Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 3/28/2001

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Danke, Herr Staatsminister. Ich bitte, zunächst Fragen zu dem Themenbereich zu stellen, über den soeben berichtet wurde. Die ersten Wortmeldungen liegen bereits vor. Erster Fragesteller ist der Kollege Dr. Norbert Lammert.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001274, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, das Jüdische Museum Berlin liegt im gemeinsamen Interesse des Deutschen Bundestages und des Abgeordnetenhauses von Berlin. Insofern sind Vorbereitungen, einen geeigneten Rechtsrahmen zu finden, gewiss nicht zu beanstanden. Nun gibt es aber doch ganz offenkundig - Sie haben die beabsichtigte Änderung der Rechtsform und der Trägerschaft angesprochen - einen unmittelbaren und nicht auflösbaren Zusammenhang zwischen der jetzt vorgesehenen Stiftungsgründung und dem Hauptstadtkulturvertrag, durch den erst der Übergang der Zuständigkeit vom Land Berlin auf den Bund geregelt werden soll. Meine Frage: Ist der Hauptstadtkulturvertrag eigentlich inzwischen unterschrieben, und wenn nein, warum nicht? Sehen die Planungen der Bundesregierung - Sie haben jetzt ausschließlich den Zeitplan für die Verabschiedung des vorliegenden Gesetzentwurfes vorgetragen, nicht aber den Zeitplan für die Unterzeichnung des Hauptstadtkulturvertrages, der die Voraussetzung für das Gesetzgebungsverfahren ist - eigentlich vor, den Hauptstadtkulturvertrag noch vor Eröffnung des Jüdischen Museums Berlin zu unterzeichnen? ({0})

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Nein, die Frage ist nachvollziehbar. Ich hatte auch schon öffentlich gesagt, dass der Hauptstadtkulturvertrag aus meiner Sicht ausgehandelt und inhaltlich unterschriftsreif ist. Sie haben Recht: Er ist noch nicht unterzeichnet. Es gibt innerhalb der Bundesregierung in der Tat noch Klärungsbedarf, der allerdings nur Detailpunkte betrifft, nicht aber die Grundfrage, nämlich Übernahme von vier Einrichtungen durch den Bund mit den daraus resultierenden Konsequenzen. Ich möchte dringend davor warnen, dergestalt vorzugehen: Wir lassen das jetzige Gesetzesvorhaben erst einmal liegen und klären zuallererst die letzte Detailfrage hinsichtlich des Hauptstadtkulturvertrags. Wenn wir das tun, laufen wir Gefahr, dass wir das Jüdische Museum bis zu seiner Eröffnung am 9. September noch nicht auf sicheren Grund gestellt haben. Es gibt keinen Dissens über die Stiftung Jüdisches Museum Berlin. Wir sollten all das, über das es keinen Dissens gibt, so rasch wie möglich abschließen.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Kollege Lammert hat eine Zusatzfrage. - Bitte.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001274, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, es wird Ihnen nicht entfallen sein, dass ich auch nicht den Vorschlag gemacht habe, das Gesetzesvorhaben liegen zu lassen. Genauso wenig haben wir den Vorschlag gemacht, den Hauptstadtkulturvertrag liegen zu lassen, bis die operativen Schlussfolgerungen aus demselben schon aus Gründen der zeitlichen Abfolge dringend gezogen werden müssen. Sie haben freundlicherweise unmittelbar vor Beginn der Sitzung den heute im Kabinett beratenen Entwurf der Stiftungssatzung zur Verfügung gestellt. Ich möchte gerne auf einen Punkt näher eingehen, den Sie auch in Ihrem Bericht erwähnt haben. In § 2 der Satzung, in dem der Zweck der Stiftung geregelt wird, werden in Ziffer 5 als Stiftungszweck unter anderem die Einrichtung und Unterhaltung eines Informationszentrums, einer Bibliothek, eines Archivs, eines internationalen Bildungs- und Forschungsinstituts sowie sonstige Einrichtungen im Sinne des Stiftungszwecks angekündigt. Diese Liste hat eine auffällige Ähnlichkeit mit dem Katalog, der in Verbindung mit dem Mahnmal für die ermordeten Juden Europas steht, der von Ihrem Amtsvorgänger vorgeschlagen wurde und der dann schließlich nach umfänglicher Beratung im Deutschen Bundestag - in Form der Ergänzung des Mahnmals um einen Ort der Information - angenommen wurde. Ich finde in § 2 der Stiftungssatzung den Hinweis, dass der Zweck der Stiftung die Übernahme des Jüdischen Museums mit den genannten Funktionen sowie die Schaffung eines Ortes der Begegnung sei. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie den Zusammenhang zwischen dem einen und dem anderen Projekt verdeutlichen könnten, und zwar auch unter dem Gesichtspunkt eines möglichst effizienten Einsatzes der von Ihnen gerade genannten und in der mittelfristigen Finanzplanung des Bundes eingestellten Haushaltsmittel. Vielleicht können Sie auch die Frage beantworten, welche sonstigen Einrichtungen die Bundesregierung neben den bereits präzise benannten plant.

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Es wird sicherlich im Laufe der nächsten Jahre Entwicklungen geben. Die Bestimmung des Zweckes soll Spielraum für diese Entwicklungen schaffen. Ein Beispiel kann ich konkret nennen: Es ist unter anderem die Einrichtung einer Blindenwerkstatt geplant, also ein spezielles Angebot für blinde Besucherinnen und Besucher. Ich kann Ihnen zwar jetzt keine Details nennen. Aber Einrichtungen dieser Art sind im Rahmen des Konzeptes denkbar und sinnvoll.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Nächster Fragesteller ist der Kollege Hans-Joachim Otto.

Hans Joachim Otto (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001666, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatsminister, ich möchte zunächst einmal an die Frage des Kollegen Dr. Lammert anknüpfen. Ich entnehme Ihrer Antwort auf seine Frage, dass es der Bund ist, der noch Klärungsbedarf hinsichtlich des Hauptstadtkulturvertrages hat. Deswegen richte ich an Sie die Frage: Wir dürfen doch davon ausgehen, dass der Hauptstadtkulturvertrag unterzeichnet sein wird, bevor im Parlament die letzte Lesung des Gesetzentwurfes stattfinden wird?

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Ja.

Hans Joachim Otto (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001666, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Danke. Dann komme ich zu meiner eigentlichen Frage. Wenn die Landesstiftung aufgelöst wird, stellt sich doch die Frage des Verbleibs des Vermögens dieser Stiftung. Gab es eine Ausstattung dieser Landesstiftung mit Vermögen? Wird das Vermögen - sofern die Landesstiftung über eines verfügte - auf das Land zurückübertragen oder wird es auf die neue Bundesstiftung übertragen?

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Meines Wissens hat es kein spezifisches Vermögen der Landesstiftung gegeben. Ich muss Ihnen das aber schriftlich beantworten; ich will das überprüfen. Ein eventuelles Vermögen würde jedenfalls nicht an das Land zurückübertragen.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Nächster Fragesteller ist der Kollege Hartmut Koschyk.

Hartmut Koschyk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001186, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, ich bin leider der Auffassung, dass Sie die Frage des Kollegen Dr. Lammert nach einem gewissen Zusammenhang und nach einer Abgrenzung zwischen dieser neuen bundesunmittelbaren Stiftung Jüdisches Museum und den dort vorgesehenen Einrichtungen und den im Zusammenhang mit dem Holocaust-Mahnmal vorgesehenen Einrichtungen nicht hinreichend beantwortet haben. Ich möchte in diesem Zusammenhang noch eine dritte Einrichtung nennen, weil wir durch Anträge und durch Sachvorträge im zuständigen Ausschuss, aber auch hier im Parlament immer deutlich gemacht haben, dass wir noch den Zusammenhang mit einer weiteren Einrichtung in Berlin sehen. Ich möchte Sie daher fragen, ob auch die Zukunft der Einrichtung „Topographie des Terrors“ bei der Beratung im Bundeskabinett, vor allem bei der haushaltsmäßigen Unterlegung dieser Stiftungsneugründung, eine Rolle gespielt hat. Zweitens. Es fällt beim Blick in die Stiftungsgremien auf, dass es bei einer bundesunmittelbaren Stiftung überhaupt keine parlamentarische Begleitung geben soll. Welchen Grund hat es, dass sowohl der Berliner Senat als auch die Bundesregierung zu dem Schluss gelangt sind, dass weder Vertreter des Berliner Abgeordnetenhauses noch des Deutschen Bundestages in das Gremium der Stiftung aufgenommen werden sollen? Ich stelle diese Frage vor allem vor dem Hintergrund, dass es in der Satzung heißt, dass die Zahl der Stiftungsratsmitglieder von sieben auf zwölf erhöht werden kann, dass aber dann das Benennungsrecht für diese weiteren Mitglieder ausdrücklich bei der Bundesregierung liegen muss, wie es im Gesetzentwurf heißt. Man könnte die etwas ironisch gemeinte Frage stellen, ob Bundesregierung und Berliner Senat der Auffassung sind, dass sich eine parlamentarische Begleitung störend im Hinblick auf den Erfolg des Vorhabens auswirken könnte.

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Zunächst zur ersten Frage: Es steht ganz außer Zweifel, dass es zwischen Mahnmal, Jüdischem Museum und „Topographie des Terrors“ einen engen Zusammenhang gibt. Wir haben darüber sowohl im Ausschuss wie auch hier im Bundestag schon mehrfach gesprochen. Hinsichtlich des Mahnmals ist die Entscheidung gefallen, dort auch einen Ort der Information zu schaffen. Nun kann man sagen, das solle hauptsächlich der Inhalt des Jüdischen Museums sein. Das ist richtig; diese Debatte brauchen wir nicht zu wiederholen. Die Überlegung war, dass der Eindruck durch das Kunstwerk und die künstlerische Auseinandersetzung mit dieser Thematik durch eine kognitive - übrigens nicht nur kognitive, sondern durchaus auch emotionale - Komponente ergänzt werden sollte, und zwar am Ort des Mahnmals. Das Konzept mit seinen verschiedenen Inhalten, die vorgesehen sind - Sie kennen es ja -, ist faszinierend. Wir sind unterschiedlicher Meinung - ich nehme an, dass Sie auf diesen Punkt anspielen wollten -, ob die 100prozentige Übernahme der finanziellen Verantwortung für das Jüdische Museum und für das Mahnmal nicht auch impliziert, dass der Bund die 100-prozentige finanzielle Verantwortung für die „Topographie des Terrors“ übernimmt. Auch wenn ich mich wiederhole, möchte ich Folgendes ganz knapp sagen: Ich erkenne dieses Argument an; der inhaltliche Zusammenhang ist ein wichtiger Aspekt. Für mich ist aber in höherem Maße der Aspekt ausschlaggebend, dass wir uns im Rahmen des Gedenkstättenkonzepts in Deutschland - es gibt Gedenkstätten von zweifellos bundesweiter Bedeutung - darauf festgelegt haben, dass die Kommunen und die Länder in der Verantwortung, auch in der finanziellen, bleiben und dass die Förderung durch den Bund nur bei bis zu 50 Prozent liegen sollte. Wenn wir das bei der „Topographie des Terrors“ anders machten, dann wäre das ein Signal in die falsche Richtung. Berlin ist in vieler Hinsicht zwar ein absoluter Sonderfall; das bedeutet aber nicht, dass nicht doch eine gemeinsame Verantwortung für die Gedenkstätten besteht. Ein weiteres falsches Signal eines solchen Vorgehens wäre, dass diese Verantwortungsteilung auch im Hinblick auf andere Einrichtungen von bundesweiter Bedeutung infrage gestellt wird. Deswegen bin ich nach Abwägung der Argumente zu dem Ergebnis gekommen, dass der zweite Grund in höherem Maße ausschlaggebend ist und dass wir - vorausgesetzt, die Kosten explodieren nicht ins Unermessliche - bei der 50-Prozent-Beteiligung des Bundes an der „Topographie des Terrors“ bleiben sollten. Was die zweite Frage angeht: Die Satzung sieht vor, dass dem siebenköpfigen - ich bleibe erst einmal bei der Zahl sieben - Stiftungsrat zwei Vertreter der Bundesregierung und auf Vorschlag der Bundesregierung weitere Sachverständige angehören. Die Intention ist sicherlich nicht, dass die Beteiligung etwa von Parlamentariern am Stiftungsrat eine Behinderung der Arbeit bedeutet. Die Intention war eher, die Größe des Stiftungsrats nicht zu sehr auszudehnen, sondern klein zu halten. Rein formal wäre es im Übrigen denkbar, dass Parlamentarier diesem Gremium angehören. Aber Sie haben Recht: Wir haben diesen Gedanken nicht als Kriterium in die Satzung aufgenommen.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Koschyk, eine Nachfrage, bitte.

Hartmut Koschyk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001186, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, es ist mir im Zusammenhang mit diesem Stiftungsgesetz nicht darum gegangen, die Regelung der hälftigen Finanzierung der „Topographie des Terrors“ durch den Bund und das Land Berlin kritisch zu hinterfragen. Im Entwurf eines Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung Jüdisches Museum ist allgemein von der Einrichtung und Erhaltung eines Informationszentrums, einer Bibliothek, eines Archivs, eines internationalen Bildungs- und Forschungsinstituts sowie sonstiger Einrichtungen im Sinne des Stiftungszwecks die Rede. Das ist doch eine sehr weitgehende Formulierung, die auch Sie leider Gottes nicht präzisiert haben. Daher drängt sich nahezu die Frage der Abgrenzung gegenüber Einrichtungen auf, die im Zusammenhang mit dem Holocaust-Mahnmal und auch der „Topographie des Terrors“ stehen. Wird die Bundesregierung im Hinblick auf die weitere konzeptionelle Entwicklung wirklich für eine Abgrenzung sorgen und wird sie auch den Dialog mit anderen Einrichtungen suchen, damit - gerade vor dem Hintergrund des Aspektes der Finanzierung, den Sie soeben angeschnitten haben - nicht die Gefahr einer Doppelgleisigkeit besteht?

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In einem Punkt möchte ich sogar über das hinausgehen, was Ihnen zu Recht am Herzen liegt: Natürlich sollten die einzelnen Einrichtungen nicht isoliert nebeneinander arbeiten - auf diese Weise würde es zu Doppelarbeit kommen -; vielmehr sollte es eine Verknüpfung der inhaltlichen und der programmatischen Arbeit dieser Einrichtungen geben. Ich möchte aber insofern noch einen Schritt weitergehen: Das Jüdische Museum Berlin wird im Vergleich zu anderen, kleineren Einrichtungen in Deutschland zweifellos eine zentrale Rolle spielen. Mein Wunsch ist es daher, dass die Arbeit, die an jüdischen Zentren, in jüdischen Gemeinden und vor allem auch in jüdischen Museen - sei es in Fürth, Frankfurt oder München - geleistet wird, mit dieser zentralen Einrichtung verknüpft wird. Man muss zwei Punkte unterscheiden: Zum einen geht es darum, wie man den Stiftungszweck bestimmt. Man darf nicht vergessen, dass wir uns mit der Bestimmung des Stiftungszwecks - er hat ja sozusagen einen Ewigkeitscharakter - auf unabsehbare Zeit festlegen. Deswegen muss der Stiftungszweck so gefasst sein, dass wir nicht in einigen Jahren oder Jahrzehnten bereuen müssen, das eine oder andere nicht zugelassen zu haben. Zum anderen geht es um die konkrete Form der Kooperation. Die Politik wird sich diesbezüglich im Hintergrund halten. Sie wird zwar eine Kooperation begrüßen und auch anregen. Die Programmverantwortung liegt aber bei den jeweiligen Einrichtungen. Wenn wir allerdings den Eindruck haben sollten, dass die Kooperation zwischen den Einrichtungen in Berlin, aber auch die Kooperation in Deutschland insgesamt, die ich mir wünsche, nicht gut genug ist, dann muss darüber im Stiftungsrat diskutiert werden und dann müssen für die LeiStaatsminister Dr. Julian Nida-Rümelin tung der jeweiligen Häuser entsprechende Vorgaben gemacht werden.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Nächster Fragesteller ist der Kollege Dr. Heinrich Fink.

Prof. Dr. Heinrich Fink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003116, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Staatsminister, ich komme auf Ihre Antwort auf die Frage von Herrn Koschyk zurück, in der Sie als Begründung geäußert haben, dass das Jüdische Museum von nationaler Bedeutung sei. Aus diesem Grund kann es doch nicht angehen, dass die „Topographie des Terrors“ auf die Gedenkstättenkonzeption - das soll nicht negativ gemeint sein - abgeschoben wird. Denn auch die „Topographie des Terrors“ ist von nationaler Bedeutung; der Begriff „national“ ist aber nicht steigerbar. Es wird immer von einer Trias gesprochen, also von Jüdischem Museum, „Topographie des Terrors“ und Mahnmal für die ermordeten Juden Europas. Man kann doch in diesem Zusammenhang der „Topographie des Terrors“ nicht eine geringere nationale Bedeutung beimessen; denn sie war der Ausgangspunkt.

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Herr Abgeordneter, ich empfehle, dass man diese Thematik nicht übermäßig - ich würde fast sagen: ideologisch - auflädt. Die Entscheidung, dass der Bund Einrichtungen wie die „Topographie des Terrors“ oder das Jüdische Museum wesentlich fördert, hängt mit der nationalen Bedeutung dieser Einrichtungen zusammen. Das gilt auch für das Gedenkstättenkonzept; denn im Rahmen dieses Konzeptes werden diejenigen Einrichtungen durch den Bund besonders gefördert, die eine ähnlich große Bedeutung haben. Für die Übernahme von vier Einrichtungen in die 100prozentige Verantwortung des Bundes gab es - das wissen Sie so gut wie ich - sehr pragmatische Gründe. Einer dieser Gründe war, dass die Förderung, die für die kulturellen Einrichtungen des Bundes in Berlin gedacht war, oftmals nicht so effektiv war, wie es sich der Bund vorgestellt hat. An dieser Stelle wurde die Richtungsentscheidung getroffen - ich gebe zu, dass dieser damals erfolgte Zuschnitt der Förderung nicht zwingend war -, dass der Bund für einige Einrichtungen die 100-prozentige Verantwortung übernimmt und dass für andere Einrichtungen die Verantwortung beim Land Berlin bleibt. Im Umkehrschluss bedeutet dies: Wenn die Bundesregierung der Meinung ist, dass die Verantwortung für die „Topographie des Terrors“ nicht zu 100 Prozent vom Bund übernommen werden sollte, dann wird damit nicht zugleich ausgesagt, dass die „Topographie des Terrors“ von geringerer Bedeutung sei. Sie ist selbstverständlich in gleicher Weise bundesweit bedeutsam. Deswegen ist der Bund bereit, bis zu 50 Prozent der Förderung zu übernehmen.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Nächste Fragestellerin ist die Kollegin Monika Griefahn.

Dr. Monika Griefahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003136, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, es ging um die Abgrenzung zwischen dem Jüdischen Museum und dem Holocaustmahnmal und zwischen dem Ort der Information und dem Ort der Begegnung. Habe ich das richtig verstanden, dass das Museum selbst das gesamte jüdische Leben, also nicht nur den Holocaust, darstellen und auch ein Ort der Begegnung sein soll, während mit dem Holocaustmahnmal der ermordeten Juden in Europa gedacht und im Ort der Information dazu ein erster Hinweis auf die anderen, weiter gehenden Informationsstätten - sprich: die „Topographie des Terrors“, sprich: das Jüdische Museum - gegeben werden soll, sodass die Abgrenzung eigentlich sehr deutlich und klar zum Ausdruck kommt?

Not found (Gast)

Ich habe das deswegen nicht ausdrücklich betont, weil es Ihnen allen bekannt ist. Ich hatte eingangs auch gesagt, dass es als programmatischer Inhalt des Jüdischen Museums überwiegend um 2000 Jahre deutschjüdische Geschichte geht, während es beim Holocaustmahnmal um einen, den schrecklichsten Teil der jüdischen Geschichte geht, nämlich die Verfolgung und den Völkermord durch die Nazis an den Juden. Das ist der Fokus. Insofern ist auch die Information beim Mahnmal ganz anders fokussiert, als das beim Jüdischen Museum der Fall ist. Dennoch - so ist jetzt auch die Vorstellung beider Leitungen - soll beides möglichst eng miteinander vernetzt sein und als wechselseitiger Hinweis verstanden werden. Diejenigen, die beim Mahnmal waren und das Ganze in einen größeren Kontext stellen wollen, werden sich nicht mit dem Ort der Information beim Mahnmal begnügen, sondern werden sich aufgefordert fühlen, das Jüdische Museum zu besuchen, wenn sie es noch nicht getan haben.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Letzter Fragesteller zu diesem Themenbereich ist der Kollege Hans-Joachim Otto.

Hans Joachim Otto (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001666, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatsminister, Sie haben eben davon gesprochen, dass das neue Jüdische Museum in Berlin mit den bisherigen kommunalen jüdischen Museen in Fürth, München und Frankfurt verknüpft werden solle. Ganz konkrete Frage: Meinen Sie Kooperation oder mehr als Kooperation, auch tatsächliche Verknüpfung? Heißt Verknüpfung organisatorische Eingliederung oder zumindest finanzielle Mitverantwortung des Bundes für diese drei Häuser?

Not found (Gast)

Nein, das heißt es nicht. Sie haben ja zuvor gehört, dass der Diskurs, zum Beispiel die Auseinandersetzung auch mit Forschungsergebnissen, ein wesentlicher Teil der Arbeit des Jüdischen Museums Berlin sein wird. Das wird in kleinerem Umfang zum Teil auch in anderen jüdischen Museen in Deutschland geleistet, aber auch an Lehrstühlen, die es inzwischen gibt; der in München konzentriert sich sogar ganz auf jüdische Geschichte. Ich denke, dass das Jüdische Museum eine Art Leitfunktion hat - bei allem Respekt vor der Arbeit, die in einzelnen kleineren Museen und Einrichtungen dieser Art geleistet wird. Ich denke, dass wir - ich will jetzt den Leitern des Hauses nicht vorgreifen - hier einen dauerhaften Gesprächskontakt, einen Diskurszusammenhang am Jüdischen Museum in Berlin etablieren sollten. Das bedeutet aber keine finanzielle Mitverantwortung, organisatorische Verbindung oder Ähnliches. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Es verbleiben jetzt noch fünf Minuten für die Regierungsbefragung. Gibt es weitere Fragen an die Bundesregierung? - Die erste Wortmeldung kommt von der Kollegin Ina Lenke.

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich möchte zu dem Komplex Gleichstellungsgesetz für die Wirtschaft fragen. Gestern hat der Bundeskanzler mit den Spitzen der Wirtschaft über ein Gleichstellungsgesetz für die Wirtschaft diskutiert. Ich habe dazu eine Frage: Will der Bundeskanzler die Grundstrukturen des Gleichstellungsgesetzes für die Wirtschaft so beibehalten, wie sie die Frauenministerin Bergmann im September letzten Jahres vorgelegt hat? Das hieße, die Betriebe hätten aufgrund des Forderungskataloges des Gesetzes, der etwa Frauenförderpläne in den Betrieben, betriebliche Maßnahmen gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz, die Erhöhung des Frauenanteils in Führungspositionen und die Bereitstellung organisierter Kinderbetreuung beinhaltet, Maßnahmen durchzusetzen und es würde gleichzeitig die Vergabe öffentlicher Aufträge an Betriebe, die sich daran nicht halten, verboten sein. Hat der Bundeskanzler diese Position in dem Gespräch vertreten?

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Wer antwortet für die Bundesregierung? Herr Staatsminister?

Not found (Gast)

Ich denke, dass wir hier zwei kompetente Vertreterinnen haben, eine aus dem Frauenministerium und eine aus dem Wirtschaftsministerium.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Dann antwortet die Parlamentarische Staatssekretärin Margareta Wolf.

Margareta Wolf-Mayer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002831

Sehr geehrte Frau Kollegin, es hat ein Gespräch zwischen dem Bundeskanzler, dem Wirtschaftsminister, der Frauenministerin und Vertreterinnen und Vertretern der Wirtschaft stattgefunden. Die Diskussion verlief harmonisch. Man hat sich ausgetauscht und wird bei einem weiteren Treffen in absehbarer Zeit das weitere Verfahren beraten.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Frau Lenke zu einer Nachfrage, bitte.

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Staatssekretärin, Ihre Ausführungen entsprechen dem Stil dieser Regierung, nämlich auf Fragen keine Antworten zu geben. Ich möchte meine Frage noch einmal verdeutlichen. Ich hatte gefragt, ob der Bundeskanzler dieselbe Position wie die Frauenministerin bei diesem Treffen vertreten hat. Ich möchte meine Frage jetzt erweitern: Steht der Bundeskanzler dahinter, dass die Vergabe öffentlicher Aufträge von der Einhaltung der Grundstrukturen dieses neuen Gesetzes abhängig gemacht wird? Hat sich der Bundeskanzler dazu geäußert, ab welcher Betriebsgröße dieses Gesetz gelten soll? Vom Frauenministerium ist diese ja bisher nicht festgelegt worden.

Margareta Wolf-Mayer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002831

Verehrte Frau Kollegin, ich habe gesagt, dass wir uns am Anfang der Debatte befinden. Ich kann Ihnen in der Tat bis jetzt noch nicht über die von Ihnen angesprochenen Punkte Auskunft geben. Da müssen Sie sich, mit Verlaub, noch etwas gedulden. Das hat nichts mit dem Stil dieser Bundesregierung zu tun. Vielmehr führen wir erst die Diskussion mit allen Beteiligten, bevor wir am Ende oder im Laufe dieser Diskussion - gestern war, wie gesagt, das erste Gespräch eine abschließende Position der Bundesregierung respektive des Bundeskanzlers mitteilen.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Es gibt eine Nachfrage des Kollegen Hirche.

Walter Hirche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002678, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Staatssekretärin, darf ich aus Ihrer Bemerkung, es sei ein harmonisches Gespräch gewesen, und Ihrer anschließenden Antwort, es sei nicht über Einzelheiten gesprochen worden, schließen, dass es sich um ein Kaffeetrinken auf Staatskosten gehandelt hat, bei dem keine Details erörtert wurden und bei dem der Bundeskanzler keine konkrete Position bezogen hat?

Margareta Wolf-Mayer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002831

Nein, verehrter Herr Kollege. Wir neigen aber nicht dazu, Politik am grünen Tisch zu machen. Wir unterhalten uns in aller Regel mit den Betroffenen, bevor wir Gesetze verfassen.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Ich lasse jetzt noch eine Frage zu, nämlich die angemeldete Frage des Kollegen Eckart von Klaeden.

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die niedersächsische Landesvorsitzende der Grünen hat heute anlässlich der Castortransporte an das Wahlversprechen des Bundeskanzlers aus dem Jahre 1998 erinnert, das wörtlich lautete: Das Endlager mache ich euch weg. - Ich frage die Bundesregierung, ob sie sich an dieses Wahlversprechen noch erinnern kann und welche Maßnahmen eingeleitet werden sollen, um es zu erfüllen. Kann sich jemand erinnern? ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Wer antwortet für die Bundesregierung? - Ich erteile das Wort der Parlamentarischen Staatssekretärin Gila Altmann.

Gisela Altmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002618

Auf den letzten Teil der Frage, ob sich die Bundesregierung an ihre Versprechen erinnert, kann ich mit einem eindeutigen Ja antworten. Dies schlägt sich letztendlich auch in den Ergebnissen des Atomkonsenses mit der Wirtschaft nieder. ({0}) Darüber hinaus wird dieses Thema in der Aktuellen Stunde noch ausführlich behandelt werden. Ich denke, dass dort Ihre Frage von Minister Trittin noch einmal sehr differenziert beantwortet werden wird.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Ich beende die Regierungsbefragung und rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf: Fragestunde - Drucksache 14/5637 Ich rufe zuerst den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie auf. Die Fragen der Kollegin Elke Leonhard werden schriftlich beantwortet. Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Zur Beantwortung steht Frau Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Edith Niehuis zur Verfügung. Ich rufe die Frage 3 des Kollegen Ernst Hinsken auf: Ist der Bundesregierung bekannt, dass von im Ausland ansässigen Providern auch sadistische Darstellungen wie zum Beispiel das Verzehren eines gebratenen und verstümmelten menschlichen Babys im Internet gezeigt werden, und, wenn ja, was gedenkt sie zu unternehmen, dass solche Gewalt verherrlichenden Seiten nicht in deutsche Kinderzimmer gelangen?

Dr. Edith Niehuis (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001609

Herr Kollege Hinsken, es trifft zu, dass insbesondere aus dem Ausland extreme Gewaltdarstellungen in das Internet eingestellt werden. Die Verbreitung von medialen Darstellungen, die grausame oder sonst unmenschliche Gewalttätigkeiten gegen Menschen schildern, ist gemäß § 131 des Strafgesetzbuches strafbar. Der Bundesgerichtshof hat in seinem Urteil vom 12. Dezember 2000 klargestellt, dass sich nach den Vorschriften des Strafgesetzbuches auch strafbar macht, wer als Ausländer von ihm verfasste Seiten auf einem ausländischen Server, der Internetnutzern in Deutschland zugänglich ist, in das Internet einstellt, wenn die Inhalte konkret zur Friedensstörung im Inland geeignet sind. Nach diesen Grundsätzen ist von einer deutschen Strafgerichtsbarkeit auch in den Fällen des § 131 Strafgesetzbuch auszugehen. Gewalt verherrlichende Schriften sind des Weiteren nach § 6 Nr. 1 des Gesetzes über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften und Medieninhalte kraft Gesetzes indiziert. Darüber hinaus hat die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften im Jahr 2000 insgesamt 136 Internetangebote auf die Liste der jugendgefährdenden Schriften gesetzt, also indiziert. Nach den §§ 3 bis 5 des Gesetzes über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften und Medieninhalte sind damit weit reichende Vertriebs-, Werbe- und Weitergabeverbote verbunden. Die Verfolgung von Verstößen gegen strafrechtliche Vorschriften obliegt den Strafverfolgungsbehörden. Die unbeschränkte Verbreitung indizierter Angebote ist nach § 21 des Gesetzes über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften und Medieninhalte strafbar und somit auch von den Strafverfolgungsbehörden aufzugreifen. Der Einsatz moderner Informationstechnik ist eine Grundvoraussetzung für eine effektive Bekämpfung von Kriminalität im Internet. Mit dem Ziel, die Fahndungsarbeit gezielter, schneller und damit effizienter zu gestalten, entwickelt das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik ein Softwarepaket „Internet-Ermittlungstool“, kurz „Intermit“. „Intermit“ ermöglicht eine automatisierte Recherche im Internet. Neben den gesetzlichen Vorschriften und der freiwilligen Selbstkontrolle der Wirtschaft ist der Einsatz von Filtertechnologien für den Kinder- und Jugendschutz insbesondere im Hinblick auf ausländische Angebote besonders bedeutsam, um unter anderem menschenverachtenden Inhalten im Internet zu begegnen. Gegenwärtig kann durch den Einsatz von Filtertechnologien die Verbreitung dieser Inhalte im Internet jedoch nicht vollständig unterbunden werden. Eine vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie geförderte Studie zu Filtertechnologien im Internet sowie die Studie der länderübergreifenden Stelle „jugendschutz.net“ kommen zu dem übereinstimmenden Ergebnis, dass am Markt zwar eine Reihe von Filtertechnologien zur Verfügung steht, deren Treffsicherheit bzw. Manipulationsschutz aber unzureichend sind. Die Bundesregierung wird die technische Entwicklung weiterhin sorgfältig beobachten und bei ihren weiteren Überlegungen zur Bekämpfung von strafbaren Inhalten im Internet berücksichtigen.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Hinsken, bitte, eine Nachfrage.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie haben mir eine sehr umfangreiche Antwort gegeben, Frau Staatssekretärin, aber sie trifft den Kern der Sache nicht ganz. Deshalb frage ich nach, was andere - und welche - Länder gegen die negativen Auswüchse unternehmen, die wir auf dem Gebiet, das Sie eben angesprochen haben, derzeit zu verzeichnen haben.

Dr. Edith Niehuis (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001609

Herr Hinsken, die Strafverfolgungsbehörden aller Länder arbeiten zusammen, weil hier zumeist internationale Ringe tätig werden. Gerade heute wird in den Tageszeitungen - ich denke beispielsweise an die „FAZ“ - geschildert, dass es gelungen sei, einen internationalen Ring von Händlern schlimmen pornographischen Materials dingfest zu machen, der von Moskau über Europa bis in die USA reicht. Hier findet also eine Zusammenarbeit der Strafverfolgungsbehörden statt.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Eine zweite Frage, bitte, Herr Kollege.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, wie bewerten Sie die bundesweiten Aktionen der Polizeigewerkschaft und des Richterbundes, um die bundesdeutsche Gesellschaft aufzurütteln, endlich aktiv zu werden? Mir geschieht auf diesem Gebiet nämlich viel zu wenig. Wenn wir als Politiker nur den guten Vorsatz fassen, etwas zu unternehmen, so ist das zu wenig, um weltweit aufrüttelnd zu wirken. Deshalb frage ich nach der Bewertung dessen, was von diesen beiden Organisationen unternommen wird.

Dr. Edith Niehuis (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001609

Jede Initiative aus der Gesellschaft, hier für Aufklärung zu sorgen, ist natürlich willkommen. Unser Ministerium hat einige Schriften herausgegeben, die insbesondere der Aufklärung der Jugendlichen dienen sollen. Denn, wie Sie richtig sagen, gehört zu diesem Sachverhalt in erster Linie Medienkompetenz. Wir werden noch so viel versuchen können, Straftäter dingfest zu machen - das Allererste, was wir in der Gesellschaft brauchen, ist Aufklärung; ferner brauchen wir Medienkompetenz.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Es gibt eine weitere Nachfrage, diesmal des Kollegen Hans-Joachim Otto.

Hans Joachim Otto (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001666, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Staatssekretärin, Sie haben eben in Ihrer Antwort gesagt, dass bisher durch Filtertechnologien gesetzwidrige Inhalte von der Art, über die wir hier reden, aus technologischen Gründen noch nicht vollständig unterbunden werden können. Meine Frage: Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass solche Filtertechnologien flächendeckend - also nicht nur nutzerautonom am einzelnen PC - für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland eingesetzt werden sollten, damit sie wirksam werden können?

Dr. Edith Niehuis (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001609

Sie meinen, seitens der Provider sollten diese Filter flächendeckend eingesetzt werden?

Hans Joachim Otto (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001666, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein, die Bundesregierung war gefragt.

Dr. Edith Niehuis (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001609

Bei der Anwendung von Filtertechnologien wird zunächst einmal davon ausgegangen, dass sie vom Empfänger eingesetzt werden.

Hans Joachim Otto (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001666, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nutzerautonom?

Dr. Edith Niehuis (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001609

Ja, genau. Diese Filtertechnologien werden noch nicht hinreichend genutzt. Wir sind allerdings - das wissen Sie sicherlich - nach der Vorlage des IuK-DG-Berichts dabei, ein neues Jugendschutzgesetz zu erarbeiten. Dabei müssen wir dafür sorgen, dass bestimmte Inhalte nur geschlossenen Benutzergruppen, etwa Erwachsenen, zugänglich gemacht werden dürfen.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Es gibt eine Nachfrage des Kollegen Wolfgang Dehnel.

Wolfgang Dehnel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000366, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, Sie wissen, dass wir vor einigen Wochen zu diesem Thema eine Anhörung durchgeführt haben. Sie hatten da als Bundesregierung versprochen, dass auch europaweit die Kontrollen auf diesem Gebiet verbessert werden sollen. Inwieweit sind jetzt entsprechende Schritte eingeleitet worden? Inwieweit werden die Kontrollen jetzt europaweit verschärft?

Dr. Edith Niehuis (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001609

Herr Dehnel, ich glaube, es ist sehr unüblich, dass die Bundesregierung auf einer Anhörung des Deutschen Bundestages ein Versprechen abgibt. Insofern muss das nicht richtig zugeordnet worden sein. Dennoch ist es so, dass wir als Bundesregierung auf europäischer, aber darüber hinaus auch auf internationaler Ebene in allen Gremien intensiv daran arbeiten, die Zusammenarbeit auf diesem Gebiet und die Kontrolle zu verbessern. Das ist ein fließender Prozess. Wenn Sie jetzt gern hören möchten, dass wir gestern irgendwo angerufen haben und seither europaweit alles gelaufen ist, muss ich Ihnen sagen: So schnell geht es nicht. Sie können aber sicher sein, dass dies für die Bundesregierung ein Thema ersten Ranges ist und wir unsere Möglichkeiten auf internationaler Ebene überall kräftig nutzen.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Ich rufe jetzt die Frage 4 des Abgeordneten Ernst Hinsken auf: Ist die Bundesregierung bereit, sich für ein weltweites Verbot der Verbreitung solcher sadistischen Darstellungen einzusetzen, und, wenn ja, was wird sie hierzu unternehmen?

Dr. Edith Niehuis (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001609

Der Schutz der Jugend und die Bekämpfung von illegalen und schädigenden Inhalten in den Netzen ist ein wichtiges Thema der internationalen Zusammenarbeit; wir haben aufgrund der Frage von Herrn Dehnel schon darüber geredet. Die mit der weltweiten Vernetzung von Informationssystemen verbundene Globalisierung wirkt sich auch auf die Kontrolle Gewalt verherrlichender, rassistischer und pornographischer Inhalte aus. Der Kinder- und Jugendschutz im Multimediazeitalter stellt daher neue, nationale und internationale Anforderungen. Angesichts des grenzüberschreitenden Charakters des Internets hält die Bundesregierung die Schaffung weltweiter Mindeststandards zur wirksamen Bekämpfung jugendgefährdender Netzinhalte für erforderlich. Sie hat im Rahmen ihrer Zuständigkeit in der OECD, innerhalb der G-8-Staaten, im Europarat und in der UNESCO wesentlich zur Begründung der internationalen Bemühungen beigetragen. Die Bundesregierung wird sich auf internationaler Ebene auch in Zukunft nachdrücklich dafür einsetzen, dass der Jugendschutz und die Würde des Menschen in den Datennetzen den Schutz erfahren, dessen sie bedürfen. Einzelheiten zu den Maßnahmen der Bundesregierung können Sie, Herr Hinsken, der Antwort der Bundesregierung auf die Frage 22 der entsprechenden Großen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU - Drucksache 14/1866 - entnehmen.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Hinsken zu einer Nachfrage, bitte.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, selbstverständlich werde ich nachlesen, was dazu in der Antwort auf die diesbezügliche Große Anfrage steht. Trotzdem möchte ich Ihnen noch die Frage stellen, ob Pressemeldungen zutreffen, wonach eine Zusammenarbeit mit den USA schwer ist, weil man dort zurzeit andere Prioritäten setzt und man sich momentan auf die Bekämpfung der Kinderpornographie konzentriert.

Dr. Edith Niehuis (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001609

Wer ist jetzt „man“, die USA oder wir?

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die USA.

Dr. Edith Niehuis (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001609

Eine Zusammenarbeit mit den USA ist im Rahmen der internationalen Verhandlungen kein Problem. Sie müssen immer bedenken, dass das, was auf nationaler Ebene strafbewehrt ist, auch nur im nationalen Rahmen der Wertmaßstab ist. Wie Sie wissen, haben wir, was rassistische oder rechtsextreme Inhalte im Internet anbetrifft, das Problem, dass in anderen Ländern nicht solche scharfen gesetzlichen Vorschriften existieren wie in der Bundesrepublik Deutschland. Das betrifft nicht nur die USA, sondern auch andere Länder. Ich wäre sehr dankbar dafür, wenn wir auf internationaler Ebene dazu kommen könnten, dass zumindest die Verbreitung von rassistischem und rechtsextremem Gedankengut so strafbewehrt wäre, wie das in Deutschland der Fall ist.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Hinsken zu einer zweiten Nachfrage, bitte.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Diese Frage möchte ich stellen, weil sie unmittelbar an die gerade gegebene Antwort anschließt. Frau Staatssekretärin, wie gehen die Strafverfolgungsbehörden in anderen Ländern gegen Provider vor, wenn Meldungen und Anzeigen wegen sadistischer Darstellungen vorliegen, und wie wollen Sie konkret verhindern, dass Schulhöfe und Pausenplätze eine Börse für solche Internetadressen werden?

Dr. Edith Niehuis (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001609

Wie ich etwas, was in den USA und zudem im Internet, das global ist, stattfindet, von hier aus, von diesem kleinen Tisch aus, verhindern soll, ist mir nicht ganz klar. Ich kann Ihnen nur immer wieder sagen - Sie wissen das -: Hier bedarf es internationaler Verhandlungen. Die führen wir, und zwar intensiv. Als Zweites haben Sie gefragt, wie verhindert werden kann, dass Schulhöfe bzw. Pausenplätze zu Börsen für solche Internetadressen werden. In einer Antwort auf eine vorhergehende Frage hatte ich gesagt, dass gerade unser Haus intensiv darum bemüht ist, die Medienkompetenz der Jugendlichen zu stärken. Wir haben eine Reihe von Broschüren und Aufklärungsmaßnahmen vorgelegt. Darüber hinaus denke ich, dass Lehrerinnen und Lehrer den Auftrag haben, ihrerseits die Medienkompetenz der Schülerinnen und Schüler zu stärken. ({0}) Sie werden es beim Medium Internet nicht schaffen, alles zu kontrollieren. Sie werden sich bei diesem weltweit wirkenden Medium zum Zwecke der Strafverfolgung immer wieder an solche Anbieter herantasten und versuchen müssen, sie aufzufinden. Ich glaube nicht - so Leid es mir tut -, dass wir angesichts der internationalen Erscheinungsformen dieses Mediums die Möglichkeit haben, solche Darstellungen vollständig zu verhindern.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege Hinsken, Sie hatten bereits zwei Zusatzfragen gestellt; Sie dürfen keine weitere stellen. Durch den Wechsel im Präsidium wäre es fast dazu gekommen, dass Sie eine weitere gestellt hätten. ({0}) Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf. Bei den Fragen 5 und 6 ist um schriftliche Beantwortung gebeten worden. Ich rufe jetzt den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz auf. Zur Beantwortung steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Pick zur Verfügung. Ich rufe die Frage 7 des Abgeordneten Wolfgang Dehnel auf: Wird die Bundesregierung angesichts der vergangenen Morde und des neuerlichen Mordes mit sexuellem Hintergrund an einem jungen Mädchen die Initiative von einigen Innenministern, insbesondere des Sächsischen Staatsministers des Innern, Klaus Hardraht, einer Ausweitungsmöglichkeit zum freiwilligen Gentest unterstützen und ist sie gegebenenfalls auch bereit, die Möglichkeiten der zwangsweisen Anordnung zur Abnahme des genetischen Fingerabdrucks zu erweitern?

Prof. Dr. Eckhart Pick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001715

Herr Kollege, eine Initiative einiger Innenminister zur Ausweitung freiwilliger Gentests ist der Bundesregierung nicht bekannt. Sie beziehen sich mit Ihrer Frage sicher auf eine Pressemitteilung des Sächsischen Staatsministers des Innern, Herrn Hardraht. Freiwillige Gentests sind heute schon zulässig. Deshalb würde eine Initiative zu ihrer Ausweitung wenig Sinn machen. So wurden schon in der Vergangenheit in spektakulären Einzelfällen die Männer einer bestimmten Region zu freiwilligen Gentests aufgerufen. Damit hat man, beispielsweise im Mordfall Christina Nytsch, eindrucksvolle Erfolge erzielt. Diese Ermittlungsmethode ist aber sehr aufwendig und schon deshalb nur in Einzelfällen anwendbar. Ihr Erfolg wird außerdem ganz entscheidend von der Bereitschaft der Bevölkerung zur Mitwirkung bestimmt. Die Teilnahme an einem freiwilligen Gentest lässt sich nicht anordnen. Das geltende Recht enthält aber auch bereits ausreichende Möglichkeiten zur Anordnung von zwangsweisen Gentests. Erstens. Nach § 81 a Abs. 1 und § 81 e der Strafprozessordnung können einem Beschuldigten Blut- und Körperzellen entnommen werden, um durch einen Gentest festzustellen, ob aufgefundenes Spurenmaterial von dem Beschuldigten stammt. Zweitens. Gentests können nach § 81 g Abs. 1 der Strafprozessordnung auch zum Zwecke der Identitätsfeststellung in zukünftigen Strafverfahren angeordnet werden, wenn der Beschuldigte einer Straftat von erheblicher Bedeutung verdächtigt wird und anzunehmen ist, dass auch künftig wegen solcher Straftaten gegen den Beschuldigten ermittelt werden wird. Drittens. Unter denselben Voraussetzungen können Gentests auch bei bereits rechtskräftig verurteilten Tätern oder Personen angeordnet werden, die wegen Schuldunfähigkeit oder Strafunmündigkeit nicht verurteilt worden sind. Das ergibt sich aus § 2 des DNA-Identitätsfeststellungsgesetzes. Die Bundesregierung sieht deshalb auch vor dem Hintergrund der schrecklichen Taten aus jüngster Zeit keinen Anlass, die gesetzlichen Grundlagen auszuweiten.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Zusatzfrage des Kollegen Dehnel, bitte.

Wolfgang Dehnel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000366, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, Sie haben richtig gesehen, dass ich die Frage auf eine Pressemitteilung des Herrn Staatsministers Hardraht hin gestellt habe. Ich habe sie aber auch aus einem ganz anderen Grunde gestellt. Sie wissen, dass der Mord an der kleinen Ulrike aus Eberswalde tiefe Betroffenheit und Mitgefühl in der gesamten Bevölkerung nicht nur in Eberswalde ausgelöst hat. Ich lese zwei Schlagzeilen vor: „Fall Ulrike: Rechtsprechung hat aus vergangenen Morden nichts gelernt“ - „Nach dem Mord an Ulrike sollten wir unsere Gesetze verbessern“. Das sind sehr große Schlagzeilen, die die Meinungen sehr vieler Leser wiedergeben. Unter anderem fordern die Bürger, dass die Rechtsprechung und der Strafvollzug verschärft werden. Sie fordern, dass Mehrfachtäter in diesem Bereich nicht schnell aus dem Gefängnis entlassen werden und keinen vereinfachten Strafvollzug bekommen. Wie sehen Sie vor diesem Hintergrund Ihre Aussage, es bestehe kein Handlungsbedarf?

Prof. Dr. Eckhart Pick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001715

Herr Kollege, ich habe mich natürlich auf Ihre Frage zum DNA-Identitätsfeststellungsgesetz bezogen. Wir haben eine lückenlose Strafbarkeit in all diesen Fällen. Ich denke, die Diskussion in den letzten Monaten hat gezeigt, dass es nicht an den Strafgesetzen liegt, dass bestimmte Täter nicht so verurteilt worden sind, wie das vielleicht von einem Teil der Bevölkerung erwartet wird. Das ist Sache der unabhängigen Justiz. In sie wird sich und darf sich die Bundesregierung nicht einmischen. Grundsätzlich kann ich sagen: Die Gesetze reichen aus. Der Strafvollzug ist, wie Sie wissen, eindeutig Sache der Länder. Ich denke, dass die Behörden im Einzelfall immer zwischen den Belangen der Allgemeinheit und ihres Schutzes vor weiteren Straftaten einerseits und der Persönlichkeit des Täters andererseits abwägen müssen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Zusatzfrage des Kollegen Dehnel.

Wolfgang Dehnel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000366, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie haben zwar richtig gesagt, dass der Strafvollzug in den Zuständigkeitsbereich der Länder fällt. Aber wenn die Bundesregierung die Innenministerkonferenz oder die Justizministerkonferenz einberuft, kann sie doch darauf drängen - das ist ihr Recht -, dass man gerade bei diesen sich strafverschärfend auswirkenden Tatmotiven wirksam handeln muss. Das wäre doch sicher - schlussfolgernd aus diesen Fällen eine richtige Maßnahme.

Prof. Dr. Eckhart Pick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001715

Herr Kollege, Sie können davon ausgehen, dass auch dieses Thema regelmäßig Gegenstand der Beratungen der Justizministerkonferenz und der Innenministerkonferenz der Länder ist, an denen auch der Bund teilnimmt, und über die Erfahrungen in den einzelnen Bundesländern gesprochen wird. Insofern steht dieses Thema immer auf der Tagesordnung. Auch kann jedes Bundesland beantragen, dass dies auf die Tagesordnung gesetzt wird. In diesem Forum ist es immer möglich, solche Fragen konkret anzusprechen. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Zusatzfrage des Kollegen Otto.

Norbert Otto (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001668, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, warum lehnen Sie eigentlich den Kompromissvorschlag ab, wonach Gentests über den bisher von Ihnen geschilderten Umfang hinaus von allen zu einer Freiheitsstrafe verurteilten Straftätern abgenommen werden können, zumal es kriminologische Erkenntnisse gibt, dass viele Sexualstraftäter durchaus auch in anderen Strafbarkeitsbereichen auffallen?

Prof. Dr. Eckhart Pick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001715

Herr Kollege, dieser Bundestag hat 1998 die Voraussetzungen bestimmt, unter denen solche Gentests stattfinden dürfen. Wie Sie wissen, geht dies wegen der DNA-Problematik nur mit richterlicher Anordnung. Die damalige Mehrheit hat sich beim Gesetzeswortlaut ganz bewusst auf die Formulierung „Straftaten von erheblicher Bedeutung“ verständigt. Hierunter fallen zum Beispiel alle Verbrechen, herausgehoben insbesondere Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, aber auch Erpressung und unter Umständen schwerer Diebstahl. Von daher hat der Bundestag eine Wertung vorgenommen, die im Einzelfall entsprechend nachvollzogen werden muss. Damit ist es möglich, in den von Ihnen genannten Fallvarianten zu einer entsprechenden Analyse zu kommen. Es gibt also keinen abgeschlossenen Straftatenkatalog, sondern es ist ganz bewusst in dieser Offenheit formuliert worden, dass Straftaten von erheblicher Bedeutung vorliegen müssen; diese Begrenzung ist schon wegen des Aufwands notwendig, der sich ergeben würde, wenn man alle Straftaten einbeziehen wollte.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Gibt es weitere Zusatzfragen? - Das ist nicht der Fall. Dann danke ich Herrn Staatssekretär Pick. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung. Die Fragen wird der Parlamentarische Staatssekretär Andres beantworten. Ich rufe die Frage 8 des Abgeordneten Gottfried Haschke auf: Wer hat sich an der öffentlichen Ausschreibung für den Neubau des Arbeitsamtes in Zwickau beteiligt und welcher Bewerber hat den Zuschlag bekommen?

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Frau Präsidentin, wenn der Abgeordnete Haschke einverstanden ist, würde ich gern die Fragen 8 und 9 gemeinsam beantworten. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Da der Abgeordnete einverstanden ist, rufe ich auch die Frage 9 auf: Welche Wirtschaftlichkeitsberechnungen waren für die Entscheidung maßgeblich und welche Kriterien waren für die Baukommission der Bundesanstalt für Arbeit entscheidend?

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Ich beantworte zunächst die Frage 8. Angebotsunterlagen für den Neubau des Arbeitsamtes Zwickau wurden von 19 Firmen angefordert. Es wurden zehn Angebote abgegeben. Der Zuschlag wurde noch nicht erteilt. Im Hinblick auf das noch nicht abgeschlossene Verfahren ist es mir verwehrt, die Namen der Unternehmen, die ein Angebot abgegeben haben, zu nennen. Die Frage 9 möchte ich wie folgt beantworten: Die Angebote werden nach der Barwertmethode für einen Betrachtungszeitraum von zehn Jahren untersucht sowie einer baufachlichen Bewertung - dazu gehören die Wirtschaftlichkeit der Planung, die bauliche Umsetzung der Geschäftspolitik und die Funktionalität - unterzogen. Im Rahmen einer Nutzwertanalyse werden beide Bewertungen zusammengeführt. Dabei erfolgt die Gewichtung der Kostenkriterien mit 60 Prozent und die der baufachlichen Kriterien mit 40 Prozent.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Haben Sie Zusatzfragen? - Der Kollege Haschke hat keine Zusatzfragen, aber der Kollege Luther, bitte.

Dr. Michael Luther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001398, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, stimmt es, dass in der letzten Woche die Entscheidung über die Vergabe des Auftrags „Bau des Arbeitsamtes Zwickau“ fallen sollte? Und wenn es stimmt, dass die Entscheidung verschoben worden ist, möchte ich wissen, warum sie verschoben worden ist?

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Nach meinem Kenntnisstand sollte der Bauausschuss bei der Bundesanstalt für Arbeit in der letzten Woche darüber entscheiden. Diese Entscheidung ist nicht getroffen worden, weil es offensichtlich - Ihre Fragen müssen ja irgendwelche Hintergründe haben - öffentliche Auseinandersetzungen um die Frage des Neubaus des Arbeitsamtes oder der Anmietung gibt. Das soll zunächst geklärt werden. Erst dann erfolgt ein Zuschlag.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Zusatzfrage des Kollegen Fuchtel.

Hans Joachim Fuchtel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000616, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, können Sie etwas dazu sagen, ob die Firma Philipp Holzmann bei der Projektierung des gesamten Ausschreibungsprojekts irgendeine Rolle gespielt hat und ob sie zu den Firmen gehört hat, die ein Angebot abgegeben haben?

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Nein. ({0}) - Ihre Frage, Herr Fuchtel, lautete: Können Sie etwas dazu sagen? Diese Frage beantworte ich klar mit Nein.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Fuchtel, bitte.

Hans Joachim Fuchtel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000616, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, würden Sie uns dann bitte die Möglichkeit verschaffen, dass wir als Parlamentarier sämtliche Unterlagen zu dem Vorgang, die der Bundesregierung zugänglich gemacht werden, ebenfalls erhalten? Denn die Bundesanstalt für Arbeit wird nach wie vor in starkem Maße vom Bund gefördert.

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Herr Kollege Fuchtel, als Mitglied des Haushaltsausschusses kommen Sie - das ist völlig klar -, wenn Sie es wollen, an alle Unterlagen heran. Ich weise noch einmal ausdrücklich darauf hin, dass ein Zuschlag noch nicht erfolgt ist und wir damit faktisch noch im Vergabeverfahren sind. Nach den Vorschriften der Verdingungsordnung für Leistungen können Unterlagen erst dann zur Verfügung gestellt werden, wenn das Vergabeverfahren abgeschlossen ist. Aus genau diesem Grund habe ich die Frage, die Sie zuvor gestellt haben, mit Nein beantwortet.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Dann rufe ich die Frage 10 des Abgeordneten Dr. Michael Luther auf: Welche Kriterien waren für die Standortwahl des neuen Arbeitsamtes in Zwickau maßgeblich und warum erhielt der Standort Planitzer Straße ({0}) den Vorzug vor anderen Standorten, obwohl andere in Frage kommende Standorte mit öffentlichen Verkehrsmitteln - namentlich dem Bus, der Straßenbahn und der Deutschen Bahn - sowie mit dem PKW besser zu erreichen wären?

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Auch an dieser Stelle würde ich, da es um den gleichen Zusammenhang geht, vorschlagen, dass ich die Fragen 10 und 11 gemeinsam beantworte, wenn Herr Dr. Luther einverstanden ist. ({0}) - Selbstverständlich haben Sie zu jeder Frage zwei Zusatzfragen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Dann rufe ich auch die Frage 11 des Abgeordneten Dr. Michael Luther auf: Wie wurden die Planung und die Entscheidungsfindung des Ausschreibungsverfahrens durchgeführt und sind einzelne Teile der Planung den Bewerbern vorher bekannt gewesen?

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Die Frage 10 möchte ich wie folgt beantworten: Einziges Kriterium für die Standortwahl war eine gute Erreichbarkeit. Darunter verstehen wir zentrale Lage, Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel und Straßennetz. Dem entsprachen acht der zehn abgegebenen Angebote. Davon wurde ein Angebot wieder zurückgezogen. Im weiteren Verfahren war die Standortfrage deshalb nicht relevant. Die Frage 11 beantworte ich wie folgt: Zur Herstellung der Markttransparenz erfolgte ein nicht auf den Allgemeinen Bestimmungen für die Vergabe von Leistungen VOL/A - basierendes öffentliches Ausschreibungsverfahren. Die Angebote wurden nach der Barwertmethode für einen Betrachtungszeitraum von zehn Jahren untersucht sowie einer baufachlichen Bewertung - das habe ich eben schon bei der Beantwortung der Frage des Kollegen Haschke erläutert - unterzogen. Im Rahmen einer Nutzwertanalyse wurden beide Bewertungen zusammengeführt. Dabei erfolgte die Gewichtung der Kostenkriterien mit 60 Prozent und der baufachlichen Kriterien mit 40 Prozent. Der bisherige Vermieter der Räumlichkeiten des Arbeitsamtes Zwickau wurde bereits im September 2000 zu einer Angebotsabgabe aufgefordert. Daher war ihm ein Teil der späteren Ausschreibungsunterlagen bekannt. Sein Angebot machte das oben angeführte Markterkundungsverfahren erforderlich.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Zusatzfragen? Bitte.

Dr. Michael Luther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001398, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ich habe noch einmal eine Nachfrage zur Standortwahl. Da das meiner Ansicht nach für die Stadt und für die Region Zwickau eine wichtige Entscheidung ist, möchte ich Sie fragen: In welcher Weise wurde die Stadt Zwickau in die Standortsuche, gerade hinsichtlich des Kriteriums verkehrsgünstiger Standort, als Beraterin einbezogen? Denn der Standort, der jetzt im Gespräch ist, hat weder einen Straßen- noch einen Regiosprinteranschluss noch gibt es einen besonders günstigen Anschluss für den Busverkehr. Auch für den Autoverkehr ist der Standort aus meiner Sicht nicht besonders günstig.

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Herr Abgeordneter Dr. Luther, diese Frage kann ich Ihnen nicht beantworten. Ich kann Ihnen nur sagen, dass das Arbeitsamt Zwickau gegenwärtig in drei unterschiedlichen Liegenschaften untergebracht ist, es also faktisch drei verschiedene Standorte gibt. Das Arbeitsamt Zwickau ist in das Modellprojekt „Arbeitsamt 2000“ einbezogen, in dessen Rahmen der Versuch unternommen werden sollte, die unterschiedlichen Liegenschaften in einem geeigneten Objekt unterzubringen. Deswegen ist dieses Verfahren gewählt worden. Inwieweit die Stadt in dieses Verfahren einbezogen worden ist, kann ich Ihnen leider nicht sagen; darüber habe ich keine Kenntnisse.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Weitere Zusatzfragen? - Bitte.

Dr. Michael Luther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001398, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Dann stellt sich für mich die Frage, ob diese Zusatzinformationen nachgereicht werden können.

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Ja.

Dr. Michael Luther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001398, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich denke, das wäre für die Öffentlichkeit - auch angesichts der Kritik, die laut geworden ist - sehr wichtig. In dieser Frage sollte ja letzte Woche die Baukommission entscheiden. Offensichtlich aber gab es Gründe, die Entscheidung zu vertagen. Deshalb will ich die Frage nachschieben: Hat letztendlich die Kritik der Mitbewerber an dem Vergabeverfahren bei der Standortsuche dazu geführt, dass diese Entscheidung vertagt worden ist?

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Es gibt öffentlich geäußerte Kritik. Aber das ist Angelegenheit derer, die diese äußern. Die Bundesanstalt für Arbeit hat, wie ich das schon eben geschildert habe, die Entscheidung vertagt und lässt das Vergabeverfahren bzw. den Stand der Vergabe überprüfen.

Dr. Michael Luther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001398, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe noch eine Zusatzfrage: Wann ist mit der Entscheidung zu rechnen?

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Das kann ich Ihnen nicht sagen. Das hängt davon ab, wann das Prüfverfahren abgeschlossen ist. Nach meinem Kenntnisstand besteht einiger Zeitdruck, weil das neue Objekt bezogen werden muss. ({0})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Eine Zusatzfrage des Kollegen Fuchtel.

Hans Joachim Fuchtel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000616, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, könnten Sie kurz die Historie des Prozesses aufzeigen und erklären, wieso im Zuge dieser Ausschreibung - deren Frist sogar noch verlängert wurde - auf einmal ein unerklärlicher Wechsel in den Auffassungen erfolgt ist und wie man zu diesem Standort gekommen ist, obwohl man schon einen anderen Standort vorgesehen hatte? Wie ist man auf das Philipp-Holzmann-Gelände gekommen?

Dr. h. c. Gerd Andres (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000038

Herr Abgeordneter Fuchtel, ich habe nicht von Philipp Holzmann gesprochen; das haben Sie getan. Ich kann auch die Historie nicht aufzeigen, weil ich sie - offensichtlich im Gegensatz zu Ihnen - nicht kenne. Ich kann Ihnen nur sagen, dass es ein Ausschreibungsverfahren gegeben hat, an dem sich mehrere Bieter beteiligt haben. Die Namen der Bieter kann ich nicht nennen; das habe ich vorhin schon erläutert. Ich kann Ihnen lediglich sagen, dass der Bauausschuss der Bundesanstalt in der letzten Woche eine Entscheidung treffen sollte. Diese Entscheidung ist wegen in diesem Zusammenhang öffentlich geäußerter Kritik nicht getroffen worden. Dieser Kritik wird nachgegangen und dann wird ein Vergabebeschluss herbeigeführt.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Keine weiteren Zusatzfragen. Die Frage 12 wird schriftlich beantwortet. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär Andres. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Die Parlamentarische Staatssekretärin Brigitte Schulte wird die Fragen beantworten. Ich rufe die Frage 13 des Abgeordneten Fuchtel auf: Ist die Bundesregierung bereit, aufgrund jüngster Interventionen auf die Reduzierung des Bundeswehrstandortes Horb zu verzichten?

Brigitte Traupe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002099

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Fuchtel, mit dem Entwurf des Ressortkonzeptes zur Feinausplanung und Stationierung vom 29. Januar 2001 hat Bundesverteidigungsminister Scharping dem Verteidigungsausschuss des Deutschen Bundestages, den Landesregierungen, der Öffentlichkeit und den Angehörigen der Bundeswehr seine Planungen für die zukünftige Stationierung der Bundeswehr vorgestellt. Der Entwurf war Gegenstand einer Regierungserklärung. Er wurde im Deutschen Bundestag beraten und in Gesprächen mit den Ministerpräsidenten der Länder nochmals erörtert. Die abschließende Entscheidung zu den Standorten hat Bundesminister Scharping am 16. Februar getroffen. In dem Zusammenhang hat er als Ergebnis festgehalten, dass der Standort Horb umgegliedert wird.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ihre Zusatzfrage, bitte.

Hans Joachim Fuchtel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000616, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, wie ist es zu verstehen, dass von einer SPD-Kollegin am 30. Januar dieses Jahres im „Schwarzwälder Boten“ berichtet wurde, die Zitterpartie sei zu Ende, das Stationierungskonzept für die Neuausrichtung der Bundeswehr habe keine Auswirkungen auf die Standorte? Etwas weiter unten steht in dem Artikel, dass dort 1 000 Soldaten stationiert werden. Wie kommt es dazu, dass Sie hier ganz andere Äußerungen machen?

Brigitte Traupe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002099

Ob ich andere Äußerungen mache, will ich einmal dahingestellt sein lassen; denn jetzt geben Sie mir durch Ihre Zusatzfrage die Gelegenheit, zu sagen, was dort vor sich gegangen ist, Herr Kollege Fuchtel. Dieser Bundeswehrstandort beherbergte vorher ein Sanitätsregiment mit 930 militärischen und zivilen Dienstposten zuzüglich 463 Lehrgangsteilnehmern. Es wird in Zukunft folgendermaßen sein: Das Sanitätsregiment 10 wird unter Heranziehung des Krisenreaktionslazaretts Ulm in ein Lazarettregiment umgegliedert. Damit ist klar, dass ein Schwerpunkt die internationalen Einsätze sein werden. Dabei bleiben Teile dieses Lazaretts, zum Beispiel zwei Kompanien mit der Containerausstattung - auch aus Platzgründen - am Standort Dornstadt. Aber hinsichtlich der künftigen Ausbildung erfolgt eine Umgliederung. Deshalb brauchen wir zwar nicht so viel Stammpersonal, aber die Zahl der Lehrgangsteilnehmer wird sich nicht erheblich reduzieren. Wir gehen davon aus, dass bei 580 militärischen wie zivilen Dienstposten ein hoher Bedarf an Ausbildung an dem Standort Horb besteht. Deshalb brauchen wir Kapazitäten für die Unterbringung von über tausend Soldaten. Damit haben wir eine Verringerung bei den Ausbildungskapazitäten von vielleicht 10 Prozent. Das hätte ich Ihnen sonst zu Ihrer nächsten Frage gesagt. Wir können die vorhandenen Unterbringungskapazitäten auch in Zukunft weiter nutzen.

Hans Joachim Fuchtel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000616, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, ich verstehe, dass Sie nicht so recht mit der Sprache heraus wollen. Ich muss Sie aber doch noch einmal fragen: Ist es nicht so, dass zunächst in Ihrem Konzept stand, den Standort Horb ohne jegliche Einschränkung zu erhalten, und anschließend diese Einschränkungen - sehr zur Überraschung der gesamten Region - durch Staatssekretär Kolbow vor Ort bekannt gegeben wurden, was auf einen Dissens in Ihren Planungen schließen lässt?

Brigitte Traupe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002099

Lieber Herr Kollege Fuchtel, Sie gehören dem Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages an. Sie werden deshalb weniger als andere Kolleginnen und Kollegen Ihrer Fraktion bestreiten können, dass die Bundeswehr für internationale Einsätze in Teilen falsch strukturiert war. Sie wissen genau, dass wir für diese internationalen Einsätze auch das Sanitätskonzept geändert haben. Zu Ihrer Regierungszeit haben Sie eine Verteilungsaktion vorgenommen, wir gehen jetzt nach Effizienzkriterien vor. Die Bausubstanz und der Unterkunftsbedarf bleiben. Auch die Zahl der Soldaten und zivilen Mitarbeiter wird in einem beachtlichen Maße erhalten. Wir hoffen sogar, dass wir bei der Feinplanung den einen oder anderen Dienstposten möglicherweise von einem militärischen in einen zivilen umwandeln können. Das wird sich ergeben. Vielleicht kommt es auch durch die Kombination dieses Krisenreaktionslazaretts und der Sanitätsausbildung zu der einen oder anderen Einsparung. Es muss sehr in Ihrem Sinne sein, dass wir so vorgehen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich rufe jetzt die Frage 14 des Kollegen Fuchtel auf: Wie ist die räumliche Auslastung für den Fall der Reduzierung angesichts der erst vor wenigen Jahren in der jetzigen Dimension ausgebauten Kaserne künftig für den Fall vorgesehen, dass die Reduzierung tatsächlich stattfindet?

Brigitte Traupe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002099

Die Hohenberg-Kaserne wurde 1988, also vor der deutschen Einheit, instand gesetzt und verfügt über eine gute Bausubstanz. Das haben mir zumindest meine Männer aufgeschrieben. Ich hoffe, Sie können das bestätigen. ({0}) Sie hat 1 270 Unterkunftseinheiten. Im Ressortkonzept Stationierung sind die Stationierungsumfänge ohne die zukünftige Zahl der Lehrgangsteilnehmer an Ausbildungseinrichtungen aufgeführt, da diese noch der weiteren Feinausplanung bedürfen. Bei der vorgesehenen Reduzierung des Stationierungsumfangs am Standort Horb bleibt eine wirtschaftliche Auslastung der Liegenschaften auch deshalb gegeben, weil sich die Ausbildungskapazität für unterkunftspflichtige Lehrgangsteilnehmer nach den derzeitigen Planungen nur geringfügig, etwa um 10 Prozent, reduziert.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Eine Zusatzfrage des Kollegen Fuchtel, bitte.

Hans Joachim Fuchtel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000616, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, Sie verwirren mich immer mehr, da mir aus Kreisen der Bundeswehr gesagt wurde, die Entscheidungsfindung für den von Ihnen jetzt vorgetragenen Weg beruhe auf Unterlagen, die mehr als zwei Jahre alt seien. Ich werde nur aus Gründen des Datenschutzes an dieser Stelle nicht konkreter. Solange Sie die Ursachen für solche Äußerungen aus der Bundeswehr nicht beseitigen, tun Sie, egal, welches Konzept Sie verfolgen, der Sache keinen Gefallen. Wie wollen Sie dafür sorgen, dass die bestehenden Verwirrungen hinsichtlich der Frage, ob der Standort im jetzigen Umfang erhalten bleibt, beseitigt werden?

Brigitte Traupe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002099

Herr Kollege Fuchtel, ich kann Ihnen nur bestätigen: Aus dem Sanitätsregiment, das wir in dieser Form nicht mehr benötigen, wird unter Heranziehung des Krisenreaktionslazaretts eine Ausbildungsstätte, um Kapazitäten für immer häufigere Einsätze im Bereich von Krisen regulierenden Maßnahmen und internationalen Hilfsmaßnahmen zu schaffen. An dieser Ausbildungsstätte werden sowohl Ausbilder, teilweise ziviles Personal, als auch vor allen Dingen Auszubildende, nämlich Soldaten, die für entsprechende Einsätze qualifiziert werden, tätig sein. Deswegen sehe ich im Moment keine Verwirrung. Der Bedarf an Auszubildenden wird bleiben, während der Bedarf an dort ständig stationiertem Personal reduziert wird. Das ist deswegen richtig, weil uns in vielen Bereichen militärisches Personal fehlt, was teilweise auf Entscheidungen der Vorgängerregierung zurückgeht. Insoweit bin ich gerne bereit, Ihnen dazu einiges zu berichten, wenn Sie mir einen Brief schreiben.

Hans Joachim Fuchtel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000616, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Letzte Bemerkung: Dass diese Kaserne gut ausgebaut ist, rührt daher, dass ein guter Abgeordneter daran gearbeitet hat. ({0}) Ich würde gerne noch etwas über den Zeithorizont erfahren, wann im konkreten Fall eine Neustrukturierung mit Blick auf die künftigen Aufgaben durchgeführt werden soll.

Brigitte Traupe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002099

Herr Kollege Fuchtel, mir ist im Augenblick nicht bekannt, ob Sie 1988 schon im Parlament saßen. Ich habe Ihnen ja gesagt, dass der Ausbau bereits 1988 erfolgt ist. Ich werde mich im Übrigen hüten, mich über Ihre Qualitäten auszulassen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich rufe die Frage 15 des Abgeordneten Koschyk auf: Bis zu welchem Zeitpunkt soll nach dem Willen des Bundesministeriums der Verteidigung die Auflösung des II. Luftwaffenausbildungsbataillons 3 in Bayreuth vollzogen werden, und welche Nachfolgenutzung des Areals der Markgrafenkaserne in Bayreuth strebt der Bundesminister der Verteidigung, Rudolf Scharping, an?

Brigitte Traupe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002099

Herr Kollege Koschyk, die Auflösung des II. Bataillons des Luftausbildungsregiments 3 in Bayreuth ist in dem Zeitraum von Oktober 2003 bis Dezember 2004 vorgesehen. Zurzeit wird geprüft, ob ein begrenzter Bereich der Markgrafenkaserne für eine Unterbringung des Verteidigungsbezirkskommandos benötigt wird. Die freizugebenden Teile der Kaserne werden dem allgemeinen Grundvermögen des Bundes zugeführt und von den dem Bundesministerium der Finanzen nachgeordneten Behörden der Bundesvermögensverwaltung verwertet.

Hartmut Koschyk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001186, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, bevor ich zu einem anderen Punkt komme: Mich hat überrascht, zu hören, dass der möglicherweise freizugebende Teil an das Finanzministerium zurückgegeben und nach allgemeinen Gepflogenheiten verwertet wird. Warum ist in diesem Zusammenhang nicht die extra gegründete Verwertungsgesellschaft GEBB zuständig?

Brigitte Traupe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002099

Man muss ganz deutlich sehen, dass es bezüglich der Liegenschaften unterschiedliche Interessenlagen gibt. Wir können nicht alle Liegenschaften - wir haben noch eine ganze Reihe von Liegenschaften infolge von Schließungen durch die alte Regierung zu verwerten - durch die GEBB verwerten lassen. Der Bund, in dieser Beziehung gewissermaßen ein Großgrundbesitzer, muss Schwerpunkte setzen. Diese liegen in Bereichen, von denen wir glauben, dass eine Nutzung wirtschaftlicher erfolgen kann, oder wo wir froh sind, dass, möglicherweise in Übereinstimmung zwischen Land, Bund und den betreffenden Kommunen, überhaupt eine vernünftige Nachnutzung erfolgt. Der Bundeswehrstandort in Bayreuth - der Oberbürgermeister von Bayreuth war ja auch bei mir - gehört wohl eher zu den Liegenschaften, bei denen der Bund zunächst prüft, ob er sie selber behalten soll. Ich muss Ihnen natürlich nicht sagen, dass ein Verteidigungsbezirkskommando kleiner als das frühere Luftwaffenausbildungsregiment ist. Alles andere wird man sehen. Möglicherweise gibt es noch Bedarf auf Bundes- oder Landesseite. Aber das kann ich nicht mit Sicherheit sagen. Wir haben die Liegenschaften auf unterschiedliche Weise geprüft. Ich gehe davon aus, dass die Mehrheit der Liegenschaften weiterhin durch die Bundesvermögensverwaltung geordert werden.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Eine Zusatzfrage, bitte.

Hartmut Koschyk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001186, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie haben im Hinblick auf die Auflösung einen zeitlichen Horizont von 2003 bis 2004 genannt. Wenn man sich die vom Bundesverteidigungsministerium veröffentlichten Entscheidungskriterien bezüglich der drastischen Reduzierung der Zahl der Standorte - auch Bayreuth ist, wie gesagt, davon betroffen - in Erinnerung ruft, dann stellt man fest, dass sowohl Arbeitsmarkt- als auch Strukturdaten berücksichtigt werden sollten. Nun gibt es in jüngster Zeit eine die Arbeitsmarkt- und Strukturdaten verschlechternde Entwicklung am Bundeswehrstandort Bayreuth. So hat ein großes Unternehmen das Insolvenzverfahren beantragt und auch die Firma Grundig hat angedeutet, dass sie ihr Werk in Bayreuth möglicherweise schließen wird. Können Veränderungen der Arbeitsmarkt- und Strukturdaten in dem längerfristigen Zeitraum, den Sie genannt haben, dazu führen, dass die Entscheidung, das Luftwaffenausbildungsbataillon 3 in Bayreuth zwischen 2003 und 2004 zu schließen, im Lichte der neueren Entwicklung im Wirtschafts- und Arbeitsmarktbereich noch einmal geprüft wird?

Brigitte Traupe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002099

Herr Koschyk, die Luftwaffe hat es bei ihren Planungen nicht ganz so schwer wie das Heer mit seinen vielen Liegenschaften. Sie wissen, dass wir ab dem Jahr 2002 die Zahl der Wehrpflichtigen reduzieren müssen. In Bayreuth handelt es sich ja um ein Ausbildungsregiment. Ich habe - ich war überrascht - deswegen nachgefragt, ob es tatsächlich erst 2003 bzw. 2004 aufgelöst werden wird. Auch die Luftwaffe muss schließlich die Zahl ihrer Standorte reduzieren und sich Gedanken machen, wie die Ausbildung in Zukunft angesichts einer verringerten Zahl von Wehrpflichtigen aussehen wird, wenn die Umstrukturierung abgeschlossen ist. Vor diesem Hintergrund kann ich mir nicht vorstellen, dass die Auflösung des Bundeswehrstandortes in Bayreuth über das Jahr 2004 hinaus verschoben werden kann. Ich kann Ihnen mit einer gewissen Sicherheit sagen, dass dieser Termin eingehalten wird, weil die Zahl der Wehrpflichtigen erst langsam zurückgeführt wird. Ich sehe mit Interesse, dass die Planungen in anderen Bereichen manchmal schneller vorankommen, weil die Soldaten an anderer Stelle benötigt werden. Ein zweites interessantes Moment ist für mich: Es gibt erstaunlicherweise doch mehr Interessenten für die Liegenschaften der Bundeswehr, als ich mir das vorstellen konnte, und zwar - ich sage das nicht nur ausdrücklich im Hinblick auf Bayreuth - an verschiedenen Standorten. Ich habe dem Oberbürgermeister von Bayreuth, der mir damals seine Sorgen vorgetragen hat, ausdrücklich gesagt: Man muss einmal schauen; denn es handelt sich um gut erschlossene Liegenschaften, die auch aufteilbar sind. Unter realistischen Gesichtspunkten halte ich den Zeitpunkt 2003/2004, bis zu dem der Bundeswehrstandort in Bayreuth aufgelöst werden soll, für den allerletzten Termin, gerade weil es sich um ein Luftwaffenausbildungsregiment handelt. Ich bin sehr zuversichtlich, dass die Wirtschaftskraft in den von Bundeswehrstandortschließungen betroffenen Regionen nicht wesentlich nachlassen wird. Es wird zwar wirtschaftliche Veränderungen geben, von denen auch Bayreuth betroffen sein wird. Aber ich glaube, dass Bayreuth durch die Förderung der mittelständischen Industrie eine Chance haben wird, den Verlust an Wirtschaftskraft, der durch die Schließung des Bundeswehrstandortes entsteht, zu kompensieren. Ich werbe ausdrücklich dafür, dass sich gerade die kleinen und mittleren Städte darum bemühen, die eigene mittelständische Industrie zu fördern. Ich bin realistisch genug, zu wissen, dass dies in dem einen oder anderen Fall nicht funktionieren wird. Aber das Schlimmste wäre, wenn die Liegenschaften über Jahre hinweg leer stünden; denn dann würde die Substanz der Liegenschaften kaputtgehen und dann wäre der Verlust am größten.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich rufe Frage 16 des Abgeordneten Hartmut Koschyk auf: Wie bewertet der Bundesminister der Verteidigung, Rudolf Scharping, die in dem Schreiben des Oberbürgermeisters der Stadt Bayreuth vom 2. März 2001 an ihn geäußerte Auffassung, wonach eine „Konversion der Kasernenanlage auf zivile, etwa gewerbliche Nutzung auf lange Zeit nicht gelingen wird“, und inwieweit berücksichtigt der Bundesminister der Verteidigung, Rudolf Scharping, die Position der Stadt Bayreuth bei seinen Überlegungen im Hinblick auf die künftige Nutzung der Markgrafenkaserne?

Brigitte Traupe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002099

Bei der Entscheidung über den Standort Bayreuth stand natürlich der Aspekt des Abbaus von Ausbildungskapazitäten im Vordergrund. Die Bundeswehr strebt eine Verwertung der Liegenschaft im Hinblick auf eine zivile Anschlussnutzung an. Hierbei wurde die erforderliche Kooperation mit der Stadt Bayreuth herbeigeführt bzw. gesucht. Auch hier bitte ich Sie und auch die Kollegen der anderen Fraktionen, gemeinsam zu überlegen, wie das Land, die Kommune, aber auch der Bund bei der Vermarktung der Liegenschaft helfen können. Möglicherweise kann auch eine Teilvermarktung erfolgen. Es sollte nicht an uns scheitern, wenn man im Rahmen der Kooperation zu dem Ergebnis kommt, dass es sinnvoll wäre, die Auflösung entweder früher oder später vorzunehmen.

Hartmut Koschyk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001186, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, ich stelle fest, dass Sie den Teil meiner Frage nicht beantwortet haben, in dem ich ausdrücklich gefragt habe, wie der Bundesminister der Verteidigung das Schreiben des Oberbürgermeisters der Stadt Bayreuth bewertet, in dem dieser darauf hingewiesen hat, dass er die Konversion der Kasernenanlage auf zivile, etwa gewerbliche, Nutzung auf lange Zeit als nicht möglich ansieht. Er hat in dem Schreiben an den Minister ausdrücklich darauf hingewiesen, dass er ein fehlendes ziviles und öffentliches Interesse gerade im Hinblick auf eine Konversion zu Gewerbeflächen sieht, nachdem die Stadt Bayreuth gerade erst umfangreiche Gewerbegebiete ausgewiesen hat, die sofort verwertbar sind. Auch aufgrund der allgemeinen wirtschaftlichen Lage ergibt sich momentan nur ein bedingtes Interesse. Daher erlaube ich mir die Frage: Kann denn der Bundesminister der Verteidigung hinsichtlich einer Verwertung nach außen hin Optimismus artikulieren, wenn der betroffene Oberbürgermeister sehr deutlich macht, dass er aufgrund der Situation vor Ort nicht von einer Verwertung ausgehen kann?

Brigitte Traupe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002099

Die Gemeinde Stadt Oldendorf, die zu meinem sehr schönen Bundestagswahlkreis gehört, hat eine ähnliche Vorstellung gehabt; auch die Klagen meines Bürgermeisters waren ähnlich. Er wurde dabei natürlich durch die Beiträge der Unionskollegen aus Landtag und Bundestag unterstützt. In Wirklichkeit haben wir aber mit Erstaunen festgestellt, dass es eine Reihe von mittelständischen Industriebetrieben gibt, die den Weg zu größeren Kapazitäten suchen, wenn die nötigen finanziellen Bedingungen dafür gegeben sind. Ich würde einmal schlichtweg sagen: Die Tatsache, dass bei unseren Hochbauten - ich kenne die Bayreuther Kasernenanlagen nicht eine völlig erschlossene Infrastruktur - nämlich Gas, Warmwasser, Abwasser usw. - vorhanden ist, eröffnet erstaunliche Möglichkeiten. Ich war vor einigen Tagen in Verden. Dort ist eine riesige Anlage der Briten umgearbeitet worden. Dort hat sich die Kommune zusammen mit dem Landkreis sehr schnell dazu entschlossen, eine Nutzung, an die früher nicht gedacht war, vorzunehmen und gleichzeitig einen Teil der Liegenschaften abzureißen, um dort eine gemeinsame sinnvollere Neugestaltung in Angriff zu nehmen. Ich bin also nicht so pessimistisch und bitte Sie sehr, Herr Kollege Koschyk, ein bisschen mitzuhelfen, da es schwierig ist, in Deutschland solche Liegenschaften zu nutzen. Sie dürfen vor allen Dingen nicht leer stehen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Eine Zusatzfrage.

Hartmut Koschyk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001186, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, das möchte ich aufgreifen - ich muss das einfach vor meine Frage stellen, Frau Präsidentin -: Das ist ein Areal, das auf zwei Kampfbataillone der Bundeswehr ausgelegt ist, mit sehr massiv in den Boden hineingebauten Luftschutzbunkern. Dort waren Panzer stationiert. Dort ist viel Beton verarbeitet worden. Es gibt unterschiedliche Aussagen über mögliche Altlasten. Wir haben bereits Erfahrungen mit der Konversion, nämlich der Konversion eines von den Amerikanern zu Beginn der 90er-Jahre zurückgelassenen Areals, auf dem ebenfalls ein Panzerbataillon stationiert war. Ich kann ein Lied von der Dauer der Konversionen in diesem Bereich singen. Daher möchte ich von Ihnen wissen: Wie können Sie sicherstellen, dass die optimistische Erwartung, die hier im Hinblick auf eine Konversion geäußert wird, obwohl Ihnen der betroffene Oberbürgermeister sowohl im persönlichen Gespräch als auch noch einmal schriftlich eine andere Auffassung mitgeteilt hat, nicht an der örtlichen Situation vorbeigeht? Gerät dadurch nicht das Verwertungskonzept des Bundesministeriums der Verteidigung insgesamt ins Wanken? Frau Staatssekretärin, ich sage das auch vor dem Hintergrund, dass ich eine Anfrage an die Bundesregierung gestellt habe, wie die Verwertungssituation bei den aufgegebenen Bundesgrenzschutzstandorten aussieht. Die Bundesregierung hat sich leider außerstande gesehen, darüber Auskunft zu geben. Sie hat sich in die Ausrede geflüchtet, dass es darüber keine gesonderten Statistiken gebe. Wenn sie darüber Auskunft geben würde, hätten wir einen Erfahrungswert, wie es gelungen ist, durch die BGS-Reform aufgegebene BGS-Liegenschaften zu verwerten. Ich befürchte, auch hierbei wird ein Optimismus verbreitet, der nicht mit der Realität vereinbar ist.

Brigitte Traupe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002099

Herr Koschyk, der Vorteil ist, dass ich eine ganze Reihe von Jahren auch die kommunalpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion war; ich habe mich nicht nur um Verteidigung gekümmert. Außerdem war ich lange Jahre Mitglied des Haushaltsausschusses. Erstens. Wir müssen in einem so dicht besiedelten Land wie der Bundesrepublik Deutschland - Deutschland ist dicht besiedelt genug! - darauf achten, dass wir bereits erschlossene Liegenschaften nutzen, anstatt ständig neue Gebiete auf freiem Felde zu erschließen. Zweitens. Es war natürlich ein Fehler - Sie haben das zu Recht beschrieben; was ich jetzt sage, wollte ich Ihnen eigentlich ersparen -, eine mit zwei Bataillonen besetzte, viel zu große Kasernenanlage - das hat für den Bund ständig Folgekosten bedeutet - anschließend mit einem Luftwaffenausbildungsregiment zu besetzen. Wahrscheinlich wäre es leichter gewesen, wenn das immer ein typischer Luftwaffenplatz gewesen wäre. Das war es aber nicht; Sie haben das freundlicherweise beschrieben. Zu Beginn der 90er-Jahre hat der arme Herr Waigel zusammen mit den Ländern auf 2 Prozentpunkte der Mehrwertsteuer zurückgreifen müssen, damit die Länder ein Konversionsprogramm durchführten. Einige haben das an verschiedenen Stellen hervorragend gemacht - ich kenne solche Beispiele aus Bayern - und andere haben gesagt: Lasst doch bitte die Bundeswehr dort weiterhin stationiert. Die Situation in Bayreuth kann ich gut verstehen. Da ist die Gemeinde gekommen und hat gesagt: Wir haben sonst zwei Bataillone gehabt und jetzt haben wir nur noch ein Ausbildungsregiment. - Die Kosten für den Staat Bundesrepublik Deutschland sind zu hoch gewesen. Ich sage Ihnen ausdrücklich: Wir unterstützen Ihre Auffassung, dass bei der Räumung der Liegenschaften Möglichkeiten gefunden werden müssen. Wir sind deswegen aber nicht der Meinung, dass jede dieser Liegenschaften im Hinblick auf die durch ihren Verkauf erzielten Erlöse optimiert werden muss; vielmehr muss auch auf die Region Rücksicht genommen werden. Deswegen geschieht die Vermarktung durch die bundeseigene Vermögensverwaltung. Es kommt jetzt wirklich darauf an, dass Sie alle mithelfen, schnell Möglichkeiten der Nachnutzung zu finden, damit die Standorte nicht leer stehen; denn das wäre ein Substanzverlust. Ich habe mir die Lösung der Probleme in Bayreuth ein bisschen auf meine Fahne geschrieben. Ich wage vorauszusagen, dass es auch dort Nutzungsmöglichkeiten gibt. Das ist kein Zweckoptimismus. Der Gedanke, der dahintersteht, lautet: Wir haben in Deutschland gar nicht so viele geeignete Freiflächen, dass wir alles beliebig erschließen könnten. Gemeinden haben Gewerbegebiete erschlossen, die nie bebaut worden sind. In Bayreuth sind die notwendige Infrastruktur und die notwendigen Anschlussmöglichkeiten vorhanden. Lassen Sie uns beide in einem Jahr noch einmal darüber sprechen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich rufe jetzt die Frage 17 des Abgeordneten Spranger auf: Welche Pläne verfolgt die Bundesregierung hinsichtlich der Schließung des Bundeswehrstandortes Heidenheim in Westmittelfranken in Bezug auf den genauen Zeitpunkt der geplanten Schließung, die infrastrukturellen Ausgleichsmaßnahmen für die Region, die Weiterbeschäftigung von 80 zivilen Mitarbeitern sowie eine mögliche Weiterverwendung des Standortgeländes und die damit eventuell verbundenen Investitionsförderungsmaßnahmen?

Brigitte Traupe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002099

Herr Kollege Spranger, auch für Sie gilt: Das Bundesministerium der Verteidigung hat am 16. Februar 2001 die Aufgabe des Standortes Heidenheim beschlossen. Das Panzerbataillon wird wie andere Panzerbataillone aufgelöst. Die Panzerpionierkompanie 300 wird nach Külsheim verlegt. Die Hahnenkamp-Kaserne wird in das allgemeine Grundvermögen übergehen. Ein genauer Zeitpunkt der Schließung des Standortes Heidenheim kann zurzeit noch nicht genannt werden. Er wird aber mit den Betroffenen zeitgerecht besprochen werden. Die vom Umstrukturierungsprozess betroffenen zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie die Soldatinnen und Soldaten können - das hat der Bundesverteidigungsminister im Parlament und in der Öffentlichkeit oft betont - darauf vertrauen, dass die Umsetzung der Entscheidung in sozial verträglicher und verantwortbarer Weise erfolgen wird.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Eine Zusatzfrage des Kollegen Spranger, bitte schön.

Carl Dieter Spranger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002205, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, ist der Bundesregierung bekannt, dass die Schließung dieses Standortes in dieser Region besonders schwierige wirtschaftliche, soziale und strukturelle Probleme aufwirft? Ist die Bundesregierung gemäß dem Verursacherprinzip deshalb nicht besonders verpflichtet, diese Probleme durch notwendige Ausgleichsmaßnahmen zu lösen?

Brigitte Traupe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002099

Herr Kollege Spranger, wie Sie wissen, gehöre ich dem Parlament lange an: Ich habe eine sozialliberale Bundesregierung miterlebt, ich habe eine christdemokratisch geführte Bundesregierung miterlebt und jetzt regieren wir das Land. Erfreulicherweise befinden wir uns jetzt in der Situation - das ist entscheidend -, dass wir weniger Soldaten brauchen. Außerdem sind diese Soldaten jetzt stärker als je zuvor im täglichen Einsatz gefordert. Darüber hinaus hat die alte Bundesregierung leider Panzerbataillone aufrechterhalten, die wir nicht gebraucht haben. Unsere jetzige Strukturpolitik vor diesem Hintergrund in Zweifel zu ziehen halte ich geradezu für hanebüchen. Wir werden kaum Probleme haben - uns fehlen bereits 14 000 Zeit- und Berufssoldaten -, bestimmte Gruppen von Soldaten unterzubringen. Ein Problem sind die 80 zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wir müssen schauen, ob ein Teil von ihnen an einer anderen Stelle der Bundeswehr eine Aufgabe bekommt oder ob wir durch Tarifverträge mit der neuen, großen Gewerkschaftsorganisation Verdi Lösungen finden. Meine Sorge gilt den Teilzeitkräften und da vor allen Dingen den Küchenkräften. Ich bin davon überzeugt, dass alle anderen eine Chance haben, entweder bei der Bundeswehr weiter beschäftigt zu werden, weil sie an anderer Stelle eingesetzt werden können, oder woanders einen Arbeitsplatz zu finden, wenn sie jung genug sind. Die Schließung eines Standortes mit nur 80 zivilen Mitarbeitern bereitet mir nicht so große Sorgen wie die Schließung von Standorten, an denen eine größere Zahl von zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt ist. Es kann nicht sein, dass wir einen Standort erhalten, obwohl er nicht benötigt wird.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Zweite Zusatzfrage, bitte.

Carl Dieter Spranger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002205, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, nicht nur mir, sondern auch der Bevölkerung in Westmittelfranken ist bewusst geworden, dass Sie - wie Sie so schön sagen - das Land regieren. Die Menschen erwarten von Ihnen daher, dass Sie sich nicht nur in memoriam mit diesem Thema beschäftigten, sondern dass Sie nach vorne schauen und ihnen mitteilen, welche Ausgleichsmaßnahmen Sie planen, um die durch Ihre Entscheidungen entstandenen Herausforderungen zu bewältigen.

Brigitte Traupe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002099

Wir räumen das auf, was Sie aufgrund Ihres Hochmuts nicht weggeräumt haben. ({0}) Wir haben Sie schon 1991 darum gebeten - ich war bereits damals in diesem Bereich tätig -, eine Strukturkommission des Bundestages einzusetzen, um gemeinsam Pläne für eine auf die Zukunft ausgerichtete Struktur der Bundeswehr zu entwickeln. Herr Kollege Spranger, das haben Sie schlichtweg abgelehnt. Das Stationierungskonzept von Herrn Stoltenberg, mit dem Standorte erhalten wurden, war ein Kompromiss, um keinen politischen Ärger vor Ort zu bekommen. Heute fehlt uns aufgrund der hohen Staatsverschuldung, die wir vorgefunden haben, aber auch aufgrund der mangelhaften Struktur der Bundeswehr das Geld. ({1}) - Frau Kollegin, das müssen Sie sich schon anhören. Sie waren damals ebenfalls dabei. - Das ist schlicht und einfach die Wahrheit. Ich setze mich dafür ein - das gilt auch für die Kollegen im Verteidigungsausschuss -, bezüglich der Stationierung eine Sicherheit für die Standorte zu erreichen. Weiterhin setze ich mich dafür ein, dass es mehr einsatzfähige Soldaten gibt. Wir haben heute noch nicht die Struktur - wir müssen sie aber schnell erreichen -, um Soldaten geschlossen in Kompanien und Verbänden in Einsätze zu schicken. Herr Spranger, ich möchte mich für meine heftige Antwort entschuldigen. Aber die Fakten sind leider so, wie von mir geschildert. Ich kann deswegen bedauerlicherweise nur sagen: Es muss schnell gehandelt werden. Verbände, die wir nicht mehr brauchen, müssen aufgelöst werden.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich rufe die Frage 18 des Kollegen Carl-Dieter Spranger auf: Wie sieht konkret das Ausgleichsprogramm der Bundesregierung für den betroffenen Landkreis Weißenburg/Gunzenhausen und die umliegenden Gemeinden aus?

Brigitte Traupe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002099

Die Bundesregierung ist bemüht - das will ich ausdrücklich zusagen -, zusammen mit den betroffenen Kommunen und dem Land eine Nachnutzung der Liegenschaften zu erreichen. Ein spezielles Ausgleichsprogramm des Bundes ist aber nicht geplant. ({0}) In diesem Zusammenhang weise ich auf die Tatsache hin, dass der Bund 1993 im Rahmen des Finanzausgleichs 2 Prozentpunkte bei der Mehrwertsteuer abgegeben hat und dass es ein Programm gibt, das jedem Standort gerecht wird. Wir werden morgen über die Bundeswehrstandorte debattieren. Aber schon heute will ich darauf hinweisen, dass wir bereits im Rahmen von Bundesprogrammen helfen, zum Beispiel bei der Stadtsanierung, bei der Verkehrsanbindung und bei der wirtschaftlichen Förderung. Mit Mitteln aus diesen Programmen kann man ebenfalls die jeweiligen Standorte unterstützen.

Carl Dieter Spranger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002205, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, ich akzeptiere gerne Ihre Entschuldigung. Ich muss aber feststellen, dass es absurd ist, die Schließung von Standorten heute in Verbindung mit der Politik des ehemaligen Verteidigungsministers Stoltenberg zu bringen. ({0}) Das ist eine ähnlich absurde Vorstellung wie die, mit dem Finanzausgleich des Jahres 1993 seien die Folgelasten aufgrund der heutigen Standortschließungen abgegolten. Diese Argumentation kann man wirklich nur als absurd bezeichnen. Sie haben noch nicht einmal angedeutet, wie Sie notwendige Infrastrukturmaßnahmen in dieser Region fördern wollen. Die Folgen eventueller Standortschließungen für die Infrastruktur und die Wirtschaft der Region hätten eigentlich in die Überlegungen gemäß den Kriterien des Herrn Verteidigungsministers einbezogen werden müssen. Gemäß dem Verursacherprinzip muss sich die Bundesregierung an den Ausgleichsmaßnahmen beteiligen. Meine Zusatzfrage lautet daher: Mit welchen Maßnahmen können die Menschen und die Region rechnen?

Brigitte Traupe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002099

Leider ist unsere Staatsverschuldung Realität und nicht Absurdität. Außerdem brauchen wir eine Bundeswehr, die einsatzfähig ist. Panzerbataillone haben wir zu viele, Herr Kollege. ({0}) Die hat nicht die sozialdemokratisch geführte Bundesregierung eingerichtet, sondern die haben wir ab 1990 in der vorhandenen Zahl nicht gebraucht. ({1}) Das ist schlichtweg unser Problem. Zu Ihrer Frage. Wir werden dabei helfen, dass eine Nachnutzung der Liegenschaften zügig erfolgen kann. Jetzt sind die Ideen der Region gefragt. Gefragt ist in der Tat natürlich auch das Land Bayern. ({2})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Bitte.

Carl Dieter Spranger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002205, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, können Sie mir wenigstens ansatzweise sagen, wie Sie sich die Verwertung dieses Geländes vorstellen? Denn das, was Sie gegenüber Herrn Kollegen Koschyk gesagt haben, da solle jetzt der Mittelstand einsteigen, ist bei diesen 400 Hektar hügeligen Gelände im Grunde ausgeschlossen. Hier hätte ich gerne Tipps, auch für die dortigen Kommunalpolitiker, damit sie wissen, in welche Richtung sie sich bewegen sollen, wenn sich schon die Bundesregierung nicht bewegt.

Brigitte Traupe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002099

Die Bundesregierung ist hier Erbe von Liegenschaften, die auch in der Vergangenheit nicht immer nach dem Konzept „Was braucht die Bundeswehr?“, sondern eher nach der Frage „Wie erhalte ich Standorte, für die andere keine Ideen haben?“ betrieben wurden. ({0}) Ich bin überzeugt, dass wir Ideen finden werden, Herr Spranger. Ich bin ausdrücklich auch bereit, Ihnen und Ihren Kommunen entsprechend behilflich zu sein. Das will ich deutlich sagen, weil ich verstehe, welchen Schrecken diese Umstände für jede Kommune hervorrufen. Aber Sie müssen dann auch so fair sein, wenige Jahre später zu sagen: Es ging besser, als ich dachte. ({1}) - Das würde ich auch für richtig halten.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege Spranger, wir möchten Ihnen gerne zum heutigen Geburtstag gratulieren, von dem ich gerade erfahren habe. ({0}) Das wollen wir doch bei allem Streit in einer Fragestunde nicht vergessen. Jetzt rufe ich die Frage 19 des Abgeordneten Christian Schmidt auf: Geht das Bundesministerium der Verteidigung trotz des Urteils des Bundesverwaltungsgerichtes vom 14. Dezember 2000 von einer künftigen Weiternutzung des Truppenübungsplatzes Wittstock/Brandenburg aus, und wenn ja, wie will die Bundesregierung die in dem Urteil geforderte Berücksichtigung der gemeindlichen Belange gewährleisten?

Brigitte Traupe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002099

Auch ich möchte dem langjährigen Kollegen Spranger zum Geburtstag gratulieren. Ich tue das besonders gern; das sage ich ausdrücklich. Umso mehr werde ich dafür sorgen, dass die Wünsche bearbeitet werden. Das Bundesministerium der Verteidigung, Herr Kollege Schmidt, möchte den Truppenübungsplatz Wittstock in Brandenburg weiterhin nutzen. Die Nutzungsmöglichkeit von Wittstock für Herstellung und Erhalt der notwendigen Einsatzfähigkeit und damit insbesondere für die Aufgabenerfüllung im erweiterten Aufgabenspektrum für die deutschen und auch alliierten Luftstreitkräfte ist von Bedeutung. Wie die gemeindlichen Belange berücksichtigt werden können, wird sich jetzt bei einem Anhörungsverfahren ergeben, das besser schon die alte Regierung zu Beginn der 90er-Jahre durchgeführt hätte.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Zusatzfrage, bitte.

Christian Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002003, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, gestatten Sie mir vor meiner Frage die folgende Bemerkung: Fast habe ich den Eindruck, Sie werden uns bei weiteren Fragen noch vorwerfen, die Bundeswehr zu unserer Regierungszeit nicht komplett abgeschafft, sondern das Ihnen überlassen zu haben. Den Eindruck, dass Sie das meinen, hat man jedenfalls manchmal. Ich frage Sie, wie die Bundesregierung die in diesem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. Dezember 2000 formulierten Auflagen zur Berücksichtigung der gemeindlichen Belange bei einer künftigen Weiternutzung des Truppenübungsplatzes Wittstock vor allem mit Blick auf eine mögliche nennenswerte städtebauliche Weiterentwicklung, für die selbst die Wehrbereichsverwaltung VII in einer Stellungnahme vom 5. Januar 1996 zum Flächennutzungs- und Landschaftsplanentwurf der betroffenen Gemeinde Schwierigkeiten besonders in Bezug auf die Lärmentwicklung gesehen hat, erfüllen will. Das ist eine verwaltungsrechtliche Frage, aber doch ein sehr wichtiger Punkt, den man bei der zukünftigen Nutzung zu berücksichtigen hat. Im Übrigen darf ich ergänzen, dass ich bei Ihnen nicht davon ausgehe, dass Sie die Bundeswehr abschaffen wollen, und deswegen sehr erfreut wäre, wenn es von Ihnen einige positive Antworten - nicht diese etwas abwehrenden - und ein paar Hinweise, was man zu tun gedenkt, gäbe.

Brigitte Traupe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002099

Erstens. Ich habe vor einigen Wochen eine Kleine Anfrage der PDS behandelt, die sich sehr ausgiebig mit dem Luft-Boden-Schießplatz Wittstock beschäftigt, Herr Kollege Schmidt. Ich habe auch nie versäumt, hier zu sagen, dass ich nicht nur die bisherigen Luft-Boden-Schießplätze, nämlich Nordhorn in Niedersachsen und Siegenburg in Bayern, erhalten will, sondern dass ich selbstverständlich immer auch die Vorstellung der alten Bundesregierung, nämlich den Übungsplatz Wittstock zu erhalten, geteilt habe. Es finden sowieso schon über 70 Prozent unserer Übungen außerhalb Deutschlands statt. Dadurch wird unser fliegerisches Personal zu stark belastet. Zweitens. Zu diesem Urteil hätte es meines Erachtens nicht kommen müssen, wenn man sich vorher vernünftig um eine einvernehmliche Lösung mit den Kommunen bemüht hätte. Es lehnen ja nicht alle Kommunen diesen Übungsplatz ab. Es gibt - das können Sie als Jurist besser beurteilen als ich - hier ein paar Unwägbarkeiten. Der Bund hat im Zuge der Herstellung der deutschen Einheit schlichtweg nicht genau eruiert, was ihm gehört und was nicht. Deswegen haben einige Kommunen ja mit der Berufung auf Wegerechte und andere Dinge mit ihrer Klage Erfolg gehabt, während andere Kommunen darauf drängen, dass sich der Bund dort engagiert und eine militärische Einrichtung schafft. Hier hängt alles von den Verhandlungen ab. Ich sage hier noch einmal sehr deutlich: Wir haben ein Interesse daran, dass der Luft-Boden-Schießplatz Wittstock erhalten bleibt. Auf längere Sicht müsste das auch im Interesse der Kommunen liegen. Die PDS hat ja gefragt, wie viel Munition dort von anderen Truppeneinheiten als der Bundeswehr vorhanden ist. Diese muss ja auch noch beseitigt werden. Das machen wir, wenn wir ein Stück dieses Platzes weiter nutzen können, ansonsten müssen es die Brandenburger alleine tun. Es ist nur eine Schwierigkeit von vielen, dass die Gemeinden, die gegen den Übungsplatz angekämpft haben, zum Teil versäumt haben, zu schauen, welche Altlasten dort noch vorhanden sind. Beim Übungsbetrieb kann durch Sommerpausen und ähnliche Dinge - anders als die ehemaligen sowjetischen Streitkräfte es gemacht haben - so viel Rücksicht genommen werden, dass ich mir vorstellen könnte, dass es zu einer Einigung mit den Kommunen kommt.

Christian Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002003, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Keine weitere Zusatzfrage.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Keine weitere Zusatzfrage. - Dann rufe ich die nächste Frage des Abgeordneten Schmidt, nämlich die Frage 20, auf: Wird der Bundesminister der Verteidigung, Rudolf Scharping, bei anhaltenden rechtlichen Auseinandersetzungen und anhaltendem politischen Widerstand von einer Weiternutzung des Truppenübungsplatzes Wittstock/Brandenburg und der mit einem Kostenvolumen von 214 Millionen DM verbundenen Stationierung eines Luftwaffenausbildungsregiments in Wittstock Abstand nehmen?

Brigitte Traupe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002099

Wie ich bereits gesagt habe, wollen wir den Truppenübungsplatz Wittstock nutzen. Weiterhin ist geplant, hier ein Luftwaffenausbildungsbataillon als Ausgleich für die Belastung und zur Stärkung der Region zu stationieren.

Christian Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002003, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, welche Vorbereitungen trifft die Bundesregierung, um der Stellungnahme des Bundesrechnungshofes zum Stationierungskonzept Ihres Ministeriums und zu den Planungen bezüglich Wittstock/Dosse insgesamt Rechnung zu tragen? Der Bundesrechnungshof hat ja, wie ich gehört habe, aufgrund der erheblichen finanziellen Auswirkungen ein besonderes Interesse an einer Prüfung dieser Bereiche bekundet. Ihre Reform soll sich ja selber tragen und finanzieren. Deswegen ist doch schon einmal zu fragen, welche Zusatzkosten dadurch entstehen, dass ein Luftwaffenausbildungsregiment aus der schönen Stadt Bayreuth jetzt nach Wittstock/Dosse verlagert werden soll.

Brigitte Traupe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002099

Es ist zauberhaft, was Sie da fragen. Ein Kollege aus Bayern fragte mich, ob Siegenburg weiter genutzt werde, der nächste Kollege aus Niedersachsen fragte mich, ob Nordhorn weiter genutzt werde. Ich sage dazu, dass wir Nordhorn, Siegenburg und Wittstock nutzen und nicht alles nach Wittstock legen wollen. Angesichts der Tatsache, dass 70 Prozent der Ausbildung unserer eigenen Streitkräfte außerhalb Deutschlands und zum Teil außerhalb Europas durchgeführt werden, wollen Christian Schmidt ({0}) wir auf diese Weise die Belastung der Soldaten durch Abwesenheit vermindern. Dafür müssen wir natürlich Ausbildungsmöglichkeiten vor Ort haben. Übrigens soll die Einrichtung auch vom Heer für bestimmte Übungen genutzt werden. Ich halte es rechnerisch für möglich, dass sich Ausbildung in Deutschland bei einer Kosten-Nutzen-Rechnung als vernünftige Regelung herausstellt. Ich habe in diesem Fall deswegen keine Sorgen vor einer Prüfung durch den Bundesrechnungshof. Ich hoffe nur - dabei zähle ich auf Ihre Hilfe -, dass wir diesen Standort auch wirklich verwenden können.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Zusatzfrage? Nein, dann erteile ich dem Abgeordneten Koschyk zu einer Zusatzfrage das Wort.

Hartmut Koschyk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001186, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, der Bundesminister der Verteidigung scheint sich ja in Sachen Wittstock sicher zu sein, da er für diesen im Stationierungskonzept vorgesehenen Standort im Parlament so offensiv eintritt. Hier sollte man sich aber den Sachverhalt noch einmal genauer anschauen: Das Ausbildungsbataillon, das Sie von Holzdorf nach Wittstock verlegen wollen, um ein Argument für die Weiterführung des dortigen Schießplatzes zu haben, wird in den Listen für das entsprechende Bundesland nicht mehr als Standort aufgeführt. Bei Wittstock in Brandenburg findet sich kein Sternchen, was sonst auf eine Fußnote „Standort im Aufwuchs“ hindeutet. Das heißt, nur durch Fragen hier im Parlament erfährt die Öffentlichkeit, was Sie in Sachen Holzdorf und Wittstock vorhaben. Wer in Ihr Stationierungskonzept hineinschaut, wird in Bezug auf Wittstock bewusst ein bisschen irregeführt; denn Sie verschweigen geflissentlich, dass das Ausbildungsbataillon überhaupt erst dorthin soll, was einen Kostenaufwand von 214 Millionen DM verursachen wird. Wie erklären Sie sich das?

Brigitte Traupe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002099

Wenn Sie bereit sind, zu sagen, dass wirklich alle Übungen, die jetzt auch für Wittstock geplant sind, in Siegenburg durchgeführt werden sollen, dann könnten wir uns diese Kosten in der Tat sparen. Da aber gerade aus dem bayerischen Bereich mit großer Hartnäckigkeit geäußert wird, man solle diesen Luft-BodenPlatz aufgeben, sagen wir, dass das nicht alles in die neuen Bundesländer verlegt werden könne. Deswegen machen wir eine Aufgabenteilung, womit ich nicht das geringste Problem habe. Übrigens sind das auch Krokodilstränen; denn das Ausbildungsregiment, das dorthin kommt, stammt in diesem Falle aus Wunstorf, nicht aus Bayern. Es ist zum Teil noch in Wunstorf und soll nach Holzdorf. Der Grund dafür ist, dass wir, um Kosten zu sparen, die Ausbildung auf der Transall in Wunstorf auslaufen lassen. Das wird nach 2013 der Fall sein, wenn wir das Transportflugzeug der Zukunft haben werden. Ein anderer Teil der Ausbildung wird sich in Wittstock befinden. Ich finde das sehr spannend. Ich sage meinen Niedersachsen immer: Nordhorn, Siegenburg und Wittstock. Das habe ich nie anders gesagt. Aber wenn Sie möchten, dass wir alles in Siegenburg machen, könnten wir den Freunden in Brandenburg vielleicht die Möglichkeit geben, den Standort Wittstock zu räumen. ({0}) - Aber natürlich. In Wunstorf bilden wir für die Transportflugzeuge aus. ({1}) - Die „Transporter“ bilden wir in Wunstorf aus, Herr Kollege. Da müssen Sie sich einmal erkundigen. ({2}) - Sie gehören zu dem Geschwader, bei dem die Ausbildung für die Transall stattfindet. Das ist schon spannend.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege Gehrcke, bitte.

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Staatssekretärin, es war ja unvermeidbar, dass wir über diese Frage wieder ins Gespräch kommen. Ich bitte Sie um Verständnis, dass ich meinem CDU/CSU-Kollegen alles Gute für das schöne Bayreuth wünsche. Ich möchte mit Ihnen kurz die Rechnung abstimmen, damit die Fakten hier noch einmal genannt werden. Nach Ihrer Antwort auf meine Kleine Anfrage belaufen sich die Kosten, die dort für Munitionsräumung, Übungsplatz und Garnison investiert werden müssen, auf 500 Millionen DM. Ich frage Sie, ob Sie diese Zahl bestätigen möchten und ob Sie auch den Zeitrahmen in Rechnung gestellt haben. Sie sind ja per Gerichtsurteil gehalten, eine Anhörung der Gemeinden durchzuführen, die sehr lange dauern kann, wie jeder weiß.

Brigitte Traupe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002099

Die Aufgabe Wittstocks als eine militärische Einrichtung, Herr Kollege Gehrcke, bedeutet, dass wir für das Räumen der Altmunition nicht mehr verantwortlich sind. Das besagen die Verträge. Im Gegensatz zur DDR haben wir hier hinsichtlich der Aufgabenverteilung sehr sorgfältig ausgearbeitete Verträge zwischen dem Bund und den Ländern. Die Aufgabe Wittstocks würde bedeuten, dass das Räumen, was wir übrigens in großem Maße zum Beispiel in der Letzlinger Heide gemacht haben, wofür die Menschen dort uns dankbar sind, von unserer Seite nicht erfolgen muss; denn diese Liegenschaft hat die Bundesrepublik Deutschland nicht so hinterlassen. Für die dort vorhandenen großen Altlasten muss das Land Brandenburg eintreten; so ist die Rechtsgrundlage. Zum anderen ist das Gelände sehr groß. Ich habe mir von den Brandenburgern sagen lassen, dass sie es sehr begrüßten, wenn neben der Nutzung des Schießplatzes in Wittstock durch die Luftwaffe und das Heer nach Möglichkeit auch Verbündete aus Amerika, England oder Skandinavien dorthin kämen, weil wir deren Einrichtungen ja auch nutzen. Daher halte ich es für richtig, diese Ausbildungseinrichtungen dort zu schaffen. Ich habe auch keine Probleme damit, was die Kosten anbetrifft. Dies alles wird Zeit brauchen. Ich habe Sorge, dass der Rechtsstreit darum - ich glaube aber, hier gibt es ein Umdenken in den Kommunen um Wittstock herum - längere Zeit in Anspruch nimmt und wir dann in der Zwischenzeit Siegenburg noch stärker frequentieren müssen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich rufe die Frage 21 des Abgeordneten Hans-Peter Friedrich auf. Ist bei dem in den Niederlanden gelegenen Bundeswehrstandort Budel an eine weitere Verstärkung gedacht, und wenn ja, in welcher Größenordnung?

Brigitte Traupe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002099

Herr Kollege Friedrich, es wird nicht daran gedacht, eine weitere Verstärkung des Bundeswehrstandortes Budel in den Niederlanden vorzunehmen.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Bitte, Herr Kollege Friedrich.

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, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, auf welchen Abkommen oder welchem Vertrag beruht überhaupt die Stationierung in den Niederlanden? Sind Sie gezwungen, in der Größenordnung, in der Sie es derzeit tun, zu stationieren, oder könnten Sie auch verringern? Wenn ja, ist geprüft worden, ob man so etwas möglicherweise vornehmen könnte?

Brigitte Traupe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002099

Das, was jetzt stattfindet, finde ich auch spannend: unsere Soldaten möglichst zurückzuholen. Wir haben aber Abkommen auf NATO-Ebene, nach denen auch Niederländer, Belgier und andere auf unseren Übungsplätzen tätig sind. Wenn ich Sie daran erinnern darf: Ein Großteil des niederländischen Heeres steht auf deutschem Boden und ist da hochwillkommen. Es steht im Norden von Deutschland. Wir haben nämlich ein gemeinsames niederländisch-deutsches Korps mit Sitz in Münster. Ähnliches gilt aber zum Beispiel auch für Einrichtungen in meiner Heimat, in Niedersachsen. ({0}) Wenn wir umgekehrt wollen, dass Stationierungen von niederländischen Soldaten in Deutschland stattfinden, dann ist es meines Erachtens sinnvoll und richtig, dass wir umgekehrt auch Standorte mit deutschen Soldaten in den Niederlanden haben. Zwischen ihnen besteht die Fähigkeit zur Zusammenarbeit und deswegen ist im Moment nicht daran gedacht, die Bundeswehr von dort wegzuholen.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Sie haben noch eine zweite Frage. Bitte, Herr Kollege.

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, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, es gab einen Vorschlag - ich glaube, er wurde auch Ihnen vom Oberbürgermeister von Bayreuth vorgetragen -, statt des Kahlschlags in Bayreuth sozusagen eine Lastenverteilung vorzunehmen und unter anderem in Holland zwei Kompanien abzuziehen. Sind Sie diesem Gedanken einmal näher getreten? Haben Sie diesen Vorschlag überhaupt einmal geprüft?

Brigitte Traupe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002099

Herr Friedrich, wir haben vorhin darüber gesprochen, dass Bayreuth ein Standort für zwei komplette Bataillone war. Die CDU/CSU hat in ihrer Regierungszeit ein Luftwaffenausbildungsregiment dorthin verlegt, das früher nicht da war. Es waren zwei Heeresbataillone. Jetzt sollten wir eine Liegenschaft für zwei Bataillone dieser Größenordnung sogar noch teilen, indem wir ein Ausbildungsregiment aufteilen. Überlegen Sie einmal, welche Ausbildungskapazitäten Sie dann an zwei verschiedenen Orten vorhalten müssen und welchen Kostenaufwand das bedeutet! Wir werden noch genug Schwierigkeiten bekommen, genügend Zeit- und Berufssoldaten zu haben. Wir haben uns alle vorgenommen, ob die Weizsäcker-Kommission oder wir, dass wir mindestens 200 000 Zeit- und Berufssoldaten brauchen. Ich sehe da keine Chance. Es wäre auch im Hinblick auf die Kosten kontraproduktiv. Mir tut es um Bayreuth Leid - das sage ich Ihnen ganz offen -, aber es gibt manche Standorte, um die es mir Leid tut. Hier geht es aber um eine moderne Bundeswehr.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Eine Zusatzfrage des Kollegen Koschyk zu Frage 21. Bitte sehr.

Hartmut Koschyk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001186, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, ich muss einen Satz sagen, bevor ich zu meiner Frage komme. Ich finde es schon schade, dass Sie die 1994 getroffene Entscheidung, den Bundeswehrstandort Bayreuth zu erhalten, die auch von den Kollegen aus der SPD in der oberfränkischen Region wie auch von dem der SPD angehörenden Oberbürgermeister mitgetragen und damals begrüßt worden ist, heute als Entscheidung einer CDU-Regierung darstellen. Das war eine Entscheidung, die damals überparteilich von der Region begrüßt worden ist. Sicher hätten sich viele in der Region gewünscht, dass die Sensibilität, die damals Volker Rühe für diese Region gehabt hat, jetzt auch von seinem Nachfolger im Hinblick auf den einzigen Regierungsbezirk in Bayern, der jetzt bundeswehrfrei werden soll, bewiesen worden wäre. Nun zu meiner Frage. Ich möchte im Anschluss an das, was der Kollege Friedrich gefragt hat, Sie noch einmal fragen. Der Oberbürgermeister von Bayreuth hat vorgeschlagen, zur Rettung des Standortes Bayreuth einen Lastenausgleich von den sieben Kompanien in Budel und von einem Bataillon in Heide in Holstein - auch mit einer Überzahl an Kompanien - vorzunehmen. Denn es ist so, Frau Staatssekretärin, dass das Luftwaffenausbildungsregiment Goslar, das für den Nordbereich der BundesreParl. Staatssekretärin Brigitte Schulte publik zuständig ist, über vier Bataillone mit 22 Ausbildungskompanien verfügt und das Luftwaffenausbildungsregiment Roth, das für die Luftwaffenausbildung im Südbereich der Bundesrepublik zuständig ist, über vier Bataillone und 18 Ausbildungskompanien verfügt. Wenn es wirklich darum geht, einen ganzen Regierungsbezirk bundeswehrfrei, und zwar auch im Hinblick auf das Reservisten- und das als positiv anzusehende Freiwilligenaufkommen, zu machen - Sie haben sich ja das Ziel gesetzt, das Freiwilligenaufkommen bei den Wehrpflichtigen zu verstärken -, dann wäre es, bevor man einen Standort in Deutschland schleift, angesichts dieses Überhangs im Norden und in Budel eine Alternative gewesen, über einen Lastenausgleich nachzudenken.

Brigitte Traupe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002099

Ich lege großen Wert darauf: Wir schleifen keinen Standort, sondern wir gestalten die Bundeswehr endlich effizienter. Das ist der entscheidende Punkt. Ich verstehe, dass die Gemeinde Bayreuth alles tut, um die Bundeswehr zu halten. Ich teile das Bedauern, dass wir in einigen Regionen - wir in Südniedersachsen sind zum Beispiel davon ähnlich betroffen - die Bundeswehrpräsenz reduzieren. Diese Reduzierung wird deshalb notwendig, weil dort umfangreiche Einheiten stationiert waren. Sowohl Bayern als auch Niedersachsen hatten überproportional viele Bundeswehrstandorte. Das lag am Ost-West-Konflikt. Jetzt müssen wir uns von diesen überzähligen Standorten trennen. Herr Koschyk, eine solch hohe Zahl von Standorten ist auch finanziell nicht tragbar. Wir müssen den Gemeinden helfen, bei denen die Standortauflösungen zu schlimmen Folgen führen. Wir sollten uns aber davon trennen, die Bundeswehr weiterhin zu zerreißen.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Jetzt will der Kollege Christian Schmidt eine Zusatzfrage stellen. - Bitte sehr.

Christian Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002003, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe eine Zusatzfrage zum Standort Bayreuth. Frau Staatssekretärin, sind Sie mit mir der Ansicht, dass es in einer Wehrpflichtarmee, die wir erhalten wollen, nicht nur eine strukturpolitische, sondern auch eine regionale Begründung für die Dislozierung der Bundeswehr gibt, um die Bundeswehr für die Wehrpflichtigen möglichst attraktiv zu gestalten und ihr über das Wehrpflichtigenpotenzial hinaus die Möglichkeit der Gewinnung von Zeit- und Berufssoldaten zu geben? Deswegen war es auch sinnvoll, im Jahre 1994 einen Teil der Ausbildungsplätze für Wehrpflichtige nach Bayreuth zu verlegen - davon war die Bundesluftwaffe nur sehr begrenzt begeistert -, um Wehrpflichtigen aus dem topographisch schwierigen Oberfranken die Möglichkeit zu geben, in einigermaßen erreichbarer Entfernung zwischen Heimatort und Bundeswehrstandort eingezogen zu werden.

Brigitte Traupe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002099

Herr Kollege Schmidt, bei der Luftwaffe wird eine so hohe Zahl an Wehrpflichtigen nicht mehr benötigt; das ist unser Problem. Wir werden deshalb in einigen wenigen Einrichtungen in Nord und Süd - Goslar wurde schon genannt; Roth war schon früher ein solcher Standort und ist es nicht erst geworden; dies betrifft auch Budel - das abdecken, was wir in diesem Bereich an Wehrpflichtigen brauchen, und die Möglichkeit geben, dass dort dann der Grundwehrdienst abgeleistet werden kann. Wenn das nicht so wäre, hätte ich viel Sympathie dafür, in Oberfranken eine Einheit zu erhalten, wo Wehrpflichtige tätig werden können. Aber die Kapazitäten der Luftwaffe, wie sie in Roth, in Budel oder in Goslar bestehen, sind voll ausreichend. Die Luftwaffe braucht nicht mehr Kapazitäten; das ist der entscheidende Punkt.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich wurde soeben darauf hingewiesen, dass der Standort Bayreuth doch nichts mit der ursprünglich gestellten Frage zu tun habe. Ich bin jedoch der Meinung: Wenn es den Bundeswehrstandort Budel nicht gäbe, dann ginge es Bayreuth gut. Insofern haben die beiden Dinge miteinander zu tun. Ist das richtig? ({0}) Wunderbar. Ich rufe die Frage 22 des Kollegen Dr. Hans-Peter Friedrich ({1}) auf: Auf welche Höhe belaufen sich die im Vergleich zu den in Deutschland gelegenen Bundeswehrstandorten durch die Auslandsstationierung anfallenden zusätzlichen jährlichen Kosten am Bundeswehrstandort Budel in den Niederlanden? Frau Staatssekretärin, bitte.

Brigitte Traupe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002099

Zusätzliche Kosten durch die Auslandsstationierung entstehen durch die Auslandszuschläge für Berufs- und Zeitsoldaten sowie durch eine Verdoppelung des Wehrsoldes für Grundwehrdienst leistende Soldaten. Die Höhe der Auslandszuschläge hängt von den persönlichen Lebensumständen der Soldaten ab. Im Mittel liegt die Gesamtsumme der Auslandszuschläge und des doppelten Wehrsolds am Standort Budel bei circa 12 Millionen DM jährlich.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Zusatzfrage, Herr Kollege? - Bitte sehr.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, gibt es denn eine unmittelbare Vergleichsrechnung zwischen der Stationierung in den Niederlanden und der eventuellen Verlagerung nach Bayreuth?

Brigitte Traupe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002099

Es gibt vor allem Vergleichsrechnungen, wie viele niederländische Zeit- und Berufssoldaten in höheren Rängen sich auf deutschem Boden und wie viele deutsche Zeit- und Berufssoldaten sich in den Niederlanden befinden. Ich lege großen Wert darauf, dass wir das niederländisch-deutsche Korps behalten. Das wäre sonst so, als ob wir bei Ihnen in Bayern die amerikanisch-deutsche Division auflösen würden. Auch das wäre schade. Ich hoffe nicht, dass das passiert.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Eine Zusatzfrage des Kollegen Koschyk, bitte.

Hartmut Koschyk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001186, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, Sie haben vorhin in Ihrer Antwort auf die Frage, warum das Bataillon in Bayreuth aufgelöst werden muss, die Kostenfrage sehr in den Vordergrund gestellt. Sie haben gesagt, der Standort sei für zwei Bataillone ausgelegt, aber mit nur einem Luftwaffenausbildungsbataillon belegt. Dass dort auch das Verteidigungsbezirkskommando ist und die Liegenschaften zurzeit besetzt sind, haben Sie nicht gesagt. Aber das macht nichts; ich schiebe das gerne nach. Sie lösen auch den unterfränkischen Standort Ebern auf, der den jungen Männern in Oberfranken eine heimatnahe Erfüllung der Wehrpflicht ermöglichte. Jetzt gibt es in Ober- und weiten Teilen Unterfrankens bis hin nach Thüringen und an die Grenzen Sachsens einen weißen Fleck ohne Möglichkeit der heimatnahen Erfüllung der Wehrpflicht, wie auch der Oberbürgermeister dem Verteidigungsminister anhand einer Karte mitgeteilt hat. Sie machen dafür Kostenargumente geltend. Bei einem überproportional bestückten Ort im Ausland, wo ebenfalls die Luftwaffe ausgebildet wird, spielen Kosten hingegen keine Rolle. Frau Staatssekretärin, wie begründen Sie das vor den Menschen in dieser Region, die im Zusammenhang mit dieser Frage ihre Einstellung zur Bundeswehr neu definieren werden?

Brigitte Traupe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002099

Erstens. Roth war der Luftwaffenausbildungsstandort. Bayreuth ist hinzugekommen und war kein Luftwaffenstandort, sondern ein Heeresstandort mit zwei Bataillonen. Damit liegt eine andere Kostensituation vor. Zweitens. Auf Budel kann deswegen nicht verzichtet werden, weil dort die Ausbildung der nordrhein-westfälischen Einheiten stattfindet. Bayern ist zwar groß; aber Nordrhein-Westfalen hat 18 Millionen Einwohner. Insoweit ist es klar, dass wir einen Standort brauchen, der dem Ruhrgebiet nahe liegt. Drittens. Bedauerlich ist die Geschichte in Ebern. Die Alternative wäre aber gewesen, Gotha aufzulösen. Das wäre besonders bitter gewesen. Beide Standorte können aber nicht erhalten werden. Wir haben dann - wie bei mir in Stadtoldendorf - gesagt: Dann muss der ostdeutsche Standort erhalten bleiben. Es ging in jenem Falle um Panzergrenadiere. Ich gebe zu: Ebern ist ein sehr schöner Standort. Aber auch er war eigentlich für zwei Bataillone vorgesehen. Nur eines hat er in den letzten Jahren gehabt. Das ist die Bitternis, in der wir uns befinden: Wir können nicht alle Standorte erhalten. Die Situation ist gerade in Oberfranken mit Bayreuth und Ebern schmerzlich. Ähnliches haben wir aber auch an einigen anderen Stellen in der Bundesrepublik Deutschland. Der entscheidende Punkt war hier Gotha.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun die letzte Zusatzfrage vom Kollegen Dreßen. Dann möchte ich Sie alle bitten, darauf zu achten, dass wir uns nicht unendlich - ich bin da als Präsidentin ganz vorsichtig - in Fragen und Erwiderungen ergehen, weil wir sonst mit den übrigen Fragen nicht zurechtkommen. Ich sehe, dass Sie alle nicken. Vielen Dank. Herr Dreßen, bitte.

Peter Dreßen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002642, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Staatssekretärin, ich habe jetzt die ganzen Fragen der Unionsabgeordneten zu diesem Thema gehört. Hat es eigentlich von der Union oder von der Opposition irgendeinen Vorschlag gegeben, wo man einsparen könnte oder wie die Reform der Bundeswehr gestaltet werden sollte? Falls ja, würde ich ihn gerne einmal hören.

Brigitte Traupe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002099

Es wurde zum Beispiel vorgeschlagen, Wittstock nicht zu bauen und dafür an anderer Stelle zu bleiben. Dieser Vorschlag war aber unrealistisch, weil es sich um eine völlig andere Ausbildung handelte. Herr Kollege Dreßen, es liegen viele Vorschläge vor, die sich aber als unrealistisch herausstellen. Die Union ist uns also eine vernünftige Konzeption der Bundeswehr noch schuldig.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Die Fragen 23 und 24 werden schriftlich beantwortet. Das gilt auch für die Fragen 25 und 26. Nun rufe ich die Frage 27 der Kollegin Christa Reichard auf: Inwieweit ist der vom Bundesministerium der Verteidigung definierte und als unabdingbar betonte Betreuungsbedarf in Übereinstimmung zu bringen mit der 100-prozentigen Streichung der Mittel für die Betreuungsarbeit in den Soldatenheimen in der Bundesarbeitsgemeinschaft für Soldatenbetreuung im Jahre 2001? Frau Staatssekretärin, bitte.

Brigitte Traupe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002099

Frau Reichard, die Begründung für die Streichung der Haushaltsmittel für die Betreuung in den Soldatenheimen im Jahr 2001 hätte ich schon Ihrem Kollegen Ulrich Adam genannt, wenn seine Fragen nicht schriftlich beantwortet würden. Er hatte ja eine Frage zu demselben Bereich gestellt. Für das Haushaltsjahr 2001 waren Betreuungsmittel in Höhe von 2,426 Millionen DM vorgesehen. Zugewiesen wurden 1,566 Millionen DM. Es musste dann, nach Abwägung aller Interessen, über die Verteilung dieser Mittel entschieden werden. Dabei ist entschieden worden, 297 Millionen DM, die sonst für die Betreuung in den Soldatenheimen notwendig gewesen wären, für die offene Betreuung vor allem in den neuen Bundesländern zu verwenden. Deshalb bekommen zurzeit die Soldatenheime in den alten Bundesländern keine Betreuungsmittel.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Zusatzfrage, Frau Kollegin.

Christa Reichard (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002757, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, seit 15 Jahren sind die Betreuungsmittel des Bundesministers der Verteidigung für die Bundesarbeitsgemeinschaft für Soldatenbetreuung trotz der allgemein bekannten Kostensteigerungen nicht erhöht worden. Inwieweit ist es in Anbetracht des Fürsorgeauftrags des Verteidigungsministers akzeptabel, dass jetzt die Betreuungsmaßnahmen in den Heimen auf null zurückgefahren werden? Kann man von der evangelischen und der katholischen Kirche jetzt ernsthaft erwarten, dass sie die Ausfälle voll übernehmen?

Brigitte Traupe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002099

Der Hinweis darauf, dass wir seit 15 Jahren die Mittel zurückführen, hat damit zu tun, dass inzwischen die Soldatenheime nicht mehr nur Soldaten bewirten, sondern dass sich inzwischen viele dieser Soldatenheime zu wirtschaftlich starken Betrieben entwickelt haben. Im Rahmen der Abgaben, die die Pächter oder die Heimleiter zu leisten haben, stehen Mittel für Betreuung zur Verfügung. Daher haben wir es vorgezogen, die Bundesmittel für die offene Betreuung in den neuen Bundesländern zu verwenden. Das halte ich auch für gerechtfertigt.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Zweite Zusatzfrage.

Christa Reichard (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002757, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, es ist Ihnen sicher auch bekannt, dass mehr als tausend ehrenamtliche Kuratoren für die Vorbereitung all dieser Maßnahmen und Anträge zuständig waren und es im internationalen Jahr des Ehrenamtes vielleicht als besondere Brüskierung empfinden, dass diese Streichung ohne Vorwarnung erfolgte, und ihre Arbeit auf diese Weise entwertet sehen. Halten Sie das für gerechtfertigt?

Brigitte Traupe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002099

Die Betreuung in den Soldatenheimen geschieht in der Regel durch ein Kuratorium, das sich weitgehend aus Soldaten oder ehemaligen Soldaten zusammensetzt, die hier Aufgaben wahrnehmen. Dafür haben wir auf der anderen Seite die Chance, dass die Einrichtungen, die Räume dieser Soldatenheime preiswerter genutzt werden können. Auch aus den in den Soldatenheimen erwirtschafteten Mitteln ergeben sich Spielräume. Darüber können die Kuratorien auch entscheiden. Aber das ist nicht mein Hauptproblem. In diesem Bereich werden wir uns mit ganz anderen Fragen zu beschäftigen haben, nämlich mit den Betreuungskonzepten der Zukunft, mit der Tatsache, dass immer mehr von den Zeit- und Berufssoldaten anders leben, als das bisher der Fall ist. Diese Schwierigkeiten - ich bin selbst im Vorstand der evangelischen Soldatenbetreuung - sehe ich im Moment nicht.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun rufe ich die Frage 28 der Kollegin Christa Reichard auf. Wie ist die Streichungsentscheidung mit den Betreuungsmittelrichtlinien VM Blatt 1984 S. 237 ff. unter der Rubrik A Allgemeine Bestimmungen Nr. 5 ({0}) - „Zur Förderung der kulturellen und musischen Betreuung der Soldaten in den Soldatenheimen werden bei Kapitel 14 03 Titel 532 61 Haushaltsmittel als Zuschüsse zur Verfügung gestellt“ - zu vereinbaren? Frau Staatssekretärin, bitte.

Brigitte Traupe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002099

Wir haben festgesetzt, dass diese Haushaltsmittel für das Jahr 2000 zur Verfügung stehen. Es sind ursprünglich 2,42 Millionen DM gewesen, die wir aber aufgrund der Haushaltssparmaßnahmen auf 1,566 Millionen DM begrenzt haben. In Abstimmung mit allen militärischen Organisationsbereichen war zu entscheiden, wie die letztlich für „Sonstige Betreuungsmaßnahmen“ verfügbaren Mittel verwendet werden sollten. Dazu war die Meinung des Führungsstabes der Streitkräfte, ganz besonders des deutschen Heeres, sie zugunsten der offenen Betreuung einzusetzen. Da wir in den neuen Bundesländern fast nur Standorte ohne Soldatenheime haben - Torgelow ist eine der Ausnahmen -, war es auch in unserem Interesse, dass dort die ehrenamtliche Arbeit, dass dort die Arbeit der Zeit- und Berufssoldaten erfolgen sollte. Es gibt nicht nur die katholische und die evangelische, sondern auch eine allgemeine Soldatenbetreuung. Die Bundesarbeitsgemeinschaft für Soldatenbetreuung ist davon unterrichtet worden. Dennoch würde ich Sie, Frau Kollegin Reichard, und andere auffordern, bei den Beratungen für das Jahr 2002 dieses Thema ausdrücklich wieder auf die Tagesordnung zu bringen. Denn es besteht die Notwendigkeit, über ein neues Betreuungskonzept nachzudenken.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Zusatzfrage? - Nicht erwünscht. Danke schön. Damit haben wir den Bereich des Bundesministeriums der Verteidigung erledigt, weil die anderen Fragen schriftlich beantwortet werden. Ich danke der Frau Staatssekretärin für die Beantwortung der Fragen. Nun rufe ich den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit auf. Frau Parlamentarische Staatssekretärin Gudrun Schaich-Walch steht zur Verfügung. Die Fragen 37 und 38 werden schriftlich beantwortet. Ich rufe die Frage 39 des Kollegen Detlef Parr von der F.D.P. auf: Glaubt die Bundesregierung, mit dem Festhalten an ärztlichen Budgets eine bedarfsgerechte, qualitativ hochwertige ärztliche Versorgung der Patienten auch weiterhin sicherstellen zu können? Frau Staatssekretärin, bitte sehr.

Gudrun Schaich-Walch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001939

Herr Kollege Parr, die Bundesministerin für Gesundheit wird über die Grundsatzfragen der Weiterentwicklung des vertragsärztlichen Versorgungs- und Vergütungssystems in Kürze Gespräche mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und den Spitzenverbänden der Krankenkassen führen. Die von Ihnen angesprochenen Fragen werden Gegenstand dieser Gespräche sein.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Zusatzfrage, Herr Kollege? - Erste Zusatzfrage, bitte.

Detlef Parr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001676, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Staatssekretärin, bei der Bemessung der Budgets werden weder Altersstruktur- noch Mobilitätsanalysen berücksichtigt. Diese weisen auf einen wesentlich höheren Bedarf an gesundheitlicher Betreuung in den neuen Bundesländern hin. Draußen vor der Tür am Pariser Platz läuft zurzeit eine Ärztedemonstration. Wie gedenken Sie die erhebliche Schlechterstellung der ostdeutschen Versicherten im Rahmen der Gespräche denn nun auszugleichen?

Gudrun Schaich-Walch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001939

Es sind verschiedene Maßnahmen in Vorbereitung, die regeln sollen, wie wir mit der speziellen Situation in Ostdeutschland umgehen werden. Wir haben das Problem, dass es Menschen gibt, die zwar in Ostdeutschland leben und arbeiten, deren Krankenversicherung ihren Sitz aber in Westdeutschland hat. Dort werden auch die Verhandlungen über die Budgets geführt. Das Geld wandert in die Kassenärztlichen Vereinigungen im Westen. Wir werden beim Fremdkassenausgleich ein Wohnortprinzip einführen, sodass das Geld tatsächlich dort hinkommt, wo die Menschen sind, die die ärztliche Leistung in Anspruch nehmen wollen.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Eine weitere Zusatzfrage? - Nein. Dann rufe ich die Frage 40 des Kollegen Detlef Parr auf: Wird die Bundesregierung ein Gesetz auf den Weg bringen, das die Kollektivhaftung im Bereich der Arzneimittel und Heilmittel für das letzte Jahr aussetzt und für die folgenden Jahre abschafft? Frau Staatssekretärin, bitte sehr.

Gudrun Schaich-Walch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001939

Die Umsetzung der geltenden Regelungen zum Arznei- und Heilmittelbudget sowie zur Kollektivhaftung ist - das ist uns bekannt - mit erheblichen Problemen behaftet. In diesem Zusammenhang hat Frau Bundesministerin Schmidt angekündigt, dass das Bundesministerium für Gesundheit eine Alternative zum so genannten Kollektivregress entwickeln wird. Bei dieser alternativen Konzeption wird es auch darum gehen, die nach geltendem Recht spätestens bis zum 31. Dezember 2001 fällige Kürzung der Gesamtvergütung infolge der Budgetüberschreitungen 1999 zu vermeiden und die gesetzlich zwingend vorgegebenen Kürzungen bei der Gesamtvergütung aufgrund von Budgetüberschreitungen für die Zukunft zu ersetzen.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Zusatzfrage, Herr Dr. Thomae.

Dr. Dieter Thomae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002320, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Staatssekretärin, soviel ich weiß, hat die Ministerin gesagt, sie wolle daran denken, die Kollektivhaftung aufzugeben; aber der finanzielle Spielraum, der dahinter steckt, würde nicht geändert. Können Sie diese Aussage der Ministerin bestätigen?

Gudrun Schaich-Walch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001939

Im Augenblick wird gemeinsam mit den Krankenkassen und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung an einem Alternativmodell gearbeitet. Dabei wird man sicherlich auch über den Finanzrahmen in dieser Form diskutieren. Allerdings werden wir darauf achten, dass die Beitragssatzstabilität gewährleistet bleibt.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun rufe ich die Frage 41 des Kollegen Jürgen Türk auf: Wie beurteilt die Bundesregierung die Folgen der Bedarfsplanung auf die Altersstruktur der Ärzteschaft und die damit zusammenhängenden Nachwuchsprobleme?

Gudrun Schaich-Walch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001939

Derzeit untersucht ein vom Bundesministerium für Gesundheit beauftragtes Forschungsinstitut die Bedarfssituation in der vertragsärztlichen Versorgung. In diesem Zusammenhang werden auch die Altersstruktur der niedergelassenen Ärzte und deren Auswirkung auf die Niederlassungsmöglichkeit jüngerer Ärzte und damit natürlich die Umstände im Zusammenhang mit eventuellen Nachwuchsproblemen untersucht. Nach Abschluss der Arbeiten am 31. Dezember 2001 wird geprüft, welche Folgerungen daraus zu ziehen sind.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Zusatzfrage? - Herr Kollege Parr, bitte sehr.

Detlef Parr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001676, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Staatssekretärin, halten Sie angesichts der Tatsache, dass die medizinische Versorgung auch zukünftig gesichert werden muss, die Rahmenbedingungen - angesichts der Altersstruktur der Ärzte sowie der Zwänge aufgrund von Budgetierungen und zusätzlichen Reglementierungen dieses Systems - für geeignet, um dem medizinischen Nachwuchs, gerade auch mit Blick auf die Länder im Osten, auch in Zukunft genügend Anreiz zu geben, diesen Beruf zu ergreifen?

Gudrun Schaich-Walch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001939

Im Augenblick sind wir in der Bundesrepublik Deutschland in der komfortablen Situation, in den letzten Jahren einen erheblichen Anstieg der Zahl von Ärzten verzeichnen zu können, von 1990 bis 1999 um fast 28 Prozent - in absoluten Zahlen: um 24 370 auf 113 181 Vertragsärzte. Auch im europäischen Vergleich ist die Versorgungssituation in Deutschland sehr gut. Zusätzlich berücksichtigen muss man bei diesen Zahlen, dass Ärztinnen und Ärzte in den nächsten Jahren vermehrt in Pension gehen: Die Zahl der ausscheidenden Ärzte wird von 297 zum Ende des Jahres 1999 auf 926 im Jahre 2002 ansteigen. Diese Zahlen, die uns jetzt schon zur Verfügung stehen, werden natürlich in die Untersuchungen des Institutes einbezogen werden und eine Grundlage für die notwendigen Entscheidungen bilden.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun rufe ich die Frage 42 des Kollegen Jürgen Türk auf: Welche Forderungen der Ärzte im zurzeit laufenden Streik hält die Bundesregierung für berechtigt bzw. unberechtigt? Frau Staatssekretärin, bitte.

Gudrun Schaich-Walch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001939

Ich gehe davon aus, dass Sie sich auf die Forderungen des Aktionsrats der niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten Ostdeutschlands beziehen. Soweit es um den Bereich der ärztlichen Vergütung geht, fordert der Aktionsrat eine Angleichung der für die ambulante medizinische Betreuung der Bevölkerung im Osten zur Verfügung stehenden Mittel an das Niveau der alten Bundesländer. Als Indiz für bestehende Versorgungsunterschiede zwischen den alten und den neuen Ländern wird dabei der in den neuen Ländern im Vergleich zu den alten Ländern niedrigere Anteil der Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung für die vertragsärztliche Versorgung im Verhältnis zu den gesamten GKV-Leistungsausgaben genannt. Dieser Anteilswert ist jedoch kein geeigneter Indikator für die Angemessenheit eines Ausgabenvolumens, zum Beispiel der entsprechenden Honorarsumme der Ärzte, da es sich um einen relativen Wert handelt, der stark von der Ausgabenentwicklung in anderen Leistungsbereichen beeinflusst wird. Zudem wird gefordert, die Ausgaben je Versicherten für die vertragsärztliche Versorgung in den neuen Ländern auf das höhere Westniveau anzuheben. Für eine Beurteilung der Umsatz- bzw. Einkommenssituation der Ärzte sind aber nicht die Ausgaben der Krankenkassen je Versicherten maßgeblich, sondern die Honorare der Ärzte. Die Fragen, die sich im Zusammenhang mit der Höhe der Umsätze und Einkommen der Vertragsärzte in den neuen Ländern in Relation zum Umsatz-/Einkommensniveau der Ärzte in den alten Ländern stellen, müssen auf eine weitere, zu entwickelnde differenzierte Datengrundlage gestellt werden. Pauschale Forderungen, wie sie jetzt erhoben werden, sind meiner Meinung nach nicht hinreichend begründet. Es gibt - wie im Westen - auch im Osten erhebliche Unterschiede in regionaler Hinsicht. Teilweise liegt das Einkommen der Ostärzte sogar höher als das der Ärzte in bestimmten Regionen des Westens. Soweit sich die hier bekannte Ankündigung von Aktionen der Ärzteschaft auf die Arznei- und Heilmittelbudgets bezieht, verweise ich auf meine Antwort von vorhin, wo ich sagte: Wir sind - gemeinsam mit Kassen und KBV dabei, neue Verfahrenswege für diesen Bereich der Arzneimittelversorgung zu finden.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Zusatzfrage, Herr Kollege Türk.

Jürgen Türk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002348, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Es ist ja zweifellos so, dass in diesem Bereich im Osten mehr Leistung erbracht werden muss als im Westen und dass das Honorar der Ärzte niedriger ist. Sind Sie nicht mit mir der Meinung, dass es nach zehn Jahren an der Zeit wäre, eine Angleichung vorzunehmen ({0}) - zumal sie auch versprochen wurde? Und wenn Sie das auch so sehen: Wann soll dies der Fall sein?

Gudrun Schaich-Walch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001939

Wir haben mit der Angleichung bereits begonnen. Wir haben einen gemeinsamen Risikostrukturausgleich geschaffen. Das hat die Vorgängerregierung nicht geleistet. Es werden erhebliche Transfers von den Krankenkassen West zu den Krankenkassen Ost geleistet, um diesen Ausgleich herzustellen. Auch haben wir eine gemeinsame Zuwachsrate der Krankenkassen festgelegt. Das hatten Sie früher ebenfalls uneinheitlich geregelt. Wir haben diese sozialen Barrieren zwischen Ost und West abgebaut. Wenn Sie jetzt nochmals auf die Vergütung der Vertragsärzte eingehen, dann möchte ich darauf hinweisen, dass die Differenzen, die wir haben, meiner Meinung nach in einer Größenordnung liegen, die, verglichen mit dem Arbeitseinkommen anderer, durchaus vertretbar sind. Es ist so, dass im Jahre 1998 die Leistungsabrechnung bei der gesetzlichen Krankenversicherung in den alten Ländern bei 372 000 DM und in den neuen Ländern bei 327 000 DM lag. Das gibt eine Ost-West-Relation von rund 88 zu 100. Wenn ich jetzt allerdings die KBV-Statistik nehme, stelle ich fest, dass sich zwischen den Arztgruppen deutliche Unterschiede im Honorarvolumen ergeben, wie ich vorher schon sagte. Bei manchen Arztgruppen liegt der Umsatz je Arzt in den neuen Ländern höher. Das ist zum Beispiel bei den Radiologen und den Urologen so. In Zahlen stellt es sich bei den Radiologen so dar: Im Westen sind das 815 993 DM, im Osten 847 092 DM. Im Osten ist der Betrag eindeutig höher. Das Gleiche gilt für die Urologen. Wir haben - das wollen wir in keinem Fall verschweigen - bei den Kinderärzten eine schlechtere Situation. Bei den Internisten ergibt sich bei der Vergütung eine Differenz von 3 000 DM. Man kann also sagen, dass das Einkommen in etwa gleich ist. Bei über 400 000 DM, die abgerechnet worden sind, halte ich 3 000 DM als Differenz für absolut verträglich. Dies gilt besonders vor dem Hintergrund, dass die Praxiskosten im Osten nicht wesentlich höher liegen und die Personalkosten geringer als im Westen sind. Dabei kommt man im Endergebnis zu der Bewertung, dass der Schnitt bei 92 von 100 liegt. Das ist ein deutlich besserer Schnitt als bei allen anderen Menschen, die in Ostdeutschland arbeiten. Es muss das Ziel sein, dass wir diesen Unterschied über die Zeit hinweg angleichen. Aber das wird nicht innerhalb einer kurzen Frist geschehen und schon gar nicht dann, wenn die anderen Bevölkerungsteile in Ostdeutschland bei den Tarifabschlüssen nicht entsprechend behandelt werden.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun hat Herr Niebel das Wort zur Geschäftsordnung.

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin, insbesondere vor dem Hintergrund des andauernden Ärztestreiks war die bisherige Beantwortung der Fragen außerordentlich unbefriedigend. Daher beantrage ich im Namen der F.D.P.-Bundestagsfraktion entsprechend I 1 b der Richtlinien für Aussprachen zu Themen von allgemeinem aktuellen Interesse eine Aktuelle Stunde zu den Bereichen Budgetierung, Kollektivhaftung und ärztliche Gesamtvergütung sowie deren Auswirkungen auf die Qualität der Gesundheitsversorgung.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Wenn Sie mir jetzt noch die Nummer der Frage nennen, dann entsprechen Sie voll und ganz der Geschäftsordnung.

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Das war nach meinem Wissen die Frage 42.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Dieser Antrag entspricht den genannten Richtlinien. Die Aussprache muss unmittelbar nach Schluss der Fragestunde durchgeführt werden. Ich schlage Ihnen dazu Folgendes vor: Wir haben zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit noch drei Fragen zu beantworten. Diese werden wir noch abhandeln, auch wenn das einige Minuten über die normale Fragestunde hinaus geht. Wir hätten diesen Bereich dann abgearbeitet und könnten danach zur Aktuellen Stunde kommen. Ich bitte also alle Matadore, die zur Aktuellen Stunde sprechen wollen, sich darauf einzurichten, dass diese in etwa zehn Minuten beginnen wird. Sind Sie mit dieser Regelung einverstanden? - Das ist der Fall. Ich rufe die Frage 43 des Kollegen Klaus Haupt auf: Ist der Bundesregierung bekannt, dass es bereits heute Fälle von Rationierung, insbesondere bei der Betreuung chronisch Kranker, Dementer und Schwerstkranker, gibt und welche Konsequenzen gedenkt sie daraus zu ziehen? Frau Staatssekretärin, bitte.

Gudrun Schaich-Walch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001939

Es wird immer wieder behauptet, es gebe Rationierungen von Leistungen, insbesondere bei chronisch und schwer Erkrankten. Aus Sicht der Bundesregierung ist hierbei allerdings zwischen Vermutung und tatsächlicher Verordnungsverweigerung oder Vorenthaltung medizinisch notwendiger Leistungen durch einzelne Vertragsärzte zu unterscheiden. Soweit es sich hierbei um den Sachverhalt handelt, dass bisher zu großzügig verordnete, medizinisch nicht notwendige Leistungen auf das allgemeine Maß ausgerichtet werden, entspricht diese Entwicklung der Zielsetzung einer wirtschaftlichen Verordnungsweise, auch wenn Patientinnen und Patienten sowie Leistungserbringer hierfür oftmals wenig Verständnis haben. Der einzelne Vertragsarzt darf hingegen nicht unter Hinweis auf Ausführungsregelungen der Kassenärztlichen Vereinigung zum Arznei- und Heilmittelbudget oder zu den Wirtschaftlichkeitsprüfungen die Verordnung von medizinisch notwendigen Arznei- oder Heilmitteln verweigern. Es gehört allerdings zu seiner vertragsärztlichen Pflicht, bei seinem Verordnungsverhalten in jedem Einzelfall neben dem medizinisch Notwendigen das Wirtschaftlichkeitsgebot zu beachten. Versicherte, die der Auffassung sind, dass ihnen für medizinisch notwendige Arznei- und Heilmittel eine Verordnung zulasten der Krankenkassen vorenthalten wird, sollten sich an ihre Krankenkasse wenden. Die Krankenkasse hat die Pflicht, einem Verdacht nachzugehen, dass einem Versicherten medizinisch notwendige Präparate nicht auf Kassenrezept verordnet werden. Dazu kann sie ihrerseits bei der Kassenärztlichen Vereinigung im Einzelfall eine Überprüfung des Verordnungsverhaltens des Vertragsarztes veranlassen. Versicherte können sich aber auch unmittelbar an die Aufsichtsbehörde der jeweiligen Kassenärztlichen Vereinigung wenden. Zur Behauptung einer budgetbedingten Rationierung ist zudem auf das Ergebnis einer von der Bundesregierung bei den Aufsichtsbehörden der Länder durchgeführten Abfrage für das Jahr 1999 zu verweisen neuere Zahlen liegen uns leider nicht vor -, nach der eine konkrete Verweigerung der Verordnung medizinisch notwendiger Leistungen aus Budgetgründen nicht festzustellen war.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Sie haben eine Zusatzfrage, Herr Kollege, bitte sehr.

Klaus Haupt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003140, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Staatssekretärin, die Frage lautete, ob der Bundesregierung bekannt sei, dass es schon Fälle von Budgetierungen gegeben habe. Ich glaubte, Sie kommen gar nicht auf die Frage zu sprechen, haben aber dann doch im letzten Satz die Antwort gegeben, sodass ich auf Zusatzfragen verzichte.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich rufe die Frage 44 des Abgeordneten Klaus Haupt auf: Was wird die Bundesregierung unternehmen, um die Benachteiligungen an Mittelaufwendungen pro Kopf der Bevölkerung und bezüglich der Arztquote in Bezug auf die Bevölkerung im Osten gegenüber dem Westen zu beseitigen? Sie können also gleich stehen bleiben. Frau Staatssekretärin, bitte.

Gudrun Schaich-Walch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001939

Die vom Bundesministerium für Gesundheit Anfang März 2001 vorgelegten Daten zur vorläufigen Finanzentwicklung der GKV im Jahre 2000 zeigen, dass von einer generellen Benachteiligung bei einem Ost-West-Vergleich der Aufwendungen der gesetzlichen Krankenversicherungen nicht ausgegangen werden kann. Die Leistungsausgaben je Versichertem lagen im Beitrittsgebiet im vergangenen Jahr bei 95,4 Prozent der entsprechenden Ausgaben im früheren Bundesgebiet. Dabei lag der Anstieg der Leistungsausgaben je Mitglied mit einer Veränderungsrate von 2,9 Prozent in der GKV Ost deutlich über der Veränderungsrate in den alten Bundesländern, wo ein Zuwachs von 1,8 Prozent festzustellen war. Die in der Tabelle aufgeführten Veränderungsraten und Ausgabenquoten ergeben für die einzelnen Leistungsbereiche ein sehr unterschiedliches Bild. Ich werde mir ersparen, Ihnen diese Tabelle vorzutragen, zumal ich auch nicht genau weiß, wie ich das tun soll. Wir werden uns daher erlauben, Ihnen diese in schriftlicher Form zukommen zu lassen. Es gibt aber noch einen anderen Indikator. Im Hinblick auf die unterschiedliche Arztquote stellt sich die Situation wie folgt dar: Auf einen niedergelassenen Arzt kamen in den neuen Ländern im Jahre 1999 780 Einwohner, während es im früheren Bundesgebiet 723 waren. Ob aufgrund dieses Unterschiedes von einer Unterversorgung in den neuen Ländern oder einer Überversorgung im früheren Bundesgebiet ausgegangen werden kann, wird derzeit durch ein wissenschaftliches Gutachten geprüft. Wir haben bisher für eine solche Annahme keine Anhaltspunkte. Insbesondere im internationalen Vergleich zeigt sich, dass in Deutschland tendenziell von einer sehr hohen Arztdichte auszugehen ist.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Haben Sie eine Zusatzfrage, Herr Kollege Haupt? - Nein. Dann rufe ich die Frage 45 der Kollegin Ina Albowitz auf: Wie beurteilt die Bundesregierung die zunehmenden Forderungen nach verschärften Kontrollen, verpflichtenden Leistungsberichten und ausufernden Datenerfassungen im Gesundheitswesen vor dem Hintergrund des zeitlichen Aufwandes bei gleichzeitigem Verlangen nach mehr Qualität? Frau Staatssekretärin, bitte sehr.

Gudrun Schaich-Walch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001939

Der Bundesregierung sind Forderungen nach verschärften Kontrollen, verpflichtenden Leistungsberichten und ausufernden Datenerfassungen im Gesundheitswesen in dieser allgemeinen Form nicht bekannt. Sollte die Frage auf die Kodierung der Daten abstellen, die für die Einführung eines DRG-Fallpauschalensystems für voll- und teilstationäre Leistungen ab dem 1. Januar 2003 notwendig sind, ist darauf hinzuweisen, dass die gesetzlichen Dokumentationsverpflichtungen durch die DRG-Einführung weitgehend unverändert bleiben. Da mit der DRG-Einführung jedoch die Relevanz der Dokumentation nachhaltig wächst, gewinnt die Leistungserfassung für die Krankenhäuser zukünftig erheblich an Gewicht. Eine genaue Dokumentation ist somit unumgängliche Voraussetzung für das leistungsorientierte Vergütungssystem im Krankenhausbereich. Das neue DRG-Fallpauschalensystem bietet durch die zukünftig erfolgende Aufbereitung von bereits heute in den Krankenhäusern vorhandenen Daten zudem zusätzliche Ansatzpunkte für die einrichtungsinterne und einrichtungsübergreifende Qualitätssicherung. Die Leistungsqualität kann somit gleichzeitig besser verglichen, optimiert und auch nach außen deutlich gemacht werden.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Eine Zusatzfrage, Frau Kollegin, bitte sehr.

Ina Albowitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000022, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Staatssekretärin, die Forderung nach gründlicherer Datenerfassung und verschärften Kontrollen - es mag sein, dass Sie das noch nicht gelesen haben - sind zumindest in den bis jetzt vorliegenden zwei Bänden des neuen Sachverständigengutachtens enthalten. Ich möchte Sie bitten, darauf später einzugehen bzw. in Ihrem Haus prüfen zu lassen, ob das BMG darauf eingehen möchte. Ich frage Sie: Was möchten Sie denn tun, um Ärzte und andere Angehörige der Heilberufe von Bürokratie zu entlasten?

Gudrun Schaich-Walch (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001939

Das Gutachten des Sachverständigenrates ist uns bekannt. Dazu gab es bis 15 Uhr eine Anhörung im Gesundheitsausschuss. Im Gesundheitswesen sind an den verschiedensten Stellen unterschiedliche Daten unterschiedlicher Qualität vorhanden. Es geht letztendlich darum, die Qualität der Daten zu beurteilen, die Daten dann, wenn sie entsprechend den Vorschriften des Datenschutzes aufbereitet sind, zusammenzuführen, um eine Grundlage zu schaffen, auf der man das Gesundheitssystem steuern kann, und mithilfe dieser Daten transparent abrechnen zu können. Ich denke, an mehr Transparenz im Gesundheitswesen ist allen gelegen. Aber die Bundesregierung hat kein Interesse daran, Daten zu erheben, die nicht bereits irgendwo zur Verfügung stehen.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Eine Zusatzfrage? Es gibt keine Zusatzfragen mehr. Damit sind wir am Ende der Fragestunde. Wir kommen damit zu der von der F.D.P.-Fraktion beantragten Aktuellen Stunde nach I 1 b gemäß unseren Richtlinien für Aussprachen zu Themen von allgemeinem aktuellen Interesse: Budgetierung, Kollektivhaftung und ärztliche Gesamtvergütung sowie deren Auswirkungen auf die Qualität der Gesundheitsversorgung Ich bitte alle Redner, daran zu denken, dass die Redezeit in der Aktuellen Stunde fünf Minuten beträgt. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Dr. Thomae für die F.D.P.-Fraktion.

Dr. Dieter Thomae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002320, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In der Tat hat die neue Bundesregierung den Risikostrukturausgleich neu organisiert. Es fließen zwar Gelder vom Westen in Richtung Osten. Aber diese finanziellen Mittel können nicht für die Verbesserung der Honorierung der ärztlichen Leistungen in den neuen Bundesländern genutzt werden. Das muss man eindeutig festhalten. Wir haben darüber sehr intensiv diskutiert. Wir wollten dies in das Gesetz hineinschreiben. Aber Rot-Grün hat dies strikt abgelehnt. ({0}) Jetzt gibt es in den neuen Bundesländern das Problem ({1}) - doch, das stimmt -, dass nach dem Arzneimittelbudget auch die Budgetierung im ärztlichen Bereich langsam zu einer Katastrophe führt, besonders im fachärztlichen Bereich. Wenn die Höhe der ärztlichen Durchschnittseinkommen genannt wird, habe ich gelegentlich den Eindruck, dass die Einkommen mit den Umsätzen verwechselt werden. ({2}) Das durchschnittliche ärztliche Einkommen vor Steuern lag 1998 in den neuen Bundesländern im Durchschnitt bei 150 000 DM, wobei man bedenken muss, dass sich die Einkommen nach 1998 gravierend nach unten entwickelt haben. Davon müssen aber alle Altersvorsorgemaßnahmen und die Krankenversicherung abgezogen werden. Wenn Sie die Zahl, die sich dann ergibt, einmal durch zwölf dividieren, wissen Sie, was monatlich im Durchschnitt übrig bleibt: Das sind rund 4 500 bis 5 000 DM. Das ist kein Einkommen, mit dem man eine erstklassige fachärztliche Versorgung auf Dauer sichern kann. ({3}) Daher kann ich eindeutig sagen: Ich habe großes Verständnis für die Ärzte aus den neuen Bundesländern, die diese Situation nicht mehr ertragen können; denn die Freiberuflichkeit geht wieder verloren. Sie haben sie vor 50 Jahren verloren. Jetzt sind wir dabei, sie wieder massiv zu gefährden. ({4}) Es gibt kein anderes Gesundheitssystem, das so günstig arbeitet wie ein System mit freiberuflichen, niedergelassenen Ärzten. ({5}) Das erkennen Sie in allen anderen europäischen Staaten, in denen aus ideologischen Gründen die Freiberuflichkeit abgeschafft und vieles ins Angestelltenverhältnis verlagert worden ist. Ich nenne als Beispiele nur Schweden und England. In diesen Ländern ist das Gesundheitssystem marode; ein solches System wollen wir nicht haben. ({6}) - Doch. Sie haben den Weg zu dieser Entwicklung durch Ihre Reform eingeleitet. ({7}) Von daher ist die Situation in den neuen Bundesländern nicht mehr hinnehmbar. Die Ministerin hat darüber gesprochen und hat vieles angekündigt, auch hinsichtlich der Kollektivhaftung. Es wäre wunderbar, wenn sie abgeschafft wird. Wenn wir die Kollektivhaftung in diesem Rahmen aufheben, müssen wir aber auch darüber sprechen, ob noch eine vernünftige Arzneimittelversorgung möglich ist, wenn man auch die neuen Entwicklungen hinsichtlich Alzheimer, Parkinson, Krebs und weiterer großer und gravierender Krankheitsbilder berücksichtigt. Angesichts des Ausmaßes dieser Entwicklungen können wir dies nicht mit dem heutigen Budget organisieren. Es müssen mehr Gelder in diese Versorgung fließen. ({8}) Für die Honorierung der Ärzte wollen wir ein Regelleistungsvolumen einführen. Die floatenden Punktwerte können keine Lösung mehr sein. Ein Arzt muss heute wissen, zu welchen Bedingungen er medizinische Leistungen erbringt. ({9}) Daher plädieren wir für ein Regelleistungsvolumen. Ich sage auch sehr deutlich: Wir wollen das Sachleistungssystem beseitigen. Wir wollen ein Kostenerstattungssystem. Wir wollen, dass der Patient weiß, zu welchen Bedingungen und zu welchen Preisen die medizinische Leistung erbracht wird. ({10}) Und wir wollen - im Gegensatz zu Ihnen - den sozial Schwachen schützen. ({11}) Wenn die Budgetierung erschöpft ist, gewährt sie keinem mehr, auch dem sozial Schwachen nicht, medizinische Leistung. ({12}) Vizepräsidentin Anke Fuchs - Das Budget ist in vielen Ländern und Regionen schon erschöpft. Das ist das brutalste System, das Sie je in Deutschland eingeführt haben. Dieses System wollen wir nicht. Daher bekenne ich: Wir wollen eine prozentuale Selbstbeteiligung, aber mit einer Härtefallregelung und einer Überforderungsregel. Das heißt, der sozial Schwache wird von uns - im Gegensatz zu Ihnen - immer geschützt. ({13}) Das ist eine zukunftsweisende Politik. Ihre Politik hängt am Fliegenfänger. ({14})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich erteile das Wort der Gesundheitsministerin Ulla Schmidt.

Ulla Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002019

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will zugestehen, dass es diesmal wirklich eine Aktuelle Stunde ist, die sich an einem aktuellen Thema orientiert; ({0}) denn derzeit demonstrieren die Ärzte und Ärztinnen aus den neuen Bundesländern und aus Berlin hier in der Nähe, am Brandenburger Tor. Nach Ende dieser Veranstaltung werden sie bei mir im Gesundheitsministerium empfangen. Das ist alles abgemacht. ({1}) Ich glaube, dass es richtig ist, ein offenes Ohr für die Sorgen und Nöte zu haben. Deshalb habe ich bereits am Montagabend und auch im Vorfeld dieser Niederlegung der Arbeit bzw. der Schließung der Praxen mit dem Aktionsrat gesprochen. Ich glaube, dass das Gespräch ganz konstruktiv war, egal, worüber derzeit debattiert wird. Kollege Thomae, Sie wissen doch, dass wir uns überlegen müssen, woher das Geld kommen soll. Niemand sagt etwas dagegen, wenn behauptet wird, dass es Ungerechtigkeiten gibt. Wir sind aufgerufen, zu versuchen, sie zu beseitigen. Ich habe den Ärzten Folgendes zugesagt: Erstens. Wir bringen die Reform des Fremdkassenausgleichs auf den Weg. Der Referentenentwurf in meinem Haus ist jetzt fertig. Wenn Sie sagen: „Sie haben viel angekündigt, es muss aber auch etwas geschehen“, dann entgegne ich Ihnen: Erst muss die notwendige Arbeit geleistet worden sein, damit Gesetze hieb- und stichfest sind. ({2}) Die Unterschiede zwischen dem ärztlichen Einkommen Ost und dem ärztlichen Einkommen West entstehen teilweise dadurch, dass die Ärztehonorare nicht den KVen zufließen, die in den Bundesländern ansässig sind, wo die Patientinnen und Patienten leben; vielmehr fließen sie dorthin, wo die Krankenkassen ihren Sitz haben. Dieses Geld fließt nach Bayern, nach Nordrhein-Westfalen oder nach Hessen, also in andere Bundesländer. Das führt dazu, dass weniger Geld zur Verfügung steht. ({3}) Das möchte ich am Beispiel Sachsen erläutern. In Sachsen haben die BKKen weit über 300 000 Mitglieder; aber nur für rund 5 000 werden dort Honorarverhandlungen geführt. Dies werde ich ändern. Ich hoffe, dabei Ihre Unterstützung zu bekommen, weil ich will, dass das Geld dahin fließt, wo die Leistung erbracht wird. ({4}) Das wird die Situation der Ärztinnen und Ärzte etwas verbessern. Wir müssen dafür sorgen, dass regional immer für die vor Ort ansässigen Patientinnen und Patienten verhandelt wird. Wenn das erfolgreich geschieht, dann bekommen die Ärzte zumindest das Geld, das ihnen zusteht, da es nicht wie bisher in den Westen fließt. ({5}) Zweitens. Abschaffung des Kollektivregresses. Ich habe hier und in der Öffentlichkeit erklärt: Wir werden den Kollektivregress abschaffen. ({6}) Ich halte es für ungerecht, dass Ärztinnen und Ärzte selbst dann für etwas haften müssen, wenn sie sparsam verschreiben und verordnen, nur weil andere das nicht machen. Wir arbeiten derzeit an einer Lösung. Sie wissen, dass die Kassenärztliche Bundesvereinigung einen Vorschlag gemacht hat, wie wir - statt durch Kollektivregress und Arzneimittelbudget - über Richtgrößen für die einzelnen Praxen einen Fortschritt erzielen können. Sie wissen auch, dass eine Richtgröße allein nicht ausreicht, um sicherzustellen, dass wirtschaftlich verantwortungsvoll verschrieben wird. Wir haben einen Kriterienkatalog entwickelt, über den mit den Ärzten und mit den Spitzenverbänden der Kassen zurzeit diskutiert wird. Wir sind der Auffassung, dass sich die Zustände nur dann verbessern, wenn auf der einen Seite die Ärztinnen und Ärzte gemeinsam mit ihren Selbstverwaltungsorganen - ich denke da vor allem an die Kassenärztliche Bundesvereinigung - und auf der anderen Seite die Krankenkassen wirklich dafür haften, dass mit dem, was therapeutisch notwendig ist, vor Ort sparsam umgegangen wird. Darüber wird in den kommenden Wochen im Bundestag gesprochen werden. Auch in diesem Punkt hoffe ich auf eine gemeinsame Basis; denn niemand kann ernsthaft das Ziel der Beitragssatzstabilität oder unser Bemühen um eine Begrenzung der Ausgaben infrage stellen. Es geht nicht darum, den Deckel anzuheben, sondern darum, das Geld zielgenauer einzusetzen, damit es dort ankommt, wo es hin muss. Ziel ist immer eine Qualitätsverbesserung im Gesundheitswesen. ({7}) Drittens. Ich kann die Honorare im Osten nicht einfach erhöhen. Ich habe den Ärztinnen und Ärzten zugesagt, auch mit einer anderen Ungerechtigkeit Schluss zu machen. Sie wissen, dass die Angleichung der Gebührenordnung für Privatpatientinnen und Privatpatienten noch nicht vollzogen ist. Obwohl 100 Prozent in die privaten Versicherungen eingezahlt wird, wird nur 84 Prozent ersetzt. Wir werden - die entsprechende Vorlage aus meinem Haus ist so weit fertig und wir können sie auf den Weg bringen - für die Anhebung auf 90 Prozent, auf 95 Prozent und schließlich für die Angleichung auf 100 Prozent sorgen. Auf diese Weise entsteht eine Perspektive und zumindest bei der privatärztlichen Vergütung findet dann eine Anpassung von Ost und West statt. ({8}) Zu diesen drei Aspekten sage ich: Da können wir gemeinsam handeln. Wenn ich Ihr Verlangen nach dieser Debatte richtig verstehe, dann sind Sie bereit, dabei mitzumachen. Das entlastet die Ärzte im Osten. ({9}) Auf andere Forderungen der Ärzte kann ich nicht eingehen. Eine Forderung lautet, dass der Risikostrukturausgleich nicht mehr zur Entschuldung der Ostkassen eingesetzt wird, sondern dass das Geld aus dem Risikostrukturausgleich für die Ärztehonorare verwendet wird. Sie wissen doch selbst, dass es einen Transfer von West nach Ost gibt, damit die Kassen dort auf eine gesunde finanzielle Basis gestellt werden und es zu einer Beitragsangleichung kommt. Dies muss das vorrangige Ziel sein. Das Geld darf aber nicht in die Ärztehonorare sozusagen umgelenkt werden, wodurch die Kassen auf Dauer in einer prekären finanziellen Situation bleiben würden. ({10}) Im Jahre 2000 sind von West nach Ost 2,8 Milliarden DM geflossen; im Jahre 2001 werden es 3,53 Milliarden DM sein. Aus dem Risikostrukturausgleich werden zusätzlich 1,6 Milliarden DM fließen. Dieses Geld muss vorrangig dafür ausgegeben werden, die Verschuldung - sie liegt zurzeit bei rund 700 Millionen DM; wir haben sie zum Teil mit Ihnen gemeinsam abbauen können - weiter zu verringern. Die Menschen im Westen werden erkennen, dass das Geld gut angelegt ist. Die Kassen werden dann nämlich in der Lage sein, die Leistungen zu finanzieren, die die Patientinnen und Patienten benötigen. Ein weiterer Punkt ist die Forderung nach einem 600-Millionen-DM-Sofortprogramm, das von der Bundesanstalt für Arbeit finanziert werden soll. Damit soll die Hälfte der 1,2 Milliarden DM an Krankenkassenbeiträgen gezahlt werden. Die Frage ist aber: Sollen deswegen die Maßnahmen zur aktiven Arbeitsmarktpolitik gekürzt werden? Ich glaube, auf die Politik, junge Menschen in Arbeit zu bringen, können wir nicht verzichten, auch nicht im Osten. ({11}) Es geht doch darum, Arbeitsplätze zu schaffen. Ich komme zum Kern des Problems. Tatsache ist doch, dass die Angleichung von Ost und West nicht vollendet ist. ({12}) Wir wissen das und arbeiten gemeinsam daran, diese Angleichung zu erreichen. In den letzten zehn Jahren - das kann man nicht bestreiten - ist vieles geschehen. Bedauerlicherweise ist im Osten die Situation immer noch so, dass nur 86 Prozent im Vergleich zum Westen gezahlt wird. Es kann daher niemand ernsthaft verlangen, dass die Angleichung der Honorare der Ärzte und Ärztinnen schneller erfolgt als die Angleichung der Gehälter. ({13}) Ich sehe zwar die Ungerechtigkeiten ganz klar, Herr Kollege Thomae. Dennoch muss ich sagen - auch wenn die Berechnung des Durchschnittseinkommens beinhaltet, dass es sowohl höhere als auch niedrigere Einkommen gibt -: Viele Menschen in den neuen Bundesländern hätten gerne ein Durchschnittseinkommen von 150 000 DM im Jahr, auch wenn davon noch Steuern und Beiträge für die Krankenversicherung und die Altersvorsorge zu zahlen sind. ({14}) Ich würde es ihnen gerne gönnen. Vielen Dank. ({15})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun erteile ich der Kollegin Dr. Sabine Bergmann-Pohl das Wort für die CDU/CSU-Fraktion.

Dr. Sabine Bergmann-Pohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000155, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin, ich finde es sehr lobenswert, dass Sie nachher die Ärzte empfangen. Offensichtlich nehmen Sie die Probleme der Ärzte ernst. ({0}) Gleichwohl fehlt mir der Glaube, dass dieses Gespräch etwas bringt. Seitdem Sie im Amt sind, haben Sie zwar viele Vorschläge gemacht. Doch wenn ich einige Vorschläge aufgreife, dann komme ich zu dem Schluss, dass diese kaum zu einer Verbesserung der Lage der Ärzte in den neuen Bundesländern führen werden. Der Fremdkassenausgleich ist nur ein kleiner Schritt. Die Anhebung der Vergütung für die Behandlung von Patienten der PKV haben wir damals auf den Weg gebracht. Sie haben sie aber zunächst kassiert. Jetzt holen Sie sie aus der Mottenkiste wieder heraus. Sie wissen aber ganz genau, dass es in den neuen Bundesländern nur eine geringe Zahl von Privatpatienten gibt. ({1}) Sie erreichen also damit keine Verbesserung der Situation in den neuen Bundesländern. Ich finde es lobenswert, dass Sie jetzt sagen, die Budgetierung sei kein Allheilmittel. In der Vergangenheit hatte ich immer den Eindruck, dass für die SPD-Fraktion nur die Budgetierung das Allheilmittel sei und dass nur ein billiger Patient ein guter Patient sei. ({2}) Sie wissen genau, dass diese Budgetierung zur Folge hat, dass chronisch Kranke schlecht versorgt werden und dass das Morbiditätsrisiko allein auf die Ärzte übertragen wird. ({3}) - Natürlich. Die Budgetierung funktioniert nicht; denn bei 18 von 23 Kassenärztlichen Vereinigungen ist das Budget überschritten worden. Wissen Sie, warum? - Weil die Ärzte es für ethisch nicht vertretbar hielten, den Patienten die notwendige medizinische Versorgung zu versagen. ({4}) Sie sprechen von Qualitätssteigerung. Aber zum Beispiel Ihr Antrag bezüglich der Diabeteskranken vermittelt einen anderen Eindruck. ({5}) - Dann haben Sie aber in der Anhörung nicht zugehört, Frau Schmidt-Zadel. ({6}) Herr Professor Lauterbach hat als Experte gesagt, dass bei einem 32-jährigen Diabetiker die für Arzneimittel aufzuwendenden Kosten im Vergleich zum Durchschnitt der Patienten das 14fache betragen. Das heißt, wenn alle Diabetiker fachgerecht behandelt würden, würde das 40 Milliarden DM mehr kosten. Das ist ein Sechstel aller GKVAusgaben. Wenn Sie von Qualitätssicherung sprechen, Frau Ministerin - vielleicht hören Sie mir einmal einen Moment zu -: Experten haben berechnet, dass zwar durch den Generikaeinsatz und den Wegfall umstrittener Arzneimittel bei der Versorgung circa 6,19 Milliarden DM gespart werden könnten. ({7}) Dem steht aber ein erheblicher Mehrbedarf durch die fachgerechte Versorgung schwerer chronischer Erkrankungen wie Arthritis, Hepatitis, Sklerose, Schizophrenie, degenerative Gelenkserkrankungen und Transplantationsnachsorge von 8,59 Milliarden DM gegenüber. Dabei sind noch gar nicht die Versorgungslücken bei Diabetes, Herzinsuffizienz, Hypertonie, Hyperlipidämie und Asthma bronchiale eingerechnet. Wenn Sie mir nicht glauben, dann glauben Sie wenigstens dem von Ihnen eingesetzten Sachverständigenrat; denn der hat es Ihnen schriftlich gegeben. Er schreibt nämlich: Eine Barriere für Qualitätssicherungsmaßnahmen sind erhöhte finanzielle Belastungen. ({8}) Ich finde es bezeichnend, dass Sie zum Beispiel die von Ihnen kassierten Richtgrößen, die von uns gesetzlich auf den Weg gebracht worden waren, wieder hervorzaubern. ({9}) Das heißt, Sie holen alles das, was Sie 1998, nachdem Sie die Wahl gewonnen haben, praktisch in der Versenkung haben verschwinden lassen, jetzt wieder heraus und verkaufen unsere Konzepte als Ihre Konzepte. ({10}) Das finde ich einfach unwürdig. ({11}) Wenn Sie mir schon nicht glauben, dann lassen Sie mich doch bitte zum Schluss ein Zitat der Deutschen Rheuma-Liga - sind Sie da nicht Vorsitzende, Frau Schmidt-Zadel? ({12}) - dann war es Frau Schaich-Walch - vortragen, das sich auf das Ergebnis einer Befragung der Betroffenen zu Versorgungseinschränkungen bezieht: Für uns verdeutlichen die Antworten, dass das Ringen um Einsparungen zurzeit auf dem Rücken der chronisch kranken Patienten ausgetragen und auf diese Weise das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient zerstört wird. Ich glaube, dem ist nichts mehr hinzuzufügen. ({13})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun hat das Wort die Kollegin Katrin Dagmar Göring-Eckardt. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Die Ministerin hat hier dargestellt, an welchen Punkten die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen ({0}) die Probleme, die es zwischen Ost und West tatsächlich gibt, aufnimmt, und zwar an den Stellen, an denen wirklich etwas zu machen ist. Ich sage es noch einmal stichwortartig: Die Frage des Fremdkassenausgleiches ist hier wichtig, ebenso die Frage der PKV. Frau Bergmann-Pohl, wir können natürlich mal schauen, ob wir dafür sorgen können, dass es in den ostdeutschen Ländern noch mehr privat Versicherte gibt, damit sich das Einkommen der Ärzte erhöht. ({1}) Aber ich glaube, das wäre nicht der richtige Weg. Ich möchte noch einmal die Zahlen in Bezug auf den Transfer von West nach Ost in Erinnerung rufen ({2}) - das ist gut, wenn Sie das im Kopf haben; ich sage es hier trotzdem noch einmal, aus Ihrem Kopf zitiert, Herr Thomae -: 2002 2,8 Milliarden DM, 2001 3,1 Milliarden DM plus RSA. Natürlich gibt es Unterschiede zwischen den Arztgruppen. Diese sollte man sich aber genau anschauen. Die Radiologen in Ostdeutschland verdienen mehr als die in Westdeutschland. ({3}) Wir haben in der Tat ein großes Problem bei den Hausärzten und insbesondere bei den Kinderärzten. Wir sollten gemeinsam dafür sorgen, dass die Hausärzte und die Kinderärzte bei der Verteilung zwischen den Arztgruppen gestärkt werden. Ich glaube, das wäre bei diesem Problem eine vernünftige Herangehensweise. ({4}) Natürlich haben wir auch bei anderen Punkten Unterschiede, zum Beispiel bei den Betriebsausgaben. In Ostdeutschland betragen sie 76 Prozent des westdeutschen Wertes. Auch dieses Argument muss berücksichtigt werden. Wenn man sich die Einkommen anschaut, dann stellt man zwar Unterschiede fest: 165 000 DM im Jahre 1998 im Osten und 194 000 DM im Westen. Diese Differenz ist aber überhaupt nicht signifikant anders gegenüber der, die man in anderen Berufsgruppen feststellen kann. Es fällt mir schon auf - das will ich auch zu der Motivation für diese Aktuelle Stunde sagen -, dass sich besonders zwei Parteien dieses Problems annehmen: Das sind F.D.P. und PDS. Mich wundert das ein wenig. Wir können bei der Angleichung der Lebensverhältnisse doch nicht bei denen anfangen, die relativ gut verdienen, deren Einkommen sich also am oberen Ende der Leiter bewegen, ({5}) und diejenigen, die wenig verdienen, diese Angleichung bezahlen lassen. Es geht sehr wohl um die Patientinnen und Patienten, es geht sehr wohl um die Versicherten. Es geht nämlich um die Frage: Woher holen wir das Geld? ({6}) Sollen wir denn die Beiträge erhöhen und von den Versicherten das Geld holen? Ich glaube, dass das nicht der richtige Weg sein kann. Wir können nicht die Versicherten und diejenigen, die wenig verdienen, höhere Beiträge bezahlen lassen, damit die Einkommen der Ärzte steigen. Es kann nicht der richtige Weg sein, das Pferd von hinten aufzuzäumen. Eine Angleichung der Lebensverhältnisse ist nötig, ({7}) aber sie muss schrittweise gemäß den Möglichkeiten erfolgen. Sie haben während Ihrer Regierungszeit erfahren müssen - und auch wir wissen das -, dass das nicht von einem Tag auf den anderen geht, ({8}) auch nicht von einem Jahr zum anderen, ({9}) sondern dafür benötigt man mehr Zeit, als Sie immer angenommen haben. Die Zeit, die wir dafür brauchen, muss sich die Gesellschaft nehmen. Sie sollten nicht leere Versprechungen machen und in großen Parolen verkünden, es ginge hier um das Wohl der Patientinnen und Patienten. ({10}) Das wäre in der Tat geheuchelt. Es geht hier um die Einkommenssituation der Ärzteschaft, es geht nicht um die Patientinnen und Patienten. ({11}) - Es geht in der Tat um die Zusammenhänge. Wir dürfen aber nicht auf dem Rücken der Versicherten dafür sorgen, dass die Einkommen in einem Bereich sehr viel höher liegen als im Durchschnitt der Bevölkerung. Das wäre nicht der richtige Weg. ({12}) Ich rufe Sie noch einmal auf: Unterstützen Sie uns bei den Maßnahmen, die wir richtigerweise ergreifen. Unterstützen Sie uns, da, wo es tatsächlich Ungerechtigkeiten bei den Einkommensverhältnissen gibt, diese zu beseitigen. Unterstützen Sie uns, die Rolle der Hausärzte und der Kinderärzte im Osten zu stärken; diese befinden sich nämlich ungerechtfertigterweise am unteren Ende der Einkommensskala der Ärzteschaft. ({13}) Hier muss in der Tat eine Umverteilung stattfinden. Die macht dann auch Sinn. Vielen Dank. ({14})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Jetzt hat das Wort die Kollegin Dr. Ruth Fuchs, PDS-Fraktion.

Dr. Ruth Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000615, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist Realität geworden: Ein zunehmender Teil der Ärztinnen und Ärzte in Ostdeutschland verfügt nicht mehr über ein angemessenes Einkommen. Auch ich betone hier das Wort „Einkommen“, lieber Kollege Thomae. Dieses Problem gibt es aus meiner Sicht aber nicht erst seit heute. Schon häufig standen Vorschläge zur Verbesserung der Finanzgrundlagen des Gesundheitswesens in den neuen Ländern auf der Tagesordnung. Ich kann mich erinnern, dass alle Parteien dafür gestimmt hatten, die Finanzgrundlage für das Gesundheitswesen in den neuen Bundesländern zu verbessern. ({0}) Umso unverständlicher ist es für mich, dass Ende 1999 eine große Chance verpasst wurde: ({1}) Die in dem Gesetz zur Rechtsangleichung in der GKV zunächst vorgesehene Sonderentschuldung der Ostkassen in Höhe von 1,3 Milliarden DM wurde ersatzlos gestrichen. Dies blieb - wie wir jetzt sehen - nicht ganz ohne Folgen. ({2}) Liebe Frau Ministerin Schmidt, ich glaube Ihnen, dass Sie das heute vielleicht nicht mehr korrigieren können. Das kann ich nicht beurteilen. Ich denke aber, dass damals wirklich eine Chance vertan wurde. In diesem Zusammenhang begrüßen wir natürlich Ihre Ankündigung, dass Sie sich den Problemen im Osten besonders widmen wollen. Wir sagen aber ganz klar und deutlich: Den Worten müssen auch Taten folgen. ({3}) Meine Damen und Herren, man kann Zahlenvergleiche bringen, wie man will. Für uns steht außer Frage, dass im Osten angesichts der stärker überalterten Bevölkerung von einem insgesamt höheren Bedarf an medizinischer Versorgung ausgegangen werden muss, zugleich aber dem Arzt je Versichertem weniger finanzielle Mittel zur Verfügung stehen. Hinzu kommt, dass ein Arzt in Ostdeutschland im Durchschnitt viel mehr Behandlungsfälle als ein Arzt in den alten Bundesländern hat, die Vergütung jedoch hinter der in den alten Bundesländern zurückbleibt. Da aber - meine Kollegin hat es gerade gesagt die Behandlung von Privatversicherten in den neuen Bundesländern so gut wie aussichtslos ist, lässt sich auch damit das Einkommen nicht verbessern. Der wichtigste Punkt für uns ist neben dem Streben nach angemessener Vergütung, dass diese Situation früher oder später die Qualität der möglichen medizinischen Leistungen beeinträchtigen muss. Schon heute betreiben die Ärzte im Osten ihre Praxen mit deutlich weniger Personal als ihre Kollegen im Westen ({4}) und es fehlt ihnen häufig auch die Fähigkeit zu Investitionen und Innovationen. Hier besteht wirklich die Gefahr - noch ist es nicht so weit - eines West-Ost-Gefälles in der Qualität der Versorgung der Bevölkerung. ({5}) Meine Damen und Herren, wenn man es zuließ oder bewusst wollte, dass die Strukturen des Gesundheitswesens der DDR völlig unkritisch über Bord geworfen wurden und die Ärzte unter Versprechen blühender Landschaften fast vollständig in Freiberuflichkeit und private Niederlassung gebracht wurden, dann geht es nicht an, ihnen die elementaren Voraussetzungen ihrer Arbeit vorzuenthalten. ({6}) Aus diesen Gründen halten wir die Aktion der Ärzte und Psychotherapeuten für berechtigt. Fragwürdig bleibt aber, dass sie auf dem Rücken der Patienten ausgetragen wird. Allerdings stellt sich die Frage, ob man das den Ärzten allein zuschieben soll. In aller Deutlichkeit zeigt diese Aktion, dass sich die Bundesregierung den besonderen Finanzierungsproblemen des Gesundheitswesens in Ostdeutschland stellen muss. So wichtig es ist, dass der gesamtdeutsche Risikostrukturausgleich ab 2001 schrittweise zu einem erhöhten Mitteltransfer von West nach Ost führt, ist es dennoch unmöglich, dass sich an der finanziellen Ungleichbehandlung der Ärzte und aller Beschäftigten in ostdeutschen Gesundheitseinrichtungen nichts ändern soll. Liebe Frau Kollegin Göring-Eckardt, erinnern Sie sich bitte einmal an Ihre Oppositionszeit. Sie können heute nicht sagen, die PDS oder die F.D.P. mache Blödsinn, wenn Sie damals selbst den Einigungsvertrag ganz kritisch eingefordert und gesagt haben, es sei - egal, wer regiert - eine politische Aufgabe, die Angleichung der Lebens- und Arbeitsbedingungen in Ost und West voranzutreiben. Man kann eine soziale Ungerechtigkeit nicht gegen eine andere ausspielen. ({7}) Es ist wirklich an der Zeit, mit diesen Ausreden aufzuhören. Dann soll man lieber sagen, man wolle es nicht finanzieren und die Menschen müssten hier so arbeiten; das wäre ehrlicher. ({8}) Wir fordern die Bundesregierung auf, ein verlässliches Konzept vorzulegen, damit diese Angleichung schrittweise erfolgen kann, sodass die Menschen erkennen, dass irgendwann die Ungleichbehandlung beendet sein wird und sie dieselben Chancen in der Arbeits- und Lebenswelt wie die Menschen in den alten Bundesländern haben. Frau Präsidentin, ich komme gleich zum Schluss. Wir haben uns hier schon oft zum Budget geäußert und erklärt, es stelle nur vorübergehend eine Möglichkeit dar, bestimmte Sparziele im Gesundheitswesen zu erreichen. Die Abschaffung der Kollektivhaftung halten wir für richtig. Im Gegensatz zu CDU/CSU und F.D.P. teilen wir dennoch Ihre Meinung, dass die Ärzte nicht aus der Verantwortung entlassen werden dürfen. Trotzdem ist zu überlegen, wie man die Finanzsituation des Gesundheitswesens in den neuen Bundesländern ohne Beitragssatzerhöhung verbessert. Es gibt genügend Einsparpotenziale; als Stichworte nenne ich zum Schluss die Gewährleistung notwendiger Arztinformationen, herstellerunabhängige Weiter- und Fortbildung - Sie wissen, auf wen ich hinaus will -, wirksamere Preisbegrenzungen bei Arzneimitteln und Senkung der Mehrwertsteuer. Ich wiederhole, dass es kaum zu begreifen ist, dass man für verschreibungspflichtige Medikamente auch noch Mehrwertsteuer zahlen muss und die Krankenkassenbeiträge so für die Haushaltssanierung des Bundes herangezogen werden. Kurz gesagt: Es gibt Vorschläge, packen wir es an! ({9})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich weise zur Redezeit noch einmal darauf hin, dass wir in der Aktuellen Stunde sind, und erteile nun dem Kollegen Eckart Lewering für die SPD-Fraktion das Wort.

Eckhart Lewering (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003171, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Die Bedeutung der heutigen Aktuellen Stunde reicht über deren eigentliches Thema hinaus. ({0}) Die Ärztinnen und Ärzte stehen hier nur stellvertretend für die Bürger der neuen Bundesländer, die zehn Jahre nach Herstellung der staatlichen Einheit zu Recht die Angleichung der Lebensverhältnisse in ganz Deutschland anmahnen. ({1}) Die Sorgen der Ärzte und des medizinischen Personals sind die gleichen Sorgen, die viele andere Beschäftigte in den neuen Bundesländern ebenfalls haben. Die neue Bundesgesundheitsministerin hat ihren Amtsantritt mit mehr als einem Schritt des Entgegenkommens begleitet und zu verstehen gegeben, dass sie diese Sorgen sehr ernst nimmt. ({2}) Zum einen wurden Ärzten die vorgesehenen Zahlungen für das Überschreiten des Arzneimittelbudgets erlassen, zum anderen wurde die Aufhebung des Kollektivregresses angekündigt. ({3}) Die Einkommensstatistik der Mediziner - zumindest für einige Ärztegruppen - zeigt eine nicht allzu negative Entwicklung in den vergangenen Jahren. Die Ost-WestUnterschiede zwischen den aus vertragsärztlicher Tätigkeit resultierenden Einkommen je Arztgruppe reichen nämlich von circa 73 Prozent für HNO-Ärzte bis zu mehr als 110 Prozent für Radiologen. Diese Gruppe ist hier schon mehrmals angesprochen worden. ({4}) Demgegenüber lagen aber die durchschnittlichen beitragspflichtigen Einnahmen der Mitglieder der Krankenkassen in den neuen Bundesländern im zugrunde liegenden Jahr 1998 bei circa 79 Prozent des entsprechenden Wertes der GKV West. Die Einnahmesituation der Ärzte in den neuen Bundesländern ist also durchaus differenziert zu betrachten. Es gibt den gut verdienenden Facharzt mit Praxis in zentraler Lage und einer größeren Anzahl von Privatpatienten in Ballungsgebieten. Dem steht aber der Kollege in einer anderen Region gegenüber, dessen Praxis einen viel geringeren Ertrag abwirft. Allein die Tatsache, dass ein Arzt im Westen mehr verdient als ein Arzt im Osten, begründet aber noch keine Verpflichtung der Beitragszahler der gesetzlichen Krankenkassen, diesen Unterschied auszugleichen. Wie Sie wissen, ist die deutsche Wiedervereinigung mit enormen finanziellen Belastungen der Menschen in Westdeutschland verbunden. Dennoch hat die Sozialdemokratie sowohl während der Zeit der Opposition als auch seit der letzten Bundestagswahl als Regierungspartei die Notwendigkeit solcher Umverteilungen immer wieder verteidigt. ({5}) Die jetzige Bundesregierung hat immer wieder Maßnahmen ergriffen, um die Lebensverhältnisse in ganz Deutschland zu vereinheitlichen. Für den Bereich der Gesundheitspolitik will ich jetzt nur noch kurz einige Beispiele nennen: Erstens. Im Zuge der Gesundheitsreform wurde eine bundeseinheitliche Steigerung der Grundlohnsumme als Maßstab für die Gesamtvergütung eingeführt. Zweitens. Mit der Einbeziehung der Geringverdiener in die Sozialversicherung haben wir dem Gesundheitswesen bereits dringend benötigte finanzielle Mittel zugeführt. ({6}) Drittens. Um gleiche Lebensverhältnisse in allen Bundesländern zu schaffen, hat die sozialdemokratisch geführte Bundesregierung vor einem Jahr die Einführung eines gesamtdeutschen Risikostrukturausgleichs beschlossen, der nun auch schrittweise eingeführt wird. Hierdurch verbessert sich auch die Lage der Krankenkassen in den neuen Bundesländern. ({7}) Viertens. Zudem hat die SPD-Bundestagsfraktion, wie Sie wissen, einen Antrag zum Fremdkassenausgleich in den Bundestag eingebracht, der ebenfalls zum Ziel hat, die finanzielle Situation der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte in den neuen Bundesländern zu verbessern. Durch die Einführung des Wohnortprinzips für alle Krankenkassen wollen wir den Fremdkassenausgleich wirksamer machen und für eine größere Verteilungsgerechtigkeit bei kassenärztlichen Honoraren sorgen. In Zukunft werden ärztliche Leistungen und die Vorhaltekosten dort vergütet, wo sie anfallen. Von der Einführung des Wohnortprinzips profitieren vor allem auch Ärzte in den neuen Bundesländern, da viele ihrer Patienten bei Krankenkassen versichert sind, die ihren Sitz in den alten Bundesländern haben. Hierzu ein Beispiel: Durch diesen jetzt beabsichtigten Schritt wird der Anteil der ambulant tätigen Ärzte in Ostdeutschland an den Gesamtausgaben der GKV um circa 2 Prozent anwachsen. Das bedeutet zum Beispiel für Sachsen, dass etwa 10 000 DM mehr pro Praxis zur Verfügung stehen werden. Mit dieser Regelung sorgt die SPD für mehr Gerechtigkeit und für die Sicherung der ambulanten Versorgung auch in den neuen Bundesländern. ({8}) Ich hoffe, Sie erkennen, dass die Sozialdemokratie bestrebt ist, gleiche Lebensverhältnisse in Deutschland zu verwirklichen, und entsprechende Beschlüsse in den entscheidenden Gremien vorantreibt. Ich darf Ihnen hier versichern, dass wir weiterhin alles tun werden, um in ganz Deutschland vergleichbare Lebensverhältnisse zu schaffen. Ich danke Ihnen. ({9})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun hat das Wort der Kollege Wolfgang Zöller, CDU/CSU-Fraktion.

Wolfgang Zöller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002603, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, Rot-Grün hat ein ganz großes Problem: ({0}) Es beschließt ein Gesetz und dann setzt es sich mit den Beteiligten zusammen. - Könnte man es nicht einmal herumgedreht machen, dass man sich also erst mit den Beteiligten zusammensetzt und dann ein Gesetz macht? ({1}) Ein weiterer Punkt: Frau Ministerin, Sie haben gesagt, durch den RSA, den gesamtdeutschen Risikostrukturausgleich, seien Milliarden in die neuen Länder geflossen und das helfe dort sehr. ({2}) Ein gravierender Fehler ist doch gemacht worden: Hätten wir nicht erst die Ungereimtheiten beim Risikostrukturausgleich beseitigen müssen, bevor wir ihn auf ganz Deutschland ausdehnen? Folgendes wird jetzt nämlich geschehen: Die Kassen im Westen werden Milliardenbeträge für den Risikostrukturausgleich zahlen und die Kassen im Osten werden dann einen niedrigeren Beitragssatz erheben als die im Westen. Wie wollen Sie das den Versicherten klarmachen? Das kann wohl nicht funktionieren. Deshalb wäre es sinnvoller gewesen, den Risikostrukturausgleich vorher richtig zu strukturieren. ({3}) Da wir heute über die Budgetierung und die Kollektivhaftung sprechen, gestatten Sie mir folgenden flapsigen Hinweis: Was würde die SPD sagen, wenn einer wegen Trunkenheit am Steuer den Führerschein genommen bekommt und man den Antrag stellen würde, allen SPD-Abgeordneten müsse der Führerschein entzogen werden? ({4}) - So machen Sie es aber mit den Ärzten! Ich habe ja gehofft, dass Sie diesen Zuruf machen. ({5}) Wenn ein Arzt das Budget überschreitet, werden alle Ärzte in Haftung genommen. Die Kollektivhaftung und die Budgetierung sind erstens rechtlich, zweitens medizinisch und drittens strukturpolitisch widersinnig. ({6}) - Ja, eben! Die Ministerin hat sich hier an dieses Pult gestellt und gesagt: Die Kollektivhaftung kommt weg. ({7}) Wir haben in der letzten Woche einen entsprechenden Antrag eingebracht und Sie haben ihn abgelehnt. Sie sollten endlich einmal Ankündigungen und Handeln in Übereinstimmung bringen. ({8}) Sie können den Ärzten nicht sagen: „Die Kollektivhaftung wird abgeschafft“ und dann, wenn wir Ihnen eine entsprechende Steilvorlage geben - Sie bräuchten nur zuzustimmen -, diese ablehnen. ({9}) So funktioniert das nicht! Zwischen Ankündigungen und Handeln liegen bei der SPD Welten. ({10}) Nun dazu, dass das Arzneimittelbudget medizinisch widersinnig ist: Rot-Grün hält aus überwiegend ideologischen Gründen daran fest. Ich habe die Hoffnung nicht aufgegeben, dass Sie vielleicht auch noch zu der Erkenntnis kommen, dass man mit Arzneimitteln - und nicht nur am Arzneimittel - sehr viel Geld sparen kann. Nehmen Sie einmal bitte Folgendes zur Kenntnis: Deutschland liegt bei den Ausgaben für Arzneimittel an der letzten Stelle in Europa. Andere Länder geben mehr für Arzneimittel, insgesamt aber weniger für Gesundheit aus. ({11}) Die SPD sagt auch immer: Wir sind für Primärprävention. - Auch hier könnte man mit Arzneimitteln das eine oder andere erreichen. Nun dazu, dass das Arzneimittelbudget strukturpolitisch widersinnig ist: Seit 1992 sind die Ausgaben im Arzneimittelbereich jährlich um rund 2,8 Prozent gestiegen. Aber sie sind nicht aufgrund der Mengenausweitung und auch nicht aufgrund von Preiserhöhungen gestiegen. Diese Steigerung ist vielmehr mit Strukturkomponenten zu begründen: mit der Einführung von teuren Innovationen - dies wollten wir alle -, mit der Verlagerung vom stationären in den ambulanten Bereich - auch dies wollten wir alle - und mit dem Ersatz von so genannten billigen „umstrittenen“ Arzneimitteln. Bei Letzterem hat mich folgende Zahl etwas überrascht: 1990 haben wir für „umstrittene“ Arzneimittel pro Verordnung im Durchschnitt 26 DM gezahlt. Hier gab es eine Verlagerung zu „unstrittigen“ Arzneimitteln, allerdings mit 51 DM pro Verordnung. - Jetzt frage ich mich: Wem hat das genützt? Wohin Budgetierung und Staatsmedizin führen, konnte ich gestern in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ lesen; wenn es gestattet ist, Frau Präsidentin, möchte ich dies zitieren.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Sie brauchen dazu nicht meine Genehmigung.

Wolfgang Zöller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002603, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Danke schön. - Da heißt es: Wer ein Klinikbett ergattert hat, findet sich dann oft in einem renovierungsbedürftigen Krankensaal mit zwölf oder mehr Leidensgenossen wieder. „Mir ist egal, mit wie vielen Patienten ich das Zimmer teile, wenn ich nur endlich operiert werde“, sagt Jim Kennedy. Seit einer Herzattacke im vergangenen Juli wartet der bis dahin kerngesunde 39 Jahre alte Mann auf den rettenden Eingriff eines Belfaster Herzchirurgen-Teams. ({0}) Elfmal wurde Kennedy seither als Notfall-Patient ins Krankenhaus eingeliefert; Ein weiteres Zitat: Andere kommentieren ihren langen Marsch durch das Gesundheitswesen mit Galgenhumor; fast sprichwörtlich ist der Schwangerschaftstest - in England -, auf den man neuerdings zehn Monate warten müsse. ({1}) Ich hoffe nicht, dass Rot-Grün demnächst in Deutschland beschließt, dass wir deshalb die Schwangerschaft auf zwölf Monate ausdehnen müssen. ({2})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun hat die Kollegin Monika Knoche für Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Monika Knoche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002701, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Zöller, Ihr Abgangssatz hat mir gefallen. Er war humorvoll und witzig. Sie wissen allerdings, dass er in der Sache - nicht was die Schwangerschaft, sondern was den Bezug angeht - nicht zutrifft. Es wundert mich immer wieder, dass Sie sehr gerne von Staatsmedizin sprechen. In der Bundesrepublik Deutschland, in der ich lebe, gibt es keine Staatsmedizin, sondern ein solidarisches Sicherungssystem. ({0}) Es gibt die GKV. Es gibt die freie Arztwahl. Es gibt die Therapievielfalt. Wir haben also keine staatlich vorgegebene Gesundheitsversorgung, ({1}) sondern ein sehr freiheitliches und bürgerrechtliches System. Das Arzt-Patienten-Verhältnis ist geschützt und vom Staat immer zu wahren. Das zeichnet die Bundesrepublik Deutschland aus. ({2}) Ich glaube, dass die Bürger und Bürgerinnen in den neuen Bundesländern diesen Unterschied sehr genau kennen und auch sehr schätzen. Ich gehe aber nicht davon aus - das richte ich an Herrn Kollegen Dr. Thomae -, dass die Kassenärzte in den neuen Bundesländern ihre gesamte Sozialisation abschütteln wollen und sich als Freiberufler definieren. Arzt in sozialer Verantwortung - das ist ein sehr hohes berufliches Selbstverständnis. Ich habe den Eindruck, dass die Kassenärzte und -ärztinnen in den neuen Bundesländern sehr wohl wissen, welche Verantwortung sie als Ärzte und Ärztinnen in einem solidarisch finanzierten System haben. Sie konnten aber nicht wissen, dass sie heute mit einer finanziellen Situation konfrontiert sein würden, deren Ursachen zehn Jahre zurückliegen. ({3}) - Doch. Ich will Ihnen auch sagen, welche Ursachen das sind. Viele hier im Parlament haben diese gesamte Zeit verfolgt und politisch begleitet. Wir haben im Bundestag dringend davor gewarnt, alle Strukturen, die auf Integration orientiert sind, zu zerschlagen. ({4}) Selbst den kirchlichen Trägern haben Sie nicht erlaubt, Ambulatorien zu unterhalten, die wir heute mit politischen Instrumenten mühsam wieder einführen müssen, weil sie eine qualitativ hochwertige Versorgung der Patienten gewährleisten. ({5}) Die Ärztinnen und Ärzte waren damals gezwungen, sich niederzulassen, weil ihnen - nennen wir es doch einmal beim Namen - auf die Beratung der Kassenärztlichen Vereinigungen hin die bisherigen Strukturen gekappt wurden. Es kam zu einer Ausdifferenzierung und Spezialisierung von Fachärzten im ambulanten Bereich, sodass sie in einem hohen Lebensalter hohe Investitionen tätigen mussten. ({6}) Heute, nach zehn Jahren, kommen sie - Sie, Frau Bergmann-Pohl, haben es in einem Zwischenruf gesagt in die Schuldentilgungsphase, was für viele ein wirklich existenzielles Problem ist, das ich überhaupt nicht in Abrede stellen will. Aber über Erhöhungen der Beitragssätze können und wollen wir es nicht lösen. ({7}) Es sind in der Tat hohe Anforderungen an die niedergelassenen Ärzte, an die Kassenärztlichen Vereinigungen gestellt, das, was sie an Kapazitäten im fachärztlichen Bereich haben, auf die Versorgungsnotwendigkeit hin zu überprüfen. Nicht alle Fachärztinnen und Fachärzte sind gleichermaßen von der Honorierungsfrage betroffen. Es gibt viele in den neuen Bundesländern, die besser verdienen als ihre Fachkolleginnen und -kollegen im Westen. ({8}) Es ist so, dass die niedergelassene Ärzteschaft sogar „Honorartransfers“ an ihre Kollegen im Osten leistet. Darüber hinaus haben die großen Krankenkassen Finanztransfers von West nach Ost geleitet, um höhere Beitragssätze zu vermeiden, was eine ganz wichtige politische Mitteilung war. Weil gerade der RSA angesprochen wurde, Herr Zöller - manchmal bin ich froh, dass ich schon länger im Parlament bin -: ({9}) In der Zeit, als die Notwendigkeit einer RSA-Reform offenkundig wurde und in Mecklenburg-Vorpommern Beitragssätze von 20 Prozent drohten, kam innerhalb der CDU/CSU die Debatte auf, die Gesamtsolidarleistung zurückzufahren und regionalisierte Beitragssätze einzuführen. Das wäre die Aufkündigung des gesamtdeutschen Solidarprinzips gewesen. ({10}) Was wir jetzt neu im RSA bewegen wollen - Hochrisikopool, Chroniker-Versorgung, Disease-Management usw. -, wird dazu beitragen, dass auch die unterschiedlichen Versorgungsbedarfe in den neuen Bundesländern durch eine vernünftige Struktur ausgeglichen werden können. ({11}) Ich hoffe, dass wir den Risikostrukturausgleich so reformieren, dass sich die Ärztinnen und Ärzte vordringlich den Patienten widmen können und nicht mehr innerärztlichen Verteilungskämpfen anheim fallen. ({12})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nunmehr hat das Wort der Kollege Detlef Parr für die F.D.P.-Fraktion.

Detlef Parr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001676, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Knoche, ich habe das Gefühl, Sie haben lange nicht mehr mit niedergelassenen Ärzten und Krankenhausärzten geredet. ({0}) Die werden Ihnen bestätigen: Ihre Politik ist dirigistisch, überreglementiert, rückwärts gewandt und leistungsfeindlich. Das sind Tatsachen. ({1}) Die positive Aufbruchstimmung, die wir vor zehn Jahren in den neuen Bundesländern vorgefunden haben, ist der knallharten Realität des Alltags gewichen. Sie haben die Hoffnungen im Osten zerstört. ({2}) Für die Menschen von Mecklenburg-Vorpommern bis Sachsen stehen, verglichen mit den alten Bundesländern, nur 77 Prozent der finanziellen Mittel pro Patient zur Verfügung, ein Viertel weniger Arzthelferinnen betreuen die Patientinnen und Patienten in den Praxen und die vor zehn Jahren angeschafften fremdfinanzierten Geräte veralten. Wenn man für die Patienten mehr Qualität will, bedarf es neuer Investitionen. Die im Osten abgeschlossenen Verträge schaffen allerdings unter den verschlechterten Bedingungen nur zusätzliche Finanznot. Viele Ärztinnen und Ärzte scheiden aus Altersgründen aus dem Erwerbsleben aus. Die Erhebungen zeigen eine bedrohliche Entwicklung. Frau Ministerin, Sie haben eben von 150 000 DM Jahreseinkommen brutto gesprochen. Ich, muss Sie einmal fragen, von welchem Nettoeinkommen Sie nach Abzug der Personalkosten, der Schuldentilgung, der Miete usw. ausgehen. Die „Rheinische Post“ hat vor kurzem eine entsprechende Erhebungen durchgeführt. Danach bleiben 5 000 DM netto monatlich übrig. Da muss ich mich schon fragen, ob es für junge Menschen attraktiv ist, diesen Beruf zu wählen und sich niederzulassen. ({3}) Meinen Sie, unter den gegebenen Voraussetzungen lässt sich ausreichend Nachwuchs für die Übernahme von Praxen finden? Ich glaube das nicht. Sie werfen uns angesichts unserer Reformvorstellungen - Dieter Thomae hat sie noch einmal vorgetragen die Einführung einer Zwei-Klassen-Medizin vor. Sie haben bereits für eine Mehr-Klassen-Medizin gesorgt. Moderate Zuzahlungen sind in vielen Fällen zu Vollzahlungen geworden. Es ist keine Frage mehr: In den neuen Bundesländern sind erhebliche Qualitätsmängel und eine schlechtere Betreuung für die Bürger an der Tagesordnung. Diese fühlen sich als Patienten zweiter Klasse. Jede erbrachte Leistung kostet eben Geld. Sie begrenzen nach wie vor willkürlich den Umfang der bezahlten Leistungen. Sie lassen Patienten und Ärzte im Osten in besonderer Weise im Stich. Sie zwingen dazu, nicht kostendeckende Leistungen einzuschränken, um Kosten zu sparen. Sie zwingen dazu, die verbleibenden Helferinnen unter dem Wert ihrer Arbeit zu bezahlen. Sie zwingen dazu, Arztpraxen unter Bedingungen weiterzuführen, die für die Versicherten dort alles andere als beste medizinische Qualität ermöglichen. ({4}) Ich habe heute in meinen Kalender geschaut - ich schaue jeden Tag in meinen Kalender - und habe da einen Aphorismus gefunden, Frau Ministerin, der mich an die Haltung Ihrer Amtsvorgängerin mit ihrem selektierten Dialog erinnert hat - sie hat den Dialog nicht so offen geführt, wie Sie es tun, sondern sie hat ihn selektiv geführt -: Schwärme von Deinen Fehlern. Du wirst Fans finden. Frau Ministerin, ich will das wie folgt umformulieren: Stellen Sie sich den Realitäten! Schaffen Sie die Budgetierung ab und gleichen Sie die Finanzierung der ambulanten Betreuung der GKV-Versicherten an das Niveau der alten Bundesländer an! Sie haben auf den Weg hingewiesen, den Sie beim Fremdkassenausgleich gehen wollen. Er entspricht einem Antrag der F.D.P.-Fraktion. Diesen Weg gehen wir gerne mit. Im Hinblick auf den Verschiebebahnhof aber kann ich Ihnen nicht zustimmen. Ihre Vorgängerin hat dem Bundesarbeitsminister Hunderte von Millionen Versichertenbeiträge ohne nennenswerten Widerstand zur Deckung seines Haushalts hinübergeschoben. ({5}) - Frau Schmidt-Zadel, Sie versuchen mit Ihren Zwischenrufen, Verständnis dafür zu wecken. Ich sage Ihnen: Der Arbeitsminister soll seinen Haushalt selbst in Ordnung halten. ({6}) Der tiefe Griff in die Taschen der Krankenversicherung ist und bleibt unanständig. ({7}) Ich möchte Sie abschließend noch einmal bitten, Frau Ministerin: Denken Sie darüber nach, Teile dieser Entscheidungen zurückzunehmen! Sorgen Sie dafür, dass mehr Orientierung an den Patienten möglich ist, wie es der Sachverständigenrat fordert, und dass die ärztlichen Leistungen aufwandsgerecht honoriert werden, im Westen wie im Osten! ({8})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Jetzt hat der Kollege Götz-Peter Lohmann, SPD-Fraktion, das Wort.

Götz Peter Lohmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003175, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da mein schönes Bundesland Mecklenburg-Vorpommern in Sachen Versorgung leider mehrfach negativ erwähnt wurde, ist es an der Zeit, dass jemand aus MecklenburgVorpommern einmal die Versorgungssituation ({0}) darstellt. Ich habe überhaupt kein Problem damit, auch einige kritische Äußerungen zu machen. ({1}) Ich habe nämlich den Vorteil, dass ich insgesamt mehr als 25 Jahre im Gesundheitswesen gearbeitet habe, logischerweise zunächst und die überwiegende Zahl an Jahren im DDR-Gesundheitswesen und dann später im gesamtdeutschen. Es gab, denke ich, niemals so viele widersprüchliche Zahlen und Aussagen, wenn es um die Gehälter und um andere Zahlenwerte ging. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es einem Außenstehenden nicht gelingen wird - wenn es uns, die ich einmal als Insider bezeichnen darf, überhaupt gelingt -, die objektive Wahrheit zu finden. Das ist sicherlich ohnehin schwierig. Ich habe ferner den Vorzug, dass ich in meiner Region jeden Arzt und auch jeden Psychotherapeuten persönlich kenne. In dieser Lage kann man natürlich differenzieren; denn man weiß, wie die wahre Verdienstsituation ist. Es gibt natürlich einige, die - „krakeelen“ wäre übertrieben doch etwas übertreiben. Aber ich muss bestätigen, dass die Verdienstsituation sehr unterschiedlich ist. Das wurde schon mehrfach geäußert; ich möchte es nicht wiederholen. Bei den Aussagen und Zahlen ist viel Subjektivität und es gibt viele Täuschungen; das möchte ich nicht verschweigen. Aber einige Zahlen sind einfach nicht umzudeuten. Dazu gehört zum Beispiel der Verbrauch an bestimmten Arzneimitteln je Versicherten. Dieser ist - wenn die Zahlen stimmen - im Osten um 20 bis 25 Prozent höher als im Westen. Der höhere Arzneimittelverbrauch korreliert mit der größeren Mobilität in den entsprechenden Krankheitsgruppen. Dafür gibt es vielfältige Gründe. Es wäre töricht zu leugnen, dass die geringere Arztdichte im Osten die Gefahr von Versorgungsproblemen in sich birgt. Es ist auch nicht zu leugnen, dass es beim Assistenzpersonal in den Arztpraxen Probleme gibt. Das ist so, jedenfalls in einigen Regionen meines Bundeslandes. Dennoch sehe ich die Gesamtproblematik nicht so pessimistisch wie zum Beispiel der von mir hoch geschätzte Kollege Dr. Thomae. Ich sehe das mit etwas mehr Optimismus und bin relativ zuversichtlich, dass es uns gelingen wird, ja, gelingen muss, die Gefahr von Versorgungsdefiziten - diese Gefahr sehe ich durchaus - in den Griff zu bekommen. Die Äußerungen der Frau Ministerin haben mich in meinen Hoffnungen, dass etwas geschieht, um diese Gefahr zu bannen, wieder bestärkt. Ich möchte nur kurz wiederholen, was hier angeführt wurde: Es geht um die Rücknahme des Kollektivregresses - das aber ist mehr eine psychologische Sache, da spielen Finanzen eigentlich keine Rolle; ({2}) nichtsdestotrotz ist es wichtig, dass auch hier etwas geschieht -, darüber hinaus um das Wohnortprinzip bzw. den Fremdkassenausgleich sowie um die Reform des RSA, von der ich mir einiges verspreche. Auch ich bin der Auffassung, dass alles unter der Ägide der Beitragssatzstabilität vonstatten gehen muss. Dennoch muss die medizinische Versorgung natürlich gesichert bleiben. Bei den Forderungen der Ostärzte geht es, wenn ich die Zahl richtig registriert habe, um etwa 600 Millionen DM. Für mich heißt die Frage: Wie kann man den Wünschen nachkommen, ohne die Beitragssatzneutralität zu gefährden? Es gibt durchaus interessante Ideen, wie man das in den Griff bekommen könnte. Ich habe von einem Arzt aus meiner Region zum Beispiel gehört: Wenn nur etwa 0,5 Prozent der jährlich zur Verfügung stehenden 40 Milliarden DM transferiert würden - ähnlich wie seinerzeit bei der Unterstützung der Westärzte -, dann käme man auch auf diese 600 Millionen DM. Aber ich befürchte, dass es eine solche Solidarität, eine derartige freiwillige Leistung nicht geben wird. Das ist ja auch nur die eine Seite des Problems. Ich habe nicht die Hoffnung, dass dieser Vorschlag - vielleicht ist er ja auch nicht ernst gemeint - umgesetzt wird. Eine ganz gefährliche Idee ist die, dass man doch vielleicht bei den Medikamenten einsparen könnte. Ich jedenfalls sehe noch große Reserven insofern, als es - darauf hat auch der Sachverständigenrat hingewiesen; Sie alle kennen das Gutachten - erhebliche Schwächen in der Struktur, der derzeitigen Mittelallokation im deutschen Gesundheitswesen gibt. Hier liegen Ansatzpunkte für die Nutzung erheblicher Qualitäts- und Wirtschaftlichkeitsreserven. ({3}) Weshalb bin ich so optimistisch? Es muss uns gelingen, intelligentere Lösungen zu finden - Durchsetzung des Wohnortprinzips, RSA-Reform -, als es das Budget darstellt. ({4}) Meine größte Hoffnung liegt allerdings auf dem Gebiet der Prävention. Hier sehe ich viele Reserven. Ich bin Ihnen sehr dankbar, Frau Ministerin, dass Sie versprochen haben, sich in diesem Bereich zu engagieren. Es muss uns gelingen - ich bin überzeugt davon, dass es uns auch gelingen wird -, die anstehenden Probleme auf diesem Gebiet in den ostdeutschen Ländern in den Griff zu bekommen. Herzlichen Dank. ({5})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun hat das Wort der Kollege Dr. Hans Georg Faust, CDU/CSU-Fraktion.

Dr. Hans Georg Faust (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003114, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin, die Botschaft hör´ ich wohl, allein mir fehlt der Glaube. Wir warten gespannt auf den Gesetzentwurf, der die budgetablösenden Richtgrößen im Arzneimittelbereich bringt. Wir warten auf die Einlösung der Ankündigung, dass der Kollektivregress fällt. Wenn ich sehe, mit welch spitzen Fingern die SPD den Gesetzentwurf zur Abschaffung der Budgets und zur Einführung neuer Steuerungsinstrumente angefasst hat, den wir im Gesundheitsausschuss vorgestellt haben, dann kommen mir jedoch arge Bedenken. Ich denke, dass die Götz-Peter Lohmann ({0}) Ministerin erst einmal die gestandenen Gesundheitspolitiker in der eigenen Fraktion - mein Kollege Lohmann redet immer von den „Betonfacharbeitern“ - überzeugen muss. ({1}) Wir sind gerne bereit, der Ministerin bei der Durchsetzung ihrer Vorhaben zu helfen. Was die Kollektivhaftung betrifft, so war dies zwar ein Signal an die Ärzte, aber ein wohlfeiles Signal! Wir wissen doch, dass die Kollektivhaftung rechtlich auf ganz, ganz tönernen Füßen steht. Was machen Sie denn mit einem Arzt, bei dem eine Richtgrößenüberprüfung ergeben hat, dass er wirtschaftlich verordnet hat? Diesen Arzt können Sie doch nicht im Nachhinein dafür noch bestrafen. Das wäre - Sie wissen das so gut wie wir - verfassungswidrig. Es hat sich ja auch überhaupt niemand getraut, jemals den Kollektivregress zu vollstrecken. Das heißt, das war lediglich wohlfeiles Signal an die Ärzte. Die Ärzte aber wollen - wie auch wir - Taten sehen. Der Kollektivregress ist das eine; die untauglichen Budgets sind das andere. Die Budgets haben in den KVen, in denen sie unterdimensioniert waren - das waren die meisten -, aufgrund ihrer Langzeitwirkung zu erheblichem Flurschaden geführt. Wir wollen, dass sich dieser Zustand sofort bessert. Deswegen sind wir dafür, dass die Patienten die Versorgung bekommen, die sie unbedingt brauchen. Wir wollen, dass die Alzheimer-Patienten ihre Cholinesterasehemmer und die Asthma-Patienten ihre inhalativen Steroide bekommen. ({2}) - Ja, davon habe ich gehört. Wer einmal Praxisbesonderheiten geltend gemacht hat, der weiß um das Verfahren, das dann bei den KVen abläuft. ({3}) - Ja, natürlich. Die Ärzte müssen die Praxisbesonderheiten am Ende geltend machen. Dieses Verfahren mit der KV sollte jeder einmal als Erfahrung kennen lernen. ({4}) Es ist doch vom System her aberwitzig, dass den Krankenhauspatienten bei ihrer Entlassung teure Medikamente im Arztbrief verschrieben werden und sich dann die Hausärzte in langen Gesprächen mit den Patienten damit auseinander setzen müssen, dass auf ein preiswertes Generikum umgestellt werden muss. Das ist die ständige Diskussion in den Arztpraxen. Natürlich will der Hausarzt den Patienten nicht verlieren. Deshalb wird er ihm das erklären. Aber in der Zeit, die aufgewendet wird - die viel beschworene sprechende Medizin -, soll dem Patienten geholfen werden. Diese Zeit darf nicht dazu verwendet werden, in zigtausend deutschen Arztpraxen die Fehler rot-grüner Gesundheitspolitik zu erklären. ({5}) Es besteht also dringender Handlungsbedarf. Wir sind gespannt, welche Instrumente von der Regierung in dem neuen Gesetz aufgenommen werden. ({6}) In den Krankenhäusern soll das neue Entgeltsystem im Jahre 2003 budgetneutral - auch dort sind noch Budgets; daran sollten wir heute denken - umgesetzt werden. Der Anreiz bei festen Preisen ist klar - wir haben es heute von den Sachverständigen gehört -: Die Krankenhäuser werden ihre Patienten nach kürzestmöglicher Behandlungszeit entlassen, um Kosten zu sparen. Aber die Patienten werden mit Einführung der DRGs im Jahre 2003 nicht pflichtgemäß gesünder sein. Spätestens bei dieser Erkenntnis sieht man den Zusammenhang zwischen Budgets und Richtgrößen in der ambulanten Vergütung und der Einführung eines einheitlichen Entgeltsystems. Wer trägt denn die Kostenverantwortung für aus dem Krankenhaus entlassene Patienten, die nach der Operation eines Knochenbruchs noch liegen müssen und jeden Tag, Antithrombosemittel wie Heparinspritzen benötigen? Wer kommt denn für die krankengymnastische Behandlung nach Bandscheibenoperationen auf, wenn der Patient zu Hause ist? Die nachbehandelnden Hausärzte werden begeistert sein, wenn ihnen die Einsparungen im Krankenhaussektor über das Budget zur Last gelegt werden. Sie werden Mittel und Wege finden, dies zu verhindern. ({7}) Wenn Sie hier auf die integrierte Versorgung nach § 140 a bis § 140 h im SGB V hinweisen, dann kann ich Ihnen dazu nur sagen, dass diese vollkommen untauglich ist. Schauen Sie einmal, wie viele Krankenhäuser sich in der Bundesrepublik mit anderen Leistungserbringern zusammengeschlossen und zu einer vernünftigen Position gefunden haben! Das können Sie an den fünf Fingern Ihrer Hand abzählen. Das funktioniert einfach nicht. ({8}) - Natürlich liegt das an dem überreglementierten Gesetz, Frau Schmidt-Zadel. Es liegt daran, dass Sie die Budgets der niedergelassenen Ärzte und der Krankenhäuser zusammenlegen und sauber herausrändeln wollen. ({9}) Ein derart überreguliertes und kompliziertes Gesetz ist praktisch nicht umsetzbar. Der Kollektivregress muss weg. Weg mit den Arzneiund Heilmittelbudgets! Weg mit den Budgets für ärztliche Vergütungen und die Krankenhäuser! Die entscheidenden Weichenstellungen für die Überwindung der sektoralen Abgrenzungen müssen jetzt vorgenommen werden. Das geht nicht unter Beibehaltung der Budgets. Ansonsten können wir die finanziellen Probleme der Zukunft nicht lösen. Wir erwarten eine schnelle Hilfe für Ärzte im niedergelassenen Bereich. Wir erwarten vor allem das dringend notwendige Reformkonzept zur Reparatur des rot-grünen Gesundheitsreformgesetzes aus dem Jahr 2000. Ich danke Ihnen. ({10})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun hat die Kollegin Dr. Margrit Spielmann, SPD-Fraktion, das Wort.

Dr. Margrit Spielmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003238, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn in dieser Woche die ostdeutschen Kassenärzte Protestaktionen starten, wollen sie auf eine tatsächlich schwierige Situation in ihren Praxen aufmerksam machen ({0}) und die Politik auffordern, Veränderungen herbeizuführen. Ihre schlichte Botschaft: mehr Geld gleich bessere Versorgung. Aber ein bloßes Mehr zum Beispiel an Röntgenuntersuchungen oder in ihrer Wirksamkeit umstrittenen Medikamenten bedeutet eben nicht mehr Qualität und mehr Versorgung für die Menschen. ({1}) Diese Tatsache wurde soeben sehr eindrucksvoll durch die Ergebnisse des Sachverständigenrates im Gesundheitswesen bewiesen. Die Pro-Kopf-Ausgaben in Deutschland liegen - das haben die Sachverständigen festgestellt - im weltweiten Vergleich auf Platz 3 hinter den USA und der Schweiz, die erzielten Ergebnisse, gemessen an der Entwicklung der Lebenserwartung, aber nur auf einem Mittelplatz. Ich denke, die zurzeit streikenden Ärzte müssen sich die Frage gefallen lassen, wofür oder gegen was sie eigentlich streiken. ({2}) Das machen wir auch. Wir gehen zu den Medizinern, wir sind mit ihnen verabredet. Jetzt aber befinden wir uns in einer Aktuellen Stunde. Sie könnten gegen die Krankenkassen streiken. Würden die Kassen für die derzeitigen Leistungen mehr bezahlen, hätten die Versicherten für die ohnehin nicht optimale Versorgung noch mehr Geld von ihrem Verdienst abzugeben. Das führt zu Beitragserhöhungen. Wer will das guten Gewissens vertreten? Wir von Rot-Grün können das jedenfalls nicht. ({3}) Sie könnten gegen die Patienten streiken, welche ihnen, den Ärzten, zu wenig Geld für ihre medizinische Versorgung bezahlen. Es muss aber immer wieder gesagt werden: Die Krankenkasse verwaltet das Geld der Versicherten. Jede doppelt oder mangelhaft ausgeführte Leistung kostet den Versicherten und damit die Solidargemeinschaft Geld, und zwar unser aller Geld. ({4}) Nun ist die Politik aufgerufen - deshalb auch die Aktuelle Stunde -, Antworten auf die Frage zu geben: Was können wir tun? Ich möchte weiter fragen: Was haben wir getan? Zu diesem Thema wurde heute schon vieles gesagt, es wurden Zahlen genannt und viele Behauptungen bewiesen. Ich beschränke mich auf einige Fakten: Erstens. Eine deutlich bessere Beschäftigungslage in Ostdeutschland würde mehr Spielräume für höhere Einkommenszuwächse bei den Ärzten schaffen, ({5}) da das aus Krankenkassenbeiträgen finanzierte Einkommen nicht schneller wachsen kann als das der Beitragszahler. Das ist eine alte Regel. Die Beitragszahler der Kassen in den alten Bundesländern bewiesen bereits durch Milliardentransfers in die neuen Länder Solidarität. ({6}) Die Honorare der Ärzte in den neuen Ländern sind aufgrund gesetzlicher Transferregelungen - wir hatten diese im Bundestag so beschlossen - bereits deutlich aufgebessert worden. Wir hoffen, mit dem Fremdkassenausgleich - die Ministerin hat es angesprochen - und dem RSA die Situation der Ärzte wesentlich zu verbessern. ({7}) Zweitens. In der Gesundheitsreform 2000 hatten wir wichtige Felder zur Erschließung von Reserven aufgezeigt. Daran muss einmal erinnert werden, ({8}) da diese Möglichkeiten intensiv genutzt und die Pläne umgesetzt werden müssen. ({9}) Ich möchte nur einige Stichworte nennen: die Möglichkeiten der integrierten Versorgung, die Vernetzung von Arztpraxen und die Stärkung des Hausarztes als Lotse durch das Gesundheitswesen. Wir fordern in unserem Gesetzentwurf zum Beispiel eine Intensivierung der Prävention - dazu wird Frau Kühn-Mengel noch einiges sagen -, die Qualitätssicherung und mit Nachdruck mehr Transparenz für erbrachte Leistungen. ({10}) Ich denke, die Politik hat mit den Reformvorschlägen ihre Hausaufgaben gemacht - ich gebe unumwunden zu, dass sie noch nicht alle Hausaufgaben erledigt hat -, was aber fehlt, ist eine Umsetzung der Pläne. ({11}) Hier sind die Ärzte und Krankenkassen aufgefordert, mit uns gemeinsam die Vorhaben umzusetzen und die deutlich erweiterten Möglichkeiten zu nutzen. Ich bin davon überzeugt, dass in dem vorhandenen System große Potenziale liegen, die sich aber - ich sagte es schon einmal - nicht von selbst erschließen. Deshalb ist jetzt unser aller Handeln gefragt. Wir nehmen die Belange der Ärzte, wir nehmen vor allen Dingen aber auch die Belange der Versicherten und der kranken Menschen ernst. Vielen Dank. ({12})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Jetzt hat der Kollege Ulf Fink für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.

Ulf Fink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Spielmann, Sie haben gesagt, im deutschen Gesundheitswesen, das so schrecklich sei, steckten große Rationalisierungsreserven. 23 Millionen Menschen - ich hatte früher von nur 10 Millionen gesprochen - haben in Deutschland eine Versicherung abgeschlossen, die allein den Zweck hat, sie im Falle einer Erkrankung im Ausland nach Deutschland zurückzubringen. Ist das etwa ein Beweis dafür, dass die Deutschen ihr Gesundheitswesen so schlecht einschätzen? Ich meine: Es ist genau das Gegenteil! Rationalisierungsreserven zu mobilisieren und für mehr Wirtschaftlichkeit zu sorgen ist eine Daueraufgabe für jede Gesundheitspolitik und für jede Selbstverwaltung im Gesundheitswesen; das ist klar. Aber Sie müssen doch erkennen, dass die Budgetierung nicht der richtige Weg ist, Wirtschaftlichkeitsreserven zu mobilisieren. Im Gegenteil: Es entwickelt sich eine Budgetlogik im Gesundheitssystem, die dazu führt, dass man nicht mehr darauf achtet, wo der Patient am besten und am effektivsten versorgt werden kann. Jeder schaut nur noch darauf, dass das eigene Budget geschont wird und eventuelle Kosten in ein anderes Budget verschoben werden, egal, ob es Sinn macht oder nicht, ob es teurer ist oder nicht. So entwickelt sich doch keine Wirtschaftlichkeits- und Effizienzlogik, sondern nur eine reine Budgetlogik. Budgetierung bedeutet das Gegenteil von Verbesserung der Wirtschaftlichkeit. ({0}) Ich sage ganz bewusst - ich glaube, das müssen gerade Sie von der SPD besonders ernst nehmen -: Budgetierung ist die brutalste und unsozialste Form der Selbstbeteiligung, die man sich überhaupt vorstellen kann. ({1}) Sie behaupten immer, dass Sie keine Selbstbeteiligung wollen, und haben im Wahlkampf versprochen, die Selbstbeteiligung zu verringern. Das haben Sie zwar zum Teil getan. Aber die Wahrheit ist doch - weil dann Mittel im Gesundheitssystem fehlen -, dass die Menschen heutzutage nicht die notwendigen Medikamente bekommen, dass beispielsweise psychisch Kranke keine modernen, sondern nur noch Medikamente der alten Generation bekommen. Das gilt auch - man kann schauen, wohin man will - für die Diabetiker- und Rheumakrankenversorgung. Bei der Budgetierung gibt es keine Härtefallklausel. Immerhin sind fast 50 Prozent der Patienten durch die Härtefall- und Überforderungsklausel von Zuzahlung befreit. Hier wird also auf die soziale Komponente geachtet. Aber bei der Budgetierung wird darauf überhaupt nicht geachtet. Dem Einzelnen werden ohne Rücksicht auf seinen Geldbeutel und ohne, dass er es vorher absehen kann, die notwendigen medizinischen Leistungen vorenthalten. Ich sage gerade an die Adresse der Sozialdemokraten: Wie können Sie, die Sie doch immer den Anspruch erheben, sozial zu sein, eine solch unsoziale Politik betreiben? ({2}) Herr Kollege Lewering, Sie haben im Kern gesagt: Weil in Ostdeutschland noch nicht die gleichen Lebensverhältnisse wie in Westdeutschland herrschen und weil die Probleme dort so groß sind, machen wir gar nichts. ({3}) Ich weiß offen gestanden nicht, ob das die richtige Politik ist. Ich glaube, es ist die falsche Politik. Ich möchte Ihnen in dem Zusammenhang ein paar Zahlen vor Augen führen, auch wenn schon genug Zahlen in diesem Bereich herumschwirren. Die Kassen müssen den Kassenärztlichen Vereinigungen in den neuen Bundesländern pro Arzt nur etwa 77 Prozent dessen für ambulante Versorgung zur Verfügung stellen, was sie in Westdeutschland zur Verfügung stellen müssen. Wenn Sie diese Zahl bestreiten wollen, dann tun Sie es bitte. Aber diese Zahl ist unbestritten. Was bekommt ein Arzt in Ostdeutschland, der nicht niedergelassen ist, sondern im Krankenhaus beschäftigt ist? Er bekommt seit dem 1. Januar dieses Jahres eine Vergütung in Höhe von 88,5 Prozent des Westgehaltes. Ab dem nächsten Jahr steigt seine Vergütung auf 90 Prozent des Westniveaus. Ich wiederhole: Ein niedergelassener Arzt in Ostdeutschland, der eine verantwortungsbewusste Aufgabe erfüllt, bekommt 77 Prozent des Westgehaltes und der Arzt, der in einem ostdeutschen Krankenhaus angestellt ist, bekommt im Moment 88,5 Prozent bzw. ab dem nächsten Jahr 90 Prozent. Wenn man wirklich nach dem Motto „ambulant vor stationär“ handeln möchte, dann muss man dringend etwas verändern. ({4})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Jetzt hat das Wort die Kollegin Helga Kühn-Mengel, SPD-Fraktion.

Helga Kühn-Mengel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003010, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir hatten kurz vor dieser Aktuellen Stunde ein Gespräch mit den Sachverständigen der Konzertierten Aktion im Gesundheitswesen. Ich vermute, dass einige Herren der Opposition da nicht gut zugehört haben. ({0}): Ich kann doch nicht überall sein!) Ihre schlichte Botschaft „Mehr Geld gleich bessere Medizin“ ist ein Kurzschluss. Mehr Geld bedeutet nicht bessere Qualität. Das haben wir auch im Gespräch mit den Sachverständigen ganz deutlich dargestellt bekommen. Die polemische Aussage, Frau Dr. Bergmann-Pohl, nur ein billiger Patient sei ein guter Patient, geht an unserer tatsächlichen Versorgungssituation und an unserer Gesundheitsreform vorbei. Sie ist genauso polemisch oder schlicht wie die Aussage „Nur ein reicher Arzt ist ein guter Arzt“. Nach Angaben des Sachverständigenrates, mit dessen Vertretern wir vorhin gesprochen haben, liegt die Bundesrepublik Deutschland, gemessen an der Dollar-Kaufkraft - also bei wohlwollender Auslegung, Kollegin Spielmann hat das gesagt -, weltweit auf dem dritten Platz bei den Pro-Kopf-Ausgaben. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt sind wir weltweit auf dem zweiten Platz. Im Vergleich der europäischen Länder sind wir an erster Stelle, haben also die höchsten Pro-Kopf-Ausgaben. Sie nennen immer das Beispiel England und verbinden das mit der Forderung „Freier Markt für freie Ärzte“. Die Sachverständigen haben es vorhin deutlich gesagt: Wir haben doppelt so viele Linksherzkatheter in Deutschland, verglichen mit dem europäischen Ausland. - Aber die Lebenserwartung ist in Deutschland nicht höher. Misst man die verlorenen Jahre nach Ausbruch einer Krankheit - das alles können Sie im Gutachten nachlesen -, liegen wir eben nur im Mittelfeld. Wir haben einfach an der Qualität noch sehr viel zu arbeiten. ({1}) Es ist unsere Aufgabe, die Gelder in Richtung von Qualität zu verschieben. Wir müssen nicht mehr Geld ins System pumpen. Wir zahlen in einigen Bereichen sehr viel, ohne dass eine entsprechende Qualität und Effizienz erreicht werden. Ich habe das Beispiel Linksherzkatheter schon genannt. Ich könnte weitere anfügen. Lassen Sie mich nur mit Blick auf die Nachbarländer - da können Sie nach England oder nach Holland schauen noch einmal den Brustkrebs erwähnen. Obwohl hier viel Geld in die Mammographie fließt, ist die Sterberate bei den deutschen Frauen über die letzten zehn oder 15 Jahre nicht nur nicht gesunken, sondern sie ist gestiegen. ({2}) Mit solchen Aussagen müssen wir uns doch beschäftigen. Das Geld ist im System, wir müssen es aber - ich sage es noch einmal - in Richtung Qualität, Effizienz und Wirtschaftlichkeit steuern. ({3}) Denn trotz des hohen Mittelaufwands in Deutschland sind wir, gemessen an der Entwicklung der Lebenserwartung - ich sagte es schon -, nur im Mittelfeld. Es werden Milliarden für Unsinn, für nicht zielsicher eingesetzte Diagnostik und Therapie, für nicht notwendige und damit auch für nicht solidarisch zu finanzierende Leistungen ausgegeben. Das ist einfach ein Fakt. Wohin wir auch schauen: Doppelstrukturen und Überkapazitäten. Damit müssen wir uns doch auseinander setzen. Deswegen sagen wir: Wir pumpen nicht mehr Geld ins System, bevor nicht eindeutig geklärt ist, wie wir Qualitätssteigerungen erzielen können. Grund zu Protesten haben in Wahrheit die Patientinnen und die Patienten; denn unser Gesundheitssystem leistet nicht das, was es wirklich leisten könnte. Wir haben - das ist von meinen Kollegen und von der Kollegin schon mehrere Male dargestellt worden - mit der Gesundheitsreform die richtigen Weichen gestellt: ({4}) evidenzbasierte Medizin, Entwicklung von Leitlinien, Koordinierungsausschuss. ({5}) Wenn manches in der Umsetzung noch nicht funktioniert, müssen wir uns mit der Frage beschäftigen, warum es nicht klappt und warum es denn diese Widerstände in einem hierarchisch aufgebauten, sehr mächtigen System gibt. ({6}) Damit müssen wir uns doch auseinander setzen. Wir wollen mehr Leistungsgerechtigkeit, wir wollen mehr Qualität unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten und wir wollen auch eine Honorierung der effizienten Leistungen. Außerdem wollen wir - das ist ganz klar Einsparpotenziale, die unser System noch bietet, effizient nutzen. Nach dem Hinweis auf die oft erwähnten Einsparmöglichkeiten im Medikamentenbereich möchte ich hier auf die Deutsche Röntgengesellschaft verweisen, die die Ausgaben für die nicht notwendigen Röntgenaufnahmen auf 800 Millionen DM pro Jahr beziffert. ({7}) Aus dieser spektakulären Zahl müssen wir doch etwas ableiten. Wir können doch nicht die Forderung aufstellen, mehr Geld für Röntgenaufnahmen zu investieren. Ich will gar nicht Herrn Seehofer anführen - er ist vielfach zitiert worden -, der von einem Einsparpotenzial in Höhe von 25 Milliarden DM sprach. ({8}) Die Sachverständigen haben jedenfalls deutlich gesagt, dass es Einsparmöglichkeiten gibt. In den verschiedenen Bereichen sind sie sicherlich unterschiedlich. Wir können davon ausgehen, dass 25 bis 30 Prozent der heutigen Gesundheitsausgaben in Deutschland durch langfristige Prävention, also durch Gesundheitsförderung, durch vorbeugende Maßnahmen, zu vermeiden sind. ({9}) Das ist doch wirklich ein Fakt. Es ist gut, dass durch uns die Diskussion über Gesundheitsziele in Gang gesetzt worden ist. Ich halte das für einen ganz wichtigen Punkt. Ich denke, dass wir damit nicht nur die Lebensqualität der Menschen erhöhen, sondern auch - ich denke vor allem an die Prävention - eine Entlastung in Bezug auf die Finanzierung des Systems erreichen.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Frau Kollegin, Sie sprechen schon recht lange.

Helga Kühn-Mengel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003010, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ist das wahr?

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ja. Es blinkt schon; aber das hat bis jetzt nichts geholfen. Natürlich dürfen Sie noch einen Schlusssatz sprechen.

Helga Kühn-Mengel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003010, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ganz kurz: Gibt es den Ostarzt überhaupt?

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun müssen Sie wirklich Schluss machen. Es tut mir Leid.

Helga Kühn-Mengel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003010, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich muss Schluss machen; das tut mir aber wirklich Leid. Ich denke, das, was ich gesagt habe, war wichtig genug. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Die Aktuelle Stunde ist beendet. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 29. März 2001, 9 Uhr, ein. Ich wünsche Ihnen einen schönen Nachmittag und einen schönen Abend. Die Sitzung ist geschlossen.