Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kennzeichen des deutschen Staatswesens - in Europa ist das
eher eine Seltenheit - ist der föderale Staatsaufbau. Der
Föderalismus ist durch die deutsche Geschichte begründet. Positiv gewendet: Das Vorhandensein der vielen kleinen deutschen Staaten, die später den Deutschen Bund geschlossen haben, hat dazu geführt, dass wir in
Deutschland - anders als in vielen anderen Ländern - über
das ganze Land eine gute Verteilung der Lebenschancen
und auch eine sehr ausgeprägte Vielfalt, zum Beispiel in
der Kulturlandschaft, haben. Ein Staatsaufbau dieser Art
kann bei der Beantwortung der Frage helfen - ich denke,
davon sind wir alle überzeugt -, wie wir das künftige Europa gestalten.
Grundlage für den Föderalismus ist Solidarität, das
Einstehen der Länder füreinander, das Einstehen der stärkeren für die schwächeren, das Einstehen des Bundes für
die Länder und das Einstehen der Länder für den Bund.
Auf dieser Basis, also auf der Basis von Solidarität, können sich ganz unterschiedliche politische Systeme und
unterschiedliche politische Ergebnisse im Wettbewerb
entwickeln. Ich glaube übrigens, dass das jenseits des
- wie ich finde, zugespitzten - Streites über Solidarität
oder Wettbewerbsföderalismus in Wahrheit die Grundlage unseres Staatswesens ist; denn im Ernst kann niemand das Prinzip des Einstehens der Stärkeren für die
Schwächeren infrage stellen. Dieses Prinzip ist auch ein
Fundament des Grundgesetzes.
({0})
Auf der anderen Seite gilt - auch dieser Satz ist alt -:
Beim Geld hört die Gemütlichkeit auf.
({1})
Das trifft natürlich auch für den Finanzausgleich zu.
Kaum gab es einen einvernehmlich - alle 16 im Bundesrat vertretenen Länder und der Bundestag haben zugestimmt - verabschiedeten Finanzausgleich, schon gab es
drei Klagen. Sie wissen, dass ich als damaliger hessischer
Ministerpräsident daran beteiligt war. Für mich nehme ich
in Anspruch, darauf hinzuweisen, dass ich als Letzter der
drei geklagt habe.
({2})
Der Hintergrund war folgender: Zwei Länder waren
vorausmarschiert; eines, Baden-Württemberg, war, wie
Hessen, von Anfang an Zahlerland. Das andere Land,
Bayern, hatte 40 Jahre lang mehr genommen als gegeben.
Kaum dass dieses Land gemerkt hatte - 1993 hatte Bayern es noch nicht erkannt -, dass es Zahlerland wird, hat
es geklagt.
So sind wir nicht davor gefeit - das sage ich am Anfang
für das mögliche Ende der Debatte voraus -, dass selbst
eine einvernehmliche Verabschiedung mit allen 16 Ländern und im Deutschen Bundestag nicht doch rasch wieder zu einer neuen Klage führt. Ich sage dies, obwohl ich
mir ein solches Ergebnis nicht wünsche.
({3})
Nun zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts: Das
Urteil des Bundesverfassungsgerichts - deswegen stehen
wir heute hier und beraten über die erste Stufe - beinhaltet nicht sehr genaue Vorgaben, aber eine Fülle von Fragen in Bezug auf den jetzigen Finanzausgleich. Das Bundesverfassungsgericht hat uns aufgegeben, in einem
zweistufigen Verfahren den Finanzausgleich neu zu regeln. Stufe 1 ist ein Maßstäbegesetz, in dem allgemeine
Maßstäbe für den Ausgleich und die Zuweisung der Finanzen auf der Basis der Finanzverfassung des Grundgesetzes entwickelt werden, und auf der Basis dieser allgemeinen Maßstäbe soll dann als Stufe 2 ein konkretes
Finanzausgleichsgesetz folgen.
Ich weiß, dass allein diese Formulierung des Bundesverfassungsgerichts bereits umstritten ist, weil sie eine
Nachrangigkeit und eine Vorrangigkeit bei einfachen Gesetzen konstituiert. Wir haben eine ähnliche Situation bereits beim Haushaltsgrundsätzegesetz und den darauf aufbauenden Gesetzen. Allerdings kann jedes einfache
Gesetz auch das Haushaltsgrundsätzegesetz ändern.
Diese Situation aber, die Vorrangigkeit des Maßstäbegesetzes zeitlich wie inhaltlich und die Nachrangigkeit
des Finanzausgleichsgesetzes zeitlich wie inhaltlich, führt
zu nicht unbeträchtlichen Problemen bei der Lösung dieser Aufgabe. In der Tat gibt es, um genau zu sein, eine
Menge Probleme. Auf Länderseite wird - ich sage das
Präsident Wolfgang Thierse
ohne jeden kritischen Unterton - die Position vertreten:
Wir sind nicht bereit und willens, über das Maßstäbegesetz zu reden, wenn wir nicht wissen, was beim Finanzausgleichsgesetz herauskommt. Oder um einen Schritt
weiter zu gehen: Bei dem Entwurf des Bundesrates zum
Maßstäbegesetz, der sich auch in seiner Stellungnahme
befindet, die ja in Wirklichkeit die Vielfalt, aber auch die
Gegensätzlichkeit der Meinungen der Länder, darstellt,
handelt es sich nach meiner Überzeugung fast schon mehr
um ein Finanzausgleichsgesetz denn um ein Maßstäbegesetz, weil viele Einzelregelungen enthalten sind, die nach
meiner Überzeugung in ein Maßstäbegesetz, wie es das
Verfassungsgericht verlangt hat, eigentlich eher nicht
hineingehören.
Dem Entwurf des Maßstäbegesetzes, den wir heute
hier beraten und den die Bundesregierung vorlegen
musste, um dem Urteil des Verfassungsgerichts über die
zeitliche Abfolge und die inhaltliche Abfolge zu genügen,
liegt natürlich die Überzeugung zugrunde, dass wir damit
die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts umsetzen.
Dabei gibt es vier Leitlinien:
Erstens. Es muss sich um langfristig haltbare Maßstäbe
handeln.
Zweitens. Es muss eine Vereinfachung und mehr
Transparenz im System geben; das heißt, es ist eine Reihe
von Sonderbedarfen in die allgemeine Ausgleichsmasse
einzubauen.
Drittens. Es geht um eine Verstärkung des Eigenbehalts
der Länder, damit sie ihre eigenen Finanzquellen stärker
pflegen.
Viertens. Erforderlich sind die Solidarität der Länder
untereinander, die Solidarität der Länder mit dem Bund
und die Solidarität des Bundes mit den Ländern, und dies
unter besonderer Berücksichtigung - darauf ist im Maßstäbegesetz hingewiesen - der neuen Bundesländer, die
aufgrund der teilungsbedingten Sonderlasten noch für
lange Zeit eine besondere Solidarität der Gesamtheit der
Länder und des Bundes benötigen.
Nun will ich kurz einige Einzelregelungen ansprechen.
Ich freue mich darüber, dass es hier im Plenum des Bundestages auch eine Diskussion mit den Ländervertretern
gibt, weil wir unsere Argumente prüfen müssen. Einzelne
besonders umstrittene Positionen will ich hier deutlich
machen, auch meine Position dazu.
Der erste Punkt ist die vertikale Umsatzsteuerverteilung. Es erstaunt nicht, dass in diesem Punkt - es ist fast
der einzige - alle Länder einig sind gegen den Bund. Aber
auch an diesem Punkt muss ich auf die Bundesposition
hinweisen. Hier - und das ist das besondere Thema des
Familienleistungsausgleichs - kommen die Länder zu
der Auffassung, es gebe zwei Regelkreise: einen Regelkreis Familienleistungsausgleich und einen anderen Regelkreis allgemeine Deckungsquotenberechnung mit dem
daraus folgenden Ausgleich. Diese Position - das sage ich
jetzt an die Vertreter der Länder - kann ich nicht nachvollziehen. Diese Position könnte ich nur dann logisch
nachvollziehen, wenn dem Regelkreis Familienleistungsausgleich - die Aufteilung ist im Grundgesetz festgelegt;
der Bund trägt 76 Prozent und die Länder tragen 24 Prozent - nicht nur Ausgaben, sondern auch eigene Einnahmen zugeordnet wären. In diesem Fall könnte der Familienleistungsausgleich von der allgemeinen Deckungsquotenberechnung isoliert werden.
Da aber die Ausgaben in diesem Regelkreis aus den allgemeinen Deckungsmitteln finanziert werden, müssen sie
selbstverständlich auch in die allgemeine Deckungsquotenberechnung eingehen. Ich sage mit allem Nachdruck:
Diese Position ist für mich sehr fest. Es ergäben sich nämlich Konsequenzen, wenn wir willkürlich zu- und abrechnen würden, was wir dem allgemeinen Deckungsquotenausgleich zuordnen bzw. nicht zuordnen.
Deswegen sage ich an dieser Stelle, dass es eine ganz
klare Position der Bundesregierung gibt. Auch wenn man
von der Aufteilung in 76 Prozent für den Bund und 24
Prozent für die Länder ausgeht: Der Familienleistungsausgleich ist Bestandteil der allgemeinen Deckungsquotenberechnung.
({4})
Zweiter Punkt. Wir definieren die dem Ausgleich zugrunde liegenden Einnahmen umfassend. Damit komme
ich zu einem streitigen Punkt unter den Ländern, nämlich
zu der Frage, in welchem Umfang die kommunalen
Einnahmen dem Ausgleich zugrunde gelegt werden. Bisher beträgt der Umfang 50 Prozent. Ich kenne die Länderpositionen in diesem Zusammenhang; ich selbst habe
sie schon vertreten.
Ich habe aber den Eindruck - das ist positiv -, dass wir
der allgemeinen Einbeziehung ein wenig näher kommen.
Im Maßstäbegesetz wird festgelegt, dass alle Ausgaben,
die ausgleichsrelevant sind, zu 100 Prozent eingerechnet
werden müssen. Es ist eine aus meiner Sicht rein interessengeleitete Position - es ist weniger eine verfassungsrechtliche Frage; das akzeptiere ich -, wenn man die Basis wie im Steuerrecht künstlich schmal macht und auf
dieser künstlich schmal gemachten Basis die Ausgleichsvolumina, die Ausgleichssätze und die Ausgleichstarife
aufbaut. Im Steuerrecht wollten wir den umgekehrten
Weg gehen. Mit Blick auf gestern sage ich allerdings, dass
dies in der Konsequenz nicht dazu führen darf, dass die
Krankenschwestern für die Chefärzte hinterher die Steuersenkung bezahlen müssen. Das wollten wir nicht.
({5})
- Wir werden noch darüber diskutieren; wir müssen immer die sozialen Konsequenzen im Blick behalten.
Diese Frage müssen sich die Länder untereinander stellen. Wenn die Basis der Ausgleichsleistung künstlich
schmal gemacht wird, hat das natürlich für die Länder
Konsequenzen, in denen diese Basis von vornherein
schmal ist, weil sie finanzschwächer sind. In diesem
Punkt liegt der Grund für den Streit der Länder untereinander.
Dritter Punkt: die Ausgleichshöhe. Die Ministerpräsidentenkonferenz hat sich einvernehmlich darauf verständigt, das Thema Länderneugliederung nicht als Gegenstand dieser Debatte zu betrachten. Vielmehr soll die
Existenzfähigkeit aller 16 Länder die Grundlage für die
weiteren Betrachtungen bilden. Diese Position schließt
künftige Länderneugliederungen - ich denke an die erneuten Bestrebungen, Berlin und Brandenburg zusammenzuschließen - nicht aus. Bei den Regelungen zum Finanzausgleich muss berücksichtigt werden, dass es
keinen Sinn macht, einen Finanzausgleich zu konstruieren, der die Existenzfähigkeit einzelner Länder finanziell infrage stellt.
Damit sind wir bei der Frage: Was sind die abstrakten
Mehrbedarfe der Stadtstaaten? Im Maßstäbegesetz
werden die abstrakten Mehrbedarfe der Stadtstaaten
ausdrücklich anerkannt. Ich glaube zwar, dass die
Einzelformulierung - anders als in dem Entwurf der elf
Länder -, wie hoch die Mehrbedarfe sein dürfen, ins Finanzausgleichsgesetz gehört. Ich habe aber inhaltlich mit
dem, was in dem Entwurf der elf Länder steht, kein Problem. Ich sage nur: Dieser Punkt gehört ins Finanzausgleichsgesetz und nicht ins Maßstäbegesetz.
Ich weise ferner darauf hin, dass wir im Maßstäbegesetz ausdrücklich abstrakte Mehrbedarfe besonders dünn
besiedelter Länder anerkannt haben. Ich weiß, dass insbesondere die ostdeutschen Länder Probleme haben, weil
sie aufgrund der dünnen Besiedelung zusätzliche Kosten
haben. Ich finde, dieses Problem muss berücksichtigt
werden.
Es muss schließlich klar sein - Stichwort horizontaler
Finanzausgleich -, dass keine Veränderung der Finanzkraftreihenfolge durch den Ausgleich entstehen darf. Eine
andere Frage ergibt sich aus dem Sonderbedarf aufgrund
teilungsbedingter Lasten. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf den Solidarpakt II. Hier werden wir nur
durch zusätzliche Leistungen, die dann auch die Finanzkraftreihenfolge zeitlich befristet verändern, die Chance
eröffnen, dass die ostdeutschen Länder an das Niveau der
westdeutschen anschließen. Ich denke aber, auch darüber
kann unter uns kein Streit sein.
Eine Bemerkung zum Verhältnis von Länderfinanzausgleich und bundesstaatlichen Leistungen dabei. Ehe ich
sozusagen zu der politischen Betrachtung komme, weise
ich auf das Verfassungsgerichtsurteil hin, das in diesem
Punkte klar macht, dass im Verhältnis zum Gesamtumfang des Finanzausgleichs die Bundesergänzungszuweisungen nicht beträchtlich sein dürfen und dass an sie hohe
Begründungsanforderungen gestellt werden. Politisch gesehen erkläre ich hier ausdrücklich, dass der Bund daraus
trotzdem - jedenfalls für die Übergangsphase - nicht ableitet, dass er im Finanzausgleich ein Gewinner sein will.
Ich sage das ausdrücklich, weil das vielleicht ein bisschen
hilft, die Einigung, die über den Finanzausgleich stattfinden muss, zu erleichtern. Aber ich weise auch auf das Urteil in diesem Zusammenhang hin.
Meine Damen und Herren, nicht im Maßstäbegesetz
enthalten, weil es dort nicht hineingehört, aber wohl enthalten in unseren Regelungsvorschlägen ist der Fonds
Deutsche Einheit. Das Bundesverfassungsgericht macht
in seinem Urteil ausdrücklich klar, dass hier eine Neuregelung erforderlich ist. Wir schlagen deswegen vor, dass
der Fonds Deutsche Einheit insgesamt vom Bund übernommen wird und dass für Zins- und Tilgungsleistungen
die Länder dem Bund Umsatzsteueranteile in der Höhe, in
der Zins und Tilgung zu erbringen sind, abtreten.
Ich will dabei auch sagen, dass der Bund unter Umständen bereit ist, im Blick auf die Einigungsfähigkeit im
Gesamtkonzept über die Frage zu verhandeln, in welcher
Höhe das genau passiert. Das aber heißt, dass zumindest
für eine Übergangszeit der Bund sogar bereit ist, bei Einbeziehung des Fonds Deutsche Einheit durch Verzicht auf
einen Teil der Zins- und Tilgungsleistungen den Ländern
noch entgegenzukommen und damit die Einigung der
Länder möglich zu machen. Wir haben das mit 1 bis maximal 1,5 Milliarden DM beziffert.
Ich weise aber auch darauf hin, dass der Bund, um die
Einigung möglich zu machen, 1993 mit Wirkung von
1995 zur Vorabauffüllung für die ostdeutschen Länder
7 Umsatzsteuerpunkte zur Verfügung gestellt hat und dass
die Mechanik im Finanzausgleich zwischen Bund und
Ländern, die dazu geführt hat, dass beim Einstieg 1970
der Anteil des Bundes an der Umsatzsteuer 70 Prozent betrug und der der Länder 30 und dass der Anteil des Bundes inzwischen auf knapp unter 50 gefallen ist, so nicht
weitergehen kann,
({6})
weil das zu einer nachhaltigen Schieflage im gesamtstaatlichen Gefüge führt und nur dann, wenn alle Ebenen
- Bund, Länder und Gemeinden - leistungsfähig sind, die
föderale Ordnung wirklich funktionieren kann.
Bei dieser Gelegenheit will ich auf einen weiteren
Punkt im Maßstäbegesetz aufmerksam machen, der mir
sehr wichtig ist; das ist die Regelung zum nationalen
Stabilitätspakt. Wir alle wissen, dass schon mein Vorvorgänger, Herr Kollege Waigel, intensive Versuche unternommen hat, den Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt in die innerdeutsche Situation einzupflanzen,
wobei wir übrigens auch vonseiten der Europäischen
Union ziemlichem Druck unterliegen, hier zu Lösungen
zu kommen. Wir wissen alle, dass es keine Lösungsmöglichkeit gegeben hat, und zwar im Wesentlichen deswegen nicht, weil nicht klargemacht werden konnte
- was ich auch für eine relativ unsinnige Debatte halte -,
wie viel denn der Einzelne über die Stränge schlagen darf
und, wenn er über die Stränge schlägt, wer die Veranstaltung bezahlt.
Der Vorschlag, den wir hier machen, ist, glaube ich, der
günstigste Ausweg aus der gesamten Situation, dass wir
uns nämlich gemeinsam - mein Eindruck war, dass das
bei den Ländern nicht anders gesehen wird - zu einer Politik verpflichten, die aus der Schuldenfalle herausführt.
({7})
Ich weiß wohl, dass die Länder zu unterschiedlichen
Zeitpunkten das Ziel erreichen können. Aber ich glaube
auch nicht, dass dies das Wichtigste ist. Wenn wir uns über
das Prinzip einig sind, dann können wir uns, denke ich,
auch über den Zeitablauf einigen, dann können wir uns
diese abstrakt-theoretische und wegen der gedachten Auswirkungen hinterher nicht einigungsfähige Debatte über
die Frage, wer wie über die Stränge schlagen darf und wer
das hinterher bezahlt, ersparen. Deswegen hänge ich an
dem Vorschlag, den ich dazu gemacht habe. Wir haben im
Finanzministerium lange darüber nachgedacht und sind
zu keiner anderen konstruktiven Lösung dieses Problems
gekommen. Deswegen bin ich ein bisschen konsterniert
über die Ablehnung, die diese Regelung in der ersten
Runde durch die Länder erfahren hat. Ich möchte dringend darum bitten, entweder einen eigenen Lösungsvorschlag für dieses Problem zu unterbreiten oder, weil ich
nicht glaube, dass dies geht, darüber nachzudenken, ob
unser Lösungsvorschlag nicht für alle Beteiligten einen
sehr vernünftigen Weg darstellt.
Meine Damen und Herren, ich komme schließlich und
endlich zum politischen Zeitablauf: Das Bundesverfassungsgericht geht von einem zeitlichen und inhaltlichen
Nacheinander von Maßstäbegesetz, Finanzausgleichsgesetz und - ich sage das ausdrücklich, weil es politisch und
fachlich miteinander verbunden ist - Solidarpakt II aus.
So gesehen ist es theoretisch in Bezug auf die Zeitabläufe,
die das Verfassungsgericht im Urteil genannt hat, vorstellbar, in dieser Wahlperiode das Maßstäbegesetz und in
der nächsten Wahlperiode, wenn wir uns der Jahreswende
2004/2005 nähern, zu der die Neuregelungen in Kraft treten müssen, den Solidarpakt II und den Finanzausgleich
umzusetzen. Auf politischer Ebene ist aufgrund der Forderung der Länder eine andere Verabredung getroffen
worden. Die Bundesregierung steht zu dieser Verabredung, nämlich in dieser Wahlperiode sowohl das Maßstäbegesetz als auch den Solidarpakt II und den Finanzausgleich zu verabschieden.
Wir werden aber in erhebliche Zeitnot geraten, wenn
wir jetzt nicht anfangen, uns um eine Einigung zu
bemühen. Deswegen sage ich mit Nachdruck: Meine
herzliche Bitte an die Länder ist, jetzt einen Weg zu einer
Einigung zu finden, ohne dabei das Prinzip Keine
Gewinner - keine Verlierer zu vernachlässigen und das
Verhältnis der Länder untereinander bzw. zwischen dem
Bund und den Ländern zu verschlechtern. Dies ist eine
wesentliche Voraussetzung dafür, dass es zwischen Bund
und Ländern zu einer Einigung kommt.
({8})
Meine Zielsetzung ist es - trotz der am Anfang gemachten skeptischen Vorbemerkungen -, wenn es irgendwie
möglich ist, zu einem Einvernehmen zwischen allen Ländern untereinander und zwischen den Ländern und dem
Bund zu kommen. Ich hoffe, dass dieses dann länger hält
als beim letzten Mal.
Ich weise darauf hin, dass der Bund trotz seiner besonders schwierigen Haushaltslage - es gibt keine Gebietskörperschaft, die vergleichbar hohe Schulden hat wie der
Bund - alles daran setzt, um die Voraussetzungen für eine
Einigung zu schaffen. Wir sind bereit - ich habe das eben
schon erwähnt -, bei einer Neuregelung durch die Einbeziehung des Fonds Deutsche Einheit in das Ausgleichssystem für die Länder 1 bis 1,5 Milliarden DM zur Verfügung
zu stellen, was zur Wahrung des Prinzips Keine Gewinner - keine Verlierer unter den Ländern einen wesentlichen Beitrag leisten würde.
Ich sage bei dieser Gelegenheit allerdings auch - hierbei handelt es sich um eine Regelung im Maßstäbegesetz -, dass Haushaltsnotlagenprobleme, so wie es das
Verfassungsgericht in den Urteilen zur Haushaltsnotlage
von Bremen und dem Saarland festgelegt hat, künftig gemeinsam von Bund und Ländern gelöst werden müssen
und diese nicht - wie es diesmal geschehen ist - ausschließlich durch den Bund zu finanzieren sind.
Meine Damen und Herren, wenn wir in diesem Hause
- aber auch in den einzelnen Ländern - über die Frage diskutieren, ob man nicht im gleichen Zusammenhang über
eine Revitalisierung des föderalen Staatsaufbaus, also
über eine geringere Verklammerung von Entscheidungen
und mehr Eigenverantwortung der Länder und des Bundes, nachdenken soll, so sage ich, dass die Bundesregierung dazu bereit ist. Ich weise aber aus genauer Kenntnis
darauf hin, dass ich eine Mehrheit bei den Ländern für
eine Verfassungsänderung - und das wäre die Voraussetzung für eine Einigung - bisher nicht erkennen konnte,
weil sich zwar die finanzstarken Länder diesem Prinzip
verpflichtet fühlen, die finanzschwächeren Länder aber
sehr viel mehr auf die Ausgleichsmechanismen und gemeinsame Finanzierung setzen. Ich sage dies ohne jede
Kritik, weil es sich jeweils um Interessenwahrung handelt. Im Hintergrund steht aber immer die Forderung, über
die Frage zu reden, ob wir nicht zu einer Entflechtung der
Aufgabenbereiche und zu mehr Eigenverantwortung des
Bundes und der Länder kommen müssen; das halte ich für
eine wünschenswerte Zielsetzung.
Zum Schluss: Wir steigen heute hier im Bundestag in
diese Debatte ein. Im Bundesrat hat es dazu eine erste Debatte sowie eine Stellungnahme bereits gegeben. Zielsetzung des Bundes ist es, zu einem Einvernehmen zwischen
allen 16 Ländern untereinander sowie zwischen allen
16 Ländern und dem Bund zu kommen. Der Bund hat seinerseits deutlich gemacht, dass er bereit ist, trotz seiner
besonders angespannten Haushaltslage dazu einen Beitrag zu leisten.
Ich wäre sehr froh, wenn wir heute ein Stückchen über
den bisherigen Stellungskrieg hinauskommen könnten,
wenn wir erkennen könnten, dass wir jetzt auf dem Weg
sind, um dann rasch zu einem Ergebnis zu kommen, mit
der Zielsetzung, vor der Sommerpause politisch ein Ergebnis zum Maßstäbegesetz, zu den Grundregelungen des
Finanzausgleichs und des Solidarpaktes II zu erreichen,
damit wir dann in der Abfolge, wie es das Verfassungsgericht vorgesehen hat, das Maßstäbegesetz möglichst rasch
verabschieden können und danach auch die Gesetzgebungsarbeit für den Solidarpakt II und das Finanzausgleichsgesetz so gestalten können, dass wir, wie
politisch verabredet, in dieser Wahlperiode alles verabschieden können.
Ich bedanke mich herzlich für die Aufmerksamkeit.
({9})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Heinz Seiffert, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Eichel, mit dieser Rede sind Sie im Bundesrat mit 16 : 0 untergegangen.
({0})
Ich hoffe jetzt nur, dass wenigstens die Herren Finanzminister und Ministerpräsidenten frische Reden gegenüber
denen, die sie im Bundesrat gehalten haben, dabeihaben;
denn wir sind heute im Deutschen Bundestag.
({1})
Herr Minister Eichel, Sie haben heute einen Gesetzentwurf verteidigt, von dem Sie und fast alle anderen wissen, dass er so nie ins Gesetzblatt kommen wird. Außerdem verwundert, dass Sie in diesem Gesetzentwurf
Positionen vertreten, die Sie als hessischer Ministerpräsident noch heftig angegriffen und teilweise sogar für verfassungswidrig erklärt haben.
({2})
Dieser Entwurf ist auch kein Beitrag zu einer einvernehmlichen Lösung mit den 16 Ländern. Sie ignorieren
im Gegenteil die ernsthaften Bemühungen der Länder,
eine allseits akzeptable Lösung hinzubekommen, so
schwierig dies auch ist.
Es geht Ihnen vor allem darum - das wird bei der vertikalen Verteilung der Umsatzsteuer besonders deutlich
-, eine Position des Bundes aufzubauen, die Sie dann gegebenenfalls im Vermittlungsverfahren räumen können.
Sie schonen die Bundeskasse.
({3})
- Aber es ist kein Beitrag zu einer einvernehmlichen, fairen Lösung.
({4})
- Sie versuchen, die Bundesanteile an der Umsatzsteuer
zu erhöhen und Minderausgaben bei den Bundesergänzungszuweisungen durchzusetzen. Sie wollen die Uneinigkeit der Länder, die im Moment zweifellos noch vorherrscht, nutzen.
({5})
Aber weder die CDU/CSU-Bundestagsfraktion noch die
16 Länder werden Schmiere stehen, wenn sich der Bund
aus seiner gesamtstaatlichen Verantwortung stehlen will.
Das machen wir sicher nicht mit.
({6})
Das Bundesverfassungsgericht hat uns mit dem vorgeschriebenen zweistufigen Verfahren keine leichte Aufgabe gestellt. Es ist für das Parlament schlicht unmöglich,
jetzt sozusagen im Blindflug ein Maßstäbegesetz zu beraten, dessen finanzielle Folgen für den Bund und für die
Länder nicht konkret festgelegt werden können. Konkret
ist in dem Gesetzentwurf an und für sich nur ein Punkt,
nämlich die Einbeziehung der kommunalen Finanzkraft
zu 100 Prozent statt, wie bisher, zu 50 Prozent.
Unabhängig davon, ob dieses Ansinnen nun verfassungsgemäß ist oder nicht: Hier sind die finanziellen Folgen klar berechenbar. Das würde bedeuten, dass diejenigen Länder, die schon heute zahlen, künftig noch mehr
zahlen müssten. Wie aber die so genannte Verbreiterung
der Bemessungsgrundlage dann finanziell kompensiert
würde, bleibt nebulös.
Insofern ist es unverzichtbar, das Finanzausgleichsgesetz möglichst zeitnah zum Maßstäbegesetz vorzulegen.
Legen Sie doch die Proberechnungen auf den Tisch, die
im BMF vorliegen, Herr Minister Eichel! Nur wenn Sie
mit offenen Karten spielen, haben wir eine Chance, eine
einvernehmliche Lösung im Bundestag und im Bundesrat
hinzubekommen.
({7})
Nach Art. 107 Abs. 2 des Grundgesetzes ist sicherzustellen, dass die unterschiedliche Finanzkraft der Länder
angemessen ausgeglichen wird. Nun gehen natürlich
- vermutlich seit es diese Verpflichtung zum Finanzausgleich gibt - die Meinungen darüber auseinander, was angemessen ist. Die Sichtweise wird wahrscheinlich maßgeblich davon beeinflusst, ob man im Ausgleichssystem
Empfänger oder Zahler ist. Da ist es dann auch Wurscht,
welche parteipolitische Zugehörigkeit man hat. Entsprechend ergeben sich im Moment Zweckbündnisse oder
Kreise, die im normalen politischen Alltag ziemlich
ungewöhnlich wären.
({8})
Tatsache ist, dass der Finanzausgleich ganz unabhängig vom Urteil des Bundesverfassungsgerichts seit langem reformbedürftig ist. Das geltende System ist höchst
kompliziert, undurchschaubar, leistungsfeindlich und daher für Geber und Empfänger ungerecht.
Es ist absurd, wenn von 100 DM zusätzlich eingenommener Einkommensteuer in elf von 16 Landeskassen kein
Pfennig übrig bleibt. Vollends verrückt ist es doch, wenn
einzelne Empfängerländer bei 100 DM zusätzlicher eigener Steuereinnahme bis zu 116 DM weniger an Zuweisungen aus dem Finanzausgleich erhalten. Man wird also
bei eigenen Anstrengungen, bei Pflege der eigenen Steuerquellen bestraft. Das kann es nicht sein.
Ich will nicht dem Wettbewerbsföderalismus das Wort
reden. Dazu sind die strukturellen Verhältnisse in unserem
Land zu unterschiedlich. Tatsache ist, dass ein System wie
das, das wir jetzt haben, nicht den geringsten Anreiz für
eine zusätzliche wirtschaftliche Betätigung bietet. Die
von einigen Finanzwissenschaftlern vorgetragene Überlegung, dass das geltende Ausgleichssystem für das Steueraufkommen und das Wirtschaftswachstum nachteilig
ist, sollten wir ernst nehmen.
({9})
Es ist wahrscheinlich, dass neben der verfehlten Steuerpolitik dieser Regierung auch der leistungsfeindliche Finanzausgleich mit daran schuld ist, dass wir im EuroLand beim Wirtschaftswachstum das Schlusslicht bilden.
Hinsichtlich der verbesserten Anreizwirkung sind im Gesetzentwurf durchaus positive Ansätze erkennbar. Wie sie
allerdings konkret umgesetzt werden sollen, ist unklar.
Das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber
Folgendes aufgegeben: Künftig soll es ein praktikables
Ausgleichssystem mit ökonomisch rationalen Regelungen geben. Eine Übernivellierung muss ausgeschlossen
sein und die Finanzkraftreihenfolge der Länder darf auch
nach dem Ausgleich nicht auf den Kopf gestellt werden.
Schließlich sollen Einzelelemente nachhaltig auf ihre
Notwendigkeit und Rationalität hinterfragt werden. Zur
Umsetzung dieser Vorgaben werden noch kräftige Anstrengungen notwendig sein.
Dieses Gesetzgebungsverfahren wird - so finde ich eine Bewährungsprobe für den Föderalismus in Deutschland. Dieser Herausforderung wird allerdings derjenige,
der sich ausschließlich bemüht, die jetzt ziemlich untragbaren Verhältnisse zu zementieren oder wasserdicht zu
machen, niemals gerecht. Das ist sicher nicht der richtige
Weg.
Ich finde, wir sollten die Neuregelung des Finanzausgleichs - dieses Maßstäbegesetz ist der erste Schritt dazu nutzen, eine wirklich zukunftsträchtige Politik zu machen. Insofern bin ich mit vielem, was in den letzten anderthalb Jahren, also seit dem Urteil, gelaufen ist, nicht
gerade glücklich. Das Urteil wäre zumindest nach meiner
persönlichen Meinung auch ein Anlass gewesen, das
Grundproblem, den Hauptgrund für die Schieflage im
Länderfinanzausgleich anzusprechen, nämlich die ungleiche Länderstruktur, die so nie gleiche oder ähnliche
Kräfteverhältnisse ermöglichen wird. Es ist schade, dass
diese notwendige Diskussion völlig unterblieben ist.
Als einer, der aus einem 1952 zusammengelegten Land
kommt, kann ich Ihnen versichern: Man lebt in Württemberg und in Baden gut und ohne Grenzzäune.
({10})
Die Reform von 1952 aber war - davon lasse ich mich
nicht abbringen - neben einer erfolgreichen Landespolitik mit ein Grundstein dafür, dass Baden-Württemberg
dauerhaft zu den leistungsfähigsten Ländern der Republik
gehört und seit einem halben Jahrhundert Zahlerland ist.
({11})
Als äußerst ärgerlich und in der Sache wenig hilfreich
habe ich die Zusagen des Bundeskanzlers an einzelne
Stadtstaaten im Zuge des Vermittlungsverfahrens zur
Steuerreform empfunden. Genau diese politische Kungelei, dieses Gezerre wollte das Bundesverfassungsgericht
vermeiden.
({12})
Dass der Bund am vergangenen Wochenende im Zuge des
Vermittlungsverfahrens zur Rentenreform und zur Neuregelung der Familienförderung wieder mit Milliardenzusagen um sich geworfen hat, ist eine Zumutung für das
Bundesverfassungsgericht, eine Zumutung für die Parlamentarier hier. Im Übrigen ist es eine besondere Zumutung für die CDU-geführten Länder in der Bundesrepublik.
({13})
Herr Ausschussvorsitzender Kröning, dies alles hat
nichts mehr mit einem ordnungsgemäßen und sachgerechten Verfahren zu tun. Da können wir uns im Ausschuss anstrengen so viel wir wollen.
({14})
Einen weiteren Punkt will ich ansprechen: Ohne dass
man sich selbstkritisch die Mühe macht, grundsätzliche
Überlegungen über die Berechtigung und Zeitgemäßheit
einzelner Ausgleichsfaktoren anzustellen, sind eine
Menge Gutachten in Auftrag gegeben worden. Ich halte
diese Gutachten zu allen möglichen Bereichen für sehr
beachtlich. Dabei wundert mich immer eines: Jedes Gutachten bestätigt und bekräftigt - oft sehr umfangreich genau und ziemlich ausschließlich die Meinung der Auftraggeber.
({15})
Man kann sich also für oder gegen alles Mögliche Gutachten fertigen lassen und diese dann lustvoll zitieren.
({16})
Wir werden im Ausschuss nicht umhinkommen, den eigenen klaren Menschenverstand zu nutzen.
({17})
Ein klares Wort will ich für die CDU/CSU-Fraktion
zum Thema neue Länder sagen: Wir stehen ohne Wenn
und Aber für die Fortführung der Finanzhilfen über 2004
hinaus.
({18})
Die Ostländer werden noch lange eine deutlich geringere
Steuerkraft haben. Deshalb brauchen sie auf lange Sicht
Sonderbundesergänzungszuweisungen, eventuell als Teil
des Solidarpaktes II. Für uns jedenfalls gehören das Maßstäbegesetz, der Finanzausgleich und der Solidarpakt II
zueinander. Man wird über einzelne Fragen, über Volumen, Dauer und Anreizwirkung, sicher noch sprechen
müssen. Dies ändert aber überhaupt nichts daran, dass wir
grundsätzlich zur Solidarität mit den neuen Ländern bereit sind.
Nun sind in erster Linie die Länder gefordert. Sie sind
zur Einigung verdammt, und zwar möglichst nicht erst im
Vermittlungsverfahren; das wäre für uns alle hilfreich.
Jede Mehrheitsentscheidung, die im Bundesrat oder
auch hier im Deutschen Bundestag getroffen wird, hat
gute Chancen, wieder in Karlsruhe zu landen. Es wäre
allerdings ein Armutszeugnis für die Politik, wenn wir in
diesem wichtigen Punkt unfähig zur Einigung wären.
({19})
Wir sollten uns gemeinsam bemühen, die Interessen
der kleinen und der großen, der alten und neuen, der finanzschwachen und der finanzstarken Länder zu einem
gerechten - ich betone: gerechten - Ausgleich zu bringen.
Die Balance zwischen der Eigenstaatlichkeit der Länder
und bundesstaatlicher Solidargemeinschaft muss gehalten
werden.
Dies sind fürwahr anspruchsvolle Ziele. Wir müssen
sie erreichen, wenn wir auf Dauer ein lebendiger föderaler Bundesstaat bleiben wollen.
Vielen Dank.
({20})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Oswald Metzger, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kollege
Seiffert hat davon gesprochen, dass wir heute nicht im
Bundesrat, sondern im Bundestag die Debatte führen,
({0})
und er hat den Bundesfinanzminister dahin gehend
attackiert, Argumente vorzutragen, die er bereits im Bundesrat vorgebracht hat.
({1})
Da frage ich die CDU/CSU-Fraktion: Warum ist heute bei
Ihnen der Kollege Seiffert der einzige Bundestagsabgeordnete, der zu diesem Thema spricht, während von Ihrer
Seite vier Finanzminister bzw. Ministerpräsidenten eine
Rede halten? Das ist schon bemerkenswert.
({2})
Die SPD ist in diesem Punkt korrekter. Man hat auf
Gleichheit geachtet: Es sprechen zwei Abgeordnete und
zwei Ländervertreter.
Angesichts des Verteilungskampfes zwischen Bund
und Ländern sollte man sich immer wieder vor Augen
führen, dass wir als Bundesebene natürlich die Interessen
des Bundes vertreten sollten.
({3})
Nach meiner Auffassung müssten heute angesichts dieses
Verteilungskampfes Kolleginnen und Kollegen aus unterschiedlichen Fraktionen - denn wir alle sind Bundespolitiker - nachhaltig das Eigeninteresse des Bundes betonen.
Wir sollten nicht schon im Voraus die Ländersicht, die so
heterogen ist, dass die Länder unter sich nicht einig sind,
zum Maßstab des Abarbeitens unserer Position machen.
({4})
Ich erinnere daran, dass bei der letzten Reform des Finanzausgleichs - damals wurden die neuen Bundesländer
einbezogen; dies war das Föderale Konsolidierungsprogramm - Bundesfinanzminister Theo Waigel, der damals
in Bayern als Aspirant für die Ministerpräsidentenposition mit Stoiber rangelte - er verlor im innerparteilichen
Kampf -, in der Schlussrunde Bundesmittel zur Disposition stellte, also länderfreundlich agierte; vielleicht in
der falschen Hoffnung, in Bayern zum Zuge zu kommen.
Im Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages haben dann, als das thematisiert wurde - dies war vor fünf
bzw. sechs Jahren -, die eigenen CDU/CSU-Kollegen die
Position, dass damit ein Ausverkauf von Bundesinteressen betrieben wurde, bestätigt.
({5})
Sie können es auch an der Steuerverteilung zwischen
den staatlichen Ebenen feststellen, dass der Bund in den
letzten acht Jahren Steueranteile verloren hat. Gäbe es
nicht bei der Mineralölsteuer, die eine reine Bundessteuer
ist, Zuwächse über die Ökosteuer - diese fließen bekanntlich der Rentenversicherung zu -, hätte sich der Anteil des Bundes sogar weiter signifikant verschlechtert.
Der Bundesanteil wurde in den letzten Jahren lediglich
durch die Erhöhung einer Bundessteuer stabilisiert. Das
ist die Wahrheit, die man immer im Blickfeld behalten
sollte.
({6})
Ein Finanzausgleich ist nichts Abstraktes und Theoretisches. Wenn man eine Fachdiskussion über die Technik
des sehr komplizierten Mechanismus führt, dann hört sie
sich für jeden Normalbürger an, als hätte man nicht mehr
alle Tassen im Schrank, weil es unverständliches Kauderwelsch darstellt.
Faktisch geht es bei dieser Diskussion um Finanzvolumina, die weit über das hinausgehen, was wir bei jedem
einzelnen Gesetzentwurf in diesem Haus beschließen.
Wenn wir jetzt das Kindergeld um 30 DM erhöhen oder
bei der Rente bestimmte Regelungen treffen, die die Ausgaben in einem Volumen von wenigen Milliarden DM
zwischen Bund und Ländern hin- und herbewegen, dann
sind das vergleichsweise kleinste Größen gegenüber dem,
was wir im Finanzausgleich über die Jahre hinweg bewegen. Hier geht es um dreistellige Milliardenbeträge, weswegen es sich lohnt, das Interesse des Bürgers in den Mittelpunkt zu stellen.
({7})
Die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen ist übrigens die einzige Bundestagsfraktion, die hinsichtlich des
Maßstäbegesetzes eigenständige Positionen beschlossen
hat. Die anderen Fraktionen haben es demgegenüber der
Bundesregierung überlassen, mit dem Entwurf eines
Maßstäbegesetzes eine Vorlage zu schaffen, an der sich
die Länder abarbeiten.
Wir Grünen sind der Auffassung, dass das System des
Finanzausgleichs durch Ineffizienz gekennzeichnet ist,
für die viele verantwortlich sind: nicht nur diese Koalition; wir regieren erst seit zweieinhalb Jahren. Der Finanzausgleich wurde auch in den 16 Jahren davor in die organisierte Verantwortungslosigkeit geführt, die wir alle
beklagen.
({8})
Das System ist ineffizient, weil Nehmerländer keinen
Anreiz haben, ihre eigene Wirtschaftskraft zu stärken, und
weil Haushaltsdisziplin nicht belohnt wird: Wer im Finanzausgleich stärker wird und die eigene Einnahmebasis
vergrößert, bekommt im Folgejahr einen Abzug. Das ist
absurd, weil sich dann Leistung weder für die Schwachen
noch für die Starken lohnt; Letztere werden wegen des
Ausgleichsmechanismus des heutigen Systems immer
mehr für die Schwächeren einbezahlen müssen, bei denen
dadurch wiederum jeglicher Anreiz wegfällt, die eigene
Leistungskraft zu erhöhen. Wenn wir von aktivierendem
Föderalismus reden - diese Vokabel steht über dem grünen Konzept -, dann geht es darum, dass alle Länder
- Nehmerländer wie Geberländer, auch die Stadtstaaten ein Interesse daran haben, nicht augenzwinkernd Wirtschafts- und Ansiedlungspolitik zu betreiben, bei der sie
ihre Steuerkraft in der Hoffnung nicht ausschöpfen, dass
ihnen der Ausgleichsmechanismus schon das nötige Geld
in die Kassen spülen und im Zweifelsfall der Bundesfinanzminister mit neuem Geld des Bundes die Unfähigkeit
auf der Landesebene ausgleichen werde. Darum geht der
Streit.
Der Streit geht auch um die Steuerlast der Bürgerinnen
und Bürger. Jeder sollte sich daran erinnern, dass in
Art. 106 des Grundgesetzes auch steht, dass im Rahmen
des innerstaatlichen Finanzausgleichs eine Überlastung
der Steuerpflichtigen vermieden wird. Deshalb brauchen
wir ein effizientes Anreizsystem, das zwar den solidarischen Gedanken bewahrt, dass die Starken den Schwachen helfen, aber die Schwachen auch in die Lage versetzt, eigene Einnahmen zu mobilisieren und davon
immer mehr zu behalten, damit die Schwachen in Zukunft
Starke werden können. Dieser Grundsatz ist auch für den
innerstaatlichen Finanzausgleich richtig; in der Wirtschaftspolitik wird dieser Grundgedanke von vielen Menschen in unserem Lande geteilt.
Wenn wir den Gedanken, eine Überlastung der Bürgerinnen und Bürger zu vermeiden, durchdeklinieren, dann
wäre es ohne Frage gerecht, den Finanzausgleich durch
die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage auf eine
langfristig tragfähige Basis zu stellen und in diesem Zusammenhang auf die Bundesergänzungszuweisungen zu
verzichten, die immer stärker aufgewachsen sind und im
letzten Jahr über 26 Milliarden DM ausmachten. Mit diesen Mitteln regelt der Bund nur das, was der Finanzausgleich offensichtlich nicht zu regeln in der Lage ist. Der
Grundgedanke, der dazu im Maßstäbegesetz enthalten ist,
zum Beispiel die kommunale Finanzkraft zu 100 Prozent einzubeziehen, war absolut richtig.
Ich behaupte: Die fünf ostdeutschen Bundesländer
wären, obwohl sie sich jetzt im Elferklub im Hannoveraner Kreis nur auf 50 Prozent verständigt haben, langfristig und strategisch die größten Profiteure einer möglichst breiten Einbeziehung der Finanzierungsbasis, weil
Bundesergänzungszuweisungen immer unter dem Druck
sind, degressiv gestaltet zu werden. Sie sind keine Daueralimentierung. Vielmehr werden diese Zuwendungen tendenziell abgeschmolzen werden müssen. Das ist übrigens
auch verfassungsrechtliche Vorgabe. Deshalb müssten die
Ostländer ein originäres Interesse daran haben, die kommunale Finanzkraft stärker angerechnet zu bekommen.
({9})
Trotzdem ist es nicht dazu gekommen, weil es Geberländer geschafft haben, den Eindruck zu erwecken, sie
würden dadurch bluten, ohne dass sie daran denken, dass
die Gegenmaßnahme bei der 100-prozentigen Anrechnung der Kommunalfinanzen natürlich der Ausgleichsmechanismus ist.
({10})
Es kommt darauf an, wie der Tarif gestaltet wird und
wie viel die Länder von ihren zusätzlichen Einnahmen behalten können. Es gibt dabei Stellgrößen, die verändert
werden können. In dieser Auseinandersetzung, bei dem,
was am letzten Wochenende im Kanzleramt zwar nur
mit den SPD-Ministerpräsidenten beredet wurde, ist zu
erkennen, dass diese Stellgrößen bedient werden. Daran
wird aber deutlich, dass dieses Maßstäbegesetz eine erstklassige Grundlage ist, um einen Kompromiss zwischen
Bund und Ländern zu finden. Es wird nicht funktionieren,
nur 50 Prozent der kommunalen Finanzkraft einzubeziehen. Dieser Anteil wird höher werden. Meines Erachtens
sind die jetzt in Rede stehenden zwei Drittel eigentlich zu
wenig. Man könnte diese Quote auf 70 oder 80 Prozent
festlegen, wenn man mit dem Ausgleichstarif arbeitet,
weil der Bund auf der anderen Seite die Besorgnis der
Länder, die ich zu einem gewissen Teil verstehe,
({11})
dadurch abmildert, dass er im Rahmen des Fonds Deutsche Einheit Annuitätenpflichten der Länder übernimmt.
Auch das Bekenntnis, das unsere Fraktion mit ihrem
Konzept ablegt und das sich im Maßstäbegesetz der Bundesregierung widerspiegelt, dass die Einwohnerveredelung gilt und man auch die Problematik der dünn besiedelten Ostbundesländer aufgreifen muss, ist doch ein
Angebot, mit dem Bundespolitiker mit der Idee eines aktivierenden Föderalismus belegen können: Das bündische
Prinzip, das Füreinander-Einstehen, wird von uns nicht
zur Disposition gestellt. Wir sollten aber auch gesamtstaatlich die Anreizsysteme wecken, die nötig sind, um
längerfristig tatsächlich in der Finanzverfassung in diesem Land Fortschritte zu machen.
Jetzt sage ich einmal relativ frech: Das Verfassungsgericht ist in seiner Entscheidung etwas blauäugig davon
ausgegangen, dass Gesetzgebung in einem zweistufigen
Verfahren stattfindet. Gesetzgebung besteht in der Praxis
- egal, wer regiert - aber häufig darin, dass Kanzler,
Finanzminister und Ministerpräsidenten verhandeln, Pakete von Maßnahmen schnüren, die eigentlich nichts
miteinander zu tun haben.
Auch am letzten Wochenende wurde ein Paket geschnürt. Es ist Fakt, dass seine Bestandteile nichts miteinander zu tun haben.
({12})
Rente, Familienleistungsausgleich und Finanzausgleich
haben eigentlich nichts miteinander zu tun.
({13})
Diese Unbeweglichkeit
({14})
- klatscht nicht zu früh; das war bei euch nicht anders -,
zwischen Bund und Ländern, außer beim Schnüren großer
Pakete, hat die Verfassungsrichter zu der Forderung bewogen, dass wir allgemein gültige, nachvollziehbare
Maßstäbe beschließen sollen, die unabhängig vom konkreten Streitfall sozusagen eine vorweggenommene Generalklausel darstellen. Das war blauäugig, denn jeder
von uns weiß, dass auch das Gesetzgebungsverfahren
über dieses Maßstäbegesetz nach dem gleichen Kungelmechanismus abläuft. Das ist schade, aber das müssen wir
zur Kenntnis nehmen.
({15})
- Es geht nicht um einen Kungelkanzler,
({16})
sondern es geht darum, dass es der Kanzler überhaupt geschafft hat, wieder Bewegung hineinzubringen. Das müssen auch Sie anerkennen.
({17})
Es ist Bewegung in eine festgefahrene Position gekommen, die unter den Ländern nicht regelbar war. So
ehrlich muss man sein. Wenn das am Wochenende durch
die Initiative des Kanzlers und des Finanzministers nicht
gelungen wäre, dann würden wir in den nächsten Wochen
von einer Krise des Föderalismus sprechen, von einer
Selbstblockade, von einer Unfähigkeit der Länder, die Finanzierung unseres Gemeinwesens tatsächlich auf eine
neue Grundlage zu stellen.
({18})
Weil sich der Bund durchaus beweglich zeigt - so nehmen wir den Ländern ein Stück weit die Angst vor Finanzmittelentzug -, bin ich optimistisch, dass man in den
nächsten Wochen und Monaten, noch vor dem Sommer,
ein Maßstäbegesetz hinbekommt, vielleicht sogar ohne
Vermittlungsverfahren. So könnten wir möglicherweise
in einem Entschließungsantrag zum Entwurf eines Maßstäbegesetzes im Bundestag Eckpunkte festlegen, die den
Rahmen für die Verabschiedung des späteren Finanzausgleichsgesetzes im Bundestag und im Bundesrat setzen,
und so den Ländern ermöglichen, in diesem zweistufigen
Verfahren ihre Zustimmung sozusagen im Vorgriff zu erteilen.
Aber auch wenn wir das hinbekommen - ich bin eigentlich guter Hoffnung -, werden wir merken, dass eine
grundsätzliche Reform der Finanzverfassung unseres
Staates ansteht. Um diese Finanzverfassungsreform werden wir in der nächsten Legislaturperiode nicht herumkommen, weil diese Schmalspurreform nur den bescheidenen Vorgaben des Verfassungsgerichts genügt. Es
wäre des Schweißes der Edlen in diesem Hause wert, im
Rahmen einer Enquête-Kommission eine grundsätzliche
Aufarbeitung der Verantwortlichkeiten zwischen Bund,
Ländern und Gemeinden zu organisieren. Dann kämen
auch die Städte und Gemeinden zum Zug, die ja gestern,
auf der Hauptversammlung des Städtetages, erneut eine
Reform der Finanzverfassung angemahnt haben. Diese ist
in der Tat dringend nötig. Dem Konnexitätsprinzip - wer
bestellt, bezahlt - muss zum Durchbruch verholfen werden. Wir werden auf verschiedenen staatlichen Ebenen
mehr Steuerautonomie hinbekommen müssen.
({19})
Verfassungsrechtlich wäre ein Hebesatzrecht der Gemeinden auf die Einkommensteuer schon jetzt prinzipiell
möglich. Das ist aber nicht durch spezialgesetzliche Regelungen abgesegnet.
Um all diese Dinge müssen wir uns kümmern, im Interesse eines modernen, wirtschaftlich orientierten, aber
trotzdem solidarischen bundesstaatlichen Gemeinwesens.
Bund und Länder sitzen in einem Boot.
Kollege Metzger, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Rössel?
Ja,
bitte.
Lieber Kollege
Metzger, Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass
eine generelle Reform der Finanzverfassung ansteht, und
dazu Vorschläge unterbreitet. Ich frage Sie - auch unter
den Eindrücken der gestrigen Hauptversammlung des
Deutschen Städtetages in Leipzig -: Warum steht dann die
Bundesregierung nicht zu der Koalitionsvereinbarung, in
der sie sich ja dazu verpflichtet hat, die Stärkung der Finanzkraft der Gemeinden in den Mittelpunkt zu rücken?
Da ist nichts passiert. Warum ist das aufgeschoben worden und wann ist endlich mit Bewegung zu rechnen? Der
Kanzler hat gestern dazu leider nur sehr, sehr vage Aussagen getroffen.
({0})
Ich
kann Ihnen das eindeutig beantworten: Natürlich steht
diese Reform an. Aber über eine gewisse Zeit gab es eine
Unbeweglichkeit, weil durch die Klagen von drei
Bundesländern - ursprünglich unterschiedlicher Farbenlehre - in Karlsruhe der Finanzausgleich auf dem Prüfstand stand. Alle haben wie das Kaninchen auf das Eichhörnchen geschaut.
({0})
- Da sehen Sie einmal, was passiert, wenn man um eine
bildliche Sprache bemüht ist. - Alle haben wie das Kaninchen auf die Schlange nach Karlsruhe geschaut und
gesagt: Wir machen jetzt nicht ein Fass auf, bevor Karlsruhe sich zum Finanzausgleich geäußert hat.
In dieser Legislaturperiode können Sie beim besten
Willen nicht mehr eine grundlegende Reform der Finanzverfassung hinbekommen. Wenn wir die Maßstäbe des
Finanzausgleichs festgelegt haben - dies regelt ja gedanklich den Solidarpakt II, für den wir ebenfalls einen
Zeitvorlauf brauchen, mit -, dann steht eine große Finanzverfassungsreform an. Insofern wird, wie gesagt,
noch viel Schweiß der Edlen nötig sein, gerade auch angesichts der steuerpolitischen Entwicklung in unserer Gesellschaft: Die Gewerbeertragsteuer zum Beispiel ist
langfristig nicht EU-kompatibel. Wenn die Gemeinden
dafür Ersatz brauchen, müssen sie ein Hebesatzrecht auf
eine andere Steuer bekommen; das könnte beispielsweise
die Einkommensteuer sein. Sie kennen sich in diesen Dingen aus, Herr Rössel; Sie sind Fachmann in dem Bereich.
Auch Sie werden, so glaube ich, mit Ihrem Sachverstand
gefragt sein.
({1})
Denn dies ist eine Aufgabe der ganzen Republik.
Ich wollte noch den einen Gedanken zu Ende bringen:
Wir alle müssen im Hinblick auf den Gesamtstaat ein Interesse daran haben, die Finanzierungsgrundlagen auf
eine Basis zu stellen, die die Einnahmesituation von Bund
und Ländern langfristig verbessert - und dadurch zu mehr
Effizienz führt -, aber gleichzeitig die Belastungen der
Bürgerinnen und Bürger im Blickfeld haben. Wenn wir effizienter werden, können wir den Menschen mehr Geld in
der Tasche lassen. Auch das ist eine direkte Folge von aktivierenden Elementen im bundesstaatlichen Finanzausgleich. Das ist meine feste Überzeugung. Für die würde es
sich auch bei einem so trockenen Thema wie Maßstäbegesetz und Finanzausgleich zu kämpfen lohnen.
Vielen Dank.
({2})
Nun hat die Kollegin
Gisela Frick, F.D.P.-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Verehrte Mitglieder des Bundesrates! Wir
haben eben von Herrn Eichel gehört: Beim Geld hört die
Gemütlichkeit auf. Soweit ich mich erinnere - Herr
Metzger, mit den Sprichwörtern ist es immer so eine
Sache -, heißt es: Beim Geld hört die Freundschaft auf.
Wenn ich jetzt allerdings auf die Bundesratsbank
schaue, dann muss ich sagen: Ich habe den Eindruck, dass
Sie sich in aller Freundschaft verbündet haben, um einen
Schulausflug nach Berlin zu machen;
({0})
denn eine solch starke Besetzung auf der Bundesratsbank
haben wir ausgesprochen selten, normalerweise nur bei
hochoffiziellen Festakten.
({1})
Umso mehr freut es mich, dass Sie mit Ihrer Präsenz zeigen, wie wichtig Ihnen das Geld ist, vieles andere offensichtlich nicht so sehr. Deshalb ein besonderer Gruß an
Sie.
({2})
Herr Metzger, ich komme zu Ihnen, weil wir gerade
über Sprichwörter geredet haben. Die Sache mit dem
Eichhörnchen ist wahrscheinlich kein Lapsus Linguae,
sondern ein Lapsus Mentis. Es geht schließlich um die
Bewahrung des Status quo. Dafür steht das Eichhörnchen
mehr als die Schlange.
({3})
Insofern war Ihr Versprecher gar nicht so falsch, auch
wenn Sie ihn korrigiert haben. Das war gar nicht nötig. Sie
hätten es ruhig so stehen lassen können.
Wir beraten heute das Maßstäbegesetz. Der eigentliche
Name ist noch viel komplizierter, aber es lohnt sich nicht,
hier in der Öffentlichkeit den ganzen Titel vorzutragen. Es
wird nicht weiter überraschen - wir sind dabei in guter
Gesellschaft mit einzelnen Bundesländern -: Wir als
F.D.P.-Fraktion lehnen dieses Maßstäbegesetz ab.
({4})
Wir tun dies in erster Linie deshalb, weil es nach dem
Motto aufgestellt worden ist: Es muss etwas geschehen,
aber es darf nichts passieren.
({5})
Dies ist das Motto, das über der ganzen Gesetzgebung
steht. Zum ersten Teil des Mottos Es muss etwas geschehen kann ich nur sagen: Dies geschieht natürlich
deshalb, weil uns das Bundesverfassungsgericht in seiner
Entscheidung vom 11. 11. 1999 verpflichtet hat
({6})
- ich weiß nicht, ob es 11.11 Uhr war, aber das Datum
11.11.1999 ist gut zu merken -, in einem zweistufigen
Verfahren eine neue Regelung des Länderfinanzausgleichs zu finden.
Dies hat es nicht nur gemacht, weil der Länderfinanzausgleich total intransparent, unübersichtlich und überhaupt nicht mehr praktikabel ist. Wir haben uns in
dem Sonderausschuss bisher bemüht, die Grundlagen des
Ist-Zustandes des jetzigen Länderfinanzausgleiches einigermaßen zu beleuchten. Wenn ich Ihnen sage, dass dabei 126 verschiedene Positionen berücksichtigt sowie
Auffüllungstatbestände und Abführungstatbestände immer wieder gegeneinander aufgewogen werden müssen,
dann können Sie sich vorstellen, dass dieses Verfahren auf
Dauer nicht haltbar ist.
({7})
Der zweite Punkt - das ist noch viel wichtiger, darauf
haben meine Vorredner zum Teil schon hingewiesen - ist
natürlich die Frage des Kungelns oder Mauschelns. Das
Bundesverfassungsgericht hat ganz klar gesagt: Der
Länderfinanzausgleich ist nicht nur zu kompliziert, sondern er wird politisch missbraucht, um entsprechende
Mehrheiten einzukaufen. Wir haben heute schon mehrfach gehört, dass der Bundeskanzler und unser Finanzminister im Gesetzgebungsverfahren der so genannten Unternehmensteuerreform vor nunmehr etwa zehn Monaten
mit der großen Wundertüte im Bundesrat Zusagen gemacht haben. In der Stuttgarter Zeitung - das fand ich
sehr nett - gab es eine Karikatur, auf der zu sehen war, wie
Finanzminister Eichel mit einem großen Einkaufswagen
und einem entsprechenden Geldbündel den Bundesrat betritt und fragt: Wo kann ich hier die Mehrheiten kaufen?
Am letzten Wochenende ist das wieder passiert. Daran
sehen wir Folgendes:
({8})
Die SPD-regierten Länder fühlen sich benachteiligt, weil
sich der Kaufansatz zunächst auf die Koalitionen bezogen
hatte, bei denen die Abstimmung nicht klar vorbestimmt
war.
({9})
Jetzt sehen sie: Das geht so nicht, das heißt, wir müssen
uns erst einmal als SPD-regierte Länder formieren, um
ebenfalls Ansprüche anzumelden. Mich persönlich als
Baden-Württembergerin, als Stuttgarterin hat sehr geärgert, dass Rezzo Schlauch von den Grünen - Herr
Schlauch, ich würde mich freuen, wenn Sie wenigstens
jetzt einmal zuhören würden ({10})
in der Bewertung des Verfahrens zur so genannten Unternehmensteuerreform der baden-württembergischen Landesregierung in einer Stuttgarter Zeitung unwidersprochen vorwerfen durfte, sie habe schlecht verhandelt, weil
sie das Unternehmensteuerkonzept abgelehnt habe, ohne
sich dafür entsprechende finanzielle Zusagen geben zu
lassen.
({11})
- Herr Schlauch, das haben Sie in diesem Interview wortwörtlich gesagt. Dies zeigt ein sehr, sehr bedenkliches
Verfassungsverständnis.
({12})
Aber Herr Schlauch, Sie sehen: Die Länder haben gelernt. Auch die SPD lässt sich jetzt nicht mehr für das
berühmte Linsengericht einkaufen. Sie will mehr sehen.
Am letzten Wochenende hat es die erste Zusage mit einem
Volumen von rund 1,5 Milliarden DM - Entlastung des
Fonds Deutsche Einheit - gegeben. Das heißt: Es geht
munter so weiter. Das ist auch einer der Hauptgründe
dafür, warum wir einen so ausgesprochen dürftigen Entwurf eines Maßstäbegesetzes vorgelegt bekommen haben.
({13})
Man will sich diese Spielräume natürlich nicht durch abstrakte Maßstäbekriterien einengen. Man möchte vielmehr
die vorhandenen Spielräume weiter nutzen. Genau dies
will aber das Bundesverfassungsgericht für die Zukunft
abgestellt sehen.
({14})
Daher werden wir im weiteren Gesetzgebungsverfahren darauf dringen, dass das Maßstäbegesetz auch tatsächlich den Inhalt erhält, den es als Etikett trägt. Im Moment
ist es ein einziger Etikettenschwindel. Das ist kein Maßstäbegesetz, sondern das ist eine lediglich etwas angereicherte Abschrift der Prinzipien des Grundgesetzes.
({15})
Es ist kein Wunder, dass die Länder, ganz gleich, welchen Standpunkt sie einnehmen, dieses Gesetz unisono
ablehnen. Denn diese wachsweichen Maßstäbe lassen
überhaupt keine Rechtsfolgenabschätzung zu. Deshalb ist
die Front einheitlich.
Wir wollen nicht sagen: Wir stellen uns inhaltlich auf
die Seite der Länder. Aber vom Ergebnis her tun wir dies
jedenfalls und machen deutlich: Dieses Maßstäbegesetz
wird so nicht im Gesetzbuch stehen. Es wird noch erhebliche Veränderungen erfahren müssen, damit es tatsächlich Gesetzeskraft erlangt.
({16})
Das Bundesverfassungsgericht hat uns nicht nur Fristen gesetzt, in denen, was das Gesetzgebungsverfahren
angeht, ganz bestimmte Schritte der Mehrstufigkeit vollzogen werden sollen. Es hat uns auch inhaltliche Vorgaben gemacht. Ich möchte jetzt nicht auf alle inhaltlichen
Vorgaben eingehen, aber auf die abstrakten Mehrbedarfe
zu sprechen kommen. Sie sind einer der Punkte, von denen auch in der Öffentlichkeit am stärksten Kenntnis genommen wird. Damit niemand verschreckt ist, insbesondere nicht auf der gut besetzten Bundesratsbank: Ich
werde jetzt nicht alle Mehrbedarfe einzeln infrage stellen
in dem Sinne, dass ich sie auf keinen Fall will. In Frage
stellen will ich sie aber insofern, als wir aufgrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts gehalten sind, diese
abstrakten Sonderbedarfe zum einen zu benennen und sie
zum anderen auch zu begründen. Es kann nicht sein, wie
es im Gesetzgebungsverfahren ab und zu einmal den Anschein hat, dass sich weite Teile der am Gesetzgebungsverfahren Beteiligten darauf zurückziehen, jetzt müsse
nur der Status quo, insbesondere was die Anerkennung
der abstrakten Mehrbedarfe angeht - ich sage einmal: Häfen, Stadtstaaten, dünn besiedelte Gebiete sind neu hinzuGisela Frick
gekommen -, so zementiert werden, wie er ist, indem dieser gut begründet werde. Das wird nicht ausreichen. Wir
müssen vielmehr Punkt für Punkt durchgehen und dann
überlegen: Was ist eigentlich dem Grund nach noch gerechtfertigt? Und erst recht müssen wir überlegen: Was ist
denn der Höhe nach gerechtfertigt?
In dieser Beziehung werden wir noch viel Arbeit haben.
Kollege Seiffert hat schon gesagt, dass wir in dem Sonderausschuss von einem wirklichen Schwall von Gutachten zugedeckt worden sind, die in ganz seltenen Ausnahmefällen - darauf hat dankenswerterweise der Sekretär
dieses Sonderausschusses hingewiesen - nicht von bestimmten Auftraggebern bezahlt worden sind. Es gibt also
einige wenige Gutachten, die sich um eine objektivere Einschätzung bemühen. Solche sind aber leider die Ausnahme. Es wird deshalb sehr schwer werden. Wir haben
diese Erfahrung im Sonderausschuss auch schon gemacht,
als wir die Vertreter der Länder gehört haben; es prallen
sehr unterschiedliche Interessenlagen aufeinander.
Interessant ist, dass sich die Interessenlagen anders als
sonst gewohnt darstellen; es geht nicht um Schwarz-Gelb,
Rot-Grün oder Ähnliches, sondern es geht um die Interessen der Geberländer und der Nehmerländer. Das ist die
Ausgangsposition, wie sie sich bereits aus der Klagesituation ergibt. Wir haben auch gesehen, dass Herr Eichel,
als er noch Landesvater in Hessen war, das zu den Geberländern gehört, eine entsprechende Argumentation vertreten hat. Ich habe heute etwas Neues gelernt: Es macht einen Unterschied, wenn man das als Letzter und nicht als
Erster tut.
({17})
Das ist auch einmal etwas Neues. Sozusagen als Trittbrettfahrer will er profitieren, vertritt inhaltlich aber eine
andere Auffassung.
({18})
- Das ist eine Wertung, Herr Schlauch. Man kann sich
lange darüber unterhalten, welches die beste Argumentation war.
({19})
- Das langt auch nicht. Wir haben das auch überhaupt
nicht gesagt.
Mir ist weiter wichtig, dass das Anreizverfahren erhalten bleibt - wir haben darüber schon einiges von den
Vorrednern gehört; ich möchte dazu keine näheren
Ausführungen machen, dazu reicht die Zeit auch nicht und dass insbesondere die Finanzkraftreihenfolge durch
den Finanzausgleich nicht geändert wird; das ist ein ganz
wichtiger Punkt. Das bedeutet, dass sich die Länder, die
vor der Durchführung des Finanzausgleiches bei der Finanzkraft ganz oben standen, nach der Durchführung
nicht am Ende oder ziemlich am Ende wiederfinden dürfen. Das darf nicht sein.
({20})
Die Parallelen, die Sie, Herr Metzger, zum einzelnen
Individuum gezogen haben, sind natürlich richtig. Auch
der Einzelne will einen Anreiz haben, um sich anzustrengen, und einen solchen will natürlich auch ein Land im
Rahmen des Länderfinanzausgleiches haben. Das müssen
wir beachten. Die F.D.P. sieht in den beiden Ansätzen der
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes eher einen
Hinweis auf einen Wettbewerbsföderalismus - einen solchen müssen wir auf längere Sicht anstreben -, aber keinen Wettbewerbsföderalismus in Dschungelform, sondern einen solchen, der Anreize dafür schafft, dass mit
Ausnahme von bestimmten Bundesergänzungszuweisungen die Finanzkraftreihenfolge erhalten bleibt.
Das Bundesverfassungsgericht hat uns nach Auffassung der F.D.P. einen Ball zur Revitalisierung des
Föderalismus ins Feld gespielt. Leider hat die Bundesregierung diesen Ball nicht aufgenommen, sondern im Gegenteil alles dazu getan, dieses kleine Pflänzchen der
Hoffnung wieder verkümmern zu lassen. Insofern werden
Sie verstehen, dass wir diesem Maßstäbegesetz nicht zustimmen können.
Danke schön.
({21})
Ich erteile dem Kollegen Roland Claus, PDS-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst als etwas Beruhigendes die gute Nachricht: Ich habe gelesen, dass dieser
Gesetzentwurf ausnahmsweise nicht den Titel Reformgesetz trägt. Wir sind von dieser Regierung und Koalition gewöhnt: Wenn sie mit Reformgesetzen antritt, freut
sich die Öffentlichkeit, dass es jetzt so richtig nach vorn
losgeht. In aller Regel ging es aber bisher nach hinten los.
({0})
Insofern beruhigt mich dieser Umstand.
({1})
Allerdings muss auch klargestellt werden, dass hinter
all dem Zahlenwerk, das hier vorgetragen wird, die Frage
steht: Nach welchen Maßstäben wollen wir die zukünftige
Gesellschaft gestalten?
({2})
- Ja, eben. Wenn wir es mit solchen Dimensionen zu tun
haben, geht es doch auch um die Frage - auch meine Vorrednerin ist darauf eingegangen -: Wollen wir einen solidarischen Föderalismus oder soll mit dem Begriff des
Wettbewerbsföderalismus eine Ellenbogengesellschaft
legitimiert werden?
Nun haben sich alle Länder gegen den vorliegenden
Entwurf ausgesprochen und Herr Metzger hat uns aufgefordert, wir sollten uns jetzt endlich als ordentliche Bundespolitiker benehmen, was wohl heißt, hier gegen die
Länder Front zu machen. Ich denke, wir müssen vornehmlich darauf achten, dass nicht die Bürgerinnen und
Bürger Opfer des Streits zwischen Bund und Ländern
werden. Das zuallererst ist unsere Aufgabe.
({3})
Ich möchte der Bundesregierung nicht unterstellen, dass
sie keinen zukunftsfähigen Länderfinanzausgleich und
auch keinen Solidarpakt II wollte. Eine solche Unterstellung wäre wohl unredlich. Aber der Geist ihrer Gesetzesvorlagen hat immer die Aussage: Ich muss, nie: Ich
will. Das ist das eigentliche Problem.
Es wird Sie nicht wundern, wenn mir bei der Frage des
Maßstäbegesetzes die Zukunft der neuen Länder besonders am Herzen liegt. Sie wissen, dass seit 1996 die wichtigsten wirtschaftlichen Indikatoren zeigen, dass sich die
Lebensverhältnisse in Ost und West auseinander entwickeln bzw. der Abstand zwischen den Lebensverhältnissen auf hohem Niveau stagniert. Insofern stehen natürlich
Maßstäbegesetz, Länderfinanzausgleich und Solidarpakt II durchaus in einem engen Zusammenhang. Ich
glaube, dass es mit Blick auf die neuen Länder wichtig ist,
zunächst den Maßstab unseres Denkens und Handelns zu
verändern. Die neuen Länder sind keine Gegend von
Pflege oder Siechtum. Wir müssen endlich begreifen, dass
es nicht vorrangig um Belastungen, sondern um Chancen
geht. Deshalb hat die PDS ihr Papier über die Entwicklung der neuen Länder und den selbsttragenden Wirtschaftsaufschwung auch Zukunftsfaktor Ost genannt.
Ich versichere Ihnen: Mit diesem Faktor können Sie rechnen!
({4})
Die Botschaft aus den neuen Ländern heißt inzwischen:
Wir können es auch, wenn man uns nur lässt! Ich halte es
für wichtig, dass der Schweriner Arbeitsminister Helmut
Holter hier im Bundestag ein Aktionsbündnis Ost für Arbeit, Aufträge und Unternehmen vorgeschlagen hat; denn
wir brauchen endlich statt eines alimentierten Angleichens
der Lebensverhältnisse in Ost und West eine Unterstützung des selbsttragenden Wirtschaftsaufschwungs als
Grundlage dieser Angleichung.
({5})
Deshalb unterstützen wir die Forderungen der ostdeutschen Ministerpräsidenten, den Solidarpakt II im Maßstäbegesetz zu verankern. Wir sind auch der Meinung, dass
es jetzt Übergangsregelungen geben muss und ein Sofortprogramm angebracht ist.
Ich möchte Ihnen noch eines sagen: Auch wir wollen
nicht in den Wettbewerb eintreten, wer denn nun mit den
größten Summen zur Förderung der neuen Länder hantiert. Das eigentliche Problem ist nämlich die Frage der
Zweckbestimmung dieser Mittel zur Ostförderung.
Wenn man sie einsetzt, um einen Wirtschaftsaufschwung
in Ostdeutschland zu organisieren, und feststellt, dass
diese Mittel - das wissen wir alle - zum großen Teil dorthin zurückfließen, woher sie gekommen sind, und zwar
ohne dass durch sie die Wirtschaft in Ostdeutschland gefördert worden ist, dann muss man etwas verändern. Und
dabei wiederum ist nicht die Hauptfrage, ob die Mittel
wieder dorthin zurückfließen, woher sie gekommen sind;
denn das hieße ja nur, dass Steuermittel aus den alten Ländern wieder in die Kassen der alten Länder zurückfließen.
Das wäre ja noch ein sinnvoller Vorgang. Aber das eigentliche Problem ist, dass sich die Steuermittel, die zur
Wirtschaftsförderung in Ostdeutschland eingesetzt wurden, auf den Konten und in den Kassen von Banken, Versicherungen und Unternehmenszentralen wiederfinden.
Diese Art des Geldflusses müssen wir verhindern.
({6})
Dennoch ist der Finanzausgleich - das verkennen wir
nicht - ein gesamtdeutsches Problem. Ich weiß natürlich,
dass die Lage auf Schalke und in Bremerhaven nicht besser als in manchen ostdeutschen Kommunen ist. Auf dem
Städtetag gestern in Leipzig wurde uns vor Augen geführt,
dass sich die Investitionen der Kommunen seit Beginn der
90er-Jahre um ein Drittel reduziert haben. Das ist doch ein
Alarmsignal, auf das wir reagieren müssen. Deshalb sind
wir der Meinung - ich weiß, dass nicht nur wir das vertreten; aber es muss noch einmal angesprochen werden -,
dass die Wirtschaftsförderung tatsächlich unten ansetzen
muss. Wir fordern die Wiedereinführung einer jährlichen
kommunalen Investitionspauschale in Höhe von 6 Milliarden DM. Das wäre eine sinnvolle Lösung beim Übergang vom Solidarpakt I zum Solidarpakt II.
Der Kanzler selbst hat inzwischen öffentlich angedeutet, dass auch er daran denke, eine solche Pauschale einzuführen. Er hat die Zahl 1,5 Milliarden DM ins Spiel gebracht.
Das halten wir, gelinde gesagt, nicht für kanzlerwürdig.
Unsere Unterstützung findet die von der Bundesregierung
vorgesehene Einbeziehung der Finanzkraft der Kommunen in den Länderfinanzausgleich zu mehr als 50 Prozent.
Das führt dazu, dass die Maßstäbe anders und besser dargestellt werden.
Zum Schluss möchte ich Sie gern auffordern, den Länderfinanzausgleich, die Finanzverfassung in Deutschland,
einmal wieder in einer anderen Dimension, nämlich von
unten her, zu denken. Bund und Länder müssten - ich
glaube, dass es sich dabei um eine realistische Vision handelt - in einem größeren Zeitraum einen erheblichen Teil
ihres Geldes und damit auch ihrer politischen Verfügungsmacht nach unten abgeben.
({7})
Sie brauchen keine Angst zu haben: Ich fordere nicht die
Demontage des Staates; es geht um Maßstäbe. Ein Drittel
der finanziellen Mittel und der politischen Verfügungsmacht könnte durchaus dorthin zurückgegeben werden,
wo das Leben wirklich stattfindet: in den Kommunen, im
Gemeinwohlsektor und auch in den kleinen und mittelständischen Unternehmen.
Die deutsche Finanzpolitik gehört vom Kopf auf die
Füße gestellt. Um dafür zu sorgen, bietet das Gesetz
Chancen - aber nur, wenn es nicht so bleibt, wie es jetzt
ist.
Vielen Dank.
({8})
Ich erteile dem Kollegen Horst Schild, SPD-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der bundesstaatliche Finanzausgleich
ist traditionell sehr streitbehaftet. Wer hier bisweilen den
Eindruck erweckt, in der Vergangenheit sei es wie in einem politischen Seminar zugegangen,
({0})
der möge sich nicht nur die umfangreiche Literatur, die es
über das Zustandekommen des letzten Finanzausgleichsgesetzes und des Solidarpaktes I gibt, anschauen, sondern
er möge sich auch - das wäre vielleicht noch besser durch Kollegen informieren, die damals dabei waren.
({1})
Ich jedenfalls habe gelesen, dass über den Finanzausgleich nicht im Deutschen Bundestag zuerst diskutiert
worden sei, sondern schon vorher - zumindest was die
Grundzüge angeht - im Präsidium einer Volkspartei. Die
politische Einigung zwischen dem Bund und den Ländern, vor allen Dingen die Einigung unter den Ländern, ist
immer erst nach zähen, langwierigen Verhandlungen erreicht worden. Häufig ist die Angelegenheit früher oder
später - wir wissen das alle; es ist heute schon angedeutet
worden - in Karlsruhe gelandet. Auch diejenigen, die dem
Länderfinanzausgleich zuvor noch zugestimmt hatten
- beim Solidarpakt I und beim gegenwärtig geltenden Finanzausgleich war das der Fall -, sind nach Karlsruhe
gegangen.
Ich will hier nicht auf Details des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom November 1999 eingehen. Ich
denke an Vorgaben, bestimmte Probleme zukünftig in einem zweistufigen Verfahren zu regeln. Zum einen geht es
um ein Maßstäbegesetz - darüber reden wir im Moment und zum anderen um das auf dem Maßstäbegesetz aufbauenden Finanzausgleichsgesetz.
Ich möchte eines deutlich machen: Die mit der Zweistufigkeit verbundene Forderung nach Konkretisierung
verfassungsrechtlicher Maßstäbe des Finanzausgleichs in
einem besonderen Gesetz war das Kernanliegen dieses
Urteils. Die tragenden Elemente des Finanzausgleichs - er
hat sich durchaus bewährt und er ist effektiv - hat das
Bundesverfassungsgericht keineswegs verworfen.
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung für ein Maßstäbegesetz ist ganz bewusst als Auftakt des Gesetzgebungsprozesses konzipiert worden; deswegen müssen
wir diesem Gesetzentwurf heute noch nicht zustimmen.
Ich hoffe, dass uns diese Debatte weiterbringt. Dieser Gesetzentwurf ist eine Positionsbestimmung der Bundesregierung. Genau so - als Aufforderung, gegebenenfalls abweichende Positionen zu präzisieren - ist er verstanden
worden. Das kann man den Stellungnahmen des Bundesrates entnehmen. Mit der Vorlage dieses Gesetzentwurfes
hat die Bundesregierung gleichzeitig die politische Diskussion über die Ausgestaltung der finanziellen Grundlagen unserer föderativen Ordnung wieder auf das gerichtet, was im Rahmen der Vorgaben des Verfassungsgerichts
notwendig und machbar ist.
Zwischenzeitlichen Versuchen, den Karlsruher Urteilsspruch zu instrumentalisieren oder umzudeuten - auch
das ist ja heute schon wieder sichtbar geworden -, ist eine
klare Absage erteilt worden.
({2})
Das gilt insbesondere für die Bestrebungen, unsere auf
Kooperation und Solidarität ihrer Glieder angelegte föderale Ordnung in ihrem Kern zu verändern, sie vielleicht
gar durch das rein theoretische Konstrukt des so genannten Wettbewerbsföderalismus zu ersetzen. Beides wollen
wir nicht.
Stattdessen lautet das Programm für den Gesetzgeber als Erstinterpreten des Grundgesetzes: Konkretisierung der bestehenden Finanzverfassung, Benennung
allgemeiner und abstrakter Maßstäbe für die verschiedenen Stufen und Elemente des bundesstaatlichen Finanzausgleichs und Prüfung und Begründung der konkreten
Einzelregelungen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit einer intensiven
Diskussion insbesondere der juristischen und ökonomischen Dimensionen der Urteilsfolgen hat sich der im
Herbst eingesetzte Sonderausschuss des Deutschen
Bundestages bereits eingehend auf die vor uns liegende
Gesetzgebungsarbeit vorbereitet. Hierauf können wir in
den vor uns liegenden Ausschussberatungen aufbauen.
Die intensive Vorbereitung unserer Gesetzgebungsarbeit war unverzichtbar im Spannungsfeld unserer Arbeit
zwischen den Vorgaben des Gerichts, das vom Parlament
ausdrücklich eine aktive Rolle im Verfahren fordert, und
auf der anderen Seite dem Zeitplan, der zwischen der
Bundesregierung und den 16 Bundesländern vereinbart
worden ist.
Dieser Zeitplan sieht die Verabschiedung nicht nur des
Maßstäbegesetzes, sondern auch des Finanzausgleichsgesetzes und der Regelungen zum Solidarpakt II in dieser
Wahlperiode vor. Das kann uns nur gelingen, wenn das
Maßstäbegesetz noch vor der parlamentarischen Sommerpause abschließend beraten wird. Die politische Verklammerung von Maßstäbegesetz, Finanzausgleichsgesetz und Solidarpakt II ist dabei keineswegs willkürlich.
Im Gegenteil, eine isolierte Neuregelung der Maßstäbe
ohne Einzelelemente des Finanzausgleichs und ohne
gleichzeitige Aussagen über die Ausgestaltung des Solidarpaktes ab dem Jahre 2005 wäre mit Blick auf die Lage
in den neuen Ländern nicht verantwortbar.
({3})
Der bundesstaatliche Finanzausgleich ist seit 1995,
also seit der Einbeziehung der neuen Länder in den Länderfinanzausgleich, auf allen Ausgleichsstufen zu über
80 Prozent ein Mitteltransfer zugunsten der neuen Länder
und ihrer Gemeinden. Herr Claus - er ist nicht da -, das
sollte man zur Kenntnis nehmen. Angesichts der absoluten Zahlen wird diese Dimension besonders deutlich: Von
64 Milliarden DM Gesamtvolumen des föderativen Finanzausgleichs im Jahr 2000 gingen 52 Milliarden DM an
die neuen Länder. Die enorme Volumenausweitung beim
Finanzausgleich nach 1995 ist Ausdruck des immer
noch vorhandenen teilungsbedingten Entwicklungsrückstands Ostdeutschlands. Im Solidarpakt werden die Mittel
bereitgestellt, um diese Lücken zu schließen.
Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass die enorme Infrastrukturlücke der neuen Länder aufgrund von 40 Jahren Planwirtschaft historisch einmalig ist und nicht etwa
aus dem Unvermögen der noch jungen Länder resultiert.
Die neuen Länder sind auch zukünftig auf die Solidarität
des Bundes und der alten finanzstarken Länder angewiesen.
({4})
Der Aufbau Ost ist eine gesamtstaatliche Generationenaufgabe, und es wäre politisch unverantwortlich, sich dieser Aufgabe zu entziehen.
({5})
Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen haben
im Übrigen seit langem erklärt, den Solidarpakt der Struktur und der Höhe nach auch nach dem Jahr 2005 auf hohem Niveau fortführen zu wollen.
Die vollständige und vollwertige Eingliederung der
neuen Länder in den Finanzausgleich im Jahre 1995 war
ein wichtiger Auftrag des Einigungsvertrages und ist immer noch zentrales Element der inneren Einheit Deutschlands. Deshalb möchte ich auch ausdrücklich betonen:
Wir werden alle Änderungsvorschläge zum Finanzausgleich daraufhin prüfen, ob sie dem Einigungs- und Aufbauprozess dienlich sind.
Das trifft auch auf die so genannte Anreizdiskussion
zu, die diesen zentralen Aspekt des bundesstaatlichen Finanzausgleichs aus dem Blickwinkel zu verlieren droht.
Es ist sachlich unhaltbar, wenn die theoretische Rechtfertigung von Anreizen gerade an den besonders finanzschwachen Ländern festgemacht wird.
({6})
Diesen Ländern im Gegenzug zu einer Senkung des Ausgleichsniveaus eine besondere Belohnung für den Fall
überdurchschnittlicher Mehreinnahmen in Aussicht zu
stellen ist unrealistisch. Empirische Daten zeigen: Gerade
die finanzstärksten Länder weisen überproportionale
Steuerzuwächse auf. Sie würden bei so konstruierten Anreizen noch zusätzlich belohnt werden. Diesen Aspekt
müssen wir sorgfältig beachten. Das ist keine Frage der
Theorie, sondern der praktischen Auswirkungen auf die
neuen Länder.
({7})
Schließlich ist noch darauf hinzuweisen, dass alle Länder, Geber wie Nehmer, aus Eigeninteresse Ansiedlungspolitik betreiben, auch wenn es sie erhebliche Summen
kostet. Dazu brauchen sie nicht erst durch den Finanzausgleich angereizt zu werden.
({8})
Ich verweise auf die Beispiele Hamburg und die
Chipfabrik in Brandenburg.
Meine Fraktion wird darauf achten, dass mit dem Maßstäbegesetz eine für Bund und Länder tragfähige Grundlage für die Lösung der noch vorhandenen Streitpunkte
gefunden wird. Die Stellungnahme des Bundesrates hat
dies deutlich gemacht, auch wenn es unterschiedliche Positionen in zentralen Fragen wie der Höhe der Berücksichtigung der Finanzkraft der Gemeinden gibt. Wir werden die Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts
erfüllen, aber dennoch keine Gesetzgebung im Blindflug
betreiben. Wir werden uns der Folgen dieses Maßstäbegesetzes vor der Verabschiedung bewusst sein. Wir werden dieses Gesetz nicht im Schleier des Nichtwissens
beschließen.
Ich freue mich auf eine konstruktive Zusammenarbeit
nicht nur mit den Fraktionen dieses Hauses, sondern auch
mit den Ländern. Ich denke, wir werden am Ende dieses
Verfahrens zu einer vertretbaren Entscheidung kommen,
die den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts Rechnung trägt und die finanzielle Existenzfähigkeit von Bund
und Ländern garantiert.
Ich danke Ihnen.
({9})
Nun erteile ich das
Wort dem thüringischen Ministerpräsidenten Bernhard
Vogel.
Dr. Bernhard Vogel, Ministerpräsident ({0}):
Sehr verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten! Mit der ersten Lesung eines Maßstäbegesetzes Ende April im Bundesrat und heute
im Bundestag tritt nach monatelanger Diskussion die
Auseinandersetzung um die Umsetzung des Karlsruher
Urteils in ihre entscheidende Phase. Es geht um das Maßstäbegesetz und um das Finanzausgleichsgesetz. Es geht
aber auch um den Solidarpakt II. Verehrte Frau Frick, Sie
sollten nicht kritisieren, dass bei der Beratung dieses
wichtigen Gesetzes so viele Vertreter der Länder auf der
Bundesratsbank sitzen.
({1})
Ich kritisiere ja auch nicht, dass Ihre Fraktion in diesem
Haus so wenig vertreten ist.
({2})
Das Verfassungsgericht zwingt uns dazu, das Maßstäbegesetz in dieser Wahlperiode zu verabschieden, weil
sonst ab 1. Januar 2003 ein rechtloser Zustand einträte.
Wir sind uns aber wohl alle darin einig, dass nicht nur das
Maßstäbegesetz, sondern alle drei Vorhaben in diesem
Jahr abschließend geregelt werden sollen. Das Ringen um
den Länderfinanzausgleich und um den Solidarpakt II
darf dabei - auch wenn es auf der Vorderbühne stattfindet - die vom Verfassungsgericht vorgegebene Notwendigkeit, ein Maßstäbegesetz vorzulegen, nicht in den Hintergrund treten lassen.
Jeder in diesem Hause und jeder im Bundesrat ist sich
bewusst, dass niemand dem Maßstäbegesetz seine Zustimmung gibt, ohne zu berechnen, was insgesamt herauskommt. Das Bundesverfassungsgericht hat zwar erreicht, dass wir ein Maßstäbegesetz auf den Weg bringen.
Aber es glaubt doch niemand, dass wir nicht die finanziellen Folgen berechnen, die sich für uns ergeben. Das
wird sicherlich auch im Sonderausschuss Maßstäbe-/
Finanzausgleichsgesetz Ihres Hohen Hauses so gesehen,
dem dankenswerter Weise die Regierungschefs der Länder, insbesondere auch der neuen Länder, angehören und
der sich besonders intensiv mit der Materie beschäftigt.
Ich begrüße es zunächst, dass der Bundesfinanzminister seinen Entwurf vorgelegt hat. Wir kritisieren diesen
Entwurf keineswegs in allen Punkten, auch wenn sich alle
16 Länder im Bundesrat veranlasst gesehen haben, den
Gesetzentwurf abzulehnen - ein seltener und bemerkenswerter Vorgang.
Aufgabe des Maßstäbegesetzes ist es - so heißt es im
Urteil -, die langfristige Finanzplanung gegen aktuelle
Finanzinteressen, Besitzstände und Privilegien abzuschirmen. Die Grundausrichtung des in Rede stehenden Entwurfs der Regierung ist nach meiner Überzeugung in
einigen Teilen durchaus richtig. Die vorgesehene umfassende Ermittlung der Finanzkraft der Länder und der Gemeinden scheint mir notwendig zu sein. Dass der Bundesregierungsvorschlag vorsieht, die Hafenlasten nicht mehr
finanzkraftmindernd zu berücksichtigen, scheint mir auch
richtig zu sein, denn wenn man diese Hafenlasten ausgleichen will, dann kann das auch außerhalb des Länderfinanzausgleiches geschehen.
Schließlich halte ich es grundsätzlich für richtig, dass
den Ländern ein höherer Eigenanteil verbleibt; denn,
meine Damen und Herren, es muss sich lohnen, sich anzustrengen. Das gilt nicht nur für die finanzstarken, sondern das gilt auch für die im Aufbau befindlichen Länder.
Wir wollen, dass Anstrengung belohnt wird.
({3})
Neben diesen positiven Ansätzen besteht aber auch Anlass zu deutlicher Kritik. Die Solidarität ist das Fundament des Föderalismus, sagt Herr Kollege Eichel im Bundesrat und auch hier. Dann fügt er hinzu: Beim Geld hört
die Gemütlichkeit auf. - In der Tat, der vorliegende Entwurf erweckt den Eindruck, dass die Bundesregierung die
viel beschworene Solidarität als lästige Gemütlichkeit
empfindet. Das ist sie eben nicht, meine Damen und Herren.
({4})
Die Bundesregierung handelt nicht solidarisch, wenn
sie die Lastenverteilung zwischen Bund und Ländern einseitig zugunsten des Bundes verschiebt. Sie handelt nicht
solidarisch, wenn sie bei dieser Gelegenheit versucht, die
Verteilung der Umsatzsteuerpunkte zulasten der Länder
zu verändern. Und sie handelt nicht solidarisch, wenn sie
quasi nebenbei versucht, die verfassungsrechtlich festgeschriebene Finanzierungsregelung zum Familienlastenausgleich aufzuheben. Die Konsequenz dieser Vorschläge
wäre, dass die Länder im Jahre 2004 4,6 Milliarden DM
weniger zur Verfügung hätten.
Man kann dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes
nicht genügen, indem man eine der Verfassung widersprechende Regelung vorsieht. Die hier vorgesehene
Regelung hinsichtlich des Familienlastenausgleichs
widerspricht ganz eindeutig Art. 106 des Grundgesetzes.
Die Bundesregierung will sich nicht nur bei der vertikalen Umsatzsteuerverteilung entlasten, auch die Bundesergänzungszuweisungen und die Sonderbedarfsbundesergänzungszuweisungen sollen erheblich reduziert,
degressiv ausgebaut und zeitlich befristet werden. Aber,
wie jeder im Haus weiß, eine Kürzung der Sonderbedarfsbundesergänzungszuweisungen betrifft in besonderem Maße die jungen Länder. Für sie besteht nicht nur ein
starker infrastruktureller Nachholbedarf, sondern auch
die dringende Notwendigkeit zur Förderung der Wirtschaft, wenn man einen selbst tragenden Aufschwung erreichen will.
({5})
Im Übrigen ist eine Sonderbedarfsbundesergänzungszuweisung keine Bundesergänzungszuweisung mehr,
wenn man die Länder an ihrer Finanzierung beteiligt. Das
widerspricht schon der reinen Logik.
Natürlich, Herr Bundesminister, es gibt keine Alternativen zum Konsolidierungskurs; ich unterstütze das. Nur
darf man sich nicht zulasten Dritter konsolidieren; denn
auch die Länder wollen und müssen ihre Haushalte konsolidieren. Beide Seiten müssen das. Ihr Vorschlag führt
aber im Wesentlichen zu einer Konsolidierung des Bundeshaushaltes zulasten der Länderhaushalte, die so nicht
konsolidiert werden können. Von der Situation in den
Kommunen will ich nicht reden, sondern nur darauf hinweisen, dass die Länder gemäß unserem Verfassungssystem auch die Interessen ihrer Gemeinden wahrnehmen.
Gestatten Sie nun dem Ministerpräsidenten eines jungen Landes noch eine Bemerkung zum Aufbau Ost.
({6})
- Stören Sie sich an dem Wort jung? Meine Damen und
Herren, die alten Länder sind eigentlich viel jünger als die
jungen Länder. Das weiß doch jeder, der sich ein wenig
mit Geschichte befasst hat. Die Bindestrich-Länder Westdeutschlands sind 50 Jahre alt, Thüringen war schon im
5. Jahrhundert ein Königreich.
({7})
- Ich habe ganz bewusst von Thüringen gesprochen, Herr
Kollege Merz.
({8})
Eine Bemerkung zum Aufbau Ost. Es ist keine Frage:
Der Aufbau Ost gelingt. Gut die Hälfte des Weges wurde
schon erfolgreich zurückgelegt. Darin bin ich mir mit
meinen Kollegen in den jungen Ländern einig. Ich denke
an den Aufbauwillen der ostdeutschen Bevölkerung und
die solidarische Hilfe der westdeutschen Bevölkerung;
ebenso haben der Bund und alle Länder seit 1990 Großartiges geleistet. Dafür ist zunächst einmal Dank angesagt,
statt immer nur neue Neiddebatten zu schüren.
({9})
Wir stehen nicht auf der Kippe. Wir haben viel erreicht,
aber wir sind noch nicht am Ziel.
({10})
Ministerpräsident Dr. Bernhard Vogel ({11})
Die Bevölkerung der jungen Länder darf durch eine solche Feststellung nicht entmutigt werden. Vor allem darf
die Bevölkerung der alten Länder nicht den falschen Eindruck bekommen, der Osten sei ein Fass ohne Boden und
es lohne sich gar nicht zu helfen, da er nach zehn Jahren
auf der Kippe stehe und weitere zehn Jahre später einen
Schritt weiter sei. Das ist nicht unsere Philosophie.
({12})
Unser gegenwärtiges Problem ist nicht, dass der Aufbau Ost nicht gelingt, sondern, dass die Schere zwischen
Ost und West seit einigen Jahren wieder auseinander geht.
Die Arbeitslosigkeit im Westen sinkt, die Arbeitslosigkeit
im Osten sinkt nicht.
({13})
Das Wirtschaftswachstum in den alten Ländern betrug im
letzten Jahr 3,4 Prozent, in den jungen Ländern dagegen
1,3 Prozent.
({14})
Deswegen muss nach meiner Überzeugung jetzt etwas geschehen.
Aus diesem Grunde habe ich ein Sonderprogramm
Ost vorgeschlagen, durch das Maßnahmen in Gang gesetzt werden sollen, die sofort greifen. Sie sollen insbesondere zur Verbesserung der Infrastruktur im Forschungsbereich, im Bereich der Kommunen und der
Verkehrswege dienen. Ich lege Wert auf die Feststellung,
dass ich keine zusätzliche Mark verlangt, sondern einen
konkreten Finanzierungsvorschlag unterbreitet habe. Leider machen sich die Leute nicht die Mühe, sich damit auseinander zu setzen.
({15})
Angesichts der Tatsache - das ist ja erfreulich zu hören -, dass der Bund überraschenderweise mehrere Milliarden von Brüssel zurückbekommt, ist doch die Forderung berechtigt, zu überlegen, ob man dieses Geld dafür
verwenden kann, die Schere nicht weiter auseinander gehen zu lassen. Darüber muss man doch reden können.
({16})
Wenn der Westen stets schneller läuft als der Osten, können wir, die wir später und langsamer gestartet sind, ihn
nicht einholen. Es geht uns zwar in der Tat wesentlich besser als vor Jahren, aber dem Westen geht es um vieles besser als vor Jahren. Dieses Ungleichgewicht muss ausgeglichen werden, sonst erreichen wir das gemeinsame Ziel,
vergleichbare Lebensverhältnisse zu schaffen, nicht.
({17})
Beim Solidarpakt II - das wird nicht immer beachtet - geht es um die Zeit nach 2004. Ich bin ausdrücklich
dankbar dafür, dass weder der Bund noch die Länder je
die Notwendigkeit eines Solidarpakts II infrage gestellt
haben. Wir sind uns wohl alle einig, dass dieser Solidarpakt auch in seiner Höhe an den Solidarpakt I anschließen
muss, dass er eine Laufzeit von mindestens zehn Jahren
haben muss und dass er die voraussehbaren Folgen der
bevorstehenden Osterweiterung der EU berücksichtigen
muss. Die Strukturförderung der EU für die neuen Länder
als Zielgebiet 1 läuft 2006 aus. Das muss bei der Debatte
berücksichtigt werden.
Wie man hört und liest, haben sich meine sozialdemokratischen Kollegen am vergangenen Wochenende mit
dem Bundeskanzler getroffen - kein ungewöhnlicher Vorgang und kein Anlass zu Kritik. Missfallen hat nur, dass
der Eindruck erweckt wurde, hier habe ein neues Verfassungsorgan bereits verbindliche Beschlüsse gefasst
({18})
und man werde uns noch rechtzeitig mitteilen, wie wir sie
umzusetzen hätten. Das ist nicht unser Verständnis von
Bundesrat und lebendigem Föderalismus.
({19})
Wir müssen uns schon bemühen, uns gemeinsam zusammenzusetzen, obwohl wir die Schwierigkeiten kennen und obwohl ich persönlich weiß Gott die Chancen,
sich zu einigen, nicht überschätze. Sie wissen, wir werden
im Juni noch einmal einen ernsthaften Versuch unternehmen, uns in Sachen des Länderfinanzausgleichs aufseiten der Länder zu einigen. Denn dem stimme ich zu: Der
Vermittlungsausschuss, ein höchst achtbares Gremium,
ist für die Lösung dieses Problems nicht der geeignete
Ort.
({20})
Es muss alles getan werden, vorher eine Einigung herbeizuführen.
Thüringen hält nicht viel von Gruppenbildungen und
hat sich bei diesem Thema, ähnlich wie Nordrhein-Westfalen, bisher auch keiner Gruppe angeschlossen, unter anderem auch aus der Erkenntnis heraus, dass die Nehmerländer zwar im Bundesrat die Mehrheit haben, dass die
Geberländer aber die Mehrheit der Bundestagsabgeordneten entsenden. Auch deswegen ist es angebracht, eine
Einigung zu versuchen, vor allem aber, weil wir einen
neuen Gang Unterlegener nach Karlsruhe auf jeden Fall
verhindern sollten; denn das schadet allen und kostet
unnötig Zeit.
({21})
Natürlich gehört mein Land, wie alle jungen Länder, zu
den ärmsten Ländern der Bundesrepublik. Aber wir wollen das nicht auf Dauer bleiben. Deswegen wünschen wir
uns ein Maßstäbegesetz und einen Finanzausgleich, die
denjenigen belohnen, der sich besonders anstrengt. Das
ist auch in unserem Interesse.
({22})
Ministerpräsident Dr. Bernhard Vogel ({23})
Ich meine deswegen: Lippenbekenntnisse zum Föderalismus sind gut, reichen aber nicht mehr, sondern es muss
gehandelt werden. Wenn wir etwas erreichen wollen,
muss gemeinsam gehandelt werden. Nur so können wir
die Probleme lösen.
Das Maßstäbegesetz, wie es vorliegt, wird zu den Gesetzen gehören, die dieses Haus nicht so verlassen, wie sie
es betreten haben. Aber ein Maßstäbegesetz wird gebraucht, bei Ihnen und bei uns im Bundesrat.
({24})
Meine Damen und
Herren, auf der Ehrentribüne hat der Präsident des Parlaments der Republik Litauen, Herr Arturas Paulauskas,
mit einer Abgeordnetendelegation Platz genommen. Ich
darf Sie von hier aus im Namen des ganzen Hauses herzlich begrüßen.
({0})
Die Wiederherstellung der Unabhängigkeit Litauens
und die Überwindung der deutschen Teilung verdanken
sich beide den historischen Ereignissen des europäischen
Schicksalsjahres - oder ich sollte besser sagen: Glücksjahres - 1989. Unsere Länder verbindet seitdem in besonderem Maß der Wunsch nach einer gesicherten Existenz in
einem freien und geeinten Europa. Bei meinem Besuch in
Litauen im vergangenen Jahr konnte ich mich überzeugen,
mit welchem Engagement Ihr Land die volle Integration in
die euroatlantische Gemeinschaft, Europäische Union und
NATO, anstrebt. Ich hoffe, dass Sie bei den zurückliegenden Begegnungen in den vergangenen Tagen in Dresden
und Berlin Ihrerseits spüren konnten, mit wie viel Interesse
und wie viel Sympathie wir in Deutschland Ihre Bestrebungen begleiten und unterstützen.
Sie werden in wenigen Stunden nach Litauen zurückkehren. Ich danke Ihnen für Ihren Besuch und wünsche
Ihnen für die noch verbleibende Zeit einen angenehmen
Aufenthalt in unserem Land.
({1})
Nun erteile ich der Kollegin Antje Hermenau, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese Debatte
findet zur besten Redezeit des Parlaments in dieser Woche
statt: in der Kerndebattenzeit. Auf den Tribünen sitzen
sehr viele Leute. Wahrscheinlich sitzt der eine oder andere
vor dem Fernsehgerät und verfolgt diese Debatte. Diese
Leute werden sich die ganze Zeit schon fragen: Worüber
reden die eigentlich? Worüber streiten die eigentlich? Was
ist eigentlich das Problem?
({0})
Genau das ist das Problem: Das, was passiert, ist nicht
transparent. Das ist unser Problem, das wir lösen müssen.
Das ist die Aufgabe, die Karlsruhe uns gestellt hat.
({1})
Wir reden über das Maßstäbegesetz, den Länderfinanzausgleich und über den Solidarpakt II. Ich halte es für
richtig, dass man alle drei im Zusammenhang diskutiert.
Wir haben die Friktionen unter den Vertretern im Bundesrat, unter den Ministerpräsidenten und den Länderfinanzministern bemerkt. Es gibt in den ostdeutschen Bundesländern natürlich eine emotionale und psychologische
Verunsicherung darüber, was mit dem Länderfinanzausgleich werden soll und was dann für den Solidarpakt II
übrig bleibt. Deswegen muss man dies alles im Zusammenhang diskutieren, was wir auch tun. Man muss aber
genau unterscheiden, was wofür steht. Dies wurde bisher
in der Debatte gern vermieden. Ich möchte Klarheit darüber schaffen, worüber wir eigentlich streiten.
Der politische Normalfall ist das, was im Länderfinanzausgleich geregelt wird. Ich als ostdeutsche Abgeordnete möchte, dass wir so viel wie möglich über den
Länderfinanzausgleich, also den politischen Normalfall,
regeln. Ich halte dies für realistisch, transparent und langfristig. Das sind die entscheidenden Kriterien dafür.
Der politische Sonderfall, von dem wir auch reden
müssen, ist zum Beispiel Gegenstand der Regelungen
zum Solidarpakt II, des Investitionsförderungsgesetzes
und der Sonderbundesergänzungszuweisungen. Schon
der Name zeigt, dass sie etwas Besonderes sind. Dazu
gehören auch andere Bundeszuständigkeiten. Aber hier
liegt der Hase im Pfeffer: Bei diesen politischen Sonderfällen kann man nicht von einer Finanzierung über Jahre
und Jahrzehnte ausgehen. Man kann nicht davon ausgehen, dass es ein selbstverständliches Ausgleichssystem
zwischen ost- und westdeutschen Bundesländern gibt.
Man muss vielmehr jedes Mal aufstehen und sagen: Wir
bedürfen eines Sondergeldes. - Hier gilt: Wenn wir alle
Vorstufen durchdekliniert haben, werden die zum Schluss
übrig gebliebenen paar Mark noch verteilt werden. Viele
werden das nicht mehr sein. Das hängt aber davon ab, wie
über die Vorstufen verhandelt wird. Den Letzten beißen
die Hunde. Zum Schluss geht es dann um Sonderergänzungszuweisungen und Sonderfinanzierungen. Deswegen bin ich sehr enttäuscht darüber, dass die ostdeutschen
Ministerpräsidenten insgesamt nicht stärker für eine
höhere Anrechnung der kommunalen Finanzkraft der
ostdeutschen Kommunen plädiert haben.
Reden wir einmal darüber: Im Jahre 1969 gab es ein armes Bundesland. Dessen berühmtester Politiker, Franz
Josef Strauß, hat dem damals wirtschaftlich so schlecht
stehenden Lande geholfen, indem er argumentierte, man
müsse die kommunale Finanzkraft zu 100 Prozent einrechnen. Alles andere würde das arme Land furchtbar benachteiligen. Dies war in der Phase des Aufbaus Süd. Der
hat funktioniert, wie wir wissen. Das können wir heute daran erkennen, dass bei diesem Thema der Herr Stoiber
ganz andere Töne als weiland der Herr Strauß anschlägt.
({2})
Als Herr Strauß schon damals sagte, der zwar ein umstrittener, aber zumindest ein gescheiter Politiker gewesen ist,
die kommunale Finanzkraft müsse deutlich stärker einbezogen werden, war das genauso realitätsnah wie unser
Vorschlag von Bundesseite, dass die kommunale Finanzkraft stärker einbezogen werden muss.
Ministerpräsident Dr. Bernhard Vogel ({3})
Ich kenne die Debatten aus dem Bundesrat und habe
die Protokolle nachgelesen. Ich weiß, dass zum Beispiel
Herr Teufel der Meinung ist, man würde gegen das
Grundgesetz und die Verfassung verstoßen, wenn man die
kommunale Finanzkraft zu 100 Prozent einbeziehen
würde. Wir können gern über einen Korridor reden, der
ein wenig Luft für die kommunale Selbstständigkeit lässt.
Wir müssen nicht unbedingt bei 100 Prozent ankommen.
Aber die Anrechnung der kommunalen Finanzkraft nur zu
zwei Dritteln als Erfolg zu bezeichnen, halte ich angesichts der desolaten Finanzlage der Kommunen im Osten
für verfehlt. Man kann sagen, dass es Bewegung gegeben
hat, die man auch honorieren muss. Das ist völlig korrekt.
Aber ein Erfolg, Herr Ringstorff, ist das nicht.
Ich wünsche mir, dass die ostdeutschen Ministerpräsidenten in ihren Kaminrunden und sonstigen Runden deutlich stärker auf diesen Aspekt abheben. Ich möchte nicht,
dass sie sagen: Das Argument wollen wir uns für einen
späteren Zeitpunkt aufheben, zu dem wir über Sonderfinanzierungen, Sonderberdarfsbundesergänzungszuweisungen und was weiß ich sprechen müssen. - Das ist
schwach. Am Ende wird dieses Argument nicht mehr ziehen. Dann nützen Absichtserklärungen gar nichts.
Ich glaube, die fünf ostdeutschen Länder profitieren
langfristig und strukturell stabil nur davon, dass die kommunale Finanzkraft deutlich höher angerechnet wird, als
das jetzt der Fall ist, und zwar deutlich höher als die zwei
Drittel, die jetzt im Raume stehen. Ich habe das Ganze für
eine spanische Eröffnung gehalten; die dafür nötigen zwei
Springer werden ja noch zu Wort kommen. - Ich bin der
Auffassung, dass Sie diesen Punkt sehr viel besser
bearbeiten müssen. Wir brauchen bei der Anrechnung der
realen kommunalen Finanzkraft einen Korridor, der bei
mindestens 70 bzw. 80 Prozent liegt. Alles, was darunter
liegt, ist kein Erfolg, sondern höchstens Bewegung.
({4})
Nun zu einem anderen Aspekt: Herr Ministerpräsident
Vogel, Sie haben hier ausführlich dargestellt, wie wichtig
es Ihnen ist, dass es ein Sonderprogramm gibt. Sie haben dazu einen Finanzierungsvorschlag gemacht, der
nicht so einfach ist, wie Sie ihn hier dargestellt haben;
aber belassen wir es erst einmal dabei.
Ich finde es nicht richtig, dass wir im elften Jahr nach
der Wende noch immer darauf angewiesen sind, so viel
wie möglich über Sonderfinanzierungen und Sonderprogramme zu realisieren. Ich möchte, dass wir mehr Kraft
darauf verwenden, in den politischen Normalfall eingeordnet zu werden, damit wir nicht jedes Mal Diskussionen
führen müssen, um die Notwendigkeit von Sonderfinanzierungen glaubhaft darzustellen.
Dies betrifft ebenso den Solidarpakt II. Im Rahmen
dessen wird immer gefordert, man brauche für die nächsten zehn Jahre, über den Daumen gepeilt, 300 Milliarden DM. Diese Zahl ist nirgends belegt: Die einen sprechen von 140 Milliarden DM, die anderen sprechen von
300 Milliarden DM. Wenn man das Klima in dieser Debatte nicht vergiften will, heißt das für uns Ostdeutsche,
jeden Wasserhahn, den wir installieren wollen, im Einzelnen abrechnen zu müssen, um die Notwendigkeit dieser
Finanzmittel überhaupt glaubhaft darstellen zu können.
Mir wäre es lieber, wir würden uns mehr Handlungsfähigkeit schaffen, indem wir auf der Basis einer realistischen Berechnungsgrundlage im Rahmen des Länderfinanzausgleiches ordentliches, sauberes und langfristig
strukturell geordnetes Geld bekommen. Das ist mir viel
wichtiger. Es erhöht unseren Handlungsspielraum und
unsere Beweglichkeit.
Es war Waigels Fehler, damals gesagt zu haben: Okay,
der Bund buckelt die Finanzierung der neuen Länder. Das Problem, das wir jetzt mit lösen müssen, ist ja, dass
der Bund in den letzten Jahren die westdeutschen Bundesländer geschont hat und selber einen großen Teil der
Probleme finanziell gebuckelt hat. Da ist es ein bisschen
wohlfeil, sich hier hinzustellen und zu sagen: Es kann
nicht sein, dass sich der Bund zulasten der Länder saniert.
- Natürlich müssen alle ihre Haushalte konsolidieren. Es
kann aber auch nicht sein, dass wir von einem Sonderprogramm zum nächsten hecheln. Nach über einer Dekade deutscher Einheit ist das einfach nicht mehr angemessen.
Vonseiten der F.D.P. wurde heute gesagt, es sei wichtig, auch Anreize einzubringen. Da pflichte ich Ihnen
durchaus bei. Es ist nicht so, dass in den Koalitionsfraktionen nicht über Anreize gesprochen wird. Das ist kein
Monopol der F.D.P.-Fraktion. Dazu muss man einmal
feststellen: So komisch die Kaminrunde am letzten Wochenende auch gewesen sein mag - denn sie ist kein Ausschuss des Bundestages -, so hat es auch gute und interessante öffentliche Vorschläge seitens der Kaminrunde
gegeben.
Einer davon betrifft nach meinem Verständnis die Anreizsysteme, indem man sagt, dass es keine ausschließliche Mindestauffüllung mehr geben soll, sondern eine
Auffüllung von 75 Prozent, wobei dann folgendes Prinzip
in Kraft treten soll: Diejenigen, die mehr als 75 Prozent
erwirtschaften, bekommen für jede darüber hinausgehende D-Mark in Form eines Selbstbehaltes 25 Prozent
- ein Viertel ist immerhin ein Anreiz - und diejenigen, die
weniger erwirtschaften, erhalten nur eine Auffüllung bis
zu 75 Prozent; auch das ist ein Anreiz, und zwar ein negativer. Ich finde, das ist ein vernünftiger Vorschlag, den
wir in unsere Diskussion mit einbeziehen sollten.
Herr Ministerpräsident Vogel, natürlich wird es zu diesem Gesetzentwurf noch viele Debatten geben. Natürlich
wird auch dieser Entwurf nicht 1:1, so wie er eingebracht
worden ist - da haben Sie völlig Recht -, die Beratungen
im Ausschuss verlassen können.
({5})
- Das ist bei fast keinem Gesetz je so geschehen; das ist
völlig richtig. - Aber da wir jetzt bei der Eröffnungsrunde
des Schachspiels sind und die zwei Springer der spanischen Eröffnung noch sprechen werden, möchte ich darauf hinweisen, dass es noch ein paar Ziele gibt, die man
erreichen muss. Es gibt sozusagen eine Hürde, über die
man springen muss. Die wesentliche Hürde für die fünf
neuen Länder im Rahmen des Länderfinanzausgleichs ist
und bleibt die Anhebung der Anrechnung der realen komAntje Hermenau
munalen Finanzkraft. Diese muss mindestens in einem
Korridor von 70 bis 80 Prozent liegen. Alles andere ist
kein Erfolg.
Danke schön.
({6})
Ich erteile dem Kollegen Rainer Funke, F.D.P.-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Das bereits mehrfach erwähnte Urteil des
Bundesverfassungsgerichts vom 11. November 1999 ist
sicherlich eines der bedeutendsten Urteile in seiner
langjährigen Geschichte. Es regelt nicht nur finanzpolitisch und steuerpolitisch bedeutsame Fragen im Verhältnis von Bund und Ländern, sondern berührt in einem ganz
besonderen Maße Fragen unserer föderalen Ordnung.
Dies ist nicht nur aus Sicht der Länder zu betrachten; auch
der Bundestag hat ein besonderes Interesse am Funktionieren unserer föderalen Ordnung.
({0})
Das Gericht hat zu Recht festgestellt, dass das geltende
Finanzausgleichsgesetz verfassungswidrig und deshalb
nur noch als Übergangsrecht anwendbar sei. Dabei hat das
Bundesverfassungsgericht deutlich gemacht, dass das zu
verabschiedende Maßstäbegesetz konkrete Zuteilungsund Ausgleichsmaßstäbe benennen müsse. Wir von der
F.D.P.-Fraktion haben allerdings große Zweifel, ob der
Gesetzentwurf der Bundesregierung insbesondere hinsichtlich der Konkretisierung hinreichend deutlich wird.
Hier müssen die Ausschüsse wahrscheinlich noch sehr
viel nacharbeiten. Die F.D.P. will sich dabei sehr dezidiert
an den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts orientieren. Dazu zählt auch, dass die grundsätzliche Funktionsfähigkeit der Länder gesichert sein muss, dass aber auch
die unterschiedlichen Leistungen und die unterschiedliche Finanzkraft der Länder berücksichtigt werden müssen.
Es ist bedauerlich, dass die Zeit seit dem Urteil des
Bundesverfassungsgerichts - es sind jetzt fast zwei Jahre
- durch Basargefeilsche der Bundesländer verplempert
worden ist. Besser wäre es gewesen, zunächst einmal eine
grundsätzliche Bestandausnahme über das zu machen,
was Föderalismus heute zu leisten hat. Erst am Ende dieser Diskussion hätte die Ausgestaltung des Länderfinanzausgleichs diskutiert werden müssen.
Dabei wäre man sehr schnell zu der Frage gekommen,
ob ein Sonderbedarf der Länder wegen besonderer Verantwortung zu berücksichtigen sei. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Leitsatz in Ziffer 7 ausdrücklich gesagt, dass bei der Ermittlung der Finanzkraft
Sonderbedarf nicht berücksichtigt werden dürfe, jedoch
strukturelle Eigenarten - insbesondere bei den Stadtstaaten - als Ausnahmetatbestand erwähnt. Dasselbe gilt für
die Berücksichtigung bei Sonderbelastungen aus der Unterhaltung und Erneuerung von Seehäfen.
Die hanseatischen Stadtstaaten, die im Übrigen auch
die bedeutenden Seehäfen zu unterhalten haben, stellen
für unsere föderale Grundordnung eine traditionelle republikanische Funktion dar, die es zu erhalten gilt.
({1})
- Vielen Dank, Frau Fuchs. - Sie haben auch gegenüber
den umgebenden Ländern Niedersachsen und SchleswigHolstein eine besondere Metropolfunktion und stellen für
die Umlandgemeinden praktisch die gesamte Infrastruktur, angefangen von Krankenhäusern bis hin zu Museen.
Auch stellen diese Stadtstaaten die Arbeitsplätze zur Verfügung.
Dass daraus eine zusätzliche Belastung entsteht, dürfte
außer Zweifel stehen. So haben zahlreiche Wissenschaftler, insbesondere das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung, mehrfach die Berechtigung einer besonderen Einwohnerbewertung - in diesem Fall von 135 Prozent - für
angemessen gehalten. Davon ist offensichtlich auch das
Bundesverfassungsgericht in seinen Urteilsgründen ausgegangen. Die zusätzliche Einwohnergewichtung der
Stadtstaaten infolge ihrer Metropolfunktion sollte zur
Vermeidung zukünftiger Auseinandersetzungen stärker
als bisher im Maßstäbegesetz berücksichtigt werden. Wir
wollen nämlich zukünftiges Feilschen der Bundesländer
untereinander durch klare Regelungen des Maßstäbegesetzes verhindern.
({2})
Meine Damen und Herren, wir hätten es natürlich auch
lieber gesehen, wenn das Maßstäbegesetz und das Finanzausgleichsgesetz - wenn nicht zur gleichen Zeit, so doch
in einem zeitlich näheren Zusammenhang - zusammen
beraten worden wären; denn es ist ja nicht zu verkennen,
dass beides eng zusammenhängt. Das sieht man auch an
der Feilscherei der Bundesländer untereinander, aber
ebenso mit dem Bund.
Wir hätten auch gerne gesehen, wenn der föderale Leistungswettbewerb stärker als bisher nach dem Motto, dass
sich Leistung und Sparsamkeit lohnen sollen, im Entwurf
des Maßstäbegesetzes berücksichtigt worden wäre.
({3})
Die F.D.P.-Fraktion wird in ihrer Gesamtheit entsprechend den von Frau Professor Frick genannten Grundsätzen intensiv und konstruktiv an der Beratung dieses Gesetzentwurfs mitwirken.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({4})
Jetzt spricht die Kollegin Dr. Barbara Höll für die PDS-Fraktion.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es tut gut, an dieser Stelle der Diskussion noch
einmal auf das Grundproblem unserer Debatte hinzuweisen. Im Kern ging es bei der Klage der Geberländer
vor dem Bundesverfassungsgericht um den Versuch, das
Sozialstaatsprinzip des föderalen Systems der Bundesrepublik Deutschland aufzukündigen.
({0})
Dieses Sozialstaatsprinzip beinhaltet, dass wir gehalten
sind, staatliches Handeln danach auszurichten, in möglichst hohem Maße für die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse über die Grenzen der Gliedstaaten hinweg
Sorge zu tragen.
({1})
Das setzt natürlich eine relativ starke Zentrale voraus, erfordert aber auch einen solidarischen Ansatz.
Hier steht die Entscheidung zwischen einem weiteren
Ausbau und der Fortentwicklung des Sozialstaatsprinzips
im föderalen System zu einem modernen, demokratischen, sozialen Föderalismus oder dem Übergang zu
Wettbewerbsföderalismus auf der Tagesordnung.
Herrn Metzgers Betonung der eigenständigen Position
der Grünen hat mich schon sehr erstaunt. Ich dachte, Sie
seien an der Regierung beteiligt und trügen auch deren
Entwurf.
({2})
Es fragt sich, inwieweit es Ihnen, wenn Sie versuchen, mit
dem schönen, neuen, modernen Terminus aktivierender
Föderalismus zu agieren, gelingen wird, zu verschleiern,
dass es auch bei Ihnen sehr starke Tendenzen gibt - mit
denen Sie anscheinend noch nicht durchgekommen sind;
ich hoffe, Sie kommen damit auch nicht durch -, die darauf hinauslaufen, den Wettbewerbsföderalismus weiter
voranzubringen. Das wird so wenig funktionieren, wie
man ein bisschen schwanger sein kann.
({3})
Herr Metzger betonte ebenfalls, dass wir als Bundestagsabgeordnete verpflichtet sind, die Bundesinteressen
zu vertreten. Das ist für mich in gewisser Weise etwas
Neues. Ich dachte, ich bin als Bundestagsabgeordnete gewählt, um die Interessen der Bürgerinnen und Bürger
({4})
zu vertreten. Das heißt natürlich, sie in ihrem Leben in der
Kommune, in einem Bundesland innerhalb der Bundesrepublik Deutschland zu vertreten. Deshalb sehen wir es als
unsere oberste Pflicht an, ein Gegeneinander-Ausspielen
der Interessen von Bund und Ländern und ein Vergessen
der kommunalen Interessen nicht zuzulassen, sondern
diesen solidarischen Ansatz wirklich voranzustellen.
Das bedeutet natürlich, dass wir vor der Aufgabe stehen, über die Finanzverfassung der Bundesrepublik
Deutschland insgesamt zu diskutieren und das Konnexitätsprinzip auch im Bundestag endlich auf die Tagesordnung zu setzen.
Das Bundesverfassungsgericht hat von uns die Quadratur des Kreises verlangt. Ich zitiere:
Der Gesetzgeber muss - unabhängig von wechselnden Ausgleichsbedürfnissen und von konkreten Zuteilungs- und Ausgleichssummen - langfristig anwendbare Maßstäbe bestimmen, aus denen dann die
konkreten, in Zahlen gefassten Zuteilungs- und Ausgleichsfolgen abgeleitet werden können.
Dies ist ein hehres Ziel, aber wohl kaum zu realisieren,
wenn als nächster Schritt über die Neuregelung des Finanzausgleichsgesetzes diskutiert werden soll. Denn wir
können darüber nicht abstrakt diskutieren, ohne im Kopf
zu haben, was das konkret bedeutet. Von daher ist die Aufgabenstellung, vor der Bundestag und Bundesrat stehen,
sehr schwierig.
Ich möchte nun noch etwas zu einem Aspekt sagen, der
mich in der Debatte doch sehr bewegt hat. Von verschiedener Seite ist betont worden, es sei notwendig, das Leistungsprinzip stärker zu fördern, ein bisschen Wettbewerb
auch im Föderalismus zu verankern. Als Beispiel wird oftmals die Frage der Betriebsprüfungen angeführt. Da ist ja
etwas dran. Es gibt in der Tat absolut zu wenige Betriebsprüfungen - aber in allen Bundesländern! Betriebsprüfungen sind eigentlich das einzige steuerliche Mittel, das
die Bundesländer im Standortwettbewerb haben. Schon
heute gibt es zwischen den Kommunen einen umfassenden Standortwettbewerb - was sich dann in den unterschiedlichen Hebesätzen bei der Gewerbesteuer ausdrückt. Die Länder haben ein solches steuerliches
Instrument nicht, aber die Betriebsprüfungen. Ab und zu
wird dies auch klar gesagt: Wir dürfen nur nicht in den Geruch kommen, mehr als in anderen Bundesländern zu prüfen; das könnte ja potenzielle Investoren abschrecken.
Nun frage ich mich allerdings wirklich, ob ein Ministerpräsident oder eine Ministerpräsidentin eines Landes
Entscheidungen davon abhängig machen sollte, wie viel
beim Länderfinanzausgleich herauskommt. Ich denke, es
wird ihm bzw. ihr lieber sein, wenn Arbeitsplätze geschaffen werden, wenn Menschen wieder in Lohn und
Brot kommen und die Möglichkeit haben, selbst für ihren
Lebensunterhalt zu sorgen. Auch unser Bundeskanzler
hatte ja eigentlich diese Zielstellung und hat den Abbau
der Arbeitslosigkeit als sein Hauptbetätigungsfeld gesehen. Leider ist er dabei bisher nicht sehr erfolgreich. - Ich
meine, diese gesamte Diskussion zeigt die Notwendigkeit, im Bundestag weiter am Maßstäbegesetz zu arbeiten.
Lassen Sie mich abschließend noch etwas zu einem
weiteren Aspekt sagen, und zwar zum Solidarpakt. Ich
finde es erstaunlich, dass die Bundesregierung - bei aller
Unkonkretheit, die Maßstäbe haben müssen - weiß, dass
die Notwendigkeit eines Solidarpaktes nach Abschluss
des Solidarpaktes II auslaufen wird. Denn so ist es formuliert:
Nach dem Willen des maßstabbildenden Gesetzgebers gehen die Solidarpflichten des Bundes über
diese einmalige Verlängerungsmöglichkeit der Gewährung von Sonderbedarfsergänzungszuweisungen
für die neuen Länder und Berlin nicht hinaus.
Das kann ich nicht verstehen. Ich wusste nicht, dass Herr
Eichel hellseherisch veranlagt ist. Wir sind es nicht. Wir
halten es für erforderlich, im Gesetz einerseits die nötige
Unschärfe zu verankern und andererseits die nötige
Schärfe einzuziehen, zum Beispiel was den Dünnbesiedelungsfaktor betrifft.
Frau Kollegin Höll,
das klingt zwar alles wie ein Satz, aber Sie müssen wirklich zum Ende kommen.
Die Notwendigkeit eines
Dünnbesiedelungsfaktors ist vorhanden. Wie er sich konkret entwickeln wird, wird man dann sehen.
In diesem Sinne: Ich meine, wir haben gemeinsam genug zu tun - im Interesse des gesamten Landes!
Danke.
({0})
Es spricht jetzt der
Erste Bürgermeister der Stadt Hamburg, Ortwin Runde.
Ortwin Runde, Erster Bürgermeister ({0}):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Abgeordnete Schild hat Recht: Der Finanzausgleich ist streitbehaftet. Das bietet gleichzeitig überraschende Bündnismöglichkeiten, wobei man sagen muss: Ein Bündnis, das
sich gebildet hat, ist nicht so überraschend. Dass sich, bezogen auf den vertikalen Finanzausgleich, die Länder
- wie schon im Bundesrat - zusammenrotten und sich
gegen den Bund einig sind, gehört zu den weniger überraschenden Punkten. Das ist aber nun einmal so und das
muss der Bundesfinanzminister dann auch zur Kenntnis
nehmen.
Herr Seiffert hat gesagt: Hoffentlich wiederholen die
hier nicht die Reden, die sie im Bundesrat gehalten haben.
Da kann ich Sie beruhigen: Das wird nicht geschehen.
({1})
Man muss auch feststellen: Es ist wirklich ein anderes
Gremium.
({2})
Die Menschen hier sind ganz offenkundig leichter zu erfreuen, als das im Bundesrat der Fall ist.
({3})
Das mit dem Eichhörnchen und dem Kaninchen hat mir
übrigens in der Tat sehr gut gefallen.
({4})
- Das geht alles von meiner Redezeit ab. Dass sich Herr
Eichel nicht freut, kann ich mir nicht vorstellen.
Klar ist, dass wir bei dem Thema Finanzausgleich nur
vorankommen, wenn wir existenzielle Ängste und Bedrohungen vermeiden. Es ist ein schwieriger Prozess gewesen, hier ein Stück voranzukommen. Der Sonderausschuss des Bundestages hat frühzeitig erkannt: Es wird
nur Lösungen im Miteinander geben. Das ist hochkomplex, weil wir verschiedene Ebenen und verschiedene
Dimensionen zusammenzubringen haben. Dies muss in
einem System geschehen, das nicht einfach ist und das bei
allen Rufen nach Transparenz nie ganz einfach werden
wird. Ich kann nur alle diejenigen warnen, die ein einfaches System fordern. In einer komplexen Welt gibt es das
nicht. Das kann nur ein Laie fordern.
Wir müssen etwas finden, das nicht zulasten der neuen
Länder geht, nicht zulasten der finanzschwachen westlichen Länder, nicht zulasten der Zahlerländer und auch
nicht den Stadtstaaten das Lebenslicht ausbläst. Das gehört natürlich mit dazu, wenn ich dies als Bürgermeister
der Freien und Hansestadt Hamburg sagen darf.
Sagen wir es so: Es geht um eine fein abgestimmte Justierung eines empfindlichen Systems. Wer da meint, mit
dem großen Schraubenschlüssel oder mit dem dicken
Hammer herumfuhrwerken zu müssen, der riskiert den
föderalen Kurzschluss. Aber wenn es einen Kurzschluss
gibt, sitzen bekanntlich alle im Dunkeln. In bestimmten
Konstellationen soll dies ja interessant sein.
({5})
Das Thema Finanzausgleich ist nicht für Schaukämpfe
geeignet. Dies gilt auch für eine Aufteilung in A- und BLänder: Man darf nicht in Lagern von CDU/CSU, SPD
und Rot-Grün gegen andere Buntkulturen denken. Das
geht nicht. Deswegen haben die Ministerpräsidenten auch
gesagt: Wir müssen aus den Gräben heraus. Negativ ausgedrückt bezeichnet man dies als Kungeln; positiv ausgedrückt mit: Wir müssen endlich die Sprachlosigkeit überwinden und miteinander kommunizieren.
({6})
Solche Lockerungsübungen haben wir letzten Samstag
gemacht. Meines Erachtens haben sie zu ganz guten Ergebnissen geführt, nämlich zu sechs Eckwerten, die uns in
der Tat in der Diskussion und Lösungsfindung ein Stück
weiterführen.
Erstens. Die Bundesregierung ist bereit - das ist ein
Eckwert, Bundesfinanzminister Eichel hat dies dankenswerterweise ausgeführt -, im Rahmen des bundesstaatlichen Finanzausgleichs den Fonds Deutsche Einheit
zu übernehmen und durch eine Umfinanzierung 1 bis
1,5 Milliarden DM dauerhaft - ich lege Wert darauf, dies
zu unterstreichen - zur Verfügung zu stellen. Ich muss sagen: Dies ist eine Konsensfindungserleichterungsmaßnahme, für die wir - dies sage ich für alle Länder - dem
Bundesfinanzminister dankbar sind. Konsensfindungserleichterung wird immer begrüßt.
Herr Bürgermeister,
gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Dr. Christa
Luft?
Ortwin Runde, Erster Bürgermeister ({0}): Ja,
aber fassen Sie sich bitte kurz.
Das geht nicht von Ihrer Redezeit ab.
Ortwin Runde, Erster Bürgermeister ({0}):
Nicht? Dann können Sie ganz gelassen sprechen.
Es ist in dieser Debatte schon
wiederholt gesagt worden und auch Sie haben darauf hingewiesen: Es sei ein Erfolg, wenn es zu einem Konsens
darüber käme, dass der Bund den Fonds Deutsche Einheit tilgen, die Zinsen zahlen und dafür einen höheren
Umsatzsteueranteil der Länder einbehalten würde. Meinen Sie nicht auch, dass dies letztlich - so sehe ich es bis
jetzt - zulasten der neuen Bundesländer ginge?
({0})
Denn diese sind an der Tilgung und an der Zinszahlung
nicht beteiligt, würden aber auch Umsatzsteueranteile
verlieren.
Ortwin Runde, Erster Bürgermeister ({1}):
Nein, das geht nicht zulasten der neuen Länder, Frau Luft.
Wir haben uns das sorgfältig überlegt. Dies kann man bei
der Gesamtgestaltung berücksichtigen. Wir haben es eben
nicht nur mit einer Justierschraube zu tun, sondern mit einer Vielzahl von Justierschrauben. Deswegen habe ich
von einem empfindlichen System gesprochen, das man
justieren muss. Man kann das so regeln, dass die Interessen der neuen Länder selbstverständlich mit berücksichtigt werden. Das liegt mir in der Tat am Herzen. Das ist
möglich.
Zweitens: Am Ende soll mit diesen Konsensfindungserleichterungsmaßnahmen für alle Länder eine schwarze
Null stehen. Dieses Ziel ist innerhalb des Länderfinanzausgleichs systemkonform zu realisieren. Dies ist
auch noch eine Teilantwort auf die Frage von Frau Luft.
Wir Länder sind dankbar für diesen Beitrag und für die
Unterstützung bei der Konsensfindung.
Drittens: Die kommunale Steuerkraft soll zukünftig
mit einem Anteil von bis zu zwei Dritteln in den Länderfinanzausgleich einbezogen werden, wobei das Verhältnis
von Real- zu Verbundsteuern flexibel gestaltet werden
soll. Hier wird ja diskutiert, ob die kommunale Steuerkraft nicht eigentlich zu 100 Prozent einbezogen werden
müsste. Wenn man sich aber das Verfassungsgerichtsurteil ansieht, so gibt es sehr gute Argumente dafür, dass
nicht mehr als 50 Prozent einbezogen werden dürfen.
({2})
Insbesondere im Hinblick auf die Selbstständigkeit der
Gemeinden muss man dies sehen. Wir haben uns als Kompromiss zwischen der 100-prozentigen Einbeziehung, wie
im Entwurf des Maßstäbegesetzes des Bundes vorgesehen, und der 50-prozentigen Einbeziehung, die von Zahlerländern gefordert worden ist, auf zwei Drittel verständigt.
Viertens. Die Einwohnerwertung zugunsten der Stadtstaaten soll in der Größenordnung von 135 Prozent beibehalten werden, wobei eine Überprüfung der Höhe nach sieben Jahren mittels Großstadtvergleichs erfolgen soll.
Dabei ist es wichtig, dass festgeschrieben wird: Wenn
nicht 135 Prozent, dann aber die Methode Großstadtvergleich. Das ist ein entscheidender Punkt.
Fünftens. Im Sinne einer Anreizwirkung im System ist
hinsichtlich der Steuereinnahmen, die über dem Durchschnitt liegen, künftig ein höherer Selbstbehalt vorgesehen. Dies scheint mir gerade für die kleineren Länder ein
richtiger Anreiz zu sein.
Sechstens. Der Solidarpakt II ab dem Jahre 2005 wird
für mindestens zehn Jahre vereinbart.
Herr Seiffert hat voller Stolz auf Baden-Württemberg
verwiesen. Deswegen muss ich als Bürgermeister der
Freien und Hansestadt Hamburg sagen, dass wir im alten
System des Länderfinanzausgleichs - auch ohne Neugliederung - über 50 Jahre lang die höchste Pro-Kopf-Belastung aller Länder gehabt haben. Hamburg ist aber solidarisch geblieben.
Apropos Leistungsfeindlichkeit des gegenwärtigen Länderfinanzausgleichs: Wenn man sieht, dass sich Bayern
unter den Bedingungen des alten Systems des Länderfinanzausgleichs mithilfe Hamburgs aus einem Nehmer- in
ein Zahlerland verwandelt hat,
({3})
dann zeigt das doch, dass das System so schlecht nicht
sein kann.
({4})
Da ich Herrn Waigel gerade sehe, will ich noch sagen:
Die Einbeziehung der neuen Länder in den geltenden alten Finanzausgleich war eine enorme solidarische Leistung, die man nicht unterschätzen sollte. Insoweit ist also
Entscheidendes geleistet worden.
({5})
Jetzt kommt es darauf an, das Maßstäbegesetz unter
großem Zeitdruck, nämlich möglichst bis zur Sommerpause, zuwege zu bringen. Denn wir sind alle darauf angewiesen, Klarheit über den finanziellen Rahmen der
nächsten Jahre zu erhalten, und zwar vor dem Hintergrund
der Rentenreform, der Familienleistungsgesetze und des
Länderfinanzausgleichs. Insofern haben wir eine schwierige Aufgabe vor uns. Dass auch von CDU/CSU-Seite gesagt wird, bitte nicht in den Vermittlungsausschuss, wird
Herr Blens verstehen. Ich verstehe aber auch Sie, Herr
Eichel, dass Sie es angesichts der Beurteilung von Herrn
Blens nicht so gerne hätten. Also sollten wir sehen, dass
uns eine Einigung in einem ganz normalen Abstimmungsverfahren gelingt.
Schönen Dank.
({6})
Jetzt spricht der bayerische Staatsminister Erwin Huber.
({0})
Erwin Huber, Staatsminister ({1}): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten! Ich habe zu Beginn der Debatte das bemerkenswerte
Bekenntnis von Herrn Eichel gehört, er sei der Letzte gewesen, der vor dem Bundesverfassungsgericht geklagt
habe.
({2})
Das war kurz vor der Landtagswahl in Hessen, als Ihnen
die Felle schon davongeschwommen sind. Das bestätigt
nur unser Gesamturteil, dass Sie, wenn es darum geht,
Dynamik in der Politik zu wagen, immer der Letzte sind,
Herr Kollege Eichel.
({3})
Dass man uns auf der anderen Seite vorgeworfen hat,
zuerst bei den Klägern gewesen zu sein, bestätigt, dass wir
schnell denken und rasch handeln. Das hat Bayern nach
vorne gebracht und das wird auch so bleiben.
({4})
Der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist vorgehalten
worden, sie lasse mehrere Länderpolitiker zu Wort kommen. Ich möchte mich dafür ausdrücklich bedanken. Das
ist ein Beweis von gelebtem Föderalismus und Partnerschaft. Besten Dank dafür.
({5})
Dass die starke Anwesenheit auf der Bundesratsbank von
Ihnen anerkannt wird, freut uns. Es ist natürlich falsch,
uns zu unterstellen, wir seien nur wegen des Mammons
hier. Wir sind in erster Linie aus Respekt und Hochachtung vor dem Hohen Hause anwesend.
({6})
Es ist aber durchaus angebracht, bei diesem Bundesfinanzminister hinsichtlich der Verteilung von Steuereinnahmen zwischen Bund, Ländern und Kommunen sehr
misstrauisch zu sein.
({7})
Ich räume ein, dass auch das Verhältnis zwischen den
Ländern und dem früheren Bundesfinanzminister Waigel
nicht immer konfliktfrei war. Doch fühlten wir uns bei
ihm immer in guten Händen und wurden fair behandelt.
({8})
Es ist mehrmals angedeutet worden - zuletzt von Herrn
Runde -, Bayern verhalte sich unsolidarisch, weil es mit
einer Klage auf eine Änderung des Länderfinanzausgleiches hingewirkt habe. Ich möchte nüchtern die Fakten aufführen: Wir haben von 1953, seit es den Finanzausgleich gibt, bis Ende der 80er-Jahre nominal etwa
6 Milliarden DM bekommen. Wir haben das Geld gut angelegt und sind das einzige Land, das von einem Empfängerland zu einem Zahlerland geworden ist. Wir haben in der Zwischenzeit - merken Sie sich die Zahl, damit
Sie nicht weiter Unsinn verbreiten - nominal 20 Milliarden DM in den Länderfinanzausgleich einbezahlt.
Selbstverständlich müssen diese Summen über Jahrzehnte hinweg in Kaufkraft gemessen werden und dürfen
nicht einfach nominal verglichen werden. Wenn wir diesen Vergleich anstellen, müssen wir feststellen, dass wir
in der Zwischenzeit inflationsbereinigt mehr als 3 Milliarden DM mehr einbezahlt haben, als wir bekommen
haben. Das sind die Fakten. Ich möchte mich aber - ich
habe damit überhaupt keine Probleme - ausdrücklich bei
den Ländern bedanken, von denen wir Geld bekommen
haben.
Ich möchte Ihnen, Herr Runde, und den Kollegen aus
Baden-Württemberg, Hessen und Nordrhein-Westfalen
bestätigen: Wir haben das Geld sehr gut angelegt und sind
dabei, es nicht nur zurückzuzahlen, sondern darüber hinaus einen positiven Beitrag zu leisten. Herr Kollege
Runde, vielleicht könnten Sie Ihrem Kollegen in Niedersachsen, das nur Empfängerland ist und nie Zahlerland
geworden ist - und auf absehbare Zeit auch keine Chance
hat, mit seiner Politik Zahlerland zu werden -, einmal die
gleiche Empfehlung geben.
({9})
Wir streben keine Beseitigung des bundesstaatlichen
Finanzausgleichs an; wir streben in keiner Weise eine Beseitigung des Länderfinanzausgleichs an. Wir stehen zur
Solidarität. Es geht uns als Zahlerländer darum, einen gerechteren Finanzausgleich zu bekommen. Wir wollen keinen leistungsnivellierenden Finanzausgleich, der die eigenen Kräfte in den Ländern lähmt, weil es sich nicht
lohnt, sich anzustrengen. Im Sinne des Gesamtstaates und
der wirtschaftlichen Entwicklung wäre es positiv, wenn
im Finanzausgleich Leistungsanreize enthalten wären.
Solche zu erreichen ist unser Ziel und nicht etwa die Beseitigung des Finanzausgleiches.
({10})
In der Tat gibt es ganz sonderbare Zusammenschlüsse.
So bewegt sich zum Beispiel Herr Runde als Vertreter der
Freien und Hansestadt Hamburg, einer der reichsten
Städte der Republik, bei den Armen im Hannoveraner
Kreis.
({11})
Das ist nicht aus der Situation heraus zu verstehen, sondern aus einem Besitzstandsdenken heraus. Dass eine derart reiche Stadt in der Vergangenheit einen Ausgleich für
Vizepräsidentin Petra Bläss
Hafenlasten bekommen hat, erstaunt mich. Ich habe immer gedacht, ein Seehafen sei ein Vorteil für eine Stadt.
Ich begrüße es jedenfalls, dass diese Sonderleistung beseitigt wird.
Wir streben nicht an - das ist angesprochen worden -,
über eine Änderung des Finanzausgleiches eine Neuordnung der Länder zu erreichen. Eine solche wäre insgesamt positiv, wir wollen das aber nicht über den Länderfinanzausgleich erzwingen. Eine solche Änderung muss
von den Parlamenten oder den Bürgern im Rahmen eines
Volksentscheids herbeigeführt werden, darf aber nicht
über eine Änderung des Finanzausgleichs erzwungen
werden. Wir akzeptieren ausdrücklich das Lebensrecht
aller Länder.
({12})
Da uns oft vorgeworfen wird, wir wollten aus der Solidarität gerade mit den neuen Ländern aussteigen, erkläre
ich deutlich: Wir sind für die Fortsetzung des Solidarpakts. Die Bedingungen in den neuen Ländern haben sich
ja in den letzten zwei Jahren verschlechtert und nicht verbessert. Das sieht man an der Entwicklung des Arbeitsmarktes. Selbstverständlich muss die Sonderförderung
für die neuen Länder über das Jahr 2004 hinaus fortgesetzt
werden. Das hat die Bayerische Staatsregierung oft erklärt. Das werden wir selbstverständlich auch bei den weiteren Verhandlungen einhalten.
Lassen Sie mich zum vorliegenden Maßstäbegesetzentwurf einige Bemerkungen machen. Positiv an diesem
Gesetz ist, dass es ein echtes Rahmengesetz ist, und positiv ist auch, Herr Eichel, dass mit ihm der Eigenanteil der
Länder gestärkt wird.
Die Materie scheint trocken, kompliziert und sehr technisch zu sein. Aber sie ist politisch von höchster Bedeutung; denn es werden im Rahmen des bundesstaatlichen
Finanzausgleichs etwa 60 Milliarden DM bewegt. Es geht
in der Tat darum, ob Föderalismus gelebt und ob die
Leistungsfähigkeit von Ländern und Kommunen auch in
Zukunft erhalten werden kann.
({13})
Ich sehe in der Vorlage des Bundesfinanzministers in
erster Linie eine taktische Eröffnung der Verhandlungen
und nicht eine Vorlage, auf der man weiterverhandeln
könnte, um sinnvolle Ergebnisse zu erzielen; denn der
Bundesfinanzminister richtet seinen Blick zuerst auf die
eigene Kasse.
({14})
Wenn das, was geplant ist, umgesetzt würde, dann
würde der Bund im Rahmen des Familienleistungsausgleichs einen zweistelligen Milliardenbetrag auf Kosten
der Länder und Kommunen sparen. Herr Eichel, wir sind
in der Tat der Meinung, dass die Sonderregelung, nach der
sich der Bund mit 74 Prozent und die Länder und Kommunen mit 26 Prozent an der Finanzierung des Kindergeldes beteiligen, erhalten bleiben muss. Nachdem wir
diese Regelung gemeinsam gefunden haben, können Sie
sie nicht nach fünf Jahren korrigieren. Auch die Anrechnung der Finanzkraft der Gemeinden im Rahmen des
Länderfinanzausgleichs würde nur dazu führen, dass man
die Länder rechnerisch besser stellt, um aufseiten des
Bundes Zuweisungen zu sparen. Es kann nicht der Sinn
sein, dass der Bund Windfall Profits in Höhe von mehr als
10 Milliarden DM macht, wenn wir das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Finanzausgleich umsetzen.
Wir bitten Sie herzlich, einen gerechten und fairen Länderfinanzausgleich und ein entsprechendes Maßstäbegesetz zu verabschieden.
({15})
Die Linie des Bundesfinanzministers ist im Übrigen
nicht neu. Wenn sich Bundesarbeitsminister Riester
rühmt, dass jetzt 20 Milliarden DM für die Altersvorsorge
bereitgestellt würden, dann darf ich darauf hinweisen,
dass Länder und Kommunen davon 12 Milliarden DM,
also rund 57 Prozent, bezahlen. Die UMTS-Erlöse führen
bei Ländern und Kommunen zu Steuerausfällen in Höhe
von 27 Milliarden DM. Der Bund alleine profitiert von
den Einnahmen. Ich weise außerdem auf die BSE-Folgekosten hin, die in die Milliarden gehen und die die Länder
bezahlen müssen. Allein Bayern muss 600 Millionen DM
in zwei Jahren aufbringen. Der Bund gibt läppische
100 Millionen DM. Sie stehlen sich aus der nationalen
Verantwortung, Herr Eichel.
({16})
Deshalb bitte ich Sie: Tragen Sie dazu bei, dass es einen
gerechten und fairen Länderfinanzausgleich mit entsprechenden Leistungsanreizen geben wird!
Zur Runde vom letzten Samstag möchte ich noch sagen: Natürlich kann man sich innerhalb einer Partei aussprechen. Aber es müsste eigentlich auch der Bundestagsfraktion der SPD zu denken geben, dass der Bundeskanzler
mit den Ministerpräsidenten allein gesprochen hat und
kein Vertreter der Bundestagsfraktionen der SPD und der
Grünen dabei war.
({17})
Ich halte das für sehr bedenklich. Der Bundeskanzler hat
bei der Einweihung des neuen Kanzleramtes möglicherweise die Vokabeln verdreht. Es heißt wohl in Zukunft:
Hier wird nicht regiert, hier wird geherrscht. Mit uns
nicht, meine Damen und Herren!
({18})
Das Wort hat der Ministerpräsident des Landes Mecklenburg-Vorpommern,
Dr. Harald Ringstorff.
Dr. Harald Ringstorff, Ministerpräsident ({0}): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit dem Maßstäbegesetz, dem Finanzausgleichsgesetz und dem Solidarpakt II wird auch
über den weiteren Erfolg der Wiedervereinigung entschieden. Es geht heute also nicht allein um den üblichen
Streit ums Geld. Der gehört zum alltäglichen Geschäft
zwischen Bund und Ländern.
Staatsminister Erwin Huber ({1})
Selbstverständlich haben Bund und Länder hier jeweils
ihre eigenen Interessen zu sichern und letzten Endes
Kompromisse zu finden. Aber mit der Weiterentwicklung
des bundesstaatlichen Finanzausgleichs wird auch über
die Frage entschieden, ob wir beim Aufbau Ost auf halber Strecke stehen bleiben oder ihn zu Ende führen.
Anfang der 90er-Jahre haben viele geglaubt, dass die
Angleichung der Lebensverhältnisse in wenigen Jahren
zu leisten sei. Aber spätestens 1993 war klar, dass das eine
jahrzehntelange Aufgabe ist, eine Generationenaufgabe,
die von allen Bürgerinnen und Bürgern der Bundesrepublik zu bewältigen ist. Kollege Huber, nicht nur in den
letzten zwei Jahren, sondern in den letzten fünf Jahren war
das Wachstum in Ostdeutschland niedriger als in der alten
Bundesrepublik. Die gleichberechtigte Einbeziehung der
ostdeutschen Länder in den bundesstaatlichen Finanzausgleich betrachte ich deshalb - darin bin ich mit Herrn
Runde voll und ganz einig - als einen wichtigen Beitrag
zum im Grundgesetz angelegten kooperativen Föderalismus.
Aus diesem Bekenntnis zum Föderalismus des Grundgesetzes haben die Institutionen sowie die Bürger in den
neuen Ländern und in Berlin das Selbstbewusstsein und
die Kraft gewonnen, mit eigenen großen Anstrengungen
den wirtschaftlichen Wiederaufbau auf den Weg zu bringen. Ich sage hier ganz deutlich: In den ostdeutschen Ländern liegt niemand in der Hängematte; in den ostdeutschen Ländern wartet niemand tatenlos auf den
Geldsegen aus den alten Ländern - im Gegenteil. Meine
Regierung in Mecklenburg-Vorpommern betreibt - das
trifft auch auf andere Landesregierungen in Ostdeutschland zu - eine konsequente Ansiedlungspolitik; meine
Landesregierung betreibt eine Politik der konsequenten
Haushaltskonsolidierung und sie schlägt nicht über die
Stränge. Diese Konsolidierung ist für uns kein Selbstzweck. Ich betrachte sie als Chance für eine Strukturoffensive.
Ich möchte Sie gern daran erinnern, dass das Umsteigen von einer staatlichen Planwirtschaft in eine freie
Marktwirtschaft eine historisch völlig neue Aufgabe ist.
Sie ist viel mehr als ein regionales Strukturproblem der
Wirtschaftspolitik.
Ich bin stolz auf das, was die Bürger in den ostdeutschen Ländern und ihre Regierungen in diesen zehn Jahren erreicht haben.
({2})
Mit diesen Erfolgen brauchen wir uns vor niemandem zu
verstecken - im Gegenteil. Umgekehrt wissen wir selbst
- Sie alle hier wissen es auch -, dass in dem Prozess der
Angleichung der Lebensverhältnisse noch eine schwierige Wegstrecke vor uns liegt. Diese Wegstrecke wollen
und müssen wir gemeinsam gehen.
({3})
Der infrastrukturelle Nachholbedarf in den neuen
Ländern und in Berlin ist noch erheblich. Die Wirtschaftsstruktur ermöglicht noch keinen selbsttragenden
wirtschaftlichen Aufschwung. Ich stelle aber mit Befriedigung fest, dass in den neuen Ländern in den letzten Jahren weltmarktfähige industrielle Kerne auf den Gebieten
der Biotechnologie und der neuen Technologien entstanden sind und dass diese Kerne schon heute ein wesentlicher Beitrag zum Wirtschaftsstandort Deutschland sind.
Das heißt: In die neuen Länder fließt nicht nur Geld;
vielmehr leisten die neuen Länder mit der Unterstützung
aus den alten Ländern auch einen Beitrag zur Stärkung
des Wirtschaftsstandortes Deutschland insgesamt.
({4})
Mit diesen Erfolgen wird der verfassungsmäßige Auftrag des bundesstaatlichen Finanzausgleichs in einem kooperativen Föderalismus erfüllt. Das Grundgesetz fordert,
dass Bund und Länder so am Finanzaufkommen beteiligt
werden, dass ihre politische Eigenständigkeit, Herr Abgeordneter Seiffert, und ihre finanzielle Handlungsfähigkeit
gewährleistet sind. Die Politik muss sicherstellen, dass
alle Bürger der Bundesrepublik - ganz gleich, ob sie im
Westen oder im Osten wohnen - die Bundesrepublik insgesamt stärken und weiterentwickeln können.
Aus der Sicht eines ostdeutschen Landes möchte ich
noch einige Bemerkungen zum Entwurf für ein Maßstäbegesetz des Bundes machen.
Erstens. Die Aufnahme von Sonderbedarfsbundesergänzungszuweisungen zugunsten der ostdeutschen Länder in das Maßstäbegesetz begrüße ich ausdrücklich. Die
Sonderbedarfsbundesergänzungszuweisungen sind neben
den Mitteln aus dem Investitionsförderungsgesetz Aufbau
Ost der zentrale Baustein des künftigen Solidarpaktes II.
Aber die derzeit im Maßstäbegesetz angelegte Reduzierung der Sonderbedarfsbundesergänzungszuweisungen
auf die infrastrukturellen Nachholbedarfe schränkt die
Handlungsmöglichkeiten der Landesregierungen ein.
Denn neben den infrastrukturellen Nachteilen besteht
immer noch eine erhebliche wirtschaftliche Strukturschwäche. Insbesondere gilt es, die Wirtschaftsstruktur nachhaltig zu verbessern. Die Zielrichtung der
Sonderbedarfsbundesergänzungszuweisungen muss meiner Meinung nach deshalb erweitert werden, dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass erst durch diese Mittel die ostdeutschen Länder in der Lage sind, die
Kofinanzierung von Förderprogrammen des Bundes und
der EU zu sichern.
({5})
Zweitens. Als Hauptkonfliktpunkte zwischen den Ländern gelten derzeit die Höhe der Einbeziehung der kommunalen Finanzkraft und die Ausgleichsintensität in
den einzelnen Stufen des Finanzausgleichs. Beides hängt
für mich untrennbar zusammen; denn durch die Verbreiterung der Bemessungsgrundlagen kann die Ausgleichsintensität verändert werden. Damit können dann auch eine
stärkere Anreizorientierung und die Sicherung eines
höheren Selbstbehaltes verwirklicht werden. Der Vorschlag des Bundes geht genau in diese Richtung und
könnte bei gutem Willen aller Beteiligten, insbesondere
der Südländer, eine Einigung ermöglichen. Die Forderung
der Südländer, die kommunale Finanzkraft nur zur Hälfte
Ministerpräsident Dr. Harald Ringstorff ({6})
einzubeziehen und gleichzeitig den Ausgleichsgrad wesentlich zu senken, ist für mich und meine Kollegen aus
elf Ländern nicht konsensfähig; denn damit wird aus meiner Sicht einseitig die Solidarität unter allen Ländern aufgekündigt.
({7})
Drittens. Weiterhin hat der bundesstaatliche Finanzausgleich besonderen landesspezifischen Belastungen
Rechnung zu tragen. Für Mecklenburg-Vorpommern geht
es dabei um die verpflichtende Berücksichtigung der Folgen extrem dünner Besiedlung im neuen Maßstäbegesetz.
Die aus dieser Situation resultierenden erhöhten Kosten
bei der öffentlichen Leistungserbringung sind als abstrakter Mehrbedarf im Finanzausgleich dauerhaft anzuerkennen. In dieser Haltung fühle ich mich durch das vom Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung im Auftrag des
BMF erarbeitete Gutachten ausdrücklich bestätigt.
({8})
In diesem Gutachten wird festgestellt, dass in den dünn
besiedelten Ländern Mecklenburg-Vorpommern und
Brandenburg anzuerkennende abstrakte Mehrbedarfe
vorliegen. Die im Gesetz des Bundes gefundene Formulierung bringt dies für mich noch nicht klar genug zum
Ausdruck. Sie müsste meiner Meinung nach eindeutiger
gefasst werden.
({9})
Meine Damen und Herren, Bundestag, Bundesregierung und Länder haben für sich die Bewältigung der
großen Aufgaben aus dem Maßstäbegesetz, dem Finanzausgleichsgesetz und dem Solidarpakt II bis zur Sommerpause vorgesehen. Sie haben sich damit einen ehrgeizigen
Arbeitsplan verordnet. Ich setze darauf, dass alle beteiligten Verfassungsorgane intensiv an einer Konsenslösung,
die für alle tragbar ist, mitarbeiten. Die Zukunftsfragen
des deutschen Föderalismus in einem europäischen Kontext gehören nicht in einen Vermittlungsausschuss. Ich bin
in dieser Frage ausdrücklich einig mit Kollegen Runde
und Kollegen Vogel. Mecklenburg-Vorpommern jedenfalls wird daran mitarbeiten, dass es zu einer zukunftsfähigen Lösung im Interesse der Bürgerinnen und Bürger
in den alten und den neuen Ländern kommt. Lassen Sie
uns alle gemeinsam dafür sorgen!
({10})
Jetzt spricht der Finanzminister des Landes Baden-Württemberg, Gerhard
Stratthaus.
Gerhard Stratthaus, Minister ({0}):
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Herr Bundesfinanzminister Eichel hat uns am Beginn seiner Rede gesagt, dass er nach Baden-Württemberg und
Bayern als hessischer Ministerpräsident als Letzter aufgesprungen sei. Der Kollege aus Bayern hat das bayrischbissig kommentiert. Ich will es badisch kommentieren:
Das gibt uns Hoffnung, Herr Eichel, dass Sie auch in diesem Fall später auf unsere Vorschläge aufspringen werden.
({1})
Weil es vorhin schon einen edlen Wettstreit darüber gab,
wer am meisten und am längsten bezahlt hat, darf ich doch
sagen, dass ich, wie Herr Vogel festgestellt hat, aus dem
jüngsten Bundesland komme, aus einem Bindestrich-Bundesland, das allerdings schon immer in den Finanzausgleich einzahlt. Wir haben bisher über 80 Milliarden DM
eingezahlt und haben 57 Milliarden DM Schulden. Unser
Ministerpräsident behauptet immer, wir hätten keine
Schulden, wenn wir nicht eingezahlt hätten. Das glaube ich
allerdings nicht.
({2})
Uns wäre schon etwas eingefallen.
Lassen Sie mich nun aber im Ernst unseren Standpunkt
zu dem uns vorliegenden Entwurf der Bundesregierung
vortragen. Ich möchte zunächst einmal feststellen, dass
dieser Entwurf durchaus einzelne Bestandteile enthält, die
uns hoffen lassen und von denen wir überzeugt sind, dass
sie weiterzuentwickeln sind. Dazu gehören die klare Einhaltung der Finanzkraftreihenfolge und die Versicherung, dass ein erhöhter Selbstbehalt bestehen soll. Diese
sinnvollen Punkte tragen wir gerne mit. Ansonsten ist aber
an diesem Entwurf zu sehen, dass der Bund die Absicht
hat, seine Lasten auf Kosten der Länder zu verringern.
Dies können wir nicht mittragen.
Durch das Gipfeltreffen der Sozialdemokraten am letzten Wochenende hat sich in der Zwischenzeit eine neue
Situation eingestellt. Zur Form dieses Treffens ist schon
genug gesagt worden; dazu möchte ich mich nicht mehr
äußern. Die Frage bleibt aber: Was gilt jetzt? Es ist nämlich bekannt geworden, dass vieles anders beschlossen
worden ist, als im Entwurf des Maßstäbegesetzes vorgesehen.
Ich möchte versuchen, den Entwurf und das, was wir
inoffiziell über die Medien erfahren haben, aus badenwürttembergischer Sicht zu bewerten. Ich glaube, die Situation in der vertikalen Verteilung zwischen Bund und
Ländern hat sich durch das, was bekannt geworden ist,
entspannt. Bei der horizontalen Verteilung sind wir der
Meinung, dass einzelne Fortschritte zu sehen sind. Man
kann allerdings bei weitem noch nicht von einem Durchbruch sprechen.
Es ist vorhin schon gesagt worden, dass bei diesem
Länderfinanzausgleich die übliche Eingruppierung in
A- und B-Länder keine Rolle spielt. Es spielen vielmehr
Einzelinteressen eine Rolle. Ich möchte in diesem Zusammenhang aber darauf hinweisen, dass Einzelinteressen
durchaus mit Gesamtinteressen konvergieren können. Ich
werde das nachher in einem konkreten Fall nachweisen.
Ministerpräsident Dr. Harald Ringstorff ({3})
Es stellt sich zunächst einmal die Frage nach der kommunalen Finanzkraft. Ich bin nicht der Meinung, dass
die kommunale Finanzkraft zu mehr als 50 Prozent in den
Finanzausgleich einbezogen werden soll. Warum? Es hat
in den letzten Jahren Entwicklungen gegeben, die die Finanzautonomie der Gemeinden geradezu verfassungsrechtlich verfestigt haben. Es kommt aber noch ein anderer Aspekt hinzu: Gemeinden haben heute im Grunde
genommen schon eine größere Finanzselbstständigkeit
als die Länder. Gemeinden können immerhin ihre Hebesätze bei der Grundsteuer und bei der Gewerbesteuer
selbst festlegen.
Vorhin ist das Alter von Gemeinden und von Königreichen angesprochen worden. Es gibt bei uns eine ganze
Reihe von freien Reichsstädten, die sehr stolz darauf sind,
800 Jahre alt zu sein. Ich bin der Ansicht, man sollte die
kommunale Finanzkraft, die übrigens eine besonders
starke Anreizwirkung für Investitionen in der Gemeinde
hat, nicht zu 70 oder 100 Prozent, sondern nur zu 50 Prozent einbeziehen, so wie das bisher der Fall ist. Alles andere wäre wohl verfassungswidrig.
({4})
Das Verfassungsgericht hat ausdrücklich festgestellt, dass
ein Anteil von 50 Prozent möglich ist.
({5})
Redlicherweise muss man hinzufügen, dass das Verfassungsgericht nicht festgestellt hat, dass ein anderer Anteil nicht möglich ist.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Uwe-Jens
Rössel?
Gerhard Stratthaus, Minister ({0}):
Bitte sehr.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil aus dem Jahre 1992 ausdrücklich beanstandet - so ist es nachzulesen -, dass die
Gemeindefinanzkraft nur zu 50 Prozent berücksichtigt
wird. Ist daraus nicht abzuleiten, dass der Anteil größer
sein muss? Er muss vielleicht nicht zwingend 100 Prozent
sein; aber er muss schon größer als 50 Prozent sein. Wie
gesagt, der Anteil von 50 Prozent wurde 1992 ausdrücklich beanstandet. Daraus kann man doch nur die Schlussfolgerung ziehen, dass man sich in Richtung 100 Prozent
bewegen muss.
Gerhard Stratthaus, Minister ({0}):
Für mich ist das jüngste Urteil entscheidend. Darin wurde
der geradezu verfassungsrechtliche Rang der gestiegenen
und gesteigerten Finanzautonomie der Gemeinden betont.
Dieses Urteil ist für uns ausschlaggebend.
({1})
Wir halten es auch nicht für richtig, den schon mehrfach
angestellten Vergleich mit der Verbreiterung der Einkommensteuerbasis zu ziehen.
Als zweiten Punkt möchte ich die Stadtstaatenwertung ansprechen, die im horizontalen Finanzausgleich
eine ganz große Rolle spielt. Sie macht ungefähr 40 Prozent der Gesamtzahlungen aus. Ich möchte ausdrücklich
darauf hinweisen, dass Baden-Württemberg - wie das
auch der Kollege aus Bayern schon betont hat - keineswegs einen Angriff auf die Selbstständigkeit von einzelnen Bundesländern machen will. Das hat jedes Land
selbst zu entscheiden, wenngleich ich sagen muss, dass
wir ja das einzige Bundesland sind, das sich neu formiert
hat. Wir sind gerne bereit, unsere Erfahrungen, die wir dabei gemacht haben, den anderen Ländern zur Verfügung
zu stellen.
({2})
- Ja, meine Damen und Herren, heute haben Sie die Unterschiedlichkeit von Baden-Württemberg gesehen. Wir
haben eine Werbung, die heißt Wir können alles außer
Hochdeutsch. Nicht einmal das stimmt, wenn ich die
Frau Frick gehört habe, und dass ein Schwabe so schnell
reden kann wie Herr Metzger, das war mir auch neu.
Nun, meine Damen und Herren, wir haben Unterschiede, aber diese Unterschiede sind bei uns kein
Sprengsatz, sondern eher ein Treibsatz. Das sollten wir
auch für den Finanzausgleich gelten lassen.
Aber zurück zum Mehrbedarf der Stadtstaaten: Es ist
ein Mehrbedarf, keine Frage. Aber dieser Mehrbedarf
muss objektiv ermittelt und begründet werden. Und das ist
er eben nicht; denn die Tatsache, dass die drei Stadtstaaten - das sind Länder, die so unterschiedlich sind, wie sie
unterschiedlicher nicht sein könnten - den gleichen Prozentsatz haben, ist doch ein Beweis, dass der nicht errechnet wurde, sondern gegriffen ist. Bedenken Sie: Unsere Bundeshauptstadt, die vor elf Jahren noch geteilt war,
wird genauso behandelt wie Bremen, das noch mit gewissen Strukturproblemen kämpft, und wie das reiche Hamburg. Denn, Herr Kollege Runde, Hamburg muss schon
das Schauspielhaus in Anspruch nehmen, um sich als arm
darzustellen.
({3})
Hamburg ist ohne Frage das reichste Land, das wir überhaupt haben.
Dann spielt für mich auch noch eine Rolle, wie der
Mehrbedarf berechnet wird. Im Augenblick ist es so, dass
der Mehrbedarf durch die Veränderung der Finanzkraft
aller Länder beeinflusst wird. Das ist nicht einzusehen.
Der Mehrbedarf sollte mit einem absoluten Betrag festgestellt werden.
Meine Damen und Herren, wir sind auch an einer Einigung, an einer gemeinsamen Lösung interessiert. Lassen Sie mich deshalb zwei Grundsätze einer Einigung
nennen. Ich bin der Ansicht, dass sich der Länderfinanzausgleich einmal demokratisch legitimieren muss, zum
anderen aber auch ökonomisch. Das scheint mir besonders wichtig. Es ist heute, glaube ich, nur ein einziges Mal
angesprochen worden, dass die Nivellierung im Länderfinanzausgleich natürlich auch ganz bestimmte volkswirtschaftliche Wirkungen hat. Es gilt doch auf allen
Gebieten der Wirtschaft, dass eine große Nivellierung zu
Minister Gerhard Stratthaus ({4})
Lethargie und die Akzeptanz von Unterschieden zu
Wachstum führt. Das gilt meines Erachtens auch für den
Länderfinanzausgleich.
({5})
Dies haben unabhängig voneinander zwei verschiedene wissenschaftliche Institute festgestellt. Zum Beispiel hat ein Institut in Würzburg festgestellt, der Finanzausgleich in Deutschland sei das Wachstumshemmnis
Nummer eins. Ob er das wirklich ist, weiß ich nicht, aber
ein großes Wachstumshemmnis ist er ganz bestimmt.
({6})
Deswegen sollten wir bereit sein, auch unter den Ländern
Unterschiede zu akzeptieren. Ich bin der Überzeugung,
dass durch den Ausgleich dieser Unterschiede, durch die
Anstrengungen für den Ausgleich dieser Unterschiede ein
ganz neuer wirtschaftlicher Treibsatz entstehen würde.
Das scheint mir ganz wichtig.
({7})
Es muss sich ein neuer Länderfinanzausgleich natürlich auch demokratisch legitimieren. Es kann nicht sein,
dass die Nehmerländer, die nun einmal im Bundesrat die
Mehrheit haben, durch eine Mehrheitsentscheidung ihre
Vorstellungen durchsetzen, ohne die Geber daran zu beteiligen. Ich darf darauf hinweisen, dass die Nehmerländer im Bundesrat zwar eine deutliche Mehrheit haben,
aber in der Bundesrepublik Deutschland stellen die Geberländer 57 Prozent der Bevölkerung, und dies spiegelt
sich auch hier im Bundestag wider.
Meine Damen und Herren, wir sind an einem Konsens
interessiert und glauben, dass wir durch unsere Beiträge
insbesondere im Bundesrat auch einen Weg gezeigt haben. Wir werden mitarbeiten, wir sind an einem Konsens
interessiert, er muss aber unseren Maßstäben entsprechen.
({8})
Nächster Redner für
die SPD-Fraktion ist der Kollege Volker Kröning.
Frau Präsidentin! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Erlauben Sie mir bitte kurz
vor dem Ende dieser Debatte ein Zwischenfazit der ersten
Lesung, durchaus auch als Vorsitzender des Sonderausschusses. Unser früherer Kollege Jacoby wird gleich die
Gelegenheit haben, ein solches Zwischenfazit aus der
Sicht der anderen Bank zu ziehen, die hier neben der Bundesregierung dem Haus gegenübersitzt.
Man muss, wie ich glaube, nüchtern feststellen, dass
der Gesetzentwurf der Bundesregierung bisher keine
Mehrheit im Bundesrat hat.
({0})
Auch im Bundestag muss er seine Mehrheit noch finden.
Die Debatte darüber war aber hilfreich, und alle Diskussionsbeiträge haben dazu beigetragen, weitere Schritte
hin zu einer Einigung zu gehen. Um es auch nüchtern zu
betrachten, möchte ich einige ahnungsvolle Sätze aus der
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die unser Muss-Programm vorgibt und nicht viel Spielraum für
Wünsche lässt, mit der Erlaubnis der Präsidentin zitieren:
Eine nur vertragliche Verständigung über Tatbestände und Rechtsfolgen des Finanzausgleichsgesetzes ist ... ausgeschlossen, weil damit jedes Land, das
zum Vertragsschluss nicht bereit wäre, sich seinen
Ausgleichspflichten entziehen könnte. Andererseits
rechtfertigt auch die bloße parlamentarische Mehrheit noch nicht den beschlossenen Finanzausgleich.
Der Gesetzgeber hat gegenläufige Interessen festzustellen, zu bewerten und auszugleichen. Er darf aber
nicht allein in der Rechtfertigung eines Mehrheitswillens
- ich wende mich jetzt besonders an den besorgten Minister Stratthaus, der schon geht zulasten einer Minderheit auf fremde Haushalte zugreifen oder Ausgleichsansprüche vereiteln. Damit
begegnet eine Gesetzgebungspraxis, die das Finanzausgleichsgesetz faktisch in die Verantwortlichkeit
des Bundesrates verschiebt, verfassungsrechtlichen
Einwänden.
Auf das Maßstäbegesetz kommt es deshalb an, um keine
verfassungsrechtlichen Angriffspunkte gegen das spätere
Finanzausgleichsgesetz zu bieten, und auf die inhaltliche
und zeitliche Abfolge kommt es an, um keine Angriffspunkte zu bieten, die vor dem Gericht Aussicht auf Erfolg
haben.
Obersatz der Entscheidung von 1999 ist deshalb - ich
darf noch einmal zitieren -: Die
Maßstäbegesetzgebung schafft ... Kriterien, in denen
der Gesetzgeber sich selbst und der Öffentlichkeit
Rechenschaft gibt, die rechtsstaatliche Transparenz
der Mittelverteilung sichert und die haushaltswirtschaftliche Planbarkeit ... der finanzwirtschaftlichen
Autonomiegrundlagen für den Bund und jedes Land
gewährleistet.
Um immer wieder zu hörenden Ängsten zu begegnen, unterstreiche ich - Herr Bürgermeister Runde, das darf ich
an Ihre Adresse sagen -, dass es auf Autonomie für den
Bund und für jedes Land ankommt. Auf der anderen Seite
will ich auch noch einmal Herrn Minister Huber, der
ebenfalls das Hohe Haus bereits verlassen hat, sagen: Lebensrecht heißt nach den eindeutigen verfassungsrechtlichen Vorgaben, über die wir politisch überhaupt nicht
mehr zu streiten brauchen, Handlungs- und Leistungsfähigkeit der Länder.
An die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts müssen sich alle Verfassungsorgane halten, also Bundestag
und Bundesrat. Wir haben es im Gesetzgebungsverfahren
nicht mehr mit den Ländern, sondern mit dem Bundesrat
zu tun, der nach Art. 50 des Grundgesetzes ebenfalls ein
Gesetzgebungsorgan des Bundes ist. Es ist dabei nicht nur
legitim, sondern auch legal, bei der Maßstabbildung auf
Minister Gerhard Stratthaus ({1})
die Gesetzesfolgen Acht zu geben, und zwar nicht nur auf
die Effekte, die man bewirken will, sondern auch auf die
Nebeneffekte, die man möglicherweise nicht beachtet hat
und die einem dann, wenn sie eintreten, nicht gefallen.
Wir legen uns also keinen Schleier des Nichtwissens
vor die Augen. So ist die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auch durchaus nicht zu verstehen.
Es geht allerdings nicht - das möchte ich mit allem
Nachdruck aus aktuellem Anlass unterstreichen -, ein
künftiges Finanzausgleichsgesetz nur zur Folie der Maßstabbildung zu machen, also erst ein fertiges Gesetz zu
konzipieren und anschließend über die Maßstabbildung
zu beschließen. Ich halte es für verfassungsrechtlich vertretbar, gemeinsame Eckwerte zu bilden. Doch die inhaltliche und zeitliche Reihenfolge, von der im Urteil die
Rede ist, darf sich nicht verkehren.
Wenn also Herr Stratthaus konzediert, dass die bisherigen Eckpunkte der Bundesregierung am Wochenende im
Sinne von möglichen gemeinsamen Eckwerten weiterentwickelt worden sind, kann ich nur sagen: Auf einer solchen Linie können wir uns durchaus finden. Dann kann
man aber nicht die eigenen Maßstäbe an die Stelle von
Maßstäben, die erst noch zu finden sind, setzen.
Zu beachten ist übrigens auch, dass die Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts von 1999 wesentlich weiter
geht als die Entscheidung von 1992, die unseren Ländern,
Herr Kollege Jacoby, so wesentlich weitergeholfen hat. Wir
wollen diese Ernte ja auch noch in die Scheuer fahren.
Es sollte auch erkannt werden, dass die Entscheidung
noch wesentlich deutlicher geworden ist. Das Gericht sagt
an einer Stelle sogar, dass der Gesetzgeber nur Erstinterpret sei, und deutet damit an, welches Risiko wir laufen,
wenn wir nicht ein vermittlungsausschuss- und verfassungsgerichtsfestes Gesetz zustande bringen.
Karlsruhe macht Vorgaben zur Umsatzsteuerverteilung
- das ist neu -, auf die sich, wie auch auf die übrigen Vorgaben, der Tenor des Urteils ausdrücklich bezieht. Karlsruhe verlangt Einheitlichkeit der Indikatoren bei der
Deckungsquotenberechnung und beim horizontalen und
vertikalen Ausgleich. Außerdem zwingt das Bundesverfassungsgericht - hier findet es seine genuine Rolle - zur
Gleichbehandlung bei der Anerkennung von Mehrbedarfen
und zur Konsistenz der Maßstäbe. Das Gericht mahnt unerledigte Prüfaufträge an und stelle neue auf, gebietet Nachvollziehbarkeit und Widerspruchsfreiheit der Regelungen
und stellt Benennungs- und Begründungsanforderungen
auf, denen nach seiner Meinung das bisherige Recht erkennbar nicht genügt. Es ist richtig, dass das geltende Recht
sozusagen nur noch bedingt befristet fortbesteht.
Aber nicht nur rechts- und finanzwissenschaftlich stellt
das Bundesverfassungsgericht Anforderungen, die nicht
ignoriert werden können. Der Bund ist als Gesetzgeber
und auch als Finanzier gefragt. Deutlich ist der Hinweis
auf das Missverhältnis im Volumen von horizontalem und
vertikalem Ausgleich. Das Gericht fordert wörtlich eine
Korrektur auf längere Sicht auch im Hinblick auf die
neuen Länder.
Überdeutlich sind die Hinweise auf die Grenze des Finanzierbaren und die Überbelastung der Steuerpflichtigen, auf den Vorrang der Finanzwirtschaft, also in der
Staat-Bürger-Beziehung, vor der Haushaltswirtschaft, also
in der Beziehung zwischen den Gebietskörperschaften.
Ich möchte, um Herrn Minister Eichels Mahnung zu
unterstreichen, ein letztes Mal zitieren:
Ein Deckungsquotenverfahren, das allein nach den in
den jeweiligen Haushalten veranschlagten Einnahmen und Ausgaben bemessen ist, genügt diesen Erfordernissen nicht.
Ich hoffe, dass gerade diese besonders schwierige
Hürde des einstimmigen Votums des Bundesrates auf der
einen Seite und des Vorschlags der Bundesregierung auf
der anderen Seite in diesem Punkt genommen werden
kann, um auch - das ist zu Recht gesagt worden; ich
glaube, Herr Ministerpräsident Ringstorff war es - den
europäischen Anforderungen an unsere gesamte Haushalts- und Finanzwirtschaft Genüge zu tun.
Ich will auf das Bundesinteresse nicht weiter eingehen.
Mir scheint viel gewonnen, wenn wir die Gesetzgebung
sicher und zügig abschließen, auch um das an vielen Stellen bröckelnde Vertrauen in Föderalismus und Parlamentarismus zu erhalten. Für mich geht dabei Sorgfalt
vor Tempo. Wir haben in den zehn Sitzungen, die der Sonderausschuss bisher - unter ständiger Einbeziehung der
Ländervertreter und von, wie schon erwähnt worden ist,
zwei Finanzministern und vier Regierungschefs - durchgeführt hat, die Beratung des Gesetzentwurfes anhand der
Themenschwerpunkte, die uns aufgegeben sind, vorbereitet. Für die Einzelberatung, die Anhörung von Experten
und die Entscheidungen über Änderungsanträge sowie
den Gesamtbericht stehen bis zur Sommerpause noch fünf
Sitzungen zur Verfügung.
Dann können Bundestag und auch Bundesrat die erste
Gesetzgebungsrunde hoffentlich noch vor der Sommerpause abschließen.
Wenn wir das schaffen und in dieser Legislaturperiode
das Drei-Schritt-Programm von Maßstäbegesetz, Finanzausgleichsgesetz und dem intern und extern zu regelnden
Solidarpakt II schaffen,
({2})
haben wir nicht nur juristische, sondern auch ordnungspolitische Vorgaben umgesetzt. Dann darf man von einer
Reform sprechen, die nicht groß ist, aber in die richtige
Richtung weist und auf der wir in der nächsten Legislaturperiode - hoffentlich mit einem weiterführenden Zusammenwirken von Bund und Ländern - aufbauen können. Mit einer solchen Zwischenbilanz können wir dann
durchaus vor der Öffentlichkeit und dem Wähler Rechenschaft ablegen.
Danke schön.
({3})
Letzter Redner in dieser Debatte ist der saarländische Minister für Finanz- und
Bundesangelegenheiten, Peter Jacoby.
Peter Jacoby, Minister ({0}): Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit Blick auf
die fortgeschrittene Zeit ist es sicherlich angebracht,
ebenfalls ein paar abschließende Bemerkungen zu machen, zumal uns das weitere Verfahren noch an der einen
oder anderen Stelle zusammenführen wird.
({1})
Zunächst einmal zum Zeitablauf: Ich denke, dass der
vorgesehene Zeitablauf nicht nur im Interesse der beteiligten Bundesländer ist, damit Klarheit in dieser Frage sowie Planungssicherheit erreicht werden können. Er ist
vielmehr auch unter gesamtstaatlichen Gesichtspunkten
von Bedeutung. Denn je mehr die Gefahr droht, dass wir
hier mit Ablauf des Jahres 2002, dem Jahr der Bundestagswahl, zu keinen befriedigenden Lösungen kommen,
die ab dem Jahr 2005 in Kraft zu sein haben, je mehr also
die Gefahr droht, dass das ganze System aus den Fugen
gerät, umso mehr wird dies zu einem Problem für den Gesamtstaat und nicht nur für die einzelnen Bundesländer.
Daher haben wir alle zusammen ein Interesse daran, den
zeitlichen Vorgaben des Verfassungsgerichts auch durch
entsprechende parlamentarische Begleitung und Beratung
zu entsprechen.
({2})
Nun will ich die Gelegenheit wahrnehmen, auf einige
Bemerkungen in der Debatte Bezug zu nehmen, die sozusagen Brücken bauen. Denn ich glaube, dass es das ist,
worum es angesichts dessen, was noch vor uns liegt, geht.
Der erste Punkt: Ich nehme zunächst einmal auf das
Bezug, was der Bundesfinanzminister heute über die Formulierungen des Maßstäbegesetzes hinaus gesagt hat. Er
hat das im Zusammenhang mit der neuen Regelung zur
Bedienung der Annuitäten beim Fonds Deutsche Einheit und der bei der Umsatzsteuerverteilung zu findenden Entsprechung konkretisiert. Er ging über das hinaus,
was im Übrigen Bestandteil der Diskussion im Bundesrat
vor wenigen Tagen gewesen ist, weil es eben jüngeren Datums ist. Dies ist ein erster Weg, der geeignet und in der
Lage ist, Brücken zu bauen.
Zweiter Punkt: Niemand, auch nicht die nehmenden
Länder, plädiert für den Status quo oder formuliert eine
Absage an die Implantierung weiterer Anreizfunktionen,
plädiert für eine Absage an größere Selbstbehalte. Ganz
im Gegenteil: Auch an dieser nicht unerheblichen Front
ist entscheidende, qualitativ orientierte Bewegung dergestalt entstanden, dass wir sagen: Für Steuermehreinnahmen in einer gewissen Größenordnung sollen prozentual
- auch da sind gewisse Größenordnungen in der Diskussion - stärkere Selbstbehalte gelten, als das bisher der
Fall ist, um für den Finanzausgleich der Zukunft einen
stärkeren Anreiz zu konstituieren.
({3})
Ich füge allerdings hinzu: Wenn dieser oberste Grundsatz, die Finanzausstattung der Bundesländer auf Dauer
aufgabengerecht zu gestalten, auch in Zukunft berücksichtigt werden soll, hat dies zwangsläufig eine Folgewirkung für die Frage der Bemessungsgrundlage und im
Übrigen auch für andere Dinge, die noch zu regeln sind.
Diese Entsprechung bedeutet mit Blick auf die kommunale Finanzkraft, dass das Plädoyer an die gebenden
Länder geht, die kommunale Finanzkraft im zukünftigen
Finanzausgleich über die bisherige Dimensionierung von
50 Prozent hinaus zu gewichten.
Da greife ich einen Begriff auf, der vorhin in anderer
Hinsicht benutzt worden ist, nämlich den Begriff der Gerechtigkeit. Ich will die Notwendigkeit zur Verbreiterung
der Bemessungsgrundlage und zur stärkeren Gewichtung
der kommunalen Finanzkraft gerade mit Blick auf die Gerechtigkeit so begründen: Dass sich reiche Länder künstlich arm rechnen, während die Finanzkraft der Nehmerländer nur auf dem Papier besser wird, weil ihre
unzureichende Steuerkraft eben nur hälftig in die Bewertung einfließt, das ist alles andere als überzeugend.
Dies hat wirklich nichts mit Gerechtigkeit zu tun, zumal in einer Situation, in der wir es mit einer Kumulation
von Problemen zu tun haben. In prosperierenden Regionen gibt es mehr Steuereinnahmen und gleichzeitig
kommt es auf der Ausgabenseite, bei der Sozialhilfe, bei
der Arbeitslosenhilfe und in anderen Bereichen, zu weniger Ausgaben. Dies ist eine Kumulation der positiven Effekte. Bei den Nehmenden, bei den Schwächeren, bei denen, die strukturpolitisch aufholen müssen und wollen
- es ist auch im Sinne der Gebenden, dass sie eine Perspektive haben -, haben wir eine Kumulation der negativen Effekte: hohe Arbeitslosigkeit, geringe Wirtschaftskraft, mehr Ausgaben im Sozialbereich.
Von daher sind die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage und die stärkere Gewichtung der kommunalen
Finanzkraft entscheidende Stellschrauben, die dann,
wenn man kompromissorientiert an die Sache herangeht,
eben nicht vom Tisch gewischt werden sollten.
Schließlich will ich noch auf Folgendes hinweisen: Es
ist eigentlich eine falsche Alternative, die aufgemacht
wird, wenn man von Wettbewerb oder Hängematte, Dynamik oder Subventionsmentalität spricht. Da will ich an
das, was vorhin gesagt worden ist, anknüpfen: Es war der
Deutsche Bundestag, der zum Beispiel vor zwei Jahren
die Fortsetzung der Teilentschuldung der beiden Bundesländer Bremen und Saarland einstimmig beschlossen
hat. Auch das hatte eine verfassungsrechtliche Grundlage
zur Voraussetzung. Es wurde nämlich gesagt: In den Fällen, in denen Bundesländer aus Gründen, die sie nicht zu
vertreten haben, in eine Haushaltsnotlage geraten, die sie
aus eigener Kraft nicht bewältigen können, ist das Solidarprinzip als solches maßgebend und darauf aufbauend
die Verpflichtung des Bundes und - da gebe ich dem Bundesfinanzminister Recht - auch die der Länder. Diese
Hilfspflicht ist so in Karlsruhe formuliert worden. Das ist
auch umgesetzt worden.
Es hat jetzt keinen Sinn - auf diesen Zusammenhang
lege ich Wert -, Lösungen das Wort zu reden, die diesen
selbst in Gang gesetzten Aufholprozess sozusagen infrage
stellen. Ganz im Gegenteil: Die Chance wird nicht nur zur
Haushaltssanierung genutzt, sondern auch zur Verbreiterung und Modernisierung der wirtschaftlichen Struktur.
Wir stellen uns der Aufholnotwendigkeit; wir sind für
mehr Wettbewerb. Nur, wenn man Wettbewerb aushalten
will, wenn man ihn gestalten will, braucht man gleiche
Startchancen. Die gibt es in einigen Regionen in Deutschland noch nicht. Das ist der entsprechende Zusammenhang.
Ganz zum Schluss formuliert - das wurde ja an der einen oder anderen Stelle angedeutet -: Wenn man sagt:
Wir wollen keine Länderneugliederung durch die Hintertür, dann hat das im Hinblick auf die Ausgestaltung
des Finanzausgleichs natürlich die eine oder andere Konsequenz. Es wäre die falsche Konsequenz, durch diese
Hintertür schreiten zu wollen in einer Zeit, die ansonsten
von der Renaissance des Regionalen geprägt und gekennzeichnet ist, und angesichts dessen, dass es in anderen Debatten dieses Hauses darum geht, die föderativen Strukturen der Bundesrepublik Deutschland auf die europäische
Ebene zu übertragen. Auch da bitte ich um die Berücksichtigung entsprechender Zusammenhänge.
Noch einmal zusammengefasst gesagt: Die Zeichen
der Zeit stehen eigentlich auf Verständigung und auf
Kompromiss. Es ist möglich, entsprechende Brücken zu
bauen. Diesen Eindruck habe ich nach der Debatte des
heutigen Tages.
Vielen Dank.
({4})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Gesetzentwurf - es handelt sich um die Drucksachen 14/5951 und
14/5971 - zu überweisen, und zwar zur federführenden
Beratung an den Sonderausschuss Maßstäbe-/Finanzausgleichsgesetz und daneben ausschließlich an den
Haushaltsausschuss zur Mitberatung und gemäß § 96 der
Geschäftsordnung. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 sowie Zusatzpunkt 2 auf:
4. Beratung des Antrags der Abgeordneten Gerda
Hasselfeldt, Heinz Seiffert, Norbert Barthle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/
CSU
Steuerliche Gleichstellung des Mittelstands
- Drucksache 14/5551 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({0})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss
ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Hermann Otto Solms, Hildebrecht Braun
({1}), Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Steuerliche Benachteiligung des Mittelstands
beseitigen
- Drucksache 14/5962 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({2})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Erste Rednerin für die
CDU/CSU-Fraktion ist die Kollegin Gerda Hasselfeldt.
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Durch die steuerrechtlichen Veränderungen, die in dieser Legislaturperiode beschlossen worden sind, ist der Steuervollzug noch komplizierter, noch weniger überschaubar und vor allem noch
ungerechter geworden.
({0})
Dabei war und ist der größte Fehler die Ungleichbehandlung der Kapitalgesellschaften auf der einen Seite
und der Personenunternehmen auf der anderen Seite. Sie
haben mit Ihrer Steuerpolitik ein Zweiklassensteuersystem geschaffen: In der bevorzugten ersten Klasse sind die
Kapitalgesellschaften, in der benachteiligten zweiten
Klasse die Personenunternehmen; in der ersten Klasse
sind die großen, in der zweiten Klasse sind die kleinen
und mittleren Unternehmen.
({1})
Diese Entscheidung haben Sie getroffen, obwohl Sie
wissen, dass in unserem Land fast 90 Prozent der Unternehmen Personenunternehmen sind, dass also fast 90 Prozent der Betriebe der persönlichen Haftung der Unternehmer unterliegen, und obwohl Sie wissen, dass auch diese
Personenunternehmen im Wettbewerb mit den Kapitalgesellschaften und im internationalen Wettbewerb stehen.
Es ist an der Zeit, diese Benachteiligung wieder abzuschaffen und dem Mittelstand die gleichen steuerlichen
Rahmenbedingungen wie den Kapitalgesellschaften zu
geben.
({2})
Meine Damen und Herren, wir stehen mit dieser Kritik
nicht allein. Wir befinden uns damit nicht nur in guter Gesellschaft mit den Mittelstandsverbänden. Auch Verbände
wie der Bundesverband der Deutschen Industrie, der weiß
Gott nicht nur die kleinen und mittleren Unternehmen
vertritt, hat mehrfach wörtlich erklärt: Nachbesserungen
für den Mittelstand sind dringend erforderlich.
({3})
Ich wünschte mir, dass Sie auch die Stimmen von Vertretern, die tagtäglich mit diesen Dingen zu tun haben, ein
bisschen ernster nähmen, als Sie es bisher getan haben.
Nun bestätigen uns Umfragen, dass viele mittelständische Unternehmen mittlerweile in die Rechtsform der
Minister Peter Jacoby ({4})
Kapitalgesellschaft flüchten. Die Begründung dafür: Erstens. Die Körperschaftsteuer für die Kapitalgesellschaften
ist deutlich niedriger als die Einkommensteuerbelastung
für die Personenunternehmen. Zweitens. Die Gewinne bei
der Veräußerung von Anteilen von Kapitalgesellschaften
sind bei Kapitalgesellschaften steuerfrei, bei Personenunternehmen aber nicht. Nun kann man natürlich die
Entscheidung eines Unternehmers, die Rechtsform der
Kapitalgesellschaft zu wählen, persönlich durchaus nachvollziehen, vor allem dann, wenn die uns vorliegenden
Berechnungen stimmen sollten, wonach im Jahr 2002
90 Prozent der gesamten Entlastungen aus dem Steuerentlastungsgesetz bei den Kapitalgesellschaften landen.
Jeder vernünftige Ökonom weiß, dass steuerliche Bedingungen nicht primär für die Wahl der Rechtsform
ausschlaggebend sein sollten; vielmehr müssen dafür
viele andere Kriterien den Ausschlag geben. Sie treiben
mit Ihrer einseitigen steuerlichen Bevorzugung der Kapitalgesellschaften Unternehmen zum Teil in falsche ökonomische Entscheidungen hinein.
({5})
An dieser Stelle setzt unser Antrag an: Wir wollen die Benachteiligung des Mittelstandes abschaffen. Wir wollen
ferner, dass für die Personenunternehmen die Steuerentlastung zur selben Zeit und im selben Umfang wie bei den
Kapitalgesellschaften greift. Schließlich wollen wir, dass
nicht nur bei Kapitalgesellschaften, sondern auch bei Personenunternehmen Umstrukturierungen steuerneutral erfolgen können.
({6})
Ich will Ihnen die Ungleichbehandlung anhand einiger
Beispiele deutlich machen. Wir haben in diesem Jahr, im
ersten Jahr nach In-Kraft-Treten der Reform, eine
Körperschaftsteuerbelastung bei Kapitalgesellschaften
von 25 Prozent und bei Personenunternehmen eine
Höchststeuerbelastung von 48,5 Prozent.
({7})
Ich weiß, dass man die 25 Prozent nicht mit den 48,5 Prozent vergleichen kann, aber man kann sehr wohl die sich
daraus ergebende durchschnittliche Steuerbelastung vergleichen. Gerade bei ertragsstarken Unternehmen, gerade
bei denen, die hohe Gewinne erzielen, wird diese
Ungleichbehandlung ganz besonders deutlich; denn diese
Unternehmen haben einen größeren Teil ihres Gewinns
mit dem Höchststeuersatz zu versteuern.
({8})
Ich kenne die Argumente, die Sie an dieser Stelle immer wieder anführen. Sie heben auf die Gewerbesteueranrechnung ab. Dem halte ich Folgendes entgegen: Erstens zahlen nicht alle Unternehmen Gewerbesteuer.
({9})
Zweitens haben Sie gerade, auch in diesem Jahr, die Tarifbegrenzung bei der Gewerbesteuer abgeschafft. Auch
dies muss der Wahrheit halber gesagt werden.
Als weiteres Argument tragen Sie vor, es könne nicht
nur das Jahr 2001 in die Betrachtung einbezogen werden,
sondern es müsse auch das Jahr 2005, in dem eine weitere
Entlastung stattfinden werde, berücksichtigt werden. Bis
zum Jahr 2005, übrigens dem Ende der nächsten Legislaturperiode, vergehen aber noch einige Jahre. Bis dahin haben wir steigende Löhne, Gehälter und in aller Regel auch
steigende Gewinne, sodass immer mehr Unternehmen
den Höchststeuersatz entrichten müssen. Die Entlastung
im Jahr 2005 - das wissen Sie ganz genau, meine Damen
und Herren - steht auf dem Papier. Weder die Unternehmer noch die Arbeitnehmer, die davon betroffen sind,
haben tatsächlich etwas davon. Das ist eine Fata Morgana;
es wird etwas versprochen, aber nicht gehalten.
({10})
Ein Weiteres kommt hinzu: Schon im Jahr 2001 wird
die Entlastung, die Sie den Unternehmen und den Arbeitnehmern gewährt haben, durch die Erhöhung der Ökosteuer ohnehin wieder aufgezehrt sein.
({11})
All dies macht deutlich, dass diese Ungleichbehandlung bereits im Tarif vorgegeben ist, dass es also dringend
notwendig ist, die Steuerentlastung im Einkommensteuerbereich, die für das Jahr 2005 vorgesehen ist, drastisch
vorzuziehen und eine Abflachung des Tarifs vorzunehmen.
({12})
- Apropos Haushalt und Finanzierung. Wenn Sie für die
Kapitalgesellschaften Geld haben, dann können und sollten Sie auch für die Personenunternehmen Geld haben.
Dieses Argument greift überhaupt nicht.
({13})
Diese Entlastung ist umso dringender, als bei der Gegenfinanzierung, beispielsweise bei den Abschreibungen
und bei den AfA-Tabellen, alle Unternehmen - auch die
Personenunternehmen - in gleichem Maße betroffen sind.
In diesem Zusammenhang haben Sie sich in den letzten
Monaten ein Meisterstück im Abzocken, beim Nehmen
eines kräftigen Schlucks aus der Pulle, geleistet.
Wenn wir im Finanzausschuss gemeinsam mit der
F.D.P. nicht so hart gerungen hätten, dann wäre bei den
AfA-Tabellen noch wesentlich Schlimmeres herausgekommen. Das will ich einmal gesagt haben.
({14})
Gleichwohl ist es notwendig, endlich die auch von Ihnen
in Aussicht gestellte Gesetzesänderung vorzunehmen,
wonach nicht nur die technische, sondern auch die betriebswirtschaftliche Nutzungsdauer bei den WirtschaftsGerda Hasselfeldt
gütern in die AfA-Tabellen einfließen muss. Sie haben in
Diskussionen mehrfach geäußert, dass das notwendig sei.
({15})
Mit Sonntagsreden ist das Problem aber nicht zu lösen,
sondern nur mit Taten, mit Entscheidungen. Sie können
bei diesem Antrag beweisen, wie groß Ihre Glaubwürdigkeit tatsächlich ist.
({16})
Da ich schon bei der Glaubwürdigkeit bin, will ich auf
die seit kurzem berufene Mittelstandsbeauftragte der
Bundesregierung, die der Fraktion der Grünen angehört,
zu sprechen kommen. Wie in einer Zeitung vor einigen
Wochen nachzulesen war, hat Frau Wolf erwähnt, es sei
zu überlegen, ob Personenunternehmen stille Reserven
bei der Veräußerung von Kapitalgesellschaften steuerneutral übertragen könnten.
({17})
Dies würde - so Frau Wolf - den Mittelstand flexibler
machen und ihm vor allem die gleichen Möglichkeiten
wie den Kapitalgesellschaften eröffnen.
({18})
Genau das ist es, was wir in den Beratungen ständig
eingefordert haben. Genau das steht auch in diesem Antrag. Warum haben Sie denn bisher immer dagegen gestimmt? Warum waren Sie in den Beratungen dagegen?
Warum sind Sie bis heute dagegen? Warum ist auch in
dem uns vorliegenden Bericht des BMF zur Weiterentwicklung der Unternehmensteuerreform dieser Punkt entgegen dem Ergebnis der Beratungen in dem jeweiligen
Beirat wieder zurückgestellt bzw. abgelehnt worden?
({19})
Damit wir uns da richtig verstehen: Hierbei handelt es
sich nicht etwa um eine Maßnahme zur Förderung der
Personenunternehmen, zur Förderung des Mittelstandes,
nein, es handelt sich nur um die Beseitigung eines Nachteiles für den Mittelstand und für Personenunternehmen.
({20})
Wie ist die - von Ihnen geschaffene - Rechtslage?
Wenn Kapitalgesellschaften Anteile an Kapitalgesellschaften verkaufen, dann sind die Gewinne daraus steuerfrei. Wenn Personenunternehmen Anteile an Kapitalgesellschaften verkaufen, dann sind die Gewinne daraus
steuerpflichtig, und zwar auch dann, wenn diese wieder in
Unternehmen investiert werden.
({21})
Meine Damen und Herren, es kann nicht hingenommen werden, dass Gewinne, die auf gleiche Art und Weise
erzielt werden und die für gleiche Zwecke, nämlich für
betriebliche, verwendet werden, auf der einen Seite, bei
den Kapitalgesellschaften, steuerfrei und damit gute Gewinne sind und auf der anderen Seite, bei den Personenunternehmen, steuerpflichtig und damit schlechte Gewinne sind.
({22})
Wir werden diese Ungleichbehandlung nicht hinnehmen.
Denn offensichtlicher und eklatanter kann eine Ungleichbehandlung nicht sein. Wir werden dies immer und immer
wieder einfordern.
In dem Bericht, den ich eben erwähnt habe, haben Sie
in der Begründung erwähnt, dies sei aus steuersystematischen und aus haushaltspolitischen Gründen nicht machbar. Dazu muss ich sagen: Wenn Steuersystematik etwas
mit Steuergerechtigkeit zu tun hat, dann muss dies geändert werden. Und wenn Haushaltspolitik glaubwürdig
sein soll, dann muss für Kapitalgesellschaften das Gleiche
gelten wie für Personenunternehmen und umgekehrt. Ansonsten ist alles unglaubwürdig.
({23})
Als die Welt noch mehr in Ordnung war, nämlich vor
Ihrer Regierungszeit,
({24})
galt bei Umstrukturierungen von Unternehmen folgender Grundsatz: Solange sichergestellt ist, dass Wirtschaftsgüter im Unternehmensvermögen bleiben, kommt
es zu keiner Aufdeckung der stillen Reserven und zu keiner Besteuerung. - Das galt bis Anfang dieser Legislaturperiode. Dann kam Lafontaine und mit den Stimmen dieser Koalitionsmehrheit wurde dieser Grundsatz geändert.
Ab dann galt: Sofern es bei der Übertragung von Wirtschaftsgütern zu einem Rechtsträgerwechsel kommt, erfolgt eine Besteuerung.
Wir haben darüber lange verhandelt - auch im Vermittlungsausschuss -, bis bei dem Mitunternehmererlass
eine teilweise Wiederherstellung des alten Zustandes erfolgt ist. Sie haben jetzt immer wieder behauptet, der alte
Zustand sei wieder hergestellt; aber ich betone: Dies ist
nur teilweise der Fall. Denn nach wie vor ist es beispielsweise so - ich will Ihnen das einmal an einem konkreten
Beispiel erläutern -: Wenn zwei Unternehmer über 15
oder 20 Jahre gemeinsam ein Fuhrunternehmen betreiben,
mit einigen Lastwagen und einem Grundstück, das dafür
da ist, dass die Lastwagen dort parken können, und sich
dann trennen wollen, aus welchen Gründen auch immer,
dann muss nach jetziger Rechtslage die Differenz des
Grundstückswertes zwischen dem jetzigen Wert und dem
Anschaffungswert versteuert werden. Bei einem Wert des
Grundstückes von vielleicht 2 Millionen DM und einem
Anschaffungswert von 400 000 DM fallen so Steuern in
Höhe von mehreren Hunderttausend D-Mark an.
Frau Wolf, auf diese Fälle angesprochen, sagt zu
Recht - ebenfalls nachzulesen in einem Interview - wörtlich: Das kann den Konkurs bedeuten. Jawohl, meine
Damen und Herren, das kann den Konkurs bedeuten und
bedeutet in aller Regel den Konkurs. Deshalb wird eine
solche Umstrukturierung in aller Regel nicht vorgenommen. Das kann doch nicht das Ziel unserer Politik sein.
({25})
Deshalb werden wir dafür eintreten, dass der volle frühere
Rechtszustand - ich betone: der volle! - wieder hergestellt
wird, damit Umstrukturierungen wieder ohne derartige
Verschlechterungen möglich sind.
Wenn man den Bericht des Bundesfinanzministeriums zur Weiterentwicklung der Unternehmensteuerreform liest, so stellt man fest: Es ist nicht nur nicht der
volle frühere Rechtszustand wieder hergestellt, sondern
es besteht sogar noch eine Verschlechterung, nämlich insofern, als eine Siebenjahresbehaltefrist gelten soll. Da
wird Misstrauen in unternehmerisches Handeln sichtbar,
da wird Gängelung sichtbar - ganz abgesehen von den
Regelungen zur Überwachung und Kontrolle. Wir treten
dafür ein: voller früherer Rechtszustand, keine Verschärfung des bisherigen Rechts!
({26})
Dass unser Drängeln, unsere Arbeit selbst aus der Opposition heraus gelegentlich wenigstens teilweise Erfolg
hat, zeigt die Entscheidung zur Wiedereinführung des halben durchschnittlichen Steuersatzes für Betriebsaufgaben. Sie haben auf unser langes Drängen hin zwar zugestanden, dass der halbe durchschnittliche Steuersatz bei
Betriebsaufgaben wieder eingeführt wird, aber nach wie
vor existiert im Zeitraum von 1999 bis 2000 eine Lücke.
Deshalb plädieren wir dafür, die Verschlechterung, die Sie
eingeführt haben, auch für diese beiden Jahre zurückzunehmen.
Der zweite Punkt ist, dass auch die Handelsvertreter
und Arbeitnehmer in diese Regelung der hälftigen Besteuerung einbezogen werden müssen. Das, meine Damen
und Herren von der SPD und von den Grünen, haben Sie
bei den Ausschussberatungen, den öffentlichen Podiumsdiskussionen und den Verbänden mehrfach versprochen.
({27})
Sie haben uns versprochen: Wenn es jetzt nicht in die
jeweiligen Steueränderungsgesetze hineingeschrieben
wird, bei denen wir es immer wieder eingefordert haben,
dann sollte es bei der Rentenreform gemacht werden. Als
wir Sie darauf angesprochen haben, wollten Sie wieder
nichts mehr davon wissen. Sie haben in Bezug auf die Arbeitnehmerabfindungen und die Handelsvertreter einen
Wortbruch begangen. Sie sind in der Verantwortung. Sie
sind in Ihrer Glaubwürdigkeit wesentlich gestraft worden.
({28})
- So ist es.
Im Übrigen kennen wir die Versprechen, die nicht gehalten werden, und die Sonntagsreden von Ihrer Seite in
mehrfacher Hinsicht.
({29})
Ich will eines erwähnen; Herr Spiller, hier spreche ich Sie
ganz persönlich an. Wir waren gemeinsam bei einer Podiumsdiskussion in Augsburg. Dabei ging es unter anderem
um die besonderen Belastungen mittelständischer Unternehmer. Auch die Frage der Behandlung der Nachzahlungszinsen wurde gestellt. Vielleicht erinnern Sie sich
daran: Dies ist ein Relikt aus dem Steuerentlastungsgesetz
mit dem Ergebnis, dass heute Zinsen für Steuernachforderungen nicht mehr wie früher als Ausgaben abzugsfähig
sind, während hingegen Erstattungszinsen sehr wohl
steuerpflichtig sind.
Diese Ungleichbehandlung, die überhaupt keine fachliche und sachliche Rechtfertigung hat und letztlich nur
dazu dient, Kasse zu machen, muss beseitigt werden. Sie
haben damals bei dem Gespräch so getan, als sei Ihnen
dieses Problem gar nicht bekannt. Sie haben die Frage
aufgenommen und gesagt: Dies ist ein Problem, das gelöst
werden kann. Sie haben mit unserem Antrag, den wir im
Finanzausschuss und anschließend im Plenum behandeln
werden, die Chance, zuzustimmen und dieses Problem zu
beseitigen. Dazu fordere ich Sie ganz herzlich auf.
({30})
All diese Vorschläge - ich will aufgrund der Kürze der
Zeit nicht alle im Antrag enthaltenen Vorschläge aufführen - haben wir letztlich nur aufgrund Ihrer verkorksten Steuerpolitik in dieser Legislaturperiode erarbeitet.
Wir haben uns dabei wirklich auf das Wesentliche konzentriert. Wenn Sie meinen, dies mit der Argumentation,
das alles sei nicht bezahlbar und hätte zu große finanzielle
Auswirkungen, abtun zu können, dann will ich Ihnen eines sagen:
Erstens. Eine ganze Reihe unserer Vorschläge haben
keine finanziellen Auswirkungen, weil Umstrukturierungen entfallen, wenn die entsprechenden steuerlichen Bedingungen so sind, wie sie sind, beispielsweise bei der
Grunderwerbsteuer.
Zweitens. Sie haben mit Ihrer Ungleichbehandlung
von Kapitalgesellschaften und Personenunternehmen
letztlich die Innovationskraft und die Investitionskraft gerade des Mittelstandes geschwächt. Dies gilt es
zurückzunehmen.
Wenn Sie unseren Vorschlägen folgen, dann werden
Sie sehen, dass sich gerade im mittelständischen Bereich
Wachstumsimpulse zeigen, die im Folgenden zu mehr
Steuereinnahmen führen werden.
Wir erwarten in der nächsten Zeit die Steuerschätzung.
Wir hören immer wieder, dass die Steuereinnahmen aufgrund des zurückgehenden Wachstums sinken werden.
Die Regierung hat lange gebraucht, bis sie eingestanden
hat, dass das Wachstum nicht so groß werden wird, wie sie
es einmal prognostiziert hat, und sie ihre Einschätzungen
zurücknehmen muss. Gut, sie hat es zumindest eingesehen.
({31})
Wenn Sie diesen mutigen Schritt vollziehen würden,
dann würden Sie zu mehr Wachstum und zu einer Stärkung der Investitionskraft des Mittelstandes und damit zu
höheren Steuereinnahmen beitragen. Das Argument mit
der Finanzierung gilt also nicht.
({32})
Im Übrigen ist die Ökosteuer nicht nur ein Abzocken
all derjenigen, die sich nicht wehren können, sondern sie
ist die Wachstumsbremse Nummer eins. Auch dies will
ich deutlich machen.
({33})
Wenn Sie ein wenig mutig wären, dann hätten wir auch
die Chance, von dem Platz in der Wachstumsskala der Europäischen Union, an dem wir uns befinden, nämlich von
ziemlich weit unten, wieder weiter nach oben zu kommen.
Meine Damen und Herren, Sie haben mit diesem Antrag
die Gelegenheit, dem Mittelstand das zu geben, worauf
er ein Recht hat, nämlich eine gerechte Behandlung und
die steuerliche Gleichbehandlung mit den Kapitalgesellschaften. Nutzen Sie diese Chance!
({34})
Für die SPD-Fraktion
hat jetzt der Kollege Jörg-Otto Spiller das Wort.
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Friedrich Merz will in
der Steuerpolitik Profil gewinnen, war dieser Tage in der
Presse zu lesen. So weit, so gut.
({0})
Ich finde, diesen Versuch muss man dem Vorsitzenden
der Fraktion der CDU/CSU zubilligen. Mein sozialdemokratisches Herz sagt mir: Wer so arm dran ist wie Herr
Merz, hat das Recht, nach fast jedem Strohhalm zu greifen.
({1})
Warum er sich aber gerade die Steuerpolitik ausgesucht
hat, kann ich nicht recht nachvollziehen. Wahrscheinlich
glaubt er, dies sei für ihn leichter, weil er durch seine
langjährige Zugehörigkeit zum Finanzausschuss hiervon
allerlei versteht.
({2})
Dies ist allerdings ein zweischneidiges Schwert und hat
auch den Nachteil, dass man ihm nicht abnimmt, wenn er
Dinge verschweigt, dass man ihm nicht abnimmt, dass er
die Konsequenzen von Aussagen nicht überblickt. Der
Nachteil besteht im Grunde darin, dass man merkt, dass er
unredlich ist, und dass seine Fraktion ihm in dieser Unredlichkeit leider folgt. Dieser Antrag, Frau Kollegin
Hasselfeldt, ist ein wirklich hervorragendes Beispiel
dafür.
Gestern im Finanzausschuss hat Herr Professor
Kirchhof den Vorschlag seiner Kommission dargelegt,
wie man zu einem radikal vereinfachten Einkommensteuergesetz kommt. Die erste Reaktion von Ihnen, Frau
Hasselfeldt, war: Sie stehen voll dahinter; das trägt Ihre
Fraktion mit.
({3})
Vergleichen Sie doch bitte einmal das, was Sie in Ihrem
Antrag verlangen, mit dem, was Professor Kirchhof vorschlägt. Das passt nun überhaupt nicht zusammen. Gestern sagen Sie: radikale Vereinfachung; heute diskutieren
Sie einen Antrag, der eine Vielzahl detaillierter Spezialregelungen im Gesetz verlangt.
({4})
Worin insoweit die Übereinstimmung bestehen soll, verstehe ich nicht.
({5})
Herr Kollege Spiller,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schauerte?
Sehr gerne.
Herr Kollege
Spiller, ich sehe in dieser Entwicklung überhaupt keinen
Gegensatz und möchte Sie deswegen fragen: Können Sie
für Ihre Fraktion und für Ihren Finanzminister erklären,
dass Sie den Vorschlägen von Herrn Kirchhof weitgehend
und vor allem bald folgen wollen? Wenn Sie das wollen,
können wir Ihnen versprechen, dass wir unseren Antrag
zurückziehen.
({0})
Es tut mir Leid, Herr Kollege Schauerte, dass Sie da keinen Widerspruch entdecken können. Aber ein gestörtes Wahrnehmungsvermögen ist an sich keine Qualifikation für einen
Parlamentarier.
({0})
Das tut mir richtig Leid. Ich habe bisher eigentlich immer
den Eindruck gehabt, dass Sie einen recht guten Durchblick haben.
({1})
Aber wenn Sie aus taktischen Gründen meinen, Sie sollten sich wegen der Fraktionsdisziplin dumm stellen, dann
tun Sie es.
({2})
Nun zu unserer Haltung zu dem, was Kirchhof und
seine Kollegen vorgeschlagen haben.
({3})
Dies ist eine wunderschöne, gut lesbare Formulierung eines sehr einfachen Steuergesetzes. Sie lässt viele Fragen
offen und sagt: Das regeln wir alles auf dem Wege von
Verordnungen. In diesem Zusammenhang sage ich Ihnen:
Der Parlamentarismus ist in Jahrhunderten durch den
Kampf um das Steuer- und Haushaltsrecht geprägt worden, den gewählte Körperschaften, die sich auf die Legitimation durch die Bürgerschaft berufen konnten, ausgefochten haben.
({4})
Wenn Sie solche Entscheidungen auf die Exekutive delegieren wollen, haben Sie nicht unsere Unterstützung.
({5})
Ich kann nicht erkennen, dass alles einfacher wird,
wenn sich das Gesetz schön liest und alles Wesentliche
durch Verordnungen geregelt wird. Insofern müssen mit
Verlaub noch mehrere Überlegungen darüber angestellt
werden, wie viel Brauchbares in dem hübschen Paket von
Kirchhof enthalten ist. Wir werden uns die Vorschläge ansehen. Es würde mich aber wundern, wenn das der große
Wurf wäre.
({6})
Ich komme auf Ihre Haltung, Frau Hasselfeldt zurück:
Gestern haben Sie gesagt, Sie wollten die Vorschläge
übernehmen; heute aber fordern Sie eine Vielzahl detaillierter Regelungen.
({7})
Ich möchte gar nicht auf die Einzelheiten eingehen; im
Grunde genommen sind das auch Fragen, die man am besten im Ausschuss diskutiert, zumal sie alle Gegenstand
des Berichtes sind, den uns das Bundesfinanzministerium
auf Bitte des Ausschusses vorgelegt hat. Damit werden
wir uns im Einzelnen sachlich und nüchtern zu befassen
haben.
Ich will zwei Punkte kurz erwähnen, bei denen die Unehrlichkeit Ihres Vorgehens besonders deutlich wird:
Erstens: Zum Thema AfA haben Sie eben fast tränenreich
({8})
über die Belastung durch eine Verlängerung von Abschreibungsfristen Klage geführt. In dem von Kirchhof
erarbeiteten Gesetzentwurf steht: Es gibt erstens überhaupt nur noch eine Orientierung an der tatsächlichen
Nutzungsdauer. Es gibt zweitens eine nur lineare und
keine degressive Abschreibung. - Ich habe noch keinen
Unternehmer gefunden, der solche Pläne gut finden
würde. Sie sagen, Ihnen gefielen diese Vorschläge und Sie
wollten sie übernehmen. Wenn Sie sich so entscheiden
wollen, dann sagen Sie hier aber nichts anderes. Am besten ist, Sie entscheiden sich mal gelegentlich, wofür Sie
eigentlich sind.
({9})
Zweiter Punkt: Sie haben in Ihrer Rede - im Antrag ist
das extra aufgeführt - über die steuerliche Behandlung
von Betriebsveräußerungen gesprochen. Ein Handwerksmeister, der mit 60 Jahren seinen Betrieb aufgibt,
kann nach dem geltenden Recht erstens einen Freibetrag
und zweitens wahlweise - was ich großzügig finde - entweder eine Dämpfung der Progression durch die so genannte Fünftelung oder aber eine Besteuerung nach dem
halben durchschnittlichen Steuersatz in Anspruch nehmen. Das ist für einen Handwerksmeister, der sich nach
einem langen Berufsleben dafür entscheidet, seinen Beruf
aufzugeben, eine gute Regelung.
Was fordert Kirchhof, zu dem Sie ja sagen, alles bestens, Kirchhof sei gut, das ist Ihr Konzept? Kirchhof verlangt, dass die Veräußerung von Privatvermögen voll
steuerpflichtig sein soll!
({10})
- Bei ganz anderen Steuersätzen? Er spricht von 35 Prozent. Ich finde, Herr Uldall, Sie sollten ein bisschen an Ihr
Herz denken und ganz ruhig bleiben
({11})
und dann in der Diskussion in der Fraktion mit Ihrem
Sachverstand dazu beitragen, dass die Sache nüchtern und
vernünftig behandelt wird.
Ich komme zu dem Schluss: Frau Hasselfeldt, da Sie
sich gestern dahin gehend geäußert haben, Sie seien für
Kirchhofs Vorschlag, wäre es das Beste, wenn Sie den Antrag zurückzögen. Das wäre das Einfachste und Konsequenteste.
({12})
Es gibt noch einen zweiten Grund, weshalb Sie Ihren
Antrag zurückziehen sollten. Die politische Kernaussage,
durch unsere Steuerreform gebe es eine Benachteiligung
des Mittelstandes - unter dem Mittelstand verstehen Sie
etwas grob vereinfachend Personenunternehmer und Personengesellschaften, obwohl sich ein großer Teil des
Mittelstandes aus vielerlei Gründen für andere Rechtsformen, zum Beispiel die GmbH, entscheidet; Sie behaupten,
nur die Personengesellschaften seien für den Mittelstand
charakteristisch, das trifft aber nicht zu -, ist einfach
falsch.
({13})
Ich weiß, dass das für Sie ein Rettungsanker ist. Es trifft,
wie gesagt, bloß nicht zu.
Das Handelsblatt, dem nun wirklich nicht nachgesagt werden kann, dass es der CDU gegenüber emotional
abgeneigt sei, hat vor einem guten halben Jahr Arthur
Andersen den Auftrag erteilt, zu untersuchen, wie sich die
Unternehmensteuerreform auf Personengesellschaften
und Kapitalgesellschaften auswirkt. Das Ergebnis war: Es
gibt keine Benachteiligung der Personengesellschaften.
({14})
- Nein, bei nüchterner Betrachtungsweise kommt man
immer wieder zu diesem Ergebnis.
Dass Sie zu falschen Schlussfolgerungen kommen,
liegt daran, dass Sie sehr grob vereinfachen, wenn Sie
über Steuersätze reden. Sie vergleichen einfach den Körperschaftsteuersatz von 25 Prozent mit dem Spitzensteuersatz bei der Einkommensteuer, der bei 48,5 Prozent
liegt. Aber Sie sollten die durchschnittliche effektive
Steuerbelastung vergleichen und dabei auch berücksichtigen, dass Personenunternehmen im Gegensatz zu Kapitalgesellschaften faktisch keine Gewerbesteuer mehr
zahlen.
({15})
Damit ein verheirateter Personenunternehmer auch nur
annähernd eine ähnlich hohe steuerliche Belastung wie
eine Kapitalgesellschaft hat, muss er einen Gewinn von
gut 400 000 DM erwirtschaften.
({16})
Das Gewinnniveau von 95 Prozent der Personengesellschaften und der Einzelunternehmer liegt aber weit darunter. Reden Sie also den Leuten nicht immer etwas ein,
was einfach nicht zutrifft. - Entschuldigung, ich nehme
einreden zurück.
({17})
Meine Erfahrung ist: Mittelständler können rechnen
({18})
und sind nicht blöd. Sie können denen so viel erzählen,
wie Sie wollen. Die können nachrechnen und vergleichen
einfach das, was sie vorher an Steuern gezahlt haben, mit
dem, was sie heute an Steuern zahlen.
({19})
- Herr Thiele, als Ihre Fraktion die damalige Koalition
mitgetragen hat, lag der Spitzensteuersatz bei der Einkommensteuer bei 53 Prozent.
({20})
Zusätzlich gab es die Gewerbesteuer. Sie glauben doch
nicht, dass ein mittelständischer Unternehmer nicht
merkt, dass er heute weniger Steuern zahlen muss.
({21})
Versuchen Sie nicht, die Mittelständler für dumm zu verkaufen! Machen Sie sich auch nicht die Argumentation
von Frau Hasselfeldt zu Eigen, Veräußerungsgewinne, die
bei den Kapitalgesellschaften anfallen, seien völlig steuerfrei. Sobald der Gewinn an die Gesellschafter ausgeschüttet wird, wird er natürlich steuerpflichtig.
({22})
Behaupten Sie auch nicht, wir hätten zugesagt, die
AfA-Tabellen noch in dieser Wahlperiode komplett zu ändern. Wir haben im Ausschuss das Bundesfinanzministerium doch gemeinsam aufgefordert, eine grundlegende Untersuchung darüber in Auftrag zu geben, wie das
in anderen Ländern gemacht wird und wie man das von
der Systematik her viel einfacher regeln kann. Wenn der
Bericht im nächsten Jahr vorliegt, werden wir in der
nächsten Wahlperiode die Konsequenzen aus ihm ziehen.
({23})
Ich möchte folgende Schlussbemerkungen machen:
Erstens. Ziehen Sie den Antrag zurück!
Zweitens. Mit diesem Antrag hat Herr Merz auch den
Versuch unternommen, sich Profil zu verschaffen. Meiner
Ansicht nach war dieser Versuch ausgesprochen unglücklich;
({24})
denn das einzige Ergebnis war eigentlich, dass sich Herr
Merz steuerpolitisch als ein Lieferant von Mogelpackungen erwiesen hat,
({25})
um die Frau Hasselfeldt ein rosa Bändchen schnürt.
({26})
Zu einer Kurzintervention erteile ich jetzt dem Kollegen Hans Michelbach
das Wort.
Herr Kollege Spiller,
Sie haben uns der Unredlichkeit bezichtigt; daher habe ich
mich zu dieser Kurzintervention gemeldet.
({0})
Ich bitte Sie, diesen Vorwurf zurückzunehmen. Ihr Steuersenkungsgesetz hat im Mittelstand Willkür und Diskriminierung hervorgerufen. Diese unredliche Politik belastet
letzten Endes viele Existenzen. Sie sollten nicht mit einem
solchen politischen Totschlagargument arbeiten.
Der Antrag der CDU/CSU bezog sich natürlich auf Ihr
Steuersenkungsgesetz. Wir mussten die von Ihnen
verursachte Willkür und Diskriminierung im Hinblick
auf steuerliche Gleichbehandlung thematisieren. Der
Kirchhof-Plan, den Professoren für Wirtschaftswissenschaft entwickelt haben, ist ein neuer Ansatz. Er hat mit
Ihrem Steuersenkungsgesetz nur insofern etwas zu tun,
als dass er verdeutlicht, dass Ihre Steuerpolitik so nicht
weitergehen kann.
({1})
Ihre Steuerpolitik treibt Steuerungerechtigkeit und
Steuerkompliziertheit voran. Der Ansatz von Kirchhof
besagt - das ist ganz deutlich -: Steuervereinfachung,
überfällige Neuorientierung in der Steuerpolitik und
natürlich ein Niedrigsteuersatzprinzip im Rahmen von
15 bis 35 Prozent. Über die Einkommensgrenzen kann
man sicherlich reden. Ich möchte Ihnen klarmachen, dass
die von Ihnen zu verantwortenden Diskriminierungen und
Ungleichbehandlungen korrigiert werden müssen. Dass
das geschehen muss, kann nur über einen solchen Antrag
der CDU/CSU verdeutlicht werden.
({2})
Sie müssen die verfassungswidrige Tarifspreizung beenden. 2001 und 2002 gibt es noch immer eine ungleiche
Steuerbelastung für Personengesellschaften und für Kapitalgesellschaften in Höhe von 33 Prozent. Zwar gilt dies
nur für die oberen Progressionsstufen, unter die lediglich
10 Prozent der Unternehmen fallen; in diesen Unternehmen arbeiten aber fast 60 Prozent der im Mittelstand Beschäftigten. Es ist wichtig, dass diese Unternehmen bereit
sind, zu investieren und damit das konjunkturelle Wachstum voranzutreiben. Sie müssen die fehlende Systematik,
die in der einseitigen Begünstigung der thesaurierten Gewinne besteht, zurücknehmen. Vor allem müssen Sie die
Diskriminierung des Mittelstandes im Hinblick auf die
Beteiligungsveräußerungen beseitigen.
Es ist eine unredliche Politik, die Großbanken, die sich
im Umfang von 400 Milliarden DM an deutschen Konzernen beteiligen, steuerfrei zu stellen und beim Mittelstand durch jede Umstrukturierung voll abzukassieren.
Ihre Steuerpolitik ist die ungerechteste und die unredlichste, die es in Deutschland je gegeben hat, Herr Spiller.
({3})
Zur Erwiderung
spricht Herr Kollege Spiller, bitte.
Herr Kollege Michelbach,
ich bestätige Ihnen gerne, dass Sie ein redlicher mittelständischer Kaufmann sind. Sobald Sie als Parlamentarier
über den Mittelstand reden, kann ich Ihnen diese Redlichkeit allerdings nicht bescheinigen.
({0})
Nächster Redner ist
der Kollege Dr. Hermann Otto Solms für die F.D.P.-Fraktion.
Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! In der kurzen
Redezeit, die mir zur Verfügung steht, will ich nur auf wenige Fakten eingehen. Die Steuersenkung, die in dem
Steuerreformgesetz der rot-grünen Regierung enthalten
war, begrüßen wir; sie war richtig. Die Ungleichbehandlung von mittelständischen Personengesellschaften bzw.
Einzelkaufleuten und großen Kapitalgesellschaften war
und ist aber verfehlt. Sie muss korrigiert werden.
({0})
Hier brauchen wir kurzfristig eine schnell wirkende Korrektur, weil fünf Jahre drastischer Unterschied in der Steuerbelastung für viele mittelständische Existenzen das
Ende bedeuten kann. Das darf so nicht hingenommen
werden.
Es ist an einfachen Zahlen zu belegen: Die Kapitalgesellschaften werden von diesem Jahr ab nur noch mit etwa
38 Prozent belastet - 25 Prozent Körperschaftssteuer plus
Gewerbesteuer -, die Personengesellschaften werden bis
2005 mit 48,5 Prozent belastet.
({1})
Hinzu kommt - Herr Kollege Spiller, ich muss Ihnen das
sagen; Sie sind nicht richtig informiert -, dass die Gewerbesteuer nicht voll verrechnet wird. Das wird von Ihnen immer behauptet. Sie hätten sich einmal um die Fakten kümmern können.
({2})
Die volle Verrechnung gilt nur für Unternehmen in Gemeinden mit einem Steuerhebesatz von unter 350 Prozent.
Fast alle Gemeinden mit mehr als 50 000 Einwohnern haben allerdings deutlich darüber liegende Steuerhebesätze.
Deswegen bleibt in diesen Gemeinden eine ganz spürbare
Gewerbesteuerbelastung übrig. Das können Sie nicht vernachlässigen. Damit kommen die Unternehmen über
50 Prozent.
({3})
Dieser drastische Unterschied ist ungerecht, er ist in meinen Augen sogar verfassungswidrig, auch wenn er auf
fünf Jahre begrenzt ist. Das kann so nicht hingenommen
werden.
Herr Kollege Solms,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Uldall?
Gerne.
Herr Kollege, da Sie
eben sehr eindrucksvoll die unterschiedliche Belastung,
die durch die Schröder/Eichel-Reform hervorgerufen
wird, dargestellt haben, möchte ich Sie fragen, wie Sie die
folgenden heute veröffentlichten Zahlen einer Umfrage
bewerten, die die Zeitschrift Die Woche durch das
Forsa-Institut hat erstellen lassen. Wie beurteilen Sie die
Tatsache, dass 89 Prozent der Bevölkerung erklären, dass
sie durch die Steuerreform Schröder/Eichel wenig oder
gar nicht entlastet werden? Ein Blick auf die Anhängerschaft der SPD: Nur 9 Prozent der SPD-Wähler sagen, sie
würden eine deutliche Entlastung spüren.
Das ist eine ganz
verständliche Reaktion; denn die Bürger betrachten ja
nicht nur die Belastung durch die Lohnsteuer, sie betrachten die Gesamtsteuerbelastung. Wenn auf der anderen
Seite bei der Ökosteuer so unverschämt zugegriffen
wird - es ist einfach eine politische Dummheit, was Sie da
gemacht haben -, dann können Sie keine positive Resonanz erwarten für das, was Sie bei der Einkommensteuer
gemacht haben.
({0})
Damit will ich auch widerlegen, was der Bundesfinanzminister hier immer großspurig sagt. Er redet ja von
der größten Steuerreform, die es in der Bundesrepublik
überhaupt gegeben hat.
({1})
Ich habe einmal nachrechnen lassen, wie die Steuerbelastung im Vergleich aussieht. Das Steueraufkommen in
Deutschland - alle Steuern zusammen - wird im Jahre
2005, am Ende der Reform, um 28 Prozent höher liegen
als 1998. Das prognostizierte Wachstum des Volkseinkommens in Deutschland beträgt aber bis zum Jahr 2005
nur 23 Prozent. Im Klartext: Die steuerliche Belastung der
Bürgerinnen und Bürger wird im Durchschnitt bis 2005
nicht niedriger, sondern höher sein.
({2})
Das sind die offiziellen Zahlen, wobei darin noch die hohen Wachstumszahlen aus der Schätzung enthalten sind.
Die Bürger können also keine echte Steuerentlastung erwarten. Das ist großer Lärm um nichts. Da wird viel umverteilt; aber die Bürger gewinnen nichts und der Mittelstand zahlt, wie immer bei Ihnen, die Zeche.
({3})
Das kann so nicht hingenommen werden.
({4})
Wir haben damals diesem Kompromiss zugestimmt,
weil wir dem Kollegen Brüderle und unseren Freunden in
Rheinland-Pfalz dafür dankbar waren, dass sie im Kompromiss für den Mittelstand immerhin noch 7 Milliarden DM herausgeholt haben, nämlich dadurch, dass der
Steuertarif von 45 auf 42 Prozent gesenkt wurde, dass der
Mitunternehmererlass wieder eingeführt wurde - wenn
auch nur lückenhaft, was jetzt noch zu korrigieren bleibt und dass natürlich der halbe Durchschnittssteuersatz wieder eingeführt wurde, allerdings auch nur lückenhaft, weil
die Handelsvertreter und die Abfindungen bei Arbeitnehmern nicht enthalten sind.
({5})
Auch hier müssen Sie Ihr eigenes Werk noch korrigieren,
weil das, was Sie durchgesetzt haben, nicht dem entsprach, was als Kompromiss ausgehandelt war. Jedenfalls
hat es dem Sinn des Kompromisses nicht entsprochen. Ich
höre, dass man jetzt überlegt, hier einiges zu korrigieren.
Es bleibt dabei: Die unterschiedliche Behandlung von
Kapitalgesellschaften, Personengesellschaften und Einzelkaufleuten ist nicht akzeptabel. Wir brauchen eine
kurzfristige Korrektur. Sie sollten also noch vor dem Jahre
2005 die Steuersätze so schnell wie möglich auf das Niveau von 42 Prozent senken - dieser Höchststeuersatz soll
dann für alle gelten -, das nach Ihren Vorstellungen erst
im Jahr 2005 erreicht werden soll.
Herr Kollege Spiller, die Anträge, die Union und F.D.P.
eingebracht haben, sind Anträge, um die Fehler, die Sie zu
verantworten haben, kurzfristig zu korrigieren.
({6})
Was aber die Professoren Kirchhof und Bareis und deren
Expertengruppe vorgelegt haben, ist etwas ganz anderes.
Dabei geht es um einen systematischen Neuanfang, um
ein einfaches, verständliches und gerechteres Steuersystem aufzubauen. Einen solchen Neuanfang können Sie
mit Kritik an einzelnen Punkten immer zerreden und zerpflücken. Das wird aber Ihrem Anspruch, das Steuerrecht
zu vereinfachen, nicht gerecht.
({7})
Ich möchte Sie daher herzlich bitten, dass Sie diesen Neuanfang nicht zerreden, sondern dass Sie in den eigenen
Reihen überlegen, welche Erkenntnisse man für die Zukunft aus diesen Vorschlägen gewinnen kann. Das ist eine
Aufgabe, der sich alle Parteien widmen müssen.
Wir freuen uns über diesen Ansatz, weil er in den Eckpunkten und Kriterien genau dem entspricht, was wir bereits 1996 auf einem Bundesparteitag verabschiedet haben. Der Vorschlag der F.D.P. kommt zu dem gleichen
Ergebnis: radikale Beseitigung aller Ausnahmetatbestände, keine Berücksichtigung unterschiedlicher Einkunftsarten und absolute Gleichbehandlung der Steuerpflichtigen. Die Besteuerung soll nur von der Höhe des
Einkommens abhängen. Wir wie auch der Kollege Uldall
schlagen einen Stufentarif vor. Kirchhof regt einen linearen Tarif an. Das ist aber Technik und nicht Substanz.
Jetzt höre ich aus den Reihen der Sozialdemokraten
den Einwand: Diese Regelungen sind in der Verteilungswirkung ungerecht; die Kleinen müssen mehr bezahlen
und die Großen werden stärker entlastet. - Stellen Sie
diese Überlegungen einmal zurück! Über den Tarif kann
man ja zum Schluss reden. Das Entscheidende ist doch,
dass wir damit ein Steuerrecht schaffen, das den
Grundsätzen unseres demokratischen Systems entspricht.
Dieses neu zu schaffende Steuerrecht soll von den Menschen verstanden werden können - das ist ja das Mindeste, was man fordern muss
({8})
und die Belastungen sollen so maßvoll gestaltet werden,
dass die Menschen bereit sind, es zu akzeptieren. Dadurch
könnten die zahlreichen Bemühungen der Steuerpflichtigen aller Einkommensgruppen, die Steuer zu umgehen,
obsolet werden, weil sich der Aufwand nicht mehr lohnt.
Aufgrund dieses einfachen und verständlichen Steuerrechts könnte der Arbeitnehmer im Normalfall seine
Steuererklärung auf einer Postkarte abschicken. Das ist
meine Idealvorstellung von einem einfachen, klar verständlichen und damit akzeptablen Steuersystem.
Ich will noch einen Grundgedanken anführen. Ein
Recht, das von der Mehrzahl der Bevölkerung nicht mehr
akzeptiert wird, hat in einer Demokratie seine Berechtigung verloren. Das demokratische Prinzip beruht ja darauf, dass man den Volkswillen umsetzt. Ein Steuerrecht,
das keiner mehr akzeptiert, kann nicht bestehen bleiben.
Man muss dem Volkswillen entsprechen und einen neuen
Ansatz suchen. Wir sollten dies gemeinsam tun. Damit
können wir wirklich etwas Gutes schaffen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({9})
Für die Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen spricht jetzt die Kollegin
Christine Scheel.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Herr Dr. Solms, ich bin doch schon etwas verwundert:
29 Jahre lang hat die F.D.P. Regierungsverantwortung getragen. Sie aber reden davon, dass wir endlich ein Steuersystem schaffen sollen, das gerecht und transparent ist
und das die Menschen verstehen.
Das Problem, das wir jetzt haben, beruht darauf, dass
sich das Steuerrecht über Jahrzehnte unter Ihrer Mitgestaltung bis zum heutigen Stand entwickelt hat. Wir müssen jetzt versuchen, Sondertatbestände zu streichen. Die
Bundesregierung tut dies sukzessive und verbindet dies
gleichzeitig mit einer Tarifsenkung.
({0})
Es gehört zur Wahrheit, dass man einmal sagt, was
während Ihrer Regierungszeit passiert ist: Die Bürger
wurden durch die Steuern immer mehr belastet. Die
Steuer- und Abgabenlast war wesentlich höher, als sie
heute ist. Außerdem haben Sie uns eine Staatsverschuldung von 2,3 Billionen DM hinterlassen, mit der wir jetzt
fertig werden müssen.
({1})
Wir können also nicht einfach sagen, es gibt eine größere
Entlastung, ohne dass die Haushalte der Länder und der
Bundeshaushalt in den Ruin getrieben werden würden
und ohne dass wir die europäischen Vorgaben nicht mehr
einhalten könnten. Das ist doch der Punkt.
({2})
Hier muss man ehrlich sein und auch sagen, in welchem Rahmen eine Veränderung stattfinden kann.
Ich bin auch überrascht, dass die CDU/CSU heute
ihren Antrag vorlegt. Das ist ja wieder ein umfangreicher
Wunschzettel, bei dem die Finanzierungsfragen in keiner
Weise geklärt sind und auch nicht, wie wir denn zusammen mit den Ländern dies überhaupt umsetzen können.
Sie kennen doch Ihre eigenen Länder und wissen, dass in
Bayern, in Baden-Württemberg, in Hessen und auch in einigen neuen Bundesländern CDU und CSU regieren. Bei
jeder Verhandlung, wenn es um mehr Entlastung bei der
Steuer geht, feilschen Sie mit dem Bund, weil Sie nicht
bereit und zum großen Teil auch nicht in der Lage sind,
Ihre Haushalte weiter zu belasten.
({3})
Das ist doch die Wahrheit, der auch Sie sich in Ihren eigenen Ländern stellen müssen.
({4})
Da hilft es nichts, wenn sich die Opposition jetzt hier hinstellt und sagt: Schöne heile Welt; wir machen das jetzt so.
- Das klingt zwar für die Bürger schön, es kann aber kein
Mensch in der jetzigen Situation finanzieren. Das muss
man doch sagen!
Eine verantwortliche Finanz- und Steuerpolitik bedeutet doch auch - das müssen Sie im Prinzip zugeben -, dass
wir mit Blick auf die kommenden Generationen Spielräume brauchen, um die Investitionen, die im Bereich des
Sozialen, in der Wirtschaft, für Bildung, für Forschung
und vieles mehr notwendig sind, überhaupt finanzieren zu
können.
Das tun wir in einer verantwortlichen Art und Weise,
wogegen Sie permanent Forderungskataloge aufstellen,
die die finanzielle Lage des Bundes und der Länder
schlichtweg ignorieren. Das hat nichts mit Solidität zu
tun, sondern mit purem Populismus.
({5})
Wir haben ja auch von Herrn Merz gehört - es gibt ein
neues Credo der CDU -: Alle Ausnahmen sollen gestrichen
werden. - Da würde jeder Mensch sagen: Klasse! - Der Tarif soll gesenkt werden. Da wird auch jeder sagen: Toll!
Während Herr Merz am letzten Wochenende diese
Überlegung der Öffentlichkeit präsentiert hat,
({6})
bringen Sie gleichzeitig hier einen Antrag ein, der das genaue Gegenteil der Vorschläge beinhaltet, die Ihr Fraktionschef in der Öffentlichkeit präsentiert hat.
Ich fände es schön, wenn man alle Sondertatbestände,
alle Subventionstatbestände reduzieren könnte. Vereinfachung des Steuerrechtes heißt allerdings: Man verändert
keinen Tatbestand, sondern streicht ihn. Das ist Vereinfachung. Alles andere ist ja nur eine Umgestaltung.
({7})
Aber wenn Sie sich sicher sind, dass das funktionieren
kann, dann müssten Sie diesen Antrag zurückziehen,
müssten den Vorschlag von Herrn Merz hier einbringen
und auch sagen, wie er finanziert werden kann. Das wäre
ehrliche Politik seitens der Opposition. Aber Sie versuchen immer nur, mit irgendwelchen Formulierungen
draußen den Eindruck zu erwecken, als ob Sie eine tolle
Politik machen würden. Das ist schlichtweg nicht der
Fall.
({8})
Wir haben gestern die Vorschläge von Herrn Professor
Kirchhof, von anderen Professoren sowie sonstigen Wirtschafts- und Finanzwissenschaftlern und anderen Fachleuten im Finanzausschuss diskutiert. Ich finde, dass die
Vorschläge, die vorgestellt worden sind, aus wissenschaftlicher Sicht sehr gut sind. Darüber braucht man
überhaupt nicht zu reden. Aber man muss auch über die
Widersprüche, die sich ergeben könnten, diskutieren.
Wenn man so etwas will - an dem Punkt müssen wir noch
weiter diskutieren -, müssen wir klar sehen,
({9})
was es für die kleinen und mittleren Einkommen bedeutet, ob sie gegenüber unserem Steuerkonzept be- oder entlastet werden. Das muss geklärt werden. Denn was auf
keinen Fall passieren darf, ist, dass man bei einem wunderbaren Tarif von 15 bis 35 Prozent und einem Existenzminimum von 16 000 DM - da zahlt man keine Steuern stehen bleibt
({10})
und die Abschaffung von Regelungen, die es für Arbeitnehmer und Unternehmen gibt, etwa die Abzugsfähigkeit
der Kosten der Fahrt zur Arbeit, die steuerliche Behandlung der Nachtarbeitszuschläge, die degressive AfA - die
abgeschafft werden soll - und vieles andere mehr, nicht
berücksichtigt wird. Unter dem Strich muss man die Wirkungen auf Kleine und Mittlere berücksichtigen. Im unteren und mittleren Bereich darf es bei Unternehmen
genauso wie bei privaten Lohn- und Einkommensteuerzahlern auf keinen Fall zu Verschlechterungen kommen.
Das ist noch zu prüfen. Hierzu liegen überhaupt noch
keine klaren Ergebnisse vor.
Hinzu kommt: Radikale Steuersenkungen kann man
sich nur dann leisten, wenn die Zahl der steuerlichen
Ausnahmetatbestände radikal verringert wird. Das haben wir auch gestern betont. Sie dagegen forderten in den
letzten Monaten maximale Steuersenkungen und gleichzeitig die Wiedereinführung von allen Ausnahmetatbeständen, die es jemals in irgendwelchen Bereichen
gegeben hat.
({11})
Das passt nicht zusammen. An diesem Punkt frage ich
mich, was denn überhaupt los ist und was Sie wollen. Sie
verfolgen eine völlig unklare Linie: Ihr Fraktionsvorsitzender sagt etwas anderes als die Fraktion, auf dem Parteitag wurde noch einmal etwas anderes beschlossen.
({12})
Ihre Vorstellungen zur Steuer- und Finanzpolitik sind, wie
ich finde, mehr als diffus.
({13})
Eine durchgreifende Vereinfachung des Steuerrechts
ist durchaus diskussionswürdig und überlegenswert; dagegen hat niemand etwas. Wenn wir jedoch ein transparentes Steuersystem mit niedrigen Steuersätzen zum Nutzen der Bürgerinnen und Bürger schaffen wollen,
({14})
dann brauchen wir, Frau Hasselfeldt, einen breiten gesellschaftlichen Konsens.
({15})
Ich kann mich gut daran erinnern, meine Damen und
Herren von der CDU/CSU, was damals in Ihrer Fraktion
los war, als Ihr Fraktionskollege Herr Uldall seinen radikalen Vorschlag unterbreitet hat.
({16})
Auch wir von den Grünen haben das so gesehen und uns
häufiger darüber unterhalten. Genauso verhielt es sich
später, als Professor Bareis als von der CDU/CSU-Fraktion eingeladener Sachverständiger seine Vorschläge zu
einer Vereinfachung des Steuersystems unterbreitet hat.
({17})
Manchmal denke ich, dass Sie an Gedächtnisschwund leiden. Ich erinnere mich noch, wie Herr Uldall aufgrund
seiner Vorschläge von den Sozialpolitikern aus der eigenen Fraktion niedergemacht worden ist.
({18})
Es hieß, das sei sozial vollkommen ungerecht. Die Wohnungsbaupolitiker haben gesagt, dass sie es nicht akzeptieren könnten, dass Wohneigentum nicht mehr steuerlich
abzugsfähig gemacht werden sollte; die Landwirte haben
gefordert, die Sonderregelungen für die Landwirtschaft
beizubehalten. Bei vielen anderen Punkten war es genauso.
({19})
Das ist doch genau der Punkt, wo die Probleme liegen.
Deshalb sage ich: Wenn wir zu einer radikalen Vereinfachung des Steuerrechts kommen wollen, brauchen wir
einen Konsens aller Menschen in dieser Gesellschaft, die
von der Steuerpolitik betroffen sind, darüber, dass man
bereit ist, auf Tatbestände, von denen man selbst profitiert, zu verzichten. Diese Diskussion ist sehr schwierig.
Jeder fordert, dass das Steuerrecht vereinfacht werden
müsse; ich höre bei jeder Veranstaltung, dass es zu kompliziert sei. Das ist vollkommen richtig. Es ist zu kompliziert.
({20})
Aber in dem Moment, wo Sachverhalte verändert, bestimmte Maßnahmen gestrichen werden, gibt es sofort aus
den verschiedensten Gruppen heraus jede Menge Gründe
dafür, warum es zwingend geboten sei,
({21})
den Steuertatbestand, der die eigene Gruppe betrifft, zu
belassen; dagegen könne man bei Tatbeständen, die andere betreffen, streichen, nur eben nicht bei einem selber.
Genau vor diesem Problem stehen wir doch alle. Das
trifft nicht nur auf eine Fraktion zu, sondern auf alle, die
in der Politik Verantwortung tragen. Das unterscheidet
unsere Ansätze auch so stark - das sage ich ganz nachdenklich - von den Ansätzen, die ein Professor Kirchhof
mit seiner Gruppe aus der Wissenschaft heraus so wunderbar entwickeln kann und auch gut entwickelt hat; das
ist unstrittig. Wir in der Politik aber haben es mit Interessenverbänden und Organisationen zu tun. Ich will nicht
sagen, dass diese die Politik zu stark beeinflussen würden,
aber wir haben es eben mit solchen Interessenkonstellationen zu tun. Das trifft auch auf die Ihrer Fraktion nahe
stehenden Verbände und Vorstände in Sozialverbänden
und anderen Organisationen zu. Ich möchte einmal hören,
was diese sagen, wenn die steuerliche Sonderbehandlung
des Nachtarbeitszuschlags wegfällt; was Ihre Sozialverbände sagen, wenn der Weg zur Arbeit nicht mehr steuerlich begünstigt wird,
({22})
und was die Landwirte sagen, wenn es keine Sonderregelungen mehr gibt. Das würde mich interessieren. Sie müssen da genauso wie wir noch sehr viel Arbeit und Zeit investieren und sehr viel Überzeugungsarbeit leisten.
Wir haben jetzt - das war das, was man erreichen
konnte ({23})
einen Tarif beschlossen, der im internationalen Vergleich
sehr gut ist. Wir haben einen Eingangssteuersatz von
15 Prozent, genau wie es auch Herr Professor Kirchhof
vorgeschlagen hat, und wir haben einen Spitzensteuersatz
von 42 Prozent; Herr Professor Kirchhof fordert 35 Prozent.
({24})
Wir haben ein Entlastungsvolumen von insgesamt 45 Milliarden DM.
({25})
Diese 45 Milliarden DM kommen vorwiegend Familien
und Beziehern kleinerer Einkommen zugute, auch den
kleinen und mittleren Unternehmen. Das muss man klipp
und klar sagen.
({26})
Ich nenne Ihnen dazu gleich noch paar Zahlen, damit Sie
die Realität sehen.
Den kleinen und mittleren Einkommen, dem so genannten Mittelstand, über den Sie immer gerne reden,
nutzt es, wenn der Eingangssteuersatz auf 15 Prozent gesenkt wird. Wir haben den Eingangssteuersatz um 11 Prozentpunkte gesenkt. Denen nutzt es, wenn das Existenzminimum von 12 300 DM - damit haben wir angefangen - auf 15 000 DM angehoben wird; ab dieser Grenze
werden sie langsam steuerpflichtig.
({27})
Denen nutzt es, wenn wir die Gewerbesteueranrechnung vornehmen. Sie können sie als Betriebsausgabe absetzen, Herr Dr. Solms - das haben Sie unterschlagen -,
({28})
und sie können das, was an realer Schuld bleibt, mit ihrer
Einkommensteuerschuld verrechnen, sodass für den
Großteil aller Unternehmen in der Bundesrepublik
Deutschland, die gewerbesteuerpflichtig sind, faktisch
keine Mark Gewerbesteuer mehr fällig wird.
({29})
Das ist die Wahrheit; diese Maßnahmen dienen den kleinen Unternehmen.
Bei Veranstaltungen, zum Beispiel mit dem Handwerk, frage ich nach dem durchschnittlichen Steuersatz.
Was glauben Sie denn, welches Einkommen man
braucht, um überhaupt an den Steuersatz zu kommen, den
die Körperschaften zu zahlen haben! Die Körperschaften
haben einen Steuersatz von 25 Prozent plus die Gewerbesteuer. Dabei sagen Sie immer, sie hätten einen großen
Vorteil. Die Personenunternehmen brauchen, um mit
38 Prozent belastet zu werden, einen steuerpflichtigen
Gewinn von 480 000 DM. Welches kleine Handwerksunternehmen, welcher verheiratete kleine Handwerker
hat denn 480 000 DM zu versteuernden Gewinn am Jahresende?
({30})
Das sind doch gerade 5 Prozent aller Personenunternehmen in der Bundesrepublik Deutschland, deren Struktur
so aussieht.
({31})
Das hat in der Regel erbschaftsteuerrechtliche Gründe,
weil es große Familienunternehmen sind, die ihre Struktur deswegen nicht verändert haben.
Sie setzen sich für einen kleinen Teil von sehr lukrativen Personenunternehmen ein
({32})
und für den Rest machen Sie keine Vorschläge. Das ist
doch der Punkt.
({33})
Sie verteilen von unten nach oben und das wollen wir
nicht. Wir stehen im internationalen Steuerwettbewerb
seit 2000 besser und seit 2001 noch besser da. Wir erreichen im Bereich der Unternehmen, die Körperschaften
sind, ein gutes Mittelfeld. Wir haben aufgrund der drei
Maßnahmen, die ich vorhin angesprochen habe, für die
kleinen Unternehmen eine enorme Steuerentlastung vorgenommen.
Wir werden die Unternehmensteuern, was das
Außensteuerrecht, das Umwandlungsteuerrecht und die
Besteuerung von Auslandsbeziehungen betrifft, weiter reformieren. Es wird jetzt ein Bericht diskutiert, der vom
Ministerium vorgelegt worden ist. In diesem Bericht sind
einzelne Punkte angesprochen, die umgesetzt werden sollen. Es geht um den Mitunternehmererlass, es geht um die
Umstrukturierung von Personenunternehmen, für die dies
bedeutsam ist, es geht um die Hinzurechnungsbesteuerungen im Außensteuergesetz, es geht darum, wie die
Grunderwerbsteuer bei Umstrukturierungen im Konzern
gehandhabt wird, und um viele Punkte mehr.
Das heißt, wir setzen das um, was wir haushaltsmäßig
verantworten können. Wir tun das, was europapolitisch
und wirtschaftspolitisch notwendig ist. Ich bitte Sie, dies
zur Kenntnis zu nehmen. Es geht darum, hier eine sinnvolle und leistungsfreundliche Besteuerung zu schaffen.
Das haben wir mit unserem Steuertarif, mit unseren Vorschlägen gemacht. An weiteren Vereinfachungen müssen
auch wir arbeiten; das ist vollkommen richtig. Auch wir
wollen, dass das Steuersystem einfacher wird. Aber dann
muss man den Menschen auch sagen, welche Konsequenzen das hat. Für den Einzelnen kann dies bedeuten,
dass er trotz niedrigerer Steuersätze aufgrund des Wegfalls aller steuermindernden Tatbestände mehr als heute
bezahlt. Dies gilt es zu klären. Wir wollen auf keinen Fall,
dass Familien mit mehreren Kindern oder die Bezieher
kleiner oder mittlerer Einkommen stärker als heute belastet werden, dass die Regelung also nur auf den ersten
Blick schön aussieht.
Danke schön.
({34})
Ich erteile
der Kollegin Dr. Barbara Höll für die Fraktion der PDS
das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Welches ist nun der Punkt, Frau
Scheel? Haben Sie das gemacht, was haushaltspolitisch
verantwortbar ist? Sie verzichten bis zum Jahre 2004 auf
Steuereinnahmen in Höhe von 120 Milliarden DM. Aus
der Steuerfreiheit von Veräußerungsgewinnen resultieren
14 Milliarden DM. Die Senkung des Körperschaftsteuersatzes auf 25 Prozent wird 59 Milliarden DM kosten.
({0})
Mit dieser riesigen Entlastung sind Wachstum und
mehr Arbeitsplätze versprochen worden. Wir haben die
neuen saisonbereinigten Zahlen vom April: Die Zahl der
Arbeitslosen ist um 6 000 gestiegen. Das ist die Realität.
Wir fordern die Entlastung der Familien. Die Realität
sieht so aus: ein würdeloses Gezerre um eine Erhöhung
des Kindergeldes von 30 DM, die nicht ganz freiwillig geschieht. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts
müssen Familien mit Kindern endlich nicht nur finanziell,
und zwar in Kindergeld ausgedrückt, sondern insgesamt
besser gestellt werden. Dies betrifft unter anderem auch
den Anspruch auf kostengünstige bis kostenlose Betreuung von Kindern, und zwar außerhäuslich.
Die Entlastung der Familien wird unter Finanzierungsvorbehalt gestellt, das heißt, Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, opfern die Umsetzung
der entsprechenden Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts den ertragsstarken Konzernen. Das ist das Problem, vor dem wir stehen.
({1})
Der Titel des Antrags der CDU Steuerliche Gleichstellung des Mittelstands ist, insbesondere bezogen auf
den Begriff des Mittelstandes, sehr vage. Sie haben aber
beim Problem der steuerlichen Gleichstellung den Finger
auf der wunden Stelle. Denn diese massive Entlastung der
Konzerne wird durch die Aufkündigung grundlegender
Prinzipien der Besteuerung wie das der Gleichbesteuerung und der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit erreicht. Diese hat die Regierung über Bord geworfen.
Die Antwort der CDU besteht nun allerdings aus einem
bunten Katalog von Einzelmaßnahmen, um steuerliche
Gerechtigkeit herzustellen. Das heißt, dass Sie die von der
rot-grünen Regierung eingeschlagene Richtung hin zu
steuerlichen Ungerechtigkeiten akzeptieren, jetzt aber ein
kleines bisschen nachbessern möchten. Dabei vergessen
Sie, dass ein Großteil der Personenunternehmen auch von
Ihren steuerlichen Nachbesserungen nichts hätte. Sie
kommen wieder nur mit Ihrem uralten Konzept der Steuersenkung. Damit werden Sie den in der Bundesrepublik
real existierenden Problemen nicht gerecht.
An einem Punkt haben Sie Recht, und zwar mit der
Kritik an der Ungleichbesteuerung und Ungleichbehandlung von Personen- und Kapitalgesellschaften. Angesichts dessen, dass hier in der Debatte versucht wurde,
dies so darzustellen, als ob es diese gar nicht gäbe, frage
ich mich, warum die Bundesregierung und Herr Eichel
das unbedingt wollten. Denn begründet wurde dies damit,
dass damit bewusst eine Lenkungswirkung ausgeübt werden sollte. Diese Lenkungswirkung wird uns als Gemeinschaft der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler sehr viel
Geld kosten. Sie soll mit Steuergeschenken ohne entsprechende Kontrollmechanismen hinsichtlich der tatsächlich
geschaffenen Arbeitsplätze erreicht werden. Die Schaffung von Arbeitsplätzen sollte aber der eigentliche Zweck
sein.
Der Regierung geht es vielmehr nur darum, die Rechtsform der Kapitalgesellschaft besser zu stellen und so einen Eingriff in die Freiheit des wirtschaftlichen Subjekts
vorzunehmen, in welcher Rechtsform es tätig werden
will.
({2})
Aber von der Antwort der CDU/CSU bezüglich einer
steuerlichen Gleichstellung von Personenunternehmen
und Kapitalgesellschaften haben 68 Prozent der Personenunternehmen überhaupt nichts, weil sie einen Gewinn
von unter 50 000 DM erzielen. Bei solch geringen Gewinnen zahlen sie kaum oder keine Steuern. Also wird es
überhaupt keine Wirkung haben. Der Vorwurf von Frau
Scheel hinsichtlich Ihrer konkreten Vorschläge, dass es
Ihnen nur um eine kleine Klientel geht, ist also durchaus
berechtigt.
Von 2,3 Millionen Personenunternehmen - ich sage
das noch einmal - erzielen 68 Prozent einen Gewinn von
weniger als 50 000 DM.
({3})
- Wenn Sie mich etwas fragen möchten, dann stellen Sie
bitte eine Zwischenfrage.
({4})
Das heißt, hier ist tatsächlich Kreativität gefragt. Dazu
ist es notwendig, endlich davon abzugehen, Steuergeschenke in der Art, in der es die Regierung getan hat, auszuschütten bzw. Nachbesserungen einzufordern, so wie
Sie von der rechten Seite der Opposition das tun, und über
dieses Steuerdenken hinauszugehen.
Wir fordern hier eine Lösung. Man könnte in diesem
Sinne in den neuen Bundesländern anfangen, in denen
sich der Mittelstand ja erst etablieren muss. Wir haben in
den neuen Bundesländern gut ausgebildete, motivierte
Fachkräfte, traditionelle Wirtschaftsbeziehungen, die wiederbelebt werden können und müssen, und auch wissenschaftliche Spitzenleistungen in Zukunftsbereichen. Das
kann man erschließen.
Deshalb meinen wir, eine Lösung der Probleme des
Mittelstandes, welche tatsächlich existieren, ist möglich.
In den neuen Bundesländern haben wir ja sogar oftmals
überhaupt keinen Mittelstand, weder in Form von
Personenunternehmen noch in Form von Kapitalgesellschaften. Solche Unternehmen sind dort gar nicht vorhanden oder haben kaum Chancen zu überleben. Hier ist
es notwendig, neu heranzugehen.
Wir als PDS haben in diesem Zusammenhang einige
Vorschläge gemacht, wovon ich folgende nennen möchte:
Erstens fordern wir eine Bündelung der Fördermaßnahmen und eine Entbürokratisierung der Förderung.
Das Problem für die 68 Prozent der Personenunternehmen, die nichts zu versteuern haben, ist, dass sie oftmals nichts von Förderprogrammen haben, weil diese zu
kompliziert gestaltet sind und sie daher keinen Zugang
zu diesen Förderprogrammen haben. In der Hoffnung,
vielleicht irgendwann einmal Gewinne zu erzielen, die
sie dann versteuern müssten, sind sie froh, wenn es überhaupt zu einer Steuererleichterung kommt. Aber dies ist
nicht der Weg, der ihnen hilft.
Zweitens schlagen wir vor, dass Existenzgründerinnen
und Existenzgründer endlich die notwendige Unterstützung durch die Banken erhalten
({5})
und auch langfristig existenzsichernd begleitet werden.
Denn die Realität sieht doch so aus: Gerade aus dem Geschäft mit den Kleinst- und Kleinunternehmen ziehen sich
die Großbanken zurück und überlassen dies oftmals den
Sparkassen vor Ort. Diese Unternehmen erfahren keine
ausreichende Unterstützung.
Drittens fordern wir eine Vernetzung der kleinen und
mittleren Unternehmen, um endlich in Richtung einer Regionalisierung der Wirtschaftsstrukturen voranzukommen. Wie notwendig das ist, haben die letzten Ereignisse in der Landwirtschaft gezeigt. Hier ist es endlich an
der Zeit, nicht weiter abzuwarten, sondern es bewusst als
politische Aufgabe anzupacken, eine Vernetzung von
kleinen und mittleren Unternehmen voranzubringen.
Viertens schlagen wir vor, dass die Politik insgesamt
stärker die Verantwortung dafür wahrnimmt, die Degeneration des öffentlichen Nahverkehrs aufzuhalten. Eine
gute Infrastruktur und die Regionalisierung der Wirtschaftsbeziehungen erfordern einen öffentlichen Nahverkehr. Wir brauchen den Ausbau des Schienennetzes und
keinen weiteren Abbau in der Fläche.
({6})
Man könnte die Aufzählung dieser Dinge fortsetzen.
Ich sage Ihnen: Wenn wir in diese Richtung gehen, können vielleicht bald mehr Unternehmen in den neuen Bundesländern Steuern zahlen. Das wäre dann die richtige
Antwort auf die Finanzkrisen der öffentlichen Haushalte.
Wenn Sie dazu nicht bereit sind - Frau Scheel hat ja soeben beklagt, dass das Geld fehle -, könnte die Regierungskoalition, nachdem sie sich anscheinend von der
Vermögensteuer fast endgültig verabschiedet hat, zumindest den Mut aufbringen, ihr Versprechen bezüglich der
Erbschaftsteuer einzuhalten. Ich erinnere an Ihren Parteitag von 1999; da klang es noch ganz anders.
Ich bedanke mich.
({7})
Ich gebe der
Parlamentarischen Staatssekretärin im Bundesfinanzministerium, der Kollegin Dr. Barbara Hendricks, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf zu Beginn zitieren:
Überraschung selbst bei den gewieftesten Steuerexperten: Personengesellschaften und Einzelunternehmen schneiden durch die Steuerreform besser ab
als die GmbH.
So führt das Handwerk Magazin eine große Titelgeschichte im März dieses Jahres ein.
({0})
Ich zähle mich selbst nicht zu den gewieftesten Steuerexperten der Bundesrepublik Deutschland. Für mich war
das allerdings keine Überraschung; ich wusste dies seit
mindestens zwei Jahren und habe wirklich zwei Jahre
lang versucht, das insbesondere in Handwerkerkreisen
- ich sage es einmal etwas flapsig - den Menschen ans
Hirn zu bringen. Es war offensichtlich notwendig, dass
sie die erste steuerliche Vorauszahlung im März erlebt haben. Jetzt haben sie es greifbar, wie ihre Steuer im Verhältnis zum vergangenen Jahr tatsächlich gesunken ist.
Seit Mitte März höre ich andere Töne. Jeder hat beim
Steuervorauszahlungstermin im März dieses Jahres merken können, dass die Steuern für den Mittelstand wirklich gesunken sind.
({1})
Sie sagen immer, es gebe keine Entlastung, weil sie
erst 2005 kommen werde, und führen die Tarifspreizung
und was nicht alles an. Aber es ist jetzt schon wegen der
Verrechnungsmöglichkeit der Gewerbesteuer mit der
Einkommensteuer eine deutliche Entlastung spürbar,
was auch mit der Möglichkeit zusammenhängt, die Gewerbesteuer als Betriebsausgabe abzuziehen. Natürlich
haben wir auch mit den Tarifabsenkungen nicht erst in
diesem Jahr, sondern schon im Jahr 1999 begonnen; vor
zwei Jahren betraf dies den Eingangssteuerbereich. Jetzt
sind es schon 6 Prozentpunkte bei der Eingangssteuer
und 4,5 Prozentpunkte beim Spitzensteuersatz weniger,
als es in Ihrer Regierungszeit der Fall war. Das ist jetzt
unsere Bilanz nach knapp drei Jahren Regierungsverantwortung. Diese Bilanz können wir guten Gewissens den
Gegebenheiten zu Ihrer Regierungszeit gegenüberstellen.
({2})
Wir werden noch weitere Steuersenkungsschritte vorsehen. Zunächst werden im Jahre 2003 - das ist von Ihnen,
Frau Hasselfeldt, vorhin auch verschwiegen worden sowohl der Eingangssteuersatz als auch der Spitzensteuersatz weiter sinken. Im Jahre 2005 werden wir dann
einen Eingangssteuersatz von 15 Prozent und einen Spitzensteuersatz von 42 Prozent erreicht haben.
({3})
- Das ist auch ein bemerkenswerter Tatbestand: Solange
Sie Regierungsverantwortung trugen, hat man das Wort
von der so genannten kalten Progression nie gehört. Auch
war nie vom Tarif auf Rollen die Rede.
({4})
16 Jahre lang gab es dieses Phänomen offenbar nicht.
({5})
- Herr Michelbach, wir können ja einmal über die durchschnittlichen Inflationszahlen während Ihrer Regierungszeit sprechen. Im Moment habe ich sie nicht im Kopf.
({6})
- Herr Michelbach, behaupten Sie hier doch nicht eine Zahl
von 0,7 Prozent! Für den Durchschnitt Ihrer Regierungszeit
ist sie mit Sicherheit falsch. Im Moment muss ich die von
Ihnen genannte Zahl mit Nichtwissen bestreiten, weil ich
die korrekte Zahl nicht weiß. Aber 0,7 Prozent ist garantiert
falsch; das kann ich mit Gewissheit sagen.
({7})
- Das ist richtig! Das Wirtschaftswachstum war sehr gering und die Arbeitnehmereinkommen haben sich über
mehrere Jahre negativ entwickelt. Daher haben sie in der
Progression keine Rolle gespielt. Wegen der von Ihnen
ständig vorangetriebenen Erhöhung der Sozialversicherungsabgaben war die Einkommensentwicklung tatsächlich negativ; darum konnte die Progression keine Rolle
spielen. Zugleich sind die Steuern von Ihnen an anderer
Stelle erhöht worden; das dürfen wir auch nicht verschweigen.
({8})
Wir müssen jetzt wirklich zur Ehrlichkeit zurückkommen, zumindest einmal den Versuch unternehmen. Kollegin Ulla Schmidt, die Bundesgesundheitsministerin, hat
an anderer Stelle einmal gesagt, manchmal empfinde sie
es in der Politik ganz hilfreich, dass sie eine Qualifikation
als Sonderschullehrerin für Lernbehinderte habe.
({9})
Im Verhältnis zur Realitätsverweigerung, die die Opposition hier betreibt, komme ich mir manchmal auch so vor,
als bräuchte ich eine Qualifikation als Sonderschullehrerin für Lernbehinderte.
({10})
Ich glaube aber, es liegt daran, dass Sie es nicht lernen
wollen, weil es nicht in Ihr Konzept passt. Sie sind nicht
prinzipiell dazu unfähig, zu erkennen, welche Wirkung
unsere Steuerpolitik hat; Sie wollen es nicht begreifen.
Stattdessen wollen Sie eine Kampagne fortführen, die
letztlich den von Ihnen Vertretenen schadet. Zu Beginn
meiner Rede habe ich das Handwerk Magazin zitiert.
({11})
Über Monate hinweg haben viele Verbände der Wirtschaft und des Handwerks sowie viele andere Verbände
insinuiert, die mittelständische Wirtschaft würde im Verhältnis zu den Kapitalgesellschaften benachteiligt. Das
hat natürlich dazu geführt, dass viele Mitgliedsfirmen dieser Verbände in ihrem Investitionsverhalten, in ihrem Vertrauen auf die Zukunft verunsichert worden sind. Das
bedeutet doch, dass ihnen wegen dieser Verunsicherungskampagne Gewinnchancen entgangen sind.
({12})
Wenn sie das, was das Handwerk Magazin erst jetzt im
März schrieb, schon im September des vergangenen
Jahres gewusst hätten, hätten sie in dem dazwischenliegenden halben Jahr andere Investitionsentscheidungen
gefällt.
({13})
Das wäre im Sinne der Gewinnerwartung zu ihrem eigenen unternehmerischen Nutzen gewesen. Die Kampagne
schadet also gerade denen, denen Sie helfen zu wollen
vorgeben.
({14})
Nachdem Sie jetzt über Monate diese falsche Kampagne betrieben und letztlich die Menschen wider besseres
Wissen gleichsam auf die Bäume gejagt haben, sollten Sie
- so wie es das Handwerk Magazin in seiner Ausgabe
vom März macht - langsam damit anfangen, dazu beizutragen, die Menschen jetzt endlich zutreffend zu informieren und die falschen Informationen, die Sie seit Monaten und Jahren streuen, zu korrigieren, damit wir
Gewinnerwartungen, die in der deutschen Wirtschaft zu
Recht herrschen, auch Realität werden lassen.
Herzlichen Dank.
({15})
Für die
CDU/CSU-Fraktion spricht der Kollege Jochen-Konrad
Fromme.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst an Ihre
Adresse, Frau Scheel: Wir sprechen nicht für eine kleine
Gruppe, sondern wir setzen uns für die Schaffung von Arbeitsplätzen für Millionen von Menschen ein.
({0})
Es ist eben etwas anderes, ob man einen völligen Neuanfang macht, wie ihn der Entwurf der Professoren oder das,
was Herr Merz am Wochenende vorgeschlagen hat, darstellt, oder ob man sich mit der Reparatur eines vermurksten Gesetzes befassen muss.
({1})
Herr Spiller hat doch gerade erklärt, Sie wollten der Sache nicht näher treten. Also müssen wir doch etwas tun,
um diesen vermurksten Entwurf wenigstens einigermaßen erträglich zu machen, denn bis 2005 werden es
viele Unternehmen gar nicht aushalten.
({2})
Frau Kollegin Scheel, der Antrag muss ein wahrhafter
Volltreffer gewesen sein. Ich frage mich, warum Sie sich
inhaltlich überhaupt nicht damit auseinander gesetzt haben. Ich kann es Ihnen sagen: Sie hätten ihm nämlich zustimmen müssen, weil darin vieles enthalten ist, was Sie
öffentlich versprechen, obwohl Sie hier genau das Gegenteil machen.
({3})
Deswegen kann ich nur sagen - das gilt für Frau Scheel
und Herrn Spiller -, wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit
Steinen werfen.
Herr Merz vertritt seit Jahren einen neuen Ansatz und
ist sich darin immer treu geblieben. Wer aber an seiner
Spitze einen Bundeskanzler hat, der verspricht, 6 Pfennig
Steuererhöhung bei Benzin seien genug - inzwischen haben wir jährlich 6 Pfennig Erhöhung plus Mehrwertsteuer
-, der verspricht, solange er etwas zu sagen habe, gelte die
nettolohnbezogene Rente, und dieses Versprechen bricht,
wer sagt, die Rentner erhielten den Inflationsausgleich,
und diese Zusage mehrfach bricht, der betrügt die Menschen. Sie sollten bei Ihren Beschuldigungen anderer
Leute etwas vorsichtiger sein. Wer im Glashaus sitzt, soll
nicht mit Steinen werfen.
({4})
In den letzten Tagen lauteten die Überschriften in der
Presse: Überraschend schlechte Daten vom Arbeitsmarkt, Konjunkturflaute drückt auf den Arbeitsmarkt Saisonbereinigte Erwerbslosigkeit nimmt zu. Meine Damen und Herren, Sie haben die Entwicklung des
Arbeitsmarktes zu Ihrer Messlatte erklärt. Deswegen
werden wir Sie immer wieder daran messen. Da erklärt
der Bundeskanzler, er will die Zahl der Arbeitslosen um
1 Million senken. Wenige Minuten später muss dann der
Regierungssprecher sagen, der Kanzler habe nicht 1 Million gemeint, sondern 500 000.
({5})
Sie hatten schon einmal jemanden als Kandidaten an Ihrer Spitze, der mit den Begriffen brutto und netto ähnliche
Schwierigkeiten hatte.
({6})
- Ich meine den Zirkusgaul, ja.
Der Abbau von Arbeitslosigkeit kann nicht an der Zahl
von Köpfen gemessen werden, sondern er kann einzig und
allein an dem Umfang der Beschäftigung, an den geleisteten Arbeitsstunden, gemessen werden. Ein ganz einfaches Beispiel: Wenn ich 100 Arbeiter 10 Stunden lang
arbeiten lasse, dann habe ich ein bestimmtes Arbeitsvolumen, nämlich 1 000 Stunden.
Wenn ich die Arbeiter aber nur 8 Stunden arbeiten
lasse, dann kann ich für diese 1 000 Stunden 125 Arbeiter
beschäftigen - ohne auch nur ein bisschen mehr Beschäftigung geschaffen zu haben. Genau diese Statistiktrickserei aber machen Sie bei den 630-Mark-Beschäftigten. So
kann es nicht gehen.
Es ist auch nicht damit getan, die Arbeitslosen zu
zählen. Ich will daher noch einmal auf die Beschäftigten
zurückkommen. Ich zeige diese Grafik, die ich hier in
Händen halte, besonders gern, weil sie deutlich macht,
dass die Beschäftigtenzahlen bei uns stagnieren. Das bedeutet, dass wir Fortschritte am Arbeitsmarkt, wie Sie das
immer behaupten, nicht gemacht haben.
Das Gleiche gilt für die demographische Entwicklung:
Die Zahl der Köpfe ist zurückgegangen. Das aber bedeutet nicht einen Fortschritt am Arbeitsmarkt.
({7})
Wenn Sie gar nichts gemacht hätten, wäre der Abbau vielleicht sogar noch größer gewesen. Es kommt also auf die
Zahl der Arbeitsstunden an, nicht auf die Zahl der Arbeitslosen.
All denen, die die Dinge deutlich ansprechen, werfen
Sie vor, Deutschland mies zu machen. Wenn wir hier eine
klare Analyse vornehmen, so hat das nichts damit zu tun,
die Situation mies zu reden oder die Arbeitnehmer zu beschimpfen. Wir bemühen uns lediglich, das Fundament
für Verbesserungen zu legen. Erst wenn man die Lage
richtig erkannt hat, kann man auch für Verbesserungen
eintreten.
Sie haben bei Ihrer Arbeitsmarktpolitik ausschließlich
auf den niedrigen Euro, auf den Export gebaut. Deshalb
haben Sie die Rahmenbedingungen einseitig zugunsten
der großen Kapitalgesellschaften verändert. Da braucht es
einen nicht zu wundern, wenn dies nicht wirkt. Denn der
niedrige Euro hat ja Folgen: Wir müssen für die Rohstoffe
- das haben Sie nicht bedacht - wesentlich mehr bezahlen. Wenn man auf einen niedrigen Euro baut, dann bedeutet das am Ende, dass man sich die Inflation ins Land
holt. Und wir haben bereits eine Inflationsrate von
2,8 Prozent!
Sie haben einseitig auf den Export gebaut. Deshalb
merken wir: Amerika hustet und wir bekommen einen
Schnupfen. Ich komme aus einer Region, in der die
Automobilindustrie sehr stark ist. Im Augenblick wird
sehr viel nach Amerika exportiert. Wenn die Zulassungen
im Inland den Markt bestimmen würden - minus 10, 11,
12 Prozent -, dann hätten wir schon lange Kurzarbeit.
Wenn sich in Amerika etwas ändert, werden wir dies über
kurz oder lang spüren, ob wir das wollen oder nicht. Deshalb sollte man nicht einseitig auf den Export bauen.
Sie haben bei Ihrer Politik den Bereich, der die Jobmaschine in Deutschland ist, der die meisten Arbeitsplätze
stellt, völlig vernachlässigt. Sie haben den Mittelstand
nicht nur vernachlässigt, sondern die Rahmenbedingungen für ihn verschlechtert. Deswegen brauchen Sie sich
überhaupt nicht zu wundern, wenn sich am Arbeitsmarkt
nichts tut.
Sie haben etwas Teilrichtiges getan: Sie haben Gewinne aus Umstrukturierungen steuerfrei gestellt. Das
ist richtig in einer Welt, die sich aus Gründen der Globalisierung neu sortieren muss. Aber was Sie getan haben,
war eben nur teilrichtig, weil diese Änderung nicht auf einer wirtschaftlichen Erkenntnis Ihrerseits beruhte, sondern auf rein ideologischen Vorgaben. Sie haben vergessen, diese Regelung auf Personengesellschaften - die
Rechtsform des für den Arbeitsmarkt wichtigen Mittelstandes - auszuweiten.
({8})
Ich will darauf näher eingehen: Es handelt sich um die
Einbringungsklausel im Körperschaftsteuergesetz. Diese
für Körperschaften geltende Regelung ist - das sage ich
ausdrücklich - richtig. Aber: Stellen Sie sich einmal vor,
wir als Union hätten eine solche Regelung allein für die
Kapitalgesellschaften erlassen! Was wäre in diesem Land
los gewesen, was hätten Sie von Steuergeschenke an
Reiche usw. geredet! Ich sage noch einmal: Die Regelung ist richtig, aber sie muss für beide Bereiche gelten.
Warum ist das, was bei uns völlig falsch gewesen wäre
und eine einseitige Politik dargestellt hätte, bei Ihnen auf
einmal richtig? Ich kann Ihnen sagen, was dahinter steht:
Sie wollen die Wirtschaftenden in die Rechtsform der Kapitalgesellschaft zwingen. Indem Sie Unternehmer und
Unternehmen unterscheiden, sagen Sie das ja auch.
Mit dem Godesberger Programm haben Sie sich von
Ihrer alten Ideologie verabschiedet, weil Sie gemerkt haben, dass sie bei den Menschen nicht ankam. Dann wollten die Achtundsechziger über Stamokap und Investitionslenkung die Wirtschaft unter ihre Fuchtel nehmen. Das
ist ihnen nicht gelungen. Was wollen Sie jetzt? Jetzt gehen Sie einen neuen Weg, indem Sie die Betriebe in die
Rechtsform einer Kapitalgesellschaft zwingen. Die zentrale Steuerung soll jetzt nicht mehr über betriebliche,
sondern über gewerkschaftliche Steuerung erfolgen. Das
steckt dahinter!
({9})
Eine von Ideologie geprägte Wirtschaftspolitik ist noch nie
gut gewesen, war noch nie hilfreich. Weil das so ideologisch
war, haben sich auch die Linken in Ihrer Partei damit einverstanden erklärt. Ich möchte noch einmal darauf verweisen: Was wäre los gewesen, wenn wir dies gemacht hätten?
Aber die Menschen erkennen das. Die Umfragen belegen, dass man mit Ihrer Regierung nicht zufrieden ist.
({10})
Gerade die Neue Mitte merkt am Betriebsverfassungsgesetz und an den AfA-Tabellen, wie ehrlich Sie es mit ihr
meinen. Diejenigen, die Ihnen 1998 zur Mehrheit verholfen haben, sind jetzt bitter enttäuscht, weil sie das Großgedruckte, das, was Herr Schröder ähnlich plakativ wie Frau
Scheel auf öffentlichen Veranstaltungen gesagt hat, geglaubt haben. In Wahrheit haben Sie immer etwas anderes
gewollt. Auch wenn Ihnen Herr Lafontaine als Minister
inzwischen abhanden gekommen ist: Seine Ideologie feiert in diesem Haus täglich fröhliche Urständ. Das ist
schädlich für den Arbeitsmarkt.
({11})
Sie schmieren den Leuten immer wieder Honig ums
Maul und betrügen sie dabei. Nehmen Sie einmal die
Ökosteuer - ich weiß, dass Sie das nicht mehr hören können -: Die Ökosteuer hat im Jahr 2000 7,8 Milliarden DM
Einnahmen gebracht. Laut einer Antwort auf eine Kleine
Anfrage der PDS - das Finanzministerium selbst hat die
Antwort gegeben - hätte dies ausgereicht, um den Rentenbeitrag um 0,5 Beitragspunkte abzusenken. Sie haben
ihn aber nur um 0,2 Beitragspunkte abgesenkt. Das heißt:
Sie haben 7,8 Milliarden DM eingenommen, gut 3 Milliarden DM zurückgegeben und über 4 Milliarden DM abkassiert.
Sie haben den Eindruck erzeugt: Die Leute tun an der
Tankstelle etwas Gutes, wenn sie die Ökosteuer für ihre
Rente bezahlen, weil diese 1:1 zur Beitragssenkung eingesetzt wird. Das Geld wird nicht einmal zur Hälfte für
die Beitragssenkung verwendet, sondern es verschwindet
in Ihren Kassen. Dieser Prozess wiederholt sich im
Jahr 2001 in ähnlicher Größenordnung. Innerhalb von
zwei Jahren machen Sie auf diese Art und Weise Kasse
von fast 8 Milliarden DM.
Sie raten den Leuten, weniger Auto zu fahren. Das
kann nur jemand sagen, der mit einem Dienstwagen fährt.
Gerade die Menschen in einem Flächenland müssen zur
Arbeit fahren, damit sie nicht arbeitslos sind. Sie haben
keine andere Möglichkeit.
({12})
Die Leute müssen auch ihre Wohnung heizen.
({13})
Sie brauchen Licht. Sie haben keine Möglichkeit, sich
dieser Steuer zu entziehen. Damit machen Sie natürlich
die Kaufkraft kaputt. Weil die Leute nicht mehr Einkommen haben, müssen sie das, was sie mehr für Energie und
Benzin ausgeben müssen - egal, ob sie wollen oder nicht -,
woanders abzwacken. Deswegen fehlt die Nachfrage.
Dies spüren wir am Arbeitsmarkt.
Nicht umsonst schrieb die Berliner Zeitung am gestrigen Tag: Regierungspolitik nach Art von Straßenräubern. Nun haben Sie gemerkt, dass Sie mit Ihrer Politik
auf Widerstand stoßen, wenn Sie jetzt den kleinen Betrieben bei der Erbschaftsteuer wieder in die Tasche greifen
wollen. Deshalb legen Sie dieses Projekt auf Eis, weil Sie
merken, dass Sie auf Widerstand stoßen. Das bedeutet bei
Ihnen: Wiedervorlage nach irgendeiner Wahl. Freitagabend haben Sie diese Meldung so in den Geschäftsgang
gegeben, dass es bis Sonntag keiner merken konnte. Danach war plötzlich alles ein Irrtum. Aber Frau Simonis hat
die Maske fallen lassen und erklärt: Wir wollen weiterhin
diese Regelung. Ich bin sehr gespannt auf diese Diskussion.
Wir werden die Auswirkungen bei der nächsten Tarifrunde merken. Sie profitieren im Augenblick noch davon,
dass die Tarifparteien in ihren Lohnforderungen sehr
zurückhaltend gewesen sind. Bei einer Inflationsrate von
2,8 Prozent wird Sie dies einholen. Das wird dazu führen,
dass wir Lohnsteigerungen bekommen werden, die die Inflationsrate weiter anheizen und damit Arbeitsplätze gefährden werden. Das sind die Früchte Ihrer Politik. Sie
können nicht sagen, dass dies auf die 16 Jahre unserer Regierungszeit zurückzuführen ist. Diese Bedingungen gelten für alle Länder in Europa.
Früher waren wir die Konjunkturlokomotive in Europa. Wir und auch ich waren stolz darauf. Jetzt bilden wir
fast das Schlusslicht. Das müssen wir ändern. Wir können
dies nur durch eine vernünftige Politik für den Mittelstand
ändern.
Deswegen: Stimmen Sie unserem Antrag zu! Tun Sie
endlich etwas, wozu Sie auch von den Medien aufgefordert werden! Es ist Zeit zum Handeln und wir legen Ihnen
das Konzept vor.
Schönen Dank.
({14})
Ich gebe der
Kollegin Jelena Hoffmann für die Fraktion der SPD das
Wort.
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit ihren Anträgen verfolgt die Opposition eigentlich nur ein Ziel: unsere Steuerreform schlecht zu reden. Aber das werden Sie nicht
schaffen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({0})
Denn die Unternehmen draußen im Lande, gerade auch
die kleinen und mittleren Unternehmen, haben schon
längst begriffen: Wir haben mit der Unternehmensteuerreform - natürlich im Rahmen unserer Steuervorhaben - einen enorm wichtigen Schritt für unsere
Wirtschaft getan, einen Quantensprung, zu dem Sie doch
gar nicht in der Lage gewesen sind und zu dem Sie noch
immer nicht in der Lage sind.
Wissen Sie, liebe Kollegen von der CDU, was mich in
Ihrem Antrag am meisten stört und ärgert? Es ist gleich
der erste Punkt, in dem Sie fordern, die Tarifsenkung bei
der Einkommensteuer auf das Jahr 2003 vorzuziehen. Zunächst einmal haben gerade Sie als eingefleischte Steuererhöhungspartei kein Recht, noch höhere oder noch
frühere Tarifsenkungen zu fordern. Natürlich wäre dies
wünschenswert. Da muss ich Ihnen ausnahmsweise Recht
geben. Aber hier haben wir wieder ein Beispiel für Ihre
wirtschaftspolitische Unvernunft. Hans Eichel ist bereits
jetzt an die Grenzen des Machbaren gegangen. Alles andere wäre schlicht und einfach unklug.
({1})
Eine Steuersenkung um noch einmal 1,5 Prozentpunkte
würde weitere 2,4 Milliarden DM kosten. Das ist einfach
nicht mehr drin, wenn wir auf unserem Konsolidierungskurs bleiben wollen, und das werden wir. Davon bringen
Sie uns nicht ab.
Dann, liebe Kollegen von der Opposition, vergleichen
Sie den Spitzensteuersatz der Einkommensteuer mit
dem konstanten Steuersatz der Körperschaftsteuer. Herr
Spiller hat dies schon erklärt. Ich versuche, es Ihnen
nochmals zu erklären, weil ich Ihren Reden entnehme,
dass Sie es immer noch nicht begriffen haben. 48,5 Prozent Einkommensteuer sind mehr als 39,3 Prozent steuerliche Belastungen der Kapitalgesellschaften. Das ist unstrittig, da gebe ich Ihnen Recht. Aber damit begründen
Sie, dass die Mittelständler benachteiligt seien, da sie als
Personengesellschaften angeblich höhere Steuern als die
Kapitalgesellschaften zahlen müssten. So einfach ist dies
nicht. Ihnen ist offensichtlich entgangen, dass die Einkommensteuer progressiv gestaltet ist. Der Spitzensteuersatz beträgt zurzeit 48,5 Prozent. Bei Ihnen betrug er immerhin noch 52 Prozent. Wir haben den Spitzensteuersatz
also bereits reduziert und werden ihn noch auf 42 Prozent
absenken.
Es wäre natürlich schön, wenn unsere Mittelständler so
viel Geld verdienen würden, dass sie den höchsten Steuersatz zahlen müssten. Aber das ist nicht der Fall. Herr
Spiller ist darauf eingegangen. Ich sage es noch einmal:
Fakt ist, dass ein verheirateter Personenunternehmer erst
480 000 DM Gewinn erwirtschaften muss, um einen
Steuersatz wie eine Kapitalgesellschaft zahlen zu müssen.
Und Fakt ist auch, Frau Hasselfeldt, dass nicht 25 Prozent,
sondern nur 5 Prozent der verheirateten Personenunternehmer einen Gewinn von über 250 000 DM erwirtschaften und lediglich 0,5 Prozent der Personenunternehmen
einen Gewinn von über 480 000 DM haben. Das kann
man nicht oft genug sagen.
Über den Mittelstand dürfen Sie also nicht sprechen.
Wir müssen uns darauf verständigen, ob wir über 95 Prozent bzw. sogar 99 Prozent oder über 5 Prozent bzw. über
1 Prozent der Mittelständler reden wollen.
Wie Sie alle wissen, haben wir aus steuersystematischen Gründen Veräußerungsgewinne von Kapitalgesellschaften steuerlich freigestellt, um Doppelbelastungen zu
vermeiden. Das hat Herr Spiller auch erklärt. In diesem
Punkt haben Sie mich allerdings zum Nachdenken gebracht. Wenn man jedoch die Substanz über die Form
stellt, also wirtschaftende Unternehmen unabhängig von
ihrer Rechtsform betrachtet, dann ist die Überlegung zumindest nicht völlig abwegig, Personengesellschaften
diesbezüglich mit den Kapitalgesellschaften gleichzustellen. Darüber können wir - vielleicht gemeinsam mit Ihnen - noch einmal nachdenken.
Ich möchte aber nicht, dass Sie mich hier falsch verstehen: Von einer systematischen Benachteiligung der
Personengesellschaften, also des Mittelstandes, kann
überhaupt keine Rede sein. Der Mittelstand profitiert von
unseren Steuergesetzen im Umfang von 30 Milliarden DM. 23 Milliarden DM beruhen allein auf der von Ihnen so ungeliebten Unternehmensteuerreform. Das sind
doch Ergebnisse, die Sie von der Opposition endlich zur
Kenntnis nehmen sollten.
({2})
Selbstverständlich muss man sich bei Reformen von
solchen Ausmaßen Gedanken über die Gegenfinanzierung machen. Aufgrund Ihrer früheren Finanzpolitik
konnten wir leider nicht viele Geschenke machen. In diesem Zusammenhang komme ich auf die AfA-Tabellen zu
sprechen: Der Vorwurf, die Regierung hätte nicht Wort
gehalten und deutlich mehr als 3,5 Milliarden DM zur Gegenfinanzierung umgelegt, war natürlich sehr schwerwiegend. Zum Glück ist dieser Vorwurf nun vom Tisch. Beide
Seiten - Regierung und Wirtschaft - haben noch einmal
nachgerechnet und sprechen nun nur noch von 2,7 Milliarden DM.
({3})
Sie sehen: Trotz mancher Meinungsunterschiede, die
manchmal unvermeidlich sind und die wohl auch sein
müssen, arbeiten wir sehr gut mit der mittelständischen
Wirtschaft zusammen und kommen auch zu guten, sogar
zu sehr guten Ergebnissen.
Vielen Dank.
({4})
Ich gebe
nunmehr dem Kollegen Rainer Brüderle für die F.D.P.Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sprechen über den
Mittelstand. Es bietet sich uns ein typisches Bild: Der Bundeswirtschaftsminister nimmt an der Debatte überhaupt
nicht teil und auch die so genannte Mittelstandsbeauftragte
hat es nicht nötig, die Debatte weiter zu verfolgen.
({0})
Das ist ein bezeichnendes Bild dafür, welchen Stellenwert
der Mittelstand bei der Bundesregierung einnimmt. - Frau
Kollegin, es gehört sich, dass ich in einer Debatte, in der
es um den Mittelstand geht, zuhöre, wenn ich dafür zuständig bin, und nicht woanders meine Zeit vertreibe. Was
ist das für ein Stil und welches Verständnis gegenüber
dem Parlament kommt damit zum Ausdruck?
({1})
Die Konjunktur schwächelt, die Arbeitslosigkeit stagniert auf unerträglich hohem Niveau, die Preise steigen
und der Mittelstand leidet, aber die Bundesregierung
schaut tatenlos zu. Statt die Wachstumskräfte zu stärken,
wird nur alles schöngeredet. Schlimmer noch: Die Kosten für die Wirtschaft werden weiter nach oben getrieben. Durch die Verschärfung der Mitbestimmung entsteht
eine Zusatzbelastung von 2,7 Milliarden DM und durch
das Einwegpfand eine solche von 4 Milliarden DM. Wenn
Grün-Rot so weiter macht, wird aus der Konjunkturdelle
ein Konjunkturtal, weil die grün-roten Kostentreiber das
Geschäftsklima weiter vergiften.
({2})
Wie es anders geht, kann man an den Vereinigten
Staaten sehen: Der amerikanische Präsident Bush bringt
ein Steuersenkungsprogramm im Umfang von 2 800 Milliarden DM durch den Kongress. Das ist ein anderer Weg.
Gleichzeitig verkündet der Bundesfinanzminister ein
Jelena Hoffmann ({3})
Steuersenkungsmoratorium für die nächsten sechs Jahre.
Die so genannte Ökosteuer wird selbstverständlich weiter
erhöht, bei der Erbschaftsteuer haben wir ein absurdes
Theater. Alle paar Wochen gibt es einen neuen Erhöhungsvorstoß aus einem grün-roten Bundesland, den
der Bundeskanzler dann wieder abschmettert. Damit wird
die psychologische Stimmung für den Mittelstand weiter
verschlechtert.
({4})
Man sagt, Wirtschaftspolitik bestünde zu 50 Prozent aus
Psychologie. Das trifft aber nur dann zu, wenn die anderen
50 Prozent der Wirtschaftspolitik ordentlich gemacht werden. Ordentlich machen heißt schnell - Herr Solms hat konkrete Vorschläge unterbreitet - Steuern zu senken, damit
das Wachstum belebt wird, Investitionen vorankommen
und Beschäftigung wieder aufgebaut werden kann.
Es macht nämlich psychologisch einen großen Unterschied, ob ein Mittelständler 50 Pfennig, 40 Pfennig oder
35 Pfennig jeder hart erarbeiteten Mark beim Fiskus abgeben muss. Das merken der Handwerksmeister, der Gewerbetreibende und der Freiberufler täglich in ihren Kassen ganz konkret.
({5})
Davon hängt ab, ob investiert und Beschäftigung geschaffen werden kann.
Diese ökonomischen Zusammenhänge auf Volkshochschulniveau haben die Grünen bis heute nicht verstanden.
Sie wollen nämlich bei der Mittelstandsentlastung Rückschritte vornehmen. Im Entwurf ihres Grundsatzprogramms faseln die Grünen schon wieder von Steuererhöhungen. Die Bevölkerung hat dies genau registriert.
Gerade einmal ein Hundertstel der Wähler billigt den Grünen Wirtschaftskompetenz zu, wie aus ihrer eigenen Auftragsstudie hervorgeht,
({6})
und zwar zu Recht!
({7})
Die meisten in Ihrer Partei empfinden noch immer
klammheimliche Freude, wenn ein angeblich böser Kapitalist mit seinem Kleinunternehmen unverschuldet den
Bach hinuntergeht. Sie arbeiten mit Ihren wirtschaftsfeindlichen Plänen wieder auf Ihr altes Traumziel
vom Null Wachstum hin. Nullwachstum, null Ahnung und
null Arbeitsplätze, aber 5 DM für den Liter Benzin - so
sieht grüne Politik aus!
({8})
Der Mittelstand ist bei den Grünen jedenfalls verraten und
verkauft. Da helfen auch keine mittelstandspolitische Feigenblätter wie Frau Scheel oder Frau Wolf, die es noch
nicht einmal für nötig hält, an dieser Debatte teilzunehmen.
Auch sonst steht der Mittelstand bei dieser Regierung
im Regen. Der Bundeswirtschaftsminister, der eigentlich
die Interessen der kleinen und mittleren Unternehmen am
Kabinettstisch vertreten sollte, kümmert sich lieber um
ehemalige Staatsmonopolisten und Energiegroßkonzerne.
Monopolminister Müller begibt sich lieber auf eine wirtschaftspolitische Fortbildungsreise nach Kuba, anstatt
sich um die Sorgen und Nöte des Mittelstands und der
fleißigen Handwerker in diesem Land zu kümmern.
({9})
Die F.D.P. macht es besser, weil sie weiß, wie der Mittelstand atmet und denkt und welche Voraussetzungen er
braucht. Wir haben in der Tat, wie Otto Solms schon gesagt hat, wenigstens für eine kleine Verbesserung gesorgt,
als wir bei der Steuerreform 1 durchgesetzt haben, dass
die Steuerbelastung um weitere 7 Milliarden DM gesenkt
wird. Aber jetzt muss endlich die Steuerreform 2 auf den
Weg gebracht werden, müssen die Steuern weiter reduziert werden und muss das Steuersystem radikal vereinfacht werden, damit jeder seinen Steuerbescheid nachvollziehen kann.
Wir haben ein Modell mit drei Steuersätzen vorgelegt:
15, 25 und 35 Prozent. Das ist klar und überzeugend. Herr
Struck hat die Richtigkeit unseres Modells schon vor einem halben Jahr erkannt. Mittlerweile spricht sich auch
Herr Merz für unser Einfachsteuermodell aus. Ich kann
beiden nur sagen: Willkommen im Klub! Ich bin gespannt, wer sich von den beiden als Erster in seiner Fraktion durchsetzen kann; denn die Beschlusslagen in den
beiden Fraktionen sind anders.
Wir müssen uns beeilen. Die Steuerreform 2 muss angepackt werden. Der Mittelstand braucht die Entlastung.
Auf Grüne und PDS braucht er nicht zu warten; denn
beide werden es nie lernen. Die anderen müssen handeln.
Vielen Dank.
({10})
Als letzter
Redner in dieser Debatte spricht nun für die SPD-Fraktion
der Kollege Reinhard Schultz.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die heutige Debatte trägt zum Teil absurde Züge. Ihre Rede, Herr
Brüderle, die Sie in bewährter Weise gehalten haben, war
die Krönung. Wir beide sind sowieso das Dreamteam. In
Debatten über den Mittelstand reden wir beide immer hintereinander. Diesmal bestand Ihre Rede ausschließlich aus
Pöbeleien.
({0})
Ich glaube, es ist nicht besonders fair, der Mittelstandsbeauftragten, die bis zu Ihrer Rede anwesend war - ich weiß
nicht, aufgrund welcher dringlicher Gründe sie jetzt den
Saal verlassen musste -, und dem Wirtschaftsminister, der
auf jedem größeren Kammertag der IHKs anwesend ist
und mit den Handwerkern diskutiert, vorzuwerfen, dass
sie hier nicht anwesend seien. Das halte ich, ehrlich gesagt, für lächerlich.
({1})
Die Anträge, die die Fraktionen der Union und der
F.D.P. vor wenigen Tagen gestellt haben, sind ebenfalls
merkwürdig, weil in ihnen etwas gefordert wird, was eigentlich längst vorhanden ist. Wie angekündigt und wie
vom Finanzausschuss gefordert, liegt der Bericht der
Bundesregierung zur Fortführung der Unternehmensteuerreform seit April vor, und zwar mit einem zeitlichen
Fahrplan, der deutlich macht, wann was gesetzgeberisch
umgesetzt werden soll. Viele Dinge, über die wir heute
diskutieren, wie zum Beispiel die Frage, wie die Personengesellschaften steuerlich behandelt werden sollen
- hier besteht ohne Frage noch Handlungsbedarf -, werden noch in dieser Wahlperiode, so ist es angekündigt
worden, erledigt werden. Insofern laufen die in Ihren Anträgen enthaltenen Appelle an die Bundesregierung, Gesetzentwürfe vorzulegen, völlig ins Leere, da diese Bundesregierung einen Fahrplan bereits vorgelegt hat. Wir
Parlamentarier müssen lediglich entscheiden, wie wir damit umgehen.
Der Karlsruher Entwurf zur Reform des Einkommensteuergesetzes, den uns ein Arbeitskreis von elf Sachverständigen - es sind überwiegend Professoren - gestern
vorgetragen hat, schwebt etwas über den Wolken der heutigen Debatte.
({2})
- Das mag schon sein. - Herr Kirchhof ist vom Olymp gestiegen und hat uns einfach und leicht eine virtuelle Reform vorgetragen, während wir Parlamentarier, insbesondere die Koalition und die Bundesregierung bereits eine
tatsächliche Reform zustande gebracht haben, die die
Bürger und die Unternehmen im Jahr 2005 um 98 Milliarden DM - das ist schon ein Unterschied - entlasten
wird. Was uns die elf Sachverständigen vorgetragen haben, ist sicherlich eine interessante und anregende
Schreibübung. Wir haben allerdings eine Reform trotz
Widerständen in den Interessengruppen und trotz Schwierigkeiten zwischen Bund und Ländern durchgesetzt. Was
zählt, das ist die Tat und kein dünnes Büchlein.
({3})
Wer sich den Gedanken der Einfachheit im Steuerrecht zu Eigen gemacht hat - ich neige ebenfalls dazu -,
der sollte sich den Karlsruher Entwurf genauer anschauen. Er ist nur deswegen so überschaubar und einfach, weil er alles, was kompliziert ist, alle besonderen
Lebenslagen und alle Sonderfälle in die Sphäre des Verordnungsgebers verlagert und damit im Grunde genommen dem parlamentarischen, also dem demokratischen,
Zugriff entzieht. Am einfachsten wäre es, ehrlich gesagt,
wenn wir ein Steuergesetz verabschiedeten, in dem zwei
Sätze stünden: Erstens. Der Staat hat das Recht, Steuern
zu erheben. Zweitens. Das Nähere regelt der Verordnungsgeber. - Das, was Kirchhof vorschlägt, geht ungefähr in diese Richtung. Durch die Umsetzung seiner Vorschläge würde zwar möglicherweise das Gesetz einfacher,
aber das Leben leider komplizierter.
Darüber hinaus lebt der Karlsruher Entwurf davon
- die Debatte darüber war ganz interessant -, dass viele
Sonderregelungen, zum Beispiel Freibeträge, der Arbeitnehmerfreibetrag, die Entfernungspauschale und anderes,
ersatzlos gestrichen werden. Herr Fromme hat sich eben
hierhin gestellt und ein engagiertes Plädoyer für vernünftige Entfernungspauschalen - es ging um die Entlastung
von Pendlern im ländlichen Raum - gehalten, was
wohl im Einkommensteuerrecht geregelt werden muss.
Kirchhof will die Entfernungspauschalen ersatzlos abschaffen. Gleichzeitig erklären Sie, dass das Einfachheitsbeispiel, das uns sozusagen vom Olymp aus vorgetragen worden ist, demnächst Teil Ihres Programms sei.
Es ist irgendwie merkwürdig, wenn Sie sich so in ein und
derselben Debatte äußern.
Ich glaube, dass die Einfachheit des Einkommensteuerrechts da ihre Grenzen findet, wo das Prinzip der Leistungsfähigkeit und das Nettobesteuerungsprinzip durchbrochen werden. Beides muss letztendlich gerichtsfest
geregelt werden.
({4})
Wenn es um die Abwägung zwischen Einfachheit und
Steuergerechtigkeit geht, dann treten wir im Zweifelsfall
- das muss man sagen; dafür sind wir gewählt worden eher für Steuergerechtigkeit ein. Wir nehmen also Kompliziertheit in Kauf, wenn dies mehr Steuergerechtigkeit
bedeutet. Wir sind nicht gewählt worden, um ein einfaches, aber ungerechtes Steuersystem zu schaffen, sondern
weil man uns zutraut, Steuergerechtigkeit wieder herzustellen. Dass uns das gelungen ist, haben wir nachgewiesen.
({5})
Der Karlsruher Entwurf sieht vor, dass der Spitzensteuersatz bereits bei einem Bruttoeinkommen von
70 000 DM - das ist zugegebenermaßen wenig - einsetzt.
Alle Einkommen, die oberhalb dieser Grenze liegen, werden quasi gleich behandelt. Das sind riesige Geschenke
für sehr gut verdienende Menschen, während die Bezieher von kleinen und mittleren Einkommen überproportional belastet werden. Eine solche Politik wäre eine Abkehr
vom Ziel der Steuergerechtigkeit.
({6})
Nachdem wir heute gefordert haben, mehr für den Mittelstand zu tun, kommt es mir wie der größte Witz der
Weltgeschichte vor, dass Sie, insbesondere die Politiker
der F.D.P. - Sie waren sozusagen die Helden der AfA-Debatte -, den Karlsruher Entwurf so verherrlichen und sich
damit einverstanden erklären, dass Abschreibungen künftig nur noch linear und nicht mehr degressiv sein sollen,
womit insbesondere mittelständischen Unternehmen gewaltige Liquiditätsprobleme aufgebürdet würden. Das ist
doch Schizophrenie; Sie brauchen einen Therapeuten. Mit
der politischen Wirklichkeit haben Ihre Forderungen
nichts zu tun.
({7})
In dem Antrag der Union wird behauptet - Frau
Hasselfeldt hat es mündlich vorgetragen -, unsere Unternehmensteuerreform jage die Personenunternehmen mit
Gewalt und bewusst in andere Rechtsformen.
({8})
Reinhard Schultz ({9})
Herr Fromme hat sogar philosophische Bemerkungen darüber angestellt - das fand ich ganz witzig -, welche Hinterhältigkeiten sich Generationen von Sozialdemokraten
- von Godesberg über 1968 bis heute - dabei gedacht haben.
({10})
- Herr Fromme, das ist doch geradezu albern. - Wir haben bei Neugründungen von Unternehmen eine zunehmende Zahl von rechtsformgebundenen Personengesellschaften. Diese Entwicklung setzte schon ein, bevor wir
die Unternehmensteuerreform verabschiedet haben. Das
hat natürlich etwas mit der Neugründung vieler kapitalintensiver, mit Risikokapital gespeister Gesellschaften zu
tun, an denen zwar mehrere beteiligt sind, die aber nicht
aktiv mitwirken, die sich die notwendige Haftungssicherheit nur in der Rechtsform schaffen können.
Der einzelne Unternehmer hat nach wie vor die Wahl,
zu entscheiden, wie er sich organisiert. Dazu gehören vielerlei Dinge. Dazu gehören die Fragen: Wann will er was
vererben? Wie ist die Nachfolge geregelt? Wie ist die
steuerliche Kulisse? Jeder optimiert das für sich. Da mischen wir uns überhaupt nicht ein, wir schaffen nur klare
Rahmenbedingungen.
Die Union behauptet in ihrem Antrag, die großen Kapitalgesellschaften seien die Gewinner der Steuerreform - und zwar zu 90 Prozent. Das ist absolut lächerlich
und außerhalb jeder Statistik, selbst der gefälschtesten,
die mir bekannt ist. Von dieser Zahl habe ich erstmals
durch diesen Entschließungsantrag erfahren. Das ist eine
Falschmeldung. Tatsache ist, dass von der Entlastung von
98 Milliarden DM im Jahr 2005, die insgesamt allen Steuerbürgern zugute kommt, 30 Milliarden DM auf verschiedenen Wegen an den Mittelstand gehen. Er ist der große
Gewinner der Steuerreform und nicht der Verlierer.
({11})
In der Debatte ging es auch um die Definitivbesteuerung bei den Kapitalgesellschaften in Höhe von 25 Prozent und um die Unternehmen in der Einkommensteuersphäre. Dazu ist eben einiges gesagt worden. Tatsächlich
liegen bei 95 Prozent aller Unternehmen die Gewinne unterhalb von 250 000 DM. Sie müssten aber 480 000 DM
verdienen, um über die Schwelle von 38 Prozent zu kommen, die hier ständig zitiert wird. Damit wird eigentlich
klar, um was es hier letztendlich geht.
Den meisten Unternehmen bei uns geht es nach der
Steuerreform deutlich besser, wenngleich einige vielleicht
gewisse Probleme mit Blick auf Kapitalgesellschaften haben. Sie haben aber aus sehr persönlichen Gründen, die in
den Unternehmerfamilien liegen, den Sprung in die Kapitalgesellschaft bislang vermieden. Jeder Vernünftige würde
bei einer solchen Größenordnung schon aus Haftungssicherheitsgründen die Form einer Kapitalgesellschaft
wählen. Diesen Unternehmen können wir leider nicht helfen; wir können ihnen das nicht noch hinterhertragen.
({12})
Die Bundesregierung ist in dem Bericht zur Fortentwicklung des Unternehmensteuerrechts auf praktisch
alle zentralen Punkte eingegangen, die die Wirtschaft fordert und die zum Teil in Ihren Entschließungsanträgen
genannt werden. Der Mitunternehmererlass wird faktisch
wieder hergestellt. Die Übertragung von Bestandteilen
von Wirtschaftsgütern von einem Unternehmen auf ein
anderes Unternehmen, soweit es noch einen Verbund
über den Unternehmer oder über die mitbeteiligten Mitunternehmer gibt, wird steuerneutral möglich sein. Auch
die Frage, ob Realteilung stattfindet - sei es aus Nachfolgegründen, sei es, weil sich der Kreis der Gesellschafter verändert -, soll steuerneutral geregelt werden. Das
hat die Bundesregierung bereits erklärt. Ebenfalls soll die
Übertragung von Grundstücken bei der Neustrukturierung von Unternehmen von der Grunderwerbsteuer freigestellt werden. Die Bundesregierung spricht sich dafür
aus. Darüber müssen wir allerdings mit den Ländern reden; denn das ist eine Steuer, die den Ländern zugute
kommt.
Es bleibt einzig die Frage übrig: Was ist mit dem Erlös
des Verkaufs einer Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft durch eine Personengesellschaft? Ich sage - die Finanzverwaltung ist da skeptisch -, dass man dort eine
Gleichstellung mit den Kapitalgesellschaften herstellen
sollte. Personengesellschaften sollten genauso behandelt
werden wie Kapitalgesellschaften, die untereinander Beteiligungen verkaufen.
Wir sollten ernsthaft über Instrumente reden, wie wir
eine Investitionsrücklage oder Ähnliches mit einer klaren
Bindungsfrist ausstatten, allerdings abgetrennt vom persönlichen Zugriff des Unternehmers und von seinem
privaten Einkommen. Man kann darüber reden, Geld für
neue Investitionen in einer solchen Rücklage zu parken.
Ich persönlich bin dafür, viele in unserer Fraktion auch.
Wir werden versuchen, das beim Feinschliff im Gesetzgebungsgang gemeinsam zu erreichen. Viel Spaß!
Vielen Dank.
({13})
Ich schließe
die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 14/5551 und 14/5962 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen. - Das Haus ist damit einverstanden. Dann sind die
Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 22 a bis 22 e auf:
Überweisungen im vereinfachten Verfahren
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 11. Oktober 1999 über Handel,
Entwicklung und Zusammenarbeit zwischen
der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Südafrika andererseits
- Drucksache 14/5713 Reinhard Schultz ({0})
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({1})
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Tourismus
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Verträgen vom 27. April 1999 und 8. Juli 1999 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der
Schweizerischen Eidgenossenschaft über grenzüberschreitende polizeiliche Zusammenarbeit,
Auslieferung, Rechtshilfe sowie zu dem Abkommen vom 8. Juli 1999 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen
Eidgenossenschaft über Durchgangsrechte
- Drucksache 14/5735 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({2})
Rechtsausschuss
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung der illegalen Beschäftigung im gewerblichen Güterkraftverkehr ({3})
- Drucksache 14/5934 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({4})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Organisationsreform in der landwirtschaftlichen Sozialversicherung ({5})
- Drucksache 14/5928 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung ({6})
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Ausschuss für Gesundheit
Haushaltsausschuss
e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umstellung von Gesetzen und anderer Vorschriften
auf dem Gebiet des Gesundheitswesens auf
Euro ({7})
- Drucksache 14/5930 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit ({8})
Finanzausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. - Auch damit ist das Haus einverstanden.
Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir kommen zu Beschlussfassungen zu Vorlagen, zu
denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Tagesordnungspunkt 23 a:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verbraucherschutz,
Ernährung und Landwirtschaft ({9}) zu
der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates mit Hygienevorschriften für nicht für den menschlichen
Verzehr bestimmte tierische Nebenprodukte
KOM ({10}) 574 endg.; Ratsdok. 12648/00
- Drucksachen 14/5172 Nr. 2.26, 14/5774 Berichterstattung:
Abgeordnete Jella Teuchner
Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis des Vorschlags
eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen des Hauses bei Enthaltung der F.D.P.-Fraktion
angenommen.
Tagesordnungspunkt 23 b:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({11}) zu der Unterrichtung durch
die Bundesregierung
Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Gewährung von Beihilfen für die Koordinierung
des Eisenbahnverkehrs, des Straßenverkehrs
und der Binnenschifffahrt
KOM ({12}) 5 endg.; Ratsdok. 10166/00
- Drucksachen 14/4441 Nr. 1.31, 14/5785 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Margrit Wetzel
Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis des Vorschlags
eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die
Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen.
Ich rufe nunmehr den Zusatzpunkt 3 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der SPD
Bundespolitische Auswirkungen neuer Vorwürfe einer Verletzung des Parteiengesetzes
durch die CDU
Ich eröffne die Aussprache und gebe zunächst dem
Kollegen Frank Hofmann das Wort für den Antragsteller.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der eigentliche Skandal ist die Verhöhnung unserer
Verfassung durch die CDU. Bimbes-Kohl und seine Helfershelfer haben zur selben Zeit, als die Flickaffäre aufgearbeitet wurde, als das neue Parteiengesetz verabschiedet wurde und als spektakuläre Strafverfahren liefen,
unverfroren das Schwarzgeldsystem fortgeführt und verfeinert.
Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters
Die Merkel-CDU ist heute die Hauptstütze des Systems Kohl, weil sie es zulässt, dass Kohl weiterhin sein
Ehrenwort über die Verfassung stellen kann. Wenn nicht
zufällig die Koffer-Million aufgeflogen wäre, würde die
CDU heute noch so tun, als sei sie die Mutter der deutschen Moral. An die Adresse von Frau Merkel sei gesagt:
Diese Masche läuft heute nicht mehr, selbst dann nicht,
wenn sie beteuert: Wir nehmen nur sauberes Geld.
Frau Merkel, war das etwa sauberes Geld, das Ihnen
der Brutaloaufklärer Koch als 15-Millionen-Darlehen zur
Verfügung gestellt hat? Ich sage: Diese Vermächtnismillionen der Hessen-CDU stinken noch immer zum Himmel. Haben Sie diese Millionen abgelehnt oder auf ein
Sonderkonto überwiesen? Nein, natürlich nicht, Sie haben sie eingesackt.
Und die Kiep-Million, das Überraschungsei zu Ostern?
Diese Million war noch nicht richtig auf dem CDUKonto, da hatte sie der Haushaltsausschuss der CDU für
seine Projekte schon verplant. Frau Merkel stellt sich aber
hin und behauptet öffentlich: Wir nehmen kein dubioses
Geld. - Was soll der Bürger von dieser CDU halten?
({0})
Weshalb verspielen Sie so Ihre Glaubwürdigkeit?
Der Generalsekretär Meyer sagt, man habe einfach
nicht daran gedacht, diese Million nach der Sitzung des
CDU-Präsidiums am 23. April in der Pressekonferenz zu
erwähnen.
({1})
Diese Kiep-Million bewegt die gesamte Bundesrepublik
Deutschland. Wie wollen Sie die Bundesrepublik
Deutschland politisch in eine gute Zukunft führen, wenn
Sie mit Ihrer Mannschaft nicht einmal in der Lage sind,
die Probleme, die Überraschungseier mit sich bringen, zu
lösen?
Die CDU hat bei der Aufklärung anscheinend finanzielle Probleme, weil sie die Bankbelege in der Schweiz
zum Norfolk-Konto wegen der Kosten nicht heraussuchen lassen will. Weshalb kommt Ihnen da nicht die Idee,
einen Spendenaufruf zu machen? Hier würden Ihnen sicher viele Bürger gern helfen.
Sie reagieren aber nur auf Druck: auf Druck des Untersuchungsausschusses, auf Druck der Staatsanwaltschaften, auf Druck von Zeitungsberichten. Das unterscheidet die Merkel-CDU nicht mehr von Bimbes-Kohl.
({2})
Warum haben Sie die Aufklärung der CDU-Finanzaffäre
nicht zu Ihrer eigenen Sache gemacht, Frau Merkel, zur
Chefsache? Die neuen Unterlagen aus der Schweiz enthalten mehrere Spuren, die die CDU - und nur sie - aufklären kann: bei Weyrauch, bei Lüthje und bei der
Schweizer Bank UBS. Ist das etwa Krisenmanagement
à la CDU, wenn der CDU-Bundesgeschäftsführer die
Journalistenrunde bei der Pressekonferenz fragt: Haben
Sie noch eine Idee, was man tun könnte? - Wollen Sie so
zur nächsten Bundestagswahl antreten, um die Bundesrepublik politisch zu führen? Weshalb haben Sie nicht auch
bei Weyrauch wie bei Kiep Regressforderungen gestellt?
Hat die Merkel-CDU Angst davor, dass er seine Drohung
wahrmachen könnte, die Republik werde wackeln, wenn
er auspackt? Sind Sie Gefangene des Systems Kohl?
Die Merkel-CDU muss endlich den Stall ausmisten
und den Dreck nicht nur oberflächlich mit Streu zudecken.
({3})
An den Tag kommt es allemal!
Vergessen Sie dabei nicht, die Sauställe in den Landesverbänden Berlin und Rheinland-Pfalz gleich mit auszumisten. Wie lange schaut die Merkel-CDU noch zu, dass
ein Mann namens Landowsky in Berlin ein Parteiamt bekleidet? Sind Strippenzieher mit einnehmendem Wesen
ein Markenzeichen der CDU?
Was tun Sie in Rheinland-Pfalz? Die unsauberen Gelder, die Ihre Partei den kriminellen Machenschaften von
Doerfert verdankt, sind längst noch nicht alle zurückgezahlt.
Und der jetzt bekannt gewordene Umgang des
Kohlzöglings Böhr mit Fraktionsgeldern stinkt ebenfalls
zum Himmel. Aber der Apfel fällt ja hier nicht weit vom
Stamm. Hat Christoph Böhr hier lediglich von Kohl gelernt, der sich aus den Fraktionskassen in Millionenhöhe
bedient hat?
Sie sehen, eine Menge Arbeit liegt noch vor der
Merkel-CDU, bevor sie behaupten kann: Wir sind wieder
sauber.
Danke.
({4})
Für die
Fraktion der CDU/CSU spricht der Kollege Andreas
Schmidt.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr
Kollege Hofmann, die Rede, die Sie gerade gehalten haben, haben Sie im Februar schon einmal gehalten.
({0})
Das ist auch deswegen möglich gewesen, weil es keine
neuen Vorwürfe gibt und weil es auch keine neuen Verletzungen des Parteiengesetzes durch die Union gibt.
({1})
Ich möchte
bitten, dass von der Regierungsbank keine Zurufe gemacht werden.
Frank Hofmann ({0})
Wenn Sie
ehrlich sind, Herr Kollege Hofmann, müssten Sie heute
zugeben, dass es eben nicht den Vorwurf von neuen Verletzungen des Parteiengesetzes durch die CDU gibt. Dies
ist in der Tat nicht richtig.
({0})
Sie wollen, meine Damen und Herren, mit dieser Aktuellen Stunde nur ablenken - das ist ja auch ein Ritual; ich
habe dafür Verständnis - von den wirklich wichtigen politischen Themen in diesem Land, von Ihrer katastrophalen Arbeitsmarktbilanz, von Ihrer Rentenkonfusion, von
anderen wichtigen Dingen.
({1})
Meine Damen und Herren, die 1 Million DM von
Herrn Kiep, die auf das Konto der CDU überwiesen worden ist, ist für die Union ein sehr ärgerlicher Vorgang. Es
ist völlig klar, dass hier überhaupt nichts zu beschönigen
ist. Wir erwarten, dass Herr Kiep kurzfristig aufklärt, woher das Geld kommt.
({2})
Er hat hier eine Bringschuld gegenüber der CDU und
wir als Union erwarten, dass wir von Herrn Kiep unverzüglich Aufklärung erhalten. Danach wird die Union entscheiden, was mit der Million passiert. Sie können ganz
sicher sein: Das wird selbstverständlich nach Recht und
Gesetz erfolgen.
({3})
- Hören Sie ganz ruhig zu, Herr Kollege Hofmann.
Aber, meine Damen und Herren, es geht Ihnen ja nicht
um Aufklärung. Sie suchen nach neuer Munition,
({4})
weil Sie jetzt spüren, dass Ihre Strategie im Untersuchungsausschuss, nämlich die Union weiter zu diffamieren, vor dem Scheitern steht.
({5})
Ich will Ihnen das jetzt konkret sagen: Beim Thema Panzerlieferungen musste der Ausschussvorsitzende
Neumann eingestehen, dass nicht mehr der Vorwurf erhoben werden kann, die Regierung Helmut Kohl sei in dieser Frage bestechlich gewesen. Er ist dafür von Ihnen gescholten worden, aber er hat mit dieser Feststellung, die er
in der Öffentlichkeit getan hat, Recht gehabt.
Wir haben gestern das Thema Eisenbahnerwohnungen
abgeschlossen, ebenfalls mit dem klaren Ergebnis, dass
sich der Vorwurf der Bestechlichkeit auch in diesem
Punkt nicht mehr aufrechterhalten lässt.
Herr Ströbele hat gestern seinen letzten großen Kampf
gegen diese bürgerliche Gesellschaft geführt, als er Herrn
Ehlerding als Zeugen vernommen hat. Aber Herr Ströbele
hat keinen Erfolg gehabt, weil an diesen Vorwürfen nichts
dran ist. Wenn Sie heute die Vernehmung von Herrn Diller
verfolgt haben, dann haben Sie nicht nur festgestellt, dass
dies eine Zumutung für das Parlament und für den Parlamentarischen Untersuchungsausschuss war, sondern dann
ist auch klar geworden, dass es im Bereich Leuna/Minol
keinen einzigen Anhaltspunkt auf rot-grüner Seite gibt,
der belegt, dass die Regierung Helmut Kohl in dieser
Frage durch Geld in bestimmte Richtungen gedrängt worden ist oder sich hat drängen lassen.
Meine Damen und Herren, das Gleiche gilt für den
Hirsch-Bericht. Auch hier droht Ihnen ein Scheitern, weil
die Staatsanwaltschaft in Bonn nach eigenen Ermittlungen offensichtlich festgestellt hat, dass die Vorwürfe von
Herrn Hirsch so nicht zutreffen.
({6})
Ich empfinde es als einen Skandal, dass jetzt von Ihrer
Seite politisch Druck auf die Staatsanwaltschaft in Bonn
ausgeübt wird,
({7})
dieses Verfahren nicht einzustellen. Gegen diese Einflussnahme auf die Justiz in Nordrhein-Westfalen verwahren
wir uns.
({8})
Lassen Sie mich jetzt abschließend etwas zu dem Vorwurf des Kollegen Hofmann, wir hätten nicht aufgeklärt,
woher einige Gelder stammten, sagen.
({9})
Das ist zwar wahr, wir haben uns aber bemüht. Die Union
hat unter der Führung von Angela Merkel und Bundesgeschäftsführer Hausmann sowie unter Wolfgang Schäuble
alles getan, um zum Beispiel die Herkunft der NorfolkGelder aufzuklären. Dies ist uns in der Tat bis heute nicht
gelungen.
({10})
- Herr Kollege Hofmann, ich habe jetzt das Wort und jetzt
hören Sie mir einmal zu, was ich Ihnen zu sagen habe.
Messen Sie sich bitte mit den gleichen Maßstäben, mit
denen Sie uns messen.
({11})
Ich sage Ihnen jetzt, wann Sie Spenden erhalten haben,
ohne dass Sie sich bemüht haben, die Spender festzustellen: Am 13. Juni 1980 haben Sie 2 Millionen DM erhalten - Spender unbekannt. Am 23. Juni 1980 haben Sie
45 000 DM erhalten - Spender unbekannt. Am 30. Juni
1980 haben Sie 53 050 DM eingenommen - Spender unbekannt. Am 26. August haben Sie 176 500 DM an Spenden angenommen - Spender unbekannt.
({12})
Am 2. September 1980 haben Sie 2 Millionen DM an
Spenden angenommen - Spender unbekannt. Am 19. Dezember 1980 haben Sie 1 Million DM angenommen Spender unbekannt.
({13})
- Auch damals gab es die Pflicht zur Veröffentlichung von
Spendernamen. - Ich bin froh, dass die Schatzmeisterin
hier sitzt.
({14})
Ich lese Ihnen jetzt vor, was Ihr damaliger Schatzmeister zu den Spenden, die ich gerade aufgeführt habe, aufgeschrieben hat. Er hat am 31. Dezember 1980 in einem
vertraulichen Vermerk notiert:
Die folgenden, nach dem Tage des Eingangs im Einzelnen aufgeführten Mittel, die von nicht genannten
Spendern gesammelt worden sind, wurden mir mit
bestimmten Verwendungszwecken der Spender und
der Bedingung übergeben, dass die Herkunft der
Mittel nicht erkennbar ist und wird. Eine entsprechende Schweigepflicht habe ich zusichern müssen.
Meine Damen und Herren, Sie können uns auffordern,
Spendernamen zu nennen. Wir erwarten dann aber, dass
auch Sie sich bemühen, die Spendernamen auf Ihrer Seite
herauszufinden und der Öffentlichkeit bekannt zu geben.
Vielen Dank.
({15})
Für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht der Abgeordnete
Hans-Christian Ströbele.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Es gibt Leute, die sagen,
dass die CDU unter der neuen Vorsitzenden Frau Merkel
und unter dem neuen Fraktionsvorsitzenden Herrn Merz
anders geworden ist, aufklären will und diese ganze
Affäre hinter sich bringen und alles auf den Tisch legen
möchte. Ich sage diesen Leuten, denen ich auf der Straße
oder bei Veranstaltungen begegne, dass ich weder Herrn
Merz noch Frau Merkel zu nahe treten möchte,
({0})
aber man nach anderthalb Jahren, die die Affäre der CDU
nun schon dauert, doch die Frage stellen muss - die können Sie, Herr Merz, an Ihre Kollegin Frau Merkel weitergeben; die habe ich ihr auch im Ausschuss gestellt -,
warum Sie eigentlich nicht zivilrechtlich gegen diejenigen
vorgehen, die in Ihrer Partei Funktionen ausgeübt haben,
in ihrer Funktion Erkenntnisse erlangt und in ihrer Funktion Geld beiseite geschafft haben, zum Beispiel 1,5 Millionen Schweizer Franken unter sich aufgeteilt haben.
Sie als Jurist wissen, dass Sie die zivilrechtliche Möglichkeit haben, diese Personen auf Auskunft zu verklagen,
und als Parteivorsitzender sogar die Pflicht haben, zivilrechtlich einen Schadensersatz oder die Rückzahlung der
unrechtmäßig vereinnahmten Beträge durchzusetzen.
({1})
Warum tun Sie das nicht? Solange Sie das nicht tun, setzen Sie sich dem Verdacht aus, dass Sie weder aufklären
noch der CDU oder vielleicht auch der Bundeskasse bzw.
dem Herrn Bundestagspräsidenten diese Gelder wieder
zurückverschaffen wollen. Sie wollen nicht aufklären,
weil Sie Angst haben, dass die Leute, deren Auskunft Sie
in Anspruch nehmen müssten, vielleicht alles sagen, dass
diese alles auf den Tisch legen und so noch sehr viel mehr
herauskommt als das, was wir schon heute wissen und
womit wir uns jede Woche beschäftigen müssen.
({2})
Ich habe Frau Merkel am 15. März im Untersuchungsausschuss gefragt: Frau Merkel, haben Sie als Parteivorsitzende irgendetwas unternommen, um von den drei Herren Weyrauch, Ihrem früheren Steuerberater, Dr. Lüthje,
Ihrem damaligen Generalbevollmächtigten in Finanzangelegenheiten, oder Herrn Kiep, Ihrem damaligen Bundesschatzmeister, jeweils die 500 000 Schweizer Franken
einzutreiben, die sie für sich vereinnahmt haben, ohne
dass sie es durften, die, wie Herr Kiep es selber einmal
formuliert hat, die Beute unter sich geteilt haben, die das
Geld einfach eingesteckt haben? Daraufhin hat Frau
Merkel - das war ihre einzige Antwort - gesagt, sie seien
im Prozess, zu überlegen, was zu machen sei. Sie hat hinzugefügt, sie sei gern bereit, uns auf dem Laufenden zu
halten; mehr könne sie zu diesem Punkte nicht sagen.
Sie hat auch nicht meine Frage beantwortet: Haben Sie
einmal einen Brief geschrieben? - Inzwischen wissen wir,
dass viel mehr gewesen ist. Frau Merkel hat am 17. April
einen Brief an den Ausschuss geschrieben, in dem sie dem
Ausschuss mitgeteilt hat, das Protokoll sei so richtig. Aber
sie hat genau das nicht gemacht, was sie versprochen hat,
nämlich den Ausschuss darüber zu informieren, dass in
der Zwischenzeit erstens Herr Kiep wegen der Gelder einen Brief an sie geschrieben hat und er zweitens 1 Million DM auf ein CDU-Konto überwiesen hat. Sieht so das
Aufklärungsbemühen der Frau Merkel aus, ihr Versprechen, dass sie dem Ausschuss mitteilt, was passiert, wenn
sich etwas Neues ereignet? Da muss man doch zweifeln.
Da muss man doch die Frage stellen: Hat Frau Merkel
im Untersuchungsausschuss die Wahrheit gesagt? Hat sie
wirklich alles auf den Tisch gelegt oder hat sie ein kleines
bisschen geschäublet, das heißt, ein bisschen zurückgehalten, was sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht sagen
wollte?
So ähnlich hat sich Herr Hausmann im Untersuchungsausschuss verhalten, als wir ihm die gleichen Fragen gestellt haben, warum er denn nichts mache, warum
er nicht die Unterlagen von Ihrem Bankkonto, von dem
Bankkonto der CDU in der Schweiz besorge. Jeder weiß,
dass er solche Unterlagen von seiner Bank beziehen kann.
Wenn Sie sich an Ihre Filiale wenden, dann bekommen
Andreas Schmidt ({3})
Sie die Unterlagen. Wir haben Herrn Hausmann gebeten,
die Unterlagen zu besorgen, aus denen sich ergibt, wer
900 000 DM in bar auf das Konto in der Schweiz eingezahlt hat und wer von dem Konto in der Schweiz 1,2 Millionen DM in bar abgehoben hat. Das muss doch auf den
Belegen stehen. Wissen Sie, was er uns darauf gesagt bzw.
am 12. Oktober 2000 schriftlich mitgeteilt hat? Nach
Auskunft der Bank sind die Belege allerdings nicht mehr
vorhanden. - Am 8. Februar 2001 hat er gesagt: Weitere
Dokumente sind nicht mehr vorhanden.
Vorgestern haben wir aber doch einen ganzen Stoß Unterlagen bekommen. Plötzlich sind sie doch vorhanden.
Heute lese ich zu meinem Leidwesen in der Berliner Zeitung, dass auch diese Unterlagen nicht vollständig sein
sollen, dass es noch weitere Dokumente gibt, die offenbar
bei der CDU oder bei der Bank sind und uns vorenthalten
werden.
So sieht die Aufklärung aus, die die CDU uns darbietet. Ich kann Ihnen nur sagen: Wenn Sie Ihren Ruf wirklich loswerden wollen, wenn Sie den Fluch der bösen Tat
von Herrn Kohl und all den anderen loswerden wollen,
dann tun Sie was. Sitzen Sie nicht nur rum und sagen Sie
nicht alle paar Monate dasselbe, nämlich dass Sie aufgeklärt haben, sondern lassen Sie diesen Worten endlich
Aufklärungstaten folgen.
({4})
Für die
F.D.P.-Fraktion spricht der Kollege Dr. Max Stadler.
Herr Präsident! Meine sehr
geehrten Damen und Herren! Ich verstehe den Wunsch
der CDU sehr gut, dass sie mit ihren neuen Konzepten
endlich wieder zur Sachpolitik zurückkehren möchte,
dass sie zum Beispiel zur Zuwanderungspolitik, zur Rentenpolitik, zur Steuerreform und anderem gehört werden
möchte.
({0})
Aber ihre Mitglieder müssen ja schier verzweifeln, weil
das Thema CDU-Spendenskandal durch ihr eigenes Verhalten und durch ihren eigenen Umgang mit den Problemen, die aus ihren Reihen kommen, immer wieder zu
einem Thema in der Öffentlichkeit und im Untersuchungsausschuss wird. Der Umgang mit der Kiep-Million
war wieder ein Beispiel dafür.
So schwer war die Motivation von Herrn Kiep doch
auch nicht nachzuvollziehen. Wenn es nämlich richtig ist,
dass nahezu 1 Million DM jahrelang auf seinem Konto
gelegen hat, die in Wahrheit der CDU gehörte, dann ist
seit Jahren objektiv der Straftatbestand der Untreue von
Herrn Kiep gegenüber der CDU erfüllt. Nachdem die im
Rahmen seiner Befragung im Ausschuss zugesagte Überprüfung seiner Konten ergeben hat, dass sich fremdes
Geld darauf befindet, musste ihm sein Anwalt den Rat geben, dieses Geld so schnell wie möglich loszuwerden.
Denn ab dem Zeitpunkt der Entdeckung hätte er sich nicht
mehr auf Fahrlässigkeit und damit Straflosigkeit berufen
können. Wenn er das Geld behalten hätte, hätte er vorsätzlich gehandelt. Er wollte also einem Strafverfahren
zuvorkommen. Das ist ziemlich klar.
Unklar war aber die Herkunft der Gelder. In einer solchen Situation - gerade bei einem Absender wie Herrn
Kiep - gibt es doch nur eine einzige sofortige Reaktion:
Wenn man es nicht sofort zurückweist, muss solches Geld
natürlich auf ein Sonderkonto gelegt werden, bis die Herkunft geklärt ist. Das wäre das Mindeste gewesen. Ich
habe mich schon sehr darüber gewundert, dass Sie dies offenbar erst gemacht haben - wenn Sie es schon vorher gemacht haben, ist es zumindest nicht öffentlich bekannt gegeben worden -, nachdem Ihnen Guido Westerwelle am
27. April dieses Jahres im Frühstücksfernsehen diesen
Rat mit dem Sonderkonto gegeben hat. Ich verspreche Ihnen: Er wird jetzt nicht mehr die Zeit haben, um Ihnen
Ratschläge für die Lösung Ihrer Probleme zu geben.
Dies hätten Sie selbst wissen müssen. Sie hätten vor allen Dingen insbesondere aufgrund der Erfahrungen in der
Vergangenheit eines wissen müssen, nämlich dass einen
das, was man nicht selbst offensiv an die Öffentlichkeit
bringt, immer wieder einholt. Diese Erfahrung ist doch
aus der Weigerung von Helmut Kohl, die Namen der
Spender zu nennen, zu ziehen. Da er dies nicht macht, ist
es unvermeidlich, ihn im September wieder als Zeuge vor
den Ausschuss zu laden. Dann wird es wieder zum Thema
und dann wird es wieder einen Streit über die Frage geben, ob er die Aussage verweigern darf oder nicht. Dann
erfüllt sich Ihr Wunsch, zur Sachpolitik zurückzukehren,
wieder nicht. Das ist aber auch deswegen so, weil Sie
- das ist aber etwas, das Sie entscheiden müssen - von den
zivilrechtlichen Auskunftsmöglichkeiten, die Sie hätten,
keinen Gebrauch machen. Das haben wir nicht zu bewerten; das ist Ihre Sache. Aber dann bleibt es eben ein
Thema.
Dadurch kommt auch der Ausschuss mit der Erfüllung
seiner eigentlichen Aufgabe nicht recht voran, nämlich
den schwierigen Komplex Leuna/Minol aufzuklären. Leider ist der Ausschuss auch heute diesbezüglich keinen
einzigen Schritt weitergekommen, weil Staatssekretär
Diller einen nichts sagenden Auftritt geliefert hat. Man
kann schon anhand des Zeitplans erkennen, dass der Ausschuss allein aus Zeitgründen an dieser Thematik scheitern wird.
Wenn er am Ende doch noch etwas Gutes bewirken
soll, kann dies nur darin liegen, dass aus den Erkenntnissen des Ausschusses Folgerungen für die Zukunft getroffen werden. Ich meine, dass hierbei besonders ein Thema
in den Mittelpunkt der Diskussion rücken wird, auch
wenn das der SPD nicht gefällt. Zunächst war es ein Entlastungsangriff der Union, stellt aber in Wahrheit ein sehr
ernsthaftes Problem dar. Es geht um die Frage: Ist es eigentlich richtig, dass sich Parteien in dem Umfang wirtschaftlich betätigen dürfen, wie wir dies jetzt von der SPD
kennen gelernt haben?
({1})
Es mag historische Gründe haben, aber es ist schon problematisch, wenn die vierte Gewalt im Staat, nämlich der
Journalismus, die Politik kontrollieren soll, aber Parteien,
die von den Medien kontrolliert werden sollen, selber umfangreiche Medienbeteiligungen haben. Dies wirft wieder
die alte Frage von Max Rheinstein auf: Wer kontrolliert
die Kontrolleure?
({2})
Darüber muss nachgedacht werden.
Es muss natürlich auch über Sanktionen bei Verstößen
gegen das Parteiengesetz nachgedacht werden. Manche
Sanktionen sind in ihrer Ausgestaltung zu stumpf. Andere
gehen zu weit, denn es ist nicht einzusehen, dass sehr weit
zurückliegende kleine Verstöße womöglich sehr weitreichende finanzielle Konsequenzen haben. Dies ist alles
nicht im Lot.
Hiermit und etwa mit der Frage, wer eigentlich das Finanzgebaren der Parteien kontrollieren soll - ob das wirklich dem Bundestagspräsidenten zuzumuten ist, der doch
auch selber Partei ist -, müssen wir uns beschäftigen. Dies
ist der eigentliche Ertrag, der noch aus der Arbeit des Untersuchungsausschusses zu ziehen sein wird.
({3})
Für die
Fraktion der PDS spricht die Kollegin Dr. Evelyn Kenzler.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Als ich mir am Donnerstag
der letzten Woche die Nachrichtensendung angesehen
habe, hatte ich das Gefühl, ich sei in einer Zeitschleife gefangen und in die Jahreswende 1999/2000 zurückversetzt:
Es geht wieder um 1 Million DM unbekannter Herkunft,
CDU-Größen finden sich im Blitzlichtgewitter wieder,
die CDU-Spendenaffäre ist der Nachrichtenaufmacher
und die CDU-Vorsitzende steht mit hilflosen Erklärungsversuchen vor den Journalisten.
Man könnte fast Mitleid haben, wenn das Problem
nicht hausgemacht wäre. Denn es hat einzig und allein einen Grund: Es sind das Unvermögen und schlicht der fehlende Wille, die alten ungelösten Probleme der Spendenaffäre offensiv, transparent und konsequent zu lösen. Das
Wiederaufbrechen des Spendenskandals war deshalb nur
eine Frage der Zeit; aber es war unvermeidlich und kann
sich jederzeit wiederholen.
Wenn es nicht einen so ernsthaften Hintergrund hätte
und letztlich auf alle Parteien zurückfallen würde - das
müssen wir uns hier bewusst machen -, dann wäre die
zweite Kiep-Million ein Stoff, aus dem man eine Satire
machen könnte.
({0})
Man könnte fast meinen, Kiep hätte auf seine Weise mehr
Lehren aus der Spendenaffäre gezogen als die CDU. Denn
er hat sich doch relativ erfolgreich der Gelder zweifelhafter Herkunft entledigt und die Schwarze-Peter-Karte
- wie in dem bekannten Kinderkartenspiel - an die CDU
weitergereicht, nicht nach dem Motto Wer bekommt die
Million?, sondern frei nach dem Motto Wer muss die
Million behalten?. Das könnte ein neues Gesellschaftsspiel für CDU-Politiker sein.
({1})
Die Überweisung, Verbuchung und Vertuschung der
Kiep-Million und auch die nachfolgenden hilflosen Erklärungsversuche stellen sich aber in Wirklichkeit als
Tragödie in mehreren Akten dar.
Der erste Akt besteht aus den doch relativ halbherzigen, geradezu verschämten Versuchen der CDU, bei Kiep
als dem Solventesten der CDU-Spendenprotagonisten um
Schadensersatz nachzusuchen. Es werden keine Informationen an den Untersuchungsausschuss weitergegeben.
Auch auf direkte Nachfrage im Untersuchungsausschuss
- Kollege Ströbele hat das vorhin sehr ausführlich geschildert - wird dazu geschwiegen.
Den zweiten Akt könnte man folgendermaßen überschreiben: Die CDU hätte gern eine Regresszahlung
bekommen und bekam stattdessen - mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit - eine Schwarzgeldmillion untergeschoben.
Aber anstatt sich - im dritten Akt - von diesem Geldsegen zu distanzieren und für größtmögliche Transparenz
zu sorgen, das heißt den Geldbetrag entweder zurückzuüberweisen oder ein Sonderkonto einzurichten und
insbesondere den Bundestagspräsidenten sowie den Untersuchungsausschuss zu informieren, hat sie das Geld
erst einmal angenommen, obwohl Kiep in seinem Schreiben vom März dieses Jahres keinen Zweifel daran gelassen hat, dass das Geld unbekannter Herkunft ist. Ob man
ihm das glauben darf, kann man dahingestellt lassen. Offensichtlich in dem irrtümlichen Glauben, man könnte
jetzt reibungsarm handeln und würde nicht noch einmal in
der Öffentlichkeit mit Schadensersatzforderungen konfrontiert, hat man versucht, eine Verrechnung vorzunehmen. Dass das nicht klappt, war von vornherein klar. Das
musste einfach schief gehen.
Hieran zeigt sich die immer noch in gewissen Teilen
vorhandene alte Mentalität, diese Angelegenheiten unter
sich regeln zu wollen, von außen keine Luft heranzulassen - das erinnert sehr an die Reichmann-Affäre - und
eine Schadensbegrenzung um jeden Preis durchzuführen.
Der vierte Akt ist das hausmannsche Notgeständnis
und das Krisenmanagement, das eigentlich gar keines
war; dazu will ich weiter nichts sagen.
Der fünfte Akt wird wahrscheinlich in Kürze folgen:
Das ist der kiepsche Bericht. Dass da noch einiges an
Überraschungen auf uns zukommen kann, das ist, so
glaube ich, allen klar.
Zum Schluss möchte ich noch zwei Bemerkungen anfügen: Zum einen hat die Überweisung dieser 1 Million DM deutlich gemacht, dass die Aufklärung der Spendenaffäre keinesfalls abgeschlossen ist. Das merke ich an
mir selber. Denn je tiefer ich in das Kontengeflecht, das
vor allem Herr Weyrauch zu verantworten hat, eindringe,
desto mehr stoße ich auf ungeklärte Fragen. Das ist wie
ein Knäuel, bei dem man noch ganz viele offene Enden
hat, die miteinander verknotet werden müssen. Man kann
ziehen, wo man will, man stößt immer wieder auf Neues.
Ich bin unlängst bei meinem Besuch der Staatsanwaltschaft in Bonn auf etliche Konten gestoßen, deren Existenz ich bisher nicht einmal kannte und von denen bisher
nur die Kontonummern bekannt sind. Da kommt noch einiges an Arbeit auf Sie zu. Da werden Sie ganz bestimmt
unter Beweis stellen können, inwieweit Sie zu Ihren
früheren Banken gute Beziehungen haben und die notwendigen Unterlagen herbeischaffen können.
Zum anderen geht die Taktik, auf halbem Wege stehen
zu bleiben und wider besseres Wissen die Aufklärung der
Spendenaffäre für beendet zu erklären, einfach nicht auf.
Denn der Ansehensverlust der CDU wird größer, je weiter sich die jetzigen Fehlentscheidungen vom Ausbruch
der Spendenaffäre entfernen. Man nimmt Ihnen den Neuanfang in personeller Hinsicht einfach nicht mehr ab.
({2})
Ich gebe das
Wort der Kollegin Inge Wettig-Danielmeier für die Fraktion der SPD.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Ich wundere mich über gar
nichts mehr, sang Otto Reutter in einem populären Couplet. So und nicht anders kann man wohl die Enthüllungen aus der Finanzpraxis der CDU kommentieren.
({0})
Mich hat schon vor einem Jahr der veröffentlichte
Prüfbericht von Ernst & Young gewundert. Danach sollten mehr als 12 Millionen DM verschwunden, sozusagen
verdampft sein. Im April 2000 spricht Herr Schäuble auf
dem Parteitag der CDU von 10 Millionen DM, deren Herkunft und Ausgabe ungeklärt sind. Sie fassen dort schneidige Beschlüsse und führen uns geradezu eine Sauberkeitsoper vor: mani pulite, saubere Hände.
({1})
Ein Jahr später erfahren wir, dass Sie nichts, gar nichts getan haben, um die verschwundenen Millionen zurückzufordern.
Eines wissen wir seit Kieps Brief genauer: Finanzielle
Transaktionen liefen über private Konten, Parteigelder
wurden außerhalb des Wirtschaftsplans der Partei bewegt
und Vorständen, Revisoren und Wirtschaftsprüfern verschwiegen; auch in den Rechenschaftsberichten tauchen
sie nicht auf. Schließlich verteilten die Finanzverantwortlichen - wie in einem Hollywood-Film über die Mafia die Restsummen unter sich.
Staunend erfahre ich genauso wie ein Millionenpublikum, dass Sie mit Herrn Kiep, der immerhin mehr als
zwei Jahrzehnte Ihr Schatzmeister war, nur über Anwälte
verkehren. Einen Gesprächsversuch mit dem Ziel der
Aufklärung scheint es nicht gegeben zu haben. Die juristischen Möglichkeiten zur Aufklärung scheinen noch
nicht einmal angekündigt worden zu sein. Das nennen Sie
Aufklärung? Ich halte das für den brutalstmöglichen
Verzicht auf Aufklärung.
({2})
Nun wird uns immer wieder von Ihnen und auch von
einigen Medien unterstellt, wir empfänden am Debakel
der CDU-Führung eine klammheimliche Freude. Dem
muss ich widersprechen. Die CSU müsste dem noch viel
lauter widersprechen; denn sie hat ja nicht so viel Dreck
am Stecken. Es ist so, wie Franziska Augstein im Merkur schreibt:
Der Dreck, der da hochgewirbelt wird, fällt auf uns
alle wieder herunter.
Wir sind über Ihren Fortsetzungsskandal überhaupt
nicht erfreut. Wir erfahren zunehmend die Belastungen,
die er für alle Parteien bringt. Es reicht nicht aus, dass Sie
hektisch mit neuen Reformvorschlägen aufwarten. Nicht
das Parteiengesetz hat den Skandal ausgelöst, sondern
eine Verletzung dieses Gesetzes durch prominente CDUPolitiker.
({3})
Deswegen täuschen Sie auch die Öffentlichkeit, wenn Sie
ihr vorspielen, ein verändertes Parteiengesetz mache
Skandale dieser Art unmöglich. Wir können das Gesetz
ändern. Aber dies wird nichts verändern, wenn Sie nicht
Ihre Gesinnung ändern, und zwar im Bund und in den
Ländern.
({4})
Das Parteiengesetz kann man ändern; Sie aber müssen
sich ändern.
Damit das zu keinem Missverständnis führt oder von
Ihrer Seite gegen uns benutzt wird: Wir wollen das Gesetz
sehr wohl verändern und arbeiten daran.
Noch ein Wort zu den angestrengten Versuchen des
CDU-Kollegen Schmidt, der SPD eine permanente Verletzung des Parteiengesetzes anzuhängen. Langsam
müsste Ihnen doch klar werden, dass diese Versuche der
üblen Nachrede nicht funktionieren. Sie erzählen alte Geschichten ohne Belege, die durch Wiederholen nicht plausibler werden. Sie wissen genau, dass wir uns außerhalb
von Aufbewahrungsfristen befinden, die vieles nicht mehr
rekonstruierbar machen. Die berühmten anonymen Spenden haben Sie hier verlesen, ohne die anonymen Spenden
der CDU, der CSU, der F.D.P. und des Südschleswigschen
Wählerverbandes zu nennen.
({5})
Die neuen Geschichten, die Sie erfinden, sind ohnehin
Kokolores und belegbar falsch. Besonders infam finde
ich, dass Sie ehrlich erworbenes Vermögen kriminalisieren wollen. Die Verfolgungen des Kaiserreiches
haben dessen Entstehung nicht verhindern können. Die
Nazis haben viel davon zerstört, aber sie konnten uns
nicht dauerhaft enteignen, ebenso wenig die SED durch
die Zwangsvereinigung.
Unser Vermögen ist nicht durch Koffergeschäfte entstanden. Seinen Grund legten Arbeit und unternehmerisches Geschick. Es hat Höhen und Tiefen erlebt. Stets
wurde es für legale Zwecke eingesetzt. Sie werden sich
schon ein wenig mehr einfallen lassen müssen, denn Sie
werden uns gut vorbereitet finden.
Herr Stadler, wir haben nichts gegen Überlegungen zur
Begrenzung der Medienkonzentration - für alle.
({6})
Eine dritte Enteignung der SPD wird Ihnen jedenfalls
nicht gelingen.
({7})
Ich erteile
das Wort dem Kollegen Dr. Hans-Peter Friedrich für die
Fraktion der CDU/CSU.
Herr
Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Frau WettigDanielmeier, ich wundere mich hier auch über nichts
mehr. Es ist wirklich allerhand, dass jemand, der wie Sie
im Glashaus sitzt, hier mit Steinen um sich wirft.
({0})
Ich habe erwartet, dass Sie zu den neuen Vorwürfen,
die erst vor wenigen Wochen aufgetaucht sind, Stellung
nehmen. Sie hätten einmal erklären können, wie die SPD
einer Rücklage 8,3 Millionen DM entnimmt - nicht 1 Million DM - und diese Rücklage dabei stabil bleibt.
({1})
Das hätten Sie nach Ihrem Herumeiern im Untersuchungsausschuss, als Sie nicht erläutern konnten, wie Sie
irgendwelche Einnahmen wegsaldiert haben, einmal erklären können.
Beim Thema Naphtalie-Stiftung können Sie sich wirklich nur darauf berufen, dass die Staatsanwaltschaft damals nicht weiter ermittelt hat, weil die Personen, um die
es ging, nicht mehr am Leben waren.
Meine Damen und Herren, es ist schon bezeichnend:
Die größte Regierungsfraktion in diesem Hause hat in einer Woche, in der es wirklich um wichtige Probleme in
diesem Land geht, nicht etwa eine Aktuelle Stunde zur Arbeitsmarktlage, zur Europapolitik, zur Wirtschaftspolitik
oder zur Sozialpolitik beantragt, sondern zu einer Überweisung von Herrn Kiep an die CDU. Das zeigt, dass es
Ihnen im Grunde immer nur um das eine geht: die CDU
zu diffamieren.
({2})
Dieses Ablenkungsmanöver der Regierungskoalition ist
das eigentlich Klägliche, Jämmerliche an der ganzen Geschichte.
Ich darf Sie daran erinnern: Vor anderthalb Jahren hat
der Deutsche Bundestag mit den Stimmen aller Fraktionen den Untersuchungsausschuss eingesetzt. Vor über einem Jahr hat die CDU in einer vorbildlichen Art und
Weise unter ihrem Parteichef Wolfgang Schäuble die Unregelmäßigkeiten der Kassenführung aus der Vergangenheit offen gelegt und aufgedeckt.
({3})
Der Untersuchungsausschuss hat in seiner bisherigen
Tätigkeit von eineinhalb Jahren bisher Punkt für Punkt
das, was die CDU aufgedeckt hat, bestätigen können.
Neue Sachverhalte und Tatsachen - keine Verdächtigungen; Sie, Herr Ströbele, werfen doch nur Schlamm um
sich - sind bisher nicht aufgetaucht.
({4})
Es ist ohne Frage richtig, dass die gesamte Spendenaffäre der CDU in der Öffentlichkeit geschadet hat. Es entspricht den Gepflogenheiten der politischen Auseinandersetzung, dass die SPD dies ausgeschlachtet hat. Ich
bedauere allerdings sehr, dass dabei allzu oft die Grenzen
der politischen Fairness überschritten worden sind.
Das, was Sie seit nunmehr zwei, drei Wochen betreiben, was Sie gegen die CDU-Führung unter Angela
Merkel inszenieren, sprengt allerdings die Grenzen des
politischen Anstandes,
({5})
denn Sie wissen ganz genau: Egal, ob diese Überweisung
von Herrn Kiep
({6})
die Erfüllung von Schadenersatzansprüchen war - wie die
CDU geglaubt hat - oder ob es eine Rückzahlung von
Geldern war,
({7})
die der CDU gehören, in keinem Fall liegt ein Verstoß gegen das Parteiengesetz vor.
({8})
Trotzdem versuchen Sie mit einer billigen Kampagne, die
CDU-Führung zu diskreditieren.
({9})
Herr Ströbele, ich sage Ihnen eines: Ob und wann die
CDU Regress von irgendjemandem verlangt, das geht Sie
nichts an. Das ist eine Angelegenheit der CDU.
({10})
- Sie können das im Protokoll nachlesen.
Die Frage, was letzten Endes das Motiv für Herrn Kiep
war, das Geld zu überweisen, kann einzig und allein er
selbst beantworten. Selbst die Vermutung, dass es sich um
Geld aus dem Norfolk-Konto handelt, kann weder die
CDU noch der Untersuchungsausschuss belegen. Wir
warten - Andreas Schmidt hat es deutlich gemacht - auf
das klärende Wort von Herrn Kiep.
Es fällt auf, dass sich - das erste Mal in der ganzen Debatte - auch
Er hat der CDU in Zusammenhang mit der jüngsten
Überweisung Politikunfähigkeit vorgeworfen. Ausgerechnet jetzt - das ist das Merkwürdige -, wo er vor dem
Scherbenhaufen seiner Arbeitsmarktpolitik steht,
({0})
ausgerechnet jetzt, wo sich herausstellt - wir haben das in
der Debatte vorhin gehört -, dass seine Steuerreform ein
einziger Flop war,
({1})
jetzt, wo sich zeigt, dass die rot-grüne Rentenreform
nichts weiter als ein absurdes Bürokratenmonster gebiert,
schickt Herr Schröder seine Diffamierungsexperten wieder an die Front.
({2})
Aber ich bin mir sicher: Die deutsche Öffentlichkeit
wird sich nicht täuschen lassen.
({3})
Die Spendenaffäre ist ohne Frage ein unschönes, aber sie
ist ein abgeschlossenes Kapitel. Sie gehört der Vergangenheit an.
({4})
Die Menschen in diesem Lande haben einen Anspruch darauf, dass sich diejenigen, die in Berlin Politik machen,
mit der Zukunft befassen. Bisher haben Sie es mit Ihrer
rot-grünen Mehrheit nur fertig gebracht, das Land zum
Schlusslicht in der Europäischen Union zu machen.
({5})
Eine Regierungsmehrheit, die ihre Hauptaufgabe in der
Diskreditierung des politischen Gegners, der Opposition,
sieht,
({6})
statt in der Gestaltung, wird ihre Quittung bekommen. Dieses Vertrauen in die Menschen in diesem Lande habe ich.
Vielen Dank.
({7})
Für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gebe ich das Wort dem
Kollegen Cem Özdemir.
Herr
Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sollten nicht
unfair sein; denn wem von uns ist es nicht schon einmal
passiert, dass er eine Rechnung übersehen hat, dass er vergessen hat, eine Überweisung zu tätigen? Insofern, so
denke ich, sollten wir fair sein im Umgang mit unseren
Kollegen von der Union. Auch ich habe, nachdem ich das
mit Herrn Kiep gelesen habe, erst einmal auf mein eigenes Konto geschaut und geprüft, ob ich nicht vielleicht
1 Million DM übersehen habe. Leider habe ich nichts dergleichen festgestellt und mich danach auch gleich gefragt:
Was hat dieser Kiep, was unsereiner nicht hat? Warum
werden wir nicht mit Millionenspenden bemüht?
Aber Spaß beiseite! Das, was Sie, meine Damen und
Herren von der Union, hier in Sachen Aufklärung vorgelegt haben, ist nicht nur völlig unhaltbar, sondern ein
Skandal für diese Demokratie.
({0})
Herr Kollege Friedrich, Sie haben eben auf die Themen, die auf der Tagesordnung stehen, verwiesen. Sie haben die Rentenreform, über die wir gegenwärtig reden
und über die in diesen Tagen entschieden wird, vergessen.
Wir müssen Rentnern erklären, dass sie nach einem langen Leben der Arbeit mit einer Rente auskommen müssen, die für viele sehr bescheiden ist im Vergleich zu dem,
was andere verdienen. Ebendiesen Menschen müssen wir
erklären, dass einige bei Ihnen Probleme damit haben,
ihre Millionen sortiert zu bekommen. Ich frage Sie ernsthaft: Glauben Sie selber daran, dass Sie regierungsfähig
sind? Ich glaube, die Union ist von der Regierungsfähigkeit gegenwärtig ungefähr so weit entfernt wie die F.D.P.
von ihren 18 Prozent.
({1})
Insofern kann dieser Republik nichts Besseres passieren,
als wenn diese Partei so lange wie möglich da bleibt, wo
sie hingehört, auf den Oppositionsbänken.
Herr Friedrich, Sie haben vorhin gesagt, dass man versuche, die Union zu diffamieren. Ich glaube, umgekehrt
wird ein Schuh daraus: Das, was Herr Kiep gemacht hat und was in dessen Folge Sie tun -, ist der Versuch, die
ganze Demokratie zu diffamieren. Sie schaden uns allen
hier: Sie schaden sich; Sie schaden denen, die in der
Union anständig Politik machen; Sie schaden Ihren
Mitgliedern an der Basis; Sie schaden denjenigen, die für
Politik, für Demokratie werben, dafür, dass sich junge
Dr. Hans-Peter Friedrich ({2})
Leute in unseren Parteien engagieren. Das wird unsere Arbeit nicht erleichtern. Insofern bitte ich Sie: Helfen Sie
nicht nur sich selber, sondern helfen Sie uns allen, diese
Demokratie attraktiv zu machen. Das, was Sie hier machen, ist Antiwerbung für Demokratie, Antiwerbung für
Parlamentarismus, Antiwerbung für den Bundestag. Deshalb: Hören Sie auf damit, diese Gesellschaft und die Demokratie zu diffamieren!
({3})
Wir führen in diesen Tagen ja eine Integrationsdebatte.
Ich will einmal einen anderen Aspekt in die Integrationsdebatte einbringen: Meines Erachtens sind die Herren
Kohl, Kanther und Kiep - und wie sie alle heißen - nicht
integrationsfähig. Kohl ist weder integrationsfähig noch
integrationswillig.
({4})
Wenn die Union ernsthaft ein Interesse daran hat, mit
dieser ganzen Affäre Schluss zu machen, dann schmeißen
Sie diese Herren endlich raus. Ziehen Sie einen klaren
Schlussstrich! Machen Sie eine Neuordnung! Sagen Sie,
dass diese Union damit nichts mehr zu tun hat. Dann
nimmt man Ihnen ab, dass Sie integrationswürdig sind
und dass Sie sich den Problemen dieser Gesellschaft
ernsthaft zuwenden wollen. Solange Sie diesen klaren
Strich nicht ziehen - den Willen hierzu kann man bei Ihnen offensichtlich nicht erkennen -, so lange wird die
Union in diesem Trubel gefangen sein. Darüber kann sich
niemand ernsthaft freuen; denn die Union ist als kräftige
Oppositionspartei in dieser Demokratie notwendig.
Was wir dringend brauchen - Frau Wettig-Danielmeier
hat darauf hingewiesen -: Wir müssen das Parteiengesetz
ändern; denn ganz offensichtlich sind die Transparenzregelungen nach wie vor nicht streng genug, die Summe, ab
der Spenden veröffentlicht werden müssen, ist nach wie
vor zu hoch. Darum haben die Grünen erste Überlegungen vorgelegt. Wir hoffen, dass wir noch in dieser Legislaturperiode, auch mit Unterstützung der Opposition, ein
neues Parteiengesetz vorlegen können.
Ich will zum Schluss eines klarmachen: Dieses Parteiengesetz ist nicht unser Gesetz. Es ist ein Gesetz, das Sie
vorgelegt haben, und zwar nicht irgendwann, sondern
nach der Erschütterung der Republik durch den FlickSkandal. Nach dem Flick-Untersuchungsausschuss hat
die Union gemeinsam mit der F.D.P. dieses Gesetz vorgelegt. Sie haben also nicht gegen ein Gesetz von Rot-Grün
verstoßen und auch nicht gegen eines, das aus der Zeit
Kaiser Wilhelms stammt. Sie haben gegen das Gesetz verstoßen, das die Unterschrift von Dr. Helmut Kohl trägt,
dem ehemaligen Bundeskanzler der Bundesrepublik
Deutschland.
Auch dies sollten Sie bedenken, wenn Sie in diesen Tagen davon reden, dass es Unklarheiten gebe. Es gibt keine
Unklarheiten mit diesem Gesetz. Das Einzige, was unklar
ist, ist die Haltung von manchen in Ihrer Partei zur
Rechtsstaatlichkeit.
Herzlichen Dank.
({5})
Für die
SPD-Fraktion spricht der Kollege Harald Friese.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Die schönsten Satiren
schreibt immer noch das Leben. Da die CDU ja mitten
im Leben steht, könnte man versucht sein, zu sagen: Bei
der Inszenierung der zweiten Kiep-Million handelt es sich
um eine Satire mit hohen Staatsschauspielern.
Man muss sich das Geschehen wirklich einmal bildlich
vorstellen: Walther Leisler Kiep sitzt eines schönen
Abends in seinem Haus im Herrenzimmer, hat eine Flasche trockenen Rheingauer Rieslings vor sich stehen und
ihm ist langweilig. Musik, Gespräche und Lektüre können
ihn nicht erheitern. Er denkt: Jetzt gehe ich einmal in mein
Arbeitszimmer und blättere die Kontoauszüge der
Jahre 1992 und 1993 durch. Bildlich gesagt: Er lässt die
Millionen durch seine Hände gleiten. Er stellt fest: Es gibt
Eingänge, deren Herkunft er sich nicht erklären kann. Er
rechnet Pi mal Daumen die Zinsen und die Zinseszinsen
aus, rundet nach oben auf und überweist 1 Million DM an
die CDU. So muss man sich das vorstellen.
Etwas ist dabei unklar: Komischerweise hat Herr Kiep
die Beträge, die ihm unklar waren, in den Jahren 1992 und
1993 als Einkünfte versteuert. Das ist merkwürdig. Merkwürdig ist auch, dass die CDU diese Million getreu nach
dem Grundsatz kassierte - das haben wir in der Parteispendenaffäre erlebt -: Pecunia non olet. Sie hat daraufhin widersprüchliche Erklärungen abgegeben. Einmal
waren es Gelder der Norfolk-Stiftung, womit das Geld
rechtlich - darüber gebe es keine Bedenken - der CDU
gehöre. Dann waren es Vorauszahlungen auf Regressforderungen, von denen wir erfahren haben, dass sie die
CDU noch gar nicht erhoben hat.
Ich frage mich wirklich: Für wie dumm hält die CDU
die Öffentlichkeit, die Mitglieder dieses Parlaments und
den Parlamentspräsidenten? Wenn man es freundlich ausdrückt, kann man nur noch von einer Irreführung der
Behörden sprechen. Wenn man es so sagen will, wie es ist,
heißt das: Hier wird die deutsche Öffentlichkeit bewusst
verarscht.
({0})
Meine Damen und Herren von der CDU/CSU: Sie haben nichts gelernt. Sie verhalten sich nach anderthalb Jahren Parteispendenskandal genauso, wie Sie es immer getan haben: vertuschen, verdecken, verdrängen, vergessen.
Immer das gleiche Ritual. Sie haben im Umgang mit Geld
nichts gelernt. Sie haben keine Sensibilität in Bezug auf
Geld entwickelt. Immer sind die anderen schuld. Diesmal
ist es Kiep. Die Partei ist natürlich nicht schuld. Aufgedrängte Bereicherung würde dies vielleicht ein Jurist nennen.
Dann kommen wieder die Vorwürfe aus den 80er-Jahren. Herr Schmidt, das haben wir schon x-mal diskutiert.
Das, wovon Sie reden, war ein anderes Parteiengesetz, das
anonyme Sammelspenden erlaubte. Das war zulässig.
Deswegen ist das Parteiengesetz geändert worden. Ihre
Vorwürfe werden nicht dadurch richtiger, dass Sie sie
ständig wiederholen.
Es kann uns ja noch egal sein, wenn die CDU durch ihr
Verhalten ihre Glaubwürdigkeit verliert. Es kann uns auch
egal sein, wenn die Parteivorsitzende der CDU ihre
Glaubwürdigkeit verloren hat. Nicht egal sein kann uns
aber die Tatsache, dass in der Vergangenheit nichts die politische Kultur in diesem Lande mehr beschädigt hat als
die Schwarzgeldaffäre der CDU.
({1})
Politische Kultur bedeutet Öffentlichkeit und Transparenz und sie bedeutet Vertrauen und Glaubwürdigkeit.
Vertrauen ist, wie Wilhelm Hennis, der Nestor der Politischen Wissenschaft in Deutschland, sagt, die seelische
Grundlage der repräsentativen Demokratie.
Da muss ich an Sie die Frage richten: Merken Sie eigentlich nicht, was Sie tun? Merken Sie es wirklich nicht?
({2})
Wenn Sie sich jetzt noch als Hüterin des Parteiengesetzes aufspielen, so muss ich sagen: Klären Sie erst einmal Ihr Verhältnis zum Geld. Dann können wir uns darüber unterhalten. Haben Sie erst einmal den Willen, das
Parteiengesetz und Art. 21 des Grundgesetzes einzuhalten. Ich möchte hier feststellen: Sie haben gegen das Parteiengesetz verstoßen, nicht wir. Sie waren es!
({3})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir wollen darüber besteht wohl Einvernehmen - das Parteiengesetz
noch in dieser Legislaturperiode novellieren. Wir werden
aber zunächst die Vorschläge abwarten, die die vom Bundespräsidenten eingesetzte Kommission vorlegen wird.
Das gebietet schon der Respekt vor dieser Kommission
und auch die Tatsache, dass sie vom Bundespräsidenten
eingesetzt wurde.
({4})
Eines kann ich Ihnen aber jetzt schon, unabhängig von
diesen Vorschlägen, sagen: Wir brauchen keine grundlegende Revision des Parteiengesetzes. Das Parteiengesetz
hat sich bewährt. Wer sich daran halten wollte, konnte
dies tun. Bei Ihnen hätte nicht einmal die Vorschrift eines
§ 17a des Parteiengesetzes etwas bewirkt, die gelautet
hätte: Es ist verboten, gegen das Parteiengesetz zu verstoßen. Meine Damen und Herren von der CDU, ich will
Ihnen klipp und klar sagen: Sie sind nicht Opfer eines unklaren Parteiengesetzes, Sie sind vorsätzliche Täter.
({5})
Ich bitte Sie: Begreifen Sie das endlich! Das würde auch
der politischen Kultur in Deutschland gut tun.
Vielen Dank.
({6})
Ich erteile dem Kollegen Dietmar Schlee, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dies ist eigentlich die Stunde des Untersuchungsausschusses. 99 Prozent der Punkte, die in dieser Debatte angesprochen worden sind, betreffen den Untersuchungsausschuss, sind
Vorgänge, die im Untersuchungsausschuss aufgeklärt
werden müssen. Soweit sie nicht schon aufgeklärt worden
sind, müssen sie nun schnell aufgeklärt werden.
Statt dies zu tun, führen Sie hier eine Aktuelle Stunde
durch, die so unnötig ist wie ein Kropf. Diese Debatte
dient natürlich nicht der Aufklärung, nicht der Wahrheitsfindung, sondern ausschließlich der Ablenkung von den
außerordentlich windigen Ergebnissen, die Sie bisher im
Untersuchungsausschuss erzielt haben.
({0})
Neben der Perpetuierung der Problematik der Parteispenden ist das offensichtlich der Sinn dieser Debatte.
Die Machart, meine sehr verehrten Damen und Herren,
ist immer dieselbe.
({1})
Da werden Vorwürfe medienwirksam aufgepumpt, da
wird bei jedem Vorgang Skandal, Skandal! gerufen.
({2})
Wenn dann die Dinge im Untersuchungsausschuss behandelt werden und die blauen und roten Luftballons, die Sie
haben steigen lassen, im Ausschuss zerplatzen,
({3})
dann hoffen Sie, dass sich die Öffentlichkeit an das ganze
Theater, das Sie zuvor veranstaltet haben, an all die Vorwürfe nicht mehr erinnert, dass dies alles still und leise
beerdigt wird.
Beispiel Nummer eins: Was haben Sie von der rot-grünen Koalition Mitgliedern der früheren Bundesregierung
im Zusammenhang mit der Lieferung von Panzerfahrzeugen nach Saudi-Arabien nicht alles vorgeworfen! Wir haben dieses Thema im Untersuchungsausschuss Stunden
um Stunden, Tage um Tage behandelt. Ergebnis: Die damalige Bundesregierung hat sich korrekt verhalten.
({4})
- Herr Stünker, das ist das Ergebnis. Dass Sie das anders
haben wollen, merke ich im Untersuchungsausschuss.
Ihre verzweifelten Versuche, sich an irgendeinem Strohhalm festzuhalten, sind doch offensichtlich. Wenn Sie das,
was Sie gesagt haben, mit dem vergleichen, was am Ende
herausgekommen ist, muss man feststellen, dass Sie ein
Debakel erlebt haben. Der erste bunte Luftballon ist zerplatzt.
Ich will Ihnen ein zweites - ganz frisches - Beispiel
nennen: Wir haben gestern im Untersuchungsausschuss
den Komplex mit den Eisenbahnerwohnungen wohl abschließend behandelt. Nun hat Herr Ströbele im Zusammenhang mit IG Farben noch ein Spezialthema aufgegriffen, das in den nächsten Monaten intensiv behandelt
werden müsse. Sie sollten sich jetzt einmal hinstellen und
sagen, dass an all den Vorwürfen, die Sie in Sachen Eisenbahnerwohnungen vorgetragen haben, nichts dran ist.
({5})
Sie sollten zugeben, dass Sie auch in diesem Zusammenhang einen Luftballon haben steigen lassen und dass Ihnen dieser Luftballon spätestens gestern Abend geplatzt
ist.
({6})
Beispiel Nummer drei: Auch im Zusammenhang mit
Leuna/Minol gab es seit vielen, vielen Jahren Vorwürfe,
Verdächtigungen und Spekulationen, die geschürt wurden. Diese Sache hat eine außenpolitische Dimension.
Diese Vorwürfe haben uns im Ausland nachhaltig geschadet. Dieses Thema hätte daher allein aus außenpolitischen
Gründen sehr rasch behandelt werden müssen. Sie verzögern das aber seit anderthalb Jahren; Sie gehen an die Sache nicht heran, weil irgendeiner, der die Akten gelesen
hat, festgestellt hat, dass an der Geschichte nichts dran ist.
Herr Ströbele, an dieser Geschichte ist nichts dran!
({7})
Sie haben möglicherweise vor der Presse geschickt taktiert, indem Sie auf Staatssekretär Diller abgelenkt haben.
Herr Diller ist Teil einer Strategie; er hat die Dinge dilatorisch behandelt. Sie wollen die Sache nämlich nicht aufklären, sondern bis zum Ende der Legislaturperiode betreiben.
Herr Kollege, Ihre
Redezeit ist abgelaufen. Sie müssen zum Schluss kommen. Nur noch einen Satz, bitte.
Das ist genau das, was
Sie wollen.
Nun haben Sie einen besonders bunten Ballon in Sachen Kiep gestartet. Dieser Ballon wird im Untersuchungsausschuss das gleiche Schicksal erleiden wie Ihre
bisherigen Ballone, was ich Ihnen als Beispiele eins bis
drei verdeutlicht habe. Die Frage ist nur, wann das geschehen wird. Dabei hoffen Sie auch wieder, dass die Öffentlichkeit dann nicht mehr weiß, was Sie heute an unhaltbaren Vorwürfen verbreitet haben.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat nun die
Kollegin Gabriele Fograscher, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Herr Friedrich, Sie tun sich
auch im Untersuchungsausschuss nicht gerade mit Aufklärungswillen hervor, sondern mit unqualifizierten
Zwischenrufen; so viel zu Ihrem Beitrag hier.
Herr Schlee, Sie haben gesagt, die Machart sei immer
die gleiche. Dem kann man zustimmen: Täuschen und
Tricksen, Vertuschen und Verschweigen kennzeichnen
den Umgang der Union mit Geld. Dabei steht Frau Merkel
in der Kontinuität ihrer Vorgänger.
({0})
Es geht nicht um Peanuts, es geht um Millionen; es
geht um die Schreiber- oder Panzer-Million, um die Hessen-Millionen, die Siemens-Millionen, die EhlerdingMillionen, anonymisierte Spender-Millionen und jetzt
eben um die Kiep-Million. Es geht dabei nicht nur um
CDU-interne Vorgänge, sondern auch um Glaubwürdigkeit und um das Einhalten von Recht und Verfassung; es
geht um Spielregeln in einer Demokratie. Es geht um das
Gebot der Transparenz der Parteifinanzen und um die
Nachvollziehbarkeit von politischen Entscheidungen. Bis
heute ist ungeklärt, woher das Geld stammt, wer die angeblichen Spender sind, zu welchem Zweck das Geld gespendet wurde, wer über das Geld verfügte und wer Geld
wofür erhielt.
Seit Monaten beschäftigen sich die Öffentlichkeit und
inzwischen auch mehrere Untersuchungsausschüsse sowie Staatsanwaltschaften im In- und Ausland mit diesen
Vorgängen. Die Zeit des Mauerns und Vertuschens ist vorbei, Frau Merkel. Sie haben dem Untersuchungsausschuss zugesagt, ihn über Ihre Erkenntnisse auf dem Laufenden zu halten. In dem Formblatt, mit dem die Zeugen
ihr Protokoll zur Korrektur übersandt bekommen, heißt
es:
Für den Fall, dass Sie Ihre Aussage inhaltlich ergänzen möchten bzw. eine dahingehende Zusage in Ihrer
Vernehmung gegeben haben, bitte ich Sie, diese
Ergänzungen jeweils auf einem gesonderten Blatt
vorzunehmen.
Obwohl Frau Merkel bereits am 17. April über den Eingang der Kiep-Million Bescheid wusste, hat sie dem Untersuchungsausschuss nichts mitgeteilt. Weshalb nicht?
Hat das etwa auch Herr Hausmann zu verantworten?
({1})
Herr Kohl war Vorsitzender der CDU. Alles lag in seiner Hand. Nichts geschah ohne sein Wissen. Aber er verschweigt beharrlich die Namen der Spender, kann sich an
entscheidende Vorgänge nicht erinnern und hält die gegen
ihn erhobenen Vorwürfe für abwegig. Dabei steht fest:
Entscheidungen der ehemaligen Bundesregierung und
Millionenspenden stehen in einem engen zeitlichen Zusammenhang, auch die Ehlerding-Spende, Herr Schlee.
({2})
Verdächtigungen können nicht entkräftet werden, weil die
Entscheidungen nicht mehr nachvollziehbar sind. Akten
wurden vernichtet, geflöht und weggeschafft. Daten
wurden gelöscht. Ein Geflecht von Anderkonten,
Treuhandkonten, Sonderkonten, Auslandskonten und
Stiftungen, nicht nur bei der Bundes-CDU, sondern auch
bei Landesverbänden, war gängige Praxis. Ein- und Auszahlungen wurden in bar vorgenommen. Das Geld wurde
in Safes deponiert, in Koffern transportiert und anonymisiert.
({3})
Die Geldkofferträger teilten großzügig beträchtliche
Summen unter sich auf und belohnten sich für ihre Arbeit.
Alle Beteiligten wissen nichts mehr, wollen oder können
nichts sagen, wollen oder können sich nicht erinnern oder
sind auf der Flucht.
({4})
Nun der Blick auf heute: Als sich Frau Angela Merkel
Ende 1999 in einem Artikel in der FAZ von Helmut
Kohl distanzierte, stellte sie sich als Aufklärerin dar und
verkörperte für viele den sauberen Neubeginn. Aber die
selbst ernannten Saubermänner und -frauen setzen nur darauf, dass das Interesse der Öffentlichkeit an der Affäre
nachlässt. Doch die Vergangenheit holt die CDU immer
wieder ein. Brutalstmögliche Aufklärung bleibt ein Lippenbekenntnis. Fristen, in denen Belege anzufordern sind,
die Aufschluss über Geldflüsse geben könnten, verstreichen ungenutzt. Schadenersatz wird nicht geltend gemacht. Millionenbeträge tauchen auf und werden angenommen. Die Öffentlichkeit wird erst nach wichtigen
Landtagswahlen informiert. Als Zweifel an der Rechtmäßigkeit auftreten, gibt es wortreiche und widersprüchliche Erklärungen. Täuschen und tricksen, vertuschen und
verschweigen - das war der Stil von Helmut Kohl und das
ist auch der Stil von Angela Merkel.
Frau Merkel hat erklärt: Was Herr Kiep uns und der
deutschen Öffentlichkeit bietet, ist eine Zumutung. Frau
Merkel, das, was Sie und Ihre Partei uns und der deutschen Öffentlichkeit bieten, ist eine Zumutung.
({5})
Frau Merkel, wenn Sie und Ihre Partei in Zukunft als demokratische Partei ernst genommen werden wollen, dann
gibt es nur einen Weg: Klären Sie auf und handeln Sie
nach Recht und Gesetz!
Danke.
({6})
Jetzt hat das Wort die
Kollegin Andrea Voßhoff, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Herr Özdemir, erlauben Sie
mir eine Anmerkung zu Ihren Ausführungen. Wir brauchen keine Empfehlungen von den Grünen, wer Mitglied
der CDU sein sollte und wer nicht. Auch in der Wortwahl
haben wir keinen Nachholbedarf, wenn ich höre, welche
Begriffe Sie verwenden, zum Beispiel rausschmeißen.
Das ist nicht unsere Tonart. Wir entscheiden, wer Mitglied
der CDU bleiben darf und wer nicht.
({0})
Die Regierungsfraktionen beantragten im Februar dieses Jahres eine Aktuelle Stunde zum Thema Parteispenden der Berliner CDU. Der bundespolitische Bezug war
nur schwer auszumachen. Aus Anlass der Kiep-Million
haben Sie heute wieder eine Aktuelle Stunde beantragt.
Dafür haben Sie sogar die Sitzung des Untersuchungsausschusses unterbrochen.
Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, Ihre parlamentarischen Anstrengungen, die Themen
des Untersuchungsausschusses in diesem Hohen Hause
zu behandeln, lassen Ihre Absicht mehr als durchscheinend hervortreten.
({1})
Sie wollen nach wie vor die gegenüber der CDU erhobenen Vorwürfe politisch instrumentalisieren. Wenn Sie uns
vorwerfen, wir seien an Aufklärung nicht interessiert, dann
muss ich Ihnen entgegnen: Ihre heutigen Beiträge zeigen,
dass es damit auch bei Ihnen nicht sehr weit her ist.
Ich frage Sie, meine Damen und Herren von der SPD
und von den Grünen: Wo bleibt Ihre Beantragung einer
Aktuellen Stunde in diesem Hause zu den Erkenntnissen
des Untersuchungsausschusses über den Vorwurf der
Käuflichkeit des Regierungshandelns der Kohl-Regierung hinsichtlich der Lieferung von Spürpanzern nach
Saudi-Arabien? Meine Vorredner haben es gesagt: Nach
monatelangen Zeugenvernehmungen ist dieser Vorwurf
ausgeräumt.
({2})
Was sagen Sie dazu, dass der Exaußenminister der USA,
Baker, in einem vor kurzem veröffentlichten Schreiben
die Aussagen Helmut Kohls in dieser Frage bestätigt hat?
({3})
Ich habe keinen Kommentar Ihrerseits dazu gehört.
Wo bleibt Ihre Beantragung einer Aktuellen Stunde zu
den Erkenntnissen des Ausschusses in Sachen Eisenbahnerwohnungen? Mein Kollege Schlee ist schon auf die
gestrige Vernehmung des Herrn Ehlerding eingegangen.
Ihre Mutmaßungen und Ihre Unterstellungen sind nicht
bestätigt worden. Da sich die bisherigen Vorwürfe nicht
bestätigt haben, wollen Sie die Überweisung der KiepMillion zu einer neuen Spendenaffäre aufbauschen.
Um je nach politischer Notwendigkeit von Fehlentwicklungen Ihrer Regierungsarbeit abzulenken, mischt
sich auch noch der Kanzler ein. In Ihren Beiträgen
dazu erleben wir nur ein Feuerwerk von Mutmaßungen,
Unterstellungen und Spekulationen, mit denen Sie schier
unermüdlich die Arbeit des Untersuchungsausschusses
kommentieren.
({4})
All dies wird uns nicht davon abhalten, konsequent
das - auch durch unsere Aufklärungsarbeit - wieder gewonnene Vertrauen der Bürger weiter auszubauen. Die
CDU-Spendenaffäre, aber auch die durch diese Spendenaffäre bekannt gewordene Verschleierung, die die SPD
hinsichtlich ihres Vermögens- bzw. Finanzierungsgebarens betreibt, haben gezeigt, dass das Parteiengesetz novelliert werden muss. Es ist zutreffend - das ist heute
schon gesagt worden -: Es hilft nichts, dass ein Gesetz
noch so gut ist, wenn es immer wieder Menschen gibt, die
dagegen verstoßen.
({5})
Das ist gar keine Frage; das ist absolut korrekt.
Genauso klar ist jedoch, dass im Zuge dieser Affäre
auch deutlich geworden ist, dass das Parteiengesetz unzureichend ist. Gerade aufgrund der Spendenaffäre sehen
wir uns in der Pflicht, an einem wirkungsvolleren und
sinnvolleren Parteiengesetz mitzuwirken, das geeignet ist,
den bekannt gewordenen Verstößen effektiver zu begegnen und den Wählern ein wirklichkeitsgetreues Bild der
politischen Parteien und ihrer Finanzen zu verschaffen.
Eine Aktuelle Stunde mit dem dazugehörigen Schlagabtausch macht nur dann Sinn, wenn der Gesetzgeber den
Handlungsbedarf nicht nur sieht, sondern ihn auch umsetzt. Ihr stellvertretender Fraktionsvorsitzender Stiegler
hat in der Süddeutschen Zeitung erklärt, man werde
nach der Sommerpause einen Vorschlag zur Novellierung
erarbeiten. Wir von der CDU/CSU-Fraktion haben bereits
am 11. Dezember 2000 erste Eckpunkte einer Novellierung zur Diskussion gestellt. Wir wollen Klarheit in Bezug auf die Rechnungslegung der Parteifinanzen; wir wollen Schlupflöcher schließen und Grauzonen beseitigen.
Wir wollen aber auch eine Begrenzung der wirtschaftlichen Betätigung der Parteien, so wie es das Verfassungsrecht vorgibt.
({6})
Das Parteiengesetz muss präziser gefasst werden. Wir
wollen ein System von Sanktionen, damit Verstöße geahndet werden. Wir halten auch eine so umfassende Medienbeteiligung wie die der SPD für mehr als bedenklich. Zu
einigen unserer Vorschläge hat ebenfalls Ihr stellvertretender Fraktionsvorsitzender in der Süddeutschen Zeitung
geäußert - zumindest wird er so zitiert -, es gebe keine
Veranlassung, der SPD an dieser Stelle Fesseln anzulegen.
Offenbar sieht das der Bundesinnenminister Schily
vom Ansatz her etwas anders. In einem anderen Zusammenhang soll er gegenüber der italienischen Zeitung La
Republica gesagt haben, er könne sich einen Medienunternehmer nur schwer als Regierungschef vorstellen. Die
Politik sollte nicht den Eindruck erwecken, in einen Interessenkonflikt verwickelt zu sein. In einer Demokratie
müssten Medien den Bürgern zur Bildung ihrer eigenen
Meinung verhelfen und sie dürften nicht zu einseitigen
Propagandamitteln werden.
({7})
Frau Wettig-Danielmeier, vom Ansatz her sind Sie in dieser Hinsicht - ich hoffe, Ihre Ausführungen richtig verstanden zu haben - mit Herrn Schily einig, sodass auch
eine Begrenzung der Medienbeteiligungen der Parteien
wahrscheinlich das Ergebnis der aktuellen Diskussionen
über das Parteiengesetz sein wird.
Zeitgleich mit dieser Parlamentsdebatte findet eine Expertenanhörung der CDU/CSU-Fraktion zur Novellierung des Parteiengesetzes statt.
({8})
Sie reden, wir handeln.
Vielen Dank.
({9})
Das Wort hat jetzt der
Kollege Dr. Rainer Wend für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Herr Friedrich, Sie haben vorhin gesagt, Frau Inge Wettig-Danielmeier sitze im
Glashaus und solle nicht mit Steinen werfen. Ich will Ihnen Folgendes sagen: Sie wären doch heute froh und
glücklich und Ihnen wäre in den letzten zwei Jahren politisch viel erspart geblieben, wenn Sie 20 Jahre lang eine
Schatzmeisterin wie Frau Inge Wettig-Danielmeier gehabt hätten, die nach Recht und Gesetz vorgegangen wäre.
Sie lecken sich die Finger nach einer solchen Schatzmeisterin, was ich gut verstehen kann.
({0})
Deswegen sitzt sie nicht im Glashaus, sondern mitten in
unserer Fraktion, und wir sind stolz darauf und froh darüber, dass wir eine Schatzmeisterin haben, die nach Recht
und Gesetz handelt.
({1})
Das Tollste, was Sie hier heute zu bieten hatten, Herr
Schmidt, Herr Friedrich, Herr Schlee, war der Freispruch
an sich selber in Sachen Ehlerding, in Sachen Panzeraffäre und in Sachen Leuna/Minol. Wie ist denn der
Sachverhalt? Wollen wir uns das doch noch einmal vor
Augen führen. Fangen wir an mit Ehlerding und den Eisenbahnerwohnungen: Im Juni 1998 erhalten die Eheleute
Ehlerding den Zuschlag für die Privatisierung der Eisenbahnerwohnungen, obwohl ein anderer Bieter 1 Milliarde DM mehr geboten hat.
({2})
Wenige Wochen später erhält die CDU eine Parteispende
über 5,9 Millionen DM. Das ist die höchste Parteispende,
die die Union jemals bekommen hat. Es war die einzige
Spende an die CDU, die die Eheleute Ehlerding in ihrem
ganzen Leben bis dahin gegeben hatten. Anschließend
wird diese Spende zunächst auf ein schwarzes Konto
Kohl geschaufelt, bevor sie herüberkommt, ein weiteres
Jahr wird sie bei der Union anonym behandelt. Der spätere Schatzmeister Wissmann sagt, er habe erst ein Jahr
später von dieser Spende erfahren. Angesichts all dieser
Umstände wollen Sie sich selber freisprechen in dieser
Frage. Das ist an Absurdität nicht zu überbieten, meine
Damen und Herren.
({3})
Ich will auch zur Panzeraffäre kurz ein Wort sagen.
Wie war es denn damit? 24 Millionen DM hat die Firma
Thyssen Herrn Schreiber zum Verteilen zur Verfügung gestellt, damit dieses Geschäft - so sage ich einmal - ein wenig gefördert wird. Wir wissen nicht, wo all dieses Geld
gelandet ist. Von einer Million wissen wir allerdings, wo
sie gelandet ist. Eine Million wurde von Herrn Schreiber
in bar auf dem Parkplatz eines Einkaufszentrums in der
Schweiz an den damaligen Schatzmeister der CDU, Herrn
Kiep, in einem Koffer übergeben
({4})
und landete anschließend auf den Schwarzgeldkonten von
Helmut Kohl. Sich in einer solchen Sache freizusprechen
- ich sage es noch einmal -, das ist an Absurdität nicht zu
überbieten.
({5})
- Wenn ich ein falsches Fakt gesagt habe, stehe ich dafür
gerade. Habe ich an einer Stelle etwas Falsches gesagt,
Herr Schmidt? Ich stehe dafür gerade. Es ist alles richtig.
Lassen Sie mich auf eine Sache noch kurz eingehen.
Frau Merkel hat über mehrere Wochen die Millionen von
Herrn Kiep ein wenig diskret gehandhabt. Sie hat im
Nachhinein erklärt, es habe sich um eine Vorauszahlung
von 1 Million DM auf geltend gemachte Schadensersatzansprüche gehandelt. Ich habe mir daraufhin den Schriftverkehr der Anwälte angeguckt. Der Anwalt von Frau
Merkel hat an den Anwalt von Herrn Kiep geschrieben,
man müsse über die Sache mal reden.
Herr Schmidt, Sie sind doch auch Anwalt. Stellen Sie
sich vor, in Ihre Kanzlei kommt ein Mandant und beauftragt Sie, Schadensersatzansprüche zu verfolgen. Wenn
Sie dem gegnerischen Anwalt dann schreiben, man müsse
einmal über den Sachverhalt reden, denkt Ihr Mandant
doch, wenn er das liest, er habe für die Verfolgung seiner
rechtlichen Interessen keinen Rechtsanwalt, sondern einen Diplompsychologen eingeschaltet.
({6})
So verfolgt man doch keine Schadensersatzansprüche.
Das wissen wir doch beide. Deshalb bleibe ich dabei: Frau
Merkel hat sich zu sehr in den Geruch begeben, weiterzumachen mit Verschleppen, Verzögern, Verschweigen. Sie
rückt immer nur das heraus, was ohnehin über die Medien
herausgekommen ist.
Es wurde mehrfach über Schadensersatzansprüche gesprochen. Ich räume ein: Das ist Ihre Sache, es ist Ihr Geld.
Es ist Ihre Angelegenheit, was Sie damit machen. Die Auskunftsansprüche betreffen mich allerdings. Denn uns als
Untersuchungsausschuss wird gelegentlich vorgeworfen,
wir würden bei den Auskünften nicht weiterkommen. Bestimmt haben wir auch Fehler gemacht; das will ich nicht
bestreiten. Nur eines bleibt: Alle informierten Personen,
Kohl, Terlinden, Weyrauch, Lüthje, Kiep, machen von
ihrem Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 Strafprozessordnung Gebrauch, weil sie Sorge haben, sich selber
zu belasten. Das ist in Ordnung. Aber deshalb kommen
wir an der Stelle nicht weiter. Es gibt nur eine Person, die
weiterhelfen kann. Das ist Frau Merkel. Frau Merkel hat
als Parteivorsitzende der Union nicht strafrechtliche
Dinge zu verfolgen, aber sie hat den Anspruch auf Auskunft gegen ihre ehemaligen Funktionäre und Auftragnehmer zivilrechtlich geltend zu machen. Solange dieser
Anspruch nicht geltend gemacht wird, Herr Schmidt,
bleibt der Geruch der politischen Korruption in Ihren
Kleidern hängen.
({7})
Solange dieser Anspruch nicht geltend gemacht wird,
bleibt uns nichts anderes übrig, als wiederholt Aktuelle
Stunden zu beantragen, um mit Ihnen über diesen Sachverhalt zu sprechen und zu streiten.
Es liegt an Ihnen, den Weg konsequent bis zum Ende
zu gehen. Dann können wir wieder in die politische Auseinandersetzung über andere Themen eintreten. Ich freue
mich darauf, weil wir auch da die besseren Argumente haben.
({8})
Die Aktuelle Stunde
ist beendet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({0})
- zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Wohngeld- und Mietenbericht 1999
- zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Dr.-Ing. Dietmar Kansy, Dirk Fischer
({1}), Eduard Oswald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Wohngeld- und Mietenbericht 1999
- Drucksachen 14/3070, 14/4248, 14/4705 Dr. Rainer Wend
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr.-Ing. Dietmar Kansy
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Wolfgang Spanier für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir diskutieren heute über
den Wohngeld- und Mietenbericht 1999, der eine Bestandsaufnahme des Jahres 1998 beinhaltet. Der nächste
Wohngeld- und Mietenbericht wird im Jahr 2003 erscheinen.
({0})
Die Verzögerung ergibt sich dadurch, dass wir alle darin
übereingestimmt haben, zunächst einmal die Auswirkungen der Wohngeldreform abzuwarten, um sie in den Bericht aufnehmen zu können. Dann werden wir wieder zum
zweijährigen Rhythmus zurückkehren. Ich möchte jetzt
aber keine Rückschau halten. Deswegen möchte ich mich
auf den Entschließungsantrag der CDU/CSU konzentrieren.
Dieser Entschließungsantrag stammt vom 10. Oktober
2000; das ist gerade einmal ein halbes Jahr her. Ich habe
mich über diesen Antrag gewundert und mich bis zuletzt
gefragt, ob er tatsächlich aufrechterhalten wird, weil er in
weiten Teilen Makulatur ist.
({1})
- Machen Sie sich doch keinen Kopf um den Antrag der
CDU/CSU! Ist es mit der F.D.P. schon so weit gekommen,
dass sie jetzt für die Union in die Bresche springen muss?
({2})
In diesem Entschließungsantrag taucht die übliche Polemik gegen die Ökosteuer auf.
({3})
Sie wird als Preistreiber Nummer eins dargestellt. Es ist
fast müßig, dass ich darauf eingehe, weil ich weiß, dass
Sie sachlichen Argumenten bezüglich der Ökosteuer, die
sich beim Heizöl mit einer einzigen Erhöhung um 4 Pfennig überhaupt nicht entscheidend auswirkt,
({4})
nicht zugänglich sind.
Ich sage ganz offen: Dass Sie ausgerechnet das Einsetzen der Kommission Kostensenkungsstrategien bei den
Wohnnebenkosten so abtun, als sei dies ein Beleg für die
Unglaubwürdigkeit der Bundesregierung, hat mich sehr
geärgert und erstaunt, weil wir doch alle wissen, dass
diese Wohnnebenkosten, die so genannte zweite Miete,
eine Entwicklung nehmen, die nicht nur den Mieterinnen
und Mietern, sondern auch uns durchaus Sorgen bereitet.
Ich finde es daher gut, dass die Bundesregierung diese
Kommission eingesetzt hat. Es wäre besser gewesen, Sie
hätten dieses halbe Jahr genutzt, einmal nachzufragen,
wie der Stand der Dinge ist.
Wir haben mittlerweile in einer Bestandsaufnahme die
Daten und Fakten zusammengestellt. In diesen Tagen
werden Handlungsvorschläge entwickelt.
({5})
Es ist bemerkenswert, dass dies den Fachleuten in einem
solch kurzen Zeitraum gelingt. Daher sollten Sie sich,
liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union und der
F.D.P. - ich schließe die Kollegen der F.D.P. mit ein, damit sie nicht gekränkt sind -, einmal darüber informieren.
Dann werden wir zu gegebener Zeit über die Vorschläge
der Kommission hier gemeinsam diskutieren können.
Merkwürdig - und das ist fast vornehm ausgedrückt ist Ihr Vorwurf der Untätigkeit der Bundesregierung bei
der Weiterentwicklung integrierter Lösungskonzepte zur
städtebaulichen Planung. - Entschuldigen Sie das
bürokratische Deutsch, das ist ein Zitat aus Ihrem Entschließungsantrag. - Haben Sie denn nichts mitbekommen von der Aufstockung der Mittel für Städtebauförderung? Haben Sie nichts mitbekommen vom Programm
Soziale Stadt? Dann fragen Sie doch einmal in den
CDU-regierten und in den mit F.D.P.-Beteiligung regierten Ländern nach.
({6})
Gerade in diesen Ländern wurde das Programm Soziale
Stadt umgesetzt und ausdrücklich gelobt. Ich kann daher
überhaupt nicht verstehen, warum Sie hier sagen, dass die
Bundesregierung im Bereich der Stadtentwicklung
untätig sei.
Offensichtlich haben Sie auch nichts mitbekommen
von der Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung
insgesamt. Hier ist in den letzten Monaten sehr viel auf
den Weg gebracht worden. Es wäre also auch aus diesem
Grund besser gewesen, Sie hätten auf Ihren Entschließungsantrag verzichtet.
({7})
Ich komme nun zu Ihrer wohl wichtigsten Forderung,
die Sie erheben, dass nun wirklich bis zum 1. März ein
Gesetzentwurf zur Reform der sozialen Wohnungsbauförderung vorgelegt werden soll. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wir werden dieses Gesetz noch
vor der Sommerpause verabschieden. Dass Sie diesen Antrag, ein ensprechender Entwurf möge bis zum 1. März
vorgelegt werden, noch aufrechterhalten, ist daher schon
etwas kurios.
Ich finde es aber gut, dass wir verabredet haben, hier
gemeinsam vorzugehen, weil ich glaube, dass eine ReVizepräsidentin Anke Fuchs
form des sozialen Wohnungsbaus längst überfällig ist und
weil es hier wirklich auf eine gemeinsame Strategie von
Bund und Ländern ankommt. Die Vorarbeiten von Bund
und Ländern sind bereits so weit gediehen, dass ich
glaube, dass wir noch vor der Sommerpause einen Gesetzentwurf vorlegen werden, der den Anforderungen und
Ansprüchen einer Reform genügt.
Sie fordern ebenfalls - auch das ist etwas kurios -, den
künftigen Wohnungsbedarf zu ermitteln und mahnen eine
Wohnraumprognose an. In der Sache ist diese Forderung zwar begründet. Aber haben Sie nicht mitbekommen, dass am 10. Januar dieses Jahres der Bundesbauminister Kurt Bodewig eine Wohnungsprognose bis zum
Jahr 2015, erstellt vom Bundesamt für Bauwesen und
Raumordnung, vorgelegt hat? - Was bringt es also, hier
Dinge zu fordern, die schon längst umgesetzt, die schon
längst verwirklicht sind?
Lassen Sie mich auf den Hauptvorwurf eingehen, den
Sie ja nicht nur im fast schon berühmt-berüchtigten Entschließungsantrag erheben, sondern den Sie in fast allen
Pressemitteilungen und in fast allen Reden hier im Bundestag wiederholen, wann immer es um Wohnungspolitik
geht. Der Hauptvorwurf gegen die Bundesregierung ist,
sie sei verantwortlich für den Rückgang der Fertigungszahlen im Wohnungsbau.
({8})
Das wird von Ihnen ständig unterstellt und der Kollege
von der F.D.P. tutet begeistert, auch jetzt wieder, in das
gleiche Horn. Vielleicht sollten Sie sich gleich rübersetzen. Es wundert mich, dass Sie heute so unisono reden.
({9})
Wo bleibt die Selbstständigkeit der F.D.P.? Sie müssen
einmal mit Ihrem neuen Vorsitzenden sprechen.
({10})
In der Tat hatten wir in den 90er-Jahren im Durchschnitt 350 000 Fertigstellungen.
({11})
- Schauen Sie bitte in den Bericht! Über Zahlen kann man
nicht streiten; man kann sie nur prüfen.
In den 80er-Jahren hatten wir einen Durchschnitt von
280 000 Fertigstellungen. Das entspricht in etwa der
Größenordnung, wie wir sie zurzeit haben. Eine Schuldzuweisung an die Bundesregierung ist aber - das zu sagen
will ich heute die Gelegenheit nutzen - abwegig; denn der
Rückgang erfolgte nachweislich bereits seit fünf Jahren.
Wir hatten diesen Rückgang also schon in den letzten drei
Jahren Ihrer Regierungszeit.
Der Mietwohnungsbau in den alten Bundesländern ist
seit fünf Jahren rückgängig. Die Gründe sind das partielle
Überangebot und die sinkende Kaufkraft breiter Schichten, für die Sie einen Großteil Mitverantwortung tragen.
Zudem hatten wir - das zeigt ja der Wohngeld- und Mietenbericht 1999 - einen starken Druck auf die Mieten.
({12})
- Eben. - Jetzt kommt das kleine volkswirtschaftliche
Einmaleins - dass ich jemals so etwas im Bundestag vortragen muss, hätte ich nie gedacht -: Dieser Druck auf die
Mieten hat sich natürlich auf die Investitionsbereitschaft
ausgewirkt.
({13})
Ein weiterer Punkt, der dazu beigetragen hat - auch
dazu liegen wissenschaftliche Untersuchungen vor, das
sage ich nicht aus dem hohlen Bauch heraus -, ist, dass in
diesen Jahren Finanzanlagen, insbesondere Aktien, für
Anleger deutlich interessanter als Sachanlagen waren.
Das sind die tiefer greifenden Ursachen, die den bereits
seit fünf Jahren andauernden Prozess der Rückentwicklung verursacht haben.
Nun zum Eigenheimbau: Sie behaupten, dass nach
dem Regierungswechsel die Zahlen nach unten gegangen
seien. Die Fakten hier sind ganz klar: 1996 gab es in diesem Bereich einen starken Schub aufgrund des von uns
gemeinsam beschlossenen Eigenheimzulagengesetzes.
Außerdem gab es Vorzieheffekte, die unter anderem auch
durch die Senkung der Einkommensgrenzen im Jahre
2000 verursacht wurden, die allerdings nur eine kleine
Schicht junger Doppelverdiener betroffen hat. Nach wie
vor hat nämlich ein verbeamteter Staatssekretär in Nordrhein-Westfalen mit drei Kindern Anspruch auf Eigenheimzulage. Nur so viel möchte ich anhand eines konkreten Beispiels zur Frage der Einkommensgrenzen sagen.
({14})
Unstrittig ist, dass hier mittlerweile ein Rückgang zu verzeichnen ist. Es gibt aber einen Zusammenhang zwischen
dem jetzt feststellbaren Rückgang und dem früheren Anstieg, der durch Vorzieheffekte ausgelöst worden ist.
In den neuen Ländern gab es 1998 einen steilen Rückgang. Die Ursache liegt auf der Hand: Wegfall der Sonderförderung. Dies wurde damals von Ihnen mit auf den
Weg gebracht. Das hat zu einem drastischen Rückgang
geführt. Dass dieses richtig war, darüber sind wir uns im
Grunde genommen auch einig, Herr Dr. Kansy; ich habe
Sie selbst so argumentieren gehört. Es wurde in den Jahren vor 1998 nämlich nicht entsprechend dem Bedarf gebaut, da es nicht um die Erzielung langfristiger Renditen,
sondern nur um schnelle Steuervorteile ging.
({15})
Deshalb ist am Markt vorbei gebaut worden; hierdurch
sind Fehlentwicklungen verursacht worden.
({16})
Ich stelle das nur fest, ohne irgendeinen Vorwurf zu erheben.
Wir haben eine klare Perspektive: Wir wollen zum einen den Bau von Sozialwohnungen verstetigen und zum
anderen stärker auf Bestandssicherung und Qualitätsverbesserung setzen. Wir haben einiges getan: Ich erinnere
an die Förderprogramme wie das 100 000-Dächer-Programm, das Modernisierungsprogramm, das ErneuerbareEnergien-Gesetz und auch an die Reform des Mietrechts.
Zusammen genommen ergibt das einen sinnvollen Ansatz.
Lassen Sie mich zum Schluss noch eine Bemerkung
machen: Wir müssen meiner Meinung nach weg von einer
Wohnungsbaupolitik, die nur auf Fertigungszahlen schaut.
({17})
Wir müssen Wohnungsbaupolitik und Stadtentwicklungspolitik im Zusammenhang sehen. Die Frage der Qualität
von Wohnungsbeständen muss im Mittelpunkt unseres Interesses stehen.
({18})
Herr Kollege, Ihre
Redezeit ist abgelaufen.
Das gilt vor allem dann,
wenn sich unsere Wohnungsbaupolitik am Leitbild der
Nachhaltigkeit orientieren soll. Bei der Förderung von
sozialem Wohnraum haben wir hoffentlich die Gelegenheit, einen ersten Schritt gemeinsam zu gehen.
Herzlichen Dank.
({0})
Jetzt hat das Wort der
Kollege Dr. Dietmar Kansy für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Meine leicht lädierte Stimme ist tatsächlich auf eine Sommergrippe zurückzuführen und hat mit
dem Zustand des Jakob-Kaiser-Hauses absolut nichts zu
tun. Ich verbitte mir also dementsprechende Zwischenrufe.
({0})
Herr Kollege Spanier, ich fand es schon interessant,
dass Sie sich dafür entschieden haben, sich nicht in erster
Linie mit dem Wohngeld- und Mietenbericht zu beschäftigen, sondern vielmehr sehr ausführlich mit unserem Antrag. Genau das hatten wir nämlich gehofft. Den Gefallen,
diesen jetzt zurückzuziehen, werden wir Ihnen nicht tun.
Sie haben Stück für Stück die von uns in diesem Antrag
skizzierten Sachverhalte argumentativ zu widerlegen versucht. Ich meinerseits erlaube mir, gleich darauf einzugehen. Bei einer Angelegenheit haben Sie allerdings Recht:
Vielleicht sollten wir auch die Arbeit im Parlament beschleunigen, denn der Umstand, dass über den Wohngeldund Mietenbericht 1999 und die dazugehörigen Anträge
erst im Mai 2001 diskutiert wird, hat letzten Endes dazu
geführt, dass in einem dieser Anträge ein Termin steht, der
nicht mehr ganz angemessen ist. Dieser wird von mir zum
schnellstmöglichen Zeitpunkt geändert. So einfach ist
das.
({1})
Meine Damen und Herren, ich steige jetzt einmal etwas
anders ein, und zwar mit zwei guten und zwei schlechten
Nachrichten. Zuerst eine gute, wie es sich gehört: Der
Wohngeld- und Mietenbericht, um den es letztendlich in
dieser Debatte geht, ist ein eindrucksvolles Dokument einer äußerst erfolgreichen Wohnungsbaupolitik
({2})
- das tut mir sehr Leid; überlegen Sie sich zwischenzeitlich schnell etwas Neues - mit einem historischen Tiefstand der Mietindexsteigerung von 1,1 Prozent. Das ist
nicht vom Himmel gefallen, sondern Ergebnis einer konsequenten, im Wesentlichen angebotsorientierten Wohnungspolitik,
({3})
durch die wir in Spitzenzeiten bis zu 600 000 neue Wohnungen pro Jahr in Deutschland gebaut haben.
({4})
Das ist die gute Nachricht dieses Berichtes.
Die schlechte Nachricht dazu: Diese tolle Bilanz bezieht sich nicht auf die Gegenwart und auch nicht auf
diese Regierung - deswegen hat Herr Spanier den Bericht
auch nicht näher gewürdigt -, sondern im Wesentlichen
auf das Jahr 1998, wie er zu Recht gesagt hat - und ein
bisschen auf 1999 - und damit im Wesentlichen auf die
Wohnungspolitik der ehemaligen Koalition aus CDU/CSU
und F.D.P.
({5})
Wenn ich mir ausnahmsweise doch einmal eine Bemerkung zur Regierungsbank erlauben darf:
({6})
Dass dieser Bauminister Bauen als fünftes Rad am Wagen
seines Ministeriums betrachtet, ist die eine Sache. Aber
auch Baustaatssekretär Großmann taucht bei solchen Debatten jetzt nicht mehr auf. Bei allem Respekt: Für wie
wichtig Sie diese Thematik halten, kann man sehen, wenn
man auf die linke Seite schaut.
Bereits im letzten Jahr, Herr Kollege Spanier, als dieser Wohngeld- und Mietenbericht geschrieben wurde, hatten wir eine Steigerung der Bruttowarmmiete von 2 Prozent. Heute sind wir bei 4 Prozent; lesen Sie die letzten
Veröffentlichungen. Auch die Nettokaltmiete steigt wieder, wenn auch unterschiedlich in Deutschland. Gemäß
dem Marktbericht des Ringes Deutscher Makler, die übrigens heute und morgen ihre Jahrestagung haben
({7})
- in dem schönen Suhl, jawohl -, beträgt der Mietanstieg
gegenüber dem Vorjahr zurzeit bei aktuell abgeschlossenen Mietverträgen - insofern sind das alles Argumentationen, die schon wieder veraltet sind - im Altwohnungsbestand im Schnitt 2 Prozent und bei Erstbezug
von Neubauwohnungen 1,5 Prozent. In manchem süddeutschen und westdeutschen Ballungsraum geht der Anstieg bereits darüber hinaus. Deswegen gibt es nicht den
geringsten Grund, sich zufrieden zurückzulehnen und in
dem Sinne, wie Sie das getan haben, auf alles Mögliche
zu verweisen.
Aber ich habe eine zweite gute Nachricht mitgebracht.
Ich habe sie gestern in einer Pressemitteilung des Instituts
für Städtebau, Wohnungswirtschaft und Bausparwesen
gefunden; sie ist also ganz aktuell. Sie lautet: Der Wohnungsmarkt boomt. Als ich näher hinschaute, erkannte ich
allerdings, dass sich das auf Indien bezog.
({8})
Das ist die schlechte Nachricht dazu. In Deutschland
- Herr Spanier ist ja darauf eingegangen - sind die Baugenehmigungen im Januar dieses Jahres - jüngeres statistisches Material liegt leider nicht vor - gegenüber dem
Vorjahresmonat um 33 Prozent - also nicht um ein wenig - zurückgegangen. Das ist der dramatischste Einbruch
auf dem Baumarkt seit anno Tobak.
Wohnungspolitisch ist es natürlich eine schlimme Sache und nicht nur ein Schönheitsfehler, Herr Kollege
Spanier, dass die im letzten Jahr - nicht 1998 - begonnene
Trendwende im Einfamilienhausbau jetzt plötzlich zu
einem so dramatischen Rückgang geführt hat; denn mit
33,6 Prozent Rückgang der Baugenehmigungen im Einfamilienhausbau haben wir einen Einbruch zu verzeichnen, wie wir ihn in der gesamten Zeit noch nie erlebt haben.
Herr Wiesehügel - ich weiß nicht, ob er zufällig hier
ist; aber auch ich bin nicht in jeder Debatte anwesend hat uns ein Schreiben geschickt, in dem er uns auf die
schwierige Lage am Bau hingewiesen hat. Da hat er
Recht; denn allein im letzten Jahr haben wir
50 000 Arbeitsplätze verloren, im vorletzten Jahr haben
wir 50 000 Arbeitsplätze verloren und in diesem Jahr werden wir weitere 50 000 Arbeitsplätze verlieren.
({9})
Das Schreiben vom Kollegen Wiesehügel hat nur einen
Schönheitsfehler: Er schreibt nicht dazu, dass er auch
SPD-Bundestagsabgeordneter ist, dass er diese Entwicklung also mit zu verantworten hat.
({10})
Es wirft Ihnen, Herr Spanier, doch keiner vor, dass
nicht mehr 600 000 Wohnungen im Jahr gebaut werden,
wo wir nur 400 000 brauchen. Aber Sie haben die Mittel
für den sozialen Wohnungsbau seit Antritt Ihrer Regierung auf etwa ein Drittel der Summe reduziert, die noch
im letzten Regierungsjahr Helmut Kohls vorhanden war.
({11})
Sie haben zigmal an der Förderung des selbst genutzten
Wohneigentums herumgebastelt. Sie haben die Bedingungen für den frei finanzierten Wohnungsbau durch
Änderungen im Steuerrecht, im Mietrecht und in anderen
Bereichen so verschlechtert, dass sich - trotz der weit gefächerten Möglichkeiten - zurzeit niemand ermuntert
sieht, zu bauen und zu investieren.
({12})
Da hat es keinen Sinn, Krokodilstränen über arbeitslose
Bauarbeiter zu vergießen. Man muss hier in diesem Parlament die richtigen Gesetze beschließen und die richtigen Beschlüsse fassen.
({13})
Der Kollege Großmann, dessen Anwesenheit ich eigentlich erhofft hatte, hat in der letzten Debatte zu diesem
Thema im April gesagt:
Wir rechnen also damit, dass beim Eigenheimbau die
Talsohle durchschritten ist.
Der Stand damals: minus 33,6 Prozent.
Dann hat er weiter gesagt - ich zitiere -:
Wir sind fast am Ende des schmerzlichen Anpassungsprozesses.
- Er sagte, in diesem Jahr sei nur noch mit einem kleinen
Minus zu rechnen, mit einem Minus von 0,5 Prozent.
Fakt ist: Zwei Tage nach seiner Aussage hier im Deutschen Bundestag haben die wissenschaftlichen Forschungsinstitute in ihrem Frühjahrsgutachten unter der
Überschrift Keine Erholung der Bauinvestitionen für
das laufende Jahr einen weiteren Rückgang der Bauinvestitionen von 2,3 Prozent vorhergesagt. Im letzten Jahr gab
es ein Minus von 2,5 Prozent.
Wir leiden also nach wie vor daran - dieses ceterum
censeo werden Sie auch heute von mir hören -, dass es
aufgrund organisatorischer Maßnahmen, für die allein
diese Regierung verantwortlich ist, keine sichtbar langfristig abgestimmte Baupolitik mehr gibt. Da helfen auch
keine Hinweise auf Leerstände in Ostdeutschland, wenn
der Markt in Teilen von Süd- und Westdeutschland wieder zu kippen beginnt.
Wir werden in dieser Republik wahrscheinlich keinen
flächendeckenden Schweinezyklus mehr bekommen.
Aber wir werden wieder regionale Schweinezyklen - das
bedeutet auf gut Deutsch einen ständigen Wechsel von
Wohnungsüberhang und Wohnungsnachfrage - bekommen. Dies führt dann - wie wir das schon öfter mitgemacht haben - zu Mietsteigerungen in erheblichem Umfang und damit wieder zu Problemen auf dem
Wohnungsmarkt.
Meine Damen und Herren, ich kann Sie nur noch einmal auffordern, jetzt unabhängig von der Novelle der Eigentumsförderung die Beratung insbesondere hinsichtlich
der Umstrukturierung der öffentlichen Wohnungsbauförderung in dem Sinne konstruktiv zu führen, dass öffentliche Anhörungen auch tatsächlich öffentliche Anhörungen sind, dass Einwände gegen Einzelvorschläge
tatsächlich mitberaten werden und nicht so verfahren wird
wie beim Mietrecht, wo man überhaupt keine Zeit mehr
hatte, über die Einzelbestimmungen zu diskutieren.
Alle Wohnungsbaupolitiker dieses Parlaments und mit
ihnen das gesamte Parlament werden in absehbarer Zeit
mit neuen Herausforderungen konfrontiert werden. Das
Thema Ökosteuer, Herr Kollege Spanier - das will ich
doch einmal sagen -, betrifft nicht nur das Öl, sondern
auch viele andere Bereiche.
({14})
Die trotz des ausgeglichenen Wohnungsmarkts erfolgte
wahnsinnige Entwicklung der Bruttowarmmieten beruht
natürlich zum Teil auf dem dramatischen Anstieg der
Energiekosten. Das ist auch nicht von ungefähr gekommen.
Machen Sie es im Bereich der Wohnungspolitik durch
Zusammenfassung der Ressourcen, die über die ganze
Bundesrepublik verstreut sind, möglich, dass wir seitens
des Bundes wieder eine Perspektive geben können. Denn
nicht dieser Wohngeld- und Mietenbericht, sondern die
aktuelle Politik von Ihnen gibt Anlass zur Sorge. Wir erhoffen uns, dass die letzten anderthalb Jahre dieser Legislaturperiode genutzt werden, auf Bundesebene wieder
Wohnungspolitik zu machen, und zwar mit einem Minister, der sich dieses Themas auch annimmt.
Vielen Dank.
({15})
Jetzt hat die Kollegin
Franziska Eichstädt-Bohlig für Bündnis 90/Die Grünen
das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich muss sagen, dass es mich etwas irritiert, wie
die Diskussion heute hier verläuft. Denn auf der einen
Seite sind wir alle, sowohl die Oppositionsseite als auch
die Koalitionsseite, mit dem Wohngeld- und Mietenbericht relativ zufrieden; das schließt Kritik im Einzelfall
überhaupt nicht aus. Wir können feststellen, dass die
Mietsteigerungsraten insgesamt zurückgegangen sind
und dass wir in weiten Teilen einen ausgeglichenen Wohnungsmarkt haben.
Allerdings sollte man sehr deutlich sagen - da wird die
Diskussion wirklich wichtig und interessant -, dass es extreme regionale Unterschiede gibt. Wenn wir über den
Wohngeld- und Mietenbericht so diskutieren, dass wir sagen, wir seien relativ zufrieden, dann dürfen wir nicht vergessen, dass wir in München, Frankfurt und in einigen anderen Ballungsräumen enorme Probleme haben.
({0})
Da gibt es auf der einen Seite nicht nur für Haushalte mit
geringen, sondern auch teilweise für Haushalte mit mittleren Einkommen wirklich wieder so etwas wie Wohnungsnot. Ich habe große Angst, dass es dort soziale
Schichten gibt, die nicht wissen, wo sie in der nächsten
Zeit landen werden, und zwar sowohl wegen fehlenden
Wohnraums als auch wegen des Mietenlevels. Auf der
anderen Seite besteht ein Wohnungsüberschuss - diese
Diskussion haben wir hier schon oft genug geführt -, wie
wir ihn uns vor ein paar Jahren überhaupt nicht vorstellen
konnten.
Von daher bitte ich den Kollegen Kansy, endlich das
Bild des Schweinezyklus ad acta zu legen. Ich habe soeben das Gefühl gehabt, dass Sie nur darauf warten, dass
der Schweinezyklus endlich wieder zum Thema wird. Das
ist wirklich kalter Kaffee.
({1})
Es tut mir wirklich Leid, Herr Kollege Kansy: Das sind
nicht die Herausforderungen, vor denen wir stehen und
denen wir uns alle, egal, wer an der Regierung und wer in
der Opposition ist, stellen müssen. Ich werbe dafür, das
endlich einmal zu unterlassen.
({2})
Ein paar Kritikpunkte an dem Entschließungsantrag
der CDU/CSU hat Kollege Spanier schon angesprochen.
Aber über den entscheidenden haben wir alle noch viel zu
wenig diskutiert: Sie fordern in Ihrem Antrag: Mehr
Wohnungen sind der beste Mieterschutz.
({3})
Gehen Sie mit dieser Aussage einmal nach Leipzig oder
nach Görlitz. Da lachen die Hühner! In München würden
Ihnen die Menschen sagen: Was nützen uns mehr Wohnungen, wenn die Reichen die Wohnungen abgreifen und
wir nicht an die Wohnungen herankommen, weil sie für
uns nicht bezahlbar sind?
Von daher sollten Sie sich überlegen, dass Ihre Forderung zwar bis zu einer gewissen Grenze völlig richtig ist,
aber dass wir nicht mehr über die Situation von 1960 diskutieren. Von den Quantitäten her - darüber diskutieren
Sie immer - besteht ein ausgeglichenes Wohnungsangebot. Aber angesichts der Tatsachen, dass wir eine stagnierende und rückläufige Bevölkerung haben und wir
inzwischen bei einer Haushaltsdifferenzierung angekommen sind, ist der quantitative Wohnungsbedarf in
weiten Teilen unseres Landes eben nicht mehr das Problem, Herr Kollege Kansy.
Wir haben ganz andere Herausforderungen. Das sind
zum einen die regionalen Differenzierungen. Ich nenne
noch einmal auf der einen Seite die Beispiele München
und Frankfurt und auf der anderen Seite das Beispiel
Lübeck. Denn genauso wie in Lübeck entsteht in einer
Reihe von westdeutschen Regionen das Problem von
Wohnungsüberangeboten.
({4})
- Ich habe manchmal das Gefühl, Sie möchten, dass künftig pro Person nicht nur eine Wohnung geschaffen wird,
sondern dass sich die Menschen halbieren und wir pro
Person zwei Wohnungen vorsehen. Ich verstehe wirklich
nicht ganz, was Sie an manchen Stellen wollen.
({5})
Ein anderes Problem ist die soziale Differenzierung,
weil inzwischen viele Menschen auf dem Wohnungsmarkt sehr mobil sind; auch in diesem Zusammenhang
sollten wir über das bestehende Wohnungsüberangebot
ernsthaft diskutieren. Die Haushalte, die es sich leisten
können, ziehen in die besseren Wohnquartiere bzw. ins
Umland. Die soziale Segregation, die wir alle beklagen,
ist mit ein Ergebnis einer Phase, in der Wohnungsüberangebote bestehen. Deswegen bitte ich Sie, nicht immer nur
das Klischee in den Raum zu stellen, dass wir sehr viel
mehr Wohnungen brauchen, weil, wenn wir diese nicht
hätten, wir bald wieder eine große Wohnungsnot hätten.
Auch Wohnungsüberangebote und die zahlreichen Wahlmöglichkeiten der Bevölkerung, was wir im Grundsatz
alle begrüßen, bringen uns stadtentwicklungspolitische
und sozialpolitische Probleme. Deswegen müssen wir uns
diesen Problemen stellen und nicht nach quantitativen Lösungen, also nach immer mehr Wohnungen, rufen.
({6})
Von daher sind gerade die soziale Differenzierung unserer Gesellschaft, die Wahlmöglichkeiten und steigende
Wohnungsansprüche die Probleme, die wir in Zukunft lösen müssen. Denn Tatsache ist, dass im Eigentum neue
Konkurrenzen entstehen. Das können wir uns alle noch
nicht vorstellen. In Ostdeutschland lernen wir es sehr hart
und bitter.
({7})
Die Wohnungsverbände fordern ihrerseits - genau wie
Sie - immer noch mehr Neubau und wissen gar nicht, dass
sie morgen selbst die Opfer des Neubaus sind, den sie
heute fordern, weil vielfach die Bestände mit bestimmten
Neubauqualitäten nicht konkurrieren können. Das gilt für
die Spannungsfelder Innen versus Außen und Mietwohnung versus Eigentumswohnung, aber auch für bestimmte
Standards. Ich denke hier etwa an qualifizierte Freiflächen, die in bestimmten Wohngegenden angeboten werden, über die aber Bestände in den Innenstädten, etwa
Gründerzeitwohnungen, überhaupt nicht verfügen. Die
Leute verlangen jetzt eine Freifläche und ziehen dorthin,
wo es sie gibt. Das wertet die Stadtquartiere ab, aus denen
sie wegziehen. Mit dieser Differenzierung müssen wir uns
genauso wie mit der neuen Form der Eigentümerkonkurrenz auseinander setzen.
({8})
In diesem Zusammenhang ist die Forderung des Kollegen Spanier richtig. Es geht nicht mehr so sehr um ein
quantitatives Problem, sieht man von einigen Regionen
ab - das will ich überhaupt nicht abstreiten -, sondern es
geht um die Verknüpfung von stadtentwicklungspolitischen Zielen und den von mir eben geschilderten Wohnversorgungszielen. Dieser Herausforderung hat sich
diese Koalition bereits gestellt.
({9})
Zum Zweiten geht es um das Problem einer Qualifizierung der Wohnungsbestände, damit sie gegenüber
dem Neubau konkurrenzfähig sind.
({10})
- Ja, natürlich. Dafür werben wir auch.
Momentan geht es um drei Ebenen: erstens um die soziale Abfederung der Haushalte, die es nötig haben. Diesem Thema haben wir uns gestellt, indem wir zum 1. Januar mit der Wohngeldnovelle den Haushalten geholfen
haben, die mit Mietzahlungen Schwierigkeiten hatten.
Dies hatten Sie sich lange vorgenommen, ohne es auf den
Weg gebracht zu haben.
({11})
Zweitens greife ich das Thema soziale Segregation
auf: Weil wir dieses Thema erkannt haben, haben wir das
Programm Soziale Stadt auf den Weg gebracht. Hier
geht es darum, Stadtteile zu stärken, die zunehmend von
dieser Benachteiligung betroffen sind.
({12})
Drittens komme ich zur Reform des sozialen Wohnungsbaus. Wir haben sehr intensiv darüber diskutiert,
wie weit wir noch quantitative Probleme und wie weit wir
qualitative Probleme mit dem sozialen Wohnungsbau lösen müssen. Wir sind übereingekommen, dass es angesichts der Tatsache, dass weniger Haushaltsmittel zur Verfügung stehen, im Wesentlichen um eine Konzentration
der Mittel auf die Gruppen der Bedürftigen, die es wirklich brauchen, und um eine Gewichtsverlagerung vom
Neubau auf die Bestandserneuerung und Qualifizierung
des Bestandes geht, damit wir auch in Zukunft eine gewisse soziale Durchmischung gewährleisten können.
Viertens haben wir uns auch im energetischen Bereich um eine Qualifizierung des Bestandes gekümmert.
Das Altbausanierungsprogramm ist heutzutage wichtiger
als die Forderung nach mehr Wohnungsneubau, weil der
Bestand nur dann mit dem Neubau konkurrieren kann,
wenn er in Energieverbrauchsfragen zukunftssicher wird
und die Wohnnebenkosten durch gute Wärmedämmung
und durch einen guten energetischen Standard in der
Heizgeräteausstattung gesenkt werden können. Deswegen haben wir das mit 2 Milliarden DM dotierte Altbausanierungsprogramm auf den Weg gebracht. Das ist sicherlich besser, als immer nur zu jammern und mehr
Neubau zu fordern.
({13})
Bei allen anderen Fragestellungen beschränke ich mich
auf kurze Stichworte. Das 100 000-Dächer-Programm
stellt ebenfalls eine Qualifizierung dar, die man nicht nur
unter energetischen, sondern auch unter Zukunftsgesichtspunkten sehen muss, weil ein solches Haus irgendwann einen Wert bekommt, der es zukunftsfest macht.
Das Markteinführungsprogramm für Solarthermie
zeigt, dass wir auch in Fragen der aktiven Energienutzung
viel für Investitionen im Immobilienbereich getan haben.
Ein Letztes, das gerade aktuell ist: Wir wissen, dass es
über das so genannte Entnahmemodell viele Auseinandersetzungen gab, hoffen jetzt aber, dass es an diesem
Freitag definitiv in die Altersvorsorge hineinkommt. Damit sollten Sie sehr zufrieden sein; denn dies ist besser, als
hätten wir Ihre Forderung nach stärkerer Förderung der
Bausparkassen erfüllt. Da wäre viel Geld weniger effizient ausgegeben worden. Insoweit haben wir hier wieder
ein Beispiel dafür, dass wir mit knappen Mitteln sparsam
und treffsicher an die wohnungspolitische Herausforderung herangehen, die auch in der Altersvorsorge steckt.
Wir haben uns dieser Herausforderung gestellt, wenn
auch teilweise mit Schwierigkeiten und mit Ihrer Unterstützung.
In dem Sinne tut diese Koalition sehr viel, um in der
Wohnungs- und Städtebaupolitik Schritt für Schritt die
Weichen in die richtige Richtung zu stellen. Ich finde es
toll, Herr Kollege Kansy, wenn Sie dies akzeptierten, anstatt nach dem nächsten Schweinezyklus zu rufen.
({14})
Jetzt hat der Kollege
Hans-Michael Goldmann für die F.D.P.-Fraktion das
Wort.
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin ein wenig darüber irritiert, Frau Eichstädt-Bohlig, dass Sie irritiert
sind, denn eigentlich ist die Sache ganz einfach: Der
Wohngeld- und Mietenbericht von 1999 sagt schlicht und
ergreifend aus, dass die Situation im Wohnungsbau bis
zum Jahr 1998 an der einen oder anderen Stelle zwar ein
wenig schwierig, aber insgesamt super war.
({0})
Es gab jede Menge Wohnungen. Die Mieten waren niedrig.
({1})
- Das stimmt. Haben Sie denn in den Bericht hineingeguckt? - Das haben Sie wahrscheinlich nicht. Gerade für
die Menschen in den neuen Ländern war die Situation gut.
Dem Bericht ist zu entnehmen, dass sie nur 20 Prozent ihres Einkommens für Miete ausgeben mussten. Dadurch
hatten sie noch viel Geld zur Verfügung. Ebenso waren
die Mietsteigerungen gering. Es war also eine hervorragende Situation.
({2})
Wir als Freie Demokraten sind zusammen mit den
Christdemokraten und der CSU - ich zähle alle Parteien
auf; so viel Zeit muss sein - natürlich froh darüber, dass
wir dieses Angebot unterbreiten konnten. Das werden Sie
uns doch wohl nicht übel nehmen. Wir waren froh darüber, dass die Situation der Betriebe, obwohl sie damals
schon das eine oder andere Problem hatten, und die
Situation der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in
diesem Bereich gut war.
Vor zwei Tagen war ich - Herr Spanier, Sie waren leider nicht dabei - bei Vertretern der Bauindustrie Berlin/
Brandenburg. Sie haben nicht gejammert, sondern haben
mir gegenüber festgestellt, dass es bei ihnen seit sieben
Jahren bergab geht und dass sie einfach nicht mehr weiterwissen.
({3})
Besonders schlimm sei es aber erst seit 1998. Das haben
nicht nur meine Gesprächspartner gesagt. Diese Entwicklung kann jeder feststellen, der sich damit beschäftigt,
auch Sie, Herr Spanier. In dem Bericht werden schon Anzeichen genannt, wo bestimmte Probleme entstehen.
Frau Eichstädt-Bohlig, ich verstehe überhaupt nicht,
dass Sie zu einer der Kernaussagen in diesem Bericht,
nämlich zum Leerstand, der uns vor große Probleme stellen wird, kein Wort sagen. Der Leerstand ist das Problem,
vor dem die Städte in den neuen Ländern stehen, wie sie
auch immer wieder sagen.
({4})
- Frau Eichstädt-Bohlig, hören Sie mir doch bitte zu! - Im
Moment brauchen sie allerdings nicht darauf hinzuweisen, weil sie genau wissen, dass Sie keine Antwort darauf
haben. Das ist das Problem. Sie haben bis jetzt auf das,
was die Lehmann-Grube-Kommission vorgeschlagen
hat, absolut keine Lösungsansätze auf den Weg gebracht.
({5})
Ich denke, Sie sollten in diesem Punkt von der F.D.P.
lernen. Die F.D.P. - das haben Sie doch wohl gelesen - hat
ein Programm entwickelt. Mit diesem Programm will sie
zum Beispiel beim Wohngeld mehr für die neuen Länder
tun. Sie will für diejenigen in den neuen Ländern mehr
tun, die nur einige wenige Wohnungen haben. Insgesamt
will sie 1 Milliarde DM ausgeben, damit die Städte in den
neuen Ländern Konzepte entwickeln können, aus denen
sich Lösungen ergeben, die der jeweiligen individuellen
Situation vor Ort gerecht werden. Ich denke, das ist ein
glänzender Vorschlag.
({6})
Nun will ich etwas zu dem von Ihnen zum Schluss Ihrer Rede gelobten Altersvermögensgesetz sagen. Sie
wissen doch, dass das, was Sie beschlossen haben, nicht
funktioniert. Sie können ja rechnen.
({7})
Sie haben sicherlich auch die Beispiele zur Kenntnis genommen, die man dort vorgebracht hat.
({8})
- Herr Spanier, Sie sind doch für Familienpolitik. Ich
nenne als Beispiel eine Familie mit zwei Kindern; die Eltern sind 35 Jahre alt; sie nehmen für ein 300 000 DMHaus 50 000 DM auf. Das bedeutet für diese Familie bei
Auslaufen der Eigenheimzulage eine monatliche Belastung von - hören Sie nun gut zu - 1 800 DM - und das in
einer Situation, in der bei dieser Familie, wie ich hoffe, die
Kinder in Ausbildung, wenn nicht sogar in hochschulischer Ausbildung sind.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin EichstädtBohlig?
Nein, ich möchte
diesen Gedanken gerne fortführen. - Diese Belastungen
können sich diese Familien überhaupt nicht leisten. Gerade für die Schwellenhaushalte, die zur Schaffung sozialer Sicherheit Eigentum bilden sollen, ist dieses Modell
nicht geeignet. Dieses Modell ist - das will ich zugeben etwas mehr als das, was früher angedacht war. Herr
Riester wollte in diesem Bereich ja gar nichts; er hatte den
Stellenwert der Immobilie in der Altersvorsorge überhaupt nicht verstanden.
({0})
Aber das Modell, das Sie auf den Weg gebracht haben, ist
kein Modell für soziale Sicherheit, ist kein Modell für intelligente Antworten im Wohnungsbau.
({1})
Ich bin wie Sie der Meinung, dass es dort nicht mehr so
weitergehen kann wie früher. Nein, es geht darum, die
Wohnraumsituation an die sozialen Veränderungen in unserer Gesellschaft anzupassen. Es geht darum, Wohnraum
zu schaffen - zum Beispiel nach dem Schweizer Modell für Menschen, die besonders mobil sind, Wohnraum zu
schaffen für Menschen, die alleine leben oder allein erziehend sind. Insofern bin ich ja voll auf Ihrer Seite. Nur,
das Problem ist doch, dass Sie nicht bereit sind, die Signale des Berichtes - in dem Bericht wird ja durchaus dargestellt, was Sie alles tun wollen - wahrzunehmen.
Nehmen wir den sozialen Wohnungsbau: Das ist ja
nun der Witz überhaupt.
({2})
- Wir wollen ihn nicht abschaffen, wir wollen ihn effektiv gestalten, indem wir dafür sorgen, dass das Geld bei
den Menschen ankommt, die Wohnraum nachfragen.
Was machen Sie denn? - Sie legen Kriterien fest. Wenn
man das durchrechnet, dann gibt es nach Ihrem Modell
- es ist erschütternd, Frau Eichstädt-Bohlig, dass die Grünen so etwas auf den Weg bringen - pro Familie und Jahr
ganze 30 DM. Auf den Monat gerechnet ergibt das - auch
wenn ich weiß, dass dies ein etwas gewagter Vergleich ist so viel, wie derzeit ein Liter Superbenzin kostet.
({3})
Das ist Ihre Hilfe im Bereich des sozialen Wohnungsbaus
- 2,50 DM pro Monat! -, wenn die Förderung all die in
Anspruch nehmen, von denen Sie meinen, dass sie sie in
Anspruch nehmen sollten.
({4})
Sie sind in diesem Bereich schlecht. Das ärgert mich
sehr, weil sich das ein bisschen auch auf unsere gesamte
Arbeit überträgt. Mich ärgert es, dass bei dieser Debatte
weder der Minister noch ein Staatssekretär auf der Regierungsbank Platz genommen haben. Mich ärgert es, dass
die Regierung noch nicht einmal zum Wohngeld- und
Mietenbericht das Wort ergreift. Mich ärgert das, weil
man daran deutlich sieht, dass die Probleme, vor denen
wir stehen, seitens Rot-Grün und seitens der Regierung
nicht so angegangen werden, wie es nötig ist.
Ich will noch einen Punkt ansprechen, bei dem ich auf
Gemeinsamkeit hoffe. Ich bin wie Frau Eichstädt-Bohlig
und wie viele andere der Meinung, dass wir uns um das
kümmern müssen, was sich in den Städten tut. Ich weiß
nicht, ob Sie gestern den Fernsehbericht Leeres Land
gesehen haben.
({5})
- Bayern war gut, Herr Kollege, aber nach diesem Bericht
war ich bedient. Wir sollten uns mit diesem Problem beschäftigen. Ich will nur eine Zahl, die dort genannt wurde,
in den Raum stellen: In 40 Jahren wird die Bundesrepublik Deutschland nicht mehr über 80 Millionen, sondern
knapp über 50 Millionen Einwohner haben.
({6})
Da war von Städten und Dörfern die Rede, die schon heute
leer sind. Wir müssen uns mit dieser Problematik intensiv
auseinander setzen. Wir müssen, wenn wir in den Städten
Leben, Sicherheit, Kultur, Sport erhalten wollen, völlig
neue Wege gehen und wir müssen uns von einem guten
Teil dessen, was nach dem Krieg über 50 Jahre bei uns gewachsen ist, verabschieden.
({7})
- Darüber können wir ja gemeinsam reden.
Herr Kollege, Ihre
Redezeit ist abgelaufen.
Jawohl, ich höre
jetzt auf. - Was Sie, Herr Spanier, wollen, ist ja keine soziale Wohnraumförderung. Ihre Maßnahmen - ich habe es
Ihnen eben vorgerechnet - nutzen nichts. Ich bin für die
soziale Stadt. Aber wir dürfen die soziale Stadt nicht verengen auf das, was sie bis jetzt beinhaltet, sondern müssen daraus ein Modell Zukunft unserer Städte insgesamt
entwickeln. Wir werden dazu Vorschläge machen. Ich
würde mich freuen, wenn wir in dieser Frage viel Gemeinsamkeit entwickeln.
Herzlichen Dank.
({0})
Die Abgeordnete der
PDS-Fraktion hat ihre Rede zu Protokoll gegeben.1) Damit erteile ich das Wort der Kollegin Iris Gleicke für die
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die wohnungspolitische Diskussion
wird derzeit wesentlich bestimmt und überschattet vom
dramatischen Wohnungsleerstand in Ostdeutschland. Der
Bericht, den die Kommission zum wohnungswirtschaftlichen Strukturwandel in den neuen Bundesländern im
Herbst im Auftrag der Bundesregierung vorgelegt hat, ist
nicht nur in wohnungspolitischer Hinsicht ein bemerkenswertes Dokument. Der aufgeschlossene und unvoreingenommene Leser findet in diesem Bericht in weiten
Teilen eine vorzügliche Analyse der allgemeinen Lebenssituation in Ostdeutschland.
Der Leerstandsbericht macht vor allen Dingen eines
deutlich: Veränderte Lebensgewohnheiten in Verbindung
mit Wanderungsbewegungen und demographischer
Entwicklung stellen die Wohnungspolitik vor eine gewaltige Herausforderung. Und: Es ist eine gesamtdeutsche
Herausforderung.
({0})
Dabei geht es nicht nur um Geld für den Osten. Dabei
geht es keineswegs nur darum, wieder einmal die Solidarität des Westens einzufordern; denn in gar nicht so ferner
Zukunft wird es auch im Westen ein Leerstandsproblem
geben. Das bestätigen alle Experten. Die demographische
Entwicklung lässt überhaupt keine anderen Schlüsse zu.
({1})
Das Leerstandsproblem überschattet wichtige Erfolge,
die wir unterdessen erzielt haben. Ich denke dabei vor allem an die gesamtdeutsche Wohngeldnovelle, die im Januar in Kraft getreten ist.
Meine Damen und Herren von der Union, Sie schreiben in Ihrem Antrag, wir hätten die Wohngeldnovelle hinausgezögert. - Das finde ich ausgesprochen schäbig. Mir
platzt bald wirklich der Kragen. Das ist eine bodenlose
Unverschämtheit!
({2})
Sie haben in Ihrer Regierungszeit die Wohngeldnovelle
immer wieder versprochen und dann auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben. Wir haben nach dem Regierungswechsel die Wohngeldnovelle in Angriff genommen, eine solide Finanzierung gefunden und den Kreis der
Anspruchsberechtigten erheblich ausgeweitet.
({3})
Das ist die Wahrheit und nichts anderes. Anstatt unserem
Staatssekretär Achim Großmann dafür zu danken, dass er
dies durchgesetzt hat, wollen Sie die Leute für dumm verkaufen! Das lassen wir Ihnen nicht durchgehen.
({4})
Es täte Ihnen sowieso recht gut, wenn Sie sich einmal
ernsthaft mit den Problemen befassen würden. Ich habe
nichts gegen eine gelungene Polemik, aber Ihre ist wirklich grottenmäßig; das ist unterste Schublade. Was im
Osten vor sich geht, haben Sie offensichtlich überhaupt
nicht verstanden.
({5})
- Offensichtlich doch, Frau Kollegin. - Eigentlich müssten Sie wissen, dass der Leerstand unter anderem darauf
zurückzuführen ist, dass die Menschen ins Umland gezogen sind und ein Häuschen gebaut haben. Trotzdem
schreiben Sie in Ihrem Entschließungsantrag:
Der inzwischen in allen neuen Ländern zu verzeichnende Überhang an Mietwohnraum spiegelt teilweise diese Nachfrageveränderungen wider, stellt
aber vor allem Spätfolgen einer verfehlten DDRWohnungswirtschafts-, Standort- und städtischen
Planungspolitik dar.
Wissen Sie eigentlich, was Sie den Leuten damit sagen? Sie haben überhaupt keine Ahnung, wie lange man
in der DDR auf eine solche Wohnung warten musste.
({6})
Wir waren froh und glücklich, wenn wir endlich eine
Wohnung mit einer Heizung hatten. Wir waren froh und
glücklich, wenn man endlich eine Wohnung mit Bad besaß. Wir waren froh und glücklich, wenn das Klo innerhalb der Wohnung war. Wir waren stolz auf diese Wohnungen.
({7})
Wenn Sie ehrlich wären, dann müssten Sie zugeben,
dass der Leerstand auch das Ergebnis politischer Fehler
1) Anlage 2
der Nachwendezeit und einer Förderpolitik ist, die sich im
Nachhinein als teilweise verfehlt darstellt.
({8})
Aber Sie wollen sich aus der Verantwortung stehlen. Mit
den Fehlentwicklungen im Osten haben die Union und die
F.D.P. wieder einmal nichts zu tun.
({9})
Das sind bloß alles Erblasten aus der DDR-Zeit.
({10})
Wissen Sie, Sie haben wirklich einen unglaublichen
Gedächtnisverlust. Aber ich will Ihrem Gedächtnis gerne
auf die Sprünge helfen.
({11})
Als der Leerstandsbericht vorlag und wir Überlegungen
angestellt haben, wie wir das Wohnen im Bestand fördern
sowie die weitere Zersiedlung und Abwanderung vermeiden können und wie wir die Städte so attraktiv machen
können, dass die Leute dort gerne wohnen bleiben,
({12})
da haben Sie ganz locker behauptet, wir wollten die Menschen wieder in die Arbeiterschließfächer zurückschicken.
({13})
Das ist wirklich unglaublich und eine bodenlose Frechheit. Ihre ganze Wohnungspolitik im Osten hat darauf beruht, dass die Leute genau diese Wohnungen, diese Arbeiterschließfächer, kaufen sollten. Das war nämlich Sinn
und Zweck der Privatisierungsquote im AltschuldenhilfeGesetz.
({14})
Das ist Ihr politischer Stil: Sie üben keinerlei Selbstkritik.
Herr Kollege Grund, das wird auf Sie zurückfallen. Das
garantiere ich Ihnen. Wir haben das AltschuldenhilfeGesetz reformiert und novelliert. Wir haben dafür gesorgt,
dass ein Leerstandsbericht vorliegt, der die Sünden und
Irrtümer der Vergangenheit ebenso schonungslos wie differenziert offen legt.
Was wir jetzt brauchen und was jetzt kommen muss, ist
ein Stadtumbauprogramm für den Osten. Ich spreche
lieber von Stadtumbau als von Stadterneuerung, weil es
hier um wirkliche Gestaltung geht. Die Probleme sind
eben nicht nur mit Dynamit und der Abrissbirne zu lösen.
Der Abriss wird ja schon praktiziert, und von mir aus kann
man das auch Rückbau nennen, das klingt ja schon irgendwie netter. Und es geht auch nicht um eine Konjunkturspritze für die daniederliegende Bauwirtschaft oder um
eine reine Maßnahme zur Marktbereinigung zugunsten
der Wohnungsunternehmen.
Erst recht geht es nicht um ein Arbeitsbeschaffungsprogramm nach dem guten alten DDR-Motto wir bauen
auf und reißen nieder, Arbeit gibt es immer wieder.
({15})
Es geht darum, die Städte lebenswert zu machen. Wir
brauchen echte städtebauliche Konzepte; wir brauchen
den Mut, die Fantasie und die Kreativität aller, die an diesem Projekt beteiligt sind.
({16})
Wenn hässliche leer stehende Häuser abgerissen werden, wenn das Wohnumfeld sich spürbar verbessert, wenn
das alles kinder- und familienfreundlich gestaltet wird,
wenn die Leute nicht mehr so weit zur Arbeit fahren müssen, dann bedeutet das mehr Lebensqualität. Wenn dieses
Projekt gelingt, kann der Osten da auch eine echte Pilotfunktion und Vorbildfunktion übernehmen.
({17})
Ich sage es noch einmal: Auch auf den Westen kommt
in absehbarer Zeit ein Leerstandsproblem zu. Und dann
wird man auf die Erfahrungen mit dem Stadtumbauprogramm Ost zurückgreifen können.
Ich will hier noch eines klarstellen: Es wäre absolut
verheerend, wenn im Westen jetzt der Eindruck entstünde,
dass nach dem Geld für den Aufbau Ost jetzt neue Mittel
für den Abriss Ost gefordert werden. Ich höre ja schon
wieder das Gequatsche vom Milliardengrab.
({18})
Es geht hier um Investitionen in unsere gemeinsame gesamtdeutsche Zukunft. Das jetzt so reiche Bayern ist jahrzehntelang gefördert worden.
({19})
Es muss endlich damit Schluss sein, dass die Ostdeutschen immer als Bittsteller dastehen. Wir sitzen nicht
mehr hinter der Mauer und machen mit glänzenden Augen die Westpakete auf.
Danke schön.
({20})
Für die CDU/CSUFraktion hat der Kollege Eduard Oswald das Wort.
Frau Präsidentin!
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Der erstmals
von der neuen Bundesregierung vorgelegte Wohngeldund Mietenbericht ist ein eindrucksvolles Dokument einer erfolgreichen Wohnungspolitik der Vorgängerregierungen.
({0})
Deswegen sagen Sie zu dem Bericht nichts. Wenn ich
mir anschaue, wer auf der Rednerliste steht, stelle ich fest:
Auch die Bundesregierung sagt erstaunlicherweise nichts
dazu. Es ist schon merkwürdig, dass sich die Bundesregierung zu ihrem eigenen Bericht nicht äußert.
({1})
Dies ist aber auch das Eingeständnis der heutigen Regierungsfraktionen, in ihrer Oppositionszeit eine falsche Investitionspolitik betrieben zu haben.
({2})
Denn staatliche Markt- und Preisreglementierung ist das
falsche Rezept. Für uns gilt, wie Dietmar Kansy richtig
gesagt hat: Mehr Wohnungen sind der beste Mieterschutz.
Das ist unsere Position.
({3})
Frau Kollegin Gleicke, Sie haben Recht: Wir haben in
Deutschland einen differenzierten Wohnungsmarkt.
({4})
Die Leerstandsproblematik ist eine unglaubliche Herausforderung für uns alle und wir nehmen diese auch insgesamt an.
({5})
In Ballungsgebieten wird die Situation im Immobilienbereich zunehmend kritischer. Die Investitionen in den
Wohnungsbau gehen dramatisch zurück. Abzulesen ist
dies an der Zahl der fertig gestellten Wohneinheiten. Lag
sie 1997 noch bei 587 000, so sackte sie im letzten Jahr
auf nur noch 443 000 ab und im laufenden Jahr gehen die
Prognosen von nur noch 358 000 Wohnungen aus.
Der Direktor des Deutschen Mieterbundes, FranzGeorg Rips, sagt - ich zitiere -:
In Deutschland droht eine neue Wohnungsknappheit,
in Ballungsgebieten auch Wohnungsnot. Schon jetzt
fehlen rund 1 Million Wohnungen. Das wird sich in
zwei bis drei Jahren auf die Mieten auswirken. Die
Wohnungsnot wird vor allem einkommensschwache
Haushalte treffen.
- So weit der Direktor des Deutschen Mieterbundes, der
ja hier im Hause bekannt ist.
({6})
Auch beim Eigenheimbau, der in den letzten Jahren
die tragende Säule des Wohnungsbaus war, geht es nicht
mehr voran. Hier ist heuer bei den Fertigstellungen mit einem Rückgang um rund 7 Prozent zu rechnen. Trotz des
ungebrochenen Wunsches nach den eigenen vier Wänden
wird das Potenzial beim Eigenheimbau nicht ausgeschöpft. Das ist das Problem. Durch eine wachsende Wohnungsnachfrage, die auf ein immer knapper werdendes
Angebot trifft - insbesondere in Ballungsräumen, zum
Beispiel in der Landeshauptstadt München -, ist wieder
mit stärkeren Mietpreissteigerungen zu rechnen. Insbesondere Familien haben zunehmend Schwierigkeiten
- Frau Kollegin Eichstädt-Bohlig, Sie haben das richtig
analysiert -, erschwinglichen Wohnraum zu finden.
Tatsache ist: Die rot-grüne Bundesregierung hat die
steuerlichen Rahmenbedingungen so verschlechtert, dass
sich die Kapitalanleger aus dem Wohnungsbau nahezu
vollständig zurückgezogen haben. Auch die Änderungen
im Mietrecht fördern nicht gerade das Vertrauen der
Investoren. Um die negative Entwicklung umzukehren
und Investoren für diesen volkswirtschaftlich wichtigen
Sektor zurückzugewinnen, brauchen wir schnellstmöglich eine Offensive zur Verbesserung der Investitionsbedingungen bei Immobilien. Das ist eine Herausforderung
für uns.
({7})
Gerade im Geschosswohnungsbau machen sich die verschlechterten steuerlichen Rahmenbedingungen immer
stärker bemerkbar. Die Defizite der steuerlichen Rahmenbedingungen liegen insbesondere erstens in der Beschränkung der Verlustrechnung bei Vermietung und Verpachtung, zweitens in der überlangen Ausdehnung der
Spekulationsfrist bei privaten Grundstücksverkäufen von
zwei auf zehn Jahre und drittens in der Einschränkung der
Verteilungsmöglichkeit des Investitionsaufwandes für vermietete Häuser auf mehrere Jahre.
Daneben muss die Verteilung größerer Erhaltungsaufwendungen für vermietete Häuser und Wohnungen
wieder zugelassen werden. Es gilt die Grunderkenntnis:
Wenn Vermieten uninteressant wird, unterbleiben Investitionen und die Mieten steigen. An dieser Erkenntnis
kommt niemand vorbei.
({8})
Wer etwas für Mieter tun will - das will ich und das wollen wir hoffentlich alle -, muss für ausreichenden Wohnraum sorgen.
Wir brauchen eine Immobilienoffensive, mit der das
durch die Steuerpolitik der Bundesregierung beschädigte
Vertrauen von Investoren auf diesem wichtigen volkswirtschaftlichen Sektor zurückgewonnen und dauerhaft
gestärkt werden kann. Wenn schon der Staatssekretär aus
dem Bauministerium nicht da ist, sollte wenigstens ein
Staatssekretär aus dem Finanzministerium anwesend
sein.
({9})
Mit verbesserten steuerlichen Rahmenbedingungen ist einer Verknappung von Wohnraum - insbesondere in Ballungsräumen - entgegenzuwirken, die vor allem Familien
treffen würde.
Wir sind uns darin einig, dass neben dem Wohngeld,
das als allgemeines finanzielles Förderinstrument vor alEduard Oswald
lem bei der Begrenzung der Mietbelastung und bei der Erhaltung einer vorhandenen Wohnungsversorgung in Fällen von Einkommensverlusten wirksam ist, weiterhin das
Instrument des sozialen Wohnungsbaus benötigt wird.
Wir werden in der kommenden Woche eine umfangreiche
Anhörung zur Reform des sozialen Wohnungsbaus im
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen durchführen.
({10})
Für mich, Herr Kollege Schmidt, gilt: Die Wahrnehmung der Bundeskompetenz zur Reform des Rechts des
sozialen Wohnungsbaus ist nur in Verbindung mit einem
starken finanziellen Engagement des Bundes möglich.
Ansonsten kann in diesem Bereich der Bund nicht die
Wirkung entfalten, die er eigentlich entfalten müsste.
Neben dem Wohngeld und dem sozialen Wohnungsbau
ist das Mietrecht die dritte Säule der sozialen Absicherung des Wohnens. Sie haben auf diesem Gebiet durch das
neue Recht die Mieter- und Vermieterinteressen aus dem
Gleichgewicht gebracht.
({11})
- Sie sagen Quatsch. Warum hat der Bundesrat das Vorhaben dann aufgehalten?
Ihre Reform führt nicht zu einem partnerschaftlichen
Vertragsverhältnis, sondern zu mehr Streitpunkten. Wir
stehen zum sozialen Mietrecht. Wir wollen aber keine
Schlagseite, weder in die eine noch in die andere Richtung.
({12})
Kein Wohngeld- oder Mietenbericht kann ohne das
Thema der zweiten Miete, der Mietnebenkosten, erörtert werden. Eine Kommission - wir haben es heute schon
gehört - soll das Thema Kostensenkungsstrategien bei
den Wohnnebenkosten behandeln. Wir sind auf die Ergebnisse, die Sie, Herr Kollege Spanier, bereits angekündigt haben, sehr gespannt.
Ich kann Ihnen aber jetzt schon sagen, welches Ergebnis an erster Stelle der Analyse stehen wird. Sie müssen ja
nur einmal mit den Mieterinnen und Mietern reden. Sie
hören es nicht gerne: Seit Einführung der Ökosteuer, die
für den überproportionalen Anstieg der Heizöl- und Gaspreise verantwortlich ist, ist die Bundesregierung zum
Preistreiber Nummer eins bei den Wohnkosten der Mieter
und Eigentümer selbst genutzten Wohnraums geworden.
Das muss gesagt werden; was wahr ist, ist wahr.
({13})
- Wo es wehtut, wird es in diesem Haus immer laut; das
ist bekannt. Wir verfahren nach dem Grundsatz: Wo es
wehtut, muss man immer wieder draufdrücken. Insofern
werden wir Ihnen das Thema niemals ersparen können.
({14})
Ich stimme dem zu, was Sie zum Thema soziale Stadt
gesagt haben. Das ist für uns alle ein unheimlich wichtiges Thema. Es ist ja auch ein gemeinsames Bund-LänderProgramm in unserer Regierungszeit vorbereitet worden.
Ich frage die Koalition und die Bundesregierung nur, was
eigentlich aus der Initiative Pro Innenstadt geworden ist,
die die ehemalige Bundesregierung angeschoben hat. Hier
sind Sie gefordert, etwas zu tun. Sie sollten die Umsetzung
dieses Programms nicht deshalb auf die lange Bank schieben oder es in Vergessenheit geraten lassen, weil wir es initiiert haben. Frau Kollegin Mertens, hier könnten Sie etwas tun und damit sollte sich Ihr Haus befassen.
({15})
Wir brauchen also eine Offensive zur Verbesserung der
Investitionsbedingungen für Immobilien; denn Wohnungsknappheit führt zu Mietsteigerungen. Heben Sie die
Einkommensgrenzen bei der Eigenheimzulage wieder an,
damit vorhandenes Eigenkapital stärker für den Erwerb
von Wohneigentum mobilisiert wird! Dass mietfreies
Wohnen im Alter ein immer wichtigerer Baustein der individuellen Altersvorsorge wird, brauche ich hier nicht weiter zu vertiefen. Damit haben wir uns bereits in den letzten Wochen sehr intensiv beschäftigt.
Wir fordern Sie auf: Räumen Sie der Wohnungsbaupolitik, also der Politik für Mieter und Vermieter, wieder einen höheren Stellenwert in Ihrer Gesamtpolitik ein! Stellen Sie die verloren gegangene Abstimmung zwischen
Wohnungspolitik, Steuerpolitik und Mietenpolitik wieder
her und sorgen Sie für verbesserte Rahmenbedingungen
für den Wohnungsbau, damit wieder mehr investiert wird
und gerade junge Familien und einkommensschwächere
Haushalte davon profitieren!
Herzlichen Dank.
({16})
Als Letzter in dieser
Debatte erteile ich das Wort der Kollegin Gabriele
Iwersen, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine
lieben Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr
Oswald, Sie haben ja wieder schrecklich krauses Zeug erzählt. Wenn ich nur daran denke, dass Sie mit Ihrer
Immobilienoffensive die Ballungsgebiete retten wollen,
die leider keinen Baugrund und -boden mehr haben, was
sonst immer allgemein bedauert wird!
({0})
- Reden Sie nur!
({1})
Das, was Sie hervorrufen werden, ist eine aussterbende
Stadt mittlerer Größe, umgeben von einem Gürtel aus Häusern, in denen die Opfer der Scheidungsanwälte sitzen.
({2})
Der Wohngeld- und Mietenbericht gibt nicht nur Auskunft über die finanzielle Situation der Mieterhaushalte,
sondern unausgesprochen auch über die Lebensphilosophie unserer Gesellschaft. Im Vergleich zu anderen
europäischen Gesellschaften haben die privaten vier
Wände bei uns eine sehr viel größere Bedeutung. Die
Wohnung ist ein hohes Gut, das niemandem vorenthalten
werden darf, auch wenn er nur über ein geringes Einkommen verfügt bzw. ersatzweise Sozialhilfe bezieht.
Die Gegenüberstellung der Mietbelastungsquoten vor
und nach Wohngeld, auf die eigentlich niemand bis auf
Herrn Goldmann, wenn auch völlig falsch, eingegangen
ist, zeigt deutlich die familienorientierte Ausgestaltung des
Wohngeldes. Reduziert sich die Mietbelastung eines einkommensschwachen Einpersonenhaushalts durch das
Wohngeld von 44 Prozent auf 35 Prozent, so sinkt die
Quote bei einem entsprechenden Vierpersonenhaushalt
von 33 Prozent auf 24,6 Prozent. Mit Ihren 20 Prozent ist
in den einkommensschwachen Familien also sowieso
- leider - nichts zu machen. Aber man sieht, dass das
Wohngeld
({3})
- hören Sie auf, dazwischenzurufen; Sie haben lange genug geredet; das war schlimm genug für uns alle - gerade
für Familien eine erhebliche Bedeutung hat.
Bund und Länder teilen sich die Wohngeldkosten, wie
vermutlich bekannt ist, jeweils zur Hälfte. Im Jahr 1999
waren das zusammen knapp 7 Milliarden DM. Ab 2001
werden durch die Wohngeldnovelle 1,4 Milliarden DM
dazukommen. Ich erwähne das nur, falls Sie das noch
nicht mitbekommen haben sollten.
Noch immer gibt es bei der Ausstattung der Wohnungen in Bezug auf Heizung, sanitäre Anlagen und die für
die Wirtschaftlichkeit so wichtige Wärmedämmung der
Außenhaut - Frau Eichstädt-Bohlig hatte das schon erwähnt - ein erhebliches Qualitätsgefälle. Das heißt, es ist
noch viel zu tun. Es besteht kein Zweifel: Die Kosten für
das Billigsegment des Wohnungsmarktes werden weiter
steigen.
Ist das so gewollt?, wird vielleicht der eine oder andere fragen. Ja, es ist gewollt. Weil das so ist, musste das
Wohngeld angehoben werden. Wir wollen die Lebenssituation besonders in unseren Städten so gestalten und
auch immer wieder dahin gehend anpassen, dass sie unserem Ziel der Chancengleichheit gerecht wird.
Die Wohnung ist für den Menschen die dritte Haut, sie
schützt vor Unbilden der Witterung und vor sonstigen Gefahren. Sie ist Mittelpunkt eines Lebensraumes, in dem
der Mensch seine Wurzeln Jahr für Jahr weiter schlägt.
Wohngeld hilft, diese Bezüge zu erhalten, auch in Zeiten
finanzieller Engpässe. Dabei muss in Zukunft noch stärker darauf geachtet werden, dass sich die Chancengleichheit, besonders für Familien mit Kindern, nicht nur an der
Ausstattung, sondern auch am Umfeld festmacht. Der Lebensraum Stadt oder auch Dorf ist die prägende Kraft, die
zur Identität eines Ortes führt, die seine Bewohner fesselt.
Dies im positiven Sinne zu ermöglichen ist Aufgabe des
Wohngeldes.
Das genügt aber nicht. Die Idee der sozialen Stadt ist
die notwendige Ergänzung. Sie soll zunächst soziale
Brennpunkte entschärfen und auf weitere Sicht verhindern. Die Wohnquartiere müssen für ihre Bewohner lebenswert bleiben; sie dürfen daher nicht allzu stark verfremdet werden. Wir alle wissen sehr genau, dass Städte
lebendig sind und sich ständig verändern.
Das Stichwort sozialer Wohnungsbau ist bei diesem
Thema natürlich nahe liegend. Die Zeiten sind vorbei, als
möglichst viele gleichwertige Wohnungen nach starren
Förderrichtlinien in Erfüllung der Vorgaben von Bebauungsplänen entstanden, in der Hoffnung, dass Gleiches
auch gleich glücklich macht. Der erste Förderweg ist einfach überholt; unsere Bemühungen um ein neues Recht
für den sozialen Wohnungsbau sind angemessen.
Wir haben jetzt andere wichtige Aufgaben wahrzunehmen. Rettet die Städte jetzt, das war Ende der
70er-Jahre einmal das Motto eines Deutschen Städtetages.
Auch 20 Jahre später ist dieses Motto noch immer von Bedeutung. Wir sollten nicht davor zurückschrecken, verstärkt Förderprogramme zu entwickeln, um den Leerstand
von Wohnungen in den Kernstädten - nicht nur im Osten - abzubauen, durch Umbau, Veränderung von Grundrissen, Zusammenlegung kleinster Wohnungen usw.
({4})
Besonders für einkommensschwache Haushalte kann ein
Balkon ein kleines Paradies sein.
Die Großstädte werden langsam, aber sicher immer
leerer und man fragt sich, warum. Vielleicht liegt es an der
Konzentration des Einzelhandels, der die fußläufige Versorgung der angestammten Wohnquartiere leider längst
aufgegeben hat und den Einsatz des Autos ohnehin erzwingt. Vielleicht liegt es aber auch an dem zu billigen
Sprit, was jeder Familie unbegrenzte Mobilität vorgaukelt. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass wir unsere
Wohnverhältnisse nur noch in Zahlen ausdrücken - die
meisten Beiträge dieser Debatte bestätigen das -: in Gewinn und Verlust, natürlich immer auf ein ganzes Menschenleben gerechnet. Vielleicht ist eine Ehe schon nach
sieben Jahren kaputt, die Schulden für ein Haus sind möglicherweise noch nicht abbezahlt - aber man hat dem Staat
wenigstens nichts geschenkt, siehe Eigenheimzulage.
Vielleicht ist das Wohnquartier mit einer gesunden Mischung an Wohnungen, wie sie in den letzten 100 Jahren
und mehr erbaut worden sind, die Lösung, die es sinnvoll
erscheinen lässt, Wurzeln zu schlagen.
Sozialromantik werden Sie vielleicht sagen. Darauf
antworte ich Ihnen: Politiker sollten keine reinen Buchhalter sein. Das bringt unsere Gesellschaft nicht weiter.
Wir brauchen auch Menschen, die die Entwicklung unserer Gesellschaft mit einigem Optimismus begleiten und
die bereit sind, zu gestalten, statt nur zu verwalten. Stadtentwicklung als gesellschaftspolitische Aufgabe gehört zu
den wichtigsten hoheitlichen Aufgaben der Gemeinde. Wir
reden zwar immer von der Planungshoheit der Kommune;
dies darf sich aber nicht in der Ausweisung neuer Baugebiete erschöpfen, Hauptsache die Einwohnerzahl steigt.
Die Idee der sozialen Stadt darf nicht nur ein Krisenmanagement darstellen; vielmehr soll der Begriff soziale
Stadt Motto für die Stadt sein, in der wir - alle zusammen, mit und ohne Wohngeld - leben.
Schönen Dank.
({5})
Ich schließe die Aus-
sprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen auf Drucksa-
che 14/4705. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner
Beschlussempfehlung, den Wohngeld- und Mietenbericht
1999 der Bundesregierung auf Drucksache 14/3070 zur
Kenntnis zu nehmen. Ich denke, dass Sie das alle gerne
wollen.
Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschluss-
empfehlung, den Entschließungsantrag der Fraktion der
CDU/CSU zum Wohngeld- und Mietenbericht 1999 ab-
zulehnen, Drucksache 14/4248. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? - Die Gegenprobe! - Wer enthält
sich? - Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b sowie
Zusatzpunkt 4 auf.
6. a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({0})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Eduard Lintner,
Dirk Fischer ({1}), Dr.-Ing. Dietmar Kansy,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Bahnreform 2 - Neuer Schwung für die Bahn
- zu dem Antrag der Abgeordneten Horst Friedrich
({2}), Hans-Michael Goldmann, Dr.
Karlheinz Guttmacher, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion F.D.P.
Bahnreform fortsetzen, Schienenverkehr stärken - vom Staatsbahnmonopol zum europäischen Wettbewerb um den Eisenbahnkunden
- Drucksachen 14/2691, 14/2781, 14/5952 Berichterstattung:
Abgeordnete Karin Rehbock-Zureich
Albert Schmidt ({3})
Horst Friedrich ({4})
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang
Dehnel, Bernward Müller ({5}), Dirk Fischer
({6}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Ausbau des Mitte-Deutschland-Schienenverkehrsnetzes konsequent vorantreiben
- Drucksache 14/5756 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({7})
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Haushaltsausschuss
ZP 4 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({8}) zu dem Antrag der
Abgeordneten Dr. Winfried Wolf, Eva BullingSchröter, Uwe Hiksch, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der PDS
Bürgerbahn statt Börsenbahn
- Drucksachen 14/3784, 14/5953 Berichterstattung:
Abgeordneter Eduard Lintner
Alle Ausschussmitglieder können gleich sitzen bleiben;
das ist praktisch.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch; dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort Herrn
Eduard Lintner für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin!
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Das Kapitel
Bahn gerät der Regierungskoalition immer mehr zu einer
grotesken Veranstaltung; denn ein Ende dieses Hin und
Her, das wir seit Beginn dieser Legislaturperiode erleben,
ist überhaupt nicht in Sicht. Die Ungewissheit über die
wichtigen Rahmenbedingungen und politischen Vorgaben
hält unverändert an. Obwohl die oberen Manager geradezu beschwörend von der Regierung immer wieder verbindliche Zusagen über das Jahr 2003 hinaus verlangen,
werden ihnen diese Zusagen und diese Sicherheit hartnäckig verweigert.
({0})
Da braucht man sich nicht zu wundern: Das macht es
dem Bahnvorstand natürlich auch objektiv unmöglich,
eine seriöse mittelfristige Investitionsplanung vorzulegen. Gerade eine solche ist höchst dringlich, und zwar
nach innen wie nach außen - nach innen, um den malträtierten Eisenbahnern endlich wieder Halt für die zum unternehmerischen Erfolg ja unentbehrliche persönliche
emotionale Identifikation mit der eigenen Firma zu bieten, und nach außen, um Kunden und Planer in die Lage
zu versetzen, sich auf die künftigen infrastrukturellen Gegebenheiten bzw. auf die erforderlichen planerischen Kapazitäten einzustellen.
Diese hartnäckige Kurzatmigkeit der Bundesregierung
zwingt die Bahnführung, sich mit ständigem Stopfen von
immer neu auftauchenden Finanzlöchern zu verausgaben.
So wird man die Ziele der 1994 so dynamisch begonnen
Bahnreform nie erreichen. Eine besonders wichtige Zielmarke dieser Reform haben die Bundesregierung und der
Bahnvorstand ja auch schon längst aufgegeben, nämlich
die eigentlich für 2004 angestrebte Kapitalmarktfähigkeit, also den Gang an die Börse.
Erinnern wir uns kurz an den Ausgangspunkt für die
rot-grüne Koalition im Jahr 1998. Die Bahn war in eine
Aktiengesellschaft überführt, sie war entschuldet und
die renten- und pensionsrechtlichen Verpflichtungen waren neutralisiert worden. Die jährlichen Zuwendungen
wurden für einen Zeitraum von zehn Jahren beziffert und
zugesagt und sie waren im Ergebnis immer so hoch, wie
die Bahn sie tatsächlich auch abarbeiten konnte.
({1})
Mehr zu geben machte keinen Sinn, wie sich zeigte, weil
die Bahn offenbar bis heute nicht imstande ist, mehr als
6 bis 7 Milliarden DM jährlich zu investieren.
({2})
Das hat sich erst im letzten Jahr gezeigt, als Sie ja auch
verschämt zugeben mussten, dass die Bahn wieder um
1,1 Milliarden DM, die an sich zur Verfügung standen,
nicht ausgeben konnte. Alles wie gehabt; das gab es auch
zu unserer Zeit leider schon.
Herr Schmidt, daran ändert auch der Aufsichtsrat, dem
Sie angehören, nichts.
({3})
- Weil wir meinen, dass Sie bei dem Bau von Neubaustrecken sehr wohl noch mehr Geld ausgeben könnten.
({4})
Das würde auch Sinn machen. Aber Sie stehen sich ideologisch selber im Weg. Sie haben da eine Blockade, die
ich eigentlich nur als ideologische Borniertheit bezeichnen kann.
({5})
Diese Selbstblockade ist deshalb so besonders
schmerzlich, weil ja gerade der schnelle ICE-Verkehr ein
echtes Erfolgskapitel der Bahnpolitik ist.
({6})
Damit sind wirklich viele Menschen - Geschäftsreisende,
Fernpendler und auch Fluggäste - für die Bahn zurückgewonnen worden, was wir alle wollen. Denken Sie nur - im
Ausschuss ist es am Mittwoch erwähnt worden - an die
sehr erfolgreiche Sprinter-Verbindung zwischen Frankfurt und Berlin. Das ist doch ein Erfolgsmodell. Sie könnten beispielsweise 2 Milliarden DM für die Strecke Nürnberg-Erfurt ausgeben.
({7})
Aber das wollen Sie nicht, weil Sie einer grünen romantischen Ideologie anhängen.
Das Bahnnetz muss weiter ergänzt werden. Für Neubaustrecken besteht durchaus Bedarf. Herr Schmidt, die
bloße Ertüchtigung des vorhandenen Netzes auf eine Geschwindigkeit von etwa 160 Stundenkilometern reicht
nicht aus, um den gewünschten Effekt zu erzielen, nämlich mehr Kunden für die Bahn zu gewinnen. Dafür sind
die erreichbaren Fahrzeitverkürzungen einfach nicht attraktiv genug.
Sie sind aber andererseits bereit - das ist zu beklagen -,
Hunderte von Millionen DM für die Ertüchtigung von
Strecken auszugeben, die Ihnen aber diesen großen Kundenansturm nicht bescheren werden,
({8})
weil dafür die erreichbaren Verbesserungen nicht ausreichen. Denken Sie beispielsweise an die Strecke von Bamberg über Lichtenfels in Richtung Chemnitz. Sie wollen
etliche Summen in diese Strecke investieren.
({9})
Aber jeder, der die Topographie kennt, sagt heute, dass auf
dieser Strecke keine attraktiven Fahrzeiten erzielt werden
können.
({10})
Ich habe dieses Beispiel nur deshalb erwähnt, weil es
für die Eisenbahnphilosophie der rot-grünen Koalition
so typisch ist, siehe Kritik an der Neubaustrecke
Köln-Frankfurt, siehe Ihre Verweigerungshaltung gegenüber dem Transrapid. Kurioserweise wollen Sie im
Ruhrgebiet für den Bau des Transrapid als bessere SBahn-Verbindung 1 Milliarde DM mehr ausgeben als für
die Strecke Hamburg-Berlin, für die Ihnen schon 6,3 Milliarden DM zu viel waren.
({11})
Wer dies auf die Reihe bekommen will, der muss schon
bei Ihnen Mathematik gelernt haben.
Ich denke auch an den zähen Widerstand, den Sie bei
der Verbesserung der Strecke von Stuttgart nach München
über Ulm geleistet haben. Erst ein nicht mehr auszuschlagendes Vorfinanzierungsangebot der Länder Bayern und
Baden-Württemberg hat es Ihnen unmöglich gemacht,
Ihre Vorurteile gegen schnelle Bahnverbindungen auszuleben.
Die rot-grüne Verkehrspolitik kann deshalb nur als eine
Chronik gebrochener Versprechen und enttäuschter Hoffnungen bezeichnet werden. Ich erlebe, dass in den Wahlkreisen vor Ort - der Kollege Fell ist anwesend - der
eigenen Wählerklientel versprochen wird, den Schienenverkehr ohne Rücksicht auf die tatsächliche Nachfrage zu
erweitern. Heute müssen Sie aber scheibchenweise einräumen, dass genau das Gegenteil geschieht.
Tatsache ist nämlich, dass beispielsweise der Interregio-Verkehr weitgehend eingestellt werden wird. Ich
habe per Zufall einen Fahrplanentwurf für das Jahr 2003,
also einen Entwurf für den übernächsten Fahrplan, gesehen. Ich kann Ihnen sagen, dass darin überhaupt kein Interregio mehr vorgesehen ist.
({12})
Obwohl wir wissen, dass zum Beispiel die Direktverbindungen das Attraktivste aus der Sicht der Bahnkunden
sind, sollen diese Direktverbindungen zerschlagen und ersetzt werden durch eine Abfolge von regionalen Eilzügen,
die ein dauerndes Umsteigen erforderlich machen.
Herr Mehdorn will ja allein heuer 31 Millionen Zugkilometer im Personenverkehr stilllegen.
({13})
Herr Schmidt, weitere 17 Millionen Kilometer erklärt er
ausdrücklich als aufgabewürdig. Auch der gesetzlichen
Konkretisierung der im Art. 87 e Abs. 4 des Grundgesetzes festgelegten Bedienungspflicht, gemäß einem Gesetzentwurf der Länder Bayern und Baden-Württemberg,
wollen Sie nicht näher treten. So ausdrücklich die Auskunft des Herrn Bodewig - ich wundere mich ohnehin,
wo er heute ist - bei der Ausschusssitzung. Der Mietenbericht ist immerhin wichtig genug, dass der Minister
höchstpersönlich hier gewesen wäre. Ich meine jetzt gar
nicht unser Thema. Aber offensichtlich rangieren bei dem
Zustand dieses Ministeriums Bauen und Mieten nur unter
ferner liefen.
Jetzt zurück zum Thema. Es steht im Grundgesetz ausdrücklich auch der Satz: Das Nähere wird durch Bundesgesetz geregelt. Dieser Verantwortung verweigern
Sie sich nachdrücklich.
Ich will jetzt auf den Regionalverkehr nicht weiter eingehen, aber eines will ich doch noch ansprechen: Jetzt
kommt der Güterverkehr an die Reihe, nachdem wir immer wieder von Einschränkungen im Personenverkehr
Kenntnis nehmen mussten. Dem Güterverkehr droht
überhaupt der totale Kahlschlag. Die Bahn AG zieht sich
praktisch aus der Fläche zurück. Dort sollen Private eintreten, sofern es die überhaupt gibt. Es kommt zu dem von
Ihnen immer wieder so lauthals dementierten Rückzug
aus der Fläche, es kommt eben zur Schrumpfbahn, und
das unter rot-grüner Federführung. Wer hätte das gedacht,
kann ich da nur hinzufügen.
({14})
Praktisch, gibt die Bahn damit auch die wachstumsträchtigste Güterverkehrssparte, nämlich den kombinierten Ladeverkehr, auf;
({15})
die drastische Reduzierung der Güterverkehrsannahmestellen im ganzen Land und die Kappung Tausender von
Gleisanschlüssen in Betrieben lässt das deutlich werden.
Diese Wählertäuschung zu verhindern oder zumindest
deutlich zu machen ist ja nicht zuletzt unser Anliegen, indem wir einfach der Bahnpolitik dieser Bundesregierung
ständig eine hohe Aufmerksamkeit widmen.
Auch der Plan - die überwiegende Zahl der Sachverständigen bejaht ihn -, Netz und Betrieb endlich voneinander zu trennen, droht wieder in einem Arbeitskreis
versenkt zu werden; denn ich höre heute, dass die ursprüngliche Zielsetzung, diese Taskforce solle bis zum
September ihren Vorschlag vorlegen, korrigiert worden
ist. Jetzt spricht man von Ende dieses Jahres. Wer weiß,
dass Ende dieses Jahres der Wahlkampf voll ausgebrochen ist, weiß auch, dass damit eigentlich schon für diese
Legislaturperiode dieses höchst wichtige Vorhaben von
Ihnen praktisch beerdigt worden ist. Damit ist Ihr dritter
Verkehrsminister innerhalb einer Legislaturperiode in einem ganz wichtigen Bereich gescheitert. Das kann man
heute schon feststellen.
({16})
Es wäre auch interessant, auf Ihre Ankündigung in Sachen Europa hinzuweisen. Sie treten immer mit starken
Worten auf Verkehrsministerkonferenzen auf und müssen
hinterher kleinlaut eingestehen, nichts erreicht zu haben.
Am Mittwoch haben wir doch den blamablen Vorfall im
Ausschuss zur Kenntnis nehmen müssen, dass Sie ausdrücklich einem französischen Vorhaben zu weiteren Verbilligungen in Sachen Benzin zugestimmt haben. Das
heißt, Sie haben den Wettbewerbsnachteil noch vergrößert. Wir wissen ja, dass die Franzosen durch das konsequente Schützen ihres Monopols ihre Eisenbahn dazu
befähigen, in unseren deutschen Revieren zu wildern.
Ganze Nahverkehrssysteme sind ja mittlerweile von den
Franzosen gekauft worden.
Wenn man sich das alles vor Augen hält, dann hat man
schon den Eindruck, dass die Beteuerungen, die Sie in
Wahlkämpfen draußen im Land immer wieder verkündet
haben, die Bahn sei Ihre besondere Sorge, Sie wollten sich
besonders darum kümmern, für mehr Verkehr und für bessere Ausstattung sorgen, nichts mit dem zu tun haben, was
Sie jetzt in der Regierung tatsächlich vollbringen. Ich
kann nur sagen: Solange Sie Ihre Hausaufgaben so miserabel erledigen, wie das derzeit der Fall ist, werden wir
auch keine Ruhe geben und immer wieder solche Debatten fordern, wie wir sie heute haben.
({17})
Ich erteile das Wort
der Kollegin Karin Rehbock-Zureich für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werter Kollege Lintner,
ich möchte auf die Hausaufgaben zurückkommen, wie Sie
zum Schluss gesagt haben. Wenn Sie in Ihrer 16-jährigen
Regierungszeit die Hausaufgaben gemacht hätten, dann
stünden wir nicht an diesem Punkt, an dem wir heute stehen.
({0})
Hausaufgaben müssen noch bei der Investitionsplanung gemacht werden. Ich muss einfach noch einmal darauf hinweisen, dass Sie hier schlichtweg die Unwahrheit
sagen. Sie haben in den 16 Jahren Ihrer Regierungszeit die
Investitionen für die Bahn von angedachten 10 Milliarden DM pro Jahr auf 5,7 Milliarden DM im Jahr 1998 heruntergefahren.
({1})
Sie wollen uns doch wohl nicht erklären, wie wir die Hausaufgaben zu machen haben. Diese schlecht bzw. nicht gemachten Hausaufgaben aus Ihrer Regierungszeit werden
wir uns sicherlich nicht zum Vorbild nehmen.
({2})
Deswegen haben wir zu Beginn unserer Regierungszeit die
Investitionsmittel sofort erhöht. Im Jahre 1999 haben wir die
Investitionsmittel von 5,7 Milliarden DM auf rund 7 Milliarden DM hochgefahren. Dies ist eine großartige Leistung.
Heute sind wir in der Lage, Mittel in einer Größenordnung
von 8,8 Milliarden DM für die Bahn einzusetzen, so wie es
bei der Bahnreform angedacht war. Ich glaube, dass diese
Zahl allein schon dafür spricht, dass wir ein Interesse daran
haben, den Verkehrsträger Schiene voranzubringen.
({3})
Wir haben neben der Erhöhung der Investitionsmittel
auch erste Schritte unternommen, um die Rahmenbedingungen für die Bahn zu verbessern.
({4})
Verbessert wurden die Rahmenbedingungen für die Bahn
zum einen durch eine Übereinkunft in Europa. Ich
möchte dies aufgreifen: Es gab noch nie gleiche Rahmenbedingungen in Europa für Nutzung und Zugang. Durch
das unter Federführung Deutschlands zustande gekommene Infrastrukturpaket konnte dieses Ziel auf europäischer Ebene ein Stück weit verwirklicht werden. Mit einer entfernungsabhängigen LKW-Maut schaffen wir zum
anderen gleichwertige Chancen für die Verkehrsträger.
Von der Verwirklichung einer Chancengleichheit für die
Verkehrsträger waren Sie weit entfernt.
Dass Sie die Mittel für die Bahn und den Schienenverkehr in Ihren Haushalten zurückgefahren und somit Ihre
Hausaufgaben nicht gemacht haben, ist eigentlich der
traurigste Punkt Ihrer Bilanz. Es ist auch eine Irreführung
- das empfinde ich als eine bodenlose Frechheit -, wenn
Sie sich hier hinstellen und sagen, wir würden nicht dafür
sorgen, dass Investitionen für die Bahn gleichmäßig und
vorausschauend in einem bestimmten Zeitraum getätigt
werden.
({5})
Wir haben bis zum Jahr 2003 und noch bis ins Jahr 2004
hinein 6 Milliarden DM zusätzlich zu den Investitionsmitteln für die Modernisierung des Schienennetzes zur
Verfügung gestellt. Dies ist für die Bahn von grundsätzlicher Bedeutung.
({6})
Diese Bilanz müssten Sie erst einmal aufweisen, bevor
Sie sich hier hinstellen und solche Reden schwingen können.
Wir haben die Investitionsmittel wesentlich erhöht.
Wir gehen davon aus, dass über die Jahre 2003 und 2004
hinaus diese Investitionsmittel abgesichert sind, denn die
Modernisierung, die die Bahn heute beim Netz beginnt,
wird natürlich weiter geführt. Wir als SPD-Fraktion sind
uns sehr wohl darin einig, dass dies die Voraussetzung für
eine Weiterentwicklung der Bahn ist.
Ich komme auf die Regionalverkehre zu sprechen:
Sie, Herr Lintner, wissen ganz genau, dass jedes Jahr Mittel in einer Größenordnung von 13,5 Milliarden DM an
die Länder gehen. Wir sind bereit, diese Mittel weiterhin
zu dynamisieren, wollen aber erkennen und transparenter
machen, ob und wo diese Mittel in ihrer Gesamtheit sachgerecht eingesetzt werden.
Folgendes ist uns, gerade bei der Diskussion der Güterverkehre in der Fläche, ein wichtiges Anliegen: Wenn
die DB Cargo feststellt, dass sie gewisse Relationen nicht
mehr bedienen will, dass sich gewisse Güterverkehrsstellen nicht mehr lohnen, dann werden wir als SPD-Fraktion
darauf achten, dass diese privaten Bahnen angeboten
werden, dass dies Kunden frühzeitig mitgeteilt wird, damit in den Regionen die Chance besteht, gemeinsam mit
den Bahnen und den Kunden eine Diskussion zu entfachen, um Verkehre, die von der DB Cargo nicht mehr bedient werden sollen, weiter aufrechtzuerhalten.
({7})
Wir werden die DB Cargo hier beim Wort nehmen. Ich
zitiere sie:
DB Cargo und DB Netz wollen alles unternehmen,
um alternative Betreiber zu finden und die Weiterbedienung von Güterverkehrsstellen durch enge Kooperation mit privaten Bahnen zu ermöglichen.
Herr Mehdorn hat mir geschrieben: Zurzeit sind wir dabei, mit jedem einzelnen Kunden, den Ländern und Kommunen über diese Vorhaben zu reden. Die Ergebnisse dieser Gespräche werden die zukünftige Gestalt des
Konzeptes vorgeben. - Wir nehmen die DB Cargo hier
beim Wort. Wir haben ein Interesse an weiterem Güterverkehr in der Fläche.
Unsere Gesetzgebung enthält schon jetzt das, was im
Bundeskabinett verabschiedet wurde und was von unserer Fraktion sicherlich noch verändert, verstärkt werden
wird: Der Zugang zum Netz muss gesichert sein, muss
diskriminierungsfrei für alle möglich sein. Das heißt, wir
brauchen eine Verbesserung des AEG, des Allgemeinen
Eisenbahngesetzes, die dies gewährleistet und das Eisenbahn-Bundesamt in die Lage versetzt, hier zu kontrollieren und Diskriminierungen auf Zuruf zu beseitigen.
({8})
Die Unabhängigkeit des Netzes wird ein weiterer
Punkt sein. Herr Lintner, Sie sagen hämisch, wir würden
dieses Thema in einen Arbeitskreis abschieben. Die Diskussion unter den Ländern, die die Unabhängigkeit des
Netzes infrage stellen, zeigt, wie schwierig dieses Thema
ist. Sie haben immer vorgeschlagen: Trennung des Netzes
vom Betrieb - basta, erledigt. Es wird nun die Aufgabe einer Arbeitsgruppe sein, sorgfältig zu bewerten, wie wir
die Unabhängigkeit des Netzes erreichen können.
({9})
Wir sind nämlich in einer Situation, in der wir uns keinen
Fehler erlauben können. Wir wollen weder eine Situation
wie die in den englischen Netzen, noch haben wir ein Vorbild.
Wir haben alle diese Dinge nicht mit dem Ziel in Gang
gesetzt, an die Börse zu gehen. Die Börsenfähigkeit war
nie ein Ziel der Bahnreform. Das Ziel der Bahnreform war
immer, mehr Verkehr auf die Schiene zu bringen. Wenn
Sie in Ihren 16 Jahren diese Schritte so vollzogen hätten
wie wir in den zwei Jahren, in denen wir an der Regierung
sind, dann stünde die Bahn anders da und wir müssten
nicht diskutieren. Das haben Sie mit verursacht.
Vielen Dank.
({10})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Horst Friedrich, F.D.P.-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegin
Karin Rehbock-Zureich, ich weiß nicht, ob es mir die Tränen vor Freude über Ihr kurzes Gedächtnis in die Augen
treibt oder darüber, dass Sie weiterhin keine Argumente
haben, als immer zu wiederholen: Wenn Sie in Ihren
16 Jahren anders gehandelt hätten! - Offensichtlich haben
Sie vergessen, wer eigentlich im Vorfeld der Bahnreform
von 1994 gravierende Reformschritte bei der Bahn verhindert hat. Das waren doch Sie mit Ihrer Ländermehrheit! Sie haben doch immer alles verhindert!
({0})
Die Probleme, die wir bei der Bahnreform jetzt noch haben, haben wir Ihren Verhandlungsführern bei der Bahnreform 1994 zu verdanken. Die Probleme, die wir mit
dem Netz jetzt haben, haben Sie in die Reform hineinverhandelt. Wir mussten darauf eingehen damit das Grundgesetz überhaupt geändert werden konnte. Das ist doch
die Realität. Kommen Sie doch nicht daher und erzählen
die Story vom Pferd!
({1})
Wenn Sie wirklich der Meinung sind, dass wir schneller hätten sein sollen: Was hindert Sie dann daran, jetzt unseren Antrag auf Trennung von Netz und Betrieb anzunehmen? Herr Bodewig stellte sich auf dem Parteitag der
Grünen hin und erklärte: Das ist überhaupt keine Frage
mehr, das Netz wird abgetrennt, es geht nur noch um die
Frage, wie man das macht. Zwei Tage später erklärte er
dann aber wieder: So ganz ernst habe ich das nicht gemeint. Dies hat er gesagt, weil Herr Mehdorn den Finger
gehoben und ihm gesagt hat: Mein lieber Herr Minister,
das darfst du aber nicht öffentlich sagen. Er zieht also wieder zurück. Es passiert dann genau das, was ich schon einmal kritisiert habe, nämlich dass er sich den Bahnchef in
den Arbeitskreis holt. Aber Herr Mehdorn denkt überhaupt nicht daran, seine Monopolstellung beim Netz aufzugeben. Er wäre aus seiner Sicht auch mit dem Klammerbeutel gepudert, wenn er es machen würde.
Mich wundert aber eines: Auf allen Strecken, auf denen die Bahn nicht mehr aktiv ist, weil sie daran kein Interesse mehr hat, findet man ab und zu kleine Bahnen, die
nicht Teil der mehdornschen Privatisierung sind. Denn die
Gründung einer privaten GmbH, bei der die Bahn sagt,
wie das Geschäft funktioniert, ist keine Privatisierung.
Denn hier möchte Herr Mehdorn auch bestimmen. Genau
das will ich eigentlich nicht. Aber auf all den Strecken, wo
sich private Unternehmer auf Risiko beteiligen und Schienenverkehr ausüben, klappt es auf einmal, und zwar selbst
dort, wo es die Bahn vorher nicht geschafft hat. Die verdienen sogar Geld damit. Also liegt es nicht zwingend an
der Schiene und am System, sondern offensichtlich am
Management und an der Logistik. Dies scheint bei der
Bahn nicht so zu funktionieren.
({2})
Wie sieht also das Ergebnis aus? Fangen wir doch einmal an, den Initiatoren und Unternehmern, die sich an
dem Geschäft beteiligen wollen, Planungssicherheit zu
geben, indem wir ihnen zusagen,
({3})
dass wir das Netz herauslösen und auch nicht mehr die
Bahn definieren lassen, wer wann wie zu welchen Bedingungen der Bahn Konkurrenz macht. Dann gibt es auf der
Schiene genauso wie auf der Straße, in der Luft und bei
anderen Verkehrsträgern Konkurrenz. Dann werden wir
endlich sehen, dass die Logistik funktioniert. Das ist der
eigentliche Sinn unseres Antrags.
({4})
Wenn Sie all das, was Sie gerade hier gesagt haben,
auch tatsächlich meinen,
({5})
müssten Sie jetzt eigentlich zustimmen. Nun werfen Sie
doch einmal im Gegensatz zu Ihrem Verhalten bei der Abstimmung im Ausschuss Ihr Herz über die Hürden und
stimmen Sie dem Antrag zu! Wir verlangen nicht, dass die
Trennung morgen erfolgen soll. Wir fordern lediglich die
konsequente Umsetzung. Sie wollen mittlerweile nur
noch das Verschieben auf die Zeit nach der nächsten Bundestagswahl.
({6})
Genau das ist das Problem.
Alles, was Sie bisher bei der Bahn neben einigen Verbesserungen, der Umwandlung von Darlehen in verlorene
Zuschüsse, was den Steuerzahler wieder etwas mehr Geld
kostet, neben der Übertragung von einem Haushalt in einen anderen, weil die Bahn erkennbar nicht in der Lage
ist, Gelder zeitgerecht auszugeben, gemacht haben, ist eigentlich nur das Verteilen von Lizenzversteigerungserlösen und das Umsetzen von Beschlüssen, die nicht Sie,
sondern noch wir gefasst haben. Auch da ging bei Ihnen
eigentlich die Welt unter. Was hindert Sie denn daran, die
Bahn in die gleiche Situation wie die Post oder andere
große Unternehmen, die auch Monopolträger waren, zu
versetzen?
Weil Sie Herrn Pällmann und die LKW-Maut genannt
haben, will ich Ihnen sagen: Der Glaube, dass allein die
Umstellung der LKW-Maut von Zeit- auf Streckenbezogenheit zum 1. Januar 2003 - wenn sie überhaupt
kommt - dazu führt, dass ein spürbar größerer Güteranteil
von der Straße auf die Schiene verlagert wird, ist ein Irrglaube. Das sage nicht ich, sondern das sagt Herr
Pällmann.
({7})
Der sollte es eigentlich wissen, denn er war Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbahn und weiß offensichtlich, wovon er redet. Glauben Sie ihm, wenn Sie mir
schon nicht glauben. Neben dem Preis kommt es natürlich
auch auf die Logistik an. Hier hat die Bahn nach wie vor
offensichtlich - das gibt sie selber zu - Probleme.
Was passiert jetzt? Die DB Cargo erstellt ein Konzept,
das sich Mora C, B oder wie auch immer nennt, und zieht
sich aus weiten Teilen zurück. Herr Malmström erklärt
zwar: Wir stellen 50 Prozent unserer Bedienung ein, verlieren damit aber nur 5 Prozent unseres Umsatzes. Das
kann man glauben oder auch nicht. Er sagt gleichzeitig zu,
dass die Netz AG deswegen aber keine Schienen abbauen
wird. Aber diese Botschaft scheint sich bei der Netz AG
noch nicht herumgesprochen zu haben.
Die Konsequenz ist nämlich in aller Regel: Wenn sich
auch die Cargo aus der Bedienung der Strecke zurückzieht, auf der sowieso kein Personenzug mehr fährt, dann
kommt die Netz AG und sagt: Jetzt verdienen wir überhaupt kein Geld mehr, also Ende der Kiste! - Wenn die
Schiene nicht abgebaut wird, dann werden zumindest die
Weichen abgebaut. Das ist die Realität!
({8})
Genau das wollen wir rechtzeitig verhindern: nicht erst
2004, 2005 oder noch später, sondern jetzt. Deswegen
müssen jetzt Fakten geschaffen werden. Daher kann ich
nur appellieren: Stimmen Sie unserem Antrag zu - dann
tun Sie endlich etwas Konkretes in der Bahnpolitik - und
hören Sie mit Ihrem Herumgeeiere auf!
({9})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Albert Schmidt.
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute beschäftigt uns ein ganzes Bündel von Anträgen zum Thema Bahn; einige davon in erster Lesung, andere in abschließender Lesung. Ich will
versuchen, weniger zu den einzelnen Anträgen, sondern
zu den einzelnen Themenblöcken, die in den Anträgen angesprochen werden, Position zu beziehen.
({0})
- Genau darauf werde ich mit Sicherheit auch zu sprechen
kommen, verehrte Frau Kollegin Blank.
Der erste Themenblock ist die Forderung nach mehr
Investitionen für die Bahn. Ich finde es allerdings ziemlich dreist, dass sich ausgerechnet diejenigen, die in den
letzten Jahren ihrer koalitionären Tätigkeit nach einer einmaligen Spitze der Investitionsmittel - 1995 lagen die
Bahninvestitionen bei über 9 Milliarden DM; dies betraf
damals übrigens das Soll und das Ist; heute hören wir von
denselben, mehr als 6 Milliarden DM könne man bei der
Bahn gar nicht verbauen; das Vorgehen von 1995 war also
irgendetwas Unbegreifliches - Jahr um Jahr reduziert, die
Bahninvestitionen um mindestens ein Drittel zusammengestrichen und die Löcher und Probleme, die wir jetzt zu
bewältigen haben, verursacht haben, heute hierhin stellen
und im Rahmen der Haushaltsberatungen scheinheilig
mehr Geld für die Bahn beantragen. Nach den Haushaltsberatungen sagen sie dann: Es sollte nicht mehr Geld für
die Bahn ausgegeben werden, da man ja gar nicht mehr
Mittel verbauen kann. - Was wollen Sie denn eigentlich?
Finden Sie einmal eine glaubwürdige Linie!
({1})
Wir haben nicht nur Reden gehalten, sondern wir haben unmittelbar nach dem Regierungswechsel die Bahnbaumittel um 1,3 Milliarden DM, und zwar nicht nur im
Soll, sondern auch im Ist, erhöht.
({2})
Wir haben jetzt mit dem UMTS-Programm dreimal 2 Milliarden DM, also nicht nur für ein Jahr, sondern für einen
mittelfristigen und überschaubaren Zeitraum, zur Verfügung gestellt. Wir haben die Verwendung dieser Mittel
durch den Grundsatz der Überjährigkeit sichergestellt.
Das heißt, natürlich wird die DB - denn sie ist mitverantwortlich für den Abbau der Planungskapazitäten im
Unternehmen - diese 2 Milliarden DM im ersten Jahr gar
Horst Friedrich ({3})
nicht sinnvoll umsetzen können. Aber durch die Überjährigkeit, durch die Möglichkeit, dieses Geld in den Folgejahren bestimmungsgemäß zu verwenden, werden in
diesen drei Jahren die Mittel dorthin gelangen, wo sie hingehören: zum Abbau von Langsamfahrstellen, zur Modernisierung der Leit- und Sicherungstechnik. Dies alles sind
Fortschritte für die Fahrgäste, um die es letzten Endes geht.
({4})
Wir garantieren Ihnen: Wir werden Ihnen beweisen,
dass man in den Bahnbau - auch in das Bestandsnetz mehr als 6 Milliarden DM nicht nur sinnvoll investieren
kann, sondern auch investieren muss. Denn die Kunden
der Bahn wollen nicht, dass es rumpelt und rattert und
dass der Zug stehen bleibt. Sie wollen einen modernen
Zug, der auf einer neuen Schiene fährt.
Damit komme ich zu meinem zweiten Themenblock.
Das ist ein Sanierungsprogramm, ein bitterer, harter und
steiniger Weg. Wir werden nicht alle Wünsche und diese
vor allem nicht sofort erfüllen können. Solche Investitionen werden natürlich für die Fahrgäste erst mit zeitlicher Verzögerung spürbar werden. Aber sie werden spürbar. Allein in Bayern - Herr Kollege Lintner, das wissen
Sie so gut wie ich - werden in diesen Wochen 200 neue
Züge, und zwar vom Regio-Sprinter bis zum ICE-Dieseltriebzug, auf die Schiene kommen. Das wird ein
Gesamtvolumen von 1,3 Milliarden DM umfassen. Ich
will gar nicht sagen, dass wir das alles bezahlt haben. Aber
wir versetzen durch unsere jetzigen Investitionen die
Bahn endlich in die Lage, diese Züge zu kaufen. In den
Jahren, als Sie noch an der Regierung waren, haben Sie
die Bestellungen storniert, weil Ihnen das Geld ausgegangen war.
({5})
Ein dritter Themenblock nach dem der Investitionen
und der Sanierung ist das Thema Wettbewerb und Regulierung. Auch das wird richtigerweise in allen Anträgen angesprochen. Einige Punkte möchte ich klarstellen:
Sie hatten reichlich Zeit, auch, Herr Kollege Friedrich,
wenn ich weiß, wie es als kleinerer Koalitionspartner ist:
Man erreicht nicht sofort all das, was man gerne hätte.
Diese Erfahrung machen auch wir jetzt.
({6})
Mit Verweis auf den Wirtschaftsteil der Süddeutschen
Zeitung von heute sage ich an die Adresse der schwarz
regierten Bundesländer - Sie bekommen schon wieder
Angst vor der eigenen Courage -: Sie hatten und haben
ausreichend Zeit, zu dokumentieren, dass es mit der Herstellung von fairen Wettbewerbsbedingungen auf dem
Verkehrsmarkt insgesamt und für den intramodalen Wettbewerb auf der Schiene im Besonderen ernst ist. Sie haben diese Zeit nicht genutzt. Sie haben nicht nur die heute
so lautstark erhobene Forderung nach einer konsequenten
Entflechtung von Netz und Betrieb nicht umgesetzt, sondern Sie haben nicht einmal Schritte auf dem Weg dorthin
umgesetzt.
Diese Schritte haben wir umgesetzt. Seit dem 1. April
ist ein neues Trassenpreissystem in Kraft und macht
Schluss mit der Selbstrabattierung der DB an die eigenen
Tochterunternehmen. Jetzt werden alle Güterbahnen
gleich behandelt. Wir haben die Novelle zum Allgemeinen Eisenbahngesetz auf den Weg gebracht, die das Eisenbahn-Bundesamt überhaupt erst zu einer neutralen
Wettbewerbsaufsicht in die Lage versetzt. Das zusammen
wird einen neuen Schub für neue Güterbahnen bringen,
das garantiere ich Ihnen. Besonders dort wird die Musik
abgehen.
({7})
- Die Züge sollen abgehen, da haben Sie Recht, Herr
Kollege.
Aber jetzt will ich noch ein Wort zum Mora C sagen.
Dieses merkwürdige Kürzel steht für nichts anderes als
die Aufgabe von knapp 600 Güterverteilpunkten, an denen zugegebenermaßen immer relativ wenig Verkehrsaufkommen war. Dies ist für uns akzeptabel und sogar
sinnvoll. Ich glaube nicht, dass nur DB Cargo Güterverkehr durchführen kann, um das ganz klar zu sagen. Dieser Koloss ist in vielen Bereichen viel zu schwerfällig und
auch logistisch nicht auf der Höhe, wie wir gehört haben.
Wir erwarten und verlangen aber - wir werden das in jedem Projekt einfordern, einklagen und kontrollieren -,
dass die Infrastruktur erhalten bleibt, und zwar in funktionsfähigem Zustand, damit neue, nicht staatliche Eisenbahnunternehmen - innovative Hafenbahnen, Lokalbahnen, Industriebahnen - wirklich noch fahren können. Es
wird nicht hingenommen werden, dass in der einen Woche DB Cargo kündigt und sagt, sie fahre nicht mehr, und
in der anderen Woche DB Netz uns sagt, sie baue den
Gleisanschluss ab. Eine solche Politik ist mit uns nicht zu
machen.
({8})
Ich sage noch etwas dazu: Man muss diesen nicht staatlichen Eisenbahnen auch genügend Zeit geben, um sich
logistisch und technisch überhaupt aufzustellen, damit sie
den Job in der Region übernehmen können. Auch das ist
eine Forderung, die ich hier ganz klar aussprechen
möchte. Ich ersuche auch das Ministerium, ausdrücklich
darauf zu achten, dass nicht übertrieben kurze Fristen gesetzt werden, die nicht einzuhalten sind.
Jetzt will ich noch kurz, wenn es gestattet ist, ein Wort
({9})
zum Thema Mitte-Deutschland-Verbindung sagen. Dazu
gibt es dankenswerterweise einen Antrag. Die MitteDeutschland-Bahn ist eine der wichtigsten West-Ost-Verbindungen aus dem Rhein-Ruhr-Gebiet nicht nur bis
Dresden, sondern auch bis Görlitz und weiter in Richtung
Tschechien und Polen. Diese Verbindung ist ein vergessenes Verkehrsprojekt Deutsche Einheit. Hier geht es
bei der Planung und beim Bau seit Jahren viel zu langsam
vorwärts. Vor allem unter Ihrer Regierung haben wir
Albert Schmidt ({10})
immer nur verbale Luftblasen gehört, und nichts ist passiert. Jetzt endlich ist die erste Finanzierungsvereinbarung
unterschrieben. Jetzt endlich wird wahrnehmbar gebaut. Ich
unterstütze aber jede Bemühung, diesen Ausbau zu beschleunigen und auf ein höheres Niveau zu bringen. Gerade
wegen der EU-Osterweiterung und durch den Beitritt Tschechiens, Polens und anderer Länder brauchen wir verbesserte
West-Ost-Verbindungen. Deswegen sind wir schon immer
ausdrücklich für die durchgehende Zweigleisigkeit und für
die durchgehende Elektrifizierung eingetreten.
({11})
Zum Abschluss kann ich Ihnen nicht die Bemerkung
ersparen, liebe Frau Kollegin Blank, dass Sie selbst mit
Ihrer Mehrheit am 25. Juni 1997 im Verkehrsausschuss
des Bundestages unseren diesbezüglichen Antrag mit folgender Begründung abgelehnt haben: Die Forderung nach
durchgehender Zweigleisigkeit lässt sich wirtschaftlich
nicht darstellen. Ein durchgehender Ausbau der Strecke
verursacht Investitionskosten in einer Höhe, die wirtschaftlich nicht mehr tragbar ist. - Was interessiert Sie
jetzt Ihr Geschwätz von gestern! Damals haben Sie gesagt: Es ist unwirtschaftlich.
Herr Kollege,
jetzt ist aber Ihre Redezeit vorbei.
Jetzt sagen Sie, wir sollen es machen. Ich verspreche Ihnen: Wir werden es machen, und zwar schneller, als Sie es für möglich halten.
({0})
Kurzintervention der Kollegin Blank.
Herr Kollege Schmidt, es
ist schön, dass Sie auf Ihren Antrag 13/8539 vom 22. September 1997 eingegangen sind. Allerdings haben Sie nicht
den ganzen Inhalt Ihres Antrages erwähnt. Sie haben damals gesagt:
Die Finanzierung dieser so genannten MitteDeutschland-Linie soll erfolgen, indem die Baukosten vorfinanziert werden, wobei der Bund einerseits
und die beteiligten Länder andererseits die dabei entstehenden zusätzlichen Finanzierungskosten je zur
Hälfte übernehmen sollen.
Wenn ich Ihre Ausführungen, die Sie seit 1998 gemacht haben, richtig verstehe, dann lehnen Sie nach heutiger Sicht eine Vorfinanzierung ab, egal, ob sie privat,
durch den Bund oder die Länder durchgeführt wird.
Herr Kollege Schmidt, was hindert Sie daran, heute unserem Antrag zuzustimmen, da Sie diese Mitte-Deutschland-Linie doch immer wollten?
Liebe Frau Kollegin Blank, es ist nicht mehr
damit getan, einen Antrag zu stellen; dafür sind Sie zu spät
aufgestanden. Die Strecke wird schon gebaut. Es geht nun
darum, den Bau zu beschleunigen, und darum, das Qualitätsniveau dieser Strecke anzuheben. Darum müssen wir
uns bemühen. Jetzt ist keine Zeit mehr, um Papiere zu verfassen. Diskussionen hatten wir damals. Wir müssen auch
die Finanzierungsfrage nicht mehr klären. Die ersten beiden Finanzierungsvereinbarungen sind unterschrieben.
Wir brauchen die Vorfinanzierung durch die Länder nicht
mehr. Diese Bundesregierung hat das Geld, das Sie immer
nur versprochen haben, endlich zur Verfügung gestellt.
Das ist der feine Unterschied.
({0})
Ich bin sehr für die Anmeldungen der Länder Thüringen und Sachsen für den neuen Bundesverkehrswegeplan,
dieses Projekt auf einem verbesserten Niveau - durchgehend zweigleisig und elektrifiziert - weiterzuführen. Ich
bin sehr dafür, dass Sie diese Forderung angesichts der
EU-Osterweiterung - ich hatte das eben angesprochen ernsthaft würdigen. Es kann nicht sein, dass die Autobahnen A 44 und A 4 diese Ost-West-Verkehrsverbindung auf
höchstem Niveau sicherstellen und die Schiene vergleichsweise vorsintflutlich bleibt. Wir haben heute eine
Durchschnittsgeschwindigkeit von 55 km/h. Wir brauchen mindestens das Doppelte. Wenn wir uns in der Sache
verständigen, dass wir im neuen Verkehrswegeplan diesen neuen Akzent setzen wollen, dann sind wir einer Meinung.
({1})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Winfried Wolf.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die Anträge,
die hier zur Debatte stehen, sind auch deswegen widersprüchlich, weil F.D.P. und CDU/CSU für die Bahnreform
gestanden haben, einerseits Kontinuität praktizieren wollen und andererseits ihre jetzige Opposition und einiges
Richtige zum Ausdruck bringen wollen.
Sie wissen, dass die PDS eine andere Position hatte und
als einzige Partei im Deutschen Bundestag 1993/94 diese
Bahnreform abgelehnt hatte. Wir hatten gesagt, dass
durch diese Bahnreform nicht mehr Verkehr auf die
Schiene kommen würde. Herr Bodewig hat nun in seinem
Verkehrsbericht geschrieben, dass die Bahnreform bisher keinen zusätzlichen Schub zugunsten des Verkehrsträgers Schiene bewirken konnte und dass der Anteil des
Schienenpersonenfernverkehrs der gleiche wie vor zehn
Jahren blieb. Das ist eine vernichtende Bilanz des jetzigen
Verkehrsministers.
Die Bahnchefs, mit denen wir es zu tun hatten, wie
Herr Dürr, Herr Ludewig und Herr Mehdorn, wurden, soAlbert Schmidt ({0})
weit ich weiß, vom Bund als Eigner wie auch von allen
Parteien im Wesentlichen unterstützt. Diese Herren waren
nicht in der Lage, aus diesem Unternehmen ein flexibles,
marktorientiertes Unternehmen zu machen. Im Gegenteil:
Sie waren noch nicht einmal in der Lage, Geld auszugeben. Nirgends in der Wirtschaft gibt es den Fall, dass ein
Unternehmen über sechs oder sieben Jahre lang nicht in
der Lage ist, Milliardenbeträge, die ihm zur Verfügung
stehen, auszugeben. Das gilt auch für Herrn Mehdorn im
letzten Jahr.
Ich muss feststellen, dass die Bahn momentan das
schlechteste Image hat, das irgendein Großbetrieb in diesem Land hat.
({1})
Die Bahn trägt auf traurige Weise zur Belebung der deutschen Witzkultur bei. Es gibt einen traurigen Witz: Einer
fragt in eine Runde hinein: Ihr glaubt gar nicht, was mir
neulich bei der Bahn passiert ist. Alle sagen: Doch,
doch, wir glauben das. - Die Menschen glauben momentan alles. Es ist richtig, was hier gesagt wurde: Die
Bahn wird damit nicht madig gemacht; das Management
macht vielmehr eine Politik, die die Bahn insgesamt zerstört. Dazu nenne ich nur folgende Punkte: Halbierung
des Bahn-Card-Rabatts, Mora-C-Güterverkehr, Abschaffung der Restaurants im Zug, Verkauf von Bahnhöfen und
Trennung von Netz und Betrieb. Herr Mehdorn will in den
nächsten zwei Jahren das Netz noch einmal um 20 Prozent
reduzieren.
Zwei konkrete Beispiele: Der Turnerbund wollte im
April ein Turnerfest in Offenburg in Baden durchführen.
Jedes Jahr, in dem diese Veranstaltung stattfand, war die
Bahn bisher in der Lage, dorthin mit Sonderzügen zu fahren. In diesem Jahr war das nicht mehr so. Begründung:
Wir haben kein Wagenmaterial. Nach einem Briefwechsel zwischen Turnerbund und Bahn, der sich über ein
Vierteljahr hinzog, hieß es schließlich: Bitte nehmen Sie
doch Schönes-Wochenende-Tickets! - Für 8 000 Turner!
Ein zweites Beispiel: Am 3. Mai haben wir mit der
Initiative Bürgerbahn statt Börsenbahn nach unseren
Aktionen im Süden - im Oberschwaben-Interregio, im
Schwarzwald-Interregio, im Interregio nach Saarbrücken eine Pressekonferenz im Interregio Berlin-Rostock durchgeführt. In der Pressekonferenz im Zug haben wir von
Fachleuten erfahren, dass dieser Zug absolut falsch fährt.
Er braucht für Berlin-Rostock jetzt drei Stunden. Wenn er
in Berlin nicht eine Ehrenrunde drehen würde - dazu in
falscher Richtung: statt Ostbahnhof-Lichtenberg und
dann nordwärts zu fahren, fährt er Ostbahnhof-ZooSpandau - und nicht über Güstrow, sondern direkt fahren
würde, würde er 50 Minuten einsparen. Was macht die
Bahn? Sie stellt den Zug zum Fahrplanwechsel am
10. Juni komplett ein. Einen Interregio dorthin gibt es
dann nicht mehr, die Hansestadt Rostock wird vom Fernverkehr der Schiene abgehängt. Das ist die Bilanz.
({2})
Stattdessen fährt ein so genannter Interregio Express
- faktisch ein Nahverkehrszug - mit einer Lok und drei
Wagen, einem Doppelstockwagen und zwei normalen
Wagen. Bisher fahren acht Wagen. Der Doppelstockwagen hat drei Fahrradplätze; bisher waren im Interregio 20
verfügbar. Alle Lokführer, die auf der Strecke fahren, sagen: Unmöglich, im Sommer wird der Zug knallvoll sein,
man wird Fahrgäste am Bahnsteig abweisen müssen.
Eigentlich ist das eine Sache für den Chef. Eigentlich
müsste Herr Mehdorn übernehmen. Was macht Herr
Mehdorn? Wir verteilen in den Zügen das Faltblatt Ihr
Interregio nach Nirgendwo, was sympathisch den Faltblättern der Bahn nachempfunden wurde. Herr Mehdorn
hat darauf mit der Anweisung an alle Zugbegleiter reagiert, dieses Faltblatt müsse eingesammelt werden - obwohl Fahrgäste und Zugpersonal diese Faltblätter begeistert entgegennehmen und bereits 50 000 davon verteilt
worden sind. Er reagiert wie ein beleidigter Kurfürst, wie
ein Politbürokrat der alten SED.
({3})
- Genau!
Wir fordern eine Bahn für alle. Wir fordern den Stopp
der Privatisierung, wir fordern den Stopp der Ausverkaufspolitik, wir fordern auch den Stopp des Belegschaftsabbaus. Wir fordern: Bürgerbahn statt Börsenbahn.
({4})
Das Wort hat
jetzt die Parlamentarische Staatssekretärin Angelika
Mertens.
Frau
Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn ich vorweg
noch einmal ganz kurz auf den vorigen Tagesordnungspunkt zurückkommen darf: In der Debatte ist immer nach
Herrn Großmann verlangt worden. Herr Großmann hätte
gerne die Reihenfolge der vorherigen und der jetzigen Debatte getauscht. Aber irgendwie war das nicht möglich.
Wenn wir die Bahndebatte vorgezogen hätten, wäre auch
er hier gewesen.
({0})
Wir haben heute vier Anträge zu beraten. Die erstaunlichste Überschrift trägt wohl der der PDS: Bürgerbahn
statt Börsenbahn. Vielleicht sollten Sie - um damit noch
einmal auf den Vorwurf im Zusammenhang mit dem Politbüro zurückzukommen - uns einmal erklären, was für
Sie Bürgerbahn bedeutet. Sehen Sie sich in der Rolle
des Citoyen oder in der Rolle des Bourgeois?
({1})
Wir jedenfalls sagen Kundenbahn. Sie sollten das mit
dem Politbüro, so denke ich, zurücknehmen.
Wir werden die Debatte in den nächsten Wochen fortsetzen. Aber die Diskussion hier zeigt - wir reden nicht
das erste Mal über die Bahn -, dass es Diskussions- und
Handlungsbedarf gibt. Parlament und Regierung ziehen
Bilanz. Sie kommen dabei zu unterschiedlichen Ergebnissen - übrigens weniger im Schriftlichen als im Mündlichen. Mit dem Rollenwechsel, von der Regierung in die
Opposition, verkehren sich ja manchmal auch die Standpunkte. Die Demographie könnte sich eigentlich freuen:
Wir haben ganz viele Neugeborene hier; mit dem, was sie
früher gemacht haben, wollen einige überhaupt nichts
mehr zu tun haben. Deshalb frage ich mich: Das kann
doch nicht alles falsch gewesen sein, was Sie damals auf
den Weg gebracht haben und was wir als damalige Opposition unterstützt haben. Das mag für Sie persönlich eine
Befreiung sein; in der Sache jedenfalls ist dies wenig hilfreich.
Wenn all dies ernst gemeint wäre, dann würden Sie
jetzt ein bisschen Trauerarbeit leisten, und zwar im Hinblick auf die Finanzmittel, mit denen Sie die Bahn ausgestattet haben, im Hinblick auf die Personalentscheidungen, mit denen Sie die Bahn beglückt haben, und im
Hinblick auf die Infrastrukturentscheidungen. Eine neue
Regierung muss immer mit dem arbeiten, was sie vorfindet. Das war, so will ich es einmal ausdrücken, weniger,
als wir es uns gewünscht hätten, aber mehr, als Sie heute
zugeben. Ihre Haltung ist jedenfalls für mich völlig unverständlich: So missraten kann das Kind DB AG nun
wirklich nicht sein. Dass Sie Vater- und Mutterschaft bestreiten, hat die DB AG nicht verdient.
Mit der Regierungsübernahme haben wir das Kind
DB AG adoptiert. Wir stehen zur DB AG. Das sollten
auch Sie tun. Die neue Bahn ist siebeneinhalb Jahre alt.
Sie ist nicht perfekt; das wissen wir alle. Aber jedes Mal,
wenn wir wissen wollen, was genetisch bedingt und was
anerzogen ist, dann sagen Sie: Das hat das Kind nicht
von uns, das muss es sich in den letzten zweieinhalb Jahren angewöhnt haben. - Das geht nicht. Wir sollten uns
auf das rückbesinnen, was wir einmal gemeinsam an
Zielen formuliert haben. Das heißt, erstens mehr Verkehr
auf die Schiene, zweitens eine Begrenzung der Belastung des Steuerzahlers, drittens die Wirtschaftlichkeit
der DB AG. Das gilt hoffentlich immer noch für uns alle.
Dies war übrigens eine der größten Wirtschaftsreformen, die die Bundesrepublik erlebt hat, vielleicht sogar
die größte.
Die Ziele werden nicht ohne Konflikte umgesetzt werden können. Das muss man einfach sehen. Sie bilden untereinander zwangsweise neue Konflikte. Es ist normal,
dass ein solches Vorhaben konfliktträchtig ist. Gegenwind
kann manchmal auch gute Frisuren geben. Aber an den
Zielen ist nicht zu rütteln. Sie waren und sind richtig. Wenn ich mir überlege, dass Herr Lintner die ganze Zeit
redet, dann rate ich ihm, zuzuhören. Er könnte noch etwas
lernen.
Was tun wir, um diese Ziele zu erreichen? Wir haben
aufgehört, uns die Bahn schönzurechnen und schönzureden. Wir haben die Probleme benannt und sind sie angegangen, zum Beispiel in der Investitionspolitik und der
Ordnungspolitik. Das Netz bleibt die wichtigste Ressource der Eisenbahn. Der Schienenverkehr kann immer
nur so gut sein wie das Netz, auf dem er erbracht wird.
Deshalb haben wir genau da im Rahmen von ZIP angesetzt. Sie wissen das. Damit sollen tagtägliche Ärgernisse,
zum Beispiel Langsamfahrstellen, beseitigt werden. Wir
werden der Ertüchtigung des bestehenden Netzes Vorrang
einräumen. Herr Lintner, Sie können nicht beides machen: Sie können nicht Neubaustrecken fordern und
gleichzeitig erklären, dass auch die Fläche bedient werden
müsse. All das, was Sie gefordert haben, machen wir. Wir
kümmern uns um den Bestand und sorgen auch für den
Bau neuer Strecken.
Wir haben in der trilateralen Vereinbarung etwas gemacht, von dem mir nicht bekannt ist, dass Sie es jemals
gemacht haben: Wir haben nämlich bis 2003 mit 26,4 Milliarden DM Planungssicherheit geschaffen. Das ist kein
Pappenstiel, sondern rund 9 Milliarden DM jährlich.
Auch haben wir damit eine weitgehende Umstellung von
Darlehen auf Baukostenzuschüsse verbunden.
Bei der Ordnungspolitik haben wir ab 2003 eine
LKW-Maut vorgesehen. Das ist ein erster wichtiger
Schritt zur gerechteren Anlastung des LKW. Bahnchefs
mögen hier von 1,25 DM pro Kilometer träumen. Das ist
aber eine theoretische Betrachtung in der Gewissheit, dass
dies praktisch nicht umgesetzt wird. Verbal lässt sich so
manches transportieren, materiell sind die Grenzen in der
Regel viel früher erreicht. Wir trauen der DB Cargo einiges zu, aber eine LKW-Maut von 1,25 DM wollen wir ihr
doch nicht wünschen. Zu den ordnungspolitischen Maßnahmen gehört auch die Stärkung des EBA als Wettbewerbsaufsicht. Dazu gehört auch die Antwort auf die
Frage, in welcher Form die Unabhängigkeit und die Neutralität des Netzes zu verwirklichen ist.
Es gibt aber auch Handlungsbedarf des Unternehmens. Wir haben Erwartungen an das Unternehmen. Unsere Erwartungen reduzieren sich auf zwei Punkte: Anteil
des Schienenverkehrs erhöhen und den Konsolidierungsprozess fortsetzen. Wenn sich der Nebel in den Diskussionen ein wenig gelichtet hat, dann werden wir feststellen,
dass wir keine neue Bahnreform brauchen. Stattdessen
müssen wir das, was 1994 beschlossen worden ist, jetzt
vollenden.
({2})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Wolfgang Dehnel.
Verehrte Frau
Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Der
vorliegende Antrag Ausbau des Mitte-DeutschlandSchienen-Verkehrsnetzes konsequent vorantreiben ist
nicht erarbeitet worden, um die Regierungskoalition zu
verärgern, sondern geärgert haben sich Verbände, Industrie- und Handelskammern, Bürger und Bürgermeister,
die mir geschrieben haben und sich in Pressemitteilungen
geäußert haben.
In diesem Zusammenhang sind Überschriften zu lesen
wie Regionen abgekoppelt oder Liste der Grausamkeiten oder Gewerkschaft fordert neue Verkehrspolitik. Dies alles bezieht sich auf die Frage: Wie kommt die
Bahnreform vor Ort an?
Meine Damen und Herren, Kommunen brauchen eine
zukunftsweisende Infrastrukturpolitik und klare Vorgaben. Sie brauchen Aussagen und nicht immer wieder neue
Programme, die undurchschaubar sind.
({0})
Klar ist für mich, dass es nicht Aufgabe eines Abgeordneten sein kann, konkrete Vorschläge zum Streckenverlauf, zum Ausbaugrad oder zur Zugbestückung zu machen.
Dies ist nach meiner Auffassung Aufgabe der Fachgremien
in Bund und Land, aber eben auch der Bahn AG. Wenn es
aber um den Verkehrsanschluss, um die Vernetzung von
Regionen und um die drohende Abkoppelung solcher Regionen von Fernverkehrsnetzen geht, dann sind wir Abgeordnete schon gefordert, uns zu Wort zu melden.
({1})
Genau dieses Thema behandelt der vorliegende Antrag. Er ist aus der Sorge der Bürgerinnen und Bürger entstanden, dass die Vernetzung der sächsischen Oberzentren
mit den thüringischen, hessischen und bayerischen Oberzentren nicht mit der gebotenen Ernsthaftigkeit und Konsequenz vorangetrieben wird. Angesichts der geplanten
EU-Erweiterung erhält dieser Antrag zusätzliches Gewicht.
Eine fortgesetzte Zögerlichkeit im Verkehrsministerium
hätte im Hinblick hierauf dramatische Auswirkungen.
Die Regionen Ostthüringen und Südwestsachsen mit
den Wirtschaftsregionen Plauen, Zwickau und Chemnitz
sowie das Erzgebirge, das Vogtland und die Oberlausitz
gehören nun einmal zu den markantesten Bevölkerungsverdichtungsräumen mit besonderer Bedeutung für die
Wirtschaftsentwicklung in Sachsen und Thüringen.
({2})
Deshalb ist es unverständlich, dass aus dem Hause des
nunmehr dritten Verkehrsministers innerhalb von zwei
Jahren keine konkreten Planungen und Maßnahmen vorgelegt werden, die speziell diesen überaus wichtigen
Verkehrsverbindungen Rechnung tragen. Ihnen ist höchste Priorität einzuräumen.
Umso mehr freue ich mich, dass der vorliegende Antrag
die Unterstützung meiner Kollegen in der Arbeitsgruppe,
in den Landesgruppen und in der Fraktion erhalten hat. Mit
diesem Antrag wollen wir der Regierung und Minister
Bodewig etwas Feuer unterm Hosenboden machen.
({3})
Damit machen wir auch der Bahn AG Dampf, den diese
auf die Lok bringen soll.
({4})
- In unseren Reden steckt mehr Sinn als in Ihrem Geschwätz, das Sie wie auf dem Marktplatz vortragen. Das
muss ich sagen.
({5})
Meine Damen und Herren, vor über 100 Jahren gehörten die genannten sächsischen Regionen zu den sich am
rasantesten entwickelnden Wirtschaftsregionen Deutschlands. Bekannte Automobilhersteller wie Horch und Auto
Union sowie Maschinen- und Textilgroßunternehmen
hatten hier ihre Stammsitze. Heute hat von den 200 größten Unternehmen in Deutschland keines mehr seinen
Stammsitz in den neuen Bundesländern.
({6})
An dieser Entwicklung kann man deutlich sehen, was
40 Jahre Sozialismus auch in diesem Bereich bewirkt haben.
({7})
Dies sollte man immer wieder - auch in SED-nostalgische Ohren - sagen können. Es ist schlimm, wenn man
sieht, dass die jetzige Bundesregierung bei der Bewältigung dieser Altlasten überhaupt nicht vorankommt. Im
Gegenteil. Die Arbeit kommt zum Erliegen.
Meine Damen und Herren, durch die Chefsache
Kohl wurde in acht Jahren deutscher Einheit Gewaltiges
geleistet.
({8})
Die Verkehrsinfrastruktur in Sachsen und Thüringen
kann sich heute schon in weiten Bereichen sehen lassen.
Frau Rehbock-Zureich, Sie hatten vorhin von Hausaufgaben und Noten gesprochen. Ich würde der damaligen Regierung die Note sehr gut geben.
({9})
Wir brauchen jetzt hinsichtlich der Infrastrukturplanung konkrete Schritte im Schnellzugtempo. Es genügt
nicht, dass wir im Bummelzug Müntefering-KlimmtBodewig und zurück ankommen.
Meine Damen und Herren und Kollegen der Regierungskoalition, stimmen Sie deshalb unserem Antrag zu.
Herr Schmidt, Sie haben vorhin von der MitteDeutschland-Schienenverbindung so lobend gesprochen.
Stimmen Sie dem Antrag zukunftsweisender Infrastrukturpolitik unserer Fraktion zu.
({10})
Die Bürger dieser Region würden es Ihnen sonst bei der
nächsten Bundestagswahl gehörig zeigen, wenn Sie sie
vergessen.
({11})
Jetzt hat der Abgeordnete Wieland Sorge das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Herr Friedrich und Herr Dehnel, wenn wir um
die Wahrheit streiten, wird es natürlich immer unterschiedliche Meinungen geben. Deswegen können wir doch nicht
von Rumeierei oder Geschwätz reden; denn sonst werden
wir draußen nicht mehr ernst genommen. Wir sollten vielmehr versuchen, unsere Gedanken auszutauschen und das
bessere Konzept mit Mehrheit durchzusetzen.
({0})
Ich möchte einige Bemerkungen zu dem Antrag der
CDU/CSU bezüglich der Strecke Paderborn-Chemnitz
machen: In der Tat ist es wichtig, diese Strecke zu bauen.
Der Abschnitt gehörte von all den Streckenabschnitten, die
wir seinerzeit übernommen haben, zu den schlechtes ten.
Teilweise war ein Verkehr auf diesem Streckenabschnitt
nur bis zu 25 Kilometern pro Stunde möglich. Aus diesem
Grund war das Interesse an dieser Strecke weder im Bereich des Personen- noch des Güterverkehrs sehr groß.
Wir teilen auch die Auffassung, dass die großen Verkehrs- und Wirtschaftszentren Deutschlands miteinander
verbunden werden müssen. Wichtig ist, das Ruhrgebiet
mit den wichtigsten mitteldeutschen Industriezentren
Thüringens und Sachsens zu verbinden. Darin sind wir
uns völlig einig.
Wir müssen uns aber die Tatsachen vor Augen halten:
1997 gab es eine Vereinbarung zwischen der Deutschen
Bahn AG und dem Land Thüringen mit dem Inhalt, diese
Strecke zu bauen. Der Bund hatte keine Gelder zur Verfügung gestellt. Der Bau wurde zunächst begonnen und
musste eingestellt werden, nachdem kein Geld mehr vorhanden war. Auf dieser Strecke geschah nichts mehr und
man konnte weiterhin nur mit einer Höchstgeschwindigkeit von 25 Kilometern pro Stunde fahren.
({1})
Aus diesem Grunde ist die Bundesregierung aktiv geworden. Wir haben diese Strecke in den vordringlichen
Plan des Bahnausbaus aufgenommen und konkrete Festlegungen getroffen.
({2})
- Moment einmal, liebe Frau Blank, das geschah 1999
und zu diesem Zeitpunkt war bekanntlich schon Rot-Grün
an der Regierung.
Wir haben sofort versucht, eine Finanzierung des
Ausbaus zu gewährleisten. Wir haben insgesamt 665 Millionen DM bereitgestellt, die wir in drei Finanzierungsabschnitten ausgeben wollen: Im ersten Abschnitt sollen von
1999 bis 2002 317 Millionen DM und in den darauf folgenden Jahren 235 Millionen DM ausgegeben werden.
Die Restfinanzierung soll entsprechend den tatsächlichen
Entwicklungen erfolgen.
({3})
- Die Planung ist aber im Wesentlichen schon abgeschlossen.
Wir haben außerdem mit Thüringen einen Sondervertrag abgeschlossen, der das Finanzierungsvolumen um
35 Millionen DM erhöht, weil wir einen Teil der Strecke
auf Antrag der Thüringer Landesregierung zweigleisig
ausbauen wollen.
Ich möchte auf das eingehen, was Herr Kollege
Schmidt zu der Frage einer zweigleisigen Elektrifizierung gesagt hat. Die internationale Bedeutung der
Strecke ist so groß, dass wir um diese Maßnahme nicht
herumkommen werden. Es besteht aber ein Untersuchungsauftrag, der die Wirtschaftlichkeit dieser Strecke
prüfen und bewerten soll. Wenn die Ergebnisse vorliegen,
wollen wir die Bewertungsmaßstäbe, die für den Bundesverkehrswegeplan gelten, damit vergleichen und dann
neue Beschlüsse fassen. Wenn sich zeigt, dass die Strecke
wirtschaftlich ist, weil sie auf ein großes Interesse stößt,
werden wir den Ausbau durchsetzen.
Herr Kollege Lintner, es ist ein erster Schritt, wenn wir
von Paderborn über Kassel - auch das ist ein Teil dieser
Strecke, die für den Verkehr besser genutzt werden soll -,
Chemnitz und Erfurt bis nach Dresden mithilfe der Neigezugtechnik durchgängig mit 150 Kilometern pro
Stunde fahren können; dann haben wir Vieles geschafft.
Dann wird auch das Interesse potenzieller Nutzer sehr
groß sein und die Wirtschaftlichkeit wachsen. Dann können wir neue Entscheidungen treffen, aber bis dahin haben wir noch ein bisschen Zeit.
Danke.
({4})
Danke schön. Ich schließe damit die Aussprache.
Wir stimmen nun zuerst über die Beschlussempfehlung
des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
ab, Drucksache 14/5952. Der Ausschuss empfiehlt unter
Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung
des Antrages der CDU/CSU-Fraktion mit dem Titel
Bahnreform 2 - Neuer Schwung für die Bahn. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der
CDU/CSU angenommen worden.
Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen die Ablehnung des Antrages der F.D.P.-Fraktion mit
dem Titel Bahnreform fortsetzen, Schienenverkehr stärken - vom Staatsbahnmonopol zum europäischen Wettbewerb um den Eisenbahnkunden. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen von
CDU/CSU und F.D.P. angenommen worden.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/5756 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Wir stimmen nun über die Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen zu
dem Antrag der PDS-Fraktion auf Drucksache 14/3784
mit dem Titel Bürgerbahn statt Börsenbahn ab. Der
Ausschuss empfiehlt, den Antrag abzulehnen. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen sowie von CDU/CSU und
F.D.P. gegen die Stimmen der PDS angenommen worden.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 sowie den Zusatzpunkt 5 auf:
7. Beratung des Antrags der Bundesregierung
Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der
internationalen Sicherheitspräsenz im Kosovo
zur Gewährleistung eines sicheren Umfeldes
für die Flüchtlingsrückkehr und zur militärischen Absicherung der Friedensregelung für
das Kosovo auf der Grundlage der Resolution
1244 ({0}) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vom 10. Juni 1999 und des
Militärisch-Technischen Abkommens zwischen
der internationalen Sicherheitspräsenz ({1})
und den Regierungen der Bundesrepublik
Jugoslawien und der Republik Serbien vom
9. Juni 1999
- Drucksache 14/5972 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({2})
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Haushaltsausschuss
ZP 5 Beratung des Antrags der Fraktion der PDS
Bundeswehreinsätze beenden - Politische Lösungen auf dem Balkan durch UNO und
OSZE durchsetzen
- Drucksache 14/5964 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({3})
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als Erster hat das Wort der
Bundesminister Rudolf Scharping.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wie zugesagt und im Bundestag beschlossen, wird heute erneut
über das Mandat der Bundesrepublik Deutschland und
der Bundeswehr im Kosovo debattiert. Die KFOR ist
nunmehr seit zwei Jahren dort vertreten, und zwar zurzeit
mit mehr als 42 000 Soldaten. Sie stammen aus 39 Nationen, unter denen sich auch alle NATO-Mitgliedstaaten befinden. Diese internationale Sicherheitspräsenz hat einen
unveränderten Auftrag. Die Grundlage des Auftrags sind
die Resolution 1244 der Vereinten Nationen vom 10. Juni
1999 und das Militärisch-Technische Abkommen zwischen KFOR und den Regierungen der Bundesrepublik
Jugoslawien und der Republik Serbien vom 9. Juni 1999.
Ich denke, wir stimmen darin überein, dass sich die Bilanz des Engagements im Kosovo sehen lassen kann. Es
gibt Fortschritte bei der äußeren und inneren Sicherheit,
bei den ersten sich selbsttragenden Strukturen, bei der
Flüchtlingsrückkehr und beim Wiederaufbau. Dazu hat
auch das hohe persönliche Engagement der KFOR-Angehörigen, das unverzichtbar ist, beigetragen, für das ich
mich an dieser Stelle ausdrücklich bedanken möchte.
({0})
Nahezu alle kosovo-albanischen Flüchtlinge - es waren
ursprünglich fast 1,5 Millionen - sind zurückgekehrt.
Die internationale Staatengemeinschaft hat große, auch finanzielle Anstrengungen beim Wiederaufbau, bei der Infrastruktur sowie beim Schul- und Bildungswesen unternommen. Die Zahl der Gewaltdelikte ist signifikant
zurückgegangen. Bei den Verhandlungen über eine vorläufige Verfassung, an denen die serbische Minderheit größtenteils beteiligt war, wurde außerdem ein tragfähiger
Kompromiss erzielt. Der Repräsentant der Vereinten Nationen Hans Haekkerup hat das Ergebnis gestern bei den
Vereinten Nationen in New York vorgestellt. Damit sind die
Voraussetzungen für die gemäß der genannten Resolution 1244 vorgesehenen provisorischen Verwaltungsgrundlagen gegeben. Das ist eine solide Grundlage, um im Herbst
2001 allgemeine Wahlen im Kosovo durchzuführen.
Man kann hinzufügen, dass unser militärisches Engagement entscheidend dazu beigetragen hat, dass sich die
fortschrittlichen und demokratischen Kräfte im Herbst
vergangenen Jahres auch in Belgrad durchsetzen konnten.
Auf das Engagement der KFOR stützen sich auch die internationalen Organisationen, was dazu führt, dass die
KFOR häufig militärisch untypische Aufgaben übernimmt, um wichtige Grundvoraussetzungen für die Stabilisierung und für die Normalisierung der Lebensbedingungen der Bevölkerung zu gewährleisten.
Andererseits verzeichnen wir neben vielen Fortschritten wiederholt herbe Rückschläge. Die Bereitschaft zur
Gewalt zwischen den Ethnien und gegenüber moderaten
Kräften ist unverändert hoch. Die Rückkehrbereitschaft
kosovo-serbischer Flüchtlinge ist sehr gering. Die noch
im Kosovo Lebenden tun das unter unerträglichen Umständen. Bei ihnen wird häufig illegaler Waffenbesitz oder
der Besitz von Kampfmitteln festgestellt. Das Ausmaß an
Drogenhandel, organisierter Kriminalität, Menschenhandel und Schmuggel ist bedenklich. Alles das deutet darauf
hin, dass das Engagement fortgesetzt und an mancher
Stelle der nicht militärischen Aufgabenwahrnehmung sogar verstärkt werden muss.
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Insgesamt kommt die Bundesregierung zu dem Ergebnis, dass für den weiteren Wiederaufbau des Kosovo und
für die Stabilisierung der Region die internationale Sicherheitspräsenz unverzichtbar war, ist und bleibt.
({1})
Die Bundesrepublik Deutschland hat an den Arbeiten
von KFOR einen wichtigen Anteil. Wir sind darin zurzeit
mit rund 5 200 Soldaten vertreten. Wir sind die Leitnation
der Multinationalen Brigade Süd. Unter deutscher
Führung arbeiten in diesem Bereich 2 300 weitere Soldaten aus acht verschiedenen Nationen. Deutschland besetzt
hochrangige Positionen im Hauptquartier von KFOR.
Unsere Soldatinnen und Soldaten sind in ihrem Verantwortungsbereich hoch angesehen. Sie leisten unter Inkaufnahme erheblicher persönlicher Einschränkungen
eine wichtige, Stabilität und Frieden fördernde Aufgabe
und tragen so ganz wesentlich zur hohen Anerkennung
unseres Landes in der internationalen Staatengemeinschaft bei. Auch das vermerke ich hier ausdrücklich mit
Respekt und Anerkennung.
({2})
Wenn man das politische Umfeld betrachtet, dann erkennt man, dass die friedliche Revolution in Belgrad, die
Demokratisierung Serbiens, und die fortschreitende Reform jugoslawischer Institutionen die gesamte Situation
grundlegend verändert haben. Damit wurden neue Möglichkeiten konstruktiver Zusammenarbeit zur Stabilisierung der gesamten Region geschaffen.
Das Wahlergebnis in Montenegro ist geeignet, die destabilisierenden Bestrebungen der dortigen Regierung in
konstruktive Bahnen zu lenken, weil eine verfassungskonforme Unabhängigkeit Montenegros auf dieser
Grundlage kaum zu erzielen wäre.
Große Sorgen bereitet die Entwicklung in Mazedonien.
Es wird auch in Zukunft darauf ankommen, die Extremisten zu isolieren, eine Solidarisierung der Bevölkerung zu
verhindern und substanzielle Fortschritte beim interethnischen Dialog zwischen den Bevölkerungsgruppen zu
erzielen. Dem dient das bilaterale und das internationale
Einwirken und Drängen von NATO und Europäischer
Union, wie bei den Besuchen des Generalsekretärs
Robertson und des Hohen Repräsentanten für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, Javier Solana,
deutlich geworden ist.
Es ist ganz und gar unverzichtbar, dass die mazedonische Regierung auch künftig maßvoll vorgeht - was sie
oft nicht tut - und dass die Spirale der Gewalt nicht weiter gedreht wird. Deswegen war es wichtig, dass der
Kriegszustand nicht ausgerufen worden ist.
({3})
Ich erwähne das deshalb im Zusammenhang mit der
internationalen Sicherheitspräsenz, weil eine stark intensivierte Überwachung der Grenze zwischen dem Kosovo und
Mazedonien zur Stabilisierung in Mazedonien beiträgt.
Das Kosovo darf kein sicheres Rückzugsgebiet, kein logistisches Hinterland und kein Ausbildungshinterland für Extremisten in Mazedonien oder andernorts werden.
({4})
Auch dafür ist die internationale Präsenz entscheidend.
Im Übrigen entwickelt sie eine stabilisierende Wirkung,
wie man an diesem Beispiel sehen kann, weit über das
Kosovo hinaus.
Der längerfristige Prozess der friedlichen und demokratischen Entwicklung des Kosovo und der gesamten
Region bedarf also auch zukünftig der Präsenz und der
Absicherung, also eines fortgesetzten Engagements auch
der NATO und ihrer Partner. Ich denke, wir stimmen darin
überein, dass die deutsche Teilhabe dabei selbstverständlich und die Mandatsverlängerung dafür die zwingende
Voraussetzung ist.
Gleichzeitig aber, meine Damen und Herren, ist eine
gewisse Erweiterung des Mandats notwendig.
({5})
Erheblicher äußerer Einfluss auf das Kosovo entsteht
nämlich auch aus Südostserbien, dem so genannten Presevo-Tal. Aufgrund der Bestimmungen des MilitärischTechnischen Abkommens ist dort ein Rückzugsraum für
Extremisten entstanden.
Ursprünglicher Zweck des MTA war die Regelung des
Abzugs der jugoslawischen Sicherheitskräfte. Die Sicherheitszonen von 25 Kilometern Luftraum und 5 Kilometern auf dem Boden sollten denkbaren Zusammenstößen
zwischen internationaler Sicherheitspräsenz und jugoslawischen bzw. serbischen Kräften vorbeugen. Deshalb
sieht das Militärisch-Technische Abkommen lediglich die
Präsenz leicht bewaffneter jugoslawischer Polizisten in
diesem Gebiet vor. Das ist auf eine nicht erträgliche Weise
ausgenutzt worden, auch für zahlreiche gewaltsame Übergriffe.
Im aktuellen Zusammenhang mit den Bestimmungen
dieses Abkommens steht derzeit die Gewährung des Zugangs für jugoslawische Sicherheitskräfte in die Bodensicherheitszone rund um das Kosovo. Dieser Zugang erfolgt gegenwärtig abschnittsweise unter der Autorität und
der engen Überwachung von KFOR und unter der politischen Kontrolle des NATO-Rates. Die Öffnung eines
Sektors, über den ich schon sprach, des Presevo-Tals in
Südostserbien, im MTA als Sektor B bezeichnet, steht
noch aus. Hierzu ist, wie in allen anderen Zonen auch, die
aktive Mitwirkung von KFOR erforderlich, um die politischen Anstrengungen zu einer gewaltfreien Bewältigung
dieser Krise auch in diesem Gebiet zu unterstützen.
Es geht also um einen Verhandlungsprozess, es geht
um vertrauensbildende Maßnahmen zwischen serbischjugoslawischen und ethnisch-albanischen Konfliktparteien oder Partnern auf den jeweiligen Seiten. Es geht um
politisch wirksame Lösungen, die gemeinsam getragen
werden können. Es geht beispielsweise um Verbindungsorgane und Patrouillen, um Unterstützungsleistungen für
und durch andere internationale Organisationen.
Die Europäische Union hat eine Monitoring Mission
beschlossen. Sie fußt auf der zwischen Europäischer
Union und NATO getroffenen Vereinbarung. Sie hat ausschließlich beobachtenden und humanitären Charakter.
Um diese Mission durchführen zu können, bedarf es entsprechender Absicherung, beispielsweise im Falle von
Verwundung oder Geiselnahme. Das ist, wie bisher übrigens auch, unverändert an die Zustimmung der beteiligten Nationen gebunden.
Ich will Ihnen mit diesem Beispiel eines deutlich machen, was in der Vergangenheit durch die eine oder andere
missverständliche Äußerung in der Öffentlichkeit zu Verwirrungen geführt hat. Es geht nicht um die Stationierung
von KFOR-Kräften in der Bodensicherheitszone. Es geht
nicht um die Übernahme von Verantwortung für ein sicheres Umfeld in Südostserbien. Es geht nicht um Maßnahmen
auf der Grundlage der Charta der Vereinten Nationen durch
KFOR in Südostserbien und auf serbisch-jugoslawischem
Staatsgebiet. Es geht um etwas ganz anderes, nämlich darum, dass die im Militärisch-Technischen Abkommen
schon vorgesehene Implementierungskommission für
die Bestimmungen dieses MTA ihre Arbeit tun kann, dass
zum Beispiel Vertreter des KFOR-Hauptquartiers an Gesprächen über vertrauensbildende Maßnahmen vor Ort teilnehmen können. Das können sie zurzeit tun, aber nicht unter deutscher Beteiligung. Das ist das eigentliche Ärgernis;
denn die bisher geltenden Bestimmungen des Bundestagsmandats machen es unmöglich - ich komme gleich zum
Ende, Frau Präsident -, dass deutsche KFOR-Angehörige, auch solche mit Spitzenpositionen im Hauptquartier, an solchen Gesprächen und Verhandlungen teilnehmen.
Der für die Operationen zuständige stellvertretende
Befehlshaber von KFOR, ein deutscher Offizier, muss an
der Verwaltungsgrenze des Kosovo aus dem Auto steigen.
Er kann an Gesprächen mit Bürgermeistern im PresevoTal und an der Schaffung vertrauensbildender Maßnahmen nicht teilnehmen. Das ist nicht in Ordnung. Dadurch
wird Deutschland singularisiert, was wir uns in der heutigen Situation nicht leisten können.
({6})
Es dürfte selbstverständlich sein, dass wir dabei wie
bisher den Weg kluger Zurückhaltung auch im militärischen Bereich gehen. Ich hoffe, dass der Bundestag nach
sorgfältiger Beratung in den Ausschüssen dem Mandat zu
einer Fortsetzung und zu der hier beschriebenen Erweiterung zustimmen kann.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({7})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Volker Rühe.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Bereits in der Debatte im letzten Jahr hatten wir unseren Wunsch angekündigt, auch in
diesem Jahr zu einer konstitutiven Befassung des Bundestages zu kommen. Unabhängig davon, dass das jetzt
aufgrund der Ausweitung des Mandats zwingend erforderlich wurde, halten wir angesichts der Art und des Umfangs des deutschen Engagements im Kosovo eine jährliche Entscheidung und damit auch eine Rechtfertigung vor
der deutschen Öffentlichkeit für unverzichtbar.
({0})
Die Art und Weise, wie wir über diesen Einsatz diskutieren, muss auch den Respekt vor dem schwierigen Einsatz der Soldaten widerspiegeln. Das darf niemals eine
Routineentscheidung des Deutschen Bundestages werden.
({1})
- Ich meine die Tonlage in dieser Debatte. Nach den Ausschussberatungen - dies ist heute nur die erste Debatte werden wir uns mit diesem Thema noch ausführlich im
Plenum beschäftigen.
Die deutschen Soldaten leisten unter schwierigen Umständen einen großartigen Beitrag zur Stabilisierung und
schaffen damit die Voraussetzung für den Aufbau des
Landes und einer zivilen Gesellschaft. Deswegen danken
wir ihnen ganz besonders für ihr großartiges Engagement.
({2})
Die Lage im Kosovo, gerade auch im Verantwortungsbereich der deutschen Streitkräfte, ist schwieriger geworden; sie wird noch schwieriger werden. Das hängt mit den
Veränderungen in Serbien wie auch mit der Zuspitzung in
Mazedonien zusammen. Die Gefahr wächst, dass von albanischen Extremisten gegen unsere Soldaten vorgegangen wird, nachdem diese Extremisten schon in den letzten
Monaten bei Aggressionen gegenüber der serbischen
Minderheit zunehmend die Gefährdung von KFOR und
UNMIK in Kauf genommen haben. Deshalb müssen Europäer und Amerikaner im Kosovo noch energischer gegen die UCK vorgehen. Ihre Entwaffnung und das Aufspüren von Waffenlagern müssen noch konsequenter
betrieben werden.
Vor allem aber muss die internationale Gemeinschaft
den politischen Führern im Kosovo unmissverständlich
klarmachen, dass es ihren eigenen Anliegen schadet,
wenn sie nicht in der Lage sind, den Einsatz von Gewalt
durch Extremisten zu unterbinden. Die Kosovo-Albaner,
die sich in Deutschland viele Sympathien erworben haben
- wer kann sich nicht an die Bilder von den Hunderttausenden von jungen und alten Menschen erinnern, die
über die hohen Berge geflüchtet sind -, müssen wissen,
dass sie durch Gewalt nichts gewinnen, sondern alles verlieren können.
Die schwieriger gewordene Situation zeigt, wie dringlich es ist, dass der politische Prozess im Kosovo und in
der Region schneller vorankommt; denn der politische
Prozess - der Einsatz der Soldaten ist kein Ersatz für diesen Prozess - hängt noch viel zu weit zurück, weil er nicht
energisch genug vorangetrieben wurde, übrigens auch
nicht von der Bundesregierung. Wir haben immer wieder
ein größeres Engagement eingeklagt, so auch schon vor
einem Jahr. Wir brauchen zwar nicht sofort eine Exit-Strategie, aber doch einen politischen Prozess, der die Leistungen unserer Soldaten nutzt, damit es einen Weg in die
Zukunft gibt.
({3})
Wir brauchen jetzt dringend eine Vereinbarung über
eine substanzielle Autonomie, damit es im Herbst zu
Kosovo-weiten Parlaments- und Präsidentenwahlen kommen kann. Dann werden die Kosovaren die künftige Entwicklung ihres Landes in vielen Bereichen selbst in die
Hand nehmen können. Das ist auch deshalb wichtig, damit die Menschen im Kosovo die internationale Gemeinschaft oder auch unsere Soldaten nicht als Besatzer
ansehen. Das ist eine große Gefahr, wenn es nicht gelingt,
diesen politischen Prozess voranzubringen.
Damit die Selbstverwaltung aber auch Erfolg hat,
müssen die Voraussetzungen dafür erheblich verbessert
werden. Das heißt insbesondere, dass die internationale
Gemeinschaft die rechtlichen und wirtschaftlichen Herausforderungen schneller als bisher bewältigen muss.
Deshalb muss die Einführung moderner Zivil- und Strafgesetze beschleunigt werden. Erst wenn es ein robustes
Rechtssystem gibt, werden auch Investoren kommen.
Aber auch hier Fehlanzeige, was die Initiativen der Bundesregierung angeht.
Das gilt auch für den Aufbau von nachhaltigen Wirtschaftsstrukturen. Das muss effizienter und unbürokratischer ablaufen.
Diese und viele andere Mängel müssen möglichst
schnell beseitigt werden, damit der Autonomieprozess Erfolg hat, wir dadurch wegkommen von der ständigen Diskussion über die Frage des endgültigen Status, die aus
meiner Sicht jetzt nicht zu lösen ist. Dieser Status wird
erst am Ende eines regionalen Prozesses stehen können,
in dem viele noch offene bilaterale Fragen geregelt worden sind und in dem es grenzüberschreitend zu einer Verständigung gekommen ist über Prinzipien wie Gewaltverzicht, Unverletzlichkeit der Grenzen, verpflichtende
Standards des Minderheitenschutzes, der Flüchtlingsrückkehr, über Fragen der gemeinsamen Bekämpfung von
internationaler Kriminalität und Terrorismus sowie über
wirtschaftliche Zusammenarbeit.
Meine Damen und Herren, bei ihrer schwierigen und
gefährlichen Aufgabe hat die Bundeswehr unsere nachhaltige Unterstützung verdient. Womit wir uns aber nicht
mehr abfinden werden, ist, dass dies nur in netten Worten
der Anerkennung in Plenumsdebatten zum Ausdruck
kommt. Es muss sich endlich auch in der finanziellen
Ausstattung der Bundeswehr insgesamt niederschlagen; sonst ist das unglaubwürdig.
({4})
Welche Situation haben wir? Wir haben praktisch eine
zweigeteilte Bundeswehr: eine Bundeswehr Ausland, die
für ihre Einsätze gut ausgerüstet ist und hervorragend vorbereitet wird. Es wird alles getan zum Schutz der Soldaten. Das war immer so und ist auch so geblieben; da allerdings die Mittel insgesamt nicht reichen, häufig
zulasten der Bundeswehr insgesamt. Wir haben nämlich
auch eine Bundeswehr Inland, die immer mehr in eine
hoffnungslose Lage gerät. Das wird sich mittelfristig, was
die Motivation der Soldaten angeht, auch negativ auf die
Auslandseinsätze auswirken.
({5})
Der Zustand der Bundeswehr wird bei unseren Bündnispartnern immer mehr zu einem Faktor des Anstoßes,
auch wegen der Verpflichtung, die in der NATO und der
ESVP eingegangen wurden, aber nicht eingehalten werden können.
Es ist für jedermann erkennbar, dass der Verteidigungsminister seine Möglichkeiten offensichtlich völlig
eingebüßt hat, eine finanziell verbesserte Situation der
Bundeswehr zu erreichen.
({6})
Deshalb ist das längst eine Angelegenheit des Bundeskanzlers und seiner Glaubwürdigkeit gegenüber unseren
Soldaten und den internationalen Partnern geworden. Aus
dieser Verantwortung werden wir ihn nicht entlassen.
({7})
Wir werden ihm im Übrigen auch seine offensichtliche
Gleichgültigkeit und sein manchmal kaltschnäuziges
Desinteresse gegenüber den Anliegen der Soldaten und
der Bundeswehr - das spüren die Soldaten - nicht durchgehen lassen. Wir werden den Bundeskanzler in die
Pflicht nehmen, damit sich die unhaltbare Situation der
Bundeswehr nicht weiter verschlechtert.
({8})
Aus meiner Sicht erfordert es die Lage, dass der Kosovo-Einsatz fortgesetzt und der Einsatz in der Ground
Safety Zone - übrigens entsprechend den Einsatzregeln
der anderen Soldaten auch - ermöglicht wird.
Ich muss aber auch in aller Klarheit sagen: Wenn bei
den Haushaltsberatungen in diesem Jahr in der Regierung
und im Parlament die drastische Unterfinanzierung der
Bundeswehr nicht korrigiert wird und keine grundlegenden Verbesserungen eintreten, dann können wir uns aus
heutiger Sicht und unter den heutigen Umständen nicht
vorstellen, auch im nächsten Jahr einfach unsere Zustimmung zu einem solchen Einsatz zu geben.
({9})
- Warten Sie es ab! - Die Bundesregierung und die Mehrheit des Deutschen Bundestages haben bis zum Abschluss
der Haushaltsberatungen im November sechs Monate
Zeit, die Situation für die Bundeswehr zu verbessern.
Diese Haltung ist keine Abkehr von den Auslandseinsätzen. Schließlich - und das wissen die Soldaten, das
weiß auch die Öffentlichkeit, national und international waren wir es, die gegen heftigste Widerstände von Rot
und Grün - bis hin zum Bundesverfassungsgericht - die
Voraussetzungen für den Auslandseinsatz der Bundeswehr geschaffen haben, die Voraussetzungen dafür, dass
unsere Soldaten zusammen mit den Soldaten im Bündnis
eingesetzt werden können.
({10})
Jetzt muss ich mich an den Außenminister wenden: Es
geht nicht an, Herr Fischer, dass Sie als Außenminister bei
der UNO, der NATO und der Europäischen Union in Bezug auf die Einsatztruppe zusätzliche Verpflichtungen unterschreiben, aber, noch bevor die Tinte getrocknet ist,
zu Hause mit Ihren grünen Parlamentskolleginnen und
-kollegen dafür sorgen, dass der Bundeswehr das
benötigte Geld nicht zur Verfügung gestellt wird. Diese
Kritik gilt übrigens genauso für den Bundeskanzler. Ein
solcher Spagat ist nicht länger hinnehmbar.
({11})
- Sie müssen uns schon erlauben, diesen Einsatz in einen
größeren Zusammenhang zu stellen. Ich habe gerade eine
Einheit besucht: Während diese im Herbst im Kosovo
sein wird, wird sie zu Hause aufgelöst. Was glauben Sie,
was das für die Motivation der Soldaten bedeutet? Wir
müssen also wirklich einen Zusammenhang zwischen den
Auslandseinsätzen und der Frage der Finanzierung der
Bundeswehr insgesamt herstellen. Sonst werden wir der
Verantwortung, die wir gegenüber den Soldaten tragen,
nicht gerecht.
({12})
International immer mehr Verantwortung zu übernehmen, aber zu Hause die Bundeswehr finanziell an die
Wand zu fahren fügt der Bundeswehr schwersten Schaden
zu und untergräbt im Übrigen die Glaubwürdigkeit der
deutschen Außenpolitik.
({13})
Wer die Signale aus Washington nicht spürt und nicht
merkt, wie stark die Glaubwürdigkeit unserer Außen- und
Sicherheitspolitik inzwischen durch Ihre Bundeswehrpolitik, Herr Außenminister, gefährdet wird, der ist blind
und schwerhörig.
Ich bin mir im Übrigen sicher - da machen Sie sich mal
keine falschen Hoffnungen, dass unsere Position missverstanden wird -, dass die Soldaten der Bundeswehr, unsere
Mitbürger in Deutschland und auch unsere internationalen Partner dieses klare Warnsignal der Union an die Regierung gut verstehen werden.
({14})
Es geht uns nicht um den Abbruch der Auslandseinsätze.
Wir müssen aber mit aller Klarheit sagen, dass dem verantwortungslosen Umgang der rot-grünen Bundesregierung
mit unseren Streitkräften ein Ende gemacht werden muss.
({15})
Das Wort hat
jetzt der Herr Außenminister Joschka Fischer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich wollte
eigentlich nur einen ganz auf den Antrag der Mandatsverlängerung und -ausweitung bezogenen Beitrag bringen.
({0})
Aber Ihr Beitrag, Kollege Rühe, macht es einfach notwendig, dass man Ihnen, der Sie ja auch einmal Bundesverteidigungsminister waren, widerspricht.
({1})
Es ist schon eine besondere Form von Politikdarstellung, wenn Sie hier als Abgeordneter, der lange Anlaufschwierigkeiten hatte, seine Rolle in der Opposition zu
finden, Kritik üben, indem Sie mächtig die rhetorische
Keule im Saale schwingen, im Grunde genommen aber
Ihre eigene Rolle völlig unterschlagen. Wo bleibt da die
Glaubwürdigkeit, meine Damen und Herren?
({2})
- Ja, ich will gerne darüber reden. Ich habe zum Beispiel
in der Zeit, als ich Oppositionsabgeordneter war,
({3})
manchem Antrag des damaligen Verteidigungsministers
bzw. der Bundesregierung in Bezug auf Bosnien zugestimmt.
Sie fordern also hier nun eine jährliche Beschlussfassung ein. Eine jährliche Beschlussfassung haben Sie damals bezüglich des SFOR- und des Adria-Einsatzes abgelehnt.
({4})
Ich möchte das nur einmal festhalten.
Sie möchten das Ganze in einem größeren Zusammenhang sehen und sagen, die Bundesregierung sei politisch
nicht vorangekommen. Bei einer solchen Kritik vonseiten
der Opposition muss sich der Kollege Rühe schon einmal
Ausführungen darüber gefallen lassen, wo wir denn eigentlich in Bosnien stehen. Diese Bundesregierung hat
doch etwas erreicht, was die Vorgängerregierung über
Jahre hinweg nicht erreicht hat.
Sachlich betrachtet besteht doch heute ein ganz anderes Problem. Kollege Rühe weiß ja viel besser, als es seine
Polemik als Oppositionsabgeordneter vermuten lässt,
welche Widerstände auch in Bosnien noch heute zu überwinden sind.
({5})
Ich erinnere nur an die jüngsten Vorgänge in Banja Luka,
auf der Seite der Republika Srpska.
Herr Außenminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Rühe?
Bitte.
Herr Kollege Fischer, Sie
haben das schon im letzten Jahr ähnlich dargestellt. Ich
wollte Ihnen damals nicht widersprechen. Wenn Sie sagen, wir hätten die jährliche Beschlussfassung abgelehnt: Darf ich Sie dann daran erinnern, dass sowohl Sie
als auch der Fraktionsvorsitzende der SPD bei mir als Verteidigungsminister mit der Bitte vorstellig geworden sind,
wegen der Schwierigkeiten in Ihren Fraktionen, dort jeweils eine klare Meinungsbildung herbeizuführen,
({0})
nicht jährlich abzustimmen - genauso war es -, und dass
wir insofern auf die Opposition zugegangen sind und auf
die jährliche Beschlussfassung verzichtet haben? Jetzt
sind wir die Opposition. Wenn wir die jährliche Abstimmung fordern, weil wir mit der politischen Meinungsbildung keine Probleme haben, dann sollten Sie die Dinge
nicht in der Weise verdrehen, wie Sie es gemacht haben.
({1})
Kollege Rühe, den Vorwurf des Verdrehens muss ich Ihnen direkt zurückgeben. Wir haben die sehr harte Auseinandersetzung um die Beschlussfassung in der Fraktion
öffentlich geführt. Wir haben sie auch im Übergang zur
Regierungspartei geführt. Wir haben sie auf dem KosovoParteitag, aber auch schon in der Legislaturperiode vorher
geführt. Da gab es überhaupt nichts zu verstecken, geschweige denn dass ich bei Ihnen gebeten hätte, auf die
jährliche Beschlussfassung zu verzichten.
({0})
Herr Außenminister, gestatten Sie auch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Scharping?
Bitte, ich gestatte alle Zwischenfragen.
Herr Kollege Fischer, können Sie zur Kenntnis nehmen, dass ich den Kollegen Rühe
in seiner Eigenschaft als Verteidigungsminister in der Vergangenheit zu keinem Zeitpunkt gebeten habe, die jährliche Beschlussfassung wegen angeblicher Schwierigkeiten in meiner Fraktion zu vermeiden?
Ich kann das nach meinen Kenntnissen nur bestätigen.
({0})
Das war ein echter Rühe.
Ich möchte jetzt nicht vertiefend auf das eingehen,
Herr Kollege Rühe, was in Ihrem Verantwortungsbereich
als Verteidigungsminister geschehen ist. Wenn Sie jetzt
etwa den Bundeskanzler angreifen und behaupten, dass er
zur Bundeswehr ein kaltschnäuziges Verhältnis habe
- was ich in aller Form zurückweise -,
({1})
und wenn Sie den Bundesverteidigungsminister in diesem
Zusammenhang angreifen, kann ich nur sagen: Unsere
Partner haben die notwendige Militärreform bereits
Mitte der 90er-Jahre durchgeführt. Wie hieß denn damals
der Bundesverteidigungsminister?
({2})
Wenn Sie heute über eine Unterfinanzierung sprechen, kann ich nur sagen: Ich weiß nur zu gut, wie schwer
die Finanzierung ist, nicht nur im Bereich des Kollegen
Scharping, sondern auch in meinem Bereich. Aber wenn
wir die Konsolidierungspolitik nicht angepackt hätten
- die Sie schon längst hätten anpacken müssen -, dann
hätten wir weder die entsprechende Umkehr in der Wirtschaftsentwicklung noch den Modernisierungseffekt erreicht.
({3})
Sich heute hier hinzustellen und die nicht stattgefundene Bundeswehrreform sowie die Unterfinanzierung bei
dieser Regierung abzuladen, finde ich für einen ehemaligen Verteidigungsminister, der für diese Untätigkeit die
Verantwortung hat, mit Verlaub gesagt das Allerletzte.
({4})
Diese geteilte Bundeswehr - ich möchte es nochmals
betonen - haben wir doch von Ihnen übernommen. Sie
hätten sie durch die Bundeswehrreform so, wie es die
Franzosen, die Briten und die Amerikaner Anfang der
90er-Jahre gemacht haben, anpacken müssen. Dann hätten wir die Probleme, die wir gegenwärtig zu lösen haben,
in dieser Form nicht mehr
({5})
respektive hätten sie schon sehr weitgehend lösen können.
Herr Außenminister, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage? - Bitte.
Herr Außenminister, darf
ich fragen, ob wir noch etwas zum Antrag der Bundesregierung hören oder ob Sie zur Bundeswehrreform Stellung nehmen wollen?
Entschuldigung, ich weiß nicht, wie es in der neuen F.D.P.
üblich ist. Ich pflege in einer parlamentarischen Debatte
die Argumente, die von der Opposition vorgebracht werden, ernst zu nehmen und darauf einzugehen.
({0})
Ich habe dem Kollegen Rühe sehr sorgfältig zugehört. Er
teilt gewiss nicht meine Position, aber das Wesen der parlamentarischen Debatte ist ja nicht dadurch geprägt, dass
wir Freundlichkeiten austauschen, sondern dadurch, dass
wir gegenseitig auf Argumente eingehen, die wir für
falsch respektive für richtig halten. Das habe ich jetzt getan. Wenn das die F.D.P. in Unruhe versetzt, dann bitte.
({1})
Ich für meinen Teil komme, nachdem ich jetzt die Fragen beantwortet habe, gerne zum eigentlichen Thema.
({2})
- Ich habe keine halbe Stunde Redezeit, sondern sechseinhalb Minuten. Ich habe jetzt drei Fragen beantwortet,
unter anderem Ihre. Ich finde es, wenn wir über einen
Bundeswehreinsatz reden und ein ehemaliger Verteidigungsminister solche Vorwürfe erhebt, wichtig, dass die
Bundesregierung in Gestalt des Bundesaußenministers
dem entgegnet. Ich weiß nicht, was es daran zu kritisieren
gibt.
({3})
Es ist sehr wichtig, dass wir die Präsenz in der Region
aufrechterhalten. Es ist ein langfristiges Engagement. Ich
stimme all denen zu - in der Sache sind die Widersprüche
ja gar nicht so groß, wie es hier teilweise dargestellt
wird -, die sagen: Wir werden nur dann eine politische
Lösung finden, wenn wir dieses Engagement aufrechterhalten und der gesamten Region gleichzeitig eine europäische Zukunft vermitteln.
Ich glaube, wesentliches Ergebnis des Einsatzes von
KFOR und auch von UNMIK ist die Entwicklung in der
Gesamtregion. Eines der wichtigsten Ereignisse im vergangenen Jahr, dem Jahr, in dem das Mandat lief, ereignete sich nicht im Kosovo, sondern in Belgrad. Denn dort
fand eine demokratische, eine friedliche Revolution statt.
Ein Teil des Problems der Mandatsausweitung, über
die wir heute diskutieren, hängt unmittelbar damit zusammen: Aufgrund der veränderten Situation ist in einem
bestimmten Segment, nämlich dort, wo es eine albanische
Bevölkerungsmehrheit gibt - staatsrechtlich gehört dieses
Gebiet allerdings zu Serbien -, eine Pufferzone entstanden. Dort hat sich tatsächlich ein Vakuum entwickelt, das
destabilisierende Wirkungen auf den Kosovo und auch
auf Mazedonien sowie die gesamte Region haben kann.
Dieses Vakuum kann nicht hingenommen werden.
Nach unserer Meinung war es auch nicht sinnvoll, hier
ein neues Mandat zu schaffen. KFOR hat einen im doppelten Sinne des Wortes sehr guten Ruf im Kosovo. KFOR
wird ernst genommen. Insofern ist es wichtig, dass es nicht
eine Mandatsausweitung im Sinne eines Kampfeinsatzes
gibt. Vielmehr geht es dort um die Möglichkeit der Präsenz
von deutschen Truppenangehörigen und deutschen Stabsangehörigen in gemischten Gruppen bei Verhandlungen
auch unter dem Gesichtspunkt, dass es zu einer gefährlichen Situation für unbewaffnete EU-Monitoren kommen
könnte und dann die Bundeswehr dort gemeinsam mit den
Partnern beteiligt werden kann. Nicht mehr und nicht weniger.
Wir meinen, dass wir jetzt vor der schwierigen Entscheidung stehen, das entsprechende Autonomiestatut
im Kosovo zu vollenden. Allerdings bleibt die Schwierigkeit, dass die Mehrheit der Kosovaren hierzu eine andere, nämlich eine nur transitorische Position vertritt und
recht schnell in Richtung Unabhängigkeit gehen will.
Dies ist weder durch die Resolution 1244 noch durch die
Interessen der Nachbarn gedeckt.
Ich stimme ausdrücklich all denen zu, die sagen: Dies
ist heute nicht lösbar. Möglich sind aber vertrauensbildende Maßnahmen und vor allen Dingen die Implementierung von Grundsätzen, die später eine substanzielle Lösung möglich machen.
Was bleibt, ist - insofern sehe ich mit einer gewissen
Sorge die Entwicklung in Bosnien-Herzegowina, in
Mostar, und auch die Entwicklung in Banja Luka -, dass
natürlich auch in Mazedonien ein aggressiver Nationalismus, der nicht an eine Volksgruppe dort in der Region
gebunden ist, versucht, die Bereitschaft der internationalen Staatengemeinschaft ein weiteres Mal zu testen. Wir
dürfen nicht zulassen, dass dort - egal, mit welcher nationalistischen Begründung - Grenzen mit Gewalt verändert
werden, dass im Grunde genommen durch Terror wieder
eine Politik der ethnischen Säuberung versucht werden
soll.
({4})
Heute sind wir hier in einer wesentlich besseren Situation, in der wir klarmachen können, dass wir nicht akzeptieren können, dass ein aggressiver Nationalismus von
albanischen Extremisten die territoriale Integrität Mazedoniens gefährdet. Hier muss mit Klugheit und Entschlossenheit vorgegangen werden. Aber genauso muss
klar sein, dass die albanische Minderheit in Mazedonien
ein gleichberechtigtes Zuhause finden muss. Wir unterstützen also mit allem Nachdruck, was Javier Solana, der
Hohe Beauftragte der EU, und George Robertson, der
NATO-Generalsekretär, in den letzten Tagen erreicht haben. Ich möchte hier nochmals an die mazedonische Regierung und an alle demokratischen Parteien appellieren,
hier endlich substanzielle Schritte zu machen, sodass es zu
einer entsprechenden Modernisierung der Verfassung und
dann auch der Verfassungswirklichkeit in Mazedonien
kommt,
({5})
damit die Mehrheit der albanischstämmigen Mazedonier
eben nicht in Richtung der Extremisten gedrückt wird.
Alles in allem ist die Präsenz von KFOR unverzichtbar,
übrigens genauso wie von SFOR. Es wird ganz entscheidend darauf ankommen, dass wir diese Präsenz für das Erreichen einer politischen Lösung nutzen. Ich möchte aber
vor Illusionen warnen. Das Erreichen dieser politischen
Lösung wird dauern. Wir sind hier vorangekommen.
Wenn wir die jetzige mit der Situation von vor einem Jahr
vergleichen, können wir feststellen: Beeindruckende
Fortschritte sind erzielt worden. Mit den Wahlen im
Herbst wird es zu weiteren Fortschritten kommen.
Die Entwicklung in Mazedonien gibt aufgrund der demokratischen Wahlen Anlass zu etwas Erleichterung. In
Bosnien sind die wirklichen Probleme noch nicht gelöst.
Auch diese werden letztendlich in einen Regionalansatz
eingebunden werden müssen, der Stabilität, der Frieden,
der gemeinsame Entwicklung in Richtung des Europas
der Integration zum Gegenstand hat.
Dafür ist es notwendig, das Mandat zu verlängern und um
diesen einen Punkt zu erweitern, damit es nicht zu neuen
Unsicherheiten kommt. Ich bitte deshalb um Ihre Zustimmung.
({6})
Zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Rühe das Wort.
Ich möchte drei kurze
Feststellungen treffen:
Erstens. Ich bleibe bei meiner Behauptung. Wir haben
zu unserer Regierungszeit im Bundestag zunächst jährlich
die Einsätze beschlossen. Es war eine Initiative vor allen
Dingen von den Grünen, aber auch von der sozialdemokratischen Seite, von jährlichen Beschlussfassungen
abzugehen, damit, wie argumentiert wurde, man nicht
ständig diese schwierigen Abstimmungen im Bundestag
habe. Jetzt sind wir in der Opposition und wir haben die
Bitte, jährlich abzustimmen, weil wir wollen, dass solche
Entscheidungen nicht zur Routine werden.
Zweitens. Sie haben bemängelt, wir hätten in den 90erJahren keine Bundeswehrreform durchgeführt. Ich weiß
nicht, wo Sie gewesen sind. Wir haben nicht nur aus zwei
Armeen eine gemacht - das ist, was unsere Streitkräfte angeht, wahrscheinlich immer noch die größte Leistung in
den 90er-Jahren -, sondern wir haben, ganz präzise formuliert, 1994 eine Verkleinerung der Bundeswehr um
30 000 Soldaten vorgenommen. - Herr Fischer, hören Sie
doch einmal zu, anstatt auf der Regierungsbank so arrogant zu lachen!
({0})
Die Reduzierung der Bundeswehr war verbunden mit
einer grundlegenden Reform: Wir haben Krisenreaktionskräfte geschaffen. Wenn wir diese Krisenreaktionskräfte
nicht geschaffen hätten, hätten Sie heute in Jugoslawien
nicht einmal eine Kompanie im Einsatz. Dies ist übrigens
gegen den erbitterten Widerstand gerade der Grünen und
zum Teil gegen den der Sozialdemokraten erfolgt. Ich erinnere mich noch an die erbitterten Angriffe im Verteidigungsausschuss gegen die Schaffung dieser Krisenreaktionskräfte. Durch diese Reform wird es Deutschland heute
ermöglicht, Soldaten auf dem Balkan zu stationieren und
eine internationale Rolle zu spielen. Das sollten Sie nicht
vergessen. Früher haben Sie ja ein kurzes Gedächtnis gehabt; jetzt sollten Sie ein etwas längeres entwickeln.
({1})
- Entschuldigung, das ging vielleicht etwas über den Rahmen einer Kurzintervention hinaus.
Drittens zur Finanzierung: Natürlich ist Geld immer
knapp. Auch bei uns gab es keine Situation, in der wir
Geld im Überfluss hatten. Wir haben über vier Jahre hinweg 20 Milliarden DM mehr zur Verfügung gestellt; Anfang der 90er-Jahre netto natürlich noch mehr. Wenn Sie
jetzt sagen, die Vorgängerregierung habe zu wenig Geld
für die Bundeswehr eingesetzt, dann wäre doch die logische Folge, dass Sie mehr Geld für die Bundeswehr bereitstellen. Stattdessen stellen Sie 20 Milliarden DM weniger zur Verfügung. Das ist eine Zerstörung der
Glaubwürdigkeit der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik.
({2})
Wollen Sie antworten?
({0})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Günther Nolting.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Minister Fischer, Sie
hätten angesichts dieser sehr wichtigen Frage vielleicht
doch zum Antrag der Bundesregierung sprechen sollen.
Dann hätten Sie uns Ihre peinliche Vorstellung erspart.
Vielleicht hätten Sie uns sogar überzeugen können.
({0})
Denn, Herr Minister Fischer, die jetzige Formulierung des
vorliegenden Antrages öffnet Tür und Tor für nicht kalkulierbare Einsätze. Eine derartige undifferenzierte Erweiterung des Mandats lehnt die F.D.P. ab. Für eine Blankoscheckpolitik ist die F.D.P. nicht zu haben.
({1})
Herr Minister Fischer, Herr Minister Scharping, wir sehen gegenwärtig nicht die Notwendigkeit eines Einsatzes
von Bundeswehrsoldaten in der Sicherheitszone, da diese
nicht dem Einsatzsektor der deutschen Truppen vorgelagert ist. Ein solcher Einsatz würde zum Beispiel die
Führung von Bundeswehrpatrouillen unnötig komplizieren.
({2})
Die F.D.P. ist dafür, dass den deutschen KFOR-Soldaten alle Mittel zur Verfügung gestellt werden, die zur beiBundesminister Joseph Fischer
spielhaften Auftragserfüllung in ihrem Sektor im Kosovo
notwendig sind. Wir sind dafür, dass sie bestmöglich
ausgebildet werden, dass ihre Ausrüstung und Bewaffnung modernstem Standard entspricht und dass sie die
größtmögliche Fürsorge erhalten. Aber müssen unsere
Soldaten über ihren eigentlichen Bereich hinaus Einsatzaufträge erhalten? Wir lehnen eine Automatik der Auftragserweiterung genauso ab wie einen vorauseilenden
Gehorsam des Außen- und des Verteidigungsministers.
({3})
Nur weil Minister Fischer ständig zum Musterknaben
unseres großen Bündnispartners mutieren will, darf der
Gefährdungsgrad unserer Soldaten nicht leichtfertig erhöht werden.
({4})
Nur weil Minister Scharping im Bündnis zunehmend
schwerer die drastische Unterfinanzierung der Bundeswehr erklären kann, dürfen Einsatzwille und Leistungsbereitschaft unserer Soldaten nicht missbraucht werden.
({5})
Statt sich um den inneren Zustand der Bundeswehr zu
kümmern, statt die Bundeswehrreform voranzutreiben,
statt die Anschubfinanzierung sicherzustellen und statt
das Attraktivitätsprogramm zu realisieren, betreibt der
Verteidigungsminister die Ausweitung des Einsatzraumes
der deutschen KFOR-Soldaten auf Serbien. Statt den Stabilitätspakt von Südosteuropa zu forcieren, statt sich endlich um Menschenrechtsverletzungen zu kümmern, statt
die Beendung des Tschetschenienkrieges einzufordern
und statt energisch deutsche Interessen in Fragen der Raketenabwehr und der NATO-Erweiterung zu vertreten,
versucht der Außenminister mit der Zusage des Einsatzes
deutscher KFOR-Soldaten auf serbischem Gebiet zu
glänzen.
({6})
Die F.D.P. steht zur NATO und zur UNO, ohne jeden
Zweifel. Die F.D.P. ist aufgrund der unverändert fragilen
Lage für den Verbleib der Bundeswehr im Kosovo, trotz
der permanenten Gefährdung für Leib und Leben unserer
Soldaten. Wir danken unseren Soldaten für diese schwierige Arbeit.
({7})
Die F.D.P. ist allerdings gegen eine nicht notwendige Erhöhung dieser Gefährdung durch eine logisch nicht zu begründende Ausweitung des Mandats.
Herr Minister Scharping, Herr Minister Fischer: Wenn
es um Gespräche von Offizieren mit Bürgermeistern geht,
dann brauchen wir keine Mandatserweiterung. Wozu aber
werden drei Kompanien benötigt, die für den Einsatz vorgesehen sind?
({8})
Auch diese Frage wurde heute nicht beantwortet. Die
F.D.P. lehnt das Ansinnen der Bundesregierung daher
heute ab; das verlangt die Fürsorge für unsere Soldaten.
Es ist auch bezeichnend, dass heute nur Regierungsmitglieder von Rot-Grün gesprochen haben. Es haben
keine rot-grünen Parlamentarier gesprochen.
({9})
Ich sage dazu: Die Bundeswehr ist keine Regierungsarmee. Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee und muss
eine Parlamentsarmee bleiben.
({10})
Mich interessiert sehr, wie rot-grüne Parlamentarier zu
dieser Frage stehen. Auch dazu hat es hier heute keine
Antwort gegeben.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({11})
Herr Minister
Scharping, ich will Sie nur darauf hinweisen, dass es die
Regel ist, dass von der Regierungsbank nicht dazwischengerufen wird. Ich muss aber zugeben, dass von anderen Kollegen immer wieder gegen diese Regel verstoßen wird.
({0})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Wolfgang Gehrcke.
({1})
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich finde es schon sehr interessant, auf die kurze Kontroverse Rühe, Scharping,
Fischer zurückzukommen. Wenn ich es ein bisschen überziehen würde, würde ich sagen: einen Untersuchungsausschuss einsetzen.
({0})
Ich sage Ihnen aber sehr ernsthaft: Vor dem Hintergrund,
dass sich die Bundesregierung öffentlich immer mehr fragen lassen muss, ob sie im Zusammenhang mit der Entscheidung für den Krieg die Bevölkerung belogen, beschwindelt und betrogen hat,
({1})
ist die Frage, ob sich Politiker der Grünen und der SPD mit
dem ehemaligen Verteidigungsminister der CDU/CSU gegen die eigenen Parteien verbündet haben, klärenswert.
Ich finde, sie sollte hier geklärt werden; denn dies ist ein
ganz erheblicher Vorwurf.
({2})
Vielleicht hat sich auch jemand geirrt oder hat gelogen wie immer man das bezeichnen mag.
Des Weiteren ist es mir wichtig festzuhalten, dass die
Bundesregierung nicht nur eine Verlängerung des Mandates, sondern eine Ausweitung des Mandates bzw. eigentlich ein neues Mandat beantragt.
({3})
Ich gehe einmal mit Selbstverständlichkeit davon aus,
dass die Bundesregierung bereit ist, über beide Teile ihres
Antrages hier im Parlament getrennt abstimmen zu lassen.
Das ist zwar kein Problem der PDS; wir werden beide
Teile ablehnen. Das ist aber ein Problem verschiedener
Kolleginnen und Kollegen.
({4})
Auch da werden wir sehen, ob und inwieweit die Bundesregierung bereit ist, sich demokratischen Spielregeln
zu unterziehen, oder ob hier wieder eine Sache zusammengebunden wird, die aus meiner Sicht so nicht zusammen gehört.
({5})
Ich will auch auf das antworten, was Rudolf Scharping
als Bilanz vorgestellt hat. Seiner Anregung, auf die Bilanz
zu schauen, sollte man durchaus nachkommen. Schauen
wir einmal auf die Bilanz zwei Jahre nach dem Krieg:
Krieg in Mazedonien.
Es ist nicht erheblich, ob in Mazedonien der Kriegszustand ausgerufen wird oder nicht. Ich bin froh, dass er
nicht ausgerufen wurde, aber in Mazedonien findet Krieg
statt. Bewaffnete Auseinandersetzungen gibt es nach wie
vor im Kosovo. Die Vertreibung der einen Ethnie ist durch
die Vertreibung anderer aus dem Kosovo ersetzt worden.
({6})
Instabilität gibt es in Montenegro und in Bosnien. Das ist
auch Teil der Bilanz, die Sie hier nicht schönreden können
und der Sie sich stellen müssen.
({7})
Ihr jetzt eingebrachter Antrag, die deutsche Beteiligung auf die Sicherheitszone auszudehnen, ist ebenfalls
Ausdruck von Instabilität und nicht von Stabilität. Auch
das muss hier ausgesprochen werden.
({8})
Wir sollten auch ganz deutlich festhalten: Die neu gewählte jugoslawische Volksvertretung hat in einem Brief
an den Deutschen Bundestag, den Sie einmal lesen sollten, ausgedrückt, dass rechtlich gesehen nach der UNOResolution einzig und allein KFOR die Verantwortung für
alles trägt, was im Kosovo und aus dem Kosovo heraus
geschehen ist.
Unser Weg ist ein anderer.
({9})
Wir lehnen die Erweiterung des Mandates ab. Wir lehnen
die Verlängerung des Mandates ab.
({10})
Wir schlagen vor, die im Rahmen der KFOR eingesetzten
Bundeswehreinheiten abzuziehen. Weil diese sich im Bewusstsein der Menschen zu Komplizen der UCK gemacht
haben - dieses Problem besteht doch real -, ist KFOR
nicht geeignet und sollte durch eine UN-Blauhelmtruppe
ersetzt werden.
Danke sehr.
({11})
Zu einer Kurzintervention erhält der Abgeordnete Rudolf Scharping das
Wort.
({0})
Herr Kollege Nolting, ich
wollte Ihnen so wie im Gespräch mit den Fraktionen und
in der Sitzung des Ausschusses für Verteidigung des Deutschen Bundestages auch bei dieser Gelegenheit und damit
zum dritten Mal erläutern, dass die Umgruppierung der
logistischen Kräfte zwischen Mazedonien und dem Kosovo Personal in der Stärke von etwa drei Kompanien
freisetzt, die zur Wahrnehmung von Aufgaben im Kosovo
eingesetzt werden können, zum Beispiel bei der verstärkten Grenzüberwachung zwischen Kosovo und Mazedonien.
Der von Ihnen fortwährend unternommene Versuch,
diese drei Kompanien in Zusammenhang mit den Tätigkeiten im Presevo-Tal zu bringen, ist Ihnen jetzt zum dritten Mal als sachlich völlig unhaltbar erläutert worden.
Wenn es erforderlich wird, werde ich Ihnen das in der
Hoffnung, dass es irgendwann verstanden wird, bei jeder
Gelegenheit erneut erläutern.
({0})
Herr Nolting,
bitte.
Herr Abgeordneter Scharping, ich hatte zwar den Minister angesprochen, aber ich unterhalte mich auch mit dem Abgeordneten.
({0})
Herr Kollege
Nolting, das Kurzinterventionsrecht ist ein Recht von Abgeordneten. Deswegen ist das so berechtigt.
Das habe ich
nicht bestritten.
Das ist also kein
Anlass, sich darüber zu mokieren.
Herr Abgeordneter Scharping, wenn es um Gespräche geht, die in der
Sicherheitszone geführt werden sollen, dann brauchen
wir keine Mandatsänderung. Wenn es um Grenzsicherung geht, dann brauchen wir erst recht keine Mandatsänderung, denn das gibt das jetzige Mandat schon
her.
Sie müssen dann schon genau erklären, was folgende
Formulierung im Antrag der Bundesregierung heißt:
Darüber hinaus können deutsche Kräfte zur Wahrnehmung von Aufgaben, die auf der Grundlage des
Militär-Technischen Abkommens KFOR übertragen
sind, auch in der Boden- und Luftsicherheitszone
eingesetzt werden.
Da bitten wir wirklich um Präzisierung, weil wir Ihnen
eben keinen Blankoscheck mit auf den Weg geben wollen,
weil wir an diesem Punkt kein unkalkulierbares Risiko
eingehen wollen.
Sie müssen Verständnis dafür haben, dass wir sowohl
als Parlamentarier als auch als Opposition unserer Verantwortung gegenüber den Soldaten nachkommen. Nichts
anderes ist hier gemeint. Dieser Verantwortung sollten Sie
auch nachkommen.
({0})
Ich schließe da-
mit die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
Drucksache 14/5972 und 14/5964 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie
damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Über-
weisung so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 8 a und 8 b auf:
a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Ulrike Flach, Birgit Homburger, Horst Friedrich
({0}), weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der F.D.P.
Biologisch abbaubare Werkstoffe
- Drucksachen 14/2437, 14/3448 -
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgit
Homburger, Marita Sehn, Ulrike Flach, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Umsetzung der EU-Altfahrzeugrichtlinie ökologisch sinnvoll und ökonomisch verantwortlich gestalten
- Drucksache 14/5466 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({1})
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen, wobei die
F.D.P. sieben Minuten erhalten soll. Kein Widerspruch?
- Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst die
Abgeordnete Birgit Homburger.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute die Antwort
auf die Große Anfrage der F.D.P. zu biologisch abbaubaren Werkstoffen. In dieser Antwort hat die Bundesregierung bestätigt, dass nachwachsende Rohstoffe aus der
Land- und Forstwirtschaft einen erheblichen Beitrag zum
Klimaschutz leisten können.
Mit der Verwendung von Produkten aus nachwachsenden Rohstoffen kann man dem Treibhauseffekt entgegenwirken, und die Gründe dafür liegen auf der Hand. Am
Ende der Nutzungskette wirkt sich nämlich ein Effekt aus,
den man als CO2-Neutralität bezeichnet. Das bedeutet,
dass insbesondere die pflanzlichen Rohstoffe im Laufe ihres Wachstums CO2 aufnehmen, und wenn sie am Ende
ihres Produktlebens verwertet werden, belasten sie die Atmosphäre nicht mit mehr CO2, als sie vorher während ihres Wachstums aufgenommen haben. Die Nutzung solcher Rohstoffe ist also weitgehend CO2-neutral. Im
Unterschied zu konventionellen Materialien wird durch
sie die Klimabelastung nicht erhöht.
Außerdem haben nachwachsende Rohstoffe während
ihrer Nutzungsphase die ökologisch wichtige Eigenschaft, etwa im Vergleich mit Stahl besonders leicht zu
sein. Wenn nachwachsende Rohstoffe zum Beispiel im
Fahrzeugbau Verwendung finden, reduzieren sie das Gewicht der Fahrzeuge und damit auch den Kraftstoffverbrauch. Dies wiederum entlastet das Klima. Biologisch
abbaubare Werkstoffe haben also ein zweifaches Potenzial für den Klimaschutz.
In der Antwort auf die Große Anfrage der F.D.P. erwähnt
die Bundesregierung vor diesem Hintergrund Förderprogramme, mit denen die Entwicklung und der Einsatz solcher Werkstoffe unterstützt werden. Diese Programme hat
der damalige Landwirtschaftsminister Funke vorgestellt
und dabei ausdrücklich Bezug auf hochwertige neue Erzeugnisse, unter anderem im Bereich der Fahrzeugteile, genommen. Auch an anderer Stelle hat die Bundesregierung
festgestellt, dass der Einsatz nachwachsender Rohstoffe bei
der Herstellung von Pkw einen Beitrag dazu leisten kann,
möglichst leichte Fahrzeuge herzustellen.
So weit, so gut - eine erfreuliche Entwicklung. Die
F.D.P. freut sich, dass die Bundesregierung das so sieht,
und unterstützt, dass das so gefördert wird.
({0})
Wenn aber nun die ökologischen Vorteile dieser Materialien erkannt wurden und wenn deshalb deren Förderung, und zwar mit dem Geld der Steuerzahler, beschlossen wurde, sollte man von einer verantwortlichen und
konsistenten, sprich: einer widerspruchsfreien, Umweltpolitik eigentlich erwarten, dass nicht an anderer Stelle
Regelungen getroffen werden, die dem, was eigentlich gefördert werden sollte, entgegenwirken.
({1})
Aber genau das droht den deutschen Steuerzahlern im
Rahmen der Umsetzung der EU-Altfahrzeugrichtlinie.
Genau das ist auch der Grund, warum wir heute die Antwort auf die Große Anfrage zu biologisch abbaubaren
Werkstoffen und das Thema Altfahrzeugrichtlinie gemeinsam behandeln. Die F.D.P. hat mit Blick auf die Altfahrzeuge darauf hingewiesen, dass eine produktbezogene Umweltpolitik, die glaubwürdig und nachhaltig sein
will, alle Phasen des Produktlebenszyklus bedenken
muss. Dem hat sich die Bundesregierung im Übrigen in
ihrer Antwort auf unsere Anfrage angeschlossen.
Wir von der F.D.P. haben ferner darauf hingewiesen,
dass eine Reduzierung des Kraftstoffverbrauchs und der
Emissionen beim Fahrzeugbetrieb aus ökologischer Perspektive nicht durch unsinnige Vorgaben beim Fahrzeugrecycling konterkariert werden darf. Auch dem hat die
Bundesregierung in ihrer Antwort auf unsere Anfrage
ausdrücklich zugestimmt. Wenn es Ihnen also ernst ist,
dann sollte Sie nichts hindern,
({2})
dem F.D.P.-Antrag zuzustimmen; genau das, Frau
Ganseforth.
({3})
Stattdessen drohen allerdings - das möchte ich jetzt
doch etwas erläutern - nach dem rot-grünen Entwurf eines
Gesetzes über die Entsorgung von Altfahrzeugen mit
Stand vom 20. April - einen neueren habe ich nicht - ökologisch unsinnige Vorgaben für das Recycling von Altfahrzeugen. In Ihrem Entwurf soll die EU-Altfahrzeugrichtlinie in dieser Hinsicht stur und wortgetreu umgesetzt
werden. Sie sieht unter anderem vor, dass bis 2015 eine
stoffliche Recyclingquote von 85 Gewichtsprozent erfüllt
werden muss. Die F.D.P. hat in ihrem Antrag schon deutlich darauf hingewiesen, dass eine solche Quotenvorgabe
ökologisch kontraproduktiv ist, und zwar deswegen, weil
sie beim Fahrzeugbau den Leichtbau behindert.
Der Grund dafür ist einleuchtend: Je schwerer ein
Fahrzeug ist, je schwerer also die einzelnen Bauteile sind,
desto weniger Bauteile müssen wiederverwertbar sein,
um die geforderten 85 Prozent zu erfüllen. Verwendet
man für die Wiederverwertung Kotflügel aus Stahl, dann
sind 85 Gewichtsprozent schnell erreicht. Werden solche
Bauteile durch leichte Teile, zum Beispiel aus nachwachsenden Rohstoffen, ersetzt, dann müssen die Hersteller
auf immer kleinere Bauteile zurückgreifen, um die Quote
zu erfüllen. Das wiederum erhöht nachher die Recyclingkosten.
({4})
Da die Nutzung von Leichtbauwerkstoffen aus Sicht
der Fahrzeughersteller durch die Richtlinie in Zukunft
also weniger attraktiv sein wird, entsteht - das ist der
zweite und an sich wesentliche Punkt - bei den Herstellern der Anreiz, bei der Konstruktion und dem Bau von
Fahrzeugen unnötig schwere Konstruktionsweisen beizubehalten oder sogar - das ist das, was wir befürchten Entwicklungen, die in die richtige Richtung gegangen
sind, rückgängig zu machen. Bei der Fahrzeugentwicklung würden also vor allem konventionelle, vergleichsweise schwere Strukturkonzepte realisiert, was wiederum
den Kraftstoffverbrauch erhöht.
({5})
Auch diesen Effekt hat die Bundesregierung auf Anfrage
der F.D.P. ausdrücklich anerkannt und erklärt, sie wolle
dieses Problem bei den weiteren Beratungen berücksichtigen. - Frau Ganseforth, wenn Sie das nicht akzeptieren, ist das Ihr Problem. Ihre Bundesregierung sieht das
genauso wie die F.D.P.
({6})
Allerdings - das ist genau der Punkt - kann in dem Entwurf, der bisher vorliegt, davon keine Rede mehr sein. All
das, was die Bundesregierung anerkannt hat, greift sie in
ihrem Entwurf nicht mehr auf. Nach wie vor enthält der
jüngste Referentenentwurf eines Gesetzes über die Entsorgung von Altfahrzeugen diese ökologisch kontraproduktive
Quotenvorgabe. Wenn Sie die Altfahrzeugrichtlinie so umsetzen, wie das in dem Entwurf vorgesehen ist, dann wäre
dies die erste Quote, von der die Bundesregierung im Vorfeld selber erkannt hat, dass sie der Umwelt schaden könnte.
Deswegen fordern wir Sie auf: Stimmen Sie dem Antrag der F.D.P. zu.
({7})
Ermöglichen Sie eine Umsetzung der EU-Altfahrzeugrichtlinie, die ökologisch sinnvoll und ökonomisch verantwortlich ist.
({8})
Was die Forderung im F.D.P.-Antrag nach einer ökonomisch verantwortlichen Gestaltung der steuerlichen
Folgen der Umsetzung dieser Richtlinie betrifft, zeigt die
Bundesregierung offenbar Einsicht, in diesem Fall sogar
im Gesetzentwurf. Die F.D.P. hatte eine Kleine Anfrage zu
den ökonomischen Auswirkungen und zu Fragen der
Rückstellungen gemacht. Diese werden dem Wähler jetzt
als Pilotprojekt verkauft. Dahinter verbirgt sich nichts anderes als ein peinliches Eingeständnis: Sie sind nämlich
gezwungen, das Handelsrecht und das Einkommensteuerrecht zu ändern.
({9})
Anderenfalls hätten Sie nämlich zugeben müssen, dass
Sie auf europäischer Ebene einer Richtlinie zugestimmt
haben, die die deutsche Automobilindustrie in ernst zu
nehmende Schwierigkeiten bringt.
({10})
Die Zahlen, die noch vor wenigen Wochen vergeblich
von uns erfragt wurden, liegen zwischenzeitlich vor. Bei
den Fahrzeugherstellern und -importeuren verursacht die
Rücknahmepflicht Entsorgungskosten von jährlich rund
800 Millionen DM. Allein in den Jahren 2002 bis 2007
wird dies zu Steuerausfällen von rund einer halben Milliarde DM pro Jahr führen.
({11})
Nach 2008 werden es pro Jahr immer noch rund 300 Millionen DM sein. Dies wird ein teurer Spaß für ein Gesetz,
das der Umwelt und dem Klimaschutz einen Bärendienst
erweist.
({12})
Das Wort hat
jetzt der Parlamentarische Staatssekretär Gerald
Thalheim.
Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft: Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Ziel der Bundesregierung ist es,
Grundsätzen der Nachhaltigkeit in allen Bereichen der
Wirtschaft stärker zum Durchbruch zu verhelfen. Dabei
können biologisch abbaubare Werkstoffe einen wichtigen
Beitrag leisten.
Insofern ist mit der Antwort auf die Große Anfrage der
F.D.P.-Fraktion die Haltung der Bundesregierung in wichtigen Punkten dargestellt worden. Ich möchte sie wie folgt
zusammenfassen:
Biologisch abbaubare Rohstoffe stehen mittlerweile
vor der breiteren Markteinführung. Hier und da ist es
schon geschehen. Wir gehen davon aus, dass wir in nächster Zeit ein weiteres Stück vorankommen werden.
Die rechtlichen Rahmenbedingungen für den Einsatz
und für die Entsorgung solcher Stoffe sind gegeben.
Nachwachsende Rohstoffe leisten einen positiven Beitrag zum Klimaschutz und zur Ressourcenschonung. Die
Bundesregierung hat umfangreiche Mittel für Forschung
und Entwicklung bezüglich biologisch abbaubarer Werkstoffe auf der Basis nachwachsender Rohstoffe bereitgestellt. Durch das spezifische Förderprogramm der
Landwirtschaft Zulässigkeit des Anbaus von nachwachsenden Rohstoffen auf Stilllegungsflächen wird dies
auch auf Dauer gefördert.
({0})
Trotz dieser Unterstützung im Entwicklungs- und Forschungsbereich und der Möglichkeit des Anbaus auf den
Stilllegungsflächen ist natürlich im Grundsatz festzuhalten, dass letztlich den Wirtschaftsbeteiligten die Verantwortung zukommt, die biologisch abbaubaren Werkstoffe
stärker in den Markt einzuführen. Mittlerweile gibt es eine
große Palette von Möglichkeiten vom Verpackungsmaterial über Einweggeschirr und Folien bis hin zu so zukunftsträchtigen Märkten wie der Medizin-, Bio- und
Umwelttechnik.
Ziel ist es, Verpackungsmaterial zu entwickeln, das den
Vorteil und den Nutzwert herkömmlicher Kunststoffe mit
der Eigenschaft einer schadstofffreien biologischen Abbaubarkeit nach dem Gebrauch verbindet. Darüber hinaus
bietet sich aus ökologischen und arbeitsökonomischen
Gründen der Einsatz im Garten- und Landschaftsbau sowie in der Landwirtschaft an. Als Produkte kommen hierbei zum Beispiel Pflanztöpfe, Mulchfolien oder Bindegarn infrage.
Für die Landwirtschaft hat das mehrfach Vorteile. Auf
der einen Seite ist dies ein breites praktisches Anwendungsgebiet, auf der anderen Seite sind es vor allen Dingen landwirtschaftliche Rohstoffe, die hier als Ausgangsmaterial dienen. Das heißt, neben dem ökologischen
Nutzen ist die Möglichkeit der Wertschöpfung und der Sicherung von Arbeitsplätzen im ländlichen Raum gegeben.
Neben der Erzeugung von Lebensmitteln werden gleichzeitig Rohstoffe für deren Verpackung produziert.
Der unbestreitbare Vorteil der biologisch abbaubaren
Produkte besteht darin, dass sie über die Bioabfallsammlung kompostiert oder in Biogasanlagen vergärt werden
können. Der Stoffkreislauf ist somit geschlossen. Der
nachwachsende Rohstoff wird in den Naturkreislauf
zurückgeführt.
Ein wesentliches Argument für die Entwicklung und
den Einsatz biologisch abbaubarer Werkstoffe ist der
Klima- und Ressourcenschutz. Soweit biologisch abbaubare Werkstoffe auf der Basis nachwachsender Rohstoffe hergestellt werden, tragen sie durch ihre weitgehende CO2-Neutralität dazu bei, dem Treibhauseffekt
entgegenzuwirken und fossile Ressourcen zu schonen.
Im Rahmen der Verpackungsverordnung wird den
positiven Umwelteigenschaften von biologisch abbaubaren Werkstoffen und daraus hergestellten Verpackungen dadurch Rechnung getragen, dass die Einrichtung eines Entsorgungssystems für derartige Verpackungen
erleichtert wird. Abweichend von den allgemeinen Voraussetzungen zur Einrichtung dualer Systeme nach der
Verpackungsverordnung kann die zuständige Behörde
hier auf das Erfordernis der flächendeckenden Einrichtung eines Systems zum Zeitpunkt der Antragstellung bis
Mitte 2002 verzichten. Damit wird die Möglichkeit eröffnet, bereits vorhandene Entsorgungsstrukturen der kommunalen Bioabfallsammlung zu nutzen. Ab Mitte 2002
hat der Systembetreiber sicherzustellen, dass mindestens
60 Prozent der in das System aufgenommenen Verpackungen einer Kompostierung zugeführt werden.
Wir wissen, dass die Wirtschaftlichkeit dieser Produkte
häufig noch nicht gegeben ist, was einem breiten Praxiseinsatz entgegensteht. Zudem kann wegen bestimmter notwendiger Produkteigenschaften wie zum Beispiel der Wärmebeständigkeit oder der Transparenz von Folien noch
nicht vollständig auf fossile Bestandteile verzichtet werden.
Ziel aus Sicht der Bundesregierung ist es, in Zukunft
Produkte mit einem möglichst hohen Anteil an nachwachsenden Rohstoffen oder ausschließlich aus nachwachsenden Rohstoffen zu entwickeln. Daran ist weiter
zu arbeiten. Das Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft hat in diesem Bereich bisher rund 37 Millionen DM an Fördermitteln für
Forschung und Entwicklung ausgegeben.
({1})
Aufgrund der Probleme der Erfassung unterstützen wir
einen groß angelegten Demonstrationsversuch zur Einführung biologisch abbaubarer Verpackungen in Kassel.
Dafür werden allein 2,2 Millionen DM an Bundesmitteln
zur Verfügung gestellt. Die beteiligten Wirtschaftsunternehmen aus Handel, Verpackungsindustrie, chemischer
Industrie und Entsorgungswirtschaft erbringen einen
gleich großen Beitrag.
Hauptziel des Versuches ist es, den Verbraucherinnen
und Verbrauchern zu vermitteln, was es mit dem neuen
Verpackungsmaterial auf sich hat und wie es umweltverträglich über die Biotonne mit, wenn man so will, anschließender Kompostierung entsorgt werden kann. Weiterhin sollen mit diesem groß angelegten Versuch
Befürchtungen, die Verbraucher seien nicht in der Lage,
biologisch abbaubare Verpackungen von herkömmlichen
Kunststoffverpackungen zu unterscheiden, widerlegt
werden. Insofern liegt ein Schwerpunkt der wissenschaftlichen Begleitforschung des Versuches darin, das Sortierverhalten und mögliche Fehlwürfe herkömmlicher Kunststoffe in die Biotonne näher zu untersuchen.
Hierzu wird dem Verbraucher seit April 2001 über etwa
zehn Monate erstmals gezielt die Möglichkeit gegeben,
mit biologisch abbaubaren Werkstoffen verpackte Produkte über den Einzelhandel zu erwerben. Neben Tragetaschen, die anschließend als Bioabfallbeutel verwendet
werden können, sollen zum Beispiel Molkereibecher,
Fleischschalen, Obst- und Gemüseverpackungen sowie
Einweggeschirr aus biologisch abbaubaren Werkstoffen
angeboten werden.
Ich denke, mit diesem Versuch wird es uns gelingen,
für die Produkte zu werben und am Ende bei den Wirtschaftsbeteiligten die Bereitschaft zu wecken, sich stärker
zu engagieren. Letztlich kann es nicht allein Aufgabe
staatlicher Förderung sein, hier stärker in die Breite zu
kommen. Wir sind an einem Punkt angekommen, an dem
die Wirtschaft gefordert ist. Der Beitrag aus der landwirtschaftlichen Förderung - ich habe das eingangs auch gesagt -, das heißt, der Anbau nachwachsender Rohstoffe
auf den Stilllegungsflächen, wird in Zukunft erbracht
werden.
Man kann also das Fazit ziehen: Biologisch abbaubare
Werkstoffe sind eine Möglichkeit, weg vom Öl und damit
vom Verbrauch endlicher Ressourcen zu kommen. Damit
wird ein wichtiger Beitrag für die Nachhaltigkeit geleistet.
Vielen Dank.
({2})
Das Wort hat
jetzt der Kollege Helmut Heiderich.
Frau Präsidentin!
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Das Thema
der nachwachsenden Rohstoffe ist nicht ganz neu. Der
Begriff der biologisch abbaubaren Werkstoffe - ich würde
sie eher Wertstoffe nennen, denn eigentlich sind ihre Herstellung und ihr Einsatz ein Wert an sich - ist ebenfalls seit
Jahren in der Diskussion. Was die landwirtschaftliche
Seite angeht - darüber will ich sprechen -, haben wir in
der Europäischen Union und bei uns in Deutschland eine
besondere Situation: Wir brauchen unsere Flächen nicht
mehr insgesamt für den Anbau landwirtschaftlicher
Produkte, und die Nachfrage ist in weiten Bereichen niedriger als die Produktion; insofern haben wir einen
Flächenüberhang.
Herr Staatssekretär Thalheim sprach eben bereits über
die Flächenstilllegungen, die in Deutschland zurzeit eine
Fläche von etwa 1,2 Millionen Hektar und in der Europäischen Union von etwa 7 Millionen Hektar betreffen.
Diese Situation wird sich nach der Erweiterung der Europäischen Union nach Osten hin zusätzlich verschärfen.
Nach der Osterweiterung werden wir unsere landwirtschaftliche Fläche in etwa verdoppelt haben, aber wir
werden nur etwa die Hälfte an Einwohnerzahl hinzubekommen haben. Wir werden daher noch relativ mehr
Agrarflächen haben, und das wird voraussichtlich dazu
führen, dass insgesamt etwa 12 Millionen Hektar in die
Stilllegungsprogramme einbezogen werden müssen. Das
heißt, aus der rein agrarpolitischen Sicht haben die nachwachsenden Rohstoffe ein ganz gewaltiges Entwicklungspotenzial.
Es stimmt aber auch - das wissen wir alle -, dass moderne Industriegesellschaften ohne Kunststoffe nicht
denkbar wären. Die Nachfrage nach Kunststoffen ist erheblich. Nach Angaben von Fachleuten werden in
Deutschland pro Jahr etwa 1,5 Millionen Tonnen Verpackungsmaterialien aus Kunststoff hergestellt. Aber für
die Kunststofferzeugung benötigt man fossile Stoffe. Wir
nehmen bei der Herstellung von Kunststoffen die fossilen
Speicher unserer Erde Jahr für Jahr immer stärker in Anspruch. Es heißt, dass wir zurzeit etwa 500 000 Jahre Speicherleistung unserer Erde pro Jahr bei der Produktherstellung verbrauchen. Es macht also Sinn, in Zukunft
sparsamer mit dem fossilen Speicher unserer Erde umzugehen. Auch nach den Maßstäben der Kreislaufwirtschaft
machen Produkte aus biologisch abbaubaren Werkstoffen
Sinn. So ist es eigentlich selbstverständlich, dass das
BML eine größere Zahl an Förderprogrammen in diesem
Bereich aufgelegt hat, und zwar nicht erst seit sich diese
Bundesregierung für das Thema interessiert, Herr
Thalheim, sondern schon seit Anfang der 90er-Jahre.
Produkte aus biologisch abbaubaren Stoffen sind auch in
der Verwertung wesentlich einfacher zu handhaben. Es gibt
ja bereits den Begriff der kompostierbaren Verpackung.
Aber wir orientieren uns - das ist jedenfalls meine Auffassung - im Moment viel zu sehr an diesen Produkten und
diskutieren viel zu sehr über die Frage der Verwertung dieser Produkte und viel zu wenig darüber, wie diese Produkte
überhaupt auf den Markt gebracht werden können. Ich
glaube, wenn wir schon jetzt festschreiben, dass ab 1. Juli
2002 eine Verwertungsquote von 60 Prozent garantiert sein
muss, dann behindern wir eher die Einführung solcher Produkte in diesem frühen Stadium.
Parl. Staatssekretär Dr. Gerald Thalheim
Ich meine, wir sollten stärker auf freiwillige Nutzung
sowie auf die Entsorgung über das bereits vorhandene
Biotonnensystem und auf Eigenkompostierung setzen.
Wir sollten die Sonderregelungen gegebenenfalls ausdehnen und darüber nachdenken, inwieweit sich auch Verpackungen in die Biogasverwertung und in die Regelungen des EEG einbeziehen lassen. Eine etwas
moderatere Förderung der biologisch abbaubaren Stoffe
auf diese Weise wäre für deren Markteinführung wesentlich hilfreicher. Wir sollten uns nicht schon jetzt weitgehende Gedanken über Details des späteren Sortierverhaltens der Verbraucher machen, auch wenn Versuche in
dieser Richtung einen Sinn haben mögen.
Im Moment gibt es das Problem, dass Produkte aus
Stärke, Öl, Getreidestärke und Zucker - aus Zeitgründen
kann ich nur ein paar nennen - unter ökonomischen Gesichtspunkten noch nicht wettbewerbsfähig sind. Die
Bundesregierung hat in ihrer Antwort auf die Große Anfrage der F.D.P.-Fraktion deutlich gesagt, für sie gelte
auch bei den biologisch abbaubaren Stoffen der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit. Nur, der break even point,
also der Punkt der Wirtschaftlichkeit, ist noch nicht erreicht. Die Herstellung von Produkten aus biologisch abbaubaren Rohstoffen ist in der Regel noch vier- bis sechsmal so teuer wie die konventionelle Herstellung.
Deswegen müssen wir gerade an dieser Stelle ansetzen
und dafür sorgen, dass die Wirtschaftlichkeit der Produkte aus biologisch abbaubaren Rohstoffen verbessert
wird.
Ich möchte einige Vorschläge machen, deren Umsetzung nach meiner Meinung mit Nachdruck verfolgt werden sollte. Ich habe im letzten und auch in diesem Jahr einige unserer Biokompetenzzentren besucht und habe
festgestellt, dass man dort in Forschung und Entwicklung
deutlich vorangekommen ist, weil man die modernen und
an der Nachhaltigkeit orientierten Möglichkeiten der gentechnischen Verbesserung von Pflanzen genutzt hat.
Im Kompetenzzentrum in Norddeutschland sind Kartoffeln entwickelt worden, die beide Bestandteile der
Stärke, nämlich Amylose und Amylopektin, zu jeweils
100 Prozent enthalten. Das heißt, dass wir zukünftig eventuell keine hoch energetischen, sehr umständlichen und
kostentreibenden Verfahren mehr brauchen, um diese beiden Bestandteile der Stärke voneinander zu trennen; vielmehr können wir bereits in der Pflanze selbst einen der
beiden Bestandteile von Stärke sortenrein erzeugen. Wir
könnten also durch den Einsatz dieser Technologie die
ökonomische Erzeugung wesentlich verbessern. Wir
könnten die Kosten senken und würden damit einen
Sprung nach vorne machen, was die Verwendung nachwachsender Rohstoffe angeht.
({0})
Dasselbe gilt für den Bereich der Öle. Wir haben heute
die Möglichkeit, beispielsweise bei der Verarbeitung von
Raps oder von Sonnenblumen, die Öle so zuzuschneiden,
dass sie anschließend technologisch hervorragend verwertbar sind, die Ökonomie verbessern können und den
Einsatz abbaubarer Produkte wesentlich erleichtern.
Vor wenigen Tagen habe ich mir vor Ort, im Biotechnologiezentrum Gatersleben in Sachsen-Anhalt, ansehen
können, dass es gelungen ist, die so genannte Spinnenseide - es handelt sich um die Fäden, die Spinnen produzieren - in Tabakpflanzen zu erzeugen. Diese Fäden kann
man aus der Tabakpflanze extrahieren.
({1})
Man kann sie in der Medizin, in der Faserproduktion einsetzen. Das ist eine hervorragende Grundlage, biologische Werkstoffe ökonomisch verwertbar zu machen.
Es gibt in diesem ganzen Bereich zahlreiche Möglichkeiten. Ich fordere Sie und die Bundesregierung auf, ideologische Barrieren gegenüber gentechnischen Verbesserungen zu beseitigen, diese Möglichkeiten aufzugreifen
und damit den künftigen Einsatz biologisch abbaubarer
Produkte zu verbessern.
Vielen Dank.
({2})
Jetzt hat die Abgeordnete Michaele Hustedt das Wort.
Verehrte Präsidentin! Meine Damen und Herren! Jährlich
müssen in der EU 10 Millionen Autos entsorgt werden.
Das macht ungefähr 10 Prozent des Sondermülls auf Deponien aus und dadurch werden Boden und Grundwasser
oft genug verseucht. In Deutschland wird - das ist sehr bedauerlich - lediglich ein Drittel der Autos, das heißt ungefähr 1 Million Autos, sicher entsorgt.
Was dieses Problem angeht, ist - wir begrüßen das außerordentlich - Licht am Ende des Tunnels zu sehen. Das Europäische Parlament hat am 18. September 2000 die Richtlinie zur Altautoentsorgung gebilligt. Sie muss innerhalb
von 18 Monaten in nationales Recht umgesetzt werden.
({0})
Ähnlich wie auf dem Gebiet der Verpackungen ist damit,
was das Recycling von Autos angeht, die Verantwortung
der Produzenten rechtlich verankert. Das ist sehr gut.
({1})
Der Geltungsbereich dieser EU-Richtlinie erstreckt
sich sowohl auf PKWs als auch auf leichte Nutzfahrzeuge. Es besteht die Forderung nach dem Aufbau einer
flächendeckenden Infrastruktur für die Rücknahme von
Altautos. Die Hersteller müssen danach sämtliche Entsorgungskosten tragen: Sie müssen die nach dem
1. Juli 2002 zugelassenen Autos zurücknehmen. Ab dem
Jahre 2007 müssen sie darüber hinaus Altautos voll bzw.
zu wesentlichen Teilen zurücknehmen. Dabei sind mindestens 85 Prozent des Gewichts dieser Autos stofflich wieder zu verwerten. In der Frage, wie wir mit dem großen
Müllberg, den unsere alten, nicht mehr gebrauchten Autos
ausmachen, umgehen, ist das ein großer Fortschritt.
Jetzt kommt es darauf an, diese EU-Richtlinie in deutsches Recht umzusetzen. Diesbezüglich wird zurzeit über
einen Gesetzentwurf diskutiert. Frau Homburger, Ihre
These lautet, dass eine hohe Recyclingquote die Anwendung der Leichtbauweise behindert. Man sollte überprüfen, ob diese These stimmt. Ich weiß, dass es gerade über
diese Frage schon bei der Erstellung der EU-Richtlinie,
aber auch beim deutschen Gesetzgebungsverfahren diverse Gespräche mit den Herstellern gegeben hat und dass es
keinerlei Anzeichen dafür gibt, dass diese These stimmt.
Von daher ist Ihre Ausgangsthese falsch und deshalb ist
auch Ihre Forderung falsch.
Wir werden über den entsprechenden deutschen Gesetzentwurf in absehbarer Zeit hier im Parlament diskutieren. Nach In-Kraft-Treten des Gesetzes wird es zu einem durchschnittlichen Preisaufschlag von 200 DM pro
Neufahrzeug kommen. Es ist aus meiner Sicht aber zu akzeptieren, wenn zum Beispiel ein neuer Golf statt jetzt
40 000 DM dann 40 200 DM kostet. Schließlich regt die
Kreislaufwirtschaft auch Innovationen an und bringt uns
damit tatsächlich weiter.
({2})
Frau Kollegin Hustedt, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Homburger?
Gerne.
Frau Kollegin Hustedt,
Sie haben gerade ausgeführt, dass unser Argument, dass
dadurch die Leichtbauweise behindert wird, nicht stimmt.
Ich möchte gerne wissen, wie Sie zu dieser Auffassung
kommen und wie Sie die Auffassung der Bundesregierung
bewerten, die da lautet:
Die Bundesregierung ist nach wie vor der Auffassung, dass insbesondere die bis zum Jahr 2015 zu erreichende Recyclingquote in Höhe von 85 Prozent
die Weiterentwicklung der Leichtbauweise behindern kann.
Das ist ein Zitat aus der Antwort der Bundesregierung auf
die Kleine Anfrage der F.D.P.-Fraktion. Sie sagen aber genau das Gegenteil. Ich möchte gerne wissen, wie Sie das
begründen.
Wie gesagt, es gibt bisher keinerlei Anzeichen dafür. Ich
habe, bevor wir uns hier getroffen haben, mit dem Recyclingverband zusammengesessen und ihm unter anderem
auch diese Frage gestellt. Auch der Recyclingverband hat
die These, die Sie aufgestellt haben, nicht bestätigen können.
({0})
Frau Homburger, ich sage Ihnen sehr deutlich: Wenn
wir den Gesetzentwurf im Bundestag beraten, werden wir
das in aller Ruhe überprüfen. Da es um ein wichtiges Vorhaben geht, können wir auch gerne eine Anhörung machen. Wir werden Fachleute anhören und diese These
überprüfen; das kann ich Ihnen versprechen. Wenn sich
Ihre These bestätigt, muss man schauen, wie man damit
umgeht. Ich habe aber dafür bisher keine Anhaltspunkte.
In der Tat muss es zu Rückstellungen kommen, da die
Autohersteller die Entsorgung finanzieren müssen. Ihre
Forderung aber, mit diesen Rückstellungen wesentlich
früher zu beginnen, müssen wir ablehnen, weil wir glauben, dass es ausreicht, wenn damit begonnen wird, sobald
wir die Richtlinie in nationales Recht umgesetzt haben.
Rückstellungen bedeuten ja immer auch einen Verzicht
auf Steuereinnahmen; für die Rückstellungen von 2002
bis 2007 würde dies 500 Millionen DM pro Jahr ausmachen. Unsere Recherche hat ergeben, dass ausreichende
Rückstellungen gebildet werden können, wenn damit im
Jahr 2002, also in dem Jahr, in dem wir das Gesetz verabschieden werden, begonnen wird. Von daher ist Ihre
Forderung im zweiten Teil Ihres Antrags ebenso abzulehnen. Ich freue mich in diesem Bereich auf eine spannende
Debatte.
Ich komme nun zum zweiten Punkt. In der Tat stellen
nachwachsende Rohstoffe für die Landwirtschaft eine
große Chance dar. Weil wir zu viel Nahrungsmittel produzieren, zahlen wir ja sogar Prämien für die Stilllegung
von Flächen. Natürlich ist es besser, auf die Stilllegung
dieser Flächen zu verzichten und zum Beispiel Nutzpflanzen anzubauen. Hier entsteht für die Landwirte eine
neue Aufgabe.
Ich glaube, die Landwirtschaft befindet sich in einem
großen Umbruch. Bisher ist der Landwirt Nahrungsmittelproduzent. Jetzt kommen neue Aufgaben auf ihn zu: Er
kann Rohstoffproduzent werden. Das betrifft die angesprochenen biologischen Verpackungen und kunststoffähnlichen Materialien sowie solche Schmierstoffe, die
Schmierstoffe auf Mineralölbasis ersetzen können. Bereits jetzt werden aus Raps 40 000 Tonnen Öl hergestellt.
Das wird sich weiter ausweiten, sodass der Landwirt der
Energiewirt von morgen wird.
Ich möchte im Folgenden die neuen Felder nennen: Die
Herstellung von Biodiesel hat dafür gesorgt, dass es 800
neue Tankstellen in diesem Bereich gibt. Zu erwähnen ist
weiterhin die Herstellung von Ethanol, das als Zusatz
Benzin ergänzen kann. Nicht vergessen darf man die Produktion von Biogas, aus dem Energie in Form von Strom
und Wärme erzeugt werden kann.
Es wird eine sehr spannende Diskussion darüber geben, wie man die stillgelegten Flächen für Energie- und
Rohstoffgewinnung nutzen kann. Ich prophezeie, dass wir
irgendwann an den Punkt kommen werden, an dem die
umgekehrte Situation, also zu wenig nutzbare Fläche, eintritt; denn eine zunehmend ökologisch ausgerichtete Landwirtschaft, so wie wir sie vertreten, braucht mehr Fläche.
Es wird zum Beispiel mehr Fläche pro Rind benötigt,
wenn dieses Rind nicht mit Tiermehl, sondern mit Getreide, Gras und Heu gefüttert wird. Da auf diese Weise
die Landwirtschaft mehr Fläche braucht, wird irgendwann der Zeitpunkt kommen, an dem es Konkurrenz bei
der Nachfrage nach Fläche gibt.
Ich lehne die Rohstoffproduktion der Landwirte nicht
ab. Ich halte dies für eine hervorragende Entwicklung und
freue mich sehr darüber, dass diese Entwicklung vom
ganzen Hause unterstützt wird. Die Bundesregierung hat
in diesem Bereich - das wurde schon sehr ausführlich dargestellt - einige Förderprogramme auf den Weg gebracht.
Ich glaube, dass der Landwirt, der in Zukunft auch Rohstoff- und Energiewirt sein wird, damit eine gute Chance
hat, die sehr schwierige Situation, die sich aus der BSEund MKS-Krise ergeben hat, zu überwinden.
Ich danke.
({1})
Ich gebe das
Wort der Kollegin Eva Bulling-Schröter für die Fraktion
der PDS.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Es war schon eine sehr peinliche Vorstellung, die die Bundesregierung beim Aufweichen der EU-Altautoverordnung damals gegeben hat.
Herr Piech hat sich sehr darüber gefreut.
Gerade erst hat sich unser Bundeskanzler, AutoSchröder, auch als Chemie-Kanzler geoutet und bei dieser
Gelegenheit mit der damaligen peinlichen deutschen
Blockade bei der Altfahrzeugrichtlinie geprahlt.
({0})
- Doch. - Am 27. April hat er vor der Industrie verkündet,
die Umsetzung des Chemikalien-Weißbuches der EUKommission würde zur Vertreibung der Chemieindustrie
aus Europa führen. Die Financial Times schreibt dazu:
Der Kanzler verglich das Weißbuch mit der
Altautoverordnung, die Deutschland in letzter Minute angehalten und im Sinne der deutschen Industrie entschärft hatte.
Beim Weißbuch geht es im Kern darum, dass die Beweislast für die Ungefährlichkeit eines Stoffes künftig bei
den Unternehmen liegen soll. Die Altautoverordnung hat
das Ziel, die Entsorgung der Fahrzeuge im Sinne der
Kreislaufwirtschaft und des Verursacherprinzips zu regeln. Beides ist Teufelszeug für Rot-Grün, sofern es die
Interessen der Konzerne berührt. Zum Glück stand damals Jürgen Trittin als Überbringer der schlechten Nachricht allein in Brüssel. Die Altautorichtlinie wurde zwar
an-, aber nicht völlig aufgeweicht.
Nunmehr versucht die F.D.P., sich noch ein bisschen
für die Autoindustrie zu engagieren.
({1})
Der Kanzler muss ja nicht alles machen. Kernpunkt des
Antrages ist die steuerliche Anerkennung von Rückstellungen, Rückstellungen, die von den Unternehmen
gegenwärtig gebildet werden, um die Entsorgung von Altfahrzeugen ab Anfang nächsten Jahres zu finanzieren.
Das Finanzministerium sagt aber Njet und die Industrie vergießt Krokodilstränen. Dabei sollte sie eigentlich
froh sein: In kaum einem anderen Land werden die Rückstellungen steuerlich so großzügig behandelt wie in
Deutschland. Hierzulande können nämlich die Entsorgungsrückstellungen für Autos - allerdings nicht schon
jetzt, sondern erst ab dem nächsten Jahr, also nach InKraft-Treten der EU-Richtlinie - steuerlich geltend gemacht werden.
Wenn ich richtig informiert bin, wird der Gesetzentwurf wohl nächsten Monat eingebracht. Somit bezahlt
dann die Allgemeinheit über Steuerstundungen einen Teil
der Autoschrottberge. Selbst in den ultrakonservativen
USA wäre so etwas nicht möglich. Finanzierungsvorteile
durch Steuerstundungen gibt es dort nämlich fast nirgends. - Im Übrigen werden die Steuerstundungen durch
die laufenden Steuersenkungen dieser Regierung teilweise zu endgültigen Steuerausfällen.
Schon jetzt vermeldet beispielsweise Audi für das Jahr
2000 eine Verbesserung des Gewinns nach Steuern um
35,5 Prozent. VW erwartet für dieses Jahr gar eine Steigerung des Reingewinns um 100 Prozent. Das ist überall
nachzulesen. Wir können jetzt also die Taschentücher auspacken und weinen.
Die F.D.P. hat große Sorge um die ökologische Wirksamkeit der Altautorichtlinie. 85 Prozent der Gewichtsmasse eines Autos sollen künftig stofflich recycelt werden. Daraus schließt die F.D.P.: Wenn die Obergrenze von
15 Prozent der Gewichtsmasse eines Autos, die energetisch verwertet oder als Abfall beseitigt werden dürfen, als
starre Größe festgeschrieben wird, so würde sich der Anreiz, leichtere Autos zu bauen, verringern. Das würde wiederum den Spritverbrauch in die Höhe treiben.
Ich denke, die Autoindustrie ist sehr innovativ. Sie befindet sich zwar in einem Konflikt, aber es ist vieles möglich. Ich sage nur: Vorsprung durch Technik! Im Übrigen
ist das Recycling natürlich auch eine Jobmaschine. Hier
gibt es gute neue Jobs und vor allem auch Ausbildungsstellen. Ich meine also, dass der Autoindustrie dazu etwas
einfallen wird. Das wird weniger ein Problem sein.
({2})
Ich gebe das
Wort dem Kollegen Ulrich Kelber für die Fraktion der
SPD.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Einführung von EU-weit gültigen
Produktverordnungen ist ein wichtiger Baustein für eine
integrierte Umweltpolitik. Deswegen ist es gut, wenn wir
mit der Umsetzung der Altfahrzeugrichtlinie in nationales
Recht eine solche Produktverordnung einführen. Dies
bringt sehr viele Vorteile in den verschiedenen Bereichen
mit sich.
Sie ist gut für die Umwelt, weil wir Standards EU-weit
etablieren und nicht nur in einem Nationalstaat, weil wir
eine umweltgerechte Produktion und umweltgerechte
Produkte erreichen und weil wir über die großen Importzahlen der Produkte das, was wir an neuen, besseren Umweltstandards setzen, auch über die EU hinaus tragen.
Sie ist auch gut für die Wirtschaft und für Jobs, weil
es eine langfristige Verlässlichkeit gibt - man muss sich
nur die Übergangsraten und Zielgrößen anschauen -, weil
es eine Entbürokratisierung gegenüber teilweise heute
vorhandenen Regelungen gibt und weil Innovationen und
das ganze Verarbeitungs- und Verwertungsgewerbe gefördert werden.
Wir können doch heute die Diskussion nicht führen,
ohne klar zu sagen, dass es vor ein paar Tagen positive
Signale gegeben hat, dass man sich von Regierungsseite
mit den Herstellern der Fahrzeuge geeinigt hat, wie das
gemacht wird. Das heißt, vonseiten der Industrie wird das
sehr viel positiver gesehen, als es zum Beispiel Frau
Homburger hier vorgetragen hat.
Die Produktverordnung ist auch gut für den Staat, weil
die finanzielle Belastung für den Bund vergleichsweise
gering ist, weil eine Entlastung der Länder durch Entbürokratisierung erfolgt und es auch eine Entlastung auf
der Ebene der Kommunen gibt. Man kann sich ja einmal
einen kommunalen Haushalt anschauen, zumindest den
Gebührenhaushalt einer Kommune, und nachsehen, wie
viele Kosten für die Entsorgung wild abgestellter Altfahrzeuge anfallen. Dies wird in Zukunft wegfallen.
Die Umsetzung der Altfahrzeugrichtlinie ist gut für den
Verbraucher, weil es ein einfaches Verfahren ist, er als
Letzthalter sein Fahrzeug kostenlos zurückgeben kann
und weil die Kosten beim Kauf durch den Wettbewerb
sowohl bei der Herstellung des Produktes als auch bei der
Entsorgung gering sind. Von daher ist der Weg, dass jeder
Hersteller selbst danach trachten muss, seine Kosten zu
senken und sein Produkt besonders gut zu machen, der
richtige.
Angesichts all dieser Vorteile ist der grundsätzlich kritische Antrag der F.D.P. zu dieser Produktverordnung völlig unverständlich. In den letzten Debatten hat die F.D.P.
kritisiert, wir würden die EU-Vorgaben nicht im Verhältnis 1 : 1 umsetzen. Jetzt tun wir dies und wieder sind Sie
dagegen. So kann man sich natürlich leicht zum umweltpolitischen Außenseiter machen.
({0})
Gestatten
Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Homburger?
Aber natürlich.
Herr Kollege, es geht um
einen speziellen Aspekt in der Umsetzung, den wir hier
schon diskutiert haben, nämlich um die Frage, wie sich
die Vorschrift, dass 85 Prozent des Autogewichts stofflich
wieder zu verwerten sind, auswirken wird. Hierbei gibt es
einen umweltpolitischen Zielkonflikt zwischen CO2Minderung und Recyclingquote. Diese beiden Ziele muss
man gegeneinander abwägen. Wenn Sie uns vorwerfen,
dass wir gegen eine 1:1-Umsetzung sind, dann stellt sich
für mich die Frage, warum die Bundesregierung in der
Antwort auf die Kleine Anfrage der F.D.P.-Fraktion gesagt hat, sie werde das überprüfen.
Was steht denn in Art. 7 der Richtlinie? Sie werden es
nicht wissen, deswegen sage ich es Ihnen: Dort steht, dass
genau diese Regelung bis 31. Dezember 2005 noch einmal überprüft werden soll. Warum hat man das wohl dort
hineingeschrieben? Man hat es genau aus den Befürchtungen heraus getan, die die F.D.P. hat. Könnten Sie das
Problem des ökologischen Zielkonflikts an dieser Stelle
vielleicht endlich einmal zur Kenntnis nehmen und diese
Problematik nicht immer leugnen bzw. schönreden?
({0})
Sie regen sich über etwas auf,
was in nationales Recht umgesetzt werden soll, und ärgern sich darüber.
({0})
Sie machen nicht nur in dieser Debatte, sondern in vielen
umweltpolitischen Debatten einen ganz grundsätzlichen
Fehler: Ihnen fehlt die Gesamtübersicht über ein Thema.
({1})
Sie nehmen einen kleinen Bereich heraus und diskutieren
ihn für sich und nicht im Rahmen der vorhandenen Alternativen.
({2})
Frau Homburger, um Ihre Frage weiter zu beantworten:
({3})
Die europäische Industrie hat sich selbst verpflichtet, bis
2008 den Spritverbrauch um 25 Prozent zu senken. Die
Leichtbauweise ist nur eine Methode, dieses Ziel zu erreichen. Warum haben Sie eigentlich so wenig Vertrauen
in die Innovationskraft deutscher Unternehmen und deutscher Ingenieure und zweifeln daran, dass sie mit recycelbaren Produkten die Leichtbauweise und andere Dinge
realisieren können? Ich habe etwas mehr Vertrauen in unsere Industrie als Sie.
({4})
Einer der beiden Schwerpunke innerhalb der Altfahrzeugrichtlinie ist die Rücknahmepflicht auf Kosten der
Hersteller. Die dafür notwendigen Rückstellungen werden ab dem Jahre 2002 vorhanden sein. Die Steuerausfälle
dafür sind verkraftbar und werden an anderer Stelle teilkompensiert, darüber hinaus nehmen diese ab 2007 ab.
Aufgrund des Wettbewerbs wird es im Vergleich zu anderen Lösungen am Ende zu weniger als 200 DM Mehrkosten für den Käufer kommen. Es wird aber in der Tat einen
Punkt geben, auf den die Politik noch achten muss, nämlich den, dass dieser Wettbewerb auch kleinen und mittleren Unternehmen Chancen lässt und es keinen direkten
Zugriff der wenigen großen Hersteller, Ver- und Endverwerter gibt.
({5})
Viel wichtiger ist aber die Verankerung der Produktverantwortung. Dies stellt eine Erweiterung bereits gesetzlich oder auch freiwillig erreichter Standards in
Deutschland im Bereich der Altautoverordnung dar. Für
deutsche Unternehmen ist es natürlich auch gut - es hat
mich gewundert, dass dies zum Beispiel von Ihrer Seite
überhaupt nicht erwähnt wurde -, wenn diese Standards
EU-weit gelten, das heißt, sogar in Portugal.
({6})
Über Importfahrzeuge werden sich diese Standards auch
weltweit durchsetzen. Auch Unternehmen, die sich bislang weit unterhalb dieser Standards bewegen, müssen
sich diesen Standards anpassen.
({7})
Recycling- und Verwertungsquoten, Kennzeichnungsnormen, nach denen ersichtlich sein muss, was in dem
entsprechenden Fahrzeug eingebaut ist, Demontage-Infos und Stoffverbote sind sinnvolle Maßnahmen, da langlebige Produkte gefordert werden. Es kommt Ihnen
wahrscheinlich nicht in den Sinn, dass es Teilprodukte
geben könnte, die über eine Autogeneration hinaus im
nächsten Auto verwendet und somit der Recyclingquote
zugerechnet werden können. Dadurch werden die Verwendung von recyclebaren Stoffen und der Recyclingmarkt gefördert. Gerade die Stoffverbote führen zu einer
wesentlichen Reduzierung von Schwermetallen wie Cadmium, Quecksilber, Blei und Chrom. Ich bin der Meinung, dass dies ein sehr wichtiger Bestandteil dieser Produktverordnung ist.
({8})
Ich denke, dass die Einschätzung der F.D.P. bezüglich
dieser Richtlinie grundsätzlich falsch ist. Sie haben noch
nicht einmal die Unterstützung der betroffenen Industrie,
also weder der Hersteller noch der Verwerter noch des
Handels. Wer unterstützt denn Ihre Position überhaupt?
Keine der betroffenen Industrien.
({9})
Es ist relativ leicht, nachzuweisen, dass diese Altfahrzeugrichtlinie nicht nur ökologisch sinnvoll ist, sondern dass
sie auch für den Standort Deutschland wirtschaftlich interessant ist. Deswegen freuen wir uns über die Umsetzung in nationales Recht, die aus unserer Sicht noch im
Jahre 2001 erfolgen sollte.
Wir denken, man muss diese Produktverantwortung
als eine Einheit sehen. Das ist ein neuer Schritt in der
Umweltpolitik, denn die Verantwortung wird neu geregelt und die Langfristigkeit von Umweltpolitik erhöht.
Deswegen ist diese Umsetzung in nationales Recht sinnvoll.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({10})
Das Wort zu
einer Kurzintervention erhält die Kollegin Birgit
Homburger.
Herr Kollege Kelber, ich
möchte an dieser Stelle nur zwei Bemerkungen machen.
Sie sagen hier, unsere Einschätzung der Richtlinie sei
völlig falsch. Das ist Ihre Interpretation; die steht Ihnen
selbstverständlich zu. Ihnen steht selbstverständlich auch
zu, in jeder abfallpolitischen Debatte zu sagen, dass nur
Sie den Überblick haben und alle anderen zu blöd dazu
sind.
({0})
Ich nehme das zur Kenntnis; das ist für mich kein Problem.
Aber ich sage Ihnen ganz deutlich: Wir freuen uns, dass es
diese europäische Richtlinie und diese Regelung auf europäischer Ebene endlich gibt. Zu dem Zeitpunkt, da eine
solche Regelung nicht durchsetzbar war, haben wir national gehandelt. Um es noch einmal klarzustellen: Ich finde
es richtig, dass jetzt eine europäische Regelung kommt.
Was die Unterstützung der F.D.P. angeht, bin ich ganz
unbesorgt; das kann ich Ihnen sagen. Denn ich muss mit
großer Freude feststellen, dass sich die Bundesregierung
genötigt sah, in dem jetzt vorliegenden Entwurf auf alle
von uns zeitig vorgetragenen Punkte - bis auf den einen
Punkt, den ich vorhin angesprochen habe - zu reagieren,
insbesondere was die Rückstellungen angeht. Das ist ein
eindeutiger Erfolg der F.D.P. Diejenigen, die davon betroffen sind, werden wissen, wer das zuwege gebracht hat.
({1})
Dann gebe
ich jetzt als letztem Redner Herrn Kollegen Dr. Paul Laufs
für die Fraktion der CDU/CSU das Wort.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Damit es von vornherein klar ist: Die
Union macht sich das Anliegen des F.D.P.-Antrags ausdrücklich zu Eigen.
({0})
Die umweltverträgliche Entsorgung von Altautos ist eine
gewaltige und dringliche Aufgabe. Wir müssen ein halbes
Jahr nach In-Kraft-Treten dieser Richtlinie von der Bundesregierung einfordern, dass notwendige Entscheidungen im Interesse der Umwelt, des Verbrauchers und der
Wirtschaft unverzüglich getroffen werden.
Seit 1997 besteht in Deutschland ein Entsorgungskonzept aus Ordnungsrecht und kooperativen Lösungen, nämlich der Altautoverordnung und der freiwilligen
Selbstverpflichtung der Wirtschaft zur umweltgerechten
Altautoverwertung im Rahmen des Kreislaufwirtschaftsgesetzes. Es ist ein Konzept, das sehr geeignet ist, die ökologischen Probleme nachhaltig und kostengünstig zu lösen und kreislaufwirtschaftliche Impulse für einen
integrierten Umweltschutz zu geben. Es wird nun durch
die europäischen Regelungen überlagert, wobei sich die
Automobilindustrie von ihren Selbstverpflichtungen
nicht verabschieden wird.
Grundsätzlich - da stimme ich Ihnen zu, Herr Kelber ist zu begrüßen, dass die Altfahrzeuge nach gemeinschaftsweit einheitlichem Recht entsorgt werden; aber wir
deutschen Umweltpolitiker haben Anlass zu kritischen
Bemerkungen.
Von der europäischen Richtlinie sollte man erwarten,
dass sie die Umweltanforderungen an die Betriebe entlang der Altautoentsorgungskette definiert und europaweit harmonisiert. Dies ist nicht der Fall und deshalb sind
Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Mitgliedstaaten
zu befürchten.
Die EU-Altfahrzeugrichtlinie bestimmt, dass Letzthalter von Fahrzeugen ab 2002 alle ab diesem Zeitpunkt
zugelassenen Autos und ab 2007 sämtliche Altautos kostenlos zurückgeben können. Sie enthält also auch rückwirkende Vorschriften mit der Verpflichtung für die Wirtschaft, bereits zugelassene Fahrzeuge kostenlos zur
Entsorgung zurückzunehmen.
({1})
Eine ökologisch einwandfreie Entsorgung ist aufwendig
und erfordert Investitionen in Rücknahme- und Verwertungssysteme.
In der Rechtswissenschaft ist anerkannt, dass Rückstellungen von dem Zeitpunkt an gebildet werden können, zu dem die handelsbilanzrechtliche Verpflichtung
hinreichend genau konkretisiert ist. Seit dem 21. Oktober 2000 ist dies der Fall; denn die Vorschriften der Richtlinie schreiben das sachliche und zeitliche Handeln für die
Kraftfahrzeughersteller fest. Die Bundesregierung hat
bisher nicht gehandelt und die steuerrechtlich wirksame
Bildung von Rücklagen aus Gründen verweigert, die nicht
überzeugen können. Das ist nicht in Ordnung.
({2})
Ein weiterer erheblicher Kritikpunkt ist, dass in der
EU-Altfahrzeugrichtlinie eine Aufteilung in stoffliche
und energetische Verwertung enthalten ist und hohe Recyclingquoten vorgeschrieben werden. In der freiwilligen
Selbstverpflichtung der Automobilindustrie ist vorgesehen, die nach stofflicher und energetischer Verwertung zu
beseitigenden Deponieabfälle bis zum Jahr 2002 auf maximal 15 und bis zum Jahr 2015 auf maximal fünf Gewichtsprozent zu verringern. Die in der Richtlinie festgelegten 85 Gewichtsprozent allein für die stoffliche
Wiederverwertbarkeit, die für neue Fahrzeugtypen bereits
ab dem Jahre 2005 belegt werden müssen, sind dagegen
gesamtökologisch kontraproduktiv, wie Frau Kollegin
Homburger bereits ausgeführt hat.
Die Arbeitsgemeinschaft Altauto beim Verband der
Automobilindustrie hat in ihrem ersten Monitoringbericht, der Ihnen, Frau Kollegin Hustedt, offenbar entgangen ist, eindrucksvoll darauf hingewiesen, dass die zur
Verringerung des Kraftstoffverbrauchs erforderliche Reduktion des Fahrzeuggewichts durch solche Recyclingquoten behindert wird und damit die Minderungsziele für
CO2-Emissionen gefährdet werden.
Leichtbauwerkstoffe aus dem Verbund von Kunststoffen, Glasfasern und Leichtmetallen oder von nachwachsenden Rohstoffen, die verstärkt zur Gewichtsverringerung
eingesetzt werden müssen, sind in der Regel stofflich nicht
wieder zu verwenden. Materialrecycling muss nicht immer
besser als energetische Verwertung sein. Entscheidend ist
vielmehr, dass die zu deponierenden Abfallmengen minimiert werden, so wie dies in der freiwilligen Selbstverpflichtung angestrebt wird. Wir fordern die Regierung deshalb auf, sich für eine Nachbesserung hinsichtlich der
stofflichen und energetischen Verwertungsfähigkeit und
der Typengenehmigungsverfahren einzusetzen.
Wir bedauern, dass es der Regierung im Ministerrat
nicht gelungen ist, sich im Sinne des deutschen Entsorgungskonzepts durchzusetzen. Wir erinnern uns, wie Umweltminister Trittin im Sommer 1999 durch ein harsches
Kanzlerwort gezwungen wurde, die Verabschiedung der
Richtlinie vorübergehend zu blockieren. Viel hat dies offensichtlich nicht gebracht. Wir erwarten, dass die vorhandenen Gestaltungsspielräume nunmehr genutzt werden.
Die EU-Richtlinie muss spätestens bis zum
21. April 2002 in deutsches Recht umgesetzt werden. Die
Bundesregierung arbeitet gegenwärtig an einem Entwurf
eines Altfahrzeuggesetzes. Um Abfalltourismus zu vermeiden und die deutsche Wirtschaft nicht unnötig zu belasten, sollten Festlegungen aus der freiwilligen Selbstverpflichtung übernommen werden, wo immer dies
möglich ist. So sollte zum Beispiel für die Beschaffenheit
der zurückgegebenen Altfahrzeuge im Einzelnen gelten,
dass sie rollfähig und in den wesentlichen Teilen vollständig sind sowie mindestens sechs Monate auf den
Letzthalter in Deutschland zugelassen waren usw.
Die in der Richtlinie enthaltenen Quoten und Zielsetzungen müssen nun trotz aller Kritik unverändert in deutsches Recht umgesetzt werden. Die Wege zu ihrer Erreichung sollten jedoch der Wirtschaft unter Beachtung der
im Übrigen vorgegebenen Rahmenbedingungen offen
bleiben. Es ist zum Beispiel nicht einzusehen, warum zur
Erzielung von Verwertungsquoten detailliert vorgeschrieben werden soll, welche Fahrzeugteile bei der Entsorgung
ausgebaut werden müssen.
Die Richtlinie legt fest, dass die Automobilhersteller
bzw. -importeure die Entsorgungskosten voll oder doch
zu wesentlichen Teilen übernehmen müssen. Dies sieht
- zugegeben - zunächst verbraucherfreundlich aus, Kollege Kelber, täuscht aber nur darüber hinweg, dass letztlich alle Kosten, die mit dem Erwerb, der Nutzung und der
Entsorgung eines Fahrzeugs anfallen, vom Verbraucher
getragen werden müssen. Wenn die Hersteller die gesamten Entsorgungskosten schon in den Verkaufspreis einrechnen müssen, gibt es für die Verwertungsbetriebe keinen Anreiz mehr, kostengünstig und effizient zu arbeiten. Es sieht
so aus, als wolle die Regierung die Möglichkeit, andere an
den Kosten zu beteiligen, nicht berücksichtigen. Dann aber
sollte man die Entsorgungskosten beim Kauf eines Fahrzeugs wenigstens getrennt ausgewiesen bekommen.
Wir werden die Arbeit der Bundesregierung auch in
diesem Bereich sehr aufmerksam und kritisch begleiten.
Die CDU/CSU wird den F.D.P.-Antrag bei den weiteren
Beratungen unterstützen.
Danke schön.
({3})
Ich schließe
die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/5466 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. - Das Haus ist damit
einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9 a und 9 b auf:
a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung
Straßenbaubericht 2000
- Drucksache 14/5064 -
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({0}) zu dem Antrag der
Abgeordneten Horst Friedrich ({1}), HansMichael Goldmann, Dr. Karlheinz Guttmacher,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
A 6 modellhaft ausbauen - Deutschlands Fernstraßennetz für Europa fit machen
- Drucksachen 14/5229, 14/5557 Berichterstattung:
Abgeordnete Heide Mattischeck
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({2})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für Tourismus
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe zunächst für die
SPD-Fraktion das Wort dem Kollegen Reinhold Strobl,
dem ich gleichzeitig im Namen des Hauses zu seinem
heutigen Geburtstag herzlich gratuliere.
({3})
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das deutsche Fernstraßennetz ist angeblich nicht europatauglich. Zu dieser
erstaunlichen Feststellung kommt die F.D.P. in ihrem Antrag, welcher heute zur Beratung ansteht. Ein weiser
Mann sagte einmal: Begangene Fehler können nicht besser entschuldigt werden als mit dem Geständnis, dass man
sie erkannt hat. - Für mich ist der Satz, das deutsche Fernstraßennetz sei nicht europatauglich, am Anfang Ihres Antrages, meine Damen und Herren von der F.D.P. - allzu
viele sind ja nicht anwesend -, das Eingeständnis, dass
unter der letzten Regierung - bekanntlich waren wir daran nicht beteiligt - einfach viel zu wenig für die Verbesserung unserer Verkehrsinfrastruktur getan wurde.
({0})
Da Ihr Antrag von Vorwürfen gegen die neue Bundesregierung nur so strotzt, bleibt mir gar nichts anderes
übrig, als Sie wiederum einmal daran zu erinnern, was Sie
uns vererbt haben.
({1})
Sie tun gerade so, als hätten Sie irgendwo einen Milliardenschatz vergraben. Dabei haben Sie uns Schulden in
Billionenhöhe hinterlassen. Der Verkehrshaushalt war
hoffnungslos unterfinanziert.
Die A 6 übt anscheinend einen besonderen Reiz auf die
Damen und Herren von der Opposition aus. Würde über
alle Autobahnen in Deutschland hier im Plenum so viel
diskutiert wie über die A 6, dann bräuchten wir uns über
andere wichtige Themen nicht mehr zu unterhalten. Dabei
ist die ganze Aufregung Ihrerseits gar nicht notwendig.
Für die SPD und die Bundesregierung gibt es keinen
Zweifel an der Notwendigkeit dieser wichtigen europäischen Magistrale. Bis zum Jahr 2008, spätestens bis 2009
wird diese Autobahn fertig gebaut sein.
Erst vor einigen Tagen konnten wir bei Lohma gemeinsam mit unserem Staatssekretär Hilsberg und dem
bayerischen Innenminister Beckstein
({2})
den Spatenstich für ein weiteres 130 Millionen DM teures
Teilstück vornehmen. Bei Wernberg-Köblitz wird derzeit
mit Nachdruck die Naabtalbrücke mit einem Kostenaufwand von 24 Millionen DM gebaut. Meine Damen und
Herren von der F.D.P., vielleicht sollten Sie sich einmal
vor Ort selbst ein Bild vom Baufortschritt machen.
({3})
- Dann müssten Sie eigentlich gesehen haben, dass es dort
einen großen Baufortschritt gibt. Sie bräuchten dann nicht
vom grünen Tisch aus solche Anträge wie den vorliegenden zu stellen.
({4})
Wie oft muss man es eigentlich noch sagen? Bereits in
drei, spätestens in vier Jahren wird die A 6 zwischen
Pfreimd und Waidhaus fertig sein. Ebenfalls in drei bzw.
vier Jahren wird mit dem Bau des letzten Teilstücks zwischen Pfreimd und Amberg Ost begonnen. Auch wenn das
für den Bau dieses letzten Teilabschnittes notwendige Geld
sofort zur Verfügung stehen würde, wäre ein sofortiger Weiterbau gar nicht möglich, da noch einiges an Vorarbeiten,
zum Beispiel Grundstückskäufe, geleistet werden muss.
Auch wenn Sie es nicht wahrhaben wollen: Die Leistungen der neuen Bundesregierung sind beachtlich. Dies
ist auch hinsichtlich der A 6 so. Die A 6 wird als wichtige
Ost-West-Verbindung - solide finanziert - ausgebaut. Der
jetzt geltende Bedarfsplan enthält den sechsspurigen Ausbau der A 6 in Baden-Württemberg auf einer Strecke von
rund 90 Kilometer Länge zwischen den Kreuzen Viernheim und Weinsberg. 40 Kilometer davon werden im Rahmen des Anti-Stau-Programmes ausgebaut. Im Hinblick
auf Bayern ist im Bedarfsplan der rund 20 Kilometer
lange Abschnitt zwischen Roth und dem Kreuz Altdorf
enthalten. Im Rahmen der Überarbeitung des Bundesverkehrswegeplanes haben die beiden Länder den sechsspurigen Ausbau für den rund 140 Kilometer langen Abschnitt zwischen Weinsberg und Roth zur Bewertung
angemeldet. Über weitere Festlegungen zum sechsspurigen Ausbau der A 6 soll im Rahmen der Fortschreibung
des Bundesverkehrswegeplanes und der Novellierung des
Fernstraßenausbaugesetzes entschieden werden.
Wenn es nach der F.D.P. ginge, hätte der Bund immer
weniger Steuereinnahmen und immer mehr Ausgaben.
({5})
- Es ist doch so. Ich sage nur die Wahrheit. ({6})
Der Staat hätte immer weniger Geld zur Verfügung. So ist
es doch. Sie stellen in einer Tour Anträge, dass wir immer
mehr Geld ausgeben sollen. Auf der anderen Seite fordern
Sie immer wieder Steuererleichterungen. Das ist das alte
Spiel.
({7})
Wir aber wollen keinen armen Staat, sondern einen Staat,
der finanziell dazu in der Lage ist, Leistungen für seine
Bürger zu erbringen.
({8})
Dazu gehört der Ausbau der Schiene ebenso wie der Bau
von Straßen, aber auch deren Unterhalt, für den übrigens
in den nächsten Jahren viel mehr Geld ausgegeben werden muss.
Nun fordern Sie, durch eine Privatfinanzierung den
Lückenschluss zwischen Amberg und Pfreimd herzustellen. Sie wissen selbst, dass jede Privat- oder Vorfinanzierung für den Bund letztendlich teurer ist als die Finanzierung über den Bundeshaushalt
({9})
- Sie begreifen wahrscheinlich selber nicht, ob das eine
Vorfinanzierung ist oder ob das eine Finanzierung über
die Europäische Investitionsbank ist.
Tatsache ist, dass das alles für den Bund letztendlich
teurer ist als die Finanzierung über den Bundeshaushalt.
({10})
Bereits jetzt ist der Bundeshaushalt aus 27 Vorfinanzierungsprojekten mit insgesamt mehr als 8 Milliarden DM
belastet. Von 2004 bis mindestens zum Jahr 2015 bedeutet dies jährliche Mehrausgaben in Höhe von 600 Millionen DM. Übrigens ist der hier in Rede stehende Bauabschnitt bereits planfestgestellt, sodass Sie mit Ihrem
Ansinnen ohnehin zu spät kommen.
({11})
- Vielleicht sollten Sie sich einmal fachkundig machen.
Ich würde Ihnen empfehlen, mit Herrn Wolfgang Roth zu
sprechen.
In Ihrem Antrag, meine Damen und Herren von der
F.D.P., kommt der alte Geist der Schuldenmacherei wieder zum Vorschein. Es gibt keinen Anlass dafür, bei
Straßenbaumaßnahmen inflationär Privatfinanzierungen
zu verfolgen. Wir werden nämlich alle Maßnahmen solide
und nicht durch neue Schulden finanzieren.
Wir können Ihnen auch davon berichten, dass wir davon ausgehen, dass die EU-Kommission nach einer Analyse der Auswirkungen der EU-Erweiterung auf die
Grenzregionen ein Aktionsprogramm für die betroffenen Mitgliedstaaten vorlegt. Vor diesem Hintergrund hat
die Bundesregierung mit Datum vom 2. Februar ein Papier mit dem Titel Förderung der Grenzregionen zu den
Beitrittsländern erarbeitet. Hierin sind Verkehrsprojekte
der Bereiche Schiene, Bundesfernstraßen und Bundeswasserstraßen zur beschleunigten bzw. zusätzlichen Realisierung in Höhe von insgesamt 1,9 Milliarden DM enthalten.
Das Fernstraßenbauprivatfinanzierungsgesetz beinhaltet das Recht, zur Refinanzierung eine Maut zu erheben.
Aufgrund europäischer Rahmenbedingungen sind derartige Betreibermodelle derzeit beschränkt auf neu zu errichtende Brücken, Tunnels, Gebirgspässe usw. Eine etwaige
Ausweitung auf Autobahnstrecken ist erst nach Einführung
der streckenbezogenen LKW-Gebühr möglich,
({12})
da wir es ansonsten mit dem Problem der Doppelbemautung zu tun hätten.
Es gäbe zu Ihrem Antrag noch viel zu sagen. In der mir
zustehenden Zeit ist das nicht möglich. Zusammenfassend möchte ich jedoch nochmals betonen: Wir haben
schon lange vor Ihrem Antrag die Notwendigkeit der Vervollständigung der A 6 sowie ihres abschnittsweisen
sechsspurigen Ausbaus erkannt. Ihre Vorschläge würden
uns hier keinen Schritt voranbringen. Wir werden die A 6
aus- und weiterbauen. Darauf können Sie sich verlassen.
Danke schön.
({13})
Reinhold Strobl ({14})
Für die
Fraktion der CDU/CSU spricht nun die Kollegin Renate
Blank.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Kollege Strobl, für die SPD scheint
sich der Straßenbaubericht 2000 auf die A 6 zu beschränken - obwohl diese im Straßenbaubericht gar nicht vorkommt. Weil Sie heute Geburtstag haben, gehe ich auf
Ihre Anmerkungen jetzt nicht ein.
({0})
Der Straßenbaubericht zeigt eindeutig auf, dass in dem
Berichtszeitraum zu wenig Geld für den Straßenbau ausgegeben wurde. Aus unserer Sicht ist der Bericht eine
straßenbaupolitische Bankrotterklärung der Bundesregierung,
({1})
denn das Auto ist und bleibt Verkehrsmittel Nummer eins
in Deutschland. Der Bericht bestätigt dies: Die Verkehrsleistungen von Bahn und Schiff sinken, die Verkehrsleistungen von PKW und LKW nehmen zu. Die Zahl
der PKW-Zulassungen steigt; die LKW-Fahrten werden
- vor allem auch wegen der Osterweiterung - weiter zunehmen.
Wir wollen die Mobilität der Bürger - im Gegensatz zu
Ihnen - erhalten. Wirtschaftswachstum bringt auch Verkehrsleistungen. Die Baubranche ist auf den Straßenbau
angewiesen. Zur Erinnerung: Investitionen im Umfang
von 1 Milliarde DM schaffen bzw. erhalten 10 000 bis
12 000 Arbeitsplätze.
({2})
Verkehrspolitik ist deshalb auch Standortpolitik, auch
wenn dies viele nicht wahrhaben wollen, insbesondere die
Grünen.
({3})
Durch Staus entsteht volkswirtschaftlicher Schaden.
Seriöse Angaben beziffern diesen Schaden auf rund 2 Prozent unseres Bruttosozialprodukts, vom Schaden für die
Umwelt durch Staus ganz zu schweigen. Neben der ärgerlichen Zeitverschwendung durch Staus entstehen Verluste. Diese schlagen insbesondere bei LKW-Fahrten zu Buche und gehen auf dem Weg über die Preise für Güter des
täglichen Bedarfs auf die Verbraucher über.
Die Bürgerinnen und Bürger sind doch längst aufgeschreckt und höchst sensibel. Sie wissen, dass sie nicht
nur an der Tankstelle durch die Ökosteuer, die diesen Namen nicht verdient, abgezockt werden, sondern durch die
verfehlte rot-grüne Verkehrs- und Finanzpolitik auch
beim Einkaufen zusätzlich zur Kasse gebeten werden.
Dass das Auto zunehmend an Bedeutung gewinnt und
jeder junge Mensch den Wunsch nach Führerschein und
Auto hat, erkennen mittlerweile auch der Autokanzler,
die SPD und sogar Teile der Grünen. Verkehrspolitik kann
sich nicht ständig gegen den Verkehrsteilnehmer im
Straßenverkehr richten, wie Sie das dauernd versucht haben. Verkehrspolitik wird, wenn sie gegen den Verkehrsteilnehmer gerichtet ist, unrealistisch und unglaubwürdig.
Nachdem Rot-Grün diese Fakten nach und nach erkannt hat, hat man nachgedacht, wie eine zu geringe Veranschlagung der Straßenbaumittel verschleiert werden
kann. Anstatt mehr Geld zur Verfügung zu stellen, hat die
Bundesregierung schnell die Lösung in Form verwirrender Programme gefunden: Investitionsprogramm, AntiStau-Programm, Zukunftsinvestitionsprogramm - alles
das sind nur klingende Namen und Absichtserklärungen.
({4})
Das Investitionsprogramm wurde von Minister
Müntefering vorgelegt; man erinnert sich noch. Es sollte
laut Bundesregierung Planungssicherheit bringen. Schon
bei der Vorlage war seinerzeit allerdings klar, dass das
Programm nur die während unserer Regierungszeit bereits begonnenen Maßnahmen fortführen wird bzw. Maßnahmen anfinanziert und diese dann weit über die Zeit
nach 2002 verschoben werden. Das Investitionsprogramm reicht so zeitlich weit in das Jahr 2010 hinein.
Ich möchte als Beispiel Bayern, das Transitland Nummer eins, anführen: Nach diesem Investitionsprogramm
hätten wir für Neubaumaßnahmen nur 29,4 Millionen DM
zur Verfügung gehabt, was einer Strecke von rund 3 Kilometern entspräche. Dies ist natürlich viel zu wenig. Sie
haben die Straßenbaumittel bis 2002 um 4,9 Milliarden DM gekürzt.
Das Anti-Stau-Programm hat uns dann Minister
Klimmt vorgelegt. Es war eine eindeutige Wahlkampfhilfe für Nordrhein-Westfalen. Bester Beleg dafür ist, dass
die A 3, die meistbefahrene Straße Deutschlands, in diesem Programm nicht enthalten ist, obwohl sie eigentlich
alle Kriterien für eine Aufnahme erfüllt.
({5})
Die ab 2002 vorgesehenen Mittel hängen natürlich
vom Zeitpunkt der Einführung der streckenbezogenen
LKW-Maut und von der Höhe dieser Gebühr ab. Im Übrigen will der Finanzminister einen großen Teil dieser Einnahmen für seinen allgemeinen Steuertopf.
Nun zum Zukunftsinvestitionsprogramm, vorgelegt
von Minister Bodewig - jeder Minister ein Programm!
Die Mittel für dieses Programm kamen aus den Erlösen
der UMTS-Lizenzen. Die Vorleistungen dafür wurden
- daran muss man immer erinnern - von der CDU/CSU
erbracht. Wenn ich mich richtig erinnere, haben damals
die Ministerpräsidenten Eichel und Schröder der Liberalisierung des Telekommunikationsmarktes nicht zugestimmt. Sie profitieren jetzt also von unseren Vorleistungen. Dieses Zukunftsinvestitionsprogramm bringt für drei
Jahre 2,7 Milliarden DM zusätzlich. Das gleicht natürlich
die Kürzungen von 4,9 Milliarden DM nicht aus; es ist ein
Tropfen auf den heißen Stein. Größtenteils soll es für
Ortsumgehungen verwendet werden. Endlich haben Sie
begriffen, dass Ortsumgehungen auch zum Schutz der
Menschen sind und gebaut werden müssen.
In diesem Programm ist auch die europäische Magistrale A 6 - zusätzlich zu den Mitteln aus dem normalen
Programm in Höhe von 55 Millionen DM - mit einem Betrag von sage und schreibe 10 Millionen DM enthalten,
bei einem Bedarf von 600 Millionen DM! Wir bedauern
ausdrücklich, dass das Angebot der EIB zur Vorfinanzierung nicht angenommen wurde. Das ehemalige SPDBundestagsmitglied Roth hat bei seinem Angebot erklärt,
dass es eine Schande für Deutschland sei, wenn die A 6
nicht rechtzeitig gebaut werde und diese wichtige WestOst-Verbindung nicht zustande komme.
Alle drei Programme dienen der Verwirrung. Aber jetzt
kommt das Allerschlimmste: Die Bundesregierung hat
mit diesen Programmen den gesetzlichen Auftrag zur
Aufstellung des Fünfjahresprogramms, das bis 2000 Gültigkeit hatte, umgangen. Die Länder waren entgegen den
Angaben der Bundesregierung an der Aufstellung der
Programme nicht beteiligt. Das ist ein unerhörter Vorgang.
Meine Damen und Herren, die Verkehrsprojekte
Deutsche Einheit haben Priorität. Wir sind dank unserer Weitsicht schon bei den Planungen davon ausgegangen, dass die Verkehrsinfrastruktur einen wichtigen Beitrag zur Angleichung der Lebensverhältnisse und zur
Mobilität leistet, übrigens auch zur Beseitigung der Folgen der Misswirtschaft der SED, und daher ganz besonders wichtig sind.
Aber lassen Sie mich einige Anmerkungen zum Zustand der Bundesfernstraßen machen. Die volle Gebrauchsfähigkeit nimmt immer mehr ab, insbesondere in
den alten Bundesländern. Der Bericht stellt eine Zunahme
der leicht eingeschränkten und der eingeschränkten Gebrauchsfähigkeit fest. Insbesondere Bayern als Transitland Nummer eins ist davon stark betroffen.
Was ist zu tun? Die Bundesregierung muss für die Instandhaltung mehr Geld zur Verfügung stellen, damit wir
nicht eines Tages vor einem total maroden Straßensystem,
insbesondere in den alten Bundesländern, stehen. Der
Substanzverlust schreitet mehr und mehr fort. Das Einbeziehen von Standspuren auf hoch belasteten Straßen, das
der Minister großartig angekündigt hat, muss noch geprüft werden. Im Übrigen ist das ein Vorschlag Bayerns.
Wir erwarten dazu einen Bericht und die Aufzeichnung
von Möglichkeiten der Umsetzung.
Nun zum Bundesverkehrswegeplan: Es gibt ein Versprechen, dass er noch in dieser Wahlperiode fortgeschrieben werden soll. Als Sie allerdings festgestellt haben, dass auch SPD-geführte Länder Straßenbau wollen,
hat Sie der Mut verlassen, den Bundesverkehrswegeplan
in dieser Wahlperiode fortzuschreiben. Sie ziehen sich auf
Kriterien zurück, die im Grunde genommen die gleichen
sind wie unsere. Sie werden vielleicht etwas anders genannt, aber das spielt keine Rolle.
In den gestrigen Ausschussberatungen haben die
Staatssekretärin, der Sprecher der SPD-Fraktion und
schließlich auch der Minister Äußerungen zum Bundesverkehrswegeplan gemacht, die nicht zutreffen. Der
Minister hat gesagt, er werde dem Parlament 2003 das
Gesetz über den Bundesverkehrswegeplan zur Beschlussfassung vorlegen. Diese Aussage spiegelt die Qualität der Arbeit der SPD wider. Ich möchte Ihnen, sowohl
der Bundesregierung als auch der SPD, deshalb eine kleine
Nachhilfe geben: Zur Festlegung von Prioritäten für den
Ausbau der Bundesverkehrswege hat die Bundesregierung
Mitte der 70er-Jahre - es war eine SPD-geführte Regierung für ihre Investitionspolitik eine integrierte Verkehrswegeplanung entwickelt. Diese verkehrsträgerübergreifende
Planung wird im Rahmen von Gesamtverkehrskonzepten
erstellt und findet ihren Niederschlag im so genannten
Bundesverkehrswegeplan. Der Bundesverkehrswegeplan
spiegelt die verkehrsinvestitionspolitischen Ziele der Bundesregierung wider. Er ist ein Investitionsrahmenplan und
damit ein Planungsinstrument - kein Finanzierungsplan
oder -programm, auch kein Gesetz. Die rot-grüne Bundesregierung hat natürlich zugesagt, den BVWP von 1992 zügig zu überarbeiten. Jetzt aber erhalten wir die Maßgabe,
dass dies erst 2003 passieren wird.
Die Realisierung der Maßnahmen des Bundesverkehrswegeplans erfolgt nach Maßgabe der vom Parlament verabschiedeten Ausbaugesetze mit den jeweiligen
Bedarfsplänen. Der Ausbaubedarf für das Bundesfernstraßengesetz wird seit 1970 durch das Fernstraßenausbaugesetz gesetzlich geregelt. Dem jeweiligen Änderungsgesetz ist der so genannte Bedarfsplan für die
Bundesfernstraßen beigefügt. Dieser basiert auf dem jeweils aktuellen Bundesverkehrswegeplan und enthält alle
für seinen Geltungszeitraum geplanten Neu- und Ausbaumaßnahmen an Bundesfernstraßen.
Zur Verwirklichung der Ausbauziele nach den Bedarfsplänen ist unter Beachtung der mittelfristigen Finanzplanung vom Gesetzgeber die Aufstellung von Fünfjahresplänen gefordert. Die Fünfjahrespläne sind ein Instrument
der Exekutive, werden aber gleichwohl den parlamentarischen Gremien zur Kenntnis gebracht.
Ich hoffe, dass Sie solche Aussagen wie die gestern im
Ausschuss in Zukunft nicht mehr treffen werden.
({6})
Ich komme zum Schluss: Die Art und Weise, wie Sie
Investitionspolitik betreiben, ist mit der Wahrheit und
Klarheit haushaltsrechtlicher Erfordernisse nicht mehr
vereinbar. Wenn sich der Verkehrsminister in der Öffentlichkeit immer wieder als Infrastrukturminister präsentiert, dann muss er auch dafür sorgen, dass es statt einer
Vielzahl verwirrender und unübersichtlicher Programme
künftig eine bessere Finanzausstattung für den Straßenbau gibt.
({7})
Ich gebe
dem Kollegen Helmut Wilhelm für die Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Der Straßenbaubericht der Bundesregierung zeigt auf,
dass die rot-grüne Bundesregierung im vergangenen Jahr
bei Bau und Unterhalt der Bundesfernstraßen eine gute
Leistung erbracht hat.
Ich hoffe, dass die F.D.P. diesen Bericht verinnerlicht
und erkannt hat, dass in ihrem Antrag etwas nicht stimmen kann. Sie wirft uns unter Ziffer I vor, wir hätten drastisch gekürzt. Ja, wo denn? Die Mittel lagen in 2000 bei
9,95 Milliarden DM, werden 2001 bei 10,8 Milliarden DM und 2002 bei 10,39 Milliarden DM liegen. Zu
Ihren Zeiten stehen dem gegenüber: 1996 10,26 Milliarden DM und 1997 10,45 Milliarden DM. Wo bitte sind bei
uns die Kürzungen?
Ich rufe jetzt einen wahrhaft unverdächtigen Zeugen
an, einen leibhaftigen bayerischen Minister, Herrn
Dr. Beckstein, der in letzter Zeit bei jedem Spatenstich die
Bundesregierung für die von ihr zur Verfügung gestellten
Baumittel belobigt hat. Dies geschah zuletzt an der A 6
bei Lohma.
({0})
- Nicht unbedingt.
Dass wir hierbei nicht nur an die Gaspedalritter gedacht haben, sondern auch an die verkehrsbetroffenen
Bürger, und Geld speziell für Ortsumgehungen und - völlig neu - für Lärmsanierungen ausgeben, ist ebenfalls
nicht gerade Anlass zur Kritik.
Jetzt zur A 6. Das betrifft meine Heimatregion; gestatten Sie mir deshalb, dass ich einiges richtig stellen
möchte. Tatsächlich: In Tschechien ist die Autobahn bis
Prag fast vollständig fertig. In Deutschland klafft noch
eine große Lücke. Warum? 1988 war Grenzöffnung zu
Tschechien, der Verkehr wuchs und wuchs. Was geschah?
- Nichts! Jedenfalls nicht unter der alten Bundesregierung: kein Planfeststellungsverfahren, kein Baurecht,
nichts.
Die Planfeststellungsbeschlüsse ergingen erst 1998
und 2000. Siehe da: Die rot-grüne Bundesregierung stellte
auch die Baumittel zur Verfügung.
({1})
- Zu diesem einen Punkt werde ich noch kommen.
({2})
Gerade erst vor wenigen Tagen war Baubeginn für den
Abschnitt bei Vohenstrauß, der laut Zukunftsinvestitionsprogramm als Ortsumgehung eingeordnet ist. Also aufgepasst, liebe Kolleginnen und Kollegen von der F.D.P.: Ihre
Behauptung, dieses ZIP-Programm vernachlässige das europäische Fernstraßennetz, ist ebenfalls nicht ganz richtig.
Was fehlt? - Richtig: Woppenhof- Kaltenbaum. Dazu
gibt es noch keinen Planfeststellungsbeschluss. Da kann
man nicht bauen. Hier hat eben das zuständige Land
Bayern seine Hausaufgaben noch nicht gemacht.
({3})
Und es fehlt der Abschnitt von Amberg/Ost bis zum
Autobahnkreuz Pfreimd. Hier ist der Planfeststellungsbeschluss durch Klage angefochten. Das ist das gute Recht
planbetroffener Bürger.
({4})
Das ist in einem Rechtsstaat zu akzeptieren. Das sollten
Ihre örtlichen Repräsentanten, liebe Kolleginnen und
Kollegen der CSU, vielleicht einsehen und den moralischen Druck gegenüber diesen Bürgern auf Klagerücknahme bitte unterlassen. Wir stehen doch wohl alle zu diesem Rechtsstaat und zu seinen Regularien.
Ganz Unrecht - Frau Blank, jetzt komme ich zu diesem
Punkt - haben diese Bürger nun wirklich nicht. Die Umweltverträglichkeitsprüfung hat die planfestgestellte
Trasse aus ökologischen Gründen als die schlechtestmögliche eingestuft. Liebe F.D.P., mit einem Modellversuch
Privatfinanzierung kommen wir über die Hürde des
Rechtswegs auch nicht gerade hinweg. Außerdem eignet
sich - ganz ohne ideologische Scheuklappen - dieser Abschnitt auch wirklich nicht für eine Privatfinanzierung.
14 Kilometer Autobahn bei drei guten Umfahrungsmöglichkeiten - da hätten wir die LKW genau dort, wo wir sie
nicht wollen, nämlich in den Ortsdurchfahrten.
Zum Schluss will ich sagen: Den Bundesverkehrswegeplan novellieren wir ohnedies, wie bereits in der Koalitionsvereinbarung abgemacht.
({5})
Ich gebe
dem Kollegen Horst Friedrich das Wort. Er spricht für die
F.D.P.-Fraktion.
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mir stehen leider nur
dreieinhalb Minuten zur Verfügung. Deswegen kann ich
nicht auf alles antworten. Dennoch vielleicht zwei Sätze
vorweg.
Wir diskutieren die gesamte Verkehrsinfrastrukturentwicklung vor dem Hintergrund, dass der Verkehr seit
Bestehen der Bundesrepublik um 900 Prozent zugenommen hat und die Infrastruktur insgesamt nur um 50 Prozent. Zu diesem Missverhältnis kommt jetzt noch die
Osterweiterung der EU, wobei uns die Kommission der
EU prophezeit, dass es dann nochmals 60 Prozent mehr
Verkehr und davon 80 Prozent auf der Straße geben
wird.
({0})
Vor diesem Hintergrund haben wir uns genötigt gesehen, Anträge für bestimmte Bereiche zu stellen, so auch
für die A 6, die ein hohes Maß an Verkehr in Ost-WestRichtung bewältigen muss, wobei offensichtlich weder
im Investitionsprogramm noch im Zukunftsinvestitionsprogramm noch im Anti-Stau-Programm Finanzmittel für
Helmut Wilhelm ({1})
die Strecke von Amberg/Ost bis Pfreimd vorgesehen sind,
sodass sie eine Lücke aufweist.
({2})
Herr Kollege Wilhelm, wenn Sie Angst haben, dass
sich bei einer anderen Finanzierung als der klassischen
die LKW andere Wege suchen würden, dann frage ich
mich, warum Sie mit Euphorie zum 1. Januar 2003 die
Maut auf Autobahnen für LKW einführen wollen, womit
Sie die Autobahnen für LKW verteuern würden. Sie könnten ja aufgrund dieser Maßnahme auf andere Straßen ausweichen. Ihre Argumentation sollte schon schlüssig sein.
Ich glaube kaum, dass jemand für 14 Kilometer einen
Umweg sucht, wenn er über die ganze Strecke ansonsten
keinen Umweg macht. Ein bisschen mehr Realitätssinn
wäre also schon angebracht.
({3})
Herr Kollege Strobl, vielleicht sollten Sie Ihrem Redenschreiber einmal den Unterschied zwischen Vorfinanzierung, privatem Konzessionsmodell und der von uns geforderten echten Privatfinanzierung aufzeigen.
({4})
Das ist nämlich der eigentliche Unterschied. Von dem,
worüber Sie uns die ganze Zeit erzählt haben, nämlich von
der privaten Vorfinanzierung, steht in dem Antrag kein
Wort. Es mag ja sein, dass Sie mit Scheuklappen durch die
Gegend laufen. Es gibt ja auch ein paar Konzessionsmodelle. Genau das will ich nicht. Genau das ist hier nicht
gefordert, sondern es geht um echte Privatfinanzierung
mit Maut. Dass eine solche erst ab 1. Januar 2003 möglich ist, ist uns geläufig. Wir haben nämlich das
Fernstraßenbauprivatfinanzierungsgesetz - Sie werden es nicht glauben - im Jahre 1994 beschlossen, und
zwar im Hinblick auf diese Situation.
({5})
Ich möchte Sie auf die Welt am Sonntag verweisen,
in deren Ausgabe vom letzten Sonntag groß zu lesen war:
Privatfinanzierung von Straßen und Binnenwasserstraßen - Bundesverkehrsminister Kurt Bodewig plant
eine Infrastrukturfinanzierungsgesellschaft. - Wenn Sie
es uns schon nicht abnehmen wollen, sollten Sie sich in
Ihren eigenen Parteigremien erkundigen, was auf diesem
Feld angedacht ist, und erst dann auf die anderen draufschlagen. Das wäre sicherlich sinnvoller.
Wir haben im Übrigen als Vorgriff vorgeschlagen - auch
das ist in der Pällmann-Kommission angedacht worden -,
die jetzt vorhandene LKW-Vignette mit einer Zweckbindung zu versehen. Wenn es Ihnen gelingt, Einnahmen im
Umfang von 4,5 Milliarden DM oder 5 Milliarden DM
aus der Umstellung der Maut angeblich mit einer Zweckbindung zu versehen, müsste es doch auch möglich sein,
bereits jetzt 750 Millionen DM mit einer Zweckbindung
zu versehen
({6})
und damit Standspuren, dritte Spuren oder kleinere
Lückenschlüsse zu finanzieren, wie die 14 Kilometer zwischen Amberg/Ost und Pfreimd. Wenn man sich den
Straßenbaubericht 2000 ansieht, muss man zugeben, dass
er einige Aussagen enthält, über die man nachdenken
sollte. Wir werden vielleicht irgendwann zusammenkommen und darin übereinstimmen, dass das alles mit der
klassischen Staatsfinanzierung nicht mehr zu machen ist.
Wir haben eine Zunahme der täglichen Verkehrsmenge
auf deutschen Autobahnen von rund 50 000 Fahrzeugen
pro Tag. Statistisch gesehen liegt der LKW-Anteil daran
bei 15 Prozent. Auf der A 6 liegt er wahrscheinlich bei
30 bis 35 Prozent. Darin liegen die eigentlichen Probleme.
Von den Brückenbauwerken in Deutschland sind fast
zwei Drittel, nämlich 65,4 Prozent, in einem Bauzustand,
bei dem es zumindest mittelfristig, in der Masse kurzfristig, notwendig ist, endlich Reparaturarbeiten durchzuführen. Das bekommen Sie mit der klassischen, seriösen
Haushaltsfinanzierung nicht hin. Ich bin mir sicher, dass
Sie sich in diesem Punkt bewegen müssen. Deswegen fordere ich Sie auf: Schließen Sie sich unserem Antrag an!
Danke sehr.
({7})
Für die
Fraktion der PDS spricht der Kollege Dr. Winfried Wolf.
Werter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich will und muss es
kurz machen, da mir nur drei Minuten zur Verfügung stehen. Ich glaube, dass der vorliegende Antrag ein Klientelantrag, ein Schaufensterantrag ist. Die F.D.P. zieht damit
nach und ergänzt, was die CDU/CSU 11 Monate vorher
bereits ins Parlament eingebracht hat.
({0})
Bereits der erste inhaltliche Satz Das deutsche Fernstraßennetz ist nicht europatauglich, Herr Kollege
Friedrich, ist einfach grotesk. Wer sich das deutsche Planungsrecht ansieht und überlegt, dass 16 Jahre lang
CDU/CSU und F.D.P. regiert haben, muss erkennen, dass
für die fehlende Europatauglichkeit allein CDU/CSU und
F.D.P. verantwortlich sein können.
({1})
Jetzt behauptet die F.D.P., Investitionen in das Bundesfernstraßennetz seien drastisch gekürzt worden.
Plötzlich protestieren SPD und Grüne und sagen: Es ist alles gleich geblieben, wir haben nichts gekürzt, es handelt
sich um ein absurdes Theater. SPD und Grüne, die uns
noch vor kurzem belehrt haben, dass es beim Vergleich
von Straße und Schiene Ungleichgewichte zuungunsten
der Bahn gibt, wollen in gleichem Maße weitermachen,
während die CDU/CSU, die vor einer Stunde einen Antrag gestellt hat, in dem sie behauptet, die Bahn würde mit
2 Milliarden DM pro Jahr zu stark belastet, jetzt sagt, es
müssten mehr Mittel für die Straße ausgegeben werden.
({2})
Horst Friedrich ({3})
Wenn Sie von der F.D.P. behaupten, es solle modellhaft
ein sechsspuriger Ausbau von Autobahnen stattfinden,
muss ich darauf hinweisen: Sie werden durch einen
Lückenschluss neue Lücken schaffen; denn wenn einmal
sechsspurig ausgebaut wird, wird man bei anderen Autobahnen, die nur vierspurig sind, nachziehen müssen. Wir
werden dann weitere Debatten führen müssen und bekommen schließlich eine Situation wie in den USA, wo
alle Autobahnen sechsspurig sind und es trotzdem überall
Stau gibt.
Wenn schon Ost-West-Vergleiche angestellt werden,
fragen wir: Warum wird nichts dazu gesagt, dass die rollende Landstraße Dresden-Tschechien eingestellt wurde,
nachdem die Autobahn gebaut wurde? Warum wird nichts
dazu gesagt, dass die Bahn ihre Verbindungen von
Deutschland nach Tschechien eingestellt hat, während wir
über Ost-West-Verbindungen bei Autobahnen diskutieren? Warum wird nichts dazu gesagt, dass bestimmte Regionen durch Einstellung von Interregiolinien abgehängt
werden? Auch dies gehört in eine Verkehrsdebatte. Wir
hören von Frau Blank bei der Debatte über den Straßenbaubericht, wir hätten in den alten Ländern ein marodes
Straßennetz. Ich stelle in diesem Zusammenhang die
Frage: Wer ist dafür verantwortlich? SPD und Grüne sagen nun, sie wollten alles weiter wie bisher machen und
Straßen ausbauen. Hierdurch wird eine falsche und traurige Kontinuität in der Verkehrspolitik in unserem Land
dokumentiert.
Das schlägt sich auch, Frau Blank, in den Vorgaben des
Bundesverkehrswegeplans nieder. Im letzten Straßenbaubericht steht - das ist doch ganz in Ihrem Sinne, Frau
Blank -, dass der Straßenverkehr um 29 Prozent und der
LKW-Verkehr um 80 Prozent wachsen werden und dass
dementsprechend Straßen vorhanden sein müssen. Das ist
Kontinuität im falschen Sinn und keine Wende in der
Verkehrspolitik.
({4})
Für die Bundesregierung spricht nun der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, Stephan Hilsberg.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!
Die größten Realisten waren Sie von der ganz linken Seite
noch nie. Insofern wundert mich das, was Sie unserem
Straßenbaubericht vorwerfen, überhaupt nicht. Man muss
die Entwicklungen so, wie sie sich vollziehen, ernst nehmen und versuchen, sie zu steuern. Man muss die
Herausforderungen akzeptieren und vor dem Hintergrund
unserer demokratischen Gesellschaft eine mehrheitsfähige Lösung unter den schwierigen Bedingungen der
Haushaltskonsolidierung realisieren. Per Diktat, wie Sie
das vermutlich im Auge haben, sind die Herausforderungen der Mobilitätsentwicklung nicht zu meistern. Das
ist sozusagen Ihr Manko.
Die CDU/CSU hat andere Mankos. Ich möchte auf eines gleich zu sprechen kommen. Der Straßenbaubericht
2000, über den wir heute diskutieren, bezieht sich in erster Linie auf das Jahr 1999, also auf das Jahr, in dem wir
die unsolide und desaströse Verkehrsinfrastrukturfinanzierung auf eine solide Basis gestellt haben. Herr
Strobl, dem auch ich bei dieser Gelegenheit herzlich zum
Geburtstag gratulieren möchte, hat das ja bereits deutlich
gemacht. Sie haben ganz erheblich zur Beschädigung der
Glaubwürdigkeit der Politik beigetragen, als Sie versucht
haben, den Menschen weiszumachen, dass die Verkehrsprojekte trotz des Fehlens von 100 Milliarden DM in einem entsprechenden Zeitraum realisiert werden könnten.
({0})
Deshalb haben wir 1998/99 - das war eine unserer ersten
Maßnahmen - die Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur
auf eine solide Basis gestellt und das Investitionsprogramm, das für den Zeitraum von 1999 bis 2002 gilt, aufgelegt. Das hat den großen Vorteil, dass jedes Land und
jede Kommune, ganz gleich, wer dort gerade regiert, genau weiß: Das, was in diesem Programm festgelegt ist,
wird auch realisiert.
({1})
Das ist die neue Qualität, für die wir gesorgt haben, und
das vor einem schwierigen finanziellen Hintergrund.
({2})
Hinzu kommt - das ist der nächste wichtige Punkt -,
dass wir dabei nicht stehen geblieben sind. Wir haben darüber hinaus die Mittel Zug für Zug an den Investitionsbedarf in der Bundesrepublik angepasst, und zwar für alle
Verkehrsträger. Wir haben zuerst die globale Minderausgabe aufgelöst. So konnten in den Bundeshaushalt 1 Milliarde DM mehr zur Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur eingestellt werden. Wir haben des Weiteren
900 Millionen DM von den UMTS-Milliarden nur für den
Bau von neuen Ortsumgehungen in den Verkehrshaushalt
zusätzlich eingestellt. Das hat dazu geführt, dass in diesem Jahr allein für den Straßenbau 10,8 Milliarden DM
zur Verfügung stehen. Das ist der höchste Betrag, den es
je gegeben hat, wenn man einmal von 1992 absieht. Daran können Sie sehen, wie wichtig uns nicht nur eine solide, sondern auch eine Finanzierung auf hohem Niveau
ist. Das ist - das muss man deutlich sagen - einfach durch
nichts zu schlagen. Wir sorgen nicht nur für eine zuverlässige Finanzierung, sondern auch dafür, dass die
Verkehrsinfrastrukturaufgaben auch in Zukunft anständig
erfüllt werden können.
Ich möchte meinen Blick jetzt auf Ostdeutschland
richten. Eine gute Verkehrsinfrastruktur ist eine der wesentlichen Voraussetzungen für eine erfolgreiche Wirtschaftsentwicklung. Von 1991 bis 1999 - dafür sind Sie
verantwortlich - sind 30 Prozent aller für den Straßenbau
bereitgestellten Mittel nach Ostdeutschland geflossen.
Wir haben in unserem Investitionsprogramm festgeschrieben, dass von 1999 bis 2002 60 Prozent aller Mittel
nach Ostdeutschland fließen werden. So viel ist uns der
Aufbau Ost wert. Das ist die neue Qualität in der Förderung der Verkehrsinfrastruktur in Ostdeutschland. Das ist
ein wichtiger Punkt.
({3})
Gleichwohl können wir - das ist völlig richtig - an diesem Punkt nicht stehen bleiben. Die Herausforderungen
im Verkehr werden größer. Die Verkehrsentwicklungszahlen, die der Straßenbaubericht 2000 enthält, sind eindeutig und sprechen Bände. Anders, als Sie es hier tun,
kann ich das Wachstum des Güterverkehrs um 64 Prozent nicht einfach ignorieren. Ich muss auf die Fragen, die
damit verbunden sind, anständige Antworten geben. Der
Umfang der Aufwendungen für die Verkehrsinfrastruktur
und damit auch für den Straßenbau wird zunehmen. Dafür
spricht allein schon der bisher notwendige Erhaltungsaufwand. Man muss schauen, woher das Geld kommt.
Die F.D.P. wünscht offenbar, dass man mehr mit Privaten ins Geschäft kommt. Was die Finanzierung von
Straßen durch Private bedeutet, das wissen Sie doch. Faktisch führt das dazu, dass eine PKW-Maut eingeführt
wird. Was die F.D.P. will, ist nichts anderes als eine
PKW-Maut für unsere Bürger. Das ist nicht die Finanzierung der Autobahn, wie wir sie uns vorstellen.
({4})
Wenn man zusätzliche Mittel für die Finanzierung der
Verkehrsinfrastruktur, insbesondere für die Finanzierung
des Straßenbaus, beschaffen will, dann muss man
schauen, auf welche Verkehrsteilnehmer die Kosten zu
verteilen sind. Wenn man so vorgeht, stellt man ganz
schnell fest, wo Defizite bestehen. Die Schwerlaster - das
ist ein Defizit - tragen zu wenig zum Instandhaltungsaufwand bei. Man muss feststellen, dass beispielsweise der
Abnutzungsgrad durch einen 40-Tonner-LKW um ein
60 000faches höher als der durch einen PKW ist. Die
PKWs tragen über die Mineralölsteuer etc. genug zur Finanzierung der Infrastruktur bei. Für die LKWs ist das
nicht der Fall. Deshalb sind unsere Pläne völlig gerechtfertigt, eine LKW-Maut einzuführen.
Die Höhe einer solchen LKW-Maut kann man allerdings nicht, wie es Herr Mehdorn will, beliebig festlegen
- es handelt sich nicht um eine Steuer -, vielmehr muss
man sich an den von den LKWs tatsächlich verursachten
Kosten orientieren. Das wird bei 25 Pfennig oder vielleicht 30 Pfennig liegen. Darüber wird - relativ kurz - zu
diskutieren sein und dieses Vorhaben wird zu realisieren
sein.
Die Milliarden, die der Staat dadurch zusätzlich einnimmt, müssen möglichst komplett - bei Abrechnung von
Verwaltungskosten etc. - in die Verkehrsinfrastruktur investiert werden. Ganz wichtig ist, daran zu denken, dass
das Wachstum des Güterverkehrs durch zusätzliche
Straßen nicht vollständig aufgefangen werden kann.
Wenn man das versuchte, dann müsste man an alle Bundesautobahnen eine zusätzliche Spur, eine Art LKW-Spur,
anbauen - was überhaupt nicht zu finanzieren ist. Herr
Friedrich, es ist für meine Begriffe gerechtfertigt, die Einnahmen aus einer LKW-Maut in die Schiene zu investieren; denn das trägt besser zur Gesamteffizienz unseres
Verkehrssystems bei. Wir müssen immer den Gesamtzusammenhang betrachten, wenn wir von Verkehrsinfrastruktur und damit von Straßenbau sprechen. Die gesamte
Verkehrsfinanzierung muss effizienter werden. Die
Schiene muss dafür allerdings auf einen Stand gebracht
werden, der es ihr ermöglicht, den an sie gestellten Erwartungen gerecht zu werden.
Kurz und gut: Der Straßenbaubericht 2000 zeigt die
Herausforderungen, vor denen wir stehen, sehr eindeutig
auf. Die Haushaltsentwicklung zeigt, dass wir auf diese
Herausforderungen angemessen reagiert haben. Wir haben dafür erhebliche Mittel - mehr als jemals zuvor - investiert. Diese Leistung kann sich sehen lassen. Für die
Bürger in diesem Land ist es wichtig, die Politik an ihren
Taten und nicht an ihren Versprechen zu messen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({5})
Ich schließe
die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/5064 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Das Haus ist damit
einverstanden. Die Überweisung ist beschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau und Wohnungswesen zu dem Antrag der Fraktion der F.D.P. A 6
modellhaft ausbauen - Deutschlands Fernstraßennetz für
Europa fit machen, Drucksache 14/5557. Der Ausschuss
empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/5229 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen
und PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P.
angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 sowie die Zusatzpunkte 6 und 7 auf:
10. Erste Beratung des von der Fraktion der
CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung des Wohnortprinzips bei
den Vereinbarungen über die ärzliche Gesamtvergütung
- Drucksache 14/5694 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit
ZP 6 Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung des Wohnortprinzips bei Honorarvereinbarungen für Ärzte und Zahnärzte
- Drucksache 14/5960 Parl. Staatssekretär Stephan Hilsberg
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit ({0})
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
ZP 7 Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung der Krankenkassenwahlrechte
- Drucksache 14/5957 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit ({1})
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erstem Redner gebe ich
dem Kollegen Eckhart Lewering, SPD-Fraktion, das
Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ihnen liegt
heute ein Antrag der Koalitionsfraktionen vor, der vorsieht, das Wohnortprinzip bei Vereinbarungen über die
Gesamtvergütung für Ärzte und Zahnärzte in der ambulanten Versorgung für alle Kassenarten verbindlich vorzuschreiben. Wir haben es hier mit einem Problem zu tun,
das aufgrund des bundesweiten Wettbewerbs der Krankenkassen entstanden ist.
Durch den Wettbewerb zwischen den Krankenkassen
ist es zu Verteilungsungerechtigkeiten gekommen. Die
Krankenkassen zahlen die Gelder für die Versorgung ihrer Versicherten durch die niedergelassenen Ärzte an deren Kassenärztliche Vereinigungen. Die Kassenärztlichen
Vereinigungen wiederum bezahlen von diesem Geld die
Ärzte in ihrer Region. In diesem Betrag sind sowohl die
ärztlichen Leistungen enthalten als auch Kosten der niedergelassenen Ärzte für Vorhaltung zum Beispiel von medizinischem Gerät.
Durch den Wettbewerb und die Öffnung der Krankenkassen haben viele Kassen jetzt Mitglieder, die nicht in
der Region wohnen, in der die Kasse ihren Sitz hat. Das
wird zunehmend zu einem Problem. Nach wie vor erhält
in vielen Fällen die kassenärztliche Vereinigung, in deren
Region die Krankenkasse ihren Sitz hat, den größten Teil
des Honorartopfs dieser Krankenkasse. Lediglich über
den so genannten Fremdkassenausgleich erhalten andere
Kassenärztliche Vereinigungen einen teilweisen Ausgleich für die von ihren Ärzten erbrachten Leistungen.
Wir wollen und werden diese unbefriedigende Situation grundlegend bereinigen. Der Gesetzentwurf der Koalition sieht vor, dass die Krankenkassen die Gesamtvergütungen an die Kassenärztlichen Vereinigungen zahlen
sollen, deren Ärzte ihre Versicherten behandeln. In Zukunft werden ärztliche Leistungen und die Vorhaltekosten
also dort vergütet, wo sie anfallen. Von der Einführung
des Wohnortprinzips profitieren vor allem auch Ärzte in
den neuen Bundesländern, da viele ihrer Patienten bei
Krankenkassen versichert sind, deren Sitz in den alten
Bundesländern liegt. Mit dieser Regelung sorgen wir für
mehr Gerechtigkeit und für die Sicherung der ambulanten
Versorgung auch in Ostdeutschland. Wir verstehen die
Besorgnisse einiger Länder, deren Ärzte bislang Gelder
erhalten haben, die ihnen aber eigentlich aus Sicht der
Beitragszahler nicht zugestanden hätten.
Eine pauschale Erhöhung des Finanzierungsvolumens für die ambulante ärztliche Versorgung ohne flankierende Maßnahmen im Bereich der Ausgabensteuerung
und der Honorarverteilung würde weder in den alten noch
in den neuen Ländern einen substanziellen und nachhaltigen Beitrag zur Lösung der Finanzprobleme leisten können. Diese Gelder würden die eigentlich beabsichtigten
Wirkungen verfehlen und wirkungslos versickern. Wir
setzen daher auf das Konzept der Bundesregierung, die
Gelder gezielt dahin zu leiten, wo die Leistungen erbracht
werden.
({0})
Nun einige Sätze zum vorliegenden Entwurf der
CDU/CSU-Fraktion: Mit ihrem heutigen Gesetzentwurf
ist die Opposition auf den schon fahrenden Zug einer Gesetzesinitiative der Bundesregierung und der sie tragenden Koalitionsfraktionen aufgesprungen.
({1})
- Im Dezember vorigen Jahres haben wir den Antrag gestellt. Das wissen Sie genau.
Der Gesetzentwurf der CDU/CSU-Fraktion entspricht
in seiner Zielsetzung und auch in seinen Maßnahmen in
weiten Teilen dem Gesetzentwurf der Koalition zum
Thema Wohnortprinzip bei Honorarvereinbarungen.
({2})
Es freut mich, dass daher für den Gesetzentwurf der Koalition eine breite Mehrheit in diesem Hause zu erwarten ist.
Allerdings gibt es auch einige Mängel in diesem Entwurf der CDU/CSU-Fraktion. Einige Punkte möchte ich
aufzeigen:
Erstens. Die Union fordert, die Umstellung auf das
Wohnortprinzip dürfe nicht zur Folge haben, dass die Mittel für die ambulante ärztliche Vergütung einer Region
verringert werden.
({3})
- Ich komme gleich dazu.
Zweitens. Die CDU/CSU möchte die Teilnahme der
gesetzlichen Krankenkassen an der neuen Regelung auf
die Fälle und KV-Bezirke beschränken, in denen die jeweilige Kasse zumindest 1 000 Mitglieder hat.
Drittens. Die Beteiligungsrechte so genannter einstrahlender Krankenkassen sollen durch die Ermöglichung einer Mitgliedschaft in allen Landesverbänden der jeweiligen Kassenarten sichergestellt werden, innerhalb deren
Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters
Region die jeweilige Kasse über mehr als 3 000 Mitglieder verfügt.
Hierzu ist Folgendes zu sagen:
Erstens. Die Forderung der Union, dass die Einführung
des Wohnortprinzips keinerlei finanzielle Veränderungen
mit sich bringen dürfe, ist unrealistisch und steht der beabsichtigten Lenkungswirkung entgegen.
({4})
Zweitens. Die Beschränkung der Teilnahme der Krankenkassen auf solche, die mindestens 1 000 Mitglieder
aufzuweisen haben, könnte sinnvoll sein, um die Problematik geringer Vergütungspunktwerte bei zu kleinen
Gesamtvergütungen zu vermeiden. Dieses Problem ist
aber durch eine Änderung des § 85 Abs. 4 SGB V zu lösen, die die bislang bereits geübte Praxis gesetzlich festschreibt, wonach bei der Berechnung des Punktwertes
dieser nicht auf die einzelne Kasse, sondern auf die Kassenart zu beziehen ist.
Die von der Union vorgesehene Regelung würde zudem eine Aufweichung des Wohnortprinzips bedeuten.
Das ist insoweit problematisch, als die vorgesehene
Grenze von 1 000 Versicherten nicht gerade eine kleine
Gruppe umfassen würde. Zudem bestünde das Problem,
dass bei besonderen Versorgungsverträgen ein Ausschluss
der Versicherten erfolgen würde, deren Kasse unter dieser
Mindestgrenze liegen würde. Ein weiteres Problem würde
der zu erbringende Verwaltungsaufwand darstellen. Alles
in allem spricht dies eher gegen die Übernahme der von
der Union vorgeschlagenen Regelung.
Drittens. Die Sicherstellung der Beteiligungsrechte der
Einstrahlerkassen durch eine Mitgliedschaft in den entsprechenden Landesverbänden erscheint als ein gangbarer Weg. Eine Klärung dieser Frage sollte aber, wie es der
Entwurf der Bundesregierung vorsieht, dem jeweiligen
Bundesverband der Kassenart, also der Selbstverwaltung,
vorbehalten bleiben.
Ich bitte Sie, meine Damen und Herren von der Union,
um die Unterstützung des Koalitionsentwurfs,
({5})
weil er der Intention auch Ihres Antrags entspricht. Es ist
von allergrößter Bedeutung, dass wir hier und heute ein
deutliches Zeichen setzen. Das sage ich auch als Abgeordneter aus den neuen Bundesländern, weil ich die Sorgen und Nöte der niedergelassenen Ärzte an meinem
Wohnort jeden Tag selber erleben kann.
Mein Dank geht daher auch an die Bundesregierung,
die es mit der gebotenen Sorgfalt geschafft hat, in kurzer
Zeit einen entsprechenden Gesetzentwurf auf den Weg zu
bringen. Ich bitte Sie daher in den Ausschüssen um die
Zustimmung zum Entwurf der Koalition.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({6})
Ich erteile
das Wort dem Kollegen Ulf Fink für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir beraten heute in verbundener Debatte drei Gesetzentwürfe: unseren Gesetzentwurf zur Einführung des Wohnortprinzips, den
entsprechenden Gesetzentwurf der Regierungskoalition
mit freundlicher Formulierungshilfe der Bundesregierung
und einen Gesetzentwurf der Regierungskoalition zur
Neuregelung der Krankenkassenwahlrechte.
Bevor ich auf unseren Gesetzentwurf zur Einführung
des Wohnortprinzips eingehe, muss ich ein Wort zum Gesetzentwurf der Koalition zur Neuregelung der Krankenkassenwahlrechte sagen. Um es ganz klar und deutlich zu
sagen: Dieser Gesetzentwurf ist ein gesundheitspolitischer Offenbarungseid.
({0})
Vor nicht allzu langer Zeit hat der Bundeskanzler erklärt, die Sozialdemokraten wollten eine zivile Bürgergesellschaft, der Staat müsse sich auf seine eigentlichen
Aufgaben besinnen, man müsse den Menschen mehr zutrauen und ihnen mehr Möglichkeiten einräumen. Die
Wahrheit aber ist, dass gestern unter dem Vorsitz desselben Bundeskanzlers das Kabinett in einer Nacht-und-Nebel-Aktion den Versicherten mit sofortiger Wirkung verboten hat, die Krankenkasse zu wechseln.
({1})
Das ist nicht mehr Freiheit, sondern weniger Freiheit für
den mündigen Bürger. Darin spiegelt sich das Leitbild des
unmündigen Bürgers wider, wie jedermann erkennen kann.
({2})
Es war die Union, die in den 90er-Jahren dafür Sorge
getragen hat, dass die Versicherten mehr Freiheit bekommen haben, zum Beispiel die Freiheit, die Krankenkasse
zu wechseln.
({3})
Eine zukunftsgerichtete Sozial- und Gesundheitspolitik
räumt mehr Wahl- und Freiheitsrechte in den Sozialund Gesundheitssystemen ein. Wir haben es mit mündigen Bürgern zu tun. Deshalb sollte man, wo immer es
geht, die Wahl- und Freiheitsrechte erweitern und nicht
abbauen. Ich sage in aller Deutlichkeit: Es wird für ein
solches Kassenwechselverbotsgesetz keine einzige
Stimme aus meiner Fraktion geben.
({4})
Die Regierungskoalition begründet ihren Gesetzentwurf damit, dass die Wettbewerbsbedingungen zwischen
den Krankenkassen unfair seien. An diesem Argument ist
auch wirklich etwas dran. Die richtige Antwort auf dieses
Problem aber hätte dann doch nur lauten können, für faire
Wettbewerbsbedingungen zu sorgen. Und das hätten Sie
längst tun können, zum Beispiel durch eine Reform des
Risikostrukturausgleichs.
In der letzten Legislaturperiode wurde der Auftrag erteilt, den Risikostrukturausgleich wissenschaftlich zu
überprüfen. Es war die rot-grüne Koalition, die diesen
Auftrag sofort nach dem Regierungswechsel kassiert hat
mit der Konsequenz, dass wir jetzt eben keinen reformierten Risikostrukturausgleich haben. Das ist nicht die
Schuld der jetzigen Gesundheitsministerin, aber sie steht
in der Verantwortung der gesamten Regierungskoalition.
Es war die rot-grüne Regierungskoalition, die diesen Auftrag kassiert hat. Und es bleibt eben dabei, das Kassenwechselverbotsgesetz ist ein gesundheitspolitischer Offenbarungseid.
({5})
Nun zu unserem Gesetzentwurf zur Einführung des
Wohnortprinzips bei den Vereinbarungen über die ärztlichen Gesamtvergütungen. Es ist, wie man auch den Ausführungen meines Vorredners entnehmen kann, ein verhältnismäßig kompliziertes Thema. Allerdings hat dieses
Thema erhebliche Bedeutung für die ambulante ärztliche
Versorgung in Ostdeutschland. Die Betriebs- und Innungskrankenkassen - um die geht es vor allem schließen Verträge mit den Kassenärztlichen Vereinigungen ab, wo diese ihren Sitz haben. Und dorthin fließen
dann auch die Kopfpauschalen. Im Wege des Fremdkassenausgleichs bekommen die Kassenärztlichen Vereinigungen, wo die Leistungen wirklich erbracht werden, nur
die tatsächlich erbrachten Leistungen bezahlt.
Das hört sich erst einmal vernünftig an. Aber bei diesen Kopfpauschalen gibt es eine Mischkalkulation. Deshalb führt diese Zahlungsweise wegen der notwendigen
Mischkalkulation zu zu geringen Zahlungen für die Menschen und die Ärzte im Osten. Da die meisten Betriebsund Innungskrankenkassen ihren Sitz nicht in Ostdeutschland, sondern in Westdeutschland haben, bedeutet
das, dass den ostdeutschen Kassenärztlichen Vereinigungen Millionen D-Mark an Mitteln für die ambulante Versorgung fehlen. Das wollen wir mit unserem Gesetzentwurf verändern.
Nun, Kollege Lewering, haben wir in dieser Woche ein
Gespräch mit allen Vertretern der ostdeutschen Kassenärztlichen Vereinigungen gehabt, mit denen von
Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen,
Thüringen, um nur einige zu nennen. In diesem Gespräch
ist uns die Dramatik der Situation der ambulanten Versorgung in Ostdeutschland noch einmal sehr nahe gebracht
worden. Wir erwägen deshalb, im Laufe der Gesetzgebungsarbeit auf folgende zwei Punkte ganz besonders einzugehen und, wenn es Not tut, auch Änderungen an dem
Gesetzentwurf vorzunehmen.
Erstens. Wir haben bisher für das In-Kraft-Treten des
Gesetzes den Termin 1. Januar 2002 vorgesehen, so auch
der Gesetzentwurf der Regierungskoalition. In Anbetracht der dramatischen Probleme, mit denen sich die
Ärzte in Ostdeutschland konfrontiert sehen, sollten wir,
wie ich meine, alles daran setzen, zu erreichen, dass das
Gesetz nicht erst im nächsten Jahr, sondern noch in diesem Jahr in Kraft tritt. Ich möchte darauf hinweisen, dass
in dem Antrag, den Sie im Dezember als Koalition an die
Regierung gestellt haben, auch Sie ausdrücklich gesagt
haben, Sie bitten die Regierung, dafür zu sorgen, dass
noch vor dem Jahre 2002 der Gesetzentwurf in Kraft tritt.
Das ist nun in Ihrem Entwurf auch nicht beinhaltet. Vielleicht könnten wir gemeinsam in der Gesetzgebungsarbeit
schauen, ob wir nicht doch ein früheres In-Kraft-Treten
erreichen können.
Zweitens. Wir sind bei der Formulierung unseres Gesetzentwurfes von der Annahme ausgegangen, dass das
Geld, das bisher für die ambulante Versorgung in Westdeutschland zur Verfügung gestellt wurde, etwa in dieser
Höhe auch für die ambulante Versorgung in Ostdeutschland zur Verfügung gestellt wird. In dem Gespräch mit
den Vertretern der Kassenärztlichen Vereinigungen Ostdeutschlands ist uns aber verdeutlicht worden, dass dies
nicht der Fall ist.
Da niemand ein Interesse an einem neuerlichen Verteilungskampf zwischen Ärzten in Ost- und in Westdeutschland haben kann, sind wir bereit, zu prüfen, ob der Gesichtspunkt der Kostenneutralität wirklich absoluten
Vorrang vor allen anderen Gesichtspunkten haben darf. Ich
will mit meiner Meinung gar nicht hinter dem Berg halten
- ich denke, ich spreche hier auch für die meisten Kolleginnen und Kollegen aus meiner Fraktion -: Der Zustand,
dass die Ärzte in Ostdeutschland mit häufigeren Krankenhausaufenthalten und schwereren Erkrankungen der ostdeutschen Bevölkerung konfrontiert sind, sie aber nur
77 Prozent dessen bekommen, was den Ärzten in Westdeutschland für die ambulante Versorgung zur Verfügung
gestellt wird, ist nicht länger hinnehmbar. Das gilt zumal,
wenn man bedenkt, dass die Vergütung zum Beispiel im
öffentlichen Dienst bei 88,5 Prozent und im nächsten Jahr
sogar bei 90 Prozent liegen wird. Wenn da nicht schleunigst Entscheidendes geschieht, droht die Gefahr, dass die
ambulante Versorgung in Ostdeutschland nicht mehr
gewährleistet ist. Schon jetzt verursacht es große Probleme, im flachen Land - davon gibt es, lieber Kollege
Lewering, in Ostdeutschland eine ganze Menge - die ordnungsgemäße medizinische Versorgung zu garantieren.
Wir sind uns darüber im Klaren, dass der Gesetzentwurf zur Einführung des Wohnortprinzips nur ein bescheidener Schritt auf dem Wege zu einer Verbesserung
dieser Verhältnisse ist. Einen entscheidenden Schritt
könnten wir tun, wenn die Regierungskoalition endlich
unserer Forderung Rechnung tragen würde und mit der
verfehlten Politik der Budgetierung endlich Schluss
machte.
({6})
Die Budgetierung ist ein gesundheits- und finanzpolitisch
verfehlter Ansatz und trifft insbesondere die Menschen in
Ostdeutschland.
({7})
Wann endlich sieht die rot-grüne Koalition - auch Frau
Schmidt-Zadel - die simple Tatsache ein, dass man nur
dann, wenn man auch Krankheiten budgetieren kann,
auch die Finanzierung budgetieren kann?
({8})
Solange man das nicht kann, gibt es nur eine Antwort:
Weg mit den Budgets!
Cato pflegte seine Reden im Senat von Rom mit dem
Satz zu beenden: Ceterum censeo Carthaginem esse delendam.
({9})
Wir im Deutschen Bundestag sollten es uns zur Gewohnheit
machen, die gesundheitspolitischen Debatten mit dem Satz
zu beenden: Ceterum censeo, die Budgets müssen weg.
({10})
Man ist ja
geneigt, mit anderen lateinischen Sprüchen zu antworten.
Ich will mir das ersparen, aber doch auf eines hinweisen:
Et respice finem. Das passt nämlich, da sich die Fraktionen bezüglich der Tagesordnungspunkte 13 und 14 verständigt haben, die Reden zu Protokoll zu geben. Bei den
Tagesordnungspunkten 11 und 12 wird noch über einige
Reden verhandelt.
Jetzt gebe ich das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen an die Kollegin Katrin Göring-Eckardt.
Lieber Kollege Fink, bei der nächsten Debatte erwarte ich, dass Sie auch den deutschen Ausdruck Budgets ins Lateinische übersetzen, wenn Sie Ihr Ceterum
censeo anbringen. Das Gute an den Reden von Cato ist ja
gewesen, dass sie etwas leidenschaftlicher waren. Um
diese Tageszeit wird uns allen das nicht so gut gelingen.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, wir sprechen heute
hier über die Einführung des Wohnortprinzips. Die Kollegen Lewering und Fink haben ausgeführt, wie wichtig es
gerade für die Situation im Osten Deutschlands ist, damit
Schluss zu machen, dass die Vergütung dort um Millionenbeträge niedriger ausfällt. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf kommen wir einen wesentlichen - nicht nur einen
kleinen - Schritt bei der Frage weiter, wie hier eine Angleichung erreicht werden kann. Wir haben hier sehr lange
eine Ungerechtigkeit zugelassen, die wir jetzt beenden.
Ich bin sehr froh, dass wir in der Sache offensichtlich
an einem Strang ziehen. Wir werden in den Ausschussberatungen über die einzelnen Fragen zu reden haben. Ihren
Vorschlag, Herr Fink, über den Zeitpunkt des In-KraftTretens dieses Gesetzes zu reden, finde ich ehrenhaft. Ich
fürchte jedoch, er ist nur sehr schwer praktikabel. Weniger ehrenhaft, obwohl sehr verständlich, finde ich allerdings, dass Sie hier gesagt haben, dass man möglicherweise das Ziel der Kostenneutralität aufgeben müsse.
({0})
Leider haben Sie an dieser Stelle nicht gesagt, woher das
Geld kommen soll, wenn wir das nicht kostenneutral machen. Ich denke, das müsste dann zumindest Gegenstand
seriöser Beratungen sein, damit wir Ihre Vorstellungen
dazu erfahren.
Ich glaube, dass das Wohnortprinzip vor allen Dingen
die Vertragsgestaltungsmöglichkeiten in den Regionen, in
denen die Krankenkasse nicht vertreten ist, deutlich voranbringt. Die Versorgungs- und Vergütungsstrukturen werden
mit regionalen Vereinbarungen um eine Dimension erweitert und damit auch weiterentwickelt. Damit wird am Ende
- das trifft nicht nur auf Ostdeutschland zu - den spezifischen Erfordernissen einer Region Rechnung getragen. Ich
bin sehr froh, dass wir dieses Prinzip einführen.
Nun möchte ich zu der Frage der Kassenwahlrechte
kommen. Lieber Kollege Fink, der Gesetzentwurf, den
das Kabinett verabschiedet hat und der heute hier eingebracht wird, ist alles andere als eine Verhinderungsstrategie, alles andere als eine Einschränkung.
({1})
Wenn Sie sich die Substanz dieses Entwurfs anschauen,
dann erfahren Sie zunächst einmal, dass die Versicherten
mehr und nicht weniger Möglichkeiten bekommen, insbesondere vor dem Hintergrund der zentralen Frage, wie
in der gesetzlichen Krankenversicherung künftig die Solidarität formuliert wird.
Wir sind uns einig darüber, dass wir diese Frage erst
mit einem konsequenten Risikostrukturausgleich beantworten werden. Herr Fink, der Vorwurf, den Sie vorgebracht haben, dass hier Zeit vertan worden sei, ist schlicht
falsch. Wir haben in den letzten zwei Jahren intensiv an
der Frage gearbeitet, wie der Risikostrukturausgleich umzugestalten ist. Ich denke, wir sind jetzt auf einem guten
Weg. Aber dieser Weg bedeutet auch - das haben uns alle
Beteiligten immer wieder gesagt -, dass man unmittelbar
Maßnahmen ergreifen muss und nicht mehr nur auf längerfristige und endgültige Lösungen warten kann. Deswegen ist es nicht nur legitim und sinnvoll, mit diesem
ersten Schritt deutlich zu machen, in welche Richtung es
gehen soll, sondern es erweitert auch die Möglichkeiten
der Verbraucherinnen und Verbraucher.
Es erweitert die Möglichkeiten, weil durch diese neue
Regelung zu jedem Termin gekündigt werden kann. Bisher haben alle auf den 30. September geschaut wie das
Kaninchen auf die Schlange. Dadurch hatten die Versicherten nicht die Möglichkeit der freien Entscheidung.
Bei der Wahl der Krankenkasse hat im Wesentlichen die
Höhe der Beitragssätze eine Rolle gespielt.
({2})
Dabei war immer auch ein kleines bisschen Panik im
Spiel nach dem Motto: Wenn ich diesen Termin verpasse,
kann ich nicht mehr wechseln.
Wenn nun die Möglichkeit besteht, jederzeit zu wechseln, wird das natürlich auch dazu führen, dass man sich
genauer überlegt, was man tut. Da werden viel mehr die
Fragen eine Rolle spielen: Welche Qualität haben Beratung und Service, welche Präventionsangebote gibt es
in dieser Krankenkasse? Es wird keine Panikattacken aufgrund des bevorstehenden 30. Septembers mehr geben.
Wir haben auch nicht außer Kraft gesetzt, dass man
innerhalb einer relativ kurzen und verträglichen Zeit - es
geht um nicht mehr als einen Aufschub von drei Monaten - die Krankenkasse wechseln kann, auch unmittelbar.
Und wir haben gesagt: Wenn wir ein solches flexibles
Recht einführen, dann muss das im Gegenzug natürlich
auch bedeuten, dass man etwas länger an eine Kasse gebunden ist; das ist nur legitim. Dazu kommt - aus meiner
Sicht zu Recht - die Tatsache, dass die Versicherten in diesem Jahr selbstverständlich ein Sonderkündigungsrecht
haben, wenn die Beiträge in einer Krankenkasse erhöht
werden. Wir werden uns in den Ausschussberatungen
dafür einsetzen, dass diese Regelung über das erste Jahr
hinaus gilt. Denn angesichts dessen, was wir über Solidarität gesagt haben und was aus meiner Sicht auch überhaupt nicht außer Kraft gesetzt wird, muss man die Möglichkeit haben, aus dem Vertrag auszusteigen, wenn einer
der Vertragspartner die Bedingungen ändert.
Frau Kollegin Göring-Eckardt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Lohmann?
Das will ich gerne tun.
Habe ich richtig verstanden, dass Sie eben gesagt haben,
es ginge so gut wie ausschließlich darum, den Versicherten ihre Unsicherheit zu nehmen und das Stieren auf den
30. September bzw. 1. Januar dadurch zu beseitigen, dass
man nunmehr jederzeit kündigen könne? Habe ich darüber hinaus richtig verstanden, dass es in dem Gesetzentwurf eigentlich darum geht, dass man nach neuem
Recht zwar nicht mehr zum 31. Dezember, sondern am
15. Januar zum 28. Februar - also mit einer Frist von sechs
Wochen - kündigen kann, gleichzeitig aber 18 Monate gebunden ist? Nach altem Recht könnte er jetzt kündigen,
aber durchaus - unter Geltung des neuen Rechts - später
erneut die Kasse wechseln.
Wer nach neuem Recht kündigt, kann das in der Tat
zum 28. Februar machen.
({0})
Dann ist er für 18 Monate gebunden; nach dem alten
Recht wäre er für 15 Monate gebunden. Ich glaube, dieser Unterschied ist nicht so groß. Ich denke, das ist ganz
einfach ein Ausgleich der Interessen. Wir machen dieses
Gesetz, mit dessen Beschreibung ich in meiner Rede noch
nicht zu Ende war
({1})
- Sie können sich gerne setzen -, weil die Möglichkeit des
Kassenwechsels dazu geführt hat, dass es zu einer Flucht
in die billigen Betriebskrankenkassen und in die anderen
kleineren Kassen gekommen ist, die hinsichtlich der Beitragssätze Angebote gemacht haben, die unter anderem
dadurch gerechtfertigt waren, dass vor allem junge und
gesunde Menschen in diese Kassen gewechselt sind. Vor
dem Hintergrund dieses Interessenausgleiches ist es gerechtfertigt, länger an einen Vertrag gebunden zu sein.
Natürlich haben Sie Recht, wenn Sie sagen, dass wir
für dieses Jahr eine Einschränkung vornehmen; darum
muss man nicht herumreden. Die Frage ist doch nur, ob
diese Einschränkung vertretbar ist oder nicht. Ich persönlich halte sie für durchaus vertretbar, gerade weil es möglich ist, aus dem Vertrag herauszukommen, wenn sich die
Bedingungen ändern sollten. Es ist wichtig, dass wir - damit meine ich uns alle - dabei nicht vergessen, die Dinge
anzugehen, die tatsächlich in Richtung Risikostrukturausgleich führen. Dazu brauchen wir transparente Strukturen; dazu brauchen wir die entsprechenden Daten; und
dazu brauchen wir ganz einfach auch noch etwas Zeit. Ich
denke, diese Zeit können wir angesichts dieser vorläufigen Regelung sinnvoll nutzen.
Sie wissen, dass die Grünen-Fraktion in diesem Zusammenhang Schwierigkeiten mit einer anderen Regelung hat, und zwar der der Mindestbeitragssätze. Auch
über diesen Punkt gilt es in den weiteren Verfahren noch
zu diskutieren. Das Wesentliche wird aber sein, dass wir
zu einem Verfahren kommen, in dem es tatsächlich um einen Wettbewerb der gesetzlichen Krankenkassen und um
fairen Ausgleich zwischen Gesunden und Kranken, Einkommensschwachen und -starken, Jungen und Alten geht,
also um einen Wettbewerb um die Qualität bei der Versorgung, bei der Beratung und bei den präventiven Leistungen.
({2})
Ich denke, dass wir auf einem vernünftigen und guten
Weg sind. Ich hoffe, dass wir bei dem schwierigen Prozess
hin zum Risikostrukturausgleich an einem Strang ziehen
und in konstruktive Beratung eintreten - ohne am Ende
Karthago zerstören zu wollen.
({3})
Für die
Fraktion der F.D.P. spricht der Kollege Detlef Parr.
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Frau Ministerin, auch wenn Gesetzeslücken
dringend geschlossen werden müssen: Die handstreichartige Versagung einer Kündigungsmöglichkeit für die
Pflichtversicherten haben viele als schlechten Stil empfunden. Dieses Verhalten passt einfach nicht zu Konsensrunden. Es zeigt vielmehr: Wenn es ernst wird, bleibt offensichtlich vieles beim Alten.
Auch wenn Sie nun endlich, wie Ihre gesundheitspolitische Sprecherin, Frau Schmidt-Zadel, vorsichtig
richtig formuliert hat, den nicht intelligenten Arznei- und
Heilmittelbudgets ein Ende bereiten und die verfassungsrechtlich ohnehin nicht haltbare Kollektivhaftung außer
Kraft setzen wollen, fehlt nach wie vor eine konsistente
Politik, die den richtigen Rahmen für mehr Wettbewerb,
Wahlmöglichkeiten und Eigenverantwortung setzt.
({0})
Hoffnungen werden geweckt und teilweise auch erfüllt,
wie jetzt bei den Budgets. Wir begrüßen diese Entscheidung.
Nahezu gleichzeitig fallen Sie aber wieder in alte
Denkmuster zurück. Dabei sind wir uns doch eigentlich
einig: Es ist zu begrüßen, dass für Pflichtversicherte der
einmalige Kündigungstermin zum 30. September, der
dann zu Beginn des Folgejahres in Kraft tritt, aufgehoben
wird. Auch die Änderung des Prinzips bei Honorarvereinbarungen für Ärzte und Zahnärzte ist richtig und notwendig. Auch nach unserer Ansicht sollen zukünftig zwischen einer Kassenärztlichen Vereinigung und dem
zuständigen Landesverband einer Krankenkassenart Vereinbarungen über die Versorgung sämtlicher Mitglieder
dieser Kassenart getroffen werden.
({1})
Aber, Frau Schmidt-Zadel, gut gemeint ist noch nicht
wohl gelungen. Zur Lösung der durch Ihre bis heute starrköpfige Budgetpolitik entstandenen Probleme auch beim
Fremdkassenausgleich bedarf es aus unserer Sicht dringend dreier Punkte: erstens einer verlässlichen Planung
durch feste Punktwerte statt Kopfpauschalen, zweitens eines unbürokratischen Verfahrens und drittens vor allem
einer Übergangsregelung, mit der die Vergütungen im
Osten schrittweise an das Westniveau herangeführt werden können.
Es geht nicht an, dass die Folgen einer falschen Politik
auf dem Rücken der Ärzte im Westen beseitigt werden.
Eine bloße Umverteilung zulasten dieser Ärzte tragen wir
nicht mit.
({2})
Deshalb wird unsere Fraktion in der nächsten Woche
einen eigenen Gesetzentwurf einbringen, sodass wir
dann, Herr Kollege Fink, über vier Entwürfe diskutieren
können. Kernpunkte sind: Erstens. Die Vergütung im
Westen bleibt unangetastet. Zweitens. Eine Anhebung im
Osten erfolgt schrittweise innerhalb der nächsten drei
Jahre.
({3})
Dabei müssen wir darüber nachdenken, ob man nicht die
Regelung aufhebt, dass Mehreinnahmen aus dem Risikostrukturausgleich in den neuen Bundesländern nicht zur
Finanzierung höherer Vergütungen herangezogen werden
dürfen.
Sehr wichtig ist, dass wir der Ärzteschaft endlich Planungssicherheit geben. Feste Punktwerte sollten unseres
Erachtens nach ab dem 1. Januar 2002 vereinbart werden,
die ab einer bestimmten Leistungsmenge abgestaffelt
werden können, wie es auch die Union fordert.
Meine Damen und Herren, wenn wir die Situation in
den neuen Bundesländern betrachten, stellen wir fest,
dass in Brandenburg längst die Alarmglocken läuten. Für
frei werdende Arztpraxen finden sich kaum noch
Nachfolger. Ein Versorgungsnotstand ist bereits jetzt abzusehen.
({4})
- Das hat viele Ursachen, Frau Kollegin Fuchs. Aber das
hängt auch mit den Dingen zusammen, über die wir hier
diskutieren. - Deshalb müssen wir gerade für die Ärzte im
Osten Deutschlands Perspektiven für die Zukunft schaffen, die kalkulierbar und berechenbar sind. Wir dürfen
auch die Bevölkerung dort nicht im Stich lassen, da sie unter weiteren Einschränkungen sehr zu leiden hätte.
({5})
Mit festen Punktwerten kann dann auf zahlreiche
Sonderreglementierungen verzichtet werden. Der Fremdkassenausgleich wird auf seine eigentliche Funktion
zurückgeführt, nämlich für diejenigen da zu sein, die
ausnahmsweise außerhalb ihres Wohnortes eine ärztliche
Betreuung brauchen.
Nun zu den Krankenkassenwahlrechten. Diese Neuregelung schießt aus unserer Sicht weit über das Ziel hinaus. Für uns ist nicht akzeptabel, dass Versicherte, die
ihre Kasse wechseln, zukünftig für 18 Monate an dieses
Versicherungsverhältnis gebunden sein sollen. Lässt zwischenzeitlich der Service einer Krankenkasse nach oder
werden dem Versicherten in bestimmten Antragsverfahren, zum Beispiel dann, wenn er eine Rehabilitation
benötigt, permanent Steine in den Weg gelegt, dann kann
er sich erst nach anderthalb Jahren wieder umentscheiden;
es sei denn, zwischendurch werden die Beiträge erhöht.
Das beschneidet unserer Auffassung nach die Wahlmöglichkeit in einer unangemessenen Weise.
Insgesamt verfestigt sich für uns damit der Eindruck,
dass diese Bundesregierung alles will, nur keinen Wettbewerb. Sie tut alles, um diesen nachhaltig zu unterbinden.
Mit den angekündigten Änderungen zum Risikostrukturausgleich und dem dort vorgesehenen Mindestbeitragssatz wird ein weiterer Pflock in Richtung Zerstörung
des Wettbewerbs eingeschlagen. Dies alles unter dem
Deckmantel zu verkaufen, man wolle den Wettbewerb effizienter gestalten, ist nicht akzeptabel. Damit setzen Sie,
Frau Ministerin, aus unserer Sicht fort, was Ihre Vorgängerin Andrea Fischer begonnen hat, nämlich einer
falschen Politik wohlklingende Etiketten aufzukleben.
({6})
Runde Tische helfen hier nur bedingt weiter. Gefragt
ist vielmehr eine schlüssige Politik, eine Politik, die den
Wettbewerb tatsächlich als Instrument zur Reduzierung
der Kosten und zur Findung der besten Lösungen nutzt.
Wir finden es erschreckend, dass und wie versucht wird,
Konsensrunden als Ersatz für konsequentes politisches
Handeln anzubieten.
({7})
Wer diese Runden dazu nutzt, eine Kassenart zu erpressen, der dann offensichtlich nichts anderes übrig bleibt,
als dem Mindestbeitrag zuzustimmen, der mag sich kurzfristig im Lichte der Harmonie sonnen.
({8})
Auf Dauer wird, Frau Schmidt-Zadel, ein solches Vorgehen jedoch nicht funktionieren, weil es eine Politik gegen
die Versicherten und gegen die Patienten ist. Dies werden
diejenigen merken, die betroffen sind, nämlich die Bürger
im Lande.
Wir freuen uns auf die Beratungen aller Gesetzentwürfe im Ausschuss.
Danke.
({9})
Nun gebe
ich der Kollegin Dr. Ruth Fuchs für die PDS-Fraktion das
Wort.
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Mit den Gesetzentwürfen von Regierung,
CDU und CSU soll bei den Honorarverhandlungen zwischen Kassen und Vertragsärzten das Wohnortprinzip verbindlich für alle Kassenarten eingeführt werden. Das begrüßen wir.
({0})
Denn im Ergebnis des zunehmenden Wechsels von
Versicherten vor allem zu Betriebskrankenkassen benachteiligt das Verfahren nach dem Kassensitz genau jene
Ärzte, die BKK-Versicherte behandeln, deren Kasse sich
in einem anderen Bundesland befindet, also nicht in ihrer
KV-Region.
({1})
Vor allem die Ärzte in den neuen Bundesländern mussten
dadurch zusätzliche finanzielle Benachteiligungen hinnehmen. Ärztliche Vergütungen müssen ungeschmälert
dort ankommen, wo die Menschen leben und wo sie medizinisch versorgt werden.
({2})
Das angestrebte Ziel einer regional leistungsgerechteren
Verteilung der ärztlichen Honorare verdient deshalb unsere volle Unterstützung.
Wir sind weiter der Auffassung, dass Vertragsverhandlungen zwischen den Kassenärztlichen Vereinigungen und den zugehörigen Landesverbänden der Kassen
günstigere Voraussetzungen schaffen, um auf spezifische
Versorgungsnotwendigkeiten eingehen zu können. Allerdings reichen die regional zu erwartenden Honorarzuwächse keineswegs aus, um den Rückstand bei der Vergütung der Ärzte in den neuen Bundesländern auch nur
annähernd auszugleichen. Auch das Vorhaben einer weiteren Anhebung der privaten Honorarsätze hilft da wenig,
denn der Anteil der Privatversicherten in den neuen Bundesländern ist vergleichsweise gering und wird auch in
Zukunft nicht steigen.
Meine Damen und Herren, der akute Handlungsbedarf
in den neuen Bundesländern wird auch nach diesen Regelungen leider weiter bestehen. Mit anderen Worten: Für
das berechtigte Anliegen, die Vergütung der niedergelassenen Ärzte im Osten Schritt für Schritt auf das Niveau ihrer Kollegen im Westen anzuheben, bleibt die Regierung
weiter in der Pflicht.
An geeigneten Lösungsmöglichkeiten mangelt es
nicht. Erst vor kurzem haben Ihnen, Frau Ministerin, die
Gesundheitsminister des SPD-regierten Landes SachsenAnhalt und des CDU-geführten Landes Sachsen im Namen aller Gesundheitsminister der neuen Bundesländer
geschrieben und einen praktikablen Vorschlag unterbreitet. Im Ergebnis einer Änderung des § 85 SGB V läuft er
auf eine von den Selbstverwaltungen der Krankenkassen
und der Kassenärztlichen Vereinigungen zu vereinbarende Erhöhung der ärztlichen Vergütung von maximal
5 Prozent für die Jahre 2001 und 2002 hinaus. Wir unterstützen diesen Vorschlag und fordern die Bundesregierung auf, ihn nicht nur aufzugreifen, sondern so rasch wie
möglich umzusetzen.
({3})
Auf die Frage, wie das Ganze zu finanzieren ist, ist zu
antworten: Das Ganze ist finanzierbar. Die benötigten
Mittel könnten durch eine deutlich wirksame Anpassungsregelung bei den Arzneimittelfestbeträgen gewonnen werden, beispielsweise auch dadurch, dass die Regierung die Kassenbeiträge der Arbeitslosenhilfebezieher
wieder auf das ursprüngliche Niveau anhebt. Mit Letzterem könnte sie ihren ohnehin unverantwortlichen Griff in
das Einnahmeaufkommen der Kassen sogar wieder rückgängig machen.
Nun zur Veränderung des Kassenwahlrechts. Wir
denken, die Reform des Risikostrukturausgleichs duldet
keinen Aufschub. Wenn alles so bleibt, wie es ist, wird die
GKV in kurzer Zeit in immer preisgünstigere Kassen für
junge und gesunde und in immer teurere für ältere und
kranke Menschen zerfallen. Gleichzeitig werden der GKV
zunehmend Mittel entzogen, die für den Solidarausgleich
dringend benötigt werden. Das ist schon heute Entsolidarisierung in Reinkultur und wäre früher oder später das
Aus für ein sozial gerechtes Gesundheitswesen.
({4})
Deshalb begrüßen wir, dass die Regierung mit dem Gesetzentwurf zur Neuregelung der Kassenwahlrechte
zu handeln beginnt.
Werter Herr Kollege Fink, wer jetzt Krokodilstränen
über eine vermeintliche Einschränkung der Kündigungsrechte der Pflichtversicherten vergießt, muss sich den
Vorwurf gefallen lassen, den Versicherten etwas Falsches
zu erzählen.
Erstens hat sich der ökonomische Wettbewerb der
Krankenkassen um Mitglieder und eben nicht um Qualität
schon nach wenigen Jahren als zweischneidiges Schwert
erwiesen.
Zweitens werden die Rechte der Pflichtversicherten,
die Kasse zu wechseln, keinesfalls beschnitten, sondern
am Ende sogar erweitert. Ich kann in dem Gesetz ein Kassenwechselverbot nicht erkennen. Ich sehe nur eine
Terminverschiebung und die Bindung auf 18 Monate. Ich
glaube, viele Menschen verstehen, dass dies gerade zum
Schutz und zur Stärkung des Solidargedankens nötig ist.
Für uns ist es bei allen Organisationsreformen, die bei
Krankenkassen vorgenommen werden, die Stärkung des
Solidargedankens entscheidend. Er hat höchste Priorität
und ist ein zentrales Element einer sozial gerechten Gesundheitsversorgung. Wir werden diesem Gesetz zustimmen.
Ich danke Ihnen.
({5})
Als
nächster Redner hat der Kollege Götz-Peter Lohmann von
der SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Um es vorwegzuschicken: Auch ich begrüße diese Gesetzentwürfe sehr. Ich möchte mich insbesondere zum
Wohnortprinzip und zum Fremdkassenausgleich äußern.
Ich habe viele Veranstaltungen in meinem Bundesland
und auch in einigen anderen ostdeutschen Bundesländern
durchgeführt. Immer wieder kam der Vorwurf der Ungerechtigkeit
({0})
in Sachen Wohnortprinzip. In den zweidreiviertel Jahren
meiner Zugehörigkeit zum Gesundheitsausschuss habe
ich gelernt, dass man vielleicht manchen Ärzten nicht alles glauben und ihnen nicht alle Vorwürfe abnehmen darf.
Ich hatte aber immer, wenn es um das Wohnortprinzip
ging, den Eindruck, dass diese Vorwürfe in gewisser
Weise berechtigt waren.
Ich möchte das, was zu den vorliegenden Gesetzentwürfen bereits gesagt wurde, nicht wiederholen. Gestatten Sie mir aber einige dezidierte Hinweise und Meinungen.
Der jetzt zur parlamentarischen Beratung vorgelegte
Gesetzentwurf über die Verbindlichkeit des Wohnortprinzips bei der Zuweisung der Kopfpauschalen in der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung trägt dazu bei, dass
viele bundesweit agierenden Betriebskrankenkassen mit
Sitz in den alten Bundesländern endlich gezwungen werden, Gelder, die im Osten Deutschlands erwirtschaftet
wurden und werden, auch im Osten Deutschlands für die
vertragsärztliche Versorgung auszugeben.
({1})
Bis jetzt wurden - das ist streng genommen ein unerträglicher Zustand - die Punktwerte für die Vergütung
vertragsärztlicher Leistungen in den alten Bundesländern
durch im Osten erwirtschaftete Löhne subventioniert.
Nicht unerheblich - so sehe ich das jedenfalls - ist auch
folgender Punkt. Da von der Neuregelung auch Pendler
erfasst werden, sind neben den bundesweit agierenden
Betriebskrankenkassen in einem geringeren Umfang zu
Recht auch einige Orts- und Innungskrankenkassen betroffen.
Warum ist das so wichtig? Das Gesetz geht nicht zulasten der Beiträge der Versicherten und damit der Beitragssatzstabilität. Das ist auch nicht notwendig, zumal gar
nicht einzusehen ist, warum ein Arzt in den alten Bundesländern für die gleiche Leistung wesentlich mehr als ein
Arzt aus den neuen Bundesländern erhalten soll. Ich sage
das nicht, um eine Neiddebatte auszulösen. Von mir aus
können sie ruhig etwas mehr bekommen, aber nicht derart viel, wie es zurzeit der Fall ist. Dies gibt es derzeit sogar bei ein und derselben Kasse, wenn mit der für den Vertragsabschluss zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung
in rechtswidriger Weise - so könnte man das auch sehen;
manche Juristen sehen das so - unterschiedlich hohe
Kopfpauschalen je nach Wohnsitz der Versicherten vereinbart werden. Auch diesem unwürdigen Treiben wollen
wir mithilfe unseres Gesetzentwurfes einen Riegel vorschieben.
({2})
Wir finden es auch richtig, dass die für die Vertragsverhandlungen jetzt zu ermittelnden Kopfpauschalen auf
die Versicherten und nicht auf die Mitglieder bezogen
werden. Warum ist das richtig? Dies ist allein schon deshalb richtig, weil es auch bei der ärztlichen Behandlung
keinen Unterschied zwischen Versicherten und Mitgliedern gibt. Dabei ist es allerdings schon aus Gründen der
Rechtsklarheit erforderlich, dass alle mitversicherten Familienangehörigen dem Wohnsitz des versicherten Mitglieds zugerechnet werden.
Ich habe mir die Mühe gemacht und einmal für mein
Bundesland Mecklenburg-Vorpommern ein rechnerisches Beispiel zu erarbeiten versucht. In Bezug auf die
finanziellen Folgen des Gesetzes gehen wir davon aus,
dass in Mecklenburg-Vorpommern etwa 15 Prozent der
Versicherten von der Neuregelung betroffen sein werden.
Die für diese Versicherten an die Kassenärztliche Vereinigung geleisteten Zahlungen werden vermutlich um rund
20 Prozent ansteigen. Das macht in Mecklenburg-Vorpommern real etwa 25 Millionen DM im Jahr oder etwa
3 Prozent der Gesamtvergütung aus.
Entsprechend niedriger fällt - in absoluten Zahlen - die
Vergütung der Ärzte in Westdeutschland aus. Dies findet
unsere Zustimmung, da niemand einen Anspruch darauf
hat, dass ungerechtfertigte Subventionen weitergezahlt
werden. Deshalb ist es nicht notwendig, auf andere Weise
die von diesem Gesetz bewirkten Mehrausgaben zu
decken.
({3})
Ich stimme der Kollegin Fuchs und dem Kollegen Fink
insofern zu, als es trotz dieser von mir genannten positiven
Erwartungen keinen Grund für Euphorie gibt. Es gibt noch
ausreichend Probleme. Ich möchte, sehr geehrte Frau Ministerin, auf den Brief der Ministerin Kuppe und des Ministers Geisler hinweisen, die im Namen aller fünf Gesundheitsminister der ostdeutschen Bundesländer auf einige
Probleme aufmerksam machen. Ich möchte auch auf den
§ 85 Abs. 3 b SGB V hinweisen, wonach Möglichkeiten bestehen, zugunsten des Vergütungsniveaus der ambulanten
vertragsärztlichen Versorgung in den ostdeutschen Bundesländern Anregungen zu geben und zu handeln.
({4})
Mir persönlich machen insbesondere die erwähnten
Strukturprobleme Sorge. Es gibt in der Tat nicht in vielen,
aber in einigen der ostdeutschen Landstriche große Probleme, die hausärztliche Versorgung aufrechtzuerhalten, vor allem in der Perspektive. Aber wir sind darüber
im Gespräch und haben einiges in Arbeit. Ich hoffe, dass
uns auch dies wiederum gelingen möge.
Herzlichen Dank.
({5})
Als
nächster Redner hat der Kollege Aribert Wolf von der
CDU/CSU das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Zu dieser späten Stunde erleben wir in der Gesundheitspolitik Erstaunliches. Dinge
außerhalb des Parlaments hängen mit dem zusammen, was
wir innerhalb des Parlaments diskutieren. Deshalb lassen
Sie mich auf das eingehen, was heute außerhalb des Parlaments stattgefunden hat. Es ist interessant, dass die Bundesregierung heute endlich das Scheitern der rot-grünen Reglementierungs- und Budgetierungspolitik eingestanden hat.
({0})
Denn diese Bundesregierung hat einen Gesetzentwurf
vorgelegt, der das zum Gegenstand hat, was Sie früher, als
wir es hier vertreten haben, heftig bekämpften, nämlich
im Arzneimittelbereich die Budgets abzuschaffen. All
das, was früher Inhalt rot-grüner Politik war, wird jetzt
rückwirkend abgeschafft, und zwar bis zum Jahr 1999.
({1})
- Lesen Sie es nach! Sie wissen offensichtlich nicht, was
Ihre Regierung in die Gesetze schreibt. Es werden alle Regresse ausgesetzt, einschließlich derer, die aus dem Jahr
1999 stammen.
Lassen Sie mich dazu drei Bemerkungen machen. Erstens. Die Bundesregierung erklärt offiziell: Die rot-grüne
Gesundheitspolitik der letzten Jahre ist kläglich gescheitert. Man muss neue Wege gehen. Man ist bisher gründlich an die Wand gefahren.
Zweitens. Dies ist für die Regierungskoalition eine
schallende Ohrfeige in Sachen politischer Glaubwürdigkeit. Was Sie 1999 noch als die große Kehrtwende in der
Gesundheitspolitik gefeiert haben, nämlich die Einführung der Budgets, schaffen Sie jetzt wieder ab: still
und leise, heimlich einkassiert, vorbereitet in etlichen Gesprächen an so genannten runden Tischen. Darüber hinaus
klatschen Sie noch heftig Beifall zu dem, was Sie vor
kurzem im Parlament an Forderungen aus der Opposition
beschimpft und niedergeschrien haben.
Drittens. Sie beweisen damit - das finde ich in der Gesundheitspolitik besonders interessant -, dass Sie in der
Tat keinen inneren Wertekompass, keine politische Gesamtschau und keine klare Linie haben.
({2})
Das ist genau wie in anderen Politikbereichen: heute so,
morgen anders und übermorgen wieder anders. Gleiches
gilt bei der Rente mit der Kanzlerlüge, dem vertagten
Atomausstieg, den Castortransporten und den Kampfeinsätzen der Bundeswehr im Ausland.
({3})
Was noch gestern hoch gehaltene rot-grüne Position war,
wird heute über Bord geworfen und morgen wird wieder
eine andere Richtung eingeschlagen.
Auch in der Gesundheitspolitik wird dies auf Dauer
nicht gut gehen. Das, was Sie heute machen, ist Stückwerk. Sie legen kein Gesamtkonzept vor. Sie bauen kein
Gesamtgebäude, in dem Baustein für Baustein eingefügt
wird. Das schaffen Sie jetzt nicht und erst recht nicht vor
den Wahlen. Sie verzetteln sich in Einzelmaßnahmen und
Einzelgesetzen.
Fragen Sie sich einmal ehrlich: Was ist bei Ihrer Gesundheitspolitik für die Betroffenen und die chronisch
Kranken herausgekommen, seit es Rot-Grün gibt?
({4})
- In der Tat nur Nachteile. - Die chronisch Kranken
müssen beim Arzt um Verordnungen betteln, weil die
Ärzte Angst haben, dass ein solch Kranker ihr Budget
sprengt.
({5})
Die Beschäftigten im Gesundheitswesen stehen unter
dem rot-grünen Budgetdruck mit täglich wachsenden Verteilungsungerechtigkeiten. Für die Ostärzte wollen Sie
jetzt ein bisschen was tun, aber dies auf dem Rücken der
Westärzte austragen. Für die Beitragszahler bedeutet dies,
dass sie für ihre Krankenkassenbeiträge für immer unattraktivere Leistungen bald tiefer in die Tasche greifen
müssen. In Sachen Gerechtigkeit sind Sie trotz runder Tische kein Stück weitergekommen. Wir werden Sie daran
Götz-Peter Lohmann ({6})
messen, was Sie wirklich voranbringen und nicht daran,
was Sie an schönen Worten verkünden.
({7})
Frau Schmidt, es ist schön, wenn man nett zueinander
ist und wenn man miteinander redet. Aber entscheidend
sind in der Politik noch immer Taten und die politische
Umsetzung. Der von uns allen geschätzte ehemalige Bundespräsident Roman Herzog hat dies einmal in Worten
ausgedrückt und gesagt: In Deutschland mangelt es nicht
an Erkenntnissen. In Deutschland mangelt es an der Umsetzung, am Anpacken und am Durchsetzen. - Das gilt
zurzeit besonders in der Gesundheitspolitik.
({8})
Nur Einzelreparaturen. Dieses Prinzip haben Sie jetzt
verinnerlicht und danach handeln Sie.
({9})
- Die Richtigkeit eines Satzes hängt nicht von dem Zeitpunkt ab, zu dem er gesprochen wird, sondern dieser Satz
ist eine Grundwahrheit, die zu allen Zeiten gilt.
({10})
Fragen Sie sich doch einmal: Warum haben Sie Angst,
den Bürgern eine klare Linie aufzuzeigen?
({11})
Warum schlagen Sie sich mit diesen Einzelgesetzen
herum, die Sie uns auch heute präsentieren, statt eine
echte Gesundheitsreform anzupacken? Es gibt nur zwei
Möglichkeiten: Entweder haben Sie keine Linie - deswegen können Sie hier keine präsentieren - oder Sie haben
eine, trauen sich aber nicht, diese dem Bürger zu erläutern. Letzteres ist die wahrscheinlichere Variante. Sie wollen sich mit diesen Einzelreparaturen und den runden Tischen - Seid nett zueinander, alle dürfen ein bisschen
was sagen - über die Wahl hinwegretten.
Das Schlimme ist: Mit diesen Einzelmaßnahmen verlieren wir kostbare Zeit.
({12})
Wir haben schon die Jahre 1999 bis 2001 verloren. Aber
in der Gesundheitspolitik tickt die Zeitbombe der Demographie sogar noch schneller als in der Rentenpolitik. Die
Zeit ist kostbar. Deswegen halte ich es für eine Katastrophe, dass in Deutschland Rot-Grün in der Gesundheitspolitik bis heute schon drei Jahre verloren hat und
dass wir auch in den nächsten Jahren mit netten Gesprächen viel Zeit verlieren werden.
Ihren Einzelgesetzen merkt man an, dass Sie keine
klare Linie haben, sondern sich mit Randproblemen aufhalten und in massive Widersprüche verstricken. Schauen
wir uns einmal das Gesetz zum Wohnortprinzip bei Honorarvereinbarungen an.
({13})
- Jetzt kommt er zur Sache, weil die Dinge zusammenhängen. Es ist eine Gesamtschau nötig. Das ist das, was
Ihnen etwas abgeht, Frau Kollegin. Wir sehen die Dinge
zusammenhängend.
({14})
Das merkt man auch an Ihrem Gesetz.
Zum Wohnortprinzip bei Honorarvereinbarungen.
Zwei Punkte sind ja zu regeln. Zum einen ist zu fragen: Wer
verhandelt auf Kassenseite? Zum anderen müssen Sie endlich eingestehen, dass es bei Ärzten in Deutschland, was
den Honorarbereich angeht, in der Tat erhebliche Probleme
gibt. Das gestehen Sie jetzt endlich für die Ostärzte ein. Ich
prophezeie Ihnen: Sie werden es bald auch für die Westärzte eingestehen müssen.
Es ist ja ganz nett, wenn Sie weite Passagen unseres
Gesetzentwurfes abschreiben.
({15})
Aber dort, wo Sie abweichen, regeln Sie die Dinge in eine
völlig falsche Richtung. Ich kann Ihnen das an zwei Beispielen erläutern.
Wenn wir darüber reden, wer verhandelt, ist es natürlich auch notwendig zu sagen, wie die Krankenkassen, für
die künftig Landesverbände verhandeln, mitbestimmen,
welcher Kurs in dem jeweiligen Landesverband verfolgt
wird. Wir sagen anders als Sie: Nicht umständliche Umwege über konstruierte Satzungsregelungen. Regeln Sie
es so, wie wir es regeln. Die Krankenkassen sollen Mitglied in den Landesverbänden werden, die für sie verhandeln. Damit ist es am besten möglich, mitzubestimmen
und Einfluss zu nehmen. Dies ist eine ganz einfache Maßnahme, Ihnen aber wieder einmal schwer zu vermitteln.
Zu dem Zweiten, Wichtigeren hat der Kollege Ulf Fink
schon einiges ausgeführt: Wie schaffen wir es, die prekäre
Honorarsituation der Ostärzte zu entschärfen? Es ist
noch niemals ein Patient dadurch gesund geworden, dass
man einem anderen, der ebenfalls am Tropf hing, den
Hahn zugedreht hat. Deshalb sollte man den Ärzten im
Westen, die auch unter Honorardruck und in einer schwierigen Situation stehen, das Honorar nicht wegnehmen, um
es den Ostärzten zu geben. Dies ist der falsche Weg. Fragen Sie einmal in Ihren Bürgersprechstunden - auch in
den alten Bundesländern - nach, was den Patienten in den
Arztpraxen heute schon an Cash abverlangt wird, weil das
Geld im Honorarbereich nicht reicht, um bestimmte
Dinge gerecht zu honorieren.
Jetzt fangen Sie in einer schwierigen Situation an, denen, die ohnehin nicht genügend haben, Geld wegzunehmen, um es Anderen zu geben. Das wird nicht funktionieren. Sie lösen damit keine Probleme, sondern Sie schaffen
damit neue Probleme. Im Übrigen ist es wenig erquicklich
für ein gemeinsames Miteinander in Deutschland, wenn
Sie eine Politik Ost gegen West machen. Machen Sie lieber eine Politik für das gesamte Deutschland. Das geht
nur, wenn Sie die Budgetierung aufheben, um endlich einen Weg aufzuzeigen, wie gerechte Honorare in Ost und
West neu verhandelt werden können, so wie wir dies in
unserem Gesetzentwurf geregelt haben.
Meine Damen und Herren, auch im Bereich der Wahlrechte argumentieren Sie sehr seltsam. Es ist durchaus
schwierig, einem Bürger, der dieser Debatte unvoreingenommen folgt, zu vermitteln, dass Sie verkünden: Wir
wollen mehr Freiheit, mehr Wahlrechte, und weil wir das
wollen, schaffen wir jetzt, im Jahre 2001, die Wahlrechte
komplett ab, indem ab dem heutigen Tage kein Mensch
mehr seine Krankenkasse verlassen darf. - Das ist eine Logik, die ich persönlich nicht nachvollziehen kann. Wenn
ich will, dass die Menschen mehr Rechte haben, dann
muss ich ihnen diese Möglichkeiten auch heute belassen.
Dazu ist es nicht notwendig, Wahlrechte in diesem Jahr
überfallartig - das müssen Sie einräumen - abzuschaffen.
({16})
Horst Seehofer hat Recht, wenn er von einem heimtückischen Schlag gegen den Verbraucherschutz
spricht, den Sie hier auf den Weg gebracht haben. Der
Bundesverband der Verbraucherschutzzentralen sieht dies
ähnlich. Ich darf Ihnen einmal vorlesen, wie dies auch die
Medien kommentieren. Das, was Sie hier exerzieren, ist
ein klassischer Kniefall vor den Krankenkassen-Lobbyisten.
({17})
Die Frankfurter Rundschau schreibt unter der Überschrift Kränkelnder Konsens:
Doch was den Lobbyisten gefällt, muss für die
Gemeinschaft keineswegs gut sein.
Deswegen gebe ich Ihnen am Ende meiner Rede den
guten Ratschlag: Statt Politik für Lobbyisten zu machen,
sollten Sie lieber Politik für die Bürger und die Verbraucher machen und endlich den Mut haben, diesem Haus
eine Gesamtschau Ihrer Gesundheitspolitik vorzulegen,
statt in irgendwelchen Zirkeln außerhalb des Parlaments
viel zu reden und hinterher nichts Konkretes auf den Weg
zu bringen.
Ich bedanke mich.
({18})
Als
Nächster hat der Kollege Dr. Martin Pfaff von der SPDFraktion das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute geht es um ein Gesetz, das
für die zukünftige Gestaltung der Kassenwahlrechte in
der gesetzlichen Krankenversicherung grundlegender
nicht sein könnte. Es geht nämlich um die zukünftige Ausgestaltung des Zugangs und des Wechsels von Versicherten zu den gesetzlichen Krankenkassen.
Wir wollen und wir werden die noch bestehenden Ungleichheiten zwischen Pflichtversicherten und freiwillig
Versicherten in der GKV beseitigen. Dies ist schon lange
überfällig.
({0})
Mit der Harmonisierung der Kassenwahlrechte verbindet sich das Ziel, die kontraproduktive, unsinnige und
für das Gesamtsystem teure Hektik und Konzentration auf
einen Kündigungsstichtag, nämlich den 30. September,
abzuschaffen. Wir wollen und werden den Kassenwechsel der Versicherten im Jahresablauf verstetigen. Auch das
ist richtig und war schon lange überfällig. Es besteht eine
Übergangszeit, in der die Wahlrechte einmal für zwei Monate ausgesetzt werden. Nach altem Recht konnten die
Versicherten am 30. September zum 1. Januar des Folgejahres kündigen, nach dem Entwurf können sie zum
1. März kündigen. Es handelt sich um eine einmalige
übergangsweise Einschränkung, eine Notbremsung. Danach besteht nicht weniger, sondern mehr Freiheit der
Wahl. Das ist die eindeutige Konsequenz dieser Maßnahme und keineswegs ein Offenbarungseid. Es ist die
konsequente Umsetzung dessen, was auch die Sachverständigen gefordert haben.
Ich möchte gerne zitieren, was die Sachverständigen
zu diesem Thema in Bezug auf die fünf Wechselrunden
gesagt haben:
({1})
Zum einen haben die Kassen und ihre Verbände ihr
Verhalten inzwischen derart auf die beiden kritischen
Wechsel-Termine ... ausgerichtet, dass gelegentlich
sogar schon von einer weitgehenden Paralysierung
der GKV in der zweiten Hälfte eines Kalenderjahres
gesprochen wird. Denn im dritten Quartal konzentrieren sich die Kassen darauf, Kündigungen ihrer
Mitglieder abzuwehren oder Mitglieder ihrer Konkurrenten abzuwerben; und im vierten Quartal sind
sie vollauf damit beschäftigt, den Vollzug eines Kassenwechsels ... zu sichern bzw. durch gezielte Halteund Rückholaktivitäten doch noch zu verhindern.
Die Gutachter fahren weiter fort:
Zum anderen haben GKV-Mitglieder offenbar zunehmend erkannt, dass sie bei einem Wechsel zu einer beitragssatzgünstigeren Kasse bei den derzeit
weithin einheitlichen Versorgungsregelungen keine
nennenswerten Versorgungsnachteile befürchten
müssen, zumal sie ohnehin spätestens nach zwölf
Monaten wieder zu ihrer alten Kasse zurückkehren ...
können ...
Sie folgern daraus:
Als Folgerung aus der ersten Beobachtung erscheint
es zweckmäßig, eine Verstetigung der Wechslerprozesse im Jahresverlauf anzustreben. ...
Nichts anderes wollen wir.
Ich zitiere weiter:
Die zweite Beobachtung lässt es zweckmäßig erscheinen, die Bindungsdauer nach der durch Ausübung des Kassenwahlrechts neu begründeten
Kassenmitgliedschaft gegenüber dem Status quo
({2}) zu verlängern, zum Beispiel auf zwei
Jahre.
Die Sachverständigen gehen davon aus, dass auf diese
Weise voreilige Wechselentscheidungen reduziert und die
Rationalität von Kassenwahlentscheidungen erhöht werden. Die Planungssicherheit der Kassen würde steigen
und ihre Verwaltungsausgaben würden stabilisiert.
({3})
Ich sage: Das sind sinnvolle und wünschenswerte Ziele.
Nichts anderes streben wir mit diesem Gesetzentwurf an.
({4})
Ich denke, dieses Argument müsste für alle Menschen,
die guten Willens sind - auch in diesem Haus - und die
nach sachlichen Kriterien urteilen wollen, nachvollziehbar sein. Im Übrigen appelliere ich ein wenig an Sie, das
größere Bild im Auge zu behalten. Wollen Sie denn wirklich eine weitere Kündigungswelle, die nach Schätzung
von Fachleuten dem Gesamtsystem zwischen 1,7 und
2 Milliarden DM entziehen würde? Wollen Sie wirklich,
dass die Jungen und Gesunden in den virtuellen Betriebskrankenkassen mit Dumpingbeiträgen begünstigt werden, während die Alten und Kranken sowie die Jungen
und Gesunden, die in den großen Versorgerkassen verbleiben, dort höhere Beiträge zahlen? Das kann doch kein
Gewinn für die gesamte gesetzliche Krankenversicherung
sein.
({5})
Ich möchte aus einer großen überregionalen Zeitung
zitieren:
Die Ministerin hat die Weichen richtig gestellt: Opposition und Verbraucherschützer, die den Katalog
kritisieren, haben nichts begriffen. Der ruinöse Wettbewerb vergisst die Kranken und gefährdet das Solidarprinzip.
Genau das wollen wir nicht und deshalb haben wir
heute diesen Gesetzentwurf eingebracht. Wir wollen den
Wettbewerb nicht einschränken, sondern wollen gegenüber dem jetzigen Zustand einen Wettbewerb mit mehr
Chancengleichheit.
Noch viel schlimmer ist die Situation für diejenigen,
die die Problematik verstehen, aber meinen, aus den Problemen der Orts- und Ersatzkassen politisches Kapital
schlagen zu können. Da kann ich nur sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen von Teilen der Opposition: Wer im
Trüben fischt, weiß nicht, was er schließlich an der Angel
hat.
({6})
Dass der Stichtag 30. September für einen Kassenwechsel in diesem Jahr ausgesetzt werden soll, ist spätestens seit Ende März bzw. Anfang April bekannt. Dazu
möchte ich nichts weiter sagen. All diejenigen unter uns,
die für gleiche Wahlrechte aller, ob Arbeiter oder Angestellte, und für die Einführung des Risikostrukturausgleichs zuerst in Lahnstein und dann im Bundestag gestimmt haben, frage ich: Finden Sie es wirklich richtig,
dass die Dumpingbeitragssätze der Gesunden über den Risikostrukturausgleich sogar noch subventioniert werden?
({7})
Denn die Beträge, die für sie vorgesehen sind, sind höher als
die Kosten, die sie tatsächlich verursachen. Finden Sie es
richtig, dass die Kassenlandschaft in Kassen für Junge und
Gesunde mit niedrigen Beitragssätzen und in Kassen für
Alte und Kranke mit hohen Beitragssätzen polarisiert wird?
Finden Sie es richtig, dass den großen Versorgerkassen
und auch dem gesamten System Beträge in dem Umfang,
den ich vorhin genannt habe, entzogen werden, die dann
bei der Versorgung der Alten und Kranken fehlen? Finden
Sie es richtig, dass den Kassen 2 Milliarden DM weniger
zur Verfügung stehen - Sie scheinen das auf einmal vergessen zu haben; denn Sie haben ja vorhin Krokodilstränen geweint, als Sie die Finanzsituation der Ärztinnen und
Ärzte beklagt haben -, um die Einkommen der Ärzte, die
Budgets der Krankenhäuser und die Gewinne der Hersteller von Heil- und Arzneimitteln zu finanzieren? Nein,
das finden Sie nicht richtig; denn Sie wollen ja, dass mehr
Geld in das System fließt. Trotzdem wollen Sie gleichzeitig dulden, dass dem System Geld entzogen wird.
Nein, solche Fehlentwicklungen wollte keiner von uns
in Lahnstein fördern. Niemand wollte die Strategien des
Rosinenpickens, also den Kampf um die jungen Gesunden. Auch Sie wollten das nicht. Sie - das sage ich an die
Adresse der Kollegen von der CDU/CSU und der F.D.P. dürfen nicht vergessen, dass Sie das Gesetz im Konsens
mit uns beschlossen haben. Sie waren es übrigens, die den
Betriebs- und Innungskrankenkassen in Lahnstein ihre
Sonderrechte erhalten haben. Wir wollten dagegen für
gleich lange Spieße und für Chancengleichheit im Wettbewerb sorgen.
({8})
Vergessen Sie nicht, dass Sie wesentlich Mitverantwortung
tragen. Ich unterstelle Ihnen nicht, dass Sie die von mir beschriebene Entwicklung begrüßen oder sogar gutheißen.
Zum Schluss: Wir alle sitzen im selben Boot und haben
ein vitales Interesse, dass dieses nicht leckschlägt oder
sich auf politischen Sandbänken festfährt. Die maßlose
Kritik von Teilen der Verbraucherschützer, aber auch von
Herrn Seehofer ignoriert den ruinösen Wettbewerb. Ihnen
liegen offensichtlich die jungen Gesunden eher am Herzen als die große Zahl der Alten und Kranken. Nein, das
alles ist kein heimtückischer Schlag gegen den
Verbraucherschutz und ebnet auch nicht den Weg hin zu
einer Einheitskasse. Es handelt sich vielmehr um einen
notwendigen Schritt in die richtige Richtung, nämlich um
die solidarische Krankenversicherung zu sichern und auszubauen. Das wollen und werden wir auch tun.
({9})
Ich
schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Gesetzent-
würfe auf den Drucksachen 14/5694, 14/5960 und
14/5957 an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus-
schüsse vorgeschlagen. Die Vorlage auf Drucksa-
che 14/5694 soll zusätzlich an den Ausschuss für Angele-
genheiten der neuen Länder überwiesen werden. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall.
Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:
Beratung des Zwischenberichts der Enquête-Kom-
mission Recht und Ethik der modernen Medizin
Teilbericht zu dem Thema
Schutz des geistigen Eigentums in der Biotech-
nologie
- Drucksache 14/5157 -
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Der Abgeordnete Dr. Ilja Seifert von der PDS und der
Parlamentarische Staatssekretär Dr. Eckhart Pick wollen
ihre Reden zu Protokoll geben.1) Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der
Kollege Dr. Wolfgang Wodarg von der SPD-Fraktion das
Wort.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Täglich lesen wir von neuen Fortschritten bei der Entschlüsselung des menschlichen Genoms. 90 Prozent des Genoms seien bereits identifiziert.
Kürzlich kamen dabei zwei erstaunliche Ergebnisse zutage. Erstens. Der Homo sapiens hat nicht, wie noch im
letzten Jahr angenommen, über 100 000, sondern wahrscheinlich nur 30 000 bis 40 000 Gene. Zweitens. Viele
Gene kodieren mehr als ein Dutzend unterschiedlicher
Proteine mit jeweils unterschiedlichen Funktionen und
Eigenschaften. Im Einzelfall kann sogar ein und dasselbe
Gen Tausende verschiedener Eiweißmoleküle hervorbringen. Das Leben in der Zelle ist also hochkomplex; deshalb
hat HUGO - die internationale Human Genome Organisation - inzwischen einen Bruder bekommen. Er heißt
HUPO, Human Proteom Organisation. Diese Organisation hat die Aufgabe, die systematische Analyse der Zelleiweißbausteine und -phänomene zu koordinieren.
Doch jetzt zu den Patenten. Während Entdecker und
herkömmliche Forscher meist nur mit Ruhm und höherem
Gehalt belohnt werden, gibt es für Erfinder Belohnungen
mit Patenten. Das hat besonders im Bereich der Biotechnologie in letzter Zeit zu Fehlentwicklungen geführt, die
wir auch schon im Deutschen Bundestag gemeinsam beklagt haben.
Was ist der Grund für die heftige - auch öffentliche Kritik am Europäischen Patentamt in München? Der
Grund ist die Patenterteilungspraxis des Amtes, das seit
September 1999 die Biopatent-Richtlinie der Europäischen Union zur Basis seiner Entscheidungen macht.
Seitdem gilt dort entsprechend der EU-Richtlinie ausdrücklich und amtlich: Kann für ein Gen eine bestimmte
Funktion angegeben werden, so wird - das muss dazukommen - dieses Gen selbst auch patentierbar bei der Erfüllung sonstiger Voraussetzungen wie Neuheit und gewerblicher Anwendbarkeit. Ein Gen kann also mit einem
so genannten Stoffpatent belegt werden. Dies sichert dem
Patentinhaber das alleinige Recht zur kommerziellen Verwertung nicht nur einer spezifischen Anwendung, sondern auch des Stoffs an sich.
Nun ist das Gen aber kein Stoff wie jeder andere. Es ist
eher mit einer Silbe vergleichbar, deren Bedeutung je
nach Sprache und Kontext sehr vielfältig sein kann. Ein
Gen kann Hunderte, ja Tausende unterschiedlicher Funktionen wahrnehmen. Ich zitiere Dr. Helmut Blöcker, den
Leiter der Abteilung Genomanalyse bei der Gesellschaft
für Biotechnologische Forschung in Braunschweig:
Ich kann mir vorstellen, dass von den 40 000 Genen
eines Menschen 500 000 verschiedene Proteine gemacht werden, weil jeweils ein Gen unterschiedlich
abgelesen wird. ... Wenn man sich die vielen intrazellulären Regelkreise anschaut, wo welche Proteine
auf welcher DNA oder mit welchen Kofaktoren wirken, dann ist das ein Gewusel wie auf dem Marktplatz von Shanghai.
({0})
- Er muss da gewesen sein. - Die Braunschweiger waren
übrigens maßgeblich an der Sequenzierung des menschlichen Chromosoms 21 beteiligt. Dr. Helmut Blöcker weiß
also, wovon er spricht.
Wir haben uns in der Enquête-Kommission Recht und
Ethik der modernen Medizin intensiv mit der EU-Biopatent-Richtlinie beschäftigt. Wir haben dabei mit einer
Vielzahl von Experten - Naturwissenschaftlern, Juristen
und Ethikern - diskutiert. Eines wurde dabei sehr klar:
Die Mehrheit der Mitglieder der Enquête-Kommission
hält die Biopatent-Richtlinie der Europäischen Union für
eine unzureichende Lösung zum Schutz geistigen Eigentums im Bereich der Lebenswissenschaften.
({1})
Die Enquête-Kommission steht mit dieser Auffassung
- das ist Ihnen ja bekannt - beileibe nicht allein auf wei-
ter Flur. Neben vielen Initiativen aus der Bevölkerung ha-
ben sich die Bundesärztekammer, der Ständige Ausschuss
der Europäischen Ärzte und der Weltärztebund wieder-
holt und nachdrücklich gegen eine Patentierung mensch-
licher Gene ausgesprochen. Herr Professor Hoppe hat
persönlich und kraft seiner Eigenschaft als Präsident der
Bundesärztekammer immer wieder auf die Gefahren einer
zu weit reichenden Biopatentierung hingewiesen. Ich zi-
tiere eine Erklärung von Herrn Hoppe vom 21. Februar
letzten Jahres:
1) Anlage 3
Es muss Klarheit darüber bestehen, dass menschliche
Gene oder Gensequenzen nicht patentierbar sind,
sondern lediglich Herstellungsverfahren und Verfahrensschritte für gentechnische Medikamente patentfähig sein können.
Unstrittig ist - darin sind wir uns alle einig -, dass die
teure und zeitraubende Entwicklung von Medikamenten
durch Schutzrechte abgesichert werden muss. Eine ganz
andere Dimension hat es jedoch, wenn nicht nur das industrielle Produkt, also das Verfahren oder das Medikament, sondern auch seine natürlichen Grundlagen patentiert werden. Zum Beispiel hält eine deutsche Firma
ein Patent auf den Botenstoff Interferon - ihn gibt es auch
in der Natur -, der unter anderem zur Behandlung von
Leukämie eingesetzt wird. Als eine Konkurrenzfirma aus
derselben Substanz ein Medikament für einen ganz anderen Zweck - für die Rheumatherapie - entwickelte,
musste sie dieses Medikament vom Markt nehmen, obwohl der Patentinhaber kein vergleichbares Mittel anbot
oder auf den Markt bringen wollte. Da muss man etwas
tun. Es ist ja auch die Möglichkeit der Zwangslizensierung vorgesehen. Darüber haben wir diskutiert.
Dies ist aber nur ein Beispiel, wie sich die Gewährung
weit reichender Stoffpatente negativ auf die Entwicklung
von Medikamenten und Therapeutika auswirken kann.
Ich habe recherchieren lassen, wie es um Patentansprüche
auf Teile des menschlichen Genoms bestellt ist. Eines der
Ergebnisse war: Nur drei Firmen erheben weltweit den
Anspruch auf 50 Prozent des menschlichen Genoms.
Wir wissen, dass die Genfunktionen nur selten experimentell gesichert werden. Der zeitliche Aufwand und
die damit verbundenen Personalkosten wären enorm
hoch. Vielmehr wird die Funktion der Gene zumeist per
Computeranalyse ermittelt. Die Fehlerquote liegt hier
nach Ansicht von Praktikern aus der Biotechbranche bei
etwa 10 bis 15 Prozent. Da gilt also: Wer ist schneller?
Wer hat die größten Claims am schnellsten abgesteckt?
Da geht es um Quantität statt Qualität. Hier besteht ein
dringender Handlungsbedarf. Ergänzungen zur geltenden
EU-Richtlinie müssen deshalb sicherstellen, dass Unternehmen keine strategischen Global- oder Netzpatente
stricken können, dass die unangemessene Belohnung
durch zu weit abgesteckte Patentclaims unterbleibt.
Dazu ein konkreter Vorschlag: Heute ist es, wie gesagt,
gang und gäbe, dass die Sequenzierung des menschlichen
Genoms von Computern automatisch erledigt wird. Der
technische Vorgang der Entschlüsselung ist Routine. Ein experimenteller Nachweis über die Funktion eines Gens unterbleibt zumeist. Aber genau dies sollte meines Erachtens
in einer zukünftigen nationalen und europäischen Regelung
geändert werden. Wenn wir sicherstellen könnten, dass die
Funktion von menschlichen Genen nicht nur per Computeranalyse ermittelt wird, sondern im Labor experimentell
nachgewiesen werden muss, hätte das erhebliche Vorteile.
Die Patentprüfer hätten es nicht nur mit Vermutungen und
Wahrscheinlichkeiten zu tun, sondern könnten die erfundenen bzw. behaupteten Nutzanwendungen ganz konkret
nachvollziehen oder nachvollziehen lassen.
Ohne Zweifel sind in der molekularen Biotechnologie
Erfindungen mit hohem Arbeits- und Kapitalaufwand
verbunden. Patente erfüllen hier also einen wichtigen
Zweck. Sie machen Investitionen rentabel und schützen
die Unternehmen vor geistigem Diebstahl. Aber die
Rechte, die man einem Erfinder zugesteht, dürfen nicht so
weit gehen, dass sie anderen Erfindern den Mut nehmen.
Für derartig komplexe Regelungsfelder ist viel fachliche Vorarbeit erforderlich. Wir haben das erlebt. Wir haben in der Enquête-Kommission weitere forschungspolitische, ethische und rechtliche Argumente erarbeitet, die
bei einer Umsetzung der EU-Biopatent-Richtlinie vom
Parlament beachtet werden sollten. Sie liegen auf dem
Tisch des Hauses und sind in ihrer Gänze und Schönheit
nachzulesen.
Ich halte fest: Durch die intensive Vorarbeit der Enquête-Kommission sind wir für die kommenden Debatten
im Deutschen Bundestag bestens mit Argumenten versehen. Den parlamentarischen Mitgliedern, den Sachverständigen, aber auch den zahlreichen Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern der Enquête sei hiermit deshalb von
Herzen für die spannende und ergiebige Zusammenarbeit
gedankt.
({2})
Das Wort
hat jetzt der Kollege Dr. Gerhard Scheu von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Genpatente sind ein stellvertretender Kampfplatz. Im Grunde geht es um die existenzielle Frage, wie weit die Menschheit die technische Inbetriebnahme der Natur treiben will.
Anlass für die Enquête war das entfesselte Patent der
Universität Edinburgh. Die Entschlüsselung der menschlichen Erbinformationen, schreibt Professor Lenrach,
hat für das Selbstverständnis des Menschen einen ähnlichen Stellenwert wie die Verdrängung des ptoloemäischen durch das kopernikanische Weltbild. Dazu hat
schon Nietzsche gesagt: Seit Kopernikus fällt der Mensch
aus dem Zentrum ins Nichts.
Ich möchte mich mit vier Thesen beschäftigen.
These 1. Das Patentrecht hat wertneutralen Charakter;
der Patentschutz ist im Wesentlichen wertneutrales Instrument der Technologieförderung. Dieser Satz hält der
grundgesetzlichen Wertordnung nicht stand. Das Patentrecht ist als Eigentumsrecht in die Wertordnung des
Grundgesetzes eingebunden und, wie sich gerade an den
Ordre-public-Vorschriften erweist, von rechtsethischen
Erwägungen beeinflusst.
These 2. Der menschliche Embryo in vitro oder in
vivo steht bis zum 14. Tag post Verschmelzung der Keimzellen nicht unter dem Schutz des Art. 1 Abs. 1 und Art. 2
Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes. Richtig ist: Wo
menschliches Leben existiert, kommt ihm Menschenwürde zu, jedenfalls nach Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes. Nach den Erkenntnissen gerade der Genforschung
und der medizinischen Anthropologie gilt: Leben beginnt
mit der Verschmelzung.
Aufgrund einer vollständigen biologischen Analyse ist
der menschliche Embryo von der Verschmelzung der
Keimzellen an ein menschliches Subjekt mit einer ganz
bestimmten Identität, das sich von diesem Zeitpunkt an
kontinuierlich entwickelt und in keinem nachfolgenden
Stadium als einfache Zellmasse betrachtet werden kann.
Daraus folgt: Als menschliches Individium hat es das
Recht auf eigenes Leben. Deshalb ist jeder Eingriff, der
nicht zum Wohle des Embryos geschieht, ein Akt, der dieses Recht verletzt.
({0})
Ein guter Zweck macht eine in sich schlechte Tat nicht
gut. Darauf beruht die Empfehlung der Enquête-Kommission, das Embryonenschutzgesetz förmlich als Patentierungsschranke bei der Umsetzung der Biopatent-Richtlinie
aufzunehmen. Das Embryonenschutzgesetz ist nicht, wie
heute gesagt wird, ein obsoletes Relikt oder durch neue
wissenschaftliche Erkenntnisse überholt, wie etwa Ulrich
Mueller - Gebt uns die Lizenz zum Klonen - meint.
Im Gegenteil: Die tatsächlichen Entwicklungen müssen die staatliche Schutzpflicht mit Nachdruck aktivieren.
Wer die Ethik nicht fühlen will, schreibt Ulrike Riedel
umfassend und zutreffend, muss das Recht hören. Darauf
beruht die dringliche Empfehlung, bei der Umsetzung der
Patentrichtlinie die Verbote des Embryonenschutzgesetzes ausdrücklich als Patentierungsschranken des grundgesetzlichen Ordre public notwendig im Gesetz zu formulieren, wie es auch der Bundesrat vorschlägt.
({1})
Die Aussagen der Wissenschaft, es gebe für sie bestimmte Grenzen, tragen ihr stetiges Verfallsdatum in
sich. Die Eskalationsmodelle zur ethischen Bewertung
noch des Jahres 1997 sind aufgegeben. Die selbst gesetzten Grenzen der Humangenetik sind, wie die Erfahrung
seit 1973 lehrt, eine Funktion des jeweils technisch Machbaren und des ökonomischen Imperativs. Propagiert und
praktiziert wird in homöopathisch kleinen Dosen, step by
step verabreicht, die Vulgärethik. Erlaubt ist, was gelingt.
Der Erfolg hat Recht und schafft Recht, sagt Ulrich
Lüke. Diejenigen, die heute noch sagen, das Klonen von
Menschen dürfe nicht Wirklichkeit werden, werden in einigen Jahren die medizinische Begründung für ebendiese
Praxis nachliefern. Die Avantgarde hat den Rubikon
mental längst überschritten und ihr Vorhaben wohl auch
bereits ins Werk gesetzt.
These 3 zur Erfindungshöhe - dazu hat der Kollege
Dr. Wodarg schon vieles ausgeführt -: Patentierbar ist nur
die Trias von Gensequenz, belegter Funktion und konkreter gewerblicher Anwendung. Von Computern vorausgesagte Funktionen sind Vermutungen ohne Erfindungshöhe. Diese Konkretisierung im Gesetz kann deutlicher
werden; sie wird von den Erwägungsgründen 22 bis 24
der Richtlinie getragen. Sie entspricht der Stellungnahme
des Bundesrates in Ziffer 1 g, der lediglich die erfundenen
Veränderungen am biologischen Material patentieren
will.
Ich darf hier einen der Nestoren der deutschen Gentechnik, Ernst-Ludwig Winnacker, in der Festschrift für
Rentorff Grenzen überschreiten, München 2001, zitieren:
Patente werden auch dann erteilt, wenn die Beteiligten gar nicht wissen, welche Funktionen diese, in
ihren Schrotschussansätzen sequenzierten Gene eigentlich aufweisen. Sollen die Entdecker einer einzigen dieser Eigenschaften zugleich auch die Rechte
für bislang nicht entdeckte Anwendungen erhalten,
die sich aus diesen Beobachtungen gegebenenfalls
ableiten? - Wohl kaum.
So weit Professor Winnacker.
Die Deutsche Bischofskonferenz hat sich mit diesem
Thema ebenfalls beschäftigt und formuliert:
Organe, Gewebe, Zellen und Gene werden vom
Menschen nicht erfunden, sondern in der Schöpfung
aufgefunden. Wir gehen von dem Grundsatz aus,
dass Leben als solches allen gehört und nicht patentiert werden kann.
({2})
Lebewesen und deren Teile sind nicht patentierbar,
auch wenn sie biotechnische Veränderungen tragen.
Lediglich das Wissen von Funktionen in derart veränderten Lebewesen sowie Verfahren, mit denen veränderte Lebewesen hergestellt werden können, sind
patentierbar.
Die gleiche Einwendung liegt dem Schreiben des französischen Staatspräsidenten Jacques Chirac an den Präsidenten der Kommission zugrunde, in dem er ausführt,
dass eine wirkliche Erfindung vorliegen muss, und die nur
dann, wenn eine Anwendung auf dem Gebiet der Diagnostik, der Therapie oder der Vakzine vorliegt.
Das zeigt, dass die Auffassung unserer Enquête-Kommission durchaus weit verbreitet ist. Es geht nicht um
Goldgräbertum, sondern um die echte wissenschaftliche
Leistung.
These 4 zur patentrechtlichen Beherrschbarkeit:
Lassen Sie mich einige Sätze vorweg sagen. Der Bundeskanzler formuliert:
Biomedizin und Gentechnik sind sicherlich in
Grenzbereiche vorgedrungen. Im Grunde allerdings
hat noch jeder Fortschritt der menschlichen Wissenschaft, der Technik mit der Befreiung des Menschen
aus natürlichen oder vorgefundenen Zwängen zu tun.
Deshalb sollten wir nicht die Zwänge als Argument
bemühen, den Forscherdrang einzudämmen.
Diametral anders Hans-Georg Gadamer:
Weil alle wissenschaftlich gewonnene Erkenntnis
unter der Herrschaft des Marktes unaufhaltsam technisch umgesetzt wird, sobald sie Profit verspricht,
müssen wir die Grenzen fragwürdiger Forschung
weltweit setzen, zumal jeder Zuwachs an Erkenntnis
in seinen Konsequenzen unvorhersehbar ist.
Dieses unkalkulierbare Risiko ist es vor allem, das
meine Kritik an den Forschungsbemühungen der
Gentechnologie begründet.
Zum Schluss eine Frage an den Rechtsausschuss. Die
Voraussetzungen von Technizität im Sinne des Patentrechtes hat der BGH mehrfach in der berühmten Entscheidung Rote Traube wie folgt formuliert:
Technisch im Sinne des Patentrechts ist eine Lehre
zum planmäßigen Handeln unter Einsatz beherrschbarer Naturkräfte zur Erreichung eines kausal übersehbaren Erfolgs.
Die Frage ist, ob man angesichts der ungeheuren Hyperkomplexität des Netzwerks des Lebens, wenn es um
die Erbinformationsveränderung geht, sagen kann, dass
dieser planmäßige Einsatz der Naturkräfte des Gens und
der Proteine beherrschbar ist im Sinne eines kausal übersehbaren Erfolgs. Das bestreite ich. Man braucht sich ja
nur vorzustellen - das kann man wohl auch bei Abgeordneten des Deutschen Bundestages voraussetzen -, welche
ungeheure Komplexität an Zuständen in einer einzigen
Zelle vorhanden ist, wenn nur 10 000 Proteine in der Zelle
jeweils wirken, zeitlich verschoben, sachlich versetzt.
Und jedes einzelne Protein hat kausale Wirkungen, die
wir vorhersehen müssten. Das ist schlicht gesagt 210 000
oder 103 000. Die Physiker sagen, das ist mehr, als Elementarteilchen im Universum vorhanden sind.
Es gibt eine genetische Unschärferelation wie in der
Physik. Bei dieser ungeheuren Komplexität an Vielfalt ist
die Aussage, planmäßig vorhersehbar zu beherrschen,
welches kausal bewirkte Ergebnis eine Veränderung der
Erbsubstanz hat, eine Anmaßung.
({3})
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich frage, ob die
Voraussetzung einer technischen Lehre unter diesen Bedingungen nachgewiesen werden kann. Denn es heißt
- ich wiederhole den Satz -:
Technisch im Sinne des Patentrechts ist eine Lehre
zum planmäßigen Handeln unter Einsatz beherrschbarer Naturkräfte zur Erreichung eines kausal übersehbaren Erfolgs.
Diese Frage zwingt uns zur Bescheidenheit und zur
Demut. Das sollte auch die Wissenschaft besser berücksichtigen, um mehr Glaubwürdigkeit zu erzielen.
({0})
Das Wort
hat jetzt die Kollegin Ulrike Höfken vom Bündnis 90/Die
Grünen.
Sehr
geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Angesichts der knappen Zeit werde ich ein wenig
schneller reden. Ich bitte um Verzeihung. Ich möchte mich
aber dennoch für die gute Arbeit in der Enquête-Kommission und vor allem für die Arbeit der Sachverständigen bedanken.
Das Patentrecht wurde geschaffen, um eine angemessene Entlohnung für erfinderische Leistungen zu gewährleisten und gleichzeitig sicherzustellen, dass sie öffentlich
und möglichst auch allgemein nutzbar gemacht werden.
Die Patente hatten also einen sehr großen Nutzen für die
Gesellschaft. Die Enquête-Kommission hat sich die Frage
gestellt, inwieweit die bisherigen Grundlagen des Patentrechtes auf lebendige Materie anwendbar sind. In diesem
Zusammenhang hat sich eine Vielzahl von ethischen,
rechtlichen und gesellschaftlichen Fragen gestellt.
Eine große Mehrheit der Enquête-Kommission stimmt
darin überein, dass der Schutz des geistigen Eigentums
an biotechnischen Erfindungen kaum geglückt ist. Er
konnte auch nur in Ansätzen glücken, weil das klassische
Patentrecht, von dem zwangsläufig ausgegangen und auf
dem aufgebaut werden musste, zu Zeiten eines mechanistischen Weltbildes entstanden ist und den komplexen
Anforderungen moderner Biotechnologie nicht genügt.
Insofern sagt auch die Enquête-Kommission in ihrer Stellungnahme:
Die Begrifflichkeit des Stoffpatentes ist auf diese
Regelungsmaterie nicht anwendbar. Stoffpatente
könnten nur die stofflich materielle Dimension der
DNA erfassen, nicht ihren biologischen Wirkungszusammenhang.
Wir setzen uns dafür ein, dass die EU-Patentrichtlinie
daraufhin nochmals grundlegend überarbeitet wird, und
unterstützen die Bundesregierung darin, eine entsprechende EU-Initiative zu ergreifen. Notwendig ist das
auch, weil diese EU-Richtlinie unmittelbar gilt und vom
Europäischen Patentamt weitgehend praktiziert wird. Es
gibt auch andere europäische Länder, die diese Auffassung teilen und entsprechende Initiativen ergreifen.
Die Komplexität und die Probleme sehen wir beispielsweise an der Produktion von Medikamenten gegen
die Krankheit Aids. Wir mussten erleben, dass die Gesundheitsversorgung in Südafrika in diesem Bereich bedroht war. Genauso sieht es in Brasilien aus, wo der Staat
Imitate herstellt, um die Gesundheitsversorgung zu sichern. Auch im Bereich der Landwirtschaft und der Ernährung entstehen ähnliche Probleme durch die Patentierung von Pflanzen. Aus den Entwicklungsländern kommt
zunehmend die Klage, dass sich Pharma- und Saatgutkonzerne die dortige Artenvielfalt an Heil- und Kulturpflanzen mit ihren Eigenschaften und Wirkstoffen patentieren lassen. Die Menschen dort drohen leer auszugehen.
Aber auch die Bauern in der Europäischen Union und in
den USA fürchten die Saatgutmonopole und die erheblichen Zusatzkosten, die sich aufgrund dieser Patente ergeben.
Trotz aller Kritik stellt die nationale Umsetzung der
EU-Richtlinie eine rechtsethische Verbesserung gegenDr. Gerhard Scheu
über der derzeitigen patentrechtlichen Situation dar, wenn
die von der Enquête-Kommission aufgestellten Kriterien
erfüllt werden. Im deutschen Patentrecht - das muss man
auch sagen - wird auf die Besonderheiten lebender Substanzen bisher überhaupt nicht adäquat eingegangen. Damit öffnet es solchen Fehlentwicklungen Tür und Tor.
Wir als Fraktion werden uns dafür einsetzen, dass die
Vorschläge der Enquête-Kommission sowohl bei der
Überarbeitung der EU-Patentrichtlinie als auch bei der
Umsetzung aufgegriffen werden. Wir regen dazu an, neue
Instrumente zu finden und über eine gesetzliche Befristung der Patentansprüche nachzudenken, solange die EUrechtlichen Rahmenbedingungen nicht angemessen angepasst sind. Wir werden im Verfahren konkrete Vorschläge
unterbreiten.
Frau Kollegin Höfken, erlauben Sie eine Zwischen- bzw. Abschlussfrage des Kollegen Hüppe?
Ich
glaube, das regeln wir so.
Danke schön.
({0})
Für die
F.D.P. hat jetzt das Wort der Kollege Professor Edzard
Schmidt-Jortzig.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch im Bereich
der Biomedizin gibt es wissenschaftlichen Fortschritt nur
durch Forschung. Wer wollte bestreiten, dass die allermeisten der neuen Möglichkeiten segensreiche Verbesserungen für die Gesundheitspflege der Menschen bringen,
also Fortschritt darstellen? Forschung verlangt einen hohen Mitteleinsatz, und das in der Regel über Jahre. Solche
Investitionen leisten nur zu Bruchteilen der Staat oder von
ihm ausgestattete Gesellschaften und Institute. Der allergrößte Teil von Forschungsmitteln wird von Privatunternehmen aufgebracht. Diese indessen brauchen für ihren
Einsatz einfach Rentabilität, das heißt wirtschaftliche
Verwertbarkeit ihrer Ergebnisse. Eine solche lässt sich
eben nur durch Patentierung erreichen.
Das ist allseits unbestritten, sollte aber immer wieder
herausgestellt werden. Das wird nämlich von manchen
gern übersehen, die da meinen, Forschungsergebnisse
seien ein von jedermann kostenlos nutzbares Gut, bei dem
man Ertragsinteressen ganz außer Acht lassen könne.
Ohne wirksamen Patentschutz keine nennenswerte Forschung und auf dem Feld der Biomedizin ohne wissenschaftliche Forschung kein therapeutischer Fortschritt.
({0})
Hinzu kommt ein Weiteres. Der Forscher hat ein Recht
darauf, seine Erfindungen grundsätzlich nach seinem Gusto zu verwenden. Schließlich hat allein er sie durch seine
Arbeit, seine Beharrlichkeit und seine Fantasie hervorgebracht. Sie sind, wie es so plastisch heißt, sein geistiges
Eigentum. Deshalb sichert ihm die Verfassung die Erträgnisse dieses seines Produktes als ausdrückliches
Grundrecht zu. Hier geht es keineswegs nur um Geld.
Vielmehr ist das Recht maßgeblich, über die eigenen Forschungsresultate grundsätzlich selbst befinden und disponieren zu können. Auch dies sichert einzig eine lückenlose
Patentierung. Ohne wirksamen Patentschutz also auch
keine schöpferische Ergebnissicherung und ohne eine solche keine Forschungsfreiheit.
Beides gilt speziell für den biotechnologischen Wissenschaftsbereich. Irgendwelche fundamentalistischen
Sperren dagegen aufzubauen wäre nicht nur entlarvend,
sondern auch schädlich. Übrigens trifft dies gleichermaßen bezüglich großer wie kleiner forschender Unternehmen zu. Es ist jedenfalls eine Irreführung, wenn gelegentlich behauptet wird, Patente seien allemal ein
Machtinstrument pharmazeutischer Multis, mit dem Startup-Firmen und produktive Außenseiter ausgeschaltet werden sollten. Eher wird umgekehrt ein Schuh daraus: Gerade
die kleinen, neuen Unternehmen brauchen verlässliche
Sicherungen für die Rentierlichkeit ihrer Erfindungen. Ihre
finanziellen Nachschussmöglichkeiten sind begrenzt und
die Marktmacht der Großen würde sie zur raschen Verschleuderung ihrer schöpferischen Ressourcen zwingen.
({1})
Durch Patente aufgehalten wird nur der, der an den geistigen Erkenntnissen anderer bequem partizipieren möchte, also ernten will, ohne zu säen.
Freilich gilt es - auch das ist im Ansatz unbestritten
und wird, wenn auch mit unterschiedlichem Zungenschlag, in dem Teilbericht deutlich -, das Patentrechtssystem auf diesem Feld zu schärfen sowie wirksamer und
innovationsfördernder zu machen. So hat sich beispielsweise - für mich besteht daran jedenfalls kein Zweifel eine gewisse Verwässerung bei den zulässigen Patentsubstraten eingeschlichen, die beseitigt werden muss und
nach meiner Auffassung mit der EU-Biopatent-Richtlinie
auch beseitigt werden kann und sollte. Häufig werden jetzt in der geltenden Praxis - nicht mehr nur Erfindungen, sondern auch Entdeckungen - bzw. noch genauer:
Entdeckungsgegenstände - patentiert. Im biotechnologischen Umfeld muss aber darauf bestanden werden, dass
Menschen oder Teile des menschlichen Körpers ebenso
wenig Patentobjekte sein können wie überhaupt Leben,
einzelne Gene und/oder ein ganzes Genom. Auch das ist
unbestritten.
({2})
Sie sind vielmehr Bestandteile der Natur. Sie kann man
nur entdecken, nicht aber erfinden. Patentiert werden sollten weiterhin nur Erfindungen.
Das trifft sich übrigens auch mit den ethischen Vorgaben. Der Mensch und sein, wie es heißt, biologisches Material - das ist nun einmal der Begriff - sind keine Ware.
Er ist ebenso wenig ausschlachtbar wie kommerzialisierbar. Dies darf und soll das Patentrecht nicht verwischen.
Patentierbar sind bei genetischen Elementen lediglich
Verfahren zur Isolierung - das aber wohl -, innovatorische Anwendungen und wohl auch Funktionsklärungen. Deshalb soll bei den so genannten Stoffpatenten
zwingend auf solche Elemente abgestellt werden. Das
wird von der EU-Biopatent-Richtlinie auch ausdrücklich
angemahnt. Eine Bekämpfung gegenteiliger Tendenzen,
die, wie gesagt, in der Praxis meines Erachtens vorhanden
sind, wird durch diese Richtlinie denn auch erst möglich.
Herr Kollege Schmidt-Jortzig, erlauben Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Hüppe?
Sofort, ich will
nur diesen Gedanken abschließen. - Dies gilt es auch
schon bei der Umsetzung der EU-Biopatent-Richtlinie
noch klarer zu machen. Insofern gibt es für den nationalen Gesetzgeber auch einen gewissen Gestaltungsspielraum, der genutzt werden sollte. Meines Erachtens lässt
die Richtlinie eine solche Nachjustierung zu. Deswegen
bin ich, deswegen ist meine Fraktion - wie wir deutlich
gesagt haben - gegen eine Blockade dieser Richtlinie und
für eine Nutzung derselben für eine sinnvolle Verbesserung des Patentrechts.
Herr Hüppe, bitte.
Vielen Dank. - Herr Professor Schmidt-Jortzig, wie beurteilen Sie, nachdem Sie
gerade gesagt haben, dass ein Bestandteil des menschlichen Körpers und ein Gen nicht patentiert werden können,
den neuen § 1 a Abs. 2 des Patentgesetzes in der Form des
Gesetzentwurfes zur Umsetzung der Richtlinie? Dort
heißt es wie folgt:
Ein isolierter Bestandteil des menschlichen Körpers
oder ein auf andere Weise durch ein technisches Verfahren gewonnener Bestandteil, einschließlich der
Sequenz oder Teilsequenz eines Gens, kann eine patentierbare Erfindung sein, selbst wenn der Aufbau
dieses Bestandteils mit dem Aufbau eines natürlichen Bestandteils identisch ist.
Ich stelle diese Frage unter Berücksichtigung der Tatsache, dass Ihr Parteitag am vergangenen Wochenende Folgendes beschlossen hat:
Der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung ist in diesem Punkt widersprüchlich und in dieser Form abzulehnen.
Ich muss Ihnen
ganz deutlich sagen, dass wir heute nur - aber immerhin;
und auch wenn das Thema mittlerweile an das Ende des
Tages gerutscht ist, haben wir darauf bestanden - über unseren Teilbericht sprechen. Über die Güte des von der
Bundesregierung vorgelegten Umsetzungsgesetzentwurfs diskutiere ich heute noch nicht mit Ihnen.
({0})
Diesbezüglich bin ich in der Tat der Meinung, dass man
noch einiges nachbessern könnte. Schon vor einem halben
Jahr habe ich gegenüber einer Berliner Zeitung - ich
glaube, es war der Tagesspiegel - ausdrücklich gesagt:
Wenn die Bundesregierung an diesem Punkt nicht nachbessert - meines Erachtens lässt die Richtlinie das durchaus zu -, wird sie Schwierigkeiten bekommen. Ich behalte
mir aber vor, das zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal zu sagen.
({1})
Im Übrigen wäre - auch das möchte ich an dieser Stelle
sagen, weil wir eben mehr machen, als nur den Gesetzentwurf zu diskutieren - die Wiedereinführung einer Neuheitenschonfrist, also einer so genannten grace period,
wünschenswert. Sie schützt vor Ausspähung der jeweiligen Entwicklungsarbeiten und sichert den forschenden
Unternehmen ihre wirtschaftliche Konkurrenzfähigkeit.
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.
Jawohl. - Als
ceterum censeo schließlich bleibt weiterhin die Entwicklung eines Europäischen Patents zu fordern, damit in der
längst übernationalen Science-Community eine kontinentale Einheitlichkeit des Rechtsschutzes erreicht wird und
die Segmentierungsbürokratie zurückgeschnitten werden
kann.
Ich glaube, dass wir unseren Teilbericht, über den wir
heute diskutieren, sinnvoll genutzt haben, vielleicht aber
noch besser hätten nutzen können, um diese Perspektiven
der Entwicklung deutlicher zu machen, anstatt uns an einzelnen Punkten festzukämpfen.
Danke sehr.
({0})
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Margot von Renesse
von der SPD-Fraktion das Wort.
Es ist ein weit verbreiteter Irrglaube, Herr Präsident, meine Damen und Herren,
das Biopatent sei eine Schöpfung der EU-BiopatentRichtlinie. Das ist keineswegs der Fall. Das Biopatent gibt
es in Deutschland und international seit mehr als 30 Jahren. Daher sind die Begriffe, die Herr Wodarg zutreffend
dargestellt hat, schon längst Praxis.
Die Biopatent-Richtlinie hat aber, wie ich finde, einen
Fortschritt gebracht. Sie hat nämlich das Biopatent aus
dem breiten Strom der Erfindungsmethoden herausgenommen und gesonderten Regelungen unterworfen.
Keine einzige davon weitet das Biopatent gegenüber dem
früheren Rechtszustand aus. Alles wird enger definiert
und schärfer formuliert; die Voraussetzungen sind härter,
als sie es je vorher waren. Die Biopatent-Richtlinie hat
bereits international Auswirkungen dergestalt, dass auch
die USA - davon haben wir uns bei Celera informieren
können - schon keine Patente mehr auf Sequenzierungen
erteilen. Das heißt, die Biopatent-Richtlinie hat ihre gewünschte Wirkung schon weitgehend erzielt - in naturwissenschaftlicher, aber auch in ethischer Hinsicht.
Die Biopatent-Richtlinie ist das einzige internationale
Rechtsdokument, das den Eingriff in die Keimbahnen, das
Klonen von Menschen und die Kommerzialisierung von
menschlichen Embryonen für grob rechtswidrig und deswegen für nicht patentierbar erklärt.
({0})
Wem die Taube auf dem Dach lieber ist als der Spatz in
der Hand, der möge so enden, wie die meisten enden, die
so denken, nämlich mit nichts, weil sie alles wollen.
Ich möchte mich mit zwei kritischen Punkten auseinander setzen, die ich für wichtig halte. Herr Wodarg hat
die Stellungnahme zitiert, die der Präsident der Bundesärztekammer, Herr Hoppe, vorgelegt hat. Wenn ich dort
lese, dass keine Patentierung von Genen erfolgen soll,
weil sonst die Kommerzialisierung von Medizinverfahren
drohe, dann wundere ich mich über den Mund, der das
ausspricht. Aber da bin ich offensichtlich allein. Die
Kommerzialisierung von Medizinverfahren ist etwas, was
ich von Ärzten landauf, landab kenne und worüber der
Gesundheitsausschuss viel spricht.
Ein anderes, viel wichtigeres Problem betrifft das gängige Schlagwort von Greenpeace, von Opus Dei und von
den Naturreligionen, das sehr einprägsam ist, sich sehr gut
lesen und aussprechen lässt: Kein Patent auf Leben! - Ich
muss ganz offen sagen: Hier protestiere ich im Namen
meiner Philosophie, meiner Religion und dessen, was wir
in Art. 1 des Grundgesetzes stehen haben. Der schiere
Biologismus, der Leben mit einem Genom gleichsetzt, ist
in meinen Augen unerträglich. Wie viele Substanzen haben wir nicht schon mit Leben, mit menschlicher Spezies
gleichgesetzt: Blut, Herz, Hirn! Wir haben uns jeweils so
wie ein Kind, das das erste Mal mit dem Flugzeug fliegt
und feststellt, dass über der Wolkendecke keine Engel
sind, vom Gegenteil überzeugen müssen.
Wer eine solche Vorstellung von menschlicher Spezies
hat, die Kant nicht hatte, der sich mit der Anatomie beschäftigt hat, was damals, wie Sie richtig gesagt haben,
mit zur kopernikanischen Wende führte, der die menschliche Spezies und ihre Würde an ihrer Berufung zur Freiheit deutlich gemacht hat, einer Qualität, die nicht unter
dem Messer des Chirurgen und nicht unter dem Mikroskop des Biochemikers zu erkennen ist, der wird sich
noch eines Besseren belehren lassen müssen. Denn eineiige Zwillinge - das sage ich Ihnen heute voraus; wir werden es nicht mehr erleben - sind eines fernen Tages in allem, was sie gleichmacht, kalkulierbar; aber sie sind und
bleiben nicht gleich.
Das Typische des Menschen ist, dass man ihn nicht in
seiner Substanz sieht. Wir alle haben in der Schöpfungsgeschichte gelernt: Wir sind aus Erde gemacht. Bei jedem
Beerdigungsritual werden wir daran erinnert, dass wir wie
alles mit uns Lebende - auch darin sind wir verwandt - zu
Erde werden. Welche Vorstellung von Heiligkeit von Substanz! Ich habe sie nicht. Sie ist mir nicht beigebracht worden. Wenn andere glauben, sie müssten sie verteidigen,
weil man herausfinden könnte, dass sich vielleicht doch
nichts Besonderes im Menschen findet, so habe ich diese
Sorge nicht. Ich protestiere im Namen meiner Ethik gegen
eine solche biologistische Vorstellung von Leben und
vom Menschen.
Ein Letztes: Ich hätte es gut gefunden, wenn wir einen
gemeinsamen Text gefunden hätten. Wir waren nahe dran,
weil das Kernstück des Mehrheitsvotums die Systemgrenzen des Patentsrechts markiert und aufzeigt, wohin es
weiterentwickelt werden muss. Am Ende der Fahnenstange sind wir noch nicht; das sieht auch die Bundesregierung so. Was wir auf internationaler Ebene weiterentwickeln müssen, das haben wir gemeinsam verfasst. Das
Auseinandergehen in Mehrheit und Minderheit schadet
der Sache.
Danke sehr.
({1})
Das Wort
hat jetzt der Kollege Werner Lensing von der CDU/CSUFraktion.
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen! Meine Herren! Wir alle kennen die
bangen Fragen, die da lauten: Wird die Umsetzung der
EU-Biopatent-Richtlinie in nationales Recht die Menschen gar in die Abhängigkeit von global agierenden
Wirtschaftsunternehmen führen? Oder das Gegenteil:
Wird die Nichtumsetzung der Richtlinie medizinischen
Fortschritt vereiteln und vielen Kranken eine Heilung ihrer Leiden vorenthalten?
Meiner Ansicht nach sind beide Fragen mit einem eindeutigen Nein zu beantworten. Doch in diesen beiden
Fragen zeigt sich bereits beispielhaft die markante Ambivalenz, die zweifelsfrei mit der heutigen Beratungsthematik verbunden ist.
Dabei will ich mich hier als einer, der das Minderheitsvotum der Enquête-Kommission mitgetragen hat,
in keiner Weise ausnehmen. Stimme ich doch auf der einen Seite durchaus mit der Stellungnahme der Mehrheit
der Enquête-Kommission darin überein, dass generell das
Recht der Patentierung im Bereich der Biotechnologie
verbesserungsfähig und auch verbesserungsnotwendig
ist. Dies gilt somit auch für die EU-Biopatent-Richtlinie.
Ich denke in diesem Zusammenhang beispielsweise an
die Frage der Reichweite des Stoffschutzes und zugleich
an die Konkretisierung des Ordre Public.
Doch auf der anderen Seite werden, zumindest aus meiner Sicht, mögliche Defizite der EU-Biopatent-Richtlinie so
stark betont, dass mit deren Umsetzung eine nicht verantwortbare Unterordnung der Menschheit unter wirtschaftliche Interessen nahezu vorprogrammiert zu sein scheint.
({0})
Natürlich kann ich Misstrauen und Sorgen, die sich in
der plakativen Forderung Kein Patent auf Leben manifestieren, wirklich bestens nachvollziehen. Ich denke aber,
diese Vorbehalte sind - ich will es mir nicht zu einfach machen, will es aber doch sagen - unter anderem durch die
Komplexität der infrage stehenden Materie bedingt.
Es wird vielfach - wie ich meine, irrtümlich - der Eindruck vermittelt, mit der Umsetzung der EU-BiopatentRichtlinie drohe die Gefahr, das gesamte deutsche Patentrecht auf den Kopf zu stellen. Doch nicht von ungefähr
wurde diese Interpretation in der in dem Teilbericht erwähnten öffentlichen Anhörung von fast allen Patentrechtsexperten zurückgewiesen.
Deutlich wird dies am Hauptbeispiel, dem Stoffschutz,
der, wie wir wissen, die Reichweite des Patentschutzes
bestimmt. Dieser im Teilbericht konkretisierte und kritisierte Stoffschutz ist keine Erfindung der EU-BiopatentRichtlinie, sondern Ausdruck unseres seit über 20 Jahren
auch im Bereich der Biotechnologie angewandten deutschen Patentrechts.
({1})
Auch schließt bereits das gültige deutsche Patentrecht
beispielsweise Nukleinsäuren oder Proteine, die in der
Natur vorkommen, vom Patentschutz nicht aus, solange
nur deren Funktion und gewerbliche Anwendung beschrieben werden.
({2})
An dieser Stelle komme ich zu den Fragen, die für mich
sehr wichtig sind und deren Behandlung mir eine Mitzeichnung des Mehrheitsvotums so schwer gemacht hat.
Wer über die Umsetzung der EU-Biopatent-Richtlinie
bzw. über eine Verbesserung des Patentrechts nachdenkt, sollte folgende vier Punkte beachten:
Erstens. Im Bereich der Biotechnologie hat das Patentrecht ebenfalls uneingeschränkte Berechtigung. Auch hier
müssen erfinderische Leistungen belohnt und dadurch das
Interesse an Forschung bewahrt werden.
Zweitens. Dass wirtschaftliche Interessen hierbei eine
Rolle spielen, ist grundsätzlich doch nicht verwerflich.
Wirtschaftliche Interessen sind nicht per se illegitim, sondern, wenn auch nicht in allen Fällen, der Motor unserer
sozialen Marktwirtschaft.
({3})
Dies gilt nicht zuletzt auch für junge Start-up-Unternehmen, deren wesentliches so genanntes Betriebskapital
oftmals gerade die Patente sind.
({4})
Drittens. Eine objektive Aufbereitung muss alle Seiten
und alle Argumente berücksichtigen. Nicht genehme Interessen dürfen nicht von vornherein diskreditiert oder
kurzerhand ausgeblendet werden.
Viertens. Schon gar nicht dürfen Teile der Realität bewusst unbeachtet bleiben. So gehört zur Realität, dass unser deutsches Patentrecht einen umfassenden Stoffschutz
seit langem kennt und dass es im Bereich der Biotechnologie in weiten Teilen nicht durch gesetzliche Normen
konkretisiert ist. Letzteres betrifft nicht nur die Abgrenzung zwischen Entdeckung und Erfindung, sondern beispielsweise ebenfalls den Ordre Public.
Gewiss, meine Damen und Herren, die EU-BiopatentRichtlinie kann nicht als der Weisheit letzter Schluss
angesehen werden; aber sie ist - zumindest in Teilbereichen - dennoch durchaus geeignet, notwendige Konkretisierungen zu erwirken. Wer hingegen glaubt, mit der Verhinderung der Umsetzung dieser EU-Biopatent-Richtlinie
in nationales Recht alle Probleme lösen zu können, der
dürfte sich irren. Zudem ist ein nationales Patentrecht
ohne internationalen Bezug sicherlich wenig effektiv.
Nicht zuletzt deswegen muss das deutsche Patentrecht
im Zusammenhang mit internationalen Vereinbarungen
wie dem Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte
der Rechte des geistigen Eigentums - wie von Ihnen, Herr
Kollege Wodarg, schon angemerkt - gesehen werden, die
natürlich auch für Deutschland bindend sind.
Im Einklang mit vielen Patent- und Europarechtsexperten in unserem Lande gehe ich im Übrigen von einer rechtlichen Verpflichtung zur Umsetzung dieser Richtlinie deswegen aus, weil Deutschland keine Nichtigkeitsklage
erhoben hat und selbst der Widerspruch der Niederlande und
Italiens bekanntlich keine aufschiebende Wirkung hat.
({5})
Im Rahmen der abschließenden Gesamtbewertung
erlaube ich mir zum weiteren Umgang mit der EU-Biopatent-Richtlinie folgende drei Anmerkungen:
Erstens. Da einer Umsetzung der EU-Biopatent-Richtlinie in nationales Recht angesichts des geltenden deutschen
Patentrechts keine grundsätzlichen Bedenken entgegenstehen, sollten mögliche Vorteile der EU-Biopatent-Richtlinie
nicht übersehen werden.
Zweitens. Gleichwohl ist bei der Umsetzung den auch
von mir nicht zu leugnenden berechtigten Bedenken unter Ausnutzung der dem nationalen Gesetzgeber verbliebenen Spielräume auf jeden Fall Rechnung zu tragen.
Drittens. Einwände, denen im Rahmen der Umsetzung
in nationales Recht nicht abgeholfen werden kann, müssen gegebenenfalls durch eine Fortentwicklung des Patentrechts auf internationaler Ebene - das betone ich
hier - Berücksichtigung finden. So wäre nicht zuletzt eine
Überprüfung der Notwendigkeit des Stoffschutzes auf
EU-Ebene aus meiner Sicht durchaus zu begrüßen.
Ich danke Ihnen.
({6})
Das Wort
hat jetzt die Kollegin Monika Knoche vom Bündnis 90/
Die Grünen.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Herren und Damen!
Wir haben wenig Debattenzeit. Ich bin mir sicher, es werden noch viele flammende Reden gegen biologistische
Fundamentalisten gehalten werden, die jenseits der Prinzipien und der Philosophie der Aufklärung angesiedelt werden, doch die Mitglieder der Enquête-Kommission wären
die falschen Adressaten für derartige Unterstellungen.
({0})
Wir haben mit großer Verantwortung und eindringlicher Tiefe die Fragen der Moderne behandelt und einen
redlichen, aufrichtigen, klugen Versuch unternommen,
Antworten für das Parlament zu geben, wie mit diesen Fragen umzugehen ist. Ich danke insbesondere Ihnen, Herr
Kollege Scheu, für Ihre Rede. Sie stellt dar, mit welchem
Verantwortungsbewusstsein wir uns damit befasst haben.
In der Tat: Sind die Gene die letzte zu kommerzialisierende Ressource dieses Jahrhunderts? Das Lebendige enthält die Ideen der Evolution. Die Biotechnologie greift auf
die intrinsische Kraft des Lebendigen zurück, sie erfindet
sie nicht. Auch deshalb sind die Phänomene des Lebendigen den engen Regeln des Stoffpatents nicht zugänglich
und darum haben wir uns zu kümmern, denn das sind die
Vorgaben der europäischen Patentierungsrichtlinien.
Jegliche Form der Genpatentierung stellt eine Enteignung des menschlichen Genoms dar. Es steht der
Menschheit nicht zu, gewerbliche Eigentumsrechte an
Genen und Gensequenzen zu vergeben. Die Entdeckungen von Gensequenzen sind nun einmal keine Erfindungen. Ihre Wirkungsmechanismen und Funktionen sind da,
waren da, auch wenn sie vorher nicht darstellbar waren.
Die Tatsache, dass sie nunmehr abbildbar geworden sind,
bedeutet nicht, dass das, was uns zu handhaben zugänglich geworden ist, zugleich auch Gegenstand einer Erfindung selbst ist. Diese Unterscheidung muss man machen.
Neueste Ergebnisse der Humangenomforschung zeigen uns: Die Funktionsweise von Gen, Gensequenz und
Protein ist noch längst nicht bekannt. Es ist mehr darüber
bekannt, dass sie Träger von Informationen sind.
Herr Präsident Winnacker hat im März dieses Jahres
erklärt, dass er es für erforderlich hält, lediglich Prozesspatente zu vergeben. Die Enquête-Kommission empfiehlt, nur Verfahrenspatente zum Gegenstand der patentrechtlichen Regelung zu machen.
In der Wissenschaftsgemeinschaft wächst die Erkenntnis, dass die EU-Richtlinie nicht mehr dem Stand des Wissens folgt.
({1})
Wir dürfen keine Gesetze verabschieden, die auf ein
längst überholtes Wissen zurückgreifen und dieses gar
festschreiben würden. Das wäre in der Tat innovationshemmend, gar forschungsfeindlich.
Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Scheu?
Frau Kollegin
Knoche, die Nobelpreisträgerin Christiane NüssleinVolhard hat angesichts der neuen biologischen Erkenntnisse geäußert: Vielleicht kann man - zugespitzt formuliert - bei keinem Gen, weder in der Fliege noch im Menschen, genau voraussagen, was es alles beeinflusst und
welche Funktion es hat. Ist Ihnen diese Äußerung bekannt?
Ich
bin sehr froh, Herr Scheu, dass Sie darauf verweisen. Frau
Professor Dr. Nüsslein-Volhard, ist - wie wir alle wissen Nobelpreisträgerin und hat wegweisende Forschungen
durchgeführt. Die Phänomene des Lebendigen, wie ich
es gern beschreibe, sind uns in ihren Wirkungsmechanismen heute nicht vollständig erklärbar. Das Wesen des Lebendigen bleibt ein Geheimnis. Wenn renommierte Forscherinnen wie sie uns das öffentlich mitteilen, sollten wir
als Politikerinnen und Politiker das zumindest zur Kenntnis nehmen und daran denken, dass wir Gewissheit darüber haben, dass wir nicht mehr wissen und in Gesetzesform gießen können, als Wissenschaftlerinnen wissen
oder was sie zugeben, noch nicht zu wissen. Ich glaube,
das ist eine sehr wichtige Mitteilung. Ich danke Ihnen für
diese Frage.
Aber sehr wesentlich ist, dass damit, dass wir keine
Stoffpatente erteilen, eine mögliche Nutzbarmachung für
medizinische und pharmakologische Entwicklungen nicht
verhindert wird, ganz im Gegenteil. Auch Herr Professor
Dr. Hoppe sagte heute, dass wir uns Fortschritte in der
Medizin selbst verwehren würden, würden wir den Normen der Richtlinie folgen.
Im Übrigen hat sich in der Zwischenzeit durch eine etwas nüchternere Betrachtung herausgestellt, dass wir hinsichtlich der europäischen Richtlinie überhaupt nicht unter einem Umsetzungszwang stehen. Über die Argumente
der Niederlande, Frankreichs und Italiens ist in der Sache
noch nicht entschieden. Aber sehr wichtig ist mir, darauf
hinzuweisen, dass wir als Enquête-Kommission mit den
Ergebnissen, die wir dem Parlament heute vorstellen, in
der Tat ein großes Bemühen zeigen, Erkenntnisse über
eine mögliche medizinische Nutzung zugänglich zu machen, Forschung aber nicht zu behindern. Ich meine, das
ist eine wesentliche Voraussetzung, um zu erkennen, dass
wir dann, wenn wir Gesetze machen, zukunftsfähige Gesetze zu machen haben. Deshalb haben die Regierung und
die Koalition bereits beschlossen, die EU-Richtlinie als
solche einer Revision zu unterwerfen. Es wird sicher nicht
mehr lange dauern, bis man erkennt, dass die EnquêteKommission mit ihrem Bericht zukunftsweisende Empfehlungen gegeben hat. Ich hoffe, wir werden in den
nächsten Debatten darauf positiv Bezug nehmen können.
({0})
Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat der Kollege René Röspel von der SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte einen Punkt des Teilberichts, den wir nur
sehr kurz angesprochen haben, herausgreifen, und zwar
die Frage: Welchen Einfluss haben Patente auf die Forschung? Im Wesentlichen werden dazu zwei Antworten
genannt. Die erste ist: Patente fördern Forschung. Die
zweite ist: Patente blockieren oder behindern Forschung.
Ich bin der tiefen Überzeugung, dass für die meisten
technischen Gebiete die erste Antwort richtig ist und gilt,
dass Patente Forschung fördern, weil sie Anreiz und Belohnung bieten und ihr Inhalt in der Regel begrenzbar ist.
Aber ich bin auch der Überzeugung, dass das für mindestens einen Bereich, nämlich im Bereich der Patentierung
von Genen nicht gilt. Für ihn gilt die zweite Antwort.
Ich bin der Überzeugung - und die wächst zunehmend in
mir -, dass Patente dort Forschung behindern und blockieren, weil Gene eine besondere Bedeutung haben.
({0})
Warum blockieren und behindern Patente die Forschung? Ich möchte Ihnen ein Beispiel aus der Praxis nennen. Stellen Sie sich vor, da ist ein Forscherteam, das in
mühevoller Arbeit mehrere Jahre lang eine gesunde Zelle
und eine Krebszelle vergleicht und das Gen findet, das
möglicherweise die Krankheit hervorruft. Sie geben dies
in einen Computer ein und stellen fest: Die Sequenz ist bereits bekannt. Möglicherweise gibt es sogar jemanden, der
darauf bereits ein Patent angemeldet hat. Für diese
Gruppe stellt sich dann die Frage: Lohnt sich die weitere
Arbeit überhaupt oder tangieren wir Patentrechte? Können wir an diesem Gen weiter forschen?
Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin
Kortmann?
Wenn das nicht von meiner Redezeit abgeht, ja.
Nein, das
geht nicht davon ab.
Gut.
Bitte
schön, Frau Kortmann.
Kollege Röspel, ich fasse
meine Frage kurz: Gibt es in Deutschland keine Forschungsfreiheit?
Das ist eine gute Frage. In der Tat
ist Forschungsfreiheit grundgesetzlich garantiert. Wir haben im Mai letzten Jahres vom Bundesverfassungsgericht
bestätigt bekommen, dass es Forschungsfreiheit gibt.
Gene, die patentiert sind, sind nicht ausgenommen. Wer an
ihnen forschen will, darf dies tun.
Aber das ist - das will ich betonen; das zeigt auch das
Beispiel, was ich im Anschluss bringen will - die juristische Sichtweise. Es gibt aber noch eine andere Sichtweise. Die Forscher, die ich eben genannt habe, werden
sich überlegen müssen, wie sie nun angesichts des Patents
auf diesem entdeckten Gen weitermachen.
Wenn sie ihre Forschungsergebnisse irgendwann kommerziell nutzen wollen, dann haben sie zwei Wege, die sie
beschreiten können: Der erste geht über die Beantragung
einer Lizenz. Der zweite Weg geht darüber, dieses Patent
aus der Welt zu klagen. Beide Wege erfordern aber in
der Praxis viel Kraft, Zeit, Nerven und Geld. Die großen
Unternehmen, die über eine Rechtsabteilung, Patentanwälte und viel Geld verfügen, können gelassen bleiben,
wenn diese Wege beschritten werden. Aber ich frage:
Welche Chance hat in der Praxis diese kleine Forschergruppe angesichts einer möglicherweise mehrere Jahre
dauernden Klage? In der Praxis sieht die Freiheit der Forschung eben anders aus.
Ich will noch ein anderes Beispiel erwähnen, weil dies
auch von Herrn Winnacker in letzter Zeit häufig zitiert wird.
Die Fragen sollen kurz gestellt und auch kurz beantwortet werden. Was Sie machen, ist eine künstliche Verlängerung der
Redezeit.
Das nehme ich dann mit in
meine Redezeit hinein.
Mehrere Wissenschaftler haben herausgefunden, dass
es ein bestimmtes Oberflächenmolekül an Zellen gibt, das
offenbar für das HI-Virus eine Funktion hat. Das heißt,
das Aidserregende Virus dockt offenbar an diesem Rezeptor an. Die Wissenschaftler haben diesen Vorgang beschrieben, das Gen identifiziert und sequenziert. Auf einmal meldet sich eine amerikanische Firma und erklärt:
Das ist genau das Gen, das wir bereits patentiert haben,
CCR5. Allerdings haben die das Patent auf diesen Rezeptor zu einem Zeitpunkt bekommen, als sie noch gar
nicht wussten, wofür er dient. Diese Firma klagt jetzt auf
Zahlung von Lizenzgebühren bzw. Wahrung ihres Patentrechts. Das heißt, diejenigen, die diesen Rezeptor für die
Aids-Forschung entdeckt haben, stehen vor der Wahl, ob
sie ein Klageverfahren riskieren oder Lizenzgebühren
zahlen wollen.
({0})
Auch das ist eine Einschränkung von Forschungsfreiheit
in der Realität.
Die Wissenschaft - das ist meine Erkenntnis in der letzten Zeit - wird gegenüber Genpatenten immer kritischer. Ich
darf Professor Ganten zitieren, der im Januar als Direktor
des Berliner Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin auf einem Ärzteforum der Bundesärztekammer sagte:
Die Vergabe von Patenten für einzelne menschliche
Erbinformationen behindert die Genforschung. Statt
einer Patentierung sollten diese Gensequenzen für eine
weitere Erforschung frei verfügbar gehalten werden.
Weiter sagte er: Die zunehmende Kommerzialisierung
der Genforschung darf die allgemeine Forschung nicht
behindern, indem wichtige Informationen durch Patente
zurückgehalten werden.
Was meint Herr Ganten, wenn er sagt, dass wichtige Informationen zurückgehalten werden? Bisher war es das
Interesse von Forschern, ihre Ergebnisse möglichst
schnell zu publizieren. Das haben sie auf Kongressen
durch Reden oder Poster oder in einer möglichst angesehenen Zeitschrift getan.
Jetzt - das stelle ich fest - wächst der Trend zur Patentierung von Forschungsergebnissen. Notwendiges Kriterium - das haben schon Herr Wodarg und andere gesagt für ein Patent ist Neuheit. Wenn Sie Neuheit haben wollen, dann heißt das, dass zukünftig Forschung für mindestens ein oder zwei Jahre im stillen Kämmerlein bzw. Labor stattfindet, bevor womöglich mit einem Patentantrag
an die Öffentlichkeit getreten werden kann; es sei denn,
wir finden eine vernünftige grace period, wie das Herr
Schmidt-Jortzig erwähnte.
Es wird mir immer deutlicher: Patente auf Gene behindern die Forschung. Ich will mit einem Zitat des Präsidenten der Deutschen Forschungsgemeinschaft, also einer nicht unbedeutenden Organisation, der zudem ein
weltweit anerkannter Genforscher ist, nämlich Professor
Winnacker, enden.
Er sagte am 8. Januar dieses Jahres:
Gene sind in der Tat keine Erfindungen, sondern
Entdeckungen und können daher nicht patentiert
werden.
({1})
Ich
schließe die Aussprache. Wir haben damit den Zwischenbericht der Enquête-Kommission Recht und Ethik
der modernen Medizin auf Drucksache 14/5157 zu dem
Thema Schutz des geistigen Eigentums in der Biotechnologie zur Kenntnis genommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Evelyn Kenzler, Ulla Jelpke, Sabine Jünger,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Aufhebung der nationalsozialistischen Unrechtsurteile gegen Deserteure
- Drucksache 14/5612 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({0})
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die PDS
fünf Minuten erhalten soll. - Ich höre keinen Wider-
spruch. Dann ist so beschlossen.
Ich gebe bekannt, dass die Kollegin Margot von
Renesse und die Kollegen Bernd Wilz und Jörg van Essen
ihre Reden zu Protokoll geben wollen.1) Sind Sie damit
einverstanden? - Das ist der Fall. Dann haben wir noch
zwei Redner.
Ich eröffne die Aussprache. Für den Antragsteller erhält zunächst die Abgeordnete Evelyn Kenzler das Wort.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Worum geht es in unserem
Antrag? Im Zweiten Weltkrieg, der von deutscher Seite
- darüber sind wir uns wohl alle einig - ein ungeheuerliches Verbrechen war, haben Zehntausende deutsche Soldaten nicht mehr mitgemacht. Sie haben den Kriegsdienst
für das Hitler-Regime verweigert und sind zum Gegner
übergelaufen, wie manche verächtlich sagen, oder, wie
ich sage: unter dem Risiko, ihr Leben zu verlieren, von der
falschen zur richtigen Seite gewechselt.
({0})
Eine solche Tat war subjektiv mutig, war objektiv gegen
das in der Menschheitsgeschichte schwerste Verbrechen
gerichtet und ist nach meiner Meinung aller Ehren wert.
Die Beweggründe der Soldaten mögen unterschiedlich
gewesen sein. Aber haben wir das Recht, uns heute hierüber noch ein Urteil zu erlauben?
Die Militärjustiz der Nazis hat 30 000 Todesurteile gegen Deserteure verhängt. Mehr als 20 000 davon wurden
vollstreckt. Mehrere Zehntausend Deserteure wurden zu
Zuchthausstrafen verurteilt oder in Konzentrationslager
oder Strafbataillone gesteckt. Die meisten sind dort ermordet worden. Heute gibt es nur noch circa 200 Überlebende.
Ich bin erst 20 Jahre nach der Befreiung vom Faschismus geboren worden; wir haben gerade vor zwei Tagen
den 56. Jahrestag begangen. Vielleicht verstehe ich deshalb umso eher die Enttäuschung der Betroffenen über die
gegenwärtige Regelung, ihren Protest, ihre Forderung
nach Gleichbehandlung mit anderen Opfergruppen
und ihre Ablehnung irgendwelcher Überprüfungen. Ich
glaube, dass es der Deutsche Bundestag den Opfern der
nationalsozialistischen Militärjustiz schuldig ist, die Unrechtsurteile per Gesetz aufzuheben,
({1})
ohne irgendeine rechtliche Grauzone zu hinterlassen oder
Entscheidungen im Einzelfall erforderlich zu machen,
und zwar auch, wenn zu erwarten ist, dass diese Entscheidungen positiv ausfallen würden.
Die Betroffenen halten die geltenden Regelungen zu
Recht für diskriminierend. Ihre und ihrer toten Kameraden Rehabilitierung ist für den Bundestag in meinen Augen ein Gebot des Anstandes, vor dem juristische Finessen unangemessen erscheinen.
({2})
Der Vorsitzende der Bundesvereinigung der Opfer
der NS-Militärjustiz, Ludwig Baumann, selbst ein zum
Tode Verurteilter und ein unermüdlicher Streiter für Ge-
rechtigkeit gegenüber den Toten und den wenigen Leben-
den, hat sich an meine Fraktion mit der Bitte gewandt,
dieses Gebot im Bundestag zur Sprache zu bringen. Dem
sind wir mit unserem Antrag gefolgt. Wer oder was sollte
uns davon abhalten, mehr als ein halbes Jahrhundert
nach dem Sieg der Anti-Hitler-Koalition den Opfern der
Militärjustiz Gerechtigkeit und Gleichbehandlung mit
1) Anlage 4
anderen Opfern zuteil werden zu lassen und sie eindeutig
und ohne Vorbehalt zu rehabilitieren?
({3})
Unser Antrag greift einen Vorschlag der Fraktion der
SPD aus der 13. Wahlperiode wieder auf. Damit wollen
wir die SPD keinesfalls vorführen, sondern lediglich
den Überlegungsprozess etwas beschleunigen. Wir gehen
nur von der doch wohl berechtigten Annahme aus, dass
dieser Vorschlag damals genau überlegt war, juristisch
einwandfrei ist, keinem so langwierigen Prüfungsbedarf
unterliegt und heute im Bundestag mehrheitsfähig ist.
Ich hebe das damalige Engagement von Frau DäublerGmelin und Herrn Volker Beck hervor und bitte die Koalitionsfraktionen und die Regierung, ihre zögerliche Haltung aufzugeben und zu bedenken, dass jeder Tag weiterer
Prüfung der Rechtslage eine moralische Tortur für die immer weniger werdenden Opfer wird. Ich darf bei dieser
Gelegenheit auch an die Beiträge meiner eigenen Kollegen aus der 13. Wahlperiode erinnern, nämlich an den
Beitrag des in der Gefangenschaft zum Antifaschisten gewordenen Heinrich Graf Einsiedel, an den des ehemaligen
Deserteurs und Widerstandskämpfers Gerhard Zwerenz
sowie an den meines Vorgängers als rechtspolitischer
Sprecher der PDS, Uwe-Jens Heuer.
Die Wehrmachtsdeserteure verlangen Gerechtigkeit.
Die Staatskasse wird durch ihre Forderung nicht belastet.
Eine wohl verkraftbare finanzielle Belastung würde durch
die Verwirklichung von Teil III Ziffer 3 unseres Antrages
im Hinblick auf die erweiterten Zahlungen an Ehegatten
und Kinder von Wehrmachtsdeserteuren entstehen.
Es ist nach meinem Empfinden nicht vertretbar, dass zu
Beginn des neuen Jahrtausends immer noch nicht alles
historisch, politisch-moralisch und juristisch Notwendige
zur Wiedergutmachung von faschistischen Verbrechen
geschehen ist. Unser Antrag soll als ein Beitrag zur Herstellung von Gerechtigkeit verstanden werden.
Danke.
({4})
Das Wort
hat jetzt der Kollege Volker Beck vom Bündnis 90/Die Grünen.
Meine Damen und Herren! Der Antrag der PDS gibt uns
erneut Gelegenheit, über das Thema der Rehabilitierung
der Wehrmachtsdeserteure und der anderen Opfer der NSMilitärjustiz zu debattieren. Eine konkrete Notwendigkeit
im parlamentarischen Sinne dafür gibt es nicht, weil der
Deutsche Bundestag aufgrund eines Antrags der Koalition im Dezember letzten Jahres einstimmig beschlossen
hat, dass die durch das NS-Aufhebungsgesetz geregelte
Problematik der Opfer der Militärjustiz erneut Gegenstand einer Gesetzgebungsinitiative sein soll. Ich hoffe,
wir bleiben bei dieser Frage auch nach ideologischen Diskussionen der Vergangenheit zusammen und werden das
Gesetz, das die Bundesregierung - wie sie uns gesagt
hat - noch in diesem Jahr einbringen will, gemeinsam
verabschieden. Ich kann nur sagen: Die Koalition wird die
Bundesregierung darin unterstützen, dieses Gesetz möglichst bald einzubringen, da es wichtig ist, dass möglichst
viele der wenigen Betroffenen, die noch leben, erleben,
dass ihnen die Würde und die Ehre ohne Zweifel
zurückgegeben wird.
({0})
Es geht bei der Problematik der Deserteure nicht um
die Frage, ob mutige Männer zur richtigen Seite übergelaufen sind. Es geht hier nicht um Mut. Es geht bei der
Frage nach der Rehabilitierung letztendlich darum: Hatte
das Dritte Reich, wie jeder andere Staat, ein Recht zur
Verurteilung von Deserteuren - wir billigen das in unserer Rechtsordnung durchaus zu - oder war dieser Staat,
weil er ein Unrechtstaat war, weil er einen verbrecherischen Angriffskrieg geführt hat, jeder Legitimität, von
seinen Bürgern Gehorsam zu verlangen, enthoben? Wir
müssen nach der Rechtsgrundlage, nach der ethischen
Grundlage für die Verurteilung von Deserteuren, ob sie
aus Feigheit, Angst oder aus Mut, politischer Überzeugung und Widerstandsgeist - beides hat es gegeben - von
der Front entflohen sind, fragen. Ich glaube, in beiden Fällen hatte das Dritte Reich kein Recht, von seinen Bürgerinnen und Bürgern Gehorsam zu verlangen, und hatte
deshalb auch keinen Strafanspruch gegen sie.
Das ist der entscheidende Ansatz, um beurteilen zu können, welche Urteile aufgehoben werden müssen. Das sind
wahrscheinlich auch die Fragen, die sich die Bundesregierung gegenwärtig stellt. Die Entscheidung darüber, welche
Paragraphen und welche Verordnungen in die Anlage zu § 2
des NS-Aufhebungsgesetzes aufgenommen werden, muss
danach fallen, aus welcher Perspektive man die Fragestellung nach der Rehabilitierung der Deserteure letztendlich
stellt. Ich glaube, der richtige Ansatz muss lauten: Wo hatte
das Dritte Reich das Recht, Strafen auszusprechen?
Nach meiner Meinung hatte die NS-Militärjustiz niemals das Recht, Strafen wegen Desertion, Fahnenflucht,
Kriegsdienstverweigerung oder anderer derartiger Vergehen zu verhängen. Selbstverständlich - das haben wir immer gesagt; das sagt auch der Bundesverband der Opfer
der NS-Militärjustiz - war es rechtmäßig, wenn jemand
im Dritten Reich wegen Diebstahl oder ähnlicher Delikte
zu einer angemessenen Strafe verurteilt worden ist, aber
eben nicht wegen der eben genannten Tatbestände. Deshalb sollten wir dafür sorgen, dass alle Todesurteile und
alle einschlägigen Verurteilungen wegen dieser Tatbestände aus der NS-Zeit aufgehoben werden.
Ich teile auch die im Antrag der PDS-Fraktion zum
Ausdruck kommende moralische Empörung darüber, wie
mit den Witwen und den Angehörigen der erschossenen
Deserteure umgegangen worden ist. Ich habe es nie verstanden, dass die entsprechende Richtlinie - ich möchte
ganz offen sagen, dass wir uns darum bisher leider vergeblich bemüht haben - nicht schon längst verändert worden ist. Ich habe nie verstanden, wie es die Bundesrepublik Deutschland erträgt, dass ein von Hitlers Schergen
erschossener Deserteur dem Finanzminister im Nachhinein billiger kommt als ein Deserteur, der bis zum Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens der Richtlinie überlebt hat.
Worin hier die Logik besteht, war mir immer unklar.
Wer die Geschichte der Bundesrepublik nach 1945
kennt, weiß, dass die Witwen von Deserteuren bis 1991
keinen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung aus dem
Bundesversorgungsgesetz hatten und dass sie nicht nur
sozialrechtlich schlechtgestellt waren, sondern auch gesellschaftlich ausgegrenzt waren, weil sie als Angehörige von
Verrätern, also von Menschen, die Schande über ihre Familien gebracht haben, galten. Auch darüber sollten wir noch
einmal diskutieren. Vielleicht müssen wir den entsprechenden Erlass, der ohnehin ausgelaufen ist, nicht verlängern.
Vielleicht können wir im Kontext des Projekts Bundesstiftung für die vergessenen Opfer des Nationalsozialismus,
dessen Realisierung sich die Koalition vorgenommen hat ich möchte offen bekennen, dass dieses Projekt noch unter
einem gewissen Finanzvorbehalt steht -, über die Frage, wie
mit den Witwen von Deserteuren umgegangen wird, erneut
diskutieren und wenigstens eine Geste zustande bringen. Ich
wünsche mir, dass dazu alle demokratischen Parteien einen
konstruktiven Beitrag leisten und Verantwortung für unsere
gemeinsame Geschichte übernehmen.
Vielen Dank.
({1})
Ich
schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/5612 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit ({0}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen
Parlaments und des Rates zur 20. Änderung
der Richtlinie 76/769/EWG des Rates zur
Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten für Beschränkungen des Inverkehrbringens und der Verwendung gewisser gefährlicher Stoffe und
Zubereitungen ({1})
KOM ({2}) 260 endg.; Ratsdok. 09773/00
- Drucksachen 14/4170 Nr. 2.70, 14/5374 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Carola Reimann
Dr. Christian Ruck
Winfried Hermann
Eva Bulling-Schröter
Auch hierzu sollen alle Reden zu Protokoll gegeben
werden, nämlich die der Kolleginnen Dr. Carola Reimann
von der SPD-Fraktion, Marie-Luise Dött von der
CDU/CSU-Fraktion, Birgit Homburger von der F.D.P.-
Fraktion und Eva Bulling-Schröter von der PDS-Fraktion
sowie des Kollegen Winfried Hermann von der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.1) Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann verfahren wir so.
Wir stimmen nun über die Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung,
Drucksache 14/5374, ab. Der Ausschuss empfiehlt, in
Kenntnis des Vorschlags für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 76/769/EWG eine Entschließung anzunehmen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS
gegen die Stimmen der CDU/CSU und bei Enthaltung der
F.D.P. angenommen worden.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung
der Richtlinie 2000/52/EG der Kommission
vom 26. Juli 2000 zur Änderung der Richtlinie
80/723/EWG über die Transparenz der finanziellen Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten
und den öffentlichen Unternehmen ({3})
- Drucksache 14/5956 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({4})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
Auch in diesem Fall ist vorgesehen, dass alle Reden zu
Protokoll gegeben werden. Es handelt sich um die Reden
der Kollegen Lothar Binding, SPD, Hartmut Schauerte,
CDU/CSU, Michaele Hustedt, Bündnis 90/Die Grünen,
Rainer Funke, F.D.P., und Heidemarie Ehlert, PDS.2) Sind
Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall.
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfes auf Drucksache 14/5956 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall.
Dann ist diese Überweisung so beschlossen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 11. Mai 2001, 9 Uhr,
ein.
Die Sitzung ist geschlossen.