlussempfehlung korrekt wird. Danke schön.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Ich danke Ihnen, Frau Kollegin. Wir beachten das bei der entsprechenden Abstimmung. Jetzt spricht die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung, Ulrike Mascher.

Ulrike Mascher (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001432

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Der zur Beratung anstehende Regierungsentwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes setzt die zwingenden Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes um. Das Gericht hat mit seinen Urteilen vom 28. April 1999 den Gesetzgeber beauftragt, verfassungswidrige Teile der Überleitung der Zusatz- und Sonderversorgungssysteme der ehemaligen DDR in das bundesdeutsche Rentenrecht dem Grundgesetz entsprechend zu ändern. Gleichzeitig hat das Gericht die Grundsatzentscheidung des Gesetzgebers bestätigt, die Ansprüche und Anwartschaften aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen in die gesetzliche Rentenversicherung zu überführen. Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und die konkretisierende Rechtsprechung des Bundessozialgerichts haben die notwendige Klärung herbeigeführt. Bei der Umsetzung der Vorgaben der Gerichte für eine verfassungskonforme Regelung der Überführung setzt der Gesetzgeber die zwingenden Vorgaben des Gerichts 1:1 verbindlich um. Die daraus resultierenden Korrekturen, für die vom Bund und von den neuen Ländern erhebliche finanzielle Leistungen erbracht werden müssen, haben für die betroffenen Menschen ganz erhebliche Auswirkungen. Im Einzelnen regelt der Gesetzentwurf Folgendes: Der Vertrauensschutz für rentennahe Jahrgänge wird auf den Zeitraum bis zum 30. Juni 1995 ausgedehnt. Die in verfassungskonformer Auslegung geforderte Dynamisierung des besitzgeschützten Zahlbetrages wird entsprechend der Auslegung des Bundessozialgerichtes mit den Anpassungswerten der alten Bundesländer durchgeführt. Die Zahlbetragsbegrenzung wird für die nicht systemnahen Zusatzversorgungssysteme aufgehoben; im Übrigen bleibt die Zahlbetragsbegrenzung 2 010 DM für Sonderversorgungs- und systemnahe Zusatzversorgungssysteme bestehen. Die Zahlbetragsbegrenzung für das Versorgungssystem des Ministeriums für Staatssicherheit bzw. des Amtes für Nationale Sicherheit wird verfassungskonform festgelegt. Sie orientiert sich an den Bestimmungen des Volkskammergesetzes über die Aufhebung der Versorgungsordnung des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit. Die Entgeltbegrenzung für die Bemessungsgrundlage zur Rentenberechnung für Angehörige des Versorgungssystems des Ministeriums für Staatssicherheit wird von 70 Prozent auf 100 Prozent des Durchschnittsentgelts angehoben. Entsprechend den Vorgaben des Bundessozialgerichtes wird die Neuberechnung von Bestandsrenten zum Zeitpunkt der Rentenüberleitung im Wege der Vergleichsberechnung vorgenommen. Bestandteil des Änderungsgesetzes sind darüber hinaus Regelungen zu den Beschäftigungszeiten bei der Deutschen Reichsbahn und bei der Deutschen Post. Sie berücksichtigen die Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 10. November 1998 über die Anrechnung des Arbeitsverdienstes oberhalb von 600 Mark für Beschäftigungszeiten bei der Deutschen Reichsbahn und der Deutschen Post. Dabei wird klargestellt, dass auch für Beschäftigungszeiten bei der Deutschen Reichsbahn und bei der Deutschen Post bei der Rentenberechnung grundsätzlich nur der erzielte Arbeitsverdienst, für den tatsächlich Beiträge gezahlt worden sind, in die Ermittlung der Entgeltpunkte eingeht. Für Beschäftigungszeiten vom 1. März 1971 bis zum 31. Dezember 1973 soll das tatsächlich erzielte Arbeitsentgelt auch ohne Beachtung der Beitragszahlung zur Freiwilligen Zusatzrentenversicherung der ehemaligen DDR berücksichtigt werden. Für Versicherte, die am 31. Dezember 1973 bereits zehn Jahre bei der Deutschen Reichsbahn oder bei der Deutschen Post beschäftigt gewesen sind, soll für den Zeitraum vom 1. Januar 1974 bis zum 30. Juni 1990 ein Arbeitsverdienst bis zu 1 250 Mark monatlich ebenfalls ohne Beitragszahlung zur FZR berücksichtigungsfähig sein. Vizepräsidentin Petra Bläss Ich möchte es bei dieser Gelegenheit noch einmal ganz klar sagen: Die beabsichtigten Rechtsänderungen ergeben sich daraus, dass von 1956 bis 1973 für Post und Reichsbahn besondere betriebliche Alterssicherungssysteme bestanden haben, die ab dem 1. Januar 1974 bereits in die Sozialversicherung der ehemaligen DDR überführt worden sind. Wegen dieser betrieblichen Alterssicherung hatten Beschäftigte mit langjähriger Betriebszugehörigkeit von März 1971 bis Dezember 1973 keine Veranlassung, der FZR beizutreten. Denn eine Beitragszahlung zur FZR hätte nicht zu höheren Rentenanwartschaften geführt, als sie bereits die zusätzliche Alterssicherung einräumte. Für andere wären solche Beitragszahlungen zur FZR wegen des Versorgungsanspruches nach den ab 1. Januar 1974 bei der Überleitung der Ansprüche und Anwartschaften in die allgemeine Sozialversicherung geltenden Vorschriften nicht wirtschaftlich gewesen. Die Verbesserungen bei der rentenrechtlichen Bewertung der Beschäftigungszeiten bei der Deutschen Reichsbahn und bei der Deutschen Post sollen deshalb für einen großzügig bemessenen Zeitraum, nämlich bis 30. Juni 1990, gelten. Allerdings wollen wir nicht die Regelungen der bereits 1974 geschlossenen betrieblichen Altersvorsorgesysteme der Deutschen Reichsbahn und der Deutschen Post uneingeschränkt in das Rentenrecht des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch übertragen. Denn bei der beabsichtigten Neuregelung ist nicht nur die Grundentscheidung der Rentenüberleitung zu beachten, nämlich nur die Arbeitsverdienste rentenwirksam zu machen, für die tatsächlich Beiträge gezahlt worden sind. Auch zu berücksichtigen sind die sozialversicherungsrechtlichen Bedingungen anderer Beschäftigtengruppen in der ehemaligen DDR, die eine höhere Alterssicherung ausschließlich über eine Beitragszahlung an die FZR erlangen konnten. Dies trifft zum Beispiel für Personen zu, die zum Zeitpunkt der Überleitung der Versorgungsregelungen in die allgemeine Sozialversicherung Berufsanfänger waren und demzufolge noch nicht zehn zusammenhängende Beschäftigungsjahre vorweisen konnten. Der Gesetzentwurf hat sich im parlamentarischen Verfahren bzw. in den Erörterungen in den zuständigen Ausschüssen als sachgerecht erwiesen. Die von verschiedenen Seiten erhobenen Forderungen würden demgegenüber nicht nur erhebliche weitere Kosten auslösen. Sie würden auch den von der Rechtsprechung vorgegebenen rechtlichen Rahmen sprengen und darüber hinaus im Widerspruch zu den im Einigungsvertrag getroffenen Regelungen stehen. Ich spreche hier zum Beispiel von der Forderung, die Vertrauensschutzregelung über den 30. Juni 1995 hinaus zu verlängern. Wer eine Erweiterung des Bestandsschutzes über den 30. Juni 1995 hinaus fordert, widerspricht damit den im Einigungsvertrag festgelegten Regelungen und verlässt den Grundsatz einer 1:1-Umsetzung des Bundesverfassungsgerichtsurteils. ({0}) Dann zur Forderung, den bestandsgeschützten Zahlbetrag gemäß dem Rentenwert Ost anzupassen: Auch diese steht im Widerspruch zur höchstrichterlichen Rechtsprechung. Das Bundesverfassungsgericht hat festgelegt, dass der bestandsgeschützte Zahlbetrag zu dynamisieren ist, und hat es dem höchsten deutschen Fachgericht, dem Bundessozialgericht, überlassen, festzulegen, mit welchem Betrag zu dynamisieren ist. Das Bundessozialgericht hat, diesen Vorgaben folgend, in seiner Entscheidung vom 3. August 1999 festgelegt, dass die Dynamisierung dieses Vertrauensschutzbetrages mit dem aktuellen Rentenwert, also mit dem Westwert, zu dynamisieren ist. Denn Grundlage für die Anpassung mit dem Rentenwert Ost sind Renten, denen ihrerseits Entgeltpunkte Ost zugrunde liegen. Bei dem bestandsgeschützten Zahlbetrag handelt es sich dagegen um einen Zahlbetrag, der sich gerade nicht auf die jeweiligen Entgelte des Versicherten während seines gesamten Versicherungslebens bezieht, sondern der vielmehr auf das letzte Gehalt abstellt. Das Bundesverfassungsgericht hat betont, dass sich der Mehraufwand, der durch die Dynamisierung des bestandsgeschützten Betrages ergibt, laufend durch die Anpassung der neu berechneten SGB-VI-Rente vermindert. Diese vom Bundesverfassungsgericht beschriebene Folge wäre aber ausgeschlossen, wenn eine Dynamisierung der SGB-VIRente und auch des bestandsgeschützten Betrages mit den gleichen Werten erfolgen würde. Auf all dies hat das Bundessozialgericht hingewiesen. Daran hat sich auch der Gesetzgeber zu halten. Nun zur Forderung, auch Nachzahlungen für die Zeit vor dem 1. Mai 1999 in den Fällen vorzunehmen, in denen ein Überführungsbescheid oder Rentenbescheid bereits bestandskräftig geworden ist: Der Gesetzgeber war aufgrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes von Verfassung wegen nicht verpflichtet, die Wirkung der vorliegenden Entscheidungen auf bereits bestandskräftige Bescheide zu erstrecken. Dies entspricht allgemeinen verwaltungsrechtlichen Grundsätzen und ist sowohl im Steuerrecht als auch im Sozialrecht üblich. Wir haben das im Gesetz noch einmal klargestellt. Auch wenn das Argument für den einzelnen Betroffenen nicht einsichtig sein mag: Würde man - entgegen der dem Gesetzgeber vom Bundesverfassungsgericht eingeräumten Möglichkeit - Nachzahlungen nicht auf die Personen beschränken, die Rechtsmittel gegen die Bescheide von Rentenversicherungsträgern und Versorgungsträgern eingelegt haben, würden sich die Kosten für Nachzahlungen rund verfünffachen auf ein Ausgabevolumen von rund 3,25 Milliarden DM. Dies hält der Gesetzgeber angesichts der aktuellen Notwendigkeit zur Stabilisierung der finanziellen Grundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung aber für nicht tragbar. Der Gesetzentwurf hält sich an die höchstrichterlichen Vorgaben: die des Bundesverfassungsgerichts und die des Bundessozialgerichts. Er beachtet sie und setzt sie verfassungsgemäß um. Deshalb bitte ich Sie, unserem Entwurf zuzustimmen. Danke. ({1})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die CDU/CSUFraktion spricht jetzt die Kollegin Claudia Nolte.

Claudia Nolte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001621, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Schon beim vorhergehenden Tagesordnungspunkt haben wir gespürt, dass diese beiden Themen sehr eng zusammengehören. ({0}) - Doch, das eine hat sehr wohl mit dem anderen zu tun. Dieses unaussprechliche Gesetz, das AAÜG, behandelt rentenrechtliche Fragen der Überführung von DDR-Recht auf heute bundesdeutsches Recht. Aber es enthält natürlich Teile, die uns - das sage ich zumindest für mich - aus den neuen Ländern sehr wohl berühren. Ich hatte auch den Eindruck, dass es Ihnen zum Teil genauso ging, als die Urteile des Bundesverfassungsgerichts und des Bundessozialgerichts verkündet worden sind. Mich hat die Schärfe in dieser Auseinandersetzung schon sehr überrascht. Es kann - positiv unterstellt - eigentlich nur daran liegen, dass Sie uns, wenn es nach Ihrem Herzen ginge, eigentlich gern folgen würden, es aber aus fiskalischen Gründen nicht dürfen. ({1}) Ich kann mir wirklich nicht vorstellen - das haben die Redner Ihrer Partei in meinen Augen auch nicht plausibel machen können -, dass es sachliche Gründe dagegen gibt, mehr für die Opfer des alten Systems zu tun, vor allem wenn wir beauflagt werden, etwas zu tun, was nicht unbedingt unserer Überzeugung entspricht, nämlich Rentensteigerungen für ehemalige Mitarbeiter des MfS durchzusetzen, ohne auf der anderen Seite etwas für Opfer zu tun, die genau unter diesen Leuten gelitten haben. Das passt nicht zusammen, ist nicht zu verstehen und auch nicht nach außen hin zu vertreten. ({2}) Ich finde es unerträglich und nicht akzeptabel, dass Sie uns hier unterstellen, die Opfer zu instrumentalisieren. ({3}) Nur weil wir uns intensiv mit ihnen zusammensetzen, mit ihnen sprechen und deren Belange verstehen und ihnen entgegenkommen wollen, ({4}) können Sie uns diese Instrumentalisierung nicht unterstellen. Auch Sie wissen, dass bestimmte Dinge Anfang der 90er-Jahre nicht so leistbar waren, wie wir sie leisten wollten. Die Abgeordneten meiner Fraktion aus den neuen Ländern haben auch damals dafür gefochten, dass wir eine Haftentschädigung in Höhe von 600 DM statt 300 DM bekommen. Auch wir unterlagen diesen fiskalischen Zwängen. Deswegen haben wir auch Verständnis für die Zwänge auf Ihrer Seite. Aber dann sagen Sie dies ehrlich und tun Sie nicht so, als ob wir in der Sache auseinander wären. Meines Erachtens gibt es keinen Grund für Differenzen in der Sache. ({5}) Ich halte es auch für fatal, wenn sich hier die demokratischen Parteien Kampfbegriffe der PDS zu Eigen machen. Dazu gehört unter anderem der Begriff „Rentenstrafrecht“. Ich weiß nicht, wer von Ihnen mit in der Volkskammer war. Aber ich glaube, damals gab es aus tiefer Überzeugung einen sehr großen Konsens unter uns Abgeordneten der deutschen Volkskammer darüber, durch unsere Gesetzgebung wenigstens ein Stück weit Dinge zurechtzurücken, Ungerechtigkeiten abzumildern. Dazu gehörten auch die Pensions- und Rentenansprüche von bestimmten Berufsgruppen der ehemaligen DDR. Jetzt kann man zu Recht sagen, dass wir vielleicht mit zu viel Überschwang gehandelt und vielleicht an einigen Stellen überzogen haben. Im Bundestag haben wir in der Tat noch einmal eine Verschärfung gegenüber dem Volkskammerrecht vorgenommen. Aber jetzt haben wir durch das Bundesverfassungsgericht sogar ausdrücklich bestätigt bekommen, dass die Entgeltbegrenzung auf 100 Prozent in Ordnung ist. Also lassen Sie uns an dieser Stelle nicht von Rentenstrafrecht sprechen, sondern von einer Schaffung eines stückweiten Ausgleichs für in einem Unrechtssystem geschehene Dinge, welche sich nach so langer Zeit in der Tat nur schwer beseitigen lassen. Ungerechtigkeiten bleiben bestehen. Ich denke, wir werden in unseren Sprechstunden die gleichen Überraschungen erleben wie schon zu Zeiten der Volkskammer. Dort wird nämlich gefragt werden: Kann es denn wirklich sein, dass die Leute vom MfS jetzt mehr Geld bekommen? Was wird für uns getan? - In Ihre Sprechstunden kommen doch auch diese Menschen. Mir fällt es schwer, zu begründen, warum wir hier etwas tun, auf der anderen Seite aber nichts, obwohl Anträge vorliegen. ({6}) Unser Fraktionsvorsitzender, Herr Friedrich Merz, hat den Bundeskanzler rechtzeitig angeschrieben mit der Bitte, über diese Frage zu sprechen. Dies ist auch in der Sache vernünftig, wenn wir einen Konsens zum AAÜG herstellen wollen. Sie waren aber nicht einmal bereit, über die so genannte Bonzenklausel zu sprechen, also über die Überlegung, diejenigen, die gegen die Grundsätze der Menschlichkeit verstoßen haben, von der Aufhebung der Rentenbegrenzung auszuschließen. Wenn so wenig Gesprächsbereitschaft besteht, dann können wir Ihnen die Hand nicht reichen. Das habe ich für unsere Fraktion schon in der Rede zur Einbringung dieses Gesetzentwurfes sehr deutlich gesagt. Dieser Gesetzentwurf behandelt aber noch einige andere Fragen. Ich muss Ihnen sagen, sehr geehrte Frau Staatssekretärin, dass ich mit Ihnen in einigen Punkten nicht übereinstimme. Sie sagen, dass Sie sich hier streng an Urteilen orientieren und versuchen, keine Ungleichheiten zu schaffen. Es gibt aber sehr wohl Punkte, wo man hätte anders entscheiden können; darüber haben wir bereits im Ausschuss diskutiert. Hier geht es insbesondere um die Überführung der Zusatz- und Sonderversorgungssysteme in die Rentenversicherung. Das Bundesverfassungsgericht hat uns aufgetragen, bei diesen Renten eine Dynamisierung vorzunehmen. Dies ist derzeit nicht der Fall; denn als die Zusatz- und Sonderversorgungssysteme in die gesetzliche Rentenversicherung übernommen wurden, hat man garantierte Zahlbeträge festgelegt. Wir hatten damals durchaus eine Begründung dafür, die wir für rechtens hielten: Da diese Renten nicht beitragsbezogen sind, gibt es keinen Grund, sie wie eine normale Rente zu dynamisieren. Das Bundesverfassungsgericht sagt hierzu eindeutig etwas anderes; in diesem Punkt mussten wir uns belehren lassen. ({7}) Das Bundesverfassungsgericht kam zu der Auffassung, dass die Entscheidung, alle Zusatz- und Sonderversorgungssysteme in die gesetzliche Rentenversicherung zu überführen, nur dann mit der Verfassung in Übereinstimmung gebracht werden kann, wenn die Besonderheiten dieses Systems berücksichtigt werden. Zu diesen Besonderheiten gehört natürlich, dass aufgrund der individuellen Erwerbsbiografien und der Stellung im Berufsleben unterschiedliche Ansprüche erwachsen sind. Dieser Unterschied im Niveau darf laut Bundesverfassungsgericht durch die Überführung in die gesetzliche Rentenversicherung nicht nivelliert werden. Er wird aber nivelliert, wenn man einen fixen Betrag festsetzt. Ergo muss dynamisiert werden. Diese Nivellierung findet aber auch dann statt, wenn ein im Vergleich zu anderen Renten deutlich geringerer Dynamisierungsfaktor gewählt wird. Wenn man also das Urteil des Bundesverfassungsgerichts umsetzen will, entspricht es doch der Logik, den gleichen Faktor für die Dynamisierung zu verwenden, wie er auch für die anderen Renten gilt, also den Rentenwertfaktor Ost. Nun stützt sich die Bundesregierung auf ein Urteil des Bundessozialgerichts. Sie wissen aber genauso gut wie wir, dass dieses Urteil durchaus juristisch umstritten ist. Als Gesetzgeber haben wir aber die Freiheit zu sagen: ({8}) Wir möchten das umsetzen, was unserer Meinung nach dem Sinn des Urteils des Bundesverfassungsgerichts entspricht. Es gibt noch andere Punkte, zum Beispiel die Berechnung nach dem 20-Jahres-Zeitraum - darüber haben wir im Ausschuss bereits ausführlich gesprochen - und die Frage der besonderen Steigerungssätze für andere Berufsgruppen, zum Beispiel für die Beschäftigten im Gesundheitswesen. Ich möchte dazu nur sagen, dass wir auch hier eine andere Regelung vorgezogen hätten. Dies gilt auch für die Frage der Übergangszeiten. Es ist richtig, Frau Mascher, dass im Einigungsvertrag als Übergangsdatum Mitte 1995 festgelegt worden ist. Wir haben aber recht schnell festgestellt, dass dieser Zeitraum nicht ausreicht, und deshalb schon beim Renten-Überleitungsgesetz ein anderes Übergangsdatum gewählt, nämlich Ende 1996. Wenn man also schon von Gleichbehandlung spricht, wenn man die Zusatz- und Sonderversorgten den übrigen Rentnern gleichstellen will, dann bietet es sich doch an, den Vertrauensschutz in diesem Fall auf das gleiche Datum auszudehnen, also auf den 31. Dezember 1996. Die Tatsache, dass wir zu den Punkten, die ich angesprochen habe, keine eigenen Änderungsanträge eingebracht haben - es wird schnell nachgefragt: Warum bringt ihr keine eigenen Anträge ein? -, erklärt sich zum einen daraus, dass wir dieses Gesetz aus grundsätzlichen Erwägungen ablehnen. Daher macht es keinen Sinn, eigene Änderungsanträge einzubringen. Zum anderen muss man respektieren, dass die neuen Bundesländer höchstwahrscheinlich anders abstimmen werden, wobei sie dafür sicherlich ihre Gründe haben werden. Es ist mir wichtig, einen Punkt anzusprechen, der in diesem Gesetzentwurf in der Tat befriedigend geregelt worden ist. Das sind die Überführungen der Ansprüche der Reichsbahner und der Postler. Wir haben uns um dieses Thema sehr bemüht und - das weiß auch Frau Mascher - viele Gespräche geführt. ({9}) - Das ist in der Tat so. Sie können die betroffenen Gruppen selber fragen. Diese werden Ihnen dies guten Gewissens bestätigen können. Wir haben uns sehr darum bemüht, dass es mit diesem Gesetzentwurf zu einer befriedigenden Regelung kommt. Die betroffenen Gruppen bekommen sowohl den anderthalbprozentigen Steigerungssatz als auch die FZR zuerkannt. Auch das Problem der Anrechnungszeiten zwischen 1971 und 1973 wird geregelt. Was offen bleibt - das ist allerdings ein Punkt, der nicht im AAÜG geregelt werden kann; das wissen wir -, ist die betriebliche Versorgung. Ich finde, das Verkehrsministerium sollte noch einmal prüfen, inwieweit es nicht auch für die Reichsbahner äquivalent zu den Bundesbahnern die betriebliche Altersversorgung endlich einräumt und gewährleistet. ({10}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich fürchte - das ist deutlich geworden -, dass das Ziel dieses Gesetzentwurfs, Rechtsfrieden zu schaffen, verfehlt wird. Es wird zu neuen Klagen kommen. Vor dem Bundesverfassungsgericht, vor dem Bundessozialgericht und den Sozialgerichten der Länder werden neue Klagen eingereicht werden, sodass ich vermute, dass wir zu diesem Thema nicht die letzte Debatte hatten. Danke schön. ({11})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen spricht jetzt die Kollegin Ekin Deligöz.

Ekin Deligöz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003068, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Staatssekretärin Frau Mascher hat bereits alles Wesentliche zu diesem Gesetzentwurf ausgeführt, sodass ich zu ihren Ausführungen in der Sache nicht mehr viel zu ergänzen habe. Ich kann sie nur unterstützen und ihr zustimmen. Worum geht es in diesem Gesetz? Es geht darum, dass wir auf der Grundlage des Urteils des Bundesverfassungsgerichts bestimmte Festlegungen treffen, wobei wir uns streng an die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts halten und diese in Bezug auf die Anwartschaftenüberführungen umsetzen. Eines möchte ich noch ergänzen. Frau Nolte, bei Ihnen klang es so, als ob uns das Ganze überhaupt nichts kosten würde und wir das Gesetz ohne Probleme umsetzen könnten. Das stimmt nicht. Dieses Gesetz kostet uns etwas. Es führt beim Bund und bei den Ländern zu Mehrausgaben: für die Nachzahlung bis zum Jahr 1999 in Höhe von rund 690 Millionen DM und zu weiteren jährlichen Mehraufwendungen von rund 325 Millionen DM. Das ist die Summe, die uns das Ganze kostet. Sie können also nicht davon sprechen, dass wir in diesem Bereich finanzielle Kriterien zugrunde legen. Wir sollten diese ganze Debatte sehr nüchtern und sehr sachlich führen. ({0}) Wenn Sie schon eine Verbindung zwischen der vorherigen und der jetzigen Debatte herstellen, dann sollten Sie auch erwähnen - das ist untergegangen -, dass wir in diesem Rahmen bereits eine sehr intensive Debatte hatten, in der es um die Verbesserung von rehabilitationsrechtlichen Vorschriften für die Opfer von politisch Verfolgten der ehemaligen DDR gegangen ist. Ich möchte nur einiges von dem nennen, was wir schon erreicht haben, um manches von dem, was Sie gesagt haben, richtig zu stellen. Wir haben bereits eine einheitliche Erhöhung der Kapitalentschädigung auf 600 DM pro Haftmonat erreicht. Seit dem 1. Januar 2000 sind verbesserte Leistungen für Hinterbliebene in Kraft getreten. Wir haben Verbesserungen der Leistungen nach dem Häftlingsgesetz für Verschleppte aus den Gebieten jenseits von Oder und Neiße durchgesetzt. Die Antragsfristen hinsichtlich der Reha-Gesetze wurden verlängert. Die Anerkennung von haftbedingten Gesundheitsschäden wurde erleichtert. Wir haben also bisher eine ganze Menge gemacht. Wir setzen jetzt die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts um. In der Tat, wir stehen nicht dafür, in irgendeiner Form weitere Leistungsverbesserungen für Privilegierte aus der ehemaligen DDR zu verstetigen oder sie besser zu stellen. Wir haben in diesem Gesetz vielmehr die Verbesserungen vorgesehen, die sich aus diesem Urteil ergeben, die in diesem Urteil zwingend vorgegeben werden. Es geht uns nicht darum, irgendwelche Bonbons zu verteilen, sondern die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zu erfüllen. In diesem Sinne sollten wir dem Ganzen zustimmen. ({1})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Das Wort hat die Kollegin Dr. Irmgard Schwaetzer für die F.D.P.-Fraktion.

Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002120, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung hält sich mit ihrem Gesetzentwurf eng an die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes und des Bundessozialgerichtes, kann aber keineswegs den berechtigten Wünschen und Interessen der Betroffenen genügen. Der Wunsch, mit diesem Gesetz Rechtsfrieden herzustellen, ist die pure Illusion. ({0}) Die F.D.P. hat mit unterschiedlichen Gruppen von Anspruchsberechtigten gesprochen und kommt deshalb insgesamt zu einer Ablehnung dieses Gesetzentwurfes. Ich bedauere, dass sich die Mehrheit offensichtlich zu fein war, unser Gesprächsangebot für gemeinsame Lösungen anzunehmen. Dies ist in der üblichen Art der Arroganz der Mehrheit einfach durchgepeitscht worden. Ich glaube, im Interesse der Betroffenen wäre es besser gewesen, zumindest zu versuchen, zu gemeinsamen Lösungen zu kommen. ({1}) Lassen Sie mich kurz sechs Anmerkungen machen. Erstens. Die F.D.P. hat sich immer dagegen ausgesprochen, das Rentenrecht mit politischen Motiven zu verknüpfen. Deshalb akzeptieren wir, dass das Bundesverfassungsgericht nun die Versorgung der Bediensteten in staatsnahen Zusatz- oder Sonderversorgungssystemen auf etwa die Höhe angehoben hat, die die Volkskammer 1990 empfohlen hat. Für weitergehende Verbesserungen, wie in den Anträgen der PDS gefordert, sehen wir allerdings keine Notwendigkeit. Zweitens. Der vorliegende Gesetzentwurf führt zu einer Besserstellung der für die Beschäftigungszeiten bei der Deutschen Reichsbahn und der Deutschen Post berücksichtigungsfähigen Arbeitsverdienste, und zwar auch dann, wenn keine Beiträge zur Freiwilligen Zusatzrentenversicherung gezahlt worden sind. Wir begrüßen dies als eine notwendige Klarstellung, meinen aber, dass es durchaus wünschenswert wäre, für diesen Personenkreis zu Regelungen zu kommen, die ein wenig stärker an das anknüpfen, was für die Bediensteten der Deutschen Bundesbahn in bestimmten Bereichen gilt. Drittens. Ein Thema, das völlig unzureichend behandelt wurde, ist die Altersversorgung vieler Hochschuldozenten. Die F.D.P. ist der Auffassung, dass man sie anders bewerten muss als viele andere in den systemnahen Sonder- und Zusatzversorgungssystemen, einfach weil die Position der Professoren in der ehemaligen DDR nicht mit der in den Ministerien oder der Stasi zu vergleichen gewesen ist. ({2}) Deswegen hat die F.D.P. in einem Entschließungsantrag beantragt, dass, anders als im Gesetzentwurf vorgesehen, der so genannte Zahlbetrag rückwirkend vom 1. Januar 1992 an zu dynamisieren ist, also der Einkommensentwicklung angepasst wird. Wir legen außerdem Wert darauf, dass die Dynamisierung nicht mit den niedrigen Westwerten, sondern mit den höheren Ostwerten für diesen Personenkreis vollzogen wird. Frau Mascher, es ist zwar richtig, dass das Bundessozialgericht zugelassen hat, dass die niedrigere Westanpassung zugrunde gelegt wird, aber es hat die höhere Ostanpassung natürlich nicht ausgeschlossen. Deswegen ist es gerechtfertigt, dies für den Personenkreis der Professoren anders zu machen als für andere. ({3}) Viertens. Eine Gruppe ist in diesem Gesetzentwurf überhaupt nicht berücksichtigt: der mittlere medizinische Dienst der DDR. Seine Mitarbeiter hatten ein vergleichsweise geringes Einkommen, obwohl sie sehr verantwortungsvolle Tätigkeiten mit erheblichen Belastungen ausgeübt haben. Häufig war es ihnen nicht einmal möglich, der damaligen Freiwilligen Zusatzrentenversicherung beizutreten. Gleichwohl wird im Renten-Überleitungsgesetz jedenfalls denjenigen, die erst nach dem 1. Januar 1997 in Rente gingen, der an sich für sie vorgesehene Steigerungssatz von 1,5 Punkten verweigert. Dazu sind noch einige Klagen beim Bundesverfassungsgericht anhängig. Dennoch möchte ich für uns heute schon sagen, dass diesem Missstand abgeholfen werden muss. Auch diejenigen, die nach 1997 in Rente gegangen sind, müssen den Steigerungssatz von 1,5 Punkten bekommen. ({4}) Fünftens. Die Berücksichtigung der kommunalen Wahlbeamten haben Sie bisher immer ausgeklammert. Ich frage mich, ob das für Sie ein Personenkreis ist, der Ihnen nur lästig ist. Es geht darum, dass die Demokraten der ersten Stunde nach dem Mai 1990 in beiden Systemen, in der gesetzlichen Rentenversicherung wie in der Beamtenversorgung, vielfach durch den Rost gefallen sind. ({5}) Das wollen wir mit unserem ausformulierten Gesetzentwurf korrigieren. Ich bedaure es, dass Sie im Ausschuss nicht einmal darüber diskutiert oder nachgefragt haben. Sie interessieren sich für diesen Personenkreis nicht. Wir werden diese Tatsache bei ostdeutschen Wahlen zur Sprache bringen. ({6})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Frau Kollegin Schwaetzer, ich muss Sie an Ihre Redezeit erinnern.

Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002120, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Zum Schluss sechstens: Wir halten es für nicht erträglich, dass Sie es abgelehnt haben, in eine Debatte über eine bessere Entschädigung der Opfer durch eine Ehrenrente oder eine stärkere Rentenanpassung als Ersatz und Ausgleich für verloren gegangene Lebenschancen einzutreten. Deswegen sehen wir hier eine Verknüpfung - wie es bereits gesagt worden ist - und wir bestehen darauf, dass diese Elemente zusammen verhandelt werden. Danke schön. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin Monika Balt für die PDSFraktion.

Monika Balt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003030, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Weil die PDS so beharrlich gestritten und gekämpft hat, verändern sich ab 1. Juli die Rentenansprüche für die ehemaligen Beschäftigten von Post und Bahn der DDR in positiver Weise. ({0}) Nach zehn Jahren deutscher Einheit erhalten Wissenschaftler, Ärzte, Ingenieure, Polizisten, Zöllner und viele andere immer noch nicht die ihnen zustehende Rente. Ihnen wird unterstellt, ihren Beruf in der DDR missbraucht zu haben, Täter zu sein und völlig überhöhte Gehälter kassiert zu haben. Seit zehn Jahren werden permanent Sozialrecht und Strafrecht vermischt, werden Renten willkürlich gekürzt und Beitragszahlungen einfach ignoriert. Nun gibt es aber 310 000 offene Ansprüche und 3,5 Millionen Anwartschaften aus den eingezahlten Beiträgen in die Zusatz- und Sonderversorgungssysteme der ehemaligen DDR. Ich frage Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition: Ist es nicht zutiefst inhuman, dem Einzelnen ohne Nachweis einer individuellen Schuld mit einer Rentenstrafe als Racheakt zu begegnen? Wieso wird bei der Rentenberechnung Ost die politische Biografie berücksichtigt, wo doch im anderen Teil der Bundesrepublik jeder ohne Ansehen seiner Person eine Rente entsprechend seinen Beitragsleistungen bekommt? Wie entsprechende Gutachten, die dem Bundesverfassungsgericht vorliegen, nachweisen, ist es keinesfalls so, dass aus Staats- und Systemnähe allein die Vermutung abgeleitet werden kann, diesen Personengruppen seien Löhne und Gehälter gezahlt worden, die nicht durch Leistung und Arbeit gerechtfertigt gewesen seien. Wollen Sie trotz dieser Erkenntnisse hinter den Urteilen des Bundesverfassungsgerichtes zurückbleiben? Der Gesetzentwurf beseitigt nicht das seit zehn Jahren bestehende Rentenstrafrecht. Die um eine gerechte Rente geprellten Ostdeutschen werden erneut klagen. Ich höre immer wieder die Argumente der Abgeordneten von SPD und Bündnis 90/Die Grünen: Was wollen die denn noch? Mehr geht eben nicht! Ich wiederhole: Sie wollen eine Rente für ihre Lebensarbeitsleistung,so wie sie für jeden Mann und jede Frau gewährt wird. ({1}) Was sagen Sie einem Facharzt und Prof. Dr. habil. der Militärmedizinischen Akademie? Ihm werden immer noch 13 seiner beitragspflichtigen Jahre auf 1,0 Entgeltpunkte gekürzt. Nach der Versorgungsordnung der NVA hätte seine Rente 3 010 DM betragen. Im Juli 1990 wurde sie auf 2 010 DM gekürzt. Er hätte jetzt Anspruch auf 3 600 DM, wenn eine Dynamisierung nach dem Rentenwert Ost erfolgt wäre. ({2}) Seine Rente nach dem SGB VI beträgt jetzt 2 270 DM; ohne Kürzung auf das Niveau eines Krankenpflegers über einen Zeitraum von 13 Jahren erhielte er wenigstens 2 750 DM. Sind das überhöhte Ansprüche eines hoch qualifizierten Arztes? Vielleicht verstehen Sie jetzt, warum die PDS fordert, dass die besitzgeschützten Zahlbeträge nach den aktuellen Rentenwerten Ost anzupassen sind und alle Entgeltkürzungen fallen müssen. Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, in einem können Sie ganz sicher sein - das wird Sie sicherlich nicht verwundern -: Die PDS wird sich auch weiterhin für die Beseitigung des Rentenstrafrechts einsetzen. Danke. ({3})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Ich schließe die Aus- sprache. Bevor wir zu den Abstimmungen kommen, teile ich mit, dass die Kollegin Sylvia Voß von der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen und der Kollege Hans- Joachim Hacker von der SPD-Fraktion schriftliche Erklärungen nach § 31 der Geschäftsordnung abgegeben haben.1) Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes, Drucksachen 14/5640 und 14/6063. Der Ausschuss für Arbeit und So- zialordnung empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussemp- fehlung, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung an- zunehmen. Dazu liegen ein Änderungsantrag der Fraktion der F.D.P. und fünf Änderungsanträge der Fraktion der PDS vor. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der F.D.P. auf Drucksache 14/6105? - Wer stimmt dage- gen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist gegen die Stimmen der Fraktionen von CDU/CSU, F.D.P. und PDS abgelehnt. Wir kommen nun zur Abstimmung über die Ände- rungsanträge der Fraktion der PDS. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksa- che 14/6087? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist gegen die Stimmen der PDS- Fraktion bei einer Enthaltung aus der SPD-Fraktion abge- lehnt. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/6088? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Auch dieser Änderungsantrag ist ge- gen die Stimmen der PDS-Fraktion bei einer Enthaltung aus der SPD-Fraktion abgelehnt. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/6089? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist gegen die Stim- men der PDS-Fraktion und eine Stimme aus der SPD- Fraktion abgelehnt. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/6090? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist gegen die Stimmen der PDS-Fraktion bei einer Enthaltung aus der SPD-Fraktion abgelehnt. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/6091? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist gegen die Stimmen der PDS-Fraktion bei einer Enthaltung aus der SPD-Fraktion abgelehnt. Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung mit der vorhin von der Berichterstatte- rin vorgetragenen Berichtigung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung gegen die Stimmen der Fraktionen von CDU/CSU, F.D.P. und PDS angenommen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist gegen die Stimmen der Fraktionen von CDU/CSU, F.D.P. und PDS bei einer Stimme aus der SPD-Fraktion angenommen. Wir kommen nun zur Abstimmung über die Ent- schließungsanträge. Wer stimmt für den Entschließungs- antrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksa- che 14/6106? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist gegen die Stimmen der Fraktionen von CDU/CSU und F.D.P. abgelehnt. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion der F.D.P. auf Drucksache 14/6086? - Wer stimmt dage- gen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist gegen die Stimmen der Fraktionen von CDU/CSU, F.D.P. und PDS abgelehnt. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion der F.D.P. auf Drucksache 14/6104? - Wer stimmt dage- gen? - Enthaltungen? - Auch dieser Entschließungsan- trag ist gegen die Stimmen der Fraktionen von CDU/CSU, F.D.P. und PDS abgelehnt. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/6092? - Wer stimmt dage- 1) Anlagen 2 und 3 gen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist ge- gen die Stimmen der PDS-Fraktion abgelehnt. Der Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- che 14/6063 die Ablehnung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel „Einheitliches Versorgungsrecht für die Eisenbahner herstellen“, Drucksache 14/2522. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegen- probe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen von CDU/CSU-, F.D.P.- und PDS- Fraktion angenommen. Unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der PDS zur „Regelung von Ansprüchen und Anwartschaften aus den Systemen der Altersversorgung der Deutschen Reichsbahn und der Deutschen Post der DDR“, Druck- sache 14/2729. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- lung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschluss- empfehlung ist gegen die Stimmen der PDS-Fraktion angenommen. Weiterhin unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der PDS zur „Anerkennung von rentenrechtli- chen Zeiten von Selbstständigen und deren mithelfenden Familienangehörigen in Land- und Forstwirtschaft und im Handwerk der DDR“, Drucksache 14/4038. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen der PDS-Fraktion bei Enthaltung der F.D.P.- Fraktion angenommen. Ebenfalls unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der PDS zur „Anerkennung der Rentenversicherungszei- ten von Blinden- und Sonderpflegegeldempfängerinnen und Sonderpflegegeldempfängern der DDR“, Druck- sache 14/4041. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- lung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschluss- empfehlung ist gegen die Stimmen der PDS-Fraktion bei Enthaltung der F.D.P.-Fraktion angenommen. Damit haben wir die Abstimmungen überstanden. Jetzt rufe ich die Tagesordnungspunkte 21 a und 21 b auf: a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({0}) zu der Ver- ordnung der Bundesregierung Zweite Verordnung zur Änderung der Verpackungsverordnung - Drucksachen 14/5941, 14/6019 Nr. 2.2, 14/6072 - Berichterstattung: Abgeordnete Ulrich Kelber Michaele Hustedt Eva Bulling-Schröter b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({1}) zu dem Antrag der Abgeordneten Birgit Homburger, Ulrike Flach, Horst Friedrich ({2}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P. Novellierung der Verpackungsverordnung und Flexibilisierung der Mehrwegquote - Drucksachen 14/3814, 14/5301 Berichterstattung: Abgeordnete Marion Caspers-Merk Winfried Hermann Eva Bulling-Schröter Zur Verordnung der Bundesregierung liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der F.D.P. vor, über den wir nachher abstimmen werden. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Debatte eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner für die SPDFraktion ist der Kollege Ulrich Kelber.

Ulrich Kelber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003450, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie uns heute gemeinsam an dieser Stelle etwas tun! Lassen Sie uns gemeinsam Schluss machen mit Dosen im Wald, am Strand, auf Berggipfeln und in den Parks! Verhindern wir gemeinsam angeschwemmte Plastikflaschen an den Ufern unserer Seen und Flüsse und akzeptieren wir nicht länger, dass unsere Landesstraßen, unsere Bundesstraßen und unsere Autobahnen aussehen, als ob dort ein Müllfahrzeug seine Ladung verloren hätte! ({0}) Wir können dies alles mit einer intelligenten Lösung tun, die die Vermüllung vermeidet, anstatt darauf zu setzen, den Müll nachträglich einzusammeln; einer intelligenten Lösung, die effizient mit Rohstoffen und Energieverbrauch umgeht; einer intelligenten Lösung, die kleine und mittlere Unternehmen schützt und fördert; einer intelligenten Lösung, die nach letzten Umfragen von fast drei Vierteln aller Bürgerinnen und Bürger unseres Landes unterstützt wird. Diese intelligente Lösung heißt Pfand auf ökologisch nachteilige Verpackung. Das Pfand ist gut gegen die Vermüllung unserer Landschaft. 25 Prozent dieses Mülls, der umherfliegt, der umherkullert, stammt schon heute von Getränkeverpackungen. Die Tendenz ist weiter steigend. ({1}) Freiwillige Vereinbarungen oder Abgaben, wie sie CDU und F.D.P. vorschweben, lösen dieses Problem leider nicht. ({2}) Vizepräsidentin Petra Bläss Ich nenne dafür ein Beispiel: In dem Angebot, das von Teilen der Wirtschaft gemacht wird - die Wirtschaft ist ja in dieser Frage in ihrer Auffassung sehr gespalten -, wurde vorgeschlagen, 250 Millionen DM für die nachträgliche Beseitigung des Einwegmülls in der Landschaft auszugeben. Damit man sich vorstellen kann, was das für eine Größenordnung wäre: Nur für die Reinigung des Umfelds der Container des Dualen Systems werden heute schon 125 Millionen DM ausgegeben. Wie sollte dann das Geld reichen, quer durch die Nationalparks, entlang den Flussläufen, quer durch die Parks und Innenstädte den gesamten Müll einzusammeln? Nachträgliches Einsammeln von Müll in der Landschaft ist ohnehin keine besonders schlaue Lösung. ({3}) Ich halte die Lösung, das Problem über Pfand in den Griff zu bekommen, für die einfachere: Niemand wird bepfandete Verpackungen in die Landschaft werfen. Oder werfen Sie ein Fünfzigpfennigstück oder ein Markstück einfach so ins Gras oder ins Wasser? ({4}) Worauf Politik immer auch achten muss, ist die Frage, wie eine Lösung akzeptiert wird, mit der man ein Problem angeht. Dazu ist Folgendes festzustellen: Die Akzeptanz für eine Pfandlösung ist in der Bevölkerung und auch in der Wirtschaft hoch. Je nach Umfrage stimmen 67 bis 74 Prozent der Verbraucher einer Pfandlösung zu, auch deswegen, weil sie wissen, dass sie das Pfand zurückbekommen. Auch die kleinen und mittleren Unternehmen unterstützen dieses System, weil sie wissen, dass der Wettbewerb bei Brauereien und Mineralwasserbrunnen, bei Abfüllern, beim Handel und in der Entsorgungsbranche gestärkt wird. Ich nenne zwei Zahlen, die gleichzeitig die hohe Akzeptanz zeigen und auch schon eine Aussage zur ökologischen Lenkungswirkung machen: 57 Prozent aller Käufer von Einwegverpackungen wollen, wenn es ein Pfand auf Einweg gibt, wieder verstärkt zu Mehrweg greifen, also den richtigen Weg beschreiten. Fast die Hälfte aller kleinen Läden will, wenn das Pfand auf Einweg kommt, Einweg aussortieren und nur 2,6 Prozent will mehr auf Einweg setzen. Auch das zeigt schon, wohin es geht: in Richtung einer ökologischen Lenkungswirkung. Wir haben über die Frage, ob das Pfand seine ökologische Lenkungswirkung, also eine Stabilisierung von Mehrweg, erreicht oder nicht, ja öffentlich Streit geführt. Dazu gibt es eine unparteiische Studie des Umweltbundesamtes, aus der ich zitiere: Bei Abwägung aller Faktoren erscheint ein positiver Lenkungseffekt wahrscheinlich, ein kontraproduktiver Effekt unwahrscheinlich. Zusätzlich werden durch ein Pfand Qualität und Menge der verwerteten Materialien erhöht und insbesondere die Landschaftsverschandelung durch herum liegende Flaschen und Dosen weitgehend beendet. Es gibt viele Studien, die zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Die Studie, für die die meisten Menschen befragt wurden und die nicht nur auf Annahmen gesetzt hat, die Sprenger-Studie, kommt zum selben Ergebnis wie das Umweltbundesamt. Auch das Beispiel Schweden, wo Pfand eingeführt wurde, hat zwei Dinge gezeigt: Erstens reagierte der Markt auf die Einführung des Pfandes und zweitens wurde der Anteil von Mehrweg nicht nur stabilisiert, sondern stieg sogar wieder. Die bequeme Ex-und-Hopp-Mentalität, die Einweg so prägt - ich kaufe etwas und bin danach nicht mehr verantwortlich; wenn es hoch kommt, werfe ich es noch in einen Müllkorb -, ist mit dem Pfand beendet. Es gibt einen weiteren Hinweis auf die ökologische Lenkungswirkung. Beobachten Sie die Diskussion genau: Alle, die kein Interesse daran haben, dass es Mehrweg gibt, weil sie zum Beispiel ihr Geld mit Einweg verdienen, sind gegen das Pfand. Diejenigen, die ein Interesse an Mehrweg haben, und die Umweltverbände sind für das Pfand. Das gibt mir persönlich ein sicheres Gefühl, dass wir mit dem Pfand den Anteil von Mehrweg stabilisieren und eher sogar steigern werden. ({5}) Teile der Wirtschaft haben im April noch einmal einen Alternativvorschlag vorgelegt. Damit ich diesen jetzt nicht selber bewerten muss, beziehe ich mich auf das „Handelsblatt“, eine eher wirtschaftsnahe Zeitung, die dieses Angebot am 19. April 2001 als „dürftig“ bezeichnet hat: ({6}) weil die Vermüllung nicht gelöst wird, weil Mehrweg nicht stabilisiert wird - im Gegenteil, es wird sogar versucht, den Mehrweganteil, der heute die vorgegebene Zielgröße nicht erreicht, noch einmal zu unterschreiten und weil für die Unterschreitung keine Sanktionen vorgesehen sind. Auch CDU/CSU und F.D.P. lassen in dieser Frage die Umweltpolitik wieder einmal im Stich. ({7}) Das ist umso weniger verständlich, als die Verpackungsverordnung doch von CDU/CSU und F.D.P. stammt. Sie wurde 1991 von CDU-Minister Töpfer vorgelegt und am 21. August 1998 von der CDU-Ministerin Merkel bekräftigt. Jetzt geben CDU/CSU und F.D.P. Mehrweg auf. ({8}) - Dann belege ich das mit einem Zitat: Herr Dr. Paziorek, umweltpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, hat am 10. Mai 2001 ({9}) eine eindeutige Erklärung abgegeben: Da Mehrweg-Getränkeverpackungen im Getränkemarkt fest etabliert sowie die Rücknahme und Verwertung von Einweg-Getränkeverpackungen sichergestellt sind, bedarf es keiner gesetzlichen Schutzmaßnahmen mehr. Das heißt, Sie wollen Mehrweg nicht mehr schützen. ({10}) Das ist ein eklatanter Vertrauensbruch. Frau Merkel hatte nämlich den Betreibern von mittelständischen Brauereien und Abfüllanlagen beim Erlass des Gesetzes ihr Wort gegeben. Diese haben im Vertrauen auf ihr Wort und auf das Gesetz Milliarden DM in Mehrweg investiert. Diese Unternehmen stellen bis zu 250 000 Arbeitsplätze, die durch Mehrweg in diesem Land gesichert werden. Die Inhaber dieser Arbeitsplätze werden jetzt im Stich gelassen, weil das Wort vom August 1998 nicht mehr gelten soll. Die großen Abfüller und die großen Brauereien würden ohne einen gesetzlichen Schutz von Mehrweg den Markt mit Einwegverpackungen überfluten. Die Kleinen könnten nicht gegenhalten, weil sie nicht das Geld dazu haben, um noch einmal in neue Anlagen zu investieren. Sie würden vom Markt verschwinden und es würde ein Monopol entstehen. Damit einher gingen höhere Preise. All das ist die Folge davon, dass Frau Merkel sich in dieser Frage wie bei anderen umweltpolitischen Fragen nicht mehr an das erinnern will, was sie einst als Umweltministerin versprochen hat. ({11}) CDU und F.D.P. versuchen den Eindruck zu erwecken, als würden SPD und Grüne jetzt zum ersten Mal in der Geschichte dieses Landes ein Zwangspfand einführen wollen. Dabei ist das Gegenteil richtig: Ohne unsere Novelle wäre immer noch altes CDU/CSU-F.D.P.-Recht in Kraft. Das würde bedeuten: Pfand auf Bier-, Wasser- und übrigens auch auf Weinflaschen, was ja keiner will, dafür kein Pfand auf Cola-Dosen. Es würde kein Verbraucher verstehen, warum er für das eine Pfand, für das andere aber kein Pfand bezahlen müsste. Der heute ebenfalls vorliegende F.D.P.-Vorschlag setzt auf eine Selbstverpflichtung. ({12}) Dabei ist schon 1991 die Verpackungsverordnung in Kraft gesetzt worden, weil die Versuche mit Selbstverpflichtungen und festen Vorgaben gescheitert sind. Selbst wenn bei Nichterfüllung Sanktionen angedroht werden, ist zu fragen: Wer in der Wirtschaft würde glauben, dass CDU und F.D.P. eine solche Sanktion durchsetzen würden? ({13}) Die Sanktionen, die Sie 1998 angedroht haben, trauen Sie sich ja heute auch nicht umzusetzen. Noch vor drei Jahren haben Sie angedroht, dass ein Pfand eingeführt wird, wenn die Wirtschaft sich nicht an die ökologischen Rahmenbedingungen hält. ({14}) Auch Sie, Herr Wittlich, waren ja als CDU-Parlamentarier bei der Sitzung des Umweltausschusses am Mittwoch dabei und sollten gehört haben, was Ihr Parteifreund, der Chef des Umweltbundesamtes, Herr Professor Dr. Troge, gesagt hat. Sie hätten einmal zuhören sollen, als er dort sagte: Wenn Politik glaubwürdig und ökologisch sein will, muss sie jetzt das Pfand umsetzen. ({15}) Die Novelle der Verpackungsverordnung, die von uns vorgeschlagen wurde, stellt eine intelligente Lösung dar, weil sie zum Beispiel auf die spezifische Situation der Weinbauern Rücksicht nimmt und die Weinflaschen vom Pfand ausnimmt. Die CDU wollte vor zwei Jahren noch das Gegenteil. Es ist intelligent, ein einheitliches Pfand zu erheben und nicht nach Getränkearten zu unterscheiden, wie es CDU und F.D.P. noch 1998 wollten. Es ist intelligent, zuerst auf die Vermeidung von Müll zu setzen, statt zuzulassen, dass Müll entsteht und weggeschmissen wird, und ihn dann erst aufzusammeln und zu verwerten. Es ist außerdem intelligent, zwischen ökologisch vorteilhaften und ökologisch nachteiligen Verpackungen zu unterscheiden, weil dadurch die Hersteller angespornt werden, ökologisch immer vorteilhaftere Verpackungen herzustellen. ({16}) Ich hoffe trotz all der Polemik, die insbesondere in den Zwischenrufen zum Ausdruck kam, auch auf Zustimmung aus den Reihen der Opposition. Der Bayerische Landtag hat ein gutes Beispiel gegeben, als er mit den Stimmen der CSU dafür stimmte - zu Recht: Es ist nämlich schöner, Bier aus dem Glas zu trinken als aus der Dose. ({17}) Schließlich haben sich auch alle bayerischen Brauereien für das Pfand ausgesprochen. Auch in den meisten Städten wurden mit den Stimmen von CDU oder CSU dementsprechende Beschlüsse gefasst. Die Gesellschaft muss aufhören, wider besseres Wissen Problemabfälle zum Beispiel durch Einwegverpackungen zu produzieren. Mehrweg stellt hier eine intelligente Lösung dar, um diese zu vermeiden. Deswegen brauchen wir jetzt das Pfand auf ökologisch nachteilige Getränkeverpackungen. Vielen Dank. ({18})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die CDU/CSUFraktion spricht jetzt der Kollege Werner Wittlich. ({0})

Werner Wittlich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003268, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Freiheit für Ihre Flasche! - Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Der Entwurf der Bundesregierung, der ein Zwangspfand für Getränkeflaschen vorsieht, wird von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion abgelehnt. ({0}) Dieser ist ökologisch falsch und in wirtschaftlicher Hinsicht nicht vertretbar. Die 1991 von der CDU/CSU und F.D.P. unter dem damaligen Umweltminister Töpfer erlassene Verpackungsverordnung war erfolgreich. Sie hat dazu geführt, dass in Deutschland mehr Verpackungen gesammelt und verwertet werden als in irgendeinem anderen Land der Welt. Das gilt gerade auch für Getränkeverpackungen. ({1}) Beispielsweise ist das Altglasrecycling für viele Bürger geradezu der Inbegriff gelebten Umweltschutzes geworden. Diese ökologische Erfolgsgeschichte will der Bundesumweltminister Trittin nun mit seinem Zwangspfand zerstören. ({2}) Die geltende Verpackungsverordnung hat auf dem Gebiet des Mehrwegschutzes die richtigen Signale gesetzt: 1991 wurden in Deutschland 19,4 Milliarden Liter Getränke in Mehrwegflaschen abgefüllt. 1998 waren es nach uns vorliegenden Informationen mehr als 22,5 Milliarden Liter. Das ist kein Rückgang, sondern eine Steigerung um 16 Prozent. ({3}) Ich verwahre mich dagegen, dass der Bundesumweltminister entgegen dieser Fakten den Mythos schaffen will, die Wirtschaft hätte in den zurückliegenden Jahren die Verpackungsverordnung sozusagen mit Füßen getreten und müsste deshalb bestraft werden. Das Gegenteil ist der Fall: In wohl keinem anderen Umweltbereich hat die Wirtschaft in den zurückliegenden Jahren mehr getan als bei der Verminderung und Verwertung von Verpackungsabfällen. ({4}) Damit die positive Entwicklung der zurückliegenden Jahre weitergeht, muss Mehrweg - Herr Kollege Kelber, ich sage ausdrücklich: Mehrweg - in zeitgemäßer Form geschützt werden. ({5}) Der technische Fortschritt und der Wandel der Lebensverhältnisse müssen berücksichtigt werden. Es gibt einen anhaltenden Trend zu Klein- und Singlehaushalten. Es gibt auch einen Trend zu neuen Getränkearten, beispielsweise zu Sport- und Gesundheitsgetränken. Zudem haben vom Umweltbundesamt anerkannte Ökobilanzen ergeben, dass recyclingfähige Einwegverpackungen genauso umweltfreundlich sein können wie Mehrweg. Deshalb will die CDU/CSU-Fraktion, dass die Wirtschaft künftig sicherstellen muss, dass mindestens 24 Milliarden Liter Getränke in ökologisch vorteilhaften Verpackungen abgefüllt werden. Das unterstützt auch die mittelständischen Kleinbrauereien. Zugleich streben wir an, dass der Anteil der erfassten und verwerteten Einwegverpackungen deutlich erhöht wird. Die Wirtschaft bekommt damit eine neue Messlatte, die Mehrwegschutz auf hohem Niveau mit Flexibilität verbindet. Diese anspruchsvolle Verpflichtung der Wirtschaft soll mit harten Sanktionsmechanismen verbunden werden, ({6}) falls die Ziele nicht erreicht werden. Es ist enttäuschend und verantwortungslos, dass die Mehrheit im Umweltausschuss unser Angebot abgelehnt hat, in dieser Frage zu einem Konsens zu kommen. ({7}) Stattdessen treibt der Bundesumweltminister sein Zwangspfand voran, ohne sich mit den eigentlichen Konsequenzen zu befassen. Es geht ihm augenscheinlich nicht mehr um den Schutz von Mehrweg, sondern schlicht um eine politische Machtdemonstration. ({8}) Was würde denn durch das Zwangspfand erreicht? Der Einzelhandel wäre gezwungen, Rücknahmeautomaten für leere Flaschen und Dosen aufzustellen. ({9}) Nach Berechnung von Roland Berger wird dies fast 3 Milliarden DM kosten, nach Schätzung der Bundesregierung immerhin noch fast 2 Milliarden DM. Dazu kommen jedes Jahr erhebliche Betriebskosten und wirtschaftliche Risiken. Mit diesem großen Aufwand wird nur erreicht - das muss man sich wirklich einmal vor Augen halten -, dass Verpackungen, die der Bürger bisher in Altglas-Iglus oder in die Wertstofftonne gegeben hat, in teuren Automaten erfasst werden müssen. Im Ergebnis wird der Einzelhandel gezwungen sein, das neue System so wirtschaftlich wie möglich zu gestalten. Darum schafft das Pfand einen ökonomischen Zwang, mehr Einweg zu verkaufen als bisher. Vor dieser Entwicklung haben besonders auch die Umweltverbände gewarnt. Eine Vielzahl wissenschaftlicher Untersuchungen ist zum gleichen Ergebnis gekommen. Auch in der Praxis hat sich bestätigt, dass das Zwangspfand dem Mehrweg überhaupt nicht hilft. In Schweden, wo es seit Jahren ein Zwangspfand gibt, ist der Mehrweganteil bei Bier nicht einmal mehr halb so hoch wie in Deutschland. Heute Morgen konnte man den Nachrichten entnehmen, dass es in Schweden wegen illegaler Einfuhr aus anderen Ländern bei Dosen einen Rücklauf von - man höre und staune - 120 Prozent gibt. Der Bundesumweltminister hat offenbar keinen einzigen neutralen Gutachter gefunden, der ihm eine positive Lenkungswirkung seines Zwangspfandes bescheinigt. ({10}) - Ich komme darauf zurück. Außer einem wenige Seiten langen Papier des Umweltbundesamtes, nach dem eine positive Wirkung des Zwangspfandes, Herr Kollege Kelber, nicht ausgeschlossen werden kann, hat er nichts, aber auch gar nichts vorzuweisen. ({11}) Damit ist die berechtigte Forderung der Länder nicht erfüllt, vor Erlass der Vorschrift nachzuweisen, dass sie der Umwelt tatsächlich nutzt. Das Gleiche gilt für die angebliche Landschaftsverschmutzung durch Getränkeverpackungen. ({12}) Eine repräsentative Untersuchung des TÜV hat ergeben, dass nur 6 Prozent der Verschmutzung der Innenstädte und der sonstigen öffentlichen Flächen durch Dosen oder Flaschen hervorgerufen werden. Laut TÜV würde das Zwangspfand kaum etwas dazu beitragen, Deutschlands Straßen und Plätze sauberer zu machen. All diese Gutachten können Sie gar nicht widerlegen. ({13}) Es steht fest, dass umfassende Maßnahmen - Verbraucherinformationen, mehr Sammelbehälter, Reinigung von Verschmutzungsschwerpunkten, konsequenter Vollzug des Ordnungsrechts - viel mehr bewirken würden. Dieses Vorgehen wird durch die Zusage der Wirtschaft erleichtert, die Kommunen um Kosten in Höhe von 250 Millionen DM zu entlasten, damit gegen die Landschaftsverschmutzung besser vorgegangen werden kann. Weil die Sachargumente ausgegangen sind, klammern sich SPD und Grüne an Meinungsumfragen, die von den Anhängern des Zwangspfandes in Auftrag gegeben wurden. Ähnliche Umfrageergebnisse gab es auch für die Ökosteuer, solange sich die Bürger über die Konsequenzen nicht im Klaren waren. Wenn die Verbraucher an einem Samstag zum ersten Mal vor den Zwangspfandautomaten Schlange stehen, dann wird die Stimmung umschlagen. Das Zwangspfand führt zu einer Verteuerung der Getränke, ({14}) weil die Milliardenkosten für das neue Rücknahmesystem gar nicht anders finanziert werden können. Zudem bürdet es den Verbrauchern erkennbar sinnlose Tätigkeiten auf. Das Zwangspfand wird in der Praxis genauso unbeliebt wie das Abkassieren des Autofahrers an der Zapfsäule sein. So bleibt dem Bundesumweltminister als letzte Zuflucht nur noch die Drohung, dass er die alte Verpackungsverordnung anwenden werde, wenn sein Zwangspfand scheitere. ({15}) Dazu sage ich: Nur zu, Herr Minister! Weder die Union noch die Länder werden sich dadurch einschüchtern lassen. Bei korrekter Anwendung des geltenden Rechts wird es in dieser Legislaturperiode nämlich kein Zwangspfand geben. ({16}) Das Verfahren wurde von Herrn Trittin in den ersten Monaten seiner Amtszeit eingeleitet, obwohl die prozentuale Mehrwegquote gar nicht eindeutig unterschritten war. ({17}) Vielmehr war der Messfehler der amtlichen Statistik größer als die angebliche Unterschreitung der Mehrwegquote. Der Vollzug wäre daher wohl rechtswidrig. Dagegen klagen bereits betroffene Unternehmen vor dem Verwaltungsgericht Berlin. Außerdem gibt es einen breiten politischen Konsens, dass Wein, Getränkekartons und Diätgetränke nicht bepfandet werden sollen. Zudem fehlt bisher jede fundierte Aussage darüber, ob nicht auch PET-Einwegflaschen das Prädikat der ökologischen Vorteilhaftigkeit erwerben werden. Eine Bewertung als „ökologisch vorteilhaft“ ist auch dann möglich, wenn eine solche Verpackung in der vom Dualen System zu erbringenden Rücklaufquote einer hochwertigen Verwertung zugeführt wird. Das zeigt das Beispiel der Kartonverbundverpackungen. Behauptungen aus dem Bundesumweltministerium, ein solches Ergebnis sei nur über hohe Rücklaufquoten im Rahmen einer Pfandregelung möglich, sind daher haltlos. Deswegen muss der Vollzug der geltenden Regelung ausgesetzt werden. In der nächsten Legislaturperiode werden wir dann aus einer anderen Position gerne daran mitwirken, die Verpackungsverordnung umfassend zu novellieren. Um seine Niederlage noch abzuwenden, schaltet der Bundesumweltminister jetzt sogar Anzeigen, in denen er für seinen Zwangspfand wirbt. Die Bundesregierung ist nicht berechtigt, mit dem Geld des Steuerzahlers Werbung zu bezahlen, um in einer laufenden Beratung die politische Opposition niederzuwalzen. Der Bundesumweltminister wird sein Ziel nicht erreichen, sondern Opposition und Länder nur noch weiter gegen sich aufbringen. Er wird nicht verhindern können, dass am Ende des Weges ein Kompromiss ohne Zwangspfand steht, der für Umwelt, Verbraucher und Wirtschaft die bessere Lösung ist. Vielen Dank. ({18})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, noch ein Nachtrag zu Tagesordnungspunkt 18: Bei den vielen Abstimmungen ist eine Zustimmung aus der SPD-Fraktion zum Entschließungsantrag der PDS im Gewühl untergegangen. Jetzt erteile ich das Wort dem Bundesumweltminister Jürgen Trittin.

Jürgen Trittin (Minister:in)

Politiker ID: 11003246

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! 9 Milliarden Liter Getränke werden jedes Jahr in Einwegverpackungen abgefüllt, davon - Tendenz: steigend - 3 Milliarden in Dosen. All die Beispiele, die Sie hier genannt haben, können überhaupt nicht erklären, warum man diese neuen Getränke in Dosen abfüllen muss. Es gibt viele andere Möglichkeiten. Damals hat Klaus Töpfer einen Mechanismus festgeschrieben, der besagt: Wenn die Quote der Mehrwegverpackungen von 72 Prozent unterschritten wird, tritt eine Sanktion in Kraft. Sie haben noch 1998 unter meiner Amtsvorgängerin dieses alles bestätigt und ausgebaut. Sie, Herr Kollege Wittlich, haben eine Rede gehalten gegen die Position von Frau Merkel und gegen die Position von Herrn Töpfer. ({0}) Wenn ich höre: „Wir brauchen eine Selbstverpflichtung“, sage ich: Das, was 1991 verabschiedet worden ist, war eine Selbstverpflichtung. - Der Staat hat nicht gesagt: „Macht das so oder so“, sondern der Staat hat gesagt: Ihr müsst die Quote halten. Wie ihr es erreicht, das ist eure Sache. - Jetzt sagen Sie: Wir müssen eine neue Messlatte anlegen. -Wissen Sie, wie Sie mir vorkommen? Wie ein Hochspringer, der dreimal gerissen hat und sagt: Dann hänge ich das Ganze 50 Zentimeter tiefer. Das ist das Gegenteil einer glaubwürdigen Umweltpolitik! ({1}) Ich hätte mich ja auch des Nichtstuns befleißigen können. ({2}) Wissen Sie, was dann käme? Dann käme jetzt das MerkelPfand. Das hieße, Bier und Mineralwasser würden bepfandet, Pepsi und Cola nicht, Weinflaschen hingegen doch. ({3}) - Das ist eine intelligente Lösung, Frau Homburger. Das glaube ich in der Tat. ({4}) Die Unternehmen, die in diesem Sektor tätig sind, brauchen Rechtssicherheit. Die Verpackungsverordnung ist vor zehn Jahren eingeführt worden. Im Vertrauen auf diese Regelungen haben deutsche Brauereien über 1 Milliarde DM in modernste Mehrwegsysteme investiert. Sie verdienen von unserer Seite, vonseiten des Bundestages, des Bundesrates und der Bundesregierung, für diese Investition einen Vertrauensschutz. ({5}) Wir haben lange über Alternativen zum Pfand verhandelt. Das wissen Sie. Aber eines ist auch wahr: Einige sagen, es gebe bessere Sanktionsmöglichkeiten. Bevor Sie die aber zitieren, sollten Sie zu Ende lesen. Die sagen nämlich: Pfand vielleicht nicht, stattdessen machen wir eine Abgabe oder gar eine Verpackungssteuer. Ich freue mich schon darauf, wenn die Landesregierung von Baden-Württemberg eine neue Verpackungssteuer einführen will, da in der gestrigen Umweltministerkonferenz deutlich geworden ist, dass als Erste die Hessen in dieser Frage Nein rufen. Halten wir also fest: Alternativen sind nach dreijährigen Verhandlungen entweder nicht mehrheitsfähig oder sie stellen nichts anderes dar als die Absenkung der alten Quote im Rahmen der Selbstverpflichtung. Sie haben keinerlei ökologische Lenkungswirkung. ({6}) Wir haben eine sehr präzise und überschaubare Zusammenfassung aller Erkenntnisse über die ökologische Lenkungswirkung in Form des Gutachtens des Umweltbundesamtes vorgelegt. Das ist präzise nachzulesen. Das Umweltbundesamt kommt zu einem eindeutigen Ergebnis, Herr Kelber hat das Gutachten zitiert. Aber wissen Sie, was mich viel mehr überzeugt als das Gutachten meines eigenen Umweltbundesamtes? Es ist die inzwischen sehr stark zunehmende Zahl von Schreiben derjenigen, die Einwegverpackungen herstellen. Wenn Ihre Behauptung stimmen würde, dass das Pfand dem Mehrweg nicht hilft, warum läuft dann die ganze Einwegindustrie dagegen Sturm? Die müssten doch Hurra schreien, da müssten doch die Champagnerkorken knallen, wenn das richtig wäre. ({7}) Die Stellungnahmen derjenigen, die davon unmittelbar betroffen sind, sind in der Tat völlig eindeutig. Bevor Sie noch einmal ein TÜV-Gutachten zur Vermüllung der Landschaft zitieren, Herr Kollege Wittlich, will ich Sie auf Folgendes hinweisen. Der TÜV hat untersucht, wie groß die Fläche ist, die inzwischen von Müll bedeckt ist, und hat herausgefunden, dass es 6 Prozent sind. Das finde ich schon ziemlich erschreckend. Aber er hat nicht gesagt, dass nur 6 Prozent des in der Landschaft herumliegenden Mülls Getränkeverpackungen sind. Nein, der Anteil der Getränkeverpackungen beträgt 20 Prozent, ein Fünftel des in der Landschaft herumliegenden Mülls. ({8}) Dann hat der TÜV noch einen Fehler gemacht. Er hat nämlich nur die Landschaft und nicht die Autobahnen und ihre Ausfahrten betrachtet; er hat also 11 000 Kilometer aus der Betrachtung herausgelassen. So solide sind Ihre Gutachter. Sie sollten das demnächst nachlesen, bevor Sie einfach einen Text vortragen, den Ihnen jemand anders aufgeschrieben hat. ({9}) Deswegen glaube ich: Für die Menschen in diesem Lande liegen die Argumente für das Dosenpfand im wörtlichen Sinne auf der Straße. Sie wollen sich mit der zunehmenden Vermüllung unserer Parks und der ganzen Landschaft nicht abfinden. Sie haben sehr wenig Verständnis für Vorschläge wie: „Wir haben ein Müllproblem, deshalb geben wir jetzt im Rahmen einer freiwilligen Selbstverpflichtung eine viertel Milliarde oder gar eine halbe Milliarde aus, um den ganzen Müll wieder einzusammeln“, wenn es eine Alternative gibt, dass dieser Müll gar nicht erst in die Landschaft kommt. Die Alternative ist das Pfand; denn es bleibt wahr: Niemand schmeißt ohne Grund Geld auf die Straße. ({10}) Ich will Sie nur noch an eines erinnern. Sie sollten das nicht unter dem Stichwort „machtpolitische Spielchen“ oder Ähnlichem abtun. Es hat 1991 eine Entschließung des Bundesrates zur Verpackungsverordnung gegeben. Damals hat man gesagt, das Ziel einer Mehrwegquote von 72 Prozent sei nicht ambitioniert genug; wir bräuchten ein ambitionierteres Ziel. Deshalb hat der Bundesrat die Bundesregierung in einer Entschließung aufgefordert, die Mehrwegquote nicht etwa zu halten, sondern sie zu dynamisieren. Nach dem Beschluss des Bundesrates, damals mit den Stimmen von CDU- und CSU-Ländern gefasst, müssten wir heute eine Mehrwegquote von 81 Prozent haben. ({11}) Wenn Sie das berücksichtigen, dann dürfte es Sie nicht wundern, dass das Ganze für einen parteipolitischen Streit überhaupt nicht taugt. Deswegen freue ich mich, dass der Bayerische Landtag in Kenntnis der Situation in Bayern so beschlossen hat, wie er beschlossen hat. Es ist nämlich auch in Bayern deutlich geworden: Es geht hier nicht nur um umweltgerechte Kreislaufwirtschaft, es geht auch und gerade darum, Zehntausende von Arbeitsplätzen in der mittelständischen Brauereiwirtschaft, in den mittelständischen Getränkefach- und -großhandlungen zu erhalten. Es geht, jenseits aller Umweltpolitik und aller wirtschaftspolitischen Auswirkungen, auch darum, das zu erhalten, was unsere Kultur sehr prägt, nämlich die Vielfalt kleiner Brauereien und der unterschiedlichen Traditionen in diesem Lande, Bier zu produzieren. Das soll nicht durch die Dose und durch Einweg platt gemacht werden. ({12})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Jetzt spricht die Kollegin Birgit Homburger für die F.D.P.-Fraktion. ({0})

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Thema, das uns heute hier beschäftigt, beschäftigt auch die Menschen im Land. Sie aber diskutieren das Thema hier in einer halben Stunde; es wird im Plenum durchgepeitscht. Das halte ich für absolut unangemessen. ({0}) Es ist bezeichnend für die Koalition: nur nicht viel Zeit für eine Sachdebatte, für Inhalte; sie könnte ja dazu genutzt werden, Ihre Argumente zu entkräften. ({1}) Deshalb gilt für Sie trotz vielfältiger Bedenken der Länder, der EU-Kommission, der Wirtschaft oder auch des BUND, der nicht in Verdacht steht, der F.D.P. nahe zu stehen: Sie wollen die Sache jetzt durchtrotzen, obwohl klar ist, dass das Zwangspfand ökologisch und ökonomisch unsinnig, ein Bärendienst für die Umwelt ist. ({2}) Aus diesem Grunde lehnt die F.D.P. die Novelle der Verpackungsverordnung ab. Uns ist ökologische Sachpolitik wichtiger als ideologische Prestigeobjekte zur Rettung der Grünen. ({3}) Die aktuellen Ökobilanzen des Umweltbundesamtes zeigen ohnehin, dass Mehrwegverpackungen nicht durchgängig als ökologisch vorteilhaft bezeichnet werden können. Vielmehr sind moderne Getränkekartons der Glasmehrwegflasche ökologisch gleichwertig. Das erkennt die von Ihnen vorgelegte Novelle ja nun auch durch die Einteilung in ökologisch vorteilhafte und ökologisch nachteilige Verpackungen an. Konsequenterweise müsste Herr Trittin jetzt aber auch zugeben, dass der Anteil ökologisch sinnvoller Verpackungen in den letzten Jahren eben nicht gesunken, sondern gestiegen ist. Wir sind jetzt bei einem Anteil von ungefähr 80 Prozent. ({4}) Aus ökologischer Sicht gibt es also überhaupt keinen Grund, ein Zwangspfand zu erheben. Das Ganze ist ein Schildbürgerstreich erster Klasse. ({5}) Herr Trittin, ich kann Ihnen nur sagen: Bei Ihnen siegt einmal mehr ideologische Verbohrtheit über ökologische Erkenntnis und intellektuelle Redlichkeit. ({6}) Hören Sie endlich auf zu sagen, wir wollten nichts mehr von dem wissen, was wir früher gemacht haben! Die alte Verpackungsverordnung und die Novelle von 1998 sind zu einer Zeit entstanden, als die neuen Erkenntnisse noch nicht vorlagen; sie sind auf dem damaligen Stand der Wissenschaft. ({7}) Wir sind lernfähig und wollen die neuen Erkenntnisse in der neuen Verordnung umsetzen. ({8}) - Wenn Sie so dazwischenrufen, zeigt das, dass man Sie getroffen hat. Die Politik ist nun einmal nicht dazu da, Steckenpferde vor sich herzutragen, sondern muss neue wissenschaftliche Studien zur Kenntnis nehmen. Deshalb ist eines ganz klar: Weder die von Ihnen vorgelegte Novelle noch die alte Verpackungsverordnung ist eine Lösung für die Zukunft. ({9}) Es muss eine komplette Neufassung im Sinne des F.D.P.Antrags her. Herr Trittin, Ihr Entwurf ist nicht die bessere, sondern die schlechtere Alternative. ({10}) Als Gegenleistung für einen ins Groteske steigenden Sammel- und Transportaufwand müssen die Verbraucher höhere Preise zahlen, weil - ich will nur den Grünen Punkt als ein Beispiel nennen - die Einnahmeausfälle durch das Zwangspfand auf die restlichen Verpackungen umgelegt werden. Das Zwangspfand ist also eine Veralberung der Bürgerinnen und Bürger: Je mehr gesammelt und getrennt wird, desto teurer wird der Spaß. ({11}) Im Übrigen lässt sich das Problem der Vermüllung der Landschaft nicht durch ein Zwangspfand lösen. Ich danke Herrn Trittin, dass er Herrn Kelber in diesem Punkt korrigiert hat. Die Getränkeverpackungen haben nämlich nur einen Anteil von 20 Prozent und nicht von 25 Prozent. ({12}) Spielen Sie doch nicht ständig den Menschen vor, die Landschaft würde wieder sauber, wenn dieser Anteil aussortiert worden ist! In der Landschaft liegt doch noch viel mehr. Nehmen Sie das endlich zur Kenntnis! Wir wollen, dass Sie nicht weiter verantwortungslos handeln, sondern dass insgesamt Lösungen für die Zukunft gefunden werden. Deswegen werden wir überlegen müssen, wie man der Vermüllung der Landschaft entgegenwirken kann. Anstatt dass Sie Trittin als Dosenpolizist in Stellung bringen, sollten Sie sich besser einmal Gedanken darüber machen, was man in Umweltbildung und Umwelterziehung Sinnvolles tun könnte! ({13}) Warum machen Sie nicht beispielsweise Aktionen zusammen mit den Herstellern von Dosen und richten einen Fonds ein? Wenn Ihnen so sehr daran liegt, dann starten Sie doch Aktionen zum Sammeln von Dosen! Das wäre dann ein Beitrag zur Umweltbildung und -erziehung und für eine bessere umweltpolitische Zukunft. Vielen Dank. ({14})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich erteile der Kollegin Eva Bulling-Schröter für die PDS-Fraktion das Wort.

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal muss ich Frau Homburger Recht geben, denn auch ich halte eine halbe Stunde Diskussion für sehr kurz. Ich habe zu diesem Thema einen praktischen Vorschlag. Man könnte dem Problem doch in Form einer Bierprobe näher treten: Weizenbier aus einem schönen Glas und Weizenbier aus der Dose. Vielleicht, Herr Wittlich, würden Sie dann ganz anders über diese Frage denken, denn sie entscheidet sich doch letztlich in der Kaufhalle. Worum ging es denn in der Verpackungsverordnung? Was war denn die Intention ihrer Einführung? Es ging ja nicht nur um die Vermüllung der Umwelt und der Landschaften. Das ist zwar sicher ein Problem, aber es ging doch auch um Ressourcenschonung und um Kreislaufwirtschaft. Darüber hat heute leider niemand gesprochen. Gestern habe ich tolle große Reden zum Thema Nachhaltigkeit in Europa gehört. Ich denke, Nachhaltigkeit ist auch im Bereich der Müllvermeidung ein wichtiges Thema. Nicht zuletzt deswegen wurde die Verpackungsverordnung eingeführt. Wir haben darüber im Umweltausschuss diskutiert. Die PDS hat einen entsprechenden Antrag eingebracht. Wir wollten, dass § 9 der Verpackungsverordnung weiterhin eine gesetzliche Überprüfungspflicht vorsieht. Leider haben alle übrigen Fraktionen des Hauses das abgelehnt. Offensichtlich wurde ich auch missverstanden. Jetzt gibt es diese gesetzliche Verpflichtung zur Überprüfung leider nicht mehr. Wir wollten darüber hinaus eine verbindliche Mehrwegquote festschreiben, die in § 9 der Verpackungsverordnung jetzt auch nicht mehr vorhanden ist. Ich denke, das ist sehr schade. Sie vergeben sich damit etwas. Mal sehen, ob in Zukunft, wenn es also keine gesetzliche Überprüfungspflicht mehr gibt, noch so überprüft wird wie bisher. Das wäre eine wichtige Sache gewesen. Ich finde es schade, dass Sie hier nicht mitgehen konnten. ({0}) Im Zusammenhang mit den Dosen wurde über den Wandel der Verhältnisse gesprochen. Ich denke, das ist auch eine Frage der Mischkalkulation der Kaufhäuser. Darüber sollten wir noch einmal sprechen. Auch über ökologische Bilanzen wurde hier schon diskutiert. Es ist wirklich so, dass bei der Ökobilanz von Dosen Entfernungen durchaus eine Rolle spielen. Auch sollten wir über regionale Kreisläufe sprechen. Das ist nicht getan worden. Ich meine, Einweg kann kein Weg sein. Die Novellierung der Verpackungsverordnung ist ein erster Schritt. Allerdings würde ich gerne von Herrn Trittin wissen - leider kann er mir nicht mehr antworten -, was mit dem Zwangspfand passiert, wenn die Quoten weiter sinken. Auf diese Frage kann ich heute leider keine Antwort mehr erhalten. Ich hoffe, dass wir uns nächstes Jahr wieder darüber unterhalten. Danke. ({1})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich schließe die Aussprache. Es liegen schriftliche Erklärungen nach § 31 der Geschäftsordnung vor, und zwar seitens der SPD-Fraktion von Andrea Nahles, Bernhard Brinkmann ({0}), René Röspel, Willi Brase und Heino Wiese ({1}) sowie seitens der CDU/CSU-Fraktion von Hartmut Koschyk.1) Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zur Zweiten Verordnung der Bundesregierung zur Änderung der Verpackungsverordnung, Drucksachen 14/5941 und 14/6072. Der Ausschuss empfiehlt, der Verordnung der Bundesregierung zuzustimmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Bei Zustimmung der SPD und des Bündnisses 90/ Die Grünen sowie einiger Kollegen der CDU/CSUFraktion ({2}) - ich hatte drei gesehen; also gut, von genau zwei Abgeordneten der CDU/CSU -, bei Ablehnung der CDU/CSU im Übrigen, bei Ablehnung der F.D.P. sowie bei Enthaltung der PDS ist die Beschlussempfehlung angenommen. ({3}) Wir stimmen über den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/6103 ab. Wer ist für den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/ CSU? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist abgelehnt. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der F.D.P. zur Novellierung der Verpackungsverordnung und Flexibilisierung der Mehrwegquote, Drucksache 14/5301. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/3814 abzulehnen. Wer ist für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 19 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgit Homburger, Marita Sehn, Ulrike Flach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P. Für eine wirksame und vernunftgeleitete Chemikaliengesetzgebung - Drucksache 14/5761 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({4}) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Die Reden der Kollegen der SPD, der CDU/CSU, des Bündnisses 90/Die Grünen, der F.D.P. und der PDS zu diesem Tagesordnungspunkt sind zu Protokoll gegeben worden.2) Interfraktionell wird Überweisung des Antrags der F.D.P. auf Drucksache 14/5761 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 22 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Vorbereitung eines registergestützten Zensus ({5}) - Drucksache 14/5736 ({6}) a) Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({7}) - Drucksache 14/6068 - Berichterstattung: Abgeordnete Barbara Wittig Beatrix Philipp Cem Özdemir Dr. Edzard Schmidt-Jortzig b) Bericht des Haushaltsausschusses ({8}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 14/6069 - Berichterstattung: Abgeordnete Gunter Weißgerber Dietrich Austermann Oswald Metzger Dr. Werner Hoyer Dr. Christa Luft Ich eröffne die Aussprache. Auch bei diesem Tages- ordnungspunkt sind Reden zu Protokoll gegeben wor- den.3) Für die PDS spricht die Kollegin Petra Pau. 1) Anlage 4 und 5 2) Anlage 6 3) Anlage 7

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das, was jetzt auf der Tagesordnung steht, klingt im Verhältnis zu den Dingen, die wir heute bereits debattiert haben, vergleichsweise harmlos: ({0}) „Vorbereitung eines registergestützten Zensus.“ Aber schon die Überschrift führt uns in die Irre. Worum geht es eigentlich? Es geht um nicht mehr und nicht weniger als um ein Gesetz, welches dem vom Bundesverfassungsgericht vorgegebenen und kreierten informationellen Selbstbestimmungsrecht von Bürgerinnen und Bürgern zumindest in Teilen widerspricht. ({1}) In einem noch unter der Vorgängerregierung gefassten Bundestagsbeschluss aus dem Jahre 1998 begrüßte der Deutsche Bundestag ausdrücklich, zukünftige Erhebungen und Volkszählungen nur noch in Form einer stichtagsbezogenen Auswertung der Melderegister vorzunehmen. In diesem Gesetz aber - wenn es denn hier angenommen wird - nehmen wir uns vor, erstens eigens das Sozialgesetzbuch zu ändern, zweitens die Daten der Melderegister und der Bundesanstalt für Arbeit zusammenzuführen und drittens 750 000 Bürgerinnen und Bürger mit einem Fragebogen mit 120 bis 150 Fragen zu belästigen. Wenn sie nicht bereit sind, diese Fragen - sowohl zu ihrer Person als auch zu bisher geschlossenen und geschiedenen Ehen sowie dem Zusammenleben in nicht ehelichen Lebensgemeinschaften - zu beantworten, sind sie entsprechend dem Statistikgesetz auch Sanktionen unterworfen. Letztendlich geht es also um einen erheblichen Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht der Bürgerinnen und Bürger. ({2}) Es besteht die Gefahr, welche nicht nur von uns, sondern auch von einzelnen Landesdatenschutzbeauftragten gesehen wird, ({3}) dass, über die eigentliche Erhebung der Statistik hinaus, Persönlichkeitsprofile erstellt werden können. Das heißt, die Methoden, die hier getestet werden, erlauben es, die Bürger über die Statistik hinaus zu katalogisieren und zu registrieren. Letztendlich beschließen wir hier eine Volkszählung hinter dem Rücken der Bürgerinnen und Bürger. Ehrlich wäre es gewesen, als Überschrift zu wählen: „Gesetz über eine neue Form der Volkszählung“. Deshalb lehnen wir diesen Gesetzentwurf ab. ({4})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Da die übrigen Reden zu Protokoll gegeben worden sind, kann ich die Aussprache schließen. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Zensusvorbereitungsgesetzes, Drucksache 14/5736. Der Innenausschuss empfiehlt auf Drucksache 14/6068, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung gegen die Stimmen der PDS angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung: Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Der Gesetzentwurf ist gegen die Stimmen der PDS angenommen. Ich rufe Zusatzpunkt 10 auf: Erste Beratung des von den Abgeordneten Maritta Böttcher, Dr. Heinrich Fink, Pia Maier, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Absicherung der verfassten Studierendenschaft - Drucksache 14/5760 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({0}) Rechtsausschuss Haushaltsausschuss Die Reden der Kollegen der SPD, der CDU/CSU, des Bündnisses 90/Die Grünen und der F.D.P. sind zu Proto- koll gegeben worden.1) Ich erteile der Kollegin Maritta Böttcher für die PDSFraktion das Wort.

Maritta Böttcher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002631, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine Da- men und Herren! Die Aufsetzung dieses Tagesordnungs- punktes hat die PDS beantragt; daher möchte ich schon unseren Standpunkt darlegen. Es liegt nicht an mir, dass er erst um diese Zeit behandelt wird. „Demokratie statt Zwang - Aufstehen für freie Bildung und kritische Wissenschaft!“ - So lautete das Motto eines bundesweiten Aktionstages an diesem Mittwoch, zu dem zahlreiche Studierendenvertretungen und studentische Organisationen aufgerufen hatten. „Demokratie statt Zwang“ könnte auch über unserem Gesetzentwurf stehen. Die PDS fordert den Deutschen Bundestag zur Lösung eines Problems auf, mit dem wir es seit über 30 Jahren zu tun haben, spätestens seit 1968, als der Studierendenschaft der Universität Tübingen gericht- lich untersagt wurde, gegen die Erschießung des Studen- ten Benno Ohnesorg zu protestieren. Denn - so führte das Verwaltungsgericht damals aus - „nicht jeder Tod eines Studenten ist hochschulbezogen.“ 1) Anlage 8 Demokratisch gewählte Studierendenvertretungen müssen sich immer wieder wegen rechtswidriger Wahrnehmung des so genannten allgemeinpolitischen Mandats vor Gericht verantworten. Studentenausschüssen und Studentenräten drohen Ordnungsgelder in Höhe von bis zu 500 000 DM. Deren Vorsitzende wurden wiederholt auch strafrechtlich zur Verantwortung gezogen. Insbesondere an den Hochschulen in den neuen Ländern stößt diese Rechtslage auf absolutes Unverständnis; denn gerade dort hat 1989 eine demokratische Studentenbewegung für das Recht auf Mitbestimmung und Selbstverwaltung sowie für Meinungs- und Demonstrationsfreiheit gestritten. ({0}) In den letzten Jahren hat die Zahl der Klagen und Gerichtsentscheidungen gegen Studierendenvertretungen wieder deutlich zugenommen. Immer häufiger wird sogar das Engagement gegen Rechtsextremismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit sowie die kritische Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus als verbotene Wahrnehmung des so genannten allgemeinpolitischen Mandats unterbunden und kriminalisiert. So wurde beispielsweise der AStA der Freien Universität Berlin mit einem Ordnungsgeld in Höhe von 10 000 DM bestraft, weil er eine Veranstaltung zum Thema „Rassistische Diskurse - Rassistischer Alltag“ organisiert hatte. Der AStA der Universität Münster musste ebenfalls ein Ordnungsgeld bezahlen, weil die Fachschaftsvertretung für Geschichte ein Zeitzeugengespräch mit dem ehemaligen KZ-Häftling und Widerstandskämpfer Emil Carlebach veranstaltet hatte. Es ist doch geradezu absurd: Politikerinnen und Politiker, aber auch die Hochschulrektorenkonferenz - so mit ihrer Erklärung vom Oktober 2000 - rufen die Hochschulmitglieder aus Sorge um das internationale Ansehen zu Recht dazu auf, gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus einzutreten. ({1}) Gewählte Studierendenvertreter, die diese Appelle ernst nehmen, begeben sich aber buchstäblich mit einem Bein ins Gefängnis. Das dürfen wir nicht länger zulassen. ({2}) Die PDS-Fraktion beantragt daher eine Änderung des Hochschulrahmengesetzes. Studentinnen und Studenten müssen an der Debatte über die gesellschaftlichen Grundlagen und Rahmenbedingungen von Forschung, Lehre und Studium aktiv teilhaben können, ({3}) erst recht dann, wenn es um die Autonomie der Hochschulen geht; darin stimmen Bund und Länder überein. Hierzu gehört auch das Recht - nach meinem Verständnis sogar die Pflicht -, zu allen gesellschaftlichen Fragen Stellung beziehen zu können. Wie der Deutsche Industrie- und Handelstag, ebenfalls eine öffentlich-rechtliche Körperschaft mit Pflichtmitgliedschaft, ganz selbstverständlich über sein so genanntes wirtschaftspolitisches Mandat hinaus beispielsweise die Einführung von Studiengebühren fordert, müssen sich auch Studierendenvertretungen in aktuelle Auseinandersetzungen um die Rentenversicherung oder die Steuergesetzgebung einmischen dürfen. ({4}) Hochschulpolitik und Allgemeinpolitik lassen sich nicht künstlich trennen. Sollen sich die Studierenden zur BAföG-Reform äußern, aber schweigen, wenn es um die haushaltspolitische Deckung, zum Beispiel durch Senkung der Rüstungsausgaben, geht? Nein, nicht mit uns! SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben 1998 im Wahlkampf versprochen, durch eine Änderung des Hochschulrahmengesetzes die verfasste Studierendenschaft abzusichern. In Kürze wird die Bundesregierung aus Anlass der Reform des Hochschuldienstrechts einen Entwurf für eine HRG-Novelle vorlegen, jedoch ohne die versprochene Absicherung. Ich frage Sie, meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen: Worauf warten Sie eigentlich noch? Ich weiß, dass die Studierenden, auch soweit sie in den Jugendverbänden der Regierungsparteien organisiert sind, keine Geduld mehr mit Ihnen haben. Mit unserem Gesetzentwurf zeigen wir Ihnen auf, wie einfach es wäre, Wahlversprechen zu erfüllen. Und in diesem Fall kostet es noch nicht einmal etwas. Stimmen Sie also unserem Gesetzentwurf zu! Ich habe ein offenes Ohr für begründete Änderungsanträge. Eine Ablehnung aber wäre wirklich ein Schlag in das Gesicht der Studentinnen und Studenten, die übrigens - das möchte ich Ihnen fairerweise sagen - vor der Tür warten und der Entscheidung entgegensehen. ({5})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 14/5760 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Sie sind damit einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 sowie den Zusatzpunkt 11 auf: 24. Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung des Hinterbliebenenrechts - Drucksache 14/6043 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung ({0}) Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO ZP 11 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Maria Böhmer, Horst Seehofer, Karl-Josef Laumann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/ CSU Unzumutbare Belastungen in der Hinterbliebenensicherung zurücknehmen - Drucksache 14/6042 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung ({1}) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Die Reden sind alle zu Protokoll gegeben worden.1) Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksache 14/6043 und 14/6042 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Damit sind Sie einverstanden. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf: 25. Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Eindämmung illegaler Betätigung im Baugewerbe - Drucksache 14/4658 ({2}) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({3}) - Drucksache 14/6071 - Berichterstattung: Abgeordnete Dieter Grasedieck Elke Wülfing Carl-Ludwig Thiele Heidemarie Ehlert Auch hier sind die Redebeiträge zu Protokoll gegeben worden.2) Damit kommen wir sogleich zur Abstimmung über den vom Bundesrat eingebrachten Gesetzentwurf zur Eindämmung illegaler Betätigung im Baugewerbe, Drucksachen 14/4658 und 14/6071. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen worden. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Ich stelle mit großer Freude fest, dass der Gesetzentwurf einstimmig, also mit der Zustimmung aller Fraktionen, angenommen worden ist. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 30. Mai 2001, 13 Uhr, ein. Ich wünsche Ihnen allen ein schönes Wochenende. Die Sitzung ist geschlossen.