Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Erstens möchte ich
die Besucher darauf hinweisen, dass es nicht gestattet ist,
zu klatschen oder Missfallensbekundungen von sich zu
geben.
Zweitens möchte ich darauf hinweisen, dass wir noch
in der Geschäftsordnungsdebatte sind, bei der jeder Redner fünf Minuten Redezeit hat. Die andere Debatte würde
sich anschließen.
Unter dem noch immer anhaltenden Beifall hat nun der
Kollege Wilhelm Schmidt für die SPD-Fraktion das Wort.
Vielen Dank für den Beifall. - Herr Kollege Merz, ich will zunächst bekräftigen,
dass es natürlich die gemeinsame Arbeit dieses Hauses ist
und bleibt, die Radikalen in diesem Lande zu bekämpfen.
({0})
Nur hat dieser Vorgang, den Sie hier heute auf die Tagesordnung zu setzen versuchen, damit überhaupt nichts zu tun.
({1})
Wenn Sie uns über das Plakat aus alten Wahlkampfzeiten mit dem Spruch von Willy Brandt klarzumachen versuchen, dass auch wir in der SPD immer wieder betont
hätten, dass wir auf dieses Land stolz sind und dass alle
Deutschen stolz auf dieses Land sein sollten, dann weisen
Sie ja auf etwas völlig Richtiges hin. Aber Sie müssen
auch die Zusammenhänge beachten,
({2})
die bei Willy Brandt eine Rolle gespielt haben - er wollte
auf die neue Friedenspolitik hinweisen und dazu auffordern, auf die Friedenspolitik Deutschlands stolz zu sein -,
und dürfen nicht falsche Verbindungen zu bestimmten
Personen und Personengruppen herstellen.
({3})
Insofern bleibt es dabei: Auch wir sind stolz darauf, Deutsche zu sein, und fordern alle Deutschen auf, stolz zu sein.
({4})
Aber die Art und Weise des Zusammenhangs muss dabei
auch immer wieder klar sein.
Meine Damen und Herren, worum geht es hier? Es geht
um Äußerungen des Bundesumweltministers, zu denen
ich für mich und meine Fraktion sage: Herr Trittin, mit
Verlaub, so hätten wir sie nicht gemacht.
({5})
Ich füge hinzu: nicht nur aus Überzeugung in der Sache,
sondern schon allein, um Plakat-Meyer nicht Gelegenheit
zu geben, mit seinen schmutzigen Fingern auf andere zu
zeigen.
({6})
Nun hat sich Herr Trittin in der Öffentlichkeit und mit
allem Nachdruck für diese Äußerung entschuldigt.
({7})
- Wenn Sie keine Fernsehsendungen sehen, kann ich Ihnen auch nicht helfen. Das Entscheidende ist, dass er es getan und seine Entschuldigung noch einmal bekräftigt hat.
({8})
Friedrich Merz
- Frau Präsidentin, darf ich vielleicht weiterreden?
Die Tatsache, dass er sich entschuldigt hat, muss doch
auch bei einem verbalen Missgriff die Möglichkeit bieten,
nun wieder die gemeinsame Grundlage der Demokraten,
wenn Sie sie schon in dieser Weise strapazieren, zurückgewonnen zu haben.
({9})
Das stellen wir für uns jedenfalls mit Nachdruck fest: Herr
Trittin ist an der Stelle wieder auf den Boden der Gemeinsamkeit zurückgekehrt, wenn er ihn denn durch seine
Äußerung verlassen haben sollte.
({10})
Nun sage ich Ihnen eines: Herr Trittin hat sich entschuldigt. Ich will jetzt gar nicht die ganze Latte der
Äußerungen und Vorgänge hier vorlesen, für die sich Vertreter der CDU/CSU noch immer entschuldigen müssen
und es bis heute nicht getan haben.
({11})
Aber es gehört schon in diesen Zusammenhang, festzuhalten, dass sich weder Frau Merkel noch Herr Meyer
selbst für dieses unsägliche Wahlkampfplakat entschuldigt haben, das dann zurückgezogen worden ist.
({12})
Auch hat sich Herr Meyer nicht dafür entschuldigt, dass
er folgende Äußerung gegenüber dem Bundesaußenminister gemacht hat:
Wir wissen nicht, wie man Hooligans erklären soll,
wo der Unterschied liegen soll zu Menschen wie
Joschka Fischer.
({13})
- So habe ich Sie eingeschätzt: mit genau dieser unterschiedlichen Wahrnehmung von Wahrheit.
({14})
Dies ist das Unerträgliche an Ihrem Vorgehen, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, und das machen wir
nicht mit.
({15})
Wenn der Kollege Repnik in diesen Tagen Bundeskanzler Schröder einen „Häuserdieb“ nennt - ({16})
- Ja, genau, wieder der typische Zwischenruf von Ihrer
Seite! So sind Sie: Moralapostel nur an der Stelle, an der
Sie es für richtig halten.
({17})
Das machen wir nicht mit.
Ich will Ihnen in Erinnerung rufen, dass Plakat-Meyer
auch die Gesundheitsministerin persönlich diskriminiert
und beleidigt hat.
({18})
Ich will Ihnen in Erinnerung rufen, dass Herr Hollerith
gestern in einer Sitzung dieses Parlaments den Bundeskanzler in seiner Rede zweimal als Lügenkanzler bezeichnet hat.
({19})
Vor diesem Hintergrund blasen Sie sich bitte nicht erneut in einer Weise auf, die ich für unerträglich halte.
({20})
Herr Trittin hat sich entschuldigt. Wir akzeptieren diese
Entschuldigung
({21})
und lehnen deswegen die Debatte darüber und erst recht
die Entlassung von Bundesminister Trittin ab.
({22})
Für die F.D.P. erteile
ich Dr. Guido Westerwelle das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen
und Herren! Die Fraktion der Freien Demokraten unterstützt den Antrag, den Bundesumweltminister zu entlassen.
({0})
Es wird immer so sein, dass in politischen Debatten
hart gekämpft wird. Es wird nicht immer nur mit dem
Florett gefochten, sondern oftmals auch mit dem Säbel.
Aber seinen politischen Gegner als Skinhead zu bezeichnen, das ist eine unvergleichliche Verrohung der deutschen Politik, die dem Ansehen des ganzen Parlamentes
schadet.
({1})
Es geht doch nicht nur um die Entgleisung; es geht
auch um den Geist, der hinter dieser Einschätzung steht.
({2})
Man wird in die rechtsradikale Ecke geschickt, nur weil
man ein Stück Patriotismus empfindet. Deswegen sage
ich hier jedenfalls für mich: Auch ich bin stolz auf unser
Land; aber ich verbitte mir, deswegen in die Nähe irgendwelcher rechtsradikaler Schläger gebracht zu werden.
({3})
Wilhelm Schmidt ({4})
Nur weil es einige Minister der Bundesregierung bis
heute noch nicht einmal fertig bringen, die Nationalhymne zu singen,
({5})
bin ich nicht bereit, mir auch eine gehörige Portion eigener Einstellung zu unserem Vaterland nehmen zu lassen.
({6})
Ich bin stolz auf die Deutschen, die vor elf Jahren friedlich, mit der Kerze in der Hand, die Einheit Deutschlands
geschaffen haben.
({7})
Ich bin stolz auf die Deutschen, die unser Land als Bundeswehrsoldaten bei Friedenseinsätzen der Vereinten Nationen vertreten.
({8})
Es ist nicht zulässig, dass jemand, der hier Verfassungspatriotismus und Stolz auf das eigene Land artikuliert, in einer solchen Weise diffamiert wird. In Amerika,
in Frankreich, in Belgien, in Italien, in Spanien, in England würden solche Politiker nicht einmal auf die Regierungsbank kommen. Sie müssen deswegen hier auch endlich entlassen werden.
({9})
Kolleginnen und Kollegen von der SPD, man merkt Ihnen doch geradezu das körperliche Unwohlsein an,
({10})
wenn es um Herrn Trittin geht. Sie haben völlig Recht dabei; denn dieses Plakat, das hier gerade gezeigt worden ist
und bei dem es um Willy Brandt und seine Zeit geht, ist
Ausdruck einer Politik, die jedenfalls ich als Liberaler
auch im Nachhinein noch als richtig empfinde. Dass Sie
sich heute davon distanzieren, ist bedauerlich.
({11})
Das sage ich als jemand, der, als dieses Plakat von Herrn
Meyer geklebt worden ist, noch in der selben Stunde erklärt hat, dass dieses Plakat aus der Welt geschaffen werden muss.
({12})
Ich sage Ihnen dazu: Es ist nicht in Ordnung, wenn wir in
der Politik uns mit Skinheads vergleichen oder auf Plakaten zur Fahndung ausschreiben oder wenn aus Bayern irgendwelche Nazi-Analogien gezogen werden.
({13})
Ich sage Ihnen: Es schlägt nicht nur auf die Partei und den
Politiker zurück, der das tut, sondern schadet auch der Politik und dem Ansehen der Demokratie insgesamt, wenn
solche Entgleisungen stattfinden.
({14})
Meine Damen und Herren, ich glaube, dass es um das
Ansehen von uns allen in der Welt geht. Deswegen
möchte ich hier klar betonen: Dies ist weit mehr als eine
Stilfrage. Es geht um das Selbstverständnis von Demokraten und Demokratien. Es wäre zumindest angebracht,
über diesen Antrag eine ordentliche Debatte zu führen.
Dass Sie diese Debatte abwürgen, zeigt in Wahrheit nur,
dass Sie sich ihr nicht stellen wollen, und zwar aus Ängstlichkeit gegenüber der Öffentlichkeit. Deswegen wollen
Sie hier eine solche Debatte verhindern.
({15})
Zum Schluss möchte ich Sie, Herr Kollege Metzger, zitieren. Sie haben vor einiger Zeit über Herrn Trittin gesagt, die Grünen würden einen Befreiungsschlag erleben,
wenn Jürgen Trittin selbst den Hut nähme. Herr Kollege
Metzger, Sie haben Recht, Sie haben ausdrücklich Recht!
Aber nicht nur Sie als Grüne würden einen Befreiungsschlag erleben.
({16})
Wir insgesamt in Deutschland wären froh, wenn wir nicht
von einem Mann repräsentiert würden, der aus lauter Verklemmtheit nicht einmal den Satz hinbringt: „Wir sind
stolz auf unser eigenes Land.“ - Wir sind stolz auf unser
Land!
({17})
Für das Bündnis 90/Die Grünen erteile ich der Kollegin Katrin GöringEckardt das Wort.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und
Kollegen! Worum geht es hier heute?
({0})
Es geht erstens um die politische Kultur in diesem Land.
Dazu gehören nicht Doppelzüngigkeit und scheinheilige
Moral.
({1})
Zweitens geht es um mittelenglische Umgangsformen,
falls Sie das als Teil deutscher Anstandskultur akzeptieren
können.
Wir leben natürlich in einer Mediengesellschaft. Aber
das darf uns nicht Anlass geben zu einer Hau-drauf-RheDr. Guido Westerwelle
torik, wie sie in den letzten Monaten besonders von Ihnen
von der CDU/CSU praktiziert worden ist.
({2})
Nun sagt Herr Meyer, dass man mit Inhalten keine
Wahlen gewinnen könne und vor allem an den Stammtischen verstanden werden müsse. Dass die Union seit Monaten nicht in der Lage ist, einen einzigen inhaltlichen Angriff gegen die Regierung zu formulieren, das ist für uns
erst einmal ein Lob. Wie Sie allerdings versuchen, Hoheit
über die Stammtische zu gewinnen, das bereitet nicht nur
mir ernsthaft Sorge.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sollten trotz dieser etwas aufgeregten Stimmung in diesem Hause einen
Moment in uns gehen: Wenn Sie den Satz „Ich bin stolz,
ein Deutscher zu sein“ hören und ehrlich sind, woran denken Sie?
({3})
Denken Sie wirklich an die Heimatliebe von Laurenz
Meyer oder denken Sie vielleicht auch an diejenigen in
diesem Land, die diesen Satz immer wieder missbrauchen?
({4})
Sicher, wir sollten den Stolz auf unsere Heimat nicht
den Rechten und den Deutschtümelanten überlassen. Heimat, das ist mehr, als sich an Parolen anzuschließen. Heimat, das sind Orte und Gegenden, die wir lieben, das sind
Menschen, bei denen wir uns zu Hause fühlen. Wenn aber
ein solcher Satz im Sinne von „Andere gehören nicht
dazu; die wollen wir nicht hier haben und die wollen wir
ausschließen“ gebraucht wird, dann ist das ein Fehler. Das
kritisieren wir.
({5})
Da wir alle über die rasante Zunahme von rechtsextremen Straftaten und von rechtem Gedankengut bis hinein
in die Mitte der Gesellschaft, bis in die Wohn- und Klassenzimmer, besorgt sind, müssen wir in unserem Sprachgebrauch sorgfältig und genau sein. Das sollten wir voneinander verlangen können.
({6})
Wir brauchen einen Umgang miteinander, der das gewährleistet.
Daher hat sich Jürgen Trittin entschuldigt. Denn auf einen so groben Klotz wie Laurenz Meyer gehört kein
grober Keil. Er hat eingestanden, dass er einen Fehler gemacht hat. Er hat seine Äußerung zurückgenommen, und
er hat sich bei Laurenz Meyer auch ganz persönlich entschuldigt.
Damit sind wir dann bei den mittelenglischen Umgangsformen: Wenn sich jemand entschuldigt, wer entscheidet dann darüber, ob eine Entschuldigung gilt? Wenn
sich jemand entschuldigt, wenn jemand sagt, er habe einen Fehler gemacht, dann, so denke ich, ist klar: Damit ist
der persönliche Angriff erledigt.
({7})
Wilhelm Schmidt hat hier eine ganze Reihe von Äußerungen vorgetragen, für die sich bis heute niemand entschuldigt hat. Dass Edmund Stoiber gestern nach der Debatte, die wir hier hatten, Renate Künast Agrarnationalismus
und Reichsnährstandspolitikvorgeworfen hat,
({8})
ist so unterirdisch, dass es einer Entschuldigung bedarf,
und die wollen wir von Ihnen verlangen. Oder sagen Sie,
Edmund Stoiber muss entlassen werden?
({9})
Dabei geht es ausdrücklich nicht um Aufrechnen, sondern es geht um eine Abwärtsspirale der politischen Kultur, die Sie in Gang gesetzt haben und von der wir sagen
müssen: Diese Abwärtsspirale der politischen Kultur
muss endlich ein Ende haben! Wenn wir für unsere Demokratie werben wollen, wenn wir dieser Demokratie
würdig sein wollen und wenn wir die Politikverdrossenheit in diesem Lande bekämpfen wollen. dann bedeutet
das: Wir brauchen einen vernünftigen Umgang miteinander. Wir brauchen dabei Anstand, keine doppelte Moral.
Dafür ist eine Debatte über eine Entlassungsforderung
der völlig falsche Ort. Ich kann Sie nur auffordern, diese
Diskussion mit uns an einem vernünftigen Ort und auf
vernünftige Art und Weise zu führen.
Vielen Dank.
({10})
Für die PDS erteile
ich der Kollegin Dr. Heidi Knake-Werner das Wort.
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Ich persönlich - und
ich denke, viele meiner Fraktionskolleginnen und -kollegen werden mir darin zustimmen - halte die Angriffe von
Umweltminister Trittin auf den Generalsekretär der CDU,
Laurenz Meyer, für eine sprachliche Entgleisung.
({0})
Das kann einem passieren und der politische Anstand gebietet eine Entschuldigung. Jürgen Trittin hat sich im Gegensatz zu vielen, die sich heute so entrüsten, entschuldigt.
Diese Art der politischen Auseinandersetzung trägt mit
dazu bei, dass die politische Kultur in diesem Lande und
auch in diesem Hause verhunzt wird.
({1})
Ich glaube aber, dass gerade Politiker, insbesondere Regierungsmitglieder,
({2})
hier eine besondere Verantwortung tragen, und davon ist
bei Jürgen Trittin häufig leider wenig zu spüren.
({3})
Anders geht es uns mit der inhaltlichen Zuspitzung in
Trittins Äußerungen. Wir denken, liebe Kolleginnen und
Kollegen von der CDU/CSU, dass das eigentliche Problem für Sie nicht Umweltminister Trittin ist. Ihr Problem
ist Laurenz Meyer, Ihr Generalsekretär!
({4})
Die Äußerungen von Laurenz Meyer aus dem KonradAdenauer-Haus sind doch kein Betriebsunfall.
({5})
Es ist nicht das erste Mal, dass sich Ihr Generalsekretär als
Stichwortgeber deutschtümelnden rechten Gedankenguts
betätigt.
({6})
Wer vor einigen Monaten die Debatte um deutsche
Leitkultur angestoßen hat und in diesem Kontext heute erklärt, dass er stolz ist, ein Deutscher zu sein - und diese
Parole ist nun wirklich besetzt -, der präzisiert doch noch
im Nachhinein die Richtung seiner Leitkulturdebatte unmissverständlich.
({7})
Wer das macht, der zielt natürlich auf die Lufthoheit
über den Stammtischen. Wer das macht, der bedient dabei
genau den rechten Sumpf, den wir gemeinsam trockenlegen wollten. Es ist eben immer wieder Laurenz Meyer, der
diese Gemeinsamkeit auf eine harte Probe stellt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, jemand, der von sich
sagt, dass er in der politischen Auseinandersetzung den
Säbel dem Florett vorzieht, der muss auch mit scharfem
Klingenkreuzen rechnen.
({8})
Kollege Glos, man muss die Äußerungen von Laurenz
Meyer in Zeit und Raum sehen, und deswegen tut es mir
Leid: Das offenbar aus Ihrem Wohnzimmer mitgebrachte
Plakat ist heute einfach völlig fehl am Platz.
({9})
Wir, die PDS, werfen Jürgen Trittin vor, dass er es mit
seinen unqualifizierten Angriffen der CDU/CSU leicht
macht, sich aus dem Bemühen um einem breiten gesellschaftlichen Konsens gegen Rechtsextremismus zu
verabschieden.
({10})
Warum unterzeichnen Sie denn nicht den Antrag, den wir
in der nächsten Sitzungswoche gemeinsam diskutieren
werden? Warum ziehen Sie sich aus diesem Konsens heraus? Trittin schadet mit seinen Äußerungen allen, die mit
großem Engagement gegen rechtsextremistische Entwicklungen kämpfen. Das ist das eigentlich Ärgerliche.
({11})
Zum Schluss, liebe Kolleginnen und Kollegen von der
CDU/CSU: Ich bin mir, ehrlich gesagt, völlig unsicher, ob
Sie Ihren Antrag wirklich ernst meinen. Denn ich glaube
nicht, dass Sie daran interessiert sein können, Jürgen
Trittin als Minister loszuwerden.
({12})
Mit seiner Politik, mit der es ihm auf erstaunliche Weise
gelingt, die Kernkraftindustrie und die Kernkraftgegner
gleichzeitig zu bekämpfen, sind Sie offensichtlich so unzufrieden nicht - jedenfalls nicht so wie mit seiner Person.
Jemand wie Trittin ist doch für Sie immer ein willkommener Anlass, über Regierungsmitglieder statt über Regierungspolitik zu streiten.
({13})
Das hilft eben einer Oppositionspartei, die so konzeptionslos agiert wie die CDU/CSU. Deshalb lehnen wir
Ihren Antrag ab.
Vielen Dank.
({14})
Wir kommen nun zur
Abstimmung über den Aufsetzungsantrag der Fraktion
der CDU/CSU. Wer stimmt für diesen Aufsetzungsantrag? ({0})
Wer stimmt dagegen? ({1})
Der Sitzungsvorstand ist sich nicht einig. Deswegen wiederholen wir die Abstimmung. Wer ist für den Aufsetzungsantrag? - Wer stimmt dagegen? ({2})
Der Sitzungsvorstand ist sich nicht einig. Damit kommen
wir zum Hammelsprung. Ich fordere die Mitglieder des
Bundestages auf, den Sitzungssaal zu verlassen, und bitte,
die Türen zu schließen, sobald das geschehen ist.
Ich eröffne den Hammelsprung und bitte, die Türen zu
öffnen. - Ich hoffe, dass das draußen in der Lobby verstanden wird. - Gut.
Dann ist die Auszählung eröffnet.
Ich frage jetzt nach, ob noch weiter gezählt wird, ob
also noch Kolleginnen und Kollegen kommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie sich hinsetzen, wird die Sache übersichtlicher. Ich habe die Auszählung noch nicht abgeschlossen. Wir warten, bis der
letzte Abgeordnete hereingekommen ist.
Ich frage noch einmal in die Lobby hinein: Sind alle
Abgeordneten nun wieder im Saal? - Das ist der Fall.
Dann schließe ich die Auszählung. Die Schriftführerinnen
und Schriftführer bitte ich zu Herrn Reuter nach vorn.
({3})
Ich gebe das Abstimmungsergebnis bekannt. Für den
Antrag haben 235, gegen den Antrag haben 320 Abgeordnete gestimmt. Damit ist der Antrag abgelehnt.
({4})
Zur Geschäftsordnung hat der Kollege Wilhelm
Schmidt das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die sehr
deutliche Mehrheit für die Ablehnung des Aufsetzungsantrags der CDU/CSU zeigt mir, dass der von der
CDU/CSU eingesetzte Schriftführer sein Amt
({0})
gravierend missbraucht hat.
({1})
Schon zur Zeit der offenen Abstimmung war klar, welche
Mehrheitsverhältnisse hier herrschen.
({2})
Deswegen beantrage ich jetzt eine Sondersitzung des
Ältestenrates.
({3})
Herr Kollege
Schmidt, ich nehme den Kollegen ausdrücklich in Schutz.
({0})
Das Präsidium war sich uneinig. Vor dem Hintergrund,
wie viele Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU auf
der rechten Seite saßen und dass die andere Seite etwas
dünner besetzt war,
({1})
war der Kollege berechtigt, Zweifel zu haben. Ich glaube,
es ist besser, dass wir das Sitzungspräsidium souverän
entscheiden lassen. Ein Hammelsprung schadet dem Parlament nicht.
({2})
Es stellt sich nun die Frage, ob wir jetzt dem Antrag der
CDU/CSU, die eine Unterbrechung für eine Fraktionssitzung möchte, folgen. Am besten, wir machen beides: Wir
unterbrechen diese Sitzung und führen zugleich eine Sitzung des Ältestenrates durch.
Ich unterbreche jetzt die Sitzung des Deutschen Bundestages für eine Fraktionssitzung der CDU/CSU und wir
beginnen in fünf Minuten eine Sitzung des Ältestenrates.
({3})
- Dann findet erst die Sitzung der CDU/CSU-Fraktion
statt und dann tagt der Ältestenrat.
({4})
- Gut, der Ältestenrat geht vor.
Da der Kollege Schmidt etwas zur Geschäftsordnung
sagen durfte, dürfen nun auch Sie, Herr Kollege Repnik,
etwas zur Geschäftsordnung sagen. Bitte sehr.
Frau Präsidentin!
Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Beitrag des
Kollegen Schmidt hat gezeigt, wie schwach die Nerven
der Koalition sind.
({0})
Ich darf auf Folgendes aufmerksam machen: Zu Beginn des Eintritts in die Abstimmung war die linke Seite
des Hauses - ich meine die SPD - ganz offensichtlich
nicht so besetzt, wie es danach beim Hammelsprung der
Fall war. Sie haben die Leute herbeigerufen und deshalb
war der Hammelsprung gerechtfertigt.
({1})
Wir haben eine Unterbrechung der Sitzung zur Abhaltung einer Fraktionssitzung beantragt. Der Vorgang ist so
gravierend, dass wir uns in der Fraktionssitzung damit
noch einmal befassen müssen. Frau Präsidentin, da unser
Antrag rechtzeitig eingebracht worden ist, beantrage ich,
dass unsere Fraktionssitzung zuerst stattfindet. Wir sehen
uns jetzt nicht in der Lage, an einer Sitzung des Ältestenrates teilzunehmen. Im Anschluss an die Fraktionssitzung
Vizepräsidentin Anke Fuchs
sind wir selbstverständlich bereit, der Sitzung des Ältestenrates beizuwohnen. Ich darf Sie darum bitten, bei der
Einladung zur Sitzung des Ältestenrates auf dieses Minderheitsrecht Rücksicht zu nehmen.
({2})
Ich fasse die Wünsche
jetzt einmal zusammen: Auch für einen Teil des Vorstandes war klar, wie die Mehrheitsverhältnisse sind. Aber ich
glaube, es ist richtig, dass ein Mitglied des Sitzungsvorstands sagen kann: Ich zweifle das an. Insofern hat der
Kollege richtig gehandelt.
({0})
Nun ist eine Fraktionssitzung der CDU/CSU beantragt
worden und auch die SPD will eine Fraktionssitzung
durchführen. Ich bitte die Geschäftsführer, sich zu überlegen, ob und wann der Ältestenrat tagen soll. Ihnen wird
bekannt gegeben, wann der Deutsche Bundestag seine
Sitzung fortsetzt.
Die Sitzung ist unterbrochen.
({1})
Die unterbrochene
Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 16 a bis 16 c auf:
a) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des
Wohnungsbaurechts
- Drucksache 14/5538 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({0})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Haushaltsausschuss
b) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des
Zweiten Wohnungsbaugesetzes und anderer
wohnungsrechtlicher Gesetze
- Drucksache 14/627 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({1})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({2})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang
Spanier, Dieter Maaß ({3}), Angelika
Mertens, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten
Franziska Eichstädt-Bohlig, Winfried
Hermann, Albert Schmidt ({4}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Den sozialen Wohnungsbau erhalten und
reformieren
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr.-Ing.
Dietmar Kansy, Dirk Fischer ({5}),
Eduard Oswald, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der CDU/CSU
Soziale Wohnraumförderung - Reform im
Einklang mit einer kohärenten Wohnungsund Städtebaupolitik
- zu dem Antrag der Abgeordneten Horst
Friedrich ({6}), Hans-Michael
Goldmann, Dr. Karlheinz Guttmacher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Wohngeld erhöhen, Bürokratie abbauen,
Länderkompetenzen stärken: Reformchancen beim sozialen Wohnungsbau konsequent nutzen
- Drucksachen 14/3664, 14/3668, 14/3676,
14/4668 Berichterstattung:
Abgeordnete Franziska Eichstädt-Bohlig
Norbert Otto ({7})
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Damit sind Sie einverstanden. Das ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile für die SPDFraktion dem Kollegen Wolfgang Spanier das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen! Liebe Kollegen! Man kann ja sicherlich unterschiedlicher Meinung über die Bedeutung von politischen Themen sein. Ich will mich auch nicht zu dem
äußern, was heute Vormittag schon abgelaufen ist. Das
Thema, was wir jetzt besprechen, hat sicherlich eine
große Bedeutung,
({0})
und zwar nicht nur eine wohnungspolitische, sondern
auch eine sozialpolitische.
Wir freuen uns, dass der dritte große wohnungspolitische Reformschritt dieser Koalition hiermit in die parlamentarische Diskussion eingebracht wird: nach der
Wohngeldnovelle und der Reform des Mietrechts nun die
Reform des Wohnungsbaurechts. Alle drei Reformen
haben Sie in der letzten Legislaturperiode zwar anzupacken versucht, aber eben nicht umgesetzt. Wir sind
schon ein wenig stolz,
({1})
dass wir all das in den Jahren nach 1998 unter Dach und
Fach gebracht haben bzw. bringen.
({2})
Die Situation auf den Wohnungsmärkten sei entspannt,
heißt es. Das ist in weiten Teilen richtig, es gibt aber nach
wie vor einen Engpass im preiswerten Segment. Es gibt
ein weiteres Problem, das in einer Studie des GdW zutreffend „die überforderten Nachbarschaften“ genannt
worden ist. Die Bilanz des sozialen Wohnungsbaus ist
eine stolze Bilanz: Seit Kriegsende wurden 9 Millionen
Sozialwohnungen gebaut. Derzeit bestehen davon aber
nur noch 1,9 Millionen; jährlich nimmt die Zahl der Sozialwohnungen um 100 000 ab, weil sie aus der Bindung
herausfallen.
Ich will aber gleich an dieser Stelle, vor allen Dingen
in Richtung CDU/CSU, sagen: Wir sollten uns von dem
alten Denken trennen, das den Erfolg der Wohnungspolitik nur an den Fertigstellungszahlen maß. Mittel- und
ganz besonders langfristig sollten wir Wohnungspolitik
nicht unter dem Aspekt der Quantität, sondern sehr viel
stärker unter dem Aspekt der Qualität betrachten.
({3})
Wir sollten bei der Wohnungspolitik nicht nur die geschaffenen Wohneinheiten berücksichtigen, sondern sie
im Kontext mit der Stadtentwicklungspolitik sehen.
({4})
Die guten Erfahrungen, die wir hoffentlich mit vernünftigen Lösungen bei der Bewältigung der Leerstandsproblematik in den neuen Bundesländern machen
werden, werden sicherlich genauso wichtig und bedeutsam für die alten Bundesländer sein,
({5})
weil auch dort die Städte zunehmend schrumpfen werden.
({6})
Es ist gut, Herr Staatssekretär, dass diese Reform im
Einvernehmen und in enger Zusammenarbeit mit den
Ländern vorbereitet wurde. Es war wichtig, von vornherein die Länder mit im Boot zu haben. Deswegen können
wir heute einen Gesetzentwurf vorlegen, der intensiv diskutiert und gründlich vorbereitet wurde.
({7})
Zwei grundsätzliche Dinge sind wichtig: Zum einen bekennt sich der Bund zur Gemeinschaftsaufgabe, dass
Bund und Länder gemeinsam den sozialen Wohnungsbau
zu betreiben haben. Zum anderen bleibt - das ist der
finanztechnische Gesichtspunkt - die Rückflussbindung
erhalten. Das Entscheidende ist aber, dass wir sozialen
Wohnungsbau nicht mehr auf den Neubau konzentrieren,
sondern die Modernisierung des Bestandes mit in die
Förderung aufnehmen. Das ist ein wichtiger Schritt.
({8})
Mindestens ebenso wichtig ist: Der Bund setzt nur noch
den Rahmen, er regelt weniger. Rund 200 Vorschriften
fallen weg.
({9})
Das kann man an Folgendem sehen:
Beispiel Förderwege: Wir gehen weg von der Kostenmiete und eröffnen die Möglichkeit, sozusagen vor Ort
eine maßgeschneiderte Förderung zu gewähren.
Beispiel Einkommensgrenzen: Der Bund gibt nur noch
Basisgrenzen vor; die Länder haben die Möglichkeit, regional oder lokal davon abzuweichen. Wir werden sicherlich gerade über die Einkommensgrenzen noch sprechen
und diskutieren müssen, aber vom Prinzip her ist das eine
wichtige und bedeutsame Richtungsentscheidung.
Beispiel Belegungsrechte: Diese werden nicht mehr
starr an die einzelne Wohneinheit gebunden, sondern sind
übertragbar. Auch gibt es die Möglichkeit, Belegungsrechte zu erwerben.
Letztes Beispiel, Fehlbelegungsabgabe: Es besteht die
Möglichkeit deutlich freierer Gestaltung; der Unterschied
liegt nicht nur darin, dass es statt „Fehlbelegungsabgabe“
künftig „Ausgleichszahlung“ heißen wird.
Insgesamt - das ist das entscheidend Neue an diesem
Gesetz - wird der Gestaltungsspielraum von Ländern und
Kommunen deutlich größer.
({10})
Das ist wichtig und notwendig. Dies werden wir künftig
auch bei anderen Förderprogrammen und Gesetzen sehr
viel stärker berücksichtigen müssen. Der Entwicklung hin
zu regional höchst unterschiedlichen Wohnungsmärkten
müssen wir als Gesetzgeber mit einschlägigen Gesetzen
Rechnung tragen. In diesem Punkt ist dieses Gesetz ein
deutlicher Fortschritt.
({11})
Diese deutlich flexibleren Instrumente versetzen die
Kommunen und die Wohnungsunternehmen endlich in
die Lage, in Bezug auf diese „Überforderung der Nachbarschaften“ wirksam gegenzusteuern. Das ist in unserem
Land von hoher sozialpolitischer Bedeutung.
({12})
Denn die Situation in manchen Stadtquartieren - und nur
in großen Städten - ist mittlerweile schon fast als explosiv zu bezeichnen. Das können wir nicht verantworten.
Deswegen geben wir den Kommunen durch dieses Gesetz
die notwendigen Möglichkeiten und Instrumente, um
wirksam gegensteuern zu können.
({13})
Mehr Gestaltungsspielraum vor allen Dingen für die
Kommunen bedeutet für diese natürlich auch höhere Verantwortung. Auch die kleinen und mittleren Kommunen
werden sich unter dem Dach der Überlegungen zur Stadtentwicklung wieder sehr viel stärker mit der Wohnungssituation der einzelnen Kommune und den künftigen Entwicklungen auseinander zu setzen haben, weil sie hier
neue Entscheidungsspielräume haben. Dies ist ein wichtiger Schritt. Ich als langjähriger Kommunalpolitiker bin
davon überzeugt, dass man den Bedarf vor Ort sehr viel
besser einschätzen kann.
({14})
Deswegen halte ich das Gesetz für
({15})
eine ganz wichtige Sache.
Das hier im Entwurf vorgesehene Instrument des Kooperationsvertrages ist mit dem städtebaulichen Vertrag
im Baurecht vergleichbar. Ich kann nur hoffen, dass sich
die Kommunen sehr schnell vorbereiten und mit den
Wohnungsunternehmen vor Ort maßgeschneiderte Lösungen finden werden.
Lassen Sie mich zum Schluss noch etwas zu den Finanzen sagen, denn ich bin fest davon überzeugt, Herr
Dr. Kansy, dass dies von Ihnen angesprochen werden
wird.
({16})
450 Millionen DM sind sicherlich eine ansehnliche
Summe, aber daraus, dass ich mir - und mit mir sicherlich
viele meiner politischen Freunde - mehr wünsche, mache
ich keinen Hehl. Aber wir müssen dies im Gesamtzusammenhang der Finanzen des Bundes sehen.
({17})
Auch wir haben letztlich einen Konsolidierungsbeitrag
zu leisten. Ich bin davon überzeugt, dass es durch diese
Reform vielleicht wieder etwas leichter werden wird,
mehr Mittel zu bekommen. Denn die Erfahrung der letzten Jahre hat gezeigt, dass viele Städte die für den sozialen Wohnungsbau zur Verfügung stehenden Mittel überhaupt nicht mehr abgerufen haben, weil die Regelungen
viel zu starr und eng waren.
In Richtung CDU/CSU muss ich sagen:
({18})
Wenn man einmal Revue passieren lässt, welche Haushaltsforderungen Sie in den letzten Monaten gestellt haben,
({19})
und diese addiert, kommt man auf die erkleckliche
Summe von nicht 240 Millionen, sondern Milliarden DM.
({20})
- Nein, mit den Nullen kenne ich mich aus. Damit kann
ich gut umgehen, gerade, wenn es um Geld geht. So geht
es nicht. Ich weiß, dass die Oppositionsrolle dazu verführt, zu sagen „Mehr Geld!“, um damit bei bestimmten
Wählergruppen Eindruck zu schinden. Aber durch die Gesamtsumme werden Sie entlarvt. Das ist absolut unseriös.
Hier zeigen Sie ein bisschen Zockermentalität à la Las
Vegas.
({21})
Dennoch glaube ich, dass wir in der Sache, was das
Wohnungsbaurecht betrifft, nicht weit auseinander sind.
Deswegen - das ist jetzt keine Floskel - freue ich mich auf
die Diskussion in den nächsten Wochen und Monaten. Ich
glaube, dass wir dieses Gesetz nicht nur zügig beraten,
sondern auch im Parlament verabschieden werden. Dann
haben wir endlich den dritten großen wohnungspolitischen Reformschritt nach vorne getan.
Herzlichen Dank.
({22})
Ich möchte Sie darauf
hinweisen, dass die Aktuelle Stunde, die von der F.D.P.
beantragt war, entfällt. Ob es Veränderungen bei den anderen Tagesordnungspunkten gibt, kann ich jetzt noch
nicht genau sagen.
Ich erteile nun dem Kollegen Eduard Oswald für die
CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin!
Meine Kolleginnen und Kollegen! Nachdem wohnungspolitische Fragen lange Zeit keine politischen Themen in
der Öffentlichkeit waren, sind wieder Schlagzeilen wie
„Mietanstieg“ und „Wohnungsmangel“ zu lesen. Ohne
Zweifel haben wir in unserem Land eine sehr differenzierte wohnungspolitische Situation. Wir haben die
Sondersituation in den neuen Ländern, die Situation in
den Ballungsräumen mit den Problemen des Stadtumlandes und die Herausforderungen des ländlichen Raumes.
Wohnungspolitik ist nicht eine isolierte Politik für einige wenige, sondern Wohnungspolitik gestaltet ganz entscheidend die Zukunft unseres Landes mit. Tatsache ist,
dass die Bundesregierung ohne Rücksicht auf nachteilige
Wirkungen die rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für den Wohnungsbau fortlaufend verschlechtert hat. Ihre Politik führt dazu, dass gerade in Ballungsräumen im westlichen Teil unserer Republik wieder
spürbare Versorgungsengpässe entstanden sind.
({0})
Auffallend dabei ist, dass sich der Versorgungsengpass in
Ballungsgebieten vor allem bei den Mietwohnungen zeigt
und dass nicht nur Einkommensschwächere, sondern nahezu alle Gesellschaftsschichten Probleme bei der Wohnungssuche haben.
({1})
Tatsache ist - dies wird von Experten nicht bestritten -,
dass die Regierung Dr. Helmut Kohl einen geordneten
Wohnungsmarkt geschaffen hat.
({2})
Tatsache ist aber auch, dass wir trotz einer guten Wohnungsversorgung für eine große Mehrheit unserer Bürger
in Regionen mit Wohnungsmangel wieder einen Konkurrenzkampf um die relativ wenig frei werdenden oder
zuwachsenden preiswerten Sozialwohnungen haben. Wir
haben einen massiven Rückgang der Bautätigkeit im frei
finanzierten Mietwohnungsbau und auch einen Einbruch
beim Eigenheimbau.
Das im März 1999 überhastet beschlossene Steuerentlastungsgesetz hat verheerende Auswirkungen auf den
Wohnungsbau.
({3})
Ob durch die Verlängerung der Spekulationsfrist beim
Weiterverkauf privater Immobilien oder ob durch die investitionsfeindlichen Beschränkungen des Verlustabzugs:
Mit diesen Maßnahmen haben Sie die private Kapitalanlage in Mietwohnungen massiv belastet.
({4})
Warum merken Sie eigentlich nicht, dass man damit die
private Kapitalanlage in Mietwohnungen kaputtgemacht
hat? Die Konsequenzen sind doch für jedermann sichtbar:
Neue Eigentumswohnungen werden nur noch für
Selbstbezieher gebaut und nicht mehr als Anlageobjekt
zum Vermieten.
({5})
Was Sie im Bereich der Mietrechtsänderung vorhaben, geht in die gleiche Richtung. Noch nie haben Vermieter und Mieter gleichermaßen so vehement Mietrechtsänderungen abgelehnt, wie dies jetzt der Fall ist.
({6})
Wenn Sie bei Ihren Vorschlägen bleiben, wird die bisherige Balance zwischen Mieter- und Vermieterinteressen
einseitig zulasten der Vermieter verschoben.
({7})
Es ist doch klar: Wird Vermieten uninteressant, so unterbleiben Investitionen und steigen die Mieten.
({8})
Die scheinbare Stärkung der Mieterrechte schlägt in
Nachteile für Mieter um. Das ist doch die Situation.
({9})
Auch die Diskussion beim Altersvermögensgesetz
zeugt nicht gerade von der Bereitschaft, den Wohnungsbau in angemessener Weise zu unterstützen. Was bringt
denn im Alter eine höhere Nettoentlastung als das Wohnen in den eigenen vier Wänden?
({10})
Mietfreies Wohnen im Alter ist die Wunschvorstellung
von vier Fünfteln aller Bundesbürger. Im Alter mietfrei
wohnen ist die beste Sozialpolitik.
({11})
Ich hoffe sehr, dass sich im Vermittlungsverfahren hier
noch wesentliche Verbesserungen ergeben werden, damit
die Wohnimmobilie bei der Altersvorsorge eine zentrale
Rolle spielt. Man muss jetzt die Initiativen ergreifen, um
zu verhindern, dass man morgen auf dem Wohnungsmarkt
vor schwer lösbaren Aufgaben steht.
Ihre Politik bewirkt zwischenzeitlich auch einen deutlichen Rückgang beim Bau von Eigenheimen. Seit Ihrer
Übernahme der Regierungsverantwortung ist der durch
die Eigenheimzulage ausgelöste Aufwärtstrend im Eigenheimbau gestoppt.
Mit dem Hinweis auf den vermeintlichen Reformstau
versuchen Sie nur, von Ihren Fehlleistungen abzulenken.
({12})
Wer sagt, er löse den Reformstau auf, muss auch sagen,
wer in der vergangenen Legislaturperiode Blockadepolitik betrieben hat.
({13})
Sie haben einen Zusammenhang zwischen der Wohngeldreform und der Reform des Wohnungsbaurechts hergestellt und gleichzeitig bei der Wohngeldreform blockiert,
({14})
sodass Sie das Wohnungsbaurecht nicht mittragen mussten. Ihr politisches Ziel war damals in der Opposition
- wie bei der Steuerreform -, der Regierung Dr. Helmut
Kohl keinen Erfolg zu überlassen. Sich jetzt hier hinzustellen und zu sagen, Sie hätten den Stau aufgelöst, ist
eben nur ein Teil der Wahrheit.
({15})
Wenn ich mir jetzt genau anschaue, welche Forderungen Sie in Ihrer Oppositionszeit beim Wohnungsbaureformgesetz gestellt haben, muss ich feststellen, dass
vieles davon heute nicht mehr auftaucht. Tatsache ist, dass
Sie sich auf Positionen der CDU/CSU zubewegt haben,
({16})
die Sie in der vergangenen Legislaturperiode noch
blockiert haben.
Herr Kollege Spanier, wir erkennen Ihre Bemühungen
zur Abstimmung mit den Ländern durchaus an. Ich
möchte ausdrücklich die Arbeit des Parlamentarischen
Staatssekretärs Achim Großmann würdigen, der sich hier
ganz persönlich engagiert eingesetzt hat.
({17})
Wir sind bereit, an der Reform des Wohnungsbaurechts
konstruktiv mitzuwirken.
({18})
Wir brauchen auch künftig den sozialen Wohnungsbau.
Er ist die Antwort auf bestimmte Defizite im Wohnungsmarkt. Erst durch die gezielte Förderung von Mietwohnungen und von Eigenwohnraum können Wohnungen für
die Haushalte geschaffen und vorgehalten werden, die
Marktzugangsprobleme haben oder sich aus anderen
Gründen nicht selbst mit ausreichendem und für sie bezahlbarem Wohnraum versorgen können.
Wir werden Ihren Gesetzesvorschlag zur Reform des
Wohnungsbaurechts eingehend beraten und an unseren
Leitlinien messen. Wir wollen einen sozialen Wohnungsbau, der auch in Zukunft Bestand hat. Wir wollen die
Förderung der Schaffung individuellen Wohneigentums,
insbesondere für Familien mit Kindern, und die Vorsorge
für das Alter.
({19})
Wir wollen auch jungen Ehepaaren in der Familiengründungsphase bei der Suche nach Wohnraum helfen. Es geht
um eine familienfreundliche Wohnungsbaupolitik.
Wir wollen die stärkere Förderung des Erwerbs von
vorhandenem Wohnraum und von Belegungsrechten im
Wohnungsbestand. Wir wollen die Gewährleistung ausgewogener Bewohnerstrukturen im Interesse der Bewahrung des sozialen Friedens. Wir wollen ausreichende Flexibilisierung wohnungspolitischer Regelungen für eine
effiziente Wohnungspolitik in den Ländern, in den Regionen und im örtlichen Bereich. Herr Kollege Spanier,
Sie haben völlig Recht: Baupolitik ist eine Politik des
Bundes, der Länder und der Kommunen.
Wir wollen die Förderung und Unterstützung ökologischer Belange und Bauweisen,
({20})
auch im Sinne einer Vorreiterfunktion für Innovationen
und Entwicklungen in Bereichen in- und außerhalb der
Wohnraumförderung. Wir wollen die Abstimmung der
verschiedenen wohnungspolitischen Instrumente im Interesse einer effizienten Wohnungspolitik.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Wohnungsbau braucht
eine Verbesserung der wirtschaftlichen und rechtlichen
Rahmenbedingungen. Ich nenne sechs Punkte: erstens die
Anhebung der Bundesmittel für den sozialen Wohnungsbau; zweitens die Wahrung der sozialen Balance zwischen
Mieter- und Investoreninteressen bei der Mietrechtsreform; drittens die Rücknahme der restriktiven Steuergesetzgebung der letzten Jahre; viertens Bauland aktivierende Maßnahmen; fünftens die Verbesserung der
Leistungen nach dem Eigenheimzulagengesetz für den
Bestandserwerb; sechstens die Einführung einer siebten
Stufe im Wohngeldrecht bzw. die Anhebung der Wohngeldleistungen in Gemeinden der Wohngeldstufe sechs.
Wir wollen, dass die Reform eine flexiblere und der jeweiligen örtlichen Situation angepasste Lösung bringt.
Ihre Aussage „Wir fördern künftig zielgenauer“ darf aber
nicht heißen: „Wir kürzen die Mittel“.
({21})
Wenn Sie das Mindestmaß der Beteiligung des Bundes
an der Wohnraumförderung auf 230 Millionen Euro festlegen, was dem bisherigen Mindestmaß von 450 Millionen DM entspricht, und Sie die Rückflüsse nicht mehr
voll für die soziale Wohnraumversorgung einsetzen, erschweren Sie damit nicht nur unsere parlamentarische Zustimmung, sondern gefährden auch das Projekt insgesamt.
({22})
Lassen Sie mich einen weiteren Punkt ansprechen: Ein
Reformgesetz, das für die nächsten Jahre, wenn nicht Jahrzehnte Gültigkeit haben und eine Art Grundgesetz für die
soziale Wohnraumversorgung sein soll, muss auch der
Rolle der Wohnungsunternehmen angemessen Rechnung tragen. Nur dann kann die Wohnungswirtschaft den
sozialen Auftrag erfüllen und einen wirksamen Beitrag zur
Bewältigung der Probleme im Bestand, in der Belegung
und bei der Integration von Mietern mit Marktzugangsschwierigkeiten leisten. Die Reform darf deshalb keine
Schlechterstellung der Wohnungsunternehmen bringen.
({23})
Meine Damen, meine Herren, da wir im Wohnungsmarkt in Deutschland keine einheitliche Situation haben,
muss das Gesetz auch in der Lage sein, die strukturellen
Unterschiede und auch die besondere Situation der neuen
Länder ebenso wie die Probleme in den alten Ländern zu
bewältigen.
Wir haben im Laufe der parlamentarischen Arbeit eine
große Chance. Viele der geltenden Rechtsgrundlagen
stammen im Wesentlichen aus der Nachkriegszeit. Es
muss jetzt ein Gesetz geschaffen werden, das viele Vorschriften vereinfacht, das für alle verständlich ist und in
dem sich nicht nur Experten zurechtfinden.
({24})
Wohnungspolitische Verantwortung zu übernehmen
heißt, sich den jeweils aktuellen Problemen zu stellen und
Lösungen nicht nur für heute, sondern für kommende Generationen zu entwickeln und umzusetzen. Wir fordern
Sie auf: Stellen Sie wieder verbesserte Rahmenbedingungen für den Wohnungsbau her und setzen Sie mit der Erhöhung der Bundesmittel im sozialen Wohnungsbau ein
Signal für Investoren, Bauherren und Bauwirtschaft und
damit für die Wohnungsbaupolitik insgesamt.
({25})
Ich erteile dem Minister für Städtebau und Wohnen des Landes NordrheinWestfalen, Dr. Michael Vesper, das Wort.
Dr. Michael Vesper, Minister ({0}):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Oswald, Sie haben hier einen beachtlichen Katalog dessen vorgetragen, was Sie wollen: Wir wollen dieses, wir
wollen jenes, wir wollen drittens usw.
({1})
Fakt ist: In Ihrer Regierungszeit - Sie gehören ja auch zu
den vielen Bundesbauministern, die hier unter uns sind ({2})
haben Sie nichts von dem erreicht, was Sie hier vorgetragen haben.
({3})
Insofern freue ich mich über Ihre Selbsterkenntnis. Sie
haben es eben selber gesagt. Der Regierung Kohl und
ihren zahlreichen Bundesbauministern
({4})
ist ein Erfolg in diesem Politikfeld jedenfalls nicht gelungen. Sie haben die Wohngeldreform und die Reform des
Wohnungsbaurechtes nicht erreicht. Wenn Sie über die Finanzierung reden, dann ist das wirklich witzig: Sie haben
damals nur auf einer Seite Eckwerte vorgelegt, in denen
„450 Millionen DM“ standen.
({5})
Insofern sollten Sie hier nicht wie ein Blinder von der
Farbe reden.
({6})
Wir debattieren heute über ein ganzes Paket. Der älteste Teil dieses Pakets stammt aus dem Jahr 1997. Das ist
ein Gesetzentwurf des Bundesrates, und zwar ein konkreter Vorschlag, wie das Wohnungsbaurecht den gesellschaftlichen Wandel mit neuen Formen des Zusammenlebens berücksichtigen kann. Ziel des Bundesrates war es,
Partner einer auf Dauer angelegten Lebensgemeinschaft rechtlich den Familienangehörigen gleichzustellen, damit auch solche Lebensgemeinschaften eine Sozialwohnung beziehen können, wenn die sonstigen
Voraussetzungen stimmen.
({7})
Bundesregierung und Koalitionsfraktionen greifen mit
ihrem Gesetzentwurf dieses Anliegen auf.
({8})
Deshalb lassen Sie mich wenigstens der Bundesregierung
und den Koalitionsfraktionen dafür danken, dass sie es getan haben. Das ist ein wichtiger Bestandteil der Reform.
({9})
Im Übrigen debattieren wir heute in der Tat ein großes
Reformwerk. Nach zehn Jahren Diskussion sehen wir
endlich Licht am Ende des Tunnels. Deshalb freue ich
mich sehr, dass uns heute dieser Gesetzentwurf vorliegt.
Eine Reform des Wohnungsbaurechts braucht klare
Antworten auf vier Fragen: Erstens. Was soll gefördert
werden? Zweitens. Wer soll gefördert werden? Drittens.
Wie soll gefördert werden? Viertens. Was passiert mit
dem Sozialwohnungsbestand? Ich möchte kurz auf diese
vier Fragen eingehen.
Zur ersten Frage: Was soll gefördert werden? Zunächst
einmal muss man sich vergegenwärtigen - ich begrüße,
was Herr Oswald zu diesem Aspekt gesagt hat -, dass die
Wohnungsbauförderung nicht erledigt ist. Sie ist kein
Relikt aus den Anfängen der Bundesrepublik, sondern sie
hat auch heute noch eine wichtige Funktion.
Mit den Bau- und Förderleistungen der vergangenen
Jahrzehnte ist es gelungen, auch einkommensschwache
Haushalte besser unterzubringen, aber es gibt nach wie
vor einen großen Bestand an wohnungssuchenden Haushalten. Deswegen bleibt soziale Wohnraumförderung eine
Daueraufgabe, allerdings unter anderen Bedingungen als
in der unmittelbaren Nachkriegszeit. Darum ist diese Reform in der Tat überfällig.
Staatliche Wohnungspolitik kann nicht mehr vorrangig
auf eine Ausweitung des Wohnungsbestandes abzielen.
Nicht nur der Neubau, sondern auch die bereits vorhandenen Wohnungsbestände müssen verstärkt genutzt werden, um einkommensschwache Haushalte zu versorgen.
Darum heißt soziale Wohnraumförderung heute nicht nur
Neubau, sondern eben auch Modernisierung, auch Erwerb von Belegungsrechten oder Erwerb von selbstgenutztem Wohneigentum aus dem Bestand.
({10})
Diese Orientierung auf den Bestand ist sinnvoll, auch
ökologisch sinnvoll. Sie darf aber auf der anderen Seite
auch nicht missverstanden werden. Stärkere Bestandsorientierung, das heißt für mich die Förderung von Sozialwohnungen im Wohnungsbestand und nicht die Verlagerung von Bewirtschaftungsrisiken des Bestandes auf die
öffentliche Hand.
({11})
Zweite Frage: Wer wird gefördert? Das geltende Recht
geht davon aus, dass der soziale Wohnungsbau breiten
Schichten der Bevölkerung zugute kommt. Das war in der
Nachkriegszeit plausibel, solange Wohnraum fehlte.
Heute stehen Mengenprobleme nicht mehr im Vordergrund. Zu Recht nennt deshalb der Gesetzentwurf als
Zielgruppe die Haushalte, die sich am Markt ohne öffentliche Hilfe nicht angemessen mit Wohnraum versorgen können.
({12})
In der Lyrik ist der Gesetzentwurf also richtig; über die
konkrete Ausformung müsste noch ein wenig diskutiert
werden, meine ich, denn die konkrete Abgrenzung dieser
Zielgruppe bleibt mir jedenfalls noch ein wenig zu unverbindlich. Festgelegt werden lediglich Basiseinkommensgrenzen, von denen die Länder dann unbegrenzt nach
oben abweichen können. Hier hätte ich mir doch mehr
Klarheit gewünscht, die angestrebte Zielgruppenorientierung auch tatsächlich durchzusetzen. Man muss sich eines
klar machen, meine Damen und Herren: Die Basiseinkommensgrenzen umfassen bereits mehr als ein Drittel
aller Haushalte in der Bundesrepublik Deutschland. Von
daher ist es für mich nicht ganz nachvollziehbar, warum
Minister Dr. Michael Vesper ({13})
eine Reform, die eine stärkere Konzentration der Förderung auf die Bedürftigen bezweckt,
({14})
unbegrenzt Abweichungen von diesen Basiseinkommensgrenzen zulassen will.
Ich sage aber auch eines klar, meine Damen und Herren: Es wird vielfach das Problem von Fehlförderungen
beklagt. Gleichzeitig darf man dann aber auch nicht darauf verzichten, die Möglichkeiten voll auszuschöpfen,
Fehlsubventionierungen tatsächlich abzubauen. Wir in
Nordrhein-Westfalen haben in der Vergangenheit die bundesrechtlichen Handlungsspielräume zu einer konsequenten Abschöpfung nicht mehr benötigter Fördervorteile genutzt. Im Interesse dieser Praxis wünsche ich mir noch
etwas mehr Spielräume, um beispielsweise auch soziale
Komponenten bei der Ausgleichsabgabe berücksichtigen
zu können.
({15})
Wir müssen uns eines klar machen: Wenn wir nicht darauf achten, dass Subventionen gerecht und effizient eingesetzt werden, dann laufen wir Gefahr, dem sozialen
Wohnungsbau langfristig seine Legitimation zu entziehen. Darum ist es wichtig, die Zielgruppenorientierung
auch klar umzusetzen.
Die dritte Frage lautet: Wie soll künftig gefördert werden? Wir sind keine Gralshüter des Kostenmietrechts. Es
kommt mir aber darauf an, dass es in der Wohnungsbauförderung klarere Regelungen für die Verwaltungspraxis gibt, wie Preis- und Belegungsbindungen durchgesetzt werden sollen. Hier geht der Gesetzentwurf einen
durch und durch vernünftigen Weg. Auf die bisherige Unterscheidung zwischen 1., 2. und 3. Förderweg mit all
ihren Facetten verzichtet er. Er verbindet die Flexibilität
des 3. Förderweges mit den Vorteilen des traditionellen
1. Förderweges, der die soziale Verantwortung deutlich
macht, nämlich mit klaren Regelungen über Preis- und
Belegungsbindungen.
({16})
Dadurch wird die vereinbarte Förderung besser praktikabel, wenn langfristige Bindungen zugunsten der Zielgruppe erreicht werden sollen.
Zum Abschluss noch ein Wort zum Sozialwohnungsbestand: In Nordrhein-Westfalen haben wir, wie Sie wissen, mit etwa 1 Million preis- und belegungsgebundenen
Wohnungen noch die Hälfte des bundesweiten Bestandes
an Sozialwohnungen. Die Regelungen für den Wohnungsbestand und das Überleitungsrecht sind deshalb gerade für unser Land von essenzieller Bedeutung.
Den vorhandenen Sozialbindungen stehen frühere
Förderleistungen der öffentlichen Hand gegenüber. Auf
die Gegenleistung für diese einmal eingesetzten öffentlichen Mittel kann und will ich nicht verzichten. Die gescheiterten Versuche der vergangenen Legislaturperiode
haben gezeigt, dass eine Übertragung der Kostenmietbindungen im Bestand auf das System einer vereinbarten
Miete die Dinge nur unnötig komplizieren würde. Die Investoren sind unter den Bedingungen des Kostenmietrechts angetreten. Im Nachhinein kann man ihnen weder
die Möglichkeit verwehren, ihre laufenden Aufwendungen auf die Miete umzulegen, noch sollte man ihnen gestatten, teuer erkaufte Mietvorteile zulasten der Sozialmieter abzubauen.
Darum unterstütze ich die Haltung der Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen, diese vorhandenen Sozialbindungen in vollem Umfang beizubehalten.
({17})
Dies hat einen weiteren Aspekt: Wer die überfällige Reform jetzt wirklich durchsetzen will, der darf sie nicht
durch eine Verunsicherung der Mieter in den bestehenden
Sozialwohnungen, zum Beispiel durch Mieterhöhungsdiskussionen, belasten. Darum ist der jetzt eingeschlagene Weg der richtige.
Meine Damen und Herren, endlich ist die Reform da.
Ich beglückwünsche die beiden Koalitionsfraktionen und
die Bundesregierung. Wir werden konstruktiv an der weiteren Arbeit mitwirken. Ich glaube, dass wir diese Reform, die wir so dringend für die Weiterführung des sozialen Wohnungsbaus brauchen, jetzt endlich erreichen.
Herzlichen Dank.
({18})
Für die F.D.P.-Fraktion erteile ich dem Kollegen Hans-Michael Goldmann
das Wort.
Sehr geehrte Frau
Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Um es
gleich vorweg zu sagen: Auch wir freuen uns auf die Diskussion über den Entwurf dieses neuen Gesetzes. Aber ich
denke, wir brauchen noch mehr richtige Antworten auf die
neuen Herausforderungen, vor denen wir stehen.
({0})
Ich will dies zunächst ein bisschen historisch betrachten: Wie wir wissen, sind sehr viele wohnungsbaurechtliche Dinge Erbgut der Nachkriegszeit. Gerade gestern haben wir wieder einen 50. Geburtstag gefeiert, und zwar
den des Wohneigentumsrechtes. Damals war die Situation
völlig anders: In Deutschland fehlten 5 Millionen Wohnungen; die Menschen hatten im wahrsten Sinne des Wortes kein Dach über dem Kopf. Damals ist die Einrichtung
eines Bauministeriums auf den Weg gebracht worden.
Das war damals richtig. Denn man war der Meinung, dass
die Wohnungsnot zu groß ist und dass einheitliches Handeln aus der Bundesebene heraus die Lösung bringt.
Die F.D.P. - ich glaube, da sind wir über jeden Zweifel
erhaben - steht in einer langen und erfolgreichen Tradition,
wenn es um den Wohnungsbau geht. Wir haben immer Reformimpulse gegeben, die ein Stück über das hinausgingen,
was man meinte im Moment tun zu müssen. Eine solche
Anregung wollen wir auch heute wieder geben.
({1})
Minister Dr. Michael Vesper ({2})
Lassen Sie uns nicht zu lange über das streiten, was
einmal war. Richtig ist, dass wir uns immer gegen Kürzungen im investiven Bereich, in dem der Baubereitstellung, gewandt haben.
({3})
- Das stimmt schon, Herr Spanier. - 1998 hat sich der
heute geschätzte Staatssekretär Großmann bitter darüber
beklagt, dass für diesen Bereich nur noch 1,2 Milliarden DM zur Verfügung gestellt würden.
({4})
- Nein, langsam. - Von „Zusammenstreichen“ war die
Rede. Auch wenn Sie sich, Herr Spanier, nun darüber
freuen, dass wir dann doch, wie Sie behaupten, gekürzt
haben, sollten Sie sich eigentlich ein wenig schämen.
Denn im Moment werden im Haushalt für diesen Bereich
nur noch 450 Millionen DM bereitgestellt.
({5})
Um es einmal umgangssprachlich zu formulieren: Das ist
nun wirklich nur noch ein kleines Schissle.
Wir sollten einmal darüber nachdenken, wie viel Aufwand wir betreiben, um dieses Schissle an die Länder zu
verteilen.
({6})
Herr Minister Vesper hat soeben schon angesprochen, wo
noch der eine oder andere Veränderungsbedarf besteht.
Das heißt in der Folge: Bürokratie, Bürokratie, Bürokratie. Dafür braucht man von den 450 Millionen DM wieder
jede Menge Geld. Das ist der falsche Weg.
Nein, Herr Spanier, liebe Kollegen von Rot-Grün, Ihre
Leistungen in diesem Bereich sind schlecht. Sie haben die
Mittel für den sozialen Wohnungsbau innerhalb von zwei
Jahren auf ein Drittel zurückgeführt. Das muss man sich
einmal auf der Zunge zergehen lassen.
Vor diesem Hintergrund, geschätzter Kollege Maaß,
stehen in dem Gesetz natürlich auch einige Dinge, über
die man sich nur wundern kann.
({7})
Ich will Ihnen das einmal vorrechnen. Sie müssen in der
Bundesrepublik Deutschland von 42 Millionen Haushalten ausgehen. Sie propagieren, dass 37 Prozent davon Berechtigungsempfänger für die Bereiche des sozialen Wohnungsbaus sind.
({8})
Das sind 15 Millionen Haushalte, Frau Eichstädt-Bohlig.
So weit sollten Sie auch rechnen können. 450 Millionen
durch 15 Millionen macht pro Haushalt 30 Märkelchen.
Sie sollten also bitte nicht so tun, als ob darin ein Reformansatz enthalten wäre, der substanzielle Kraft hätte.
Das ist nun wirklich nicht der Fall. Die ehrlichen Zahlen
zeigen, welches Nichtengagement Sie in diesem Bereich
an den Tag legen.
({9})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Spanier?
Nein, das gestatte
ich leider nicht.
Der heute hier im Parlament zu beratende Gesetzentwurf steht eben - deswegen lasse ich auch die Zwischenfrage nicht zu - in einem krassen Missverhältnis
zum finanziellen Aufwand.
Ich will überhaupt nicht bestreiten, dass in den Vorstellungen, die hier zur Diskussion anstehen, richtige
Schritte enthalten sind.
({0})
Natürlich ist von Flexibilisierung, Entbürokratisierung
und Liberalisierung die Rede. Ich bin sicher, Herr Maaß,
dass, wenn Frau Dr. Schwaetzer Ihnen ein solches Gesetz
vorgelegt hätte, Sie gegen dieses Gesetz auf den Barrikaden gestanden hätten,
({1})
weil es finanziell nicht ausgestaltet ist und weil Sie scharf
kritisiert hätten, dass der Bund seine Kompetenzen an die
Länder abgibt. Nein, richtig ist die Vorstellung, die Kompetenzen an die Länder abzugeben. Neue Zeiten - neue Vorschläge. Allerdings muss man dann auch konsequent sein.
({2})
Leiten wir doch gemeinsam einen Prozess ein,
({3})
der wirklich denjenigen die Verantwortung überträgt, die
sie sowieso schon haben! Vor dem Hintergrund, was die
Länder tun, sind doch unsere/Ihre 450 Millionen DM geradezu eine lachhafte Nummer!
({4})
Gerade wenn ich an die Leistungen des Landes Nordrhein-Westfalen denke, dann ist doch das, was hier auf
den Weg gebracht wird, im Grunde genommen die Arbeit
gar nicht wert, die wir leisten. Sie macht doch nur dann
Sinn, wenn sie punktgenau dort ankommt, wohin sie
gehört.
Deswegen sagen wir: Weg mit dem ganzen Drumherum, hin zum Wohngeld, hin zur Subjektförderung!
({5})
- Können Sie einmal Luft holen, damit ich wieder dazwischen komme?
Frau Gleicke, eben haben Sie sich darüber beschwert,
dass in den neuen Ländern 1 Million Wohnungen leer stehen. Jetzt beschweren Sie sich darüber, dass wir denen
helfen wollen, die in der Mietsituation sind. Das ist punktgenau. Das bringt das Geld an die Stelle, an der sich die
Menschen den Mietraum leisten können, ihren individuell ausgestalteten Mietraum, der sie dann in die Lage versetzt, dafür zu sorgen, dass ihre persönliche Wohnsituation angemessen ist.
({6})
Ich bleibe dabei: „Menschen fördern statt Mauern fördern“ ist die Antwort zu dieser Zeit und in dieser Situation.
Lassen wir uns doch einmal auf der Zunge zergehen,
was das bedeutet: Sie haben keine Fehlbelegungsabgabe
mehr. Sie haben keine Reibungsverluste. Sie haben natürlich auch keine Luxusförderung mehr. Sie haben keine
Abgrenzungsprobleme mehr, Herr Vesper. Das ist alles
das, was Sie hier auch kritisch angemerkt haben; denn Sie
haben uns ja ein ganzes Auftragspaket an die Hand gegeben, das bei der Diskussion jetzt noch nachgebessert werden müsste.
({7})
Ich denke, in dieser Frage können wir uns voll und
ganz auf die Kompetenzen der Länder verlassen. In dieser Frage sollten wir uns auf die Gesamtregie der Länder
in Verbindung mit den Gemeinden, die wissen, wo die
Probleme liegen, verlassen.
Diese Richtung sollten wir einschlagen und in diese
Richtung geht unser Antrag. Wir sollten uns, Frau Gleicke,
auf das konzentrieren, was wir zwingend bundespolitisch
lösen müssen.
({8})
Das sind zum Beispiel die Probleme in den Innenstädten.
Das ist so etwas wie „Die soziale Stadt“. Ich bin ganz begeistert davon! Ich war bei S.T.E.R.N. in Berlin und habe
mich informieren lassen. Ich habe denen zu ihrer Auszeichnung gratuliert. Das ist eine Supersache.
Was wir natürlich auch tun müssen, ist, uns sehr konzentriert der Situation des Leerstandes in den neuen Ländern zuzuwenden. Das ist überhaupt keine Frage. „Die soziale Stadt“, Leerstand in den neuen Ländern - das sind
Bundesaufgaben. Aber den sozialen Wohnungsbau in der
heutigen Ausgestaltung können die Länder selbst übernehmen. Wir können den Ländern helfen, indem wir den
Bürgerinnen und Bürgern, indem wir dem einzelnen Mieter ein bisschen mehr Geld geben, damit er sich in seiner
Bedrängnis ein bisschen mehr Wohnraum leisten kann.
Das ist die richtige Antwort!
Herzlichen Dank.
({9})
Nun erteile ich für die
PDS-Fraktion der Kollegin Christine Ostrowski das Wort.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Ich bekomme um die 150 000 DM an
Diäten im Jahr. Für mich wird es nie ein Problem sein,
eine Wohnung zu bekommen und sie zu bezahlen. Für einen, der 24 000 DM im Jahr hat, sieht das schon ganz anders aus.
({0})
- Jawohl, Herr Goldmann. - Es sind in dieser reichen
Bundesrepublik 15 Millionen Haushalte, die allein wegen
geringer Einkommen zu staatlicher Wohnungsfürsorge
berechtigt sind. Dieser Gruppe und niemand anderem gilt
die Reform. Die Frage ist nur, ob sie ihr auch hilft. Wenn
ich den Gesetzentwurf, den ich vor 48 Stunden bekommen habe und der 146 Seiten umfasst, richtig verstanden
habe, so muss ich die Frage mit Nein beantworten. Die genannte Gruppe war nicht Ausgangspunkt Ihrer Überlegungen; ich begründe das.
Erstens. Ihnen liegt der Haushalt ganz eindeutig mehr
am Herzen als diejenigen, die es auf dem Wohnungsmarkt
schwer haben. Das Motto lautet ungefähr wie folgt: Ich
habe noch eine Mark übrig; mal sehen, wie wir damit reformieren können. Mehr als 450 Millionen DM gibt der
Bund nicht, aber 2 Milliarden DM wären nötig. Damit ist
Ihre Reform natürlich der Rückzug aus dem sozialen
Wohnungsbau; wir brauchen nicht darum herumzureden. 1997 hieß es bei den Grünen noch, der Ausstieg aus
dem sozialen Wohnungsbau sei sozialpolitisch unverantwortlich und finanzpolitisch riskant. Dem ist auch heute
nichts hinzuzufügen ({1})
außer, dass ich denke, dass Sie Ihre Prinzipien aufgegeben
haben. Ihren Rückzug können Sie nicht mit dem Hinweis
auf den momentan insgesamt entspannten Wohnungsmarkt entschuldigen, weil ein Gesetz nicht nur auf einen
bestimmten Moment, sondern auch auf die zukünftige
Wohnungsmarktsituation hin abgestimmt sein muss.
Zweitens. In München stehen die Menschen vor preiswerten Wohnungen schon wieder Schlange. Gibt es solche preiswerten Wohnungen nicht, nützt ihnen auch das
schönste Reformpapier nichts, weil nur ein ausgeglichener Wohnungsmarkt Mieter vor Mietausschlägen schützt
und gerade diskriminierten Gruppen eine Chance gibt.
Ihre Reform ist eben nicht darauf gerichtet, die ewigen
Wellen zwischen zu vielen und zu wenigen freien Wohnungen auf dem Wohnungsmarkt zu verhindern. Sie
schaffen den klassischen Sozialwohnungsbau ab, der als
gesondertes Marktsegment zur Stabilisierung des ungebundenen Wohnungsmarktes beitragen könnte. Auch haben Sie kein Interesse an Bedarfsprognosen. Jedenfalls
haben Sie uns in der Antwort auf eine Kleine Anfrage mitgeteilt, solche Bedarfsprognosen zur Abschätzung eines
zukünftigen Steuerungsverhaltens seien keine Voraussetzung für eine Reform. Ich staune darüber sehr. Damit
passt Ihre Reform wahrscheinlich für die momentane
Schönwetterlage; sie müsste aber, wie gesagt, langfristig
gelten und auf jede Situation auf dem Wohnungsmarkt
reagieren können.
Drittens. Sie begründen Ihre Reform mit den gravierenden Veränderungen, die sich am Wohnungsmarkt vollzogen haben. Grundsätzlich haben Sie damit Recht. Aber
fällt Ihnen denn nicht auf, dass Sie diese Veränderungen
für Ihre Reform und Ihre Maßnahmen ganz selbstverständlich in Anspruch nehmen, dass Sie allerdings, wenn
es um die Einkommensgrenzen geht, schlicht sagen: Das
war es dann. Die Einkommensgrenzen können auf dem
Stand von 1994 stehen bleiben. - Doch letzten Endes sind
gerade diese Grenzen entscheidend dafür, ob ein Mensch
berechtigt ist oder nicht.
({2})
Wenn Sie glauben, dass 24 000 DM im Jahr heute so viel
wert sind wie gestern, dann irren Sie. Herr Spanier, Sie
können sich auch nicht darauf verlassen, dass alle Länder
die Einkommensgrenzen erhöhen.
({3})
Dass Sie sich darauf verlassen, heißt doch nichts anderes,
als dass Sie Ihrer eigenen Verantwortung ausweichen.
({4})
Viertens. Sie drücken sich vor der Aussage, wie viel an
Wohnkosten den Betroffenen zuzumuten ist. Die Miete
wird sich schon irgendwie - nach Größe, Einkommen,
örtlichem Mietniveau, Wohngeld usw. - in der Verantwortung der Länder regeln. Doch auf diese Weise kann es
dazu kommen, dass ein Betroffener beispielsweise in
Hamburg mehr als in Kiel oder in Stuttgart mehr als in
Suhl zahlt. Für uns muss die Prämisse aber immer lauten:
Gleiche Miete bei gleichem Wohnwert und gleichem Einkommen. Wir sagen: Höher als ein Viertel des Einkommens darf die Wohnkostenbelastung nicht sein, egal ob in
Rostock, Stuttgart, Hamburg, Kiel oder sonst wo.
({5})
Damit hätten Sie die gewünschte Treffsicherheit. Sie
machen stattdessen hunderttausend verschiedene Regeln,
um eine entsprechende Treffsicherheit zu erzielen. Wären
Sie von der Wohnkostenbelastung der Betroffenen ausgegangen, hätten Sie das Problem im Griff. Dass Sie die
Bedürfnisse der Zielgruppe nicht als Ausgangspunkt Ihrer Überlegungen genommen haben, schreiben Sie sogar.
Lesen Sie Ihren Gesetzentwurf: Sozialwohnungen werden knapp, das Geld geht aus, verteilen wir den Rest unter den bedürftigen Haushaltsgruppen.
Hätten Sie nicht zuerst fragen müssen: Wie groß ist die
Gruppe der Bedürftigen? Wie wird sie sich mittel- und
langfristig entwickeln? Was passiert, wenn der Kreis
größer wird, was ich nicht hoffe? Ich nenne hier nur Alterung und Rentenentwicklung. Wollen Sie die Grenzen
dann noch enger ziehen - Herr Vesper hat so etwas angedeutet -, weil keine Finanzen mehr da sind, und damit die
Sozialwohnungen ganz abschaffen?
Sie haben die Pflicht, dafür zu sorgen, dass alle, die
sich am Wohnungsmarkt nicht eigenständig versorgen
können, angemessen wohnen können. Man kann nicht
erst zwei Pflöcke einschlagen und sich dann anschauen,
was noch übrig bleibt.
({6})
Ich komme zum Schluss. Ihre stadtentwicklerisch,
ökologisch und sozial an sich richtige Schwerpunktsetzung, den Bestand zu fördern und die Belegungsmöglichkeiten zu verbessern, hat für mich den unangenehmen
Beigeschmack, dass es Ihnen eben weniger um Stadtentwicklung, Ökologie und soziale Durchmischung als vielmehr doch nur ums Sparen geht. Wegen des größeren
Freiraums für die Kommunen und die Länder habe ich
den Verdacht, dass Sie keine Verantwortung übernehmen
wollen.
Kollegin Ostrowski,
Sie müssen zum Ende kommen.
Alles in allem: Ein
großer Wurf sollte diese Reform werden, aber sie ist nur
ein kleiner geworden.
({0})
Ich erteile dem Parlamentarischen Staatssekretär Achim Großmann das Wort.
Herr
Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit einem modernen
und hochinnovativen Gesetz passen wir den traditionellen
sozialen Wohnungsbau endlich den heutigen Anforderungen an.
({0})
Erneut lösen wir ein Stück des Reformstaus auf, den
die alte Regierung auch in der Wohnungs- und Städtebaupolitik hinterlassen hat.
({1})
Wir sorgen auch in Zukunft dafür, dass Familien, die sich
nicht aus eigener Kraft am Wohnungsmarkt versorgen
können, genügend bezahlbarer Wohnraum zur Verfügung
steht. Aber wir tun dies mit deutlich weniger Bürokratie
und viel treffsicherer, effizienter und flexibler, als das bisher der Fall war.
({2})
Mit dieser Reform setzen wir konsequent unseren Weg
fort, politische Konzepte integrativer anzulegen. Die
Wohnungs- und Städtebaupolitik wird wie nie zuvor
verzahnt. Mit dem neuen Gesetz stärken wir die Städte, die
Lebensqualität und die soziale Stabilität in den Städten.
Wir gehen weg von der früheren Gießkannenmentalität hin
zu gezielteren Lösungen, die die jeweilige Problematik vor
Ort oder in der Region aufnehmen und den Ländern die
Möglichkeit geben, mit einem Höchstmaß an Flexibilität
die jeweils notwendigen Maßnahmen zu fördern.
Über die Neubestimmung der Zielgruppe ist bereits
gesprochen worden. Aber das, was Frau Ostrowski hier
gesagt hat, muss bei dieser Gelegenheit klargestellt werden. Frau Ostrowski, den Fraktionen ist bereits Anfang
Februar der Gesetzentwurf zugestellt worden. Es tut mir
Leid, wenn Sie erst in den letzten Tagen die Zeit gefunden
haben, ihn zu lesen.
Aufgrund der Basiseinkommensgrenzen und der Möglichkeit, dass Länder regional und örtlich begrenzt diese
Einkommensgrenzen anheben können, können eben nicht
nur Familien, die unter die Basiseinkommensgrenze fallen, gefördert werden. Auch dort, wo es nötig ist, zum Beispiel in Ballungsgebieten, in denen der Mietwohnungsmarkt viel enger ist, kann gezielter geholfen werden.
({3})
Flexibler kann man nicht mehr vorgehen. Wenn Herr
Minister Vesper kritisiert, dass wir keine Obergrenze gesetzt haben, dann nehmen wir das zur Kenntnis. Aber es
war in erster Linie der Wunsch der Länder - wir haben
über mögliche Grenzen, die man ziehen könnte, gesprochen -, dies nicht zu machen,
({4})
weil ein Land unter Umständen gerne 30 Prozent und ein
anderes Land vielleicht 40 oder 50 Prozent als obere
Grenze beim Einkommen festlegen wollte.
({5})
Wir wollten den Ländern den nötigen Spielraum überlassen.
Zur Bestandsorientierung. Wir legen großen Wert darauf, dass der vorliegende Gesetzentwurf zum sozialen
Wohnungsbau kein Neubaugesetz - wie sein Vorgänger ist, sondern er ist ein Gesetzentwurf für den sozialen
Wohnraum im Neubau und im Bestand.
({6})
Es ist für diejenigen, die sich am Wohnungsmarkt ein
bisschen auskennen und das zur Kenntnis nehmen, was
dort passiert, völlig klar, dass in Frankfurt am Main ganz
andere Probleme als in Frankfurt an der Oder herrschen.
Den unterschiedlichen Bedingungen an den Wohnungsmärkten werden wir mit diesem Gesetz Rechnung tragen:
Dort, wo neu gebaut werden soll, kann neu gebaut werden
und dort, wo der Bestand gefördert werden soll, kann der
Bestand gefördert werden.
({7})
Es ist schon darauf hingewiesen worden, dass wir ein
ganz flexibles Fördersystem schaffen wollen. Wir schaffen den, man möchte fast sagen: ganzen Rattenschwanz
von Fördersystemen ab und führen eine einzige Fördermöglichkeit ein, die, ähnlich einem Baukastenprinzip,
hochflexibel ist. Das heißt, vor Ort kann mit den Investoren darüber gesprochen werden, was nötig ist. Braucht
man Wohnungen, die längerfristig, also 20, 30 oder
40 Jahre, gebunden sind - bei solchen muss der Mietpreis
anders fixiert werden -, oder handelt es sich um Wohnraum in Regionen, in denen keine Mietpreisbindungen
notwendig sind, in denen die Miete langsam wachsen
kann und in denen man nur eine Belegungsbindung von
zehn oder 15 Jahren braucht? Das alles kann vor Ort mit
den Investoren - auch im Investorenwettbewerb - vereinbart werden.
Das Gesetz gibt nun endlich die Möglichkeit, zu
berücksichtigen, ob jemand nur eine direkte Förderung
bekommt oder ob er gleichzeitig steuerlich abschreiben
kann; dann soll er weniger Geld vom Staat bekommen.
({8})
Wir ziehen in diesem Punkt die bisherige Situation glatt,
indem wir ein flexibles und effizientes Fördersystem
schaffen.
Über den Beitrag des sozialen Wohnungsbaus für die
Städtebauförderung ist schon gesprochen worden. Demnächst gibt es kein Geld mehr für den sozialen Wohnungsbau, wenn nicht klar gemacht wird, dass das Geld,
das entsprechend investiert wird, in städtebauliche Konzepte passt, die vor Ort notwendig sind, zum Beispiel zur
Stabilisierung der Bewohnerstruktur in den Stadtteilen.
({9})
Das heißt, wir werden mit einer Fülle von Möglichkeiten
- Kooperationsverträge, mittelbare Belegung, verbundene Förderung und andere flankierende Maßnahmen sicherstellen, dass Wohnungsbau städtebaulich integriert
stattfindet und wir sozial stabile Wohnquartiere bekommen. Das ist ein ganz wichtiges Ziel dieser Reform.
({10})
Ich spreche bei vielen Gelegenheiten von einer urbanen Trias, die wir unseren Konzepten zugrunde legen
müssen. Dazu gehört die ökonomische, ökologische und
die soziokulturelle Situation. Wir werden der Nachhaltigkeit im Bauen dadurch einen neuen Schub geben, dass
wir die Nachhaltigkeit im Gesetz festschreiben.
({11})
Wir müssen in Übereinstimmung mit den ökonomischen
Gegebenheiten, treffsicher, effizient und nachhaltig bauen.
Es müssen auch die ökologischen Grundbedingungen
durch kosten- und flächensparendes Bauen erfüllt werden.
Wir werden schließlich - das ist schon gesagt worden ungefähr 200 bis 250 bürokratische Regelungen abschaffen, die nach dem bisherigen Gesetzesstand befolgt werden müssen, um im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus
Gelder in Anspruch zu nehmen. Wir werden also das Gesetz entbürokratisieren, wir werden es schlanker machen.
Das ist ein Beitrag zur Vereinfachung und ein Bemühen,
das Gesetz besser anwendbar zu machen.
Ein paar Worte zu dem, was meine Vorredner gesagt
haben: Herr Oswald, vielen Dank für die Blumen. Es tut
gut, zu wissen, dass die eigene Arbeit gewürdigt wird.
Achim Großmann, Parl. Staatssekretär
Trotzdem darf das nicht dazu führen, dass ich zu zahm mit
Ihnen umgehe.
({12})
- Die von mir geäußerte Kritik ist schon etwas abgemildert und entspricht dem Lob, das ich bekommen habe.
Das ist völlig klar.
Ich wollte Sie nur daran erinnern, dass der ehemalige
Bauminister Oswald für den sozialen Wohnungsbau im
Bundeshaushalt 2 Milliarden DM vorgefunden hat und
es zum Zeitpunkt des Regierungswechsels nur noch
1,3 Milliarden DM waren. Das heißt, in Ihrer Amtszeit
sind Bundesmittel im Umfang von 700 Millionen DM
verloren gegangen. Deshalb sollte man sich nicht gegenseitig Vorwürfe machen. Ich erinnere nur daran, dass im
letzten Jahr in vielen Ländern die für den sozialen Wohnungsbau zur Verfügung gestellten Mittel nicht abgerufen
wurden, weil die bisherige Förderung des sozialen Wohnungsbaus als Neubaugesetz konzipiert ist.
Wir brauchen die Reform auch, um bei den Finanzministern wieder antreten zu können und zu sagen: Wir haben nun ein hochmodernes, innovatives Gesetz, das nicht
nur beim Neubau greift, sondern auch den Bestand fördert. Wir schaffen mit dieser Reform die Vorurteile, die
gegen den sozialen Wohnungsbau bestehen, aus der Welt
und machen damit den Wohnungsbau wieder finanzierbar.
Auf diese Weise schaffen wir es, neue Gelder zu bekommen.
({13})
Herr Goldmann, ich bin Ihnen für Ihre offenen Worte
dankbar. Es ist auch für die Wählerinnen und Wähler in
Baden-Württemberg wichtig zu wissen, wie die F.D.P.
zum sozialen Wohnungsbau steht. Der baden-württembergische Wirtschaftsminister Döring, der auch für den
Wohnungsbau zuständig ist, hat uns geschrieben: Die Objektförderung im Mietwohnungsbau ist kontraproduktiv.
Der Mietwohnungsmarkt muss deshalb privatisiert werden und auf staatliche Mietpreisvorgaben muss verzichtet
werden. Im Klartext heißt das: Wer in Baden-Württemberg F.D.P. wählt, wählt die nächste Mieterhöhung, und
zwar eine drastische Mieterhöhung.
({14})
Ich finde, das gehört zu der Wahrheit, die wir hier offen aussprechen sollten. Es geht nicht darum, mit einer
Subjektförderung das Problem aus der Welt zu räumen. Es
gibt viele Investoren, die nicht bereit sind, für bestimmte
Familien Wohnungen zu bauen. Wenn wir keine Objektförderung hätten, würden wir für viele Familien keinen
Wohnraum schaffen können. Das muss auch in Ihren
Kopf gehen.
({15})
Ich möchte zusammenfassend feststellen: Wir schaffen
mit diesem hochmodernen und hochinnovativen Gesetz
die Möglichkeit, den neuen Herausforderungen, die sich
uns stellen, gerecht zu werden. Wir sorgen für mehr Flexibilität und Effizienz. Wir sorgen auch am Wohnungsmarkt für mehr soziale Gerechtigkeit. Ich wünsche mir,
dass wir in den zukünftigen Diskussionen das, was noch
kritikwürdig ist und was noch nachjustiert werden muss,
klären können. Dazu werden sicherlich auch die Vorwürfe
gehören, die Herr Kansy gleich in seiner Rede erheben
wird, zum Beispiel den der Mieterhöhungen. Ihre Pressemitteilung dazu war allerdings etwas schwach.
({16})
Über die Tatsache, dass wir die Verwaltungskostenpauschale indexieren möchten, während die Wohnungswirtschaft jetzt eine deutlich höhere fordert, werden wir in
den Ausschussberatungen sicherlich außergewöhnlich intensiv diskutieren. Ich bin sicher, dass wir auch dafür eine
für alle vernünftige Regelung finden werden.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({17})
Bevor ich dem Kollegen Dr.-Ing. Dietmar Kansy das Wort erteile, gebe ich
dem Kollegen Goldmann das Wort zu einer Kurzintervention. - Bitte schön.
({0})
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist immer gut, wenn
man die Unterlagen, aus denen zitiert wird, griffbereit hat.
Herr Großmann, Sie haben gerade aus einem Brief von
Herrn Döring an Sie zitiert, der immerhin fünf Seiten umfasst. Insofern ist es unfair, wenn Sie nur aus einem Abschnitt dieses Briefes zitieren. Das ist kein vernünftiger
Umgang mit einem Landesminister.
({0})
- Sie sollen nicht den ganzen Brief vorlesen. Aber Sie
sollten den Geist, in dem der Brief gehalten ist, einigermaßen fair wiedergeben. Das haben Sie nicht gemacht.
Herr Döring hat Ihnen unter anderem - das ist der erste
Punkt; das haben Sie nicht zitiert - geschrieben:
Die Ziele im sozialen Wohnungsbau sind nicht zu
erreichen. In der Begründung zum Gesetzentwurf
findet sich die Aussage, rund 37 % aller Haushalte in
den alten Ländern erfüllten die Einkommensgrenzen
Achim Großmann, Parl. Staatssekretär
und seien damit potentiell berechtigt, eine öffentlich
geförderte Sozialwohnung zu belegen. Für BadenWürttemberg schätzen wir diesen Anteil auf ein
Drittel
- dieses Drittel wurde schon vorhin erwähnt der 4,70 Mio. Haushalte, also auf rund 1,6 Mio. potentiell berechtigte Haushalte. Der Bestand an
Sozialwohnungen belief sich hier Ende 2000 auf
177.000 sozial gebundene Wohnungen oder auf
11 % der potentiell berechtigten Haushalte; er wird
sich bis zum Jahr 2010 auf 46 000 Wohnungen verringern und damit jährlich im Schnitt um etwa
13 000 Wohnungen abnehmen.
Allein um diesen Sozialwohnungsbestand zu sichern
und die Abgänge durch neue Mietwohnungen und
durch gefördertes Wohneigentum zu ersetzen,
müsste unser Landeswohnungsbauprogramm jährlich mindestens 580 Mio. DM umfassen.
Sie müssen sich das einmal vorstellen: Sie kritisieren
die Aussagen von Herrn Döring und verlangen gleichzeitig von einem Land wie Baden-Württemberg, dass es
mehr Mittel für die Förderung des sozialen Wohnungsbaus in seinen Landeshaushalt einstellt als der Bund für
16 Bundesländer. Vor diesem Hintergrund ist es ein Skandal, wenn Sie Herrn Döring hier so kritisieren, wie Sie es
getan haben. Das finde ich auf keinen Fall in Ordnung.
Herr Döring hat in seinem Brief an Sie auch auf den
Punkt hingewiesen, dass man mit Mietpreisbindungen in
den Wettbewerb auf dem freien Wohnungsmarkt eingreift.
Auch das haben Sie nicht erwähnt. Herr Döring hat außerdem gesagt, dass mit Ihrem Gesetzentwurf große soziale
Ungerechtigkeiten verbunden seien. Auch das haben Sie
nicht erwähnt. Sie haben auch nicht erwähnt, dass Herr
Döring in seinem Brief darauf hingewiesen hat, dass die
Erhaltung des Bestandes wichtiger als die Förderung von
Neubauten sei. Das ist, nebenbei bemerkt, eine Aussage,
die Sinn macht.
Herr Großmann, ich finde, dass das, was Sie hier gemacht haben, nicht korrekt ist. Es widerspricht auch dem
Geist, den Sie vorhin heraufbeschworen haben, als Sie darauf hingewiesen haben, dass Sie zusammen mit den Ländern eine zukunftsorientierte Lösung gefunden hätten. Ich
muss Ihnen energisch widersprechen: Ihre Vorschläge
sind nicht geeignet, die Lösung der Probleme im sozialen
Wohnungsbau auf den richtigen Weg zu bringen.
({1})
Kollege Großmann,
Sie haben das Wort zur Erwiderung.
Herr
Goldmann, das, was Sie vorgelesen haben, war ziemlich
entlarvend,
({0})
weil Sie die Systematik, die in diesem Brief steckt, anscheinend nicht erkannt haben. Sie können doch den Bund
nicht dafür verantwortlich machen, dass es in BadenWürttemberg anscheinend nie einen vernünftigen sozialen Wohnungsbau gegeben hat. Der Bund ist doch wohl
die falsche Adresse.
({1})
- Herr Goldmann, den sozialen Wohnungsbau in BadenWürttemberg kann man im Moment noch nicht einmal
mit der Lupe finden. Das ist doch das Problem.
({2})
Herr Döring wollte sich noch nicht einmal an dem Programm „Die soziale Stadt“ beteiligen.
Ich möchte Folgendes festhalten: Es gibt nicht die Notwendigkeit, dass jeder Familie, die einen Wohnberechtigungsschein hat, eine Sozialwohnung zur Verfügung
steht. Das hat es in diesem Land noch nie gegeben.
({3})
- Nein, das steht nicht in der Begründung des Entwurfs.
Dann müssen Sie das noch einmal lesen. Lassen Sie mich
doch einfach einmal ausreden. Es steht nicht im Entwurf.
Sie haben ihn nur überflogen oder gar nicht verstanden.
Wir haben, damit die soziale Ungerechtigkeit aus der
Welt geschafft wird, dass nicht jede Familie, die einen
Wohnberechtigungsschein hat, eine Sozialwohnung findet, als erste Reformmaßnahme dieser Bundesregierung
im wohnungspolitischen Bereich das Wohngeld erhöht.
({4})
Zehn Jahre lang hat das die Regierung, an der Sie beteiligt waren, nicht geschafft. Das heißt, wir haben denen,
die keine Chance haben, eine Wohnung im sozialen Wohnungsbau zu bekommen, deutlich mehr Wohnkaufkraft
durch ein höheres Wohngeld, das sie seit dem 1. Januar
dieses Jahres bekommen, gegeben.
Jetzt machen wir den zweiten Schritt. Wir schaffen die
Möglichkeit, dass Familien Wohnraum finden, und das
nicht nur durch Neubaumaßnahmen. Herr Döring bezieht
sich in seinem Brief nur auf den Neubau. Wir machen aber
ein Gesetz für Neubau und Bestand, mit dem man mit deutlich weniger Geld aus dem Bestand Belegungsbindungen
kaufen und mit Modernisierungsmitteln Bindungen schaffen kann. Das heißt, wir helfen Herrn Döring sogar, seine
Nachlässigkeiten aus den letzten Jahren zu korrigieren,
({5})
weil er mit dem Geld, das er bekommt, jetzt deutlich mehr
Wohnungsbindungen schaffen kann.
({6})
Lesen Sie sich den Entwurf noch einmal in Ruhe durch
und machen Sie sich noch einmal klar, Herr Goldmann,
dass auch das Land Baden-Württemberg zu den Ländern
gehört - es waren alle 16 am Tisch -, die diesen Gesetzentwurf erarbeitet haben.
Mich würde interessieren, was die Fachabteilung des
Wirtschaftsministeriums, die an diesem Gesetzentwurf
mitgearbeitet hat, zu diesem Brief sagen würde. Ich weiß,
was sie dazu sagt. Ich will das aber der Fairness halber
hier nicht aussprechen.
Vielen Dank.
({7})
Nun hat tatsächlich
Kollege Dietmar Kansy das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren, die Sie uns hier zuhören! Herr Kollege
Spanier, vielleicht fragen sich die Leute tatsächlich,
warum wir ausgerechnet heute Morgen, sozusagen zwischen Trittin und BSE-Krise, das Thema sozialer Wohnungsbau diskutieren.
({0})
Einen Grund haben wir eben gehört: Es ist auch ein bisschen
Wahlkampf dabei. Aber, Herr Kollege Großmann, wenn Sie
schon Baden-Württemberg erwähnen, muss ich Ihnen entgegenhalten: Es ist neben dem Saarland das Flächenland mit
der höchsten Eigentumsrate, der niedrigsten Arbeitslosenquote und den besten Zukunftserwartungen. Daher hat Baden-Württemberg eine gute Regierung.
({1})
Aber warum zu einer Zeit, in der die Wohnungsmärkte
anscheinend ausgeglichen sind, eine Wohnungsdebatte?
Man hört und liest von 1 Million leer stehender Wohnungen im Osten, von einer Forderung nach Abrissprogrammen und von Prognosen, die eine abnehmende Bevölkerungszahl vorhersagen. Daher ist tatsächlich die
Versuchung groß, das Thema Wohnungsbau als abgehakt
zu betrachten. Ich will Ihnen, meine Kollegen von der Koalition, insbesondere von der Bundesregierung, ganz ehrlich sagen: Sie haben einen erheblichen Teil dazu beigetragen, dass dieses Thema als abgehakt betrachtet wird.
Der Herr Kollege Oswald und auch der Herr Kollege
Goldmann haben es schon gesagt: Wir hatten - da beißt
die Maus keinen Faden ab - am Ende der vergangenen
Regierungszeit einen so ausgeglichen Wohnungsmarkt,
wie wir ihn über Jahrzehnte nicht gehabt haben.
({2})
Wir hatten mit 1,1 Prozent die niedrigsten Mietsteigerungen, solange es überhaupt Statistiken darüber in Deutschland gibt.
Wenn Sie das zusammenfassen, Herr Staatssekretär, erkennen Sie, dass - mit oder ohne Mietrechtsreform - nach
wie vor die Faustregel gilt: Der beste Mieterschutz ist ein
ausreichendes Wohnungsangebot.
({3})
Das haben wir Ihnen hinterlassen.
({4})
Aber Sie haben jetzt eine Politik begonnen, mit der Sie
in allen Bereichen der Wohnungspolitik durch massive
Kürzungen bei der direkten Förderung, durch systematische Verschlechterung der Rahmenbedingungen im
frei finanzierten Wohnungsbau und durch ständige Abstriche bei der Förderung des selbst genutzten Wohneigentums
die Investitionen so gedrosselt haben, dass wir dieses Jahr
- Herr Spanier, das wissen Sie - erstmals die so genannte
Ersatzbaurate unterschreiten. Das heißt im Klartext: Es
werden weniger Wohnungen gebaut oder grundlegend saniert, als abgängig sind. Da diesem Parlament auch der
Vorsitzende der IG BAU, Kollege Wiesehügel, angehört,
sei gesagt: 100 000 Wohnungen weniger pro Jahr - das ist
das Ergebnis Ihrer Politik -, das sind auch 120 000 Arbeitsplätze weniger auf dem Bau in diesem Land.
({5})
- Frau Gleicke, der Hinweis auf die leer stehenden Wohnungen in Leipzig hilft uns überhaupt nichts, wenn wir in
westdeutschen Ballungsräumen schon wieder erste
Knappheitserscheinungen haben.
({6})
So weit, so schlecht.
Dennoch bleibt die Frage: Weiter so im sozialen Wohnungsbau, neue Ansätze oder neue Schwerpunkte? Diese
Frage haben vor vier Jahren der damalige Wohnungsbauminister Klaus Töpfer und vor zwei Jahren der damalige
Minister Oswald beantwortet: Nicht „Weiter so“! Einigkeit, Reform, aber kein Kahlschlag. - In welcher Form der
Kahlschlag erfolgt, das ist für die Mieter relativ uninteressant. Ob der Kahlschlag, wie die F.D.P. vorschlägt,
durch eine formelle Aufgabe der Bundesverantwortung erfolgt, ob er, wie es die Koalition tatsächlich macht, durch
finanzielles Aushungern erfolgt oder ob er durch Sprüche
wie „Wohnungsbau ist Zubetonierung der Landschaft“ begleitet wird - dies alles hat nichts mit Reform zu tun.
Wir gehen an diese Aufgabe mit dem Ziel, den sozialen Wohnungsbau zu erhalten und nicht nur zu reformieren. Das kann man nicht - der Kollege Goldmann ist gerade nicht anwesend -, wenn man vorschlägt, die Mittel
für den sozialen Wohnungsbau quasi dem Wohngeld zuzuschlagen und zu sagen: Der Markt wird es schon richten. - Alle Erfahrungen der letzten Jahrzehnte sprechen
dagegen. Für bestimmte Bevölkerungsgruppen und für
bestimmte Regionen reicht selbst eine ausreichende
Wohnkaufkraft nicht, meine verehrten Kollegen von der
F.D.P., um eine Wohnung zu finden. Wenn wir uns aus der
Mischfinanzierung zurückziehen würden, dann würden
wir das Problem nur auf die Länder und Gemeinden verschieben.
({7})
- Vielen Dank.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der SPD,
man kann den sozialen Wohnungsbau natürlich auch nicht
aufrechterhalten, wenn man, wie Sie, Reformgesetze vorlegt, aber deren Finanzierung im Bundeshaushalt so
zusammenstreicht, dass das groß angekündigte Reformprogramm de facto heiße Luft wird. Dazu kommt - das
übersieht bestenfalls die Fachwelt -, dass der Bund durch
die sehr großzügige Neuinterpretation der Rückflussregelung zusätzlich kassiert und unterm Strich mehr Rückflussmittel für den Wohnungsbau einnimmt, als er für den
sozialen Wohnungsbau ausgibt.
Meine sehr verehrte Kollegin Eichstädt-Bohlig, vor
dem Wahlkampf habe ich Sie von „mindestens 1 Milliarde DM Fördermittel“ reden hören.
({8})
Inklusive aller Rückflüsse wären das in diesem Jahr insgesamt 2,5 Milliarden DM an Mitteln. In Ihrem Haushalt
ist kaum ein Viertel mehr von dem vorgesehen, was Sie
Ihren Wählern - ich erinnere an Ihre Forderungen - vor
der Wahl versprochen haben.
({9})
Herr Großmann und Herr Spanier, da können Sie natürlich sagen: Man darf nicht nur über das Geld reden.
- Hören Sie einmal auf den Volksmund, der schon immer
gesagt hat: Uns ist ein Onkel lieber, der etwas mitbringt,
als eine Tante, die nur Klavier spielt. - Genau das machen
Sie im Wohnungsbau: Sie kündigen eine Reform groß an
und verfügen über die minimalste Finanzierung überhaupt.
Herr Großmann, Sie haben den Exminister Oswald angesprochen: Ich war dabei, als er mit seinem Finanzminister gekämpft hat. Die Untergrenze seiner Forderungen im
Hinblick auf Haushaltsmittel für den sozialen Wohnungsbau lag bei 1,3 Milliarden DM. In diesem Haushalt ist
dafür noch nicht einmal ein Drittel dieser Summe vorgesehen, von den zusätzlich vorhandenen Milliarden, die
Sie forderten, ganz zu schweigen.
({10})
In dieser Gemengelage von richtigen Reformansätzen
und finanzieller Beerdigung des sozialen Wohnungsbaus
wird die CDU/CSU den Gesetzentwurf konstruktiv beraten, und zwar in der Hoffnung, dass vielleicht etwas
Vernünftiges dabei herauskommt. Ich sage Ihnen schon
jetzt voraus: Wenn Sie dem Bundesrat im finanziellen Bereich nicht mehr als die Brosamen bieten, die nicht nur
Teil Ihres Haushaltes, sondern auch Ihrer mittelfristigen
Finanzplanung sind, dann können Sie das ganze Reformgesetz vergessen.
({11})
- Die Länder sehen das genauso, Herr Kollege Spanier.
Was wollen Sie denn? Genauso wie der Staatssekretär haben Sie die Herausforderungen im Bestand angesprochen.
Wie wollen Sie die Herausforderungen im Bestand bewältigen? Es geht um mehr als um den Teilabriss von Plattensiedlungen auf dem Gebiet der ehemaligen DDR. Der
viel größere Teil der Leerstände betrifft verfallene Altbauten aus der Gründerzeit. Sie stellen bei dieser Dotierung Sachsen-Anhalt oder Brandenburg etwa 30 Millionen DM pro Jahr zur Verfügung, wollen gleichzeitig das
Problem soziale Stadt angehen - das ist auch völlig unterdotiert; dafür bekommen Sachsen-Anhalt oder Brandenburg noch einmal vielleicht 10 Millionen DM - und
glauben dann, dass Sie den Leuten sagen könnten: Wunderbar, jetzt habt ihr die Mittel, damit ihr mit diesen Problemen endlich fertig werdet.
({12})
Wer in seinem Gesetz davon spricht, dass soziale
Wohnungsbauförderung in Zukunft mehr Bestandsförderung sein soll, der muss das natürlich auch im Haushalt
sichtbar machen und darf die Mittel für den sozialen Wohnungsbau nicht auf ein Minimum zurückführen.
({13})
Es ist ja alles richtig, was Sie hier so schön vorgetragen
haben. Ich frage aber: Wie wollen Sie denn die Siedlungen, die zu sozialen Brennpunkten geworden sind, Herr
Vesper, durch eine ausgeglichene Belegung wieder zukunftsfähig machen, wenn Sie die Einkommensgrenzen
nicht sichtbar erhöhen und wenn Sie die Fehlbelegungsabgabe als flächendeckendes Instrument belassen,
({14})
mit der Möglichkeit, sich auf Landesebene gegebenenfalls mit viel Bürokratie zurückzuziehen? Diese beiden
Instrumente sind nicht Teil der Lösung; sie sind das Problem, nämlich dass wir in unseren Ballungsräumen keine
vernünftige Durchmischung haben.
({15})
Dafür muss man, wenn man das politisch ankündigt, im
Haushalt etwas tun und darf nicht nur Reformgesetze machen und Mindestforderungen aufstellen.
Gestatten Sie mir zum Schluss noch folgenden Hinweis: Wie wollen Sie den Menschen eigentlich noch in die
Augen schauen, die Sie vor gut zwei Jahren gewählt haben und denen Sie, der Bundeskanzler, und der Kollege
Großmann mit seiner Forderung nach 2 Milliarden versprochen haben, mehr für den sozialen Wohnungsbau zu
tun? Jetzt haben Sie weniger als ein Drittel dessen, was im
letzten Regierungsjahr von Helmut Kohl aufgewendet
wurde, dort vorgesehen. Das müssen Sie Ihren Wählern
erst einmal erläutern.
({16})
Im Übrigen tricksen Sie schon wieder. Sie haben gesagt: Wir schaffen die Kostenmiete nicht ab; ihr Mieter im
Bestand könnt ruhig bleiben. - Wunderbar! Aber Sie sehen eine Lösung vor, die ein Nicht-Fachmann fast überhaupt nicht versteht. Sie machen eine Mieterhöhung von
bis zu 50 DM monatlich über den Umweg über geänderte
Pauschalen für Verwaltung und Instandsetzung. Das ist
Feigheit. Sie könnten Mut beweisen, indem Sie sagten:
Wir stellen auch die Kostenmiete im Bestand infrage. Sie
sagen aber: „Mit uns nicht“ und erhöhen die Mieten über
Umwege und verkaufen das Ganze als soziale Politik.
({17})
Kurzum, meine Damen und Herren: Wir haben viel zu
diskutieren. Ich will das Thema Mietrecht jetzt nur wie
folgt ansprechen, Herr Großmann: Ich hoffe, dass die Beratung des Mietrechts im Parlament, diese unseriöse Beratung ohne Zeit für Details, nicht das Beispiel für die Beratung des sozialen Wohnungsbaus abgibt, nach dem
Motto, nach dem Sie verfahren sind: Mehrheit ist Mehrheit; eure Meinung interessiert uns nicht. - Dann, Herr
Spanier, wäre der angestrebte Konsens in Gefahr. Aber ich
hoffe, dass dies nicht der Fall sein wird.
({18})
Vielleicht gelingt es ja wieder. Ich erwarte vernünftige
Beratungen in den nächsten Wochen und Monaten.
({19})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Dieter Maaß, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Wir haben 1998 den klaren Wählerauftrag bekommen, das Aussitzen und den Stillstand in
der Bundespolitik zu beenden, den Reformstau aufzulösen und Innovationskräfte in unserer Gesellschaft zu mobilisieren.
({0})
Unsere Zwischenbilanz der politischen Gestaltung im
Sinne dieses Wählerauftrages kann sich sehen lassen.
Diese Koalition hat unter anderem dafür gesorgt, dass mit
dem Wohngeld ein wirksames wohnungspolitisches Instrument erhalten bleibt, und sie geht jetzt einen wichtigen Reformschritt weiter.
Wir entwickeln den sozialen Wohnungsbau weiter zu
einer sozialen Wohnraumförderung. Obwohl wir gegenwärtig eine entspannte Versorgungslage haben, müssen
wir weiterhin die Menschen unterstützen, die nur sehr
schwer Zugang zum Wohnungsmarkt finden. Diesen Familien helfen wir durch die Förderung von preiswertem
Mietwohnraum und durch die Förderung der Bildung von
Wohneigentum.
Wir reagieren bei der politischen Gestaltung der Wohnungspolitik auf die veränderte Wirklichkeit und die Bedürfnisse der Menschen. Dabei richten wir ein besonderes
Augenmerk auf das genossenschaftliche Wohnen.
({1})
Wohnungsgenossenschaften haben sich stets in starkem
Maße für den sozialen Wohnungsbau und die entsprechende Zielgruppe eingesetzt. Unser Gesetz unterstützt
deshalb den genossenschaftlichen Gedanken, durch die
Mobilisierung von Selbsthilfe für die Bereitstellung von
Wohnraum zu sorgen.
Im Gesetzentwurf wird diese Rolle der Genossenschaften dann auch besonders gewürdigt und unterstützt:
Die Zielgruppe der Förderung deckt sich in weiten Teilen
mit den Zielgruppen der Wohnungsgenossenschaften. Die
Bestandsorientierung der Förderung, die durchgehend im
Gesetz ihren Ausdruck findet, wird für Wohnungsgenossenschaften von besonderer Bedeutung sein.
({2})
Alle Vorteile, die mit der Neuausrichtung der Förderung
von Mietwohnungen und selbst genutztem Wohneigentum vorgesehen sind, kommen auch den Wohnungsgenossenschaften zugute.
Besondere Aufmerksamkeit möchte ich jedoch auf
§ 12 des Gesetzentwurfs lenken. Den Genossenschaften
wird hier ein sehr innovatives Angebot gemacht. Förderungswürdig sind künftig Arbeitsleistungen von Mietern
- die so genannte Muskelhypothek - sowie Sachleistungen von Mietern und erbrachte Finanzierungsanteile,
aber auch - und das ist neu - zusätzlich gezeichnete Anteile von Genossenschaftsmitgliedern. Diese zu fördern,
wenn das zusätzlich bereitgestellte Kapital nachweisbar
für Wohnbaumaßnahmen investiert wird, ist sinnvoll,
wenn erstens der Mietpreis reduziert wird, zweitens eine
Modernisierung oder Sanierung im Bestand geschieht
und drittens das Wohnumfeld verbessert wird. Das ist,
meine ich, aus der Sicht eines Wohnungspolitikers, dem
die Idee genossenschaftlichen Wohnens am Herzen liegt,
eine wichtige Leistung des Gesetzgebers.
({3})
Im Abs. 2 des § 12 ist ein weiteres klassisches Instrument der Genossenschaften Gegenstand der Förderung:
Die organisierte Gruppenselbsthilfe bei der Vorbereitung und Durchführung von Baumaßnahmen kann erstmalig im Rahmen des Gesetzes erfolgen.
In einem weiteren Abschnitt unseres Gesetzentwurfs,
dem § 14, bieten wir den Genossenschaften erweiterte
Handlungsspielräume: Wohnungsgenossenschaften können sich künftig auch im Rahmen von Kooperationsverträgen mit den Kommunen zu ihren Gunsten engagieren.
Damit stellt diese Bundesregierung ein Rahmengesetz,
ein neues Instrument für Genossenschaften zur Verfügung, das sich in der Praxis bewähren wird.
({4})
Genossenschaften und Kommunen entscheiden vor Ort,
ob und wie diese Möglichkeit zur Kooperation genutzt
wird. Wenn die Kommunen diese Chancen erkennen und
auch entsprechend handeln, ist dies ein wirksames
wohnungspolitisches Instrument.
Wir wissen, dass die Wohnungsmärkte regional unterschiedlich sind - in München sicher anders als im Ruhrgebiet oder in den neuen Bundesländern - und oft stellen
wir fest: Ganze Mietwohnquartiere werden privatisiert. In
den meisten Fällen wird den Mietern die Wohnung zum
Kauf angeboten; oft fehlt den Mietern aber das Geld für
den Erwerb. Hier können sich Genossenschaften neu
gründen. Aber auch Altgenossenschaften können zukünftig Angebote machen, die Wohnungsnutzern helfen und
Wohnquartiere erhalten.
Meine Damen und Herren, heute bringen wir das Gesetz zur Reform des Wohnbaurechtes ein. Ich erwarte konstruktive Vorschläge der Opposition in den Ausschusssberatungen.
Vielen Dank.
({5})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 14/5538 und 14/627 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind
die Überweisungen so beschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-empfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen auf Drucksache 14/4668. Der Ausschuss
empfiehlt die Annahme des Antrages der Fraktionen der
SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen mit dem Titel
„Den sozialen Wohnungsbau erhalten und reformieren“
auf Drucksache 14/3664. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD,
Bündnis 90/Die Grünen und der PDS angenommen.
Weiterhin empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des
Antrags der CDU/CSU mit dem Titel „Soziale Wohnraumförderung - Reform im Einklang mit einer kohärenten Wohnungs- und Städtebaupolitik“, Drucksache
14/3668. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von CDU/CSU bei
Enthaltung von F.D.P. und PDS angenommen.
Schließlich empfiehlt der Ausschuss für Verkehr, Bauund Wohnungswesen auf Drucksache 14/4668 die Ablehnung des Antrags der F.D.P. mit dem Titel „Wohngeld erhöhen, Bürokratie abbauen, Länderkompetenzen stärken:
Reformchancen beim sozialen Wohnungsbau konsequent
nutzen“, Drucksache 14/3676. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS gegen
die Stimmen der F.D.P. bei Stimmenthaltung der
CDU/CSU angenommen.
Ich rufe denTagesordnungspunkt 17 auf:
Erste Beratung des von dem Abgeordneten
Wolfgang Bosbach und der Fraktion der CDU/
CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung des Versammlungsgesetzes
-Drucksache 14/4754 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({0})
Rechtsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Wolfgang Bosbach, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Zunächst ein kurzer Blick
zurück: Am 29. Januar 2000 marschierten Neonazis mit
schwarz-weiß-roten Fahnen durch das Brandenburger
Tor. Anlass der Demo: Protest gegen das geplante Holocaust-Mahnmal, das in unmittelbarer Nähe errichtet werden wird. Datum und Ort waren bewusst gewählt. Der
27. Januar erinnert an die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz und am 30. Januar 1933 marschierte die
SA anlässlich Hitlers Machtergreifung ebenfalls durch
das Brandenburger Tor.
In gleicher Weise unappetitlich war die Neonazi-Demonstration am 12. März dieses Jahres an gleicher Stelle,
diesmal zur Erinnerung an den Anschluss Österreichs an
Nazi-Deutschland im Jahre 1938.
Die Bilder von diesen Aufzügen gingen um die ganze
Welt. Solche Demonstrationen blamieren und diskreditieren
nicht nur die Hauptstadt Berlin, sondern unser ganzes Land.
({0})
Sie sind eine Zumutung für unsere Bürger. Vor allen Dingen sind sie eine Zumutung für unsere Mitbürger jüdischen Glaubens. Sie sind gleichzeitig eine Herausforderung für eine wirklich wehrhafte Demokratie und damit
für alle, denen das Ansehen unseres Landes nicht gleichgültig ist und die von einem entschlossenen Kampf gegen
politische Extremisten jeder Schattierung nicht nur reden,
sondern ihn auch tatsächlich ernst meinen.
Wir dürfen uns nicht damit abfinden, dass das Brandenburger Tor und demnächst auch noch das Mahnmal für die
ermordeten Juden Europas zum Aufmarschplatz für extremistische Aufzüge und zur medienwirksamen Kulisse für
verfassungsfeindliche Aufzüge und Parolen werden.
({1})
Dieter Maaß ({2})
Gelegentlich ist zu hören, eine in sich gefestigte Demokratie müsse solche Demonstrationen aushalten und
solange die NPD nicht verboten sei, könne sie grundsätzlich Ort und Zeit ihrer Demonstrationen frei bestimmen.
Wenn sie nicht am Brandenburger Tor oder am Holocaust-Mahnmal demonstriere, dann eben woanders.
Diese Argumentation überzeugt nicht. Richtig ist, dass
wir Aufzüge extremistischer Organisationen nicht allein
wegen ihrer extremen politischen Ausrichtung verbieten
können. Aber das kann nicht bedeuten, dass wir rechtlich
verpflichtet sind, auch besonders bedeutsame und daher
besonders sensible Orte als Kulisse für diese Demonstrationen zur Verfügung zu stellen. Diese Orte werden nicht
zufällig, sondern absichtlich - wegen der damit verbundenen Provokation - als Aufmarschplätze gewählt. Einen
verfassungsrechtlich garantierten Rechtsanspruch auf
eine extremistische Demonstration ausgerechnet am Holocaust-Mahnmal, vor der Neuen Wache oder am Brandenburger Tor dürfte es wohl nicht geben.
Am 14. September 2000 hat Bundeskanzler Schröder
anlässlich des 50-jährigen Bestehens der Gewerkschaft
der Polizei in Hamburg gesagt, er könne im Ausland niemandem erklären, dass wir solche Demonstrationen dulden würden; hier müsse unbedingt etwas geschehen.
Seitdem sind über sechs Monate vergangen, ohne dass
die Bundesregierung oder die Koalitionsfraktionen auch
nur andeutungsweise mitgeteilt hätten, was denn nun konkret geschehen soll. Wir erwarten von der Koalition eine
klare Aussage darüber, ob dieses Kanzlerwort nur ein typischer „Schröder“ war oder ob sich dahinter ein ernsthaftes politisches Anliegen verbirgt.
Es ist ja keineswegs so, dass nur meine Fraktion Handlungsbedarf sieht. Die Innenministerkonferenz hat bereits am 24. November den Bundesminister des Innern
aufgefordert, einen Gesetzentwurf zur Änderung des
Versammlungsrechtes vorzulegen. Da dies bis zur Stunde
nicht geschehen ist, bringen wir heute in Abstimmung mit
dem Berliner Innensenator Werthebach einen eigenen Gesetzentwurf ein. Dieser enthält neben der Ausgestaltung
der vom Bundesverfassungsgericht vorgegebenen Kooperationspflichten zwischen dem Veranstalter der Demonstration und der Genehmigungsbehörde im Wesentlichen zwei Punkte: die Konkretisierung der Verbotsnorm
des § 15 des Versammlungsgesetzes und die erweiterte
Möglichkeit zur Schaffung so genannter befriedeter Bezirke in § 16.
Nach geltender Rechtslage kann eine Versammlung
grundsätzlich nur dann verboten werden, wenn bei Durchführung der Versammlung die öffentliche Sicherheit oder
Ordnung erkennbar gefährdet ist. Rechtsprechung dazu
ist, dass nur das vorhersehbare Begehen von Straftaten
aus der Demonstration heraus, nicht aber schon die Äußerung verfassungsfeindlicher Inhalte eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung darstellt, mithin ein Versammlungsverbot rechtfertigen kann.
Das wollen wir ändern. Ein Verbot soll schon bei der
Gefahr einer nachhaltigen Beeinträchtigung erheblicher,
insbesondere außenpolitischer Belange der Bundesrepublik Deutschland möglich sein, wenn gleichzeitig auch
Verfassungsgrundsätze im Sinne von § 92 Abs. 2 des
Strafgesetzbuches missachtet werden. Diese Vorschrift
nennt die wesentlichen Prinzipien unserer verfassungsgemäßen Ordnung, vor allem das Demokratieprinzip, das
Rechtsstaatsprinzip sowie den Ausschluss jeglicher Gewalt und Willkürherrschaft.
Das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit ist ein
hohes Rechtsgut, das niemand leichtfertig aufs Spiel setzen will und das auch von unserem Gesetzentwurf nicht
beschädigt, sondern ausdrücklich beachtet wird. Aber das
Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit ist kein schrankenloses Recht, hinter das alle anderen Rechte zwangsläufig zurücktreten müssten. Schon jetzt sind diesem
Grundrecht unter Berücksichtigung anderer wichtiger Gemeinschaftsgüter Schranken gesetzt.
Die zweite wesentliche Änderung betrifft die Möglichkeit, die Einrichtung von befriedeten Bezirken zu erweitern. Nach geltendem Recht bestehen solche befriedeten Bezirke nur für die Gesetzgebungsorgane des Bundes
und der Länder sowie für das Bundesverfassungsgericht
in Karlsruhe. Künftig sollen vergleichbare befriedete Bezirke auch für solche Einrichtungen und Örtlichkeiten
ausgewiesen werden können, „die von herausragender nationaler und historischer Bedeutung sind“. Auch die Innenminister und Innensenatoren der Länder denken in die
gleiche Richtung.
In dem bereits erwähnten Beschluss vom 24. November heißt es unter anderem wörtlich, dass
Versammlungen an historisch oder kulturell bedeutsamen Einrichtungen und Örtlichkeiten wie dem
Brandenburger Tor, dem Denkmal für die ermordeten Juden Europas, der zentralen Gedenkstätte der
Bundesrepublik für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft und ehemaligen Konzentrationslagern der NS-Diktatur nur nach besonderer Gestattung zulässig sein sollten.
Aus den Reihen der verehrten politischen Konkurrenz
ist zu hören, dass man über einen „befriedeten Bezirk“
ausschließlich für das Holocaust-Denkmal reden könne,
nicht aber für irgendeinen anderen politisch oder historisch bedeutsamen Ort. Diese Argumentation ist schlichtweg nicht nachvollziehbar.
({3})
Die zentrale nationale Gedenkstätte für die Opfer
von Krieg und Gewaltherrschaft ist die Neue Wache.
Wieso soll nur das Holocaust-Denkmal durch einen befriedeten Bezirk vor extremistischen Demonstrationen
geschützt werden, nicht jedoch gleichzeitig auch die
Neue Wache? Entscheidender Unterschied kann ja nicht
sein, dass die Neue Wache nicht nur, sondern auch den
jüdischen Opfern der NS-Gewaltherrschaft gewidmet
ist. Wieso soll am Holocaust-Denkmal nicht demonstriert werden dürfen, wohl aber in unmittelbarer Nachbarschaft ehemaliger Konzentrationslager, in denen
jene Grausamkeiten begangen wurden, an die das Denkmal erinnern soll?
({4})
Im Übrigen können und werden Ausnahmeregelungen,
nach denen unter bestimmten Voraussetzungen auch innerhalb der befriedeten Bezirke Versammlungen zulässig
sind, dafür sorgen, dass die Versammlungsfreiheit nicht
unverhältnismäßig eingeschränkt wird.
Ich hoffe, dass es uns gelingt, diese wichtige und ernste
Thematik sachlich und ohne Parteipolemik zu erörtern.
Vielleicht gelingt uns im Laufe der Gesetzgebungsarbeit
tatsächlich ein parteiübergreifender parlamentarischer
Konsens.
Wir sind es uns in diesem Lande schuldig, dass wir
über die hier in Rede stehenden Demonstrationen nicht
nur unsere Empörung zum Ausdruck bringen, sondern
dass wir sie auch durch Entschlossenheit bekämpfen.
Danke fürs Zuhören.
({5})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Dieter Wiefelspütz, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Ich bedaure vorab, dass sich die besonderen Ereignisse des heutigen Tages so auswirken,
dass wir diese Debatte nicht mit der Aufmerksamkeit
führen können, wie das sonst der Fall gewesen wäre.
Es ist in der Tat - in dem Punkte stimme ich Herrn
Bosbach ausdrücklich zu - eine wichtige Fragestellung:
Wie geht wehrhafte Demokratie mit den Feinden von
Demokratie, mit den Gegnern von Recht und Gesetz, mit
den Feinden von Toleranz und Menschlichkeit um? Diese
Frage müssen wir uns immer wieder stellen. Es ist richtig,
wenn Sie von wehrhafter Demokratie sprechen. Die Frage
ist nur: Mit welchen Instrumenten wehren wir uns? Diese
Instrumente müssen immer die Instrumente des Rechtsstaates sein, müssen sich immer an der Messlatte des
Grundgesetzes und an nichts anderem ausrichten.
Im Zusammenhang mit NPD-Veranstaltungen war die
Rede davon, dass es nicht nur Worte geben darf, sondern
auch Taten geben muss. Ich darf daran erinnern, dass wir
- die Koalition, aber insbesondere die SPD, auch ich
persönlich - uns mit Leidenschaft für einen eigenständigen Verbotsantrag in Richtung NPD durch den Deutschen
Bundestag eingesetzt haben. Diese Auffassung ist von der
CDU/CSU-Fraktion nicht geteilt worden. Der Kollege
Bosbach - der jetzt einen anderen Termin hat, was in Ordnung ist, und die Debatte hier nicht verfolgen kann; aber
er kann es ja nachlesen - hat hier eine Haltung eingenommen - Herr Marschewski, jetzt müssen Sie das ertragen -,
die den Worten keine Taten hat folgen lassen. Auch der Innensenator des Landes Berlin hat es nicht zustande gebracht, dass das Land Berlin in Sachen NPD-Verbotsantrag im Bundesrat eine klare und eindeutige Haltung
eingenommen hat. Es hat eine kraftvolle konsequente
Enthaltung ausgesprochen.
Ich finde es sehr traurig, dass das geschehen ist. Sie haben meine besondere Anteilnahme dafür, dass diejenigen,
die hier von wehrhafter Demokratie sprechen und über
NPD-Veranstaltungen am Brandenburger Tor die
Fahne ganz hoch halten,
({0})
nicht einmal imstande sind, das voranzutreiben, was wirklich konsequent ist, nämlich den Verbotsantrag.
({1})
Ich freue mich auf die Beratungen im Innenausschuss
und auch im Rechtsausschuss. Ich höre, dass eine Anhörung angedacht ist, Herr Marschewski.
({2})
Diesem Ansinnen werden wir ausdrücklich zustimmen,
weil wir dieses Thema in der Tat auf den Prüfstand stellen
wollen. Ich bin auch der Auffassung, dass wir in diese Debatte ergebnisoffen hineingehen sollten.
Ich will Ihnen meine Meinung zu diesem Gesetzentwurf aus heutiger Sicht allerdings nicht vorenthalten. Ich
halte diesen Gesetzentwurf in Teilen für verfassungswidrig. Das ist nicht nur meine persönliche Meinung, sondern
diese Meinung ist inzwischen auch in der verfassungsrechtswissenschaftlichen Literatur mehrfach zu lesen.
Wenn Sie bei den besten Kommentatoren zu Art. 8, der die
Messlatte ist, nachgelesen hätten - bei Herrn Benda oder
bei Herrn Herzog, ehemalige christdemokratische Politiker, hochrangige Verfassungsrechtler, Präsidenten des
Bundesverfassungsgerichtes -, dann hätten Sie dort ähnliche Testate gefunden.
Außenpolitische Belange als Messlatte für Demonstrationen heranzuziehen ist nach meiner festen Überzeugung
verfassungswidrig. Deswegen wird der von Ihnen vorgelegte Gesetzentwurf in dieser Form keinesfalls Gesetz
werden. Die CDU/CSU-Fraktion steht mit dieser Position
ganz alleine. Sie haben die große Mehrheit des Hauses gegen sich, wenn Sie meinen, außenpolitische Belange
könnten als Messlatte für Demonstrationen in Deutschland herangezogen werden. Ich bitte Sie, wer definiert
denn außenpolitische Belange? Das Auswärtige Amt? Der
Polizeipräsident von Berlin? Die Gerichte? Soll es nicht
mehr möglich sein, dass hier Demonstrationen gegen
Menschenrechtsverletzungen in Tibet stattfinden,
wenn gleichzeitig ein deutscher Außenminister selbstverständlich Gespräche mit der chinesischen Regierung darüber führen muss?
Dieses Spannungsverhältnis muss doch ausgehalten
werden. Zensur findet nicht statt. Ich sage an dieser Stelle
noch einmal sehr deutlich, was ich an anderer Stelle schon
betont habe: Die Ausübung von Grundrechten in Deutschland kann nicht davon abhängig gemacht werden, was im
Ausland in der Zeitung steht. Ich sage das in voller Kenntnis der Konsequenzen, obwohl auch ich weiß, dass NaziDemonstrationen in Deutschland dem Ansehen Deutschlands im Ausland schaden, und ich es genauso gerne wie
jeder andere von uns habe, dass im Ausland gut über uns
gesprochen wird. Aber es ist nun wirklich nicht möglich
- wie sollte es auch möglich sein? -, dass in Deutschland
die Ausübung von Grundrechten davon abhängig gemacht wird, was in einem anderen Land an Kritischem
oder Unkritischem geschrieben wird. Es ist verfassungsrechtlich völlig abwegig, zu glauben, dass dies zulässig
wäre. Dies ist evident verfassungswidrig, genauso verfassungswidrig übrigens, Herr Innensenator Werthebach,
wie Ihr Vorschlag - das gehört jetzt allerdings nicht unbedingt zur Sache -, einen genetischen Fingerabdruck für
alle Männer verpflichtend einzuführen.
({3})
- So war es jedenfalls zu lesen. Sollte das nicht der Fall
sein, dann bitte ich um Nachsicht und korrigiere das.
({4})
- Aber es könnte stimmen, Herr Werthebach; es liegt auf
Ihrer Linie.
Kollege Wiefelspütz,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Marschewski?
Selbstverständlich. - Sehr
gerne, Herr Marschewski.
Herr Kollege Wiefelspütz, sind Sie mit mir der Auffassung, dass der Vergleich einer Demonstration von Nazis
am Brandenburger Tor mit einer Demonstration für ein
autonomes Tibet ziemlich absurd ist,
({0})
dass es dann, wenn erhebliche schutzwürdige Belange der
Bundesrepublik - das ist der Obersatz - beeinträchtigt
werden, durchaus richtig wäre, dass wir zu Nazi-Demonstrationen am Brandenburger Tor Nein sagen, und dass es
neben dem Reichstagsbereich und dem Bereich in Karlsruhe weitere Bereiche in Deutschland geben muss - Kollege Bosbach hat dies ausgeführt und Rheinland-Pfalz hat
dazu einen Antrag in den Bundesrat eingebracht -, in denen eine Nazi-Demonstration nicht stattfinden darf?
({1})
Herr Marschewski, ich
bedanke mich für diese Frage, weil ich glaube, dass Sie
von mir nur differenzierte Antworten bekommen. Ich sage
Ihnen noch einmal sehr deutlich: Ich bin strikt dagegen,
dass außenpolitische Belange für die Beantwortung der
Frage herangezogen werden, ob ein Grundrecht in
Deutschland ausgeübt werden darf oder nicht. Dies ist
verfassungsrechtlich nicht hinnehmbar. Ich habe genauso
wie Sie etwas gegen rechtsextremistische Veranstaltungen. Übrigens habe ich vermutlich genauso wie Sie auch
etwas gegen linksextremistische Veranstaltungen. Das ist
ja keine Frage von rechts oder links, sondern da muss eine
gemeinsame Messlatte angelegt werden. Diese Messlatte
ist Art. 8 des Grundgesetzes.
Da hier vom 29. Januar die Rede war, sage ich auch
noch Folgendes sehr deutlich: Hier sitzt ein Herr aus der
Verwaltung des Innensenators, der, was ich positiv finde,
neulich auf einem Kolloquium erstmals anerkannt hat,
dass die Verbotsverfügung des Polizeipräsidenten von
Berlin vom 29. Januar des vergangenen Jahres vielleicht
etwas besser hätte begründet werden können. Da hat man
offenbar handwerklich nicht sauber gearbeitet.
({0})
Ich finde es ja in Ordnung, wenn man das zugibt.
Herr Marschewski, ich bitte Sie, auch einmal Folgendes zu würdigen: Ein Gesetz muss auch das leisten, was
es leisten soll. Ich habe verfassungsrechtlich erhebliche
Bedenken gegen diesen Aspekt der außenpolitischen Belange. Über die befriedeten Bezirke kann und muss man
reden. Dagegen gibt es nicht diese elementaren verfassungsrechtlichen Bedenken, verfassungspolitische Bedenken aber schon.
Ich frage Sie, wo man anfangen und wo man aufhören
soll. Wie viele Orte mit historisch-symbolischer Bedeutung gibt es in Deutschland? Wie viele gibt es allein in
Berlin?
({1})
Was haben wir davon, wenn wir die Nazis nicht mehr auf
der Straße Unter den Linden haben, sondern am Kurfürstendamm? Was bringt uns das weiter?
Das Problem sind doch nicht die Veranstaltungen, bei
denen Gesetzesbrüche stattfinden. Die können wir mit
dem gegenwärtigen Recht verbieten. Deswegen ist auch
meine Botschaft: Das gegenwärtige Versammlungsrecht
ist in aller Regel völlig ausreichend, um das, was Sie, Herr
Marschewski, und ich für unerwünscht halten, auch in den
Griff zu bekommen.
Aber wenn - darüber bitte ich wirklich einmal nachzudenken - und soweit Extremisten friedlich - ich betone,
friedlich - und ohne Waffen und gesetzeskonform demonstrieren, werden wir solche Veranstaltungen vor dem
Hintergrund des Art. 8 akzeptieren müssen. Das ist genau
der Punkt.
({2})
Im Übrigen ist alles, was erkennbar Rassismus ist, was
Fremdenfeindlichkeit ist, zum Beispiel die Parole „Ausländer raus!“, völlig ausreichend, um eine solche Veranstaltung sofort aufzulösen und die Leute strafrechtlich zu
verfolgen. Das ist alles völlig ausreichend!
Aber wenn und solange die Leute gesetzeskonform
- und sei es auch nur wie der Wolf im Schafspelz demonstrieren, werden wir es ertragen müssen. Ich wiederhole: Dies wird und muss eine reife Demokratie aushalten. Wir sollten nicht den Fehler machen - das ist
meine Hauptbotschaft -, dass wir im Kampf gegen Extremismus unsere eigenen Maßstäbe von Recht und Gesetz
verletzen - in allerbester Absicht, aber verletzen.
({3})
Das zahlt sich nicht aus, dieser Schuss geht nach hinten
los. Diese Leute, die wir gemeinsam bekämpfen sollten,
sind es auch nicht wert, dass wir ihretwegen unsere Verfassungsordnung verbiegen.
Ich erlebe in der letzten Zeit häufiger - ich habe mich
auch wirklich darum bemüht, die Polizei bei ihrer Arbeit
zu begleiten - Demonstrationen, bei denen auf der einen
Seite 300 Rechtsextremisten und auf der anderen Seite
5 000, 10 000, 15 000 Bürger, Demokraten demonstrieren.
Das ist das Ermutigende. Das funktioniert doch viel besser als Repression mit dem Risiko, das eigene Recht zu
verbiegen.
Es gibt einige Bestandteile an dem Gesetzentwurf,
über die man diskutieren kann, zum Beispiel Fragen der
Kooperation von Versammlungsveranstaltern und Versammlungsbehörden. Man kann vernünftig darüber reden, ob wir da Verbesserungen erzielen.
In Bezug auf die befriedeten Bezirke - ich sage es
noch einmal - habe ich erhebliche Probleme, denn ich
frage Sie, Herr Marschewski: Wo anfangen? Wo aufhören?
({4}) [SPD]: Ja!)
Bei der Feldherrenhalle in München? Bei dem Platz davor? Beim Obersalzberg? Sonst irgendwo?
Deutschland ist doch voll von Geschichte, auch von
Stätten, die mit nationalsozialistischer Geschichte verbunden sind. Ich bitte sehr darum, darüber nachzudenken,
ob das, was Sie - ich unterstelle einmal, in guter Absicht wollen, im Grunde nichts anderes als weiße Salbe ist, um
den Eindruck zu vermitteln, wir seien ein starker, handlungsfähiger Staat, während sich in Wirklichkeit die Probleme verschieben. Selbst dann, wenn wir ein solches Gesetz, wie Sie es hier vorschlagen, hätten, würde es uns in
der Praxis substanziell nicht weiterbringen. Wir als Gesetzgeber sollten nicht Gesetze erlassen, deren Verfassungsmäßigkeit sehr fragwürdig ist oder die solche Bestandteile haben, die uns bestenfalls weiße Salbe bieten.
Das sollten wir nicht machen.
({5})
Die Debatte wird fortgesetzt. Ich freue mich auf die
Anhörung. Ich kann Ihnen allerdings heute schon zusichern, dass dieser Gesetzentwurf in diesem Hohen Hause
nicht den Hauch einer Chance hat.
({6})
Schönen Dank für die Aufmerksamkeit.
({7})
Für die F.D.P.-Fraktion spricht jetzt der Kollege Dr. Edzard Schmidt-Jortzig.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Fast am Ende
dieser Plenarwoche und, wie ich höre, als letzter Punkt
vor dem ganz großen Break-up geht es um etwas wirklich
Grundsätzliches, um die Frage der Änderung des Versammlungsgesetzes. Das Versammlungsgesetz, das in seiner ursprünglichen Form aus dem Jahre 1953 stammt, ist
sicherlich eines der am wenigsten geänderten Gesetze.
Immerhin ist die letzte Neubekanntmachung bereits
22 Jahre alt. In dieser Zeit hat es nur drei Änderungen gegeben.
Diese Behutsamkeit, mit der der Gesetzgeber das Versammlungsrecht behandelt hat, hat ihren guten Grund:
Neben der Meinungsfreiheit wird die Versammlungsfreiheit als - da kann man die Worte des Bundesverfassungsgerichts nur wiederholen - schlechthin konstituierend für unsere freiheitliche Demokratie angesehen.
Das Versammlungsrecht ist das Recht kollektiver
Meinungsäußerung. Es soll die offene argumentative
Auseinandersetzung auch und gerade in politischen Angelegenheiten ermöglichen. Deshalb ist die Versammlungsfreiheit von besonderer Bedeutung auch und gerade
für Minderheiten, die auf diese Weise öffentlichkeitswirksam ihre Meinung dartun können. Über diese Grundsätze besteht - davon gehe jedenfalls ich aus - parteiübergreifende Einigkeit.
Über den heute zu beratenden Gesetzentwurf der
CDU/CSU-Fraktion, das Versammlungsrecht über die bestehenden Möglichkeiten hinaus einzuschränken, werden
wir allerdings sprechen müssen. Denn das, was die Union
vorschlägt, ist eine Einschränkung, auch wenn in der Begründung des Entwurfs beschwichtigend von Präzisierung bzw. Ergänzung gesprochen wird.
Ausgelöst hat den Entwurf, der im Übrigen deutlich
Ihre Handschrift, verehrter Herr Werthebach, trägt, das
Ereignis vom 29. Januar letzten Jahres; darauf wurde
schon hingewiesen. Ich kann darauf verzichten, das noch
einmal darzustellen. Aber ich möchte schon Zweifel an
der These, dass solchen Dingen mit der nach dem geltenden Versammlungsrecht bestehenden Rechtslage nicht
hinreichend begegnet werden könne, anmelden. Das geltende Versammlungsrecht bietet den Behörden eine Vielzahl von Möglichkeiten, bei Gefahren für die öffentliche
Sicherheit und Ordnung sowohl vorbeugend als auch repressiv mit Verboten und Beschränkungen einzugreifen.
({0})
Unsere Demokratie ist also auch auf diesem Feld keineswegs wehrlos.
So ist zum Beispiel das Tragen von Uniformen und uniformartigen Kleidungsstücken, also das Tragen von
Springerstiefeln, Bomberjacken pp. - vom Mitführen von
Waffen will ich gar nicht sprechen -, verboten. Das Gleiche gilt für die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. In der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zeichnet sich auch
ab, dass es zulässig sein kann, eine Demonstration an bestimmten symbolträchtigen Tagen zu unterbinden.
Auch über die Wahl des Versammlungsortes entscheidet keineswegs allein der Veranstalter. Es gibt hinreichend
gerichtsfeste Beispiele dafür, dass es gelungen ist, im
Wege von Auflagen die angemeldeten Demonstrationsrouten zu verändern oder die Demonstration an einen anderen Ort zu verlegen. Natürlich muss dies sorgfältig begründet werden, zum Schutz gleichwertiger Rechtsgüter
geboten und im Übrigen nicht nur schlüssig, sondern auch
überzeugend sein.
Herr Kollege
Schmidt-Jortzig, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Wiefelspütz?
Ich habe schon
eine entsprechende Pause gemacht. - Gerne.
Ich habe es registriert.
- Bitte.
Mich interessiert einfach
einmal Ihre fachliche Meinung, Herr Kollege SchmidtJortzig. Ist es für Sie eigentlich zwingend, dass man eine
Demonstration von 300 Personen, Neonazis, über die
Straße Unter den Linden führt? Wie würden Sie das fachlich sehen?
Der Jurist sagt
immer: „Es kommt darauf an“ und will sich natürlich
nicht an die Stelle der hier besonders entscheidungsträchtigen Gerichtsbarkeit - ich will nichts zur Berliner
Gerichtsbarkeit sagen ({0})
setzen. Aber ich könnte mir sehr wohl vorstellen, dass man
mit entsprechenden Auflagen bestimmte Teile des Straßenzuges Unter den Linden - ob das nun der Kopfteil am Pariser Platz oder etwa die Stelle vor der Universität ist - für
Demonstrationen rein faktisch dadurch sperren könnte,
dass man per Auflage sagt: An diesen Stellen wäre es übermäßig, euer Demonstrationsanliegen gegen das Schutzbedürfnis allgemeiner Symbole durchzusetzen. - Das geht. Es
muss nur entsprechend engagiert versucht werden.
({1})
Ich bleibe also dabei: Das geltende Recht lässt Möglichkeiten, mit diesen Erscheinungen, die wir alle natürlich
nicht wollen, umzugehen.
Wir sind uns - das scheint mir besonders wichtig zu
sein - hoffentlich einig, dass es ein Sonderrecht für bestimmte Gruppen nicht geben darf. Die besonders unerfreulichen Versammlungen rechtsextremistischer Kräfte
sollten uns - darin stimme ich Ihnen ausdrücklich zu, Herr
Wiefelspütz - nicht dazu veranlassen, neues Recht zu
schaffen, das alle treffen kann, nicht nur die Rechtsextremisten. Das wäre, glaube ich, eine Kapitulation des
Rechtsstaates, die wir gerade nicht wollen. Wir wollen
den Rechtsstaat stärken.
({2})
Ich möchte noch auf ein oder zwei Einzelpunkte eingehen. Problematisch wird, wie ich finde, der Gesetzentwurf dann, wenn man im Rahmen einer so genannten Öffnungsklausel den Ländern die Möglichkeit einräumen
will, für ihre öffentlichen Einrichtungen oder für Örtlichkeiten von herausragender nationaler und historischer Bedeutung durch Gesetz demonstrationsfreie Zonen oder
Bezirke einzurichten. Wenn man überhaupt einer solchen
Einschränkung näher tritt, worüber man ernsthaft nachdenken sollte - wir haben ja auch schon einmal im Innenausschuss in dieser Richtung diskutiert -, dann muss diese
Regelungsbefugnis dem Bund verbleiben und von ihm
wahrgenommen werden, damit diese Interessen nicht zum
Spielball von regionalen Besonderheiten und Mehrheiten
ausarten, sondern die grundsätzliche Bedeutung und die
Einheitlichkeit der Regelung gewahrt bleibt.
Als Letztes: Die Bundesrepublik ist mit ihrem bisherigen Versammlungsrecht, das vom Bundesverfassungsgericht, wie ich jedenfalls finde, vorbildlich konturiert worden ist, gut gefahren. Dieses Versammlungsrecht ist ein
Markenzeichen unserer Verfassung und auch unseres freiheitlichen Rechtsstaates, das wir nicht beim ersten Wind,
egal, aus welcher Richtung, gefährden sollten. Einer behutsamen Weiterentwicklung wird sich die F.D.P. nicht
versperren; aber gravierende Einschnitte werden wir mit
Sicherheit nicht mittragen.
Danke sehr.
({3})
Das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kollege Cem
Özdemir.
Frau
Präsidentin! Meine Damen und Herren! Um es gleich vorweg zu sagen: Auch meine Fraktion lehnt die Pläne der
Unionsfraktion zur Einschränkung des Versammlungsrechtes ab. Wir glauben nicht, dass sie in der Debatte, um
die es geht, sachdienlich sind.
Man muss es in diesen Tagen vielleicht auch noch einmal sagen: Grundrechte sind nicht eine Loseblattsammlung oder ein Abreißkalender, sondern sie bewähren sich
gerade dann, wenn sie in Anspruch genommen werden.
Sie bewähren sich gerade dann, wenn es schwierig wird.
Ich will in der Folge darauf eingehen.
Wenn man den Antrag aufmerksam durchliest, erkennt
man, dass sich der Vorschlag der Union in andere Vorschläge einreiht, die wir in letzter Zeit von der Union bekommen haben. Mal sollen die Bürger ins Röhrchen
spucken, damit per Gen-Test festgestellt wird, ob sie mögliche Verbrecher sind. Kinder, die in Konflikt mit dem
Gesetz geraten, sollen interniert werden, statt dass man sich
um sie kümmert. Herr Merz meldet sich damit zu Wort
- vielleicht auch das ein Beitrag zum Thema Leitkultur -,
dass sich Nichtdeutsche politisch nicht mehr äußern sollen.
({0})
Jetzt muss das Versammlungsrecht daran glauben, das als
neue Sau durchs Dorf gejagt werden soll. Das Versammlungsrecht in unserem Grundgesetz - darauf haben die
Vorredner von F.D.P. und SPD bereits hingewiesen - ist
ein hoher Wert des demokratischen Rechtsstaates, und es
ist das falsche Instrument, um eine Debatte über die
Bekämpfung des Rechtsradikalismus zu führen, die wir
alle hier im Hause hoffentlich gemeinsam wollen. Die
Freiheit, sich zu versammeln, ist wie die Meinungs- und
die Pressefreiheit eines der grundlegenden Menschenund Bürgerrechte in unserer Gesellschaft.
Das Bundesverfassungsgericht hat deshalb folgerichtig geurteilt und Versammlungen als „wesentliches Element demokratischer Offenheit“ bezeichnet. Es hat herausgearbeitet:
Sie bieten die Möglichkeit zur öffentlichen Einflussnahme auf den politischen Prozess, zur Entwicklung
pluralistischer Initiativen ... oder auch zu Kritik und
Protest ..., sie enthalten ein Stück ursprünglich-ungebändigter unmittelbarer Demokratie, das geeignet
ist, den politischen Betrieb vor Erstarrung und geschäftiger Routine zu bewahren.
Dies hat uns das Bundesverfassungsgericht ins Stammbuch geschrieben, und wir als Gesetzgeber sollten das
sehr ernst nehmen.
Die Forderungen nach einem grundsätzlichen Versammlungsverbot an gesetzlich festgelegten Orten von
herausragender nationaler und historischer Bedeutung
sind rechtlich unbestimmt und beliebig. Darauf hat Kollege Wiefelspütz bereits hingewiesen. Das Brandenburger
Tor - Sie sehen es ja gegenwärtig - steht seit Monaten als
Werbefläche für die Telekom zur Verfügung, und Sie wollen jetzt die Aura der Unberührbarkeit durch eine Art
Bannmeile gegen das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit durchsetzen. Ich halte dies nicht für einen sachdienlichen Hinweis.
Zum zweiten Vorschlag: Es gibt an vielen Orten und an
vielen Stätten unseres Landes Orte von herausragender
nationaler historischer Bedeutung. Ich glaube, wir kommen in Teufels Küche, wenn wir uns auf diesen Vorschlag
einlassen. Wenn Sie so wollen, ist die ganze Republik ein
schützenswertes Gut; trotzdem werden Sie mir hoffentlich zustimmen, dass wir die Republik nicht mit einem
Demonstrationsverbot überziehen dürfen.
({1})
Schließlich zu Ihrem Vorschlag, dass Sie das Demonstrations- und Versammlungsrecht bei Beeinträchtigung
erheblicher Belange der Bundesrepublik Deutschland und
insbesondere bei Beeinträchtigung außenpolitischer Interessen und völkerrechtlicher Verpflichtungen ebenfalls
einschränken wollen. Man muss sich dann schon fragen,
was das konkret heißt. Müssen wir zukünftig Demonstrationsanmeldungen mit den Botschaften der jeweiligen
Länder abstimmen? Herr Wiefelspütz hat auf das Beispiel
China und die Tibet-Politik hingewiesen. Ihnen fallen sicher noch weitere Beispiele ein, denn es gibt viele Länder,
mit denen wir - vorsichtig formuliert - außenpolitische
Dissonanzen haben. Sollen wir in all diesen Fällen künftig
immer abwägen? Soll der Außenminister sein Veto einlegen? Sollen wir jeweils mit den Botschaften verhandeln?
Das ist mit Sicherheit eine Situation, die wir niemandem
wünschen - auch nicht denjenigen, die nachher über das
Demonstrations- und Versammlungsrecht entscheiden
müssen. Ich halte das für nicht praktikabel und sehe darin
auch ein etwas verqueres Rechtsstaatsverständnis.
Wir alle waren maßlos empört, als die Neonazis einen
Tag vor dem Jahrestag des Machtantritts der Nazis quasi
als Nachfolger im Denken und Handeln am 29. Januar 2000 mitten in Berlin aufmarschiert sind. Ich empfehle aber - darauf ist in der Debatte schon mehrfach hingewiesen worden; deshalb kann ich mich kurz fassen -, die
geltende Rechtslage zunächst einmal zur Kenntnis zu nehmen, bevor man Gesetzesverschärfungen fordert. Es gab
in Berlin - Herr Werthebach wird darauf wahrscheinlich
eingehen - eine sehr lange Diskussion darüber, inwiefern
die ergriffenen Maßnahmen tatsächlich sachdienlich waren. Niemand möchte solche makaberen Veranstaltungen.
Gegenwärtig finden sie nicht mehr statt. Das ist gut so;
dafür muss man sich bei unseren Bürgerinnen und Bürgern, die Gegendemonstrationen organisieren, bedanken.
({2})
Das ist wirklich ein Zeichen dafür, dass die Zivilgesellschaft funktioniert, und zwar parteiübergreifend. Als jemand, der den Innensenator in der vergangenen Zeit heftig kritisiert hat, muss ich dazu sagen, dass der Senat
mittlerweile die notwendigen Maßnahmen ergreift, damit
eine Wiederholung solcher Demonstrationen in dieser
Form nicht möglich ist.
Lassen Sie mich noch eines sagen, obwohl der Kollege
Bosbach, der auf die jüdischen Mitbürger verwiesen hat,
jetzt nicht mehr da ist. Ich finde es nicht ganz fair, dass
man die Juden immer dann zitiert, wenn es einem gerade
in den Kram passt.
({3})
Wir haben uns auch mit Herrn Nachama und mit der Jüdischen Gemeinde zusammengesetzt.
({4})
Wir haben es uns nicht leicht gemacht, zu einer Position
zu kommen, denn uns ist natürlich klar, dass die Jüdische
Gemeinde - ({5})
- Jetzt hören Sie doch erst einmal zu! Ich finde, als Vertreter einer Partei, die in Hessen mit angeblichen jüdischen Vermächtnissen Wahlkampf gemacht hat, sollte
man sich in diesem Punkt ein bisschen zurückhalten.
({6})
Ich komme gleich noch zu meinem Argument. Es ist nicht
okay, dass man dann, wenn es einem in den Kram passt,
die Juden zitiert, doch dann, wenn sich Herr Spiegel, der
Vorsitzende des Zentralrates der Juden in Deutschland, zur
Leitkulturdebatte zu Wort meldet, sagt, er sollte sich doch
besser zurückhalten und sich zu anderen Themen äußern.
({7})
Das passt nicht ganz zusammen; das wundert mich auch
ein wenig. Ich möchte Ihnen empfehlen, das Gespräch mit
der Jüdischen Gemeinschaft in Deutschland etwas intensiver zu führen.
Aber lassen Sie mich, weil meine Redezeit gleich abgelaufen ist,
({8})
zu dem Thema übergehen, das Anlass für diese Debatte
ist, nämlich der Aufmarsch von Rechtsradikalen, den
- hoffentlich - niemand in diesem Hause möchte. Wir
müssen uns alle gemeinsam überlegen, was wir gegen so
etwas tun können, ohne Grundrechte abzubauen. Unsere
Regierung hat dazu einiges an Maßnahmen vorgelegt.
Lassen Sie uns in einen Wettbewerb darüber eintreten,
wie wir Rechtsradikalismus in jeder Form am besten
bekämpfen können! Wir haben dafür Mittel im Haushalt
eingestellt. Wir haben den Antrag zum Verbot der NPD
gestellt. Wir haben so genannte Nazimusik und andere nazistische Organisationen verboten. Auch heute wurde darauf hingewiesen, dass der Antrag auf Verbot der NPD
auch in diesem Haus sehr kontrovers diskutiert wurde.
Herr Schmidt-Jortzig, der ja in der Kommission, die das
jetzt begleitet, vertreten ist, wird mir nicht böse sein, wenn
ich sage, dass die F.D.P., die nicht für diesen Antrag des
Bundestages war, und mit ihr Herr Westerwelle die Ersten
sein werden, die hinterher, wenn das Bundesverfassungsgericht zu dem Urteil kommt, dass es rechtens ist, die
NPD zu verbieten, sagen werden, das Verfassungsgericht
habe weise geurteilt und die F.D.P. sei schon immer dafür
gewesen.
({9})
Aber wir gönnen Ihnen auch das. Wenn es der Sache dient,
hilft es uns ja auch.
Zum Schluss, meine Damen und Herren, möchte ich
auf das Holocaust-Mahnmal zu sprechen kommen, weil
ich glaube, dass es eine gesonderte Beurteilung verdient.
Wir sind uns alle einig, dass das Holocaust-Mahnmal ein
Ort des Gedenkens und der Aufklärung und damit nicht
vergleichbar mit dem Reichstag oder der Neuen Wache
ist. Es kann kein Zweifel daran aufkommen, dass dort ein
Schutz in besonders sensibler Weise notwendig ist.
Ich habe an das Kuratorium der Stiftung die Bitte, Vorschläge zu machen, wie ein umfassendes Sicherheitskonzept zum Schutz der Gedenkstätte entwickelt werden
kann. Wir alle, die sich damit beschäftigen, sind uns wahrscheinlich darin einig. Das Problem ist weniger die Frage
der Versammlungen, sondern die des Missbrauchs und
die, was von Besuchern angerichtet werden kann. Wir
sind für Vorschläge offen. Das scheint mir sachdienlicher
zu sein, als Grundrechte zu ändern.
Danke sehr.
({10})
Zu einer Kurzintervention erteile ich jetzt dem Kollegen Dr. Edzard
Schmidt-Jortzig das Wort.
Ich fühle mich
zu dieser Kurzintervention herausgefordert, weil Sie sich
eben, Herr Özdemir, in der Verve Ihrer schönen Einlassung gegen den Entwurf zu einer gewissen Entgleisung
haben hinreißen lassen.
({0})
Wir haben, wie Sie genau wissen, nur deshalb dem
NPD-Verbotsantrag nicht zugestimmt, weil wir die Sache,
um die es geht, für viel zu ernst halten, als dass wir mit
diesem Verbotsantrag Symbolpolitik betreiben dürften.
({1})
Deswegen ist es nicht nur falsch, sondern auch infam,
wenn Sie dieses Votum dazu benutzen, uns nicht genügend Ernsthaftigkeit im Kampf gegen den Rechtsradikalismus zu unterstellen. Das durfte so nicht passieren.
({2})
Wir werden in der Tat sehr kritisch beobachten, ob
diese Bundesregierung über den mit sehr großem Pomp
ins Werk gesetzten Verbotsantrag hinaus ernsthaft etwas
zur Bekämpfung des Rechtsradikalismus tut. Das wird die
entscheidende Elle sein, nicht dieser Verbotsantrag. Aber
aus diesen Gründen - und wirklich nur aus diesen Gründen - haben wir gesagt: Wir machen bei diesem Verbotsantrag nicht mit. Das bitte ich zur Kenntnis zu nehmen.
({3})
Bevor ich Ihnen das
Wort zur Erwiderung erteile, Herr Özdemir, weise ich darauf hin, dass es eine zweite angemeldete Kurzintervention vom Kollegen Erwin Marschewski, CDU/CSU, gibt.
Bitte schön, Herr Marschewski.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin in hohem Maße über das, was der Kollege
Özdemir vorhin gesagt hat, erschüttert. Er hat ausgeführt,
wir würden die Juden benutzen, wenn sie uns in den Kram
passten. So habe zumindest ich es gehört.
Herr Kollege Özdemir, dies ist ungeheuerlich. Hier
steht jemand, der sich für deutsch-jüdische und christlichjüdische Zusammenarbeit einsetzt, der sein ganzes Leben
diesem Feld gewidmet hat. Hier steht jemand, der eine
christlich-demokratische Politik vertritt, die als Erstes
durch Konrad Adenauer die Aussöhnung mit den Juden,
den Israelis gesucht hat.
({0})
Hier steht jemand, der das Demonstrieren am Brandenburger Tor deswegen verhindern will, weil Nazis Berlin, Deutschland, unser Vaterland missbrauchen, was im
Ausland einen außergewöhnlich negativen Eindruck hinterlässt und das Ansehen unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung und unserer Demokratie im Ausland
in den Schmutz zieht.
Ich habe mich gemeldet, um dies zu sagen. Ich bitte Sie
ganz herzlich, sich von dem, was Sie, wie ich hoffe, sehr
flapsig gesagt haben, zumindest zu distanzieren.
({1})
Zur Erwiderung erteile ich jetzt dem Kollegen Cem Özdemir das Wort.
Frau
Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich fange mit der
Kurzintervention des Kollegen Schmidt-Jortzig an. Ich
habe meine Rede noch relativ gut präsent. Wir können uns
den Wortlaut gleich einmal anschauen.
Herr Schmidt-Jortzig, ich habe keinen Zusammenhang
zwischen der Bekämpfung des Rechtsradikalismus, bei
der wir uns - das habe ich in meiner Rede mehrfach gesagt - in den Linien einig sind, und dem NPD-Verbotsantrag hergestellt. Ich habe darauf hingewiesen, dass es gelegentlich bei der F.D.P., insbesondere bei Herrn
Westerwelle, vorkommt, dass man mal dieses und mal jenes hört.
({0})
Das NPD-Verbot wurde kontrovers beurteilt. Sie alle,
auch die Union, arbeiten mit an der Begleitung des Verfahrens, was ich begrüße. Hier arbeiten wir sehr gut zusammen. Ihre Hinweise zur Sache werden alle umgesetzt.
({1})
Was ich damit andeuten wollte, ist, dass ich mir durchaus vorstellen kann, dass sich manche nach dem Verbot
der NPD durch unseren Antrag, was wir, wie ich hoffe,
alle wünschen - es wäre eine Katastrophe, wenn es nicht
käme -, die am Anfang nicht so begeistert waren, hinterher zu den Vätern des Erfolges zählen werden. Aber das
habe nicht ich, sondern das hat die Öffentlichkeit zu beurteilen.
({2})
Aber einen irgendwie gearteten Zusammenhang zwischen der Haltung der F.D.P. zum NPD-Verbot und der
Bekämpfung des Rechtsradikalismus habe ich weder hergestellt, noch wollte ich ihn herstellen, noch ist er aus
Geist, Inhalt oder Buchstaben meiner Rede abzulesen.
({3})
Zu dem, was der Kollege Marschewski gesagt hat: Was
Sie mir vorwerfen, muss ich in aller Deutlichkeit zurückweisen. Herr Marschewski, ich glaube, Sie verwechseln
die Debatte von vorhin - wir können es gerne gleich
nachlesen - mit der Debatte von heute Morgen.
({4})
Das scheint mir die Ursache für Ihre Kurzintervention zu
sein.
({5})
Ich wiederhole einfach meine Ausführungen; vielleicht
trägt das zur Aufklärung bei.
({6})
- Vielleicht darf ich zu Ende reden, Herr Marschewksi.
Ich habe gesagt, dass es nicht in Ordnung ist, wenn
man den Zentralrat der Juden in Deutschland immer dann
zitiert, wenn es einem gefällt. Das kann man nicht machen.
({7})
- Das habe ich gesagt, also, ich bitte Sie!
({8})
- Sie müssen mir schon die Chance geben, zu antworten.
Sie können nicht hergehen und sagen, nur wenn es um
die Frage geht, das Demonstrations- und Versammlungsrecht zu ändern, zitiere ich den Zentralrat. Es wäre übrigens auch einmal ganz interessant, zu belegen, wo sich
der Zentralrat öffentlich geäußert hat bzw. welche jüdische Gemeinde öffentlich gesagt hat, das Versammlungsrecht müsse geändert werden. Wir haben uns mit Herrn
Nachama und dem Zentralrat zusammengesetzt, weil wir
das Thema ernst nehmen, und ausdrücklich gefragt: Wie
seht ihr die Situation? Ich muss Ihnen sagen, dass die Meinung des Zentralrats in der Frage des Holocaust-Mahnmals nicht mit der Position meiner Fraktion identisch war.
Es gibt aber keinen Zweifel: Weder in Bezug auf das
Brandenburger Tor noch in Bezug auf andere Orte von
herausragender nationaler Bedeutung hat Herr Nachama
bzw. haben andere jüdische Gemeinden gefordert, das
Versammlungsrecht zu ändern.
Darauf, auf nichts anderes, habe ich mich bezogen.
Dass CDU und CSU, dass die Union - ({9})
- Jetzt muss ich Sie wirklich bitten: Bleiben Sie auf dem
Teppich! Das ist nun wirklich eine Art und Weise, die dem
Parlament nicht angemessen ist. Man braucht mich nicht
darüber zu belehren, dass die Union - genauso wie die
SPD und alle anderen Fraktionen dieses Hauses - zum
christlich-jüdischen sowie zum christlich-muslimischen
Dialog beiträgt. Das hoffe ich nicht nur, ich weiß, dass es
so ist, weil ich diesen Dialog mit vielen Kollegen gemeinsam führe. Ich bitte Sie daher, fair zu bleiben.
Danke sehr.
({10})
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, aufgrund dieses Streits mache ich den Vorschlag, den Stenographischen Bericht abzuwarten und auf
dieser Grundlage die Auseinandersetzung zu führen. Ich
möchte nur angesichts der jetzigen Auseinandersetzung
an Sie appellieren, dass gerade bei diesem hochsensiblen
politischen Thema der Stil des Hohen Hauses gewahrt
wird. Dies gilt auch für Auseinandersetzungen, Vorwürfe
und Unterstellungen. Wie gesagt: Ich bin dafür, dass man
den Streit klärt, wenn man die Äußerungen schwarz auf
weiß nachlesen kann.
Ich erteile jetzt der Kollegin Petra Pau, PDS-Fraktion,
das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich zunächst auf meine
Vorredner beziehen: Wir haben ein gemeinsames Problem, nämlich einen grassierenden Rechtsextremismus,
der nicht nur demonstrativ, sondern auch tödlich ist. Ihm
gilt es zu wehren, und das sollte unser gemeinsames Anliegen sein.
({0})
Allerdings beantwortet das prinzipielle Wollen noch
nicht die Frage nach dem Wie. Das Grundgesetz der Bundesrepublik setzt Normen - als Reaktion auf die Lehren
des Faschismus formuliert -, die sich ganz bewusst gegen
die Praktiken des NS-Regimes wenden. Dazu gehört das
Versammlungs- und Demonstrationsrecht.
({1})
Als vor einem Jahr alte und neue Nazis durch das Brandenburger Tor marschierten, gehörte ich zu jenen, die vor
Ort dagegen protestierten und somit demonstrierten: So
nicht, so nicht mit uns! Wir wollen ein demokratisches, tolerantes und ausländerfreundliches Land. Das, was dort
stattfand, war ziviler Ungehorsam, den ich gern, gemeinsam mit den jüdischen Gemeinden, Gewerkschaften,
Künstlern, jedermann und jeder Frau, begehe. Im Übrigen
war damals in den Nachfolgeveranstaltungen der christdemokratische Parlamentspräsident Berlins genauso wie
der sozialdemokratische Fraktionsvorsitzende vertreten.
Ich denke, wir müssen uns in einer solchen Einheit auf der
Straße zivil gegen so etwas auflehnen.
({2})
Ich kenne die Frage - ich stelle sie mir auch immer
wieder -: Dürfen alte und neue Nazis ihre Meinung frei
äußern und überall demonstrieren? Nur, was bringt es uns,
wenn wir diese Frage mit Nein beantworten? Es gibt kein
Sonderrecht. Wird das Recht auf freie Meinungsäußerung
und Demonstration einmal eingeschränkt, hat dieses
Recht niemand mehr. Das ist das Problem, über das wir
heute reden.
Natürlich empfinde ich Scham und Abscheu, wenn
Neonazis durch das Brandenburger Tor marschieren. Mit
dem vorliegenden Antrag soll das verhindert werden.
Aber meine Abscheu und Scham sind keinen Deut geringer, wenn Neonazis durch Berlin-Hellersdorf, Lübeck
oder Passau marschieren.
({3})
Der Versuch, national bedeutende Areale wie das Brandenburger Tor „sauber zu halten“, ist aus meiner Sicht nur
Kosmetik. Er löst nichts, sondern blendet das Problem
und seine Ursachen aus.
({4})
Wer die Ideologie und die Strategie neofaschistischer
Parteien oder Kameradschaften halbwegs kennt, der weiß:
Sie kämpfen gegen die humanistische Substanz des
Grundgesetzes. Aber der CDU/CSU-Antrag läuft darauf
hinaus, die rechtsstaatliche Substanz des Grundgesetzes zu
beschneiden. Das kann doch nicht ernsthaft gewollt sein.
({5})
Wir können doch den Deibel nicht mit dem Beelzebub
austreiben.
({6})
Gefragt sind Zivilcourage, staatliche Unterstützung und
komplexe Programme gegen rechts - von mir aus auch die
Bibel, Kollege Marschewski. Ich finde dort vieles, was uns
auffordert, gemeinsam Zivilcourage zu zeigen. Aber gerade daran mangelt es in unserer Gesellschaft nach wie vor.
Wie in jedem Gesetzentwurf, der in das Parlament eingebracht wird, steht auch in dem Entwurf eines Gesetzes
zur Änderung des Versammlungsgesetzes der Fraktion
der CDU/CSU der formale Satz: „Alternativen - Keine.“
Ich denke, es gibt eine Alternative zu diesem Gesetzentwurf. Nur heißt sie nicht Bürgerrechte einschränken, sondern Bürgerrechte ausbauen.
({7})
Es spricht jetzt der Innensenator des Landes Berlin, Dr. Eckart Werthebach.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst
einige Vorbemerkungen zu dem machen, was vor mir gesagt würde. Herr Özdemir, viele Passagen Ihrer Rede sind
anfechtbar. Ich drücke das sehr höflich aus, weil ich hier
Gast bin. Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu
Berlin, Herr Nachama, hat sich - darauf möchte ich Sie
hinweisen - ausdrücklich für ein Verbot von Demonstrationen am Holocaust-Denkmal und - wenn ich mich richtig erinnere - auch am Brandenburger Tor ausgesprochen.
({0})
Sie, Herr Özdemir, haben gesagt, Sie wüssten noch nicht
einmal, ob sich Herr Nachama für ein solches Demonstrationsverbot aussprechen würde. Ich kann Ihnen nur sagen: Er hat sich ausdrücklich dafür ausgesprochen.
({1})
Verehrter Herr Wiefelspütz, ich finde es gut, dass Sie
in einen Denkprozess eingetreten sind, der Sie offenbar
ein Stück weitergebracht hat, jedenfalls im Vergleich zu
den Äußerungen, die ich seinerzeit im Innenausschuss des
Deutschen Bundestages von Ihnen gehört habe.
({2})
- Ich bin immer bereit, über alles nachzudenken. Wenn
wir hier zu einem gemeinsamen Ergebnis kämen, wäre ich
froh und dankbar;
({3})
schließlich habe ich als Innensenator die alltäglichen Probleme mit den Demonstrationen. Herr Wiefelspütz, ich
muss Ihnen doch keinen Nachhilfeunterricht erteilen und
Ihnen sagen, in wie vielen Bundesgesetzen der Begriff
„erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland“
verwandt wird, zum Beispiel in § 37 des Ausländergesetzes. Wer bestimmt denn diesen Begriff? Das zu tun ist
doch die tagtägliche Praxis der Verwaltung und der Gerichte; denn dieser Begriff ist justiziabel.
Sie haben Herrn Bosbach offensichtlich völlig missverstanden. Er hat nicht gesagt: außenpolitische Belange, sondern: erhebliche Belange der Bundesrepublik
Deutschland,
({4})
insbesondere außenpolitische Interessen, wenn dadurch
zugleich - den dann folgenden Gesetzestext scheinen Sie,
Herr Wiefelspütz, nicht mehr gelesen zu haben -, wenn
dadurch zugleich einer der Verfassungsgrundsätze im
Sinne des § 92 Abs. 2 Strafgesetzbuch missachtet wird.
Ich gestehe Ihnen zu, dass das ein enger Rahmen ist. Man
wird bei der Anhörung darüber diskutieren müssen, ob
dieser Rahmen nicht zu eng gefasst ist. Aber insgesamt
- auf diese Feststellung lege ich großen Wert - bedeutet
der Gesetzentwurf der CDU/CSU-Fraktion nach meiner
Überzeugung keine Verschärfung des Demonstrationsrechts. Vielmehr bedeutet er eine maßvolle Erweiterung
der Verbotsmöglichkeit im Sinne einer Präzisierung.
Es ist hier und heute erneut angedeutet worden - niemand hat es deutlich ausgesprochen; Herr SchmidtJortzig hat das auf sehr vornehme Art und Weise getan -,
dass die Versammlungsbehörde Berlins - das ist der
Polizeipräsident - das Verbot der Versammlung am
29. Januar - angeblich - nicht hinreichend begründet
habe. Es standen zwar nur wenige Stunden zur Verfügung,
aber als das Oberverwaltungsgericht im Eilverfahren entscheiden musste, lagen alle entscheidungserheblichen
Akten mit Begründungen vor. Darauf lege ich großen
Wert.
({5})
- Ich weiß nicht, was mein Senatsdirigent gesagt hat. Jedenfalls kann er sich auf die Entscheidung des Polizeipräsidenten beziehen. Wir sind ja noch im Gerichtsverfahren gewesen. Sie sind doch Verwaltungsrichter, Herr
Wiefelspütz.
({6})
- Gewesen. Das will ich gar nicht bestreiten.
Meine Damen und Herren, mir liegt sehr viel an diesem Gesetzesvorhaben. Ich bin der CDU/CSU-Fraktion
sehr dankbar dafür, dass sie diesen Entwurf eingebracht
hat. Das ist nicht nur der Dank des Innensenators von Berlin. Ich glaube, sehr viele Innenminister der Länder werden der CDU/CSU-Fraktion dafür sehr dankbar sein.
Berlin bietet wie kein anderer Ort in Deutschland steinerne Zeugen als historische Kulissen für die Wiederbelebung einer unseligen Vergangenheit. Gleichwohl handelt es sich nicht nur um ein Berliner Problem, wie
ähnliche Erscheinungen in anderen Bundesländern zeigen. Auch andernorts führt die geltende Rechtslage, nach
der Versammlungen nur dann verboten werden dürfen und
können, wenn mit der Begehung von Straftaten zu rechnen ist, zu unerträglichen Ergebnissen. Die Versammlungsbehörde und die Polizisten, die verbotswürdige Versammlungen vor gewaltbereiten Gegendemonstranten zu
schützen haben, müssen sich regelmäßig als „Beschützer
von Neonazis“ verhöhnen lassen. Der Rechtsstaat lässt
sich hier mit seinen eigenen Instrumenten bekämpfen.
Grundrechte werden für verfassungsfeindliche Zwecke
missbraucht.
({7})
Wie sagte Goebbels 1929?
Wir gehen in den Reichstag
- in dieses Gebäude! um uns im Waffenarsenal der Demokratie mit deren
eigenen Waffen zu versorgen.
({8})
Genau das stößt bei den Bürgern auf Kopfschütteln und
Unverständnis und irritiert im Übrigen unsere europäischen und transatlantischen Partner.
({9})
Eine angemessene Reaktion des Staates darf sich doch
nicht darin erschöpfen, die Bürger zu Lichterketten und
Gegendemonstrationen aufzurufen.
({10})
Der sachlich falsche, aber gleichwohl gebetsmühlenartig wiederholte Einwand, die geltende Fassung des Versammlungsgesetzes genüge, um extremistische Auswüchse zu unterbinden, dient der Ablenkung und der
Abwälzung von Verantwortung.
Übrigens: Das Verbotsverfahren gegen die NPD
macht, unabhängig von seinem Ausgang, die vorgeschlagenen Änderungen des Versammlungsgesetzes keineswegs entbehrlich. Wie Sie wissen, war es nicht nur die
NPD, die hier demonstriert hat; es waren viele Gruppierungen von Neonazis.
Es ist mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
der Mittel doch schlechthin unvereinbar - das sage ich
noch einmal insbesondere in Ihre Richtung, Herr
Wiefelspütz -, mit dem Parteiverbotsverfahren eine der
schärfsten Waffen des Rechtsstaates einzusetzen, zugleich aber die Möglichkeit einfachgesetzlicher Rechtsänderungen ungenutzt zu lassen, um öffentliche Angriffe
auf die Verfassung zu unterbinden. Das sage ich auch in
Ihre Richtung, Herr Schmidt-Jortzig. Wenn unsere Demokratie vor neue Herausforderungen gestellt wird, muss
sie abwehrbereit sein. Sie darf nicht zurückweichen. Denken Sie an das Goebbels-Zitat!
Der von der CDU/CSU-Fraktion vorgelegte Gesetzentwurf liefert den Rahmen dafür, wie ein Missbrauch des
Versammlungsrechts durch Einzelne künftig verhindert
werden kann, ohne dass das Versammlungsrecht für alle
eingeschränkt wird. Herr Bosbach hat die wesentlichen
Punkte genannt.
Lassen Sie mich als Verfassungssenator von Berlin erläutern, warum aus meiner Sicht die folgenden drei Orte
- das war immer wieder die Frage in der heutigen Diskussion - zu befriedeten Bezirken erklärt werden müssen. Dass das Denkmal für die ermordeten Juden Europas
eines besonderen Schutzes bedarf, ist leider evident. Wir
dürfen doch nicht zulassen, dass das Gedenken an die ermordeten Juden Europas von Verfassungsfeinden verunglimpft wird!
Wenn aber, Herr Özdemir, am Holocaust-Mahnmal ein
befriedeter Bezirk geschaffen werden muss, an dem Versammlungen nur unter besonderen Voraussetzungen
zulässig sind, dann muss das selbstverständlich auch für
die Neue Wache gelten,
({11})
da die Neue Wache die zentrale nationale Gedenkstätte für
alle Opfer von sämtlichen Kriegen sowie jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft ist.
({12})
Es wäre fatal, in dieser Frage eine Hierarchie der Opfergruppen zu schaffen, mit der eine Unterscheidung zwischen besonders schutzbedürftigen und sonstigen Opfern
getroffen wird.
Schließlich liegt uns allen das Brandenburger Tor
- nicht nur wegen seiner zentralen Lage - am Herzen. Das
Brandenburger Tor ist nicht nur das Symbol des neuen
Berlins; vielmehr ist es zwischenzeitlich auch das Symbol
des wieder vereinten Deutschlands geworden. Kein anderes Bauwerk erinnert gleichermaßen an die gewaltsame
Teilung ebenso wie an die friedliche Wiedererlangung
von Freiheit und Einheit. Dieser Symbolgehalt des
Brandenburger Tores ist weit über die Grenzen Deutschlands und Europas hinaus bekannt.
Frau Präsidentin, das Lämpchen leuchtet schon auf.
Das bedeutet wohl, dass meine Redezeit abgelaufen ist.
Herr Senator, als Mitglied des Bundesrates haben Sie selbstverständlich weiterhin das Rederecht. Ich glaube, dass es aber ein flächendeckendes Interesse gibt, die Debatte nicht übermäßig
auszudehnen. Ich bin schon recht großzügig. Wenn Sie
Ihre Rede fortsetzen, hat die Gegenseite das Recht, die
Debatte zu verlängern.
Frau Präsidentin, ich habe gesehen, dass Sie auch bei meinen Vorrednern sehr großzügig gewesen sind. Ich werde mich beeilen.
Ich will an Sie appellieren: Es darf nicht bei der bloßen
Empörung über extremistische Demonstrationen bleiben.
Der Gesetzgeber, also Sie meine Damen und Herren Abgeordneten, sind gefordert, hier eine Gesetzesänderung
herbeizuführen. Die CDU/CSU-Fraktion hat ihren Beitrag geleistet.
Obwohl ich das eigentlich gern tun würde, kann ich
nicht mehr auf die Kammergerichtsentscheidung des
Bundesverfassungsgerichts eingehen. Ich will dazu nur
sagen: Nichts gegen richterliche Rechtsfortbildung,
meine Damen und Herren Abgeordnete; aber die Rechtssetzung ist Ihre Aufgabe. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Januar kann als Einzelfallentscheidung nicht ausschlaggebend sein.
Wenn die Mütter und Väter unseres Grundgesetzes die
jüngsten Aufzüge der Neonazis am Brandenburger Tor erlebten, dann wären sie fassungslos. Daran haben sie bei
der Formulierung von Art. 8 GG gewiss nicht gedacht, genauso wenig wie die Gesetzgeber bei der Verabschiedung
des Versammlungsgesetzes 1953 und das Bundesverfassungsgericht bei seiner Brokdorf-Entscheidung 1985.
Für die Weiterentwicklung des Versammlungsrechts
im Sinne einer wert- und wehrhaften Demokratie ist es in
der Tat höchste Zeit. Hören Sie auf Carlo Schmid, der bei
der Einbringung des Grundgesetzes sagte:
Wenn man an die Würde des Menschen als etwas
Notwendiges glaubt, dann muss man auch den Mut
zur Intoleranz denen gegenüber haben, die die Demokratie gebrauchen wollen, um sie umzubringen.
Senator Dr. Eckart Werthebach
Haben Sie Mut, meine Damen und Herren Abgeordnete!
({0})
Der letzte Redner in
dieser Debatte ist der Parlamentarische Staatssekretär
Fritz Rudolf Körper.
Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern ({0}): Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Ich habe hier keine Ratschläge zu erteilen. Aber
ich möchte vorab eine Bitte äußern: Dieses für unser Land
und die politische Diskussion sehr sensible Thema ist
meiner Ansicht nach für einen platten parteipolitischen
Streit absolut ungeeignet.
({1})
Herr Schmidt-Jortzig hat im Zusammenhang mit dem
Thema Versammlungsrecht - ich persönlich kann mich
daran leider nicht erinnern - das Jahr 1953 erwähnt, in
dem dieses Recht entstanden ist. Er hat zu Recht darauf
hingewiesen, dass das Versammlungsrecht eigentlich
ganz behutsam angepackt worden ist. Man muss ein weiteres Jahr hinzufügen: Das Bundesverfassungsgericht hat
sich mit diesem Thema im Jahr 1985 im Rahmen seines
Brokdorf-Beschlusses sehr grundsätzlich auseinander gesetzt und uns eine verfassungskonforme Auslegung präsentiert. Es hat die Versammlungsfreiheit zu Recht als eines der vornehmsten Grundrechte überhaupt bezeichnet.
Es wurde klar festgelegt, dass ein Versammlungsverbot
nur die Ultima Ratio sein darf.
Meine Damen und Herren, in diesen Tagen reden wir
ja viel über das, worauf wir stolz sein können. Ich glaube,
dass wir gerade darauf stolz sein können, dass die Versammlungsfreiheit ein wesentliches Kennzeichen unserer
freiheitlich-demokratischen Grundordnung ist.
({2})
Leider muss man natürlich hinzufügen, dass die Versammlungsfreiheit von Leuten missbraucht wird, die extremistisches Gedankengut vertreten. Die Diskussion
zum Versammlungsrecht heute und im Vorfeld wurde ja
durch das schon erwähnte auslösende Ereignis im Januar
2000 hier in Berlin geprägt. Dieses Ereignis löste
Empörung aus, da auf dieser Veranstaltung Ideen propagiert wurden, die in der Geschichte unter anderem Krieg
und Völkermord heraufbeschworen haben.
Ich will heute an dieser Stelle zu der Frage der Bewertung des NPD-Verbotsantrags nicht Stellung nehmen. Ich
will aber dazu aufrufen, dass wir heute alles daransetzen
müssen, dass sich das, was sich in unserem Land von 1933
bis 1945 abgespielt hat, nie wiederholt.
({3})
- Lieber Erwin Marschewski, ich hoffe, dass wir deutlich
machen können, dass wir in der Frage des Ergebnisses
überhaupt nicht weit auseinander liegen. Denn wer will
das schon, was sich da am Brandenburger Tor abgespielt
hat? Vielmehr geht es um den Weg und die Instrumente.
CDU/CSU begründen ihren Gesetzentwurf zunächst
damit, dass sich Bilder von mit Fahnen und Trommeln
durch das Brandenburger Tor marschierenden Rechtsextremisten nicht wiederholen sollen. Ich verstehe den Unmut und frage noch einmal: Wer will das schon?
({4})
Ich weise allerdings darauf hin, dass die Verwaltungsgerichte in der letzten Zeit gezeigt haben, wie man auch auf
der Grundlage des geltenden Rechtes solchen Aufzügen
die Spitze der Provokation nehmen kann.
({5})
Für das Versammlungsrecht ist gerade typisch, dass
sich Bevölkerungsgruppen mit sehr unterschiedlichen
Interessenlagen gegenüberstehen: Versammlungsteilnehmer, eventuell Gegendemonstranten, Anlieger, Gewerbetreibende, einkaufswillige Passanten, allgemeine
Verkehrsteilnehmer. Die Versammlungsbehörde und die
Polizei haben nun zwischen all diesen Gruppen einen
Interessenausgleich herbeizuführen. Um dies zu erreichen, kann die Versammlungsbehörde Auflagen erlassen.
Hierzu zählt beispielsweise in Berlin die Auflage, nicht
durch das Brandenburger Tor zu marschieren
({6})
und das Mitführen von Trommeln und Fahnen zu unterlassen. Ich denke, Herr Kollege Werthebach, dass man
damit auch eine Wiederholung solcher Szenen wie der
vom Januar 2000 vermeiden kann.
Der Schutz geschichtlich symbolträchtiger Orte vor
der missbräuchlichen Nutzung zur Verherrlichung oder
Verharmlosung von Gewalt- und Willkürherrschaft, der
Verunglimpfung von deren Opfern sowie zur verfassungsfeindlichen Propaganda ist der Bundesregierung ein
großes Anliegen. Ich betone hierbei, dass wir die Diskussion um die Verhinderung von Demonstrationen mit
extremistischem Hintergrund, deren Ziel allein Provokation und Einschüchterung und nicht die politische Auseinandersetzung ist, nicht in erster Linie wegen des Ansehens der Bundesrepublik Deutschland im Ausland führen
dürfen. In erster Linie muss es darum gehen, die Opfer
von Diktatur und Völkermord sowie deren Hinterbliebene
vor Verunglimpfung zu schützen und unsere freiheitlichdemokratische Grundordnung vor aushöhlender Verhöhnung zu bewahren.
({7})
Die Innenminister von Bund und Ländern haben sich
ja im November vergangenen Jahres mit dem Thema befasst. Die Innenministerkonferenz hat beschlossen, Versammlungen, die Gewalt und Willkürherrschaft verherrliSenator Dr. Eckart Werthebach
chen und gegen die Grundlagen der menschlichen Gemeinschaft gerichtet sind, zu verhindern. Demonstrationen an historisch oder kulturell bedeutsamen Orten sollten nur in Ausnahmefällen zulässig sein, so der Beschluss
vom November 2000. Der Bundesinnenminister wurde
gebeten, entsprechend tätig zu werden. Darüber hat er mit
den Innenministern der Länder einen guten Dialog geführt. Auch auf Beamtenebene - das werden Sie bestätigen, Herr Werthebach - gab es zahlreiche Gespräche zwischen dem Bundesinnenministerium und der Berliner
Senatsverwaltung für Inneres.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich eine kurze
Einschätzung des vorliegenden Gesetzentwurfes der
CDU/CSU geben: Der Entwurf stellt eine Diskussionsgrundlage dar. Ich möchte nicht in die Einzelkritik einsteigen, sondern mich auf zwei Gesichtspunkte beschränken.
In § 16 des Versammlungsgesetzes sollen Bund und
Länder ermächtigt werden, öffentliche Einrichtungen
oder Örtlichkeiten, die von herausragender nationaler und
historischer Bedeutung sind, per Gesetz als befriedete
Bezirke zu schützen. Die Einrichtung befriedeter Bezirke
mit dem Ziel, symbolträchtige Orte nicht länger als Kulisse für extremistische Aufmärsche missbrauchen zu lassen, ist ein Ansatzpunkt. Der Vorschlag, die Länder zu ermächtigen, eigene befriedete Bezirke um Orte von
herausragender Bedeutung einzurichten, löst bei mir
große Skepsis aus. Würde man sich entschließen, so eine
Regelung zu treffen, müsste festgeschrieben werden, dass
der Bundesgesetzgeber die schutzwürdigen und schutzbedürftigen Orte selbst festlegt. Dabei muss es sich um Orte
handeln, die gesamtstaatlich eine herausragende Bedeutung haben. Dies darf nicht von regionalen Zufälligkeiten
abhängen. Dies ist ein ganz wichtiger Punkt.
({8})
Ich möchte auch noch etwas zu der Verpflichtung, an
einem Kooperationsgespräch mitzuwirken, sagen, welche
ja auch in diesem Vorschlag enthalten ist. Hierdurch
könnte das Gesetz behutsam weiterentwickelt werden. Ich
stimme mit Sicherheit mit vielen hier im Hause überein,
dass die im CDU/CSU-Entwurf vorgesehene Regelung zu
einseitig ist und sie deshalb nicht sinnvoll ist. Das muss
an dieser Stelle auch noch einmal kurz gesagt werden.
({9})
Der Innenminister hat auch zugesagt - ich denke, das
wird dem Thema gerecht -, die verfassungsrechtliche
Problematik durch einen externen Gutachter prüfen zu
lassen. Ich glaube, dass dies eine sinnvolle Maßnahme ist.
Wir sollten unsere jeweiligen Vorstellungen in der Diskussion darlegen. Das Bundesinnenministerium wird sich
konstruktiv und ernsthaft in die Diskussionen bei der Anhörung einbringen. Ich denke, dass dies ein guter Weg ist.
Unser Land braucht diese Diskussion.
Herzlichen Dank.
({10})
Bevor ich die Aussprache schließe, erteile ich zu einer Kurzintervention
Cem Özdemir das Wort.
Frau
Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Staatssekretär Körper hat zu Beginn seiner Rede - wir alle haben dabei applaudiert - an uns appelliert, das Thema mit der gebotenen Sensibilität anzugehen. So will auch ich meinen
Beitrag dazu leisten. Mir liegt das Wortprotokoll noch
nicht vor. Sollte aber - entgegen dem, was ich in der Kurzintervention gesagt habe - bei meiner Rede vor diesem
Hohen Hause der Eindruck entstanden sein, dass ich mich
in Zusammenhang mit der Jüdischen Gemeinde missverständlich ausgedrückt habe, so nehme ich das ausdrücklich
zurück und korrigiere das. Es gibt unterschiedliche Äußerungen. Natürlich ist klar, dass sich die Union - genauso
wie alle anderen Fraktionen dieses Hauses - aktiv bemüht,
den Dialog in dieser Gesellschaft voranzubringen.
({0})
Danke für die Klarstellung. - Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 14/4754 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit
einverstanden? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist
die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 20 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen
der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung des Krankenhausfinanzierungsgesetzes
und der Bundespflegesatzverordnung ({0})
- Drucksache 14/5082 ({1})
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Krankenhausfinanzierungsgesetzes und der Bundespflegesatzverordnung
({2})
- Drucksache 14/5396 ({3})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit ({4})
- Drucksache 14/5567 Berichterstattung:
Abgeordneter Horst Schmidbauer ({5})
Die Kolleginnen und Kollegen Dr. Martin Pfaff,
Dr. Hans Georg Faust, Monika Knoche, Detlef Parr sowie
Dr. Ruth Fuchs haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.1) -
Parl. Staatssekretär Fritz Rudolf Körper
1) Anlage 4
Ich sehe Einverständnis im gesamten Hause. Deshalb
kommen wir sofort zu den Abstimmungen.
Wir kommen zum Gesetzentwurf der Fraktionen der
SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen zur Änderung
des Krankenhausfinanzierungsgesetzes und der Bundes-
pflegesatzverordnung. Es handelt sich um die Drucksa-
chen 14/5082 und 14/5567. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wol-
len, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Ent-
haltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Be-
ratung gegen die Stimmen der F.D.P.1) und bei Enthaltung
der PDS angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist damit gegen die Stimmen der F.D.P.2) und bei Enthaltung der PDS-Fraktion angenommen.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Krankenhausfinanzierungsgesetzes und der Bundespflegesatzverordnung, Drucksache 14/5567. Der Ausschuss empfiehlt, den Gesetzentwurf auf Drucksache 14/5396 für erledigt zu erklären.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist
damit mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 19 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion
der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Abschreibungsbedingungen
- Drucksache 14/5135 ({6})
a) Beschlussempfehlung und Bericht des
Finanzausschusses ({7})
- Drucksache 14/5562 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Klaus Lennartz
Hans Michelbach
b) Bericht des Haushaltsausschusses ({8})
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 14/5566 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Hans Georg Wagner
Hans Jochen Henke
Oswald Metzger
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Uwe-Jens Rössel
Es liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der
F.D.P. vor.
Die Kolleginnen und Kollegen Klaus Lennartz, Elke
Wülfing, Christine Scheel, Gerhard Schüßler und
Heidemarie Ehlert haben ihre Reden zu Protokoll gege-
ben.3) - Auch hier sehe ich keinen Widerspruch im Hause.
Deshalb kommen wir auch hier sogleich zu den Abstimmungen.
Wir kommen zunächst zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion der CDU/CSU zur Verbesserung
der Abschreibungsbedingungen auf Drucksache 14/5135.
Der Finanzausschuss empfiehlt auf Drucksache 14/5562,
den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. ({9})
Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung gegen die Stimmen von
CDU/CSU und F.D.P. abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der F.D.P. auf Drucksache
14/5571. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? ({10})
Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist gegen die Stimmen der F.D.P. bei Enthaltung der
CDU/CSU abgelehnt.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 21 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({11})
- zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU
Unterglasgartenbau in Deutschland sichern
- zu dem Antrag der Abgeordneten Ulrich
Heinrich, Birgit Homburger, Marita Sehn, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Anpassungsbeihilfen für Unterglasbetriebe
im Gartenbau
- zu dem Antrag der Abgeordneten Kersten
Naumann, Rolf Kutzmutz, Dr. Ruth Fuchs, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Schaffung eines Nothilfefonds für existenzbe-
drohte Unterglasgartenbaubetriebe
- Drucksachen 14/4243, 14/4257, 14/4291,
14/4444 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Karsten Schönfeld
Die Kolleginnen und Kollegen Heidemarie Wright,
Waltraud Wolff, Heinrich-Wilhelm Ronsöhr, Ulrike
Höfken, Marita Sehn und Kersten Naumann haben ihre
Reden zu Protokoll gegeben.4) - Auch hier sehe ich Ein-
verständnis im ganzen Hause.
Vizepräsidentin Petra Bläss
1) Anlage 2
2) Anlage 2
3) Anlage 3
4) Anlage 5
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf Druck-
sache 14/4444, und zwar zunächst zu dem Antrag der
Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel „Unterglasgarten-
bau in Deutschland sichern“, Drucksache 14/4243. Der
Ausschuss empfiehlt, den Antrag abzulehnen. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthal-
tungen? - Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stim-
men von CDU/CSU und F.D.P. bei Enthaltung der PDS
angenommen.
Weiterhin empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des
Antrags der Fraktion der F.D.P. zu Anpassungsbeihilfen
für Unterglasbetriebe im Gartenbau, Drucksache 14/4257.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegen-
probe! - Enthaltungen? - Auch diese Beschlussempfeh-
lung ist gegen die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. bei
Enthaltung der PDS angenommen.
Schließlich empfiehlt der Ausschuss, den Antrag der
Fraktion der PDS zur Schaffung eines Nothilfefonds für
existenzbedrohte Unterglasgartenbaubetriebe auf Druck-
sache 14/4291 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? -
Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen der
CDU/CSU bei Enthaltung von F.D.P. und PDS angenom-
men.1)
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({12}) zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla
Jelpke, Heidi Lippmann, Carsten Hübner, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Einstufung des irakischen Giftgasangriffs am
16. März 1988 auf Halabja als Völkermord - Hu-
manitäre Hilfe für die Opfer des Angriffs
- Drucksachen 14/2916, 14/4946 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Christoph Moosbauer
Ruprecht Polenz
Christian Sterzing
Walter Hirche
Dr. Gregor Gysi
Die Kolleginnen und Kollegen Christoph Moosbauer,
Joachim Hörster, Gudrun Kopp, Ulla Jelpke sowie der
Staatsminister Dr. Ludger Volmer haben ihre Reden zu
Protokoll gegeben.2) - Auch hier sehe ich Einverständnis
im ganzen Hause.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion der PDS mit
dem Titel „Einstufung des irakischen Giftgasangriffs am
16. März 1988 auf Halabja als Völkermord - Humanitäre
Hilfe für die Opfer des Angriffs“ auf Drucksache 14/4946.
Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache
14/2916 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen der PDS-Fraktion angenommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 28. März 2001, 13 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.