Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 5/11/2001

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich erteile das Wort für die CDU/CSU-Fraktion dem Kollegen Horst Seehofer.

Horst Seehofer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002140, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vertrauen und Sicherheit schaffen, das war das Ziel zu Beginn dieser Rentenreformdiskussion. ({0}) Was daraus geworden ist, umschreibt am besten heute die „Berliner Zeitung“: So wurde ein Reformprozess daraus, der mit chaotisch noch liebevoll umschrieben ist. Wer den Überblick verliert, kann kein Vertrauen des Bürgers erwarten - weder in die staatliche Altersversorgung noch in die Bundesregierung selbst. Die Verantwortung für dieses verkorkste Projekt trägt der Sozialminister. Nicht eine tragfähige Rentenreform, sondern eine Mogelpackung, eine Reformruine ist das Ergebnis dieser eineinhalb Jahre. ({1}) Deshalb lehnen wir diese Reform ab. Wir befinden uns dabei in voller Übereinstimmung mit der Bevölkerung. ({2}) Nach allen Umfragen lehnen drei Viertel der Bevölkerung diese Rentenpolitik der Bundesregierung ab. In der Tat: Wer diese Rentenreformdiskussion miterlebt hat, der kann nur von einer unendlichen, chaotischen Geschichte reden, von einer unendlichen Geschichte der Tricksereien. ({3}) Symptomatisch dafür ist die Diskussion um die Witwenrenten. Seit Monaten kritisieren und geißeln wir die unsozialen Kürzungen, die Herr Riester bei den Witwenrenten vorhatte. Seit Monaten wird gesagt, das sei alles nicht finanzierbar, das stimme alles nicht. Der Höhepunkt fand statt im Landtagswahlkampf in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz. Herr Riester, da haben Sie einige Interviews gegeben. Sie haben gesagt: Die Kampagne der Union, dass Frauen bei der Reform benachteiligt werden, ist verlogen. - Das war zwei Tage vor der Wahl in BadenWürttemberg und Rheinland-Pfalz. In der nächsten Woche werden wir das, was wir seit Monaten fordern, nämlich die Rücknahme der unanständigen Kürzungen bei der Witwenrente, hier im Deutschen Bundestag auf Vorschlag von Herrn Riester beschließen. Deshalb, meine Damen und Herren: Nicht die Union hat gelogen; vielmehr hat ein einziger Mensch monatelang der Bevölkerung die Unwahrheit gesagt, sie hinters Licht geführt. Das waren Sie, Herr Minister Riester. ({4}) Jetzt kommt Ihr Eingeständnis, dass es unsoziale Kürzungen bei der Witwenrente gibt, und Sie schlagen vor, dass sie zurückgenommen werden. Was eine Welturaufführung ist: Bevor die Rentenreform überhaupt in Kraft tritt, werden wir nächste Woche bereits eine erste Änderung hier im Deutschen Bundestag beraten und beschließen. Das haben wir auch noch nicht erlebt. ({5}) Nun lese und höre ich immer, bei diesem Entgegenkommen müsse doch die Union jetzt zustimmen. Ich bin Franz Thönnes schon sehr erstaunt, was da als Entgegenkommen definiert wird. Da fällt ein Sozialminister wie ein Sozialräuber über die Witwenrenten her ({6}) und streicht sie rücksichtslos zusammen. Dann wird er auf frischer Tat ertappt und muss seine Beute wieder rausrücken. Und die Opfer sollen sich bei ihm bedanken, dass sie ihn beim Rentenklau erwischt haben! Das ist Walter Riester. ({7}) Man kann doch nicht von einem Entgegenkommen reden, wenn jemand, der unanständige Kürzungen durchführt, diese unanständigen Kürzungen auf unseren Druck und auf öffentlichen Druck hin wieder zurücknimmt. Es ist eine pure Selbstverständlichkeit, Unsoziales wieder zurückzunehmen, kein Entgegenkommen. ({8}) Die gesetzliche Rente und die Privatrente sind Zwillinge. Das eine ist auf das andere angewiesen. Die private Vorsorge kann nicht funktionieren, wenn die gesetzliche Rente nicht tragfähig ist. Die gesetzliche Rente ist mit ihren Kürzungen nicht verantwortbar, wenn es nicht zu einer zukunftsträchtigen privaten Vorsorge kommt. Deshalb gehören diese beiden Dinge, die gesetzliche Rente und die Privatrente, zusammen. Sie haben sie in der politischen Beratung künstlich getrennt. Aber politisch und für die Menschen gehören beide Elemente zusammen. Deshalb ist für unsere Beurteilung, ob wir eine solche Alterssicherung mittragen oder nicht, eine Gesamtbetrachtung notwendig. Ihre Vorstellung von einer gesetzlichen Rente lehnen wir, auch heute, aus drei wesentlichen Gründen ab. Die gesamte Statik dieser Rentenreform stimmt nicht. Der Beitragssatz, der langfristig mit 22 Prozent prognostiziert wird, wird eher bei 24 bis 25 Prozent landen. ({9}) Der Chefberater der Bundesregierung, Professor Rürup, Vorsitzender des Sozialbeirates, hat in einem Interview sogar gesagt, die Menschen sollen sich vom Rentenniveau nicht blenden lassen. Das sagt der Vorsitzende des Sozialbeirates der Bundesregierung! ({10}) Der Beitragssatz wird also nicht bei 22 Prozent, sondern bei 24 oder 25 Prozent liegen. Das immer wieder propagierte Rentenniveau von 67 Prozent wird in Wahrheit bei 64 Prozent liegen, während es heute noch bei 70 Prozent liegt. Es wird also um 6 Prozentpunkte gesenkt. Darüber hinaus muss man wissen, dass dieser Beitragssatz von 24 oder 25 Prozent um weitere 8 Prozent höher liegen müsste, wenn es nicht massive Zuwendungen an die Rentenversicherung aus Steuermitteln gäbe. Für alle, die heute 20, 30 oder 40 Jahre alt sind, ergibt sich durch diese Rentenreform, dass sie jedes Jahr mehr in die gesetzliche Rentenversicherung einbezahlen, daraus aber immer weniger erhalten. Herr Riester, das ist das Ergebnis Ihrer Rentenpolitik. Sie tragen dazu bei, dass der Generationenvertrag zukünftig sehr unfair ist, und zwar für die jungen Menschen, für die Sie den Generationenvertrag eigentlich sichern wollten. Das Ergebnis der Regelungen ist, dass die heute 20-, 30- und 40-Jährigen in den nächsten Jahren immer mehr einbezahlen und später immer weniger bekommen. Dass darauf die junge Generation nur noch deprimiert und zynisch reagiert, darf uns nicht wundern. ({11}) Durch Ihre Reform der Alterssicherung haben Sie die Generationengerechtigkeit massiv mit Füßen getreten. Sie sagen immer, die Bestandsrentner, also die Rentnerinnen und Rentner, die bereits heute eine Rente erhalten, seien durch diese Rentenreform überhaupt nicht betroffen. Auch hier wird der Bevölkerung die Wahrheit vorenthalten. Wir haben nach der letzten Bundestagswahl erlebt, dass entgegen der Zusicherung des Bundeskanzlers die Renten von der Wohlstands- und Lohnentwicklung abgekoppelt wurden. Man muss daran erinnern, dass sich der Bundeskanzler für diesen Wortbruch in der Öffentlichkeit entschuldigt hat. Aus der jetzigen Rentenreform ergibt sich, dass auch nach der nächsten Bundestagswahl die Rentenanpassungen in mehreren Stufen um 4 Prozent gekürzt werden. Es ist also schlicht falsch, wenn immer gesagt wird, die Rentner seien von dieser Rentenreform überhaupt nicht betroffen. ({12}) Die Rentenanpassungen werden um 4 Prozent gekürzt. Die Bundesregierung hat aber offensichtlich Angst vor der Wahrheit und vor der Bevölkerung; denn sie beginnt mit diesen Kürzungen exakt ein Jahr nach der nächsten Bundestagswahl. Das ist die Fortsetzung des Schwindels bei der letzten Bundestagswahl 1998. Das werden wir der Bevölkerung sagen. ({13}) Sie haben die Rentenformel mit der Folge geändert, dass die Rentenanpassungen - auch bereits die aktuellen geringer ausfallen. Gemeinsam mit der auch von Ihnen zu verantwortenden Inflationsrate ergibt sich die Situation, dass im letzten Jahr die Rentenanpassung deutlich unter der Preissteigerungsrate lag. In diesem Jahr werden die Rentenanpassungen durch die Preissteigerungsrate zumindest aufgezehrt. Es ist das Ergebnis Ihrer Rentenpolitik, dass die Rentnerinnen und Rentner an der allgemeinen Wohlstandsentwicklung nicht mehr teilhaben, sondern die Renten durch die von Ihnen zu verantwortende Änderung der Rentenformel und durch die höhere Inflationsrate während Ihrer Regierungszeit an Wert verloren haben. Die Rentner haben weniger. ({14}) Meine Damen und Herren, diese Preissteigerung haben im Wesentlichen Sie mitinitiiert; denn neben dem Rentenversicherungsbeitrag gibt es einen weiteren Rentenbeitrag, nämlich den an der Tankstelle, den die ArbeitsloHorst Seehofer sen, die Familien und die Arbeitnehmer in Form der Ökosteuer bezahlen müssen. ({15}) Sie haben in die Taschen der Rentner gegriffen und geben den 20-, 30- und 40-Jährigen keinerlei Perspektive. Wo immer man hinkommt, hört man von den jungen Leuten, dass sie dieser Form der Alterssicherung nicht vertrauen und nicht damit rechnen, aus dieser Rentenversicherung etwas zurückzubekommen. Sie haben wichtige Probleme einfach ausgeklammert, zum Beispiel die gleichmäßige Besteuerung der Alterseinkünfte. Zu diesem Punkt erwarten wir in diesem Jahr ein Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts. Dieses wird dann den Auftakt zur nächsten Rentenreform bilden. Sie haben völlig negiert, dass das Bundesverfassungsgericht vor wenigen Wochen im Zusammenhang mit der Pflegeversicherung entschieden hat, dass die Kindererziehungszeiten bei der Bemessung des Beitrages zur Sozialversicherung zu berücksichtigen sind. Die Gesetzgebungsorgane müssen den Auftrag des Bundesverfassungsgerichts erfüllen, indem sie prüfen, ob nicht auch bei der Bemessung des Beitrages zur Rentenversicherung die Kindererziehungszeiten berücksichtigt werden müssen. All dies haben Sie ausgeblendet. Sie haben ungerecht gehandelt, Probleme ausgeklammert und nicht aufgegriffen. Deshalb stimmt der Satz: Nach der Reform heißt bei Riester vor der Reform. Wir werden in der nächsten Woche mit der nächsten Reform beginnen. ({16}) Auch wir halten es für erforderlich, dass die gesetzliche Rente durch private und betriebliche Vorsorge ergänzt wird. Doch anstatt diese gute Grundidee fundamental zu vereinfachen, hat Herr Riester sie maximal kompliziert. Ich finde kaum noch jemanden, der erklären kann, was bei der privaten Vorsorge und der betrieblichen Altersvorsorge wie geregelt ist. Es ist eine gigantische Bürokratie. Allein die Tatsache, dass man zwei Behörden einrichten muss, um die Privatvorsorge abzuwickeln, zeigt, um welch ein bürokratisches Monstrum es sich handelt. Hinsichtlich einer Behörde haben Sie schon zugegeben, dass 1 000 Planstellen benötigt würden; wenn diese Regierung von 1 000 Stellen spricht, dann können wir getrost davon ausgehen, dass es im Laufe der Zeit die doppelte Anzahl werden wird. In diesem Zusammenhang interessiert mich die Position der Grünen zu der Perspektive, dass künftig bei einer Zentralstelle in Berlin alle persönlichen Daten über die Einkommenssituation von Zulageempfängern gesammelt werden und diese Zentralstelle die Daten mit den Meldebehörden, mit den Rentenversicherungsträgern, mit den Kindergeldkassen und den Finanzämtern abgleichen muss. Wo bleibt eigentlich die Bürgerrechtspartei Die Grünen, wenn es darum geht, einen solchen bürokratischen Wahnsinn einmal zu hinterfragen? ({17}) Das ist die Perfektion des Irrsinns: Niemand blickt mehr durch, die Bürokratie wird gigantisch aufgebläht. Dabei wäre es ganz einfach: Sagen wir doch den Menschen, dass private Vorsorge notwendig ist, um einen angemessenen Lebensunterhalt im Alter zu haben. Unterstützen wir die Kleinverdiener und die Familien mit Zulagen und Steuerfreibeträgen, damit sie die private Vorsorge auch finanzieren können. Aber stellen wir es den Menschen doch ohne bürokratische Hürden frei, wo sie ihre private Vorsorge durchführen. ({18}) Lassen wir doch die Menschen entscheiden, ob sie in eine Lebensversicherung, in einen Banksparplan oder in einen Bausparvertrag einbezahlen oder ob sie nach 30 Jahren Altersvermögensbildung das Kapital entnehmen und für Wohneigentum verwenden, das ebenfalls ein Instrument der Alterssicherung ist. ({19}) Jetzt geht es wieder um diese Scheinlösung Wohneigentum. Ursprünglich hatten Sie vor, dass jemand, der Wohneigentum als Alterssicherung betrachtet, das Wohneigentum der Bank übereignen muss und die Bank eine Leibrente zahlt. Das wäre nicht Altersvorsorge gewesen, sondern Vernichtung von Wohneigentum. Jetzt kommt ein noch bürokratischerer Wahnsinn: Man soll nun 4 Prozent des Einkommens in die Altersvermögensbildung einzahlen. ({20}) Dann kann man eine bestimmte Kapitalsumme entnehmen, um ein Wohneigentum zu finanzieren. Aber dann kommt der Witz der Geschichte: Man muss das angesparte eigene Vermögen, das man für den Kauf einer Eigentumswohnung oder eines Reihenhauses entnimmt, in die Altersvermögensbildung zurückzahlen. Parallel dazu muss man die 4 Prozent weiterhin in die Altersvermögensbildung einzahlen und zugleich muss man noch seine Hypotheken für die Wohnung oder das Haus abbezahlen. Herr Riester, das ist vielleicht ein Programm für die Leute, in deren Kreisen Sie sich bewegen, für die Schickimickis, nicht aber für die normale Bevölkerung. ({21}) Wie soll denn jemand, der 3 000 oder 4 000 DM brutto verdient, 4 Prozent des Einkommens in die Altersvermögensbildung einzahlen - die 100 000 DM, die er für die Wohnung entnimmt, muss er bis zum Beginn der Rente ja wieder zurückzahlen -, wenn er gleichzeitig auch noch die Hypothek für die Wohnung bedienen muss? ({22}) Das ist keine Lösung. Ich fordere Sie erneut auf - an diesem Punkt werden wir in dieser Legislaturperiode noch eine weitere Initiative ergreifen -, den Menschen freizustellen, ob sie in eine Lebensversicherung oder in einen Bausparvertrag einzahlen. Die Menschen sollen entscheiden, ob die Wohnung oder die Lebensversicherung für sie die richtige Absicherung im Alter ist. ({23}) Meine Damen und Herren, wir sind sehr für Zulagen und nachgelagerte Besteuerung. Aber wie Sie es jetzt konstruiert haben, führt es dazu, dass die Förderung umso höher ist, je mehr man verdient. ({24}) Eine allein stehende Verkäuferin bekommt im Endstadium der Reform als Zulage von Herrn Riester 25 DM; ihr Chef, der 8 000 DM verdient, bekommt eine Steuerbefreiung von 130 DM. Der Chef der Verkäuferin wird 5-mal stärker gefördert als seine Angestellte. Eine solche Wirkung der Zulagen haben wir uns nicht vorgestellt. ({25}) Diese soziale Schieflage muss korrigiert werden, Herr Riester. Dabei kann es nicht bleiben. ({26}) Jetzt ist wieder davon die Rede - das lesen und hören wir jeden Tag -, das sei eine große Reform; damit seien die Zukunftsprobleme gelöst. ({27}) Etwas Ähnliches haben wir bei der Steuerreform gehört. Nun schrieb die „Süddeutsche Zeitung“ in dieser Woche, am 8. Mai 2001: Vor der nächsten Steuerreform: Völlig unvorbereitet ist Eichel bei der Steuer. Der Minister verweist gerne auf seine letzte Reform, doch die ist in Ansätzen stecken geblieben und hat um den Preis größerer Ungerechtigkeit und Unsicherheit Erleichterungen vor allem für Kapitalunternehmen gebracht. Das Steuerchaos wächst und der Verdruss der Steuerzahler auch. Andere als Eichel haben dies erkannt. Das wird fünf Monate nach In-Kraft-Treten der angeblich größten Steuerreform aller Zeiten gesagt. ({28}) Ich prophezeie Ihnen, meine Damen und Herren: Das gleiche Schicksal, die gleichen Kommentare, die gleiche Realität werden nach In-Kraft-Treten dieser Rentenreform Platz greifen. ({29}) Ich sage Ihnen, Herr Riester: Diese Reform der gesetzlichen Rente ist gänzlich unbrauchbar. Wir werden diese Reform, wann immer wir es können, zurückziehen und durch eine neue, sozial verträgliche und zukunftsorientierte Reform ersetzen. ({30}) Die private Vorsorge muss dringend entbürokratisiert, für den Bürger transparent gestaltet und bei der Förderung sozial gerecht ausgestaltet werden. Das, was Sie heute in seiner Gesamtheit vorlegen, nämlich die bereits verabschiedete gesetzliche Rente, die man auch im Zusammenhang mit der privaten Vorsorge sehen muss, ist eine Reformruine. Sie wird nicht dazu führen, dass das Vertrauen in die Alterssicherung und deren Sicherheit wächst. Sie wird die Notwendigkeit auslösen, dass die nächste Rentenreform in dieser Legislaturperiode politisch überlegt und nach der nächsten Wahl durchgesetzt wird. Das Ergebnis Ihrer Reformpolitik ist Stückwerk, sind Mogelpackungen und eine unendliche Geschichte von Tricksereien. ({31}) Deshalb stimmen CDU und CSU dieser Reform der Alterssicherung heute nicht zu. ({32})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich gebe das Wort der Kollegin Kerstin Müller für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen. ({0})

Kerstin Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002741, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben in der Tat lange um die Reform der Altersvorsorge gerungen. Mit Verlaub, Herr Seehofer, die lange Dauer dieses Prozesses hat auch etwas damit zu tun, dass Sie sich bis heute nicht entscheiden konnten, ob Sie bei dieser Rentenreform mitmachen wollen, ({0}) ob sich der berühmte Ministerpräsident Herr Stoiber aus Bayern durchsetzt, der von Anfang an dagegen war, mitzumachen, oder ob sich die Parteivorsitzende, Frau Merkel, durchsetzt. Sie haben doch in dieser Republik einen Eiertanz ohne Ende aufgeführt. Sie konnten sich bis heute innerhalb der Union nicht entscheiden, ob Sie mitmachen wollen. Ich bin fest davon überzeugt, dass die unionsregierten bzw. -mitregierten Bundesländer heute im Bundesrat vernünftigerweise zustimmen werden. ({1}) Sie hier im Bundestag werden mit Ihrem Abstimmungsverhalten im Wahlkampf nicht glücklich werden. Das garantiere ich Ihnen. ({2}) Ich bin jedenfalls außerordentlich froh über das erzielte Ergebnis, denn die Rentenreform ist dringend erforderlich, um die solidarische gesetzliche Rentenversicherung für die Zukunft zu sichern. Wir schaffen mit dieser Reform Generationengerechtigkeit. Ohne diese Reform wäre die Belastung der heutigen und der künftigen Beitragszahler unerträglich geworden. ({3}) Es ist richtig, Herr Seehofer: Wir verlangen von allen Menschen, von den jungen wie auch von den älteren, einen solidarischen Beitrag. Wer sich wie Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, angesichts der absehbaren demographischen Entwicklung dem verweigert, aus Angst davor, irgendjemandem auf die Füße zu treten, was bei einer Rentenreform unvermeidlich ist, der ruiniert sowohl die wirtschaftlichen als auch die sozialen Fundamente unserer Gesellschaft. Wir jedenfalls haben eine durchgreifende und gute Reform vorgelegt. ({4}) Sie ist generationengerecht, sie stabilisiert die Beiträge und schafft damit wieder Vertrauen bei den jungen Menschen. Sie ermöglicht endlich für alle eine private Vorsorge und sie fördert das Leben mit Kindern. Wir haben den Gesetzentwurf in einem langen und schwierigen Vermittlungsverfahren an einigen Stellen noch einmal deutlich verbessert. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, haben während dieser Verhandlungen zu keinem Zeitpunkt - das möchte ich betonen - irgendwelche konstruktiven Vorschläge eingebracht. Sie haben sich sogar dem Gespräch im Vermittlungsausschuss, das heißt dem Vermittlungsauftrag der Verfassung, verweigert. Das ist genau das, was Ihren Kollegen Blens so aufregt. Wir sind Ihnen an vielen Stellen noch einmal deutlich entgegengekommen und deshalb hat Ihr Kollege Blens Sie aufgefordert, dieser guten Rentenreform zuzustimmen. Aber Sie haben sich - zumindest vor einigen Wochen für Obstruktionspolitik entschieden, weil Sie im nächsten Bundestagswahlkampf Ihre zynischen Kampagnen fortsetzen wollen. Dies geschieht zum Beispiel auf dem Rücken der Frauen in unserem Land. Ich glaube, ich bin nicht die einzige Frau in diesem Hause, die zusammenzuckt, wenn ausgerechnet Herr Goppel, Herr Stoiber und Herr Merz die Rechte der Frauen beschwören. ({5}) Das ist wirklich ein Paradestück. Wer hier genau hinsieht, der muss feststellen, dass dieses Misstrauen, das ich - und wahrscheinlich viele andere Frauen auch - habe, mehr als angebracht ist. Für wen setzt sich die da Union eigentlich ein? Etwa für die erwerbstätigen Frauen? Das kann nicht sein. Die schaffen ihre eigenen Ansprüche und profitieren von dieser Reform genauso wie ihre männlichen Kollegen. Dann vielleicht für die Frauen, die Kinder großziehen, und deshalb zeitweise nicht oder nur in Teilzeit berufstätig sind? Das kann auch nicht sein. Deren Altersvorsorge haben wir im Vergleich zur Situation von heute ganz erheblich verbessert, und zwar durch die Aufwertung der Rentenansprüche für Teilzeitarbeit während der Erziehungszeit - das betrifft die gesetzliche Rentenversicherung - und durch die Kinderkomponente im Rahmen der privaten Vorsorge. Mit einer erneuten Änderung im Rahmen des Vermittlungsverfahrens steht zukünftig schon die Mutter nur eines Kindes auch bei der Hinterbliebenenrente nicht nur genauso gut da wie bisher, sondern sogar noch besser. Künftig wird die Verringerung des Niveaus der Witwenrente von 60 auf 55 Prozent bereits bei einem Kind mehr als ausgeglichen. Gilt der Einsatz der Union dann vielleicht den älteren Frauen? Da kann ich nur sagen: Auch hier totale Fehlanzeige! Denn erstens ändert sich für Frauen, die heute älter als 40 Jahre sind, bei der Hinterbliebenenrente überhaupt nichts. Zweitens helfen wir gerade Frauen mit niedrigen Witwenrenten mit der bedarfsorientierten Grundsicherung. Dazu kann ich nur feststellen: Der haben Sie sich von vornherein verweigert. Sie kennen die Wirklichkeit nicht. Wissen Sie nicht, dass es heute eine verschämte Altersarmut gibt, dass Tausende von Frauen in unserem Land mit absoluten Minirenten, zum Teil mit 500 DM und weniger pro Monat, auskommen müssen, dass sie nicht zum Sozialamt gehen, obwohl sie Anspruch auf Sozialhilfe hätten, weil sie Angst vor dem bürokratischen Aufwand haben und weil sie vor allem ihren Kindern nicht finanziell zur Last fallen wollen? Wir haben uns schon seit vielen Jahren für eine Grundsicherung ohne Rückgriff auf die Angehörigen und ohne den entwürdigenden Gang zum Sozialamt eingesetzt. Dass wir heute dieses Ziel erreichen, das ist in meinen Augen ein wirklich großer sozialpolitischer Erfolg vor allem für viele Frauen in diesem Land. Ich bin sehr froh, dass wir heute auch dieses Vorhaben gemeinsam mit den Ländern verabschieden werden. ({6}) Die Interessen all dieser Frauen, der erwerbstätigen, der Mütter und auch der älteren, können Sie also nicht meinen, wenn Sie uns kritisieren. Welche Frauen bleiben also übrig? Ich will Ihnen sagen, welche Frauen übrig bleiben: Ganz theoretisch können es junge Frauen unter 40 sein, die heiraten, keine Kinder bekommen und die den größten Teil ihres Lebens trotzdem nicht erwerbstätig sind. Herr Merz, Frau Merkel, können Sie mir einmal verraten, wo in der Gesellschaft Sie ein so seltenes Exemplar schon einmal entdeckt haben? Mitten im Leben jedenfalls nicht! ({7}) Kerstin Müller ({8}) Deshalb, Herr Seehofer, stelle ich ganz klar fest: Sie haben nicht die Interessen von Frauen im Blick und deren Realität hier in der Gesellschaft, die sich in den letzten Jahrzehnten verändert hat. Sie jagen veralteten Männerphantasien von einer traditionellen Hausfrauenehe hinterher, die es heute in dieser Gesellschaft fast nicht mehr gibt. Insofern ist diese Rentenreform modern und sie ist auch und vor allem eine Reform für die Frauen. ({9}) Wir kümmern uns um die Menschen. Wir haben mit der Reform die Wirklichkeit im Blick. Deshalb haben wir in die Grundsicherung auch die dauerhaft Erwerbsunfähigen einbezogen. Das will ich nicht vergessen. Es geht dabei um Behinderte, die von ihren Angehörigen betreut und versorgt werden. Wir machen endlich Schluss damit, dass Eltern eines behinderten Kindes ihr Leben lang finanziell massiv belastet werden. Auch das ist ein großer sozialer Fortschritt. ({10}) Wir haben im Vermittlungsverfahren das Verwaltungsverfahren erheblich vereinfacht. Es ist jetzt übersichtlich und transparent. ({11}) Wir haben die Belastung der Länder erheblich verringert, zum Beispiel die Zahl der notwendigen Stellen bei den Finanzämtern von über 2 800 auf 400 gesenkt. Lassen Sie mich kurz auf ein Thema eingehen, das in der Öffentlichkeit eine geringe Rolle gespielt hat. Wir haben erreicht, dass die Anbieter in der privaten Vorsorge und bei den Pensionsfonds die Kunden über ökologische, soziale und ethische Kriterien bei der Anlage unterrichten müssen. Das ist ein neues und innovatives Element in der Finanzwirtschaft, für das wir Grünen uns schon seit langem eingesetzt haben. Das bedeutet mehr Demokratie und mehr Verbraucherschutz. Das konnten wir gemeinsam vereinbaren. ({12}) Zum Wohneigentum: Ich bin in der Tat sehr froh, dass es uns gelungen ist, auch das Wohneigentum in die Förderung der Altersvorsorge einzubeziehen. Wir haben uns auf ein Modell geeinigt, das in weiten Teilen unseren grünen Vorstellungen entspricht. Zukünftig können Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen bis zu 100 000 DM aus der geförderten Altersvorsorge direkt als Eigenkapital zur Finanzierung von selbst genutztem Wohnraum verwenden. Der entnommene Betrag - das ist richtig - muss dann zwar wieder in die Vorsorge zurückgeführt werden, aber, Herr Seehofer, unverzinst und ohne Besteuerung des Zinsvorteils. ({13}) Dies ist ein Unterschied zum ursprünglichen Modell und zu manchen Modellen, die in den vergangenen Wochen diskutiert wurden. Sie haben übrigens nie ein Modell vorgelegt, wie das denn ablaufen kann, meine Damen und Herren von der Union. Sie wissen genau, dass das rechtlich gar nicht so einfach ist. Dies war einer der Gründe dafür, dass wir so ausführlich diskutiert haben. ({14}) Wir haben eine Lösung gefunden, die kein Placebo, sondern eine echte Einbeziehung des Wohneigentums ist. Damit können künftig Haushalte mit einem durchschnittlichen Einkommen für ihr Alter privat vorsorgen und müssen trotzdem nicht auf den Hausbau verzichten. Das bedeutet: Sie erhalten die echte Wahlfreiheit. Deshalb ist das ein sehr vernünftiger Vorschlag. Zu Recht schreibt „Die Welt“, die nicht gerade im Verdacht steht, eine grüne Hauspostille zu sein - ich zitiere -: Das nun favorisierte Modell ist so einfach wie vernünftig. ({15}) Weiter: Mit diesem Vorschlag wird die Regierung dem Wunsch von mindestens drei Vierteln aller Bürger gerecht, die im Eigenheim die beste Altersvorsorge sehen und ihre Immobilie deshalb genauso stark gefördert sehen wollen wie andere Kapitalanlagen, etwa Lebensversicherung und Rentenfonds. Meine Damen und Herren von der Union, dem ist nichts hinzuzufügen, außer dass Sie in diesem Verfahren keinen einzigen Vorschlag gemacht haben, wie man das Wohneigentum einbeziehen kann. Ihre Forderungen hatten mit der Altersvorsorge gar nichts zu tun. ({16}) Wir beschließen heute - nur darum geht es - die staatliche Förderung der privaten Altersvorsorge in Höhe von insgesamt 20,5 Milliarden DM jährlich. Was wir heute machen, ist - das sage ich nicht nur in Richtung der Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU und der F.D.P., sondern auch und gerade in Ihre Richtung, liebe Kolleginnen und Kollegen von der PDS -: Wir fördern die private Altersvorsorge mit staatlichen Mitteln, damit sich in Zukunft nicht nur die Reichen und Besserverdienenden eine private Vorsorge leisten können, sondern auch die Menschen, die ein niedriges Einkommen haben. Das ist der Sinn dieser staatlichen Förderung. ({17}) Es geht im Kern darum, dass auch Familien, die nicht zu den Besserverdienenden gehören, für ihr Alter privat vorsorgen können, damit sich auch Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen diese Privatrente leisten können. Wenn Sie jetzt hier und im Bundesrat gegen dieses Gesetz stimmen - das Land Mecklenburg-Vorpommern wollte eigentlich zustimmen, aber ich habe gehört, Sie haben sich durchgesetzt -, dann stimmen Sie dagegen, dass in Kerstin Müller ({18}) Zukunft auch die weniger gut Betuchten eine Rente bekommen, die ihren Lebensstandard sichert. Ich kann nur sagen: Das ist das glatte Gegenteil von sozialer Gerechtigkeit. ({19}) Was die Auseinandersetzung im Wahlkampf angeht, bin ich in diesem Punkt ganz gelassen, denn ich glaube, dass jeder Versuch, den Menschen zu erklären, warum Sie ihnen die staatliche Unterstützung in Höhe von 20,5 Milliarden DM vorenthalten wollen, scheitern wird. ({20}) Sie sollten sich also sehr gut überlegen, ob Sie das aus purer Ideologie - denn es sind rein ideologische Argumente, die Sie anbringen - wirklich machen wollen. Nun aber noch einmal zu Ihnen, meine Damen und Herren von der Union. Ich habe Ihnen in diesem Hause schon im Januar prophezeit, dass die Länder im Bundesrat zustimmen werden, weil alles andere gegenüber den Menschen in unserem Land absolut verantwortungslos wäre. Wissen Sie, Herr Merz und Frau Merkel, Sie kommen mir mitsamt Ihrem Superstrategen Laurenz Meyer manchmal vor wie die drei von der Baustelle: Vorne streichen Sie noch die Fassade schwarz, aber hinten sind schon mindestens drei Stockwerke weggebrochen. Deshalb rate ich Ihnen: Stimmen Sie lieber zu! Wenn Sie immer noch nicht wissen, warum, dann fragen Sie doch am besten Ihren Kollegen Blens, der kann es Ihnen sehr gut erklären. Danke schön. ({21})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die F.D.P.-Fraktion spricht nun die Kollegin Dr. Irmgard Schwaetzer.

Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002120, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine lange Debatte findet heute ein vorläufiges Ende. Nachdem die vorläufige Reform der gesetzlichen Altersversicherung schon vor zwei Monaten gegen das Votum der F.D.P. von Rot-Grün beschlossen worden ist, folgt nun das Altersvermögensgesetz - ebenfalls mit den Stimmen von Rot-Grün gegen die der Opposition. Die Ziele, die Sie sich gesetzt hatten, sind ja durchaus ehrenwert ({0}) und deshalb haben wir sie ja auch geteilt. Es geht nämlich darum, die gesetzliche Rente durch eine tief greifende Reform bis 2030 kalkulierbar und sicher zu machen und die notwendigen Einschränkungen durch den Ausbau kapitalgedeckter privater Vorsorge und die Stärkung der betrieblichen Alterversorgung aufzufangen, also eine neue Statik zwischen den drei Säulen der Altersvorsorge herzustellen. Diese Ziele hat die F.D.P. immer geteilt, weil wir genau dies schon seit vielen Jahren gefordert haben. ({1}) - Sie waren bei den Verhandlungen doch gar nicht dabei. Insofern können Sie auch gar nicht wissen, welche Vorschläge ich auf den Tisch gelegt habe. ({2}) Herr Riester, Sie sind mutig gestartet, aber zu kurz gesprungen. Ihre Reform wird ein Verfalldatum von höchstens fünf Jahren haben. Das bedeutet, dass wir jetzt schon die nächste Reform vorbereiten müssen. Unter dem Druck von F.D.P. und CDU/CSU wollen Sie nun bei der Hinterbliebenenversorgung nachbessern. Die F.D.P. - Herr Kollege Tauss, das war der erste Vorschlag, den ich bei den Verhandlungen auf den Tisch gelegt habe ({3}) hat vorgeschlagen, diesen Teil der Reform für fünf Jahre auszusetzen. Sie, Herr Riester, sind diesen Vorstellungen mit Ihrem Vorschlag sehr nahe gekommen. Wir müssen uns also diesen Teil in der nächsten Legislaturperiode noch einmal sehr sorgfältig vornehmen und eine Lösung ausarbeiten, die den berechtigten Interessen der Frauen entspricht und außerdem das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Familienförderung in den Sozialversicherungssystemen umsetzt. Das sind Sie uns noch schuldig geblieben, Herr Riester. ({4}) Frau Müller, auch Ihnen möchte ich gerne etwas sagen. Wenn Sie die Hausfrauenehe hier als unmodern abtun, dann sind Sie wirklich hinter der Zeit zurück. ({5}) Sie wollen den Frauen wieder einmal ein Lebensbild vorgeben, obwohl die Frauen das für sich selbst entscheiden wollen. ({6}) Warum glaubt Rot-Grün eigentlich immer, den Menschen vorschreiben zu müssen, wie sie sich zu verhalten haben? ({7}) Dieser Punkt war übrigens immer ein Herzstück unserer Diskussion mit Ihnen. Sie haben damit argumentiert, dass die Menschen schutzbedürftig seien. Die Menschen pfeifen Ihnen etwas! Die wollen selber für sich entscheiden; die wollen Ihren Schutz in großen Teilen überhaupt nicht. ({8}) Lassen Sie mich nun ein Wort zur Union sagen. Zur Hinterbliebenenversorgung wie zu allen anderen Punkten der Verhandlungen hat die Union keine eigenen Vorschläge auf den Tisch gelegt. ({9}) Kerstin Müller ({10}) Das Altersvermögensgesetz könnte - und das, Herr Seehofer, ärgert mich nun besonders - ganz anders aussehen, wenn die CDU/CSU mit verhandelt hätte. ({11}) Ich habe einen präzisen Kriterienkatalog zur Reform der privaten Altersvorsorge auf den Tisch gelegt. Außer verbalen Unterstützungen habe dazu ich von Ihnen nichts zu hören bekommen. Sie haben nicht wirklich verhandelt. Das ist das Problem. ({12}) Wir sollen heute ein Reformwerk verabschieden, bei dem wir sehr viel mehr hätten durchsetzen können, wenn sich die Union nicht verweigert hätte. Der Kriterienkatalog könnte einfacher und transparenter sein sowie Wahlfreiheit enthalten. Wir hätten in dem Gesetzentwurf kein derart verkorkstes Modell der Immobilienförderung, und auch die Bausparförderung hätte mit aufgenommen werden können, wenn Sie sich nicht verweigert hätten. ({13}) Auch heute, Herr Seehofer, ist nicht klar geworden, ob Sie bereit sind, die notwendigen Einschnitte in der gesetzlichen Rentenversicherung vorzunehmen. Diese Einschnitte sind erforderlich, damit wir nicht bei Beitragssätzen von 24 oder 26 Prozent - unter Berücksichtigung der privaten Altersvorsorge sogar von 28 Prozent - landen. Ich will Ihnen ganz kurz anhand von drei Bereichen aufzeigen, wo in der nächsten Legislaturperiode ein Reformbedarf liegen wird: Erstens. Das Gesetzespaket insgesamt genügt nicht der Generationengerechtigkeit. Viele Probleme werden zulasten der jüngeren Generation wieder einmal verschoben. All das, was jetzt nicht reformiert wird, verkürzt die der jungen Generation zur Verfügung stehende Zeit, um bis zum Jahre 2030 für einen Ausgleich zu sorgen. Deswegen muss - auch in Bezug auf das bereits verabschiedete Gesetz, das ja im Zusammenhang mit der jetzigen Beratung zu sehen ist - darauf hingewiesen werden: Die Annahmen, von denen Sie ausgehen, halten einer Prüfung nicht stand. Fangen wir bei der Lebenserwartung an: Jeder ernsthafte Wissenschaftler sagt heute bereits, dass die Lebenserwartung im Jahre 2030 um mindestens ein Jahr höher liegen wird, als in den Berechnungen der Bundesregierung zugrunde gelegt wurde. Dies hätte zur Folge, dass der Beitragssatz um mindestens einen halben Beitragssatzpunkt höher liegen müsste als die 22 Prozent, von denen jetzt ausgegangen wird. Die Probleme setzen sich bei den ökonomischen Annahmen, die Sie treffen, fort: Die Arbeitslosenzahl soll im Jahr 2030 auf 0,9 Millionen gesunken sein; das hieße Vollbeschäftigung. Wie Sie das erreichen wollen, lassen Sie völlig offen. Außerdem nehmen Sie an, dass die Sozialversicherungsbeiträge für Pflege- und Krankenversicherung im Jahre 2030 noch genau so hoch sein werden wie heute. Das können Sie doch nicht ernsthaft glauben. Wir kämpfen doch heute schon in der Pflege- und in der Krankenversicherung gegen höhere Beitragssätze. ({14}) Ich möchte die neue Gesundheitsministerin Ulla Schmidt, die ja für diese Annahmen noch mit verantwortlich ist, einfach mal fragen, wie sie denn glaubt, es zu schaffen, diese Voraussetzungen für die Einhaltung des Beitragssatzes von 22 Prozent herzustellen. Sie hat dafür noch keine Lösung und wird auch keine finden. Wir hatten uns zu Beginn der Konsensgespräche vorgenommen, eine ehrliche Reform zu machen. Die vorgelegten Pläne sind keine ehrliche Reform. Sie, Herr Riester, und die SPD-Fraktion haben dem massiven Druck der Gewerkschaften nachgegeben. Ich sage Ihnen, Herr Riester, Sie hätten als Stellvertretender Vorsitzender erst die IG Metall reformieren sollen, bevor Sie sich an die Rente herangemacht haben. ({15}) Zweitens. Das Herzstück einer grundlegenden Rentenreform ist und bleibt die Stärkung der privaten kapitalgedeckten Altersvorsorge. Mit dem Kriterienkatalog, den Sie im ersten Anlauf verabschiedet haben, konnte niemand etwas anfangen. Er war zum Teil widersprüchlich und viel zu kompliziert. Die F.D.P. hat im Vermittlungsverfahren einen eigenen, präzisen und klaren Katalog vorgelegt. Ein paar unserer Vorschläge haben Sie aufgegriffen, zum Beispiel den, die Verträge zu zertifizieren, die entsprechend den Musterverträgen gestaltet sind, um zumindest einen Teil des bürokratischen Aufwandes zu vermeiden. Aber keines der elf Kriterien ist substanziell geändert oder gar abgeschafft worden. Nicht möglich sind variable oder sinkende Auszahlungen, die den Bedürfnissen älterer Menschen entsprechen. Nicht möglich ist neben der Verrentung die Auszahlung eines substanziellen Teilbetrags zu Alterssicherungszwecken. Unklar bleibt auch die Umstellung von Altverträgen. Dies alles ist unbefriedigend. Wenn wir wirklich verhandelt hätten, hätte sicherlich mehr erreicht werden können. Drittens. Für die Einbeziehung der Immobilie, also der gewünschten klassischen Form der Altersvorsorge, ({16}) hat sich die F.D.P.-Fraktion in den Verhandlungen immer ganz besonders eingesetzt. Wir haben ausformulierte und differenzierte Vorschläge inklusive der steuerlichen Behandlung in Form von Gesetzestexten vorgelegt. ({17}) Sie haben das nicht gewollt. Wir waren immer der Meinung, dass die Sparer ihr erspartes Kapital als Eigenkapital beim Bau oder Erwerb einer Wohnung einsetzen können sollten. Zum Zeitpunkt der Entnahme wäre es einmalig zu versteuern gewesen. Wir haben darüber hinaus die Änderung des Wohnungsbau-Prämiengesetzes vorgeschlagen, um auch die Bausparförderung als wichtige Form des Vorsparens aufkommensneutral einzubeziehen. Auch das haben Sie abgelehnt. Das, was Sie jetzt beschlossen haben, ist wirklich ein Treppenwitz. Wer soll das denn verstehen? Ein Sparer gibt sich selbst ein zinsloses Darlehen, das er dann parallel zu seinen Hypothekenzinsen zurückzahlen muss. Nennen Sie mir einmal einen Schwellenhaushalt - für die Schwellenhaushalte machen wir die Reform doch in erster Linie -, der eine daraus resultierende Belastung von 1 800 DM bis 2 000 DM im Monat tragen kann. Das können die nicht. Damit haben Sie das erreicht, woraus Herr Riester auch nie einen Hehl gemacht hat: Sie wollen die Immobilienförderung eigentlich nicht. ({18}) Sie wollen, dass die gesamten 20 Milliarden DM für andere Zwecke zur Verfügung stehen, und zwar vor allem für die von Ihnen ganz besonders favorisierten Pensionsfonds, weil diese von den Gewerkschaften verwaltet werden sollen. ({19}) Sie wollen damit erreichen, dass die Gewerkschaften dadurch das verloren gegangene Vertrauen zurückgewinnen können. ({20}) Wir nehmen uns vor, das alles zu verändern. Deshalb können wir heute der Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses nicht zustimmen. ({21})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die Fraktion der PDS spricht der Kollege Roland Claus.

Roland Claus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003065, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Rentenreform ist auch nach Ende des Vermittlungsverfahrens ein unsozialer Akt. Deshalb werden wir ihr weder hier noch im Bundesrat zustimmen. ({0}) Sie haben sich zwar jetzt noch einmal bemüht, die grundsätzliche Entscheidung über die Rentenreform im Bundestag und das Vermittlungsergebnis auseinander zu halten. Aber Sie können es drehen und wenden, wie Sie es wollen: Das Vermittlungsergebnis und die Entscheidung im Bundesrat sind Teile eines gesamten Rentengesetzes. ({1}) Ohne Bundesratsbeschluss wäre der Bundestagsbeschluss zur Rentenkürzung nicht haltbar. Ich denke, das müssen Sie sich auch selbst eingestehen. Es sind eben nicht zwei verschiedene Dinge, auch wenn Sie noch so sehr versuchen - das haben Sie in der Tat geschickt gemacht -, hier eine künstliche Trennung vorzunehmen. Der Bundesratsbeschluss gleicht einer Ratifizierung der Rentenreform. Wer im Bundesrat zustimmt, legitimiert die ganze Rentenreform. Das geht, finde ich, für die CDU/CSU in Ordnung, weil sie in die gleiche Richtung will. Sie müssen uns nur noch erklären, warum die Bundestagsfraktion der CDU/CSU und die Berliner CDU - dass Letztere ihre Eigenheiten hat, habe auch ich jetzt begriffen - so grundverschieden sein sollen. ({2}) Die künstliche Zerlegung des parlamentarischen Verfahrens ändert nichts daran, dass Ihr Rentengesetz unsozial ist. Ein sozial ungerechter Ansatz wird nicht durch bescheidene soziale Nachsorge korrigiert. Sie haben diese Rentenreform als „Jahrhundertwerk“ bezeichnet. Wenn Sie sich schon in solchen Dimensionen bewegen, dann sagen wir Ihnen, dass Sie einen Jahrhundertfehler machen. ({3}) Die PDS verweigert sich diesem Ansatz, weil er eine Senkung des Rentenniveaus mit sich bringt und damit für mehr Altersarmut sorgt. Die von Ihnen eingeführte Grundsicherung bewegt sich auf Sozialhilfeniveau. Sie übertragen die Finanzierung der privaten Vorsorge einseitig den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Sie haben den Einstieg in den Ausstieg aus der gesetzlichen Rentenversicherung zu verantworten. ({4}) Es wird Ihnen in den neuen Ländern nicht abgenommen, dass Sie sich besonders um den Osten bemühen; denn in der so genannten großen Rentenreform lässt sich nichts zur Angleichung der Rentenwerte in Ost und West finden. Statt die Rente von der Börse abhängig zu machen, hätte sich eine vertrauensbildende Stabilisierung der gesetzlichen Rentenversicherung gehört. ({5}) Das Soziale, meine Damen und Herren von der Koalition, ist bei Ihnen in die Nachsorge geraten. Wirklichen Alternativen, wie sie Sozialverbände, Gewerkschaften, Kirchen und auch die PDS aufgezeigt haben, wurde nicht nachgegangen. Die vermeintliche soziale Nachbesserung, die Sie heute lobpreisen, hält ebenfalls nicht, was Sie versprechen. Öffentlich predigen Sie Wein, doch in dem, was Sie vorhaben, ist sehr viel Wasser. Ich möchte Ihnen Folgendes kurz vorrechnen: Die 20 Milliarden DM für die Förderung von Privatversicherungen wären in der gesetzlichen Rentenversicherung besser aufgehoben. Unbestritten ist - das will ich zunächst sagen -: Die Zulage in Höhe von 7 Milliarden DM für Bezieher niedriger Einkommen geht in Ordnung. Dagegen sind die 13 Milliarden DM für den Sonderausgabenabzug eben nicht in Ordnung. Damit werden die Bezieher von mittleren und hohen Einkommen mehr als die Bezieher von geringen Einkommen gefördert. Das finden wir ungerecht; so viel für die Neue Mitte muss nicht sein. ({6}) Ich will die Zeitschrift „Capital“ - sie steht gewiss nicht in dem Verdacht, sozialistisch zu argumentieren zitieren: Ein Dreipersonenhaushalt mit 60 000 DM Jahreseinkommen erreicht eine Förderquote von 20 Prozent. Ein Dreipersonenhaushalt mit 180 000 DM Jahreseinkommen erreicht aber eine Förderquote von 37 Prozent. ({7}) Auch unter Kanzler Schröder - der Armutsbericht stellt das dar - werden die Reichen reicher und die Zahl der Armen steigt in diesem Lande. ({8}) Seitens der grünen Fraktion wurde mir hier Prinzipienreiterei unterstellt. Ich muss Ihnen sagen: Ich kann nachvollziehen, dass mir die Grünen das vorwerfen. ({9}) Vor dem Hintergrund Ihres Prinzipienwandels muss jemand, der sich zu Werten, Visionen und auch zum Prinzip der sozialen Gerechtigkeit bekennt, in der Tat als ein Prinzipienreiter erscheinen. ({10}) Die Prinzipientreue der SPD - wir kennen sie noch - hat exakt bis 1998 angehalten. Eines sollten Sie jetzt nicht machen: Sie sollten der CDU/CSU nicht pausenlos die Politik ihrer 16 Regierungsjahre vorwerfen; schließlich machen Sie selbst genau das, was die CDU/CSU immer gewollt, sich aber nie getraut hat. ({11}) Es geht auch in Ordnung, dass uns die Christdemokraten keine Prinzipienreiterei vorwerfen; denn ihre Kritik im Bundestag hat ein klares Verfallsdatum, und zwar 11 Uhr des heutigen Tages. Dann steht nämlich die Entscheidung im Bundesrat an. Zum Abschluss möchte ich Folgendes sagen: Für die PDS bedeutet diese Entscheidung keinen Rückfall in die Totalopposition. Wir sind auch künftig kooperationsfähig, zum Beispiel, wenn es darum geht, eine große Rentenreform anzupacken, die diesen Namen verdient. Nur eines sind wir eben nicht - das müssen Sie wissen -: die Westentaschenreserve des Bundeskanzlers. Vielen Dank. ({12})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich gebe der Kollegin Erika Lotz von der sozialdemokratischen Fraktion das Wort.

Erika Lotz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002726, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Claus, ich kann schlicht nicht nachvollziehen, dass Sie die Förderung von Arbeitnehmern in Höhe von 20 Milliarden DM als unsozial bezeichnen. ({0}) Die Rentnerinnen und Rentner werden nach dieser Reform besser als vorher dastehen; deshalb ist diese Reform nicht unsozial, sondern in die Zukunft gerichtet. Sie wird den Menschen Sicherheit geben. ({1}) Ich möchte noch ein Wort zu Herrn Seehofer sagen. Herr Seehofer, Ihre Rede hat mich - das wird Sie vielleicht nicht wundern - schon sehr geärgert. Dazu, dass Sie uns unanständige Kürzungen vorhalten, sage ich Ihnen schlicht: Diesen Ball spiele ich an Sie zurück. Ich muss Sie an die Zeit erinnern, als Ihre Partei regiert hat: Damals sind beispielsweise die Ausbildungszeiten gekürzt worden, und das bei steigenden Beiträgen. Ihr Vorhalt ist einfach unwahr. ({2}) Wir verbessern die Situation von Müttern. Wer es mit den Familien wirklich gut meint und in dieser Hinsicht nicht nur Lippenbekenntnisse von sich gibt, der muss dieser Reform zustimmen. Ein Kommentar in der gestrigen „Frankfurter Rundschau“ hatte den Titel „Witwenschreck“. So, Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, haben Sie sich während der ganzen Debatte über die Rentenreform gebärdet. Sie haben - wider besseres Wissen - wahre Horrorgeschichten verbreitet. Herr Seehofer, das haben Sie heute wieder getan. Das ist nicht in Ordnung. ({3}) Wenn es Ihnen wirklich um die Interessen von Frauen und von Müttern geht, dann stimmen Sie unserem Gesetzentwurf zu; denn wir verbessern die Renten der Frauen und die Renten der Mütter. Über eines sollten wir uns doch einig sein: Die beste Altersvorsorge ist die eigene Erwerbstätigkeit, mit eigenen Beiträgen und eigenen, nicht abgeleiteten Rentenansprüchen. Dies haben die meisten jungen Frauen heute erkannt. Wer Kinder erzieht, kann - das wissen wir - oft nur Teilzeit arbeiten oder vorübergehend gar nicht. In diesem Bereich hat die Vorgängerregierung zu wenig getan. ({4}) Das hat auch das Bundesverfassungsgericht festgestellt. Wir sorgen jetzt dafür, dass die Rentenansprüche von Müttern künftig steigen. ({5}) In der Vergangenheit mussten sich die Frauen das noch vor dem Bundesverfassungsgericht erstreiten. Jetzt werden diese Verbesserungen erstmals von einem Parlament beschlossen. ({6}) Um 50 Prozent auf maximal 100 Prozent des Durchschnittsverdienstes werden die Rentenanwartschaften von Müttern während der ersten zehn Lebensjahre des Kindes aufgewertet - eheunabhängig! Davon profitieren auch Alleinerziehende, die oft erwerbstätig bleiben, aber geringe Löhne haben. Wenn Sie also für Mütter Verbesserungen wollen, dann stimmen Sie heute zu! ({7}) Sie können es guten Gewissens tun, weil wir Verbesserungen auch für die Mütter beschlossen haben, die nicht erwerbstätig sein können, weil sie mehrere Kinder haben oder weil ein Kind pflegebedürftig ist. Wir erhöhen die Renten von Frauen, die Kinder erzogen haben, und das ist richtig. Sie sollten also zustimmen, wenn Ihnen die Mütter wirklich am Herzen liegen. Entsprechende Forderungen gab es ja schon lange; aber zu Zeiten, als wir noch in der Opposition waren, haben Sie nur gekürzt. Nun noch ein Wort zur Hinterbliebenenversorgung. Diesbezüglich verbreiten Sie ja wahre Schauermärchen. Ich erinnere an den Wahlkampf in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz. Was Sie dort - auch in Anzeigen an Unwahrheiten verbreitet haben, war schon schlimm. ({8}) Wie wichtig es uns ist, diese Reform in einem Konsens mit der Opposition zu beschließen, zeigt doch die Tatsache, dass wir bis zum Ende des Vermittlungsverfahrens Änderungen angeboten haben. Wir werden Korrekturen bei der Hinterbliebenenversorgung in einem eigenen Gesetz beschließen. Ich möchte noch einmal betonen - man kann das gar nicht häufig genug tun -: Alle bereits heute Verwitweten und Paare, bei denen ein Partner älter als 40 Jahre ist, sind hier von Änderungen nicht betroffen. Wir wollen, dass die Kindererziehung bei der Hinterbliebenenversorgung gewichtet wird. Für die zukünftig Hinterbliebenen unter 40 wird es eine maßvolle Absenkung der Witwenrente auf 55 Prozent geben. Mütter aber haben - auch bei nur einem Kind - keinen Nachteil im Vergleich zur alten Regelung. Sie bekommen für das erste Kind zwei zusätzliche Entgeltpunkte und für jedes weitere Kind einen Entgeltpunkt. Bei einer durchschnittlichen Rente verändert sich die Rentenhöhe von Müttern mit einem Kind zur heutigen Regelung nicht; bei zwei Kindern und mehr stellt sich sogar eine Verbesserung ein, auch für diejenigen, die niedrigere Renten beziehen. Darüber hinaus bleibt es bei der Dynamisierung des Freibetrages. Warum Sie von der CDU/CSU und der F.D.P. jetzt, da es so viele Verbesserungen für Mütter gibt, nicht zustimmen wollen, ist nicht nachvollziehbar. ({9}) Nicht nachvollziehbar ist auch, dass Sie den Arbeitnehmern eine Förderung in Höhe von 20 Milliarden DM für die zusätzliche kapitalgedeckte Alterssicherung vorenthalten wollen. Wir wollen diese Förderung den Arbeitnehmern zukommen lassen. Es ist auch nicht nachvollziehbar, warum Sie der bedarfsabhängigen Grundsicherung - die insbesondere den Müttern zugute kommt - nicht zustimmen wollen. Wir wollen den Müttern den Gang zum Sozialamt ersparen. Deshalb werden wir heute dieses gute Gesetz beschließen. Ich möchte Sie noch einmal eindringlich auffordern, dieses Gesetz mitzutragen und aufzuhören, über diese fortschrittliche Gesetzgebung Unwahrheiten zu verbreiten. Danke schön. ({10})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich gebe der Kollegin Dr. Maria Böhmer für die Fraktion der CDU/CSU das Wort.

Dr. Maria Böhmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002630, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese Reform der Alterssicherung nach der Methode Riester geht eindeutig zulasten der sozial Schwächeren, der Frauen und der Familien. ({0}) Dies werden wir auf keinen Fall hinnehmen. ({1}) Das haben wir Ihnen wiederholt gesagt. ({2}) Wir haben es Ihnen bei der Einbringung des Gesetzes gesagt. Wir haben es Ihnen bei der Verabschiedung der Rentenreform im Januar gesagt. ({3}) Wir haben es Ihnen seit Beginn der Beratungen im Vermittlungsausschuss gesagt. Wir haben auch eingefordert, dass die Kürzungen der Witwenrente und die Entwicklung hin zum Auslaufmodell im Vermittlungsausschuss behandelt werden. ({4}) Sie haben sich dem am Anfang verweigert. ({5}) Erst jetzt, kurz vor Torschluss, kommen Sie zu neuen Erkenntnissen. Dazu kann ich nur sagen: Bei manchen dauert es eben lange, bis sie lernen. Jetzt ist es endlich so weit. ({6}) Herr Minister Riester, ich nehme an, Sie werden uns heute erklären, Sie würden die Witwen jetzt endlich besser stellen. ({7}) Es ist auch hohe Zeit. Aber wie sehen die Verbesserungen für die Witwen aus? Erst haben Sie den Frauen etwas genommen, indem Sie die Hinterbliebenenversorgung von 60 auf 55 Prozent gekürzt haben. Das ist derzeit geltendes Recht. Ich rede nicht über eine Planung, sondern über geltendes Recht. Sie haben pro Kind lediglich einen Entgeltpunkt vorgesehen. Damit war klar: Diese Kürzung kann nicht ausgeglichen werden. Damit aber nicht genug. Dann sind Sie hingegangen und haben den Freibetrag bei der Witwenrente festgeschrieben. Damit war ganz klar, dass die Witwenrente für die jüngere Frauengeneration, für die unter 40-Jährigen, für die dieses gilt, zum Auslaufmodell wird. Sie haben in den Verhandlungen des Vermittlungsausschusses erklärt, dass genau dies auch Ihre Absicht sei. Sie sagten, Sie wollten an der Struktur der durchgesetzten Witwenrentenreform nichts ändern. Hinzu kam noch Ihr dritter Schlag gegen die Witwenrente, indem alle Einkommen angerechnet werden. Wir wissen ganz genau, dass dies völlig kontraproduktiv zu jeder Form des privaten Sparens ist, sofern sie nicht staatlich gefördert ist. Damit haben Sie den Müttern in diesem Lande - den zukünftigen wie den jetzigen - eine Katastrophe bereitet. Trotz Drängen der Frauen, der Frauenverbände und der Familienverbände haben Sie sich bis zum 3. Mai dieses Jahres geweigert, hier substanziell etwas zu ändern. Wenn Sie jetzt sagen, Sie bringen Verbesserungen für die Witwen, heißt das: Sie nehmen die Verschlechterungen zurück. Das und nichts anderes bedeutet das im Klartext. ({8}) Frau Müller hat gesagt, es werde nur die jüngeren Frauen treffen. Frau Müller, ich muss Sie leider aufklären: Die Absenkung des Rentenniveaus trifft Frauen und hier gerade die älteren Frauen doppelt. Auch wenn Sie an der derzeitigen Witwenrente für die ältere Generation nichts ändern - das wäre auch geradezu unmöglich -, setzt sich die Absenkung des Rentenniveaus bei der Witwenrente fort. Das bedeutet, dass die derzeitigen Witwen eine doppelte Kürzung hinnehmen müssen, und zwar einmal über das Absenken des Rentenniveaus bei der eigenen Rente und über die nachfolgende Kürzung bei der Witwenrente. Das ist Fakt. ({9}) - Das ist keine Täuschung der Öffentlichkeit. Wer die Öffentlichkeit mit Anzeigen getäuscht hat, das wissen wir alle. ({10}) Ich kenne Ihre Anzeige noch. Vor den Wahlen in Rheinland-Pfalz und in Baden-Württemberg war in den Zeitungen zu lesen: Die neue Rente - für Frauen ein Gewinn! ({11}) Frauen von heute wollen ihre eigenständige Alterssicherung aufbauen! ({12}) Dann haben Sie gesagt: Bei der neuen Rente wird die Erziehung von Kindern stärker berücksichtigt. Das war alles nachzulesen. ({13}) Wie sieht die Realität aus? ({14}) Alice Schwarzer hat in der „Emma“ vom März/April geschrieben: Niederlage für die Eckrentnerinnen! ({15}) Der Deutsche Frauenrat hat klipp und klar erklärt - ich sage dies absichtlich nicht mit meinen eigenen Worten, sondern zitiere -: Eine gerechtere Rentenreform für die Frauen? ({16}) Wir müssen feststellen, dass wir in allen wesentlichen Punkten nicht erfolgreich waren. So sagt der Deutsche Frauenrat in einer offiziellen Erklärung vom 29. Januar. Weiter heißt es: Weder haben wir einen messbaren Fortschritt bei der eigenständigen Alterssicherung gemacht, noch konnten wir Gerechtigkeit bei der Bewertung der Leistung von Kindererziehung erreichen. Noch nicht einmal der unter dem Schlagwort „Unisextarif“ bekannt gewordene geschlechtergerechte Tarif in der privaten Altersvorsorge ist Gesetz geworden. So weit der Deutsche Frauenrat. Das heißt, sowohl in der gesetzlichen Rente als auch bei der Witwenrente wie auch bei der privaten Vorsorge treffen Sie die Frauen. Sie haben deren Hoffnungen, die Sie ihnen vor der Bundestagswahl eröffnet haben, mit Füßen getreten. ({17}) Herr Riester, ich bin schon einigermaßen erstaunt, wie Sie darauf in der Öffentlichkeit reagiert haben. Auf diese Vorwürfe der Frauen- und Familienverbände haben Sie am 12. März geantwortet: Das ist doch kalter Kaffee. - So geht man mit Frauen in Deutschland nicht um, das kann man nicht machen! ({18}) - Wenn Sie mich das fragen wollen, gebe ich Ihnen doppelt und dreifach die Antwort: Wir als Union waren diejenigen, die die Anrechnung der Kindererziehungszeiten überhaupt in die Rente eingeführt haben. ({19}) Wir haben die Kindererziehungszeiten für die jüngere Frauengeneration auf drei Jahre verlängert. ({20}) Wir haben eine 100-prozentige Anrechnung und die additive Regelung eingeführt. Wir haben auch ganz klar gesagt: Jetzt sind die Frauen dran, die vor 1992 ihre Kinder geboren haben. ({21}) Denn diese Frauen haben unter härteren Bedingungen die Erziehungsarbeit leisten müssen, sie haben mehr Verzicht eingebracht. Ohne die Erziehungsleistung dieser Frauen würde die Rente heute auf tönernen Füßen stehen. ({22}) Deshalb bin ich auch sehr erstaunt über das Frauenbild, das hier von Rot-Grün verbreitet wird. Sie sagen, Sie wollten die Frauen in ihrer Gesamtheit berücksichtigen, und unterstellen uns, dass wir lediglich bereit seien, die Frauen, die sich für die Familie entschieden haben, zu fördern. Wir schreiben niemandem vor, wie er leben soll. ({23}) Wir wollen, dass die Menschen Wahlfreiheit haben, dass sie sich der Familie widmen können, dass sie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf praktizieren können ({24}) und dass sie nicht durch staatliche Maßnahmen gelenkt werden. Was Sie machen, liebe Frau Lotz, ist ganz eindeutig. Mit dem Gesetz, das Sie im Januar verabschiedet haben, fördern Sie ausschließlich die Kindererziehung bei erwerbstätigen Frauen. ({25}) Sie setzen bei der Teilzeiterwerbstätigkeit an. Die Mütter, die normal verdienen, fallen bei Ihnen allerdings auch unter den Tisch. Erst als wir heftig protestiert haben und als Ihnen klar wurde, dass Sie auch gegen die Verfassung verstoßen würden, haben Sie die nicht erwerbstätigen Mütter mit zwei Kindern berücksichtigt. Aber Sie lassen noch immer die Mutter mit einem Kind außen vor, die sich ausschließlich für die Erziehung dieses Kindes entscheidet. Wer hat denn hier eigentlich das einseitige Frauen- und Familienbild? ({26}) Im Übrigen verbinden Sie das alles mit der Frage, wie Sie Nachteile ausgleichen können. Ich bin sehr für den Ausgleich von Nachteilen. Aber wenn es um die Kindererziehung und die Anerkennung der Kindererziehung in der Rente geht, geht es nicht nur um die Frage des Nachteilsausgleichs, sondern auch darum, Gerechtigkeit für Frauen und Familien herzustellen. Das ist der entscheidende Punkt, den es bei dieser Rentenreform umzusetzen gilt. Das hat Ihnen übrigens auch das Bundesverfassungsgericht aufgegeben. Die jüngste Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Pflegeversicherung sagt eindeutig: ({27}) Kindererziehung muss bei solidarischen Versicherungssystemen berücksichtigt werden, nicht nur bei der Pflegeversicherung, sondern auch bei der Rentenversicherung. Wenn Sie es nicht leisten, dann werden wir es leisten. ({28}) Ich will noch ein Wort sagen.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Nein, Frau Kollegin Böhmer, Sie müssen jetzt leider zum Schluss kommen. Bitte sprechen Sie Ihren Schlusssatz. ({0})

Dr. Maria Böhmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002630, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe den Eindruck, dass wir bei allen Änderungen, die jetzt im Bereich der Witwenrente noch kommen, unter dem Strich feststellen müssen, dass sowohl die gesetzliche Rente als auch die jetzt aufgebaute private Vorsorge nach wie vor zu große Nachteile für Frauen und Familie bringen, als dass man zustimmen könnte. Es geht darum, in die nächste Runde zu gehen und dann Verbesserungen für die Frauen zu erreichen. Herzlichen Dank. ({0})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich gebe das Wort dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Walter Riester. Walter Riester, Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung ({0}): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn der Deutsche Bundestag heute die Rentenreform in ihrem zweiten Teil beschließt und auch der Bundesrat zustimmt, werden alle Rentnerinnen und Rentner - ich betone: alle Rentnerinnen und Rentner - nicht nur jetzt, sondern auch in Zukunft mehr Rente haben als nach dem alten Rentenrecht. ({1}) Wir haben mit der Rentenreform vor allem dort zusätzliche Verbesserungen erreicht, wo Menschen durch die Betreuung behinderter Personen, durch die Erziehung von Kindern und aufgrund ihrer Gesundheit daran gehindert waren, selbst Rentenansprüche zu erwerben. Ich will zunächst auf den weiten Bereich eingehen, der vor allem Frauen betrifft. Erstmals wird für alle Frauen, die unter 4 500 DM verdienen und Kinder erziehen, ihr rentenrechtlicher Verdienst vom dritten bis zum zehnten Lebensjahr des Kindes um 50 Prozent bis zu einer Grenze von 4 500 DM erhöht. Erstmals bedeutet dies, dass durch Kindererziehung und Erwerbstätigkeit höhere Rentenansprüche erworben werden können. ({2}) Erstmals soll für alle Frauen - das gilt auch für Männer -, die zwei oder mehr Kinder erziehen und die deshalb nicht erwerbstätig sind, diese rentenrechtliche Erhöhung gelten. ({3}) Erstmals setzen wir fest, dass für Eltern, die behinderte Kinder erziehen und die dadurch besondere Belastungen auf sich nehmen, 18 Jahre lang eine rentenrechtliche Höherbewertung erfolgt. Erstmals wird ein Rentenrecht, das Familienzeiten und Kindererziehung stärker berücksichtigt, deutsches Recht. ({4}) Mit dem neuen Rentenrecht haben wir sichergestellt, dass Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen und schwerbehinderte Menschen, die ihren Beruf nicht mehr ausüben können, besser gestellt werden als nach dem alten Rentenrecht. ({5}) - Der Zwischenruf ist richtig, dass sie möglicherweise nicht mehr arbeiten können. Aber dafür trägt das Rentenrecht keine Verantwortung. - Wir stellen diese Menschen im Rentenrecht besser. Was Politik leisten kann, das leisten wir. ({6}) Nach langen Jahren des Rentenbeitragsanstiegs haben wir dafür gesorgt, dass der Rentenbeitrag abgesenkt wurde. Wir sorgen jetzt dafür - und zwar mit gesetzlicher Verpflichtung -, dass der Rentenversicherungsbeitrag bis zum Jahr 2020 die Grenze von 20 Prozent nicht mehr überschreiten darf. ({7}) Damit stellen wir sicher, dass all diejenigen, die jetzt in Arbeit sind und die mit ihren Rentenversicherungsbeiträgen die Sicherung der Renten finanzieren, nicht dauerhaft eine steigende Belastung erfahren, wie es noch vor wenigen Jahren der Fall war. Wir haben ferner - auch darüber muss heute entschieden werden - den Aufbau einer zweiten Rente für breite Bevölkerungsschichten möglich gemacht. Erstmals führen wir eine Regelung ein, die es ermöglicht, breite Bevölkerungsschichten beim Aufbau einer kapitalgedeckten ergänzenden Rente zu unterstützen. Sie ist keine Zwangsrente und kein Muss. Wir bieten vielmehr den Beziehern mittlerer und unterer Einkommen und vor allem den Familien mit Kindern eine umfassende Unterstützung an. ({8}) Ich möchte ein Beispiel nennen: In einer Familie, in der die Eltern 30 Jahre alt sind, zwei Kinder haben und erwerbstätig sind, gibt es - bei voller Förderung - für den Vater 300 DM, die Mutter 300 DM, jedes Kind 360 DM. Das sind 1 320 DM. Bei einer Gesamtsparleistung von 2 000 DM muss die Familie nur 680 DM selbst aufbringen. Der Rest wird durch staatliche Förderung gezahlt. ({9}) Wir reden nicht nur über einen Quantensprung in der Alterssicherung, sondern wir führen diesen Quantensprung durch, weil die kapitalgedeckte ergänzende Rente als zweite Rente zukünftig für alle Menschen gefördert wird. Das ist Solidarität mit Gewinn! ({10}) Es liegt ein langer Prozess der Diskussion, des Ringens um diese Alterssicherung hinter uns, ein langer Prozess, in dem wir Erfahrungen gemacht haben, und ich - das sage ich sehr bewusst - über lange Zeit die Illusion hatte: Die Opposition trägt diese Reform mit, sie arbeitet konstruktiv an dieser Reform mit, weil es ein gesamtgesellschaftliches Werk ist. Das hat sich als Illusion erwiesen und dies bedaure ich. ({11}) Gleichzeitig sage ich aber auch, dass ich bei der Opposition differenziere. Ich habe im ersten Teil des Gesetzgebungsverfahrens und - das sage ich ebenfalls - im zweiten Teil, bei der Arbeit des Vermittlungsausschusses, bei Ihnen, Frau Schwaetzer, den Eindruck gehabt, dass Sie sehr konstruktiv mit eigenen Vorschlägen - die ich nicht alle geteilt habe - an der Sache mitgearbeitet haben. Umso mehr bedaure ich, dass Sie und Ihre Partei das Ergebnis nicht mittragen können. Ich bin der Auffassung, dass Sie in einigen Punkten das Ergebnis nicht genau kennen. Ihr Hinweis beispielsweise, dass Auszahlpläne eine variable Auszahlung nicht vorsehen, ist schlicht falsch. Wir haben aufgenommen, dass nach den Auszahlplänen gleiche, steigende oder auch variable Teilrenten gezahlt werden können. Völlig anders hat sich die Sache bei der Union gezeigt. Ich habe zumindest seit dem vorigen Frühjahr mit zunehmender Klarheit erkennen müssen, dass von der Union eine konstruktive Mitarbeit nicht gewünscht war. ({12}) Wir haben keine eigenständigen konstruktiven Vorschläge erhalten, sondern es ist Ihnen nur um Blockade, Verschleppen und in vielen Punkten - das muss ich offen sagen, ich gehe noch darauf ein - um fast unzumutbare Diffamierung gegangen. ({13}) Bundesminister Walter Riester Herr Seehofer, wenn Sie heute von Sozialräubern sprechen, so sind wir das gewohnt; darauf will ich gar nicht weiter eingehen. Wenn Sie darauf hinweisen, ich hätte Ihrer Partei vorgeworfen, in den Landtagswahlkämpfen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz mit einer verlogenen Kampagne zur Witwenrente gearbeitet zu haben, so ist das völlig richtig. Es war eine verlogene Kampagne und ich will das begründen. ({14}) Sie haben in großen Anzeigen wörtlich plakatiert: RotGrün will den Witwen an die Rente! - Dies ist verlogen! ({15}) - Sie schmunzeln und zeigen damit, dass Sie wissen, es war gelogen. ({16}) Ich will Ihnen zeigen, warum es gelogen ist. Das neue Rentenrecht ändert überhaupt nichts bei den Renten der jetzigen Witwen und der jetzigen Witwer. Das Rentenrecht ändert nichts bei den Renten von Verheirateten, wo einer älter als 40 Jahre ist. Das Rentenrecht greift bei den Jüngeren, bei denen im Regelfall der Bezug einer Witwenrente erst in 25, 30 oder 35 Jahren eintritt. Ich vermute, dass Sie das gewusst haben, als Sie gelogen haben. ({17}) Wir haben das jetzt geändert. Ich will, um Ihnen eine weitere Schmutzkampagne nicht zu ermöglichen, zur Richtigstellung sagen: ({18}) Auch in diesen Fällen wird zukünftig jede Witwe und jeder Witwer, die oder der mindestens ein Kind erzogen hat, eine bessere Witwenrente bekommen als in der Vergangenheit. ({19}) Herr Seehofer, da wir gerade beim Thema Lügen sind: Ich habe eben auf Ihren Hinweis, dass Herr Professor Rürup erklärt hätte, die Rentenreform führte zu Beitragssteigerungen von 24 bis 25 Prozent, einen Anruf bekommen. Herr Rürup hat mir mitgeteilt, dies sei verlogen, er habe dies nie gesagt. ({20}) Er hat mir vorhin im Parlament mitteilen lassen, dass die Rentenversicherungsbeiträge bei der Rentenreform in ihrer jetzigen Anlage über 22 Prozent nicht hinausgehen. Im Übrigen darf ich Ihnen sagen: Wir haben dies auch rechtlich abgesichert. Natürlich weiß heute niemand, ob ökonomische Grundannahmen im Jahr 2020 und im Jahr 2030 noch richtig sind, weder Rürup noch ich und schon gleich gar nicht Herr Seehofer. ({21}) Wir haben im Gegensatz zu anderen aber dafür gesorgt, dass jede Regierung reagieren und sicherstellen muss, dass die Zusagen, die gemacht worden sind, auch eingehalten werden. ({22}) Wir stehen heute vor dem Abschluss dieser großen Reform. Ich denke, das ist ein ganz, ganz wichtiger Schritt für die Menschen in unserem Lande: für die Älteren, die wissen, dass sie durch dieses neue Rentenrecht - ich betone es nochmals - auf jeden Fall höhere Renten haben werden als nach dem alten Rentenrecht; für die Jungen, die wissen, dass ihre Rentenbeiträge bezahlbar sind; für die junge Generation, die weiß, dass sie zukünftig mit dem Aufbau einer zweiten, kapitalgedeckten Rente zwei Rentenzahlungen erhalten wird; für alle Menschen in unserem Lande, die Kinder erziehen und die jetzt wissen, dass ihre rentenrechtlichen Ansprüche zusätzlich höher bewertet werden. Für all diese Menschen wird die Reform ein Gewinn sein. ({23}) Wie immer im Leben gibt es natürlich nicht nur Gewinner. ({24}) Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie sind in der Tat nur einen kurzen Weg gegangen und ein kurzes Stück gesprungen. Sie stehen heute exakt an dem Punkt, an dem Sie am Anfang standen. Das bedaure ich; denn ich hätte eigentlich gewollt, dass eine Opposition konstruktiv mitarbeitet. ({25}) Ich freue mich, meine Damen und Herren, dass wir mit dem Abschluss dieser Reform wieder eines deutlich machen können: dass mit dem Begriff der Reform auch verbunden ist, dass es den Menschen nach der Reform besser geht als vor der Reform. ({26}) Dafür, dass Sie diesem Reformwerk zustimmen, möchte ich mich bedanken. Auch für die konstruktive Mitarbeit all derjenigen, die sich beteiligt haben, möchte ich mich nochmals recht herzlich bedanken. ({27}) Bundesminister Walter Riester

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich gebe das Wort zu einer Kurzintervention dem Kollegen Karl-Josef Laumann. ({0})

Karl Josef Laumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001294, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie haben einfach zu früh geklatscht. ({0}) Herr Riester, Ihr Vorwurf, meine Fraktion, die Union, hätte sich nicht konstruktiv bemüht, eine gemeinsame Linie bei der Rentenfrage zu finden, ({1}) ist angesichts dessen, was ich - ich war von Anfang an bei den Verhandlungen dabei - erlebt habe, eine Ungeheuerlichkeit. ({2}) Denken Sie nur einmal daran, dass Sie während all dieser Gespräche die Rentenformel viermal geändert haben! ({3}) Am Anfang stand Ihre kühne Aussage, Sie würden die Renten zwei Jahre gemäß der Inflationsrate erhöhen, damit würden Sie die Sache in den Griff bekommen. Dann haben Sie den Ausgleichsfaktor erfunden und ihn später zum linearen Ausgleichsfaktor umgestaltet. Auch das mussten Sie zurücknehmen. Später haben Sie gesagt: Wir nehmen 85 Prozent als Basiswert für die Rentenerhöhung. Professor Ruland dagegen schlug 75 Prozent vor. Dann einigt sich die SPD-Bundestagsfraktion in einer gespenstischen Sitzung, angeordnet von der IG Metall, auf 90 Prozent. ({4}) Wissen Sie, was ich an dieser ganzen Geschichte nicht verstehe? ({5}) Trotz all der unterschiedlichen Rentenniveaus kam Sie immer auf den gleichen Beitragssatz von 22 Prozent. Das ist einfach nicht zu verstehen. ({6}) Ich begreife einfach nicht, dass ein Mann wie Sie, Herr Riester, der als Handwerker doch wohl etwas logisch denken kann, glaubt, dass der Beitragssatz sich nicht ändert, wenn andauernd das Rentenniveau geändert wird. Sie haben bis zum Schluss herumgetrickst. Im letzten Moment des Vermittlungsverfahrens haben Sie Verbesserungen bei der Witwenrente vorgesehen. Letztendlich haben nämlich auch Sie erkannt, dass es nicht in Ordnung war, Mütter so zu bestrafen, wie Sie es vorhatten. ({7}) Dass Sie aber diese Verbesserungen für die Witwen, die auch wir begrüßen, unter Beibehaltung des gleichen Beitragssatzes hinbekommen, obwohl das fast 4 Milliarden DM kostet, das ist nicht mehr mit Adam Riese, sondern nur noch mit Adam Riester zu erklären. ({8}) Jetzt will ich Ihnen sagen, wie Sie das in Ihrer Gesamtrechnung hinbekommen.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Herr Kollege Laumann, eine Kurzintervention ist eine Kurzintervention. Ich bitte Sie, jetzt den Schlusssatz zu sprechen. ({0})

Karl Josef Laumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001294, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie gehen immer von dem gleichen Beitragssatz aus. Wie Sie dieses in Ihren Berechnungen hinbekommen, will ich nur an einem Beispiel zeigen: ({0}) Um die Mehrkosten aufgrund der Verbesserungen bei der Witwenrente aufzufangen, ändern Sie in Ihren Berechnungen einfach nur die Zahl der Einwanderer. Sie haben nur herumgetrickst. Solch ein Getrickse kann man mit uns nicht machen. Danke schön. ({1})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich schließe die Aussprache. Ich rufe den Zusatzpunkt 9 auf: Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes ({0}) zu dem Gesetz zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung und zur Förderung eines kapitalgedeckten Altersvorsorgevermögens ({1}) - Drucksachen 14/4595, 14/5068, 14/5146, 14/5150, 14/5367, 14/5383, 14/5970 Berichterstattung: Abgeordneter Wilhelm Schmidt ({2}) Der Berichterstatter verzichtet freundlicherweise auf eine Berichterstattung. Das Wort zu Erklärungen wird auch nicht gewünscht. Der Vermittlungsausschuss hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, dass im Deutschen Bundestag über die Änderungen gemeinsam abzustimmen sei. Es ist namentliche Abstimmung verlangt worden. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorge- sehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird später bekannt gegeben werden.1) Wir setzen die Beratungen fort. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 sowie den Zusatzpunkt 10 auf: 16. Beratung des Antrags der Abgeordneten Monika Griefahn, Eckhardt Barthel, Hans-Werner Bertl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Rita Grießhaber, Dr. Antje Vollmer, Kerstin Müller ({3}), Rezzo Schlauch und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN Auswärtige Kulturpolitik für das 21. Jahrhundert - Drucksache 14/5799 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien ({4}) Auswärtiger Ausschuss Sportausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Helmut Haussmann, Ina Albowitz, Hildebrecht Braun ({5}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P. „Public Private Partnership“ in der auswärtigen Kulturpolitik - Drucksache 14/5963 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({6}) Ausschuss für Kultur und Medien Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und gebe zunächst der Kollegin Monika Griefahn für die Fraktion der SPD das Wort.

Dr. Monika Griefahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003136, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nachdem wir hier nun ein Werk abgeschlossen haben, wenden wir uns einem anderen wichtigen Werk zu. Die Schauspielerin Barbara Sukowa, die in New York lebt, erzählte einmal, wie ihr Mann, ein amerikanischer Maler, bemerkte: „Make sure you don’t take part in anything which has Third in the title“. Er bezog sich auf eine Veranstaltung zur auswärtigen Kulturpolitik in Deutschland, also die „dritte Säule“ der Außenpolitik. Zu dieser Veranstaltung hatten wir Barbara Sukowa eingeladen. Die Äußerung ihres Mannes spricht für sich und zeigt mehr als deutlich, wie wir immer noch wahrgenommen werden. Das ist natürlich nur ein Ausschnitt, aber ein bemerkenswerter. Wir haben offenbar noch einiges in diesem Bereich zu tun; denn diese Bemerkung kam eben nicht von einem Vertreter der hohen Politik, sondern von jemandem, der Teil der „normalen“ Bevölkerung ist - der Zivilgesellschaft, die wir erreichen und für uns gewinnen wollen. Deshalb haben wir in der auswärtigen Kulturpolitik drei große Ziele. Das erste ergibt sich daraus sofort. Erstens. Wir wollen Deutschland der Welt als weltoffenes, tolerantes Land präsentieren, als ein Land, das Gesicht zeigt. So, wie die Kampagne in Deutschland geführt wird, muss dies auch im Ausland geschehen. ({0}) Zweitens. Über die Vermittlung der deutschen Sprache wollen wir erreichen, dass Menschen sich für unser Land interessieren und natürlich auch mit unserem Land verbunden werden. Die Förderung der deutschen Sprache ist und bleibt ein wichtiges Anliegen der auswärtigen Kulturpolitik. International und besonders im europäischen Rahmen wollen wir sie als eine zweite Fremdsprache neben Englisch etablieren. Es ist wichtig, dass wir beides können, dass wir Englisch und Deutsch können und nicht Pidgin-English, Denglish oder sonst etwas, und dass beide Sprachen gut erlernt werden. ({1}) Drittens; das ist ein ganz wichtiges Feld. Das Jahr 2001 wurde von der UN als das Jahr des Dialogs der Kulturen ausgerufen, angeregt von Präsident Khatami aus dem Iran, der sich öffnen wollte und wieder den Dialog sucht. Dialogstrukturen aufzubauen ist ein ganz entscheidender Punkt der Konfliktvermeidungsstrategie in der Außenpolitik. Konfliktvermeidung ist präventive Sicherheitspolitik. ({2}) Konfliktvermeidung zu einem Zeitpunkt, zu dem wir noch keine Polizisten irgendwohin schicken, sondern zu dem wir Verständigung erzielen wollen, zu dem wir die Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters 1) Ergebnis Seite 16449 D Unterschiede und die Gemeinsamkeiten, die unterschiedlichen Wertesysteme gegenseitig verstehen wollen, verhindert, dass wir später mit der Keule aufeinander einschlagen. Deswegen ist das ein wesentliches drittes Ziel, das wir in der auswärtigen Kulturpolitik verfolgen. Auswärtige Kulturpolitik ist damit Sicherheitspolitik, Sozialpolitik, aber auch Wirtschaftspolitik, denn wenn die Menschen mit uns im Dialog stehen, wenn sie zu Deutschland eine Beziehung haben, dann werden sie natürlich auch eher deutsche Produkte kaufen und deutsche Firmen in ihren Ländern ansiedeln. Wir werden mit ihnen in einem engen Kontakt stehen. Insofern spielt dieser Faktor eine ganz wichtige Rolle. ({3}) Das Modell der „Zweibahnstraße“ ist das entscheidende Modell der neuen auswärtigen Kulturpolitik, die auch das Auswärtige Amt in dem neuen „Konzept 2000“ vorgestellt hat. Minister Fischer wird sicherlich dazu sprechen. Das bedeutet: Wir sind nicht die Missionare, die irgendwo hingehen und etwas nur präsentieren, sondern wir lernen und wir geben. Das ist ein auf Gegenseitigkeit basierender Prozess. Die Vielfalt der Kulturen ist dabei die Basis der Politik. Um diesen Dialog voranzubringen brauchen wir eben auch die Zivilgesellschaft, brauchen wir Gruppen, die außerhalb der Politik, außerhalb der staatlichen Organisationen tätig sind. Auf dieser Ebene können Kontakte viel direkter, viel unmittelbarer geknüpft und gepflegt werden. Sie dienen als „Türöffner“ für Politik. Das heißt eben auch, dass es umgekehrt in der Politik ebenfalls mehr zivilgesellschaftliche Elemente braucht, zum Beispiel die Aufnahme von Künstlerinnen und Künstlern in offizielle Regierungsdelegationen. ({4}) Diese Menschen haben ganz andere Kontakte und Herangehensweisen als die Diplomaten und Politiker. Das ist eine Bereicherung, eine Ergänzung, die bei der Bewältigung der vor uns stehenden Aufgaben nur helfen kann. Die Kommunen und Gebietskörperschaften haben auf diesem Gebiet ebenfalls bereits eine sehr intensive Arbeit geleistet. Der Sport- und Kulturaustausch und die Städtepartnerschaften haben in den letzten Jahren viele dieser Kontakte auf unterer Ebene hergestellt und dabei sehr viel zum gegenseitigen Verständnis beigetragen. ({5}) Dabei denke ich nur einmal an Frankreich und daran, wie viel auf dieser Ebene, im direkten Kontakt der Menschen aus ganz kleinen Gemeinden - ich sehe das in meiner Stadt mit ihren 30 000 Einwohnern -, in der Praxis zwischen den Bürgern läuft. Dies ist der beste Weg, um langfristig die Freundschaft mit Frankreich zu sichern. So muss es mit anderen Ländern auch geschehen. ({6}) Ein wichtiger Punkt bei der Verstärkung des Dialogs ist der Austausch auf künstlerischer Ebene im Inland und im Ausland. Da gibt es sehr viele Initiativen, zum Teil von kleinen, gemeinnützigen Kulturveranstaltern, die keine ausländischen Künstler mehr einladen können, weil circa 40 Prozent der Gage ans Finanzamt abgeführt werden müssen. Wir sehen aber, dass genau dort der direkte Dialog, der Austausch mit einer anderen Kultur, stattfindet, zum Beispiel durch Gruppen aus Polen, die in Frankfurt an der Oder auftreten, oder durch Gruppen aus Frankreich, die in einem kleinen Ort in Baden-Württemberg auftreten. Damit auch diese wieder hierher kommen können, wollen wir uns gleichzeitig dafür einsetzen, dass die Besteuerung ausländischer Künstler reduziert wird, zum Beispiel durch einen Freibetrag gerade bei kleinen Gagen, sodass sich die gemeinnützigen Organisationen den Auftritt solcher Gruppen wieder erlauben können. Auch das ist ein wichtiger Beitrag zum gegenseitigen Verständnis. ({7}) Wie wichtig der Teilbereich Konfliktvermeidung und Dialog ist, ist mir bei der Anhörung noch einmal sehr deutlich geworden, die die Fraktionen der SPD und der Grünen zu diesem Thema durchgeführt haben. Beispielsweise hat der kürzlich verstorbene Schriftsteller aus dem Iran, Golschiri, wirklich mit Begeisterung dargestellt, dass das Goethe-Institut im Iran eine wichtige Rolle spielte, dass sich die Menschen dort trafen. Die „10 Nächte der Poesie“ zum Beispiel, die vor über 20 Jahren stattgefunden haben, sind dort in bester Erinnerung, weil da zum ersten Mal gemeinschaftlicher Protest der Iraner gegen die staatliche Zensur ausgedrückt worden ist. Das ist unterhalb der staatlichen Ebene passiert und das geht auch nur unterhalb der staatlichen Ebene. Daran sieht man, wie wichtig für uns die Konstruktion ist, die auswärtige Kulturpolitik in Deutschland mit Mittlerorganisationen zu gestalten, die nicht direkt Botschaftsangehörige sind, sondern eingetragene Vereine, wie das Goethe-Institut Inter Nationes, der DAAD oder die Humboldt-Stiftung. Es ist deutlich geworden, wie wichtig diese nicht staatliche Ebene ist. Daran müssen wir in der Tat weiter ansetzen. Wir müssen uns dafür einsetzen, dass das Institut in Teheran wieder eröffnet wird. Wir sind dort auf einem guten Wege. ({8}) An diesem Beispiel wird aber auch deutlich, wie wichtig neben der Spracharbeit die Programmarbeit ist, die Möglichkeit also, vielfältige Veranstaltungen durchzuführen. Es gibt Tendenzen - man hört das immer wieder -, die Goethe-Institute könnten auf reine Sprachvermittlungsorganisationen reduziert werden und dann würde sich das andere schon ergeben. Ich halte das für absolut falsch. Ich glaube, die Programmarbeit, der Austausch von Künstlerinnen und Künstlern, die Begegnung sind die zentrale Ebene, auf der wir den Dialog fördern und in der GeMonika Griefahn sellschaft eine Basis schaffen können, um Konflikte zu vermeiden. ({9}) Ich möchte mich an dieser Stelle ganz besonders bei Hilmar Hoffmann, dem langjährigen Präsidenten des Goethe-Institutes, bedanken, der Ende dieses Jahres sein Amt abgeben wird, der allein in den letzten acht Jahren 30 Millionen DM zusätzlich gesammelt hat, um in den Goethe-Instituten Programmarbeit zu ermöglichen, und der sich sehr dafür eingesetzt hat, dass im Rahmen der Fusion zwischen dem Goethe-Institut und Inter Nationes, die jetzt erfolgreich vollzogen worden ist, die Rendite, die aus einer solchen Verwaltungsvereinfachung entsteht, tatsächlich für Programmarbeit eingesetzt wird. Dafür wollen auch wir hier eintreten. ({10}) Neben dem Goethe-Institut, dem DAAD, der Humboldt-Stiftung etc., sind aber auch hier im Lande Organisationen wichtig, die diesen Austausch betreiben. Ein Beispiel dafür ist das „Haus der Kulturen der Welt“ als „die“ Einrichtung für den Austausch im Inland, das sehr viele Programme gestaltet, die sehr intensiv genutzt werden, und bei dem, wie ich gerade gelernt habe, ein Besucherzuwachs zu verzeichnen ist. Auch das zeigt, wie notwendig solche Einrichtungen sind. ({11}) Ein wichtiger Teil bei der Vermittlung des Deutschlandbildes ist die Deutsche Welle. Ich bin froh, dass gestern ein neuer Intendant gewählt worden ist, dem ich von dieser Stelle aus viel Erfolg für seine Arbeit wünsche. Ich hoffe, dass wir mit einem neuen Programmauftrag, der nicht allein die Repräsentation Deutschlands umfasst, was nicht mehr zeitgemäß ist, sondern die Dialogfunktion voranbringen wird, ein weltoffenes Bild von Deutschland präsentieren werden. ({12}) Ein Drittel der Arbeit findet in den Auslandsschulen statt. Auch sie werden zukünftig stärker ein Ort der Begegnung werden. Das ist ein wichtiger Punkt; denn ein Drittel des Geldes fließt in diesen Bereich. Ganz wichtig: Wir haben in diesem Jahr die Stipendien für Studenten erhöht. Auch das ist wiederum ein entscheidender Punkt. In Deutschland wird die Möglichkeit zur Begegnung hergestellt und gleichzeitig eine Anbindung geschaffen. Somit soll in Zukunft zwischen dem Land, aus dem der Student kommt, und seinem Aufenthaltsort ein guter Kontakt bestehen. Darüber hinaus soll die Möglichkeit bestehen, dass Studenten nach Vollendung ihrer Ausbildung in dem Land bleiben können. Die große Aufgabe der auswärtigen Kulturpolitik kann ich nur in Kürze skizzieren. Wir werden europäisch intensiver zusammenarbeiten müssen. Wir werden gemeinsame Euro-Campus-Schulen errichten. In Schanghai und Manila haben wir bereits gemeinsame Schulen. Auch in London gibt es gemeinsame Institute von British Council und Goethe-Institut Inter Nationes. Das ist eine gute Grundlage für eine europäische Identität. Die auswärtige Kulturpolitik - das muss uns allen klar werden - hat eine ganz wichtige Funktion in unserer Außen- und Innenpolitik. Ich wünsche mir sehr, dass dieses Haus das unterstützt. Ich darf mit einem Zitat von Klaus Staeck schließen, der bei unserer Anhörung dabei war: „Ich wünsche mir die deutsche Kultur als Anreger und als Plattform für wechselseitiges Verständnis.“ - Mehr kann man zu diesem Thema gar nicht sagen. Danke schön. ({13})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Bevor ich das Wort weitergebe, darf ich das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses zu dem Gesetz zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung und zur Förderung eines kapitalgedeckten Altersvorsorgevermögens, Altersvermögensgesetz, auf Drucksache 14/5970 bekannt geben. Abgegebene Stimmen 551. Mit Ja haben gestimmt 295, mit Nein haben gestimmt 252, Enthaltungen 4. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 548; davon ja: 294 nein: 250 enthalten: 4 Ja SPD Gerd Andres Rainer Arnold Hermann Bachmaier Ernst Bahr Doris Barnett Dr. Hans Peter Bartels Eckhardt Barthel ({0}) Klaus Barthel ({1}) Ingrid Becker-Inglau Wolfgang Behrendt Dr. Axel Berg Hans-Werner Bertl Petra Bierwirth Lothar Binding ({2}) Kurt Bodewig Klaus Brandner Willi Brase Dr. Eberhard Brecht Rainer Brinkmann ({3}) Bernhard Brinkmann ({4}) Hans-Günter Bruckmann Edelgard Bulmahn Ursula Burchardt Dr. Michael Bürsch Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Dr. Peter Danckert Christel Deichmann Peter Dreßen Detlef Dzembritzki Dieter Dzewas Dr. Peter Eckardt Sebastian Edathy Ludwig Eich Marga Elser Peter Enders Gernot Erler Petra Ernstberger Annette Faße Lothar Fischer ({5}) Gabriele Fograscher Iris Follak Norbert Formanski Rainer Fornahl Hans Forster Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters Lilo Friedrich ({6}) Harald Friese Anke Fuchs ({7}) Monika Ganseforth Konrad Gilges Günter Gloser Renate Gradistanac Günter Graf ({8}) Angelika Graf ({9}) Dieter Grasedieck Kerstin Griese Achim Großmann Wolfgang Grotthaus Karl-Hermann Haack ({10}) Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann Manfred Hampel Christel Hanewinckel Alfred Hartenbach Klaus Hasenfratz Nina Hauer Hubertus Heil Reinhold Hemker Frank Hempel Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Monika Heubaum Reinhold Hiller ({11}) Stephan Hilsberg Gerd Höfer Jelena Hoffmann ({12}) Walter Hoffmann ({13}) Iris Hoffmann ({14}) Frank Hofmann ({15}) Ingrid Holzhüter Eike Hovermann Christel Humme Lothar Ibrügger Barbara Imhof Brunhilde Irber Gabriele Iwersen Renate Jäger Jann-Peter Janssen Ilse Janz Dr. Uwe Jens Johannes Kahrs Ulrich Kasparick Sabine Kaspereit Susanne Kastner Ulrich Kelber Hans-Peter Kemper Klaus Kirschner Walter Kolbow Karin Kortmann Nicolette Kressl Volker Kröning Angelika Krüger-Leißner Horst Kubatschka Ernst Küchler Helga Kühn-Mengel Ute Kumpf Konrad Kunick Dr. Uwe Küster Werner Labsch Christine Lambrecht Brigitte Lange Christian Lange ({16}) Christine Lehder Waltraud Lehn Klaus Lennartz Eckhart Lewering Götz-Peter Lohmann ({17}) Christa Lörcher Dr. Christine Lucyga Dieter Maaß ({18}) Winfried Mante Dirk Manzewski Tobias Marhold Lothar Mark Ulrike Mascher Heide Mattischeck Ulrike Mehl Ulrike Merten Angelika Mertens Dr. Jürgen Meyer ({19}) Ursula Mogg Christoph Moosbauer Siegmar Mosdorf Michael Müller ({20}) Jutta Müller ({21}) Franz Müntefering Andrea Nahles Volker Neumann ({22}) Gerhard Neumann ({23}) Dr. Edith Niehuis Dietmar Nietan Günter Oesinghaus Eckhard Ohl Leyla Onur Manfred Opel Holger Ortel Adolf Ostertag Kurt Palis Albrecht Papenroth Dr. Martin Pfaff Georg Pfannenstein Johannes Pflug Joachim Poß Karin Rehbock-Zureich Dr. Carola Reimann Margot von Renesse Renate Rennebach Bernd Reuter Dr. Edelbert Richter Reinhold Robbe René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth ({24}) Birgit Roth ({25}) Marlene Rupprecht Thomas Sauer Dr. Hansjörg Schäfer Gudrun Schaich-Walch Rudolf Scharping Bernd Scheelen Siegfried Scheffler Horst Schild Otto Schily Dieter Schloten Horst Schmidbauer ({26}) Ulla Schmidt ({27}) Silvia Schmidt ({28}) Dagmar Schmidt ({29}) Wilhelm Schmidt ({30}) Regina Schmidt-Zadel Heinz Schmitt ({31}) Carsten Schneider Dr. Emil Schnell Olaf Scholz Karsten Schönfeld Fritz Schösser Ottmar Schreiner Gerhard Schröder Gisela Schröter Dr. Mathias Schubert Richard Schuhmann ({32}) Brigitte Schulte ({33}) Reinhard Schultz ({34}) Volkmar Schultz ({35}) Ewald Schurer Dietmar Schütz ({36}) Dr. Angelica Schwall-Düren Rolf Schwanitz Bodo Seidenthal Erika Simm Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Dr. Cornelie SonntagWolgast Wieland Sorge Wolfgang Spanier Jörg-Otto Spiller Dr. Ditmar Staffelt Ludwig Stiegler Rolf Stöckel Rita Streb-Hesse Reinhold Strobl ({37}) Dr. Peter Struck Joachim Stünker Joachim Tappe Jörg Tauss Jella Teuchner Dr. Gerald Thalheim Wolfgang Thierse Franz Thönnes Adelheid Tröscher Hans-Eberhard Urbaniak Rüdiger Veit Simone Violka Ute Vogt ({38}) Hans Georg Wagner Hedi Wegener Dr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann Reinhard Weis ({39}) Matthias Weisheit Gert Weisskirchen ({40}) Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker Jochen Welt Dr. Rainer Wend Hildegard Wester Lydia Westrich Inge Wettig-Danielmeier Dr. Margrit Wetzel Dr. Norbert Wieczorek Jürgen Wieczorek ({41}) Helmut Wieczorek ({42}) Heidemarie Wieczorek-Zeul Heino Wiese ({43}) Klaus Wiesehügel Barbara Wittig Dr. Wolfgang Wodarg Hanna Wolf ({44}) Waltraud Wolff ({45}) Heidemarie Wright Uta Zapf Peter Zumkley BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Gila Altmann ({46}) Volker Beck ({47}) Angelika Beer Grietje Bettin Ekin Deligöz Dr. Thea Dückert Hans-Josef Fell Andrea Fischer ({48}) Joseph Fischer ({49}) Katrin Göring-Eckardt Winfried Hermann Antje Hermenau Ulrike Höfken Michaele Hustedt Dr. Angelika Köster-Loßack Steffi Lemke Dr. Reinhard Loske Oswald Metzger Kerstin Müller ({50}) Winfried Nachtwei Christa Nickels Cem Özdemir Simone Probst Christine Scheel Rezzo Schlauch Albert Schmidt ({51}) Werner Schulz ({52}) Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters Christian Simmert Christian Sterzing Jürgen Trittin Sylvia Voß Helmut Wilhelm ({53}) Nein SPD Detlef von Larcher CDU/CSU Ulrich Adam Ilse Aigner Peter Altmaier Dietrich Austermann Dr. Wolf Bauer Günter Baumann Brigitte Baumeister Meinrad Belle Dr. Sabine Bergmann-Pohl Otto Bernhardt Renate Blank Peter Bleser Sylvia Bonitz Jochen Borchert Wolfgang Börnsen ({54}) Wolfgang Bosbach Dr. Ralf Brauksiepe Paul Breuer Monika Brudlewsky Georg Brunnhuber Klaus Bühler ({55}) Hartmut Büttner ({56}) Cajus Caesar Leo Dautzenberg Wolfgang Dehnel Hubert Deittert Albert Deß Renate Diemers Thomas Dörflinger Hansjürgen Doss Marie-Luise Dött Maria Eichhorn Rainer Eppelmann Anke Eymer ({57}) Dr. Hans Georg Faust Albrecht Feibel Ulf Fink Ingrid Fischbach Dirk Fischer ({58}) Axel E. Fischer ({59}) Herbert Frankenhauser Dr. Gerhard Friedrich ({60}) Dr. Hans-Peter Friedrich ({61}) Erich G. Fritz Dr. Jürgen Gehb Norbert Geis Dr. Reinhard Göhner Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Kurt-Dieter Grill Hermann Gröhe Manfred Grund Horst Günther ({62}) Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein Gerda Hasselfeldt Hansgeorg Hauser ({63}) Klaus-Jürgen Hedrich Helmut Heiderich Ursula Heinen Manfred Heise Siegfried Helias Hans Jochen Henke Ernst Hinsken Peter Hintze Martin Hohmann Klaus Holetschek Dr. Karl-Heinz Hornhues Siegfried Hornung Joachim Hörster Hubert Hüppe Georg Janovsky Dr. Harald Kahl Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter Volker Kauder Ulrich Klinkert Dr. Helmut Kohl Norbert Königshofen Eva-Maria Kors Dr. Martina Krogmann Dr. Paul Krüger Dr. Hermann Kues Karl Lamers Dr. Karl A. Lamers ({64}) Helmut Lamp Dr. Paul Laufs Vera Lengsfeld Werner Lensing Peter Letzgus Ursula Lietz Walter Link ({65}) Dr. Klaus W. Lippold ({66}) Dr. Manfred Lischewski Wolfgang Lohmann ({67}) Julius Louven Dr. Michael Luther Erich Maaß ({68}) Erwin Marschewski ({69}) Dr. Martin Mayer ({70}) Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Hans Michelbach Meinolf Michels Dr. Gerd Müller Elmar Müller ({71}) Claudia Nolte Günter Nooke Franz Obermeier Friedhelm Ost Eduard Oswald Norbert Otto ({72}) Dr. Peter Paziorek Beatrix Philipp Ronald Pofalla Ruprecht Polenz Marlies Pretzlaff Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Helmut Rauber Peter Rauen Katherina Reiche Erika Reinhardt Hans-Peter Repnik Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer Hannelore Rönsch ({73}) Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Klaus Rose Kurt J. Rossmanith Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Anita Schäfer Hartmut Schauerte Heinz Schemken Karl-Heinz Scherhag Dr. Gerhard Scheu Norbert Schindler Dietmar Schlee Bernd Schmidbauer Christian Schmidt ({74}) Dr.-Ing. Joachim Schmidt ({75}) Birgit Schnieber-Jastram Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Rupert Scholz Reinhard Freiherr von Schorlemer Dr. Erika Schuchardt Clemens Schwalbe Dr. Christian SchwarzSchilling Heinz Seiffert Bernd Siebert Werner Siemann Bärbel Sothmann Margarete Späte Wolfgang Steiger Erika Steinbach Andreas Storm Dorothea Störr-Ritter Max Straubinger Matthäus Strebl Thomas Strobl ({76}) Michael Stübgen Dr. Susanne Tiemann Edeltraut Töpfer Dr. Hans-Peter Uhl Gunnar Uldall Arnold Vaatz Angelika Volquartz Andrea Voßhoff Peter Weiß ({77}) Gerald Weiß ({78}) Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese ({79}) Hans-Otto Wilhelm ({80}) Bernd Wilz Willy Wimmer ({81}) Werner Wittlich Dagmar Wöhrl Elke Wülfing Wolfgang Zeitlmann F.D.P. Hildebrecht Braun ({82}) Ernst Burgbacher Jörg van Essen Ulrike Flach Gisela Frick Paul K. Friedhoff Horst Friedrich ({83}) Rainer Funke Hans-Michael Goldmann Joachim Günther ({84}) Dr. Karlheinz Guttmacher Klaus Haupt Ulrich Heinrich Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Dr. Klaus Kinkel Dr. Heinrich L. Kolb Sabine LeutheusserSchnarrenberger Dirk Niebel Günther Friedrich Nolting Hans-Joachim Otto ({85}) Detlef Parr Cornelia Pieper Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Gerhard Schüßler Die Beschlussempfehlung ist angenommen. ({86}) Wir fahren in der Debatte fort. Ich gebe für die CDU/CSU-Fraktion dem Kollegen Dr. Norbert Lammert das Wort.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001274, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn die Koalitionsfraktionen die auswärtige Kulturpolitik der Bundesregierung für diskussionsbedürftig halten und durch einen Antrag im Bundestag öffentlich zur Debatte stellen wollen, steht die Opposition dem selbstverständlich nicht im Wege. ({0}) - So sind wir. Auch die Aufforderung an die Bundesregierung, die im Antragstext der Koalition enthalten ist, der Auswärtigen Kulturpolitik insgesamt ein klares Profil und einen höheren Stellenwert zu verschaffen und sie als außenpolitisches Konfliktvermeidungssystem stärker als bisher in die allgemeine Außenpolitik zu integrieren unterstützen wir gerne. ({1}) Nicht erst seit der Vorlage der „Konzeption 2000“ und ihrer Erörterung im Bundestagsausschuss für Kultur und Medien ist deutlich, wo wir Probleme haben und wo eben nicht. Die geringsten Probleme der auswärtigen Kulturpolitik haben wir in der Definition der Grundsätze. Die größten Schwierigkeiten haben wir bei ihrer Umsetzung. Auch eineinhalb Jahre nach Vorliegen der „Konzeption 2000“ ist die Bundesregierung die Antwort auf die Frage schuldig geblieben, was sie mit welchen Mitteln wo und wann tun will und tun kann. Das Problem ist - zugegeben - nicht neu. Ich stehe überhaupt nicht an, gleich zu Beginn darauf hinzuweisen, dass die Haushaltsknappheit nicht erst seit dem Regierungswechsel aufgetreten ist. Aber während die lautstark verkündeten Ansprüche immer höher geschraubt werden, hat sich der Umfang der verfügbaren Mittel kontinuierlich verringert. ({2}) Die auswärtige Kulturpolitik ist nicht die Sparbüchse des Auswärtigen Amtes. Ich meine dies übrigens ausdrücklich auch im empirischen Sinne, Herr Außenminister. Ich trete hier wie im Ausland dem dort leider weit verbreiteten Eindruck entgegen, durch Kürzungen in der Kulturarbeit würden andere Aufgaben der auswärtigen Politik finanziert. Dieser Eindruck ist falsch, aber weit verbreitet. Die auswärtige Kulturpolitik - das zeigt jeder Blick in den Haushalt - wird nicht schlechter, aber sie wird auch nicht anders als andere Aufgabenbereiche behandelt, schon gar nicht prioritär. Dies genau war aber der Anspruch, mit dem diese Regierung angetreten war. ({3}) Das zentrale Problem der auswärtigen Kulturpolitik ist die wachsende Diskrepanz zwischen den hohen Erwartungen und den bescheidenen Möglichkeiten, zwischen den eigenen Ansprüchen und den tatsächlichen Verhältnissen. ({4}) Man kann das simpel auf einen Satz reduzieren: Die Kürzungen der vergangenen zwei Jahre stehen durchaus im Widerspruch zum formulierten Ziel einer aktiveren auswärtigen Kulturpolitik. So sagte es Joschka Fischer Anfang Mai dieses Jahres in Stuttgart. ({5}) Wenn ich Sie, Herr Fischer, schon nicht für die Kulturpolitik belobigen kann, dann aber für die Ehrlichkeit, mit der Sie zu Protokoll geben, dass die Politik, die Sie betreiben, weit hinter den Erwartungen zurückbleibt, die diese Koalition und diese Regierung erzeugt haben. ({6}) „Die dritte Säule“, von der Frau Griefahn gesprochen hat, „wankt“. Das behauptet keineswegs eine unfreundliche Opposition; das ist - im Original - die Beurteilung des scheidenden Generalsekretärs des Goethe-Instituts, Joachim Sartorius, der dies der Bundesregierung ins Stammbuch geschrieben hat, bevor er in eine andere, ebenfalls vom Bund finanzierte, kulturpolitische Schlüsselfunktion gewechselt ist. ({7}) Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters Dr. Hermann Otto Solms Jürgen Türk PDS Monika Balt Dr. Dietmar Bartsch Maritta Böttcher Dr. Heinrich Fink Dr. Ruth Fuchs Dr. Klaus Grehn Dr. Barbara Höll Gerhard Jüttemann Dr. Evelyn Kenzler Dr. Heidi Knake-Werner Rolf Kutzmutz Ursula Lötzer Dr. Christa Luft Heidemarie Lüth Pia Maier Angela Marquardt Kersten Naumann Rosel Neuhäuser Christina Schenk Gustav-Adolf Schur Dr. Ilja Seifert Enthalten CDU/CSU Dr. Heribert Blens BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Annelie Buntenbach Monika Knoche Ich darf aus seinem Beitrag in dem Band für Hilmar Hoffmann, der schon vorhin zu Recht angesprochen worden ist, folgende Sätze zitieren: Die Mittler erfahren zurzeit den tiefsten finanziellen Einschnitt in ihrer Geschichte. ({8}) Hilmar Hoffmann hat in eindringlichen Reden und Aufsätzen unermüdlich auf den außenpolitischen Schaden hingewiesen, der durch die Schließung von Goethe-Instituten entsteht und in keiner wirklichen Relation zu den eingesparten Beträgen steht. ... Es ist schmerzlich, dass der zuständige Minister dieses Schlüsselfeld nicht besetzen will, dass Joschka Fischer nicht merkt, wie kongruent die Prinzipien der Philosophie der Grünen und die Leitsätze der auswärtigen Kulturpolitik sich zueinander verhalten. Hinsichtlich des letzten Punktes muss ich Sartorius widersprechen; denn die Kongruenz der jeweiligen Grundsätze wird Joschka Fischer schon bemerkt haben. Aber vielleicht ist ihm nicht hinreichend klar, dass es für die Glaubwürdigkeit und Wirksamkeit der deutschen auswärtigen Kulturpolitik nicht ausreicht, dass die Grundsätze dieser auswärtigen Kulturpolitik mit den politischen Prinzipien der demokratischen Parteien bestens übereinstimmen. Vielmehr müssen sie in unseren Partnerländern in der Anwendung erkennbar sein. Gerade das ist aber leider sehr viel weniger der Fall. Der in den vorliegenden Anträgen enthaltene richtige Hinweis auf die durch die Globalisierung entstehenden Herausforderungen für den Dialog der Kulturen der Welt ist oft genug genannt worden; auch die Einsicht in die Unvermeidlichkeit neuer, jedenfalls fortgeschriebener Prioritäten ist nicht mehr originell. Wir können nicht überall und schon gar nicht überall gleich stark vertreten sein. Also brauchen wir neue Strukturen und neue Kooperationsmuster mit unterschiedlichen Partnern sowie gemeinsame Lösungen mit europäischen Nachbarländern in außereuropäischen Ländern; wir brauchen innovative Konzepte unter Beteiligung deutscher und ausländischer Mitarbeiter im jeweiligen Partnerland. Ich unterstütze ausdrücklich die Überlegung, insofern zu einer möglichst gemeinsamen Evaluierung zu kommen. Damit meine ich eine Evaluierung unter Beteiligung des Parlaments und der zuständigen Mitarbeiter der Bundesregierung sowie unter Beteiligung des Sachverstandes der Mittlerorganisationen. Gerade unter den Bedingungen begrenzter finanzieller Ressourcen ist das Verhältnis unserer diplomatischen Vertretungen - insbesondere Botschaften, aber auch Konsulate - zu den deutschen Mittlerorganisationen im jeweiligen Land eine Schlüsselfrage in der auswärtigen Kulturpolitik - und zwar wiederum keine Schlüsselfrage im Prinzip, sondern in der Praxis. Dazu gibt es gute und schlechte Beispiele. Ein besonders deprimierendes Beispiel haben wir auf der Reise der Ausschussdelegation gerade kennen gelernt: Nepal. Dort ist nach Schließung des Goethe-Instituts - dazu will ich, um keine Pappkameraden aufzubauen, sagen, dass das unter der früheren Bundesregierung geschah - nun auch der Kulturreferent der deutschen Botschaft abgezogen worden. Damit sind wir in einem Land, das unter Handels- und Sicherheitsaspekten sicher keine überragende strategische, wohl aber eine herausragende kulturpolitische Bedeutung für uns hat, weil es das vielleicht wichtigste Heimatland des Buddhismus und damit einer der großen Weltreligionen ist, kulturpolitisch schlicht und ergreifend nicht mehr präsent. Die 250 DM im Monat, die die deutsche Botschaft in diesem Land für Kulturarbeit zur Verfügung hat, sind ein geradezu peinlicher Beitrag zur Wahrnehmung der Aufgaben deutscher auswärtiger Kulturarbeit. ({9}) - 250 DM im Monat, nach Abzug des Kulturreferenten, der die Aufgaben hätte wahrnehmen sollen, die nach Schließung des Goethe-Institutes für die deutsche auswärtige Kulturpolitik zu erledigen waren. ({10}) An diesem Beispiel wird deutlich - Probleme werden immer in der Praxis real -, dass wir uns weniger um die Grundsätze zu streiten haben, sondern uns mehr um die Umsetzung dieser Grundsätze in die Wirklichkeit kümmern müssen. Dabei bitte ich darum - ich hoffe, das wird nur eine redaktionelle Akzentuierung sein -, dass da, wo im Koalitionsantrag aus guten Gründen von der Notwendigkeit der Konzentration auf strategisch und politisch motivierte Prioritäten die Rede ist, die Kultur nicht ganz vergessen wird; denn darum geht es bei der auswärtigen Kulturpolitik nach wie vor und in allererster Linie. Es ist wichtig, dass wir uns über die Ziele und Grundsätze unserer auswärtigen Kulturpolitik einig sind, und daran habe ich nach all den Debatten der vergangenen Wochen und Monate überhaupt keinen Zweifel. Auswärtige Kulturpolitik muss sich an Werten orientieren, der Demokratie und den Menschenrechten verpflichtet sein, an wissenschaftlich-technischem Fortschritt, Wachstum und zugleich am Schutz der natürlichen Ressourcen interessiert sein, weltoffen sein, das eigene Land und die Kultur als Teil eines gemeinsamen europäischen Erbes vermitteln, um den Dialog der Kulturen bemüht sein sowie die Verständigung zwischen Staaten und Menschen fördern. Sie darf nicht staatsfern sein, wie es irrtümlich in Ihrem Antrag steht, muss aber regierungsunabhängig sein. Sie muss einen Beitrag zu einer friedlicheren, freundlicheren, durch Geist statt durch Gewalt geprägten und deswegen hoffentlich besseren Welt leisten. Wenn wir uns über all diese Ziele einig sind, können wir sie gewiss gemeinsam im Deutschen Bundestag bekräftigen und beschließen. Allerdings müssen wir wissen, dass es folgenlos bleibt, wenn wir nicht zugleich dafür sorgen, dass all das, was wir wollen, auch tatsächlich geschieht. ({11})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Rita Grießhaber.

Rita Grießhaber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002664, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der auswärtigen Kulturpolitik obliegen sehr viele Aufgaben. Sie hat viele Facetten und wird mit den unterschiedlichsten Mitteln transportiert. Die einen erfreuen sich im Theater oder Konzertsaal am Schönen und Wahren der Kunst, andere lernen in den Kursen des Goethe-Instituts Inter Nationes Deutsch oder nutzen ein Stipendium der Humboldt-Stiftung für ihre berufliche Qualifikation. Auf die eine oder andere Art machen sie über die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik Erfahrungen mit Deutschland. Die Aufgabenpalette ist breit und die Landschaft der nicht staatlichen Vermittler vielfältig. Das Institut für Auslandsbeziehungen hat Anfang Mai sein Stuttgarter Schlossgespräch dem Thema „Mit Kultur gegen Krisen“ gewidmet und die Frage gestellt: Was kann Kultur in politischen Konfliktsituationen und kriegerischen Auseinandersetzungen leisten? Eines ist sicher, Herr Kollege Irmer: Mit Kultur- und Bildungspolitik kann man weder Kriege verhindern noch akute Krisen bewältigen. Allerdings können wir uns dem Generalsekretär der Vereinten Nationen, Kofi Annan, anschließen, der den Begriff einer „Kultur der Prävention“ geprägt hat. Nicht zufällig - Frau Kollegin Griefahn hat schon darauf hingewiesen - wurde das Jahr 2001 von den Vereinten Nationen zum Jahr des Dialogs zwischen den Kulturen ausgerufen. In einer multipolaren Welt genügt die reine Selbstpräsentation eines Landes immer weniger und Dialogfähigkeit sowie interkulturelle Kompetenz gewinnen an Bedeutung. Bundestagspräsident Thierse hat bei seiner Iranreise in seiner Teheraner Rede gefragt: „Wie kommen wir hin zum vielfach beschworenen Ideal des völkerverbindenden Dialogs?“ Er führte dazu aus: Jede Veränderung, so meine ich, muss im Kopf beginnen. Der eigene Erfahrungshorizont muss sich öffnen für neues Denken und neues Verstehen, ohne sich zugleich von den eigenen Grundwerten zu verabschieden oder sich einem Werterelativismus zu verschreiben. Denn grundlegende Werte sind tatsächlich nicht verhandelbar, ich denke an die Menschenrechte. Einen gleichberechtigten Dialog kann es nur geben, wenn niemand befürchten muss, wegen einer Äußerung bestraft zu werden. Diese Worte, geäußert während einer schwierigen Reise, konnten klarer und deutlicher, aber auch versöhnlicher nicht sein. ({0}) Wir leben in einer Zeit, in der die technischen Fortschritte unsere Kommunikationsmöglichkeiten rasant beschleunigen und erweitern. Globalisierung schafft Nähe, wo vorher keine war. Sie ermöglicht uns die Auseinandersetzung mit dem, was uns noch eben fremd war. Der Schriftsteller Mario Vargas Llosa stellt fest, dass es für ihn keinen Zweifel daran gebe, dass in einem Land wie im Peru des Fahnenflüchtigen Fujimori die Globalisierung mehr Schaden angerichtet als Gutes gebracht habe. Aber er macht nicht die Globalisierung dafür verantwortlich, sondern die Abwesenheit von Rechtsstaatlichkeit und Freiheit. Er meint, nur in Ländern, „in denen gerechte und durchschaubare Spielregeln herrschen, wo politische Kontrolle und freie Presse existieren, dort ist die Globalisierung kein Fluch“. Die Lehre daraus ist, dass auch die Demokratie global werden muss. Wichtigste Voraussetzung für die Kulturarbeit ist die Freiheit der Kunst. Sie selbst kann jedoch auch - allerdings jenseits politischer Instrumentalisierung - demokratische Werte vermitteln. Ein beeindruckendes Projekt ist in Sarajevo geplant. Dort will das Goethe-Institut Inter Nationes Lessings „Nathan der Weise“ nacheinander vor einer Kirche, einer Synagoge und einer Moschee aufführen. Diese auf Vermittlung, Versöhnung und gegenseitiges Verständnis ausgerichtete Initiative in einem Land, das von ethnischen Konflikten völlig zerrissen ist, zeigt die politische Wirkung der Kunst. Wer in der globalisierten Welt bestehen will, muss im Bereich der Spitzentechnologie mithalten. Nur wenn unser Land wirtschaftlich, technologisch und kulturell bedeutend ist, gibt es ein Interesse an Deutschland und der deutschen Sprache. Unser Ziel muss es sein, kreative Menschen, Multiplikatoren und künftige Entscheidungsträger im Ausland zu fördern und sie für Deutschland zu interessieren. ({1}) Im Übrigen liegt es an den Bundesländern, die Studiengänge zu internationalisieren, Bachelor- und Masterabschlüsse noch mehr zu verbreiten. Wir konnten dem Deutschen Akademischen Austauschdienst dieses Jahr zusätzlich 17 Millionen DM für Stipendien und Sprachkurse bereitstellen. ({2}) Das Auswärtige Amt hat die Zusammenarbeit mit den Auslandsvertretungen und den Mittlerorganisationen neu ausgerichtet. Das ist sinnvoll und kosteneffizient. Herr Lammert, das Amt hat durchaus hinsichtlich der auswärtigen Kulturpolitik prioritär gehandelt. Die Sparquote im Bereich der auswärtigen Kulturpolitik war immer geringer als die in allen anderen Bereichen des Amtes. Das möchte ich hier klar feststellen. ({3}) Nicht nur infolge der knappen Ressourcen, sondern auch aufgrund der technischen Entwicklung hängt die Zukunft der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik ganz entscheidend davon ab, wie die neuen Technologien umfassend in die gesamte Arbeit integriert werden. Das Goethe-Institut in Budapest zeigt zum Beispiel, wie die neuen Medien auch publikumswirksam eingesetzt werden können. Mit seinem Internetcafé „Eckerman“ ist es insbesondere attraktiv für junge Besucherinnen und Besucher, die gerade wegen des angebotenen kostenlosen Netzzugangs gerne dorthin gehen. Wie da nebenbei das Bild eines modernen Deutschlands vermittelt wird, macht deutlich: Die dritte Säule wankt nicht. Die auswärtige Kulturpolitik ist auf einem guten Weg. Vielen Dank. ({4})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Ulrich Irmer.

Ulrich Irmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000996, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe den Antrag der Koalitionsfraktionen gelesen und habe nicht viel Neues darin entdeckt. Wenn Sie einen solchen Antrag vor zehn oder 20 Jahren hier präsentiert hätten, dann hätte vermutlich ungefähr dasselbe darin gestanden. Das zeigt eigentlich die Unübertrefflichkeit liberaler Kulturpolitik auch im Ausland. ({0}) Sie haben festgestellt, wir stünden auch im Bereich der auswärtigen Kulturpolitik vor neuen Herausforderungen. Wie diese Herausforderungen zu bewältigen sind, sagen Sie nicht. Allerdings berauschen Sie sich neuerdings mehr und mehr an dem Wort „Konfliktvermeidungsstrategie“. Auf dem Gebiet der Entwicklungshilfe haben Sie dafür gesorgt, dass Sie als eine Art Friedensfachdienstleister - Sie sind sozusagen die rot-grüne Heilsarmee - durch die Gegend ziehen. ({1}) Entsprechend soll nun die auswärtige Kulturpolitik, die auch missioniert werden soll, gehandhabt werden. Herr Fischer, ich rege an, dass in Ihrem Haushalt genügend Geld für all die hübschen weißen Kleidchen, die goldenen Flügelchen und die rot-grünen Kerzchen, ({2}) mit denen die Kulturattachés der Botschaften - soweit es sie noch gibt - und die Lehrer der Goethe-Institute durch den Busch flattern und den Frieden predigen, zur Verfügung gestellt wird. Im Ernst: Wann hat der letzte Fernethiker endlich begriffen, dass auch und gerade die traditionelle Diplomatie und die traditionelle auswärtige Kulturpolitik nie etwas anderes als präventive Konfliktverhütung gewesen ist? Dafür zu sorgen ist per definitionem ihre Aufgabe. ({3}) Sie haben keinerlei Konsequenzen aus Ihren selbst verordneten Sparorgien in diesem Bereich des Etats des Auswärtigen Amtes gezogen. ({4}) Zwar wird auf der einen Seite weiterhin gespart; andererseits planen Sie - das lese ich in Ihrem Antrag - alle möglichen wunderschönen Vorhaben und dafür wollen Sie mehr Geld haben. Jetzt sagen Sie mir einmal, woher das kommen soll! Wir haben trotz diesem Dilemma versucht, eine Antwort auf diese Frage zu finden. Wir möchten einen Aspekt, den dankenswerterweise auch Sie erwähnen, ohne darüber im Einzelnen Ausführungen zu machen, ganz besonders betonen. Wir meinen, dass wir dadurch wesentlich stärker zu einer Ergänzung der staatlichen Bemühungen kommen müssten, dass wir die - auch von Ihnen so gerne zitierte - Zivilgesellschaft auffordern, sich mehr an den Bemühungen um auswärtige Kulturpolitik zu beteiligen. Der von uns eingebrachte Antrag trägt den - ich gebe zu: unschönen -Titel „Public Private Partnership“. Dieser Ausdruck ist natürlich gerade im Hinblick auf deutsche auswärtige Kulturpolitik missglückt. Wir werden das noch korrigieren; ich bitte um Nachsicht. Ich will ganz kurz sagen, was damit gemeint ist. Wir sollten einmal definieren - das haben Sie klar erkannt -, dass auswärtige Kulturpolitik folgende Funktion hat: Sie dient dem weltweiten Ansehen unseres Landes. Wir wissen, dass wir nicht nur im internationalen Wettbewerb der Firmen, sondern auch der Länder stehen. Im Zusammenhang mit Unternehmensstandorten und Wirtschaftsbeziehungen spielt der kulturelle Sektor eine große Rolle. Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich will nicht die Kultur in den Dienst des Kommerzes stellen. Aber man bedenke, dass das eine oft Bedingung für das andere ist. Ein Land, das in der Welt keine Sympathie genießt, ein Land, das für seine kulturellen Wurzeln und für seine kulturellen Ausprägungen kein Verständnis hat, kommt auch als Wirtschaftspartner weniger infrage. Wir haben unser Rechtssystem, unser Bildungssystem und unser Hochschulsystem dahin gehend zu prüfen, ob sie für den internationalen Wettbewerb tauglich sind. Wichtig ist auch, wie viele ausländische Studenten gerne zu uns kommen, um hier zu studieren. All diese Faktoren tragen letzten Endes zur Wirtschaftsförderung und auch zur Friedensförderung - in der Sache gebe ich Ihnen Recht - bei. Dieser Ansatz für auswärtige Kulturpolitik ist global und an ihm sollten sich möglichst viele beteiligen. Es ist im auch Interesse der deutschen Wirtschaft, dass im Ausland viele Deutsch lernen. Es ist im Interesse unserer Auslandsvertretungen und der Goethe-Institute, dass ein Sprachunterricht angeboten wird, der den Interessen der Wirtschaft entgegenkommt. Wir sollten viel mehr an die Bereitschaft interessierter Firmen zum Mäzenatentum appellieren. Auf diesem Wege lassen sich vielfältige Quellen erschließen, um über die Engpässe in unseren öffentlichen Haushalten hinwegzukommen. ({5}) Ich rege an, gemeinsame Anstrengungen zu unternehmen, um diesen Gedanken möglichst intensiv zu verfolgen. Unsere Außendarstellung ist nicht mehr nur die traditionelle „Glanzpapierpropaganda“, in der es um Goethe, Sanssouci und all die anderen Schönheiten geht. Genauso wenig sollte allein die Darstellung des Holocaust unser Außenbild bestimmen. Wir müssen im Ausland darstellen, wie die Gegenwart in unserem Land aussieht. Deutschland hat zwei wunderbare Exportartikel: Der eine ist der Pluralismus unserer Gesellschaft. Das ist ein weiterer Aspekt, der es sinnvoll erscheinen lässt, dass sich Firmen an der auswärtigen Kulturpolitik beteiligen; denn sie können Pluralismus lebendig nach außen darstellen. Der andere Exportartikel ist die regionale Zusammenarbeit im Rahmen der Europäischen Union. Diese haben wir als Deutsche in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg mitgeschaffen. Daran nehmen sich viele ein Beispiel und das findet im Ausland viel Nachahmung. Wenn wir unsere Präsentation nach außen auch in dieser Richtung verstehen, werden wir draußen trotz beengter Mittel einen guten Eindruck machen, gute Kontakte knüpfen können und zur Konfliktverhütung Wesentliches beitragen. Ich danke Ihnen. ({6})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Herr Abgeordnete Fink.

Prof. Dr. Heinrich Fink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003116, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir heute über auswärtige Kulturpolitik reden, ist es zunächst erforderlich, sich darüber zu verständigen, welche Aufgaben und Ansprüche damit verbunden sind. In genau dieser Fragestellung unterscheiden sich die beiden vorliegenden Anträge. Ich möchte gleich eingangs betonen, dass der Antrag der Regierungskoalition den Vorstellungen der PDS deutlich näher steht. Das hat ja gerade auch der Beitrag von Herrn Kollegen Irmer deutlich gemacht. Dem Regierungsantrag liegt die Einsicht zugrunde, dass es gegenüber früheren Jahren einer Neudefinition der auswärtigen Kulturpolitik bedarf. Dieser Neudefinition stimme ich in ihren Grundzügen ausdrücklich zu. Allerdings sehe ich zwischen verbalem Anspruch und der Praxis nach wie vor eine erhebliche Differenz. Es ist also eine Option, es ist ein Scheck, der gedeckt werden muss. Deutsche auswärtige Kulturpolitik verstand sich bisher in erster Linie als Präsentation deutscher Kultur und Kunst im Ausland, ganz im Sinne des - wie es auf Seite 7 des Koalitionsantrages heißt - „globalen Wettbewerbs der Gesellschaftsentwürfe“. Diese Präsentation soll es freilich auch künftig geben. Die Frage ist aber, ob Kultur für das Ausland, zugespitzt formuliert, tatsächlich unter die Maßgabe gestellt werden sollte, das gesellschaftliche System des entsendenden Landes als Kontrapunkt gegenüber dem des Gastlandes zu verkörpern, oder gar eine deutsche Leitkultur verbreiten soll. Nein, jeglicher missionarische Eifer, in welchem Gewande auch immer, ist nicht nur fehl am Platze, sondern geradezu kontraproduktiv. Man denke nur daran, in wie vielen Ländern inzwischen US-amerikanische Kultur weniger als Bereicherung denn als ein Plattwalzen der eigenen Identität betrachtet wird. Ich halte es ohnehin mit dem Kulturwissenschaftler Dieter Kramer, wenn er feststellt, dass es eigentlich gar keine deutsche Kultur gibt, allenfalls eine Ansammlung von kulturellen Traditionen mit eigenen regionalen, sozialen und gruppenspezifischen Ausprägungen in Deutschland. Deswegen sei es besser, von „Kultur oder Kulturen aus Deutschland“ statt von deutscher Kultur zu sprechen. Diese sollten wir als offenes Angebot in der Welt präsentieren und genauso offen die kulturellen Angebote unserer Gäste von dort erwarten. Damit habe ich bereits gesagt, dass ich ausdrücklich den Grundsatz der „Zweibahnstraße“ begrüße, das heißt, auswärtige Kulturpolitik im Sinne des Dialogs, des Austauschs verstehe - eines Dialogs, geführt mit dem Ziel nicht des Kultur- und mithin Ideologieexportes, sondern des gegenseitigen Respekts für die jeweilige Kultur. In diesem Selbstverständnis kann lebendiger und unabhängiger Kulturaustausch sogar mehr sein als nur die dritte Säule der deutschen Außenpolitik: nämlich gerade dann, wenn die Politik versagt hat. Wie oft schon hat Kultur, ähnlich wie der Sport, ein Mindestmaß an Entspannung und Versöhnung, letztlich an friedlichem Miteinander auch dann aufrechterhalten, wenn sich Diplomatie in den Fallstricken des eigenen Reglements blockiert hatte! Diese Fälle wird es auch immer wieder geben. Unser konzeptionelles Verständnis von Kulturaustausch sollte deshalb darauf orientieren, dass er zwar mit der Prosperität der politischen oder wirtschaftlichen Beziehungen weiter gewinnen kann, aber auch und gerade dann weiter existiert, wenn Letztere in die Krise geraten. Zwar hängt das nicht allein von unserer Seite ab, aber wir sollten wenigstens das uns Mögliche dazu leisten, die Brückenfunktion der Kultur zu erhalten. Wenn zum Beispiel die im Koalitionsantrag formulierte Aufgabe der Neuausrichtung des Programmauftrags der Deutschen Welle - weg von der einseitigen Vermittlung des Deutschlandbildes hin zur Orientierung an gegenseitigem Kulturaustausch - so verstanden werden soll, findet das auch die Unterstützung der PDS-Fraktion. Kollegin Griefahn hat dem neu gewählten Intendanten der Deutschen Welle, Erik Bettermann, bereits gratuliert. Ich wünsche ihm viel Kraft, Fantasie und eine glückliche Hand für die Erfüllung dieser Aufgabe. ({0}) Nicht anders sehe ich die künftige Aufgabe der Goethe-Institute, nämlich als Botschafter der eigenen Sprache und Kultur und zugleich als Mittler zwischen den Kulturen zu wirken. Aus Besuchen und Gesprächen weiß ich, dass sich sehr viele Mitarbeiter längst so verstehen. Unter welch schwierigen Umständen sich gerade die Mitarbeiter der deutschen Botschaften für die Vermittlung auswärtiger Kultur einsetzen, haben wir beim Besuch des Kulturausschusses in Teheran hautnah erfahren. Nachdem dort das Goethe-Institut geschlossen wurde, tun sie alles, um die entstandene Lücke nicht zu groß werden zu lassen. Im Sparprogramm der Bundesregierung müssen neue Prioritäten gesetzt werden. Bei der auswärtigen Kulturpolitik zu sparen ist der falsche Weg. Man braucht sicherlich keine prunkvolle Ausstattung der vorhandenen GoetheInstitute und auch keine Spitzenhonorare für Referenten. Aber die Streichung von Haushaltsmitteln für Institute in politischen Krisenherden ist politisch unverantwortlich. So sollten die Kürzungen für das Goethe-Institut in Südkorea rückgängig gemacht werden, ({1}) ist es doch eine der wenigen Brücken nach Nordkorea. ({2}) In Sarajevo ist eine Aufstockung der Mittel dringend erforderlich. Den Gedanken, neue Finanzquellen für Kulturinstitute zu erschließen, halte ich schon für richtig. Allerdings sehe ich die Einbindung vor Ort agierender kommerzieller Unternehmen, wie es besonders der F.D.P.-Antrag nahe legt, dabei aber nicht als Königsweg. Dies dürfte recht schnell zu Interessenkollisionen und Abhängigkeiten führen. Wir wissen leider sehr gut, dass es nötig ist, Ressentiments gegenüber ausländischen Kulturen abzubauen. Dabei, diesen Vorbehalten, die bis zu rassistischem Verhalten führen, entgegenzutreten, sehe ich den Staat, aber auch die Wirtschaft in der Pflicht. Es wäre erfreulich, wenn von dieser Seite einmal weniger vom Anspruch auf Rechtssicherheit, aber dafür mehr von der moralischen Pflicht zu hören wäre, hierzulande auch die Kulturpräsentation jener Staaten zu fördern, in denen deutsche Waren gewinnbringend abgesetzt werden. Dem Export würde das übrigens durchaus nützen. Ich kann mir jedenfalls nicht vorstellen, dass eine Unterstützung bei der Kulturpräsentation armer Länder der gleich im ersten Absatz des Koalitionsantrag erwähnten „Attraktivität des Standortes Deutschlands“ abträglich wäre. Die Vereinten Nationen haben das Jahr 2001 zum „Internationalen Jahr des Dialogs zwischen den Kulturen“ erklärt. Lassen Sie uns damit im Inland beginnen, und zwar gerade auch im Umgang mit ausländischen Künstlerinnen und Künstlern - zum Beispiel bei der Versteuerung ihrer Honorare -, dann wird dies auch im Ausland Konsequenzen haben. Vielen Dank. ({3})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Dr. Elke Leonhard.

Dr. Elke Leonhard-Schmid (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002723, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute zwei Anträge, den Antrag der Koalitionsfraktionen - Frau Grießhaber und Frau Griefahn haben zum Inhalt bereits einiges gesagt - und den anachronistischen Antrag der F.D.P. Verehrter Herr Kollege Irmer, ich wusste nicht, dass Sie jetzt in den Kreis der Außenpolitiker mit dem Spezialbereich auswärtige Kulturpolitik eingetreten sind. Aber es ist erfreulich, dass Sie sich heute gemeldet haben. ({0}) - Sie können sich später empören. ({1}) Auf jeden Fall haben wir Ihre Public-Private-Partnership-Initiative unter meiner Federführung im letzten Jahr endlich gesetzlich verankert. Sie hatten lange Zeit dazu und haben nichts gemacht. Herr Kollege Lammert, es mögen viele Säulen wackeln, aber die der auswärtigen Kulturpolitik - wie Sartorius sagt - nun wirklich nicht. ({2}) Ich möchte ferner betonen, dass es früher doch wenigstens eines unter den auswärtigen Kulturpolitikern in diesem Hause gab: gemeinsame Anträge. Herr Kollege Koschyk, Sie sind noch einer der wenigen in diesem Hause, die zu dieser Gruppe gehören. Und wir haben nach langen, zähen Beratungen mit der Kultur der Empathie und des Konsenses immerhin einiges auf den Weg gebracht. Das sollte auch in Zukunft so sein. Des Weiteren: Wir haben 160-mal seit 1949 in diesem Hohen Hause über auswärtige Kulturpolitik debattiert; aber so wenig Zeit wie heute hatten wir dafür nie. Das muss uns wieder zusammenschmieden in dem Willen, endlich einmal in aller Ausführlichkeit darüber zu reden. Lassen Sie mich erstens etwas zum historischen Rückblick sagen, zweitens etwas dazu, was eigentlich Evaluierung ist, und drittens etwas dazu, wohin der Weg geht. Die deutsche auswärtige Kulturpolitik von 1949 bis 1989 war schlicht unspektakulär und in hohem Maße erfolgreich. Staatsferne, Regierungsferne - das war die richtige Korrektur, Kollege Lammert; so sehe ich es auch -: Der Staat, dessen weitgehend konzeptionelle und inhaltliche Abstinenz nach dem Missbrauch der Nationalsozialisten nicht nur politisch korrekt, sondern auch therapeutisch weise und heilsam war, beschränkte sich im Wesentlichen auf die Schaffung geeigneter Rahmenbedingungen. Es herrschte also unkontrollierte Vielfalt. Die Mittlerorganisationen wurden hier schon genannt und es wurde auch allen gedankt. Dem kann ich mich nur anschließen. Die Mittlerorganisationen haben erheblichen Anteil an der erfolgreichen Außenrepräsentanz in den vergangenen fünf Jahrzehnten. Die Deutsche Welle wurde schon genannt. Herrn Bettermann wünsche ich alles Gute, segensreiches Wirken. Neben der Kreativität, die gefordert wurde, wünsche ich auch noch etwas mehr Geld. Dies - da bin ich sicher plus Kreativität wird ein Weg aus der Misere sein. Ich möchte an dieser Stelle noch das IfA nennen, das gerade im Bereich der Krisenprävention einiges getan hat. In aller Kürze möchte ich noch einmal an die Stationen der auswärtigen Kulturpolitik erinnern: den von Skepsis begleiteten Wiederaufbau deutscher Kulturpolitik im Ausland in den 50er-Jahren, die Etablierung und Akzeptanz in der westlichen Hemisphäre, die bleibende Aufwertung durch den Außenminister der Großen Koalition, Willy Brandt, der die auswärtige Kulturpolitik im Jahre 1966 als „die dritte Säule der modernen Außenpolitik“ neben klassischer Diplomatie und neben Außenwirtschaftspolitik bezeichnete, und die Erweiterung des Kulturbegriffes für die auswärtige Kulturpolitik durch Ralf Dahrendorf, Herr Kollege Otto, mit dem seit Ende der 60er-, Anfang der 70er-Jahre über die Hochkultur hinaus gesellschaftliche Komponenten - und das ist heute auch wieder erforderlich - einschließlich Bildungswesen, Wissenschaft, Technologie, Medien und Umweltfragen integriert wurden - nicht zuletzt die Bildung neuer Schwerpunkte in Mittel- und Osteuropa ab 1989, verbunden mit den Namen der Außenminister Genscher und Kinkel. Nach dem Regierungswechsel stellte unser Außenminister erstmals im Ausschuss für Kultur und Medien des Deutschen Bundestages die Bedeutung der auswärtigen Kulturpolitik als integralen Bestandteil deutscher Außenpolitik, den untrennbaren Zusammenhang zwischen Vermittlung im Inneren und Vermittlung deutscher Kultur im Ausland dar, die Werteorientierung der auswärtigen Kulturpolitik und die Notwendigkeit von Dialog und Kooperation zwischen Menschen und Kulturen. ({3}) Das setzt die zu Beginn erwähnte Kultur der Empathie und des Konsenses voraus. Dringend notwendig ist die Beantwortung der Frage nach dem Stellenwert der Kultur bei der Verhinderung von Konflikten. Was in weiten Teilen des Balkanraums noch immer fehlt, ist die Kultur des Verhandelns, eine Kultur der Empathie und eine Kultur des Kompromisses. Solange Konflikte vorherrschen, ist an eine dauerhafte Stabilisierung nicht zu denken. An dieser Stelle sind die Bemühungen von Freimut Duve zur Sicherstellung der kulturellen Dimension des Stabilitätspaktes für Südosteuropa positiv zu erwähnen. Ich habe jetzt nur noch zwei Minuten Redezeit, um die Fragen „Wohin führt der Weg?“ und „Welche Instrumente wählen wir?“ zu behandeln. Wenn man sich die 160 Debatten anschaut und die entsprechenden Anträge und Vorlagen durchliest, dann kann man eines feststellen: Die entscheidenden qualitativen Sprünge gab es durch das Instrument der Enquête-Kommission, initiiert durch die CDU/CSU, und später zu Beginn der 70er-Jahre durch einen gemeinsamen Antrag, wieder maßgeblich angeschoben durch Dahrendorf. Das ist der entscheidende Punkt: Geben wir doch einer Kommission den Auftrag, Empfehlungen für eine bessere kulturelle Repräsentanz der Bundesrepublik Deutschland im Ausland zu erarbeiten! Vor allen Dingen sollten wir unserem Parlament wieder den in der Verfassung festgeschriebenen Stellenwert geben. Demokratie braucht vor allen Dingen ein starkes Parlament. Auch die auswärtige Kulturpolitik braucht gerade nach dem Paradigmenwechsel ein starkes Parlament. Ich bedanke mich. ({4}) - Vor allen Dingen Ideen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Herr Bundesaußenminister Joschka Fischer.

Joseph Fischer (Minister:in)

Politiker ID: 11000552

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wie die verehrten Vorrednerinnen und Vorredner bereits angemerkt haben, steht auch die auswärtige Kulturpolitik wie die auswärtige Politik insgesamt unter dem Diktat knapper Kassen. Es ist die Pflicht der Opposition - sie nimmt ihre Verantwortung wahr; das ist verständlich -, auf diesen Punkt hinzuweisen. Auch wir dürfen nicht müde werden, uns unserer Verantwortung zu stellen, indem wir bei der Sanierung der Staatsfinanzen einen entscheidenden Schritt vorankommen. Aber zurzeit stehen wir - ich beklage dies - unter dem Diktat knapper Kassen. Das ist umso schmerzlicher, da gegenwärtig die Bedeutung der auswärtigen Kulturpolitik zunimmt. In einer sich globalisierenden Welt ist es fast schon eine Banalität, festzustellen, dass die so genannten weichen Faktoren in der internationalen Politik - auf den Wettbewerb von Standorten wurde bereits hingewiesen, aber das lässt sich nicht nur auf die Wirtschaft reduzieren - die so genannten kulturellen Faktoren - neudeutsch auch Software im umfassenden Sinne genannt - eine immer größere Rolle spielen. Aber auch als Identifikationsfaktor für ein Land gewinnt die Kultur an Bedeutung. Das vereinigte Deutschland müsste in diesem klassischen Bereich angesichts eines zusammenwachsenden Europa mehr investieren. Insofern stimme ich all denen zu, die diesen Punkt zu Recht angemerkt haben. Aber nochmals gesagt: Wir müssen diese Politik in den Rahmen der finanziellen Möglichkeiten einbetten. Wir stehen daher vor alles anderem als einfachen Haushaltsverhandlungen für den gesamten Bereich der auswärtigen Politik. Hinzu kommt, dass sich die Rolle des vereinigten Deutschlands in einem zusammenwachsenden Europa verändert. Ich freue mich in diesem Zusammenhang selbstverständlich, dass es gelungen ist, in der auswärtigen Kulturpolitik Strukturreformen erfolgreich um- und durchzusetzen. Ich nenne etwa die Zusammenführung von Institutionen, aber auch die vorhandenen Stipendiaten- und Austauschprogramme der auswärtigen Kulturund Bildungspolitik, die im Bundestag breite Unterstützung genießen. In diesem Zusammenhang muss man den sich in der Einwanderungsdebatte abzeichnenden Konsens anmerken. Auch die Einwanderungspolitik wird von einem externen Faktor geprägt. Es ist durchaus sehr positiv, wenn mannigfaltige Kontakte, die sich durch die Zuwanderung von Menschen aus anderen Kulturen und Ländern ergeben, die Möglichkeit bieten, ein besseres Deutschlandbild in diesen Ländern zu zeichnen. Diesen Faktor sollten wir daher zukünftig als ein Element der auswärtigen Kulturpolitik begreifen. ({0}) Ein weiterer wichtiger Gesichtspunkt - ich möchte das hier erwähnen; das begegnet mir gerade als Außenminister des vereinigten Deutschlands immer wieder - ist Berlin. Berlin ist ein Faktor, mit dem man meines Erachtens in der auswärtigen Kulturpolitik, was die Darstellung angeht, unter vielfältigen Gesichtspunkten verstärkt arbeiten sollte und verstärkt arbeiten kann. Aber ich möchte hier auch gleich die negative Seite erwähnen. Wir können vieles in die auswärtige Kulturpolitik, in den Kulturaustausch, in die Sprachvermittlung und die Darstellung des demokratischen Deutschlands investieren. Wenn gleichzeitig Schlagzeilen über rassistische Übergriffe, über Mordanschläge hier in Deutschland kommen, dann wird diese Arbeit sofort wieder ins Negative verkehrt. Das heißt, es wird ein hässliches Bild unseres Landes gezeigt, auch wenn es nur eine kleine Minderheit ist, die überwiegende Mehrheit unseres Volkes dies ablehnt und alle entschlossen dagegen stehen. Insofern, denke ich, ist es sehr wichtig, dass wir auch hier sehen: Entwicklungen bei uns im Innern haben auch Konsequenzen nach außen, auch und gerade in der auswärtigen Kulturpolitik. ({1}) Ein weiterer wichtiger Faktor wird die Pluralität Europas sein, das heißt die Einbettung unserer eigenen Kultur. Europa wird auf der einen Seite zusammenwachsen, aber das Zusammenwachsen wird gleichzeitig die Selbstversicherung der unterschiedlichen Kulturen Europas, die Pluralität Europas bedeuten. Diese Pluralität Europas wird nicht durch eine sich integrierende Europäische Union eliminiert werden. Im Gegenteil! Es macht gerade das Wesen Europas aus, dass wir sprachlich und kulturell zwar oft ähnliche oder identische Wurzeln haben, aber daraus im Laufe der Jahrhunderte Unterschiede entstanden sind. Europa wird diese Unterschiede nicht eliminieren, nicht homogenisieren. Insofern wird auch darüber nachzudenken sein, wie wir die auswärtige Kulturpolitik in ihrem besonderen Charakter, aber gleichzeitig in ihrer europäischen Einbindung als Darstellung Deutschlands in Europa künftig entsprechend umsetzen. ({2}) Hierbei - wir wollen ja nicht nur Artigkeiten sagen wird natürlich unter dem Gesichtspunkt des Drucks der Globalisierung Englisch eine überragende Rolle spielen. Frau Kollegin Vorsitzende, Sie haben gesagt, Deutsch und Englisch oder Englisch und Deutsch und beides gut. Was die Lingua franca, das heißt die Weltsprache angeht, hat Javier Solana allerdings einmal so formuliert: english badly spoken. ({3}) Das heißt, dass es eben gerade nicht das vollendet gesprochene Englisch ist. Da gibt es mittlerweile Erfahrungen im englischen Kulturraum, also dort, wo Englisch wirklich die Muttersprache ist. Dort hat man damit Probleme, dass ein neues Englisch entsteht, nämlich das Weltsprachenenglisch, das ein völlig anderes Englisch zu werden droht. Ich spreche das deswegen an, weil im europäischen Konzert die Positionierung der deutschen Sprache natürlich schon sehr schwierig ist. Und unter dem Druck der Globalisierung spielt Englisch eine überragende Rolle. Dennoch, weil wir dies wissen, wird es sehr wichtig, dass wir diese Sprachvermittlung in Zukunft verstärkt in den Vordergrund stellen, allerdings eingebunden in die allgemeine Darstellung unserer Kultur. Die Voraussetzung dafür wollen wir schaffen; ich habe es vorhin schon angesprochen. Die Verbindung des Goethe-Instituts mit Inter Nationes, die Flexibilisierung des Haushalts, der Beginn einer systematischen Evaluierung sind wichtige erste Schritte zu einer Reform der vorhandenen Strukturen, damit die Mittel, die da sind, effizienter eingesetzt werden können. Auch was die F.D.P. im Vorgriff auf eine stärkere Sprachvermittlung im Deutschen „Public Private Partnership“ in ihrem Antrag genannt hat, ist ja bereits Realität. ({4}) Ich darf Sie nur an unsere vielfältigen Bemühungen, an die Bemühungen von Hilmar Hoffmann erinnern, zusätzliche private Finanzierungsanteile zu finden; sie sind auch gefunden worden. Das heißt, die Kooperation von privaten Händen und öffentlicher Hand ist heute bereits eine Realität. ({5}) - Ich glaube nicht, dass Frau Leonhard diesen Teil als anachronistisch betrachtet. Aber ich möchte jetzt nicht Frau Leonhard interpretieren. ({6}) Ich möchte noch kurz zwei Gesichtspunkte ansprechen. Uns ist klar, Präsenz und Programme kosten Geld. Wir halten es für sehr wichtig, dass die Eigenverantwortlichkeit der Kulturvermittler in ihrer konkreten Programmarbeit erhalten bleibt. Das ist einer der wichtigen Traditionspunkte, die sich in der auswärtigen Kulturpolitik der Bundesrepublik Deutschland, des demokratischen Deutschlands entwickelt haben. ({7}) Aber wir stehen natürlich auch vor einer Restrukturierung regionaler Schwerpunkte. Es schmerzt mich, wenn traditionsreiche Goethe-Institute wie das in Genua geschlossen werden müssen. Wer weiß, was Genua über die Jahrzehnte hinweg für viele bedeutete - auch als Auswanderungshafen, etwa für die, die nach Australien wollten - wer weiß, wie viele enge Bindungen es zwischen Süddeutschland und Genua gegeben hat und wie sehr dieses Goethe-Institut der Stadt am Herzen gelegen hat, der wird begreifen, dass das, was ich hier sage, nicht nur leere Worte sind. Das gilt auch für andere Institute, die geschlossen werden mussten. Aber wir müssen in einer sich verändernden Welt auch an anderer Stelle Goethe-Institute eröffnen. Im Falle Sarajevos habe ich zum Beispiel großen Wert darauf gelegt, dass ein Goethe-Institut eröffnet wurde. Außerdem sind Teheran, Havanna, Algier und Schanghai genannt worden. Ein weiterer Punkt in diesem Zusammenhang. Wir sind zum Beispiel in den USA stark präsent. Gleichzeitig wird man nicht behaupten können, dass diese starke institutionelle Präsenz in den Medien und der breiten Öffentlichkeit in den USA so wirken würde, wie man sich das wünschen sollte. Wir werden also auch hier jenseits der institutionellen Präsenz neue Ideen entwickeln müssen. Darüber nachzudenken haben wir erst begonnen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Gestatten Sie eine Frage des Kollegen Lammert, wobei ich Sie doch darauf hinweisen möchte, dass Sie schon deutlich die Redezeit Ihrer Kollegen beanspruchen?

Joseph Fischer (Minister:in)

Politiker ID: 11000552

Ja. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001274, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

So sind wir, Herr Tauss, weil uns das Thema mindestens ebenso wichtig ist wie den Antragstellern. Herr Minister, sind wir uns denn darüber einig, dass bei der Unvermeidlichkeit, Prioritäten zu setzen, weil wir nicht überall und schon gar nicht so stark vertreten sein können, wie wir das gerne sehen würden, mindestens eine sinnvolle Balancierung zwischen der Präsenz von Mittlerorganisationen auf der einen Seite und der Kulturarbeit der auswärtigen Vertretungen auf der anderen Seite unverzichtbar ist und dass wir die Schwierigkeiten, die Sie jetzt zu Recht noch einmal darstellen, nicht auf die Spitze treiben dürfen, indem wir die Abräumung der Präsenz an der einen Stelle in einem wenige Monate später erfolgenden Doppelschlag durch die Abräumung der Präsenz an einer anderen Stelle komplettieren?

Joseph Fischer (Minister:in)

Politiker ID: 11000552

Herr Kollege Lammert, einer solch allgemeinen, klugen Erwägung kann man sich überhaupt nicht verschließen. Nur, Sie wissen: Bei der Reform von Strukturen, wie sie über die Jahrzehnte hinweg nun einmal entstanden sind - was ich gar nicht zu kritisieren habe -, und einer gleichzeitigen Neuorientierung werden Sie das eine oder andere in der Feinjustierung durchaus nachzuarbeiten haben. Da wir unter dem Druck der Kassen Doppelarbeit, da wir Doppelpräsenzen und Ähnliches vermeiden müssen ({0}) - ich sehe da keinen Dissens, im Gegenteil -, kann es an der einen oder anderen Stelle durchaus zu Unebenheiten kommen; das will ich nicht abstreiten. Da muss dann nachgebessert werden. ({1}) Denn es ist in der Tat eine große Veränderung, die wir vorzunehmen haben. Lassen Sie mich zum Schluss noch eines betonen. Was als Dialog der Kulturen angesprochen wurde, ist eminent wichtig. Das hat nichts mit einer weitreichenden Menschenrechtspolitik oder gar missionarischen Haltung der deutschen Außenpolitik zu tun. Aber - das erleben gerade unsere Goethe-Institute - es ist ja nichts Neues, was wir hier jetzt entwickeln, sondern wir nehmen Bestehendes auf und geben dem eine andere politische Gewichtung, weil sich die politische Realität verändert hat. Ich erlebe doch bei dem Besuch eines Goethe-Instituts, etwa in Brasilien, wie die Arbeit dort vor Ort konkret von NGOs, von Menschenrechtsgruppen unterstützt wird. Das ist eine Form von dialogischem Herangehen, bei der es darum geht, die zivilgesellschaftlichen Kräfte zu stärken. Das ist meines Erachtens ein konkreter Beitrag zur Friedenspolitik und Menschenrechtspolitik. Es ist wichtig, dies als essenziellen Bestandteil deutscher Kulturpolitik zu begreifen, neben dem Eigengewicht der Kulturvermittlung, neben dem Eigengewicht der Sprachvermittlung, auch neben dem Eigengewicht der wirtschaftlichen Interessen, die dort, wo sie sich mit Kultur verbinden, eine Rolle spielen; denn dieses Element wird in der Welt des 21. Jahrhunderts verstärkt zum Tragen kommen müssen. Ich freue mich also - bei aller Kritik, die sein muss über die Unterstützung und ich hoffe, dass wir den Haushaltsausschuss und den Finanzminister gemeinsam werden überzeugen können, dass diese Priorität in den kommenden Haushalten eine stärkere Gewichtung bekommen muss. Vielen Dank. ({2})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Zunächst gibt es jetzt eine Kurzintervention des Kollegen Irmer.

Ulrich Irmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000996, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich bitte um Vergebung, aber Frau Leonhard hat vorhin gesagt, ich hätte mich noch nie für auswärtige Kulturpolitik interessiert. Das hat mich richtig getroffen. Deshalb will ich mich auf meine Weise sofort ({0}) rächen

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Rache ist unter unseren gewaltfreien Mitteln nicht erlaubt. ({0})

Ulrich Irmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000996, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

- in der mir zu Gebote stehenden Kleinkunstform des Limericks. Dieser lautet: Es nannte mich Leonhards Elke „kulturlos“ im Reichstagsgebälke. Sie gebe nur Acht, dass ihr Denkmal nicht kracht und ihr Lorbeer nicht vorschnell verwelke. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ein solcher Limerick schmückt doch jede Kulturdebatte. Ich glaube, es ist keine Antwort notwendig. Ich gebe jetzt das Wort dem Abgeordneten Wolfgang Schäuble.

Dr. Wolfgang Schäuble (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001938, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sie sehen, dass Rache durchaus auch gewaltfrei sein kann. ({0}) Insofern war dies erlaubt. Im Übrigen bin auch ich, Frau Leonhard, etwas zusammengezuckt, denn ich muss zugeben, dass ich nicht alle 160 seit 1949 stattgefundenen kulturpolitischen Debatten noch einmal nachgelesen habe. Trotzdem traue ich mich, einige Bemerkungen in dieser Debatte zu machen. ({1}) Ich möchte das, worüber sich alle einig sind, nicht noch einmal wiederholen. Ich führe auch keine Haushaltsdebatte; dazu gibt es andere Gelegenheiten. Dennoch, Herr Außenminister, Ihr Verweis auf den Haushaltsausschuss, den wir alle überzeugen müssen, trifft nicht den Kern der Frage. In der parlamentarischen Demokratie entscheiden diejenigen, die die Mehrheit haben. Sie tragen aber auch die Verantwortung dafür, auch wenn sie es selbst offensichtlich für unzureichend halten. Sie müssen sich an die eigene Nase fassen. Wenn das, was sie machen, nicht gut ist, dann dürfen sie nicht sagen: Helft uns dabei, dass es besser wird. Die Mehrheit entscheidet also. Wir dagegen versuchen, wieder eine andere Mehrheit für bessere Entscheidungen zu erreichen. ({2}) In diesen Entscheidungen zur Außenpolitik und zur auswärtigen Kulturpolitik wird etwas davon sichtbar, wie sehr wir uns für unsere Interessen und für unser Bild in der Welt einsetzen und wie wichtig wir unsere Verantwortung für diese Welt nehmen. Natürlich ist die Frage, welchen Stellenwert Außenpolitik im Allgemeinen und auswärtige Kulturpolitik im Besonderen hat, wichtig. Wir müssen uns selbst fragen, wie weit wir uns in diese Welt eingebunden sehen und welches unsere prioritären Interessen sind. Dass in diesem Bereich Verbesserungen dringend notwendig sind, beweist der Antrag der Koalitionsfraktionen; denn auch sie sagen, dass wir diesen Fragen einen höheren Stellenwert einräumen müssen. Darin sind wir uns einig. Wir sollten auswärtige Kulturpolitik nicht zu allgemein betrachten. Frau Leonhard, ich bin mir nämlich nicht ganz sicher, ob auf dem Balkan schon Verhandlungskultur als elementarer Bestandteil auswärtiger Kulturpolitik anzusehen ist und auf diese Weise Probleme gelöst werden können. Natürlich ist das alles irgendwo Kultur. Vielleicht sollte der Begriff doch enger gefasst werden. Dann geht es darum, im Dialog zu versuchen, mehr Verständnis für uns und andere zu entwickeln. ({3}) - Ja. - Es ist dann auch wichtig, dass wir uns darüber verständigen, wie wir uns selber sehen, welches Bild wir anderen von uns vermitteln wollen und wie wir gerne von anderen gesehen werden möchten. Ich möchte drei konkrete Punkte benennen, von denen ich glaube, dass sie zu dieser Debatte einen Beitrag leisten können. Der erste Punkt ist - der Außenminister hat es angesprochen - das föderale Element. Wir müssen dieses in den europäischen Debatten stärken. Wir müssen bei unseren Partnern um Verständnis dafür werben, wie wichtig Föderalismus als Bauprinzip einer modernen, gelingenden Ordnung ist. Darin haben wir spezifische Erfahrungen. Ich beklage schon, dass das föderale Element in der Kulturpolitik insgesamt - bis hin zu der Debatte um die Hauptstadtkultur - als ein wesentliches Bauprinzip unseres Gemeinwesens aufgrund der besonderen Erfahrungen in unserer Geschichte und unserer Kultur einen zu geringen Stellenwert hat. Wir gehen damit sehr oberflächlich um. Dafür trägt nicht nur die Bundesregierung Verantwortung, sondern auch die Länder. Das gilt für die internen kulturpolitischen Debatten bis zur Hauptstadtkulturdebatte und in der Frage, wie wir uns nach außen darstellen, also welches Bild wir in der auswärtigen Kulturpolitik von uns vermitteln. Ich werbe sehr dafür, dass wir unsere spezifischen Erfahrungen, die, wie wir glauben, zu unserem Verständnis notwendig sind und auch einen Beitrag für Europa und darüber hinaus leisten können, in der auswärtigen Kulturpolitik stärker einbringen und dabei die Länder stärker beteiligen. Wir müssen die Gründe dafür, warum wir es in unserem eigenen Land so machen, stärker herausstellen. Lassen Sie mich das an einem Beispiel deutlich machen: Es ist traurig, wenn wir in einem Staat, dessen Verfassung eine bundesstaatliche Ordnung vorschreibt, die Hauptstadtfrage ausschließlich zur Sache des Bundes machen. Es ist eine Aufgabe für den Bund und alle Länder, in kulturpolitischer Hinsicht ein Bild von der Hauptstadt Berlin nach innen und außen zu vermitteln. Wir haben eine zweite sehr spezifische Erfahrung, die wir anderen vermitteln können - wenn wir dies tun, leisten wir zugleich einen wichtigen Beitrag für uns selbst -: die Erfahrung von 40 Jahren Teilung und der Überwindung dieser Teilung, die Erfahrung einer furchtbaren Vergangenheit insbesondere in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts und unseres Umgangs damit. Zum Verständnis von Deutschland Ost und Deutschland West, zum Verständnis des Zusammenwachsens Deutschlands hier in Berlin - zweier Teile einer lange durch eine Mauer geteilten Stadt -, ebenso wie des Zusammenwachsens der alten und neuen Bundesländer gehören auch die Verwerfungen, die dieses Zusammenwachsen mit sich bringt. Aber es trüge zum Verständnis anderer bei und könnte anderen und uns selbst helfen, wenn es uns gelänge, dieses Element in unserer auswärtigen Kulturpolitik verstärkt darzustellen. Mir ist gesagt worden, dass es große Sorgen hinsichtlich der deutschen Schule in Seoul gibt. Es ist ziemlich töricht oder zumindest gedankenlos, dass wir ausgerechnet in Korea - die Koreaner schauen mehr als andere auf uns, weil sie erfahren wollen, wie sie vom Zusammenwachsen Deutschlands profitieren können - nicht einen Schwerpunkt setzen oder wenigstens die Voraussetzungen für die Erhaltung der Lebensfähigkeit der deutschen Schule schaffen. ({4}) Auch ist es ausgesprochen töricht - Sie sollten Ihre vielleicht ein bisschen ideologisch begründeten Verkrampfungen ablegen -, wenn wir gerade angesichts unserer Erfahrungen ausgerechnet die Pflege dessen, was deutsche Kultur im Osten war, zurückstellen. Das hat nun nichts mehr mit Revanchismus oder mit dem Versuch zu tun, die Vergangenheit zu korrigieren, aber viel mit unserem neuen Bild von einem zukünftigen größeren Europa. Wir könnten gerade in der ostdeutschen Kulturarbeit uns selbst und anderen ein modernes Verständnis vermitteln, wie mit der Vergangenheit umzugehen ist. Dabei geht es nicht darum, die Vergangenheit rückgängig zu machen, sondern darum, aus der Vergangenheit die richtigen Konsequenzen für die Zukunft zu ziehen. ({5}) Im Übrigen bin ich dafür, dass wir unter dem Stichwort Föderalismus auch auf der europäischen Ebene Elemente einer gemeinsamen auswärtigen Kulturpolitik entwickeln. Das ist im Einzelnen schwierig. Aber wenn wir nicht einmal das schaffen, werden wir wenig Chancen haben, auf dem Weg zur europäischen Einigung voranzukommen, auf dem noch viele Schwierigkeiten vor uns liegen. Auch dafür ist das Prinzip des Föderalismus hilfreich. Meine dritte Bemerkung zielt auf die Stichworte Zweibahnstraße und gegenseitige Beeinflussung. Wir wissen, dass unsere Bildungssysteme Schule und Hochschule an einem Mangel an Attraktivität leiden. Das gilt insbesondere für die Hochschulen, teilweise aber auch für die Schulen. Wenn wir auswärtige Kulturpolitik dialogisch und als Zweibahnstraße verstehen, wird uns die Erkenntnis ganz gewiss helfen, dass wir unser Bildungssystem sehr viel stärker nach den Prinzipien von Differenzierung und Leistungsbezogenheit organisieren müssen, wenn wir attraktiv sein wollen. ({6}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir können hier manches auch von anderen lernen; denn wir machen viele Fehler. Chancengleichheit haben wir immer auch quantitativ zu verstehen; das war bislang nicht falsch. Aber wir dürfen dabei nicht die Leistungsbezogenheit und die Notwendigkeit von Eliten vergessen. Wir brauchen ein größeres Maß an Differenzierung. Auswärtige Kulturpolitik könnte uns helfen, in unserer eigenen föderalen Kulturund Bildungspolitik zu besseren Schlussfolgerungen zu kommen. Das ist nicht nur eine Frage von Haushaltsmitteln, sondern vor allem eine Frage der Bereitschaft, sich darüber zu verständigen, welches die richtigen Inhalte sind. Herzlichen Dank. ({7})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Otto.

Hans Joachim Otto (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001666, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die heutige Debatte hat uns allen noch einmal sehr anschaulich vor Augen geführt, dass die auswärtige Kulturpolitik zwei Besonderheiten hat. Es gibt einerseits wohl kaum einen hier in diesem Hause debattierten Bereich, bei dem die Übereinstimmung aller Fraktionen über die Ziele so weitgehend ist wie gerade im Bereich der auswärtigen Kulturpolitik. Wir sollten uns aber nicht darüber täuschen - darüber habe ich ebenfalls zu sprechen -, dass es andererseits wohl kaum einen politischen Bereich in diesem Parlament gibt, bei dem die Kluft zwischen den hehren Ansprüchen, die durch diesen Antrag noch einmal untermauert worden sind, und der traurigen und immer trauriger werdenden Wirklichkeit so groß ist. In Vorbereitung auf diese Rede habe ich mir natürlich noch einmal einige Zahlen vor Augen geführt. Ich teile nicht die Auffassung mehrerer Vorredner, dass die auswärtige Kulturpolitik in Gänze weniger Kürzungen als der Gesamthaushalt zu verzeichnen gehabt habe oder auch nur in gleichem Maße von Mittelkürzungen betroffen gewesen sei. In Wahrheit sind in diesem Bereich über das übliche und vielleicht auch notwendige Maß hinausgehende Kürzungen erfolgt. Dieses Abschmelzen ist deswegen besonders beklagenswert und problematisch, weil nicht nur unsere europäischen Partnerländer, sondern auch die USA und einige andere Länder sehr wohl erkannt haben, dass diese weichen Standortfaktoren nicht nur das Wahre, Gute, Schöne vermitteln, sondern langfristig den Interessen eines Landes zuweilen mehr dienen als manch andere so genannte harte Standortfaktoren. Dass ein Umsteuern trotz Ihrer hehren Worte und trotz Ihres Antrags, meine lieben Freunde von den Koalitionsfraktionen, der Popanz ist und manche Worte enthält, die wir überhaupt nicht verstehen können, nicht wirklich erfolgt ist, muss man in der Tat beklagen. Es nützt uns gar nichts, uns zu vergewissern, dass es eine „dritte Säule“ der Außenpolitik gibt, ob sie nun wankt oder nicht. Tatsache ist: Die Mittel für die GoetheInstitute sind von 243 Millionen DM im Jahr 1997 auf 226 Millionen DM verringert worden, obwohl es doch den Fusionsbonus hätte geben sollen, der auch angesprochen worden ist. Das hat natürlich draußen in der Welt - wenn man reist, merkt man das sehr viel deutlicher - zu bitteren Konsequenzen geführt. Die Auslandsschulen - Herr Schäuble hat eben ein Beispiel genannt - haben eine überdurchschnittliche Kürzung ihrer Etats erfahren. Es ist nicht nur in Seoul, sondern auch an vielen anderen Standorten so: Die Auslandsschulen kriechen wirklich auf dem Zahnfleisch. Auch das, liebe Freundinnen und Freunde von SPD und Grünen, sind wiederum harte Zahlen: Von 1997 auf 1997 wurden die Haushaltsmittel für Auslandsschulen - nicht der Bauetat, sondern der reine Schulfonds -, die im Jahr 1996 330 Millionen DM betrugen, auf 383 Millionen DM erhöht. Von 1999 auf 2000 wurden die Mittel von 379 Millionen DM auf 350 Millionen DM zurückgeführt. Das sind harte Fakten. ({0}) Es nützt mir, ehrlich gesagt, nichts, dass wir uns hier in Gutmenschenmanier alle dessen vergewissern, wie wichtig die auswärtige Kulturpolitik ist, ({1}) wenn dann später die Haushaltsberatungen solche Ergebnisse zeitigen. Das traurigste aller Kapitel - mein Lieblingsfreund Naumann ist ja nicht mehr da; jetzt habe ich die Hoffnung, in Herrn Nida-Rümelin vielleicht einen etwas offeneren Gesprächspartner zu finden - ist natürlich die Deutsche Welle. Das muss man sich einmal vor Augen halten - ich zitiere aus dem Antrag -: Als Medium zur Darstellung der deutschen Politik, Wirtschaft und Kultur kommt der DW entscheidende Bedeutung zu. Daneben spielt sie eine zunehmend größere Rolle in Krisengebieten. Klasse, gut gebrüllt, Löwe! - Wie sieht denn die Realität aus? Es gab Kürzungen von 670 Millionen DM auf 541 Millionen DM. Das ist Kahlschlag, und zwar ohne Konzept. ({2}) In Ihrem Antrag steht, dass Sie den Programmauftrag der Deutschen Welle verändern wollen. Sie hatten dazu zweieinhalb Jahre Zeit. In Ihrer Koalitionsvereinbarung sprechen Sie sich für die Stärkung der medialen Außenrepräsentanz aus. Dies haben wir immer angemahnt; aber nichts ist geschehen. Das Einzige, was geschehen ist, sind Kürzungen und Staatseingriffe. Ich habe mich einmal hingesetzt und zum Kapitel „Staatseingriffe bei der Deutschen Welle“ eine Dokumentation zusammengestellt. Ich finde, man sollte nicht für eigene Bücher werben. Aber ein gelegentlicher Blick in dieses Buch öffnet einem die Augen, was in der Ära Naumann geschehen ist. Das Schöne ist, dass ich jetzt keinen Ansprechpartner mehr für diese Ära habe. Aber ich habe die Hoffnung, nun einen etwas verständnisvolleren Partner in diesem Bereich zu haben. Aber, liebe Freundinnen und Freunde - jetzt spreche ich die von der CDU/CSU gleich mit an -, dass angesichts der Entwicklung der letzten Jahre, die die Deutsche Welle wirklich geelendet hat, und angesichts dieses extrem wichtigen Instruments zur Vermittlung des Deutschlandbildes - nicht nur des kulturellen, sondern auch des gesamtgesellschaftlichen - jetzt auch noch ein Staatsrat zum Intendanten gewählt worden ist - er mag so nett sein, wie er will -, zeugt nicht gerade von Instinkt. Dass man in dieser Situation, in der die Deutsche Welle praktisch zu einem Staatsfunk ({3}) zu werden droht, auch noch gegen die Interessen der gesellschaftlichen Verbände in einer großen Koalition einen Staatsrat durchsetzt, entspricht nicht dem Maß an Instinkt, das ich erwartet hätte. ({4}) Ich möchte meine Rede mit folgenden Worten schließen - das wird diejenigen, die mich kennen, nicht überraschen -: Wenn wir von der Bürgergesellschaft sprechen und wir das Stiftungsrecht, das ein Gutmenschenthema ist, ändern wollen, dann sollten wir - das vermisse ich in Ihrem Antrag - auch einmal darüber sprechen, ob wir uns nicht gemeinsam - das ist ein Angebot an alle - darüber Gedanken machen sollten, privates Stiftungskapital zu akquirieren. - Den anachronistischen Begriff „Public Private Partnership“ nehme ich zurück. ({5}) Dieser Begriff muss nicht verwendet werden. Aber dass Sie den Kollegen Irmer beschuldigt haben, er kenne sich nicht mit auswärtiger Kulturpolitik aus, das ist das Schlimme.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege Otto, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.

Hans Joachim Otto (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001666, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich komme sofort zum Ende. Wenn ich auch einmal etwas Gutes sagen soll, dann sollte ich auch noch den folgenden Satz, liebe Frau Präsidentin, an die verehrten Kolleginnen und Kollegen der SPD gerichtet sagen: Lassen Sie uns also einmal Gedanken darüber machen, ob es nicht möglich ist, dass wir alle in diesem Hause, die wir eine Vorbildfunktion haben, privates Stiftungskapital stärker als bisher akquirieren, um die auswärtige Kulturpolitik zu fördern! ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege Otto, jetzt muss wirklich Ihr Schlusssatz kommen.

Hans Joachim Otto (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001666, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Bisher ist dies nicht sehr gut erfolgt; da ist vieles zu tun. Deswegen, liebe Frau Kollegin Griefahn, mein Schlusswort: Wenn Sie schon der Meinung sind, dass das richtig ist, dann lassen Sie uns konkret Gedanken darüber machen. Ich finde es bedenklich, dass in Ihrem Antrag kein einziges Wort über Stiftungen und privates Kapital steht. Herzlichen Dank, Frau Präsidentin, für Ihr Verständnis. ({0}) Hans-Joachim Otto ({1})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ein begrenztes Verständnis! - Das Wort hat jetzt der Kollege Gert Weisskirchen.

Gert Weisskirchen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002465, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Otto, wer war es denn, der das Stiftungsrecht geändert hat? ({0}) Sie haben jahrelang versucht, es zu verändern. Wir haben es verändert! ({1}) Seien Sie doch froh darüber, dass wir jetzt Angebote geschaffen haben, damit die von Ihnen soeben wieder viel gerühmte Zivilgesellschaft selbst handeln kann. Die Bürgerinnen und Bürger nutzen dieses Instrument. Sie werden es noch sehr viel besser nutzen als bisher. Lieber Kollege Otto, insofern geht Ihr Vorwurf fehl. Sie hätten diese Angelegenheit zusammen mit Ihrem Koalitionspartner in der Zeit, als Sie an der Regierung waren, längst regeln können. Da dies nicht erfolgt ist, mussten wir es tun. ({2}) Lieber Kollege Schäuble, Sie haben drei sehr wichtige Punkte angeschnitten. Dazu möchte ich Folgendes feststellen: Ich finde, dass Sie Recht haben. Wir dürfen bei all dem, wie wir mit der Repräsentanz der deutschen Kultur, wie sie im Ausland dargeboten wird, umgehen, nicht vergessen, dass bei uns der wichtigste Träger kultureller Leistungen nicht nur die Künstlerinnen und Künstler selbst sind - sie sind natürlich die allerersten -, sondern auch die deutschen Städte, die die Künstlerinnen und Künstler unterstützen. Sie sind die wirklichen Träger der kulturellen Leistungen. Mehr als 60 Prozent aller kulturellen Leistungen, wenn ich es richtig in Erinnerung habe, kommen von deutschen Städten und Gemeinden. Das ist der wichtigste kulturelle Schatz, den wir haben. ({3}) Bei dem neuen Staatsminister für Kultur, Herrn NidaRümelin, liegt die Kultur in den richtigen Händen. Mit ihm haben wir einen Kulturstaatsminister, der in diesem Punkt persönliche Erfahrungen gesammelt hat. Die Kulturpolitik der Stadt München ist gewiss eine der besten Kulturpolitiken, die es in der Bundesrepublik Deutschland gibt. Wir freuen uns darüber, dass er Staatsminister geworden ist. ({4}) Er wird dazu beitragen, dass die Berliner Hauptstadtkultur, die Kultur der Bundesrepublik Deutschland und die kulturellen Leistungen der Städte in einem kreativen Dialog miteinander verknüpft werden, damit diese Leistungen in der Außenrepräsentanz der deutschen Kultur stärker deutlich werden. ({5}) Auch den zweiten Punkt, den Sie angesprochen haben, halte ich durchaus für berechtigt. Man muss sich in der Tat fragen: Welche kulturellen Leistungen gibt es zum Beispiel in der ostdeutschen Kulturpolitik? Ich persönlich finde, dass die großen Steigerungsraten, die es in der Regierungszeit Helmut Kohls in diesem Sektor gab, nicht nur auf den Dialog gerichtet gewesen waren. Es gab auch eine Förderung - das mag man unterstützen oder kritisieren - von kulturellen Praktiken, die, wie wir glauben, nicht mehr in die Zeit gehören, in der wir jetzt leben. Vielmehr soll der Akzent stärker auf den Dialog und die Versöhnungsbereitschaft zwischen denen gesetzt werden, die vertrieben worden sind und in der Bundesrepublik Deutschland leben, und denen, die jetzt in ihrer alten Heimat leben und sich dort eine neue Existenz aufgebaut haben. ({6}) Das ist der entscheidende Punkt: Versöhnungsprozesse voranzutreiben und Dialogforen zu schaffen. Genau dem dient das, was wir in diesem neuen Aspekt gebündelt haben. Der dritte Punkt, den Sie genannt haben, ist ebenfalls durchaus bemerkenswert. Es geht um die Differenzierung der Bildungssysteme. Aber wir sollten dann auch von dem lernen, was uns andere Länder zeigen. Ich nenne als Beispiel Frankreich. Wie lange haben wir in der Bundesrepublik Deutschland darüber reden müssen, dass Ganztagsschulen zu einem wichtigen Bestandteil der Kultur- und Bildungspolitik gehören? ({7}) Frankreich zeigt uns, dass gerade für Frauen eine viel klügere und sinnvollere Verknüpfung zwischen Arbeits- und Bildungssystem notwendig ist. Das ist etwas, was wir von Frankreich lernen können. Wenn wir es so verstehen, dass auswärtige Kulturpolitik eine gemeinsame Lerngemeinschaft in Europa und in der Welt fördert, dann ist das, was Sie gesagt haben, Herr Dr. Schäuble, sehr bemerkenswert. Dies fördert den Dialog zwischen den Kulturen. Herzlichen Dank also für diesen Diskussionsbeitrag. ({8}) Ich möchte mich noch mit einem Punkt befassen, der vielleicht den Kern des Problems trifft. Im dritten Schlossgespräch in Stuttgart ist es folgendermaßen beschrieben worden: Kultur als Mittel gegen Krisen. Manchmal schaue ich mir die Kontroverse an, die von Benjamin Barber als Konflikt zwischen „McWorld“ und dem Dschihad beschrieben wird. Es geht um die amerikanische Kulturrepräsentanz, die sich, wie manche meinen, in der Welt fast mit Gewalt durchsetzt. Es ist aber vielleicht eher ein stummer Zwang, der hinter diesem Konzept steht. Auf der anderen Seite wird die kulturelle Gegenbewegung als Fundamentalismus verstanden. In anderen Ländern gibt es ähnliche Situationen. Nehmen wir als Beispiel China. Dort wird eine Modernisierung der Ökonomie versucht, ohne die Freiheitsrechte der Individuen in dieses Konzept einzubauen. Es ruft immer eine Gegenbewegung hervor, wenn sich falsche Modernisierungsstrategien durchsetzen, wenn nur rein ökonomische Strategien verfolgt werden und dabei der Eigenwert der Kultur eingeebnet werden soll. Das ist ein wirklich globaler Konflikt, vor dem wir stehen. Wenn die auswärtige Kulturpolitik dazu beiträgt, dass es über den Dialog der Kulturen, den die UNO wünscht, zu einem sinnvollen und kreativen Austausch solcher Kulturinhalte kommt, dann - das sehe ich in der auswärtigen Kulturpolitik - tragen wir zum Frieden bei. Dann tragen wir in der Tat dazu bei, dass Krisen vorgebeugt werden kann. Ich beglückwünsche den Außenminister, dass er im letzten Jahr ein, wie ich finde, wirklich gutes strategisches Gesamtkonzept vorgelegt hat. Ich hoffe sehr, dass es uns gemeinsam gelingt, in den Haushaltsberatungen dafür zu sorgen, es durchzusetzen. ({9}) Hier im Plenum haben wir im Moment den notwendigen Konsens. Wenn es uns gelingt, das gegenüber unserer Regierung hinreichend klarzumachen, dann wird die auswärtige Kulturpolitik im Jahr 2002 besser aussehen. Das wünschen wir uns doch alle. ({10})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Hartmut Koschyk.

Hartmut Koschyk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001186, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Aus den Schlussworten des Kollegen Weisskirchen habe ich jetzt auch die Intention des Antrages der Koalitionsfraktionen und der von den Koalitionsfraktionen erbetenen Debatte verstanden: Sie wollen sich mit diesem Antrag und mit dieser Debatte selbst Mut machen, ({0}) damit Sie nicht nur den Mund spitzen, sondern auch pfeifen. Der auswärtigen Kulturpolitik ist nicht schon damit geholfen, dass wir während der ganzen Debatte ständig die grundsätzliche Übereinstimmung betonen und uns wechselseitig loben. Vielmehr kommt es darauf an, dass spätestens mit der Vorlage des Haushaltsentwurfs für das Jahr 2002 deutlich wird, dass Sie, Herr Bundesaußenminister, für Ihren Etat und innerhalb Ihres Etats besonders für die auswärtige Kulturpolitik kämpfen. Auch in dieser Bundesregierung gibt es genug Beispiele, wie andere Ressorts trotz der Sparzwänge bei bestimmten Haushaltstiteln Erfolge erzielen. Was zum Beispiel dem Bundesinnenminister Schily - eben war er noch auf der Regierungsbank - im Bereich der inneren Sicherheit beim Bundesgrenzschutz gelungen ist, wo er trotz der unter Sparzwängen stehenden Haushalte Akzente gesetzt hat, ist so, dass man sich wünschen könnte, dass Sie, meine Damen und Herren, auch im Bereich der auswärtigen Kulturpolitik entsprechende Prioritäten setzen würden und dass es dem Bundesaußenminister gelingen würde, endlich die dringend erforderliche Kehrtwende einzuleiten. ({1}) Der Zusammenhang der zwei Säulen in der auswärtigen Kulturpolitik - Außenwirtschaft und auswärtige Kulturpolitik - wird gerade bei den Auslandsschulen sehr deutlich; das ist heute schon mehrfach erwähnt worden. Vor kurzem hat der DIHT in Berlin ein ganztägiges Symposium, einen Tag der deutschen Auslandsschulen, durchgeführt. Ihnen, Herr Bundesaußenminister, aber auch Ihnen, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, hätten die Ohren geklingelt, wenn Sie gehört hätten, wie die Geschäftsführer der deutschen Außenhandelskammern, aber auch die weltweit tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter deutscher Unternehmen darauf hingewiesen haben, dass der Kahlschlag in der auswärtigen Kulturpolitik auch zu einem Problem für deutsche Unternehmen im Ausland zu werden droht. ({2}) Natürlich wird es für Mitarbeiter deutscher Unternehmen, die an schwierigen Standorten deutsche Unternehmen und auch die deutsche Außenwirtschaft vertreten, schwierig, wenn die Schulqualität durch die Kürzungen im Bereich der Schulpolitik leidet. Denn dann finden sich vor allem weniger junge Mitarbeiter mit ihren Frauen und Kindern bereit, an diese schwierigen Standorte im Ausland zu gehen. Ich bin Herrn Dr. Schäuble sehr dankbar, dass er das Beispiel der deutschen Schule in Seoul erwähnt hat. Sie müssen sich einmal vor Augen halten, was Mitarbeiter von deutschen Unternehmen dort an Schulgeld zahlen. In Seoul beispielsweise beträgt der Kindergartenbeitrag 10 000 DM im Jahr und der Schulgeldbeitrag 20 000 DM im Jahr. Das einzige, was aus dem Bundeshaushalt für die deutsche Schule in Seoul noch geleistet wird, betrifft die Kosten für die entsandten Programmlehrer aus der Bundesrepublik Deutschland. Deren Anzahl soll jetzt um die Hälfte reduziert werden. Dazu sagen die Verantwortlichen der deutschen Wirtschaft, aber auch der Schulverein, dass sie im Sinne von Partnerschaft zwischen Wirtschaft und der auswärtigen Kulturpolitik vor Ort - damit komme ich, lieber Kollege Otto, auf den F.D.P.-Antrag zu sprechen zwar bereit sind, ihren Beitrag zu leisten, dass aber mit dieser Kürzungsorgie Schluss sein muss. Gert Weisskirchen ({3}) Ich will auch kurz zum Thema Goethe-Institut sprechen. In Seoul gibt es ein Goethe-Institut, das die Stellen für zwei entsandte Kräfte aus der Bundesrepublik Deutschland eingespart hat. Als Dankeschön dafür, dass man Personalkosten eingespart hat, kürzt man nun die Programmmittel derart radikal - und das angesichts der Aufgaben, die das Goethe-Institut in Seoul im Zusammenhang mit dem innerkoreanischen Dialog, gerade auch im Hinblick auf Projekte in Nordkorea, hat. Deshalb hilft es nichts, wenn Sie hier schöne Worte machen. Vielmehr muss der Bundesaußenminister - nicht allein das Parlament - durch seine Kabinettsvorlage für den Haushaltsentwurf deutlich machen, dass es eine Kehrtwende bei den Mittelbereitstellungen für die auswärtige Kulturpolitik gibt. Sie müssen bei der Beratung des Haushalts noch etwas drauflegen. Lassen Sie mich noch einen Satz im Hinblick auf die Kulturarbeit der Vertriebenen zu den Ausführungen des Kollegen Weisskirchen sagen, der versucht hat, die Kürzungspolitik mit schönen Worten ein Stück weit zu rechtfertigen: Ich finde, es ist schon ein starkes Stück, wenn Sie so tun, als würden Sie dafür sorgen, dass die Einrichtungen, die aus diesen Haushaltstiteln gefördert werden, mit unseren östlichen Nachbarn dialogfähig werden. Wolfgang Schäuble hat als Bundesinnenminister auch in schwierigsten Zeiten einer angespannten Haushaltslage eine Erhöhung des entsprechenden Haushaltstitels durchgesetzt. Durch ein Aktionsprogramm ist dafür gesorgt worden, dass die Einrichtungen die Mittel, die sie erhalten haben, dafür einsetzen, um mit Einrichtungen in Tschechien, Polen, Ungarn und Rumänien zusammenzuarbeiten. Diese Mittel kürzen Sie nun, obwohl der estnische Präsident Lennart Meri und der polnische Außenminister Bartoszewski an Joschka Fischer appelliert haben, es nicht zu tun. Dies betrifft zum Beispiel eine Ost-West-Einrichtung in Lüneburg. Diese Einrichtung hat in unserer Regierungszeit eine institutionelle Förderung bekommen und führt hervorragende Projekte mit polnischen, tschechischen und anderen mitteleuropäischen Instituten durch. Hier wäre es gerade auch angesichts der bevorstehenden Osterweiterung wichtig, dass Sie Ihre Kahlschlagpolitik beenden, denn in diesen Kultureinrichtungen wird praktische Verständigungs- und Versöhnungsarbeit geleistet. Herzlichen Dank. ({4})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich schließe damit die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf Drucksachen 14/5799 und 14/5963 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Karl Lamers, Christian Schmidt ({1}), Hartmut Koschyk und der Fraktion der CDU/CSU Chancen des deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrages für Versöhnung stärker nutzen - Drucksachen 14/5138, 14/5814 Berichterstattung: Abgeordnete Gert Weisskirchen Christian Schmidt ({2}) Dr. Werner Hoyer Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion Friedrich Merz.

Friedrich Merz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002735, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In rund einem Monat jährt sich zum zehnten Mal der Abschluss des deutschpolnischen Nachbarschaftsvertrages. Der Vertrag über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit ist ein historischer Meilenstein in den deutsch-polnischen Beziehungen. Zusammen mit dem Grenzvertrag vom 14. November 1990 bildet er das rechtliche und politische Fundament für das deutsch-polnische Verhältnis nach der Wiedervereinigung unseres Landes. Die Tragik der gemeinsamen Geschichte in eine positive europäische Zukunft zu wenden war und ist der Kern der Botschaft, die der deutsch-polnische Nachbarschaftsvertrag unseren beiden Völkern zur Verfügung stellt. Deutsche und Polen leben in einer Schicksalsgemeinschaft. Unsere Geschichte ist eine gemeinsame Geschichte. In seiner Rede zur Verleihung des Karlspreises im Jahre 1998 hat der damalige polnische Außenminister Geremek auf diesen Zusammenhang hingewiesen. Er sagte damals: Dank der Wiedervereinigung Deutschlands konnte Polen frei werden und dank der im großen Epos Solidarnosc errungenen Freiheit Polens konnte die Wiedervereinigung Deutschlands stattfinden. ({0}) Geremek hatte Recht. Ohne die Freiheitsbewegung und die Solidarnosc wäre die deutsche Einheit nicht möglich gewesen. Die deutsche Wiedervereinigung begann in Danzig. Deutsche und Polen sind seit Jahrhunderten Nachbarn. Aber noch nie waren ihre Beziehungen so gut wie heute. Aus Angehörigen feindlicher Militärblöcke sind Partner in der NATO geworden und sie werden es auch bald in der Europäischen Union sein. Durch eine Vielzahl von Kontakten und Beziehungen sind Politik und Gesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft, aber nicht zuletzt auch die Bürger in unseren beiden Ländern eng miteinander verbunden. Vor allem im Denken der Menschen ist ein Stück Normalität erreicht. Das ist gut so. Vor dem Hintergrund unserer Geschichte wären Verständigung und Versöhnung ohne die offene und wahrhaftige Auseinandersetzung mit den belastenden Aspekten der Vergangenheit nicht möglich gewesen. Kein Land hat so sehr unter der nationalsozialistischen Diktatur gelitten wie Polen. 6 Millionen Polen, darunter 3 Millionen Juden, sind durch Krieg und Diktatur ums Leben gekommen und Millionen von Deutschen mussten als Folge des Krieges ihre Heimat verlassen. Viele haben seitdem geholfen, dass die schmerzliche Vergangenheit und das Trauma des erlittenen Unrechts überwunden werden konnten. Ich erinnere an das mutige Wort der polnischen Bischöfe aus dem Jahre 1965. Sie haben damals geschrieben: „Wir vergeben und bitten um Vergebung.“ Ich erinnere auch an den Besuch des damaligen Bundeskanzlers Willy Brandt 1970 in Warschau, an die gemeinsame Erklärung von Ministerpräsident Mazowiecki und Bundeskanzler Helmut Kohl vom 14. November 1989 und an die Stuttgarter Charta der Heimatvertriebenen vom 5. August 1950 mit ihrem Verzicht auf Rache und Vergeltung und ihrem Bekenntnis zu einem „geeinten Europa, in dem die Völker ohne Furcht und Zwang leben können“. In Deutschland werden heute der hohe Stellenwert der Beziehungen unseres Landes zu Polen und die Ziele der Politik von allen politischen Kräften und der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung mitgetragen. Das ist gut für die Beziehungen und gut für unser Land. Es bleibt unser Ziel, zu dauerhafter und tiefer Freundschaft zwischen Deutschen und Polen zu kommen. Freundschaft aufzubauen ist ein Prozess, der von beiden Seiten Anstrengungen erfordert. Der Vertrag von 1991 war und ist Ausdruck des Willens von Polen und Deutschen, ihre Zukunft in Europa gemeinsam zu gestalten. Er ist Ausdruck des Mutes und der Verantwortung vor der Geschichte, sich auch den Problemen im bilateralen Verhältnis offen zu stellen und nach für beide Seiten akzeptablen Lösungen zu suchen, auch bei der Unterstützung der deutschen Minderheit, beim Jugendaustausch und bei der regionalen Kooperation. Auf allen diesen Feldern hat sich der Vertrag in den letzten zehn Jahren bewährt. Nirgendwo wird dies deutlicher als an der Lage der deutschen Minderheit in Polen. Ihr Recht auf die eigene Sprache, auf Wahrung ihrer Traditionen und auf Entwicklung der eigenen Kultur wird heute durch Art. 35 der polnischen Verfassung geschützt. Politisch ist die deutsche Minderheit im polnischen Staatswesen fest verankert. Die wirtschaftliche Lage hat sich spürbar verbessert. Die deutsche Minderheit in Polen gibt uns ein Beispiel, dass in Europa verschiedene Kulturen und Völker vernünftig und friedfertig zusammenleben können. ({1}) Heute, zu Beginn eines neuen Jahrhunderts und in der Perspektive von Integration und Freizügigkeit, haben wir die Chance, auch bei der Lösung der noch verbliebenen Probleme der deutschen Minderheit in Polen weitere Fortschritte zu erzielen: bei der Förderung der deutschen Sprache, bei der Verwendung offizieller topographischer Bezeichnungen in den traditionellen Siedlungsgebieten der deutschen Minderheit, bei der Rückführung von kriegsbedingt verlagerten Kulturgütern, bei der Niederlassungsfreiheit, beim Erwerb von Eigentum und bei der Anerkennung deutscher Wehrdienstzeiten, Zeiten der Kriegsgefangenschaft und Zeiten in polnischen Internierungs- und Arbeitslagern nach 1945 im polnischen Rentenrecht. Diese Forderungen unseres Antrages berühren - das wissen wir - sensible Fragen; aber sie sind keineswegs rückwärts gewandt. Ihre Lösung wird die Partnerschaft weiter fördern. Die vergangenen Jahre und Jahrzehnte haben gezeigt: Die in Polen lebenden Deutschen wie auch die Heimatvertriebenen können, was das Verhältnis unserer Völker angeht, Brückenbauer sein. ({2}) Es ist daher nur berechtigt, dass wir uns auch für ihre Interessen einsetzen. Wir fordern die Bundesregierung auf, die genannten Fragen aufzugreifen und die Chancen zur Vertiefung unserer Beziehungen mit Polen stärker zu nutzen - im Interesse beider Völker und beider Länder. Ich will an dieser Stelle zugleich unseren Appell an alle Beteiligten erneuern, so schnell wie möglich das Tauziehen bei der Entschädigung von Zwangsarbeitern zu beenden. Die betroffenen Menschen erwarten zu Recht kein Spiel gegen die Zeit, sondern nur eines: dass mit den Zahlungen aus der Stiftung umgehend begonnen werden kann. Ich hoffe sehr, dass es uns gelingt, in der nächsten Woche im Deutschen Bundestag Rechtssicherheit festzustellen. ({3}) Wir stehen jetzt vor der Osterweiterung der Europäischen Union. CDU und CSU wollen die Osterweiterung. Wir wollen sie aus politischen Gründen, weil wir damit das europäische Modell von Demokratie und sozialer Marktwirtschaft auch in den Staaten Mittel- und Osteuropas fest verankern. Mit der Erweiterung rückt Deutschland in die geopolitische Mitte der Europäischen Union. Aber neben allen politischen Gründen gibt es auch wichtige ökonomische Gründe für die Osterweiterung. Neue und wichtige Absatzmärkte, die gerade für Deutschland als Anrainer der Beitrittsländer große Bedeutung haben, werden in den europäischen Binnenmarkt integriert. Die politische, die ökonomische und die zivilisatorische Vereinigung der Völker und der Staaten des europäischen Kontinents in einer demokratischen, rechtsstaatlichen, von den Bürgern getragenen Ordnung ist das wichtigste Projekt, das wir am Beginn des 21. Jahrhunderts begreifen, gestalten, fortsetzen und vollenden wollen. Wir wünschen uns Polen dabei in der ersten Reihe der künftigen Mitglieder. Wir haben das Europaabkommen, das 1991 unterzeichnet wurde und 1994 in Kraft getreten ist, immer mit Nachdruck unterstützt. Heute müssen wir darauf achten, dass es bei der Erweiterung gerecht zugeht. Wir dürfen nicht zulassen, dass Polen und die anderen Kandidatenländer in der Europäischen Union zu Mitgliedern zweiter Klasse gemacht werden, weil ein Kartell von Besitzstandswahrern die notwendige Solidarität verweigert. ({4}) Ich will es noch deutlicher sagen: Die spanische Forderung, die Ansprüche der künftigen EU-Mitglieder in der europäischen Strukturförderung auf einer deutlich schlechteren Grundlage als bei der EU der 15 zu berechnen, ist ganz und gar inakzeptabel. ({5}) Das Gleiche gilt für den Versuch, die Zustimmung der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union insgesamt zu Übergangsfristen bei der Freizügigkeit gegen neue Zugeständnisse bei der Struktur- und der Agrarpolitik zu erkaufen. ({6}) Ein solches Verhalten ist nicht solidarisch, sondern egoistisch; es untergräbt den politischen Zusammenhalt der Union und es zerstört das Fundament der gemeinsamen europäischen Werte. ({7}) Ob wir zudem durchgängig siebenjährige Übergangsfristen für die Freizügigkeit der Arbeitnehmer und im Hinblick auf die Dienstleistungsfreiheit brauchen, wie dies der Bundeskanzler in Weiden und vor kurzem erneut im Entwurf für den SPD-Parteitag gefordert hat, ist aus unserer Sicht keineswegs ausgemacht. Was wir brauchen, ist vielmehr eine größere Differenzierung: Die Situation im Handwerk oder im Baugewerbe, vor allem in den grenznahen Räumen, ist eben eine völlig andere als etwa im Bereich der Finanzdienstleistungen, zum Beispiel bei Banken und Versicherungen, die aus guten Gründen auf beiden Seiten keine Übergangsfristen wollen. Umgekehrt möchte ich aber auch an die Adresse unserer polnischen Nachbarn sagen, dass Übergangsfristen für den Erwerb von landwirtschaftlichem Grund und Boden von 18 Jahren, die nach einem Beitritt faktisch noch eine ganze Generation vom Erwerb in Polen ausschließen, aus unserer Sicht nicht akzeptiert werden können. ({8}) Lassen Sie mich zum Abschluss sagen: Das Treffen der Finanzminister der Europäischen Union im schwedischen Malmö mit den Finanzministern der Beitrittsländer vor gut zwei Wochen hat gezeigt, dass auch die Beitrittsländer noch erhebliche Anstrengungen unternehmen müssen, um die Kriterien von Kopenhagen zu erfüllen und im Wettbewerb mit den jetzigen EU-Mitgliedern tatsächlich bestehen zu können, insbesondere bei der Entwicklung des Finanzsektors und der wirtschaftlichen Leistungskraft der Beitrittsländer. Ich begrüße es sehr, dass die EU-Finanzminister deutlich gemacht haben, dass niemand die Absicht hat, neue Kriterien zu formulieren, sondern dass es im Interesse der Beitrittsländer wie der jetzigen EU-Mitglieder darum geht, vereinbarte Kriterien zu erfüllen und soziale Verwerfungen zu vermeiden. Deshalb habe ich mich auch über die besonnene und sehr abgewogene Erklärung gerade des polnischen Finanzministers Bauc nach dem Treffen in Malmö sehr gefreut. Die Europäische Union ist eine Interessengemeinschaft. Europa ist aber auch eine Wertegemeinschaft. Die Erweiterung ist ein Testfall, wie weit die europäische Solidarität trägt und die jahrzehntelange Spaltung Europas dauerhaft überwunden werden kann. Das gilt für die bisherigen Mitglieder ebenso wie für die künftigen. Der deutsch-polnische Nachbarschaftsvertrag vom 17. Juni 1991 war nicht nur ein Wendepunkt in den deutsch-polnischen Beziehungen. Er ist auch die Brücke für eine gemeinsame Zukunft in der Europäischen Union. ({9})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Markus Meckel.

Markus Meckel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001451, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Merz, ich sehe die Schwierigkeit, vor der Sie standen, als Sie Ihre Rede vorbereitet haben: Sie mussten sich entscheiden, ob Sie auf die Überschrift des heute zur Debatte stehenden Antrages reagieren oder ob Sie auf den Inhalt dieses Antrages eingehen. Sie haben sich entschieden, die Überschrift zum Thema zu machen. Ich entscheide mich für den Inhalt Ihres Antrages und dafür, dass wir die Würdigung dieses wirklich wichtigen Nachbarschaftsvertrages, dessen Abschluss sich jetzt zum zehnten Male jährt, in der vereinbarten Debatte in der zweiten Junihälfte hier vollziehen. Dazu liegt - darüber freue ich mich sehr - ja bereits ein gemeinsamer Antrag der Fraktionen vor, der Ihrer Rede in der Themenbreite eher entspricht als der vorliegende Antrag. ({0}) Der Antrag, der heute zur Debatte steht, ist auch insofern thematisch eng geführt, als es in der Würdigung des zehnten Jahrestages des Nachbarschaftsvertrages durchaus nicht nur um die Frage der Vertriebenen und der deutschen Minderheit geht. Wir müssen uns aber erinnern, dass in diesem Vertrag die deutsche Minderheit und die Polen in Deutschland parallel behandelt werden. Leider taucht dieser Gesichtspunkt in dem Antrag nur in dem allerletzten Absatz auf, während die anderen Fragen, die die Polen in Deutschland betreffen, leider nicht weiter behandelt werden. Ich möchte auf die Frage der deutschen Minderheit eingehen, die Sie in Ihrem Antrag inhaltlich behandeln, und am Anfang doch deutlich sagen: Ich halte es für ein Defizit der deutschen Linken in den vergangenen Jahrzehnten, dass sie dieses Thema nicht genügend wahrgenommen hat. Allerdings hat es die deutsche Minderheit in Polen der deutschen Linken auch schwer gemacht, dies zum Thema zu machen, weil das Beharren auf der Grenzfrage - und damit die engen Beziehungen zum BdV, der in der deutschen Politik oft in der rechten Ecke gestanden hat - die Kommunikation erschwert hat. Ich bin sehr froh - das muss ich deutlich sagen -, dass sich diese Lage in den letzten zehn Jahren deutlich verändert hat, dass alle Fraktionen des Deutschen Bundestages zur deutschen Minderheit in Polen eine offene und gute Beziehung haben und dass sich auch die Lage der deutschen Minderheit selber grundlegend verändert hat. Grundlage dessen ist nicht zuallererst der deutsch-polnische Nachbarschaftsvertrag, auch wenn er wichtig war und ist. Grundlage dafür ist die Demokratie in Polen. Über diese können und müssen wir alle froh sein - und sind es, so denke ich, auch. Das, was in den letzten zehn Jahren für die deutsche Minderheit in Polen geschehen ist - Sie, Herr Merz, haben ja darauf hingewiesen -, war beispielhaft: die Pflege der Sprache, der eigenen Kultur, auch die Anerkennung eigener Organisationen, die ungeheuer lebendig und durchaus - das ist wichtig - mit deutscher Unterstützung arbeiten, die öffentlichen Vertretungen auf allen politischen Ebenen. Es gibt dort eine ganze Reihe deutscher Bürgermeister, die natürlich nicht nur für die in der Kommune lebenden Deutschen Verantwortung tragen, sondern für die gesamte Region. In der Woiwodschaft Oppeln übernehmen Vertreter der deutschen Minderheit eine ganz wesentliche Verantwortung, und zwar bis in den Sejm hinein. Die Abgeordneten stimmen dort auch nicht nur über Dinge ab, die die deutsche Minderheit betreffen, sondern verhalten sich politisch als loyale Bürger und Staatsbürger dieses Staates Polen. Dies alles ist eine ungeheure Leistung. Sehen wir uns einmal an, was der polnische Staat in diesen Zeiten gemacht hat. Vieles war nicht immer einfach. Wir haben die Diskussion miterlebt. So wurde das Quorum ausgesetzt. Hier möchte ich einfach einmal die heutige polnische Botschafterin in Wien, Irena Lipowicz, erwähnen, die damals als Abgeordnete intensiv dafür gekämpft hat. Sie hat sich ebenfalls in der Frage der Gestaltung der Territorialstruktur Polens engagiert. Ohne dass sich Deutschland darum gekümmert hat, hat Polen gesagt: Wir wollen die Woiwodschaft Oppeln wegen der besonderen Bedingungen dort erhalten. Der polnische Staat ist mit großer Sensibilität mit diesen Fragen umgegangen, was eine ungeheure Leistung ist. In den Kommunen, die auf ehemals deutschem Gebiet liegen - ob das nun Stettin, Breslau oder andere sind -, wird die deutsche Geschichte heute als eigene Tradition wahrgenommen, geachtet und für den Tourismus aufbereitet. Ich halte auch das für eine ungeheure Leistung. Seit dem 1. April dieses Jahres ist die Rahmenkonvention zum Schutz der Minderheiten des Europarates in Kraft. Auch dies ist wahrhaftig kein kleiner Schritt der polnischen Regierung. Sie haben in Ihrem Antrag eine Reihe von Defiziten angesprochen. Sie bestehen; aber unter dieser Überschrift allein diese zum Thema zu machen erschien uns jedenfalls problematisch. Natürlich ist die Kulturgüterfrage ungeklärt. Wir hoffen wirklich, dass hier in naher Zukunft ein Ergebnis erzielt werden wird. Dies gilt auch für die Frage der zweisprachigen Ortsschilder. Ich glaube, langsam wächst die Bereitschaft dazu. Ich hätte mir dies auch früher gewünscht. Aber dies ist kein wirklicher Konfliktpunkt zwischen Deutschland und Polen, sondern eine Frage der Entwicklung einer Gesellschaft, eine Frage der Reife. Vor drei Jahren habe ich in Warschau eine Diskussion mit Herrn Hupka miterlebt, bei der es um die Fragen der Verteidigung ging. Dort saß zum Beispiel der tschechische Botschafter in Warschau mit offenem Mund daneben und sagte: Was ist hier in dieser Gesellschaft schon alles möglich geworden? - Ich glaube, dies sollten wir deutlich würdigen. Weiterhin haben Sie die Anrechnung der Zeiten in Kriegsgefangenschaft oder in polnischen Internierungsund Arbeitslagern für die Angehörigen der deutschen Minderheit in Polen, also der Deutschen, die besonders unter der deutschen Kriegsschuld gelitten haben, angesprochen. Auch ich sehe hier wirklich ein Problem. Sie wissen selbst, dass es um die Frage der Parallelität geht. Hier können wir nur werben und vielleicht auch einiges dafür tun. Sie aber schauen nur in Richtung Regierung. Ich aber sage: Sie hatten acht Jahre Zeit, Herr Waigel, und damals waren die Kassen noch voller. ({1}) Jedenfalls haben Sie das Geld tüchtig ausgegeben. Darunter leiden wir heute. Aber hier jetzt nur auf den anderen zu blicken, halte ich für problematisch, zumal etwas passiert, was viele in Deutschland gar nicht wissen: Deutschen Wehrmachtsoldaten, die heute noch in Polen leben, wird die Zeit in der deutschen Wehrmacht - in der Wehrmacht, die Polen überfallen hat - für die Rente angerechnet. Genauso bekommt der polnische Soldat, der heute in Deutschland lebt, die gleiche Zeit anerkannt. Das Problem ist aber, dass es für diejenigen, die die Zeit in Lagern verbracht haben, keine parallele Regelung gibt. Ich hoffe, dass wir in Zukunft hier noch zu einem guten Ergebnis kommen. Als Konzeptionsaufgabe für die Zukunft müssen wir natürlich unsere Förderung der deutschen Minderheit ansprechen. Hier sehe ich nach wie vor Defizite, nicht in erster Linie in Bezug auf die Höhe der Summen, sondern in Bezug auf die Gestaltung, wenn Polen in Kürze Mitglied der Europäischen Union wird. Ist es zum Beispiel sinnvoll, die von Ihnen geerbte Ressortierung im Innenministerium beizubehalten? Was ist mit der Kulturaufgabe, den Kontakten, der Förderung der Minderheit von Deutschland aus? Ich komme noch zu einem letzten Punkt, der ebenfalls dort hineingehört. Ich bedaure es ausgesprochen, dass es nicht möglich war - Deutschland hat dies mit vorgeschlagen -, die Frage der Minderheiten in der Grundrechte-Charta der Europäischen Union angemessen zu behandeln. Ich halte das für ein Defizit; aber dies zeigt, dass wir in Europa in diesem Bereich noch etwas zu tun haben. Wir in Deutschland sollten wiederum nicht den Zeigefinger erheben; denn Anfang der 90er-Jahre, als wir dabei waren, unsere Verfassung, das Grundgesetz, zu verändern und entsprechende Vorschläge von Bündnis 90/Die Grünen und SPD vorlagen, auch im deutschen Grundgesetz die Minderheitenrechte zu verankern, hat Ihre Fraktion dem leider nicht zugestimmt, obwohl das für Europa ein ganz wichtiges und gutes Beispiel gewesen wäre. Wir haben also noch manche Arbeit vor uns: in Polen, in Deutschland und in Europa insgesamt. Wir sollten diese Aufgabe anpacken. Ich danke Ihnen. ({2})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Kollege Ulrich Irmer.

Ulrich Irmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000996, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch ich habe mich über die Rede von Herrn Merz ausgesprochen gefreut. Als ich den Antrag gelesen habe, hat mich ein gewisses Unbehagen beschlichen, insbesondere angesichts der Tatsache, dass wir in einem Monat hier eine größere Debatte über den umfassenden Zusammenhang der deutsch-polnischen Beziehungen führen werden und auch interfraktionell einen gemeinsamen Antrag vorbereiten, der der Entwicklung dieser Beziehungen und den zukunftsweisenden Perspektiven gerecht werden soll und gerecht werden wird - durchaus unter Mitwirkung auch der CDU/CSU-Fraktion. Wenn ich diesen Antrag sehe, der vier Wochen vor dieser großen Debatte im Deutschen Bundestag auf die Tagesordnung geflattert ist, kann ich eigentlich nur sagen: Es ist traurig. Denn wenn man den Antrag liest, gewinnt man den Eindruck, es ist ein Forderungskatalog einseitiger Art an die polnische Seite, in dem zugegebenermaßen vielleicht real existierende Defizite aufgegriffen werden, aber in dem dies eben nur einseitig dargestellt wird. Ich lese zu meinem Vergnügen, dass Sie anerkennen, dass auch auf der polnischen Seite die Bereitschaft vorhanden ist, eine wahrhaftige Aufarbeitung belastender Aspekte der Vergangenheit zu betreiben, dass Sie rühmen, dass dort die Bereitschaft besteht, den Komplex der Vertreibung zu erörtern, an Internierungslager zu erinnern und Täter strafrechtlich zu verfolgen. Dabei vermisse ich aber den Bezug auf das, was dies alles eigentlich ausgelöst hat. Es waren doch wir, die Deutschen, die den Krieg vom Zaun gebrochen haben, die Polen überfallen haben. Ich kann doch das eine nicht erwähnen, ohne nicht auch des anderen zumindest zu gedenken. Das hat mit Schuldzuweisung gar nichts zu tun, sondern ist einfach eine Frage der historischen Gerechtigkeit und der moralischen Wahrheit. Wenn wir uns darum bemühen wollen, zu Polen ähnlich intensive Beziehungen zu entwickeln, wie es nach dem Zweiten Weltkrieg zu Frankreich gelungen ist, können wir jetzt nicht einseitig der einen Seite vorhalten, was sie vielleicht an Versäumnissen zu vertreten habe. Darüber kann man ja reden, obwohl man auch da vorsichtig sein muss. Was zum Teil in dem Antrag steht, verlockt geradezu zu der Frage, wie wir uns denn bei nicht direkt vergleichbaren, aber ähnlich gelagerten Forderungen anderer an uns selbst verhalten würden. Ich will das am Beispiel der Ortstafeln verdeutlichen. ({0}) Jetzt sagen Sie mir bitte nicht, wenn auch mit Recht, dass das gar nicht vergleichbar ist. Wenn aber die türkische Gemeinde in Berlin kommen und sagen würde, sie wolle da, wo die Türken in der Mehrheit seien, türkische Ortsschilder haben, was für ein Aufschrei ginge dann durch die deutsche Leitkultur! ({1}) - Ich weiß, dass der Vergleich hinkt. Aber man sollte sich doch einmal fragen, wie das eigene Verhalten wäre, wenn eine ähnliche, in den gleichen Kontext gehörende Forderung auf uns zukäme. ({2}) Sie fordern mit Recht, dass die Polen zulassen sollen, dass sich Deutsche oder andere EU-Bürger in Polen niederlassen und zwar im Vorgriff auf die Freizügigkeit, die durch die Mitgliedschaft Polens in der EU gegeben sein wird. Das wollen wir alle. Auch ich verlange, dass die Polen dies zulassen. Aber ich frage mich auch: Was geschieht denn in Deutschland, wenn ein Pole kommt und sagt, er möchte sich hier niederlassen? ({3}) Haben Sie einmal darüber nachgedacht, auf welche Hürden er stößt? Das ist auch im Einzelfall nicht vergleichbar.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Koschyk?

Ulrich Irmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000996, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich gestatte die Zwischenfrage; ich möchte nur den Satz zu Ende bringen. Es ist in Bezug auf Details nicht vergleichbar. Aber man muss sich hinsichtlich des Atmosphärischen einmal fragen: Wie wirkt ein solcher Antrag auf diejenigen in Polen, die ihrerseits zur Versöhnung beitragen wollen, wenn wir einseitige Forderungen stellen und nicht einmal prüfen, was vor unserer eigenen Haustür zu kehren ist? ({0}) Herr Koschyk, bitte.

Hartmut Koschyk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001186, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Irmer, ich wollte Sie nur fragen, ob Sie bereit sind, zuzugestehen, dass die beiden Punkte - also zweisprachige Ortsschilder und die Niederlassungsfreiheit -, die Sie explizit angesprochen haben und bei denen Sie uns als deutsche Seite raten, sich in die Lage des anderen hineinzuversetzen, Bestandteil des Briefes gewesen sind, den der damalige Bundesaußenminister, Hans-Dietrich Genscher, F.D P., im Zusammenhang mit diesem Vertrag als Bestandteil dieses Vertrags an die polnische Seite gerichtet hat.

Ulrich Irmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000996, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Lieber Kollege Koschyk, das ist mir alles bekannt und ich halte das auch für völlig richtig. ({0}) - Kein „Aber“. Ich sage ja auch: Ihre Forderungen sind durchaus diskussionswürdig. Ich schließe mich ihnen sogar an. Auch ich würde mich freuen, wenn demnächst auf dem Ortsschild unter „Wroclaw“ auch „Breslau“ stünde. Ich kann „Wroclaw“ ohnehin nicht aussprechen, weil ich leider nie polnisch gelernt habe, was vielleicht noch werden kann. ({1}) Ihr Einwand ist ja berechtigt. Aber die einseitige Zusammenballung solcher Forderungen, ohne zugleich zu sagen, wo wir vielleicht Defizite haben und wo wir unsererseits zum deutsch-polnischen Verhältnis etwas beitragen müssen, empfinde ich nicht als richtig.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege Koschyk, Sie müssen schon stehen bleiben, wenn Ihnen geantwortet wird. ({0})

Ulrich Irmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000996, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Koschyk, wenn Sie mir schon Zwischenfragen stellen, dann will ich das Beste daran mitnehmen, nämlich dass Sie damit meine Redezeit verlängern und die Uhr gestoppt wird, während ich Ihre Frage beantworte. ({0}) Darauf würde ich doch nie im Traum verzichten. ({1}) - Nein, ich habe Ihre Frage noch nicht beantwortet, Herr Kollege. ({2}) Es ist eine einseitige Zusammenballung von Forderungen, die für sich selbst betrachtet durchaus berechtigt sind und die ja schon der legendäre Genscher erkannt und vorausgesagt hat. Gleichwohl finde ich es einfach unklug und unsensibel, wenn man jetzt, einen Monat vor unserer großen Debatte, bei der alles zur Sprache kommen soll, diese Punkte isoliert aufgreift und als einseitige Forderungen an Polen heranträgt. ({3}) Das ist die Antwort auf Ihre Frage. Der Herr Präsident hat die Uhr wieder in Gang gesetzt. Wir wissen natürlich, warum das geschieht. Verehrter Herr Merz, ich weiß, dass es aus Ihrer Sicht sehr notwendig ist. Es stehen ja jetzt Treffen der Vertriebenen an. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang sagen: Es hat mich sehr gefreut, dass der Kollege Meckel gesagt hat, wie sehr sich die Beziehungen zu der deutschen Minderheit in Polen auch seitens der SPD verbessert haben, die als „deutsche Linke“ zu bezeichnen - Sie haben es getan vielleicht etwas kühn ist. Ich möchte Sie alle bitten, das Verhältnis zu den Vertriebenen und ihren Verbänden mehr in Ordnung zu bringen, als das bisher der Fall gewesen ist. Wir haben immer großen Wert darauf gelegt, auch wenn wir bisweilen nicht gerechtfertigte Forderungen der Verbände zurückweisen mussten und zurückgewiesen haben - speziell, als es damals um die Anerkennung der Grenzen ging -, dass das besondere Schicksal der Vertriebenen und das Sonderopfer, das von ihnen erbracht werden musste, gesehen, anerkannt und menschlich gewürdigt wird. ({4}) Das ist ja keine Kleinigkeit. Die Deutschen sind aufgrund ihrer Lebenssituation vom Krieg und seinen Folgen unterschiedlich betroffen gewesen. Die Vertriebenen haben ein besonderes Los gehabt. Darüber darf man nicht hinweggehen; das muss man menschlich verstehen. Deshalb bin ich dankbar, dass die Vertriebenen und ihre Verbände heute dazu bereit sind, zu dem großen Versöhnungswerk beizutragen. Leider muss ich aus den geschilderten Gründen Ihren Antrag jetzt ablehnen. Aber wir bleiben über diese Fragen, die Sie dort aufgeworfen haben, naturgemäß im Gespräch. Sie können in den gemeinsamen Antrag gerne eingehen. Ich danke Ihnen. ({5})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich gebe das Wort Herrn Kollegen Dr. Helmut Lippelt für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.

Dr. Helmut Lippelt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001352, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Es geht mir ähnlich wie den Vorrednern. Ich möchte es aber noch ein bisschen krasser ausdrücken: Herr Merz, ich habe mich wirklich gefragt, worauf Sie sich bezogen haben. Mir ist noch nie der Unterschied zwischen einer Rede zu einem vorliegenden Antrag und dem Antrag selbst so deutlich geworden wie in diesem Falle. ({0}) Für seine Rede wollen wir ihn loben. Dazu wollen wir sagen, seine Rede war sehr schön. Deshalb habe ich Ihnen auch bewusst einmal zugeklatscht. Nur, Herr Merz, das Problem ist ja ein ganz anderes. Haben Ihnen Ihre Polenexperten nicht gesagt, was für ein Befremden dieser Antrag in der vorliegenden Form in Polen ausgelöst hat? ({1}) Sprechen Sie einmal mit Pflüger. Ich kann es Ihnen sagen. Gehen Sie einmal in die Botschaft, fragen Sie dort, wie dieser Antrag gewirkt hat! Herr Merz, gedruckt - so gern ich es anders sehen möchte - wird in Polen vielleicht ein Satz aus Ihrer Rede, aber drei Sätze aus dem Antrag. Deshalb ist eigentlich unverantwortlich, was hier gelaufen ist. Sie haben einen Antrag schöngeredet, nachdem Ihre Fraktion und Sie als Fraktionsvorsitzender noch vor zehn Tagen in der Beratung dieses Antrages im Auswärtigen Ausschuss auf ausdrückliche Anfrage aller anderen Parteien, ob man ihn denn nicht für erledigt erklären wolle - denn es werde doch an einem gemeinsamen Antrag gearbeitet -, dies abgelehnt haben. ({2}) - Ja, ich komme zu Ihrem Antrag, keine Angst! Ich will substanziell werden, mein Lieber; denn ich habe den Eindruck, ich muss Ihnen geradezu vorinterpretieren, was in Ihrem Antrag steht. Sie selbst haben es auch nicht verstanden. Eines ist mir allerdings bei Ihrer Intervention klar geworden: Ich habe lieber Herrn Merz hier reden hören und habe mich immer gefragt: Was wäre erst passiert, wenn Sie oder eine weitere Verfasserin des Antrags geredet hätten? Aber jetzt zum Antrag. Sie wollen es ja. Sie hätten es anders haben können. Nun gehen wir aber darauf ein. An drei Punkten wird der Geist dieses Antrages deutlich. Ich bezeichne ihn als Geist wirklicher Starrheit alten Denkens, als Geist unversöhnlichen Hochhaltens alter Ansprüche. Das dokumentiert der Antrag. Ich will es Ihnen belegen. Zunächst zu den Ortsschildern: Es ist schon einiges dazu gesagt worden. Sie schreiben, die polnische Seite habe sich verpflichtet, die Zulassung zu prüfen. Wörtlich sagen Sie: Diese Prüfung ist inzwischen erfolgt. Aber Sie sagen dann, nichts sei geschehen, obwohl doch das vor einem Jahr in Kraft getretene polnische Sprachgesetz ausdrücklich fremdsprachige Namen und Texte zulasse. Ich habe mir natürlich den Vertrag angesehen. Was steht denn genau in dem Briefwechsel? Im Briefwechsel steht, die polnische Regierung sehe derzeit keine Möglichkeit, offizielle topographische Bezeichnungen in deutscher Sprache zuzulassen; sie werde mit Rücksicht auf deutsche Wünsche diese Fragen zu gegebener Zeit prüfen. Sie haben sich auf den Wortlaut des Briefwechsels bezogen und dabei müssen wir genau sein. Es geht um einen internationalen Vertrag. Da muss man schon genau sein; da darf man nicht so wischiwaschi vorgehen. Woher nehmen Sie das Recht, einseitig festzustellen, dass die Zeit jetzt gegeben ist? Warum sehen Sie nicht das vor einem Jahr verabschiedete Sprachgesetz geradezu als ein Signal an die deutsche Seite an, dass deutsche Wünsche nicht in Vergessenheit geraten sind? Das ist doch eine sehr viel sinnvollere und richtigere Betrachtungsweise. ({3}) Ein zweites Beispiel, das Niederlassungsrecht. Sie fordern die Bundesregierung auf, von Polen zu verlangen, dass im Hinblick auf die Mitgliedschaft Polens in der Europäischen Union deutsche Bürger jetzt in Polen „ungehindert Wohneigentum, Grund und Boden erwerben können“. Was steht in Art. 8 Ziffer 3 des Vertrages? Da steht, dass Deutschland positiv zur Perspektive eines Beitritts Polens zur EU steht, sobald die Voraussetzungen dazu gegeben sind. Dann erklärt die polnische Regierung in Aufnahme dieses Satzes im Briefwechsel, dass sie in Verwirklichung dieser Perspektive zunehmend die Möglichkeit sehe, deutschen Bürgern eine Niederlassung in Polen zu erleichtern. - Also sehr vorsichtig; wir alle verstehen das. Was muss Ihnen Ihr wirklich einfacher politischer Verstand dazu sagen? Der muss Ihnen sagen, dass Polen bekanntlich 1990, also als es um den Vertrag ging, damit rechnete, in ein paar Jahren in die EU aufgenommen zu werden. Wir alle wissen, dass das illusionär war. Wir alle wissen, dass die Realitäten anders waren. Aber aus der Sicht Polens bedeutete das: Die polnische Regierung musste Jahr für Jahr immer wieder erklären, dass es ein bisschen länger dauert. Erst hieß es, es dauert bis 2002, jetzt heißt es, es dauert bis 2004. Nun muss man sich möglicherweise auch noch mit sieben Jahren Übergangszeit bei der Arbeitnehmerfreizügigkeit vertraut machen. Es ist ganz klar, dass der Punkt Grund- und Bodenerwerb für die Polen viel sensibler ist. Ich bin sehr froh, von Herrn Merz gehört zu haben, dass auch er hinsichtlich der sieben Jahre eine leichte Differenzierung vornimmt und dass er sagt, dass 18 Jahre überhaupt nicht infrage kämen. ({4}) Darum geht es auch nicht. Aber dass die polnische Seite in diesem Punkt notwendigerweise eine Übergangsfrist wird verlangen müssen, ist doch ganz klar. ({5}) - Ich habe Ihnen vorgeführt, dass Sie falsch interpretiert haben, dass Sie geradezu politisch böswillig interpretiert haben, dass Ihre Interpretation das deutsch-polnische Verhältnis massiv belastet. ({6}) - Stellen Sie eine Zwischenfrage, dann bekomme ich mehr Zeit. - Herr Präsident, Sie finden doch sicher auch, er soll eine Zwischenfrage stellen. ({7})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich habe das Gefühl, dass Sie sich schon durchsetzen werden.

Dr. Helmut Lippelt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001352, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sie haben Recht und ich beruhige mich. Ich komme nun zum dritten Punkt, der in Bezug auf die guten nachbarschaftlichen Beziehungen noch skandalöser, abenteuerlicher, unsensibler, bornierter und schädlicher ist: die Forderung nach der Anerkennung deutscher Wehrdienstzeiten als rentensteigernd im polnischen Rentenrecht. Es ist zweifellos richtig, dass solche gegenseitigen Anerkennungen Sinn machen, zum Beispiel bei einem deutsch-italienischen Rentenvertrag. Südtiroler, die in der Wehrmacht gedient haben, jetzt aber von Italien die Rente beziehen, bekommen zweckmäßigerweise die Zeit in Deutschland angerechnet; umgekehrt bekommen Gastarbeiter, die in Italien in der Armee waren, zweckmäßigerweise ihre Zeit dort angerechnet. Aber bei Mitgliedern einer Armee, die den Staat zerstört hat, die selber dafür gesorgt hat, dass die SS-Truppen die polnische Intelligenz ausrotten konnten, die in vielerlei Hinsicht in die Untaten der Besatzungsarmee verstrickt waren, zu sagen, dass sie diese Jahre von Polen bezahlt bekommen sollen - also bitte, etwas Skandalöseres gibt es überhaupt nicht. Es ist auch kein Zufall, dass die Regierung Kohl viel zu klug war, um so etwas auch nur ansatzweise in den Vertrag hineinzuschreiben; aber Sie schreiben das jetzt in einen Antrag. Das ist ein Skandal. Vor einem Jahr hat der polnische Historiker Borodziej in einem dann in der „FAZ“ übersetzten Aufsatz geschrieben, glücklicherweise sei jetzt die Zeit der Aufrechnung vorbei, in der man sich nur mit sich selbst beschäftigt habe, aufrechnend, aber auch sich annähernd; jetzt könne man gemeinsame Außenpolitik formulieren, die man gemeinsam in den internationalen Gremien als gemeinsame Dritte-Welt-Politik, Ost- oder Europapolitik machen könne, man müsse nicht mehr unbedingt immer nur übereinander reden. Ich bitte Sie: Lassen Sie uns nach vorn schauen. Beerdigen wir diesen Antrag so schnell wie möglich. Lassen wir ihn der Vergessenheit anheimfallen, in Ihrem ebenso wie in unserem Sinne; denn dieser Antrag schädigt nicht nur Sie, er schädigt auch das Ansehen des Deutschen Bundestages. ({0})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Zu einer Kurzintervention gebe ich dem Kollegen Hartmut Koschyk das Wort.

Hartmut Koschyk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001186, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Kollege Lippelt, bei den beiden ersten Punkten, die Sie als so skandalös und unmöglich beschrieben haben, konnten Sie nicht für mich erkennbar deutlich machen, inwiefern diese beiden Punkte, die wir in unserem Antrag aufgegriffen haben, gegen Geist und Buchstaben des Vertrages gerichtet sein sollen. Ich sage noch einmal: Sie beziehen sich ausdrücklich auf den begleitenden Schriftwechsel. Ich glaube schon, dass es, wenn dieser Vertrag aufgrund seiner Anlage nach zehn Jahren zur Überprüfung ansteht und wir alle der Auffassung sind, dass er sich bewährt hat und sich in Zukunft weiter fortentwickeln muss, möglich sein muss, zu überlegen, ob es in diesem Bereich Punkte gibt, die aus unserer Sicht - das haben sowohl Herr Meckel als auch Herr Irmer angesprochen - noch nicht befriedigend gelöst worden sind. Ich bin sehr dankbar dafür, dass der Kollege Irmer gesagt hat - eine ähnliche Auffassung habe ich auch beim Kollegen Meckel herausgehört -, dass man diese Themen durchaus in einem gemeinsamen Antrag noch einmal aufgreifen kann. Nun zu der zutiefst humanitären Frage, wie die Altersarmut von Menschen, die als Angehörige der deutschen Minderheit als polnische Staatsbürger in Polen leben, gelindert werden kann. Sie, lieber Herr Kollege Lippelt, haben diese Forderung als skandalös bezeichnet. Ich bin sehr dankbar, dass die Bundesregierung und auch das Auswärtige Amt dies anders als Sie sehen. Mir wurde nämlich vonseiten des Staatsministers Zöpel, der ja gleich noch in die Debatte eingreift, geantwortet, dass die Bundesregierung bereit ist, sich zugunsten der Angehörigen der deutschen Minderheit in der Republik Polen hinsichtlich der Anerkennung deutscher Wehrdienstzeiten, Zeiten der Kriegsgefangenschaft und Zeiten in polnischen Internierungsoder Arbeitslagern nach 1945 als rentensteigernde Zeiten im Rahmen des deutsch-polnischen Sozialversicherungsabkommens vom 9. Oktober 1975 einzusetzen. Ich bin der Bundesregierung sehr dankbar, dass sie dies bei den jährlichen deutsch-polnischen Konsultationen getan hat. Hierbei, lieber Kollege Lippelt, handelt es sich nämlich um eine zutiefst humanitäre und soziale Forderung, die insbesondere durch das deutsch-polnische Sozialversicherungsabkommen gedeckt ist. Ich würde mir wünschen, dass Sie sich einmal die Zeit nehmen, mit den Menschen, die in Polen als Angehörige der deutschen Minderheit von einer Rente leben müssen, die nicht einmal das Existenzminimum sichert, über ihre Sorgen und darüber zu sprechen, wie sie den Alltag bewältigen, statt dies als skandalöse und infame Forderung abzutun.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Herr Kollege Koschyk, Sie müssen jetzt zum Schluss kommen.

Hartmut Koschyk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001186, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bin sehr dankbar, dass die Bundesregierung hier klüger als Sie handelt und diese Fragen aufgegriffen hat.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Herr Kollege Lippelt, Sie können antworten.

Dr. Helmut Lippelt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001352, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Koschyk, wenn Ihnen nicht erkennbar war, was ich unter Hinzuziehung des Briefwechsels und des Wortlautes meinte, der - darauf habe ich aufmerksam gemacht sorgfältig gewählt war und keineswegs Ihre Forderung deckte, so ist es vielleicht doch Ihrem Fraktionsvorsitzenden und anderen deutlich geworden. Ich bin übrigens nicht dagegen, dass man darüber verhandelt, ob Jahre in Lamsdorf oder anderswo angerechnet werden können. Dagegen habe ich überhaupt nichts. Nur, ein Antrag, der mit der Forderung beginnt, die fünf Jahre Dienst in einer Armee, die eine Besatzungsarmee war, mit anzurechnen, lässt die Frage der Gegenseitigkeit völlig außer Acht. Man beachtet dabei nämlich nicht, dass kein Pole, der in der Armia Krajowa gegen die Deutschen gekämpft hat und jetzt hier lebt, solche Ansprüche stellen kann. Er wäre dazu wahrscheinlich auch viel zu stolz. Sie und ebenso die deutsche Bürokratie würden Dienstjahre in der Armia Krajowa wahrscheinlich auch gar nicht anerkennen wollen. ({0}) - Gut. ({1}) - Ich habe mich mit den Rentenabkommen zwischen Deutschland und Polen beschäftigt, die es in den 20erund 30er-Jahren gab. ({2}) Ich kenne die Situation genau. Ich habe darüber einen Aufsatz in den „Vierteljahrsheften für Zeitgeschichte“ geschrieben. Also keine Angst, das können Sie alles nachlesen. Nur: Sie müssen doch bemerken, auf was für ein Gebiet Sie sich begeben, wenn Sie eine solche Forderung stellen. Wenn Herr Zöpel sagt: „Gut, ich will das zur Sprache bringen“, dann ist das okay. ({3}) Bitte bringen Sie es aber nicht hier als Forderung ein. Es muss immer der Dienst im Zusammenhang mit den Taten dieser Armee betrachtet werden. Dass die Opfer für die Untaten dieser Armee auch noch den Sold zahlen sollen, das ist skandalös. Ich bleibe dabei. Denken Sie über die von mir hergestellte Verbindung nach. Unter welchen Formeln etwas verhandelt wird, sollten wir dem Staatsminister überlassen. Vielleicht bekommen Sie ja auch Ihr Anliegen befriedigt.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich gebe das Wort dem Kollegen Wolfgang Gehrcke für die Fraktion der PDS.

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu Anfang möchte ich etwas sagen, von dem ich überzeugt bin, dass es mir eigentlich nicht zusteht, so etwas zu formulieren. ({0}) Gleichwohl halte ich es für notwendig. Aus gesamtpolitischen Gründen bedaure ich es sehr, dass dieser Antrag der CDU/CSU-Fraktion das Bundestagsplenum überhaupt in dieser Form erreicht hat. Selbstverständlich hat jede Fraktion das Recht - dieses Recht verteidige ich auch -, das zu beantragen, was sie für richtig hält. Sie hat aber auch die Verantwortung, einige Gedanken auf die Folgen ihrer Anträge zu verschwenden. Bei diesem Antrag bin ich zur Auffassung gelangt, dass es bereits enorm schadet, dass er überhaupt an das Plenum überwiesen und hier noch einmal ernsthaft vertreten worden ist. Dass die Rede von Herrn Merz überhaupt nicht zum Antrag passte, hat hier jeder registriert. Das macht vielleicht die Rede besser. Es kann aber auch sein, dass die Rede über die politische Grundlinie hinwegtäuschen wollte, die im Antrag zum Ausdruck kommt. ({1}) Ich möchte begründen, warum ich diesen Antrag für eine solche Belastung halte: Der Antrag unterzieht sich überhaupt nicht der Mühe, Herr Koschyk, vor dem Hintergrund des Nachbarschaftsvertrages einmal nachzuprüfen, was wir selber in Deutschland zu leisten hätten, damit in unserem Land das Verhältnis zu polnischen Bürgerinnen und Bürgern, die hier leben - übrigens auch zu denen, die hier in ungesicherten Arbeitsverhältnissen tätig sind -, und zum polnischen Staat besser wird. Ich registriere eine Zunahme von außerordentlich komplizierten und alte Ressentiments bedienenden Stimmungslagen in der deutschen Bevölkerung. Ein kritisches Herangehen an das, was wir zu leisten hätten, verbunden mit Debatten, die wir mit Polen zu führen hätten, stellt eher einen angemessenen Gestus dar, als nur einseitig und sehr kategorisch Forderungen an die polnische Seite zu stellen. Ich räume in diesem Zusammenhang gleich mit einer Geschichtslegende von Herrn Kollegen Meckel auf, die ich auf unterschiedliche Entwicklungswege in Ost und West zurückführe: Zumindest die Linke im Westen hatte nie ein Problem mit der deutschen Minderheit in Polen. Wir haben Probleme mit deren Verbandsvertretern und deren aggressiven Reden und Auftreten in der Bundesrepublik Deutschland gehabt. Das ist schon ein beachtlicher Unterschied. Aber ich gestehe solche unterschiedlichen Entwicklungswege zu. Ich bin besorgt, dass der Geist dieses Antrags einer wirklichen Versöhnung und Zusammenarbeit mit Polen schadet. Ich sage das vor dem Hintergrund, dass das deutsch-polnische Verhältnis aus meiner Sicht derzeit neuen Belastungen ausgesetzt ist. Ich bedaure sehr, dass sich in Polen der Eindruck breit machen muss und breit macht, dass sich die Bedingungen für den polnischen Beitritt zur Europäischen Union in Richtung auf einen Beitritt zweiter Klasse zu verschlechtern beginnen. Dafür allerdings trägt nicht die CDU/CSU-Fraktion, sondern in weiten Teilen die Bundesregierung mit unüberlegten ReDr. Helmut Lippelt den und Forderungen und nach meiner Auffassung auch mit dem Eindruck eines gewissen Schacherns die Verantwortung. ({2}) Dazu müsste der Herr Staatsminister hier Stellung nehmen. Was die inhaltliche Kritik angeht, beschränke ich mich wegen der kurzen Redezeiten auf die Bemerkung, dass ich ausnahmsweise mit dem Kollegen Helmut Lippelt von den Grünen übereinstimme. - Halte dies fest, Helmut; es ist das erste Mal in diesem Jahr, dass wir wirklich übereinstimmen. ({3}) Das ist ja schon ein Fortschritt. ({4}) - Er muss auch einmal gelobt werden, wenn er etwas Vernünftiges sagt. Ich muss zum Schluss kommen, da mich der Herr Präsident schon mahnt. Der Bundestag sollte deutlich machen, dass für ihn das deutsch-polnische Verhältnis ähnlich wie das deutschfranzösische Verhältnis nicht taktischer, sondern strategischer Natur ist, dass wir eine Neubegründung dieses Verhältnisses wollen und dass wir in der Praxis der Zusammenarbeit wirklich das einlösen wollen, was der Antrag vorgibt, nämlich Versöhnung und Kooperation. Herzlichen Dank. ({5})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Das Wort hat nun der Staatsminister im Auswärtigen Amt Dr. Christoph Zöpel.

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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Das heutige deutsch-polnische Verhältnis ist eine historische Leistung, die glücklich machen kann, ({0}) die stolz machen kann auf die Fähigkeiten demokratischer Politik. Dazu haben viele beigetragen, Regierungen, gesellschaftliche Institutionen wie Kirchen und Gewerkschaften und die Menschen, indem sie zustimmen, denn dadurch haben sie ihre Regierungen in diesem Punkt legitimiert. Ich kann das deshalb auch mit so viel persönlicher Überzeugung sagen, weil ich von meinem frühesten Erinnerungsvermögen her das häusliche Gespräch über das Schicksal von deutschen Minderheiten in Polen kenne, als Alltagserfahrung der ersten Worte, die ich überhaupt von meiner Mutter und meiner Großmutter gehört habe. Ich bin mit den Menschen, über die wir hier sprechen, mit den Vertriebenen, insoweit verbunden, als ich einer bin. Ich muss nicht zu ihnen sprechen. Das wollte ich auch sehr deutlich sagen. Herr Kollege Merz, es gibt keinen Zweifel: Ihre Rede hat zu der Leistung, zu dem guten deutsch-polnischen Verhältnis beigetragen. Das sage ich ausdrücklich. Ich muss eine einzige Anmerkung machen, damit wir nicht an falschen Punkten Auseinandersetzungen führen. Im Hinblick auf die Freizügigkeit geht es darum, dass wir siebenjährige Übergangsfristen mit vielen Möglichkeiten der Ausnahme und der Flexibilität in nationaler Verantwortung bekommen. Wir sind für höchste Flexibilisierung! ({1}) Wir sind gegen die Einschränkung der Freizügigkeit für alle Dienstleistungen. Ich will das deutlich sagen. Mit Dienstleistungen meinen wir nur das Baugewerbe und einige Baunebengewerbe. Etwas anderes wird nie gefordert. Das möchte ich hier klarstellen. Anderenfalls würden Sie wie ich bei Gesprächen mit Wirtschaftsverbänden in den Grenzgebieten auf unserer Seite Schwierigkeiten bekommen. Wenn man über die Übergangsfrist von sieben Jahren anderer Meinung ist, dann kann man darüber streiten. Wir sollten nur nicht über Dinge streiten, die nicht strittig sind. Zu dem Antrag: Ich will es vorsichtig formulieren. Ich halte ihn nicht für weise und nicht für auf der Höhe der Zeit. Darin ist ein Punkt enthalten, bei dem ich glaube, dass wir keinen Erfolg haben werden. Es ist unstreitig - so habe ich Ihnen auch geantwortet -, dass die Bundesregierung alles tut, um Rentenansprüche auch von Menschen, die auf deutscher Seite am Krieg teilgenommen haben, zu erfüllen. Für 90 bis 95 Prozent der Betroffenen gilt dies. Es sind polnische Rentenzahlungen. Im Hinblick auf die Anrechnung von Kriegsgefangenschaft gibt es ein Problem. Einen solchen Tatbestand gibt es im polnischen Recht nicht. Ich glaube, wir würden nicht anders reagieren. Es ist schwierig, von einem anderen Land etwas zugunsten von mit deutschem Schicksal Behafteten zu fordern, was in diesem Fall Polen den eigenen Landsleuten, die ein rein polnisches Schicksal haben, nicht gewährt. Das ist schwierig durchzusetzen. Ich rate dazu, das sehr zurückhaltend zu behandeln und auf keinen Fall in den Vordergrund zu stellen. Nun zum Kern des Problems. Wenn wir irgendwie über das, was an Handlungen und an politischer Aufarbeitung der Betroffenheit deutscher Menschen - Ihr dahinter stehendes Anliegen kenne ich ja - noch erfolgen kann, sprechen, dann sollten wir dies aus den Erkenntnissen des Jahres 2001 heraus ableiten, und die sind anders als viele Debatten früher. Ein Punkt ist weiter zu konzedieren. Polen hatte etwa 40 Jahre weniger Zeit als Deutschland, sich demokratisch damit auseinander zu setzen. 40 Jahre aufzuholen ist eine große Leistung. ({2}) Wenn Sie bei der deutsch-polnischen Buchmesse - wir werden alle nicht alle Bücher gelesen, sondern nur in die Besprechungen geguckt haben - sehen, wie sehr eine junge polnische Generation sich damit beschäftigt, dass viele Städte - Gdansk und Breslau oder Wroclaw und Warschau; auch diese Stadt gehörte einmal zu Preußen in unterschiedlichen Epochen deutsche Geschichte hatten, dann ist das bemerkenswert und zeigt, dass das läuft. Bei allem, was wir aufschreiben, sollten wir immer gleichzeitig sagen: Die Polen hatten 40 Jahre weniger demokratische Zeit. Das ist der erste und wichtigste Punkt. Der zweite wichtige Punkt gilt für das Verhältnis zu Polen wie für das zu Tschechien. Mit Tschechien beschäftigen wir uns genauso intensiv. Wir brauchen eine gemeinsame Position, aus der heraus wir überhaupt mit dem Unrecht der Vergangenheit umgehen können. Diese Position lautet: Es gab rechte und linke totalitäre Systeme, die die Ursache dafür waren, dass Deutsche Polen und Polen Deutschen mindestens individuell Unrecht, auch schreckliches Unrecht, angetan haben. Die Voraussetzung für alles Weitere ist die Distanzierung von den totalitären Regimen, die dafür verantwortlich waren. Das ist eine Gemeinsamkeit, die wir brauchen. Dann geht es. ({3}) Sicherlich gehört auch heute dazu, zu sehen, dass die Abgrenzung, die mit dem Begriff der Nation verbunden ist, ins Unglück geführt hat. Diesen Begriff zu gebrauchen macht durchaus Sinn. Für einen Franzosen ist dies etwas einfacher, weil der Sprachgebrauch in Frankreich anders ist als bei uns. Die Verwendung des Begriffes „Nation“ sollte aber als Bereicherung für den anderen und nicht als Abgrenzung gemeint sein. Dann funktioniert es. Das ist der Weg nach Europa. Damit komme ich zur Sprache. Im Einzelnen ist dem nicht zu widersprechen, jedes Ortsschild mit den unterschiedlichen Namen, also mit dem deutschen Namen in polnischen Städten und dem sorbischen Namen in deutschen Städten, zu versehen. Es ist doch etwas Wunderschönes, zum Beispiel auf dem Ortsschild von Cottbus den sorbischen Namen lesen zu können. Für Westdeutsche wäre das eine Sensation; das füge ich einmal hinzu. Aber ich glaube, einen Appell an Polen zu richten, etwas für die deutsche Sprache zu tun, das kann nicht erfolgen, auch nicht in einem Antrag. Das halte ich nicht für weise und ich möchte in diesem Zusammenhang nicht darüber sprechen, was wir tun, um den Unterricht in Polnisch aus welchen Gründen auch immer zu fördern. Im Jahre 2001, so meine ich, sollte man den Anspruch auf deutschen Unterricht in Polen für wen auch immer nicht mehr mit der Vergangenheit und mit Minderheitenrechten begründen, sondern mit der Notwendigkeit und der Chance, innerhalb der Europäischen Union multisprachlich miteinander zu verkehren. Das halte ich für die richtige Botschaft. ({4}) Ich glaube, die Polen sind in dieser Hinsicht toleranter. Es gibt ja oft schöne Zufälle: „Antenne Brandenburg“ meldete heute Morgen, es beginne heute eine Radrundfahrt von Lodz nach Potsdam, wobei das Wort „Lodz“ auf Polnisch ausgesprochen wurde. ({5}) - Sie haben Recht; ich erinnere mich. Ich war gerade darauf konzentriert, den Namen Lodz polnisch auszusprechen. - Wer in Deutschland weiß, welche Stadt gemeint ist, wenn man Lodz so ausspricht, wie man das in Polen tut? Polen, die Deutschen begegnen, sind meist so höflich, Lodz zu sagen. Wenn man sie dann verbessert, dann freuen sie sich. Es gab ja von Vicky Leandros einen Schlager, in dem auch sie den Namen Lodz auf deutsche Weise verwendete. Es ist bemerkenswert, dass „Antenne Brandenburg“ heute die polnische Aussprache verwendete. Ich fand das gut. Das passte zur heutigen Debatte. Jede Aufforderung, dass Polen Deutsch für wen auch immer unterrichten sollten, sollten wir immer mit der Reflexion verbinden, dass wir beim Umgang mit anderen Sprachen tolerant sein sollten. Man muss entweder Gliwice oder Gleiwitz sagen können; man muss diese Namen austauschen können. Es muss egal sein, welchen man verwendet. Vielleicht macht es überhaupt Sinn, überall dort, wo es eine längere Geschichte gibt, das Ortsschild mit drei oder vier Namen zu versehen. Es gibt viele in Deutschland, die geradezu allergisch reagieren, wenn man Wroclaw sagt. Diesen Namen muss man aber genauso wie das Wort Breslau verwenden können. Dies alles fehlt in Ihrem Antrag. Meine Bitte ist: Lassen Sie uns da, wo es unstreitige und berechtigte Positionen von Deutschen gibt, die unter totalitärem Unrecht gelitten haben, gemeinsam in die Zukunft blicken und die Ursachen herausarbeiten. Dies war der Totalitarismus und eine fehlgeleitete Weiterentwicklung von Nationalismus, wobei auf beiden Seiten Unrecht geschehen ist! Lassen Sie uns immer wieder darüber sprechen, dass wir uns aufgrund der europäischen Perspektive in Zukunft gegenseitig bereichern können, auch dadurch, dass wir uns gegenseitig unsere Sprachen vermitteln. Herzlichen Dank. ({6})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel „Chancen des deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrages für Versöhnung stärker nutzen“, Drucksache 14/5814. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/5138 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der CDU/CSU angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 18 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung von Beschränkungen des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses - Drucksache 14/5655 ({0}) Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({1}) - Drucksache 14/5981 Berichterstattung: Abgeordnete Dieter Wiefelspütz Wolfgang Zeitlmann Cem Özdemir Ulla Jelpke Es liegen 13 Änderungsanträge der Fraktion der PDS sowie je ein Entschließungsantrag der Fraktion der F.D.P. und der Fraktion der PDS vor. Für die Aussprache ist eine halbe Stunde vorgesehen. Das Haus ist damit einverstanden. Ich eröffne die Aussprache und gebe zunächst dem Parlamentarischen Staatssekretär im Innenministerium, dem Kollegen Fritz Rudolf Körper, das Wort.

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf wurde notwendig, weil es eine entsprechende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom 14. Juli 1999 gegeben hat. Das Gericht hat einige Bestimmungen des so genannten G 10 im Bereich der vom Bundesnachrichtendienst durchgeführten strategischen Fernmeldekontrolle beanstandet und dem Gesetzgeber zur Herstellung eines verfassungsmäßigen Zustandes eine Frist bis zum 30. Juni 2001 gesetzt. Es ist wichtig, diese Frist zu erwähnen. Die Bundesregierung hat die seither vorhandene Zeit intensiv genutzt, um den vorliegenden Gesetzentwurf mit den Beteiligten zu besprechen und mit den Bundesressorts, den nachgeordneten Dienststellen, dem Bundesbeauftragten für den Datenschutz, der von Anfang an beteiligt gewesen ist, aber auch den Mitgliedern der G-10-Kommission zu entscheiden. Der parlamentarische Bereich ist in die Beratungen fortwährend einbezogen worden. Die daraus entstammenden Überlegungen sind, soweit wie möglich, in diesen Entwurf übernommen worden. Ich will hinzufügen, dass es durch die Mitwirkung der Länder weitere Verbesserungen gegeben hat. So konnten Anregungen des Bundesrates in die Schlussfassung des Entwurfes übernommen werden. Ich bin der Auffassung, dass sich das Ergebnis all dieser Bemühungen sehr gut sehen lassen kann. Es ist mit dem vorliegenden Gesetzentwurf gelungen, die Möglichkeiten zur Abwehr von drohenden Gefahren für die freiheitlich-demokratische Grundordnung und die Sicherheit des Bundes und der Länder zu stärken. Das Instrumentarium der zuständigen Behörden ist wesentlich verbessert worden. Dabei ist es möglich geworden, die fortschreitende technologische Entwicklung im Bereich der internationalen Telekommunikation durch eine Änderung des Verfahrens bei der strategischen Fernmeldekontrolle zu berücksichtigen. Nicht unerheblich ist auch, dass künftig die Zusammenarbeit des Bundesnachrichtendienstes mit dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle im Bereich der Proliferation entscheidend verbessert wird. Ebenso wird das Bundesamt für Verfassungsschutz weitere Abwehrmöglichkeiten im Kampf gegen extremistische Bestrebungen erhalten. So wird es zukünftig möglich sein, bei bestimmten schweren Straftaten der gewaltbereiten links- und rechtsextremistischen Szene auf die Voraussetzung des Vorliegens einer festgefügten Tätergruppe zu verzichten. ({0}) Zugleich ist es mit dem vorliegenden Gesetzentwurf gelungen, auch die Rechte der Betroffenen zu stärken. Der Umgang der Behörden mit personenbezogenen Daten wird entscheidend verändert. Dies hatte das Bundesverfassungsgericht im Bereich der strategischen Fernmeldekontrolle gefordert. Die Bundesregierung hat darüber hinaus auch für den Bereich der Individualkontrolle die gleichen Anforderungen normiert. Dies ist eine richtungsweisende und datenschutzfreundliche Entscheidung. Durch den vorliegenden Entwurf ist die Funktion der G-10-Kommission erheblich gestärkt und verbessert worden. Dies gilt nicht nur für die neuen Aufgaben der Kommission. Es wird nunmehr gesetzlich normiert, dass ihr für die Erfüllung ihrer Aufgaben die notwendige Personal- und Sachausstattung zur Verfügung zu stellen ist. Ich denke, auch das ist ein gutes Ergebnis.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Ulla Jelpke?

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Bitte.

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Staatssekretär, Sie haben eben davon gesprochen, dass die Rechte der Betroffenen gestärkt werden. Ist Ihnen bekannt, dass die Betroffenen erst dann gegen eine Abhörmaßnahme klagen können, wenn der amtliche Beschluss vom Gericht vorliegt, dass sie abgehört werden? Ist Ihnen außerdem bekannt, dass die Betroffenen bis zu einem halben Jahr abwarten müssen, bis sie überhaupt Bescheid bekommen?

Fritz Rudolf Körper (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001162

Liebe Frau Kollegin Jelpke, wenn Sie sich den Gesetzentwurf anschauen, dann werden Sie feststellen, dass wir bei dem Thema von Fristen und Verfahren ebenso wie mit dem der Benachrichtigung der Betroffenen gegenüber der bisherigen Situation wesentliche Verbesserungen erreicht haben. Deswegen komme ich zu dem klaren und deutlichen Ergebnis, dass auch aus datenschutzrechtlichen Gründen unser Gesetzentwurf für Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters die Betroffenen richtungsweisend ist. Daran ändert auch Ihre Zwischenfrage nichts. ({0}) Schließlich sollten durch die Beschlussempfehlung, die die Koalition heute vorlegt, eventuell noch bestehende datenschutzrechtliche und politische Bedenken gegen den vorliegenden Entwurf zerstreut werden. Die Bundesregierung ist - das sage ich im Hinblick auf die Diskussion im Innenausschuss - bereit, nach Ablauf von zwei Jahren über die mit der Novellierung gemachten Erfahrungen im Deutschen Bundestag Bericht zu erstatten. Ich denke, das ist eine gute Maßnahme, denn es ist sinnvoll zu hinterfragen, ob das, was man vor zwei Jahren beschlossen hat, auch die Erfolge gezeitigt hat, die man sich vorgestellt hat. Darüber hinaus wird die Bundesregierung im laufenden Verbotsverfahren gegen die NPD keinen Gebrauch von der im Entwurf geregelten Datenübermittlung zur Vorbereitung und Durchführung von Parteiverbotsverfahren machen. Auch dieser Hinweis ist mir wichtig und ich unterstreiche ihn, denn dieser Punkt hat während des gesamten Verfahrens im Innenausschuss eine Rolle gespielt. Ich hoffe, dass dieser sehr ausgewogene Entwurf in der nunmehr vorliegenden Fassung vom Deutschen Bundestag beschlossen und auch vom Bundesrat akzeptiert werden kann. Damit kann das Gesetz rechtzeitig zu dem vom Bundesverfassungsgericht gesetzten Termin in Kraft treten. Ich möchte mich bei dieser Gelegenheit ausdrücklich bei all denjenigen Abgeordneten ganz herzlich bedanken, die mit einem sehr konstruktiven Verhalten und mit sehr konstruktiven Beiträgen zu diesem Gesetzentwurf beigetragen haben. Schönen Dank. ({1})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die Fraktion von CDU und CSU gebe ich nun dem Kollegen Erwin Marschewski das Wort.

Erwin Marschewski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001424, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Fritz Rudolf Körper, ich finde es gut, dass Sie den Datenschutzbeauftragten in die Beratungen des Gesetzes einbezogen haben. Es wäre aber noch besser gewesen, Sie hätten auch mit der Union gesprochen, die damals zusammen mit der F.D.P. für das Gesetz Verantwortung getragen hat. Wir haben dieses wichtige Gesetz zur Verbrechensbekämpfung eingeführt! Sie kennen doch, was wir immer sagen: Datenschutz darf nicht zum Täterschutz werden. Dafür sind wir als Union ein Garant. ({0}) Das Bundesverfassungsgericht hat das G-10-Gesetz bestätigt. ({1}) - Es hat kleine Änderungen vorgenommen, es aber insgesamt bestätigt; und das ist gut so. Mit dem G-10-Gesetz haben wir unter anderem die Möglichkeit, gegen organisierten Drogenhandel, gegen Terrorismus und gegen die Weiterverbreitung von Kriegswaffen vorzugehen. Das alles sind elementare Bedrohungen der inneren Sicherheit und der Menschen in unserem Lande. ({2}) Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt, der Bundesnachrichtendienst und dieses Land insgesamt brauchten die strategische Fernmeldekontrolle, um gegen diese elementare Bedrohung vorgehen zu können. Ich meine, dieses Instrument hat sich in der Praxis bewährt: Wir haben den Drogendealern und Menschenhändlern den Kampf ansagen können, die von Moskau oder Minsk nach Kolumbien telefonieren, um Frauen gegen Drogen auszutauschen. ({3}) Das ist doch, meine ich, ein Erfolg. Wir sprechen über das erste Gesetz, das diese Regierung in dieser Legislaturperiode zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität vorlegt. Und: Sie tun das nur deswegen, weil Sie durch ein Gericht dazu gezwungen worden sind. Sie haben im Bereich der inneren Sicherheit Ihre Hausaufgaben nicht gemacht. Wohl aber haben Sie, Herr Staatssekretär, aber insbesondere der Innenminister, viele Worte gemacht. So gab es vor 14 Tagen eine Konferenz im schönen Rom, bei der sich Innenminister getroffen haben und „Eckpunkte sozialdemokratisch geprägter Innenpolitik“ beschlossen haben. Ich weiß gar nicht, was eine sozialdemokratische Innenpolitik überhaupt ist; ich habe immer gemeint, dass Innenminister, die sich auf Staatskosten zusammensetzen, deutsche Innenpolitik machen. Vielleicht können Sie aber einmal erklären, was das für eine Innenpolitik ist. Jedenfalls haben Sie unwahrscheinlich interessante Beschlüsse gefasst. Meine Damen und Herren, hören Sie genau zu, denn es ist sehr wichtig! So haben Sie den völlig überraschenden Beschluss gefasst, dass jeder Rechtsbruch unnachsichtig bekämpft werden müsse. Ja, das ist wirklich eine neue Erkenntnis. Ich würde Ihnen raten: Machen Sie das und seien Sie bei den Bagatelldelikten genauso hart, wie Ihre Worte hier klingen, denn oft bilden Bagatelldelikte den Einstieg zur schwereren Kriminalität. Wir sagen: Wehret den Anfängen! Sie sollten nicht nur solche Sprüche machen, sondern den Organen der inneren Sicherheit - Polizei, Gerichten, Staatsanwaltschaften das entsprechende Werkzeug zur Verfügung stellen. ({4}) - Herr Kollege, Sie können sich zu einer Replik melden, Sie können auch Fragen stellen. Wir sind sehr wenige und ich diskutiere diese Fragen der inneren Sicherheit auch mit Ihnen sehr gerne. Der Gesetzentwurf bringt einige Verbesserungen, das ist wahr: Wir erweitern den Katalog der Straftaten um Geiselnahme, Mord und Menschenraub - das ist gut so und vollziehen den technischen Fortschritt in Bezug auf Lichtwellenleiter. Wir haben nunmehr die Möglichkeit abzuhören, wenn es darum geht, Verbrechen zu bekämpfen, und wir haben die Chance, Geiselnehmer im Ausland abzuhören. Das schlimme Beispiel Jolo hat uns dazu gebracht, diese Möglichkeit zu schaffen. Was dringend vonnöten ist und was wir auch in der Vergangenheit schon hätten machen können: Wir können in Zukunft gesammelte Erkenntnisse für Parteiverbotsverfahren verwerten. Das ist gut so und deswegen ist in diesem Bereich das Gesetz sicherlich in Ordnung.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Herr Kollege Marschewski, nachdem Sie zu Zwischenfragen aufgefordert haben, hat sich der Kollege Wiefelspütz gemeldet. Gestatten Sie diese Zwischenfrage?

Erwin Marschewski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001424, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Dr. Dieter Wiefelspütz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002506, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Marschewski, nach langem Zögern habe ich mich jetzt doch entschlossen, Ihnen eine Frage zu stellen: Können Sie uns erläutern, warum Sie ein Gesetz, das Sie so verschämt loben, nicht selbst vor ein paar Jahren zustande gebracht haben? Ich finde, der Gesetzentwurf, den wir gemacht haben, ist ein sehr guter. Woran liegt es, dass Sie das nicht zustande gebracht haben? ({0})

Erwin Marschewski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001424, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das ist eine sehr gute Frage. Wir haben vor ein paar Jahren zusammen mit der F.D.P. das Verbrechensbekämpfungsgesetz in den Deutschen Bundestag eingebracht. Wir wollten damit die Hilfsmittel des Bundesnachrichtendienstes nutzen, um das organisierte Verbrechen zu bekämpfen. Im Deutschen Bundestag hat Ihre Fraktion zu diesem Entwurf Nein gesagt. Erst im Vermittlungsausschuss haben Sie sich nach hartem Ringen - ich selbst habe die Verhandlungen mit Frau Däubler-Gmelin geführt - zu einem Minimalkonsens bereit erklärt. Sie tragen die Schuld daran, dass damals die Vorschläge, die ich gemacht habe, die Burkhard Hirsch und Max Stadler gemacht haben, nicht schon ins Gesetz geschrieben werden konnten, weil Sie im Deutschen Bundestag und im Vermittlungsausschuss dem nicht zugestimmt haben.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Bei dieser Diskussion möchte die F.D.P. nicht fehlen. Gestatten Sie auch eine Zwischenfrage des Kollegen Max Stadler?

Erwin Marschewski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001424, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Dr. Max Stadler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002805, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Marschewski, sind Sie bereit, Herrn Wiefelspütz darüber aufzuklären, dass der Inhalt eines Gesetzes, für das man eine Mehrheit im Parlament bekommt, auch von der Art und Qualität des jeweiligen Koalitionspartners abhängt und dass es der CDU/CSU mit dem Koalitionspartner F.D.P. nicht möglich gewesen ist, im Bundestag ein Gesetz zu verabschieden, in dem der Rechtsweg ausgeschlossen ist, wie dies nun in Art. 1 § 13 des Entwurfs der Fall ist, was dem kleinen Koalitionspartner Bündnis 90/Die Grünen offenbar durchaus zustimmungsfähig erschienen ist?

Erwin Marschewski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001424, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Dr. Stadler, Sie haben Recht: In diesem Punkt haben Sie uns davon abgehalten, das eine oder andere zu machen. Aber eines ist auch klar: Kollege Dr. Hirsch, der damals mit mir zusammen die Verantwortung getragen hat, war nicht immer ein Vorreiter bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität. Die Arbeit dazu ist von uns geleistet worden, Herr Kollege Dr. Stadler. ({0}) Ich will jetzt fortfahren und meine Rede zu Ende führen, obwohl es schön ist, universitätsmäßige Diskussionen abzuhalten. Sie wissen, dass wir im Innenausschuss Anträge gestellt haben. Ich habe nicht verstanden, warum Sie diesen Anträgen nicht entsprochen haben. Wir hätten durch den Innenminister oder den zuständigen Staatssekretär in die Verhandlungen mit einbezogen werden müssen. Wenn wir Mord und Totschlag in den Katalog einbeziehen, warum dann nicht auch Völkermord? Wichtig wäre auch gewesen, die Planung für andere Straftaten, etwa gemeingefährliche Vergiftungen oder für Menschenhandel sowie für das erwerbs- und bandenmäßige Einschleusen von Ausländern, zu berücksichtigen. Hier werden schlimme Dinge gemacht; es werden Menschen im Ausland ausgebeutet, die ihr Hab und Gut verkaufen und hoffnungsvoll nach Deutschland kommen. Die Schleuser verdienen daran. Ich meine - jeder, der Mitglied im PKG ist, wird das sicherlich bestätigen -, dass wir dies hätten mit einbeziehen müssen, um die Verbrechensbekämpfung zu intensivieren. Dennoch stimmen wir dem Gesetzentwurf zu. Wir sind, wie gesagt, Urheber des Gesetzes. Wir finden die Ergänzungen in Ordnung. Es wäre besser gewesen, wenn Sie noch ein wenig weitergegangen wären. ({1}) Der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung, der heute verabschiedet werden soll, ist der erste Entwurf eines Gesetzes zur inneren Sicherheit. Wir stimmen ihm zu, weil wir zu jedem Gesetz Ja sagen, mit dem sich die innere Sicherheit verbessern lässt. Aber es gibt noch vieles zu tun. Ich möchte nur an die vor kurzem stattgefundene Diskussion über unseren Vorschlag erinnern, zur Bekämpfung des Schlepperunwesens eine Warndatei einzurichten. Herr Wiefelspütz - Sie reden wohl nach mir -, Sie haben damals gesagt, es seien Maßnahmen geplant. Wann werden diese auf den Weg gebracht? Es wäre Erwin Marschewski ({2}) wichtig, dass bald etwas gegen das schlimme Schlepperunwesen getan wird. Leider haben Sie bis heute keine entsprechenden Maßnahmen auf den Weg gebracht. Fehlanzeige! Ich bin gespannt, wie Sie fortfahren werden. Wir werden in ein paar Wochen einen Entwurf eines neuen Verbrechensbekämpfungsgesetzes vorlegen. Ich hoffe, dass wir auch darüber ganz offen diskutieren werden können. Zum Schluss: Trotz seiner Verbesserungsbedürftigkeit sagen wir Ja zu dem vorgelegten Gesetzentwurf. Ich bedanke mich an dieser Stelle auch als Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums ganz besonders bei unseren Diensten. Ich fordere die Bundesregierung auf, dafür Sorge zu tragen, dass neben dem gesetzlichen Rahmen auch die personelle und materielle Ausstattung der Dienste verbessert wird, damit diese künftig die gesetzlich festgelegten Aufgaben besser erfüllen können. Herr Kollege Ströbele - ich sage das, damit Sie gleich vernünftig beginnen können -, ich hoffe, dass die von Ihnen und Ihrer Fraktion erhobene Forderung nach Abschaffung der Dienste nunmehr endgültig vom Tisch ist. Herzlichen Dank. ({3})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Es spricht nun der Kollege Hans-Christian Ströbele für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen. ({0})

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Das G-10-Gesetz zur Fernmeldeüberwachung ist kein grünes Gesetz. Es ist wahrlich ungrün, ein Gesetz über Abhörmaßnahmen zu beschließen. Mit den demokratischen und bürgerrechtlichen Vorstellungen der Grünen ist es schlechterdings nicht zu vereinbaren, wenn Geheimdienste Bürgerinnen und Bürger abhören. ({0}) Aber ich nehme zur Kenntnis, dass eine Mehrheit im Bundestag für die Abschaffung der Fernmeldeüberwachung nicht in Sicht ist und war. Die Kritik der Bürgerrechtsorganisationen an Einzelbestimmungen des Gesetzes ist richtig. Auch das Verlangen nach einer öffentlichen Anhörung hat unsere Unterstützung gefunden. Eine solche Anhörung wäre im Sinne der Opposition richtig gewesen, nicht in unserem, weil wir uns lange genug mit dem Gesetzentwurf auseinander gesetzt haben. ({1}) - Ich habe bei der Erarbeitung des Gesetzentwurfs nur mitgemacht, um einen verfassungswidrigen Zustand in der Bundesrepublik Deutschland zu beseitigen. Ein anderes Gesetz war nicht zu haben. ({2}) Ich habe überhaupt kein Verständnis, wenn nun aus Kreisen der F.D.P. Kritik an dem vorliegenden Gesetzentwurf geäußert wird; denn gerade Sie haben es nötig. Sie waren es doch - der Kollege Marschewski hat ja eben darauf hingewiesen -, die gemeinsam mit der CDU/CSU uns ein Gesetz eingebrockt und hinterlassen haben, das den Geheimdiensten das Abhören erlaubt, das aber in wesentlichen Teilen vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt worden ist. Und nun wollen ausgerechnet Sie von der F.D.P. uns erzählen, wie man die Bürger vor illegaler Überwachung durch Geheimdienste schützt! Wir müssen jetzt ein neues Gesetz machen, weil das Bundesverfassungsgericht uns aufgefordert hat, bis zum 30. Juni 2001 Ihre Fehler zu korrigieren. ({3}) Nun komme ich zu sechs Punkten, auf die sich die öffentliche Kritik bezieht. Erstens. Durch dieses Gesetz wird die Überwachung von Telefon und Internet nicht erheblich ausgedehnt. Die gleichen Gespräche und die gleichen Sendungen wie bisher können überwacht werden. Der Unterschied besteht allein darin, dass sie jetzt auf einem anderen technischen Weg übertragen werden, nämlich über Lichtleitungen - in Zukunft wird das fast ausschließlich so sein - und nicht mehr über Satellit. Um einen Vergleich zu ziehen: Man kontrolliert dieselben Briefe, die allerdings statt mit der Postkutsche mit dem ICE oder mit dem Flugzeug transportiert worden sind. Zweitens. Das Gesetz schafft - mit Ausnahme der Volksverhetzung - keine grundsätzlich neuen Überwachungsanlässe. Es enthält zwar einige neue Strafvorschriften, deren Anwendung aber - das ist ganz wichtig auf den Fall beschränkt wird, dass sich die Taten gegen den Bestand des Bundes oder eines Landes richten müssen. Das ist eine wesentliche Einschränkung. ({4}) Drittens. Das Gesetz verbessert die Benachrichtigung der Abgehörten. Es gibt nur eine einzige Ausnahme; Sie haben einfach Unrecht, Frau Kollegin Jelpke, wenn Sie behaupten, ein Gericht müsse entscheiden. Da muss kein Gericht entscheiden; natürlich ist die Benachrichtigung obligatorisch. Die Ausnahme gilt dann, wenn die unabhängige, vom Parlament eingesetzte G-10-Kommission - kein Gericht und auch nicht die Geheimdienste selbst, wie man in der Zeitung lesen konnte - feststellt, dass die Quelle mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit für alle Zukunft gefährdet und dass der Zweck nicht erfüllt wird. Viertens. Das Gesetz wird voraussichtlich keine nennenswerte Nutzung von Geheimdienstinformationen durch die Strafverfolgungsbehörden ermöglichen. In den letzten fünf Jahren sind den Strafverfolgungsbehörden drei Dutzend Fälle von der strategischen FernmeldeüberErwin Marschewski ({5}) wachung mitgeteilt worden. Kein einziger dieser Fälle hat zu einer Anklage oder zu einem Strafverfahren geführt. Das wird sich auch nicht ändern. Fünftens. Das Gesetz setzt die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Begrenzung um, dass nur ein bestimmter Teil des Fernmeldeverkehrs überwacht wird. Letztlich war für uns wichtig, dass es sich dabei nicht um eine „Lex NPD“ handelt. Denn dieses Gesetz - das hat die Bundesregierung zugesichert und das Parlament hat es bestätigt - findet auf das laufende NPD-Verbotsverfahren keine Anwendung. Sechstens. Das Gesetz schafft deutliche Verbesserungen. Es setzt die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts um und es sichert die Zweckbindung für die Zukunft. Die Rechte der Kontrollgremien werden gestärkt. So muss die G-10-Kommission allen Überwachungen zustimmen und sie muss die notwendige Sach- und Personalausstattung erhalten. Die Mitglieder der Kommission haben Einsicht in alle Vorgänge und Zutritt zu allen Diensträumen. Nach zwei Jahren - darauf ist schon hingewiesen worden - muss die Bundesregierung einen Bericht vorlegen. Wenn das geschehen ist, werden wir überprüfen, ob sich das Gesetz bewährt hat oder nicht. Wenn es erforderlich ist, müssen Korrekturen angebracht werden. Aus all diesen Gründen, vor allem weil wir den gesetzund verfassungswidrigen Zustand beenden und die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts umsetzen müssen, stimmen wir dem Gesetz zu - wenn auch mit erheblichen Bauchschmerzen. ({6})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Nun spricht der Kollege Dr. Max Stadler für die F.D.P.-Fraktion.

Dr. Max Stadler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002805, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dieses Gesetz ist zwar notwendig, aber nicht mit diesem Inhalt. Herr Ströbele, die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder haben Ihnen doch ins Stammbuch geschrieben: Sie gehen über eine Korrektur, die das Bundesverfassungsgericht verlangt hat, deutlich hinaus; Sie treffen Neuregelungen, die kritikwürdig sind und die zur Ablehnung durch die F.D.P. führen.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Herr Kollege Stadler, gestatten Sie Herrn Ströbele eine Zwischenfrage?

Dr. Max Stadler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002805, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Stadler, ist Ihnen bekannt, dass nicht nur Sie selbst und der Kollege Hirsch zu den Beratungen über dieses Gesetz hinzugezogen worden sind, sondern dass auch der Bundesbeauftragte für den Datenschutz an sämtlichen Beratungen dieses Gesetzes - in der Koalition, mit den Ministerien - beteiligt gewesen ist? Ist Ihnen bekannt, dass er dieses Gesetz als im Grunde ausreichend datensicher bezeichnet hat? Er hat lediglich die kleine Anregung hinzugefügt - sie wird jetzt aufgegriffen -, dass eine Befristung angemessen ist. Daher soll nach zwei Jahren überprüft werden, ob sich dieses Gesetz bewährt hat. Hat Ihnen der Bundesbeauftragte für den Datenschutz mitgeteilt, dass er an sämtlichen Beratungen im Vorfeld beteiligt und in die Diskussion eingebunden war?

Dr. Max Stadler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002805, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Lieber Herr Kollege Ströbele, ich habe diesen unvergleichlichen Moment natürlich nicht vergessen. Sie haben unseren früheren Kollegen Hirsch und mich eingeladen, damit wir Kritikpunkte, die Sie selber gegenüber Ihrem Koalitionspartner nicht durchsetzen konnten, noch einmal erörtern und Ihnen behilflich sind, das Gesetz zustimmungsfähig zu machen. ({0}) Leider ist dies nicht geglückt, weil Sie unsere Anregungen zwar aufgenommen, aber nicht verwirklicht haben. Zum Verfahren darf ich Ihnen noch sagen: Ich bin Herrn Wiefelspütz dankbar, dass wir als Opposition die Möglichkeit haben, unsere Bedenken einzubringen. Ich bestätige Ihnen auch, dass innerhalb der G-10-Kommission von Anfang an umfassend informiert worden ist. Aber Ihre Folgerung, Sie hätten damit die Anregung des Datenschutzbeauftragten Jacob aufgegriffen, das Gesetz zeitlich zu befristen, trifft leider gerade nicht zu. Was Sie machen, ist etwas ganz anderes: Sie verlangen, dass nach zwei Jahren ein Erfahrungsbericht gegeben wird. Der Datenschutzbeauftragte aber hat eine Befristung strittiger Neuregelungen vorgeschlagen, damit das Parlament in zwei Jahren Farbe bekennen und darüber entscheiden muss, ob die Neuregelungen, die jetzt heftig kritisiert werden, gültig bleiben oder nicht. Dies wäre eine viel schärfere Kontrolle durch das Parlament. ({1}) Ich finde es besonders schlimm, dass es Ihnen nicht einmal gelungen ist, diese Befristung durchzusetzen. Daher sollten Sie jetzt auch nicht in einer Zwischenfrage so tun, als hätten Sie die Bedenken des Datenschutzbeauftragten wirklich aufgegriffen. ({2}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich komme noch einmal auf das Verfahren zu sprechen und möchte auf Folgendes hinweisen: Es ist richtig - das haben wir ja jetzt gerade schon im Zwiegespräch erörtert -, dass es über die Monate hinweg umfassende Diskussionen gegeben hat. Aber die endgültige Fassung dieses Gesetzes hat uns - weil die Koalitionsfraktionen noch bis zuletzt Änderungsanträge eingebracht haben - erst am 4. Mai vorgelegen. Das bedeutet, dass Sie ein derartiges Gesetz, das so massiv in Grundrechte eingreift, innerhalb einer Woche durch das Parlament bringen, ohne dass Gelegenheit bestände, die von F.D.P. und PDS beantragte SachverHans-Christian Ströbele ständigenanhörung durchzuführen. Ich finde das nicht angemessen. Für mich ist das nur aus einem einzigen Grund erklärbar: Sie haben in der Koalition Schwierigkeiten gehabt, sich auf dieses Gesetz zu verständigen. Deswegen haben Sie so lange gebraucht, dass Sie in Zeitnot geraten sind, die Terminvorgabe des Bundesverfassungsgerichts noch einhalten zu können. Darunter leiden nun die Rechte des Parlaments, insbesondere der Opposition. Sie lassen es nicht einmal zu, dass Sachverständige zu diesem Gesetz in einer Anhörung Stellung nehmen. ({3}) Das können wir nicht billigen. Allein dieses Verfahren ist für die Ablehnung Grund genug. ({4}) Sie haben noch mehr versäumt: Es wäre notwendig, den gesamten Bereich des Abhörens einmal neu zu durchdenken. Dazu gehört auch § 100 a StPO. Die nach dieser Vorschrift durchgeführten Maßnahmen sind von 3 000 bis 4 000 pro Jahr auf 12 000 bis 13 000 gestiegen, was dazu geführt hat, dass Deutschland mittlerweile als Weltmeister in der Telefonüberwachung gilt. Das muss doch einmal in ein Gesamtkonzept gebracht werden. Auch diese Chance haben Sie mit der Vorlage des Gesetzes versäumt. Ich würdige durchaus positiv, dass mit diesem Gesetz die Rechte der G-10-Kommission gestärkt werden. Aber das Trennungsgebot zwischen Polizei und Geheimdiensten verschwimmt weiter. Der Straftatenkatalog, aufgrund dessen abgehört werden darf, erscheint sehr willkürlich. Ich komme jetzt zum Hauptpunkt unserer Kritik. § 12 des G-10-Gesetzes soll nach neuer Fassung etwas vorsehen, was wir in der Vergangenheit als kleiner Koalitionspartner niemals zugelassen hätten, was Sie als Grüne jetzt der SPD aber zugestanden haben: In bestimmten Fällen muss der Betroffene einer Abhörmaßnahme überhaupt nicht mehr unterrichtet werden. ({5}) Das ist nicht akzeptabel. Aber es geht noch weiter: In § 13 sehen Sie vor, dass der Rechtsweg, um gegen eine Abhörmaßnahme vorzugehen, erst beschritten werden darf, wenn man über die Abhörmaßnahme benachrichtigt worden ist. Über die Benachrichtigung entscheidet aber derselbe Staat, der den Grundrechtseingriff vornimmt. ({6}) - Ja, in Gestalt der G-10-Kommission. Es ist nicht akzeptabel, dass Sie den Rechtsweg auch denjenigen Personen abschneiden, die anderweitig von einer Abhörmaßnahme erfahren haben, aber noch nicht benachrichtigt worden sind. Das ist mit Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes nicht vereinbar. Das ist der Grund dafür, warum wir diesen Gesetzentwurf ablehnen. ({7}) Wir teilen die Kritik der Datenschutzbeauftragten und zum Beispiel des Anwaltvereins. Nur in einem Punkt haben wir wirklich Gnade vor Recht walten lassen und haben hier für eine Geheimhaltung gestimmt, was vielleicht ein wenig zu großzügig ist: Wir haben auf namentliche Abstimmung verzichtet, damit Sie später nicht im Protokoll nachlesen müssen, wer alles zugestimmt hat; denn Einzelne von Ihnen werden sich enthalten. ({8}) Aber, Herr Ströbele, Bündnis 90/Die Grünen insgesamt trägt als Fraktion die Verantwortung für dieses Gesetz, das in dieser Form unsere Zustimmung nicht findet. ({9})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die PDS-Fraktion spricht die Kollegin Ulla Jelpke.

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch ich bin der Meinung, dass wir, wenn die vorliegende Novelle heute verabschiedet wird, einen weiteren schwarzen Tag für die Bürgerrechte in diesem Land zu verzeichnen haben werden. Geheimdiensten und Polizei bietet dieses G-10-Gesetz künftig Möglichkeiten zum Belauschen von Telefongesprächen, zum Lesen von Faxen und E-Mails sowie zum heimlichen Öffnen von Briefen und Paketen. Das ist unserer Meinung nach einmalig in der Geschichte der Bundesrepublik. Herr Ströbele, Sie haben zwar heute versucht, den Anschein aufrechtzuerhalten, als hätten Sie dazu eine kritische Meinung, aber entscheidend sind immer noch die Taten. Zum Glück wird Ihnen das auch von der Presse bescheinigt. Wenn die Grünen heute dieser Novelle zustimmen, werden sie faktisch zur Stärkung der Geheimdienste beitragen und am Abbau der Bürgerrechte beteiligt sein. Sie haben nicht einmal - mein Kollege Stadler hat das schon gesagt - für eine Anhörung zu den weitreichenden Maßnahmen nach dem G-10-Gesetz gekämpft. Sie haben sich im Gegenteil davor gedrückt. Es gab nicht nur die Stellungnahme der Datenschutzbeauftragen, sondern auch die des Anwaltvereins und der Humanistischen Union sowie noch viele weitere, die Sie meiner Meinung nach hätten ermutigen können, eine Anhörung durchzusetzen. Jedoch wurden diese Meinungen nicht einmal gehört. Im Gegenteil ist dieses Gesetz im wahrsten Sinne des Wortes durch das Parlament gepeitscht worden, weil Sie nicht wollen, dass allzu viel über die veränderte Auffassung der Grünen diskutiert wird. Für mich ist es keine Frage: Indem ihr hier zustimmt, werdet ihr euch - insbesondere die Grünen-Partei - endgültig als Bürgerrechtspartei verabschieden. ({0}) Ich bin froh, dass viele Medien das bereits aufgegriffen haben und den Grünen dies bescheinigen. Ich hoffe, ihr bekommt die entsprechende Quittung. ({1}) Mit dem Verfassungsgerichtsurteil von 1999 ist die Chance eröffnet worden, den von der Kohl-Regierung vorgenommenen Abbau von Bürgerrechten zu korrigieren. Mit dieser Novelle hätte einer zunehmenden Perfektionierung des Überwachungsstaates entgegengewirkt werden können. In dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1999 wurde unter anderem gefordert, die Telefonüberwachung wegen Verdachts der Geldwäsche wieder einzustellen, weil diese mit dem bis 1994 allein geltenden Überwachungsgrund der Vermeidung eines bewaffneten Angriffs oder ähnlicher Gefahren nicht vergleichbar ist. Es hatte gefordert, bei der Weitergabe der Ergebnisse der Telefonüberwachung den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten. Davon ist in diesem Gesetzentwurf überhaupt nichts wiederzufinden. Ich teile hier voll die Meinung von Herrn Stadler. Schon jetzt belauscht der Bundesnachrichtendienst jährlich 5,5 Millionen Fernmeldegespräche. Die Bundesrepublik ist damit einsame Weltspitze, was das Abhören angeht. Diese Kapazität des BND sollte abgebaut werden. Mit dem Gesetz wird hier tatsächlich eine Verdoppelung stattfinden. 1997 hat der BND 15 000 Gespräche als nachrichtendienstlich relevant herausgefiltert. Mit der Novelle soll die Kapazität des BND auf 100 000 Gespräche, Faxe und E-Mails im Jahr erhöht werden. Das ist das Siebenfache. Auch das Gebot der Trennung von Polizei und Geheimdiensten wird mit diesem Gesetz keinesfalls erfüllt. Diese strikte Trennung ist eine der Lehren der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft. Es war einmal Konsens in dieser Republik, dass diese Trennung notwendig ist und mit gesetzlichen Mitteln auch tatsächlich durchzusetzen ist. ({2})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Frau Kollegin Jelpke, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ich möchte noch kurz sagen, dass wir 13 Änderungsanträge eingebracht haben. Sie spiegeln die Kritik der Bürgerrechtsorganisationen wider. Wir werden einen Entschließungsantrag einbringen und dem F.D.P.-Entschließungsantrag werden wir zustimmen. Ich kann nur hoffen, dass diese Diskussion mit dem heutigen Tag nicht beendet ist, sondern dass es einen Aufschrei der Bürgerrechtsbewegung in diesem Lande geben wird, vor allem gegen die grüne Partei. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Der letzte Redner in dieser Debatte ist der Kollege Dieter Wiefelspütz für die SPD-Fraktion.

Dr. Dieter Wiefelspütz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002506, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beschließen heute eine notwendige Novelle zum G-10-Gesetz. Ich freue mich, dass dieses wichtige Gesetz die Mehrheit nicht nur von Rot-Grün im Parlament hat, sondern auch die Zustimmung der CDU/CSU findet. Herr Marschewski, ich will Ihnen ausdrücklich dafür danken. Es ist gut, dass ein solches Gesetz, das die äußere und die innere Sicherheit unseres Landes in besonderem Maße betrifft, im Deutschen Bundestag eine ganz breite Mehrheit hat. Das ist etwas, was ich ausdrücklich anerkenne. ({0}) Dieses Gesetz - darauf ist mehrfach hingewiesen worden - ist durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts notwendig geworden. Wir haben diese Entscheidung aber nicht nur umgesetzt, sondern wir haben auch technische Veränderungen im Bereich der internationalen Kommunikation mit berücksichtigt. Die satellitengestützte Kommunikation wird weniger. Es gibt mehr Kommunikation im internationalen Bereich über Kabel, über Lichtwellenleiter. Dem ist Rechnung getragen worden. Ich will sehr deutlich sagen, lieber Kollege Ströbele, dass ich anerkenne, dass wir kritische, aber immer gute Verhandlungen mit Ihnen über mehr als ein halbes Jahr hatten. Ich glaube, dass sich dieses Gesetz auch sehr kritischen Augen gegenüber sehen lassen kann. Die Bundesrepublik Deutschland benötigt ein solches Gesetz. Es ist ein Gesetz, das im Kontext von Rechtsstaat und Grundrechtssicherung verabschiedet wird. Wir haben sicher das eine oder andere dazu beigetragen, dass die parlamentarische Kontrolle intensiviert worden ist. Es war ein Anliegen von Kollegen Ströbele, aber auch ein Anliegen der SPD-Bundestagsfraktion, diesen Bereich zu verstärken. Wenn Maßnahmen notwendig sind, die in vitale Bürgerrechtsinteressen eingreifen, ist das nur vertretbar, wenn im gleichen Zuge parlamentarische Kontrolle optimiert wird, damit es nicht zu einer Schieflage kommt. Ich glaube, dass uns hier einiges gelungen ist und dass einiges erreicht worden ist, was bei früheren Regierungen nicht möglich war - aus den verschiedensten Gründen. Ich will gar nicht richten oder rechten, was früher gewesen ist. Wir haben die Gelegenheit genutzt, aus Anlass einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht nur ein verfassungsgemäßes Gesetz vorzulegen, insoweit ein verfassungswidriges Gesetz zu reparieren, sondern wir haben es auch angemessen weiterentwickelt. Ich meine, es ist ein gutes, vernünftiges Gesetz. Ich bin sehr froh, Herr Ströbele, dass die Bündnisgrünen inzwischen auch ein konstruktives Verhältnis zu unseren Nachrichtendiensten haben. Die Nachrichtendienste der Bundesrepublik Deutschland sind in der Welt, so wie sie ist, notwendig. Die Menschen, die dort arbeiten, Herr Ströbele, dienen unserem Land genau so wie Sie und ich das tun. Deswegen sollte man über Nachrichtendienste nicht verschämt reden, sondern sie gehören, soweit das irgend möglich ist, in das Rampenlicht der Öffentlichkeit. Über die Belange dieser wichtigen Organisation unseres Landes muss geredet werden. Es freut mich, dass wir in diesem Punkt ein gutes Stück weitergekommen sind. Ich will mich sehr herzlich für die gute Zusammenarbeit auf diesem Sektor bedanken. Dieses Gesetz ist ein gutes, solides und notwendiges Gesetz. Ich freue mich über die breite Mehrheit, die heute bei der Abstimmung über dieses Gesetz zustande kommt. Ich freue mich auch darüber, dass wir nach aller Wahrscheinlichkeit die zeitlichen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes einhalten können und dass dieses Gesetz bis zum 30. Juni in Kraft getreten ist. Weil ich sehr lange Oppositionsabgeordneter gewesen bin, lege ich persönlich großen Wert darauf, dass die Kolleginnen und Kollegen anderer Fraktionen nach Möglichkeit optimale Mitwirkungsmöglichkeiten haben. Sie haben Ihren Antrag auf Anhörung gestellt, Herr Stadler. Sie haben dafür aber nicht die notwendige qualifizierte Minderheit zustande gebracht. Das ist aber nicht mein Problem, sondern Ihr Problem. ({1}) Ich muss Ihre Schlussfolgerung zurückweisen, das Verfahren sei nicht ordnungsgemäß gewesen. Ich räume ein, dass wir zum Schluss unter Zeitdruck standen, weil wir die zeitlichen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts natürlich einhalten wollten, und bitte dafür um Verständnis. Ich denke aber, dass wir ein geordnetes Verfahren hatten. Ich bin jederzeit bereit, sehr ungewöhnliche Wege zu gehen. Deswegen war es für mich überhaupt kein Problem, dass ausgerechnet die Bündnisgrünen vorgeschlagen haben, unseren früheren, geschätzten Kollegen Herrn Hirsch einzubeziehen. ({2}) Wenn es gute Argumente gibt, ist es mir völlig gleichgültig, aus welcher Ecke sie kommen. Ich übernehme sogar gute Argumente von Ihnen, Herr Marschewski. Sie gibt es aber nur zu selten. Ich sage noch einmal: Ich freue mich, dass Ihre Fraktion heute dem Gesetz zustimmt. Es ist ein solides und notwendiges Gesetz. Herzlichen Dank. ({3})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Neuregelung von Beschränkungen des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses. Es handelt sich um die Drucksachen 14/5655 und 14/5981. Der Innenausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung, den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Es liegen 13 Änderungsanträge der Fraktion der PDS vor, über die wir in der Reihenfolge der Drucksachennummern zuerst abstimmen. Ich rufe den Änderungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/5997 auf. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist gegen die Stimmen der PDS bei Enthaltung der F.D.P.-Fraktion und einer Enthaltung aus der CDU/CSU abgelehnt. ({0}) Ich rufe den Änderungsantrag auf Drucksache 14/5998 auf. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist gegen die Stimmen der PDS-Fraktion bei Enthaltung der F.D.P.-Fraktion abgelehnt. Wir kommen zum Änderungsantrag auf Drucksache 14/5999. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Auch dieser Änderungsantrag ist gegen die Stimmen der PDS bei Enthaltung der F.D.P.-Fraktion abgelehnt. Ich rufe den Änderungsantrag auf Drucksache 14/6000 auf. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist gegen die Stimmen der PDS-Fraktion bei Enthaltung der F.D.P. abgelehnt. Wir kommen zum Änderungsantrag auf Drucksache 14/6001. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Auch dieser Änderungsantrag ist gegen die Stimmen der PDS bei Enthaltung der F.D.P. abgelehnt. Wir kommen zum Änderungsantrag auf Drucksache 14/6002. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist gegen die Stimmen der PDS bei Enthaltung der F.D.P. abgelehnt. Ich rufe den Änderungsantrag auf Drucksache 14/6003 auf. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Auch dieser Änderungsantrag ist gegen die Stimmen der PDS-Fraktion bei Enthaltung der F.D.P.Fraktion abgelehnt. Ich rufe den Änderungsantrag auf Drucksache 14/6004 auf. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist gegen die Stimmen der PDS bei Enthaltung der F.D.P. abgelehnt. Wir kommen zum Änderungsantrag auf Drucksache 14/6005. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Auch dieser Änderungsantrag ist gegen die Stimmen der PDS bei Enthaltung der F.D.P. abgelehnt. Ich rufe den Änderungsantrag auf Drucksache 14/6006 auf. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist gegen die Stimmen der PDS-Fraktion bei Enthaltung der F.D.P. abgelehnt. Wir kommen zum Änderungsantrag auf Drucksache 14/6007. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist gegen die Stimmen der PDS-Fraktion bei Enthaltung der F.D.P. abgelehnt. Ich rufe den Änderungsantrag auf Drucksache 14/6008 auf. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer entDieter Wiefelspütz hält sich? - Auch dieser Änderungsantrag ist gegen die Stimmen der PDS-Fraktion bei Enthaltung der F.D.P. abgelehnt. Wir kommen zum Änderungsantrag auf Drucksache 14/6009. Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Der Änderungsantrag ist gegen die Stimmen der PDS-Fraktion bei Enthaltung der F.D.P. abgelehnt. Wir kommen nun zur Abstimmung über den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung gegen die Stimmen von PDS- und F.D.P.-Fraktion angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit gegen die Stimmen von PDS- und F.D.P.-Fraktion angenommen. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Entschließungsanträge. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion der F.D.P. auf Drucksache 14/5965? - Gegenprobe! Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist gegen die Stimmen von F.D.P.- und PDS-Fraktion abgelehnt. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/6010? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist gegen die Stimmen der PDS-Fraktion abgelehnt. Wir kommen jetzt noch einmal zur Beschlussempfehlung des Innenausschusses auf Drucksache 14/5981 zurück. Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss, die Bundesregierung aufzufordern, den Bundestag nach Ablauf von zwei Jahren nach InKraft-Treten des Gesetzes über die mit der Novellierung gemachten Erfahrungen, insbesondere unter dem Gesichtspunkt des Datenschutzes, zu unterrichten. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen von F.D.P. und PDS bei Enthaltung der CDU/CSU angenommen. Weiterhin empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung, die Erklärung des Vertreters der Bundesregierung am 9. Mai 2001 vor dem Innenausschuss zur Kenntnis zu nehmen. Den Wortlaut entnehmen Sie bitte der Beschlussempfehlung. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist bei Enthaltung der CDU/CSU gegen die Stimmen von F.D.P. und PDS angenommen. Nun noch eine Korrektur. Es gab bei der ersten Abstimmung bei der CDU/CSU keine Enthaltung. Ich habe auch keine gesehen. Das wurde mir nur mitgeteilt. Damit ist die Korrektur erfolgt. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 19 auf: Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der rechtlichen und sozialen Situation der Prostituierten - Drucksache 14/5958 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({1}) Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung Ausschuss für Gesundheit Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch; dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Erste Rednerin für die SPD-Fraktion ist die Kollegin Anni Brandt-Elsweier.

Anni Brandt-Elsweier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000247, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Prostitution ist das älteste Gewerbe der Welt und seit mehr als 2 000 Jahren werden Prostituierte nicht nur gesellschaftlich, sondern auch, juristisch diskriminiert. Hier in Deutschland ist Prostitution seit der Strafrechtsreform in den 70er-Jahren eine rechtlich zulässige Tätigkeit. Seriösen Schätzungen zufolge gehen ihr circa 400 000 Personen nach, überwiegend Frauen, und ihre Dienste werden täglich von über 1 Million Männern in Anspruch genommen. Aber, meine Damen und Herren, es gibt wohl keinen anderen Bereich, in dem das Geschäft mit der Doppelmoral so blüht. Pecunia non olet, Geld stinkt nicht, das wusste schon der römische Kaiser Vespasian im ersten Jahrhundert nach Christus. Knapp 2 000 Jahre später weiß dies auch der deutsche Fiskus; denn Prostituierte sind einkommensteuerpflichtig und sie unterliegen der Umsatzsteuerpflicht. Prostituierte haben also Pflichten in diesem Staat. Bei einem geschätzten Jahresumsatz der Branche von bis zu 12 Milliarden DM sind das nicht gerade geringe Pflichten. Mit der Zuerkennung von Rechten sieht es allerdings schlecht aus. Freiwillige Prostitution ist zwar nicht verboten, sie wird aber nach überwiegender Rechtsprechung gemäß § 138 Abs. 1 BGB als sittenwidrig bewertet. Als Maßstab für die guten Sitten gilt noch immer „das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden“, eine Formel, die das deutsche Reichsgericht im Jahre 1901 - immerhin vor 100 Jahren - entwickelt hat. Aufgrund dieser verstaubten Formel sind Vereinbarungen von Prostituierten nicht rechtswirksam. Das bedeutet im Klartext: Sexuelle Leistung ist steuerpflichtig, der Anspruch auf Lohn für diese Leistung wird aufgrund der Sittenwidrigkeit jedoch rechtlich nicht anerkannt. Dies hat schwerwiegende Folgen für die materielle und soziale Existenzsicherung der betroffenen Frauen; denn sie können zum Beispiel ihren Lohn nicht einklagen. Es bedeutet auch, dass sie derzeit keinen Anspruch auf Pflichtversicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung, in Vizepräsidentin Petra Bläss der Arbeitslosenversicherung sowie in der Rentenversicherung haben. Dies sind unhaltbare Zustände. ({0}) Die herrschende Ungerechtigkeit, auf der einen Seite Steuern zu kassieren, auf der anderen Seite aber den Menschen jede Möglichkeit zur sozialen Absicherung zu verweigern, ist nicht länger hinnehmbar und sie entspricht auch nicht mehr dem Zeitgeist. Darum freue ich mich, dass wir unser Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag umsetzen und damit gleichzeitig einer Aufforderung der Vereinten Nationen nachkommen können. Wir haben eine Regelung gefunden, die sowohl die rechtliche als auch die soziale Situation der betroffenen Frauen und auch der Männer in diesem Gewerbe verbessern wird. Sie erfasst sowohl die selbstständig Tätigen als auch die abhängig Beschäftigten. Unser Gesetzentwurf stellt ganz klar fest, dass sexuelle Handlungen, die gegen ein vorher vereinbartes Entgelt vorgenommen worden sind, eine rechtswirksame Forderung nach sich ziehen, das heißt, derartige Vereinbarungen verstoßen nicht mehr gegen die guten Sitten. Die Abschaffung der Sittenwidrigkeit entspricht dem Wandel im Moral- und Rechtsempfinden unserer Gesellschaft, dem wir endlich Rechnung tragen. ({1}) Gerade im Bereich der Sexualität hat im letzten Jahrhundert eine besonders schnelle Veränderung der Wertvorstellungen stattgefunden. Wer kann sich heute noch vorstellen, dass sich eine Mutter der Kuppelei schuldig machte, wenn sie ihre Tochter und deren Verlobten bei sich übernachten ließ? Oder wer weiß noch, dass Ehebruch strafbar war und Beamte wegen dieses Deliktes entlassen werden konnten? Auch die Gerichte haben diesen Wertewandel erkannt. Der BGH hat bereits 1976 in einer Entscheidung anklingen lassen, dass angesichts der Legalität der Prostitution durchaus ein Wandel in der Beurteilung nach § 138 BGB möglich ist. Eines der letzten - nicht rechtskräftigen - Urteile in diesem Zusammenhang erließ das Verwaltungsgericht Berlin im Dezember 2000. Es stellt fest, dass „Prostitution ... heute grundsätzlich nicht mehr als sittenwidrig einzustufen ist“. Das vonseiten der CDU/CSU vorgebrachte Argument, das Angebot sexueller Dienste sei mit dem in Art. 1 des Grundgesetzes verankerten Schutz der menschlichen Würde unvereinbar, zieht nicht. Wir haben dies eingehend prüfen lassen. Ich zitiere aus dem Rechtsgutachten von Frau Dr. Susanne Baer von der Humboldt-Universität hier in Berlin: Das ... freiwillige Angebot sexueller Dienstleistungen gegen Entgelt, die weder Verletzungen noch Gewalt beinhalten, ist kein Verstoß gegen die Menschenwürde. Entsprechende Verträge sind daher nicht aus verfassungsrechtlichen Gründen nichtig. Die Verfassung steht demnach unserer Gesetzesvorlage nicht entgegen. Durch die Abschaffung der Sittenwidrigkeit erreichen wir vor allem zwei Ziele: Die Frauen können zukünftig rechtswirksame Vereinbarungen treffen, das heißt, sie können ihren Lohn wirksam einklagen, und Prostituierte erhalten dadurch über ihre eigentliche Tätigkeit, nicht über Scheinberufe, Anspruch auf Pflichtversicherung in der gesetzlichen Kranken-, Arbeitslosen- sowie Rentenversicherung. Wir haben des Weiteren bei unserem Gesetz eine besondere rechtliche Ausgestaltung gewählt. Die Vereinbarung einer Prostituierten über die Erbringung sexueller Handlungen wird als einseitig verpflichtender Vertrag angesehen. Die Forderung, die eine Prostituierte erwirbt, kann nicht abgetreten werden. Wir haben dies bewusst so geregelt, denn es ist unser Anliegen, die Rechtsstellung der Frauen zu verbessern und nicht die anderer Beteiligter. ({2}) Konkret heißt das: Kunden können aus diesem Vertrag keine Ansprüche auf bestimmte sexuelle Leistungen gegenüber Prostituierten herleiten. Die Prostituierte behält auch gegenüber dem Bordellbesitzer ihr Recht auf die freie Auswahl der Kunden und das alleinige Bestimmungsrecht, welche Art von sexueller Dienstleistung sie erbringt. Durch die Nichtabtretbarkeit der Forderung wird sichergestellt, dass Bordellbesitzer gegenüber den Prostituierten kein Erpressungspotenzial in die Hände bekommen. Ich möchte klarstellen, dass wir mit diesem Gesetzentwurf Prostitution nicht als einen normalen Beruf anerkennen. Dies hat seine Gründe. Wir wollen damit nicht die Prostituierten abwerten, sondern tragen lediglich den Besonderheiten ihrer Tätigkeit Rechnung. Zu einem Beruf im arbeitsrechtlich korrekten Sinne gehört nämlich zum Beispiel auch, dass in diesem ausgebildet werden kann oder dass dem Arbeitsamt freie Stellen gemeldet werden können, und dieses seinerseits in freie Stellen vermitteln kann. Ich sage hier und klar deutlich: Das ist von uns nicht gewollt und das wird es auch nicht geben. ({3}) Prostituierte können sich zukünftig gegen Arbeitslosigkeit versichern, sich nach Einhaltung der Fristen bei Verlust ihrer Arbeit arbeitslos melden und haben Anspruch auf Arbeitslosengeld. Sie haben vor allem die Möglichkeit, über das Arbeitsamt eine Umschulung zu beantragen oder sich ohne Umschulung in einen anderen Beruf vermitteln zu lassen. Ich halte dies für eine deutlich verbesserte Perspektive. ({4}) Sehen wir uns doch einmal die Realität an: Wenn Prostituierte ihren Beruf nicht mehr ausüben können, sind viele von ihnen auf die Sozialhilfe angewiesen. Der vorliegende Gesetzentwurf schafft hier Abhilfe. Ich betone noch einmal ausdrücklich unser Ziel, die Situation der Prostituierten zu verbessern, ihnen mehr Rechte an die Hand zu geben, ihr Selbstverständnis und ihre Position gegenüber Freiern und Zuhältern zu stärken. Von diesem Gedanken haben wir uns auch bei den Änderungen im Strafrecht leiten lassen. Durch die Streichung des § 180 a Abs. 1 Ziffer 2 StGB ist die Schaffung angemessener Arbeitsbedingungen zukünftig nicht mehr strafrechtlich sanktioniert. Das bedeutet für die Praxis, dass es zum Beispiel möglich sein wird, in einem Bordell Kondome auszulegen, einen Sicherheitsdienst zu beschäftigen oder ein angenehmes Ambiente herzustellen. Die Änderung im Strafrecht stellt auch klar, dass sich ein Bordellbesitzer, der Prostituierte beschäftigt, nicht mehr strafbar macht. Die Frauen können also zukünftig mit einem Bordellbesitzer eine Vereinbarung eingehen und dafür einen monatlichen Lohn bekommen. Diese Tätigkeit ist dann, wie jede andere berufliche Tätigkeit auch, sozialversicherungspflichtig. Wir haben jedoch den § 181 a StGB, Zuhälterei, nicht geändert - auch dies zum Schutze der Frauen. Zwang, Ausbeutung oder unzumutbare Beeinflussung der Betroffenen bleiben weiterhin strafbar, auch der Schutz der Minderjährigen bleibt gewährleistet. Prostituierte können also zukünftig einen eigenen Beitrag zu ihrer Absicherung leisten. Wir schaffen ihnen damit auch einen größeren Spielraum, aus ihrer Tätigkeit auszusteigen, wenn sie dies wollen. Sie können die Hilfe des Arbeitsamtes in Anspruch nehmen, haben die Möglichkeit, für Alter und Krankheit vorzusorgen. Ich befürworte hiermit ausdrücklich, weitere Modellprojekte für ausstiegswillige Prostituierte zu fördern und zu unterstützen. In Nordrhein-Westfalen läuft seit 1997 ein derartiges Modellprojekt in Zusammenarbeit mit Organisationen der Prostituierten. Ich halte dies für den richtigen Ansatz und wünschte mir, mehr Projekte dieser Art auf Länderebene zu finden. ({5}) Ich möchte auch noch kurz auf den Einwand eingehen, unser Gesetz würde vor allem für die ausländischen Prostituierten keine Verbesserungen bringen. Auch das stimmt so nicht. Das Gesetz gilt natürlich auch für ausländische Prostituierte, soweit sie einen legalen Aufenthaltsstatus haben. Dies ist allerdings kein Gesetz, das organisierte Kriminalität, Frauenhandel und Zwangsprostitution bekämpft. Das ist eine völlig andere Problematik, mit der wir uns an anderer Stelle zu beschäftigen haben. Wir können mit dieser Regelung auch nicht den Menschenhandel bekämpfen. Wir können jedoch dazu beitragen, dass das Prostitutionsgewerbe insgesamt durchsichtiger wird. Es wird den Tätern künftig schwerer fallen, ihre Taten im Dunkeln zu halten. ({6}) Die Einflussnahme durch Zuhälter wird zurückgedrängt, das Selbstverständnis der Prostituierten wird gestärkt. Dadurch verstärken wir auch die Steuerungsmöglichkeiten der Behörden und damit auch die Möglichkeiten der Bekämpfung der organisierten Kriminalität in diesem Bereich. Ich halte unsere Regelungen für eine gute und ausgewogene Lösung und würde mir wünschen , dass wir in den uns bevorstehenden Diskussionen Einvernehmen über diesen Gesetzentwurf erreichen. Zum Abschluss möchte ich die betroffenen Frauen bitten, von den Möglichkeiten, die das Gesetz ihnen einräumen wird, Gebrauch zu machen. Es wird nur dann wirklich Verbesserungen im praktischen Alltag bringen, wenn die Frauen ihre Rechte auch nutzen. Dazu fordere ich sie mit allem Nachdruck auf. Ich danke Ihnen. ({7})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die CDU/CSUFraktion spricht jetzt die Kollegin Ilse Falk.

Ilse Falk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000513, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unendlich lange scheint es her zu sein, seit wir uns 1992 von Bonn aus nach Berlin auf den Weg machten, um uns neben anderen Themen auch mit der Problematik der Prostitution zu befassen. Wir, das waren Mitglieder des Ausschusses Frauen und Jugend, die im Gespräch mit Prostituierten vom Projekt Hydra Näheres über deren Lebenswirklichkeit erfahren wollten. Wir, das waren acht oder zehn Frauen und ein junger Parlamentsreferent. Wir lernten damals Frauen kennen, die selbstbewusst ihren Beruf vertraten und vehement forderten, diesen auch als solchen anerkannt zu bekommen. Klagen über Doppelmoral, fehlende arbeitsvertragliche Regelungen und damit verbunden einen versperrten Zugang zur Sozialversicherung waren wesentliche Gesprächsschwerpunkte. Sie berichteten uns, die Arbeit mache ihnen im Übrigen Spaß und sie sähen nichts Unsittliches dabei. Wir waren beeindruckt, aber auch höchst irritiert, weil wir uns eigentlich nicht vorstellen konnten, dass diese Tätigkeit tatsächlich so angenehm sein könnte, und beschlossen, dies intensiv zu hinterfragen. Vieles haben wir seitdem über Schicksale und Wege erfahren, die in die Prostitution geführt haben. Mitnichten war es immer freiwillig und schon gar nicht immer schön. Was wir damals schon vermutet hatten, hat sich bestätigt: Frauen wie bei Hydra oder in anderen Hurenorganisationen sind eher die Starken, also diejenigen, die in der Lage sind, sich zu wehren und für ihre Rechte zu kämpfen. Sie sind ganz sicher nicht die Mehrheit. Liebe Kolleginnen und Kollegen, nun sind wir nicht mehr nur zu Besuch in Berlin, sondern leben hier, zumindest wochenweise. Jeder, der nicht mit Blindheit geschlagen ist, kann sehen, dass Nacht für Nacht Frauen und Mädchen, aber auch Männer und Jungen ihren Körper als Ware anbieten und ganz offensichtlich genügend Freier ihre Dienste nachfragen. Was wir aber immer noch nicht sehen und nicht wissen können, ist, ob sich die Prostituierten freiwillig oder unter Druck anbieten, ob sie anständig behandelt werden oder Gewalt erleben und ausgebeutet werden. Wir wissen aber, dass sich tagtäglich viel zu vieles im Milieu abspielt, was an Erniedrigung weit über unser Vorstellungsvermögen hinausgeht. Unvorstellbar ist auch die Zahl der Kinder, die in diesem Gewerbe anzutreffen ist. Aber heute können weder sie noch diejenigen, die der Beschaffungsprostitution nachgehen oder unter unvorstellbaren Zwängen illegal in diesem Metier eine Art Sklavenarbeit leisten, im Mittelpunkt der Überlegungen stehen. Für sie müssen wir andere Antworten finden, Antworten die zum Beispiel bei der Bekämpfung von Sucht und Menschenhandel ansetzen. Heute kann es nur um die Menschen gehen, die mehr oder weniger freiwillig der Prostitution nachgehen. Aber auch von ihnen wissen wir, dass sie oft in einen Teufelskreis geraten. Da sind zum Beispiel die Frauen, die nach Scheidung oder Trennung als Alleinerziehende massive finanzielle Probleme haben. Da verweigert der Mann die Unterhaltszahlung. Die Frau geht zum Sozialamt, um dort zu erfahren, dass sie zunächst ihren Mann auf Unterhalt verklagen müsse, ehe Sozialhilfe zur Auszahlung kommen könne. Geld braucht sie aber sofort und da ist es schnell passiert, dass sie der Versuchung von Kleinanzeigen erliegt, die mit leicht verdientem Geld in Saunaclubs oder ähnlichen Etablissements locken. Oft beginnt damit ein zunächst freiwilliges, aber später verhängnisvolles Doppelleben, in dem der Traum vom Reichtum immer ein Traum bleibt. Miete und Steuern müssen bezahlt werden, Zuhälter und Bordellwirte schöpfen 40 bis 60 Prozent vom Lohn ab. Für die Sozialversicherung reicht das Geld schon gar nicht aus oder aber die Krankenversicherung verweigert die Aufnahme, was bei entstehenden Krankheitskosten dann definitiv in die Verschuldung führt. Die Bedingungen, unter denen Prostituierte arbeiten, sind womöglich auch noch erbärmlich, weil jeder Betreiber eines Etablissements sich der Förderung der Prostitution schuldig macht, wenn er angenehmere Arbeitsbedingungen schafft. Das ist ein Teufelskreis; es gibt viele Fragen, auf die wir endlich Antworten finden müssen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch in der letzten Legislaturperiode haben wir uns aus Anlass eines Antrags der Grünen intensiv mit diesem Thema befasst, aber tatsächlich sind wir seit 1992 der Lösung dieses Problems nicht wirklich näher gekommen. Heute starten wir einen neuen Versuch. Die Abwägung, welche Regelungen notwendig und wünschenswert sind, ist schwierig. Neuregelungen dürfen die Würde der betroffenen Frauen insbesondere hinsichtlich ihrer sexuellen Selbstbestimmung nicht verletzen, müssen von der Gesellschaft mitgetragen werden können und sollen gleichzeitig den Frauen mehr Rechte geben. Die Erfüllung dieser Erfordernisse gleicht in mancher Hinsicht einem Spagat. Wohl auch aus diesen Gründen haben die Koalitionsfraktionen den schon so lange angekündigten Gesetzentwurf erst jetzt vorgelegt. Ist der Gesetzgeber aus den genannten Gründen also bisher noch nicht erfolgreich gewesen, so hat sich in der Gesellschaft ein Wandel in der Einstellung zur Prostitution vollzogen. Frauen, die sich offen dazu bekennen, als Prostituierte zu arbeiten, werden heute gesellschaftlich nicht mehr geächtet. Viele Prostituierte treten selbstbewusst auf und fordern ihre Rechte ein. Dabei werden sie von einem Großteil der Gesellschaft unterstützt. Frauen wie Felicitas Weigmann, die in ihrem Café „Pssst!“ angenehme Arbeitsbedingungen für Prostituierte geschaffen hat, gelten als Vorbild, ihr Tun gilt nicht mehr als verwerflich. Als Gesetzgeber müssen wir nun die Frage beantworten, ob und gegebenenfalls wie dieser Wandel in der Bewertung von Prostitution durch die Gesellschaft auch gesetzgeberisch begleitet werden muss. Müssen wir grundlegende Wertvorstellungen tatsächlich aufgeben, um da zu helfen, wo Hilfe so dringend nötig ist? Müssen wir tatsächlich Prostitution als einen Beruf wie jeden anderen akzeptieren? ({0}) Ist es nicht vielmehr richtig, wenn wir es weiterhin für moralisch höchst fragwürdig halten, wenn der eigene Körper zur Ware gemacht wird und einen großen Käuferkreis findet? Als CDU/CSU können und wollen wir Prostitution nicht zu einem normalen Beruf machen, ({1}) sondern zuallererst unser Augenmerk darauf richten, wie wir Frauen entweder erreichen können, bevor sie auf die Straße oder in Bordelle gehen, oder aber darauf, wie wir ihnen reale Ausstiegshilfen geben können. Darüber sind wir uns sicher fraktionsübergreifend einig. Wir sind allerdings nicht so naiv, zu glauben, dass wir damit auch nur annähernd alle Probleme gelöst hätten. Natürlich wird es die Prostitution in allen Variationen immer geben. Manchmal ist man auch geneigt, zu sagen, es muss sie immer geben, so wie es sie seit Jahrtausenden schon immer gegeben hat. Kein noch so gutes Gesetz, keine noch so drakonischen Strafen haben daran etwas Entscheidendes geändert. Seien wir doch ehrlich: Die Gesetze, die wir über all die Jahre so heftig verteidigt haben, haben Zustände und Entwicklungen, die wir heute diskutieren, mitnichten verhindert. ({2}) Versuchen wir doch einmal neue Ansätze. Fesseln wir uns doch nicht immer wieder selber mit dem Begriff der Sittenwidrigkeit. Hierzu gibt es in der Gesellschaft so vielfältige Meinungen, wie es Menschen gibt, die sich damit befassen. Wir werden wahrscheinlich niemals auch nur annähernd Übereinstimmung erreichen können. Dennoch bin ich der Meinung, dass der Gesetzgeber hier nicht leichtfertig Wertvorstellungen preisgeben darf, die ihre guten Gründe für die Ordnung des Zusammenlebens in unserer Gesellschaft haben. ({3}) Hier können Grenzen überschritten werden, was die Achtung und Respektierung der jedem Menschen eigenen Menschenwürde aufs Spiel setzt. Das können wir nicht wollen. ({4}) Natürlich gibt es ein ganz großes Aber. Auch wenn der Staat das Recht und die Pflicht hat, hohe moralische Hürden aufrechtzuerhalten, so kann er es nicht allein bei der Postulierung dieser Wertvorstellungen bewenden lassen, sondern er hat vielmehr auch eine Fürsorgepflicht gegenüber denjenigen, die dieser Fürsorge bedürfen. ({5}) So müssen wir einerseits darüber sprechen, dass auch diejenigen, die vielleicht nicht unseren moralischen Wertvorstellungen entsprechen, Anspruch auf die Unantastbarkeit ihrer Menschenwürde haben. Andererseits müssen wir über die Fürsorgepflicht des Staates gegenüber allen Bürgerinnen und Bürgern sprechen und auf den Prüfstand stellen, was ihrer Umsetzung dienen könnte. Wenn wir uns also darauf verständigen, uns allein von der Fürsorgepflicht leiten zu lassen, wird es vielleicht einfacher, Vorschläge unvoreingenommen auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen und zu wirklichen Problemlösungen zu kommen. Dann erst können wir ehrlich nachfragen, wen genau wir mit diesen Lösungsvorschlägen überhaupt erreichen können und wollen, ({6}) ob Arbeitsverträge tatsächlich die ideale Lösung sind, um den Zugang zur Sozialversicherung zu bekommen, oder ob sie nicht vielmehr ein hohes Druckpotenzial beinhalten, das Prostituierte womöglich in neue Abhängigkeiten bringen kann, ob nicht andere Zugänge zur gesetzlichen Krankenversicherung wieder zu öffnen wären und ob nicht an die Träger der privaten Krankenversicherung zu appellieren ist, auch Prostituierte aufzunehmen. Da sei nur am Rande angemerkt: Nachweislich stellt diese Gruppe kein erhöhtes Krankheitsrisiko dar. Im Gegenteil: Der Anteil an HIV-Infizierten ist geringer als beim Durchschnitt der Bevölkerung. Gesundheit ist das Kapital der Prostituierten. Gute Arbeitsbedingungen können dann eigentlich kein strafbares Delikt mehr sein, sondern müssten eine Forderung werden. Meine Redezeit reicht nicht aus, um im Einzelnen auf die konkreten Vorschläge des Gesetzentwurfes einzugehen. Es werden sicherlich Anhörungen von Sachverständigen notwendig sein. Mir war es heute aber wichtig, den Versuch zu unternehmen, eine Basis herzustellen, die uns die weiteren Schritte erleichtern kann. Nicht juristische Spitzfindigkeiten, sondern ein gesundes Rechtsempfinden und eine Orientierung an den praktischen Notwendigkeiten lassen uns am Ende vielleicht gute Lösungen finden. Versuchen wir es doch einmal! ({7})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Das Wort hat die Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Irmingard Schewe-Gerigk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Wie liberal ein Staat ist, zeigt sich daran, wie liberal er im Umgang mit seinen Huren ist.“ Mit diesem Satz hat die Frankfurter Prostituierte Rosemarie Nitribitt vor 30 Jahren eine Politik eingefordert, die der Diskriminierung von Prostituierten endlich ein Ende setzt. Heute, elf Jahre, nachdem die Grünen ihren ersten Gesetzentwurf zur Beseitigung der rechtlichen Diskriminierung von Prostituierten in den Bundestag eingebracht haben, nehmen wir Abschied von der Doppelmoral, von der Doppelmoral in der Gesellschaft, in der täglich über 1 Million Männer sexuelle Dienste ganz selbstverständlich in Anspruch nehmen, während die Frauen, die diese Dienste erbringen, diskriminiert, kriminalisiert und stigmatisiert werden. Wir nehmen aber auch Abschied von der Doppelmoral des Staates, der von den Prostituierten zwar Steuern aus gewerbsmäßiger Unzucht kassiert, ihnen aber soziale Rechte, die allen anderen Erwerbstätigen zustehen, vorenthält. Prostitution, die von erwachsenen Frauen und Männern freiwillig ausgeübt wird, ist nach heutigen sozialethischen Wertvorstellungen nicht als sittenwidrig anzusehen. Das ist das Ergebnis einer Umfrage des Verwaltungsgerichtes Berlin. Ich danke den Richtern ausdrücklich dafür, dass sie sich erstmalig der Mühe unterzogen haben, die seit 100 Jahren gleich lautenden Urteile auf den Prüfstand der heutigen sozialethischen Wertvorstellungen zu stellen; auf das Reichsgerichtshofurteil hat Frau Brandt-Elsweier gerade hingewiesen. ({0}) Es ist aber kaum zu glauben, dass der Bundesgerichtshof noch 1987 geurteilt hat: „Wer Prostituierte um den vereinbarten Lohn prellt, begeht keinen Betrug.“ Unglaublich! Heute stellen wir fest, dass die bestehenden rechtlichen Vorschriften Prostituierte einseitig benachteiligen und mit den Wertvorstellungen der Bevölkerung nicht mehr übereinstimmen. Darum ist es höchste Zeit, Gesetze zu ändern, die aus der Mottenkiste der Geschichte stammen. ({1}) Für uns Grüne ist dieses Thema ein Bürgerrechtsund ein Menschenrechtsthema. Wir wollen gleiche Rechte für Prostituierte und wir wollen, dass Prostituierte nicht länger Bürgerinnen zweiter Klasse sind. Die Menschenwürde der Prostituierten wird durch ihre rechtliche Ausgrenzung nicht geschützt, sondern verletzt, Frau Falk. ({2}) Darum schaffen wir den Tatbestand der Sittenwidrigkeit ab. Damit sind Vereinbarungen über sexuelle Dienstleistungen gegen Entgelt sowohl mit dem Kunden als auch mit dem Arbeitgeber oder der Arbeitgeberin rechtswirksam. Das bedeutet: Prostituierte können künftig eine Genossenschaft gründen, wie das in Frankfurt und Bochum geplant ist. Sie können als Selbstständige oder auch in einem Angestelltenverhältnis arbeiten. Sie können zudem durch die Aufnahme in die Sozialversicherung gegen Krankheit, Erwerbslosigkeit und für das Alter vorsorgen. Dadurch ist ein Ausstieg der Prostituierten sehr viel leichter. Sie haben ferner Umschulungsmöglichkeiten. Das müsste Ihnen, verehrte Kolleginnen von der CSU, die Zustimmung erleichtern. Aber damit nicht genug. Auch im Strafgesetzbuch sind Änderungen notwendig. Wir werden den Straftatbestand „Förderung der Prostitution“ streichen. Ich finde es geradezu widersinnig, dass Personen, die humane Arbeitsbedingungen für Prostituierte schaffen, bestraft werden, während diejenigen straflos bleiben, die Prostituierte in menschenunwürdigen Verhältnissen arbeiten lassen. ({3}) Diese gesetzlichen Regelungen sind eines liberalen Rechtsstaats nicht würdig. Künftig werden nur noch diejenigen bestraft, die Prostituierte ausbeuten. An diesem Punkt, Frau Falk, waren wir eigentlich schon 1997. Bei der Debatte über den zweiten grünen Gesetzentwurf gab es Übereinstimmung bei allen Fraktionen, dass Änderungen notwendig sind. Zusammen mit dem rechtspolitischen Sprecher Herrn Eylmann von der CDU/CSU und mit Herrn Braun von der F.D.P. wollten wir eine Änderung. Aber es kam nicht zu einem interfraktionellen Antrag, weil die CDU/CSU kurz vor der Wahl der Mut verlassen hatte. Heute höre ich, dass wir auch von einigen aus der CDU Zustimmung zu diesem Gesetz erhalten werden. Ich freue mich darüber, dass der Kollege Pofalla die heutige Praxis für nicht mehr zeitgemäß hält und sich die Kollegin Schnieber-Jastram für eine soziale Absicherung stark macht. ({4}) Es bleibt noch das von der Kollegin Eichhorn angeführte Argument der Menschenwürde. Dies möchte ich gern mit einem Zitat aus dem Urteil des Verwaltungsgerichts entkräften: Wer die Menschenwürde von Prostituierten gegen ihren Willen schützen zu müssen meint, vergreift sich in Wahrheit an ihrer von der Menschenwürde geschützten Freiheit der Selbstbestimmung und zementiert ihre rechtliche und soziale Benachteiligung. Genau das wollen wir verhindern. ({5}) Darum bitte ich Sie: Lassen Sie uns in einer Anhörung deutlich machen, welche Möglichkeiten es gibt. Auch die Kolleginnen und Kollegen von der PDS bitte ich um Zustimmung. Sie haben einen Gesetzentwurf vorgelegt; er ist sehr umfangreich. Ich als Grüne kann nicht verhehlen, dass ich für ihn sehr viel Sympathie empfinde. ({6}) Aber wir vollziehen jetzt einen großen Einstieg. Es wäre schön, wenn Sie in dieser Sache keine Fundamentalopposition machten, sondern zustimmen würden. Von der F.D.P. als einer liberalen Partei erwarte ich dies selbstverständlich auch. Es ist im Interesse der gesamten Gesellschaft, wenn wir diesen Einstieg einvernehmlich vornehmen, damit den sozialen Rechten der Prostituierten zum Durchbruch verholfen wird. Ich danke Ihnen. ({7})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Jetzt hören wir, was die F.D.P. dazu zu sagen hat. Die Kollegin Lenke hat das Wort.

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nicht die Bundesregierung, sondern die Fraktionen von Rot-Grün haben gesetzliche Regelungen zur Verbesserung der rechtlichen und sozialen Situation von männlichen und weiblichen Prostituierten in den Bundestag eingebracht. Frau Bergmann, steht die Bundesregierung etwa nicht voll hinter diesem Gesetzentwurf? Für die F.D.P.-Bundestagsfraktion will ich trotz aller Unklarheiten und Unvollkommenheiten des rot-grünen Entwurfs deutlich sagen, dass auch wir der Meinung sind: Neue gesetzliche Regelungen müssen her. ({0}) Die F.D.P. als liberale Partei ist gegen jegliche Diskriminierung von Minderheiten in unserer Gesellschaft. Prostituierte sind besonders durch den Makel der Sittenwidrigkeit diskriminiert. Die F.D.P. begrüßt in diesem Entwurf erstens die Abschaffung der Sittenwidrigkeit, zweitens die Möglichkeit, sozialversichert zu sein, drittens die Durchsetzbarkeit des vereinbarten Lohns gegenüber dem Freier. Aber schon der rot-grüne Vorschlag zu § 180 a des Strafgesetzbuches zeigt, dass SPD und Grüne nicht den Mut zu einer klareren und umfassenderen Regelung haben. Warum haben Sie sich nicht dazu entschieden, den § 180 a StGB gänzlich zu reformieren? ({1}) Wir schlagen vor, ihn komplett abzuschaffen. Der Schutz von Jugendlichen oder die Abschaffung der Ausbeutung von männlichen und weiblichen Prostituierten gemäß Abs. 2 des § 180 a StGB werden durch Schutzvorschriften in anderen Gesetzen bereits abgedeckt. Überhaupt sind wir der Auffassung, dass die gesetzlichen Änderungen in bereits bestehende Gesetze - zum Beispiel in das Bürgerliche Gesetzbuch - integriert werden sollten. ({2}) Genau das machen Sie aber nicht. Ich weiß von der Justizministerin, dass sie das in anderen Politikbereichen sehr wohl will. Mit Ihrem Vorschlag kommen Sie aber wieder zu einer einzelgesetzlichen Regelung. Aber vielleicht kann man das ja noch im Beratungsverfahren ändern. Wir fordern - ich finde es sehr schön, dass meine grüne Kollegin Frau Schewe-Gerigk schon darauf eingegangen ist und dafür geworben hat - eine umfassende Anhörung im Rahmen dieses Gesetzgebungsverfahrens. Ich bin sicher, dass auch die CDU/CSU und die Koalitionsfraktionen ein, wenn auch unterschiedliches, Interesse an einer umfassenden Beratung haben werden.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Frau Kollegin Lenke, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Meyer? Es würde Ihnen nicht von der Redezeit abgezogen.

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich möchte jetzt lieber weitermachen und würde mich mit Herrn Meyer ins Benehmen setzen, wenn ich mit meiner Rede fertig bin. ({0}) Ich bin sicher, dass wir, wenn wir wollen, dass die neuen Beschäftigungsverhältnisse in Bezug auf Renten-, Arbeitslosen-, Kranken- und Pflegeversicherung sowie - davon habe ich heute noch nichts gehört - in Bezug auf die berufsgenossenschaftliche Unfallversicherung ordentlich ausgestaltet werden, den Rat von Expertinnen und Experten zum Beispiel aus dem Bereich des Sozialversicherungsrechts brauchen. Dafür sind Anhörungen doch da. Wir wissen, wie unterschiedlich sich dieses Gewerbe organisiert. Daher muss in der Anhörung geklärt werden, wer mit wem in welcher Eigenschaft einen Vertrag schließt: als Bordellbesitzer oder als Zuhälter, der sich bisher noch nicht strafbar gemacht hat? Hinsichtlich dieser Frage können wir aus Ihrem Gesetzentwurf und der Begründung dazu nicht viel herauslesen. Meines Erachtens reicht daher die Beratung „nur“ in den Ausschüssen nicht. Wir als F.D.P.-Bundestagsfraktion wollen prüfen, ob es in Bezug auf die Rentenversicherung eine Versorgungskassenlösung geben könnte. Wir Liberale sind für eine Pflicht zur Versicherung, aber nicht für eine Versicherungspflicht. Weiter fordert die F.D.P., dass das Ordnungswidrigkeitengesetz überprüft wird. Frau BrandtElsweier, Sie haben sich sicher auch zum Beispiel § 120 Abs. 1 Nr. 1 und 2 des Ordnungswidrigkeitengesetzes angeschaut, haben aber leider nichts dazu gesagt. Nun zu meiner Kollegin Frau Schewe-Gerigk. Gestern las ich in der Zeitung, dass die Grünen die Forderung haben, die Sperrbezirke abzuschaffen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, warum haben Sie sich denn gescheut, das jetzt sofort zu regeln? ({1}) Wir wollen das machen. Wenn nämlich die Sittenwidrigkeit wegfällt, wird die Aufrechterhaltung von Sperrbezirken meines Erachtens zu einem Problem. Neben Wohnung und Bordellen ist - wir in Berlin wissen das alle auch die Straße Arbeitsplatz. Städte und Gemeinden werden in Zugzwang kommen, straßenrechtliche Genehmigungen erteilen zu müssen.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Frau Kollegin Lenke, mit Herrn Kollegen Meyer haben Sie sich schon für die Zeit nach Ihrer Rede verabredet. Wollen Sie das auch mit der Kollegin Schewe-Gerigk tun, die gerne eine Zwischenfrage stellen möchte?

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Das mache ich auch mit meiner Kollegin Schewe-Gerigk; wir verstehen uns ja ganz gut. ({0}) Die Rechtsvorschriften für den Bereich Prostitution sollten nicht scheibchenweise, sondern umfassend verändert werden. Die Städte und Gemeinden sind an einer umfassenden und eindeutigen Regelung interessiert. ({1}) Das können wir, auch wenn wir den Gesetzestext noch nicht haben, schon in der Anhörung beraten; das gehört doch auch zu einer umfassenden Beratung. Ein Wort zum Schluss. Kirchen und Union sagen, Prostitution sei kein Beruf wie jeder andere. Ja, das ist so. Zur Wirklichkeit gehört aber auch, dass männliche und weibliche Prostituierte heute rechtlich diskriminiert werden. Unabhängig von unserer Einstellung zu diesem Gewerbe ist es unsere Aufgabe, die Rechte der einzelnen Prostituierten zu stärken. Die F.D.P. als liberale Partei

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Frau Lenke, ich muss Sie etwas bremsen, denn Ihr Schlusswort ist sehr lang.

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

- will Minderheiten zu ihrem Recht verhelfen, auch Prostituierten. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Die letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin Christina Schenk für die PDS-Fraktion.

Christina Schenk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001957, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Huren und Stricher in diesem Land einige von ihnen verfolgen die Debatte von der Tribüne aus - erwarten vom Gesetzgeber schon seit langem, dass die Tätigkeit der Prostitution mit anderen Berufen gleichgestellt wird. Ich will das noch einmal klar sagen, was Frau Falk schon erwähnt hat: Es geht hier um nichts anderes als um die selbstbestimmte und freiwillig ausgeübte Prostitution, nicht um Zwangsverhältnisse; diese wären woanders zu regeln. Daher besteht für eine Ungleichbehandlung zwischen diesem Beruf und anderen beruflichen Tätigkeiten kein Grund. Jetzt haben sich die Regierungsfraktionen endlich bewegt. Das ist in erster Linie den öffentlichkeitswirksamen Aktionen der Huren und Stricher und ihrem ständigen Druck auf Rot-Grün zu verdanken. Ich meine - ich will das für uns durchaus in Anspruch nehmen -, auch der Gesetzentwurf der PDS hat dazu beigetragen, dass Bewegung in die Sache gekommen ist. Wir unterstützen die Huren und Stricher seit langem in ihrer Forderung nach beruflicherAnerkennung und haben aus diesem Grunde Ende des vergangenen Jahres einen Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht, der bereits in erster Lesung debattiert worden ist. Die Annahme dieses Gesetzentwurfes würde die berufliche Diskriminierung der sexuell Dienstleistenden vollständig beseitigen. Der Entwurf von Rot-Grün ist absolut enttäuschend. Zwar wird klargestellt, dass Prostitution nicht länger als sittenwidrig gelten soll, aber die Rahmenbedingungen für die Ausübung dieses Berufs bleiben weiterhin in der rechtlichen Grauzone. Sexuell Dienstleistende werden nun künftig ihren Lohn einklagen und Arbeitsverträge abschließen können, was ihnen wiederum den Zugang zu den Sozialkassen ermöglicht. Das ist begrüßenswert und positiv, das ist aber auch schon alles. Es bleiben sämtliche gesetzlichen Regelungen unberührt, die Prostitution kriminalisieren und Prostituierte in ihrer freien Berufsausübung behindern. Es fehlt die Aufhebung des Werbeverbots, es fehlen die notwendigen Änderungen im Arbeitszeitgesetz und im Ausländerrecht. Nach wie vor macht sich nach § 181 a Strafgesetzbuch strafbar, wer Prostituierte gewerbsmäßig vermittelt. Auch bleibt strafbar, wer die Umstände der Prostitutionsausübung bestimmt. In der Begründung heißt es, dass ein einvernehmlich begründetes Beschäftigungsverhältnis nicht unter diesen Straftatbestand fällt. In diesem Punkt kann ich nur hoffen, dass die Gerichte das ebenso sehen. Zumindest bleibt bei denjenigen, die Prostituierte anstellen wollen, eine Rechtsunsicherheit. Ich hoffe, dass wir wenigstens bei diesen Punkten in den Ausschussberatungen noch zu einer Klärung kommen. Dafür, dass auch die Sperrgebietsverordnung unangetastet bleibt, habe ich angesichts der Haltung von CDU/CSU und den aktuellen Mehrheitsverhältnissen im Bundesrat durchaus Verständnis; kein Verständnis habe ich aber für die verbliebene Entdiskriminierung von Prostitution in den Bereichen, über die wir hier im Bundestag zu befinden haben. Was hier vorgelegt worden ist, ist das absolute Minimum dessen, was notwendig ist. Mehr nicht! Der jetzige Gesetzentwurf geht keinen Deut über das Wenige hinaus, was die SPD bereits in der letzten Legislaturperiode angeboten hatte. Der Entwurf trägt die Handschrift der SPD, nicht die der Grünen. Die Grünen, einst angetreten, Prostitution vollständig zu entdiskriminieren, sind an der SPD gescheitert. Ich halte es für ein Gebot der politischen Fairness, dass Sie, meine Damen und Herren von den Grünen, das zugeben. Meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, Sie haben die Rückendeckung der Gerichte. Es gibt eine Mehrheit in der Bevölkerung für eine rechtliche Anerkennung von Prostitution. Sie haben daraus nicht viel gemacht. ({0}) Nicht nur die Doppelmoral bleibt, sondern auch die rechtliche Diskriminierung derjenigen, die sexuelle Dienstleistungen anbieten. Das ist schade und ich hoffe sehr, dass wir in den Beratungen doch noch zu der einen oder anderen Verbesserung kommen können. Danke. ({1})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Zu einer Kurzintervention erteile ich der Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk das Wort.

Irmingard Schewe-Gerigk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Kollegin Lenke, sind Sie bereit zur Kenntnis zu nehmen, dass wir in diesem Gesetzentwurf keinen Beruf geregelt haben und das eigentlich auch nicht müssen? Ist Ihnen bekannt, dass der CDU-Verfassungsrechtler Rupert Scholz in einem Kommentar zum Grundgesetz festgestellt hat, dass nach Art. 12 a Grundgesetz Prostitution schon jetzt ein Beruf ist, wenn er eine auf Dauer angelegte Beschäftigung ist, die zur Sicherung des Lebensunterhalts notwendig ist? ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Frau Kollegin Lenke, Sie müssen darauf nicht antworten, hätten aber von der Möglichkeit Gebrauch machen können. Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 14/5958 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Sie sind alle damit einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf: Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Günter Rexrodt, Hans-Joachim Otto ({0}), Rainer Brüderle, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Ausprägung einer 1-DM-Goldmünze und die Errichtung der Stiftung „Geld und Währung“ und zur Unterstützung der Rekonstruktion der Museumsinsel ({1}) - Drucksache 14/5274 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die F.D.P. fünf Minuten erhalten soll. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner für die F.D.P.-Fraktion ist der Kollege Dr. Günter Rexrodt.

Dr. Günter Rexrodt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002759, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es heißt, die D-Mark sei Status- und Identifikationssymbol der Deutschen. Da ist wohl auch eine ganze Menge dran. Nun wird die D-Mark bald abgeschafft. Es ist völlig in Ordnung, wenn deshalb in Erinnerung an den Wert und die Kraft der D-Mark eine Gedenkmünze in Gold geprägt werden soll. Es ist nun vorgeschlagen worden, dass der Erlös aus der Veräußerung der Goldmünzen einer Stiftung „Geld und Währung“ zugute kommen soll. Als Marktwirtschaftler sage ich: Geldwertstabilität ist ein ganz wesentliches Element für eine funktionierende Marktwirtschaft. Sich darum zu bemühen ist immer des Schweißes der Edlen wert. Wenn man das akzeptiert und sich fragt, was eine Stiftung „Geld und Währung“ denn machen sollte, dann kommt man sehr schnell zu dem Ergebnis, dass eine solche Stiftung mehr oder weniger kluge Vorträge und Veröffentlichungen von Professoren finanzieren würde. Das ist zwar nichts Schlechtes. Aber man sollte auch darüber nachdenken, ob man das für die Stiftung vorgesehene Geld - zumal Geldwertstabilität als Wert in unserer Gesellschaft und in der Fachwelt anerkannt ist - nicht besser verwenden kann. Wir sind der Meinung, dass es besser verwendet werden kann. Die F.D.P. möchte, dass 100 Millionen DM von dem Erlös aus der Veräußerung der Goldmünzen der Stiftung „Preußischer Kulturbesitz“ zugute kommen, damit die Museumsinsel in Berlin innerhalb des vorgesehenen Zeitraums von zehn Jahren ohne Verzögerung und ohne Querelen rekonstruiert werden kann. ({0}) Die Museumsinsel, nur wenige Hundert Meter vom Parlament entfernt gelegen, ist ein kulturhistorisches Denkmal ersten Ranges. Sie ist im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt, nach dem Krieg nur notdürftig wieder hergerichtet worden und in weiten Teilen verrottet, weil die notwendigen Ressourcen nicht zur Verfügung standen. Die Museumsinsel kann und soll zu einem großen Universalmuseum werden, dem wohl größten Universalmuseum auf dieser Welt. Das kostet zwar viel Geld. Aber das ist auch eine Chance für Berlin und unser Land. ({1}) Die Ausbau- und Fertigstellungspläne sind aber, wie das so ist, gefährdet. Es ist geplant, die Rekonstruktion der Museumsinsel bis 2010 abzuschließen. Bisher fehlt Geld. Wenn man aber nicht planmäßig investiert, kann man den Zeitplan vergessen. Wenn man den Zeitplan vergessen kann, wird auch die vorgesehene Summe nicht ausreichen. Deshalb muss Geld nachgeschossen werden, auch deshalb, weil beispielsweise der Wirtschaftsplan der Stiftung im nächsten Jahr ein Defizit von 55 Millionen DM, so wird es erwartet, aufweisen wird. Das Ganze ist zu einem guten Teil auf die finanzwirtschaftlichen Konstellationen und Querelen zurückzuführen, für die die große Koalition in Berlin verantwortlich ist. ({2}) Diese Koalition hat abgewirtschaftet, wie es große Koalitionen nach einer gewissen Zeit immer tun. Die große Koalition in Berlin hat besonders abgewirtschaftet. Der Ausbau und die Fertigstellung der Museumsinsel sollen nicht darunter leiden. ({3}) Deshalb sind wir dafür, dass ein Teil des Erlöses aus der Veräußerung der D-Mark-Gedenkmünze in Gold an die Stiftung „Preußischer Kulturbesitz“ fließt. Ich glaube, das ist einsichtig. Diese Betrachtungsweise liegt nicht nur im Interesse der Berliner, sondern auch all derjenigen, die etwas mit Kultur und Wirtschaft zu tun haben und sich wünschen, dass in Berlin ein einzigartiges kulturhistorisches Denkmal wiederentsteht, das in diesem Land und vielleicht sogar in ganz Europa seinesgleichen sucht. Vor diesem Hintergrund bitten wir um Zustimmung zu unserem Gesetzentwurf. ({4})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die SPD-Fraktion spricht jetzt die Kollegin Ingrid Arndt-Brauer.

Ingrid Arndt-Brauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003422, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wie mein Vorredner bereits sagte und wie wir alle wissen, gilt ab dem 1. Januar 2002 für uns und für unsere Nachbarn in Europa - im Ganzen handelt es sich um 320 Millionen Menschen - der Euro als neues Zahlungsmittel. Mit dem Beitritt zur Währungsgemeinschaft nehmen die Deutschen Abschied von der D-Mark. Dieser Abschied wird durch die neue Goldmünze ein wenig versüßt. Die D-Mark hat sich in unserer Bevölkerung als eine stabile Währung eingeprägt. Sie hat den Wohlstand und das Funktionieren unserer Demokratie ein Stück weit gesichert. Die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes verlangen das Gleiche vom Euro, und das mit Recht. Er soll ebenso verlässlich sein. Die Konsolidierung des Euro-Kurses in den letzten Monaten gibt uns in dieser Hinsicht berechtigte Hoffnungen. ({0}) Vizepräsidentin Petra Bläss Ungeachtet dieser guten Ausgangslage erwachsen mit der Schaffung eines einheitlichen Währungsraumes und mit den damit verbundenen fundamentalen Änderungen in der europäischen Finanzarchitektur in Europa eine Vielzahl von Fragen und Aufgabenstellungen, denen wir uns widmen müssen. Damit der Euro eine ebenso stabile Währung wie die D-Mark wird, halten wir es für sinnvoll, währungs- und finanzpolitisch verstärkt Forschungsanstrengungen zu unternehmen. Wissenschaftliche Grundlagenforschung zu betreiben, das wird die zentrale Aufgabe der Stiftung „Geld und Währung“ sein. ({1}) Stabiles Geld als solches ist kein Selbstläufer. Die Arbeit der Stiftung soll und wird dazu beitragen, dieses wichtige Thema im Bewusstsein der Öffentlichkeit zu halten. Die Gründung der Stiftung „Geld und Währung“ ist das Ergebnis eines intensiven Dialoges mit deutschen Finanzund Wirtschaftswissenschaftlern. Dieser Dialog ergab einen Forschungsbedarf in verschiedenen Bereichen. Exemplarisch möchte ich - an dieser Stelle hat es in der Vergangenheit manchmal gehapert - die Umsetzung von Forschungsergebnissen in politisches Handeln nennen. Es stellt sich dabei die Frage, wie sich theoretische Modelle zu konkreten Handlungsempfehlungen weiterentwickeln lassen. Weitere Forschungsfelder sind die Interaktionen währungs- und geldpolitischer Institutionen in Europa und mit den Institutionen anderer Politikbereiche. Nicht zuletzt benötigen wir Ursachenforschung und Prävention in Bezug auf Währungs- und Bankenkrisen. Neben der Intensivierung bestehender Forschung betreten wir mit der Förderung rechtswissenschaftlicher Forschung Neuland. Die qualifizierte Arbeit des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, der Bundesbank und der Wirtschaftsforschungsinstitute erfährt somit eine sinnvolle Ergänzung. All diesen Einrichtungen ist gemein, dass sie eher anwendungsorientiert arbeiten und sich stark mit dem aktuellen Geschehen beschäftigen; das soll auch so sein. So müssen beispielsweise Forschungsergebnisse der Bundesbank immer einen gewissen Bezug zur aktuellen Geldpolitik Europas wahren, da diese als Teil des Euro-Systems der genauen Beobachtung der Finanzmärkte unterliegt. Eine formal unabhängige Stiftung hingegen, die sich vornehmlich der Grundlagenforschung widmen wird, kann ihre Forschung mit einer größeren Unabhängigkeit vom finanz- und währungspolitischen Tagesgeschehen betreiben, zum Beispiel bei der Erarbeitung möglicher Alternativen zur aktuellen Geld- und Währungspolitik. Angesichts der fortschreitenden Integration und Verflechtung der globalen Finanzmärkte stellt die Gründung der Stiftung „Geld und Währung“ eine notwendige und sinnvolle Investition dar. Mit dieser Meinung stehen wir keinesfalls alleine da. Auch die EZB hat die Absicht der Regierung ausdrücklich begrüßt, die Bedeutung von stabilem Geld in der Öffentlichkeit zu verdeutlichen und zu bewahren. Die Gründung der Stiftung „Geld und Währung“ mit einer soliden und kontinuierlichen Finanzausstattung bietet hierfür das geeignete Fundament. Der von Ihnen geforderte Verzicht auf die Gründung der Stiftung ist vor dem Hintergrund dieser Sachlage nicht zu rechtfertigen. Ihr - durchaus ehrbarer - Versuch, sich für Kunst und Kultur einzusetzen, ändert an dieser Tatsache nichts. Wie Ihnen bekannt ist, stehen alle Verkaufserlöse, die die Summe von 100 Millionen DM übersteigen, unmittelbar für die Restaurierung der Museumsinsel zur Verfügung. Je nach aktuellem Goldkurs werden das zwischen 50 und 60 Millionen DM sein. Hinzu kommen die Sondermittel der Bundesregierung zur Herrichtung der Berliner Museumsinsel. Diese lassen wir uns innerhalb von zehn Jahren insgesamt 250 Millionen DM kosten. Dieser Betrag wird der Stiftung Preußischer Kulturbesitz über einen Zeitraum von zehn Jahren als Kofinanzierungsmittel - Bund, EU, Land - zusätzlich zu den Leistungen im Rahmen der Hauptstadtkulturförderung zur Verfügung gestellt. Angesichts dieser kontinuierlichen Kulturförderung auf so hohem Niveau braucht auch Ihnen, meine Damen und Herren von der F.D.P.-Fraktion, um die Zukunft des UNESCO-Weltkulturerbes Museumsinsel nicht bange zu sein. Die Idee des Gesetzentwurfes verknüpft Währungsund Finanzpolitik auf der einen Seite und Kulturförderung auf der anderen Seite. Der so eingeschlagene Weg, Mittel für Kultur über den Verkauf von Münzen zu gewinnen, ist nicht beliebig übertragbar. Man überlege sich die Sogwirkung auf viele Vorhaben auch außerhalb der Kultur, so in Bereichen wie Soziales, Bildung, Sport usw., die zu unterstützen ebenfalls sinnvoll wäre. Auch diese würden sicher gerne 100 Millionen DM verplanen. Hier galt es eine einmalige Wahl zu treffen. Ich denke, das ist uns mit dem vorliegenden Gesetzentwurf in verantwortungsvoller Weise gelungen. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und hoffe auf Ihr Verständnis. ({2})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Jochen-Konrad Fromme.

Jochen Konrad Fromme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003126, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Rexrodt, soweit Sie sich zu kulturellen Inhalten ausgesprochen haben, kann ich Ihnen weitgehend zustimmen. Deswegen kann ich es relativ kurz machen. Wir unterstützen diesen Gesetzentwurf, weil wir es begrüßen, dass die Mittel netto der Kultur zufließen und nicht in einem Haushalt oder sonst wo untergehen. Wenn wir uns gegen die Stiftung aussprechen, dann sprechen wir uns nicht gegen die Bundesbank aus, die diese Stiftung ja verwalten soll, sondern dagegen, dass zusätzliche Bürokratie - neue Apparate, Posten und Ähnliches - geschaffen wird. Wir sind der Meinung, dass das Thema Währung von Universitäten und anderen Institutionen von Amts wegen ausreichend begleitet wird, sodass es einer besonderen Stiftung nicht bedarf und die Mittel bei der Museumsinsel besser angelegt sind. ({0}) Ich würde mich freuen, wenn diese schöne Münze eine weite Verbreitung finden würde und wenn sich diese, sozusagen zum Abschied der D-Mark, weite Bevölkerungskreise leisten könnten. Allerdings - wenn wir schon über Geld sprechen -: Angesichts einer Inflationsrate von 2,8 Prozent habe ich doch erhebliche Zweifel, ob sich gerade die breite Bevölkerung daran beteiligen kann. Wir werden dem Entwurf zustimmen. ({1})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Die Reden werden immer kürzer. Jetzt spricht die Kollegin Dr. Antje Vollmer für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002391, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Rexrodt, die F.D.P. versucht den Eindruck zu erwecken, als tue der Bund nicht genügend für das Weltkulturerbe Museumsinsel. Diesem Eindruck muss ich mit allem Nachdruck widersprechen. Sie haben, so finde ich, überhaupt eine seltsame Begabung, meine Damen und Herren von der F.D.P., gerade die erfolgreichen Projekte der Bundesregierung mit einem eigenen Antrag begleiten zu wollen. ({0}) Dasselbe werden wir beim Stiftungsrecht erleben; dazu kommen wir ja demnächst. Ich bestehe aber darauf: Es war die Bundesregierung, die die Bedeutung der Museumsinsel als kultureller Schatz anerkannt und diese nicht nur materiell gefördert hat, sondern auch ihre gesamte Bedeutung ins öffentliche Bewusstsein gehoben hat. Ich verweise darauf, dass es der Kanzler persönlich ist, der dies zu einem seiner Lieblingsprojekte erklärt hat. ({1}) Über den Wert und den Rang dieses Unternehmens müssen wir uns also nicht streiten. Ganz im Gegenteil: Was auf der Museumsinsel gebaut werden wird, ist ein einziger Traum. Sie kann konkurrieren mit allem, was es an großen Museen in der Welt gibt. Sogar der Leiter des Louvre hat gesagt, das werde bedeutender sein als das, was man in Paris hat. Um ein solch großartiges Projekt geht es. ({2}) - Hören Sie doch bitte einmal zu. Ich bin froh - trotz mancher ironischer Bemerkung -, dass das Thema heute auf der Tagesordnung steht. Denn ich glaube, dass dieses Projekt derzeit in der Tat - allerdings anders, als Sie das meinen - an einem ganz entscheidenden Punkt angelangt ist. Auch ich habe mit dem Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz gesprochen und auch ich weiß, dass es in der nächsten Woche zu einer hochdramatischen Situation kommen kann: Der Masterplan, der von allen Verantwortlichen bisher exakt eingehalten worden ist - sowohl in Bezug auf den Zeitrahmen als auch in Bezug auf den finanziellen Rahmen -, ist gefährdet, und zwar deswegen, weil das Land Berlin die 55 Millionen DM für die Jahre 2000 und 2001, deren Bereitstellung es bis zum nächsten Jahr zugesagt hat, offensichtlich nicht zahlen kann. Was steckt dahinter? Das Land Berlin hat 25 Millionen DM und 30 Millionen DM aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung beantragt. Diese Gelder werden aber erst in den Jahren 2003 bis 2005 abfließen. Nun haben wir mit der Berliner Finanzverwaltung leidige Erfahrungen gemacht. Da könnte ich manches Klagelied anstimmen. Aber in diesem Fall liegt eine Verpflichtungsermächtigung vor, und zwar basierend auf Beschlüssen des Hauptausschusses vom 14. März und 4. April dieses Jahres. Somit geht es nur darum, dass der Bund in Vorleistung tritt und sich die Berliner verpflichten, das Geld umgehend zurückzuzahlen, sobald die Mittel aus dem europäischen Fonds da sind, und dann, wenn diese Mittel nicht kommen sollten - das ist der entscheidende Punkt -, diesen Betrag aus anderen Ressourcen zu bezahlen. Es gibt also eine doppelte Verpflichtungsermächtigung des Landes Berlin. Das ist anders als in anderen Fällen. Angesichts dieser aktuellen Situation bin auch ich dafür, den Bundesfinanzminister ausdrücklich seitens dieses Hauses und aller Kulturpolitiker aufzufordern, dafür einzutreten, dass der Bund diese Mittel vorschießt, für deren Rückerstattung er eine Verpflichtungsermächtigung hat. Was sonst droht, ist tatsächlich dramatisch: Wenn das Büro des Architekten in der nächsten Woche aufgelöst werden sollte, drohen ein Planungsverlust von anderthalb Jahren sowie mögliche Regressforderungen. Das will sicherlich niemand in diesem Hause. Weil wir so auf diese Situation, den Ernst der Lage hinweisen und einen ausdrücklichen Appell an den Finanzminister aussenden konnten, sich in diesem Fall zu bewegen, bin ich für Ihren Antrag dankbar, obwohl ich ihn vom Grundsatz her für nicht relevant halte. Aber ich bin dankbar dafür, dass wir auf diese Weise heute die Gelegenheit hatten, darüber zu diskutieren. Meine Fraktion, die Kulturpolitiker und alle, denen etwas am Schicksal dieser Museumsinsel liegt, unterstützen das ausdrücklich. Dieses Projekt ist sehr bedeutsam. Es darf auf gar keinen Fall scheitern. ({3})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Der letzte Redner in dieser Debatte ist der Kollege Dr. Uwe-Jens Rössel für die PDS-Fraktion.

Dr. Uwe Jens Rössel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002764, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Tat ist die Museumsinsel in Berlin-Mitte ein Architekturensemble von Weltgeltung und ein Touristenmagnet. Sie gehört zum UNESCOWeltkulturerbe. Das ist bereits mehrfach angesprochen worden. Daher ist ein dauerhaft anhaltendes Engagement der öffentlichen Hand - in diesem Fall des Bundes sowie des Landes Berlin - für die Sanierung und Herrichtung dieser herausragenden Stätte von Kunst und Architektur unter dem Dach der Stiftung Preußischer Kulturbesitz unabdingbar. Anspruch und Wirklichkeit allerdings stimmen - das ist von der Kollegin Vollmer gesagt worden - hier nicht überein. Die Gründe für den drohenden Baustopp sind genannt worden. Ich halte den Vorschlag, den die Kollegin Vollmer unterbreitet hat - wonach der Bund zur Überbrückung der zeitweiligen Finanzierungslücke des Landes Berlin in Vorleistung tritt - für richtig und unterstütze ihn. Dabei müssen wir davon ausgehen, dass das Land Berlin durch das Engagement des Bundes für bundespolitisch wichtige Kulturvorhaben in der Bundeshauptstadt bereits eine ganze Reihe von Entlastungen erfahren hat. Der Bundesfinanzminister ist von den Berichterstattern im Haushaltsausschuss aufgefordert worden, einen derartigen Vorschlag zu unterstützen. Er hat eine Prüfung zugesagt. Was den Gesetzentwurf der F.D.P.-Fraktion, den Kollege Dr. Rexrodt zusammen mit anderen Kolleginnen und Kollegen seiner Fraktion eingebracht hat, betrifft, möchte ich sagen, dass ich ihn für sehr lobenswert halte. Er hat in vielen Punkten unsere Unterstützung verdient. In der Tat könnte durch weitere Mittel aus der Stiftung „Geld und Währung“, die aus dem Verkauf von 1-DM-Goldmünzen stammen, eine zusätzliche Finanzierungsquelle für die Sanierung und Herrichtung der Berliner Museumsinsel mobilisiert werden. Ich sage ausdrücklich „zusätzliche Finanzierungsquelle“, weil uns daran gelegen sein muss, dass sich die öffentlichen Hände, der Bund und das Land Berlin, langfristig und auch über zeitweilige Finanzierungsprobleme hinweg engagieren. Ich bin der Auffassung, dass eine weitere Aufstockung der Leistungen des Bundes im Rahmen des Einzelplanes 04/05 - Kultur und Medien - durchaus angebracht wäre. Deshalb sagen wir, dass die Mittel, die die Stiftung „Geld und Währung“ für finanzwissenschaftliche Untersuchungen einsetzen will, dort nicht gut angelegt wären, ({0}) auch ein bisschen Verschwendung wären. Sie werden dem Euro-Kurs - ich sage das etwas sarkastisch - auch nicht auf die Beine helfen. Es gibt genügend andere Quellen, woraus diese finanzwissenschaftlichen Studien finanziert werden können. Die Bundesbank hat hier ein gerüttelt Maß an Verantwortung. Deswegen ist es richtig, den Antrag der F.D.P.-Fraktion zu unterstützen und die zusätzlichen Mittel für dieses Projekt der Berliner Museumsinsel einzusetzen, aber zugleich darauf hinzuweisen, dass wir die öffentlichen Hände dauerhaft nicht aus ihrer Verantwortung entlassen dürfen. Vielen Dank. ({1})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 14/5274 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Sie sind damit einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21, der zugleich der letzte ist, auf: Erste Beratung des von den Abgeordneten Eva Bulling-Schröter, Kersten Naumann, Rosel Neuhäuser, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des Naturschutzes und der Landschaftspflege - Drucksache 14/5766 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({0}) Sportausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Verteidigungsausschuss Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Ausschuss für Tourismus Haushaltsausschuss Ich eröffne die Aussprache. Erste Rednerin ist für die PDS-Fraktion die Kollegin Eva Bulling-Schröter.

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit 1950 verlor die Bundesrepublik rund 60 Prozent ihrer Feuchtgebiete. In einigen Bundesländern wie Nordrhein-Westfalen gingen 80 Prozent der Kleingewässer verloren. Die norddeutschen Moore wurden auf die Hälfte reduziert. Als Konsequenz dieser Entwicklung stehen heute, je nach Artengruppen, 30 bis 70 Prozent aller Tier- und Pflanzenarten auf der Roten Liste. Für diese Entwicklung wird an erster Stelle die Intensivierung der Landwirtschaft, insbesondere die Ausräumung, die Bodenerosion und die seit 1996 wieder steigenden Düngerund Pestizidfrachten, verantwortlich gemacht. Danach folgen der Flächendruck durch Verkehr, Gewerbe und Siedlung sowie die Schadstofffrachten über den Luftpfad. Das nicht mehr den Anforderungen einer modernen Naturschutzpolitik genügende Bundesnaturschutzgesetz ist nunmehr 25 Jahre alt. Umfassende Novellierungen scheiterten stets am Widerstand der Bundesländer oder der Wirtschaft. Nunmehr hat das BMU Anfang Februar den Referentenentwurf eines neuen Bundesnaturschutzgesetzes vorgelegt. Wir meinen, dieser Entwurf enthält manch Gutes, drückt sich aber um die Kernfragen wie beispielsweise das Verhältnis zur Landwirtschaft herum. Deshalb hat die PDS einen eigenen Gesetzentwurf erarbeitet. Im Gegensatz zum Referentenentwurf des BMU ist in ihm vor allem das Verhältnis zur Landwirtschaft verbindlicher und sowohl für die Landwirte als auch für die Naturschutzbehörden vollziehbarer gestaltet worden. Die Rechte der Bürgerinnen und Bürger sowie der Verbände werden deutlich gestärkt. ({0}) Das geltende Naturschutzgesetz zielt ausschließlich auf den Schutz der Natur zum Erhalt der Lebensgrundlagen des Menschen ab. Das Ziel ist, die Leistungsfähigkeit des Naturhaushaltes zu erhalten. Die neue Zielbestimmung in unserem Gesetzentwurf sieht dagegen auch den Erhalt der Natur um ihrer selbst willen vor und stellt deshalb auf die Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts ab. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Abwägung der Naturschutzbelange mit den verschiedenen Formen der Naturnutzung - seien es Landwirtschaft, sei es Forst, Verkehr oder Besiedelung - durchzieht unseren Gesetzentwurf wie ein roter Faden. ({1}) Die PDS definiert klar die Betreiberpflichten für die Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft, die so genannte gute fachliche Praxis. Die diesbezüglichen Formulierungen im Referentenentwurf sind dagegen nicht ausreichend, weil die Betreiberpflichten dort wieder zu allgemein formuliert werden. Eine klare Definition der Betreiberpflichten ist aber zwingend für eine verlässliche und umsetzbare Grenzziehung zwischen unentgeltlich einzufordernder Rücksichtnahme der Landnutzer auf die natürliche Umwelt und entgeltwürdigen ökologischen Leistungen. Sie nutzt damit Landwirten genauso wie dem Naturschutz. Bei Eingriffen in Natur und Landschaft, beispielsweise durch Baumaßnahmen, sind nach dem PDS-Entwurf die Belange des Naturschutzes deutlich stärker zu berücksichtigen. Wir fordern bei Eingriffen eine Einvernehmensregelung mit den Naturschutzbehörden, um die bisherige Entwicklung zu korrigieren. Die PDS sieht vor, 15 Prozent aller Landesflächen einem Biotopverbundsystem zur Verfügung und unter entsprechenden Schutz zu stellen. ({2}) Eine Flächenvorgabe von mindestens 10 Prozent der Landesfläche ist für die Länder im PDS-Entwurf verbindlich. Der Bund soll aber über geeignete Instrumente dafür sorgen, dass künftig ein Gesamtanteil von insgesamt mindestens 15 Prozent aller Landesflächen dem Biotopverbundsystem der Bundesrepublik zur Verfügung stehen. Dabei soll ein geeigneter finanzieller Ausgleich zwischen Bundesländern organisiert werden, so zwischen Ländern, die aufgrund ihrer überdurchschnittlichen Naturausstattung große Aufwendungen für den Naturschutz bzw. Nutzungsbeschränkungen haben, und Ländern, die nur den genannten Mindestanteil ausweisen können. Ökologisch bedeutsame Flächen sind bei uns, soweit sie Eigentum des Bundes, der Länder, der Gemeinden und sonstiger Gebietskörperschaften sind, im Grundsatz von Privatisierungen ausgeschlossen. ({3}) Der PDS-Entwurf enthält eine Verpflichtung zur flächendeckenden Landschaftsplanung. Bislang stand diese unter dem Vorbehalt der Erforderlichkeit. Gerade bei der Ausweisung der FFH-Gebiete hat sich aber gezeigt, dass die Bundesländer oft nicht in der Lage sind, korrekte Angaben zu ihrem natürlichen Inventar und deren Vernetzung zu machen. Wir sehen da übrigens auch ein Potenzial für hoch qualifizierte und attraktive Arbeitsplätze. Unser Entwurf schlägt weiterhin eine Novellierung der Verwaltungsgerichtsordnung vor. Es sollen zum einen eine Verbandsklage auf Bundesebene eingeführt und zum anderen die bestehenden Rechtschutzmöglichkeiten der Bürger ausgedehnt werden. ({4}) Bisher können Vorhaben unter Regie des Bundes lediglich von direkt in ihren Rechten Betroffenen, aber nicht von Verbänden als „Interessenvertreter der natürlichen Umwelt“ beklagt werden. Das muss sich ändern. Wir erleichtern mit unserem Entwurf weiterhin den Ablauf des Handels mit Wildtieren in Verwaltung und Vollzug, und zwar durch eine Positivliste. Ab 2003 sollen Einfuhren nur noch von überprüften Arten genehmigt werden. Die Nachweispflicht der Unbedenklichkeit liegt damit nicht länger aufseiten des Artenschutzes, sondern aufseiten des Handels. Herr Trittin hat nun eine Vorlage im Parlament. Der Referentenentwurf seines Hauses muss sich - falls er nicht wieder einmal beerdigt wird - an unserem Entwurf messen lassen. Wir hoffen deshalb, dass sich bezüglich des BMU-Entwurfs noch etwas bewegt. Die Umweltverbände werden dies sicher sorgfältig beobachten. Zum Schluss: Vielen Dank für die „große“ Beteiligung. ({5})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Ich schließe die Aussprache, da die Kolleginnen und Kollegen Christel Deichmann, Franz Obermeier, Sylvia Voß und Marita Sehn ihre Reden zu Protokoll gegeben haben.1) ({0}) Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent- wurfs auf Drucksache 14/5766 an die in der Tagesordnung 1) Anlage 2 aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 16. Mai 2001, 13 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.