Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 3/29/2001

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Jörg Essen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000495, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die F.D.P.-Bundestagsfraktion beantragt die Rücküberweisung der Mietrechtsvorlagen an die beratenden Ausschüsse. Wir tun dies nicht, weil wir die Geschäftsordnung des Bundestages verletzt sehen. Aber wir sind nicht bereit, länger zuzusehen, wie die Regierungsmehrheit mit legitimen Rechten des Parlaments umgeht. ({0}) Das Mietrecht ist keine rechtliche Materie, die ausschließlich den Rechtsausschuss zu interessieren hat. Es ist völlig klar, dass diese Materie auch für das Bau- und Wohnungswesen eine große Bedeutung hat. In dem dafür zuständigen Ausschuss ist die Regierungsmehrheit mit der Opposition und mit dem Parlament insgesamt in einer absolut inakzeptablen Weise umgegangen. ({1}) Am 7. März 2001 hat die Koalition mit der Begründung, es seien noch viele Anträge mit inhaltlichen und redaktionellen Änderungen zu erwarten, die Verschiebung der Beratungen durchgesetzt. Es wurde außerdem darauf hingewiesen, dass noch ausreichend Beratungszeit zur Verfügung stehe, weil ein Abschluss im März nicht zu erwarten sei. Nur eine Woche später sollte auf Druck der Regierungskoalition die Beratung dann plötzlich bis 10.30 Uhr abgeschlossen werden, damit das Votum dem federführenden Rechtsausschuss noch vorgelegt werden könne. Dies war angesichts der Fülle von Änderungen natürlich nicht möglich. Ein Parlament, das diese Vorgehensweise bei einer so wichtigen Reform zulässt, gibt sich auf. Zu bemerken ist auch, dass dies nicht der erste Vorgang dieser Art ist. ({2}) Gerade die völlig einseitigen Verbesserungen des Mietrechts zugunsten der Mieter müssen sorgfältig abgewogen werden. Manche Regelungen sind nur auf den ersten Blick für die Mieter günstig. Wenn etwa das Angebot an Wohnungen zurückgeht, steigen natürlich die Mieten. Gerade die sozial schwächeren Mieter hätten die Folgen zu tragen. ({3}) Das muss bei einer solchen Regelung natürlich bedacht werden. Deshalb muss dies auch dem federführenden Rechtsausschuss bei seiner Beratung bekannt sein. ({4}) Die F.D.P.-Bundestagsfraktion nimmt die Beschneidung der berechtigten Interessen der mitberatenden Ausschüsse, aber auch des Parlaments insgesamt nicht länger hin. Wir bitten Sie deshalb um Zustimmung zu unserem Antrag. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Alfred Hartenbach, SPD-Fraktion.

Alfred Hartenbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002669, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich möchte vorab verkünden, dass ich in dieser Geschäftsordnungsdebatte auch für den Koalitionspartner spreche. ({0}) Das ist, an die rechte Seite hier im Hause gerichtet, ein deutlicher Hinweis darauf, wie eng wir miteinander vernünftige Sachpolitik betreiben. ({1}) Heute ist Donnerstag, ({2}) ein ganz normaler Donnerstag für das deutsche Parlament. Das deutsche Volk geht davon aus, dass dieses deutsche Parlament an einem ganz normalen Donnerstag um 9 Uhr morgens in eine Sachdebatte einsteigt. ({3}) Was aber machen Sie? Seit Monaten müssen wir mit ansehen, wie Sie inhaltsleer, ideenlos, ohne jegliche Fantasie und ohne irgendwelche eigenen Vorstellungen uns hier Donnerstagmorgen für Donnerstagmorgen bei Plenarsitzungen mit Geschäftsordnungsdebatten überziehen. ({4}) Präsident Wolfgang Thierse Die Menschen draußen erwarten, dass wir hier eine vernünftige Politik machen. Was machen Sie? - Geschäftsordnungsdebatten! ({5}) Das zeigt, dass Sie überhaupt nichts anderes mehr können, als Geschäftsordnungsdebatten zu führen. ({6}) Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, diese Debatte ist so überflüssig wie nur etwas. ({7}) Unter normalen Menschen, unter anständigen Menschen ({8}) würde man sagen: Diese Opposition stiehlt uns die Zeit. ({9}) Herr Präsident, ich weiß nicht, ob der Ausdruck, den ich gebrauchen will, unparlamentarisch ist, deswegen denke ich ihn nur: Solche Menschen, so denke ich, könnte man mit Fug und Recht als Zeitdiebe bezeichnen. ({10}) Was ist denn eigentlich passiert? Van Essen hat gesagt: Nichts ist passiert; geschäftsordnungsmäßig ist alles in Ordnung. - Also frage ich mich: Warum diese Geschäftsordnungsdebatte, wenn geschäftsordnungsmäßig alles in Ordnung ist? ({11}) Nun wollen wir das einmal auflisten: Im November des Jahres 2000 haben alle Beteiligten den Regierungsentwurf zum Mietrechtsreformgesetz überreicht bekommen. Ab November 2000 konnten alle darüber beraten, auch der beteiligte Ausschuss. Der beteiligte Ausschuss hat, wenn ich es richtig vorgefunden habe, ({12}) am 24. Januar und am 14. Februar 2001 darüber beraten. ({13}) Der mitberatende Ausschuss hat die Unterlagen rechtzeitig bekommen. ({14}) - Aber, Herr van Essen, Sie können nicht lesen; das weiß ich schon lange. ({15}) Wenn Sie richtig gelesen hätten, hätten Sie festgestellt, dass sich in den Kernaussagen bezüglich der Materie, die den Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen betreffen, fast nichts geändert hat und man hier durchaus auf Basis dessen, was vorlag, hätte weiter beraten können. Nun geschieht Folgendes: Am Freitag, den 9. März, mittags um 14 Uhr, liegt dem Bauausschuss der Änderungsantrag der Regierung und der Koalitionsfraktionen vor. ({16}) Am Montagnachmittag haben das alle bekommen. Ich kann doch erwarten, dass man sich hinsetzt und ein Gesetz, das man am Mittwochmorgen beraten will, bis dahin durchliest. Aber was macht die CDU/CSU, was macht die F.D.P. im Bauausschuss? - Sie beginnen nicht mit der Sachdebatte, sondern sie beginnen wieder - mit was wohl? - mit einer Geschäftsordnungsdebatte. ({17}) Selbstverständlich haben Sie auch dort wieder eine Stunde mit der Geschäftsordnungsdebatte verplempert, in der Sie gezeigt haben, dass Sie an der Sache gar nicht interessiert sind. Nun hätten wir im Rechtsausschuss noch lange gewartet, wenn nicht an diesem Tag auch die Union wiederum eine Sondersitzung ihrer Fraktion gehabt hätte. Warum hat sie eine Sondersitzung der Fraktion gehabt? - Um uns am nächsten Morgen mit einer Geschäftsordnungsdebatte zu überziehen! ({18}) So sieht das nämlich aus. Es war ausreichend Zeit für die Beratung. Der und die willens war, konnte das in Ruhe beraten. Jetzt noch etwas zu Ihnen, Herr van Essen. Wir haben im Rechtsausschuss Berichterstattergespräche gehabt, wie sie intensiver und besser nicht hätten sein können. Dort sind Sie über alles informiert worden. Da kann ich doch zum Beispiel auch erwarten, dass die Kolleginnen und Kollegen aus der Opposition so, wie wir es gemacht haben, ihre Mitglieder in den mitberatenden Ausschüssen über das, was sich getan hat, informieren. Das sehe ich als Zusammenarbeit innerhalb einer Fraktion an. Aber wenn Sie nur im eigenen Saft schmoren, kann ich es nicht ändern. Lassen Sie mich Ihnen von der F.D.P., die Sie ja nun die 18 Prozent anstreben, zum Schluss noch etwas mit auf den Weg geben. ({19}) Wer sich auf 18 Prozent einrichtet, wer meint, er könne uns im Jahr 2002 auseinander dividieren, und sich als Regierungspartei andient, der sollte ab sofort, egal wo er sich befindet, mit Sachdebatten beginnen. ({20}) Die Geschäftsordnungsdebatten, die Sie im Moment machen, sind die Fingerübungen eines Eleven in der Politik. ({21}) Diese Fingerübungen gehören auf die Oppositionsbank. Dort sollten Sie noch lange bleiben. ({22})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Hans-Peter Repnik, CDU/CSU-Fraktion.

Hans Peter Repnik (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001825, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich hatte fast das Gefühl, der Kollege Hartenbach redet bis zum Freitag weiter, nachdem er uns darauf hingewiesen hat, dass wir heute Donnerstag haben. ({0}) Wir unterstützen den Antrag der F.D.P. aus mehreren Gründen. Der Gesetzentwurf, der heute auf der Tagesordnung steht und über den wir hier reden, reiht sich in eine Kette von eigentumsfeindlichen Gesetzen von Rot-Grün ein. ({1}) Wir diskutieren nicht nur das Mietrecht, sondern wir diskutieren derzeit im Vermittlungsverfahren auch die Rentenreform, mit der die Häuslebauer kalt enteignet werden sollen. ({2}) Dem Bundesrat liegt diese Woche ein Gesetzentwurf von SPD-regierten Ländern zur Erhöhung der Erbschaftsteuer um 50 Prozent vor. ({3}) Selbst die Fachverbände sprechen hier von einer Wählertäuschung. Was sich Neue Mitte nennt, entpuppt sich als alte Linke. Die Koalition betreibt eine Reideologisierung in dieser Frage. ({4}) Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, weil Sie in diesen Fragen die öffentliche Diskussion scheuen, wählen Sie ein Verfahren, das in diesem Punkt nach unserer Überzeugung mit der Geschäftsordnung kollidiert. Der Kollege Hartenbach hat die Sachdebatte gefordert. ({5}) Wir stellen uns der Sachdebatte. Aber genau das, was Sie, Kollege Hartenbach, heute früh hier im Plenum fordern, haben Sie den Fachpolitikern im Ausschuss in den letzten Wochen verwehrt. Das ist doch der Sachverhalt. ({6}) Herr Kollege Hartenbach, ich weiß, dass Sie ein geschätztes Mitglied des Rechtsausschusses sind. Aber bevor Sie hier zu diesem Thema eine Geschäftsordnungsdebatte führen, hätten Sie sich bei Ihren Kollegen erkundigen sollen, was im Wohnungsbauausschuss los war. ({7}) Hier waren Sie ganz offensichtlich schlecht informiert. Den Kollegen im Wohnungsbauausschuss wurde die Chance genommen, ihren Sachverstand entsprechend einzubringen. Tatsache ist, dass der federführende Rechtsausschuss den Wohnungsbaupolitikern keine Frist gesetzt hat, dass die SPD-Vertreter im Wohnungsbauausschuss gesagt haben, man habe bis April Zeit, und dass dieser Tagesordnungspunkt im Wohnungsbauausschuss einvernehmlich von der Tagesordnung genommen worden ist. ({8}) Anschließend hat der Rechtsausschuss ohne das Votum des Wohnungsbauausschusses abgestimmt. Das ist der Sachverhalt. Jetzt komme ich noch einmal zur Geschäftsordnung: Wir haben hier eine eindeutige Regelung, in der es heißt, dass der federführende Ausschuss, wenn das Votum des mitberatenden Ausschusses nicht vorliegt, die Beratung nur vorläufig abschließen darf. Sie wissen auch, Kollege Hartenbach, dass es dazu im letzten Jahr sogar eine eindeutige Interpretation des Geschäftsordnungsausschusses gab, die nach unserer festen Überzeugung in dieser Frage verletzt worden ist. Von daher sehen wir die Rechte des Wohnungsbauausschusses und auch die verfassungsmäßigen Rechte der Kolleginnen und Kollegen verletzt, die keine Chance gehabt haben, sich hier mitberatend einzubringen. ({9}) Meine Damen und Herren, diese Geschäftsordnungsdebatte rechtfertigt sich nicht nur aus dem heute zur Diskussion stehenden Einzelfall, sondern dies hat System. Ich erinnere daran, dass in dieser Woche am Vorabend einer Umweltausschusssitzung eine dicke Liste von Änderungsvorschlägen eingebracht worden ist. Die Opposition hat daraufhin im Umweltausschuss gefordert, man möge den Abgeordneten Zeit geben, sich inhaltlich mit den Änderungsanträgen auseinander zu setzen, und die Beratung zu vertagen. Das ist abgelehnt worden. Ferner erinnere ich an die Beratung der Gesundheitsreform im letzten Jahr sowie der Reform der gewaltfreien Erziehung. Was also den Umgang der Mehrheit mit der Minderheit in diesem Parlament angeht, so hat dies System. Meine Damen und Herren, wir von der CDU/CSUFraktion fordern nicht mehr und nicht weniger, als dass die Gesetze zumindest handwerklich ordentlich gemacht werden. Wahren Sie die Rechte des Hauses und halten Sie das gebotene Verfahren ein! Weil das Verfahren in diesem Fall nicht eingehalten wurde und die Rechte der Abgeordneten verletzt wurden, fordern wir, dass dieser Gesetzentwurf an den federführenden Ausschuss und die mitberatenden Ausschüsse zurückverwiesen wird. Stimmen Sie also deshalb dem Antrag der F.D.P. zu! Meine Fraktion stimmt dem Antrag zu. Vielen Dank. ({10})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Nun erteile ich der Kollegin Heidi Knake-Werner von der PDS-Fraktion das Wort.

Dr. Heidi Knake-Werner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002700, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die PDS-Fraktion wird dem Rücküberweisungsantrag der F.D.P. zustimmen. ({0}) Auch wir sind der Auffassung, dass eine sachgerechte Mitberatung im Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen nicht möglich war und insofern ein ordnungsgemäßes Verfahren nicht stattgefunden hat. Wir kritisieren vor allem, dass durch die zeitlichen Vorgaben des federführenden Rechtsausschusses der mitberatende Fachausschuss dermaßen unter Druck gesetzt worden ist, dass eine akzeptable, sachgerechte Beratung nicht möglich war. In nur einer Stunde sollte der ganze Gesetzentwurf einschließlich 87 Änderungsanträgen beraten werden, die, wie übrigens sehr häufig, erst kurzfristig eingebracht wurden. Wir halten dies einfach für unzumutbar und meinen, dass die Arbeit so nicht seriös zu erledigen ist, zumal bei einem Gesetz, das Sie selber als ein ganz wichtiges Reformvorhaben dieser Legislaturperiode bezeichnen und das für 50 Millionen Menschen in der Bundesrepublik von großer Bedeutung ist und ihnen ja wohl auch für längere Zeit Rechtssicherheit bringen soll. ({1}) Insofern ist es notwendig, hier eine vernünftige Beratung zu ermöglichen, vor allem, da Sie immer wieder die Sachdebatte einfordern. Der Wohnungsausschuss ist dementsprechend mit seiner Beratung nicht rechtzeitig fertig geworden. Als sein Votum beim Rechtsausschuss eintraf, hatte dieser seine Beratung bereits abgeschlossen. Nun könnte man sagen, das sei ein bloßer Formfehler, über den man hinwegsehen könne, um den „Laden“ hier nicht aufzuhalten. Das könnte man natürlich, wenn der Anlass für diese Geschäftsordnungsdebatte in der Tat die Ausnahme wäre. Aber auch wir müssen gerade in letzter Zeit feststellen, dass es hier nicht um die Ausnahme, sondern eher um die Regel geht. ({2}) Wir akzeptieren diesen Formfehler nicht, weil damit die Rolle der mitberatenden Fachausschüsse überflüssig gemacht wird. Wir akzeptieren diesen Formfehler nicht, weil dies für die politische Kultur in diesem Haus schlecht ist und uns wirklich niemand mehr abnimmt, dass wir wenigstens in der Fachberatung unterschiedliche Sichtweisen zur Kenntnis nehmen, einander zuhören und nach Sachlage entscheiden. Auch hier dominieren vielmehr im weitesten Sinne wirklich nur die Mehrheiten. Es häufen sich doch die Beschwerden aus den Fachausschüssen - das wird Ihnen allen doch so gehen -, dass umfangreichste Reformvorhaben im Hauruckverfahren durchgezogen werden sollen. Knappe Zeitleisten und kurzfristig zu bewältigende Papierberge beeinträchtigen die Mitwirkungsmöglichkeiten gerade der mitberatenden Ausschüsse und natürlich auch der entsprechenden Fachpolitikerinnen und Fachpolitiker. Solche Bedingungen behindern nicht zuletzt auch die Mitwirkungsmöglichkeiten der Oppositionsparteien und schränken ihre Minderheitenrechte in unerträglicher Weise ein. ({3}) Das verschlechtert das Arbeitsklima und die Diskussionskultur in diesem Hause. Wir merken das gerade in den letzten Wochen sehr deutlich. Deshalb sagen wir von der PDS: Wir finden, die Mehrheit sollte ihre Mehrheit nicht dazu missbrauchen. Vielen Dank. ({4})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Wir kommen nun zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der F.D.P. auf Absetzung des Tagesordnungspunktes 3 und Rücküberweisung der beiden Gesetzentwürfe an den federführenden Rechtsausschuss sowie den mitberatenden Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen. Ich gehe davon aus, dass über beides gemeinsam abgestimmt werden soll. Wer stimmt für den Antrag der Fraktion der F.D.P.? Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen der SPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von CDU/CSU, F.D.P. und PDS abgelehnt. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf: - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neugliederung, Vereinfachung und Reform des Mietrechts ({0}) - Drucksache 14/4553 ({1}) - Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Rainer Funke, Michael Goldmann, Horst Friedrich ({2}), weiteren Abgeordneten und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Vereinfachung des Mietrechts ({3}) - Drucksache 14/3896 ({4}) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({5}) - Drucksache 14/5663 Berichterstattung: Abgeordnete Margot von Renesse Ronald Pofalla Helmut Wilhelm ({6}) Dr. Evelyn Kenzler Zum Entwurf des Mietrechtsreformgesetzes liegen je ein Änderungsantrag der Fraktion der F.D.P. und der Fraktion der PDS sowie ein Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU vor. Über den Entwurf des Mietrechtsreformgesetzes werden wir nachher namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält der bereits vor mir stehende Kollege Dirk Manzewski, SPD-Fraktion.

Dirk Manzewski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003177, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am heutigen Tag beraten wir abschließend über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Mietrechtsreform. Dem Mietrecht kommt im alltäglichen Leben eine besondere Bedeutung zu, auch wenn dies vielleicht nicht immer so wahrgenommen wird. Millionen von Menschen sind als Mieter auf gute und bezahlbare Wohnungen angewiesen. Für Millionen von Vermietern gehören Mieteinnahmen zur Sicherung ihrer Lebensgrundlage. Das geltende Mietrecht wird den heutigen Anforderungen von Gesellschaft und Wirtschaft jedoch längst nicht mehr gerecht. Es trägt weder den gewandelten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebensverhältnissen noch der veränderten Wohnungsmarktsituation Rechnung. Soweit im Mietrecht überhaupt einmal eine Systematik existierte, ist diese längst nicht mehr erkennbar. Änderungen und Ergänzungen haben das Mietrecht vielmehr immer komplizierter, unübersichtlicher und sprachlich schwer verständlich gemacht. ({0}) Mit ihrem Gesetzentwurf ist es der Bundesregierung nun gelungen, das Mietrecht den heutigen Erfordernissen anzupassen und dabei einen gerechten Ausgleich zwischen den Interessen von Mietern und Vermietern zu erzielen. ({1}) Der Begriff Reform trifft hier zu. Reform bedeutet Verbesserung und Neuordnung des Bestehenden und genau dies ist hier erfolgt. Ich halte es nun einmal für eine Verbesserung, wenn das Mietrecht übersichtlicher, verständlicher und transparenter wird. Ich halte es für fortschrittlich, wenn es den Mietparteien dadurch eher gelingt, ihre Rechte und Pflichten auch ohne anwaltlichen Beistand zu erkennen, ({2}) und ich halte es für zeitgemäß und längst überfällig, wenn sich das Mietrecht endlich inhaltlich an den veränderten gesellschaftlichen Bedingungen orientiert. ({3}) Natürlich gelingt es bei einer Reform nie, allen Forderungen sämtlicher Interessenverbände gerecht zu werden oder diese zu erfüllen; das liegt in der Natur der Sache. Ich meine aber, dass es der Bundesregierung gelungen ist, einen insgesamt ausgewogenen Gesetzentwurf vorzulegen, der den berechtigten Interessen aller Beteiligten gerecht wird, und darauf kommt es doch an. Wichtig ist doch nicht, ob die Reform in einzelnen Punkten zu einer Verlagerung der Rechte oder der Pflichten der Mietparteien führt. Entscheidend ist doch allein, ob sie sachgerecht ist oder nicht. Man kann in diesem Zusammenhang deshalb vor allem nicht unberücksichtigt lassen, dass sich die gesellschaftlichen Verhältnisse gerade in den letzten 20 Jahren radikal geändert haben. Die Anforderungen an das Mietrecht von heute sind ganz andere als die von gestern. Die Gesellschaft von heute fordert eine unglaubliche Flexibilität und Mobilität ihrer Bürger. Was ist falsch daran, die entsprechenden Gesetze dem anzupassen? ({4}) Die Einführung asymmetrischer Kündigungsfristen war deshalb längst überfällig und zeitgemäß. Die im Vorfeld dieser Debatte hieran geäußerte Kritik halte ich für völlig überzogen und verfehlt. Man kann doch nicht ignorieren, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass die Situation auf Mieterseite eine völlig andere ist als auf Vermieterseite. ({5}) Ich kann nicht von einem Mieter, der Arbeitnehmer ist, überspitzt gesagt, einerseits fordern, heute in München, morgen in Frankfurt und übermorgen in Rostock tätig zu sein, ihn andererseits aber mit langfristigen Mietverträgen binden. Das ist alles andere, nur nicht modern und zeitgemäß. ({6}) Wer Flexibilität und Mobilität im Arbeitsleben fordert, dem würde es auch gut zu Gesicht stehen, die Rahmenbedingungen hierfür zu schaffen. Man kann seine Augen auch nicht davor verschließen, dass unsere Bevölkerung immer älter wird. Es wird daher immer häufiger dazu kommen, dass Seniorinnen oder Senioren kurzfristig in ein Alten- oder Pflegeheim umziehen müssen. Lange Kündigungsfristen für die Wohnung sind dann einfach nicht zumutbar. Präsident Wolfgang Thierse Diese Veränderungen müssen in einem Mietrecht von heute Berücksichtigung finden und das tun sie im vorliegenden Gesetzentwurf auch durch die kürzeren Kündigungsfristen für Mieter. ({7}) Andererseits kann man einem Mieter, der 15 Jahre lang in einem bestimmten Berliner Kiez gelebt hat, der dort verwurzelt ist und sein soziales Umfeld hat, dessen Kinder dort in den Kindergarten oder in die Schule gehen, nicht zumuten, nach einer Kündigung aus der Not heraus gleich die erstbeste ihm angebotene Wohnung anzunehmen. Man muss ihm zugestehen, zunächst zu versuchen, in seinem alten Umfeld eine adäquate Wohnung zu finden. Dies kann doch nicht ernsthaft bestritten werden. Daraus ergibt sich auch, dass der Mieter typischerweise schutzbedürftiger ist als der Vermieter. ({8}) Kündigt der Vermieter, verliert der Mieter seine Wohnung und sein unmittelbares Wohnumfeld. Der Mieter ist zu Recht deshalb umso schutzwürdiger, je länger er in der Wohnung gelebt hat. Dem tragen die im Gesetzentwurf vorgesehenen, nach Dauer des Mietverhältnisses differenzierten Kündigungsfristen für den Vermieter zutreffend Rechnung. ({9}) Kündigt der Mieter, verliert dagegen der Vermieter seine Wohnung nicht. Er ist damit nicht vergleichbar schutzwürdig. Ihm reichen in der Regel drei Monate, einen neuen Mieter zu finden. Im Übrigen möchte ich noch einmal kurz daran erinnern, dass die Kündigungsfristen zum Schutz des Mieters eingeführt worden sind und nicht zur Vermeidung von Leerstand, wie offensichtlich einige meinen. ({10}) Auch die Kritik an der Senkung der Kappungsgrenze ist meines Erachtens nicht berechtigt. Wenn behauptet wird, die Senkung der Kappungsgrenze sei nicht hinnehmbar oder ein falsches Signal für Investoren, so halte ich das für puren Unsinn. Investiert wird dort in den Wohnungsbau, wo es sich lohnt. Das heißt, in Gegenden mit großem Leerstand wie gerade in vielen ostdeutschen Städten wird niemand bauen, selbst wenn man dort bei der Mieterhöhung frei wäre. Umgekehrt wird eine noch so geringe Möglichkeit, Mieterhöhungen vorzunehmen, Investoren dort nicht abschrecken, wo Rendite zu erwarten ist. So ist das nun einmal. ({11}) Seien wir doch einmal ganz ehrlich, liebe Kolleginnen und Kollegen! Worüber reden wir in diesem Zusammenhang eigentlich? Circa 5 Prozent Mieterhöhung werden tatsächlich im Durchschnitt vom Vermieter verlangt. Das heißt, die Kappungsgrenze für Mieterhöhungen wird heutzutage ohnehin nicht ausgeschöpft. Die Senkung der Kappungsgrenze von 30 Prozent auf 20 Prozent tut dem Vermieter also in der Regel überhaupt nicht weh. ({12}) - Nun hören Sie doch einmal zu, Herr Pofalla! - Dem Mieter allerdings hilft sie dort, wo Ballungsgebiete mit vielen Menschen und wenig Wohnraum sind, und natürlich dort, wo spekuliert wird. Deswegen ist es völlig in Ordnung, eine Reduzierung der Kappungsgrenze vorzunehmen. ({13}) - Sie müssen zuhören und nicht dazwischenschreien! Dann verstehen Sie das vielleicht auch. ({14}) Gerade junge Familien mit Kindern und alte Menschen haben unter Mieterhöhungen häufig zu leiden. Diesen wollen und werden wir mit der Senkung der Kappungsgrenze helfen. Dadurch zeichnet sich die sozial verantwortliche Politik dieser Regierungskoalition aus, und dazu stehen wir. ({15}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich verhehle nicht, dass mit der Mietrechtsreform nicht alle Probleme des Mietrechts gelöst worden sind. Das konnten sie meiner Auffassung nach aber auch gar nicht. So hätte ich mir natürlich gewünscht, dass wir das Problem der Schönheitsreparaturen gelöst hätten. ({16}) - Herr Kollege, in der Praxis hat sich jedoch gezeigt, wie unglaublich schwierig es ist, gerade diesen Bereich zu regeln. Es wäre schön gewesen, wenn Sie hier nicht nur „Aha!“ dazwischenschrien, sondern an den Beratungen teilgenommen hätten. ({17}) Ich erinnere daran, dass eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe eingesetzt worden ist, der es nicht gelungen ist, sich auf einen Gesetzestext zu verständigen. Das ist die Tatsache gewesen. Sie hat zu ihrem Bericht extra ein kleines Büchlein zur Frage der Schönheitsreparaturen herausgebracht und musste eingestehen, dass sie keine Gesetzestextversion finden konnte, die den Interessen sämtlicher Beteiligten gerecht wird. Das kann man doch nicht einfach ignorieren. ({18}) Auch im Laufe dieses Gesetzgebungsverfahrens konnte von niemandem eine Regelung präsentiert werden, die ausgewogen die Interessen beider Vertragsparteien berücksichtigt. Sollte hier jemand den Stein der Weisen finden - das gestehe ich Ihnen gerne zu, Herr Kollege und einen konkreten Vorschlag unterbreiten, der gleichermaßen die Interessen von Vermietern und Mietern berücksichtigt, dann sind wir sicherlich die Letzten, die den hier vorgelegten, ohnehin schon hervorragenden Gesetzentwurf nicht im Nachhinein verbessern würden. Wir doch nicht! Wir würden das gerne machen, Herr Kollege. ({19}) - Herr Kollege, wir haben nichts gemacht? Wir haben ein modernes Mietrecht geschaffen. Ein modernes Mietrecht bedeutet auch eine inhaltliche Verbesserung. Das haben wir angepackt. Es wäre wünschenswert gewesen, dass auch Sie sich inhaltlich dazu geäußert hätten. Das haben Sie leider nicht getan. ({20}) Wie üblich haben Sie als Opposition nur kritisiert, haben aber andererseits interessanterweise in den Debatten auch eingestanden, dass eine Modernisierung des Mietrechts längst überfällig ist. ({21}) - Warum soll ich das nicht ungestraft sagen können? Ich tue es doch gerade. ({22}) Sie können gerne hierzu debattieren. Ich werde mich dann auch melden. Dann können wir uns prima über die Sache unterhalten. Ich hätte das gerne im Vorfeld gemacht. Leider sind Sie dazu nicht bereit gewesen. ({23}) Meine Damen und Herren, wir brauchen ein modernes Mietrecht. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung setzt meiner Auffassung nach insoweit Maßstäbe. Frau Ministerin, ich möchte Sie hierzu beglückwünschen und mich für die konstruktive Zusammenarbeit mit Ihrem Haus bedanken. Danke schön. ({24})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Ronald Pofalla, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Ronald Pofalla (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001726, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Alfred Hartenbach, ({0}) ich will zwei Anmerkungen zu Ihrem Geschäftsordnungsdebattenbeitrag machen. Erstens kann ich festhalten - Sie haben darauf hingewiesen -: Es ist Konsens auch mit der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, dass heute Donnerstag ist. ({1}) Zweitens. Wenn Alfred Hartenbach davon spricht, die Opposition stehle Zeit, und hier den Begriff „Zeitdiebe“ verwendet, dann wird deutlich, was schon länger in Sitzungen des Rechtsausschusses deutlich geworden ist: Sie würden am liebsten die Opposition abschaffen. ({2}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Chance für eine solide, gemeinsame Lösung zur Reform des Mietrechts ist vonseiten der Regierungskoalition vertan worden. Die Verantwortung für dieses traurige Beispiel mangelnder inhaltlicher Kooperationsbereitschaft und auch die Folgen dieser schlechten Mietrechtsreform trägt einzig und allein die Regierungskoalition von SPD und Bündnis 90/Die Grünen. ({3}) Die starre Haltung der Regierungskoalition hat sich während des Gesetzgebungsverfahrens trotz vernünftiger, sachbezogener Argumentation seitens der Union nicht geändert. Schlimmer noch: Von Anfang an ist hier nicht die kleinste Änderung vonseiten der Opposition zugelassen worden. Die Regierungskoalition will wider besseres Wissen durchsetzen, was sie in der Diskussion nicht überzeugend vertreten konnte. Diese starre Haltung ist im demokratischen Diskurs fehl am Platz. Warum tatsächlich keine Änderungsbereitschaft seitens der Regierungskoalition bestand, ist einfach zu erklären: Zum einen liegt dies an der Notwendigkeit eines Koalitionskompromisses und zum anderen an ideologischem Scheuklappendenken. Hier soll ein sozialistisches Pflichtprogramm absolviert werden. ({4}) Die Politik der so genannten Neuen Mitte findet sich bei dieser Mietrechtsreform nicht wieder. Stattdessen versucht die alte Linke hier im Deutschen Bundestag Mietrechtspolitik zu betreiben. ({5}) Das ewige - heutzutage vor allem falsche - Lied vom schwachen, armen Mieter und vom kapitalistischen, bösen Vermieter ertönt wieder einmal. ({6}) Die Segnungen der Sozialdemokratie sollen dem angeblich geschundenen Mieter nun aus seiner angeblich unterdrückten Position heraushelfen. Dieses veraltete Klassendenken hat dazu geführt, dass die große Chance einer gerechten und umfassenden Reform des Mietrechts tatsächlich nicht genutzt wurde. Selbst in ideologisch nicht so relevanten Nebenbereichen des Reformvorhabens gab es kein Entgegenkommen seitens der Regierungskoalition. Hingegen hat die CDU/CSU-Bundestagsfraktion von Anfang an Kooperationsbereitschaft gezeigt. Das Grundmuster der von der Regierung beabsichtigten Reform wurde respektiert. Viele neue Regelungen wurden wohlwollend zur Kenntnis genommen. Die von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion eingebrachten Änderungsanträge hätten als Basis für eine - das will ich betonen - gemeinsame, gerechte und ausgeglichene Reform dienen können. Doch die Regierungskoalition zeigt einmal mehr ihre Kompromissunfähigkeit. Gegen den Protest der Mieterund Vermieterverbände, gegen Proteste des Mietgerichtstages, gegen die Meinung anerkannter Sachverständiger, gegen Länderinteressen und gegen jede Vernunft soll nun der in Rede stehende Gesetzentwurf durchgesetzt werden. ({7}) Die angeblichen Entlastungen, die im Gesetzentwurf vorgesehen sind, schlagen über kurz oder lang auf die Mieter zurück; von tatsächlich ungerechten - vielleicht sogar verfassungswidrigen; darauf werde ich noch näher eingehen Regelungen gegenüber dem Vermieter ganz abgesehen. ({8}) Ich will hier nur einige Punkte anreißen, über die man sich, so denke ich, hätte verständigen können: Erstens. Da ist zum einen die Senkung der Kappungsgrenze von 30 auf 20 Prozent, ({9}) die ohnehin nur bei Mieten unterhalb der Vergleichsmiete wirksam wird. Dies ist eine insgesamt unnötige Maßnahme. ({10}) Der Wohnungsmarkt in Deutschland ist entspannt - übrigens aufgrund der Regierungspolitik der alten Koalition. ({11}) Im letzten Mietbericht der jetzigen Bundesregierung wurde festgestellt, dass der Mietmarkt in Deutschland entspannt ist. Dies kann bei einer 16-jährigen Vorgängerregierung nur auf deren Regierungspolitik zurückzuführen sein. ({12}) Eine Senkung der Kappungsgrenze führt letztlich nur dazu, dass die Vermieter umso konsequenter den vollen Rahmen der möglichen Erhöhungen ausnutzen. Diese Regelung schadet dem zukünftigen Bau von Mietwohnungen massiv und damit den Mietern, die dadurch bereits in zwei bis drei Jahren, wenn es in Deutschland zu wenig Wohnungen geben wird - wir werden uns dann hier im Deutschen Bundestag darüber unterhalten müssen -, höhere Mieten werden zahlen müssen. ({13}) Mit einer Politik der so genannten Neuen Mitte hat das nichts zu tun. Zweitens. Eine ebenfalls nicht hinzunehmende Regelung ist hinsichtlich des qualifizierten Mietspiegels beabsichtigt. Nicht Gemeinde und Interessenverbände der Mieter und Vermieter sollen den Mietspiegel festsetzen, sondern dieser soll alternativ von einem der beiden erstellt werden. De facto führt das dazu, dass die Gemeinde zur Preisbehörde wird. Neben einem Anstieg des Verwaltungsaufwandes hätte dies auch eine verstärkte politische Einflussnahme auf die Mietpreise zur Folge. Die in dem Gesetzentwurf aufgeführten „wissenschaftlichen Grundsätze“ sind als Maßstab zur Festlegung des Mietspiegels reine Augenwischerei. Die so genannten Grundsätze sind nicht geeignet, den erheblichen Spielraum der Behörde bei der Mietspiegelfestsetzung einzugrenzen. Sie haben die Chance vertan, ganz grundsätzlich über die Frage und die Funktion des Mietspiegels zu diskutieren. Wir hätten sehr wohl darüber diskutieren können, ob der Mietspiegel überhaupt noch die Funktion erfüllt, die ihm ursprünglich zugewiesen worden war. Das Instrument des Mietspiegels ist kostenaufwendig, verwaltungsaufwendig und ist im Ergebnis in den allerwenigsten Fällen wirklich eine Hilfe für die Mieter. Diese Frage zu diskutieren waren Sie aber nicht bereit. ({14}) Drittens. Die Melodie der „Internationale“ meint man leise im Hintergrund zu hören, wenn es um die zeitlich unterschiedlichen Kündigungsfristen von Mietern und Vermietern geht. ({15}) Zum ersten Mal seit dem Bestehen der Bundesrepublik Deutschland wird durch die Regierungskoalition die soziale Symmetrie zwischen Vermietern und Mietern einseitig aufgekündigt. Dies lehnen wir ab. ({16}) Ich sage Ihnen voraus: Diese Regelung wird vor dem Bundesverfassungsgericht verhandelt ({17}) und dort womöglich wegen Verfassungswidrigkeit aufgehoben werden. Die Situation von Mieter und Vermieter ist in den meisten Fällen längst nicht mehr so unterschiedlich, dass Kündigungsfristen von deutlich unterschiedlicher Dauer gerechtfertigt wären. Gerade der private Kleinvermieter wird durch solche Regelungen abgeschreckt. Mit einer Politik der so genannten Neuen Mitte hat das nichts zu tun. ({18}) Viertens. Bei der geplanten Vertragsnachfolge - nicht nur der des Ehepartners - bei Tod des Mieters durch jede im Haushalt des Mieters aufgenommene Person kann ein Eigentümer unter Umständen über Jahre hinaus seine Einflussnahme darauf verlieren, wer sein Eigentum bewohnt. ({19}) Hier wird in eklatanter Weise in die Privatautonomie eingegriffen. Auch diesen Punkt lehnen wir entschieden ab. ({20}) Diese Form von uferlosen Zwangsverträgen ist unserer Rechtsordnung fremd. ({21}) Mit einer Politik der so genannten Neuen Mitte hat das, Herr Hartenbach, nichts zu tun. Die Reform ist auch praxisuntauglich. Der Deutsche Mietgerichtstag - mit dem sollten Sie sich einmal auseinander setzen ({22}) hat in aller Deutlichkeit betont: Die Reform soll ausgesetzt und auf ihre Praxistauglichkeit überprüft werden. An der Art und Weise der Beratung, insbesondere der zeitlichen Gestaltung, sieht man, wie viel Rücksicht Sie auf die fundamentalen Interessen des Mietgerichtstages genommen haben, nämlich überhaupt keine. Fünftens. Als Beispiel sei hier vor allem genannt, dass Schönheitsreparaturen nach wie vor nicht geregelt sind, obwohl in diesem Bereich Regelungsbedarf besteht und viele Streitigkeiten gerade hier entstehen. ({23}) Realität ist doch: Ein Mieter zieht aus. Der Vermieter inspiziert die Wohnung und brummt dem ehemaligen Bewohner einen unerwarteten Renovierungsauftrag auf. Zum Streitpunkt werden dann Löcher in Decken und Wänden, Stellen, wo Bilder oder Lampen waren. In Millionen von Mietverträgen werden die Schönheitsreparaturen auf die Mieter abgewälzt. Diese Missstände zu ändern waren Sie nicht bereit und in der Lage. Das zeigt, dass Sie in einem ganz zentralen Punkt versagt haben. ({24}) Der Mieter kann wieder einmal sehen, wo er bleibt. Nochmals - ich weiß, dass es Ihnen nicht gefällt, aber es ist so -: Mit einer Politik der so genannten Neuen Mitte hat das nichts zu tun. Sechstens. Auch die Interessen der Bundesländer werden in dem Gesetzentwurf gröblich missachtet. Am verheerendsten erscheint dabei die völlige Ignorierung der Wohnraumsituation in den neuen Bundesländern. Obwohl 30 Prozent der Wohnungen im Osten Deutschlands leer stehen und verfallen, soll eine Verwertungskündigung auch in Zukunft in den neuen Bundesländern ausgeschlossen sein. Dies ist angesichts einer längst nicht mehr bestehenden Wohnraumknappheit und angesichts der aus dem Ausschluss der Verwertungskündigung resultierenden Verhinderung von notwendigen Sanierungen und Abrissen absolut unverständlich. ({25}) Siebtens. Auch ökologische Gesichtspunkte bleiben in der neuen Mietrechtsreform völlig außen vor - und das ausgerechnet bei einer rot-grünen Regierung. ({26}) Ein Ausgleich der gesamtökologischen Interessen und der Interessen der Mietvertragsparteien hätte in den Gesetzentwurf aufgenommen werden können. Beispielsweise hätten Energieeinsparmöglichkeiten festgeschrieben werden können. Aber ich betone: hätten. Die so genannte große Mietrechtsreform ist eben nur halb gares Stückwerk und hat entscheidende Reformkomponenten außen vor gelassen. ({27}) Es bleibt festzuhalten: Bei dieser Reform steht die Ideologie jedem sinnvollen Kompromiss im Wege. ({28}) Vordergründige Mieterinteressen sollen auf Biegen und Brechen ausgebaut werden, doch führen die von der Bundesregierung angebotenen und von der Regierungskoalition mitgetragenen Lösungen gerade von einem sozial ausgeglichenen Mietrecht weg, da nur kurzfristige Lösungen angestrebt und langfristige Perspektiven außer Acht gelassen werden. Die Bundesregierung und die Fraktionen der Regierungskoalition vergessen, dass der beste Mieterschutz ein ausreichendes Angebot an modernen und gepflegten Wohnungen bei vernünftigen Mietpreisen ist. Durch Ihre Reform - das werden wir bereits in zwei bis drei Jahren sehen - wird genau dieser Umstand nicht eintreten, weil durch dieses Reformvorhaben die Bereitschaft, sich im Mietwohnungsmarkt investiv zu betätigen, zunichte gemacht wird. Die Bundesregierung hat das Angebot für eine Reform, die im breiten Konsens im Deutschen Bundestag möglich gewesen wäre, nicht genutzt. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat in den Beratungen des Rechtsausschusses anlässlich der Berichterstattergespräche hinlängliche Bereitschaft gezeigt, ({29}) zu einem gemeinsamen Reformvorhaben zu kommen. Aber die Sozialdemokraten standen wieder unter dem Teildiktat der grünen Fraktion. Sie waren nicht in der Lage, Kompromisse zu schließen. Sie waren nicht in der Lage, einen sinnvollen Interessenausgleich zwischen den Interessen der Mieter und der Vermieter vorzunehmen. Von daher ist die Möglichkeit, mit dieser Reform einen wirklichen Reformansatz zu schaffen, nicht nur vertan worden. Sie haben diese Reform vielmehr dazu genutzt, um altes ideologisches Denken umzusetzen. Sie schaden bereits in zwei bis drei Jahren - das ist erkennbar - den Interessen der Mieter. Dann werden wir uns hier im Deutschen Bundestag über die Auswirkungen dieser verfehlten Mietrechtsreform zu unterhalten haben. Herzlichen Dank. ({30})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile dem Kollegen Helmut Wilhelm, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

Helmut Wilhelm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002825, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ausgewogen, fair, klar, verständlich und darum auch für Vertragsparteien ohne fachlichen Beistand gut handhabbar - dies sind die neuen Attribute, die auf das Mietrecht hinfort zutreffen. ({0}) Ich bin stolz darauf, dass wir von SPD und Grünen den rund 60 Millionen Mietern und Vermietern in unserem schönen Land eine gelungene Mietrechtsreform präsentieren können. ({1}) Zusammen mit unserem Koalitionspartner konnten wir von Bündnis 90/Die Grünen unsere Vorstellungen von einem modernen und sozialen Mietrecht fast ohne Abstriche umsetzen. ({2}) Orientierung und Leitlinie des neuen Mietrechts sind die sich in fast 27 Jahren verändert habenden gesellschaftlichen Bedingungen. 27 Jahre - eine so lange Zeit musste verstreichen, bis der Gesetzgeber der Aufforderung des Bundestags von 1974, eine große Mietrechtsreform vorzulegen, nachgekommen ist. ({3}) Anders ausgedrückt: Die rot-grüne Reformregierung funktioniert prächtig, ({4}) und zwar zum Wohl aller in Deutschland lebenden Menschen. Das neue Mietrecht ist dabei ein Meilenstein rotgrüner Regierungsverantwortung. ({5}) Es ist auf das Interesse von Mietern, Vermietern und Investoren ausgerichtet. Als Streiter für die grüne Sache ist für mich besonders erwähnenswert: Es nützt der Umwelt. Zugleich wird die besondere Schutzbedürftigkeit von behinderten Menschen, älteren Mitbürgern und Familien hervorgehoben. So wird erstmals eine Regelung zur Barrierefreiheit in das Mietrecht aufgenommen. ({6}) Damit wird festgeschrieben, dass behinderte Mieter oder deren Angehörige im Bedarfsfall die Wohnung behindertengerecht umbauen können, wenn sie dem Vermieter eine zusätzliche Sicherheit für die zu erwartenden Rückbaukosten leisten. Dies, meine Damen und Herren von der F.D.P., ist ein Beispiel für sozial verantwortliche Politik, die natürlich auch die Interessen der Vermieter berücksichtigt. ({7}) Ich bin mir sicher, dass auch Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, diese Regelung irgendwann einmal zu schätzen wissen, nämlich spätestens dann, wenn Sie vielleicht - ich wünsche es Ihnen wirklich nicht - nicht mehr so agil durch die Welt laufen können wie heute. Die Kündigungsfristen für Mieter werden von bisher maximal zwölf Monaten auf drei Monate abgesenkt. Wenn der Arbeitsmarkt Berufstätigen eine hohe Mobilität abfordert, darf das Mietrecht nicht bremsen. ({8}) Gleichzeitig verkürzen sich die Kündigungsfristen für die Vermieter auf höchstens neun Monate. Auch das ist ein Beispiel für die Ausgewogenheit des Entwurfs bei Würdigung der unterschiedlichen Interessenlagen. Es ist wichtig, zu beachten, dass die Unterschiedlichkeit der Interessenlagen eine asymmetrische Behandlung in Bezug auf die Fristen erfordert. Ferner beachtet das neue Mietrecht alternative Formen des menschlichen Zusammenlebens. Künftig gilt für alle Paare gleiches Recht. Die anachronistische Diskriminierung homosexueller Lebensgemeinschaften im Falle des Todes eines Mieters wird beseitigt. Der schwule Partner oder die lesbische Partnerin kann in der vormals gemeinsamen Wohnung verbleiben. ({9}) Das neue Mietrecht belohnt umweltbewusstes Verhalten. Betriebskosten werden künftig verbrauchsabhängig berechnet; Mieter zahlen künftig das, was sie verbraucht haben. Diese Änderung wird sich verbrauchsmindernd auswirken und schont damit Geldbeutel wie Umwelt gleichermaßen. Umweltbewusste Modernisierungsmaßnahmen werden honoriert und kommen - durch niedrigere Nebenkosten - auch den Mietern zugute. Die energetische Beschaffenheit der Wohnung wird in der Begründung des Gesetzentwurfes als mietspiegelrelevantes Beschaffenheitskriterium herausgehoben. Dass die Mietrechtsnovelle ein Erfolg ist, hat sich schon in der Anhörung vor dem Rechtsausschuss abgezeichnet. ({10}) Die Experten waren sich in ihrer Grundaussage zu dem Vorhaben überwiegend einig. Sie haben den Entwurf gelobt, aber an einigen Stellen Veränderungen vorgeschlagen. Ich habe selten eine so intensive Einbindung und eine so gute Zusammenarbeit mit unabhängigen Experten aus Wissenschaft und Praxis sowie Verbänden erlebt wie bei diesem Gesetzesvorhaben. ({11}) Ich bin davon überzeugt, dass sich die dadurch erreichte Qualität des Entwurfs im mietrechtlichen Alltag zeigen wird. Mieter und Vermieter bzw. deren Interessenverbände werden die Signale des neuen Mietrechts aufnehmen und im beiderseitigen Interesse umsetzen. Dann wird hoffentlich die doch wohl nur populistische Kritik der Opposition verstummen, die leider auch noch heute rein klientelorientiert auf ein einseitiges und damit weniger soziales, weniger gerechtes und weniger ausgewogenes Mietrecht hinausläuft. Die doch etwas dürftigen Anträge von F.D.P. und Union zu unserem Gesetzentwurf lassen jedenfalls kaum einen anderen Schluss zu. Diese doch etwas mickrigen Anträge sind für mich in meiner Rede kaum einer weiteren Befassung wert. Seien Sie mir nicht böse, meine Damen und Herren von der F.D.P. und der Union. ({12}) Jetzt wird es offenbar, warum Sie es trotz vieler Anläufe in der Vergangenheit nie schaffen konnten, eine große Mietrechtsreform vorzulegen. Vor allem die F.D.P. hat jederzeit versucht, ihrem Deregulierungswahn entsprechend einseitig ihre Wählerschichten aus der Wirtschaft zu bedienen. Es verwundert schon sehr, dass die F.D.P. heute ihre soziale Ader entdeckt und mit ihrem Änderungsantrag die Mieter vor Eigentumsbildung schützen möchte. Das eigentliche Ziel dürfte wohl sein, Notaren eine zusätzliche Einkommensquelle zu sichern. ({13}) Ich kann es nicht oft genug wiederholen: Was für ein Glück, dass die Kolleginnen und Kollegen von CDU und CSU die F.D.P. in der vergangenen Legislaturperiode stoppen konnten, allerdings um den Preis der Handlungsunfähigkeit bezüglich einer Mietrechtsreform. ({14}) Regierung, SPD und Grüne haben sich auf keine Seite ziehen lassen. Herausgekommen ist ein gerechter und tragfähiger Interessenausgleich, der noch sehr lange Bestand haben wird. ({15})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile dem Kollegen Rainer Funke, F.D.P.-Fraktion, das Wort.

Rainer Funke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000624, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Notwendigkeit einer Mietrechtsreform ist auch in unseren Augen völlig unstreitig. Deswegen hat auch meine Fraktion einen Ihnen vorliegenden Gesetzentwurf formuliert und ebenso wie die Bundesregierung darauf Wert gelegt, das derzeit geltende, in zahlreiche Vorschriften zersplitterte Recht in einem Gesetzentwurf, und zwar in lesbarer Form, zusammenzufassen. Dies ist der Bundesregierung mit ihrem Gesetzentwurf, zumindest was die handwerkliche Seite angeht, genauso gelungen wie der F.D.P.-Fraktion. Das liegt natürlich auch daran, dass wir hier gemeinsame Wurzeln haben. Aber ein Gesetz ist nicht danach zu beurteilen, wie es formal gestaltet ist. Vielmehr kommt es auf den Inhalt an. ({0}) Der Gesetzentwurf der Bundesregierung kann inhaltlich in keiner Weise befriedigen. Das liegt vor allem daran, dass die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen einseitig die Mieterinteressen in den Vordergrund gestellt haben. Es ist kein Gesetzentwurf, der die Interessenlagen von Vermietern und Mietern als gleichberechtigte Vertragsparteien ausgewogen berücksichtigt. ({1}) Dies wird unter anderem an den unterschiedlichen, asymmetrischen Kündigungsfristen für Mieter und Vermieter deutlich. ({2}) Während die Mieter das Recht zu verkürzten Kündigungsfristen von drei Monaten erhalten, wird der Vermieter auf die im Vergleich zum bisherigen Recht nahezu unverändert langen Kündigungsfristen verwiesen. Damit wird das Leerstandsrisiko einseitig auf den Vermieter abgewälzt. ({3}) Helmut Wilhelm ({4}) Als Begründung wird angegeben, der Mieter müsse gerade wegen der Arbeitsmarktverhältnisse mobil sein und demgemäß kurzfristig kündigen können, eine Behauptung, die durch die Praxis in keiner Weise bestätigt wird. Diese Regelung ist wenig praxisbezogen, und dieser Mangel an Praxisbezogenheit ist dann auch das Manko des gesamten Gesetzes; es ist rein ideologiebehaftet. ({5}) Vielleicht ist es von einer Ministerin, die immerhin seit 1972 im Bundestag sitzt, zu viel verlangt, praxisbezogen zu handeln. ({6}) - Ich mache Ihnen das nicht zum Vorwurf, Frau Kollegin, aber ich mache Ihnen sehr wohl zum Vorwurf, dass Sie den Rat der Wirtschaftsverbände und der Organisationen auf dem Gebiet des Mietrechts unberücksichtigt lassen. ({7}) Das beginnt mit dem Deutschen Mieterbund - die Präsidentin ist ja unter uns -, das gilt für den Deutschen Mietgerichtstag und das setzt sich fort mit der Interessenvertretung der Haus- und Grundeigentümer sowie mit dem Gesamtverband der deutschen Wohnungswirtschaft und dem Verband der freien Wohnungsbaugesellschaften. Es wäre zudem sehr hilfreich gewesen, wenn sich die Ministerin bei der Erarbeitung eines neuen Mietrechts auch einmal mit Investoren der Wohnungswirtschaft unterhalten hätte. Denn dann wäre ihr deutlich geworden, dass die Bereitschaft, in die Wohnungswirtschaft zu investieren, bei vielen Banken und Kapitalsammelstellen auf ein Minimum geschrumpft ist. Das hängt zum einen mit der schon erwähnten einseitigen Bevorzugung der Mieter zusammen, zum anderen aber auch damit, dass Investitionen in den Wohnungsmarkt von dieser Bundesregierung steuerrechtlich benachteiligt werden und dass das Mietrecht nach wie vor zu kompliziert ist. So sind die §§ 2 bis 4 des Miethöhegesetzes nahezu unverändert in das BGB übernommen worden, ohne die berechtigten Klagen aus der Praxis in irgendeiner Weise zu berücksichtigen. Wenn für einfache Mieterhöhungen bei Wohnungsbaugesellschaften und Verwaltungsgesellschaften Heerscharen von Juristen benötigt und auch die Gerichte damit belastet werden, dann zeigt das, wie kompliziert das Mietrecht ist. Der soziale Friede zwischen Mieter und Vermieter wird eben in keiner Weise berücksichtigt. ({8}) Das erkennt man ebenfalls bei der Frage der Kappungsgrenzen. Die Kappungsgrenzen spielen im Mietrecht heute überhaupt keine Rolle mehr. ({9}) Trotzdem muss diese Kappungsgrenze aus Ideologiegründen wieder gegen die angeblich so bösen Vermieter herhalten. Das geschieht auch noch gegen den Rat des GdW, der bekanntlich seit Jahrzehnten sozialdemokratisch geführt wird. Ich will nicht missverstanden werden: Es geht mir nicht darum, die Kappungsgrenze zu streichen. Die Senkung von 30 Prozent auf 20 Prozent ist aber - auch wenn die Kappungsgrenze keine entscheidende Rolle mehr spielt - das falsche politische und damit auch das falsche wirtschaftliche Signal an die Vermieter und Investoren. ({10}) Das ist für den gesamten Wohnungsbau schädlich. Wie wenig die Bundesregierung dem Markt und den vertragsschließenden Parteien vertraut, wird auch daraus ersichtlich, dass echte Zeitmietverträge nach wie vor praktisch, mit ganz wenigen Ausnahmen, ausgeschlossen sind. Ich kann noch immer nicht verstehen, ({11}) dass es erwachsenen Mietparteien nicht überlassen sein soll, miteinander eine exakte zeitliche Dauer eines Mietvertrages zu vereinbaren. Die Menschen sind doch als Vertragsparteien berechtigt - und manchmal sogar verpflichtet -, Regelungen mit festen Zeitgrenzen zu finden. Das ist in anderen Bereichen so, warum nicht auch im Mietrecht? ({12}) Diese Bevormundung ist im Übrigen schon aus rechtsstaatlichen Gesichtspunkten überhaupt nicht zu verstehen. Genauso unverständlich ist der Ausschluss der Verwertungskündigung, die insbesondere den Genossenschaften in den neuen Bundesländern wegen des Überangebots an Wohnungen sehr geholfen hätte. Der vorgesehene Ausschluss dieses Mittels ist eine ganz krasse Einengung der Verfügungsmacht des Grundeigentümers; so soll offensichtlich die Regulierung durch die Marktkräfte verhindert werden. ({13}) Dabei sind die Mieter wegen des Überangebots von Wohnraum hinreichend geschützt, auch in den neuen Bundesländern. Ähnlich verhält es sich hinsichtlich der Umwandlung in Wohneigentum unter erschwerten Bedingungen bei Kündigung wegen Eigenbedarfs. Offensichtlich soll lediglich der Bestand, nämlich die derzeitig dort wohnenden Mieter, geschützt werden, nicht aber der Eigentümer oder gar junge Familien, die Wohneigentum preiswert erwerben wollen. Auch mir geht es um den Schutz von Mietern; aber es müssen ebenfalls die Interessen der anderen Seite im Wohnungsbereich berücksichtigt werden. Die Bundesregierung wäre besser beraten gewesen, das Mietrecht weiter zu deregulieren und den Mietvertragsparteien wieder mehr Freiheit für die Gestaltung ihrer Mietverträge einzuräumen. Das hätte Investoren wieRainer Funke der ermutigt, mehr Wohnungen zu bauen und mehr Wohnungen zu modernisieren. Mehr Mut zum Markt wäre besser gewesen. ({14}) Dies hätte man aufgrund des ausgewogenen Verhältnisses von Angebot und Nachfrage in den meisten deutschen Städten endlich wagen können und auch müssen. Die Vergangenheit hat uns gezeigt, dass gerade die Städte, die als letzte die Mietpreisbindungen aufgehoben haben, bei der Wohnungsversorgung am schlechtesten dran gewesen sind. Ich habe mit großem Bedauern verfolgt, wie dieser Gesetzentwurf zum Mietrecht im Rechtsausschuss behandelt worden ist. In den Berichterstattergesprächen ging man natürlich sehr höflich und sehr nett miteinander um, ({15}) wie sich das unter Juristen gehört. Der Staatssekretär Pick hat über die Änderungen während des Beratungsverfahrens sachlich und gut informiert. ({16}) - So kenne auch ich ihn, liebe Frau Kollegin. ({17}) Man hat aber lediglich darüber informiert, worüber die Bundesregierung und die Koalitionsparteien beraten haben und was sie beschlossen haben. Uns wurde mitgeteilt, dass über diese Beschlüsse anschließend gar nicht mehr zu diskutieren sei; denn sie stünden nun einmal fest und es gehe nach dem Motto „take it or leave it“. Das heißt: Solche Berichterstattergespräche können wir uns in Zukunft gerne sparen. Wenn man nur zum Befehlsempfang daran teilnimmt, dann helfen solche Gespräche, zumindest was die Sache angeht, überhaupt nicht. Bei dieser Art der Beratung ist der Bundesregierung der Fehler unterlaufen, dass die Geltendmachung des Vorkaufsrechts des Mieters nur schriftlich und nicht in notarieller Form zu erfolgen habe, Herr Kollege Wilhelm. Wenn man den Mieter schützen will, dann bedarf es aber einer notariellen Form. Es geht nicht darum, den Notaren eine Gebühr von DM 83,50 zuzuschanzen - diese Gegenstandswerte sind überhaupt nicht interessant -; ({18}) vielmehr muss der Mieter durch die notarielle Form und die damit verbundene notarielle Aufklärung vor voreiligen Entscheidungen geschützt werden. Der Mieter kennt zwar seine Wohnung und kann sagen: „Mensch, die Wohnung hier gefällt mir recht gut“, aber er kennt nicht die rechtlichen Belastungen, die mit dieser Wohnung in Zusammenhang stehen. Eine notarielle Aufklärung ist unbedingt notwendig. ({19}) Deswegen haben wir für die zweite Beratung einen Änderungsantrag vorgelegt. Lassen Sie mich abschließend ({20}) sagen: Die F.D.P. wird diesen Gesetzentwurf ablehnen, weil der notwendige wirtschaftliche Sachverstand und die marktwirtschaftliche Orientierung in dieses Gesetz nicht eingeflossen sind. Wirtschaftliche und marktwirtschaftliche Ausrichtung sind aber notwendig, weil mit diesem Gesetz in einen wirtschaftlich wichtigen Zweig unserer Volkswirtschaft eingegriffen wird. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({21})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile der Kollegin Christine Ostrowski, PDS-Fraktion, das Wort.

Christine Ostrowski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001662, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eines eint die Juristen aller Fraktionen auf jeden Fall: Sie sind allesamt begeisterte Redner. ({0}) Ich habe jetzt richtig Sorge, ob es mir gelingen wird, Ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen. ({1}) Liebe Frau Fuchs, in meinem Wahlkreisbüro geht es zu wie in einer Außenstelle des Mieterbundes. Dorthin kommen Alte, Junge, Gutverdienende, Schlechtverdienende, Arbeitslose und solche, die Arbeit haben, mit ihrer Betriebskostenabrechnung oder ihrer Mieterhöhung und suchen Hilfe, weil sie nicht Mitglied des Mietervereins sind und ihnen daher dort nicht geholfen wird. ({2}) Ein Fall betrifft eine junge schwangere Frau, die ihre Wohnung kündigt, in der sie nur ein Dreivierteljahr gewohnt hat. Der Vermieter verlangt die Renovierung dieser Wohnung. Das steht ihm nicht zu. Sie weigert sich. Es kommt zu einem monatelangen Streit. Der Vermieter behält zunächst die Kaution und zahlt sie erst nach monatelangem Streit scheibchenweise bis zur Hälfte aus. Auf die andere Hälfte wartet die junge Frau heute noch. Sie hat kein Geld, um sich einen Anwalt zu leisten und dies einzuklagen. Sie hat auch keine Nerven. ({3}) Bei einer Postangestellten stellt sich erst bei der Abrechnung der Betriebskosten heraus, dass die Vorauszahlungen deutlich zu niedrig angesetzt wurden. 800 DM muss sie auf einen Schlag nachzahlen, was sie nicht kann. Sie bittet den Vermieter um Ratenzahlung und fordert eine sofortige Erhöhung der Vorauszahlungen. Der Vermieter lehnt ab, verlangt von ihr eine Lohnabtretungserklärung, ansonsten will er kündigen. Dazu hat er kein Recht, aber er hat eine sichere Position. ({4}) Ein anderer Fall spielt auf Sylt, also ganz weit weg: Der Bund ist der Vermieter der Wohnung. Er erhöht die Miete für diese Wohnung unter Bezug auf drei Vergleichswohnungen. Die Mieten für die der Mieterhöhung zugrunde liegenden Vergleichswohnungen betragen bei Müllers 10,96 DM, bei Meiers 12,16 DM, bei Schulzes 13,41 DM pro Quadratmeter. Dabei handelt es sich um neu vermietete Wohnungen mit hohen Mieten. Sie liegen noch nicht einmal in derselben Gemeinde, obwohl das laut Bundesverfassungsgerichtsurteil sein muss. ({5}) Der Widerstand der Mieter - übrigens Angehörige der Bundeswehr ohne üppiges Einkommen - hat keinen Erfolg. Der Bund bleibt stur. Ich habe diese Fälle genannt, weil ich der Meinung bin, dass selbst beim mieterfreundlichsten Mietrecht - beispielsweise wenn unsere Anträge durchkämen - Mieter in einer schwächeren Position als Vermieter wären. Dies ist Ergebnis einer objektiven Betrachtung. Sie sind Einzelkämpfer, Herr Funke, sie haben keine Rechtsabteilung an der Hand und müssen sich in der zuständigen Verwaltung notfalls bis zum Geschäftsführer durcharbeiten. Vielfach fehlt ihnen das Geld und sie haben keine Nerven für einen Rechtsstreit. Manchmal geben sie auch einfach klein bei, weil sie Angst haben. Da glauben Sie und manch andere, man brauche das Mietrecht nur zu liberalisieren und der Markt werde es schon richten. Herr Pofalla plustert sich hier auf und sagt, ({6}) das Mietrecht werde - was ganz grässlich sei - zuungunsten der Vermieter neu geregelt. ({7}) Ich sage Ihnen: Diese Mietrechtsreform stellt das Gleichgewicht annähernd wieder her. ({8}) Aber ich muss Ihnen auch sagen: nicht so richtig, sondern nur annähernd und lange nicht ausreichend. ({9}) Dass für Mieter künftig nur noch eine dreimonatige Kündigungsfrist gilt, freut uns natürlich sehr, denn der Mieter muss flexibel, muss mobil sein. Das ist für uns überhaupt keine Frage. Dass künftig die Miete innerhalb von drei Jahren nicht mehr um 30 Prozent, sondern nur noch um 20 Prozent steigen darf, ist ebenfalls gut. ({10}) Trotzdem darf man fragen, wo es sonst noch eine gesetzlich sanktionierte Preiserhöhungsmöglichkeit in dieser Höhe für ein Produkt gibt, an dem kein Pinselstrich gemacht werden muss. Jedes andere Produkt muss verbessert werden, wenn ein höherer Preis erzielt werden soll. Ausgerechnet bei Wohnungen soll das nicht gelten. Wir sagen deshalb: Mieten dürfen generell nur dann erhöht werden, wenn sich der Wohnwert der Wohnung verbessert hat, sonst nicht. ({11}) Will der Vermieter künftig die Miete erhöhen, kann er nach wie vor frei entscheiden, ob er den Mietspiegel, Vergleichswohnungen oder ein Gutachten zur Begründung heranzieht. Die neuen qualifizierten Mietspiegel sind letzten Endes für die Katz. Faule Tricks, wie sie der Bund auf Sylt - er sollte als Vermieter Vorbildfunktion haben als Vermieter angewandt hat, sind auch weiterhin möglich. Solche Tricks würden nur unterbunden werden, wenn Mietspiegel wenigstens in Orten ab 50 000 Einwohnern verbindlich wären und wenn alle Mieten erfasst würden, also nicht nur die Neuvermietungen und die Veränderungen der letzten Jahre. Genau das schlagen wir vor. ({12}) Wie der Begriff schon sagt: Ein Mietspiegel müsste eigentlich alle Mieten widerspiegeln. Das tut er natürlich nicht. Ehrlicherweise müssten Sie ihn umbenennen in beispielsweise Neuvermietungs-Mietspiegel. Das wäre der korrekte Begriff. Ich komme zu dem leidigen Thema Betriebskosten: Kosten für Wasser, Hausmeister, Grundsteuer, Versicherung und Heizung. Wir erinnern uns an die Postangestellte. Ihr Vermieter wollte die Vorauszahlungen nicht erhöhen. Sie kann dies aber künftig von sich aus tun. Das ist in Ordnung; sie muss sich in diesem Punkt nicht mehr mit ihrem Vermieter streiten. Ein anderes Beispiel. Der Vermieter hat die Wasserkosten bisher nach Quadratmetern abgerechnet. Bei gleicher Wohnungsgröße hat die allein stehende Oma letzten Endes mehr zu zahlen als die Familie nebenan. Sind Wasseruhren vorhanden, muss jetzt nach Verbrauch abgerechnet werden. Das ist zweifellos gerechter, wenn auch nicht gerecht. Es gibt keine einzige Kostenart, deren Höhe ausschließlich vom Mieter beeinflusst wird. Wasserpreis, Grundsteuer und Straßenreinigungsgebühr bestimmt immer noch die Kommune allein. Kosten für Gartenpflege, Aufzug und Versicherung werden immer noch vom Vermieter bestimmt. Selbst dort, wo der Mieter Mitverantwortung trägt - beispielsweise beim Müll und bei der Heizung -, ist sein Einfluss letzten Endes kleiner als der der Gemeinde oder des Vermieters. Der Appell an den Vermieter, die Wirtschaftlichkeit zu beachten, reicht natürlich nicht aus; denn es ist eben nur ein Appell. Wir beantragen deshalb, nur die verbrauchsabhängigen Kosten auf den Mieter umzulegen. Damit würde der Vermieter in seinem eigenen Interesse auf die Wirtschaftlichkeit achten. Im Moment jucken ihn die Kosten nur wenig. ({13}) Wird die Wohnung modernisiert, können auch weiterhin 11 Prozent der Kosten auf die Miete umgelegt werden. Neulich kam ein Student zu mir, bei dem die Mieterhöhung nach Modernisierung 5,78 DM pro Quadratmeter betrug. Alle Formalien waren in Ordnung; die Miete lag immer noch in der Spanne, wenn auch am oberen Ende, der ortsüblichen Vergleichsmiete. Man konnte diese Erhöhung also nicht anfechten. Der Student musste ausziehen, weil er die Miete einfach nicht mehr bezahlen konnte. Zur Abschaffung dieser Umlage haben Sie sich nicht durchgerungen, ({14}) ja nicht einmal zur Senkung der Modernisierungsumlage. Hinzu kommt, dass alle Investitionen zur Energieeinsparung künftig auch noch auf den Mieter umgelegt werden können. Mir wird schon ein bisschen schwummerig, wenn ich an die Energiesparverordnung denke: 2 Millionen alte Heizkessel müssen ausgetauscht werden. Das kostet und belastet die Mieter zusätzlich. Es darf bezweifelt werden, ob die Einsparung die zusätzliche Belastung so ausgleicht, dass der Mieter einen Vorteil von dieser Modernisierung hat. ({15}) Zurück zu der schwangeren Frau, von der der Vermieter die Renovierung der Wohnung verlangt hat. Das gehört zu dem Bereich der Schönheitsreparaturen, einem der größten Streitpunkte im Mietrecht überhaupt. Es kann ja wohl nicht wahr sein, dass man es versäumt hat, Regelungen zu schaffen, mit denen dieser große Streitpunkt aus dem Weg geräumt wird. Sie haben uns relativ hilflos erklärt, eine Regelung sei zu schwierig und das Parlament solle Vorschläge machen. Bitte sehr, Sie können den Ball auffangen, den wir Ihnen jetzt zuwerfen. Wir schlagen vor: Ein Anspruch des Vermieters auf Schönheitsreparatur bei Ende des Mietverhältnisses besteht nur dann, wenn die Wohnung ehemals renoviert übergeben wurde. ({16}) Kosten für Kleinreparaturen kann der Mieter übernehmen, allerdings nur bis zu einer festen Grenze, die sich an der Jahresmiete orientiert. Insgesamt gibt es für Mieter keine Verschlechterungen; es gibt etliche Verbesserungen. Trotzdem kann ich mir nicht helfen: Ihre Reform kümmert vor sich hin, so wie alle Ihre Reformen vor sich hinkümmern. ({17}) Sie verschenken Möglichkeiten, indem Sie nicht all das reformieren, was notwendig wäre. Deshalb werden wir uns bei der Abstimmung enthalten. ({18}) Ein Wort zu den Vermietern, die so sauer sind und die Herr Pofalla - aus Ihrer Sicht zu Recht - in Schutz genommen hat. Die Frage ist: Warum sind die Vermieter so sauer? Das Mietrecht ist so etwas wie die Petersilie auf einem Gericht. ({19}) Ist das Essen verhunzt, nützt Ihnen auch die grünste Petersilie nichts. Besonders für den Westen gilt: Eine ausreichende Zahl von Wohnungen regelt die Miethöhe besser als ein Gesetz und ist der beste Mieterschutz und Kündigungsschutz. Meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, da hilft nun alles nichts: Sie haben seit der Regierungsübernahme die Bedingungen für den Mietwohnungsbau schlicht und ergreifend stetig verschlechtert. ({20}) Sie haben sich aus der Finanzierung zurückgezogen, sie haben sich von der direkten sowie der steuerlichen Förderung nahezu verabschiedet. Die Zahl neu gebauter Wohnungen liegt mittlerweile unter der Ersatzrate. ({21}) Das, genau das ist es in erster Linie, Herr Pofalla, was den Investoren zu schaffen macht, und zwar den kommunalen, genossenschaftlichen und privaten, und nicht zuallererst das Mietrecht. Sie sind selber schuld, dass monatelang verbissen gestritten wurde, dass mal die Mieter- und mal die Vermieterseite an Ihnen herumzerrte ({22}) und dass weder Mieter noch Vermieter mit dieser heute vorgelegten Reform glücklich sind. ({23}) Was das verhunzte Essen anbelangt, kann ich Ihnen nur raten: Kochen Sie schnell ein neues, denn allein mit einem neuen Mietrecht schmeckt es nicht besser. ({24})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegin Margot von Renesse, SPD-Fraktion.

Margot Renesse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001820, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es spricht zwar noch eine Juristin, ({0}) aber ich hoffe, es wird mir glücken, mit meiner Rede dieser interessanten Debatte einigermaßen gerecht zu werden. Ich habe allerdings in der Tat einiges zu juristischen Fragen zu sagen. Ich möchte mit einem Punkt anfangen, den wir alle gut finden, zumindest in den Berichterstattergesprächen wurde das von allen Fraktionen deutlich zum Ausdruck gebracht - auch Herr Kollege Wilhelm hat schon darauf hingewiesen -: die neu aufgenommene Barrierefreiheit im Mietrecht. Auch wenn ich mich darüber freue, dass jetzt alle nicken, möchte ich darauf hinweisen, dass es gar nicht so einfach war, diese umzusetzen, ({1}) weil nämlich eine Formulierung gefunden werden musste, die die Vermieter- und Mieterseite nicht schlechter stellte, als es in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts festgeschrieben worden war. Ich finde, die Formulierung ist einigermaßen geglückt. Die Praxis wird zeigen, ob sie sich bewährt. Eigentlich hätten Sie, Herr Funke, diese Vorschrift auch zum sozialistischen Sumpf rechnen müssen. ({2}) Sie ermächtigt nämlich aufgrund der Sozialpflichtigkeit des Eigentums zum Eingriff in die Substanz des Eigentums; ({3}) dieses geschieht, wie uns vom Verfassungsgericht bestätigt wurde, zu Recht. Das heißt also, nicht alles, was sozial ist, stammt aus dem sozialistischen Sumpf. ({4}) Bei der Herstellung einer sozialen Ausgewogenheit in diesem Gesetz spielte weder eine Rolle, dass man den Vermieter für einen schlechten Kerl und für böse hält - das tun wir alle nicht -, noch, dass man den anderen für einen armen Schlucker hält, der verzweifelt darum barmt, dass ihm ein bezahlbares Dach über dem Kopf zuteil wird. Das trifft nicht zu, das stimmt nicht in allen Fällen. Das stimmt sogar in vielen Fällen nicht. Darüber sind wir uns durchaus im Klaren. Sozial bedeutet gemeinschaftsdienlich. ({5}) Sozial bedeutet, die Gesichtspunkte, die typischerweise für den einen oder den anderen von Bedeutung sind, zu berücksichtigen. So haben wir es bei den Behinderten mit Ihrer aller Einverständnis gemacht. Wie stellt sich denn die Situation beim Mieter und beim Vermieter dar? Es ist nicht grundsätzlich wahr, dass der eine arm und der andere reich ist. Ich kenne Fälle, in denen alt gewordene Frauen sich im ehemaligen Familienheim eine kleine Wohnung ausgebaut haben und den Rest des Hauses, weil sie ihre Rente aufbessern müssen, an ein kinderloses erwerbstätiges Paar vermieteten. ({6}) Die Fragestellung „reich oder arm“ spielt weiß Gott keine Rolle bei den von uns eingebrachten sozialen Gesichtspunkten. Eines ist aber klar: Der Mieter ist durch die von Ihnen vorgenommenen Änderungen im Arbeitsförderungsrecht auf viel mehr Flexibilität als der Vermieter angewiesen. ({7}) Er hat in der Wohnung seinen Lebensmittelpunkt, den er jetzt, wenn gefordert, verlegen muss. Ich erinnere nur an unsere kurze Diskussion über die Vorstellungen der Opposition zum Arbeitnehmerüberlassungsgesetz, die sie uns vor kurzem im Rechtsausschuss nahe bringen wollte. ({8}) - Ja, aus gutem Grund, aber der Flexibilität im Arbeitsverhältnis muss die Flexibilität im Mietrecht durchaus entsprechen. Das eine kann nicht ohne das andere gehen, selbst die erreichte Flexibilität ist mit der nach wie vor bestehenden Immobilität des Mieters nicht vereinbar. Das wird verfassungsrechtlich sicherlich geprüft werden. Ich sehe aber einer Entscheidung des Verfassungsgerichtes außerordentlich gelassen entgegen, da ich glaube, dass es die Typisierung, dass erstens kürzere Kündigungsfristen für den Mieter notwendig sind und er zweitens besseren Schutz vor einer vorzeitigen Kündigung braucht, Herr Pofalla, bestätigen wird. Ihn kosten jede Kündigung, jeder Umzug nämlich sowohl Zeit, Nerven als auch Geld. ({9}) Denn er hat die Umzugskosten. Er muss möglicherweise Geld für den Kauf neuer Möbel und neuer Gardinen einsetzen. Kein Mieter zieht gerne um; er tut es nur, wenn er es muss. Es kommt jedenfalls außerordentlich selten vor, dass er es gerne tut. Ich hätte mir in der Tat gewünscht, dass wir intensiver hätten über die Reform beraten können. Das Problem war nur, dass Sie von Anfang an klargemacht haben, dass Ihnen an der Grundstruktur dieses Mietrechts nur Negatives auffiel. ({10}) Sie wollten dieses Mietrecht von der ersten Lesung an nicht. Sie wollten sich gar nicht auf das einlassen, was nach unserer Auffassung mit Ihnen hätte diskutiert werden müssen, wie weit nämlich die Gemeinschaftsdienlichkeit typisierend geht. Wohlgemerkt: nicht der Miethai gegen den armen Schlucker. Aber die klassischen Spannungsverhältnisse zwischen Mieter und Vermieter sind eben andere als die in anderen Dauerschuldverhältnissen; denn hier geht es um Grundrechte und Existenzen. Ich denke, wir werden dem Verfassungsgerichtsurteil mit großer Ruhe entgegensehen können; denn nach der Entscheidung des Verfassungsgerichts zur Barrierefreiheit bzw. zum Mieterschutz bei Eintritt von Behinderungen habe ich keine Bedenken, dass die Frage der Gemeinschaftsdienlichkeit beim Verfassungsgericht in den allerbesten Händen ist. Wir hätten wirklich besser und länger beraten können. Aber, Herr Funke, Sie waren es, der in den Berichterstattergesprächen gleich mit bohrenden Fragen festgestellt hat, wo die Koalition lange verhandelt hat und wo sie sich entschieden hat. Wenn ich mich richtig erinnere, haben Sie fast wörtlich gesagt: Das kennen wir doch aus unserer Zeit, dass dann mehr oder minder alles festgefahren ist. ({11}) - Das waren Ihre Erfahrungen, die Sie damals zitierten. Damit fingen die Berichterstattergespräche gleich an. ({12}) Wir hätten sicherlich das eine oder andere Interessante von Ihnen hören können. Gerade bei der Frage der Spreizung der Kündigungsfristen hätten Sie vielleicht einen Einwand bringen können, ({13}) den ich jetzt an Ihrer Stelle bringe. Dabei geht es nicht um die Grundsatzfrage; da gelten die Argumente von gerade. ({14}) Aber hätten Sie nicht vielleicht sagen können, dass das zum Beispiel für die Zweitwohnung oder für die Drittwohnung so nicht gelten müsste? Das wäre doch ein F.D.P.-Argument gewesen; aber das ist nicht gekommen. Ich bringe es, nachdem ich mir überlegt habe, was Sie heute vielleicht einwenden könnten. ({15}) Darüber hätte man nachdenken können. Sicherlich wird das eine oder andere von der Rechtsprechung noch geglättet werden müssen. Ich glaube, dass die Rechtsprechung damit klarkommt. Was die Schönheitsreparaturen angeht, Frau Kollegin Ostrowski: Kein Mensch - mein Kollege Manzewski hat darauf hingewiesen -, kein Praktiker und kein Jurist - wenn man die nicht unter die Praktiker rechnen muss noch irgendjemand anders, ein Verband oder ein Kollege, hat eine handhabbare Vorstellung dazu gebracht, die nicht neue Probleme und vor allem neue rechtliche Auseinandersetzungen gebracht hätte. Ein soziales Mietrecht muss, jedenfalls in Grenzen, ein klares sein; sonst ist es nicht sozial. Es gibt Leute, die Wohnungen vermieten könnten, dies aber nicht tun, weil sie Sorge haben, immer mit einem Bein beim Anwalt zu stehen - vielleicht besser dort als bei manchen Bundestagsabgeordneten, die über Prozesskostenhilfe nicht Bescheid wissen. ({16}) Aber ich denke, auf diese Weise haben wir etwas mehr Klarheit gebracht. Mich erinnert die Debatte über die Schönheitsreparaturen an die Debatte über das Wohl des Kindes. Auch dabei ist ständig darüber diskutiert worden, wie man das fassen kann. Im Ergebnis schwankt man zwischen einer Generalklausel, die neue gerichtliche Probleme aufwirft, und einer Kasuistik, die angesichts des Wandels der Wohngewohnheiten kaum die Zeit von einem Jahr überleben kann. Deswegen haben wir davon abgesehen und es bei der Grundregel gelassen, dass für Schönheitsreparaturen im Prinzip der Vermieter zuständig ist, es sei denn, er vereinbart etwas anderes. Es gibt kein Recht, das dieses Parlament verabschieden wird, das in der Rechtsprechung nicht noch geschliffen und der Praxis angepasst werden müsste. Das ist sogar dem BGB widerfahren, das einen Vorlauf von 20 Jahren hatte und ein glänzendes Gesetz ist, aber dadurch gekennzeichnet war, dass sofort, als es erschien, die positive Forderungsverletzung als eine der großen Lücken bekannt wurde. Ich denke, dass wir die Möglichkeit genutzt haben, ein besseres Mietrecht zu schaffen. Ob es ein gutes ist - wir hoffen es; die Praxis wird es zeigen. ({17})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Dietmar Kansy, CDU/CSU-Fraktion.

Dr. - Ing. Dietmar Kansy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001064, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Als Nichtjurist, Frau Kollegin von Renesse - eigentlich war jetzt Herr Kollege Spanier an der Reihe; aber eine kleine Verwechselung dieser Art kann ja vorkommen -, möchte ich Ihnen empfehlen, sich einmal von Ihrem Kollegen Spanier berichten zu lassen - wir kommen beide gerade von einer GdW-Tagung -, warum Mieter heutzutage auch umziehen. Lassen Sie sich einmal von Fachleuten das Wort „Mieterhopping“ erklären, ein Phänomen, das es nicht nur bei dicken Kapitalisten, sondern auch bei mancher Wohnungsbaugenossenschaft gibt, der inzwischen das Wasser bis zum Hals steht. Ich empfehle Ihnen, nicht ganz so lax Ihre aus der Vergangenheit stammenden Vorstellungen zu äußern. ({0}) Frau Kollegin Ostrowski, dass Sie über Wohnungsbau - auch über Petersilie, meinetwegen auch über andere Dinge - munter reden können, haben Sie im Ausschuss und auf mancher gemeinsamen Podiumsdiskussion bewiesen. ({1}) Aber eines können Sie uns damit nicht vergessen machen - und das müssen Sie sich auch im Jahr 2001 anhören -: Was Sie uns mit Ihren Rezepten vor über zehn Jahren hier hinterlassen haben, waren 20 Prozent verfallene Wohnungen, kaputte Städte und lange Warteschlangen vor den Wohnungsämtern. Deswegen vielen Dank für Ihre Rezepte in der Wohnungspolitik! ({2}) - Ja, das tut weh. Ein geübter Redner merkt immer, wenn er getroffen hat. Einfacher können Sie es mir eigentlich nicht machen. ({3}) - Sie können ja einmal nach Erfurt gehen, Frau Kollegin Gleicke, wenn Sie das nicht mehr in Erinnerung haben. ({4}) - Das gehört wohl zur Sache, wenn Sie hier Ihre Rezepte vortragen. Meine Damen und Herren, das Mietrecht ist ein zentrales Instrument der Wohnungspolitik, ob man es will oder nicht, ob man es als ordnungspolitisches Instrument ablehnt oder ob man es zum Bestandteil der sozialen Absicherung macht. Das ist auch ganz einleuchtend, denn das Mietrecht - das haben wir alle schon zigmal besprochen - trägt nicht nur zum Ausgleich zwischen Mieter und Vermieter bei, sondern es ist auch ein Signal des Staates an Investoren, ob sich Privatinvestitionen in den Mietwohnungsbau lohnen oder nicht. ({5}) Deshalb brauchen wir uns darüber gar nicht zu streiten. Wir müssen als Abgeordnete damit leben, dass die Wohnung ein sehr ambivalentes Gut, ein Gut mit vielen Seiten und Sichten ist. Es ist ein hohes soziales Gut, der Mittelpunkt unseres Lebens - manche, die etwas kräftiger formulieren, nennen es sogar die dritte Haut des Menschen -, aber es ist in unserer marktwirtschaftlich geprägten Gesellschaft auch das teuerste und langlebigste Investitionsgut überhaupt. Was nützt uns eine noch so soziale Mietpreisbindung und -deckelung, wenn überhaupt keine Wohnungen mehr gebaut werden? Das ist die andere Seite der Medaille. ({6}) Herr Kollege Pofalla hat schon zu Recht gesagt, dass dies die Richtschnur der Regierung Kohl war, womit wir seinerzeit mehr als erfolgreich waren. Der beste Mieterschutz ist ausreichender Wohnraum. ({7}) Am Ende unserer Regierungszeit gab es eben beides: einen ausgeglichenen Wohnungsmarkt und einen historischen Tiefstand bei den Mietindexsteigerungen. Sie betrugen 1,1 Prozent; dies war die niedrigste Steigerungsrate, solange solche Daten überhaupt festgestellt werden. Das haben wir mit einer Politik des Ausgleichs, einer Politik der Mitte erreicht. ({8}) Daher muss ich Ihnen, meine Damen und Herren, noch einmal die Frage stellen, welches Signal von Ihrem Gesetzentwurf jetzt in Richtung Wohnungsbau ausgeht. ({9}) Ist es vielleicht nur aus unserer Sicht falsch - man kann sich ja im Leben irren -, ist es Teil eines generellen Konzeptes, das wir nur nicht erkannt haben? ({10}) Die erste Hälfte dieser Legislaturperiode, meine Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, haben Sie leider damit verbracht, ständig Ihren Bauminister auszuwechseln, weswegen es praktisch kein koordiniertes Handeln zwischen den einzelnen Ressorts und keine Gesamtlinie mehr gab. Herr Bauminister Bodewig ist heute nicht da, weil er krank ist. Wir wünschen ihm gute Besserung; Herr Staatssekretär, geben Sie ihm das bitte weiter. Die Fachwelt ist sich hinsichtlich der ersten Hälfte dieser Legislaturperiode allerdings überraschend einig: Der Wohnungsbauminister fährt den sozialen Wohnungsbau herunter. Gut, man kann sagen, er verfolgt eine andere Linie. Der Finanzminister verschlechtert im frei finanzierten Wohnungsbau Schlag auf Schlag die Investitionsbedingungen. Heute basteln Sie schon wieder mit Ihren Genossinnen und Genossen im Lande draußen daran, wie Sie durch Erhöhung der Erbschaftsteuer das nächste Schräubchen drehen könnten. Das ist ja gerade wieder in jeder Zeitung zu lesen. Es scheint, als wirkt neuerdings auch der Bundesarbeitsminister an der Wohnungsbaupolitik mit, und zwar offensichtlich völlig unkoordiniert. Ausgerechnet das Lieblingskind unserer Bürgerinnen und Bürger - wir als Abgeordnete dieses Hauses haben dies zur Kenntnis zu nehmen -, das selbst genutzte Wohneigentum, wird in seiner Reform zum Aufbau einer zusätzlichen kapitalgedeckten Altersvorsorge mit einer Luftnummer bedient, über die die ganze Welt nur lacht und die de facto das Wohnungseigentum in einer ganz entscheidenden Situation schwächt. ({11}) - Ja, Frau Kollegin Eichstädt-Bohlig, das ist so. ({12}) Da müssen Sie doch verstehen, dass man Fragen stellt, und zwar nicht nur wir, sondern auch mancher skeptische Zeitgenosse, der immer noch hofft und sich fragt, ob da jetzt noch etwas anderes kommt. Der soziale Wohnungsbau wird reduziert, ebenso der frei finanzierte Wohnungsbau und die Eigenheimförderung. Er hat vielleicht geglaubt, jetzt werde das Mietrecht geändert und damit ein richtiges Signal für Investitionen gegeben, womit wir in einer Zeit knapper Kassen, die wir selbstverständlich in diesem Land haben, vielleicht auf andere, elegantere, marktwirtschaftliche, Weise etwas für den Wohnungsbau tun könnten. Nein, genau das Gegenteil ist der Fall. Deswegen lassen Sie mich angesichts der Tatsache, dass wir über das Sozialgut Wohnung heute schon ausreichend gesprochen haben, doch noch einige Worte zum InDr.-Ing. Dietmar Kansy vestitionsgut Wohnung sagen. Die CDU/CSU plädiert keineswegs einseitig für Investoren und Vermieter. Dort sitzen Ihre Kronzeugen von der F.D.P., die Regierungspartner der letzten Legislaturperioden. ({13}) Es ist ja wahr, was Sie uns vorhin gesagt haben. Wir haben uns damals als CDU/CSU verweigert, eine Mietrechtsvereinfachung dazu zu nutzen, das Mietrecht zulasten der Mieter zu verschieben, Frau Eichstädt-Bohlig. Und wir werden uns heute verweigern - weil wir weiter die Partei der Mitte sind -, das Mietrecht jetzt unter demselben Mäntelchen zulasten der Vermieter zu verschieben. ({14}) Das ist unsere Linie in dieser Diskussion. Deswegen gibt es keine Möglichkeit einer Zustimmung zu diesem Gesetz. ({15}) Trotz all Ihrer Beteuerungen: Ihr Entwurf ist nicht ausgewogen, denn die Schwachpunkte sind doch offensichtlich: eine reduzierte Kappungsgrenze, ein Mietspiegel möglichst ohne Beteiligung der Vermieter im Ernstfall, nämlich beim qualifizierten Mietspiegel ({16}) - selbstverständlich, was ist denn das anderes -, asymmetrische Kündigungsfristen, Verdoppelung der Schonfrist für Mieter, die mit ihren Mietzahlungen im Rückstand sind, Wegfall der erleichterten Kündigung beim Dreifamilienhaus. Das ist ein Vertrauensbruch gegenüber allen, die wir damals ermuntert haben, zusätzliche Wohnungen zu bauen, als wir sie dringend brauchten. Vieles andere wäre noch zu nennen. Da können Sie doch nicht sagen, das sei ausgewogen zwischen Mietern und Vermietern. ({17}) Nein, Ihr rot-grüner Faden ist eindeutig. Es ist eine Gesetzesverschlechterung zulasten der Vermieter, zulasten der Investitionen. ({18}) Sie brauchen sich doch nur die Entwicklung der letzten Tage anzusehen. Die Diskussion, wir hätten ja genügend Wohnungen, ist oberflächlich. ({19}) - Sie sind ein wirklich anerkannter Wohnungsexperte im Universum; das wird Ihnen jeder bescheinigen. - Wir haben eine weitere Zunahme der Zahl der Haushalte in den nächsten 15 Jahren zu erwarten. Das hat gestern gerade die Beratung der Raumordnungs- und Wohnungsprognose in unserem Fachausschuss ergeben. Wir benötigten eigentlich eine Ersatzbaurate von 380 000 Wohnungen pro Jahr. Wir unterschreiten sie schon heute. Gleichzeitig springt eine mittelständische Firma nach der anderen über die Klinge; denn es ist ja nicht alles in diesem Lande Philipp Holzmann. ({20}) Im Bauhauptgewerbe haben wir in den letzten zwei Jahren unter Ihrer Regierung 100 000 Arbeitsplätze verloren. 50 000 weitere Arbeitsplätze stehen auf dem Spiel. Herr Wiesehügel schreibt dauernd schlaue Papiere, aber es passiert nichts bei den Kolleginnen und Kollegen der rot-grünen Koalition. ({21}) Deswegen, meine Damen und Herren, kehren Sie zurück zu unserer erfolgreichen Linie im Wohnungsbau! ({22}) Sie lässt sich in wenigen Worten zusammenfassen: Ausreichend Wohnraum ist der beste Mieterschutz in diesem Lande. Vielen Dank. ({23})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort der Kollegin Franziska Eichstädt-Bohlig, Bündnis 90/Die Grünen.

Franziska Eichstädt-Bohlig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002643, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich den Kollegen Kansy richtig verstanden habe, möchte er für Ostdeutschland das Mietrecht ganz abschaffen; denn die Wohnungsmärkte sind gnadenlos entspannt. Wenn ich den Kollegen Pofalla richtig verstehe, wünscht er das Mietrecht als Eier legende Wollmilchsau, als eine Art Verwertungsgarantie für Eigentümer nach dem Motto: Die Eigentümer sind immer die Guten, die Mieter sind immer die Bösen. ({0}) Wenn ich die Kollegin Ostrowski recht verstehe, möchte sie das, was uns Herr Pofalla vorwirft, nämlich das sozialistische Pflichtprogramm: jedes Jahr ein Stück Mietensenkung, bis wir wieder auf dem ostdeutschen 60-Pfennig-Niveau sind. Sie möchte, dass wir das Motto zelebrieren: Die Mieter sind immer die Guten, die Eigentümer sind immer die Bösen. Ich habe angenommen, wir seien aus dem Alter heraus, ständig das Mietrecht für etwas zu instrumentalisieren, für das es eigentlich nicht da ist. ({1}) Nach meinem Verständnis soll das Mietrecht einem fairen Interessenausgleich dienen. ({2}) Aber weil die Interessen, Herr Kollege Funke, sehr unterschiedlich sind - das haben einige meiner Vorredner, auch Kollege Kansy, auch so dargestellt -, müssen wir mit diesem Interessenausgleich sehr achtsam umgehen. Deswegen haben wir uns von der Koalition große Mühe gegeben und lange und intensiv um die einzelnen Positionen und ihre Bedeutung für diesen Interessenausgleich gerungen. Dies ist meiner Meinung nach gut gelungen. ({3}) Wie bei einigen vorhergehenden Diskussionen mit der Wohnungswirtschaft habe ich auch heute das Gefühl, als werde immer wieder ein alter Film abgespielt, als müssten wir um das Mietrecht erneut alte Schlachten führen. Wir sind aber in einer anderen Situation. Die wohnungswirtschaftliche Situation von heute bedeutet nicht einfach entspannte Märkte, Kollege Kansy, sondern sie ist sehr unterschiedlich in München, in Frankfurt, in Hannover, wo wir auch schon Wohnungsleerstand zu verzeichnen haben, und in Ostdeutschland, wo es großen Leerstand gibt. Aber nicht 30 Prozent, Herr Kollege Pofalla, sondern 13 Prozent. Wir sollten hier nicht überdramatisieren. ({4}) Insofern möchte ich die Eigentümerseite bitten, vom Mietrecht nicht da Lösungen zu erwarten, wo das Mietrecht diese nicht bringt. In München brauchen wir deutlich den Mieterschutz, den wir mit diesem Mietrecht den Mietern bieten. ({5}) In Leipzig brauchen wir Mieterschutz, auch bei entspannten Wohnungsmärkten. ({6}) Aber ich rate jedem Eigentümer in Leipzig, mit seinen Mietern freundlich, positiv und konstruktiv umzugehen, ganz gleich, was im Mietrecht steht. ({7}) Dies ist sein ureigenstes Interesse, denn er braucht die Mieter, wenn er seine Wohnungen vernünftig bewirtschaften will. ({8}) Ich möchte noch einmal deutlich sagen: Die Probleme der Eigentümer liegen heute nicht im Mietrecht. Sie liegen darin, dass in ganz neuer Form Konkurrenz zwischen Wohnungsbeständen und Wohnungsneubau, zwischen städtischen Wohnungen und Umlandwohnungen, zwischen Mietwohnungen und Eigentumswohnungen usw. herrscht. Ich erwarte von den Eigentümern, dass sie sich diesen Aufgaben stellen und nicht ständig über das Mietrecht lamentieren, wodurch die Probleme, die heute für sie Aufgaben und Herausforderung darstellen, nicht gelöst werden. ({9}) Das sind die Probleme der Stadterneuerung, der Wohnungserneuerung, der Wohnumfeldgestaltung. Sie sollten lieber die 11 Prozent Modernisierungsumlage, die keiner von Ihnen erwähnt hat, die wir aber den Eigentümern belassen, aktiv nutzen und ihre Bestände so modernisieren, dass die Mieter ein Interesse an ihren Wohnungen haben. ({10}) Lassen Sie mich noch ein paar konkrete Punkte ansprechen. Über die Forderung nach Verwertungskündigung Ost im Mietrecht haben wir sehr intensiv diskutiert. Gerade wir von der Koalition sind in hohem Maße daran interessiert, dass der Wohnungswirtschaft in Ostdeutschland bei der Lösung der Probleme geholfen wird, die sie mit dem Leerstand hat und die ihr im Zusammenhang mit dem Stadtumbau bevorsteht, der noch sehr kompliziert wird und der uns hier lange Jahre beschäftigen wird. Ich warne aber davor, die Verwertungskündigung als Instrument zur Lösung dieser Probleme in das normale Mietrecht aufzunehmen. ({11}) Mit dieser pauschalen Mietrechtsformel hätten wir eine Art Kriegserklärung in den Osten getragen. ({12}) Deswegen haben wir uns gemeinsam dagegengestellt. Wir hätten auch den Eigentümern überhaupt nicht genutzt. Denn sie hätten die Mieter noch mehr verschreckt und die Mieter hätten noch schneller das Weite gesucht und sich umorientiert. So wäre man zu keiner Lösung gekommen. ({13}) Von daher werbe ich dafür, dass die ostdeutschen Städte das Sanierungsrecht auf diese Fälle anwenden und aktiv nutzen. Da gibt es klare Regelungen, die auch Mieterumsetzungen, Entmietungen, Entschädigungen usw. vorsehen. Das sollte man nutzen. Ich bin gern bereit zu prüfen, ob bestimmte Vereinfachungen auf bundesgesetzlicher Ebene erforderlich sind. Aber bitte keine simple Formel mit Verwertungskündigungen und kein Ex-undhopp-Umgang mit den Mietern! So darf es eindeutig nicht sein. ({14}) Für den neuen § 554 a zum barrierefreien Wohnen haben sich Frau Kollegin von Renesse und ich in besonderem Maße engagiert. Auch hier geht es uns nicht darum, ein sozialistisches Programm durchzusetzen. Frau Kollegin, Sie haben das eben schon sehr schön dargestellt. Es geht uns darum, ein klares Signal an beide Seiten, an die Mieter- und die Vermieterseite, zu setzen. Deswegen war es uns wichtig, diese Regelung direkt in das Gesetz zu schreiben und nicht die Rechtsprechung und verfassungsgerichtliche Entscheidungen als Grundlagen zu nehmen. Unsere Gesellschaft wird älter; Menschen wollen länger in selbstbestimmter Weise in ihren Wohnungen leben. Deswegen werben wir mit diesem Paragraphen dafür, dass sich Mieter und Vermieter ruhig und möglichst streitfrei einigen, was in einer Wohnung und gegebenenfalls auch beim Zugang zur Wohnung gemacht werden muss, damit diese Wohnung barrierefrei wird und möglichst lange in würdiger und guter Form genutzt werden kann. Nehmen Sie das nicht in Ihren Katalog angeblich vermieterunfreundlicher und böser Regelungen auf! Nehmen Sie das so konstruktiv und positiv, wie es gemeint und gewollt ist! Ich hoffe sehr, dass beide Seiten damit umgehen können. ({15}) Für eine Lösung des Problems der Schönheitsreparaturen hat sich unsere Fraktion vom ersten Tage an eingesetzt. Aber es ist, wie Kollege Manzewski vorhin gesagt hat, eine Bankrotterklärung der Juristen, ({16}) dass keiner von ihnen in der Lage gewesen ist, einen Passus zu formulieren, der einerseits den gegenwärtigen Rechtsstatus in keiner Richtung verschlechtert - daran waren wir interessiert -, weder in Vermieter- noch in Mieterrichtung, und der andererseits praktikabel und anwendbar ist. Da mussten wir schließlich klein beigeben. Denn ich als gelernte Architektin kann das beim besten Willen nicht formulieren. Ich wiederhole, was Sie, Herr Manzewski, vorhin gesagt haben: Sobald uns dieser Paragraph geboten wird, werden wir ihn sehr sorgfältig prüfen. Wir wären sicher bereit, ihn einzufügen. Wir würden uns besonders freuen, wenn der Mietgerichtstag da einmal in Klausur ginge und uns etwas Machbares böte. Dann würden wir das - vielleicht sogar fraktionsübergreifend auf den Weg bringen. ({17}) Auch bei der Kündigungsbeschränkung bei Umwandlung in Eigentumswohnungen sprechen die Eigentümer von den „Bösen von Rot-Grün“. Im Regierungsentwurf ist die Regelung enthalten - die auch in der Beschlussempfehlung geblieben ist und heute von uns so verabschiedet wird -, dass die Länder den Mieterschutz auf bis zu zehn Jahre ausweiten können, wenn sie der Meinung sind, dass in bestimmten Städten und Regionen besonderer Wohnungsbedarf besteht. Bisher galten drei Jahre per se und entweder fünf oder zehn Jahre qua Länderbeschluss. Das haben wir so gelassen. Was wir nach den Beratungen zwischen den Koalitionsfraktionen herausgenommen haben, war, dass in dieser Zwischenzeit eine Ersatzwohnung mit vergleichbaren Bedingungen wie die gegenwärtige Wohnung zur Verfügung gestellt wird. Wir haben das insbesondere deswegen getan, weil zumindest ich und auch andere Kollegen der Meinung sind: Wenn wir diesen Passus im Gesetzentwurf belassen hätten, hätten Mieter und Vermieter genau in der Zwischenzeit, in den drei, sieben oder auch zehn Jahren, überhaupt keinen Frieden mehr gefunden und sich ständig um die Angemessenheit einer Ersatzwohnung gestritten. ({18}) Deswegen sind wir der Auffassung: In der verbleibenden Zwischenzeit, in der die beiden Parteien miteinander umgehen müssen, sollen Ruhe und Frieden herrschen und der Mieter soll wissen, dass er in diesem Zeitraum, aber nicht länger, in der Wohnung bleiben kann. Von daher haben wir uns dazu entschlossen, die Ersatzwohnung aus dem Gesetzentwurf herauszunehmen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, Sie werfen uns immer wieder vor, das Mietrecht sei nicht ausgewogen und zu einseitig. Ich behaupte nach wie vor: Das stimmt nicht. Wir haben für das Ziel der Ausgewogenheit sehr engagiert gearbeitet. Aber ausgewogen heißt eben nicht einseitig in Richtung Vermieter. Ausgewogen heißt an dieser Stelle vielmehr, dass das Sozialgut Wohnung einen besonderen Schutz benötigt, weil es nun einmal ein unabdingbares Gut ist. Von daher wünsche ich mir ganz schlicht eines, nämlich dass Sie spätestens dann, wenn wir über diesen Gesetzentwurf abgestimmt haben, Ihr etwas angerostetes Kriegsbeil endlich wieder eingraben. Jede frühere Mietrechtsdebatte verlief doch in folgender Art und Weise: Morgen bricht die Welt zusammen, Vermieter und Mieter werden sich wie Streithähne einander gegenüberstehen und alles wird ganz schlimm werden. ({19}) Tatsache ist, dass das bisherige Mietrecht von beiden Seiten und von den jeweiligen Rechtsberatern sehr konstruktiv angewandt worden ist. ({20}) Letzteren, den vielen Juristen - ich bin sonst nicht sehr juristenfreundlich ({21}) - nehmen Sie es heute einmal so hin -, die sich immer wieder engagiert haben und mit diesem komplizierten Recht sehr konstruktiv umgegangen sind, möchte ich an dieser Stelle ein großes Kompliment machen und ein Dankeschön sagen. Ich glaube, diesen wird die Vereinfachung, die wir jetzt mit dieser Mietrechtsreform erreichen, gut tun. Sie werden es so anwenden, dass es in unserer Gesellschaft streitreduzierend wirkt und das Kriegsbeil nicht mehr benötigt wird. In diesem Sinne wünsche ich allen Beteiligten etwas mehr Friedlichkeit und Milde. ({22})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Wolfgang Spanier, SPD-Fraktion.

Wolfgang Spanier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002803, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Lassen Sie mich zwei Vorbemerkungen machen. Zum einen möchte ich mich an Herrn Pofalla wenden, sozusagen als Altlinker an den Jungrechten. ({0}) Sie haben uns vorhin unterstellt, dass wir die Opposition abschaffen wollen. Ich kann Sie wirklich beruhigen: Wir sind froh, dass Sie Opposition sind. Wir sind Ihnen dankbar, dass Sie die von der Verfassung vorgegebene Oppositionsrolle übernommen haben, und wir sind ganz sicher, dass Sie in der Opposition bleiben werden. Von daher ist die Unterstellung, wir wollten Sie abschaffen, keineswegs gerechtfertigt. Ganz im Gegenteil! ({1}) Zum anderen möchte ich auf Frau Ostrowski eingehen. Sie haben hier eine interessante Wendung vorgetragen. Ausgerechnet die PDS - auch mich hat das etwas erschüttert - redet verstärkten Steuersubventionen für die Wirtschaft, in diesem Fall für die Wohnungswirtschaft, das Wort. ({2}) - Sie haben doch die Verschlechterung der Rahmenbedingungen gefordert. Also ist doch der Rückschluss richtig, dass Sie hier die alten umfassenden und üppigen Steuersubventionen wieder aufleben lassen wollen. ({3}) Ich kann ja verstehen, dass Sie von der PDS sich bei der Schlussabstimmung nur enthalten. Wir haben es bemerkt: Das ist eine verschämte Zustimmung. Das ist so in Ordnung. ({4}) Frau Eichstädt-Bohlig hat Recht: Man hat wirklich den Eindruck, als ob im Rahmen der öffentlichen Debatte über die Mietrechtsreform alte Filme abgespult wurden. Deswegen habe ich einmal die Bundestagsprotokolle von 1974 nachgelesen, aus dem Jahr, als gefordert wurde, man brauche eine umfassende Mietrechtsreform. Auch damals, als es darum ging, den Mieterschutz zum ersten Mal als Dauerrecht einzuführen - das war nämlich vorher nicht der Fall -, sind die Haus- und Grundeigentümer Sturm gelaufen und haben, als hätten sie Ihre Pressemitteilungen gelesen, kritisiert, dies sei investitionsfeindlich, da die Investitionen in die Wohnungswirtschaft torpediert würden. Das stimmt einen schon nachdenklich. Sobald man in diesem Land in irgendeiner Weise den sozialen Schutz der Mieterinnen und Mieter stärken oder auch nur erhalten will, wird sofort das Geschrei, das sei investitionsfeindlich, erhoben. Ich glaube, das relativiert schon diesen Vorwurf. ({5}) Damals hat übrigens der Bundesjustizminister, Hans-Jochen Vogel, erklärt: Mietrecht, das ist nichts Abstraktes, Theoretisches, das ist Interessenausgleich in einem zentralen Lebensbereich. Schließlich ist ja die Wohnung keine Ware, sondern der Lebensmittelpunkt für den Einzelnen und die Familie, der Ort, an dem er Schutz und Geborgenheit sucht. ({6}) Jede rechtliche Regelung dieses Bereichs muss sich daher in besonderem Maße an den Grundprinzipien unserer Verfassung orientieren. Sie muss sicherlich die vom Grundgesetz geschützte Institution des Eigentums respektieren. Sie muss aber nicht minder mit der Sozialbindung des Eigentums Ernst machen und das Recht des Mieters auf freie, ungestörte Entfaltung beachten. ({7}) In dieser Kontinuität steht die Bundesjustizministerin, Herta Däubler-Gmelin. In dieser Kontinuität stehen auch die Koalitionsfraktionen. Es ist schon erstaunlich: Damals hat die F.D.P. diese Positionen unterstützt. Was ist aus Ihnen in diesen 26 Jahren geworden? Das ist ein Trauerspiel! ({8}) Hinsichtlich der alten Kohl-Regierung - es ist höchst interessant, wenn man ihre Pressemitteilungen liest - hat Herr Dr. Kansy mit der gebotenen Schärfe und Härte festgestellt: Sie ist gescheitert an der Mietrechtsreform, und zwar in erster Linie an den Extrempositionen der F.D.P. ({9}) - Ich zitiere nur meinen werten Kollegen, den wohnungspolitischen Sprecher der CDU/CSU-Fraktion. Auch zu dem Entwurf, den die F.D.P. heute vorlegt, sagt er: „Das ist wiederum eine Extrempositionierung zulasten der Mieter und hat nicht den Hauch einer Mehrheitschance.“ ({10}) So deftig würde ich mich als Ostwestfale nicht ausdrücken. Er sagt aber: „Das ist nicht anderes als Klientelshow.“ Recht hat er. Deswegen will ich über Ihren Gesetzentwurf auch keine weiteren Worte verlieren. ({11}) Zur CDU/CSU: Man kann selbstverständlich über das Verfahren reden. Das ist heute Morgen wieder in der überflüssigen Ausführlichkeit geschehen. Es hat eine breite öffentliche, gesellschaftliche Debatte zum Mietrecht gegeben. Nur, von der CDU/CSU kam nichts, praktisch keine konkreten Vorschläge, nur ein kurzes, knappes Papierchen im letzten Moment; das war alles. ({12}) Die Legende, die sie wiederum verbreiten - Stichwort: alter Film; dieses Gesetz sei investitionsfeindlich; Herr Pofalla hat das hier mit warmen Worten noch einmal verbreitet -, ist bei nüchterner Betrachtung schlicht und einfach falsch. Wir haben in einem ganz wichtigen Punkt die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der Wohnungswirtschaft erhalten, nämlich bei der Modernisierungsumlage, die weiterhin bei 11 Prozent bleibt. Ich füge persönlich hinzu: bei allen Bedenken, die wir gegen dieses System der Mieterhöhung haben. Außerdem haben wir die Kappungsgrenze gesenkt. Es ist von Herrn Manzewski und anderen deutlich gemacht worden, dass auch hier der Vorwurf, das sei investitionsfeindlich, überhaupt nicht zutrifft. Wir haben eben keinen entspannten Wohnungsmarkt im preiswerten Segment. Wir müssen die Mieterinnen und Mieter vor überzogenen Mieterhöhungen schützen. Ich denke, da haben wir ein Stück soziale Verantwortung. Deswegen ist es richtig, dass wir die Kappungsgrenze auf 20 Prozent gesenkt haben. ({13}) Das Mietrecht enthält einen großen Schritt der Modernisierung. Wichtigster Punkt ist dabei die Kündigungsfrist. Auch hier kommen wieder Ihre Klagen, das sei gegen die Interessen der Vermieter gerichtet, das sei wiederum investitionsfeindlich. Das fällt in sich zusammen wie ein Kartenhaus. ({14}) Der GdW hat in seinem Mustervertrag die dreimonatige generelle Kündigungsfrist für die Mieterseite, genauso wie wir sie jetzt ins Gesetz schreiben. Was der GdW nicht vorsieht, ist der Verzicht auf eine Kündigungsfrist von zwölf Monaten. Diese räumen wir allerdings dem Vermieter ein. Ich glaube daher, dass diese Regelung der Kündigungsfristen, die in der parlamentarischen Beratung entstanden ist, genau die richtige Maßnahme ist, um dem gesellschaftlichen Wandel und den Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt endlich Rechnung zu tragen. ({15})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Spanier, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Braun, F.D.P.-Fraktion?

Wolfgang Spanier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002803, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja.

Hildebrecht Braun (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002634, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Spanier, Sie erinnern sich doch sicherlich noch an die Jahre 1981 und 1982, als - zunächst noch durch eine sozial-liberale Koalition und dann durch die neue schwarzgelbe Koalition - die Kappungsgrenze von damals 30 Prozent überhaupt erst eingeführt wurde. Ist Ihnen erinnerlich, dass sich in der Zwischenzeit diese Kappungsgrenze, die eigentlich zum Schutz der Mieter gedacht war, im Denken von Vermietern und Mietern mit der Folge verselbstständigt hat, dass sie eine Mieterhöhung um 30 Prozent alle drei Jahre für zulässig halten? Ist Ihnen bekannt, dass dies wiederum dazu geführt hat, dass seither die Mieten schneller gestiegen sind als der Lebenshaltungskostenindex? Teilen Sie meine Bewertung dieses Vorgangs? ({0})

Wolfgang Spanier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002803, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich teile Ihre Feststellung, dass sich die Mieten in diesem Zeitraum überproportional nach oben entwickelt haben. Ich teile aber nicht Ihre Auffassung, dass dies mit der Kappungsgrenze zusammenhängt, weil diese Möglichkeit - es geht um ganz bestimmte Wohnungsbestände; Sie sollten einmal die Wohnungsunternehmen in Ihrem Wahlkreis fragen - keineswegs ausgeschöpft wurde. Das Problem ist, dass in bestimmten Orten, zum Beispiel in München, wo wir nach wie vor einen heiß gelaufenen Wohnungsmarkt haben, diese Schutzgrenze schlicht und einfach notwendig ist. Deswegen trifft Ihre Interpretation, dass die Kappungsgrenze Mieterhöhungen geradezu herbeibeschwört, nicht zu. Ganz im Gegenteil: Sie schützt die Mieterinnen und Mieter vor allzu großen Mieterhöhungen. ({0}) Ein weiterer Punkt der Modernisierung ist die Vertragsnachfolge beim Tod des Mieters. Ich habe mich sehr gewundert, Herr Pofalla, dass Sie in diesem Zusammenhang von „uferlosen Zwangsverträgen“ gesprochen haben. ({1}) Das müsste mit gleichem Recht für die Mietnachfolge durch den Ehepartner gelten. Um in Ihrer Logik zu bleiben, müssten Sie auch das als „uferlosen Zwangsvertrag“ bezeichnen. ({2}) Nein, dahinter steckt etwas ganz anderes, nämlich Ihre Voreingenommenheit gegenüber der Neuregelung der Lebenspartnerschaften und nichts anderes. ({3}) Auch beim qualifizierten Mietspiegel greife ich die Argumentation von Herrn Pofalla auf. Er hat hier die Abschaffung der Mietspiegel verlangt. Das war wirklich ein tolles Stück. Vielleicht sollten Sie sich, Herr Dr. Kansy, mit Ihrem jungen Kollegen aus dem Rheinischen besser abstimmen. Wir halten den qualifizierten Mietspiegel für einen deutlichen Fortschritt. Ich gehe davon aus, dass viele Städte die Kosten auf sich nehmen und einen solchen Mietspiegel erstellen lassen werden. Er wird helfen, Rechtsstreitigkeiten vor Gericht zu vermeiden, weil man endlich eine solide und gute Grundlage für Mieterhöhungen haben wird. Auf die Barrierefreiheit als weiteres wichtiges Moment der Modernisierung ist bereits von Margot von Renesse und Frau Eichstädt-Bohlig hingewiesen worden. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Wir haben gemeinsam das Gleichstellungsgebot in unsere Verfassung aufgenommen. Das Parlament hat eine große Verantwortung, dem in allen einschlägigen Gesetzen Rechnung zu tragen und es in allen Bereichen umzusetzen. ({4}) Diese Regelung zeigt, dass wir es mit dem, was wir in der Verfassung zu diesem Punkt vereinbart haben, wirklich ernst meinen. Eine andere wichtige Änderung - auch darauf ist in der parlamentarischen Beratung schon hingewiesen worden ist, dass wir die Kündigungssperrfristen bei der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen gelassen haben. Entscheidend ist, dass wir die Möglichkeit des Vermieters, diese Fristen zu unterlaufen, aus dem Gesetz herausnehmen wollen. Die Umwandlungsproblematik ist nicht nur in München vorhanden; sie stellt in vielen Großstädten nach wie vor ein bedrängendes Problem für die Mieterinnen und Mieter dar. Deswegen sind wir froh, die gesetzliche Grundlage in diesem Punkt gestärkt zu haben. Wir erwarten von den Ländern, dass sie sich der Mühe unterziehen, vernünftige Regelungen hinsichtlich der Festlegung von Sperrfristen, über die Grundfrist von drei Jahren hinaus, zu treffen. Wir wollten bei der außerordentlichen Kündigung eine so genannte Zerrüttungskündigung einführen. Wichtig war, in diesem Zusammenhang einen Verdacht aus der Welt zu schaffen. Ich weiß nicht, ob dieser Verdacht berechtigt war oder nicht, aber wir haben ihn aus der Welt geschafft. ({5}) - Er war nicht berechtigt, ich will das gerne einräumen. Ich denke aber, wir haben angesichts dessen, dass Besorgnis oder Unsicherheit herrscht, gut daran getan, hier für Klarheit zu sorgen. Das sieht mittlerweile auch der Deutsche Mieterbund so und darüber sind wir froh. Wir wollten nicht Menschen in Angst und Schrecken versetzen. Deswegen ist es gut, dass wir ein schuldhaftes Verhalten mit als Hauptgrund bei der außerordentlichen Kündigung in den Gesetzentwurf aufgenommen haben. ({6}) Ich muss - ebenso wie manch einer meiner Vorrednerinnen und Vorredner - einräumen: Die Schönheitsreparaturen haben wir im Gesetzentwurf nicht geregelt, obwohl sich die Wohnungspolitiker und die Rechtspolitiker das vorgenommen haben. - Es ist vorhin deutlich geworden, woran eine solche Regelung letztlich gescheitert ist. Vielleicht ist darüber auch noch nicht das letzte Wort gesprochen. Ich will nicht ausschließen, dass wir noch zu einer Regelung kommen. - Aber eines will ich Ihnen ganz klar sagen: Sie beklagen das Fehlen einer solchen Regelung und geben uns die Schuld daran. Doch wo ist denn eigentlich Ihr konkreter Vorschlag? Sie wussten seit Monaten, dass dieser Punkt im Gesetzentwurf nicht geregelt ist und es einen Vorschlag des Bundesrates gibt, haben sich aber zu diesem Vorschlag mit keinem Wort geäußert und auch keinen eigenen Vorschlag vorgelegt. ({7}) - Herr Geis, Sie können sich nicht damit herausreden, Sie seien in der Opposition. Sie betonen doch in jeder Rede, Sie wollten konstruktiv mitarbeiten. Dann tun Sie es doch gefälligst. ({8}) Das gleiche Bild bietet sich bei der Verwertungskündigung. Wir haben klar gesagt, dass wir das Verbot der Verwertungskündigung nicht aufheben werden; darum wäre es letztlich gegangen. Natürlich sehen wir die Problematik hinsichtlich der neuen Bundesländer. Es gibt dort Mietshäuser, in denen nur noch ein oder zwei Mietparteien leben, während die anderen Wohnungen leer stehen. Es leuchtet ein, dass die Wohnungswirtschaft ein berechtigtes Interesse daran hat voranzukommen, wenn ein aus städtebaulichen Gründen sinnvoller Abriss geplant ist. Hätten wir aber die Verwertungskündigung in die Mietrechtsreform aufgenommen, wie Sie, Herr Pofalla, es gefordert haben, so hätten wir, wie ich glaube, in großem Maße zur Verunsicherung der Mieterinnen und Mieter in den neuen Bundesländern beigetragen. Genau das wollen wir nicht! ({9}) Man kann über die Anregung von Frau EichstädtBohlig nachdenken. Ich frage mich aber: Warum ist in diesem Fall eigentlich eine Verwertungskündigung notwendig? Ist das angesprochene Problem nicht schlicht und einfach ein Sonderfall einer ganz normalen Kündigung nach § 573? ({10}) Ich bin kein Jurist - insgeheim sage ich: Ich bin auch dankbar dafür -, aber ich glaube, dass wir durchaus rechtliche Möglichkeiten haben. Wir müssen sie nur ausschöpfen. Lassen Sie mich zum Schluss sagen: Die Mietrechtsreform zeigt: Mit großer Entschlossenheit packt diese Bundesregierung, packen die Koalitionsfraktionen die längst überfälligen Reformen in der Wohnungs- und StädteWolfgang Spanier baupolitik an. Ich nenne die drei wichtigsten: die Wohngeldreform - Sie haben dies nicht geschafft -, ({11}) die Reform des sozialen Wohnungsbaus - ich hoffe, dass wir in diesem Punkt vielleicht zu einer gemeinsamen Lösung kommen; aber Sie haben dies nicht geschafft - und die Reform des Mietrechts; auch daran sind Sie gescheitert. Wir werden die Weichen neu stellen und ich kann Ihnen schon jetzt sagen: Wir können mit einer guten Bilanz vor die Wählerinnen und Wähler treten. Herzlichen Dank. ({12})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Freiherr von Stetten. ({0})

Dr. Wolfgang Stetten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002247, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen! Die Opposition steht nach den Ausführungen von Herrn Hartenbach im Verdacht, Zeit zu stehlen, wenn sie diskutieren möchte. Herr Spanier ist stolz wie ein Spanier, dass er kein Jurist ist. Das ist doch eine verkehrte Welt, wenn man über das Mietrecht diskutiert. Vom Ansatz her ist der Gesetzentwurf der Regierung, der als große Mietrechtsreform angekündigt wurde, zwar richtig. Aber Ihr Entwurf eines Mietrechtsreformgesetzes verdient den Namen nicht, weil er die schleichende Sozialisierung dieser Regierung auf vielen Gebieten nur unterstreicht und ausdehnt. ({0}) Dabei denke ich ausdrücklich auch an die geplante Reform des Betriebsverfassungsgesetzes oder an die von manchen SPD-geführten Ländern verlangte Erhöhung der Erbschaftsteuer. Das sind alles Schritte gegen das Wohneigentum und die Wirtschaft. ({1}) Wir Politiker waren uns vom Grundsatz her einig, dass die verschiedenen Mietgesetze im Bürgerlichen Gesetzbuch zusammengefasst werden müssen. Wir waren uns auch darüber einig, dass wir ein soziales Mietrecht haben und dass dieses auch erhalten bleiben soll. Aber die Schritte zur weiteren Entrechtung von Wohnungseigentümern bergen die Gefahr, dass aus einem sozialen Mietrecht ein sozialistisches Mietrecht wird, mit den Folgen, die wir in der ehemaligen DDR beobachten konnten, wo 40 Jahre lang sozialistische Misswirtschaft herrschte und wo es eine gigantisch große Zahl an kaputten Wohnungen und Häusern gab, die einfach in der Landschaft standen und zerfielen. Sie, meine Damen und Herren von der PDS, reden hier von Petersilie und Schnittlauch! Das kann doch wohl nicht richtig sein. Die Bauwirtschaft leidet schon heute außerordentlich stark unter der zurückgehenden Baukonjunktur und wird, wenn der vorliegende Gesetzentwurf verabschiedet ist, einen weiteren Schlag erleiden. Weitere Hunderttausende von Arbeitsplätzen werden dann gefährdet sein. Die Baukonjunktur war in der Vergangenheit oft genug Motor für eine florierende Wirtschaft. ({2}) Wenn diese weiterhin abgewürgt wird, wird auch die übrige Wirtschaft darunter leiden und werden die Arbeitslosenzahlen steigen. ({3}) Es bestand überhaupt kein Anlass zur Verschärfung des Mietrechts zuungunsten der Vermieter, weil die Mieten derzeit eher sinken als steigen und es eher freie Wohnungen als Wohnungsnot gibt. Wer in einer solchen Zeit Investoren mit der Senkung der Kappungsgrenze von 30 Prozent auf 20 Prozent verschreckt, schadet der Gesamtwirtschaft. ({4}) Wer wissenschaftlich erarbeitete Mietspiegel, die viel Geld kosten, als alleinige Grundlage für Mietanpassungen vorschreibt, verlängert die Verfahren und bürokratisiert sie unnötig. ({5}) Die nicht geregelte Frage der Schönheitsreparaturen ist keine Bankrotterklärung der Juristen, sondern der Regierung, die keine entsprechende Formulierung zuwege gebracht hat. Wenn es eine solche Formulierung gegeben hätte, hätten wir darüber diskutieren können. Aber eine solche Formulierung gibt es nicht. Das ist also, wie gesagt, eine Bankrotterklärung der Regierung und nicht der Opposition. Wer asymmetrisches Kündigungsrecht für Recht erklärt, indem er dem Mieter das Recht, innerhalb von maximal drei Monaten zu kündigen, und dem Vermieter das Recht einräumt, unter Umständen nur innerhalb von neun Monaten kündigen zu können, begibt sich an verfassungsrechtliche Grenzen oder überschreitet sie sogar. Das Gesetz müsste nach In-Kraft-Treten nicht durch die Rechtsprechung geglättet werden, Frau von Renesse, wenn es ein vernünftiges Gesetz wäre. Aber das jetzt vorliegende Gesetz muss in der Tat durch die Rechtsprechung geprüft und geglättet werden. Nur, was ist das für ein Armutszeugnis, wenn der Bundestag ein Gesetz verabschiedet, das - das wissen wir schon jetzt - nachher durch die Rechtsprechung geglättet werden muss. Das ist doch eine Bankrotterklärung! ({6}) Ein Geheimnis bleibt auch, warum gerade Studenten ihre Kaution nicht verzinst bekommen sollen. Wenn die Studentenwerke meinten, dass das zu schwer auszurechnen sei, kann ich ihnen empfehlen, sich für 50 DM ein Computerprogramm zu kaufen, mit dem sich die Zinsen per Knopfdruck leicht ausrechnen lassen. Frau Ministerin, warum haben Sie nicht wie bei der Zivilprozessordnung einen eleganten Salto rückwärts gemacht und in diesen Streitpunkten Kompromisse mit der Opposition gesucht? Bei den Beratungen über die Justizreform hat es bei den Berichterstattergesprächen auch zunächst geheißen, alles bleibe so wie im alten Entwurf, nichts werde geändert. Die Berufung von den Eingangsstufen direkt zum Oberlandesgericht werde festgezurrt. Aber dann wurde darauf hingewiesen, dass dadurch die Amtsgerichte und die Landgerichte gefährdet würden, und siehe da: Die gesammelte Kompetenz von Richtern, Anwälten und vernünftigen Rechtspolitikern hat Sie, Frau Herta Däubler-Gmelin, zur Einsicht gebracht. Es wäre ein Segen gewesen, wenn der gesammelte Sachverstand der Haus-, Wohnungs- und Grundeigentümer, der Wohnungsverbände, der Bauverbände, des Deutschen Städtetags, der Sparkassen und Banken und des großen Teils der Mietvereine, die den Gesetzentwurf in der Anhörung mit deutlicher Mehrheit verurteilten, von Ihnen, Frau Ministerin, und Ihnen, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, berücksichtigt worden wäre. Aber nein, Sie mussten mit dem Kopf durch die Wand ein Gesetz durchpeitschen! Und wenn wir beraten wollen, nennen Sie, lieber Herr Hartenbach, das Zeitdiebstahl. Das zeigt doch einen gewissen Mangel an Demokratieverständnis. ({7}) - Na ja, was Sie heute Morgen gebracht haben, Herr Hartenbach, war - um es vorsichtig auszudrücken - auch nicht gerade der Weisheit letzter Schluss. Sie mögen glauben, dass Ihr Gesetz mieterfreundlich sei, doch Sie erweisen den Mietern einen Bärendienst, denn irgendwann werden aufgrund der Investitionsrückstände für Mietwohnungsbau die Wohnungen wieder knapper und die Mieten steigen. Dann hat der Mieter das Nachsehen. Kurzfristig mag das zwar ein Vorteil für Eigentümer sein, bei weitem aber kein Ausgleich für die Eingriffe in das Eigentumsrecht. Sie betreiben eine absolut verfehlte Mieter- und Vermieterpolitik. Der Kanzler, der sich gern wirtschaftsfreundlich nennt, gibt dem linken Flügel wieder einmal ein paar sozialistische Brosamen, um Teile der SPD ruhig zu stellen ({8}) und um die Grünen, die er sonst als lästigen Wurmfortsatz behandelt, zu beruhigen. ({9}) Die eigentumsfeindliche Politik der Regierung zeigt sich aber auch an dem zurzeit im Vermittlungsausschuss behandelten Rentengesetz. Jeder weiß, dass Haus- und Wohnungseigentum der beste Garant ist, die staatliche Altersrente aufzubessern. Deswegen kann es nicht richtig sein, dass staatliche Zuschüsse zur privaten Altersvorsorge für Haus- und Wohnungserwerb nur dann zulässig sind, wenn der Betroffene sein Haus oder seine Wohnung mit Eintritt des Rentenalters einer Bank übereignet, damit er von dieser eine zusätzliche Rente erhält. Haus- und Wohnungseigentum fängt mit Bausparen an. Wer - oft mit viel Eigenleistung - gebaut hat, ist stolz darauf, wenn das Haus einmal abbezahlt ist und oft sogar noch verbessert und renoviert werden konnte. Dann soll er als Eigentümer dieses Haus einer Bank überschreiben und im Alter nicht mehr in seinen eigenen vier Wänden wohnen! Das, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition aus SPD und Grünen, können Sie mit uns nicht machen. Insbesondere Häuslebauer in Süddeutschland, aber auch alle anderen Wohnungseigentümer im Bundesgebiet werden das nicht mitmachen. ({10}) - Das ist letztlich nur die Fortsetzung und Ergänzung dieses negativen Mietrechtsreformgesetzes. Die bisherigen gesetzlichen Bestimmungen gewähren dem Ehegatten und den Kindern ein Recht zum Eintritt in das Mietverhältnis und durch die Rechtsprechung wurde dieses Recht auch schon auf den Lebenspartner ausgedehnt. Davon wurde bisher der gleichgeschlechtliche Lebenspartner ausgenommen. Nach Verabschiedung des Lebenspartnerschaftsgesetzes hätte es einer einfachen, aus einem Satz bestehenden Ergänzung des Mietrechts bedurft, um auch den gleichgeschlechtlichen Lebenspartnern dieses Eintrittsrecht zukommen zu lassen. Sie erweitern aber - und das ist das Schlimme daran - die Eintrittsmöglichkeit für unbeschränkt viele Personen oder Personengemeinschaften, wenn sie denn nur einen „auf Dauer angelegten gemeinsamen Haushalt“ führen. Dabei ist für den Vermieter nicht mehr überschaubar, ob und wann er in die Lage kommt, zu erkennen, wer zu welchem Zeitpunkt mit wem einen gemeinsamen Haushalt führt. Warum Sie auf diesen für den Wohnungsbau als Horrorvorschriften geltenden Bestimmungen beharrlich bestehen, bleibt unverständlich, nachdem Sie doch auch andere vernünftige Vorschriften in die Beratung aufgenommen haben. In diesem Zusammenhang denke ich besonders - ich betone, dass wir das unterstützen - an den neuen § 554 a BGB, in dem der Mieter vom Vermieter bauliche Veränderungen verlangen kann, die für eine behindertengerechte Nutzung der Mietsache oder deren Zugang erforderlich sind. Das geschieht natürlich auf eigene Kosten und gegebenenfalls nur gegen eine angemessene Sicherheit für die Wiederherstellung des alten Zustandes, aber unter Zugrundelegung der Abwägung der Interessen von Mieter und Vermieter. Ich wünsche mir, Herr Professor Pick - sehr geehrter Herr Staatssekretär, das ist Ihr Spezialgebiet -, dass in das Wohnungseigentumsgesetz eine entsprechende Bestimmung aufgenommen wird, damit ein Wohnungseigentümer von der Wohnungseigentümergemeinschaft die Zustimmung zu solchen behindertengerechten Einrichtungen verlangen kann, ohne langfristige Auseinandersetzungen mit uneinsichtigen Wohnungseigentümern führen zu müssen. Noch besser wäre es, Herr Pick, wenn wir heute den § 554 a BGB geringfügig wie folgt ändern würden: „Der Mieter kann vom Vermieter, und wenn die Wohnung eine Eigentumswohnung ist, auch von der EiDr. Wolfgang Freiherr von Stetten gentümergemeinschaft, die Zustimmung zu baulichen Veränderungen oder sonstigen Einrichtungen verlangen...“ Entsprechende einfache Änderungen im Hinblick auf Wohnungseigentum wären auch hinsichtlich der anderen Bestimmungen des § 554 a BGB notwendig. Das wäre eine sinnvolle Sache, mit der wir etwas erreicht hätten. Schade, dass für die im Streit befindlichen Themen keine vernünftigen Regelungen gefunden wurden - erstens, weil Sie das nicht wollten, und zweitens, weil Sie uns keine Zeit dazu gelassen haben! Wir lehnen dieses Gesetz ab, weil es mieter- und vermieterunfreundlich ist und Wohnungsbauinvestitionen für die Zukunft erschwert. Schade, die Chance für ein modernes, zukunftsweisendes Mietrecht ist damit vertan. Sie allein tragen daran die Schuld. ({11})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Bundesministerin Herta Däubler-Gmelin.

Dr. Herta Däubler-Gmelin (Minister:in)

Politiker ID: 11000347

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich in der Tat, dass der Deutsche Bundestag heute mit der zweiten und dritten Lesung des Gesetzentwurfs zur Mietrechtsreform seine Beratungen zu diesem sehr wichtigen Rechtsgebiet abschließt. Ich danke all denen - lassen Sie mich das am Anfang sagen -, die in den vergangenen Monaten und Jahren kooperativ mitberaten haben. ({0}) Ich glaube, dass wir heute einen guten und wichtigen Schritt tun; denn eine Reform des Mietrechts ist seit Jahrzehnten überfällig; diese Reform - das unterstreichen alle Verbände - ist wirklich nötig. Dieser Gesetzentwurf enthält sehr viele sehr vernünftige Regelungen, die gerade das gute Miteinander zwischen den Mietern und den Vermietern sowie die Unterstützung der Wohnungswirtschaft fördern, ein Miteinander, das alle wollen und das wir diesem Gesetz als Leitbild vorangestellt haben. ({1}) Dass das so ist - jetzt wende ich mich der Opposition zu -, wissen Sie genau. Wir waren an unzähligen Diskussionen mit Ihnen beteiligt und wir haben mit vielen Experten von Ihnen Einzelgespräche geführt. Dass Sie als Opposition hier wieder einmal ein ganz erstaunliches Getöse veranstalten, sozusagen einen Rauchvorhang hochziehen, steht dem gar nicht entgegen. Ich finde es nur ein bisschen schade, dass Sie an Ihrer Linie der Blockade und des Neins festhalten, weil Sie damit zeigen, dass Sie die letzten 16 Jahre noch nicht abstreifen konnten. Es ist wichtig, dass wir in der Öffentlichkeit nochmals klarmachen, dass die angemessenen, die guten, die ausgewogenen und die modernen Lösungen, die dieses Mietrecht in sich vereinigt, allen nützen. ({2}) Dieses Mietrecht ist für die Mieter und für die Vermieter gut, weil wir den Mieterschutz da stärken, wo es dringend erforderlich ist, weil wir die Vertragsfreiheit da ausbauen, wo es der Markt wirklich zulässt, zum Beispiel bei Staffelmieten, bei Indexmieten und auch beim Zeitmietvertrag, und weil wir nicht nur das Miteinander der Mieter und der Vermieter, sondern auch das der Verbände fördern, lieber Herr Funke. Anders als Sie setzen wir nicht auf eine Klientel und nicht auf einen Verband; vielmehr reden wir mit allen und wir bitten alle mehrfach, uns ihre Probleme und ihre Interessen mitzuteilen. Der Deutsche Bundestag und die Bundesregierung haben nicht die Aufgabe, Politik zugunsten irgendeiner Klientel zu betreiben; Aufgabe ist vielmehr, das Gemeinwohl zu fördern. Das tun wir. ({3}) Das Miteinander zwischen den Vermieterverbänden und den Mieterverbänden stärken wir gerade durch die Regelung des Mietspiegels. Eigentlich wissen auch Sie das. Ich würde Ihre gut gemeinten und liebenswürdigen Ratschläge im Grunde sehr gerne annehmen, weil ich Sie - Sie wissen das, Herr Funke - menschlich schätze. Aber es wäre natürlich gut, wenn Sie ein bisschen mehr von zutreffenden Informationen ausgingen. Ich möchte als Beispiel das Vorkaufsrecht nennen. Warum sagen Sie nicht, dass es für die Ausübung des Vorkaufsrechts des Mieters bisher nicht der Schriftform bedurfte? Dank der 16 Jahre Ihrer verantwortungsvollen Politik ließen die bisherigen Regelungen auch die mündliche Ausübung zu. Wir haben zum Schutz der Mieter die Schriftform eingeführt. Nun behaupten Sie, das sei nicht in Ordnung. Ihre Regelung war nicht in Ordnung! ({4}) Was wir tun, ist mieterfreundlich. Wenn Sie jetzt sagen: „Jawohl, es sollte eigentlich noch eine zusätzliche Beratung durch Notare geben“, dann entgegne ich Ihnen: Auch das ist in Ordnung. ({5}) Aber durch eine freiwillige Beratungstätigkeit stehen die Notare im Wort. Das ist gut so. Anstatt ehrlichkeitshalber zu sagen: „Jawohl, es war falsch, dass wir in unserer Verantwortung die mündliche Ausübung vorgesehen haben, und wir stimmen jetzt der Schriftformregelung zu“, erzählen Sie den Menschen, wir wären in dieser Frage nicht für den Mieterschutz. Sie wissen doch ganz genau, dass das nicht stimmt. Lassen Sie mich einen zweiten Punkt herausgreifen - jetzt wende ich mich an Sie, lieber Herr Repnik -: Ich weiß ganz genau, dass Sie an anderer Stelle immer wieder Wert darauf legen, zu sagen, dass auch die Opposition - manchmal tun Sie sogar so, als könnten Sie uns darin übertreffen, aber das ist nicht der Fall - für den Schutz der Familien sei, und zwar gerade für den Schutz der Familien, die in Ballungsräumen leben, wenig Geld haben, aber für sich und ihre Kinder eine geeignete Wohnung brauchen. Wir sagen jetzt: Gerade für diese Familien - ob in Stuttgart, Frankfurt oder München - setzen wir die Kappungsgrenze herab. Was höre ich dazu von Ihnen? Sie sprechen von Eigentumsfeindlichkeit. Herr Repnik, dies ist nahezu zynisch. Gestatten Sie, dass ich Ihnen das sage. ({6}) Wenn man für Familienpolitik ist, muss man auch dafür sein, die Familien zu schützen. Wir werden sehr genau schauen - es wird nachher eine namentliche Abstimmung geben -, wo Sie persönlich stehen. ({7}) Im Rahmen der Förderung von Familien müssen wir den Schutz gerade für Familien mit niedrigem Einkommen in Ballungsräumen verstärken. ({8}) Genau dies schreiben das Bundesverfassungsgericht und unsere Verfassung vor. Wenn Sie nicht mitmachen, werden wir dies den Familienverbänden erzählen müssen. ({9}) Mir wäre viel lieber, Sie würden mitmachen. Sie können sich ja noch überlegen, ob Sie es nicht doch noch tun. ({10}) Aber beides geht nicht, nämlich einerseits hier zu erklären, dies sei eigentumsfeindlich, und andererseits zu sagen, Sie seien für die Familien. Das passt nicht zusammen. ({11}) Das Gleiche ist bei den alten Menschen der Fall. Die Bürgermeisterin aus Regensburg, Frau Anke - ich glaube, sie ist Mitglied der CSU -, schrieb mir schon vor Jahren, als wir angefangen haben, darüber nachzudenken, wie wir Menschen, die ins Altenheim müssen, helfen oder Menschen, die umziehen müssen, ihre Flexibilität erhalten können - übrigens „neue Mitte“, meine Damen und Herren -, sie sei wirklich dankbar, dass sich nach 16 Jahren, in denen sie von der Regierungskoalition aus CDU/CSU und F.D.P. dazu nichts gehört habe, endlich jemand um diese Menschen kümmere. Ich habe ihr gesagt: Wir tun das. Und das machen wir auch. ({12}) Wir wissen ganz genau, dass die asymmetrische Kündigung vielen hilft. Wir wissen auch, dass sie Mietern nicht schadet, weil sich anständige Vermieter auch heute schon nicht auf den noch geltenden Rechtszustand berufen, sondern gemeinsam mit ihren Mietern eine vernünftige Regelung treffen. Diese vernünftigen und fairen Vermieter nehmen wir zum Vorbild. Diese vernünftigen Vermieter - das sage ich Ihnen - sind das Leitbild unserer Mietrechtsreform. ({13}) Dass Sie wieder dagegen sind, wird vom Deutschen Städtetag - Sie haben diese Organisation vorhin erwähnt - genauso kritisiert wie von den Menschen, die sich ganz besonders um alte Menschen kümmern. Wir werden auch hier ganz genau schauen, wo Sie stehen. Denn es passt nicht zusammen, wenn Sie die Behauptung aufstellen, man wolle alten Menschen helfen, dann aber gegen unser Mietrechtsreformgesetz sind. ({14}) Jetzt komme ich zum dritten Punkt, nämlich zu den Behinderten. Lieber Herr von Stetten, es hat mich natürlich sehr gefreut - übrigens auch das, was Sie gesagt haben, Herr Funke -, dass Sie erklärt haben, der Grundsatz der Barrierefreiheit werde von Ihnen akzeptiert und unterstrichen. Aber wer diesen Grundsatz akzeptiert und unterstreicht, der muss unserem Mietrechtsreformgesetz zustimmen. ({15}) Man kann nicht sagen, man sei für die Behinderten, aber gegen das Mietrechtsreformgesetz. ({16}) Deswegen sage ich Ihnen: Diese Form der Meisterschaft der gespaltenen Zungen machen wir nicht mit. ({17}) Wenn Sie hier Opposition machen und Nein sagen wollen, tut uns das Leid, ({18}) weil wir Ihnen genau wie in anderen Bereichen Beratung und Kooperation anbieten. ({19}) Wenn Sie aber nicht darauf eingehen wollen oder meinen, Sie könnten nur dann Ja sagen, wenn Ihre einseitige Klientelpolitik fortgeschrieben wird, ({20}) werden wir dies nach außen deutlich machen. Ich sage Ihnen auch, dass die Menschen das nicht akzeptieren werden. ({21})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Ostrowski?

Dr. Herta Däubler-Gmelin (Minister:in)

Politiker ID: 11000347

Gerne.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Bitte.

Christine Ostrowski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001662, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Ministerin, ich habe eine Frage zur Barrierefreiheit. Ihre Rede und auch die Beiträge anderer Abgeordneter haben etwas anders geklungen als das, was im Gesetz steht. Im Gesetz steht nämlich erstens, dass der behinderte Mieter vom Vermieter die Zustimmung zu einem bedarfsgerechten Umbau verlangen kann, wenn er ein berechtigtes Interesse nachweisen kann. Zweitens kann der Vermieter die Zustimmung verweigern, wenn sein Interesse das Interesse des behinderten Mieters überwiegt. Drittens müssen auch die anderen Mieter in dem Haus gefragt werden, ob sie mit dem Umbau einverstanden sind. Viertens geht es um eine angemessene Leistung des behinderten Mieters und um den Abbau der baulichen Veränderungen, wenn er auszieht. Denken Sie nicht, dass man diese Punkte in den Reden konkret ansprechen sollte, damit behinderte Menschen nicht in der Illusion leben, für sie könnte es die totale Barrierefreiheit geben? ({0})

Dr. Herta Däubler-Gmelin (Minister:in)

Politiker ID: 11000347

Liebe Frau Ostrowski, ich glaube, dass Sie in der Sache Unrecht haben; denn selbstverständlich gilt auch hier, dass ein ausgewogener Interessenausgleich erforderlich ist. Wenn Sie einmal so freundlich wären, sich mit den einzelnen Fällen, die zum Teil schon vom Bundesverfassungsgericht entschieden wurden, auseinander zu setzen, dann würden Sie sehen: Unser Gesetzentwurf wird sowohl der Lage der Mieter als auch der Lage der Vermieter gerecht. ({0}) Ich teile im Übrigen die Auffassung von Frau von Renesse, dass wir uns einer Korrektur, wenn sie sich in der Praxis als notwendig erweisen sollte - ich vermute aber, dass dieser Fall nicht eintritt -, nicht widersetzen sollten. Auch wenn die rechte Seite des Hauses nicht zustimmen will, so verbindet uns doch das Ziel, für die Behinderten bessere Integrationsmöglichkeiten zu schaffen. Dieses Ziel spiegelt sich auch im neuen Mietrecht wider. ({1}) Die neuen Regelungen sind auch gut für die Modernisierung und für Investitionen, weil wir - das will ich einmal feststellen; es ist noch nicht zum Ausdruck gekommen - einen großen Teil unnötiger Bürokratie abbauen. Meine Damen und Herren von der Opposition, diese Bürokratie hätten Sie schon in den vergangenen 16 Jahren abbauen können. Das wäre gut gewesen. Wir erweitern auch die Möglichkeit, die Kosten für die Modernisierung umzulegen. Wir sind außerordentlich ökologisch orientiert, weil wir ganz genau wissen, dass Vermieter und Mieter ein gemeinsames Interesse an modernen Wohnungen haben, die nach ökologischen Gesichtspunkten ausgerichtet werden. Die Regelungen, die wir jetzt treffen, sind nicht nur gut, sondern auch klar. Ich bedanke mich bei allen, auch bei den Rednern aus den Reihen der Opposition - ich weiß, es ist schwer, über den eigenen Schatten zu springen -, die sich lobend über die Klarheit und die Verständlichkeit der Regelungen geäußert haben, was berechtigt ist. Wir haben heute etwa 300 000 Prozesse, die sich mit Mietstreitigkeiten befassen. ({2}) Auch das ist ein Ergebnis der letzten 25 Jahre, in denen es nicht möglich war, eine vernünftige Mietrechtsreform zustande zu bringen. Wir wollen die Zahl der Mietprozesse deutlich senken. Wir nehmen an, dass das nach einer gewissen Anlaufzeit gelingen kann. ({3}) Sie haben übrigens so getan - über diesen Punkt muss man in der Tat reden -, als bräuchte man für den Bereich der Schönheitsreparaturen dringend neue Regelungen. Ich weiß aus vielen Gesprächen mit Ihnen und auch aus Gesprächen mit Verbänden, dass Neuregelungen von der Sache her nicht erforderlich sind. Die Schönheitsreparaturen sind nämlich heute schon ausreichend geregelt. Wir haben gerade in diesem Bereich eine Rechtsprechung, über die ich von keiner Seite Kritik gehört habe. Deswegen wollen wir die Schönheitsreparaturen jetzt gesetzlich nicht neu regeln. Warum sollten wir dies tun, wenn doch alle ihre Zufriedenheit mit dem jetzigen Zustand deutlich zum Ausdruck gebracht haben? ({4}) Wenn wir das getan hätten, hätten Sie uns - da bin ich mir ganz sicher -, Regelungswut vorgeworfen. ({5}) Ich möchte deswegen festhalten: Die Regelungen, die wir zu den Schönheitsreparaturen haben und die ein mieterfreundliches Leitbild enthalten, halten wir für richtig. Wir wollten sie nicht ändern, niemand wollte sie ändern, und deswegen haben wir sie nicht geändert. ({6}) Lassen Sie mich noch auf das Thema Nebenkosten zu sprechen kommen. Die Höhe der Nebenkosten kann man mit dem Mietrecht leider nicht verändern. Wir haben das getan, was man in diesem Zusammenhang machen konnte: Wir haben die Transparenz erhöht. Durch die Berücksichtigung des Grundsatzes der Verbrauchsabhängigkeit geben wir den Mietern mehr Einfluss. Diese Tatsache ist wichtig. Das trägt zu meinem Gesamturteil bei, dass dieses Gesetz notwendig und vernünftig ist, den Mieterschutz von Familien, alten Menschen, Behinderten und Leuten, die umziehen müssen, erhöht, die Vertragsfreiheit ausbaut und die Zusammenarbeit zwischen den Mietern und den Vermietern sowie zwischen ihren Interessenorganisationen stärkt. Es hilft schließlich der Wohnungswirtschaft. Sie haben nun noch eingewandt, wir hätten die Verwertungskündigung im Osten zulassen sollen. Darüber haben wir in der Tat lange geredet. Es sollte aber nicht einfach so im Raum stehen bleiben, dass dieser Sachverhalt ungeregelt und die Nichtzulassung deswegen ungerechtfertigt sei. Sie wissen ganz genau, dass von den CDU-geführten Regierungen im Osten - wenn nicht, dann fragen Sie bitte bei denen nach - mehr Einwendungen gegen als Unterstützung für eine Änderung gekommen sind. Ich möchte noch einmal sehr deutlich sagen: Mit gespaltener Zunge zu reden macht auch hier keinen Sinn. Ich glaube, wir können hier festhalten, dass solche Missbrauchsfälle, wie Sie sie geschildert haben, heute von den Gerichten unter Bezugnahme auf das so genannte berechtigte Interesse sehr wohl unterbunden werden können und damit allen gedient ist. Wir können somit sagen: Missbrauchsfälle dulden wir tatsächlich nicht. ({7}) Lassen Sie mich zusammenfassen: Es handelt sich um gute Regelungen. Sie müssen sich entscheiden: Wenn Sie für die Familien, die alten Menschen und die Behinderten sind, ({8}) dann müssen Sie zustimmen. Wenn Sie das nicht tun, heißt das ganz klar, Sie wollen diese Regelungen nicht unterstützen. Am Ende dieser Beratungen will ich all denen ganz herzlich danken, die in den letzten Jahren und Monaten mitgearbeitet haben: auf Länderseite insbesondere Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen, auf Ministeriumsseite den Mitarbeitern nicht nur im Bundesministerium für Justiz, sondern auch im Wohnungsbauministerium. Ich sehe hier die Staatssekretäre Großmann und Pick; beide haben sich außerordentlich stark engagiert. ({9}) Ich bedanke mich bei allen Verbänden, die uns in zahlreichen Runden ihre Sorgen und Wünsche mitgeteilt haben. Ich darf stellvertretend, weil ich sie hier sehe, der Präsidentin des Deutschen Mieterbundes danken. Sie hat übrigens mit Unterstützung und Kritik - ob berechtigt oder nicht - nicht gespart. Ich bedanke mich auch sehr bei den Kolleginnen und Kollegen aus den beratenden Ausschüssen, aus dem Wohnungsbau-, dem Wirtschafts- und insbesondere dem Rechtsausschuss. Ich glaube, das Gesetz ist gelungen. Ich freue mich, dass es am 1. September in Kraft treten kann. Herzlich Dank. ({10})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Eduard Lintner.

Eduard Lintner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001351, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Minister, ich halte es für zu oberflächlich, wenn Sie unsere Position mit einem „Rauchvorhang“ vergleichen. Etliche Redner haben Ihnen ja konkret anhand der Bestimmungen, die Sie ändern wollen, belegt, dass dieses Gesetz tatsächlich gegen das Gebot der Ausgewogenheit verstößt. Dieses Argument kann nicht so ohne weiteres und leichthin, wie Sie es getan haben, vom Tisch gewischt werden. Auch die Art des Umganges mit diesem Sachverhalt, der ja für uns alle von großer Bedeutung ist, ist ein Beweis dafür, dass Sie bei den Beratungen nach der Devise gehandelt haben: Augen zu und durch, denn wir haben uns gegenüber einer bestimmten linken Klientel zu etwas verpflichtet, was wir jetzt tatsächlich auch vollziehen müssen. ({0}) Ich muss Ihnen auch sagen - das gilt eigentlich für die ganze Debatte -, dass von Ausgewogenheit, die Sie für sich immer verbal in Anspruch nehmen, nur theoretisch gesprochen werden kann. In der Sache handeln Sie einseitig. Das ist an vielen einzelnen Punkten belegt worden. Meine Damen und Herren, es steht fest: Das Mietrecht regelt nicht nur einen sehr sensiblen wirtschaftlichen Bereich, sondern ist auch für den allgemeinen Rechtsfrieden in der Gesellschaft von außerordentlich großer Bedeutung. Deshalb waren wir stets bemüht, das Gebot der Ausgewogenheit zwischen den Interessen der Mieter und denen der Vermieter nicht zu verletzen. Dies haben wir als ein hohes politisches Gut empfunden; denn nur so kann ein ausreichender Anreiz für Investoren, im Mietwohnungsbau Geld anzulegen, geschaffen werden. Das bestätigen uns alle Fachleute. Nur Sie von der Koalition wollen es einfach nicht wahrhaben und glauben. ({1}) Dabei sprechen doch die Erfolge für uns. Denn es ist damit gelungen, in den meisten Städten und Gemeinden unseres Landes bei den Mietwohnungen das Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage insbesondere im Interesse der Mieter ins Lot zu bringen. Aber Sie treiben ein echtes Spiel mit dem Feuer, übrigens letztlich auf Kosten der Mieter, wenn die Regierungskoalition diese Mietrechtsänderung jetzt durchpauken will. Denn Sie verlassen dabei den Pfad der Ausgewogenheit und schieben die Interessen der Mieter kontraproduktiv für alle, auch für die Mieter, in den Vordergrund. Dazu nur drei krasse Beispiele: Der neue, so genannte qualifizierte Mietspiegel ist teuer und wird eine stete Quelle für Streit sein, ({2}) schon deshalb, weil es die von Ihnen als allgemein anerkannt dargestellten wissenschaftlichen Begründungen in der Praxis gar nicht gibt. ({3}) - Natürlich. Außerdem schaffen Sie ein für Ideologen in der Kommunalpolitik verführerisches neues Betätigungsfeld und hebeln damit gleichzeitig bewährte Instrumente, wie den einfachen, gemeinsam von Vermietern und Mietern erstellten Mietspiegel, praktisch aus. Besonders pikant finde ich dabei, dass die Erarbeitung und ständige Aktualisierung des qualifizierten Mietspiegels sehr aufwendig und teuer sein wird. Diese völlig überflüssigen Kosten werden nach aller Marktwahrscheinlichkeit von den Mietern zu tragen sein, oder die Kommunen bleiben darauf sitzen und werden Mittel und Wege finden, um sich das Geld bei den Leuten wiederzuholen. ({4}) Durch die neuen asymmetrischen Kündigungsfristen wird glatt negiert, dass es vergleichbare Zwangslagen wie beim Mieter auch beim Vermieter jederzeit geben kann. Gerade darin sieht - gestern hat er es Ihnen über die seriösen Tageszeitungen noch einmal mitgeteilt - der Präsident des Verbandes deutscher Hypothekenbanken einen wichtigen Grund für die weiter rückläufigen Investitionen im Mietwohnungsbau, so gestern wörtlich nachzulesen. Letztes Beispiel ist die Streichung der erleichterten Kündigungsmöglichkeit beim vom Vermieter selbst bewohnten Dreifamilienhaus. Hier sehen Sie eine Regelung vor, die den verfassungsrechtlich gebotenen hochrangigen Vertrauensschutz gröblich verletzt - eine Quelle für Verfassungsstreitigkeiten, kann ich Ihnen nur sagen. ({5}) Die Beispiele mögen genügen. Wir haben Sie gewarnt, aber eben nicht nur wir. Wenn Sie auf uns schon nicht hören wollen, dann doch bitte auf die Warnungen der Forschungsinstitute und des Sachverständigenrats. Beide machen für den unerwartet deutlichen Rückgang des Wohnungsbaus in diesem Jahr um sage und schreibe 3,3 bis 3,5 Prozent auch die Diskussion - so wörtlich - um die geplante Mietrechtsreform verantwortlich, wohlgemerkt: die geplante. Ihre Vorlage stellt aber eine weitere Verschlechterung für die Vermieter dar. Das muss und wird diesen Abwärtstrend noch verstärken. ({6}) Im Übrigen, Frau Ministerin: Was Sie zur Familie gesagt haben, kann eigentlich nur als blankes Lippenbekenntnis bezeichnet werden. ({7}) Denn wenn man bedenkt, dass gerade die Familien unter den Preissteigerungen sozusagen azyklisch zu leiden hatten - insgesamt sind die Mietpreise ja gesunken, nur die Familien zahlen nach der Statistik für die Warmmiete heute 4 Prozent mehr, weil Sie sie über die Energiesteuer und die Ökosteuer zusätzlich ohne Ausgleich belastet haben -, ({8}) dann können Sie sich nicht hier hinstellen und so tun, als seien die Familien Ihr besonderes Anliegen. ({9}) Sie riskieren mit Ihren neuen Regelungen - das ist Ihnen zu vielen Punkten bereits gesagt worden - auch nach Meinung der Fachleute, dass das Interesse an Investitionen im Mietwohnungsbau noch mehr nachlässt. Zusätzlich belasten Sie die Bereitschaft noch durch Diskussionen über den Wegfall der Investitionszulage für den Mietwohnungsneubau oder durch die neueste Diskussion über eine Erhöhung der Erbschaftsteuer. Experten sagen Ihnen deshalb voraus, dass zum Beispiel der Mietwohnungsbau in der Form des Mehrfamilienhauses demnächst auf unter 100 000 Wohneinheiten fallen wird. Die Zahl der Baugenehmigungen, die vorliegen, bestätigt uns das. Meine Damen und Herren, aus alldem folgt - ich fasse mich jetzt kurz, weil meine Redezeit davonläuft -, was der Kommentator in der Tageszeitung „Die Welt“ am Dienstag vorhergesagt hat: Die Folgen werden zwar erst in einigen Jahren sichtbar werden, aber sie werden in einer neuen Wohnungsnot bestehen. Damit provozieren Sie mittelfristig, dass der heute überwiegend anzutreffende Mietermarkt zu einem Vermietermarkt wird. Das Kaputtmachen des Mietermarktes aber bedeutet, dass durch die Macht des Faktischen der Mieterschutz, den sie dieser Klientel mit warmen Worten verkaufen wollen, letztlich leer läuft. Vielen Dank. ({10})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Alfred Hartenbach. Er ist, soweit ich es sehe, der letzte Redner in dieser Debatte. Auch wenn Sie alle auf die namentliche Abstimmung warten, bitte ich Sie, den Geräuschpegel etwas zu dämpfen.

Alfred Hartenbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002669, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin, ich bedanke mich sehr herzlich für Ihre Unterstützung. Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Nach der heutigen Debatte haben wir festzustellen, dass auf der rechten Seite des Hauses die Stunde der reuigen Sünder geschlagen hat, denn alle haben ihre Sünden bekannt: Funke, dass er in acht Jahren nichts geschafft hat, von Stetten, Pofalla, Kansy und nun auch Herr Lintner, dass sie in den Jahren seit der deutschen Vereinigung nichts geschafft haben. ({0}) Sie haben alles uns überlassen und wir übernehmen diese Last gerne; denn wir wissen, dass wir jetzt ein Mietrecht geschaffen haben, das man mit Fug und Recht mit der Headline überschreiben kann: optimiert und austariert. ({1}) Es ist optimiert, weil wir all das, was dringend notwendig war, in einem Gesetz zusammengefasst haben. Das haben Sie nicht geschafft. Es ist austariert, weil wir sowohl den berechtigten Interessen der Mieter als auch den wohlverstandenen Interessen der Vermieter entgegengekommen sind und beide Interessen zum Ausgleich gebracht haben. Wir könnten es natürlich so machen, wie es die F.D.P. will, indem wir ein Gesetz beschließen, das ausschließlich an marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten orientiert ist. Das wäre Ihre Masche, aber das ist mit uns nicht zu machen. ({2}) Wir könnten es auch so machen, wie es die PDS will, indem wir eine dunkelrote, altsozialistische Romantik pflegen. Auch das geht nicht, denn wir müssen hier die Interessen der Vermieter mit bedenken. ({3}) Wir könnten es natürlich auch so machen, wie es die CDU/CSU will, die ein Sammelsurium aller möglichen Vorschläge unterbreitet, dabei aber keinen hat, der eine nähere Betrachtung wirklich verdient. Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, das Mietrecht hat neben der sozialromantischen und der marktwirtschaftlichen eine ganz wichtige Funktion: eine soziale Regelungsfunktion für, wie ich eben gehört habe, 60 Millionen Menschen, die entweder Vermieter oder Mieter sind. Diese Funktion ist deshalb so wichtig, weil sie das Zusammenleben von Mieter und Vermieter regelt. Wir wissen doch, dass die Mehrheit der Mietverhältnisse vernünftig und ordentlich funktioniert. Aber das Mietverhältnis kann sowohl für den Vermieter zur Hölle werden, wenn er einen Mieter hat, der ihm ständig in die Quere kommt, als auch für den Mieter zu einer schlimmen Hölle werden, wenn er nicht sicher sein kann, ob und unter welchen Bedingungen er in der Wohnung leben kann. Mit unserer Neuregelung sorgen wir dafür, dass es dazu nicht kommt. ({4}) Wir haben dabei genau das richtige Maß getroffen. Die Mieter haben eine Sicherheit, dass sie in ihrem Lebensumfeld bleiben können, so lange sie wollen und so lange sie nicht gegen Verträge verstoßen. Die Vermieter haben eine Sicherheit, dass mit dem von ihnen geschaffenen Wirtschaftsgut, welches sie zur Verfügung stellen, sorgsam umgegangen wird. Ich kann aufgrund der Kürze der Zeit nicht alle Komponenten herausgreifen, aber ich denke, dies sind die wichtigsten. Jetzt möchte ich noch einen Punkt ansprechen, der meiner Meinung nach auch wichtig ist. Nun können wir natürlich mit dem neuen Mietrecht nicht in alle bestehenden Mietverträge eingreifen. Dort, wo zum Beispiel hinsichtlich der Kündigungsfrist individuelle Absprachen zwischen Mieter und Vermieter getroffen worden sind, wird es uns nicht möglich sein einzugreifen. Dort aber, wo die Mietverträge als Formelmietverträge lediglich auf die gesetzlichen Kündigungsfristen Bezug nehmen oder sie formelhaft wiederholen, wird künftig das neue Mietrecht gelten. Damit haben wir in diesem Punkt auch wieder eine wichtige Neuerung geschaffen, dass sich nämlich Mieter und Vermieter auf diese neuen Bedingungen ab dem InKraft-Treten des Gesetzes einstellen können. ({5}) Nun ist es natürlich keineswegs so, wie meine Vorredner von der Opposition gesagt haben, dass alle diese Regelung schlecht gemacht hätten. Natürlich hat der Mietgerichtstag am vergangenen Wochenende in Dortmund in seinen Presseerklärungen von Freitag noch in Kenntnis des bis dahin noch nicht geänderten Rechts - die Beteiligten hätten es wissen können, sie wussten es aber nicht - eine negative Stellungnahme abgegeben, die sich aber im Verlauf der dort geführten Debatten deutlich geändert hat. Wer zum Beispiel gestern beim Jour fixe des Deutschen Anwaltvereins hier in Berlin gewesen ist, der hat mitbekommen, dass die Redner der dortigen Veranstaltung diesem Mietrecht sehr positiv gegenübergestanden haben. ({6}) Heute haben alle Münchner Abgeordneten, ob von CSU, F.D.P., Grünen oder SPD - ob das auch für PDSAbgeordnete zutrifft, weiß ich nicht -, einen Brief bekommen, der einen Beschluss des Stadtrates der Stadt München enthält, der die Münchner Abgeordneten mehrheitlich auffordert, dem neuen Mietrecht zuzustimmen, weil es gut und richtig ist. Das sollten Sie sich vielleicht einmal kurz überlegen. ({7}) Nun noch ein letztes Wort zu den Wehklagen der Opposition im Hinblick auf mangelnde Beteiligungsmöglichkeiten. Es ist ja so, dass wir Sie, Herr Funke, Herr Pofalla, wie anständige Ziehkinder behandelt haben. ({8}) Wir haben Ihnen alle Informationen gegeben, wir haben mit Ihnen diskutiert. ({9}) - Sie wollten doch gleich am Anfang wieder schmollend in die Ecke laufen, Herr Funke, wir mussten Sie mühsam zurückhalten und an den Verhandlungstisch bringen. Wenn Sie natürlich erwarten, dass wir all das, was wir in mühsamen Besprechungen untereinander und mit den Verbänden aufgebaut haben, insgesamt über Bord werfen, dann ist das auch keine Beratung. Herr Funke, ich erwarte von Berichterstattergesprächen, dass man aufeinander zugeht. Wenn mir gesagt wird: Wenn ihr das nicht wollt, werden wir auf jeden Fall Nein sagen, wenn ihr nicht wollt, werden wir auf keinen Fall zustimmen - so ist es doch gewesen, Herr Funke -, ({10}) dann hatten wir gar keine anderen Möglichkeiten. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, optimiert und austariert ist das Gesetz nicht nur im Inhalt; optimiert und austariert waren auch die Beratungen, und so sind auch die Auswirkungen des Gesetzes. Glauben Sie doch bitte nicht, dass die deutsche Bauwirtschaft wegen dieses Gesetzes nun Mangel leiden würde. ({11}) Sie alle haben in der letzten Zeit mannigfaltig Briefe der Bauinnungen bekommen. Danach krankt es an etwas ganz anderem. ({12}) Dieses ganz andere - das kann ich hier nicht ausdiskutieren - haben aber allein Sie aus Ihrer Regierungszeit seit der deutschen Vereinigung zu verantworten. ({13}) Dieses Überbleibsel macht der deutschen Bauwirtschaft im Moment zu schaffen. Daran werden wir etwas ändern.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege, jetzt muss ich Sie doch bitten, Ihre Rede zu beenden.

Alfred Hartenbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002669, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme zum Ende, verehrte Frau Präsidentin. Ich bedanke mich, verehrte Frau Justizministerin, bei Ihnen und Ihrem Haus sowie bei den Kolleginnen und Kollegen von der Koalition aus allen beteiligten Ausschüssen sehr herzlich: bei Ihnen für die gute Unterstützung, bei den anderen für die gute Beratung. Bei Ihnen, verehrte Frau Präsidentin, bedanke ich mich für die Geduld, die Sie mit mir haben. Vielen Dank. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich schließe damit die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Entwurf eines Mietrechtsreformgesetzes der Bundesregierung auf Drucksache 14/4553. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/5663 die Annahme des Gesetzentwurfs in der Ausschussfassung. Dazu liegen je ein Änderungsantrag der Fraktion der F.D.P. und der Fraktion der PDS vor, über die wir zunächst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der F.D.P., Drucksache 14/5669? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt worden mit den Stimmen des ganzen Hauses gegen die Stimmen der F.D.P., die zugestimmt hat. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der PDS, Drucksache 14/5670? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Auch dieser Änderungsantrag ist abgelehnt worden mit den Stimmen des ganzen Hauses gegen die Stimmen der PDS, die zugestimmt hat. Wer stimmt nun für den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen worden mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. bei Enthaltung der PDS. Dritte Beratung und Schlussabstimmung: Die Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen verlangen namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle Urnen besetzt? - Dann eröffne ich jetzt die Abstimmung. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? ({0}) - Jetzt aber schnell! ({1}) Ich schließe jetzt die Abstimmung und bitte die Schrift- führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu be- ginnen. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung wird ihnen später bekannt gegeben.1) Wir setzen jetzt die Abstimmungen fort. Liebe Kolle- ginnen und Kollegen, ich muss Sie bitten, ein bisschen aufmerksam zu sein. Wir stimmen jetzt über den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/5668 ab. Wer stimmt zu? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS bei Enthaltung der F.D.P. gegen die Stimmen der CDU/CSU abgelehnt wor- den. Wir kommen nun zur Abstimmung über den Entwurf eines Mietrechtsvereinfachungsgesetzes der Fraktion der F.D.P. auf Drucksache 14/3896. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung 1) Seite 15688 D auf Drucksache 14/5663, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen der F.D.P. bei Enthaltung der CDU/CSU abgelehnt worden. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 3 auf: Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU Sofortige Entlassung des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit - Drucksache 14/5573 ({2}) Über diesen Antrag werden wir nachher namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU, Friedrich Merz.

Friedrich Merz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002735, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Verhalten von Herrn Trittin, aber auch und insbesondere die Diskussion über ihn in der rotgrünen Koalition bestätigen uns in unserer Auffassung: Dieser Minister muss entlassen werden. ({0}) Er hat sich nach langem Drängen und einigen Tagen für die persönlich herabsetzenden Beleidigungen beim Generalsekretär der CDU Deutschlands entschuldigt. Um diesen Teil seiner Äußerungen geht es heute auch gar nicht mehr. ({1}) Heute geht es um die Frage: Welche Grundeinstellung darf man - wir meinen: muss man - von einem Bundesminister seinem Land, dessen Geschichte, dessen Werten und dessen Menschen gegenüber erwarten, ({2}) einem Land, dem zu dienen wir alle verpflichtet sind und dem zu dienen die Mitglieder der Bundesregierung in besonderer Weise verpflichtet sind! ({3}) Die Frage, die sich dabei uns allen stellt, lautet: Dürfen wir Deutsche über 50 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und über zehn Jahre nach der Wiederherstellung der staatlichen Einheit unseres Landes schlicht ein wenig zufrieden sein? Dürfen wir auch stolz auf unser Land sein? ({4}) Darf man dies hin und wieder sogar sagen? ({5}) Ist also das eingekehrt, was Roman Herzog schon vor Jahren angemahnt hat, nämlich einen etwas unverkrampfteren Umgang mit unserer Nation? ({6}) Ich habe mich heute Morgen sehr gefreut, zu lesen, dass sich in dieser Diskussion, die wir Patriotismusdebatte nennen, ein großer Mann, ein Schriftsteller, ein harter Kritiker zu Wort gemeldet hat. Walter Jens hat heute in einem Interview gesagt: „Ja, ich bin stolz auf dieses Land.“ ({7}) Wenig später hat er hinzugefügt: „Wir wollen uns doch bitte nicht diese Begriffe von den Gegnern der Demokratie wegnehmen lassen.“ Er hat Recht. ({8}) Wenn das richtig ist, fragen wir uns: Was geht eigentlich im Kopf eines Mannes vor, der geradezu reflexartig abwehrend reagiert, wenn irgendwo und irgendwann die Wörter „deutsch“ oder „Deutschland“ fallen? ({9}) Was geht eigentlich im Kopf eines Mannes vor, der Gelöbnisfeiern der Bundeswehr in die Nähe des Nationalsozialismus rückt? ({10}) Wie kann man dann als Minister im Kabinett und als Abgeordneter hier im Parlament für den Einsatz im Kosovo stimmen und von den Soldaten der Bundeswehr verlangen, dass sie notfalls mit ihrem Leben für unser Land und für den Auftrag eintreten, den wir ihnen hier im Parlament gegeben haben? Das passt nicht zusammen, Herr Trittin! ({11}) So, wie Sie sich verhalten, und so, wie Sie sich insbesondere den Soldaten der Bundeswehr gegenüber äußern, ist dies beschämend und eine Zumutung für die Soldaten und für unser ganzes Land. ({12}) Nun wende niemand ein, hier handele es sich sozusagen um Ausrutscher, um verbale Entgleisungen. ({13}) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Jeder von uns steht täglich in der Gefahr, mit seinen Worten zu übertreiben, ({14}) einmal einen falschen Begriff zu verwenden oder sich falsch auszudrücken. ({15}) Meine Damen und Herren, Herr Trittin hat im Jahre 1993 ein Buch mit dem Titel „Gefahr aus der Mitte“ veröffentlicht. ({16}) Die zentrale Botschaft dieses Buches fasse ich in einem Zitat wie folgt zusammen: Das Ergebnis der ideologischen Offensive von CDU/CSU und F.D.P. im Gefolge der deutschen Einigung ist unübersehbar: Rassismus ist zum Alltag ({17}) und Wohlstandschauvinismus zum beherrschenden Ideologem geworden. ({18}) Die Bundesrepublik rutscht nach rechts. ({19}) Diese Rechtsverschiebung ist nicht von verwirrten Glatzköpfen und reaktionären Greisen am rechten Rand der Gesellschaft bewirkt worden. Sie ist im Zentrum der politischen Klasse entwickelt und umgesetzt worden. ({20}) Welche Geisteshaltung kommt eigentlich in solchen Aussagen zum Ausdruck? Ich sage es noch einmal: Das sind keine Ausrutscher oder einmaligen Entgleisungen. Es sind regelmäßig wiederkehrende Wortmeldungen, die einem zutiefst verwurzelten Freund-Feind-Denken entsprechen. Damit das an dieser Stelle auch klar wird: In der Demokratie muss es Gegnerschaft geben, auch harte Auseinandersetzungen um wichtige Fragen in der Sache. Aber die Auseinandersetzungen, die wir hier im Parlament miteinander austragen, dürfen nie zur Feindschaft werden. ({21}) Ich sage noch einmal, auch auf die Zwischenrufe der SPD: Wir müssen harte Auseinandersetzungen in der Sache miteinander austragen. Aber in diesen Wortmeldungen kommt Feindschaft zum Ausdruck. ({22}) Wir werden es deshalb auch nicht zulassen, dass der Versuch unternommen wird, aus der so genannten Studentenrevolte der Jahre 1968 und 1969 jetzt im Abstand von mehr als 30 Jahren verklärend und schwärmerisch eine große Freiheitsbewegung zu machen. ({23}) Die politischen Anführer aus dem SDS ({24}) und den kommunistischen Gruppen an den Universitäten vertraten einen höchst autoritären politischen Anspruch in eigener Sache, eben jenen totalitären Absolutheitsanspruch, der den Zusammenhalt in der Demokratie zerstört. ({25}) Wer noch im Jahre 1993 so schreibt, wer 1998 so wie zitiert über die Bundeswehr redet und wer im Jahr 2001 den Rechtsradikalismus in Deutschland instrumentalisiert, ihn sich selbst zunutze macht im politischen Meinungsstreit der Demokraten, der ist nicht nur eine Gefährdung und nicht nur ein Risiko für Rot-Grün, wie der Bundeskanzler gesagt hat, der ist ein Risiko für das ganze Land. ({26}) Die große Mehrheit der Deutschen identifiziert sich mit ihrer Stadt, mit ihrer Region, ({27}) auch und besonders mit ihrem Land und zunehmend auch mit Europa. ({28}) Heimat, Vaterland, Nation - das sind keine rechtsextremen Begriffe, ({29}) sondern sie beschreiben ein natürliches Selbstverständnis, das in Deutschland gelebte Realität ist. ({30}) Wer dies in der tagespolitischen Auseinandersetzung verteufelt, der nimmt den Menschen ein Stück ihrer Identität und der treibt sie aus der Mitte der Gesellschaft zu den extremen Rändern. Wer deshalb wirklich den Rechtsextremismus bekämpfen will, der darf sich nicht von den demokratischen Werten und von der eigenen Nation distanzieren, ({31}) der darf sie nicht den Feinden der Demokratie überlassen. ({32}) Erst gemeinsame Identität und emotionale Bindung schaffen die Bereitschaft, auch etwas für andere zu leisten. Der Stolz auf das Gemeinsame führt zum Verantwortungsgefühl, dieses Gemeinsame zu bewahren. Wir brauchen ein solches Engagement der Bürger, in der Zukunft vermutlich mehr als je zuvor. Wie sollen wir denn Zuwanderung und Integration ausländischer Mitbürger erfolgreich bewältigen, ({33}) wenn wir mit uns selbst nicht im Reinen sind? Wie können wir die Erziehung zu Werten und Bürgertugenden stärken, wenn die vorhandene Identität und das gewachsene Selbstverständnis grundlegend infrage gestellt werden? ({34}) Mit dem notwendigen und unverzichtbaren Einstehen für die eigene Nation ist keine irgendwie geartete Abwertung anderer Nationen und Völker verbunden. Im Gegenteil: Nur wer sich des Eigenen vergewissert und sich seiner eigenen Entwicklung und Zugehörigkeit bewusst ist, kann wirklich weltoffen sein und die Erfahrungen anderer schätzen und integrieren. Deshalb sagen wir: Patriotismus ist eine positive Kraft für unsere Gesellschaft und für unseren Staat. ({35}) Lassen Sie mich einen Blick auf unsere integrierende Kraft zur politischen Mitte werfen. Wir werden in wenigen Wochen den 52. Geburtstag unseres Landes begehen. 36 Jahre davon haben CDU und CSU dieses Land erfolgreich regiert. ({36}) Wir sind und wir bleiben auch in Zukunft die zur Mitte hin integrierenden Volksparteien. ({37}) Wenn es eines Beweises bedurft hätte, dass uns dies gemeinsam mit den Demokraten in Deutschland gelingen kann, dann war es das Wahlergebnis am letzten Sonntag in Baden-Württemberg und ist es die Tatsache, dass die Republikaner aus dem Landtag verschwunden sind. ({38}) So stehen wir zu unseren freiheitlichen und demokratischen Werten. So stehen wir in Zukunft zu unseren christlichen, sozialen, liberalen und konservativen Wurzeln. Wir stehen damit - anders als es Rot-Grün manchmal wohl gerne hätte - mitten in der Gesellschaft. ({39}) Wir sind dabei auch konservativ; ({40}) denn Werte dauerhaft zu bewahren ist ein zentraler Beitrag zum Erhalt des inneren Zusammenhaltes in unserer Demokratie. Erst dies schafft das notwendige Vertrauen in Zeiten schnellen Wandels. Nur wer sich den Sinn für das Bewährte und das Innovative zugleich bewahrt, kann die großen Herausforderungen von Globalisierung, Biomedizin, Generationengerechtigkeit, Wandel der Arbeitswelt bis hin zur Bewahrung von Natur und Umwelt erfolgreich meistern. Wir waren als Deutsche einst die verspätete Nation. Die deutsche Einheit in Frieden und Freiheit hat die lange virulente nationale Frage beantwortet. Mehr als früher können wir heute Herkunftsbewusstsein und Zukunftsbewusstsein verbinden. So können wir zur ruhigen Mitte Europas werden und mit gefestigtem Selbstbewusstsein weiter am Aufbau Europas mitarbeiten. ({41}) Die Frage nach dem nationalen Selbstverständnis, nach der eigenen Identität und nach den Werten, die unsere Gesellschaft zusammenhalten, ist deshalb alles andere als eine Frage der Vergangenheit. Wer zu dieser Haltung nicht fähig ist, wer so hasserfüllt über Deutschland, ({42}) über seine politischen Institutionen, über den parteipolitischen Gegner und damit auch über die Menschen in unserem Land redet, der kann nicht gleichzeitig Mitglied der Bundesregierung Deutschlands sein. ({43})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Bevor wir in der Debatte fortfahren, komme ich auf Tagesordnungspunkt 3 zurück und gebe Ihnen das Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Entwurf des Mietrechtsreformgesetzes bekannt: Es wurden 590 Stimmen abgegeben, mit Ja haben 309 Abgeordnete und mit Nein 247 Abgeordnete gestimmt. Es gab 34 Enthaltungen. Der Gesetzentwurf ist damit angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 590; davon ja: 309 nein: 247 enthalten: 34 Ja SPD Brigitte Adler Gerd Andres Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Hermann Bachmaier Ernst Bahr Doris Barnett Dr. Hans Peter Bartels Eckhardt Barthel ({0}) Klaus Barthel ({1}) Ingrid Becker-Inglau Dr. Axel Berg Hans-Werner Bertl Petra Bierwirth Rudolf Bindig Lothar Binding ({2}) Klaus Brandner Anni Brandt-Elsweier Willi Brase Dr. Eberhard Brecht Rainer Brinkmann ({3}) Bernhard Brinkmann ({4}) Hans-Günter Bruckmann Edelgard Bulmahn Ursula Burchardt Dr. Michael Bürsch Hans Martin Bury Hans Büttner ({5}) Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Christel Deichmann Karl Diller Peter Dreßen Detlef Dzembritzki Dieter Dzewas Sebastian Edathy Ludwig Eich Marga Elser Peter Enders Gernot Erler Petra Ernstberger Annette Faße Lothar Fischer ({6}) Iris Follak Norbert Formanski Rainer Fornahl Hans Forster Peter Friedrich ({7}) Lilo Friedrich ({8}) Harald Friese Anke Fuchs ({9}) Monika Ganseforth Konrad Gilges Iris Gleicke Günter Gloser Uwe Göllner Günter Graf ({10}) Angelika Graf ({11}) Dieter Grasedieck Monika Griefahn Kerstin Griese Achim Großmann Wolfgang Grotthaus Karl-Hermann Haack ({12}) Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann Manfred Hampel Christel Hanewinckel Anke Hartnagel Klaus Hasenfratz Nina Hauer Reinhold Hemker Frank Hempel Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Monika Heubaum Reinhold Hiller ({13}) Stephan Hilsberg Jelena Hoffmann ({14}) Walter Hoffmann ({15}) Iris Hoffmann ({16}) Ingrid Holzhüter Eike Hovermann Christel Humme Barbara Imhof Gabriele Iwersen Jann-Peter Janssen Ilse Janz Dr. Uwe Jens Volker Jung ({17}) Johannes Kahrs Ulrich Kasparick Sabine Kaspereit Susanne Kastner Ulrich Kelber Klaus Kirschner Siegrun Klemmer Hans-Ulrich Klose Walter Kolbow Fritz Rudolf Körper Karin Kortmann Anette Kramme Nicolette Kressl Angelika Krüger-Leißner Ernst Küchler Ute Kumpf Konrad Kunick Dr. Uwe Küster Werner Labsch Christine Lambrecht Brigitte Lange Christian Lange ({18}) Detlev von Larcher Christine Lehder Waltraud Lehn Robert Leidinger Klaus Lennartz Dr. Elke Leonhard Eckhart Lewering Götz-Peter Lohmann ({19}) Christa Lörcher Erika Lotz Dieter Maaß ({20}) Winfried Mante Tobias Marhold Lothar Mark Christoph Matschie Heide Mattischeck Markus Meckel Ulrike Mehl Ulrike Merten Dr. Jürgen Meyer ({21}) Ursula Mogg Christoph Moosbauer Michael Müller ({22}) Jutta Müller ({23}) Christian Müller ({24}) Franz Müntefering Andrea Nahles Dr. Edith Niehuis Dr. Rolf Niese Dietmar Nietan Günter Oesinghaus Leyla Onur Manfred Opel Holger Ortel Adolf Ostertag Kurt Palis Albrecht Papenroth Dr. Martin Pfaff Georg Pfannenstein Johannes Pflug Dr. Eckhart Pick Joachim Poß Dr. Carola Reimann Renate Rennebach Bernd Reuter Dr. Edelbert Richter Gudrun Roos René Röspel Michael Roth ({25}) Birgit Roth ({26}) Gerhard Rübenkönig Marlene Rupprecht Thomas Sauer Dr. Hansjörg Schäfer Gudrun Schaich-Walch Rudolf Scharping Bernd Scheelen Dr. Hermann Scheer Siegfried Scheffler Horst Schild Horst Schmidbauer ({27}) Ulla Schmidt ({28}) Silvia Schmidt ({29}) Dagmar Schmidt ({30}) Wilhelm Schmidt ({31}) Regina Schmidt-Zadel Heinz Schmitt ({32}) Carsten Schneider Dr. Emil Schnell Walter Schöler Olaf Scholz Karsten Schönfeld Fritz Schösser Ottmar Schreiner Gisela Schröter Dr. Mathias Schubert Richard Schuhmann ({33}) Brigitte Schulte ({34}) Reinhard Schultz ({35}) Volkmar Schultz ({36}) Ewald Schurer Dr. R. Werner Schuster Dietmar Schütz ({37}) Dr. Angelica Schwall-Düren Rolf Schwanitz Bodo Seidenthal Erika Simm Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Dr. Cornelie SonntagWolgast Wieland Sorge Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Antje-Marie Steen Ludwig Stiegler Rolf Stöckel Rita Streb-Hesse Reinhold Strobl ({38}) Joachim Tappe Jörg Tauss Jella Teuchner Dr. Gerald Thalheim Franz Thönnes Uta Titze-Stecher Adelheid Tröscher Hans-Eberhard Urbaniak Rüdiger Veit Simone Violka Ute Vogt ({39}) Hans Georg Wagner Dr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann Reinhard Weis ({40}) Matthias Weisheit Gunter Weißgerber Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker Jochen Welt Hildegard Wester Lydia Westrich Inge Wettig-Danielmeier Dr. Margrit Wetzel Dr. Norbert Wieczorek Jürgen Wieczorek ({41}) Heidemarie Wieczorek-Zeul Heino Wiese ({42}) Klaus Wiesehügel Brigitte Wimmer ({43}) Barbara Wittig Dr. Wolfgang Wodarg Hanna Wolf ({44}) Waltraud Wolff ({45}) Heidemarie Wright Uta Zapf Dr. Christoph Zöpel Peter Zumkley CDU/CSU Herbert Frankenhauser BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Gila Altmann ({46}) Marieluise Beck ({47}) Volker Beck ({48}) Angelika Beer Matthias Berninger Grietje Bettin Annelie Buntenbach Ekin Deligöz Dr. Thea Dückert Dr. Uschi Eid Andrea Fischer ({49}) Joseph Fischer ({50}) Katrin Göring-Eckardt Rita Grießhaber Winfried Hermann Antje Hermenau Ulrike Höfken Monika Knoche Dr. Angelika Köster-Loßack Steffi Lemke Dr. Helmut Lippelt Dr. Reinhard Loske Oswald Metzger Kerstin Müller ({51}) Winfried Nachtwei Christa Nickels Cem Özdemir Simone Probst Claudia Roth ({52}) Christine Scheel Irmingard Schewe-Gerigk Rezzo Schlauch Albert Schmidt ({53}) Werner Schulz ({54}) Christian Simmert Christian Sterzing Dr. Antje Vollmer Helmut Wilhelm ({55}) Margareta Wolf ({56}) Nein CDU/CSU Ilse Aigner Dietrich Austermann Norbert Barthle Dr. Wolf Bauer Günter Baumann Brigitte Baumeister Meinrad Belle Dr. Sabine Bergmann-Pohl Otto Bernhardt Hans-Dirk Bierling Renate Blank Dr. Heribert Blens Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Sylvia Bonitz Jochen Borchert Wolfgang Börnsen ({57}) Wolfgang Bosbach Dr. Ralf Brauksiepe Paul Breuer Monika Brudlewsky Klaus Bühler ({58}) Hartmut Büttner ({59}) Dankward Buwitt Cajus Caesar Manfred Carstens ({60}) Peter H. Carstensen ({61}) Leo Dautzenberg Wolfgang Dehnel Hubert Deittert Albert Deß Renate Diemers Thomas Dörflinger Hansjürgen Doss Marie-Luise Dött Maria Eichhorn Rainer Eppelmann Anke Eymer ({62}) Ilse Falk Dr. Hans Georg Faust Albrecht Feibel Ulf Fink Ingrid Fischbach Dirk Fischer ({63}) Axel E. Fischer ({64}) Dr. Gerhard Friedrich ({65}) Erich G. Fritz Jochen-Konrad Fromme Hans-Joachim Fuchtel Norbert Geis Georg Girisch Dr. Reinhard Göhner Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Hermann Gröhe Manfred Grund Horst Günther ({66}) Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein Gottfried Haschke ({67}) Gerda Hasselfeldt Hansgeorg Hauser ({68}) Klaus-Jürgen Hedrich Helmut Heiderich Ursula Heinen Manfred Heise Siegfried Helias Hans Jochen Henke Peter Hintze Klaus Hofbauer Martin Hohmann Siegfried Hornung Hubert Hüppe Susanne Jaffke Georg Janovsky Dr. Harald Kahl Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter Irmgard Karwatzki Volker Kauder Eckart von Klaeden Ulrich Klinkert Dr. Helmut Kohl Norbert Königshofen Eva-Maria Kors Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Rudolf Kraus Dr. Paul Krüger Dr. Karl A. Lamers ({69}) Dr. Norbert Lammert Helmut Lamp Dr. Paul Laufs Karl-Josef Laumann Vera Lengsfeld Peter Letzgus Ursula Lietz Walter Link ({70}) Dr. Klaus W. Lippold ({71}) Dr. Manfred Lischewski Wolfgang Lohmann ({72}) Julius Louven Dr. Michael Luther Erwin Marschewski ({73}) Dr. Martin Mayer ({74}) Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Hans Michelbach Meinolf Michels Dr. Gerd Müller Bernward Müller ({75}) Elmar Müller ({76}) Bernd Neumann ({77}) Günter Nooke Friedhelm Ost Eduard Oswald Norbert Otto ({78}) Anton Pfeifer Dr. Friedbert Pflüger Beatrix Philipp Ruprecht Polenz Marlies Pretzlaff Dr. Bernd Protzner Thomas Rachel Hans Raidel Dr. Peter Ramsauer Helmut Rauber Peter Rauen Christa Reichard ({79}) Katherina Reiche Erika Reinhardt Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer Hannelore Rönsch ({80}) Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Klaus Rose Adolf Roth ({81}) Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Volker Rühe Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte Heinz Schemken Karl-Heinz Scherhag Dr. Gerhard Scheu Norbert Schindler Christian Schmidt ({82}) Dr.-Ing. Joachim Schmidt ({83}) Michael von Schmude Birgit Schnieber-Jastram Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Rupert Scholz Reinhard Freiherr von Schorlemer Dr. Erika Schuchardt Wolfgang Schulhoff Gerhard Schulz Diethard Schütze ({84}) Clemens Schwalbe Dr. Christian SchwarzSchilling Wilhelm-Josef Sebastian Horst Seehofer Heinz Seiffert Werner Siemann Bärbel Sothmann Margarete Späte Carl-Dieter Spranger Wolfgang Steiger Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten Andreas Storm Max Straubinger Matthäus Strebl Thomas Strobl ({85}) Dr. Rita Süssmuth Edeltraut Töpfer Arnold Vaatz Angelika Volquartz Peter Weiß ({86}) Gerald Weiß ({87}) Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese ({88}) Hans-Otto Wilhelm ({89}) Klaus-Peter Willsch Bernd Wilz Willy Wimmer ({90}) Matthias Wissmann Werner Wittlich ({91}) Wir setzen nun die Debatte fort. Das Wort hat der Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokratischen Partei, Peter Struck.

Dr. Peter Struck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002278, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Bundesumweltminister hat in einem Live-Interview eine spontane Äußerung getan, die nicht akzeptabel war. ({0}) Er ist dafür öffentlich kritisiert worden, und zwar in der Sache zu Recht. Auch wir haben ihn kritisiert und gesagt, dass diese Äußerung nicht in Ordnung war. Jürgen Trittin hat sich dann entschuldigt und die Äußerung zurückgenommen. Das war richtig so. Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, sollten das respektieren, zumal Frau Merkel und Herr Meyer bis heute nicht die Kraft hatten, sich gegenüber dem Bundeskanzler für das „Verbrecherplakat“ zu entschuldigen. ({1}) Es geht der Union auch überhaupt nicht um die Äußerung des Ministers, sondern in Wahrheit um eine Deutungshoheit über Begriffe wie Nation, Staat, Geschichte, Leitkultur, Vaterland. Die CDU/CSU will in diesen Fragen einen Alleinvertretungsanspruch geltend machen. Das ist anmaßend und das werden wir ihr nicht durchgehen lassen. ({2}) Die Union glaubt, allein definieren zu können - mein Vorredner hat das gerade deutlich gemacht -, was gut und was schlecht für unser Land ist, was richtig und was falsch ist. Die Union grenzt aus, anstatt zu integrieren. ({3}) Wenn Sie sich hier hinstellen und - wie in der letzten Debatte - Willy Brandt scheinheilig als Kronzeuge gegen die Sozialdemokratie missbrauchen, dann darf ich daran erinnern, wie unverfroren und gehässig Ihre Vorgänger, Herr Kollege Merz, mit Willy Brandt, ebenso wie mit Herbert Wehner, umgegangen sind. Das dürfen Sie nicht tun! ({4}) Dies war schon immer Ihre Strategie und es hat sich in den 16 Jahren der Kanzlerschaft von Helmut Kohl Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Dagmar Wöhrl Elke Wülfing Peter Kurt Würzbach Wolfgang Zeitlmann Wolfgang Zöller F.D.P. Ina Albowitz Hildebrecht Braun ({5}) Rainer Brüderle Jörg van Essen Ulrike Flach Gisela Frick Paul K. Friedhoff Horst Friedrich ({6}) Dr. Wolfgang Gerhardt Joachim Günther ({7}) Dr. Karlheinz Guttmacher Klaus Haupt Dr. Helmut Haussmann Ulrich Heinrich Dr. Werner Hoyer Ulrich Irmer Dr. Klaus Kinkel Dr. Heinrich L. Kolb Gudrun Kopp Jürgen Koppelin Ina Lenke Sabine LeutheusserSchnarrenberger Dirk Niebel Hans-Joachim Otto ({8}) Detlef Parr Cornelia Pieper Dr. Günter Rexrodt Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Marita Sehn Carl-Ludwig Thiele Enthalten CDU/CSU Johannes Singhammer PDS Dr. Dietmar Bartsch Maritta Böttcher Eva Bulling-Schröter Heidemarie Ehlert Dr. Heinrich Fink Dr. Ruth Fuchs Wolfgang Gehrcke Dr. Klaus Grehn Dr. Gregor Gysi Uwe Hiksch Ulla Jelpke Sabine Jünger Gerhard Jüttemann Rolf Kutzmutz Ursula Lötzer Dr. Christa Luft Heidemarie Lüth Pia Maier Angela Marquardt Manfred Müller ({9}) Kersten Naumann Christine Ostrowski Petra Pau Dr. Uwe-Jens Rössel Gustav-Adolf Schur Dr. Winfried Wolf Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen des Europarates und der WEU, der Parlamentarischen Versammlung der NATO, der OSZE oder der IPU Abgeordnete({10}) Behrendt, Wolfgang Hornhues, Dr. Karl-Heinz Schloten, Dieter Zierer, Benno SPD CDU/CSU SPD CDU/CSU verstärkt. Der große alte Herr der Politikwissenschaft, Wilhelm Hennis, hat das treffend als die „Deformation der politischen Kultur“ in diesem Land durch das System Kohl bezeichnet. ({11}) Dieses Schwarz-Weiss-Malen, dieses Freund-Feind-Denken hat sich tief in Ihr Bewusstsein eingebrannt. Wie verächtlich hat Kohl über die, wie er sie nannte, „Sozen“ gesprochen. Mehr als einmal hat er in diesem Hohen Haus die SPD als verkommen beschimpft und ihr Verrat vorgeworfen. Das ist eine Sprache, die sich selbst richtet - und Sie setzen diese Sprache fort, ({12}) und zwar nach dem Motto: Wer nicht mein Freund ist, ist mein Feind. Ausgerechnet dieser Mann - der Kollege Kohl -, der sich unverändert über Recht und Gesetz hinwegsetzt und die angeblichen Spender der Schwarzgeldmillionen der CDU nicht nennt, ({13}) hat in der letzten Woche versucht, dem Bundespräsidenten Vorschriften darüber zu machen, welches Verhältnis dieser zu seinem Amt und zu diesem Staat haben soll. Eine Unverfrorenheit ohne Beispiel! ({14}) Unser Herr Bundespräsident braucht keine Belehrungen, nicht von einem Gesetzesbrecher, nicht von Ihnen, Herr Merz, und auch nicht von solchen Leuten wie Herrn Goppel und Herrn Westerwelle. Herr Westerwelle, nehmen Sie das Wort von dem „Parteipräsident“ zurück! Damit täten Sie sich und unserer Demokratie einen Gefallen! ({15}) Ich wiederhole das, was ich schon in der letzten Woche gesagt habe: Johannes Rau vorzuwerfen, er sei kein Patriot, ist genauso absurd wie die Behauptung, der Papst sei kein Katholik. ({16}) Im Übrigen ist solchen Leuten wie Kohl, Merz, Goppel und wie sie sonst noch alle heißen mögen entgangen, dass das von ihnen kritisierte Zitat von Johannes Rau ein Zitat war, das Johannes Rau von seinem Amtsvorgänger Roman Herzog wörtlich übernommen hat. ({17}) Unser Staatsoberhaupt war immer außerhalb der politischen Auseinandersetzung. ({18}) Wir haben das immer respektiert. Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, verletzten diesen Grundsatz in eklatanter und infamer Weise. ({19}) Die Arbeit, die Johannes Rau für dieses Land in fünf Jahrzehnten in den verschiedensten Ämtern und Funktionen geleistet hat, ({20}) sowie seine Worte und Taten sind so eindeutig, dass es sich verbietet, auf die Absurditäten aus der Union einzugehen. ({21}) Lassen Sie mich aber etwas zu dem Geist sagen, der hinter diesen Absurditäten steckt. Die Union betrachtet den Staat als Beute. ({22}) Staatsämter sind für sie Parteiämter, die ihr wie selbstverständlich zustehen. ({23}) Sobald andere, die nicht ihrer Partei angehören, Staatsämter innehaben, sind diese zur Kritik freigegeben. So gehen Sie mit dem Bundespräsidenten um, so gehen Sie mit dem Bundestagspräsidenten um. Das lassen wir Ihnen nicht durchgehen. ({24}) Staatsämter werden im Gegensatz zu Ihren Vorstellungen noch immer von den Wählern vergeben. Um deren Votum geht es in einem fairen Wettbewerb der Konzepte. Genau das ist Ihr Problem: Sie haben keine Konzepte als Alternative zu unserer Regierungspolitik und versuchen deshalb, diesen Mangel durch lächerliche Schauveranstaltungen wie diese zu ersetzen. ({25}) Mit der Art, wie Sie mit Staatsämtern umgehen, verunglimpfen Sie Personen. Das ist schon schlimm genug. Aber noch viel schlimmer für das Gemeinwesen ist: Sie schaden der Autorität der höchsten Staatsämter. Das ist das genaue Gegenteil von Patriotismus. ({26}) Im Gegensatz zu Ihnen wollen wir keine Polarisierung, wenn es um unser Land geht. ({27}) Wir wollen, wie Willy Brandt es einmal gesagt hat, ein Volk von guten Nachbarn sein, im Innern wie nach außen, - nicht eine zweigeteilte Gesellschaft: hier die vermeintlichen Patrioten mit dem Unbedenklichkeitssiegel, ausgestellt von der Union und neuerdings auch von Herrn Westerwelle, dort alle anderen. Das machen wir nicht mit. ({28}) Das ist „Krampf um Deutschland“, hat selbst die der Union wohlgesonnene „Rheinische Post“ getitelt. Sie hat völlig Recht. ({29}) Auf dem Fundament unseres Grundgesetzes und unserer Rechtsordnung lassen wir jedem Bürger die Freiheit, sein Verhältnis zu Heimat, Vaterland und Nation selbst zu bestimmen. Wir sind nicht für Bevormundung in dieser Frage oder gar für einen Gesinnungs- und Befindlichkeits-TÜV. ({30}) Wir sind für ein politisches Klima, das von Respekt vor dem Andersdenkenden geprägt ist, ({31}) Respekt vor jedem, der unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung akzeptiert. ({32}) Damit werden wir den Erwartungen eines übergroßen Teils unserer Bevölkerung gerecht. Das haben wir gesehen, als wir alle zusammen am 9. November in Berlin zu einem Aufstand der Anständigen gegen Rechtsradikalismus und Intoleranz aufgerufen haben. ({33}) - Dass Sie dagegen protestieren, dass Sie jetzt lachen, das zeigt Ihre wahre Gesinnungshaltung, meine Damen und Herren. ({34}) Das Echo war überwältigend: Nicht nur hier in Berlin, sondern überall im Lande - in vielen Städten und Gemeinden - sind die Bürgerinnen und Bürger aufgestanden und haben für ein tolerantes Deutschland demonstriert. Dank der Initiativen der Kirchen, der Wirtschaft, der Gewerkschaften und vieler anderer gesellschaftlicher Gruppen hat sich das Bewusstsein verstärkt, dass Rechtsradikalismus und dumpfe rechte Töne Deutschland im Innern wie nach Außen schaden und uns keinesfalls nutzen. Im Übrigen sehe ich darin den Grund, dass Rechtsradikale bei den Landtagswahlen am letzten Sonntag keine Chance hatten. Der Aufstand der Anständigen hat Früchte getragen. ({35}) Die Menschen haben verstanden, dass dem Land mit dumpfen Sprüchen überhaupt nicht gedient ist. Das Gleiche gilt - und Sie sollten sich sehr genau überlagen, was Sie so alles sagen - für Auseinandersetzungen über Sprüche, die sich eine ganz bestimmte Klientel auf die Arme tätowieren lässt. Überlegen Sie also, was Sie anrichten! ({36}) Hier im Parlament haben alle Fraktionen die Möglichkeit, zu beweisen, wie ernst es ihnen mit der Bekämpfung von Intoleranz ist. Gerade morgen könnte auch die Union beweisen, wie ernst sie es mit der gemeinsamen Bekämpfung von Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Gewalt meint. ({37}) Aber Sie sind ja aus dem gemeinsamen, interfraktionellen Antrag ausgeschert. Sie machen bei der Beschlussfassung gegen Rechtsextremismus ja nicht mit. Das ist bezeichnend. ({38}) Ich will Ihnen noch Folgendes ganz deutlich sagen: Wer wie die Union den Antrag auf Verbot der NPD nicht mitträgt, hat nicht das Recht, uns den Vorwurf der mangelnden Bekämpfung von Rechtsextremen zu machen. ({39}) Nun möchte ich noch auf die Landtagswahl in Rheinland-Pfalz eingehen. Wie viele von Ihnen bin ich in diesem Land unterwegs gewesen. Wenn man sieht, wie CDU und NPD Seite an Seite eine Kampagne gefahren haben, dann muss man befürchten, dass die CDU die Gefahren durch diese Nationalisten billigend in Kauf nimmt oder zumindest unterschätzt. ({40}) Wir unterschätzen diese Gefahren nicht. Wir wollen, dass Deutschland ein tolerantes Land bleibt, in dem sich jeder nach eigener Fasson wohl fühlen kann. ({41})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Guido Westerwelle. ({0})

Dr. Guido Westerwelle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002944, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Kollege Struck, Sie haben sich in weiten Teilen Ihrer Rede mit Äußerungen und Gegenäußerungen des Herrn Bundespräsidenten befasst. Wenn Sie sich den Antrag, den wir Freie Demokraten unterstützen, noch einmal anschauen, dann werden Sie erkennen, dass nicht der Bundespräsident kritisiert wird, sondern dass es um Herrn Trittin geht. Herr Trittin soll entlassen werden. ({0}) Es ist kein Zufall, dass Sie hier regelmäßig die Kurve kriegen. In Wahrheit haben Sie gar nicht die Absicht - das ist nachvollziehbar -, sich vor Herrn Trittin zu stellen. Sie sind in Ihrem Herzen über diese Äußerungen genauso entsetzt wie nahezu alle Kolleginnen und Kollegen hier. Es gibt in Wahrheit sieben Gründe, warum Herr Trittin noch im Amt ist: Das sind die sieben Minister, die vor ihm gegangen sind. ({1}) Originalzitat einer Aussage von Herrn Müntefering in einer großen deutschen Talkshow: „Der Trittin war bekloppt, als er das gesagt hat.“ Heute lesen wir im „Stern“ ein informatives Interview des Grünen-Sprechers Fritz Kuhn. Frage: „Ist Trittin ein grüner Wählermagnet?“ Antwort: „Er ist ein guter Umweltminister.“ Frage: „Die SPD sagt: Er ist ein bekloppter Idiot.“ Antwort: „Das habe ich in der Kombination noch nicht gehört.“ ({2}) Ich war mehrere Jahre Mitglied einer Koalitionsfraktion. Ich sage Ihnen eines: Der einzige Grund, warum die Sozialdemokraten Herrn Trittin nicht mit Freude aus dem Kabinett verabschieden, ist, dass der grüne Koalitionspartner sonst noch ein Stückchen mehr bröckelt und bröselt. Es sind allein Gründe der politischen Stabilität der Koalition, die Sie dazu bewegen, an Herrn Trittin auf der Regierungsbank festzuhalten. Aber Herr Trittin hat seine Aufgabe so wahrgenommen, dass er auf diesem Ministersessel nicht bleiben darf. Er muss entlassen werden! ({3}) Sie erwecken den Eindruck, als handele es sich dabei um eine einzige spontane Entgleisung. Das war es aber nicht. Am Tag nach dieser Äußerung wurde diese Entgleisung in einem Brief von Herrn Trittin an den Kollegen Meyer - dieser Brief wurde unterzeichnet und abgeschickt - schriftlich bestätigt. Der eigentliche Punkt ist doch nicht, dass Herr Trittin kein Verhältnis zum Benehmen hat und dass er eine Verrohung der deutschen Politik bewirkt. Das große Problem ist in Wahrheit das Denken, das hinter diesen Äußerungen steht. Das ist es, was wir Freie Demokraten kritisieren. ({4}) Wenn der deutsche Bundeskanzler in diesem Zusammenhang - er kann heute verständlicherweise nicht hier sein - wörtlich von einer „Menschenjagd“ spricht, dann muss ich bei allem Respekt vor dem Herrn Bundeskanzler sagen: Das ist eine weitere Entgleisung. Es ist das Recht der Opposition, die Entlassung eines Ministers zu beantragen, der aus unserer Sicht nicht mehr anständig arbeitet. ({5}) Wer, wie Herr Trittin, ein Leben lang Bäume gefällt hat, der kann nicht erwarten, dass man um ihn herum einen Naturschutzpark anlegt. ({6}) Das wird nicht passieren. Ich will mich etwas mit dem Geist auseinander setzen, der hinter Herrn Trittins Äußerungen steht. Es gibt eigentlich zwei, drei Gesichtspunkte, die mir wesentlich erscheinen. Als Erstes möchte ich den Herrn Bundespräsidenten Theodor Heuss - ein großer Liberaler und zweifelsohne ein ganz großer Staatsmann unserer Republik - zitieren. Er sagte in seiner Antrittsrede am 12. September 1949: Wir stehen vor der großen Aufgabe, ein neues Nationalgefühl zu bilden. Eigentlich geht es bei dieser Debatte genau um diese Frage. Ich habe bei dem Satz „Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein“ den Eindruck, dass manche weniger das Wort „stolz“ als vielmehr das Wort „Deutscher“ stört. ({7}) Ich glaube, dass es ein Fehler ist, den Eindruck zu erwecken, man könne nur auf das stolz sein, was man selber geleistet habe; man dürfe nur auf das stolz sein, was man selber gemacht habe. Genau diese semantische Verwirrung wird kaum verstanden und kann auch nicht verstanden werden. Ich bin zum Beispiel stolz auf meine Eltern, obwohl ich sie nicht gemacht habe. ({8}) Ich bin zum Beispiel stolz, wenn ein Sportverein, dem ich angehöre, erfolgreich ist. Kann man denn nur als Mitspieler stolz sein oder darf man nicht auch als Fan stolz sein? Wenn man auf sein Elternhaus stolz ist, erhebt man sich nicht über andere. Wenn man auf sein Land stolz ist, erhebt man sich auch nicht über andere Länder. ({9}) Ich bin unverändert der Auffassung: Wer den Menschen das Recht abspricht - das sage ich gerade als ein überzeugter Europäer -, ({10}) stolz auf das eigene Land zu sein, der entwurzelt sie. ({11}) Ich glaube, es wäre ein riesengroßer Fehler, wenn man die jungen Menschen, die 18-, 19- oder 22-Jährigen, die an diese Debatte viel unbefangener, natürlicher und unverkrampfter herangehen, diesen rechtsradikalen Stichwortgebern überlassen würde. Nur weil Rechtsradikale die Nationalhymne singen, werde ich nicht künftig darauf verzichten. ({12}) Ich glaube auch, dass das Wort vom Verfassungspatriotismus nicht ausreicht. Ich bin ein Verfassungspatriot und ich glaube, dass der Verfassungspatriotismus ein sehr gesunder Patriotismus ist. ({13}) Aber er ist letzten Endes ein rationaler Patriotismus. Es geht um das rationale Verhältnis zum Grundgesetz, aber auch zu den Ideen, zu den Erfolgen und Institutionen unseres Landes. Aber ein rationaler Patriotismus reicht nicht aus, wenn nicht auch persönliche Leidenschaft für das Gemeinwesen und für seine Menschen hinzukommt. ({14}) Deswegen möchte ich mit daran arbeiten - vielleicht mit Ihrer Hilfe - und an Sie appellieren, dass wir diesen gesunden Patriotismus, ({15}) ein Stück der nationalen Identität, eben nicht den falschen Deutschen überlassen. Das ist unsere eigentliche Aufgabe. ({16}) Ich bin auch auf Dinge in unserem Lande stolz, an denen ich selber wenig Anteil hatte. Ich bin zum Beispiel stolz auf die Deutschen, die mit der Kerze in der Hand Herrn Honecker das Fürchten gelehrt haben. Ich bin stolz darauf, wenn beispielsweise in dieser Zeit deutsche Soldaten im Ausland Friedenseinsätze haben. Ich bin stolz auf diese Deutschen und ich finde, man muss sich dafür nicht entschuldigen oder genieren. Das ist der eigentliche Generationenpunkt, die politische „correctness“, die aus Ihren Worten spricht. Ihr habt heute nicht mehr die Mehrheit. Die Mehrheit der Deutschen lässt sich nicht mehr in die rechte Ecke schieben, nur weil sie sagt: Ich bin stolz auf unser Land und auf die eigene Nation. ({17}) Dies ist der große Widerspruch, ich glaube, auch der alten politischen Linken. Sie meint nämlich, dass sich Stolz auf das eigene Land und Weltoffenheit gegenseitig ausschließen. ({18}) Meine Gegenthese lautet: Dies ist genau das, was sich gegenseitig bedingt. Wer zu seinem eigenen Land keine emotionale, herzliche Bindung empfindet, der wird meiner Einschätzung nach in der Regel nicht in der Lage sein, andere Nationen und Gesellschaften ausreichend zu respektieren. ({19}) Deswegen sage ich Ihnen: Das Denken, das hinter den Ausführungen von Herrn Trittin steht, hat sich überholt. Es ist nicht mehr das Mehrheitsdenken. Jahrelang ist diese Diskussion durch die politische „correctness“ erdrückt worden. Das ist vorbei. ({20}) Das ist das einzig Gute, das ich dieser Diskussion nach diesen Äußerungen abgewinnen kann. Herr Trittin sollte entlassen werden. Aber die Diskussion muss weitergehen, und zwar ganz in dem Sinne, wie es Theodor Heuss einmal angeregt hat. ({21})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Jetzt hat die Fraktionsvorsitzende der Bündnisgrünen, Kerstin Müller, das Wort. ({0})

Kerstin Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002741, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Um es gleich zu Anfang klar zu sagen: Natürlich war der Satz von Jürgen Trittin, Kollege Meyer habe die Mentalität eines Skinheads, ein politischer Fehler. Ich sage dazu: Es war auch kein guter politischer Stil. Es war deshalb richtig und notwendig, dass sich Jürgen Trittin öffentlich und auch persönlich bei Laurenz Meyer dafür entschuldigt hat. ({0}) Diese Entschuldigung hat Laurenz Meyer im Übrigen angenommen. Er hat heute Morgen ausdrücklich betont, die Angelegenheit sei damit für ihn persönlich erledigt. Auch Sie haben das heute erklärt, Herr Merz. Dass Sie aber trotzdem seit Wochen im Wahlkampf mit Interviews, Plakataktionen und Unterschriftensammlungen eine - ich sage es noch einmal - regelrechte Menschenjagd veranstalten, ({1}) wie es der Bundeskanzler zu Recht beklagt hat, ({2}) zeigt mir, dass es mit Ihrer Sorge um die demokratische und politische Kultur in unserem Lande offensichtlich nicht weit her ist. ({3}) Ich bedauere auch deshalb sehr, dass Jürgen Trittin diesen Vorwurf gegen Ihren Generalsekretär erhoben hat, weil er einfach falsch ist. Herr Meyer ist kein Skinhead und er hat auch nicht die Mentalität eines Skinheads. ({4}) Was Ihr Generalsekretär und was Sie, meine Damen und Herren von der Union, tun, ist natürlich nicht rechtsradikal. Aber es ist dennoch hochgefährlich. Darüber müssen wir reden. ({5}) - Sie wollen doch über Jürgen Trittin und über seine Äußerung reden. Das werden wir heute tun. Glauben Sie etwa, es ist ein Zufall, dass die Republikaner im Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen die Kinderstatt-Inder-Parole von Jürgen Rüttgers plakatiert haben? Überrascht es Sie, dass die Republikaner in Baden-Württemberg ihren Wahlkampf mit dem von Ihnen in die Diskussion gebrachten Begriff von der deutschen Leitkultur geführt haben? ({6}) - Doch, ich kann Ihnen das Plakat zeigen. Darüber sollten sie einmal nachdenken. - Stört es Sie nicht, dass sich die NPD in Rheinland-Pfalz mit ihren Deutsch-Stolz-Aufklebern an Ihrer Unterschriftenkampagne gegen Jürgen Trittin beteiligt hat? ({7}) Sie haben sich heute davon nicht distanziert, Herr Merz. Sie müssten wenigstens einmal darüber nachdenken. Fakt ist - das lässt sich nun einmal nicht von der Hand weisen -: Sie liefern mit solchen Kampagnen den Rechten immer wieder die Stichworte für ihren Wahlkampf. Das finde ich unverantwortlich. ({8}) Sie tun das - ich meine es wirklich sehr ernst - in einer Situation, in der wir tagtäglich mit rassistischer Gewalt in Deutschland konfrontiert sind; denn auch im letzten Jahr ist die Zahl der rechtsextremistischen Straftaten leider noch einmal um 60 Prozent gestiegen. Morgen werden wir in diesem Hause darüber debattieren, wie wir alle gemeinsam diese Entwicklung erfolgreich stoppen können. Ich frage Sie: Glauben Sie denn ernsthaft, man könne die Rechtsradikalen bekämpfen, indem man mit ihren Parolen Politik macht und ihre Parolen übernimmt? Das können Sie doch nicht ernsthaft glauben. ({9}) Das gilt im Übrigen auch für Ihre verquaste Nationalstolzdebatte. Wie Herr Merz angekündigt hat, soll dieses Thema Gegenstand der Debatte sein. Was heißt denn der Satz, der wohl, wenn es nach Ihnen ginge, in die Eidesformel von Bundespräsident und Regierungsmitgliedern aufgenommen werden soll? Was bedeutet denn der Satz „Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein“? Genau das hat Herr Meyer gesagt. Kann man stolz sein auf die Tatsache, hier zufällig als Kind deutscher Eltern geboren worden zu sein? ({10}) Diese Diskussion ist interessant. Dieses „völkische Wir“, wie es Josef Joffe in dieser Woche in der „Zeit“ genannt hat, grenzt aus: ({11}) alles andere, alles Fremde und die Menschen, die ohne deutschen Pass in unserem Land leben, die aber dieses Land und diese Gesellschaft mittragen und mitgestalten. Deshalb hat Bundespräsident Johannes Rau Recht, wenn er sagt - darin liegt der Unterschied, Herr Merz; das haben Sie heute wieder durcheinander gebracht -: Stolz kann man nur auf die eigene Leistung beziehen, auf das, was hier geschaffen worden ist. ({12}) Wenn Herr Goppel von der CSU diese, wie ich finde, bedächtige Mahnung des Bundespräsidenten zum Anlass nimmt, sogar die Eignung von Johannes Rau als Bundespräsident infrage zu stellen, dann möchte ich Sie von der Union fragen: Wollen Sie demnächst einen nationalen Gesinnungs-TÜV einführen? Wollen Sie Roman Herzog, der schon vor vielen Jahren genau das Gleiche gesagt hat, jetzt noch nachträglich die Eignung als Bundespräsident absprechen? ({13}) Auch Sie, Herr Westerwelle, von den so genannten Liberalen, springen jetzt auf diesen national-konservativen Zug auf. ({14}) Als Gipfel habe ich es empfunden, dass Sie von Verklemmtheit schwafeln, ({15}) nachdem der Bundespräsident solch bedächtige Mahnungen ausgesprochen hat. Herr Kollege, ich bin davon überKerstin Müller ({16}) zeugt - das meine ich sehr ernst, weil es mich politisch geprägt hat -, dass man vor dem Hintergrund unserer Geschichte bei Sprüchen, die an den Nationalstolz der Deutschen appellieren, bedächtig und vorsichtig sein muss. Wer dies abstreitet, handelt meiner Meinung nach geschichtslos. ({17}) All denen, die mit der deutschen Geschichte unbefangen - so war auch heute wieder Ihre Formulierung - und mit dem Begriff der deutschen Nation unverkrampft umgehen wollen, kann ich nur sagen: Ja, es ist nun einmal so: Wir als Deutsche können und sollten angesichts unserer Vergangenheit nicht einfach so über unseren Nationalstolz schwadronieren. ({18}) Wer Unbefangenheit fordert, meint eigentlich die Entsorgung der Geschichte und: Lasst uns über die Vergangenheit nicht mehr reden! Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, wird sich in Deutschland hoffentlich nicht durchsetzen. ({19}) Nun komme ich zu Herrn Glos, der heute leider nicht anwesend ist. Er hat in der letzten Woche während der Debatte Willy Brandt als Kronzeugen dafür, dass man stolz sein darf, Deutscher zu sein, bemüht. ({20}) Willy Brandt hat aber etwas völlig anderes gesagt. Er hat 1972 gesagt: „Wir können stolz sein auf unser Land.“ ({21}) Er hat damit den Stolz auf die Ostverträge, die den Weg zum Frieden mit den osteuropäischen Ländern geebnet haben, und den Grundlagenvertrag mit der DDR, der zu einem Grundstein der Wiedervereinigung geworden ist, gemeint. Das entsprechende Plakat hat Herr Glos hier hochgehalten. ({22}) Dass nun ausgerechnet Sie die Leistungen der damaligen Regierung für sich instrumentalisieren, ist wirklich das Allerletzte; ({23}) denn damals haben Sie in ähnlichen Debatten mit dem Vorwurf des Vaterlandsverräters und dem schlimmen Spruch von der fünften Kolonne Moskaus versucht, Willy Brandt und seine Regierung zu denunzieren. Das ist ungeheuerlich! ({24}) Sie sollten sich da besser zurückhalten. Willy Brandt konnte auf diese Leistung wirklich stolz sein. ({25}) - Jetzt hören Sie mal zu! Sonst haben Sie gleich den Unterschied zwischen den beiden Dingen immer noch nicht verstanden. ({26}) Ich sage hier sehr klar: Ich habe kein Problem, auf unser Land stolz zu sein. ({27}) Wir können heute auf vieles stolz sein, zum Beispiel darauf, dass wir beim Staatsbürgerschaftsrecht das Recht auf Einbürgerung insbesondere für alle, die hier geboren werden, gleich welcher Abstammung, neben das völkische Prinzip gestellt haben. Diese Regierung signalisiert damit allen Menschen in dieser Gesellschaft, dass sie dazugehören. Sie von der Union haben sich bis zuletzt mit Zähnen und Klauen gegen den Abschied vom Blutsrecht gewehrt. Ich erinnere nur an die unselige Unterschriftenkampagne Ihres Kollegen Koch in Hessen. Darum geht es in der Patriotismusdebatte. ({28}) Ja, wir sind stolz auf dieses Land. Ich bin zum Beispiel stolz, wenn engagierte Menschen aus Initiativen und Kirchen Zivilcourage zeigen und Flüchtlinge vor rechtsradikaler Gewalt schützen. ({29}) Wir können - auch das gehört dazu - nicht stolz darauf sein, dass immer noch tagtäglich Flüchtlinge und Obdachlose im Namen des Deutschtums gejagt, verletzt oder auch getötet werden. ({30}) Ich sage ganz persönlich noch etwas dazu - auch das gehört in diese Debatte -: Ich schäme mich, wenn Synagogen von Rechtsradikalen in Brand gesetzt werden. Ich glaube, nur wer in der Lage ist, sich für schlimme Fehlentwicklungen in dieser Gesellschaft zu schämen, Kerstin Müller ({31}) der kann auch ehrlich stolz auf die Leistungen unseres Landes und seiner Bürger sein. ({32}) Wir sind stolz darauf, dass mündige Bürgerinnen und Bürger von ihrem Recht Gebrauch machen, für ihre Meinung auf die Straße zu gehen, dass Schwule und Lesben heute in Köln, Berlin und Hamburg öffentlich ihre Paraden feiern können. Das war vor einigen Jahren nicht möglich. ({33}) Wir sind heute ein demokratisches, ein weltoffenes Land. Im Übrigen: Ich bin stolz darauf, dass die 68er-Generation und damit zum Beispiel auch Joschka Fischer, ({34}) den Sie und die Sie so fanatisch bekämpfen, viel dazu beigetragen haben, dass dieses Land so liberal und weltoffen geworden ist, wie es heute ist. ({35}) - Die 68er-Debatte ist wirklich Ihr Thema, nicht wahr? Es geht um die Leistungen, um die Errungenschaften. Wir sind natürlich stolz auf die umweltpolitischen Leistungen, die wir gemeinsam mit dem Umweltminister in dieser Regierung erreicht haben, darauf, dass wir endlich eine neue Energiepolitik angepackt haben, dass wir endlich konkrete Maßnahmen für den Klimaschutz umsetzen, damit wir das, was Sie, Frau Merkel, als Umweltministerin in Rio und Kioto versprochen haben, tatsächlich erreichen können. Darauf sind wir stolz ({36}) und auf unsere Freundinnen und Freunde aus der Bürgerbewegung der DDR. Sie können wahrhaft stolz sein, dass sie und niemand sonst mit ihrer friedlichen Revolution die Diktatur überwunden haben. Wir sind auch stolz darauf, dass von Deutschland heute keine Bedrohung mehr gegenüber unseren Nachbarn ausgeht, dass die deutsche Außenpolitik Friedenspolitik ist, ({37}) dass wir vor der historischen friedlichen Vereinigung Europas stehen. Das konnte nur mit einer Kultur der Zurückhaltung, der Mäßigung und des Maßhaltens erreicht werden. ({38}) Mit Ihrem Brachialpatriotismus ({39}) wäre weder die Entspannungspolitik der 70er-Jahre noch der europäische Einigungsprozess möglich gewesen. ({40}) Meine Damen und Herren von der Union, Ihr Kollege Heiner Geißler hält Ihnen heute in einem Interview in der „Zeit“ Folgendes vor: Müssen jetzt die CDU-Leute schon sagen: „Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein?“ - Werden sie sonst zu Apostaten? ... Christ sein, Demokrat sein ist für unsere Identität wichtiger als nationale Selbstbefriedigung. Vielleicht sollten Sie sich dieses Zitat einmal zu Herzen nehmen. ({41}) Lassen Sie uns - damit komme ich zum Schluss - die Debatte über unser Land führen, darüber, wie wir es gestalten wollen, wie wir es liberaler und gerechter machen können, wie wir zukünftigen Generationen eine intakte Umwelt hinterlassen können, und lassen Sie uns diese unsägliche Debatte um den Deutschstolz beenden! Denn sie führt nicht weiter, sie führt in die Sackgasse. Wir brauchen keine Ersatzdebatten, wir brauchen konstruktive Diskussionen über die Zukunft dieses Landes. Denen werden wir uns auch wieder zuwenden, und zwar nachdem wir Ihren unsäglichen Antrag hier abgelehnt haben. ({42})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Herr Kollege Claus.

Roland Claus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003065, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Union hat hier mit erstaunlicher Klarheit gesagt, worum es ihr wirklich geht. Deshalb verdient sie auch, zu ihrem Antrag zunächst mit aller Klarheit gesagt zu bekommen: Dieses Ansinnen lehnen wir ab. Zu diesem Antrag sagt die sozialistische Opposition im Bundestag ein klares Nein. ({0}) Wir sagen dieses Nein, weil wir uns dem Versuch widersetzen, das politische Koordinatensystem der Republik nach rechts zu verschieben. Darum geht es Ihnen doch in Wirklichkeit. ({1}) Den Kampf um die Mitte haben Sie offenbar aufgegeben und nun versuchen Sie es auf diesem Wege. ({2}) Ich sage Ihnen in aller Deutlichkeit: Heimatliebe ist kein Pachtgut der CDU. ({3}) Kerstin Müller ({4}) Falls Sie auch noch auf diesen Antrag stolz sein sollten, sollten Sie wissen, dass dabei eines deutlich wird: Allzu viel Stolz setzt offenbar Verstand und politische Kultur gleichermaßen außer Kraft. Das ist hier geschehen. ({5}) Damit ist natürlich nicht gemeint, dass wir mit dem Vergleich von Minister Trittin einverstanden wären. Er hat sich die Kritik redlich verdient und wir haben sie ihm auch mitgeteilt. Er ist hier, so meinen wir, in eine Falle des kalten Krieges getappt. ({6}) - Ja, die Fallen des kalten Krieges stehen in diesem Lande offenbar immer noch herum. Er hat damit der Union einen lange erwarteten Anlass geliefert. Er hat ihre Logik bedient, die lautet: Bestätige uns das Bild, das wir von dir haben, aber es muss bitte schön ein Feindbild sein. ({7}) Damit hat Jürgen Trittin eigentlich seine Verbündeten mehr als seine politischen Gegner getroffen; er weiß das auch. Zwar war es sehr nötig, sich bei Laurenz Meyer zu entschuldigen, aber noch nötiger wäre es eigentlich, sich bei seinen politischen Mitstreiterinnen und Mitstreitern zu entschuldigen. ({8}) Die Botschaft der Union lautet: Wir bleiben im kalten Krieg, notfalls mit den Parolen des Rechtsextremismus. ({9}) Daran gibt es doch überhaupt keinen Zweifel mehr: Wenn es eine Erkennungsmelodie der Rechtsradikalen in diesem Lande gibt, dann ist es der Ausspruch „Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein“. Da liegt auch der Kern des Problems. ({10}) Herr Kollege Westerwelle, Sie haben es sich einfach zu leicht gemacht, als Sie sagten, uns unterscheide das Verhältnis zum Land, zur Heimat. ({11}) Es ist zwar ein scheinbar kleiner, aber doch ein wesentlicher Unterschied, ob man seine Verbundenheit zu einem Land formuliert oder aber sie an der mehr oder weniger zufälligen - auch noch männlichen - Mitgliedschaft zu einer bestimmten Nation festmacht. Wir stellen fest: Erst hat die CDU die Parole der Rechtsextremisten übernommen und nun soll diese Moralauffassung auch noch dem Bundestag übergestülpt werden. Zu einer solchen Art Patriotentest oder Gesinnungs-TÜV sagen wir ausdrücklich Nein. Das ist mit uns nicht zu machen. ({12}) Herr Kollege Glos hat gesagt, Trittin habe der CDU indirekt Stimmen von den Reps besorgt. Das mag richtig sein. Aber wenn das stimmt, dann stimmt auch, dass Herr Laurenz Meyer dasselbe getan hat, aber nicht indirekt, sondern direkt. ({13}) Das alles sind, wie Sie wissen, keine Betriebsunfälle im Adenauer-Haus. Ist es auch Meyer, so hat es doch Methode. Eigentlich ginge es darum, gemeinsame Anstrengungen um die Wiedergewinnung von Menschen für die Demokratie zu unternehmen. Das aber tun Sie genau nicht. Sie fischen hier im Trüben, im demokratieabgewandten Spektrum der Gesellschaft. ({14}) Wenn Herr Glos dann auch noch sagen zu müssen meint, Herr Trittin sei eine Schande für unser Land, dann lenkt er von alledem ab, was wirklich eine Schande für unser Land ist: ({15}) Neonazis, Antisemitismus, die zu späte, noch immer blockierte Zwangsarbeiterentschädigung. Davon lenken Sie ab, indem Sie uns auf Stolz verpflichten wollen. Das Verhältnis zu Deutschland auf Stolz zu reduzieren hieße, Scham und Sühne auszublenden. Mein Deutschlandbild ist dies nicht. Dass Sie in Ihrem Zorn - darüber ist schon gesprochen worden - selbst vor dem Bundespräsidenten nicht Halt machen, zeigt doch nur, was wirklich in Ihnen vorgeht. ({16}) Deswegen sagen wir Ihnen noch einmal: Es geht hier nicht um Jürgen Trittin, es geht um die demokratische Grundsubstanz dieser Republik. ({17}) Allerdings stellen wir auch eines fest. Wir haben schon den Eindruck, dass der Koalitionspartner SPD gegenwärtig den Bundesumweltminister mehr, energischer und stärker schützt als die eigene Fraktion der Grünen. Nach meinem Eindruck offenbart sich dies hier. ({18}) Ich stelle mir die Frage, woher das kommen kann. Ich sage mir dann: Wenn jemand bei den Grünen wirklich über Schwarz-Grün nachdenken sollte, dann wäre Trittin natürlich ein rotes Tuch, wie immer das bei Ihnen interpretiert wird. ({19}) Die Union handelt mit diesem Antrag natürlich auch in eigener Sache. Die Union braucht ihr Feindbild und fragt sich: Wie können wir uns das Feindbild Trittin dauerhaft erhalten? - Wir können es am besten erhalten, indem wir seine Entlassung fordern. - Deshalb haben Sie hier diesen Antrag gestellt. ({20}) Ich hoffe, dass bei Ihnen auch ein bisschen Unbehagen darüber einsetzt, dass Sie solche Anträge stellen und solche Debatten hier eröffnen. Wir sagen dazu ein klares Nein. Vielen Dank. ({21})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Zu einer Kurzintervention erteile ich jetzt dem Kollegen Heiner Geißler das Wort.

Dr. Heiner Geißler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000655, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Müller, Sie haben mich korrekt zitiert; aber Sie können mich mit dem, was ich gesagt habe, nicht zur Verteidigung von Jürgen Trittin in Anspruch nehmen. Das können Sie nicht tun. ({0}) Ich bin in der Tat der Auffassung, dass es für mich wichtig ist, Deutscher zu sein, aber ich versuche, Christ zu sein, und ich will Demokrat sein. Die beiden letzteren Identitäten - das sage ich auch ganz klar - sind für mich wichtiger. ({1}) Dies entspricht dem Menschenbild, das wir haben, nämlich dem christlichen Menschenbild, das die Würde des Menschen von der Zugehörigkeit zu irgendeiner Kategorie des Menschen unabhängig macht. ({2}) Aber dieses Menschenbild hindert mich nicht, meine Heimat und mein Vaterland zu schätzen und zu lieben. Das ist doch ganz selbstverständlich. ({3}) Damit uns die Prioritäten klar sind: Das Nationale ist in der Tat kein Grundwert. Das Nationale kann sich mit jeder Ideologie verbünden. ({4}) Die Nationalsozialisten haben sich des Nationalen bemächtigt, sogar die Kommunisten haben sich dessen bemächtigt. Das Nationale bekommt dann einen Sinn - so verstehen dies im Übrigen die Franzosen -, wenn es sich mit wirklichen Grundwerten verbindet, nämlich mit der Freiheit, der Gleichheit und der Brüderlichkeit. Dann bekommt das Nationale den Rang, der ihm in einer freiheitlichen Demokratie zukommt. Deswegen, Jürgen Trittin, war das, was Sie gesagt haben, intellektuell unzulänglich und auch moralisch nicht verantwortbar; denn ich kann - wenn das, was ich gesagt habe, wahr ist - unmöglich einen Menschen wie Laurenz Meyer, der anerkannter, überzeugter Demokrat ist und der in seiner Weise zum Ausdruck gebracht hat, was er von Deutschland hält, mit rassistischen Schlägern, die andere Menschen verletzen oder töten, in einen Topf werfen. Das dürfen Sie nicht tun! ({5}) Deswegen - dazu hätte er etwas sagen sollen - können wir auf der Basis, wie hier von ihm argumentiert worden ist, diese Debatte um Patriotismus wirklich nicht weiterführen. Wir brauchen die richtige Rangordnung. Das Erste ist die Menschenwürde und sind die wirklichen Grundwerte. Das Nationale kommt hinzu. Nur so gewinnen wir die moralische Kraft, für unser Land einzutreten. ({6})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Das Wort hat der Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, Dr. Werner Müller. ({0})

Werner Müller (Minister:in)

Politiker ID: 11005310

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe um das Wort gebeten, nicht etwa, weil ich die verbale Entgleisung von Herrn Bundesminister Trittin gegenüber Herrn Meyer in einem spontanen Radiointerview hier entschuldigen möchte, sondern weil mich der Antrag der Opposition auf Entlassung stört. ({0}) Denn dieser Antrag ist kein Beleg einer sachlich überzeugenden Arbeit der Opposition, sondern leider vielmehr Beleg einer sehr bemerkenswerten Selbstgerechtigkeit. ({1}) Welche Selbstgerechtigkeit ist hier deutlich zu erkennen? Erstens die Selbstgerechtigkeit, anzunehmen, man mache seitens der Opposition eine wesentlich bessere Umweltpolitik, als dies die Bundesregierung mit Herrn Bundesminister Trittin tue. Zweitens und vor allem ist es doch höchst selbstgerecht, wenn man meint, Herrn Bundesminister Trittin sei hier eine verbale Entgleisung passiert, die in den Reihen der Opposition niemals passieren würde. ({2}) Ich will es den Bürgerinnen und Bürgern überlassen, zu entscheiden, was inhaltlich eine schlimmere Entgleisung war: die Äußerungen gegenüber Generalsekretär Meyer oder die plakative Darstellung des Herrn Bundeskanzlers als Verbrecher bzw. auf Verbrecherfotos. ({3}) Eine Entgleisung ist meines Erachtens beides. Aber die Entgleisung von Herrn Bundesminister Trittin war die spontane Entgleisung eines Einzelnen, und die Verbrecherfotos des Bundeskanzlers waren nicht spontane Fehlleistungen eines Einzelnen, sondern eine kollektiv geplante Diffamierung des Bundeskanzlers. ({4}) Wenn Sie hier diskutieren wollen, welche Gesinnung hinter dieser spontanen Entgleisung von Herrn Trittin stand, müssen wir auch über die Gesinnung reden, die dahinter steht, wenn kollektive Entgleisungen geplant werden. ({5}) Ich teile vollkommen die Auffassung, dass die erste Entschuldigung von Herrn Bundesminister Trittin nicht in Ordnung war. Man kann nicht einfach sagen: Ich habe das gesagt, und wenn das jemand als Beleidigung empfindet, dann habe ich das nicht gewollt. - Hier war schon eine andere Entschuldigung notwendig; da hat die Opposition Recht. Aber die Opposition sollte auch bedenken, dass sie über diese völlig inadäquate Entschuldigung in Sachen Verbrecherfotos noch nicht hinausgekommen ist. ({6}) Inzwischen - das finde ich in Ordnung und beachtenswert - hat Herr Meyer erklärt, Herr Trittin habe sich in aller Form entschuldigt, er akzeptiere die Entschuldigung, die Sache sei für ihn erledigt. Aber ich möchte zu meinem Gedanken zurückkommen. Ich sprach davon, dass die Aktion mit den Verbrecherfotos eine kollektiv geplante Tat zur Diffamierung einer einzelnen Person, der des Bundeskanzlers, war. Ich habe in der letzten Zeit auch die Diffamierung eines gesamten Kollektivs, nämlich des Bundeskabinetts, durch einen Einzelnen beobachtet. Der Generalsekretär der Union, Herr Meyer - er wurde hier schon öfters erwähnt -, hat kürzlich in einer öffentlichen Rede erklärt, dass das Bundeskabinett Rotlichterfahrung brauche, um arbeitsfähig zu sein. ({7}) Ich möchte das zitieren: Frau Schmidt - so Ihr Generalsekretär Meyer ist vermutlich nur deshalb Ministerin geworden, weil denen nach dem Abgang von Oskar Lafontaine einer fehlte, der sich im Rotlichtmilieu auskennt. ({8}) Das ist auch eine Entgleisung. ({9}) Mich stört - das sagte ich einleitend - Ihre Selbstgerechtigkeit, die vielleicht darin begründet ist, dass wir dies im Bundeskabinett schweigend zur Kenntnis genommen haben. Insgesamt muss ich Ihnen ehrlich sagen: Wenn man diese Vorfälle der letzten Zeit betrachtet und sieht, wie Entgleisungen - ich will sie einmal so nennen, seien sie geplant oder ungeplant - passieren, dann fragt man sich, wieso, wenn es einmal Ihren Generalsekretär trifft, darauf ein Antrag auf Entlassung folgt. Ihr Antrag auf Entlassung wäre nachvollziehbar, wenn Sie vorher Herrn Meyer entlassen hätten. ({10}) Weil Sie das nicht getan haben - genau genommen hätten Sie die Führung entlassen müssen -, ({11}) halte ich Ihren Antrag für bemerkenswert selbstgerecht. Jetzt zu dem anderen Punkt, bei dem eine Fehldenke vorliegen könnte: wenn Sie meinen, unter Herrn Trittin und dieser Bundesregierung werde keine gute Umweltpolitik gemacht. Sicher, ich habe oftmals in großen und in kleinen Fragen meinen Streit mit Herrn Trittin über dessen konkrete umweltpolitische Forderungen. Übrigens streiten wir uns fast nie über die umweltpolitischen Ziele, sondern über die Wege dahin. Aber dazu muss man ganz klar erkennen: Wer die Aufgabe hat, den Faktor Natur und seine Interessen zu vertreten, der muss in unserer Gesellschaft kräftig mit den Faktoren Kapital und Arbeit streiten. ({12}) Wir finden immer wieder vernünftige Kompromisse: bei den regenerativen Energien, bei der Kraft-WärmeKopplung oder bei dem schwierigen Thema Kernenergie. Und mir fällt an Herrn Trittin auf, dass er für die Kompromisse einsteht, auch wenn ihm das in den eigenen Reihen gewaltigen Ärger bereitet. Ich muss Ihnen sagen: Ich schätze dieses Eintreten für Ziele und für gemeinsam gefundene Kompromisse. Das ist geradlinig. ({13}) Wo ist diese umweltpolitische Geradlinigkeit bei der Opposition? Ist es etwa geradlinig, wenn Sie ein Gesetz über Dosenpfand machen, als Sie noch an der Regierung waren, wir dieses Gesetz jetzt anwenden und Sie die Anwendung Ihres eigenen Gesetzes kritisieren? ({14}) Ist es etwa eine geradlinige Umweltpolitik, wenn man als Umweltministerin an der Einführung der Ökosteuer arbeitet - die Papiere liegen ja noch alle vor - und nun in der Opposition genau dies bekämpft? Der Faktor Natur braucht einen harten, geradlinigen Vorkämpfer, gerade auch im Kabinett. So schwierig die Zusammenarbeit mit einem solchen Vorkämpfer wie Bundesminister Trittin oft auch ist, muss ich doch in aller Deutlichkeit sagen: ({15}) Ich möchte diese Zusammenarbeit der Sache wegen nicht missen. ({16}) Es ist noch ein Moment Redezeit. ({17}) - Es ist noch ein Moment Redezeit; danach höre ich auf. Gestatten Sie mir, bevor ich aufhöre, doch noch wenige Worte an die Opposition zu richten. Konzentrieren Sie sich doch einfach auf den Versuch einer guten Sacharbeit! ({18}) Ich will Ihnen auch sagen, warum: damit man in Deutschland auch auf die Opposition stolz sein kann. ({19}) Überdenken Sie - ich bitte darum - Ihre Angriffe auf Personen und Institutionen, wie zum Beispiel auf das Amt und die Person des Bundespräsidenten. Überdenken Sie bitte auch Ihr Verlangen, kleinkariert wissen zu wollen, was Mitglieder der Bundesregierung vor 20 oder 30 Jahren waren, meinten und sagten. Überdenken Sie alles in allem das, was ich eingangs sagte: Ihre Selbstgerechtigkeit. ({20}) Sie können ein Zeichen setzen: Sie können schlicht und ergreifend Ihren heutigen Antrag zurückziehen. Vielen Dank. ({21})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die Fraktion der CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Dr. Theodor Waigel.

Dr. Theodor Waigel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002412, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist eigenartig, dass in den Wortmeldungen der Koalition - mit Ausnahme in der des nicht dem Parlament und keiner Partei angehörenden Bundeswirtschaftsministers - der Name Trittin fast nicht vorgekommen ist. ({0}) Herr Struck hat es im Rahmen einer Filibusterrede wirklich fertig gebracht - er versuchte Herbert Wehner zu imitieren; der konnte es natürlich erheblich besser -, den Namen Trittin nicht zu nennen. Umso besser war es natürlich, dass sein Parlamentarischer Geschäftsführer Schmidt Folgendes gesagt hat - das ist heute in der „FAZ“ nachzulesen -: „Jeder weiß, noch einen Schuss hat er nicht frei.“ Das heißt, der Mann steht heute auf dem Prüfstand. Sie, Herr Müller, erwarten noch eine lange Zeit der Zusammenarbeit. Dabei hat er nur noch einen Schuss frei. Was ist das für eine Verteidigung eines Ministers durch die SPD? ({1}) Frau Müller, ich will Ihnen einmal sagen, wie man Rechtsradikale am besten bekämpft: ganz sicher nicht mit der Politik der Grünen, sondern indem man ihnen Wähler wegnimmt und Themen besetzt, sodass diese keine Chance haben, ihre radikalen Themen unter die Leute zu bringen. Das haben wir in Bayern, in Baden-Württemberg und in anderen Ländern unter Beweis gestellt. ({2}) Es geht darum, dass wir natürliche Werte wie Heimat, Nation und Vaterland nicht den Rechtsradikalen überlassen. Es wäre sehr gefährlich, wenn wir jenen die Chance gäben, diese Themen zu besetzen und damit hoffähig zu werden. Das müssen wir verhindern! ({3}) Herr Bundesminister Müller, warum hat eigentlich nicht der Vizekanzler gesprochen? Mit welchem Auftrag sind Sie hier vorgeschickt worden? Vielleicht als Kamerad? ({4}) Sie sind ja gar kein Mitglied des Parlaments. Die Frage, welche Anträge wir stellen oder nicht stellen, geht Sie nichts an! Es ist unsere Angelegenheit, darüber zu entscheiden! ({5}) Bei den Grünen geht ein Gespenst um: die Angst vor der Vaterlandsliebe. ({6}) Ob Amerikaner, Engländer, Franzosen, Russen, Polen oder Tschechen, alle bekennen sich zu ihrer Nation, sind stolz auf die Leistungen ihres Vaterlandes und demonsBundesminister Dr. Werner Müller trieren nicht nur an historischen Feiertagen oder anlässlich von Siegen ihrer Sportler ein gesundes Nationalbewusstsein. Wenn wir auf uns nicht stolz sind, wenn wir uns unserer selbst nicht sicher sind, dann werden die anderen an uns unsicher. Wenn wir das Natürlichste der Welt, nämlich den Stolz auf Heimat, Vaterland und Nation, nicht besäßen, wären wir geradezu eine falsche, eine unnatürliche Nation. Genau das dürfen wir in Europa und in der Welt nicht sein. ({7}) Der frühere Bundespräsident Karl Carstens zählte die Schwäche der Bindungen an Nation und Vaterland zu den Mängeln der deutschen Demokratie im ausgehenden 20. Jahrhundert. Dabei stellt die Nation in den Worten Martin Walsers „im Menschenmaß das wichtigste geschichtliche Vorkommen“ dar. In der heutigen industriellen Massengesellschaft, die durch eine Individualisierung der Lebensverhältnisse, durch einen Wertepluralismus und auch durch ein Nachlassen religiöser Bindungswirkungen geprägt ist, stellt sich die Frage: Was hält das Ganze zusammen? Es sind primär nicht universalistische Rechtsvorstellungen. Das Bekenntnis zu einer alle bindenden Grundrechtsgemeinschaft ist wichtig. Aber die entscheidende Bindungswirkung kommt nach wie vor aus dem nationalen Zusammengehörigkeitsgefühl. Wenn Deutschland in den letzten zehn Jahren 1 800 Milliarden DM für eine große nationale Herausforderung aufgewendet hat, dann geschah das aus nationalem Zusammengehörigkeitsgefühl, nicht aus der Solidarität der K-Gruppen. ({8}) Zur Nation als Solidaritäts- und als Schicksalsgemeinschaft gibt es bis heute keine historische Alternative. Ich lasse mich an europäischem Bewusstsein und Engagement von niemandem übertreffen. In den beiden Fraktionen CDU/CSU und F.D.P. haben wir in den letzten zehn Jahren nun wirklich unter Beweis gestellt, dass wir, manchmal in schwierigster Situation, zu unserer europäischen Identität standen. Nur, genauso richtig ist auch, dass Europa nur entstehen kann als ein Europa der Regionen, der Nationen und der Vaterländer, so wie es de Gaulle schon in den 60er-Jahren formuliert hat. ({9}) Vaterlandsliebe, Patriotismus, Nationalbewusstsein: Das alles hat mit einem pervertierten Nationalismus nichts zu tun. Wir Deutsche wissen um die Irrwege unserer Geschichte. Wir haben unsere Lektion gelernt. Wir bekennen uns zu unserer historischen Verantwortung. Aber die Identität des wiedervereinigten Deutschlands auf die Aufarbeitung des „Tausendjährigen Reichs“ zu verengen, hieße, den Deutschen auf ewig ein bei allen anderen Nationen übliches und geläutertes Nationalbewusstsein vorenthalten zu wollen. Ein Volk, das geschichtlich nur von der Vergangenheitsbewältigung lebt, kann auf Dauer keine unseren befreundeten und benachbarten Völkern entsprechende nationale und historische Identität ausbilden. ({10}) Wenn sich heute die 68er und ihre Erben als die wahren Gründer der Demokratie aufspielen, dann stellen sie die Geschichte auf den Kopf. Die Neomarxisten im Umfeld der Frankfurter Schule wollten nämlich keine Demokratie, sondern eine Diktatur. ({11}) Wer sich lautstark zu Mao, Che Guevara und Ho Chi Minh - alles Diktatoren - bekannt und deren Lehren nachgelesen und gebetsmühlenhaft nachgeplappert hat, der kann doch nicht behaupten, er sei für eine Freiheitsdemokratie eingetreten. ({12}) Natürlich kann auch ein Patriot an seinem Vaterland zweifeln, ja sogar verzweifeln. Zwei Tage vor der Kapitulation hat der schwäbische Dichter und Philosoph Joseph Bernhart in sein Tagebuch geschrieben: Zu Hause, als ich allein war, umfing mich die schrecklichste Einsamkeit des Menschen ohne Vaterland. Das schrieb jemand, dem die Nationalsozialisten zwölf Jahre seines Lebens genommen und den sie frontal angegriffen hatten. Das heißt: Er und viele andere haben gespürt, was es heißt, das Vaterland zu verlieren. Sie haben gezweifelt und waren manchmal sogar verzweifelt. Sie haben ihr Vaterland aber nicht weggelegt und auch nicht weggeworfen. Sein Vaterland kann man nicht wegwerfen. ({13}) Der Skinhead-Vergleich des Kollegen Trittin war mehr als eine rhetorische Entgleisung. Er war ein bewusster Anschlag auf die politische Kultur unseres Landes; ({14}) denn hinter seinen Äußerungen steht letztlich das Ziel, alles, was rechts von Rot-Grün steht - von den Nationalliberalen bis zu den Konservativen -, in die rechtsradikale Ecke zu stellen und damit vom politischen Diskurs auszugrenzen.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Waigel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Michael Müller?

Dr. Theodor Waigel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002412, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein. ({0}) Das kommt ausgerechnet aus den Kreisen, die früher im Dunstkreis von K-Gruppen und Mescalero-Schmährufen gestanden haben. ({1}) - Dr. Peter Struck [SPD]: Unglaublich!) An den Herrn Bundesminister Trittin sei die Frage erlaubt: Wenn Sie nicht auf Ihr Land stolz sind, schämen Sie sich dann Ihres Landes? Wie wollen Sie eigentlich deutsche Interessen vertreten und Politik für Deutschland gestalten, wenn Ihnen jede Bindung zu diesem Vaterland, auf das Sie verpflichtet sind, abgeht? ({2}) Der Bundeskanzler nannte Sie ein Risiko. Die Presse zitiert die Grünen-Abgeordnete Rita Grießhaber mit den Worten: „Er ist so etwas wie ein politischer Quartalssäufer.“ ({3}) Ich kann Ihnen versichern, dass ich mir diese unparlamentarischen Worte nicht zu Eigen mache. ({4}) Dem Bundeskanzler fehlt die politische Kraft, einen alten Kameraden fallen zu lassen. ({5}) Herr Trittin, Sie haben bei der Vereidigung geschworen, Ihre Kraft dem Wohle des deutschen Volkes zu widmen und Schaden von ihm abzuwenden. ({6}) Sie können schon aus Gründen der persönlichen Selbstachtung dem von Ihnen geliebten Land nur noch einen Dienst erweisen: Treten Sie zurück! ({7})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Die letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin Anke Fuchs für die SPDFraktion.

Anke Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eigentlich wollte ich eine sachliche Rede halten, aber jetzt gelingt mir das nicht mehr. Erst einmal möchte ich mich bei dem Kollegen Geißler dafür bedanken, dass er Herrn Merz und Herrn Westerwelle eine so gute Nachhilfestunde gegeben hat. Wenn die gesamte Fraktion der CDU/CSU so reden würde, wären wir ein Stück weiter. ({0}) Willy Brandt hätte heute gesagt: Wir waren schon einmal weiter. Wenn man die Debatten der letzten Wochen verfolgt, muss ich sagen, dass ich ziemlich erschreckt bin. ({1}) Der Kollege Waigel hat vom Tausendjährigen Reich geredet und diesen Begriff nicht in Klammern gesetzt oder „so genannt“ davor gestellt. Ich hatte das Gefühl: Es war wirklich von gestern, was uns der Kollege Waigel hier geboten hat. ({2}) Damit dies für meine Fraktion klar ist: Herr Trittin hat sich für seine Äußerung entschuldigt. Wir sind miteinander der Auffassung, dass er ein erfolgreicher Umweltminister ist. ({3}) Deswegen sehen wir keine Veranlassung, ihn zu entlassen. ({4}) Ich finde es interessant, was Herr Müller gesagt hat: Eigentlich hätten Sie Herrn Meyer entlassen müssen; denn er hat sich für sein Plakat mit dem Fahndungsfoto des Bundeskanzlers noch nicht entschuldigt. Darauf warten wir noch. Wir hoffen, dass Sie endlich zur Vernunft kommen. ({5}) Wenn man Unterschriftskampagnen gegen Menschen auflegt, dann ist das Menschenjagd. Dies lassen wir mit den Mitgliedern unseres Kabinetts nicht machen. Deswegen lehnen wir es ab, weiter mit Ihnen darüber zu diskutieren. ({6}) Was mich am meisten schockiert, ist die Geisteshaltung von Herrn Westerwelle. Diese habe ich ihm gar nicht zugetraut. Irgendetwas muss von „Big Brother“ abgefärbt haben, dass Sie in einer so beengten Art und Weise diskutieren. ({7}) Ich finde es schade und will Ihnen auch sagen, warum ich es schade finde: Diese Debatte ist überflüssig und findet auf einem so niedrigen und verquasten Niveau statt, dass sie den Herausforderungen unseres Landes nicht gerecht wird. ({8}) Wir haben doch in unserem Land, in Europa und der Welt etwas anderes zu tun. Ich will an zwei Sachthemen klarmachen, wie verhängnisvoll diese Debatte ist. Die Fragen der europäischen Einigung sowie der Zuwanderung und Integration werden wir mit einem dumpfen RechtsextreDr. Theodor Waigel mismus nicht packen können, sondern da sind differenzierte Antworten gefragt. ({9}) Wie steht es mit dem Ansehen der Bundesrepublik Deutschland, wenn wir uns mit diesen Themen so auseinander setzen? Das ist doch das Problem. Sie mögen alles anders meinen, geben aber Signale in die falsche Richtung. ({10}) Sie schüren die Ideen jener, die sagen: Deutsche sind bessere Menschen als andere, wir wollen unter uns sein, Ausländer raus. ({11}) Damit ermutigen Sie die Falschen und verhindern eine vernünftige Politik europäischer Einwanderung. ({12}) „Leitkultur“ und „deutscher Stolz“ sind Kampfbegriffe, die unserem Ansehen schaden und der Entwicklung in Europa nicht förderlich sind. ({13}) Wir Frauen haben es gut, denn wir sind ja gar nicht gemeint, da immer vom Stolz, Deutscher zu sein, gesprochen wird. Stolz, Deutsche zu sein, kommt gar nicht vor. Wir sehen damit wieder einmal, wie verräterisch Sprache sein kann. ({14}) Ich will auf das Zusammenleben in Europa zu sprechen kommen. Die europäische Entwicklung ist doch die Erfolgsgeschichte unseres Landes nach dem Zweiten Weltkrieg. Darüber müssen wir mit unseren Leuten diskutieren. Wir müssen sie mitnehmen und überzeugen und in diesem Zusammenhang haben wir noch sehr viel Arbeit vor uns. In dieser Diskussion, Herr Merz, sind die Fragen zu stellen: Wo ist meine Identität, wo ist meine Heimat, wo ist mein Vaterland? Das gilt es einzubeziehen, aber nicht mit Vokabeln, die Ausgrenzung signalisieren. ({15}) Stolz sein auf Hitler, Ulbricht oder Honecker? Nein, natürlich nicht. ({16}) Stolz sein kann man beispielsweise auf das, was wir an stabiler Demokratie, an Partnerschaft mit unseren Nachbarn, an Wohlstand für alle Menschen und an Sozialstaatlichkeit sowie Rechtsstaatlichkeit aufgebaut haben. Das sind beispielhafte Entwicklungen, und auf die sind wir stolz. Stolz und glücklich sind wir auch darüber, dass die Menschen in Ostdeutschland in einer friedlichen Revolution die Diktatur abgeschafft haben und wir gemeinsam in einem wiedervereinigten Deutschland den Weg nach Europa gestalten können. ({17}) Das ist es doch, was uns beflügelt, was uns motiviert, und das ist doch das, was Willy Brandt meinte, als er sagte: Deutsche, ihr könnt stolz auf euer Land sein, weil ihr für die Demokratie und zum Wohle der Menschen in unserem Land etwas geleistet habt. ({18}) - Nein, vorher war es anders. Vorher war es eine rückwärts gerichtete nationale Politik und Willy Brandt hat uns alle aus der Verengung rausgeholt und es war Befreiung, Zuversicht, gebrochene Geschichte, Zukunft gestalten und nicht auch mit alten Nazis Restauration betreiben - so wie Sie es damals getan haben. ({19}) Sie haben damals gegen die Ostverträge gekämpft; wir wissen das noch alle. ({20}) - Sie haben das angefangen und wir haben es fortgesetzt. Herr Repnik, es war in der außenpolitischen Entwicklung unseres Landes so: Zuerst hat die CDU/CSU die Westintegration gegen unseren Willen betrieben, dann haben wir gegen Ihren Willen die Integration zum Osten hin ermöglicht und die Friedenspolitik gestaltet. Die jeweilige Opposition hat dabei im Nachhinein die Regierungspolitik mitgetragen und dann gab es einen gemeinsamen Konsens. Das ist das Stückchen Kontinuität, das wir in der Außenpolitik haben. Deswegen ist es ganz gut, dass wir daran erinnern, dass die Themen immer zunächst kontrovers waren. Das macht auch nichts, weil wir trotzdem Kontinuität und Stabilität organisiert haben. ({21}) Sie haben in diesem Zusammenhang Johannes Rau angegriffen. Ich finde das so lächerlich. Wer Johannes Rau und seine Lebensleistung kennt, weiß, wie differenziert er mit den Themen Nationalität und Patriotismus umgeht. Einem solchen Mann zu sagen, er sei für sein Amt nicht geeignet, ist so etwas von peinlich, ({22}) Anke Fuchs ({23}) dass ich darüber eigentlich gar nicht mehr sprechen möchte. ({24}) Ich sagte, wir wären schon einmal weiter gewesen. Willy Brandt hätte hinzugefügt: Ich möchte uns ein bisschen Gelassenheit wünschen. Das gelingt heute nicht, weil alles etwas aggressiv ist. ({25}) Wir waren auch mit unseren Bundespräsidenten immer auf einer Schiene. ({26}) Sie haben Nationalität, Rechtsaußenorientierung und deutschen Stolz nie zu ihrer Begrifflichkeit gemacht. Als Gustav Heinemann gefragt wurde, ob er das Land liebe, hat er geantwortet: Ich liebe nicht den Staat; ich liebe meine Frau. Das war doch herrlich und schön und es war richtig. ({27}) Ich fand es auch schön, als Roman Herzog sagte: Ich kann zur Not noch eine Landschaft lieben. Aber ich liebe keine Institution, den Staat so wenig wie beispielsweise die Allgemeine Ortskrankenkasse. ({28}) Das sind die richtigen Vokabeln. So geht man mit diesem Thema um. ({29}) Johannes Rau hat ähnliche Vokabeln benutzt. Deswegen sage ich: Wir waren schon weiter. Vor dem Hintergrund unserer 50-jährigen Geschichte ist es jetzt fast so, als ob Epigonen über etwas reden, von dem sie gar keine Ahnung haben. So kommt mir das manchmal vor. ({30}) Das erste Sachthema, das ich angesprochen hatte, war Europa und der Hinweis darauf, wie fatal es ist, wenn wir das Ansehen Deutschlands in Europa beschädigen und damit den europäischen Weg erschweren. Das zweite Sachthema, das ich ansprechen möchte und bei dem wir die Menschen mitnehmen müssen und bei dem noch ein großer Diskussionsbedarf besteht, ist die Einwanderung und Zuwanderung. Ich war sehr glücklich, nicht stolz, als Johannes Rau nach seiner Wahl zum Bundespräsidenten in seiner Dankesrede sagte: In Art. 1 des Grundgesetzes heißt es: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Er fügte hinzu: „Ganz zu Recht sagt das Grundgesetz, die Würde des Menschen ist unantastbar und nicht nur die Würde der Deutschen.“ Das waren seine Worte. ({31}) Das ist der Fahrplan für eine offene und tolerante Gesellschaft, für das Zusammenleben der Menschen in unserem Land. Wir sind noch gar nicht so weit gekommen, dass wir wirklich von Integration und von einem Miteinander reden können. Deswegen ist es so fatal, wenn der Eindruck erweckt wird: Stolzer Deutscher heißt Ausgrenzung und „Ausländer raus!“. ({32}) Lassen Sie uns Integration und Zusammenleben in unserem Lande zu einem wichtigen Thema der politischen Diskussion machen. ({33}) Ich fordere Sie auf: Kommen Sie zu den Sachfragen zurück! Sie werden damit nicht durchkommen, wenn Sie nichts zu den Sachthemen sagen und stattdessen meyern und die Bundesregierung bekämpfen und Menschenjagd auf einzelne Mitglieder des Kabinetts machen. Das wird nicht gelingen. Es gibt viele Fragen, auf die wir eine Antwort finden müssen. Ich als Sozialpolitikerin möchte Sie auffordern: Lesen Sie doch bitte noch einmal nach, was in unserem Rentenkonzept steht, und begreifen Sie endlich, dass es zukunftsorientiert ist, die eigenständige soziale Sicherung der Frau zu verbessern, was wir massiv tun. Ich sage Ihnen ganz unmissverständlich: Die Witwenversorgung verliert für die heute unter 40-Jährigen gegenüber der eigenständigen sozialen Sicherung an Bedeutung. Sie nehmen das leider nicht zur Kenntnis, weil Sie die gesellschaftlichen Veränderungen nicht akzeptieren wollen. ({34}) Zum Schluss möchte ich Ihnen noch sagen: Ich freue mich und ich bin auch stolz darauf, dass eine sozialdemokratisch geführte Bundesregierung unter Bundeskanzler Gerhard Schröder die Reformen durchsetzt, die Deutschland braucht. ({35}) Es hat viel zu lange keine Veränderungen gegeben. Wir werden jetzt und - hoffentlich - gemeinsam für die Menschen in der Bundesrepublik, in Europa und in der Welt jene Werte einfordern und umsetzen, die unser Grundgesetz prägen. Vor uns liegt viel Arbeit. Die verpflichtenden Werte unseres Grundgesetzes, Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit, sind die Maßstäbe für Politik und Gesellschaft, auch in einer globalisierten Welt. ({36})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es liegen zwei Anmeldungen für Kurzinterventionen vor. Ich bitte die Kollegin Fuchs, gegebenenfalls auf beide zusammen zu erwidern. Zunächst erteile ich das Wort dem Kollegen Dr. Theodor Waigel. Anke Fuchs ({0})

Dr. Theodor Waigel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002412, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Fuchs, Sie haben mir in Ihrer Rede unterstellt, ich hätte ohne Anführungszeichen vom Tausendjährigen Reich gesprochen. ({0}) Ich zitiere, was ich gesagt habe: Deutschlands Geschichte umfasst mehr als 1 000 Jahre und darf nicht auf die Jahre des Terrors, des braunen wie des roten, eingeengt werden. Mir aus diesen Worten zu unterstellen, ich hätte ohne Anführungszeichen vom Tausendjährigen Reich gesprochen, ist eine Unverschämtheit! Ich fordere Sie auf, sich zu entschuldigen und das zurückzunehmen. ({1})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Westerwelle, Ihre Kurzintervention bitte.

Dr. Guido Westerwelle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002944, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Frau Kollegin Fuchs, ich möchte zunächst einmal etwas zu der Debatte sagen, soweit sie den Bundespräsidenten angeht. Ich finde das bedauerlich, dass Sie - ausschließlich Ihre Seite und gerade Sie persönlich; ich habe das übrigens nicht getan - eine solche Debatte in dieses Haus hineinholen. ({0}) - Ich habe mir das verkniffen. ({1}) Aber wenn Sie in diesem Haus etwas zu dem Herrn Bundespräsidenten sagen, dann will ich zwei Dinge darauf erwidern. Als er bei seiner Rede gesagt hat, es gehe um die Würde der Menschen und nicht nur um die Würde der Deutschen, habe ich zu denen gezählt, die gesagt haben: Das ist hervorragend; das ist genau das, was ich selber fühle und denke. Wenn wir aber freitags im Bundestag eine Debatte über die Entlassung von Herrn Trittin fordern - das ist das Recht der Opposition - und sich der Herr Bundespräsident am selben Tag dazu äußert, dann muss ich Ihnen bei allem Respekt sagen: Wenn sich der Herr Bundespräsident in die Tagespolitik einbringt, dann muss es das Recht jedes Demokraten sein, darauf zu erwidern. ({2}) Nichts anderes ist geschehen. ({3}) Was Sie mir an Äußerungen im Hinblick auf den Herrn Bundespräsidenten unterstellt haben, das habe ich nicht gesagt; lesen Sie das bitte nach. ({4}) Ich will ein Zweites sagen, und das ist genau das Entscheidende. So wie Sie heute mit Herrn Kollegen Waigel umgegangen sind, so haben Sie auch in meine Richtung gesprochen. Wenn Sie den Eindruck erwecken, das sei - das haben Sie ja doppelt und dreifach unterstrichen - die Menschenjagd gegen einen Mann, ({5}) dann möchte ich Ihnen sagen, wie es mir in einem solchen Augenblick geht: Ich finde, ich nehme als Parlamentarier der Opposition mein Recht wahr, auf die Entlassung eines Ministers zu drängen, ({6}) von dem ich nicht überzeugt bin. Wenn man dann solche Begriffe wie Menschenjagd in die Debatte einführt, dann hat das für mich Assoziationen der Geschichte, die ich mir verbitte, meine sehr geehrten Damen und Herren! ({7}) Ich verbitte es mir, dass Sie in unsere Richtung von dumpfem Rechtsextremismus sprechen! ({8}) Ich verbitte es mir auch, dass Sie sagen, „stolzer Deutscher“ bedeute „Ausländer raus!“ ({9}) Es hat niemand in diesem Hause verdient, dass Sie ihn in die rechtsradikale Ecke stellen. Bitte argumentieren Sie nicht mit der Faschismuskeule; das ist Ihrer als Vizepräsidentin dieses Hauses nicht würdig. ({10})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Zur Erwiderung Frau Kollegin Fuchs, bitte.

Anke Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Waigel, ich habe es so gehört ({0}) und mehrere mit mir. Ich schaue das aber im Protokoll nach. Wenn Sie es nicht gesagt haben, entschuldige ich mich sofort. Aber ich habe es so gehört und war deswegen empört - und mehrere Kolleginnen und Kollegen ebenfalls. ({1}) - Nein, es kommt darauf an, was Sie gesagt haben; manchmal weicht man ja auch vom Konzept ab. Auch ich habe etwas anderes erzählt, als ich vorhin aufgeschrieben habe. ({2}) Herr Kollege Waigel, nehmen Sie mir ab, dass ich es so gehört habe. Aber wir werden im Protokoll, das ja nicht geändert werden wird, nachlesen, was Sie gesagt haben. Wenn ich etwas aufgeschnappt habe, was Sie nicht gesagt haben, entschuldige ich mich dafür. ({3}) Nun zu Herrn Westerwelle. Die Debatte nimmt ja eine schöne Entwicklung. Sie zeigt mir, dass Herr Westerwelle offensichtlich folgende Strategie fährt: In der Öffentlichkeit darf ich sagen, was ich will, aber für das Parlament gilt nur, was ich hier gesagt habe. Wo kommen wir denn da hin, wenn wir das, was wir außerhalb dieses Hauses öffentlich vertreten, hier nicht mehr rechtfertigen? ({4}) Sie haben den Bundespräsidenten, Johannes Rau, angegriffen; deswegen verteidigen wir ihn doch. Wenn wir uns heute darin einig sind, dass es keinen Sinn macht, die Person Johannes Rau zu beschädigen, und dass es erst recht keinen Sinn macht, den Bundespräsidenten in seinem Amt zu beschädigen, dann sind wir ein Stückchen weiter. Auch wenn Sie die Auffassung vertreten, dass sich der Bundespräsident nicht hätte äußern sollen, dann geht es trotzdem nicht, dass Sie ihn angreifen. Der Bundespräsident ist eine Institution. Er spricht für die Bundesrepublik Deutschland und für die Menschen in unserem Lande. Er ist nicht jemand, der überhaupt nichts mehr sagen darf. ({5}) Was Sie gesagt haben, finde ich schon sehr seltsam. Ich sage Ihnen noch einmal: Sie haben den Bundespräsidenten in der Öffentlichkeit angegriffen und dagegen habe ich mich hier verwahrt. Nun zum Kern Ihres Angriffs. In einer solchen Debatte merkt man, dass wir unterschiedliche Grundpositionen haben. Wir haben unterschiedliche Erfahrungen, unsere Gefühle und unsere politischen Überzeugungen sind unterschiedlich. Manche verbale Entgleisung rührt daher. Nehmen Sie denn nicht zur Kenntnis, dass die Rechtsradikalen Begriffe wie „Leitkultur“ und „deutscher Stolz“ besetzen und damit Ausgrenzung - ({6}) - Nehmen Sie das nicht zur Kenntnis? Wenn Sie das nicht tun, dann müssen Sie nicht nur die „Welt“, sondern auch einmal andere Zeitungen lesen, in denen das vernünftig dokumentiert und kommentiert wird, sodass man sich eine eigene Meinung bilden kann. ({7}) Ich mache mir Sorgen, weil ich wie Sie möchte, dass wir die demokratische Entwicklung gewaltfrei und ohne nach rechts ausscheren zu müssen vorantreiben können. Sie müssen sich darüber im Klaren sein, welche Signale Sie aussenden, wenn Sie immer wieder von „deutscher Leitkultur“ sprechen. Sie wissen doch, dass die Rechtsradikalen „Ausländer raus!“ fordern. Sie kennen doch die Rechtsradikalen, die sagen: Wir wollen unter uns bleiben. All diese Sprüche sind Ihnen bekannt. In Bezug auf unsere Wortwahl müssen wir darauf achten, dass wir keine falschen Signale von uns geben. Das müssen Sie noch lernen. ({8})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Ich schließe die Aus- sprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der CDU/CSU auf sofortige Entlassung des Bun- desministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- heit, Jürgen Trittin, Drucksache 14/5573. Die Fraktion der CDU/CSU verlangt namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehe- nen Plätze einzunehmen. - Sind alle Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Die Abstimmung ist eröffnet. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist offensichtlich nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.1) Von den Kolleginnen und Kollegen Rita Grießhaber, Helmut Lippelt, Christa Nickels sowie Antje Vollmer gibt es eine persönliche Erklärung zum Abstimmungsver- halten gemäß § 31 der Geschäftsordnung in schriftlicher Form. Der Kollege Oswald Metzger hat sich dieser Er- klärung angeschlossen.2) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir setzen die Bera- tungen fort. Ich bitte Sie - auch die Kolleginnen und Kol- legen der F.D.P. -, umgehend Ihre Plätze einzunehmen oder den Saal zu verlassen, da es sich bei den nächsten Ta- gesordnungspunkten um einen Ohne-Debatte-Punkt mit mehreren Abstimmungen handelt. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 20 a und 20 b sowie Zusatzpunkt 4 auf: 20 a) Überweisungen im vereinfachten Verfahren Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sozialgesetzbuchs - Neuntes Buch - ({0}) Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - Drucksachen 14/5531, 14/5639 Anke Fuchs ({1}) 1) Seite 15711 D 2) Anlage 2 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung ({2}) Innenausschuss Sportausschuss Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Verteidigungsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät- zung Haushaltsausschuss b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes - Drucksache 14/5654 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({3}) Rechtsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ZP 4 Weitere Überweisung im vereinfachten Verfahren ({4}) Beratung des Antrags der Abgeordneten Annette Faße, Hans-Günter Bruckmann, Dr. Peter Danckert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Helmut Wilhelm ({5}), Albert Schmidt ({6}), Kerstin Müller ({7}), Rezzo Schlauch und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Potenziale im Wasserstraßentransport umweltund naturverträglich nutzen - Intermodalitätsstärken - Drucksache 14/5667 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({8}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 21 a bis 21 c auf: 21. Abschließende Beratungen ohne Aussprache a) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 12. April 1999 zum Schutz des Rheins - Drucksache 14/4674 ({9}) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({10}) - Drucksache 14/5282 - Berichterstattung: Abgeordnete Petra Bierwirth Winfried Hermann Birgit Homburger Eva Bulling-Schröter b) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherstellung der Nachsorgepflichten bei Abfalllagern - Drucksache 14/4926 ({11}) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({12}) - Drucksache 14/5633 - Berichterstattung: Abgeordnete Petra Bierwirth Cajus Julius Caesar Birgit Homburger Eva Bulling-Schröter c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({13}) zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Ingrid Arndt-Brauer, Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Kerstin Müller ({14}), Rezzo Schlauch, Volker Beck ({15}) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Neunundzwanzigster Rahmenplan der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ für den Zeitraum 2000 bis 2003 ({16}) - Drucksachen 14/4623, 14/3250, 14/5185 Berichterstattung: Abgeordneter Christian Müller ({17}) Wir kommen zuerst zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu dem Übereinkommen vom 12. April 1999 zum Schutz des Rheins, Drucksache 14/4674. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt auf Drucksache 14/5282, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Ich stelle Einstimmigkeit im Hause fest. Damit ist der Gesetzentwurf angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über den vom Bundesrat eingebrachten Gesetzentwurf zur Sicherstellung der Nachsorgepflichten bei Abfalllagern, Drucksache 14/4926. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt auf Drucksache 14/5633, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejeVizepräsidentin Petra Bläss nigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung bei Enthaltung der F.D.P.-Fraktion angenommen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist bei Enthaltung der F.D.P.-Fraktion angenommen. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie zu dem Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen zum Neunundzwanzigsten Rahmenplan der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“, Drucksache 14/5185. Der Ausschuss empfiehlt, den Entschließungsantrag auf Drucksache 14/4623 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. angenommen. Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU Verantwortung der Bundesregierung für die Begleitumstände des ersten rot-grünen Castortransports Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner ist der Kollege Dr. Peter Paziorek für die CDU/CSU-Fraktion.

Dr. Peter Paziorek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001685, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zum ersten Mal seit 1997 ist heute Vormittag wieder ein Castortransport von Frankreich aus im Zwischenlager Gorleben angekommen. Dass dies möglich war, ist auch ein Verdienst der eingesetzten Polizei. Dafür gebührt allen Beamten vor Ort ein Dank des gesamten Hauses. ({0}) Die Demonstrationen gegen die Transporte hatten friedlich begonnen; sie haben aber dann zum Teil Formen angenommen, die eindeutig als rechtswidrig bezeichnet werden müssen. Die Bundesregierung und die Regierungsparteien tragen eine große politische Mitverantwortung für die Eskalation durch die gewaltbereiten Täter; denn die Regierungsfraktionen haben es im Vorfeld der Demonstrationen an solchen unmissverständlichen Worten fehlen lassen, wie Sie, Herr Bundesinnenminister Schily, sie gestern gefunden haben. ({1}) Doch diese Äußerungen, Herr Schily, sind eindeutig zu spät gekommen. ({2}) Was Sie gestern gesagt haben, hätte schon in der vergangenen Woche von den Regierungsvertretern mit aller Deutlichkeit gesagt werden müssen. Das rot-grüne Regierungslager antwortet auf diese nicht akzeptablen Protestaktionen in unverantwortlicher Weise zurückhaltend und parteipolitisch schlichtweg schizophren. Die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Frau Müller, stellt in der Öffentlichkeit einerseits fest: „Wir müssen den Müll zurücknehmen.“ Andererseits sagt sie im nächsten Satz: „Jedoch ist öffentlicher Druck notwendig, um den zwischen der rot-grünen Bundesregierung und den Energiekonzernen vereinbarten schrittweisen Atomausstieg möglichst schnell zu schaffen.“ Die Grünen-Parteivorsitzende, Frau Roth, lässt sich am Rande der traditionellen „Stunkparade“ am Sonntag in Gorleben in typisch grüner Interpretation des Grundsatzurteils des Bundesverfassungsgerichts dahin gehend ein, dass es sich hierbei - was wir alle wissen - nicht um ein Verbot des Demonstrationsrechts handle und dass bestimmte Sitzblockaden toleriert werden müssten. Die Grünen haben sich damit nicht klar und deutlich frühzeitig von den Vorfällen distanziert, die in den letzten Stunden vor Gorleben passiert sind. Diese theoretische Diskussion im Vorfeld der Demonstrationen war überflüssig wie ein Kropf. ({3}) Diese schizophrene Haltung des Bündnisses 90/Die Grünen ist in den letzten Tagen durchgehend festzustellen gewesen. Sie gleicht einem politischen Eiertanz und ist mit einer verantwortungsvollen und bürgernahen Politik nicht mehr zu vereinbaren. Wir respektieren friedliche Demonstrationen. Doch Rot-Grün hat ein falsches Signal gegeben und hat jetzt nicht den Mut, den gewalttätigen Demonstranten eindeutig entgegenzutreten. Rot-Grün muss den Demonstranten offen sagen, dass es völlig inakzeptabel ist, wenn sie zukünftig beabsichtigen, mit gewaltsamen Demonstrationen neue Castortransporte aufzuhalten. ({4}) Die Fraktionsvorsitzende der Grünen in Niedersachsen, Frau Harms, sieht sogar einen Erfolg der Protestaktionen. Sie sagte nämlich, die Demonstrationen seien so heftig, dass weitere Transporte gestoppt werden müssten. Eine solche Aussage ist aufgrund des geltenden Völkerrechts und der klaren Rechtsposition völlig verantwortungslos. ({5}) Rot-Grün ist gefangen in ihrer über Jahre hinweg betriebenen, völlig überzogenen Stimmungsmache gegen die Kernenergiepolitik und die Castortransporte. Die in der Bundesregierung verbreitete Angst vor der Atomenergie ist von Rot-Grün jahrelang geradezu gepflegt worden. An die Stelle sachlicher Aufklärung über technisch hochVizepräsidentin Petra Bläss komplizierte Systeme traten Verunglimpfung, Emotionalisierung und Schüren von Misstrauen gegenüber der Atomenergie. Fast jedes Mittel war hierzu tauglich, nur rationale Aufklärung über den Umgang mit dieser Technik fand nicht statt. Es steht zu befürchten, dass diese Bundesregierung nicht zur Versachlichung beitragen kann, da sie vor dem Paradoxon steht, heute gutheißen zu müssen, was Mitglieder des jetzigen Kabinetts in früheren Jahren verteufelt haben. ({6}) Rot und Grün haben nicht die Kraft, sich zu der Erklärung durchzuringen, dass ihre Argumente in der Vergangenheit eindeutig überzogen waren. Was kann man in der aktuellen Diskussion von einem Umweltminister erwarten, dessen Autorität angeschlagen ist ({7}) - völlig richtig, Herr Marschewski - und der letztlich nur noch hilflos zu dem Mittel greift, scharfe Briefe an die Bürgerinnen und Bürger des Wendlandes zu schreiben. Er ist ein Umweltminister auf Bewährung. Er hat einen Maulkorb verpasst bekommen und ist deshalb von seiner Autorität her gar nicht mehr in der Lage, mit den friedlichen Demonstranten zu diskutieren. In dieser umweltpolitischen Diskussion ist er einfach ausgefallen. ({8}) Wir haben aber eine Koalitionsregierung. Dort sind nicht nur Grüne, sondern auch Sozialdemokraten vertreten. Wo waren in den letzten Wochen und Tagen die klaren und deutlichen Worte seitens der sozialdemokratischen Fraktion? Wir können nur sagen: Bei der SPD herrschte in dieser Frage Funkstille. Man hatte das Gefühl, dass die SPD Spaß hatte, dass beim Koalitionspartner die Basis wegbrach. Dies hat man sich genüsslich angeschaut. Ich wiederhole in diesem Zusammenhang: Die Aussagen des Innenministers am gestrigen Tage waren in Ordnung, aber sie kamen zu spät und somit zu einem falschen Zeitpunkt. Ich sage zum Schluss: SPD und Grüne, hört mit euren Eiertänzen auf und sagt deutlich, dass es auch zukünftig keine Alternative zu diesen Transporten gibt! ({9}) Nur dann, wenn Sie den Mut haben, sich von überzogenen Parolen der Vergangenheit zu distanzieren, werden gewaltbereite Demonstranten erkennen, dass sie in Sachen Castortransporte die Schlachten der Vergangenheit schlagen. ({10})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, komme ich noch einmal zum Zusatzpunkt 3 zurück und gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Antrag der Fraktion der CDU/CSU auf sofortige Entlassung des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Jürgen Trittin, Drucksache 14/5573, bekannt: Abgegebene Stimmen 618. Mit Ja haben gestimmt 264 Kolleginnen und Kollegen, mit Nein haben gestimmt 354 Kolleginnen und Kollegen. Der Antrag ist damit abgelehnt. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 618; davon ja: 264 nein: 354 Ja CDU/CSU Ilse Aigner Dietrich Austermann Norbert Barthle Dr. Wolf Bauer Günter Baumann Brigitte Baumeister Meinrad Belle Dr. Sabine Bergmann-Pohl Otto Bernhardt Hans-Dirk Bierling Dr. Joseph-Theodor Blank Renate Blank Dr. Heribert Blens Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Sylvia Bonitz Jochen Borchert Wolfgang Börnsen ({0}) Wolfgang Bosbach Dr. Wolfgang Bötsch Dr. Ralf Brauksiepe Paul Breuer Monika Brudlewsky Klaus Bühler ({1}) Hartmut Büttner ({2}) Dankward Buwitt Cajus Caesar Manfred Carstens ({3}) Peter H. Carstensen ({4}) Leo Dautzenberg Wolfgang Dehnel Hubert Deittert Albert Deß Renate Diemers Thomas Dörflinger Hansjürgen Doss Marie-Luise Dött Maria Eichhorn Rainer Eppelmann Anke Eymer ({5}) Ilse Falk Dr. Hans Georg Faust Albrecht Feibel Ulf Fink Ingrid Fischbach Dirk Fischer ({6}) Axel E. Fischer ({7}) Herbert Frankenhauser Dr. Gerhard Friedrich ({8}) Dr. Hans-Peter Friedrich ({9}) Erich G. Fritz Jochen-Konrad Fromme Hans-Joachim Fuchtel Norbert Geis Georg Girisch Dr. Reinhard Göhner Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Hermann Gröhe Manfred Grund Horst Günther ({10}) Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein Gottfried Haschke ({11}) Gerda Hasselfeldt Norbert Hauser ({12}) Hansgeorg Hauser ({13}) Klaus-Jürgen Hedrich Helmut Heiderich Ursula Heinen Manfred Heise Siegfried Helias Hans Jochen Henke Peter Hintze Klaus Hofbauer Martin Hohmann Dr. Karl-Heinz Hornhues Siegfried Hornung Hubert Hüppe Susanne Jaffke Georg Janovsky Dr. Harald Kahl Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter Irmgard Karwatzki Volker Kauder Eckart von Klaeden Ulrich Klinkert Dr. Helmut Kohl Norbert Königshofen Eva-Maria Kors Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Rudolf Kraus Dr. Paul Krüger Dr. Karl A. Lamers ({14}) Dr. Norbert Lammert Helmut Lamp Dr. Paul Laufs Karl-Josef Laumann Vera Lengsfeld Peter Letzgus Ursula Lietz Walter Link ({15}) Dr. Klaus W. Lippold ({16}) Dr. Manfred Lischewski Wolfgang Lohmann ({17}) Julius Louven Dr. Michael Luther Erwin Marschewski ({18}) Dr. Martin Mayer ({19}) Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Hans Michelbach Meinolf Michels Dr. Gerd Müller Bernward Müller ({20}) Elmar Müller ({21}) Bernd Neumann ({22}) Günter Nooke Friedhelm Ost Eduard Oswald Norbert Otto ({23}) Anton Pfeifer Dr. Friedbert Pflüger Beatrix Philipp Ruprecht Polenz Marlies Pretzlaff Dr. Bernd Protzner Thomas Rachel Hans Raidel Dr. Peter Ramsauer Helmut Rauber Peter Rauen Christa Reichard ({24}) Katherina Reiche Erika Reinhardt Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer Hannelore Rönsch ({25}) Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Klaus Rose Adolf Roth ({26}) Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Volker Rühe Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte Heinz Schemken Karl-Heinz Scherhag Dr. Gerhard Scheu Norbert Schindler Dietmar Schlee Christian Schmidt ({27}) Dr.-Ing. Joachim Schmidt ({28}) Andreas Schmidt ({29}) Michael von Schmude Birgit Schnieber-Jastram Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Rupert Scholz Reinhard Freiherr von Schorlemer Dr. Erika Schuchardt Wolfgang Schulhoff Gerhard Schulz Diethard Schütze ({30}) Clemens Schwalbe Dr. Christian SchwarzSchilling Wilhelm-Josef Sebastian Horst Seehofer Heinz Seiffert Werner Siemann Johannes Singhammer Bärbel Sothmann Margarete Späte Carl-Dieter Spranger Wolfgang Steiger Erika Steinbach Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten Andreas Storm Dorothea Störr-Ritter Max Straubinger Matthäus Strebl Thomas Strobl ({31}) Michael Stübgen Dr. Rita Süssmuth Edeltraut Töpfer Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Angelika Volquartz Andrea Voßhoff Peter Weiß ({32}) Gerald Weiß ({33}) Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese ({34}) Hans-Otto Wilhelm ({35}) Klaus-Peter Willsch Bernd Wilz Willy Wimmer ({36}) Matthias Wissmann Werner Wittlich Dagmar Wöhrl Elke Wülfing Peter Kurt Würzbach Wolfgang Zeitlmann Wolfgang Zöller F.D.P. Ina Albowitz Hildebrecht Braun ({37}) Rainer Brüderle Jörg van Essen Ulrike Flach Gisela Frick Paul K. Friedhoff Horst Friedrich ({38}) Dr. Wolfgang Gerhardt Joachim Günther ({39}) Dr. Karlheinz Guttmacher Klaus Haupt Dr. Helmut Haussmann Ulrich Heinrich Dr. Werner Hoyer Ulrich Irmer Dr. Klaus Kinkel Dr. Heinrich L. Kolb Gudrun Kopp Jürgen Koppelin Ina Lenke Dirk Niebel Hans-Joachim Otto ({40}) Detlef Parr Cornelia Pieper Dr. Günter Rexrodt Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Gerhard Schüßler Marita Sehn Dr. Max Stadler Carl-Ludwig Thiele Nein SPD Brigitte Adler Gerd Andres Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Hermann Bachmaier Ernst Bahr Doris Barnett Dr. Hans Peter Bartels Eckhardt Barthel ({41}) Klaus Barthel ({42}) Ingrid Becker-Inglau Dr. Axel Berg Hans-Werner Bertl Friedhelm Julius Beucher Petra Bierwirth Rudolf Bindig Lothar Binding ({43}) Klaus Brandner Anni Brandt-Elsweier Willi Brase Dr. Eberhard Brecht Rainer Brinkmann ({44}) Bernhard Brinkmann ({45}) Hans-Günter Bruckmann Edelgard Bulmahn Ursula Burchardt Dr. Michael Bürsch Hans Martin Bury Hans Büttner ({46}) Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Dr. Peter Danckert Christel Deichmann Karl Diller Peter Dreßen Detlef Dzembritzki Dieter Dzewas Sebastian Edathy Ludwig Eich Marga Elser Peter Enders Gernot Erler Petra Ernstberger Annette Faße Lothar Fischer ({47}) Gabriele Fograscher Iris Follak Norbert Formanski Rainer Fornahl Hans Forster Peter Friedrich ({48}) Lilo Friedrich ({49}) Harald Friese Anke Fuchs ({50}) Monika Ganseforth Konrad Gilges Iris Gleicke Günter Gloser Uwe Göllner Günter Graf ({51}) Angelika Graf ({52}) Dieter Grasedieck Monika Griefahn Kerstin Griese Achim Großmann Wolfgang Grotthaus Karl-Hermann Haack ({53}) Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann Manfred Hampel Christel Hanewinckel Anke Hartnagel Klaus Hasenfratz Nina Hauer Reinhold Hemker Frank Hempel Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Monika Heubaum Reinhold Hiller ({54}) Stephan Hilsberg Gerd Höfer Jelena Hoffmann ({55}) Walter Hoffmann ({56}) Iris Hoffmann ({57}) Frank Hofmann ({58}) Ingrid Holzhüter Eike Hovermann Christel Humme Barbara Imhof Gabriele Iwersen Jann-Peter Janssen Ilse Janz Dr. Uwe Jens Volker Jung ({59}) Johannes Kahrs Ulrich Kasparick Sabine Kaspereit Susanne Kastner Ulrich Kelber Klaus Kirschner Siegrun Klemmer Hans-Ulrich Klose Walter Kolbow Fritz Rudolf Körper Karin Kortmann Anette Kramme Nicolette Kressl Angelika Krüger-Leißner Ernst Küchler Helga Kühn-Mengel Ute Kumpf Konrad Kunick Dr. Uwe Küster Werner Labsch Christine Lambrecht Brigitte Lange Christian Lange ({60}) Detlev von Larcher Christine Lehder Waltraud Lehn Robert Leidinger Klaus Lennartz Dr. Elke Leonhard Eckhart Lewering Götz-Peter Lohmann ({61}) Christa Lörcher Erika Lotz Dr. Christine Lucyga Dieter Maaß ({62}) Winfried Mante Tobias Marhold Lothar Mark Christoph Matschie Heide Mattischeck Markus Meckel Ulrike Mehl Ulrike Merten Dr. Jürgen Meyer ({63}) Ursula Mogg Christoph Moosbauer Michael Müller ({64}) Jutta Müller ({65}) Christian Müller ({66}) Franz Müntefering Andrea Nahles Volker Neumann ({67}) Dr. Edith Niehuis Dr. Rolf Niese Dietmar Nietan Günter Oesinghaus Eckhard Ohl Leyla Onur Manfred Opel Holger Ortel Adolf Ostertag Kurt Palis Albrecht Papenroth Dr. Martin Pfaff Georg Pfannenstein Johannes Pflug Dr. Eckhart Pick Dr. Carola Reimann Renate Rennebach Bernd Reuter Dr. Edelbert Richter Gudrun Roos René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth ({68}) Birgit Roth ({69}) Gerhard Rübenkönig Marlene Rupprecht Thomas Sauer Dr. Hansjörg Schäfer Gudrun Schaich-Walch Rudolf Scharping Bernd Scheelen Dr. Hermann Scheer Siegfried Scheffler Horst Schild Horst Schmidbauer ({70}) Ulla Schmidt ({71}) Silvia Schmidt ({72}) Dagmar Schmidt ({73}) Wilhelm Schmidt ({74}) Regina Schmidt-Zadel Heinz Schmitt ({75}) Carsten Schneider Dr. Emil Schnell Walter Schöler Olaf Scholz Karsten Schönfeld Fritz Schösser Ottmar Schreiner Gisela Schröter Dr. Mathias Schubert Richard Schuhmann ({76}) Brigitte Schulte ({77}) Reinhard Schultz ({78}) Volkmar Schultz ({79}) Ewald Schurer Dr. R. Werner Schuster Dietmar Schütz ({80}) Dr. Angelica Schwall-Düren Rolf Schwanitz Bodo Seidenthal Erika Simm Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Dr. Cornelie SonntagWolgast Wieland Sorge Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Antje-Marie Steen Ludwig Stiegler Rolf Stöckel Rita Streb-Hesse Reinhold Strobl ({81}) Joachim Stünker Joachim Tappe Jörg Tauss Jella Teuchner Dr. Gerald Thalheim Franz Thönnes Uta Titze-Stecher Adelheid Tröscher Hans-Eberhard Urbaniak Rüdiger Veit Simone Violka Ute Vogt ({82}) Hans Georg Wagner Dr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann Reinhard Weis ({83}) Matthias Weisheit Gunter Weißgerber Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker Jochen Welt Dr. Rainer Wend Hildegard Wester Lydia Westrich Inge Wettig-Danielmeier Dr. Margrit Wetzel Dr. Norbert Wieczorek Jürgen Wieczorek ({84}) Helmut Wieczorek ({85}) Heidemarie Wieczorek-Zeul Heino Wiese ({86}) Klaus Wiesehügel Brigitte Wimmer ({87}) Barbara Wittig Dr. Wolfgang Wodarg Hanna Wolf ({88}) Waltraud Wolff ({89}) Heidemarie Wright Uta Zapf Dr. Christoph Zöpel Peter Zumkley BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Gila Altmann ({90}) Marieluise Beck ({91}) Volker Beck ({92}) Angelika Beer Matthias Berninger Grietje Bettin Annelie Buntenbach Ekin Deligöz Dr. Thea Dückert Dr. Uschi Eid Andrea Fischer ({93}) Joseph Fischer ({94}) Katrin Göring-Eckardt Rita Grießhaber Winfried Hermann Antje Hermenau Ulrike Höfken Monika Knoche Dr. Angelika Köster-Loßack Steffi Lemke Dr. Helmut Lippelt Dr. Reinhard Loske Oswald Metzger Kerstin Müller ({95}) Winfried Nachtwei Christa Nickels Cem Özdemir Simone Probst Claudia Roth ({96}) Christine Scheel Irmingard Schewe-Gerigk Rezzo Schlauch Albert Schmidt ({97}) Werner Schulz ({98}) Christian Simmert Christian Sterzing Hans-Christian Ströbele ({99}) Wir setzen die Aktuelle Stunde fort. Jetzt spricht der Kollege Horst Kubatschka für die SPD-Fraktion.

Horst Kubatschka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001234, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege, ich hatte vorhin in Ihrer Rede eigentlich umweltpolitische Einwände erwartet. Was Sie aufgebaut haben, waren Pappkameraden, um die es gar nicht geht. ({0}) In meinem Redebeitrag setze ich mich mit dem umweltpolitischen Aspekt des Castortransportes auseinander. Die Bezeichnung der von der CDU/CSU beantragten Aktuellen Stunde ist schlicht und einfach falsch. Sie betreiben Etikettenschwindel. Es gibt nämlich keine rot-grünen Castortransporte. Richtig ist, dass Rücktransporte aus La Hague stattfinden. Der Atommüll aus der Wiederaufbereitungsanlage muss von Deutschland zurückgenommen werden. Den Atommüll hat nicht die rot-grüne Koalition verursacht, sondern die deutschen Kernkraftwerke. ({1}) Richtig ist: Die rot-grüne Koalition will die Castortransporte minimieren. Dazu ist ein Konsens beim Ausstieg aus der Kernenergie notwendig. Richtig ist: Es sind die ersten Castortransporte während der rot-grünen Regierungszeit. Liebe Kolleginnen und Kollegen vor allem von der konservativen Seite, bei dieser Diskussion werde ich den Verdacht nicht los, dass sich die CDU/CSU und die F.D.P. möglichst viel Ärger bei diesen Transporten wünschen. Ich habe in diesem Hohen Haus wiederholt ausgeführt, dass das Recht auf friedliche Demonstration besteht. Um es aber noch einmal klar zu sagen: Wir Sozialdemokraten lehnen jede Gewalt - sowohl gegen Personen als auch gegen Sachen - ab. Nehmen Sie das doch bitte zur Kenntnis. ({2}) Für mich kann es nur friedliche Demonstrationen gegen die Kernenergie geben. Die Demonstrationen machen aber auch klar, dass die Nutzung der Kernenergie in weiten Teilen der Bevölkerung abgelehnt wird. Die Demonstranten befinden sich nur am falschen Ort. Richtiger wäre es, vor die Konzerne der EVUs zu ziehen und dort lauthals dagegen zu protestieren, dass der Energiekonsens noch immer nicht unterschrieben ist. ({3}) Die Mehrheit der Bevölkerung will den Ausstieg aus der Kernenergie im Konsens. Die rot-grüne Koalition will diesen Ausstieg bewerkstelligen. Eine Minderheit will den sofortigen Ausstieg aus der Kernenergie. Auch bei einem sofortigen Ausstieg aus der Kernenergie könnten diese Castortransporte nicht verhindert werden. ({4}) Verträge verlangen die Rücknahme des Atommülls aus der Wiederaufbereitungsanlage. Wir können unseren Dreck nicht einfach in Frankreich abladen. ({5}) Wir sind verpflichtet, den verglasten Atommüll zurückzunehmen. Es ist also nicht der erste und wird leider auch nicht der letzte Castortransport bleiben. Wie schreibt Joachim Wille in einem Artikel der „Frankfurter Rundschau“ vom 28. März dieses Jahres so richtig: Vizepräsidentin Petra Bläss Sylvia Voß Helmut Wilhelm ({6}) Margareta Wolf ({7}) PDS Dr. Dietmar Bartsch Eva Bulling-Schröter Heidemarie Ehlert Dr. Heinrich Fink Dr. Ruth Fuchs Wolfgang Gehrcke Dr. Klaus Grehn Dr. Gregor Gysi Uwe Hiksch Ulla Jelpke Sabine Jünger Gerhard Jüttemann Dr. Evelyn Kenzler Rolf Kutzmutz Ursula Lötzer Dr. Christa Luft Heidemarie Lüth Pia Maier Angela Marquardt Manfred Müller ({8}) Kersten Naumann Christine Ostrowski Petra Pau Gustav-Adolf Schur Dr. Winfried Wolf Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen des Europarates und der WEU, der Parlamentarischen Versammlung der NATO, der OSZE oder der IPU Abgeordnete({9}) Behrendt, Wolfgang Schloten, Dieter Zierer, Benno SPD SPD CDU/CSU Denn keine Bundesregierung, nicht einmal eine pur grüne, die mit gewendeten Energiekonzernen einen Sofort-Atomausstieg ausgedealt hätte, könnte auf die Rücktransporte aus La Hague verzichten. Die Franzosen haben ein Recht auf diese Rücknahme. Die Betreiber wiederum haben ein Recht auf die Transportgenehmigung. Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit hat umfangreiche Auflagen erlassen. Diese Auflagen mussten erfüllt werden. Unter anderem haben die Gutachter sowohl des Öko-Institutes Darmstadt als auch der Gesellschaft für Anlagenund Reaktorsicherheit diese Bedingungen überprüft. Nachdem die Auflagen erfüllt sind, muss das Bundesamt für Strahlenschutz die Castortransporte genehmigen. Es besteht ein Rechtsanspruch. ({10}) Die Auflagen garantieren, dass es zu keiner gesundheitlichen Gefährdung kommt. Das halte ich für sehr wichtig. ({11}) Die Gesundheit geht vor - bei den Beschäftigten, die mit den Castoren hantieren, bei den begleitenden Polizisten und Polizistinnen, den Demonstranten sowie den Bewohnerinnen und Bewohnern des Wendlandes. ({12}) Die rot-grüne Koalition will durch den Konsens unter anderem erreichen: Erstens. Die Zahl der Castortransporte wird minimiert. Zweitens. Die Atommüllmenge wird damit absehbar und kalkulierbar. Drittens. Das Atommüllproblem wird zeitlich begrenzt. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({13})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Nächster Redner für die F.D.P.-Fraktion ist der Kollege Walter Hirche.

Walter Hirche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002678, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Jeder in Deutschland konnte wissen - und wusste es auch -, dass Castortransporte für die Rückführung des Atommülls aus Frankreich notwendig sind. ({0}) In jedem Fall, in der Vergangenheit wie auch jetzt, lagen rechtlich einwandfreie Genehmigungen vor. Ich bin deswegen Bundesinnenminister Schily dankbar, dass er ganz klar gesagt hat: Es ist Rechtsbruch, wenn mit Blockaden versucht wird, die Transporte zu verhindern. Gewalttätige Aktionen von Kriminellen müssen entsprechend strafrechtlich geahndet werden. ({1}) Diese gewalttätigen Aktionen waren keine Heldentaten, sondern sind zum Teil leider professionelle Kriminalität und beschädigen all diejenigen, die aus Idealismus demonstriert und nicht blockiert haben. ({2}) Die Untertunnelung von Straßen oder - wozu sogar Kolleginnen und Kollegen vor einem Jahr aufgerufen haben die Zerstörung von Schienen ist kriminelles Unrecht und das muss dieses Parlament auch in aller Deutlichkeit sagen. ({3}) Wer sich auf edle Motive beruft und glaubt, damit jede Handlung rechtfertigen zu können, führt ins Faustrecht des Mittelalters zurück. Das können wir nicht zulassen. ({4}) In unserer Demokratie gibt es kein Recht, so genannten Widerstand gegen legale Entscheidungen zu leisten. Die Einschätzung der Polizei, dass die Beteiligung der Grünen vor Ort die Situation verschärft habe, statt sie zu entspannen, teile ich in vollem Umfang. Die Begründung, die heutigen Transporte seien gerechtfertigt, weil man einen Kompromiss mit der Atomwirtschaft erreicht habe, erinnert mich fatal an einen Falschparker, der sagt, er werde im nächsten Jahr sein Auto abmelden und dürfe deswegen heute kein Bußgeld auferlegt bekommen. ({5}) Diese subjektive Interpretation ist gefährlicher Unsinn, der in den Köpfen der Demonstranten nachwirkt. Beziehungsreich hat eine Demonstration den Titel „Die Saat geht auf“ gehabt. Hier geht die Saat von Begriffsverwirrung und subjektiver Interpretation des Rechts auf: die Früchte dessen, was insbesondere die Grünen gesät haben und zum Teil heute noch vertreten. Wenn nämlich nur deswegen, weil die Grünen an der Regierung sind, die Transporte rechtens sind, dann sind offenbar die Demonstranten zu blöd, um zu begreifen, dass es einen Unterschied zu früher gibt. Die Argumentation, die Blockaden würden sich nicht gegen die Transporte, sondern gegen ein Endlager oder die Kernenergie an sich richten, ist hanebüchen. Sollen wir in diesem Zusammenhang eigentlich alle für dumm verkauft werden? ({6}) Es ist schlimm, was inzwischen in den Köpfen von Jugendlichen angerichtet wird. In einem Zeitungsartikel mit der Überschrift „Schüler als Widerständler“ ({7}) wird geschildert, dass Jugendliche im Alter von 11, 13 und 15 Jahren von Lehrern und von Eltern dazu ermuntert werden, am Widerstand gegen diese Transporte teilzunehmen. Das ist aus meiner Sicht eine Verhetzung von Jugendlichen und keine verantwortungsvolle Erziehung. ({8}) Das sage ich auch zu dem Diakon, der die Jugendlichen begleitet und gesagt hat, sie wollten ein Rollenspiel üben: hier die Demonstranten, dort die Polizei. Bei einer solchen Argumentation wird vergessen, dass es - Herr Kubatschka hat darauf hingewiesen - hier um genehmigte und geprüfte Transporte geht, die unser Staat legal organisiert hat. Diese Jugendlichen werden letzten Endes gegen die Demokratie und unseren Rechtsstaat aufgehetzt. Das dürfen wir uns nicht bieten lassen. ({9}) Es ist die Saat eines Denkens aus den 70er-Jahren, ({10}) das zum Inhalt hatte, selbst zu definieren, ob man sich an das Recht hält oder nicht. Solange Sie, Herr Trittin - das ist das Problem -, nicht an der Regierung waren, waren Sie gegen die Transporte und fast alles war erlaubt. Jetzt sind Sie an der Regierung und jetzt ist alles ganz anders. Sie instrumentalisieren das Recht, je nachdem, ob Sie davon Nutzen haben oder nicht. Dagegen müssen sich dieses Parlament und diese Demokratie wehren. ({11}) Was soll denn eigentlich die Polizei von dieser Bundesregierung halten? Der Innenminister stellt sich hinter sie und der Umweltminister reklamiert - auch für die Zukunft, trotz der Beschlüsse und Vereinbarungen der Bundesregierung - ein Recht auf so genannten zivilen Ungehorsam. In der eben zu Ende gegangenen Debatte habe ich dieses Argument gegen den Umweltminister vermisst. ({12}) Sie können noch zehnmal die Entlassung von Herrn Trittin ablehnen; aber wenn das Demokratieverständnis eines Ministers dieser Regierung auch für die Zukunft zivilen Ungehorsam gegen legale Akte dieses Staates umfasst, dann ist dies ein Bruch seines Eides auf die Verfassung. Das werden wir nicht hinnehmen. ({13}) Das ist eine Unterminierung der Rechtsgrundsätze. Meine Damen und Herren, es ist notwendig, gegen die Gewalttäter vorzugehen - das begrüße ich an den Äußerungen des Bundesinnenministers - und Schadenersatz zu verlangen, wo Schäden entstanden sind. Als Parlament dürfen wir nicht zulassen, dass einzelne Kollegen in diesem Hause das Rechtsbewusstsein verdrehen und die Fundamente der Demokratie zerstören. Auch in diesem Zusammenhang gilt: Wehret den Anfängen! ({14}) Das feixende Begrüßen solcher Gewaltakte dürfen wir nicht hinnehmen. ({15})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen spricht jetzt die Kollegin Michaele Hustedt.

Michaele Hustedt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002685, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ja, es gab gewalttätige Demonstranten. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Einen Moment! Liebe Kolleginnen und Kollegen von der PDS-Fraktion, Sie wissen, dass es grundsätzlich untersagt ist, in den Räumen und im Plenum des Deutschen Bundestages Aktionen - auch mittels Verkleidungen - durchzuführen. Ich fordere Sie hiermit auf, diese Aktion zu unterlassen, das heißt dazu, Ihre Jacken unverzüglich wieder anzuziehen. Ansonsten muss ich Sie des Saales verweisen. Ich bitte jetzt um entsprechende Aufmerksamkeit für die Kollegin Hustedt. ({0}) Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen der PDS, von der Aktion Abstand zu nehmen. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, da Sie meiner ersten Aufforderung nicht Folge geleistet haben, bitte ich diejenigen Kolleginnen und Kollegen, die nicht bereit sind, ihre Jacken wieder überzuziehen, den Saal zu verlassen. ({2}) Jetzt spricht Kollegin Michaele Hustedt.

Michaele Hustedt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002685, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Diese T-Shirts sind doch wunderschön gelb. Mir gefallen sie ganz gut. Ja, es gab gewalttätige Demonstranten. Es gab 26 verletzte Polizisten, zwei davon schwer. Ich sage ganz klar: Das ist absolut inakzeptabel. ({0}) Gewalt gegen Sachen und natürlich Gewalt gegen Menschen - das schadet unserer Demokratie, das schadet auch dem Anliegen der Demonstranten vor Ort. ({1}) Es ist aus meiner Sicht völlig unakzeptabel, so etwas gutzuheißen. Aber ich sage auch, und zwar an die Adresse der Opposition: Schütten Sie nicht das Kind mit dem Bade aus. Es gab dort sehr viele Menschen, die friedlich demonstriert haben. ({2}) Das in Deutschland bestehende Recht auf Demonstrationsfreiheit ist ein hohes Gut. Ich war gerade in der Ukraine und in Russland. Wenn ich auch in einigen Punkten nicht einverstanden bin, mit welchen Losungen demonstriert worden ist - zum Beispiel „Konsens ist Nonsens“; deswegen war ich bei dieser Demonstration ja auch nicht dabei -, sage ich Ihnen dennoch: Es ist gut und nicht schlecht für eine Demokratie, wenn sich Bürger so engagieren und sich bei Nacht und Nebel für eine Sache einsetzen. Deswegen ist diese Demonstration auch ein Grund, in diesem Zusammenhang stolz auf die deutsche Demokratie zu sein. ({3}) Ich finde Ihre Argumentation in hohem Maße scheinheilig. Sie messen hier mit zweierlei Maß. Wenn Lastwagenfahrer Straßen blockieren, um gegen die Ökosteuer zu demonstrieren, dann laufen Sie dort herum; schulterklopfend verteilen Sie Ihre Aufkleber und loben die Lastwagenfahrer für ihre Aktion des friedlichen zivilen Ungehorsams. ({4}) - Das gab es selbstverständlich. Friedliche Sitzblockaden - dazu gibt es Gerichtsurteile - sind rechtens und gehören zum Recht auf Demonstration. Gewalt gegen Personen, Gewalt gegen Sachen sind selbstverständlich abzulehnen. ({5}) Ich bin auch stolz darauf, dass wir inzwischen einen Atomkonsens gefunden haben. ({6}) Der Atomkonsens ist der Versuch von unserer Seite, die tiefen Gräben, die Sie mit Ihrer Pro-Atom-Politik in dieser Gesellschaft aufgerissen haben ({7}) und in deren Konsequenz wir solche Demonstrationen vor Ort haben, Schritt für Schritt wieder zuzuschütten. ({8}) Selbstverständlich ist es nicht so, dass wir damit jeden Konflikt vor Ort verhindern können, aber es ist ein Schritt aufeinander zu von beiden Seiten. Das ist auch ein Verdienst von Jürgen Trittin. ({9}) Deswegen wundere ich mich manchmal - ({10}) - Ja, im Gegensatz zu Ihnen. Sie sind nicht in der Lage, die Polarisierung dieser Gesellschaft zu verhindern, sondern Sie gießen immer noch Öl ins Feuer. Das werfe ich Ihnen vor. ({11}) Wenn ich Ihre Argumentation höre, denke ich manchmal, das wären grüne Transporte. Nein - Herr Kubatschka hat es schon gesagt -, das sind von der Bundesregierung genehmigte Transporte, aber es sind natürlich Transporte der Unternehmen, die Atomkraftwerke betreiben. Wenn es eine politische Verantwortung für diese Transporte gibt, dann liegt sie bei Ihnen, ({12}) weil Sie ein unsolides Entsorgungskonzept hatten, weil Sie auf die Wiederaufbereitung gesetzt haben, weil Sie sonst nicht gewusst hätten, wohin mit dem Müll. ({13}) Deswegen sind diese Transporte auch eine Altlast Ihrer Regierungszeit. Es ist sehr bedauerlich, dass wir die Folgen dieser Altlast wahrscheinlich noch Jahre, wenn nicht sogar Jahrzehnte tragen müssen. ({14}) Was ist jetzt zu tun? Ich möchte fünf Punkte nennen. Erstens. Wir müssen die Atomgesetznovelle so schnell wie möglich auf den Weg bringen. ({15}) Dazu gehört auch, dass die Stromkonzerne endlich den Konsens unterschreiben. ({16}) Das ist die entscheidende Herausforderung, die jetzt vor uns steht. Zweitens. Wir müssen die Debatte über die Alternative zum Endlager Gorleben noch intensiver führen, als wir sie begonnen haben. Wir müssen sie vor allem auch stärker noch mit den Menschen der Region führen, damit sie wissen, dass wir uns tatsächlich um eine Alternative zu Gorleben bemühen. Denn es ist meine persönliche Überzeugung, dass Gorleben als Endlagerstandort nicht geeignet ist. ({17}) Drittens. Wir müssen die Zahl der Transporte minimieren. Wir müssen die Zwischenlager genehmigen. Da sind auch Sie gefordert. Wer gegen Transporte ist, muss für Zwischenlager sein. Viertens. Wir müssen prüfen, ob wir die Wiederaufbereitung nicht schneller beenden können, als bisher angesetzt, also vor dem Jahr 2005. Da die Wiederaufbereitung teurer ist als die Zwischenlagerung, sehe ich dafür durchaus gute Chancen, wenn die Zwischenlager genehmigt sind. Fünftens. Wir müssen auch prüfen, ob wir, wenn die Zwischenlager genehmigt sind, die Menge des Atommülls, der noch in Frankreich liegt, unter Umständen auch in andere Zwischenlager bringen können; denn es kann meines Erachtens nicht sein, dass nur Gorleben, nur die Region Niedersachsen dafür zuständig ist. Das wäre ein Zeichen dafür, dass wir die Sorgen und Ängste der Menschen in dieser Region ernst nehmen; denn dort wird befürchtet, dass dieses Zwischenlager eine Vorentscheidung für ein Endlager ist.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.

Michaele Hustedt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002685, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich komme zum Schluss. Ich sage sehr deutlich: Das ist keine Vorentscheidung. Nachdem die Kriterien überprüft worden sind, werden wir die Diskussion über Alternativen zum Endlagerstandort Gorleben wieder aufnehmen. Danke schön. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die PDS-Fraktion spricht jetzt die Kollegin Heidi Lippmann.

Heidi Lippmann-Kasten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003173, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Liebe Kollegin Hustedt! Lieber Jürgen! Liebe Gila! Ich kann gar nicht verstehen, wie man so viel Schizophrenie überhaupt noch aushalten kann, wie sie gerade in dieser Rede rübergekommen ist. Wer wie einige Kolleginnen und Kollegen der PDSFraktion in den vergangenen Tagen, vom Beginn der Proteste bis heute Morgen, als der Castortransport in Gorleben angekommen ist, im Wendland gewesen ist, hat gesehen, mit welcher Macht dort bis zur dieser Minute versucht wird, friedlichen Widerstand zu kriminalisieren, ({0}) der hat vor Ort gesehen, wie Vermittler von Kirchen, wie die wendländische Bevölkerung - die ja einmal aufgrund der Wahlversprechungen, die in den vergangenen Jahren gemacht wurden, Rot-Grün gewählt hat -, ({1}) wie Atomkraftgegner aus der ganzen Republik und darüber hinaus, wie Aktivistinnen von Robin Wood und Greenpeace, wie der Sprecher Jochen Stay von der Initiative „X-tausendmal quer“ mit gewaltbereiten Autonomen, mit sonstigen Kriminellen in einen Topf geworfen wurden, der hat gesehen, mit welcher Informationspolitik der rot-grünen Bundesregierung und der Polizeiführung versucht wurde, jeglichen Protest gegen die Castortransporte einzudämmen. ({2}) Die PDS-Fraktion verurteilt dies zutiefst. Sie versteht die riesige Enttäuschung, die nicht nur im Wendland vorhanden ist, sondern weit darüber hinaus bei allen Atomkraftgegnern und -gegnerinnen in diesem Land. Denn diese Enttäuschung basiert auf dem, was die Parteien der rot-grünen Koalition im Vorfeld der Bundestagswahl 1998 versprochen haben. Wo ist die Umsetzung der Forderung nach dem sofortigen Atomausstieg geblieben? Was auf dem Tisch liegt, ist eine Vereinbarung mit der Atomlobby, die bis heute noch nicht einmal in Gesetzesform gebracht wurde. Was auf dem Tisch liegt, ist die Festschreibung der Laufzeiten der Atomkraftwerke auf 32 Jahre. Was auf dem Tisch liegt, ist kein gesichertes Zwischen- oder Endlagerkonzept. Deswegen gehen die Leute in Gorleben, im Wendland auf die Straße, deswegen protestieren sie mit allen möglichen gewaltfreien Mitteln. Dies haben Sie von Anfang an zu unterbinden versucht. Wer sich hinstellt und Plakate herausgibt, auf denen steht: „Protest ja, Gewalt nein“, gleichzeitig aber nahezu alle Camps verbietet und das Versammlungsrecht so massiv beschneidet, dass überhaupt nicht mehr die Möglichkeit besteht, legale Protestformen am Rande der Castortransportstrecke zu wählen, der beschneidet demokratische Grundrechte. Das ist umso schlimmer, als die Personen, die dies ganz aktiv vor Ort tun, vor Jahren selbst einmal in der Rolle waren. ({3}) Lieber Jürgen Trittin, liebe Gila Altmann, beim letzten Castortransport vor vier Jahren haben wir gemeinsam in der ersten Reihe gestanden, zwischen den Polizisten und den Sitzdemonstranten. Wir haben versucht, mit der Polizei zu vermitteln. ({4}) Was ich in den vergangenen Tagen immer wieder gehört habe, und zwar nicht nur von den Demonstranten, sondern insbesondere von vielen Polizisten und Polizistinnen, die die verfehlte Ausstiegspolitik auszubaden haben, war: Schicken Sie uns doch bitte einmal Herrn Trittin hierher! Mit dem würden wir uns gern persönlich unterhalten. Nicht nur nach Einschätzung meiner Partei, sondern auch nach Einschätzung vieler Menschen, die dort in den vergangenen Tagen demonstriert und in verschiedener Form agiert haben, hat die rot-grüne Bundespolitik versagt, was den Atomausstieg angeht. Wir fordern Sie auf: Sperren Sie nicht länger Meinungen weg, sondern sorgen Sie dafür, dass Ihre Forderung nach dem sofortigen Atomausstieg umgesetzt wird! Stoppen Sie umgehend die Wiederaufbereitung! Hören Sie auf mit der Kriminalisierung von Menschen, denen Sie Versprechungen gemacht haben, die Sie nicht einhalten können! ({5}) Leiten Sie den Atomausstieg ein und machen Sie endlich Schluss mit dieser Schizophrenie und dieser Verlogenheit! Gehen Sie ins Wendland! Stellen Sie sich den Leuten und sagen Sie umgehend den nächsten, für September geplanten Castortransport ab! Denn der Widerstand im Wendland und darüber hinaus wird den längeren Atem haben. Der politische Preis ist viel zu hoch, als dass Sie mit dieser Politik weitermachen können. ({6})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die SPD-Fraktion spricht der Kollege Hans-Peter Kemper.

Hans Peter Kemper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001083, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Seit Jahren haben wir wieder einen Castortransport gehabt, zum ersten Mal unter rot-grüner Verantwortung. Es handelt sich in der Tat um einen ersten von mehreren Castortransporten. Bei der Energieversorgung, vor allem aber bei der Entsorgung sind in der Vergangenheit immer stärker wirtschaftliche Fragen und Umweltschutzfragen, aber auch Fragen der inneren Sicherheit in den Vordergrund getreten. Das konnten wir vor Ort feststellen. Ich bin mit mehreren Innenpolitikern, nämlich mit Günter Graf, Lilo Friedrich, Gaby Fograscher und dem Wahlkreisabgeordneten Arne Fuhrmann, zwei Tage dort gewesen; ({0}) wir sind gestern Abend zurückgekommen. Wir haben uns vor Ort mit den Bürgern, den Demonstranten und den Polizeibeamten unterhalten und ich will eines sagen: Ich habe große Achtung vor mehr als 95 Prozent der Demonstranten, ({1}) die dort aus Verantwortung und aus Angst und Sorge vor den Gefahren für künftige Generationen gegen unbeherrschbare Energie und gegen ungesicherte Entsorgung demonstriert haben. Es gibt bei mir in Ahaus ein großes Zwischenlager. Ich habe die große Erleichterung mitbekommen, die sich in der Bevölkerung breit machte, als klar wurde, dass der zunächst für März vorgesehene Transport nicht stattfinden würde. Ich habe deswegen auch großes Verständnis dafür, wie die Menschen in Gorleben empfinden, die wissen, dass die Transporte auch weiterhin kommen werden. Sie sind von der Verpflichtung der Bundesrepublik, den Atommüll zurücknehmen zu müssen, in besonderer Weise betroffen. Die Stadt Gorleben befand sich in einem Belagerungszustand. Die Menschen waren in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt, sie waren in ihrer Lebensqualität beeinträchtigt. Die Menschen waren enttäuscht. Aber sie haben friedlich demonstriert. Das war ihr gutes Recht und dabei haben wir sie unterstützt. Anders als Sie, Herr Kollege Paziorek, es wahrgenommen haben, haben sie dort mit großer Gelassenheit demonstriert. Unser besonderer Dank gilt der Polizei und dem Bundesgrenzschutz, die in einer äußerst schwierigen Situation Verantwortungsgefühl bewiesen und Ruhe bewahrt haben. Es war nicht einfach, unter solchen schwierigen Bedingungen das Deeskalationskonzept durchzuhalten. Eine beengte räumliche Unterbringung und Dienstzeiten von mehr als 30 Stunden stellten eine fast unhaltbare Belastung dar. Auch das muss in Zukunft verbessert werden. Es ist soeben schon angesprochen worden: Polizeibeamte sind verletzt worden. - Aber trotz dieser Belastungen ist das Deeskalationskonzept durchgehalten worden. Den Polizeibeamten und den Beamten des Bundesgrenzschutzes gebühren unser Dank und unsere Anerkennung. ({2}) Frau Lippmann, angesichts dessen, was Sie hier von sich gegeben haben, glaube ich, dass Sie auf der falschen Veranstaltung gewesen sind. Alle Beteiligten sind dort mit großer Verantwortung vorgegangen. Wofür wir allerdings im Gegensatz zu Ihnen kein Verständnis und keine Toleranz haben, das sind die Tourismuschaoten, die sich dort aufgehalten haben. Mit Verletzungen von Polizeibeamten, die nichts anderes als ihre Pflicht getan haben, mit Verwüstungen und mit Brandstiftungen haben diese Menschen sich selbst disqualifiziert. Mit ihnen haben wir nichts gemein. Das waren Taten von erheblicher krimineller Energie. Diese zum Teil schweren Straftaten müssen mit aller Härte und Konsequenz verfolgt werden; da bin ich mir mit unserem Innenminister völlig einig. ({3}) Im Hinblick auf Gorleben war im Vorfeld des Transports - das wurde bereits angesprochen - durch alle Instanzen bis hin zum Bundesverfassungsgericht gegen die Allgemeinverfügung der zuständigen Bezirksregierung zum Versammlungsrecht geklagt worden. Sie war für zulässig erklärt worden. Es ist ein Irrtum Ihrerseits, zu glauben, solche Gerichtsentscheidungen könnten mit Gewalt und Chaos revidiert werden. ({4}) Noch von der alten Regierung wurden langfristige Verträge abgeschlossen. Diese Verträge beinhalten die Verpflichtung zur Zurücknahme vieler tausend Tonnen von Atommüll, die ins Ausland verbracht worden sind. Dieser Atommüll ist in der sicheren Überzeugung und Gewissheit ins Ausland verbracht worden, dass wir ihn irgendwann wieder zurücknehmen. Bei den jetzt stattfindenden Transporten handelt es sich um nichts anderes als um die Erfüllung völkerrechtlicher Verträge und um die Beseitigung der Altlasten. Außerdem war es immer gesellschaftlicher Konsens, dass wir uns nicht zulasten Dritter, also zulasten unserer ausländischen Nachbarn oder anderer Länder, entlasten würden. Wir müssen die Probleme, die wir selbst geschaffen haben, auch selbst lösen. Ich wundere mich ein bisschen über die CDU. Wenn sich Frau Merkel gelegentlich zu diesem Thema äußert, bin ich doch einigermaßen überrascht. Ich kann mich gut daran erinnern, wie sie sich am 9. Mai 1998 auf dem damaligen Westfalentag der Jungen Union als Atomlobbyistin hat feiern lassen und die Atomenergie für durchaus vertretbar erklärt hat. ({5}) Sie hat die Mitglieder der Jungen Union den Ahauser Appell unterschreiben lassen. ({6}) Sie hat die jungen Menschen in die Irre geführt. Wir haben den Ausstieg aus der Atomenergie und der Wiederaufarbeitung beschlossen und wir werden den Ausstieg aus einer ungesicherten Technik mit nicht abschätzbarem Gefahrenpotenzial durchsetzen, auch wenn es länger dauert, als der eine oder andere sich das gewünscht hat. Wir werden mit den Polizeibeamten genauso wie mit den Bürgern, die vor Ort friedlich demonstrieren, weiterhin im Gespräch bleiben. Die Polizeibeamten müssen wissen - dies wissen sie auch -, dass sie sich auf diese Bundesregierung und auf die rot-grüne Koalition verlassen können. Sie wissen, dass sie nicht für ungelöste politische Probleme einstehen müssen. Sie können sich darauf verlassen, dass wir ihnen den Rücken stärken und sie in dieser Problemsituation nicht alleine lassen. Schönen Dank. ({7})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Das Wort für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Hans-Otto Wilhelm.

Hans Otto Wilhelm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002826, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kubatschka, wir haben überhaupt keine Probleme, zu akzeptieren, dass dies kein rot-grüner Castortransport ist. Es ist unser aller Castortransport. Nur, wir hätten uns 1997 ein ähnliches Maß an Verständnis erwartet. ({0}) Damals wurde aus diesem Castortransport ein MerkelTransport gemacht und damals hatte Ihre unselige Fraktionsvorsitzende Frau Müller behauptet, wir würden eine Legende über Chaoten erfinden, um unser Süppchen zu kochen. Sie hatte sogar behauptet, dass mit einem solchen Polizeieinsatz und Kosten von 110 Millionen DM die Grenzen des demokratischen Rechtsstaates längst überschritten seien. Herr Innenminister, die Kosten für den Einsatz der Polizei waren jetzt genauso hoch. Haben wir heute die Grenzen des demokratischen Rechtsstaats überschritten? Gilt das Argument von 1997 heute auch noch oder sind die Bedingungen deswegen anders, weil wir eine andere Regierung haben - obwohl es unser aller Castortransport ist? ({1}) Ich bin sehr einverstanden mit Ihrer Interpretation zur Gewalt. Nur, in dieser Eindeutigkeit wie bei Ihnen, Frau Kollegin Hustedt, habe ich es von vielen Ihrer Kollegen bisher nicht gehört. ({2}) Gerade das war doch die Idee des so genannten gerechten Widerstandes aus Ihren Reihen: Weil wir moralischer sind als der Rest der Welt, ist das Überschreiten des legalen Rahmens gerechtfertigt. Hinter dieser Überhöhung haben Sie doch Ihre Unterstützung für viele, auch für Gewalttäter, verdeckt. Dieser Schuld müssen Sie sich stellen. Sie haben Verantwortung übernommen. ({3}) Sie haben aus der Sorge der Leute dort Angst gemacht. Sie haben Angst geschürt. ({4}) Sie bekommen diesen Geist heute nicht mehr in die Flasche zurück. ({5}) Jetzt könnte man ja meinen, dass die Grünen - „Regierungspolitik macht vernünftig“ - einsichtig geworden seien. Wenn ich also höre, dass wir den Dreck zurücknehmen müssen, dann muss ich sagen: Das ist eine Selbstverständlichkeit, die 1997 genauso galt. Wir müssen völkerrechtliche Verträge einhalten. Das ist eine ganz neue Erkenntnis dieser Regierung. ({6}) - Ja, das ist mir völlig klar. Ich habe Ihre subtile Unterscheidung, warum Sie darüber diskutieren, wohl gelesen. Es ist eine subtile Unterscheidung, die allenfalls den schwachen Zusammenhalt der Fraktion von Bündnis 90/ Die Grünen gewährleistet, sonst aber überhaupt nichts. ({7}) Die Atomkraftgegner verkennen die Realität, sagt ein leibhaftiger Staatssekretär. Auf den Bänken der Regierung sitzen doch die früheren Atomkraftwerkgegner. Sie alle - Trittin und wie sie sonst noch heißen - haben wohl früher die Realität falsch eingeschätzt. ({8}) Er formuliert heute, dass die Voraussetzungen für den Transport gegeben seien; deshalb gebe es überhaupt keinen Anlass zu Demonstrationen. „Nur, weil jemand seinen Hintern auf die Straße setzt, finden wir das noch lange nicht richtig“ - Originalton Trittin. Sie selbst haben doch noch 1997 mit Ihrem Hintern im Gras gesessen. Heute sitzt er im Fond eines Dienstwagens; die Welt lässt sich besser durch die getönten Scheiben eines Autos betrachten. ({9}) Wenn das wenigstens die einheitliche Meinung der Grünen wäre! Nein, man arbeitet arbeitsteilig. Rebecca Harms, Niedersachsen, sagt, Blockaden seien so etwas wie ein letztes Mittel des Menschen; Straftatbestände seien ein letztes Mittel des Menschen. Die unselige Fraktionsvorsitzende der Grünen, Frau Müller, sagt: Öffentlicher Druck ist nötig. Herr Innenminister, das sind doch Koalitionspartner von Ihnen. Welchen öffentlichen Druck meinen Sie: den Druck auf Sie, auf die Regierung, auf Demonstranten oder auf wen sonst? Ich erwarte eine Antwort des Innenministers, was unter diesem öffentlichen Druck zu verstehen ist. ({10}) Die Parteivorsitzende fährt mit dem Trecker durch das Wendland. Das sind doch Bilder, die die Demonstranten irritieren - und die kriegen dann später das Kommen verboten. Diese Fragen müssen die in sich total zerstrittenen Grünen lösen. Da hilft auch ein Herr Ströbele nicht, ({11}) der Angeketteten, die nur einen Arm frei hatten - welch eine kabarettistische Situation! -, seine Visitenkarte überreicht hat. Das ist ein bemerkenswerter Beitrag zur deutschen Atompolitik, den er mit dem Hinweis verband, das Zeug müsse ja irgendwo hin, aber nicht ins Wendland; er wisse auch nicht so genau, wohin. Und solchen Leuten soll man die Zukunft unseres Landes anvertrauen? ({12}) Wenn ich dann noch lese, dass in den Koalitionsverhandlungen in Nordrhein-Westfalen die dortigen Grünen das Polizeieinsatzkonzept ändern wollten, unter anderem mit dem Hinweis, dass die Polizisten keine Helme mehr aufziehen und die Schilde weglegen sollten, dann muss ich feststellen: Das ist doch eine Aufforderung an gewalttätige Demonstranten, gegen unsere Polizei und deren körperliche Unversehrtheit vorzugehen. ({13}) Diese Leute stellen sich nun hier hin und werden mit der Schizophrenie ihrer früheren Ablehnung und dem Druck, heute zustimmen zu müssen, weil sie in der Regierung bleiben wollen, nicht fertig. Dies wird auf dem Rücken der Bevölkerung, insbesondere der Demonstranten ausgetragen. Ihr Parteivorsitzender hat im „Stern“-Interview, das heute schon zitiert wurde, gesagt: Wir schaffen es noch zu wenig, in einer ganz einfachen Botschaft klarzumachen, wofür wir stehen. - Recht hat er.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Wilhelm, Sie müssen jetzt zum Schluss kommen.

Hans Otto Wilhelm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002826, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Er soll nur sagen: Wir stehen zu unserer Polizei und verurteilen das Handeln der Chaoten. Oder: Wir stehen ohne Wenn und Aber zu unserem Rechtsstaat. - Das wäre doch etwas. Oder: Wir sind gegen jede Form von Gewalt an Personen und Sachen, egal unter welchem überhöhten Deckmantel sie sich versteckt. Dann werden Sie aus dem von ihm beschriebenen Tunnel herauskommen. Ich glaube, Sie bleiben drin. Deutschland würde es nicht schaden. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Es spricht jetzt der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Jürgen Trittin.

Jürgen Trittin (Minister:in)

Politiker ID: 11003246

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich an diesem Tag zum einen - Frau Lippmann, Sie verstehen, dass ich Ihre Ansicht nicht teile - meinen Respekt gegenüber der übergroßen Mehrheit derjenigen ausdrücken, die friedlich und gewaltfrei demonstriert haben. ({0}) Lassen Sie mich zum anderen meinen Dank für ein auf Deeskalation gerichtetes Einsatzkonzept der Polizei aussprechen, das den einzelnen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten erhebliche psychische und physische Hans-Otto Wilhelm ({1}) Leistungen und viel Zeit abverlangt hat. Ich möchte mich auch für all die Überstunden bedanken und die Umsicht, mit der dort vorgegangen worden ist. ({2}) - Ich glaube, wir sind uns in diesem Hause einig, dass jede Form von Gewalt und Verletzung von anderen strikt abzulehnen ist und dies durch das Recht auf Demonstrationsfreiheit nicht gedeckt ist. ({3}) Weil wir uns hierin einig sind, lassen Sie mich noch eine weitere Bemerkung zu dem machen, was Sie angesprochen haben, Herr Hirche. Wir tun uns allen keinen Gefallen, wenn wir insinuieren, dass ziviler Ungehorsam gleich Rechtsbruch und Rechtsbruch gleich Gewalt ist. Wir tun uns allen einen Gefallen, wenn wir uns diesem Problem so nähern, wie es angemessen ist. Selbstverständlich verstehen viele Menschen unter zivilem Ungehorsam das Recht, auf der Straße zu sein. Dies bedeutet nicht automatisch Rechtsbruch. ({4}) - Nein, ich komme gleich zu dem Punkt, an dem Sie mir wieder zustimmen werden. ({5}) - Sie haben mich als „Hetzer“ bezeichnet, Herr Kollege. Ich möchte um eine Versachlichung dieser Debatte bitten. Diejenigen, die durch ihre Aktion auf den Gleisen dazu beigetragen haben, dass die Castorbehälter einen Tag später als geplant angekommen sind, haben für sich in Anspruch genommen, sie seien nicht gewalttätig. Es ist aber völlig eindeutig, - das habe ich übrigens gestern im Fernsehen gesagt; vielleicht haben Sie es gehört oder es in einer Meldung der Agentur gelesen -, dass sich diese Menschen rechtswidrig verhalten und Rechtsbruch begangen haben; das wissen sie auch. ({6}) Daran kann es keinen Zweifel geben. Ich möchte in dieser Debatte angesichts dieser Aktion noch eine weitere Anmerkung machen, die mich persönlich sehr umgetrieben hat. ({7}) Natürlich kann sich jemand als Erwachsener in Gefahr bringen. Aber ich muss ernsthaft die Frage aufwerfen - sie ist auch an Robin Wood gerichtet -, ob es bei solchen Aktionen mit der Fürsorgepflicht zu vereinbaren ist, wenn 16-Jährige in eine Situation gebracht werden, in der ihre körperliche Unversehrtheit davon abhängt, dass die Polizei schnell und umsichtig den Beton entfernt. Ich formuliere das bewusst als Frage. Ich halte ein solches Vorgehen nicht für besonders klug. ({8}) Ich will einige Bemerkungen zu der Tatsache machen, dass Frau Lippmann und andere den Transport zum Anlass genommen haben, um - wie sie sich ausgedrückt haben - gegen den Atomkonsens zu demonstrieren. ({9}) In diesem Zusammenhang möchte ich zu einer gewissen Nachdenklichkeit raten. Stellen Sie sich einmal vor, es gäbe diesen Konsens nicht! Würde es diesen Rücktransport dann nicht geben? Nein, es würde ihn auch dann geben, denn die Notwendigkeit, den Abfall von 5 200 Tonnen Schwermetall zurückzunehmen, existiert unabhängig vom Konsens. Was wäre, wenn wir keinen Konsens hätten? ({10}) Dann hätten wir nicht nur den Transport von 120 Castorbehältern zu bewältigen, sondern müssten möglicherweise 200, 250 oder 300 Behälter nach Gorleben transportieren, weil es hinsichtlich der Wiederaufarbeitung keine Begrenzung gäbe. Die Wirkung, die eine solche Notwendigkeit in Gorleben hervorrufen würde, kann man sich gut vorstellen. Damit nicht genug: Wenn wir keinen Konsens hätten, müssten wir weiterhin auf ein Konzept dezentraler Zwischenlagerung verzichten. Wir müssten dann weiterhin Atommüll auch aus deutschen Atomkraftwerken, nämlich aus den Kraftwerken, die nicht an der Wiederaufarbeitung teilnehmen, nach Gorleben und Ahaus bringen. ({11}) Es gäbe also mehr Transporte. Wenn wir keinen Konsens hätten, hätten wir weiterhin unbefristete Betriebserlaubnisse und damit wäre weiterhin unbegrenzt Atommüll nach Gorleben oder anderswohin zu verbringen. Letzte Bemerkung zu dem konkreten Fall Gorleben: Wenn wir keinen Konsens hätten, wenn wir keine Vereinbarung über einen Ausstieg mit den Unternehmen hätten, dann würde in Gorleben weiter unter dem Fähnchen einer vorgeblichen Erkundung der Bau eines Endlagers vorangetrieben. ({12}) - Herr Hirche, ich verstehe Sie nicht, wenn Sie so undeutlich dazwischenrufen. Ich kann verstehen, dass Menschen sagen: Ich möchte nicht, dass Atommüll zu mir gebracht wird. Das ist ein legitimes Interesse, denn niemand hat gerne Atommüll in seiner Umgebung. Es ist aber nicht akzeptabel, wenn nicht beachtet wird, dass wir ohne den Konsens keine Verminderung der Zahl der Castortransporte, keine Begrenzung der Laufzeiten und keine Beendigung des Baues des Endlagers, die nicht fachlich, sondern rein politisch begründet worden ist, erreicht hätten. ({13}) Es ist interessant, dass von rechts und links gleichzeitig gegen den Konsens agiert wird. Es scheint, dass an ihm etwas Richtiges ist. Wenn Frau Lippmann und Herr Hirche einer Meinung sind, glaube ich, auf dem richtigen Weg zu sein. ({14}) Das ist eine Instinktfrage. Wir haben die Rahmenbedingungen für die Rücknahme des Mülls entscheidend verbessert. Deswegen ist es auch nicht möglich, anlässlich dieses Transportes über Rückverhandlungen oder über die Aufgabe dieses Konsenses zu reden. Es muss das Ziel sein, diesen Konsens gerade im Interesse der Bevölkerung in Gorleben Wirklichkeit werden zu lassen. ({15}) Ich kann das aufgreifen, was Michaele Hustedt gesagt hat: Es ist auch im Interesse der Industrie, dass nicht weiter der Eindruck entsteht, sie würde einen Konsens nicht wollen, an den sie sich - untermauert durch viele Beispiele - faktisch hält. Es ist an der Zeit, dass wir die Angelegenheit in diesem Jahr rechtssicher unter Dach und Fach bringen. ({16})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Gehb, bevor ich Ihnen das Wort erteile, weise ich den Ausdruck „Hetzer“ im Zusammenhang mit der Rede des Bundesministers Trittin ausdrücklich zurück. Sie wissen, dass es dem Stil dieses Hauses nicht entspricht, diesbezügliche Begriffe auf Personen zu münzen. Ich erteile jetzt dem Kollegen Dr. Jürgen Gehb das Wort für die CDU/CSU-Fraktion.

Dr. Jürgen Gehb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003129, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Offenbar unter dem Eindruck der soeben gewährten Bewährungszeit hat der Umweltminister Trittin in gelassener Art und mit leisen Tönen hier gesprochen. Das war nicht immer so. ({0}) Seine Rede am 15. November letzten Jahres hat er nach dem Zitat von F. K. Waechter begonnen: „Die größten Kritiker der Elche waren früher selber welche.“ Das war auf meinen Kollegen Kurt-Dieter Grill gemünzt. Das ist natürlich eine super Selbstcharakterisierung; denn Sie, Herr Trittin, waren Mitte der 90er-Jahre der Leitelch bei den Demonstrationen gegen die Castortransporte. ({1}) Sie haben vorhin Ihre Kolleginnen mit Heidi, Michaele und Thea angesprochen. Sie stehen offensichtlich auch mit den Chaoten auf Du und Du. Eines muss man richtig stellen: Herr Kubatschka, Sie haben vorhin die Verantwortung der Bundesregierung für die rot-grünen Castortransporte angesprochen. So lautet nicht das Thema. ({2}) Man muss es genauer formulieren. Es geht um die Verantwortung der Bundesregierung für die Begleitumstände der Castortransporte, die eben geschildert worden sind. Bei den Transporten herrschen bürgerkriegsähnliche Zustände, die mitnichten mit den Zuständen zu vergleichen sind, die herrschten, als die Transportunternehmer mit ihren LKWs vor dem Reichstag vorgefahren sind. ({3}) Ich möchte diese Leute nicht über einen Kamm scheren mit denen, die friedlich das grundrechtlich verbürgte Recht auf Demonstration in Anspruch genommen haben. Das tun wir nicht. Aber man muss den „Fremdenlegionären“, die für die verheerenden Zustände rund um die Castortransporte verantwortlich sind, die Spitze nehmen. ({4}) Nun komme ich auf das Thema Verantwortung zu sprechen. Außer Teilnahme und Täterschaft gibt es auch eine mentale Anstiftung. Wenn Herr Trittin am 15. November hier im Plenum behauptet, die CDU/CSU und die F.D.P. hätten jahrelang den Atommüll ins Ausland verschoben und dies widerspreche dem geltenden Atomrecht, dann versucht er, eine rechtmäßige Handlung zu inkriminieren, also damit den Eindruck zu erwecken, als handele es sich um einen kriminellen Akt und um Unrecht. Man muss wissen, dass man so latent gewaltbereiten Demonstranten sozusagen den letzten Kick gibt und dass man so die Lunte ansteckt. ({5}) Kaprizieren Sie sich nicht so darauf, dass das ausschließlich völkerrechtliche Pflicht sei! Dass Sie, Herr Trittin, rechtsunkundig sind, haben Sie ja bereits wiederholt unter Beweis gestellt. Aber bedenken Sie, dass Sie noch immer Mitglied der Bundesregierung sind, die am 25. Januar in ihrer Antwort auf die Große Anfrage meiner Kollegen - Drucksache 14/5162, Seite 15 - auf die Frage, ob die Bundesregierung die Auffassung teile, dass die Wiederaufarbeitung und die Transporte rechtmäßig seien, mit Ja geantwortet hat. Herr Trittin, dass Sie das Recht nicht kennen, sehe ich Ihnen noch nach. Aber dass Sie nicht einmal die Auffassung des Kabinetts kennen, verstehe ich nun wirklich nicht. Entweder sind Sie ein Dilettant oder Sie gehen mit der Wahrheit taktisch um. ({6}) - Herr Ströbele, wenn Sie den Widerspruch nicht verstanden haben, sollten Sie überlegen, woran das liegt. Der Widerspruch liegt darin, dass man natürlich die Gewaltbereitschaft schürt, wenn man rechtmäßige Akte der Regierung pausenlos als unrechtmäßig stigmatisiert. Auch Sie, Frau Roth, sollten gut zuhören; denn auch Sie gehören zu denjenigen, die davon sprechen, dass das nicht nur illegitim, sondern illegal gewesen sei. Ich sage Ihnen: Das war immer legal. Das ist im Moment legal und das bleibt übrigens auch nach Ihrer eigenen Atomgesetznovelle, die ich gut kenne, ebenfalls legal. Wo liegt also das Problem? ({7}) Ich kann nur eines sagen: Wer den Boden für solche Protestaktionen, wie sie im Moment stattfinden, bereitet und sich hinterher davon distanzieren möchte, der stellt sich seiner Verantwortung nicht. Wissen Sie, Herr Trittin, wenn die Romanfiguren Dr. Jekyll und Mr. Hyde noch nicht geboren wären, dann wären Sie einer der besten Vorbilder für deren Erfindung. Vielen Dank. ({8})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Jetzt spricht der Kollege Arne Fuhrmann für die SPD-Fraktion.

Arne Fuhrmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000619, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie haben jetzt gerade einen Anschauungsunterricht darüber erteilt bekommen, wie man Aggression und Gewalt auch auf verbale Art und Weise erzeugen kann. ({0}) Das war klassisch. ({1}) - Herr Marschewski, wenn Sie irgendwann einmal lernen würden, Ihren Mund zu halten und zuzuhören, würde das Ihren geistigen Fähigkeiten vielleicht ein bisschen weiterhelfen. ({2}) - Herr Grill, Sie sind ja gleich dran. Was wir von Ihnen hören werden, kann ich jetzt schon vorwärts und rückwärts beten. ({3}) Sie haben beantragt, über die Begleitumstände dieses Transports zu reden. ({4}) Das ist bisher nicht der Fall gewesen. Bisher haben Sie über alles geredet, nur nicht über die Begleitumstände. ({5}) Sie reden über Gewalt und darüber, wie Demonstranten pauschal diesem Rechtsstaat schaden, ({6}) wie sie pauschal gewalttätig sind und wie sie pauschal in eine Ecke gehören. ({7}) Sie machen das sogar insofern falsch und insofern auch noch etwas dramatischer, als Sie dann den Herrn Gehb reden lassen. ({8}) Im Wendland sind die Begleitumstände folgendermaßen: Die Menschen in der Region haben 14 Tage lang einen Zustand erlebt, den Sie alle, bis auf Herrn Grill, nicht kennen und den Sie alle, die Sie hier sitzen, durchaus als Besetzung bezeichnen würden. Wir haben das Riesenglück, dass Polizei und BGS in der Zwischenzeit längst insofern aus der Schusslinie sind, als die Menschen im Wendland wissen, dass nicht die Beamten, sondern wir, die Politiker, schuld sind. ({9}) Mittlerweile gibt es eine Phase der Entspannung, die aber nichts damit zu tun hat, dass vonseiten der Politik wesentliche Veränderungen für die Wendländer eingetreten seien, denn die Castoren rollen nach wie vor. Vielmehr kommt es langsam, aber sicher zwischen denen, die im Wendland leben, und denen, die ihre Pflicht tun, zu einer Annäherung. Sie haben sich beide gegenseitig nichts vorzuwerfen. Diejenigen, die gewaltbereit sind - das sind die wenigsten in der Region -, sind diejenigen - das wurde vorhin schon erwähnt -, die „Gewalttourismus“ betreiben. Das sind wirklich die wenigsten, aber die machen es schwer. ({10}) Diese Menschen machen es auch den Bewohnern des Wendlandes so unglaublich schwer, daran zu glauben, dass die Politik diese Transporte heute unter einem anderen Aspekt als noch vor vier Jahren vornimmt. Der Atomkonsens hätte möglicherweise bei manchem seine Wirkung und seine Akzeptanz, wenn es nicht an verschiedenen Stellen immer wieder dazu käme, dass sich das Potenzial der Castoren immer weiter erhöht. Daran zu arbeiten, daran mitzuwirken, auch das noch zu verbessern, ist eine Aufgabe, die die rot-grüne Koalition wahrnimmt. ({11}) Durch die Bank sind wir bisher nicht glücklich mit dem Atomkonsens, aber es ist der erste Schritt zu einem geordneten und, wie wir hoffen, auch friedlichen Ausstieg aus der Kernenergie. ({12}) Probleme bereitet mir folgendes pauschales Vorurteil, das den Menschen im Wendland gilt: Der Castor kommt, und dann ist im Wendland die Hölle los. - Das ist Quatsch, absoluter Quatsch; eine solche „Gesetzmäßigkeit“ gibt es nicht. Das Demonstrations- und das Versammlungsrecht gelten überall. Die Proteste bei der Ökosteuer - das wurde vorhin schon erwähnt -, die nicht nur von den Kraftfahrern, sondern auch von den Unterglasbetrieben und von den Landwirten ausgingen, hat bei uns allen Nachdenken, aber bei weitem nicht den Verdacht ausgelöst, plötzlich würde der Rechtsstaat blockiert oder auf den Kopf gestellt. ({13}) Wissen Sie, man kann sehr wohl darüber diskutieren, ob ein Autofahrer, der frühmorgens zum Dienst will, es nicht als Gewalt empfindet, wenn 50 oder 100 LKW-Fahrer das verhindern. Diese Frage würde ich mit Ihnen gerne einmal diskutieren. Das Parlament sollte sich in irgendeiner Form der Aufgabe zuwenden, den Gewaltbegriff rechtlich korrekt einzuordnen. Nicht alles, was ordnungswidrig ist, ist von vornherein Gewalt. Wir distanzieren uns von Gewalt. Dass ich persönlich jede Art von Gewalt ablehne, habe ich in diesem Parlament von diesem Ort aus mehrfach betont. Was mir aber überhaupt nicht gefällt, sind die Unterstellungen, mit denen Sie immer wieder arbeiten. ({14}) Ich wünsche mir, dass Sie in dem Augenblick, da Sie einen Antrag auf Durchführung einer Aktuellen Stunde stellen, ({15}) in der Sie die Begleitumstände eines Castortransportes diskutieren wollen, über die Begleitumstände - ({16}) - Herr Marschewski, Sie sind schon wieder derjenige, der nicht abwarten kann. ({17}) Das ehrt Sie. ({18}) - „Nein“, sagt mein Kollege. Das ehre Sie eigentlich nicht, meint er. Er hat wahrscheinlich Recht. Ich möchte noch einen Satz in Richtung PDS sagen. Genauso wie Sie waren wir gestern und vorgestern in dieser Region; wir waren dort mit fünf Personen. Um Ihnen diesen Zahn zu ziehen: Wir waren dort ohne Begleitung durch die Polizei oder durch die Bezirksregierung. ({19}) Ich finde es schon erstaunlich, dass Sie jetzt den Versuch unternehmen, sich den Widerstand in der Region politisch unter den Nagel zu reißen. Das wird Ihnen garantiert nicht gelingen. ({20}) Man ist dort eigenständig genug, um zu erkennen, worin die Chance besteht. Um es ganz klar zu sagen: Dank dieser Regierung - nicht dank der Oppositionspartei PDS gibt es die realistische Chance für einen Ausstieg. Vielen Dank. ({21})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Franz Obermeier.

Franz Obermeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003201, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte beginnen, indem ich meinem Herrn Vorredner antworte: Natürlich sind wir in der Lage, zwischen friedlichen Demonstranten und gewaltbereiten Demonstranten zu unterscheiden. ({0}) Wir unterhalten uns ausschließlich über diejenigen Typen, die mit vollem Bewusstsein Gewalt gegen Menschen und gegen Sachen anwenden. Dagegen wenden wir uns. ({1}) Herr Fuhrmann, Ihre Strategie wird wieder schief gehen, und zwar deswegen, weil sie erneut auf einem Vertrauensbruch durch den Umweltminister aufgebaut ist. Er suggeriert den Menschen im Wendland und in Gorleben, dass es sich bei der Erkundung des dortigen Salzstocks um den Bau des Endlagers handelt. In Wahrheit ist es eine wissenschaftliche Erkundung, die noch einige Jahre fortgeführt werden müsste, bis man wirklich beurteilen könnte, ob dieser Salzstock geeignet ist. Jetzt wird den Menschen im Wendland ({2}) - in Lüchow-Dannenberg - gesagt, dass es sich dabei um den Bau des Endlagers handelt. Deswegen werden die Menschen diesen Vorgang in wenigen Jahren ein weiteres Mal als schweren Vertrauensbruch beurteilen. Wir werden das große Problem haben, dass dort wieder Gewaltbereitschaft geschürt worden ist. Ich möchte den Bundeskanzler zitieren, der im Juni vergangenen Jahres wortwörtlich ausgeführt hat: Das politische Bewusstsein einer ganzen Generation wurde durch die Auseinandersetzungen um die Kernenergie geprägt. Anhänger und Gegner standen einander unversöhnlich gegenüber. Als in jener Nacht zum 15. Juni 2000 die Einigung erzielt war und ein grüner Umweltminister und die Chefs der Energiewirtschaft zugestimmt hatten, da ging eine Epoche gesellschaftlichen Konfliktes zu Ende. In den letzten Tagen konnten wir sehen, wie das „Ende der Epoche“ aussieht: 25 Verletzte, zwei Schwerverletzte, 20 000 Polizisten. Das ist das Ende der Epoche gesellschaftlichen Konfliktes! Wenn wir künftig über Gewalt reden und wenn wir gemeinschaftlich gegen Gewalt demonstrieren, dann lassen Sie uns bitte gegen Gewalt von links und rechts demonstrieren. ({3}) Denn das, was wir in den letzten Tagen erlebt haben, ist Gewalt von links. ({4}) Sie wären gut beraten, wenn Sie den Menschen in Lüchow-Dannenberg und in Gorleben reinen Wein einschenken und ihnen sagen würden, dass in den nächsten Monaten weitere Transporte rollen müssen, weil wir den völkerrechtlichen Verpflichtungen nachkommen müssen. ({5}) - Das hat Trittin nicht gesagt! ({6}) - Natürlich. Ich sage Ihnen noch eins: Wenn der Bundesumweltminister noch einen Hauch von Mumm und Charakter in sich hätte, wäre er in den letzten Tagen dorthin gegangen, wo diese Krawalle stattfanden, ({7}) und hätte den Leuten dort gesagt: Ich habe jahrelang etwas Falsches erzählt. - Das ist die Realität. Dieser Rücktransport beruht auf völkerrechtlichen Bindungen. ({8}) Ich möchte noch etwas hinzufügen: Wir sollten uns zusammen überlegen, ob es den Polizisten noch zuzumuten ist, ({9}) die sitzenden Demonstranten wegzutragen und sich dem Risiko auszusetzen, dass sie verklagt werden, weil sie zu fest zugegriffen oder möglicherweise jemanden verletzt haben. ({10}) Wir müssen uns überlegen, ob wir all das gegenüber den Polizisten und Ordnungskräften dort noch verantworten können, ({11}) denen ich herzlich für die schwere Arbeit danken möchte, die sie in den zurückliegenden Tagen bei der ganzen Aktion geleistet haben. Danke schön. ({12})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Herr Bundesinnenminister, Otto Schily.

Otto Schily (Minister:in)

Politiker ID: 11001970

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Ich habe die Debatte mit Aufmerksamkeit verfolgt und möchte einen Satz zu der Kollegin von der PDS sagen. Ich habe heute den Verfassungsschutzbericht vorgestellt und dabei erwähnen müssen, dass die PDS weiterhin der Beobachtung durch den Verfassungsschutz unterliegt. ({0}) Ihr Beitrag heute bestärkt mich darin, dass wir diese Beobachtung fortsetzen. ({1}) Denn jemand, der in dieser Weise die Auffassung vertritt, dass Recht und Gesetz nicht gelten, dass Gerichtsurteile keinen Wert haben, der setzt sich in der Tat dem Verdacht aus, die verfassungsrechtlichen Grundsätze nicht zu achten. Ich möchte aber an diesem Tag vor allem - ich glaube, das haben die Beamten der Länderpolizeien und des Bundesgrenzschutzes wahrlich verdient - diesen Beamten meinen ganz besonderen Dank aussprechen. ({2}) Sie haben in einer außerordentlich schwierigen Situation besonnen und verantwortungsvoll gehandelt. Sie haben sich übrigens um Konfliktentspannung bemüht. Man hat bei der Vorfeldarbeit sogar eine eigene Gruppe für diese Entspannung eingesetzt. Es kann also niemand behaupten, dass etwa von der Polizei irgendeine Eskalation ausgegangen ist; ganz im Gegenteil. ({3}) Wer sich einmal mit der Situation von jungen Polizeibeamten beschäftigt, die Aggressionen und Gewalttätigkeiten ausgesetzt sind, versteht, dass ich einen Satz aus meiner Rede zum 50-jährigen Bestehen des Bundesgrenzschutzes wiederholen möchte: Es ist in einem Rechtsstaat selbstverständlich, dass sich ein Polizeibeamter an die Verfassung, an das Recht, an das Gesetz halten muss und die Würde der Menschen zu achten hat, mit denen er sich in einer polizeilichen Konfliktsituation befindet. Aber genauso haben auch die Polizeibeamten Anspruch auf Achtung ihrer Würde. Das wird manchmal vergessen. ({4}) Die Polizeibeamten haben ihre Arbeit - ich wiederhole das bewusst - verantwortlich, besonnen, klug und intelligent vollzogen. Ich gratuliere ihnen zu dem Erfolg, dass sie diesen Castortransport in relativ kurzer Zeit zu einem vernünftigen und guten Ende gebracht haben. Diese Leistung ist anzuerkennen. Ich will an dieser Stelle nicht unerwähnt lassen, welche Gewalttaten verübt worden sind: Leuchtmunition ist verschossen worden, sodass Polizeiwagen in Brand geraten sind, wodurch nicht nur schwere Sachschäden angerichtet, sondern auch Menschenleben gefährdet wurden. Bahngelände wurde beschädigt und Anschläge mit Hakenkrallen wurden verübt. Schienenwege sind unterhöhlt worden und Einrichtungen der Bahn sind massiv beschädigt worden. Auch körperliche Angriffe fanden statt. All das sind schwerste Straftaten; es hat mit der Wahrnehmung des Demonstrationsrechts überhaupt nichts zu tun. ({5}) Herr Kollege Paziorek, Sie haben in Ihrer Rede zwar begrüßt, was ich gestern gesagt habe. Sie vermissen aber meine Äußerungen vorher. Ich kann von Ihnen natürlich nicht verlangen, dass Sie alle Pressemitteilungen und alle Interviews von mir zur Kenntnis nehmen. ({6}) Damit ich meine Redezeit nicht dafür opfern muss, eine entsprechende Aufstellung vorzulesen, möchte ich Ihnen Auszüge aus meinen Stellungnahmen von Februar bis zum Beginn der Castortransporte geben, ({7}) in denen genau das enthalten ist, was ich gestern gesagt habe. An Klarheit in meinen Äußerungen hat es wirklich nicht gefehlt. ({8}) Das sollten Sie anerkennen. ({9}) - Gut, dann brauchen wir darüber nicht mehr zu sprechen. Ich gebe Ihnen nachher die Unterlagen, in denen Sie das alles nachlesen können. ({10}) - Auch mit Widmung. Wenn Straftaten verübt werden, dann muss der Staat dafür sorgen, dass sie nicht folgenlos bleiben. Deshalb gilt: Wo immer wir Täter identifizieren können, werden sie mit strafrechtlichen Sanktionen zu rechnen haben. Ich bitte alle, die Polizei bei diesen Ermittlungen zu unterstützen. Es darf nicht bei Untätigkeit bleiben; es ist Unterstützung notwendig. ({11}) Wir werden selbstverständlich auch prüfen, ob gegenüber denen, die Sachschaden angerichtet haben, zivilrechtliche Ansprüche geltend gemacht werden können. Das heißt, diejenigen, die einen Schaden angerichtet haben, müssen damit rechnen, dass sie diesen Schaden ausgleichen müssen. Dabei umfassen die Ermittlungen nicht nur diejenigen, die solche Taten unmittelbar begangen haben, sondern auch diejenigen, die dazu angestiftet oder diese Taten geplant haben. Das wird in die Überlegungen mit einbezogen werden. Lassen Sie mich eine Bemerkung über den rechtlichen Hintergrund machen, der schon angesprochen worden ist. Niemand soll sich anmaßen, Recht und Gesetz außer Kraft zu setzen. Der Kollege Gehb hat behauptet, es gebe irgendwelche Widersprüche in der rechtlichen Beurteilung. Sie haben sich hier mächtig aufgepumpt, Herr Kollege. ({12}) - Entschuldigen Sie bitte, das habe ich nicht gewusst. Nehmen Sie meinen Vorwurf nicht persönlich. ({13}) Herr Kollege Gehb, lassen Sie uns die rechtliche Situation sachlich betrachten. Es kann auch Recht vorliegen, das auf völkerrechtlichen Verbindlichkeiten beruht. Ich verstehe daher Ihren Einwand nicht. Entscheidungen können gerade dann rechtmäßig sein, wenn sie auf der Grundlage völkerrechtlicher Verbindlichkeiten erfolgen. Ich glaube, da besteht kein Widerspruch. Das müsste ein Irrtum Ihrerseits sein. Wir haben einen enormen Aufwand leisten müssen. Tausende von Polizeibeamten, allein mehr als 7 000 vom Bundesgrenzschutz, sind im Einsatz gewesen. Es wird aber nicht der letzte Castortransport gewesen sein. ({14}) Ich möchte daher an alle appellieren - auch weil es sicherlich nicht die letzten friedliche Demonstrationen gewesen sein werden -: Wir müssen gemeinsam dafür sorgen, dass rechtmäßige Castortransporte ohne diesen großen Polizeieinsatz stattfinden können. Das ist unsere gemeinsame Verpflichtung. ({15}) So Leid es mir tut, muss ich an dieser Stelle auch erwähnen, dass es nicht hilfreich war, dass eine Landesministerin meinte, angesichts der Vorkommnisse um den Castortransport Kritik am Bundesgrenzschutz in einem anderen Zusammenhang üben zu sollen. Der Bundesgrenzschutz hat zwar trotz der schwierigen Lage bei den Castortransporten auf meine Anordnung auch Kontingente für die Verhinderung von Tiertransporten über die Grenzen wegen der Maul- und Klauenseuche zur Verfügung gestellt; die erste Zuständigkeit hierfür liegt jedoch nicht bei ihm, sondern bei den Zoll- und Veterinärbehörden. Ich erwarte dann, dass in einer so schwierigen Situation keine Kritik am Bundesgrenzschutz und am Bundesinnenminister geübt, sondern für diese Hilfeleistung gedankt wird. Das sollte auch eine grüne Landesministerin wissen. ({16}) Es ist wirklich an der Zeit, dass der Gesellschaft klar wird, dass Castortransporte friedlich, ordnungsgemäß und entsprechend den rechtlichen Vorschriften vollzogen werden müssen. Ich gehöre übrigens zu denen, die den Atomkonsens begrüßen. Mein Verhalten steht nicht im Widerspruch zum Atomkonsens, denn diese Lage ist durch eine verfehlte Politik, an der viele beteiligt waren - auch die Sozialdemokraten, das muss man offen zugeben -, herbeigeführt worden. Selbst der SDS ist in der 68er-Zeit für die friedliche Nutzung der Kernenergie eingetreten. ({17}) Damals vertrat ich übrigens die Gegenposition. Ich habe meine Position relativ konsequent vertreten. Viele haben an dem Einstieg in die Kernenergie mitgewirkt. Deshalb ist der Ausstieg relativ mühsam und zeitaufwendig. Lassen Sie ihn uns in demokratischer, friedlicher und rechtstaatlicher Form vollziehen. Dann sind wir einen Schritt weiter. Vielen Dank. ({18})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Kurt-Dieter Grill.

Kurt Dieter Grill (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002665, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Schily, ich will bewusst an das anknüpfen, was Sie hier gerade zum Schluss vorgetragen haben, und Ihnen sagen: Es gibt zwei Elemente in Ihrer Rede, die ich außerordentlich begrüße. Jedoch vermisse ich diese Haltung nicht nur bei den Grünen, sondern insbesondere auch bei Ihren eigenen Parteifreunden. Es handelt sich darum, dass die Geschichte der Kernenergie nicht mit dem Regierungswechsel 1983 beginnt, sondern dass in den 60er- und 70er-Jahren ein gesellschaftlicher Konsens - es gab über 90 Prozent Zustimmung - in Bezug auf den Bau von Kernkraftwerken in diesem Land bestand. ({0}) Sie haben heute als Einziger einen Beitrag dazu geleistet, dass auch 90 Prozent bereit sind, die Verantwortung für die Entsorgung zu übernehmen. ({1}) Sie haben auch einen Beitrag dazu geleistet, dass gemeinsam darüber nachgedacht wird, wie wir in Zukunft verfahren. Das hat aber ein paar Bedingungen: Sie können nicht mit den Energieversorgungsunternehmen alles verabreden und die Länderverantwortung außen vor lassen. Dies sage ich in Bezug auf die Frage, wie die Entsorgung in der Zukunft geregelt werden soll. Die Länder haben ein von der Verfassung garantiertes Recht, das von der Bundesregierung missachtet worden ist. Jenseits solcher Fragen bleibt es aber dabei, dass Sie von der Union niemals die Vorwürfe hören werden, die wir, als wir Verantwortung für die Castortransporte trugen, hören mussten. Das ist der fundamentale Unterschied und macht ein Stück unserer Argumentation aus. Das, was wir früher aus der Opposition gehört haben, werden Sie von uns nicht hören. ({2}) Wir werden weder einen Polizeieinsatz noch die Drahtkäfige als Ausdruck von Polizeistaat kritisieren. Wir als Union werden niemals Kampagnen, wie Freunde der Grünen ({3}) und auch Teile der SPD, nach dem Motto fahren: „Atom gleich Tod gleich Krebs gleich CDU“. Solche Agitation, die wir bis 1998 erlebt haben, werden Sie von uns nicht hören. ({4}) Sie werden bei uns ebenso nicht erleben, dass wir auch nur in irgendeiner Wendung eine sozusagen aus dem Prinzip des zivilen Widerstandes legitimierte Gewaltaktion befürworten oder für richtig halten, wenn wir in irgendeinem Teil der Politik anderer Meinung sind als diese Regierung. Das ist der fundamentale Unterschied zwischen 1998 und 2001. ({5}) Zweitens ist es noch gar nicht lange her, dass in dieser Bundesregierung genau das Gegenteil von dem entschieden worden ist, was Sie hier heute vortragen. Was haben SPD und Grüne geschimpft, als wir darüber nachgedacht haben, Straftäter und gewalttätige Demonstranten auch finanziell zur Rechenschaft zu ziehen! Es ist wenige Monate her, dass Herr Trittin sich damit gebrüstet hat, dass er die Schadensersatzklage in Höhe von 100 000 DM gegen die Besetzer des Turms im Endlager zurückgezogen hat. Das ist das falsche Signal an Gewalttäter, es kommt aber aus dieser Bundesregierung. ({6}) Deswegen denke ich, dass es, verehrte Frau Hustedt, nicht um zweierlei Maß geht. Es geht um zweierlei Wahrheit, und zwar bei Ihnen und den Sozialdemokraten. Ich kann hier gar nicht die Fülle der Widersprüche aufzählen. Es ist jedenfalls so, Herr Kemper, dass die Unterbringung der Polizei in Lüchow-Dannenberg deswegen so schwierig ist, weil der der SPD angehörende Landrat Christian Zühlke die Turnhallen, die Schulen und alles andere, was an öffentlichen Gebäuden für Unterkünfte zur Verfügung stehen könnte, der Polizei bisher verweigert hat. Das ist die Politik der SPD vor Ort. ({7}) - Schreien Sie nicht so rum. ({8}) - Herr Fuhrmann, ich würde einmal Folgendes sagen: Sie gehören zu denen, die - wie Herr Trittin, Herr Schröder und viele andere - den Menschen in Lüchow-Dannenberg versprochen haben, dass, wenn sie an die Regierung kommen, die Anlagen in Gorleben nicht mehr genutzt werden. ({9}) Heute sehen die Menschen in Lüchow-Dannenberg, dass genau diejenigen, die ihnen das vor 1998 versprochen haben, diese Anlagen ohne jede Entschuldigung, ohne jede Erklärung nutzen, als habe es nie einen anderen Sinn dieser Anlagen gegeben. Sie bauen Ihre Entsorgung auf unserer Vorsorge für die Zukunft unserer Kinder auf. Das ist die Wahrheit. ({10})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege, Sie müssen mit Ihrer Rede leider zum Ende kommen, weil nur eine begrenzte Zeit zur Verfügung steht, die auch nicht überschritten werden kann.

Kurt Dieter Grill (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002665, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin, ich würde gerne eine Schlussbemerkung machen. Ich fordere Herrn Trittin auf, endlich das Gespräch mit der Bevölkerung aufzunehmen. ({0}) Er ist der einzige Minister, der in der Verantwortung für diese Dinge steht, der das Gespräch mit den Gemeinden und mit der Bevölkerung im Landkreis Lüchow-Dannenberg verweigert hat. Dies hat es in der Geschichte des Standortes Gorleben so noch nie gegeben. ({1}) Die Menschen in Lüchow-Dannenberg sind enttäuscht, weil sie ohne jede Erklärung und ohne jede Entschuldigung genau das Gegenteil von dem erleben, was ihnen vor der Wahl versprochen worden ist. Sie haben die Bürger-initiativen für Ihren Machterhalt instrumentalisiert und jetzt verweigern Sie das Gespräch. Ich fordere Sie auf: Stellen Sie sich vor Ort Ihrer Verantwortung! Dann sind Sie endlich dort, wo Sie Verantwortung haben. ({2})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Michael Müller.

Michael Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001561, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Otto Schily hat Recht: Es waren nur wenige, die in den 60er-Jahren Nein zur Atomkraft gesagt haben. Das war damals nicht die vorherrschende Meinung. Insofern ist es so, dass diejenigen, die damals dagegen waren - ich kenne noch meine ersten Veröffentlichungen aus dem Jahre 1968 -, auch heute noch eine Verantwortung haben. Ich muss Ihnen, weil mir das doch wieder sehr stark auffällt, vor dem Hintergrund dieser Debatte sagen: Ein Großteil gerade der Leute, die kritisch zur Atomkraft stehen, haben doch mit dazu beigetragen, die Gewaltproblematik zu klären. Ich kann mich noch ganz genau an die Spaltung bei der Diskussion um Brokdorf erinnern. Ich habe in den 70er-Jahren zusammen mit meinem Freund Jo Leinen viele Demonstrationen organisiert und verantwortlich angemeldet. Ich weiß, wie wir 1975, als die Gewalt hoch kochte, die Demonstrationen gespalten haben: Die einen sind nach Brokdorf gegangen, die anderen nach Itzehoe. Wir haben dies bewusst getan, weil wir wussten, dass der Protest gegen die Atomkraft nur dann glaubwürdig ist, wenn er gewaltfrei ist. Dazu stehen wir auch heute. Wir lassen uns hier nicht in eine falsche Ecke stellen, auch nicht von Ihnen. ({0}) Sie betreiben hier Scharfmacherei und ich will das an drei Punkten belegen. Herr Wilhelm, Sie haben Frau Müller angegriffen und gesagt, sie habe am 12. März 1997 eine ganz merkwürdige Haltung zur Gewalt an den Tag gelegt. Sagen Sie bitte einmal die volle Wahrheit. Ausgangspunkt war eine Rede von Herrn Kanther, der im Kern gesagt hat, das eigentliche Problem der Gewalt sei, dass überhaupt gegen Atomkraft demonstriert werde. Daraufhin hat aus unserer Sicht Frau Müller völlig zu Recht gesagt, dass die übergroße Zahl der Wendländer gewaltfrei protestierten. Das ist auch richtig; wir dürfen diese Pauschalisierung nicht akzeptieren. ({1}) Das war damals der Zusammenhang und da müssen Sie auch ehrlich sein. Bitte hören Sie mit dieser SchwarzWeiß-Debatte auf! ({2}) Dasselbe gilt auch für die PDS. Ich will Ihnen nicht vorwerfen, dass Sie erst seit 1990 dabei sind. Aber dass die PDS und ihre Vororganisation in der ökologischen oder Anti-AKW-Frage besonders glaubwürdig gewesen seien, kann man nun wirklich nicht sagen. ({3}) Kommen Sie in dieser Frage wieder ein bisschen auf den Teppich zurück und sorgen auch Sie in dieser Debatte bitte für Rationalität. Ich weiß doch, wie Ihre Pendants im Westen in der Anti-AKW-Bewegung in den 70er-Jahren gesagt haben: Atomkraftwerke nein, es sei denn in Volkes Hand. So einen Unsinn haben die damals vertreten! ({4}) - Ich habe Ihnen doch gesagt, dass ich weiß, dass Sie erst seit 1990 dabei sind, und ich weiß auch von vielen, woher Sie gekommen sind. Es kann doch niemand erzählen, dass es in der DDR eine wirklich breite Bewegung gegen die Atomkraft gegeben hätte. Nun wollen wir doch bitte die Tatsachen nicht verdrehen! ({5}) Meine Damen und Herren, der wirklich schwierige Punkt ist nicht die Frage der Transporte, sondern der Spielraum der Politik beim Atomausstieg. Diese Frage steht dahinter. Aus meiner Sicht gibt es niemanden im Regierungslager, der nicht einen schnelleren Ausstieg will. ({6}) - Nein, gibt es nicht. Alle im Regierungslager wollen so schnell wie möglich aus der Atomkraft heraus. Aber wir haben es hier mit einer Branche zu tun, die wie keine andere aus ihrer Historie heraus rechtlich und ökonomisch privilegiert ist. ({7}) Das ist unser Kernproblem. Es ist unglaublich schwierig, aus der Atomkraft auszusteigen. Wir müssen alles tun, um den Ausstieg zu beschleunigen. Deshalb ist für uns der Einstieg in eine neue Energiepolitik so wichtig. Je überzeugender der Einstieg ist, desto besser ist das auch für den Ausstieg. ({8}) Die Wahrheit muss auch in folgendem Punkt gesagt werden: Wir, die wir aus der Anti-AKW-Bewegung kommen, sind nun wahrlich nicht für die Atomenergie verantwortlich. ({9}) Aber wir können doch nicht im Ernst sagen, dass der von uns in der Bundesrepublik erzeugte Atommüll irgendwo anders hinkommen soll. Nein, wir sind für die Endlagerung bzw. Entsorgung des bei uns erzeugten Mülls verantwortlich und können uns um diese Verantwortung nicht herumdrücken. ({10}) Deshalb - dies müssen wir klar sagen - wird es weitere Transporte geben. Aber wir bitten die Bundesregierung, alles zu tun, damit nicht noch viele nötig werden, sondern ihre Zahl so weit wie möglich reduziert wird. Lassen Sie mich noch einen letzten Satz sagen, meine Damen und Herren: Es wird ganz wichtig sein, dass wir in der Frage der Entsorgung zu einer Lösung kommen. Ich teile die Bedenken gegenüber Gorleben. Alles, was dort geschehen ist, ist sehr kritisch zu sehen. Deshalb muss es eine rationale Debatte über ein Endlager in der Bundesre- publik geben. Hören wir deshalb auf, die Schlachten der Vergangenheit zu schlagen, sondern setzen wir hier präzise Kriterien, an denen wir uns abarbeiten können! In dieser schwierigen Situation können wir nur überzeugen, indem wir a) die Wahrheit sagen, b) alles tun, um so schnell wie möglich aus der Atomenergie heraus zu komMichael Müller ({11}) men, und c) vor allem glaubwürdig unsere Ziele umsetzen. Alles andere wird uns nur als Taktik ausgelegt und bringt uns nicht weiter. ({12})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Volker Beck.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst zu Ihnen, Herr Grill. Ich stelle hier klar, dass sowohl der Bundesumweltminister als auch seine Staatssekretärin Frau Altmann der Bürgerinitiative verschiedentlich Gespräche angeboten haben. Ein vereinbarter Gesprächstermin wurde von der Bürgerinitiative abgesagt. Der Minister war in letzter Zeit auch mehrere Male vor Ort. Es gibt also keineswegs eine Gesprächsverweigerung. ({0}) Das Gesprächsangebot wird auch weiter so bestehen; denn wir wollen und brauchen den Dialog. ({1}) Nach dreijähriger Pause fand in diesen Tagen erneut ein Castortransport in das Zwischenlager Gorleben statt. Es ist auch ein Ausdruck einer guten demokratischen Haltung, aus diesem Anlass friedlich für einen schnelleren Ausstieg aus der Atomenergie zu demonstrieren. Die Menschen, die dies in der Region getan haben, haben meine tiefe Sympathie. ({2}) Für uns Grüne war es eine der wichtigsten Aussagen im Wahlkampf, von dem Irrweg der Atomenergie umzukehren. Das Ergebnis ist der Kompromiss zwischen Regierung und Energiewirtschaft für einen Ausstieg. Ein sofortiger Ausstieg aus der Kernenergie ist rechtlich nicht möglich und politisch nicht durchsetzbar. Die Entsorgung der Brennelemente ist einerseits Teil der internationalen Verträge und andererseits natürlich auch Teil des Ausstiegskonzepts. Deutschland ist verpflichtet, die Vereinbarung einzuhalten. Das wäre selbst bei einem schnellen und sofortigen Ausstieg der Fall. Auch das ist Rechtstaatlichkeit: dass man zu seinen vertraglichen Verpflichtungen steht. ({3}) Wir können diese Verträge nicht außer Kraft setzen. Ich bitte all unsere Freundinnen und Freunde vor Ort, auch wenn sie sich manchmal über die Grünen ärgern mögen, zu verstehen, dass man für den Ausstieg aus der Atomenergie auch Kompromisse eingehen musste. Mich bedrücken die Bilder der letzten Tage aus dem Wendland. Es lässt sich nicht leugnen, dass einige vor Ort die friedlichen Teilnehmer der Protestkundgebungen als Kulisse für ihre Gewalt missbraucht haben. Diese wenigen erweisen dem Protest von vielen einen schlechten Dienst, ({4}) ist es doch gerade dem friedlichen Protest zu verdanken, dass aus der Gesellschaft der nötige Druck kommt, den Ausstiegskompromiss gegen die nach wie vor maulende Atomindustrie durchzusetzen. Wer für einen schnellen Ausstieg aus der Atomenergie demonstriert, tut dies aus Sorge um die Gesundheit der Bevölkerung. ({5}) Wer aber Gesundheit und Leben von Polizeibeamten oder Demonstranten durch militante Aktionen leichtfertig gefährdet, macht sich nicht nur strafbar, sondern hat jede Glaubwürdigkeit in dieser Debatte verspielt. Deshalb möchte ich auch ganz besonders den vielen Wendländerinnen und Wendländern danken, die in den letzten Tagen vor Ort Gewalttaten von anderen Demonstranten verhindert haben, die gesagt haben: „Lasst diesen Scheiß!“ ({6}) Ich möchte auch den Polizeibeamten danken, die durch ihr besonnenes Verhalten in bestimmten Situationen immer wieder zur Deeskalation beigetragen haben. Meine Damen und Herren, ein Teil des Energiekonsenses ist auch, dass es keine Festlegung auf das Endlager Gorleben gibt. Das ist sehr gut so und hilft auch den Wendländerinnen und Wendländern. Ich unterstütze ausdrücklich den Vorschlag des SPD-Fraktionsvorsitzenden Struck, zu prüfen, ob nicht auch die Granitvorkommen in Baden-Württemberg und Bayern geeignete Standorte für ein Endlager bieten. Wir müssen das ergebnisoffen diskutieren. ({7}) Nur mit Rot-Grün war der Ausstieg möglich. Jede andere politische Konstellation hätte diesen Ausstiegskompromiss nicht auf den Weg gebracht. Jede andere Konstellation würde vielmehr den Ausstieg aus dem Ausstieg betreiben. So sehr ich hier für den Ausstiegskompromiss werbe, so klar und entschlossen verteidige ich aber auch das Recht der Menschen im Wendland, die für eine andere Politik demonstrieren wollen. ({8}) Michael Müller ({9}) Sie dürfen sich wohl gegen die Transporte - auch wenn wir sie an diesem Punkt für richtig und notwendig halten - wehren. Trotzdem darf man eine andere Meinung in Sachen Atompolitik haben und diese in Demonstrationen kundtun. Der Schutz des Grundgesetzes, sich friedlich und ohne Waffen zu versammeln, gilt ohne jede Einschränkung auch für die Menschen im Wendland. ({10}) Wir Grünen streiten für dieses Recht selbstverständlich auch dann, wenn wir selbst diejenigen sind, die hier kritisiert werden. Kriminalisierung von Protest war immer das Lieblingsspiel der Regierung Kohl und Kanther. Wir machen das ausdrücklich nicht. ({11}) Wir nehmen den Großteil der Demonstranten ausdrücklich in Schutz gegen alle Angriffe, die auf die Legitimität und auch die Legalität ihres Protestes zielen. Auch wenn ich aus politischen Gründen in diesem Fall gegen Blockaden bin, lehne ich es aber entschieden ab, gewaltfreie Blockaden generell als Gewalt zu verurteilen. ({12}) Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung zur Nötigung klar gemacht, dass auch die Unterbrechung von Verkehrswegen keinesfalls automatisch eine gewalttätige Nötigung sein muss. ({13}) Es gebietet die Korrektheit, diese Differenzen auch in einer so aufgeheizten Debatte festzustellen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege, denken Sie daran: In der Aktuellen Stunde darf man nicht länger als fünf Minuten reden.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Eine kurze Bemerkung zum Schluss. Der Castortransport ist nun über die Bühne gegangen. Ich meine, wir sollten diesen Einsatz auch im Innenausschuss noch einmal bilanzieren, unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten, aber auch unter den Gesichtspunkten der Deeskalation und der Versammlungsfreiheit. Dabei wäre es sicher sehr hilfreich, wenn uns das Innenministerium in Abstimmung mit der niedersächsischen Landesregierung einen Bericht vorlegen könnte, anhand dessen wir diese Fragen prüfen können. ({0}) Es ist unsere gemeinsame Verantwortung, dass diese Fragen friedlich und gewaltfrei gelöst werden. ({1})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Die Aktuelle Stunde ist damit beendet. Ich rufe Tagesordnungspunkt 8 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Tourismus ({0}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Tourismuspolitischer Bericht der Bundesregierung - Drucksachen 14/2473, 14/5432 ({1}) Berichterstattung: Abgeordnete Brunhilde Irber Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Widerspruch höre ich nicht. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der Parlamentarische Staatssekretär Siegmar Mosdorf.

Siegmar Mosdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001535

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute den Tourismuspolitischen Bericht der Bundesregierung, den wir bereits vor gut einem Jahr vorgelegt und in den Ausschüssen beraten haben, und besprechen insbesondere auch die Ausschussempfehlung zu diesem Bericht. Der Ausschuss hat besondere Akzente gesetzt, die die Bundesregierung gern aufgreifen möchte, teilweise auch bereits aufgegriffen hat, zum Beispiel in der Frage der stärkeren Mittelausstattung der Deutschen Zentrale für Tourismus für gezielte Marketingmaßnahmen zugunsten der neuen Bundesländer. Es hat in den letzten Monaten auch in ausländischen Journalen Berichte über Gewalt auf deutschen Straßen und über Rechtsradikalismus in Deutschland gegeben, teilweise sogar Warnungen vor Besuchen in Deutschland. Wir werden nicht zulassen, dass Deutschlands Ansehen beschädigt wird, sondern werden alles tun, um das Ansehen Deutschlands in der Welt zu festigen. Dazu gehört auch, deutlich zu machen, dass wir diese gewalttätigen Minderheiten nicht akzeptieren. Insofern ist auch das Wahlergebnis vom letzten Sonntag ein wichtiges Signal. Gerade in den für unseren Tourismus so wichtigen Quellmärkten kommt es darauf an, Informationen zu vermitteln und Transparenz herzustellen. Wir können insgesamt in Deutschland auf dem Gebiet des Tourismus gegenwärtig eine gute Situation konstatieren. Das Jahr 2000 wird ohne Zweifel als Rekordjahr in die Geschichte des Tourismus eingehen. Die Zahl der Gästeankünfte stieg gegenüber dem Vorjahr um 6 Prozent auf 108 Millionen. Dieselbe Steigerungsrate verzeichnete die Zahl der Übernachtungen, die auf 326 Millionen gestiegen ist. Besonders erfreulich ist der Zuwachs der Zahl an Gästen Volker Beck ({0}) aus dem Ausland, der bei fast 11 Prozent lag. Das ist ein positives Signal, das zeigt, dass die Menschen an der Entwicklung in Deutschland interessiert sind. Dass es auch großes Interesse an der Entwicklung in den neuen Bundesländern gibt, beweisen die Gästezahlen in den neuen Bundesländern, die noch höhere Zuwächse aufweisen. Ganz besonders erfreulich ist, dass sich in den neuen Bundesländern jetzt „Perlen“ herausschälen, die weit über Deutschland hinaus großes Interesse auslösen. Von diesen guten Ergebnissen profitieren nicht nur die Hotels und die Gastronomie, sondern auch die umliegenden Wirtschaftsbereiche, zum Beispiel Reiseveranstalter, Reisebüros oder Busunternehmen. Auf diese Weise haben wir im Jahr 2000 beim Umsatz des Gastgewerbes die Trendwende erreicht: Die Zahlen, die lange rückläufig waren, sind inzwischen wieder positiv. ({1}) Das ist ein positives Ergebnis. Auch die Beschäftigtenzahlen steigen an. Das ist ebenfalls ein wichtiges Zeichen; denn es handelt sich - das wissen wir alle - um eine sehr arbeits- und beschäftigungsintensive Branche. Die Situation hat sich insgesamt also sehr positiv entwickelt. Die Maßnahmen, die die Bundesregierung ergriffen hat, haben hierzu beigetragen. Dazu gehören die steuerpolitischen Maßnahmen, aber auch eine ganze Reihe von weiteren Maßnahmen, mit denen wir Rahmensetzungen vorgenommen haben, etwa bei der Haushaltssanierung. Dazu gehört ganz ohne Zweifel auch die kontinuierliche Aufstockung der Beträge für die Deutsche Zentrale für Tourismus, eine unserer wichtigsten Marketinginstitutionen, die einen guten Job macht; das muss man auch einmal sagen. ({2}) Die Deutsche Zentrale für Tourismus hat sich sehr gut entwickelt. Ihre Arbeit findet große Anerkennung. Wir sind froh, dass wir mit dieser Agentur zusammen für Deutschland werben können. ({3}) - Wir wollen diesen Streit nicht wieder aufnehmen, Herr Brähmig. ({4}) Sie wollten eine Reduzierung der Mittel auf 20 Millionen DM. ({5}) Wir haben den Betrag wieder auf 42 Millionen DM angehoben. Wenn der Haushalt konsolidiert ist, haben wir mehr Spielraum. Sie selbst hatten vor, den Betrag auf 20 Millionen DM zu reduzieren, und wir haben ihn auf 42 Millionen DM aufgestockt. ({6}) - Das stimmt, Herr Hinsken. Das können Sie in der mittelfristigen Finanzplanung nachlesen. Jedenfalls sind wir zufrieden damit, dass wir die Mittel aufgestockt haben. ({7}) Das ist ein wichtiges Zwischenergebnis. Je mehr wir konsolidieren, desto mehr Spielräume gewinnen wir, um auf diesem Sektor weitere Anstrengungen vornehmen zu können. Der Tourismus ist eine der wichtigsten Zukunftsbranchen. Deshalb haben wir aus dem ERP-Programm für Existenzgründungen im Tourismusgewerbe zinsgünstige Darlehen in Höhe von 550 Millionen DM zur Verfügung gestellt. Auch das ist ein wichtiger Punkt; das geht manchmal ein bisschen unter. ({8}) Wir haben zudem 250 Millionen DM nicht rückzahlbare Zuschüsse für touristische Infrastruktur und Tourismusgewerbe aus der Regionalförderung der Gemeinschaftsaufgabe bereitgestellt. Das sind konkrete Maßnahmen, die geholfen haben. Wir haben aber auch bei der Entbürokratisierung geholfen. So haben wir zum Beispiel die Euro-Auszeichnung in Reisekatalogen bereits ab dem 1. August 2001 gestattet. Außerdem haben wir im Hinblick auf die Preisauszeichnung in Hotels Vereinfachungen vorgenommen. Das Jahr des Tourismus, das wir 2001 begehen, ist eine nachhaltige Initiative für den Tourismus am Standort Deutschland. Wir haben auf diesem Gebiet wichtige Partner, die deutlich machen, dass es sich lohnt, in Deutschland Urlaub zu machen, und zwar nicht nur für die Deutschen, sondern auch für viele, die aus dem Ausland zu uns kommen. Wir brauchen das dringend. Wir haben das Jahr des Tourismus auch inhaltlich durchstrukturiert, mit den Verdi-Festspielen in Berlin beginnend, mit den Wintersportereignissen im Schwarzwald und mit vielen anderen Aktionen: Gesundheitsurlaub, Wandern, Rad fahren, Brauchtum und kulturelle Veranstaltungen. Das Jahr des Tourismus ist für uns alle - ich glaube, das kann ich parteiübergreifend sagen - eine wichtige Initiative für den Tourismus in Deutschland, vor allem für die Beschäftigten in diesem Sektor. ({9}) - Wir haben schon viel investiert, lieber Ernst Hinsken; das wissen Sie auch. Wir haben auch Partner gewonnen, die uns ein bisschen helfen, etwa die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten, die Bundesbahn, die Lufthansa und viele andere, die sich engagieren. Das ist erfreulich; denn das Jahr des Tourismus lebt von den Initiativen vor Ort, davon, dass viele mitmachen, dass viele selber Ideen entwickeln und sich einbringen. Ein letzter Punkt. Im nächsten Jahr, dem von der UNO verkündeten Jahr des Ökotourismus, werden wir besondere Initiativen auf einem Gebiet ergreifen, auf dem bereits jetzt gute Voraussetzungen bestehen. Als Beispiele zu nennen sind der Fahrradtourismus, Urlaub auf dem Land sowie der Campingtourismus. Bezüglich der Schaffung einer Umweltdachmarke befinden wir uns in letzten Abstimmungen. Auch das ist ein wichtiges Signal. Ich glaube, dass die Menschen gerade im Urlaub nicht nur auf Nachhaltigkeit, sondern auch auf Qualität Wert legen. Diese Qualität finden sie am Tourismusstandort Deutschland. Ich finde, darauf können wir stolz sein. Vielen Dank. ({10})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Anita Schäfer.

Anita Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003216, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Dass der Tourismuspolitische Bericht der Bundesregierung statt innovativer Lösungsansätze für die deutsche Tourismuswirtschaft nur Statistiken enthält, haben wir bereits in der entsprechenden Debatte im März letzten Jahres feststellen müssen. Aussagen zu den wirklich kritischen Fragen der Branche blieben unbeantwortet. ({0}) In der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Tourismus erlagen die Vertreterinnen und Vertreter der SPD und der Grünen der irrigen Meinung, dass es gelungen sei, die Kaufkraft der Bevölkerung zu steigern und durch Maßnahmen zur Entlastung der Betriebe ein ausgezeichnetes Konjunkturklima für den Tourismus zu schaffen. Also, entweder haben die Regierungskoalitionäre die falschen Berater oder sie lebten in den letzten Jahren nicht in Deutschland, sondern in einem unserer vom Tourismus verwöhnten Nachbarländer, dort, wo der Tourismuswirtschaft vonseiten der Politik bessere Rahmenbedingungen zur Verfügung gestellt werden. ({1}) Unter diesen Bedingungen lehnt die CDU/CSU-Fraktion die vorliegende Beschlussempfehlung ab. ({2}) Die gesamtwirtschaftliche Bedeutung der Tourismuswirtschaft als eine der wichtigsten Wachstumsbranchen darf aber nicht unterschätzt werden. Deutschland hat einen großen Schatz von in Jahrhunderten gewachsenen Kulturgütern, auf die wir stolz sein können und um die uns viele Länder beneiden. Nur, die rot-grüne Reglementierungswut darf den Vorfrühling im deutschen Tourismus nicht im Keime ersticken. Allein in Deutschland bietet die Branche schon heute 2,8 Millionen Arbeitsplätze und über 90 000 Ausbildungsplätze, welche an den Standort Deutschland gebunden sind. Bedenken Sie dabei doch einmal, was alles durch Ihre so genannte Finanz- und Sozialpolitik gefährdet wird: Die Tourismuswirtschaft macht einen Jahresumsatz von sage und schreibe 275 Milliarden DM, was 8 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt entspricht - und das trotz der Politik dieser Bundesregierung. Noch keineswegs ausgeschöpft ist das Potenzial für Arbeitsplätze und Einkommen in den Bereichen Urlaub, Freizeit und Reisen in Deutschland. Doch leider überträgt sich die positive Entwicklung der Gäste- und Übernachtungszahlen in Deutschland nicht auf den Arbeitsmarkt. Das Gegenteil ist der Fall: Die Zahl der Beschäftigten im Gastgewerbe als dem wichtigsten Leistungsträger der deutschen Tourismuswirtschaft ist von Januar bis Oktober 2000 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 2,7 Prozent zurückgegangen. ({3}) Das ist nichts anderes als die Fortsetzung des negativen Trends des Jahres 1999, in welchem der Beschäftigungsrückgang im Gastgewerbe 6,4 Prozent betrug. Die verheerenden Folgen des Jobkillers 630-Mark-Gesetz sind bei weitem noch nicht kompensiert. ({4}) Das Gastgewerbe in unserem Lande leidet seit In-KraftTreten des Gesetzes am 1. April 1999 immer noch massiv unter dem Verlust von weit mehr als 100 000 Arbeitsplätzen. Der entstandene Schaden kann durch die wenigen neu geschaffenen Vollzeitarbeitsverhältnisse nicht ausgeglichen werden. Laut Statistischem Bundesamt sank der Umsatz im Gastgewerbe im Jahre 1999 um 1,4 Prozent, während er von Januar bis Oktober 2000 lediglich um 1,1 Prozent stieg. Im Gaststättenbereich zeichnet sich eine katastrophale Entwicklung ab. Hier ging der Umsatz allein von Januar bis Oktober 2000 um 1,8 Prozent zurück. Der Arbeitskräftemangel durch die Neuregelung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse lässt grüßen. Für die bevorstehende Sommersaison ziehen dicke Gewitterwolken auf. Tourismuspolitik in Deutschland ist Mittelstandspolitik. Wenn man wie ich aus einem ländlich geprägten Landkreis kommt, dann sorgt man sich besonders um die kleinen Zimmeranbieter von nebenan. ({5}) Auch die dürfen in ihrer Masse nicht unterschätzt werden. Vor allem größere Unternehmen profitieren zurzeit von Zuwächsen bei der Übernachtung im hochpreisigen Segment, während kleine und mittlere Unternehmen Einbußen hinnehmen müssen. Leider sind hier genauere Analysen nicht möglich, da Übernachtungen in Betrieben mit weniger als neun Gästebetten in Deutschland statistisch nicht erfasst werden. Wirtschaftlichkeit bedeutet aber auch Bettenauslastung. Hier zeichnet sich in unserem Lande ein gnadenloser Wettbewerbskampf ab. Steigende Zimmerauslastungen sind vorwiegend bei internationalen Hotelgesellschaften zu verzeichnen, die gegenwärtig mit massiven Investitionen in Deutschland ihre Kapazitäten ausweiten. Das ist im Grunde auch sehr lobenswert. Nur, für viele kleine und mittlere Unternehmen ist nicht der Umsatz, sondern der Gewinn lebensnotwendig. Gerade die Gewinne dieser Unternehmen sind aber rückläufig. ({6}) Ich hätte an dieser Stelle gern Wirtschaftsminister Müller begrüßt - nichts gegen Sie, Herr Mosdorf, Sie wissen, dass ich Sie sehr schätze -; denn ich möchte Herrn Minister Müller zitieren. ({7}) - Ich habe es gehört. Ich zitiere: Die im europäischen Vergleich hohe Belastung des deutschen Hotel- und Gaststättengewerbes durch die Mehrwertsteuer von 16 Prozent muss reduziert werden. Gerade weil für die Tourismuswirtschaft in Deutschland die europäische Dimension immer wichtiger wird, sind die gewaltigen Unterschiede bei den Mehrwertsteuersätzen in den Mitgliedsländern, die zwischen 3 und 25 Prozent schwanken, ein besonders großes Hindernis. Wer für mehr Urlaub in unserem Land eintritt, muss diesen handfesten Wettbewerbsnachteil zu beseitigen versuchen. Richtig, Herr Minister Müller. Diese Worte sprechen für sich. Aber unser Antrag zur Harmonisierung der gastgewerblichen Mehrwertsteuer wurde von Ihrer Koalition abgelehnt. Deutschlands Hotellerie hat unter den Gemeinschaftsländern an belastenden Preisfaktoren wahrlich genug: die höchsten Lohnkosten, die höchsten Lohnnebenkosten, hohe Wareneinsatzkosten, neuerdings sogar eine Ökosteuer und keinen Vorsteuerabzug mehr bei Beherbergung und Verpflegung. Gleichzeitig hat Deutschlands Hotellerie die geringste Rendite und als Folge davon eine viel zu niedrige Kapitalausstattung. Bei dieser Konstellation ist der reguläre deutsche Mehrwertsteuersatz der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. ({8}) Zwölf von 15 Ländern der Europäischen Union wenden auf Beherbergung bereits den ermäßigten Mehrwertsteuersatz an. Mit dem geltenden Satz von 16 Prozent hat Deutschland den dritthöchsten Mehrwertsteuersatz auf Hotelleistungen in der gesamten Europäischen Union. Nun noch etwas Wirtschaftspolitik: Um die wirtschaftlichen Folgen von Ökosteuer, Änderung der Reisekostenpauschale, Wettbewerbsverzerrungen durch unterschiedliche Mehrwertsteuersätze in der EU, Reform der 630-Mark-Beschäftigungsverhältnisse und Streichung des Vorsteuerabzugs für geschäftlich bedingte Übernachtungs- und Verpflegungsaufwendungen aufzufangen, müssen in der Hotellerie und Gastronomie Stellen abgebaut werden; so geschehen in der jüngsten Vergangenheit. Das ist ein Teufelskreis, denn weniger Mitarbeiter bedeuten weniger Service, weniger Qualität und auch weniger Umsatz. Weniger Umsatz und Mitarbeiter aber bedeuten auch geringere Staatseinnahmen und höhere Staatsausgaben. Das Ansehen der Beschäftigten in dieser Dienstleistungsbranche muss dringend verbessert werden, damit junge Menschen vermehrt die Berufe in dieser Branche erlernen und damit deutsche Arbeitnehmer in dieser Branche arbeiten wollen. Ein Positionspapier der Kanzlerberater Professor Streeck und Heinze zeigt auf, dass die Ermäßigung der Mehrwertsteuer sehr wohl beschäftigungspolitische Auswirkungen hat: Erwerbsquote und Arbeitslosenquote stehen in einem unmittelbaren Zusammenhang. Dort, wo die Erwerbsquote noch ist, ist die Arbeitslosenquote niedrig, und umgekehrt. Will Deutschland seine Arbeitslosenquote senken, muss es seine Erwerbsquote erhöhen. ... Der deutsche Beschäftigungszuwachs im Dienstleistungssektor bleibt ... weit hinter anderen Ländern zurück. Vergleicht man die Zahl der Beschäftigten pro 1 000 Einwohner, so ergibt sich für Deutschland gegenüber den USA ein Beschäftigungsdefizit von 1,9 Millionen Arbeitsplätzen allein bei den freizeitbezogenen Dienstleistungen ({9}).

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Frau Kollegin, denken bitte auch Sie an die Redezeit.

Anita Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003216, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Es gibt so viel zu sagen. Sie sehen, wie wichtig das ist. Arbeiten wir daran, dass alles besser wird! Ich hoffe, Frau Roth wird auf unsere Forderung eingehen, das 630Mark-Gesetz zurückzunehmen. Danke schön. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Sylvia Voß.

Sylvia Voß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003252, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

„Stets anderer Meinung zu sein ist das Gegenteil davon, eine eigene Meinung zu haben.“ Dies trifft leider auf die Opposition auf der rechten Seite in diesem Hause immer wieder zu. Sie reden heute ganz anders als früher und behaupten oft sogar das Gegenteil von dem, was Sie in Ihrer Regierungszeit geäußert haben. Nehmen wir doch nur einmal einen Satz: Nach Auffassung der Bundesregierung sollen geringfügige Beschäftigungsverhältnisse die Ausnahme vom Regelfall des sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses sein. Wo bleibt Ihr Beifall? Wissen Sie, woher ich dies habe? - Es steht in der Drucksache 12/8489. Sie ist vom 19. September 1994. Wer war denn zum damaligen Zeitpunkt in Deutschland an der Regierung? ({0}) Was kümmert die Opposition ihr Geschwätz von gestern, wenn man heute mit dem Gegenteil der früheren Aussagen so schön populistisch herumpoltern kann? Sie fordern doch bei jeder passenden und vor allen Dingen bei jeder unpassenden Gelegenheit, das Gesetz zur Neuregelung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse zurückzunehmen. Das aber hätte - das wissen Sie - die Aushöhlung der Finanzgrundlagen der Sozialversicherung zur Folge. Neue Arbeitsverhältnisse für fachkundiges Personal würden Sie auf diesem Wege nie erreichen. ({1}) Wo aber sehen Sie denn einen Weg zu einer guten Qualität und zu einer besseren Bezahlung in der Hotellerie und Gastronomie? Ihre platten Forderungen und Ihr konfuses Agieren sind wenig hilfreich. In Frankreich, Spanien und Italien gibt es übrigens keine Sozialversicherungsfreiheit. Unser Gesetz ist also zugleich als eine Maßnahme gegen Wettbewerbsverzerrungen im europäischen Bereich zu verstehen. Dies sollte auch Ihnen am Herzen liegen. ({2}) Wenn rot-grüne Tourismuspolitiker sagen, es gehe unserer Tourismuswirtschaft gut - das können wir anhand von Zahlen belegen -, dann ist es klar, dass die schwarzgelbe Opposition anderer Meinung sein muss. Wir dürfen keine Anerkennung erhalten, auch wenn Sie dafür die Wirklichkeit verbiegen müssen. Wer dabei jedoch übertreibt, der muss es sich zu Recht gefallen lassen, dass sich sogar die Fachpresse besorgt fragt - ich zitiere noch einmal -, ob die Christdemokraten die Navigationsdaten falsch gelesen und im Nebel von Studien und Statistiken die Orientierung verloren haben. ({3}) - Den können Sie gerne bekommen. So ist das eben, wenn man den Tourismusstandort Deutschland partout schlecht reden will. ({4}) - Natürlich. Das tun Sie doch ständig. Als wir vor etwas mehr als einem Jahr zum ersten Mal zusammentrafen, um über den Tourismuspolitischen Bericht der Bundesregierung zu debattieren, machten Sie uns, Herr Brähmig, den Vorwurf, die Bundesregierung trage zu wenig zur Gesundung der Tourismuswirtschaft bei. ({5}) Dazu kann man nur sagen, dass der Patient zu diesem Zeitpunkt gar nicht mehr so krank war, und zwar dank unseres politischen Einsatzes. ({6}) Wir haben uns nämlich darangemacht, die Versäumnisse und Fehlentwicklungen der Tourismuspolitik der christlich-liberalen Koalition auszuräumen und abzuwenden. ({7}) Wir haben als eine unserer allerersten Handlungen die Mittel für die Deutsche Zentrale für Tourismus aufgestockt, die Sie - erinnern Sie sich bitte daran - massiv kürzen wollten. Auch das ist so ein Geschwätz von gestern. ({8}) - Herr Brähmig, es hilft überhaupt nichts, wie ein Huhn zu gackern, das ewig kakelt und mirakelt. ({9}) - Wissen Sie, Herr Hinsken, das habe ich mir selbst aufgeschrieben. Aber das bekommen Sie gar nicht hin. Sie kakeln und mirakeln ständig, dass wir die Mittel für die DZT noch stärker anheben sollten. Das würden wir gerne tun. Aber Sie haben uns doch diesen maroden Scherbenhaufen von Haushalt hinterlassen. Es kommt hier nicht darauf an, wer am lautesten gackert, was Sie so gerne tun, sondern wer tatsächlich die Eier legt. ({10}) Sie haben in Bezug auf die DZT absolut gar nichts zustande bekommen. Zurück zu den Statistiken, durch die die CDU/CSU ihre Orientierung total verloren hat: Im zurückliegenden Jahr verzeichnete die Tourismuswirtschaft 6,5 Prozent mehr Gäste und 5,9 Prozent mehr Übernachtungen. Von den ausländischen Gästen übernachteten sogar 10,9 Prozent mehr in unserem schönen Heimatland. ({11}) - Wissen Sie, wir führen gerade eine andere Debatte. Das Wort „stolz“ kam heute schon ziemlich häufig vor. - Die Gästezahlen in den neuen Ländern stiegen sogar um 8,5 Prozent; bei den Übernachtungen war ein Plus von 10,1 Prozent festzustellen. Die Opposition aber spricht, wider alle Orientierung, von Stagnation. Man kann nur sagen: Absurder geht das kaum, Kopfrechnen sechs. Für dieses Jahr des Tourismus werden 341,3 Millionen Übernachtungen in Deutschland und damit ein Anstieg um 5,3 Prozent erwartet. Also, meine Damen und Herren von der rechten Seite: Unsere Tourismuswirtschaft steht nicht mit einem blassen Gesicht, sondern mit roten Pausbacken da. ({12}) Aus diesem Grund teilt die rot-grüne Koalition die Befürchtungen der Opposition nicht. Das bedeutet aber nicht, dass wir uns einfach zufrieden zurücklehnen. Im GegenSylvia Voß teil: Mit unserem Tourismusförderungsprogramm verbessern wir die Rahmenbedingungen für den deutschen Tourismus, speziell auch unter dem Aspekt des Umweltund Naturschutzes, wo Sie so lange geschlafen haben. ({13}) Abschließend möchte ich noch anmerken: Unter den Reiseveranstaltern in Deutschland ist Zufriedenheit schon jetzt eine der meistbemühten Vokabeln. Ihr Ungläubigen von der rechten Seite des Hauses hört das nicht gern; aber das ist so. Man kann nur sagen: Macht doch einfach mit! ({14}) Helft uns, für den Tourismus in diesem Landes etwas Gutes zu tun, anstatt mit Postkarten Schiffe versenken zu spielen und mit falschen SOS-Rufen die Wirtschaft dieses Landes schlecht zu reden! Danke schön. ({15})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Ernst Burgbacher. ({0})

Ernst Burgbacher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003063, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Selbstverständlich freuen wir uns alle über die positiven Zahlen im Deutschlandtourismus. Wir freuen uns, dass die vielen Menschen in den Bereichen Hotels, Gaststätten, Reisebüros und vielen touristischen Einrichtungen durch ihren Fleiß und ihre Kreativität die entsprechenden Ergebnisse erreicht haben. Diese Leistung ist zuallererst deren Verdienst und nicht das Verdienst der Politik. ({0}) Ich sage Ihnen: Die Entwicklung gibt Anlass zur Freude, aber keinen Anlass zur Euphorie; sie bietet vielmehr Anlass, die Zahlen etwas differenzierter zu betrachten. In diesem Zusammenhang müssen wir leider feststellen: Wir haben zwar im Hotelbereich insgesamt eine bessere Auslastung, aber in vielen Teilen des Hotelsektors - insbesondere in den kleinen Familienhotels - große Probleme. Diese lassen sich nicht mit allgemeinem Datenmaterial vom Tisch wischen. Wir haben im Gaststättenbereich eine ganz Besorgnis erregende Entwicklung. Der DEHOGA-Konjunkturbericht spricht von gesunkenen Erträgen bei 38,1 Prozent aller Gaststätten, während nur bei 30,3 Prozent der Gaststätten gestiegene Erträge zu verzeichnen sind. Man muss diese Probleme sehen. Des Weiteren haben wir bei den Reisebüros und den Reisebusunternehmen teilweise eine äußerst kritische Entwicklung zu verzeichnen. Wir müssen diese Tatsachen zunächst einmal sehen und dürfen sie nicht mit pauschalen Daten unter den Tisch kehren. ({1}) Die F.D.P. sieht in der Tourismuspolitik drei vorrangige Handlungsfelder: Erstens. Die Politik muss die Rahmenbedingungen so setzen, dass private Unternehmen Gewinne machen und investieren können und dass touristische Unternehmen im immer schärfer werdenden europäischen und weltweiten Wettbewerb bestehen können. Zweitens. Der Deutschlandtourismus ist nicht im Billigpreissegment, sondern eher durch ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis wettbewerbsfähig. Deshalb brauchen wir eine Qualitätsoffensive in Angebot und Leistung. ({2}) Drittens. Der Deutschlandtourismus braucht Strukturreformen unter der Devise: Mehr privat und weniger Staat. ({3}) Lassen Sie mich zum ersten Punkt - richtige Rahmenbedingungen setzen - Ausführungen machen: Die Zahlen im Deutschlandtourismus sind gut, könnten aber noch viel besser sein, wenn die Bundesregierung nicht ständig neue Hindernisse für die Tourismuswirtschaft aufbauen würde. Die Forderungen der F.D.P. in diesem Zusammenhang sind klar: Weg mit der Ökosteuer, weg mit den neuen Regelungen zur Scheinselbstständigkeit und Beseitigung der Strangulierung des Arbeitsmarktes durch das Teilzeitgesetz und flächendeckende Gewerkschaftsmacht. Wichtig sind vielmehr eine Flexibilisierung der Arbeitsmärkte und die Verlagerung der Verantwortung in die Betriebe. Das ist angesagt. ({4}) Weiterhin müssen wir Bürokratie abbauen. Wir müssen auch bedenken - ich sage Ihnen das schon seit zwei Jahren -: ({5}) Wir stehen ein Dreivierteljahr vor der Einführung des Euro. Natürlich wird die Tatsache, dass die Menschen in Europa mit Euro bezahlen, den Wettbewerb wesentlich verändern und ihn auch verschärfen. Deshalb sagen Sie endlich Ja zur Einführung eines reduzierten Mehrwertsteuersatzes in der Hotellerie. Wenn Sie das nicht machen, dann sind Sie dafür verantwortlich, wenn hier Arbeitsplätze in großer Zahl wegfallen. ({6}) Der Deutschlandtourismus ist weitgehend von einer mittelständischen Struktur geprägt. Wir müssen alles tun, um diese Struktur zu erhalten. Der Mittelstand garantiert - das ist die Wahrheit - Arbeits- und Ausbildungsplätze. Er sorgt in hohem Maße für die Attraktivität des Deutschlandtourismus und für das positive Image des Urlaubslandes Deutschland. Deshalb kann es nicht sein, dass die Regierung hier eine Politik für die Großindustrie und dezidiert gegen den Mittelstand macht. ({7}) - Herr Kubatschka, hören Sie lieber zu, als ständig dazwischenzubellen! Lassen Sie mich auf den zweiten Punkt zu sprechen kommen, die Verbesserung der Qualität. Ein qualitativ hohes Angebot erreichen wir dann, wenn Unternehmen Geld verdienen und dieses Geld investieren. ({8}) Wir müssen auch viel mehr in die Dienstleistungsmentalität und die Servicebereitschaft investieren. Lächeln muss sich in diesem Land wieder lohnen! Deshalb fordern wir seit vielen Jahren deutliche Steuersenkungen. Unser Steuerreformkonzept liegt auf dem Tisch: 15, 25 und 35 Prozent. Sie müssen dem nur endlich zustimmen. Wir brauchen Qualitätsinitiativen, die von Staat und Wirtschaft gemeinsam getragen werden. Ich möchte hier auf wirklich richtungsweisende Modelle in Baden-Württemberg aufmerksam machen. Die Abschaffung der unsinnigen Trinkgeldbesteuerung sollte endlich gelingen. ({9}) Ich möchte aus dem „vorwärts“ zitieren - es ist schön, wenn man das einmal kann -, in dem Bundeswirtschaftsminister Müller erklärt hat: Man könnte die Trinkgeldsteuer abschaffen. Ich habe das Thema schon mehrmals mit dem Finanzminister besprochen - bisher ohne Ergebnis. Aber das heißt nicht, dass man es nicht weiter besprechen sollte. Lieber Herr Mosdorf, sagen Sie Ihrem Chef doch bitte, dass er sich nicht nur besprechen, sondern endlich auch handeln sollte. Stimmen Sie unserem Gesetz endlich zu! ({10}) Herr Mosdorf und andere Kollegen haben auf die bessere Mittelausstattung der DZT hingewiesen. Ich halte es nach wie vor für schändlich, dass Herr Müller das Jahr des Tourismus ausruft, aber keinen einzigen Pfennig für diese Aktion zur Verfügung stellt. ({11}) Herr Mosdorf, die bessere Mittelausstattung der DZT ist ja nur eine Seite der Medaille. Die andere Seite der Medaille ist, dass Sie bei anderen Haushaltsposten mehr gestrichen haben. Seien Sie also ehrlich: Ihnen stehen nicht mehr, sondern weniger Mittel zur Verfügung. Man kann nicht das Jahr des Tourismus ausrufen und gleichzeitig nichts für die Förderung des Tourismus in Deutschland tun. Das ist zu wenig. Wir haben eine Riesenchance, die wir nutzen sollten. ({12}) Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Das Jahr des Tourismus hätte die große Chance geboten, etwas zu tun, sinnvoll zu handeln und die unsinnigen Dinge, die Sie vorher getan haben, zurückzunehmen. Das Jahr des Tourismus steht unter dem Motto: „Reiseland Deutschland - nix wie hin!“ Ich bitte die Bundesregierung, im Jahr des Tourismus sinnvolle Maßnahmen auf den Weg zu bringen. Herr Mosdorf, nix wie ran! ({13})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Rosel Neuhäuser.

Rosel Neuhäuser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002744, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In den vergangenen Diskussionen über den Tourismuspolitischen Bericht der Bundesregierung ist deutlich geworden, dass Tourismuspolitik nicht nur ein Ressort betrifft, sondern dass viele Bereiche daran arbeiten und mit in der Verantwortung stehen. Ich möchte hier keine Zahlen auflisten; denn es geht um Positionen, die man deutlich machen muss und die sich nicht unbedingt an Zahlen festmachen lassen. Es geht in der Tourismuspolitik nämlich um einen breiten Konsens und den politischen Willen, die Verantwortung von Politik, Wirtschaft und Tourismusbranche an gemeinsamen Zielen zu orientieren. Wir alle sind uns sicher dahin gehend einig, dass wir der Tourismuswirtschaft den Stellenwert geben sollten, der ihr zu Recht zusteht. Wenn wir in diesem Sinne die Tourismuswirtschaft leistungs- und wettbewerbsfähiger gestalten wollen, benötigen wir beim Bund, bei den Ländern, bei den Kommunen und natürlich auch in der Branche den politischen Willen für eine hohe Kooperationsbereitschaft. ({0}) Das heißt, es ist genau zu definieren, was das Besondere an meinem Produkt und an meiner Region ist und wo ich es wie mit wem am besten vermarkten kann. Wir alle wissen, dass Mittel und Ressourcen begrenzt sind. So ist es umso wichtiger, sich auf Schwerpunkte zu konzentrieren und regional übergreifende Marketingkonzepte zu entwickeln und auszubauen. Da gibt es bereits Ansätze. Wir brauchen nicht ein ständiges Mehr an Tourismus. Was wir brauchen, ist ein Mehr an Qualität, ein Mehr an Service und ein Mehr an Flexibilität beim Erfüllen von Gästewünschen. Ich denke, das ist ein ganz wichtiger Faktor: Dafür braucht die Branche qualifizierte Fachkräfte. Das ist übrigens nichts Neues. Jeder weiß aus eigener Erfahrung: Qualität, Quantität und Kontinuität sind und bleiben das A und O für den Tourismus und, wie ich denke, nicht nur für ihn allein. ({1}) Deshalb muss diese Branche auf feste Füße gestellt werden. Das geht aber - auch dieses Problem spreche ich heute nicht zum ersten Mal an - nicht auf der Basis von ABM oder SAM; ({2}) vielmehr sind Festanstellungen erforderlich. In diesem Zusammenhang sei aber auch gesagt: Freundlichkeit - darauf hat Herr Burgbacher eben hingewiesen - kann man nicht lernen; dennoch ist sie für das Gesamtbild eines Produktes nicht ganz unwesentlich. Wie oft hilft ein Lächeln über manche Klippen hinweg? Das ist nun einmal so. ({3}) Insofern bleiben aber noch viele Wünsche offen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt nach wie vor immer wieder Grund, die Absolutheit und Einseitigkeit der Darstellung des Tourismus als des Wirtschaftsfaktors schlechthin und der Jobmaschine schlechthin zu kritisieren. Ich frage Sie: Ist die Wirtschaft Partner des Tourismus oder ist der Tourismus Partner der Wirtschaft? Die Antwort fällt besonders schwer, wenn es um die Synergieeffekte geht. Denn am Tourismus partizipieren viele Wirtschafts- und Dienstleistungszweige und genau dieser positive Umstand erschwert die Darstellung der Tourismusbranche als des entscheidenden Wirtschaftsfaktors. Trotz der Schwerpunktsetzung auf die Wirtschaftlichkeit des Tourismus - Herr Mosdorf hat das ausführlich gemacht - dürfen wir seine soziale Seite nicht vergessen. Kinder, junge Menschen und junge Familien haben das gleiche Recht auf Erholung wie sozial Schwache und Menschen mit Behinderung. ({4}) Nach meinen Informationen gibt es zum Beispiel in Deutschland 700 000 Menschen, die im Rollstuhl sitzen, und circa 10 Millionen Menschen, die eine Gehbehinderung haben. Diese Menschen geben jährlich 3,1 Milliarden DM für Urlaub aus. Nicht dass Sie denken, sie bleiben zu Hause, in Deutschland! Nein, fast 90 Prozent dieser Menschen mit Behinderung verbringen ihren Urlaub im Ausland. Ich denke, dieser Aspekt wird in der Tourismuspolitik noch zu wenig beleuchtet. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfraktionen, wie ich Sie kenne, warten Sie schon seit Beginn meiner Rede auf Ausführungen zu Kinder- und Jugendreisen. Ich möchte Sie auch heute nicht enttäuschen. ({5}) Die vorgestellten Studien auf der ITB - und nicht nur die der PDS-Bundestagsfraktion - belegen, dass die Politik gegenüber der Branche gefordert ist. Es geht um die Anerkennung von Einrichtungen und um deren materielle und finanzielle Ausstattung. Diesem Problem sollten wir uns schnellstmöglich zuwenden. Vielen Dank. ({6})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Renate Gradistanac.

Renate Gradistanac (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003134, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Fazit des Tourismuspolitischen Berichts ist: Der Tourismus boomt. Unsere tourismuspolitische Sprecherin Bruni Irber würde sagen: Der Tourismus brummt. Das freut nicht nur unseren „Tourismuskanzler“ Gerhard Schröder, wie ihn der Bundesvorsitzende des DEHOGA, Herr Kaub, treffend bezeichnet hat, sondern auch alle Mitglieder der Tourismus-AG der SPD. ({0}) Die populistische Postkartenaktion der CDU/CSU mit der Überschrift „SOS - Stand Ort Stau im deutschen Tourismus“ - meine Kollegin hat es schon angesprochen -, die pathetisch die angeblich dramatische Situation des Deutschlandtourismus beschreibt, löste bei uns und bei Veranstaltern verwundertes Kopfschütteln aus. ({1}) - Herr Hinsken, gemach! Ich weiß, dass ich Sie häufig aufrege. Hier einige Stimmen: Astrid Clasen-Czaja von der TUI: Das kann ich überhaupt nicht nachvollziehen. Günther Degenhardt von Neckermann Reisen: Diese Ergebnisse können wir in unserer täglichen Arbeit nicht feststellen. Martin Katz, Geschäftsführer von Ameropa, spricht ebenfalls von nicht nachvollziehbaren Horrorszenarien. Er verzeichnet ein ordentliches Plus bei Umsatz und Teilnehmern und diagnostiziert eine positive Entwicklung im Deutschlandtourismus. ({2}) Udo Schröder von der ITS ist ebenso positiv gestimmt: Wir werden in diesem Jahr sicher ein Umsatz- und Gästeplus erzielen. 1999/2000 reisten 150 000 Gäste mit ITS in Deutschland. Das entspricht einer Steigerung von 14 Prozent. Sie merken, dass ich darüber lange sprechen kann. Claudia Gilles, Hauptgeschäftsführerin des DTV: Die Übernachtungszahlen zeigen, dass Deutschland gut gefragt ist. Auch Ursula Schörcher von der DZT sagt - damit schließe ich den Reigen der Zitate aus dem „ReisebüroBulletin“, Nr. 10; ich sage das, falls Sie, Herr Brähmig, wissen möchten, woraus ich zitiere -, dass Deutschland nicht aus der Mode gekommen ist. Hier die Fakten - der Staatssekretär hat schon einige genannt -: In Deutschland hat der Tourismus einen Anteil am Bruttoinlandsprodukt von rund 8 Prozent. Die Zahl der Arbeitsplätze im Tourismus beläuft sich auf 2,8 Millionen, die der Ausbildungsplätze auf 91 000. Die Übernachtungszahlen im Osten steigen überproportional an. Ich freue mich, dass die SPD-geführte Bundesregierung das Jahr 2001 zum „Jahr des Tourismus“ ausgerufen hat - ein Vorschlag aus der Mitte unseres Ausschusses, des Tourismusausschusses. ({3}) - Ich freue mich, dass Sie Ihren Humor wiedergefunden haben. - Damit kann das Bewusstsein wachsen, dass Deutschland mit seinen vielfältigen Tourismusregionen ein hervorragendes Tourismusland ist. ({4}) Die Sterne - übrigens nicht nur die kulinarischen - können poliert und herausgestellt werden. Die Qualitätsoffensive kommt zur richtigen Zeit. Ich verbinde mit dem „Jahr des Tourismus“ auch den Gedanken an eine Dienstleistungsgesellschaft. Dazu gehören selbstverständlich Arbeitsplätze, die existenzsichernde Einkommen ermöglichen. ({5}) Dazu gehören nicht die 630-Mark-Jobs, die vor unserem Amtsantritt in der Branche einen Anteil von über 40 Prozent hatten. Dazu gehören Ausbildungsplätze, die nicht die alarmierende Abbrecherquote von circa 40 Prozent nach sich ziehen und die es nicht mit sich bringen, dass nach Ausbildungsende 60 Prozent in andere Branchen abwandern. ({6}) Dazu passt ausgezeichnet - nicht Ihr Wunsch nach einer Zwischenfrage -, ({7}) dass die Tourismusbranche, die mittelstandsgeprägt ist, durch unsere Steuerreform um 25 Milliarden DM entlastet wurde, abgesehen von den gut zugeschnittenen Mittelstandsprogrammen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hinsken?

Renate Gradistanac (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003134, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Lieber nicht. ({0}) - Wir kennen uns aus der praktischen Arbeit. Daher: lieber nicht. ({1}) Ich wiederhole: Wir fördern - darauf sind wir stolz den Einsatz moderner Technologien mit 24 Kompetenzzentren. Ein weiteres, speziell für den Tourismus, wird in Worms entstehen. Wir begrüßen, dass mit Viabono eine intelligente und einheitliche Umweltdachmarke für den Deutschlandtourismus eingeführt wird. Damit wird eine von den Tourimuspolitikerinnen - Männer sind in diesem Fall mit gemeint - immer wieder erhobene Forderung in die Praxis umgesetzt. Das Konzept Viabono beruht auf dem Ziel, eine Dachmarke für alle touristischen Segmente zu schaffen. Es wirbt - ich zitiere - „für neue Wege für das Reisen, für mehr Qualität, mehr Natur, mehr Spaß, mehr Genuss“. Das alles kann frau auch in meiner Heimat, im Schwarzwald, zum Beispiel bei Ferien auf dem Bauernhof genießen. Wer von den Anbietern noch nicht fit ist, kann mit einem Modernisierungsprogramm nachhelfen. Das gilt auch für veraltete Privatzimmer. Unser umfangreiches Programm zur Stärkung des Tourismus in Deutschland ist auf gutem Weg, Viabono. Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär für Ihre Unterstützung. ({2})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Der Herr Kollege Hinsken möchte eine Kurzintervention machen. ({0}) Das ist sein Recht, wie es Ihr Recht ist, Zwischenfragen abzulehnen. ({1}) - Nein, das tun wir nicht.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Werte Frau Präsidentin! Ich möchte mich bedanken, dass Sie diese Kurzintervention zulassen, nachdem ja die Kollegin meine Zwischenfrage abgelehnt hat. Ich wollte nur einiges zurechtrücken, was sie falsch dargestellt hat. Es ist nicht von der Hand zu weisen - gerade die Hotellerie und die Gastronomie stellen das fest -, dass in diesem Bereich durch das 630-DM-Gesetz über 100 000 Arbeitsplätze verloren gegangen sind, während gerade im Hotel- und Gaststättengewerbe zum gegenwärtigen Zeitpunkt 80 000 Arbeitskräfte dringend benötigt, aber nirgendwo gefunden werden, weil die Bedingungen hierfür, gerade was Geringverdienermöglichkeiten anbelangt, so schlecht sind, und das wirkt sich negativ aus. Eine zweite Bemerkung. Ich nehme sehr wohl auf, was hier zum Jahr des Tourismus gesagt worden ist. Frau Kollegin Gradistanac, wenn Sie ehrlich gewesen wären, dann hätten Sie gesagt, dass der Vorschlag, dieses Jahr einzuführen, von der CDU/CSU-Fraktion kam und dass sich dann dankenswerterweise der Parlamentarische Staatssekretär Mosdorf besonders dahinter geklemmt hat, dass daraus etwas geworden ist. Bundeswirtschaftsminister Müller ist momentan landauf, landab unterwegs, um sich damit zu rühmen, das umgesetzt zu haben. Aber er vergisst immer, darauf zu verweisen, dass er nicht bereit ist, eine einzige Mark zur Verfügung zu stellen. Das passt nicht zusammen. ({0}) Eine dritte Bemerkung. Ich finde es richtig, wenn, was die Deutsche Zentrale für Tourismus betrifft, im kommenden Haushaltsjahr wieder eine Mittelaufstockung vorgenommen wird. Auch wir von der Opposition wollen die Regierung und die sie tragenden Parteien gerade in dieser Angelegenheit unterstützen. Aber ich darf schon darauf verweisen, dass bisher von den Rednern der Regierungsparteien, aber auch bei Ihnen, Herr Staatssekretär Mosdorf, die Gunst der Stunde nicht genutzt wurde, alles das vorzutragen, was momentan Hotellerie und Gastronomie auf den Nägeln brennt. Deshalb bin ich dankbar, dass Kollege Burgbacher und Kollegin Schäfer aus ihrer Sicht bereits darauf verwiesen haben. Ich will hier ausdrücklich sagen, dass das, was die Kollegin Neuhäuser hier ausgeführt hat, sehr sachbezogen war. Aber ich möchte schon betonen, vor allen Dingen an Sie, verehrte Frau Kollegin Gradistanac gerichtet, dass in Bezug auf die Mehrwertsteuer Bundeswirtschaftsminister Müller vor zwei Jahren bei der Eröffnung der ITB lautstark verkündet hat, sich für Wettbewerbsgleichheit innerhalb Europas einzusetzen. Angekündigt hat er es. Das hat er dann aber vergessen. Ein Rückschritt nach dem anderen. Nichts ist gemacht worden. Es ist ferner vor eineinhalb Jahren gesagt worden, die Bürokratie wird abgebaut. Was ist gemacht worden? Wieder Ankündigungen. Vor vier Wochen haben wir es von der neuen Mittelstandsbeauftragten erneut gehört, dass hier etwas gemacht wird. Getan wurde bisher nichts. So könnte diese Liste ergänzt werden. Frau Präsidentin, ich bedauere, dass Sie mir nicht mehr Redezeit einräumen können. Ich könnte noch viele Unterlassungssünden aufführen. Diese Bundesregierung redet zwar über den Tourismus, aber sie tut relativ wenig oder gar nichts für die Schaffung besserer Rahmenbedingungen. Danke. ({1})

Renate Gradistanac (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003134, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herzlichen Dank für Ihre Nachfragen, Herr Kollege Hinsken. ({0}) Damit habe ich die Möglichkeit, noch etwas ausführlicher auf manche Themen einzugehen. Ich glaube schon, dass Sie sich daran erinnern können, Herr Hinsken, dass während Ihrer Regierungszeit angedacht wurde, die DZT jährlich mit 27 Millionen DM zu unterstützen. ({1}) - Wenn Sie Siegmar Mosdorf und mir nicht glauben, dann müssen wir im Ausschuss die Zahlen noch einmal miteinander durchgehen. Es ist nämlich albern, jedes Mal dieses Spiel zu machen. ({2}) Wir haben die Mittel auf 42 Millionen DM aufgestockt. Sie haben mir mehrmals unter vier Augen gesagt: Immerhin ist es eine Aufstockung auf 42 Millionen DM. ({3}) Ich möchte Sie also bitten, diese Leistung zur Kenntnis zu nehmen. Ich komme zum Thema Entbürokratisierung. Das ist ein sehr spannendes Thema, vor allen Dingen angesichts der Frage, wer in der Vergangenheit diese Bürokratie aufgebaut hat. Ich habe Herrn Dr. Homann aus dem Wirtschaftsministerium gefragt - er ist ein sehr guter Ansprechpartner -, ob es Vorschläge gibt, wie wir die Zusammenarbeit in der Praxis - es wurden beispielsweise die IHK und sonstige Verbände angesprochen - vereinfachen können. Leider sind entsprechende Vorschläge nur sehr zögerlich bzw. überhaupt nicht eingegangen. Ich würde mir wünschen, dass Vorschläge aus der Praxis kämen. Ich weiß aber, dass die Bürokratie zum Teil schon abgebaut wurde. Leider haben Sie auch das noch nicht zur Kenntnis genommen. ({4}) - Herr Hinsken, ich weiß, dass Sie immer sehr nervös sind. Im Ausschuss haben wir manchmal darunter zu leiden. Deswegen möchte ich Ihnen sagen: Zügeln Sie sich! Jetzt komme ich zu der Ankündigung unseres wunderbaren Wirtschaftsministers Müller. ({5}) Er hatte zwar auf der ITB davon gesprochen - darauf haben Sie sich bezogen -, den Mehrwertsteuersatz zu halbieren. Er hat aber kurz darauf auf unserem Tourismustag gesagt, er habe in Zusammenarbeit mit anderen Mitgliedern der Bundesregierung die Priorität auf die Unternehmensteuerreform gesetzt. Ich weise in diesem Zusammenhang auf die Entlastung des Mittelstandes in Höhe von 25 Milliarden DM hin. ({6}) Herr Hinsken, ich hätte eigentlich erwartet, dass Sie meinen schwäbischen Humor verstehen. Ein bisschen Spaß hätte ich Ihnen zugetraut. Jetzt komme ich aber noch zu einem ernsten Thema, den 630-DM-Beschäftigungsverhältnissen. Ich habe vorhin davon gesprochen, dass der Anteil der 630-DMJobs in der Tourismusbranche bei 40 Prozent liegt.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Frau Kollegin, Sie dürfen nicht länger als drei Minuten antworten.

Renate Gradistanac (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003134, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Dies ist meine letzte Bemerkung. - Ich weiß also nicht, ob man angesichts dieser Jobs von Qualität sprechen kann. Sie wissen genau, dass wir sie nicht abgeschafft haben. Ich will Ihnen als Beispiel meine Tochter nennen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Frau Kollegin, Sie dürfen auch von Ihrer Tochter jetzt nicht mehr berichten. Ihre Redezeit ist zu Ende.

Renate Gradistanac (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003134, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Schade. - Vielen Dank.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich will noch einmal, an alle Kollegen gerichtet, sagen: Kurzinterventionen sind nicht dazu gedacht, dass man die Debatte weiterführt. Man sollte in der Regel auf einen Punkt Bezug nehmen, auf den dann geantwortet werden kann. Ich muss dafür sorgen, dass wir in der Debatte fortfahren. Wir sind nämlich schon sehr in Verzug. Ich bitte alle Kolleginnen und Kollegen um Verständnis. ({0}) Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Klaus Brähmig.

Klaus Brähmig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000240, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erlauben Sie mir drei Vorbemerkungen. Ich möchte von dieser Stelle aus unserer Kollegin Irber herzliche Genesungswünsche übermitteln ({0}) und hoffe, dass sie bald wieder bei uns ist und mit uns über Tourismuspolitik streiten kann. Meine zweite Vorbemerkung bezieht sich auf die angesprochene Kürzung der DZT-Mittel, Herr Staatssekretär Mosdorf. Man muss ehrlich sagen, wie diese zustande gekommen ist: 1994 hat Hemjö Klein, damals Chef der DZT, gesagt, wir brauchen keine Bundeszuweisungen und nehmen 50 Millionen DM aus der Portokasse. ({1}) Das war eine Überlegung, die zur Überbrückung eines kurzen Korridors diente. Die damalige CDU/CSU-F.D.P.Koalition hat aber gemeinsam mit Herrn Geisendörfer in der mittelfristigen Planung bis zum Jahre 2001 eine Summe von 38 Millionen DM festgehalten. Drittens möchte ich darauf eingehen, dass unser Wirtschaftsminister Müller bisher leider nur sehr selten im Tourismusausschuss gewesen ist. ({2}) Leider ist er auch hier bei tourismuspolitischen Debatten nicht anwesend. Ich wünschte mir natürlich schon, dass er sich auch einmal für die Tourismusbranche so einsetzte wie bei der heutigen Entlastungsrede für seinen Ministerkollegen Trittin. ({3}) Umso mehr darf ich mich bei Ihnen, Herr Mosdorf, und bei Herrn Krüger bedanken. Ich denke, Sie machen einen guten Job, und auf uns als Opposition können Sie auf alle Fälle zählen. ({4}) Meine Damen und Herren, der heute zu beratende Tourismuspolitische Bericht stammt aus dem Jahre 1999, der Entschließungsantrag stammt aus diesem Jahr. Ich möchte einige grundsätzliche Mängel dieses Berichtes aufzeigen, die in Zukunft behoben werden sollten: Erstens. Künftig muss der Tourismuspolitische Bericht der Bundesregierung jährlich vorgelegt werden, um zeitnah eine tourismuspolitische Bestandsaufnahme zu ermöglichen und der zunehmenden wirtschaftlichen Bedeutung dieser weltweiten Wachstumsbranche gerecht zu werden. ({5}) Der vorliegende Bericht stammt von Dezember 1999 und entbehrt damit jeder Aktualität. Zweitens. Der Tourismusbericht sollte deutlich mehr fundiertes Zahlenmaterial enthalten - auf 30 Seiten ist dies leider nicht zu machen -, um eine wirkliche Planungshilfe der Branche und den politisch Verantwortlichen auf den unterschiedlichen Ebenen an die Hand zu geben. Vor allem fehlen wichtige Kennzahlen zu den Themen Beschäftigungsentwicklung, Eigenkapitalausstattung, Gewinnsituation und Insolvenzen. ({6}) Ohne diese Zahlen zeichnet der Bericht nur ein oberflächliches Bild der Branche. Drittens. Zu einem solchen Tourismusbericht sollten natürlich auch mehr programmatische Aussagen der Bundesregierung zur Tourismuspolitik gehören. Der vorliegende Bericht beschränkt sich dagegen auf die grobe Formulierung allgemeiner Ziele. Wie diese Ziele durch langfristige Konzepte erreicht werden sollen, wird nicht deutlich. ({7}) Viertens. Tourismuspolitische Berichte sollten auch die wirklich kontrovers diskutierten Probleme der deutschen Tourismuswirtschaft aufgreifen und konkrete Aussagen und Zahlen über die Auswirkungen der Steuer-, Sozial- und Arbeitsmarktpolitik aufnehmen. Mit der wissentlichen Aussparung kontroverser Themen ignoRenate Gradistanac riert der vorliegende Bericht die tatsächliche Situation der Branche. Er enthält kein Wort zu den Belastungen der Branche durch die so genannte Ökosteuer, die Neuregelung der 630-DM-Jobs und die Abschaffung des Vorsteuerabzugs bei Geschäftsreisen und Geschäftsessen, um nur einige die Branche belastende Faktoren zu nennen. Zusammenfassend kann man also sagen, der vorliegende Tourismuspolitische Bericht der Bundesregierung ({8}) wird der Wichtigkeit der Tourismusbranche, die weltweit als Hoffnungsträger bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit gilt, nicht annähernd gerecht. Aber Gott sei Dank verfügt die deutsche Tourismusbranche mit der CDU/CSU-Fraktion und unseren Kollegen von der F.D.P.-Fraktion sowie unserem Ausschussvorsitzenden Ernst Hinsken über Fürsprecher und verantwortliche Politiker, ({9}) die die wahren Probleme der Branche sehen und durch ihre Anträge die rot-grüne Koalition zum Handeln zwingen. Bisher gingen fast alle tourismuspolitischen Impulse in dieser Legislaturperiode von der Opposition aus. ({10}) Einige Beispiele seien hier genannt: das schon angesprochene Jahr des Tourismus 2001, der Antrag zur Verbesserung der Situation des Schaustellergewerbes und ({11}) die Initiative, die schon 1999 von der CDU/CSU-Fraktion kam, zur Vermarktung der deutschen Nationalparke. ({12}) Wir haben außerdem für eine Sensibilisierung der Probleme, die die Tourismusbranche bei dem Thema Urheberrechte mit der GEMA hat, gesorgt. Es waren auch Vertreter der CDU/CSU-Fraktion, die durch lokale Projekte eine Qualitätsoffensive für den deutschen Tourismus initiiert haben. Das jetzt von der Bundesregierung großzügig geförderte Modellprojekt „Qualitätstourismus in Ostbayern“ ist insofern nur alter Wein in neuen Schläuchen. ({13}) Es war die CDU/CSU-Fraktion, die noch vor dem schleppenden Start der EXPO 2000 zusätzliche Marketingmittel in Höhe von 50 Millionen DM einforderte. Damals haben uns SPD und Grüne ausgelacht, aber dann drei Monate selber 70 Millionen DM für zusätzliches EXPOMarketing bereitgestellt. ({14}) Die Besucherzahlen stiegen danach deutlich an, doch die Maßnahmen kamen leider drei Monate zu spät. Es war auch die Opposition von CDU/CSU und F.D.P., die das Problem der Trinkgeldbesteuerung durch Anträge auf höhere Freibeträge ({15}) bzw. Abschaffung der Besteuerung thematisiert hat. Die rot-grüne Bundesregierung musste daraufhin wieder einmal in aller Öffentlichkeit eines ihrer Wahlversprechen einkassieren. Nun bin ich gespannt, wie wir dieses Thema in den nächsten Wochen im Ausschuss beraten werden. Es war die F.D.P., die kritisch hinterfragt hat, wie weit die Tourismusbranche auf die Einführung des Euros vorbereitet ist bzw. ob bei den Wettbewerbsbedingungen Chancengleichheit auf dem gemeinsamen europäischen Markt herrscht. ({16}) Womit hat die rot-grüne Bundesregierung die Tourismusbranche bisher beglückt? Mit einem Rekordergebnis für den Deutschlandtourismus? Wirklich, im Jahr 2000 verzeichnete das Beherbergungsgewerbe die Rekordsumme von 326 Millionen Übernachtungen bei 108 Millionen Gästeankünften. ({17}) Dieser Trend setzte sich nach Aussage des Statistischen Bundesamtes im Januar 2001 auch noch fort. Das Ergebnis sind 5 Prozent mehr Gästeübernachtungen gegenüber dem Vorjahresmonat. Wenn ich, Herr Staatssekretär Mosdorf, Ihrer Rede und Ihrer Pressemitteilung vom 15. Februar 2001 glauben darf, beansprucht die Bundesregierung dieses Ergebnis als ihren persönlichen Erfolg. Leider, sehr geehrter Herr Mosdorf, haben Sie es bei dieser Pressemitteilung - wahrscheinlich rein versehentlich - unterlassen, Statistiken über die Beschäftigungszahlen, die Kapazitätssituation und die Umsatzsituation der Tourismusbranche zu nennen. In Brandenburg beispielsweise stieg die Zahl der Insolvenzen im Bereich Hotellerie und Gastronomie im letzten Jahr um 23,6 Prozent gegenüber dem Jahr 1999. ({18}) Gleichzeitig sank im Jahr 2000 die Beschäftigtenzahl im deutschen Gastgewerbe um 2,7 Prozent. Diese Zahlen gehen dann anscheinend nicht auf Ihr Konto. Der von Ihnen postulierte Branchenboom bezieht sich also einseitig auf die Übernachtungszahlen im Beherbergungsgewerbe. Die gerade genannten Kennzahlen zur Umsatzentwicklung im Januar 2001 widerlegen auch Ihre Behauptung, die Steuerreform habe tatsächlich positive Effekte auf das Konsumverhalten der Bürger. Das RheinischWestfälische Institut für Wirtschaftsforschung hatte bereits im Herbst letzten Jahres darauf hingewiesen, dass die Entlastungseffekte der von Ihnen so hoch gepriesenen Steuerreform bei gleichbleibend hohen Spritpreisen und weiterer Erhöhung der Ökosteuer an der Zapfsäule verpuffen werden. Die von Ihnen hoch gelobte Erhöhung der Marketingmittel für die DZT um 2,4 Millionen DM auf 42 Millionen DM, Herr Kollege Mosdorf, erweist sich bei näherer Betrachtung als Mogelpackung. Der Haushaltstitel „Förderung der Leistungssteigerung im Fremdenverkehrsgewerbe“ wird um 3,4 Millionen DM gekürzt und nur 2,4 Millionen DM werden in den DZT-Titel umgeschichtet. Diese 2,4 Millionen DM stehen nicht für das operative Marketing zur Verfügung, da sie durch tarifliche Gehaltserhöhungen und Währungsanpassungen gegenüber dem US-Dollar aufgezehrt werden. Insofern wird diese Maßnahme keine direkte nachhaltige Stärkung des Tourismusstandortes Deutschland mit sich bringen. Wenn Sie den berechtigten Interessen der Tourismusbranche wirklich Gehör schenken wollen, kümmern Sie sich doch vor der Frühjahrs- und Sommersaison um eine Neuregelung Ihrer Neuregelung der 630-DM-Jobs. Der DEHOGA funkt SOS bei diesem Thema, wie Sie in der „AHGZ“ vom 10. März 2001 nachlesen können. ({19}) Angesichts dieser Regierungspolitik behaupte ich: Trotz rot-grüner Bundesregierung ({20}) gab es die höchste Zahl an Gästeübernachtungen und eine steigende Nachfrage aus dem Ausland. Nutzen Sie die letzten eineinhalb Jahre Ihrer Regierungszeit zu einem Kurswechsel, damit der Tourismusstandort Deutschland aus dem Stau zur freien Fahrt gelangt. ({21}) - Herr Kubatschka, hören Sie doch bitte einmal zu und schreien Sie nicht immer dazwischen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege Brähmig, Sie sind jetzt erheblich über die Zeit. Kommen Sie bitte zum Schluss.

Klaus Brähmig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000240, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Einen Satz möchte ich gerne noch sagen. - Die Branche und die vielen Arbeitslosen können nicht bis zu unserer Regierungsübernahme im Herbst 2002 warten. ({0}) Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({1})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Birgit Roth.

Birgit Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003214, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Der tourismuspolitische Bericht der Bundesregierung zeigt ganz eindeutig, welch ein enormer Wirtschaftsfaktor der Tourismus ist. Sein Anteil am Bruttosozialprodukt beträgt mittlerweile 8 Prozent, in ihm haben 2,8 bis 2,9 Millionen Beschäftigte eine Arbeitsstelle gefunden und die Branche stellt circa 91 000 Ausbildungsplätze zur Verfügung. Gerade als junge Abgeordnete ist mir ganz besonders wichtig, dass hier Verantwortung gezeigt wird. Wir haben in diesem Bereich Zuwachsraten. Im Vergleich zum Vorjahr haben Hotellerie und Gastronomie im Jahr 2000 13,7 Prozent mehr junge Menschen ausgebildet. Dafür möchte ich an dieser Stelle einfach einmal Danke schön sagen. ({0}) Die Gästezahlen sind gesteigert worden. Die Zahl der inländischen Gäste hat sich um 6 Prozent erhöht und die Zuwachsrate bei den Übernachtungen insgesamt beträgt ebenfalls circa 6 Prozent. Da der Incoming-Tourismus für uns ganz besonders wichtig ist, erwähne ich auch noch die ausländischen Gäste: Hier beträgt die Zuwachsrate sogar 9 bis 10 Prozent. ({1}) Der Städtetourismus boomt ebenso wie der Geschäftsreiseverkehr, wie unsere Kollegin Irber immer zu sagen pflegt. Aber auch in den neuen Bundesländern sieht es sehr gut aus. In Mecklenburg-Vorpommern beträgt die Steigerungsrate beispielsweise 15 bis 17 Prozent. All diese Fakten, die ich Ihnen eben ganz kurz aufgezählt habe, belegen, dass die Wettbewerbsbedingungen bei uns in Ordnung sind, vor allem aber die politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, die wir in den letzten zweieinhalb Jahren geschaffen haben. ({2}) Genau deswegen - Frau Kollegin Kastner hat es bereits erklärt - boomt die Branche. Die Branche hat gemerkt, dass sich in den letzten zweieinhalb Jahren durch unsere Reformpolitik, durch unsere aktive Wirtschafts- und Steuerpolitik etwas bewegt hat. Die Elemente unserer Politik sind vorhin schon erwähnt worden: Haushaltskonsolidierung, Abbau der Staatsverschuldung und vor allem die Entlastung der Bürgerinnen und Bürger durch die Steuerreform. ({3}) - Herr Hinsken, Sie wissen ganz genau, dass diese Steuerreform ein Entlastungsvolumen von 75 Milliarden DM hat. ({4}) Wir haben es geschafft, dass diese Steuerreform auf der einen Seite die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie die Familien, auf der anderen Seite aber auch die Unternehmen entlastet. ({5}) - Herr Burgbacher, wir gehen dabei davon aus, dass der Mittelstand um 20 bis 25 Milliarden DM entlastet wird. ({6}) Angesichts dessen trifft Ihr Vorwurf, die Steuerreform sei mittelstandsfeindlich, in keiner Weise zu.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Gestatten Sie ein Zwischenfrage des Kollegen Hinsken?

Birgit Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003214, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Es ist mir eine Freude.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Roth, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass allein durch die Einführung der Ökosteuer ({0}) ein 40-Betten-Betrieb jährlich mit mehr als 10 000 DM zusätzlich belastet ist ({1}) und dass die Steuerreform, die Sie so rühmen, überwiegend am Mittelstand vorbeigeht, dass sie das Großkapital unterstützt, während die kleineren und mittleren Betriebe unter ihr zu leiden haben? Sie sagten, in den neuen Bundesländern hätten wir einen Zuwachs, und nannten als Beispiel Mecklenburg-Vorpommern. ({2}) Deshalb frage ich Sie, worauf Sie es zurückführen, dass wir zum Beispiel in Sachsen-Anhalt fast überhaupt keinen Zuwachs haben.

Birgit Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003214, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Hinsken, bei der Ökosteuer werden wir einen permanenten Dissens haben; aber ich glaube, das macht nichts. Erstens zur Gleichstellung von Ökosteuer und Benzinpreiserhöhung: Darf ich Sie daran erinnern, dass in Ihrer Regierungszeit der Benzinpreis um insgesamt 53 Pfennige erhöht worden ist? Zweitens müssen Sie auch einmal erwähnen, was wir mit den Einnahmen aus der Ökosteuer machen. ({0}) Die Ökosteuer ist aufkommensneutral. Die Gelder werden gebraucht, um die Rente zu stabilisieren und die Beiträge zur Rentenversicherung um 0,5 Prozent abzusenken. Sie können nicht immer nur den einen Teil der Wahrheit erzählen, sondern müssen bitte auch sagen, wofür die Gelder verwendet werden. Durch die Ökosteuer wird der Faktor Arbeit billiger. ({1}) - Herr Hinsken, lesen Sie doch einmal die Unterlagen. Zum zweiten Teil Ihrer Frage: Sie können nicht einfach zwei der neuen Bundesländer miteinander vergleichen. Mecklenburg-Vorpommern hat ganz andere touristische Ressourcen und dementsprechend auch andere Umsätze. Sie behaupten, dass der Mittelstand gefährdet sei. Ich habe Ihnen eben zehn Beispiele für das Wachstum im Bereich Tourismus vorgelesen. Wie kann es denn dann sein, dass die Steuerreform nicht greift oder dass es der Branche angeblich schlecht geht? Ich finde Ihre Argumentation ganz einfach nicht stimmig. ({2}) - Ich denke, ich mache jetzt mal ein bisschen weiter. Dieses Wachstum ist auch auf eine aktive Wirtschaftsund Steuerpolitik zurückzuführen. ({3}) Frau Schäfer, ich glaube, Sie sagten, wir hätten die falschen Berater oder seien im letzten Jahr nicht in Deutschland gewesen. Frau Schäfer, mit Verlaub: Ich bin wirklich überzeugte Pfälzerin und sehr oft in der Pfalz. Ich glaube, ich brauche Ihnen nichts über Rheinland-Pfalz und darüber zu erzählen, wie die Wahlen ausgegangen sind. Auch das ist wieder ein Punkt, an dem Sie sehen, dass wir wirklich eine kompetente Wirtschafts- und Steuerpolitik machen und gute Berater haben. ({4}) Zum nächsten Punkt, dem so genannten Jobkiller 630-Mark-Jobs. Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, Sie wissen ganz genau, welcher Missbrauch mit den 630-Mark-Jobs getrieben worden ist. ({5}) Frau Schäfer, wenn gerade Sie als Frau so etwas anführen, dann müssen Sie bitte auch Folgendes bedenken. Schauen Sie sich doch einfach einmal die durchschnittliche Rente der Frauen in den alten Bundesländern an. Sie liegt nämlich bei ungefähr 1 000 DM. ({6}) Warum ist das so? Weil Frauen unter anderem die Kinder erziehen, weil Frauen auch auf der Basis der 630-MarkRegelung arbeiten. Ich glaube, das kann es einfach nicht sein. Was wir im Tourismus brauchen, ist eine Qualitätsoffensive - das haben Sie im Übrigen auch gesagt -, ({7}) also keine 630-Mark-Jobs. Wir treten dafür ein, sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze aufzubauen. ({8}) Sie haben von einer katastrophalen Entwicklung im Bereich des Umsatzes der Gastronomie gesprochen. Ich war früher selbstständig. Eine Verringerung um 1,8 Prozent ist wahrhaftig keine katastrophale Entwicklung, Frau Birgit Roth ({9}) Schäfer. Ich bitte Sie, auch einmal die andere Seite, das Beherbergungsgewerbe, aufzuzeigen. ({10}) Sie brauchen sich nur die Saisonumfrage Tourismus des DIHT für die Jahre 2000/2001 anzusehen. Danach sagen zum Beispiel 80 Prozent der Befragten, dass sie mit den Umsätzen zufrieden sind bzw. dass sie diese als gut empfinden. Übrigens haben auch 80 Prozent der Befragten positive Erwartungen in Bezug auf das kommende Jahr. Sie wissen ganz genau, wie wichtig es für eine Branche ist, positive Erwartungen zu haben. Ich finde es schade, dass Sie hier versuchen, die Branche schlecht zu reden. ({11}) Wir haben Sie gestern im Ausschuss aufgefordert, unserem Tourismusförderprogramm beizutreten, uns zu unterstützen - für die Branche, für Deutschland. ({12}) - Nein, sie haben nicht viel gemacht. Frau Schäfer, ich möchte noch einen Punkt erwähnen. Sie haben ganz zum Schluss folgenden Satz gesagt: Und nun noch etwas zur Wirtschaftspolitik. - Frau Schäfer, der Tourismus ist reine Wirtschaftspolitik. Der Tourismus hat einen Anteil von 8 Prozent am Bruttosozialprodukt. ({13}) Wir haben mittlerweile 2,8 bis 2,9 Millionen Arbeitsplätze in diesem Bereich. Das ist pure Wirtschaftspolitik. ({14}) In diesem Zusammenhang möchte ich Sie noch einmal darum bitten, dass Sie Ihren Standpunkt überdenken. Jetzt zu Ihnen, Herr Burgbacher. Sie sprachen von flächendeckender Gewerkschaftsmacht. Darauf möchte ich einfach nur sagen: Wir haben zum Beispiel die Reform des Betriebsverfassungsgesetzes in Angriff genommen, was ich auch als richtig erachte. Sie müssen aber auch sehen, von wann das Gesetz selber stammt. Diese Reform hat 30 Jahre auf sich warten lassen müssen. Bei der Schnelligkeit, mit der sich unsere Wirtschaft bewegt, sollten wir auch für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eintreten. ({15}) - Ja, in die richtige Richtung. Ich muss Ihnen noch etwas sagen. Zu dem, was Sie in Richtung rot-grüne Reglementierungswut angeführt haben, darf ich Sie darauf hinweisen, dass wir - in der nächsten Woche werden wir darüber auch eine Debatte im Plenum führen - die Abschaffung des Rabattgesetzes und der Zugabeverordnung erörtern werden. Da lassen Sie mich doch wieder die Frage stellen: Warum habt ihr das nicht in den letzten 16 Jahren gemacht? ({16}) Das Rabattgesetz stammt aus dem Jahre 1933. Ich denke, auch an diesem Punkt hätte man sicherlich ansetzen können, anstatt jetzt uns, wenn wir es abschaffen, um Deregulierung zu erreichen, rot-grüne Reglementierungswut vorzuwerfen. ({17}) Ich muss noch auf einen weiteren Punkt zu sprechen kommen. Sie haben des Öfteren den Vorwurf erhoben, dass das Jahr des Tourismus finanziell im Grunde genommen nicht unterstützt wird. ({18}) Ich möchte an die vorletzte Ausschusssitzung mit Herrn Dr. Homann vom Wirtschaftsministerium erinnern, der ganz klar gesagt hat: Das Jahr des Tourismus wird mit 2,4 Millionen DM vom Wirtschaftsministerium unterstützt. Vielen Dank. ({19})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Zu einer Kurzintervention erteile ich Herrn Kollegen Burgbacher das Wort.

Ernst Burgbacher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003063, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Liebe Frau Kollegin Roth, das müssen wir doch schon noch klarstellen. Tatsache ist, dass im Bundeshaushalt kein Pfennig für das Jahr des Tourismus eingestellt ist. Tatsache ist, dass Sie zwar die Mittel für die Deutsche Zentrale für Tourismus, wie wir jetzt hören, für den Tourismus in den neuen Ländern, für das Jahr des Tourismus und alles Mögliche erhöht haben, dass Sie aber an anderer Stelle im Haushalt Titel gestrichen und daher unter dem Strich die Mittel gekürzt haben. Es ist für das Jahr des Tourismus nicht einen Pfennig im Bundeshaushalt eingestellt. Das bitte ich einfach zu akzeptieren. Dr. Homann sprach davon, dass er anderswo Mittel akquirieren will. Das finden wir ganz toll. Aber es reicht nicht, wenn der Ankündigungsminister Müller nur ankündigt und überhaupt nichts bewirkt, zu Mehrwertsteuer, Trinkgeld und anderem große Pressekonferenzen veranstaltet, aber keinen Pfennig zur Unterstützung einsetzt. ({0}) Birgit Roth ({1})

Birgit Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003214, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich lese einfach einmal einen Satz aus der Drucksache 14/5432 vor: Trotz dieser Situation sowie eines erhöhten Finanzierungsbedarfs der DZT für das Jahr 2001 wegen des geplanten „Jahr des Tourismus in Deutschland“ sehe der Haushaltsentwurf ... eine Erhöhung der Bundeszuwendung um 2,4 Mio. DM vor. ({0}) So viel zu Punkt eins. Punkt zwei, zu den Ankündigungen des Ministers. Ich möchte in diesem Bereich nur einmal auf das Tourismusförderprogramm verweisen. Wer hat denn insgesamt 24 E-Commerce-Zentren in der ganzen Bundesrepublik aufgebaut, davon eines ganz speziell für den Tourismus, und zwar in Worms, Herr Burgbacher! Es gibt ein Förderprogramm, insbesondere über die KfW, für Sanierung und Modernisierung von Privatzimmern. Dies wird speziell unterstützt durch günstige Zinsen. Auch dies wird im Tourismusförderprogramm realisiert, abgedeckt durch den Haushalt des Wirtschaftsministeriums. Es gibt vielfältige Beispiele dafür, dass sich einiges getan hat, Herr Burgbacher. Insofern können Sie wirklich nicht von „Ankündigungsminister“ sprechen. ({1})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich schließe damit die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Tourismus zu dem tourismuspolitischen Bericht der Bundesregierung, Drucksache 14/5432 ({0}). Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung, den Bericht auf Drucksache 14/2473 zur Kenntnis zu nehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Gibt es Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dann ist das einstimmig so angenommen. Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/5432 ({1}) empfiehlt der Ausschuss die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlussemp- fehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Be- schlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitions- fraktionen gegen die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. bei Enthaltung der PDS angenommen worden. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a und b sowie die Zusatzpunkte 5 und 6 auf: 6. a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Karin Rehbock-Zureich, Hans-Günter Bruckmann, Dr. Peter Danckert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Albert Schmidt ({2}), Franziska Eichstädt-Bohlig, Hans-Josef Fell, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Die Bahnreform fortführen und die Zukunft der Schiene in Deutschland sichern - Drucksache 14/5665 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({3}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Eduard Oswald, Dirk Fischer ({4}), Dr.-Ing. Dietmar Kansy, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Gewährleistung des Schienenpersonenfernverkehrs - Drucksache 14/5451 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({5}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder Ausschuss für Tourismus Haushaltsausschuss ZP 5 Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Winfried Wolf, Eva Bulling-Schröter, Uwe Hiksch, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Gewährleistung des Schienenpersonenfernverkehrs ({6}) - Drucksache 14/5662 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({7}) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Tourismus Haushaltsausschuss ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst Friedrich ({8}), Dr. Karlheinz Guttmacher, Hans-Michael Goldmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P. Eisenbahnpolitische Reformschritte zügig einleiten - Drucksache 14/5666 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({9}) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Wenn Sie einverstanden sind, ist das so beschlossen. Das ist der Fall. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst die Abgeordnete Karin Rehbock-Zureich.

Karin Rehbock-Zureich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002756, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! „Die Bahnreform fortführen und die Zukunft der Schiene in Deutschland sichern“, mit diesem Antrag betonen wir die Bedeutung, die der Schienenverkehr in unserem Mobilitätskonzept einnimmt. Unser Antrag zeigt den Weg für den Schienenverkehr der Zukunft. Das heißt, wir entwickeln die Rahmenbedingungen für einen erfolgreichen Schienenverkehr weiter. Wir sorgen dafür, dass mehr Menschen und mehr Güter auf der Schiene transportiert werden können. Denn Teile des Verkehrszuwachses der nächsten Jahre müssen wir auf die Schiene bringen, um die Funktionsfähigkeit des Gesamtverkehrssystems zu sichern. ({0}) Dazu müssen wir die Investitionen - wir haben dies in unserem Antrag ausgeführt - auf hohem Niveau weiterführen, vor allen Dingen mit Augenmerk auf das Bestandsnetz. Wir werden den Wettbewerb auf der Schiene stärken, die internationalen Wettbewerbsbedingungen verbessern sowie Forschung und Innovation für die Schiene fördern. Sofort nach der gewonnenen Wahl haben wir als Voraussetzung für die Weiterentwicklung des Schienenverkehrs bereits 1999 wieder 7 Milliarden DM für Schieneninvestitionen aufgewandt anstelle der 5,7 Milliarden DM, die Sie 1998 in die Schiene investiert haben. In diesem Jahr haben wir 8,8 Milliarden DM bereitgestellt. Damit ist das bei der Bahnreform zugesagte Niveau, nämlich 9 bis 10 Milliarden DM, so gut wie erreicht. ({1}) Des Weiteren stellen wir die Darlehen auf Baukostenzuschüsse um. Während der Anteil der Darlehen unter CDU-Verantwortung noch 4 Milliarden DM ausmachte, wird er im Jahre 2001 nur noch 1,6 Milliarden DM ausmachen. Das entlastet die DB AG in den nächsten zehn Jahren um mehr als 4 Milliarden DM. ({2}) Mit den Geldern des Zukunftsinvestitionsprogramms werden in den nächsten drei Jahren über 40 000 Langsamfahrstellen beseitigt. Diese Investitionen in das Bestandsnetz sind die Grundvoraussetzung für einen wirtschaftlichen Schienenverkehr. Zusätzlich werden wir mit dem Anti-Stau-Programm ab dem Jahre 2003 560 Millionen DM für Engpassbeseitigung bereitstellen. ({3}) - Ja, natürlich. Für die regionalen Netze werden im Jahre 2001 13,5 Milliarden DM an die Bundesländer gehen, die diese Milliarden in Regionalverkehre investieren werden. Dies verpflichtet sie, auch jenseits der Ballungszentren, nämlich in der Fläche, für bedarfsgerechte Schienenverkehrsleistungen zu sorgen. ({4}) Wir müssen in der Fläche, in den Regionen, an den Schnittstellen zwischen Nah- und Fernverkehr für intelligente zukunftsfähige Lösungen sorgen. Grundvoraussetzung werden die Regionalisierungsmittel sein, die auch in der Zukunft dynamisiert zur Verfügung gestellt werden können. Der Verkehr in der Fläche, in den Regionen hat mit 18 Prozent in den letzten Jahren die höchsten Steigerungsraten erreicht. Dies zeigt: Der Wettbewerb auf der Schiene trägt entscheidend dazu bei, dass Zuwächse bei der Personenbeförderung zu verzeichnen sind. ({5}) Jedoch müssen die Verteilung und die Verwendung der Regionalisierungsmittel in jedem Fall transparent, nachvollziehbar und auch sachgerecht vonstatten gehen. Die Einhaltung dieser Kriterien werden wir auch in der Zukunft einfordern. Wir haben die Investitionen seit unserem Regierungsantritt erhöht, ohne Schattenhaushalte zu schaffen oder neue Schulden zu machen, was man, bezogen auf die Vergangenheit, von Ihrer Regierung nicht sagen kann. ({6}) - So ist es. Die Investitionsmittel müssen in der Zukunft abgesichert sein. Dadurch wird Planungssicherheit für den weiteren Ausbau der Schieneninfrastruktur geschaffen. Wir müssen aber auch faire Bedingungen für den Wettbewerb auf der Schiene und für den Wettbewerb unter den Verkehrsträgern schaffen. Wir werden als ersten Schritt eine durchsetzungsfähige Regulierungsbehörde einrichten, um den diskriminierungsfreien Zugang zum Netz für alle zu gewährleisten. ({7}) Wir haben gestern in einer Diskussion mit der DB Cargo gehört, dass gerade das Konzept Mora C dazu führen wird, dass einige Gleise stillgelegt werden. Die stillgelegten Gleise müssen Dritten zugänglich gemacht werden, ohne dass eine Diskriminierung stattfindet. ({8}) Wir benötigen Wettbewerb - unser Ziel ist nicht der Wettbewerb an sich, sondern, mehr Verkehrsleistung auf die Schiene zu bringen - und ein unabhängiges Netz. Sie aber sagen: Netz und Betrieb werden morgen getrennt und dann ist alles geregelt. ({9}) Wir haben uns immer dafür eingesetzt, dass für den Fall der Trennung von Netz und Betrieb, der Schaffung der Unabhängigkeit des Netzes, eine sorgfältige Prüfung hinsichtlich der möglichen Organisationsformen stattfindet. ({10}) Alle Wettbewerber müssen hinsichtlich der Trassenvergabe, der Trassenpreise und auch der Erteilung von Genehmigungen gleich behandelt werden. Aber die Chancen und die Risiken unterschiedlicher Organisationsformen müssen sorgfältig geprüft werden. Dieses genaue Hinschauen ist ein Muss; wir können uns keinen Fehler erlauben. Schnellschüsse wird es mit uns nicht geben. Wir können nicht das Risiko eingehen, erstens die Leistungsfähigkeit und zweitens die Sicherheit auf der Schiene durch nicht durchdachte Konzepte zu beeinträchtigen. Denn es gibt in Europa für Wettbewerb und für ein unabhängiges Netz keine positiven Beispiele. ({11}) Die Bundesregierung hat dies aufgenommen und eine Taskforce zur Prüfung möglicher Organisationsformen eingerichtet. Wir werden der Erreichung des Zieles, mehr Verkehr auf die Schiene zu bringen, näher kommen, wenn wir die bestmögliche Organisationsform im Hinblick auf die Herstellung von Chancengleichheit realisieren. ({12}) Es wird auch darum gehen, in der Zukunft die Rahmenbedingungen zu verbessern. Hier ist auf europäischer Ebene mit dem EU-Infrastrukturpaket der erste Schritt getan worden. Im vergangenen Jahr ist ein wichtiger Durchbruch für einen gesamteuropäischen Güterverkehr erzielt worden. Denn der freie Zugang von Eisenbahnverkehrsunternehmen zu einem transeuropäischen Güterverkehrsnetz ist die Grundvoraussetzung dafür, in Zukunft Güter überhaupt auf der Schiene zu transportieren. Hier wurde ein erster Schritt getan. Wir werden noch viele Schritte gehen müssen, damit der Schienenverkehr in Zukunft eine dem Straßenverkehr vergleichbare Konkurrenz ist. ({13}) Wir werden dies nur durch einen grenzenlosen Verkehr schaffen. Das heißt, es wird keine Barrieren bei der Zollabfertigung und durch Lok- und Personalwechsel geben. Nur durch grenzenlosen Güterverkehr kann der Schienenverkehr eine konkurrenzfähige Alternative zum Straßenverkehr werden. Wir haben nationale Rahmenbedingungen geschaffen, indem wir eine Entfernungspauschale eingeführt haben, wovon Pendlerinnen und Pendler unabhängig vom Verkehrsmittel profitieren. ({14}) Ab 2003 werden wir eine LKW-Maut einführen. Auch dies ist ein Schritt hin zur Chancengleichheit unter den Verkehrsträgern. ({15}) Sie von der CDU/CSU haben einen Antrag und Sie von der PDS einen Gesetzentwurf eingebracht, in denen Sie die Zugkilometer, die in Zukunft geleistet werden sollen, festschreiben wollen. Ich kann nicht verstehen, wie man auf der einen Seite per Gesetz die zu leistenden Zugkilometer festschreiben will und auf der anderen Seite die Trennung von Netz und Betrieb und damit die totale Liberalisierung fordern kann. Sie sollten einmal erklären, wie Sie diesen Widerspruch auflösen wollen. Dies war ein Vorschlag des Landes Baden-Württemberg im Bundesrat, den Sie in Zeiten des Wahlkampfes aufgegriffen haben. ({16}) Das kann kein Konzept der Zukunft sein. Wir wollen nicht zu einer Behördenbahn zurück, sondern eine Bahn schaffen, die mehr Verkehr auf der Schiene, Chancengleichheit und die Unabhängigkeit des Netzes in Verbindung mit ausreichenden Investitionen vonseiten des Bundes gewährleistet. ({17}) Regionale Netze werden in Zukunft eine verstärkte Rolle im Zusammenspiel der Haupt- und Nebenstrecken spielen. Wir haben viele positive Beispiele, wie Dritte, die aufs Netz gingen, dies besser als die DB AG organisiert haben. Wir müssen in einer Weiterentwicklung des Allgemeinen Eisenbahngesetzes dafür sorgen, dass keine Diskriminierung über kalte Streckenstilllegungen und Ähnliches stattfindet. Wir müssen auch dafür sorgen, dass stillgelegte Strecken bei ihrer Veräußerung an Dritte eine Mindestqualität aufweisen; denn nur so werden wir es schaffen, neben der DB AG mehr Mitbewerber als bisher auf die Schiene zu bringen. Nur ein gutes Angebot wird sicherstellen, dass der Verkehrsträger Schiene eine Chance in der Zukunft hat. Ich möchte Sie alle bitten, daran im Sinne unseres Antrages mitzuwirken und ihm, wenn wir ihn wieder einbringen, zuzustimmen; denn dann tun wir einen wichtigen Schritt in die Zukunft. Vielen Dank. ({18})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat der Kollege Dirk Fischer von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.

Dirk Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000549, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Das Ziel, das wir alle übereinstimmend verfolgen, ist, den Verkehrsträger Schiene auf dem Verkehrsmarkt in Deutschland und Europa zu stärken; denn wir sind davon überzeugt, dass wir nur so die verkehrspolitischen Herausforderungen und volkswirtschaftlichen Erfordernisse bewältigen können. ({0}) Die Anträge der CDU/CSU-Fraktion vom 15. Februar 2000 und der F.D.P.-Fraktion vom Februar 2000 liegen jetzt seit weit über einem Jahr auf dem Tisch. Wir haben bereits am 11. Oktober des letzten Jahres ein öffentliches Hearing durchgeführt. Am 4. April, also in der nächsten Woche, wollen wir im Ausschuss abschließend beraten. Kurz vor Toresschluss kommen jetzt auch die Koalitionsfraktionen mit einem eigenen Antrag. ({1}) Ich denke, das ist reichlich spät, aber einen Wettbewerb der Ideen und Forderungen können wir beim Problemfall Schienenverkehr gut gebrauchen. Deswegen freuen wir uns, dass auch Sie sich endlich positioniert haben. ({2}) Der Antrag der Koalition enthält neben diesen Ideen und Forderungen allerdings auch eindeutig falsche Behauptungen zu den Leistungen der früheren Bundesregierung, die wir klar zurückweisen müssen. ({3}) - Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Aber dass die Mittel für Investitionen immer geringer wurden, konnten Sie nicht zurückweisen?) Sie tun so, als sei nichts geschehen; und dann kamen Sie. ({4}) Ich muss Ihnen in aller Deutlichkeit sagen: Die frühere Bundesregierung hat die Entschuldung der Bundesbahn mit 70 Milliarden DM zulasten des Bundeshaushaltes entschieden. ({5}) Wir haben einen Altlastenzuschuss von 32,5 Milliarden DM beschlossen. Wir haben den Produktivitätsrückstand der Deutschen Reichsbahn mit 50 Milliarden DM ausgeglichen. ({6}) Wir haben die DB AG mit einem Stammkapital in Höhe von 4,2 Milliarden DM zum 1. Januar 1994 ausgestattet. Wir haben entschieden, Regionalisierungsmittel für die Nahverkehrsaufgabe in der Größenordnung von 12,4 Milliarden DM jährlich bereitzustellen. Wir haben im Rahmen des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes 3,28 Milliarden DM pro Jahr und mehrere Jahre lang die doppelte Summe ausgegeben, um im Zeitraum von 1991 bis 1998 auch für den Wiederaufbau der S-Bahnen, der Stadtbahnen und der Regionalbahnen in den neuen Ländern zu sorgen. Wir haben für den Ausbau der Schiene in den neuen Bundesländern im Zeitraum von 1991 bis 1998 35 Milliarden DM ausgegeben. ({7}) Dabei habe ich noch gar nicht die normalen jährlichen Haushaltsleistungen für Zuschüsse und zinslose Darlehen, für die wir immerhin die Zinslasten übernommen haben, erwähnt. ({8}) Die Summe der Leistungen, die ich hier genannt habe, liegt bei weit über 200 Milliarden DM, die sozusagen neben der normalen Haushaltsfinanzierung bereitgestellt worden sind. Deswegen werden Ihnen derartige Märchen wirklich nur die Leute glauben, die sich mit dieser Sache noch niemals befasst haben. Ich finde es frivol, auf die Unkenntnis von normalen Bürgern zu setzen, die sich nicht jeden Tag von morgens bis abends mit dem Schienenverkehr beschäftigen. Diese Täuschung muss zurückgewiesen werden. ({9}) Natürlich muss jede Bundesregierung den Stab weitertragen. Sie müssen sich noch ganz schön anstrengen. Ich habe hier einen Brief der Parlamentarischen Staatssekretärin Mertens, die anwesend ist, vor mir auf dem Pult liegen. Danach betrugen die verfügbaren Mittel für Investitionen in die Schiene im Jahr 2000 6,8 Milliarden DM. Davon sind 1,1 Milliarden DM nicht ausgegeben worden, sondern zur vorfristigen Tilgung der Aufwendungen eines Konzessionärs der Neubaustrecke Nürnberg-IngolstadtMünchen bereitgestellt worden. Aber nach der Finanzierungsvereinbarung sollte die Tilgung erst ab dem Jahr 2004 beginnen. In Wahrheit ist also aus dem Haushalt 2000 effektiv nur eine Summe von 5,7 Milliarden DM in das deutsche Schienennetz geflossen. Was erzählen Sie hier eigentlich für Märchen? ({10}) Ich will etwas zu Ihren unzureichenden Ankündigungen sagen. Im Haushaltsentwurf 2001 hatten Sie für Investitionen in die Schiene 6,7 Milliarden DM eingeplant. Dann kam der warme Regen durch die Zinsersparnisse aufgrund der UMTS-Versteigerungserlöse. Damit wollen Sie im Zeitraum von 2001 bis 2003 ein kleines Strohfeuer von zusätzlich jeweils 2 Milliarden DM pro Jahr veranstalten. ({11}) Dies gibt der Bahn nicht die ausreichende Planungssicherheit, die Sie in Ihrem Antrag einfordern. Die Planung muss für einen Zeitraum von 10 bis 15 Jahren angelegt werden, damit die DB AG überhaupt - ich formuliere es einmal so - ein teures Ingenieurbüro mit ein paar Hundert Leuten aufbauen kann, sonst ist das doch abenteuerlich. ({12}) Wenn Sie so kurzfristig denken, wird sich das, was mit den 1,1 Milliarden DM im Jahr 2000 passiert ist, in den folgenden Jahren wiederholen. Das sage ich Ihnen voraus. Denken Sie sich neue Methoden des Versteckens aus. Aber wir werden Ihnen auf die Schliche kommen. Dann haben Sie in Ihrem Antrag völlig illusorische Ziele genannt. Im Verkehrsbericht 2000 wird eine Verdopplung der Gütermenge auf der Schiene bis 2015 auf 146 Milliarden Tonnenkilometer angekündigt, also plus 100 Prozent. Der Minister redet vor der Presse nur noch von einer Steigerung um 65 Prozent, also einem Plus von Dirk Fischer ({13}) zwei Dritteln. Herr Mehdorn spricht, wie ich höre, nur von 50 Prozent. Das heißt also - in Hamburg sagt man: Tetje mit Utsichten -, jeder macht seine eigene Prognose. Alles stimmt sowieso nicht. Wir sind dies mittlerweile sogar gewöhnt. Ich sage Ihnen voraus - egal ob nun eine Steigerung um 50, 65 oder 100 Prozent erwartet wird -: Ohne schnellstmöglichen Wettbewerb im System Schiene wird alles nicht erreicht und alles danebengehen. ({14}) Ich komme zur Selbsttäuschung in Ihrem Antrag: Im Geschäftsjahr 2000 soll die DB AG im Güterverkehr einen Umsatzzuwachs von 13 Prozent erzielt haben. Selbst die DB AG hat darauf hingewiesen, dass in diesen Umsatz die Kooperation der DB AG mit der holländischen Staatsbahn, also der gesamte holländische Güterverkehr, eingerechnet wurde. ({15}) Darauf wurde in der Pressekonferenz hingewiesen. Das heißt also: Dies ist kein Zuwachs, der im deutschen Güterverkehrsmarkt erzielt worden ist. Es muss nach meiner Auffassung ganz klar gemacht werden, dass dies einen zugekauften Umsatz und nicht die Umsatzentwicklung auf dem deutschen Markt widerspiegelt. ({16}) Zur Steigerung der Regionalisierungsmittel: Sie sprechen von einer Erhöhung von 12 Milliarden DM - in Wirklichkeit waren es 12,5 Milliarden DM, 500 Millionen DM kann man leicht vergessen - auf jetzt 13,5 Milliarden DM. Das sei Ihre politische Heldentat. Mit Verlaub: Die frühere Bundesregierung hat den Art. 106 a des Grundgesetzes neu geschaffen und zusätzlich ein Regionalisierungsgesetz durchgesetzt. Danach erhalten die Länder für den öffentlichen Personennahverkehr Zug um Zug gegen Übertragung der Aufgabenverantwortung eine dynamisierte Finanzausstattung. Das heißt also, die Mittel müssen erhöht werden, wenn nicht gleichzeitig das Grundgesetz und das Regionalisierungsgesetz gebrochen werden sollen. Das hat aber mit einer möglichen politischen Heldentat gar nichts zu tun. Sie handeln politisch widersprüchlich, indem Sie zwar sagen, Sie wollten keine Darlehen mehr, sondern nur noch Baukostenzuschüsse geben, aber im Haushalt 2001 Verpflichtungsermächtigungen in Höhe von 3,2 Milliarden DM für Darlehen vorgesehen haben. Was gilt denn nun bei Ihnen? Aber zu Ihrem Trost: In Ihrem Forderungskatalog gibt es natürlich auch einige Punkte, die gemeinsames politisches Handeln ermöglichen. Darüber werden wir im Ausschuss diskutieren. Lassen Sie mich abschließend kurz unsere Ziele aufzählen: Wir wollen erstens die Infrastruktur sichern und ausbauen sowie die transeuropäischen Netze im Gleichklang mit der EU realisieren. Wir wollen zweitens den Wettbewerb möglichst vieler Eisenbahnunternehmen mit einem diskriminierungsfreien Zugang, da wir deren Investitionskraft im System Schiene brauchen. Wir wollen einen Leistungswettbewerb marktgängiger Konzepte und Angebote. Wir wollen nicht, dass sich die DB AG als Monopolist im Kernnetz aufspielt, während die anderen Wettbewerber nur den Schrott verwerten dürfen. Dieses läuft mit uns nicht. Wir wollen drittens keinen Rückzug aus der Fläche. Über das Gewährleistungsgesetz, das wir vorschlagen und fordern, spricht der Kollege Lintner im Anschluss.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Dirk Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000549, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. Der Bund muss im Rahmen seiner Gemeinwohlverpflichtung gemäß Art. 87 e Grundgesetz auch Besteller sein. Wir wollen viertens die Beschleunigung der wechselseitigen Öffnung der Schienennetze in Europa. Wir wollen fünftens eine Harmonisierung der fiskalischen Belastungen im europäischen Eisenbahnverkehr. Wir wollen sechstens die Wegekostenanlastung der Verkehrsträger im nationalen und europäischen Bereich angleichen. Wir wollen siebtens die Trennung von Netz und Betrieb sowie Wettbewerb mit einem überzeugenden Lösungskonzept, und zwar so schnell wie möglich, spätestens zum 1. Januar 2004.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege, bitte kommen Sie zum Schluss.

Dirk Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000549, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir wollen die Bahnreform nicht zurückdrehen, sondern ordnungspolitisch sauber fortführen. So hat Schienenverkehr in Deutschland eine Zukunftschance. Nur so hat Verkehrspolitik in Deutschland eine Chance, erfolgreich zu sein. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Albert Schmidt vom Bündnis 90/Die Grünen.

Albert Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002779, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Hier spricht nicht der böse Wolf - Kollege Wolf spricht nachher -, ich bin nur erkältet und bitte Sie um Nachsicht, dass ich Sie heute mit einer dunklen Stimme bedrohen muss. ({0}) Ich versuche, es dafür umso kürzer zu machen. Ein paar Bemerkungen zu dem Zahlenfeuerwerk, das der Kollege Fischer abgebrannt hat: Die Güterverkehrsleistung im DB-Netz ist im vergangenen Jahr exakt um Dirk Fischer ({1}) 12,8 Prozent gestiegen, davon gut die Hälfte bedingt durch Zuwächse im Bereich der DB Cargo, die andere Hälfte bedingt durch die strategische Zusammenarbeit des Unternehmens Railion mit den Benelux-Bahnen. Nachdem 40 Prozent des Güterverkehrs auf der Schiene inzwischen auf den grenzüberschreitenden Güterverkehr entfallen, ist es doch gerade der Clou an der Sache, dass wir durch Kooperation mit den Nachbarbahnen mehr Marktanteile bekommen. Das betrifft auch deutsche Destinationen, also deutsche Ziel- und Abfahrtspunkte im deutschen Netz. Warum soll man denn solche Erfolge verschweigen? Wir nennen sie gerne. ({2}) Zweiter Punkt: Wenn es so wäre, Herr Kollege Fischer, dass seit 1994 in ausreichendem Umfang in das Netz investiert worden wäre - ich konzediere, dass erhebliche Anstrengungen gemacht wurden, die Entschuldung und alles, was Sie aufgezählt haben, waren richtig dargestellt, es gibt nur in einem Punkt einen erheblichen Dissens -, hätten wir heute nicht die mehr als 2000 Langsamfahrstellen. Reden Sie doch mit den Lokführern, reden Sie mit den Beschäftigten der Bahn. Es kann Ihnen doch jeder bestätigen, woher die Löcher im Netz kommen. Sie kommen doch nicht daher, dass zu viel investiert worden ist, sondern weil das Bestandsnetz systematisch auf Verschleiß gefahren worden ist. Das ist das Problem, das Sie uns hinterlassen haben. ({3}) Deshalb haben wir seit 1998 die Investitionen um 50 Prozent gesteigert. Es reicht aber nicht, nur mehr Geld in die Hand zu nehmen, sondern man muss das Geld auch an der richtigen Stelle mit den richtigen Schwerpunkten ausgeben. Der zweite Fehler, den wir jetzt korrigieren, war: Das große Geld wurde in einigen wenigen Großprojekten vergraben, die obendrein noch politisch schöngerechnet wurden. Diese Mehrkosten fallen uns jetzt auf die Füße. Wir haben jetzt auszubaden, was Sie uns an verlogenen Berechnungen hinterlassen haben. Ich möchte in diesem Zusammenhang sagen: Ich bin nach wie vor stolz darauf - wenn schon in diesen Tagen von Stolz die Rede ist, darf ich auch jeden Tag wenigstens einmal stolz sein, Kollege Hasenfratz -, dass wir es trotz Schuldenabbaus, gigantischer Steuersenkungen durch die Einkommen- und Unternehmensteuerreform und zusätzlicher Investitionsprogramme wie das ZIP geschafft haben, auch für die Bahn 50 Prozent mehr Mittel zur Verfügung zu stellen, als es im letzten Jahr Ihrer Regierungszeit der Fall war. Das ist eine großartige Leistung. ({4}) Wir alle wollen - darüber sind wir uns sofort einig, Herr Kollege Fischer - die Investitionsmittel nicht nur über drei Jahre, sondern über einen längeren Zeitraum auf hohem Niveau verstetigen. Sie haben völlig Recht, Herr Kollege Fischer, wenn Sie sagen, dass ein Unternehmen für die Netzplanung eine mittelfristige Finanzplanung benötigt, die über einen Dreijahreszeitraum hinausgeht. ({5}) Ich möchte noch ein paar Sätze zu den Rahmenbedingungen sagen, die sich verändert haben. Die von Ihnen so gescholtene Ökosteuer hat dazu beigetragen - ich sage nicht, dass sie es alleine war -, dass die relativen Marktchancen des Schienenverkehrs im Vergleich zum Straßenverkehr heute deutlich besser sind. Das schlägt sich auch in den Marktanteilen nieder. Es gibt im Schienenbereich eine positive Entwicklung bei der Personenverkehrsleistung und auch, wie ich schon sagte, bei der Schienenverkehrsleistung, und das bei gleichzeitig stagnierender bzw. - das habe ich gerade gelesen - sogar rückläufiger Entwicklung des PKW-Verkehrs. Das ist ein ermutigendes Zeichen. Hinzu kommt die am 1. Januar in Kraft getretene Entfernungspauschale. Bahn- und Busfahren lohnen sich jetzt sogar steuerlich. Das haben wir beabsichtigt. Mit der steuerlichen Privilegierung des Autofahrens ist Schluss. ({6}) Der nächste Punkt, den ich ansprechen möchte, ist die LKW-Maut. Sie wird ein Übriges dazu tun, um die Marktchancen des Schienengüterverkehrs zu verbessern. Es ist aber mit Recht darauf hingewiesen worden, dass wir jetzt über neue Strukturen diskutieren und entscheiden müssen. Ich möchte den einen oder anderen Grund ansprechen, warum wir die Unabhängigkeit des Streckennetzes von den Verkehrsbetrieben der DB für unverzichtbar halten. Die DB Netz AG hat heute einen paradoxen Auftrag zu erfüllen: Einerseits soll laut Art. 87 e Abs. 4 des Grundgesetzes ein gemeinwohlorientierter Schienenverkehr gewährleistet werden. Andererseits soll die DB Netz AG nach Aktienrecht gewinnorientiert, also rentabel, arbeiten. Diese beiden Aufgaben sind nicht immer deckungsgleich. Das ist das Problem. Ein solch paradoxer Auftrag kann letztlich von keinem Bahnchef der Welt - er mag heißen, wie er will - erfüllt werden. Über diesen Widerspruch müssen wir diskutieren und wir müssen ihn auflösen. Deshalb sind wir der Auffassung, dass Schienenstrecken genauso wie Straßen als Teil einer am Gemeinwohl und an der Daseinsvorsorge orientierten Infrastruktur prinzipiell nicht in der Verantwortung eines privaten Verkehrsunternehmens liegen, sondern in öffentlicher Verantwortung bleiben sollen, und zwar dauerhaft. Die Planungshoheit sowie die Trassenvergabe und die Trassenpreisbildung müssen in der Hand eines unabhängigen Netzbetreibers liegen. Den operativen Job, die Bewirtschaftung der Strecken, kann ein privates Eisenbahnunternehmen ohne weiteres machen, aber dann im Auftrag des Eigentümers und nicht nach eigenem Gusto oder nach eigener Interpretation des gesetzlichen Auftrags. Das ist letztlich der Kern des Problems: Wir brauchen eine klare Verteilung der Rollen zwischen Eigentümer - das ist die öffentliche Hand; ich bin der Meinung, dass neben dem Bund auch die Länder bereit sein müssen, Regionalnetze zu übernehmen, inklusive Albert Schmidt ({7}) Finanzausstattung, und zwar dort, wo nur der klassische Nahverkehr fährt - und den Eisenbahninfrastrukturunternehmen, die zwar den operativen Job machen, nicht aber selber entscheiden, wann wo welche Strecke bleibt, ausgebaut wird oder verschwindet. Das ist der Kern der ganzen Auseinandersetzung. Ich bin sehr froh, dass dies alles nun einer ernsthaften Prüfung unterzogen wird, dass in absehbarer Zeit konkrete Organisationsmodelle als Vorschläge auf dem Tisch liegen werden, über die wir diskutieren können, und dass wir dann hoffentlich gemeinsam einen Lösungsweg präzisieren können. Ich wünsche mir an dieser Stelle die gleiche Gemeinsamkeit wie bei der Bahnreform 1994, als wir mit einer breiten Mehrheit die damalige Reform beschließen konnten; denn nur wenn beides, Investition und Innovation, zusammenkommt, werden wir aus der Deutschen Bahn und all ihren Konkurrenzunternehmen die erfolgreichste Bahnlandschaft Europas machen können. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Horst Friedrich von der F.D.P.-Fraktion.

Horst Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000593, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen! Wir diskutieren heute, in einer für die Entwicklung des Verkehrsträgers Schiene in Deutschland durchaus interessanten Zeit, über vier Anträge mit unterschiedlichen Ansätzen. Bevor ich darauf im Einzelnen eingehe, möchte ich, Herr Kollege Schmidt, darauf hinweisen, dass man zwei Zahlen auseinander halten sollte. Bei aller Freude über den Zuwachs bei der DB Cargo hat dieser Zuwachs gerade ausgereicht, die Verteilung im Modal Split der Verkehrsträger in Deutschland für die Bahn nicht zu verschlechtern. Das ist ein Status quo. ({0}) - Doch, das sind - bei aller Freude - die Fakten. ({1}) Ich kann Ihnen auch Folgendes nicht ersparen: Immer wieder hören wir die gleiche Leier, bei der Bahnreform habe es von Anfang an nie 10 Milliarden DM an Investitionsmitteln für die Bahn gegeben. ({2}) - Das ist ja nicht wahr. - 1994 standen der Bahn 10 Milliarden DM zur Verfügung; davon hat sie 2,4 Milliarden DM zurückgegeben. 1995 waren 9,9 Milliarden DM im Haushalt vorgesehen. Weil erkennbar war, dass dieses Geld wiederum nicht ausgegeben werden kann, ist 1995 sehr viel mit Vorausrechnungen abgedeckt worden; ({3}) der verbleibende Rest von immerhin 800 Millionen DM ist dann durch die globale Minderausgabe, die wir zu erbringen hatten, abgedeckt worden. Das geschah aber nicht, weil sich die Bahn deswegen nicht gewehrt hätte; die war froh, dass sie das Geld nicht ausgeben musste, denn das konnte sie wiederum nicht. Im Jahre 2000 - darauf hat der Kollege Fischer ja schon hingewiesen - sind faktisch wiederum 1,1 Milliarden DM der zur Verfügung gestellten Investitionsmittel nicht verbaut worden. Hören Sie deswegen endlich mit Ihrer Märchenstunde auf, es hätte das Geld nie gegeben! ({4}) Es liegt nicht am Geld, es liegt am Nichtumsetzen der Bahn. Das ist der eigentliche Punkt. Jetzt aber zu den Anträgen. Ich habe schon mehrfach ausgeführt: Die damalige Regierungskommission Bahn hatte bereits darauf hingewiesen, dass die echte Trennung von Netz und Betrieb sinnvoll ist. Damals hat man sich mehrheitlich darauf verständigt, dieses heikle Thema nicht anzufassen, und zwar zum einem um die Grundgesetzänderung zu erreichen, wofür nun einmal Zugeständnisse notwendig waren, und zum anderen um die Probleme, die sich aus dem Zusammenlegen von Deutscher Reichsbahn und der damaligen Bundesbahn ergeben haben, nicht noch durch den Versuch, Netz und Betrieb zu trennen, zu überlagern. ({5}) Diese Diskussion werden wir aber jetzt führen und es gibt dazu bereits einen Antrag, in dem die Trennung von Netz und Betrieb ganz klar gefordert wird. Dieser Antrag ist von uns und stammt aus dem Februar 2000. ({6}) - Das wird Ihnen, Herr Kollege Weis, in aller Kürze von uns vorgelegt. ({7}) Gehen wir nun auf die anderen Anträge ein. Mich erstaunt die in die gleiche Richtung gehende Argumentation von PDS und CDU/CSU. Dass die PDS einen solchen Ansatz verfolgt, überrascht mich dabei nicht; ({8}) das ist in der Politik der PDS konsequent. Diese Politik kann man teilen oder nicht, aber sie ist wenigstens konsequent. ({9}) Aber, liebe Freunde von der Union, für die Trennung von Netz und Betrieb zu sein und gleichzeitig vom Bund zu fordern, dass er Schienenfernverkehr bestellt und dann auch noch eine Ausfallgarantie gegenüber der Bahn oder dem Erbringer übernimmt - was nichts anderes bedeutet, als dass der Bundeshaushalt für Betriebsdefizite herhalten soll -, passt nicht zusammen. Über diesen Punkt sollten wir noch einmal nachdenken. ({10}) Albert Schmidt ({11}) Jetzt zum Antrag der SPD. Er ist sehr umfangreich; zur Hälfte besteht er aus Vergangenheitsbewältigung, die uns nicht weiterbringt, weil es insofern nur darum geht, Schuldzuweisungen loszuwerden. ({12}) Sie drücken sich wiederum um die eigentlich entscheidende Frage, nämlich um die Frage, ob Sie die Trennung von Netz und Betrieb wollen oder nicht. Bei Ihnen ist es wie bei der Echternacher Springprozession: einen Schritt vor und zwei zurück - so wie bei Herrn Bodewig. Letztlich steht in Ihrem Antrag nichts, was konkret den Weg aufweist. Sie verweisen auf die so genannte Taskforce. Wenn man sich einmal die Zusammensetzung dieser Taskforce anschaut, dann stellt man fest, dass ihr unter anderem der Staatssekretär Nagel, der Staatssekretär Tacke und der Staatssekretär Overhaus angehören. Dieselben Personen sitzen auch im Aufsichtsrat der Bahn, im Aufsichtsrat des Aufsichtsrats der Bahn und jetzt ebenfalls im Aufsichtsrat der Taskforce. Was sollen sie denn eigentlich entscheiden? Sollen sie aus der Sicht des Aufsichtsrats der Bahn entscheiden ({13}) oder sollen sie aus der Sicht dessen entscheiden, der der Bahn eigentlich aufzeigen soll, wie das Ganze funktioniert? Im Zusammenhang mit Mehdorn habe ich schon einmal von „Fröschen, die die Sümpfe trockenlegen“ gesprochen. Es ist bezeichnend, dass Sie auch die Überlegungen zur Änderung des Allgemeinen Eisenbahngesetzes zurückgestellt haben, und zwar angeblich so lange, bis Ihre Taskforce Ergebnisse vorgelegt hat. ({14}) Ich bin einmal gespannt, wie das Ganze funktioniert. Demnächst ist Herr Mehdorn offensichtlich in der Lage, das neue Trassenpreissystem vorzulegen, das er dauernd angekündigt hat. ({15}) Ich zitiere aus der „Wirtschaftswoche“: Wie sehr das neue Trassenpreissystem ({16}) Bodewigs Ziel durchkreuzt, mehr Verkehr auf die Schiene zu bringen, rechnen Mehdorns Leute in dem Papier anschaulich vor. So müsse das Land Schleswig-Holstein für die geplante Ausweitung des regionalen Schienenpersonenverkehrs um 2,26 Millionen Zugkilometer nun 15,6 Millionen Mark an die Bahn-Tochter DB Netz zahlen, nach altem Preissystem dagegen nur sieben Millionen Mark. Auf diese Weise, urteilen der Berliner Wirtschaftsprofessor Hans-Jürgen Ewers und der Hamburger Verkehrswissenschaftler Gottfried Ilgmann in einem unveröffentlichten Gutachten, verstoße DB Netz gegen das eigene Interesse, Anreize gegen die Ausdünnung von Taktverkehren zu schaffen und damit das Netz besser zu vermarkten. Es bleibt dabei: Nur wer klar und deutlich sagt, dass es mehr Verkehr auf der Schiene nur dann gibt, wenn das Netz endlich aus der Bahnholding herausgelöst wird, ist auf dem richtigen Weg. Diese klaren Worte vermisse ich von Ihnen, insbesondere von der Regierungskoalition. ({17})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Winfried Wolf von der PDS-Fraktion.

Dr. Winfried Wolf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002830, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist sicherlich wichtig, dass wir hier erneut eine Bahndebatte führen. Die vorliegenden Anträge sind sehr interessant. Ich glaube, dass in fast allen Beiträgen der Ernst der Lage nicht ausreichend dargestellt wurde. ({0}) Der Kollege Friedrich hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die Bahn große Teile der vorhandenen Summen nicht ausgegeben hat. Es stellt sich daher die Frage, warum die Bahn trotz des Privatisierungskurses, trotz der Bahnreform nicht in der Lage war, diese Beträge auszugeben und warum sich insbesondere seit der Bahnreform der Zustand des Netzes dermaßen verschlechtert hat. Auch die Feststellungen von der SPD und von den Grünen, dass die Schiene zumindest in der Lage gewesen sei, ihre Anteile am Personen- und Güterverkehr zu halten, lassen sich vor dem Hintergrund der realen Verkehrszahlen nicht rechtfertigen. Die Anteile gingen Jahr für Jahr zurück. Nur im Hinblick auf die Jahre 1999 und 2000 kann man behaupten, dass der Anteil stabilisiert werden konnte. Ich komme zum internationalen Vergleich. Wenn Sie von der SPD und von den Grünen feststellen, dass die Deutsche Bahn auf ihrem Schienennetz die mit Abstand höchste Fahrleistung aller europäischen Bahnen erbringe, dann entgegne ich: Das ist so, als wenn man Äpfel mit Birnen vergleicht. Beispielsweise fahren in der Schweiz, die keinen Privatisierungskurs betreibt, die Schweizer Bürger dreimal so viele Kilometer mit der Bahn, obwohl dieses Land viel kleiner ist. Damit ist sie - trotz des Fehlens eines Privatisierungskurses - weit effektiver. Der Hauptgrund für diese Entwicklung besteht darin, dass die Rahmenbedingungen nicht zugunsten der Bahn sind und dass Sie die Bahn weiterhin benachteiligen. Ich kann nicht feststellen, dass es seit 1998 eine qualitative Verbesserung gibt. Für die Bahn gilt keine Befreiung von der Mineralölsteuer und kein halber Mehrwertsteuersatz. Dazu kommt der halbe Ökosteuersatz. Die jetzt stattfindende Debatte über die Trennung von Netz und Betrieb ist teilweise eine Scheindebatte. Prinzipiell könnte unserer Ansicht nach eine solche Trennung Horst Friedrich ({1}) Chancengleichheit herstellen. Sie sagen aber nichts zu den Bedingungen, unter denen die Schiene mit Trassenschutz insgesamt in Staatshand wäre, sodass sich der Staat dafür genauso wie für Straßen und für Wasserwege verantwortlich fühlen würde. Insofern sind die Anträge weitgehend wie weiße Salbe, die aufgetragen werden soll. Man muss auch berücksichtigen, was die Bahn konkret vorhat. In der nächsten Zeit will die Bahn nicht etwa nur einige Gleisanschlüsse stilllegen - so die Planung Mora C -, sondern ein Drittel des Bestandes abbauen. Die Bistros im Personenverkehr sollen komplett abgeschafft werden. Im nächsten Jahr soll der Rabattsatz der Bahn-Card halbiert werden. Die Bahn selbst sagt, dass sie damit ungefähr 20 bis 30 Prozent ihrer Bahn-Card-Kunden verlieren wird. All diese konkreten Vorgaben werden dem Verkehr der Bahn schaden. ({2}) Ich glaube, dass das Ganze mit dem Fahrplanwechsel am 9. Juni mit dem Interregiosterben noch einmal gesteigert werden wird, das dann beginnen und im Jahr 2003 vollendet werden wird, wenn die Zuggattung Interregio komplett abgeschafft sein wird, eine Gattung, die bis zum Jahre 1995 mehr Fahrgäste auf sich vereinigen konnte als entweder IC/EC oder ICE und die seit Mitte der 90erJahre bewusst kaputtgemacht wird. Sie wissen ganz genau, dass ganze Regionen wie Rostock, Magdeburg, Marburg, Ostfriesland, Friedrichshafen, Lindau, Ludwigshafen, Trier, Lübeck und Chemnitz mit dieser Politik abgehängt werden. Sie wissen ganz genau, es wird intern eingerechnet, dass mit dem Ersatz für den Interregio keineswegs Realersatz geschaffen wird, sondern mindestens 20 Prozent der Interregiogäste wegbleiben werden, dass Nachteile entstehen werden durch gebrochenen Verkehr, weil man umsteigen muss. Sie wissen vor allem genau aus der Debatte vorher, dass Tourismusgebiete in massivem Umfang geschädigt werden - der Schwarzwald zum Beispiel, Mecklenburg-Vorpommern, Rügen, Oberschwaben -, die nicht mehr an den Fernverkehr angebunden werden. Sie wissen ganz genau, dass die Industrie- und Handelskammern und Fremdenverkehrsverbände massiv bei Ihnen auf der Matte stehen und sagen werden: Das könnt ihr nicht machen, bei uns den Interregio abzukappen. Deswegen wird ja immer wieder versucht, Teillösungen dafür zu finden. Der Antrag der CDU zum Interregio wurde faktisch im Bundesrat konkretisiert. Der Bundesratsantrag geht weiter und wir übernehmen ihn im Grunde. Kollege Friedrich, Ihre Parteifreunde sitzen in der baden-württembergischen Regierung, Baden-Württemberg hat diesen Antrag mit eingebracht und gesagt, wir wollen ein konkretes Gesetz haben, das den Artikel 87 e des Grundgesetzes konkretisiert und diese Verkehrsleistungen festschreibt. ({3}) Deswegen bringen wir den Antrag des Bundesrates unverändert im Bundestag ein. Einen Kommafehler haben wir korrigiert, aber sonst ist es die gleiche Form. Wir hoffen auf die gemeinsamen Stimmen von CDU/CSU und PDS. Danke schön. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Für die Bundesregierung hat jetzt das Wort die Parlamentarische Staatssekretärin Angelika Mertens.

Angelika Mertens (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002734

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erinnern wir uns noch einmal an die Ziele der Bahnreform und vielleicht auch daran, dass die Bahnreform nicht die Bahnreform der damals schwarz-gelben Regierung, sondern die Bahnreform des Parlaments war. ({0}) - Sie ist mit großer Mehrheit hier verabschiedet worden. Ziele der Bahnreform waren: mehr Verkehr auf der Schiene, Begrenzung der Belastung des Steuerzahlers, Wirtschaftlichkeit der DB AG. Sie war auf zehn Jahre angelegt. Jetzt ziehen wir so etwas wie eine Zwischenbilanz und fragen uns erstens, wie weit die Ziele eigentlich erreicht wurden, und zweitens, was getan werden muss, um die Ziele zu erreichen, konkret: welche Weichen jetzt gestellt werden müssen. Klar muss auch sein: Wenn eine Bahnreform auf zehn Jahre angelegt ist, können die Ziele heute noch nicht erreicht sein, jedenfalls nicht in ihrer Gänze. Deshalb war, denke ich, die Große Anfrage, die gestellt worden ist, sehr wichtig; denn sie verlangt so eine Art politisches Controlling von uns -, Controlling nicht im Sinne des Kontrollierens, sondern im Sinne des Steuerns. Ich glaube, es ist sehr wichtig, die Frage, ob Elemente der Bahnreform neu oder anders miteinander verknüpft werden müssen, jetzt zu beantworten. Es gibt zwei Antworten: mehr Verkehr auf der Schiene mit dem Wettbewerbsaspekt und Verringerung der Belastung des Steuerzahlers mit dem Aspekt der wirtschaftlichen Bahn zu verknüpfen. ({1}) Wie weit diese Ziele jetzt schon erreicht worden sind, dazu gibt es immer eine subjektive und eine objektive Betrachtung. Objektiv betrachtet ist die DB AG im Benchmarking nach Beförderungsleistungen - Personen und Fracht - die größte Bahngesellschaft Europas. Sie hat ein relativ dichtes, vergleichsweise gut ausgebautes und auch ein hochstandardisiertes sowie leistungsfähiges Netz. Subjektiv könnte die DB AG heute anders dastehen, wenn in der Vergangenheit - ich sage es einmal - eben nicht so unverantwortlich mit dem Bestandsnetz umgegangen worden wäre. Ich habe mir aus dem Pressedienst der CDU/CSU einmal etwas herausgesucht. Dort heißt es, dass die neue Gesamtsumme für Schieneninvestitionen trotz der unerwarteten erheblichen UMTS-Mehrerlöse von 8,7 Milliarden DM immer noch weit unter dem Ansatz liegt, der mit 10 Milliarden DM jährlichen Investitionsmitteln für eine erfolgreiche Bahnreform nötig ist und der von der CDU/CSU-geführten Bundesregierung immer gewährleistet wurde.“

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Ilja Seifert von der PDS-Fraktion?

Angelika Mertens (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002734

Ja, bitte.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Seifert.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Kollegin Mertens, Sie sprachen gerade davon, dass es eines der Ziele war und ist, die Bahn für mehr Menschen attraktiv zu machen. Können Sie mir vor diesem Hintergrund sagen, wie die Bundesregierung die Tatsache bewertet, dass die Deutsche Bahn AG die von der Deutschen Reichsbahn übernommenen Kombiwagen ersatzlos verschrottet, die sehr gut geeignet sind, behinderten Menschen Gruppenreisen zu ermöglichen?

Angelika Mertens (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002734

Es wurde vorhin schon bemerkt, dass wir die Bahnreform sehr einvernehmlich beschlossen haben. Gemäß dieser Bahnreform liegt das operative Geschäft bei der DB AG und nicht beim Bund. Man kann natürlich immer fragen, ob man sich diese Regelung gut überlegt hat. Aber man muss trotzdem festhalten, dass der Bund für das operative Geschäft nicht verantwortlich ist. Die Bahnreform hat eine breite Zustimmung gefunden. Wir müssen jetzt endlich verinnerlichen, dass wir das operative Geschäft der Deutschen Bahn AG und ihren Tochterunternehmen überlassen haben.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin, erlauben Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Seifert?

Angelika Mertens (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002734

Ja.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ich verstehe ja, dass Sie der Meinung sind, die Bahn müsse diese Entscheidung selbst treffen. Aber trotzdem muss doch die Bundesregierung eine Meinung dazu haben, dass den Menschen mit Behinderung die einzige Möglichkeit, in Gruppen zu verreisen, dadurch genommen wird, dass die dazu benötigten Wagen verschrottet werden. Sie werden noch nicht einmal an Konkurrenzunternehmen verkauft, die diese Wagen dann einsetzen könnten. Das kann doch nicht im Sinne der Daseinsvorsorge für behinderte Menschen sein, für die die Bundesregierung verantwortlich ist.

Angelika Mertens (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002734

Herr Kollege Seifert, ich will mich gerne erkundigen, wie die konkrete Situation ist. Aber es ist nicht wahr, dass die einzigen Wagen, mit denen Behinderte fahren können, verschrottet werden. ({0}) Sie können als Behinderter die neuen ICEs jederzeit nutzen. Ich werde mich aber in dieser Angelegenheit erkundigen und in Erfahrung bringen, wie die Situation in Ihrer Region ist. Der DB AG zu unterstellen, sie würde keine Möglichkeit für das Reisen von Behinderten bereithalten, ist allerdings nicht richtig. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Mertens, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Fischer?

Angelika Mertens (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002734

Ich möchte die Frage nicht zulassen, weil ich jetzt im Zusammenhang vortragen will. Die CDU/CSU hat gesagt, sie habe die benötigten Zuschüsse immer gewährleistet. Das ist aber nicht richtig. Herr Friedrich sprach davon, diese Mittel seien ein Jahr gewährleistet, aber von der Bahn nicht abgerufen worden. ({0}) In diesem Zusammenhang möchte ich bemerken, dass im Jahre 1995 der Zuschuss 9,2 Milliarden DM und nicht 9,8 Milliarden DM betrug. Ich möchte auch die anderen Zahlen nennen: Im Jahre 1997 betrug der Zuschuss des Bundes 6,7 Milliarden DM, im Jahre 1998 5,7 Milliarden DM, im Jahre 1999 7 Milliarden DM und im Jahre 2000 6,8 Milliarden DM. Wir stehen also nicht schlechter da als Sie; denn auch Sie haben in den letzten Jahren die Grenze von 10 Milliarden DM nicht erreicht. Wir wollen aus dem Zukunftsinvestitionsprogramm weitere 2 Milliarden DM für die Schiene geben. Damit liegen wir im Jahre 2001 bei 9 Milliarden DM. Objektiv gesehen hat die DB AG einen Rationalisierungsrückstau. Subjektiv gesehen muss man einfach feststellen, dass die Eisenbahnerinnen und Eisenbahner eine ganz hervorragende Leistung vollbracht haben. In den 50er-Jahren haben noch ungefähr eine halbe Million Menschen in diesem Bereich gearbeitet. Nach der Zusammenlegung von Deutscher Bundesbahn und Deutscher Reichsbahn waren es nur noch 345 000; heute sind es 220 000 Beschäftigte. Wir sollten alle gemeinsam den Hut vor den Eisenbahnerinnen und Eisenbahnern ziehen, die, obwohl es praktisch ein Drittel Arbeitnehmer weniger sind, heute sehr viel mehr Leistung als früher bringen. ({1}) Der Stellenabbau wird weitergehen und der Bund wird sich seiner Verantwortung dabei nicht entziehen. Ich will noch einmal auf die Trennung von Netz und Betrieb eingehen. Ich halte diesen Ausdruck für ein wenig unglücklich, weil er physikalisch schwer zu erklären ist. Er hat sich aber seit den 80er-Jahren so eingebürgert; deshalb muss man ihn wohl auch verwenden. Ich würde lieber von der Neutralität des Netzes sprechen. ({2}) Unser Ziel ist die Verdopplung des Güterverkehrs auf der Schiene. Ich gehe davon aus, dass DB Cargo - ich denke, auch sie geht davon aus - dies allein nicht schaffen kann. Schienenverkehr zu betreiben ist teuer und braucht deshalb eine mittelfristige Perspektive, das heißt Investoren, aber auch DB Cargo brauchen Sicherheit. Uns geht es nicht um Wettbewerb um dieselben Gütertransportleistungen, sondern um den Wettbewerb mit der Straße. So könnte auch die Straße entlastet werden oder zumindest ihre Belastung nicht weiter überproportional zunehmen. Die Gewährleistung der Neutralität des Netzes, also die Trennung von Netz und Betrieb, ist eine Frage des Wie und des Wann, aber nicht mehr des Ob. ({3}) Wir werden klären lassen, welche verschiedenen Organisationsmodelle es gibt und welche Vor- und Nachteile sowie Folgewirkungen sie jeweils haben, besonders im Hinblick auf die unternehmerischen, finanz- und verkehrspolitischen Folgen und auch im Hinblick auf das Verhältnis von Bund und Ländern. Durch die zentrale geographische Lage und die direkte Verknüpfung mit den Streckennetzen von neun Nachbarländern kommt dem deutschen Bahnnetz, der DB AG und den anderen Eisenbahnunternehmen eine Schlüsselstellung für die weitere Entwicklung des Schienentransportes in Europa zu. Unser gemeinsames Ziel muss doch sein, unsere Unternehmen so gut wie möglich auf ein vereintes Europa vorzubereiten. Deshalb begrüße ich den Antrag der Koalitionsfraktionen. Vielen Dank. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat jetzt der Kollege Eduard Lintner von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.

Eduard Lintner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001351, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich eingangs eine Bemerkung zu dem Märchen machen, das hier insbesondere Herr Schmidt immer verbreitet: Die Bahn, die großzügig mit Geldern ausgestattet worden sei, habe diese auch ausgegeben. Es ist schon ein Beispiel erwähnt worden, wo 1,1 Milliarden DM zurückgeflossen sind. ({0}) Diese hätten beispielsweise im Neubaubereich durchaus zusätzlich investiert werden können. Stattdessen haben Sie sie zur vorzeitigen Tilgung von Schulden verwendet. Das ist ein Zeichen dafür, dass die Bahn nicht in der Lage war, sie zeitnah zu verwenden. ({1}) Ich habe aber noch ein schönes Beispiel, Herr Hasenfratz, - das haben wir ganz genau recherchiert -: Für Lärmschutzinvestitionen wurden 100 Millionen DM im vorigen Jahr vorgesehen und der Bahn zur Verfügung gestellt. Tatsächlich ausgegeben wurden 14 Millionen DM. Wir haben nach dem Grund gefragt; die Frau Parlamentarische Staatssekretärin hat es uns Gott sei Dank schriftlich gegeben; deshalb kann sie dem kaum widersprechen. Laut Verkehrsministerium wurden nur 14 Millionen DM ausgegeben, weil es Planungsschwierigkeiten bei der Bahn gab. Was sich hier anhand dieses einen Beispiels dokumentieren lässt, gilt natürlich auch für ganz andere Größenordnungen im Rahmen dieses Paketes von 9 Milliarden DM. ({2}) Geben Sie also nicht mit Beträgen an, die in Wirklichkeit gar nicht genutzt werden können! Sie können zwar15 Milliarden DM schreiben und damit angeben. Im Endeffekt wird es aber dabei bleiben, dass die Bahn pro Jahr ins Bestandsnetz ungefähr 6 bis 7 Milliarden DM - um die Angabe genauer Zahlen drücken Sie sich ja immer herum investieren kann. Mehr geht aufgrund der heutigen Planungs- und Entwicklungskapazitäten nicht. Sie müssten schon andere Maßnahmen ergreifen, damit eine Erhöhung auch wirklich greift. Zurück zum Thema: Der Bundesverkehrsminister und der Vorstand der Bahn haben uns ja in letzter Zeit viele Gründe geliefert, daran zu zweifeln, ob und, wenn ja, in welchem Umfang sie die Verpflichtung nach Art. 87 e Abs. 4 des Grundgesetzes erfüllen wollen. Dabei geht es - um es auch dem Publikum einmal klar und deutlich zu sagen - um die Verpflichtung des Bundes und nicht der Bahn, ein den Erfordernissen des allgemeinen Wohls entsprechendes Angebot im Schienenpersonenfernverkehr zu gewährleisten. Das gilt sowohl für das Netz wie auch für den Betrieb. ({3}) Deshalb sind Gedankengänge, die darauf hinauslaufen, ein Bestellermodell wie im Nahverkehr einzuführen, gar nicht so abwegig. Denn die Verpflichtung können Sie in anderer Form unter Umständen gar nicht einlösen. Aber da sind wir diskussionsbereit und offen. ({4}) Dass die Zweifel berechtigt sind, zeigt beispielsweise die Tatsache, dass die DB AG entschlossen ist, mit dem Interregio ein wichtiges Zugangebot aus dem Fernverkehr der Bahn zu streichen, ohne dass ein Ersatz dafür in Sicht wäre. IC und ICE können ihn nicht ersetzen. Auch der regionale Verkehr ist dazu nicht in der Lage. Sie kennen seine Nachteile: ({5}) Man muss oft umsteigen und gerade Familien mit Kindern, ältere Menschen mit viel Gepäck oder allein fahrende Kinder sind da natürlich stark benachteiligt. Deswegen ist er kein Ersatz, auch wenn Sie ihn gelegentlich so anpreisen. Den zweiten Grund zum Zweifeln liefert die Bundesregierung selber, weil sie sich nämlich beharrlich weigert, der Bahn endlich die verlangte Planungssicherheit über das Jahr 2003 hinaus zu geben. ({6}) - Herr Weis, Sie hätten sich Ihren jetzigen Antrag glatt sparen können, denn diese entscheidende Frage haben Sie wieder nicht beantwortet. Wieder sprechen Sie nur von der finanziellen Gewährleistung bis zum Jahre 2003. Aber Herr Mehdorn hat es Ihnen jetzt schon so oft gesagt - und wir können uns auf ihn berufen -: Wenn man Investitionen im Bereich der Schiene vornehmen will, dann ist ein Planungszeitraum bis 2003 zu gering. Dafür kann man keine Kapazitäten aufbauen. ({7}) Das heißt, Sie lassen die Bahn im Stich und bieten nicht die notwendige Planungs- und Finanzierungssicherheit, um unsere Zweifel an der Gewährleistung des Grundgesetzauftrages zu zerstreuen. ({8}) Es gibt deshalb viel Anlass, die Initiative der beiden Bundesländer Bayern und Baden-Württemberg zu begrüßen, ({9}) die zum Ziel hat, diese Gewährleistungsansprüche dadurch zu konkretisieren, dass künftig ein Schienenpersonenfernverkehrsvolumen von 180 Millionen Kilometern pro Jahr gewährleistet wird. Damit entsprechen die beiden Länder außerdem einer grundgesetzlich niedergelegten Pflicht. Denn es heißt in Art. 87 e Abs. 4 ausdrücklich, dass das Nähere ein Bundesgesetz regelt. Sie haben das bisher nicht getan.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Lintner, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schmidt?

Eduard Lintner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001351, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön, Herr Schmidt.

Albert Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002779, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Lintner, ich habe eine Frage zu Ihrem Antrag, nach dem die 180 Millionen Zugkilometer im Fernverkehr durch Bestellung gewährleistet werden sollen. Wenn es so ist, dass ursprünglich geplant war, 19 Millionen Interregiokilometer abzuschaffen - faktisch sind bisher noch nicht einmal 10 Millionen abgeschafft worden und selbst die, die abgeschafft worden sind, sind durch ICE, IC oder Regionalexpresse ersetzt worden -, rechtfertigt dann die Kürzung dieser ohne Zweifel behaltenswerten Zugangebote gleich die Forderung, das gesamte Angebot im Fernverkehr, inklusive ICE und IC, also sämtliche 180 Millionen Zugkilometer, auf Kosten des Bundes zu bestellen und damit auch vom Bund bezahlen zu lassen? Denn was kostet Ihr famoser Antrag den Bund?

Eduard Lintner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001351, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Schmidt, da müssten Sie sich allerdings an eine Änderung des Grundgesetzes heranwagen. ({0}) Denn die Verpflichtung, einen entsprechenden Schienenpersonenfernverkehr aufrechtzuerhalten, steht im Grundgesetz. Das ist keine Erfindung von uns. ({1}) - Gut, es heißt nicht: 180 Millionen Kilometer; darüber kann man sicher trefflich streiten. Ich will auch nicht ablehnen, dass darüber noch einmal geredet werden kann. Aber die gesetzlich formulierte Konkretisierung dieses Grundgesetzartikels ({2}) vermissen wir und mahnen wir an. ({3}) - Was heißt „ihr vergessen“? Der Gesetzentwurf der beiden Länder liegt jetzt vor und wenn Sie meinen, dass das ein berechtigter Wunsch ist, dann hindert Sie niemand daran, ihm zuzustimmen. ({4}) Sie können aus der ganzen Diskussion in der Tat viel Unsicherheit herausnehmen, wenn Sie sich einfach dazu bekennen und sagen: Jawohl, wir stimmen dieser Gesetzesinitiative zu. Wir sind aber nicht für 180 Millionen Kilometer, sondern für 160 Millionen Kilometer. - Darüber kann man sicher reden. Aber wenn Sie die gesetzliche Verpflichtung mittragen würden, wäre das höchst willkommen. Meine Damen und Herren, im Übrigen sind viele Ihrer Zusagen an die Bahn Lippenbekenntnisse geblieben. Wir nehmen Ihnen einfach nicht ab, dass es tatsächlich ernst gemeint ist, was Sie hier dauernd beteuern, solange Sie Ihre „ernsthaften Absichten“ nicht in konkrete, im Haushalt ausgewiesene Zahlen umsetzen. Hier geht es darum, dass Sie der Bahn ausreichende Mittel zur Verfügung stellen, damit sie das, was Sie von ihr ständig verlangen, auch verwirklichen kann. Daran mangelt es bis heute. Ihr Antrag hilft uns jetzt überhaupt nicht weiter, sondern ist eine Luftnummer, die Sie früheren Luftnummern einfach hinzufügen. Werden Sie konkret, dann sind wir gern mit von der Partie. Vielen Dank. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 14/5665, 14/5451, 14/5666 und 14/5662 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Vorlage auf Drucksache 14/5665 soll außerdem mitberatend an den Haushaltsausschuss überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf: Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Horst Friedrich ({0}), Hans-Michael Goldmann, Dr. Karlheinz Guttmacher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P. Referenzstrecke für den Transrapid - Drucksachen 14/2734, 14/4025 ({1}) Dazu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der F.D.P. vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die F.D.P. sechs Minuten erhalten soll. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der Kollege Horst Friedrich für den Antragsteller, die F.D.P.Fraktion, das Wort.

Horst Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000593, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich ist ein Teil dessen, was in der Antwort der Bundesregierung auf unsere Große Anfrage zur Referenzstrecke für den Transrapid angekündigt worden ist, mittlerweile zumindest teilweise geklärt. Das liegt aber nicht daran, dass wir unsere Anfrage zu spät gestellt hätten, sondern daran, dass die Geschäftsführung es fertig gebracht hat, dass unser Antrag vom Februar 2000 fast unmittelbar danach, nämlich 13 Monate später, endlich im Deutschen Bundestag debattiert werden kann. - So viel zur Einführung. Das, was noch nicht geklärt ist, was aber im Interesse einer Investitionssicherheit sowohl für die Industrie als auch für die Versuchsanlage im Emsland sowie die an ihr Beteiligten und vor allem von ihr Betroffenen geklärt werden kann, das steht in unserem Entschließungsantrag. Bezeichnenderweise ist das Wort von Dieter Vogel - damals noch in seiner Eigenschaft als Vorstandsvorsitzender von Thyssen - wahr geworden, dass wir wahrscheinlich gezwungen sein werden, Erfahrungen mit der Technik des Transrapid aus, mit Verlaub, Entwicklungsländern zurückzukaufen. Als ich diese Äußerung von Herrn Vogel hier vortrug, hat der Kollege Schmidt damals in einem Zwischenruf gefragt: Merken Sie eigentlich nicht, wie peinlich diese Einlassung ist? Herr Schmidt müsste sich im Nachhinein sowohl bei Dieter Vogel als auch bei mir entschuldigen, denn dies ist tatsächlich eingetreten. Der Transrapid wird - man kann hinzufügen: Gott sei Dank - in China gebaut, und zwar wahrscheinlich sehr viel schneller, als er bei uns gebaut werden könnte, und wir werden, ob es uns nun gefällt oder nicht, für unsere Referenzstrecken, sobald sie denn ausgewählt sein werden, die Testerfahrungen aus dem Emsland um die Praxiserfahrungen ergänzen müssen, die auf der Strecke zwischen Schanghai und dem Flughafen von Schanghai gemacht werden. Ich fürchte, dass uns dieser Know-howTransfer über die Kosten hinaus, die wir für den Bau der Strecke in China zuwenden müssen, noch einiges Geld kosten wird. Die Zeitungsstimme dazu trifft es vielleicht noch viel besser: Ein wenig peinlich ist das Ganze schon. ({0}) Da wird im Hightechland Deutschland über mehr als 20 Jahre hinweg mit einem Milliardenaufwand ein völlig neues Verkehrssystem entwickelt und als dieses System endlich einsatzreif ist, wird es in der öffentlichen Diskussion zerredet und - dies füge ich hinzu - in anderen Bereichen umgesetzt. Das ist eigentlich immer die Tendenz bei neuen Techniken in Deutschland. Ich habe in einer meiner ersten Reden zum Transrapid 1994 darauf hingewiesen, dass auch das Fax-Gerät in Deutschland erfunden wurde, aber in Japan gebaut und umgesetzt worden ist, und dass die Neigetechnik bei den Zügen in Deutschland entwickelt und erfunden wurde und wir sie von Italien zurückkaufen mussten. Ich habe damals hinzugefügt: Ich hoffe, dass das beim Transrapid nicht passiert. Dies ist aber eingetreten. Was noch offen ist - das ist eigentlich die Aufgabe von Rot-Grün und an deren Erfüllung lege ich die Messlatte für die Glaubwürdigkeit an -, ist die Auswahl und die schnelle Umsetzung der Referenzstrecken in Deutschland. Leider wird der Transrapid nur als Nahverkehrszug eingesetzt, obwohl er, um Klaus Daubertshäuser, den hoch geschätzten Kollegen, den Sie alle hoffentlich noch kennen, und sein Buch zu zitieren, eigentlich entwickelt worden ist, um als Verkehrsmittel im Fernverkehr eingesetzt ({1}) und nicht als Vorortzug missbraucht zu werden. Sie müssen sich endlich dazu durchringen, zu sagen, wo Sie den Transrapid in Deutschland einsetzen möchten, wenn diese Aussage von Ihnen noch gilt, was ich hoffe. Sie haben immer erklärt: Wir sind nicht gegen die Technik Transrapid. Wir hatten nur etwas gegen die Strecke von Hamburg nach Berlin. ({2}) Ich bin gespannt, ob sich diese Haltung noch verfestigt, wenn sich zum Beispiel die Niederländer dafür entscheiden - noch befinden sie sich ja im Prüfungsstadium -, die Strecke für den Transrapid von Amsterdam nach Groningen zu bauen, und vielleicht eine Verlängerung von Hamburg nach Berlin angedacht wird. Dann werden wir dieses Thema erneut auf den Tisch bekommen. Ich bin gespannt, wie Sie sich dann verhalten werden. ({3}) Die eigentlich entscheidende Frage, die Sie mit der Vorlage des nächsten Haushalts beantworten müssen, ist, welche Zukunftspläne Sie mit der Versuchsanlage für den Transrapid in Lathen haben. Der Vertrag, der dazu abgeschlossen ist, läuft bis zum 30. Juni 2002; er ist bisher nicht verlängert worden. Sie haben es mit der Wahl dieses Zeitpunkts geschafft, den EXPO-Zeitraum zu überbrücken. Die Transrapid-Versuchsanlage ist ein Außenstandort. Aber die Leute, die dort arbeiten, sind hoch qualifiziert und haben langfristige Verträge. Sie müssten sich in der Zwischenzeit neu orientieren. Deshalb brauchen sie endlich Planungssicherheit. Wenn es denn tatsächlich Sinn machen sollte, die Transrapidtechnik auch in Deutschland einzusetzen - das ist ja Ihr Ziel -, dann muss jetzt klar sein, was ab dem 1. Juli 2002 in Lathen passiert, wer dort noch arbeiten darf und vor allen Dingen, welche schon lange notwendigen Veränderungen an der Versuchsanlage vorgenommen werden. Die letzte Forderung, die wir stellen: Der Transrapid ist, wenn Sie glaubwürdig sind, was Sie uns dauernd erklären, in die Bundesverkehrswegeplanung einzubeziehen, und zwar spätestens mit der Fortschreibung des neuen Bundesverkehrswegeplanes. ({4}) Da dies aber erst nach der Bundestagswahl stattfindet, können wir es vielleicht auch selbst umsetzen. Herzlichen Dank. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat der Kollege Reinhold Hiller von der SPD-Fraktion das Wort.

Reinhold Hiller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000901, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Friedrich, Sie haben Recht: Niemand weiß so recht, weshalb es heute diese Debatte zum Transrapid geben muss; denn die Fragen sind bereits vor gut einem Jahr von der Bundesregierung beantwortet worden - scheinbar auch zu Ihrer Zufriedenheit, da Sie keine weiteren Fragen gestellt haben. ({0}) Ich habe den Eindruck, dass die F.D.P. den Entscheidungen der Verantwortlichen immer hinterherhechelt. Deshalb wird dies hier immer wieder zu einem Thema. ({1}) So ist zum Beispiel die ursprünglich geplante Verbindung zwischen Hamburg und Berlin, die erneut zu einem Thema geworden ist, hier schon sehr oft besprochen worden. Die Haltung der Bundesregierung und auch der SPD-Fraktion wird bestätigt, wenn man sich nur einmal das Verkehrsaufkommen vor Augen hält. Man kann sich auf dieser Strecke ohne Schwierigkeiten alleine im Zugabteil aufhalten, wenn man keine Kommunikation wünscht, was ja auch ein Vorteil der Eisenbahn ist; denn diese Züge sind leer. Wenn ich mir vorstelle, dass zehnmal so viele Personen diese Strecke mit dem Transrapid befahren sollten, kann ich nur sagen: Es gibt Menschen, die etwas aus Fehlern lernen, aber es gibt auch Menschen, die unbelehrbar sind. Dazu zählt in diesem Fall die F.D.P., was die Strecke Hamburg-Berlin für den Transrapid betrifft. ({2}) Wenn Sie diese Technik ernsthaft favorisieren, dürfen Sie auf keinen Fall an solchen Ideen festhalten. Denn wenn nach Ihren Planungen und nach den Vorstellungen des Konsortiums diese Strecke im Jahr 2003 fertig gestellt wäre, müsste bereits nach wenigen Monaten Konkurs angemeldet werden, weil das prognostizierte Aufkommen überhaupt nicht realisierbar ist. Wenn Sie diese Technik wollen, müssen Sie die Verfahren unterstützen, die einvernehmlich zwischen dem Konsortium, also der InHorst Friedrich ({3}) dustrie, und der Bundesregierung entwickelt worden sind, so wie wir das tun. Es liegt auch nicht im Interesse der Bahn, die Transrapidstrecke Hamburg-Berlin wie einen Klotz ans Bein gebunden zu bekommen. Dies wäre zum Schaden der Bahn AG gewesen. Wir sind Herrn Mehdorn dankbar, dass er in diesem Fall die Notbremse gezogen hat. Das hat uns vor Schaden bei der Eisenbahn, aber auch bei der Transrapidtechnik bewahrt. ({4}) Zur Politik gehört auch, dass man für Einsichten empfänglich ist. Das - so muss ich leider sagen - vermisse ich heute nicht zum ersten Mal, sondern das ist schon häufiger der Fall gewesen. Die Bundesregierung hat ihren Beitrag zur Förderung dieser Technik geleistet. Sie haben nicht von dem gesprochen, was in China vereinbart wurde. - Wenn Sie jetzt an der Regierung wären, hätten Sie ein Hosianna angestimmt, aber jetzt ist Ihnen das keinerlei Erwähnung wert. - In China besteht die Möglichkeit, diese Technik auch in der Praxis zu erproben, und dort wohnen mehr Menschen als in der Norddeutschen Tiefebene. Das muss man einmal so nüchtern feststellen. An diesen Fakten kommen wir nicht vorbei. ({5}) Ich erinnere an die Vereinbarung des Verkehrsministers Klimmt mit dem damaligen amerikanischen Verkehrsminister Slater. Bei solchen Unternehmungen wird versucht, Elemente der Verkehrspolitik mit der Industriepolitik zu verbinden, so wie es bei Ihnen ursprünglich auch der Fall war. Aber Sie halten jetzt ausschließlich an alten Zöpfen fest. Es gibt weitere positive Elemente, die von entscheidender Bedeutung für den Technologiestandort Deutschland sind. Wir sind vorangekommen. Bei der alten Bundesregierung war es immer so, dass unmittelbar vor einer Debatte im Bundestag das große Interesse von fast jedem Staat auf der Welt am Transrapid beschworen wurde. Leider musste man dann feststellen, dass fast all das wie eine Seifenblase zerplatzte. Wenn man die konkrete Entwicklung betrachtet, muss man feststellen, dass die neue Regierung auf diesem Gebiet wesentlich weiter vorangekommen ist. Sie haben auch in der Antwort auf Ihre Große Anfrage festgestellt, dass es jetzt fünf konkrete Projekte gibt. Dazu möchte ich angesichts der Erfahrungen mit der Strecke Hamburg-Berlin eine Bemerkung machen. Die Technik des Transrapid ist nicht dazu bestimmt, einen Flughafen mit einer Innenstadt zu verbinden, jedenfalls langfristig nicht. ({6}) - Nun bleiben Sie einmal ganz ruhig! Was Sie in diesem Zusammenhang geleistet haben, ist nichts. ({7}) Es geht jetzt um den Antrag der F.D.P. und um die Beantwortung der Großen Anfrage, Herr Fischer. Es wäre gut, wenn Sie nachher bestätigen könnten, was ich über die Auslastung der Eisenbahnverbindung zwischen Hamburg und Berlin gesagt habe; denn Sie sind auch sehr häufig Fahrgast auf dieser Strecke. Ich bin gespannt, ob Sie da ehrlich sein werden; denn dann werden Sie zu anderen Erkenntnissen kommen. Ich wollte in einem Punkt in der Tendenz gern Herrn Friedrich Recht geben: Die Technik des Transrapid ist für lange Distanzen bestimmt, da kann sie ihre Vorzüge voll ausspielen. Ich meine aber, wenn sich die kürzeren Streckenführungen bewähren werden, wird auch der Einstieg in lange Verbindungen möglich. Das kann man aber nicht von vornherein tun, wenn die Praxiserfahrung noch fehlt. In Japan hat man dies intelligenter gelöst, indem man die Referenzstrecke dort angesiedelt hat, wo nachher die bevölkerungsreichsten Gegenden miteinander verbunden werden, sodass die Investitionen letztlich nicht in Gänze verloren sind. In Bezug auf die neuen Projekte wird noch in diesem Jahr eine Entscheidung getroffen werden. Das hoffe ich jedenfalls. Darüber hinaus, Herr Friedrich, werden Sie bei den nächsten Haushaltsberatungen feststellen, dass auch Geld für Lathen vorhanden sein wird. Bis dahin ist es nicht notwendig, dass Sie erneut eine Große Anfrage stellen oder eine Debatte zu diesem Thema beantragen. ({8}) - Natürlich können Sie das machen. Aber es bringt in der Sache nichts. Sie können machen, was Sie wollen. Bisher hatte ich immer geglaubt, dass Sie mit Ihrer Politik der Sache dienen wollen. Diesen Eindruck habe ich heute bei Ihrer Rede leider nicht gehabt. ({9}) Es ist eine sorgfältige Prüfung aller Studien notwendig. Hamburg und Berlin haben von Ihrer Idee, dort eine Transrapidverbindung zu schaffen, nicht profitiert. Die Eisenbahnverbindung ist im Vergleich zu anderen größeren Städten der Bundesrepublik die schlechteste, weil man versucht hat, eine Konkurrenz zum Transrapid frühzeitig zu vermeiden. Diese falsche Politik hat sich zulasten von Berlin und Hamburg ausgewirkt. Deshalb freut es mich, dass mehr als 1 Milliarde DM investiert wird, um die Geschwindigkeit auf dieser Strecke auf über 200 Stundenkilometer zu bringen. ({10}) Reinhold Hiller ({11})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Fischer?

Reinhold Hiller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000901, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, ich bin am Ende meiner Ausführungen. Ich möchte nur noch mein Schlusswort sagen. Insgesamt gesehen - das hat die Bahndebatte gezeigt ist die Bahn bei der neuen Bundesregierung in guten Händen. Auch die Technik für den Transrapid ist bei der rotgrünen Regierung in guten Händen. Herzlichen Dank. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat der Kollege Dr. Hermann Kues von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.

Dr. Hermann Kues (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002709, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Hiller, irgendwie hat der Transrapid doch noch etwas mit Logik zu tun. Sie haben eben gesagt, die Technik des Transrapid sei für lange Distanzen ausgelegt. Im gleichen Atemzug reden Sie vom Metrorapid in Nordrhein-Westfalen. Viel intensiver tut das der dortige Ministerpräsident. Das passt alles nicht zusammen. ({0}) Das wird auch nicht die letzte Transrapiddebatte im Bundestag sein. Der F.D.P.-Antrag ist schon etwas älter; er ist nicht eher beraten worden. Dafür gibt es viele Gründe. Der entscheidende Grund dafür ist - das müssen Sie zur Kenntnis nehmen; das müssen wir immer wiederholen -, dass es in der Koalition von SPD und Grünen riesengroße Widersprüche beim Thema Transrapid gibt. ({1}) Sie fahren kreuz und quer durch die Republik und erzählen den Menschen mal dieses und mal jenes, je nachdem, was gerade gut ankommt. Der Transrapid - deswegen werden wir es immer wieder thematisieren - ist und bleibt ein Paradebeispiel dafür, wie SPD und Grüne mit neuen, zukunftsweisenden Technologien, in diesem Fall Verkehrstechnologien, umgehen. Reden, auch hier im Bundestag, Herr Kollege Schmidt, ist das eine. Die Tatsachen sind das andere. ({2}) Ich habe mich manchmal gefragt, was der Verkehrsminister, der 1969 im Amt war - das war Georg Leber -, und der damalige Finanzminister - das war Helmut Schmidt -, die damals die Grundentscheidung für den Transrapid getroffen haben, wohl dazu sagen würden, dass drei Jahrzehnte später die Nachfolgegenossen nicht nur eine voll konzipierte Planstrecke Hamburg-Berlin kippen und 350 Millionen DM Planungskosten sprichwörtlich in den Sand setzen, sondern dass sie sich erneut mit großem öffentlichen Buhei und einem kaum glaublichen Hin und Her Gedanken über eine neue Referenzstrecke machen, die plötzlich wirtschaftlicher sein soll und für die man, wenn man den Erklärungen Glauben schenken darf, von vornherein öffentliche Mittel in begrenzter Höhe einsetzt. Wie das alles funktionieren soll und was die sich angesichts der heutigen Situation wohl denken würden, das würde mich interessieren. Ende der 80er-Jahre gab es in Niedersachsen einen Ministerpräsidentenkandidaten, der Gerhard Schröder hieß. Der hat damals die Anwohner an der zu diesem Zeitpunkt in Aussicht genommenen Referenzstrecke Hamburg-Berlin, und zwar Ort für Ort und Dorf für Dorf, besucht und hat gesagt, es gebe keine wirtschaftlichen Gründe gegen den Transrapid, aber aus Umweltgründen könne man ihn nicht akzeptieren. Ende der 90er-Jahre wurden diese Umweltgründe nicht mehr aufrechterhalten. Jetzt wurden plötzlich wirtschaftliche und finanzielle Aspekte ins Feld geführt. Sie schenken den Menschen keinen klaren Wein ein, weil Sie nicht wissen, was Sie wollen sollen. Ihr Reden und Handeln wird ausschließlich von vordergründigem Opportunitätsdenken bestimmt. Das war schon bei der Kernenergie so; darüber haben wir heute Mittag diskutiert. Die Quittung für dieses Auf-den-Arm-Nehmen der Menschen bekommen Sie aktuell im Wendland. Ich befürchte, dass das bei der Magnetschwebebahntechnik nicht anders sein wird. Ich will das am Beispiel der Diskussion über die Referenzstrecke belegen - denn dazu hat die F.D.P. einen Entschließungsantrag eingebracht -: Im Mai und dann wieder im September 2000 erklärte zum Beispiel die niedersächsische Landesregierung - ich habe sämtliche diesbezüglichen Zeitungsausschnitte dabei -, es spreche vieles dafür, dass als eine von zwei möglichen Referenzstrecken die Strecke Leer-Oldenburg-Bremen-Hamburg, die über Groningen nach Schiphol weitergeführt werden soll, ausgewählt werde. Die Entscheidung falle noch im Jahr 2000. Der damalige Verkehrsminister hieß Klimmt; Sie kennen ihn hoffentlich noch. - Das war also im September 2000. Am 23. Januar 2001 erklärte der aktuelle Verkehrsminister, zwei Streckenführungen oder zwei Standorte würden nicht nur einer zügigen, sondern - man höre und staune - einer vertieften Machbarkeitsstudie unterzogen, nämlich der Metrorapid in Nordrhein-Westfalen, also die Strecke von Düsseldorf nach Dortmund, und die Anbindung des Münchener Flughafens an die Münchener Innenstadt. Beide Projekte seien aus einer Anzahl von von anderen Bundesländern angemeldeten Projekten ausgewählt worden. Auch daran könne man schon erkennen - so wurde das „vertieft“ begründet -, dass es sich um eine vertiefte Machbarkeitsstudie handele. - Das war am 23. Januar 2001. Am 24. Januar, einen Tag später, berichtete der von mir geschätzte SPD-Kollege Reinhold Robbe aus Ostfriesland nach einem Gespräch mit Minister Kurt Bodewig, in Kürze könne auch die Trasse Amsterdam-Groningen-Bremen-Hamburg wieder in die engere Wahl kommen. Wörtlich sagte er: Ich habe in der SPD-Bundestagsfraktion zahlreiche Verbündete, die mit mir diese Sache bis Hamburg durchziehen wollen. ({3}) Weiterhin sagte er, dass Herr Bodewig der Region in absehbarer Zeit diesbezüglich einen Besuch abstatten werde. Der Besuchstermin steht mittlerweile fest. Da wird man sich überlegen, ob man die Strecke bis Hamburg bauen will. Am 3. März dieses Jahres, also nicht einmal zwei Monate später, kam Ministerpräsident Clement mit einem Tross von rund 100 Begleitern in einem Sonderwagen des Interregio zur Versuchsstrecke ins Emsland, um sich den Transrapid anzusehen. Bahnchef Mehdorn war auch dabei. - Er ist übrigens nicht mit der Bahn angereist, sondern mit dem Hubschrauber. ({4}) Das ist ein Hinweis darauf, wie die Verkehrsverbindungen zu etwas entlegeneren Gebieten sind. - Dieser hat dort erklärt, die Bahn werde gemeinsam mit dem Bund und dem Land das Projekt realisieren. Mit der herkömmlichen Rad-Schiene-Technik seien die Herausforderungen des Verkehrs in Zukunft nicht mehr zu bewältigen. ({5}) Derselbe Herr Mehdorn hatte noch im Januar 2000 im Ausschuss erklärt, er könne den Transrapid in einer dicht bewohnten Region wie Deutschland nicht gebrauchen. Herr Clement hat im Hinblick auf die Finanzen erklärt - dazu haben Sie, Herr Hiller, nicht das gesagt, was hätte festgestellt werden müssen; Sie haben zwar etwas zur Versuchsstrecke im Emsland, aber nichts zu den Finanzen gesagt -, die gesamte Strecke koste 7,2 Milliarden DM. 2,7 Milliarden DM müssten aus privaten Kassen fließen. Insgesamt 4,4 Milliarden DM erhoffe er sich vom Bund, 90 Millionen DM wolle man vom Land - eine solche Summe vom großen Land NRW! - beisteuern. ({6}) Herr Clement sagte weiter: Für den Fall, dass sich der Bund darüber hinaus auch für den Bau der Flughafenverbindung München durch den Transrapid entscheiden solle, müssten die Bundesmittel entsprechend aufgestockt werden. Bereits im April dieses Jahres - April haben wir ja in Kürze - werde eine deutsche Großbank ihr Finanzgutachten vorstellen. Der Transrapid sei ein Quantensprung in der Verkehrstechnik. - Das war am 3. März dieses Jahres. Am 15. März erklärte der niederländische Ministerpräsident Kok dem niedersächsischen Ministerpräsidenten Sigmar Gabriel, mit dem Bau der Transrapidstrecke Groningen-Hamburg könne es erst etwas werden, wenn die Finanzen geklärt seien. Herr Gabriel zeigte sich „in gewisser Hinsicht erleichtert“, dass Den Haag noch nicht endgültig entscheiden wolle. Am 16. März erklärte derselbe Herr Gabriel - ich glaube, im Landtag -, die Chancen für den Bau einer Transrapidstrecke vom niederländischen Groningen über Leer und Oldenburg nach Hamburg seien gestiegen. Er rechne natürlich mit einer finanziellen Unterstützung von Bund und Europäischer Union; denn beim Nord-Transrapid - so nennt er ihn - sei die europäische Dimension interessant. ({7}) Das alles - ich könnte noch weitere Beispiele anführen - spielt sich ab, ohne dass auch nur im Ansatz geklärt ist, wie das Ganze finanziert werden soll, wie es planerisch umgesetzt werden soll. Sie nehmen die Menschen auf den Arm. ({8}) Und solange Sie die Menschen auf den Arm nehmen, werden wir das hier zum Thema machen; denn das, was Sie in der Öffentlichkeit, von München über Düsseldorf bis nach Hannover, vortragen, muss auch hier erörtert werden. Herr Hiller, Sie wissen ganz genau, dass sich der Hamburger Senat noch kürzlich für die Strecke Hamburg-Berlin ausgesprochen hat. Sie wissen auch ganz genau, dass Sie seinerzeit einen Antrag eingebracht haben, nicht eine Strecke von Hamburg bis Berlin, sondern eine Strecke von Hamburg bis zum neuen Flughafen Schönefeld anzubieten. Ihre Argumente passen nicht zusammen. Sie führen die Menschen an der Nase herum, das ist das Ärgerliche. ({9}) Sie wollen im Grunde genommen nicht zugeben, dass das Kippen der Strecke von Hamburg nach Berlin eine grandiose Fehlentscheidung gewesen ist. Diese Entscheidung ist nicht nach sachlichen Gesichtspunkten getroffen worden, sondern nach rein ideologischen. Über die Wirtschaftlichkeit reden wir, wenn ich Ihre Ministerpräsidenten ernst nehmen kann. - Hier wurde gesagt, das könne im Landtag von Hannover diskutiert werden. Ihre Ministerpräsidenten, Herr Clement und Herr Gabriel - letzterer wurde vom Bundeskanzler sogar als sein potenzieller Nachfolger dargestellt; er wird uns hier irgendwann noch blühen -, kündigen in ihren Ländern an: Es kommen Milliardensummen vom Bund. Wenn ich Ihre Ministerpräsidenten ernst nehme - das tue ich jetzt einmal -, dann müssen Sie sich schon die Frage gefallen lassen, wie Sie das in die Finanz- und Haushaltsplanung einstellen wollen und wie das überhaupt in den Bundesverkehrswegeplan eingebaut werden soll. Die Öffentlichkeit hat einen Anspruch auf Beantwortung dieser Frage. ({10}) Ich sage noch einmal ganz klar: Die Art und Weise, wie die Bundesregierung und auch Sie seitens der SPD und der Grünen mit der Magnetschwebebahntechnik umgehen, ist ein Trauerspiel. Es ist technologiepolitisch ein Trauerspiel. Es ist verkehrspolitisch ein Trauerspiel. Es ist umweltpolitisch ein Trauerspiel. Herzlichen Dank. ({11})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat der Kollege Albert Schmidt vom Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Albert Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002779, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Ein Trauerspiel“ habe ich gerade gehört. Ich finde, was Sie mit dem Thema inzwischen machen, ist eine Posse. ({0}) Womit würden wir unsere Donnerstagabende hier im Plenum füllen, wenn es das Thema Transrapid einmal nicht mehr gäbe? Was uns hier jetzt vorliegt, ist eine Große Anfrage der F.D.P., die zehn Fragen umfasst. Als ich noch in der Opposition war, nannte man so etwas eine Kleine Anfrage. Die Bundesregierung hat, wie ich finde, präzise, kurz und knackig geantwortet, und zwar schon im August 2000. Alles, was dort steht, ist längst durch alle Zeitungen gegangen. Ich habe die Sache gedreht und gewendet, ich habe mir überlegt: Was könnte ich Neues in der Debatte sagen, was nicht schon gesagt wurde? Ich muss sagen: Mir ist nichts eingefallen. Wenn ich etwas Neues hätte, hätte ich zudem keine Stimme, um Ihnen das mitzuteilen. Deswegen verzichte ich auf den Rest der Redezeit und wünsche Ihnen einen schönen Abend. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat der Kollege Dr. Winfried Wolf von der PDS-Fraktion das Wort.

Dr. Winfried Wolf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002830, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mir etwas Ähnliches überlegt, ({0}) aber dann, als der Kollege Dr. Kues gesprochen hat, gedacht, dass es doch etwas Neues gibt. Das Neue besteht darin, dass nicht die SPD und die Grünen jemanden an der Nase herumführen und auch vorher, in den Jahren 1969 bis 1999, die Herren Leber, Wissmann, Krause, Müntefering und Klimmt niemanden an der Nase herumgeführt haben. Vielmehr war die Industrie, die hinter diesem Projekt steht, in der Lage, jahrzehntelang diversen Parteien, Regierungen, Verkehrsministern und der Öffentlichkeit permanent vorzugaukeln, der Transrapid würde irgendwann ein Erfolg. ({1}) Es ist wahr, dass über das Projekt für die Strecke Hamburg-Berlin in Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Berlin - dort hatte auch immer die SPD Regierungsverantwortung - gesagt wurde: Ja, das machen wir. Auch der Autokanzler hat gesagt: Das ist ein sinnvolles Projekt. - Dass das Projekt gestoppt worden ist, ist gut. Das wurde uns lang und breit vorgerechnet. Aber die Zahlen aus den Jahren 1999 und 2000, die zum Stopp des Projekts geführt haben - sie stammen dankenswerterweise von den Grünen -, lagen im Grunde schon vor acht oder zehn Jahren vor. Mein Eindruck ist: Es ist teilweise noch so, dass SPD und Grüne etwas herumeiern, ({2}) auch wenn die Entscheidung, die Strecke Hamburg-Berlin nicht zu bauen, richtig ist. Es wurde nun allerdings vorgeschlagen, den Transrapid dort einzusetzen, wo bisher alle gesagt haben: Dort gehört er nicht hin. Dort, wo Straßenbahnen und S-Bahnen verkehren, gehört ein Transrapid mit einem Tempo von 400 plus X wirklich nicht hin. Jetzt wurden aber ernsthaft Projekte vorgeschlagen - sei es im Ruhrgebiet oder in München -, wo der Transrapid konkret keinen Sinn macht, sondern im Gegenteil an Zeitersparnis und Energieersparnis nichts bringt. Auch entstünde gebrochener Verkehr. Diese Projekte wären zudem noch teurer als die herkömmliche RadSchiene-Technik. Deswegen sind wir gespannt und gelassen und werden sehen, wie es weitergeht. Wir fordern, dass die Gelder in diesem Bereich in die Schiene gesteckt werden. Nachdem 2,25 Milliarden DM investiert wurden, müsste der Transrapid, sollte er wirklich zukunftsfähig sein, eigenständig zukunftsfähig sein. Wir glauben, dass dies auch für Schanghai gilt. Auch steht noch aus, dass das geltende Magnetschwebebahnbedarfsgesetz aufgehoben wird, in dem gesetzlich verankert ist, dass zum einen die Strecke Hamburg-Berlin gebaut werden muss und zum anderen dieser Bedarf nicht hinterfragt werden darf. Allein aus politischen Gründen sollte man dieses Gesetz beseitigen. Danke schön. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Entschließungsantrag auf Drucksache 14/5690 zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen und zur Mitberatung an den Ausschuss für Wirtschaft und Technologie, den Ausschuss für Angelegenheiten der Europäischen Union und den Haushaltsausschuss zu überweisen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf: Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Künftige Gestaltung der Standortwerbung zur Gewinnung ausländischer Investitionen für Deutschland - Drucksache 14/4240 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({0}) Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder Ausschuss für Tourismus Ausschuss für Kultur und Medien Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der Kollege Dr. Ditmar Staffelt von der SPD-Fraktion das Wort.

Dr. Ditmar Staffelt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003239, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich halte die Ergebnisse, die wir in der Unterrichtung durch die Bundesregierung nachlesen können, für sehr erfreulich. Die Gestaltung der Standortwerbung ist weiter optimiert worden, die Strukturen sind verbessert worden und die Kooperation zwischen den Trägern der Standortwerbung ist in sehr viel stärkerem Maße koordiniert. Letztendlich haben wir Ergebnisse erzielt, die sich sehen lassen können. Dies gilt es erst einmal festzuhalten. ({0}) Ich finde, es ist gut, dass wir diese Standortwerbung mit unterschiedlichen Mitteln und Methoden betreiben. Im Mittelpunkt steht natürlich das Büro des Beauftragten für Auslandsinvestitionen. Ich halte es für gut, dass es gelungen ist, Hilmar Kopper für diese Aufgabe zu gewinnen. Wir wissen alle, dass er als Persönlichkeit des Wirtschaftslebens im Ausland eine hohe Reputation hat. Wir hoffen, ihn auch für die kommenden Jahre für diese für unser Land wichtige Funktion gewinnen zu können. ({1}) Wir sind sehr zufrieden, dass es gelungen ist, beim Industrial Investment Council, das ja speziell für Ostdeutschland geschaffen worden ist und zahlreiche Erfolge vorzuweisen hat, die Harmonisierung der Zusammenarbeit zu verbessern. Ich will in diesem Zusammenhang auf die vielen Aktivitäten der Wirtschaftsförderungsgesellschaften der verschiedenen Bundesländer und der Auslandskammern verweisen, die zusammen dazu beitragen, das Bild Deutschlands hinsichtlich seiner wirtschaftlichen Stärke und Attraktivität zu verbessern. Lassen Sie mich etwas zu den Ergebnissen sagen: Die Auslandsinvestitionen in Deutschland betrugen 1997 10 Milliarden Euro, 1998 beliefen sie sich auf 19 Milliarden Euro, 1999 auf 49 Milliarden Euro und im Jahre 2000 wurden Investitionen ausländischer Unternehmen in Deutschland in einer Größenordnung von 200 Milliarden Euro getätigt. Ich meine, das ist weiß Gott eine Leistungsbilanz, die sich sehen lassen kann. Natürlich können Sie sagen, dass darin auch der große Übernahmedeal Vodafone/Mannesmann mit enthalten ist. Aber selbst wenn Sie den herausrechneten, wären es noch 100 Milliarden Euro: das ist gegenüber den Ergebnissen von 1997 eine Verzehnfachung. Ich glaube, Herr Uldall, Sie sollten dazu mal etwas Positives sagen, wenn Sie hier das Wort ergreifen. ({2}) Das Ganze kommt ja nicht von ungefähr. Wenn Sie sich in Nordamerika in den letzten Monaten mit Experten der Wirtschaft, Vertretern von Unternehmen oder Vertretern der Finanzmärkte über Deutschland unterhalten haben, konnten Sie leicht feststellen, dass insbesondere die Reformvorhaben dieser Bundesregierung - die Steuerreform beispielsweise - wesentliche Investitionsvorbehalte der Vergangenheit abgebaut und die Finanzmärkte sowie die Unternehmen für Deutschland verstärkt interessiert haben. Dieses Interesse hat sich auch in konkreten Investitionen niedergeschlagen. Das ist ein großer Erfolg auch dieser Regierung; das muss man immer wieder sagen. ({3}) Das Gleiche gilt für die Haushaltskonsolidierung - sprechen Sie auch darüber mit Wirtschaftsexperten in Nordamerika - als eine Voraussetzung für die Stabilität einer Volkswirtschaft. Für die Anstrengungen auf diesem Gebiet besteht eine hohe Anerkennung in den Vereinigten Staaten von Amerika, Kanada und vielen anderen Ländern. Natürlich gibt es auch Erwartungen, beispielsweise in die Umsetzung der Rentenreform. In diesem Punkt sollten Sie sich vielleicht in den eigenen Reihen einmal die Sporen geben, damit wir das Ganze unter Dach und Fach bekommen. ({4}) Verschiedene Branchen haben sich gut entwickelt und aufgeholt, beispielsweise die Biotechnologie, bei der wir heute an der Spitze rangieren. Weiter nenne ich den Aufholprozess in der Informations- und Kommunikationstechnologie. Wir lagen in diesem Bereich im Mittelfeld und liegen jetzt gemeinsam mit den Skandinaviern an der Spitze in Europa und haben Anschluss an Nordamerika - den Maßstab, dem wir uns zu stellen haben - gefunden. In diesem Zusammenhang finde ich es ganz wichtig, dass ein Mann wie Hilmar Kopper - Herr Uldall, Sie werden sich daran erinnern - im Wirtschaftsausschuss des Bundestages darauf hingewiesen hat, die aufgezeigten Ergebnisse seien nicht irgendwelche Behauptungen unter parteipolitischem Blickwinkel. Er hat erklärt: Diese Steuerreform bedeutet für internationale Unternehmen einen Durchbruch und wird Deutschland in ein ganz anderes Licht rücken, als das bisher der Fall war. ({5}) - So ist es. ({6}) - Hören Sie doch auf! Wenn ich Sie nicht so gut kennte, müsste ich jetzt vermuten, dass hier ein Vertreter der sozialistischen Partei von der ganz linken Seite des Hauses Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms steht. Dass sich die F.D.P. über Konzernpolitik mokiert, hat Ihnen Herr Brüderle ein paar Wochen vor den letzten Landtagswahlen eingeflößt; denn ansonsten haben Sie doch immer mit allen Konzernen dieser Republik auf Du und Du gestanden. Warum grenzen Sie die Konzerne auf einmal aus? ({7}) Wir brauchen die Konzerne genauso wie einen starken Mittelstand in unserem Lande. Wir arbeiten sowohl für die einen wie für die anderen, weil es gegenseitige Abhängigkeiten gibt und nur so Arbeitsplätze in unserem Lande erhalten werden können. Lassen Sie doch Ihre Polemik! ({8}) Ich füge hinzu - ich bitte, das bei allen Betrachtungen über den Standort Deutschland immer zu berücksichtigen -: Zu den Rahmenbedingungen in unserem Land gehören auch der soziale Friede, der Umgang von Arbeitnehmern und Unternehmern miteinander, genauso wie eine hohe Qualifikation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Unternehmen, hervorragende Bildungseinrichtungen und eine offene Gesellschaft, der wir uns stellen und für die wir Rahmenbedingungen schaffen wollen. Summa summarum glaube ich: Diese Bundesrepublik Deutschland kann sich mit Recht in der Welt gut präsentieren. Wir freuen uns, dass die einschlägigen Institutionen besser als in der Vergangenheit zusammenarbeiten. Ich glaube, dass es uns aufgrund der Rahmenbedingungen, die wir gesetzt haben, auch in Zukunft gelingen wird, weitere wichtige Investitionen aus dem Ausland nach Deutschland zu holen. Herr Uldall, verweisen Sie gleich nicht nur auf Negatives. Sie wollen ja stolz auf unser Land sein. Das können Sie in diesem Zusammenhang auch sein. Weisen Sie also auf das Gute hin! ({9})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Gunnar Uldall von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Gunnar Uldall (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002353, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mit einem Dank an Hilmar Kopper, den früheren Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bank, beginnen. Herr Kopper hatte im Jahre 1998 auf unsere Initiative hin, die Initiative der F.D.P.und der CDU/CSU-Fraktion, ({0}) als One-Dollar-Man die Aufgabe übernommen, für den Standort Deutschland im Ausland zu werben. - Wie sehr das schon in Vergessenheit geraten ist, hat eben der Zwischenruf des Herrn Staatssekretärs gezeigt. Herr Staatssekretär, Sie haben vergessen, dass Sie damals, als diese Geschichte angeschoben wurde, noch in der Opposition und dass wir an der Regierung waren. Sie haben zwar eine positive Rolle gespielt. Das rechne ich Ihnen persönlich hoch an. Aber wir wollen die Dinge nicht verzerrt darstellen. Wie gesagt, ich bedanke mich als Erstes bei Hilmar Kopper, dass er diese Aufgabe übernommen hat, und bei seiner Kollegin Frau Martens-Jeebe. Wir bedanken uns ebenso bei Herrn Christoph von Rohr und Herrn Feuerstein vom Management des Industrial Investment Council, die sich ihrer Aufgabe entsprechend um die Ansiedlung von Unternehmen in den neuen Bundesländern kümmern. Das war angesichts der Infrastrukturdefizite, die es damals in den neuen Bundesländern gab und die es zum Teil auch noch heute gibt, nicht immer leicht. Umso mehr freuen wir uns über die Ergebnisse der Arbeit des IIC. Die Verstärkung der Werbung um ausländische Investoren geht auf eine Initiative der CDU/CSU-F.D.P.-Regierungskoalition in der vergangenen Legislaturperiode zurück. Herr Staffelt hatte mich eben aufgefordert, ruhig einmal mit Stolz auf etwas Positives hinzuweisen. Selbst nach den eng gefassten Kriterien der Sozialdemokraten bezüglich der Frage, wann man stolz sein darf, muss ich sagen: Herr Staatssekretär, auf diesen Punkt sind wir stolz; denn das war unser Werk. Das lassen wir uns nicht kaputtreden. ({1}) Vergessen wir nicht die damalige Situation. Ich selbst habe einmal in Tokio 16 verschiedene Dienststellen - ich betone: 16 verschiedene Dienststellen - gezählt, die sich um die Akquisition von Investoren für Deutschland bemühen. Das ist eine echte teutsche Mannigfaltigkeit. Niemand weiß, an wen er sich wenden kann und wer zuständig ist. Deswegen entstand unser Gedanke, eine zentrale Ansprechinstitution im Ausland zu gründen. In Tokio oder New York kennt doch kein Mensch den Unterschied zwischen Sachsen, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt - dort weiß man kaum, dass es den Begriff Sachsen in Deutschland überhaupt gibt -, da können wir doch beim besten Willen von keinem Investor in Übersee verlangen, zwischen diesen drei Bundesländern zu unterscheiden. Aus diesem Grund haben wir eine gemeinsame Institution geschaffen. Es ist also einiges Gutes auf den Weg gebracht worden; dennoch gibt es auch in diesem Bereich noch viel zu tun. Bei der Frage der institutionellen Vertretung Deutschlands im Ausland müssen wir zum Beispiel die Koordinierung mit den Ländern weiter verbessern. Ich weiß, dass das angesichts unserer 16 selbstbewussten Bundesländer eine schwierige Aufgabe ist; aber, Herr Staatssekretär, dann muss die Bundesregierung eben noch ihre Schularbeiten erledigen und mit großer Nachhaltigkeit, Energie und Konsequenz dafür sorgen, dass die Koordination in der Ansiedlungs- und Akquisitionsphase durch zentrale Ansprechpartner gewährleistet wird. Wenn es später darum geht, die Betriebe in Deutschland bis zur Produktion zu begleiten, mag das von den Ländergesellschaften übergenommen werden, aber eine falsche Konkurrenz, eine falsche Eifersucht zwischen den Bundesländern ist nicht länger vertretbar. Der Kollege Staffelt kann das, was nun folgen wird, leider nicht mehr hören, weil er schon gehen musste. Ich kann aber auch so bestätigen, dass Deutschland ein guter Investitionsstandort ist; das ist überhaupt keine Frage. Wir können mit Stolz darauf blicken, wie sich Deutschland entwickelt hat. Die Probleme, die wir Anfang der 90erJahre mit der Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands hatten, haben wir Mitte der 90er-Jahre beseitigt. Um die Wettbewerbsnachteile abzuschaffen, um überkommene Strukturen in vielen Betrieben mancher Branchen zu überarbeiten, waren große Anstrengungen notwendig; doch diese Arbeiten haben wir bis Mitte der 90er-Jahre abgeschlossen. Seitdem haben wir große Sprünge nach vorne gemacht. Ich will drei Branchen als Beispiele herausgreifen. Zum Maschinenbau: Wir erinnern uns noch genau, welche Probleme damals den deutschen Maschinenbau bewegten. In der Zwischenzeit sind die großen Strukturprobleme von den Unternehmen beiseite geräumt worden. Heute liegen unsere Maschinen- und Anlagenexporteure hinsichtlich ihrer Leistungsfähigkeit im weltweiten Vergleich auf Platz 1. Das ist eine große Leistung, die unsere Unternehmen erbracht haben; darüber können wir uns freuen. ({2}) Zum Automobilbau: Erinnern wir uns an die Sorgen, die wir wegen der japanischen und amerikanischen Konkurrenz damals hatten! In der Zwischenzeit sieht das Bild ganz anders aus: Die japanische Automobilindustrie wird uns von keinem mehr als das Musterbeispiel Nummer 1 vorgehalten. Vielmehr beteiligen sich unsere Unternehmen heute an den großen japanischen und amerikanischen Automobilherstellern und produzieren in diesen Ländern. Insofern können wir sagen, dass die deutsche Automobilbranche die Nummer 1 in der Welt ist. Darauf können wir als Deutsche stolz sein. ({3}) Zu den Finanzdienstleistern: Auch in diesem Bereich hört man häufig, es seien die Amerikaner, die das Feld beherrschen. Es sind aber nicht nur die Amerikaner. Die mögen beim Investmentbanking zwar - das ist richtig - noch vor den Deutschen liegen, aber was die Informationstechnologie der Finanzdienstleister angeht, sind unsere Unternehmen Spitze. Diese Technologien haben die deutschen Unternehmen selber entwickelt. Heute können wir mit Freude zur Kenntnis nehmen, dass wir uns aus der zweiten oder dritten Reihe an die Spitze emporgearbeitet haben. Es gibt eine ganze Reihe von Branchen, die man noch nennen könnte. Deswegen kann man sagen: Die deutschen Unternehmen haben Mitte der 90er-Jahre die Umstrukturierungen abgeschlossen. Ich zitiere einen Slogan, der damals, 1998, von uns gebraucht, aber immer belächelt wurde: Deutschland hat den Turnaround geschafft. ({4}) Damals sind wir nach vorne gekommen. Deutschlands schwierige Branchen sind wieder an die Spitze gerückt. Deswegen können wir feststellen: Die harten Schnitte erinnert sei an die Mühen und die Arbeit - wurden von der Vorgängerregierung gemacht. Die Früchte kassiert heute eine andere Regierung. So ist es im Leben nun einmal. Wir freuen uns für alle Deutschen, dass diese Politik zu einem guten Ergebnis geführt hat und dass wir heute besser dastehen als früher. ({5}) Die Welt ist dennoch nicht so schön, wie sie Herr Kollege Staffelt gezeichnet hat. Der Anstieg des Umfangs ausländischer Investitionen in Deutschland - er selbst hat das Beispiel Vodafone genannt - ist rechentechnisch durch die Übernahme von großen Betrieben zu erklären. Wenn man das berücksichtigt, dann sieht die Welt schon ganz anders aus. Wir müssen leider feststellen: Im Hinblick auf das deutsche Ansehen bei ausländischen Investoren ziehen wieder einige Wolken am Himmel auf. Das Wichtigste in diesem Zusammenhang ist das Betriebsverfassungsgesetz. In Amerika schaut man auf ein solches Gesetzgebungswerk mit völligem Unverständnis. Man verfolgt nicht, was im Einzelnen dahinter steht. In Bezug auf das Mitbestimmungsmodell - in dieser Form gibt es das in Amerika oder in anderen Ländern in Übersee gar nicht; man hat es dort nie verstanden - hört man dort nur, dass es von den Deutschen nicht nur nicht eingeschränkt, sondern sogar noch ausgebaut wird. Dadurch werden die Akquisitionsbemühungen unserer vor Ort operierenden guten Leute wesentlich erschwert. Dies gilt erst recht, wenn die Mitbestimmungsregelungen der EU Platz greifen, nach denen die Art der Mitbestimmung in einem Unternehmen vom Sitz des Konzerns abhängig ist. Die Konsequenz wird sein, dass man seinen Konzernsitz nicht nach Deutschland, sondern ins Ausland verlegt. Deswegen fordere ich die Bundesregierung auf, sich ganz intensiv dafür einzusetzen, eine flexiblere Lösung zu finden, damit die Konzernspitzen nicht aus Deutschland in andere Länder abwandern. ({6}) Weitere dunkle Wolken ziehen am Himmel mit der Verlängerung des Postmonopols auf. Es geht in keinen amerikanischen Kopf hinein, dass von dieser Regierung das Postmonopol in Deutschland nicht nur nicht abgeschafft, sondern sogar noch verlängert wird. Das, was sich jetzt negativ abzeichnet, muss verhindert werden. Hoffentlich ist es zum Teil nicht schon zu spät. Für die Regierung und für die Koalition bestehen zum Beispiel noch Handlungsmöglichkeiten, was die Liberalisierung des Arbeitsmarktes angeht. In anderen Ländern versteht kein Mensch die deutschen Regelungen; sie sind so kompliziert, dass noch nicht einmal wir Deutsche sie richtig verstehen können. Wie soll man dann in Amerika Verständnis für diese Dinge haben? Als Letztes möchte ich Folgendes sagen: Wir müssen in Deutschland von der übermäßigen Betonung des Konsums wegkommen und wir müssen die Investitionen in Deutschland verstärken. Es ist doch geradezu grotesk, dass in einem Land wie Mecklenburg-Vorpommern 2 Milliarden DM für Investitionen ausgegeben werden, während gleichzeitig die gleiche Summe für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, also für schlichten Konsum, zur Verfügung gestellt wird. ({7}) Wir können uns das auf Dauer in Deutschland nicht erlauben. Es gibt eine Reihe von Punkten, mit denen wir zufrieden sein können. Ich denke an den guten organisatorischen Aufbau. Damit meine ich zum Beispiel den Beauftragten für Auslandsinvestitionen oder die Tätigkeit des IIC. Diese positiven Effekte werden aber durch verschlechterte wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen beeinträchtigt. Wer mehr für die Ansiedlung in Deutschland tun will, muss vor allen Dingen auf eine gute Wirtschaftspolitik achten. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat der Kollege Werner Schulz, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

Werner Schulz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002108, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kollege Uldall, was Sie sich wirklich gutschreiben können, ist die Berufung des Beauftragten für Auslandsinvestitionen 1998. Das war, glaube ich, eine der letzten Amtshandlungen der Regierung Kohl und, wenn man so will, vielleicht auch späte Einsicht; denn es ist ja ein Wunsch aller Fraktionen gewesen, verstärkt etwas für die Werbung des Standortes zu tun und sich verstärkt um die Akquirierung von Auslandsinvestitionen zu kümmern. Aber Sie glauben doch nicht im Ernst, dass Sie das allein mit der Einrichtung eines einzelnen Büros und mit der Benennung einer honorigen, bekannten, renommierten Persönlichkeit hinbekommen würden. Wenn hier die Rahmenbedingungen nicht stimmen würden, wenn hier, was Sie als Letztes gesagt haben, nicht eine positiv ausstrahlende Wirtschaftspolitik da wäre, würden normalerweise die ausländischen Investoren nicht auf diesen Standort schauen. Tatsache ist doch, dass nach langen Jahren der Dornröschenschlaf vorbei ist, dass der Standort Deutschland aus diesem Dornröschenschlaf wieder erwacht ist und dass vor allen Dingen die Wirtschaftspolitik, die Haushaltskonsolidierung, die Steuerreform und viele Deregulierungsmaßnahmen dazu beigetragen haben, wieder verstärkt ausländische Investitionen zufließen zu lassen, dass die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Deutschland deutlich verbessert worden ist und wir im Grunde genommen diesen Reformstau Schritt für Schritt aufgelöst haben und dass man wieder auf Deutschland schaut, weil es sich lohnt, in Deutschland zu investieren. Das trifft natürlich auch auf das zu, was durch das Industrial Investment Council, das IIC, in Abstimmung mit den Auslandshandelskammern und der Wirtschaft geleistet worden ist. Ich glaube, dass auch die Abstimmung, die Koordinierung bei der Werbung von Auslandsinvestitionen verbessert worden ist. Auf der anderen Seite muss man aber feststellen, dass auch die Konkurrenz nicht schläft, im Gegenteil. Wenn man die finanzielle Ausstattung unserer Werbung sieht, dann muss man feststellen, dass sich das doch noch auf sehr niedrigem Niveau bewegt. Die Ausstattung vergleichbarer Einrichtungen unserer europäischen Konkurrenten ist ungleich besser. Das gilt selbst dann, wenn man das Büro von Herrn Kopper und das IIC zusammen betrachtet. Hier ist durchaus Nachholbedarf festzustellen, eine Aufgabe, die übrigens zwischen Bund und Ländern gelöst werden muss. Die Standortwerbung ist ja doch mehr oder weniger eine Aufgabe der Länder und Kommunen, auch wenn der Bund hier wichtige Unterstützung leistet und eine entscheidende Anlaufstelle errichtet hat. Wichtiger und wünschenswert ist, dass sich auch die Länder daran beteiligen, dass die Aktivitäten der Länder koordiniert werden, nicht nur weil der Bundesrechnungshof das angemerkt hat, sondern weil ja vor allen Dingen die Länder von dieser Anlaufstelle profitieren. Ich hoffe, dass die Entscheidungen dazu noch in diesem Jahre fallen werden, und hoffe auch, dass die aufgetretenen Differenzen lösbar sind, so wie sich das angedeutet hat. Ich glaube aber auch, dass die strategische Ausrichtung hinsichtlich der Werbung von Auslandsinvestitionen überprüft werden und viel stärker beispielsweise auf die Bereiche Telekommunikation, E-Commerce, Medizintechnik und Dienstleistungen fokussiert werden muss, weil hier vor allem die Erstinvestitionen für uns sehr wichtig sind. Der Standort Deutschland ist heute wieder ein attraktiver Standort. Er bietet hoch qualifizierte Arbeitnehmer, eine überragende Infrastruktur - das hat sich herumgesprochen -, viele innovative Unternehmen und vor allem Rechtssicherheit. Ich glaube, auch das sind wichtige Standortfaktoren, die dazu beitragen, dass uns hier wieder verstärkt ausländische Investitionen zufließen. Das gilt auch für die neuen Bundesländer. Das muss ich ausdrücklich betonen. Die neuen Bundesländer stellen ein Gebiet dar, in das zu investieren sich lohnt, nicht nur durch die bevorstehende Osterweiterung, wodurch sich hier eine europäische Verbindungsregion aufbaut, sondern auch in Bezug auf das, was wir dort schon investiert haben, was dort im Grunde genommen an Vorleistungen erbracht worden ist. Wer heute in diese neuen Bundesländer investiert, der investiert in eine der dynamischsten Regionen Europas, der investiert letzten Endes in die Zukunft Deutschlands. Gerade hier kann man feststellen, dass sich eine positive Tendenz abzeichnet. Der Fluss von ausländischen Direktinvestitionen in die neuen Bundesländer hat zugenommen. Das ist doch zumindest ein positives Zeichen. Ich danke ihnen. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat der Kollege Walter Hirche von der F.D.P.-Fraktion das Wort.

Walter Hirche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002678, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine Debatte, in der sich die Fraktionen dieses Hauses im Grundsatz einig sind, dass man die Dinge gemeinsam anpacken muss, ist positiv zu bewerten. Wenn wir in Zukunft diesen Weg nicht gemeinsam weitergehen, dann würden wir die Bemühungen um Stärkung der Auslandsinvestitionen in Deutschland torpedieren. Daran kann keiner ein Interesse haben. Wenn man sich den umfangreichen Bericht der Bundesregierung anschaut, dann kann man allein aufgrund der Daten feststellen - Gründung des IIC, des Industrial Investment Councils, im Jahre 1996 und Berufung des Beauftragten im Jahre 1998 -, dass die entscheidenden Weichenstellungen von der letzten Bundesregierung aus CDU/CSU und F.D.P. vorgenommen worden sind. Herr Uldall hat schon darauf hingewiesen, dass in der Regel eine gewisse Zeit zwischen Säen und Ernten vergeht. Das war auch hier der Fall. Die Kooperation innen und außen muss natürlich immer weiter verbessert werden. Mein Eindruck ist, dass in der Kooperation außen Verbesserungen nach wie vor erforderlich sind. Es ist richtig, dass die Botschaften heute anders arbeiten, als dies früher der Fall war. Das ist ein Verdienst von Klaus Kinkel, der sich in den letzten Jahren sehr stark für eine Zusammenarbeit eingesetzt hat. Die Außenhandelskammern arbeiten nun mit den Botschaften zusammen. Auch andere Aktivitäten - Stichwort „Area Manager“ - wurden zusammengefasst, indem gemeinsame Anlaufstellen geschaffen wurden. Die Situation ist in einigen Ländern allerdings noch verbesserungsfähig. Wenn Sie sich einmal die Zahlen für das Haushaltsjahr 2000 anschauen, dann können Sie feststellen, dass der Bund 4 Millionen DM für den Beauftragten und 11 Millionen DM für das IIC bereitstellt. Unseren Ausgaben in Höhe von 15 Millionen DM stehen zum Beispiel 60 Millionen DM gegenüber, die ein Land wie Großbritannien in die Standortwerbung investiert. Diesen Unterschied muss man zur Kenntnis nehmen. Man muss aber noch einen anderen Punkt beachten. Nach meiner Einschätzung - ich sage das unter anderem aus meiner Erfahrung als Wirtschaftsminister in zwei Bundesländern - ist das Verhältnis von Bund und Ländern in diesem Bereich nach wie vor nicht optimal. Dieses Verhältnis lässt sich überhaupt nur teilweise verbessern; denn jeder Landeswirtschaftsminister hat natürlich ein Interesse daran, für seine Region Vorteile herauszuholen. Ein Botschafter in Japan hat mir nach der Wiedervereinigung einmal gesagt, das Problem sei, dass das Jahr nur 12 Monate habe, aber wir 16 Bundesländer haben. Das heißt, es wird eng, wenn alle Bundesländer versuchen, sich bei jeder Gelegenheit zu präsentieren. Deswegen müssen wir versuchen, die Zusammenarbeit auf praktische Weise zu gestalten, ohne irgendjemandem Vorwürfe zu machen. Ich gebe zu, dass das nicht ganz einfach ist. ({0}) Ich stimme auch ohne weiteres zu, dass letzten Endes die Fundamentaldaten entscheidend sind, warum Unternehmen nach Deutschland kommen. Man muss sich folgende Fragen stellen: Gibt es Marktchancen für die Produkte? In welcher Zeit nach Kauf oder Errichtung eines Betriebs kann man mit dem neuen Produkt am Markt sein? Wie sieht die Kostensituation aus? Gar keine Frage, dies ist - Herr Staffelt hat vorhin meinen Zwischenruf etwas missverstanden - das Entscheidende. Ich bin der Meinung, dass die Änderungen im Körperschaftsteuergesetz - Körperschaftsteuer bei Veräußerungen herunter auf null - attraktivere Rahmenbedingungen für Investitionen schaffen. Herr Uldall hat noch einen weiteren Punkt angesprochen: Die Liberalisierung, die wir in verschiedenen Bereichen durchgeführt haben, hat natürlich Kapital ins Land gelockt. Wenn Sie aber das Postmonopol verlängern und wenn Sie in anderen Bereichen versuchen, die Liberalisierung rückgängig zu machen, dann werden Sie das Gegenteil von dem bewirken, was für die Schaffung attraktiver Rahmenbedingungen notwendig wäre. Die OECD kommt zu dem Schluss, dass das deutsche Arbeitsrecht weltweit gesehen unflexibel ist. Es ist somit ein Investitionshemmnis. Auch unsere typisch deutschen Genehmigungsverfahren - da sollten wir uns nichts vormachen - wirken sich hemmend auf Investitionen aus. Statt uns aufzuraffen, die für Ostdeutschland nach der Wiedervereinigung geltenden Sonderbestimmungen auf ganz Deutschland zu übertragen, haben wir die Verfahren im Osten an die behäbigen Verfahren im Westen angepasst. Wir müssen uns gemeinsam für Veränderungen einsetzen. Die Genehmigungsverfahren dauern zu lange, um angesichts der Konkurrenzsituation weiterzukommen. Ein Punkt sollte noch stärker beachtet werden, Herr Staatssekretär. Ich habe in der Vergangenheit im Rahmen meiner Tätigkeit immer dann die besten Erfahrungen gemacht, wenn ich im Ausland bei ausländischen Investoren, die schon in Deutschland sind, für den Standort Deutschland geworben habe. Dieser Ansatz scheint mir in den Konzepten ungenügend zu sein. Es ist sinnvoll, neue Verbündete zu suchen, um insgesamt mehr Effizienz zu erreichen. Auch die Tatsache, dass Deutschland im Hinblick auf die Erweiterung der EU nach Mittel- und Osteuropa besondere Vorzüge hat, nützt vielleicht uns allen. Wir brauchen nämlich diese Investitionen, um mehr Arbeitsplätze in Deutschland zu schaffen. Das ist doch, wie ich denke, unser gemeinsames Ziel. Hier sind wir auf einem guten Wege. ({1})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich gebe das Wort dem Kollegen Rolf Kutzmutz für die Fraktion der PDS.

Rolf Kutzmutz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002713, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Zusammenhang mit der Suche nach ausländischen Investoren für Deutschland stehen für mich drei Fragen im Vordergrund: Erstens. Die Präsentation von „www.invest-in-germany.de“ im Internet, die ich mir gestern angeschaut habe, ({0}) erschien mir übersichtlich, prägnant, aktuell und auch benutzerfreundlich. ({1}) Sehen das aber auch die potenziellen Investoren und die Adressaten so? Oder gibt es noch etwas zu tun bzw. zu verändern? Von der Beantwortung dieser Fragen hängt schließlich ab, wie die Investorenwerbung in nächster Zeit inhaltlich ausgerichtet und finanziell ausgestattet werden muss. Zweitens. Es ist bekannt, dass der Vertrag von Hilmar Kopper im Juni endet. Es stellt sich die Frage: Verlängert er ihn oder findet man einen anderen bekannten Manager, der ähnlich engagiert und erfolgreich Unternehmensansiedlungen in Deutschland bewirbt? An dieser Stelle ist mehrfach bildlich von Saat und Ernte gesprochen worden. Es ist wahr - ich will mich damit in keinster Weise bei der Regierung anbiedern -, dass Herr Mosdorf persönlich sehr großen Anteil daran hatte, dass diese Stelle überhaupt geschaffen wurde. Er hat dafür schon dicke Bretter bohren müssen. ({2}) Drittens. Seit 1997 wurden genannte SED-Millionen für die Akquise von Projekten in Ostdeutschland eingesetzt. Dieses Geld wird bis zum Jahresende aufgebraucht sein. Wird dann das dort zweifellos aufgebaute Knowhow weiter finanziert oder zerstreut es sich in alle Winde? Das ist eine wichtige Frage. Nun zu unserem Standpunkt: Wir halten eine einzige Anlauf- und Informationsstelle für potenzielle Investoren, die auch Werbung zentral aus einer Hand koordiniert, im internationalen Wettbewerb für unverzichtbar. Damit wird nicht gegen den Föderalismusgrundsatz verstoßen; schließlich wird der Wirtschaftsförderung der Länder nichts weggenommen. Im Gegenteil, dadurch werden ihre Chancen verbessert. ({3}) Entscheidend ist übrigens nicht die Größe einer Einrichtung, sondern ihre Effizienz. Aber die Herstellung von Effizienz kostet eben auch Geld. Es geht nicht nur um eine tolle Standortwerbung, sondern in erster Linie um die tatsächlichen Rahmenbedingungen vor Ort. Anlocken ist nämlich das eine; das Halten von Investoren das andere. Auch die 60 Millionen DM, Herr Hirche, die England für diese Aufgabe aufbringt, haben nicht verhindern können, dass in den letzten zwei Jahren dort große Werke geschlossen wurden und Investoren England wieder verlassen haben. Auch dies ist ein Beispiel dafür, dass es uns hier um Effizienz gehen muss. ({4}) Es stellt sich für uns die Frage, ob ein weiteres Nebeneinander von Bundesbeauftragten und Industrial Investment Council auf Dauer wirkungsvoll und sinnvoll ist. Zum einen haben sich die Entwicklungspotenziale der neuen Länder mittlerweile so ausdifferenziert, dass eine gemeinsame Dachmarke wohl kaum noch zur Investorenwerbung beiträgt; zumindest wird es damit nicht gelingen, dass alle Länder tatsächlich gleichermaßen von den Aktivitäten profitieren werden. Zum anderen gibt es bei einer Zusammenführung von Institutionen immer auch Synergieeffekte. Warum werden also nicht beide Institutionen verschmolzen und dann auch vom Bund allein bezahlt? Dies bitte ich als Frage bzw. als Vorschlag zu betrachten, nicht als Forderung. Dieses durchzusetzen, hätten wir sowieso nicht die Kraft. Auf alle Fälle muss die künftige Gestaltung der Investorenwerbung schnell und ernsthaft in den Ausschüssen beraten werden. Die Unterrichtung durch die Bundesregierung ist dafür eine gute Grundlage. Es müssen aber auch eigene wirkungsvolle Vorschläge gemacht und Beschlüsse für die Zukunft dieses wirtschaftspolitisch wichtigen Gegenstandes gefasst werden, und das möglichst - das möchte ich allen ans Herz legen - vor den nächsten Haushaltsberatungen. Danke schön. ({5})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, Siegmar Mosdorf.

Siegmar Mosdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001535

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In den letzten zehn Jahren hat sich die Weltwirtschaft fundamental verändert. Lassen Sie sich folgende Zahlen einfach noch einmal auf der Zunge zergehen: Das Weltsozialprodukt ist in den letzten zehn Jahren im Schnitt um 3,5 Prozent gewachsen; gleichzeitig ist der Welthandel um 7 Prozent und sind die Finanzdienstleistungen um 12 Prozent gewachsen; die weltweiten Direktinvestitionen aber sind um 26 Prozent gestiegen. Das zeigt auf, dass sich die weltwirtschaftlichen Strukturen fundamental verändern. In der Nachkriegszeit galt das alte klassische Exportmodell. Es gab eine Megafabrik, von der aus die ganze Welt bedient worden ist. Heute geht das so nicht mehr, weil die Absatzländer Wert darauf legen, dass bei ihnen auch produziert wird. Das Ergebnis ist, dass man dezentral produziert und in quasi transnationalen Unternehmen zentral steuert. Diese neue Entwicklung führt dazu, dass nicht nur Mercedes in Tuscaloosa und Heinrich von Pierer von Siemens in China investieren, sondern auch die Asiaten und Nordamerikaner auf dem europäischen Kontinent Fabriken bauen, um hier präsent zu sein. Das ist ein bisschen das Geheimnis der Entwicklung bei den Direktinvestitionen, die enorm gestiegen sind. Man muss sich vorstellen: Der weltweite Zufluss von Direktinvestitionen beträgt 865 Milliarden DM im Jahr. Das kennzeichnet die ganz grundlegende Umwälzung der weltwirtschaftlichen Systeme der vergangenen 50 Jahre in den letzten zehn Jahren. Wir haben darauf reagiert. Ich bin dem Kollegen Kutzmutz dankbar dafür, dass er Gunnar Uldall, weil beide zu dem Zeitpunkt im Wirtschaftsausschuss waren und das genau mitbekommen haben, noch einmal darauf hingewiesen hat, dass wir bereits in einem sehr frühen Stadium vorgeschlagen haben, eine Agentur zu schaffen, die sich direkt um ausländische Investoren kümmert. Angesichts der Tatsache, dass die Grande Nation eine Agentur gegründet hat, die einen englischen Namen hat - „Invest in France“; es ist ganz ungewöhnlich, dass die Franzosen so etwas zulassen und viel Geld dafür aufwenden, ebenso wie die Briten -, mussten auch wir so etwas machen. Herr Hirche, bei aller Wertschätzung: Herr Rexrodt hat lange dagegengehalten - Herr Uldall wird sich daran erinnern - und gesagt, das bräuchten wir nicht. ({0}) - Nein, es geht nicht um IIC; das ist eine andere Sache. Es geht um die Kopper-Geschichte. Erst im Sommer 1998, in der Schlussphase der Regierung Kohl, bestand nach etlichen Gesprächen Einvernehmen, dass das eine vernünftige Lösung ist. Ich bin sehr dankbar dafür, dass sich Herr Kopper dazu bereit erklärt hat, diese wichtige Aufgabe zu übernehmen. Ich glaube, wir alle sind dankbar dafür. Ich freue mich, Ihnen jetzt auch mitteilen zu können, dass wir - das war die Frage von Herrn Kutzmutz - den Vertrag mit Herrn Kopper verlängert haben, weil wir glauben, dass er einen guten Namen hat und dass er uns im Ausland gut vertreten kann, weil er von der Sache etwas versteht, weil er kompetent ist und weil er mit seinem guten Leumund im Ausland Investorengespräche führen kann, die kein anderer führen könnte. Das hat auch durchaus Wirkung. ({1}) Dafür, dass er das macht, gilt es wirklich Dank zu sagen. Ich nehme aber gerne den Gedanken von Herrn Hirche auf: Warum soll man nicht amerikanische oder asiatische Investoren, die bei uns erfolgreich investiert haben und sich in Deutschland wohlfühlen, bei Präsentationen in ihren Heimatregionen zeigen: Es macht Sinn, bei uns zu investieren und sich hier zu engagieren? Die Zahlen sind eindrucksvoll. Wir haben im letzten Jahr in Deutschland so viele Direktinvestitionen gehabt wie in den gesamten 90er-Jahren nicht. Selbst wenn man den Anteil von Vodafone abzieht, haben wir noch immer ein erhebliches Volumen nach Deutschland geholt. Angesichts der Veränderungen der Weltwirtschaft müssen unsere Bemühungen aber weitergehen. Deshalb ist es gut, dass wir regelmäßig diesen Bericht für den Wirtschaftsausschuss und auch für das Parlament machen. Die Dachmarke „Investieren in Deutschland“ hat, neben vielen anderen Dingen, auch der Verbesserung der Rahmenbedingungen, mit dazu beigetragen, dass die lähmende Standortdiskussion, die wir Anfang der 90erJahre hatten - manche werden sich noch daran erinnern -, als es Wirtschaftsführer gegeben hat, die in Tokio oder New York negativ über den Standort Deutschland geredet haben, nicht mehr existiert. Das hilft uns sicher allen. Insofern können wir mit der Entwicklung zufrieden sein, die wir insgesamt erlebt haben. ({2}) Jetzt komme ich zum IIC, das eine gute Arbeit macht. Herr Kutzmutz hat auch in Bezug darauf die Frage gestellt, wie es weitergeht. Wir haben eine Brücke gebaut, sodass das IIC jetzt bis zum Jahr 2004 fortgesetzt werden kann. Unsere Perspektive ist allerdings - das stimmt durchaus mit der Richtung überein, die Sie genannt haben; auch die Sozialdemokraten sehen das so -, diese Einheiten zusammenzuführen. Werner Schulz hat eben die Frage aufgeworfen, wie man das effizient gestalten kann. Ich glaube, es macht Sinn, auf mittlere Sicht beide Einheiten zusammenzuführen und so etwas wie eine Agentur mit einem guten Kopf, der diese Agentur dann weltweit repräsentieren kann, zu schaffen. „Kopper plus IIC“ wäre eine gute Plattform der Zukunft. Im Moment ist das IIC eine wichtige Einrichtung, die uns - vor allen Dingen den neuen Bundesländern - hilft, in dem schwierigen Wettbewerb zu bestehen. Wir sollten gemeinsam versuchen, alles zu tun, um diese Entwicklung fortzusetzen, und auch gemeinsam die Zusammenarbeit zwischen der Einheit, die Hilmar Kopper vertritt, und dem suchen, was das IIC leistet. Wir haben enorme Ergebnisse erzielt. 60 ausländische Investoren sind nach Deutschland gekommen; das Investitionsvolumen beträgt rund 4,2 Milliarden DM. Dazu hat das IIC einen wichtigen Beitrag geleistet. Insofern können wir, meine Damen und Herren, mit der Gesamtentwicklung zufrieden sein, wenn auch nicht so zufrieden, dass wir nicht immer wieder neue Ideen und neue Impulse brauchten. Die Weltwirtschaft ist heute eine Wettbewerbsarena mit 30 hoch entwickelten Volkswirtschaften. Wir müssen uns in dieser Arena behaupten. Deshalb ist es ganz wichtig, dass wir diesen Kurs fortsetzen und dabei neue Ideen aufnehmen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({3})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 14/4240 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Das Haus ist damit einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 und Zusatzpunkt 7 auf: 9. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dagmar Wöhrl, Christian Schmidt ({0}), Wolfgang Börnsen ({1}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Strukturpolitische Verantwortung für Bundeswehrstandorte übernehmen, die die Bundesregierung schließen oder verkleinern will - Drucksache 14/5550 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({2}) Verteidigungsausschuss Auschuss für Angelegenheiten der neuen Länder Haushaltsausschuss ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Günther Friedrich Nolting, Ina Albowitz, Hildebrecht Braun ({3}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P. Hilfe durch den Bund für die von Reduzierung und Schließung betroffenen Bundeswehrstandorte ist unverzichtbar - Drucksache 14/5467 Überweisungsvorschlag: Verteidigungsausschuss ({4}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und gebe zunächst für die CDU/CSU-Fraktion dem Kollegen Kurt Rossmanith das Wort.

Kurt J. Rossmanith (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001887, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zur Begründung und Darstellung dieses Antrages ist es erforderlich, dass wir uns zunächst einmal daran erinnern - manche haben das in der gesamten Euphorie scheinbar schon wieder vergessen -, warum es dieses Antrages bedurfte: wegen einer nicht vorstellbaren Reduzierung unserer Streitkräfte durch diese Bundesregierung. In der Tat ist die Lage der Bundeswehr dramatisch. Schon heute wird die Bündnisfähigkeit unseres Landes infrage gestellt. Generalinspekteur Kujat hat öffentlich beklagt, dass der gegenwärtige Zustand der Bundeswehr nicht mehr tragbar sei, und zweifelt bereits an der militärischen Fähigkeit Deutschlands, seinen internationalen Verpflichtungen nachzukommen. Diese Bundesregierung, meine sehr verehrten Damen und Herren, betreibt Sicherheitspolitik nach Kassenlage und verstößt damit fundamental gegen die sicherheits- und außenpolitischen Interessen unseres Landes; denn die von der Bundesregierung beschlossene massive Reduzierung der Bundeswehr und die damit natürlich verbundenen Standortschließungen sind rein finanzpolitisch motiviert. Verteidigungsminister Scharping hat in der Vergangenheit wiederholt erklärt, dass die Bundeswehr auch nach ihrer Reduzierung in der Fläche präsent bleiben werde. ({0}) Das Gegenteil ist nun eingetreten. Weite Landstriche, vor allem in Bayern, aber auch in Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und anderen Bundesländern, werden künftig „bundeswehrfreie Zonen“ sein. Dies ist, wie ich finde, mehr als bedauerlich, ({1}) nicht nur für die dortige Bevölkerung, sondern insbesondere für jene Regionen, in denen die Soldaten der Bundeswehr stets willkommen waren und in denen es, wie in vielen Standortgemeinden in Bayern, eine jahrzehntelange Tradition des positiven Miteinanders gegeben hat. Doch auch für die Bundeswehr wird, nicht zuletzt mit Blick auf die künftige Rekrutierung von Nachwuchskräften, ein nicht wieder gut zu machender Schaden entstehen. Die Bundeswehr wird schlicht und einfach in der Fläche nicht mehr präsent sein. In Gutsherrenmanier - der Bundesverteidigungsminister befand es nicht für nötig, vorher mit den betroffenen Kommunen zu sprechen wurde unter den Standorten eine rigorose Kahlschlagspolitik betrieben. Unter dem Diktat des Finanzministers ist Minister Scharping zu einem Vollstrecker traditionell grüner Forderungen geworden. Die Grünen freuen sich natürlich darüber. Jetzt muss es darum gehen, die schwerwiegenden wirtschaftlichen und sozialen Folgen in den betroffenen Gemeinden ohne große Verwerfungen zu bewältigen. Die von der Bundesregierung beabsichtigte Reduzierung der Bundeswehr um über 100 000 Soldaten und zivile Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hat gravierende Folgen für die wirtschaftliche und soziale Lage der betroffenen Kommunen. Die Standortschließungen und Standortreduzierungen erfolgen vorwiegend in strukturschwächeren Regionen. Kriterien wie Wirtschaftskraft und Arbeitsmarkt - vorher von Verteidigungsminister Scharping groß hervorgehoben - haben überhaupt keine erkennbare Berücksichtigung gefunden. ({2}) Für die konkret betroffenen Gemeinden sind die Folgen teilweise unübersehbar. Kaufkraft wird in erheblichem Umfang verloren gehen, Wohnungsleerstand und Arbeitslosigkeit drohen, die Gemeindehaushalte werden erhebliche Einbußen zu verkraften haben. ({3}) Selbstverständlich erwarten wir vom Bundesverteidigungsminister, dass er seiner Fürsorgepflicht auch gegenüber den Angehörigen der Bundeswehr nachkommt. Deswegen darf es reduzierungsbedingte Kündigungen ebenso wenig geben wie unzumutbare Versetzungen. ({4}) Es ist vielleicht in diesem Zusammenhang nur ein Nebenaspekt, aber ich möchte dennoch erneut darauf hinweisen, dass gerade der Freistaat Bayern überproportional von Scharpings Reduzierungspaket betroffen ist. Die bundesweite Reduzierung des Personalumfangs der Bundeswehr beläuft sich auf rund 14,4 Prozent; in Bayern liegt sie bei rund 19 Prozent. Bundesweit werden, wie wir wissen, 39 Standorte geschlossen, davon allein 13 - ein Drittel - in Bayern. Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters Ich möchte deshalb die Situation anhand eines Beispiels, der Schließung des Fliegerhorstes in Memmingerberg in meinem Wahlkreis deutlich machen, der am stärksten betroffen ist. 2 350 Beschäftigte werden durch die Schließung ihren derzeitigen Arbeitsplatz verlieren, darunter 650 zivile Beschäftigte. Der Fliegerhorst ist für die Region ein sehr bedeutender Wirtschaftsfaktor. Durch seine Aufträge an die heimische Wirtschaft sichert er zahlreiche Arbeitsplätze. Der Memminger Oberbürgermeister Dr. Ivo Holzinger, SPD, weist darauf hin, dass im Raum Memmingen durch die Schließung des Standortes Kaufkraft in Höhe von 250 Millionen DM jährlich verloren gehen wird. Betroffen sein werden jedoch nicht nur Arbeitsplätze im Handwerk, im Handel oder im sonstigen Gewerbe. Der SPDOberbürgermeister von Memmingen befürchtet beispielsweise, dass auch in Schulen, Berufsschulen und vor allem in Kindergärten massenweise Arbeitsplätze verloren gehen werden. Dies alles betrifft nicht nur die Regionen, in denen Standorte geschlossen werden. Es betrifft natürlich auch jene Kommunen - wie zum Beispiel die Nachbarstadt Sonthofen -, in denen die massive Reduzierung des Standortes de facto einer Schließung gleichkommt. Für die Folgen der Standortschließungen trägt allein die Bundesregierung die Verantwortung. Sie muss sich nun auch dieser Verantwortung stellen. Es kann nicht angehen, meine sehr verehrten Damen und Herren, dass die Standortgemeinden jetzt im Regen stehen gelassen werden. ({5}) Deshalb fordern wir die Bundesregierung auf, ein umfassendes Konversionsprogramm aufzulegen, das die Schaffung neuer Arbeitsplätze in den betroffenen Regionen unterstützt und eine sinnvolle Nutzung aufgegebener Standorte erleichtert. Die Bundesregierung muss Finanzierungshilfen für Investitionen in die Schaffung und Erhaltung von Arbeitsplätzen insbesondere in strukturschwachen Räumen, die vom Truppenabbau besonders betroffen sind, gewähren. ({6}) Die zu leistenden Finanzhilfen müssen auch den Ausbau der wirtschaftsnahen Infrastruktur wie zum Beispiel die Umwandlung von Bundeswehrgelände in Gewerbegebiete umfassen. Das Ganze darf natürlich auch nicht von oben nach unten erfolgen. Vielmehr muss sich die Bundesregierung bei der Ausgestaltung des Konversionsprogramms und bei der Festlegung der konkreten Maßnahmen mit den betroffenen Kommunen und mit den jeweiligen Landesregierungen abstimmen und deren Vorschläge berücksichtigen. Es geht nicht an, dass man solche Maßnahmen ohne jeden Kommentar und über die Köpfe der Betroffenen hinweg anordnet, wie das bei den Schließungen geschehen ist. Angesichts der größten Finanzmisere der Bundeswehr seit ihrem Bestehen - ebenfalls das zweifelhafte Verdienst der rot-grünen Bundesregierung - darf die Finanzierung dieses Maßnahmenkatalogs natürlich nicht zulasten des Verteidigungshaushalts gehen. Lassen Sie mich am Schluss noch dies darlegen: Die Folgenbewältigung ist nicht nur in der Zuständigkeit des Verteidigungsministers oder der betroffenen Kommunen. Die SPD-geführte Bundesregierung hat sich für eine Politik der Einsparungen, Reduzierungen und Standortschließungen entschieden. Sie allein und niemand anders ist für die Folgen verantwortlich. In den von der Kahlschlagpolitik betroffenen Standortgemeinden muss sie sich nun auch dieser Verantwortung stellen. ({7})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Nun spricht für die Bundesregierung der Parlamentarische Staatssekretär Siegmar Mosdorf. ({0})

Siegmar Mosdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001535

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Neustrukturierung der Bundeswehr ist ein komplexer Planungsvorgang. Wie Sie wissen, Herr Rossmanith, ist das keine einfache Veranstaltung. Die Beurteilung von Standorten für die zukünftige Stationierung erfolgte auf der Basis umfangreicher Kriterien, insbesondere auch unter Berücksichtigung von arbeitsmarkt- und strukturpolitischen Überlegungen. Darüber hinaus hat das Bundesverteidigungsministerium die Ministerpräsidenten der Länder direkt beteiligt. Trotz aller Bemühungen werden Belastungen für die Soldaten und Zivilbeschäftigten sowie mittelbar auch für die Region nicht zu vermeiden sein. Das muss man ehrlich zugeben, wenn man den Leuten nicht die Unwahrheit sagen will. Wir haben großes Verständnis für die Sorgen der betroffenen Menschen in den Regionen. Die Bundesregierung wird deshalb ihr Mögliches tun, um zu helfen. Die Veränderungen treten, wie Sie wissen, nicht sofort in Kraft, sondern werden zum Großteil in den Jahren 2002 bis 2004 vollzogen. Die Umsetzung soll bis 2006 abgeschlossen werden. Jetzt ist es wichtig, dass die Akteure vor Ort, die politisch Verantwortlichen und die Vertreter der Wirtschaft, Konzepte und Nutzungsmöglichkeiten für die frei werdenden Liegenschaften erarbeiten. Herr Rossmanith, Sie haben in Bayern einen sehr geschickten Wirtschaftsminister. Er hat gestern bereits direkten Kontakt mit Walter Kolbow aufgenommen, um prüfen zu lassen, ob man den Gemeinden vorrangiges Zugriffsrecht einräumen kann, um bei den Liegenschaften direkt etwas tun zu können. Herr Staatssekretär Kolbow hat mir gesagt, er finde das sehr überlegenswert und wolle es in seinem Haus prüfen. Direkte Gespräche mit dem Wirtschaftsminister von Bayern sind da der vernünftigste Weg. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte ein Beispiel nennen. Ich habe heute mit Herrn Wagner von Debitel zu Mittag gegessen. Er hat mir berichtet, was in Kaiserslautern mit frei werdenden Liegenschaften der Alliierten gemacht wird. ({0}) Sie kennen ihn wahrscheinlich nicht. Aber ich kann Ihnen nur raten, mit ihm Kontakt aufzunehmen. Debitel hat in Kaiserslautern auf einer solchen Liegenschaft ein CallCenter mit inzwischen 70 Beschäftigten errichtet. Die Liegenschaft wurde Debitel zur Verfügung gestellt. Man hat das Dienstleistungspersonal des zivilen Bereichs für eben dieses Call-Center genutzt. Das ist ein vernünftiger Weg. Solche und ähnliche Wege kann man gehen, wenn man direkt helfen will. Primär ist es die Aufgabe der regional Verantwortlichen, jetzt solche Initiativen zu ergreifen. Dass dies gelingen kann, zeigt eine ganze Reihe erfolgreicher Konversionsprojekte. Es gibt auch in meiner unmittelbaren Umgebung, in der Nähe von Stuttgart, ähnliche Beispiele. Die wirtschaftlichen Auswirkungen von Standortschließungen und Dienstpostenreduzierungen sind regional unterschiedlich. In strukturschwachen Gebieten mit ohnehin hoher Arbeitslosigkeit wirken zusätzliche Effekte tendenziell belastender als in prosperierenden Regionen. Ich möchte daher zunächst klarstellen, dass die strukturschwachen Regionen unterdurchschnittlich von den Veränderungen betroffen werden. Die Bundeswehr bleibt in der Fläche weiterhin präsent. Die relative Präsenz in wirtschaftlich schwachen Gebieten steigt sogar leicht an. ({1}) Ich bitte um Verständnis, dass ich hier nicht auf die einzelnen Dienstpostenveränderungen und Standortreduzierungen eingehen kann. Hierzu habe ich bereits im Ausschuss für Wirtschaft und Technologie mit der Kollegin Schulte zusammen Stellung genommen. Außerdem werden wir einen gemeinsamen Bericht erstellen. Nach der föderalen Aufgabenverteilung des Grundgesetzes liegt die regionalpolitische Flankierung in erster Linie in der Zuständigkeit der Länder. Aber wir werden das gesamte Instrumentarium, auch das der Bundesregierung, in unsere Überlegungen einbeziehen. Der Bund beteiligt sich an dieser Aufgabe, insbesondere im Rahmen der Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“. ({2}) - Ich weiß nicht, wie lange Sie dabei sind. Aber auf jeden Fall kostet das eine ganze Menge. ({3}) Dieses Geld steht zur Verfügung. ({4}) Es liegt nun in der Verantwortung der Länder, die regionalen Förderschwerpunkte zu identifizieren und zu fokussieren. ({5}) Wir haben die entsprechenden Mittel im Rahmen dieser GA zur Verfügung gestellt. Das wissen Sie. Das gilt nicht nur für die neuen, sondern auch für die alten Bundesländer. Beispielsweise können im Rahmen der Infrastrukturförderung die Umstrukturierungen der ehemals militärisch genutzten Liegenschaften in Gewerbegebiete, der Ausbau von Technologie- und Gründerzentren für KMUs oder die Errichtung von Einrichtungen der beruflichen Bildung besonders gefördert werden. Für die GA-Ost stehen im Bundeshaushalt für das Jahr 2001 Barmittel in Höhe von 1,992 Milliarden DM zur Verfügung. ({6}) - Schon dafür. Seien Sie bitte fair. ({7}) - Ja, aber die Entscheidung über die Verwendung dieser Mittel ist Ländersache. Jetzt können die Länder fokussieren und sagen, in welchen Gebieten sie besondere Anstrengungen unternehmen möchten. ({8}) Dies obliegt den Ländern. Ich weiß auch, dass die Verantwortlichen in den Ländern darüber schon jetzt nachdenken. Sie fangen an zu überlegen, in welche Richtung sie diese Mittel - das gleiche gilt auch für Verpflichtungsermächtigungen in Höhe von 1,5 Milliarden DM konzentrieren werden. Wir haben einen Gesamtplan bis zum Jahr 2006 festgelegt; ({9}) aber innerhalb dieses Planes gibt es selbstverständlich Möglichkeiten zu fokussieren.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Herr Kollege Mosdorf, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Adam?

Siegmar Mosdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001535

Gerne, Herr Adam.

Ulrich Adam (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000005, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, was darf ich meinem Ministerpräsidenten in MecklenburgVorpommern, Herrn Ringstorff, berichten, der am 23. dieses Monats, nachdem er Einrichtungen der Bundeswehr besucht hat, in der Zeitung berichtete, dass er sich um Bundeshilfen bemühen möchte? Was darf ich ihm sagen?

Siegmar Mosdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001535

Der Ministerpräsident des Landes Mecklenburg-Vorpommern hat einen so guten Draht zur Bundesregierung, dass ich Sie, Herr Adam, nicht als Briefträger verwenden möchte. ({0}) Es wäre nicht angemessen, Sie als einen leibhaftigen Bundestagsabgeordneten als Briefträger zu verwenden. ({1}) Deshalb sage ich Ihnen, was ich ihm im Namen der Bundesregierung antworte. Die Antwort lautet, dass wir im Bundeshaushalt für das Jahr 2001 ({2}) Barmittel in Höhe von 1,992 Milliarden DM ({3}) für die GA-Ost zur Verfügung gestellt haben und die Mittel auch zu diesem Zweck verwendet werden können. Meine Damen und Herren, wir haben auch für den Westen Barmittel zur Verfügung gestellt. ({4}) - Seien Sie vorsichtig! Sie haben sich schon einmal mit Begriffen unglücklich in Szene gesetzt. Es gibt dieses Geld. Wenn Sie das nicht wissen, kann ich es Ihnen nachher erläutern. Jedes Land kann entsprechende Fokussierungen vornehmen. Herr Rossmanith weiß, wovon ich rede. Die Länder entscheiden, wo diese Mittel eingesetzt werden. Deshalb füge ich eines hinzu: Wir haben darüber hinaus Unterstützungsmöglichkeiten im Rahmen anderer Politikbereiche geschaffen, zum Beispiel bei der Städtebauförderung, bei der Verkehrspolitik, bei der Arbeitsmarktförderung, bei der Mittelstandsförderung und bei entsprechenden Landesprogrammen, die vom Bund ergänzt werden. Es gibt also Möglichkeiten, entsprechende Konzentrationen jetzt auch zielgenau in solchen regionalen Gebieten vorzunehmen, die davon besonders betroffen sind. Der Bund jedenfalls strebt wieder an, die frei werdenden Liegenschaften - das ist ein ganz wichtiger Punkt, der schon nach der Wiedervereinigung eine wichtige Rolle gespielt hat - so schnell wie möglich einer zivilen Anschlussnutzung zur Verfügung zu stellen. Dabei steht ein Verkauf der nicht für andere Bundesaufgaben benötigten Liegenschaften im Vordergrund. Wir haben ausdrücklich festgestellt, dass dort, wo wir die Liegenschaften nicht direkt selber brauchen, der Verkauf im Vordergrund steht. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Um dies zu erleichtern, bestehen Altlastenregelungen. Damit sollen auf dem Grundstücksmarkt und bei Investoren bestehende Vorbehalte gegenüber ehemals militärisch genutzten Anlagen abgebaut werden. Entscheidend aber werden das Engagement und das Zusammenspiel der regionalen Akteure sein, die schon jetzt über die Frage nachdenken sollten - ich weiß, dass viele Oberbürgermeister das auch tun -, wie sinnvollerweise genau in diesem Bereich Gewerbeparks, Existenzgründungszentren oder ähnliche Dinge angesiedelt werden können und wie dies zu einer Revitalisierung führen kann, die man vielleicht schon lange vorhatte, die aber ein Stück weit blockiert war, weil man bestimmte Grundstücke nicht zur Verfügung hatte. Die ganze Angelegenheit ist schwierig. Wir müssen damit gemeinsam umgehen. Die Instrumentarien, die uns auf Bundesebene zur Verfügung stehen, wollen wir voll einsetzen. Das, was möglich ist, um im Bereich der Liegenschaften flexibel zu helfen, werden wir tun. Denn der Bundesregierung liegt daran, bei diesen Liegenschaften Fortschritte zu erzielen. Deshalb wird es zu einer Partnerschaft mit den Regionen, aber auch mit den Bundesländern kommen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({5})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich erteile dem Kollegen Günther Nolting für die Fraktion der F.D.P. das Wort.

Günther Friedrich Nolting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001622, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Staatssekretär Mosdorf, Sie haben hier über die Bundeswehrreform gesprochen. Dazu sage ich Ihnen: Die Bundeswehrreform des Verteidigungsministers ist halbherzig. Trotz schreiender Wehrungerechtigkeit und nicht mehr vorhandener sicherheitspolitischer Notwendigkeit wird an der allgemeinen Wehrpflicht festgehalten. Die Personalreduzierungen sind nicht ausreichend. Es wird falsch strukturiert und aufgrund der massiven Kürzungen im Verteidigungshaushalt ist die Bundeswehr unverantwortbar unterfinanziert. Anerkannte Fachleute und Institute warfen der F.D.P. 1999 vor, dass unser Modell mit dem von uns berechneten Finanzplafond nicht finanzierbar sei. Sie hielten es für ausgeschlossen, eine auftragsbezogen ausgebildete und modern ausgerüstete Bundeswehr bestehend aus 260 000 Soldaten und 90 000 Zivilbediensteten mit einem Haushaltsumfang von 49 Milliarden DM zu finanzieren. Es ist für mich völlig schleierhaft, wie der jetzige Verteidigungsminister Ausrüstungs-, Ausbildungs-, Infrastruktur- und Personalkosten für eine um rund 25 000 Soldaten größere Bundeswehr als von der F.D.P. vorgeschlagen aus einer Kasse bezahlen will, die rund 4 Milliarden DM weniger aufweist, als die F.D.P. für ihr Bundeswehrmodell der Zukunft für notwendig erachtet. Während die Binnenwirkungen der Bundeswehrreform vorrangig durch den Verteidigungsminister zu verantworten sind, fallen die Außenwirkungen auf die gesamte Bundesregierung zurück. Damit bin ich wieder beim Ressortkonzept Stationierung. Dieses Konzept wird erhebliche volkswirtschaftliche Konsequenzen und tief greifende arbeits- und strukturpolitische Einschnitte für die betroffenen Kommunen mit sich bringen. In den Standortgemeinden haben sich speziell auf die Bundeswehr ausgerichtete Wirtschaftsstrukturen entwickelt. Es sind im Einzelhandel und im Handwerk streitkräfteorientierte Märkte sowie regionale Abhängigkeiten zwischen der Bundeswehr und den kleinen und mittelständischen Unternehmen entstanden. Dies bedarf im Zuge des vorgesehenen Truppenabbaus einer gezielten regionalökonomischen Anpassung. Der Verteidigungsminister und die Bundesregierung lehnen es jedoch grundsätzlich ab, den von Schließung und Kürzung betroffenen Kommunen Finanzhilfen zur Konversion zukommen zu lassen. Auch heute wurde hier wieder kein Konzept vorgestellt. Herr Mosdorf, was Sie hier vorgetragen haben, ist nichts Neues. Sie sind überhaupt nicht auf die aktuelle Lage in den betroffenen Regionen eingegangen. ({0}) Dazu sage ich Ihnen: Es ist ein Skandal, wie sich der Verteidigungsminister und die Bundesregierung aus der Verantwortung stehlen. Es gibt keine zusätzliche Mark für die betroffenen Regionen. Herr Mosdorf, das haben Sie in Ihrer Rede herausgestellt. ({1}) Erlauben Sie mir, meine Damen und Herren, auf das einzugehen, was frühere Bundesregierungen - auch die der 90er-Jahre - gemacht haben. Ich möchte dies vor allen Dingen deshalb würdigen, weil die jetzige Regierung eigenes Versagen gern auf die Vorgängerregierungen abzuschieben pflegt. Ich möchte daran erinnern, dass es die Bundesregierungen von CDU/CSU und F.D.P. waren, die bei den Strukturveränderungen der Bundeswehr Anfang der 90erJahre ein Sonderprogramm „Gemeinschaftsaufgaben“ aufgelegt haben. Die entsprechenden Bundeswehrstandorte haben 1993 und 1994 7 Milliarden DM zusätzlich zur Verfügung gestellt bekommen. Herr Mosdorf, daran müssen Sie sich messen lassen. ({2}) Diese Regierung und vor allen Dingen Minister Scharping lieben große Worte. Sie müssen den großen Worten aber endlich große Taten folgen lassen. Fordern Sie beim Bundeskanzler die für die Bundeswehr überlebenswichtige deutliche Erhöhung des Verteidigungshaushaltes ein! Lassen Sie sich auch nicht erst von Gerichten zur Aussetzung der Wehrpflicht zwingen! Ersparen Sie den Streitkräften eine weitere Reform in den nächsten Jahren! Setzen Sie sich beim Bundeskanzler für eine Anschubfinanzierung und für ein Konversionsprogramm ein! Für die F.D.P. fordere ich die Bundesregierung auf, Herr Mosdorf, sofort ein Sonderprogramm einzuleiten, welches den von Standortschließung bzw. -reduzierung betroffenen Kommunen hilft, die wirtschaftlichen und strukturellen Folgen zu mildern. Es liegt ein entsprechender Antrag der F.D.P. vor. Ich hoffe, dass dieser auch die Unterstützung im Ausschuss und dann hier im Plenum findet. Lassen Sie mich zum Schluss noch eines sagen: Im Zuge der Standortschließung bzw. -reduzierung sind betriebsbedingte Kündigungen zu vermeiden. Sozialverträgliche Lösungen für die betroffenen Zivilbediensteten sind zu finden. Notwendige Arbeitsplatzveränderungen sind sozial abzufedern. Ich denke, die Zivilbediensteten haben einen Anspruch und warten auch darauf, dass endlich etwas passiert. Auch hier sind Sie gefordert, Herr Mosdorf. Vielen Dank. ({3})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Nun spricht für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen der Kollege Hans-Josef Fell.

Hans Josef Fell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003115, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich denke, wir sind uns alle einig: Eine Bundeswehrreform ist ein notwendiger Schritt hin zu einer modernisierten Bundeswehr. Aber, meine Damen und Herren von der Union und der F.D.P., eine Modernisierung im Rahmen der angestrebten Haushaltskonsolidierung kann nur mit einer Verkleinerung der Bundeswehr erfolgen. Wie wollen Sie denn sonst die Finanzmittel für die Modernisierung zum Beispiel in der Ausrüstung beschaffen? Verkleinerung heißt in der letzten Konsequenz aber auch, dass es Standortschließungen geben wird. Für die betroffenen Kommunen gilt es Hilfe zu schaffen. Sie dürfen nicht alleine gelassen werden. ({0}) Deshalb lassen Sie uns nun gemeinsam die Chancen einer zivilen Nutzung der zu schließenden Standorte herausstellen. ({1}) In diesen Zielen, denke ich, stimmen wir alle in diesem Hohen Haus überein. ({2}) Dafür hat der Bund auch Mitverantwortung zu tragen; so haben wir es in der Koalitionsvereinbarung festgeschrieben. ({3}) - Herr Rossmanith, vergessen Sie doch bitte nicht die Vergangenheit. 58 Standortschließungen heute entsprechen von der Größenordnung her nicht der Schließung von vielen hundert Liegenschaften, die unter Ihrer Regierungsverantwortung beschlossen wurde. ({4}) Eine Reduzierung des Militär- und Zivilpersonals um rund 90 000 Stellen entspricht nicht dem Abzug von 700 000 Soldaten unter Ihrer Regierungsverantwortung. So nämlich sahen die Konsequenzen der Streitkräftereduzierungen der 90er-Jahre aus. Die Regionen hatten damals mit viel weitreichenderen wirtschafts- und auch umweltpolitischen Problemen zu kämpfen als heute. ({5}) Damit will ich nicht die heutigen Schwierigkeiten kleinreden. Die betroffenen Kommunen haben sie zu bewältigen. Aber unter Ihrer Regierung waren die Reduktionen, mit denen die Kommunen damals zu kämpfen hatten, wesentlich größer als heute. Was soll also die ganze Aufregung von heute? Ich muss mich schon fragen: Welche Konzepte zur Abfederung dieser strukturpolitischen Schwierigkeiten haben Sie denn damals entwickelt? Herr Nolting, der Skandal, von dem Sie vorhin sprachen, fällt natürlich ein ganzes Stück weit auf Sie zurück; denn trotz des umfangreichen Truppenabbaus hat es keinen eigenen Konversionsfonds des Bundes gegeben. Bündnis 90/Die Grünen forderten ihn damals - vergeblich. Trotz harter Konsequenzen für die Regionen brachte die alte Bundesregierung keine gesetzliche Regelung zur Bewältigung des Konversionsprozesses zustande. Bündnis 90/Die Grünen brachten 1994 ein Bundeskonversionsgesetz ein, welches Sie ablehnten. ({6}) Meinte die alte Bundesregierung damals mit aktiver Strukturpolitik und Unterstützung der Regionen vielleicht die pauschalierte Überlassung von 2 Prozent mehr Umsatzsteuer für die Länder? Wohl kaum. Zwar standen den Ländern frei verfügbare Mittel in erheblichem Umfang zur Verfügung; ({7}) aber die Umsatzsteuermehreinnahmen verteilten sich nach Einwohnerzahl und nicht nach Betroffenheit von Truppenabbau und nach Strukturschwäche der Region. Bayern beispielsweise war mit einem unterproportionalen Anteil von Standortschließungen überproportional von den Mehrwertsteuereinnahmen begünstigt. Aber was geschah damals mit den Mitteln in Bayern? Fragen Sie einmal bei den Kommunen nach. Ich komme aus einer Kommune, die damals hart betroffen war. Ich weiß als Stadtrat, dass dort nichts ankam. ({8}) Nordrhein-Westfalen und Brandenburg - das sind übrigens rot-grün regierte Länder - entwickelten Landeskonversionsprogramme. Sie waren sehr erfolgreich. ({9}) Lassen Sie uns das jetzt gemeinsam besser machen. Wir halten die Vorschläge, die Sie in Ihren Anträgen gemacht haben, für teilweise sehr interessant und auch korrekt. ({10}) Stellen wir den Regionen dem Ausmaß der Betroffenheit entsprechende Hilfen zur Seite. Wir von Bündnis 90/Die Grünen halten es jedenfalls für sinnvoll, dass beispielsweise ein Bundeskonversionsbeauftragter als Vermittler und Koordinator zwischen Bund, Ländern, Kommunen und Investoren berufen wird. ({11}) Wir meinen, dass der bestehende Gebäudebestand für Bildungseinrichtungen, sozialen Wohnungsbedarf und Gewerbebedarf genutzt werden kann, dass die Konversionsflächen für den Städtebau verwendet werden können und dass die betroffenen Regionen zielgerichtet Fördermittel aus Regionalstrukturprogrammen benötigen. Dies muss keine Aufstockung der Haushaltsmittel bedeuten, sondern kann auch durch Umschichtungen erfolgen. ({12}) Der Bund hat aus grüner Sicht auch Verantwortung für die Altlastenbefreiung zu tragen, sodass eine zivile und umweltgerechte Nachnutzung kontaminierter Liegenschaften möglich ist. Ermöglichen wir doch die Einrichtung von Naturschutz- oder Landschaftsparks auf ehemaligen militärischen Übungsflächen. Besonders dort haben sich einzigartige Biotopverbundsysteme herausgebildet, da das Gelände über Jahrzehnte nicht bebaut und nur partiell genutzt worden ist. ({13}) Nutzen wir bestehende Bundesförderprogramme, um Investitionen in Konversionsflächen und Gebäude zusätzlich zu erleichtern. Dies soll besonders wachstumsintensive Investitionen begünstigen, die nicht nur eine arbeitsplatzschaffende, sondern auch eine ökologische Zielsetzung verfolgen, zum Beispiel Investitionen zur Energieeinsparung, zur Erzeugung von erneuerbaren Energien und für den ökologischen Landbau. Die entsprechenden Rahmenbedingungen haben wir bereits geschaffen. Wir fordern natürlich auch die Länder und besonders die Kommunen auf, eigene kreative Nachnutzungskonzepte zu entwickeln; denn nur die Regionen selbst wissen am besten, wofür ein geschlossener Standort zivil genutzt werden kann. ({14}) Mit solchen Maßnahmen können wir den Regionen im aktuellen Konversionsprozess mehr und effektivere Hilfe zur Seite stellen, als es die alte Bundesregierung in ihrer ersten umfangreichen Konversionsetappe getan hat. Nutzen wir die Chancen, die uns die zivile Nachnutzung militärischer Liegenschaften bietet. Auf der einen Seite können Arbeitsplätze in neu angesiedelten Unternehmen entstehen. Arbeitsplätze können aber auch durch das Herrichten der Liegenschaften, zum Beispiel für Bauunternehmen, entstehen. Damit können die betroffenen Regionen ihre Wirtschaftskraft nachhaltig stärken. Auf der anderen Seite können unsere Umweltbedingungen durch die Beseitigung militärischer Altlasten und durch die künftige Vermeidung von militärisch bedingten Umweltbelastungen wie Flug- und Schießlärm verbessert werden, aber auch durch die Rückgabe von Liegenschaften zur Schaffung von Natur und Parkflächen. Lassen Sie uns die gemeinsamen Chancen der Standortschließungen nutzen. Lassen Sie uns dabei im Sinne der ökologischen Modernisierung nicht nur zum Schutze unserer natürlichen Lebensgrundlagen beitragen, sondern auch gleichzeitig Arbeitsplätze schaffen und die Regionen wirtschaftlich stärken. ({15}) Bündnis 90/Die Grünen wollen die betroffenen Kommunen nicht alleine lassen. ({16})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Der Kollege Kutzmutz ist schon im Anmarsch. Sie haben das Wort.

Rolf Kutzmutz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002713, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Es ist - Ihnen fällt das wahrscheinlich gar nicht mehr auf - schon ein eigenartiges Schauspiel eines Rollenwechsels, das hier stattfindet. In ihren Anträgen fordern CDU/CSU und F.D.P. ein Bundeskonversionsprogramm. Genau das haben Sie als Regierungskoalition immer abgelehnt: Die Länder hätten schließlich bei dem Steuerkompromiss Anfang der 90er-Jahre von der Mehrwertsteuererhöhung 2 Prozentpunkte abbekommen und daraus seien die Mehrbelastungen durch den Truppenabbau zu finanzieren. SPD und Grüne haben in ihren Oppositionstagen - lang, lang ist es her - die Verantwortung des Bundes bei der Abfederung der Folgen von Rüstungsminderung immer vehement eingefordert. Rudolf Scharping und Fraktion verlangten am 6. November 1996 ein Konversionsprogramm des Bundes. ({0}) Heute verlangt Rudolf Scharping kein Konversionsprogramm mehr, sondern beispielsweise 500 Millionen DM für den Ausbau des früheren sowjetischen Übungsplatzes in der Kyritz-Ruppiner Heide. Dabei klagen die meisten Anliegergemeinden nicht nur gegen eine erneute militärische Nutzung, sie haben auch Konversionskonzepte erarbeitet, die jedoch durch den Wiedereinzug des Militärs im wahrsten Sinne des Wortes bombardiert werden. Es liegt eine absurde politische Gefechtslage vor, die aber eine mögliche Finanzierungsquelle des unverzichtbaren Bundesprogramms aufzeigt. In der Sache, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, ist Ihr Antrag insoweit zu unterstützen, als es nicht angehen kann, dass die Bundesregierung eine Verkleinerung der Bundeswehr verordnet, die Städte, Gemeinden, Kreise und Länder mit deren Folgen aber im Regen stehen lässt. ({1}) Herr Fell hat eben gesagt, wir dürften die Betroffenen nicht alleine lassen. Wir fordern, frei werdende Mittel dafür zu nutzen, die Abrüstung sozial- und umweltverträglich zu gestalten. ({2}) Auch Kreativität, Herr Fell, kostet Geld. Mit Kreativität allein hat es noch nicht einmal ein Modeschöpfer weit gebracht. Auch bei der Bundeswehr lösen sich die Probleme nicht von alleine. Deshalb fordern wir ein Abrüstungs- und Konversionskonzept, das den Abbau der Streitkräfte mit gezielter regionaler Wirtschaftsförderung verbindet. Die für die Wirtschaftsförderung vor Ort zuständigen Stellen brauchen ganz schnell belastbare Daten darüber, wann ein Objekt in welchem infrastrukturellen Zustand von der Bundeswehr geräumt wird. Es geht um Personal, Qualifikation und vieles andere mehr. ({3}) Wir brauchen einen Konversionsfonds des Bundes, und zwar nicht zuletzt deshalb, weil die EU-Förderung der Konversion gerade ausläuft. Niedersachsen hat eine Bundesratsinitiative gestartet, die von Mecklenburg-Vorpommern unterstützt wird. Wer hindert die Bundesregierung daran, entsprechende Mittel für diesen Zweck einzustellen? Bei dem Umfang der Förderung muss nach meiner Auffassung die tatsächliche Strukturschwäche der Region und nicht nur der militärische Verlust einkalkuliert werden. Ich habe das Ressortkonzept Stationierung einmal nach Ländern aufgeschlüsselt und den Anteil der einzelnen Länder an den vorgesehenen Dienstposten mit ihrem Anteil an der Bevölkerung und der Bruttowertschöpfung verglichen. Das Ergebnis war, dass auch nach der neuen Bundeswehrstruktur alle westdeutschen Flächenländer - mit Ausnahme von Hessen und Baden-Württemberg, die ja vergleichsweise kräftige Regionen sind - nach wie vor überproportional viel vom Wirtschaftsfaktor Militär profitieren werden. Diese Feststellung bedeutet keineswegs einen Appell, mehr Bundeswehr in den Osten zu bringen. Es braucht also kein Bayer zu fürchten, er müsse nach Eggesin. ({4}) - Sie kennen Eggesin nicht. Konversion und die Herausforderungen der Regionalund Strukturpolitik sind zwei Seiten einer Medaille. Was spricht eigentlich dagegen, zu versuchen, die Probleme des Bundeswehrabzuges im Zusammenhang mit den Problemen aus der EU-Osterweiterung zu lösen, bei der eine Sonderförderung für die an den bisherigen EU-Außengrenzen liegenden Regionen unverzichtbar ist? ({5}) Wie die Programme heißen, ist letztendlich egal. Entscheidend bleibt allein, dass den von einem Strukturwandel betroffenen Menschen und Regionen tragfähige Perspektiven geboten werden müssen. Danke schön. ({6})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Nun spricht der Kollege Christian Müller für die Fraktion der SPD.

Christian Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001545, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich - erstens - unterstreichen, was der Kollege Mosdorf bereits zum Ausdruck gebracht hat: Es ist für die betroffenen Regionen keine leichte Aufgabe, mit den Folgen eines Strukturwandels - gleich welcher Art, natürlich auch bedingt durch die Schließung von Bundeswehrstandorten - umzugehen. Die Forderung, dies auch parlamentarisch zu behandeln, ist sicherlich berechtigt. Trotzdem wird uns die Schilderung der Einzelfälle, die man hier natürlich komplett vornehmen könnte, vermutlich nicht allzu weit bringen. Lassen Sie mich - zweitens - ein Wort zu einigen Debattenbeiträgen sagen. Wir werden sicherlich nicht in der Lage sein, hier erneut über die Bundeswehrreform zu debattieren. Eine Neuauflage dieser Debatte ist nicht möglich. Das steht nur unseren Kollegen Verteidigungspolitikern zu. Außerdem ist über diese Reform reichlich diskutiert worden. ({0}) - Nun beruhigen Sie sich wieder! - Trotzdem sei an dieser Stelle auf ein paar Dinge hingewiesen, die hinter der Debatte über die Bundesreform stehen. Der Bericht des Wirtschaftsausschusses hat uns gezeigt, dass die Rationalisierungspotenziale letztendlich noch nicht voll ausgeschöpft wurden, sodass man festhalten muss: Auch strukturpolitische Verantwortung hat bei dem jetzigen Standortkonzept offenbar eine Rolle gespielt. Das möchte ich unterstreichen. Speziell Herr Kutzmutz hat einige Anmerkungen zum Thema Rollenwechsel gemacht. Wenn man nachforscht, wird man sicherlich auch auf die Antwort auf eine Große Anfrage der SPD - Drucksache 13/4747 - zum Thema Konversion stoßen. Finanzminister Theo Waigel hat damals gesagt: Aus der Zuständigkeit des Bundes für die Verteidigung ergibt sich entgegen der Anfrage keine verfassungsrechtliche Zuständigkeit des Bundes, Maßnahmen hinsichtlich der Auswirkungen der Konversion zu treffen. Nach harten Verhandlungen im Vermittlungsausschuss kam dann das zustande, was Herr Fell und Herr Kutzmutz bereits erwähnten. ({1}) Letztendlich konnten durch die Erhöhung des Anteils der Länder am Mehrwertsteueraufkommen von 35 Prozent auf 37 Prozent 2 Prozent für die Konversion verwendet werden. ({2}) Sie dürften sich sicherlich auch noch daran erinnern, dass die Mittel, die den Ländern im Zuge der Erhöhung des Mehrwertsteuersatzes von 14 Prozent auf 15 Prozent zusätzlich zur Verfügung standen, ebenfalls in den Konversionsprozess einfließen durften. Zum Thema der proportionalen, unterproportionalen oder überproportionalen Nutzung hat der Kollege Fell, glaube ich, das Notwendige gesagt. Sie reden zwar immer von 7 Milliarden DM. Aber wenn Sie genau nachrechnen, dann werden Sie feststellen, dass insgesamt 39 Milliarden DM zur Verfügung stehen, die in den Konversionsprozess eingespeist werden können. Diese Mittel sind nach unserer Regierungsübernahme nicht gestrichen worden. Sie stehen bis heute zur Verfügung. Herr Rossmanith, auf Bayern entfallen davon immerhin 5,8 Milliarden DM. Das sind 700 Millionen DM im Jahr. Das ist nicht gerade wenig. ({3}) - Ich hoffe, Sie wollen mit Ihrem Zwischenruf nicht zum Ausdruck bringen, dass die Konversion nun ein für alle Mal abgeschlossen sei, weil sie schon damals begonnen wurde. Konversion wird immer eine Aufgabe sein, so oder so. Ich möchte darauf nicht näher eingehen, weil ich glaube, dass die Debatte darüber viel zu kurz greift, und weil wir uns aus den verschiedensten Gründen strukturpolitischen Herausforderungen - die Konversion ist nur eine davon - im Grunde genommen permanent stellen müssen, und zwar auch in Zukunft. Vor welchen Herausforderungen stehen wir? Wir stehen vor der Herausforderung der Globalisierung - die europäische Wirtschafts- und Währungsunion gehört genauso dazu -, die den Wettbewerb der Standorte verschärft. Wir stehen vor der Herausforderung, die Strukturdefizite in Ostdeutschland, die bis heute noch nicht ausgeglichen werden konnten, zu beseitigen. Wir stehen des Weiteren vor der Herausforderung des überregionalen Wettbewerbs, von dem insbesondere die ostdeutschen Standorte betroffen sind. Wir werden in Kürze durch die EU-Osterweiterung einen weiteren Schub in Richtung Strukturwandel erhalten. Wir sind in einer Phase, in der es um die Umorientierung der Agrarpolitik geht; auch das ist ein Strukturwandel im ländlichen Raum. Wenn man all das einmal zusammennimmt, wird man zu der Ansicht gelangen müssen, dass man auf einzelne Herausforderungen nicht jeweils mit Einzel- und Sonderprogrammen reagieren kann. ({4}) Vielmehr muss man die Ansätze nutzen und verstärken, über die man verfügen kann. Natürlich ist die Frage, ob gerade die Problemregionen den Strukturwandel aus eigener Kraft zuwege bringen, besonders heikel. Deswegen haben wir bereits in unseren europapolitischen Anträgen zum Ausdruck gebracht, dass Bund und Länder eine verstärkte Verantwortung für die Moderation, die Koordinierung und auch die Begleitung des Strukturwandels in den Regionen übernehmen müssen. Das halte ich für besonders wichtig. Im Übrigen haben wir ein bewährtes strukturpolitisches Instrumentarium, das wir zur Anwendung bringen können. Ich erwähne in diesem Zusammenhang die diversen Gemeinschaftsaufgaben von der Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur über Agrarstruktur, Hochschulbau, Forschungsförderung, Städtebau, Innovationstechnologieförderung, Mittelstandsförderung, berufliche Bildung bis hin zum Arbeitsmarkt und so weiter. Wir haben es nicht nötig, Neues zu erfinden und dadurch sprichwörtlich die Gießkanne mit Mitteln zu füllen, die nicht zielgerichtet verteilt werden können. ({5}) Vielmehr kommt es darauf an, die strukturpolitischen Schwerpunkte zu definieren und Prioritäten zu setzen. Natürlich müssen wir die wirksamsten Instrumente finanziell stärken und die Förderprogramme besser aufeinander abstimmen, sodass der Erfolg auf Projektebene durch eine bessere Koordination erreicht werden kann. Ich denke, wir haben noch immer den eklatanten Mangel, dass die verschiedenen raumwirksamen Politikansätze des Bundes und der Länder zu schlecht koordiniert werden. Das ist doch ein politischer Denkansatz, mit dem wir uns einmal genauer beschäftigen sollten. ({6}) - Ich fürchte, das fehlte gerade noch. Wenn Sie das wünschen, müssen Sie erst einmal eine Wahl gewinnen, dann können Sie das ja vielleicht werden. ({7}) Wir haben zum Ausdruck gebracht, dass wir auch in diesem Zusammenhang darauf achten müssen, dass wir die Instrumente zur gewerblichen Förderung in Brüssel mit Blick auf das Beihilferecht absichern müssen und dass wir dafür sorgen müssen, vernünftige Spielräume für nationale Programme zu behalten. Das ist eine der Aufgaben und Herausforderungen, die uns gerade beim europäischen Einigungsprozess ins Haus stehen. Aus diesen Gründen darf man durchaus etwas über die Finanzierungsmöglichkeiten nachdenken. Die Konzentration der Mittel innerhalb der Programme und der GA wird sicherlich auf Grenzen stoßen. Denn wo man konzentriert, wird man zwangsläufig an anderer Stelle eine Lücke hinterlassen. Deswegen wird man so begrenzte Erfolge haben, aber nicht eine allgemeine Lösung finden. Wichtiger wäre es - ich denke, Sie könnten das ruhig einmal in Ihre Überlegungen einbeziehen -, darüber nachzudenken, wie man eine sinnvolle Umschichtung zwischen konsumtiven und investiven Aufgaben zustande bekommt, was in diesem Zusammenhang sehr sinnvoll wäre. Auch der Übergang von strukturkonservierenden hin zu strukturverbessernden Maßnahmen gehört zu den Mitteln, die wir selbst dann noch haben, wenn wir Haushaltskonsolidierung als ein wesentliches Prinzip unserer Politik festschreiben müssen. ({8}) Neben all dem brauchen wir, denke ich, mehr Klarheit in Förderprogrammen; die Beseitigung von Parallelförderung und Überschneidungen kann ebenfalls einen Beitrag dazu leisten. Dann können wir darüber reden, wie auf diese Art und Weise zusätzliche Mittel für die wirksamsten Instrumente, die wir zur Behebung struktureller Defizite benötigen, organisiert werden können. Meine Damen und Herren, ich fasse zusammen: Nicht neue Programme sind die Lösung des Problems, ({9}) sondern die bessere Koordinierung und Ausstattung unserer bewährten strukturpolitischen Programme. Deswegen kann man Ihre Forderung nach einem Konversionsprogramm, was heute in verschiedenen Varianten vorgetragen wurde, nur ablehnen. ({10})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die CDU/CSU-Fraktion gebe ich das Wort dem Kollegen Wolfgang Börnsen.

Wolfgang Börnsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000227, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Christian Müller hat Recht: In der Vergangenheit sind von der Koalition aus CDU/CSU und F.D.P. Mittel für die Konversion ausgegeben worden, und zwar durch die Verbesserung der Umsatzsteueranteile und der Mehrwertsteueranteile für die Bundesländer. ({0}) Das bedeutet, dass die Länder und die Kommunen 7 Milliarden DM mehr aus dem Umsatzsteueraufkommen und 32 Milliarden DM mehr aus dem Mehrwertsteueraufkommen bekamen. Insgesamt bekamen die Länder und die Kommunen also 39 Milliarden DM, um die durch den Auszug der Bundeswehr entstandenen Probleme auszugleichen. Heute gibt es dagegen keine einzige müde Mark. ({1}) Es ist schon fast vergessen, dass der 16. Februar 2001 für 60 000 Soldaten und für 45 000 zivile Mitarbeiter ein schwarzer Tag war. Über 200 Kommunen - die kleinen Christian Müller ({2}) dürfen nicht vergessen werden - leiden darunter, dass die Bundeswehr aus den dortigen Standorten abgezogen wird.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hans Büttner?

Wolfgang Börnsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000227, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, im Augenblick nicht. Ich möchte erst einmal im Zusammenhang vortragen. Ich spreche deshalb von einem schwarzen Tag, weil nicht nur die Betroffenen auf einmal merkten, dass es für sie ernst wird, sondern auch deshalb, weil klar wurde, dass hinter diesem Abzug kein Konzept steht. ({0}) Man weiß nicht, wie es weitergehen wird. Nichts geht weiter! Heute ist noch einmal deutlich geworden: Es gibt keine Stellungnahme zu einer Konversion, weder vom Verteidigungsminister noch vom Finanzminister noch vom Bundeskanzler - Fehlanzeige! So zu handeln, nenne ich verantwortungslos. ({1}) Auch wenn der Parlamentarische Staatssekretär im Augenblick tief in ein Gespräch verwickelt ist: ({2}) Der Hauptteil des Abzuges findet in strukturschwachen Regionen statt. Dort gibt es einen Verlust an Kaufkraft und einen Wegfall an Arbeitsplätzen. Das und nichts anderes ist die Wirklichkeit. ({3}) Nach meiner Auffassung geht der Kasernenabbau schon vom Grundsatz her zu weit: Die Personalstärke der Bundeswehr und ihre materielle Ausstattung müssen sich an sicherheitspolitischen und nicht an finanzpolitischen Erwägungen orientieren. 1990 betrug der Verteidigungshaushalt noch 57,5 Milliarden DM; im Jahr 2000 belief er sich auf 45,3 Milliarden DM und in diesem Jahr beträgt er 44,8 Milliarden DM, so wenig wie nie zuvor. Das ist nicht zu verantworten. Eichel diktiert, Scharping reagiert. ({4}) Nach Auffassung der Union - sie wird international geteilt - dürfte die Bundeswehr in diesem Umfang gar nicht reduziert werden. Wenn wir noch regierten, dann ständen nicht 60 000 militärische und 45 000 zivile Dienstposten zur Disposition. Nicht nur das Ausmaß, sondern auch die Umsetzung ist in vielen Teilen militärisch fragwürdig und wirtschaftlich unvertretbar. Der Verteidigungsminister sagte, der Bundeswehrabbau müsse ausgewogen sein. Doch Bayern - mit 15 000 Dienstposten und Schleswig-Holstein - mit 10 000 Dienstposten - werden überproportional belastet. Das ist ungerechtfertigt! ({5}) Arbeitsmarkt und Wirtschaftskraft, so der Verteidigungsminister, seien bei der Kasernenauswahl entscheidende Maßstäbe. Ich nenne das Beispiel Bundeswehrstandort Schleswig: Das Bataillon - hochmodern ausgestattet und bestens untergebracht - verfügt über hervorragende Infrastrukturbedingungen. Es erfüllt zudem die zentralen Funktionen des Katastrophenschutzes für Schleswig-Holstein und Hamburg. Mit der faktischen Schließung werden der Stadt an der Schlei 10 Prozent ihrer fast 13 000 Arbeitsplätze und 22 Millionen DM ihrer Kaufkraft genommen. ({6}) Es wird auf eine Kaserne verzichtet, die man in den letzten zehn Jahren für 20 Millionen DM ausgebaut hat und in der zusätzlich 710 Soldaten aufgenommen werden könnten. Nach der neuen Planung soll wenige Kilometer weiter westlich eine neue Kaserne aufgebaut werden. Das hat mit Einsparen nichts zu tun. Das ist „ScharpingSchilda“ in Reinkultur. ({7}) Der Abzug der Soldaten aus der Schlei-Stadt entspricht nicht militärischen Absichten. 42 Hektar Liegenschaften, günstig direkt am Wasser gelegen, könnten zu einer Goldader für die GEBB werden; sie verfügt darüber. Diese Gesellschaft, seit sechs Monaten im Amt, soll bereits in diesem Jahr 1 Milliarde DM einnehmen. Es werden faktisch nur 300 Millionen DM. Dafür bleibt aber das Einkommen der Präsidentin, einer ehemaligen SPD-Senatorin, konstant. 600 000 DM verdient sie im Jahr. Außerdem bekommt sie eine Gewinnbeteiligung. Da könnte man ironisch sagen: Dann wird ihr Gehalt sicher durch das Tagegeld stabilisiert, das man den Kosovo-Soldaten von 180 DM auf 155 DM reduzieren will. Das ist die Wirklichkeit und die Gerechtigkeit in unserem Land! ({8}) Nehmen Sie ein zweites Beispiel, das von Basepohl und Eggesin in Mecklenburg-Vorpommern. Die Arbeitslosigkeit beträgt 25 Prozent. ({9}) Jeder Vierte findet keine Arbeit. Trotzdem schließt RotGrün die Standorte. Eine der strukturschwächsten Regionen in Deutschland, die sich gerade zu entwickeln beginnt, wird platt gemacht. Nach Aussage meines Kollegen Ulrich Adam kommt es nicht nur zu einem Kaufkraftverlust von 30 Millionen DM jährlich, sondern die Kasernen haben im Aufbau 80 Millionen DM gekostet. Das nenne ich volkswirtschaftlich unsinnig und skandalös. ({10}) Zusammenfassend ist festzustellen: Hier wird ruckzuck reduziert. Es gibt kein schlüssiges Handlungskonzept, weder für die 105 000 betroffenen Menschen noch Wolfgang Börnsen ({11}) für die Kommunen. Es ist eine Reform ohne Verantwortung für die Folgen. Es fehlt immer noch ein gesamtstaatliches Konzept zur Kompensation des Bundeswehrabbaus. Erforderlich ist ein faires Konversionsprogramm. Das gibt es nicht. Erforderlich sind Mittel für die Investitionen. Die gibt es nicht. Erforderlich sind auch vernünftige Maßnahmen für die Zivilverwaltung. Verdi, die neue Gewerkschaft, beklagt den Abbau von 7 000 zivilen Dienstposten allein für Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein. Sie kritisiert die rotgrünen Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes und sagt: Sie blockieren alle Tarifverhandlungen, sie sind hinhaltend, unmodern und gleichgültig. Sie beklagt die fehlende Arbeitsplatzzusage und - das wird Sie besonders interessieren - seit vorgestern sind die Verhandlungen abgebrochen, weil die öffentlichen Arbeitgeber blockiert haben. Die jetzigen zivilen Mitarbeiter der Bundeswehr werden von ihrem obersten Chef im Regen stehen gelassen. ({12}) Im jüngsten Brief zum Tarifvertrag Konvers werden unverhüllt Kampfmaßnahmen angedroht. Das ist in der Geschichte der Bundesrepublik einmalig: Zivilbeschäftigte der Bundeswehr gehen auf die Straße. Das hat es in Deutschland noch nie gegeben! Das ist eine ganz große Enttäuschung, die sich da breit macht, ein Protest gegenüber dem Bundesverteidigungsminister. Ich will, Herr Präsident, zum Schluss auf ein Dilemma aufmerksam machen,

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Aber bitte in zwei Sätzen.

Wolfgang Börnsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000227, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

- in dem sich der Bundesverteidigungsminister befindet. Er befindet sich in einer Sandwichposition zwischen Eichel, der weniger Geld für die Wehr will, und dem Teil der Grünen, der die Bundeswehr abschaffen will. Das Resultat sind Reformen, die auf Sand gebaut sind. ({0})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 14/5550 und 14/5467 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Das Haus ist damit einverstanden, dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes ({0}) - Drucksache 14/5640 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung ({1}) Innenausschuss Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und gebe für die Bundesregierung der Parlamentarischen Staatssekretärin im Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung, der Kollegin Ulrike Mascher, das Wort.

Ulrike Mascher (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001432

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Der zur Beratung anstehende Regierungsentwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes setzt die zwingenden Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes um. ({0}) - Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz, abgekürzt AAÜG, Herr Koppelin.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich hatte damit vorhin ebenfalls Probleme.

Ulrike Mascher (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001432

Das Gericht hat mit seinen Urteilen vom 28. April 1999 den Gesetzgeber beauftragt, verfassungswidrige Teile der Überleitung der Zusatz- und Sonderversorgungssysteme der DDR in das bundesdeutsche Rentenrecht dem Grundgesetz entsprechend zu ändern. Gleichzeitig hat das Gericht aber die Grundsatzentscheidung des Gesetzgebers bestätigt, die Ansprüche und Anwartschaften aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen in die Rentenversicherung zu überführen und dabei die systematischen Grenzen, zum Beispiel die Beitragsbemessungsgrenze, zu beachten. Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes und die konkretisierende Rechtsprechung für eine verfassungskonforme Regelung des Bundessozialgerichtes haben in einem ausgesprochen kontrovers und heftig diskutierten Bereich des deutschen Einigungsprozesses die notwendige Klärung bewirkt. Es ist zu hoffen, dass dies zum Rechtsfrieden beiträgt. Bei der Umsetzung der Vorgaben der Gerichte für eine verfassungskonforme Regelung der Überführung lässt sich der Gesetzgeber von der befriedenden Funktion dieser Entscheidungen leiten und setzt eins zu eins die zwingenden Vorgaben des Gerichts verbindlich um. Der Gesetzentwurf regelt Folgendes: Der Vertrauensschutz für die rentennahen Jahrgänge wird auf den Zeitraum bis zum 30. Juni 1995 ausgedehnt. Die in verfassungskonformer Auslegung geforderte Dynamisierung des besitzgeschützten Zahlbetrages wird entsprechend der Wolfgang Börnsen ({0}) Auslegung des Bundessozialgerichtes mit den Anpassungswerten der alten Bundesländer durchgeführt. Die Zahlbetragsbegrenzung wird für die „nicht systemnahen“ Zusatzversorgungssysteme aufgehoben. Im Übrigen bleibt die Zahlbetragsbegrenzung 2 010 DM für Sonderversorgungs- und „systemnahe“ Zusatzversorgungssysteme bestehen. Die Zahlbetragsbegrenzung für das Versorgungssystem des Ministeriums für Staatssicherheit bzw. des Amtes für Nationale Sicherheit wird verfassungskonform entsprechend den Bestimmungen des Volkskammergesetzes über die Aufhebung der Versorgungsordnung des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit bzw. des Amtes für Nationale Sicherheit ausgestaltet. Die Entgeltbegrenzung für sonstige staatsnah tätige Zusatz- und Sonderversorgte, wie dies im Rentenüberleitungs-Ergänzungsgesetz von 1993 vorgesehen war, wird nach Maßgabe des Urteils des Bundesverfassungsgerichtes aufgehoben. Die Entgeltbegrenzung für die Bemessungsgrundlage zur Rentenberechnung für Angehörige des Versorgungssystems des Ministeriums für Staatssicherheit bzw. des Amtes für Nationale Sicherheit wird von 70 Prozent auf 100 Prozent des Durchschnittentgeltes angehoben. Entsprechend den Vorgaben des Bundessozialgerichtes wird die Neuberechnung von Bestandsrenten zum Zeitpunkt der Rentenüberleitung im Wege der Vergleichsberechnung vorgenommen. Das alles mag Ihnen höchst fachchinesisch erscheinen, hat aber für die betroffenen Menschen ganz erhebliche Auswirkungen. Ich hoffe, dass das zur befriedenden Wirkung der Urteile beiträgt. ({1}) Bestandteil des Änderungsgesetzes sind darüber hinaus Regelungen zu den Beschäftigungszeiten bei der Deutschen Reichsbahn und bei der Deutschen Post, die Entscheidungen des Bundessozialgerichtes vom 10. November 1998 über die Anrechnung des Arbeitsverdienstes oberhalb von 600 Mark für Beschäftigungszeiten bei der Deutschen Reichsbahn und der Deutschen Post berücksichtigen. Dabei wird klargestellt, dass auch für Beschäftigungszeiten bei der Deutschen Reichsbahn und der Deutschen Post bei der Rentenberechnung grundsätzlich nur der erzielte Arbeitsverdienst, für den tatsächlich Beiträge gezahlt worden sind, in die Ermittlung der Entgeltpunkte eingeht. Für Beschäftigungszeiten bei der Deutschen Reichsbahn oder bei der Deutschen Post vom 1. März 1971 bis 31. Dezember 1973 soll bei der Rentenberechnung generell das tatsächlich erzielte Arbeitsentgelt auch ohne Beachtung der Beitragszahlung zur freiwilligen Zusatzrentenversicherung der ehemaligen DDR, der FZR, berücksichtigt werden. Darüber hinaus - das wird die Reichsbahner und Postler besonders freuen - soll für Versicherte, die am 31. Dezember 1973 bereits zehn Jahre bei der Deutschen Reichsbahn oder bei der Deutschen Post beschäftigt gewesen sind, im Zeitraum vom 1. Januar 1974 bis 30. Juni 1990 ein Arbeitsverdienst bis zu 1 250 Mark monatlich ebenfalls ohne Beitragszahlung zur FZR berücksichtigungsfähig sein. Ich denke, die Vertreter der Reichsbahner und der Postler haben mit einer unermüdlichen Lobbyarbeit, aber auch mit Unterstützung von Bundestagsabgeordneten der SPD und auch der anderen Fraktionen ({2}) daran mitgearbeitet. - Allerdings haben Sie die Chance, Veränderungen vorzunehmen, leider nicht genutzt, als Sie an der Regierung waren. ({3}) Alle haben aber dazu beigetragen und ich denke, die Reichsbahner und Postler können auf ihr Ergebnis stolz sein. ({4}) Für all diese Korrekturen werden vom Bund und von den neuen Bundesländern erhebliche finanzielle Leistungen erbracht. Ich kann nur noch einmal sagen: Ich hoffe sehr, dass die Umsetzung dieser Urteile zu einer weiteren Befriedung der schwierigen Debatte über diesen Teil der Rentenversicherung führt und dass damit insgesamt gesehen wird, welch große sozialpolitische Leistung die Überführung des Rentenversicherungssystems der DDR in das der Bundesrepublik zum Nutzen der Rentnerinnen und Rentner war. Danke. ({5})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die Fraktion der CDU/CSU spricht nun die Kollegin Claudia Nolte.

Claudia Nolte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001621, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diejenigen, die uns schon vor Jahren gesagt haben, dass uns die Rentenüberleitung noch lange Kopfzerbrechen und Bauchschmerzen bereiten wird, haben Recht behalten. Dass dies ein der jetzigen Bundesregierung sehr unangenehmes Thema ist, sieht man allein daran, dass das Gesetz erst jetzt eingebracht wurde, um unliebsame Diskussionen vor den Landtagswahlen zu verhindern. ({0}) Sie haben wenig Zeit, um die Verfassungsgerichtsurteile umzusetzen. Wir haben eine sehr knappe Beratungszeit. Dieses Gesetz ist nicht nur im Westen, sondern aufgrund des Regelungsinhaltes auch im Osten problematisch zu vermitteln. Auch bei uns fragen sich viele, warum ausgerechnet diejenigen - nämlich die Mitarbeiter des MfS - jetzt mehr Rente erhalten sollen, obwohl viele Menschen, die keine Chance hatten, anständige Rentenanwartschaften zu erwirtschaften, gar nichts erhalten. ({1}) Deshalb sage ich für unsere Fraktion: Bei allen Detailfragen dieses Gesetzentwurfs ist ein Punkt ganz entscheidend. Es ist für uns nicht akzeptabel, dass wir uns ausschließlich um die Renten von MfS-Mitarbeitern kümmern, ohne etwas für die zu tun, die Opfer dieses Systems gewesen sind. ({2}) Für uns ist ganz entscheidend und wichtig, dass wir uns um diese Personengruppe kümmern. Deshalb haben wir schon im Juni des letzten Jahres das Dritte SED-Unrechtsbereinigungsgesetz eingebracht. ({3}) Wir wären sehr dankbar, wenn Sie uns in diesem Punkt folgen würden. Erst wenn wir an dieser Stelle befriedigende Lösungen haben, können wir davon sprechen, dass wir zum Rechtsfrieden in der Rentenüberführung beitragen konnten. ({4}) So schmerzhaft manches in den Urteilen auch war, sind sie doch für uns bindend. Deshalb sind wir umso überraschter, dass die Bundesregierung in den Punkten, wo tatsächlich Handlungsbedarf besteht, hinter den Urteilen zurückbleibt und nicht die Chance nutzt, Ungerechtigkeiten abzubauen. ({5}) Ich denke hier insbesondere an die Regelung für Hochschullehrer und Professoren. Frau Mascher, ich weiß nicht, woher Sie die Hoffnung auf Rechtsfrieden nehmen. Denn die Briefe, die ich bekomme, bekommen auch Sie. Die Problempunkte sind also allen hier im Hause sehr wohl bekannt. Lassen Sie mich einige davon ansprechen. Das Bundesverfassungsgericht sagt eindeutig: Die Dynamisierung hat ab dem 1. Januar 1992 zu erfolgen. Der Gesetzentwurf sieht demgegenüber eine Dynamisierung ab dem 1. Juli 1992 vor, was dazu führt, dass den betroffenen Hochschullehrern eine Steigerung um 6,84 Prozent nicht zuerkannt wird, die alle anderen Rentner bekommen haben, um die zusätzliche Belastung durch die Krankenversicherungsbeiträge, die es damals gegeben hat, auszugleichen. ({6}) - Nein. - Es geht um die Frage, ob Sie bereit sind, in den Entwurf entsprechende Regelungen aufzunehmen. Noch gravierender ist - das steht in einem offenen Widerspruch zum Bundesverfassungsgerichtsurteil -, dass die Bestandsrenten für zusatzversorgte ehemalige Wissenschaftler der DDR nicht gemäß der Rentenanpassung Ost, sondern der Rentenanpassung West errechnet werden. Wir wissen alle, wie die Lohnanpassungen ausgesehen haben und dass sich daraus für die neuen Bundesländer logischerweise ganz andere Rentenanpassungen ergeben haben. Deshalb frage ich mich, warum ausgerechnet diese Personengruppe jetzt außen vor gelassen wird. ({7}) Das Bundesverfassungsgericht hat in der Erläuterung zum Leiturteil sinngemäß ganz klar gesagt: Der an die berufliche Stellung anknüpfende Lebensstandard und damit auch der Abstand zwischen zusatzversorgten und normal versorgten Rentnern soll aufrechterhalten werden. Ich finde es unerklärlich, warum das Bundessozialgericht hier hinter dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zurückgeblieben ist und eine andere Lösung vorgeschlagen hat, nämlich Rentenanpassung nach Weststandard, obwohl dieses Urteil nach dem BVG-Urteil gefällt wurde und Verfassungsgerichtsurteile eigentlich auch für das BSG bindend sind. Für mich besteht da erheblicher Erklärungsbedarf. Ich hoffe, wir bekommen in den Beratungen darauf eine Antwort. Genauso frage ich die Bundesregierung, warum sie sich hier im Bewusstsein dessen auf das BSG-Urteil und nicht auf das Bundesverfassungsgerichtsurteil stützt. Auch da hoffe ich, dass wir bei den Beratungen eine entsprechende Erklärung bekommen; denn die Einbußen, die daraus entstehen, sind - das kann sich jeder schnell ausrechnen - erheblich. Eine ebenfalls unkorrekte Umsetzung des Urteils erfolgt bei der Vergleichsabrechnung nach dem 20-JahresZeitraum vor Eintritt des Versicherungsfalls. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass all die berücksichtigungsfähigen Arbeitsentgelte, die vor dem 1. März 1971 erworben wurden, auf 600 DM zu begrenzen sind. Auch das schafft wieder Ungleichheiten in ein und derselben Gruppe; denn je älter jemand ist, umso mehr Jahre fallen in diesen Zeitraum und umso schlechter steht er gegenüber seinen jüngeren Kollegen da. So weit zu den Punkten, bei denen der Gesetzentwurf deutlich hinter dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zurückbleibt. Es gibt aber durchaus auch Handlungsbedarf, der nicht mit Urteilen abgedeckt ist, den man hier jedoch sehr wohl aufgreifen könnte, ({8}) der aber nicht aufgegriffen wird. Da möchte ich in besonderer Weise auf die Zugangsrentner eingehen. Wir alle haben gehofft, dass die Lohnangleichungen ein anderes Tempo haben würden. Wir haben zunächst eine Übergangsregelung bis Mitte 1995 geschaffen, sehen heute aber alle, dass das längst nicht ausreicht. Die Zugangsrentner haben in keiner Weise irgendeine Zahlbetragsgarantie und werden eine erheblich schlechtere Rente bekommen als ihre Berufskollegen, auch innerhalb des Ostens, einmal ganz abgesehen von einem Vergleich zum Westen. Deshalb bin ich sehr dafür, dass die Bereitschaft aufgebracht wird, zu prüfen, inwieweit man hier eine Verlängerung der Übergangsregelung schaffen könnte. Frau Mascher hat die Fragen im Zusammenhang mit den Reichsbahnern und den Postlern angesprochen. Hier begrüße ich ausdrücklich die gefundene Regelung. Im Rahmen der gesetzlichen Rentenversicherung ist hier Rechtsfrieden hergestellt worden und es ist gemacht worden, was gemacht werden musste. Nun wissen wir, dass andere Berufsgruppen ebenfalls einen 1,5fachen Steigerungssatz hatten, wenn auch aus anderen Gründen. Ich denke hier an das mittlere medizinische Fachpersonal, das einen anerkannten Beruf, aber relativ geringe Löhne hatte und den Steigerungssatz deshalb als Ausgleich zugebilligt bekommen hat. Auch hier die Frage, wie man eigentlich vermitteln will, dass dieser Steigerungssatz bei Ihnen keine Berücksichtigung findet, und die Bitte um Prüfung dieses Punktes. Auch bei den Reichsbahnern muss noch etwas hinzugefügt werden. Wir wissen alle, dass den Reichsbahnern analog zum Versorgungssystem der Deutschen Bundesbahn - eine betriebliche Altersversorgung zugestanden hat. ({9}) - Ich sage ja: Das war ein Betrachtungsfehler von uns. Komischerweise ist bei der Zusammenführung beider, Reichsbahn und Bundesbahn, das Versorgungssystem der Reichsbahner im Gegensatz zu dem der Bundesbahner aufgelöst worden. Allerdings haben die Menschen dort Anwartschaften erworben. Es gibt eigentlich keinen Grund, sie ihnen vorzuenthalten. Das ist allerdings ein Punkt, der nicht im Rahmen der gesetzlichen Rentenversicherung geklärt werden kann, sondern er muss außerhalb der Rentenversicherung vom für das Eisenbahnervermögen zuständigen Rechtsnachfolger geklärt werden. Das Finanzministerium und das Verkehrsministerium sind hier angesprochen, diese betriebliche Versorgung zu regeln. Ich möchte deshalb für uns festhalten, dass wir dem Gesetzentwurf, wie er jetzt vorliegt, nicht zustimmen können. Ich bin gespannt auf die Beratungen, die wir anschließend haben werden. Danke. ({10})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Die Kolle- gin Katrin Göring-Eckardt, Bündnis 90/Die Grünen, gibt ihre Rede zu Protokoll.1) Deswegen erteile ich jetzt der Kollegin Dr. Irmgard Schwaetzer für die F.D.P.-Fraktion das Wort.

Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002120, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Entwurf der Bundesregierung für ein Zweites Änderungsgesetz zum AAÜG wird nicht die befriedende Wirkung haben, die die Staatssekretärin hier als Wunsch in den Raum gestellt hat. ({0}) Das ist nicht zu erwarten; möglicherweise geht es auch gar nicht. Wir müssen uns immer vor Augen halten, dass die Überführung des sehr komplizierten DDR-Rentenrechts mit seinen ungeheuer vielen und komplizierten Zusatzversorgungen und seinen differenzierten Anspruchsvoraussetzungen in unser westdeutsches Rentenrecht einer Sisyphusarbeit gleichkommt. ({1}) - Die damalige Opposition war dabei. Aber es war allen auch schon damals klar, dass die seinerzeit beschlossenen Regelungen zum Verfassungsgericht gehen würden - das ist dann auch passiert -, und es war damals abzusehen, dass eine ganze Reihe der Regelungen, die zwar den Gefühlen der Menschen entsprachen, vor allem der Menschen, die sich mit dem alten DDR-System nicht solidarisiert hatten, möglicherweise verfassungsrechtlich keinen Bestand haben würden. Dies hat uns das Bundesverfassungsgericht in der Tat bescheinigt: Bei den berücksichtigungsfähigen Arbeitsentgelten müssen Begrenzungen aufgehoben und angehoben werden, auch müssen Zahlbetragsbegrenzungen aufgehoben und angehoben werden. Zu Ihrem Zwischenruf, Frau Kollegin: Wir bekennen uns ausdrücklich dazu. Natürlich ist das damals gemeinsam verabschiedet worden. ({2}) - Etwas anderes wäre damals undenkbar gewesen. Gleichwohl geht es jetzt darum, dass wir uns darauf einigen - möglicherweise werden wir uns auch nicht darauf einigen; Sie sind in der Regierung und mussten eine Vorlage machen -, ({3}) die Dinge zu ändern, die wir damals in einer Weise geregelt haben, die das Rechtsempfinden derer, die zu den Opfern gehört haben, berücksichtigte, aber der verfassungsrechtlichen Prüfung nicht standgehalten hat. Wir erkennen an, dass sich die Bundesregierung sehr eng an das gehalten hat, was das Verfassungsgericht vorgegeben hat. Es gibt eine Reihe von Punkten, bei denen man sehr wohl darüber debattieren muss, ob die Bundesregierung weit genug gegangen ist. Das betrifft vor allen Dingen die Versorgung der Professoren. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist dringend erforderlich, ganz speziell zu diesem Tatbestand eine Anhörung im Ausschuss durchzuführen, ({4}) 1) Anlage 3 damit wir angesichts dieser komplizierten Materie die Position der Betroffenen in Erfahrung bringen können. ({5}) Ich kann mir gut vorstellen, dass Ihnen das nicht gefällt; ({6}) denn Sie wissen heute schon, dass Sie mit Ihrer Mehrheit letztlich die Verantwortung für eine Regelung übernehmen müssen, die die Betroffenen natürlich nicht zufrieden stellt. ({7}) Dass Sie lieber mit etwas anderem in Sachsen-Anhalt Wahlkampf machen würden, ist auch völlig klar. Deswegen biete ich als Oppositionspolitikerin an, dass wir uns im Rahmen einer Anhörung noch einmal ausführlich darüber unterhalten, ({8}) wie die einzelnen Vorgaben des Verfassungsgerichtes umgesetzt werden. Wir sind gesprächsbereit; ({9}) aber die Verantwortung müssen letztendlich Sie selber tragen. ({10}) Meine Damen und Herren, die Kosten der Neuregelung sind mit circa 1 Milliarde DM, aufgeteilt zwischen den neuen Ländern und dem Bund, so ausgefallen, dass man durchaus überlegen könnte, ob an der einen oder anderen Stelle Verbesserungen möglich, wenn nicht gar notwendig sind. Wir - ich sage das noch einmal - sind auf jeden Fall zu Gesprächen bereit. Dieser Gesetzentwurf kommt spät genug, denn das Verfassungsgericht hat uns den 30. Juni 2001 als Termin, zu dem diese Vorgaben des Verfassungsgerichtes umgesetzt sein müssen, gesetzt. Wir sind bereit, dieses Gesetz nicht im Schweinsgalopp, aber konstruktiv zu begleiten, damit wir dann möglicherweise doch zu einer Regelung kommen, der - sicherlich mit Ausnahme der PDS - alle Fraktionen, die das eigentliche Überleitungsrecht getragen haben, zustimmen können. Danke schön. ({11})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die Fraktion der PDS spricht die Kollegin Monika Balt.

Monika Balt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003030, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Debatte erweckt den Eindruck, als verteile die Regierung Almosen, die sie sich vom Munde abgespart habe. ({0}) - Nein! - Unter Verletzung des Einigungsvertrages und des Grundgesetzes wurde das Rentenrecht missbraucht, um Hunderttausenden DDR-Bürgern aus politischen Motiven willkürlich die Renten zu kürzen. Warnende Stimmen, die es bereits 1991 zur Genüge gab, ({1}) wurden nicht erhört. Viele Menschen sind seit elf Jahren um einen Teil ihrer Ansprüche betrogen. Auch das uns jetzt vorliegende AAÜG-Änderungsgesetz ist wahrlich kein Ruhmesblatt für den Deutschen Bundestag. Urteile des Bundesverfassungsgerichts brachten das Konzept des bisherigen AAÜG zum Scheitern und bescheinigten dem Gesetzgeber verfassungswidriges Handeln. Der nun von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzentwurf kann von den Abgeordneten der PDS nicht akzeptiert werden, ({2}) weil er wegen unzulässiger pauschaler Rentenkürzung noch immer im Widerspruch zu Art. 3 des Grundgesetzes steht. ({3}) Außerdem verlangen wir Änderungen bei der Dynamisierung der besitzgeschützten Freibeträge. Das sind für uns die Hauptpunkte, die die Interessen der Betroffenen widerspiegeln. ({4}) Dazu gehört übrigens auch das Rentenstrafrecht, das vom Bundesverfassungsgericht mit klaren und entschiedenen Worten verworfen worden ist. Im Klartext heißt das: Staatsnähe bedeutet nicht automatisch, dass überhöhte Arbeitsentgelte gezahlt wurden. Diese und andere gleich lautende Aussagen gelten in vollem Umfang auch für die noch heute bestehende willkürliche Rentenkürzung bei Personen, die in der DDR als Abteilungsleiter in Ministerien gearbeitet oder in der Armee oder der Polizei als höhere Offiziere gedient haben. Ich frage die Kolleginnen Ulrike Mascher und Andrea Fischer, warum sie 1995 so entschieden gegen das Rentenstrafrecht und alle Entgeltbegrenzungen unterhalb der Beitragsbemessungsgrenze aufgetreten sind und heute, nachdem sie nicht mehr einer Oppositions-, sondern einer Regierungspartei angehören, die verfassungswidrige Praxis der Regierung unter Helmut Kohl fortsetzen wollen. ({5}) Auch die seit 1997 neu geregelte Rentenkürzung für Abteilungsleiter und höhere Offiziere ist nicht nur deshalb verfassungswidrig, weil es nachweisbar laut Gutachten im Staatsapparat der DDR keine überhöhten Gehälter gegeben hat, ({6}) sondern auch deshalb, weil diese Regelung pauschal und unterschiedslos für Abteilungsleiter, ({7}) für hoch qualifizierte Spezialisten und Wissenschaftler, für Mediziner, die als Kreisärzte oder Kreistierärzte in staatlichen Einrichtungen gearbeitet haben, gilt. Alle werden in einen Topf geworfen und ihre Rente wird pauschal auf die Durchschnittsrente gekürzt. Die PDS hält es für erforderlich, § 6 Abs. 2 und 3 im AAÜG ersatzlos zu streichen und § 7 AAÜG in der von ISOR vorgeschlagenen Weise zu korrigieren. Gerade weil es in der deutschen Geschichte unrühmliche Beispiele dafür gegeben hat, dass das Sozialrecht als Strafrecht missbraucht wurde, appelliere ich an Rot und Grün, mit dieser Praxis im AAÜG nun wirklich Schluss zu machen. ({8}) Kehren wir zurück zu einer Rentengesetzgebung, die politisch wertneutral ist und nur tatsächlich gezahlte Entgelte und Beiträge bewertet. Danke. ({9})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die Fraktion der SPD spricht die Kollegin Renate Jäger.

Renate Jäger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001003, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als wir 1991 im Bundestag damit befasst waren, das ostdeutsche Rentensystem in das westdeutsche zu überführen, hatten wir es mit grundsätzlich unterschiedlichen Systemen zu tun. In der DDR gab es neben der Sozialversicherung und der freiwilligen Zusatzversorgung eine große Anzahl an Zusatz- und Sonderversorgungssystemen, die bestimmten Personengruppen vorbehalten waren und deren Leistungsniveau deutlich über dem der Rentenversicherung lag. Bereits die letzte frei gewählte Volkskammer hatte ein Zusatzversorgungssystem beschlossen und die Höchstbeträge für die Renten aus den staatsnahen Zusatzversorgungssystemen wie dem des Staatsapparates und der Parteien auf 2 010 DM und die aus dem System der Staatssicherheit auf 990 DM begrenzt. Auch für die Sonderversorgungssysteme - das betraf Nationale Volksarmee, Polizei und Zoll - erfolgte eine Begrenzung der Renten auf 2 010 DM. Es war ausdrücklicher Wille der letzten frei gewählten Volkskammer, dass Personen, die einen besonderen Beitrag zur Aufrechterhaltung oder zur Stärkung des politischen Systems der DDR geleistet hatten und von diesem Staat besonders begünstigt waren, nicht auch noch überdurchschnittlich hohe Renten erzielen sollten. Mit dem Rentenüberleitungsgesetz 1991 wurden die in den Zusatzversorgungssystemen erworbenen Anwartschaften in die gesetzliche Rentenversicherung der Bundesrepublik überführt. Diese damals getroffene Systementscheidung ist vom Bundesverfassungsgericht grundsätzlich akzeptiert worden. Ebenso hatte vorher das Bundessozialgericht bereits mehrfach diese Systementscheidung für verfassungsmäßig erklärt. Der Bundestag konnte Regelungen im Prinzip nur im Rahmen der gesetzlichen Rentenversicherung treffen. Der Bundestag hatte nicht das Recht, zum Zwecke der Überführung in berufsständische Versorgungswerke einzugreifen. Er hatte auch nicht das Recht, zum Zwecke der Überführung in die Beamtenversorgung der Länder einzugreifen. Wenn nun einige betroffene Berufsgruppen heute noch fordern, dass ihr in der DDR zurückgelegtes Erwerbsleben nach der Wiedervereinigung so zu stellen ist, als ob es in den alten Bundesländern zurückgelegt worden wäre, ist das zwar aus ihrer Sicht verständlich, doch hätte dies eine enorme finanzielle Belastung bedeutet, die natürlich zulasten der Versicherten in den alten und den neuen Bundesländern gegangen wäre - mit allen negativen Folgen. ({0}) Auch bei den Renten derjenigen, die vor 1990 in den Westteil der Bundesrepublik übergesiedelt sind, werden in der Rentenversicherung nur Einkünfte bis zur Beitragsbemessungsgrenze berücksichtigt. Problematisch waren damals im Rentenüberleitungsgesetz die Ausnahmeentscheidungen zu den Sonderversorgten im Staatsapparat, in den Parteien, in der Nationalen Volksarmee, der Volkspolizei und der Staatssicherheit. Bei deren Rentenberechnung wurde das zu berücksichtigende Einkommen auf das Durchschnittsentgelt begrenzt, bei hauptamtlichen Mitarbeitern der Staatssicherheit sogar auf das 0,7-fache des Durchschnittsentgelts, also noch einmal von der Bundesregierung alten Schlages unter die von der Volkskammer beschlossene Höhe heruntergefahren. In den Novellierungen von 1993 und 1996 wurden die Begrenzungsregelungen modifiziert und die Einkommensbegrenzungen für einen großen Teil der Betroffenen ganz aufgehoben. Trotzdem blieb es bei etlichen nicht verfassungsgemäßen Regelungen in diesem Bereich der Kürzungen, die nunmehr von der von SPD und Grünen geführten Regierung in Ordnung zu bringen sind. Zu den einzelnen Maßnahmen hat Frau Mascher hinreichende Ausführungen gemacht. Auf eine Sache möchte ich aber noch besonders hinweisen: Klar als genereller Fehler der alten, konservativen Regierung erkennbar war damals das „Herummodeln“ an den garantierten Zahlbeträgen, die die frei gewählte Volkskammer festgelegt hatte. ({1}) Damit wurden grobe Eingriffe in den Bestandsschutz vorgenommen. Zu diesem Fehlerpaket gehörte auch die Abschmelzung der garantieren Zahlbeträge im Rahmen der Dynamisierung. Dies hätte wahrlich schon 1996 geregelt werden können. ({2}) Die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Anhebung der Entgelte für ehemalige Mitarbeiter der Staatssicherheit von 70 auf 100 Prozent des Durchschnittsverdienstes hat verständlicherweise die Opferverbände auf den Plan gerufen. Um die Relationen zwischen den Entschädigungen der Opfer und den Renten ihrer Verursacher einigermaßen zu wahren, hat die Bundesregierung bereits die Kapitalentschädigung für die Opfer auf 600 DM erhöht. Das ist Ihnen hoffentlich nicht entgangen, Frau Nolte. ({3}) Außerdem hat sie den Fonds der Stiftung für ehemalige politische Häftlinge um 5 Millionen DM aufgestockt. ({4}) Im Rahmen der Beratungen zum vorliegenden Gesetzentwurf hat der Bundesrat einen Zuschlag an Entgeltpunkten für Verfolgungszeiten vorgeschlagen, den zu prüfen, die Bundesregierung ebenfalls zugesagt hat. Hinsichtlich der Renten bei der Deutschen Reichsbahn und der Post haben wir deutliche Leistungsverbesserungen erreicht. Auch die Vertreter der Gewerkschaften von Eisenbahn und Post haben sich zu diesen Vorschlägen positiv geäußert. Obwohl es - Herr Grund, hören Sie gut zu - diese gleichen Argumentationen ja auch in den Gesprächen zu Regierungszeiten der Koalition von CDU/CSU und F.D.P. gegeben hat - wir haben ja auch an den Gesprächen mit den Gewerkschaften teilgenommen -, hat Ihre Regierung keine Regelung zustande gebracht. ({5}) Ganz speziell möchte ich Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der rechten Seite des Hauses, sagen: Wenn Sie uns schon die politische Verantwortung für die jetzt notwendigen Korrekturen und Nachzahlungsverpflichtungen hinterlassen haben, dann erwarte ich von Ihnen, dass Sie konstruktiv an den Beratungen teilnehmen, ({6}) dass Sie keine neuen ideologischen Gräben aufreißen und dass Sie auch mit den finanziellen Belastungen für Bund und Länder verantwortungsvoll umgehen. Danke schön. ({7})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 14/5640 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Das Haus ist damit einverstanden. Dann ist so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung von Beschränkungen des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses - Drucksache 14/5655 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({0}) Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Rechtsausschuss Die Kolleginnen und Kollegen Wolfgang Zeitlmann, CDU/CSU, Hans-Christian Ströbele, Bündnis 90/Die Grünen, Professor Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, F.D.P., Ulla Jelpke, PDS, und für die Bundesregierung der Parla- mentarische Staatssekretär Fritz Rudolf Körper geben ihre Reden zu Protokoll.1) Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 14/5655 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Anderweitige Vorschläge liegen nicht vor. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf: Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Christina Schenk, Christine Ostrowski, Monika Balt, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der PDS eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch ({1}) - Drucksache 14/3227 ({2}) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({3}) - Drucksache 14/5354 - Berichterstattung: Abgeordneter Dirk Niebel Die Kolleginnen und Kollegen Renate Rennebach, SPD, Heinz Schemken, CDU/CSU, Ekin Deligöz, Bünd- nis 90/Die Grünen, und Dirk Niebel, F.D.P., geben ihre Reden zu Protokoll.2) Das Wort hat für die Fraktion der PDS die Kollegin Christina Schenk.

Christina Schenk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001957, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es kann schon einmal vorkommen, dass bei einer großen Reform wie der des Arbeitsförderungsgesetzes ungewollt Fehler passieren. Das ist zu entschuldigen. Nicht aber ist zu entschuldigen, wenn diese Fehler zwar erkannt, aber nicht umgehend behoben werden. ({0}) Der Fehler im Arbeitsförderungsrecht, auf den wir mit unserem Gesetzentwurf, der heute hier abschließend beraten wird, hinweisen, führt dazu, dass Menschen un- 1) Anlage 4 2) Anlage 5 gerechtfertigt von ihnen zustehenden Leistungen ausgeschlossen werden. Die 1998 in Kraft getretene Neuregelung im Arbeitsförderungsgesetz hat zur Folge, dass Frauen bzw. Männer unter bestimmten Umständen ihre Elternzeit mit dem Verlust ihrer Ansprüche auf Arbeitslosengeld oder -hilfe bezahlen. Ich gehe davon aus, dass die Mehrheit hier im Haus das nicht gewollt hat. Es kann auch nicht angehen, dass Väter und Mütter zwar ein Recht auf eine dreijährige Elternzeit haben, die Wahrnehmung dieses Rechts aber zum Erlöschen von erworbenen Ansprüchen auf Leistungen der Arbeitslosenversicherung führen kann, also mit Leistungsentzug bestraft wird. Die Sachlage ist, so meine ich, übersichtlich und auch einfach zu korrigieren: Nach dem alten Arbeitsförderungsgesetz waren Zeiten des Bezugs von Mutterschafts- und Erziehungsgeld mit versicherungspflichtigen Beschäftigungen gleichgestellt. Die vor dem Erziehungsurlaub erworbenen Ansprüche auf Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe blieben so erhalten. Mit der Einführung des SGB III wurden diese Regelungen aufgehoben. Stattdessen wurden Erlöschensfristen für den Bezug von Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe eingeführt. Der Anspruch auf Arbeitslosengeld erlischt - ich möchte Ihnen das hier noch einmal ins Gedächtnis rufen -, wenn seit seiner Entstehung mehr als vier Jahre vergangen sind. In der Realität sieht es dann so aus, dass eine Frau, die aus der Arbeitslosigkeit heraus in den Erziehungsurlaub bzw. in die Elternzeit wechselt und in dieser Zeit ein zweites Kind bekommt und auch für dieses die ihr zustehende Elternzeit wahrnimmt, anschließend ihren Restanspruch auf Arbeitslosengeld verliert. Sie landet also in der Sozialhilfe oder in der finanziellen Abhängigkeit vom Partner. Die Folgen sind fatal: Wer kein Arbeitslosengeld bezieht, ist auch vom Zugang zu den arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen ausgeschlossen. Diese sind aber nur zu oft Voraussetzung für den Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt. Noch schlimmer ist es hinsichtlich der Arbeitslosenhilfe. Hier erlischt der Anspruch bereits nach drei Jahren, also bereits bei der vollständigen Inanspruchnahme des Erziehungsurlaubes bzw. der Elternzeit für ein Kind. Das Problem lässt sich sehr einfach aus der Welt schaffen, indem die Fristen für das Erlöschen der Ansprüche auf Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe in Zeiten des Mutterschutzes und des Erziehungsurlaubes verlängert werden. Restansprüche auf Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe blieben auf diese Weise erhalten und könnten nach Ablauf der Elternzeit geltend gemacht werden. Im Familienausschuss und im Arbeitsausschuss waren sich alle Fraktionen darin einig - es war für mich sehr merkwürdig, das zu erleben -, dass die dargestellte Situation der Korrektur bedarf. Von allen Seiten wurde unserem Lösungsvorschlag bescheinigt, dass er in die richtige Richtung geht. ({1}) Statt aber die Reparatur des SGB III sofort in Angriff zu nehmen, verweisen SPD und Grüne auf die oftmals angekündigte, aber noch immer nicht vorgelegte Gesamtreform des SGB III. Wann diese kommt, ist nach wie vor völlig offen. Ich frage Sie: Was schadet es denn, wenn ein offensichtlicher Fehler im SGB III jetzt behoben wird? Das hindert Sie doch in keiner Weise daran, zu einem späteren Zeitpunkt, zu dem Sie dazu in der Lage sind, die Gesamtreform vorzulegen, die Sie angekündigt haben. Bei der CDU/CSU ist die Sache noch pikanter. Sie hat in den Ausschüssen gegen unseren Gesetzentwurf gestimmt, obwohl auch sie meinte, dass er in die richtige Richtung gehe. Das ist insofern interessant, als der Bundesrat morgen auf Initiative des CDU-geführten Sachsen über einen ähnlich lautenden Gesetzentwurf berät. Daher erwarte ich von der CDU/CSU, dass sie unserem Gesetzentwurf heute zustimmt. ({2}) Wenn sie das nicht tut, kann ich das nicht anders interpretieren, als dass es ihr vorrangig um Schaufensterpolitik geht und nicht wirklich um die Lösung der Probleme der Menschen in unserem Land. ({3}) Unser Gesetzentwurf bietet die Gelegenheit, eine von allen Parteien als ungerecht erkannte Regelung unkompliziert aus der Welt zu schaffen und somit den betroffenen Frauen bzw. Männern die ihnen zustehenden Leistungsansprüche zukommen zu lassen. Lassen Sie also - ich wende mich damit an alle Fraktionen, meine natürlich ausgenommen - Ihre parteitaktischen Spielchen und stimmen Sie unserem Gesetzesvorschlag zu! Danke schön. ({4})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion der PDS zur Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch, Drucksache 14/3227. Der Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung empfiehlt auf Drucksache 14/5354, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der PDS abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 30. März 2001, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.