Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die F.D.P.-Bundestagsfraktion beantragt die Rücküberweisung der Mietrechtsvorlagen an die
beratenden Ausschüsse. Wir tun dies nicht, weil wir die
Geschäftsordnung des Bundestages verletzt sehen. Aber
wir sind nicht bereit, länger zuzusehen, wie die Regierungsmehrheit mit legitimen Rechten des Parlaments umgeht.
({0})
Das Mietrecht ist keine rechtliche Materie, die ausschließlich den Rechtsausschuss zu interessieren hat. Es
ist völlig klar, dass diese Materie auch für das Bau- und
Wohnungswesen eine große Bedeutung hat. In dem dafür
zuständigen Ausschuss ist die Regierungsmehrheit mit
der Opposition und mit dem Parlament insgesamt in einer
absolut inakzeptablen Weise umgegangen.
({1})
Am 7. März 2001 hat die Koalition mit der Begründung, es seien noch viele Anträge mit inhaltlichen und redaktionellen Änderungen zu erwarten, die Verschiebung
der Beratungen durchgesetzt. Es wurde außerdem darauf
hingewiesen, dass noch ausreichend Beratungszeit zur
Verfügung stehe, weil ein Abschluss im März nicht zu erwarten sei.
Nur eine Woche später sollte auf Druck der Regierungskoalition die Beratung dann plötzlich bis 10.30 Uhr
abgeschlossen werden, damit das Votum dem federführenden Rechtsausschuss noch vorgelegt werden
könne. Dies war angesichts der Fülle von Änderungen
natürlich nicht möglich. Ein Parlament, das diese Vorgehensweise bei einer so wichtigen Reform zulässt, gibt sich
auf. Zu bemerken ist auch, dass dies nicht der erste Vorgang dieser Art ist.
({2})
Gerade die völlig einseitigen Verbesserungen des Mietrechts zugunsten der Mieter müssen sorgfältig abgewogen
werden. Manche Regelungen sind nur auf den ersten
Blick für die Mieter günstig. Wenn etwa das Angebot an
Wohnungen zurückgeht, steigen natürlich die Mieten. Gerade die sozial schwächeren Mieter hätten die Folgen zu
tragen.
({3})
Das muss bei einer solchen Regelung natürlich bedacht
werden. Deshalb muss dies auch dem federführenden
Rechtsausschuss bei seiner Beratung bekannt sein.
({4})
Die F.D.P.-Bundestagsfraktion nimmt die Beschneidung
der berechtigten Interessen der mitberatenden Ausschüsse,
aber auch des Parlaments insgesamt nicht länger hin. Wir
bitten Sie deshalb um Zustimmung zu unserem Antrag.
({5})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Alfred Hartenbach, SPD-Fraktion.
Verehrter Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich möchte vorab
verkünden, dass ich in dieser Geschäftsordnungsdebatte
auch für den Koalitionspartner spreche.
({0})
Das ist, an die rechte Seite hier im Hause gerichtet, ein
deutlicher Hinweis darauf, wie eng wir miteinander vernünftige Sachpolitik betreiben.
({1})
Heute ist Donnerstag,
({2})
ein ganz normaler Donnerstag für das deutsche Parlament. Das deutsche Volk geht davon aus, dass dieses deutsche Parlament an einem ganz normalen Donnerstag um
9 Uhr morgens in eine Sachdebatte einsteigt.
({3})
Was aber machen Sie? Seit Monaten müssen wir mit ansehen, wie Sie inhaltsleer, ideenlos, ohne jegliche Fantasie und ohne irgendwelche eigenen Vorstellungen uns
hier Donnerstagmorgen für Donnerstagmorgen bei
Plenarsitzungen mit Geschäftsordnungsdebatten überziehen.
({4})
Präsident Wolfgang Thierse
Die Menschen draußen erwarten, dass wir hier eine
vernünftige Politik machen. Was machen Sie? - Geschäftsordnungsdebatten!
({5})
Das zeigt, dass Sie überhaupt nichts anderes mehr können, als Geschäftsordnungsdebatten zu führen.
({6})
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, diese Debatte ist so
überflüssig wie nur etwas.
({7})
Unter normalen Menschen, unter anständigen Menschen
({8})
würde man sagen: Diese Opposition stiehlt uns die Zeit.
({9})
Herr Präsident, ich weiß nicht, ob der Ausdruck, den ich
gebrauchen will, unparlamentarisch ist, deswegen denke
ich ihn nur: Solche Menschen, so denke ich, könnte man
mit Fug und Recht als Zeitdiebe bezeichnen.
({10})
Was ist denn eigentlich passiert? Van Essen hat gesagt:
Nichts ist passiert; geschäftsordnungsmäßig ist alles in
Ordnung. - Also frage ich mich: Warum diese Geschäftsordnungsdebatte, wenn geschäftsordnungsmäßig alles in
Ordnung ist?
({11})
Nun wollen wir das einmal auflisten: Im November des
Jahres 2000 haben alle Beteiligten den Regierungsentwurf zum Mietrechtsreformgesetz überreicht bekommen.
Ab November 2000 konnten alle darüber beraten, auch
der beteiligte Ausschuss. Der beteiligte Ausschuss hat,
wenn ich es richtig vorgefunden habe,
({12})
am 24. Januar und am 14. Februar 2001 darüber beraten.
({13})
Der mitberatende Ausschuss hat die Unterlagen rechtzeitig bekommen.
({14})
- Aber, Herr van Essen, Sie können nicht lesen; das weiß
ich schon lange.
({15})
Wenn Sie richtig gelesen hätten, hätten Sie festgestellt,
dass sich in den Kernaussagen bezüglich der Materie, die
den Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen betreffen, fast nichts geändert hat und man hier durchaus auf
Basis dessen, was vorlag, hätte weiter beraten können.
Nun geschieht Folgendes: Am Freitag, den 9. März, mittags um 14 Uhr, liegt dem Bauausschuss der Änderungsantrag der Regierung und der Koalitionsfraktionen vor.
({16})
Am Montagnachmittag haben das alle bekommen. Ich
kann doch erwarten, dass man sich hinsetzt und ein Gesetz, das man am Mittwochmorgen beraten will, bis dahin
durchliest. Aber was macht die CDU/CSU, was macht die
F.D.P. im Bauausschuss? - Sie beginnen nicht mit der
Sachdebatte, sondern sie beginnen wieder - mit was
wohl? - mit einer Geschäftsordnungsdebatte.
({17})
Selbstverständlich haben Sie auch dort wieder eine
Stunde mit der Geschäftsordnungsdebatte verplempert, in
der Sie gezeigt haben, dass Sie an der Sache gar nicht interessiert sind.
Nun hätten wir im Rechtsausschuss noch lange gewartet, wenn nicht an diesem Tag auch die Union wiederum
eine Sondersitzung ihrer Fraktion gehabt hätte. Warum
hat sie eine Sondersitzung der Fraktion gehabt? - Um uns
am nächsten Morgen mit einer Geschäftsordnungsdebatte
zu überziehen!
({18})
So sieht das nämlich aus. Es war ausreichend Zeit für die
Beratung. Der und die willens war, konnte das in Ruhe beraten.
Jetzt noch etwas zu Ihnen, Herr van Essen. Wir haben
im Rechtsausschuss Berichterstattergespräche gehabt, wie
sie intensiver und besser nicht hätten sein können. Dort
sind Sie über alles informiert worden. Da kann ich doch
zum Beispiel auch erwarten, dass die Kolleginnen und
Kollegen aus der Opposition so, wie wir es gemacht haben,
ihre Mitglieder in den mitberatenden Ausschüssen über
das, was sich getan hat, informieren. Das sehe ich als Zusammenarbeit innerhalb einer Fraktion an. Aber wenn Sie
nur im eigenen Saft schmoren, kann ich es nicht ändern.
Lassen Sie mich Ihnen von der F.D.P., die Sie ja nun die
18 Prozent anstreben, zum Schluss noch etwas mit auf den
Weg geben.
({19})
Wer sich auf 18 Prozent einrichtet, wer meint, er könne
uns im Jahr 2002 auseinander dividieren, und sich als Regierungspartei andient, der sollte ab sofort, egal wo er sich
befindet, mit Sachdebatten beginnen.
({20})
Die Geschäftsordnungsdebatten, die Sie im Moment machen, sind die Fingerübungen eines Eleven in der Politik.
({21})
Diese Fingerübungen gehören auf die Oppositionsbank.
Dort sollten Sie noch lange bleiben.
({22})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Hans-Peter Repnik, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich hatte fast das Gefühl, der Kollege Hartenbach redet bis zum Freitag weiter, nachdem er uns darauf hingewiesen hat, dass wir
heute Donnerstag haben.
({0})
Wir unterstützen den Antrag der F.D.P. aus mehreren
Gründen. Der Gesetzentwurf, der heute auf der Tagesordnung steht und über den wir hier reden, reiht sich in eine
Kette von eigentumsfeindlichen Gesetzen von Rot-Grün
ein.
({1})
Wir diskutieren nicht nur das Mietrecht, sondern wir diskutieren derzeit im Vermittlungsverfahren auch die Rentenreform, mit der die Häuslebauer kalt enteignet werden
sollen.
({2})
Dem Bundesrat liegt diese Woche ein Gesetzentwurf
von SPD-regierten Ländern zur Erhöhung der Erbschaftsteuer um 50 Prozent vor.
({3})
Selbst die Fachverbände sprechen hier von einer Wählertäuschung. Was sich Neue Mitte nennt, entpuppt sich als
alte Linke. Die Koalition betreibt eine Reideologisierung
in dieser Frage.
({4})
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen,
weil Sie in diesen Fragen die öffentliche Diskussion
scheuen, wählen Sie ein Verfahren, das in diesem Punkt
nach unserer Überzeugung mit der Geschäftsordnung
kollidiert.
Der Kollege Hartenbach hat die Sachdebatte gefordert.
({5})
Wir stellen uns der Sachdebatte. Aber genau das, was Sie,
Kollege Hartenbach, heute früh hier im Plenum fordern,
haben Sie den Fachpolitikern im Ausschuss in den letzten
Wochen verwehrt. Das ist doch der Sachverhalt.
({6})
Herr Kollege Hartenbach, ich weiß, dass Sie ein geschätztes Mitglied des Rechtsausschusses sind. Aber bevor Sie hier zu diesem Thema eine Geschäftsordnungsdebatte führen, hätten Sie sich bei Ihren
Kollegen erkundigen sollen, was im Wohnungsbauausschuss los war.
({7})
Hier waren Sie ganz offensichtlich schlecht informiert.
Den Kollegen im Wohnungsbauausschuss wurde die
Chance genommen, ihren Sachverstand entsprechend einzubringen. Tatsache ist, dass der federführende Rechtsausschuss den Wohnungsbaupolitikern keine Frist gesetzt
hat, dass die SPD-Vertreter im Wohnungsbauausschuss
gesagt haben, man habe bis April Zeit, und dass dieser
Tagesordnungspunkt im Wohnungsbauausschuss einvernehmlich von der Tagesordnung genommen worden ist.
({8})
Anschließend hat der Rechtsausschuss ohne das Votum
des Wohnungsbauausschusses abgestimmt. Das ist der
Sachverhalt.
Jetzt komme ich noch einmal zur Geschäftsordnung:
Wir haben hier eine eindeutige Regelung, in der es heißt,
dass der federführende Ausschuss, wenn das Votum des
mitberatenden Ausschusses nicht vorliegt, die Beratung
nur vorläufig abschließen darf. Sie wissen auch, Kollege
Hartenbach, dass es dazu im letzten Jahr sogar eine eindeutige Interpretation des Geschäftsordnungsausschusses
gab, die nach unserer festen Überzeugung in dieser Frage
verletzt worden ist. Von daher sehen wir die Rechte des
Wohnungsbauausschusses und auch die verfassungsmäßigen Rechte der Kolleginnen und Kollegen verletzt,
die keine Chance gehabt haben, sich hier mitberatend einzubringen.
({9})
Meine Damen und Herren, diese Geschäftsordnungsdebatte rechtfertigt sich nicht nur aus dem heute zur Diskussion stehenden Einzelfall, sondern dies hat System.
Ich erinnere daran, dass in dieser Woche am Vorabend einer Umweltausschusssitzung eine dicke Liste von Änderungsvorschlägen eingebracht worden ist. Die Opposition
hat daraufhin im Umweltausschuss gefordert, man möge
den Abgeordneten Zeit geben, sich inhaltlich mit den Änderungsanträgen auseinander zu setzen, und die Beratung
zu vertagen. Das ist abgelehnt worden. Ferner erinnere ich
an die Beratung der Gesundheitsreform im letzten Jahr sowie der Reform der gewaltfreien Erziehung. Was also den
Umgang der Mehrheit mit der Minderheit in diesem Parlament angeht, so hat dies System.
Meine Damen und Herren, wir von der CDU/CSUFraktion fordern nicht mehr und nicht weniger, als dass
die Gesetze zumindest handwerklich ordentlich gemacht
werden. Wahren Sie die Rechte des Hauses und halten Sie
das gebotene Verfahren ein! Weil das Verfahren in diesem
Fall nicht eingehalten wurde und die Rechte der Abgeordneten verletzt wurden, fordern wir, dass dieser Gesetzentwurf an den federführenden Ausschuss und die mitberatenden Ausschüsse zurückverwiesen wird. Stimmen Sie
also deshalb dem Antrag der F.D.P. zu! Meine Fraktion
stimmt dem Antrag zu.
Vielen Dank.
({10})
Nun erteile ich der
Kollegin Heidi Knake-Werner von der PDS-Fraktion das
Wort.
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die PDS-Fraktion wird
dem Rücküberweisungsantrag der F.D.P. zustimmen.
({0})
Auch wir sind der Auffassung, dass eine sachgerechte
Mitberatung im Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen nicht möglich war und insofern ein ordnungsgemäßes Verfahren nicht stattgefunden hat. Wir kritisieren vor allem, dass durch die zeitlichen Vorgaben des
federführenden Rechtsausschusses der mitberatende Fachausschuss dermaßen unter Druck gesetzt worden ist, dass
eine akzeptable, sachgerechte Beratung nicht möglich war.
In nur einer Stunde sollte der ganze Gesetzentwurf einschließlich 87 Änderungsanträgen beraten werden, die, wie
übrigens sehr häufig, erst kurzfristig eingebracht wurden.
Wir halten dies einfach für unzumutbar und meinen,
dass die Arbeit so nicht seriös zu erledigen ist, zumal bei
einem Gesetz, das Sie selber als ein ganz wichtiges Reformvorhaben dieser Legislaturperiode bezeichnen und
das für 50 Millionen Menschen in der Bundesrepublik
von großer Bedeutung ist und ihnen ja wohl auch für längere Zeit Rechtssicherheit bringen soll.
({1})
Insofern ist es notwendig, hier eine vernünftige Beratung
zu ermöglichen, vor allem, da Sie immer wieder die Sachdebatte einfordern.
Der Wohnungsausschuss ist dementsprechend mit seiner Beratung nicht rechtzeitig fertig geworden. Als sein
Votum beim Rechtsausschuss eintraf, hatte dieser seine
Beratung bereits abgeschlossen.
Nun könnte man sagen, das sei ein bloßer Formfehler,
über den man hinwegsehen könne, um den „Laden“ hier
nicht aufzuhalten. Das könnte man natürlich, wenn der
Anlass für diese Geschäftsordnungsdebatte in der Tat die
Ausnahme wäre. Aber auch wir müssen gerade in letzter
Zeit feststellen, dass es hier nicht um die Ausnahme, sondern eher um die Regel geht.
({2})
Wir akzeptieren diesen Formfehler nicht, weil damit
die Rolle der mitberatenden Fachausschüsse überflüssig
gemacht wird. Wir akzeptieren diesen Formfehler nicht,
weil dies für die politische Kultur in diesem Haus schlecht
ist und uns wirklich niemand mehr abnimmt, dass wir wenigstens in der Fachberatung unterschiedliche Sichtweisen zur Kenntnis nehmen, einander zuhören und nach
Sachlage entscheiden. Auch hier dominieren vielmehr im
weitesten Sinne wirklich nur die Mehrheiten.
Es häufen sich doch die Beschwerden aus den Fachausschüssen - das wird Ihnen allen doch so gehen -, dass
umfangreichste Reformvorhaben im Hauruckverfahren
durchgezogen werden sollen. Knappe Zeitleisten und
kurzfristig zu bewältigende Papierberge beeinträchtigen
die Mitwirkungsmöglichkeiten gerade der mitberatenden
Ausschüsse und natürlich auch der entsprechenden Fachpolitikerinnen und Fachpolitiker. Solche Bedingungen
behindern nicht zuletzt auch die Mitwirkungsmöglichkeiten der Oppositionsparteien und schränken ihre Minderheitenrechte in unerträglicher Weise ein.
({3})
Das verschlechtert das Arbeitsklima und die Diskussionskultur in diesem Hause. Wir merken das gerade in den
letzten Wochen sehr deutlich. Deshalb sagen wir von der
PDS: Wir finden, die Mehrheit sollte ihre Mehrheit nicht
dazu missbrauchen.
Vielen Dank.
({4})
Wir kommen nun zur
Abstimmung über den Antrag der Fraktion der F.D.P. auf
Absetzung des Tagesordnungspunktes 3 und Rücküberweisung der beiden Gesetzentwürfe an den federführenden Rechtsausschuss sowie den mitberatenden Ausschuss
für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen. Ich gehe davon
aus, dass über beides gemeinsam abgestimmt werden soll.
Wer stimmt für den Antrag der Fraktion der F.D.P.? Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen der SPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von
CDU/CSU, F.D.P. und PDS abgelehnt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf:
- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Neugliederung, Vereinfachung und Reform
des Mietrechts ({0})
- Drucksache 14/4553 ({1})
- Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Rainer Funke, Michael Goldmann, Horst
Friedrich ({2}), weiteren Abgeordneten und
der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Vereinfachung des Mietrechts
({3})
- Drucksache 14/3896 ({4})
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
({5})
- Drucksache 14/5663 Berichterstattung:
Abgeordnete Margot von Renesse
Ronald Pofalla
Helmut Wilhelm ({6})
Dr. Evelyn Kenzler
Zum Entwurf des Mietrechtsreformgesetzes liegen je
ein Änderungsantrag der Fraktion der F.D.P. und der Fraktion der PDS sowie ein Entschließungsantrag der Fraktion
der CDU/CSU vor. Über den Entwurf des Mietrechtsreformgesetzes werden wir nachher namentlich abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält der bereits
vor mir stehende Kollege Dirk Manzewski, SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am heutigen Tag beraten wir abschließend über den
Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Mietrechtsreform.
Dem Mietrecht kommt im alltäglichen Leben eine besondere Bedeutung zu, auch wenn dies vielleicht nicht immer so wahrgenommen wird. Millionen von Menschen
sind als Mieter auf gute und bezahlbare Wohnungen angewiesen. Für Millionen von Vermietern gehören Mieteinnahmen zur Sicherung ihrer Lebensgrundlage.
Das geltende Mietrecht wird den heutigen Anforderungen von Gesellschaft und Wirtschaft jedoch längst nicht
mehr gerecht. Es trägt weder den gewandelten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebensverhältnissen
noch der veränderten Wohnungsmarktsituation Rechnung. Soweit im Mietrecht überhaupt einmal eine Systematik existierte, ist diese längst nicht mehr erkennbar. Änderungen und Ergänzungen haben das Mietrecht vielmehr
immer komplizierter, unübersichtlicher und sprachlich
schwer verständlich gemacht.
({0})
Mit ihrem Gesetzentwurf ist es der Bundesregierung
nun gelungen, das Mietrecht den heutigen Erfordernissen
anzupassen und dabei einen gerechten Ausgleich zwischen den Interessen von Mietern und Vermietern zu erzielen.
({1})
Der Begriff Reform trifft hier zu. Reform bedeutet Verbesserung und Neuordnung des Bestehenden und genau
dies ist hier erfolgt. Ich halte es nun einmal für eine Verbesserung, wenn das Mietrecht übersichtlicher, verständlicher und transparenter wird. Ich halte es für fortschrittlich, wenn es den Mietparteien dadurch eher gelingt, ihre
Rechte und Pflichten auch ohne anwaltlichen Beistand zu
erkennen,
({2})
und ich halte es für zeitgemäß und längst überfällig, wenn
sich das Mietrecht endlich inhaltlich an den veränderten
gesellschaftlichen Bedingungen orientiert.
({3})
Natürlich gelingt es bei einer Reform nie, allen Forderungen sämtlicher Interessenverbände gerecht zu werden oder diese zu erfüllen; das liegt in der Natur der Sache. Ich meine aber, dass es der Bundesregierung
gelungen ist, einen insgesamt ausgewogenen Gesetzentwurf vorzulegen, der den berechtigten Interessen aller Beteiligten gerecht wird, und darauf kommt es doch an.
Wichtig ist doch nicht, ob die Reform in einzelnen Punkten zu einer Verlagerung der Rechte oder der Pflichten der
Mietparteien führt. Entscheidend ist doch allein, ob sie
sachgerecht ist oder nicht.
Man kann in diesem Zusammenhang deshalb vor allem
nicht unberücksichtigt lassen, dass sich die gesellschaftlichen Verhältnisse gerade in den letzten 20 Jahren radikal
geändert haben. Die Anforderungen an das Mietrecht von
heute sind ganz andere als die von gestern. Die Gesellschaft von heute fordert eine unglaubliche Flexibilität und
Mobilität ihrer Bürger. Was ist falsch daran, die entsprechenden Gesetze dem anzupassen?
({4})
Die Einführung asymmetrischer Kündigungsfristen
war deshalb längst überfällig und zeitgemäß. Die im Vorfeld dieser Debatte hieran geäußerte Kritik halte ich für
völlig überzogen und verfehlt. Man kann doch nicht
ignorieren, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass die Situation auf Mieterseite eine völlig andere ist als auf Vermieterseite.
({5})
Ich kann nicht von einem Mieter, der Arbeitnehmer ist,
überspitzt gesagt, einerseits fordern, heute in München,
morgen in Frankfurt und übermorgen in Rostock tätig zu
sein, ihn andererseits aber mit langfristigen Mietverträgen
binden. Das ist alles andere, nur nicht modern und zeitgemäß.
({6})
Wer Flexibilität und Mobilität im Arbeitsleben fordert,
dem würde es auch gut zu Gesicht stehen, die Rahmenbedingungen hierfür zu schaffen.
Man kann seine Augen auch nicht davor verschließen,
dass unsere Bevölkerung immer älter wird. Es wird daher
immer häufiger dazu kommen, dass Seniorinnen oder
Senioren kurzfristig in ein Alten- oder Pflegeheim umziehen müssen. Lange Kündigungsfristen für die Wohnung
sind dann einfach nicht zumutbar.
Präsident Wolfgang Thierse
Diese Veränderungen müssen in einem Mietrecht von
heute Berücksichtigung finden und das tun sie im vorliegenden Gesetzentwurf auch durch die kürzeren Kündigungsfristen für Mieter.
({7})
Andererseits kann man einem Mieter, der 15 Jahre lang
in einem bestimmten Berliner Kiez gelebt hat, der dort
verwurzelt ist und sein soziales Umfeld hat, dessen Kinder dort in den Kindergarten oder in die Schule gehen,
nicht zumuten, nach einer Kündigung aus der Not heraus
gleich die erstbeste ihm angebotene Wohnung anzunehmen. Man muss ihm zugestehen, zunächst zu versuchen,
in seinem alten Umfeld eine adäquate Wohnung zu finden. Dies kann doch nicht ernsthaft bestritten werden. Daraus ergibt sich auch, dass der Mieter typischerweise
schutzbedürftiger ist als der Vermieter.
({8})
Kündigt der Vermieter, verliert der Mieter seine Wohnung und sein unmittelbares Wohnumfeld. Der Mieter ist
zu Recht deshalb umso schutzwürdiger, je länger er in der
Wohnung gelebt hat. Dem tragen die im Gesetzentwurf
vorgesehenen, nach Dauer des Mietverhältnisses differenzierten Kündigungsfristen für den Vermieter zutreffend Rechnung.
({9})
Kündigt der Mieter, verliert dagegen der Vermieter seine
Wohnung nicht. Er ist damit nicht vergleichbar schutzwürdig. Ihm reichen in der Regel drei Monate, einen neuen
Mieter zu finden.
Im Übrigen möchte ich noch einmal kurz daran erinnern, dass die Kündigungsfristen zum Schutz des Mieters
eingeführt worden sind und nicht zur Vermeidung von
Leerstand, wie offensichtlich einige meinen.
({10})
Auch die Kritik an der Senkung der Kappungsgrenze
ist meines Erachtens nicht berechtigt. Wenn behauptet
wird, die Senkung der Kappungsgrenze sei nicht hinnehmbar oder ein falsches Signal für Investoren, so halte
ich das für puren Unsinn. Investiert wird dort in den Wohnungsbau, wo es sich lohnt. Das heißt, in Gegenden mit
großem Leerstand wie gerade in vielen ostdeutschen Städten wird niemand bauen, selbst wenn man dort bei der
Mieterhöhung frei wäre. Umgekehrt wird eine noch so geringe Möglichkeit, Mieterhöhungen vorzunehmen, Investoren dort nicht abschrecken, wo Rendite zu erwarten ist.
So ist das nun einmal.
({11})
Seien wir doch einmal ganz ehrlich, liebe Kolleginnen
und Kollegen! Worüber reden wir in diesem Zusammenhang eigentlich? Circa 5 Prozent Mieterhöhung werden
tatsächlich im Durchschnitt vom Vermieter verlangt. Das
heißt, die Kappungsgrenze für Mieterhöhungen wird
heutzutage ohnehin nicht ausgeschöpft. Die Senkung der
Kappungsgrenze von 30 Prozent auf 20 Prozent tut dem
Vermieter also in der Regel überhaupt nicht weh.
({12})
- Nun hören Sie doch einmal zu, Herr Pofalla! - Dem
Mieter allerdings hilft sie dort, wo Ballungsgebiete mit
vielen Menschen und wenig Wohnraum sind, und natürlich dort, wo spekuliert wird. Deswegen ist es völlig in
Ordnung, eine Reduzierung der Kappungsgrenze vorzunehmen.
({13})
- Sie müssen zuhören und nicht dazwischenschreien!
Dann verstehen Sie das vielleicht auch.
({14})
Gerade junge Familien mit Kindern und alte Menschen
haben unter Mieterhöhungen häufig zu leiden. Diesen
wollen und werden wir mit der Senkung der Kappungsgrenze helfen. Dadurch zeichnet sich die sozial verantwortliche Politik dieser Regierungskoalition aus, und
dazu stehen wir.
({15})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich verhehle nicht,
dass mit der Mietrechtsreform nicht alle Probleme des
Mietrechts gelöst worden sind. Das konnten sie meiner
Auffassung nach aber auch gar nicht. So hätte ich mir
natürlich gewünscht, dass wir das Problem der Schönheitsreparaturen gelöst hätten.
({16})
- Herr Kollege, in der Praxis hat sich jedoch gezeigt, wie
unglaublich schwierig es ist, gerade diesen Bereich zu regeln. Es wäre schön gewesen, wenn Sie hier nicht nur
„Aha!“ dazwischenschrien, sondern an den Beratungen
teilgenommen hätten.
({17})
Ich erinnere daran, dass eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe eingesetzt worden ist, der es nicht gelungen ist, sich auf
einen Gesetzestext zu verständigen. Das ist die Tatsache
gewesen. Sie hat zu ihrem Bericht extra ein kleines Büchlein zur Frage der Schönheitsreparaturen herausgebracht
und musste eingestehen, dass sie keine Gesetzestextversion finden konnte, die den Interessen sämtlicher Beteiligten gerecht wird. Das kann man doch nicht einfach
ignorieren.
({18})
Auch im Laufe dieses Gesetzgebungsverfahrens konnte
von niemandem eine Regelung präsentiert werden, die
ausgewogen die Interessen beider Vertragsparteien
berücksichtigt. Sollte hier jemand den Stein der Weisen
finden - das gestehe ich Ihnen gerne zu, Herr Kollege und einen konkreten Vorschlag unterbreiten, der gleichermaßen die Interessen von Vermietern und Mietern
berücksichtigt, dann sind wir sicherlich die Letzten, die
den hier vorgelegten, ohnehin schon hervorragenden
Gesetzentwurf nicht im Nachhinein verbessern würden.
Wir doch nicht! Wir würden das gerne machen, Herr
Kollege.
({19})
- Herr Kollege, wir haben nichts gemacht? Wir haben ein
modernes Mietrecht geschaffen. Ein modernes Mietrecht bedeutet auch eine inhaltliche Verbesserung. Das
haben wir angepackt. Es wäre wünschenswert gewesen,
dass auch Sie sich inhaltlich dazu geäußert hätten. Das haben Sie leider nicht getan.
({20})
Wie üblich haben Sie als Opposition nur kritisiert, haben
aber andererseits interessanterweise in den Debatten auch
eingestanden, dass eine Modernisierung des Mietrechts
längst überfällig ist.
({21})
- Warum soll ich das nicht ungestraft sagen können? Ich
tue es doch gerade.
({22})
Sie können gerne hierzu debattieren. Ich werde mich dann
auch melden. Dann können wir uns prima über die Sache
unterhalten. Ich hätte das gerne im Vorfeld gemacht. Leider sind Sie dazu nicht bereit gewesen.
({23})
Meine Damen und Herren, wir brauchen ein modernes
Mietrecht. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung setzt
meiner Auffassung nach insoweit Maßstäbe.
Frau Ministerin, ich möchte Sie hierzu beglückwünschen und mich für die konstruktive Zusammenarbeit mit
Ihrem Haus bedanken.
Danke schön.
({24})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Ronald Pofalla, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Lieber Alfred Hartenbach,
({0})
ich will zwei Anmerkungen zu Ihrem Geschäftsordnungsdebattenbeitrag machen.
Erstens kann ich festhalten - Sie haben darauf hingewiesen -: Es ist Konsens auch mit der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, dass heute Donnerstag ist.
({1})
Zweitens. Wenn Alfred Hartenbach davon spricht, die
Opposition stehle Zeit, und hier den Begriff „Zeitdiebe“
verwendet, dann wird deutlich, was schon länger in Sitzungen des Rechtsausschusses deutlich geworden ist: Sie
würden am liebsten die Opposition abschaffen.
({2})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Chance
für eine solide, gemeinsame Lösung zur Reform des
Mietrechts ist vonseiten der Regierungskoalition vertan
worden. Die Verantwortung für dieses traurige Beispiel
mangelnder inhaltlicher Kooperationsbereitschaft und
auch die Folgen dieser schlechten Mietrechtsreform trägt
einzig und allein die Regierungskoalition von SPD und
Bündnis 90/Die Grünen.
({3})
Die starre Haltung der Regierungskoalition hat sich
während des Gesetzgebungsverfahrens trotz vernünftiger, sachbezogener Argumentation seitens der Union
nicht geändert. Schlimmer noch: Von Anfang an ist hier
nicht die kleinste Änderung vonseiten der Opposition zugelassen worden. Die Regierungskoalition will wider besseres Wissen durchsetzen, was sie in der Diskussion nicht
überzeugend vertreten konnte. Diese starre Haltung ist im
demokratischen Diskurs fehl am Platz.
Warum tatsächlich keine Änderungsbereitschaft seitens der Regierungskoalition bestand, ist einfach zu erklären: Zum einen liegt dies an der Notwendigkeit eines
Koalitionskompromisses und zum anderen an ideologischem Scheuklappendenken. Hier soll ein sozialistisches
Pflichtprogramm absolviert werden.
({4})
Die Politik der so genannten Neuen Mitte findet sich bei
dieser Mietrechtsreform nicht wieder. Stattdessen versucht die alte Linke hier im Deutschen Bundestag Mietrechtspolitik zu betreiben.
({5})
Das ewige - heutzutage vor allem falsche - Lied vom
schwachen, armen Mieter und vom kapitalistischen, bösen Vermieter ertönt wieder einmal.
({6})
Die Segnungen der Sozialdemokratie sollen dem angeblich geschundenen Mieter nun aus seiner angeblich unterdrückten Position heraushelfen.
Dieses veraltete Klassendenken hat dazu geführt, dass
die große Chance einer gerechten und umfassenden Reform des Mietrechts tatsächlich nicht genutzt wurde.
Selbst in ideologisch nicht so relevanten Nebenbereichen
des Reformvorhabens gab es kein Entgegenkommen seitens der Regierungskoalition.
Hingegen hat die CDU/CSU-Bundestagsfraktion von
Anfang an Kooperationsbereitschaft gezeigt. Das Grundmuster der von der Regierung beabsichtigten Reform wurde
respektiert. Viele neue Regelungen wurden wohlwollend
zur Kenntnis genommen. Die von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion eingebrachten Änderungsanträge hätten als
Basis für eine - das will ich betonen - gemeinsame, gerechte
und ausgeglichene Reform dienen können.
Doch die Regierungskoalition zeigt einmal mehr ihre
Kompromissunfähigkeit. Gegen den Protest der Mieterund Vermieterverbände, gegen Proteste des Mietgerichtstages, gegen die Meinung anerkannter Sachverständiger,
gegen Länderinteressen und gegen jede Vernunft soll nun
der in Rede stehende Gesetzentwurf durchgesetzt werden.
({7})
Die angeblichen Entlastungen, die im Gesetzentwurf vorgesehen sind, schlagen über kurz oder lang auf die Mieter
zurück; von tatsächlich ungerechten - vielleicht sogar verfassungswidrigen; darauf werde ich noch näher eingehen Regelungen gegenüber dem Vermieter ganz abgesehen.
({8})
Ich will hier nur einige Punkte anreißen, über die man
sich, so denke ich, hätte verständigen können:
Erstens. Da ist zum einen die Senkung der Kappungsgrenze von 30 auf 20 Prozent,
({9})
die ohnehin nur bei Mieten unterhalb der Vergleichsmiete
wirksam wird. Dies ist eine insgesamt unnötige Maßnahme.
({10})
Der Wohnungsmarkt in Deutschland ist entspannt - übrigens aufgrund der Regierungspolitik der alten Koalition.
({11})
Im letzten Mietbericht der jetzigen Bundesregierung
wurde festgestellt, dass der Mietmarkt in Deutschland
entspannt ist. Dies kann bei einer 16-jährigen Vorgängerregierung nur auf deren Regierungspolitik zurückzuführen sein.
({12})
Eine Senkung der Kappungsgrenze führt letztlich nur
dazu, dass die Vermieter umso konsequenter den vollen
Rahmen der möglichen Erhöhungen ausnutzen. Diese
Regelung schadet dem zukünftigen Bau von Mietwohnungen massiv und damit den Mietern, die dadurch bereits in zwei bis drei Jahren, wenn es in Deutschland zu
wenig Wohnungen geben wird - wir werden uns dann hier
im Deutschen Bundestag darüber unterhalten müssen -,
höhere Mieten werden zahlen müssen.
({13})
Mit einer Politik der so genannten Neuen Mitte hat das
nichts zu tun.
Zweitens. Eine ebenfalls nicht hinzunehmende Regelung ist hinsichtlich des qualifizierten Mietspiegels beabsichtigt. Nicht Gemeinde und Interessenverbände der
Mieter und Vermieter sollen den Mietspiegel festsetzen,
sondern dieser soll alternativ von einem der beiden erstellt
werden. De facto führt das dazu, dass die Gemeinde zur
Preisbehörde wird. Neben einem Anstieg des Verwaltungsaufwandes hätte dies auch eine verstärkte politische
Einflussnahme auf die Mietpreise zur Folge.
Die in dem Gesetzentwurf aufgeführten „wissenschaftlichen Grundsätze“ sind als Maßstab zur Festlegung
des Mietspiegels reine Augenwischerei. Die so genannten
Grundsätze sind nicht geeignet, den erheblichen Spielraum der Behörde bei der Mietspiegelfestsetzung einzugrenzen. Sie haben die Chance vertan, ganz grundsätzlich
über die Frage und die Funktion des Mietspiegels zu diskutieren. Wir hätten sehr wohl darüber diskutieren können, ob der Mietspiegel überhaupt noch die Funktion erfüllt, die ihm ursprünglich zugewiesen worden war. Das
Instrument des Mietspiegels ist kostenaufwendig, verwaltungsaufwendig und ist im Ergebnis in den allerwenigsten
Fällen wirklich eine Hilfe für die Mieter. Diese Frage zu
diskutieren waren Sie aber nicht bereit.
({14})
Drittens. Die Melodie der „Internationale“ meint man
leise im Hintergrund zu hören, wenn es um die zeitlich unterschiedlichen Kündigungsfristen von Mietern und Vermietern geht.
({15})
Zum ersten Mal seit dem Bestehen der Bundesrepublik
Deutschland wird durch die Regierungskoalition die soziale Symmetrie zwischen Vermietern und Mietern einseitig aufgekündigt. Dies lehnen wir ab.
({16})
Ich sage Ihnen voraus: Diese Regelung wird vor dem
Bundesverfassungsgericht verhandelt
({17})
und dort womöglich wegen Verfassungswidrigkeit aufgehoben werden. Die Situation von Mieter und Vermieter ist
in den meisten Fällen längst nicht mehr so unterschiedlich, dass Kündigungsfristen von deutlich unterschiedlicher Dauer gerechtfertigt wären. Gerade der private
Kleinvermieter wird durch solche Regelungen abgeschreckt. Mit einer Politik der so genannten Neuen Mitte
hat das nichts zu tun.
({18})
Viertens. Bei der geplanten Vertragsnachfolge
- nicht nur der des Ehepartners - bei Tod des Mieters
durch jede im Haushalt des Mieters aufgenommene Person kann ein Eigentümer unter Umständen über Jahre hinaus seine Einflussnahme darauf verlieren, wer sein Eigentum bewohnt.
({19})
Hier wird in eklatanter Weise in die Privatautonomie eingegriffen. Auch diesen Punkt lehnen wir entschieden ab.
({20})
Diese Form von uferlosen Zwangsverträgen ist unserer
Rechtsordnung fremd.
({21})
Mit einer Politik der so genannten Neuen Mitte hat das,
Herr Hartenbach, nichts zu tun.
Die Reform ist auch praxisuntauglich. Der Deutsche
Mietgerichtstag - mit dem sollten Sie sich einmal auseinander setzen ({22})
hat in aller Deutlichkeit betont: Die Reform soll ausgesetzt und auf ihre Praxistauglichkeit überprüft werden. An der Art und Weise der Beratung, insbesondere der zeitlichen Gestaltung, sieht man, wie viel Rücksicht Sie auf
die fundamentalen Interessen des Mietgerichtstages genommen haben, nämlich überhaupt keine.
Fünftens. Als Beispiel sei hier vor allem genannt, dass
Schönheitsreparaturen nach wie vor nicht geregelt sind,
obwohl in diesem Bereich Regelungsbedarf besteht und
viele Streitigkeiten gerade hier entstehen.
({23})
Realität ist doch: Ein Mieter zieht aus. Der Vermieter inspiziert die Wohnung und brummt dem ehemaligen Bewohner einen unerwarteten Renovierungsauftrag auf.
Zum Streitpunkt werden dann Löcher in Decken und
Wänden, Stellen, wo Bilder oder Lampen waren. In
Millionen von Mietverträgen werden die Schönheitsreparaturen auf die Mieter abgewälzt. Diese Missstände
zu ändern waren Sie nicht bereit und in der Lage. Das
zeigt, dass Sie in einem ganz zentralen Punkt versagt
haben.
({24})
Der Mieter kann wieder einmal sehen, wo er bleibt.
Nochmals - ich weiß, dass es Ihnen nicht gefällt, aber es
ist so -: Mit einer Politik der so genannten Neuen Mitte
hat das nichts zu tun.
Sechstens. Auch die Interessen der Bundesländer
werden in dem Gesetzentwurf gröblich missachtet. Am
verheerendsten erscheint dabei die völlige Ignorierung
der Wohnraumsituation in den neuen Bundesländern. Obwohl 30 Prozent der Wohnungen im Osten Deutschlands
leer stehen und verfallen, soll eine Verwertungskündigung auch in Zukunft in den neuen Bundesländern ausgeschlossen sein. Dies ist angesichts einer längst nicht mehr
bestehenden Wohnraumknappheit und angesichts der aus
dem Ausschluss der Verwertungskündigung resultierenden Verhinderung von notwendigen Sanierungen und Abrissen absolut unverständlich.
({25})
Siebtens. Auch ökologische Gesichtspunkte bleiben
in der neuen Mietrechtsreform völlig außen vor - und das
ausgerechnet bei einer rot-grünen Regierung.
({26})
Ein Ausgleich der gesamtökologischen Interessen und der
Interessen der Mietvertragsparteien hätte in den Gesetzentwurf aufgenommen werden können. Beispielsweise hätten
Energieeinsparmöglichkeiten festgeschrieben werden können. Aber ich betone: hätten. Die so genannte große Mietrechtsreform ist eben nur halb gares Stückwerk und hat entscheidende Reformkomponenten außen vor gelassen.
({27})
Es bleibt festzuhalten: Bei dieser Reform steht die
Ideologie jedem sinnvollen Kompromiss im Wege.
({28})
Vordergründige Mieterinteressen sollen auf Biegen und
Brechen ausgebaut werden, doch führen die von der Bundesregierung angebotenen und von der Regierungskoalition mitgetragenen Lösungen gerade von einem sozial
ausgeglichenen Mietrecht weg, da nur kurzfristige Lösungen angestrebt und langfristige Perspektiven außer
Acht gelassen werden.
Die Bundesregierung und die Fraktionen der Regierungskoalition vergessen, dass der beste Mieterschutz ein
ausreichendes Angebot an modernen und gepflegten Wohnungen bei vernünftigen Mietpreisen ist. Durch Ihre Reform
- das werden wir bereits in zwei bis drei Jahren sehen - wird
genau dieser Umstand nicht eintreten, weil durch dieses Reformvorhaben die Bereitschaft, sich im Mietwohnungsmarkt investiv zu betätigen, zunichte gemacht wird.
Die Bundesregierung hat das Angebot für eine Reform,
die im breiten Konsens im Deutschen Bundestag möglich
gewesen wäre, nicht genutzt. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat in den Beratungen des Rechtsausschusses anlässlich der Berichterstattergespräche hinlängliche Bereitschaft gezeigt,
({29})
zu einem gemeinsamen Reformvorhaben zu kommen.
Aber die Sozialdemokraten standen wieder unter dem
Teildiktat der grünen Fraktion. Sie waren nicht in der
Lage, Kompromisse zu schließen. Sie waren nicht in der
Lage, einen sinnvollen Interessenausgleich zwischen
den Interessen der Mieter und der Vermieter vorzunehmen.
Von daher ist die Möglichkeit, mit dieser Reform einen
wirklichen Reformansatz zu schaffen, nicht nur vertan
worden. Sie haben diese Reform vielmehr dazu genutzt,
um altes ideologisches Denken umzusetzen. Sie schaden
bereits in zwei bis drei Jahren - das ist erkennbar - den Interessen der Mieter. Dann werden wir uns hier im Deutschen Bundestag über die Auswirkungen dieser verfehlten Mietrechtsreform zu unterhalten haben.
Herzlichen Dank.
({30})
Ich erteile dem Kollegen Helmut Wilhelm, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ausgewogen, fair, klar, verständlich und darum
auch für Vertragsparteien ohne fachlichen Beistand gut
handhabbar - dies sind die neuen Attribute, die auf das
Mietrecht hinfort zutreffen.
({0})
Ich bin stolz darauf, dass wir von SPD und Grünen den
rund 60 Millionen Mietern und Vermietern in unserem
schönen Land eine gelungene Mietrechtsreform präsentieren können.
({1})
Zusammen mit unserem Koalitionspartner konnten wir
von Bündnis 90/Die Grünen unsere Vorstellungen von einem modernen und sozialen Mietrecht fast ohne Abstriche umsetzen.
({2})
Orientierung und Leitlinie des neuen Mietrechts sind
die sich in fast 27 Jahren verändert habenden gesellschaftlichen Bedingungen. 27 Jahre - eine so lange Zeit
musste verstreichen, bis der Gesetzgeber der Aufforderung des Bundestags von 1974, eine große Mietrechtsreform vorzulegen, nachgekommen ist.
({3})
Anders ausgedrückt: Die rot-grüne Reformregierung
funktioniert prächtig,
({4})
und zwar zum Wohl aller in Deutschland lebenden Menschen. Das neue Mietrecht ist dabei ein Meilenstein rotgrüner Regierungsverantwortung.
({5})
Es ist auf das Interesse von Mietern, Vermietern und Investoren ausgerichtet. Als Streiter für die grüne Sache ist
für mich besonders erwähnenswert: Es nützt der Umwelt.
Zugleich wird die besondere Schutzbedürftigkeit von
behinderten Menschen, älteren Mitbürgern und Familien
hervorgehoben. So wird erstmals eine Regelung zur
Barrierefreiheit in das Mietrecht aufgenommen.
({6})
Damit wird festgeschrieben, dass behinderte Mieter oder
deren Angehörige im Bedarfsfall die Wohnung behindertengerecht umbauen können, wenn sie dem Vermieter
eine zusätzliche Sicherheit für die zu erwartenden Rückbaukosten leisten. Dies, meine Damen und Herren von der
F.D.P., ist ein Beispiel für sozial verantwortliche Politik,
die natürlich auch die Interessen der Vermieter berücksichtigt.
({7})
Ich bin mir sicher, dass auch Sie, verehrte Kolleginnen
und Kollegen von der Opposition, diese Regelung irgendwann einmal zu schätzen wissen, nämlich spätestens
dann, wenn Sie vielleicht - ich wünsche es Ihnen wirklich
nicht - nicht mehr so agil durch die Welt laufen können
wie heute.
Die Kündigungsfristen für Mieter werden von bisher
maximal zwölf Monaten auf drei Monate abgesenkt.
Wenn der Arbeitsmarkt Berufstätigen eine hohe Mobilität
abfordert, darf das Mietrecht nicht bremsen.
({8})
Gleichzeitig verkürzen sich die Kündigungsfristen für die
Vermieter auf höchstens neun Monate. Auch das ist ein
Beispiel für die Ausgewogenheit des Entwurfs bei Würdigung der unterschiedlichen Interessenlagen. Es ist
wichtig, zu beachten, dass die Unterschiedlichkeit der Interessenlagen eine asymmetrische Behandlung in Bezug
auf die Fristen erfordert.
Ferner beachtet das neue Mietrecht alternative Formen
des menschlichen Zusammenlebens. Künftig gilt für alle
Paare gleiches Recht. Die anachronistische Diskriminierung homosexueller Lebensgemeinschaften im Falle des
Todes eines Mieters wird beseitigt. Der schwule Partner
oder die lesbische Partnerin kann in der vormals gemeinsamen Wohnung verbleiben.
({9})
Das neue Mietrecht belohnt umweltbewusstes Verhalten. Betriebskosten werden künftig verbrauchsabhängig
berechnet; Mieter zahlen künftig das, was sie verbraucht
haben. Diese Änderung wird sich verbrauchsmindernd
auswirken und schont damit Geldbeutel wie Umwelt gleichermaßen. Umweltbewusste Modernisierungsmaßnahmen werden honoriert und kommen - durch niedrigere
Nebenkosten - auch den Mietern zugute. Die energetische
Beschaffenheit der Wohnung wird in der Begründung des
Gesetzentwurfes als mietspiegelrelevantes Beschaffenheitskriterium herausgehoben.
Dass die Mietrechtsnovelle ein Erfolg ist, hat sich
schon in der Anhörung vor dem Rechtsausschuss abgezeichnet.
({10})
Die Experten waren sich in ihrer Grundaussage zu dem
Vorhaben überwiegend einig. Sie haben den Entwurf gelobt, aber an einigen Stellen Veränderungen vorgeschlagen. Ich habe selten eine so intensive Einbindung und eine
so gute Zusammenarbeit mit unabhängigen Experten aus
Wissenschaft und Praxis sowie Verbänden erlebt wie bei
diesem Gesetzesvorhaben.
({11})
Ich bin davon überzeugt, dass sich die dadurch erreichte Qualität des Entwurfs im mietrechtlichen Alltag
zeigen wird. Mieter und Vermieter bzw. deren Interessenverbände werden die Signale des neuen Mietrechts aufnehmen und im beiderseitigen Interesse umsetzen. Dann
wird hoffentlich die doch wohl nur populistische Kritik
der Opposition verstummen, die leider auch noch heute
rein klientelorientiert auf ein einseitiges und damit weniger soziales, weniger gerechtes und weniger ausgewogenes Mietrecht hinausläuft. Die doch etwas dürftigen Anträge von F.D.P. und Union zu unserem Gesetzentwurf
lassen jedenfalls kaum einen anderen Schluss zu. Diese
doch etwas mickrigen Anträge sind für mich in meiner
Rede kaum einer weiteren Befassung wert. Seien Sie mir
nicht böse, meine Damen und Herren von der F.D.P. und
der Union.
({12})
Jetzt wird es offenbar, warum Sie es trotz vieler Anläufe in der Vergangenheit nie schaffen konnten, eine
große Mietrechtsreform vorzulegen. Vor allem die F.D.P.
hat jederzeit versucht, ihrem Deregulierungswahn
entsprechend einseitig ihre Wählerschichten aus der Wirtschaft zu bedienen. Es verwundert schon sehr, dass die
F.D.P. heute ihre soziale Ader entdeckt und mit ihrem Änderungsantrag die Mieter vor Eigentumsbildung schützen
möchte. Das eigentliche Ziel dürfte wohl sein, Notaren
eine zusätzliche Einkommensquelle zu sichern.
({13})
Ich kann es nicht oft genug wiederholen: Was für ein
Glück, dass die Kolleginnen und Kollegen von CDU und
CSU die F.D.P. in der vergangenen Legislaturperiode
stoppen konnten, allerdings um den Preis der Handlungsunfähigkeit bezüglich einer Mietrechtsreform.
({14})
Regierung, SPD und Grüne haben sich auf keine Seite
ziehen lassen. Herausgekommen ist ein gerechter und
tragfähiger Interessenausgleich, der noch sehr lange Bestand haben wird.
({15})
Ich erteile dem Kollegen Rainer Funke, F.D.P.-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Die Notwendigkeit einer Mietrechtsreform
ist auch in unseren Augen völlig unstreitig. Deswegen hat
auch meine Fraktion einen Ihnen vorliegenden Gesetzentwurf formuliert und ebenso wie die Bundesregierung
darauf Wert gelegt, das derzeit geltende, in zahlreiche
Vorschriften zersplitterte Recht in einem Gesetzentwurf,
und zwar in lesbarer Form, zusammenzufassen. Dies ist
der Bundesregierung mit ihrem Gesetzentwurf, zumindest was die handwerkliche Seite angeht, genauso gelungen wie der F.D.P.-Fraktion. Das liegt natürlich auch daran, dass wir hier gemeinsame Wurzeln haben. Aber ein
Gesetz ist nicht danach zu beurteilen, wie es formal gestaltet ist. Vielmehr kommt es auf den Inhalt an.
({0})
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung kann inhaltlich in keiner Weise befriedigen. Das liegt vor allem
daran, dass die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen einseitig die Mieterinteressen in den Vordergrund
gestellt haben. Es ist kein Gesetzentwurf, der die Interessenlagen von Vermietern und Mietern als gleichberechtigte Vertragsparteien ausgewogen berücksichtigt.
({1})
Dies wird unter anderem an den unterschiedlichen, asymmetrischen Kündigungsfristen für Mieter und Vermieter
deutlich.
({2})
Während die Mieter das Recht zu verkürzten Kündigungsfristen von drei Monaten erhalten, wird der Vermieter auf die im Vergleich zum bisherigen Recht nahezu unverändert langen Kündigungsfristen verwiesen. Damit
wird das Leerstandsrisiko einseitig auf den Vermieter abgewälzt.
({3})
Helmut Wilhelm ({4})
Als Begründung wird angegeben, der Mieter müsse gerade wegen der Arbeitsmarktverhältnisse mobil sein und
demgemäß kurzfristig kündigen können, eine Behauptung, die durch die Praxis in keiner Weise bestätigt wird.
Diese Regelung ist wenig praxisbezogen, und dieser Mangel an Praxisbezogenheit ist dann auch das Manko des
gesamten Gesetzes; es ist rein ideologiebehaftet.
({5})
Vielleicht ist es von einer Ministerin, die immerhin seit
1972 im Bundestag sitzt, zu viel verlangt, praxisbezogen
zu handeln.
({6})
- Ich mache Ihnen das nicht zum Vorwurf, Frau Kollegin,
aber ich mache Ihnen sehr wohl zum Vorwurf, dass Sie
den Rat der Wirtschaftsverbände und der Organisationen
auf dem Gebiet des Mietrechts unberücksichtigt lassen.
({7})
Das beginnt mit dem Deutschen Mieterbund - die Präsidentin ist ja unter uns -, das gilt für den Deutschen Mietgerichtstag und das setzt sich fort mit der Interessenvertretung der Haus- und Grundeigentümer sowie mit dem
Gesamtverband der deutschen Wohnungswirtschaft und
dem Verband der freien Wohnungsbaugesellschaften.
Es wäre zudem sehr hilfreich gewesen, wenn sich die
Ministerin bei der Erarbeitung eines neuen Mietrechts
auch einmal mit Investoren der Wohnungswirtschaft unterhalten hätte. Denn dann wäre ihr deutlich geworden,
dass die Bereitschaft, in die Wohnungswirtschaft zu investieren, bei vielen Banken und Kapitalsammelstellen
auf ein Minimum geschrumpft ist. Das hängt zum einen
mit der schon erwähnten einseitigen Bevorzugung der
Mieter zusammen, zum anderen aber auch damit, dass Investitionen in den Wohnungsmarkt von dieser Bundesregierung steuerrechtlich benachteiligt werden und dass das
Mietrecht nach wie vor zu kompliziert ist. So sind die §§ 2
bis 4 des Miethöhegesetzes nahezu unverändert in das
BGB übernommen worden, ohne die berechtigten Klagen
aus der Praxis in irgendeiner Weise zu berücksichtigen.
Wenn für einfache Mieterhöhungen bei Wohnungsbaugesellschaften und Verwaltungsgesellschaften Heerscharen
von Juristen benötigt und auch die Gerichte damit belastet werden, dann zeigt das, wie kompliziert das Mietrecht
ist. Der soziale Friede zwischen Mieter und Vermieter
wird eben in keiner Weise berücksichtigt.
({8})
Das erkennt man ebenfalls bei der Frage der Kappungsgrenzen. Die Kappungsgrenzen spielen im Mietrecht heute überhaupt keine Rolle mehr.
({9})
Trotzdem muss diese Kappungsgrenze aus Ideologiegründen wieder gegen die angeblich so bösen Vermieter
herhalten. Das geschieht auch noch gegen den Rat des
GdW, der bekanntlich seit Jahrzehnten sozialdemokratisch geführt wird. Ich will nicht missverstanden werden:
Es geht mir nicht darum, die Kappungsgrenze zu streichen. Die Senkung von 30 Prozent auf 20 Prozent ist
aber - auch wenn die Kappungsgrenze keine entscheidende Rolle mehr spielt - das falsche politische und damit auch das falsche wirtschaftliche Signal an die Vermieter und Investoren.
({10})
Das ist für den gesamten Wohnungsbau schädlich.
Wie wenig die Bundesregierung dem Markt und den
vertragsschließenden Parteien vertraut, wird auch daraus
ersichtlich, dass echte Zeitmietverträge nach wie vor
praktisch, mit ganz wenigen Ausnahmen, ausgeschlossen
sind. Ich kann noch immer nicht verstehen,
({11})
dass es erwachsenen Mietparteien nicht überlassen sein
soll, miteinander eine exakte zeitliche Dauer eines
Mietvertrages zu vereinbaren. Die Menschen sind doch
als Vertragsparteien berechtigt - und manchmal sogar verpflichtet -, Regelungen mit festen Zeitgrenzen zu finden.
Das ist in anderen Bereichen so, warum nicht auch im
Mietrecht?
({12})
Diese Bevormundung ist im Übrigen schon aus rechtsstaatlichen Gesichtspunkten überhaupt nicht zu verstehen.
Genauso unverständlich ist der Ausschluss der Verwertungskündigung, die insbesondere den Genossenschaften in den neuen Bundesländern wegen des Überangebots an Wohnungen sehr geholfen hätte. Der
vorgesehene Ausschluss dieses Mittels ist eine ganz
krasse Einengung der Verfügungsmacht des Grundeigentümers; so soll offensichtlich die Regulierung durch
die Marktkräfte verhindert werden.
({13})
Dabei sind die Mieter wegen des Überangebots von
Wohnraum hinreichend geschützt, auch in den neuen
Bundesländern.
Ähnlich verhält es sich hinsichtlich der Umwandlung
in Wohneigentum unter erschwerten Bedingungen bei
Kündigung wegen Eigenbedarfs. Offensichtlich soll
lediglich der Bestand, nämlich die derzeitig dort wohnenden Mieter, geschützt werden, nicht aber der Eigentümer oder gar junge Familien, die Wohneigentum
preiswert erwerben wollen. Auch mir geht es um den
Schutz von Mietern; aber es müssen ebenfalls die Interessen der anderen Seite im Wohnungsbereich berücksichtigt werden.
Die Bundesregierung wäre besser beraten gewesen,
das Mietrecht weiter zu deregulieren und den Mietvertragsparteien wieder mehr Freiheit für die Gestaltung ihrer Mietverträge einzuräumen. Das hätte Investoren wieRainer Funke
der ermutigt, mehr Wohnungen zu bauen und mehr Wohnungen zu modernisieren. Mehr Mut zum Markt wäre
besser gewesen.
({14})
Dies hätte man aufgrund des ausgewogenen Verhältnisses von Angebot und Nachfrage in den meisten deutschen Städten endlich wagen können und auch müssen.
Die Vergangenheit hat uns gezeigt, dass gerade die Städte,
die als letzte die Mietpreisbindungen aufgehoben haben,
bei der Wohnungsversorgung am schlechtesten dran gewesen sind.
Ich habe mit großem Bedauern verfolgt, wie dieser Gesetzentwurf zum Mietrecht im Rechtsausschuss behandelt
worden ist. In den Berichterstattergesprächen ging man
natürlich sehr höflich und sehr nett miteinander um,
({15})
wie sich das unter Juristen gehört. Der Staatssekretär Pick
hat über die Änderungen während des Beratungsverfahrens sachlich und gut informiert.
({16})
- So kenne auch ich ihn, liebe Frau Kollegin. ({17})
Man hat aber lediglich darüber informiert, worüber die
Bundesregierung und die Koalitionsparteien beraten haben und was sie beschlossen haben. Uns wurde mitgeteilt,
dass über diese Beschlüsse anschließend gar nicht mehr
zu diskutieren sei; denn sie stünden nun einmal fest und
es gehe nach dem Motto „take it or leave it“. Das heißt:
Solche Berichterstattergespräche können wir uns in Zukunft gerne sparen. Wenn man nur zum Befehlsempfang
daran teilnimmt, dann helfen solche Gespräche, zumindest was die Sache angeht, überhaupt nicht.
Bei dieser Art der Beratung ist der Bundesregierung
der Fehler unterlaufen, dass die Geltendmachung des
Vorkaufsrechts des Mieters nur schriftlich und nicht in
notarieller Form zu erfolgen habe, Herr Kollege Wilhelm.
Wenn man den Mieter schützen will, dann bedarf es aber
einer notariellen Form. Es geht nicht darum, den Notaren
eine Gebühr von DM 83,50 zuzuschanzen - diese Gegenstandswerte sind überhaupt nicht interessant -;
({18})
vielmehr muss der Mieter durch die notarielle Form und
die damit verbundene notarielle Aufklärung vor voreiligen Entscheidungen geschützt werden. Der Mieter kennt
zwar seine Wohnung und kann sagen: „Mensch, die Wohnung hier gefällt mir recht gut“, aber er kennt nicht die
rechtlichen Belastungen, die mit dieser Wohnung in Zusammenhang stehen. Eine notarielle Aufklärung ist unbedingt notwendig.
({19})
Deswegen haben wir für die zweite Beratung einen Änderungsantrag vorgelegt.
Lassen Sie mich abschließend
({20})
sagen: Die F.D.P. wird diesen Gesetzentwurf ablehnen,
weil der notwendige wirtschaftliche Sachverstand und die
marktwirtschaftliche Orientierung in dieses Gesetz nicht
eingeflossen sind. Wirtschaftliche und marktwirtschaftliche Ausrichtung sind aber notwendig, weil mit diesem
Gesetz in einen wirtschaftlich wichtigen Zweig unserer
Volkswirtschaft eingegriffen wird.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({21})
Ich erteile der Kollegin Christine Ostrowski, PDS-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Eines eint die Juristen aller Fraktionen auf jeden Fall: Sie sind allesamt begeisterte Redner.
({0})
Ich habe jetzt richtig Sorge, ob es mir gelingen wird, Ihre
Aufmerksamkeit zu gewinnen.
({1})
Liebe Frau Fuchs, in meinem Wahlkreisbüro geht es
zu wie in einer Außenstelle des Mieterbundes. Dorthin
kommen Alte, Junge, Gutverdienende, Schlechtverdienende, Arbeitslose und solche, die Arbeit haben, mit
ihrer Betriebskostenabrechnung oder ihrer Mieterhöhung
und suchen Hilfe, weil sie nicht Mitglied des Mietervereins sind und ihnen daher dort nicht geholfen wird.
({2})
Ein Fall betrifft eine junge schwangere Frau, die ihre
Wohnung kündigt, in der sie nur ein Dreivierteljahr gewohnt hat. Der Vermieter verlangt die Renovierung dieser Wohnung. Das steht ihm nicht zu. Sie weigert sich. Es
kommt zu einem monatelangen Streit. Der Vermieter behält
zunächst die Kaution und zahlt sie erst nach monatelangem
Streit scheibchenweise bis zur Hälfte aus. Auf die andere
Hälfte wartet die junge Frau heute noch. Sie hat kein Geld,
um sich einen Anwalt zu leisten und dies einzuklagen. Sie
hat auch keine Nerven.
({3})
Bei einer Postangestellten stellt sich erst bei der Abrechnung der Betriebskosten heraus, dass die Vorauszahlungen deutlich zu niedrig angesetzt wurden. 800 DM
muss sie auf einen Schlag nachzahlen, was sie nicht kann.
Sie bittet den Vermieter um Ratenzahlung und fordert eine
sofortige Erhöhung der Vorauszahlungen. Der Vermieter
lehnt ab, verlangt von ihr eine Lohnabtretungserklärung,
ansonsten will er kündigen. Dazu hat er kein Recht, aber
er hat eine sichere Position.
({4})
Ein anderer Fall spielt auf Sylt, also ganz weit weg: Der
Bund ist der Vermieter der Wohnung. Er erhöht die Miete
für diese Wohnung unter Bezug auf drei Vergleichswohnungen. Die Mieten für die der Mieterhöhung zugrunde
liegenden Vergleichswohnungen betragen bei Müllers
10,96 DM, bei Meiers 12,16 DM, bei Schulzes 13,41 DM
pro Quadratmeter. Dabei handelt es sich um neu vermietete Wohnungen mit hohen Mieten. Sie liegen noch nicht
einmal in derselben Gemeinde, obwohl das laut Bundesverfassungsgerichtsurteil sein muss.
({5})
Der Widerstand der Mieter - übrigens Angehörige der
Bundeswehr ohne üppiges Einkommen - hat keinen Erfolg. Der Bund bleibt stur.
Ich habe diese Fälle genannt, weil ich der Meinung bin,
dass selbst beim mieterfreundlichsten Mietrecht - beispielsweise wenn unsere Anträge durchkämen - Mieter in
einer schwächeren Position als Vermieter wären. Dies ist
Ergebnis einer objektiven Betrachtung. Sie sind Einzelkämpfer, Herr Funke, sie haben keine Rechtsabteilung an
der Hand und müssen sich in der zuständigen Verwaltung
notfalls bis zum Geschäftsführer durcharbeiten. Vielfach
fehlt ihnen das Geld und sie haben keine Nerven für einen
Rechtsstreit. Manchmal geben sie auch einfach klein bei,
weil sie Angst haben.
Da glauben Sie und manch andere, man brauche das
Mietrecht nur zu liberalisieren und der Markt werde es
schon richten. Herr Pofalla plustert sich hier auf und sagt,
({6})
das Mietrecht werde - was ganz grässlich sei - zuungunsten der Vermieter neu geregelt.
({7})
Ich sage Ihnen: Diese Mietrechtsreform stellt das
Gleichgewicht annähernd wieder her.
({8})
Aber ich muss Ihnen auch sagen: nicht so richtig, sondern
nur annähernd und lange nicht ausreichend.
({9})
Dass für Mieter künftig nur noch eine dreimonatige
Kündigungsfrist gilt, freut uns natürlich sehr, denn der
Mieter muss flexibel, muss mobil sein. Das ist für uns
überhaupt keine Frage. Dass künftig die Miete innerhalb
von drei Jahren nicht mehr um 30 Prozent, sondern nur
noch um 20 Prozent steigen darf, ist ebenfalls gut.
({10})
Trotzdem darf man fragen, wo es sonst noch eine gesetzlich sanktionierte Preiserhöhungsmöglichkeit in dieser
Höhe für ein Produkt gibt, an dem kein Pinselstrich gemacht werden muss. Jedes andere Produkt muss verbessert werden, wenn ein höherer Preis erzielt werden soll.
Ausgerechnet bei Wohnungen soll das nicht gelten. Wir
sagen deshalb: Mieten dürfen generell nur dann erhöht
werden, wenn sich der Wohnwert der Wohnung verbessert hat, sonst nicht.
({11})
Will der Vermieter künftig die Miete erhöhen, kann er
nach wie vor frei entscheiden, ob er den Mietspiegel, Vergleichswohnungen oder ein Gutachten zur Begründung
heranzieht. Die neuen qualifizierten Mietspiegel sind
letzten Endes für die Katz. Faule Tricks, wie sie der Bund
auf Sylt - er sollte als Vermieter Vorbildfunktion haben als Vermieter angewandt hat, sind auch weiterhin möglich. Solche Tricks würden nur unterbunden werden,
wenn Mietspiegel wenigstens in Orten ab 50 000 Einwohnern verbindlich wären und wenn alle Mieten erfasst
würden, also nicht nur die Neuvermietungen und die Veränderungen der letzten Jahre. Genau das schlagen wir vor.
({12})
Wie der Begriff schon sagt: Ein Mietspiegel müsste eigentlich alle Mieten widerspiegeln. Das tut er natürlich
nicht. Ehrlicherweise müssten Sie ihn umbenennen in beispielsweise Neuvermietungs-Mietspiegel. Das wäre der
korrekte Begriff.
Ich komme zu dem leidigen Thema Betriebskosten:
Kosten für Wasser, Hausmeister, Grundsteuer, Versicherung und Heizung. Wir erinnern uns an die Postangestellte. Ihr Vermieter wollte die Vorauszahlungen nicht erhöhen. Sie kann dies aber künftig von sich aus tun. Das ist
in Ordnung; sie muss sich in diesem Punkt nicht mehr mit
ihrem Vermieter streiten.
Ein anderes Beispiel. Der Vermieter hat die Wasserkosten bisher nach Quadratmetern abgerechnet. Bei gleicher
Wohnungsgröße hat die allein stehende Oma letzten Endes mehr zu zahlen als die Familie nebenan. Sind Wasseruhren vorhanden, muss jetzt nach Verbrauch abgerechnet werden. Das ist zweifellos gerechter, wenn auch nicht
gerecht.
Es gibt keine einzige Kostenart, deren Höhe ausschließlich vom Mieter beeinflusst wird. Wasserpreis,
Grundsteuer und Straßenreinigungsgebühr bestimmt immer noch die Kommune allein. Kosten für Gartenpflege,
Aufzug und Versicherung werden immer noch vom Vermieter bestimmt. Selbst dort, wo der Mieter Mitverantwortung trägt - beispielsweise beim Müll und bei der
Heizung -, ist sein Einfluss letzten Endes kleiner als der
der Gemeinde oder des Vermieters.
Der Appell an den Vermieter, die Wirtschaftlichkeit
zu beachten, reicht natürlich nicht aus; denn es ist eben
nur ein Appell. Wir beantragen deshalb, nur die verbrauchsabhängigen Kosten auf den Mieter umzulegen.
Damit würde der Vermieter in seinem eigenen Interesse
auf die Wirtschaftlichkeit achten. Im Moment jucken ihn
die Kosten nur wenig.
({13})
Wird die Wohnung modernisiert, können auch weiterhin 11 Prozent der Kosten auf die Miete umgelegt werden.
Neulich kam ein Student zu mir, bei dem die Mieterhöhung
nach Modernisierung 5,78 DM pro Quadratmeter betrug.
Alle Formalien waren in Ordnung; die Miete lag immer
noch in der Spanne, wenn auch am oberen Ende, der
ortsüblichen Vergleichsmiete. Man konnte diese Erhöhung
also nicht anfechten. Der Student musste ausziehen, weil
er die Miete einfach nicht mehr bezahlen konnte.
Zur Abschaffung dieser Umlage haben Sie sich nicht
durchgerungen,
({14})
ja nicht einmal zur Senkung der Modernisierungsumlage.
Hinzu kommt, dass alle Investitionen zur Energieeinsparung künftig auch noch auf den Mieter umgelegt werden können. Mir wird schon ein bisschen schwummerig,
wenn ich an die Energiesparverordnung denke: 2 Millionen alte Heizkessel müssen ausgetauscht werden. Das
kostet und belastet die Mieter zusätzlich. Es darf bezweifelt werden, ob die Einsparung die zusätzliche Belastung
so ausgleicht, dass der Mieter einen Vorteil von dieser
Modernisierung hat.
({15})
Zurück zu der schwangeren Frau, von der der Vermieter die Renovierung der Wohnung verlangt hat. Das gehört
zu dem Bereich der Schönheitsreparaturen, einem der
größten Streitpunkte im Mietrecht überhaupt. Es kann ja
wohl nicht wahr sein, dass man es versäumt hat, Regelungen zu schaffen, mit denen dieser große Streitpunkt aus
dem Weg geräumt wird. Sie haben uns relativ hilflos erklärt, eine Regelung sei zu schwierig und das Parlament
solle Vorschläge machen. Bitte sehr, Sie können den Ball
auffangen, den wir Ihnen jetzt zuwerfen. Wir schlagen vor:
Ein Anspruch des Vermieters auf Schönheitsreparatur bei
Ende des Mietverhältnisses besteht nur dann, wenn die
Wohnung ehemals renoviert übergeben wurde.
({16})
Kosten für Kleinreparaturen kann der Mieter übernehmen, allerdings nur bis zu einer festen Grenze, die sich an
der Jahresmiete orientiert.
Insgesamt gibt es für Mieter keine Verschlechterungen;
es gibt etliche Verbesserungen. Trotzdem kann ich mir
nicht helfen: Ihre Reform kümmert vor sich hin, so wie
alle Ihre Reformen vor sich hinkümmern.
({17})
Sie verschenken Möglichkeiten, indem Sie nicht all das
reformieren, was notwendig wäre. Deshalb werden wir
uns bei der Abstimmung enthalten.
({18})
Ein Wort zu den Vermietern, die so sauer sind und die
Herr Pofalla - aus Ihrer Sicht zu Recht - in Schutz genommen hat. Die Frage ist: Warum sind die Vermieter so
sauer? Das Mietrecht ist so etwas wie die Petersilie auf einem Gericht.
({19})
Ist das Essen verhunzt, nützt Ihnen auch die grünste Petersilie nichts. Besonders für den Westen gilt: Eine ausreichende Zahl von Wohnungen regelt die Miethöhe besser als ein Gesetz und ist der beste Mieterschutz und
Kündigungsschutz.
Meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, da hilft nun alles nichts: Sie haben seit der Regierungsübernahme die Bedingungen für den Mietwohnungsbau schlicht und ergreifend stetig verschlechtert.
({20})
Sie haben sich aus der Finanzierung zurückgezogen, sie
haben sich von der direkten sowie der steuerlichen Förderung nahezu verabschiedet. Die Zahl neu gebauter
Wohnungen liegt mittlerweile unter der Ersatzrate.
({21})
Das, genau das ist es in erster Linie, Herr Pofalla, was den
Investoren zu schaffen macht, und zwar den kommunalen,
genossenschaftlichen und privaten, und nicht zuallererst
das Mietrecht. Sie sind selber schuld, dass monatelang
verbissen gestritten wurde, dass mal die Mieter- und mal
die Vermieterseite an Ihnen herumzerrte
({22})
und dass weder Mieter noch Vermieter mit dieser heute
vorgelegten Reform glücklich sind.
({23})
Was das verhunzte Essen anbelangt, kann ich Ihnen nur
raten: Kochen Sie schnell ein neues, denn allein mit einem
neuen Mietrecht schmeckt es nicht besser.
({24})
Ich erteile das Wort
Kollegin Margot von Renesse, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Es spricht zwar noch eine Juristin,
({0})
aber ich hoffe, es wird mir glücken, mit meiner Rede dieser interessanten Debatte einigermaßen gerecht zu werden.
Ich habe allerdings in der Tat einiges zu juristischen
Fragen zu sagen. Ich möchte mit einem Punkt anfangen,
den wir alle gut finden, zumindest in den Berichterstattergesprächen wurde das von allen Fraktionen deutlich zum
Ausdruck gebracht - auch Herr Kollege Wilhelm hat
schon darauf hingewiesen -: die neu aufgenommene Barrierefreiheit im Mietrecht. Auch wenn ich mich darüber
freue, dass jetzt alle nicken, möchte ich darauf hinweisen,
dass es gar nicht so einfach war, diese umzusetzen,
({1})
weil nämlich eine Formulierung gefunden werden
musste, die die Vermieter- und Mieterseite nicht schlechter stellte, als es in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts festgeschrieben worden war. Ich
finde, die Formulierung ist einigermaßen geglückt. Die
Praxis wird zeigen, ob sie sich bewährt.
Eigentlich hätten Sie, Herr Funke, diese Vorschrift
auch zum sozialistischen Sumpf rechnen müssen.
({2})
Sie ermächtigt nämlich aufgrund der Sozialpflichtigkeit
des Eigentums zum Eingriff in die Substanz des Eigentums;
({3})
dieses geschieht, wie uns vom Verfassungsgericht bestätigt wurde, zu Recht. Das heißt also, nicht alles, was sozial ist, stammt aus dem sozialistischen Sumpf.
({4})
Bei der Herstellung einer sozialen Ausgewogenheit in
diesem Gesetz spielte weder eine Rolle, dass man den
Vermieter für einen schlechten Kerl und für böse hält
- das tun wir alle nicht -, noch, dass man den anderen für
einen armen Schlucker hält, der verzweifelt darum barmt,
dass ihm ein bezahlbares Dach über dem Kopf zuteil wird.
Das trifft nicht zu, das stimmt nicht in allen Fällen. Das
stimmt sogar in vielen Fällen nicht. Darüber sind wir uns
durchaus im Klaren. Sozial bedeutet gemeinschaftsdienlich.
({5})
Sozial bedeutet, die Gesichtspunkte, die typischerweise
für den einen oder den anderen von Bedeutung sind, zu
berücksichtigen. So haben wir es bei den Behinderten
mit Ihrer aller Einverständnis gemacht.
Wie stellt sich denn die Situation beim Mieter und
beim Vermieter dar? Es ist nicht grundsätzlich wahr, dass
der eine arm und der andere reich ist. Ich kenne Fälle, in
denen alt gewordene Frauen sich im ehemaligen Familienheim eine kleine Wohnung ausgebaut haben und den
Rest des Hauses, weil sie ihre Rente aufbessern müssen,
an ein kinderloses erwerbstätiges Paar vermieteten.
({6})
Die Fragestellung „reich oder arm“ spielt weiß Gott keine
Rolle bei den von uns eingebrachten sozialen Gesichtspunkten. Eines ist aber klar: Der Mieter ist durch die von
Ihnen vorgenommenen Änderungen im Arbeitsförderungsrecht auf viel mehr Flexibilität als der Vermieter angewiesen.
({7})
Er hat in der Wohnung seinen Lebensmittelpunkt, den er
jetzt, wenn gefordert, verlegen muss. Ich erinnere nur an
unsere kurze Diskussion über die Vorstellungen der Opposition zum Arbeitnehmerüberlassungsgesetz, die sie
uns vor kurzem im Rechtsausschuss nahe bringen wollte.
({8})
- Ja, aus gutem Grund, aber der Flexibilität im Arbeitsverhältnis muss die Flexibilität im Mietrecht durchaus
entsprechen. Das eine kann nicht ohne das andere gehen,
selbst die erreichte Flexibilität ist mit der nach wie vor bestehenden Immobilität des Mieters nicht vereinbar.
Das wird verfassungsrechtlich sicherlich geprüft werden. Ich sehe aber einer Entscheidung des Verfassungsgerichtes außerordentlich gelassen entgegen, da ich
glaube, dass es die Typisierung, dass erstens kürzere
Kündigungsfristen für den Mieter notwendig sind und er
zweitens besseren Schutz vor einer vorzeitigen Kündigung braucht, Herr Pofalla, bestätigen wird. Ihn kosten
jede Kündigung, jeder Umzug nämlich sowohl Zeit, Nerven als auch Geld.
({9})
Denn er hat die Umzugskosten. Er muss möglicherweise
Geld für den Kauf neuer Möbel und neuer Gardinen einsetzen. Kein Mieter zieht gerne um; er tut es nur, wenn er
es muss. Es kommt jedenfalls außerordentlich selten vor,
dass er es gerne tut.
Ich hätte mir in der Tat gewünscht, dass wir intensiver
hätten über die Reform beraten können. Das Problem war
nur, dass Sie von Anfang an klargemacht haben, dass Ihnen an der Grundstruktur dieses Mietrechts nur Negatives
auffiel.
({10})
Sie wollten dieses Mietrecht von der ersten Lesung an
nicht. Sie wollten sich gar nicht auf das einlassen, was
nach unserer Auffassung mit Ihnen hätte diskutiert werden müssen, wie weit nämlich die Gemeinschaftsdienlichkeit typisierend geht. Wohlgemerkt: nicht der Miethai
gegen den armen Schlucker. Aber die klassischen Spannungsverhältnisse zwischen Mieter und Vermieter sind
eben andere als die in anderen Dauerschuldverhältnissen;
denn hier geht es um Grundrechte und Existenzen.
Ich denke, wir werden dem Verfassungsgerichtsurteil
mit großer Ruhe entgegensehen können; denn nach der
Entscheidung des Verfassungsgerichts zur Barrierefreiheit bzw. zum Mieterschutz bei Eintritt von Behinderungen habe ich keine Bedenken, dass die Frage der Gemeinschaftsdienlichkeit beim Verfassungsgericht in den
allerbesten Händen ist.
Wir hätten wirklich besser und länger beraten können.
Aber, Herr Funke, Sie waren es, der in den Berichterstattergesprächen gleich mit bohrenden Fragen festgestellt hat, wo die Koalition lange verhandelt hat und wo
sie sich entschieden hat. Wenn ich mich richtig erinnere,
haben Sie fast wörtlich gesagt: Das kennen wir doch aus
unserer Zeit, dass dann mehr oder minder alles festgefahren ist.
({11})
- Das waren Ihre Erfahrungen, die Sie damals zitierten.
Damit fingen die Berichterstattergespräche gleich an.
({12})
Wir hätten sicherlich das eine oder andere Interessante
von Ihnen hören können. Gerade bei der Frage der Spreizung der Kündigungsfristen hätten Sie vielleicht einen
Einwand bringen können,
({13})
den ich jetzt an Ihrer Stelle bringe. Dabei geht es nicht um
die Grundsatzfrage; da gelten die Argumente von gerade.
({14})
Aber hätten Sie nicht vielleicht sagen können, dass das
zum Beispiel für die Zweitwohnung oder für die Drittwohnung so nicht gelten müsste? Das wäre doch ein
F.D.P.-Argument gewesen; aber das ist nicht gekommen.
Ich bringe es, nachdem ich mir überlegt habe, was Sie
heute vielleicht einwenden könnten.
({15})
Darüber hätte man nachdenken können. Sicherlich
wird das eine oder andere von der Rechtsprechung noch
geglättet werden müssen. Ich glaube, dass die Rechtsprechung damit klarkommt.
Was die Schönheitsreparaturen angeht, Frau Kollegin Ostrowski: Kein Mensch - mein Kollege Manzewski
hat darauf hingewiesen -, kein Praktiker und kein Jurist
- wenn man die nicht unter die Praktiker rechnen muss noch irgendjemand anders, ein Verband oder ein Kollege,
hat eine handhabbare Vorstellung dazu gebracht, die nicht
neue Probleme und vor allem neue rechtliche Auseinandersetzungen gebracht hätte. Ein soziales Mietrecht muss,
jedenfalls in Grenzen, ein klares sein; sonst ist es nicht sozial. Es gibt Leute, die Wohnungen vermieten könnten,
dies aber nicht tun, weil sie Sorge haben, immer mit einem Bein beim Anwalt zu stehen - vielleicht besser dort
als bei manchen Bundestagsabgeordneten, die über Prozesskostenhilfe nicht Bescheid wissen.
({16})
Aber ich denke, auf diese Weise haben wir etwas mehr
Klarheit gebracht. Mich erinnert die Debatte über die
Schönheitsreparaturen an die Debatte über das Wohl des
Kindes. Auch dabei ist ständig darüber diskutiert worden,
wie man das fassen kann. Im Ergebnis schwankt man zwischen einer Generalklausel, die neue gerichtliche Probleme aufwirft, und einer Kasuistik, die angesichts des
Wandels der Wohngewohnheiten kaum die Zeit von einem Jahr überleben kann. Deswegen haben wir davon abgesehen und es bei der Grundregel gelassen, dass für
Schönheitsreparaturen im Prinzip der Vermieter zuständig
ist, es sei denn, er vereinbart etwas anderes.
Es gibt kein Recht, das dieses Parlament verabschieden
wird, das in der Rechtsprechung nicht noch geschliffen und
der Praxis angepasst werden müsste. Das ist sogar dem
BGB widerfahren, das einen Vorlauf von 20 Jahren hatte
und ein glänzendes Gesetz ist, aber dadurch gekennzeichnet
war, dass sofort, als es erschien, die positive Forderungsverletzung als eine der großen Lücken bekannt wurde.
Ich denke, dass wir die Möglichkeit genutzt haben, ein
besseres Mietrecht zu schaffen. Ob es ein gutes ist - wir
hoffen es; die Praxis wird es zeigen.
({17})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Dietmar Kansy, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen
und Herren! Als Nichtjurist, Frau Kollegin von Renesse
- eigentlich war jetzt Herr Kollege Spanier an der Reihe;
aber eine kleine Verwechselung dieser Art kann ja vorkommen -, möchte ich Ihnen empfehlen, sich einmal von
Ihrem Kollegen Spanier berichten zu lassen - wir kommen beide gerade von einer GdW-Tagung -, warum Mieter heutzutage auch umziehen. Lassen Sie sich einmal von
Fachleuten das Wort „Mieterhopping“ erklären, ein Phänomen, das es nicht nur bei dicken Kapitalisten, sondern
auch bei mancher Wohnungsbaugenossenschaft gibt, der
inzwischen das Wasser bis zum Hals steht. Ich empfehle
Ihnen, nicht ganz so lax Ihre aus der Vergangenheit stammenden Vorstellungen zu äußern.
({0})
Frau Kollegin Ostrowski, dass Sie über Wohnungsbau
- auch über Petersilie, meinetwegen auch über andere
Dinge - munter reden können, haben Sie im Ausschuss
und auf mancher gemeinsamen Podiumsdiskussion bewiesen.
({1})
Aber eines können Sie uns damit nicht vergessen machen
- und das müssen Sie sich auch im Jahr 2001 anhören -:
Was Sie uns mit Ihren Rezepten vor über zehn Jahren hier
hinterlassen haben, waren 20 Prozent verfallene Wohnungen, kaputte Städte und lange Warteschlangen vor den
Wohnungsämtern. Deswegen vielen Dank für Ihre Rezepte in der Wohnungspolitik!
({2})
- Ja, das tut weh. Ein geübter Redner merkt immer, wenn
er getroffen hat. Einfacher können Sie es mir eigentlich
nicht machen.
({3})
- Sie können ja einmal nach Erfurt gehen, Frau Kollegin
Gleicke, wenn Sie das nicht mehr in Erinnerung haben.
({4})
- Das gehört wohl zur Sache, wenn Sie hier Ihre Rezepte
vortragen.
Meine Damen und Herren, das Mietrecht ist ein zentrales Instrument der Wohnungspolitik, ob man es will
oder nicht, ob man es als ordnungspolitisches Instrument
ablehnt oder ob man es zum Bestandteil der sozialen Absicherung macht. Das ist auch ganz einleuchtend, denn
das Mietrecht - das haben wir alle schon zigmal besprochen - trägt nicht nur zum Ausgleich zwischen Mieter und
Vermieter bei, sondern es ist auch ein Signal des Staates
an Investoren, ob sich Privatinvestitionen in den Mietwohnungsbau lohnen oder nicht.
({5})
Deshalb brauchen wir uns darüber gar nicht zu streiten.
Wir müssen als Abgeordnete damit leben, dass die Wohnung ein sehr ambivalentes Gut, ein Gut mit vielen Seiten
und Sichten ist. Es ist ein hohes soziales Gut, der Mittelpunkt unseres Lebens - manche, die etwas kräftiger
formulieren, nennen es sogar die dritte Haut des Menschen -, aber es ist in unserer marktwirtschaftlich geprägten Gesellschaft auch das teuerste und langlebigste Investitionsgut überhaupt. Was nützt uns eine noch so soziale
Mietpreisbindung und -deckelung, wenn überhaupt keine
Wohnungen mehr gebaut werden? Das ist die andere Seite
der Medaille.
({6})
Herr Kollege Pofalla hat schon zu Recht gesagt, dass
dies die Richtschnur der Regierung Kohl war, womit wir
seinerzeit mehr als erfolgreich waren. Der beste Mieterschutz ist ausreichender Wohnraum.
({7})
Am Ende unserer Regierungszeit gab es eben beides: einen ausgeglichenen Wohnungsmarkt und einen historischen Tiefstand bei den Mietindexsteigerungen. Sie
betrugen 1,1 Prozent; dies war die niedrigste Steigerungsrate, solange solche Daten überhaupt festgestellt werden.
Das haben wir mit einer Politik des Ausgleichs, einer Politik der Mitte erreicht.
({8})
Daher muss ich Ihnen, meine Damen und Herren, noch
einmal die Frage stellen, welches Signal von Ihrem Gesetzentwurf jetzt in Richtung Wohnungsbau ausgeht.
({9})
Ist es vielleicht nur aus unserer Sicht falsch - man kann
sich ja im Leben irren -, ist es Teil eines generellen Konzeptes, das wir nur nicht erkannt haben?
({10})
Die erste Hälfte dieser Legislaturperiode, meine Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, haben Sie leider damit verbracht, ständig Ihren Bauminister auszuwechseln, weswegen es praktisch kein koordiniertes
Handeln zwischen den einzelnen Ressorts und keine Gesamtlinie mehr gab. Herr Bauminister Bodewig ist heute
nicht da, weil er krank ist. Wir wünschen ihm gute Besserung; Herr Staatssekretär, geben Sie ihm das bitte weiter.
Die Fachwelt ist sich hinsichtlich der ersten Hälfte dieser Legislaturperiode allerdings überraschend einig: Der
Wohnungsbauminister fährt den sozialen Wohnungsbau
herunter. Gut, man kann sagen, er verfolgt eine andere Linie. Der Finanzminister verschlechtert im frei finanzierten Wohnungsbau Schlag auf Schlag die Investitionsbedingungen. Heute basteln Sie schon wieder mit Ihren
Genossinnen und Genossen im Lande draußen daran, wie
Sie durch Erhöhung der Erbschaftsteuer das nächste
Schräubchen drehen könnten. Das ist ja gerade wieder in
jeder Zeitung zu lesen.
Es scheint, als wirkt neuerdings auch der Bundesarbeitsminister an der Wohnungsbaupolitik mit, und zwar
offensichtlich völlig unkoordiniert. Ausgerechnet das
Lieblingskind unserer Bürgerinnen und Bürger - wir als
Abgeordnete dieses Hauses haben dies zur Kenntnis zu
nehmen -, das selbst genutzte Wohneigentum, wird in seiner Reform zum Aufbau einer zusätzlichen kapitalgedeckten Altersvorsorge mit einer Luftnummer bedient,
über die die ganze Welt nur lacht und die de facto das
Wohnungseigentum in einer ganz entscheidenden Situation schwächt.
({11})
- Ja, Frau Kollegin Eichstädt-Bohlig, das ist so.
({12})
Da müssen Sie doch verstehen, dass man Fragen stellt,
und zwar nicht nur wir, sondern auch mancher skeptische
Zeitgenosse, der immer noch hofft und sich fragt, ob da
jetzt noch etwas anderes kommt. Der soziale Wohnungsbau wird reduziert, ebenso der frei finanzierte Wohnungsbau und die Eigenheimförderung. Er hat vielleicht geglaubt, jetzt werde das Mietrecht geändert und damit ein
richtiges Signal für Investitionen gegeben, womit wir in
einer Zeit knapper Kassen, die wir selbstverständlich in
diesem Land haben, vielleicht auf andere, elegantere,
marktwirtschaftliche, Weise etwas für den Wohnungsbau
tun könnten. Nein, genau das Gegenteil ist der Fall.
Deswegen lassen Sie mich angesichts der Tatsache,
dass wir über das Sozialgut Wohnung heute schon ausreichend gesprochen haben, doch noch einige Worte zum InDr.-Ing. Dietmar Kansy
vestitionsgut Wohnung sagen. Die CDU/CSU plädiert
keineswegs einseitig für Investoren und Vermieter. Dort
sitzen Ihre Kronzeugen von der F.D.P., die Regierungspartner der letzten Legislaturperioden.
({13})
Es ist ja wahr, was Sie uns vorhin gesagt haben. Wir
haben uns damals als CDU/CSU verweigert, eine Mietrechtsvereinfachung dazu zu nutzen, das Mietrecht zulasten der Mieter zu verschieben, Frau Eichstädt-Bohlig.
Und wir werden uns heute verweigern - weil wir weiter
die Partei der Mitte sind -, das Mietrecht jetzt unter demselben Mäntelchen zulasten der Vermieter zu verschieben.
({14})
Das ist unsere Linie in dieser Diskussion. Deswegen gibt
es keine Möglichkeit einer Zustimmung zu diesem Gesetz.
({15})
Trotz all Ihrer Beteuerungen: Ihr Entwurf ist nicht ausgewogen, denn die Schwachpunkte sind doch offensichtlich: eine reduzierte Kappungsgrenze, ein Mietspiegel
möglichst ohne Beteiligung der Vermieter im Ernstfall,
nämlich beim qualifizierten Mietspiegel
({16})
- selbstverständlich, was ist denn das anderes -, asymmetrische Kündigungsfristen, Verdoppelung der Schonfrist für Mieter, die mit ihren Mietzahlungen im Rückstand sind, Wegfall der erleichterten Kündigung beim
Dreifamilienhaus. Das ist ein Vertrauensbruch gegenüber
allen, die wir damals ermuntert haben, zusätzliche Wohnungen zu bauen, als wir sie dringend brauchten. Vieles
andere wäre noch zu nennen. Da können Sie doch nicht
sagen, das sei ausgewogen zwischen Mietern und Vermietern.
({17})
Nein, Ihr rot-grüner Faden ist eindeutig. Es ist eine
Gesetzesverschlechterung zulasten der Vermieter, zulasten der Investitionen.
({18})
Sie brauchen sich doch nur die Entwicklung der letzten
Tage anzusehen. Die Diskussion, wir hätten ja genügend
Wohnungen, ist oberflächlich.
({19})
- Sie sind ein wirklich anerkannter Wohnungsexperte im
Universum; das wird Ihnen jeder bescheinigen. - Wir haben eine weitere Zunahme der Zahl der Haushalte in den
nächsten 15 Jahren zu erwarten. Das hat gestern gerade
die Beratung der Raumordnungs- und Wohnungsprognose in unserem Fachausschuss ergeben. Wir benötigten
eigentlich eine Ersatzbaurate von 380 000 Wohnungen
pro Jahr. Wir unterschreiten sie schon heute.
Gleichzeitig springt eine mittelständische Firma nach
der anderen über die Klinge; denn es ist ja nicht alles in
diesem Lande Philipp Holzmann.
({20})
Im Bauhauptgewerbe haben wir in den letzten zwei Jahren unter Ihrer Regierung 100 000 Arbeitsplätze verloren.
50 000 weitere Arbeitsplätze stehen auf dem Spiel. Herr
Wiesehügel schreibt dauernd schlaue Papiere, aber es passiert nichts bei den Kolleginnen und Kollegen der rot-grünen Koalition.
({21})
Deswegen, meine Damen und Herren, kehren Sie
zurück zu unserer erfolgreichen Linie im Wohnungsbau!
({22})
Sie lässt sich in wenigen Worten zusammenfassen: Ausreichend Wohnraum ist der beste Mieterschutz in diesem
Lande.
Vielen Dank.
({23})
Ich erteile das Wort
der Kollegin Franziska Eichstädt-Bohlig, Bündnis 90/Die
Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich den Kollegen Kansy richtig verstanden
habe, möchte er für Ostdeutschland das Mietrecht ganz
abschaffen; denn die Wohnungsmärkte sind gnadenlos
entspannt. Wenn ich den Kollegen Pofalla richtig verstehe, wünscht er das Mietrecht als Eier legende Wollmilchsau, als eine Art Verwertungsgarantie für Eigentümer nach dem Motto: Die Eigentümer sind immer die
Guten, die Mieter sind immer die Bösen.
({0})
Wenn ich die Kollegin Ostrowski recht verstehe, möchte
sie das, was uns Herr Pofalla vorwirft, nämlich das sozialistische Pflichtprogramm: jedes Jahr ein Stück Mietensenkung, bis wir wieder auf dem ostdeutschen 60-Pfennig-Niveau sind. Sie möchte, dass wir das Motto
zelebrieren: Die Mieter sind immer die Guten, die Eigentümer sind immer die Bösen.
Ich habe angenommen, wir seien aus dem Alter heraus,
ständig das Mietrecht für etwas zu instrumentalisieren, für
das es eigentlich nicht da ist.
({1})
Nach meinem Verständnis soll das Mietrecht einem fairen
Interessenausgleich dienen.
({2})
Aber weil die Interessen, Herr Kollege Funke, sehr unterschiedlich sind - das haben einige meiner Vorredner, auch
Kollege Kansy, auch so dargestellt -, müssen wir mit diesem Interessenausgleich sehr achtsam umgehen. Deswegen haben wir uns von der Koalition große Mühe gegeben
und lange und intensiv um die einzelnen Positionen und
ihre Bedeutung für diesen Interessenausgleich gerungen.
Dies ist meiner Meinung nach gut gelungen.
({3})
Wie bei einigen vorhergehenden Diskussionen mit der
Wohnungswirtschaft habe ich auch heute das Gefühl, als
werde immer wieder ein alter Film abgespielt, als müssten wir um das Mietrecht erneut alte Schlachten führen.
Wir sind aber in einer anderen Situation. Die wohnungswirtschaftliche Situation von heute bedeutet nicht einfach entspannte Märkte, Kollege Kansy, sondern sie ist
sehr unterschiedlich in München, in Frankfurt, in Hannover, wo wir auch schon Wohnungsleerstand zu verzeichnen haben, und in Ostdeutschland, wo es großen Leerstand gibt. Aber nicht 30 Prozent, Herr Kollege Pofalla,
sondern 13 Prozent. Wir sollten hier nicht überdramatisieren.
({4})
Insofern möchte ich die Eigentümerseite bitten, vom
Mietrecht nicht da Lösungen zu erwarten, wo das Mietrecht diese nicht bringt. In München brauchen wir deutlich den Mieterschutz, den wir mit diesem Mietrecht den
Mietern bieten.
({5})
In Leipzig brauchen wir Mieterschutz, auch bei entspannten Wohnungsmärkten.
({6})
Aber ich rate jedem Eigentümer in Leipzig, mit seinen
Mietern freundlich, positiv und konstruktiv umzugehen,
ganz gleich, was im Mietrecht steht.
({7})
Dies ist sein ureigenstes Interesse, denn er braucht die
Mieter, wenn er seine Wohnungen vernünftig bewirtschaften will.
({8})
Ich möchte noch einmal deutlich sagen: Die Probleme
der Eigentümer liegen heute nicht im Mietrecht. Sie liegen darin, dass in ganz neuer Form Konkurrenz zwischen
Wohnungsbeständen und Wohnungsneubau, zwischen
städtischen Wohnungen und Umlandwohnungen, zwischen Mietwohnungen und Eigentumswohnungen usw.
herrscht. Ich erwarte von den Eigentümern, dass sie sich
diesen Aufgaben stellen und nicht ständig über das Mietrecht lamentieren, wodurch die Probleme, die heute für
sie Aufgaben und Herausforderung darstellen, nicht
gelöst werden.
({9})
Das sind die Probleme der Stadterneuerung, der Wohnungserneuerung, der Wohnumfeldgestaltung. Sie sollten
lieber die 11 Prozent Modernisierungsumlage, die keiner
von Ihnen erwähnt hat, die wir aber den Eigentümern belassen, aktiv nutzen und ihre Bestände so modernisieren,
dass die Mieter ein Interesse an ihren Wohnungen haben.
({10})
Lassen Sie mich noch ein paar konkrete Punkte ansprechen. Über die Forderung nach Verwertungskündigung Ost im Mietrecht haben wir sehr intensiv diskutiert.
Gerade wir von der Koalition sind in hohem Maße daran
interessiert, dass der Wohnungswirtschaft in Ostdeutschland bei der Lösung der Probleme geholfen wird, die sie
mit dem Leerstand hat und die ihr im Zusammenhang mit
dem Stadtumbau bevorsteht, der noch sehr kompliziert
wird und der uns hier lange Jahre beschäftigen wird. Ich
warne aber davor, die Verwertungskündigung als Instrument zur Lösung dieser Probleme in das normale Mietrecht aufzunehmen.
({11})
Mit dieser pauschalen Mietrechtsformel hätten wir
eine Art Kriegserklärung in den Osten getragen.
({12})
Deswegen haben wir uns gemeinsam dagegengestellt.
Wir hätten auch den Eigentümern überhaupt nicht genutzt. Denn sie hätten die Mieter noch mehr verschreckt
und die Mieter hätten noch schneller das Weite gesucht
und sich umorientiert. So wäre man zu keiner Lösung gekommen.
({13})
Von daher werbe ich dafür, dass die ostdeutschen
Städte das Sanierungsrecht auf diese Fälle anwenden und
aktiv nutzen. Da gibt es klare Regelungen, die auch Mieterumsetzungen, Entmietungen, Entschädigungen usw.
vorsehen. Das sollte man nutzen. Ich bin gern bereit zu
prüfen, ob bestimmte Vereinfachungen auf bundesgesetzlicher Ebene erforderlich sind. Aber bitte keine simple
Formel mit Verwertungskündigungen und kein Ex-undhopp-Umgang mit den Mietern! So darf es eindeutig nicht
sein.
({14})
Für den neuen § 554 a zum barrierefreien Wohnen
haben sich Frau Kollegin von Renesse und ich in besonderem Maße engagiert. Auch hier geht es uns nicht darum,
ein sozialistisches Programm durchzusetzen. Frau Kollegin, Sie haben das eben schon sehr schön dargestellt. Es
geht uns darum, ein klares Signal an beide Seiten, an die
Mieter- und die Vermieterseite, zu setzen. Deswegen war
es uns wichtig, diese Regelung direkt in das Gesetz zu
schreiben und nicht die Rechtsprechung und verfassungsgerichtliche Entscheidungen als Grundlagen zu nehmen.
Unsere Gesellschaft wird älter; Menschen wollen länger in selbstbestimmter Weise in ihren Wohnungen leben.
Deswegen werben wir mit diesem Paragraphen dafür,
dass sich Mieter und Vermieter ruhig und möglichst streitfrei einigen, was in einer Wohnung und gegebenenfalls
auch beim Zugang zur Wohnung gemacht werden muss,
damit diese Wohnung barrierefrei wird und möglichst
lange in würdiger und guter Form genutzt werden kann.
Nehmen Sie das nicht in Ihren Katalog angeblich vermieterunfreundlicher und böser Regelungen auf! Nehmen Sie
das so konstruktiv und positiv, wie es gemeint und gewollt
ist! Ich hoffe sehr, dass beide Seiten damit umgehen können.
({15})
Für eine Lösung des Problems der Schönheitsreparaturen hat sich unsere Fraktion vom ersten Tage an eingesetzt. Aber es ist, wie Kollege Manzewski vorhin gesagt
hat, eine Bankrotterklärung der Juristen,
({16})
dass keiner von ihnen in der Lage gewesen ist, einen
Passus zu formulieren, der einerseits den gegenwärtigen
Rechtsstatus in keiner Richtung verschlechtert - daran
waren wir interessiert -, weder in Vermieter- noch in
Mieterrichtung, und der andererseits praktikabel und anwendbar ist. Da mussten wir schließlich klein beigeben.
Denn ich als gelernte Architektin kann das beim besten
Willen nicht formulieren. Ich wiederhole, was Sie, Herr
Manzewski, vorhin gesagt haben: Sobald uns dieser Paragraph geboten wird, werden wir ihn sehr sorgfältig prüfen. Wir wären sicher bereit, ihn einzufügen. Wir würden
uns besonders freuen, wenn der Mietgerichtstag da einmal
in Klausur ginge und uns etwas Machbares böte. Dann
würden wir das - vielleicht sogar fraktionsübergreifend auf den Weg bringen.
({17})
Auch bei der Kündigungsbeschränkung bei Umwandlung in Eigentumswohnungen sprechen die Eigentümer von den „Bösen von Rot-Grün“. Im Regierungsentwurf ist die Regelung enthalten - die auch in der
Beschlussempfehlung geblieben ist und heute von uns so
verabschiedet wird -, dass die Länder den Mieterschutz
auf bis zu zehn Jahre ausweiten können, wenn sie der
Meinung sind, dass in bestimmten Städten und Regionen
besonderer Wohnungsbedarf besteht. Bisher galten drei
Jahre per se und entweder fünf oder zehn Jahre qua Länderbeschluss. Das haben wir so gelassen.
Was wir nach den Beratungen zwischen den Koalitionsfraktionen herausgenommen haben, war, dass in dieser
Zwischenzeit eine Ersatzwohnung mit vergleichbaren
Bedingungen wie die gegenwärtige Wohnung zur Verfügung gestellt wird. Wir haben das insbesondere deswegen
getan, weil zumindest ich und auch andere Kollegen der
Meinung sind: Wenn wir diesen Passus im Gesetzentwurf
belassen hätten, hätten Mieter und Vermieter genau in der
Zwischenzeit, in den drei, sieben oder auch zehn Jahren,
überhaupt keinen Frieden mehr gefunden und sich ständig
um die Angemessenheit einer Ersatzwohnung gestritten.
({18})
Deswegen sind wir der Auffassung: In der verbleibenden Zwischenzeit, in der die beiden Parteien miteinander
umgehen müssen, sollen Ruhe und Frieden herrschen und
der Mieter soll wissen, dass er in diesem Zeitraum, aber
nicht länger, in der Wohnung bleiben kann. Von daher haben wir uns dazu entschlossen, die Ersatzwohnung aus
dem Gesetzentwurf herauszunehmen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition,
Sie werfen uns immer wieder vor, das Mietrecht sei nicht
ausgewogen und zu einseitig. Ich behaupte nach wie vor:
Das stimmt nicht. Wir haben für das Ziel der Ausgewogenheit sehr engagiert gearbeitet. Aber ausgewogen heißt
eben nicht einseitig in Richtung Vermieter. Ausgewogen
heißt an dieser Stelle vielmehr, dass das Sozialgut Wohnung einen besonderen Schutz benötigt, weil es nun einmal ein unabdingbares Gut ist.
Von daher wünsche ich mir ganz schlicht eines, nämlich dass Sie spätestens dann, wenn wir über diesen Gesetzentwurf abgestimmt haben, Ihr etwas angerostetes
Kriegsbeil endlich wieder eingraben. Jede frühere Mietrechtsdebatte verlief doch in folgender Art und Weise:
Morgen bricht die Welt zusammen, Vermieter und Mieter
werden sich wie Streithähne einander gegenüberstehen
und alles wird ganz schlimm werden.
({19})
Tatsache ist, dass das bisherige Mietrecht von beiden
Seiten und von den jeweiligen Rechtsberatern sehr konstruktiv angewandt worden ist.
({20})
Letzteren, den vielen Juristen - ich bin sonst nicht sehr juristenfreundlich ({21})
- nehmen Sie es heute einmal so hin -, die sich immer
wieder engagiert haben und mit diesem komplizierten
Recht sehr konstruktiv umgegangen sind, möchte ich an
dieser Stelle ein großes Kompliment machen und ein Dankeschön sagen. Ich glaube, diesen wird die Vereinfachung, die wir jetzt mit dieser Mietrechtsreform erreichen, gut tun. Sie werden es so anwenden, dass es in
unserer Gesellschaft streitreduzierend wirkt und das
Kriegsbeil nicht mehr benötigt wird. In diesem Sinne
wünsche ich allen Beteiligten etwas mehr Friedlichkeit
und Milde.
({22})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Wolfgang Spanier, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Lassen Sie mich zwei Vorbemerkungen machen. Zum einen möchte ich mich an Herrn
Pofalla wenden, sozusagen als Altlinker an den Jungrechten.
({0})
Sie haben uns vorhin unterstellt, dass wir die Opposition
abschaffen wollen. Ich kann Sie wirklich beruhigen: Wir
sind froh, dass Sie Opposition sind. Wir sind Ihnen dankbar, dass Sie die von der Verfassung vorgegebene Oppositionsrolle übernommen haben, und wir sind ganz sicher,
dass Sie in der Opposition bleiben werden. Von daher ist
die Unterstellung, wir wollten Sie abschaffen, keineswegs
gerechtfertigt. Ganz im Gegenteil!
({1})
Zum anderen möchte ich auf Frau Ostrowski eingehen.
Sie haben hier eine interessante Wendung vorgetragen.
Ausgerechnet die PDS - auch mich hat das etwas erschüttert - redet verstärkten Steuersubventionen für die
Wirtschaft, in diesem Fall für die Wohnungswirtschaft,
das Wort.
({2})
- Sie haben doch die Verschlechterung der Rahmenbedingungen gefordert. Also ist doch der Rückschluss richtig, dass Sie hier die alten umfassenden und üppigen Steuersubventionen wieder aufleben lassen wollen.
({3})
Ich kann ja verstehen, dass Sie von der PDS sich bei der
Schlussabstimmung nur enthalten. Wir haben es bemerkt:
Das ist eine verschämte Zustimmung. Das ist so in Ordnung.
({4})
Frau Eichstädt-Bohlig hat Recht: Man hat wirklich den
Eindruck, als ob im Rahmen der öffentlichen Debatte über
die Mietrechtsreform alte Filme abgespult wurden. Deswegen habe ich einmal die Bundestagsprotokolle von
1974 nachgelesen, aus dem Jahr, als gefordert wurde, man
brauche eine umfassende Mietrechtsreform. Auch damals, als es darum ging, den Mieterschutz zum ersten
Mal als Dauerrecht einzuführen - das war nämlich vorher
nicht der Fall -, sind die Haus- und Grundeigentümer
Sturm gelaufen und haben, als hätten sie Ihre Pressemitteilungen gelesen, kritisiert, dies sei investitionsfeindlich,
da die Investitionen in die Wohnungswirtschaft torpediert
würden. Das stimmt einen schon nachdenklich. Sobald
man in diesem Land in irgendeiner Weise den sozialen
Schutz der Mieterinnen und Mieter stärken oder auch nur
erhalten will, wird sofort das Geschrei, das sei investitionsfeindlich, erhoben. Ich glaube, das relativiert schon
diesen Vorwurf.
({5})
Damals hat übrigens der Bundesjustizminister,
Hans-Jochen Vogel, erklärt:
Mietrecht, das ist nichts Abstraktes, Theoretisches,
das ist Interessenausgleich in einem zentralen Lebensbereich. Schließlich ist ja die Wohnung keine
Ware, sondern der Lebensmittelpunkt für den Einzelnen und die Familie, der Ort, an dem er Schutz und
Geborgenheit sucht.
({6})
Jede rechtliche Regelung dieses Bereichs muss sich
daher in besonderem Maße an den Grundprinzipien
unserer Verfassung orientieren. Sie muss sicherlich
die vom Grundgesetz geschützte Institution des Eigentums respektieren. Sie muss aber nicht minder
mit der Sozialbindung des Eigentums Ernst machen
und das Recht des Mieters auf freie, ungestörte Entfaltung beachten.
({7})
In dieser Kontinuität steht die Bundesjustizministerin,
Herta Däubler-Gmelin. In dieser Kontinuität stehen auch
die Koalitionsfraktionen. Es ist schon erstaunlich: Damals
hat die F.D.P. diese Positionen unterstützt. Was ist aus Ihnen in diesen 26 Jahren geworden? Das ist ein Trauerspiel!
({8})
Hinsichtlich der alten Kohl-Regierung - es ist höchst
interessant, wenn man ihre Pressemitteilungen liest - hat
Herr Dr. Kansy mit der gebotenen Schärfe und Härte festgestellt: Sie ist gescheitert an der Mietrechtsreform, und
zwar in erster Linie an den Extrempositionen der F.D.P.
({9})
- Ich zitiere nur meinen werten Kollegen, den wohnungspolitischen Sprecher der CDU/CSU-Fraktion.
Auch zu dem Entwurf, den die F.D.P. heute vorlegt,
sagt er: „Das ist wiederum eine Extrempositionierung zulasten der Mieter und hat nicht den Hauch einer Mehrheitschance.“
({10})
So deftig würde ich mich als Ostwestfale nicht ausdrücken. Er sagt aber: „Das ist nicht anderes als Klientelshow.“ Recht hat er. Deswegen will ich über Ihren Gesetzentwurf auch keine weiteren Worte verlieren.
({11})
Zur CDU/CSU: Man kann selbstverständlich über das
Verfahren reden. Das ist heute Morgen wieder in der überflüssigen Ausführlichkeit geschehen. Es hat eine breite öffentliche, gesellschaftliche Debatte zum Mietrecht gegeben. Nur, von der CDU/CSU kam nichts, praktisch keine
konkreten Vorschläge, nur ein kurzes, knappes Papierchen im letzten Moment; das war alles.
({12})
Die Legende, die sie wiederum verbreiten - Stichwort:
alter Film; dieses Gesetz sei investitionsfeindlich; Herr
Pofalla hat das hier mit warmen Worten noch einmal verbreitet -, ist bei nüchterner Betrachtung schlicht und einfach falsch. Wir haben in einem ganz wichtigen Punkt die
wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der Wohnungswirtschaft erhalten, nämlich bei der Modernisierungsumlage, die weiterhin bei 11 Prozent bleibt. Ich füge persönlich hinzu: bei allen Bedenken, die wir gegen dieses
System der Mieterhöhung haben.
Außerdem haben wir die Kappungsgrenze gesenkt.
Es ist von Herrn Manzewski und anderen deutlich gemacht worden, dass auch hier der Vorwurf, das sei investitionsfeindlich, überhaupt nicht zutrifft. Wir haben eben
keinen entspannten Wohnungsmarkt im preiswerten Segment. Wir müssen die Mieterinnen und Mieter vor überzogenen Mieterhöhungen schützen. Ich denke, da haben
wir ein Stück soziale Verantwortung. Deswegen ist es
richtig, dass wir die Kappungsgrenze auf 20 Prozent gesenkt haben.
({13})
Das Mietrecht enthält einen großen Schritt der Modernisierung. Wichtigster Punkt ist dabei die Kündigungsfrist. Auch hier kommen wieder Ihre Klagen, das sei
gegen die Interessen der Vermieter gerichtet, das sei wiederum investitionsfeindlich. Das fällt in sich zusammen
wie ein Kartenhaus.
({14})
Der GdW hat in seinem Mustervertrag die dreimonatige
generelle Kündigungsfrist für die Mieterseite, genauso
wie wir sie jetzt ins Gesetz schreiben. Was der GdW nicht
vorsieht, ist der Verzicht auf eine Kündigungsfrist von
zwölf Monaten. Diese räumen wir allerdings dem Vermieter ein. Ich glaube daher, dass diese Regelung der
Kündigungsfristen, die in der parlamentarischen Beratung entstanden ist, genau die richtige Maßnahme ist, um
dem gesellschaftlichen Wandel und den Veränderungen
auf dem Arbeitsmarkt endlich Rechnung zu tragen.
({15})
Kollege Spanier, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Braun,
F.D.P.-Fraktion?
Ja.
Herr Kollege Spanier, Sie erinnern sich doch sicherlich noch an die
Jahre 1981 und 1982, als - zunächst noch durch eine sozial-liberale Koalition und dann durch die neue schwarzgelbe Koalition - die Kappungsgrenze von damals
30 Prozent überhaupt erst eingeführt wurde. Ist Ihnen erinnerlich, dass sich in der Zwischenzeit diese Kappungsgrenze, die eigentlich zum Schutz der Mieter gedacht war, im Denken von Vermietern und Mietern mit der
Folge verselbstständigt hat, dass sie eine Mieterhöhung
um 30 Prozent alle drei Jahre für zulässig halten? Ist Ihnen bekannt, dass dies wiederum dazu geführt hat, dass
seither die Mieten schneller gestiegen sind als der Lebenshaltungskostenindex? Teilen Sie meine Bewertung
dieses Vorgangs?
({0})
Ich teile Ihre Feststellung,
dass sich die Mieten in diesem Zeitraum überproportional
nach oben entwickelt haben. Ich teile aber nicht Ihre Auffassung, dass dies mit der Kappungsgrenze zusammenhängt, weil diese Möglichkeit - es geht um ganz bestimmte Wohnungsbestände; Sie sollten einmal die
Wohnungsunternehmen in Ihrem Wahlkreis fragen - keineswegs ausgeschöpft wurde. Das Problem ist, dass in bestimmten Orten, zum Beispiel in München, wo wir nach
wie vor einen heiß gelaufenen Wohnungsmarkt haben,
diese Schutzgrenze schlicht und einfach notwendig ist.
Deswegen trifft Ihre Interpretation, dass die Kappungsgrenze Mieterhöhungen geradezu herbeibeschwört, nicht
zu. Ganz im Gegenteil: Sie schützt die Mieterinnen und
Mieter vor allzu großen Mieterhöhungen.
({0})
Ein weiterer Punkt der Modernisierung ist die Vertragsnachfolge beim Tod des Mieters. Ich habe mich sehr
gewundert, Herr Pofalla, dass Sie in diesem Zusammenhang von „uferlosen Zwangsverträgen“ gesprochen
haben.
({1})
Das müsste mit gleichem Recht für die Mietnachfolge
durch den Ehepartner gelten. Um in Ihrer Logik zu bleiben, müssten Sie auch das als „uferlosen Zwangsvertrag“
bezeichnen.
({2})
Nein, dahinter steckt etwas ganz anderes, nämlich Ihre
Voreingenommenheit gegenüber der Neuregelung der Lebenspartnerschaften und nichts anderes.
({3})
Auch beim qualifizierten Mietspiegel greife ich die
Argumentation von Herrn Pofalla auf. Er hat hier die Abschaffung der Mietspiegel verlangt. Das war wirklich ein
tolles Stück. Vielleicht sollten Sie sich, Herr Dr. Kansy,
mit Ihrem jungen Kollegen aus dem Rheinischen besser
abstimmen. Wir halten den qualifizierten Mietspiegel für
einen deutlichen Fortschritt. Ich gehe davon aus, dass
viele Städte die Kosten auf sich nehmen und einen
solchen Mietspiegel erstellen lassen werden. Er wird
helfen, Rechtsstreitigkeiten vor Gericht zu vermeiden,
weil man endlich eine solide und gute Grundlage für
Mieterhöhungen haben wird.
Auf die Barrierefreiheit als weiteres wichtiges Moment der Modernisierung ist bereits von Margot von
Renesse und Frau Eichstädt-Bohlig hingewiesen worden.
Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Wir haben gemeinsam
das Gleichstellungsgebot in unsere Verfassung aufgenommen. Das Parlament hat eine große Verantwortung, dem
in allen einschlägigen Gesetzen Rechnung zu tragen und
es in allen Bereichen umzusetzen.
({4})
Diese Regelung zeigt, dass wir es mit dem, was wir in der
Verfassung zu diesem Punkt vereinbart haben, wirklich
ernst meinen.
Eine andere wichtige Änderung - auch darauf ist in der
parlamentarischen Beratung schon hingewiesen worden ist, dass wir die Kündigungssperrfristen bei der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen gelassen
haben. Entscheidend ist, dass wir die Möglichkeit des
Vermieters, diese Fristen zu unterlaufen, aus dem Gesetz
herausnehmen wollen. Die Umwandlungsproblematik ist
nicht nur in München vorhanden; sie stellt in vielen
Großstädten nach wie vor ein bedrängendes Problem für
die Mieterinnen und Mieter dar. Deswegen sind wir froh,
die gesetzliche Grundlage in diesem Punkt gestärkt zu
haben. Wir erwarten von den Ländern, dass sie sich der
Mühe unterziehen, vernünftige Regelungen hinsichtlich
der Festlegung von Sperrfristen, über die Grundfrist von
drei Jahren hinaus, zu treffen.
Wir wollten bei der außerordentlichen Kündigung
eine so genannte Zerrüttungskündigung einführen.
Wichtig war, in diesem Zusammenhang einen Verdacht
aus der Welt zu schaffen. Ich weiß nicht, ob dieser Verdacht berechtigt war oder nicht, aber wir haben ihn aus der
Welt geschafft.
({5})
- Er war nicht berechtigt, ich will das gerne einräumen. Ich denke aber, wir haben angesichts dessen, dass Besorgnis oder Unsicherheit herrscht, gut daran getan, hier
für Klarheit zu sorgen. Das sieht mittlerweile auch der
Deutsche Mieterbund so und darüber sind wir froh. Wir
wollten nicht Menschen in Angst und Schrecken versetzen. Deswegen ist es gut, dass wir ein schuldhaftes Verhalten mit als Hauptgrund bei der außerordentlichen Kündigung in den Gesetzentwurf aufgenommen haben.
({6})
Ich muss - ebenso wie manch einer meiner Vorrednerinnen und Vorredner - einräumen: Die Schönheitsreparaturen haben wir im Gesetzentwurf nicht geregelt,
obwohl sich die Wohnungspolitiker und die Rechtspolitiker das vorgenommen haben. - Es ist vorhin deutlich
geworden, woran eine solche Regelung letztlich gescheitert ist. Vielleicht ist darüber auch noch nicht das letzte
Wort gesprochen. Ich will nicht ausschließen, dass wir
noch zu einer Regelung kommen. - Aber eines will ich Ihnen ganz klar sagen: Sie beklagen das Fehlen einer
solchen Regelung und geben uns die Schuld daran. Doch
wo ist denn eigentlich Ihr konkreter Vorschlag? Sie
wussten seit Monaten, dass dieser Punkt im Gesetzentwurf nicht geregelt ist und es einen Vorschlag des Bundesrates gibt, haben sich aber zu diesem Vorschlag mit
keinem Wort geäußert und auch keinen eigenen Vorschlag
vorgelegt.
({7})
- Herr Geis, Sie können sich nicht damit herausreden, Sie
seien in der Opposition. Sie betonen doch in jeder Rede,
Sie wollten konstruktiv mitarbeiten. Dann tun Sie es doch
gefälligst.
({8})
Das gleiche Bild bietet sich bei der Verwertungskündigung. Wir haben klar gesagt, dass wir das
Verbot der Verwertungskündigung nicht aufheben werden; darum wäre es letztlich gegangen. Natürlich sehen
wir die Problematik hinsichtlich der neuen Bundesländer.
Es gibt dort Mietshäuser, in denen nur noch ein oder zwei
Mietparteien leben, während die anderen Wohnungen leer
stehen. Es leuchtet ein, dass die Wohnungswirtschaft ein
berechtigtes Interesse daran hat voranzukommen, wenn
ein aus städtebaulichen Gründen sinnvoller Abriss geplant ist. Hätten wir aber die Verwertungskündigung
in die Mietrechtsreform aufgenommen, wie Sie, Herr
Pofalla, es gefordert haben, so hätten wir, wie ich glaube,
in großem Maße zur Verunsicherung der Mieterinnen und
Mieter in den neuen Bundesländern beigetragen. Genau
das wollen wir nicht!
({9})
Man kann über die Anregung von Frau EichstädtBohlig nachdenken. Ich frage mich aber: Warum ist in
diesem Fall eigentlich eine Verwertungskündigung
notwendig? Ist das angesprochene Problem nicht schlicht
und einfach ein Sonderfall einer ganz normalen Kündigung nach § 573?
({10})
Ich bin kein Jurist - insgeheim sage ich: Ich bin auch
dankbar dafür -, aber ich glaube, dass wir durchaus rechtliche Möglichkeiten haben. Wir müssen sie nur ausschöpfen.
Lassen Sie mich zum Schluss sagen: Die Mietrechtsreform zeigt: Mit großer Entschlossenheit packt diese Bundesregierung, packen die Koalitionsfraktionen die längst
überfälligen Reformen in der Wohnungs- und StädteWolfgang Spanier
baupolitik an. Ich nenne die drei wichtigsten: die Wohngeldreform - Sie haben dies nicht geschafft -,
({11})
die Reform des sozialen Wohnungsbaus - ich hoffe, dass
wir in diesem Punkt vielleicht zu einer gemeinsamen Lösung kommen; aber Sie haben dies nicht geschafft - und
die Reform des Mietrechts; auch daran sind Sie gescheitert. Wir werden die Weichen neu stellen und ich kann Ihnen schon jetzt sagen: Wir können mit einer guten Bilanz
vor die Wählerinnen und Wähler treten.
Herzlichen Dank.
({12})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Freiherr von Stetten.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen! Die Opposition steht nach den Ausführungen von Herrn Hartenbach im Verdacht, Zeit zu stehlen,
wenn sie diskutieren möchte. Herr Spanier ist stolz wie
ein Spanier, dass er kein Jurist ist. Das ist doch eine verkehrte Welt, wenn man über das Mietrecht diskutiert.
Vom Ansatz her ist der Gesetzentwurf der Regierung,
der als große Mietrechtsreform angekündigt wurde, zwar
richtig. Aber Ihr Entwurf eines Mietrechtsreformgesetzes
verdient den Namen nicht, weil er die schleichende
Sozialisierung dieser Regierung auf vielen Gebieten nur
unterstreicht und ausdehnt.
({0})
Dabei denke ich ausdrücklich auch an die geplante Reform des Betriebsverfassungsgesetzes oder an die von
manchen SPD-geführten Ländern verlangte Erhöhung der
Erbschaftsteuer. Das sind alles Schritte gegen das
Wohneigentum und die Wirtschaft.
({1})
Wir Politiker waren uns vom Grundsatz her einig, dass
die verschiedenen Mietgesetze im Bürgerlichen Gesetzbuch zusammengefasst werden müssen. Wir waren uns
auch darüber einig, dass wir ein soziales Mietrecht haben
und dass dieses auch erhalten bleiben soll. Aber die
Schritte zur weiteren Entrechtung von Wohnungseigentümern bergen die Gefahr, dass aus einem sozialen Mietrecht ein sozialistisches Mietrecht wird, mit den Folgen,
die wir in der ehemaligen DDR beobachten konnten, wo
40 Jahre lang sozialistische Misswirtschaft herrschte und
wo es eine gigantisch große Zahl an kaputten Wohnungen
und Häusern gab, die einfach in der Landschaft standen
und zerfielen. Sie, meine Damen und Herren von der PDS,
reden hier von Petersilie und Schnittlauch! Das kann doch
wohl nicht richtig sein.
Die Bauwirtschaft leidet schon heute außerordentlich
stark unter der zurückgehenden Baukonjunktur und
wird, wenn der vorliegende Gesetzentwurf verabschiedet
ist, einen weiteren Schlag erleiden. Weitere Hunderttausende von Arbeitsplätzen werden dann gefährdet sein.
Die Baukonjunktur war in der Vergangenheit oft genug
Motor für eine florierende Wirtschaft.
({2})
Wenn diese weiterhin abgewürgt wird, wird auch die
übrige Wirtschaft darunter leiden und werden die Arbeitslosenzahlen steigen.
({3})
Es bestand überhaupt kein Anlass zur Verschärfung des
Mietrechts zuungunsten der Vermieter, weil die Mieten
derzeit eher sinken als steigen und es eher freie Wohnungen als Wohnungsnot gibt. Wer in einer solchen Zeit
Investoren mit der Senkung der Kappungsgrenze von
30 Prozent auf 20 Prozent verschreckt, schadet der
Gesamtwirtschaft.
({4})
Wer wissenschaftlich erarbeitete Mietspiegel, die viel
Geld kosten, als alleinige Grundlage für Mietanpassungen
vorschreibt, verlängert die Verfahren und bürokratisiert
sie unnötig.
({5})
Die nicht geregelte Frage der Schönheitsreparaturen
ist keine Bankrotterklärung der Juristen, sondern der
Regierung, die keine entsprechende Formulierung
zuwege gebracht hat. Wenn es eine solche Formulierung
gegeben hätte, hätten wir darüber diskutieren können.
Aber eine solche Formulierung gibt es nicht. Das ist also,
wie gesagt, eine Bankrotterklärung der Regierung und
nicht der Opposition.
Wer asymmetrisches Kündigungsrecht für Recht
erklärt, indem er dem Mieter das Recht, innerhalb von
maximal drei Monaten zu kündigen, und dem Vermieter
das Recht einräumt, unter Umständen nur innerhalb von
neun Monaten kündigen zu können, begibt sich an verfassungsrechtliche Grenzen oder überschreitet sie sogar.
Das Gesetz müsste nach In-Kraft-Treten nicht durch
die Rechtsprechung geglättet werden, Frau von Renesse,
wenn es ein vernünftiges Gesetz wäre. Aber das jetzt vorliegende Gesetz muss in der Tat durch die Rechtsprechung
geprüft und geglättet werden. Nur, was ist das für ein
Armutszeugnis, wenn der Bundestag ein Gesetz verabschiedet, das - das wissen wir schon jetzt - nachher durch
die Rechtsprechung geglättet werden muss. Das ist doch
eine Bankrotterklärung!
({6})
Ein Geheimnis bleibt auch, warum gerade Studenten
ihre Kaution nicht verzinst bekommen sollen. Wenn die
Studentenwerke meinten, dass das zu schwer auszurechnen sei, kann ich ihnen empfehlen, sich für 50 DM ein
Computerprogramm zu kaufen, mit dem sich die Zinsen
per Knopfdruck leicht ausrechnen lassen.
Frau Ministerin, warum haben Sie nicht wie bei der
Zivilprozessordnung einen eleganten Salto rückwärts
gemacht und in diesen Streitpunkten Kompromisse mit
der Opposition gesucht? Bei den Beratungen über die Justizreform hat es bei den Berichterstattergesprächen auch
zunächst geheißen, alles bleibe so wie im alten Entwurf,
nichts werde geändert. Die Berufung von den Eingangsstufen direkt zum Oberlandesgericht werde festgezurrt. Aber dann wurde darauf hingewiesen, dass
dadurch die Amtsgerichte und die Landgerichte gefährdet
würden, und siehe da: Die gesammelte Kompetenz von
Richtern, Anwälten und vernünftigen Rechtspolitikern
hat Sie, Frau Herta Däubler-Gmelin, zur Einsicht gebracht.
Es wäre ein Segen gewesen, wenn der gesammelte
Sachverstand der Haus-, Wohnungs- und Grundeigentümer, der Wohnungsverbände, der Bauverbände, des
Deutschen Städtetags, der Sparkassen und Banken und
des großen Teils der Mietvereine, die den Gesetzentwurf
in der Anhörung mit deutlicher Mehrheit verurteilten, von
Ihnen, Frau Ministerin, und Ihnen, meine Damen und
Herren von der Regierungskoalition, berücksichtigt worden wäre. Aber nein, Sie mussten mit dem Kopf durch die
Wand ein Gesetz durchpeitschen! Und wenn wir beraten
wollen, nennen Sie, lieber Herr Hartenbach, das Zeitdiebstahl. Das zeigt doch einen gewissen Mangel an Demokratieverständnis.
({7})
- Na ja, was Sie heute Morgen gebracht haben, Herr
Hartenbach, war - um es vorsichtig auszudrücken - auch
nicht gerade der Weisheit letzter Schluss.
Sie mögen glauben, dass Ihr Gesetz mieterfreundlich
sei, doch Sie erweisen den Mietern einen Bärendienst,
denn irgendwann werden aufgrund der Investitionsrückstände für Mietwohnungsbau die Wohnungen wieder
knapper und die Mieten steigen. Dann hat der Mieter das
Nachsehen. Kurzfristig mag das zwar ein Vorteil für Eigentümer sein, bei weitem aber kein Ausgleich für die
Eingriffe in das Eigentumsrecht. Sie betreiben eine absolut verfehlte Mieter- und Vermieterpolitik. Der Kanzler,
der sich gern wirtschaftsfreundlich nennt, gibt dem linken
Flügel wieder einmal ein paar sozialistische Brosamen,
um Teile der SPD ruhig zu stellen
({8})
und um die Grünen, die er sonst als lästigen Wurmfortsatz
behandelt, zu beruhigen.
({9})
Die eigentumsfeindliche Politik der Regierung zeigt
sich aber auch an dem zurzeit im Vermittlungsausschuss
behandelten Rentengesetz. Jeder weiß, dass Haus- und
Wohnungseigentum der beste Garant ist, die staatliche
Altersrente aufzubessern. Deswegen kann es nicht richtig sein, dass staatliche Zuschüsse zur privaten Altersvorsorge für Haus- und Wohnungserwerb nur dann zulässig
sind, wenn der Betroffene sein Haus oder seine Wohnung
mit Eintritt des Rentenalters einer Bank übereignet, damit
er von dieser eine zusätzliche Rente erhält. Haus- und
Wohnungseigentum fängt mit Bausparen an. Wer - oft mit
viel Eigenleistung - gebaut hat, ist stolz darauf, wenn das
Haus einmal abbezahlt ist und oft sogar noch verbessert
und renoviert werden konnte. Dann soll er als Eigentümer
dieses Haus einer Bank überschreiben und im Alter nicht
mehr in seinen eigenen vier Wänden wohnen! Das, meine
Damen und Herren von der Regierungskoalition aus SPD
und Grünen, können Sie mit uns nicht machen. Insbesondere Häuslebauer in Süddeutschland, aber auch alle anderen Wohnungseigentümer im Bundesgebiet werden das
nicht mitmachen.
({10})
- Das ist letztlich nur die Fortsetzung und Ergänzung dieses negativen Mietrechtsreformgesetzes.
Die bisherigen gesetzlichen Bestimmungen gewähren
dem Ehegatten und den Kindern ein Recht zum Eintritt
in das Mietverhältnis und durch die Rechtsprechung
wurde dieses Recht auch schon auf den Lebenspartner
ausgedehnt. Davon wurde bisher der gleichgeschlechtliche Lebenspartner ausgenommen. Nach Verabschiedung
des Lebenspartnerschaftsgesetzes hätte es einer einfachen, aus einem Satz bestehenden Ergänzung des Mietrechts bedurft, um auch den gleichgeschlechtlichen Lebenspartnern dieses Eintrittsrecht zukommen zu lassen.
Sie erweitern aber - und das ist das Schlimme daran - die
Eintrittsmöglichkeit für unbeschränkt viele Personen oder
Personengemeinschaften, wenn sie denn nur einen „auf
Dauer angelegten gemeinsamen Haushalt“ führen. Dabei
ist für den Vermieter nicht mehr überschaubar, ob und
wann er in die Lage kommt, zu erkennen, wer zu welchem
Zeitpunkt mit wem einen gemeinsamen Haushalt führt.
Warum Sie auf diesen für den Wohnungsbau als Horrorvorschriften geltenden Bestimmungen beharrlich bestehen, bleibt unverständlich, nachdem Sie doch auch andere
vernünftige Vorschriften in die Beratung aufgenommen
haben.
In diesem Zusammenhang denke ich besonders - ich
betone, dass wir das unterstützen - an den neuen
§ 554 a BGB, in dem der Mieter vom Vermieter bauliche
Veränderungen verlangen kann, die für eine behindertengerechte Nutzung der Mietsache oder deren Zugang erforderlich sind. Das geschieht natürlich auf eigene Kosten
und gegebenenfalls nur gegen eine angemessene Sicherheit für die Wiederherstellung des alten Zustandes,
aber unter Zugrundelegung der Abwägung der Interessen
von Mieter und Vermieter.
Ich wünsche mir, Herr Professor Pick - sehr geehrter
Herr Staatssekretär, das ist Ihr Spezialgebiet -, dass in das
Wohnungseigentumsgesetz eine entsprechende Bestimmung aufgenommen wird, damit ein Wohnungseigentümer von der Wohnungseigentümergemeinschaft die
Zustimmung zu solchen behindertengerechten Einrichtungen verlangen kann, ohne langfristige Auseinandersetzungen mit uneinsichtigen Wohnungseigentümern
führen zu müssen. Noch besser wäre es, Herr Pick, wenn
wir heute den § 554 a BGB geringfügig wie folgt ändern
würden: „Der Mieter kann vom Vermieter, und wenn die
Wohnung eine Eigentumswohnung ist, auch von der EiDr. Wolfgang Freiherr von Stetten
gentümergemeinschaft, die Zustimmung zu baulichen
Veränderungen oder sonstigen Einrichtungen verlangen...“ Entsprechende einfache Änderungen im Hinblick
auf Wohnungseigentum wären auch hinsichtlich der anderen Bestimmungen des § 554 a BGB notwendig. Das wäre
eine sinnvolle Sache, mit der wir etwas erreicht hätten.
Schade, dass für die im Streit befindlichen Themen
keine vernünftigen Regelungen gefunden wurden - erstens, weil Sie das nicht wollten, und zweitens, weil Sie
uns keine Zeit dazu gelassen haben! Wir lehnen dieses
Gesetz ab, weil es mieter- und vermieterunfreundlich ist
und Wohnungsbauinvestitionen für die Zukunft erschwert. Schade, die Chance für ein modernes, zukunftsweisendes Mietrecht ist damit vertan. Sie allein tragen daran die Schuld.
({11})
Das Wort hat
jetzt die Bundesministerin Herta Däubler-Gmelin.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich freue mich in der Tat, dass der Deutsche Bundestag
heute mit der zweiten und dritten Lesung des Gesetzentwurfs zur Mietrechtsreform seine Beratungen zu diesem
sehr wichtigen Rechtsgebiet abschließt. Ich danke all denen - lassen Sie mich das am Anfang sagen -, die in den
vergangenen Monaten und Jahren kooperativ mitberaten
haben.
({0})
Ich glaube, dass wir heute einen guten und wichtigen
Schritt tun; denn eine Reform des Mietrechts ist seit Jahrzehnten überfällig; diese Reform - das unterstreichen alle
Verbände - ist wirklich nötig. Dieser Gesetzentwurf enthält sehr viele sehr vernünftige Regelungen, die gerade
das gute Miteinander zwischen den Mietern und den Vermietern sowie die Unterstützung der Wohnungswirtschaft
fördern, ein Miteinander, das alle wollen und das wir diesem Gesetz als Leitbild vorangestellt haben.
({1})
Dass das so ist - jetzt wende ich mich der Opposition
zu -, wissen Sie genau. Wir waren an unzähligen Diskussionen mit Ihnen beteiligt und wir haben mit vielen Experten von Ihnen Einzelgespräche geführt. Dass Sie als
Opposition hier wieder einmal ein ganz erstaunliches
Getöse veranstalten, sozusagen einen Rauchvorhang
hochziehen, steht dem gar nicht entgegen. Ich finde es nur
ein bisschen schade, dass Sie an Ihrer Linie der Blockade
und des Neins festhalten, weil Sie damit zeigen, dass Sie
die letzten 16 Jahre noch nicht abstreifen konnten. Es ist
wichtig, dass wir in der Öffentlichkeit nochmals klarmachen, dass die angemessenen, die guten, die ausgewogenen und die modernen Lösungen, die dieses Mietrecht in
sich vereinigt, allen nützen.
({2})
Dieses Mietrecht ist für die Mieter und für die Vermieter gut, weil wir den Mieterschutz da stärken, wo es dringend erforderlich ist, weil wir die Vertragsfreiheit da ausbauen, wo es der Markt wirklich zulässt, zum Beispiel bei
Staffelmieten, bei Indexmieten und auch beim Zeitmietvertrag, und weil wir nicht nur das Miteinander der Mieter und der Vermieter, sondern auch das der Verbände fördern, lieber Herr Funke. Anders als Sie setzen wir nicht
auf eine Klientel und nicht auf einen Verband; vielmehr
reden wir mit allen und wir bitten alle mehrfach, uns ihre
Probleme und ihre Interessen mitzuteilen. Der Deutsche
Bundestag und die Bundesregierung haben nicht die Aufgabe, Politik zugunsten irgendeiner Klientel zu betreiben;
Aufgabe ist vielmehr, das Gemeinwohl zu fördern. Das
tun wir.
({3})
Das Miteinander zwischen den Vermieterverbänden
und den Mieterverbänden stärken wir gerade durch die
Regelung des Mietspiegels. Eigentlich wissen auch Sie
das. Ich würde Ihre gut gemeinten und liebenswürdigen
Ratschläge im Grunde sehr gerne annehmen, weil ich Sie
- Sie wissen das, Herr Funke - menschlich schätze. Aber
es wäre natürlich gut, wenn Sie ein bisschen mehr von zutreffenden Informationen ausgingen.
Ich möchte als Beispiel das Vorkaufsrecht nennen.
Warum sagen Sie nicht, dass es für die Ausübung des Vorkaufsrechts des Mieters bisher nicht der Schriftform bedurfte? Dank der 16 Jahre Ihrer verantwortungsvollen Politik ließen die bisherigen Regelungen auch die mündliche
Ausübung zu. Wir haben zum Schutz der Mieter die
Schriftform eingeführt. Nun behaupten Sie, das sei nicht
in Ordnung. Ihre Regelung war nicht in Ordnung!
({4})
Was wir tun, ist mieterfreundlich.
Wenn Sie jetzt sagen: „Jawohl, es sollte eigentlich noch
eine zusätzliche Beratung durch Notare geben“, dann entgegne ich Ihnen: Auch das ist in Ordnung.
({5})
Aber durch eine freiwillige Beratungstätigkeit stehen die
Notare im Wort. Das ist gut so.
Anstatt ehrlichkeitshalber zu sagen: „Jawohl, es war
falsch, dass wir in unserer Verantwortung die mündliche
Ausübung vorgesehen haben, und wir stimmen jetzt der
Schriftformregelung zu“, erzählen Sie den Menschen, wir
wären in dieser Frage nicht für den Mieterschutz. Sie wissen doch ganz genau, dass das nicht stimmt.
Lassen Sie mich einen zweiten Punkt herausgreifen
- jetzt wende ich mich an Sie, lieber Herr Repnik -: Ich
weiß ganz genau, dass Sie an anderer Stelle immer wieder
Wert darauf legen, zu sagen, dass auch die Opposition
- manchmal tun Sie sogar so, als könnten Sie uns darin
übertreffen, aber das ist nicht der Fall - für den Schutz der
Familien sei, und zwar gerade für den Schutz der Familien, die in Ballungsräumen leben, wenig Geld haben,
aber für sich und ihre Kinder eine geeignete Wohnung
brauchen. Wir sagen jetzt: Gerade für diese Familien - ob
in Stuttgart, Frankfurt oder München - setzen wir die
Kappungsgrenze herab. Was höre ich dazu von Ihnen?
Sie sprechen von Eigentumsfeindlichkeit. Herr Repnik,
dies ist nahezu zynisch. Gestatten Sie, dass ich Ihnen das
sage.
({6})
Wenn man für Familienpolitik ist, muss man auch dafür
sein, die Familien zu schützen. Wir werden sehr genau
schauen - es wird nachher eine namentliche Abstimmung
geben -, wo Sie persönlich stehen.
({7})
Im Rahmen der Förderung von Familien müssen wir
den Schutz gerade für Familien mit niedrigem Einkommen in Ballungsräumen verstärken.
({8})
Genau dies schreiben das Bundesverfassungsgericht und
unsere Verfassung vor. Wenn Sie nicht mitmachen, werden wir dies den Familienverbänden erzählen müssen.
({9})
Mir wäre viel lieber, Sie würden mitmachen. Sie können
sich ja noch überlegen, ob Sie es nicht doch noch tun.
({10})
Aber beides geht nicht, nämlich einerseits hier zu erklären, dies sei eigentumsfeindlich, und andererseits zu
sagen, Sie seien für die Familien. Das passt nicht zusammen.
({11})
Das Gleiche ist bei den alten Menschen der Fall. Die
Bürgermeisterin aus Regensburg, Frau Anke - ich glaube,
sie ist Mitglied der CSU -, schrieb mir schon vor Jahren,
als wir angefangen haben, darüber nachzudenken, wie wir
Menschen, die ins Altenheim müssen, helfen oder Menschen, die umziehen müssen, ihre Flexibilität erhalten
können - übrigens „neue Mitte“, meine Damen und Herren -, sie sei wirklich dankbar, dass sich nach 16 Jahren,
in denen sie von der Regierungskoalition aus CDU/CSU
und F.D.P. dazu nichts gehört habe, endlich jemand um
diese Menschen kümmere. Ich habe ihr gesagt: Wir tun
das. Und das machen wir auch.
({12})
Wir wissen ganz genau, dass die asymmetrische Kündigung vielen hilft. Wir wissen auch, dass sie Mietern
nicht schadet, weil sich anständige Vermieter auch heute
schon nicht auf den noch geltenden Rechtszustand berufen, sondern gemeinsam mit ihren Mietern eine vernünftige Regelung treffen. Diese vernünftigen und fairen Vermieter nehmen wir zum Vorbild. Diese vernünftigen Vermieter - das sage ich Ihnen - sind das Leitbild unserer
Mietrechtsreform.
({13})
Dass Sie wieder dagegen sind, wird vom Deutschen Städtetag - Sie haben diese Organisation vorhin erwähnt - genauso kritisiert wie von den Menschen, die sich ganz besonders um alte Menschen kümmern. Wir werden auch
hier ganz genau schauen, wo Sie stehen. Denn es passt
nicht zusammen, wenn Sie die Behauptung aufstellen,
man wolle alten Menschen helfen, dann aber gegen unser
Mietrechtsreformgesetz sind.
({14})
Jetzt komme ich zum dritten Punkt, nämlich zu den Behinderten. Lieber Herr von Stetten, es hat mich natürlich
sehr gefreut - übrigens auch das, was Sie gesagt haben,
Herr Funke -, dass Sie erklärt haben, der Grundsatz der
Barrierefreiheit werde von Ihnen akzeptiert und unterstrichen. Aber wer diesen Grundsatz akzeptiert und unterstreicht, der muss unserem Mietrechtsreformgesetz zustimmen.
({15})
Man kann nicht sagen, man sei für die Behinderten, aber
gegen das Mietrechtsreformgesetz.
({16})
Deswegen sage ich Ihnen: Diese Form der Meisterschaft der gespaltenen Zungen machen wir nicht mit.
({17})
Wenn Sie hier Opposition machen und Nein sagen wollen,
tut uns das Leid,
({18})
weil wir Ihnen genau wie in anderen Bereichen Beratung
und Kooperation anbieten.
({19})
Wenn Sie aber nicht darauf eingehen wollen oder meinen,
Sie könnten nur dann Ja sagen, wenn Ihre einseitige Klientelpolitik fortgeschrieben wird,
({20})
werden wir dies nach außen deutlich machen. Ich sage Ihnen auch, dass die Menschen das nicht akzeptieren werden.
({21})
Frau Ministerin,
gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten
Ostrowski?
Gerne.
Bitte.
Frau Ministerin, ich
habe eine Frage zur Barrierefreiheit. Ihre Rede und auch
die Beiträge anderer Abgeordneter haben etwas anders
geklungen als das, was im Gesetz steht. Im Gesetz steht
nämlich erstens, dass der behinderte Mieter vom Vermieter die Zustimmung zu einem bedarfsgerechten Umbau
verlangen kann, wenn er ein berechtigtes Interesse nachweisen kann. Zweitens kann der Vermieter die Zustimmung verweigern, wenn sein Interesse das Interesse des
behinderten Mieters überwiegt. Drittens müssen auch die
anderen Mieter in dem Haus gefragt werden, ob sie mit
dem Umbau einverstanden sind. Viertens geht es um eine
angemessene Leistung des behinderten Mieters und um
den Abbau der baulichen Veränderungen, wenn er auszieht.
Denken Sie nicht, dass man diese Punkte in den Reden
konkret ansprechen sollte, damit behinderte Menschen
nicht in der Illusion leben, für sie könnte es die totale Barrierefreiheit geben?
({0})
Liebe Frau Ostrowski, ich glaube, dass Sie in der
Sache Unrecht haben; denn selbstverständlich gilt auch
hier, dass ein ausgewogener Interessenausgleich erforderlich ist. Wenn Sie einmal so freundlich wären, sich mit den
einzelnen Fällen, die zum Teil schon vom Bundesverfassungsgericht entschieden wurden, auseinander zu setzen,
dann würden Sie sehen: Unser Gesetzentwurf wird sowohl der Lage der Mieter als auch der Lage der Vermieter gerecht.
({0})
Ich teile im Übrigen die Auffassung von Frau von
Renesse, dass wir uns einer Korrektur, wenn sie sich in der
Praxis als notwendig erweisen sollte - ich vermute aber,
dass dieser Fall nicht eintritt -, nicht widersetzen sollten.
Auch wenn die rechte Seite des Hauses nicht zustimmen
will, so verbindet uns doch das Ziel, für die Behinderten
bessere Integrationsmöglichkeiten zu schaffen. Dieses
Ziel spiegelt sich auch im neuen Mietrecht wider.
({1})
Die neuen Regelungen sind auch gut für die Modernisierung und für Investitionen, weil wir - das will ich einmal feststellen; es ist noch nicht zum Ausdruck gekommen - einen großen Teil unnötiger Bürokratie abbauen.
Meine Damen und Herren von der Opposition, diese
Bürokratie hätten Sie schon in den vergangenen 16 Jahren
abbauen können. Das wäre gut gewesen.
Wir erweitern auch die Möglichkeit, die Kosten für
die Modernisierung umzulegen. Wir sind außerordentlich ökologisch orientiert, weil wir ganz genau wissen,
dass Vermieter und Mieter ein gemeinsames Interesse an
modernen Wohnungen haben, die nach ökologischen Gesichtspunkten ausgerichtet werden.
Die Regelungen, die wir jetzt treffen, sind nicht nur
gut, sondern auch klar. Ich bedanke mich bei allen, auch
bei den Rednern aus den Reihen der Opposition - ich
weiß, es ist schwer, über den eigenen Schatten zu springen -, die sich lobend über die Klarheit und die
Verständlichkeit der Regelungen geäußert haben, was
berechtigt ist. Wir haben heute etwa 300 000 Prozesse, die
sich mit Mietstreitigkeiten befassen.
({2})
Auch das ist ein Ergebnis der letzten 25 Jahre, in denen es
nicht möglich war, eine vernünftige Mietrechtsreform zustande zu bringen. Wir wollen die Zahl der Mietprozesse
deutlich senken. Wir nehmen an, dass das nach einer
gewissen Anlaufzeit gelingen kann.
({3})
Sie haben übrigens so getan - über diesen Punkt muss
man in der Tat reden -, als bräuchte man für den Bereich
der Schönheitsreparaturen dringend neue Regelungen.
Ich weiß aus vielen Gesprächen mit Ihnen und auch aus
Gesprächen mit Verbänden, dass Neuregelungen von der
Sache her nicht erforderlich sind. Die Schönheitsreparaturen sind nämlich heute schon ausreichend geregelt. Wir
haben gerade in diesem Bereich eine Rechtsprechung,
über die ich von keiner Seite Kritik gehört habe. Deswegen wollen wir die Schönheitsreparaturen jetzt gesetzlich
nicht neu regeln. Warum sollten wir dies tun, wenn doch
alle ihre Zufriedenheit mit dem jetzigen Zustand deutlich
zum Ausdruck gebracht haben?
({4})
Wenn wir das getan hätten, hätten Sie uns - da bin ich
mir ganz sicher -, Regelungswut vorgeworfen.
({5})
Ich möchte deswegen festhalten: Die Regelungen, die wir
zu den Schönheitsreparaturen haben und die ein mieterfreundliches Leitbild enthalten, halten wir für richtig. Wir
wollten sie nicht ändern, niemand wollte sie ändern, und
deswegen haben wir sie nicht geändert.
({6})
Lassen Sie mich noch auf das Thema Nebenkosten zu
sprechen kommen. Die Höhe der Nebenkosten kann man
mit dem Mietrecht leider nicht verändern. Wir haben das
getan, was man in diesem Zusammenhang machen
konnte: Wir haben die Transparenz erhöht. Durch die
Berücksichtigung des Grundsatzes der Verbrauchsabhängigkeit geben wir den Mietern mehr Einfluss. Diese Tatsache ist wichtig. Das trägt zu meinem Gesamturteil bei,
dass dieses Gesetz notwendig und vernünftig ist, den Mieterschutz von Familien, alten Menschen, Behinderten und
Leuten, die umziehen müssen, erhöht, die Vertragsfreiheit
ausbaut und die Zusammenarbeit zwischen den Mietern
und den Vermietern sowie zwischen ihren Interessenorganisationen stärkt. Es hilft schließlich der Wohnungswirtschaft.
Sie haben nun noch eingewandt, wir hätten die Verwertungskündigung im Osten zulassen sollen. Darüber
haben wir in der Tat lange geredet. Es sollte aber nicht einfach so im Raum stehen bleiben, dass dieser Sachverhalt
ungeregelt und die Nichtzulassung deswegen ungerechtfertigt sei. Sie wissen ganz genau, dass von den CDU-geführten Regierungen im Osten - wenn nicht, dann fragen
Sie bitte bei denen nach - mehr Einwendungen gegen als
Unterstützung für eine Änderung gekommen sind. Ich
möchte noch einmal sehr deutlich sagen: Mit gespaltener
Zunge zu reden macht auch hier keinen Sinn. Ich glaube,
wir können hier festhalten, dass solche Missbrauchsfälle,
wie Sie sie geschildert haben, heute von den Gerichten unter Bezugnahme auf das so genannte berechtigte Interesse
sehr wohl unterbunden werden können und damit allen
gedient ist. Wir können somit sagen: Missbrauchsfälle
dulden wir tatsächlich nicht.
({7})
Lassen Sie mich zusammenfassen: Es handelt sich um
gute Regelungen. Sie müssen sich entscheiden: Wenn Sie
für die Familien, die alten Menschen und die Behinderten
sind,
({8})
dann müssen Sie zustimmen. Wenn Sie das nicht tun,
heißt das ganz klar, Sie wollen diese Regelungen nicht unterstützen.
Am Ende dieser Beratungen will ich all denen ganz
herzlich danken, die in den letzten Jahren und Monaten
mitgearbeitet haben: auf Länderseite insbesondere Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen, auf Ministeriumsseite den Mitarbeitern nicht nur im Bundesministerium
für Justiz, sondern auch im Wohnungsbauministerium.
Ich sehe hier die Staatssekretäre Großmann und Pick;
beide haben sich außerordentlich stark engagiert.
({9})
Ich bedanke mich bei allen Verbänden, die uns in zahlreichen Runden ihre Sorgen und Wünsche mitgeteilt haben.
Ich darf stellvertretend, weil ich sie hier sehe, der Präsidentin des Deutschen Mieterbundes danken. Sie hat übrigens mit Unterstützung und Kritik - ob berechtigt oder
nicht - nicht gespart. Ich bedanke mich auch sehr bei den
Kolleginnen und Kollegen aus den beratenden Ausschüssen, aus dem Wohnungsbau-, dem Wirtschafts- und insbesondere dem Rechtsausschuss. Ich glaube, das Gesetz
ist gelungen. Ich freue mich, dass es am 1. September in
Kraft treten kann.
Herzlich Dank.
({10})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Eduard Lintner.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Frau Minister, ich halte es für zu oberflächlich, wenn Sie unsere Position mit einem „Rauchvorhang“ vergleichen. Etliche Redner haben Ihnen ja konkret anhand der Bestimmungen, die Sie ändern wollen,
belegt, dass dieses Gesetz tatsächlich gegen das Gebot
der Ausgewogenheit verstößt. Dieses Argument kann
nicht so ohne weiteres und leichthin, wie Sie es getan haben, vom Tisch gewischt werden.
Auch die Art des Umganges mit diesem Sachverhalt,
der ja für uns alle von großer Bedeutung ist, ist ein Beweis
dafür, dass Sie bei den Beratungen nach der Devise gehandelt haben: Augen zu und durch, denn wir haben uns
gegenüber einer bestimmten linken Klientel zu etwas verpflichtet, was wir jetzt tatsächlich auch vollziehen müssen.
({0})
Ich muss Ihnen auch sagen - das gilt eigentlich für die
ganze Debatte -, dass von Ausgewogenheit, die Sie für
sich immer verbal in Anspruch nehmen, nur theoretisch
gesprochen werden kann. In der Sache handeln Sie einseitig. Das ist an vielen einzelnen Punkten belegt worden.
Meine Damen und Herren, es steht fest: Das Mietrecht
regelt nicht nur einen sehr sensiblen wirtschaftlichen Bereich, sondern ist auch für den allgemeinen Rechtsfrieden in der Gesellschaft von außerordentlich großer
Bedeutung. Deshalb waren wir stets bemüht, das Gebot
der Ausgewogenheit zwischen den Interessen der Mieter
und denen der Vermieter nicht zu verletzen. Dies haben
wir als ein hohes politisches Gut empfunden; denn nur so
kann ein ausreichender Anreiz für Investoren, im Mietwohnungsbau Geld anzulegen, geschaffen werden. Das
bestätigen uns alle Fachleute. Nur Sie von der Koalition
wollen es einfach nicht wahrhaben und glauben.
({1})
Dabei sprechen doch die Erfolge für uns. Denn es ist
damit gelungen, in den meisten Städten und Gemeinden
unseres Landes bei den Mietwohnungen das Verhältnis
zwischen Angebot und Nachfrage insbesondere im Interesse der Mieter ins Lot zu bringen. Aber Sie treiben ein
echtes Spiel mit dem Feuer, übrigens letztlich auf Kosten
der Mieter, wenn die Regierungskoalition diese Mietrechtsänderung jetzt durchpauken will. Denn Sie verlassen dabei den Pfad der Ausgewogenheit und schieben die
Interessen der Mieter kontraproduktiv für alle, auch für
die Mieter, in den Vordergrund.
Dazu nur drei krasse Beispiele:
Der neue, so genannte qualifizierte Mietspiegel ist
teuer und wird eine stete Quelle für Streit sein,
({2})
schon deshalb, weil es die von Ihnen als allgemein anerkannt dargestellten wissenschaftlichen Begründungen in
der Praxis gar nicht gibt.
({3})
- Natürlich.
Außerdem schaffen Sie ein für Ideologen in der Kommunalpolitik verführerisches neues Betätigungsfeld und
hebeln damit gleichzeitig bewährte Instrumente, wie den
einfachen, gemeinsam von Vermietern und Mietern erstellten Mietspiegel, praktisch aus.
Besonders pikant finde ich dabei, dass die Erarbeitung
und ständige Aktualisierung des qualifizierten Mietspiegels sehr aufwendig und teuer sein wird. Diese völlig
überflüssigen Kosten werden nach aller Marktwahrscheinlichkeit von den Mietern zu tragen sein, oder die
Kommunen bleiben darauf sitzen und werden Mittel und
Wege finden, um sich das Geld bei den Leuten wiederzuholen.
({4})
Durch die neuen asymmetrischen Kündigungsfristen wird glatt negiert, dass es vergleichbare Zwangslagen
wie beim Mieter auch beim Vermieter jederzeit geben
kann. Gerade darin sieht - gestern hat er es Ihnen über die
seriösen Tageszeitungen noch einmal mitgeteilt - der
Präsident des Verbandes deutscher Hypothekenbanken
einen wichtigen Grund für die weiter rückläufigen Investitionen im Mietwohnungsbau, so gestern wörtlich nachzulesen.
Letztes Beispiel ist die Streichung der erleichterten
Kündigungsmöglichkeit beim vom Vermieter selbst bewohnten Dreifamilienhaus. Hier sehen Sie eine Regelung
vor, die den verfassungsrechtlich gebotenen hochrangigen Vertrauensschutz gröblich verletzt - eine Quelle für
Verfassungsstreitigkeiten, kann ich Ihnen nur sagen.
({5})
Die Beispiele mögen genügen. Wir haben Sie gewarnt,
aber eben nicht nur wir. Wenn Sie auf uns schon nicht
hören wollen, dann doch bitte auf die Warnungen der Forschungsinstitute und des Sachverständigenrats. Beide machen für den unerwartet deutlichen Rückgang des Wohnungsbaus in diesem Jahr um sage und schreibe 3,3 bis
3,5 Prozent auch die Diskussion - so wörtlich - um die geplante Mietrechtsreform verantwortlich, wohlgemerkt:
die geplante. Ihre Vorlage stellt aber eine weitere Verschlechterung für die Vermieter dar. Das muss und wird
diesen Abwärtstrend noch verstärken.
({6})
Im Übrigen, Frau Ministerin: Was Sie zur Familie gesagt haben, kann eigentlich nur als blankes Lippenbekenntnis bezeichnet werden.
({7})
Denn wenn man bedenkt, dass gerade die Familien unter
den Preissteigerungen sozusagen azyklisch zu leiden hatten - insgesamt sind die Mietpreise ja gesunken, nur die
Familien zahlen nach der Statistik für die Warmmiete
heute 4 Prozent mehr, weil Sie sie über die Energiesteuer
und die Ökosteuer zusätzlich ohne Ausgleich belastet haben -,
({8})
dann können Sie sich nicht hier hinstellen und so tun, als
seien die Familien Ihr besonderes Anliegen.
({9})
Sie riskieren mit Ihren neuen Regelungen - das ist Ihnen zu vielen Punkten bereits gesagt worden - auch nach
Meinung der Fachleute, dass das Interesse an Investitionen im Mietwohnungsbau noch mehr nachlässt. Zusätzlich belasten Sie die Bereitschaft noch durch Diskussionen über den Wegfall der Investitionszulage für den
Mietwohnungsneubau oder durch die neueste Diskussion
über eine Erhöhung der Erbschaftsteuer. Experten sagen
Ihnen deshalb voraus, dass zum Beispiel der Mietwohnungsbau in der Form des Mehrfamilienhauses demnächst auf unter 100 000 Wohneinheiten fallen wird. Die
Zahl der Baugenehmigungen, die vorliegen, bestätigt uns
das.
Meine Damen und Herren, aus alldem folgt - ich fasse
mich jetzt kurz, weil meine Redezeit davonläuft -, was
der Kommentator in der Tageszeitung „Die Welt“ am
Dienstag vorhergesagt hat: Die Folgen werden zwar erst
in einigen Jahren sichtbar werden, aber sie werden in einer neuen Wohnungsnot bestehen. Damit provozieren Sie
mittelfristig, dass der heute überwiegend anzutreffende
Mietermarkt zu einem Vermietermarkt wird. Das Kaputtmachen des Mietermarktes aber bedeutet, dass durch die
Macht des Faktischen der Mieterschutz, den sie dieser
Klientel mit warmen Worten verkaufen wollen, letztlich
leer läuft.
Vielen Dank.
({10})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Alfred Hartenbach. Er ist, soweit
ich es sehe, der letzte Redner in dieser Debatte. Auch
wenn Sie alle auf die namentliche Abstimmung warten,
bitte ich Sie, den Geräuschpegel etwas zu dämpfen.
Frau Präsidentin, ich bedanke mich sehr herzlich für Ihre Unterstützung.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Nach der heutigen Debatte haben wir festzustellen, dass auf der rechten
Seite des Hauses die Stunde der reuigen Sünder geschlagen hat, denn alle haben ihre Sünden bekannt: Funke, dass
er in acht Jahren nichts geschafft hat, von Stetten, Pofalla,
Kansy und nun auch Herr Lintner, dass sie in den Jahren
seit der deutschen Vereinigung nichts geschafft haben.
({0})
Sie haben alles uns überlassen und wir übernehmen
diese Last gerne; denn wir wissen, dass wir jetzt ein Mietrecht geschaffen haben, das man mit Fug und Recht mit der
Headline überschreiben kann: optimiert und austariert.
({1})
Es ist optimiert, weil wir all das, was dringend notwendig
war, in einem Gesetz zusammengefasst haben. Das haben
Sie nicht geschafft. Es ist austariert, weil wir sowohl den
berechtigten Interessen der Mieter als auch den wohlverstandenen Interessen der Vermieter entgegengekommen
sind und beide Interessen zum Ausgleich gebracht haben.
Wir könnten es natürlich so machen, wie es die F.D.P.
will, indem wir ein Gesetz beschließen, das ausschließlich
an marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten orientiert ist.
Das wäre Ihre Masche, aber das ist mit uns nicht zu machen.
({2})
Wir könnten es auch so machen, wie es die PDS will, indem wir eine dunkelrote, altsozialistische Romantik pflegen. Auch das geht nicht, denn wir müssen hier die Interessen der Vermieter mit bedenken.
({3})
Wir könnten es natürlich auch so machen, wie es die
CDU/CSU will, die ein Sammelsurium aller möglichen
Vorschläge unterbreitet, dabei aber keinen hat, der eine
nähere Betrachtung wirklich verdient.
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, das Mietrecht hat neben der sozialromantischen und der marktwirtschaftlichen eine ganz wichtige Funktion: eine soziale Regelungsfunktion für, wie ich eben gehört habe,
60 Millionen Menschen, die entweder Vermieter oder
Mieter sind. Diese Funktion ist deshalb so wichtig, weil
sie das Zusammenleben von Mieter und Vermieter regelt.
Wir wissen doch, dass die Mehrheit der Mietverhältnisse
vernünftig und ordentlich funktioniert. Aber das Mietverhältnis kann sowohl für den Vermieter zur Hölle werden,
wenn er einen Mieter hat, der ihm ständig in die Quere
kommt, als auch für den Mieter zu einer schlimmen Hölle
werden, wenn er nicht sicher sein kann, ob und unter welchen Bedingungen er in der Wohnung leben kann. Mit unserer Neuregelung sorgen wir dafür, dass es dazu nicht
kommt.
({4})
Wir haben dabei genau das richtige Maß getroffen. Die
Mieter haben eine Sicherheit, dass sie in ihrem Lebensumfeld bleiben können, so lange sie wollen und so lange
sie nicht gegen Verträge verstoßen. Die Vermieter haben
eine Sicherheit, dass mit dem von ihnen geschaffenen
Wirtschaftsgut, welches sie zur Verfügung stellen, sorgsam umgegangen wird.
Ich kann aufgrund der Kürze der Zeit nicht alle Komponenten herausgreifen, aber ich denke, dies sind die
wichtigsten.
Jetzt möchte ich noch einen Punkt ansprechen, der
meiner Meinung nach auch wichtig ist. Nun können wir
natürlich mit dem neuen Mietrecht nicht in alle bestehenden Mietverträge eingreifen. Dort, wo zum Beispiel hinsichtlich der Kündigungsfrist individuelle Absprachen
zwischen Mieter und Vermieter getroffen worden sind,
wird es uns nicht möglich sein einzugreifen. Dort aber, wo
die Mietverträge als Formelmietverträge lediglich auf die
gesetzlichen Kündigungsfristen Bezug nehmen oder sie
formelhaft wiederholen, wird künftig das neue Mietrecht
gelten. Damit haben wir in diesem Punkt auch wieder eine
wichtige Neuerung geschaffen, dass sich nämlich Mieter
und Vermieter auf diese neuen Bedingungen ab dem InKraft-Treten des Gesetzes einstellen können.
({5})
Nun ist es natürlich keineswegs so, wie meine Vorredner von der Opposition gesagt haben, dass alle diese
Regelung schlecht gemacht hätten. Natürlich hat der
Mietgerichtstag am vergangenen Wochenende in Dortmund in seinen Presseerklärungen von Freitag noch in
Kenntnis des bis dahin noch nicht geänderten Rechts - die
Beteiligten hätten es wissen können, sie wussten es aber
nicht - eine negative Stellungnahme abgegeben, die sich
aber im Verlauf der dort geführten Debatten deutlich
geändert hat.
Wer zum Beispiel gestern beim Jour fixe des Deutschen
Anwaltvereins hier in Berlin gewesen ist, der hat mitbekommen, dass die Redner der dortigen Veranstaltung diesem Mietrecht sehr positiv gegenübergestanden haben.
({6})
Heute haben alle Münchner Abgeordneten, ob von
CSU, F.D.P., Grünen oder SPD - ob das auch für PDSAbgeordnete zutrifft, weiß ich nicht -, einen Brief bekommen, der einen Beschluss des Stadtrates der Stadt
München enthält, der die Münchner Abgeordneten mehrheitlich auffordert, dem neuen Mietrecht zuzustimmen,
weil es gut und richtig ist. Das sollten Sie sich vielleicht
einmal kurz überlegen.
({7})
Nun noch ein letztes Wort zu den Wehklagen der Opposition im Hinblick auf mangelnde Beteiligungsmöglichkeiten. Es ist ja so, dass wir Sie, Herr Funke, Herr
Pofalla, wie anständige Ziehkinder behandelt haben.
({8})
Wir haben Ihnen alle Informationen gegeben, wir haben
mit Ihnen diskutiert.
({9})
- Sie wollten doch gleich am Anfang wieder schmollend
in die Ecke laufen, Herr Funke, wir mussten Sie mühsam
zurückhalten und an den Verhandlungstisch bringen.
Wenn Sie natürlich erwarten, dass wir all das, was wir in
mühsamen Besprechungen untereinander und mit den
Verbänden aufgebaut haben, insgesamt über Bord werfen,
dann ist das auch keine Beratung. Herr Funke, ich erwarte
von Berichterstattergesprächen, dass man aufeinander zugeht. Wenn mir gesagt wird: Wenn ihr das nicht wollt,
werden wir auf jeden Fall Nein sagen, wenn ihr nicht
wollt, werden wir auf keinen Fall zustimmen - so ist es
doch gewesen, Herr Funke -,
({10})
dann hatten wir gar keine anderen Möglichkeiten.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, optimiert und
austariert ist das Gesetz nicht nur im Inhalt; optimiert und
austariert waren auch die Beratungen, und so sind auch
die Auswirkungen des Gesetzes. Glauben Sie doch bitte
nicht, dass die deutsche Bauwirtschaft wegen dieses Gesetzes nun Mangel leiden würde.
({11})
Sie alle haben in der letzten Zeit mannigfaltig Briefe der
Bauinnungen bekommen. Danach krankt es an etwas ganz
anderem.
({12})
Dieses ganz andere - das kann ich hier nicht ausdiskutieren - haben aber allein Sie aus Ihrer Regierungszeit seit
der deutschen Vereinigung zu verantworten.
({13})
Dieses Überbleibsel macht der deutschen Bauwirtschaft
im Moment zu schaffen. Daran werden wir etwas ändern.
Herr Kollege,
jetzt muss ich Sie doch bitten, Ihre Rede zu beenden.
Ich komme zum Ende,
verehrte Frau Präsidentin.
Ich bedanke mich, verehrte Frau Justizministerin, bei
Ihnen und Ihrem Haus sowie bei den Kolleginnen und
Kollegen von der Koalition aus allen beteiligten Ausschüssen sehr herzlich: bei Ihnen für die gute Unterstützung, bei den anderen für die gute Beratung. Bei Ihnen,
verehrte Frau Präsidentin, bedanke ich mich für die Geduld, die Sie mit mir haben.
Vielen Dank.
({0})
Ich schließe damit die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entwurf eines
Mietrechtsreformgesetzes der Bundesregierung auf Drucksache 14/4553. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter
Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/5663 die Annahme des Gesetzentwurfs in der Ausschussfassung. Dazu liegen je ein Änderungsantrag der
Fraktion der F.D.P. und der Fraktion der PDS vor, über die
wir zunächst abstimmen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der
F.D.P., Drucksache 14/5669? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt worden
mit den Stimmen des ganzen Hauses gegen die Stimmen
der F.D.P., die zugestimmt hat.
Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion der
PDS, Drucksache 14/5670? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Auch dieser Änderungsantrag ist abgelehnt
worden mit den Stimmen des ganzen Hauses gegen die
Stimmen der PDS, die zugestimmt hat.
Wer stimmt nun für den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen worden mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
gegen die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. bei Enthaltung der PDS.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung: Die Fraktionen der SPD und des
Bündnisses 90/Die Grünen verlangen namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle
Urnen besetzt? - Dann eröffne ich jetzt die Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat?
({0})
- Jetzt aber schnell!
({1})
Ich schließe jetzt die Abstimmung und bitte die Schrift-
führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu be-
ginnen. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung wird
ihnen später bekannt gegeben.1)
Wir setzen jetzt die Abstimmungen fort. Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen, ich muss Sie bitten, ein bisschen
aufmerksam zu sein.
Wir stimmen jetzt über den Entschließungsantrag der
Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/5668 ab. Wer
stimmt zu? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der
Entschließungsantrag ist mit den Stimmen von SPD,
Bündnis 90/Die Grünen und PDS bei Enthaltung der
F.D.P. gegen die Stimmen der CDU/CSU abgelehnt wor-
den.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Entwurf
eines Mietrechtsvereinfachungsgesetzes der Fraktion der
F.D.P. auf Drucksache 14/3896. Der Rechtsausschuss
empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung
1) Seite 15688 D
auf Drucksache 14/5663, den Gesetzentwurf abzulehnen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der
PDS gegen die Stimmen der F.D.P. bei Enthaltung der
CDU/CSU abgelehnt worden. Damit entfällt nach unserer
Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 3 auf:
Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU
Sofortige Entlassung des Bundesministers für
Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
- Drucksache 14/5573 ({2})
Über diesen Antrag werden wir nachher namentlich abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der
Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU, Friedrich Merz.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Das Verhalten von Herrn Trittin, aber
auch und insbesondere die Diskussion über ihn in der rotgrünen Koalition bestätigen uns in unserer Auffassung:
Dieser Minister muss entlassen werden.
({0})
Er hat sich nach langem Drängen und einigen Tagen für
die persönlich herabsetzenden Beleidigungen beim Generalsekretär der CDU Deutschlands entschuldigt. Um diesen Teil seiner Äußerungen geht es heute auch gar nicht
mehr.
({1})
Heute geht es um die Frage: Welche Grundeinstellung
darf man - wir meinen: muss man - von einem Bundesminister seinem Land, dessen Geschichte, dessen Werten
und dessen Menschen gegenüber erwarten,
({2})
einem Land, dem zu dienen wir alle verpflichtet sind und
dem zu dienen die Mitglieder der Bundesregierung in besonderer Weise verpflichtet sind!
({3})
Die Frage, die sich dabei uns allen stellt, lautet: Dürfen
wir Deutsche über 50 Jahre nach dem Ende des Zweiten
Weltkrieges und über zehn Jahre nach der Wiederherstellung der staatlichen Einheit unseres Landes schlicht ein
wenig zufrieden sein? Dürfen wir auch stolz auf unser
Land sein?
({4})
Darf man dies hin und wieder sogar sagen?
({5})
Ist also das eingekehrt, was Roman Herzog schon vor Jahren angemahnt hat, nämlich einen etwas unverkrampfteren Umgang mit unserer Nation?
({6})
Ich habe mich heute Morgen sehr gefreut, zu lesen, dass
sich in dieser Diskussion, die wir Patriotismusdebatte
nennen, ein großer Mann, ein Schriftsteller, ein harter Kritiker zu Wort gemeldet hat. Walter Jens hat heute in einem
Interview gesagt: „Ja, ich bin stolz auf dieses Land.“
({7})
Wenig später hat er hinzugefügt: „Wir wollen uns doch
bitte nicht diese Begriffe von den Gegnern der Demokratie wegnehmen lassen.“ Er hat Recht.
({8})
Wenn das richtig ist, fragen wir uns: Was geht eigentlich im Kopf eines Mannes vor, der geradezu reflexartig
abwehrend reagiert, wenn irgendwo und irgendwann die
Wörter „deutsch“ oder „Deutschland“ fallen?
({9})
Was geht eigentlich im Kopf eines Mannes vor, der
Gelöbnisfeiern der Bundeswehr in die Nähe des Nationalsozialismus rückt?
({10})
Wie kann man dann als Minister im Kabinett und als Abgeordneter hier im Parlament für den Einsatz im Kosovo
stimmen und von den Soldaten der Bundeswehr verlangen, dass sie notfalls mit ihrem Leben für unser Land und
für den Auftrag eintreten, den wir ihnen hier im Parlament
gegeben haben? Das passt nicht zusammen, Herr Trittin!
({11})
So, wie Sie sich verhalten, und so, wie Sie sich insbesondere den Soldaten der Bundeswehr gegenüber äußern, ist
dies beschämend und eine Zumutung für die Soldaten und
für unser ganzes Land.
({12})
Nun wende niemand ein, hier handele es sich sozusagen um Ausrutscher, um verbale Entgleisungen.
({13})
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Jeder von uns steht täglich in der Gefahr, mit seinen Worten zu übertreiben,
({14})
einmal einen falschen Begriff zu verwenden oder sich
falsch auszudrücken.
({15})
Meine Damen und Herren, Herr Trittin hat im Jahre
1993 ein Buch mit dem Titel „Gefahr aus der Mitte“ veröffentlicht.
({16})
Die zentrale Botschaft dieses Buches fasse ich in einem
Zitat wie folgt zusammen:
Das Ergebnis der ideologischen Offensive von
CDU/CSU und F.D.P. im Gefolge der deutschen Einigung ist unübersehbar: Rassismus ist zum Alltag
({17})
und Wohlstandschauvinismus zum beherrschenden
Ideologem geworden.
({18})
Die Bundesrepublik rutscht nach rechts.
({19})
Diese Rechtsverschiebung ist nicht von verwirrten
Glatzköpfen und reaktionären Greisen am rechten
Rand der Gesellschaft bewirkt worden. Sie ist im
Zentrum der politischen Klasse entwickelt und umgesetzt worden.
({20})
Welche Geisteshaltung kommt eigentlich in solchen
Aussagen zum Ausdruck? Ich sage es noch einmal: Das
sind keine Ausrutscher oder einmaligen Entgleisungen.
Es sind regelmäßig wiederkehrende Wortmeldungen, die
einem zutiefst verwurzelten Freund-Feind-Denken entsprechen.
Damit das an dieser Stelle auch klar wird: In der Demokratie muss es Gegnerschaft geben, auch harte Auseinandersetzungen um wichtige Fragen in der Sache. Aber
die Auseinandersetzungen, die wir hier im Parlament
miteinander austragen, dürfen nie zur Feindschaft werden.
({21})
Ich sage noch einmal, auch auf die Zwischenrufe der SPD:
Wir müssen harte Auseinandersetzungen in der Sache
miteinander austragen. Aber in diesen Wortmeldungen
kommt Feindschaft zum Ausdruck.
({22})
Wir werden es deshalb auch nicht zulassen, dass der Versuch unternommen wird, aus der so genannten Studentenrevolte der Jahre 1968 und 1969 jetzt im Abstand von
mehr als 30 Jahren verklärend und schwärmerisch eine
große Freiheitsbewegung zu machen.
({23})
Die politischen Anführer aus dem SDS
({24})
und den kommunistischen Gruppen an den Universitäten
vertraten einen höchst autoritären politischen Anspruch in
eigener Sache, eben jenen totalitären Absolutheitsanspruch, der den Zusammenhalt in der Demokratie zerstört.
({25})
Wer noch im Jahre 1993 so schreibt, wer 1998 so wie
zitiert über die Bundeswehr redet und wer im Jahr 2001
den Rechtsradikalismus in Deutschland instrumentalisiert, ihn sich selbst zunutze macht im politischen Meinungsstreit der Demokraten, der ist nicht nur eine Gefährdung und nicht nur ein Risiko für Rot-Grün, wie der
Bundeskanzler gesagt hat, der ist ein Risiko für das ganze
Land.
({26})
Die große Mehrheit der Deutschen identifiziert sich
mit ihrer Stadt, mit ihrer Region,
({27})
auch und besonders mit ihrem Land und zunehmend auch
mit Europa.
({28})
Heimat, Vaterland, Nation - das sind keine rechtsextremen Begriffe,
({29})
sondern sie beschreiben ein natürliches Selbstverständnis,
das in Deutschland gelebte Realität ist.
({30})
Wer dies in der tagespolitischen Auseinandersetzung verteufelt, der nimmt den Menschen ein Stück ihrer Identität
und der treibt sie aus der Mitte der Gesellschaft zu den extremen Rändern. Wer deshalb wirklich den Rechtsextremismus bekämpfen will, der darf sich nicht von den demokratischen Werten und von der eigenen Nation
distanzieren,
({31})
der darf sie nicht den Feinden der Demokratie überlassen.
({32})
Erst gemeinsame Identität und emotionale Bindung
schaffen die Bereitschaft, auch etwas für andere zu leisten. Der Stolz auf das Gemeinsame führt zum Verantwortungsgefühl, dieses Gemeinsame zu bewahren. Wir brauchen ein solches Engagement der Bürger, in der Zukunft
vermutlich mehr als je zuvor. Wie sollen wir denn Zuwanderung und Integration ausländischer Mitbürger erfolgreich bewältigen,
({33})
wenn wir mit uns selbst nicht im Reinen sind? Wie können
wir die Erziehung zu Werten und Bürgertugenden stärken,
wenn die vorhandene Identität und das gewachsene Selbstverständnis grundlegend infrage gestellt werden?
({34})
Mit dem notwendigen und unverzichtbaren Einstehen
für die eigene Nation ist keine irgendwie geartete Abwertung anderer Nationen und Völker verbunden. Im Gegenteil: Nur wer sich des Eigenen vergewissert und sich seiner
eigenen Entwicklung und Zugehörigkeit bewusst ist, kann
wirklich weltoffen sein und die Erfahrungen anderer schätzen und integrieren. Deshalb sagen wir: Patriotismus ist eine
positive Kraft für unsere Gesellschaft und für unseren Staat.
({35})
Lassen Sie mich einen Blick auf unsere integrierende
Kraft zur politischen Mitte werfen. Wir werden in wenigen Wochen den 52. Geburtstag unseres Landes begehen.
36 Jahre davon haben CDU und CSU dieses Land erfolgreich regiert.
({36})
Wir sind und wir bleiben auch in Zukunft die zur Mitte hin
integrierenden Volksparteien.
({37})
Wenn es eines Beweises bedurft hätte, dass uns dies gemeinsam mit den Demokraten in Deutschland gelingen
kann, dann war es das Wahlergebnis am letzten Sonntag
in Baden-Württemberg und ist es die Tatsache, dass die
Republikaner aus dem Landtag verschwunden sind.
({38})
So stehen wir zu unseren freiheitlichen und demokratischen Werten. So stehen wir in Zukunft zu unseren
christlichen, sozialen, liberalen und konservativen Wurzeln. Wir stehen damit - anders als es Rot-Grün manchmal wohl gerne hätte - mitten in der Gesellschaft.
({39})
Wir sind dabei auch konservativ;
({40})
denn Werte dauerhaft zu bewahren ist ein zentraler Beitrag zum Erhalt des inneren Zusammenhaltes in unserer
Demokratie. Erst dies schafft das notwendige Vertrauen in
Zeiten schnellen Wandels. Nur wer sich den Sinn für das
Bewährte und das Innovative zugleich bewahrt, kann die
großen Herausforderungen von Globalisierung, Biomedizin, Generationengerechtigkeit, Wandel der Arbeitswelt
bis hin zur Bewahrung von Natur und Umwelt erfolgreich
meistern.
Wir waren als Deutsche einst die verspätete Nation.
Die deutsche Einheit in Frieden und Freiheit hat die lange
virulente nationale Frage beantwortet. Mehr als früher
können wir heute Herkunftsbewusstsein und Zukunftsbewusstsein verbinden. So können wir zur ruhigen Mitte
Europas werden und mit gefestigtem Selbstbewusstsein
weiter am Aufbau Europas mitarbeiten.
({41})
Die Frage nach dem nationalen Selbstverständnis, nach
der eigenen Identität und nach den Werten, die unsere Gesellschaft zusammenhalten, ist deshalb alles andere als
eine Frage der Vergangenheit. Wer zu dieser Haltung nicht
fähig ist, wer so hasserfüllt über Deutschland,
({42})
über seine politischen Institutionen, über den parteipolitischen Gegner und damit auch über die Menschen in unserem Land redet, der kann nicht gleichzeitig Mitglied der
Bundesregierung Deutschlands sein.
({43})
Bevor wir in der
Debatte fortfahren, komme ich auf Tagesordnungspunkt 3 zurück und gebe Ihnen das Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Entwurf des Mietrechtsreformgesetzes bekannt: Es wurden 590 Stimmen
abgegeben, mit Ja haben 309 Abgeordnete und mit Nein
247 Abgeordnete gestimmt. Es gab 34 Enthaltungen. Der
Gesetzentwurf ist damit angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 590;
davon
ja: 309
nein: 247
enthalten: 34
Ja
SPD
Brigitte Adler
Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Dr. Hans Peter Bartels
Eckhardt Barthel ({0})
Klaus Barthel ({1})
Ingrid Becker-Inglau
Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Petra Bierwirth
Rudolf Bindig
Lothar Binding ({2})
Klaus Brandner
Anni Brandt-Elsweier
Willi Brase
Dr. Eberhard Brecht
Rainer Brinkmann ({3})
Bernhard Brinkmann
({4})
Hans-Günter Bruckmann
Edelgard Bulmahn
Ursula Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Hans Büttner ({5})
Marion Caspers-Merk
Wolf-Michael Catenhusen
Christel Deichmann
Karl Diller
Peter Dreßen
Detlef Dzembritzki
Dieter Dzewas
Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Marga Elser
Peter Enders
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Annette Faße
Lothar Fischer ({6})
Iris Follak
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster
Peter Friedrich ({7})
Lilo Friedrich ({8})
Harald Friese
Anke Fuchs ({9})
Monika Ganseforth
Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Günter Graf ({10})
Angelika Graf ({11})
Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Karl-Hermann Haack ({12})
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Manfred Hampel
Christel Hanewinckel
Anke Hartnagel
Klaus Hasenfratz
Nina Hauer
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Monika Heubaum
Reinhold Hiller ({13})
Stephan Hilsberg
Jelena Hoffmann ({14})
Walter Hoffmann ({15})
Iris Hoffmann ({16})
Ingrid Holzhüter
Eike Hovermann
Christel Humme
Barbara Imhof
Gabriele Iwersen
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung ({17})
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Sabine Kaspereit
Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Klaus Kirschner
Siegrun Klemmer
Hans-Ulrich Klose
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Angelika Krüger-Leißner
Ernst Küchler
Ute Kumpf
Konrad Kunick
Dr. Uwe Küster
Werner Labsch
Christine Lambrecht
Brigitte Lange
Christian Lange ({18})
Detlev von Larcher
Christine Lehder
Waltraud Lehn
Robert Leidinger
Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann
({19})
Christa Lörcher
Erika Lotz
Dieter Maaß ({20})
Winfried Mante
Tobias Marhold
Lothar Mark
Christoph Matschie
Heide Mattischeck
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Ulrike Merten
Dr. Jürgen Meyer ({21})
Ursula Mogg
Christoph Moosbauer
Michael Müller ({22})
Jutta Müller ({23})
Christian Müller ({24})
Franz Müntefering
Andrea Nahles
Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese
Dietmar Nietan
Günter Oesinghaus
Leyla Onur
Manfred Opel
Holger Ortel
Adolf Ostertag
Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Martin Pfaff
Georg Pfannenstein
Johannes Pflug
Dr. Eckhart Pick
Joachim Poß
Dr. Carola Reimann
Renate Rennebach
Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter
Gudrun Roos
René Röspel
Michael Roth ({25})
Birgit Roth ({26})
Gerhard Rübenkönig
Marlene Rupprecht
Thomas Sauer
Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch
Rudolf Scharping
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Horst Schmidbauer ({27})
Ulla Schmidt ({28})
Silvia Schmidt ({29})
Dagmar Schmidt ({30})
Wilhelm Schmidt ({31})
Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt ({32})
Carsten Schneider
Dr. Emil Schnell
Walter Schöler
Olaf Scholz
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Ottmar Schreiner
Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann
({33})
Brigitte Schulte ({34})
Reinhard Schultz ({35})
Volkmar Schultz ({36})
Ewald Schurer
Dr. R. Werner Schuster
Dietmar Schütz ({37})
Dr. Angelica Schwall-Düren
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie SonntagWolgast
Wieland Sorge
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Antje-Marie Steen
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Reinhold Strobl ({38})
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher
Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak
Rüdiger Veit
Simone Violka
Ute Vogt ({39})
Hans Georg Wagner
Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis ({40})
Matthias Weisheit
Gunter Weißgerber
Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker
Jochen Welt
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Dr. Norbert Wieczorek
Jürgen Wieczorek ({41})
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Heino Wiese ({42})
Klaus Wiesehügel
Brigitte Wimmer ({43})
Barbara Wittig
Dr. Wolfgang Wodarg
Hanna Wolf ({44})
Waltraud Wolff ({45})
Heidemarie Wright
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel
Peter Zumkley
CDU/CSU
Herbert Frankenhauser
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Gila Altmann ({46})
Marieluise Beck ({47})
Volker Beck ({48})
Angelika Beer
Matthias Berninger
Grietje Bettin
Annelie Buntenbach
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Dr. Uschi Eid
Andrea Fischer ({49})
Joseph Fischer ({50})
Katrin Göring-Eckardt
Rita Grießhaber
Winfried Hermann
Antje Hermenau
Ulrike Höfken
Monika Knoche
Dr. Angelika Köster-Loßack
Steffi Lemke
Dr. Helmut Lippelt
Dr. Reinhard Loske
Oswald Metzger
Kerstin Müller ({51})
Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Cem Özdemir
Simone Probst
Claudia Roth ({52})
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt ({53})
Werner Schulz ({54})
Christian Simmert
Christian Sterzing
Dr. Antje Vollmer
Helmut Wilhelm ({55})
Margareta Wolf ({56})
Nein
CDU/CSU
Ilse Aigner
Dietrich Austermann
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Brigitte Baumeister
Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Otto Bernhardt
Hans-Dirk Bierling
Renate Blank
Dr. Heribert Blens
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Sylvia Bonitz
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen ({57})
Wolfgang Bosbach
Dr. Ralf Brauksiepe
Paul Breuer
Monika Brudlewsky
Klaus Bühler ({58})
Hartmut Büttner
({59})
Dankward Buwitt
Cajus Caesar
Manfred Carstens ({60})
Peter H. Carstensen ({61})
Leo Dautzenberg
Wolfgang Dehnel
Hubert Deittert
Albert Deß
Renate Diemers
Thomas Dörflinger
Hansjürgen Doss
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Rainer Eppelmann
Anke Eymer ({62})
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Albrecht Feibel
Ulf Fink
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({63})
Axel E. Fischer ({64})
Dr. Gerhard Friedrich ({65})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Hans-Joachim Fuchtel
Norbert Geis
Georg Girisch
Dr. Reinhard Göhner
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Hermann Gröhe
Manfred Grund
Horst Günther ({66})
Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein
Gottfried Haschke ({67})
Gerda Hasselfeldt
Hansgeorg Hauser ({68})
Klaus-Jürgen Hedrich
Helmut Heiderich
Ursula Heinen
Manfred Heise
Siegfried Helias
Hans Jochen Henke
Peter Hintze
Klaus Hofbauer
Martin Hohmann
Siegfried Hornung
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Georg Janovsky
Dr. Harald Kahl
Bartholomäus Kalb
Steffen Kampeter
Irmgard Karwatzki
Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Ulrich Klinkert
Dr. Helmut Kohl
Norbert Königshofen
Eva-Maria Kors
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Rudolf Kraus
Dr. Paul Krüger
Dr. Karl A. Lamers ({69})
Dr. Norbert Lammert
Helmut Lamp
Dr. Paul Laufs
Karl-Josef Laumann
Vera Lengsfeld
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Walter Link ({70})
Dr. Klaus W. Lippold ({71})
Dr. Manfred Lischewski
Wolfgang Lohmann ({72})
Julius Louven
Dr. Michael Luther
Erwin Marschewski ({73})
Dr. Martin Mayer ({74})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Hans Michelbach
Meinolf Michels
Dr. Gerd Müller
Bernward Müller ({75})
Elmar Müller ({76})
Bernd Neumann ({77})
Günter Nooke
Friedhelm Ost
Eduard Oswald
Norbert Otto ({78})
Anton Pfeifer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ruprecht Polenz
Marlies Pretzlaff
Dr. Bernd Protzner
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Helmut Rauber
Peter Rauen
Christa Reichard ({79})
Katherina Reiche
Erika Reinhardt
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Hannelore Rönsch ({80})
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Dr. Klaus Rose
Adolf Roth ({81})
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Volker Rühe
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Heinz Schemken
Karl-Heinz Scherhag
Dr. Gerhard Scheu
Norbert Schindler
Christian Schmidt ({82})
Dr.-Ing. Joachim Schmidt
({83})
Michael von Schmude
Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Rupert Scholz
Reinhard Freiherr von
Schorlemer
Dr. Erika Schuchardt
Wolfgang Schulhoff
Gerhard Schulz
Diethard Schütze ({84})
Clemens Schwalbe
Dr. Christian SchwarzSchilling
Wilhelm-Josef Sebastian
Horst Seehofer
Heinz Seiffert
Werner Siemann
Bärbel Sothmann
Margarete Späte
Carl-Dieter Spranger
Wolfgang Steiger
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten
Andreas Storm
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl ({85})
Dr. Rita Süssmuth
Edeltraut Töpfer
Arnold Vaatz
Angelika Volquartz
Peter Weiß ({86})
Gerald Weiß ({87})
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({88})
Hans-Otto Wilhelm ({89})
Klaus-Peter Willsch
Bernd Wilz
Willy Wimmer ({90})
Matthias Wissmann
Werner Wittlich
({91})
Wir setzen nun die Debatte fort. Das Wort hat der Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokratischen Partei, Peter
Struck.
Frau
Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Der Bundesumweltminister hat in einem Live-Interview
eine spontane Äußerung getan, die nicht akzeptabel war.
({0})
Er ist dafür öffentlich kritisiert worden, und zwar in der
Sache zu Recht. Auch wir haben ihn kritisiert und gesagt,
dass diese Äußerung nicht in Ordnung war. Jürgen Trittin
hat sich dann entschuldigt und die Äußerung zurückgenommen. Das war richtig so.
Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von der
Opposition, sollten das respektieren, zumal Frau Merkel
und Herr Meyer bis heute nicht die Kraft hatten, sich gegenüber dem Bundeskanzler für das „Verbrecherplakat“
zu entschuldigen.
({1})
Es geht der Union auch überhaupt nicht um die Äußerung des Ministers, sondern in Wahrheit um eine Deutungshoheit über Begriffe wie Nation, Staat, Geschichte,
Leitkultur, Vaterland. Die CDU/CSU will in diesen Fragen einen Alleinvertretungsanspruch geltend machen.
Das ist anmaßend und das werden wir ihr nicht durchgehen lassen.
({2})
Die Union glaubt, allein definieren zu können - mein Vorredner hat das gerade deutlich gemacht -, was gut und was
schlecht für unser Land ist, was richtig und was falsch ist.
Die Union grenzt aus, anstatt zu integrieren.
({3})
Wenn Sie sich hier hinstellen und - wie in der letzten
Debatte - Willy Brandt scheinheilig als Kronzeuge gegen die Sozialdemokratie missbrauchen, dann darf ich daran erinnern, wie unverfroren und gehässig Ihre Vorgänger, Herr Kollege Merz, mit Willy Brandt, ebenso wie mit
Herbert Wehner, umgegangen sind. Das dürfen Sie nicht
tun!
({4})
Dies war schon immer Ihre Strategie und es hat sich
in den 16 Jahren der Kanzlerschaft von Helmut Kohl
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Dagmar Wöhrl
Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach
Wolfgang Zeitlmann
Wolfgang Zöller
F.D.P.
Ina Albowitz
Hildebrecht Braun ({5})
Rainer Brüderle
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Gisela Frick
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich ({6})
Dr. Wolfgang Gerhardt
Joachim Günther ({7})
Dr. Karlheinz Guttmacher
Klaus Haupt
Dr. Helmut Haussmann
Ulrich Heinrich
Dr. Werner Hoyer
Ulrich Irmer
Dr. Klaus Kinkel
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Ina Lenke
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto ({8})
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Marita Sehn
Carl-Ludwig Thiele
Enthalten
CDU/CSU
Johannes Singhammer
PDS
Dr. Dietmar Bartsch
Maritta Böttcher
Eva Bulling-Schröter
Heidemarie Ehlert
Dr. Heinrich Fink
Dr. Ruth Fuchs
Wolfgang Gehrcke
Dr. Klaus Grehn
Dr. Gregor Gysi
Uwe Hiksch
Ulla Jelpke
Sabine Jünger
Gerhard Jüttemann
Rolf Kutzmutz
Ursula Lötzer
Dr. Christa Luft
Heidemarie Lüth
Pia Maier
Angela Marquardt
Manfred Müller ({9})
Kersten Naumann
Christine Ostrowski
Petra Pau
Dr. Uwe-Jens Rössel
Gustav-Adolf Schur
Dr. Winfried Wolf
Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen des Europarates und der WEU, der Parlamentarischen Versammlung der NATO, der OSZE oder der IPU
Abgeordnete({10})
Behrendt, Wolfgang Hornhues, Dr. Karl-Heinz Schloten, Dieter Zierer, Benno
SPD CDU/CSU SPD CDU/CSU
verstärkt. Der große alte Herr der Politikwissenschaft,
Wilhelm Hennis, hat das treffend als die „Deformation der
politischen Kultur“ in diesem Land durch das System
Kohl bezeichnet.
({11})
Dieses Schwarz-Weiss-Malen, dieses Freund-Feind-Denken hat sich tief in Ihr Bewusstsein eingebrannt. Wie verächtlich hat Kohl über die, wie er sie nannte, „Sozen“ gesprochen. Mehr als einmal hat er in diesem Hohen Haus
die SPD als verkommen beschimpft und ihr Verrat vorgeworfen. Das ist eine Sprache, die sich selbst richtet - und
Sie setzen diese Sprache fort,
({12})
und zwar nach dem Motto: Wer nicht mein Freund ist, ist
mein Feind.
Ausgerechnet dieser Mann - der Kollege Kohl -, der
sich unverändert über Recht und Gesetz hinwegsetzt und
die angeblichen Spender der Schwarzgeldmillionen der
CDU nicht nennt,
({13})
hat in der letzten Woche versucht, dem Bundespräsidenten Vorschriften darüber zu machen, welches Verhältnis
dieser zu seinem Amt und zu diesem Staat haben soll. Eine Unverfrorenheit ohne Beispiel!
({14})
Unser Herr Bundespräsident braucht keine Belehrungen,
nicht von einem Gesetzesbrecher, nicht von Ihnen, Herr
Merz, und auch nicht von solchen Leuten wie Herrn
Goppel und Herrn Westerwelle. Herr Westerwelle, nehmen Sie das Wort von dem „Parteipräsident“ zurück!
Damit täten Sie sich und unserer Demokratie einen Gefallen!
({15})
Ich wiederhole das, was ich schon in der letzten Woche
gesagt habe: Johannes Rau vorzuwerfen, er sei kein Patriot, ist genauso absurd wie die Behauptung, der Papst sei
kein Katholik.
({16})
Im Übrigen ist solchen Leuten wie Kohl, Merz, Goppel
und wie sie sonst noch alle heißen mögen entgangen, dass
das von ihnen kritisierte Zitat von Johannes Rau ein Zitat
war, das Johannes Rau von seinem Amtsvorgänger
Roman Herzog wörtlich übernommen hat.
({17})
Unser Staatsoberhaupt war immer außerhalb der politischen Auseinandersetzung.
({18})
Wir haben das immer respektiert. Sie, meine Damen und
Herren von der Opposition, verletzten diesen Grundsatz
in eklatanter und infamer Weise.
({19})
Die Arbeit, die Johannes Rau für dieses Land in fünf Jahrzehnten in den verschiedensten Ämtern und Funktionen
geleistet hat,
({20})
sowie seine Worte und Taten sind so eindeutig, dass es
sich verbietet, auf die Absurditäten aus der Union einzugehen.
({21})
Lassen Sie mich aber etwas zu dem Geist sagen, der
hinter diesen Absurditäten steckt. Die Union betrachtet
den Staat als Beute.
({22})
Staatsämter sind für sie Parteiämter, die ihr wie selbstverständlich zustehen.
({23})
Sobald andere, die nicht ihrer Partei angehören, Staatsämter innehaben, sind diese zur Kritik freigegeben. So gehen Sie mit dem Bundespräsidenten um, so gehen Sie mit
dem Bundestagspräsidenten um. Das lassen wir Ihnen
nicht durchgehen.
({24})
Staatsämter werden im Gegensatz zu Ihren Vorstellungen
noch immer von den Wählern vergeben. Um deren Votum
geht es in einem fairen Wettbewerb der Konzepte. Genau
das ist Ihr Problem: Sie haben keine Konzepte als Alternative zu unserer Regierungspolitik und versuchen deshalb, diesen Mangel durch lächerliche Schauveranstaltungen wie diese zu ersetzen.
({25})
Mit der Art, wie Sie mit Staatsämtern umgehen, verunglimpfen Sie Personen. Das ist schon schlimm genug.
Aber noch viel schlimmer für das Gemeinwesen ist: Sie
schaden der Autorität der höchsten Staatsämter. Das ist
das genaue Gegenteil von Patriotismus.
({26})
Im Gegensatz zu Ihnen wollen wir keine Polarisierung,
wenn es um unser Land geht.
({27})
Wir wollen, wie Willy Brandt es einmal gesagt hat, ein
Volk von guten Nachbarn sein, im Innern wie nach außen,
- nicht eine zweigeteilte Gesellschaft: hier die vermeintlichen Patrioten mit dem Unbedenklichkeitssiegel,
ausgestellt von der Union und neuerdings auch von Herrn
Westerwelle, dort alle anderen. Das machen wir nicht mit.
({28})
Das ist „Krampf um Deutschland“, hat selbst die der
Union wohlgesonnene „Rheinische Post“ getitelt. Sie hat
völlig Recht.
({29})
Auf dem Fundament unseres Grundgesetzes und unserer Rechtsordnung lassen wir jedem Bürger die Freiheit,
sein Verhältnis zu Heimat, Vaterland und Nation selbst zu
bestimmen. Wir sind nicht für Bevormundung in dieser
Frage oder gar für einen Gesinnungs- und Befindlichkeits-TÜV.
({30})
Wir sind für ein politisches Klima, das von Respekt vor
dem Andersdenkenden geprägt ist,
({31})
Respekt vor jedem, der unsere freiheitlich-demokratische
Grundordnung akzeptiert.
({32})
Damit werden wir den Erwartungen eines übergroßen
Teils unserer Bevölkerung gerecht. Das haben wir gesehen, als wir alle zusammen am 9. November in Berlin zu
einem Aufstand der Anständigen gegen Rechtsradikalismus und Intoleranz aufgerufen haben.
({33})
- Dass Sie dagegen protestieren, dass Sie jetzt lachen, das
zeigt Ihre wahre Gesinnungshaltung, meine Damen und
Herren.
({34})
Das Echo war überwältigend: Nicht nur hier in Berlin,
sondern überall im Lande - in vielen Städten und Gemeinden - sind die Bürgerinnen und Bürger aufgestanden
und haben für ein tolerantes Deutschland demonstriert.
Dank der Initiativen der Kirchen, der Wirtschaft, der Gewerkschaften und vieler anderer gesellschaftlicher Gruppen hat sich das Bewusstsein verstärkt, dass Rechtsradikalismus und dumpfe rechte Töne Deutschland im Innern
wie nach Außen schaden und uns keinesfalls nutzen. Im
Übrigen sehe ich darin den Grund, dass Rechtsradikale
bei den Landtagswahlen am letzten Sonntag keine Chance
hatten. Der Aufstand der Anständigen hat Früchte getragen.
({35})
Die Menschen haben verstanden, dass dem Land mit
dumpfen Sprüchen überhaupt nicht gedient ist.
Das Gleiche gilt - und Sie sollten sich sehr genau überlagen, was Sie so alles sagen - für Auseinandersetzungen
über Sprüche, die sich eine ganz bestimmte Klientel auf
die Arme tätowieren lässt. Überlegen Sie also, was Sie anrichten!
({36})
Hier im Parlament haben alle Fraktionen die Möglichkeit, zu beweisen, wie ernst es ihnen mit der Bekämpfung
von Intoleranz ist. Gerade morgen könnte auch die Union
beweisen, wie ernst sie es mit der gemeinsamen Bekämpfung von Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Gewalt meint.
({37})
Aber Sie sind ja aus dem gemeinsamen, interfraktionellen
Antrag ausgeschert. Sie machen bei der Beschlussfassung
gegen Rechtsextremismus ja nicht mit. Das ist bezeichnend.
({38})
Ich will Ihnen noch Folgendes ganz deutlich sagen:
Wer wie die Union den Antrag auf Verbot der NPD nicht
mitträgt, hat nicht das Recht, uns den Vorwurf der mangelnden Bekämpfung von Rechtsextremen zu machen.
({39})
Nun möchte ich noch auf die Landtagswahl in Rheinland-Pfalz eingehen. Wie viele von Ihnen bin ich in diesem Land unterwegs gewesen. Wenn man sieht, wie CDU
und NPD Seite an Seite eine Kampagne gefahren haben,
dann muss man befürchten, dass die CDU die Gefahren
durch diese Nationalisten billigend in Kauf nimmt oder
zumindest unterschätzt.
({40})
Wir unterschätzen diese Gefahren nicht. Wir wollen, dass
Deutschland ein tolerantes Land bleibt, in dem sich jeder
nach eigener Fasson wohl fühlen kann.
({41})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Guido Westerwelle.
({0})
Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrter
Herr Kollege Struck, Sie haben sich in weiten Teilen Ihrer Rede mit Äußerungen und Gegenäußerungen des
Herrn Bundespräsidenten befasst. Wenn Sie sich den Antrag, den wir Freie Demokraten unterstützen, noch einmal
anschauen, dann werden Sie erkennen, dass nicht der
Bundespräsident kritisiert wird, sondern dass es um Herrn
Trittin geht. Herr Trittin soll entlassen werden.
({0})
Es ist kein Zufall, dass Sie hier regelmäßig die Kurve
kriegen. In Wahrheit haben Sie gar nicht die Absicht - das
ist nachvollziehbar -, sich vor Herrn Trittin zu stellen. Sie
sind in Ihrem Herzen über diese Äußerungen genauso entsetzt wie nahezu alle Kolleginnen und Kollegen hier. Es
gibt in Wahrheit sieben Gründe, warum Herr Trittin noch
im Amt ist: Das sind die sieben Minister, die vor ihm gegangen sind.
({1})
Originalzitat einer Aussage von Herrn Müntefering in
einer großen deutschen Talkshow: „Der Trittin war bekloppt, als er das gesagt hat.“ Heute lesen wir im „Stern“
ein informatives Interview des Grünen-Sprechers Fritz
Kuhn. Frage: „Ist Trittin ein grüner Wählermagnet?“ Antwort: „Er ist ein guter Umweltminister.“ Frage: „Die SPD
sagt: Er ist ein bekloppter Idiot.“ Antwort: „Das habe ich
in der Kombination noch nicht gehört.“
({2})
Ich war mehrere Jahre Mitglied einer Koalitionsfraktion. Ich sage Ihnen eines: Der einzige Grund, warum die
Sozialdemokraten Herrn Trittin nicht mit Freude aus dem
Kabinett verabschieden, ist, dass der grüne Koalitionspartner sonst noch ein Stückchen mehr bröckelt und bröselt. Es sind allein Gründe der politischen Stabilität der
Koalition, die Sie dazu bewegen, an Herrn Trittin auf der
Regierungsbank festzuhalten. Aber Herr Trittin hat seine
Aufgabe so wahrgenommen, dass er auf diesem Ministersessel nicht bleiben darf. Er muss entlassen werden!
({3})
Sie erwecken den Eindruck, als handele es sich dabei
um eine einzige spontane Entgleisung. Das war es aber
nicht. Am Tag nach dieser Äußerung wurde diese Entgleisung in einem Brief von Herrn Trittin an den Kollegen
Meyer - dieser Brief wurde unterzeichnet und abgeschickt - schriftlich bestätigt. Der eigentliche Punkt ist
doch nicht, dass Herr Trittin kein Verhältnis zum Benehmen hat und dass er eine Verrohung der deutschen Politik
bewirkt. Das große Problem ist in Wahrheit das Denken,
das hinter diesen Äußerungen steht. Das ist es, was wir
Freie Demokraten kritisieren.
({4})
Wenn der deutsche Bundeskanzler in diesem Zusammenhang - er kann heute verständlicherweise nicht hier
sein - wörtlich von einer „Menschenjagd“ spricht, dann
muss ich bei allem Respekt vor dem Herrn Bundeskanzler sagen: Das ist eine weitere Entgleisung. Es ist das
Recht der Opposition, die Entlassung eines Ministers zu
beantragen, der aus unserer Sicht nicht mehr anständig arbeitet.
({5})
Wer, wie Herr Trittin, ein Leben lang Bäume gefällt hat,
der kann nicht erwarten, dass man um ihn herum einen
Naturschutzpark anlegt.
({6})
Das wird nicht passieren.
Ich will mich etwas mit dem Geist auseinander setzen,
der hinter Herrn Trittins Äußerungen steht. Es gibt eigentlich zwei, drei Gesichtspunkte, die mir wesentlich erscheinen.
Als Erstes möchte ich den Herrn Bundespräsidenten
Theodor Heuss - ein großer Liberaler und zweifelsohne
ein ganz großer Staatsmann unserer Republik - zitieren.
Er sagte in seiner Antrittsrede am 12. September 1949:
Wir stehen vor der großen Aufgabe, ein neues Nationalgefühl zu bilden.
Eigentlich geht es bei dieser Debatte genau um diese
Frage. Ich habe bei dem Satz „Ich bin stolz, ein Deutscher
zu sein“ den Eindruck, dass manche weniger das Wort
„stolz“ als vielmehr das Wort „Deutscher“ stört.
({7})
Ich glaube, dass es ein Fehler ist, den Eindruck zu erwecken, man könne nur auf das stolz sein, was man selber geleistet habe; man dürfe nur auf das stolz sein, was
man selber gemacht habe. Genau diese semantische Verwirrung wird kaum verstanden und kann auch nicht verstanden werden. Ich bin zum Beispiel stolz auf meine Eltern, obwohl ich sie nicht gemacht habe.
({8})
Ich bin zum Beispiel stolz, wenn ein Sportverein, dem ich
angehöre, erfolgreich ist. Kann man denn nur als Mitspieler stolz sein oder darf man nicht auch als Fan stolz
sein?
Wenn man auf sein Elternhaus stolz ist, erhebt man sich
nicht über andere. Wenn man auf sein Land stolz ist, erhebt man sich auch nicht über andere Länder.
({9})
Ich bin unverändert der Auffassung: Wer den Menschen das Recht abspricht - das sage ich gerade als ein
überzeugter Europäer -,
({10})
stolz auf das eigene Land zu sein, der entwurzelt sie.
({11})
Ich glaube, es wäre ein riesengroßer Fehler, wenn man die
jungen Menschen, die 18-, 19- oder 22-Jährigen, die an
diese Debatte viel unbefangener, natürlicher und unverkrampfter herangehen, diesen rechtsradikalen Stichwortgebern überlassen würde. Nur weil Rechtsradikale die
Nationalhymne singen, werde ich nicht künftig darauf
verzichten.
({12})
Ich glaube auch, dass das Wort vom Verfassungspatriotismus nicht ausreicht. Ich bin ein Verfassungspatriot
und ich glaube, dass der Verfassungspatriotismus ein sehr
gesunder Patriotismus ist.
({13})
Aber er ist letzten Endes ein rationaler Patriotismus. Es
geht um das rationale Verhältnis zum Grundgesetz, aber
auch zu den Ideen, zu den Erfolgen und Institutionen unseres Landes. Aber ein rationaler Patriotismus reicht nicht
aus, wenn nicht auch persönliche Leidenschaft für das
Gemeinwesen und für seine Menschen hinzukommt.
({14})
Deswegen möchte ich mit daran arbeiten - vielleicht
mit Ihrer Hilfe - und an Sie appellieren, dass wir diesen
gesunden Patriotismus,
({15})
ein Stück der nationalen Identität, eben nicht den falschen
Deutschen überlassen. Das ist unsere eigentliche Aufgabe.
({16})
Ich bin auch auf Dinge in unserem Lande stolz, an denen ich selber wenig Anteil hatte. Ich bin zum Beispiel
stolz auf die Deutschen, die mit der Kerze in der Hand
Herrn Honecker das Fürchten gelehrt haben. Ich bin stolz
darauf, wenn beispielsweise in dieser Zeit deutsche Soldaten im Ausland Friedenseinsätze haben. Ich bin stolz
auf diese Deutschen und ich finde, man muss sich dafür
nicht entschuldigen oder genieren. Das ist der eigentliche
Generationenpunkt, die politische „correctness“, die aus
Ihren Worten spricht. Ihr habt heute nicht mehr die Mehrheit. Die Mehrheit der Deutschen lässt sich nicht mehr in
die rechte Ecke schieben, nur weil sie sagt: Ich bin stolz
auf unser Land und auf die eigene Nation.
({17})
Dies ist der große Widerspruch, ich glaube, auch der alten politischen Linken. Sie meint nämlich, dass sich Stolz
auf das eigene Land und Weltoffenheit gegenseitig ausschließen.
({18})
Meine Gegenthese lautet: Dies ist genau das, was sich gegenseitig bedingt. Wer zu seinem eigenen Land keine
emotionale, herzliche Bindung empfindet, der wird meiner Einschätzung nach in der Regel nicht in der Lage sein,
andere Nationen und Gesellschaften ausreichend zu respektieren.
({19})
Deswegen sage ich Ihnen: Das Denken, das hinter den
Ausführungen von Herrn Trittin steht, hat sich überholt.
Es ist nicht mehr das Mehrheitsdenken. Jahrelang ist diese
Diskussion durch die politische „correctness“ erdrückt
worden. Das ist vorbei.
({20})
Das ist das einzig Gute, das ich dieser Diskussion nach
diesen Äußerungen abgewinnen kann. Herr Trittin sollte
entlassen werden. Aber die Diskussion muss weitergehen,
und zwar ganz in dem Sinne, wie es Theodor Heuss einmal angeregt hat.
({21})
Jetzt hat die
Fraktionsvorsitzende der Bündnisgrünen, Kerstin Müller,
das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Um
es gleich zu Anfang klar zu sagen: Natürlich war der Satz
von Jürgen Trittin, Kollege Meyer habe die Mentalität eines Skinheads, ein politischer Fehler. Ich sage dazu: Es
war auch kein guter politischer Stil. Es war deshalb richtig und notwendig, dass sich Jürgen Trittin öffentlich und
auch persönlich bei Laurenz Meyer dafür entschuldigt
hat.
({0})
Diese Entschuldigung hat Laurenz Meyer im Übrigen
angenommen. Er hat heute Morgen ausdrücklich betont,
die Angelegenheit sei damit für ihn persönlich erledigt.
Auch Sie haben das heute erklärt, Herr Merz. Dass Sie
aber trotzdem seit Wochen im Wahlkampf mit Interviews,
Plakataktionen und Unterschriftensammlungen eine - ich
sage es noch einmal - regelrechte Menschenjagd veranstalten,
({1})
wie es der Bundeskanzler zu Recht beklagt hat,
({2})
zeigt mir, dass es mit Ihrer Sorge um die demokratische
und politische Kultur in unserem Lande offensichtlich
nicht weit her ist.
({3})
Ich bedauere auch deshalb sehr, dass Jürgen Trittin
diesen Vorwurf gegen Ihren Generalsekretär erhoben
hat, weil er einfach falsch ist. Herr Meyer ist kein
Skinhead und er hat auch nicht die Mentalität eines
Skinheads.
({4})
Was Ihr Generalsekretär und was Sie, meine Damen
und Herren von der Union, tun, ist natürlich nicht rechtsradikal. Aber es ist dennoch hochgefährlich. Darüber
müssen wir reden.
({5})
- Sie wollen doch über Jürgen Trittin und über seine
Äußerung reden. Das werden wir heute tun.
Glauben Sie etwa, es ist ein Zufall, dass die Republikaner im Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen die Kinderstatt-Inder-Parole von Jürgen Rüttgers plakatiert haben?
Überrascht es Sie, dass die Republikaner in Baden-Württemberg ihren Wahlkampf mit dem von Ihnen in die Diskussion gebrachten Begriff von der deutschen Leitkultur
geführt haben?
({6})
- Doch, ich kann Ihnen das Plakat zeigen. Darüber sollten
sie einmal nachdenken. - Stört es Sie nicht, dass sich die
NPD in Rheinland-Pfalz mit ihren Deutsch-Stolz-Aufklebern an Ihrer Unterschriftenkampagne gegen Jürgen
Trittin beteiligt hat?
({7})
Sie haben sich heute davon nicht distanziert, Herr
Merz. Sie müssten wenigstens einmal darüber nachdenken. Fakt ist - das lässt sich nun einmal nicht von der
Hand weisen -: Sie liefern mit solchen Kampagnen den
Rechten immer wieder die Stichworte für ihren Wahlkampf. Das finde ich unverantwortlich.
({8})
Sie tun das - ich meine es wirklich sehr ernst - in einer
Situation, in der wir tagtäglich mit rassistischer Gewalt in
Deutschland konfrontiert sind; denn auch im letzten Jahr
ist die Zahl der rechtsextremistischen Straftaten leider
noch einmal um 60 Prozent gestiegen. Morgen werden
wir in diesem Hause darüber debattieren, wie wir alle gemeinsam diese Entwicklung erfolgreich stoppen können.
Ich frage Sie: Glauben Sie denn ernsthaft, man könne die
Rechtsradikalen bekämpfen, indem man mit ihren Parolen Politik macht und ihre Parolen übernimmt? Das können Sie doch nicht ernsthaft glauben.
({9})
Das gilt im Übrigen auch für Ihre verquaste Nationalstolzdebatte. Wie Herr Merz angekündigt hat, soll dieses
Thema Gegenstand der Debatte sein. Was heißt denn der
Satz, der wohl, wenn es nach Ihnen ginge, in die Eidesformel von Bundespräsident und Regierungsmitgliedern aufgenommen werden soll? Was bedeutet denn der Satz „Ich
bin stolz, ein Deutscher zu sein“? Genau das hat Herr
Meyer gesagt. Kann man stolz sein auf die Tatsache, hier
zufällig als Kind deutscher Eltern geboren worden zu
sein?
({10})
Diese Diskussion ist interessant. Dieses „völkische
Wir“, wie es Josef Joffe in dieser Woche in der „Zeit“ genannt hat, grenzt aus:
({11})
alles andere, alles Fremde und die Menschen, die ohne
deutschen Pass in unserem Land leben, die aber dieses
Land und diese Gesellschaft mittragen und mitgestalten.
Deshalb hat Bundespräsident Johannes Rau Recht, wenn
er sagt - darin liegt der Unterschied, Herr Merz; das haben Sie heute wieder durcheinander gebracht -: Stolz
kann man nur auf die eigene Leistung beziehen, auf das,
was hier geschaffen worden ist.
({12})
Wenn Herr Goppel von der CSU diese, wie ich finde,
bedächtige Mahnung des Bundespräsidenten zum Anlass
nimmt, sogar die Eignung von Johannes Rau als Bundespräsident infrage zu stellen, dann möchte ich Sie von der
Union fragen: Wollen Sie demnächst einen nationalen Gesinnungs-TÜV einführen? Wollen Sie Roman Herzog, der
schon vor vielen Jahren genau das Gleiche gesagt hat,
jetzt noch nachträglich die Eignung als Bundespräsident
absprechen?
({13})
Auch Sie, Herr Westerwelle, von den so genannten Liberalen, springen jetzt auf diesen national-konservativen
Zug auf.
({14})
Als Gipfel habe ich es empfunden, dass Sie von Verklemmtheit schwafeln,
({15})
nachdem der Bundespräsident solch bedächtige Mahnungen ausgesprochen hat. Herr Kollege, ich bin davon überKerstin Müller ({16})
zeugt - das meine ich sehr ernst, weil es mich politisch geprägt hat -, dass man vor dem Hintergrund unserer Geschichte bei Sprüchen, die an den Nationalstolz der Deutschen appellieren, bedächtig und vorsichtig sein muss.
Wer dies abstreitet, handelt meiner Meinung nach geschichtslos.
({17})
All denen, die mit der deutschen Geschichte unbefangen - so war auch heute wieder Ihre Formulierung - und
mit dem Begriff der deutschen Nation unverkrampft umgehen wollen, kann ich nur sagen: Ja, es ist nun einmal so:
Wir als Deutsche können und sollten angesichts unserer
Vergangenheit nicht einfach so über unseren Nationalstolz schwadronieren.
({18})
Wer Unbefangenheit fordert, meint eigentlich die Entsorgung der Geschichte und: Lasst uns über die Vergangenheit nicht mehr reden! Das, liebe Kolleginnen und
Kollegen, wird sich in Deutschland hoffentlich nicht
durchsetzen.
({19})
Nun komme ich zu Herrn Glos, der heute leider nicht
anwesend ist. Er hat in der letzten Woche während der Debatte Willy Brandt als Kronzeugen dafür, dass man stolz
sein darf, Deutscher zu sein, bemüht.
({20})
Willy Brandt hat aber etwas völlig anderes gesagt. Er hat
1972 gesagt: „Wir können stolz sein auf unser Land.“
({21})
Er hat damit den Stolz auf die Ostverträge, die den Weg
zum Frieden mit den osteuropäischen Ländern geebnet
haben, und den Grundlagenvertrag mit der DDR, der zu
einem Grundstein der Wiedervereinigung geworden ist,
gemeint. Das entsprechende Plakat hat Herr Glos hier
hochgehalten.
({22})
Dass nun ausgerechnet Sie die Leistungen der damaligen
Regierung für sich instrumentalisieren, ist wirklich das
Allerletzte;
({23})
denn damals haben Sie in ähnlichen Debatten mit dem
Vorwurf des Vaterlandsverräters und dem schlimmen
Spruch von der fünften Kolonne Moskaus versucht, Willy
Brandt und seine Regierung zu denunzieren. Das ist
ungeheuerlich!
({24})
Sie sollten sich da besser zurückhalten. Willy Brandt
konnte auf diese Leistung wirklich stolz sein.
({25})
- Jetzt hören Sie mal zu! Sonst haben Sie gleich den Unterschied zwischen den beiden Dingen immer noch nicht
verstanden.
({26})
Ich sage hier sehr klar: Ich habe kein Problem, auf unser Land stolz zu sein.
({27})
Wir können heute auf vieles stolz sein, zum Beispiel darauf, dass wir beim Staatsbürgerschaftsrecht das Recht
auf Einbürgerung insbesondere für alle, die hier geboren
werden, gleich welcher Abstammung, neben das völkische Prinzip gestellt haben. Diese Regierung signalisiert
damit allen Menschen in dieser Gesellschaft, dass sie dazugehören. Sie von der Union haben sich bis zuletzt mit
Zähnen und Klauen gegen den Abschied vom Blutsrecht
gewehrt. Ich erinnere nur an die unselige Unterschriftenkampagne Ihres Kollegen Koch in Hessen. Darum geht es
in der Patriotismusdebatte.
({28})
Ja, wir sind stolz auf dieses Land. Ich bin zum Beispiel
stolz, wenn engagierte Menschen aus Initiativen und Kirchen Zivilcourage zeigen und Flüchtlinge vor rechtsradikaler Gewalt schützen.
({29})
Wir können - auch das gehört dazu - nicht stolz darauf
sein, dass immer noch tagtäglich Flüchtlinge und Obdachlose im Namen des Deutschtums gejagt, verletzt oder
auch getötet werden.
({30})
Ich sage ganz persönlich noch etwas dazu - auch das
gehört in diese Debatte -: Ich schäme mich, wenn Synagogen von Rechtsradikalen in Brand gesetzt werden. Ich
glaube, nur wer in der Lage ist, sich für schlimme Fehlentwicklungen in dieser Gesellschaft zu schämen,
Kerstin Müller ({31})
der kann auch ehrlich stolz auf die Leistungen unseres
Landes und seiner Bürger sein.
({32})
Wir sind stolz darauf, dass mündige Bürgerinnen und
Bürger von ihrem Recht Gebrauch machen, für ihre Meinung auf die Straße zu gehen, dass Schwule und Lesben
heute in Köln, Berlin und Hamburg öffentlich ihre Paraden feiern können. Das war vor einigen Jahren nicht möglich.
({33})
Wir sind heute ein demokratisches, ein weltoffenes Land.
Im Übrigen: Ich bin stolz darauf, dass die 68er-Generation und damit zum Beispiel auch Joschka Fischer,
({34})
den Sie und die Sie so fanatisch bekämpfen, viel dazu beigetragen haben, dass dieses Land so liberal und weltoffen
geworden ist, wie es heute ist.
({35})
- Die 68er-Debatte ist wirklich Ihr Thema, nicht wahr?
Es geht um die Leistungen, um die Errungenschaften.
Wir sind natürlich stolz auf die umweltpolitischen Leistungen, die wir gemeinsam mit dem Umweltminister in
dieser Regierung erreicht haben, darauf, dass wir endlich
eine neue Energiepolitik angepackt haben, dass wir endlich konkrete Maßnahmen für den Klimaschutz umsetzen,
damit wir das, was Sie, Frau Merkel, als Umweltministerin in Rio und Kioto versprochen haben, tatsächlich erreichen können. Darauf sind wir stolz
({36})
und auf unsere Freundinnen und Freunde aus der Bürgerbewegung der DDR. Sie können wahrhaft stolz sein,
dass sie und niemand sonst mit ihrer friedlichen Revolution die Diktatur überwunden haben.
Wir sind auch stolz darauf, dass von Deutschland heute
keine Bedrohung mehr gegenüber unseren Nachbarn ausgeht, dass die deutsche Außenpolitik Friedenspolitik ist,
({37})
dass wir vor der historischen friedlichen Vereinigung
Europas stehen. Das konnte nur mit einer Kultur der
Zurückhaltung, der Mäßigung und des Maßhaltens erreicht werden.
({38})
Mit Ihrem Brachialpatriotismus
({39})
wäre weder die Entspannungspolitik der 70er-Jahre
noch der europäische Einigungsprozess möglich gewesen.
({40})
Meine Damen und Herren von der Union, Ihr Kollege
Heiner Geißler hält Ihnen heute in einem Interview in der
„Zeit“ Folgendes vor:
Müssen jetzt die CDU-Leute schon sagen: „Ich bin
stolz, ein Deutscher zu sein?“ - Werden sie sonst zu
Apostaten? ... Christ sein, Demokrat sein ist für unsere Identität wichtiger als nationale Selbstbefriedigung.
Vielleicht sollten Sie sich dieses Zitat einmal zu Herzen
nehmen.
({41})
Lassen Sie uns - damit komme ich zum Schluss - die
Debatte über unser Land führen, darüber, wie wir es gestalten wollen, wie wir es liberaler und gerechter machen
können, wie wir zukünftigen Generationen eine intakte
Umwelt hinterlassen können, und lassen Sie uns diese
unsägliche Debatte um den Deutschstolz beenden! Denn
sie führt nicht weiter, sie führt in die Sackgasse. Wir brauchen keine Ersatzdebatten, wir brauchen konstruktive
Diskussionen über die Zukunft dieses Landes. Denen
werden wir uns auch wieder zuwenden, und zwar nachdem wir Ihren unsäglichen Antrag hier abgelehnt haben.
({42})
Das Wort hat
jetzt der Herr Kollege Claus.
Frau Präsidentin! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Die Union hat hier mit erstaunlicher Klarheit gesagt, worum es ihr wirklich geht.
Deshalb verdient sie auch, zu ihrem Antrag zunächst mit
aller Klarheit gesagt zu bekommen: Dieses Ansinnen lehnen wir ab. Zu diesem Antrag sagt die sozialistische Opposition im Bundestag ein klares Nein.
({0})
Wir sagen dieses Nein, weil wir uns dem Versuch widersetzen, das politische Koordinatensystem der Republik
nach rechts zu verschieben. Darum geht es Ihnen doch in
Wirklichkeit.
({1})
Den Kampf um die Mitte haben Sie offenbar aufgegeben
und nun versuchen Sie es auf diesem Wege.
({2})
Ich sage Ihnen in aller Deutlichkeit: Heimatliebe ist
kein Pachtgut der CDU.
({3})
Kerstin Müller ({4})
Falls Sie auch noch auf diesen Antrag stolz sein sollten,
sollten Sie wissen, dass dabei eines deutlich wird: Allzu
viel Stolz setzt offenbar Verstand und politische Kultur
gleichermaßen außer Kraft. Das ist hier geschehen.
({5})
Damit ist natürlich nicht gemeint, dass wir mit dem
Vergleich von Minister Trittin einverstanden wären. Er
hat sich die Kritik redlich verdient und wir haben sie ihm
auch mitgeteilt. Er ist hier, so meinen wir, in eine Falle des
kalten Krieges getappt.
({6})
- Ja, die Fallen des kalten Krieges stehen in diesem Lande
offenbar immer noch herum.
Er hat damit der Union einen lange erwarteten Anlass
geliefert. Er hat ihre Logik bedient, die lautet: Bestätige
uns das Bild, das wir von dir haben, aber es muss bitte
schön ein Feindbild sein.
({7})
Damit hat Jürgen Trittin eigentlich seine Verbündeten
mehr als seine politischen Gegner getroffen; er weiß das
auch. Zwar war es sehr nötig, sich bei Laurenz Meyer zu
entschuldigen, aber noch nötiger wäre es eigentlich, sich
bei seinen politischen Mitstreiterinnen und Mitstreitern
zu entschuldigen.
({8})
Die Botschaft der Union lautet: Wir bleiben im kalten
Krieg, notfalls mit den Parolen des Rechtsextremismus.
({9})
Daran gibt es doch überhaupt keinen Zweifel mehr: Wenn
es eine Erkennungsmelodie der Rechtsradikalen in diesem
Lande gibt, dann ist es der Ausspruch „Ich bin stolz, ein
Deutscher zu sein“. Da liegt auch der Kern des Problems.
({10})
Herr Kollege Westerwelle, Sie haben es sich einfach zu
leicht gemacht, als Sie sagten, uns unterscheide das Verhältnis zum Land, zur Heimat.
({11})
Es ist zwar ein scheinbar kleiner, aber doch ein wesentlicher Unterschied, ob man seine Verbundenheit zu einem
Land formuliert oder aber sie an der mehr oder weniger
zufälligen - auch noch männlichen - Mitgliedschaft zu einer bestimmten Nation festmacht.
Wir stellen fest: Erst hat die CDU die Parole der
Rechtsextremisten übernommen und nun soll diese Moralauffassung auch noch dem Bundestag übergestülpt
werden. Zu einer solchen Art Patriotentest oder Gesinnungs-TÜV sagen wir ausdrücklich Nein. Das ist mit uns
nicht zu machen.
({12})
Herr Kollege Glos hat gesagt, Trittin habe der CDU indirekt Stimmen von den Reps besorgt. Das mag richtig sein.
Aber wenn das stimmt, dann stimmt auch, dass Herr Laurenz
Meyer dasselbe getan hat, aber nicht indirekt, sondern direkt.
({13})
Das alles sind, wie Sie wissen, keine Betriebsunfälle im
Adenauer-Haus. Ist es auch Meyer, so hat es doch Methode.
Eigentlich ginge es darum, gemeinsame Anstrengungen um die Wiedergewinnung von Menschen für die Demokratie zu unternehmen. Das aber tun Sie genau nicht.
Sie fischen hier im Trüben, im demokratieabgewandten
Spektrum der Gesellschaft.
({14})
Wenn Herr Glos dann auch noch sagen zu müssen
meint, Herr Trittin sei eine Schande für unser Land, dann
lenkt er von alledem ab, was wirklich eine Schande für
unser Land ist:
({15})
Neonazis, Antisemitismus, die zu späte, noch immer
blockierte Zwangsarbeiterentschädigung. Davon lenken
Sie ab, indem Sie uns auf Stolz verpflichten wollen. Das
Verhältnis zu Deutschland auf Stolz zu reduzieren hieße,
Scham und Sühne auszublenden. Mein Deutschlandbild
ist dies nicht.
Dass Sie in Ihrem Zorn - darüber ist schon gesprochen
worden - selbst vor dem Bundespräsidenten nicht Halt
machen, zeigt doch nur, was wirklich in Ihnen vorgeht.
({16})
Deswegen sagen wir Ihnen noch einmal: Es geht hier
nicht um Jürgen Trittin, es geht um die demokratische
Grundsubstanz dieser Republik.
({17})
Allerdings stellen wir auch eines fest. Wir haben schon
den Eindruck, dass der Koalitionspartner SPD gegenwärtig den Bundesumweltminister mehr, energischer und
stärker schützt als die eigene Fraktion der Grünen. Nach
meinem Eindruck offenbart sich dies hier.
({18})
Ich stelle mir die Frage, woher das kommen kann. Ich
sage mir dann: Wenn jemand bei den Grünen wirklich
über Schwarz-Grün nachdenken sollte, dann wäre Trittin
natürlich ein rotes Tuch, wie immer das bei Ihnen interpretiert wird.
({19})
Die Union handelt mit diesem Antrag natürlich auch in
eigener Sache. Die Union braucht ihr Feindbild und fragt
sich: Wie können wir uns das Feindbild Trittin dauerhaft
erhalten? - Wir können es am besten erhalten, indem wir
seine Entlassung fordern. - Deshalb haben Sie hier diesen
Antrag gestellt.
({20})
Ich hoffe, dass bei Ihnen auch ein bisschen Unbehagen
darüber einsetzt, dass Sie solche Anträge stellen und solche Debatten hier eröffnen. Wir sagen dazu ein klares
Nein.
Vielen Dank.
({21})
Zu einer Kurzintervention erteile ich jetzt dem Kollegen Heiner Geißler das
Wort.
Frau Präsidentin!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Müller,
Sie haben mich korrekt zitiert; aber Sie können mich mit
dem, was ich gesagt habe, nicht zur Verteidigung von
Jürgen Trittin in Anspruch nehmen. Das können Sie nicht
tun.
({0})
Ich bin in der Tat der Auffassung, dass es für mich
wichtig ist, Deutscher zu sein, aber ich versuche, Christ zu
sein, und ich will Demokrat sein. Die beiden letzteren
Identitäten - das sage ich auch ganz klar - sind für mich
wichtiger.
({1})
Dies entspricht dem Menschenbild, das wir haben, nämlich dem christlichen Menschenbild, das die Würde des
Menschen von der Zugehörigkeit zu irgendeiner Kategorie des Menschen unabhängig macht.
({2})
Aber dieses Menschenbild hindert mich nicht, meine
Heimat und mein Vaterland zu schätzen und zu lieben.
Das ist doch ganz selbstverständlich.
({3})
Damit uns die Prioritäten klar sind: Das Nationale ist
in der Tat kein Grundwert. Das Nationale kann sich mit jeder Ideologie verbünden.
({4})
Die Nationalsozialisten haben sich des Nationalen
bemächtigt, sogar die Kommunisten haben sich dessen
bemächtigt. Das Nationale bekommt dann einen Sinn - so
verstehen dies im Übrigen die Franzosen -, wenn es sich
mit wirklichen Grundwerten verbindet, nämlich mit der
Freiheit, der Gleichheit und der Brüderlichkeit. Dann bekommt das Nationale den Rang, der ihm in einer freiheitlichen Demokratie zukommt.
Deswegen, Jürgen Trittin, war das, was Sie gesagt haben, intellektuell unzulänglich und auch moralisch nicht
verantwortbar; denn ich kann - wenn das, was ich gesagt
habe, wahr ist - unmöglich einen Menschen wie Laurenz
Meyer, der anerkannter, überzeugter Demokrat ist und der
in seiner Weise zum Ausdruck gebracht hat, was er von
Deutschland hält, mit rassistischen Schlägern, die andere
Menschen verletzen oder töten, in einen Topf werfen. Das
dürfen Sie nicht tun!
({5})
Deswegen - dazu hätte er etwas sagen sollen - können
wir auf der Basis, wie hier von ihm argumentiert worden
ist, diese Debatte um Patriotismus wirklich nicht weiterführen. Wir brauchen die richtige Rangordnung. Das
Erste ist die Menschenwürde und sind die wirklichen
Grundwerte. Das Nationale kommt hinzu. Nur so gewinnen wir die moralische Kraft, für unser Land einzutreten.
({6})
Das Wort hat der Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, Dr. Werner
Müller.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Ich habe um das Wort gebeten, nicht etwa, weil
ich die verbale Entgleisung von Herrn Bundesminister
Trittin gegenüber Herrn Meyer in einem spontanen Radiointerview hier entschuldigen möchte, sondern weil
mich der Antrag der Opposition auf Entlassung stört.
({0})
Denn dieser Antrag ist kein Beleg einer sachlich überzeugenden Arbeit der Opposition, sondern leider vielmehr
Beleg einer sehr bemerkenswerten Selbstgerechtigkeit.
({1})
Welche Selbstgerechtigkeit ist hier deutlich zu erkennen? Erstens die Selbstgerechtigkeit, anzunehmen, man
mache seitens der Opposition eine wesentlich bessere
Umweltpolitik, als dies die Bundesregierung mit Herrn
Bundesminister Trittin tue. Zweitens und vor allem ist es
doch höchst selbstgerecht, wenn man meint, Herrn Bundesminister Trittin sei hier eine verbale Entgleisung passiert, die in den Reihen der Opposition niemals passieren
würde.
({2})
Ich will es den Bürgerinnen und Bürgern überlassen, zu
entscheiden, was inhaltlich eine schlimmere Entgleisung
war: die Äußerungen gegenüber Generalsekretär Meyer
oder die plakative Darstellung des Herrn Bundeskanzlers
als Verbrecher bzw. auf Verbrecherfotos.
({3})
Eine Entgleisung ist meines Erachtens beides. Aber die
Entgleisung von Herrn Bundesminister Trittin war die
spontane Entgleisung eines Einzelnen, und die Verbrecherfotos des Bundeskanzlers waren nicht spontane Fehlleistungen eines Einzelnen, sondern eine kollektiv geplante Diffamierung des Bundeskanzlers.
({4})
Wenn Sie hier diskutieren wollen, welche Gesinnung hinter dieser spontanen Entgleisung von Herrn Trittin stand,
müssen wir auch über die Gesinnung reden, die dahinter
steht, wenn kollektive Entgleisungen geplant werden.
({5})
Ich teile vollkommen die Auffassung, dass die erste
Entschuldigung von Herrn Bundesminister Trittin nicht in
Ordnung war. Man kann nicht einfach sagen: Ich habe das
gesagt, und wenn das jemand als Beleidigung empfindet,
dann habe ich das nicht gewollt. - Hier war schon eine andere Entschuldigung notwendig; da hat die Opposition
Recht. Aber die Opposition sollte auch bedenken, dass sie
über diese völlig inadäquate Entschuldigung in Sachen
Verbrecherfotos noch nicht hinausgekommen ist.
({6})
Inzwischen - das finde ich in Ordnung und beachtenswert - hat Herr Meyer erklärt, Herr Trittin habe sich in
aller Form entschuldigt, er akzeptiere die Entschuldigung,
die Sache sei für ihn erledigt.
Aber ich möchte zu meinem Gedanken zurückkommen. Ich sprach davon, dass die Aktion mit den Verbrecherfotos eine kollektiv geplante Tat zur Diffamierung einer einzelnen Person, der des Bundeskanzlers, war. Ich
habe in der letzten Zeit auch die Diffamierung eines gesamten Kollektivs, nämlich des Bundeskabinetts, durch
einen Einzelnen beobachtet. Der Generalsekretär der
Union, Herr Meyer - er wurde hier schon öfters erwähnt -,
hat kürzlich in einer öffentlichen Rede erklärt, dass das
Bundeskabinett Rotlichterfahrung brauche, um arbeitsfähig zu sein.
({7})
Ich möchte das zitieren:
Frau Schmidt
- so Ihr Generalsekretär Meyer ist vermutlich nur deshalb Ministerin geworden, weil
denen nach dem Abgang von Oskar Lafontaine einer
fehlte, der sich im Rotlichtmilieu auskennt.
({8})
Das ist auch eine Entgleisung.
({9})
Mich stört - das sagte ich einleitend - Ihre Selbstgerechtigkeit, die vielleicht darin begründet ist, dass wir dies
im Bundeskabinett schweigend zur Kenntnis genommen
haben.
Insgesamt muss ich Ihnen ehrlich sagen: Wenn man
diese Vorfälle der letzten Zeit betrachtet und sieht, wie
Entgleisungen - ich will sie einmal so nennen, seien sie
geplant oder ungeplant - passieren, dann fragt man sich,
wieso, wenn es einmal Ihren Generalsekretär trifft, darauf
ein Antrag auf Entlassung folgt. Ihr Antrag auf Entlassung
wäre nachvollziehbar, wenn Sie vorher Herrn Meyer entlassen hätten.
({10})
Weil Sie das nicht getan haben - genau genommen hätten
Sie die Führung entlassen müssen -,
({11})
halte ich Ihren Antrag für bemerkenswert selbstgerecht.
Jetzt zu dem anderen Punkt, bei dem eine Fehldenke
vorliegen könnte: wenn Sie meinen, unter Herrn Trittin
und dieser Bundesregierung werde keine gute Umweltpolitik gemacht. Sicher, ich habe oftmals in großen und in
kleinen Fragen meinen Streit mit Herrn Trittin über dessen
konkrete umweltpolitische Forderungen. Übrigens streiten
wir uns fast nie über die umweltpolitischen Ziele, sondern
über die Wege dahin. Aber dazu muss man ganz klar erkennen: Wer die Aufgabe hat, den Faktor Natur und seine
Interessen zu vertreten, der muss in unserer Gesellschaft
kräftig mit den Faktoren Kapital und Arbeit streiten.
({12})
Wir finden immer wieder vernünftige Kompromisse:
bei den regenerativen Energien, bei der Kraft-WärmeKopplung oder bei dem schwierigen Thema Kernenergie.
Und mir fällt an Herrn Trittin auf, dass er für die Kompromisse einsteht, auch wenn ihm das in den eigenen Reihen gewaltigen Ärger bereitet. Ich muss Ihnen sagen: Ich
schätze dieses Eintreten für Ziele und für gemeinsam gefundene Kompromisse. Das ist geradlinig.
({13})
Wo ist diese umweltpolitische Geradlinigkeit bei der
Opposition? Ist es etwa geradlinig, wenn Sie ein Gesetz
über Dosenpfand machen, als Sie noch an der Regierung
waren, wir dieses Gesetz jetzt anwenden und Sie die
Anwendung Ihres eigenen Gesetzes kritisieren?
({14})
Ist es etwa eine geradlinige Umweltpolitik, wenn man als
Umweltministerin an der Einführung der Ökosteuer arbeitet - die Papiere liegen ja noch alle vor - und nun in
der Opposition genau dies bekämpft?
Der Faktor Natur braucht einen harten, geradlinigen
Vorkämpfer, gerade auch im Kabinett. So schwierig die
Zusammenarbeit mit einem solchen Vorkämpfer wie Bundesminister Trittin oft auch ist, muss ich doch in aller
Deutlichkeit sagen:
({15})
Ich möchte diese Zusammenarbeit der Sache wegen nicht
missen.
({16})
Es ist noch ein Moment Redezeit.
({17})
- Es ist noch ein Moment Redezeit; danach höre ich auf. Gestatten Sie mir, bevor ich aufhöre, doch noch wenige
Worte an die Opposition zu richten. Konzentrieren Sie
sich doch einfach auf den Versuch einer guten Sacharbeit!
({18})
Ich will Ihnen auch sagen, warum: damit man in Deutschland auch auf die Opposition stolz sein kann.
({19})
Überdenken Sie - ich bitte darum - Ihre Angriffe auf
Personen und Institutionen, wie zum Beispiel auf das Amt
und die Person des Bundespräsidenten. Überdenken Sie
bitte auch Ihr Verlangen, kleinkariert wissen zu wollen,
was Mitglieder der Bundesregierung vor 20 oder 30 Jahren waren, meinten und sagten. Überdenken Sie alles in
allem das, was ich eingangs sagte: Ihre Selbstgerechtigkeit.
({20})
Sie können ein Zeichen setzen: Sie können schlicht und
ergreifend Ihren heutigen Antrag zurückziehen.
Vielen Dank.
({21})
Für die Fraktion der
CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Dr. Theodor Waigel.
Frau Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist eigenartig, dass in den Wortmeldungen der Koalition - mit Ausnahme in der des nicht dem Parlament und keiner Partei
angehörenden Bundeswirtschaftsministers - der Name
Trittin fast nicht vorgekommen ist.
({0})
Herr Struck hat es im Rahmen einer Filibusterrede wirklich fertig gebracht - er versuchte Herbert Wehner zu imitieren; der konnte es natürlich erheblich besser -, den Namen Trittin nicht zu nennen.
Umso besser war es natürlich, dass sein Parlamentarischer Geschäftsführer Schmidt Folgendes gesagt hat - das
ist heute in der „FAZ“ nachzulesen -: „Jeder weiß, noch
einen Schuss hat er nicht frei.“ Das heißt, der Mann steht
heute auf dem Prüfstand. Sie, Herr Müller, erwarten noch
eine lange Zeit der Zusammenarbeit. Dabei hat er nur
noch einen Schuss frei. Was ist das für eine Verteidigung
eines Ministers durch die SPD?
({1})
Frau Müller, ich will Ihnen einmal sagen, wie man
Rechtsradikale am besten bekämpft: ganz sicher nicht mit
der Politik der Grünen, sondern indem man ihnen Wähler
wegnimmt und Themen besetzt, sodass diese keine
Chance haben, ihre radikalen Themen unter die Leute zu
bringen. Das haben wir in Bayern, in Baden-Württemberg
und in anderen Ländern unter Beweis gestellt.
({2})
Es geht darum, dass wir natürliche Werte wie Heimat, Nation und Vaterland nicht den Rechtsradikalen überlassen.
Es wäre sehr gefährlich, wenn wir jenen die Chance gäben, diese Themen zu besetzen und damit hoffähig zu
werden. Das müssen wir verhindern!
({3})
Herr Bundesminister Müller, warum hat eigentlich nicht
der Vizekanzler gesprochen? Mit welchem Auftrag sind Sie
hier vorgeschickt worden? Vielleicht als Kamerad?
({4})
Sie sind ja gar kein Mitglied des Parlaments. Die Frage,
welche Anträge wir stellen oder nicht stellen, geht Sie
nichts an! Es ist unsere Angelegenheit, darüber zu entscheiden!
({5})
Bei den Grünen geht ein Gespenst um: die Angst vor
der Vaterlandsliebe.
({6})
Ob Amerikaner, Engländer, Franzosen, Russen, Polen
oder Tschechen, alle bekennen sich zu ihrer Nation, sind
stolz auf die Leistungen ihres Vaterlandes und demonsBundesminister Dr. Werner Müller
trieren nicht nur an historischen Feiertagen oder anlässlich von Siegen ihrer Sportler ein gesundes Nationalbewusstsein. Wenn wir auf uns nicht stolz sind, wenn wir
uns unserer selbst nicht sicher sind, dann werden die anderen an uns unsicher. Wenn wir das Natürlichste der
Welt, nämlich den Stolz auf Heimat, Vaterland und Nation, nicht besäßen, wären wir geradezu eine falsche, eine
unnatürliche Nation. Genau das dürfen wir in Europa und
in der Welt nicht sein.
({7})
Der frühere Bundespräsident Karl Carstens zählte die
Schwäche der Bindungen an Nation und Vaterland zu den
Mängeln der deutschen Demokratie im ausgehenden
20. Jahrhundert. Dabei stellt die Nation in den Worten
Martin Walsers „im Menschenmaß das wichtigste geschichtliche Vorkommen“ dar.
In der heutigen industriellen Massengesellschaft, die
durch eine Individualisierung der Lebensverhältnisse,
durch einen Wertepluralismus und auch durch ein Nachlassen religiöser Bindungswirkungen geprägt ist, stellt
sich die Frage: Was hält das Ganze zusammen? Es sind
primär nicht universalistische Rechtsvorstellungen. Das
Bekenntnis zu einer alle bindenden Grundrechtsgemeinschaft ist wichtig. Aber die entscheidende Bindungswirkung kommt nach wie vor aus dem nationalen Zusammengehörigkeitsgefühl. Wenn Deutschland in den letzten
zehn Jahren 1 800 Milliarden DM für eine große nationale
Herausforderung aufgewendet hat, dann geschah das aus
nationalem Zusammengehörigkeitsgefühl, nicht aus der
Solidarität der K-Gruppen.
({8})
Zur Nation als Solidaritäts- und als Schicksalsgemeinschaft gibt es bis heute keine historische Alternative. Ich
lasse mich an europäischem Bewusstsein und Engagement von niemandem übertreffen. In den beiden Fraktionen CDU/CSU und F.D.P. haben wir in den letzten zehn
Jahren nun wirklich unter Beweis gestellt, dass wir,
manchmal in schwierigster Situation, zu unserer europäischen Identität standen. Nur, genauso richtig ist auch,
dass Europa nur entstehen kann als ein Europa der Regionen, der Nationen und der Vaterländer, so wie es de Gaulle
schon in den 60er-Jahren formuliert hat.
({9})
Vaterlandsliebe, Patriotismus, Nationalbewusstsein:
Das alles hat mit einem pervertierten Nationalismus nichts
zu tun. Wir Deutsche wissen um die Irrwege unserer Geschichte. Wir haben unsere Lektion gelernt. Wir bekennen
uns zu unserer historischen Verantwortung. Aber die Identität des wiedervereinigten Deutschlands auf die Aufarbeitung des „Tausendjährigen Reichs“ zu verengen, hieße, den
Deutschen auf ewig ein bei allen anderen Nationen übliches und geläutertes Nationalbewusstsein vorenthalten zu
wollen. Ein Volk, das geschichtlich nur von der Vergangenheitsbewältigung lebt, kann auf Dauer keine unseren
befreundeten und benachbarten Völkern entsprechende
nationale und historische Identität ausbilden.
({10})
Wenn sich heute die 68er und ihre Erben als die wahren Gründer der Demokratie aufspielen, dann stellen sie
die Geschichte auf den Kopf. Die Neomarxisten im Umfeld der Frankfurter Schule wollten nämlich keine Demokratie, sondern eine Diktatur.
({11})
Wer sich lautstark zu Mao, Che Guevara und Ho Chi Minh
- alles Diktatoren - bekannt und deren Lehren nachgelesen und gebetsmühlenhaft nachgeplappert hat, der kann
doch nicht behaupten, er sei für eine Freiheitsdemokratie
eingetreten.
({12})
Natürlich kann auch ein Patriot an seinem Vaterland
zweifeln, ja sogar verzweifeln. Zwei Tage vor der Kapitulation hat der schwäbische Dichter und Philosoph
Joseph Bernhart in sein Tagebuch geschrieben:
Zu Hause, als ich allein war, umfing mich die
schrecklichste Einsamkeit des Menschen ohne Vaterland.
Das schrieb jemand, dem die Nationalsozialisten zwölf
Jahre seines Lebens genommen und den sie frontal angegriffen hatten.
Das heißt: Er und viele andere haben gespürt, was es
heißt, das Vaterland zu verlieren. Sie haben gezweifelt
und waren manchmal sogar verzweifelt. Sie haben ihr Vaterland aber nicht weggelegt und auch nicht weggeworfen. Sein Vaterland kann man nicht wegwerfen.
({13})
Der Skinhead-Vergleich des Kollegen Trittin war mehr
als eine rhetorische Entgleisung. Er war ein bewusster Anschlag auf die politische Kultur unseres Landes;
({14})
denn hinter seinen Äußerungen steht letztlich das Ziel, alles, was rechts von Rot-Grün steht - von den Nationalliberalen bis zu den Konservativen -, in die rechtsradikale Ecke zu stellen und damit vom politischen Diskurs
auszugrenzen.
Herr Kollege Waigel,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Michael
Müller?
Nein.
({0})
Das kommt ausgerechnet aus den Kreisen, die früher im
Dunstkreis von K-Gruppen und Mescalero-Schmährufen
gestanden haben.
({1}) -
Dr. Peter Struck [SPD]: Unglaublich!)
An den Herrn Bundesminister Trittin sei die Frage erlaubt: Wenn Sie nicht auf Ihr Land stolz sind, schämen Sie
sich dann Ihres Landes? Wie wollen Sie eigentlich deutsche Interessen vertreten und Politik für Deutschland gestalten, wenn Ihnen jede Bindung zu diesem Vaterland,
auf das Sie verpflichtet sind, abgeht?
({2})
Der Bundeskanzler nannte Sie ein Risiko. Die Presse zitiert die Grünen-Abgeordnete Rita Grießhaber mit den
Worten: „Er ist so etwas wie ein politischer Quartalssäufer.“
({3})
Ich kann Ihnen versichern, dass ich mir diese unparlamentarischen Worte nicht zu Eigen mache.
({4})
Dem Bundeskanzler fehlt die politische Kraft, einen alten Kameraden fallen zu lassen.
({5})
Herr Trittin, Sie haben bei der Vereidigung geschworen,
Ihre Kraft dem Wohle des deutschen Volkes zu widmen
und Schaden von ihm abzuwenden.
({6})
Sie können schon aus Gründen der persönlichen Selbstachtung dem von Ihnen geliebten Land nur noch einen
Dienst erweisen: Treten Sie zurück!
({7})
Die letzte Rednerin in
dieser Debatte ist die Kollegin Anke Fuchs für die SPDFraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eigentlich wollte ich eine sachliche
Rede halten, aber jetzt gelingt mir das nicht mehr.
Erst einmal möchte ich mich bei dem Kollegen Geißler
dafür bedanken, dass er Herrn Merz und Herrn Westerwelle
eine so gute Nachhilfestunde gegeben hat. Wenn die gesamte Fraktion der CDU/CSU so reden würde, wären wir
ein Stück weiter.
({0})
Willy Brandt hätte heute gesagt: Wir waren schon einmal
weiter.
Wenn man die Debatten der letzten Wochen verfolgt,
muss ich sagen, dass ich ziemlich erschreckt bin.
({1})
Der Kollege Waigel hat vom Tausendjährigen Reich geredet und diesen Begriff nicht in Klammern gesetzt oder
„so genannt“ davor gestellt. Ich hatte das Gefühl: Es war
wirklich von gestern, was uns der Kollege Waigel hier geboten hat.
({2})
Damit dies für meine Fraktion klar ist: Herr Trittin hat
sich für seine Äußerung entschuldigt. Wir sind miteinander der Auffassung, dass er ein erfolgreicher Umweltminister ist.
({3})
Deswegen sehen wir keine Veranlassung, ihn zu entlassen.
({4})
Ich finde es interessant, was Herr Müller gesagt hat: Eigentlich hätten Sie Herrn Meyer entlassen müssen; denn
er hat sich für sein Plakat mit dem Fahndungsfoto des
Bundeskanzlers noch nicht entschuldigt. Darauf warten
wir noch. Wir hoffen, dass Sie endlich zur Vernunft kommen.
({5})
Wenn man Unterschriftskampagnen gegen Menschen
auflegt, dann ist das Menschenjagd. Dies lassen wir mit
den Mitgliedern unseres Kabinetts nicht machen. Deswegen lehnen wir es ab, weiter mit Ihnen darüber zu diskutieren.
({6})
Was mich am meisten schockiert, ist die Geisteshaltung von Herrn Westerwelle. Diese habe ich ihm gar nicht
zugetraut. Irgendetwas muss von „Big Brother“ abgefärbt haben, dass Sie in einer so beengten Art und Weise
diskutieren.
({7})
Ich finde es schade und will Ihnen auch sagen, warum ich
es schade finde: Diese Debatte ist überflüssig und findet
auf einem so niedrigen und verquasten Niveau statt, dass
sie den Herausforderungen unseres Landes nicht gerecht
wird.
({8})
Wir haben doch in unserem Land, in Europa und der Welt
etwas anderes zu tun. Ich will an zwei Sachthemen klarmachen, wie verhängnisvoll diese Debatte ist. Die Fragen
der europäischen Einigung sowie der Zuwanderung und
Integration werden wir mit einem dumpfen RechtsextreDr. Theodor Waigel
mismus nicht packen können, sondern da sind differenzierte Antworten gefragt.
({9})
Wie steht es mit dem Ansehen der Bundesrepublik
Deutschland, wenn wir uns mit diesen Themen so auseinander setzen? Das ist doch das Problem. Sie mögen alles
anders meinen, geben aber Signale in die falsche Richtung.
({10})
Sie schüren die Ideen jener, die sagen: Deutsche sind
bessere Menschen als andere, wir wollen unter uns sein,
Ausländer raus.
({11})
Damit ermutigen Sie die Falschen und verhindern eine
vernünftige Politik europäischer Einwanderung.
({12})
„Leitkultur“ und „deutscher Stolz“ sind Kampfbegriffe,
die unserem Ansehen schaden und der Entwicklung in Europa nicht förderlich sind.
({13})
Wir Frauen haben es gut, denn wir sind ja gar nicht
gemeint, da immer vom Stolz, Deutscher zu sein, gesprochen wird. Stolz, Deutsche zu sein, kommt gar nicht vor.
Wir sehen damit wieder einmal, wie verräterisch Sprache
sein kann.
({14})
Ich will auf das Zusammenleben in Europa zu sprechen kommen. Die europäische Entwicklung ist doch die
Erfolgsgeschichte unseres Landes nach dem Zweiten
Weltkrieg. Darüber müssen wir mit unseren Leuten diskutieren. Wir müssen sie mitnehmen und überzeugen und
in diesem Zusammenhang haben wir noch sehr viel Arbeit
vor uns. In dieser Diskussion, Herr Merz, sind die Fragen
zu stellen: Wo ist meine Identität, wo ist meine Heimat,
wo ist mein Vaterland? Das gilt es einzubeziehen, aber
nicht mit Vokabeln, die Ausgrenzung signalisieren.
({15})
Stolz sein auf Hitler, Ulbricht oder Honecker? Nein,
natürlich nicht.
({16})
Stolz sein kann man beispielsweise auf das, was wir an
stabiler Demokratie, an Partnerschaft mit unseren Nachbarn, an Wohlstand für alle Menschen und an Sozialstaatlichkeit sowie Rechtsstaatlichkeit aufgebaut haben. Das
sind beispielhafte Entwicklungen, und auf die sind wir
stolz. Stolz und glücklich sind wir auch darüber, dass die
Menschen in Ostdeutschland in einer friedlichen Revolution die Diktatur abgeschafft haben und wir gemeinsam in
einem wiedervereinigten Deutschland den Weg nach Europa gestalten können.
({17})
Das ist es doch, was uns beflügelt, was uns motiviert, und
das ist doch das, was Willy Brandt meinte, als er sagte:
Deutsche, ihr könnt stolz auf euer Land sein, weil ihr für
die Demokratie und zum Wohle der Menschen in unserem
Land etwas geleistet habt.
({18})
- Nein, vorher war es anders. Vorher war es eine rückwärts gerichtete nationale Politik und Willy Brandt hat
uns alle aus der Verengung rausgeholt und es war Befreiung, Zuversicht, gebrochene Geschichte, Zukunft gestalten und nicht auch mit alten Nazis Restauration betreiben
- so wie Sie es damals getan haben.
({19})
Sie haben damals gegen die Ostverträge gekämpft; wir
wissen das noch alle.
({20})
- Sie haben das angefangen und wir haben es fortgesetzt.
Herr Repnik, es war in der außenpolitischen Entwicklung
unseres Landes so: Zuerst hat die CDU/CSU die Westintegration gegen unseren Willen betrieben, dann haben
wir gegen Ihren Willen die Integration zum Osten hin ermöglicht und die Friedenspolitik gestaltet. Die jeweilige
Opposition hat dabei im Nachhinein die Regierungspolitik mitgetragen und dann gab es einen gemeinsamen Konsens. Das ist das Stückchen Kontinuität, das wir in der
Außenpolitik haben. Deswegen ist es ganz gut, dass wir
daran erinnern, dass die Themen immer zunächst kontrovers waren. Das macht auch nichts, weil wir trotzdem
Kontinuität und Stabilität organisiert haben.
({21})
Sie haben in diesem Zusammenhang Johannes Rau
angegriffen. Ich finde das so lächerlich. Wer Johannes
Rau und seine Lebensleistung kennt, weiß, wie differenziert er mit den Themen Nationalität und Patriotismus
umgeht. Einem solchen Mann zu sagen, er sei für sein
Amt nicht geeignet, ist so etwas von peinlich,
({22})
Anke Fuchs ({23})
dass ich darüber eigentlich gar nicht mehr sprechen
möchte.
({24})
Ich sagte, wir wären schon einmal weiter gewesen.
Willy Brandt hätte hinzugefügt: Ich möchte uns ein bisschen Gelassenheit wünschen. Das gelingt heute nicht,
weil alles etwas aggressiv ist.
({25})
Wir waren auch mit unseren Bundespräsidenten immer
auf einer Schiene.
({26})
Sie haben Nationalität, Rechtsaußenorientierung und deutschen Stolz nie zu ihrer Begrifflichkeit gemacht. Als Gustav
Heinemann gefragt wurde, ob er das Land liebe, hat er geantwortet: Ich liebe nicht den Staat; ich liebe meine Frau. Das war doch herrlich und schön und es war richtig.
({27})
Ich fand es auch schön, als Roman Herzog sagte: Ich
kann zur Not noch eine Landschaft lieben. Aber ich liebe
keine Institution, den Staat so wenig wie beispielsweise
die Allgemeine Ortskrankenkasse.
({28})
Das sind die richtigen Vokabeln. So geht man mit diesem
Thema um.
({29})
Johannes Rau hat ähnliche Vokabeln benutzt. Deswegen
sage ich: Wir waren schon weiter. Vor dem Hintergrund
unserer 50-jährigen Geschichte ist es jetzt fast so, als ob
Epigonen über etwas reden, von dem sie gar keine Ahnung haben. So kommt mir das manchmal vor.
({30})
Das erste Sachthema, das ich angesprochen hatte, war
Europa und der Hinweis darauf, wie fatal es ist, wenn wir
das Ansehen Deutschlands in Europa beschädigen und
damit den europäischen Weg erschweren. Das zweite
Sachthema, das ich ansprechen möchte und bei dem wir
die Menschen mitnehmen müssen und bei dem noch ein
großer Diskussionsbedarf besteht, ist die Einwanderung
und Zuwanderung. Ich war sehr glücklich, nicht stolz,
als Johannes Rau nach seiner Wahl zum Bundespräsidenten in seiner Dankesrede sagte: In Art. 1 des Grundgesetzes heißt es: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“
Er fügte hinzu: „Ganz zu Recht sagt das Grundgesetz, die
Würde des Menschen ist unantastbar und nicht nur die
Würde der Deutschen.“ Das waren seine Worte.
({31})
Das ist der Fahrplan für eine offene und tolerante Gesellschaft, für das Zusammenleben der Menschen in unserem
Land. Wir sind noch gar nicht so weit gekommen, dass wir
wirklich von Integration und von einem Miteinander reden können. Deswegen ist es so fatal, wenn der Eindruck
erweckt wird: Stolzer Deutscher heißt Ausgrenzung und
„Ausländer raus!“.
({32})
Lassen Sie uns Integration und Zusammenleben in unserem Lande zu einem wichtigen Thema der politischen
Diskussion machen.
({33})
Ich fordere Sie auf: Kommen Sie zu den Sachfragen
zurück! Sie werden damit nicht durchkommen, wenn Sie
nichts zu den Sachthemen sagen und stattdessen meyern
und die Bundesregierung bekämpfen und Menschenjagd
auf einzelne Mitglieder des Kabinetts machen. Das wird
nicht gelingen. Es gibt viele Fragen, auf die wir eine Antwort finden müssen. Ich als Sozialpolitikerin möchte Sie
auffordern: Lesen Sie doch bitte noch einmal nach, was in
unserem Rentenkonzept steht, und begreifen Sie endlich,
dass es zukunftsorientiert ist, die eigenständige soziale
Sicherung der Frau zu verbessern, was wir massiv tun. Ich
sage Ihnen ganz unmissverständlich: Die Witwenversorgung verliert für die heute unter 40-Jährigen gegenüber
der eigenständigen sozialen Sicherung an Bedeutung. Sie
nehmen das leider nicht zur Kenntnis, weil Sie die
gesellschaftlichen Veränderungen nicht akzeptieren wollen.
({34})
Zum Schluss möchte ich Ihnen noch sagen: Ich freue
mich und ich bin auch stolz darauf, dass eine sozialdemokratisch geführte Bundesregierung unter Bundeskanzler
Gerhard Schröder die Reformen durchsetzt, die Deutschland braucht.
({35})
Es hat viel zu lange keine Veränderungen gegeben. Wir
werden jetzt und - hoffentlich - gemeinsam für die Menschen in der Bundesrepublik, in Europa und in der Welt
jene Werte einfordern und umsetzen, die unser Grundgesetz prägen. Vor uns liegt viel Arbeit. Die verpflichtenden
Werte unseres Grundgesetzes, Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit, sind die Maßstäbe für Politik und Gesellschaft, auch in einer globalisierten Welt.
({36})
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, es liegen zwei Anmeldungen für Kurzinterventionen vor. Ich bitte die Kollegin Fuchs, gegebenenfalls auf beide zusammen zu erwidern.
Zunächst erteile ich das Wort dem Kollegen
Dr. Theodor Waigel.
Anke Fuchs ({0})
Frau Kollegin
Fuchs, Sie haben mir in Ihrer Rede unterstellt, ich hätte
ohne Anführungszeichen vom Tausendjährigen Reich
gesprochen.
({0})
Ich zitiere, was ich gesagt habe: Deutschlands Geschichte
umfasst mehr als 1 000 Jahre und darf nicht auf die Jahre
des Terrors, des braunen wie des roten, eingeengt werden. Mir aus diesen Worten zu unterstellen, ich hätte ohne Anführungszeichen vom Tausendjährigen Reich gesprochen,
ist eine Unverschämtheit! Ich fordere Sie auf, sich zu entschuldigen und das zurückzunehmen.
({1})
Herr Kollege
Westerwelle, Ihre Kurzintervention bitte.
Frau Präsidentin!
Frau Kollegin Fuchs, ich möchte zunächst einmal etwas
zu der Debatte sagen, soweit sie den Bundespräsidenten
angeht. Ich finde das bedauerlich, dass Sie - ausschließlich Ihre Seite und gerade Sie persönlich; ich habe das
übrigens nicht getan - eine solche Debatte in dieses Haus
hineinholen.
({0})
- Ich habe mir das verkniffen.
({1})
Aber wenn Sie in diesem Haus etwas zu dem Herrn Bundespräsidenten sagen, dann will ich zwei Dinge darauf
erwidern. Als er bei seiner Rede gesagt hat, es gehe um die
Würde der Menschen und nicht nur um die Würde der
Deutschen, habe ich zu denen gezählt, die gesagt haben:
Das ist hervorragend; das ist genau das, was ich selber
fühle und denke. Wenn wir aber freitags im Bundestag
eine Debatte über die Entlassung von Herrn Trittin fordern - das ist das Recht der Opposition - und sich der Herr
Bundespräsident am selben Tag dazu äußert, dann muss
ich Ihnen bei allem Respekt sagen: Wenn sich der Herr
Bundespräsident in die Tagespolitik einbringt, dann muss
es das Recht jedes Demokraten sein, darauf zu erwidern.
({2})
Nichts anderes ist geschehen.
({3})
Was Sie mir an Äußerungen im Hinblick auf den Herrn
Bundespräsidenten unterstellt haben, das habe ich nicht
gesagt; lesen Sie das bitte nach.
({4})
Ich will ein Zweites sagen, und das ist genau das Entscheidende. So wie Sie heute mit Herrn Kollegen Waigel
umgegangen sind, so haben Sie auch in meine Richtung
gesprochen. Wenn Sie den Eindruck erwecken, das sei
- das haben Sie ja doppelt und dreifach unterstrichen - die
Menschenjagd gegen einen Mann,
({5})
dann möchte ich Ihnen sagen, wie es mir in einem solchen
Augenblick geht: Ich finde, ich nehme als Parlamentarier
der Opposition mein Recht wahr, auf die Entlassung eines
Ministers zu drängen,
({6})
von dem ich nicht überzeugt bin. Wenn man dann solche
Begriffe wie Menschenjagd in die Debatte einführt, dann
hat das für mich Assoziationen der Geschichte, die ich mir
verbitte, meine sehr geehrten Damen und Herren!
({7})
Ich verbitte es mir, dass Sie in unsere Richtung von
dumpfem Rechtsextremismus sprechen!
({8})
Ich verbitte es mir auch, dass Sie sagen, „stolzer Deutscher“ bedeute „Ausländer raus!“
({9})
Es hat niemand in diesem Hause verdient, dass Sie ihn in
die rechtsradikale Ecke stellen. Bitte argumentieren Sie
nicht mit der Faschismuskeule; das ist Ihrer als Vizepräsidentin dieses Hauses nicht würdig.
({10})
Zur Erwiderung Frau
Kollegin Fuchs, bitte.
Herr Kollege Waigel, ich
habe es so gehört ({0})
und mehrere mit mir. Ich schaue das aber im Protokoll
nach. Wenn Sie es nicht gesagt haben, entschuldige ich
mich sofort. Aber ich habe es so gehört und war deswegen
empört - und mehrere Kolleginnen und Kollegen ebenfalls.
({1})
- Nein, es kommt darauf an, was Sie gesagt haben; manchmal weicht man ja auch vom Konzept ab. Auch ich habe
etwas anderes erzählt, als ich vorhin aufgeschrieben habe.
({2})
Herr Kollege Waigel, nehmen Sie mir ab, dass ich es so
gehört habe. Aber wir werden im Protokoll, das ja nicht
geändert werden wird, nachlesen, was Sie gesagt haben.
Wenn ich etwas aufgeschnappt habe, was Sie nicht gesagt
haben, entschuldige ich mich dafür.
({3})
Nun zu Herrn Westerwelle. Die Debatte nimmt ja eine
schöne Entwicklung. Sie zeigt mir, dass Herr Westerwelle
offensichtlich folgende Strategie fährt: In der Öffentlichkeit darf ich sagen, was ich will, aber für das Parlament
gilt nur, was ich hier gesagt habe. Wo kommen wir denn
da hin, wenn wir das, was wir außerhalb dieses Hauses öffentlich vertreten, hier nicht mehr rechtfertigen?
({4})
Sie haben den Bundespräsidenten, Johannes Rau, angegriffen; deswegen verteidigen wir ihn doch. Wenn wir uns
heute darin einig sind, dass es keinen Sinn macht, die Person Johannes Rau zu beschädigen, und dass es erst recht
keinen Sinn macht, den Bundespräsidenten in seinem Amt
zu beschädigen, dann sind wir ein Stückchen weiter.
Auch wenn Sie die Auffassung vertreten, dass sich der
Bundespräsident nicht hätte äußern sollen, dann geht es
trotzdem nicht, dass Sie ihn angreifen. Der Bundespräsident ist eine Institution. Er spricht für die Bundesrepublik
Deutschland und für die Menschen in unserem Lande. Er
ist nicht jemand, der überhaupt nichts mehr sagen darf.
({5})
Was Sie gesagt haben, finde ich schon sehr seltsam. Ich
sage Ihnen noch einmal: Sie haben den Bundespräsidenten in der Öffentlichkeit angegriffen und dagegen habe ich
mich hier verwahrt.
Nun zum Kern Ihres Angriffs. In einer solchen Debatte
merkt man, dass wir unterschiedliche Grundpositionen
haben. Wir haben unterschiedliche Erfahrungen, unsere
Gefühle und unsere politischen Überzeugungen sind unterschiedlich. Manche verbale Entgleisung rührt daher.
Nehmen Sie denn nicht zur Kenntnis, dass die Rechtsradikalen Begriffe wie „Leitkultur“ und „deutscher Stolz“
besetzen und damit Ausgrenzung - ({6})
- Nehmen Sie das nicht zur Kenntnis? Wenn Sie das nicht
tun, dann müssen Sie nicht nur die „Welt“, sondern auch
einmal andere Zeitungen lesen, in denen das vernünftig
dokumentiert und kommentiert wird, sodass man sich
eine eigene Meinung bilden kann.
({7})
Ich mache mir Sorgen, weil ich wie Sie möchte, dass
wir die demokratische Entwicklung gewaltfrei und ohne
nach rechts ausscheren zu müssen vorantreiben können.
Sie müssen sich darüber im Klaren sein, welche Signale
Sie aussenden, wenn Sie immer wieder von „deutscher
Leitkultur“ sprechen. Sie wissen doch, dass die Rechtsradikalen „Ausländer raus!“ fordern. Sie kennen doch die
Rechtsradikalen, die sagen: Wir wollen unter uns bleiben.
All diese Sprüche sind Ihnen bekannt. In Bezug auf unsere Wortwahl müssen wir darauf achten, dass wir keine
falschen Signale von uns geben. Das müssen Sie noch lernen.
({8})
Ich schließe die Aus-
sprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktion der CDU/CSU auf sofortige Entlassung des Bun-
desministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-
heit, Jürgen Trittin, Drucksache 14/5573. Die Fraktion der
CDU/CSU verlangt namentliche Abstimmung. Ich bitte
die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehe-
nen Plätze einzunehmen. - Sind alle Urnen besetzt? - Das
ist der Fall.
Die Abstimmung ist eröffnet.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist offensichtlich
nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung
zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen
später bekannt gegeben.1)
Von den Kolleginnen und Kollegen Rita Grießhaber,
Helmut Lippelt, Christa Nickels sowie Antje Vollmer
gibt es eine persönliche Erklärung zum Abstimmungsver-
halten gemäß § 31 der Geschäftsordnung in schriftlicher
Form. Der Kollege Oswald Metzger hat sich dieser Er-
klärung angeschlossen.2)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir setzen die Bera-
tungen fort. Ich bitte Sie - auch die Kolleginnen und Kol-
legen der F.D.P. -, umgehend Ihre Plätze einzunehmen
oder den Saal zu verlassen, da es sich bei den nächsten Ta-
gesordnungspunkten um einen Ohne-Debatte-Punkt mit
mehreren Abstimmungen handelt.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 20 a und 20 b sowie
Zusatzpunkt 4 auf:
20 a) Überweisungen im vereinfachten Verfahren
Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Sozialgesetzbuchs
- Neuntes Buch - ({0}) Rehabilitation und
Teilhabe behinderter Menschen
- Drucksachen 14/5531, 14/5639 Anke Fuchs ({1})
1) Seite 15711 D
2) Anlage 2
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung ({2})
Innenausschuss
Sportausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät-
zung
Haushaltsausschuss
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes
- Drucksache 14/5654 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({3})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
ZP 4 Weitere Überweisung im vereinfachten Verfahren
({4})
Beratung des Antrags der Abgeordneten Annette
Faße, Hans-Günter Bruckmann, Dr. Peter
Danckert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der SPD sowie der Abgeordneten Helmut Wilhelm
({5}), Albert Schmidt ({6}), Kerstin
Müller ({7}), Rezzo Schlauch und der Fraktion
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Potenziale im Wasserstraßentransport umweltund naturverträglich nutzen - Intermodalitätsstärken
- Drucksache 14/5667 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({8})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 21 a bis 21 c auf:
21. Abschließende Beratungen ohne Aussprache
a) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 12.
April 1999 zum Schutz des Rheins
- Drucksache 14/4674 ({9})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({10})
- Drucksache 14/5282 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Petra Bierwirth
Winfried Hermann
Birgit Homburger
Eva Bulling-Schröter
b) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherstellung der Nachsorgepflichten bei Abfalllagern
- Drucksache 14/4926 ({11})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({12})
- Drucksache 14/5633 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Petra Bierwirth
Cajus Julius Caesar
Birgit Homburger
Eva Bulling-Schröter
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({13}) zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Ingrid Arndt-Brauer,
Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten
Kerstin Müller ({14}), Rezzo Schlauch, Volker
Beck ({15}) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Neunundzwanzigster Rahmenplan der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen
Wirtschaftsstruktur“ für den Zeitraum 2000 bis
2003 ({16})
- Drucksachen 14/4623, 14/3250, 14/5185 Berichterstattung:
Abgeordneter Christian Müller ({17})
Wir kommen zuerst zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu dem
Übereinkommen vom 12. April 1999 zum Schutz des
Rheins, Drucksache 14/4674. Der Ausschuss für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt auf Drucksache 14/5282, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen,
sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen?
- Ich stelle Einstimmigkeit im Hause fest. Damit ist der
Gesetzentwurf angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den vom Bundesrat eingebrachten Gesetzentwurf zur Sicherstellung der
Nachsorgepflichten bei Abfalllagern, Drucksache
14/4926. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit empfiehlt auf Drucksache 14/5633, den
Gesetzentwurf unverändert anzunehmen. Ich bitte diejeVizepräsidentin Petra Bläss
nigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das
Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung bei Enthaltung der F.D.P.-Fraktion angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist bei Enthaltung der F.D.P.-Fraktion angenommen. Wir
kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für
Wirtschaft und Technologie zu dem Entschließungsantrag
der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen zum Neunundzwanzigsten Rahmenplan der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“, Drucksache 14/5185. Der Ausschuss
empfiehlt, den Entschließungsantrag auf Drucksache 14/4623 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen von
CDU/CSU und F.D.P. angenommen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU
Verantwortung der Bundesregierung für die
Begleitumstände des ersten rot-grünen Castortransports
Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner ist der Kollege Dr. Peter Paziorek für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Zum ersten Mal seit 1997 ist
heute Vormittag wieder ein Castortransport von Frankreich aus im Zwischenlager Gorleben angekommen. Dass
dies möglich war, ist auch ein Verdienst der eingesetzten
Polizei. Dafür gebührt allen Beamten vor Ort ein Dank
des gesamten Hauses.
({0})
Die Demonstrationen gegen die Transporte hatten
friedlich begonnen; sie haben aber dann zum Teil Formen
angenommen, die eindeutig als rechtswidrig bezeichnet
werden müssen. Die Bundesregierung und die Regierungsparteien tragen eine große politische Mitverantwortung für die Eskalation durch die gewaltbereiten Täter;
denn die Regierungsfraktionen haben es im Vorfeld der
Demonstrationen an solchen unmissverständlichen Worten fehlen lassen, wie Sie, Herr Bundesinnenminister
Schily, sie gestern gefunden haben.
({1})
Doch diese Äußerungen, Herr Schily, sind eindeutig zu
spät gekommen.
({2})
Was Sie gestern gesagt haben, hätte schon in der vergangenen Woche von den Regierungsvertretern mit aller
Deutlichkeit gesagt werden müssen.
Das rot-grüne Regierungslager antwortet auf diese
nicht akzeptablen Protestaktionen in unverantwortlicher
Weise zurückhaltend und parteipolitisch schlichtweg
schizophren. Die Fraktionsvorsitzende der Grünen im
Bundestag, Frau Müller, stellt in der Öffentlichkeit einerseits fest: „Wir müssen den Müll zurücknehmen.“ Andererseits sagt sie im nächsten Satz: „Jedoch ist öffentlicher
Druck notwendig, um den zwischen der rot-grünen Bundesregierung und den Energiekonzernen vereinbarten
schrittweisen Atomausstieg möglichst schnell zu schaffen.“
Die Grünen-Parteivorsitzende, Frau Roth, lässt sich am
Rande der traditionellen „Stunkparade“ am Sonntag in
Gorleben in typisch grüner Interpretation des Grundsatzurteils des Bundesverfassungsgerichts dahin gehend ein,
dass es sich hierbei - was wir alle wissen - nicht um ein
Verbot des Demonstrationsrechts handle und dass bestimmte Sitzblockaden toleriert werden müssten. Die
Grünen haben sich damit nicht klar und deutlich frühzeitig von den Vorfällen distanziert, die in den letzten Stunden vor Gorleben passiert sind. Diese theoretische Diskussion im Vorfeld der Demonstrationen war überflüssig
wie ein Kropf.
({3})
Diese schizophrene Haltung des Bündnisses 90/Die
Grünen ist in den letzten Tagen durchgehend festzustellen
gewesen. Sie gleicht einem politischen Eiertanz und ist
mit einer verantwortungsvollen und bürgernahen Politik
nicht mehr zu vereinbaren.
Wir respektieren friedliche Demonstrationen. Doch
Rot-Grün hat ein falsches Signal gegeben und hat jetzt
nicht den Mut, den gewalttätigen Demonstranten eindeutig entgegenzutreten. Rot-Grün muss den Demonstranten
offen sagen, dass es völlig inakzeptabel ist, wenn sie
zukünftig beabsichtigen, mit gewaltsamen Demonstrationen neue Castortransporte aufzuhalten.
({4})
Die Fraktionsvorsitzende der Grünen in Niedersachsen, Frau Harms, sieht sogar einen Erfolg der Protestaktionen. Sie sagte nämlich, die Demonstrationen seien so
heftig, dass weitere Transporte gestoppt werden müssten.
Eine solche Aussage ist aufgrund des geltenden Völkerrechts und der klaren Rechtsposition völlig verantwortungslos.
({5})
Rot-Grün ist gefangen in ihrer über Jahre hinweg betriebenen, völlig überzogenen Stimmungsmache gegen
die Kernenergiepolitik und die Castortransporte. Die in
der Bundesregierung verbreitete Angst vor der Atomenergie ist von Rot-Grün jahrelang geradezu gepflegt worden.
An die Stelle sachlicher Aufklärung über technisch hochVizepräsidentin Petra Bläss
komplizierte Systeme traten Verunglimpfung, Emotionalisierung und Schüren von Misstrauen gegenüber der
Atomenergie. Fast jedes Mittel war hierzu tauglich, nur
rationale Aufklärung über den Umgang mit dieser Technik fand nicht statt.
Es steht zu befürchten, dass diese Bundesregierung
nicht zur Versachlichung beitragen kann, da sie vor dem
Paradoxon steht, heute gutheißen zu müssen, was Mitglieder des jetzigen Kabinetts in früheren Jahren verteufelt haben.
({6})
Rot und Grün haben nicht die Kraft, sich zu der Erklärung
durchzuringen, dass ihre Argumente in der Vergangenheit
eindeutig überzogen waren.
Was kann man in der aktuellen Diskussion von einem
Umweltminister erwarten, dessen Autorität angeschlagen
ist
({7})
- völlig richtig, Herr Marschewski - und der letztlich nur
noch hilflos zu dem Mittel greift, scharfe Briefe an die
Bürgerinnen und Bürger des Wendlandes zu schreiben. Er
ist ein Umweltminister auf Bewährung. Er hat einen
Maulkorb verpasst bekommen und ist deshalb von seiner
Autorität her gar nicht mehr in der Lage, mit den friedlichen Demonstranten zu diskutieren. In dieser umweltpolitischen Diskussion ist er einfach ausgefallen.
({8})
Wir haben aber eine Koalitionsregierung. Dort sind
nicht nur Grüne, sondern auch Sozialdemokraten vertreten. Wo waren in den letzten Wochen und Tagen die klaren und deutlichen Worte seitens der sozialdemokratischen Fraktion? Wir können nur sagen: Bei der SPD
herrschte in dieser Frage Funkstille. Man hatte das Gefühl, dass die SPD Spaß hatte, dass beim Koalitionspartner die Basis wegbrach. Dies hat man sich genüsslich
angeschaut. Ich wiederhole in diesem Zusammenhang:
Die Aussagen des Innenministers am gestrigen Tage waren in Ordnung, aber sie kamen zu spät und somit zu einem falschen Zeitpunkt.
Ich sage zum Schluss: SPD und Grüne, hört mit euren
Eiertänzen auf und sagt deutlich, dass es auch zukünftig
keine Alternative zu diesen Transporten gibt!
({9})
Nur dann, wenn Sie den Mut haben, sich von überzogenen Parolen der Vergangenheit zu distanzieren, werden
gewaltbereite Demonstranten erkennen, dass sie in Sachen Castortransporte die Schlachten der Vergangenheit
schlagen.
({10})
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, bevor ich dem nächsten Redner das Wort
erteile, komme ich noch einmal zum Zusatzpunkt 3
zurück und gebe das von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen
Abstimmung über den Antrag der Fraktion der
CDU/CSU auf sofortige Entlassung des Bundesministers
für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Jürgen
Trittin, Drucksache 14/5573, bekannt: Abgegebene Stimmen 618. Mit Ja haben gestimmt 264 Kolleginnen und
Kollegen, mit Nein haben gestimmt 354 Kolleginnen und
Kollegen. Der Antrag ist damit abgelehnt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 618;
davon
ja: 264
nein: 354
Ja
CDU/CSU
Ilse Aigner
Dietrich Austermann
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Brigitte Baumeister
Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Otto Bernhardt
Hans-Dirk Bierling
Dr. Joseph-Theodor Blank
Renate Blank
Dr. Heribert Blens
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Sylvia Bonitz
Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen ({0})
Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch
Dr. Ralf Brauksiepe
Paul Breuer
Monika Brudlewsky
Klaus Bühler ({1})
Hartmut Büttner
({2})
Dankward Buwitt
Cajus Caesar
Manfred Carstens ({3})
Peter H. Carstensen ({4})
Leo Dautzenberg
Wolfgang Dehnel
Hubert Deittert
Albert Deß
Renate Diemers
Thomas Dörflinger
Hansjürgen Doss
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Rainer Eppelmann
Anke Eymer ({5})
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Albrecht Feibel
Ulf Fink
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({6})
Axel E. Fischer ({7})
Herbert Frankenhauser
Dr. Gerhard Friedrich ({8})
Dr. Hans-Peter Friedrich
({9})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Hans-Joachim Fuchtel
Norbert Geis
Georg Girisch
Dr. Reinhard Göhner
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Hermann Gröhe
Manfred Grund
Horst Günther ({10})
Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein
Gottfried Haschke ({11})
Gerda Hasselfeldt
Norbert Hauser ({12})
Hansgeorg Hauser ({13})
Klaus-Jürgen Hedrich
Helmut Heiderich
Ursula Heinen
Manfred Heise
Siegfried Helias
Hans Jochen Henke
Peter Hintze
Klaus Hofbauer
Martin Hohmann
Dr. Karl-Heinz Hornhues
Siegfried Hornung
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Georg Janovsky
Dr. Harald Kahl
Bartholomäus Kalb
Steffen Kampeter
Irmgard Karwatzki
Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Ulrich Klinkert
Dr. Helmut Kohl
Norbert Königshofen
Eva-Maria Kors
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Rudolf Kraus
Dr. Paul Krüger
Dr. Karl A. Lamers ({14})
Dr. Norbert Lammert
Helmut Lamp
Dr. Paul Laufs
Karl-Josef Laumann
Vera Lengsfeld
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Walter Link ({15})
Dr. Klaus W. Lippold ({16})
Dr. Manfred Lischewski
Wolfgang Lohmann ({17})
Julius Louven
Dr. Michael Luther
Erwin Marschewski ({18})
Dr. Martin Mayer ({19})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Hans Michelbach
Meinolf Michels
Dr. Gerd Müller
Bernward Müller ({20})
Elmar Müller ({21})
Bernd Neumann ({22})
Günter Nooke
Friedhelm Ost
Eduard Oswald
Norbert Otto ({23})
Anton Pfeifer
Dr. Friedbert Pflüger
Beatrix Philipp
Ruprecht Polenz
Marlies Pretzlaff
Dr. Bernd Protzner
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Helmut Rauber
Peter Rauen
Christa Reichard ({24})
Katherina Reiche
Erika Reinhardt
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Hannelore Rönsch ({25})
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Dr. Klaus Rose
Adolf Roth ({26})
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Volker Rühe
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Heinz Schemken
Karl-Heinz Scherhag
Dr. Gerhard Scheu
Norbert Schindler
Dietmar Schlee
Christian Schmidt ({27})
Dr.-Ing. Joachim Schmidt
({28})
Andreas Schmidt ({29})
Michael von Schmude
Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Rupert Scholz
Reinhard Freiherr von
Schorlemer
Dr. Erika Schuchardt
Wolfgang Schulhoff
Gerhard Schulz
Diethard Schütze ({30})
Clemens Schwalbe
Dr. Christian SchwarzSchilling
Wilhelm-Josef Sebastian
Horst Seehofer
Heinz Seiffert
Werner Siemann
Johannes Singhammer
Bärbel Sothmann
Margarete Späte
Carl-Dieter Spranger
Wolfgang Steiger
Erika Steinbach
Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten
Andreas Storm
Dorothea Störr-Ritter
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Strobl ({31})
Michael Stübgen
Dr. Rita Süssmuth
Edeltraut Töpfer
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Angelika Volquartz
Andrea Voßhoff
Peter Weiß ({32})
Gerald Weiß ({33})
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({34})
Hans-Otto Wilhelm ({35})
Klaus-Peter Willsch
Bernd Wilz
Willy Wimmer ({36})
Matthias Wissmann
Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Elke Wülfing
Peter Kurt Würzbach
Wolfgang Zeitlmann
Wolfgang Zöller
F.D.P.
Ina Albowitz
Hildebrecht Braun ({37})
Rainer Brüderle
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Gisela Frick
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich ({38})
Dr. Wolfgang Gerhardt
Joachim Günther ({39})
Dr. Karlheinz Guttmacher
Klaus Haupt
Dr. Helmut Haussmann
Ulrich Heinrich
Dr. Werner Hoyer
Ulrich Irmer
Dr. Klaus Kinkel
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Ina Lenke
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto ({40})
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Gerhard Schüßler
Marita Sehn
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele
Nein
SPD
Brigitte Adler
Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Dr. Hans Peter Bartels
Eckhardt Barthel ({41})
Klaus Barthel ({42})
Ingrid Becker-Inglau
Dr. Axel Berg
Hans-Werner Bertl
Friedhelm Julius Beucher
Petra Bierwirth
Rudolf Bindig
Lothar Binding ({43})
Klaus Brandner
Anni Brandt-Elsweier
Willi Brase
Dr. Eberhard Brecht
Rainer Brinkmann ({44})
Bernhard Brinkmann
({45})
Hans-Günter Bruckmann
Edelgard Bulmahn
Ursula Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Hans Büttner ({46})
Marion Caspers-Merk
Wolf-Michael Catenhusen
Dr. Peter Danckert
Christel Deichmann
Karl Diller
Peter Dreßen
Detlef Dzembritzki
Dieter Dzewas
Sebastian Edathy
Ludwig Eich
Marga Elser
Peter Enders
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Annette Faße
Lothar Fischer ({47})
Gabriele Fograscher
Iris Follak
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster
Peter Friedrich ({48})
Lilo Friedrich ({49})
Harald Friese
Anke Fuchs ({50})
Monika Ganseforth
Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Günter Graf ({51})
Angelika Graf ({52})
Dieter Grasedieck
Monika Griefahn
Kerstin Griese
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Karl-Hermann Haack ({53})
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Manfred Hampel
Christel Hanewinckel
Anke Hartnagel
Klaus Hasenfratz
Nina Hauer
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Monika Heubaum
Reinhold Hiller ({54})
Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Jelena Hoffmann ({55})
Walter Hoffmann ({56})
Iris Hoffmann ({57})
Frank Hofmann ({58})
Ingrid Holzhüter
Eike Hovermann
Christel Humme
Barbara Imhof
Gabriele Iwersen
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Dr. Uwe Jens
Volker Jung ({59})
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Sabine Kaspereit
Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Klaus Kirschner
Siegrun Klemmer
Hans-Ulrich Klose
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Angelika Krüger-Leißner
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Konrad Kunick
Dr. Uwe Küster
Werner Labsch
Christine Lambrecht
Brigitte Lange
Christian Lange ({60})
Detlev von Larcher
Christine Lehder
Waltraud Lehn
Robert Leidinger
Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann
({61})
Christa Lörcher
Erika Lotz
Dr. Christine Lucyga
Dieter Maaß ({62})
Winfried Mante
Tobias Marhold
Lothar Mark
Christoph Matschie
Heide Mattischeck
Markus Meckel
Ulrike Mehl
Ulrike Merten
Dr. Jürgen Meyer ({63})
Ursula Mogg
Christoph Moosbauer
Michael Müller ({64})
Jutta Müller ({65})
Christian Müller ({66})
Franz Müntefering
Andrea Nahles
Volker Neumann ({67})
Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese
Dietmar Nietan
Günter Oesinghaus
Eckhard Ohl
Leyla Onur
Manfred Opel
Holger Ortel
Adolf Ostertag
Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Martin Pfaff
Georg Pfannenstein
Johannes Pflug
Dr. Eckhart Pick
Dr. Carola Reimann
Renate Rennebach
Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter
Gudrun Roos
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({68})
Birgit Roth ({69})
Gerhard Rübenkönig
Marlene Rupprecht
Thomas Sauer
Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch
Rudolf Scharping
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Horst Schmidbauer ({70})
Ulla Schmidt ({71})
Silvia Schmidt ({72})
Dagmar Schmidt ({73})
Wilhelm Schmidt ({74})
Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt ({75})
Carsten Schneider
Dr. Emil Schnell
Walter Schöler
Olaf Scholz
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Ottmar Schreiner
Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert
Richard Schuhmann
({76})
Brigitte Schulte ({77})
Reinhard Schultz ({78})
Volkmar Schultz ({79})
Ewald Schurer
Dr. R. Werner Schuster
Dietmar Schütz ({80})
Dr. Angelica Schwall-Düren
Rolf Schwanitz
Bodo Seidenthal
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie SonntagWolgast
Wieland Sorge
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Antje-Marie Steen
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Rita Streb-Hesse
Reinhold Strobl ({81})
Joachim Stünker
Joachim Tappe
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher
Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak
Rüdiger Veit
Simone Violka
Ute Vogt ({82})
Hans Georg Wagner
Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis ({83})
Matthias Weisheit
Gunter Weißgerber
Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker
Jochen Welt
Dr. Rainer Wend
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Margrit Wetzel
Dr. Norbert Wieczorek
Jürgen Wieczorek ({84})
Helmut Wieczorek ({85})
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Heino Wiese ({86})
Klaus Wiesehügel
Brigitte Wimmer ({87})
Barbara Wittig
Dr. Wolfgang Wodarg
Hanna Wolf ({88})
Waltraud Wolff ({89})
Heidemarie Wright
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel
Peter Zumkley
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Gila Altmann ({90})
Marieluise Beck ({91})
Volker Beck ({92})
Angelika Beer
Matthias Berninger
Grietje Bettin
Annelie Buntenbach
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Dr. Uschi Eid
Andrea Fischer ({93})
Joseph Fischer ({94})
Katrin Göring-Eckardt
Rita Grießhaber
Winfried Hermann
Antje Hermenau
Ulrike Höfken
Monika Knoche
Dr. Angelika Köster-Loßack
Steffi Lemke
Dr. Helmut Lippelt
Dr. Reinhard Loske
Oswald Metzger
Kerstin Müller ({95})
Winfried Nachtwei
Christa Nickels
Cem Özdemir
Simone Probst
Claudia Roth ({96})
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Rezzo Schlauch
Albert Schmidt ({97})
Werner Schulz ({98})
Christian Simmert
Christian Sterzing
Hans-Christian Ströbele
({99})
Wir setzen die Aktuelle Stunde fort. Jetzt spricht der
Kollege Horst Kubatschka für die SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege, ich hatte
vorhin in Ihrer Rede eigentlich umweltpolitische Einwände erwartet. Was Sie aufgebaut haben, waren Pappkameraden, um die es gar nicht geht.
({0})
In meinem Redebeitrag setze ich mich mit dem umweltpolitischen Aspekt des Castortransportes auseinander. Die Bezeichnung der von der CDU/CSU beantragten
Aktuellen Stunde ist schlicht und einfach falsch. Sie betreiben Etikettenschwindel. Es gibt nämlich keine rot-grünen Castortransporte. Richtig ist, dass Rücktransporte aus
La Hague stattfinden. Der Atommüll aus der Wiederaufbereitungsanlage muss von Deutschland zurückgenommen werden. Den Atommüll hat nicht die rot-grüne
Koalition verursacht, sondern die deutschen Kernkraftwerke.
({1})
Richtig ist: Die rot-grüne Koalition will die Castortransporte minimieren. Dazu ist ein Konsens beim Ausstieg aus der Kernenergie notwendig. Richtig ist: Es sind
die ersten Castortransporte während der rot-grünen Regierungszeit.
Liebe Kolleginnen und Kollegen vor allem von der
konservativen Seite, bei dieser Diskussion werde ich den
Verdacht nicht los, dass sich die CDU/CSU und die F.D.P.
möglichst viel Ärger bei diesen Transporten wünschen.
Ich habe in diesem Hohen Haus wiederholt ausgeführt,
dass das Recht auf friedliche Demonstration besteht. Um
es aber noch einmal klar zu sagen: Wir Sozialdemokraten
lehnen jede Gewalt - sowohl gegen Personen als auch gegen Sachen - ab. Nehmen Sie das doch bitte zur Kenntnis.
({2})
Für mich kann es nur friedliche Demonstrationen gegen
die Kernenergie geben.
Die Demonstrationen machen aber auch klar, dass die
Nutzung der Kernenergie in weiten Teilen der Bevölkerung abgelehnt wird. Die Demonstranten befinden sich
nur am falschen Ort. Richtiger wäre es, vor die Konzerne
der EVUs zu ziehen und dort lauthals dagegen zu protestieren, dass der Energiekonsens noch immer nicht unterschrieben ist.
({3})
Die Mehrheit der Bevölkerung will den Ausstieg aus der
Kernenergie im Konsens. Die rot-grüne Koalition will
diesen Ausstieg bewerkstelligen.
Eine Minderheit will den sofortigen Ausstieg aus der
Kernenergie. Auch bei einem sofortigen Ausstieg aus der
Kernenergie könnten diese Castortransporte nicht verhindert werden.
({4})
Verträge verlangen die Rücknahme des Atommülls aus
der Wiederaufbereitungsanlage. Wir können unseren
Dreck nicht einfach in Frankreich abladen.
({5})
Wir sind verpflichtet, den verglasten Atommüll zurückzunehmen. Es ist also nicht der erste und wird leider auch
nicht der letzte Castortransport bleiben. Wie schreibt
Joachim Wille in einem Artikel der „Frankfurter Rundschau“ vom 28. März dieses Jahres so richtig:
Vizepräsidentin Petra Bläss
Sylvia Voß
Helmut Wilhelm ({6})
Margareta Wolf ({7})
PDS
Dr. Dietmar Bartsch
Eva Bulling-Schröter
Heidemarie Ehlert
Dr. Heinrich Fink
Dr. Ruth Fuchs
Wolfgang Gehrcke
Dr. Klaus Grehn
Dr. Gregor Gysi
Uwe Hiksch
Ulla Jelpke
Sabine Jünger
Gerhard Jüttemann
Dr. Evelyn Kenzler
Rolf Kutzmutz
Ursula Lötzer
Dr. Christa Luft
Heidemarie Lüth
Pia Maier
Angela Marquardt
Manfred Müller ({8})
Kersten Naumann
Christine Ostrowski
Petra Pau
Gustav-Adolf Schur
Dr. Winfried Wolf
Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen des Europarates und der WEU, der Parlamentarischen Versammlung der NATO, der OSZE oder der IPU
Abgeordnete({9})
Behrendt, Wolfgang Schloten, Dieter Zierer, Benno
SPD SPD CDU/CSU
Denn keine Bundesregierung, nicht einmal eine pur
grüne, die mit gewendeten Energiekonzernen einen
Sofort-Atomausstieg ausgedealt hätte, könnte auf die
Rücktransporte aus La Hague verzichten.
Die Franzosen haben ein Recht auf diese Rücknahme.
Die Betreiber wiederum haben ein Recht auf die Transportgenehmigung. Das Bundesministerium für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit hat umfangreiche Auflagen erlassen. Diese Auflagen mussten erfüllt werden.
Unter anderem haben die Gutachter sowohl des Öko-Institutes Darmstadt als auch der Gesellschaft für Anlagenund Reaktorsicherheit diese Bedingungen überprüft.
Nachdem die Auflagen erfüllt sind, muss das Bundesamt
für Strahlenschutz die Castortransporte genehmigen. Es
besteht ein Rechtsanspruch.
({10})
Die Auflagen garantieren, dass es zu keiner gesundheitlichen Gefährdung kommt. Das halte ich für sehr
wichtig.
({11})
Die Gesundheit geht vor - bei den Beschäftigten, die mit
den Castoren hantieren, bei den begleitenden Polizisten
und Polizistinnen, den Demonstranten sowie den Bewohnerinnen und Bewohnern des Wendlandes.
({12})
Die rot-grüne Koalition will durch den Konsens unter
anderem erreichen: Erstens. Die Zahl der Castortransporte wird minimiert. Zweitens. Die Atommüllmenge
wird damit absehbar und kalkulierbar. Drittens. Das
Atommüllproblem wird zeitlich begrenzt.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({13})
Nächster Redner für
die F.D.P.-Fraktion ist der Kollege Walter Hirche.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Jeder in Deutschland konnte wissen
- und wusste es auch -, dass Castortransporte für die
Rückführung des Atommülls aus Frankreich notwendig
sind.
({0})
In jedem Fall, in der Vergangenheit wie auch jetzt, lagen
rechtlich einwandfreie Genehmigungen vor.
Ich bin deswegen Bundesinnenminister Schily dankbar, dass er ganz klar gesagt hat: Es ist Rechtsbruch, wenn
mit Blockaden versucht wird, die Transporte zu verhindern. Gewalttätige Aktionen von Kriminellen müssen entsprechend strafrechtlich geahndet werden.
({1})
Diese gewalttätigen Aktionen waren keine Heldentaten, sondern sind zum Teil leider professionelle Kriminalität und beschädigen all diejenigen, die aus Idealismus
demonstriert und nicht blockiert haben.
({2})
Die Untertunnelung von Straßen oder - wozu sogar Kolleginnen und Kollegen vor einem Jahr aufgerufen haben die Zerstörung von Schienen ist kriminelles Unrecht und
das muss dieses Parlament auch in aller Deutlichkeit sagen.
({3})
Wer sich auf edle Motive beruft und glaubt, damit jede
Handlung rechtfertigen zu können, führt ins Faustrecht
des Mittelalters zurück. Das können wir nicht zulassen.
({4})
In unserer Demokratie gibt es kein Recht, so genannten
Widerstand gegen legale Entscheidungen zu leisten. Die
Einschätzung der Polizei, dass die Beteiligung der Grünen
vor Ort die Situation verschärft habe, statt sie zu entspannen, teile ich in vollem Umfang. Die Begründung, die
heutigen Transporte seien gerechtfertigt, weil man einen
Kompromiss mit der Atomwirtschaft erreicht habe, erinnert mich fatal an einen Falschparker, der sagt, er werde
im nächsten Jahr sein Auto abmelden und dürfe deswegen
heute kein Bußgeld auferlegt bekommen.
({5})
Diese subjektive Interpretation ist gefährlicher Unsinn,
der in den Köpfen der Demonstranten nachwirkt. Beziehungsreich hat eine Demonstration den Titel „Die Saat
geht auf“ gehabt. Hier geht die Saat von Begriffsverwirrung und subjektiver Interpretation des Rechts auf: die
Früchte dessen, was insbesondere die Grünen gesät haben
und zum Teil heute noch vertreten. Wenn nämlich nur deswegen, weil die Grünen an der Regierung sind, die Transporte rechtens sind, dann sind offenbar die Demonstranten zu blöd, um zu begreifen, dass es einen Unterschied zu
früher gibt. Die Argumentation, die Blockaden würden
sich nicht gegen die Transporte, sondern gegen ein Endlager oder die Kernenergie an sich richten, ist hanebüchen. Sollen wir in diesem Zusammenhang eigentlich
alle für dumm verkauft werden?
({6})
Es ist schlimm, was inzwischen in den Köpfen von Jugendlichen angerichtet wird. In einem Zeitungsartikel mit
der Überschrift „Schüler als Widerständler“
({7})
wird geschildert, dass Jugendliche im Alter von 11, 13
und 15 Jahren von Lehrern und von Eltern dazu ermuntert werden, am Widerstand gegen diese Transporte
teilzunehmen. Das ist aus meiner Sicht eine Verhetzung
von Jugendlichen und keine verantwortungsvolle Erziehung.
({8})
Das sage ich auch zu dem Diakon, der die Jugendlichen
begleitet und gesagt hat, sie wollten ein Rollenspiel üben:
hier die Demonstranten, dort die Polizei. Bei einer solchen Argumentation wird vergessen, dass es - Herr
Kubatschka hat darauf hingewiesen - hier um genehmigte
und geprüfte Transporte geht, die unser Staat legal organisiert hat.
Diese Jugendlichen werden letzten Endes gegen die
Demokratie und unseren Rechtsstaat aufgehetzt. Das dürfen wir uns nicht bieten lassen.
({9})
Es ist die Saat eines Denkens aus den 70er-Jahren,
({10})
das zum Inhalt hatte, selbst zu definieren, ob man sich an
das Recht hält oder nicht. Solange Sie, Herr Trittin - das
ist das Problem -, nicht an der Regierung waren, waren
Sie gegen die Transporte und fast alles war erlaubt. Jetzt
sind Sie an der Regierung und jetzt ist alles ganz anders.
Sie instrumentalisieren das Recht, je nachdem, ob Sie davon Nutzen haben oder nicht. Dagegen müssen sich dieses Parlament und diese Demokratie wehren.
({11})
Was soll denn eigentlich die Polizei von dieser Bundesregierung halten? Der Innenminister stellt sich hinter
sie und der Umweltminister reklamiert - auch für die Zukunft, trotz der Beschlüsse und Vereinbarungen der Bundesregierung - ein Recht auf so genannten zivilen Ungehorsam. In der eben zu Ende gegangenen Debatte habe ich
dieses Argument gegen den Umweltminister vermisst.
({12})
Sie können noch zehnmal die Entlassung von Herrn
Trittin ablehnen; aber wenn das Demokratieverständnis
eines Ministers dieser Regierung auch für die Zukunft zivilen Ungehorsam gegen legale Akte dieses Staates umfasst, dann ist dies ein Bruch seines Eides auf die Verfassung. Das werden wir nicht hinnehmen.
({13})
Das ist eine Unterminierung der Rechtsgrundsätze.
Meine Damen und Herren, es ist notwendig, gegen die
Gewalttäter vorzugehen - das begrüße ich an den Äußerungen des Bundesinnenministers - und Schadenersatz zu
verlangen, wo Schäden entstanden sind. Als Parlament
dürfen wir nicht zulassen, dass einzelne Kollegen in diesem Hause das Rechtsbewusstsein verdrehen und die
Fundamente der Demokratie zerstören. Auch in diesem
Zusammenhang gilt: Wehret den Anfängen!
({14})
Das feixende Begrüßen solcher Gewaltakte dürfen wir
nicht hinnehmen.
({15})
Für die Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen spricht jetzt die Kollegin
Michaele Hustedt.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ja, es gab
gewalttätige Demonstranten.
({0})
Einen Moment!
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der PDS-Fraktion, Sie wissen, dass es grundsätzlich untersagt ist, in den
Räumen und im Plenum des Deutschen Bundestages Aktionen - auch mittels Verkleidungen - durchzuführen. Ich
fordere Sie hiermit auf, diese Aktion zu unterlassen, das
heißt dazu, Ihre Jacken unverzüglich wieder anzuziehen.
Ansonsten muss ich Sie des Saales verweisen.
Ich bitte jetzt um entsprechende Aufmerksamkeit für
die Kollegin Hustedt.
({0})
Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen der PDS, von
der Aktion Abstand zu nehmen.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, da Sie meiner ersten
Aufforderung nicht Folge geleistet haben, bitte ich diejenigen Kolleginnen und Kollegen, die nicht bereit sind,
ihre Jacken wieder überzuziehen, den Saal zu verlassen.
({2})
Jetzt spricht Kollegin Michaele Hustedt.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Diese
T-Shirts sind doch wunderschön gelb. Mir gefallen sie
ganz gut.
Ja, es gab gewalttätige Demonstranten. Es gab 26 verletzte Polizisten, zwei davon schwer. Ich sage ganz klar:
Das ist absolut inakzeptabel.
({0})
Gewalt gegen Sachen und natürlich Gewalt gegen Menschen - das schadet unserer Demokratie, das schadet auch
dem Anliegen der Demonstranten vor Ort.
({1})
Es ist aus meiner Sicht völlig unakzeptabel, so etwas gutzuheißen.
Aber ich sage auch, und zwar an die Adresse der Opposition: Schütten Sie nicht das Kind mit dem Bade aus.
Es gab dort sehr viele Menschen, die friedlich demonstriert haben.
({2})
Das in Deutschland bestehende Recht auf Demonstrationsfreiheit ist ein hohes Gut. Ich war gerade in der
Ukraine und in Russland. Wenn ich auch in einigen Punkten nicht einverstanden bin, mit welchen Losungen demonstriert worden ist - zum Beispiel „Konsens ist Nonsens“; deswegen war ich bei dieser Demonstration ja auch
nicht dabei -, sage ich Ihnen dennoch: Es ist gut und nicht
schlecht für eine Demokratie, wenn sich Bürger so engagieren und sich bei Nacht und Nebel für eine Sache einsetzen. Deswegen ist diese Demonstration auch ein
Grund, in diesem Zusammenhang stolz auf die deutsche
Demokratie zu sein.
({3})
Ich finde Ihre Argumentation in hohem Maße scheinheilig. Sie messen hier mit zweierlei Maß. Wenn Lastwagenfahrer Straßen blockieren, um gegen die Ökosteuer zu
demonstrieren, dann laufen Sie dort herum; schulterklopfend verteilen Sie Ihre Aufkleber und loben die Lastwagenfahrer für ihre Aktion des friedlichen zivilen Ungehorsams.
({4})
- Das gab es selbstverständlich.
Friedliche Sitzblockaden - dazu gibt es Gerichtsurteile - sind rechtens und gehören zum Recht auf Demonstration. Gewalt gegen Personen, Gewalt gegen Sachen
sind selbstverständlich abzulehnen.
({5})
Ich bin auch stolz darauf, dass wir inzwischen einen
Atomkonsens gefunden haben.
({6})
Der Atomkonsens ist der Versuch von unserer Seite, die
tiefen Gräben, die Sie mit Ihrer Pro-Atom-Politik in dieser Gesellschaft aufgerissen haben
({7})
und in deren Konsequenz wir solche Demonstrationen vor
Ort haben, Schritt für Schritt wieder zuzuschütten.
({8})
Selbstverständlich ist es nicht so, dass wir damit jeden
Konflikt vor Ort verhindern können, aber es ist ein Schritt
aufeinander zu von beiden Seiten. Das ist auch ein Verdienst von Jürgen Trittin.
({9})
Deswegen wundere ich mich manchmal - ({10})
- Ja, im Gegensatz zu Ihnen. Sie sind nicht in der Lage, die
Polarisierung dieser Gesellschaft zu verhindern, sondern Sie
gießen immer noch Öl ins Feuer. Das werfe ich Ihnen vor.
({11})
Wenn ich Ihre Argumentation höre, denke ich manchmal, das wären grüne Transporte. Nein - Herr Kubatschka
hat es schon gesagt -, das sind von der Bundesregierung
genehmigte Transporte, aber es sind natürlich Transporte
der Unternehmen, die Atomkraftwerke betreiben.
Wenn es eine politische Verantwortung für diese Transporte gibt, dann liegt sie bei Ihnen,
({12})
weil Sie ein unsolides Entsorgungskonzept hatten, weil
Sie auf die Wiederaufbereitung gesetzt haben, weil Sie
sonst nicht gewusst hätten, wohin mit dem Müll.
({13})
Deswegen sind diese Transporte auch eine Altlast Ihrer
Regierungszeit. Es ist sehr bedauerlich, dass wir die Folgen dieser Altlast wahrscheinlich noch Jahre, wenn nicht
sogar Jahrzehnte tragen müssen.
({14})
Was ist jetzt zu tun? Ich möchte fünf Punkte nennen.
Erstens. Wir müssen die Atomgesetznovelle so schnell
wie möglich auf den Weg bringen.
({15})
Dazu gehört auch, dass die Stromkonzerne endlich den
Konsens unterschreiben.
({16})
Das ist die entscheidende Herausforderung, die jetzt vor
uns steht.
Zweitens. Wir müssen die Debatte über die Alternative
zum Endlager Gorleben noch intensiver führen, als wir sie
begonnen haben. Wir müssen sie vor allem auch stärker
noch mit den Menschen der Region führen, damit sie wissen, dass wir uns tatsächlich um eine Alternative zu Gorleben bemühen. Denn es ist meine persönliche Überzeugung, dass Gorleben als Endlagerstandort nicht geeignet
ist.
({17})
Drittens. Wir müssen die Zahl der Transporte minimieren. Wir müssen die Zwischenlager genehmigen. Da sind
auch Sie gefordert. Wer gegen Transporte ist, muss für
Zwischenlager sein.
Viertens. Wir müssen prüfen, ob wir die Wiederaufbereitung nicht schneller beenden können, als bisher angesetzt, also vor dem Jahr 2005. Da die Wiederaufbereitung
teurer ist als die Zwischenlagerung, sehe ich dafür durchaus gute Chancen, wenn die Zwischenlager genehmigt
sind.
Fünftens. Wir müssen auch prüfen, ob wir, wenn die
Zwischenlager genehmigt sind, die Menge des Atommülls, der noch in Frankreich liegt, unter Umständen auch
in andere Zwischenlager bringen können; denn es kann
meines Erachtens nicht sein, dass nur Gorleben, nur die
Region Niedersachsen dafür zuständig ist. Das wäre ein
Zeichen dafür, dass wir die Sorgen und Ängste der Menschen in dieser Region ernst nehmen; denn dort wird befürchtet, dass dieses Zwischenlager eine Vorentscheidung
für ein Endlager ist.
Frau Kollegin, Sie
müssen zum Schluss kommen.
Ich komme zum Schluss.
Ich sage sehr deutlich: Das ist keine Vorentscheidung.
Nachdem die Kriterien überprüft worden sind, werden wir
die Diskussion über Alternativen zum Endlagerstandort
Gorleben wieder aufnehmen.
Danke schön.
({0})
Für die PDS-Fraktion
spricht jetzt die Kollegin Heidi Lippmann.
Liebe Kollegin Hustedt! Lieber Jürgen! Liebe Gila! Ich kann gar nicht verstehen, wie
man so viel Schizophrenie überhaupt noch aushalten
kann, wie sie gerade in dieser Rede rübergekommen ist.
Wer wie einige Kolleginnen und Kollegen der PDSFraktion in den vergangenen Tagen, vom Beginn der Proteste bis heute Morgen, als der Castortransport in Gorleben angekommen ist, im Wendland gewesen ist, hat
gesehen, mit welcher Macht dort bis zur dieser Minute
versucht wird, friedlichen Widerstand zu kriminalisieren,
({0})
der hat vor Ort gesehen, wie Vermittler von Kirchen, wie
die wendländische Bevölkerung - die ja einmal aufgrund
der Wahlversprechungen, die in den vergangenen Jahren
gemacht wurden, Rot-Grün gewählt hat -,
({1})
wie Atomkraftgegner aus der ganzen Republik und darüber hinaus, wie Aktivistinnen von Robin Wood und
Greenpeace, wie der Sprecher Jochen Stay von der Initiative „X-tausendmal quer“ mit gewaltbereiten Autonomen,
mit sonstigen Kriminellen in einen Topf geworfen wurden, der hat gesehen, mit welcher Informationspolitik der
rot-grünen Bundesregierung und der Polizeiführung versucht wurde, jeglichen Protest gegen die Castortransporte
einzudämmen.
({2})
Die PDS-Fraktion verurteilt dies zutiefst. Sie versteht
die riesige Enttäuschung, die nicht nur im Wendland vorhanden ist, sondern weit darüber hinaus bei allen Atomkraftgegnern und -gegnerinnen in diesem Land. Denn
diese Enttäuschung basiert auf dem, was die Parteien der
rot-grünen Koalition im Vorfeld der Bundestagswahl
1998 versprochen haben.
Wo ist die Umsetzung der Forderung nach dem sofortigen Atomausstieg geblieben? Was auf dem Tisch liegt,
ist eine Vereinbarung mit der Atomlobby, die bis heute
noch nicht einmal in Gesetzesform gebracht wurde. Was
auf dem Tisch liegt, ist die Festschreibung der Laufzeiten
der Atomkraftwerke auf 32 Jahre. Was auf dem Tisch
liegt, ist kein gesichertes Zwischen- oder Endlagerkonzept. Deswegen gehen die Leute in Gorleben, im Wendland auf die Straße, deswegen protestieren sie mit allen
möglichen gewaltfreien Mitteln. Dies haben Sie von Anfang an zu unterbinden versucht.
Wer sich hinstellt und Plakate herausgibt, auf denen
steht: „Protest ja, Gewalt nein“, gleichzeitig aber nahezu
alle Camps verbietet und das Versammlungsrecht so massiv beschneidet, dass überhaupt nicht mehr die Möglichkeit
besteht, legale Protestformen am Rande der Castortransportstrecke zu wählen, der beschneidet demokratische
Grundrechte. Das ist umso schlimmer, als die Personen, die
dies ganz aktiv vor Ort tun, vor Jahren selbst einmal in der
Rolle waren.
({3})
Lieber Jürgen Trittin, liebe Gila Altmann, beim letzten
Castortransport vor vier Jahren haben wir gemeinsam in
der ersten Reihe gestanden, zwischen den Polizisten und
den Sitzdemonstranten. Wir haben versucht, mit der Polizei zu vermitteln.
({4})
Was ich in den vergangenen Tagen immer wieder gehört
habe, und zwar nicht nur von den Demonstranten, sondern
insbesondere von vielen Polizisten und Polizistinnen, die
die verfehlte Ausstiegspolitik auszubaden haben, war:
Schicken Sie uns doch bitte einmal Herrn Trittin hierher!
Mit dem würden wir uns gern persönlich unterhalten. Nicht nur nach Einschätzung meiner Partei, sondern auch
nach Einschätzung vieler Menschen, die dort in den vergangenen Tagen demonstriert und in verschiedener Form
agiert haben, hat die rot-grüne Bundespolitik versagt, was
den Atomausstieg angeht.
Wir fordern Sie auf: Sperren Sie nicht länger Meinungen weg, sondern sorgen Sie dafür, dass Ihre Forderung
nach dem sofortigen Atomausstieg umgesetzt wird! Stoppen Sie umgehend die Wiederaufbereitung! Hören Sie auf
mit der Kriminalisierung von Menschen, denen Sie Versprechungen gemacht haben, die Sie nicht einhalten können!
({5})
Leiten Sie den Atomausstieg ein und machen Sie endlich
Schluss mit dieser Schizophrenie und dieser Verlogenheit! Gehen Sie ins Wendland! Stellen Sie sich den Leuten und sagen Sie umgehend den nächsten, für September
geplanten Castortransport ab! Denn der Widerstand im
Wendland und darüber hinaus wird den längeren Atem haben. Der politische Preis ist viel zu hoch, als dass Sie mit
dieser Politik weitermachen können.
({6})
Für die SPD-Fraktion
spricht der Kollege Hans-Peter Kemper.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Seit Jahren haben wir wieder einen
Castortransport gehabt, zum ersten Mal unter rot-grüner
Verantwortung. Es handelt sich in der Tat um einen ersten
von mehreren Castortransporten.
Bei der Energieversorgung, vor allem aber bei der Entsorgung sind in der Vergangenheit immer stärker wirtschaftliche Fragen und Umweltschutzfragen, aber auch
Fragen der inneren Sicherheit in den Vordergrund getreten. Das konnten wir vor Ort feststellen. Ich bin mit mehreren Innenpolitikern, nämlich mit Günter Graf, Lilo
Friedrich, Gaby Fograscher und dem Wahlkreisabgeordneten Arne Fuhrmann, zwei Tage dort gewesen;
({0})
wir sind gestern Abend zurückgekommen. Wir haben uns
vor Ort mit den Bürgern, den Demonstranten und den Polizeibeamten unterhalten und ich will eines sagen: Ich
habe große Achtung vor mehr als 95 Prozent der Demonstranten,
({1})
die dort aus Verantwortung und aus Angst und Sorge vor
den Gefahren für künftige Generationen gegen unbeherrschbare Energie und gegen ungesicherte Entsorgung
demonstriert haben.
Es gibt bei mir in Ahaus ein großes Zwischenlager. Ich
habe die große Erleichterung mitbekommen, die sich in
der Bevölkerung breit machte, als klar wurde, dass der
zunächst für März vorgesehene Transport nicht stattfinden würde. Ich habe deswegen auch großes Verständnis
dafür, wie die Menschen in Gorleben empfinden, die wissen, dass die Transporte auch weiterhin kommen werden.
Sie sind von der Verpflichtung der Bundesrepublik, den
Atommüll zurücknehmen zu müssen, in besonderer Weise
betroffen. Die Stadt Gorleben befand sich in einem Belagerungszustand. Die Menschen waren in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt, sie waren in ihrer Lebensqualität beeinträchtigt. Die Menschen waren enttäuscht.
Aber sie haben friedlich demonstriert. Das war ihr gutes
Recht und dabei haben wir sie unterstützt. Anders als Sie,
Herr Kollege Paziorek, es wahrgenommen haben, haben
sie dort mit großer Gelassenheit demonstriert.
Unser besonderer Dank gilt der Polizei und dem Bundesgrenzschutz, die in einer äußerst schwierigen Situation
Verantwortungsgefühl bewiesen und Ruhe bewahrt haben. Es war nicht einfach, unter solchen schwierigen Bedingungen das Deeskalationskonzept durchzuhalten. Eine
beengte räumliche Unterbringung und Dienstzeiten von
mehr als 30 Stunden stellten eine fast unhaltbare Belastung dar. Auch das muss in Zukunft verbessert werden. Es
ist soeben schon angesprochen worden: Polizeibeamte
sind verletzt worden. - Aber trotz dieser Belastungen ist
das Deeskalationskonzept durchgehalten worden. Den
Polizeibeamten und den Beamten des Bundesgrenzschutzes gebühren unser Dank und unsere Anerkennung.
({2})
Frau Lippmann, angesichts dessen, was Sie hier von sich
gegeben haben, glaube ich, dass Sie auf der falschen Veranstaltung gewesen sind. Alle Beteiligten sind dort mit
großer Verantwortung vorgegangen.
Wofür wir allerdings im Gegensatz zu Ihnen kein Verständnis und keine Toleranz haben, das sind die Tourismuschaoten, die sich dort aufgehalten haben. Mit Verletzungen von Polizeibeamten, die nichts anderes als ihre
Pflicht getan haben, mit Verwüstungen und mit Brandstiftungen haben diese Menschen sich selbst disqualifiziert.
Mit ihnen haben wir nichts gemein. Das waren Taten von
erheblicher krimineller Energie. Diese zum Teil schweren
Straftaten müssen mit aller Härte und Konsequenz verfolgt werden; da bin ich mir mit unserem Innenminister
völlig einig.
({3})
Im Hinblick auf Gorleben war im Vorfeld des Transports - das wurde bereits angesprochen - durch alle Instanzen bis hin zum Bundesverfassungsgericht gegen die
Allgemeinverfügung der zuständigen Bezirksregierung
zum Versammlungsrecht geklagt worden. Sie war für
zulässig erklärt worden. Es ist ein Irrtum Ihrerseits, zu
glauben, solche Gerichtsentscheidungen könnten mit Gewalt und Chaos revidiert werden.
({4})
Noch von der alten Regierung wurden langfristige Verträge abgeschlossen. Diese Verträge beinhalten die Verpflichtung zur Zurücknahme vieler tausend Tonnen von
Atommüll, die ins Ausland verbracht worden sind. Dieser
Atommüll ist in der sicheren Überzeugung und Gewissheit ins Ausland verbracht worden, dass wir ihn irgendwann wieder zurücknehmen. Bei den jetzt stattfindenden Transporten handelt es sich um nichts anderes als
um die Erfüllung völkerrechtlicher Verträge und um die
Beseitigung der Altlasten. Außerdem war es immer gesellschaftlicher Konsens, dass wir uns nicht zulasten Dritter, also zulasten unserer ausländischen Nachbarn oder
anderer Länder, entlasten würden. Wir müssen die Probleme, die wir selbst geschaffen haben, auch selbst lösen.
Ich wundere mich ein bisschen über die CDU. Wenn
sich Frau Merkel gelegentlich zu diesem Thema äußert,
bin ich doch einigermaßen überrascht. Ich kann mich gut
daran erinnern, wie sie sich am 9. Mai 1998 auf dem
damaligen Westfalentag der Jungen Union als Atomlobbyistin hat feiern lassen und die Atomenergie für durchaus vertretbar erklärt hat.
({5})
Sie hat die Mitglieder der Jungen Union den Ahauser Appell unterschreiben lassen.
({6})
Sie hat die jungen Menschen in die Irre geführt.
Wir haben den Ausstieg aus der Atomenergie und der
Wiederaufarbeitung beschlossen und wir werden den
Ausstieg aus einer ungesicherten Technik mit nicht abschätzbarem Gefahrenpotenzial durchsetzen, auch wenn
es länger dauert, als der eine oder andere sich das gewünscht hat.
Wir werden mit den Polizeibeamten genauso wie mit
den Bürgern, die vor Ort friedlich demonstrieren, weiterhin im Gespräch bleiben. Die Polizeibeamten müssen
wissen - dies wissen sie auch -, dass sie sich auf diese
Bundesregierung und auf die rot-grüne Koalition verlassen können. Sie wissen, dass sie nicht für ungelöste politische Probleme einstehen müssen. Sie können sich darauf
verlassen, dass wir ihnen den Rücken stärken und sie in
dieser Problemsituation nicht alleine lassen.
Schönen Dank.
({7})
Das Wort für die
CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Hans-Otto Wilhelm.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr
Kubatschka, wir haben überhaupt keine Probleme, zu akzeptieren, dass dies kein rot-grüner Castortransport ist. Es
ist unser aller Castortransport.
Nur, wir hätten uns 1997 ein ähnliches Maß an Verständnis erwartet.
({0})
Damals wurde aus diesem Castortransport ein MerkelTransport gemacht und damals hatte Ihre unselige Fraktionsvorsitzende Frau Müller behauptet, wir würden eine
Legende über Chaoten erfinden, um unser Süppchen zu
kochen. Sie hatte sogar behauptet, dass mit einem solchen
Polizeieinsatz und Kosten von 110 Millionen DM die
Grenzen des demokratischen Rechtsstaates längst überschritten seien. Herr Innenminister, die Kosten für den
Einsatz der Polizei waren jetzt genauso hoch. Haben wir
heute die Grenzen des demokratischen Rechtsstaats überschritten? Gilt das Argument von 1997 heute auch noch
oder sind die Bedingungen deswegen anders, weil wir
eine andere Regierung haben - obwohl es unser aller
Castortransport ist?
({1})
Ich bin sehr einverstanden mit Ihrer Interpretation zur
Gewalt. Nur, in dieser Eindeutigkeit wie bei Ihnen, Frau
Kollegin Hustedt, habe ich es von vielen Ihrer Kollegen
bisher nicht gehört.
({2})
Gerade das war doch die Idee des so genannten gerechten
Widerstandes aus Ihren Reihen: Weil wir moralischer sind
als der Rest der Welt, ist das Überschreiten des legalen
Rahmens gerechtfertigt. Hinter dieser Überhöhung haben
Sie doch Ihre Unterstützung für viele, auch für Gewalttäter, verdeckt. Dieser Schuld müssen Sie sich stellen. Sie
haben Verantwortung übernommen.
({3})
Sie haben aus der Sorge der Leute dort Angst gemacht. Sie
haben Angst geschürt.
({4})
Sie bekommen diesen Geist heute nicht mehr in die Flasche zurück.
({5})
Jetzt könnte man ja meinen, dass die Grünen - „Regierungspolitik macht vernünftig“ - einsichtig geworden
seien. Wenn ich also höre, dass wir den Dreck zurücknehmen müssen, dann muss ich sagen: Das ist eine Selbstverständlichkeit, die 1997 genauso galt. Wir müssen völkerrechtliche Verträge einhalten. Das ist eine ganz neue
Erkenntnis dieser Regierung.
({6})
- Ja, das ist mir völlig klar. Ich habe Ihre subtile Unterscheidung, warum Sie darüber diskutieren, wohl gelesen.
Es ist eine subtile Unterscheidung, die allenfalls den
schwachen Zusammenhalt der Fraktion von Bündnis 90/
Die Grünen gewährleistet, sonst aber überhaupt nichts.
({7})
Die Atomkraftgegner verkennen die Realität, sagt ein
leibhaftiger Staatssekretär. Auf den Bänken der Regierung sitzen doch die früheren Atomkraftwerkgegner. Sie
alle - Trittin und wie sie sonst noch heißen - haben wohl
früher die Realität falsch eingeschätzt.
({8})
Er formuliert heute, dass die Voraussetzungen für den
Transport gegeben seien; deshalb gebe es überhaupt keinen Anlass zu Demonstrationen. „Nur, weil jemand seinen Hintern auf die Straße setzt, finden wir das noch lange
nicht richtig“ - Originalton Trittin. Sie selbst haben doch
noch 1997 mit Ihrem Hintern im Gras gesessen. Heute
sitzt er im Fond eines Dienstwagens; die Welt lässt sich
besser durch die getönten Scheiben eines Autos betrachten.
({9})
Wenn das wenigstens die einheitliche Meinung der
Grünen wäre! Nein, man arbeitet arbeitsteilig. Rebecca
Harms, Niedersachsen, sagt, Blockaden seien so etwas
wie ein letztes Mittel des Menschen; Straftatbestände
seien ein letztes Mittel des Menschen. Die unselige Fraktionsvorsitzende der Grünen, Frau Müller, sagt: Öffentlicher Druck ist nötig. Herr Innenminister, das sind doch
Koalitionspartner von Ihnen. Welchen öffentlichen Druck
meinen Sie: den Druck auf Sie, auf die Regierung, auf
Demonstranten oder auf wen sonst? Ich erwarte eine Antwort des Innenministers, was unter diesem öffentlichen
Druck zu verstehen ist.
({10})
Die Parteivorsitzende fährt mit dem Trecker durch das
Wendland. Das sind doch Bilder, die die Demonstranten
irritieren - und die kriegen dann später das Kommen verboten.
Diese Fragen müssen die in sich total zerstrittenen Grünen lösen. Da hilft auch ein Herr Ströbele nicht,
({11})
der Angeketteten, die nur einen Arm frei hatten - welch
eine kabarettistische Situation! -, seine Visitenkarte überreicht hat. Das ist ein bemerkenswerter Beitrag zur deutschen Atompolitik, den er mit dem Hinweis verband, das
Zeug müsse ja irgendwo hin, aber nicht ins Wendland; er
wisse auch nicht so genau, wohin. Und solchen Leuten
soll man die Zukunft unseres Landes anvertrauen?
({12})
Wenn ich dann noch lese, dass in den Koalitionsverhandlungen in Nordrhein-Westfalen die dortigen Grünen
das Polizeieinsatzkonzept ändern wollten, unter anderem
mit dem Hinweis, dass die Polizisten keine Helme mehr
aufziehen und die Schilde weglegen sollten, dann muss
ich feststellen: Das ist doch eine Aufforderung an gewalttätige Demonstranten, gegen unsere Polizei und deren
körperliche Unversehrtheit vorzugehen.
({13})
Diese Leute stellen sich nun hier hin und werden mit der
Schizophrenie ihrer früheren Ablehnung und dem Druck,
heute zustimmen zu müssen, weil sie in der Regierung
bleiben wollen, nicht fertig. Dies wird auf dem Rücken
der Bevölkerung, insbesondere der Demonstranten ausgetragen.
Ihr Parteivorsitzender hat im „Stern“-Interview, das
heute schon zitiert wurde, gesagt: Wir schaffen es noch zu
wenig, in einer ganz einfachen Botschaft klarzumachen,
wofür wir stehen. - Recht hat er.
Herr Kollege
Wilhelm, Sie müssen jetzt zum Schluss kommen.
Er soll nur
sagen: Wir stehen zu unserer Polizei und verurteilen das
Handeln der Chaoten. Oder: Wir stehen ohne Wenn und
Aber zu unserem Rechtsstaat. - Das wäre doch etwas.
Oder: Wir sind gegen jede Form von Gewalt an Personen
und Sachen, egal unter welchem überhöhten Deckmantel
sie sich versteckt. Dann werden Sie aus dem von ihm beschriebenen Tunnel herauskommen. Ich glaube, Sie bleiben drin. Deutschland würde es nicht schaden.
({0})
Es spricht jetzt der
Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Jürgen Trittin.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Lassen Sie mich an diesem Tag zum
einen - Frau Lippmann, Sie verstehen, dass ich Ihre Ansicht nicht teile - meinen Respekt gegenüber der übergroßen Mehrheit derjenigen ausdrücken, die friedlich und
gewaltfrei demonstriert haben.
({0})
Lassen Sie mich zum anderen meinen Dank für ein auf
Deeskalation gerichtetes Einsatzkonzept der Polizei
aussprechen, das den einzelnen Polizeibeamtinnen und
Polizeibeamten erhebliche psychische und physische
Hans-Otto Wilhelm ({1})
Leistungen und viel Zeit abverlangt hat. Ich möchte mich
auch für all die Überstunden bedanken und die Umsicht,
mit der dort vorgegangen worden ist.
({2})
- Ich glaube, wir sind uns in diesem Hause einig, dass jede
Form von Gewalt und Verletzung von anderen strikt abzulehnen ist und dies durch das Recht auf Demonstrationsfreiheit nicht gedeckt ist.
({3})
Weil wir uns hierin einig sind, lassen Sie mich noch
eine weitere Bemerkung zu dem machen, was Sie angesprochen haben, Herr Hirche. Wir tun uns allen keinen
Gefallen, wenn wir insinuieren, dass ziviler Ungehorsam
gleich Rechtsbruch und Rechtsbruch gleich Gewalt ist.
Wir tun uns allen einen Gefallen, wenn wir uns diesem
Problem so nähern, wie es angemessen ist. Selbstverständlich verstehen viele Menschen unter zivilem Ungehorsam das Recht, auf der Straße zu sein. Dies bedeutet nicht automatisch Rechtsbruch.
({4})
- Nein, ich komme gleich zu dem Punkt, an dem Sie mir
wieder zustimmen werden.
({5})
- Sie haben mich als „Hetzer“ bezeichnet, Herr Kollege.
Ich möchte um eine Versachlichung dieser Debatte bitten.
Diejenigen, die durch ihre Aktion auf den Gleisen dazu
beigetragen haben, dass die Castorbehälter einen Tag später als geplant angekommen sind, haben für sich in Anspruch genommen, sie seien nicht gewalttätig. Es ist aber
völlig eindeutig, - das habe ich übrigens gestern im Fernsehen gesagt; vielleicht haben Sie es gehört oder es in einer Meldung der Agentur gelesen -, dass sich diese Menschen rechtswidrig verhalten und Rechtsbruch begangen
haben; das wissen sie auch.
({6})
Daran kann es keinen Zweifel geben.
Ich möchte in dieser Debatte angesichts dieser Aktion
noch eine weitere Anmerkung machen, die mich persönlich sehr umgetrieben hat.
({7})
Natürlich kann sich jemand als Erwachsener in Gefahr
bringen. Aber ich muss ernsthaft die Frage aufwerfen - sie
ist auch an Robin Wood gerichtet -, ob es bei solchen Aktionen mit der Fürsorgepflicht zu vereinbaren ist, wenn
16-Jährige in eine Situation gebracht werden, in der ihre
körperliche Unversehrtheit davon abhängt, dass die Polizei schnell und umsichtig den Beton entfernt. Ich formuliere das bewusst als Frage. Ich halte ein solches Vorgehen nicht für besonders klug.
({8})
Ich will einige Bemerkungen zu der Tatsache machen,
dass Frau Lippmann und andere den Transport zum Anlass genommen haben, um - wie sie sich ausgedrückt haben - gegen den Atomkonsens zu demonstrieren.
({9})
In diesem Zusammenhang möchte ich zu einer gewissen
Nachdenklichkeit raten.
Stellen Sie sich einmal vor, es gäbe diesen Konsens
nicht! Würde es diesen Rücktransport dann nicht geben?
Nein, es würde ihn auch dann geben, denn die Notwendigkeit, den Abfall von 5 200 Tonnen Schwermetall zurückzunehmen, existiert unabhängig vom Konsens.
Was wäre, wenn wir keinen Konsens hätten?
({10})
Dann hätten wir nicht nur den Transport von 120 Castorbehältern zu bewältigen, sondern müssten möglicherweise 200, 250 oder 300 Behälter nach Gorleben transportieren, weil es hinsichtlich der Wiederaufarbeitung
keine Begrenzung gäbe. Die Wirkung, die eine solche
Notwendigkeit in Gorleben hervorrufen würde, kann man
sich gut vorstellen.
Damit nicht genug: Wenn wir keinen Konsens hätten,
müssten wir weiterhin auf ein Konzept dezentraler Zwischenlagerung verzichten. Wir müssten dann weiterhin
Atommüll auch aus deutschen Atomkraftwerken, nämlich
aus den Kraftwerken, die nicht an der Wiederaufarbeitung
teilnehmen, nach Gorleben und Ahaus bringen.
({11})
Es gäbe also mehr Transporte.
Wenn wir keinen Konsens hätten, hätten wir weiterhin
unbefristete Betriebserlaubnisse und damit wäre weiterhin unbegrenzt Atommüll nach Gorleben oder anderswohin zu verbringen.
Letzte Bemerkung zu dem konkreten Fall Gorleben:
Wenn wir keinen Konsens hätten, wenn wir keine Vereinbarung über einen Ausstieg mit den Unternehmen hätten,
dann würde in Gorleben weiter unter dem Fähnchen einer
vorgeblichen Erkundung der Bau eines Endlagers vorangetrieben.
({12})
- Herr Hirche, ich verstehe Sie nicht, wenn Sie so undeutlich dazwischenrufen.
Ich kann verstehen, dass Menschen sagen: Ich möchte
nicht, dass Atommüll zu mir gebracht wird. Das ist ein legitimes Interesse, denn niemand hat gerne Atommüll in
seiner Umgebung. Es ist aber nicht akzeptabel, wenn
nicht beachtet wird, dass wir ohne den Konsens keine Verminderung der Zahl der Castortransporte, keine Begrenzung der Laufzeiten und keine Beendigung des Baues des
Endlagers, die nicht fachlich, sondern rein politisch begründet worden ist, erreicht hätten.
({13})
Es ist interessant, dass von rechts und links gleichzeitig
gegen den Konsens agiert wird. Es scheint, dass an ihm etwas Richtiges ist. Wenn Frau Lippmann und Herr Hirche
einer Meinung sind, glaube ich, auf dem richtigen Weg zu
sein.
({14})
Das ist eine Instinktfrage.
Wir haben die Rahmenbedingungen für die Rücknahme des Mülls entscheidend verbessert. Deswegen ist
es auch nicht möglich, anlässlich dieses Transportes über
Rückverhandlungen oder über die Aufgabe dieses Konsenses zu reden. Es muss das Ziel sein, diesen Konsens
gerade im Interesse der Bevölkerung in Gorleben Wirklichkeit werden zu lassen.
({15})
Ich kann das aufgreifen, was Michaele Hustedt gesagt
hat: Es ist auch im Interesse der Industrie, dass nicht weiter der Eindruck entsteht, sie würde einen Konsens nicht
wollen, an den sie sich - untermauert durch viele Beispiele - faktisch hält. Es ist an der Zeit, dass wir die Angelegenheit in diesem Jahr rechtssicher unter Dach und
Fach bringen.
({16})
Herr Kollege Gehb,
bevor ich Ihnen das Wort erteile, weise ich den Ausdruck
„Hetzer“ im Zusammenhang mit der Rede des Bundesministers Trittin ausdrücklich zurück. Sie wissen, dass es
dem Stil dieses Hauses nicht entspricht, diesbezügliche
Begriffe auf Personen zu münzen.
Ich erteile jetzt dem Kollegen Dr. Jürgen Gehb das
Wort für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Offenbar unter dem Eindruck
der soeben gewährten Bewährungszeit hat der Umweltminister Trittin in gelassener Art und mit leisen Tönen
hier gesprochen. Das war nicht immer so.
({0})
Seine Rede am 15. November letzten Jahres hat er nach
dem Zitat von F. K. Waechter begonnen: „Die größten
Kritiker der Elche waren früher selber welche.“ Das war
auf meinen Kollegen Kurt-Dieter Grill gemünzt. Das ist
natürlich eine super Selbstcharakterisierung; denn Sie,
Herr Trittin, waren Mitte der 90er-Jahre der Leitelch bei
den Demonstrationen gegen die Castortransporte.
({1})
Sie haben vorhin Ihre Kolleginnen mit Heidi, Michaele
und Thea angesprochen. Sie stehen offensichtlich auch
mit den Chaoten auf Du und Du.
Eines muss man richtig stellen: Herr Kubatschka, Sie
haben vorhin die Verantwortung der Bundesregierung für
die rot-grünen Castortransporte angesprochen. So lautet
nicht das Thema.
({2})
Man muss es genauer formulieren. Es geht um die Verantwortung der Bundesregierung für die Begleitumstände
der Castortransporte, die eben geschildert worden sind.
Bei den Transporten herrschen bürgerkriegsähnliche Zustände, die mitnichten mit den Zuständen zu vergleichen
sind, die herrschten, als die Transportunternehmer mit
ihren LKWs vor dem Reichstag vorgefahren sind.
({3})
Ich möchte diese Leute nicht über einen Kamm scheren mit
denen, die friedlich das grundrechtlich verbürgte Recht auf
Demonstration in Anspruch genommen haben. Das tun wir
nicht. Aber man muss den „Fremdenlegionären“, die für die
verheerenden Zustände rund um die Castortransporte verantwortlich sind, die Spitze nehmen.
({4})
Nun komme ich auf das Thema Verantwortung zu sprechen. Außer Teilnahme und Täterschaft gibt es auch eine
mentale Anstiftung. Wenn Herr Trittin am 15. November
hier im Plenum behauptet, die CDU/CSU und die F.D.P.
hätten jahrelang den Atommüll ins Ausland verschoben
und dies widerspreche dem geltenden Atomrecht, dann
versucht er, eine rechtmäßige Handlung zu inkriminieren,
also damit den Eindruck zu erwecken, als handele es sich
um einen kriminellen Akt und um Unrecht. Man muss
wissen, dass man so latent gewaltbereiten Demonstranten
sozusagen den letzten Kick gibt und dass man so die
Lunte ansteckt.
({5})
Kaprizieren Sie sich nicht so darauf, dass das ausschließlich völkerrechtliche Pflicht sei! Dass Sie, Herr
Trittin, rechtsunkundig sind, haben Sie ja bereits wiederholt unter Beweis gestellt. Aber bedenken Sie, dass Sie
noch immer Mitglied der Bundesregierung sind, die am
25. Januar in ihrer Antwort auf die Große Anfrage meiner
Kollegen - Drucksache 14/5162, Seite 15 - auf die Frage,
ob die Bundesregierung die Auffassung teile, dass die
Wiederaufarbeitung und die Transporte rechtmäßig seien,
mit Ja geantwortet hat. Herr Trittin, dass Sie das Recht
nicht kennen, sehe ich Ihnen noch nach. Aber dass Sie
nicht einmal die Auffassung des Kabinetts kennen, verstehe ich nun wirklich nicht. Entweder sind Sie ein Dilettant oder Sie gehen mit der Wahrheit taktisch um.
({6})
- Herr Ströbele, wenn Sie den Widerspruch nicht verstanden haben, sollten Sie überlegen, woran das liegt. Der Widerspruch liegt darin, dass man natürlich die Gewaltbereitschaft schürt, wenn man rechtmäßige Akte der
Regierung pausenlos als unrechtmäßig stigmatisiert.
Auch Sie, Frau Roth, sollten gut zuhören; denn auch Sie
gehören zu denjenigen, die davon sprechen, dass das nicht
nur illegitim, sondern illegal gewesen sei. Ich sage Ihnen:
Das war immer legal. Das ist im Moment legal und das
bleibt übrigens auch nach Ihrer eigenen Atomgesetznovelle, die ich gut kenne, ebenfalls legal. Wo liegt also
das Problem?
({7})
Ich kann nur eines sagen: Wer den Boden für solche
Protestaktionen, wie sie im Moment stattfinden, bereitet
und sich hinterher davon distanzieren möchte, der stellt
sich seiner Verantwortung nicht. Wissen Sie, Herr Trittin,
wenn die Romanfiguren Dr. Jekyll und Mr. Hyde noch
nicht geboren wären, dann wären Sie einer der besten Vorbilder für deren Erfindung.
Vielen Dank.
({8})
Jetzt spricht der Kollege Arne Fuhrmann für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie haben jetzt gerade einen Anschauungsunterricht darüber erteilt bekommen, wie man
Aggression und Gewalt auch auf verbale Art und Weise
erzeugen kann.
({0})
Das war klassisch.
({1})
- Herr Marschewski, wenn Sie irgendwann einmal lernen
würden, Ihren Mund zu halten und zuzuhören, würde das
Ihren geistigen Fähigkeiten vielleicht ein bisschen weiterhelfen.
({2})
- Herr Grill, Sie sind ja gleich dran. Was wir von Ihnen
hören werden, kann ich jetzt schon vorwärts und rückwärts beten.
({3})
Sie haben beantragt, über die Begleitumstände dieses
Transports zu reden.
({4})
Das ist bisher nicht der Fall gewesen. Bisher haben Sie
über alles geredet, nur nicht über die Begleitumstände.
({5})
Sie reden über Gewalt und darüber, wie Demonstranten
pauschal diesem Rechtsstaat schaden,
({6})
wie sie pauschal gewalttätig sind und wie sie pauschal in
eine Ecke gehören.
({7})
Sie machen das sogar insofern falsch und insofern auch
noch etwas dramatischer, als Sie dann den Herrn Gehb reden lassen.
({8})
Im Wendland sind die Begleitumstände folgendermaßen: Die Menschen in der Region haben 14 Tage lang
einen Zustand erlebt, den Sie alle, bis auf Herrn Grill,
nicht kennen und den Sie alle, die Sie hier sitzen, durchaus als Besetzung bezeichnen würden. Wir haben das Riesenglück, dass Polizei und BGS in der Zwischenzeit
längst insofern aus der Schusslinie sind, als die Menschen
im Wendland wissen, dass nicht die Beamten, sondern
wir, die Politiker, schuld sind.
({9})
Mittlerweile gibt es eine Phase der Entspannung, die
aber nichts damit zu tun hat, dass vonseiten der Politik
wesentliche Veränderungen für die Wendländer eingetreten seien, denn die Castoren rollen nach wie vor. Vielmehr
kommt es langsam, aber sicher zwischen denen, die im
Wendland leben, und denen, die ihre Pflicht tun, zu einer
Annäherung. Sie haben sich beide gegenseitig nichts vorzuwerfen. Diejenigen, die gewaltbereit sind - das sind die
wenigsten in der Region -, sind diejenigen - das wurde
vorhin schon erwähnt -, die „Gewalttourismus“ betreiben. Das sind wirklich die wenigsten, aber die machen es
schwer.
({10})
Diese Menschen machen es auch den Bewohnern des
Wendlandes so unglaublich schwer, daran zu glauben,
dass die Politik diese Transporte heute unter einem anderen Aspekt als noch vor vier Jahren vornimmt. Der
Atomkonsens hätte möglicherweise bei manchem seine
Wirkung und seine Akzeptanz, wenn es nicht an verschiedenen Stellen immer wieder dazu käme, dass sich das Potenzial der Castoren immer weiter erhöht. Daran zu arbeiten, daran mitzuwirken, auch das noch zu verbessern, ist
eine Aufgabe, die die rot-grüne Koalition wahrnimmt.
({11})
Durch die Bank sind wir bisher nicht glücklich mit dem
Atomkonsens, aber es ist der erste Schritt zu einem geordneten und, wie wir hoffen, auch friedlichen Ausstieg
aus der Kernenergie.
({12})
Probleme bereitet mir folgendes pauschales Vorurteil,
das den Menschen im Wendland gilt: Der Castor kommt,
und dann ist im Wendland die Hölle los. - Das ist Quatsch,
absoluter Quatsch; eine solche „Gesetzmäßigkeit“ gibt es
nicht. Das Demonstrations- und das Versammlungsrecht
gelten überall. Die Proteste bei der Ökosteuer - das wurde
vorhin schon erwähnt -, die nicht nur von den Kraftfahrern, sondern auch von den Unterglasbetrieben und von
den Landwirten ausgingen, hat bei uns allen Nachdenken,
aber bei weitem nicht den Verdacht ausgelöst, plötzlich
würde der Rechtsstaat blockiert oder auf den Kopf gestellt.
({13})
Wissen Sie, man kann sehr wohl darüber diskutieren, ob
ein Autofahrer, der frühmorgens zum Dienst will, es nicht
als Gewalt empfindet, wenn 50 oder 100 LKW-Fahrer das
verhindern. Diese Frage würde ich mit Ihnen gerne einmal diskutieren. Das Parlament sollte sich in irgendeiner
Form der Aufgabe zuwenden, den Gewaltbegriff rechtlich
korrekt einzuordnen. Nicht alles, was ordnungswidrig ist,
ist von vornherein Gewalt. Wir distanzieren uns von Gewalt. Dass ich persönlich jede Art von Gewalt ablehne,
habe ich in diesem Parlament von diesem Ort aus mehrfach betont.
Was mir aber überhaupt nicht gefällt, sind die Unterstellungen, mit denen Sie immer wieder arbeiten.
({14})
Ich wünsche mir, dass Sie in dem Augenblick, da Sie einen Antrag auf Durchführung einer Aktuellen Stunde stellen,
({15})
in der Sie die Begleitumstände eines Castortransportes
diskutieren wollen, über die Begleitumstände - ({16})
- Herr Marschewski, Sie sind schon wieder derjenige, der
nicht abwarten kann.
({17})
Das ehrt Sie.
({18})
- „Nein“, sagt mein Kollege. Das ehre Sie eigentlich
nicht, meint er. Er hat wahrscheinlich Recht.
Ich möchte noch einen Satz in Richtung PDS sagen.
Genauso wie Sie waren wir gestern und vorgestern in
dieser Region; wir waren dort mit fünf Personen. Um
Ihnen diesen Zahn zu ziehen: Wir waren dort ohne
Begleitung durch die Polizei oder durch die Bezirksregierung.
({19})
Ich finde es schon erstaunlich, dass Sie jetzt den Versuch
unternehmen, sich den Widerstand in der Region politisch
unter den Nagel zu reißen. Das wird Ihnen garantiert nicht
gelingen.
({20})
Man ist dort eigenständig genug, um zu erkennen, worin
die Chance besteht. Um es ganz klar zu sagen: Dank dieser Regierung - nicht dank der Oppositionspartei PDS gibt es die realistische Chance für einen Ausstieg.
Vielen Dank.
({21})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Franz Obermeier.
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte beginnen,
indem ich meinem Herrn Vorredner antworte: Natürlich
sind wir in der Lage, zwischen friedlichen Demonstranten und gewaltbereiten Demonstranten zu unterscheiden.
({0})
Wir unterhalten uns ausschließlich über diejenigen Typen,
die mit vollem Bewusstsein Gewalt gegen Menschen und
gegen Sachen anwenden. Dagegen wenden wir uns.
({1})
Herr Fuhrmann, Ihre Strategie wird wieder schief gehen, und zwar deswegen, weil sie erneut auf einem Vertrauensbruch durch den Umweltminister aufgebaut ist. Er
suggeriert den Menschen im Wendland und in Gorleben,
dass es sich bei der Erkundung des dortigen Salzstocks
um den Bau des Endlagers handelt. In Wahrheit ist es eine
wissenschaftliche Erkundung, die noch einige Jahre fortgeführt werden müsste, bis man wirklich beurteilen
könnte, ob dieser Salzstock geeignet ist. Jetzt wird den
Menschen im Wendland
({2})
- in Lüchow-Dannenberg - gesagt, dass es sich dabei um
den Bau des Endlagers handelt. Deswegen werden die
Menschen diesen Vorgang in wenigen Jahren ein weiteres
Mal als schweren Vertrauensbruch beurteilen. Wir werden
das große Problem haben, dass dort wieder Gewaltbereitschaft geschürt worden ist.
Ich möchte den Bundeskanzler zitieren, der im Juni
vergangenen Jahres wortwörtlich ausgeführt hat:
Das politische Bewusstsein einer ganzen Generation
wurde durch die Auseinandersetzungen um die Kernenergie geprägt. Anhänger und Gegner standen einander unversöhnlich gegenüber. Als in jener Nacht
zum 15. Juni 2000 die Einigung erzielt war und ein
grüner Umweltminister und die Chefs der Energiewirtschaft zugestimmt hatten, da ging eine Epoche
gesellschaftlichen Konfliktes zu Ende.
In den letzten Tagen konnten wir sehen, wie das „Ende der
Epoche“ aussieht: 25 Verletzte, zwei Schwerverletzte,
20 000 Polizisten. Das ist das Ende der Epoche gesellschaftlichen Konfliktes!
Wenn wir künftig über Gewalt reden und wenn wir gemeinschaftlich gegen Gewalt demonstrieren, dann lassen
Sie uns bitte gegen Gewalt von links und rechts demonstrieren.
({3})
Denn das, was wir in den letzten Tagen erlebt haben, ist
Gewalt von links.
({4})
Sie wären gut beraten, wenn Sie den Menschen in
Lüchow-Dannenberg und in Gorleben reinen Wein einschenken und ihnen sagen würden, dass in den nächsten
Monaten weitere Transporte rollen müssen, weil wir den
völkerrechtlichen Verpflichtungen nachkommen müssen.
({5})
- Das hat Trittin nicht gesagt!
({6})
- Natürlich.
Ich sage Ihnen noch eins: Wenn der Bundesumweltminister noch einen Hauch von Mumm und Charakter in sich
hätte, wäre er in den letzten Tagen dorthin gegangen, wo
diese Krawalle stattfanden,
({7})
und hätte den Leuten dort gesagt: Ich habe jahrelang etwas Falsches erzählt. - Das ist die Realität. Dieser Rücktransport beruht auf völkerrechtlichen Bindungen.
({8})
Ich möchte noch etwas hinzufügen: Wir sollten uns zusammen überlegen, ob es den Polizisten noch zuzumuten
ist,
({9})
die sitzenden Demonstranten wegzutragen und sich dem
Risiko auszusetzen, dass sie verklagt werden, weil sie zu
fest zugegriffen oder möglicherweise jemanden verletzt
haben.
({10})
Wir müssen uns überlegen, ob wir all das gegenüber den
Polizisten und Ordnungskräften dort noch verantworten
können,
({11})
denen ich herzlich für die schwere Arbeit danken möchte,
die sie in den zurückliegenden Tagen bei der ganzen Aktion geleistet haben.
Danke schön.
({12})
Das Wort hat
jetzt der Herr Bundesinnenminister, Otto Schily.
Sehr verehrte
Frau Präsidentin! Ich habe die Debatte mit Aufmerksamkeit verfolgt und möchte einen Satz zu der Kollegin von
der PDS sagen. Ich habe heute den Verfassungsschutzbericht vorgestellt und dabei erwähnen müssen, dass die
PDS weiterhin der Beobachtung durch den Verfassungsschutz unterliegt.
({0})
Ihr Beitrag heute bestärkt mich darin, dass wir diese
Beobachtung fortsetzen.
({1})
Denn jemand, der in dieser Weise die Auffassung vertritt,
dass Recht und Gesetz nicht gelten, dass Gerichtsurteile
keinen Wert haben, der setzt sich in der Tat dem Verdacht
aus, die verfassungsrechtlichen Grundsätze nicht zu achten.
Ich möchte aber an diesem Tag vor allem - ich glaube,
das haben die Beamten der Länderpolizeien und des Bundesgrenzschutzes wahrlich verdient - diesen Beamten
meinen ganz besonderen Dank aussprechen.
({2})
Sie haben in einer außerordentlich schwierigen Situation
besonnen und verantwortungsvoll gehandelt. Sie haben
sich übrigens um Konfliktentspannung bemüht. Man hat
bei der Vorfeldarbeit sogar eine eigene Gruppe für diese
Entspannung eingesetzt. Es kann also niemand behaupten, dass etwa von der Polizei irgendeine Eskalation ausgegangen ist; ganz im Gegenteil.
({3})
Wer sich einmal mit der Situation von jungen Polizeibeamten beschäftigt, die Aggressionen und Gewalttätigkeiten ausgesetzt sind, versteht, dass ich einen Satz aus
meiner Rede zum 50-jährigen Bestehen des Bundesgrenzschutzes wiederholen möchte: Es ist in einem Rechtsstaat
selbstverständlich, dass sich ein Polizeibeamter an die
Verfassung, an das Recht, an das Gesetz halten muss und
die Würde der Menschen zu achten hat, mit denen er sich
in einer polizeilichen Konfliktsituation befindet. Aber genauso haben auch die Polizeibeamten Anspruch auf Achtung ihrer Würde. Das wird manchmal vergessen.
({4})
Die Polizeibeamten haben ihre Arbeit - ich wiederhole
das bewusst - verantwortlich, besonnen, klug und intelligent vollzogen. Ich gratuliere ihnen zu dem Erfolg, dass
sie diesen Castortransport in relativ kurzer Zeit zu einem
vernünftigen und guten Ende gebracht haben. Diese Leistung ist anzuerkennen.
Ich will an dieser Stelle nicht unerwähnt lassen, welche
Gewalttaten verübt worden sind: Leuchtmunition ist verschossen worden, sodass Polizeiwagen in Brand geraten
sind, wodurch nicht nur schwere Sachschäden angerichtet, sondern auch Menschenleben gefährdet wurden.
Bahngelände wurde beschädigt und Anschläge mit Hakenkrallen wurden verübt. Schienenwege sind unterhöhlt
worden und Einrichtungen der Bahn sind massiv beschädigt worden. Auch körperliche Angriffe fanden statt. All
das sind schwerste Straftaten; es hat mit der Wahrnehmung des Demonstrationsrechts überhaupt nichts zu tun.
({5})
Herr Kollege Paziorek, Sie haben in Ihrer Rede zwar
begrüßt, was ich gestern gesagt habe. Sie vermissen aber
meine Äußerungen vorher. Ich kann von Ihnen natürlich
nicht verlangen, dass Sie alle Pressemitteilungen und alle
Interviews von mir zur Kenntnis nehmen.
({6})
Damit ich meine Redezeit nicht dafür opfern muss, eine
entsprechende Aufstellung vorzulesen, möchte ich Ihnen
Auszüge aus meinen Stellungnahmen von Februar bis
zum Beginn der Castortransporte geben,
({7})
in denen genau das enthalten ist, was ich gestern gesagt
habe. An Klarheit in meinen Äußerungen hat es wirklich
nicht gefehlt.
({8})
Das sollten Sie anerkennen.
({9})
- Gut, dann brauchen wir darüber nicht mehr zu sprechen.
Ich gebe Ihnen nachher die Unterlagen, in denen Sie das
alles nachlesen können.
({10})
- Auch mit Widmung.
Wenn Straftaten verübt werden, dann muss der Staat
dafür sorgen, dass sie nicht folgenlos bleiben. Deshalb
gilt: Wo immer wir Täter identifizieren können, werden
sie mit strafrechtlichen Sanktionen zu rechnen haben. Ich
bitte alle, die Polizei bei diesen Ermittlungen zu unterstützen. Es darf nicht bei Untätigkeit bleiben; es ist Unterstützung notwendig.
({11})
Wir werden selbstverständlich auch prüfen, ob gegenüber denen, die Sachschaden angerichtet haben, zivilrechtliche Ansprüche geltend gemacht werden können.
Das heißt, diejenigen, die einen Schaden angerichtet haben, müssen damit rechnen, dass sie diesen Schaden ausgleichen müssen. Dabei umfassen die Ermittlungen nicht
nur diejenigen, die solche Taten unmittelbar begangen haben, sondern auch diejenigen, die dazu angestiftet oder
diese Taten geplant haben. Das wird in die Überlegungen
mit einbezogen werden.
Lassen Sie mich eine Bemerkung über den rechtlichen
Hintergrund machen, der schon angesprochen worden ist.
Niemand soll sich anmaßen, Recht und Gesetz außer
Kraft zu setzen. Der Kollege Gehb hat behauptet, es gebe
irgendwelche Widersprüche in der rechtlichen Beurteilung. Sie haben sich hier mächtig aufgepumpt, Herr Kollege.
({12})
- Entschuldigen Sie bitte, das habe ich nicht gewusst.
Nehmen Sie meinen Vorwurf nicht persönlich.
({13})
Herr Kollege Gehb, lassen Sie uns die rechtliche Situation sachlich betrachten. Es kann auch Recht vorliegen, das auf völkerrechtlichen Verbindlichkeiten beruht.
Ich verstehe daher Ihren Einwand nicht. Entscheidungen
können gerade dann rechtmäßig sein, wenn sie auf der
Grundlage völkerrechtlicher Verbindlichkeiten erfolgen.
Ich glaube, da besteht kein Widerspruch. Das müsste ein
Irrtum Ihrerseits sein.
Wir haben einen enormen Aufwand leisten müssen.
Tausende von Polizeibeamten, allein mehr als 7 000 vom
Bundesgrenzschutz, sind im Einsatz gewesen. Es wird
aber nicht der letzte Castortransport gewesen sein.
({14})
Ich möchte daher an alle appellieren - auch weil es sicherlich nicht die letzten friedliche Demonstrationen gewesen sein werden -: Wir müssen gemeinsam dafür sorgen, dass rechtmäßige Castortransporte ohne diesen
großen Polizeieinsatz stattfinden können. Das ist unsere
gemeinsame Verpflichtung.
({15})
So Leid es mir tut, muss ich an dieser Stelle auch erwähnen, dass es nicht hilfreich war, dass eine Landesministerin meinte, angesichts der Vorkommnisse um den Castortransport Kritik am Bundesgrenzschutz in einem
anderen Zusammenhang üben zu sollen. Der Bundesgrenzschutz hat zwar trotz der schwierigen Lage bei den
Castortransporten auf meine Anordnung auch Kontingente für die Verhinderung von Tiertransporten über die
Grenzen wegen der Maul- und Klauenseuche zur Verfügung gestellt; die erste Zuständigkeit hierfür liegt jedoch nicht bei ihm, sondern bei den Zoll- und Veterinärbehörden. Ich erwarte dann, dass in einer so schwierigen
Situation keine Kritik am Bundesgrenzschutz und am
Bundesinnenminister geübt, sondern für diese Hilfeleistung gedankt wird. Das sollte auch eine grüne Landesministerin wissen.
({16})
Es ist wirklich an der Zeit, dass der Gesellschaft klar
wird, dass Castortransporte friedlich, ordnungsgemäß und
entsprechend den rechtlichen Vorschriften vollzogen werden müssen. Ich gehöre übrigens zu denen, die den Atomkonsens begrüßen. Mein Verhalten steht nicht im Widerspruch zum Atomkonsens, denn diese Lage ist durch eine
verfehlte Politik, an der viele beteiligt waren - auch die
Sozialdemokraten, das muss man offen zugeben -, herbeigeführt worden. Selbst der SDS ist in der 68er-Zeit für die
friedliche Nutzung der Kernenergie eingetreten.
({17})
Damals vertrat ich übrigens die Gegenposition. Ich habe
meine Position relativ konsequent vertreten.
Viele haben an dem Einstieg in die Kernenergie mitgewirkt. Deshalb ist der Ausstieg relativ mühsam und zeitaufwendig. Lassen Sie ihn uns in demokratischer, friedlicher und rechtstaatlicher Form vollziehen. Dann sind wir
einen Schritt weiter.
Vielen Dank.
({18})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Kurt-Dieter Grill.
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Herr Schily, ich will bewusst
an das anknüpfen, was Sie hier gerade zum Schluss vorgetragen haben, und Ihnen sagen: Es gibt zwei Elemente
in Ihrer Rede, die ich außerordentlich begrüße. Jedoch
vermisse ich diese Haltung nicht nur bei den Grünen, sondern insbesondere auch bei Ihren eigenen Parteifreunden.
Es handelt sich darum, dass die Geschichte der Kernenergie nicht mit dem Regierungswechsel 1983 beginnt, sondern dass in den 60er- und 70er-Jahren ein gesellschaftlicher Konsens - es gab über 90 Prozent Zustimmung - in
Bezug auf den Bau von Kernkraftwerken in diesem Land
bestand.
({0})
Sie haben heute als Einziger einen Beitrag dazu geleistet,
dass auch 90 Prozent bereit sind, die Verantwortung für
die Entsorgung zu übernehmen.
({1})
Sie haben auch einen Beitrag dazu geleistet, dass gemeinsam darüber nachgedacht wird, wie wir in Zukunft
verfahren. Das hat aber ein paar Bedingungen: Sie können
nicht mit den Energieversorgungsunternehmen alles
verabreden und die Länderverantwortung außen vor lassen. Dies sage ich in Bezug auf die Frage, wie die Entsorgung in der Zukunft geregelt werden soll. Die Länder haben ein von der Verfassung garantiertes Recht, das von der
Bundesregierung missachtet worden ist.
Jenseits solcher Fragen bleibt es aber dabei, dass Sie
von der Union niemals die Vorwürfe hören werden, die
wir, als wir Verantwortung für die Castortransporte trugen, hören mussten. Das ist der fundamentale Unterschied
und macht ein Stück unserer Argumentation aus. Das, was
wir früher aus der Opposition gehört haben, werden Sie
von uns nicht hören.
({2})
Wir werden weder einen Polizeieinsatz noch die Drahtkäfige als Ausdruck von Polizeistaat kritisieren. Wir als
Union werden niemals Kampagnen, wie Freunde der Grünen
({3})
und auch Teile der SPD, nach dem Motto fahren: „Atom
gleich Tod gleich Krebs gleich CDU“. Solche Agitation,
die wir bis 1998 erlebt haben, werden Sie von uns nicht
hören.
({4})
Sie werden bei uns ebenso nicht erleben, dass wir auch
nur in irgendeiner Wendung eine sozusagen aus dem Prinzip des zivilen Widerstandes legitimierte Gewaltaktion
befürworten oder für richtig halten, wenn wir in irgendeinem Teil der Politik anderer Meinung sind als diese Regierung. Das ist der fundamentale Unterschied zwischen
1998 und 2001.
({5})
Zweitens ist es noch gar nicht lange her, dass in dieser
Bundesregierung genau das Gegenteil von dem entschieden worden ist, was Sie hier heute vortragen. Was haben
SPD und Grüne geschimpft, als wir darüber nachgedacht
haben, Straftäter und gewalttätige Demonstranten auch finanziell zur Rechenschaft zu ziehen! Es ist wenige Monate her, dass Herr Trittin sich damit gebrüstet hat, dass er
die Schadensersatzklage in Höhe von 100 000 DM gegen
die Besetzer des Turms im Endlager zurückgezogen hat.
Das ist das falsche Signal an Gewalttäter, es kommt aber
aus dieser Bundesregierung.
({6})
Deswegen denke ich, dass es, verehrte Frau Hustedt,
nicht um zweierlei Maß geht. Es geht um zweierlei Wahrheit, und zwar bei Ihnen und den Sozialdemokraten. Ich
kann hier gar nicht die Fülle der Widersprüche aufzählen.
Es ist jedenfalls so, Herr Kemper, dass die Unterbringung
der Polizei in Lüchow-Dannenberg deswegen so schwierig ist, weil der der SPD angehörende Landrat Christian
Zühlke die Turnhallen, die Schulen und alles andere, was
an öffentlichen Gebäuden für Unterkünfte zur Verfügung
stehen könnte, der Polizei bisher verweigert hat. Das ist
die Politik der SPD vor Ort.
({7})
- Schreien Sie nicht so rum.
({8})
- Herr Fuhrmann, ich würde einmal Folgendes sagen: Sie
gehören zu denen, die - wie Herr Trittin, Herr Schröder
und viele andere - den Menschen in Lüchow-Dannenberg versprochen haben, dass, wenn sie an die Regierung
kommen, die Anlagen in Gorleben nicht mehr genutzt
werden.
({9})
Heute sehen die Menschen in Lüchow-Dannenberg, dass
genau diejenigen, die ihnen das vor 1998 versprochen haben, diese Anlagen ohne jede Entschuldigung, ohne jede
Erklärung nutzen, als habe es nie einen anderen Sinn dieser Anlagen gegeben. Sie bauen Ihre Entsorgung auf unserer Vorsorge für die Zukunft unserer Kinder auf. Das ist
die Wahrheit.
({10})
Herr Kollege,
Sie müssen mit Ihrer Rede leider zum Ende kommen, weil
nur eine begrenzte Zeit zur Verfügung steht, die auch nicht
überschritten werden kann.
Frau Präsidentin, ich
würde gerne eine Schlussbemerkung machen.
Ich fordere Herrn Trittin auf, endlich das Gespräch mit
der Bevölkerung aufzunehmen.
({0})
Er ist der einzige Minister, der in der Verantwortung für
diese Dinge steht, der das Gespräch mit den Gemeinden
und mit der Bevölkerung im Landkreis Lüchow-Dannenberg verweigert hat. Dies hat es in der Geschichte des
Standortes Gorleben so noch nie gegeben.
({1})
Die Menschen in Lüchow-Dannenberg sind enttäuscht,
weil sie ohne jede Erklärung und ohne jede Entschuldigung genau das Gegenteil von dem erleben, was ihnen
vor der Wahl versprochen worden ist. Sie haben die
Bürger-initiativen für Ihren Machterhalt instrumentalisiert und jetzt verweigern Sie das Gespräch. Ich fordere
Sie auf: Stellen Sie sich vor Ort Ihrer Verantwortung!
Dann sind Sie endlich dort, wo Sie Verantwortung haben.
({2})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Michael Müller.
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Otto Schily hat Recht: Es waren nur wenige, die in den 60er-Jahren Nein zur Atomkraft
gesagt haben. Das war damals nicht die vorherrschende
Meinung. Insofern ist es so, dass diejenigen, die damals
dagegen waren - ich kenne noch meine ersten Veröffentlichungen aus dem Jahre 1968 -, auch heute noch eine
Verantwortung haben.
Ich muss Ihnen, weil mir das doch wieder sehr stark
auffällt, vor dem Hintergrund dieser Debatte sagen: Ein
Großteil gerade der Leute, die kritisch zur Atomkraft stehen, haben doch mit dazu beigetragen, die Gewaltproblematik zu klären. Ich kann mich noch ganz genau an die
Spaltung bei der Diskussion um Brokdorf erinnern. Ich
habe in den 70er-Jahren zusammen mit meinem Freund Jo
Leinen viele Demonstrationen organisiert und verantwortlich angemeldet. Ich weiß, wie wir 1975, als die Gewalt hoch kochte, die Demonstrationen gespalten haben:
Die einen sind nach Brokdorf gegangen, die anderen nach
Itzehoe. Wir haben dies bewusst getan, weil wir wussten,
dass der Protest gegen die Atomkraft nur dann glaubwürdig ist, wenn er gewaltfrei ist. Dazu stehen wir auch heute.
Wir lassen uns hier nicht in eine falsche Ecke stellen, auch
nicht von Ihnen.
({0})
Sie betreiben hier Scharfmacherei und ich will das an
drei Punkten belegen. Herr Wilhelm, Sie haben Frau
Müller angegriffen und gesagt, sie habe am 12. März 1997
eine ganz merkwürdige Haltung zur Gewalt an den Tag
gelegt. Sagen Sie bitte einmal die volle Wahrheit. Ausgangspunkt war eine Rede von Herrn Kanther, der im
Kern gesagt hat, das eigentliche Problem der Gewalt sei,
dass überhaupt gegen Atomkraft demonstriert werde. Daraufhin hat aus unserer Sicht Frau Müller völlig zu Recht
gesagt, dass die übergroße Zahl der Wendländer gewaltfrei protestierten. Das ist auch richtig; wir dürfen diese
Pauschalisierung nicht akzeptieren.
({1})
Das war damals der Zusammenhang und da müssen Sie
auch ehrlich sein. Bitte hören Sie mit dieser SchwarzWeiß-Debatte auf!
({2})
Dasselbe gilt auch für die PDS. Ich will Ihnen nicht
vorwerfen, dass Sie erst seit 1990 dabei sind. Aber dass
die PDS und ihre Vororganisation in der ökologischen
oder Anti-AKW-Frage besonders glaubwürdig gewesen
seien, kann man nun wirklich nicht sagen.
({3})
Kommen Sie in dieser Frage wieder ein bisschen auf den
Teppich zurück und sorgen auch Sie in dieser Debatte
bitte für Rationalität. Ich weiß doch, wie Ihre Pendants im
Westen in der Anti-AKW-Bewegung in den 70er-Jahren
gesagt haben: Atomkraftwerke nein, es sei denn in Volkes
Hand. So einen Unsinn haben die damals vertreten!
({4})
- Ich habe Ihnen doch gesagt, dass ich weiß, dass Sie erst
seit 1990 dabei sind, und ich weiß auch von vielen, woher
Sie gekommen sind. Es kann doch niemand erzählen, dass
es in der DDR eine wirklich breite Bewegung gegen die
Atomkraft gegeben hätte. Nun wollen wir doch bitte die
Tatsachen nicht verdrehen!
({5})
Meine Damen und Herren, der wirklich schwierige
Punkt ist nicht die Frage der Transporte, sondern der
Spielraum der Politik beim Atomausstieg. Diese Frage
steht dahinter. Aus meiner Sicht gibt es niemanden im
Regierungslager, der nicht einen schnelleren Ausstieg
will.
({6})
- Nein, gibt es nicht. Alle im Regierungslager wollen so
schnell wie möglich aus der Atomkraft heraus. Aber wir
haben es hier mit einer Branche zu tun, die wie keine andere aus ihrer Historie heraus rechtlich und ökonomisch
privilegiert ist.
({7})
Das ist unser Kernproblem. Es ist unglaublich schwierig,
aus der Atomkraft auszusteigen. Wir müssen alles tun, um
den Ausstieg zu beschleunigen. Deshalb ist für uns der
Einstieg in eine neue Energiepolitik so wichtig. Je überzeugender der Einstieg ist, desto besser ist das auch für
den Ausstieg.
({8})
Die Wahrheit muss auch in folgendem Punkt gesagt
werden: Wir, die wir aus der Anti-AKW-Bewegung kommen, sind nun wahrlich nicht für die Atomenergie verantwortlich.
({9})
Aber wir können doch nicht im Ernst sagen, dass der von
uns in der Bundesrepublik erzeugte Atommüll irgendwo
anders hinkommen soll. Nein, wir sind für die Endlagerung bzw. Entsorgung des bei uns erzeugten Mülls verantwortlich und können uns um diese Verantwortung
nicht herumdrücken.
({10})
Deshalb - dies müssen wir klar sagen - wird es weitere
Transporte geben. Aber wir bitten die Bundesregierung,
alles zu tun, damit nicht noch viele nötig werden, sondern
ihre Zahl so weit wie möglich reduziert wird.
Lassen Sie mich noch einen letzten Satz sagen, meine
Damen und Herren: Es wird ganz wichtig sein, dass wir in
der Frage der Entsorgung zu einer Lösung kommen. Ich
teile die Bedenken gegenüber Gorleben. Alles, was dort
geschehen ist, ist sehr kritisch zu sehen. Deshalb muss es
eine rationale Debatte über ein Endlager in der Bundesre-
publik geben. Hören wir deshalb auf, die Schlachten der
Vergangenheit zu schlagen, sondern setzen wir hier
präzise Kriterien, an denen wir uns abarbeiten können! In
dieser schwierigen Situation können wir nur überzeugen,
indem wir a) die Wahrheit sagen, b) alles tun, um so
schnell wie möglich aus der Atomenergie heraus zu komMichael Müller ({11})
men, und c) vor allem glaubwürdig unsere Ziele umsetzen. Alles andere wird uns nur als Taktik ausgelegt und
bringt uns nicht weiter.
({12})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Volker Beck.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst zu
Ihnen, Herr Grill. Ich stelle hier klar, dass sowohl der
Bundesumweltminister als auch seine Staatssekretärin
Frau Altmann der Bürgerinitiative verschiedentlich Gespräche angeboten haben. Ein vereinbarter Gesprächstermin wurde von der Bürgerinitiative abgesagt. Der Minister war in letzter Zeit auch mehrere Male vor Ort. Es gibt
also keineswegs eine Gesprächsverweigerung.
({0})
Das Gesprächsangebot wird auch weiter so bestehen;
denn wir wollen und brauchen den Dialog.
({1})
Nach dreijähriger Pause fand in diesen Tagen erneut
ein Castortransport in das Zwischenlager Gorleben statt.
Es ist auch ein Ausdruck einer guten demokratischen Haltung, aus diesem Anlass friedlich für einen schnelleren
Ausstieg aus der Atomenergie zu demonstrieren. Die
Menschen, die dies in der Region getan haben, haben
meine tiefe Sympathie.
({2})
Für uns Grüne war es eine der wichtigsten Aussagen im
Wahlkampf, von dem Irrweg der Atomenergie umzukehren. Das Ergebnis ist der Kompromiss zwischen
Regierung und Energiewirtschaft für einen Ausstieg.
Ein sofortiger Ausstieg aus der Kernenergie ist
rechtlich nicht möglich und politisch nicht durchsetzbar.
Die Entsorgung der Brennelemente ist einerseits Teil der
internationalen Verträge und andererseits natürlich auch
Teil des Ausstiegskonzepts. Deutschland ist verpflichtet,
die Vereinbarung einzuhalten. Das wäre selbst bei einem
schnellen und sofortigen Ausstieg der Fall. Auch das ist
Rechtstaatlichkeit: dass man zu seinen vertraglichen
Verpflichtungen steht.
({3})
Wir können diese Verträge nicht außer Kraft setzen. Ich
bitte all unsere Freundinnen und Freunde vor Ort, auch
wenn sie sich manchmal über die Grünen ärgern mögen,
zu verstehen, dass man für den Ausstieg aus der Atomenergie auch Kompromisse eingehen musste.
Mich bedrücken die Bilder der letzten Tage aus dem
Wendland. Es lässt sich nicht leugnen, dass einige vor Ort
die friedlichen Teilnehmer der Protestkundgebungen als
Kulisse für ihre Gewalt missbraucht haben. Diese wenigen erweisen dem Protest von vielen einen schlechten
Dienst,
({4})
ist es doch gerade dem friedlichen Protest zu verdanken,
dass aus der Gesellschaft der nötige Druck kommt, den
Ausstiegskompromiss gegen die nach wie vor maulende
Atomindustrie durchzusetzen.
Wer für einen schnellen Ausstieg aus der Atomenergie
demonstriert, tut dies aus Sorge um die Gesundheit der
Bevölkerung.
({5})
Wer aber Gesundheit und Leben von Polizeibeamten oder
Demonstranten durch militante Aktionen leichtfertig gefährdet, macht sich nicht nur strafbar, sondern hat jede
Glaubwürdigkeit in dieser Debatte verspielt. Deshalb
möchte ich auch ganz besonders den vielen Wendländerinnen und Wendländern danken, die in den letzten Tagen
vor Ort Gewalttaten von anderen Demonstranten verhindert haben, die gesagt haben: „Lasst diesen Scheiß!“
({6})
Ich möchte auch den Polizeibeamten danken, die durch
ihr besonnenes Verhalten in bestimmten Situationen immer wieder zur Deeskalation beigetragen haben.
Meine Damen und Herren, ein Teil des Energiekonsenses ist auch, dass es keine Festlegung auf das Endlager
Gorleben gibt. Das ist sehr gut so und hilft auch den
Wendländerinnen und Wendländern. Ich unterstütze ausdrücklich den Vorschlag des SPD-Fraktionsvorsitzenden
Struck, zu prüfen, ob nicht auch die Granitvorkommen in
Baden-Württemberg und Bayern geeignete Standorte für
ein Endlager bieten. Wir müssen das ergebnisoffen diskutieren.
({7})
Nur mit Rot-Grün war der Ausstieg möglich. Jede andere politische Konstellation hätte diesen Ausstiegskompromiss nicht auf den Weg gebracht. Jede andere Konstellation würde vielmehr den Ausstieg aus dem Ausstieg
betreiben.
So sehr ich hier für den Ausstiegskompromiss werbe,
so klar und entschlossen verteidige ich aber auch das
Recht der Menschen im Wendland, die für eine andere
Politik demonstrieren wollen.
({8})
Michael Müller ({9})
Sie dürfen sich wohl gegen die Transporte - auch wenn
wir sie an diesem Punkt für richtig und notwendig halten - wehren. Trotzdem darf man eine andere Meinung
in Sachen Atompolitik haben und diese in Demonstrationen kundtun.
Der Schutz des Grundgesetzes, sich friedlich und
ohne Waffen zu versammeln, gilt ohne jede Einschränkung auch für die Menschen im Wendland.
({10})
Wir Grünen streiten für dieses Recht selbstverständlich
auch dann, wenn wir selbst diejenigen sind, die hier kritisiert werden.
Kriminalisierung von Protest war immer das
Lieblingsspiel der Regierung Kohl und Kanther. Wir
machen das ausdrücklich nicht.
({11})
Wir nehmen den Großteil der Demonstranten ausdrücklich in Schutz gegen alle Angriffe, die auf die Legitimität und auch die Legalität ihres Protestes zielen. Auch
wenn ich aus politischen Gründen in diesem Fall gegen
Blockaden bin, lehne ich es aber entschieden ab, gewaltfreie Blockaden generell als Gewalt zu verurteilen.
({12})
Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung zur Nötigung klar gemacht, dass auch die Unterbrechung von Verkehrswegen keinesfalls automatisch
eine gewalttätige Nötigung sein muss.
({13})
Es gebietet die Korrektheit, diese Differenzen auch in
einer so aufgeheizten Debatte festzustellen.
Herr Kollege,
denken Sie daran: In der Aktuellen Stunde darf man
nicht länger als fünf Minuten reden.
Eine kurze Bemerkung zum Schluss. Der Castortransport
ist nun über die Bühne gegangen. Ich meine, wir sollten
diesen Einsatz auch im Innenausschuss noch einmal bilanzieren, unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten, aber auch unter den Gesichtspunkten der Deeskalation und der Versammlungsfreiheit. Dabei wäre es sicher
sehr hilfreich, wenn uns das Innenministerium in Abstimmung mit der niedersächsischen Landesregierung einen Bericht vorlegen könnte, anhand dessen wir diese
Fragen prüfen können.
({0})
Es ist unsere gemeinsame Verantwortung, dass diese Fragen friedlich und gewaltfrei gelöst werden.
({1})
Die Aktuelle
Stunde ist damit beendet.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 8 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Tourismus ({0}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Tourismuspolitischer Bericht der Bundesregierung
- Drucksachen 14/2473, 14/5432 ({1}) Berichterstattung:
Abgeordnete Brunhilde Irber
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Widerspruch höre ich nicht. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der
Parlamentarische Staatssekretär Siegmar Mosdorf.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren
heute den Tourismuspolitischen Bericht der Bundesregierung, den wir bereits vor gut einem Jahr vorgelegt und in
den Ausschüssen beraten haben, und besprechen insbesondere auch die Ausschussempfehlung zu diesem Bericht. Der Ausschuss hat besondere Akzente gesetzt, die
die Bundesregierung gern aufgreifen möchte, teilweise
auch bereits aufgegriffen hat, zum Beispiel in der Frage
der stärkeren Mittelausstattung der Deutschen Zentrale für Tourismus für gezielte Marketingmaßnahmen
zugunsten der neuen Bundesländer.
Es hat in den letzten Monaten auch in ausländischen
Journalen Berichte über Gewalt auf deutschen Straßen
und über Rechtsradikalismus in Deutschland gegeben,
teilweise sogar Warnungen vor Besuchen in Deutschland.
Wir werden nicht zulassen, dass Deutschlands Ansehen
beschädigt wird, sondern werden alles tun, um das Ansehen Deutschlands in der Welt zu festigen. Dazu gehört
auch, deutlich zu machen, dass wir diese gewalttätigen
Minderheiten nicht akzeptieren. Insofern ist auch das
Wahlergebnis vom letzten Sonntag ein wichtiges Signal.
Gerade in den für unseren Tourismus so wichtigen
Quellmärkten kommt es darauf an, Informationen zu vermitteln und Transparenz herzustellen. Wir können insgesamt in Deutschland auf dem Gebiet des Tourismus
gegenwärtig eine gute Situation konstatieren. Das Jahr
2000 wird ohne Zweifel als Rekordjahr in die Geschichte
des Tourismus eingehen. Die Zahl der Gästeankünfte
stieg gegenüber dem Vorjahr um 6 Prozent auf 108 Millionen. Dieselbe Steigerungsrate verzeichnete die Zahl
der Übernachtungen, die auf 326 Millionen gestiegen ist.
Besonders erfreulich ist der Zuwachs der Zahl an Gästen
Volker Beck ({0})
aus dem Ausland, der bei fast 11 Prozent lag. Das ist ein
positives Signal, das zeigt, dass die Menschen an der Entwicklung in Deutschland interessiert sind. Dass es auch
großes Interesse an der Entwicklung in den neuen Bundesländern gibt, beweisen die Gästezahlen in den neuen
Bundesländern, die noch höhere Zuwächse aufweisen.
Ganz besonders erfreulich ist, dass sich in den neuen Bundesländern jetzt „Perlen“ herausschälen, die weit über
Deutschland hinaus großes Interesse auslösen.
Von diesen guten Ergebnissen profitieren nicht nur die
Hotels und die Gastronomie, sondern auch die umliegenden Wirtschaftsbereiche, zum Beispiel Reiseveranstalter,
Reisebüros oder Busunternehmen. Auf diese Weise haben
wir im Jahr 2000 beim Umsatz des Gastgewerbes die
Trendwende erreicht: Die Zahlen, die lange rückläufig
waren, sind inzwischen wieder positiv.
({1})
Das ist ein positives Ergebnis. Auch die Beschäftigtenzahlen steigen an. Das ist ebenfalls ein wichtiges Zeichen;
denn es handelt sich - das wissen wir alle - um eine sehr
arbeits- und beschäftigungsintensive Branche.
Die Situation hat sich insgesamt also sehr positiv entwickelt. Die Maßnahmen, die die Bundesregierung ergriffen hat, haben hierzu beigetragen. Dazu gehören die
steuerpolitischen Maßnahmen, aber auch eine ganze
Reihe von weiteren Maßnahmen, mit denen wir Rahmensetzungen vorgenommen haben, etwa bei der Haushaltssanierung. Dazu gehört ganz ohne Zweifel auch die kontinuierliche Aufstockung der Beträge für die Deutsche
Zentrale für Tourismus, eine unserer wichtigsten Marketinginstitutionen, die einen guten Job macht; das muss
man auch einmal sagen.
({2})
Die Deutsche Zentrale für Tourismus hat sich sehr gut entwickelt. Ihre Arbeit findet große Anerkennung. Wir sind
froh, dass wir mit dieser Agentur zusammen für Deutschland werben können.
({3})
- Wir wollen diesen Streit nicht wieder aufnehmen, Herr
Brähmig.
({4})
Sie wollten eine Reduzierung der Mittel auf 20 Millionen DM.
({5})
Wir haben den Betrag wieder auf 42 Millionen DM angehoben. Wenn der Haushalt konsolidiert ist, haben wir
mehr Spielraum. Sie selbst hatten vor, den Betrag auf
20 Millionen DM zu reduzieren, und wir haben ihn auf
42 Millionen DM aufgestockt.
({6})
- Das stimmt, Herr Hinsken. Das können Sie in der mittelfristigen Finanzplanung nachlesen. Jedenfalls sind wir
zufrieden damit, dass wir die Mittel aufgestockt haben.
({7})
Das ist ein wichtiges Zwischenergebnis. Je mehr wir konsolidieren, desto mehr Spielräume gewinnen wir, um auf
diesem Sektor weitere Anstrengungen vornehmen zu können.
Der Tourismus ist eine der wichtigsten Zukunftsbranchen. Deshalb haben wir aus dem ERP-Programm für
Existenzgründungen im Tourismusgewerbe zinsgünstige Darlehen in Höhe von 550 Millionen DM zur Verfügung gestellt. Auch das ist ein wichtiger Punkt; das geht
manchmal ein bisschen unter.
({8})
Wir haben zudem 250 Millionen DM nicht rückzahlbare
Zuschüsse für touristische Infrastruktur und Tourismusgewerbe aus der Regionalförderung der Gemeinschaftsaufgabe bereitgestellt.
Das sind konkrete Maßnahmen, die geholfen haben.
Wir haben aber auch bei der Entbürokratisierung geholfen. So haben wir zum Beispiel die Euro-Auszeichnung in
Reisekatalogen bereits ab dem 1. August 2001 gestattet.
Außerdem haben wir im Hinblick auf die Preisauszeichnung in Hotels Vereinfachungen vorgenommen.
Das Jahr des Tourismus, das wir 2001 begehen, ist
eine nachhaltige Initiative für den Tourismus am Standort
Deutschland. Wir haben auf diesem Gebiet wichtige Partner, die deutlich machen, dass es sich lohnt, in Deutschland Urlaub zu machen, und zwar nicht nur für die Deutschen, sondern auch für viele, die aus dem Ausland zu uns
kommen. Wir brauchen das dringend.
Wir haben das Jahr des Tourismus auch inhaltlich
durchstrukturiert, mit den Verdi-Festspielen in Berlin beginnend, mit den Wintersportereignissen im Schwarzwald
und mit vielen anderen Aktionen: Gesundheitsurlaub,
Wandern, Rad fahren, Brauchtum und kulturelle Veranstaltungen. Das Jahr des Tourismus ist für uns alle - ich
glaube, das kann ich parteiübergreifend sagen - eine
wichtige Initiative für den Tourismus in Deutschland, vor
allem für die Beschäftigten in diesem Sektor.
({9})
- Wir haben schon viel investiert, lieber Ernst Hinsken;
das wissen Sie auch. Wir haben auch Partner gewonnen,
die uns ein bisschen helfen, etwa die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten, die Bundesbahn, die Lufthansa
und viele andere, die sich engagieren. Das ist erfreulich;
denn das Jahr des Tourismus lebt von den Initiativen vor
Ort, davon, dass viele mitmachen, dass viele selber Ideen
entwickeln und sich einbringen.
Ein letzter Punkt. Im nächsten Jahr, dem von der UNO
verkündeten Jahr des Ökotourismus, werden wir besondere Initiativen auf einem Gebiet ergreifen, auf dem bereits jetzt gute Voraussetzungen bestehen. Als Beispiele
zu nennen sind der Fahrradtourismus, Urlaub auf dem
Land sowie der Campingtourismus. Bezüglich der Schaffung einer Umweltdachmarke befinden wir uns in letzten
Abstimmungen. Auch das ist ein wichtiges Signal. Ich
glaube, dass die Menschen gerade im Urlaub nicht nur auf
Nachhaltigkeit, sondern auch auf Qualität Wert legen.
Diese Qualität finden sie am Tourismusstandort Deutschland. Ich finde, darauf können wir stolz sein.
Vielen Dank.
({10})
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Anita Schäfer.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Dass der Tourismuspolitische Bericht der Bundesregierung statt innovativer Lösungsansätze für die deutsche Tourismuswirtschaft nur
Statistiken enthält, haben wir bereits in der entsprechenden Debatte im März letzten Jahres feststellen müssen.
Aussagen zu den wirklich kritischen Fragen der Branche
blieben unbeantwortet.
({0})
In der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Tourismus erlagen die Vertreterinnen und Vertreter der SPD
und der Grünen der irrigen Meinung, dass es gelungen sei,
die Kaufkraft der Bevölkerung zu steigern und durch
Maßnahmen zur Entlastung der Betriebe ein ausgezeichnetes Konjunkturklima für den Tourismus zu schaffen.
Also, entweder haben die Regierungskoalitionäre die
falschen Berater oder sie lebten in den letzten Jahren nicht
in Deutschland, sondern in einem unserer vom Tourismus
verwöhnten Nachbarländer, dort, wo der Tourismuswirtschaft vonseiten der Politik bessere Rahmenbedingungen
zur Verfügung gestellt werden.
({1})
Unter diesen Bedingungen lehnt die CDU/CSU-Fraktion
die vorliegende Beschlussempfehlung ab.
({2})
Die gesamtwirtschaftliche Bedeutung der Tourismuswirtschaft als eine der wichtigsten Wachstumsbranchen darf aber nicht unterschätzt werden. Deutschland hat
einen großen Schatz von in Jahrhunderten gewachsenen
Kulturgütern, auf die wir stolz sein können und um die uns
viele Länder beneiden. Nur, die rot-grüne Reglementierungswut darf den Vorfrühling im deutschen Tourismus
nicht im Keime ersticken.
Allein in Deutschland bietet die Branche schon heute
2,8 Millionen Arbeitsplätze und über 90 000 Ausbildungsplätze, welche an den Standort Deutschland gebunden sind. Bedenken Sie dabei doch einmal, was alles
durch Ihre so genannte Finanz- und Sozialpolitik gefährdet wird: Die Tourismuswirtschaft macht einen Jahresumsatz von sage und schreibe 275 Milliarden DM, was
8 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt entspricht - und das
trotz der Politik dieser Bundesregierung. Noch keineswegs ausgeschöpft ist das Potenzial für Arbeitsplätze und
Einkommen in den Bereichen Urlaub, Freizeit und Reisen
in Deutschland.
Doch leider überträgt sich die positive Entwicklung der
Gäste- und Übernachtungszahlen in Deutschland nicht
auf den Arbeitsmarkt. Das Gegenteil ist der Fall: Die Zahl
der Beschäftigten im Gastgewerbe als dem wichtigsten
Leistungsträger der deutschen Tourismuswirtschaft ist
von Januar bis Oktober 2000 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 2,7 Prozent zurückgegangen.
({3})
Das ist nichts anderes als die Fortsetzung des negativen
Trends des Jahres 1999, in welchem der Beschäftigungsrückgang im Gastgewerbe 6,4 Prozent betrug.
Die verheerenden Folgen des Jobkillers 630-Mark-Gesetz sind bei weitem noch nicht kompensiert.
({4})
Das Gastgewerbe in unserem Lande leidet seit In-KraftTreten des Gesetzes am 1. April 1999 immer noch massiv
unter dem Verlust von weit mehr als 100 000 Arbeitsplätzen. Der entstandene Schaden kann durch die wenigen
neu geschaffenen Vollzeitarbeitsverhältnisse nicht ausgeglichen werden.
Laut Statistischem Bundesamt sank der Umsatz im
Gastgewerbe im Jahre 1999 um 1,4 Prozent, während er
von Januar bis Oktober 2000 lediglich um 1,1 Prozent
stieg. Im Gaststättenbereich zeichnet sich eine katastrophale Entwicklung ab. Hier ging der Umsatz allein von
Januar bis Oktober 2000 um 1,8 Prozent zurück. Der Arbeitskräftemangel durch die Neuregelung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse lässt grüßen. Für die
bevorstehende Sommersaison ziehen dicke Gewitterwolken auf.
Tourismuspolitik in Deutschland ist Mittelstandspolitik. Wenn man wie ich aus einem ländlich geprägten
Landkreis kommt, dann sorgt man sich besonders um die
kleinen Zimmeranbieter von nebenan.
({5})
Auch die dürfen in ihrer Masse nicht unterschätzt werden.
Vor allem größere Unternehmen profitieren zurzeit von
Zuwächsen bei der Übernachtung im hochpreisigen Segment, während kleine und mittlere Unternehmen Einbußen hinnehmen müssen. Leider sind hier genauere Analysen nicht möglich, da Übernachtungen in Betrieben mit
weniger als neun Gästebetten in Deutschland statistisch
nicht erfasst werden. Wirtschaftlichkeit bedeutet aber
auch Bettenauslastung. Hier zeichnet sich in unserem
Lande ein gnadenloser Wettbewerbskampf ab. Steigende
Zimmerauslastungen sind vorwiegend bei internationalen
Hotelgesellschaften zu verzeichnen, die gegenwärtig mit
massiven Investitionen in Deutschland ihre Kapazitäten
ausweiten. Das ist im Grunde auch sehr lobenswert. Nur,
für viele kleine und mittlere Unternehmen ist nicht der
Umsatz, sondern der Gewinn lebensnotwendig. Gerade
die Gewinne dieser Unternehmen sind aber rückläufig.
({6})
Ich hätte an dieser Stelle gern Wirtschaftsminister
Müller begrüßt - nichts gegen Sie, Herr Mosdorf, Sie wissen, dass ich Sie sehr schätze -; denn ich möchte Herrn
Minister Müller zitieren.
({7})
- Ich habe es gehört.
Ich zitiere:
Die im europäischen Vergleich hohe Belastung des
deutschen Hotel- und Gaststättengewerbes durch die
Mehrwertsteuer von 16 Prozent muss reduziert werden. Gerade weil für die Tourismuswirtschaft in
Deutschland die europäische Dimension immer
wichtiger wird, sind die gewaltigen Unterschiede bei
den Mehrwertsteuersätzen in den Mitgliedsländern,
die zwischen 3 und 25 Prozent schwanken, ein besonders großes Hindernis. Wer für mehr Urlaub in
unserem Land eintritt, muss diesen handfesten Wettbewerbsnachteil zu beseitigen versuchen.
Richtig, Herr Minister Müller. Diese Worte sprechen
für sich. Aber unser Antrag zur Harmonisierung der
gastgewerblichen Mehrwertsteuer wurde von Ihrer Koalition abgelehnt.
Deutschlands Hotellerie hat unter den Gemeinschaftsländern an belastenden Preisfaktoren wahrlich genug: die
höchsten Lohnkosten, die höchsten Lohnnebenkosten,
hohe Wareneinsatzkosten, neuerdings sogar eine Ökosteuer und keinen Vorsteuerabzug mehr bei Beherbergung
und Verpflegung. Gleichzeitig hat Deutschlands Hotellerie die geringste Rendite und als Folge davon eine viel zu
niedrige Kapitalausstattung. Bei dieser Konstellation ist
der reguläre deutsche Mehrwertsteuersatz der berühmte
Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt.
({8})
Zwölf von 15 Ländern der Europäischen Union wenden
auf Beherbergung bereits den ermäßigten Mehrwertsteuersatz an. Mit dem geltenden Satz von 16 Prozent hat
Deutschland den dritthöchsten Mehrwertsteuersatz auf
Hotelleistungen in der gesamten Europäischen Union.
Nun noch etwas Wirtschaftspolitik: Um die wirtschaftlichen Folgen von Ökosteuer, Änderung der Reisekostenpauschale, Wettbewerbsverzerrungen durch unterschiedliche Mehrwertsteuersätze in der EU, Reform der
630-Mark-Beschäftigungsverhältnisse und Streichung
des Vorsteuerabzugs für geschäftlich bedingte Übernachtungs- und Verpflegungsaufwendungen aufzufangen,
müssen in der Hotellerie und Gastronomie Stellen abgebaut werden; so geschehen in der jüngsten Vergangenheit.
Das ist ein Teufelskreis, denn weniger Mitarbeiter bedeuten weniger Service, weniger Qualität und auch weniger
Umsatz. Weniger Umsatz und Mitarbeiter aber bedeuten
auch geringere Staatseinnahmen und höhere Staatsausgaben.
Das Ansehen der Beschäftigten in dieser Dienstleistungsbranche muss dringend verbessert werden, damit
junge Menschen vermehrt die Berufe in dieser Branche
erlernen und damit deutsche Arbeitnehmer in dieser Branche arbeiten wollen. Ein Positionspapier der Kanzlerberater Professor Streeck und Heinze zeigt auf, dass die
Ermäßigung der Mehrwertsteuer sehr wohl beschäftigungspolitische Auswirkungen hat:
Erwerbsquote und Arbeitslosenquote stehen in einem unmittelbaren Zusammenhang. Dort, wo die
Erwerbsquote noch ist, ist die Arbeitslosenquote
niedrig, und umgekehrt. Will Deutschland seine Arbeitslosenquote senken, muss es seine Erwerbsquote
erhöhen. ... Der deutsche Beschäftigungszuwachs im
Dienstleistungssektor bleibt ... weit hinter anderen
Ländern zurück. Vergleicht man die Zahl der Beschäftigten pro 1 000 Einwohner, so ergibt sich
für Deutschland gegenüber den USA ein Beschäftigungsdefizit von 1,9 Millionen Arbeitsplätzen
allein bei den freizeitbezogenen Dienstleistungen
({9}).
Frau Kollegin,
denken bitte auch Sie an die Redezeit.
Es gibt so viel zu sagen.
Sie sehen, wie wichtig das ist.
Arbeiten wir daran, dass alles besser wird! Ich hoffe,
Frau Roth wird auf unsere Forderung eingehen, das 630Mark-Gesetz zurückzunehmen.
Danke schön.
({0})
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Sylvia Voß.
„Stets anderer Meinung zu sein ist das Gegenteil davon, eine eigene Meinung zu haben.“ Dies trifft leider auf die Opposition auf der rechten Seite in diesem Hause immer wieder
zu. Sie reden heute ganz anders als früher und behaupten
oft sogar das Gegenteil von dem, was Sie in Ihrer Regierungszeit geäußert haben.
Nehmen wir doch nur einmal einen Satz:
Nach Auffassung der Bundesregierung sollen geringfügige Beschäftigungsverhältnisse die Ausnahme
vom Regelfall des sozialversicherungspflichtigen
Beschäftigungsverhältnisses sein.
Wo bleibt Ihr Beifall? Wissen Sie, woher ich dies habe?
- Es steht in der Drucksache 12/8489. Sie ist vom 19. September 1994. Wer war denn zum damaligen Zeitpunkt in
Deutschland an der Regierung?
({0})
Was kümmert die Opposition ihr Geschwätz von gestern, wenn man heute mit dem Gegenteil der früheren
Aussagen so schön populistisch herumpoltern kann? Sie
fordern doch bei jeder passenden und vor allen Dingen bei
jeder unpassenden Gelegenheit, das Gesetz zur Neuregelung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse
zurückzunehmen. Das aber hätte - das wissen Sie - die
Aushöhlung der Finanzgrundlagen der Sozialversicherung zur Folge. Neue Arbeitsverhältnisse für fachkundiges Personal würden Sie auf diesem Wege nie erreichen.
({1})
Wo aber sehen Sie denn einen Weg zu einer guten Qualität und zu einer besseren Bezahlung in der Hotellerie
und Gastronomie? Ihre platten Forderungen und Ihr konfuses Agieren sind wenig hilfreich. In Frankreich, Spanien und Italien gibt es übrigens keine Sozialversicherungsfreiheit. Unser Gesetz ist also zugleich als eine
Maßnahme gegen Wettbewerbsverzerrungen im europäischen Bereich zu verstehen. Dies sollte auch Ihnen am
Herzen liegen.
({2})
Wenn rot-grüne Tourismuspolitiker sagen, es gehe unserer Tourismuswirtschaft gut - das können wir anhand
von Zahlen belegen -, dann ist es klar, dass die schwarzgelbe Opposition anderer Meinung sein muss. Wir dürfen
keine Anerkennung erhalten, auch wenn Sie dafür die
Wirklichkeit verbiegen müssen. Wer dabei jedoch übertreibt, der muss es sich zu Recht gefallen lassen, dass sich
sogar die Fachpresse besorgt fragt - ich zitiere noch einmal -,
ob die Christdemokraten die Navigationsdaten falsch
gelesen und im Nebel von Studien und Statistiken die
Orientierung verloren haben.
({3})
- Den können Sie gerne bekommen.
So ist das eben, wenn man den Tourismusstandort
Deutschland partout schlecht reden will.
({4})
- Natürlich. Das tun Sie doch ständig.
Als wir vor etwas mehr als einem Jahr zum ersten Mal
zusammentrafen, um über den Tourismuspolitischen Bericht der Bundesregierung zu debattieren, machten Sie uns,
Herr Brähmig, den Vorwurf, die Bundesregierung trage zu
wenig zur Gesundung der Tourismuswirtschaft bei.
({5})
Dazu kann man nur sagen, dass der Patient zu diesem
Zeitpunkt gar nicht mehr so krank war, und zwar dank unseres politischen Einsatzes.
({6})
Wir haben uns nämlich darangemacht, die Versäumnisse
und Fehlentwicklungen der Tourismuspolitik der christlich-liberalen Koalition auszuräumen und abzuwenden.
({7})
Wir haben als eine unserer allerersten Handlungen die
Mittel für die Deutsche Zentrale für Tourismus aufgestockt, die Sie - erinnern Sie sich bitte daran - massiv kürzen wollten. Auch das ist so ein Geschwätz von gestern.
({8})
- Herr Brähmig, es hilft überhaupt nichts, wie ein Huhn
zu gackern, das ewig kakelt und mirakelt.
({9})
- Wissen Sie, Herr Hinsken, das habe ich mir selbst aufgeschrieben. Aber das bekommen Sie gar nicht hin. Sie
kakeln und mirakeln ständig, dass wir die Mittel für die
DZT noch stärker anheben sollten. Das würden wir gerne
tun. Aber Sie haben uns doch diesen maroden Scherbenhaufen von Haushalt hinterlassen. Es kommt hier nicht
darauf an, wer am lautesten gackert, was Sie so gerne tun,
sondern wer tatsächlich die Eier legt.
({10})
Sie haben in Bezug auf die DZT absolut gar nichts zustande bekommen.
Zurück zu den Statistiken, durch die die CDU/CSU
ihre Orientierung total verloren hat: Im zurückliegenden
Jahr verzeichnete die Tourismuswirtschaft 6,5 Prozent
mehr Gäste und 5,9 Prozent mehr Übernachtungen. Von
den ausländischen Gästen übernachteten sogar 10,9 Prozent mehr in unserem schönen Heimatland.
({11})
- Wissen Sie, wir führen gerade eine andere Debatte. Das
Wort „stolz“ kam heute schon ziemlich häufig vor. - Die
Gästezahlen in den neuen Ländern stiegen sogar um
8,5 Prozent; bei den Übernachtungen war ein Plus von
10,1 Prozent festzustellen.
Die Opposition aber spricht, wider alle Orientierung,
von Stagnation. Man kann nur sagen: Absurder geht das
kaum, Kopfrechnen sechs.
Für dieses Jahr des Tourismus werden 341,3 Millionen
Übernachtungen in Deutschland und damit ein Anstieg
um 5,3 Prozent erwartet. Also, meine Damen und Herren
von der rechten Seite: Unsere Tourismuswirtschaft steht
nicht mit einem blassen Gesicht, sondern mit roten Pausbacken da.
({12})
Aus diesem Grund teilt die rot-grüne Koalition die Befürchtungen der Opposition nicht. Das bedeutet aber nicht,
dass wir uns einfach zufrieden zurücklehnen. Im GegenSylvia Voß
teil: Mit unserem Tourismusförderungsprogramm verbessern wir die Rahmenbedingungen für den deutschen
Tourismus, speziell auch unter dem Aspekt des Umweltund Naturschutzes, wo Sie so lange geschlafen haben.
({13})
Abschließend möchte ich noch anmerken: Unter den
Reiseveranstaltern in Deutschland ist Zufriedenheit schon
jetzt eine der meistbemühten Vokabeln. Ihr Ungläubigen
von der rechten Seite des Hauses hört das nicht gern; aber
das ist so. Man kann nur sagen: Macht doch einfach mit!
({14})
Helft uns, für den Tourismus in diesem Landes etwas
Gutes zu tun, anstatt mit Postkarten Schiffe versenken zu
spielen und mit falschen SOS-Rufen die Wirtschaft dieses
Landes schlecht zu reden!
Danke schön.
({15})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Ernst Burgbacher.
({0})
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Selbstverständlich
freuen wir uns alle über die positiven Zahlen im Deutschlandtourismus. Wir freuen uns, dass die vielen Menschen
in den Bereichen Hotels, Gaststätten, Reisebüros und vielen touristischen Einrichtungen durch ihren Fleiß und ihre
Kreativität die entsprechenden Ergebnisse erreicht haben.
Diese Leistung ist zuallererst deren Verdienst und nicht
das Verdienst der Politik.
({0})
Ich sage Ihnen: Die Entwicklung gibt Anlass zur
Freude, aber keinen Anlass zur Euphorie; sie bietet vielmehr Anlass, die Zahlen etwas differenzierter zu betrachten. In diesem Zusammenhang müssen wir leider feststellen: Wir haben zwar im Hotelbereich insgesamt eine
bessere Auslastung, aber in vielen Teilen des Hotelsektors
- insbesondere in den kleinen Familienhotels - große Probleme. Diese lassen sich nicht mit allgemeinem Datenmaterial vom Tisch wischen.
Wir haben im Gaststättenbereich eine ganz Besorgnis
erregende Entwicklung. Der DEHOGA-Konjunkturbericht spricht von gesunkenen Erträgen bei 38,1 Prozent
aller Gaststätten, während nur bei 30,3 Prozent der Gaststätten gestiegene Erträge zu verzeichnen sind. Man muss
diese Probleme sehen. Des Weiteren haben wir bei den
Reisebüros und den Reisebusunternehmen teilweise eine
äußerst kritische Entwicklung zu verzeichnen. Wir müssen diese Tatsachen zunächst einmal sehen und dürfen sie
nicht mit pauschalen Daten unter den Tisch kehren.
({1})
Die F.D.P. sieht in der Tourismuspolitik drei vorrangige Handlungsfelder:
Erstens. Die Politik muss die Rahmenbedingungen so
setzen, dass private Unternehmen Gewinne machen und
investieren können und dass touristische Unternehmen im
immer schärfer werdenden europäischen und weltweiten
Wettbewerb bestehen können.
Zweitens. Der Deutschlandtourismus ist nicht im Billigpreissegment, sondern eher durch ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis wettbewerbsfähig. Deshalb brauchen
wir eine Qualitätsoffensive in Angebot und Leistung.
({2})
Drittens. Der Deutschlandtourismus braucht Strukturreformen unter der Devise: Mehr privat und weniger Staat.
({3})
Lassen Sie mich zum ersten Punkt - richtige Rahmenbedingungen setzen - Ausführungen machen: Die Zahlen
im Deutschlandtourismus sind gut, könnten aber noch viel
besser sein, wenn die Bundesregierung nicht ständig neue
Hindernisse für die Tourismuswirtschaft aufbauen würde.
Die Forderungen der F.D.P. in diesem Zusammenhang
sind klar: Weg mit der Ökosteuer, weg mit den neuen Regelungen zur Scheinselbstständigkeit und Beseitigung der
Strangulierung des Arbeitsmarktes durch das Teilzeitgesetz und flächendeckende Gewerkschaftsmacht. Wichtig sind vielmehr eine Flexibilisierung der Arbeitsmärkte
und die Verlagerung der Verantwortung in die Betriebe.
Das ist angesagt.
({4})
Weiterhin müssen wir Bürokratie abbauen. Wir müssen
auch bedenken - ich sage Ihnen das schon seit zwei Jahren -:
({5})
Wir stehen ein Dreivierteljahr vor der Einführung des
Euro. Natürlich wird die Tatsache, dass die Menschen in
Europa mit Euro bezahlen, den Wettbewerb wesentlich
verändern und ihn auch verschärfen. Deshalb sagen Sie
endlich Ja zur Einführung eines reduzierten Mehrwertsteuersatzes in der Hotellerie. Wenn Sie das nicht machen, dann sind Sie dafür verantwortlich, wenn hier
Arbeitsplätze in großer Zahl wegfallen.
({6})
Der Deutschlandtourismus ist weitgehend von einer
mittelständischen Struktur geprägt. Wir müssen alles tun,
um diese Struktur zu erhalten. Der Mittelstand garantiert
- das ist die Wahrheit - Arbeits- und Ausbildungsplätze.
Er sorgt in hohem Maße für die Attraktivität des Deutschlandtourismus und für das positive Image des Urlaubslandes Deutschland. Deshalb kann es nicht sein, dass die
Regierung hier eine Politik für die Großindustrie und
dezidiert gegen den Mittelstand macht.
({7})
- Herr Kubatschka, hören Sie lieber zu, als ständig dazwischenzubellen!
Lassen Sie mich auf den zweiten Punkt zu sprechen
kommen, die Verbesserung der Qualität. Ein qualitativ hohes Angebot erreichen wir dann, wenn Unternehmen Geld
verdienen und dieses Geld investieren.
({8})
Wir müssen auch viel mehr in die Dienstleistungsmentalität und die Servicebereitschaft investieren. Lächeln
muss sich in diesem Land wieder lohnen! Deshalb fordern
wir seit vielen Jahren deutliche Steuersenkungen. Unser
Steuerreformkonzept liegt auf dem Tisch: 15, 25 und
35 Prozent. Sie müssen dem nur endlich zustimmen. Wir
brauchen Qualitätsinitiativen, die von Staat und Wirtschaft gemeinsam getragen werden. Ich möchte hier auf
wirklich richtungsweisende Modelle in Baden-Württemberg aufmerksam machen.
Die Abschaffung der unsinnigen Trinkgeldbesteuerung sollte endlich gelingen.
({9})
Ich möchte aus dem „vorwärts“ zitieren - es ist schön,
wenn man das einmal kann -, in dem Bundeswirtschaftsminister Müller erklärt hat:
Man könnte die Trinkgeldsteuer abschaffen. Ich habe
das Thema schon mehrmals mit dem Finanzminister
besprochen - bisher ohne Ergebnis. Aber das heißt
nicht, dass man es nicht weiter besprechen sollte.
Lieber Herr Mosdorf, sagen Sie Ihrem Chef doch bitte,
dass er sich nicht nur besprechen, sondern endlich auch
handeln sollte. Stimmen Sie unserem Gesetz endlich zu!
({10})
Herr Mosdorf und andere Kollegen haben auf die bessere Mittelausstattung der DZT hingewiesen. Ich halte es
nach wie vor für schändlich, dass Herr Müller das Jahr des
Tourismus ausruft, aber keinen einzigen Pfennig für diese
Aktion zur Verfügung stellt.
({11})
Herr Mosdorf, die bessere Mittelausstattung der DZT
ist ja nur eine Seite der Medaille. Die andere Seite der Medaille ist, dass Sie bei anderen Haushaltsposten mehr gestrichen haben. Seien Sie also ehrlich: Ihnen stehen nicht
mehr, sondern weniger Mittel zur Verfügung. Man kann
nicht das Jahr des Tourismus ausrufen und gleichzeitig
nichts für die Förderung des Tourismus in Deutschland
tun. Das ist zu wenig. Wir haben eine Riesenchance, die
wir nutzen sollten.
({12})
Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Das Jahr des
Tourismus hätte die große Chance geboten, etwas zu tun,
sinnvoll zu handeln und die unsinnigen Dinge, die Sie
vorher getan haben, zurückzunehmen. Das Jahr des Tourismus steht unter dem Motto: „Reiseland Deutschland
- nix wie hin!“ Ich bitte die Bundesregierung, im Jahr des
Tourismus sinnvolle Maßnahmen auf den Weg zu bringen. Herr Mosdorf, nix wie ran!
({13})
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Rosel Neuhäuser.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! In den vergangenen Diskussionen über den Tourismuspolitischen Bericht der Bundesregierung ist deutlich geworden, dass Tourismuspolitik nicht nur ein Ressort betrifft, sondern dass viele
Bereiche daran arbeiten und mit in der Verantwortung stehen. Ich möchte hier keine Zahlen auflisten; denn es geht
um Positionen, die man deutlich machen muss und die
sich nicht unbedingt an Zahlen festmachen lassen. Es geht
in der Tourismuspolitik nämlich um einen breiten Konsens und den politischen Willen, die Verantwortung von
Politik, Wirtschaft und Tourismusbranche an gemeinsamen Zielen zu orientieren.
Wir alle sind uns sicher dahin gehend einig, dass wir
der Tourismuswirtschaft den Stellenwert geben sollten,
der ihr zu Recht zusteht. Wenn wir in diesem Sinne die
Tourismuswirtschaft leistungs- und wettbewerbsfähiger
gestalten wollen, benötigen wir beim Bund, bei den Ländern, bei den Kommunen und natürlich auch in der Branche den politischen Willen für eine hohe Kooperationsbereitschaft.
({0})
Das heißt, es ist genau zu definieren, was das Besondere
an meinem Produkt und an meiner Region ist und wo ich
es wie mit wem am besten vermarkten kann.
Wir alle wissen, dass Mittel und Ressourcen begrenzt
sind. So ist es umso wichtiger, sich auf Schwerpunkte zu
konzentrieren und regional übergreifende Marketingkonzepte zu entwickeln und auszubauen. Da gibt es bereits
Ansätze. Wir brauchen nicht ein ständiges Mehr an Tourismus. Was wir brauchen, ist ein Mehr an Qualität, ein
Mehr an Service und ein Mehr an Flexibilität beim Erfüllen von Gästewünschen. Ich denke, das ist ein ganz wichtiger Faktor: Dafür braucht die Branche qualifizierte
Fachkräfte. Das ist übrigens nichts Neues. Jeder weiß aus
eigener Erfahrung: Qualität, Quantität und Kontinuität
sind und bleiben das A und O für den Tourismus und, wie
ich denke, nicht nur für ihn allein.
({1})
Deshalb muss diese Branche auf feste Füße gestellt werden. Das geht aber - auch dieses Problem spreche ich
heute nicht zum ersten Mal an - nicht auf der Basis von
ABM oder SAM;
({2})
vielmehr sind Festanstellungen erforderlich.
In diesem Zusammenhang sei aber auch gesagt:
Freundlichkeit - darauf hat Herr Burgbacher eben hingewiesen - kann man nicht lernen; dennoch ist sie für das
Gesamtbild eines Produktes nicht ganz unwesentlich. Wie
oft hilft ein Lächeln über manche Klippen hinweg? Das
ist nun einmal so.
({3})
Insofern bleiben aber noch viele Wünsche offen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt nach wie vor
immer wieder Grund, die Absolutheit und Einseitigkeit
der Darstellung des Tourismus als des Wirtschaftsfaktors
schlechthin und der Jobmaschine schlechthin zu kritisieren. Ich frage Sie: Ist die Wirtschaft Partner des Tourismus
oder ist der Tourismus Partner der Wirtschaft? Die Antwort fällt besonders schwer, wenn es um die Synergieeffekte geht. Denn am Tourismus partizipieren viele Wirtschafts- und Dienstleistungszweige und genau dieser positive Umstand erschwert die Darstellung der Tourismusbranche als des entscheidenden Wirtschaftsfaktors.
Trotz der Schwerpunktsetzung auf die Wirtschaftlichkeit des Tourismus - Herr Mosdorf hat das ausführlich gemacht - dürfen wir seine soziale Seite nicht vergessen.
Kinder, junge Menschen und junge Familien haben das
gleiche Recht auf Erholung wie sozial Schwache und
Menschen mit Behinderung.
({4})
Nach meinen Informationen gibt es zum Beispiel in
Deutschland 700 000 Menschen, die im Rollstuhl sitzen,
und circa 10 Millionen Menschen, die eine Gehbehinderung haben. Diese Menschen geben jährlich 3,1 Milliarden DM für Urlaub aus. Nicht dass Sie denken, sie bleiben zu Hause, in Deutschland! Nein, fast 90 Prozent
dieser Menschen mit Behinderung verbringen ihren Urlaub im Ausland. Ich denke, dieser Aspekt wird in der
Tourismuspolitik noch zu wenig beleuchtet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfraktionen, wie ich Sie kenne, warten Sie schon seit Beginn meiner Rede auf Ausführungen zu Kinder- und Jugendreisen. Ich möchte Sie auch heute nicht enttäuschen.
({5})
Die vorgestellten Studien auf der ITB - und nicht nur die
der PDS-Bundestagsfraktion - belegen, dass die Politik
gegenüber der Branche gefordert ist. Es geht um die Anerkennung von Einrichtungen und um deren materielle
und finanzielle Ausstattung. Diesem Problem sollten wir
uns schnellstmöglich zuwenden.
Vielen Dank.
({6})
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Renate Gradistanac.
Frau Präsidentin! Werte
Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen
und Herren! Fazit des Tourismuspolitischen Berichts ist:
Der Tourismus boomt. Unsere tourismuspolitische
Sprecherin Bruni Irber würde sagen: Der Tourismus
brummt. Das freut nicht nur unseren „Tourismuskanzler“
Gerhard Schröder, wie ihn der Bundesvorsitzende des
DEHOGA, Herr Kaub, treffend bezeichnet hat, sondern
auch alle Mitglieder der Tourismus-AG der SPD.
({0})
Die populistische Postkartenaktion der CDU/CSU mit
der Überschrift „SOS - Stand Ort Stau im deutschen Tourismus“ - meine Kollegin hat es schon angesprochen -,
die pathetisch die angeblich dramatische Situation des
Deutschlandtourismus beschreibt, löste bei uns und bei
Veranstaltern verwundertes Kopfschütteln aus.
({1})
- Herr Hinsken, gemach! Ich weiß, dass ich Sie häufig
aufrege.
Hier einige Stimmen:
Astrid Clasen-Czaja von der TUI:
Das kann ich überhaupt nicht nachvollziehen.
Günther Degenhardt von Neckermann Reisen:
Diese Ergebnisse können wir in unserer täglichen Arbeit nicht feststellen.
Martin Katz, Geschäftsführer von Ameropa, spricht
ebenfalls von nicht nachvollziehbaren Horrorszenarien.
Er verzeichnet ein
ordentliches Plus bei Umsatz und Teilnehmern und
diagnostiziert eine positive Entwicklung im
Deutschlandtourismus.
({2})
Udo Schröder von der ITS ist ebenso positiv gestimmt:
Wir werden in diesem Jahr sicher ein Umsatz- und
Gästeplus erzielen. 1999/2000 reisten 150 000 Gäste
mit ITS in Deutschland. Das entspricht einer Steigerung von 14 Prozent.
Sie merken, dass ich darüber lange sprechen kann.
Claudia Gilles, Hauptgeschäftsführerin des DTV:
Die Übernachtungszahlen zeigen, dass Deutschland
gut gefragt ist.
Auch Ursula Schörcher von der DZT sagt - damit
schließe ich den Reigen der Zitate aus dem „ReisebüroBulletin“, Nr. 10; ich sage das, falls Sie, Herr Brähmig,
wissen möchten, woraus ich zitiere -, dass Deutschland
nicht aus der Mode gekommen ist.
Hier die Fakten - der Staatssekretär hat schon einige
genannt -: In Deutschland hat der Tourismus einen Anteil
am Bruttoinlandsprodukt von rund 8 Prozent. Die Zahl
der Arbeitsplätze im Tourismus beläuft sich auf 2,8 Millionen, die der Ausbildungsplätze auf 91 000. Die Übernachtungszahlen im Osten steigen überproportional an.
Ich freue mich, dass die SPD-geführte Bundesregierung das Jahr 2001 zum „Jahr des Tourismus“ ausgerufen
hat - ein Vorschlag aus der Mitte unseres Ausschusses,
des Tourismusausschusses.
({3})
- Ich freue mich, dass Sie Ihren Humor wiedergefunden
haben. - Damit kann das Bewusstsein wachsen, dass
Deutschland mit seinen vielfältigen Tourismusregionen
ein hervorragendes Tourismusland ist.
({4})
Die Sterne - übrigens nicht nur die kulinarischen - können poliert und herausgestellt werden. Die Qualitätsoffensive kommt zur richtigen Zeit.
Ich verbinde mit dem „Jahr des Tourismus“ auch den
Gedanken an eine Dienstleistungsgesellschaft. Dazu
gehören selbstverständlich Arbeitsplätze, die existenzsichernde Einkommen ermöglichen.
({5})
Dazu gehören nicht die 630-Mark-Jobs, die vor unserem
Amtsantritt in der Branche einen Anteil von über 40 Prozent hatten. Dazu gehören Ausbildungsplätze, die nicht
die alarmierende Abbrecherquote von circa 40 Prozent
nach sich ziehen und die es nicht mit sich bringen, dass
nach Ausbildungsende 60 Prozent in andere Branchen abwandern.
({6})
Dazu passt ausgezeichnet - nicht Ihr Wunsch nach einer Zwischenfrage -,
({7})
dass die Tourismusbranche, die mittelstandsgeprägt ist,
durch unsere Steuerreform um 25 Milliarden DM entlastet wurde, abgesehen von den gut zugeschnittenen Mittelstandsprogrammen.
Gestatten Sie
eine Zwischenfrage des Kollegen Hinsken?
Lieber nicht.
({0})
- Wir kennen uns aus der praktischen Arbeit. Daher: lieber nicht.
({1})
Ich wiederhole: Wir fördern - darauf sind wir stolz den Einsatz moderner Technologien mit 24 Kompetenzzentren. Ein weiteres, speziell für den Tourismus, wird in
Worms entstehen. Wir begrüßen, dass mit Viabono eine
intelligente und einheitliche Umweltdachmarke für den
Deutschlandtourismus eingeführt wird. Damit wird eine
von den Tourimuspolitikerinnen - Männer sind in diesem
Fall mit gemeint - immer wieder erhobene Forderung in
die Praxis umgesetzt. Das Konzept Viabono beruht auf
dem Ziel, eine Dachmarke für alle touristischen Segmente
zu schaffen. Es wirbt - ich zitiere - „für neue Wege für das
Reisen, für mehr Qualität, mehr Natur, mehr Spaß, mehr
Genuss“.
Das alles kann frau auch in meiner Heimat, im
Schwarzwald, zum Beispiel bei Ferien auf dem Bauernhof genießen. Wer von den Anbietern noch nicht fit ist,
kann mit einem Modernisierungsprogramm nachhelfen.
Das gilt auch für veraltete Privatzimmer.
Unser umfangreiches Programm zur Stärkung des Tourismus in Deutschland ist auf gutem Weg, Viabono.
Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär für Ihre Unterstützung.
({2})
Der Herr Kollege Hinsken möchte eine Kurzintervention machen.
({0})
Das ist sein Recht, wie es Ihr Recht ist, Zwischenfragen
abzulehnen.
({1})
- Nein, das tun wir nicht.
Werte Frau Präsidentin!
Ich möchte mich bedanken, dass Sie diese Kurzintervention zulassen, nachdem ja die Kollegin meine Zwischenfrage abgelehnt hat. Ich wollte nur einiges zurechtrücken, was sie falsch dargestellt hat.
Es ist nicht von der Hand zu weisen - gerade die
Hotellerie und die Gastronomie stellen das fest -, dass in
diesem Bereich durch das 630-DM-Gesetz über 100 000 Arbeitsplätze verloren gegangen sind, während gerade im
Hotel- und Gaststättengewerbe zum gegenwärtigen Zeitpunkt 80 000 Arbeitskräfte dringend benötigt, aber nirgendwo gefunden werden, weil die Bedingungen hierfür,
gerade was Geringverdienermöglichkeiten anbelangt, so
schlecht sind, und das wirkt sich negativ aus.
Eine zweite Bemerkung. Ich nehme sehr wohl auf, was
hier zum Jahr des Tourismus gesagt worden ist. Frau
Kollegin Gradistanac, wenn Sie ehrlich gewesen wären,
dann hätten Sie gesagt, dass der Vorschlag, dieses Jahr
einzuführen, von der CDU/CSU-Fraktion kam und dass
sich dann dankenswerterweise der Parlamentarische
Staatssekretär Mosdorf besonders dahinter geklemmt hat,
dass daraus etwas geworden ist.
Bundeswirtschaftsminister Müller ist momentan landauf, landab unterwegs, um sich damit zu rühmen, das umgesetzt zu haben. Aber er vergisst immer, darauf zu verweisen, dass er nicht bereit ist, eine einzige Mark zur Verfügung zu stellen. Das passt nicht zusammen.
({0})
Eine dritte Bemerkung. Ich finde es richtig, wenn, was
die Deutsche Zentrale für Tourismus betrifft, im kommenden Haushaltsjahr wieder eine Mittelaufstockung
vorgenommen wird. Auch wir von der Opposition wollen
die Regierung und die sie tragenden Parteien gerade in
dieser Angelegenheit unterstützen. Aber ich darf schon
darauf verweisen, dass bisher von den Rednern der Regierungsparteien, aber auch bei Ihnen, Herr Staatssekretär
Mosdorf, die Gunst der Stunde nicht genutzt wurde, alles
das vorzutragen, was momentan Hotellerie und Gastronomie auf den Nägeln brennt. Deshalb bin ich dankbar, dass
Kollege Burgbacher und Kollegin Schäfer aus ihrer Sicht
bereits darauf verwiesen haben.
Ich will hier ausdrücklich sagen, dass das, was die Kollegin Neuhäuser hier ausgeführt hat, sehr sachbezogen war.
Aber ich möchte schon betonen, vor allen Dingen an
Sie, verehrte Frau Kollegin Gradistanac gerichtet, dass in
Bezug auf die Mehrwertsteuer Bundeswirtschaftsminister Müller vor zwei Jahren bei der Eröffnung der
ITB lautstark verkündet hat, sich für Wettbewerbsgleichheit innerhalb Europas einzusetzen. Angekündigt hat er
es. Das hat er dann aber vergessen. Ein Rückschritt nach
dem anderen. Nichts ist gemacht worden.
Es ist ferner vor eineinhalb Jahren gesagt worden, die
Bürokratie wird abgebaut. Was ist gemacht worden? Wieder Ankündigungen. Vor vier Wochen haben wir es von
der neuen Mittelstandsbeauftragten erneut gehört, dass
hier etwas gemacht wird. Getan wurde bisher nichts. So
könnte diese Liste ergänzt werden.
Frau Präsidentin, ich bedauere, dass Sie mir nicht mehr
Redezeit einräumen können. Ich könnte noch viele Unterlassungssünden aufführen. Diese Bundesregierung redet
zwar über den Tourismus, aber sie tut relativ wenig oder gar
nichts für die Schaffung besserer Rahmenbedingungen.
Danke.
({1})
Herzlichen Dank für
Ihre Nachfragen, Herr Kollege Hinsken.
({0})
Damit habe ich die Möglichkeit, noch etwas ausführlicher
auf manche Themen einzugehen.
Ich glaube schon, dass Sie sich daran erinnern können,
Herr Hinsken, dass während Ihrer Regierungszeit angedacht wurde, die DZT jährlich mit 27 Millionen DM zu
unterstützen.
({1})
- Wenn Sie Siegmar Mosdorf und mir nicht glauben, dann
müssen wir im Ausschuss die Zahlen noch einmal miteinander durchgehen. Es ist nämlich albern, jedes Mal dieses Spiel zu machen.
({2})
Wir haben die Mittel auf 42 Millionen DM aufgestockt.
Sie haben mir mehrmals unter vier Augen gesagt: Immerhin ist es eine Aufstockung auf 42 Millionen DM.
({3})
Ich möchte Sie also bitten, diese Leistung zur Kenntnis zu
nehmen.
Ich komme zum Thema Entbürokratisierung. Das
ist ein sehr spannendes Thema, vor allen Dingen angesichts der Frage, wer in der Vergangenheit diese Bürokratie aufgebaut hat. Ich habe Herrn Dr. Homann aus dem
Wirtschaftsministerium gefragt - er ist ein sehr guter Ansprechpartner -, ob es Vorschläge gibt, wie wir die Zusammenarbeit in der Praxis - es wurden beispielsweise
die IHK und sonstige Verbände angesprochen - vereinfachen können. Leider sind entsprechende Vorschläge nur
sehr zögerlich bzw. überhaupt nicht eingegangen. Ich
würde mir wünschen, dass Vorschläge aus der Praxis
kämen. Ich weiß aber, dass die Bürokratie zum Teil schon
abgebaut wurde. Leider haben Sie auch das noch nicht zur
Kenntnis genommen.
({4})
- Herr Hinsken, ich weiß, dass Sie immer sehr nervös
sind. Im Ausschuss haben wir manchmal darunter zu leiden. Deswegen möchte ich Ihnen sagen: Zügeln Sie sich!
Jetzt komme ich zu der Ankündigung unseres wunderbaren Wirtschaftsministers Müller.
({5})
Er hatte zwar auf der ITB davon gesprochen - darauf haben Sie sich bezogen -, den Mehrwertsteuersatz zu halbieren. Er hat aber kurz darauf auf unserem Tourismustag
gesagt, er habe in Zusammenarbeit mit anderen Mitgliedern der Bundesregierung die Priorität auf die Unternehmensteuerreform gesetzt. Ich weise in diesem Zusammenhang auf die Entlastung des Mittelstandes in Höhe
von 25 Milliarden DM hin.
({6})
Herr Hinsken, ich hätte eigentlich erwartet, dass Sie meinen schwäbischen Humor verstehen. Ein bisschen Spaß
hätte ich Ihnen zugetraut.
Jetzt komme ich aber noch zu einem ernsten Thema,
den 630-DM-Beschäftigungsverhältnissen. Ich habe
vorhin davon gesprochen, dass der Anteil der 630-DMJobs in der Tourismusbranche bei 40 Prozent liegt.
Frau Kollegin,
Sie dürfen nicht länger als drei Minuten antworten.
Dies ist meine letzte Bemerkung. - Ich weiß also nicht, ob man angesichts dieser
Jobs von Qualität sprechen kann. Sie wissen genau, dass
wir sie nicht abgeschafft haben. Ich will Ihnen als Beispiel
meine Tochter nennen.
Frau Kollegin,
Sie dürfen auch von Ihrer Tochter jetzt nicht mehr berichten. Ihre Redezeit ist zu Ende.
Schade. - Vielen Dank.
Ich will noch
einmal, an alle Kollegen gerichtet, sagen: Kurzinterventionen sind nicht dazu gedacht, dass man die Debatte weiterführt. Man sollte in der Regel auf einen Punkt Bezug
nehmen, auf den dann geantwortet werden kann. Ich muss
dafür sorgen, dass wir in der Debatte fortfahren. Wir sind
nämlich schon sehr in Verzug. Ich bitte alle Kolleginnen
und Kollegen um Verständnis.
({0})
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Klaus Brähmig.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Erlauben Sie mir drei Vorbemerkungen. Ich möchte von dieser Stelle aus unserer Kollegin Irber herzliche Genesungswünsche übermitteln
({0})
und hoffe, dass sie bald wieder bei uns ist und mit uns über
Tourismuspolitik streiten kann.
Meine zweite Vorbemerkung bezieht sich auf die angesprochene Kürzung der DZT-Mittel, Herr Staatssekretär Mosdorf. Man muss ehrlich sagen, wie diese zustande
gekommen ist: 1994 hat Hemjö Klein, damals Chef der
DZT, gesagt, wir brauchen keine Bundeszuweisungen
und nehmen 50 Millionen DM aus der Portokasse.
({1})
Das war eine Überlegung, die zur Überbrückung eines
kurzen Korridors diente. Die damalige CDU/CSU-F.D.P.Koalition hat aber gemeinsam mit Herrn Geisendörfer in
der mittelfristigen Planung bis zum Jahre 2001 eine
Summe von 38 Millionen DM festgehalten.
Drittens möchte ich darauf eingehen, dass unser Wirtschaftsminister Müller bisher leider nur sehr selten im
Tourismusausschuss gewesen ist.
({2})
Leider ist er auch hier bei tourismuspolitischen Debatten
nicht anwesend. Ich wünschte mir natürlich schon, dass er
sich auch einmal für die Tourismusbranche so einsetzte
wie bei der heutigen Entlastungsrede für seinen Ministerkollegen Trittin.
({3})
Umso mehr darf ich mich bei Ihnen, Herr Mosdorf, und
bei Herrn Krüger bedanken. Ich denke, Sie machen einen
guten Job, und auf uns als Opposition können Sie auf alle
Fälle zählen.
({4})
Meine Damen und Herren, der heute zu beratende Tourismuspolitische Bericht stammt aus dem Jahre 1999,
der Entschließungsantrag stammt aus diesem Jahr. Ich
möchte einige grundsätzliche Mängel dieses Berichtes
aufzeigen, die in Zukunft behoben werden sollten:
Erstens. Künftig muss der Tourismuspolitische Bericht
der Bundesregierung jährlich vorgelegt werden, um zeitnah eine tourismuspolitische Bestandsaufnahme zu ermöglichen und der zunehmenden wirtschaftlichen Bedeutung dieser weltweiten Wachstumsbranche gerecht zu
werden.
({5})
Der vorliegende Bericht stammt von Dezember 1999 und
entbehrt damit jeder Aktualität.
Zweitens. Der Tourismusbericht sollte deutlich mehr
fundiertes Zahlenmaterial enthalten - auf 30 Seiten
ist dies leider nicht zu machen -, um eine wirkliche
Planungshilfe der Branche und den politisch Verantwortlichen auf den unterschiedlichen Ebenen an die Hand
zu geben. Vor allem fehlen wichtige Kennzahlen zu den
Themen Beschäftigungsentwicklung, Eigenkapitalausstattung, Gewinnsituation und Insolvenzen.
({6})
Ohne diese Zahlen zeichnet der Bericht nur ein oberflächliches Bild der Branche.
Drittens. Zu einem solchen Tourismusbericht sollten
natürlich auch mehr programmatische Aussagen der Bundesregierung zur Tourismuspolitik gehören. Der vorliegende Bericht beschränkt sich dagegen auf die grobe Formulierung allgemeiner Ziele. Wie diese Ziele durch
langfristige Konzepte erreicht werden sollen, wird nicht
deutlich.
({7})
Viertens. Tourismuspolitische Berichte sollten auch
die wirklich kontrovers diskutierten Probleme der deutschen Tourismuswirtschaft aufgreifen und konkrete Aussagen und Zahlen über die Auswirkungen der Steuer-, Sozial- und Arbeitsmarktpolitik aufnehmen. Mit der
wissentlichen Aussparung kontroverser Themen ignoRenate Gradistanac
riert der vorliegende Bericht die tatsächliche Situation der
Branche. Er enthält kein Wort zu den Belastungen der
Branche durch die so genannte Ökosteuer, die Neuregelung der 630-DM-Jobs und die Abschaffung des Vorsteuerabzugs bei Geschäftsreisen und Geschäftsessen, um nur
einige die Branche belastende Faktoren zu nennen.
Zusammenfassend kann man also sagen, der vorliegende Tourismuspolitische Bericht der Bundesregierung
({8})
wird der Wichtigkeit der Tourismusbranche, die weltweit
als Hoffnungsträger bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit gilt, nicht annähernd gerecht.
Aber Gott sei Dank verfügt die deutsche Tourismusbranche mit der CDU/CSU-Fraktion und unseren Kollegen von der F.D.P.-Fraktion sowie unserem Ausschussvorsitzenden Ernst Hinsken über Fürsprecher und
verantwortliche Politiker,
({9})
die die wahren Probleme der Branche sehen und durch
ihre Anträge die rot-grüne Koalition zum Handeln zwingen. Bisher gingen fast alle tourismuspolitischen Impulse
in dieser Legislaturperiode von der Opposition aus.
({10})
Einige Beispiele seien hier genannt: das schon angesprochene Jahr des Tourismus 2001, der Antrag zur Verbesserung der Situation des Schaustellergewerbes und
({11})
die Initiative, die schon 1999 von der CDU/CSU-Fraktion
kam, zur Vermarktung der deutschen Nationalparke.
({12})
Wir haben außerdem für eine Sensibilisierung der Probleme, die die Tourismusbranche bei dem Thema Urheberrechte mit der GEMA hat, gesorgt. Es waren auch Vertreter der CDU/CSU-Fraktion, die durch lokale Projekte
eine Qualitätsoffensive für den deutschen Tourismus initiiert haben. Das jetzt von der Bundesregierung großzügig
geförderte Modellprojekt „Qualitätstourismus in Ostbayern“ ist insofern nur alter Wein in neuen Schläuchen.
({13})
Es war die CDU/CSU-Fraktion, die noch vor dem
schleppenden Start der EXPO 2000 zusätzliche Marketingmittel in Höhe von 50 Millionen DM einforderte. Damals haben uns SPD und Grüne ausgelacht, aber dann drei
Monate selber 70 Millionen DM für zusätzliches EXPOMarketing bereitgestellt.
({14})
Die Besucherzahlen stiegen danach deutlich an, doch die
Maßnahmen kamen leider drei Monate zu spät.
Es war auch die Opposition von CDU/CSU und F.D.P.,
die das Problem der Trinkgeldbesteuerung durch Anträge
auf höhere Freibeträge
({15})
bzw. Abschaffung der Besteuerung thematisiert hat. Die
rot-grüne Bundesregierung musste daraufhin wieder einmal in aller Öffentlichkeit eines ihrer Wahlversprechen
einkassieren. Nun bin ich gespannt, wie wir dieses Thema
in den nächsten Wochen im Ausschuss beraten werden.
Es war die F.D.P., die kritisch hinterfragt hat, wie weit
die Tourismusbranche auf die Einführung des Euros vorbereitet ist bzw. ob bei den Wettbewerbsbedingungen
Chancengleichheit auf dem gemeinsamen europäischen
Markt herrscht.
({16})
Womit hat die rot-grüne Bundesregierung die Tourismusbranche bisher beglückt? Mit einem Rekordergebnis
für den Deutschlandtourismus? Wirklich, im Jahr 2000
verzeichnete das Beherbergungsgewerbe die Rekordsumme von 326 Millionen Übernachtungen bei 108 Millionen Gästeankünften.
({17})
Dieser Trend setzte sich nach Aussage des Statistischen
Bundesamtes im Januar 2001 auch noch fort. Das Ergebnis sind 5 Prozent mehr Gästeübernachtungen gegenüber
dem Vorjahresmonat.
Wenn ich, Herr Staatssekretär Mosdorf, Ihrer Rede und
Ihrer Pressemitteilung vom 15. Februar 2001 glauben
darf, beansprucht die Bundesregierung dieses Ergebnis
als ihren persönlichen Erfolg. Leider, sehr geehrter Herr
Mosdorf, haben Sie es bei dieser Pressemitteilung - wahrscheinlich rein versehentlich - unterlassen, Statistiken
über die Beschäftigungszahlen, die Kapazitätssituation
und die Umsatzsituation der Tourismusbranche zu nennen. In Brandenburg beispielsweise stieg die Zahl der Insolvenzen im Bereich Hotellerie und Gastronomie im
letzten Jahr um 23,6 Prozent gegenüber dem Jahr 1999.
({18})
Gleichzeitig sank im Jahr 2000 die Beschäftigtenzahl im
deutschen Gastgewerbe um 2,7 Prozent. Diese Zahlen gehen dann anscheinend nicht auf Ihr Konto. Der von Ihnen
postulierte Branchenboom bezieht sich also einseitig auf
die Übernachtungszahlen im Beherbergungsgewerbe.
Die gerade genannten Kennzahlen zur Umsatzentwicklung im Januar 2001 widerlegen auch Ihre Behauptung, die Steuerreform habe tatsächlich positive Effekte
auf das Konsumverhalten der Bürger. Das RheinischWestfälische Institut für Wirtschaftsforschung hatte bereits im Herbst letzten Jahres darauf hingewiesen, dass die
Entlastungseffekte der von Ihnen so hoch gepriesenen
Steuerreform bei gleichbleibend hohen Spritpreisen und
weiterer Erhöhung der Ökosteuer an der Zapfsäule verpuffen werden.
Die von Ihnen hoch gelobte Erhöhung der Marketingmittel für die DZT um 2,4 Millionen DM auf 42 Millionen DM, Herr Kollege Mosdorf, erweist sich bei näherer Betrachtung als Mogelpackung. Der Haushaltstitel
„Förderung der Leistungssteigerung im Fremdenverkehrsgewerbe“ wird um 3,4 Millionen DM gekürzt und
nur 2,4 Millionen DM werden in den DZT-Titel umgeschichtet. Diese 2,4 Millionen DM stehen nicht für das
operative Marketing zur Verfügung, da sie durch tarifliche
Gehaltserhöhungen und Währungsanpassungen gegenüber dem US-Dollar aufgezehrt werden. Insofern wird
diese Maßnahme keine direkte nachhaltige Stärkung des
Tourismusstandortes Deutschland mit sich bringen.
Wenn Sie den berechtigten Interessen der Tourismusbranche wirklich Gehör schenken wollen, kümmern Sie
sich doch vor der Frühjahrs- und Sommersaison um eine
Neuregelung Ihrer Neuregelung der 630-DM-Jobs. Der
DEHOGA funkt SOS bei diesem Thema, wie Sie in der
„AHGZ“ vom 10. März 2001 nachlesen können.
({19})
Angesichts dieser Regierungspolitik behaupte ich:
Trotz rot-grüner Bundesregierung
({20})
gab es die höchste Zahl an Gästeübernachtungen und eine
steigende Nachfrage aus dem Ausland. Nutzen Sie die
letzten eineinhalb Jahre Ihrer Regierungszeit zu einem
Kurswechsel, damit der Tourismusstandort Deutschland
aus dem Stau zur freien Fahrt gelangt.
({21})
- Herr Kubatschka, hören Sie doch bitte einmal zu und
schreien Sie nicht immer dazwischen.
Herr Kollege
Brähmig, Sie sind jetzt erheblich über die Zeit. Kommen
Sie bitte zum Schluss.
Einen Satz möchte ich
gerne noch sagen. - Die Branche und die vielen Arbeitslosen können nicht bis zu unserer Regierungsübernahme
im Herbst 2002 warten.
({0})
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({1})
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Birgit Roth.
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Der tourismuspolitische Bericht der Bundesregierung zeigt ganz
eindeutig, welch ein enormer Wirtschaftsfaktor der Tourismus ist. Sein Anteil am Bruttosozialprodukt beträgt
mittlerweile 8 Prozent, in ihm haben 2,8 bis 2,9 Millionen
Beschäftigte eine Arbeitsstelle gefunden und die Branche
stellt circa 91 000 Ausbildungsplätze zur Verfügung. Gerade als junge Abgeordnete ist mir ganz besonders wichtig, dass hier Verantwortung gezeigt wird. Wir haben in
diesem Bereich Zuwachsraten. Im Vergleich zum Vorjahr
haben Hotellerie und Gastronomie im Jahr 2000 13,7 Prozent mehr junge Menschen ausgebildet. Dafür möchte ich
an dieser Stelle einfach einmal Danke schön sagen.
({0})
Die Gästezahlen sind gesteigert worden. Die Zahl der
inländischen Gäste hat sich um 6 Prozent erhöht und die
Zuwachsrate bei den Übernachtungen insgesamt beträgt
ebenfalls circa 6 Prozent. Da der Incoming-Tourismus für
uns ganz besonders wichtig ist, erwähne ich auch noch die
ausländischen Gäste: Hier beträgt die Zuwachsrate sogar
9 bis 10 Prozent.
({1})
Der Städtetourismus boomt ebenso wie der Geschäftsreiseverkehr, wie unsere Kollegin Irber immer zu sagen
pflegt. Aber auch in den neuen Bundesländern sieht es
sehr gut aus. In Mecklenburg-Vorpommern beträgt die
Steigerungsrate beispielsweise 15 bis 17 Prozent.
All diese Fakten, die ich Ihnen eben ganz kurz aufgezählt habe, belegen, dass die Wettbewerbsbedingungen
bei uns in Ordnung sind, vor allem aber die politischen
und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, die wir in
den letzten zweieinhalb Jahren geschaffen haben.
({2})
Genau deswegen - Frau Kollegin Kastner hat es bereits
erklärt - boomt die Branche. Die Branche hat gemerkt,
dass sich in den letzten zweieinhalb Jahren durch unsere
Reformpolitik, durch unsere aktive Wirtschafts- und Steuerpolitik etwas bewegt hat. Die Elemente unserer Politik
sind vorhin schon erwähnt worden: Haushaltskonsolidierung, Abbau der Staatsverschuldung und vor allem die
Entlastung der Bürgerinnen und Bürger durch die Steuerreform.
({3})
- Herr Hinsken, Sie wissen ganz genau, dass diese Steuerreform ein Entlastungsvolumen von 75 Milliarden DM
hat.
({4})
Wir haben es geschafft, dass diese Steuerreform auf der
einen Seite die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie die Familien, auf der anderen Seite aber auch die Unternehmen entlastet.
({5})
- Herr Burgbacher, wir gehen dabei davon aus, dass der
Mittelstand um 20 bis 25 Milliarden DM entlastet wird.
({6})
Angesichts dessen trifft Ihr Vorwurf, die Steuerreform sei
mittelstandsfeindlich, in keiner Weise zu.
Gestatten Sie
ein Zwischenfrage des Kollegen Hinsken?
Es ist mir eine Freude.
Frau Kollegin Roth, sind
Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass allein durch die
Einführung der Ökosteuer
({0})
ein 40-Betten-Betrieb jährlich mit mehr als 10 000 DM
zusätzlich belastet ist
({1})
und dass die Steuerreform, die Sie so rühmen, überwiegend am Mittelstand vorbeigeht, dass sie das Großkapital
unterstützt, während die kleineren und mittleren Betriebe
unter ihr zu leiden haben?
Sie sagten, in den neuen Bundesländern hätten wir einen Zuwachs, und nannten als Beispiel Mecklenburg-Vorpommern.
({2})
Deshalb frage ich Sie, worauf Sie es zurückführen, dass
wir zum Beispiel in Sachsen-Anhalt fast überhaupt keinen
Zuwachs haben.
Herr Hinsken, bei der
Ökosteuer werden wir einen permanenten Dissens haben; aber ich glaube, das macht nichts. Erstens zur Gleichstellung von Ökosteuer und Benzinpreiserhöhung: Darf
ich Sie daran erinnern, dass in Ihrer Regierungszeit der
Benzinpreis um insgesamt 53 Pfennige erhöht worden ist?
Zweitens müssen Sie auch einmal erwähnen, was wir mit
den Einnahmen aus der Ökosteuer machen.
({0})
Die Ökosteuer ist aufkommensneutral. Die Gelder werden gebraucht, um die Rente zu stabilisieren und die
Beiträge zur Rentenversicherung um 0,5 Prozent abzusenken. Sie können nicht immer nur den einen Teil der
Wahrheit erzählen, sondern müssen bitte auch sagen,
wofür die Gelder verwendet werden. Durch die Ökosteuer
wird der Faktor Arbeit billiger.
({1})
- Herr Hinsken, lesen Sie doch einmal die Unterlagen.
Zum zweiten Teil Ihrer Frage: Sie können nicht einfach
zwei der neuen Bundesländer miteinander vergleichen.
Mecklenburg-Vorpommern hat ganz andere touristische
Ressourcen und dementsprechend auch andere Umsätze.
Sie behaupten, dass der Mittelstand gefährdet sei. Ich
habe Ihnen eben zehn Beispiele für das Wachstum im Bereich Tourismus vorgelesen. Wie kann es denn dann sein,
dass die Steuerreform nicht greift oder dass es der Branche angeblich schlecht geht? Ich finde Ihre Argumentation ganz einfach nicht stimmig.
({2})
- Ich denke, ich mache jetzt mal ein bisschen weiter.
Dieses Wachstum ist auch auf eine aktive Wirtschaftsund Steuerpolitik zurückzuführen.
({3})
Frau Schäfer, ich glaube, Sie sagten, wir hätten die
falschen Berater oder seien im letzten Jahr nicht in
Deutschland gewesen. Frau Schäfer, mit Verlaub: Ich bin
wirklich überzeugte Pfälzerin und sehr oft in der Pfalz. Ich
glaube, ich brauche Ihnen nichts über Rheinland-Pfalz
und darüber zu erzählen, wie die Wahlen ausgegangen
sind. Auch das ist wieder ein Punkt, an dem Sie sehen,
dass wir wirklich eine kompetente Wirtschafts- und Steuerpolitik machen und gute Berater haben.
({4})
Zum nächsten Punkt, dem so genannten Jobkiller
630-Mark-Jobs. Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, Sie wissen ganz genau, welcher
Missbrauch mit den 630-Mark-Jobs getrieben worden ist.
({5})
Frau Schäfer, wenn gerade Sie als Frau so etwas anführen, dann müssen Sie bitte auch Folgendes bedenken.
Schauen Sie sich doch einfach einmal die durchschnittliche Rente der Frauen in den alten Bundesländern an. Sie
liegt nämlich bei ungefähr 1 000 DM.
({6})
Warum ist das so? Weil Frauen unter anderem die Kinder
erziehen, weil Frauen auch auf der Basis der 630-MarkRegelung arbeiten. Ich glaube, das kann es einfach nicht
sein. Was wir im Tourismus brauchen, ist eine Qualitätsoffensive - das haben Sie im Übrigen auch gesagt -,
({7})
also keine 630-Mark-Jobs. Wir treten dafür ein, sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze aufzubauen.
({8})
Sie haben von einer katastrophalen Entwicklung im
Bereich des Umsatzes der Gastronomie gesprochen. Ich
war früher selbstständig. Eine Verringerung um 1,8 Prozent ist wahrhaftig keine katastrophale Entwicklung, Frau
Birgit Roth ({9})
Schäfer. Ich bitte Sie, auch einmal die andere Seite, das
Beherbergungsgewerbe, aufzuzeigen.
({10})
Sie brauchen sich nur die Saisonumfrage Tourismus des
DIHT für die Jahre 2000/2001 anzusehen. Danach sagen
zum Beispiel 80 Prozent der Befragten, dass sie mit den
Umsätzen zufrieden sind bzw. dass sie diese als gut
empfinden. Übrigens haben auch 80 Prozent der Befragten positive Erwartungen in Bezug auf das kommende
Jahr.
Sie wissen ganz genau, wie wichtig es für eine Branche ist, positive Erwartungen zu haben. Ich finde es
schade, dass Sie hier versuchen, die Branche schlecht zu
reden.
({11})
Wir haben Sie gestern im Ausschuss aufgefordert, unserem Tourismusförderprogramm beizutreten, uns zu unterstützen - für die Branche, für Deutschland.
({12})
- Nein, sie haben nicht viel gemacht.
Frau Schäfer, ich möchte noch einen Punkt erwähnen.
Sie haben ganz zum Schluss folgenden Satz gesagt: Und
nun noch etwas zur Wirtschaftspolitik. - Frau Schäfer, der
Tourismus ist reine Wirtschaftspolitik. Der Tourismus hat
einen Anteil von 8 Prozent am Bruttosozialprodukt.
({13})
Wir haben mittlerweile 2,8 bis 2,9 Millionen Arbeitsplätze in diesem Bereich. Das ist pure Wirtschaftspolitik.
({14})
In diesem Zusammenhang möchte ich Sie noch einmal
darum bitten, dass Sie Ihren Standpunkt überdenken.
Jetzt zu Ihnen, Herr Burgbacher. Sie sprachen von
flächendeckender Gewerkschaftsmacht. Darauf möchte
ich einfach nur sagen: Wir haben zum Beispiel die Reform des Betriebsverfassungsgesetzes in Angriff genommen, was ich auch als richtig erachte. Sie müssen
aber auch sehen, von wann das Gesetz selber stammt.
Diese Reform hat 30 Jahre auf sich warten lassen müssen.
Bei der Schnelligkeit, mit der sich unsere Wirtschaft bewegt, sollten wir auch für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eintreten.
({15})
- Ja, in die richtige Richtung.
Ich muss Ihnen noch etwas sagen. Zu dem, was Sie in
Richtung rot-grüne Reglementierungswut angeführt haben, darf ich Sie darauf hinweisen, dass wir - in der nächsten Woche werden wir darüber auch eine Debatte im Plenum führen - die Abschaffung des Rabattgesetzes und
der Zugabeverordnung erörtern werden. Da lassen Sie
mich doch wieder die Frage stellen: Warum habt ihr das
nicht in den letzten 16 Jahren gemacht?
({16})
Das Rabattgesetz stammt aus dem Jahre 1933. Ich denke,
auch an diesem Punkt hätte man sicherlich ansetzen können, anstatt jetzt uns, wenn wir es abschaffen, um Deregulierung zu erreichen, rot-grüne Reglementierungswut
vorzuwerfen.
({17})
Ich muss noch auf einen weiteren Punkt zu sprechen
kommen. Sie haben des Öfteren den Vorwurf erhoben,
dass das Jahr des Tourismus finanziell im Grunde genommen nicht unterstützt wird.
({18})
Ich möchte an die vorletzte Ausschusssitzung mit Herrn
Dr. Homann vom Wirtschaftsministerium erinnern, der
ganz klar gesagt hat: Das Jahr des Tourismus wird mit
2,4 Millionen DM vom Wirtschaftsministerium unterstützt.
Vielen Dank.
({19})
Zu einer Kurzintervention erteile ich Herrn Kollegen Burgbacher das
Wort.
Liebe Frau Kollegin
Roth, das müssen wir doch schon noch klarstellen.
Tatsache ist, dass im Bundeshaushalt kein Pfennig für
das Jahr des Tourismus eingestellt ist. Tatsache ist, dass
Sie zwar die Mittel für die Deutsche Zentrale für Tourismus, wie wir jetzt hören, für den Tourismus in den neuen
Ländern, für das Jahr des Tourismus und alles Mögliche
erhöht haben, dass Sie aber an anderer Stelle im Haushalt
Titel gestrichen und daher unter dem Strich die Mittel
gekürzt haben. Es ist für das Jahr des Tourismus nicht einen Pfennig im Bundeshaushalt eingestellt. Das bitte ich
einfach zu akzeptieren. Dr. Homann sprach davon, dass er
anderswo Mittel akquirieren will. Das finden wir ganz
toll. Aber es reicht nicht, wenn der Ankündigungsminister
Müller nur ankündigt und überhaupt nichts bewirkt, zu
Mehrwertsteuer, Trinkgeld und anderem große Pressekonferenzen veranstaltet, aber keinen Pfennig zur Unterstützung einsetzt.
({0})
Birgit Roth ({1})
Ich lese einfach einmal
einen Satz aus der Drucksache 14/5432 vor:
Trotz dieser Situation sowie eines erhöhten Finanzierungsbedarfs der DZT für das Jahr 2001 wegen
des geplanten „Jahr des Tourismus in Deutschland“
sehe der Haushaltsentwurf ... eine Erhöhung der
Bundeszuwendung um 2,4 Mio. DM vor.
({0})
So viel zu Punkt eins.
Punkt zwei, zu den Ankündigungen des Ministers. Ich
möchte in diesem Bereich nur einmal auf das Tourismusförderprogramm verweisen. Wer hat denn insgesamt 24 E-Commerce-Zentren in der ganzen Bundesrepublik aufgebaut, davon eines ganz speziell für den
Tourismus, und zwar in Worms, Herr Burgbacher!
Es gibt ein Förderprogramm, insbesondere über die
KfW, für Sanierung und Modernisierung von Privatzimmern. Dies wird speziell unterstützt durch günstige
Zinsen. Auch dies wird im Tourismusförderprogramm
realisiert, abgedeckt durch den Haushalt des Wirtschaftsministeriums. Es gibt vielfältige Beispiele dafür, dass sich
einiges getan hat, Herr Burgbacher. Insofern können Sie
wirklich nicht von „Ankündigungsminister“ sprechen.
({1})
Ich schließe damit die Aussprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Tourismus zu dem tourismuspolitischen Bericht
der Bundesregierung, Drucksache 14/5432 ({0}). Der
Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung, den Bericht auf Drucksache 14/2473 zur Kenntnis
zu nehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Gibt es Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dann ist das
einstimmig so angenommen.
Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/5432 ({1}) empfiehlt der Ausschuss die Annahme
einer Entschließung. Wer stimmt für diese Beschlussemp-
fehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Be-
schlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitions-
fraktionen gegen die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P.
bei Enthaltung der PDS angenommen worden.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a und b sowie die
Zusatzpunkte 5 und 6 auf:
6. a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Karin
Rehbock-Zureich, Hans-Günter Bruckmann,
Dr. Peter Danckert, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Albert
Schmidt ({2}), Franziska Eichstädt-Bohlig,
Hans-Josef Fell, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Die Bahnreform fortführen und die Zukunft
der Schiene in Deutschland sichern
- Drucksache 14/5665 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({3})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Eduard
Oswald, Dirk Fischer ({4}), Dr.-Ing.
Dietmar Kansy, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU
Gewährleistung des Schienenpersonenfernverkehrs
- Drucksache 14/5451 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({5})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss
ZP 5 Erste Beratung des von den Abgeordneten
Dr. Winfried Wolf, Eva Bulling-Schröter, Uwe
Hiksch, weiteren Abgeordneten und der Fraktion
der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Gewährleistung des Schienenpersonenfernverkehrs ({6})
- Drucksache 14/5662 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({7})
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss
ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Horst
Friedrich ({8}), Dr. Karlheinz Guttmacher,
Hans-Michael Goldmann, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der F.D.P.
Eisenbahnpolitische Reformschritte zügig einleiten
- Drucksache 14/5666 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({9})
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Wenn Sie
einverstanden sind, ist das so beschlossen. Das ist der
Fall.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst die
Abgeordnete Karin Rehbock-Zureich.
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! „Die Bahnreform
fortführen und die Zukunft der Schiene in Deutschland sichern“, mit diesem Antrag betonen wir die Bedeutung, die
der Schienenverkehr in unserem Mobilitätskonzept einnimmt. Unser Antrag zeigt den Weg für den Schienenverkehr der Zukunft. Das heißt, wir entwickeln die Rahmenbedingungen für einen erfolgreichen Schienenverkehr
weiter. Wir sorgen dafür, dass mehr Menschen und mehr
Güter auf der Schiene transportiert werden können. Denn
Teile des Verkehrszuwachses der nächsten Jahre müssen
wir auf die Schiene bringen, um die Funktionsfähigkeit
des Gesamtverkehrssystems zu sichern.
({0})
Dazu müssen wir die Investitionen - wir haben dies in
unserem Antrag ausgeführt - auf hohem Niveau weiterführen, vor allen Dingen mit Augenmerk auf das Bestandsnetz. Wir werden den Wettbewerb auf der Schiene
stärken, die internationalen Wettbewerbsbedingungen
verbessern sowie Forschung und Innovation für die
Schiene fördern.
Sofort nach der gewonnenen Wahl haben wir als Voraussetzung für die Weiterentwicklung des Schienenverkehrs bereits 1999 wieder 7 Milliarden DM für Schieneninvestitionen aufgewandt anstelle der 5,7 Milliarden DM, die Sie 1998 in die Schiene investiert haben.
In diesem Jahr haben wir 8,8 Milliarden DM bereitgestellt. Damit ist das bei der Bahnreform zugesagte Niveau,
nämlich 9 bis 10 Milliarden DM, so gut wie erreicht.
({1})
Des Weiteren stellen wir die Darlehen auf Baukostenzuschüsse um. Während der Anteil der Darlehen unter
CDU-Verantwortung noch 4 Milliarden DM ausmachte,
wird er im Jahre 2001 nur noch 1,6 Milliarden DM ausmachen. Das entlastet die DB AG in den nächsten zehn
Jahren um mehr als 4 Milliarden DM.
({2})
Mit den Geldern des Zukunftsinvestitionsprogramms
werden in den nächsten drei Jahren über 40 000 Langsamfahrstellen beseitigt. Diese Investitionen in das Bestandsnetz sind die Grundvoraussetzung für einen wirtschaftlichen Schienenverkehr. Zusätzlich werden wir mit
dem Anti-Stau-Programm ab dem Jahre 2003 560 Millionen DM für Engpassbeseitigung bereitstellen.
({3})
- Ja, natürlich.
Für die regionalen Netze werden im Jahre 2001
13,5 Milliarden DM an die Bundesländer gehen, die diese
Milliarden in Regionalverkehre investieren werden.
Dies verpflichtet sie, auch jenseits der Ballungszentren,
nämlich in der Fläche, für bedarfsgerechte Schienenverkehrsleistungen zu sorgen.
({4})
Wir müssen in der Fläche, in den Regionen, an den
Schnittstellen zwischen Nah- und Fernverkehr für intelligente zukunftsfähige Lösungen sorgen. Grundvoraussetzung werden die Regionalisierungsmittel sein, die auch in
der Zukunft dynamisiert zur Verfügung gestellt werden
können. Der Verkehr in der Fläche, in den Regionen hat
mit 18 Prozent in den letzten Jahren die höchsten Steigerungsraten erreicht. Dies zeigt: Der Wettbewerb auf der
Schiene trägt entscheidend dazu bei, dass Zuwächse bei
der Personenbeförderung zu verzeichnen sind.
({5})
Jedoch müssen die Verteilung und die Verwendung der
Regionalisierungsmittel in jedem Fall transparent, nachvollziehbar und auch sachgerecht vonstatten gehen. Die
Einhaltung dieser Kriterien werden wir auch in der Zukunft einfordern.
Wir haben die Investitionen seit unserem Regierungsantritt erhöht, ohne Schattenhaushalte zu schaffen oder
neue Schulden zu machen, was man, bezogen auf die Vergangenheit, von Ihrer Regierung nicht sagen kann.
({6})
- So ist es.
Die Investitionsmittel müssen in der Zukunft abgesichert sein. Dadurch wird Planungssicherheit für den weiteren Ausbau der Schieneninfrastruktur geschaffen.
Wir müssen aber auch faire Bedingungen für den Wettbewerb auf der Schiene und für den Wettbewerb unter
den Verkehrsträgern schaffen. Wir werden als ersten
Schritt eine durchsetzungsfähige Regulierungsbehörde
einrichten, um den diskriminierungsfreien Zugang zum
Netz für alle zu gewährleisten.
({7})
Wir haben gestern in einer Diskussion mit der DB Cargo
gehört, dass gerade das Konzept Mora C dazu führen
wird, dass einige Gleise stillgelegt werden. Die stillgelegten Gleise müssen Dritten zugänglich gemacht werden,
ohne dass eine Diskriminierung stattfindet.
({8})
Wir benötigen Wettbewerb - unser Ziel ist nicht der
Wettbewerb an sich, sondern, mehr Verkehrsleistung auf
die Schiene zu bringen - und ein unabhängiges Netz. Sie
aber sagen: Netz und Betrieb werden morgen getrennt und
dann ist alles geregelt.
({9})
Wir haben uns immer dafür eingesetzt, dass für den Fall
der Trennung von Netz und Betrieb, der Schaffung der
Unabhängigkeit des Netzes, eine sorgfältige Prüfung hinsichtlich der möglichen Organisationsformen stattfindet.
({10})
Alle Wettbewerber müssen hinsichtlich der Trassenvergabe, der Trassenpreise und auch der Erteilung von Genehmigungen gleich behandelt werden. Aber die Chancen
und die Risiken unterschiedlicher Organisationsformen
müssen sorgfältig geprüft werden. Dieses genaue Hinschauen ist ein Muss; wir können uns keinen Fehler erlauben. Schnellschüsse wird es mit uns nicht geben. Wir
können nicht das Risiko eingehen, erstens die Leistungsfähigkeit und zweitens die Sicherheit auf der Schiene
durch nicht durchdachte Konzepte zu beeinträchtigen.
Denn es gibt in Europa für Wettbewerb und für ein unabhängiges Netz keine positiven Beispiele.
({11})
Die Bundesregierung hat dies aufgenommen und eine
Taskforce zur Prüfung möglicher Organisationsformen
eingerichtet. Wir werden der Erreichung des Zieles, mehr
Verkehr auf die Schiene zu bringen, näher kommen, wenn
wir die bestmögliche Organisationsform im Hinblick auf
die Herstellung von Chancengleichheit realisieren.
({12})
Es wird auch darum gehen, in der Zukunft die Rahmenbedingungen zu verbessern. Hier ist auf europäischer Ebene
mit dem EU-Infrastrukturpaket der erste Schritt
getan worden. Im vergangenen Jahr ist ein wichtiger Durchbruch für einen gesamteuropäischen Güterverkehr erzielt
worden. Denn der freie Zugang von Eisenbahnverkehrsunternehmen zu einem transeuropäischen Güterverkehrsnetz
ist die Grundvoraussetzung dafür, in Zukunft Güter überhaupt auf der Schiene zu transportieren. Hier wurde ein erster Schritt getan. Wir werden noch viele Schritte gehen müssen, damit der Schienenverkehr in Zukunft eine dem
Straßenverkehr vergleichbare Konkurrenz ist.
({13})
Wir werden dies nur durch einen grenzenlosen Verkehr
schaffen. Das heißt, es wird keine Barrieren bei der Zollabfertigung und durch Lok- und Personalwechsel geben.
Nur durch grenzenlosen Güterverkehr kann der Schienenverkehr eine konkurrenzfähige Alternative zum
Straßenverkehr werden.
Wir haben nationale Rahmenbedingungen geschaffen,
indem wir eine Entfernungspauschale eingeführt haben,
wovon Pendlerinnen und Pendler unabhängig vom Verkehrsmittel profitieren.
({14})
Ab 2003 werden wir eine LKW-Maut einführen. Auch
dies ist ein Schritt hin zur Chancengleichheit unter den
Verkehrsträgern.
({15})
Sie von der CDU/CSU haben einen Antrag und Sie von
der PDS einen Gesetzentwurf eingebracht, in denen Sie
die Zugkilometer, die in Zukunft geleistet werden sollen,
festschreiben wollen. Ich kann nicht verstehen, wie man
auf der einen Seite per Gesetz die zu leistenden Zugkilometer festschreiben will und auf der anderen Seite die
Trennung von Netz und Betrieb und damit die totale Liberalisierung fordern kann. Sie sollten einmal erklären,
wie Sie diesen Widerspruch auflösen wollen. Dies war ein
Vorschlag des Landes Baden-Württemberg im Bundesrat,
den Sie in Zeiten des Wahlkampfes aufgegriffen haben.
({16})
Das kann kein Konzept der Zukunft sein. Wir wollen nicht
zu einer Behördenbahn zurück, sondern eine Bahn schaffen, die mehr Verkehr auf der Schiene, Chancengleichheit
und die Unabhängigkeit des Netzes in Verbindung mit
ausreichenden Investitionen vonseiten des Bundes gewährleistet.
({17})
Regionale Netze werden in Zukunft eine verstärkte
Rolle im Zusammenspiel der Haupt- und Nebenstrecken
spielen. Wir haben viele positive Beispiele, wie Dritte, die
aufs Netz gingen, dies besser als die DB AG organisiert
haben. Wir müssen in einer Weiterentwicklung des Allgemeinen Eisenbahngesetzes dafür sorgen, dass keine Diskriminierung über kalte Streckenstilllegungen und Ähnliches stattfindet. Wir müssen auch dafür sorgen, dass
stillgelegte Strecken bei ihrer Veräußerung an Dritte eine
Mindestqualität aufweisen; denn nur so werden wir es
schaffen, neben der DB AG mehr Mitbewerber als bisher
auf die Schiene zu bringen.
Nur ein gutes Angebot wird sicherstellen, dass der Verkehrsträger Schiene eine Chance in der Zukunft hat. Ich
möchte Sie alle bitten, daran im Sinne unseres Antrages
mitzuwirken und ihm, wenn wir ihn wieder einbringen,
zuzustimmen; denn dann tun wir einen wichtigen Schritt
in die Zukunft.
Vielen Dank.
({18})
Als
nächster Redner hat der Kollege Dirk Fischer von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Das
Ziel, das wir alle übereinstimmend verfolgen, ist, den Verkehrsträger Schiene auf dem Verkehrsmarkt in Deutschland und Europa zu stärken; denn wir sind davon überzeugt, dass wir nur so die verkehrspolitischen
Herausforderungen und volkswirtschaftlichen Erfordernisse bewältigen können.
({0})
Die Anträge der CDU/CSU-Fraktion vom 15. Februar 2000 und der F.D.P.-Fraktion vom Februar 2000 liegen jetzt seit weit über einem Jahr auf dem Tisch. Wir haben bereits am 11. Oktober des letzten Jahres ein
öffentliches Hearing durchgeführt. Am 4. April, also in
der nächsten Woche, wollen wir im Ausschuss abschließend beraten. Kurz vor Toresschluss kommen jetzt auch
die Koalitionsfraktionen mit einem eigenen Antrag.
({1})
Ich denke, das ist reichlich spät, aber einen Wettbewerb
der Ideen und Forderungen können wir beim Problemfall
Schienenverkehr gut gebrauchen. Deswegen freuen wir
uns, dass auch Sie sich endlich positioniert haben.
({2})
Der Antrag der Koalition enthält neben diesen Ideen
und Forderungen allerdings auch eindeutig falsche Behauptungen zu den Leistungen der früheren Bundesregierung, die wir klar zurückweisen müssen.
({3}) -
Reinhard Weis [Stendal] [SPD]: Aber dass die
Mittel für Investitionen immer geringer wurden,
konnten Sie nicht zurückweisen?)
Sie tun so, als sei nichts geschehen; und dann kamen Sie.
({4})
Ich muss Ihnen in aller Deutlichkeit sagen: Die
frühere Bundesregierung hat die Entschuldung der Bundesbahn mit 70 Milliarden DM zulasten des Bundeshaushaltes entschieden.
({5})
Wir haben einen Altlastenzuschuss von 32,5 Milliarden DM beschlossen. Wir haben den Produktivitätsrückstand der Deutschen Reichsbahn mit 50 Milliarden DM ausgeglichen.
({6})
Wir haben die DB AG mit einem Stammkapital in Höhe
von 4,2 Milliarden DM zum 1. Januar 1994 ausgestattet.
Wir haben entschieden, Regionalisierungsmittel für die
Nahverkehrsaufgabe in der Größenordnung von 12,4 Milliarden DM jährlich bereitzustellen. Wir haben im
Rahmen des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes
3,28 Milliarden DM pro Jahr und mehrere Jahre lang die
doppelte Summe ausgegeben, um im Zeitraum von 1991
bis 1998 auch für den Wiederaufbau der S-Bahnen, der
Stadtbahnen und der Regionalbahnen in den neuen Ländern zu sorgen. Wir haben für den Ausbau der Schiene in
den neuen Bundesländern im Zeitraum von 1991 bis 1998
35 Milliarden DM ausgegeben.
({7})
Dabei habe ich noch gar nicht die normalen jährlichen
Haushaltsleistungen für Zuschüsse und zinslose Darlehen, für die wir immerhin die Zinslasten übernommen haben, erwähnt.
({8})
Die Summe der Leistungen, die ich hier genannt habe,
liegt bei weit über 200 Milliarden DM, die sozusagen neben der normalen Haushaltsfinanzierung bereitgestellt
worden sind. Deswegen werden Ihnen derartige Märchen
wirklich nur die Leute glauben, die sich mit dieser Sache
noch niemals befasst haben. Ich finde es frivol, auf die
Unkenntnis von normalen Bürgern zu setzen, die sich
nicht jeden Tag von morgens bis abends mit dem Schienenverkehr beschäftigen. Diese Täuschung muss zurückgewiesen werden.
({9})
Natürlich muss jede Bundesregierung den Stab weitertragen. Sie müssen sich noch ganz schön anstrengen. Ich
habe hier einen Brief der Parlamentarischen Staatssekretärin Mertens, die anwesend ist, vor mir auf dem Pult
liegen. Danach betrugen die verfügbaren Mittel für Investitionen in die Schiene im Jahr 2000 6,8 Milliarden DM.
Davon sind 1,1 Milliarden DM nicht ausgegeben worden,
sondern zur vorfristigen Tilgung der Aufwendungen eines
Konzessionärs der Neubaustrecke Nürnberg-IngolstadtMünchen bereitgestellt worden. Aber nach der Finanzierungsvereinbarung sollte die Tilgung erst ab dem
Jahr 2004 beginnen. In Wahrheit ist also aus dem Haushalt 2000 effektiv nur eine Summe von 5,7 Milliarden DM
in das deutsche Schienennetz geflossen. Was erzählen Sie
hier eigentlich für Märchen?
({10})
Ich will etwas zu Ihren unzureichenden Ankündigungen sagen. Im Haushaltsentwurf 2001 hatten Sie für Investitionen in die Schiene 6,7 Milliarden DM eingeplant.
Dann kam der warme Regen durch die Zinsersparnisse
aufgrund der UMTS-Versteigerungserlöse. Damit wollen
Sie im Zeitraum von 2001 bis 2003 ein kleines Strohfeuer
von zusätzlich jeweils 2 Milliarden DM pro Jahr veranstalten.
({11})
Dies gibt der Bahn nicht die ausreichende Planungssicherheit, die Sie in Ihrem Antrag einfordern. Die Planung
muss für einen Zeitraum von 10 bis 15 Jahren angelegt
werden, damit die DB AG überhaupt - ich formuliere es
einmal so - ein teures Ingenieurbüro mit ein paar Hundert
Leuten aufbauen kann, sonst ist das doch abenteuerlich.
({12})
Wenn Sie so kurzfristig denken, wird sich das, was mit
den 1,1 Milliarden DM im Jahr 2000 passiert ist, in den
folgenden Jahren wiederholen. Das sage ich Ihnen voraus.
Denken Sie sich neue Methoden des Versteckens aus.
Aber wir werden Ihnen auf die Schliche kommen.
Dann haben Sie in Ihrem Antrag völlig illusorische
Ziele genannt. Im Verkehrsbericht 2000 wird eine Verdopplung der Gütermenge auf der Schiene bis 2015 auf
146 Milliarden Tonnenkilometer angekündigt, also plus
100 Prozent. Der Minister redet vor der Presse nur noch
von einer Steigerung um 65 Prozent, also einem Plus von
Dirk Fischer ({13})
zwei Dritteln. Herr Mehdorn spricht, wie ich höre, nur von
50 Prozent. Das heißt also - in Hamburg sagt man: Tetje
mit Utsichten -, jeder macht seine eigene Prognose. Alles
stimmt sowieso nicht. Wir sind dies mittlerweile sogar gewöhnt. Ich sage Ihnen voraus - egal ob nun eine Steigerung um 50, 65 oder 100 Prozent erwartet wird -: Ohne
schnellstmöglichen Wettbewerb im System Schiene wird
alles nicht erreicht und alles danebengehen.
({14})
Ich komme zur Selbsttäuschung in Ihrem Antrag: Im
Geschäftsjahr 2000 soll die DB AG im Güterverkehr einen Umsatzzuwachs von 13 Prozent erzielt haben. Selbst
die DB AG hat darauf hingewiesen, dass in diesen Umsatz
die Kooperation der DB AG mit der holländischen Staatsbahn, also der gesamte holländische Güterverkehr, eingerechnet wurde.
({15})
Darauf wurde in der Pressekonferenz hingewiesen. Das
heißt also: Dies ist kein Zuwachs, der im deutschen Güterverkehrsmarkt erzielt worden ist. Es muss nach meiner
Auffassung ganz klar gemacht werden, dass dies einen
zugekauften Umsatz und nicht die Umsatzentwicklung
auf dem deutschen Markt widerspiegelt.
({16})
Zur Steigerung der Regionalisierungsmittel: Sie
sprechen von einer Erhöhung von 12 Milliarden DM - in
Wirklichkeit waren es 12,5 Milliarden DM, 500 Millionen DM kann man leicht vergessen - auf jetzt 13,5 Milliarden DM. Das sei Ihre politische Heldentat. Mit Verlaub: Die frühere Bundesregierung hat den Art. 106 a des
Grundgesetzes neu geschaffen und zusätzlich ein
Regionalisierungsgesetz durchgesetzt. Danach erhalten
die Länder für den öffentlichen Personennahverkehr Zug
um Zug gegen Übertragung der Aufgabenverantwortung
eine dynamisierte Finanzausstattung. Das heißt also, die
Mittel müssen erhöht werden, wenn nicht gleichzeitig das
Grundgesetz und das Regionalisierungsgesetz gebrochen
werden sollen. Das hat aber mit einer möglichen politischen Heldentat gar nichts zu tun.
Sie handeln politisch widersprüchlich, indem Sie zwar
sagen, Sie wollten keine Darlehen mehr, sondern nur noch
Baukostenzuschüsse geben, aber im Haushalt 2001 Verpflichtungsermächtigungen in Höhe von 3,2 Milliarden DM für Darlehen vorgesehen haben. Was gilt denn
nun bei Ihnen? Aber zu Ihrem Trost: In Ihrem Forderungskatalog gibt es natürlich auch einige Punkte, die gemeinsames politisches Handeln ermöglichen. Darüber
werden wir im Ausschuss diskutieren.
Lassen Sie mich abschließend kurz unsere Ziele aufzählen:
Wir wollen erstens die Infrastruktur sichern und ausbauen sowie die transeuropäischen Netze im Gleichklang
mit der EU realisieren.
Wir wollen zweitens den Wettbewerb möglichst vieler
Eisenbahnunternehmen mit einem diskriminierungsfreien
Zugang, da wir deren Investitionskraft im System Schiene
brauchen. Wir wollen einen Leistungswettbewerb marktgängiger Konzepte und Angebote. Wir wollen nicht, dass
sich die DB AG als Monopolist im Kernnetz aufspielt,
während die anderen Wettbewerber nur den Schrott verwerten dürfen. Dieses läuft mit uns nicht.
Wir wollen drittens keinen Rückzug aus der Fläche.
Über das Gewährleistungsgesetz, das wir vorschlagen
und fordern, spricht der Kollege Lintner im Anschluss.
Kommen
Sie bitte zum Schluss.
Ich komme
zum Schluss, Herr Präsident.
Der Bund muss im Rahmen seiner Gemeinwohlverpflichtung gemäß Art. 87 e Grundgesetz auch Besteller sein.
Wir wollen viertens die Beschleunigung der wechselseitigen Öffnung der Schienennetze in Europa.
Wir wollen fünftens eine Harmonisierung der fiskalischen Belastungen im europäischen Eisenbahnverkehr.
Wir wollen sechstens die Wegekostenanlastung der
Verkehrsträger im nationalen und europäischen Bereich
angleichen.
Wir wollen siebtens die Trennung von Netz und Betrieb sowie Wettbewerb mit einem überzeugenden Lösungskonzept, und zwar so schnell wie möglich, spätestens zum 1. Januar 2004.
Herr Kollege, bitte kommen Sie zum Schluss.
Wir wollen die
Bahnreform nicht zurückdrehen, sondern ordnungspolitisch sauber fortführen. So hat Schienenverkehr in
Deutschland eine Zukunftschance. Nur so hat Verkehrspolitik in Deutschland eine Chance, erfolgreich zu sein.
({0})
Das Wort
hat jetzt der Kollege Albert Schmidt vom Bündnis 90/Die
Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Hier spricht nicht der böse Wolf - Kollege Wolf
spricht nachher -, ich bin nur erkältet und bitte Sie um
Nachsicht, dass ich Sie heute mit einer dunklen Stimme
bedrohen muss.
({0})
Ich versuche, es dafür umso kürzer zu machen.
Ein paar Bemerkungen zu dem Zahlenfeuerwerk, das
der Kollege Fischer abgebrannt hat: Die Güterverkehrsleistung im DB-Netz ist im vergangenen Jahr exakt um
Dirk Fischer ({1})
12,8 Prozent gestiegen, davon gut die Hälfte bedingt
durch Zuwächse im Bereich der DB Cargo, die andere
Hälfte bedingt durch die strategische Zusammenarbeit
des Unternehmens Railion mit den Benelux-Bahnen.
Nachdem 40 Prozent des Güterverkehrs auf der Schiene
inzwischen auf den grenzüberschreitenden Güterverkehr
entfallen, ist es doch gerade der Clou an der Sache, dass
wir durch Kooperation mit den Nachbarbahnen mehr
Marktanteile bekommen. Das betrifft auch deutsche
Destinationen, also deutsche Ziel- und Abfahrtspunkte im
deutschen Netz. Warum soll man denn solche Erfolge verschweigen? Wir nennen sie gerne.
({2})
Zweiter Punkt: Wenn es so wäre, Herr Kollege Fischer,
dass seit 1994 in ausreichendem Umfang in das Netz investiert worden wäre - ich konzediere, dass erhebliche
Anstrengungen gemacht wurden, die Entschuldung und
alles, was Sie aufgezählt haben, waren richtig dargestellt,
es gibt nur in einem Punkt einen erheblichen Dissens -,
hätten wir heute nicht die mehr als 2000 Langsamfahrstellen. Reden Sie doch mit den Lokführern, reden Sie
mit den Beschäftigten der Bahn. Es kann Ihnen doch jeder bestätigen, woher die Löcher im Netz kommen. Sie
kommen doch nicht daher, dass zu viel investiert worden
ist, sondern weil das Bestandsnetz systematisch auf Verschleiß gefahren worden ist. Das ist das Problem, das Sie
uns hinterlassen haben.
({3})
Deshalb haben wir seit 1998 die Investitionen um
50 Prozent gesteigert. Es reicht aber nicht, nur mehr Geld
in die Hand zu nehmen, sondern man muss das Geld auch
an der richtigen Stelle mit den richtigen Schwerpunkten
ausgeben.
Der zweite Fehler, den wir jetzt korrigieren, war: Das
große Geld wurde in einigen wenigen Großprojekten vergraben, die obendrein noch politisch schöngerechnet
wurden. Diese Mehrkosten fallen uns jetzt auf die Füße.
Wir haben jetzt auszubaden, was Sie uns an verlogenen
Berechnungen hinterlassen haben.
Ich möchte in diesem Zusammenhang sagen: Ich bin
nach wie vor stolz darauf - wenn schon in diesen Tagen
von Stolz die Rede ist, darf ich auch jeden Tag wenigstens
einmal stolz sein, Kollege Hasenfratz -, dass wir es trotz
Schuldenabbaus, gigantischer Steuersenkungen durch die
Einkommen- und Unternehmensteuerreform und zusätzlicher Investitionsprogramme wie das ZIP geschafft haben, auch für die Bahn 50 Prozent mehr Mittel zur Verfügung zu stellen, als es im letzten Jahr Ihrer Regierungszeit
der Fall war. Das ist eine großartige Leistung.
({4})
Wir alle wollen - darüber sind wir uns sofort einig,
Herr Kollege Fischer - die Investitionsmittel nicht nur
über drei Jahre, sondern über einen längeren Zeitraum auf
hohem Niveau verstetigen. Sie haben völlig Recht, Herr
Kollege Fischer, wenn Sie sagen, dass ein Unternehmen
für die Netzplanung eine mittelfristige Finanzplanung
benötigt, die über einen Dreijahreszeitraum hinausgeht.
({5})
Ich möchte noch ein paar Sätze zu den Rahmenbedingungen sagen, die sich verändert haben. Die von Ihnen so
gescholtene Ökosteuer hat dazu beigetragen - ich sage
nicht, dass sie es alleine war -, dass die relativen Marktchancen des Schienenverkehrs im Vergleich zum Straßenverkehr heute deutlich besser sind. Das schlägt sich auch
in den Marktanteilen nieder. Es gibt im Schienenbereich
eine positive Entwicklung bei der Personenverkehrsleistung und auch, wie ich schon sagte, bei der Schienenverkehrsleistung, und das bei gleichzeitig stagnierender bzw.
- das habe ich gerade gelesen - sogar rückläufiger Entwicklung des PKW-Verkehrs. Das ist ein ermutigendes
Zeichen.
Hinzu kommt die am 1. Januar in Kraft getretene Entfernungspauschale. Bahn- und Busfahren lohnen sich
jetzt sogar steuerlich. Das haben wir beabsichtigt. Mit der
steuerlichen Privilegierung des Autofahrens ist Schluss.
({6})
Der nächste Punkt, den ich ansprechen möchte, ist die
LKW-Maut. Sie wird ein Übriges dazu tun, um die Marktchancen des Schienengüterverkehrs zu verbessern.
Es ist aber mit Recht darauf hingewiesen worden, dass
wir jetzt über neue Strukturen diskutieren und entscheiden müssen. Ich möchte den einen oder anderen Grund
ansprechen, warum wir die Unabhängigkeit des Streckennetzes von den Verkehrsbetrieben der DB für unverzichtbar halten. Die DB Netz AG hat heute einen paradoxen
Auftrag zu erfüllen: Einerseits soll laut Art. 87 e Abs. 4
des Grundgesetzes ein gemeinwohlorientierter Schienenverkehr gewährleistet werden. Andererseits soll die
DB Netz AG nach Aktienrecht gewinnorientiert, also rentabel, arbeiten. Diese beiden Aufgaben sind nicht immer
deckungsgleich. Das ist das Problem. Ein solch paradoxer
Auftrag kann letztlich von keinem Bahnchef der Welt - er
mag heißen, wie er will - erfüllt werden. Über diesen Widerspruch müssen wir diskutieren und wir müssen ihn
auflösen. Deshalb sind wir der Auffassung, dass Schienenstrecken genauso wie Straßen als Teil einer am Gemeinwohl und an der Daseinsvorsorge orientierten Infrastruktur prinzipiell nicht in der Verantwortung eines
privaten Verkehrsunternehmens liegen, sondern in öffentlicher Verantwortung bleiben sollen, und zwar dauerhaft.
Die Planungshoheit sowie die Trassenvergabe und die
Trassenpreisbildung müssen in der Hand eines unabhängigen Netzbetreibers liegen.
Den operativen Job, die Bewirtschaftung der Strecken,
kann ein privates Eisenbahnunternehmen ohne weiteres
machen, aber dann im Auftrag des Eigentümers und nicht
nach eigenem Gusto oder nach eigener Interpretation des
gesetzlichen Auftrags. Das ist letztlich der Kern des Problems: Wir brauchen eine klare Verteilung der Rollen zwischen Eigentümer - das ist die öffentliche Hand; ich bin
der Meinung, dass neben dem Bund auch die Länder bereit sein müssen, Regionalnetze zu übernehmen, inklusive
Albert Schmidt ({7})
Finanzausstattung, und zwar dort, wo nur der klassische
Nahverkehr fährt - und den Eisenbahninfrastrukturunternehmen, die zwar den operativen Job machen, nicht aber
selber entscheiden, wann wo welche Strecke bleibt, ausgebaut wird oder verschwindet. Das ist der Kern der
ganzen Auseinandersetzung.
Ich bin sehr froh, dass dies alles nun einer ernsthaften
Prüfung unterzogen wird, dass in absehbarer Zeit konkrete Organisationsmodelle als Vorschläge auf dem Tisch
liegen werden, über die wir diskutieren können, und dass
wir dann hoffentlich gemeinsam einen Lösungsweg präzisieren können. Ich wünsche mir an dieser Stelle die gleiche Gemeinsamkeit wie bei der Bahnreform 1994, als wir
mit einer breiten Mehrheit die damalige Reform beschließen konnten; denn nur wenn beides, Investition und Innovation, zusammenkommt, werden wir aus der Deutschen
Bahn und all ihren Konkurrenzunternehmen die erfolgreichste Bahnlandschaft Europas machen können.
({8})
Das Wort
hat jetzt der Kollege Horst Friedrich von der F.D.P.-Fraktion.
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen! Wir
diskutieren heute, in einer für die Entwicklung des Verkehrsträgers Schiene in Deutschland durchaus interessanten Zeit, über vier Anträge mit unterschiedlichen Ansätzen. Bevor ich darauf im Einzelnen eingehe, möchte ich,
Herr Kollege Schmidt, darauf hinweisen, dass man zwei
Zahlen auseinander halten sollte. Bei aller Freude über
den Zuwachs bei der DB Cargo hat dieser Zuwachs gerade ausgereicht, die Verteilung im Modal Split der Verkehrsträger in Deutschland für die Bahn nicht zu verschlechtern. Das ist ein Status quo.
({0})
- Doch, das sind - bei aller Freude - die Fakten.
({1})
Ich kann Ihnen auch Folgendes nicht ersparen: Immer
wieder hören wir die gleiche Leier, bei der Bahnreform
habe es von Anfang an nie 10 Milliarden DM an Investitionsmitteln für die Bahn gegeben.
({2})
- Das ist ja nicht wahr. - 1994 standen der Bahn 10 Milliarden DM zur Verfügung; davon hat sie 2,4 Milliarden DM zurückgegeben. 1995 waren 9,9 Milliarden DM
im Haushalt vorgesehen. Weil erkennbar war, dass dieses
Geld wiederum nicht ausgegeben werden kann, ist 1995
sehr viel mit Vorausrechnungen abgedeckt worden;
({3})
der verbleibende Rest von immerhin 800 Millionen DM
ist dann durch die globale Minderausgabe, die wir zu erbringen hatten, abgedeckt worden. Das geschah aber
nicht, weil sich die Bahn deswegen nicht gewehrt hätte;
die war froh, dass sie das Geld nicht ausgeben musste,
denn das konnte sie wiederum nicht. Im Jahre 2000 - darauf hat der Kollege Fischer ja schon hingewiesen - sind
faktisch wiederum 1,1 Milliarden DM der zur Verfügung
gestellten Investitionsmittel nicht verbaut worden. Hören
Sie deswegen endlich mit Ihrer Märchenstunde auf, es
hätte das Geld nie gegeben!
({4})
Es liegt nicht am Geld, es liegt am Nichtumsetzen der
Bahn. Das ist der eigentliche Punkt.
Jetzt aber zu den Anträgen. Ich habe schon mehrfach
ausgeführt: Die damalige Regierungskommission Bahn
hatte bereits darauf hingewiesen, dass die echte Trennung von Netz und Betrieb sinnvoll ist. Damals hat man
sich mehrheitlich darauf verständigt, dieses heikle Thema
nicht anzufassen, und zwar zum einem um die Grundgesetzänderung zu erreichen, wofür nun einmal Zugeständnisse notwendig waren, und zum anderen um die Probleme, die sich aus dem Zusammenlegen von Deutscher
Reichsbahn und der damaligen Bundesbahn ergeben haben, nicht noch durch den Versuch, Netz und Betrieb zu
trennen, zu überlagern.
({5})
Diese Diskussion werden wir aber jetzt führen und es gibt
dazu bereits einen Antrag, in dem die Trennung von Netz
und Betrieb ganz klar gefordert wird. Dieser Antrag ist
von uns und stammt aus dem Februar 2000.
({6})
- Das wird Ihnen, Herr Kollege Weis, in aller Kürze von
uns vorgelegt.
({7})
Gehen wir nun auf die anderen Anträge ein. Mich erstaunt die in die gleiche Richtung gehende Argumentation
von PDS und CDU/CSU. Dass die PDS einen solchen Ansatz verfolgt, überrascht mich dabei nicht;
({8})
das ist in der Politik der PDS konsequent. Diese Politik
kann man teilen oder nicht, aber sie ist wenigstens konsequent.
({9})
Aber, liebe Freunde von der Union, für die Trennung von
Netz und Betrieb zu sein und gleichzeitig vom Bund zu
fordern, dass er Schienenfernverkehr bestellt und dann
auch noch eine Ausfallgarantie gegenüber der Bahn oder
dem Erbringer übernimmt - was nichts anderes bedeutet,
als dass der Bundeshaushalt für Betriebsdefizite herhalten
soll -, passt nicht zusammen. Über diesen Punkt sollten
wir noch einmal nachdenken.
({10})
Albert Schmidt ({11})
Jetzt zum Antrag der SPD. Er ist sehr umfangreich; zur
Hälfte besteht er aus Vergangenheitsbewältigung, die uns
nicht weiterbringt, weil es insofern nur darum geht,
Schuldzuweisungen loszuwerden.
({12})
Sie drücken sich wiederum um die eigentlich entscheidende Frage, nämlich um die Frage, ob Sie die Trennung
von Netz und Betrieb wollen oder nicht. Bei Ihnen ist es
wie bei der Echternacher Springprozession: einen Schritt
vor und zwei zurück - so wie bei Herrn Bodewig. Letztlich steht in Ihrem Antrag nichts, was konkret den Weg
aufweist.
Sie verweisen auf die so genannte Taskforce. Wenn
man sich einmal die Zusammensetzung dieser Taskforce
anschaut, dann stellt man fest, dass ihr unter anderem der
Staatssekretär Nagel, der Staatssekretär Tacke und der
Staatssekretär Overhaus angehören. Dieselben Personen
sitzen auch im Aufsichtsrat der Bahn, im Aufsichtsrat des
Aufsichtsrats der Bahn und jetzt ebenfalls im Aufsichtsrat
der Taskforce. Was sollen sie denn eigentlich entscheiden? Sollen sie aus der Sicht des Aufsichtsrats der Bahn
entscheiden
({13})
oder sollen sie aus der Sicht dessen entscheiden, der der
Bahn eigentlich aufzeigen soll, wie das Ganze funktioniert? Im Zusammenhang mit Mehdorn habe ich schon
einmal von „Fröschen, die die Sümpfe trockenlegen“ gesprochen.
Es ist bezeichnend, dass Sie auch die Überlegungen zur
Änderung des Allgemeinen Eisenbahngesetzes zurückgestellt haben, und zwar angeblich so lange, bis Ihre Taskforce Ergebnisse vorgelegt hat.
({14})
Ich bin einmal gespannt, wie das Ganze funktioniert.
Demnächst ist Herr Mehdorn offensichtlich in der
Lage, das neue Trassenpreissystem vorzulegen, das er
dauernd angekündigt hat.
({15})
Ich zitiere aus der „Wirtschaftswoche“:
Wie sehr das neue Trassenpreissystem ({16}) Bodewigs Ziel durchkreuzt, mehr Verkehr
auf die Schiene zu bringen, rechnen Mehdorns Leute
in dem Papier anschaulich vor. So müsse das Land
Schleswig-Holstein für die geplante Ausweitung des
regionalen Schienenpersonenverkehrs um 2,26 Millionen Zugkilometer nun 15,6 Millionen Mark an die
Bahn-Tochter DB Netz zahlen, nach altem Preissystem dagegen nur sieben Millionen Mark. Auf diese
Weise, urteilen der Berliner Wirtschaftsprofessor
Hans-Jürgen Ewers und der Hamburger Verkehrswissenschaftler Gottfried Ilgmann in einem unveröffentlichten Gutachten, verstoße DB Netz gegen das
eigene Interesse, Anreize gegen die Ausdünnung von
Taktverkehren zu schaffen und damit das Netz besser
zu vermarkten.
Es bleibt dabei: Nur wer klar und deutlich sagt, dass es
mehr Verkehr auf der Schiene nur dann gibt, wenn das
Netz endlich aus der Bahnholding herausgelöst wird, ist
auf dem richtigen Weg. Diese klaren Worte vermisse ich
von Ihnen, insbesondere von der Regierungskoalition.
({17})
Das Wort
hat jetzt der Kollege Dr. Winfried Wolf von der
PDS-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist sicherlich wichtig, dass wir hier erneut eine Bahndebatte führen.
Die vorliegenden Anträge sind sehr interessant. Ich
glaube, dass in fast allen Beiträgen der Ernst der Lage
nicht ausreichend dargestellt wurde.
({0})
Der Kollege Friedrich hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die Bahn große Teile der vorhandenen Summen
nicht ausgegeben hat. Es stellt sich daher die Frage,
warum die Bahn trotz des Privatisierungskurses, trotz der
Bahnreform nicht in der Lage war, diese Beträge auszugeben und warum sich insbesondere seit der Bahnreform
der Zustand des Netzes dermaßen verschlechtert hat.
Auch die Feststellungen von der SPD und von den Grünen, dass die Schiene zumindest in der Lage gewesen sei,
ihre Anteile am Personen- und Güterverkehr zu halten,
lassen sich vor dem Hintergrund der realen Verkehrszahlen nicht rechtfertigen. Die Anteile gingen Jahr für Jahr
zurück. Nur im Hinblick auf die Jahre 1999 und 2000
kann man behaupten, dass der Anteil stabilisiert werden
konnte.
Ich komme zum internationalen Vergleich. Wenn Sie
von der SPD und von den Grünen feststellen, dass die
Deutsche Bahn auf ihrem Schienennetz die mit Abstand
höchste Fahrleistung aller europäischen Bahnen erbringe,
dann entgegne ich: Das ist so, als wenn man Äpfel mit
Birnen vergleicht. Beispielsweise fahren in der Schweiz,
die keinen Privatisierungskurs betreibt, die Schweizer
Bürger dreimal so viele Kilometer mit der Bahn, obwohl
dieses Land viel kleiner ist. Damit ist sie - trotz des Fehlens eines Privatisierungskurses - weit effektiver.
Der Hauptgrund für diese Entwicklung besteht darin,
dass die Rahmenbedingungen nicht zugunsten der Bahn
sind und dass Sie die Bahn weiterhin benachteiligen. Ich
kann nicht feststellen, dass es seit 1998 eine qualitative
Verbesserung gibt. Für die Bahn gilt keine Befreiung von
der Mineralölsteuer und kein halber Mehrwertsteuersatz.
Dazu kommt der halbe Ökosteuersatz.
Die jetzt stattfindende Debatte über die Trennung von
Netz und Betrieb ist teilweise eine Scheindebatte. Prinzipiell könnte unserer Ansicht nach eine solche Trennung
Horst Friedrich ({1})
Chancengleichheit herstellen. Sie sagen aber nichts zu
den Bedingungen, unter denen die Schiene mit Trassenschutz insgesamt in Staatshand wäre, sodass sich der Staat
dafür genauso wie für Straßen und für Wasserwege verantwortlich fühlen würde. Insofern sind die Anträge weitgehend wie weiße Salbe, die aufgetragen werden soll.
Man muss auch berücksichtigen, was die Bahn konkret
vorhat. In der nächsten Zeit will die Bahn nicht etwa
nur einige Gleisanschlüsse stilllegen - so die Planung
Mora C -, sondern ein Drittel des Bestandes abbauen. Die
Bistros im Personenverkehr sollen komplett abgeschafft
werden. Im nächsten Jahr soll der Rabattsatz der
Bahn-Card halbiert werden. Die Bahn selbst sagt, dass sie
damit ungefähr 20 bis 30 Prozent ihrer Bahn-Card-Kunden verlieren wird. All diese konkreten Vorgaben werden
dem Verkehr der Bahn schaden.
({2})
Ich glaube, dass das Ganze mit dem Fahrplanwechsel
am 9. Juni mit dem Interregiosterben noch einmal gesteigert werden wird, das dann beginnen und im Jahr 2003
vollendet werden wird, wenn die Zuggattung Interregio
komplett abgeschafft sein wird, eine Gattung, die bis zum
Jahre 1995 mehr Fahrgäste auf sich vereinigen konnte als
entweder IC/EC oder ICE und die seit Mitte der 90erJahre bewusst kaputtgemacht wird. Sie wissen ganz genau, dass ganze Regionen wie Rostock, Magdeburg,
Marburg, Ostfriesland, Friedrichshafen, Lindau, Ludwigshafen, Trier, Lübeck und Chemnitz mit dieser Politik
abgehängt werden.
Sie wissen ganz genau, es wird intern eingerechnet,
dass mit dem Ersatz für den Interregio keineswegs Realersatz geschaffen wird, sondern mindestens 20 Prozent
der Interregiogäste wegbleiben werden, dass Nachteile
entstehen werden durch gebrochenen Verkehr, weil man
umsteigen muss. Sie wissen vor allem genau aus der Debatte vorher, dass Tourismusgebiete in massivem Umfang
geschädigt werden - der Schwarzwald zum Beispiel,
Mecklenburg-Vorpommern, Rügen, Oberschwaben -, die
nicht mehr an den Fernverkehr angebunden werden.
Sie wissen ganz genau, dass die Industrie- und Handelskammern und Fremdenverkehrsverbände massiv bei
Ihnen auf der Matte stehen und sagen werden: Das könnt
ihr nicht machen, bei uns den Interregio abzukappen. Deswegen wird ja immer wieder versucht, Teillösungen dafür
zu finden.
Der Antrag der CDU zum Interregio wurde faktisch im
Bundesrat konkretisiert. Der Bundesratsantrag geht weiter und wir übernehmen ihn im Grunde. Kollege
Friedrich, Ihre Parteifreunde sitzen in der baden-württembergischen Regierung, Baden-Württemberg hat diesen Antrag mit eingebracht und gesagt, wir wollen ein
konkretes Gesetz haben, das den Artikel 87 e des Grundgesetzes konkretisiert und diese Verkehrsleistungen festschreibt.
({3})
Deswegen bringen wir den Antrag des Bundesrates unverändert im Bundestag ein. Einen Kommafehler haben
wir korrigiert, aber sonst ist es die gleiche Form. Wir hoffen auf die gemeinsamen Stimmen von CDU/CSU und
PDS.
Danke schön.
({4})
Für die
Bundesregierung hat jetzt das Wort die Parlamentarische
Staatssekretärin Angelika Mertens.
Herr
Präsident! Meine Damen und Herren! Erinnern wir uns
noch einmal an die Ziele der Bahnreform und vielleicht
auch daran, dass die Bahnreform nicht die Bahnreform
der damals schwarz-gelben Regierung, sondern die Bahnreform des Parlaments war.
({0})
- Sie ist mit großer Mehrheit hier verabschiedet worden.
Ziele der Bahnreform waren: mehr Verkehr auf der
Schiene, Begrenzung der Belastung des Steuerzahlers,
Wirtschaftlichkeit der DB AG. Sie war auf zehn Jahre angelegt. Jetzt ziehen wir so etwas wie eine Zwischenbilanz
und fragen uns erstens, wie weit die Ziele eigentlich erreicht wurden, und zweitens, was getan werden muss, um
die Ziele zu erreichen, konkret: welche Weichen jetzt gestellt werden müssen.
Klar muss auch sein: Wenn eine Bahnreform auf zehn
Jahre angelegt ist, können die Ziele heute noch nicht erreicht sein, jedenfalls nicht in ihrer Gänze. Deshalb war,
denke ich, die Große Anfrage, die gestellt worden ist, sehr
wichtig; denn sie verlangt so eine Art politisches Controlling von uns -, Controlling nicht im Sinne des Kontrollierens, sondern im Sinne des Steuerns.
Ich glaube, es ist sehr wichtig, die Frage, ob Elemente
der Bahnreform neu oder anders miteinander verknüpft
werden müssen, jetzt zu beantworten. Es gibt zwei Antworten: mehr Verkehr auf der Schiene mit dem Wettbewerbsaspekt und Verringerung der Belastung des Steuerzahlers mit dem Aspekt der wirtschaftlichen Bahn zu
verknüpfen.
({1})
Wie weit diese Ziele jetzt schon erreicht worden sind,
dazu gibt es immer eine subjektive und eine objektive Betrachtung. Objektiv betrachtet ist die DB AG im Benchmarking nach Beförderungsleistungen - Personen und
Fracht - die größte Bahngesellschaft Europas. Sie hat ein
relativ dichtes, vergleichsweise gut ausgebautes und auch
ein hochstandardisiertes sowie leistungsfähiges Netz.
Subjektiv könnte die DB AG heute anders dastehen, wenn
in der Vergangenheit - ich sage es einmal - eben nicht so
unverantwortlich mit dem Bestandsnetz umgegangen
worden wäre.
Ich habe mir aus dem Pressedienst der CDU/CSU einmal etwas herausgesucht. Dort heißt es, dass die neue Gesamtsumme für Schieneninvestitionen trotz der unerwarteten erheblichen UMTS-Mehrerlöse von 8,7 Milliarden DM immer noch weit unter dem Ansatz liegt, der
mit 10 Milliarden DM jährlichen Investitionsmitteln für
eine erfolgreiche Bahnreform nötig ist und der von der
CDU/CSU-geführten Bundesregierung immer gewährleistet wurde.“
Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Dr. Ilja Seifert von der PDS-Fraktion?
Ja,
bitte.
Herr
Seifert.
Frau Kollegin Mertens, Sie
sprachen gerade davon, dass es eines der Ziele war und ist,
die Bahn für mehr Menschen attraktiv zu machen. Können Sie mir vor diesem Hintergrund sagen, wie die Bundesregierung die Tatsache bewertet, dass die Deutsche
Bahn AG die von der Deutschen Reichsbahn übernommenen Kombiwagen ersatzlos verschrottet, die sehr gut
geeignet sind, behinderten Menschen Gruppenreisen zu
ermöglichen?
Es
wurde vorhin schon bemerkt, dass wir die Bahnreform
sehr einvernehmlich beschlossen haben. Gemäß dieser
Bahnreform liegt das operative Geschäft bei der DB AG
und nicht beim Bund. Man kann natürlich immer fragen,
ob man sich diese Regelung gut überlegt hat. Aber man
muss trotzdem festhalten, dass der Bund für das operative
Geschäft nicht verantwortlich ist. Die Bahnreform hat
eine breite Zustimmung gefunden. Wir müssen jetzt endlich verinnerlichen, dass wir das operative Geschäft der
Deutschen Bahn AG und ihren Tochterunternehmen überlassen haben.
Frau Kollegin, erlauben Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Seifert?
Ja.
Bitte
schön.
Ich verstehe ja, dass Sie der
Meinung sind, die Bahn müsse diese Entscheidung selbst
treffen. Aber trotzdem muss doch die Bundesregierung
eine Meinung dazu haben, dass den Menschen mit
Behinderung die einzige Möglichkeit, in Gruppen zu verreisen, dadurch genommen wird, dass die dazu benötigten
Wagen verschrottet werden. Sie werden noch nicht einmal
an Konkurrenzunternehmen verkauft, die diese Wagen
dann einsetzen könnten. Das kann doch nicht im Sinne der
Daseinsvorsorge für behinderte Menschen sein, für die
die Bundesregierung verantwortlich ist.
Herr
Kollege Seifert, ich will mich gerne erkundigen, wie die
konkrete Situation ist. Aber es ist nicht wahr, dass die
einzigen Wagen, mit denen Behinderte fahren können,
verschrottet werden.
({0})
Sie können als Behinderter die neuen ICEs jederzeit nutzen. Ich werde mich aber in dieser Angelegenheit erkundigen und in Erfahrung bringen, wie die Situation in Ihrer
Region ist. Der DB AG zu unterstellen, sie würde keine
Möglichkeit für das Reisen von Behinderten bereithalten,
ist allerdings nicht richtig.
({1})
Frau Kollegin Mertens, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Fischer?
Ich
möchte die Frage nicht zulassen, weil ich jetzt im Zusammenhang vortragen will.
Die CDU/CSU hat gesagt, sie habe die benötigten Zuschüsse immer gewährleistet. Das ist aber nicht richtig.
Herr Friedrich sprach davon, diese Mittel seien ein Jahr
gewährleistet, aber von der Bahn nicht abgerufen worden.
({0})
In diesem Zusammenhang möchte ich bemerken, dass im
Jahre 1995 der Zuschuss 9,2 Milliarden DM und nicht
9,8 Milliarden DM betrug.
Ich möchte auch die anderen Zahlen nennen: Im Jahre
1997 betrug der Zuschuss des Bundes 6,7 Milliarden DM,
im Jahre 1998 5,7 Milliarden DM, im Jahre 1999 7 Milliarden DM und im Jahre 2000 6,8 Milliarden DM. Wir
stehen also nicht schlechter da als Sie; denn auch Sie haben in den letzten Jahren die Grenze von 10 Milliarden DM nicht erreicht. Wir wollen aus dem Zukunftsinvestitionsprogramm weitere 2 Milliarden DM für die
Schiene geben. Damit liegen wir im Jahre 2001 bei 9 Milliarden DM.
Objektiv gesehen hat die DB AG einen Rationalisierungsrückstau. Subjektiv gesehen muss man einfach feststellen, dass die Eisenbahnerinnen und Eisenbahner eine
ganz hervorragende Leistung vollbracht haben. In den
50er-Jahren haben noch ungefähr eine halbe Million Menschen in diesem Bereich gearbeitet. Nach der Zusammenlegung von Deutscher Bundesbahn und Deutscher
Reichsbahn waren es nur noch 345 000; heute sind es
220 000 Beschäftigte.
Wir sollten alle gemeinsam den Hut vor den Eisenbahnerinnen und Eisenbahnern ziehen, die, obwohl es
praktisch ein Drittel Arbeitnehmer weniger sind, heute
sehr viel mehr Leistung als früher bringen.
({1})
Der Stellenabbau wird weitergehen und der Bund wird
sich seiner Verantwortung dabei nicht entziehen.
Ich will noch einmal auf die Trennung von Netz und
Betrieb eingehen. Ich halte diesen Ausdruck für ein wenig unglücklich, weil er physikalisch schwer zu erklären
ist. Er hat sich aber seit den 80er-Jahren so eingebürgert;
deshalb muss man ihn wohl auch verwenden. Ich würde
lieber von der Neutralität des Netzes sprechen.
({2})
Unser Ziel ist die Verdopplung des Güterverkehrs auf
der Schiene. Ich gehe davon aus, dass DB Cargo - ich
denke, auch sie geht davon aus - dies allein nicht schaffen kann. Schienenverkehr zu betreiben ist teuer und
braucht deshalb eine mittelfristige Perspektive, das heißt
Investoren, aber auch DB Cargo brauchen Sicherheit. Uns
geht es nicht um Wettbewerb um dieselben Gütertransportleistungen, sondern um den Wettbewerb mit der
Straße. So könnte auch die Straße entlastet werden oder
zumindest ihre Belastung nicht weiter überproportional
zunehmen.
Die Gewährleistung der Neutralität des Netzes, also
die Trennung von Netz und Betrieb, ist eine Frage des Wie
und des Wann, aber nicht mehr des Ob.
({3})
Wir werden klären lassen, welche verschiedenen Organisationsmodelle es gibt und welche Vor- und Nachteile sowie
Folgewirkungen sie jeweils haben, besonders im Hinblick
auf die unternehmerischen, finanz- und verkehrspolitischen Folgen und auch im Hinblick auf das Verhältnis von
Bund und Ländern.
Durch die zentrale geographische Lage und die direkte
Verknüpfung mit den Streckennetzen von neun Nachbarländern kommt dem deutschen Bahnnetz, der DB AG und
den anderen Eisenbahnunternehmen eine Schlüsselstellung für die weitere Entwicklung des Schienentransportes in Europa zu. Unser gemeinsames Ziel muss doch
sein, unsere Unternehmen so gut wie möglich auf ein vereintes Europa vorzubereiten. Deshalb begrüße ich den
Antrag der Koalitionsfraktionen.
Vielen Dank.
({4})
Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat jetzt der
Kollege Eduard Lintner von der CDU/CSU-Fraktion das
Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen
und Herren! Lassen Sie mich eingangs eine Bemerkung
zu dem Märchen machen, das hier insbesondere Herr
Schmidt immer verbreitet: Die Bahn, die großzügig mit
Geldern ausgestattet worden sei, habe diese auch ausgegeben. Es ist schon ein Beispiel erwähnt worden, wo
1,1 Milliarden DM zurückgeflossen sind.
({0})
Diese hätten beispielsweise im Neubaubereich durchaus
zusätzlich investiert werden können. Stattdessen haben
Sie sie zur vorzeitigen Tilgung von Schulden verwendet.
Das ist ein Zeichen dafür, dass die Bahn nicht in der Lage
war, sie zeitnah zu verwenden.
({1})
Ich habe aber noch ein schönes Beispiel, Herr
Hasenfratz, - das haben wir ganz genau recherchiert -:
Für Lärmschutzinvestitionen wurden 100 Millionen DM
im vorigen Jahr vorgesehen und der Bahn zur Verfügung
gestellt. Tatsächlich ausgegeben wurden 14 Millionen DM. Wir haben nach dem Grund gefragt; die Frau
Parlamentarische Staatssekretärin hat es uns Gott sei
Dank schriftlich gegeben; deshalb kann sie dem kaum widersprechen. Laut Verkehrsministerium wurden nur
14 Millionen DM ausgegeben, weil es Planungsschwierigkeiten bei der Bahn gab.
Was sich hier anhand dieses einen Beispiels dokumentieren lässt, gilt natürlich auch für ganz andere Größenordnungen im Rahmen dieses Paketes von 9 Milliarden DM.
({2})
Geben Sie also nicht mit Beträgen an, die in Wirklichkeit
gar nicht genutzt werden können! Sie können zwar15 Milliarden DM schreiben und damit angeben. Im Endeffekt
wird es aber dabei bleiben, dass die Bahn pro Jahr ins Bestandsnetz ungefähr 6 bis 7 Milliarden DM - um die Angabe genauer Zahlen drücken Sie sich ja immer herum investieren kann. Mehr geht aufgrund der heutigen Planungs- und Entwicklungskapazitäten nicht. Sie müssten
schon andere Maßnahmen ergreifen, damit eine Erhöhung
auch wirklich greift.
Zurück zum Thema: Der Bundesverkehrsminister und
der Vorstand der Bahn haben uns ja in letzter Zeit viele
Gründe geliefert, daran zu zweifeln, ob und, wenn ja, in
welchem Umfang sie die Verpflichtung nach Art. 87 e
Abs. 4 des Grundgesetzes erfüllen wollen. Dabei geht es
- um es auch dem Publikum einmal klar und deutlich zu
sagen - um die Verpflichtung des Bundes und nicht
der Bahn, ein den Erfordernissen des allgemeinen Wohls
entsprechendes Angebot im Schienenpersonenfernverkehr zu gewährleisten. Das gilt sowohl für das Netz wie
auch für den Betrieb.
({3})
Deshalb sind Gedankengänge, die darauf hinauslaufen,
ein Bestellermodell wie im Nahverkehr einzuführen, gar
nicht so abwegig. Denn die Verpflichtung können Sie in
anderer Form unter Umständen gar nicht einlösen. Aber
da sind wir diskussionsbereit und offen.
({4})
Dass die Zweifel berechtigt sind, zeigt beispielsweise
die Tatsache, dass die DB AG entschlossen ist, mit dem
Interregio ein wichtiges Zugangebot aus dem Fernverkehr der Bahn zu streichen, ohne dass ein Ersatz dafür in
Sicht wäre. IC und ICE können ihn nicht ersetzen. Auch
der regionale Verkehr ist dazu nicht in der Lage. Sie kennen seine Nachteile:
({5})
Man muss oft umsteigen und gerade Familien mit Kindern, ältere Menschen mit viel Gepäck oder allein fahrende Kinder sind da natürlich stark benachteiligt. Deswegen ist er kein Ersatz, auch wenn Sie ihn gelegentlich
so anpreisen.
Den zweiten Grund zum Zweifeln liefert die Bundesregierung selber, weil sie sich nämlich beharrlich weigert,
der Bahn endlich die verlangte Planungssicherheit über
das Jahr 2003 hinaus zu geben.
({6})
- Herr Weis, Sie hätten sich Ihren jetzigen Antrag glatt
sparen können, denn diese entscheidende Frage haben Sie
wieder nicht beantwortet. Wieder sprechen Sie nur von
der finanziellen Gewährleistung bis zum Jahre 2003. Aber
Herr Mehdorn hat es Ihnen jetzt schon so oft gesagt - und
wir können uns auf ihn berufen -: Wenn man Investitionen im Bereich der Schiene vornehmen will, dann ist ein
Planungszeitraum bis 2003 zu gering. Dafür kann man
keine Kapazitäten aufbauen.
({7})
Das heißt, Sie lassen die Bahn im Stich und bieten nicht
die notwendige Planungs- und Finanzierungssicherheit,
um unsere Zweifel an der Gewährleistung des Grundgesetzauftrages zu zerstreuen.
({8})
Es gibt deshalb viel Anlass, die Initiative der beiden Bundesländer Bayern und Baden-Württemberg zu begrüßen,
({9})
die zum Ziel hat, diese Gewährleistungsansprüche dadurch zu konkretisieren, dass künftig ein Schienenpersonenfernverkehrsvolumen von 180 Millionen Kilometern
pro Jahr gewährleistet wird. Damit entsprechen die beiden
Länder außerdem einer grundgesetzlich niedergelegten
Pflicht. Denn es heißt in Art. 87 e Abs. 4 ausdrücklich,
dass das Nähere ein Bundesgesetz regelt. Sie haben das
bisher nicht getan.
Herr Kollege Lintner, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schmidt?
Bitte schön.
Bitte
schön, Herr Schmidt.
Herr Kollege Lintner, ich habe eine Frage zu
Ihrem Antrag, nach dem die 180 Millionen Zugkilometer
im Fernverkehr durch Bestellung gewährleistet werden
sollen. Wenn es so ist, dass ursprünglich geplant war,
19 Millionen Interregiokilometer abzuschaffen - faktisch
sind bisher noch nicht einmal 10 Millionen abgeschafft
worden und selbst die, die abgeschafft worden sind, sind
durch ICE, IC oder Regionalexpresse ersetzt worden -,
rechtfertigt dann die Kürzung dieser ohne Zweifel behaltenswerten Zugangebote gleich die Forderung, das gesamte Angebot im Fernverkehr, inklusive ICE und IC, also
sämtliche 180 Millionen Zugkilometer, auf Kosten des
Bundes zu bestellen und damit auch vom Bund bezahlen
zu lassen? Denn was kostet Ihr famoser Antrag den Bund?
Herr Kollege Schmidt,
da müssten Sie sich allerdings an eine Änderung des
Grundgesetzes heranwagen.
({0})
Denn die Verpflichtung, einen entsprechenden Schienenpersonenfernverkehr aufrechtzuerhalten, steht im Grundgesetz. Das ist keine Erfindung von uns.
({1})
- Gut, es heißt nicht: 180 Millionen Kilometer; darüber
kann man sicher trefflich streiten. Ich will auch nicht ablehnen, dass darüber noch einmal geredet werden kann.
Aber die gesetzlich formulierte Konkretisierung dieses
Grundgesetzartikels
({2})
vermissen wir und mahnen wir an.
({3})
- Was heißt „ihr vergessen“? Der Gesetzentwurf der beiden Länder liegt jetzt vor und wenn Sie meinen, dass das
ein berechtigter Wunsch ist, dann hindert Sie niemand daran, ihm zuzustimmen.
({4})
Sie können aus der ganzen Diskussion in der Tat viel Unsicherheit herausnehmen, wenn Sie sich einfach dazu bekennen und sagen: Jawohl, wir stimmen dieser Gesetzesinitiative zu. Wir sind aber nicht für 180 Millionen Kilometer, sondern für 160 Millionen Kilometer. - Darüber
kann man sicher reden. Aber wenn Sie die gesetzliche
Verpflichtung mittragen würden, wäre das höchst willkommen.
Meine Damen und Herren, im Übrigen sind viele Ihrer
Zusagen an die Bahn Lippenbekenntnisse geblieben. Wir
nehmen Ihnen einfach nicht ab, dass es tatsächlich ernst
gemeint ist, was Sie hier dauernd beteuern, solange Sie
Ihre „ernsthaften Absichten“ nicht in konkrete, im Haushalt ausgewiesene Zahlen umsetzen. Hier geht es darum,
dass Sie der Bahn ausreichende Mittel zur Verfügung stellen, damit sie das, was Sie von ihr ständig verlangen, auch
verwirklichen kann. Daran mangelt es bis heute. Ihr Antrag hilft uns jetzt überhaupt nicht weiter, sondern ist eine
Luftnummer, die Sie früheren Luftnummern einfach hinzufügen. Werden Sie konkret, dann sind wir gern mit von
der Partie.
Vielen Dank.
({5})
Ich
schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 14/5665,
14/5451, 14/5666 und 14/5662 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Vorlage auf Drucksache 14/5665 soll außerdem mitberatend
an den Haushaltsausschuss überwiesen werden. Sind Sie
damit einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch.
Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Horst Friedrich ({0}), Hans-Michael
Goldmann, Dr. Karlheinz Guttmacher, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Referenzstrecke für den Transrapid
- Drucksachen 14/2734, 14/4025 ({1})
Dazu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der
F.D.P. vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
F.D.P. sechs Minuten erhalten soll. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der
Kollege Horst Friedrich für den Antragsteller, die F.D.P.Fraktion, das Wort.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich ist ein Teil dessen, was in der Antwort der Bundesregierung auf unsere Große Anfrage zur Referenzstrecke für den Transrapid angekündigt worden ist,
mittlerweile zumindest teilweise geklärt. Das liegt aber
nicht daran, dass wir unsere Anfrage zu spät gestellt hätten, sondern daran, dass die Geschäftsführung es fertig
gebracht hat, dass unser Antrag vom Februar 2000 fast
unmittelbar danach, nämlich 13 Monate später, endlich im
Deutschen Bundestag debattiert werden kann. - So viel
zur Einführung.
Das, was noch nicht geklärt ist, was aber im Interesse
einer Investitionssicherheit sowohl für die Industrie als
auch für die Versuchsanlage im Emsland sowie die an ihr
Beteiligten und vor allem von ihr Betroffenen geklärt werden kann, das steht in unserem Entschließungsantrag.
Bezeichnenderweise ist das Wort von Dieter Vogel
- damals noch in seiner Eigenschaft als Vorstandsvorsitzender von Thyssen - wahr geworden, dass wir wahrscheinlich gezwungen sein werden, Erfahrungen mit der
Technik des Transrapid aus, mit Verlaub, Entwicklungsländern zurückzukaufen. Als ich diese Äußerung von
Herrn Vogel hier vortrug, hat der Kollege Schmidt damals
in einem Zwischenruf gefragt: Merken Sie eigentlich
nicht, wie peinlich diese Einlassung ist? Herr Schmidt
müsste sich im Nachhinein sowohl bei Dieter Vogel als
auch bei mir entschuldigen, denn dies ist tatsächlich eingetreten. Der Transrapid wird - man kann hinzufügen:
Gott sei Dank - in China gebaut, und zwar wahrscheinlich
sehr viel schneller, als er bei uns gebaut werden könnte,
und wir werden, ob es uns nun gefällt oder nicht, für unsere Referenzstrecken, sobald sie denn ausgewählt sein
werden, die Testerfahrungen aus dem Emsland um die
Praxiserfahrungen ergänzen müssen, die auf der Strecke
zwischen Schanghai und dem Flughafen von Schanghai
gemacht werden. Ich fürchte, dass uns dieser Know-howTransfer über die Kosten hinaus, die wir für den Bau der
Strecke in China zuwenden müssen, noch einiges Geld
kosten wird.
Die Zeitungsstimme dazu trifft es vielleicht noch viel
besser: Ein wenig peinlich ist das Ganze schon.
({0})
Da wird im Hightechland Deutschland über mehr als
20 Jahre hinweg mit einem Milliardenaufwand ein völlig
neues Verkehrssystem entwickelt und als dieses System
endlich einsatzreif ist, wird es in der öffentlichen Diskussion zerredet und - dies füge ich hinzu - in anderen Bereichen umgesetzt.
Das ist eigentlich immer die Tendenz bei neuen Techniken in Deutschland. Ich habe in einer meiner ersten Reden zum Transrapid 1994 darauf hingewiesen, dass auch
das Fax-Gerät in Deutschland erfunden wurde, aber in Japan gebaut und umgesetzt worden ist, und dass die Neigetechnik bei den Zügen in Deutschland entwickelt und
erfunden wurde und wir sie von Italien zurückkaufen
mussten. Ich habe damals hinzugefügt: Ich hoffe, dass das
beim Transrapid nicht passiert. Dies ist aber eingetreten.
Was noch offen ist - das ist eigentlich die Aufgabe von
Rot-Grün und an deren Erfüllung lege ich die Messlatte
für die Glaubwürdigkeit an -, ist die Auswahl und die
schnelle Umsetzung der Referenzstrecken in Deutschland. Leider wird der Transrapid nur als Nahverkehrszug
eingesetzt, obwohl er, um Klaus Daubertshäuser, den
hoch geschätzten Kollegen, den Sie alle hoffentlich noch
kennen, und sein Buch zu zitieren, eigentlich entwickelt
worden ist, um als Verkehrsmittel im Fernverkehr eingesetzt
({1})
und nicht als Vorortzug missbraucht zu werden.
Sie müssen sich endlich dazu durchringen, zu sagen,
wo Sie den Transrapid in Deutschland einsetzen möchten,
wenn diese Aussage von Ihnen noch gilt, was ich hoffe.
Sie haben immer erklärt: Wir sind nicht gegen die Technik Transrapid. Wir hatten nur etwas gegen die Strecke
von Hamburg nach Berlin.
({2})
Ich bin gespannt, ob sich diese Haltung noch verfestigt,
wenn sich zum Beispiel die Niederländer dafür entscheiden - noch befinden sie sich ja im Prüfungsstadium -, die
Strecke für den Transrapid von Amsterdam nach Groningen zu bauen, und vielleicht eine Verlängerung von Hamburg nach Berlin angedacht wird. Dann werden wir dieses
Thema erneut auf den Tisch bekommen. Ich bin gespannt,
wie Sie sich dann verhalten werden.
({3})
Die eigentlich entscheidende Frage, die Sie mit der
Vorlage des nächsten Haushalts beantworten müssen, ist,
welche Zukunftspläne Sie mit der Versuchsanlage für den
Transrapid in Lathen haben. Der Vertrag, der dazu abgeschlossen ist, läuft bis zum 30. Juni 2002; er ist bisher
nicht verlängert worden. Sie haben es mit der Wahl dieses
Zeitpunkts geschafft, den EXPO-Zeitraum zu überbrücken. Die Transrapid-Versuchsanlage ist ein Außenstandort. Aber die Leute, die dort arbeiten, sind hoch qualifiziert und haben langfristige Verträge. Sie müssten sich
in der Zwischenzeit neu orientieren. Deshalb brauchen sie
endlich Planungssicherheit.
Wenn es denn tatsächlich Sinn machen sollte, die
Transrapidtechnik auch in Deutschland einzusetzen - das
ist ja Ihr Ziel -, dann muss jetzt klar sein, was ab dem
1. Juli 2002 in Lathen passiert, wer dort noch arbeiten darf
und vor allen Dingen, welche schon lange notwendigen
Veränderungen an der Versuchsanlage vorgenommen
werden.
Die letzte Forderung, die wir stellen: Der Transrapid
ist, wenn Sie glaubwürdig sind, was Sie uns dauernd erklären, in die Bundesverkehrswegeplanung einzubeziehen, und zwar spätestens mit der Fortschreibung des
neuen Bundesverkehrswegeplanes.
({4})
Da dies aber erst nach der Bundestagswahl stattfindet,
können wir es vielleicht auch selbst umsetzen.
Herzlichen Dank.
({5})
Als
nächster Redner hat der Kollege Reinhold Hiller von der
SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Herr Kollege Friedrich, Sie
haben Recht: Niemand weiß so recht, weshalb es heute
diese Debatte zum Transrapid geben muss; denn die Fragen sind bereits vor gut einem Jahr von der Bundesregierung beantwortet worden - scheinbar auch zu Ihrer Zufriedenheit, da Sie keine weiteren Fragen gestellt haben.
({0})
Ich habe den Eindruck, dass die F.D.P. den Entscheidungen der Verantwortlichen immer hinterherhechelt.
Deshalb wird dies hier immer wieder zu einem Thema.
({1})
So ist zum Beispiel die ursprünglich geplante Verbindung zwischen Hamburg und Berlin, die erneut zu einem Thema geworden ist, hier schon sehr oft besprochen
worden. Die Haltung der Bundesregierung und auch der
SPD-Fraktion wird bestätigt, wenn man sich nur einmal
das Verkehrsaufkommen vor Augen hält. Man kann sich
auf dieser Strecke ohne Schwierigkeiten alleine im Zugabteil aufhalten, wenn man keine Kommunikation
wünscht, was ja auch ein Vorteil der Eisenbahn ist; denn
diese Züge sind leer. Wenn ich mir vorstelle, dass zehnmal so viele Personen diese Strecke mit dem Transrapid
befahren sollten, kann ich nur sagen: Es gibt Menschen,
die etwas aus Fehlern lernen, aber es gibt auch Menschen,
die unbelehrbar sind. Dazu zählt in diesem Fall die F.D.P.,
was die Strecke Hamburg-Berlin für den Transrapid betrifft.
({2})
Wenn Sie diese Technik ernsthaft favorisieren, dürfen
Sie auf keinen Fall an solchen Ideen festhalten. Denn
wenn nach Ihren Planungen und nach den Vorstellungen
des Konsortiums diese Strecke im Jahr 2003 fertig gestellt
wäre, müsste bereits nach wenigen Monaten Konkurs angemeldet werden, weil das prognostizierte Aufkommen
überhaupt nicht realisierbar ist. Wenn Sie diese Technik
wollen, müssen Sie die Verfahren unterstützen, die einvernehmlich zwischen dem Konsortium, also der InHorst Friedrich ({3})
dustrie, und der Bundesregierung entwickelt worden sind,
so wie wir das tun.
Es liegt auch nicht im Interesse der Bahn, die Transrapidstrecke Hamburg-Berlin wie einen Klotz ans Bein gebunden zu bekommen. Dies wäre zum Schaden der
Bahn AG gewesen. Wir sind Herrn Mehdorn dankbar,
dass er in diesem Fall die Notbremse gezogen hat. Das hat
uns vor Schaden bei der Eisenbahn, aber auch bei der
Transrapidtechnik bewahrt.
({4})
Zur Politik gehört auch, dass man für Einsichten empfänglich ist. Das - so muss ich leider sagen - vermisse ich
heute nicht zum ersten Mal, sondern das ist schon häufiger der Fall gewesen.
Die Bundesregierung hat ihren Beitrag zur Förderung
dieser Technik geleistet. Sie haben nicht von dem gesprochen, was in China vereinbart wurde. - Wenn Sie jetzt an
der Regierung wären, hätten Sie ein Hosianna angestimmt, aber jetzt ist Ihnen das keinerlei Erwähnung
wert. - In China besteht die Möglichkeit, diese Technik
auch in der Praxis zu erproben, und dort wohnen mehr
Menschen als in der Norddeutschen Tiefebene. Das muss
man einmal so nüchtern feststellen. An diesen Fakten
kommen wir nicht vorbei.
({5})
Ich erinnere an die Vereinbarung des Verkehrsministers
Klimmt mit dem damaligen amerikanischen Verkehrsminister Slater. Bei solchen Unternehmungen wird versucht, Elemente der Verkehrspolitik mit der Industriepolitik zu verbinden, so wie es bei Ihnen ursprünglich auch
der Fall war. Aber Sie halten jetzt ausschließlich an alten
Zöpfen fest.
Es gibt weitere positive Elemente, die von entscheidender Bedeutung für den Technologiestandort Deutschland sind. Wir sind vorangekommen. Bei der alten Bundesregierung war es immer so, dass unmittelbar vor einer
Debatte im Bundestag das große Interesse von fast jedem
Staat auf der Welt am Transrapid beschworen wurde. Leider musste man dann feststellen, dass fast all das wie eine
Seifenblase zerplatzte. Wenn man die konkrete Entwicklung betrachtet, muss man feststellen, dass die neue Regierung auf diesem Gebiet wesentlich weiter vorangekommen ist.
Sie haben auch in der Antwort auf Ihre Große Anfrage
festgestellt, dass es jetzt fünf konkrete Projekte gibt.
Dazu möchte ich angesichts der Erfahrungen mit der
Strecke Hamburg-Berlin eine Bemerkung machen. Die
Technik des Transrapid ist nicht dazu bestimmt, einen
Flughafen mit einer Innenstadt zu verbinden, jedenfalls
langfristig nicht.
({6})
- Nun bleiben Sie einmal ganz ruhig! Was Sie in diesem
Zusammenhang geleistet haben, ist nichts.
({7})
Es geht jetzt um den Antrag der F.D.P. und um die Beantwortung der Großen Anfrage, Herr Fischer. Es wäre gut,
wenn Sie nachher bestätigen könnten, was ich über die
Auslastung der Eisenbahnverbindung zwischen Hamburg
und Berlin gesagt habe; denn Sie sind auch sehr häufig
Fahrgast auf dieser Strecke. Ich bin gespannt, ob Sie da
ehrlich sein werden; denn dann werden Sie zu anderen
Erkenntnissen kommen.
Ich wollte in einem Punkt in der Tendenz gern Herrn
Friedrich Recht geben: Die Technik des Transrapid ist für
lange Distanzen bestimmt, da kann sie ihre Vorzüge voll
ausspielen. Ich meine aber, wenn sich die kürzeren
Streckenführungen bewähren werden, wird auch der Einstieg in lange Verbindungen möglich. Das kann man aber
nicht von vornherein tun, wenn die Praxiserfahrung noch
fehlt.
In Japan hat man dies intelligenter gelöst, indem man
die Referenzstrecke dort angesiedelt hat, wo nachher die
bevölkerungsreichsten Gegenden miteinander verbunden
werden, sodass die Investitionen letztlich nicht in Gänze
verloren sind.
In Bezug auf die neuen Projekte wird noch in diesem
Jahr eine Entscheidung getroffen werden. Das hoffe ich
jedenfalls.
Darüber hinaus, Herr Friedrich, werden Sie bei den
nächsten Haushaltsberatungen feststellen, dass auch Geld
für Lathen vorhanden sein wird. Bis dahin ist es nicht
notwendig, dass Sie erneut eine Große Anfrage stellen
oder eine Debatte zu diesem Thema beantragen.
({8})
- Natürlich können Sie das machen. Aber es bringt in der
Sache nichts. Sie können machen, was Sie wollen. Bisher
hatte ich immer geglaubt, dass Sie mit Ihrer Politik der
Sache dienen wollen. Diesen Eindruck habe ich heute bei
Ihrer Rede leider nicht gehabt.
({9})
Es ist eine sorgfältige Prüfung aller Studien notwendig.
Hamburg und Berlin haben von Ihrer Idee, dort eine Transrapidverbindung zu schaffen, nicht profitiert. Die Eisenbahnverbindung ist im Vergleich zu anderen größeren
Städten der Bundesrepublik die schlechteste, weil man
versucht hat, eine Konkurrenz zum Transrapid frühzeitig
zu vermeiden. Diese falsche Politik hat sich zulasten von
Berlin und Hamburg ausgewirkt. Deshalb freut es mich,
dass mehr als 1 Milliarde DM investiert wird, um die Geschwindigkeit auf dieser Strecke auf über 200 Stundenkilometer zu bringen.
({10})
Reinhold Hiller ({11})
Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Fischer?
Nein, ich bin am
Ende meiner Ausführungen. Ich möchte nur noch mein
Schlusswort sagen.
Insgesamt gesehen - das hat die Bahndebatte gezeigt ist die Bahn bei der neuen Bundesregierung in guten Händen. Auch die Technik für den Transrapid ist bei der rotgrünen Regierung in guten Händen.
Herzlichen Dank.
({0})
Als
nächster Redner hat der Kollege Dr. Hermann Kues von
der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Hiller, irgendwie hat der Transrapid doch noch etwas mit Logik zu
tun. Sie haben eben gesagt, die Technik des Transrapid sei
für lange Distanzen ausgelegt. Im gleichen Atemzug reden Sie vom Metrorapid in Nordrhein-Westfalen. Viel intensiver tut das der dortige Ministerpräsident. Das passt
alles nicht zusammen.
({0})
Das wird auch nicht die letzte Transrapiddebatte im
Bundestag sein. Der F.D.P.-Antrag ist schon etwas älter;
er ist nicht eher beraten worden. Dafür gibt es viele
Gründe. Der entscheidende Grund dafür ist - das müssen
Sie zur Kenntnis nehmen; das müssen wir immer wiederholen -, dass es in der Koalition von SPD und Grünen riesengroße Widersprüche beim Thema Transrapid gibt.
({1})
Sie fahren kreuz und quer durch die Republik und erzählen den Menschen mal dieses und mal jenes, je nachdem, was gerade gut ankommt. Der Transrapid - deswegen werden wir es immer wieder thematisieren - ist und
bleibt ein Paradebeispiel dafür, wie SPD und Grüne mit
neuen, zukunftsweisenden Technologien, in diesem Fall
Verkehrstechnologien, umgehen. Reden, auch hier im
Bundestag, Herr Kollege Schmidt, ist das eine. Die Tatsachen sind das andere.
({2})
Ich habe mich manchmal gefragt, was der Verkehrsminister, der 1969 im Amt war - das war Georg Leber -, und
der damalige Finanzminister - das war Helmut Schmidt -,
die damals die Grundentscheidung für den Transrapid
getroffen haben, wohl dazu sagen würden, dass drei Jahrzehnte später die Nachfolgegenossen nicht nur eine voll
konzipierte Planstrecke Hamburg-Berlin kippen und
350 Millionen DM Planungskosten sprichwörtlich in den
Sand setzen, sondern dass sie sich erneut mit großem öffentlichen Buhei und einem kaum glaublichen Hin und
Her Gedanken über eine neue Referenzstrecke machen,
die plötzlich wirtschaftlicher sein soll und für die man,
wenn man den Erklärungen Glauben schenken darf, von
vornherein öffentliche Mittel in begrenzter Höhe einsetzt.
Wie das alles funktionieren soll und was die sich angesichts der heutigen Situation wohl denken würden, das
würde mich interessieren.
Ende der 80er-Jahre gab es in Niedersachsen einen
Ministerpräsidentenkandidaten, der Gerhard Schröder
hieß. Der hat damals die Anwohner an der zu diesem Zeitpunkt in Aussicht genommenen Referenzstrecke Hamburg-Berlin, und zwar Ort für Ort und Dorf für Dorf, besucht und hat gesagt, es gebe keine wirtschaftlichen
Gründe gegen den Transrapid, aber aus Umweltgründen
könne man ihn nicht akzeptieren. Ende der 90er-Jahre
wurden diese Umweltgründe nicht mehr aufrechterhalten.
Jetzt wurden plötzlich wirtschaftliche und finanzielle
Aspekte ins Feld geführt.
Sie schenken den Menschen keinen klaren Wein ein,
weil Sie nicht wissen, was Sie wollen sollen. Ihr Reden
und Handeln wird ausschließlich von vordergründigem
Opportunitätsdenken bestimmt. Das war schon bei der
Kernenergie so; darüber haben wir heute Mittag diskutiert. Die Quittung für dieses Auf-den-Arm-Nehmen der
Menschen bekommen Sie aktuell im Wendland.
Ich befürchte, dass das bei der Magnetschwebebahntechnik nicht anders sein wird. Ich will das am Beispiel
der Diskussion über die Referenzstrecke belegen - denn
dazu hat die F.D.P. einen Entschließungsantrag eingebracht -: Im Mai und dann wieder im September 2000 erklärte zum Beispiel die niedersächsische Landesregierung
- ich habe sämtliche diesbezüglichen Zeitungsausschnitte
dabei -, es spreche vieles dafür, dass als eine von zwei
möglichen Referenzstrecken die Strecke Leer-Oldenburg-Bremen-Hamburg, die über Groningen nach
Schiphol weitergeführt werden soll, ausgewählt werde.
Die Entscheidung falle noch im Jahr 2000. Der damalige
Verkehrsminister hieß Klimmt; Sie kennen ihn hoffentlich
noch. - Das war also im September 2000.
Am 23. Januar 2001 erklärte der aktuelle Verkehrsminister, zwei Streckenführungen oder zwei Standorte würden nicht nur einer zügigen, sondern - man höre und
staune - einer vertieften Machbarkeitsstudie unterzogen,
nämlich der Metrorapid in Nordrhein-Westfalen, also
die Strecke von Düsseldorf nach Dortmund, und die Anbindung des Münchener Flughafens an die Münchener
Innenstadt. Beide Projekte seien aus einer Anzahl von
von anderen Bundesländern angemeldeten Projekten ausgewählt worden. Auch daran könne man schon erkennen
- so wurde das „vertieft“ begründet -, dass es sich um eine vertiefte Machbarkeitsstudie handele. - Das war am
23. Januar 2001.
Am 24. Januar, einen Tag später, berichtete der von mir
geschätzte SPD-Kollege Reinhold Robbe aus Ostfriesland nach einem Gespräch mit Minister Kurt Bodewig, in
Kürze könne auch die Trasse Amsterdam-Groningen-Bremen-Hamburg wieder in die engere Wahl kommen. Wörtlich sagte er:
Ich habe in der SPD-Bundestagsfraktion zahlreiche
Verbündete, die mit mir diese Sache bis Hamburg
durchziehen wollen.
({3})
Weiterhin sagte er, dass Herr Bodewig der Region in absehbarer Zeit diesbezüglich einen Besuch abstatten
werde. Der Besuchstermin steht mittlerweile fest. Da wird
man sich überlegen, ob man die Strecke bis Hamburg
bauen will.
Am 3. März dieses Jahres, also nicht einmal zwei Monate später, kam Ministerpräsident Clement mit einem
Tross von rund 100 Begleitern in einem Sonderwagen des
Interregio zur Versuchsstrecke ins Emsland, um sich den
Transrapid anzusehen. Bahnchef Mehdorn war auch dabei. - Er ist übrigens nicht mit der Bahn angereist, sondern mit dem Hubschrauber.
({4})
Das ist ein Hinweis darauf, wie die Verkehrsverbindungen
zu etwas entlegeneren Gebieten sind. - Dieser hat dort erklärt, die Bahn werde gemeinsam mit dem Bund und dem
Land das Projekt realisieren. Mit der herkömmlichen
Rad-Schiene-Technik seien die Herausforderungen des
Verkehrs in Zukunft nicht mehr zu bewältigen.
({5})
Derselbe Herr Mehdorn hatte noch im Januar 2000 im
Ausschuss erklärt, er könne den Transrapid in einer dicht
bewohnten Region wie Deutschland nicht gebrauchen.
Herr Clement hat im Hinblick auf die Finanzen erklärt
- dazu haben Sie, Herr Hiller, nicht das gesagt, was hätte
festgestellt werden müssen; Sie haben zwar etwas zur Versuchsstrecke im Emsland, aber nichts zu den Finanzen gesagt -, die gesamte Strecke koste 7,2 Milliarden DM.
2,7 Milliarden DM müssten aus privaten Kassen fließen.
Insgesamt 4,4 Milliarden DM erhoffe er sich vom Bund,
90 Millionen DM wolle man vom Land - eine solche
Summe vom großen Land NRW! - beisteuern.
({6})
Herr Clement sagte weiter: Für den Fall, dass sich der
Bund darüber hinaus auch für den Bau der Flughafenverbindung München durch den Transrapid entscheiden
solle, müssten die Bundesmittel entsprechend aufgestockt
werden. Bereits im April dieses Jahres - April haben wir
ja in Kürze - werde eine deutsche Großbank ihr Finanzgutachten vorstellen. Der Transrapid sei ein Quantensprung in der Verkehrstechnik. - Das war am 3. März dieses Jahres.
Am 15. März erklärte der niederländische Ministerpräsident Kok dem niedersächsischen Ministerpräsidenten
Sigmar Gabriel, mit dem Bau der Transrapidstrecke Groningen-Hamburg könne es erst etwas werden, wenn die
Finanzen geklärt seien. Herr Gabriel zeigte sich „in gewisser Hinsicht erleichtert“, dass Den Haag noch nicht
endgültig entscheiden wolle. Am 16. März erklärte derselbe Herr Gabriel - ich glaube, im Landtag -, die Chancen für den Bau einer Transrapidstrecke vom niederländischen Groningen über Leer und Oldenburg nach Hamburg
seien gestiegen. Er rechne natürlich mit einer finanziellen
Unterstützung von Bund und Europäischer Union; denn
beim Nord-Transrapid - so nennt er ihn - sei die europäische Dimension interessant.
({7})
Das alles - ich könnte noch weitere Beispiele anführen - spielt sich ab, ohne dass auch nur im Ansatz geklärt
ist, wie das Ganze finanziert werden soll, wie es planerisch umgesetzt werden soll. Sie nehmen die Menschen
auf den Arm.
({8})
Und solange Sie die Menschen auf den Arm nehmen, werden wir das hier zum Thema machen; denn das, was Sie in
der Öffentlichkeit, von München über Düsseldorf bis nach
Hannover, vortragen, muss auch hier erörtert werden.
Herr Hiller, Sie wissen ganz genau, dass sich der Hamburger Senat noch kürzlich für die Strecke Hamburg-Berlin ausgesprochen hat. Sie wissen auch ganz genau, dass
Sie seinerzeit einen Antrag eingebracht haben, nicht eine
Strecke von Hamburg bis Berlin, sondern eine Strecke von
Hamburg bis zum neuen Flughafen Schönefeld anzubieten.
Ihre Argumente passen nicht zusammen. Sie führen die
Menschen an der Nase herum, das ist das Ärgerliche.
({9})
Sie wollen im Grunde genommen nicht zugeben, dass das
Kippen der Strecke von Hamburg nach Berlin eine grandiose Fehlentscheidung gewesen ist. Diese Entscheidung
ist nicht nach sachlichen Gesichtspunkten getroffen worden, sondern nach rein ideologischen.
Über die Wirtschaftlichkeit reden wir, wenn ich Ihre Ministerpräsidenten ernst nehmen kann. - Hier wurde gesagt,
das könne im Landtag von Hannover diskutiert werden. Ihre Ministerpräsidenten, Herr Clement und Herr Gabriel
- letzterer wurde vom Bundeskanzler sogar als sein potenzieller Nachfolger dargestellt; er wird uns hier irgendwann
noch blühen -, kündigen in ihren Ländern an: Es kommen
Milliardensummen vom Bund. Wenn ich Ihre Ministerpräsidenten ernst nehme - das tue ich jetzt einmal -, dann
müssen Sie sich schon die Frage gefallen lassen, wie Sie
das in die Finanz- und Haushaltsplanung einstellen wollen und wie das überhaupt in den Bundesverkehrswegeplan
eingebaut werden soll. Die Öffentlichkeit hat einen Anspruch auf Beantwortung dieser Frage.
({10})
Ich sage noch einmal ganz klar: Die Art und Weise, wie
die Bundesregierung und auch Sie seitens der SPD und
der Grünen mit der Magnetschwebebahntechnik umgehen, ist ein Trauerspiel. Es ist technologiepolitisch ein
Trauerspiel. Es ist verkehrspolitisch ein Trauerspiel. Es ist
umweltpolitisch ein Trauerspiel.
Herzlichen Dank.
({11})
Als
nächster Redner hat der Kollege Albert Schmidt vom
Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Ein Trauerspiel“ habe ich gerade gehört. Ich
finde, was Sie mit dem Thema inzwischen machen, ist
eine Posse.
({0})
Womit würden wir unsere Donnerstagabende hier im Plenum füllen, wenn es das Thema Transrapid einmal nicht
mehr gäbe?
Was uns hier jetzt vorliegt, ist eine Große Anfrage der
F.D.P., die zehn Fragen umfasst. Als ich noch in der Opposition war, nannte man so etwas eine Kleine Anfrage.
Die Bundesregierung hat, wie ich finde, präzise, kurz
und knackig geantwortet, und zwar schon im August 2000. Alles, was dort steht, ist längst durch alle Zeitungen gegangen. Ich habe die Sache gedreht und gewendet, ich habe mir überlegt: Was könnte ich Neues in der
Debatte sagen, was nicht schon gesagt wurde? Ich muss
sagen: Mir ist nichts eingefallen. Wenn ich etwas Neues
hätte, hätte ich zudem keine Stimme, um Ihnen das mitzuteilen.
Deswegen verzichte ich auf den Rest der Redezeit und
wünsche Ihnen einen schönen Abend.
({1})
Als
nächster Redner hat der Kollege Dr. Winfried Wolf von
der PDS-Fraktion das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mir
etwas Ähnliches überlegt,
({0})
aber dann, als der Kollege Dr. Kues gesprochen hat, gedacht, dass es doch etwas Neues gibt. Das Neue besteht
darin, dass nicht die SPD und die Grünen jemanden an der
Nase herumführen und auch vorher, in den Jahren 1969
bis 1999, die Herren Leber, Wissmann, Krause, Müntefering
und Klimmt niemanden an der Nase herumgeführt haben.
Vielmehr war die Industrie, die hinter diesem Projekt
steht, in der Lage, jahrzehntelang diversen Parteien, Regierungen, Verkehrsministern und der Öffentlichkeit permanent vorzugaukeln, der Transrapid würde irgendwann
ein Erfolg.
({1})
Es ist wahr, dass über das Projekt für die Strecke Hamburg-Berlin in Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern,
Brandenburg und Berlin - dort hatte auch immer die SPD
Regierungsverantwortung - gesagt wurde: Ja, das machen
wir. Auch der Autokanzler hat gesagt: Das ist ein sinnvolles Projekt. - Dass das Projekt gestoppt worden ist, ist
gut. Das wurde uns lang und breit vorgerechnet. Aber die
Zahlen aus den Jahren 1999 und 2000, die zum Stopp des
Projekts geführt haben - sie stammen dankenswerterweise von den Grünen -, lagen im Grunde schon vor acht
oder zehn Jahren vor.
Mein Eindruck ist: Es ist teilweise noch so, dass SPD
und Grüne etwas herumeiern,
({2})
auch wenn die Entscheidung, die Strecke Hamburg-Berlin nicht zu bauen, richtig ist. Es wurde nun allerdings vorgeschlagen, den Transrapid dort einzusetzen, wo bisher
alle gesagt haben: Dort gehört er nicht hin. Dort, wo
Straßenbahnen und S-Bahnen verkehren, gehört ein
Transrapid mit einem Tempo von 400 plus X wirklich
nicht hin. Jetzt wurden aber ernsthaft Projekte vorgeschlagen - sei es im Ruhrgebiet oder in München -, wo
der Transrapid konkret keinen Sinn macht, sondern im
Gegenteil an Zeitersparnis und Energieersparnis nichts
bringt. Auch entstünde gebrochener Verkehr. Diese Projekte wären zudem noch teurer als die herkömmliche RadSchiene-Technik.
Deswegen sind wir gespannt und gelassen und werden
sehen, wie es weitergeht. Wir fordern, dass die Gelder in
diesem Bereich in die Schiene gesteckt werden. Nachdem
2,25 Milliarden DM investiert wurden, müsste der Transrapid, sollte er wirklich zukunftsfähig sein, eigenständig
zukunftsfähig sein. Wir glauben, dass dies auch für
Schanghai gilt. Auch steht noch aus, dass das geltende
Magnetschwebebahnbedarfsgesetz aufgehoben wird, in
dem gesetzlich verankert ist, dass zum einen die Strecke
Hamburg-Berlin gebaut werden muss und zum anderen
dieser Bedarf nicht hinterfragt werden darf. Allein aus politischen Gründen sollte man dieses Gesetz beseitigen.
Danke schön.
({3})
Ich
schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Entschließungsantrag auf Drucksache 14/5690 zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen und zur Mitberatung an den Ausschuss für
Wirtschaft und Technologie, den Ausschuss für Angelegenheiten der Europäischen Union und den Haushaltsausschuss zu überweisen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:
Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Künftige Gestaltung der Standortwerbung zur
Gewinnung ausländischer Investitionen für
Deutschland
- Drucksache 14/4240 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({0})
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für Kultur und Medien
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der
Kollege Dr. Ditmar Staffelt von der SPD-Fraktion das
Wort.
Herr Präsident! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Ich halte die Ergebnisse,
die wir in der Unterrichtung durch die Bundesregierung
nachlesen können, für sehr erfreulich. Die Gestaltung der
Standortwerbung ist weiter optimiert worden, die Strukturen sind verbessert worden und die Kooperation zwischen den Trägern der Standortwerbung ist in sehr viel
stärkerem Maße koordiniert. Letztendlich haben wir Ergebnisse erzielt, die sich sehen lassen können. Dies gilt es
erst einmal festzuhalten.
({0})
Ich finde, es ist gut, dass wir diese Standortwerbung
mit unterschiedlichen Mitteln und Methoden betreiben.
Im Mittelpunkt steht natürlich das Büro des Beauftragten
für Auslandsinvestitionen. Ich halte es für gut, dass es
gelungen ist, Hilmar Kopper für diese Aufgabe zu gewinnen. Wir wissen alle, dass er als Persönlichkeit des Wirtschaftslebens im Ausland eine hohe Reputation hat. Wir
hoffen, ihn auch für die kommenden Jahre für diese für
unser Land wichtige Funktion gewinnen zu können.
({1})
Wir sind sehr zufrieden, dass es gelungen ist, beim Industrial Investment Council, das ja speziell für Ostdeutschland geschaffen worden ist und zahlreiche Erfolge
vorzuweisen hat, die Harmonisierung der Zusammenarbeit zu verbessern. Ich will in diesem Zusammenhang auf
die vielen Aktivitäten der Wirtschaftsförderungsgesellschaften der verschiedenen Bundesländer und der Auslandskammern verweisen, die zusammen dazu beitragen,
das Bild Deutschlands hinsichtlich seiner wirtschaftlichen
Stärke und Attraktivität zu verbessern.
Lassen Sie mich etwas zu den Ergebnissen sagen: Die
Auslandsinvestitionen in Deutschland betrugen 1997
10 Milliarden Euro, 1998 beliefen sie sich auf 19 Milliarden Euro, 1999 auf 49 Milliarden Euro und im Jahre 2000
wurden Investitionen ausländischer Unternehmen in
Deutschland in einer Größenordnung von 200 Milliarden Euro getätigt. Ich meine, das ist weiß Gott eine Leistungsbilanz, die sich sehen lassen kann. Natürlich können
Sie sagen, dass darin auch der große Übernahmedeal Vodafone/Mannesmann mit enthalten ist. Aber selbst wenn
Sie den herausrechneten, wären es noch 100 Milliarden Euro: das ist gegenüber den Ergebnissen von 1997
eine Verzehnfachung. Ich glaube, Herr Uldall, Sie sollten
dazu mal etwas Positives sagen, wenn Sie hier das Wort
ergreifen.
({2})
Das Ganze kommt ja nicht von ungefähr. Wenn Sie sich
in Nordamerika in den letzten Monaten mit Experten der
Wirtschaft, Vertretern von Unternehmen oder Vertretern
der Finanzmärkte über Deutschland unterhalten haben,
konnten Sie leicht feststellen, dass insbesondere die Reformvorhaben dieser Bundesregierung - die Steuerreform beispielsweise - wesentliche Investitionsvorbehalte
der Vergangenheit abgebaut und die Finanzmärkte sowie
die Unternehmen für Deutschland verstärkt interessiert
haben. Dieses Interesse hat sich auch in konkreten Investitionen niedergeschlagen. Das ist ein großer Erfolg auch
dieser Regierung; das muss man immer wieder sagen.
({3})
Das Gleiche gilt für die Haushaltskonsolidierung
- sprechen Sie auch darüber mit Wirtschaftsexperten in
Nordamerika - als eine Voraussetzung für die Stabilität einer Volkswirtschaft. Für die Anstrengungen auf diesem
Gebiet besteht eine hohe Anerkennung in den Vereinigten
Staaten von Amerika, Kanada und vielen anderen Ländern. Natürlich gibt es auch Erwartungen, beispielsweise
in die Umsetzung der Rentenreform. In diesem Punkt sollten Sie sich vielleicht in den eigenen Reihen einmal die
Sporen geben, damit wir das Ganze unter Dach und Fach
bekommen.
({4})
Verschiedene Branchen haben sich gut entwickelt und
aufgeholt, beispielsweise die Biotechnologie, bei der wir
heute an der Spitze rangieren. Weiter nenne ich den Aufholprozess in der Informations- und Kommunikationstechnologie. Wir lagen in diesem Bereich im Mittelfeld
und liegen jetzt gemeinsam mit den Skandinaviern an der
Spitze in Europa und haben Anschluss an Nordamerika
- den Maßstab, dem wir uns zu stellen haben - gefunden.
In diesem Zusammenhang finde ich es ganz wichtig, dass
ein Mann wie Hilmar Kopper - Herr Uldall, Sie werden
sich daran erinnern - im Wirtschaftsausschuss des Bundestages darauf hingewiesen hat, die aufgezeigten Ergebnisse seien nicht irgendwelche Behauptungen unter parteipolitischem Blickwinkel. Er hat erklärt: Diese
Steuerreform bedeutet für internationale Unternehmen einen Durchbruch und wird Deutschland in ein ganz anderes Licht rücken, als das bisher der Fall war.
({5})
- So ist es.
({6})
- Hören Sie doch auf! Wenn ich Sie nicht so gut kennte,
müsste ich jetzt vermuten, dass hier ein Vertreter der sozialistischen Partei von der ganz linken Seite des Hauses
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
steht. Dass sich die F.D.P. über Konzernpolitik mokiert,
hat Ihnen Herr Brüderle ein paar Wochen vor den letzten
Landtagswahlen eingeflößt; denn ansonsten haben Sie
doch immer mit allen Konzernen dieser Republik auf Du
und Du gestanden. Warum grenzen Sie die Konzerne auf
einmal aus?
({7})
Wir brauchen die Konzerne genauso wie einen starken
Mittelstand in unserem Lande. Wir arbeiten sowohl für
die einen wie für die anderen, weil es gegenseitige Abhängigkeiten gibt und nur so Arbeitsplätze in unserem
Lande erhalten werden können. Lassen Sie doch Ihre Polemik!
({8})
Ich füge hinzu - ich bitte, das bei allen Betrachtungen
über den Standort Deutschland immer zu berücksichtigen -: Zu den Rahmenbedingungen in unserem Land
gehören auch der soziale Friede, der Umgang von
Arbeitnehmern und Unternehmern miteinander, genauso
wie eine hohe Qualifikation der Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter in den Unternehmen, hervorragende
Bildungseinrichtungen und eine offene Gesellschaft, der
wir uns stellen und für die wir Rahmenbedingungen
schaffen wollen.
Summa summarum glaube ich: Diese Bundesrepublik
Deutschland kann sich mit Recht in der Welt gut präsentieren. Wir freuen uns, dass die einschlägigen Institutionen besser als in der Vergangenheit zusammenarbeiten.
Ich glaube, dass es uns aufgrund der Rahmenbedingungen, die wir gesetzt haben, auch in Zukunft gelingen wird,
weitere wichtige Investitionen aus dem Ausland nach
Deutschland zu holen. Herr Uldall, verweisen Sie gleich
nicht nur auf Negatives. Sie wollen ja stolz auf unser Land
sein. Das können Sie in diesem Zusammenhang auch sein.
Weisen Sie also auf das Gute hin!
({9})
Als
nächster Redner hat das Wort der Kollege Gunnar Uldall
von der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Ich möchte mit einem Dank an
Hilmar Kopper, den früheren Vorstandsvorsitzenden der
Deutschen Bank, beginnen. Herr Kopper hatte im Jahre
1998 auf unsere Initiative hin, die Initiative der F.D.P.und der CDU/CSU-Fraktion,
({0})
als One-Dollar-Man die Aufgabe übernommen, für den
Standort Deutschland im Ausland zu werben. - Wie sehr
das schon in Vergessenheit geraten ist, hat eben der Zwischenruf des Herrn Staatssekretärs gezeigt. Herr Staatssekretär, Sie haben vergessen, dass Sie damals, als diese Geschichte angeschoben wurde, noch in der Opposition und
dass wir an der Regierung waren. Sie haben zwar eine positive Rolle gespielt. Das rechne ich Ihnen persönlich
hoch an. Aber wir wollen die Dinge nicht verzerrt darstellen.
Wie gesagt, ich bedanke mich als Erstes bei Hilmar
Kopper, dass er diese Aufgabe übernommen hat, und bei
seiner Kollegin Frau Martens-Jeebe. Wir bedanken uns
ebenso bei Herrn Christoph von Rohr und Herrn Feuerstein
vom Management des Industrial Investment Council, die
sich ihrer Aufgabe entsprechend um die Ansiedlung von
Unternehmen in den neuen Bundesländern kümmern. Das
war angesichts der Infrastrukturdefizite, die es damals in
den neuen Bundesländern gab und die es zum Teil auch
noch heute gibt, nicht immer leicht. Umso mehr freuen
wir uns über die Ergebnisse der Arbeit des IIC.
Die Verstärkung der Werbung um ausländische Investoren geht auf eine Initiative der CDU/CSU-F.D.P.-Regierungskoalition in der vergangenen Legislaturperiode
zurück. Herr Staffelt hatte mich eben aufgefordert, ruhig
einmal mit Stolz auf etwas Positives hinzuweisen. Selbst
nach den eng gefassten Kriterien der Sozialdemokraten
bezüglich der Frage, wann man stolz sein darf, muss ich
sagen: Herr Staatssekretär, auf diesen Punkt sind wir
stolz; denn das war unser Werk. Das lassen wir uns nicht
kaputtreden.
({1})
Vergessen wir nicht die damalige Situation. Ich selbst
habe einmal in Tokio 16 verschiedene Dienststellen - ich
betone: 16 verschiedene Dienststellen - gezählt, die sich
um die Akquisition von Investoren für Deutschland
bemühen. Das ist eine echte teutsche Mannigfaltigkeit.
Niemand weiß, an wen er sich wenden kann und wer zuständig ist.
Deswegen entstand unser Gedanke, eine zentrale Ansprechinstitution im Ausland zu gründen. In Tokio oder
New York kennt doch kein Mensch den Unterschied zwischen Sachsen, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt - dort
weiß man kaum, dass es den Begriff Sachsen in Deutschland überhaupt gibt -, da können wir doch beim besten
Willen von keinem Investor in Übersee verlangen, zwischen diesen drei Bundesländern zu unterscheiden. Aus
diesem Grund haben wir eine gemeinsame Institution geschaffen.
Es ist also einiges Gutes auf den Weg gebracht worden;
dennoch gibt es auch in diesem Bereich noch viel zu tun.
Bei der Frage der institutionellen Vertretung Deutschlands im Ausland müssen wir zum Beispiel die Koordinierung mit den Ländern weiter verbessern. Ich weiß, dass
das angesichts unserer 16 selbstbewussten Bundesländer
eine schwierige Aufgabe ist; aber, Herr Staatssekretär,
dann muss die Bundesregierung eben noch ihre Schularbeiten erledigen und mit großer Nachhaltigkeit, Energie
und Konsequenz dafür sorgen, dass die Koordination in
der Ansiedlungs- und Akquisitionsphase durch zentrale
Ansprechpartner gewährleistet wird. Wenn es später darum geht, die Betriebe in Deutschland bis zur Produktion
zu begleiten, mag das von den Ländergesellschaften übergenommen werden, aber eine falsche Konkurrenz, eine
falsche Eifersucht zwischen den Bundesländern ist nicht
länger vertretbar.
Der Kollege Staffelt kann das, was nun folgen wird,
leider nicht mehr hören, weil er schon gehen musste. Ich
kann aber auch so bestätigen, dass Deutschland ein guter
Investitionsstandort ist; das ist überhaupt keine Frage. Wir
können mit Stolz darauf blicken, wie sich Deutschland
entwickelt hat. Die Probleme, die wir Anfang der 90erJahre mit der Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands hatten, haben wir Mitte der 90er-Jahre beseitigt. Um die
Wettbewerbsnachteile abzuschaffen, um überkommene
Strukturen in vielen Betrieben mancher Branchen zu
überarbeiten, waren große Anstrengungen notwendig;
doch diese Arbeiten haben wir bis Mitte der 90er-Jahre
abgeschlossen. Seitdem haben wir große Sprünge nach
vorne gemacht. Ich will drei Branchen als Beispiele herausgreifen.
Zum Maschinenbau: Wir erinnern uns noch genau, welche Probleme damals den deutschen Maschinenbau bewegten. In der Zwischenzeit sind die großen Strukturprobleme
von den Unternehmen beiseite geräumt worden. Heute liegen unsere Maschinen- und Anlagenexporteure hinsichtlich
ihrer Leistungsfähigkeit im weltweiten Vergleich auf
Platz 1. Das ist eine große Leistung, die unsere Unternehmen erbracht haben; darüber können wir uns freuen.
({2})
Zum Automobilbau: Erinnern wir uns an die Sorgen,
die wir wegen der japanischen und amerikanischen Konkurrenz damals hatten! In der Zwischenzeit sieht das Bild
ganz anders aus: Die japanische Automobilindustrie wird
uns von keinem mehr als das Musterbeispiel Nummer 1
vorgehalten. Vielmehr beteiligen sich unsere Unternehmen heute an den großen japanischen und amerikanischen
Automobilherstellern und produzieren in diesen Ländern.
Insofern können wir sagen, dass die deutsche Automobilbranche die Nummer 1 in der Welt ist. Darauf können wir
als Deutsche stolz sein.
({3})
Zu den Finanzdienstleistern: Auch in diesem Bereich
hört man häufig, es seien die Amerikaner, die das Feld beherrschen. Es sind aber nicht nur die Amerikaner. Die mögen beim Investmentbanking zwar - das ist richtig - noch
vor den Deutschen liegen, aber was die Informationstechnologie der Finanzdienstleister angeht, sind unsere Unternehmen Spitze. Diese Technologien haben die deutschen
Unternehmen selber entwickelt. Heute können wir mit
Freude zur Kenntnis nehmen, dass wir uns aus der zweiten
oder dritten Reihe an die Spitze emporgearbeitet haben.
Es gibt eine ganze Reihe von Branchen, die man noch
nennen könnte. Deswegen kann man sagen: Die deutschen Unternehmen haben Mitte der 90er-Jahre die Umstrukturierungen abgeschlossen. Ich zitiere einen Slogan,
der damals, 1998, von uns gebraucht, aber immer belächelt wurde: Deutschland hat den Turnaround geschafft.
({4})
Damals sind wir nach vorne gekommen. Deutschlands
schwierige Branchen sind wieder an die Spitze gerückt.
Deswegen können wir feststellen: Die harten Schnitte erinnert sei an die Mühen und die Arbeit - wurden von der
Vorgängerregierung gemacht. Die Früchte kassiert heute
eine andere Regierung. So ist es im Leben nun einmal.
Wir freuen uns für alle Deutschen, dass diese Politik zu einem guten Ergebnis geführt hat und dass wir heute besser
dastehen als früher.
({5})
Die Welt ist dennoch nicht so schön, wie sie Herr Kollege Staffelt gezeichnet hat. Der Anstieg des Umfangs
ausländischer Investitionen in Deutschland - er selbst hat
das Beispiel Vodafone genannt - ist rechentechnisch
durch die Übernahme von großen Betrieben zu erklären.
Wenn man das berücksichtigt, dann sieht die Welt schon
ganz anders aus.
Wir müssen leider feststellen: Im Hinblick auf das
deutsche Ansehen bei ausländischen Investoren ziehen
wieder einige Wolken am Himmel auf. Das Wichtigste in
diesem Zusammenhang ist das Betriebsverfassungsgesetz. In Amerika schaut man auf ein solches Gesetzgebungswerk mit völligem Unverständnis. Man verfolgt
nicht, was im Einzelnen dahinter steht. In Bezug auf das
Mitbestimmungsmodell - in dieser Form gibt es das in
Amerika oder in anderen Ländern in Übersee gar nicht;
man hat es dort nie verstanden - hört man dort nur, dass
es von den Deutschen nicht nur nicht eingeschränkt, sondern sogar noch ausgebaut wird.
Dadurch werden die Akquisitionsbemühungen unserer
vor Ort operierenden guten Leute wesentlich erschwert.
Dies gilt erst recht, wenn die Mitbestimmungsregelungen
der EU Platz greifen, nach denen die Art der Mitbestimmung in einem Unternehmen vom Sitz des Konzerns abhängig ist. Die Konsequenz wird sein, dass man seinen
Konzernsitz nicht nach Deutschland, sondern ins Ausland
verlegt. Deswegen fordere ich die Bundesregierung auf,
sich ganz intensiv dafür einzusetzen, eine flexiblere Lösung zu finden, damit die Konzernspitzen nicht aus
Deutschland in andere Länder abwandern.
({6})
Weitere dunkle Wolken ziehen am Himmel mit der
Verlängerung des Postmonopols auf. Es geht in keinen
amerikanischen Kopf hinein, dass von dieser Regierung
das Postmonopol in Deutschland nicht nur nicht abgeschafft, sondern sogar noch verlängert wird.
Das, was sich jetzt negativ abzeichnet, muss verhindert
werden. Hoffentlich ist es zum Teil nicht schon zu spät.
Für die Regierung und für die Koalition bestehen zum
Beispiel noch Handlungsmöglichkeiten, was die Liberalisierung des Arbeitsmarktes angeht. In anderen Ländern versteht kein Mensch die deutschen Regelungen; sie
sind so kompliziert, dass noch nicht einmal wir Deutsche
sie richtig verstehen können. Wie soll man dann in Amerika Verständnis für diese Dinge haben?
Als Letztes möchte ich Folgendes sagen: Wir müssen
in Deutschland von der übermäßigen Betonung des Konsums wegkommen und wir müssen die Investitionen in
Deutschland verstärken. Es ist doch geradezu grotesk,
dass in einem Land wie Mecklenburg-Vorpommern 2 Milliarden DM für Investitionen ausgegeben werden,
während gleichzeitig die gleiche Summe für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, also für schlichten Konsum, zur
Verfügung gestellt wird.
({7})
Wir können uns das auf Dauer in Deutschland nicht erlauben.
Es gibt eine Reihe von Punkten, mit denen wir zufrieden sein können. Ich denke an den guten organisatorischen Aufbau. Damit meine ich zum Beispiel den Beauftragten für Auslandsinvestitionen oder die Tätigkeit des
IIC. Diese positiven Effekte werden aber durch verschlechterte wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen
beeinträchtigt. Wer mehr für die Ansiedlung in Deutschland tun will, muss vor allen Dingen auf eine gute Wirtschaftspolitik achten.
({8})
Als
nächster Redner hat der Kollege Werner Schulz, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kollege Uldall, was Sie sich wirklich gutschreiben können,
ist die Berufung des Beauftragten für Auslandsinvestitionen 1998. Das war, glaube ich, eine der letzten Amtshandlungen der Regierung Kohl und, wenn man so will,
vielleicht auch späte Einsicht; denn es ist ja ein Wunsch
aller Fraktionen gewesen, verstärkt etwas für die Werbung
des Standortes zu tun und sich verstärkt um die Akquirierung von Auslandsinvestitionen zu kümmern. Aber Sie
glauben doch nicht im Ernst, dass Sie das allein mit der
Einrichtung eines einzelnen Büros und mit der Benennung einer honorigen, bekannten, renommierten Persönlichkeit hinbekommen würden. Wenn hier die Rahmenbedingungen nicht stimmen würden, wenn hier, was Sie als
Letztes gesagt haben, nicht eine positiv ausstrahlende
Wirtschaftspolitik da wäre, würden normalerweise die
ausländischen Investoren nicht auf diesen Standort
schauen. Tatsache ist doch, dass nach langen Jahren der
Dornröschenschlaf vorbei ist, dass der Standort Deutschland aus diesem Dornröschenschlaf wieder erwacht ist
und dass vor allen Dingen die Wirtschaftspolitik, die
Haushaltskonsolidierung, die Steuerreform und viele Deregulierungsmaßnahmen dazu beigetragen haben, wieder
verstärkt ausländische Investitionen zufließen zu lassen,
dass die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Deutschland deutlich verbessert worden ist und wir
im Grunde genommen diesen Reformstau Schritt für
Schritt aufgelöst haben und dass man wieder auf Deutschland schaut, weil es sich lohnt, in Deutschland zu investieren.
Das trifft natürlich auch auf das zu, was durch das Industrial Investment Council, das IIC, in Abstimmung mit
den Auslandshandelskammern und der Wirtschaft geleistet worden ist. Ich glaube, dass auch die Abstimmung, die
Koordinierung bei der Werbung von Auslandsinvestitionen verbessert worden ist.
Auf der anderen Seite muss man aber feststellen, dass
auch die Konkurrenz nicht schläft, im Gegenteil. Wenn
man die finanzielle Ausstattung unserer Werbung sieht,
dann muss man feststellen, dass sich das doch noch auf
sehr niedrigem Niveau bewegt. Die Ausstattung vergleichbarer Einrichtungen unserer europäischen Konkurrenten ist ungleich besser. Das gilt selbst dann, wenn man
das Büro von Herrn Kopper und das IIC zusammen betrachtet. Hier ist durchaus Nachholbedarf festzustellen,
eine Aufgabe, die übrigens zwischen Bund und Ländern
gelöst werden muss. Die Standortwerbung ist ja doch
mehr oder weniger eine Aufgabe der Länder und Kommunen, auch wenn der Bund hier wichtige Unterstützung
leistet und eine entscheidende Anlaufstelle errichtet hat.
Wichtiger und wünschenswert ist, dass sich auch die
Länder daran beteiligen, dass die Aktivitäten der Länder
koordiniert werden, nicht nur weil der Bundesrechnungshof das angemerkt hat, sondern weil ja vor allen Dingen
die Länder von dieser Anlaufstelle profitieren. Ich hoffe,
dass die Entscheidungen dazu noch in diesem Jahre fallen
werden, und hoffe auch, dass die aufgetretenen Differenzen lösbar sind, so wie sich das angedeutet hat.
Ich glaube aber auch, dass die strategische Ausrichtung
hinsichtlich der Werbung von Auslandsinvestitionen
überprüft werden und viel stärker beispielsweise auf die
Bereiche Telekommunikation, E-Commerce, Medizintechnik und Dienstleistungen fokussiert werden muss,
weil hier vor allem die Erstinvestitionen für uns sehr
wichtig sind.
Der Standort Deutschland ist heute wieder ein attraktiver Standort. Er bietet hoch qualifizierte Arbeitnehmer,
eine überragende Infrastruktur - das hat sich herumgesprochen -, viele innovative Unternehmen und vor allem
Rechtssicherheit. Ich glaube, auch das sind wichtige Standortfaktoren, die dazu beitragen, dass uns hier wieder verstärkt ausländische Investitionen zufließen.
Das gilt auch für die neuen Bundesländer. Das muss ich
ausdrücklich betonen. Die neuen Bundesländer stellen ein
Gebiet dar, in das zu investieren sich lohnt, nicht nur
durch die bevorstehende Osterweiterung, wodurch sich
hier eine europäische Verbindungsregion aufbaut, sondern auch in Bezug auf das, was wir dort schon investiert
haben, was dort im Grunde genommen an Vorleistungen
erbracht worden ist. Wer heute in diese neuen Bundesländer investiert, der investiert in eine der dynamischsten Regionen Europas, der investiert letzten Endes in die Zukunft Deutschlands. Gerade hier kann man feststellen,
dass sich eine positive Tendenz abzeichnet. Der Fluss von
ausländischen Direktinvestitionen in die neuen Bundesländer hat zugenommen. Das ist doch zumindest ein positives Zeichen.
Ich danke ihnen.
({0})
Als
nächster Redner hat der Kollege Walter Hirche von der
F.D.P.-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Eine Debatte, in der sich die Fraktionen dieses Hauses im Grundsatz einig sind, dass man die Dinge
gemeinsam anpacken muss, ist positiv zu bewerten. Wenn
wir in Zukunft diesen Weg nicht gemeinsam weitergehen,
dann würden wir die Bemühungen um Stärkung der Auslandsinvestitionen in Deutschland torpedieren. Daran
kann keiner ein Interesse haben.
Wenn man sich den umfangreichen Bericht der Bundesregierung anschaut, dann kann man allein aufgrund
der Daten feststellen - Gründung des IIC, des Industrial
Investment Councils, im Jahre 1996 und Berufung des
Beauftragten im Jahre 1998 -, dass die entscheidenden
Weichenstellungen von der letzten Bundesregierung aus
CDU/CSU und F.D.P. vorgenommen worden sind. Herr
Uldall hat schon darauf hingewiesen, dass in der Regel
eine gewisse Zeit zwischen Säen und Ernten vergeht. Das
war auch hier der Fall.
Die Kooperation innen und außen muss natürlich immer weiter verbessert werden. Mein Eindruck ist, dass in
der Kooperation außen Verbesserungen nach wie vor erforderlich sind. Es ist richtig, dass die Botschaften heute
anders arbeiten, als dies früher der Fall war. Das ist ein Verdienst von Klaus Kinkel, der sich in den letzten Jahren sehr
stark für eine Zusammenarbeit eingesetzt hat. Die Außenhandelskammern arbeiten nun mit den Botschaften zusammen. Auch andere Aktivitäten - Stichwort „Area Manager“ - wurden zusammengefasst, indem gemeinsame
Anlaufstellen geschaffen wurden. Die Situation ist in einigen Ländern allerdings noch verbesserungsfähig.
Wenn Sie sich einmal die Zahlen für das Haushaltsjahr
2000 anschauen, dann können Sie feststellen, dass der
Bund 4 Millionen DM für den Beauftragten und 11 Millionen DM für das IIC bereitstellt. Unseren Ausgaben in
Höhe von 15 Millionen DM stehen zum Beispiel 60 Millionen DM gegenüber, die ein Land wie Großbritannien in
die Standortwerbung investiert. Diesen Unterschied muss
man zur Kenntnis nehmen.
Man muss aber noch einen anderen Punkt beachten.
Nach meiner Einschätzung - ich sage das unter anderem
aus meiner Erfahrung als Wirtschaftsminister in zwei
Bundesländern - ist das Verhältnis von Bund und Ländern
in diesem Bereich nach wie vor nicht optimal. Dieses Verhältnis lässt sich überhaupt nur teilweise verbessern; denn
jeder Landeswirtschaftsminister hat natürlich ein Interesse daran, für seine Region Vorteile herauszuholen. Ein
Botschafter in Japan hat mir nach der Wiedervereinigung
einmal gesagt, das Problem sei, dass das Jahr nur 12 Monate habe, aber wir 16 Bundesländer haben. Das heißt, es
wird eng, wenn alle Bundesländer versuchen, sich bei jeder Gelegenheit zu präsentieren. Deswegen müssen wir
versuchen, die Zusammenarbeit auf praktische Weise zu
gestalten, ohne irgendjemandem Vorwürfe zu machen. Ich
gebe zu, dass das nicht ganz einfach ist.
({0})
Ich stimme auch ohne weiteres zu, dass letzten Endes
die Fundamentaldaten entscheidend sind, warum Unternehmen nach Deutschland kommen. Man muss sich folgende Fragen stellen: Gibt es Marktchancen für die Produkte? In welcher Zeit nach Kauf oder Errichtung eines
Betriebs kann man mit dem neuen Produkt am Markt
sein? Wie sieht die Kostensituation aus? Gar keine Frage,
dies ist - Herr Staffelt hat vorhin meinen Zwischenruf etwas missverstanden - das Entscheidende. Ich bin der Meinung, dass die Änderungen im Körperschaftsteuergesetz - Körperschaftsteuer bei Veräußerungen herunter auf
null - attraktivere Rahmenbedingungen für Investitionen
schaffen.
Herr Uldall hat noch einen weiteren Punkt angesprochen: Die Liberalisierung, die wir in verschiedenen Bereichen durchgeführt haben, hat natürlich Kapital ins
Land gelockt. Wenn Sie aber das Postmonopol verlängern
und wenn Sie in anderen Bereichen versuchen, die Liberalisierung rückgängig zu machen, dann werden Sie das
Gegenteil von dem bewirken, was für die Schaffung attraktiver Rahmenbedingungen notwendig wäre. Die
OECD kommt zu dem Schluss, dass das deutsche Arbeitsrecht weltweit gesehen unflexibel ist. Es ist somit ein
Investitionshemmnis.
Auch unsere typisch deutschen Genehmigungsverfahren - da sollten wir uns nichts vormachen - wirken
sich hemmend auf Investitionen aus. Statt uns aufzuraffen, die für Ostdeutschland nach der Wiedervereinigung
geltenden Sonderbestimmungen auf ganz Deutschland zu
übertragen, haben wir die Verfahren im Osten an die behäbigen Verfahren im Westen angepasst. Wir müssen uns gemeinsam für Veränderungen einsetzen. Die Genehmigungsverfahren dauern zu lange, um angesichts der
Konkurrenzsituation weiterzukommen.
Ein Punkt sollte noch stärker beachtet werden, Herr
Staatssekretär. Ich habe in der Vergangenheit im Rahmen
meiner Tätigkeit immer dann die besten Erfahrungen gemacht, wenn ich im Ausland bei ausländischen Investoren, die schon in Deutschland sind, für den Standort
Deutschland geworben habe.
Dieser Ansatz scheint mir in den Konzepten ungenügend zu sein. Es ist sinnvoll, neue Verbündete zu suchen,
um insgesamt mehr Effizienz zu erreichen. Auch die Tatsache, dass Deutschland im Hinblick auf die Erweiterung
der EU nach Mittel- und Osteuropa besondere Vorzüge
hat, nützt vielleicht uns allen.
Wir brauchen nämlich diese Investitionen, um mehr
Arbeitsplätze in Deutschland zu schaffen. Das ist doch,
wie ich denke, unser gemeinsames Ziel. Hier sind wir auf
einem guten Wege.
({1})
Ich gebe das
Wort dem Kollegen Rolf Kutzmutz für die Fraktion der
PDS.
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Im Zusammenhang mit der Suche nach
ausländischen Investoren für Deutschland stehen für mich
drei Fragen im Vordergrund:
Erstens. Die Präsentation von „www.invest-in-germany.de“ im Internet, die ich mir gestern angeschaut habe,
({0})
erschien mir übersichtlich, prägnant, aktuell und auch benutzerfreundlich.
({1})
Sehen das aber auch die potenziellen Investoren und die
Adressaten so? Oder gibt es noch etwas zu tun bzw. zu
verändern? Von der Beantwortung dieser Fragen hängt
schließlich ab, wie die Investorenwerbung in nächster
Zeit inhaltlich ausgerichtet und finanziell ausgestattet
werden muss.
Zweitens. Es ist bekannt, dass der Vertrag von Hilmar
Kopper im Juni endet. Es stellt sich die Frage: Verlängert er
ihn oder findet man einen anderen bekannten Manager, der
ähnlich engagiert und erfolgreich Unternehmensansiedlungen in Deutschland bewirbt? An dieser Stelle ist mehrfach
bildlich von Saat und Ernte gesprochen worden. Es ist
wahr - ich will mich damit in keinster Weise bei der Regierung anbiedern -, dass Herr Mosdorf persönlich sehr großen
Anteil daran hatte, dass diese Stelle überhaupt geschaffen
wurde. Er hat dafür schon dicke Bretter bohren müssen.
({2})
Drittens. Seit 1997 wurden genannte SED-Millionen
für die Akquise von Projekten in Ostdeutschland eingesetzt. Dieses Geld wird bis zum Jahresende aufgebraucht
sein. Wird dann das dort zweifellos aufgebaute Knowhow weiter finanziert oder zerstreut es sich in alle Winde?
Das ist eine wichtige Frage.
Nun zu unserem Standpunkt: Wir halten eine einzige
Anlauf- und Informationsstelle für potenzielle Investoren, die auch Werbung zentral aus einer Hand koordiniert, im internationalen Wettbewerb für unverzichtbar.
Damit wird nicht gegen den Föderalismusgrundsatz verstoßen; schließlich wird der Wirtschaftsförderung der
Länder nichts weggenommen. Im Gegenteil, dadurch
werden ihre Chancen verbessert.
({3})
Entscheidend ist übrigens nicht die Größe einer Einrichtung, sondern ihre Effizienz. Aber die Herstellung von Effizienz kostet eben auch Geld.
Es geht nicht nur um eine tolle Standortwerbung, sondern in erster Linie um die tatsächlichen Rahmenbedingungen vor Ort. Anlocken ist nämlich das eine; das Halten
von Investoren das andere. Auch die 60 Millionen DM,
Herr Hirche, die England für diese Aufgabe aufbringt, haben nicht verhindern können, dass in den letzten zwei Jahren dort große Werke geschlossen wurden und Investoren
England wieder verlassen haben. Auch dies ist ein Beispiel
dafür, dass es uns hier um Effizienz gehen muss.
({4})
Es stellt sich für uns die Frage, ob ein weiteres Nebeneinander von Bundesbeauftragten und Industrial Investment Council auf Dauer wirkungsvoll und sinnvoll ist.
Zum einen haben sich die Entwicklungspotenziale der
neuen Länder mittlerweile so ausdifferenziert, dass eine
gemeinsame Dachmarke wohl kaum noch zur Investorenwerbung beiträgt; zumindest wird es damit nicht gelingen,
dass alle Länder tatsächlich gleichermaßen von den Aktivitäten profitieren werden. Zum anderen gibt es bei einer
Zusammenführung von Institutionen immer auch Synergieeffekte. Warum werden also nicht beide Institutionen
verschmolzen und dann auch vom Bund allein bezahlt?
Dies bitte ich als Frage bzw. als Vorschlag zu betrachten,
nicht als Forderung. Dieses durchzusetzen, hätten wir sowieso nicht die Kraft.
Auf alle Fälle muss die künftige Gestaltung der Investorenwerbung schnell und ernsthaft in den Ausschüssen
beraten werden. Die Unterrichtung durch die Bundesregierung ist dafür eine gute Grundlage. Es müssen aber
auch eigene wirkungsvolle Vorschläge gemacht und Beschlüsse für die Zukunft dieses wirtschaftspolitisch wichtigen Gegenstandes gefasst werden, und das möglichst
- das möchte ich allen ans Herz legen - vor den nächsten
Haushaltsberatungen.
Danke schön.
({5})
Das Wort
hat der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, Siegmar Mosdorf.
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! In den letzten zehn Jahren hat sich die Weltwirtschaft fundamental verändert.
Lassen Sie sich folgende Zahlen einfach noch einmal auf
der Zunge zergehen: Das Weltsozialprodukt ist in den
letzten zehn Jahren im Schnitt um 3,5 Prozent gewachsen;
gleichzeitig ist der Welthandel um 7 Prozent und sind die
Finanzdienstleistungen um 12 Prozent gewachsen; die
weltweiten Direktinvestitionen aber sind um 26 Prozent
gestiegen. Das zeigt auf, dass sich die weltwirtschaftlichen Strukturen fundamental verändern.
In der Nachkriegszeit galt das alte klassische Exportmodell. Es gab eine Megafabrik, von der aus die ganze Welt
bedient worden ist. Heute geht das so nicht mehr, weil die
Absatzländer Wert darauf legen, dass bei ihnen auch produziert wird. Das Ergebnis ist, dass man dezentral produziert und in quasi transnationalen Unternehmen zentral
steuert. Diese neue Entwicklung führt dazu, dass nicht nur
Mercedes in Tuscaloosa und Heinrich von Pierer von Siemens in China investieren, sondern auch die Asiaten und
Nordamerikaner auf dem europäischen Kontinent Fabriken bauen, um hier präsent zu sein.
Das ist ein bisschen das Geheimnis der Entwicklung
bei den Direktinvestitionen, die enorm gestiegen sind.
Man muss sich vorstellen: Der weltweite Zufluss von Direktinvestitionen beträgt 865 Milliarden DM im Jahr. Das
kennzeichnet die ganz grundlegende Umwälzung der
weltwirtschaftlichen Systeme der vergangenen 50 Jahre
in den letzten zehn Jahren.
Wir haben darauf reagiert. Ich bin dem Kollegen
Kutzmutz dankbar dafür, dass er Gunnar Uldall, weil
beide zu dem Zeitpunkt im Wirtschaftsausschuss waren
und das genau mitbekommen haben, noch einmal darauf
hingewiesen hat, dass wir bereits in einem sehr frühen
Stadium vorgeschlagen haben, eine Agentur zu schaffen,
die sich direkt um ausländische Investoren kümmert. Angesichts der Tatsache, dass die Grande Nation eine Agentur gegründet hat, die einen englischen Namen hat - „Invest in France“; es ist ganz ungewöhnlich, dass die
Franzosen so etwas zulassen und viel Geld dafür aufwenden, ebenso wie die Briten -, mussten auch wir so etwas machen.
Herr Hirche, bei aller Wertschätzung: Herr Rexrodt hat
lange dagegengehalten - Herr Uldall wird sich daran erinnern - und gesagt, das bräuchten wir nicht.
({0})
- Nein, es geht nicht um IIC; das ist eine andere Sache. Es
geht um die Kopper-Geschichte. Erst im Sommer 1998, in
der Schlussphase der Regierung Kohl, bestand nach etlichen Gesprächen Einvernehmen, dass das eine vernünftige Lösung ist.
Ich bin sehr dankbar dafür, dass sich Herr Kopper dazu
bereit erklärt hat, diese wichtige Aufgabe zu übernehmen.
Ich glaube, wir alle sind dankbar dafür. Ich freue mich,
Ihnen jetzt auch mitteilen zu können, dass wir - das war
die Frage von Herrn Kutzmutz - den Vertrag mit Herrn
Kopper verlängert haben, weil wir glauben, dass er einen
guten Namen hat und dass er uns im Ausland gut vertreten kann, weil er von der Sache etwas versteht, weil er
kompetent ist und weil er mit seinem guten Leumund im
Ausland Investorengespräche führen kann, die kein anderer führen könnte. Das hat auch durchaus Wirkung.
({1})
Dafür, dass er das macht, gilt es wirklich Dank zu sagen.
Ich nehme aber gerne den Gedanken von Herrn Hirche
auf: Warum soll man nicht amerikanische oder asiatische
Investoren, die bei uns erfolgreich investiert haben und
sich in Deutschland wohlfühlen, bei Präsentationen in
ihren Heimatregionen zeigen: Es macht Sinn, bei uns zu
investieren und sich hier zu engagieren?
Die Zahlen sind eindrucksvoll. Wir haben im letzten
Jahr in Deutschland so viele Direktinvestitionen gehabt
wie in den gesamten 90er-Jahren nicht. Selbst wenn man
den Anteil von Vodafone abzieht, haben wir noch immer
ein erhebliches Volumen nach Deutschland geholt. Angesichts der Veränderungen der Weltwirtschaft müssen unsere Bemühungen aber weitergehen. Deshalb ist es gut,
dass wir regelmäßig diesen Bericht für den Wirtschaftsausschuss und auch für das Parlament machen.
Die Dachmarke „Investieren in Deutschland“ hat, neben vielen anderen Dingen, auch der Verbesserung der
Rahmenbedingungen, mit dazu beigetragen, dass die lähmende Standortdiskussion, die wir Anfang der 90erJahre hatten - manche werden sich noch daran erinnern -,
als es Wirtschaftsführer gegeben hat, die in Tokio oder
New York negativ über den Standort Deutschland geredet
haben, nicht mehr existiert. Das hilft uns sicher allen. Insofern können wir mit der Entwicklung zufrieden sein, die
wir insgesamt erlebt haben.
({2})
Jetzt komme ich zum IIC, das eine gute Arbeit macht.
Herr Kutzmutz hat auch in Bezug darauf die Frage gestellt, wie es weitergeht. Wir haben eine Brücke gebaut,
sodass das IIC jetzt bis zum Jahr 2004 fortgesetzt werden
kann. Unsere Perspektive ist allerdings - das stimmt
durchaus mit der Richtung überein, die Sie genannt haben; auch die Sozialdemokraten sehen das so -, diese Einheiten zusammenzuführen. Werner Schulz hat eben die
Frage aufgeworfen, wie man das effizient gestalten kann.
Ich glaube, es macht Sinn, auf mittlere Sicht beide Einheiten zusammenzuführen und so etwas wie eine Agentur
mit einem guten Kopf, der diese Agentur dann weltweit
repräsentieren kann, zu schaffen. „Kopper plus IIC“ wäre
eine gute Plattform der Zukunft.
Im Moment ist das IIC eine wichtige Einrichtung, die
uns - vor allen Dingen den neuen Bundesländern - hilft,
in dem schwierigen Wettbewerb zu bestehen. Wir sollten
gemeinsam versuchen, alles zu tun, um diese Entwicklung fortzusetzen, und auch gemeinsam die Zusammenarbeit zwischen der Einheit, die Hilmar Kopper vertritt, und
dem suchen, was das IIC leistet.
Wir haben enorme Ergebnisse erzielt. 60 ausländische
Investoren sind nach Deutschland gekommen; das Investitionsvolumen beträgt rund 4,2 Milliarden DM. Dazu hat
das IIC einen wichtigen Beitrag geleistet. Insofern können
wir, meine Damen und Herren, mit der Gesamtentwicklung zufrieden sein, wenn auch nicht so zufrieden, dass
wir nicht immer wieder neue Ideen und neue Impulse
brauchten. Die Weltwirtschaft ist heute eine Wettbewerbsarena mit 30 hoch entwickelten Volkswirtschaften.
Wir müssen uns in dieser Arena behaupten. Deshalb ist es
ganz wichtig, dass wir diesen Kurs fortsetzen und dabei
neue Ideen aufnehmen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({3})
Ich schließe
die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/4240 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Das Haus ist damit
einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 und Zusatzpunkt 7
auf:
9. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dagmar
Wöhrl, Christian Schmidt ({0}), Wolfgang
Börnsen ({1}), weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der CDU/CSU
Strukturpolitische Verantwortung für Bundeswehrstandorte übernehmen, die die Bundesregierung schließen oder verkleinern will
- Drucksache 14/5550 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({2})
Verteidigungsausschuss
Auschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Haushaltsausschuss
ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Günther
Friedrich Nolting, Ina Albowitz, Hildebrecht
Braun ({3}), weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der F.D.P.
Hilfe durch den Bund für die von Reduzierung
und Schließung betroffenen Bundeswehrstandorte ist unverzichtbar
- Drucksache 14/5467 Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuss ({4})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe zunächst für die
CDU/CSU-Fraktion dem Kollegen Kurt Rossmanith das
Wort.
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zur Begründung und Darstellung
dieses Antrages ist es erforderlich, dass wir uns zunächst
einmal daran erinnern - manche haben das in der gesamten Euphorie scheinbar schon wieder vergessen -, warum
es dieses Antrages bedurfte: wegen einer nicht vorstellbaren Reduzierung unserer Streitkräfte durch diese Bundesregierung.
In der Tat ist die Lage der Bundeswehr dramatisch.
Schon heute wird die Bündnisfähigkeit unseres Landes
infrage gestellt. Generalinspekteur Kujat hat öffentlich
beklagt, dass der gegenwärtige Zustand der Bundeswehr
nicht mehr tragbar sei, und zweifelt bereits an der militärischen Fähigkeit Deutschlands, seinen internationalen Verpflichtungen nachzukommen. Diese Bundesregierung, meine sehr verehrten Damen und Herren, betreibt
Sicherheitspolitik nach Kassenlage und verstößt damit
fundamental gegen die sicherheits- und außenpolitischen
Interessen unseres Landes; denn die von der Bundesregierung beschlossene massive Reduzierung der Bundeswehr und die damit natürlich verbundenen Standortschließungen sind rein finanzpolitisch motiviert.
Verteidigungsminister Scharping hat in der Vergangenheit wiederholt erklärt, dass die Bundeswehr auch nach
ihrer Reduzierung in der Fläche präsent bleiben werde.
({0})
Das Gegenteil ist nun eingetreten. Weite Landstriche, vor
allem in Bayern, aber auch in Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und anderen Bundesländern, werden künftig „bundeswehrfreie Zonen“ sein. Dies ist, wie
ich finde, mehr als bedauerlich,
({1})
nicht nur für die dortige Bevölkerung, sondern insbesondere für jene Regionen, in denen die Soldaten der Bundeswehr stets willkommen waren und in denen es, wie in
vielen Standortgemeinden in Bayern, eine jahrzehntelange Tradition des positiven Miteinanders gegeben hat.
Doch auch für die Bundeswehr wird, nicht zuletzt mit
Blick auf die künftige Rekrutierung von Nachwuchskräften, ein nicht wieder gut zu machender Schaden entstehen. Die Bundeswehr wird schlicht und einfach in der
Fläche nicht mehr präsent sein. In Gutsherrenmanier - der
Bundesverteidigungsminister befand es nicht für nötig,
vorher mit den betroffenen Kommunen zu sprechen wurde unter den Standorten eine rigorose Kahlschlagspolitik betrieben. Unter dem Diktat des Finanzministers
ist Minister Scharping zu einem Vollstrecker traditionell
grüner Forderungen geworden. Die Grünen freuen sich
natürlich darüber.
Jetzt muss es darum gehen, die schwerwiegenden wirtschaftlichen und sozialen Folgen in den betroffenen Gemeinden ohne große Verwerfungen zu bewältigen. Die von
der Bundesregierung beabsichtigte Reduzierung der Bundeswehr um über 100 000 Soldaten und zivile Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hat gravierende Folgen für die wirtschaftliche und soziale Lage der betroffenen Kommunen.
Die Standortschließungen und Standortreduzierungen
erfolgen vorwiegend in strukturschwächeren Regionen.
Kriterien wie Wirtschaftskraft und Arbeitsmarkt - vorher
von Verteidigungsminister Scharping groß hervorgehoben - haben überhaupt keine erkennbare Berücksichtigung gefunden.
({2})
Für die konkret betroffenen Gemeinden sind die Folgen teilweise unübersehbar. Kaufkraft wird in erheblichem Umfang verloren gehen, Wohnungsleerstand und
Arbeitslosigkeit drohen, die Gemeindehaushalte werden
erhebliche Einbußen zu verkraften haben.
({3})
Selbstverständlich erwarten wir vom Bundesverteidigungsminister, dass er seiner Fürsorgepflicht auch gegenüber den Angehörigen der Bundeswehr nachkommt. Deswegen darf es reduzierungsbedingte Kündigungen ebenso
wenig geben wie unzumutbare Versetzungen.
({4})
Es ist vielleicht in diesem Zusammenhang nur ein Nebenaspekt, aber ich möchte dennoch erneut darauf hinweisen, dass gerade der Freistaat Bayern überproportional
von Scharpings Reduzierungspaket betroffen ist. Die bundesweite Reduzierung des Personalumfangs der Bundeswehr beläuft sich auf rund 14,4 Prozent; in Bayern liegt
sie bei rund 19 Prozent. Bundesweit werden, wie wir wissen, 39 Standorte geschlossen, davon allein 13 - ein Drittel - in Bayern.
Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters
Ich möchte deshalb die Situation anhand eines Beispiels, der Schließung des Fliegerhorstes in Memmingerberg in meinem Wahlkreis deutlich machen, der am
stärksten betroffen ist. 2 350 Beschäftigte werden durch
die Schließung ihren derzeitigen Arbeitsplatz verlieren,
darunter 650 zivile Beschäftigte. Der Fliegerhorst ist für
die Region ein sehr bedeutender Wirtschaftsfaktor. Durch
seine Aufträge an die heimische Wirtschaft sichert er zahlreiche Arbeitsplätze.
Der Memminger Oberbürgermeister Dr. Ivo Holzinger,
SPD, weist darauf hin, dass im Raum Memmingen durch
die Schließung des Standortes Kaufkraft in Höhe von
250 Millionen DM jährlich verloren gehen wird. Betroffen sein werden jedoch nicht nur Arbeitsplätze im Handwerk, im Handel oder im sonstigen Gewerbe. Der SPDOberbürgermeister von Memmingen befürchtet beispielsweise, dass auch in Schulen, Berufsschulen und vor allem
in Kindergärten massenweise Arbeitsplätze verloren gehen werden.
Dies alles betrifft nicht nur die Regionen, in denen
Standorte geschlossen werden. Es betrifft natürlich auch
jene Kommunen - wie zum Beispiel die Nachbarstadt
Sonthofen -, in denen die massive Reduzierung des Standortes de facto einer Schließung gleichkommt.
Für die Folgen der Standortschließungen trägt allein die
Bundesregierung die Verantwortung. Sie muss sich nun
auch dieser Verantwortung stellen. Es kann nicht angehen,
meine sehr verehrten Damen und Herren, dass die Standortgemeinden jetzt im Regen stehen gelassen werden.
({5})
Deshalb fordern wir die Bundesregierung auf, ein umfassendes Konversionsprogramm aufzulegen, das die
Schaffung neuer Arbeitsplätze in den betroffenen Regionen unterstützt und eine sinnvolle Nutzung aufgegebener
Standorte erleichtert. Die Bundesregierung muss Finanzierungshilfen für Investitionen in die Schaffung und Erhaltung von Arbeitsplätzen insbesondere in strukturschwachen Räumen, die vom Truppenabbau besonders
betroffen sind, gewähren.
({6})
Die zu leistenden Finanzhilfen müssen auch den Ausbau
der wirtschaftsnahen Infrastruktur wie zum Beispiel die
Umwandlung von Bundeswehrgelände in Gewerbegebiete umfassen.
Das Ganze darf natürlich auch nicht von oben nach unten erfolgen. Vielmehr muss sich die Bundesregierung bei
der Ausgestaltung des Konversionsprogramms und bei
der Festlegung der konkreten Maßnahmen mit den betroffenen Kommunen und mit den jeweiligen Landesregierungen abstimmen und deren Vorschläge berücksichtigen.
Es geht nicht an, dass man solche Maßnahmen ohne jeden
Kommentar und über die Köpfe der Betroffenen hinweg
anordnet, wie das bei den Schließungen geschehen ist.
Angesichts der größten Finanzmisere der Bundeswehr
seit ihrem Bestehen - ebenfalls das zweifelhafte Verdienst
der rot-grünen Bundesregierung - darf die Finanzierung
dieses Maßnahmenkatalogs natürlich nicht zulasten des
Verteidigungshaushalts gehen.
Lassen Sie mich am Schluss noch dies darlegen: Die
Folgenbewältigung ist nicht nur in der Zuständigkeit des
Verteidigungsministers oder der betroffenen Kommunen.
Die SPD-geführte Bundesregierung hat sich für eine
Politik der Einsparungen, Reduzierungen und Standortschließungen entschieden. Sie allein und niemand anders
ist für die Folgen verantwortlich. In den von der Kahlschlagpolitik betroffenen Standortgemeinden muss sie
sich nun auch dieser Verantwortung stellen.
({7})
Nun spricht
für die Bundesregierung der Parlamentarische Staatssekretär Siegmar Mosdorf.
({0})
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Neustrukturierung
der Bundeswehr ist ein komplexer Planungsvorgang. Wie
Sie wissen, Herr Rossmanith, ist das keine einfache Veranstaltung.
Die Beurteilung von Standorten für die zukünftige Stationierung erfolgte auf der Basis umfangreicher Kriterien,
insbesondere auch unter Berücksichtigung von arbeitsmarkt- und strukturpolitischen Überlegungen. Darüber
hinaus hat das Bundesverteidigungsministerium die Ministerpräsidenten der Länder direkt beteiligt.
Trotz aller Bemühungen werden Belastungen für die
Soldaten und Zivilbeschäftigten sowie mittelbar auch für
die Region nicht zu vermeiden sein. Das muss man ehrlich zugeben, wenn man den Leuten nicht die Unwahrheit
sagen will. Wir haben großes Verständnis für die Sorgen
der betroffenen Menschen in den Regionen. Die Bundesregierung wird deshalb ihr Mögliches tun, um zu helfen.
Die Veränderungen treten, wie Sie wissen, nicht sofort
in Kraft, sondern werden zum Großteil in den Jahren 2002
bis 2004 vollzogen. Die Umsetzung soll bis 2006 abgeschlossen werden. Jetzt ist es wichtig, dass die Akteure
vor Ort, die politisch Verantwortlichen und die Vertreter
der Wirtschaft, Konzepte und Nutzungsmöglichkeiten
für die frei werdenden Liegenschaften erarbeiten.
Herr Rossmanith, Sie haben in Bayern einen sehr geschickten Wirtschaftsminister. Er hat gestern bereits direkten Kontakt mit Walter Kolbow aufgenommen, um
prüfen zu lassen, ob man den Gemeinden vorrangiges Zugriffsrecht einräumen kann, um bei den Liegenschaften
direkt etwas tun zu können. Herr Staatssekretär Kolbow
hat mir gesagt, er finde das sehr überlegenswert und wolle
es in seinem Haus prüfen. Direkte Gespräche mit dem
Wirtschaftsminister von Bayern sind da der vernünftigste
Weg.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte ein Beispiel nennen. Ich habe heute mit Herrn Wagner von Debitel zu Mittag gegessen. Er hat mir berichtet, was in
Kaiserslautern mit frei werdenden Liegenschaften der
Alliierten gemacht wird.
({0})
Sie kennen ihn wahrscheinlich nicht. Aber ich kann Ihnen
nur raten, mit ihm Kontakt aufzunehmen. Debitel hat in
Kaiserslautern auf einer solchen Liegenschaft ein CallCenter mit inzwischen 70 Beschäftigten errichtet. Die Liegenschaft wurde Debitel zur Verfügung gestellt. Man hat
das Dienstleistungspersonal des zivilen Bereichs für eben
dieses Call-Center genutzt. Das ist ein vernünftiger Weg.
Solche und ähnliche Wege kann man gehen, wenn man direkt helfen will. Primär ist es die Aufgabe der regional Verantwortlichen, jetzt solche Initiativen zu ergreifen. Dass
dies gelingen kann, zeigt eine ganze Reihe erfolgreicher
Konversionsprojekte. Es gibt auch in meiner unmittelbaren
Umgebung, in der Nähe von Stuttgart, ähnliche Beispiele.
Die wirtschaftlichen Auswirkungen von Standortschließungen und Dienstpostenreduzierungen sind regional unterschiedlich. In strukturschwachen Gebieten mit
ohnehin hoher Arbeitslosigkeit wirken zusätzliche Effekte
tendenziell belastender als in prosperierenden Regionen.
Ich möchte daher zunächst klarstellen, dass die strukturschwachen Regionen unterdurchschnittlich von den Veränderungen betroffen werden. Die Bundeswehr bleibt in
der Fläche weiterhin präsent. Die relative Präsenz in wirtschaftlich schwachen Gebieten steigt sogar leicht an.
({1})
Ich bitte um Verständnis, dass ich hier nicht auf die einzelnen Dienstpostenveränderungen und Standortreduzierungen eingehen kann. Hierzu habe ich bereits im Ausschuss für Wirtschaft und Technologie mit der Kollegin
Schulte zusammen Stellung genommen. Außerdem werden wir einen gemeinsamen Bericht erstellen.
Nach der föderalen Aufgabenverteilung des Grundgesetzes liegt die regionalpolitische Flankierung in erster
Linie in der Zuständigkeit der Länder. Aber wir werden
das gesamte Instrumentarium, auch das der Bundesregierung, in unsere Überlegungen einbeziehen. Der Bund beteiligt sich an dieser Aufgabe, insbesondere im Rahmen
der Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung
der regionalen Wirtschaftsstruktur“.
({2})
- Ich weiß nicht, wie lange Sie dabei sind. Aber auf jeden
Fall kostet das eine ganze Menge.
({3})
Dieses Geld steht zur Verfügung.
({4})
Es liegt nun in der Verantwortung der Länder, die regionalen Förderschwerpunkte zu identifizieren und zu
fokussieren.
({5})
Wir haben die entsprechenden Mittel im Rahmen dieser GA zur Verfügung gestellt. Das wissen Sie. Das gilt
nicht nur für die neuen, sondern auch für die alten Bundesländer. Beispielsweise können im Rahmen der
Infrastrukturförderung die Umstrukturierungen der
ehemals militärisch genutzten Liegenschaften in Gewerbegebiete, der Ausbau von Technologie- und Gründerzentren für KMUs oder die Errichtung von Einrichtungen der
beruflichen Bildung besonders gefördert werden. Für die
GA-Ost stehen im Bundeshaushalt für das Jahr 2001 Barmittel in Höhe von 1,992 Milliarden DM zur Verfügung.
({6})
- Schon dafür. Seien Sie bitte fair.
({7})
- Ja, aber die Entscheidung über die Verwendung dieser
Mittel ist Ländersache. Jetzt können die Länder fokussieren
und sagen, in welchen Gebieten sie besondere Anstrengungen unternehmen möchten.
({8})
Dies obliegt den Ländern. Ich weiß auch, dass die Verantwortlichen in den Ländern darüber schon jetzt nachdenken. Sie fangen an zu überlegen, in welche Richtung
sie diese Mittel - das gleiche gilt auch für Verpflichtungsermächtigungen in Höhe von 1,5 Milliarden DM konzentrieren werden. Wir haben einen Gesamtplan bis
zum Jahr 2006 festgelegt;
({9})
aber innerhalb dieses Planes gibt es selbstverständlich
Möglichkeiten zu fokussieren.
Herr Kollege Mosdorf, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Adam?
Gerne, Herr
Adam.
Herr Staatssekretär, was
darf ich meinem Ministerpräsidenten in MecklenburgVorpommern, Herrn Ringstorff, berichten, der am 23. dieses Monats, nachdem er Einrichtungen der Bundeswehr
besucht hat, in der Zeitung berichtete, dass er sich um
Bundeshilfen bemühen möchte? Was darf ich ihm sagen?
Der Ministerpräsident des Landes Mecklenburg-Vorpommern hat einen so guten Draht zur Bundesregierung, dass ich Sie,
Herr Adam, nicht als Briefträger verwenden möchte.
({0})
Es wäre nicht angemessen, Sie als einen leibhaftigen Bundestagsabgeordneten als Briefträger zu verwenden.
({1})
Deshalb sage ich Ihnen, was ich ihm im Namen der
Bundesregierung antworte. Die Antwort lautet, dass wir
im Bundeshaushalt für das Jahr 2001
({2})
Barmittel in Höhe von 1,992 Milliarden DM
({3})
für die GA-Ost zur Verfügung gestellt haben und die Mittel auch zu diesem Zweck verwendet werden können.
Meine Damen und Herren, wir haben auch für den
Westen Barmittel zur Verfügung gestellt.
({4})
- Seien Sie vorsichtig! Sie haben sich schon einmal mit
Begriffen unglücklich in Szene gesetzt. Es gibt dieses
Geld. Wenn Sie das nicht wissen, kann ich es Ihnen nachher erläutern.
Jedes Land kann entsprechende Fokussierungen vornehmen. Herr Rossmanith weiß, wovon ich rede. Die
Länder entscheiden, wo diese Mittel eingesetzt werden.
Deshalb füge ich eines hinzu: Wir haben darüber hinaus
Unterstützungsmöglichkeiten im Rahmen anderer Politikbereiche geschaffen, zum Beispiel bei der Städtebauförderung, bei der Verkehrspolitik, bei der Arbeitsmarktförderung, bei der Mittelstandsförderung und bei
entsprechenden Landesprogrammen, die vom Bund ergänzt werden.
Es gibt also Möglichkeiten, entsprechende Konzentrationen jetzt auch zielgenau in solchen regionalen Gebieten vorzunehmen, die davon besonders betroffen sind.
Der Bund jedenfalls strebt wieder an, die frei werdenden
Liegenschaften - das ist ein ganz wichtiger Punkt, der
schon nach der Wiedervereinigung eine wichtige Rolle
gespielt hat - so schnell wie möglich einer zivilen Anschlussnutzung zur Verfügung zu stellen.
Dabei steht ein Verkauf der nicht für andere Bundesaufgaben benötigten Liegenschaften im Vordergrund. Wir
haben ausdrücklich festgestellt, dass dort, wo wir die Liegenschaften nicht direkt selber brauchen, der Verkauf im
Vordergrund steht. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Um
dies zu erleichtern, bestehen Altlastenregelungen. Damit
sollen auf dem Grundstücksmarkt und bei Investoren bestehende Vorbehalte gegenüber ehemals militärisch genutzten Anlagen abgebaut werden.
Entscheidend aber werden das Engagement und das
Zusammenspiel der regionalen Akteure sein, die schon
jetzt über die Frage nachdenken sollten - ich weiß, dass
viele Oberbürgermeister das auch tun -, wie sinnvollerweise genau in diesem Bereich Gewerbeparks, Existenzgründungszentren oder ähnliche Dinge angesiedelt werden können und wie dies zu einer Revitalisierung führen
kann, die man vielleicht schon lange vorhatte, die aber ein
Stück weit blockiert war, weil man bestimmte Grundstücke nicht zur Verfügung hatte.
Die ganze Angelegenheit ist schwierig. Wir müssen damit gemeinsam umgehen. Die Instrumentarien, die uns
auf Bundesebene zur Verfügung stehen, wollen wir voll
einsetzen. Das, was möglich ist, um im Bereich der Liegenschaften flexibel zu helfen, werden wir tun. Denn der
Bundesregierung liegt daran, bei diesen Liegenschaften
Fortschritte zu erzielen. Deshalb wird es zu einer Partnerschaft mit den Regionen, aber auch mit den Bundesländern kommen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({5})
Ich erteile
dem Kollegen Günther Nolting für die Fraktion der F.D.P.
das Wort.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Herr Staatssekretär Mosdorf,
Sie haben hier über die Bundeswehrreform gesprochen.
Dazu sage ich Ihnen: Die Bundeswehrreform des
Verteidigungsministers ist halbherzig. Trotz schreiender
Wehrungerechtigkeit und nicht mehr vorhandener sicherheitspolitischer Notwendigkeit wird an der allgemeinen
Wehrpflicht festgehalten. Die Personalreduzierungen sind
nicht ausreichend. Es wird falsch strukturiert und aufgrund der massiven Kürzungen im Verteidigungshaushalt
ist die Bundeswehr unverantwortbar unterfinanziert.
Anerkannte Fachleute und Institute warfen der F.D.P.
1999 vor, dass unser Modell mit dem von uns berechneten Finanzplafond nicht finanzierbar sei. Sie hielten es für
ausgeschlossen, eine auftragsbezogen ausgebildete und
modern ausgerüstete Bundeswehr bestehend aus
260 000 Soldaten und 90 000 Zivilbediensteten mit einem
Haushaltsumfang von 49 Milliarden DM zu finanzieren.
Es ist für mich völlig schleierhaft, wie der jetzige
Verteidigungsminister Ausrüstungs-, Ausbildungs-, Infrastruktur- und Personalkosten für eine um rund 25 000 Soldaten größere Bundeswehr als von der F.D.P. vorgeschlagen aus einer Kasse bezahlen will, die rund
4 Milliarden DM weniger aufweist, als die F.D.P. für ihr
Bundeswehrmodell der Zukunft für notwendig erachtet.
Während die Binnenwirkungen der Bundeswehrreform vorrangig durch den Verteidigungsminister zu verantworten sind, fallen die Außenwirkungen auf die gesamte Bundesregierung zurück. Damit bin ich wieder
beim Ressortkonzept Stationierung. Dieses Konzept
wird erhebliche volkswirtschaftliche Konsequenzen und
tief greifende arbeits- und strukturpolitische Einschnitte
für die betroffenen Kommunen mit sich bringen.
In den Standortgemeinden haben sich speziell auf
die Bundeswehr ausgerichtete Wirtschaftsstrukturen
entwickelt. Es sind im Einzelhandel und im Handwerk
streitkräfteorientierte Märkte sowie regionale Abhängigkeiten zwischen der Bundeswehr und den kleinen und
mittelständischen Unternehmen entstanden. Dies bedarf
im Zuge des vorgesehenen Truppenabbaus einer gezielten
regionalökonomischen Anpassung.
Der Verteidigungsminister und die Bundesregierung
lehnen es jedoch grundsätzlich ab, den von Schließung
und Kürzung betroffenen Kommunen Finanzhilfen zur
Konversion zukommen zu lassen. Auch heute wurde hier
wieder kein Konzept vorgestellt. Herr Mosdorf, was Sie
hier vorgetragen haben, ist nichts Neues. Sie sind überhaupt nicht auf die aktuelle Lage in den betroffenen Regionen eingegangen.
({0})
Dazu sage ich Ihnen: Es ist ein Skandal, wie sich der
Verteidigungsminister und die Bundesregierung aus der
Verantwortung stehlen. Es gibt keine zusätzliche Mark für
die betroffenen Regionen. Herr Mosdorf, das haben Sie in
Ihrer Rede herausgestellt.
({1})
Erlauben Sie mir, meine Damen und Herren, auf das
einzugehen, was frühere Bundesregierungen - auch die
der 90er-Jahre - gemacht haben. Ich möchte dies vor allen Dingen deshalb würdigen, weil die jetzige Regierung
eigenes Versagen gern auf die Vorgängerregierungen abzuschieben pflegt.
Ich möchte daran erinnern, dass es die Bundesregierungen von CDU/CSU und F.D.P. waren, die bei den
Strukturveränderungen der Bundeswehr Anfang der 90erJahre ein Sonderprogramm „Gemeinschaftsaufgaben“
aufgelegt haben. Die entsprechenden Bundeswehrstandorte haben 1993 und 1994 7 Milliarden DM zusätzlich zur Verfügung gestellt bekommen. Herr Mosdorf, daran müssen Sie sich messen lassen.
({2})
Diese Regierung und vor allen Dingen Minister
Scharping lieben große Worte. Sie müssen den großen
Worten aber endlich große Taten folgen lassen. Fordern
Sie beim Bundeskanzler die für die Bundeswehr überlebenswichtige deutliche Erhöhung des Verteidigungshaushaltes ein! Lassen Sie sich auch nicht erst von Gerichten
zur Aussetzung der Wehrpflicht zwingen! Ersparen Sie
den Streitkräften eine weitere Reform in den nächsten
Jahren! Setzen Sie sich beim Bundeskanzler für eine Anschubfinanzierung und für ein Konversionsprogramm
ein!
Für die F.D.P. fordere ich die Bundesregierung auf,
Herr Mosdorf, sofort ein Sonderprogramm einzuleiten,
welches den von Standortschließung bzw. -reduzierung
betroffenen Kommunen hilft, die wirtschaftlichen und
strukturellen Folgen zu mildern. Es liegt ein entsprechender Antrag der F.D.P. vor. Ich hoffe, dass dieser auch die
Unterstützung im Ausschuss und dann hier im Plenum
findet.
Lassen Sie mich zum Schluss noch eines sagen: Im
Zuge der Standortschließung bzw. -reduzierung sind betriebsbedingte Kündigungen zu vermeiden. Sozialverträgliche Lösungen für die betroffenen Zivilbediensteten
sind zu finden. Notwendige Arbeitsplatzveränderungen
sind sozial abzufedern. Ich denke, die Zivilbediensteten
haben einen Anspruch und warten auch darauf, dass endlich etwas passiert. Auch hier sind Sie gefordert, Herr
Mosdorf.
Vielen Dank.
({3})
Nun spricht
für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen der Kollege
Hans-Josef Fell.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Ich denke, wir sind uns alle einig: Eine Bundeswehrreform
ist ein notwendiger Schritt hin zu einer modernisierten
Bundeswehr. Aber, meine Damen und Herren von der
Union und der F.D.P., eine Modernisierung im Rahmen der
angestrebten Haushaltskonsolidierung kann nur mit einer
Verkleinerung der Bundeswehr erfolgen. Wie wollen Sie
denn sonst die Finanzmittel für die Modernisierung zum
Beispiel in der Ausrüstung beschaffen?
Verkleinerung heißt in der letzten Konsequenz aber
auch, dass es Standortschließungen geben wird. Für die
betroffenen Kommunen gilt es Hilfe zu schaffen. Sie dürfen nicht alleine gelassen werden.
({0})
Deshalb lassen Sie uns nun gemeinsam die Chancen einer
zivilen Nutzung der zu schließenden Standorte herausstellen.
({1})
In diesen Zielen, denke ich, stimmen wir alle in diesem
Hohen Haus überein.
({2})
Dafür hat der Bund auch Mitverantwortung zu tragen; so
haben wir es in der Koalitionsvereinbarung festgeschrieben.
({3})
- Herr Rossmanith, vergessen Sie doch bitte nicht die Vergangenheit. 58 Standortschließungen heute entsprechen
von der Größenordnung her nicht der Schließung von vielen hundert Liegenschaften, die unter Ihrer Regierungsverantwortung beschlossen wurde.
({4})
Eine Reduzierung des Militär- und Zivilpersonals um
rund 90 000 Stellen entspricht nicht dem Abzug von
700 000 Soldaten unter Ihrer Regierungsverantwortung.
So nämlich sahen die Konsequenzen der Streitkräftereduzierungen der 90er-Jahre aus. Die Regionen hatten
damals mit viel weitreichenderen wirtschafts- und auch
umweltpolitischen Problemen zu kämpfen als heute.
({5})
Damit will ich nicht die heutigen Schwierigkeiten
kleinreden. Die betroffenen Kommunen haben sie zu bewältigen. Aber unter Ihrer Regierung waren die Reduktionen, mit denen die Kommunen damals zu kämpfen hatten, wesentlich größer als heute. Was soll also die ganze
Aufregung von heute? Ich muss mich schon fragen: Welche Konzepte zur Abfederung dieser strukturpolitischen
Schwierigkeiten haben Sie denn damals entwickelt? Herr
Nolting, der Skandal, von dem Sie vorhin sprachen, fällt
natürlich ein ganzes Stück weit auf Sie zurück; denn trotz
des umfangreichen Truppenabbaus hat es keinen eigenen
Konversionsfonds des Bundes gegeben. Bündnis 90/Die
Grünen forderten ihn damals - vergeblich.
Trotz harter Konsequenzen für die Regionen brachte
die alte Bundesregierung keine gesetzliche Regelung zur
Bewältigung des Konversionsprozesses zustande. Bündnis 90/Die Grünen brachten 1994 ein Bundeskonversionsgesetz ein, welches Sie ablehnten.
({6})
Meinte die alte Bundesregierung damals mit aktiver
Strukturpolitik und Unterstützung der Regionen vielleicht
die pauschalierte Überlassung von 2 Prozent mehr Umsatzsteuer für die Länder? Wohl kaum. Zwar standen den
Ländern frei verfügbare Mittel in erheblichem Umfang
zur Verfügung;
({7})
aber die Umsatzsteuermehreinnahmen verteilten sich
nach Einwohnerzahl und nicht nach Betroffenheit von
Truppenabbau und nach Strukturschwäche der Region.
Bayern beispielsweise war mit einem unterproportionalen
Anteil von Standortschließungen überproportional von
den Mehrwertsteuereinnahmen begünstigt. Aber was geschah damals mit den Mitteln in Bayern? Fragen Sie einmal bei den Kommunen nach. Ich komme aus einer Kommune, die damals hart betroffen war. Ich weiß als Stadtrat,
dass dort nichts ankam.
({8})
Nordrhein-Westfalen und Brandenburg - das sind übrigens rot-grün regierte Länder - entwickelten Landeskonversionsprogramme. Sie waren sehr erfolgreich.
({9})
Lassen Sie uns das jetzt gemeinsam besser machen.
Wir halten die Vorschläge, die Sie in Ihren Anträgen gemacht haben, für teilweise sehr interessant und auch korrekt.
({10})
Stellen wir den Regionen dem Ausmaß der Betroffenheit
entsprechende Hilfen zur Seite. Wir von Bündnis 90/Die
Grünen halten es jedenfalls für sinnvoll, dass beispielsweise ein Bundeskonversionsbeauftragter als Vermittler und Koordinator zwischen Bund, Ländern, Kommunen und Investoren berufen wird.
({11})
Wir meinen, dass der bestehende Gebäudebestand für
Bildungseinrichtungen, sozialen Wohnungsbedarf und
Gewerbebedarf genutzt werden kann, dass die Konversionsflächen für den Städtebau verwendet werden können
und dass die betroffenen Regionen zielgerichtet Fördermittel aus Regionalstrukturprogrammen benötigen. Dies
muss keine Aufstockung der Haushaltsmittel bedeuten,
sondern kann auch durch Umschichtungen erfolgen.
({12})
Der Bund hat aus grüner Sicht auch Verantwortung für
die Altlastenbefreiung zu tragen, sodass eine zivile und
umweltgerechte Nachnutzung kontaminierter Liegenschaften möglich ist. Ermöglichen wir doch die Einrichtung von Naturschutz- oder Landschaftsparks auf ehemaligen militärischen Übungsflächen. Besonders dort haben
sich einzigartige Biotopverbundsysteme herausgebildet,
da das Gelände über Jahrzehnte nicht bebaut und nur partiell genutzt worden ist.
({13})
Nutzen wir bestehende Bundesförderprogramme, um
Investitionen in Konversionsflächen und Gebäude zusätzlich zu erleichtern. Dies soll besonders wachstumsintensive Investitionen begünstigen, die nicht nur eine
arbeitsplatzschaffende, sondern auch eine ökologische
Zielsetzung verfolgen, zum Beispiel Investitionen zur
Energieeinsparung, zur Erzeugung von erneuerbaren
Energien und für den ökologischen Landbau. Die entsprechenden Rahmenbedingungen haben wir bereits geschaffen. Wir fordern natürlich auch die Länder und
besonders die Kommunen auf, eigene kreative Nachnutzungskonzepte zu entwickeln; denn nur die Regionen
selbst wissen am besten, wofür ein geschlossener Standort zivil genutzt werden kann.
({14})
Mit solchen Maßnahmen können wir den Regionen im
aktuellen Konversionsprozess mehr und effektivere Hilfe
zur Seite stellen, als es die alte Bundesregierung in ihrer
ersten umfangreichen Konversionsetappe getan hat. Nutzen wir die Chancen, die uns die zivile Nachnutzung militärischer Liegenschaften bietet. Auf der einen Seite können Arbeitsplätze in neu angesiedelten Unternehmen
entstehen. Arbeitsplätze können aber auch durch das Herrichten der Liegenschaften, zum Beispiel für Bauunternehmen, entstehen. Damit können die betroffenen Regionen ihre Wirtschaftskraft nachhaltig stärken. Auf der
anderen Seite können unsere Umweltbedingungen durch
die Beseitigung militärischer Altlasten und durch die
künftige Vermeidung von militärisch bedingten Umweltbelastungen wie Flug- und Schießlärm verbessert werden,
aber auch durch die Rückgabe von Liegenschaften zur
Schaffung von Natur und Parkflächen.
Lassen Sie uns die gemeinsamen Chancen der Standortschließungen nutzen. Lassen Sie uns dabei im Sinne
der ökologischen Modernisierung nicht nur zum Schutze
unserer natürlichen Lebensgrundlagen beitragen, sondern
auch gleichzeitig Arbeitsplätze schaffen und die Regionen
wirtschaftlich stärken.
({15})
Bündnis 90/Die Grünen wollen die betroffenen Kommunen nicht alleine lassen.
({16})
Der Kollege
Kutzmutz ist schon im Anmarsch. Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Es ist - Ihnen
fällt das wahrscheinlich gar nicht mehr auf - schon ein eigenartiges Schauspiel eines Rollenwechsels, das hier
stattfindet. In ihren Anträgen fordern CDU/CSU und
F.D.P. ein Bundeskonversionsprogramm. Genau das haben Sie als Regierungskoalition immer abgelehnt: Die
Länder hätten schließlich bei dem Steuerkompromiss Anfang der 90er-Jahre von der Mehrwertsteuererhöhung
2 Prozentpunkte abbekommen und daraus seien die Mehrbelastungen durch den Truppenabbau zu finanzieren.
SPD und Grüne haben in ihren Oppositionstagen
- lang, lang ist es her - die Verantwortung des Bundes bei
der Abfederung der Folgen von Rüstungsminderung immer vehement eingefordert. Rudolf Scharping und Fraktion verlangten am 6. November 1996 ein Konversionsprogramm des Bundes.
({0})
Heute verlangt Rudolf Scharping kein Konversionsprogramm mehr, sondern beispielsweise 500 Millionen DM
für den Ausbau des früheren sowjetischen Übungsplatzes
in der Kyritz-Ruppiner Heide. Dabei klagen die meisten
Anliegergemeinden nicht nur gegen eine erneute militärische Nutzung, sie haben auch Konversionskonzepte erarbeitet, die jedoch durch den Wiedereinzug des Militärs
im wahrsten Sinne des Wortes bombardiert werden. Es
liegt eine absurde politische Gefechtslage vor, die aber
eine mögliche Finanzierungsquelle des unverzichtbaren
Bundesprogramms aufzeigt.
In der Sache, liebe Kolleginnen und Kollegen von der
CDU/CSU, ist Ihr Antrag insoweit zu unterstützen, als es
nicht angehen kann, dass die Bundesregierung eine Verkleinerung der Bundeswehr verordnet, die Städte, Gemeinden, Kreise und Länder mit deren Folgen aber im Regen stehen lässt.
({1})
Herr Fell hat eben gesagt, wir dürften die Betroffenen
nicht alleine lassen. Wir fordern, frei werdende Mittel
dafür zu nutzen, die Abrüstung sozial- und umweltverträglich zu gestalten.
({2})
Auch Kreativität, Herr Fell, kostet Geld. Mit Kreativität
allein hat es noch nicht einmal ein Modeschöpfer weit gebracht. Auch bei der Bundeswehr lösen sich die Probleme
nicht von alleine. Deshalb fordern wir ein Abrüstungs- und
Konversionskonzept, das den Abbau der Streitkräfte mit
gezielter regionaler Wirtschaftsförderung verbindet.
Die für die Wirtschaftsförderung vor Ort zuständigen Stellen brauchen ganz schnell belastbare Daten darüber, wann
ein Objekt in welchem infrastrukturellen Zustand von der
Bundeswehr geräumt wird. Es geht um Personal, Qualifikation und vieles andere mehr.
({3})
Wir brauchen einen Konversionsfonds des Bundes, und
zwar nicht zuletzt deshalb, weil die EU-Förderung der
Konversion gerade ausläuft. Niedersachsen hat eine Bundesratsinitiative gestartet, die von Mecklenburg-Vorpommern unterstützt wird. Wer hindert die Bundesregierung daran, entsprechende Mittel für diesen Zweck einzustellen?
Bei dem Umfang der Förderung muss nach meiner Auffassung die tatsächliche Strukturschwäche der Region und
nicht nur der militärische Verlust einkalkuliert werden.
Ich habe das Ressortkonzept Stationierung einmal
nach Ländern aufgeschlüsselt und den Anteil der einzelnen Länder an den vorgesehenen Dienstposten mit ihrem
Anteil an der Bevölkerung und der Bruttowertschöpfung
verglichen. Das Ergebnis war, dass auch nach der neuen
Bundeswehrstruktur alle westdeutschen Flächenländer
- mit Ausnahme von Hessen und Baden-Württemberg,
die ja vergleichsweise kräftige Regionen sind - nach wie
vor überproportional viel vom Wirtschaftsfaktor Militär
profitieren werden. Diese Feststellung bedeutet keineswegs einen Appell, mehr Bundeswehr in den Osten zu
bringen. Es braucht also kein Bayer zu fürchten, er müsse
nach Eggesin.
({4})
- Sie kennen Eggesin nicht.
Konversion und die Herausforderungen der Regionalund Strukturpolitik sind zwei Seiten einer Medaille. Was
spricht eigentlich dagegen, zu versuchen, die Probleme
des Bundeswehrabzuges im Zusammenhang mit den Problemen aus der EU-Osterweiterung zu lösen, bei der eine
Sonderförderung für die an den bisherigen EU-Außengrenzen liegenden Regionen unverzichtbar ist?
({5})
Wie die Programme heißen, ist letztendlich egal. Entscheidend bleibt allein, dass den von einem Strukturwandel betroffenen Menschen und Regionen tragfähige Perspektiven geboten werden müssen.
Danke schön.
({6})
Nun spricht
der Kollege Christian Müller für die Fraktion der SPD.
Herr Präsident!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich
- erstens - unterstreichen, was der Kollege Mosdorf bereits zum Ausdruck gebracht hat: Es ist für die betroffenen Regionen keine leichte Aufgabe, mit den Folgen eines Strukturwandels - gleich welcher Art, natürlich auch
bedingt durch die Schließung von Bundeswehrstandorten - umzugehen. Die Forderung, dies auch parlamentarisch zu behandeln, ist sicherlich berechtigt. Trotzdem
wird uns die Schilderung der Einzelfälle, die man hier
natürlich komplett vornehmen könnte, vermutlich nicht
allzu weit bringen.
Lassen Sie mich - zweitens - ein Wort zu einigen Debattenbeiträgen sagen. Wir werden sicherlich nicht in der
Lage sein, hier erneut über die Bundeswehrreform zu debattieren. Eine Neuauflage dieser Debatte ist nicht möglich. Das steht nur unseren Kollegen Verteidigungspolitikern zu. Außerdem ist über diese Reform reichlich
diskutiert worden.
({0})
- Nun beruhigen Sie sich wieder! - Trotzdem sei an dieser Stelle auf ein paar Dinge hingewiesen, die hinter der
Debatte über die Bundesreform stehen.
Der Bericht des Wirtschaftsausschusses hat uns gezeigt, dass die Rationalisierungspotenziale letztendlich
noch nicht voll ausgeschöpft wurden, sodass man festhalten muss: Auch strukturpolitische Verantwortung hat bei
dem jetzigen Standortkonzept offenbar eine Rolle gespielt. Das möchte ich unterstreichen.
Speziell Herr Kutzmutz hat einige Anmerkungen zum
Thema Rollenwechsel gemacht. Wenn man nachforscht,
wird man sicherlich auch auf die Antwort auf eine Große
Anfrage der SPD - Drucksache 13/4747 - zum Thema
Konversion stoßen. Finanzminister Theo Waigel hat damals gesagt:
Aus der Zuständigkeit des Bundes für die Verteidigung
ergibt sich entgegen der Anfrage keine verfassungsrechtliche Zuständigkeit des Bundes, Maßnahmen hinsichtlich der Auswirkungen der Konversion zu treffen.
Nach harten Verhandlungen im Vermittlungsausschuss
kam dann das zustande, was Herr Fell und Herr Kutzmutz
bereits erwähnten.
({1})
Letztendlich konnten durch die Erhöhung des Anteils der
Länder am Mehrwertsteueraufkommen von 35 Prozent
auf 37 Prozent 2 Prozent für die Konversion verwendet
werden.
({2})
Sie dürften sich sicherlich auch noch daran erinnern, dass
die Mittel, die den Ländern im Zuge der Erhöhung des
Mehrwertsteuersatzes von 14 Prozent auf 15 Prozent
zusätzlich zur Verfügung standen, ebenfalls in den Konversionsprozess einfließen durften. Zum Thema der proportionalen, unterproportionalen oder überproportionalen
Nutzung hat der Kollege Fell, glaube ich, das Notwendige
gesagt.
Sie reden zwar immer von 7 Milliarden DM. Aber
wenn Sie genau nachrechnen, dann werden Sie feststellen, dass insgesamt 39 Milliarden DM zur Verfügung stehen, die in den Konversionsprozess eingespeist werden
können. Diese Mittel sind nach unserer Regierungsübernahme nicht gestrichen worden. Sie stehen bis heute zur
Verfügung. Herr Rossmanith, auf Bayern entfallen davon
immerhin 5,8 Milliarden DM. Das sind 700 Millionen DM im Jahr. Das ist nicht gerade wenig.
({3})
- Ich hoffe, Sie wollen mit Ihrem Zwischenruf nicht zum
Ausdruck bringen, dass die Konversion nun ein für alle
Mal abgeschlossen sei, weil sie schon damals begonnen
wurde. Konversion wird immer eine Aufgabe sein, so
oder so.
Ich möchte darauf nicht näher eingehen, weil ich
glaube, dass die Debatte darüber viel zu kurz greift, und
weil wir uns aus den verschiedensten Gründen strukturpolitischen Herausforderungen - die Konversion ist nur
eine davon - im Grunde genommen permanent stellen
müssen, und zwar auch in Zukunft.
Vor welchen Herausforderungen stehen wir? Wir stehen vor der Herausforderung der Globalisierung - die europäische Wirtschafts- und Währungsunion gehört genauso dazu -, die den Wettbewerb der Standorte
verschärft. Wir stehen vor der Herausforderung, die
Strukturdefizite in Ostdeutschland, die bis heute noch
nicht ausgeglichen werden konnten, zu beseitigen. Wir
stehen des Weiteren vor der Herausforderung des überregionalen Wettbewerbs, von dem insbesondere die ostdeutschen Standorte betroffen sind. Wir werden in Kürze
durch die EU-Osterweiterung einen weiteren Schub in
Richtung Strukturwandel erhalten. Wir sind in einer
Phase, in der es um die Umorientierung der Agrarpolitik
geht; auch das ist ein Strukturwandel im ländlichen Raum.
Wenn man all das einmal zusammennimmt, wird man zu
der Ansicht gelangen müssen, dass man auf einzelne Herausforderungen nicht jeweils mit Einzel- und Sonderprogrammen reagieren kann.
({4})
Vielmehr muss man die Ansätze nutzen und verstärken,
über die man verfügen kann.
Natürlich ist die Frage, ob gerade die Problemregionen
den Strukturwandel aus eigener Kraft zuwege bringen,
besonders heikel. Deswegen haben wir bereits in unseren
europapolitischen Anträgen zum Ausdruck gebracht, dass
Bund und Länder eine verstärkte Verantwortung für die
Moderation, die Koordinierung und auch die Begleitung
des Strukturwandels in den Regionen übernehmen müssen. Das halte ich für besonders wichtig.
Im Übrigen haben wir ein bewährtes strukturpolitisches Instrumentarium, das wir zur Anwendung bringen
können. Ich erwähne in diesem Zusammenhang die diversen Gemeinschaftsaufgaben von der Verbesserung der
regionalen Wirtschaftsstruktur über Agrarstruktur, Hochschulbau, Forschungsförderung, Städtebau, Innovationstechnologieförderung, Mittelstandsförderung, berufliche
Bildung bis hin zum Arbeitsmarkt und so weiter. Wir haben es nicht nötig, Neues zu erfinden und dadurch sprichwörtlich die Gießkanne mit Mitteln zu füllen, die nicht
zielgerichtet verteilt werden können.
({5})
Vielmehr kommt es darauf an, die strukturpolitischen
Schwerpunkte zu definieren und Prioritäten zu setzen.
Natürlich müssen wir die wirksamsten Instrumente finanziell stärken und die Förderprogramme besser aufeinander
abstimmen, sodass der Erfolg auf Projektebene durch eine
bessere Koordination erreicht werden kann. Ich denke,
wir haben noch immer den eklatanten Mangel, dass die
verschiedenen raumwirksamen Politikansätze des Bundes
und der Länder zu schlecht koordiniert werden. Das ist
doch ein politischer Denkansatz, mit dem wir uns einmal
genauer beschäftigen sollten.
({6})
- Ich fürchte, das fehlte gerade noch. Wenn Sie das wünschen, müssen Sie erst einmal eine Wahl gewinnen, dann
können Sie das ja vielleicht werden.
({7})
Wir haben zum Ausdruck gebracht, dass wir auch in
diesem Zusammenhang darauf achten müssen, dass wir
die Instrumente zur gewerblichen Förderung in Brüssel
mit Blick auf das Beihilferecht absichern müssen und dass
wir dafür sorgen müssen, vernünftige Spielräume für nationale Programme zu behalten. Das ist eine der Aufgaben
und Herausforderungen, die uns gerade beim europäischen Einigungsprozess ins Haus stehen.
Aus diesen Gründen darf man durchaus etwas über die
Finanzierungsmöglichkeiten nachdenken. Die Konzentration der Mittel innerhalb der Programme und der GA
wird sicherlich auf Grenzen stoßen. Denn wo man konzentriert, wird man zwangsläufig an anderer Stelle eine
Lücke hinterlassen. Deswegen wird man so begrenzte Erfolge haben, aber nicht eine allgemeine Lösung finden.
Wichtiger wäre es - ich denke, Sie könnten das ruhig einmal in Ihre Überlegungen einbeziehen -, darüber nachzudenken, wie man eine sinnvolle Umschichtung zwischen konsumtiven und investiven Aufgaben zustande
bekommt, was in diesem Zusammenhang sehr sinnvoll
wäre. Auch der Übergang von strukturkonservierenden
hin zu strukturverbessernden Maßnahmen gehört zu den
Mitteln, die wir selbst dann noch haben, wenn wir
Haushaltskonsolidierung als ein wesentliches Prinzip unserer Politik festschreiben müssen.
({8})
Neben all dem brauchen wir, denke ich, mehr Klarheit
in Förderprogrammen; die Beseitigung von Parallelförderung und Überschneidungen kann ebenfalls einen Beitrag
dazu leisten. Dann können wir darüber reden, wie auf
diese Art und Weise zusätzliche Mittel für die wirksamsten Instrumente, die wir zur Behebung struktureller Defizite benötigen, organisiert werden können.
Meine Damen und Herren, ich fasse zusammen: Nicht
neue Programme sind die Lösung des Problems,
({9})
sondern die bessere Koordinierung und Ausstattung unserer bewährten strukturpolitischen Programme. Deswegen
kann man Ihre Forderung nach einem Konversionsprogramm, was heute in verschiedenen Varianten vorgetragen wurde, nur ablehnen.
({10})
Für die
CDU/CSU-Fraktion gebe ich das Wort dem Kollegen
Wolfgang Börnsen.
Herr
Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Christian
Müller hat Recht: In der Vergangenheit sind von der
Koalition aus CDU/CSU und F.D.P. Mittel für die Konversion ausgegeben worden, und zwar durch die Verbesserung der Umsatzsteueranteile und der Mehrwertsteueranteile für die Bundesländer.
({0})
Das bedeutet, dass die Länder und die Kommunen 7 Milliarden DM mehr aus dem Umsatzsteueraufkommen und
32 Milliarden DM mehr aus dem Mehrwertsteueraufkommen bekamen. Insgesamt bekamen die Länder und die
Kommunen also 39 Milliarden DM, um die durch den
Auszug der Bundeswehr entstandenen Probleme auszugleichen. Heute gibt es dagegen keine einzige müde
Mark.
({1})
Es ist schon fast vergessen, dass der 16. Februar 2001
für 60 000 Soldaten und für 45 000 zivile Mitarbeiter ein
schwarzer Tag war. Über 200 Kommunen - die kleinen
Christian Müller ({2})
dürfen nicht vergessen werden - leiden darunter, dass die
Bundeswehr aus den dortigen Standorten abgezogen
wird.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten
Hans Büttner?
Nein,
im Augenblick nicht. Ich möchte erst einmal im Zusammenhang vortragen.
Ich spreche deshalb von einem schwarzen Tag, weil
nicht nur die Betroffenen auf einmal merkten, dass es für
sie ernst wird, sondern auch deshalb, weil klar wurde, dass
hinter diesem Abzug kein Konzept steht.
({0})
Man weiß nicht, wie es weitergehen wird. Nichts geht
weiter!
Heute ist noch einmal deutlich geworden: Es gibt keine
Stellungnahme zu einer Konversion, weder vom Verteidigungsminister noch vom Finanzminister noch vom Bundeskanzler - Fehlanzeige! So zu handeln, nenne ich verantwortungslos.
({1})
Auch wenn der Parlamentarische Staatssekretär im
Augenblick tief in ein Gespräch verwickelt ist:
({2})
Der Hauptteil des Abzuges findet in strukturschwachen
Regionen statt. Dort gibt es einen Verlust an Kaufkraft
und einen Wegfall an Arbeitsplätzen. Das und nichts anderes ist die Wirklichkeit.
({3})
Nach meiner Auffassung geht der Kasernenabbau
schon vom Grundsatz her zu weit: Die Personalstärke der
Bundeswehr und ihre materielle Ausstattung müssen sich
an sicherheitspolitischen und nicht an finanzpolitischen
Erwägungen orientieren. 1990 betrug der Verteidigungshaushalt noch 57,5 Milliarden DM; im Jahr 2000 belief
er sich auf 45,3 Milliarden DM und in diesem Jahr beträgt
er 44,8 Milliarden DM, so wenig wie nie zuvor. Das ist
nicht zu verantworten. Eichel diktiert, Scharping reagiert.
({4})
Nach Auffassung der Union - sie wird international
geteilt - dürfte die Bundeswehr in diesem Umfang gar
nicht reduziert werden. Wenn wir noch regierten, dann
ständen nicht 60 000 militärische und 45 000 zivile
Dienstposten zur Disposition. Nicht nur das Ausmaß, sondern auch die Umsetzung ist in vielen Teilen militärisch
fragwürdig und wirtschaftlich unvertretbar. Der Verteidigungsminister sagte, der Bundeswehrabbau müsse ausgewogen sein. Doch Bayern - mit 15 000 Dienstposten und Schleswig-Holstein - mit 10 000 Dienstposten - werden überproportional belastet. Das ist ungerechtfertigt!
({5})
Arbeitsmarkt und Wirtschaftskraft, so der Verteidigungsminister, seien bei der Kasernenauswahl entscheidende Maßstäbe. Ich nenne das Beispiel Bundeswehrstandort Schleswig: Das Bataillon - hochmodern ausgestattet
und bestens untergebracht - verfügt über hervorragende Infrastrukturbedingungen. Es erfüllt zudem die zentralen
Funktionen des Katastrophenschutzes für Schleswig-Holstein und Hamburg. Mit der faktischen Schließung werden
der Stadt an der Schlei 10 Prozent ihrer fast 13 000 Arbeitsplätze und 22 Millionen DM ihrer Kaufkraft genommen.
({6})
Es wird auf eine Kaserne verzichtet, die man in den letzten zehn Jahren für 20 Millionen DM ausgebaut hat und
in der zusätzlich 710 Soldaten aufgenommen werden
könnten. Nach der neuen Planung soll wenige Kilometer
weiter westlich eine neue Kaserne aufgebaut werden. Das
hat mit Einsparen nichts zu tun. Das ist „ScharpingSchilda“ in Reinkultur.
({7})
Der Abzug der Soldaten aus der Schlei-Stadt entspricht
nicht militärischen Absichten. 42 Hektar Liegenschaften,
günstig direkt am Wasser gelegen, könnten zu einer
Goldader für die GEBB werden; sie verfügt darüber.
Diese Gesellschaft, seit sechs Monaten im Amt, soll bereits in diesem Jahr 1 Milliarde DM einnehmen. Es werden faktisch nur 300 Millionen DM. Dafür bleibt aber das
Einkommen der Präsidentin, einer ehemaligen SPD-Senatorin, konstant. 600 000 DM verdient sie im Jahr.
Außerdem bekommt sie eine Gewinnbeteiligung. Da
könnte man ironisch sagen: Dann wird ihr Gehalt sicher
durch das Tagegeld stabilisiert, das man den Kosovo-Soldaten von 180 DM auf 155 DM reduzieren will. Das ist
die Wirklichkeit und die Gerechtigkeit in unserem Land!
({8})
Nehmen Sie ein zweites Beispiel, das von Basepohl
und Eggesin in Mecklenburg-Vorpommern. Die Arbeitslosigkeit beträgt 25 Prozent.
({9})
Jeder Vierte findet keine Arbeit. Trotzdem schließt RotGrün die Standorte. Eine der strukturschwächsten Regionen in Deutschland, die sich gerade zu entwickeln beginnt, wird platt gemacht. Nach Aussage meines Kollegen
Ulrich Adam kommt es nicht nur zu einem Kaufkraftverlust von 30 Millionen DM jährlich, sondern die Kasernen
haben im Aufbau 80 Millionen DM gekostet. Das nenne
ich volkswirtschaftlich unsinnig und skandalös.
({10})
Zusammenfassend ist festzustellen: Hier wird ruckzuck reduziert. Es gibt kein schlüssiges Handlungskonzept, weder für die 105 000 betroffenen Menschen noch
Wolfgang Börnsen ({11})
für die Kommunen. Es ist eine Reform ohne Verantwortung für die Folgen. Es fehlt immer noch ein gesamtstaatliches Konzept zur Kompensation des Bundeswehrabbaus. Erforderlich ist ein faires Konversionsprogramm.
Das gibt es nicht. Erforderlich sind Mittel für die Investitionen. Die gibt es nicht. Erforderlich sind auch vernünftige Maßnahmen für die Zivilverwaltung.
Verdi, die neue Gewerkschaft, beklagt den Abbau von
7 000 zivilen Dienstposten allein für Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein. Sie kritisiert die rotgrünen Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes und sagt:
Sie blockieren alle Tarifverhandlungen, sie sind hinhaltend, unmodern und gleichgültig. Sie beklagt die fehlende
Arbeitsplatzzusage und - das wird Sie besonders interessieren - seit vorgestern sind die Verhandlungen abgebrochen, weil die öffentlichen Arbeitgeber blockiert haben.
Die jetzigen zivilen Mitarbeiter der Bundeswehr werden
von ihrem obersten Chef im Regen stehen gelassen.
({12})
Im jüngsten Brief zum Tarifvertrag Konvers werden
unverhüllt Kampfmaßnahmen angedroht. Das ist in der
Geschichte der Bundesrepublik einmalig: Zivilbeschäftigte der Bundeswehr gehen auf die Straße. Das hat es in
Deutschland noch nie gegeben! Das ist eine ganz große
Enttäuschung, die sich da breit macht, ein Protest gegenüber dem Bundesverteidigungsminister.
Ich will, Herr Präsident, zum Schluss auf ein Dilemma
aufmerksam machen,
Aber bitte in
zwei Sätzen.
- in
dem sich der Bundesverteidigungsminister befindet. Er
befindet sich in einer Sandwichposition zwischen Eichel,
der weniger Geld für die Wehr will, und dem Teil der Grünen, der die Bundeswehr abschaffen will. Das Resultat
sind Reformen, die auf Sand gebaut sind.
({0})
Damit
schließe ich die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 14/5550 und 14/5467 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Das
Haus ist damit einverstanden, dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur
Änderung und Ergänzung des Anspruchs- und
Anwartschaftsüberführungsgesetzes ({0})
- Drucksache 14/5640 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung ({1})
Innenausschuss
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe für die Bundesregierung der Parlamentarischen Staatssekretärin im Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung, der Kollegin Ulrike Mascher, das Wort.
Herr Präsident!
Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kollegen! Liebe
Kolleginnen! Der zur Beratung anstehende Regierungsentwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung und
Ergänzung des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes setzt die zwingenden Vorgaben des
Bundesverfassungsgerichtes um.
({0})
- Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz, abgekürzt AAÜG, Herr Koppelin.
Ich hatte damit vorhin ebenfalls Probleme.
Das Gericht hat
mit seinen Urteilen vom 28. April 1999 den Gesetzgeber
beauftragt, verfassungswidrige Teile der Überleitung der
Zusatz- und Sonderversorgungssysteme der DDR in das
bundesdeutsche Rentenrecht dem Grundgesetz entsprechend zu ändern. Gleichzeitig hat das Gericht aber die
Grundsatzentscheidung des Gesetzgebers bestätigt, die
Ansprüche und Anwartschaften aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen in die Rentenversicherung zu überführen und dabei die systematischen Grenzen, zum Beispiel die Beitragsbemessungsgrenze, zu beachten.
Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes und die konkretisierende Rechtsprechung für eine verfassungskonforme Regelung des Bundessozialgerichtes
haben in einem ausgesprochen kontrovers und heftig diskutierten Bereich des deutschen Einigungsprozesses die
notwendige Klärung bewirkt. Es ist zu hoffen, dass dies
zum Rechtsfrieden beiträgt. Bei der Umsetzung der Vorgaben der Gerichte für eine verfassungskonforme Regelung der Überführung lässt sich der Gesetzgeber von der
befriedenden Funktion dieser Entscheidungen leiten und
setzt eins zu eins die zwingenden Vorgaben des Gerichts
verbindlich um.
Der Gesetzentwurf regelt Folgendes: Der Vertrauensschutz für die rentennahen Jahrgänge wird auf den Zeitraum bis zum 30. Juni 1995 ausgedehnt. Die in verfassungskonformer Auslegung geforderte Dynamisierung
des besitzgeschützten Zahlbetrages wird entsprechend der
Wolfgang Börnsen ({0})
Auslegung des Bundessozialgerichtes mit den Anpassungswerten der alten Bundesländer durchgeführt. Die
Zahlbetragsbegrenzung wird für die „nicht systemnahen“ Zusatzversorgungssysteme aufgehoben. Im Übrigen
bleibt die Zahlbetragsbegrenzung 2 010 DM für Sonderversorgungs- und „systemnahe“ Zusatzversorgungssysteme bestehen.
Die Zahlbetragsbegrenzung für das Versorgungssystem des Ministeriums für Staatssicherheit bzw. des Amtes
für Nationale Sicherheit wird verfassungskonform entsprechend den Bestimmungen des Volkskammergesetzes
über die Aufhebung der Versorgungsordnung des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit bzw. des Amtes
für Nationale Sicherheit ausgestaltet.
Die Entgeltbegrenzung für sonstige staatsnah tätige
Zusatz- und Sonderversorgte, wie dies im Rentenüberleitungs-Ergänzungsgesetz von 1993 vorgesehen war, wird
nach Maßgabe des Urteils des Bundesverfassungsgerichtes aufgehoben. Die Entgeltbegrenzung für die Bemessungsgrundlage zur Rentenberechnung für Angehörige
des Versorgungssystems des Ministeriums für Staatssicherheit bzw. des Amtes für Nationale Sicherheit wird von
70 Prozent auf 100 Prozent des Durchschnittentgeltes angehoben.
Entsprechend den Vorgaben des Bundessozialgerichtes
wird die Neuberechnung von Bestandsrenten zum Zeitpunkt der Rentenüberleitung im Wege der Vergleichsberechnung vorgenommen.
Das alles mag Ihnen höchst fachchinesisch erscheinen,
hat aber für die betroffenen Menschen ganz erhebliche
Auswirkungen. Ich hoffe, dass das zur befriedenden Wirkung der Urteile beiträgt.
({1})
Bestandteil des Änderungsgesetzes sind darüber hinaus Regelungen zu den Beschäftigungszeiten bei der
Deutschen Reichsbahn und bei der Deutschen Post, die
Entscheidungen des Bundessozialgerichtes vom 10. November 1998 über die Anrechnung des Arbeitsverdienstes
oberhalb von 600 Mark für Beschäftigungszeiten bei der
Deutschen Reichsbahn und der Deutschen Post berücksichtigen. Dabei wird klargestellt, dass auch für Beschäftigungszeiten bei der Deutschen Reichsbahn und der
Deutschen Post bei der Rentenberechnung grundsätzlich
nur der erzielte Arbeitsverdienst, für den tatsächlich
Beiträge gezahlt worden sind, in die Ermittlung der Entgeltpunkte eingeht.
Für Beschäftigungszeiten bei der Deutschen Reichsbahn oder bei der Deutschen Post vom 1. März 1971 bis
31. Dezember 1973 soll bei der Rentenberechnung generell das tatsächlich erzielte Arbeitsentgelt auch ohne
Beachtung der Beitragszahlung zur freiwilligen Zusatzrentenversicherung der ehemaligen DDR, der FZR, berücksichtigt werden.
Darüber hinaus - das wird die Reichsbahner und Postler besonders freuen - soll für Versicherte, die am 31. Dezember 1973 bereits zehn Jahre bei der Deutschen Reichsbahn oder bei der Deutschen Post beschäftigt gewesen
sind, im Zeitraum vom 1. Januar 1974 bis 30. Juni 1990
ein Arbeitsverdienst bis zu 1 250 Mark monatlich ebenfalls ohne Beitragszahlung zur FZR berücksichtigungsfähig sein.
Ich denke, die Vertreter der Reichsbahner und der Postler haben mit einer unermüdlichen Lobbyarbeit, aber auch
mit Unterstützung von Bundestagsabgeordneten der SPD
und auch der anderen Fraktionen
({2})
daran mitgearbeitet. - Allerdings haben Sie die Chance,
Veränderungen vorzunehmen, leider nicht genutzt, als Sie
an der Regierung waren.
({3})
Alle haben aber dazu beigetragen und ich denke, die
Reichsbahner und Postler können auf ihr Ergebnis stolz
sein.
({4})
Für all diese Korrekturen werden vom Bund und von
den neuen Bundesländern erhebliche finanzielle Leistungen erbracht. Ich kann nur noch einmal sagen: Ich
hoffe sehr, dass die Umsetzung dieser Urteile zu einer
weiteren Befriedung der schwierigen Debatte über diesen
Teil der Rentenversicherung führt und dass damit insgesamt gesehen wird, welch große sozialpolitische Leistung
die Überführung des Rentenversicherungssystems der
DDR in das der Bundesrepublik zum Nutzen der Rentnerinnen und Rentner war.
Danke.
({5})
Für die
Fraktion der CDU/CSU spricht nun die Kollegin Claudia
Nolte.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Diejenigen, die uns schon vor
Jahren gesagt haben, dass uns die Rentenüberleitung noch
lange Kopfzerbrechen und Bauchschmerzen bereiten
wird, haben Recht behalten. Dass dies ein der jetzigen
Bundesregierung sehr unangenehmes Thema ist, sieht
man allein daran, dass das Gesetz erst jetzt eingebracht
wurde, um unliebsame Diskussionen vor den Landtagswahlen zu verhindern.
({0})
Sie haben wenig Zeit, um die Verfassungsgerichtsurteile
umzusetzen. Wir haben eine sehr knappe Beratungszeit.
Dieses Gesetz ist nicht nur im Westen, sondern aufgrund des Regelungsinhaltes auch im Osten problematisch
zu vermitteln. Auch bei uns fragen sich viele, warum ausgerechnet diejenigen - nämlich die Mitarbeiter des MfS
- jetzt mehr Rente erhalten sollen, obwohl viele Menschen, die keine Chance hatten, anständige Rentenanwartschaften zu erwirtschaften, gar nichts erhalten.
({1})
Deshalb sage ich für unsere Fraktion: Bei allen Detailfragen dieses Gesetzentwurfs ist ein Punkt ganz entscheidend. Es ist für uns nicht akzeptabel, dass wir uns ausschließlich um die Renten von MfS-Mitarbeitern
kümmern, ohne etwas für die zu tun, die Opfer dieses Systems gewesen sind.
({2})
Für uns ist ganz entscheidend und wichtig, dass wir uns
um diese Personengruppe kümmern. Deshalb haben wir
schon im Juni des letzten Jahres das Dritte SED-Unrechtsbereinigungsgesetz eingebracht.
({3})
Wir wären sehr dankbar, wenn Sie uns in diesem Punkt
folgen würden. Erst wenn wir an dieser Stelle befriedigende Lösungen haben, können wir davon sprechen, dass
wir zum Rechtsfrieden in der Rentenüberführung beitragen konnten.
({4})
So schmerzhaft manches in den Urteilen auch war,
sind sie doch für uns bindend. Deshalb sind wir umso
überraschter, dass die Bundesregierung in den Punkten,
wo tatsächlich Handlungsbedarf besteht, hinter den Urteilen zurückbleibt und nicht die Chance nutzt, Ungerechtigkeiten abzubauen.
({5})
Ich denke hier insbesondere an die Regelung für Hochschullehrer und Professoren. Frau Mascher, ich weiß
nicht, woher Sie die Hoffnung auf Rechtsfrieden nehmen.
Denn die Briefe, die ich bekomme, bekommen auch Sie.
Die Problempunkte sind also allen hier im Hause sehr
wohl bekannt. Lassen Sie mich einige davon ansprechen.
Das Bundesverfassungsgericht sagt eindeutig: Die Dynamisierung hat ab dem 1. Januar 1992 zu erfolgen. Der
Gesetzentwurf sieht demgegenüber eine Dynamisierung
ab dem 1. Juli 1992 vor, was dazu führt, dass den betroffenen Hochschullehrern eine Steigerung um 6,84 Prozent
nicht zuerkannt wird, die alle anderen Rentner bekommen
haben, um die zusätzliche Belastung durch die Krankenversicherungsbeiträge, die es damals gegeben hat, auszugleichen.
({6})
- Nein. - Es geht um die Frage, ob Sie bereit sind, in den
Entwurf entsprechende Regelungen aufzunehmen.
Noch gravierender ist - das steht in einem offenen Widerspruch zum Bundesverfassungsgerichtsurteil -, dass
die Bestandsrenten für zusatzversorgte ehemalige Wissenschaftler der DDR nicht gemäß der Rentenanpassung
Ost, sondern der Rentenanpassung West errechnet werden. Wir wissen alle, wie die Lohnanpassungen ausgesehen haben und dass sich daraus für die neuen Bundesländer logischerweise ganz andere Rentenanpassungen
ergeben haben. Deshalb frage ich mich, warum ausgerechnet diese Personengruppe jetzt außen vor gelassen
wird.
({7})
Das Bundesverfassungsgericht hat in der Erläuterung
zum Leiturteil sinngemäß ganz klar gesagt: Der an die berufliche Stellung anknüpfende Lebensstandard und damit
auch der Abstand zwischen zusatzversorgten und normal
versorgten Rentnern soll aufrechterhalten werden.
Ich finde es unerklärlich, warum das Bundessozialgericht hier hinter dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zurückgeblieben ist und eine andere Lösung
vorgeschlagen hat, nämlich Rentenanpassung nach Weststandard, obwohl dieses Urteil nach dem BVG-Urteil gefällt wurde und Verfassungsgerichtsurteile eigentlich
auch für das BSG bindend sind. Für mich besteht da erheblicher Erklärungsbedarf. Ich hoffe, wir bekommen in
den Beratungen darauf eine Antwort.
Genauso frage ich die Bundesregierung, warum sie
sich hier im Bewusstsein dessen auf das BSG-Urteil und
nicht auf das Bundesverfassungsgerichtsurteil stützt.
Auch da hoffe ich, dass wir bei den Beratungen eine entsprechende Erklärung bekommen; denn die Einbußen, die
daraus entstehen, sind - das kann sich jeder schnell ausrechnen - erheblich.
Eine ebenfalls unkorrekte Umsetzung des Urteils erfolgt bei der Vergleichsabrechnung nach dem 20-JahresZeitraum vor Eintritt des Versicherungsfalls. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass all die berücksichtigungsfähigen
Arbeitsentgelte, die vor dem 1. März 1971 erworben
wurden, auf 600 DM zu begrenzen sind. Auch das schafft
wieder Ungleichheiten in ein und derselben Gruppe; denn
je älter jemand ist, umso mehr Jahre fallen in diesen Zeitraum und umso schlechter steht er gegenüber seinen jüngeren Kollegen da.
So weit zu den Punkten, bei denen der Gesetzentwurf
deutlich hinter dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts
zurückbleibt. Es gibt aber durchaus auch Handlungsbedarf, der nicht mit Urteilen abgedeckt ist, den man hier jedoch sehr wohl aufgreifen könnte,
({8})
der aber nicht aufgegriffen wird. Da möchte ich in besonderer Weise auf die Zugangsrentner eingehen. Wir alle
haben gehofft, dass die Lohnangleichungen ein anderes
Tempo haben würden. Wir haben zunächst eine Übergangsregelung bis Mitte 1995 geschaffen, sehen heute
aber alle, dass das längst nicht ausreicht. Die Zugangsrentner haben in keiner Weise irgendeine Zahlbetragsgarantie und werden eine erheblich schlechtere Rente bekommen als ihre Berufskollegen, auch innerhalb des
Ostens, einmal ganz abgesehen von einem Vergleich
zum Westen. Deshalb bin ich sehr dafür, dass die Bereitschaft aufgebracht wird, zu prüfen, inwieweit man hier
eine Verlängerung der Übergangsregelung schaffen
könnte.
Frau Mascher hat die Fragen im Zusammenhang mit
den Reichsbahnern und den Postlern angesprochen.
Hier begrüße ich ausdrücklich die gefundene Regelung.
Im Rahmen der gesetzlichen Rentenversicherung ist hier
Rechtsfrieden hergestellt worden und es ist gemacht worden, was gemacht werden musste.
Nun wissen wir, dass andere Berufsgruppen ebenfalls
einen 1,5fachen Steigerungssatz hatten, wenn auch aus
anderen Gründen. Ich denke hier an das mittlere medizinische Fachpersonal, das einen anerkannten Beruf, aber
relativ geringe Löhne hatte und den Steigerungssatz deshalb als Ausgleich zugebilligt bekommen hat. Auch hier
die Frage, wie man eigentlich vermitteln will, dass dieser
Steigerungssatz bei Ihnen keine Berücksichtigung findet,
und die Bitte um Prüfung dieses Punktes.
Auch bei den Reichsbahnern muss noch etwas hinzugefügt werden. Wir wissen alle, dass den Reichsbahnern analog zum Versorgungssystem der Deutschen Bundesbahn
- eine betriebliche Altersversorgung zugestanden hat.
({9})
- Ich sage ja: Das war ein Betrachtungsfehler von uns. Komischerweise ist bei der Zusammenführung beider,
Reichsbahn und Bundesbahn, das Versorgungssystem der
Reichsbahner im Gegensatz zu dem der Bundesbahner
aufgelöst worden. Allerdings haben die Menschen dort
Anwartschaften erworben. Es gibt eigentlich keinen
Grund, sie ihnen vorzuenthalten. Das ist allerdings ein
Punkt, der nicht im Rahmen der gesetzlichen Rentenversicherung geklärt werden kann, sondern er muss außerhalb der Rentenversicherung vom für das Eisenbahnervermögen zuständigen Rechtsnachfolger geklärt werden.
Das Finanzministerium und das Verkehrsministerium
sind hier angesprochen, diese betriebliche Versorgung zu
regeln.
Ich möchte deshalb für uns festhalten, dass wir dem
Gesetzentwurf, wie er jetzt vorliegt, nicht zustimmen
können. Ich bin gespannt auf die Beratungen, die wir anschließend haben werden.
Danke.
({10})
Die Kolle-
gin Katrin Göring-Eckardt, Bündnis 90/Die Grünen, gibt
ihre Rede zu Protokoll.1) Deswegen erteile ich jetzt der
Kollegin Dr. Irmgard Schwaetzer für die F.D.P.-Fraktion
das Wort.
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Entwurf
der Bundesregierung für ein Zweites Änderungsgesetz zum
AAÜG wird nicht die befriedende Wirkung haben, die die
Staatssekretärin hier als Wunsch in den Raum gestellt hat.
({0})
Das ist nicht zu erwarten; möglicherweise geht es auch
gar nicht.
Wir müssen uns immer vor Augen halten, dass die
Überführung des sehr komplizierten DDR-Rentenrechts
mit seinen ungeheuer vielen und komplizierten Zusatzversorgungen und seinen differenzierten Anspruchsvoraussetzungen in unser westdeutsches Rentenrecht einer
Sisyphusarbeit gleichkommt.
({1})
- Die damalige Opposition war dabei. Aber es war allen
auch schon damals klar, dass die seinerzeit beschlossenen
Regelungen zum Verfassungsgericht gehen würden - das
ist dann auch passiert -, und es war damals abzusehen,
dass eine ganze Reihe der Regelungen, die zwar den Gefühlen der Menschen entsprachen, vor allem der Menschen, die sich mit dem alten DDR-System nicht solidarisiert hatten, möglicherweise verfassungsrechtlich keinen
Bestand haben würden. Dies hat uns das Bundesverfassungsgericht in der Tat bescheinigt: Bei den berücksichtigungsfähigen Arbeitsentgelten müssen Begrenzungen
aufgehoben und angehoben werden, auch müssen Zahlbetragsbegrenzungen aufgehoben und angehoben werden.
Zu Ihrem Zwischenruf, Frau Kollegin: Wir bekennen
uns ausdrücklich dazu. Natürlich ist das damals gemeinsam verabschiedet worden.
({2})
- Etwas anderes wäre damals undenkbar gewesen.
Gleichwohl geht es jetzt darum, dass wir uns darauf einigen - möglicherweise werden wir uns auch nicht darauf
einigen; Sie sind in der Regierung und mussten eine Vorlage machen -,
({3})
die Dinge zu ändern, die wir damals in einer Weise geregelt haben, die das Rechtsempfinden derer, die zu den Opfern gehört haben, berücksichtigte, aber der verfassungsrechtlichen Prüfung nicht standgehalten hat.
Wir erkennen an, dass sich die Bundesregierung sehr
eng an das gehalten hat, was das Verfassungsgericht vorgegeben hat. Es gibt eine Reihe von Punkten, bei denen
man sehr wohl darüber debattieren muss, ob die Bundesregierung weit genug gegangen ist. Das betrifft vor allen
Dingen die Versorgung der Professoren.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist dringend erforderlich, ganz speziell zu diesem Tatbestand eine Anhörung im Ausschuss durchzuführen,
({4})
1) Anlage 3
damit wir angesichts dieser komplizierten Materie die Position der Betroffenen in Erfahrung bringen können.
({5})
Ich kann mir gut vorstellen, dass Ihnen das nicht gefällt;
({6})
denn Sie wissen heute schon, dass Sie mit Ihrer Mehrheit
letztlich die Verantwortung für eine Regelung übernehmen müssen, die die Betroffenen natürlich nicht zufrieden
stellt.
({7})
Dass Sie lieber mit etwas anderem in Sachsen-Anhalt
Wahlkampf machen würden, ist auch völlig klar.
Deswegen biete ich als Oppositionspolitikerin an, dass
wir uns im Rahmen einer Anhörung noch einmal ausführlich darüber unterhalten,
({8})
wie die einzelnen Vorgaben des Verfassungsgerichtes umgesetzt werden. Wir sind gesprächsbereit;
({9})
aber die Verantwortung müssen letztendlich Sie selber tragen.
({10})
Meine Damen und Herren, die Kosten der Neuregelung sind mit circa 1 Milliarde DM, aufgeteilt zwischen
den neuen Ländern und dem Bund, so ausgefallen, dass
man durchaus überlegen könnte, ob an der einen oder anderen Stelle Verbesserungen möglich, wenn nicht gar notwendig sind.
Wir - ich sage das noch einmal - sind auf jeden Fall
zu Gesprächen bereit. Dieser Gesetzentwurf kommt spät
genug, denn das Verfassungsgericht hat uns den
30. Juni 2001 als Termin, zu dem diese Vorgaben des
Verfassungsgerichtes umgesetzt sein müssen, gesetzt.
Wir sind bereit, dieses Gesetz nicht im Schweinsgalopp,
aber konstruktiv zu begleiten, damit wir dann möglicherweise doch zu einer Regelung kommen, der - sicherlich mit Ausnahme der PDS - alle Fraktionen, die das
eigentliche Überleitungsrecht getragen haben, zustimmen können.
Danke schön.
({11})
Für die
Fraktion der PDS spricht die Kollegin Monika Balt.
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Die Debatte erweckt den Eindruck, als verteile die Regierung Almosen, die sie sich vom Munde abgespart habe.
({0})
- Nein! - Unter Verletzung des Einigungsvertrages und
des Grundgesetzes wurde das Rentenrecht missbraucht,
um Hunderttausenden DDR-Bürgern aus politischen Motiven willkürlich die Renten zu kürzen. Warnende Stimmen, die es bereits 1991 zur Genüge gab,
({1})
wurden nicht erhört. Viele Menschen sind seit elf Jahren
um einen Teil ihrer Ansprüche betrogen.
Auch das uns jetzt vorliegende AAÜG-Änderungsgesetz ist wahrlich kein Ruhmesblatt für den Deutschen
Bundestag. Urteile des Bundesverfassungsgerichts brachten das Konzept des bisherigen AAÜG zum Scheitern und
bescheinigten dem Gesetzgeber verfassungswidriges Handeln. Der nun von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzentwurf kann von den Abgeordneten der PDS nicht
akzeptiert werden,
({2})
weil er wegen unzulässiger pauschaler Rentenkürzung noch
immer im Widerspruch zu Art. 3 des Grundgesetzes steht.
({3})
Außerdem verlangen wir Änderungen bei der Dynamisierung der besitzgeschützten Freibeträge. Das sind für uns
die Hauptpunkte, die die Interessen der Betroffenen widerspiegeln.
({4})
Dazu gehört übrigens auch das Rentenstrafrecht, das
vom Bundesverfassungsgericht mit klaren und entschiedenen Worten verworfen worden ist. Im Klartext heißt
das: Staatsnähe bedeutet nicht automatisch, dass überhöhte Arbeitsentgelte gezahlt wurden.
Diese und andere gleich lautende Aussagen gelten in
vollem Umfang auch für die noch heute bestehende willkürliche Rentenkürzung bei Personen, die in der DDR als
Abteilungsleiter in Ministerien gearbeitet oder in der Armee oder der Polizei als höhere Offiziere gedient haben.
Ich frage die Kolleginnen Ulrike Mascher und Andrea
Fischer, warum sie 1995 so entschieden gegen das Rentenstrafrecht und alle Entgeltbegrenzungen unterhalb der
Beitragsbemessungsgrenze aufgetreten sind und heute,
nachdem sie nicht mehr einer Oppositions-, sondern einer
Regierungspartei angehören, die verfassungswidrige Praxis der Regierung unter Helmut Kohl fortsetzen wollen.
({5})
Auch die seit 1997 neu geregelte Rentenkürzung für
Abteilungsleiter und höhere Offiziere ist nicht nur deshalb
verfassungswidrig, weil es nachweisbar laut Gutachten
im Staatsapparat der DDR keine überhöhten Gehälter gegeben hat,
({6})
sondern auch deshalb, weil diese Regelung pauschal und
unterschiedslos für Abteilungsleiter,
({7})
für hoch qualifizierte Spezialisten und Wissenschaftler,
für Mediziner, die als Kreisärzte oder Kreistierärzte in
staatlichen Einrichtungen gearbeitet haben, gilt. Alle werden in einen Topf geworfen und ihre Rente wird pauschal
auf die Durchschnittsrente gekürzt.
Die PDS hält es für erforderlich, § 6 Abs. 2 und 3 im
AAÜG ersatzlos zu streichen und § 7 AAÜG in der von
ISOR vorgeschlagenen Weise zu korrigieren. Gerade weil
es in der deutschen Geschichte unrühmliche Beispiele
dafür gegeben hat, dass das Sozialrecht als Strafrecht missbraucht wurde, appelliere ich an Rot und Grün, mit dieser
Praxis im AAÜG nun wirklich Schluss zu machen.
({8})
Kehren wir zurück zu einer Rentengesetzgebung, die politisch wertneutral ist und nur tatsächlich gezahlte Entgelte und Beiträge bewertet.
Danke.
({9})
Für die
Fraktion der SPD spricht die Kollegin Renate Jäger.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als wir 1991 im Bundestag damit befasst waren, das ostdeutsche Rentensystem in das westdeutsche zu überführen, hatten wir es mit grundsätzlich
unterschiedlichen Systemen zu tun. In der DDR gab es neben der Sozialversicherung und der freiwilligen Zusatzversorgung eine große Anzahl an Zusatz- und Sonderversorgungssystemen, die bestimmten Personengruppen
vorbehalten waren und deren Leistungsniveau deutlich
über dem der Rentenversicherung lag.
Bereits die letzte frei gewählte Volkskammer hatte ein
Zusatzversorgungssystem beschlossen und die Höchstbeträge für die Renten aus den staatsnahen Zusatzversorgungssystemen wie dem des Staatsapparates und der Parteien auf 2 010 DM und die aus dem System der
Staatssicherheit auf 990 DM begrenzt. Auch für die Sonderversorgungssysteme - das betraf Nationale Volksarmee, Polizei und Zoll - erfolgte eine Begrenzung der Renten auf 2 010 DM. Es war ausdrücklicher Wille der letzten
frei gewählten Volkskammer, dass Personen, die einen besonderen Beitrag zur Aufrechterhaltung oder zur Stärkung
des politischen Systems der DDR geleistet hatten und von
diesem Staat besonders begünstigt waren, nicht auch noch
überdurchschnittlich hohe Renten erzielen sollten.
Mit dem Rentenüberleitungsgesetz 1991 wurden
die in den Zusatzversorgungssystemen erworbenen Anwartschaften in die gesetzliche Rentenversicherung der
Bundesrepublik überführt. Diese damals getroffene
Systementscheidung ist vom Bundesverfassungsgericht
grundsätzlich akzeptiert worden. Ebenso hatte vorher das
Bundessozialgericht bereits mehrfach diese Systementscheidung für verfassungsmäßig erklärt. Der Bundestag
konnte Regelungen im Prinzip nur im Rahmen der gesetzlichen Rentenversicherung treffen. Der Bundestag
hatte nicht das Recht, zum Zwecke der Überführung in berufsständische Versorgungswerke einzugreifen. Er hatte
auch nicht das Recht, zum Zwecke der Überführung in die
Beamtenversorgung der Länder einzugreifen.
Wenn nun einige betroffene Berufsgruppen heute noch
fordern, dass ihr in der DDR zurückgelegtes Erwerbsleben nach der Wiedervereinigung so zu stellen ist, als ob
es in den alten Bundesländern zurückgelegt worden wäre,
ist das zwar aus ihrer Sicht verständlich, doch hätte dies
eine enorme finanzielle Belastung bedeutet, die natürlich
zulasten der Versicherten in den alten und den neuen Bundesländern gegangen wäre - mit allen negativen Folgen.
({0})
Auch bei den Renten derjenigen, die vor 1990 in den Westteil der Bundesrepublik übergesiedelt sind, werden in der
Rentenversicherung nur Einkünfte bis zur Beitragsbemessungsgrenze berücksichtigt.
Problematisch waren damals im Rentenüberleitungsgesetz die Ausnahmeentscheidungen zu den Sonderversorgten im Staatsapparat, in den Parteien, in der Nationalen Volksarmee, der Volkspolizei und der Staatssicherheit.
Bei deren Rentenberechnung wurde das zu berücksichtigende Einkommen auf das Durchschnittsentgelt begrenzt,
bei hauptamtlichen Mitarbeitern der Staatssicherheit sogar auf das 0,7-fache des Durchschnittsentgelts, also noch
einmal von der Bundesregierung alten Schlages unter die
von der Volkskammer beschlossene Höhe heruntergefahren.
In den Novellierungen von 1993 und 1996 wurden die
Begrenzungsregelungen modifiziert und die Einkommensbegrenzungen für einen großen Teil der Betroffenen
ganz aufgehoben. Trotzdem blieb es bei etlichen nicht
verfassungsgemäßen Regelungen in diesem Bereich der
Kürzungen, die nunmehr von der von SPD und Grünen
geführten Regierung in Ordnung zu bringen sind.
Zu den einzelnen Maßnahmen hat Frau Mascher hinreichende Ausführungen gemacht. Auf eine Sache möchte
ich aber noch besonders hinweisen: Klar als genereller
Fehler der alten, konservativen Regierung erkennbar war
damals das „Herummodeln“ an den garantierten Zahlbeträgen, die die frei gewählte Volkskammer festgelegt
hatte.
({1})
Damit wurden grobe Eingriffe in den Bestandsschutz vorgenommen. Zu diesem Fehlerpaket gehörte auch die Abschmelzung der garantieren Zahlbeträge im Rahmen der
Dynamisierung.
Dies hätte wahrlich schon 1996 geregelt werden können.
({2})
Die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Anhebung der Entgelte für ehemalige Mitarbeiter der Staatssicherheit von 70 auf 100 Prozent des Durchschnittsverdienstes hat verständlicherweise die Opferverbände auf
den Plan gerufen. Um die Relationen zwischen den Entschädigungen der Opfer und den Renten ihrer Verursacher
einigermaßen zu wahren, hat die Bundesregierung bereits
die Kapitalentschädigung für die Opfer auf 600 DM erhöht. Das ist Ihnen hoffentlich nicht entgangen, Frau
Nolte.
({3})
Außerdem hat sie den Fonds der Stiftung für ehemalige
politische Häftlinge um 5 Millionen DM aufgestockt.
({4})
Im Rahmen der Beratungen zum vorliegenden Gesetzentwurf hat der Bundesrat einen Zuschlag an Entgeltpunkten für Verfolgungszeiten vorgeschlagen, den zu
prüfen, die Bundesregierung ebenfalls zugesagt hat. Hinsichtlich der Renten bei der Deutschen Reichsbahn und
der Post haben wir deutliche Leistungsverbesserungen erreicht. Auch die Vertreter der Gewerkschaften von Eisenbahn und Post haben sich zu diesen Vorschlägen positiv
geäußert.
Obwohl es - Herr Grund, hören Sie gut zu - diese gleichen Argumentationen ja auch in den Gesprächen zu Regierungszeiten der Koalition von CDU/CSU und F.D.P.
gegeben hat - wir haben ja auch an den Gesprächen mit
den Gewerkschaften teilgenommen -, hat Ihre Regierung
keine Regelung zustande gebracht.
({5})
Ganz speziell möchte ich Ihnen, liebe Kolleginnen und
Kollegen von der rechten Seite des Hauses, sagen: Wenn
Sie uns schon die politische Verantwortung für die jetzt
notwendigen Korrekturen und Nachzahlungsverpflichtungen hinterlassen haben, dann erwarte ich von Ihnen,
dass Sie konstruktiv an den Beratungen teilnehmen,
({6})
dass Sie keine neuen ideologischen Gräben aufreißen und
dass Sie auch mit den finanziellen Belastungen für Bund
und Länder verantwortungsvoll umgehen.
Danke schön.
({7})
Ich schließe
die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs
auf Drucksache 14/5640 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Das Haus ist damit einverstanden. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung von Beschränkungen des Brief-, Post- und
Fernmeldegeheimnisses
- Drucksache 14/5655 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({0})
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
Rechtsausschuss
Die Kolleginnen und Kollegen Wolfgang Zeitlmann,
CDU/CSU, Hans-Christian Ströbele, Bündnis 90/Die
Grünen, Professor Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, F.D.P.,
Ulla Jelpke, PDS, und für die Bundesregierung der Parla-
mentarische Staatssekretär Fritz Rudolf Körper geben
ihre Reden zu Protokoll.1)
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs
auf Drucksache 14/5655 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Anderweitige Vorschläge liegen nicht vor. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Christina Schenk, Christine Ostrowski,
Monika Balt, weiteren Abgeordneten und der
Fraktion der PDS eingebrachten Entwurfs eines
... Gesetzes zur Änderung des Dritten Buches
Sozialgesetzbuch ({1})
- Drucksache 14/3227 ({2})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({3})
- Drucksache 14/5354 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Dirk Niebel
Die Kolleginnen und Kollegen Renate Rennebach,
SPD, Heinz Schemken, CDU/CSU, Ekin Deligöz, Bünd-
nis 90/Die Grünen, und Dirk Niebel, F.D.P., geben ihre
Reden zu Protokoll.2)
Das Wort hat für die Fraktion der PDS die Kollegin
Christina Schenk.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es kann schon einmal vorkommen, dass
bei einer großen Reform wie der des Arbeitsförderungsgesetzes ungewollt Fehler passieren. Das ist zu entschuldigen.
Nicht aber ist zu entschuldigen, wenn diese Fehler zwar erkannt, aber nicht umgehend behoben werden.
({0})
Der Fehler im Arbeitsförderungsrecht, auf den wir mit
unserem Gesetzentwurf, der heute hier abschließend
beraten wird, hinweisen, führt dazu, dass Menschen un-
1) Anlage 4
2) Anlage 5
gerechtfertigt von ihnen zustehenden Leistungen ausgeschlossen werden. Die 1998 in Kraft getretene Neuregelung im Arbeitsförderungsgesetz hat zur Folge, dass
Frauen bzw. Männer unter bestimmten Umständen ihre
Elternzeit mit dem Verlust ihrer Ansprüche auf Arbeitslosengeld oder -hilfe bezahlen.
Ich gehe davon aus, dass die Mehrheit hier im Haus das
nicht gewollt hat. Es kann auch nicht angehen, dass Väter
und Mütter zwar ein Recht auf eine dreijährige Elternzeit
haben, die Wahrnehmung dieses Rechts aber zum Erlöschen von erworbenen Ansprüchen auf Leistungen der
Arbeitslosenversicherung führen kann, also mit Leistungsentzug bestraft wird.
Die Sachlage ist, so meine ich, übersichtlich und auch
einfach zu korrigieren: Nach dem alten Arbeitsförderungsgesetz waren Zeiten des Bezugs von Mutterschafts- und Erziehungsgeld mit versicherungspflichtigen
Beschäftigungen gleichgestellt. Die vor dem Erziehungsurlaub erworbenen Ansprüche auf Arbeitslosengeld und
Arbeitslosenhilfe blieben so erhalten.
Mit der Einführung des SGB III wurden diese Regelungen aufgehoben. Stattdessen wurden Erlöschensfristen für den Bezug von Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe eingeführt. Der Anspruch auf Arbeitslosengeld
erlischt - ich möchte Ihnen das hier noch einmal ins Gedächtnis rufen -, wenn seit seiner Entstehung mehr als
vier Jahre vergangen sind. In der Realität sieht es dann so
aus, dass eine Frau, die aus der Arbeitslosigkeit heraus in
den Erziehungsurlaub bzw. in die Elternzeit wechselt und
in dieser Zeit ein zweites Kind bekommt und auch für dieses die ihr zustehende Elternzeit wahrnimmt, anschließend ihren Restanspruch auf Arbeitslosengeld verliert.
Sie landet also in der Sozialhilfe oder in der finanziellen
Abhängigkeit vom Partner.
Die Folgen sind fatal: Wer kein Arbeitslosengeld bezieht, ist auch vom Zugang zu den arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen ausgeschlossen. Diese sind aber nur zu
oft Voraussetzung für den Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt.
Noch schlimmer ist es hinsichtlich der Arbeitslosenhilfe. Hier erlischt der Anspruch bereits nach drei Jahren,
also bereits bei der vollständigen Inanspruchnahme des
Erziehungsurlaubes bzw. der Elternzeit für ein Kind.
Das Problem lässt sich sehr einfach aus der Welt schaffen, indem die Fristen für das Erlöschen der Ansprüche
auf Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe in Zeiten des
Mutterschutzes und des Erziehungsurlaubes verlängert
werden. Restansprüche auf Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe blieben auf diese Weise erhalten und könnten
nach Ablauf der Elternzeit geltend gemacht werden.
Im Familienausschuss und im Arbeitsausschuss waren
sich alle Fraktionen darin einig - es war für mich sehr
merkwürdig, das zu erleben -, dass die dargestellte Situation der Korrektur bedarf. Von allen Seiten wurde unserem Lösungsvorschlag bescheinigt, dass er in die richtige
Richtung geht.
({1})
Statt aber die Reparatur des SGB III sofort in Angriff zu
nehmen, verweisen SPD und Grüne auf die oftmals angekündigte, aber noch immer nicht vorgelegte Gesamtreform des SGB III. Wann diese kommt, ist nach wie vor
völlig offen. Ich frage Sie: Was schadet es denn, wenn ein
offensichtlicher Fehler im SGB III jetzt behoben wird?
Das hindert Sie doch in keiner Weise daran, zu einem späteren Zeitpunkt, zu dem Sie dazu in der Lage sind, die Gesamtreform vorzulegen, die Sie angekündigt haben.
Bei der CDU/CSU ist die Sache noch pikanter. Sie hat
in den Ausschüssen gegen unseren Gesetzentwurf gestimmt, obwohl auch sie meinte, dass er in die richtige
Richtung gehe. Das ist insofern interessant, als der Bundesrat morgen auf Initiative des CDU-geführten Sachsen
über einen ähnlich lautenden Gesetzentwurf berät. Daher
erwarte ich von der CDU/CSU, dass sie unserem Gesetzentwurf heute zustimmt.
({2})
Wenn sie das nicht tut, kann ich das nicht anders interpretieren, als dass es ihr vorrangig um Schaufensterpolitik
geht und nicht wirklich um die Lösung der Probleme der
Menschen in unserem Land.
({3})
Unser Gesetzentwurf bietet die Gelegenheit, eine von
allen Parteien als ungerecht erkannte Regelung unkompliziert aus der Welt zu schaffen und somit den betroffenen Frauen bzw. Männern die ihnen zustehenden Leistungsansprüche zukommen zu lassen. Lassen Sie also
- ich wende mich damit an alle Fraktionen, meine natürlich ausgenommen - Ihre parteitaktischen Spielchen und
stimmen Sie unserem Gesetzesvorschlag zu!
Danke schön.
({4})
Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion der PDS zur Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch, Drucksache 14/3227. Der Ausschuss für Arbeit
und Sozialordnung empfiehlt auf Drucksache 14/5354,
den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der
Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen
des Hauses gegen die Stimmen der PDS abgelehnt.
Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 30. März 2001, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.