Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 3/15/2001

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Volkmar Schultz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002792, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Willy Brandt hat im Jahre 1972 in einer Rede vor der Harvard-Universität Folgendes gesagt: Amerika wartet darauf, dass Europa zu einem ebenbürtigen Partner - er sagte „equal partner“ - heranwächst, mit dem es gemeinsam Verantwortung für „world affairs“ übernehmen kann. Er hat dann in groben Zügen die Weiterentwicklung der Europäischen Gemeinschaft über den damals noch festen Eisernen Vorhang hinaus skizziert. Ja, Herr Außenminister, es ist gut, wenn gelegentlich gute Reden vor einem Universitätspublikum gehalten werden. Ich empfehle allen, die sich mit transatlantischen Beziehungen befassen, diese Rede von Willy Brandt vom 5. Juni 1972 noch einmal nachzulesen. ({0}) Der jetzige Bundeskanzler Gerhard Schröder hat vor kurzem seine Vorstellungen zu den transatlantischen Beziehungen geäußert und unter anderem gesagt - ich darf das nach der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ zitieren: In Zukunft muss die Europäische Union in der Lage sein, einen Beitrag zu einer stabilen Weltordnung zu leisten, der ihrem wirtschaftlichen und politischen Potenzial entspricht. ({1}) Ich persönlich möchte hinzufügen: Die Union muss dazu nicht nur in der Lage sein, sie muss auch den politischen Willen dazu aufbringen. Zwischen diesen beiden Zitaten liegen fast 30 Jahre und in dieser Zeit ist kaum eine Woche vergangen, ({2}) in der nicht irgendein kluger Kommentator den Bruch der transatlantischen Beziehungen, das Auseinanderdriften Europas und Amerikas, die fundamentale Andersartigkeit der USA oder gar den Abstieg Europas heraufbeschworen hätte. Die letzten 30 Jahre haben aber auch bewiesen, dass alle diesen klugen Leute Unrecht hatten und Unrecht haben - übrigens auch diejenigen in der CDU, die seit ihrem eigenen Machtverlust nur noch Unheil am transatlantischen Horizont heraufziehen sehen. Diese Kassandrarufe werden in der Regel mit Vorwürfen wegen angeblicher Versäumnisse der jetzigen Bundesregierung begründet und im Hintergrund hört man dann immer den Kollegen Rühe als Lautverstärker republikanischer Wahlkampfparolen, von denen sich inzwischen die Republikaner selbst schon wieder verabschiedet haben. Ich habe gar nichts dagegen, wenn man sich auch in Amerika mit besonders guten Freunden der „old boys connection“ ausführlich austauscht. Aber jedermann ist im europäischen Interesse aufgerufen, sich das ganze breite Meinungsspektrum in Amerika anzuhören. ({3}) Dabei gibt es zu bedenken, dass zum Beispiel zwischen Pentagon und State Departement ein immanentes Spannungsverhältnis herrscht, das sich immer dann zeigt, wenn wichtige außen- oder sicherheitspolitische Entscheidungen anstehen. Dann gilt es auch zu bedenken, dass es ein klassisches Spannungsverhältnis zwischen der Regierung und dem Kongress in den USA gibt und dass dem Kongress bei den derzeitigen Mehrheitsverhältnissen nicht mit simplifizierten Antworten aus Europa begegnet werden kann. So gibt es in der Frage von „missile defense“ nicht die Alternativen Gefolgschaft oder Verweigerung. Im Gegenteil, wir haben unsere eigenen europäischen Erfahrungen mit Gefährdungen und Bedrohungen, aber auch unsere eigenen Interessen, die wir in den transatlantischen Dialog einbringen wollen. Was ist beispielsweise mit der Gefährdung durch miniaturisierte Massenvernichtungsmittel? Was ist mit Bedrohungen, die nicht von Staaten, sondern von internationalen Banden ausgehen? Was bedeutet eine Defensivtechnologie für das bisherige Abrüstungsregime? Wie reagieren andere Akteure in der Weltpolitik? Auf all diese Fragen gibt es auch in Amerika noch keine fertigen Antworten. Im Gegenteil, dort wird genauso heftig gestritten und debattiert wie bei uns. Auch von der CDU-Bundestagsfraktion gibt es nicht einmal andeutungsweise Antworten auf solche Fragen. Aber von der Bundesregierung verlangt diese Fraktion eine frühe Festlegung. Da ist der amerikanische Verteidigungsminister selbst sehr viel offener, wenn er einräumt, dass es einen Konsultationsbedarf mit Freunden, Alliierten und anderen Partnern gibt. Wir Sozialdemokraten sePräsident Wolfgang Thierse hen dies genauso, weil wir uns Sicherheit in allen Bereichen für alle wünschen. Aber es wäre fatal, wenn wir nicht auch politische Alternativen zum Umgang mit so genannten „states of concern“ in die Diskussion einbringen würden. Es wäre fatal, wollten wir - wie es zumindest bei Teilen der CDU-Opposition den Anschein hat - die transatlantische Bündnisdiskussion auf NMD oder „missile defense“ verengen. ({4}) Nein, die transatlantischen Beziehungen sind für Europa zu wichtig, als dass wir sie für kurzatmige innenpolitische Hahnenkämpfe missbrauchen dürften. Wir reden hier vielmehr auf der Grundlage gemeinsamer Werte, gemeinsam erlebter wechselvoller Geschichte, auf der Grundlage intensiver kultureller Beziehungen und starker wirtschaftlicher Verflechtungen und nicht zuletzt auf der Grundlage von Freundschaft und loyaler Partnerschaft. Wir reden und wir leben miteinander im Bewusstsein der gemeinsamen Verantwortung der reichen und hoch entwickelten Länder für die friedliche Weiterentwicklung der gesamten Welt. Und dabei gilt: Diplomacy first! Der Stellenwert einer Partnerschaft zeigt sich unter den seit 1989 veränderten Bedingungen darin, dass unterschiedliche Perspektiven, Erfahrungen und Interessen offen angesprochen und behutsam behandelt werden, ohne dass das Verhältnis Schaden nimmt. Rechthaberei und Euro-Chauvinismus sind dabei genauso wenig zuträglich wie hegemoniales Gehabe. ({5}) Reibungspunkte gibt es in jeder engen Beziehung. Die Frage ist immer nur, wie man damit umgeht. Militärische Macht allein darf nicht mit Führung verwechselt werden. Wer führen will, muss Antworten auf die Probleme der Armut, des Ressourcenmangels, der Umweltbedrohungen, der Proliferation, der Kriminalität, des Terrorismus, der Intoleranz und der Überbevölkerung suchen. Auch Amerika ist zu klein, um all diese Probleme allein zu lösen. Endgültige Antworten wird auch die transatlantische Gemeinschaft allein nicht geben können. Wir leben in einer Weltgemeinschaft; wir brauchen multilaterales Handeln, wir brauchen die Akzeptanz der Vereinten Nationen und anderer internationaler Organisationen gerade auch bei der politischen Klasse in den Vereinigten Staaten. ({6}) Hier liegt eine besondere Verantwortung bei uns Parlamentariern, nämlich den Kolleginnen und Kollegen im Kongress immer wieder klar zu machen, dass etwa die Probleme Afrikas oder Asiens nicht ohne eine starke Rolle der Vereinten Nationen gelöst werden können. ({7}) Regierungen und Parlamente der demokratisch verfassten Partnerländer müssen weitreichende Entscheidungen treffen. Grundlagen für solche Entscheidungen können nur die Bereitschaft zu gemeinsamer Problemanalyse, zum Lernen voneinander und zur nüchternen Abwägung von Chancen und Risiken sein. Die Stärkung und die ständige Erneuerung der - so heißt es allgemein „learning community“ ist die wirkliche Aufgabe der transatlantischen Beziehungen. ({8}) Dies setzt jedoch den Willen und die Fähigkeit der Europäer voraus, tatsächlich als gleichberechtigte Partner in Erscheinung zu treten. Insofern sind die Worte Willy Brandts noch immer aktuell. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({9})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile dem Kollegen Volker Rühe, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

Volker Rühe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001897, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist gut, dass wir vor der Reise des Bundeskanzler nach Washington diese Debatte im Deutschen Bundestag führen. Die transatlantische Partnerschaft - ich denke, darin sind wir uns einig - ist das feste Fundament unserer Außenpolitik. Sie ist im Rückblick auf die letzten 50 Jahre eine beispiellose Erfolgsgeschichte. Sie hat uns nämlich Frieden, Freiheit, Wohlstand und schließlich die Wiedervereinigung Deutschlands und Europas gebracht. Mehr noch: Durch die Erweiterung von NATO und Europäischer Union wird es jetzt unter den europäischen Staaten zu einer Nähe, einer Gemeinsamkeit und einem Miteinander kommen, wie es sie niemals zuvor in der Geschichte dieses Kontinents gegeben hat. Die transatlantische Partnerschaft ist für all dies die Grundlage. ({0}) Am Beginn des neuen Jahrhunderts stehen wir aber auch vor neuen Herausforderungen. Wenn wir sicherstellen wollen, dass die Amerikaner in Europa bleiben - in ihrer Geschichte war es für sie ein völlig neuer Schritt, eine Revolution, dass sie nach dem Zweiten Weltkrieg in Europa geblieben sind -, dann müssen wir zu einem relevanteren und gleichwertigeren Partner werden. Willy Brandt sprach von „ebenbürtiger Partner“. Bis dahin ist es noch ein verdammt weiter Weg. Aber die Frage ist, ob wir glaubwürdige Schritte in Richtung dieses Ziels unternehmen. Was nicht passieren darf, ist, dass das atlantische Bündnis zu einem bloßen Sicherheitsnetz verkommt. Es kann nicht sein, dass jeder einzeln herumturnt und nur bei einem Absturz von diesem Sicherheitsnetz Gebrauch macht. Es darf nicht die Zukunft des atlantischen Bündnisses sein, dass jeder macht, was er will, und dieses Netz nur als letzte Sicherheit dient. ({1}) Volkmar Schultz ({2}) Schon gar nicht darf die europäische Integration dazu führen, dass wir ein nebulöses Niemandsland der internationalen Politik betreten oder dass sich Europa als Gegenmacht zu Amerika versteht. Es gibt in der deutschen Politik - darüber will ich sprechen - neben tragenden Pfeilern in den transatlantischen Beziehungen auch Irritationen, Unklarheiten, Widersprüche und Brüche. Das betrifft die deutsche Reaktion auf den Militäreinsatz im Irak, die europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik und die Frage der Raketenabwehr. Im Irak standen unsere amerikanischen und britischen Alliierten angesichts der Bedrohung ihrer Flugeinsätze durch neue irakische Radaranlagen vor der Wahl, entweder diese Radaranlagen zu zerstören oder die Flüge einzustellen und damit dem Irak freie Hand gegenüber den kurdischen und schiitischen Minderheiten sowie bei der Aufrüstung zu geben oder aber das Leben ihrer Piloten zu riskieren. Es war im Interesse der Bewältigung dieser Probleme eine klare Entscheidung, wie die Amerikaner und Briten reagiert haben. ({3}) Der Einsatz war notwendig und richtig und hat unsere Unterstützung verdient. Der Bundeskanzler hat sich über vier Tage in Schweigen gehüllt. Das war übrigens im Dezember 1998, als Sie schon Bundeskanzler waren, anders. Seinerzeit haben Sie sofort den britischen Premierminister persönlich angerufen und Ihre Solidarität auch öffentlich deutlich gemacht. Damals gab es viertägige Militäreinsätze. Es war richtig, dass sich Außenminister Fischer in Washington hinter die militärische Aktion der USA gestellt hat. Aber wir beobachten ja immer wieder eine erstaunliche Wandlungsfähigkeit unseres Außenministers. Auf dem Parteitag der Grünen hat die neue Vorsitzende gesagt, die Grünen lehnten die amerikanischen Bombardements klar ab. Von Herrn Fischer haben wir aber nicht dieselben klaren Worte gehört. Ich finde, der deutsche Außenminister sollte sich im Bundestag genauso klar wie in Washington hinter diesen Einsatz stellen. ({4}) Herr Fischer, Sie haben ja eine erstaunliche Wandlungsfähigkeit, je nachdem, wo Sie sprechen. Manche Menschen bezeichnen Sie als politisches Chamäleon. Ich finde, diese Bezeichnung ist nicht zutreffend, denn ein Chamäleon hat eine Farbkonstante. Wenn ich aber sehe, wie unterschiedlich Sie an verschiedenen Orten sprechen, muss ich sagen: Das tut der deutschen Außenpolitik nicht gut. ({5}) Im Übrigen fordern wir die Bundesregierung auf, eigene Initiativen und Vorschläge für die Neugestaltung des Sanktionsregimes gegenüber dem Irak und für seine Durchsetzung vorzulegen. Es muss vor allem um eine Einengung der Sanktionen auf der militärischen Ebene gehen; diese müssen dann aber auch strikter als bisher durchgesetzt werden. Zur europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik - ein vielleicht ganz entscheidendes Thema der nächsten Jahre -: Die Stärkung Europas durch einen sicherheitspolitischen Arm ist richtig, wenn es letztlich der Stärkung des Bündnisses dient. Wir haben das mit der deutsch-französischen Brigade, dem Eurokorps, dem deutsch-polnisch-dänischen Korps in Stettin und der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik praktiziert. Worum es bei dieser europäischen Politik gehen muss, haben Präsident Bush und Premierminister Blair bei ihrem Treffen am 23. Februar zum Ausdruck gebracht, indem sie gesagt haben, es gehe darum, Europa zu einem stärkeren und leistungsfähigeren Partner zu machen, der imstande ist, Krisen, die die Sicherheit der atlantischen Gemeinschaft betreffen, abzuwenden und zu bewältigen. Die europäische militärische Handlungsfähigkeit - ich hoffe, wir sind uns darin einig - darf kein Programm zur Vertreibung Amerikas aus Europa sein. Im Gegenteil: Sie muss die Vereinigten Staaten in diesem Jahrhundert in Europa binden. Deswegen darf es weder Doppelstrukturen noch eine Ausgrenzung der Vereinigten Staaten geben. ({6}) Ich gehe jedenfalls davon aus, dass der Bundeskanzler bei seinem Besuch in Washington die deutsche Position in dieser Weise klar machen wird. Aber er hat ein Problem: Wie wirkt denn das Bemühen, Europa zu einem stärkeren und leistungsfähigeren Partner zu machen, wenn dieser Einsatz für ein stärkeres Europa mit einer drastischen Unterfinanzierung der Bundeswehr verbunden ist? Wie passt es zusammen, innerhalb von vier Jahren 20 Milliarden DM weniger für die deutschen Streitkräfte auszugeben und gleichzeitig von einer Stärkung Europas zu sprechen? ({7}) - Auch bei uns war das Geld knapp; aber Sie geben innerhalb von vier Jahren 20 Milliarden DM weniger für die Streitkräfte aus. ({8}) Nur noch 1,1 Prozent des Bruttosozialprodukts werden für den Verteidigungshaushalt angesetzt und dieser Anteil bleibt hinter dem vieler kleinerer Staaten - von den großen ganz zu schweigen - in Europa zurück. Wie soll eine solche Abmeldung von der Einsatzverpflichtung im Bündnis mit dem Anspruch zusammenpassen, ein stärkeres Europa zu schaffen? Herr Bundeskanzler, Sie werden in Washington in Erklärungsnot kommen. Wer die eingeleiteten Maßnahmen nicht korrigiert, gefährdet die Glaubwürdigkeit Deutschlands als berechenbarer Bündnispartner. Deshalb fordern wir die Rückkehr zu einer mittelfristigen Finanzplanung, so wie wir sie für die weitere Entwicklung der Bundeswehr vorgesehen hatten. Nur sie gibt der Bundeswehr eine ausreichende Grundlage. ({9}) Im Übrigen muss klar sein, in welchen Szenarien es zu einer konkreten Lastenteilung kommt. Auch hier gibt es auf der amerikanischen Seite viele Fragezeichen. Ich bin jedenfalls davon überzeugt: Die USA werden eine Relativierung ihrer Führungsrolle im Bündnis akzeptieren, wenn die Europäer eine Aussicht auf eine echte Entlastung bieten. Völlig unglaubwürdig ist es, wenn manche Kollegen aus dem Koalitionslager immer die Dominanz der Vereinigten Staaten von Amerika beklagen, aber nichts dafür tun, dass Europa stärker wird, um damit die Führungsrolle der Vereinigten Staaten zu relativieren. Ich bin sicher, dass eine solche Politik machbar und durchsetzbar wäre. ({10}) Zur Raketenabwehr - ich glaube, es ist wichtig, vor Ihrem Besuch in Amerika die Positionen zu klären; natürlich werden wir noch umfangreichere Debatten haben -: Mit dieser Raketenabwehr zeichnet sich die technologische Möglichkeit ab, angesichts der Proliferation einen Schutz zu schaffen und Abschreckung durch Elemente der Verteidigung zu ergänzen. ({11}) Sie gibt auch die Chance zu erheblichen Abrüstungsschritten. Präsident Bush verbindet die Pläne einer Raketenabwehr zum Beispiel mit der Bereitschaft zu einer einseitigen drastischen Reduzierung auf nur noch einige Hundert Systeme bei den nuklearen Offensivraketen. Worum geht es? - Es geht jetzt um die Frage, ob wir uns auf eine neue Sicherheitsstrategie einlassen. Es geht jetzt nicht darum, dass wir etwas bestellen, oder um die Hardware. Es geht, wie gesagt, um eine neue Sicherheitsstrategie, um einen neuen Mix aus Abschreckung und Verteidigung, das heißt um die Chance, durch Raketenabwehr einen gewissen Schutz zu schaffen und zugleich die Zahl der Offensivwaffen deutlich zu reduzieren. Die CDU/CSU-Fraktion hält es jedenfalls für richtig, diese Chance im Grundsatz zu ergreifen. Das trennt uns von dem Durcheinander, das auf Ihrer Seite herrscht. ({12}) Wir wollen, dass der Dialog über die Raketenabwehr auf der Grundlage einer engen transatlantischen Zusammenarbeit offen für die Einbeziehung von Nicht-NATOStaaten ist. Aber dafür ist die Formulierung einer deutschen und einer europäischen Position Voraussetzung. Wenn wir auf die Amerikaner Einfluss haben wollen, dann müssen wir hinsichtlich der deutschen Position Klarheit schaffen. Aber innerhalb der Bundesregierung und der Regierungskoalition geht es völlig durcheinander, wie das wirklich unprofessionelle Stimmengewirr beweist. Der Verteidigungsminister kritisiert von Moskau aus die USA. Der Außenminister sieht die Möglichkeit, dass Berlin eine Vermittlerrolle zwischen Washington und Moskau spielt, so, als stünde Deutschland in einer Äqui-Distanz. Deutschland ist kein Vermittler, kein unbeteiligter Beobachter, sondern wesentlicher Mitbeteiligter. Schließlich geht es auch um unseren Schutz im 21. Jahrhundert. ({13}) Deshalb muss die Reihenfolge stimmen. Wir müssen eine deutsche Position formulieren, Einigkeit im Bündnis schaffen und dann den Dialog mit Russland und anderen Nicht-NATO-Staaten führen. Herr Erler, Sie durften heute noch nicht einmal das Wort ergreifen. ({14}) - Gut, wenn Sie das Wort ergreifen, sollten Sie einmal erklären, was Sie gemeint haben, als Sie gesagt haben, es gehe um potenzielle Unverwundbarkeit und das Ganze sei ein riesengroßer Quatsch. Das ist Ihre Position, Herr Erler. Die neue Vorsitzende der Grünen sieht die Gefahr, dass die Raketenabwehr mehr Konfrontation und eine Konterkarierung der internationalen Abrüstungsbemühungen bedeuten könnte. ({15}) Wenn Herr Erler tatsächlich Recht hat, wie ich aus der SPD-Fraktion gerade höre, dann stellt sich die Frage, wie Ihr Bundeskanzler vorschlagen kann, dass wir uns an einem solchen Quatsch beteiligen. Können Sie mir das erklären? ({16}) Der Bundeskanzler spricht zwar von eminenten wirtschaftlichen Interessen und von der Teilhabe an der Technologie der Raketenabwehr. Aber zu den grundlegenden strategischen Fragen und Chancen sagt er nichts. Ich denke, man wird der Sache nicht gerecht, wenn man nur auf die Chancen im Hinblick auf die wirtschaftliche Teilhabe schaut. So können wir unsere Interessen im Bündnis jedenfalls nicht sichern. Im Kern geht es um eine Debatte über eine neue Sicherheitsstrategie im 21. Jahrhundert. Dazu muss - darum geht es - grundsätzlich Ja gesagt werden. Der Außenminister muss klarstellen, was er gestern damit gemeint hat, als er gesagt hat, man dürfe die USA nicht so stark kritisieren. Das ist eine dieser typischen windelweichen, taktischen Formulierungen. Wenn das, was die USA vorhaben, richtig ist, dann sollten wir es unterstützen. Wenn es falsch ist, dann sollten wir es deutlich kritisieren. ({17}) Aber wenn man aus politischen Gründen sagt, man solle das nicht so stark kritisieren, weil die USA das ohnehin umsetzen würden, dann wird man der Aufgabe, die deutschen Interessen wahrzunehmen, nicht gerecht, Herr Außenminister. ({18}) - Wenn das richtig ist, dann unterstützen Sie es doch! Das, was am Vorhaben der Vereinigten Staaten falsch ist, sollten Sie kritisieren, und zwar deutlich. ({19}) Wir, die CDU/CSU-Fraktion, haben eine klare Position. Wir haben auch einen entsprechenden Antrag eingebracht. Wir fordern die Bundesregierung auf, das Angebot der US-amerikanischen Regierung, ein umfassendes Raketenabwehrsystem unter Einbeziehung der Alliierten zu schaffen, anzunehmen und dazu konkrete Vorstellungen zu entwickeln, damit Deutschland in dieser Frage ein echter Partner der USA sein kann. Es ist höchste Zeit, dass wir uns mit eigenen Initiativen für eine europäische Schutzkomponente im Rahmen einer Allied Missile Defense in den Entscheidungsprozess einbringen. Herr Bundeskanzler, von Ihnen verlangen wir, dass Sie in Washington nicht nur darauf hinweisen, dass sich Deutschland finanziell und wirtschaftlich beteiligen möchte. Sie sollten auch ein klares, grundsätzliches Wort zu den Überlegungen hinsichtlich einer neuen Sicherheitsstrategie im 21. Jahrhundert sagen, und zwar zu allen Aspekten der Raketenabwehr. ({20}) Wir brauchen eine klare deutsche Stimme. Nur dann kann auch die europäische Position bestimmt werden. Ich glaube, dass die transatlantischen Beziehungen aufgrund ihrer 50-jährigen Geschichte im Kern gesund sind und dass es nach dem Regierungswechsel - Gott sei Dank auch Kontinuität gegeben hat, dass es aber in den Themen, die ich angesprochen habe, ein Potenzial an Irritationen und Brüchen gibt und dass deswegen die deutsche Position geklärt werden muss. Deswegen haben wir, Herr Bundeskanzler, diese Debatte im Deutschen Bundestag gesucht; denn wir würden uns alle schweren Schaden zufügen, wenn die deutsch-amerikanischen Beziehungen und die europäisch-amerikanischen Beziehungen unter Unklarheit und unter Brüchen leiden würden. Deswegen: Nutzen Sie den Besuch in Washington - ich bin sicher, Sie werden dort sehr freundschaftlich empfangen werden -, um mit einer klaren Stimme die deutschen Positionen so vorzutragen, wie wir sie hier formuliert haben! ({21})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegin Rita Grießhaber, Bündnis 90/Die Grünen.

Rita Grießhaber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002664, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es kam ja nicht überraschend, dass sich die neue Regierung in den USA für ein wie auch immer geartetes Raketenabwehrsystem entschieden hat. Es hat auch wirklich niemanden überrascht, dass sich Herr Rühe daran beteiligen will. Die Frage ist nur: an was eigentlich? Ist es wichtiger, dabei zu sein, als zu wissen, bei was man dabei ist? Die Bush-Administration jedenfalls überprüft zunächst einmal: Was ist überhaupt machbar und was ist finanzierbar? Was aber einige schon überrascht haben müsste, ist, dass die BushRegierung den alten Haushaltsansatz der Clinton-Regierung im Militärbereich übernommen und die Mittel nicht aufgestockt hat, weil nämlich Bush die Realisierung der versprochenen Steuersenkungen wesentlich wichtiger ist als die Aufstockung des Militärhaushalts. Da, Herr Rühe, hat er, glaube ich, die gleiche Kluft zwischen Worten und Taten, wie Sie sie hatten. ({0}) Für uns zeigt sich daran, dass dieses Projekt so schnell nicht kommen wird und dass wir hier die Zeit zu einer offenen, breiten und gründlichen Debatte haben, wie das transatlantische Verhältnis vor allem im Sicherheitsbereich in Zukunft aussehen soll. Der Besuch des Außenministers in Russland - er hat dort ausdrücklich nicht vermittelt, falls Ihnen das entgangen sein sollte - hat doch klar gezeigt, dass wir eines nicht wollen, nämlich dass ein Keil zwischen Europa und die USA getrieben wird. Allerdings wollen wir, dass es ein einvernehmliches Verständnis zwischen Russland und den USA gibt. Der Besuch in Washington hat ergeben, dass auch die Regierung Bush die enge Konsultation im atlantischen Bündnis will und dass es keinen Alleingang geben wird. Ich denke, das ist ein wichtiger Erfolg. ({1}) Für uns besteht die Notwendigkeit, vieles zu klären: Welche Art von Sicherheit gibt es denn durch eine Raketenabwehr? Welche Auswirkungen hat sie auf die internationalen Abrüstungsbemühungen? Und vor allen Dingen: Wie greift sie in das Kräfteverhältnis der Staaten ein? Was bedeutet denn dieser Strategiewechsel, Herr Rühe, weg von der alten Abschreckungsstrategie hin zu einem umfassenderen Abwehrschutz für die, die sich nicht daran beteiligen können oder wollen? ({2}) Dafür brauchen wir einen sehr viel stärkeren Austausch über die Bedrohungsanalysen hier und in den USA. Wir müssen unseren amerikanischen Freunden stärker als bisher vermitteln, dass diese Art der Sicherheitspolitik, die von einem erweiterten Sicherheitsbegriff ausgeht, von ihnen nicht unterschätzt werden sollte und für uns Vorrang hat. ({3}) Es gilt auch, bei den amerikanischen Freunden dafür zu werben, dass uns der Wegfall der Bedrohung durch das Ende der Blockkonfrontation zwar ein Stück weit unabhängiger von den USA gemacht hat, aber eben nicht im Sinne einer Abkopplung, sondern in dem Sinne, dass wir selber mehr Verantwortung übernehmen müssen und werden. Unser gemeinsames Anliegen ist es doch, die USA noch enger in die internationalen Regime von Abrüstung einzubinden, damit wir vorankommen. Wir wollen, dass sich die USA in zentralen Punkten bewegen. Das betrifft nicht nur das Engagement in den Vereinten Nationen, sondern auch die Ratifizierung des Römischen Statuts zum Internationalen Strafgerichtshof ({4}) und den CTBT. Wir brauchen die USA bei der Lösung von sehr vielen Problemen, insbesondere beim Klimaschutz. Mit großer Sorge nehmen wir die Prognosen über die Auswirkungen der globalen Erwärmung zur Kenntnis. Wir appellieren dringend an die neue Regierung, bei der Eindämmung von CO2-Emissionen mitzumachen und uns weltweit zu unterstützen. ({5}) Bei einigen Themen kommen auch Unterschiede in Tradition und Kultur zutage, zum Beispiel bei der Handhabung der Gentechnik. Es ist wichtig, festzustellen, dass wir nicht den europäischen Markt abschotten wollen, sondern dass Verbraucherinnen und Verbraucher keine gentechnisch veränderten Lebensmittel haben wollen. Manchmal nehmen wir die USA auch sehr eindimensional wahr, und zwar dort, wo wir sie nicht verstehen, zum Beispiel bei der Todesstrafe. Tatsache ist: In vielen Staaten ist sie abgeschafft und in der amerikanischen Gesellschaft selber gibt es eine heftige Debatte. Sehr, sehr viele engagieren sich dort für die Abschaffung der Todesstrafe. Ihnen gilt unsere Unterstützung. ({6}) Trotz aller Unterschiede ist auffallend, welche Faszination die Vereinigten Staaten auf viele Europäer ausüben. Daher stellt sich die Frage: Was können wir von ihnen lernen? Warum sind sie so attraktiv für viele junge Menschen, für Wissenschaftler und Künstler? Dabei ist nicht nur das Modell Green Card, sondern auch die Offenheit, die Vitalität der amerikanischen Gesellschaft insgesamt interessant. Ich meine ihre Bereitschaft, bei allen Unterschieden immer wieder das Element der Gleichheit wahr zu machen. Davon können wir uns ein Stück abschneiden, statt nach einer Leitkultur zu suchen. ({7}) Im transatlantischen Verhältnis können zwar viele Probleme zu Missverständnissen und zu Spannungen führen; aber wir sollten diese Differenzen nicht überbewerten. Die Bindungen zwischen Europa und Nordamerika sind tiefer und fester, als sie oft wahrgenommen werden. ({8}) Sie sind kein Selbstläufer und bedürfen selbstverständlich ständiger Anstrengungen. Wir tun gern das Unsere dazu. Vielen Dank. ({9})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile dem Kollegen Wolfgang Gerhardt, F.D.P.-Fraktion, das Wort.

Dr. Wolfgang Gerhardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002659, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In diesen Tagen kommt das Auswärtige Amt etwas in die Jahre; denn es wird, wenn man die Nachkriegsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland zugrunde legt, 50 Jahre alt. Mit Geschick und großartiger außenpolitischer Arbeit hat es diese große Konstante der Nachkriegspolitik der Bundesrepublik Deutschland, die transatlantischen Beziehungen, begleitet. Dazu dem amtierenden Bundesaußenminister herzlichen Glückwunsch, mit der Bitte, ihn an die Mitarbeiter weiterzugeben! ({0}) Was erreicht worden ist, ist ein Stück Erfolgsgeschichte der Arbeit. Die alte bipolare Welt existiert nicht mehr; aber die Konstante, die ich eben erwähnt habe, ist geblieben. Diese Partnerschaft hat sich zunächst zwar aus der Auseinandersetzung mit einem anderen Weltbild entwickelt, ist aber, was die Grundwerte, die Individualrechte, die Persönlichkeitsrechte, die Freiheitswerte, die Globalisierung, den freien Markt und all das, was unsere Wertegrundlage ausmacht, angeht, eine so tiefe Wertegemeinschaft geworden, dass wir sie nicht nur weiterhin brauchen; vielmehr ist sie für uns, für beide Seiten des Atlantiks, kulturell unentbehrlich. Für uns Deutsche war Amerika nicht nur das, was wir nach dem Kriegsende ökonomisch mit dem Marshallplan, mit der Luftbrücke oder - um optische Signale zu setzen mit dem, was sich mit „lucky strike“ verband, identifiziert haben. Für uns war diese transatlantische Brücke zutiefst notwendig, um, wie Theodor Heuss es so präzise und prägnant formuliert hat, ({1}) im letzten Jahrhundert die politischen Eliten in Deutschland mit den wirklichen Demokratien des Westens zu versöhnen. Das ist gelungen. Das geht weit über ökonomische Bindungen und temporäre Handelskonflikte hinaus. Wir wissen, dass wir auf Partner angewiesen sind. Das gilt auch für den Präsidenten der Vereinigten Staaten. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass das auch von den beiden Zivilgesellschaften so gesehen wird; denn Kontakte auf Regierungsebene alleine reichen nicht. Partnerschaften auf kultureller Ebene sind notwendig. Das gilt auch für die einzig verbliebene Weltmacht, die Vereinigten Staaten von Amerika. Wir wissen, dass ihr Einfluss in der Sicherheitspolitik stärker ist als unserer, dass auf ihr Urteil mehr gehört wird und sie sich besser sichern können. Das ist aber nicht der zentrale Punkt. Wenn sie zu nachhaltigen Problemlösungen in der Welt einen Beitrag leisten wollen, müssen sie begreifen, dass Partnerschaften geradezu kulturell notwendig sind. Darauf müssen wir hinwirken. ({2}) Das verschafft uns ein ganz anderes Stimmengewicht; dieses ist dann nicht mehr abhängig von der Größenordnung Europas oder dem Fortschritt der europäischen Integrationsbemühungen, obwohl diese - das fände auch ich besser - weiter fortgeschritten sein könnten, als sie zurzeit sind. In diesem Zusammenhang möchte ich einen wichtigen Punkt, Herr Bundesaußenminister und Herr Bundeskanzler, ansprechen: Es macht mir Sorge, dass wir einen Nukleus für die Verbindung unserer Zivilgesellschaften verlieren, der die Nachkriegszeit prägte. Damals transportierten die bei uns stationierten amerikanischen Soldaten die Kenntnis europäischer Kultur bis tief in den Mittleren Westen der Vereinigten Staaten von Amerika. ({3}) Es ist deshalb nicht beliebig, wie gut man die Haushaltstitel für Studenten-, Bürger- und Künstleraustausch ausstattet. Diese Frage darf nicht unter den Zwängen mittelfristiger Finanzplanung entschieden werden. Es ist dringend notwendig, dass diese Bereiche im Haushalt stärkeres Gewicht erhalten. Wir sind nämlich auf diese Verbindungen zwischen den Zivilgesellschaften angewiesen. ({4}) Auch die Bedeutung der wirtschaftlichen Beziehungen wächst. Wir als Deutsche erkennen das zum Beispiel an den Firmenkooperationen zwischen Daimler und Chrysler, Telekom und Voice-Stream sowie Deutsche Bank und Bankers Trust. Diesen frisch Vermählten steht aber kein sicherer transatlantischer Bezugsrahmen zur Verfügung, denn die halbjährlichen Gipfeltreffen und Konsultationen auf der Agenda reichen nicht aus, um einen wirklich belastbaren Rahmen zu schaffen. Die Themenkomplexe Bananen, Hormonfleisch, gentechnisch modifizierte Pflanzen wie Mais, Soja und Raps, Boeing und Airbus sowie die Helms-Burton-Gesetze werfen natürlich Konflikte auf und provozieren unterschiedliche Sichtweisen. Das muss offen miteinander besprochen werden, unabhängig von den sicherheitspolitischen Themen, die noch hinzukommen. Hin und wieder melden sich Stimmen zu Wort, die die Belastungen für schier unerträglich halten. Ich finde, dass das deutsch-amerikanische Verhältnis so gut ist, dass es auch einige Streitigkeiten und Belastungen aushalten kann. Es ist in keiner Weise ernsthaft gefährdet. Man kann über unterschiedliche Interessen ernsthaft reden. ({5}) Meine Damen und Herren, man muss sich aber auch bemühen, in diesen Bereichen zu Lösungen zu kommen. Wenn die Konsultationen und die halbjährlichen Gipfeltreffen nicht ausreichen und im Anschluss daran lediglich Kommuniqués veröffentlicht werden, ohne die Sache wirklich weitergebracht oder erledigt zu haben, muss man versuchen, einen für beide Seiten verbindlichen und WTO-konformen Streitschlichtungsmechanismus zu etablieren. Hieran führt kein Weg vorbei. Dies haben wir beantragt. Herr Bundeskanzler, wenn Sie den amerikanischen Präsidenten besuchen, ist dies einer der zu besprechenden Punkte. Es reicht nicht aus, dass in einem Kommuniqué all das, was uns bewegt, lediglich aufgezählt wird. Es muss ein Regelungsmechanismus vorgeschlagen werden, wie die Probleme zu bewältigen sind. ({6}) Wir müssen dies nicht nur öffentlich erörtern, sondern die Probleme auch lösen. Wir sehen die bisherigen Aktivitäten der Bundesregierung als nicht ausreichend an. Die Partnerschaft mit den Vereinigten Staaten und der europäische Einigungsprozess sind die beiden Konstanten der deutschen Außenpolitik. Der europäische Einigungsprozess ist von uns zu gestalten. Die amerikanische Administration fragt häufig symbolhaft nach einer Telefonnummer, die man anrufen kann, wenn man mit Europa sprechen möchte. Das zeigt, dass den Amerikanern die europäische Visitenkarte sozusagen noch nicht ausreichend lesbar erscheint. Wir sollten es uns zur Aufgabe machen, intensiv daran zu arbeiten, dass dies möglich ist. Ich verstehe schon manche Stimmen aus Amerika - ich selbst habe nämlich in diesem Punkt Schwierigkeiten -, die sich darüber beschweren, dass nicht klar erkennbar ist, ob die Ergebnisse der beiden großen europäischen Gipfeltreffen unter deutscher bzw. französischer Präsidentschaft in Berlin bzw. Nizza wirklich ausreichen, um den europäischen Integrationsprozess strategisch weiterzubringen. Die Amerikaner haben Mühe, die entsprechenden Kommuniqués und die Erörterungen zu verstehen. Angesichts des Verhaltens der europäischen Regierungschefs auf dem Gipfel von Nizza - sie haben unter Ausschluss der Fernsehkameras den Vertrag unterschrieben müssen sie den Eindruck haben, dass es zum Abschluss keinen großen Erfolg gab. Es gibt - mit einer Ausnahme - noch keine europäischen Entscheidungen, die für die Vereinigten Staaten von Amerika wirklich wahrnehmbar wären. ({7}) Die einzige Entscheidung, die sie bewusst wahrgenommen haben, war die Entscheidung über die Einführung des Euro. Das zeigt uns aber, dass kohärente Entscheidungen, die völlig klar sind und mit denen Symbole nach außen transportiert werden, die europäische Visitenkarte gestalten können. Solche Entscheidungen sind nämlich wahrnehmbar. Man kann sich deshalb auf sie einstellen und mit ihnen kalkulieren. Die anderen Entscheidungen zerfließen sozusagen in Bezug auf ihre Außenwirkung. Sie machen nicht ausreichend deutlich, welches Gewicht, welche weiteren Integrationsbemühungen und welche Zielvorstellungen Europa wirklich hat. Unter Partnern muss ein Punkt klar sein: Partnerschaft funktioniert nur, wenn die eigenen Positionen klar erkennbar sind, wenn man weiß, worauf der andere hinaus will, und wenn Zielvorstellungen präzise beschrieben werden. ({8}) - Ich danke Ihnen für diesen Zwischenruf; denn er gibt mir Gelegenheit, an die Adresse der SPD zu sagen: Glauben Sie nicht, dass die deutsche Stimme irgendein Gewicht in Bezug auf die Sicherheitspolitik hat! Warum sonst wurde der Bundesverteidigungsminister anlässlich seines Besuches in Amerika von seinem amerikanischen Kollegen gefragt, welche Bedeutung seine Stimme angeDr. Wolfgang Gerhardt sichts des derzeitigen Zustandes der Bundeswehr eigentlich habe? ({9}) Die Haushaltsverschiebungen, die Sie für die Bundeswehr vornehmen, setzen nicht das Zeichen, in der Sicherheitspolitik mitreden zu können. Das ist wirklich nicht der Fall. ({10}) Wenn Sie auf diesem Gebiet mitreden könnten, dann könnten Sie sich auch die Freiheit nehmen, unseren amerikanischen Freunden zu sagen - ich tue dies von hier aus -: Es besteht ein Missverhältnis zwischen guten Absichten und dem erzielten Ergebnis beim Vorgehen im Irak, auch wenn man respektiert, dass es eine mit dem Vereinigten Königreich abgestimmte Entscheidung zum Schutz der Piloten war. ({11}) Es gibt auch in den Vereinigten Staaten von Amerika genügend Stimmen, die sich ähnlich äußern. Unter Freunden muss man diesen Punkt ansprechen. Die politische Wirkung steht im umgekehrten Verhältnis zum Ziel des selbstlegitimierten Vorgehens. ({12}) Dieses Verhalten bringt uns nicht weiter. Die Amerikaner verhalten sich oft sehr robust, sind nicht sehr mitteilungsbedürftig und sehen manche Abstimmungsnotwendigkeit nicht so wie die europäischen Partner; anscheinend wurde die Bundesregierung nicht rechtzeitig informiert. Man sollte sich daher die Freiheit nehmen, Herr Bundesaußenminister, beim Besuch den amerikanischen Kollegen zu sagen, dass man dieses Verhalten als kritikwürdig empfindet und dass sich das nicht wiederholen sollte. Wenn ich Ihre früheren Worte als Oppositionspolitiker in Erwägung ziehe, dann wundere ich mich, dass Sie diese Kraft nicht aufgebracht haben. Das war für uns sehr interessant. ({13}) Der deutsche Verteidigungsminister besucht seinen amerikanischen Kollegen und verkündet dabei seine sicherheitspolitischen Vorstellungen. Er verspricht den Vereinten Nationen Stand-by-Forces, der NATO Krisenreaktionskräfte und der Europäischen Union Eingreiftruppen. Der Generalinspekteur sagt aber, die Bundeswehr sei aufgrund der Haushaltslage nur bedingt einsatzfähig. So kann man doch nicht gegenüber den Vereinigten Staaten von Amerika auftreten! ({14}) Ich wundere mich auch, dass auf die Ideen und strategischen Anstöße, die es im NMD-Bereich gibt, nur zurückhaltend reagiert wird. Der Bundeskanzler hat in München kritisch reagiert, in der „Saarbrücker Zeitung“ etwas offener. Er sprach von Technologie-Sharing. Das ist zwar alles richtig. Dennoch muss ich sagen: Seien Sie nicht so naiv, zu glauben, Sie könnten den Amerikanern abgewöhnen, eigene Entscheidungen zu treffen! Die eigentliche Aufgabe ist, sich mit den Europäern abzustimmen, ein europäisches Interesse zu definieren und das Vorhaben kritisch zu bewerten, wenn die Amerikaner keine Rücksicht auf die europäischen Positionen nehmen. Dies muss man den Vereinigten Staaten von Amerika mitteilen. Man muss aber auch einen konzeptionellen Beitrag liefern, wie man das NMD-Programm in Zukunft gestalten kann, ohne die Sicherheitsinteressen Russlands zu beeinträchtigen und neue europäische Missverständnisse zu provozieren. Das wäre die Aufgabe. Da war nur die Stimme vom Herrn Bundeskanzler zu vernehmen: Wenn die das unbedingt wollen, sollten wir Wert auf Technologie-Sharing legen. Das reicht zur Vorbereitung Ihres Besuchs nicht aus, Herr Bundeskanzler. Sie müssen das mit den europäischen Partnern abstimmen; es muss Butter bei die Fische getan werden, wenn Sie über dieses Projekt reden. ({15}) - Ich bin nur dafür, dass man es dann auch ausführt, europäische Interessen einbringt und den Vereinigten Staaten unsere Interessen mitteilt. ({16}) Wenn Sie jetzt den amerikanischen Präsidenten besuchen, dann treffen Sie ja auf einen Freund. In vielen Familien gibt man Erfahrungen weiter. ({17}) Der Vater des jetzigen Präsidenten hat für die Interessen der Bundesrepublik Deutschland emotional viel mehr Verständnis und Engagement aufgebracht als manche, die in Deutschland selbst Politik gemacht haben. ({18}) Ich bin davon überzeugt, dass vieles auf den Sohn übertragen worden ist. ({19}) Ich hoffe, dass das so ist. Wir sind davon überzeugt, dass er uns ein verlässlicher Partner ist. Im Übrigen: Wenn Sie ihn sehen, grüßen Sie ihn sehr herzlich von der Freien Demokratischen Partei, ({20}) die hohen Respekt vor einer Entscheidung hat, die er dem amerikanischen Kongress mitgeteilt hat, die die andere, die ökonomische Seite der Vereinigten Staaten betrifft und die Sie dazu veranlassen muss, noch gewaltig über Ihre Hausaufgaben nachzudenken. Der Mann hat dem Kongress schlicht mitgeteilt, dass der amerikanische Staat den Bürgern bedauerlicherweise zu viel Geld abgenommen habe, und erklärt, dass er im nächsten Jahrzehnt beabsichtige, an die Bürger eine bestimmte Summe zurückzugeben. Diese Summe ist 30-mal so hoch wie die Summe, die der deutsche Finanzminister den Bürgern zurückzugeben erst 2005 bereit ist. Uns erfüllt das mit großer Freude. Eine solche Partnerschaft kann sehr von Erfolg gekrönt sein, Herr Bundeskanzler. Herzlichen Dank. ({21})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Wolfgang Gehrcke, PDS-Fraktion.

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jetzt ist natürlich das Alternativ- und Kontrastprogramm angesagt. Ich will eingangs sagen: Bei der Rede des Kollegen Volker Rühe habe ich wieder einmal verstanden, dass die Linke zu- und umlernen muss. Wir haben früher immer gesagt: „Völker, hört die Signale!“ Jetzt kann man sagen: Volker hörte die Signale der neuen Bush-Administration aus Washington und flugs war er hier wieder auf dem Zettel. ({0}) Ich finde, die deutsche Öffentlichkeit, der Bundestag und unsere europäischen Nachbarländer haben ein Anrecht, zu erfahren, mit welchen Botschaften der Bundeskanzler zum US-Präsidenten Bush fährt, ebenso wie die amerikanische Öffentlichkeit ein Anrecht darauf hat, differenzierte Meinungen zur transatlantischen Partnerschaft zur Kenntnis zu nehmen. Viele Menschen in unserem Lande haben, anders als der Außenminister, die Luftangriffe gegen den Irak abgelehnt und kritisiert und sagen das sogar öffentlich. ({1}) Sie sind mit der neuen Raketenrüstung, die fälschlicherweise auch noch den Zusatz „defense“ trägt, nicht einverstanden und haben überhaupt den Eindruck, dass in der amerikanischen Politik - wenn ich das etwas volkstümlich sagen darf - der Colt recht locker sitzt. Wir haben dies ganz deutlich gesagt. ({2}) Wenn US-Politiker Gütesiegel für Staaten der Welt verteilen und Länder als besorgniserregend einstufen - früher hatte man sogar den Begriff Schurkenstaaten -, fällt mir immer auch für die USA selbst der Begriff besorgniserregend ein. Der Bombenangriff auf Bagdad als Auftakt der Präsidentschaft von Bush junior erfüllt zumindest mich und meine Fraktion mit außerordentlich großer Sorge. Die USA sind für mich besorgniserregend. ({3}) Es wäre die Verpflichtung des deutschen Außenministers gewesen, die Sorgen, die es in unserem Lande gibt, den USA entgegenzuhalten. ({4}) Zu allem Ja und Amen zu sagen hat nichts mit transatlantischer Partnerschaft zu tun. Wer nicht kritisiert, ist nicht tatsächlich solidarisch. Er ist unterwürfig und das ist das Gegenteil von Solidarität. ({5}) Es ist für einen Linken schon bedrückend, dass er, wenn er nach positiven Stimmen sucht, darauf angewiesen ist, den ehemaligen Außenminister Klaus Kinkel zu zitieren, der, anders als Fischer, zu dem Schluss kam, dass man unter guten Freunden auch einmal ein kritisches Wort sagen darf, ja manchmal sogar sagen muss. Ich hätte das gerne gehört, als er noch Außenminister war. Aber späte Erkenntnis ist immerhin auch eine Erkenntnis. Das unterscheidet ihn von dem jetzigen Außenminister. ({6}) Vielleicht gibt es den Salto, wenn der jetzige Außenminister nicht mehr Außenminister ist. Wir wollen vom deutschen Bundeskanzler Auskunft darüber, welche Spielräume seiner Meinung nach für Deutschland und Europa gegenüber den USA bestehen. Deutsche und amerikanische Interessen sind nicht per se deckungsgleich. Das deutsche Interesse an internationalen Organisationen wie der UNO ist größer als das der USA. Deutschland als europäischer Staat muss anders mit Russland umgehen, als es die USA tun. Deutschland hat - auch unter der jetzigen Regierung, obwohl das schon etwas heißen will - eine andere außenpolitische Linie gegenüber Ländern wie dem Iran oder Nordkorea. Begrüßenswerterweise hat sich Deutschland aus der Embargopolitik gegenüber Kuba gelöst. Die USA setzen rascher auf ihre militärische Überlegenheit. Ihre Bereitschaft, sich von anderen etwas sagen zu lassen, ist auf ein Minimum gesunken. Die UNO wird ständig brüskiert und unterhöhlt. Selbst die NATO wird nicht mehr konsultiert, ehe Bomben fallen. Die USA brechen immer häufiger Völkerrecht. Der Zustand der Menschenrechte, von denen gegenüber anderen Staaten so häufig gesprochen wird, ist in den USA höchst bedenklich, besorgniserregend. ({7}) Schließlich wächst die wirtschaftliche Konkurrenz zwischen der Europäischen Union und den USA, nicht nur auf den europäischen Märkten, auch in Asien und Lateinamerika. Die unterschiedlichen Interessen von Deutschland und Europa einerseits und den USA andererseits fokussieren sich in den US-Plänen eines neuen Raketensystems. Unabhängig davon, ob dieses System technisch überhaupt machbar ist, streben die USA - das muss hier verstanden werden - nach eigener Unverwundbarkeit - ob das geht oder nicht - bei gleichzeitiger Fähigkeit, weltweit zu intervenieren. Diesen Zusammenhang muss man sehen. Deswegen ist es kein Abwehrsystem, sondern Teil einer aggressiven Politik. ({8}) Man kann das auch mit anderen Worten beschreiben: Die USA streben nach Weltherrschaft. Das muss abgelehnt und zurückgewiesen werden. ({9}) Das National Missile Defense - ob mit „National“ oder ohne - zerstört die bestehenden Rüstungskontrollverträge und verschärft Differenzen zu Russland und vor allem zu China. Es ist doch Unsinn, dass dieses System gegen den Irak oder Nordkorea gerichtet sein soll. Es richtet sich vor allen Dingen gegen China und Russland. Das wird in China und in Russland auch so verstanden. ({10}) Es provoziert neues Wettrüsten, schafft Zonen unterschiedlicher Sicherheit und ist völlig ungeeignet, das zu leisten, was als Ziel vorgegeben wird: Abwehr vor Terrorismus. Statt die gemeinsamen europäischen Interessen zur Verhinderung der US-Pläne zu stärken, entdeckt der Kanzler plötzlich, es sei eine Sache des technischen Fortschritts, daran teilzuhaben, und es könne dadurch eine neue Abrüstungsdebatte in Gang gesetzt werden. Die USA suchen nicht technische Teilhabe, sondern finanzielle und politische Abstützung. Der Gedanke, mit Aufrüstung neue Abrüstungsbereitschaft zu fördern, ist wohl eher ein Märchen als überzeugend. ({11}) Ein neues Wettrüsten mag für die US-Wirtschaft, gerade im Sinkflug begriffen, gut sein. Für Deutschland und Europa allerdings ist ein neues Wettrüsten schädlich und gefährlich. Deswegen wird es von uns abgelehnt. ({12}) Die Bundesregierung gefährdet, wenn sie Ja oder Jein zu den neuen US-Raketenplänen sagt, europäische und deutsche Sicherheit. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich gehe selbstverständlich davon aus, dass der Kanzler der Bundesrepublik Deutschland in den USA die Interessen unseres Landes zu vertreten hat und nicht in Deutschland die Interessen der USA. Das muss hier deutlich gemacht werden. Das transatlantische Verhältnis muss reformiert und erneuert werden. Partnerschaft und demokratisches Selbstbewusstsein brauchen wir anstelle von US-Weltherrschaft und deutscher Unterwürfigkeit. ({13}) Das liegt sowohl im Interesse unseres Landes als auch im Interesse Europas und, wie ich meine, im wohlverstandenen Interesse der USA. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Dies war das Kontrastprogramm. ({14})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile dem Außenminister, Joseph Fischer, das Wort.

Joseph Fischer (Minister:in)

Politiker ID: 11000552

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor ich zum Thema spreche, lassen Sie mich die Gelegenheit nutzen, hier etwas anzusprechen, was uns in den letzten Tagen sehr beschäftigt hat. Wie Sie wissen, wurden vier Landsleute von uns in Ägypten entführt. Diese Entführung ist jetzt Gott sei Dank durch die Freilassung der Entführten glücklich zu Ende gegangen. ({0}) Ich möchte die Gelegenheit nutzen, allen Beteiligten zu danken, vor allem den ägyptischen Behörden für ihr umsichtiges Vorgehen. Besonders danke ich Präsident Mubarak und Außenminister Amre Mussa für ihren Einsatz, aufgrund dessen unsere Landsleute gesund und wohlbehalten zu ihren Familien zurückkehren können. ({1}) Meine Damen und Herren, es wurde zu Recht darauf hingewiesen, dass die transatlantischen Beziehungen nicht nur unverrückbares Fundament der Entwicklung der deutschen Demokratie bis hin zur Wiedervereinigung waren und sind, sondern dass sie selbstverständlich auch für den europäischen Einigungsprozess von überragender Bedeutung sind. Die Tatsache, dass die USA nach 1945 in Westeuropa vertreten waren, hat diesen ganz anderen, sehr erfolgreichen Verlauf der Geschichte der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und damit auch den europäischen Einigungsprozess möglich gemacht. Dies sind die beiden Konstanten deutscher Außenpolitik. Auf dieser Grundlage stehen wir, auf dieser Grundlage wird auch das sich vereinigende Europa stehen. ({2}) Lebendige Beziehungen wie die transatlantischen Beziehungen unterliegen selbstverständlich Veränderungen. Die Welt ändert sich und damit werden diese Beziehungen vor neue Herausforderungen gestellt und müssen entsprechend angepasst werden. Dies führte immer zu Diskussionen, zu unterschiedlichen Positionen, aber letztendlich hat das Bündnis seine Kohäsion gewahrt. Es gab gemeinsame Entscheidungen; dies wird auch in Zukunft so sein. Da der Transatlantismus und Europa die beiden wichtigsten Interessen sind, die in der Außenpolitik des vereinigten Deutschlands zu verfolgen sind, werden wir angesichts der Bedeutung des europäischen Einigungsprozesses das Verhältnis von Europa und Transatlantismus allerdings immer wieder neu zu justieren haben. Die Rede des Kollegen Rühe heute atmete doch sehr viel Vergangenheit. Man konnte unschwer die Bruchlinien erkennen. Ohne dass ich das jetzt im Verhältnis 1:1 aus der Vergangenheit der späten 60er-Jahre übernehme: Der Widerspruch zwischen Europäern und Transatlantikern in der Union ist in Ihrer Rede wieder offensichtlich geworden. ({3}) - Aber selbstverständlich. - Wenn ich Ihre Rede mit dem vergleiche, was der überaus geschätzte Kollege Lamers zu demselben Thema formuliert hat - Sie haben ja auch die Rede des Kollegen Lamers auf der Sicherheitskonferenz gehört -, dann muss ich feststellen, dass es in den Reihen der Union noch einen gewaltigen Harmonisierungsbedarf gibt. ({4}) Herr Rühe, ich frage mich natürlich, wo Sie in den letzten Monaten gewesen sind, ({5}) als wir im Auswärtigen Ausschuss über dieses Thema diskutiert haben. ({6}) Wenn Sie der Bundesregierung vorwerfen, dass wir in diesem Punkt keine Position hätten, dann kann ich dem nur entnehmen, dass Sie - weil Sie damals nicht im Ausschuss waren - ganz offensichtlich nicht mitbekommen haben, dass es die Bundesregierung war, die die Diskussion darüber recht früh im Ausschuss begonnen hat, dass es die Bundesregierung war, die im Bündnis, im NATORat, Konsultationen durchgesetzt hat. ({7}) Die Konsultationen über die Frage einer National Missile Defense haben schon unter der Präsidentschaft von Clinton aufgrund deutscher Initiative im Bündnis stattgefunden. Wir freuen uns darüber, dass sie fortgeführt werden. ({8}) - Ich werde Ihnen unsere Position gleich erläutern. Ich habe Sie Ihnen hier aber schon mehrmals dargelegt. ({9}) - Herr Rühe, was ist denn daran Unsinn? Unsinnig ist es, wenn Sie sich zum Beispiel hier hinstellen und sagen, ich hätte in Moskau behauptet, wir würden eine Vermittlerposition einnehmen. Das Gegenteil habe ich getan. ({10}) Ich habe der russischen Seite sehr klar gesagt, dass es nicht gelingen wird, an dieser Stelle einen Spaltpilz in das Bündnis zu tragen. ({11}) Ich will Ihnen gern hier nochmals die Position der Bundesregierung erläutern. Eines aber tun wir nicht - weil das nicht im deutschen Interesse ist -: wie Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, für alles bereit zu sein, ohne zu wissen, wie die amerikanische Position tatsächlich ist. ({12}) Sie wissen bis heute nicht, ob das mit der National Missile Defense funktioniert. Theoretisch ist ja alles zwischen einer Tactical Missile Defense und einer Global Missile Defense, also zwischen einer taktischen Raketenabwehr und einer globalen Raketenabwehr, möglich. Sie stellen nicht klar, ob sich Ihr Ja auf die clintonschen Vorschläge des Dreistufenmodells mit einer Obergrenze von etwa 100 Nuklearwaffen, die in der letzten Stufe abgewehrt werden können, oder auf die weiter gehenden Vorstellungen, die jetzt in der Überprüfung entwickelt werden sollen und die selbst die Bush-Administration noch nicht kennt - Volker Rühe aber ahnt -, bezieht. ({13}) Deswegen kann ich Ihnen, Herr Rühe, sagen: Wenn man das ernst nimmt, was Sie heute gesagt haben, muss man erkennen, dass Sie noch nicht wissen, ob es technologisch machbar ist, ob es finanzierbar ist und gegen welche Sicherheitsbedrohung es sich tatsächlich richtet - denn bis zur Stunde wissen wir weder die Größenordnung noch die Dislozierung noch die technischen Komponenten noch die Komponenten der Finanzierung -, aber Sie sind bereits dafür. ({14}) Es heißt also nicht „Volker hört die Signale“, sondern; „Volker ahnt die Signale“. Wir befinden uns hier also noch in einer Vorstufe. ({15}) Zur Position der Bundesregierung. Diese Position der Bundesregierung ist unverändert und sie ist im deutschen Interesse. ({16}) - Ich habe sie gestern im Ausschuss vorgetragen; ich habe sie bereits fünfmal vorgetragen. ({17}) Sie sagen jetzt sozusagen im Tremolo des Enttäuschten: Tragen Sie sie mal vor! - Ich beginne damit. Unsere Position ist schlicht und einfach: ({18}) Die Entscheidung über die Raketenabwehr wird in den USA getroffen; darüber wird im Bündnis konsultiert werBundesminister Joseph Fischer den. Wir als Nichtnuklearmacht haben dabei bestimmte Interessen zu beachten. Die Vorstellung, die USA würden nach Weltherrschaft streben, so wie sie die PDS vertritt, ist eine groteske Verzerrung. ({19}) Ich will Ihnen sagen: Am gefährlichsten wäre es, wenn sich die USA in vielen Teilen der Welt zurückzögen. ({20}) Wenn es insofern neue Überlegungen gibt, hinsichtlich der Frage, wie sie ihre globale Ordnungsrolle aufrecht erhalten können, dann - das sage ich Ihnen - hat das nichts mit Weltherrschaft zu tun, sondern das ist ein wichtiger Faktor für Frieden und Stabilität im 21. Jahrhundert. Deswegen haben wir als Nichtnuklearmacht folgende Interessen zu wahren - das ist die Position der Bundesregierung -: ({21}) Wir haben als Erstes bei dieser Entscheidung die Stärkung des internationalen Rüstungskontrollregimes zu beachten. Eine Entscheidung für eine Raketenabwehr, egal wie sie aussehen wird - bis zur Stunde wissen wir das nicht, weder Rühe noch sonst jemand; nicht einmal diejenigen, die in den USA diese Entscheidung vorbereiten, wissen das zur Stunde -, darf auf keinen Fall zur Schwächung des internationalen Rüstungskontrollregimes führen, sondern muss im Gegenteil zur Stärkung dieses Regimes führen. ({22}) Deswegen, Kollege Rühe, haben wir Interesse nicht an Vermittlung, sondern daran, dass es ein kooperatives Klima gibt zwischen den beiden Großen, die nach wie vor die Hauptlast für die globale nukleare Stabilität zu tragen haben, nämlich zwischen den USA und Russland. Deswegen dürfen wir den ABM-Vertrag nicht einfach abschreiben oder den Teststoppvertrag vergessen. Vielmehr wird es ganz entscheidend sein, dass dann, wenn es zu einer entsprechenden Entscheidung kommt - die wir bis zur Stunde noch nicht kennen -, dieses in einem kooperativen Klima der Großen geschieht. Genau dazu haben wir beigetragen. ({23}) Zweitens. Wir müssen verhindern - dies ist eine unserer Hauptsorgen -, dass eine solche Entscheidung zu einem Rüstungswettlauf führt. ({24}) Einige von Ihnen - Rühe, Lamers und andere - waren ja in München dabei. Wir haben dort doch die Erklärung des Sicherheitsberaters des indischen Ministerpräsidenten gehört, der ganz offen gesagt hat: Wenn die Volksrepublik China durch Aufrüstung reagiert - sie liegen heute in etwa bei 20 Nuklearsystemen -, werden wir mitziehen. Wenn die Entscheidung für eine National Missile Defense entlang der Linie, wie sie Clinton sich vorgestellt hat, kommt - das ist das einzige konkrete Muster, das wir gegenwärtig kennen -, dann wird es so sein, dass Russland von seinem Offensivpotenzial so viel disloziert, dass die Abwehrfähigkeit durch diese große Zahl aufgehoben wird und damit die politischen Konsequenzen der Erstschlagfähigkeit gegeben sind. Indien hat gleichzeitig bereits erklärt: Wenn China anfängt hochzurüsten, werden wir mitziehen. Damit haben wir das Problem eines drohenden Rüstungswettlaufs. Darüber sollten wir mit den USA und im Bündnis sehr intensiv diskutieren. Daher sage ich Ihnen: Es wird darauf ankommen, dass es bei einer solchen Entscheidung - das liegt ebenfalls im Interesse Deutschlands als Nichtnuklearmacht - nicht zu einem neuen Rüstungswettlauf kommt, und zwar weder zu einem globalen Rüstungswettlauf zwischen den Großen noch zu regionalen Rüstungswettläufen, vor allem in Asien. Denn das würde mehr Instabilität und mehr Unsicherheit produzieren und nicht mehr Sicherheit kreieren. ({25}) Drittens. Es geht darum, dass wir eine verstärkte Antiproliferationspolitik betreiben. Deswegen wäre es völlig falsch, wenn es zu einer Schwächung des Rüstungskontrollregimes käme. Das ist das Fatale an der nicht stattgefundenen Ratifizierung des Teststoppvertrages. Das ist ein falsches Signal an kleinere Länder, Schwellenmächte, die um jeden Preis versuchen, in den Besitz von Nuklearwaffen zu kommen. Insofern läge eine verstärkte Antiproliferationspolitik, angeführt von den großen Nuklearmächten - denn eine solche Antiproliferationspolitik wird entscheidend von den Signalen der Großen abhängen -, ebenfalls in unserem Interesse. Der vierte Punkt ist die Frage einer möglichen technologischen Kooperation. Wir wissen noch nicht, wie eine solche Entscheidung, wenn sie denn kommt, aussehen wird. Aber es ist absehbar, dass ein Technologiewettbewerb ausgelöst wird. Auch das war von Anfang an die Position der Bundesregierung und zu Recht hat der Bundeskanzler exakt das angesprochen. Der fünfte Punkt ist die Bündniskohäsion. Wir haben in Moskau zweifelsfrei klargemacht, dass es hier keine Spaltung geben wird. Gleichzeitig haben wir gegenüber den USA durchgesetzt, dass es im Bündnis eine intensive Konsultation gibt. Dass die Regierung Bush uns dies erneut bestätigt hat, halten wir für sehr wichtig. Der sechste Punkt betrifft die Abstimmung in Europa, vor allen Dingen mit Großbritannien und Frankreich. Ein Punkt, den Volker Rühe überhaupt nicht erwähnt, ist, wie die „Ahnungen des Volker“ in Paris tatsächlich ankommen. Wenn wir seine Position vertreten würden, bräuchten wir uns mit Frankreich gar nicht mehr abzustimmen. Das ist doch der entscheidende Punkt. Wir haben das Gegenteil getan. ({26}) Schließlich zum letzten Punkt.Wir freuen uns darüber, dass die chinesische Seite - wie Russland; ich habe es schon angesprochen - jetzt ebenfalls die Bereitschaft zu Gesprächen mit den USA signalisiert hat. Ich denke, das ist unter dem Gesichtspunkt der Abwehr eines drohenden Rüstungswettlaufs von entscheidender Bedeutung. ({27}) Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie sind sehr still geworden. Das Geschilderte war und ist seit vielen Monaten die Position der Bundesregierung. Auf dieser Grundlage werden wir die Gespräche mit unseren amerikanischen Partnern weiterführen. Nun lassen Sie mich in dieser Debatte noch einen Punkt im Zusammenhang mit der ESVP ansprechen: Ich teile nicht die Ängste in Washington, die Ängste der Vereinigten Staaten, obwohl ich sie verstehe. Die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik richtet sich nicht gegen die NATO. Natürlich bleibt die NATO für die strategische Sicherheit und für die Verteidigungsfähigkeit unseres Kontinents und damit unseres Landes von zentraler, überragender Bedeutung. Deswegen hat die Bundesregierung seit Beginn der ESVP alles getan, Mechanismen zu entwickeln, damit es keine Doppelstrukturen, sondern eine Vertrauensbildung in Form einer gemeinsamen engen Kooperation und Zusammenarbeit gibt. Die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist auf die Petersberger Aufgaben, auf Krisenmanagement und Konfliktbewältigung, fokussiert und eben nicht auf die strategische Verteidigung. Das sind meines Erachtens wichtige Gesichtspunkte. Fast alle, die hier gesprochen haben, haben sich für eine stärkere Rolle Europas ausgesprochen. Herr Rühe, dazu muss ich Ihnen sagen: Man muss das Gedächtnis schon völlig ausschalten, um nicht zu sehen, welchen Verteidigungshaushalt und welchen Zustand bei den öffentlichen Finanzen wir vorgefunden haben. Wenn wir in diesem Zusammenhang die Umkehr nicht schaffen, sondern das weiterführen würden, was wir von Ihnen vorgefunden haben, wenn es nicht gelingt - es wird uns durch die Sparpolitik, aber auch durch die Steuerreform und anderes gelingen; das ist die Priorität dieser Regierung -, dass in diesem Land wieder mehr investiert wird - es wird ja bereits wieder investiert - und dass sich die Arbeitslosenzahlen reduzieren und demnach auch die Steuereinnahmen verändern, dann brauchen wir über die nötigen Aufwüchse der Mittel für die Außen- und Sicherheitspolitik, die wir bejahen, überhaupt nicht zu sprechen. ({28})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Minister, ich darf Sie an die überschrittene Redezeit erinnern.

Joseph Fischer (Minister:in)

Politiker ID: 11000552

Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. Die Beziehungen zu den Vereinigten Staaten von Amerika sind für die Bundesrepublik Deutschland auch unter einem letzten Gesichtspunkt von zentraler Bedeutung: Wenn sich die Vereinigten Staaten von Amerika zurückziehen oder wenn sie ihre Präsenz in Europa verringern würden, würde dies Deutschland in eine Rolle drängen, die wir uns weder wünschen noch die wir anstreben sollten. Auch unter dem Gesichtspunkt der inneren Balance, des inneren Gleichgewichts - nicht nur der äußeren Sicherheit - sind die Vereinigten Staaten von Amerika für uns von überragender Bedeutung. Insofern werden wir an der Erneuerung der transatlantischen Beziehungen intensiv arbeiten. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile dem Kollegen Michael Glos von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.

Michael Glos (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000691, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auf der Konferenz für Sicherheitspolitik in München ist sehr deutlich geworden, dass es im deutsch-amerikanischen Verhältnis zu Irritationen kommt. Dort hat Rumsfield ganz klar erläutert, dass es sich kein amerikanischer Präsident erlauben kann, technische Möglichkeiten zum Schutz seiner Bevölkerung, die vorhanden sind, nicht anzuwenden. Er hat deutlich gesagt: Die USA werden diese Raketenabwehrinitiative in die Tat umsetzen. Nun steht am Anfang, bevor man konkrete Pläne hat, immer eine Vision. Ich meine, die Vision, bestmögliche Sicherheit zu bieten, darf nicht nur für die Bürgerinnen und Bürger der Vereinigten Staaten gelten, sondern sie muss auch für die Deutschen gelten. ({0}) Deswegen brauchen wir ein sehr vertrauensvolles Verhältnis zu den USA. Ich bin schon ein bisschen erschrocken, Herr Bundesaußenminister, dass wir wohl bereits bei der Konzipierung zu wenig ins Vertrauen gezogen worden sind. Das kann doch nur heißen: Man hält diese Bundesregierung nicht mehr für einen voll vertrauenswürdigen Partner, mit dem man alles diskutiert, wie es in der Vergangenheit gewesen ist. Daran müssen wir wieder arbeiten! ({1}) Ich bin der Meinung, dass wir die deutsch-amerikanischen Beziehungen nicht gleichwertig neben viele andere wichtige Beziehungen, die unser Land zu pflegen hat, stellen dürfen. Bevor wir darüber nachdenken, wie sich das Verhältnis zu Indien oder China entwickelt, muss es uns erst einmal sehr viel näher sein, die deutsch-amerikanische Achse zu pflegen. ({2}) Wir können uns nicht überheben und die Sicherheit der ganzen Welt konzipieren wollen. ({3}) Kein Partner hat für Deutschland so viel getan wie die Vereinigten Staaten: Die USA waren Geburtshelfer der zweiten deutschen Demokratie. Sie haben den freien Teil Deutschlands mit dem Marshallplan wieder auf die Beine gebracht. Die USA haben mit ihrer Solidarität den Grundstein für das spätere deutsche Wirtschaftswunder gelegt. Die USA standen an der Seite des freien Teils Deutschlands während des Kalten Krieges und haben durch die Truppenpräsenz in Deutschland und Europa den Frieden und die Freiheit für unser Land bewahren helfen und letztendlich für ganz Deutschland gebracht. ({4}) Die USA haben selbst in schwierigen Tagen stets zu uns gehalten. Ich erinnere an die Luftbrücke, die diese Stadt am Leben erhalten hat, und ich erinnere an die immer wieder gegebene Schutzmachtgarantie für die Freiheit Westberlins. Ich erinnere daran, dass die Marktwirtschaft, die wir zur sozialen Marktwirtschaft weiterentwickelt haben, aus den USA gekommen ist, während andere an den Sieg der sozialistisch-kommunistischen Planwirtschaft geglaubt haben. ({5}) Ich erinnere ferner daran, dass wir die Amerikaner auch als Helfer beim Aufbau unserer Demokratie in Deutschland hatten und dass die Entwicklung unter den Bundeskanzlern Adenauer und Erhard, um nur zwei zu nennen, so verlaufen ist, dass Willy Brandt - er ist ja heute vom Kollegen Schultz ins Gespräch gebracht worden - 1972 mit dem Slogan in den Wahlkampf ziehen konnte: „Deutsche, wir können wieder stolz sein auf unser Land.“ ({6}) Um auch eine Debatte der letzten Tage aufzugreifen, die noch nicht ausgestanden ist: Ich lasse mir nicht verbieten, dankbar und stolz zu sein, als Deutscher in Deutschland leben zu dürfen. ({7}) Dass vieles so möglich geworden ist, verdanken wir den Amerikanern. Ich erinnere an John F. Kennedy, der nach dem Bau der Mauer in dieser Stadt gesagt hat: „Ich bin ein Berliner!“ Ich erinnere an den ehemaligen USPräsidenten Ronald Reagan, der, ebenfalls hier in Berlin, ausrief: „Mr. Gorbatshov, tear down this wall!“ - „Reißen Sie die Mauer ab!“ Ich erinnere an den Vater des heutigen US-Präsidenten und dessen klares und unmissverständliches Ja zur deutschen Einheit. Ohne George Bush senior hätten wir die Chance der Wiedervereinigung unseres Vaterlandes nicht so rasch und kraftvoll in die Hand nehmen können. ({8}) Lieber Herr Gerhardt, ich freue mich, dass ich auch Herrn Westerwelle auf der Convention der Republikaner in Philadelphia gesehen habe. Wir waren mit einer hochrangigen Delegation vertreten. Ich erinnere mich aber nicht, dort einen Genossen gesehen zu haben. Auch insofern haben wir keinen Nachholbedarf in der Entwicklung von Beziehungen zu dieser Administration, die jetzt den Präsidenten stellt. ({9}) - Sie? - Euch hätten’s gar nicht reingelassen! ({10}) In den USA ist man, was das Verhältnis zu Kommunisten anbelangt hat, immer ein ganzes Stück vorsichtiger gewesen. Angesichts dieser Rolle der USA sind die früheren antiamerikanischen Äußerungen der politischen Linken in Deutschland - sie sind mir immer noch im Ohr - eine Belastung für das deutsch-amerikanische Verhältnis, die bis heute nachwirken. ({11}) Es war nicht nur die SED, die immer antiamerikanisch war, sondern das war auch auf der Seite derer stark verbreitet, die heute die Bundesregierung stellen. ({12}) In den USA ist es sicherlich nicht vergessen, dass Joschka Fischer im Jahr 1983 den damaligen amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan als „schießwütigen Zelluloid-Cowboy“ beschimpft hat. ({13}) Herr Fischer, Sie haben gefragt, wo der Volker Rühe bei einer bestimmten Ausschusssitzung war. Ich würde mir an Ihrer Stelle vielmehr Gedanken machen, einmal meine eigene Biografie zu erforschen, ({14}) und die Wahrheit auf den Tisch legen, bevor da vieles so scheibchenweise wieder ans Tageslicht kommt. ({15}) Aber das ist jetzt nicht das Thema. Sie, Herr Fischer, werden selbstverständlich als deutscher Außenminister in den USA empfangen und Sie repräsentieren unser Land. Wir wünschen Ihnen bei der Fortentwicklung des deutsch-amerikanischen Verhältnisses im Interesse unseres Landes einen guten Erfolg und eine glückliche Hand. Aber ob Sie in den USA tatsächlich respektiert werden, das wird sich noch zeigen. Auch Schröder hat Nachholbedarf. ({16}) Die Amerikaner haben sicherlich gute Archive. Da gibt es jede Menge Äußerungen von ihm, in denen es zum Beispiel heißt: „Die Politik der Sowjetunion ist eindeutig defensiv. Wir müssen uns von den USA kein aggressives Sicherheitskonzept aufschwätzen lassen“ - und so weiter und so fort. ({17}) Das hat Gerhard Schröder gesagt; es ist nachweisbar. Was er zum NATO-Doppelbeschluss gesagt hat, kann ich auch zitieren, wenn es Sie interessiert. ({18}) - Da Sie so dumme Zwischenrufe machen: Ich war immer dankbar all denen, die Gutes für mich getan haben, auch meiner Mutter. Wissen Sie, die Amerikaner sind auch ein Stück Mutter unserer Demokratie. ({19}) Deswegen: Hören Sie mit Ihren törichten, saudummen Zwischenrufen auf! ({20}) Ich will gar nicht zitieren, was Jürgen Trittin noch gesagt hat, als die Amerikaner den Aggressor Irak aus Kuwait hinausgeworfen haben. Aber es kommt noch schlimmer - damit komme ich jetzt ein bisschen näher an das heran, was in allerletzter Zeit gewesen ist -: In den USA dürfte es sauer aufgestoßen sein, dass Verteidigungsminister Scharping seine Kritik an den amerikanischen Raketenabwehrplänen ausgerechnet in Moskau formuliert hat. Die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik darf nie als wankelmütig dastehen. Es muss immer ganz klar sein, an wessen Seite wir stehen. Wir müssen immer fest an der Seite der freien Welt und unserer Freunde in den Vereinigten Staaten stehen. ({21}) Es ist auch von Volker Rühe schon gesagt worden: Es hat viel zu lange gedauert, bis etwas zu Irak gesagt worden ist. Wir haben diese Debatte beantragt und sind dankbar, dass sie stattfindet, auch wenn der Bundeskanzler jetzt nach Paris musste. Ich habe Verständnis dafür; denn es ist auch wichtig, dass die deutsch-französischen Beziehungen gepflegt werden. Wir müssen natürlich auch die Franzosen und die Europäer allgemein auf diesem Weg zu einer gemeinsamen Raketenabwehr mitnehmen. Wir wollen genau wissen - vielleicht kann dies Herr Erler klarstellen, der bislang hinsichtlich der NMD-Initiative nichts als Bedenken geäußert hat -, ob sich der Bundeskanzler entschieden hat, für wen er spricht, ob für alle Parteien und die Mehrheit dieser Koalition, von der er zum Bundeskanzler gewählt worden ist. Diese Frage wird ihm in den USAgestellt werden. Ich kann nur hoffen, dass er eine eindeutige Antwort geben kann. ({22}) Ich sage noch einmal: Wir wollen nicht, dass es in den transatlantischen Beziehungen Zonen unterschiedlicher Sicherheit gibt. Unsere Bürger haben genauso wie die US-Bürger einen Anspruch auf den bestmöglichen Schutz gegen jedwede Bedrohung. Wir wollen, dass wir in der Champions League der Sicherheitspolitik mitspielen können. ({23}) Dazu gehört, dass wir ein ernst zu nehmender Partner bleiben. Deswegen müssen auch unseren Streitkräften die nötigen Mittel zur Verfügung gestellt werden. Wir müssen modernisieren können und der Bundeskanzler muss in den USA zeigen können, dass er in der Lage ist, die nötigen Mittel aufzubringen, um solch ein anspruchsvolles, technologisch hochwertiges Programm wie NMD in Deutschland mitzuentwickeln. Das muss unser Ziel sein. Wir wünschen uns, dass sich der Bundeskanzler hier mit dem, was er zu wollen vorgibt, klar durchsetzt. Wir werden ihn allerdings nicht an seinen Worten, sondern an seinen Taten messen. Herzlichen Dank. ({24})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile dem Kollegen Gernot Erler, SPD-Fraktion, das Wort.

Dr. h. c. Gernot Erler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000489, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer heute über transatlantische Beziehungen spricht, der muss zunächst einmal über große Veränderungen auf beiden Seiten des Ozeans reden. In den Vereinigten Staaten erleben wir den Anfang einer neuen Administration - eigentlich ein faszinierender Prozess: Dort werden nicht nur eine Hand voll Minister neu ernannt, sondern Tausende von neuen Leuten, von neuen Spezialisten. Daraus entsteht allmählich ein Puzzle und ein Kanon neuer, veränderter Prioritätensetzungen wird sichtbar. Es gab Voraussagen über diese neue amerikanische Regierung, basierend auf Erfahrungen aus dem Wahlkampf und auf Analysen. Was wurde uns nicht alles angekündigt! Es wurde gesagt, wahrscheinlich würden die amerikanisch-europäischen Missionen in Südosteuropa beendet, es werde eine Abkehr vom Multilateralismus, einen härteren Umgang mit Russland und China, eine Ablehnung des europäischen Wegs zu einer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, vielleicht sogar eine Abkehr von Europa geben, und dieses Raketenabwehrprogramm werde sofort umgesetzt. Wenige Wochen nach dem Start kann man sagen: Nichts ist so gekommen, wie es vorausgesagt worden ist. Stattdessen gibt es mehr Kontinuität als erwartet, eine verlängerte Formationsphase, eine längere Vorbereitung von grundlegenden Entscheidungen, ein intensives Interesse am Meinungsaustausch mit den Europäern, ({0}) aber auch mit Moskau, mit Peking und anderen Plätzen auf der Welt sowie eine bemerkenswerte Flexibilität, die auch Chancen für unsere Position, wenn wir sie vortragen, bedeutet. Ich finde, wir haben allen Grund, das zu begrüßen und uns darüber zu freuen, dass es anders gekommen ist als vorausgesagt. ({1}) Aber es gibt auch sehr große Veränderungen in Europa. Wir befinden uns mitten in einem Veränderungsprozess: parallel eine Erweiterung und Vertiefung. Besonders viele Veränderungen hat es - man kann das nur immer wieder deutlich machen - durch den Schock des Kosovo-Krieges gegeben. Wir haben gemerkt, dass wir vier blutige Kriege in Europa nicht verhindern konnten, dass langfristige Prävention und eine bis zur letzten Minute dauernde Friedensdiplomatie gescheitert sind. Während der Intervention kam zudem die Erkenntnis einer fast vollständigen Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten auf nahezu allen Gebieten. Danach hat es eine bemerkenswerte Beschleunigung beim Aufbau einer Gemeinsamen Europäischen Außenund Sicherheitspolitik gegeben. Die Stationen, die mit dem D-Zug durchrast wurden, waren die europäischen Gipfel in Köln, Helsinki, Feira und Nizza. Heute kann man sagen: Das, was wir GASP oder ESVP nennen, ist auf dem Weg zu seiner Realisierung. Typisch für diesen europäischen Weg ist, dass es eine Parallele zwischen dem Aufbau von militärischen Fähigkeiten und dem Aufbau von zivilen Kapazitäten gibt. Das ist gut so. ({2}) Typisch für diese neue Politik der EU, gerade in Südosteuropa, sind das umfassende Integrationsangebot, das wir als Friedenspolitik verstehen, und der Stabilitätspakt als Lern- und Aufbauprogramm für eine bessere Zukunft ohne gewaltsame Konflikte. Vieles von dem, was hier entsteht, haben wir selber noch gar nicht richtig realisiert. Deswegen brauchen wir uns nicht zu wundern, dass jenseits des Atlantiks noch Gewöhnungsbedarf für diese gewaltigen Veränderungen in Europa besteht. Unter diesen extremen Umständen des doppelt Neuen kann sich eine erste Zwischenbilanz der transatlantischen Beziehungen sehen lassen. Wir müssen einfach erkennen, dass diese Skepsis gegenüber der ESVP allmählich der Einsicht weicht, dass sie dann im amerikanischen Interesse ist, wenn sie sich zu den Aufgaben der NATO vernünftig verhält. ({3}) Nach den ersten persönlichen Begegnungen hat sich ein Vertrauensverhältnis entwickelt. Das gilt ganz besonders für die deutsch-amerikanischen Beziehungen. Hier gab es vier Etappen: die Münchner Konferenz, den Besuch des Außenministers, den Besuch des Verteidigungsministers und - dies schließt sich daran an - den Besuch des Bundeskanzlers. Wir müssen feststellen: Joschka Fischer und Rudolf Scharping haben erkannt, welche konstitutive Bedeutung erste Begegnungen haben. Sie sind erfolgreich gewesen, sind mit der Erfahrung von Kameradschaft und sogar Freundschaft zurückgekommen. Das ist gut so. Davon können wir eine ganz lange Zeit zehren. Wir hoffen, dass der Bundeskanzler diese Erfolgsgeschichte bei seinem Besuch in Washington fortsetzen wird. ({4}) Natürlich war uns schon vor den Wahlen in den Vereinigten Staaten der Stellenwert des Raketenabwehrsystems der neuen Regierung bekannt. Wir wussten, dass es hierin Unterschiede zwischen Amerikanern und Europäern gibt. Aber auch hier erleben wir eine positive Überraschung. Es gibt keine dogmatische Umsetzung eines starren Konzepts, vielmehr eine erstaunliche Wandlungs- und Anpassungsfähigkeit. ({5}) Herr Kollege, es gibt keinen Zweifel an dem Ob. Das lassen die Amerikaner nicht zu. Aber bei dem Wie der Umsetzung scheint dieses Wie ein Wort mit 25 Buchstaben zu sein - so flexibel ist das heute. Die Administration nimmt sich mehr Zeit. Sie hört aufmerksam auf die Einwände und Argumente der Verbündeten. Auch in Amerika selbst wird eine sachliche und kontroverse Debatte geführt. Das müssen wir nutzen. Wir dürfen nicht in Hektik verfallen. Wir können doch nicht, wie Sie das machen, zum jetzigen Zeitpunkt den Popanz einer Ja/Nein-Entscheidung aufbauen. Das ist doch lächerlich. ({6}) NMD ist, militärisch gesehen, bestenfalls eine Antwort auf eine sehr begrenzte Auswahl von Bedrohungen und Herausforderungen von Übermorgen. Aber es kann in der Umsetzung bereits erhebliche politische Folgen haben. Deshalb ist es unser Ansatz, die Diskussion um NMD zu einem umfassenden transatlantischen Dialog über Sicherheitsfragen zu erweitern, der über die Raketenabwehr weit hinausgeht. Herr Rühe, es tut mir Leid, aber wenn Sie zum wiederholten Male Ihre tibetanische Gebetsmühle anwerfen, weil Sie die Verringerung der Mittel des Verteidigungshaushaltes anwerfen und dies als einziges Problem sehen, dann haben Sie die Notwendigkeit der Verbreiterung dieses Dialogs nicht verstanden. Sie reduzieren alles auf quantitative Fragen, anstatt auf notwendige qualitative Fragen einzugehen. Wir wollen in diesem Dialog eine breite Palette von Themen ansprechen. Es geht darum, zu klären, welche präventiven Fähigkeiten wir in Zukunft brauchen, um Konflikte zu vermeiden. Wir wollen wissen, ob es eine Alternative zu der Selbstabrüstung der Atommächte und der Fortsetzung des Abrüstungsprozesses, der sich auf Verträge beruft, gibt. Wir sehen dazu keine Alternative. Das alles steht im Zusammenhang mit NMD. Wir wollen gemeinsam wirksame Strategien gegen den internationalen Terrorismus beraten und brauchen einen umfassenden politischen Ansatz, wie wir mit den Risikostaaten - drei dieser Staaten, nämlich Iran, Irak und Nordkorea, haben Raketenprogramme - umgehen sollen. Wir wollen, dass das Sunshine-Programm der beiden Kims in Nordkorea ein Erfolg wird. Wir finden, es ist gut, dass der Bundestagspräsident in den Iran gefahren ist, um dort die Reformer zu unterstützen. Das ist der politische Ansatz, den wir wollen. ({7}) Herr Rühe, ich finde, es ist wirklich nicht überzeugend, uns nachträglich aufzufordern, Beifall zu den amerikanisch-englischen Aktivitäten in Bezug auf den Irak einzufordern. Nein, lassen Sie uns gemeinsam die Chance zu einer Änderung ergreifen, wie Colin Powell angeregt hat, als er nach den negativen politischen Folgen der militärischen Intervention gefordert hat: Wir brauchen eine neue Sanktionspolitik und eine neue Irakpolitik. In diesem Punkt ist Beifall angebracht. ({8}) Natürlich gehört zu diesem Dialog auch die Frage, ob im Falle des Fortbestehens des Restrisikos, wenn die politischen Konzepte nicht greifen, eine militärische Antwort auf eine Raketenbedrohung aus diesen Ländern erfolgen soll. Diese Frage muss dann natürlich - der Außenminister hat das sehr detailliert dargestellt - so beantwortet werden, dass die anderen Ziele nicht beeinträchtigt werden. Herr Rühe, Sie haben beklagt, wir hätten in der Sache NMD unterschiedliche Positionen. Es gibt in der Tat unterschiedliche Akzentsetzungen, aber die Unterschiede bei uns sind nicht so groß wie in Ihren Reihen. Wir haben alle die Rede des wirklich sehr geschätzten Kollegen Lamers in München gehört, wir haben auch sein Interview im „Tagesspiegel“ mit der Überschrift „Wir müssen auch Amerikas Widerpart sein“ gelesen. Das passt nicht zu dem Vater-Sohn-Verhalten, das Herr Glos eingefordert hat. ({9}) In dem Interview wird vor einer Kapitulation im Voraus sowie vor den Hegemonialinteressen der USA gewarnt und das ganze NMD-Programm als unseriös bezeichnet. Ich habe den Eindruck, dass das, was bei Ihnen auseinander klafft, viel schwieriger zusammenzuführen ist als das, was bei uns an unterschiedlichen Akzentsetzungen vorhanden ist. Es ist ganz normal, dass in der jetzigen Phase der Diskussion unterschiedliche Auffassungen bestehen. Das ist auch in den anderen europäischen Staaten und übrigens auch in den Vereinigten Staaten so. Das Programm ist eben noch nicht entscheidungsreif. ({10}) Im Übrigen: Wenn uns als Regierungskoalition ein Teil der Opposition empfiehlt, zu diesem Programm sofort Ja zu sagen, und der andere Teil der Opposition fordert, ein bisschen mehr Kritik zu üben, scheint es so zu sein, dass wir mit unserer Dialogstrategie gar nicht so schlecht liegen. Ich fühle mich in der Mitte dieser beiden Extrempositionen ganz wohl. ({11}) Abschließend möchte ich festhalten: Wir brauchen und wir wollen einen solchen umfassenden Dialog. Die Globalisierung macht nicht vor der internationalen Sicherheitspolitik Halt. Wir kommen nur zusammen mit den Vereinigten Staaten zu gemeinsamen transatlantischen Strategien. Wenn wir in Zukunft Konfliktverhütung besser bewältigen wollen, wenn wir Abrüstung und Rüstungskontrolle und vor allem die Nichtverbreitung von Waffen verbessern wollen, wenn wir die Bekämpfung des Terrorismus, der organisierten Kriminalität, des Drogenhandels und des Waffenhandels verbessern wollen und wenn wir Konzepte mit dem Ziel eines Wandels durch Einbindung für die Risikostaaten erreichen wollen, dann werden wir das entweder transatlantisch gemeinsam oder gar nicht schaffen. Das gilt auch für die Raketenabwehr. Wenn wir mehr Sicherheit für die Amerikaner und für uns haben wollen, darf dieses Konzept nicht mit der Brechstange durchgesetzt werden. Es geht nur, wenn man ein sehr breites Einvernehmen erzielt. Es gibt erfreuliche Anzeichen aus Washington, dass sich die Administration dieser Einsicht nicht verschließt. Der von uns gewünschte und angestrebte umfassende transatlantische Dialog über Sicherheitsfragen braucht Zeit und hat Zeit. Wer ihn jetzt mit Hektik oder mit einer künstlichen Dramatik belastet und die Alternative, entweder Gefolgschaft oder Verweigerung, fälschlicherweise in den Raum stellt, der hat die tiefen Veränderungen auf beiden Seiten des Ozeans überhaupt nicht verstanden und bringt uns bei diesem notwendigen transatlantischen Dialog keinen Schritt weiter. In diesem Sinne hoffe ich auf eine Zusammenarbeit. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({12})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollege Karl Lamers, CDU/CSU-Fraktion.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es wird vielen in diesem Saal so wie mir gegangen sein, der angesichts der Erleichterung, mit der Sie hier die Politik der neuen US-amerikanischen Administration mehrfach begrüßt haben, ein gewisses schmunzelndes Erstaunen nicht verbergen konnte. War es nicht so, dass die Warnungen vor der CowboyMentalität der neuen amerikanischen Administration gerade von Ihrer Seite gekommen sind? ({0}) Sie sind zwar jetzt erleichtert. Das verstehe ich sehr gut. Aber Sie haben sich ein weiteres Mal in der Beurteilung der amerikanischen Administration und der amerikanischen Politik getäuscht. Das ist der Punkt, der in diesem Zusammenhang von Bedeutung ist. ({1}) Herr Minister, wir haben Ihnen nie vorgeworfen, sich nicht mit dem Thema, über das wir heute diskutieren, beschäftigt zu haben, schon gar nicht, dafür gesorgt zu haben, dass es keine Konsultationen zu diesem Thema innerhalb der NATO gegeben hat. Wie sollten wir? Aber es kommt auf Ihre Intention an, weshalb Sie sich mit diesem Thema beschäftigen. Der Zweck Ihres Unterfangens war, das Vorhaben einer Raketenabwehr zu verhindern, und nicht, es im Rahmen eines Dialogs mitzugestalten. In diesem Punkt gibt es eine Differenz zu uns. Meine Fraktion hat bereits im Mai des vergangenen Jahres in einem Antrag von Ihnen gefordert, sich konstruktiv in den Dialog einzuschalten. Das ist nicht geschehen. Das ist der Punkt, den wir kritisieren. Herr Kollege Erler, solche Spielchen kennt man. Schon Konrad Adenauer hat gesagt, es gebe auch anständige Sozialdemokraten. So verfahren Sie jetzt mit mir. ({2}) Sie haben mich aber nicht richtig zitiert. Ich habe nicht gesagt, das ganze Projekt sei unseriös, sondern die Begründung. Ich habe mich dabei auf das bezogen, was Henry Kissinger auf der Münchner Sicherheitskonferenz gesagt hat. ({3}) - Ja, in der Tat, das finde ich auch. Wenn wir das alles einmal beiseite lassen, müssten wir uns ernsthaft fragen, was mit dem Projekt NMD eigentlich intendiert ist. Es geht doch um den Versuch einer Neugestaltung der sicherheitspolitischen Architektur im 21. Jahrhundert, und zwar weltweit. Es geht insofern auch um unser Verhältnis, also nicht nur um das Verhältnis der Vereinigten Staaten, sondern auch um das Verhältnis des Westens, zur übrigen Welt. Es geht um die Frage: Können wir die schreckliche Alternative „Wer zuerst schießt, stirbt als Zweiter“ überwinden? Gibt es in Zukunft die Möglichkeit, defensive Elemente in die Strategie einzubeziehen, nachdem die offensiven über viele Jahrzehnte die Strategie bestimmt haben, oder müssen wir mit dem Gefühl der wechselseitigen Verwundbarkeit als einziger Hoffnung auf Einsicht in die Notwendigkeit leben, auf Gewaltanwendung zu verzichten? - Es ist nur allzu verständlich, wenn es Zweifel an der Übertragbarkeit des Systems der Abschreckung, das im Ost-WestKonflikt ohne Zweifel den Frieden erhalten hat, auf die übrige Welt gibt. Aber im Golfkrieg hat die Abschreckung im Hinblick auf den Irak funktioniert. All diese und viele andere fundamentale Fragen müssen wir ernsthaft erörtern. Damit, meine ich, gäbe es wirklich eine große Chance für eine etwas sicherere, bessere Welt. Ich sehe in diesem amerikanischen Projekt noch eine weitere Chance, vor allen Dingen für uns Deutsche, nämlich dass wir über den europäischen Tellerrand hinaussehen. Wir sind zu sehr auf Europa zentriert und haben allzu lange übersehen, dass doch die eigentlichen Sicherheitsprobleme unseres Landes und ganz Europas außerhalb Europas liegen und nicht in Europa. Gerade wir Deutschen könnten das lernen. Eine der großen Krisenregionen ist der Nahe Osten, der ja nicht Naher Osten heißt, weil er nahe an Amerika liegt, sondern weil er nahe an Europa liegt. Damit komme ich zu einem weiteren Punkt, von dem ich meine, dass er eine Chance böte, nämlich die Chance, dass die Europäer in dieser Frage wirklich eine gemeinsame Position einnehmen, weil sie sie gemeinsam einnehmen müssen. Zu glauben, wir könnten jeweils auf der nationalen oder bilateralen Ebene einen großen Einfluss auf die Gestaltung der amerikanischen globalen Sicherheitsstrategie ausüben, ist angesichts der Zahlenverhältnisse nicht gerade sehr realistisch. Ich darf einmal darauf hinweisen, dass der deutsche Verteidigungshaushalt, gemessen am amerikanischen, gerade 8 Prozent beträgt. Wenn Sie so weitermachen, landet er demnächst bei 5 Prozent. Das ist doch eine Zahlenrelation, die uns zu denken geben muss und die uns unbedingt dazu führen muss, alle Anstrengungen zu unternehmen, dass Europa in dieser Frage mit einer Stimme spricht. Übrigens: Wenn dann auch und gerade für Europa durch die Entwicklung der Raketentechnologie und durch deren Verbreitung eine Bedrohung von außerhalb Europas ausgeht und wenn wir uns möglicherweise an einem solchen Projekt beteiligen, dann wirft das unweigerlich die Frage nach der Reichweite der Allianz auf. Auch diese Frage müssen wir beantworten. Das ist eine sehr ernste Frage, die bislang nicht ausreichend, wie ich finde, gesehen wird. Übrigens, Herr Minister: Ich finde es nicht fair, dem Kollegen Rühe vorzuwerfen, er habe hier eine bedingungslose Beteiligung gefordert. Das hat er nicht getan. Das kann er gar nicht getan haben, denn er hat auch darauf hingewiesen, dass die Diskussion in Amerika neu angefangen hat und wir alle nicht genau wissen, was dabei herauskommt. Was er gesagt hat, war ein grundsätzliches Ja zu dem Versuch des Strategiewechsels und dazu, dass wir uns an der Debatte darüber beteiligen. Mehr kann man in diesem Augenblick natürlich nicht tun. ({4}) Es geht hier nicht um eine bedingungslose Gefolgschaft, sondern es geht um den partnerschaftlichen Dialog mit den Amerikanern. ({5}) Wenn man aber nicht sagt, dass man grundsätzlich bereit ist, und auch nicht die Bedingungen formuliert, unter denen man bereit ist, kann man diesen Dialog nicht Erfolg versprechend führen. ({6}) Ich sehe schließlich, auch wenn es natürlich unzweifelhaft ist, dass dieses Projekt eine Reihe von schwerwiegenden Fragen aufwirft, eine große Chance für eine Vertiefung der transatlantischen Beziehungen, wenn wir diesen Dialog so führen, wie wir es Ihnen vorschlagen. Es ist nicht wirklich erstaunlich, dass die neue amerikanische Administration nicht nur versprochen hat zu informieren, sondern auch zu konsultieren. Sie will, dass Europa mitmacht. Mitmachen heißt das Konzept mitgestalten. Es heißt auch Mitwirkung bei der Technologie und insofern Technologietransfer. Allerdings darf das nicht im Mittelpunkt des Interesses stehen. Da ist der Bundeskanzler Gott sei Dank vom Kollegen Erler korrigiert worden. Das heißt allerdings auch nötigenfalls Mitfinanzierung. Insofern ist das nicht eine ständige Platte, die wir da auflegen, Kollege Erler. Es ist eine Tatsache, dass ohne einen größeren finanziellen Beitrag unseres Landes zu den militärischen Anstrengungen des Bündnisses unsere Chancen zur Mitgestaltung gegen null tendieren. Wenn Sie so weitermachen, wird das leider so sein. ({7})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile dem Kollegen Gert Weisskirchen, SPD-Fraktion, das Wort.

Gert Weisskirchen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002465, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Lamers, man konnte durch den Vergleich mit der Rede des Kollegen Rühe sehr gut feststellen, worin der Unterschied besteht. Ich knüpfe an eine Debatte an, die einige Jahre zurückliegt. Ich kann verstehen, dass es der Union sehr schwer fällt, über das Thema der transatlantischen Beziehungen neu zu diskutieren. Denken Sie noch einmal daran, wie Werner Weidenfeld als Reaktion auf den Golfkrieg seine Kritik formuliert hat. Er hat nämlich geschrieben - man muss das häufig in Erinnerung rufen -, es gebe einen Kulturbruch mit Amerika. Er hat davon gesprochen, dass die transatlantische Selbstverständlichkeit erloschen sei. Wie bekommen Sie es auf die Reihe, das miteinander zu vereinbaren? Herr Lamers, ich sage Ihnen ganz klar: Der transatlantische Dialog muss fortgesetzt und intensiviert werden. Sie können sich darauf verlassen: Diese Bundesregierung wird dabei von den Regierungsfraktionen ganz eindeutig unterstützt werden. Wir wünschen dem Bundeskanzler, dass er im Gespräch mit der US-Administration genau die Fragen aufwirft, die in dieser Debatte eine Rolle spielen. Wir werden in einen Prozess, in einen Dialog eintreten und wir werden Antworten finden. Aber wir werden diese Antworten nicht finden, indem wir uns unterwerfen, sondern nur, indem wir die gemeinsamen Interessen miteinander vertreten. ({0}) Die USA haben eine zentrale Rolle in Europa und sie werden sie auch künftig spielen. Die demokratischen Revolutionen vor zehn Jahren wären nicht möglich gewesen, wenn sich die USA nicht auch als europäische Macht verstanden hätten. Deutschland war häufig und allzu lange Zeit eine Quelle der Angst für seine Nachbarn. Das Bewusstsein vom deutschen Sonderweg konnte die westdeutsche Gesellschaft nicht allein deshalb überwinden, weil sie sich in den europäischen Integrationsprozess eingebettet hatte, sondern schließlich auch, weil die USA in den 50er-, in den 60er- und in den 70er-Jahren so zu kooperieren versucht haben, dass sich, wie es Jürgen Habermas beschrieben hat, auch die innere Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland „amerikanisiert“ hat. Die fundamentale Liberalisierung der Bundesrepublik Deutschland wäre nicht möglich gewesen, wenn die USA dabei keine starke Rolle in Europa gespielt hätten. Auch dieser Punkt gehört zum transatlantischen Verhältnis. Der deutsche Westen konnte eigentlich nur liberal werden, weil er den Kräften des Marktes Raum ließ und zugleich versuchte, sie sozial zu binden. Dieser Ansatz hat uns in den europäischen Kontext gestellt. Aber diese Liberalität voranzutreiben war mit dem Versuch verbunden, wie Fritz Stern es genannt hat, die Bundesrepublik Deutschland in ein neues Koordinatensystem zu bringen, geradezu zu schieben, weg vom Obrigkeitsstaat, hin zur gesellschaftlichen Selbstverantwortung. Das war der entscheidende Aspekt der „Westernisierung“ der Bundesrepublik Deutschland. Wenn wir über das transatlantische Verhältnis sprechen, dann sollten wir genau darüber reden und danach fragen, was eigentlich die Herausforderungen in Europa und in Amerika sind, vor welchen Problemen unsere Gesellschaften in Europa und die Gesellschaft in den Vereinigten Staaten stehen. Die Herausforderungen - zum Beispiel der Modernisierung und der Globalisierung sind doch die gleichen. Aber die Amerikaner haben dazu einen anderen Ansatz als wir in Europa gefunden. Wir haben aufgrund unserer europäischen Denktradition sehr stark auf den Staat gesetzt. Wir lernen von den USA, dass man den Staat als wichtige Qualität durchaus erhalten und reformieren muss. Zur unsichtbaren Hand des Marktes - so hat es Adam Smith genannt - und zur sichtbaren Hand des Staates kommt allerdings ein drittes Element, die Hand der Zivilgesellschaft, hinzu. Das ist etwas, was wir von den USA lernen können. Ich finde, dass wir von diesem Dialog in den USA über die Einflüsse, die Möglichkeiten und das bewusste Handeln der Menschen, die sich miteinander vernetzen und versuchen, zivilgesellschaftliche Strukturen von unten zu entwickeln, etwas lernen können. ({1}) Denken Sie etwa an John Rawls, den großen liberalen Demokratietheoretiker, der uns diese Denkmodelle plastisch darstellt. Er hilft uns, auch bei anderen innergesellschaftlichen Konflikten neue Lösungen zu finden. Die Modernisierung der Gesellschaften in den USA wie in Europa braucht den gemeinsamen transatlantischen Dialog, um die Herausforderungen richtig zu verstehen sowie vernünftige und moderne Antworten auf diese Herausforderungen zu finden. ({2}) Es gibt hierfür eine Reihe von überzeugenden Hinweisen, nehmen Sie zum Beispiel Michael Walzer, den amerikanischen Sozialphilosophen, Nancy Fraser oder andere amerikanische Wissenschaftler, die versuchen, ihr Land zu europäisieren. Betrachten Sie, wie die Wissenschaft in Europa im Dialog versucht, diesen Ball aufzunehmen und unser eigenes Bewusstsein zu verändern. Das ist etwas, wie ich finde, so Neues, das nicht in den alten Kategorien der „Amerikanisierung“ oder „Europäisierung“ gedacht werden kann. Wir brauchen einen solchen transatlantiKarl Lamers schen Dialog. In all den Debatten, die wir hier über „missile defense“, gemeinsame Sicherheit und militärische Kooperation führen, können wir nur vorankommen, wenn dieser innere Dialog zwischen Europa und Amerika neu definiert wird. Lieber Kollege Lamers, ich bin davon überzeugt, dass das, was Sie denken, eher nicht der Meinung Werner Weidenfelds entspricht, sondern wahrscheinlich sehr viel näher bei dem liegt, was der Bundeskanzler mit George Bush und seiner Administration in den nächsten Tagen debattieren wird. Wir wünschen dem Bundeskanzler alles Gute und sind sicher, dass er mit einem vernünftigen Ergebnis, das auch die Fortsetzung dieses Dialogs beinhaltet, zu uns zurückkehren wird. ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich schließe die Aus- sprache. Wir kommen zu dem Entschließungsantrag der Frak- tion der F.D.P. auf Drucksache 14/5570. Die Fraktion der F.D.P. hat beantragt, den Entschließungsantrag zur feder- führenden Beratung an den Auswärtigen Ausschuss sowie zur Mitberatung an den Verteidigungsausschuss und an den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union zu überweisen. Die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen verlangen hingegen sofortige Abstimmung. Nach ständiger Übung geht die Abstim- mung über den Überweisungsvorschlag vor. Ich bitte diejenigen, die dem Überweisungsvorschlag der F.D.P. zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Überweisungs- vorschlag ist damit mit den Stimmen von SPD und Bünd- nis 90/Die Grünen abgelehnt. Damit stimmen wir jetzt in der Sache ab. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der F.D.P. auf Drucksache 14/5570? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS abgelehnt. Ich rufe nunmehr die Tagesordnungspunkte 3 a und 3 b sowie die Zusatzpunkte 2 und 3 auf: 3. a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Ditmar Staffelt, Jelena Hoffmann ({0}), Dr. Axel Berg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Werner Schulz ({1}), Michaele Hustedt, Andrea Fischer ({2}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Neue Mittelstandspolitik - Motor für Beschäftigung und Innovation - Drucksache 14/5485 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({3}) Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Tourismus Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss b) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Hansjürgen Doss, Peter Rauen, Ernst Hinsken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Chancen des Mittelstandes in der globalisierten Wirtschaft - Drucksachen 14/3870, 14/4603 ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Hansjürgen Doss, Peter Rauen, Ernst Hinsken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Chancen des Mittelstandes in der globalisierten Wirtschaft stärken - Drucksache 14/5545 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({4}) Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Tourismus Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Rolf Kutzmutz, Dr. Christa Luft, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS Kleinunternehmer-Hilfefonds effektiv organisieren und gesetzliche Voraussetzungen für eine Nachfolgeregelung schaffen - Drucksache 14/5559 Überweisungsvorschlag Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({5}) Rechtsausschuss Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder Haushaltsausschuss Zur Großen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU zu den „Chancen des Mittelstandes in der globalisierten Wirtschaft“ liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der F.D.P. vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Hansjürgen Doss von der CDU/CSU-Fraktion.

Dr. Hansjürgen Doss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000411, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Liebe Kollegen! Mittelstandspolitik ist keine Klientelpolitik. In der Mittelstandspolitik entscheidet sich, wie viele Arbeitsplätze und wie Gert Weisskirchen ({0}) viele Ausbildungsplätze wir haben und wie sich das Bruttosozialprodukt entwickelt. Mittelstandspolitik ist also für uns alle ganz wichtig. Wir haben deshalb eine große Anfrage „Chancen des Mittelstandes in der globalisierten Wirtschaft“ an die Bundesregierung gestellt. Sie ist aber nur oberflächlich und schlampig beantwortet worden. Dies ist einfach typisch für den Stellenwert des Mittelstandes in Ihrer Politik. ({1}) Keine Parole ist zu platt, keine Phrase zu hohl und kein Allgemeinplatz zu abgedroschen, um nicht in der Antwort der Bundesregierung Aufnahme zu finden. Ich muss sagen, dass uns das sehr betroffen gemacht hat. Worthülsen und Sprechblasen sind keine Antworten auf Kapitalschwäche, Kostenlast, Bürokratie, Wettbewerbsverzerrung und Fremdbestimmung. Das Aktionsprogramm „Mittelstand“ der Bundesregierung ist sozusagen eine Werbebroschüre, die mit der Realität wenig zu tun hat. ({2}) Realität ist, dass der Anteil der Selbstständigen an der Gesamtzahl der Erwerbstätigen - zu Ludwig Erhards Zeiten waren es 14 Prozent bei Vollbeschäftigung - in der Zwischenzeit auf 9,4 Prozent gesunken ist. Der EU-Durchschnitt liegt bei 13 Prozent. Mehrfach ist in der Antwort der Bundesregierung von der Verbesserung der Rahmenbedingungen, von Förderung, von Dynamisierung, von Stärkung, von Entlastung und von Unterstützung die Rede. Das ist die Sprache der Werbetexter, PR statt Fakten für den Mittelstand. ({3}) Die Realität sieht nämlich anders aus: Das 630-MarkGesetz wurde zum Schwarzarbeiterförderungsgesetz. Damit wurden die geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse als flexibles Beschäftigungsinstrument praktisch unbrauchbar gemacht. Das Gesetz gegen Scheinselbstständigkeit ist ein Existenzgründerverhinderungsgesetz. Es hat eine bewährte Einstiegsmöglichkeit in die Selbstständigkeit verbaut. Die Reformansätze bei Kündigungsschutz und Lohnfortzahlung wurden zurückgenommen und damit der Arbeitsmarkt wieder stärker reglementiert. Mit dem Rechtsanspruch auf Teilzeit wurde die Personalplanung in mittelständischen Unternehmen zum teuren Lotteriespiel gemacht. Mit der Ökosteuer wird der Mittelstand voll belastet. Die Industrie bekommt großzügige Befreiungsoptionen. Die Steuerreform entlastet die großen Kapitalgesellschaften. Mittelständische Personenunternehmen werden dagegen benachteiligt. Die zum Jahresbeginn wirksam gewordene Verschlechterung der Abschreibungsbedingungen ist für den Mittelstand eine verdeckte Steuererhöhung. ({4}) Mit der Reform des Betriebsverfassungsgesetzes hilft die Regierung den Gewerkschaftsfunktionären, damit sie ihre bröckelnden Bastionen in den Betrieben zusammenhalten kann. Dies ist ein DGB-Mitglieder-Förderungsgesetz. ({5}) Der Mittelstand, von Gerhard Schröder noch 1998 stark und nicht ohne Erfolg umworben, wurde nicht, was er erwartet hat, gefördert, gestärkt und gestützt. Er wurde vielmehr getäuscht, gemolken und abgezockt. Das ist die Realität. ({6}) Hiervon lenkt die Bundesregierung in ihrer Antwort mit blumiger Schönrederei und mit unterhaltsamen Brot-undSpiele-Inszenierungen ab. Zum Beispiel auch das so genannte Bündnis für Arbeit ist eine große Alibishow. Hier wurde nur eine weitere Bühne für die Selbstdarstellungsmöglichkeiten des Medienpreisträgers aufgebaut. Ergebnisse sind weder erwünscht noch geplant; Ergebnisse würden diese Personalityshow beenden. Der Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung in Halle, Rüdiger Pohl, bezeichnet die Runde als schlichtweg überflüssig. Recht hat er. ({7}) Auf die oscarreife Inszenierung mit dem angeblichen Ringen um die Reform des Betriebsverfassungsgesetzes ist die gesamte deutsche Öffentlichkeit hereingefallen. Dabei haben Herr Riester und Herr Müller nur ihre Rollen gespielt, um die Gefälligkeit für den DGB als Kompromiss erscheinen zu lassen: Riester, der unerschrockene Held der Arbeit, und Müller, der Mann der bösen Wirtschaft. Hinzu kommt Schröder, der salomonische Schlichter. Der Arbeitsminister, der seit zweieinhalb Jahren im Rentendschungel umherirrt, braucht ein Erfolgserlebnis. Der Wirtschaftsminister darf, weil er den undankbaren Part des Bösewichts gespielt hat, nächstes Jahr das ungeliebte Kabinett verlassen. Der Bundeskanzler, der Meister der öffentlichen Politikdarbietung, hat einmal mehr Chefsachenmythos gepflegt. Die Stärkung der Funktionärsmacht in den Betrieben war der Preis für die 10 Millionen DM Wahlkampfhilfe des DGB von 1998 und für das Wohlverhalten der Gewerkschaften in der Rentendebatte. ({8}) Diese Bundesregierung kennt nur Arbeit und Kapital, nur Beschäftigung im überholten Sinne der Arbeiterklasse und bei selektiver Betrachtung Unternehmen nur als Großkonzern. ({9}) Entsprechend fehlt bei dieser Bundesregierung eine glaubwürdige Mittelstandspolitik. Das ist im Übrigen kein Zufall, keine Unterlassung aus Vergesslichkeit. Das hat vielmehr Methode. Mit der fortgesetzten Benachteiligung des Mittelstandes soll nach und nach die wirtschaftHansjürgen Doss liche und gesellschaftliche Struktur in der Bundesrepublik Deutschland verändert werden. ({10}) Der Fall Holzmann steht exemplarisch für eine solche Politik, die anonyme, mitbestimmte Großbetriebe unter staatlichen Schutz stellt und den Mittelstand an den Rand und aus dem Markt drängt. Das Verdrängen des Mittelstandes ist dabei Teil einer groß angelegten gesellschaftspolitischen Strukturveränderung, für die mit der undifferenzierten Kampagne gegen rechts gegenwärtig der bundesweite Boden bereitet wird. Die Bundesregierung spaltet die Gesellschaft, indem sie alle, die nicht ihren Kurs segeln, als „konservativ“ und „rechts“ brandmarkt, mit Extremisten in eine Ecke stellt und zum „Objekt des Aufstands der Anständigen“ macht. Auf Augenhöhe mit dem Bundeskanzler sind nicht die Mittelständler, sondern nur die Konzernmanager aus derselben Zigarrenklasse. Der Mittelstand ist nur Zielgruppe im Wahlkampf. ({11}) Doch die schonungslose Realität der volkswirtschaftlichen Entwicklung lässt sich von dieser rot-grünen Politik nicht beeinflussen. Konzerne schaffen keine Arbeitsplätze. Bei schlechten Rahmenbedingungen gehen sie ins Ausland. Der Mittelstand hingegen hat „lebenslang Deutschland“. Trotz einer für den Arbeitsmarkt günstigen demographischen Entwicklung ist die Lage auf dem Arbeitsmarkt noch immer bedrückend. Über 4 Millionen Menschen waren im letzten Monat offiziell arbeitslos gemeldet. Inklusive der verdeckt Arbeitslosen, von denen seit Herbst 1998 interessanterweise kein Mensch mehr redet, sind es 5,7 Millionen. Der Kanzler jongliert derweil unbekümmert mit Prognosen, wobei es ihm auf eine halbe Million mehr oder weniger nicht ankommt. Was uns besorgt machen muss: Der exportgetragenen Konjunktur geht langsam die Luft aus. Stabile Wachstumsraten verzeichnet alleine die Schwarzarbeit mit 658 Milliarden DM Umsatz im vergangenen Jahr. ({12}) Die Schattenwirtschaft wächst unter dieser Bundesregierung im Vergleich zum tatsächlichen Anstieg des Bruttoinlandsproduktes derzeit dreimal so schnell. Für diese Bundesregierung aber kein Thema! Schwarzarbeit trifft ja nicht die Konzerne, Schwarzarbeit trifft in erster Linie den Mittelstand. ({13}) Vergessen wird dabei, dass bei der Schwarzarbeit keine Steuern und keine Sozialbeiträge gezahlt werden. Schwarzarbeit ist deshalb nicht nur mittelstandsfeindlich, sondern auch in einem hohen Maße unsozial, ebenso unsozial wie diese Politik, die fleißige Menschen durch überzogene Besteuerung und eine Beschäftigungsverhinderungsbürokratie regelrecht in die Schwarzarbeit drängt. Was die Bundesregierung tut, ist Verleitung zur Schwarzarbeit und deswegen genauso verwerflich wie die Schwarzarbeit selbst. ({14}) Mittelstandsförderung ist Arbeitsplatzförderung. Jeder Existenzgründer schafft im Schnitt kurzfristig drei Arbeitsplätze. In bestehenden mittelständischen Unternehmen gibt es im Schnitt acht Arbeitsplätze. Mittelstandsförderung, die Förderung von Existenzgründungen, regionale Wirtschaftsförderung und die Förderung von Betriebsnachfolgen sind höchst effiziente arbeitsmarktpolitische Maßnahmen. Die Bundesregierung setzt mit ihren arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen aber nicht bei den Ursachen an, sondern nur bei den Symptomen. Meine Damen, meine Herren, Riester hat nun entdeckt, dass es Arbeitslose gibt, die arbeiten können, aber nicht wollen. Wenn wir früher auf diesen Sachverhalt aufmerksam gemacht haben, ist schlagartig die soziale Kälte ausgebrochen. Wie sich das alles ändert! Das Sein verändert das Bewusstsein. ({15}) - Ich sehe, die Kollegen lernen dazu. Das ist erfreulich. Zur Vollständigkeit der Betrachtung gehört aber auch, dass es Betriebe gibt, die wollen, aber nicht können, die Arbeit genug haben, aber daraus keine Beschäftigung machen können, weil ein zusätzlicher Arbeitsplatz zu teuer ist oder weil die arbeitsrechtlichen Hürden, die heutzutage jeden Arbeitsplatz umgeben, zu hoch sind. Es sind Hürden mit sozialen Begründungen, die Beschäftigung verhindern. Tatsächlich ist aber nur das sozial, was Beschäftigung schafft. Oder um es genauer zu sagen: Sozial ist, wer Beschäftigung schafft. ({16}) Politik ist unsozial, wenn sie neue Hürden aufstellt, wie verschärften Kündigungsschutz, Rechtsanspruch auf Teilzeit, Einschränkungen für befristete Beschäftigung, Ausweitung der Mitbestimmung. Politik ist sozial, wenn sie die Hürden für Beschäftigung niedriger macht oder abräumt. Sozial ist, Verkrustungen aufzubrechen, die verhindern, dass aus Arbeit, die in Deutschland ausreichend vorhanden ist, Beschäftigung wird. Sozial sind weniger Reglementierung und mehr Flexibilität. ({17}) Meine sehr verehrten Damen, meine Herren, für den Mittelstand ist diese Legislaturperiode ein Langzeithärtetest. Die Tüchtigsten werden überleben. Die Mittelständler erkennen zunehmend, dass sie für Schröder bei der Wahl 1998 Stimmvieh waren. ({18}) - So ist das. - Bei der Bundestagswahl im nächsten Jahr wird es heißen: Das war’s für die rot-grünen Genossen. Der Kanzler wird dann sagen: Basta! ({19}) Einen letzten Satz zu Ihrem Antrag. Er ist eigentlich überflüssig. Er ist eine Variation, eine Interpretation des Aktionsprogrammes der Bundesregierung, das genauso inhaltsleer ist. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. ({20})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich erteile für die SPD-Fraktion dem Kollegen Dr. Ditmar Staffelt das Wort.

Dr. Ditmar Staffelt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003239, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nachdem die Fraktion der CDU/CSU bereits im Dezember letzten Jahres die Antwort der Bundesregierung auf ihre Große Anfrage erhalten hatte, hat sie sich offensichtlich in gar keiner Weise bemüßigt gefühlt, daraus Schlüsse zu ziehen, eigene Initiativen zu ergreifen oder gegebenenfalls ihre Überlegungen in Form eines Antrages dem Plenum vorzulegen. ({0}) Nein, dies hat die Regierungskoalition heute getan. Das, was Sie, Herr Doss, hier eben vorgetragen haben, ist wirklich nichts anderes als der Versuch, einzelne Punkte zusammenhanglos herauszupicken und zu sagen: Dies stört uns; an dieser Stelle gehen wir nicht in die gleiche Richtung wie Sie. - Das ist wenig, wenn man sich auf Regierungsarbeit vorbereiten will, meine Damen und Herren von der Opposition. Das ist zu wenig. ({1}) Wir als Sozialdemokraten wollen sehr bewusst kleine und mittlere Unternehmen in unserem Lande fördern. Sie stehen im Mittelpunkt unserer Wirtschaftspolitik. Wir wollen eine Wirtschaftspolitik gestalten, die darauf gerichtet ist, dass kleine und mittlere Unternehmen mit Eigeninitiative, mit Risikobereitschaft, mit Leistungsfähigkeit gezielt die Wirtschaft in unserem Lande anregen, sie anstoßen, Arbeitsplätze schaffen und damit insgesamt zum Wohlstand in unserer Gesellschaft beitragen. ({2}) Wir wollen dafür Sorge tragen, dass diesen Unternehmen der Marktzutritt erleichtert wird und dass es auch neue Betätigungsfelder für diese Unternehmen gibt. Ich glaube, dass wir schon jetzt eine eindrucksvolle Leistungsbilanz vorlegen können ({3}) und in der Lage sind, diese Leistungsbilanz hier heute sehr offensiv zu vertreten. Herr Doss, ich selbst hatte Gelegenheit, in RheinlandPfalz in einigen Städten mit Mittelständlern, mit der IHK und mit der Handwerkskammer zu debattieren. ({4}) Glücklicherweise sind diejenigen, die vor Ort Wirtschaft gestalten, sehr viel sachlicher; sie stehen sehr viel stärker auf dem Boden der Tatsachen, als das Ihrem Vortrag zu entnehmen war. ({5}) Die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland ist sicherlich eine Erfolgsgeschichte der sozialen Marktwirtschaft. Ich will ganz ausdrücklich sagen: Wir bekennen uns zu dem, was von Ludwig Erhard über Karl Schiller an Ausgestaltung der sozialen Marktwirtschaft in unserem Lande realisiert worden ist. Wir wollen die Wettbewerbsfähigkeit in unserem Lande stärken. Wir wollen natürlich auch, um das Soziale in der Marktwirtschaft herauszuarbeiten, einen vernünftigen Interessenausgleich zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern in unserem Lande organisieren. Dieser Dialog und diese Konsensfähigkeit von Arbeitgebern und Arbeitnehmern hat sich über all die Jahre bewährt und ist ein zentraler Baustein der Entwicklung unserer Wirtschaft, ein zentraler Baustein auch des Erfolges unserer Wirtschaft. Daran wollen wir festhalten. Ich glaube darüber hinaus, dass gerade der soziale Friede ein Wettbewerbsvorteil in den internationalen Dimensionen ist und im Übrigen auch dafür Sorge getragen hat, dass wir in unserem Lande, was Streiks und im Übrigen auch Behinderungen der betrieblichen Abläufe betrifft, im Vergleich zu anderen Ländern eine ausgesprochen positive Bilanz aufweisen können. ({6}) Lassen Sie uns an diesem partnerschaftlichen Verhältnis trotz aller Interessengegensätze, die es naturgemäß geben muss, festhalten. Meine Damen und Herren, in den letzten 16 Jahren der Regierung von CDU/CSU und F.D.P. geriet Deutschland in immer stärkerem Maße in eine nachteilige Wettbewerbssituation ({7}) und auch in eine soziale Schieflage. Dieser Reformstau, für den Sie verantwortlich zeichnen, hat insbesondere auch den Mittelstand belastet. ({8}) Wir sind 1998 angetreten, um genau diesen Stau aufzulösen. ({9}) Ich denke, wir können mit der Bilanz, die wir vorzulegen in der Lage sind, genau dieses Ergebnis hier heute darlegen. ({10}) Unser Konzept ist eine moderne Wirtschafts- und Finanzpolitik, die das Prinzip der sozialen Marktwirtschaft mit dem der Nachhaltigkeit verbindet. Dies bedeutet, dass Wirtschaftspolitik nur auf Dauer erfolgreich sein kann, wenn sie ökonomische Effizienz, soziale Sicherheit und ökologische Verantwortung miteinander in Einklang bringt. Wir bekennen uns im Übrigen sehr dazu, dass Unternehmerpersönlichkeiten und gut qualifizierte Arbeitnehmer, die sich mit ihrem Unternehmen identifizieren, mehr und mehr der gemeinsame Schlüssel für den Erfolg eines Unternehmens sind. Ich sage Ihnen, meine Damen und Herren: So, wie Sie im Zusammenhang mit der Modernisierung der Mitbestimmung auf das, was sich bisher bewährt hat, eingeschlagen haben, haben Sie sich offensichtlich aus der Reihe derer, die diesen Akzent sozialer Marktwirtschaft für eine Vorbedingung für Wohlstand in unserem Lande halten, verabschiedet. ({11}) Vor dem Hintergrund dieser Grundüberzeugung haben wir und hat der Bundeskanzler das Bündnis für Arbeit ins Leben gerufen. Ich kann nur sagen: Die Ergebnisse können sich doch wohl sehen lassen. Es wurde eine verlässlich vereinbarte Lohnpolitik erreicht; moderate Tarifabschlüsse, die Flexibilisierung von Arbeitszeiten, die Förderung von Teilzeitarbeit wurden vereinbart, ebenso die Förderung von Qualifikationen, die Stärkung der Vermittlung von Arbeit - wichtige Akzente zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für unsere Wirtschaft. Ich glaube, dass wir seit 1998 wieder auf Erfolgskurs sind. Die Zahlen belegen das. Die Arbeitslosigkeit ist deutlich zurückgegangen, ({12}) von 11,6 auf 9,3 Prozent. Die Staatsverschuldung ist abgebaut worden und wird bis 2005 weiter abgebaut werden. ({13}) Die Preise bleiben stabil, auf niedrigem Niveau - trotz der negativen Entwicklungen auf den Weltmärkten. Die Erhöhung privater Kaufkraft ist Realität. Allein im Januar 2001 sind die Einzelhandelsumsätze um 4,1 Prozent gestiegen. Das kommt doch nicht von ungefähr; das ist das Ergebnis konsequenter, guter, neuer, moderner Rahmenbedingungen, die wir geschaffen haben. ({14})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Herr Kollege Staffelt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schauerte?

Dr. Ditmar Staffelt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003239, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Der Redner lehnt ab. ({0})

Dr. Ditmar Staffelt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003239, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Die Bundesregierung hat Stillstand und Modernisierungsstau, den Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, hinterlassen haben, aufgelöst. Ordnungspolitisch und gestalterisch haben wir neue Rahmenbedingungen gesetzt. Ich will einige dieser Rahmenbedingungen nennen, die im Übrigen im europäischen und weltweiten Maßstab absolut unbestritten sind und Anerkennung finden. - Sie haben das ja vorhin in humoristischer Art und Weise begleitet. Offensichtlich wird der Fasching in Rheinland-Pfalz bis zum Wahltag fortgesetzt. ({0}) - So ist es; nur bei den Schwarzen. Wir haben allein mit der Reform des 630-Mark-Gesetzes dem Missbrauch im Bereich der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse einen Riegel vorgeschoben. ({1}) Die Neuregelung erbrachte allein im ersten Jahr Beitragseinnahmen für die gesetzliche Rentenversicherung in Höhe von zusätzlich 1,85 Milliarden DM und für das Jahr 2000 von 2,8 Milliarden DM. Nehmen Sie das doch einmal zur Kenntnis. Wir haben den Missbrauch im Bereich der Scheinselbstständigkeit erfolgreich bekämpft. Jetzt werden nicht mehr diejenigen, die Beschäftigungsverhältnisse schaffen und Sozialversicherungsbeiträge zahlen, benachteiligt. Jetzt haben wir auch im Bereich der Selbstständigkeit wieder einen vernünftigen Wettbewerb. Ich füge, was die Beschäftigung betrifft, hinzu: Allein der Bundesverband der Freien Berufe hat vor wenigen Tagen erklärt: Es gibt zusätzlich 27 000 Selbstständige mit mehr als 100 000 zusätzlichen Arbeitsplätzen und einer stattlichen Zahl zusätzlicher Ausbildungsplätze. Meine Damen und Herren, diese ordnungspolitischen Maßnahmen haben sich ausgezahlt. Nehmen Sie das doch einmal anhand der Fakten zur Kenntnis. ({2})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Herr Kollege Staffelt, die Kollegin Kopp möchte eine Zwischenfrage stellen.

Dr. Ditmar Staffelt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003239, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, ich lasse im Moment keine Zwischenfragen zu. ({0}) - Passen Sie einmal auf: Ich erlebe ja Ihre hochintelligenten Einwürfe im Ausschuss. Ich möchte einmal in der Lage sein, zusammenhängend die Dinge zu erläutern, ({1}) die uns im Bereich der Mittelstandspolitik tatsächlich bewegen - Punkt. ({2}) Viele haben sich, so denke ich, im Zusammenhang mit der Reform des Betriebsverfassungsgesetzes in eine Diskussion hinein begeben, die, bitte schön, auf die reale und rationale Substanz zurückgeführt werden muss. Ich stelle eines fest: Viele kleine und mittlere Unternehmen nutzen die Mitbestimmung, um mehr Arbeitnehmer an ihren Betrieb zu binden. Das sind viel mehr Arbeitgeber, als es die CDU/CSU-Fraktion hier wahrhaben will. Das ist doch glatte Propaganda, was Sie hier betreiben. Das hat mit den Realitäten des Betriebsfriedens nichts, aber auch gar nichts zu tun hat. ({3}) Im Übrigen darf ich Sie darauf verweisen, dass der Kompromiss, der gefunden worden ist und der jetzt Gegenstand von Erörterungen hier im Hause ist, sicherlich ein guter und tragfähiger Kompromiss ist, bei dem auch die kleinen und mittleren Unternehmen in keiner Weise übermäßig strapaziert werden. ({4}) Meine Damen und Herren, ich möchte des Weiteren darauf verweisen, dass mit der Steuerreform, also mit der Reform des Einkommensteuergesetzes und des Unternehmensteuerrechtes, weltweit anerkannt ein ganz wesentlicher Reformschritt getätigt worden ist. Ich darf Sie auf die Reduzierung der Lohnnebenkosten hinweisen. Auch dies ist ein Thema, das insbesondere den beschäftigungsintensiven Unternehmen hilft. ({5}) Ich darf Sie darauf hinweisen, dass auch die Rentenreform ein wichtiger Baustein für das ist, was die Wettbewerbsfähigkeit unserer Volkswirtschaft ausmacht. ({6}) Dies alles sollten Sie endlich einmal zur Kenntnis nehmen, wenn Sie auf den Boden der Realitäten der Debatte in unserem Lande zurückkehren wollen. ({7}) Das Gleiche gilt für das Thema der Haushaltskonsolidierung. Auch hier gilt doch auf Ihrer Seite das Motto: Wir fordern und fordern mehr und mehr und auf der anderen Seite kritisieren wir, dass die Koalition endlich dafür Sorge trägt - im Übrigen auch für den Mittelstand -, dass der Haushalt in den nächsten Jahren wieder aktionsfähig ist. ({8}) Denn weniger Verschuldung bedeutet eine geringere Zinsbelastung, und mehr Spielräume im Haushalt bedeuten einen höheren Investivhaushalt und damit mehr Aufträge bei den kleinen und mittleren Unternehmen. Nehmen Sie das doch endlich einmal zur Kenntnis! ({9}) Ich glaube, dass wir uns auch an anderer Stelle sehen lassen können, allein wenn ich mir überlege, wie viele Neugründungen es in diesem Lande gegeben hat. Wenn die Rahmenbedingungen tatsächlich so katastrophal sind, wie Sie das beschrieben haben, frage ich mich: Warum sind wir eigentlich Weltmeister bei den Existenzgründungen im Bereich der New Economy? ({10}) - Aber sicherlich sind wir das. Nirgendwo anders hat es so viele Börsennotierungen kleiner und mittlerer Unternehmen gegeben wie in Deutschland. Wir haben eines erreicht - auch das muss Gründe haben -: Wir sind heute nicht mehr auf staatliches Venture Capital angewiesen, weil Private offensichtlich in ausreichender Weise Risikokapital zur Verfügung stellen. Das muss doch Gründe haben! Die Investoren glauben an dieses Land und an diesen Investitionsstandort. Sie sind nicht der Meinung, wir würden ihr Geld zum Fenster hinauswerfen. Auch das ist die blanke Realität. ({11}) Ich füge des Weiteren hinzu: Für das Handwerk, für die Qualifizierung, für Ausbildungsberufe, also für alle zentralen Bereiche, ({12}) haben wir weitere Mittel zur Verfügung gestellt. Wir reformieren das Meister-BAföG. Wir ermöglichen, dass der Kreis der Geförderten erweitert wird und dass, wenn BAföG gewährt wird, mehr erlassen wird, als das in der Vergangenheit der Fall war. Ich sage Ihnen noch einmal: Hören Sie mit Ihrer Miesmacherei auf und setzen Sie sich mit den tatsächlichen Fakten dieser Regierung auseinander! ({13}) Ich erinnere darüber hinaus an die Reform der Ausbildungsberufe, an die zusätzlichen Mittel für die Berufsschulen, deren Bereitstellung im Rahmen der UMTS-Milliarden möglich war, an das, was wir im Zusammenhang mit der Green Card veranlasst haben, an die Einrichtung von runden Tischen, an die Bereitstellung von Eigenkapitalhilfe und an die Schaffung von Existenzgründerlehrstühlen an den Universitäten. Ich könnte die Aufzählung der von uns getroffenen Maßnahmen unendlich weiterführen. Wir haben einen bunten Strauß wichtiger Maßnahmen zusammengestellt, damit kleine und mittlere Unternehmen in unserer Volkswirtschaft einen vernünftigen Rahmen erhalten. ({14}) Ich will zum Schluss sagen, meine Damen und Herren: Wir allesamt in diesem Lande haben die Aufgabe, diesen Standort nicht unnötig schlecht zu reden. ({15}) Wir wollen Investoren aus dem Ausland in unser Land ziehen. Wir wollen dafür Sorge tragen, dass sich unsere Unternehmen mit den Möglichkeiten der Informationsund Kommunikationstechnologie am europäischen Wettbewerb beteiligen können. ({16}) Wir wollen dafür Sorge tragen, dass wir, auch was die EUOsterweiterung betrifft, frühzeitig mit unseren kleinen und mittleren Unternehmen auf den Märkten präsent sind. Meine Damen und Herren, helfen Sie mit guten Vorschlägen und lassen Sie die Miesmacherei! Wir glauben, wir sind auf einem guten Weg. Die Fakten sprechen für uns. ({17}) Wir jedenfalls haben in vielen, vielen Diskussionen mit Selbstständigen, mit kleinen und mittleren Unternehmen die Erfahrung gemacht, dass die Hoffnung auf ein weiteres gutes konjunkturelles Umfeld, gestützt durch die Politik dieser Bundesregierung, gegeben ist. Deshalb schauen wir mit großem Optimismus in die Zukunft. Schönen Dank. ({18})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Das Wort zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Hartmut Schauerte.

Hartmut Schauerte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002770, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Staffelt, leider haben Sie meine Zwischenfrage nicht zugelassen, sodass ich das jetzt in einer Kurzintervention vortragen möchte. Erstens zur Zahl der Erwerbstätigen: Selten hat es eine so drastische und offenkundige Manipulation bei den Statistiken gegeben. ({0}) Es steht eindeutig fest: Nachdem Sie die 630-Mark-Jobs gesetzlich neu geregelt haben, sind diese jetzt in der Statistik für die Erwerbstätigen ausgewiesen. Vor der Regelung waren es etwa 5 Millionen 630-Mark-Jobs. Davon sind 2 Millionen jetzt neu als Erwerbstätige in der Statistik ausgewiesen. Sie haben nach wie vor weniger als 630 DM, waren vorher beschäftigt, sind jetzt beschäftigt, erscheinen aber in der Statistik als eine Verbesserung. Das ist gemogelt, das ist nicht seriös! ({1}) Man muss in diesem Zusammenhang sogar noch dazusagen, dass die anderen 3 Millionen 630-Mark-Beschäftigten jetzt endgültig in der Schwarzarbeit gelandet sind, völlig rechtlos sind und außerhalb der Zahlungspflichten liegen - eine schlechte Entwicklung! ({2}) Eine zweite Bemerkung: Wenn es denn Besserung in Deutschland gibt, dann findet sie insbesondere in zwei Bundesländern statt, in denen die CSU bzw. die CDU sehr erfolgreich regieren, nämlich in Bayern und in BadenWürttemberg. ({3}) Wir haben in diesen beiden Ländern eine halb so hohe Arbeitslosigkeit wie in Nordrhein-Westfalen und in Niedersachsen, wo Sie regieren, deutlich höhere Anteile der Selbstständigkeit, und, was erstaunlich ist, auf dem niedrigen Arbeitslosigkeitsniveau in Baden-Württemberg nimmt die Arbeitslosigkeit doppelt so schnell ab wie auf dem hohen Arbeitslosensockel in Nordrhein-Westfalen. Wenn es also etwas zu loben gibt, wenn es intelligente Wirtschafts-, Regional- und Strukturpolitik gibt, dann findet sie in diesen Ländern zuallererst statt. Wenn Sie Ansätze von Besserung feststellen, dann holen Sie sich bitte dort die Zahlen, und bedanken Sie sich bei den tüchtigen Landesregierungen - wie zum Beispiel in Baden-Württemberg bei Erwin Teufel -, die das mustergültig auf die Beine gestellt haben. ({4}) Ich denke, das reicht. Gehen Sie in Ihre Länder und sehen Sie dort nach! Bekommen Sie rote Ohren, wie schlecht Ihre Zahlen sind und wie gut die Zahlen in Baden-Württemberg und Bayern sind. Gott sei Dank, dass wir diese beiden Länder haben. ({5})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Zur Erwiderung gebe ich dem Kollegen Dr. Ditmar Staffelt das Wort. ({0})

Dr. Ditmar Staffelt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003239, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Uns ist ja seit längerem bekannt, dass Sie der Bereichsleiter Agitprop bei der CDU/CSU-Fraktion sind. ({0}) Man hört das eher selten, weil das Sauerland groß ist und die Vegetation dort sehr viel von dem wegnimmt. Das ist gut so für das Land, würde ich sagen. ({1}) Ich bin erstaunt darüber, was Sie hier sagen. Ich habe mit großem Interesse verfolgt, was die Bundesanstalt für Arbeit - unabhängig von der jeweiligen Bundesregierung an redlicher Arbeit geleistet hat.Das ist unter anderem ein Verdienst von Herrn Jagoda. ({2}) Ich kann überhaupt nicht verstehen, dass Sie hier den Eindruck erwecken, als würde die Bundesanstalt für Arbeit, die die Zahlen zum Thema Arbeitslosigkeit veröffentlicht, ({3}) die Menschen in diesem Lande in einer unglaublichen Art und Weise belügen. Ich finde das scheußlich, Herr Schauerte! Schämen Sie sich dafür! ({4}) Zum Zweiten möchte ich Ihnen eines sagen: Eine ordentliche Mittelstandspolitik - wo immer sie in der Praxis gemacht wird - sollte uns alle bereichern. Ich habe da überhaupt kein Problem. Ich klebe da nicht an der Frage, ob ein Senat von Berlin etwas Gutes gemacht hat, eine Landesregierung in Nordrhein-Westfalen oder eine Staatsregierung in Bayern. Wenn es eine gute Initiative ist, warum sollen wir davon nicht gemeinsam lernen? Nur eines bin ich nicht bereit hinzunehmen: Sie reden vom Ländervergleich. Schauen Sie sich doch einmal an, in welcher Größenordnung der Bund in den letzten Jahren seine Aktivitäten auf diesem Felde verbessert und modernisiert hat, und setzen Sie das in Vergleich zu dem, was Sie bis 1998 auf die Beine gestellt haben. Dann kommen Sie zu einem Vergleich, über den wir hier debattieren können, und dann, Herr Schauerte, nehme ich Sie auch wieder in den Kreis der Redlichen auf. Danke. ({5})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Nun spricht für die F.D.P.-Fraktion der Kollege Rainer Brüderle. ({0})

Rainer Brüderle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003059, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Grün-rote Gesundbeter ziehen durchs Land, ({0}) aber es hilft nichts. Die Konjunktur geht in den Keller, ({1}) die Börse kracht, es gibt eine neue Messeinheit für den Verfall ökonomischer Prognosen: den Eichel. ({2}) Es hält gerade fünf Tage. Fünf Tage später haben praktisch alle Institute ihre Wachstumsprognosen nach unten korrigiert: um die 2 Prozent. An die 2,75 Prozent von Eichel glaubt er selbst bestimmt auch nicht mehr. Ich halte ihn dazu für zu intelligent. Wir haben die höchste Teuerungsrate seit 1994 in Deutschland - Ergebnis insbesondere grüner Energiepolitik. ({3}) Eine der wichtigen Ursachen dafür ist die verfehlte Mittelstandspolitik. Ich frage mich, meine Damen und Herren: Was hat der deutsche Mittelstand eigentlich Grün-Rot getan, dass Grün-Rot den deutschen Mittelstand so quält und so schlecht behandelt? ({4}) Das ist eine lange Latte: Verschärfung des Kündigungsschutzes, Verschärfung bei der Lohnfortzahlung, Abschaffung der 630-DM-Verträge, Verschärfung der Mitbestimmung in den Kleinbetrieben - dort ist Teamarbeit, nicht Funktionärsfremdbestimmung gefragt -, Ökosteuer. ({5}) Frau Scheel hatte noch die tolle Weisheit, zu erklären, die Abschaffung der Ökosteuer wäre wirtschaftspolitischer Wahnsinn. ({6}) Das ist grüne Realpolitik: Mittelstandspreis annehmen und anschließend den Mittelstand abstrafen, in die Pfanne hauen. So machen Sie Mittelstandspolitik! ({7}) Abschreibungsverschlechterungen und Zwangspfand werden viele kleine Einzelhändler in existenzkritische Situationen bringen. ({8}) Weiter: Steuerbevorzugungen der Kapitalgesellschaften, Unklarheiten bei der Rente, Zwangsteilzeit und ein sechsjähriges Moratorium von Herrn Eichel für weitere Steuersenkungen. Zu einem Zeitpunkt, zu dem die Amerikaner ankündigen, 3,2 Billionen Mark weitere Steuersenkungen vorzunehmen, erklärt der deutsche Finanzminister: In den nächsten sechs Jahren gibt es nichts mehr. - Die Schieflage zulasten des Mittelstandes bleibt. Dann darf sich auch keiner wundern, wenn wir Probleme am Arbeitsmarkt haben. ({9}) Dann haben wir einen Bundeswirtschaftsminister, der zum Monopolminister mutiert ist. ({10}) Er hat sein ganzes Leben immer nur in Großkonzernen gewirkt; der weiß gar nicht, wie der Mittelstand atmet, wie es hinter der Ladentheke aussieht. Er hält den „blauen Anton“ nicht für eine Arbeitskleidung, sondern für eine Comedy-Figur. Mit einer solchen Einstellung kann man keine Mittelstandspolitik machen. ({11}) Monopolminister Müller interessiert sich für die Post: Verlängerung des Briefmonopols. ({12}) Monopolminister Müller will Sonderregelungen für die Telekom. Monopolminister Müller engagiert sich für Eon, aber nicht für das, was für den Mittelstand notwendig ist. Er hat sich nirgends durchgesetzt, weder in der Frage der betrieblichen Mitbestimmung, bei deren Verschärfung zulasten des Mittelstandes, ({13}) noch hat er seine Grundsatzabteilung zurückbekommen. Er hat immer noch ein amputiertes Ministerium. Weder hat er die Besteuerung von Aktienoptionen verbessern können noch hat er eine Besteuerung der „business angels“ verhindern können. Nichts! Überall nur Niederlagen! So ist es halt, wenn man Monopolminister ist und den Mittelstand nicht kennt. ({14}) Jetzt hat er nach zweieinhalb Jahren die neue Wunderwaffe entdeckt und sagt, er brauche eine Mittelstandsbeauftragte. ({15}) Das ist Frau Wolf, die auch sicherlich schon manches Lehrbuch über den Mittelstand gelesen hat. Sie hat vor zwei Tagen mit Leidenschaft gefordert, dass die Steuerreform korrigiert werden muss, weil sie den Mittelstand diskriminiert und schlecht behandelt. Dies wird natürlich null Effekt haben. Da zieht sich Frau Wolf vor den Landtagswahlen einen Schafspelz über, damit man nicht entdeckt, wie mittelstandsfeindlich grün-rote Politik ist. Mit Mittelstandspolitik hat dies absolut nichts zu tun. ({16}) Mit dieser Politik macht der Monopolminister Müller den Mittelstand in Deutschland heimatlos, ({17}) macht die Mittelständler quasi zu wirtschaftspolitischen Zwangsvertriebenen. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik, denn Sie denken nur an Großkonzerne und in großen Gewerkschaftseinheiten. ({18}) Der Bundeskanzler kommt auch nur bei Holzmann und Mannesmann vorbei, aber nicht beim Mittelständler. ({19}) - Gut, er hat ja so glänzende Monopolvertreter, dass der Genosse der Bosse nicht zwingend dabei sein muss, wenn es um Mittelstandspolitik geht. Ich habe noch ein gewisses Verständnis dafür, dass er sich damit nicht beschäftigen will. Was braucht der Mittelstand, worauf kommt es an? Der Mittelstand will keine Almosen, will keine Sonderregelungen. Er will eine faire Chance. Dafür brauchen wir eine klare Ordnungspolitik, eine Renaissance der sozialen Marktwirtschaft, in der der Staat ordnet, aber nicht lenkt, in der er faire Chancen gibt und berechenbare Daten setzt, nach denen man als Mittelständler seine Investitionen ausrichten kann, und in der man nicht ständig durch punktuelle Eingriffe irritiert wird, die dann, wenn man sich an ihnen orientiert, dazu führen, dass die Investitionsberechnungen falsch sind. Das ist zutiefst mittelstandsfeindlich. Der Mittelstand kann sich keine Abteilung von Winkeladvokaten erlauben, die noch die letzte Nische im Steuerrecht finden. Er braucht einen klaren Kurs, eine Vereinfachung des Steuerrechts. Aber von Vereinfachung redet in diesem Hause überhaupt keiner von der Regierung. ({20}) Ich will Ihnen vier Dinge sagen, die Sie sofort machen müssten, um dem Abgleiten der Konjunktur - hier tun Sie gar nichts - entgegenzuwirken: Erstens. Sie müssen eine Steuerreform II sofort auf den Weg bringen, die insbesondere die Schieflage zulasten des Mittelstandes beseitigt. Wir brauchen ein klares, einfaches Steuerrecht. Unser Vorschlag mit 15, 25 und 35 Prozent ist genau richtig. Herr Struck durfte diesem Vorschlag einmal zustimmen, aber nach 48 Stunden wurde er dazu verdonnert, sich zurückzuziehen. Die vorgeschlagene Regelung ist richtig, klar und einfach, weil sie gerecht ist. Ein kompliziertes Steuerrecht ist immer mittelstandsfeindlich. ({21}) Zweitens. Senken Sie sofort die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung um einen Prozentpunkt. Die Einnahmesituation gibt das her. Dies wäre gerade für die kleinen Betriebe eine Entlastung. Drittens. Sie müssen unbedingt an eine Reform des Arbeitsmarktes herangehen. Es ist völlig unstreitig - ob Bundesbank, alle deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute oder die OECD, wenn Sie den deutschen Prognosen nicht trauen -: Kernursache der unerträglich hohen Arbeitslosigkeit in Deutschland ist die Inflexibilität am Arbeitsmarkt. Sie müssen hier reformieren. Herr Schulte fängt ja an zu denken und sagt, man könne dies zeitlich anders machen. Liebe Gewerkschaften, willkommen in der Realität! Wacht endlich auf! ({22}) Wenn ihr euch schon früher bewegt hättet, hätten wir schon viele Langzeitarbeitslose von der Straße holen können. Die kleinen tüchtigen Leute zahlen für diese ideologische Politik, die falsch strukturiert ist. ({23}) Deshalb müssen Sie an eine Reform des Flächentarifvertrages gehen. Sie geben denen, die draußen stehen, keine Chance. Sie machen mit Ihren Funktionären einen „closed shop“. Geben Sie denen, die arbeitslos sind, und denen, die Angst um ihren Arbeitsplatz haben, auch eine Chance! Sie brauchen Hoffnung und Perspektive. ({24}) Nein, Sie vertreiben sie aus dem Tarifvertrag. Keine Arbeit zu haben verletzt die innere Empfindung eines Menschen. Deshalb ist das, was Sie machen, unsozial. ({25}) Viertens: Bauen Sie endlich die überzogene Bürokratie in Deutschland ab. Ich habe schon in meiner Zeit als Minister durch ein Gutachten der Universität Mainz ermitteln lassen, was Sie dem deutschen Mittelstand an bürokratischen Handschellen zumuten. Im Jahr kommen auf den Mittelstand durch überdrehte Regelungen Belastungen in einer Größenordnung von 60 Milliarden DM zu. ({26}) Beginnen Sie mit der Umsatzsteuer. Gehen Sie weg von der monatlichen Steuererklärung zur Jahresumsatzsteuererklärung. Das trifft Sie zu Recht, weil Sie hierbei falsch liegen, Herr Poß. Sie sind viel zu intelligent, um zu glauben, was Sie dazwischenrufen. ({27}) - Ich habe ein bisschen Zeit. Lassen Sie ihn ruhig fragen.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Der Redner gestattet eine Zwischenfrage. Bitte schön, Herr Poß.

Joachim Poß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001740, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Lieber Herr Kollege, können Sie sagen, wann Sie Wirtschaftsminister in Mainz waren und wer zu dem Zeitpunkt die Bundesregierung gestellt hat? War Ihre Partei zufällig an der Bundesregierung beteiligt? ({0})

Rainer Brüderle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003059, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Poß, das war vor gut drei Jahren. Das ist richtig. Wir hatten mit unseren Koalitionspartnern Probleme, solche Dinge abzubauen. ({0}) Wir als liberale Reformpartei haben den Mut, die Tabus in dieser Gesellschaft anzugehen. Einer muss doch dafür sorgen, dass es vorangeht. Wir wollen nicht weiter mit den Italienern - das ist immer noch die Antwort auf Ihre Frage - unter dem europäischen Durchschnitt liegen. Wir liegen hinten. Wir sind nicht mehr die Lokomotive in Europa. Es sieht eher so aus, als seien wir der Schlafwagen, weil der Reformstau in Deutschland wie in Italien und in Frankreich, also in drei großen Ländern, nicht aufgelöst wird. ({1}) Der Reformstau ist die Ursache dafür, dass wir unter dem Durchschnitt liegen und dass der Euro fällt, weil man kein Vertrauen in unsere Reformfähigkeit und Anpassungsfähigkeit hat. ({2}) Deshalb ist es notwendig, unsere Strukturen zu verändern. Herr Kollege Poß, deshalb war Ihre Zwischenfrage sehr wichtig. Um es noch einmal deutlich zu machen: Wer nicht den Mut hat, Veränderungen vorzunehmen, fällt eben zurück. Sie werden die Arbeitslosen nicht von der Straße bekommen, wenn Sie keine Strukturen aufbrechen. Im Osten Deutschlands sind zwei Drittel aller Arbeitsplätze außerhalb des geltenden Tarifvertragsrechts. Hieran wagt sich zu Recht keiner, weil es in den neuen Bundesländern sonst noch schlimmer würde. Aber was ist denn das für eine Realität, die nur deshalb einigermaßen funktioniert, weil man sich nicht an bestehende Gesetze hält? Das ist der Beleg dafür, dass die Gesetze falsch sind. 80 Prozent der Arbeitgeber - ich will Ihre Frage richtig beantworten sind aus den Verbänden ausgetreten, weil das alte Tarifkartell nicht mehr funktioniert. Deshalb ist es so wichtig, Herr Poß, dass man eine klare Antwort auf Ihre Frage gibt. ({3}) Ich könnte Ihnen noch eine ganze Reihe von Vorschlägen - leider gibt dies die Zeit nicht her - zur Verbesserung der Mittelstandspolitik vortragen. ({4}) Sie können diese gern im Aktionsplan der F.D.P.-Bundestagsfraktion abrufen. Es kommt darauf an, dass wir nicht sonntags gelegentlich über den Mittelstand reden, sondern wir müssen in der Woche konkret mit Herz und Verstand an diese Sachen herangehen. Deutschland braucht weniger grün, aber mehr gelb, damit der Mittelstand das tun kann, was er will: arbeiten, Arbeitsplätze schaffen und Geld verdienen, damit es vorangeht. Hindern Sie ihn durch Ihre falsche Politik nicht länger daran! ({5})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Nun gebe ich der Parlamentarischen Staatssekretärin im Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, der Mittelstandsbeauftragten der Bundesregierung und Kollegin von Bündnis 90/Die Grünen das Wort, der Kollegin Margareta Wolf. ({0})

Margareta Wolf-Mayer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002831

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Brüderle, an Ihrer Stelle würde ich mich einmal fragen, warum Sie bis heute noch nie den „Orden wider den tierischen Ernst“ in Aachen bekommen haben. ({0}) Ich kann Ihnen sagen, warum Sie ihn nicht bekommen haben: weil Sie sich wiederholen und immer wieder die gleichen Sprüche ablassen. ({1}) Sie machen keinen einzigen konkreten Vorschlag. Herr Westerwelle hat den Orden in diesem Jahr bekommen. Das kann ich gut verstehen. Er ist nicht so sturzlangweilig wie Sie. Man sollte Harald Schmidt empfehlen, Herrn Ohoven aus dem Trailer seiner Sendung herauszunehmen und Sie dafür hineinzusetzen. Dann wäre das Volk richtig belustigt. ({2}) Zwei Punkte will ich zu Ihrer Rede anmerken: Sie fordern die sofortige Umsetzung der Steuerreform II. Sie wissen, dass die Unternehmen mit dem Finanzminister diskutieren und auf einem guten Wege sind. Verehrter Kollege, vielleicht haben Sie es schon vergessen: Sie haben damals der Steuerreform zugestimmt und benehmen sich heute wie ein Vater, der seine Alimente nicht bezahlen will. ({3})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Brüderle?

Margareta Wolf-Mayer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002831

Nein, ich möchte zunächst mit meinen Ausführungen fortfahren. Sie stellen sich hin und lärmen in Ihrer komischen Art herum. Wenn Sie fordern, die Lohnnebenkosten zu senken, weil das Geld vorhanden sei, dann sagen Sie doch, wie Sie es machen wollen. Wollen Sie es durch eine Erhöhung der Ökosteuer oder der Mehrwertsteuer erreichen? Wir wissen, dass Sie überhaupt kein Verständnis für nachhaltige Haushaltspolitik haben, weil wir heute mit den Bürgerinnen und Bürgern einen Haushalt sanieren müssen, den Sie fast in den Bankrott getrieben haben. ({0}) Herr Brüderle, wir wissen, dass eine Ihrer Kernforderungen lautet, Bürokratie abzubauen. Sie stellen sich hin wie ein Leuchtstoffengel und fordern einen Abbau der Bürokratie. In Ihrem Antrag fordern Sie, ebenso wie die CDU/CSU, wir sollten ein Gutachten einholen. Vielleicht ist Ihnen entgangen, dass die Bundesregierung bereits seit zwei Jahren am Bürokratieabbau arbeitet und dass wir die Verbände aufgefordert haben, uns konkrete Vorschläge zu machen. Ich weiß, dass Sie, Herr Kolb, das entdeckt haben. Von Ihnen habe ich aber noch keinen einzigen Vorschlag gehört. Wir werden demnächst ermöglichen, online Handelsregistereintragungen vorzunehmen, Lohnund Einkommensteuererklärungen abzugeben und Gewerbeeintragungen vorzunehmen. Herr Kollege Brüderle, so sieht die Realität aus. Ich möchte Ihnen noch etwas sagen: Der Mittelstand in Deutschland hat allen Grund, selbstbewusst zu sein. Wir als Politiker haben allen Grund, den Mittelstand in Deutschland zu loben. Der Mittelstand - ich möchte nicht bewerten, wie man Vertriebene einschätzt - ist in Deutschland kein Volksvertriebener. Der Mittelstand hat in diesem Land im letzten Jahr 340 000 Stellen geschaffen und wird in diesem Jahr weitere 650 000 Stellen schaffen. Das sagt „Forsa“ und das schreibt „Impulse“. Sie dagegen, sehr geehrter Herr Brüderle, tun so, als sei der Mittelstand ein kleines, vom Aussterben bedrohtes Pflänzchen, das man ständig mit dem Gießkännchen gießen müsse. ({1}) - Ja genau, die Schaumweinsteuer. Ich finde es erstaunlich, wie sowohl Sie als auch Kollege Doss das Bündnis für Arbeit bewerten und in diesem Zusammenhang über die Betriebsverfassung reden. Ich war immer der Meinung, dass sich die Wirtschaftspolitik dieses Landes nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges auf Ludwig Erhard gründet. Ein wesentliches und konstitutives Element des rheinischen Kapitalismus, begründet von Ludwig Erhard, ist die Mitbestimmung, die es in diesem Land übrigens seit 1921 gibt. Sie müssen sich einmal entscheiden: Wollen Sie die soziale Marktwirtschaft oder wollen Sie einen Manchester-Kapitalismus? Worauf beziehen Sie sich in Ihrer Argumentation? Sie müssen sich doch in Ihrer Argumentation etwas auf die Historie beziehen. Zum Bündnis für Arbeit: Ist es in der Vergangenheit schon einmal gelungen, Tarifverträge so zu gestalten, dass sie sich an der Produktivität und vor allen Dingen am Beschäftigungswachstum orientieren? Man muss klar sagen: Nein, unter Ihrer Regierung nicht. Dagegen ist es jetzt im Bündnis für Arbeit gelungen und damit sind wir europaweit vorne. Man kümmert sich nun konzertiert darum, ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer frühzeitig weiterzubilden, um der demographischen Entwicklung gerecht zu werden und nicht den Fehler anderer europäischer Länder zu wiederholen, ältere Arbeitslose in die Langzeitarbeitslosigkeit abzudrängen. Sehr geehrter Herr Brüderle, ich finde Ihre „Hauruck-, Hau-weg-denScheiß“-Reden, die Sie hier ständig halten, langweilig und verantwortungslos, weil unser Mittelstand das nicht verdient hat. ({2}) Der Mittelstand ist ein Beschäftigungsmotor. Er läuft endlich wieder rund und gewinnt zunehmend an Fahrt. Sie sollten einmal mit mittelständischen Unternehmern vor Ort über dieses Thema reden.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Gestatten Sie nun eine Zwischenfrage des Kollegen Brüderle?

Margareta Wolf-Mayer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002831

Ja.

Rainer Brüderle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003059, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich habe von der Mittelstandspolitik gesprochen und Sie werfen mir nun vor, ich hätte eine Mittelstandsbeschimpfung vorgenommen, nur weil das in Ihr Klischee passt. Meine Frage ist: Haben Sie zur Kenntnis genommen, dass letztlich die F.D.P. in Rheinland-Pfalz die Steuerreform I möglich gemacht hat, nachdem sie um 7 Milliarden DM pro Jahr verbessert wurde, die Pläne zur Abschaffung des halben Steuersatzes im Falle der Betriebsaufgabe aus Altersgründen oder wegen Erwerbsunfähigkeit - sie waren eine schreiende Ungerechtigkeit gegenüber dem deutschen Mittelstand - aufgegeben wurden und zusätzliche Steuersenkungen für alle erreicht wurden? Vonseiten Ihrer Regierung uns kritisch vorzuwerfen - ich grüße Sie in Sachen Rente -, wir hätten bewirkt, dass Deutschland, da gar nichts geht, in der Welt zu einer internationalen Lachnummer wird, weil wir bei Ihnen nur eine Veränderung im Umfang von 7 Milliarden DM erreichen konnten, zeigt, dass Sie die Realität nicht kennen, nur Ihren Text ablesen und nicht wissen, was Sie sagen. ({0}) - Die Frage ist, ob sie bereit ist, zur Kenntnis zu nehmen, wie es ist! Sie hören nicht zu!

Margareta Wolf-Mayer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002831

Verehrter Herr Kollege, da sehen Sie einmal, wie Sie Fragen formulieren! Kein Mensch versteht sie! ({0}) - Jetzt werden Sie auch noch unverschämt! Das reicht jetzt langsam! ({1}) Wenn Sie der Steuerreform zugestimmt haben, dann darf man in einer Demokratie von Ihnen erwarten, dass Sie diese Steuerreform auch vertreten und nicht immer so tun, als würde der Mittelstand durch diese Steuerreform überproportional belastet. Sie können sich zur Untermauerung Ihrer Position auf keine Studie beziehen. Sie behaupten das immer einfach so und schaden damit dem Mittelstand wie im Übrigen auch der Investitionstätigkeit in Deutschland. So viel zu Ihrer wirtschaftspolitischen Kompetenz, verehrter Herr Kollege! ({2}) Die Steuerreform stärkt die Innenfinanzierungskraft des Mittelstandes und eröffnet dem Mittelstand Freiräume für mehr Investitionen und mehr Arbeitsplätze in Deutschland. Mit dem Gesetz zur Fortentwicklung der Unternehmensteuerreform, das beim BMF in sehr guten Händen ist, wird es weitergehen. Der Mittelstand ist heute der Innovationsmotor in diesem Land. Verehrter Herr Kollege Brüderle, verehrter Herr Kollege Doss, mich verwundert es immer wieder, dass Sie keines der Probleme, die mit der Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Mittelstandes vor dem Hintergrund zunehmender Globalisierung zusammenhängen, in den Vordergrund Ihrer Debattenbeiträge stellen. Die Lösung dieser Probleme spielt aber eine zentrale Rolle in unserem Aktionsprogramm „Mittelstandspolitik“. Sie wissen - diesem Punkt kommt vor dem Hintergrund des Strukturwandels, der Globalisierung und eines massiven Innovationsdrucks eine erhebliche Bedeutung zu -, die Eigenkapitalausstattung unserer mittelständischen Unternehmen ist im internationalen Vergleich noch immer relativ niedrig. Sie liegt bei etwa 16 Prozent. Daher glauben wir, glaubt die Bundesregierung und glauben die sie stellenden Fraktionen, dass das Zurverfügungstellen von ausreichenden finanziellen Ressourcen, egal ob in Form von öffentlichen Förderprogrammen, Bankdarlehen oder Risikokapital, eine Aufgabe höchster Priorität darstellt. ({3}) - Ja, aber wir machen weit mehr, als Sie damals gemacht haben. Wir haben das BTU-Programm aufgestellt - hören Sie gut zu, Herr Kolb -, das quasi ein Venture-Capital-Programm ist und das ein Volumen von 2,3 Milliarden DM hat. Mit diesem Programm versteht sich die Bundesregierung quasi als stiller Teilhaber an den technologieorientierten mittelständischen Unternehmen. Sehr viele Startups haben auf dieses Programm zurückgegriffen, weil sie noch kein Venture Capital gefunden haben. Das wissen Sie sehr genau. Dieses Programm ist absolut erfolgreich und weist nach vorne. Die KfW und die DtA haben allein im letzten Jahr Kredite in Höhe von 17 Milliarden DM zur Verfügung gestellt. ({4}) Ein weiterer Punkt, der mir gerade vor dem Hintergrund der Globalisierung sehr wichtig erscheint, ist, dass wir nunmehr durch die Zusammenarbeit von KfW und DtA alle wichtigen Mittelstandsprogramme in die Hand einer zentralen Beraterbank legen, die zugleich Ansprechpartner für den Mittelstand ist, wenn es um Förderung durch den Bund geht. Das ist eine Dienstleistung für den Mittelstand, auf die wir stolz sind. Sie wissen, dass sich die Bundesregierung - ich wundere mich, dass Sie auch dazu nichts sagen - intensiv dafür eingesetzt hat, dass bei der Neuregelung der so genannten Basler Eigenkapitalunterlegungsvorschriften für Kreditinstitute die Belange des deutschen Mittelstandes berücksichtigt wurden. Es ist nunmehr so, dass das interne Rating als gleichwertig akzeptiert wird. Damit ist einer seit langem erhobenen Forderung des Mittelstandes Rechnung getragen. Sie beklagen ja immer, dass die privaten Banken nichts für die Verbesserung der Kreditausstattung des Mittelstandes tun würden. Ich darf Sie darauf hinweisen, dass die Bundesregierung eine Vereinbarung zur Finanzierung des Mittelstandes mit allen beteiligten Banken, also den privaten, den öffentlich-rechtlichen, den Raiffeisenbanken sowie mit DtA und KfW, abgeschlossen hat. Wir werden diese Vereinbarung kritisch begleiten und beobachten, ob sie dazu beiträgt, dass sich alle Banken an der Finanzierung des Mittelstandes beteiligen. Wir werden sie noch in diesem Jahr evaluieren und werden dann im Zweifel noch eine Anschlussvereinbarung abschließen müssen.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Gudrun Kopp?

Margareta Wolf-Mayer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002831

Ja.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Bitte schön.

Gudrun Kopp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003160, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Staatssekretärin, können Sie nachvollziehen, dass viele mittelständische Unternehmen es bedauern, dass es diesen Zusammenschluss von DtA und KfW geben wird, in Zukunft vertraglich festgelegt, weil sie um die absolut bewährten Beratungsstrukturen der DtA fürchten, nämlich der Mittelstandsbank, ({0}) die mit runden Tischen, mit wirklich fein ausgeklügelten Beratungssystemen für den deutschen Mittelstand zur Verfügung steht? Diese Betriebe haben Sorge um den Fortbestand unter dem Dach einer Konzernstruktur, die die KfW nun einmal ist. Können Sie auch verstehen, dass sie fürchten, dass durch weitere Belastungen des Mittelstandsprogramms - das BTU-Programm ist gerade genannt worden - die Mittelstandsförderung zumindest in Kürze zurückgefahren wird?

Margareta Wolf-Mayer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002831

Frau Kollegin Kopp, mir ist bekannt, dass am Anfang der Debatte über die Zusammenarbeit von DtA und KfW verschiedene Mittelständler befürchtet haben, dadurch würde die Mittelstandsfinanzierung eher auseinander gezogen. Jetzt ist es, glaube ich, sehr wichtig, darüber zu kommunizieren, was tatsächlich beabsichtigt ist. Wenn man das tut, kommt es auch beim Mittelständler an. Wir überführen sämtliche Mittelstandsprogramme der KfW in die DtA. Die DtA wird keinesfalls unter dem Dach der KfW arbeiten, ({0}) sondern es handelt sich um gleichberechtigte Partner. One-Stop-Shopping können Sie demnächst bei der DtA machen, und die Beratungsinstitution für den Mittelstand ist die DtA, sodass man sagen kann: Wir nutzen Synergien und gestalten die DtA um in eine reine Mittelstandsbank. Ich bin der KfW ausgesprochen dankbar, dass sie dies auch tatsächlich mitgemacht hat, sodass wir alle Programme jetzt bei der DtA haben. Meine Damen und Herren, wir prüfen - um noch einmal auf die Kapitalsituation zu kommen -

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Frau Kollegin, eine weitere Zwischenfrage wird gewünscht. Es liegt in Ihrer Entscheidung, ob Sie sie zulassen. - Bitte schön.

Leo Dautzenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003067, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Wolf, Sie sprachen die Anschlussregelung Basel I zu Basel II an. Ist es vielleicht Ihrer selektiven Wahrnehmung zuzuschreiben, dass Sie nicht wahrgenommen haben, dass es eine parlamentarische Initiative war, die erst die Regierung veranlasst hat, hier tätig zu werden? ({0})

Margareta Wolf-Mayer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002831

Verehrter Herr Kollege, das stimmt nicht. Wir haben in Basel verhandelt. Dann ist ein Zwischenbericht für die Ausschüsse gemacht worden. Das Ergebnis ist zurückzuführen auf eine gemeinsame Initiative der die Regierung tragenden Fraktionen und der Bundesregierung. Aber ich will Ihnen einmal eines sagen: Was in dieser Debatte total nervt, ist, dass jeder immer versucht, sich von dem Kuchen ein Stückchen zu nehmen, als ob es substanziell im Ergebnis darauf ankäme. ({0}) Der Kollege Staffelt hat das schon gesagt. Wir diskutieren in der Sache, dachte ich, wobei es darum geht, dem Beschäftigungsmotor in diesem Land bessere Rahmenbedingungen zu geben. Hier läuft es immer so: „Das habe ich aber gesagt, das habe ich aber gemacht.“ Das ist völlig irrelevant für eine Verbesserung der Rahmenbedingungen für unseren Mittelstand. ({1})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?

Margareta Wolf-Mayer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002831

Ja.

Leo Dautzenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003067, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin, wären Sie zumindest bereit, mit Ihrer Kollegin und Vorsitzenden des Finanzausschusses, Frau Scheel, einmal Rücksprache darüber zu nehmen, wie die Sache wirklich gelaufen ist? ({0})

Margareta Wolf-Mayer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002831

Was soll denn das? Wenn Sie sich setzen, dann brauche ich die Frage nicht zu beantworten. ({0}) Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, ich freue mich, dass die Venture-Capital-Kultur in Deutschland im ersten Halbjahr 2000 auf insgesamt 3,2 Milliarden DM gewachsen ist. Ich glaube, dass sich der Prozess weiter fortsetzt. ({1}) Mit dem angesprochenen Seed-Capital, das durch das BTU-Programm zur Verfügung gestellt wird, waren wir in der Lage - so kann man, glaube ich, nach allem, was an Auswertung vorliegt, sagen -, die so genannte SeedPhase mitzufinanzieren. Nichtsdestotrotz will ich aber noch einmal auf die Situation am Neuen Markt hinweisen. Ich glaube, dass die Eröffnung des Neuen Markts am 10. März 1997 eine große Chance gerade auch für die innovativen neuen Betriebe in Deutschland darstellte. Er war auf die innovativen, jungen Wachstumsunternehmen zugeschnitten. ({2}) - Verstehen Sie etwas vom Neuen Markt? ({3}) - Nein, die Luft ist überhaupt nicht raus. Aufgrund von falschen Beratungen und Überbewertungen hat es am Neuen Markt so etwas wie einen Crash gegeben. Ich würde mit Ihnen gerne darüber reden, was man machen kann, um den Neuen Markt nicht weiter zu diskreditieren, und was für Rahmenbedingungen man schaffen muss, um das Regelwerk, das dem Neuen Markt zugrunde liegt, tatsächlich zu verbessern. Das Bundeswirtschaftsministerium denkt zusammen mit Vertretern des Kapitalmarkts Frankfurt über ein freiwilliges Qualitätssiegel nach. ({4}) - Moment, ich möchte den Gedanken noch zu Ende bringen. - Wir haben einen Auftrag an renommierte Fachleute für den Kapitalmarkt erteilt. Wir wünschen uns, dass dieses Qualitätssiegel bei der Börsensachverständigenkommission angesiedelt und dann vom BAW kontrolliert wird. Wir legen allerdings auf Freiwilligkeit Wert. Der Zuspruch, den wir vom Kapitalmarkt bekommen, ist so beeindruckend, dass wir davon ausgehen, dass das Image des Neuen Marktes durch einen entsprechenden Analystenkodex tatsächlich gesteigert werden könnte.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Lassen Sie eine weitere Zwischenfrage zu?

Margareta Wolf-Mayer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002831

Ja, das muss ich wohl.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Bitte schön.

Leo Dautzenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003067, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Wolf, teilen Sie die Auffassung des Herrn Wirtschaftsministers Müller, der auf die Frage, ob er sich am Neuen Markt engagieren würde, antwortete, dann könne man ja gleich in die Spielbank gehen? ({0})

Margareta Wolf-Mayer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002831

Was soll denn das? Dieser Satz ist aus dem Kontext gerissen. Was beabsichtigen Sie mit dieser Frage? ({0}) Wir wissen - es ist erstaunlich, dass das in der Großen Anfrage der CDU/CSU keine Rolle gespielt hat -, dass der Bildungspolitik vor dem Hintergrund des Strukturwandels des Standortes Deutschlands eine ganz besondere Bedeutung zukommt. Wir müssen Potenziale mobilisieren, indem wir junge Menschen schon an den Schulen und an den Hochschulen an unternehmerische Fragen heranführen. Zu diesem Zweck haben wir das Projekt Junior gestartet, das in zwölf Bundesländern ausgesprochen erfolgreich läuft. Gleichzeitig müssen wir die Kultur der Selbstständigkeit stärker in den Schulen verankern. Dabei liegen wir im Vergleich zu anderen Ländern etwas im Hintertreffen. Man kann nicht sämtliche Rückstände in zwei Jahren aufholen. Eine Umfrage unter 1 000 Jugendlichen im Alter von 15 bis 25 Jahren hat ergeben, dass sich zwei Drittel von ihnen vorstellen können, später einmal ein eigenes Unternehmen zu gründen. Das bedeutet nachhaltige Wirtschaftspolitik. Das wird zu mehr Selbstständigkeit und auch zu mehr Arbeitsplätzen in diesem Lande führen. Weitere Fragen, die ich in diesem Zusammenhang ganz wichtig finde, lauten: Wie schaffen wir mehr Selbstständigkeit? Wie können wir dafür sorgen, dass der Forschungs- und Wissenstransfer zwischen Wirtschaft und Wissenschaft Eingang in die Hochschulen findet? Ich verweise auf die Tatsache, dass wir 18 Lehrstühle für Existenzgründungen geschaffen haben. Dort werden Studierende auf den Schritt in die Selbstständigkeit ganz gezielt vorbereitet. Wir werden diesen Ansatz weiter ausbauen, sodass wir bald ein ganzes Netz von Lehrstühlen für Existenzgründungen in Deutschland vorweisen können. Darüber hinaus ist es ganz wichtig - der Kollege Staffelt hat darauf hingewiesen -, dass wir uns um die Berufsschulen kümmern. Sie alle wissen aus Ihren Wahlkreisen, dass die Berufsschulen in der Vergangenheit von der Wirtschafts- und der Bildungspolitik vernachlässigt wurden. Man trifft dort in aller Regel - das ist kein Vorwurf - auf einen völlig frustrierten Lehrkörper. Die Investitionen in den Baubestand waren sichtbar schlecht. In der Vergangenheit wurden die Berufsschulen - das sieht man - wie ein Stiefkind behandelt. Wir haben aus den UMTS-Erlösen über 255 Millionen DM zur Verfügung gestellt, um vorhandene Missstände abzubauen. Wir wollen den Berufsschulen deutlich machen, dass sie - gerade für Schülerinnen und Schüler, die auf dem Arbeitsmarkt Schwierigkeiten haben - ein wichtiger Faktor sind. Wir nehmen die Schülerinnen und Schüler, die in den Berufsschulen ausgebildet werden und hinterher in den Mittelstand, zum Beispiel in Handwerksbetriebe, gehen, ernst. Wir müssen auch den Ländern klarmachen, dass diese Angelegenheit für uns wichtig ist. Deshalb trifft sich der Bundeswirtschaftsminister auch mit Frau Schavan. ({1}) - Bitte? Stellen Sie eine Frage, dann geht das nicht zulasten meiner Redezeit. ({2}) Ich möchte wirklich an Sie appellieren, das im Auge zu behalten und in den Wahlkreisen auf ein verstärktes Engagement der Kommunen und Länder hinzuwirken. Ein weiterer wichtiger Punkt für die Zukunftsfähigkeit des Standortes Deutschland ist, dass wir die Ausbildungsberufe und die Weiterbildung viel schneller modernisieren müssen. Die Zeit rennt immer schneller und die Anforderungen an die Sozialpartner und die Politik wachsen immer schneller. Wir haben bis jetzt bereits 36 neue Berufsbilder im Zusammenhang mit schon bestehenden Berufen geschaffen und sieben neue Berufsbilder im IT-Bereich formuliert. Auch freut es mich, dass im Rahmen des Bündnisses für Arbeit 60 000 neue Arbeitsplätze gerade in der IT-Branche zugesichert wurden. Ich denke, wir befinden uns auf einem guten Wege, wenngleich die Anforderungen an die Sozialpartner stetig steigen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich möchte jetzt noch auf einen Punkt zu sprechen kommen, der mir sehr am Herzen liegt. Es handelt sich um die Osterweiterung der EU. Ich glaube, dass auf uns alle - auf uns Parlamentarier, aber auch auf die Vertreterinnen und Vertreter der Arbeitnehmerschaft - eine große Verantwortung in Bezug auf die Gestaltung dieses Prozesses zukommt. Sie alle wissen, dass Polen, Tschechien und Ungarn im Jahre 2004 erstmals an den Wahlen zum Europäischen Parlament teilnehmen und die Beitritte vermutlich relativ rasch vonstatten gehen werden. Auf der Internationalen Tourismus-Börse konnte man sehen, wie sich gerade die Tschechen, Polen und Ungarn - diese drei - auf den Beitritt vorbereiten und freuen. Mit dem Beitritt verbinden sie eine Potenzierung von Freiheit und Wohlstand. Man bereitet sich ganz emsig darauf vor. Ich beobachte mit großer Sorge, dass in unseren Grenzregionen - das hat mir Herr Pohl vom Institut für Wirtschaftsforschung in Halle auch noch einmal bestätigt mit dem Beitritt insbesondere von Polen assoziiert wird, dass vermehrt „geklaut“ wird. Dieser Eindruck wurde leider bei manchen Büttenreden während des Karnevals noch verstärkt. Hier war es immer der Pole, der klaut. Diesem Eindruck bei den Menschen in den Grenzregionen müssen wir zunächst einmal entgegenwirken. Außerdem müssen wir die dort herrschende Angst vor Lohndumping abbauen. Schließlich glaube ich, dass es sich auch um eine mentale Blockierung handelt, da es den Menschen dort wirtschaftlich ja nicht so gut geht. Gut funktionierende, grenzüberschreitende Kooperationen werden heute unter der Decke gehalten, über sie wird in diesen Gebieten nicht gesprochen, weil man lieber die Risiken als die Chancen sehen will. Ich möchte Ihnen ein Beispiel nennen; vielleicht wird Ihnen dann deutlich, warum ich glaube, dass die Osterweiterung gerade für die fünf neuen Bundesländer, aber auch für uns im Westen mehr Chancen als Risiken birgt. ({3}) - Bitte? Erzählen Sie es doch laut. Ich möchte jetzt meinen Gedanken zu Ende entwickeln. Ich war in der letzten Woche bei einem kleinen Schreinerbetrieb in einer der Grenzregionen, in dem sehr hochwertige Sachen hergestellt werden. Dieser Schreinerbetrieb, der nicht mit Holzfurnieren, sondern mit Massivhölzern arbeitet, hat schon mehrere Aufträge von Juwelieren in Polen zur Ausstattung ihrer Läden bekommen. Das zeigt - es gibt zahllose solcher Beispiele -, dass die Polen bei uns sukzessive auch Qualität nachfragen werden. Ein weiterer Punkt ist - deshalb ist die Vereinbarung von Nizza nicht nur gut für den Westen, sondern auch gut für die Polen, Tschechen und Ungarn -, dass die Polen gerade bei den Ingenieuren und den IT-Spezialisten hoch qualifiziertes Personal haben. Wenn es in Polen nicht innerhalb der vorgesehenen maximal sieben Jahre zu einer Lohnangleichung kommt, werden die Fachkräfte von dort abwandern. Wenn sie vorher schon weggehen, werden wir Arbeitskräfte aus diesem Land bekommen. Ich will damit sagen: Für den deutschen Mittelstand eröffnet sich in Polen, Tschechien und Ungarn ein riesiger Markt für Investitionen; es gibt dort nämlich ausgebildete Arbeitskräfte. ({4}) Wir tragen die Verantwortung gegenüber den Grenzregionen und der Bevölkerung hier, die Chancen und die Risiken, zuvörderst aber die Chancen dieser Osterweiterung, zu thematisieren. Wenn in diesem Prozess Ängste aufkommen, weil wir nicht alle an einem Strang ziehen, dann spricht das nicht für unsere Europapolitik. Herr Fischer ist da mit unserer Unterstützung auf einem sehr guten Wege. Ich möchte, dass wir diese Debatte in einem positiven Geist führen und dass wir ein bisschen von der Euphorie übernehmen, die bei den Polen, den Ungarn und den Tschechen vorhanden ist. Ich rate Ihnen dringend, in dieser Angelegenheit einmal den ungarischen Wirtschaftsminister zu sprechen. Dann würden Ihnen die Tränen kommen. Reden Sie mit den Menschen! Fahren Sie in diese Regionen - wir tun das - und werben Sie für die Osterweiterung! Das sind wir unserer Geschichte und auch unserem Mittelstand schuldig. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. ({5})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Hans Michelbach das Wort.

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, ich habe gedacht, Sie würden in Ihrer Rede die Steuerreform kritisieren, so wie Sie es kürzlich im „Handelsblatt“ getan haben. Aber heute haben Sie anscheinend den Mut verloren; denn Sie beten die steuerliche Ungleichbehandlung des Mittelstandes sozusagen gesund. Wo sind denn die Steuergerechtigkeit, die Steuervereinfachung und die Entlastung für den Mittelstand geblieben? Tatsache ist doch, Frau Staatssekretärin, dass wir eine mittelstandsfeindliche Steuerpolitik haben. ({0}) Tatsache ist, dass die Steuerquote auf 22,95 Prozent - das ist der Höchststand - angewachsen ist. Tatsache ist auch, dass die Zahl der Insolvenzen gestiegen ist und dass es in der Steuerpolitik Wettbewerbsverzerrungen auf breiter Front zulasten des Mittelstandes gibt. Das Gesetz zur Senkung der Unternehmensteuer bedingt Wettbewerbsverzerrungen bezüglich der Tarifspreizung und des Steuersatzes sowie Wettbewerbsverzerrungen durch eine Überforderung aufgrund einer verschärften Gegenfinanzierung. ({1}) Damit finanziert der Mittelstand die Steuergeschenke insbesondere an die Großbanken hinsichtlich der Steuerfreiheit der Veräußerungsgewinne. ({2}) Zur Tarifspreizung: In meinem mittelständischen Betrieb zahle ich in den Veranlagungszeiträumen 2001 und 2002 33 Prozent mehr als der Konkurrent mit einer Kapitalgesellschaft. ({3}) Ist das gerecht? Im Jahre 2005 zahlt eine Personengesellschaft immer noch 18,2 Prozent mehr als eine Kapitalgesellschaft. Wenn ich einen Betrieb neu gründe und dann Kapital in diesen neu gegründeten Betrieb verlagere, dann muss dieses Kapital voll versteuert werden. Der Konkurrent mit seiner Kapitalgesellschaft wird bei einer entsprechenden Umstrukturierung völlig steuerfrei gestellt. Das sind die Ungerechtigkeiten, die den Mittelstand treffen. ({4}) Es gibt das gleiche Problem bei der Gegenfinanzierung. Sie verschärfen die Abschreibungsbedingungen und schaffen so neue Belastungen, die Investitionen erschweren. Das, sehr geehrte Frau Staatssekretärin, ist eine mittelstandsfeindliche Politik. Wer investiert, wird durch Ihre Politik bestraft. Das ist die Tatsache, die wir feststellen müssen. ({5})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich gebe nunmehr dem stellvertretenden Ministerpräsidenten und Minister für Arbeit und Bau des Landes MecklenburgVorpommern, Helmut Holter, das Wort. Helmut Holter, Minister ({0}) ({1}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ein ostdeutscher Arbeitsminister in einer parlamentarischen Mittelstandsdebatte das Wort ergreift, dann könnte er es eigentlich kurz machen. Wenn er sich auf einen ostdeutschen Kommentar zu den vorliegenden Anträgen der Regierungsfraktionen und der Union beschränkt, dann ginge es eigentlich noch kürzer. Die neuen Bundesländer kommen nämlich in diesen Papieren so gut wie gar nicht vor. Schon aus diesem kühlen Grunde kann ich mir nicht vorstellen, dass Vertreter ostdeutscher Interessen, wie die Mitglieder der PDSFraktion, den Vorlagen zustimmen werden. Mich ärgert besonders, dass die Bundesregierung in Sachen Mittelstand Ost so etwas demonstriert wie - freundlich formuliert - hochdynamisches Abwarten. ({2}) Sie behandelt die „Chefsache Ost“ als Nebensache West. Sie übersieht, dass der Aufbau Ost ein Verfassungsauftrag ist. Ich bin fest davon überzeugt, dass der Osten Deutschlands überhaupt nur eine Perspektive als Standort kleiner und mittlerer Unternehmen, als eine Gründerregion hat. Ich weiß, wovon ich rede; denn in Mecklenburg-Vorpommern fehlen im Vergleich zu Schleswig-Holstein 18 000 Unternehmen. Ich weiß, wie endlos der Weg zu sein scheint. Ich weiß indes auch, welche Potenziale zwischen Ostsee und Erzgebirge brachliegen. ({3}) Die andere Seite der Medaille ist: In Mecklenburg-Vorpommern finden, bezogen auf die Einwohnerzahl, die meisten Firmengründungen statt. Ich habe im vergangenen Jahr eine Veranstaltungsreihe über Existenzgründer initiiert. Mit „Idee sucht Kapital - Kapital sucht Idee“ sind diese Begegnungen überschrieben. Eingeladen wurden Banker, Bildungsexperten, gründungswillige Menschen. Ich habe Zuspruch erhalten. Ich habe nicht damit gerechnet, dass Hunderte von Interessenten, die sich selbstständig machen wollen, zu diesen Veranstaltungen drängen. Sie ließen sich beraten und erörterten Finanzierungen. Allein aus der Arbeitslosigkeit heraus und von meinem Ministerium gefördert haben sich in den vergangenen beiden Jahren 4 000 Menschen selbstständig gemacht. ({4}) Das ist eine Zahl, die, glaube ich, auch für den Willen in Mecklenburg-Vorpommern steht, den Weg in die Selbstständigkeit zu unterstützen. Im Osten sprießt ein Gründergeist, der im Westen anscheinend unterschätzt wird. Ich kann Sie nur einladen: Schauen Sie bei der nächsten Veranstaltung einmal vorbei! ({5}) Man lernt dort über die neuen Länder und ihre Probleme mehr als bei so manchen polittouristischen Sommertouren. ({6}) Es gibt eine ziemliche Einhelligkeit in dem Urteil, dass die Mittelstandsförderung stärker den ostdeutschen Gegebenheiten angepasst werden muss. Wir brauchen alle Kraft für eine neue Gründerwelle. Ostdeutsche sind fähig und bereit, ihre Geschicke selbst in die Hand zu nehmen. ({7}) Wir brauchen für diese Kultur des Aufbruchs und der Unternehmungen aber die handfeste Unterstützung der Politik und übrigens auch die der Banken; denn es ist an der Zeit, in die Idee, in das Konzept zu investieren, anstatt das Bankrisiko durch mehrfache Absicherungen zu minimieren. ({8}) Vieles an Initiative, an Beschäftigung, an Existenzen geht durch wirtschaftskriminelles Handeln verloren. Es ist notwendig, dieses Handeln konsequent zu unterbinden und den Betroffenen unbürokratisch zu helfen, wie es der Antrag der PDS vorschlägt. ({9}) Im Osten gehen die Uhren etwas anders als im Westen. Es gibt viele junge Unternehmen, die derzeit noch nicht aus eigener Kraft überleben können. Eine sich selbst tragende Entwicklung der ostdeutschen Wirtschaft wird nur durch mehr Forschung und Entwicklung in den Unternehmen möglich sein. Gerade hier sehe ich keine Konzepte der Bundesregierung. ({10}) Ich plädiere deshalb erstens für ein Innovationskonzept der Bundesregierung, das diesen Namen verdient und auf das der ostdeutsche Mittelstand dringend wartet. Innovationspolitik muss ebenso über die Förderung von Forschung und Entwicklung hinausgehen wie über Ressortgrenzen. ({11}) Der ostdeutsche Mittelstand wartet nicht auf Konzepte einzelner Ministerien, sondern auf ein schlüssiges Gesamtkonzept der Bundesregierung. Lassen Sie uns Kompetenzzentren schaffen. Wir haben die Chance, in den neuen Ländern europäische Kompetenzzentren zu schaffen. Die Bedingungen in den neuen Ländern sind so ideal wie zu den Gründerzeiten. Ideen, Liegenschaften und vor allem begeisterungsfähige Menschen warten darauf, sich einbringen zu können. ({12}) - Das ist die Frage, ob da die falsche Regierung ist. Wir haben in Mecklenburg-Vorpommern Erfahrungen, die sich sehen lassen können. Ich habe darüber gesprochen, wie in Mecklenburg-Vorpommern Existenzgründungen realisiert werden. ({13}) Ich schlage zweitens ein Aktionsbündnis Ost für Arbeit, Aufträge und Ansiedlungen von Unternehmen vor. ({14}) Der Hallenser Wirtschaftssenator Rüdiger Pohl hat Recht: Ostdeutschland braucht keine weitere Kleinstaaterei, sondern gemeinsames Handeln. So unterschiedlich Sachsen und Brandenburger sein mögen, so ähnlich sind doch die Probleme auf dem Arbeitsmarkt im Vergleich zu Bayern. Das Bündnis könnte ostdeutsche Interessen bündeln. Ich stelle mir, wohlgemerkt, eine konzertierte Aktion der ostdeutschen Länder vor, kein Kaffeekränzchen. ({15}) Dieses Aktionsbündnis könnte sich auf die Förderung von regionalen Wertschöpfungsketten verständigen, den Aufbau regionaler Netzwerke für die regionale Versorgung organisieren, auf Markterschließungsstrategien für die mittel- und osteuropäischen Staaten eingehen und dabei gemeinsame Kontaktbüros der neuen Bundesländer in den mittel- und osteuropäischen Staaten organisieren. Und warum sollen Hermesbürgschaften nicht auch für Mittelständler und kleine Unternehmen in den neuen Ländern vergeben werden? ({16}) Minister Helmut Holter ({17}) Drittens erlaube ich mir einen Vorschlag vor dem Hintergrund, dass der Arbeitsmarkt in Ost und West dramatisch auseinander driftet. Wenn jetzt nicht die Weichen anders gestellt werden, dann droht ein Abriss Ost. Wer kann, zieht schon jetzt der Arbeit hinterher, in den Westen oder in den Süden. Im Nordosten ist jeder Fünfte ohne Job. Wir brauchen eine Verschränkung, eine Verzahnung von Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik, meinetwegen von Struktur-, Mittelstands- und Beschäftigungspolitik. ({18}) Wir brauchen auf die Probleme des Ostens zugeschnittene arbeitsmarktpolitische Instrumentarien. Dazu gehört auch der Übergang von der Personen- zur Projektförderung. ({19}) Dazu gehören die Vereinfachung und die Überschaubarkeit der Instrumente. Dazu gehört das Ende der Förderung mit der Gießkanne ebenso wie das Ende der Kürzung von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen mit der Heckenschere. ({20}) Ich bin der Überzeugung, dass sich Förderpolitik zukünftig daran messen lassen muss, ob und wie sie sich am regionalen Bedarf ausrichtet. Hier meine ich nicht die großen Regionen, sondern die kleinen Regionen. Denn es gibt in Sachsen Unterschiede zwischen dem Raum Dresden und der Lausitz und es gibt in meinem Land Unterschiede zwischen Westmecklenburg und Vorpommern. Was sagen Sie einer 50-jährigen Mecklenburger Bäuerin, die sicherlich nicht mehr so bildungsfähig ist, dass sie in einem biotechnologischen Hightechunternehmen unterkommen könnte. Sie wird sich auch nicht zur Softwareentwicklerin umschulen lassen können. Aber eines will sie und kann sie: Sie kann und sie will arbeiten. Im Nordosten waren im vergangenen Monat 184 000 Menschen arbeitslos gemeldet. Aber es gab eben nur 7 400 offene Stellen. Ich meine, es bedarf einer Strategie, um gering Qualifizierte wieder in Lohn und Brot zu bringen, anstatt ihnen mit Leistungsentzug zu drohen. ({21}) Es geht mir nicht um Beschäftigungstherapie; es geht um Wertschöpfung. Es geht darum, Arbeit zu finanzieren und nicht Arbeitslosigkeit. ({22}) Es geht vielen ostdeutschen Frauen und Männern darum, sich durch Sinn stiftende Arbeit bestätigt zu fühlen. Es geht ihnen darum, ihren Beitrag zur Einheit zu leisten. Meine Damen und Herren, ich will es bei diesen Vorschlägen im Kontext der Mittelstandspolitik Ost bewenden lassen. Die PDS, namentlich die Vorsitzende Gabi Zimmer und auch der Vorsitzende der Fraktion hier im Bundestag, Roland Claus, hat weitere Vorschläge auf den Tisch gelegt. Beschränkt habe ich mich auf jene Vorschläge, die gegenüber anderen einen deutlichen Vorzug haben. Es geht um die Bündelung der Kräfte. Nach meiner Einschätzung wird die Modernisierung der Wirtschaftsförderung in der Bundesrepublik ihre Generalprobe im Osten haben. ({23}) Nun noch ein Wort zur Schaffung von Arbeitsplätzen, dem A und O. Ich habe mir das dänische Jobwunder vor Ort angeschaut. Es beruht auf dem Bündnis von Politikern, Unternehmern und Gewerkschaftern. Bricht eine der drei Säulen weg, geht also der Konsens verloren, ist das Unternehmen am Ende. Auch daher mein Plädoyer für Bündnisse. Zum Schluss sei mir noch ein kleiner Fingerzeig gestattet. Ich habe jetzt fast zehn Minuten gesprochen, aber keine einzige Sekunde über mehr Geld für Ostdeutschland. Dafür bitte ich Sie um Nachsicht. Herzlichen Dank. ({24})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich erteile das Wort dem Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, Werner Müller.

Werner Müller (Minister:in)

Politiker ID: 11005300

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst einmal zu dem einen oder anderen Debattenbeitrag sagen: Lautstärke ersetzt keine Argumente. ({0}) Wenn man, Herr Brüderle, Ihre Rede bemerkenswert finden soll, dann insbesondere unter dem Aspekt, dass die Mikrofone dieses Saales auch solches bewältigen. ({1}) Nun zur Sache. Wenn man in diesem Land Mittelstandspolitik betreiben will - und wir wollen das aktiv machen, seitdem wir die Regierung übernommen haben -, ({2}) dann muss man wissen, dass die Mittelstandspolitik in die Grundzüge der Wirtschafts- und Finanzpolitik eingebettet ist. Was die Wirtschafts- und Finanzpolitik dieses Landes anbelangt, waren Ende 1998 grundsätzliche Korrekturen in vielen Bereichen notwendig. ({3}) Diese Korrekturen zu machen ist Voraussetzung dafür, wieder Mittelstandspolitik betreiben zu können. Ich will Ihnen die Korrekturen in den Grundzügen nennen, damit Sie sehen, in was die Mittelstandpolitik eingebettet ist. Zunächst einmal war es dringend notwendig, die Mentalität, dass wir zunehmend von dem Geld unserer Kinder leben können, zu beseitigen. ({4}) Minister Helmut Holter ({5}) Mit anderen Worten: Es musste wieder eine vernünftige Haushaltspolitik gemacht werden mit dem Ziel, in einem überschaubaren Zeitraum zu einem ausgeglichenen Haushalt zu kommen. ({6}) Zweitens. Wir müssen die Staatsquote senken. Es kann nicht angehen, dass 50 Prozent der Wirtschaftsleistung einmal durch die Hand des Staates gedreht werden. Das ist feindlich gegen jede Wirtschaftspolitik. Deswegen muss die Staatsquote systematisch gesenkt werden. ({7}) Wir werden die Staatsquote bis 2005 auf 44 Prozent gesenkt haben. Danach ist eine weitere Senkung möglich. Eine Reform der Sozialsysteme war unter verschiedenen Überschriften dringend notwendig. ({8}) In Ihrer Regierungszeit hat sich eine systematische Flucht aus den Sozialsystemen eingebürgert. ({9}) Vor diesem Hintergrund waren beispielsweise die 630Mark-Arbeitsverhältnisse oder die so genannte Scheinselbstständigkeit zu regeln. Es war eine Rentenreform notwendig. Ich will auch einmal daran erinnern: Hätten wir den Rechtszustand, den Sie hinterlassen haben, nicht geändert, hätten ab 1. Januar dieses Jahres die Betriebe nicht mehr unbegründet befristet einstellen können. Insofern ist an dem, was Sie im Sozialbereich hinterlassen haben, rundum eine Reform notwendig gewesen. ({10}) Es war eine Steuerreform notwendig; denn die Steuersätze, die wir bei Amtsantritt vorgefunden haben, waren für unternehmerische Tätigkeit schlicht prohibitiv geworden. ({11}) Wir werden vor diesem Hintergrund den Eingangsteuersatz und den Spitzensteuersatz jeweils um 11 Prozentpunkte in Schritten senken. ({12}) Wir werden - wenn ich das vielleicht freundlicherweise noch erwähnen darf - darauf achten, dass die Steuerreform nicht, wie Sie immer behaupten, insbesondere mittelstandsfeindlich ist, ({13}) wobei ich, Herr Michelbach, darum bitte, freundlicherweise die 33 Prozent Differenz, die Sie erwähnten, näher zu begründen, ({14}) und zwar unter Würdigung der Tatsache, dass Kapitalgesellschaften eine Gewerbesteuer zahlen. Dann wird es schon weniger. ({15}) Schließlich ist eine weitere Reform notwendig, die zu den allgemeinen Reformen gehört: Wir müssen unsere Wirtschaft auf das digitale Zeitalter vorbereiten. Die Vorbereitung auf das digitale Zeitalter ist eine Conditio sine qua non, weil das zur Zukunftsfähigkeit unserer Volkswirtschaft schlechthin gehört. Das ist der allgemeine Rahmen der Wirtschafts- und Finanzpolitik, den wir begonnen haben, konsequent umzusetzen, und in den dann die Mittelstandspolitik eingebettet wird. Die Mittelstandspolitik besteht aus zwei Bereichen. Ich kann sagen, einerseits mache ich indirekte Mittelstandspolitik und andererseits direkte Mittelstandspolitik. Ich will Ihnen Elemente der indirekten Mittelstandspolitik nennen. Wenn wir uns auch um die Großindustrie in diesem Lande kümmern - beispielsweise indem wir die Luftfahrtindustrie fördern, uns um die deutschen Werften oder auch um den Bergbau kümmern -, dann bedeutet das immer gleichzeitig, dass wir einer breiten Palette von mittelständischen Zulieferern die Zukunft sichern. Infolgedessen kann man nicht - wie das vorhin so anklang sagen, ihr macht nur Politik für die großen Bosse, sondern die Politik für die industriellen Komplexe ist immer auch eine indirekte Mittelstandspolitik. ({16}) Man kann es leider an der Entwicklung der Wirtschaft in Ostdeutschland verfolgen. In Ostdeutschland fehlen noch einige industrielle Komplexe, ({17}) die dort in die Landschaft hineingesetzt werden müssen und um die sich dann ein aktiver Mittelstand gruppieren kann. Eine andere Form indirekter Mittelstandspolitik sind beispielsweise viele Aspekte der Energiepolitik dieser Bundesregierung. Allein über das Energieeinspeisegesetz im Allgemeinen ({18}) und insbesondere beispielsweise über die Förderung der Nutzung der Sonnenenergie ist eine ganze Palette neuer Tätigkeiten im Handwerk geschaffen worden. ({19}) Das Handwerk weiß, welche zusätzlichen Beschäftigungsverhältnisse und Arbeitsplätze es beispielsweise durch die neue Energieeinsparverordnung schaffen kann. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage: Was heißt eigentlich heute direkte Mittelstandspolitik? Direkte Mittelstandspolitik umfasst folgende Schwerpunkte: Sicherung der Finanzierung, Technologietransfer, Exportorientierung. Hinzu kommen einzelne Sonderpunkte. Ich will die drei wichtigsten Dinge nennen. ({20}) Die Sicherung der Finanzierung des Mittelstandes ist eine der zentralen Herausforderungen insbesondere unter dem Aspekt, dass der Bankensektor in sich ja auch nach marktwirtschaftlichen Kriterien arbeitet. Es darf nicht so kommen, dass der Mittelstand, insbesondere der kleine Mittelstand, nicht mehr in der Lage ist, einen Kredit über 100 000 DM zu annehmbaren Zinskosten zu bekommen. Wir haben Vorsorge getroffen. Ich darf heute dem Mittelstand, insbesondere dem kleinen Mittelstand, versichern, dass seine Finanzierung zu vernünftigen Bedingungen auch in Zukunft gesichert ist. ({21}) Der nächste Punkt. Wir müssen aufpassen, dass der Mittelstand nicht durch die technologische Entwicklung ins Hintertreffen kommt. Das heißt, wir müssen Programme entwickeln, um dem Mittelstand den technischen Fortschritt nahe zu bringen; wir müssen den Technologietransfer zwischen den Forschungseinrichtungen und dem Mittelstand bewerkstelligen. ({22}) Um solche Technologietransfers zu ermöglichen, haben wir Programme aufgelegt. Dafür geben wir immerhin fast 1 Milliarde DM pro Jahr aus. Dass das nicht ohne Erfolg ist, sieht man daran, dass das Beteiligungsprogramm für technologieorientierte Unternehmen - das hat Herr Kolb vorhin zu Recht in einem Zwischenruf bemerkt -, das es 1998 schon gab, ({23}) im Jahre 2000 das vierfache Volumen des Jahres 1998 hatte. ({24}) Das zeigt deutlich, dass der Technologietransfer in den Mittelstand hinein funktioniert. Wir werden weiter daran arbeiten. Gerade gestern haben Frau Bulmahn und ich ein entsprechendes weiteres Programm vorgelegt. Ich komme zu dem nächsten wichtigen Punkt. Wir leben in einer sich immer mehr globalisierenden Welt. Diese Entwicklung darf am Mittelstand nicht vorbei gehen. Mit anderen Worten: Der Mittelstand selber muss exportorientierter werden. Deswegen müssen wir beispielsweise das Instrumentarium der Hermes-Bürgschaften so gestalten, dass es der Mittelstand für sich nutzen kann. Da gibt es Nachholbedarf. Ferner müssen wir bei der Messeförderung darauf hinwirken, dass mittelständische Betriebe die Möglichkeit der Messeförderung zunehmend in Anspruch nehmen und sich auf den Auslandsmärkten präsentieren können. Neben diesen drei wichtigen Punkten will ich Ihnen im Hinblick auf die Zukunftsfähigkeit des Mittelstandes einige Sonderpunkte nennen, die nicht unwichtig sind, beispielsweise die Frage: Wie sieht es mit der Zukunft der Handwerksordnung aus? Da darf ich Ihnen sagen: Wir haben in voller Übereinstimmung mit dem Handwerk erreichen können, dass die Handwerksordnung an sich nicht geändert wird, dass aber ein vereinheitlichter Vollzug in unserem Lande möglich ist. Wir haben mit dem Handwerk die inhaltliche Festschreibung einer flexiblen und großzügigen Praxis bei der Anwendung der Handwerksordnung erreicht. Ein anderer Sonderpunkt betrifft die Tourismusförderung. Ich bin sicher - ich habe ja die Zahlen gesehen, die in die Haushaltsplanung eingestellt wurden -, dass dieser Wirtschaftszweig zu Ihrer Regierungszeit völlig unterschätzt wurde. Er setzt in unserem Lande immerhin 280 Milliarden DM um und hat annähernd 3 Millionen Arbeitsplätze. Deswegen werden wir dort einen Schwerpunkt setzen. Auch hier sind die Erfolgszahlen durchaus ansehnlich: 1999 und 2000 haben die Übernachtungszahlen bei der deutschen Tourismuswirtschaft um annähernd jeweils 10 Prozent zugenommen. ({25}) Insbesondere ist die Zahl der Übernachtungen ausländischer Touristen in unserem Land bemerkenswert. Zum Schluss möchte ich auf die Arbeitsmarktbilanz zu sprechen kommen. Ich darf darauf hinweisen, dass ich einen gewissen Widerspruch in Ihren Aussagen sehe. Auf der einen Seite sagen Sie, diese Bundesregierung wäre längst in der Lage, die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zu senken, ({26}) und auf der anderen Seite sagen Sie: Die Arbeitslosigkeit hat nicht abgenommen. - Beides passt nun tatsächlich nicht zusammen. ({27}) Deswegen will ich Ihnen noch einmal die Zahlen nennen. Im Februar 1998 hatte dieses Land leider 4,83 Millionen Arbeitslose und im Februar 2001 waren es 4,1 Millionen; das sind 700 000 Arbeitslose weniger. ({28}) Wenn ich heute Verbände des Mittelstandes besuche - ich bin sehr häufig bei den Verbänden und noch öfter vor Ort, bei den Kammern -, dann kriege ich natürlich die eine oder andere Kritik zu hören. Man muss für VerBundesminister Dr. Werner Müller ständnis werben. Denn wenn man so einen Bereich wie die 630-Mark-Arbeitsverhältnisse neu regelt, ist das zunächst für diejenigen, die sich an die bequeme Flucht aus den Steuer- und Sozialsystemen gewöhnt haben, ein Beschwernis. Zum Schluss wird es eingesehen und ganz zum Schluss muss man nur die simple Frage stellen: Wollt ihr die Zustände vom Herbst 1998 oder ist es heute besser? - Diese Frage wird eindeutig beantwortet. Es wünscht sich niemand im deutschen Mittelstand die Zustände von Ende 1998 zurück. Vielen Dank. ({29})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die Fraktion der CDU/CSU spricht nun der Kollege Gunnar Uldall.

Gunnar Uldall (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002353, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Ach, Herr Minister, wenn die Mittelstandswelt doch so schön wäre, wie Sie sie soeben gezeichnet haben! Die Frau Staatssekretärin und Sie nennen Programme, Statistiken und Pläne; aber die realen Auswirkungen Ihrer Politik auf den Mittelstand sehen ganz anders aus. ({0}) Ich will drei Punkte nennen: Das Wichtigste ist sicherlich die Steuerreform mit ihren Vorteilen für die Großunternehmen und ihrer Benachteiligung der kleinen Unternehmen. Das ist praktische Politik gegen den Mittelstand! ({1}) Als zweiten Punkt möchte ich das Betriebsverfassungsgesetz mit seinen zusätzlichen Kosten für mittelgroße Unternehmen nennen. Das ist praktische Politik gegen den Mittelstand, Herr Minister! ({2}) Als Drittes möchte ich das Teilzeitarbeitsgesetz nennen, das durch seine Behinderung des Personaleinsatzes vor allen Dingen mittelständische Betriebe trifft. Das ist praktische Politik gegen den Mittelstand, Herr Minister! ({3}) Insofern kann ich nur sagen: Es wäre schön, wenn die Welt so heil wäre, wie Sie sie beschrieben haben. Aber leider ist sie nicht so. Ich will auf eine der Ursachen hinweisen: auf das Fehlen einer ordnungspolitischen Ausrichtung der Bundesregierung. Allein in den letzten drei Jahren - frühere Jahre möchte ich jetzt gar nicht berücksichtigen - hat Schröder seine wirtschaftspolitische Orientierungslinie viermal geändert. Vor der Wahl warb er mit marktwirtschaftlichen Thesen um die so genannte Neue Mitte. Nach der Wahl wurde statt mehr Markt mehr Regulierung realisiert. Ich nenne nur die Stichworte 630-Mark-Gesetz und Scheinselbstständigengesetz. Dann erfolgte eine dritte Wendung: Nachdem Lafontaine zurückgetreten war, wurde Neues in Bezug auf die Marktwirtschaft versucht. Ich erinnere nur an das Schröder/Blair-Papier. Im letzten halben Jahr kam es zu einer vierten Wendung in der Wirtschaftspolitik der Regierung Schröder. Sie ist nun gegen den Markt ausgerichtet. Ich nenne ein paar Stichwörter: Betriebsverfassungsgesetz, Verlängerung des Postmonopols, Einschränkung befristeter Beschäftigungsverhältnisse sowie Anspruch des Arbeitnehmers, seine persönliche Arbeitszeit selber festzulegen; das wird dann Teilzeitarbeitsgesetz genannt. ({4}) Das alles zeigt, dass in der Wirtschaftspolitik der Regierung keine klare ordnungspolitische Linie zu erkennen ist. Das wirkt sich negativ auf die Marktentwicklung aus. ({5}) Wenn ein Unternehmen investieren will, dann braucht es eine verlässliche und dauerhafte Wirtschaftspolitik. Wenn es keine Verlässlichkeit gibt, dann wird es keine Investitionen eines mittelständischen Unternehmers geben, der persönlich mit seinem Vermögen haftet. Bei einer großen Aktiengesellschaft mag es so sein, dass die Investitionssummen höher sind als die in einem mittelständischen Betrieb. Aber da ist es meist nicht so, dass derjenige, der die Entscheidung trifft, auch mit seinem persönlichen Vermögen haftet. Das ist das Besondere des mittelständischen Betriebes. Deswegen ist es gerade für den Mittelstand, der der Motor für die Schaffung neuer Beschäftigung ist, wichtig, dass in der Wirtschaftspolitik ein dauerhafter und zuverlässiger ordnungspolitischer Rahmen besteht. Den haben wir nicht, Herr Minister. Wir müssen uns daher nicht wundern, dass jetzt die Konjunktur anfängt zu kränkeln. ({6}) Wir haben feststellen müssen, dass sich in Deutschland zuerst das Geschäftsklima verschlechterte. Dann verschlechterte sich die Prognose und jetzt verschlechtern sich die tatsächlichen Wachstumsraten, Herr Minister. Diese Situation ist nun da und zeichnet sich nicht mehr irgendwo am Horizont ab. Was sind denn die Ursachen dafür? Die erste Ursache ist die große Enttäuschung über das richtige Wirken der Steuerreform, die sich jetzt in den Betriebsleitungen, aber auch bei den Mitarbeitern in den Betrieben immer mehr ausbreitet. Die Menschen sind enttäuscht über das, was ihnen als die größte Steuerreform aller Zeiten verkauft worden ist. ({7}) Es bleibt deswegen in Deutschland auch der Konsumschub aus, den wir dringend brauchen. ({8}) Die zweite Ursache sind die politisch gewollte Verteuerung des Spritpreises durch die Ökosteuer und die hohen Nachzahlungen der privaten Haushalte für die Heizung.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Herr Uldall, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Gunnar Uldall (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002353, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielleicht darf ich eben noch diesen Satz zu Ende bringen, Herr Präsident. Die Modellrechnungen, die wir angestellt haben, zeigen, dass im Durchschnitt pro Quadratmeter 1 DM mehr an Heizkosten zu zahlen ist. Wenn man also eine 60 oder 70 qm große Wohnung unterstellt, sind es 700 bis 800 DM, die auf den Durchschnittshaushalt in Deutschland zukommen. Da frage ich nur: Wer soll das denn eigentlich bezahlen, meine Damen und Herren? ({0})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Oswald Metzger?

Gunnar Uldall (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002353, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gerne.

Oswald Metzger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002736, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Kollege Uldall, Sie sind anscheinend nicht in der Realität angekommen, obwohl Sie das eben dem Wirtschaftsminister und seiner Staatssekretärin unterstellt haben. ({0}) Ich stelle die Frage. Warum schreibt denn bitte heute das „Handelsblatt“ auf Seite 1: „Einzelhandel erwartet Impulse durch die Steuerentlastungen.“ Es bezieht sich auf eine Prognose vom Januar, wo die Wachstumsraten im Einzelhandel das erste Mal wieder real über 2 Prozent gestiegen sind. Die zweite Frage: Blenden Sie das weltwirtschaftliche Umfeld aus? Sie haben doch als wirtschaftspolitischer Sprecher Ihrer Fraktion in Ihrer Regierungszeit selber erlebt, dass Deutschland, obwohl die USA fast acht oder neun Jahre lang Konjunkturlokomotive auch in Ihrer Regierungszeit waren, am unteren Ende der europäischen Wirtschaftsentwicklung platziert war, während unsere Regierung im letzten Jahr das größte Wachstum innerhalb der letzten zehn Jahre zu verzeichnen hatte und heute die Prognosen auch der internationalen Agenturen eher dahin gehen, dass sich Europa mit Deutschland als größter Volkswirtschaft von der Entwicklung in Japan und den USA zwar nicht komplett abkoppelt, aber das weltwirtschaftliche Wachstum eher anhebt als drückt.

Gunnar Uldall (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002353, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Metzger, ich schätze Sie sehr. Deswegen darf ich mich für diese beiden Fragen herzlich bedanken. Die erste Frage war: Wie kommt es, dass die Umsätze im Einzelhandel steigen? - In die Umsätze des Einzelhandels werden natürlich auch die Umsätze an den Tankstellen eingerechnet. Wenn Sie die Ökosteuer oben draufsetzen, dann gibt es natürlich höhere Umsätze. ({0}) Deswegen müssen Sie einfach erkennen, dass ein großer Teil dieser Umsatzzuwächse leider aufgeblasen ist. ({1}) Dem füge ich noch folgende Zahl hinzu, Herr Metzger: Wir haben aktuell eine Preissteigerung von 2,6 Prozent. Der private Haushalt muss also heute 2,6 Prozent mehr für seinen Lebensunterhalt aufwenden als vor einem Jahr. Das zeigt eben, dass es zu einer Aufblähung des Preisniveaus gekommen ist. Dann muss der Umsatz in den Einzelhandelsbetrieben um diese 2,6 Prozent gestiegen sein. ({2}) - Sie dürfen gleich noch eine Zwischenfrage stellen. Ich möchte nur erst Ihre zweite Frage nach Deutschland im internationalen Vergleich beantworten. Herr Kollege Metzger, sehen wir uns einmal die Entwicklung an. Früher war Deutschland, wie Sie es ja auch in Ihrer Frage richtig sagten, im europäischen Kontext immer eines der Länder mit den höchsten Wachstumsraten. Wir lagen immer vorn. ({3}) Jetzt schauen Sie einmal, wie wir nun im Vergleich zu den anderen EU-Staaten liegen. Da liegen wir ganz unten, Herr Kollege! Dazu sage ich: Dies alles ist darauf zurückzuführen, dass Sie eine Wirtschaftspolitik der Beliebigkeit betreiben, aber keine klare ordnungspolitische Ausrichtung haben. ({4})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Herr Kollege Metzger.

Oswald Metzger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002736, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Uldall, auch ich schätze normalerweise Ihre Argumentation; ({0}) aber jetzt sind Sie ausgewichen. Ich frage Sie: Nehmen Sie nicht zur Kenntnis, dass der Artikel heute im „Handelsblatt“ über den Einzelhandel von realen Preissteigerungen spricht, also von solchen nach Abzug der Inflationsrate, sodass der Einzelhandel von realen Umsatzsteigerungen von über 2 Prozent ausgeht, und dass die Umsatzanstiege im letzten Jahr ohne Tankstellen, ohne Kfzs, ohne Mineralölsteuer gerechnet waren? Insofern ist Ihre Antwort nicht richtig. Zum Zweiten: Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass sich in der Regierungszeit von Rot-Grün in Berlin und am Anfang in Bonn die Wachstumsraten in der Bundesrepublik Deutschland - mit Italien gemeinsam - innerhalb der EU vom unteren Ende in das obere Mittelfeld bewegt haben und dass wir im letzten Jahr mit 3 Prozent im Ranking innerhalb der EU deutlich höher lagen als zu Ihrer Regierungszeit.

Gunnar Uldall (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002353, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Metzger, vielleicht können wir uns einmal auf Folgendes einigen: ({0}) Es ist richtig, dass der Einzelhandel die Erwartung, die - ich sage - Hoffnung hat, dass es zu einer Nachfragesteigerung kommt. ({1}) Setzen wir uns dann einmal am Jahresende zusammen, Herr Kollege, und dann werden wir beide sehr schnell feststellen, wie die realen Zahlen geworden sind. Ich hoffe ja sehr, dass wir einen ordentlichen Zuwachs haben werden, und gerade weil ich das hoffe, engagiere ich mich ja jetzt auch hier, um der Regierung nahe zu legen, zu einer besseren Wirtschaftspolitik zu kommen, Herr Metzger. ({2}) Meine Damen und Herren, wir haben die Rede eines Landesministers aus Mecklenburg-Vorpommern gehört. ({3}) Dies ist ja eine Debatte, in der der Mittelstand motiviert werden soll. Deswegen, so meine ich, wäre es eigentlich besser gewesen, hier nicht einen Minister aus einem Land sprechen zu lassen, in dem die Entwicklung stagniert, sondern einen Minister aus einem Land zu nehmen, in dem die Wachstumsraten kräftig nach oben gehen. ({4}) Nun möchte ich nur sagen - Herr Holter hat ja, wenn ich es richtig sehe, hier das zweite Mal gesprochen -: Herr Holter, vor Ihrer Regierung - ich formuliere es einmal positiv - liegt noch eine große Aufgabe. Ihr Land ist zwar nicht das letzte in der Statistik der Wachstumsraten der deutschen Länder; das ist Sachsen-Anhalt und da brauchen wir gar nicht zu fragen, wer da regiert. ({5}) Aber Mecklenburg-Vorpommern hat nur 0,9 und Sachsen-Anhalt lediglich 0,8 Prozent Wachstum. Nun greife ich einmal ein anderes Land heraus: BadenWürttemberg. ({6}) Das hat ein Wachstum von 4,2 Prozent! ({7}) Damit liegt das Wachstum in Baden-Württemberg um ein Drittel höher als das durchschnittliche Wachstum in allen deutschen Ländern, und es ist rund fünfmal so hoch wie das Wachstum in Mecklenburg-Vorpommern. Aber das wollen wir jetzt gar nicht vergleichen. Dann gibt es in Bezug auf Baden-Württemberg noch ein anderes interessantes Thema: ({8}) Baden-Württemberg ist das Land mit der niedrigsten Arbeitslosenquote. ({9}) Gerhard Schröder hatte kürzlich gesagt, 3 Millionen Arbeitslose seien sein Ziel; das wolle er jetzt bald erreicht haben. Dann musste er sich sehr schnell mit seinen Versprechungen korrigieren, weil er diese nicht halten kann. ({10}) Gerhard Schröder braucht aber nur nach Baden-Württemberg zu gucken. Wenn ich die Zahlen Baden-Württembergs auf das ganze Bundesgebiet hochrechne, dann ist dieses Ziel, das Gerhard Schröder inzwischen als nicht erreichbar bezeichnet hat, in Baden-Württemberg längst erreicht worden, es ist sogar weit übertroffen worden. ({11})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Niebel?

Gunnar Uldall (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002353, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gern.

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Uldall, Sie haben eben zu Recht festgestellt, dass Baden-Württemberg die beste Arbeitsmarktsituation in der Bundesrepublik hat; sie ist noch besser als in Bayern. Stimmen Sie mir zu, dass in Baden-Württemberg Dr. Walter Döring der Wirtschaftsminister ist, den die F.D.P. stellt? ({0})

Gunnar Uldall (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002353, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Niebel, das ist richtig; das lässt sich ja gar nicht bestreiten. Aber es ist der Zusammenhang zu sehen zwischen Ministerpräsident Teufel, der das hervorragend macht, dem Finanzminister Stratthaus und der ganzen Stimmung in Baden-Württemberg. Die ist optimistisch ausgerichtet und deshalb bin ich auch absolut sicher, dass diese Koalition am übernächsten Sonntag bestätigt werden wird, Herr Niebel. ({0}) Nun möchte ich aber noch eines sagen: Es gibt auch einen Statistikfaktor, bei dem Baden-Württemberg ganz am Ende liegt. Wir wollen hier ja ehrlich miteinander reden. Es gibt also auch Punkte, bei denen Baden-Württemberg den letzten Platz einnimmt. Das ist die Insolvenzrate. Ich bin sicher, dass es dabei in Baden-Württemberg auch bleiben wird. Wenn Baden-Württemberg ein eigenes Land innerhalb der EU wäre, ({1}) dann wäre es im wirtschaftlichen Ranking der europäischen Länder ganz oben, in der Top-Gruppe, angesiedelt. ({2}) Sowohl beim Wachstum wie auch auf dem Arbeitsmarkt ist das Ländle eben Spitze. Die Gründe dafür sind schnell herauszufinden. Es wird eine verlässliche, langfristig angelegte Wirtschaftspolitik betrieben und der Mittelstand spielt in dieser Wirtschaftspolitik eine größere Rolle als anderswo. Das beides sind die Schlüssel zum Erfolg in der Wirtschaftspolitik. Ich lege der Regierung Schröder, ich lege Ihnen, Herr Minister, nahe, sich am Vorbild des Landes Baden-Württemberg zu orientieren. Dann wird es auch in Gesamtdeutschland nach oben gehen. Vielen Dank. ({3})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die Fraktion der F.D.P. spricht der Kollege Dr. Heinrich Kolb.

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich wende mich zunächst an den Bundeswirtschaftsminister, Herrn Müller. Herr Müller, Sie haben die Lautstärke kritisiert, mit der mein Kollege Rainer Brüderle hier vorgetragen hat. ({0}) Ich kann nur sagen: Lautstärke zeugt von Leidenschaft. Wem das Herz voll ist, dem geht der Mund über. ({1}) Im Gegensatz dazu war Ihre - ich kann es nicht anders ausdrücken - absolut leidenschaftslose Vorlesung über Wirtschaftspolitik ein weiterer Beweis für Ihre ebenso leidenschaftslose Parteinahme für den Mittelstand in wichtigen Fragen der Wirtschaftspolitik. ({2}) Ich habe mich natürlich auch gefragt, welche Botschaft die Mittelstandsbeauftragte der Bundesregierung heute an den Mittelstand aussenden wollte. ({3}) Diese sollte wohl lauten: alles im grünen Bereich. Aber das kann allenfalls parteipolitisch gemeint gewesen sein. Tatsächlich, Frau Wolf, verschlechtert sich die Stimmung im Mittelstand nach zwei Jahren Rot-Grün dramatisch. Dafür gibt es auch Gründe: Nicht nur, dass die Bauwirtschaft völlig daniederliegt - auch der Eigenheimbau bricht jetzt ein -, nicht nur, dass die halbherzige Steuerreform, die Sie auf den Weg gebracht haben, nicht auf den Konsum durchschlägt.Nein, Sie haben mit Ihrer Veränderung der AfA-Tabellen auch noch die Investitionsneigung verschlechtert. Auch der Export wird schwieriger. Es ist nur eine Frage der Zeit, liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, bis Ihnen das alles um die Ohren fliegt. ({4}) Es ist sehr deutlich: Der Mittelstand in Deutschland hat von diesem Bundesminister für Wirtschaft und dieser Mittelstandsbeauftragten nichts zu erwarten. Er hat auch aus dem Bundeskanzleramt nichts zu erwarten. Dort gibt es eine Chefsache Holzmann; aber eine Chefsache Mittelstand gibt es ebenso wenig, wie es eine Chefsache Aufbau Ost gibt. Das halte ich für den eigentlichen Skandal. ({5}) Ich bekomme Zuschriften, in denen steht: „Das Maß ist voll“, und das, Herr Minister, auch von Mitgliedern Ihres Mittelstandsbeirates. Das heißt, es genügt nicht, die Bedeutung des Mittelstandes zu beschreiben und zu beschwören. Es kommt darauf an, welche Politik man macht. Ich will Ihnen dazu zwei Beispiele nennen. Das erste Beispiel betrifft den Bürokratieabbau. Von den 60 Milliarden DM, die Rainer Brüderle genannt hat, entfallen 10 Prozent auf Aufwendungen für Statistikpflichten. Diese Bundesregierung hat eine Dienstleistungsstatistik neu eingeführt, die wir in der letzten Legislaturperiode noch erfolgreich verhindert haben. So sieht Ihr Beitrag zum Bürokratieabbau aus. ({6}) 35 Prozent der Bürokratiekosten entfallen auf Aufwendungen, die die Unternehmen für den Vollzug der Sozialsysteme erbringen müssen. Sie haben mit Ihrem 630Mark-Gesetz in Deutschland Bürokratie pur eingeführt. Wer das System der Freistellungen, die jährlich erneuert werden müssen, kennt, wer weiß, dass dies permanent verfolgt werden muss, wenn man die Grenzen nicht überschreiten will, der hat eine Ahnung davon, welcher Bürokratieaufwand hierdurch tatsächlich auf die Unternehmen zukommt. ({7}) Das zweite Beispiel: Frau Kollegin Wolf, Sie haben auf die Frage nach der Spielbank, die der Kollege Dautzenberg gestellt hat, überhaupt nicht geantwortet. Anscheinend haben Sie die Frage nicht ernst genommen. Ich nehme die Frage sehr ernst, weil sie die Risikokultur und die Risikobereitschaft in unserem Lande betrifft. Herr Müller, einer Ihrer Vorgänger im Amt des Wirtschaftsministers hat gesagt: 50 Prozent der Wirtschaft sind Psychologie. Da frage ich: Wer soll nach dieser Äußerung des Bundeswirtschaftsministers noch bereit sein, am Neuen Markt zu investieren? Er müsste ja verrückt sein, wenn Ihre Aussage richtig wäre. ({8}) Herr Minister Müller, die richtige Antwort wäre gewesen: Okay, der Neue Markt birgt Risiken, aber auch hohe Chancen. Setzen Sie nicht 100 Prozent Ihres Kapitals im neuen Markt ein, sondern nur 5 Prozent, und versuchen Sie, diese Chancen auszuschöpfen. Das wäre ein Beitrag zur Verbesserung der Risikokapitalkultur in Deutschland gewesen. Nur über Eigenkapitalschwäche zu reden genügt nicht. Man muss auch wirklich bereit sein, hier entsprechende Unterstützungsarbeit zu leisten. ({9}) Im Gegensatz zur Mittelstandsbeauftragten der Bundesregierung habe ich nicht 20, sondern nur 4 Minuten Redezeit. Ich möchte aber noch etwas zum Betriebsverfassungsgesetz sagen, ({10}) und zwar auch deswegen, Herr Müller, weil das derzeit die Frage ist, die die Unternehmen in Deutschland am meisten bewegt. ({11}) Sie - das sage ich insbesondere an die Adresse der roten Fraktion in diesem Hause - haben immer noch das Bild vom Unternehmen mit dem Gewerkschaftsbüro neben der Betriebsratskantine vor Augen. Aber 99 Prozent der Unternehmen in Deutschland gehören zum Mittelstand und 95 Prozent davon haben weniger als 20 Beschäftigte. Diese Unternehmen, in denen es auch ohne Betriebsrat gute Systeme praktizierter Mitbestimmung gibt, mit brachialer Gewalt in die Mitbestimmung zu zwingen, weil man eine Dankesschuld an den DGB erfüllen will, halte ich für fatal. Das werden wir in diesem Haus auch in Zukunft noch diskutieren. Seien Sie sicher: Der Mittelstand hat eine Lobby in diesem Lande. Das ist aber nicht Rot-Grün, sondern die F.D.P. Ich meine die F.D.P.-Fraktion in diesem Hause. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({12})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich gebe der Kollegin Jelena Hoffmann für die Fraktion der SPD das Wort.

Jelena Hoffmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002681, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dass wir im Bundestag in bestimmten Abständen über die Rolle des Mittelstandes in Deutschland diskutieren, unterstreicht die Bedeutung kleiner und mittlerer Unternehmen und des Handwerks. Es sind auch heute wieder viele Zahlen über den Mittelstand genannt worden. Man kann nicht oft genug wiederholen, dass fast drei Viertel aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Mittelstand tätig sind. In kleinen und mittelständischen Unternehmen werden die meisten Jugendlichen ausgebildet: fast 80 Prozent. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, in der Frage der Bedeutung des Mittelstandes sind wir uns einig; darüber brauchen wir nicht zu streiten. Streiten werden wir uns aber darüber, wie man die Mittelstandspolitik am besten gestaltet. Es ist mir klar, dass die Erwartungen des Mittelstandes an unsere Politik sehr hoch sind. Doch man kann nicht alles, was sich in mehreren Jahren angestaut hat, in zwei Jahren auflösen. ({0}) - Sie haben dies in 16 Jahren nicht lösen können. ({1}) Wir nehmen uns dieser Probleme an, Herr Kollege. Wir sind auf gutem Wege, sie zu lösen. Das zentrale Problem des Mittelstandes, das ich deshalb an erster Stelle ansprechen möchte, ist sicherlich die Frage der Finanzierung. Dazu gehört auch die Förderung von kleinen und mittleren Unternehmen und von Existenzgründern. Hier ist es wichtig, das weiterzuführen, was sich schon bewährt hat, zum Beispiel das ERP-Eigenkapitalhilfeprogramm und das ERP-Existenzgründungsprogramm. Es ist aber auch wichtig, neue Akzente zu setzen. Als ein Beispiel dafür kann ich das 1999 eingerichtete DtA-Startgeldprogramm nennen, das speziell für kleine Existenzgründer aufgelegt worden ist. Bereits 1999 wurden 46 Millionen DM aus diesem Programm ausgezahlt. Mit dem FUTOUR-Programm und Geldern aus der Forschungsmilliarde werden technologieorientierte Unternehmensgründungen - das ist wichtig - speziell in den neuen Ländern gefördert und unterstützt. Gerade in Ostdeutschland ist die Förderung von Existenzgründern besonders notwendig, um Arbeitsplätze zu schaffen. Hauptförderinstrument der Bundesanstalt für Arbeit ist das Überbrückungsgeld. Bis Anfang des Jahres sind im Osten 200 000 Existenzgründer mit 2,2 Milliarden DM gefördert worden. Noch eine wichtige Aufgabe für die Bundesregierung ist es, dafür Sorge zu tragen, dass die Kreditversorgung für kleine und mittlere Unternehmen finanzierbar bleibt. Auch unter Beachtung der Baseler Entscheidungen sollen Handwerker und Mittelständler Kredite zu angemessenen Konditionen erhalten. ({2}) Sehr wichtig in unserer Politik ist die Unterstützung und Förderung der Innovationsfähigkeit der Unternehmen. Forschung und Innovation werden durch Zuschüsse, Kredite und Beteiligungskapital gefördert. Im Haushalt 2001 haben wir die Mittel für Forschung und Entwicklung gegenüber 2000 um rund 80 Millionen DM auf 930 Millionen DM erhöht. Mit den Programmen Pro-Inno und Inno-Net werden neue Möglichkeiten für Forschungskooperationen und Vernetzungen geschaffen. Wichtig für die neuen Länder ist in diesem Zusammenhang die Initiative Inno-Regio. Damit wird die Zusammenarbeit von Bildungs- und Forschungseinrichtungen sowie der Wirtschaft gestärkt. ({3}) Das Sonderprogramm zur Förderung von Forschung, Entwicklung und Innovation in den neuen Bundesländern wird bis zum Jahre 2004 auf hohem Niveau fortgeführt. Ich könnte diese Liste mit Export- und Messeförderung, Förderung von New Economy, Tourismusförderung und vielem mehr fortführen. Das sind wichtige Teile der Mittelstandspolitik unserer rot-grünen Koalition. Die Regierung betreibt eine Mittelstandspolitik, die der Bedeutung des Mittelstandes angemessen ist. Das zweite Problem, das ich neben der Finanzierung ansprechen möchte, hängt mit der EU-Osterweiterung zusammen: Alle Forschungsinstitute kommen zu dem Ergebnis, dass Deutschland einer der größten Gewinner des Erweiterungsprozesses sein wird. ({4}) Wir sind uns aber darin einig, dass es Anpassungsschwierigkeiten und Unsicherheiten geben wird. Deshalb ist eine Unterstützung von staatlicher Seite notwendig; dies findet auch statt. Wir müssen aber auch die Sorgen von ostdeutschen Unternehmen und Handwerkern, die sie natürlich haben, wenn Sie an die Osterweiterung denken, ernst nehmen ({5}) und sie durch Aufklärung, direkte Unterstützung, aber auch durch Sonderregelungen entkräften. Das dritte Problem, das uns Unternehmer immer wieder vortragen, ist die bürokratische Regulierung unserer Wirtschaft. Dieses Problems nehmen wir uns an. ({6}) - Ja, ich wollte gerade darauf eingehen, Herr Kollege. Ich muss dazu sagen, dass die Bürokratie in unserem Lande nicht in sieben Tagen und auch nicht in den letzten zwei Jahren aufgebaut wurde. Außerdem müssen wir unterscheiden, über welche Bürokratie wir reden und welche wir abschaffen wollen. Wir müssen in erster Linie ein Gleichgewicht zwischen sozialstaatlicher Notwendigkeit und unternehmerischer Freiheit erreichen. Die Bundesregierung ist in diesem Punkt auf einem guten Weg. Es gibt bestimmt noch viele Punkte, die in einer Mittelstandsdebatte angesprochen werden müssen. Dazu gehören unter anderem die Themen Zahlungsmoral, Steuerreform, Lohnkostenentlastung sowie Aus- und Weiterbildung. Auch wenn wir noch nicht alle Erwartungen des Mittelstandes erfüllt haben, haben wir schon eine Menge geschafft und angestoßen. Ich bin davon überzeugt, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Wir müssen diesen Weg gemeinsam mit den kleinen und mittleren Unternehmen sowie dem Handwerk konsequent weiterverfolgen. Vielen Dank. ({7})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich erteile dem Kollegen Peter Rauen, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

Peter Rauen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001783, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will es gerne zugeben: Da ich seit 35 Jahren selbstständig bin, war ich heute Morgen sehr gespannt auf die erste Rede der neuen Mittelstandsbeauftragten der Bundesregierung. Frau Wolf, Sie haben zu Beginn Ihrer Rede gesagt, Sie seien der Meinung, der deutsche Mittelstand habe etwas anderes verdient als die Rede von Rainer Brüderle. Nach dem, was ich von Ihnen gehört habe, bin ich der Meinung, der deutsche Mittelstand hat eine andere Beauftragte als Sie verdient. ({0}) Sie haben zu Beginn Ihrer Rede die in „Impulse“ veröffentlichte Studie erwähnt, nach der im letzten Jahr in kleinen und mittleren Betrieben 339 000 neue Arbeitsplätze geschaffen wurden und in diesem Jahr etwa 660 000 neue Arbeitsplätze erwartet werden, während gleichzeitig in den 100 größten Betrieben etwa 50 000 Arbeitsplätze abgebaut wurden. Das war in Deutschland immer so: In den 80er-Jahren wurden in den alten Bundesländern 3 Millionen zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen, und zwar ausschließlich im Mittelstand. Auch damals ging in den großen Betrieben die Zahl der Beschäftigten zurück. Diese Entwicklung setzte sich nach der Wiedervereinigung fort. Selbst in der Rezession der Jahre 1993/94 wurden in Betrieben mit weniger als zehn Beschäftigten 700 000 neue Jelena Hoffmann ({1}) Arbeitsplätze geschaffen, während in der Großindustrie 1,4 Millionen Arbeitsplätze abgebaut worden sind. Das heißt im Klartext: Wer in der Arbeitsmarktpolitik in Deutschland Erfolg haben will, muss eine Politik für und nicht gegen den Mittelstand machen. ({2}) Ich will hier nicht mit Prognosen oder Kaffeesatzleserei argumentieren, sondern mich an Fakten halten. Der Arbeitsmarkt in Deutschland ist aus den Fugen geraten: Wir haben 5,9 Millionen Menschen, die offen oder verdeckt arbeitslos sind. Es ist festzustellen, dass das Arbeitsvolumen 1999/2000, gerechnet in Erwerbsstunden, nach einem Aufschwung 1997/98 zum Stillstand gekommen ist. Herr Müller - leider ist er nicht mehr anwesend -, in den Jahren 1999 und 2000 ist die Zahl der arbeitslosen Menschen zwar - Gott sei Dank - um 391 000 zurückgegangen. Aber im gleichen Zeitraum ist das Erwerbspersonenpotenzial um 436 000 Menschen zurückgegangen. Das heißt, die Erfolge auf dem Arbeitsmarkt sind ausschließlich darauf zurückzuführen, dass mehr Arbeitnehmer in Rente gegangen sind, als junge Menschen in das Erwerbsleben eingetreten sind. ({3}) Wer die Situation des Mittelstandes wirklich kennt, der weiß, dass überall, von Hamburg bis nach München, von Trier bis nach Leipzig, Facharbeitskräfte benötigt werden. Trotzdem gibt es 1,5 Millionen offene Stellen. Zwar sind offiziell nur 510 000 gemeldet. Aber um die wirkliche Zahl der offenen Stellen zu ermitteln, rechnet man immer das Dreifache. Des Weiteren stieg die Zahl der Überstunden im letzten Jahr auf den Rekordwert von 1,9 Milliarden. Der Umfang der Schwarzarbeit ist im letzten Jahr, und zwar nicht nach meinen, sondern nach den Berechnungen des Statistischen Bundesamtes, um 9 Prozent gewachsen. Das ist dreimal mehr als das offizielle Wirtschaftswachstum. Das Volumen des Umsatzes durch Schwarzarbeit - Hansjürgen Doss hat die Zahl schon genannt - lag bei geschätzten 658 Milliarden DM. Ich möchte eines ganz klar sagen: Die Zählweise bei der Arbeitslosen- und Beschäftigungsstatistik ist in den letzten zwei Jahren umgestellt worden: Die im Rahmen von 630-Mark-Arbeitsverhältnissen Beschäftigten und die Kurzteilzeitbeschäftigten werden jetzt zu den Beschäftigten hinzugerechnet und die über 58-jährigen Arbeitslosen werden nicht mehr zu den Arbeitslosen hinzugezählt. Aufgrund dieser Umstellung konnten Sie zwei Jahre im Trüben fischen und die Arbeitsmarktzahlen schönreden. ({4}) Die jetzt vorliegenden amtlichen Zahlen zeigen ganz klar: Ihre gegen den Mittelstand gerichtete Steuer- und Arbeitsmarktpolitik ist gescheitert. ({5}) Ich möchte jetzt eine Feststellung aus dem Gutachten der Sachverständigen zitieren, die von Ihrer Regierung beauftragt worden sind: Ein innovativer Schritt nach vorne wird nicht getan, hier wird rück-reguliert. Weiter heißt es: Die desolate Lage des Arbeitsmarktes verlangt ein offensiveres Vorgehen und eine konsistente Konzeption. Davon kann keine Rede sein, im Gegenteil: Sie haben nichts ausgelassen, was den Arbeitsmarkt neu reguliert und den Mittelstand quält. Die Neuregelung der 630Mark-Jobs - darauf wurde heute schon vielfach hingewiesen - ist bis heute ein Riesenproblem für den Mittelstand, weil dem Arbeitsmarkt dadurch ein Stück Flexibilität abhanden gekommen ist. Aber die Neuregelung ist auch ein Problem für die Arbeitnehmer. Diejenigen, die früher einen Zweitjob hatten, weil sie sich etwas Besonderes anschaffen wollten, müssen heute die 630 DM zum Lohn, den sie in ihrem Hauptberuf bekommen, hinzurechnen. Während früher 630 DM brutto für netto waren, bleiben heute nur noch 350 DM übrig. Viele, die die 630 DM als Zusatzeinnahme eingeplant hatten, haben heute Probleme, ihren Neubau oder ihren Wohnungskauf zu finanzieren, weil ihnen das Geld aus dem 630Mark-Arbeitsverhältnis nicht mehr zur Verfügung steht. ({6}) Sie haben die Reform, die wir zum Zwecke der Deregulierung durchgeführt haben, zurückgenommen. Ich nehme nur die Verschärfung des Kündigungsschutzrechtes als Beispiel. Davon sind 680 000 Betriebe in Deutschland betroffen, die zwischen fünf und zehn Beschäftigte haben. Wenn man vom Mittelstand nicht wie ein Blinder von der Farbe reden möchte, dann muss man wissen, wie es in diesen Betrieben aussieht. Ich beschreibe Ihnen das einmal kurz: Wenn ein Handwerksmeister sechs Leute beschäftigt und einen siebten Beschäftigten einstellen möchte, weil er genug Aufträge hat, dann möchte er den für lange Zeit einstellen. Wenn er aber die Sorge hat, dass er den Mann in einem halben Jahr nicht mehr vollbeschäftigen kann, dann lässt er die Finger davon, weil er befürchten muss, dass er unter Umständen dessen Abfindung nicht zahlen kann, wenn er ihn entlassen muss. Das hat verheerende Konsequenzen: Es werden Überstunden geleistet, weil sonst keine Ausweichmöglichkeiten bestehen, und keine Neueinstellungen vorgenommen. Von der Wiedereinführung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle waren die großen Betriebe weniger betroffen; denn sie haben Tarifverträge vereinbart, an die sie sich ohnehin nicht gehalten haben. Aber diese Wiedereinführung hat gerade im Mittelstand die Lohnzusatzkosten enorm gesteigert, weil mehr Nichtarbeit bezahlt werden muss. ({7}) Das hat die Lohnzusatzkosten mehr in die Höhe getrieben, als die Sozialversicherungsbeiträge durch die Ökosteuer - das behaupten Sie zwar immer - gesenkt worden sind. Meine Damen und Herren, statt den viel zu starren Arbeitsmarkt zu deregulieren, machen Sie nicht nur das Gegenteil von dem, was die von Ihnen beauftragten Sachverständigen und wir sagen, sondern auch das Gegenteil von dem, was Ihnen die OECD, der Internationale Währungsfonds und die EG-Kommission sagen. Ich bin informiert, dass die OECD zurzeit wieder einen geharnischten Bericht über den verkrusteten Arbeitsmarkt in Deutschland erstellt, und höre, dass Regierungsmitglieder versuchen, einen etwas harmloseren Bericht zu bekommen, als er von der OECD geplant ist. Stattdessen geht Ihre - das sage ich bewusst - sozialistische Regulierungswut weiter: ({8}) Die Altersteilzeit wird neu geregelt. Die befristeten Arbeitsverträge werden nicht mehr so fortgeführt, wie man sie hätte fortführen können. Es gibt einen voraussetzungslosen Anspruch auf Teilzeitarbeit. - All das ist im Mittelstand nicht so einfach durchführbar. Mit dem Betriebsverfassungsgesetz setzen Sie dem Ganzen die Krone auf. Als Mittelständler will ich einen Punkt herausstellen: Ihnen geht es nicht um Mitbestimmung, sondern nur um die Stärkung von Gewerkschaftsmacht. ({9}) Was ich Ihnen verüble, ist, dass Sie den Gewerkschaften und den Funktionären über das Wahlrecht und über die Wahlabläufe die Keule in die Hand geben wollen, dass sie gegen den Willen der Mehrheit einer Belegschaft Betriebsräte in mittelständischen Unternehmen installieren können. ({10}) Das ist Gift für den Arbeitsmarkt und die freie Entfaltungsmöglichkeit von Unternehmen. Die Steuerreform ist und bleibt eine Reform zugunsten der Kapitalgesellschaften und zulasten der GmbHs. Wer, wie unter Lafontaine begonnen und unter Eichel vollendet, Unternehmen, nicht aber Unternehmer entlastet, wer sich anmaßt, zwischen guten und schlechten Gewinnen unterscheiden zu wollen, wer den entnommenen Gewinn verteufelt, der will mit dieser Philosophie einer Steuergesetzgebung entweder den deutschen Mittelstand kaputtmachen oder der hat keine Ahnung vom deutschen Mittelstand. ({11}) - Sie schütteln mit dem Kopf.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.

Peter Rauen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001783, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja. - Der mittelständische Unternehmer ist geprägt durch den Eigentümerunternehmer, der mit allem, was er hat, für sich, für seine Familie und für seine Mitarbeiter haftet. Unternehmer und Unternehmen sind nicht zu trennen. Wer versucht, über das Steuerrecht oder andere ordnungspolitische Maßnahmen diese Einheit von Unternehmer und Unternehmen trennen zu wollen, der bricht der deutschen Volkswirtschaft das Rückgrat. ({0}) Ich habe den Eindruck, dass diese gesellschaftspolitische Veränderung von Ihnen gewollt ist; denn es war dieser Eigentümerunternehmer, der Deutschland nach dem Krieg zum Wirtschaftswunder geführt hat. ({1}) Wenn dieser heute über die Steuergesetzgebung von seinem Betrieb getrennt wird, dann ist das ein Anschlag auf unsere Gesellschaftsordnung in Deutschland. Ich bedanke mich recht herzlich. ({2}) - Das ist kein dummes Zeug. ({3})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich erteile das Wort dem Kollegen Christian Lange, SPD-Fraktion.

Christian Lange (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003168, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich freue mich darüber, dass wir eine Bundesregierung haben, die Mittelstandspolitik als Querschnittsaufgabe unserer Politik versteht, ({0}) und zwar trotz schwieriger Rahmenbedingungen, trotz Haushaltskonsolidierung - raus aus der Schuldenfalle! -, trotz unseres steuerlich immerhin sehr teuren Programms der Steuersenkung. Es ist deshalb kein Wunder - das will ich Ihnen, Herr Kollege Rauen, auch einmal sagen -, dass es in Deutschland keinen Mittelständler mehr gibt, der bereit wäre, sich nach dem Steuertarif Ihrer Regierung aus dem Jahr 1998 besteuern zu lassen. ({1}) Das ist ein Erfolg dieser Bundesregierung, denn erstmals gehen die Steuern in Deutschland herunter. ({2}) Ich kann mich auch nur wundern, Herr Rauen, dass Sie hier wieder einmal das Betriebsverfassungsgesetz angeführt haben, weil noch am 11. September 2000, wiederholt am 14. September 2000, knapp ein Drittel Ihrer Fraktion, nämlich die Arbeitnehmergruppe der CDU/CSU, ein Positionspapier beschlossen hat - ich habe es hier bei mir -, in dem auf Seite 8 steht: „Wir treten für ein vereinPeter Rauen fachtes Wahlverfahren in kleinen und mittleren Unternehmen bis zu 100 Beschäftigten ein“. ({3}) Hiernach soll die Wahl eines Betriebsrats in einer Wahlversammlung erfolgen können, wobei diese selbstverständlich geheim zu erfolgen hat. Ich sage Ihnen: Das war der Originalentwurf des Kollegen Riester. Er ist aufgrund von Initiativen, die darauf abzielten, auf kleine und mittlere Unternehmen Rücksicht zu nehmen, geändert worden. Ich frage mich, wo das Drittel Ihrer Fraktion ist, das eine andere Meinung vertritt. ({4}) Stattdessen wird hier Politik nach dem Motto „Polemik vor allem“ betrieben. Nehmen Sie vor allen Dingen zur Kenntnis, dass der größte Arbeitgeber des Mittelstandes, nämlich das Handwerk, von diesen Änderungen zu 99 Prozent gar nicht betroffen ist! Warum nicht? Weil diese Änderungen nur für Betriebe mit mindestens 100 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gelten. 99 Prozent der Handwerksbetriebe haben weniger als 100 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Auch daran können Sie erkennen, wie wir im Hinblick auf die Verhältnisse in kleinen und mittleren Unternehmen die Reform des Betriebsverfassungsgesetzes justiert haben. Unternehmergeist, Eigenverantwortung, soziale Verantwortung und hohe Ausbildungsleistungen haben ganz besonders im Handwerk Tradition. Deshalb entfallen rund 80 Prozent der Gewerbefördermittel, das sind 209 Millionen DM, auf das Handwerk. Das Handwerk ist der größte Arbeitgeber und auch der größte Ausbilder. Aus diesem Grunde freut es mich, dass von den UMTS-Milliarden immerhin eine viertel Milliarde DM an die Berufsschulen fließt, um sie fit zu machen und ihnen zu ermöglichen, den Anschluss an moderne Technologien zu halten. ({5}) Dabei investiert der Bund - auch das will ich einmal sagen, weil es vorhin mehrmals erwähnt wurde - in BadenWürttemberg im Jahr 2001 23,94 Millionen DM und im Jahr 2002 10,94 Millionen DM. Wie Sie sehen, profitiert Baden-Württemberg von dieser Bundesregierung. ({6}) Für den Aufbau einer eigenen Existenz benötigt man neben dem notwendigen Startkapital auch die Unterstützung durch sachkompetente Berater. ({7}) Um den Unternehmen den Zugang zu den oft lebenswichtigen Informationen zu erleichtern, werden von uns Beratungs-, Informations- und Schulungsangebote schwerpunktmäßig gefördert. Allein für das Handwerk sind im Bundeshaushalt rund 35 Millionen DM vorgesehen. Diese Förderung wird auch in Zukunft auf hohem Niveau fortgesetzt. Wir haben - der Minister hat es bereits erwähnt - für den wichtigen und größten Arbeitgeber, das Handwerk, die Handwerksordnung europafest gemacht. Es ist dank der Initiative des Bundeskanzlers in der Regierungskonferenz 2000 zu den institutionellen Reformen gelungen, zunächst die Einstimmigkeit im Bereich der Berufsordnungen zu bewahren. Das war die Voraussetzung dafür, um den nächsten Schritt zu vollziehen, nämlich die so genannten Guidelines zwischen Handwerk und Bundesregierung zu vereinbaren, die sicherstellen, dass wir auch in Zukunft das Handwerk in Deutschland auf hohem Qualitätsniveau erhalten können. Das ist ein weiterer Erfolg dieser Bundesregierung. Diese Politik wird dazu führen, dass wieder mehr Gesellen bereit sind, den Meister zu machen und im Anschluss den Schritt in die Selbstständigkeit zu wagen. Es freut mich ganz besonders, dass wir im Hinblick auf die Reform des Meister-BAföGs Ende dieses Monats zu einer Einigung kommen werden. Die Förderung wurde bereits in diesem Jahr um 10 Millionen DM auf 80 Millionen DM erhöht. Wir werden weitere große Schritte vorangehen. Darüber haben wir eine Einigung getroffen, die für die folgenden Jahre gilt. Mit der Novellierung werden der Kreis der Geförderten und der Anwendungsbereich der Förderung erweitert, die Leistungen werden verbessert, die Familien- und Existenzgründerkomponente wird verstärkt und es wird auf eine vermehrte Teilhabe von ausländischen Fachkräften hingewirkt. Außerdem wird das Verwaltungsverfahren vereinfacht. Zum Beispiel werden zukünftig die Kosten des Meisterstücks ein Teil des Darlehens sein und ebenfalls bis maximal 3 000 DM in die Förderung einbezogen. Wir werden darüber hinaus eine entsprechende Existenzgründungskomponente einbauen, gerade weil wir der Tatsache Rechnung tragen wollen, dass in den nächsten fünf Jahren 500 000 Betriebe in Deutschland zur Übernahme anstehen. Wir wollen alles dafür tun, dass diejenigen, die den Mut zu einer solchen Übernahme haben, eine entsprechende finanzielle Unterstützung bekommen. ({8}) Deswegen werden wir den Darlehenserlass auf 75 Prozent erhöhen. Dadurch stellen wir sicher, dass die Mutigen es packen und sagen können: Jawohl, ich wage es; in Deutschland lohnt es sich, Handwerker und Handwerksmeister zu werden. ({9}) Ich bin guter Hoffnung, dass wir auf dem Weg, die Mittelstandspolitik als Querschnittsaufgabe zum Wohle von Handwerk und Mittelstand voranzubringen, weitergehen können. Ich danke Ihnen. ({10}) Christian Lange ({11})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Jetzt hat der Kollege Ernst Hinsken, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die heutige Debatte ist längst überfällig. Nicht ein einziges Mal in dieser Wahlperiode wurde das Thema Mittelstand im Rahmen einer Debatte auf die Tagesordnung gesetzt. ({0}) Die letzte Mittelstandsdebatte, die wir hier führten, liegt etwa fünf bis sechs Jahre zurück. ({1}) Ich bedauere es sehr, dass bei dieser Mittelstandsdebatte der Bundeswirtschaftsminister Müller nicht zugegen ist. Welche Bedeutung misst er dem Mittelstand bei, ({2}) wenn er sich nicht einmal drei Stunden Zeit nimmt, um dabei zu sein, wenn hier einiges zurechtgerückt wird, was er an Falschem von sich gegeben hat? ({3}) Seine Rede, meine Kolleginnen und Kollegen, hat sich nämlich im Wesentlichen auf Zulieferbetriebe beschränkt. Zum Mittelstand selbst hat er relativ wenig gesagt. Es war enttäuschend. ({4}) Meine Damen und Herren, Sie haben den Wahlkampf mit dem Slogan geführt, dass Sie etwas für die Neue Mitte tun wollten, und damit auch die Wahlen gewonnen. ({5}) Sie lösen Ihr Versprechen durch moderne Folterinstrumente ein: ({6}) Erstens. Das 630-DM-Gesetz hat sich als reiner Kostentreiber, als Bürokratiemonster, als Arbeitsplatzvernichter und Konjunkturprogramm für Schwarzarbeit entpuppt. ({7}) Zweitens. Seit der Rücknahme der Kürzungen bei der Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle ist die Krankenquote wieder im Steigen begriffen. Drittens. Durch die Schaffung des Gesetzes gegen die so genannte Scheinselbstständigkeit wurde eine ganze Generation von Existenzgründern abgestraft und es wurden Menschen ohne Not in die Arbeitslosigkeit getrieben bzw. vertrieben. ({8}) - Herr Kollege Staffelt, wir waren früher einmal stolz darauf, Fachleute in alle Welt zu schicken; heute müssen wir sie aus aller Welt holen, weil Sie eine so fehlerhafte Politik machen. ({9}) Vierter Problembereich, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen: Auch durch die Einschränkung befristeter Arbeitsverhältnisse wurde der Mittelstand belastet. Die Unternehmer können nicht mehr so flexibel wie bisher auf die wirtschaftliche Entwicklung und die Situation in ihren Betrieben reagieren. ({10}) Fünftens. Die mit dem Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit in Zusammenhang stehende Einführung eines „Teilzeitzwangs“ ist verheerend. In den Betrieben ist keine vernünftige langfristige Personalplanung mehr möglich. ({11}) - Hören Sie zu, damit Sie aus dem Gehörten etwas lernen und daraus die notwendigen Schlüsse ziehen können. Wenn Sie Anmerkungen haben, melden Sie sich bitte zu einer Zwischenfrage. Ich bin gerne bereit, sie zuzulassen. ({12}) Sechster Problembereich: die Steuerreform. Von meinen Vorrednern Gunnar Uldall, Hansjürgen Doss und Peter Rauen wurde bereits darauf verwiesen: Es führt einfach zu einer Benachteiligung des klassischen mittelständischen Personenunternehmers, wenn er anders besteuert wird als ein Kapitalunternehmen. ({13}) Hier haben Sie sich auch wieder gegen den Mittelstand entschieden und nichts Gutes für ihn gemacht. ({14}) Siebtens. Das Gleiche gilt für die Verschlechterung bei den Abschreibungen. Die massive Verlängerung der Abschreibungsfristen, zum Teil um fast 30 Prozent, macht praktisch die durch die Steuerreform erreichten Entlastungen eines mittelständischen Betriebes wieder zunichte. ({15}) Achtens: die Ökosteuer. Ich nenne ein Beispiel aus dem Hotellerie- und Gastronomiebereich. Bei einem Betrieb mit bis zu 40 Betten schlägt sich die Ökosteuer in Form einer Zusatzbelastung in Höhe von fast 10 000 DM pro Jahr nieder. Diese muss umgelegt werden. Das Geld fällt doch nicht wie Manna vom Himmel; es muss irgendwo herkommen. In diesem Bereich geht das nur, indem es auf die Preise draufgeschlagen wird. Dadurch wird Urlaub in Deutschland nicht billiger, sondern zu guter Letzt teurer. Dies steht im Gegensatz zum Jahr des Tourismus in Deutschland, das so vollmundig vom Bundeswirtschaftsminister verkündet wurde. Neuntens: die Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes. Ich erspare es mir, hier weitere Einzelheiten anzusprechen, weil die Probleme hier schon umfangreich dargestellt wurden. Eines aber möchte ich Ihnen, verehrte Frau Wolf und verehrte Frau Mascher, als Staatssekretäre im Wirtschafts- und im Arbeitsministerium empfehlen: Sagen Sie Ihren Ministern, sie sollten einmal ein Praktikum in einem kleinen Betrieb machen. Dann haben sie ein besseres Feeling und mehr Verständnis für die Probleme des Mittelstandes. Sie können dann auch feststellen, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer in einem Boot sitzen, gemeinsam an einem Strang ziehen und nicht unbedingt auf ein neues Betriebsverfassungsgesetz warten. ({16}) Es gibt hier - das möchte ich feststellen - Verschlechterungen am laufenden Band. Die jetzige Opposition hat Großartiges für den Mittelstand geleistet. ({17}) Die Regierungsparteien dagegen haben sich wahrlich als „Meister gegen den Mittelstand“ entpuppt. ({18}) Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Bedeutung, die Sie dem Mittelstand tatsächlich beimessen, nicht der Wirtschaftsleistung der mittelständischen Betriebe in unserem Land entspricht. Im Gegenteil: In der Praxis schwanken Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, zwischen einer glasklaren Gewerkschaftspolitik und Ihrer unverkennbaren Sympathie für Großbetriebe. Wer bleibt bei diesem konzeptionslosen Hin und Her auf der Strecke? - Das ist doch niemand anderer als der Mittelstand. ({19}) Es ist doch nicht wegzudiskutieren: Seit dem Regierungsantritt unternimmt die Schröder-Regierung alles nur Erdenkliche, um dem Mittelstand das Leben schwer zu machen. ({20}) Ist das der Dank an die Neue Mitte? Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die Bundesregierung eine Mittelstandsbeauftragte berufen hat. Wenn Sie, verehrte Frau Wolf, Ihre zentrale Aufgabe zu Beginn Ihrer Tätigkeit so umschreiben - ich zitiere -: „Es muss chic werden, selbstständig zu sein“, dann klingt das zwar sehr populär. Aber mit der Realität hat das bislang wenig zu tun. ({21}) Wissen Sie, warum? Ich will Ihnen die entsprechenden Zahlen nennen - Sie, verehrter Herr Kollege Staffelt, haben vorhin falsche Zahlen genannt -: Im ersten Halbjahr 2000 ist die Zahl der Unternehmensgründungen in Deutschland um über 8 Prozent zurückgegangen. Das sind 30 000 Existenzgründungen weniger als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. ({22}) Wir brauchen ein besseres Klima für die Selbstständigen. ({23}) In Amerika werden junge, erfolgreiche Menschen mit Beifall überhäuft. Bei uns werden sie mit Neid und Missgunst überschüttet. Wir müssen zusammenarbeiten, um dies zu ändern. Leistung muss sich wieder lohnen. ({24}) Im Übrigen: Ein Volk, das aufhört, seine Leistung zu verbessern, muss anfangen, sich an eine schlechtere Lebensqualität zu gewöhnen. Auch diese Tatsache muss man in das Gedächtnis eines jeden Einzelnen rufen. ({25}) Zudem belegt eine aktuelle Studie, dass die 100 größten Konzerne in diesem und im letzten Jahr über 50 000 Arbeitsplätze abgebaut haben, Herr Kollege Staffelt. Die mittelständischen und kleinen Betriebe haben im gleichen Zeitraum fast 1 Million neue Arbeitsplätze geschaffen. ({26}) - Einen Moment, bitte. - Deshalb weise ich besonders darauf hin, dass wir dem Mittelstand noch mehr Bedeutung beimessen müssen, als dies bislang der Fall ist. ({27}) Ich gebe denjenigen Recht, die zum Beispiel jüngst in verschiedenen Zeitungen, so in der „Welt“ vom 21. Februar 2001, hinsichtlich der Mittelstandspolitik geschrieben haben: „Das Fass ist voll!“ ({28}) Es gilt daher, Maßnahmen zu ergreifen, um die Flexibilität und die Kreativität jedes Einzelnen besonders zu fördern. Kollege Rauen hat dies eben in seiner Rede ausgiebig getan. Ich möchte das noch einmal nachdrücklich unterstreichen. ({29}) In der heutigen Zeit ist es dringend erforderlich, dass wir die New und Old Economy verschmelzen und als eine Einheit sehen. Der Fleischermeister um die Ecke hat genau die gleichen Probleme wie der modernste Hightechbetrieb.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Jawohl, Frau Präsidentin, das mache ich gerne. Ich möchte zum Schluss noch darauf hinweisen, dass vor allen Dingen für den Mittelstand der Leistungsgedanke ein wesentliches Element ist. ({0}) Soziale Gerechtigkeit heißt, den Leistungswilligen nicht zu bestrafen, sondern zu bevorzugen. Das heißt für mich, die Faulen und Bequemen nicht zu unterstützen, sondern den wirklich Schwarzen ({1}) - den Schwachen! - zu helfen. Wer fleißig ist und etwas bringt, hat es langsam satt, dass andere es sich auf seine Kosten gut gehen lassen. Ich meine, dass gerade Sie von den momentanen Regierungsparteien endlich umsteuern und eine Mittelstandspolitik auflegen müssen, die von den Mittelständlern als positiv anerkannt wird, damit diese wieder atmen können, damit sie sich weiter entfalten können, damit sie die Herausforderungen der Gegenwart und der Zukunft anzunehmen in der Lage sind, was zurzeit nicht der Fall ist, weil Sie dem Mittelstand in den letzten zweieinhalb Jahren so viel Negatives angetan haben. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({2})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Als Letztem in dieser Runde erteile ich dem Kollegen Reinhard Schultz, SPDFraktion, das Wort. ({0})

Reinhard Schultz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002791, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Den wirklich Schwarzen helfen - das finde ich eine tolle Tagesparole. Herr Hinsken, darum geht es Ihnen natürlich. Sie haben ein großes Problem damit, dass die Wahrnehmung Ihrer Zielgruppe, nämlich des Mittelstandes, von der Wirklichkeit in Deutschland eine völlig andere ist, als Sie sie hier beschreiben. Sie bekommen das auch nicht mehr zusammen. Sie malen im Grunde genommen nur schwarz, obwohl Ihre eigenen Leute natürlich zur Kenntnis nehmen, dass über Steuerreform, über MeisterBAföG, über viele andere Wege tatsächlich etwas für die sehr vielen mittelständischen Existenzen und für die Einzelkaufleute im Lande getan worden ist. ({0}) Da hilft es auch überhaupt nichts, wenn Sie sich hier hinstellen und - mit zum Teil sehr bösartigen persönlichen Angriffen - versuchen, sich gegenüber der neuen Mittelstandsbeauftragten ins Bild zu setzen. So toll finde ich das nicht, Herr Brüderle. Ich halte Sie eigentlich für einen ganz netten Kerl. Aber wenn Sie zum Beispiel Minister Müller vorwerfen, er sei ein Monopolminister, weil er in einem großen Unternehmen unternehmerische Verantwortung getragen hat, ({1}) dann könnte man vielleicht darüber lächeln, wenn Ihre eigene Vita eine große unternehmerische Heldengestalt ausweisen würde. Aber Sie waren sehr erfolgreich im öffentlichen Dienst, vom Anfang bis zum Ende. ({2}) Auf welcher Seite der Ladentheke Sie - außer beim Brötchenholen - gestanden haben, bleibt mir aufgrund Ihrer Vita verborgen. ({3}) Das darf man doch wohl einmal sagen. Ich finde, man sollte Kritik nur dann anbringen, wenn man selbst etwas Besseres zu bieten hat. Ich bedanke mich ausdrücklich bei Frau Wolf, der neuen Mittelstandsbeauftragten, für ihren Einstieg vor dem Parlament, den ich für gelungen halte und der eine gute Basis ist, unsere Mittelstandspolitik weiterzuentwickeln. ({4}) Es ist völlig schäbig, das abzuqualifizieren. In dieser Rede waren eine Menge guter neuer Gedanken enthalten, die wir auch im Parlament weiter verfolgen werden. ({5}) Im Mittelpunkt fast aller Oppositionsredner stand wieder das Märchen, die Steuerreform habe dem Mittelstand und den Personengesellschaften geschadet und nütze lediglich den großen Kapitalgesellschaften. Dieses Märchen ist völliger Blödsinn; es ist reiner Quatsch. Die meisten Unternehmen sind Personengesellschaften, die einkommensteuerpflichtig sind. Vor allem sie profitieren vom abgesenkten Tarif und vom flacheren Tarifverlauf. Wir senken den Eingangssteuersatz von 25,9 Prozent auf 15 Prozent im Jahr 2005, den Spitzensteuersatz von 53 Prozent auf 42 Prozent ({6}) und wir erhöhen den Grundfreibetrag von 12 300 DM auf 15 000 DM. Das verändert die Kulisse für diejenigen, die einkommensteuerpflichtig und zugleich unternehmerisch tätig sind, ganz gewaltig. Darüber hinaus - das ist für viele ganz entscheidend und schafft die Parität zu den Kapitalgesellschaften - haben wir die Möglichkeit geschaffen, die Gewerbesteuer faktisch vollständig mit der Einkommensteuerschuld zu verrechnen. Dadurch stehen die Personengesellschaften auch rechnerisch deutlich günstiger da als die Kapitalgesellschaften. ({7}) 50 Prozent aller Personenunternehmen verdienen weniger als 50 000 DM; das darf man dabei nicht vergessen. 75 Prozent verdienen weniger als 100 000 DM, 95 Prozent weniger als 250 000 DM. Kapitalgesellschaften werden durch Körperschaftsteuer, Gewerbesteuer und Solidaritätszuschlag mit etwa 38 Prozent belastet. Ein verheirateter Personenunternehmer müsste am Ende eines Jahres 480 000 DM übrig haben, um eine solche steuerliche Belastung zu erreichen. Da aber 95 Prozent unter 250 000 DM liegen, kann man hier doch nicht ernsthaft davon sprechen, dass Personengesellschaften benachteiligt seien. Das Gegenteil ist der Fall. ({8}) Lieber Herr Rauen, wenn Sie jetzt wieder das alte Märchen von den guten und schlechten Gewinnen herauskramen und einer Situation hinterher trauern, in der bestimmte gut verdienende Gestalten der Zeitgeschichte ihre persönliche Steuerschuld selbst festsetzen konnten, indem sie Abschreibungsmodelle und Verlustverrechnungen in willkürlicher Größenordnung in Anspruch nehmen konnten, dann herzlichen Glückwunsch! Ich bin genauso wie die meisten ehrlichen Handwerker und Einzelunternehmer sehr dankbar dafür, dass dieser Missbrauch im Steuerdschungel endlich beendet ist und die Steuern jetzt entsprechend der Leistungsfähigkeit gezahlt werden. ({9}) Im Übrigen werden Verlustabschreibungen nicht unmöglich gemacht; wir begrenzen lediglich die Verlustübertragung von einer Einkunftsart auf die andere der Höhe nach für ein Jahr. Insgesamt werden die Verluste im Laufe der Jahre natürlich - wie in der Vergangenheit auch - gegen die positiven Einkünfte verrechnet werden können. Wir haben allerdings den Missbrauch abgestellt. Das war ein ganz wesentlicher Beitrag dazu, dass wir überhaupt in der Lage waren, die Tarife so zu senken, wie wir es jetzt getan haben, was sowohl für die abhängig Beschäftigten als auch den vielen Einzelunternehmen und Personengesellschaften zugute kommt. Diese steuerliche Kulisse - gerade die Heraufsetzung der Grundfreibeträge - ist eine gute Grundlage für junge selbstständige Existenzen. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir einen riesigen Nachholbedarf haben - Frau Wolf hat es dargestellt; in dem Entschließungsantrag der Koalition steht es auch -, was die Frage der Selbstständigen in Deutschland angeht. Hier gibt es noch eine große Last aus früheren Jahren. Bei uns beträgt der Anteil der Selbstständigen an der Gesamtzahl der Erwerbstätigen nur 10 Prozent. Der europäische Schnitt liegt bei 15 Prozent; andere Länder im Mittelmeerraum liegen aufgrund ihrer Strukturen bei 25 Prozent, teilweise bei 32 Prozent. Wir sollten uns zum Ziel setzen, den europäischen Durchschnitt von 15 Prozent tatsächlich zu erreichen. Dies würde nicht nur eine Menge Kreativität freisetzen und eine Menge Wertschöpfung ermöglichen, sondern es wäre auch gerade in strukturschwächeren Gebieten ein ganz entscheidender Beitrag zur Arbeitsmarktpolitik. ({10}) Denn die Selbstständigen sowie diejenigen, die sie beschäftigen, schaffen den Ersatz dafür, dass andere Strukturen allmählich wegbrechen. Das gilt für Ostdeutschland, aber auch für Kohlereviere an Rhein und Ruhr. Ich kann Ihnen aus eigener Erfahrung sagen - in meinem Wahlkreis wurde vor einem halben Jahr ein Steinkohlenbergwerk geschlossen -, dass die herkömmlichen Instrumente der Arbeitsmarktpolitik nicht helfen. Wir können für diejenigen, die im System sind, alles sozialverträglich regeln; den jungen Leuten, die in den Arbeitsmarkt drängen, müssen wir etwas anderes anbieten. Das wird neuer Mittelstand, neue Selbstständigkeit sein. In diese Richtung wird unsere Regierungspolitik sowohl in dieser als auch in der nächsten Wahlperiode fortgesetzt werden. Vielen Dank. ({11})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich schließe die Aus- sprache. Wir kommen zu den Abstimmungen und Über- weisungen. Tagesordnungspunkt 3 a: Interfraktionell wird vorge- schlagen, die Vorlage auf Drucksache 14/5485 zur feder- führenden Beratung an den Ausschuss für Wirtschaft und Technologie sowie zur Mitberatung an den Rechtsaus- schuss, den Finanzausschuss, den Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung, den Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, den Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder, den Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung, den Ausschuss für Tou- rismus, den Ausschuss für die Angelegenheiten der Euro- päischen Union und den Haushaltsausschuss zu überwei- sen. - Dazu gibt es keine weiteren Vorschläge. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- ßungsantrag der Fraktion der F.D.P. auf Drucksa- che 14/5572. Wer stimmt für diesen Entschließungsan- trag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist abgelehnt. Zusatzpunkte 2 und 3: Interfraktionell wird Überwei- sung der Vorlagen auf Drucksachen 14/5545 und 14/5559 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor- geschlagen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 23 a bis 23 d sowie Zusatzpunkt 4 auf: 23 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umstellung soldatenversorgungsrechtlicher und anderer Vorschriften auf Euro ({0}) - Drucksache 14/5436 Überweisungsvorschlag: Verteidigungsausschuss ({1}) Innenausschuss Reinhard Schultz ({2}) b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 22. September 2000 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Großherzogtum Luxemburg über Zusammenarbeit im Bereich der Insolvenzsicherung betrieblicher Altersversorgung - Drucksache 14/5439 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung ({3}) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umstellung auf Euro-Beträge im Lastenausgleich und zur Anpassung der LAG-Vorschriften ({4}) - Drucksache 14/5440 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({5}) Finanzausschuss d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Margrit Wetzel, Reinhard Weis ({6}), Hans-Günter Bruckmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Kerstin Müller ({7}), Rezzo Schlauch und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN ILO-Übereinkommen über die soziale Betreuung der Seeleute ratifizieren - Drucksache 14/5247 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung ({8}) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ZP 4 ({9}) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Peter Paziorek, Marie-Luise Dött, Cajus Caesar, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Prüfung der Umweltverträglichkeit den Erfordernissen einer modernen Umweltpolitik anpassen - Drucksache 14/5546 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({10}) Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. - Damit sind Sie einverstanden. Damit sind die Überweisungen so beschlossen. Wir kommen nun zur Beschlussfassung über eine Reihe von Punkten, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Ich rufe Tagesordnungspunkt 24 a auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Februar 2000 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen Republik über die Ergänzung des Europäischen Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen vom 20. April 1959 und die Erleichterung seiner Anwendung - Drucksache 14/5011 ({11}) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. Februar 2000 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen Republik über die Ergänzung des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13. Dezember 1957 und die Erleichterung seiner Anwendung - Drucksache 14/5012 ({12}) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({13}) - Drucksache 14/5563 Berichterstattung: Abgeordnete Hedi Wegener Norbert Geis Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/5563 die Annahme des Gesetzentwurfs auf Drucksache 14/5011. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung gegen die Stimmen der CDU/CSU bei Enthaltung der PDS angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung: Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in dritter Beratung gegen die Stimmen der CDU/CSU bei Enthaltung der PDS angenommen. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/5563 die Annahme des Gesetzentwurfs auf Drucksache 14/5012. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung: Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in dritter Beratung einstimmig angenommen. Ich rufe Punkt 24 b der Tagesordnung auf: Vizepräsidentin Anke Fuchs Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umstellung von Vorschriften im land- und forstwirtschaftlichen Bereich auf Euro ({14}) - Drucksache 14/4555 ({15}) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({16}) - Drucksache 14/5460 Berichterstattung: Abgeordneter Meinolf Michels Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dieser Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung einstimmig angenommen. Es folgt die dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Es gibt keine Gegenstimmen und keine Stimmenthaltungen. Der Gesetzentwurf ist damit angenommen. Ich rufe Punkt 24 c der Tagesordnung auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({17}) zu dem Antrag der Abgeordneten Hartmut Büttner ({18}), Dr. Paul Krüger, Günter Nooke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Einsatz von Bildauswertungssystemen bei der Rekonstruktion vorvernichteter Stasi-Unterlagen - Drucksachen 14/3770, 14/5430 Berichterstattung: Abgeordnete Gisela Schröter Hartmut Büttner ({19}) Grietje Bettin Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/3770 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Der Beschluss ist einstimmig für erledigt erklärt worden. Ich rufe Punkt 24 d der Tagesordnung auf: Beratung der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses ({20}) Übersicht 7 über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht - Drucksache 14/5348 Der Ausschuss empfiehlt, zu den in der Übersicht 7 auf Drucksache 14/5348 aufgeführten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht von einer Äußerung oder einem Verfahrensbeitritt abzusehen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Auch diese Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen. Ich rufe Punkt 24 e der Tagesordnung auf. Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({21}) Sammelübersicht 248 zu Petitionen - Drucksache 14/5468 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Bei Enthaltung der PDS ist die Beschlussempfehlung zur Sammelübersicht 248 angenommen. Ich rufe Punkt 24 f der Tagesordnung auf: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({22}) Sammelübersicht 249 zu Petitionen - Drucksache 14/5469 Wer stimmt dafür? - Alle stimmen dafür. Damit ist die Beschlussempfehlung zur Sammelübersicht 249 angenommen. Ich rufe Punkt 24 g der Tagesordnung auf: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({23}) Sammelübersicht 250 zu Petitionen - Drucksache 14/5470 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Bei einigen Enthaltungen und einigen Gegenstimmen ist die Beschlussempfehlung zur Sammelübersicht 250 angenommen. Ich rufe Punkt 24 h der Tagesordnung auf: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({24}) Sammelübersicht 251 zu Petitionen - Drucksache 14/5471 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Die Beschlussempfehlung zur Sammelübersicht 251 ist angenommen. Ich rufe Punkt 24 i der Tagesordnung auf: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({25}) Sammelübersicht 252 zu Petitionen - Drucksache 14/5472 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Die Beschlussempfehlung zur Sammelübersicht 252 ist angenommen. Vizepräsidentin Anke Fuchs Ich rufe Punkt 24 j der Tagesordnung auf: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({26}) Sammelübersicht 253 zu Petitionen - Drucksache 14/5473 - Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer ent- hält sich der Stimme? - Auch die Beschlussempfehlung zur Sammelübersicht 253 ist angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a und b auf: a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({27}) - zu der Unterrichtung durch die Bundesregie- rung Waldzustandsbericht der Bundesregierung 1999 - Ergebnis des forstlichen Umweltmo- nitoring - - zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Waldzustandsbericht der Bundesregierung 1999 - Ergebnis des forstlichen Umweltmo- nitoring - - Drucksachen 14/3090, 14/3095, 14/4235 - Berichterstattung: Abgeordnete Heidi Wright b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Waldzustandsbericht der Bundesregierung 2000 - Ergebnis des forstlichen Umweltmonitoring - Drucksache 14/4967 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({28}) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für Tourismus Zum Waldzustandsbericht liegt ein Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Dagegen höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Wir kommen also jetzt zum Waldzustandsbericht. Wer hier bleiben möchte, möge sich hinsetzen; wer bedauerlicherweise den Raum verlassen will, möge sich dabei beeilen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Heidi Wright für die SPD-Fraktion.

Heidemarie Wright (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002832, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer glaubt, jetzt, bei der Debatte zum Waldzustandsbericht, etwas entspannt wegnicken zu können, den muss ich enttäuschen. Dem Wald geht es nicht gut. Es geht ihm seit Jahren, seit Jahrzehnten schlecht. Nach einer gewissen Stagnation und Erholung nach der deutschen Wiedervereinigung ist jetzt erneut ein leichter Anstieg der Schäden zu verzeichnen. ({0}) Die neuartigen Waldschäden kommen in die Jahre; wir haben sie keinesfalls besiegt. Nationalen Anstrengungen und Erfolgen bei den Luftreinhaltemaßnahmen folgen internationale Rückschläge und Misserfolge. Die Bundesregierung hat Ende letzten Jahres ein Klimaschutzprogramm aufgelegt und somit den Schutz des Klimas und den Schutz des Waldes zu einer Kernaufgabe rot-grüner Regierungspolitik gemacht. ({1}) Die Führungsrolle der Bundesregierung und das Vorangehen mit den nationalen Programmen sind von besonderer Bedeutung. Denn die 6. Weltklimakonferenz im November in Den Haag zeigte die ernüchternde Lethargie der internationalen Weltgemeinschaft. Es nutzt uns nichts, auf die anderen zu warten; wir müssen selbst handeln. Dem Klimaschutzprogramm vom Oktober 2000 mit dem Ziel der weiteren verstärkten CO2-Minderung ging das gesamte Paket zur Förderung erneuerbarer Energien und das EEG voraus. Es folgten das Förderprogramm zur CO2-Minderung im Gebäudebestand, das Altbausanierungsprogramm und die Energieeinsparverordnung. Das ist alles in allem ein starkes Paket mit einer klaren politischen Zielrichtung. ({2}) Die neue Energiepolitik setzt auf Energieeinsparung, auf Energieeffizienz und somit auf Luftreinhaltung und Klimaschutz. ({3}) Ferner setzt die neue Energiepolitik auf den Einsatz erneuerbarer Energien. Alles dies kommt dem Wald und der Forstwirtschaft mittelbar oder unmittelbar zugute, ({4}) zum einen durch Reduzierung der Umweltbelastungen, zum anderen durch verbesserten Absatz des nachwachsenden Rohstoffs Nummer eins, des Holzes. ({5}) Mit großer Begeisterung, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, kann ich Ihnen von der Kampagne der Bayern-SPD berichten. Unter dem Motto „Schalt´ die Zukunft Vizepräsidentin Anke Fuchs ein“ ziehen wir mit der neuen Energiepolitik, mit Sonne, Biomasse, Windkraft und mit guter Stimmung durchs Land. Wir erreichen nicht nur innovative Häuslebauer und Häuslesanierer; wir erreichen die Handwerker, die Agenda-21-Gruppen und insbesondere die Waldbesitzer, ({6}) die Forstbetriebsgemeinschaften und den Holz- und Brennstoffhandel. Holzhackschnitzel und Holzpellets feiern fröhliche Urständ und die Nachfrage boomt. ({7}) Dies ist zum einen Folge der Preisentwicklung auf dem Mineralölmarkt, aber insbesondere auch Folge der zielgerichteten Förderpolitik der Bundesregierung. Bei einem Preisäquivalent zum Liter Heizöl von rund 30 Pfennig bei Holzhackschnitzeln und rund 60 Pfennig bei Holzpellets rechnen sich die Neuanschaffung und Umrüstung auf Holz für zukunftsorientierte Energieverbraucher allemal. Ich hatte letzte Woche eine tolle Veranstaltung mit den Unterglasgärtnern. Die befinden sich in besonderer Drangsal. Wir tun viel für sie. ({8}) Aber auch die tun etwas: Sie setzen unsere innovativen Regierungsvorlagen in der praktischen Anwendung um. Sie werden auf Holzhackschnitzel umsteigen. ({9}) Die Krux ist natürlich, dass der deutsche Angebotsmarkt für Technik und für Holzpellets wegen der Versäumnisse in der Vergangenheit und der sträflichen Vernachlässigung des Energieträgers Holz arg zurückliegt. Aber die Aufbruchstimmung greift: Die Branche etabliert sich auch in Deutschland. Das zeigt sich an Angebot und Nachfrage, zum Beispiel auch an der Holz-Energie 2001, einer Fachmesse, die in Deutschland erstmalig als Leitmesse zum Thema Holzenergie stattfinden wird. ({10}) Doch ich will noch einmal auf den Waldzustandsbericht 2000 und die unabdingbare Notwendigkeit weiterer Maßnahmen zur Luftreinhaltung und zur Verbesserung der Waldpolitik zurückkommen. Ich will vier Punkte nennen: Erstens. Im Verkehrsbereich, der nach wie vor mit einer der Hauptverursacher von Emissionen ist, machen wir Fortschritte. Die verkehrsbedingten Schadstoffbelastungen gehen zwar trotz der Reduzierung des Flottenverbrauchs und verbesserter Abgasminderungstechniken nicht zurück. Die frohe Botschaft aber lautet: Die Ökosteuer greift. ({11}) Klar betont werden muss jedoch: Gerade im Verkehrsbereich sind weitere Reduzierungsmaßnahmen dringend notwendig. Zweitens. Auch die aus der Landwirtschaft emittierten Ammoniakfrachten sind zu verringern. Wenn nicht jetzt, wann dann wollen und müssen wir die Landwirtschaftspolitik stärker auf den Prüfstand der Umweltverträglichkeit, der Schadstoffminderung und somit des Klimaschutzes stellen? Drittens. Mit der Auflage eines Nationalen Forstprogrammes ist der gesellschaftliche Dialog zur Förderung nachhaltiger Waldpolitik verbreitert worden. Dieser Dialog ist konkret fortzuentwickeln. Deutschland als relevantes Waldland in Europa kann und muss im internationalen Dialog mit dem Nationalen Forstprogramm Zeichen für eine verbesserte Waldpolitik setzen. Viertens und letztens. Was wäre die Walddebatte in der heutigen Zeit, am heutigen Tag, ohne Blick auf die Verbraucher und ohne die Mithineinnahme der Bevölkerung und der Gesellschaft in den Schutz des Ökosystems? Dafür muss der Verbraucher jedoch mehr sehen als den schweigenden Wald, den er in Buche, Eiche und Fichte unterscheidet und dessen Schutz und naturnahe Bewirtschaftung ihm ein Anliegen ist. ({12}) Eine Forstzertifizierung ist ein modernes Instrument zur Imageverbesserung durch die Darstellung naturnaher Waldwirtschaft. ({13}) Die moderne Verbraucherin weiß inzwischen, dass Vertrauen gut, Kontrolle aber besser ist. Deshalb werden auch an Forstzertifizierungsverfahren hohe Ansprüche im Hinblick auf Transparenz und Glaubwürdigkeit gestellt. Die Zertifizierung soll die Forstwirtschaft zu einer stetigen Verbesserung ihrer Bewirtschaftungspraktiken anregen. Seitens der jetzigen Regierungsfraktionen wurde die Notwendigkeit eines anspruchsvollen Zertifizierungssystems bereits vor Jahren erkannt. Diesen Prozess werden wir auch in Zukunft begleiten. Ich danke Ihnen. ({14})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun erteile ich das Wort dem Kollegen Peter Bleser, CDU/CSU-Fraktion.

Peter Bleser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000198, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Wald ist ein Bioindikator. Kranke Bäume zeigen an, in welchem Zustand sich unsere Umwelt und speziell unsere Atmosphäre befinden. ({0}) Die Menschen atmen die gleiche Luft wie die Bäume im Wald. Insofern ist der Schutz des Waldes auch ein Schutz des Menschen. Dies war immer Grundlage einer CDU-Umweltpolitik in der Vergangenheit und wird es auch in Zukunft sein. ({1}) Aus dem diesjährigen Waldzustandsbericht wird deutlich, dass der Anteil der erhebliche Schäden aufweisenden Bäume in den 90er-Jahren von 30 Prozent in 1991 auf 21 Prozent in 1998 zurückgegangen ist. ({2}) Seit 1998 haben wir wieder einen Anstieg auf nunmehr 23 Prozent zu verzeichnen. Ich will Ihnen diesen Anstieg gar nicht anlasten; das tue ich nicht. Aber es ist nicht zu verkennen, dass wir eine Fortsetzung des positiven Trends nicht mehr verzeichnen können - und das wiederum laste ich dieser rot-grünen Regierung an. ({3}) Auffällig ist, dass die Schäden in den Fichten- und Kiefernwäldern deutlich zurückgegangen sind, und zwar unter das Niveau von 1984. Dagegen haben wir in den Laubwäldern Steigerungen bis auf 40 Prozent, was sehr zu beklagen ist. Wir können also eine allgemeine Tendenz zur Verbesserung des Waldzustandes feststellen; aber von Entwarnung - darin sind wir uns wohl alle einig - können wir bei weitem nicht sprechen. ({4}) Die Tatsache aber, dass wir den heutigen Zustand erreicht haben, verdanken wir der größten, konsequentesten und erfolgreichsten Umweltpartei Deutschlands, nämlich der CDU/CSU. ({5}) Es waren unsere umweltpolitischen Leistungen in den 80er- und 90er-Jahren, die zu einer Reduzierung der Schäden geführt haben. Ich nenne unser Aktionsprogramm „Rettet den Wald!“ von 1983. Ich erinnere an das Bundes-Immissionsschutzgesetz, an die Großfeuerungsanlagen-Verordnung, die TA Luft von 1986, die Kleinfeuerungsanlagen-Verordnung, die wir 1996 noch einmal verschärft haben. Ich erinnere an den Katalysator. Ich erinnere an die Einführung des schadstoffarmen Diesel und ich erinnere an das Ozongesetz von 1995. Ich erinnere auch an die sehr erfolgreiche Einführung der schadstoffbezogenen Kfz-Steuer von 1997, die ein Riesenerfolg war und zu einem großen Boom von Autos mit geringem Benzinverbrauch geführt hat. ({6}) Darüber hinaus haben wir auf zahlreichen internationalen Konferenzen - insbesondere mit unseren Umweltministern Töpfer und Merkel - weltweit Standards gesetzt. Lassen Sie mich hier einmal innehalten. Wenn Sie sich die Namen Töpfer und Merkel noch einmal zu Gehör bringen, dann bitte ich zu bedenken, welchen Klang diese Namen im Verhältnis zu dem aktuellen Umweltminister haben: ({7}) Während die einen weltweit Standards gesetzt haben, fällt der aktuelle Umweltminister - ich betone besonders: der aktuelle - dadurch auf, dass er durch flegelhaftes Verhalten in die Medien kommt. ({8}) Auch wegen unserer umweltpolitischen Leistungen bin ich stolz, Deutscher zu sein - um das an dieser Stelle deutlich zu sagen! ({9}) Noch einmal zurück zu den internationalen Konferenzen. Ich erinnere an das Helsinki-Protokoll, das die europäischen Staaten dazu verpflichtete, die Schwefeldioxidemissionen bis 1993 um 30 Prozent gegenüber dem Standard von 1980 zu verringern. Wir haben diesen Wert mit einer Reduzierung um 60 Prozent weit übertroffen. Ich erinnere an das Sofia-Protokoll, das seit 1991 in Kraft ist. Damals hatten wir uns verpflichtet, die Stickstoffemissionen bis 1994 auf den Stand von 1987 zurückzuführen. Auch diese Verpflichtung haben wir mit einem Rückgang von 30 Prozent übererfüllt. Wir haben uns auf der Weltklimakonferenz in Kioto verpflichtet, ({10}) die CO2-Emissionen bis 2005 um 25 Prozent zurückzuführen. ({11}) Während unserer Zeit - bis 1998 - haben wir von diesem Ziel 60 Prozent geschafft. ({12}) Seitdem gibt es eine Stagnation und das haben Sie zu verantworten. ({13}) Nach wie vor gibt es seitens der SPD und der Grünen kein Konzept, diese internationalen Verpflichtungen wirklich einzuhalten. Anstatt durch Anreize, wie wir das machen würden, die Kreativität der Menschen zu fördern, den Energieverbrauch zu senken, die Emissionen zu verringern, neue Energieträger zu erschließen sowie die Nutzung regenerativer Energien stärker zu fordern und zu förPeter Bleser dern, setzt diese Bundesregierung auf ein ganz plumpes Instrument, nämlich eine Strafsteuer. Dabei verfehlt die Ökosteuer eine Lenkungsfunktion schon deswegen, weil Sie die energieintensiven Bereiche ausschließen. Noch gravierender ist die Verwendung der Einnahmen aus der Ökosteuer. Anstatt umweltverträgliche Energien zu fördern, stopfen Sie damit schlicht und einfach Haushaltslöcher. Das ist die Wahrheit. Daran lässt sich auch nichts ändern. ({14}) Diese Strafsteuer schädigt - das sage ich noch einmal ganz deutlich - die Bürger auf dem flachen Lande. Deshalb sind wir nach wie vor für eine Abschaffung der Ökosteuer. ({15}) Darüber hinaus hat uns die Bundesregierung mit ihrem so genannten Energiekonsens den Ausstieg aus der Kernenergie beschert. Sie sind bis heute der Bevölkerung eine Erklärung dafür schuldig geblieben, wie Sie diese CO2-neutrale Energieerzeugung durch eine umweltfreundliche Energie ersetzen wollen. Das haben Sie bisher nicht geschafft. Darauf warten wir auch in den nächsten Monaten. ({16}) Als Alternative die Fortschreibung unserer Ansätze im Stromeinspeisungsgesetz durch ein - wie heißt es? - Erneuerbare-Energien-Gesetz ({17}) aufzuzeigen, wie es Frau Wright getan hat, ist, mit Verlaub, mehr als lächerlich. Meine Damen und Herren, der Waldzustandsbericht weist höhere Stickstoffeinträge auf, wovon ein nicht unbeachtlicher Teil aus der Landwirtschaft kommt. Ich will das hier nicht näher beleuchten, weil mein Kollege Deß das noch vertiefen wird. Aber wir haben mit der Düngeverordnung Maßstäbe gesetzt. Mit einer Düngebilanz, die die Betriebe erstellen, ist in den letzten Jahren schon viel erreicht worden. Wenn Sie die Fördermöglichkeiten, die die CDU-geführten Länder bieten, in ganz Deutschland einführen würden, kämen wir hier noch weiter. Ich fasse zusammen: Der Waldzustandsbericht belegt zumindest bis 1998 eine allmähliche Verbesserung des Zustands unseres Waldes. Die Verbesserungen sind das Ergebnis einer langjährigen, konsequenten Umweltpolitik einer CDU/CSU-geführten Bundesregierung. Dem hat die heutige Bundesregierung nichts Vergleichbares entgegenzusetzen. ({18}) Ich fordere Sie deshalb auf, die Forschung über die Ursachen der Waldschäden weiter zu intensivieren, alles zu tun, damit unsere Zusagen in Kioto im Bereich der CO2Reduzierung eingehalten und fortgeschrieben werden, den verstärkten Einsatz des heimischen Holzes zu fördern und die regionale energetische Nutzung von Holz und anderen nachwachsenden Rohstoffen weiter zu verbessern. Darüber hinaus sollten wir die Waldbesitzer nicht vergessen. Helfen wir ihnen, die Umweltschäden zu beseitigen, insbesondere die Sturmschäden! Helfen wir ihnen, die Kalamitätsfälle durch steuerliche Erleichterungen zu bewältigen! Stimmen Sie von der Koalition also unserem Entschließungsantrag zu! Dann haben Sie wenigstens einen Beitrag zur Besserung des Waldzustands geleistet. ({19})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Das Wort hat nun die Kollegin Steffi Lemke für Bündnis 90/Die Grünen.

Steffi Lemke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002720, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Werte Frau Präsidentin! Werte Kollegen und Kolleginnen! Peter Bleser, ich finde es bedauerlich, dass die CDU der Meinung ist, Parolen, die in Deutschland zurzeit von Neofaschisten und von Neonazis benutzt werden, um Propaganda zu betreiben, im Plenum des Deutschen Bundestages wiederholen zu müssen. Ich fordere Sie auf, dies zu unterlassen. ({0}) Wir befinden uns in der Debatte über den Waldzustandsbericht und nicht in der Debatte darüber, wie die CDU sich zu Rechtsextremismus in diesem Land und zu deutschtümelnden Parolen verhalten zu müssen meint. ({1}) Ich möchte auf dieses Thema der Debatte gerne zurückkommen. Der Zustand unserer Wälder ist nach wie vor ein schlechter. ({2}) Das belegen die Zahlen der letzten Jahre immer wieder. Ich denke, dass in diesem Hause Einigkeit darüber herrschen müsste, dass auch das derzeit vorhandene Schadensniveau zu hoch ist und dass es nach wie vor gemeinsamer Anstrengungen bedarf, um eine Verbesserung zu erreichen. Dies sagen die Berichte über die Jahre eindeutig aus. Deshalb ist es unsere Aufgabe, den Eintrag von Schadstoffen in den Wald zu reduzieren und Anstrengungen im Rahmen des Klimaschutzprogramms sowie zur Schadstoffreduktion im Verkehr zu unternehmen. Ich finde es inzwischen müßig, darüber zu diskutieren, ob es in den letzten zwei Jahren eine leichte Verbesserung bei einer Baumart in einer Region gegeben hat, während in einer anderen Region ein Anstieg der Schäden zu verzeichnen war. Wir bewegen uns dort überall im Promillebereich. Dies ist viel zu gering, um dieses Problem wirklich zukunftsfähig meistern zu können. Ich möchte meine Redezeit nicht dazu verwenden, um darüber zu debattieren, ob es unter der CDU-Regierung eventuell eine leichte Verbesserung gegeben hat ({3}) oder ob jetzt unter der Regierung von SPD und Grünen eine leichte Verbesserung absehbar ist. - Herr Hornung, ich bitte Sie, eine Zwischenfrage zu stellen, wenn Sie einen neuen Debattenbeitrag einbringen wollen, und ansonsten etwas leiser dazwischenzurufen. ({4}) Ich glaube, dass bei der Debatte über eine Reduktion der Schadstoffe um 5 oder 10 Prozent ein wenig der Blick darauf verloren gegangen ist, worum es überhaupt geht. Manches kann man natürlich auf die Zeitschiene schieben und hoffen, dass irgendwann Verbesserungen in Form einer Reduktion bestimmter Schadstoffe durch die eingeleiteten Maßnahmen eintreten. Aber Konsens müsste darüber bestehen, dass die bisher ergriffenen Maßnahmen nicht ausreichen. Ich glaube deshalb, dass die Maßnahmen, die die rotgrüne Bundesregierung im Rahmen der internationalen Klimaschutzdebatte bereits ergriffen hat - Förderung der erneuerbaren Energien, Verbesserung von Klimaschutz im Gebäudebereich -, Wirkung zeigen werden. Dazu gehört für mich auch die Ökosteuer. Ich glaube, dass wir uns in diesem Punkt von der Vorgängerregierung unterscheiden. ({5}) Wir sind bereit, für ein so wichtiges Ziel wie den Schutz unserer Wälder, den Schutz der Lebensgrundlagen unserer Kinder, auch unpopuläre Maßnahmen zu ergreifen. Die Ökosteuer ist - wie jede andere Steuer auch - bei den Bürgern nicht beliebt. ({6}) Aber wir sind zu dieser Maßnahme bereit, weil wir eine Besteuerung des Energieverbrauchs, des Naturverbrauchs für notwendig halten. Deshalb sind wir bereit, diese Debatte auch jetzt, wo wir die Regierungsverantwortung tragen, zu führen. ({7}) Ich habe mit Freude zur Kenntnis genommen, dass die von Ihnen immer wieder dementierte Lenkungswirkung der Ökosteuer in diesem Bereich inzwischen zumindest in zarten Ansätzen zu erkennen ist. ({8}) Durch das Statistische Bundesamt - das ist nun weiß Gott nicht die grüne Parteizentrale - und durch den Verband Deutscher Verkehrsunternehmen wird belegt, dass es einen Anstieg bei der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel gibt, ({9}) dass es bereits nach dem ersten Schritt der Ökosteuer eine Reduktion des Mineralölverbrauchs gibt, insbesondere im Bereich des Individualverkehrs, und dass die Lenkungswirkung tatsächlich eintritt. Dies ist durch Fakten belegt und Sie können das auch hier im Parlament nicht abstreiten. ({10}) Die Debatte darüber, wie wir in Zukunft den Ressourcenverbrauch besteuern können, um ihn zu reduzieren, sollte das gesamte Parlament führen. Wenn die CDU in diesem Zusammenhang an Frau Merkel und Herrn Töpfer erinnert, die sich in der Vergangenheit für eine Ökosteuer eingesetzt haben, finde ich dies gut. Dann müssen Sie aber auch so ehrlich sein und diese Forderung, die Frau Merkel und Herr Töpfer aufgestellt haben, aufgreifen und in die parlamentarische Debatte einführen, statt sich aus Angst davor, dass es darüber in der Bevölkerung eine kontroverse Diskussion gibt, zu ducken, dieser Debatte feige auszuweichen, weil Ihnen dies momentan besser in den Kram passt. Vielen Dank. ({11})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Jetzt hat die Kollegin Marita Sehn für die F.D.P.-Fraktion das Wort.

Marita Sehn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002146, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Schwefeldioxid minus 76 Prozent, Stickoxide minus 34 Prozent und Ammoniak minus 18 Prozent - das sind die Errungenschaften der christlichliberalen Koalition. ({0}) Sie können es schwarz auf weiß im Entschließungsantrag der Regierungskoalition nachlesen. Dies haben Sie selbst aufgeschrieben. Es hat zwar lange gedauert, aber schließlich hat sich auch bei den Regierungsparteien die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Maßnahmen der alten Bundesregierung zum Schutz des Waldes ausgesprochen erfolgreich waren. Nur zur Erinnerung: Aktionsprogramm „Rettet den Wald“, Novellierung der Großfeuerungsanlagenverordnung, Novellierung der TA Luft und der Kleinfeuerungsanlagenverordnung, Novelle des Bundes-Immissionsschutzgesetzes, Ozongesetz, emissionsSteffi Lemke bezogene Kfz-Steuer. Das alles sind Maßnahmen, die wesentlich zur Verringerung der Luftschadstoffe beigetragen haben. ({1}) Nachdem Sie, liebe Frau Wright, unsere Politik in Wadenbeißermanier - „zu spät“ und „zu halbherzig“ - über Jahre bekämpft haben, freut es mich, dass Sie nun endlich die Erfolge der alten Bundesregierung anerkennen. Besser eine späte Einsicht als keine. ({2}) Leider haben Sie dieses Niveau in Ihrem Antrag nicht durchgehalten. Wenn Sie von „möglichen Auswirkungen der globalen Klimaveränderung“ schreiben, so ist dies in höchstem Maße unseriös. Sie zitieren Einzelmeinungen und ignorieren den Stand der wissenschaftlichen Forschung. Nach wie vor ist selbst eine Klimaänderung wissenschaftlich nicht gesichert, geschweige denn Auswirkungen irgendeiner Art. Auf eine solche Art Politik zu betreiben ist sehr gefährlich. Das ist Populismus pur. Wir brauchen eine Politik mit Köpfchen und keine aus dem Bauch heraus. Auch bei Ihrem Statement zum Raubbau an unseren Wäldern fragt man sich, woher die Koalition ihre Informationen bezieht. Die Waldfläche hat in Deutschland zugenommen. Anscheinend ist dies die erste Form von Raubbau, die zu einem Mehr an Wald führt. Man sollte Sie vielleicht einmal daran erinnern, dass der Begriff „Nachhaltigkeit“ von der Forstwissenschaft geprägt worden ist, und zwar lange bevor es eine grüne Partei gab. ({3}) - Ja, Herr Hornung, so ist es. Es ist interessant, Ihre Reden und Anträge zu Oppositionszeiten zu lesen. Ich habe mir das wirklich angetan. Wie vollmundig waren Ihre Forderungen, wie hehr Ihre Absichten! Und nun? Nun sitzen Sie auf der Regierungsbank und auf einmal ist es sehr, sehr still geworden. ({4}) Immer wieder haben Sie in der Vergangenheit Entschädigungszahlungen für die von Waldschäden betroffenen Waldbesitzer gefordert. Warum ergreifen Sie jetzt nicht die Gelegenheit beim Schopf und setzen Ihre Forderungen endlich um? ({5}) Die Forstbesitzer wären für jede Form der Unterstützung dankbar. Aber dass es mit der Liebe dieser Bundesregierung, Heinrich-Wilhelm Ronsöhr, zu den Waldbesitzern nicht weit her ist, das hat Ihr Engagement für die Geschädigten des Orkans „Lothar“ im vergangenen Jahr gezeigt. Sie erwiesen sich als ausgesprochen sparsam; wenn auch nicht mit Worten, so doch mit finanzieller Unterstützung. ({6}) In dem aktuellen Waldzustandsbericht ist Ihnen das Schicksal dieser Betriebe nur noch eine Randnotiz wert. ({7}) Die jetzigen Regierungsfraktionen haben früher immer bemängelt, dass bei der alten Bundesregierung die Frage - ich zitiere -, „wie eine Stärkung der Leistungsfähigkeit der Forstbetriebe erreicht werden kann“, im Vordergrund stand. Folgerichtig räumt Rot-Grün dieser Frage kaum einen Platz ein. Dies zeigt eindeutig die Prioritäten dieser Koalition: Ihr sind die Menschen, die ihr Einkommen mit dem Wald erwirtschaften, schlichtweg egal. ({8}) Die Sorgen und Nöte der Waldbesitzer interessieren diese Bundesregierung nicht. ({9}) Dazu passt hervorragend die Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes. Die Anliegen der Land- und Forstwirtschaft werden ignoriert, während die des Naturschutzes einseitig in den Vordergrund gerückt werden. Man möchte Rot-Grün manchmal daran erinnern, dass in den ländlichen Räumen Menschen leben, die ebenfalls Bedürfnisse haben, die Arbeitsplätze benötigen und die am gesellschaftlichen Wohlstand beteiligt werden wollen. ({10}) - So ist es. - Sie sprechen den Menschen in den ländlichen Räumen jegliches Recht auf wirtschaftliche Entwicklung ab. ({11}) Diese Politik ist ein Tanz um den goldenen Öko. Rotgrüne Umweltpolitik ist eine Auflagenpolitik. Sie setzt auf Konfrontation statt auf Information und Kooperation, insbesondere dann, wenn es um kleinere gesellschaftliche Gruppen wie Waldbesitzer und Landwirte geht. Dann praktizieren Sie nur allzu gerne ihre Knüppel-aus-demSack-Politik. Rot-grüne Umweltpolitik wird immer dann aktiv, wenn sie Auflagen erteilen kann und andere die Zeche zahlen müssen. ({12}) Die Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes trägt genau diese Handschrift. Bewährte Maßnahmen wie der Vertragsnaturschutz werden vernachlässigt, während Auflagen verschärft werden. Diese Novelle ist ein eindeutig gegen die deutsche Land- und Forstwirtschaft gerichtetes Misstrauensvotum. Unsere Land- und Forstwirte haben dieses Misstrauen nicht verdient. Ihnen gebührt vielmehr unser Dank für den Erhalt und die Pflege unserer Kulturlandschaft. Wir alle haben einen Nutzen von dieser Arbeit. Wir alle nutzen die Natur für Erholung, Sport und Freizeit. ({13}) Innovative Umweltpolitik braucht mehr als nur Auflagen. Auflagen sind die End-of-Pipe-Technologie der Umweltpolitik. Wir Liberalen setzen auf Forschung und Innovation und nicht auf Schikanen. Wir unterstützen die Forschung in neue Technologien, wie zum Beispiel in die Brennstoffzelle oder die Wasserstofftechnologien. Diese Technologien können dazu beitragen, dass auch die durch den Verkehr verursachten Umweltprobleme gelöst werden und damit ein erheblicher Beitrag zu einer nachhaltigen Verbesserung des Waldzustandes geleistet werden kann. Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn Sie sich dazu durchringen, Zukunftstechnologien zu fördern anstatt jede Neuentwicklung zu verteufeln, können Sie vielleicht eine ähnliche beeindruckende Erfolgsbilanz vorweisen, wie Sie sie der alten Bundesregierung in Ihrem Entschließungsantrag bescheinigt haben. ({14})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Das Wort hat nun die Kollegin Eva Bulling-Schröter für die PDS-Fraktion.

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als „bizarre Bewusstseinsspaltung bezüglich ihrer Verantwortung“ kritisierte der BUND das Agieren aller bisherigen deutschen Minister für Landwirtschaft und Forsten, denn von ihnen würden immer wieder gebetsmühlenartig die massiven Nitrateinträge beklagt, die den Wald extrem schädigen. Doch Konsequenzen würden daraus leider nicht gezogen. Den Vorwurf der Bewusstseinsspaltung kann man getrost auf das Bundeskabinett erweitern, und zwar in Bezug auf die Ressorts Umweltschutz auf der einen Seite und Verkehr und Wirtschaft auf der anderen Seite. Frau Künast als Ressortverantwortliche bemüht sich redlich, der Agrarindustrie diesbezüglich Beine zu machen. Aber auch sie ist den unterschiedlichen Interessen ausgesetzt und wir werden sehen, wer letztlich am längeren Hebel sitzt. Wir haben - das ist das Fazit des Berichts - einen zunehmenden Stickstoffüberschuss bei gleichzeitiger Versauerung der Böden. Die Hauptquellen dafür sind - auch das steht im Bericht - Industrieanlagen, Kraftwerke, Verkehr, Kleinverbraucher und Landwirtschaft. Das Fazit, das die Bundesregierung zieht, ist zunächst einmal zu begrüßen. Alle Politikbereiche - unter anderem Umwelt-, Verkehrs-, Finanz-, Wirtschafts- und Landwirtschaftspolitik - müssen gemeinsam versuchen, die Luftschadstoffe zu reduzieren. Solche Ausführungen aber finden sich in jedem Bericht. Die Anzahl kranker Bäume hat den Ankündigungen zum Trotz allerdings nicht abgenommen, sondern um 2 Prozent zugenommen. Immer noch sind 80 Prozent der Flächen übersauert. Die Belastung durch Ozon infolge des Verkehrswachstums steigt weiter. Die Konzentration dieses Gases liegt bei 95 Prozent der Fläche über der Grenze der Belastbarkeit von Wald und Mensch. Auch der Stickstoffüberschuss wird nicht eingedämmt. Da der Wald hauptsächlich über den Luftpfad belastet wird, lassen sich bezüglich des Nitrats die zwei Hauptverursacher genauer festmachen: 95 Prozent der Emissionen resultieren aus dem Verkehr und den Großfeuerungsanlagen. Vielleicht liegt hierin eine Ursache dafür, dass sich der Trend zu immer mehr Waldschäden ungebremst fortsetzt, denn die Strategien der Bundesregierung zum Aufhalten der Blechlawinen sind wenig überzeugend. ({0}) In dem Bericht werden der Dreiwegekatalysator, die Verschärfung der Abgasgrenzwerte, die Förderung verbrauchsarmer PKW und die Einführung umweltverträglicher Kraftstoffe angeführt. Es ist ganz klar: Das ist nicht schlecht. Aber alle diese Maßnahmen werden anscheinend durch das Verkehrswachstum überkompensiert. Im Osten lässt sich dieses Problem auf einer vergleichbaren Ebene aufzeigen: Von 1992 bis 1996 gingen dort die Waldschäden zurück. Wir können uns - ebenso wie bei den Veränderungen im Klimaschutz - denken, warum: durch den Zusammenbruch der dortigen Industrie. Hinzu kamen natürlich schärfere Emissionskontrollen und moderne Abgassysteme in den Großfeuerungsanlagen. Doch wie ging es weiter? Statt Arbeitsplätzen kamen Autos. Statt Gütertransport auf der Schiene - sein Anteil betrug damals 80 Prozent - kamen LKW-Karawanen. Als Folge davon geht das Waldsterben im Osten wie im Westen munter weiter. Was für Deutschland gilt, gilt auch - ein Schwerpunkt liegt dabei auf Italien - für Europa. Es gilt also, national und europaweit für eine deutliche Reduzierung der Verkehrsemissionen zu kämpfen. ({1}) In diesem Zusammenhang kann ich nur auf Parallelen zum Klimaschutz verweisen: Es geht nicht nur um saubere, sondern vor allem um weniger gefahrene Kilometer. Es geht um regionale Wirtschaftskreisläufe. Ich denke, auf diesem Feld ist Wesentliches zu tun. Wenn über Nachhaltigkeit gesprochen wird, erwarte ich mir für die Zukunft mehr, zumal die Bundesregierung nun endlich einen Nachhaltigkeitsrat eingesetzt hat. Wir erwarten gute Ergebnisse. ({2})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Das Wort hat nun die Kollegin Christel Deichmann, SPD-Fraktion.

Christel Deichmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002638, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Bleser, jetzt habe ich wieder etwas gelernt, nämlich dass der Wald sehr schnell auf den Regierungswechsel reagiert hat. ({0}) Die Bundestagswahl war doch erst im Herbst 1998. Das ist wirklich eine neue Erkenntnis, die wir heute gewonnen haben. Aber das muss wissenschaftlich erst noch bewiesen werden. Vielleicht könnten Sie das nachholen. ({1}) Frau Sehn, wenn Sie behaupten, uns sei der ländliche Raum nichts wert, ({2}) dann möchte ich Sie unter anderem auf unseren Antrag „Ländliche Räume“ verweisen. Ich denke, Sie sollten sich ein bisschen mehr Mühe geben und aufpassen, damit Sie mitbekommen, was tatsächlich passiert. Es ist schon eigenartig, wie Sie unsere Politik wahrnehmen. ({3}) Es darf nicht sein, was nicht sein darf. Sie müssen trotzdem zur Kenntnis nehmen: Die Menschen und die Ergebnisse bestätigen, dass unsere Politik erfolgreich ist, auch im Hinblick auf den Wald. ({4}) Die Schutz-, Nutz- und Erholungsfunktion, die Speicher- und Filterfunktion für Wasser und Luft und auch die umweltfreundliche Produktion des nachwachsenden Rohstoffes Holz kennzeichnen die wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Elemente des Ökosystems Wald mit seinen vielfältigen Ausgleichsfunktionen. Die dritte paneuropäische Ministerkonferenz in Lissabon hat die zukünftige Bedeutung des Waldes wie folgt definiert: Im 21. Jahrhundert wird der europäische Forstsektor unter Berücksichtigung der sozialen, wirtschaftlichen, umweltbezogenen und kulturellen Funktion seinen Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung der Gesellschaft optimieren; insbesondere zur Entwicklung der ländlichen Gebiete, der Bereitstellung von erneuerbaren Ressourcen und dem Schutz der globalen und lokalen Umwelt. Diese Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen haben sich dieser Aufgabe gestellt, unter anderem mit der Verabschiedung des Klimaschutzprogramms, auf das schon die Kollegin Heidi Wright hingewiesen hat. Ich möchte ebenfalls auf einen nicht weniger wichtigen Aspekt verweisen. Der Wald bietet auch Lebensraum für die ganz überwiegende Anzahl der wild lebenden Pflanzen und Tiere. Von den 45 000 in Deutschland bekannten Tierarten kommen zum Beispiel alleine in den Buchenwäldern 6 800 Arten vor. Nicht ohne Grund zählt der Wald zu unseren besten Bioindikatoren. In optimaler Weise macht er die Einflüsse von Hunderten von Umweltfaktoren für uns sichtbar. Liegen zum Beispiel Wälder neben Industrieanlagen oder großen Mastanlagen, dann werden die Auswirkungen der Luftverschmutzung für uns alle sehr deutlich und in drastischer Weise sichtbar. Die Ergebnisse der bundesweiten Bodenzustandserhebung im Wald und der Untersuchungen der Dauerbeobachtungsflächen, der so genannten Level-II-Flächen, zeigen deutlich: Die Wälder können ihre Filter- und Pufferfunktion zunehmend schlechter erfüllen. Die Ergebnisse dokumentieren die fortschreitende Bodenversauerung sowie die zunehmende Stickstoff- und Ozonbelastung. So liegen zum Beispiel in sensitiven Bereichen die aktuellen Säurefrachten bis zum 15-fachen über den Belastungsgrenzen. Die Versauerung der deutschen Waldböden schreitet zwar heute langsamer voran als vor 20 Jahren. Aber nach vorliegenden Erkenntnissen findet sie auf 80 Prozent der Flächen weiterhin statt. Ich möchte einige weitere Zahlen nennen: Auf den Level-II-Dauerbeobachtungsflächen wurden Stickstoffeinträge bis zu 46 Kilo pro Jahr und Hektar nachgewiesen. Erträglich für den Wald sind, je nach Standort, 5 bis 15 Kilo pro Jahr und Hektar. Ich denke, diese Zahlen machen deutlich, wie dramatisch und kritisch die Situation ist. Die Belastung durch bodennahes Ozon steigt ebenfalls weiter an. Der von Menschen bedingte Treibhauseffekt schädigt den Wald im Besonderen und beschleunigt seinen Verfall. Auf über 90 Prozent der Level-II-Flächen sind langfristig stickstoffbedingte Veränderungen zu befürchten. Auf etwa 30 Prozent dieser Dauerbeobachtungsflächen muss schon heute mit einer Stickstoffsättigung bzw. -übersättigung der Waldökosysteme gerechnet werden. Die Folge ist: Die Filterkraft des Waldes ist erschöpft. Der Waldboden kann vielerorts die Schadstoffe bereits nicht mehr absorbieren. Örtlich sind Quell- und Grundwasser durch die Mobilisierung von Eisen und anderen Schwermetallen sowie durch Aluminium gefährdet. Im Klartext heißt das: Die zukünftige Sicherung der Trinkwasserversorgung ist durch die erhöhte Konzentration von Schwermetallen und Stickstoff enorm gefährdet. Um den Säureschub nun aufzuhalten, werden seit Jahren Millionenbeträge für die Bodenschutzkalkung im Wald ausgegeben. Das hilft nur sehr kurzfristig. Das ist nur eine Kaschierung des Problems und keine Beseitigung. Die Politik der Bundesregierung setzt darum verstärkt bei der Ursachenbekämpfung an. Ich sage es noch einmal: Die Ökosteuer ist dabei zum Beispiel ein hilfreiches Instrument. ({5}) Bei der Diskussion um die Fortführung der Ökosteuer möchte ich Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, gleich den Wind aus den Segeln nehmen. Der Bundeskanzler hat nicht gesagt, dass die Ökosteuer abgeschafft wird, sondern er will - das wollen wir auch -, dass im Jahr 2003 die Zukunft der Ökosteuer im Lichte der Konjunktur und der Sozialverträglichkeit zu überprüfen ist. ({6}) Mit der Einführung schwefelarmer Kraftstoffe, dem 100 000-Dächer-Programm, den erweiterten Förderprogrammen für erneuerbare Energien - das alles nehmen Sie nicht wahr - sowie der Novelle des Stromeinspeisungsgesetzes hat die Koalition weitere Maßnahmen eingeleitet, die letzten Endes dem Wald und uns allen zugute kommen. ({7}) Diese Maßnahmen zeigen schon Wirkung. Man muss es nur wahrhaben wollen. Die von der Bundesregierung eingeschlagene Trendwende in der Agrarwirtschaft zeigt auch für einen langfristigen Waldschutz schon die Richtung auf. Ich unterstütze die Forderung nach einer flächengebundenen Tierhaltung. Ein geeignetes Instrument für die Umsetzung derartiger Forderungen ist aus meiner Sicht unter anderem die verbindliche Definition der „guten fachlichen Praxis“ im Bundesnaturschutzgesetz. Auch das werden wir machen. Um Naturschutzaspekte noch stärker in die forstliche Nutzung einzubinden, ist es erforderlich, die Naturnähe der Wirtschaftswälder weiter auszubauen. Ich möchte an dieser Stelle noch einmal betonen, wie wichtig und unverzichtbar es ist, eine partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen den Forstwirten und dem Naturschutz für den dauerhaften Schutz der Wälder zu befördern. ({8}) Naturnah bewirtschaftete Wälder weisen eine erhöhte Widerstandskraft gegenüber neuartigen Waldschäden auf und bieten weitaus mehr Pflanzen- und Tierarten Lebensraum, als dies Monokulturen leisten können. In naturnah bewirtschafteten Wäldern - das bestätigen uns die Forstfachleute - schreibt man ganz gesichert schwarze Zahlen in der betrieblichen Bilanz. Das heißt, Ökologie und Ökonomie sind keine Gegensätze, sondern ergänzen sich hervorragend. Ich begrüße - auch das wurde bereits genannt -, dass die Bundesregierung den Prozess der Zertifizierung von Forstbetrieben mit anerkannten ökologischen Gütesiegeln unterstützt und begleitet. Lassen Sie mich abschließend festhalten: Wir können nicht länger ignorieren, dass Umweltschutz heute unbedingt erforderlich ist. Er kostet einerseits Geld, er schafft andererseits aber auch Arbeitsplätze. Versäumter Umweltschutz, meine Damen und Herren, wird morgen unbezahlbar und kann übermorgen sogar lebensbedrohlich sein, weil er unsere Lebensgrundlagen zerstört. Der Zustand des Waldes zeigt uns sehr deutlich, wie die Situation ist. Vielen Dank. ({9})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun hat Herr Kollege Albert Deß für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.

Albert Deß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000376, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Welche Bedeutung der Wald bei der rot-grünen Bundesregierung hat, sieht man auch daran, dass zum ersten Mal, seit es demokratische Regierungen in Deutschland gibt, im zuständigen Ministerium der Zusatz „Forsten“ gestrichen worden ist. ({0}) Durch die Debatte über den jährlichen Waldzustandsbericht erhalten wir die Möglichkeit, auf die nationale und internationale Bedeutung eines gesunden Waldes hinzuweisen. Fast ein Drittel unseres Landes ist mit Wald bewachsen. Durch die Aufforstung weiterer Flächen nimmt - im Gegensatz zu anderen Ländern, wo riesige Waldflächen gerodet werden - in Deutschland die Waldfläche zu. ({1}) - Eben. - Allein in Bayern und Baden-Württemberg wurden in den vergangenen zehn Jahren über 15 000 Hektar neue Waldflächen, vor allem im Privatwald, geschaffen. Der Aufwuchs von einem Festmeter Holz entzieht der Atmosphäre 1 Tonne Kohlendioxid. Wird Holz nach seinem Aufwuchs zum Beispiel beim Bau verwendet, bleibt dieses CO2 für lange Zeit gebunden. Der vermehrte Einsatz von Holz in den verschiedensten Bereichen, verbunden mit einer sinnvollen Waldwirtschaft, gibt uns die Möglichkeit, eine bessere CO2-Bilanz zu erreichen. ({2}) Wir sind gut beraten, das Thema Waldzustand sachlich zu diskutieren. Das war in der Vergangenheit nicht immer der Fall. ({3}) Im Waldzustandsbericht der rot-grünen Bundesregierung heißt es: Das Anfang der 80er-Jahre angesichts der toten Waldbestände im Erzgebirge insbesondere von den Medien und einigen Wissenschaftlern prognostizierte großflächige „Waldsterben“ ist nicht eingetreten. ({4}) Es waren jedoch nicht nur bestimmte Medien und Wissenschaftler, die Anfang der 80er-Jahre das Waldsterben angekündigt haben. Es gab fast keine Veranstaltung der Grünen, in der nicht über das Thema Waldsterben gesprochen wurde. Gott sei Dank hat sich die Situation anders entwickelt. Ich bin froh, dass sich die Waldbesitzer von dieser Panikmache nicht haben entmutigen lassen und die Pflege ihrer angeblich hoffnungslos erkrankten Wälder nicht aufgegeben haben. ({5}) Sie haben trotz der grünen Panikmache weiter in die Wälder investiert. Damit haben sie einen großen Beitrag dazu geleistet, dass die Situation unseres Waldes trotz negativer Umwelteinflüsse nicht wesentlich schlechter geworden ist. Unser Dank gilt deshalb den Waldbauern und den Forstbesitzern, die unseren Wald und unsere Umwelt durch unermüdliche Arbeit erhalten und somit in unsere Zukunft investiert haben. Es sind die Waldarbeiter und die Förster, die die schwere Waldarbeit ausführen und unseren Wald hegen und pflegen. ({6}) Dafür müssen wir uns im Deutschen Bundestag einmal bei ihnen bedanken. ({7}) Um die Schadstoffbelastung für unsere Wälder weiter zu reduzieren, müssen aus dem diesjährigen Waldzustandsbericht die richtigen Konsequenzen gezogen werden. Die bisher erfolgreichen Maßnahmen müssen fortgesetzt und geeignete neue eingeführt werden. Eine interessante Aussage aus dem Waldzustandsbericht der rot-grünen Bundesregierung - Peter Bleser hat es erwähnt - nehme ich zum Anlass, um auf die Leistungen der früheren CDU/CSUF.D.P.-Koalition hinzuweisen. Dort heißt es: Die beobachteten Waldschäden führten zu raschem politischem Handeln auf nationaler und internationaler Ebene: ... Rot-Grün sagt der ehemaligen Bundesregierung damit vielen Dank! ({8}) Mit den von der früheren Bundesregierung getroffenen Entscheidungen wurde eine ausschlaggebende Weichenstellung zur Senkung des Schadstoffausstoßes und damit zu verbessertem Umweltschutz vorgenommen. Diese Maßnahmen kommen heute in ihrer Langzeitwirkung unseren Wäldern und damit uns allen zugute. Rot-Grün hat zur Verbesserung des Waldzustandes bisher keinen vergleichbaren Beitrag geleistet, ({9}) nicht im Bund, wo Sie erst seit gut zwei Jahren regieren, und auch nicht in den Ländern, in denen Sie seit langem Regierungsverantwortung tragen. Das Einzige, was Rot-Grün beherrscht, sind große Sprüche, schrille Töne, medienwirksame Schlagworte und Belastungen für unsere Bürger wie die so genannte Ökosteuer, die mit Ökologie nichts zu tun hat. ({10}) Diese Aussage hat eine grüne Kollegin aus dem Bayerischen Landtag erst vor kurzem öffentlich bestätigt. Die neue Verbraucherschutzministerin und der Bundeskanzler sind sich einig: Eine leistungsbezogene Landwirtschaft wird an den Pranger gestellt. Der Bundeskanzler spricht von Agrarfabriken, wobei er bis heute nicht definiert hat, was er darunter versteht. Anscheinend weiß er es selbst nicht. Es ist wohl das erklärte Ziel von Rot-Grün, dass die jetzige Landwirtschaft auf die Anklagebank gesetzt wird. Die rot-grüne Gleichung „Hohe Leistung ist umweltschädlich, niedrige Leistung ist umweltfreundlich“ wird im eigenen Waldzustandsbericht widerlegt. Zum Thema Landwirtschaft und Umweltbelastung heißt es - ich zitiere aus dem Waldzustandsbericht -: Vor allem aus ökonomischen Gründen auf eine Leistungssteigerung gerichtete Fütterung und Management haben auch positive ökologische Effekte. So konnte die Milchleistung von 1990 bis 1999 um 20 Prozent erhöht werden, gleichzeitig wurde jedoch die N-Ausscheidung je Kilogramm Milch um 12 Prozent gesenkt. Dies ist eine interessante Aussage. Sie bedeutet, dass die jetzige Landwirtschaft zum Beispiel durch die Leistungssteigerungen in der Milchviehhaltung umweltfreundlicher als früher produziert. Da die Stickstoffbelastung ein wichtiger Faktor bei der Schädigung unserer Wälder ist, brauchen wir eine Landwirtschaft, die weniger Stickstoffbelastung produziert. Es handelt sich um einen aktiven Beitrag zum Schutz unserer Wälder, bei einer um 12 Prozent höheren Milchleistung eine geringere Stickstoffbelastung zu erreichen. ({11}) Was will die neue Ministerin eigentlich? Will sie eine Landwirtschaft, die Umweltbelastungen durch Leistungssteigerungen senkt, oder eine Landwirtschaft, die wieder zu höheren Umweltbelastungen führt? Frau Künast sollte einmal die Berichte ihrer eigenen Regierung lesen, bevor sie so massenhaft Unsinn erzählt. ({12}) Im Unterschied zur rot-grünen Sprücheklopferei wurde in Bayern ein Stickstoffprogramm zur Absenkung der Stickoxidemissionen aufgelegt. Von 1996 bis heute wurden Fördermittel in Höhe von mehr als 100 Millionen DM und über 15 Millionen DM an zinsverbilligten Darlehen für die Anschaffung moderner Ausbringungstechnik für landwirtschaftliche Wirtschaftsdünger ausgegeben. Dadurch werden Ammoniakemissionen in Höhe von jährlich 40 000 Tonnen vermieden. Welches rot bzw. rot-grün geführte Bundesland kann ein solches Förderprogramm vorweisen, das nicht nur der Umwelt und dem Wald, sondern auch jedem Einzelnen von uns zugute kommt? Fehlanzeige im rot-grünen Bereich. ({13}) Die meisten Kraftwerke in Bayern und Baden-Württemberg wurden schon in den 70er-Jahren mit moderner Umwelttechnik ausgestattet. Zu dieser Zeit gab es die grüne Partei noch gar nicht. Heute tut man so, als ob Umweltschutz erst von der grünen Bewegung entdeckt wurde. ({14}) Das Märchen wird immer wieder erzählt. ({15}) In keinem rot-grün regierten Bundesland wurde der Schadstoffausstoß so stark zurückgefahren wie in den süddeutschen Bundesländern, in denen die Union in der Regierungsverantwortung steht. In diesem Sinne muss Umweltpolitik betrieben werden. ({16}) Für eine solche Umweltpolitik, die mit den und nicht gegen die Bauern durchgeführt wird, tritt die CDU/CSUFraktion ein. Wir werden nicht zulassen, dass die neue Agrar- und Verbraucherschutzministerin die Land- und Forstwirtschaft auf die Anklagebank setzt. Unsere Bauern und Bäuerinnen und unsere Forstwirte praktizieren tatsächlich Umweltpolitik. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({17})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun erteile ich dem Parlamentarischen Staatssekretär Matthias Berninger das Wort.

Matthias Berninger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002627

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist in der Tat richtig, dass das neue Ministerium den Namen Ministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft trägt. „Forsten“ ist in diesem Namen weggefallen. Ich kann Ihnen aber versichern, dass uns der Wald nach wie vor sehr am Herzen liegt. Wir brauchen ihn nicht im Namen eines Ministeriums, um daran erinnert zu werden. Das möchte ich Ihnen ganz deutlich sagen. ({0}) Ein Drittel der Fläche Deutschlands ist bewaldet. Ich könnte mir vorstellen, dass es noch mehr wird. Ich bin froh, dass die Holzmenge im Wald insgesamt nicht zurückgeht, sondern eher zunimmt. Das Problem des Waldsterbens - das ist hier von allen Rednern gesagt worden - haben wir aber noch nicht in den Griff bekommen. In der letzten Stunde habe ich hier eine etwas absurde Debatte mitbekommen. Sie ist insofern absurd, wenn man bedenkt, dass es in den 80er-Jahren eines massiven öffentlichen Drucks bedurfte, um die von Helmut Kohl geführte Bundesregierung zum Handeln zu veranlassen. ({1}) Es ist nicht so, dass Sie auf die Idee gekommen sind, Umweltpolitik zu betreiben. Ich kann mich gut daran erinnern, da es die Zeit war, in der ich anfing, mich für Politik zu interessieren: ({2}) Menschen, die auf Waldsterben und ähnliche Probleme hingewiesen haben, wurden diffamiert. Sie wurden von der Bundesregierung, die Sie mitgetragen haben, in eine Ecke gestellt. Sie hätten Ihre Reden über eine vernünftige Umweltpolitik, die Sie heute gehalten haben, nicht halten können, wenn Ihnen die Öffentlichkeit nicht massiv Feuer unterm Hintern gemacht hätte. ({3}) Wir haben Erfolge - unter anderem dank des technischen Umweltschutzes - erzielen können, auf die wir alle stolz sein können. Der Schwefel ist heute nicht mehr ein so großes Problem wie in den 80er-Jahren. Hätte es die deutsche Einheit nicht gegeben, wäre der Wald in Deutschland in einem erheblich schlechteren Zustand. Wir sollten froh darüber sein, dass es die deutsche Einheit gab ({4}) und dass wir insgesamt eine Verbesserung der Luftqualität erreicht haben. ({5}) Diese Entwicklung beruht nicht einseitig auf einer erfolgreichen Politik. Sie wissen auch, dass für unsere Erfolge beim Klimaschutz und beim Rückgang der Emissionen ein hoher Preis in den neuen Ländern gezahlt wurde: Die Anlagen wurden einfach abgestellt, die Schornsteine rauchten nicht weiter und die Menschen waren arbeitslos. Diese Tatsache muss man fairerweise erwähnen. Nachhaltige Politik bedeutet eben auch, dies nicht zu vergessen. Die neue Entwicklung war nicht nur einseitig ein Erfolg Ihrer Politik, sondern sie hing auch mit den Veränderungen nach der Wende auf dem Gebiet der ehemaligen DDR zusammen. Das Landwirtschaftsministerium hat sich in der Vergangenheit, vor allem während Ihrer Regierungszeit, mit dem Problem des Stickstoffes, das heute unser Hauptproblem ist, nicht in dem Maße beschäftigt, wie es nötig gewesen wäre. ({6}) Die Agrarwende wird einen entscheidenden Beitrag dazu leisten, ({7}) dass wir zusätzliche Strategien gegen das Waldsterben entwickeln. ({8}) Warum? Herr Kollege Deß, das Problem, das wir in der Landwirtschaft haben, ist, dass ein Großteil unserer Tierproduktion darauf beruht, dass wir Tierfutter - beispielsweise Soja - importieren. ({9}) Ein Teil des so importierten Stickstoffs gelangt ins Fleisch und wird hier emittiert. Das ist ein großes Problem. Die Agrarwende wird zeigen, ob wir auch in Zukunft noch auf Eiweißimporte angewiesen sind - womöglich auf gentechnisch verändertes Soja - oder ob wir in der Lage sind, Grünland wieder zu dem zu machen, was es einmal war, nämlich zu einem Eiweißlieferanten für die Landwirtschaft in Europa. ({10}) Dafür setzt sich meine Ministerin ein. Sie sollten sie darin unterstützen, statt hier herumzumäkeln. ({11}) Herr Kollege Deß, es geht nicht um die Frage große oder kleine Betriebe. ({12}) Es geht vielmehr um die Frage, wie landwirtschaftliche Produktion auf einem qualitativ hohen Standard erfolgen kann. ({13}) Diese neue Politik der Bundesregierung ist in der Regierungserklärung sehr klar dargestellt worden. Ich will Ihnen ein Beispiel für eine gelungene Agrarwende schildern. ({14}) Dieses Beispiel finden Sie im Weser-Ems-Gebiet. Der niedersächsische Landwirtschaftsminister, Uwe Bartels, besitzt jetzt den Mut, zu sagen - das ist die Agrarwende -, dass die Massentierhaltung, die eine Gülleproduktion und eine Stickstoffemission in nicht erträglichem Ausmaß zur Folge hat, der Vergangenheit angehört und dass in Zukunft in Gebieten wie dem Weser-Ems-Gebiet eine neue Landwirtschaftspolitik gemacht wird. Diese konstruktive Politik wurde gestern von einem Politiker aus Niedersachsen angekündigt. ({15}) Dagegen wirft Herr Stoiber in seiner ganzen Hilflosigkeit meiner Ministerin vor, sie mache Reichsnährstandspolitik.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege, akzeptieren Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Deß? Matthias Berninger, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft: Selbstverständlich. Ich akzeptiere sie gerne.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Bitte sehr, Herr Kollege.

Albert Deß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000376, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär Berninger, ich sehe überhaupt keinen Dissens in diesem Punkt. Auch wir treten dafür ein, dass mehr Eiweißpflanzen in Europa angebaut werden, damit hier mehr Eiweiß produziert wird. Meine Frage lautet daher: Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass unter der Verantwortung der rot-grünen Bundesregierung eine Agenda 2000 beschlossen wurde, die zur Folge hat, dass die Prämien für den Anbau von Eiweißpflanzen gesenkt wurden, was wiederum dazu führt, dass seitdem weniger Eiweißpflanzen angebaut werden? ({0})

Matthias Berninger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002627

Herr Kollege Deß spricht die Agenda 2000 an. Ich bin selbstverständlich bereit, das zur Kenntnis zu nehmen. Sie wissen aber, dass im Rahmen der Agenda-Verhandlungen unter der deutschen Präsidentschaft Kompromisse mit verschiedenen Ländern geschlossen ({0}) und an verschiedenen Stellen, zum Beispiel bei der Milchquote, Zugeständnisse an andere Länder gemacht werden mussten. Diese Verhandlungen fanden 1999 statt. Ich will Ihnen aber sagen, was im Jahr 2001 passiert; denn das interessiert die Menschen. Renate Künast setzt sich in Europa dafür ein, dass der Eiweißpflanzenanbau auf den Stilllegungsflächen - egal, ob es sich um ökologische oder um konventionelle Produktion handelt - zugelassen wird. Das ist eine konkrete Politik für die Grünfläche. Diese Einsicht haben wir seit der BSE-Krise. Die von Ihnen geführte Diskussion darüber, was vorher war, halte ich für relativ albern, weil Sie für eine über Jahre hinweg verfehlte Umweltpolitik die Verantwortung tragen. Sie sollten bereit sein, das endlich zuzugeben. ({1}) Ein weiterer Punkt hat mich stutzig gemacht. Die Kollegin Sehn hat gesagt, keiner könne nachweisen, ob es sich tatsächlich um eine Klimakatastrophe handelt. ({2}) Ich empfehle allen, die das behaupten, einmal in den Schwarzwald zu gehen und sich anzuschauen, was das Orkantief „Lothar“ dort angerichtet hat. ({3}) Dort ist ein Schaden in ungeheurem Ausmaß entstanden. Die Forstwirte und auch die Wissenschaftler sagen sehr klar, dass das mit den globalen Klimaveränderungen zusammenhängt. Deswegen wird sich die Waldpolitik der Bundesregierung gerade im nächsten Jahr, wenn wir zehn Jahre Rio feiern, daran orientieren, eine moderne Klimaschutzpolitik zu machen. ({4}) Diese moderne Klimaschutzpolitik ist eine der Grundvoraussetzungen dafür, dass wir die Situation des Waldes in Deutschland, aber auch der Wälder weltweit verbessern. ({5})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Matthias Berninger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002627

Selbstverständlich.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Bitte sehr, Herr Kollege Hornung.

Siegfried Hornung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000961, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, Sie haben gerade zu Recht auf die riesigen Schäden durch den Sturm „Lothar“ im Schwarzwald und in anderen Regionen hingewiesen. Können Sie dem Plenum sagen, wie viel Unterstützung die Bundesregierung den dortigen Waldbauern gegeben hat, und können Sie dem Plenum auch sagen, in welcher Größenordnung eine Firma, die sich ähnlich nennt, nämlich Holzmann, fast gleichzeitig Geld bekommen hat? ({0}) Nachdem ich heute der Presse entnommen haben, dass diese Firma wieder 100 Millionen DM Schulden hat, können Sie mir vielleicht sagen, welchen Stellenwert Sie dem im Zusammenhang mit dem, was Sie hier erzählen, einräumen.

Matthias Berninger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002627

Herr Kollege, ich kann Ihnen selbstverständlich sagen, was die Bundesregierung im letzten Jahr gemacht hat: Sie hat sich, weil die Situation in BadenWürttemberg so schwierig war, weil die Kahlschläge so massiv waren, weil das Holz im Wald lag, weil die Gefahr durch Borkenkäfer und Ähnliches groß war, entschlossen, über den Plan hinaus Mittel zur Verfügung zu stellen. ({0}) - Soll ich die Frage jetzt beantworten oder nicht? ({1}) Ich weiß, dass wir dafür zusätzlich 30 Millionen DM bereitgestellt haben; ({2}) denn ich habe im Haushaltsausschuss gesessen und das durchgesetzt, lieber Herr Kollege. Ich will aber ausführen, dass die Bundesregierung hierzu bereit war, obwohl Baden-Württemberg die Last eigentlich hätte alleine tragen müssen. Wir haben gesagt: Die Krise ist so groß, dass wir trotzdem helfen. Sie sollten froh sein, dass diese Hilfe zustande gekommen ist und wir nicht Vergleiche zum Beispiel mit Holzmann ({3}) oder anderen gezogen haben, die nun wirklich hinken und jeder Beschreibung spotten. Das ist der entscheidende Punkt. ({4}) Schließlich stand beispielsweise der von mir nicht sehr geliebte hessische Ministerpräsident Koch in der ersten Reihe, als die Forderung gestellt wurde, man müsse Holzmann dringend helfen. Das bitte ich hier einmal zur Kenntnis zu nehmen. Sonst mögen Sie doch den Koch immer so gerne, also sollten Sie auch das zur Kenntnis nehmen. ({5}) Die Biomasseverordnung ist angesprochen worden. Sie wird dem Wald helfen, weil wir aus dem Wald zusätzlich Energie gewinnen können, und sie wird uns ebenso hinsichtlich der nachwachsenden Rohstoffe und der Verringerung der Ammoniakemission helfen. ({6}) Das sind die konkreten Maßnahmen, die wir durchgesetzt haben und zu denen Sie nie in der Lage waren. Unser Ministerium wird den Wald sowohl in wirtschaftlicher als auch in ökologischer Hinsicht sehr ernst nehmen. Sie können sicher sein: Diese Bundesregierung wird, egal ob wir über die Verkehrswende oder über die Ökosteuer reden, nichts unversucht lassen, Politik zu machen, die am Ende des Tages dem Wald nutzt. Denn - das ist eine alte Weisheit - was dem Wald nutzt, das nutzt auch uns Menschen. Das leitet uns. ({7})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf Drucksache 14/4235. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die Kenntnisnahme des Waldzustandsberichts 1999 auf Drucksache 14/3090. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Wir haben das also alle zur Kenntnis genommen. Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Entschließungsantrages der Fraktion der CDU/CSU zum Waldzustandsbericht 1999, Drucksache 14/3095. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 14/4967 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Der Entschließungsantrag auf Drucksache 14/5560 soll zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und zur Mitberatung an den Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit überwiesen werden. - Damit sind Sie einverstanden. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 sowie Zusatzpunkt 5 auf: 4. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dietrich Austermann, Heinrich-Wilhelm Ronsöhr, Paul Breuer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Nachtragshaushalt zur Korrektur der Entwicklung der Bundesfinanzen vorlegen - Drucksache 14/5449 Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss ({0}) Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Verteidigungsausschuss ZP 5 Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU Sofortmaßnahmen zur Verbesserung des Verbraucherschutzes und zur Unterstützung der landwirtschaftlichen Betriebe erforderlich - Drucksache 14/5544 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({1}) Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Dietrich Austermann, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

Dietrich Austermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000066, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist ein ziemliches Unding, dass das Parlament über sein Königsrecht, das Haushaltsrecht, diskutiert und der Finanzminister nicht anwesend ist. Ich halte das für empörend. ({0}) Es wäre durchaus angebracht, darüber zu entscheiden, ob man den Minister hierher zitiert. In den letzten acht Wochen haben sich nämlich Entscheidungen ergeben, die bei den Bürgern und Betrieben Klarheit darüber erfordern, wie es mit der Finanz- und Haushaltspolitik weitergeht. Ich nehme an, Minister Eichel ist wieder einmal mit der Flugbereitschaft unterwegs, wahrscheinlich im hessischen Wahlkampf. ({1}) - Es mag auch sein, mit dem BGS. ({2}) - Bei dieser Gelegenheit, Herr Kollege Diller, möchte ich daran erinnern, dass ich vor 14 Tagen danach gefragt habe, wann er die angekündigten Listen für die angeblichen Dienstflüge dem Rechnungshof vorlegen wird. Meine Damen und Herren, in der Haushaltsdebatte am 28. November letzten Jahres habe ich für die Union gesagt, Sie „haben durch falsche wirtschaftspolitische Weichenstellungen die gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen verschlechtert“. Weiter: Infolgedessen trüben sich die Wachstumsaussichten für das kommende Jahr ein. ... Bei dem vorgelegten Haushalt stimmt doch alles hinten und vorne nicht ... Um die Ausgaben 2001 künstlich herunterzurechnen, hat man versucht, ein paar Ausgabepositionen einfach wegzulassen. Dies ist eine Missachtung des Parlaments, eine Missachtung der Entscheidungshoheit, die wir in dieser Frage haben, und dies zeigt, dass nicht Klarheit und Wahrheit herrschen. Man muss hierzu deutlich sagen: Der Bundesfinanzminister ist aufgefordert, jetzt einen Nachtragshaushalt vorzulegen, in dem Einnahmen und Ausgaben gegenübergestellt werden. ({3}) Alle Spatzen pfeifen es von den Dächern, dass in diesem Jahr gewaltige Löcher im Bundeshaushalt klaffen. Das ist auch nicht zu bestreiten. Herr Kollege Metzger hat selbst von mindestens 6 Milliarden DM gesprochen. Nun sagt der Kollege Metzger gelegentlich Zutreffendes, manchmal sogar ein bisschen Konservatives; aber wenn es dann darum geht, dass entschieden wird, ist er meistens in den Büschen. ({4}) Hier wäre er jetzt gefordert, mit uns zusammen dafür zu sorgen, dass wir Ordnung in die Bundesfinanzen bringen. ({5}) Dass der Bundesfinanzminister das Parlament nicht achtet, ist schon bei den UMTS-Lizenzen deutlich geworden. Hier ist immerhin ein Betrag von 100 Milliarden DM am Parlament vorbeigeführt worden. Heute muss man sagen, dass das Ganze ein Flop war; das ist jedenfalls die vorherrschende Meinung der Unternehmen, die Lizenzen gekauft haben, und die vorherrschende Meinung in der Wirtschaft. Man muss sich einmal fragen, wie die 250 Milliarden DM - 100 Milliarden DM für Lizenzausgaben und 150 Milliarden DM für Investitionen - so Vizepräsidentin Anke Fuchs erbracht werden können, dass sich das Ganze hinterher auch rechnet. Der Finanzminister ist im letzten Jahr beim TelekomVerkauf an der Frankfurter Börse stolz wie ein Gockel herumspaziert. Heute schaut er als der nach wie vor größte Telekom-Aktionär wie auch Millionen Kleinaktionäre auf den dramatisch gesunkenen Kurs der Aktie. Ketzerisch könnte man sagen, Eichel habe die Bundesschulden mit den Vermögensverlusten der Kleinanleger finanziert. ({6}) Meine Damen und Herren, am Parlament vorbei laufen auch manche anderen Privatisierungseinnahmen. Wahrscheinlich weiß noch nicht einmal jeder Abgeordnete der Koalition, wie viel Geld aus den Verkäufen von Post und Telekom „gebunkert“ wird. Die genaue Zahl der Erlöse aus der Privatisierung der Bundesdruckerei ist nicht bekannt. Eine genaue Auskunft über die Einnahmen aus dem mittelstandsfeindlichen Verkauf der Ausgleichsbank und aus dem Verkauf der DEG wird uns verweigert. All dies bestätigt, dass der Finanzminister in einer Situation, die auf der einen Seite dramatisch ist und auf der anderen Seite durch ein erhebliches Maß an Einnahmen gekennzeichnet ist, die er der Vorgängerregierung verdankt, in beträchtlichem Umfange über Geld verfügt. Der Bundesfinanzminister trickst ferner bilanztechnisch herum. Ein paar Ausgaben, die bereits bei den Haushaltsberatungen absehbar waren, sind nicht in den Haushaltsplan aufgenommen worden. Ich rede jetzt gar nicht über die tatsächliche Situation bei den Steuereinnahmen. Inzwischen weiß jeder Bürger, dass die „größte Steuerreform aller Zeiten“ sich bei ihm im Portemonnaie kaum bemerkbar gemacht hat. ({7}) Sie wurde als eine Jahrhundertreform verkauft. Sie war es übrigens nicht. Es gab eine bessere. Die Reform von Gerhard Stoltenberg war wesentlich besser. ({8}) Sie wurde als die Jahrhundertreform verkauft, aber sie ist zurzeit in den Portemonnaies der Bürger nicht zu spüren, obwohl - was man sich auf der Zunge zergehen lassen muss - der Finanzminister im letzten Jahr 47 Milliarden DM mehr an Steuern eingenommen hat als im Jahre 1998. Er wird auch in diesem Jahr trotz der angeblich größten Steuerreform mindestens 40 Milliarden DM mehr Steuern einnehmen als zu unserer Zeit. Das ist ein trauriger Rekord, denn das bedeutet auf der anderen Seite Belastung von Bürgern und Betrieben in einem unerhörten Ausmaß. Meine Damen und Herren, die Bürger sind verunsichert über die Haushalts- und Finanzpolitik, ({9}) durch die Wackelpuddingpolitik des Bundeskanzlers und seines Finanzministers. ({10}) - Nein, das ist keine Panikmache. Das drückt sich zum Beispiel konkret in den Wachstumserwartungen aus, Herr Kollege Wagner, die deutlich nach unten korrigiert werden müssen, ({11}) was wir Ihnen vorhergesagt haben. Eine Politik, die auf der einen Seite die Wirtschaft, die Bürger und die Betriebe durch Ökosteuer, durch Energiesteuer und durch andere hohe Ausgaben zusätzlich belastet und auf der anderen Seite in geringerem Maße bei den Steuern entlastet, kann doch nicht wachstumsförderlich sein. Ich glaube, das ist ziemlich klar. ({12}) Sie reden in Ihrer Koalition durcheinander. Der eine sagt, die Kindergelderhöhung kommt. Der andere redet vom höheren Betreuungsbetrag. Dann stellt man die Kindergelderhöhung wieder einmal infrage. Dann wird gesagt: Die Ökosteuer ist zu labil, deswegen müssen wir die Mehrwertsteuer um zwei Punkte erhöhen. - Das war übrigens 1998 ein interessantes Wahlkampfthema. - Dann spekuliert man in anderen Bereichen. Die Bürger wollen Klarheit haben. Hören Sie mit der Verunsicherung der Menschen auf. Um das gleich aufzunehmen: Wenn die Behauptung kommt, Sie hätten mit der Förderung der Familien erst einmal angefangen, dann halte ich entgegen: Sie werden das nicht einholen. Zu Ihrer Zeit wurden Kinderfreibeträge abgeschafft. Wir haben das korrigiert und das Kindergeld für das erste Kind immerhin in einem Riesenschritt von 50 auf 220 DM pro Monat erhöht. ({13}) Meine Damen und Herren, das Parlament wird von dieser Regierung und von der Koalitionsmehrheit nicht ernst genommen, wie sie gleichzeitig die Aufgabe, die sie im Parlament hat, nicht ernst nimmt. Das drückt sich darin aus, dass die Mehrheit abgelehnt hat, den Finanzminister Eichel und Herrn Scharping im Haushaltsausschuss zu hören, sie einzubestellen, um sie zur Finanzsituation zu befragen und insbesondere Auskunft zu den Bundeswehrfinanzen zu erhalten. Gestern im Verteidigungsausschuss ergab sich genau das gleiche Bild. Die Regierung meidet das Parlament und das ist unparlamentarisch. ({14}) Dabei wird die Realität ignoriert. Sie können das an einem Beispiel sehen. Ich will gar nicht zitieren, was der Vorsitzende des Bundeswehr-Verbandes über den Verteidigungsminister sagt. ({15}) - Gut, Herr Kollege Roth, dann will ich das tun: der schwächste Verteidigungsminister aller Zeiten. ({16}) Daran hat der Finanzminister einen erheblichen Anteil, der dem Verteidigungsminister in diesem Jahr 2 Milliarden DM an notwendigen Mitteln verweigert, sodass man heute feststellen muss: Die Bundeswehr ist pleite. Wichtige Ausgaben der Instandhaltung können nicht geleistet werden. Meine Damen und Herren, wir sagen: Wir brauchen einen Nachtragshaushalt, um Ausgaben und Einnahmen wieder in die Buchhaltung des Bundes aufzunehmen. Dafür gibt es klare Gründe: Erstens. Das wirtschaftliche Wachstum fällt niedriger aus. Das hat Auswirkungen auf die Steuereinnahmen. Wenn man wie der Bundeskanzler von einem Wachstum von 2,8 Prozent Wirtschaftswachstum ausgeht, was völlig utopisch ist, aber eher mit einem Wachstum von nur 2 Prozent rechnen muss, dann ist klar, dass gehandelt werden muss. Es ist ja auch interessant, welche Argumente bei diesem Thema hier vertreten werden. Wenn das Wachstum gut läuft wie im letzten Jahr, dann lag es an der Bundesregierung; wenn es - wie in diesem Jahr ersichtlich schlecht läuft, dann waren es die Amerikaner oder wer sonst auch immer; vielleicht waren es auch die Institute. ({17}) Nein, es ist die Regierung, die durch Energieverteuerung, unter anderem durch die Ökosteuer, der Volkswirtschaft Lasten von 65 Milliarden DM auferlegt. ({18}) Dann braucht man sich nicht zu wundern, dass die Steuerreformentlastung nicht greift. Wenn Sie sich heute die Spritpreise ansehen, dann stellen Sie fest, dass von dem Motto „Freie Fahrt für freie Bürger“ schon lange keine Rede mehr ist, sondern eher von dem Slogan „Freie Fahrt für reiche Bürger“. Sie errichten ständig neue Hürden für Investitionen, bei der Mitbestimmung, bei der Teilzeitarbeit, bei den AfA-Tabellen, bei der Energiebesteuerung, bei befristeten Arbeitsverhältnissen und bei vielen anderen Dingen in den Betrieben und beim Mittelstand und bewirken damit eine zusätzliche Kostenbelastung. Ich habe gesagt: Wir müssen auflisten, was an Haushaltsdefiziten zurzeit da ist, was nicht verzeichnet ist. Ich habe das Wachstum und damit die Steuereinnahmen angesprochen. Ich nenne die fehlenden 2 Milliarden DM bei der Bundeswehr. Ich verweise darüber hinaus darauf, dass bei der Telekom 400 Millionen zu zahlen sind, und auf das EXPO-Defizit. Die entsprechenden Mittel wurden Herrn Gabriel schon im letzten September zugesagt. Dann kann doch kein Mensch davon ausgehen, dass das Ganze unvorhergesehen und deshalb über Haushaltssperren zu bewältigen ist. Nein, alles das, was jetzt auf dem Tisch liegt, was an zusätzlichen Ausgaben da ist, war vor Abschluss des Haushalts bekannt. Der Kollege Hollerith wird zum Thema BSE Stellung nehmen. Wir haben hier am 27. November den Antrag gestellt, ein Sofortprogramm für die Landwirtschaft zu initiieren. Das ist von Ihnen abgelehnt worden. ({19}) Das heißt, bei den Haushaltsberatungen war bekannt: Hier kommt eine Belastung auf den Bund zu. ({20}) Das hat man damals ignoriert. Das kann man jetzt nicht mit überplanmäßigen Ausgaben bewältigen; es muss ein Nachtragshaushalt her. Ich weiß natürlich, warum Sie das scheuen, ({21}) nämlich weil es im Ergebnis dazu führt, dass zugegeben werden muss, Herr Kollege Poß, dass in diesem Jahr, wie im letzten Jahr und im Jahre 1999, die Ausgaben gestiegen sind. Ein Finanzminister, der die Ausgaben nicht im Griff hat, ist aber kein guter Finanzminister. Wenn also die Ausgaben nur deshalb nach unten gerechnet werden, damit die Steigerung bei den Ausgaben nicht erkennbar ist, dann ist das Trickserei und hat mit Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit nichts zu tun. ({22}) Es gibt weitere Belastungen, die bisher im Haushalt nicht aufgeführt worden sind. ({23}) - Ich kann Sie leider nicht verstehen, Frau Kollegin Wegner, aber ich nehme an, Sie wollten mir zustimmen. Ich nenne die Belastung aus der Rentenreform, die sich in den nächsten Jahren fortsetzen wird. Ich meine die Grundsicherung, die die Kommunen trifft. Ich nenne auch noch das Kindergeld und die Privatvorsorge bei der Rente. Auch hier werden zusätzliche Mittel gebraucht. Ich nenne den Transrapid. Auch hier war erkennbar, dass es zusätzliche Belastungen geben würde, und zwar in Höhe von 400 Millionen DM. Bisher sind sie nicht verbucht. ({24}) Ein ganz wichtiger Punkt ist die Arbeitslosenhilfe. Sie ist im Bundeshaushalt in den letzten zwei Jahren mit 3,5 Milliarden DM unterfinanziert gewesen. Auch in diesem Jahr ist erkennbar, dass die dafür vorgesehenen Mittel nicht ausreichen. Frau Kollegin Wegner, Sie wissen ganz genau, dass wir im letzten Jahr 3,5 Milliarden DM zusätzlich bereitstellen mussten, weil Sie die Arbeitslosigkeit geschönt und zu niedrige Beträge angesetzt haben. Das findet in diesem Jahr wieder statt und darauf weisen wir die Bürger hin. Wir sagen: Der Hans Eichel ist in dieser Frage kein guter Verwalter der Bundesfinanzen. Er schwimmt auf der einen Seite durch Privatisierungserlöse und Steuereinnahmen im Geld, auf der anderen Seite scheut er vor der Wahrheit durch ein klares Bekenntnis zur tatsächlichen Situation bei den Ausgaben zurück. ({25}) Meine Damen und Herren, wir fordern den Finanzminister auf, schnellstmöglich einen Nachtragshaushalt vorzulegen, um Klarheit und Wahrheit bei den Bundesfinanzen wieder herzustellen, der Wahrheit zum Durchbruch zu verhelfen. Wir lassen nicht zu, dass den Bürgern vor den Wahlen im Süden ein Trugbild über die tatsächliche Situation der Staatsfinanzen und der Wirtschaft vorgegaukelt wird. Deswegen fordern wir Sie auf, wenn Sie das wichtigste Parlamentsrecht, das Budgetrecht, ernst nehmen: Stimmen Sie mit uns dafür, dass ein Nachtragshaushalt vorgelegt wird. Herzlichen Dank. ({26})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Für die Bundesregierung hat jetzt der Parlamentarische Staatssekretär Karl Diller das Wort. ({0})

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Haushaltspolitiker soll eines auszeichnen, nämlich Seriosität gegenüber Zahlen und Fakten, insbesondere Seriosität gegenüber den Mitmenschen. All das lässt Herr Austermann vermissen. Seine Rede war vom ersten bis zum letzten Satz eine Aneinanderreihung von widerlichen Unterstellungen. ({0}) Das begann mit seinem ersten Satz, nämlich seiner Klage über den abwesenden Finanzminister. Wenn er die Wahrheit gesagt hätte, hätte er zugeben müssen, dass auf Wunsch der CDU/CSU der Deutsche Bundestag heute seine Tagesordnung völlig umgestellt hat, ({1}) dass man dieses Thema vom Vormittagstermin, der mit Hans Eichel möglich gewesen wäre, auf den Nachmittag verlegt hat, und zwar auf Antrag der Fraktion der CDU/CSU. Wir haben das akzeptiert. Sich darüber jetzt aufzuregen und sich zu beschweren, das ist nun wirklich das Letzte. ({2}) Dass Herr Austermann mit Unterstellungen arbeitet, sieht man im Übrigen auch bei einem Thema, das sein Lieblingsthema ist. Dazu sage ich zu Ihrer Unterrichtung: Das Bundesverteidigungsministerium hat dem Bundesrechnungshof längst alle notwendigen Listen vorgelegt. ({3}) - Zu Ihrer weiteren Unterrichtung: Hans Eichel ist derzeit auf dem Wege zu einem Landesfinanzminister, um sich mit ihm über das Thema Bund-Länder-Finanzausgleich zu unterhalten. ({4}) Der vorliegende Antrag der CDU/CSU setzt etwas fort, was wir bereits vor einem Jahr ertragen mussten. Same procedure as last year, könnte man also sagen. Denn auch damals hat die Opposition einen Nachtragshaushalt gefordert, weil der Haushalt 2000 angeblich aus dem Ruder laufe. Im Haushaltsvollzug hat Herr Austermann dann das Thema gewechselt. Plötzlich war nichts mehr davon zu hören, dass alles aus dem Ruder laufe. Vielmehr kam der Vorwurf auf, Hans Eichel schwimme im Geld. Anfang Januar dieses Jahres hat der gleiche Herr Austermann gegenüber der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ eine Prophetie in die Vergangenheit - nicht in die Zukunft gewagt, indem er gesagt hat, im abgelaufenen Haushaltsjahr 2000 würden die Ausgaben nach seiner Schätzung um 3 Milliarden DM höher liegen als veranschlagt. Tatsächlich lag der Abschluss des Haushalts 2000 um 3 Milliarden DM unter der veranschlagten Neuverschuldung. Statt 3 Milliarden DM Mehrausgaben, wie von Herrn Austermann noch Anfang Januar - rückwirkend prophezeit, hatten wir 800 Millionen DM Minderausgaben. Das zeigt die Qualität dieses Propheten in Bezug auf den Haushalt. ({5}) Herr Fraktionsvorsitzender, Sie sollten sich für dieses Thema einen neuen Propheten suchen. Im Übrigen möchte ich auf Folgendes hinweisen: Unter Mitwirkung von Herrn Austermann haben CDU/CSU und F.D.P. dem deutschen Volk eine Verschuldung des Bundes von 1,5 Billionen DM hinterlassen. ({6}) Für diese gigantische Verschuldung, für Ihre Schulden, müssen wir in den laufenden Haushaltsjahren fast 80 000 Millionen DM nur an Zinsen zahlen. ({7}) Sie haben die Verantwortung dafür zu tragen - die tragen Sie heute noch -, dass der Bundeshaushalt finanziell praktisch manövrierunfähig war. ({8}) Es bedurfte unseres Kraftaktes im Rahmen des Konsolidierungsprogrammes 2000, aus dieser HaushaltsnotDietrich Austermann lage herauszukommen. Das schaffen wir nur, indem wir im letzten Jahr wie in diesem Jahr eine strikte Ausgabendisziplin einhalten ({9}) und die Neuverschuldung - so auch in diesem Jahr - herunterfahren. Dazu gehört auch die Bewirtschaftung der Haushaltsmittel. Nicht jede Mark, die veranschlagt ist, muss auch ausgegeben werden. Darauf werden wir weiterhin genau achten. Wir haben im laufenden Haushalt unvorhergesehene und unabweisbare Zusatzbelastungen; das ist richtig. Diese Belastungen sind aber beherrschbar, weil wir an unserem Konsolidierungsprogramm festhalten. Eines ist klar: Die Grenze der im laufenden Haushaltsjahr auffangbaren Zusatzbelastungen ist nun fast erreicht. Der Bund wird daher keinesfalls über seine Finanzierungsverantwortung hinaus weitere Mittel, die im Rahmen der BSE-Krise erforderlich werden, übernehmen können. Als Folgekosten aus der BSE-Krise haben Bund und Länder gemeinsam 2 Milliarden DM kalkuliert. Von diesem Betrag entfällt nach den bestehenden Finanzierungsverantwortlichkeiten rund 1 Milliarde DM auf den Bund. Wir sind bereit, diese zu tragen. So leisten wir beispielsweise auf EU-Ebene unseren Anteil. Denn die EU hat vor wenigen Wochen beschlossen, einen Nachtragshaushalt in der Größenordnung von 1 Milliarde Euro vorzulegen, wofür sie bei uns auf der Einnahmenseite 500 Millionen DM abbuchen wird, um ihren Haushalt zu finanzieren. Dies war absolut unvorhersehbar und unabweisbar. Wir werden diese Mindereinnahmen im Rahmen der im Einzelplan 60 veranschlagten Ansätze für die EU-Abführungen auffangen. Außerdem haben wir außerplanmäßige Ausgaben in Höhe von 300 Millionen DM für die BSE-Krise bewilligt. Bei der Unterrichtung des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages am 7. Februar 2001 über diese außerplanmäßigen Ausgaben wurde die BMF-Vorlage im Übrigen ohne Einschränkung zur Kenntnis genommen. ({10}) Deswegen können die jetzt nachträglich erhobenen Rechtsbedenken überhaupt nicht nachvollzogen werden. Über die Finanzierung der Restmittel werden zurzeit weitere Gespräche geführt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Koppelin?

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Bitte sehr.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön, Herr Koppelin.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, können Sie uns noch einmal darstellen, wie Sie nun die finanzielle Abwicklung der BSE-Krise gestalten wollen? Sie haben zwar Zahlen genannt und Sie haben gesagt, was der Bund tragen will. Nun lese ich aber, dass die andere Finanzexpertin Ihrer Partei, Frau Heide Simonis, sagt, von den Ländern gebe es keinen Pfennig; denn durch die Politik des Bundes seien die Kassen der Länder bereits so gerupft worden, dass sie kein Geld mehr habe. Wie können Sie also erwarten, dass die Länder zuzahlen? Wenn Sie zu einer Einigung kommen, darf ich dann bitte gleichzeitig von Ihnen wissen, wann Sie mit dieser Einigung rechnen?

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Herr Kollege Koppelin, ich bin gerade dabei, das aufzufächern. - Wir haben also 500 Millionen DM dadurch zu leisten, dass die EU einen Nachtragshaushalt zur Bewältigung der BSE-Krise aufstellt. Da ist - das ist der erste Punkt - unser Anteil, 500 Millionen DM Steuereinnahmen an die EU abzuführen. Zweiter Punkt: Ich habe Ihnen gerade dargelegt, dass wir 300 Millionen DM außerplanmäßig bereitstellen, die den Gesamthaushalt betreffen, und weitere Millionen werden aus dem Bereich des Einzelplans 10 erwirtschaftet. Im Übrigen möchte ich auf eines hinweisen: Wir gehen in der Finanzierungsfrage exakt entlang der Verantwortlichkeit. Wir tragen das, wofür der Bund verantwortlich ist. Wir fordern alle anderen auf, im Rahmen ihrer Verantwortlichkeiten auch die Finanzierungsverantwortung zu übernehmen. ({0}) Denn wir haben rasch und entschlossen -

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Diller, entschuldigen Sie: eine Zusatzfrage des Kollegen Koppelin!

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Okay.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön, Herr Koppelin.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, ich habe mich bemüht, Sie sehr sachlich zu fragen, wann Sie denn mit einer Einigung mit den Ländern rechnen. Ich habe das Beispiel angesprochen, dass Frau Simonis sagt: Wir haben kein Geld in der Kasse, wir werden nicht zahlen. Jetzt möchte ich von Ihnen hören: Wann erwartet die Bundesregierung, dass sie sich mit den Ländern einigt? Darf ich auch fragen, wie weit die Finanzierung der BSE-Krise auch mit der EU abgesprochen ist und was von da noch kommen wird?

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Herr Koppelin, Sie wissen aus der DiskusParl. Staatssekretär Karl Diller sion in dieser Woche im Haushaltsausschuss, dass das von Land zu Land höchst unterschiedlich gehandhabt wird. Es gibt beispielsweise sogar zwei Länder, nämlich Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg, die weit mehr zahlen, als in ihrer eigenen Finanzverantwortung steht, die sogar Dinge übernehmen, die eigentlich die Betroffenen in der Wirtschaft tragen müssten. ({0}) Von daher denke ich, dass sich die beteiligten Länder auch irgendwann einmal schlüssig werden müssen, auf unser Angebot einzugehen und das zu akzeptieren, was wir bereit sind, überplanmäßig bereitzustellen. Was nicht erfolgen darf, Herr Koppelin - darin stimmen Sie mir sicherlich zu -, ist, dass noch endlos weiter auf dem Rücken der Betroffenen geschachert wird. Wir haben unser Angebot präzise vorgelegt, ({1}) und jetzt sollten alle Beteiligten dem zustimmen. ({2}) Auch der Einzelplan des Bundesverteidigungsministeriums, Herr Austermann, gibt keinen Anlass, einen Nachtragshaushalt für das Jahr 2001 vorzulegen. ({3}) Denn der Herr Bundesverteidigungsminister hat mehrfach im Haushaltsausschuss und im Verteidigungsausschuss des Deutschen Bundestages festgestellt, dass er mit seinem Geld auskommt. ({4}) Haushaltsplan und Finanzplan bis 2004 sind im Übrigen einvernehmlich im Kabinett festgelegt worden. Dem BMVg sind zur finanziellen Entlastung eine Reihe von Sondervergünstigungen gewährt worden. Ich erinnere daran, dass die eigentlich bei uns etatisierten Sondermittel für den Osteuropaeinsatz in Höhe von 2 Milliarden DM nun in den Verteidigungshaushalt überführt worden sind und dort im Wesentlichen auch für Investitionen genutzt werden können. ({5}) Ich erinnere auch daran, dass die Mehreinnahmen aus der Veräußerung beweglichen und unbeweglichen Vermögens bis zu einer Obergrenze von 1 000 Millionen DM in diesem Jahr und in der Größenordnung von 1 200 Millionen DM im nächsten Jahr ebenfalls dem Einzelplan Verteidigung zur Verfügung gestellt werden, damit Verteidigungsinvestitionen weitergeführt werden können - eine ungewöhnliche Methode übrigens, die eigentlich wider alle Prinzipien ist, weil sie natürlich irgendwann zu einer Versäulung des Haushalts führen könnte. Das zeigt also, wie großzügig wir in diesem Bereich sind. Im Übrigen kann der Verteidigungsminister die Ausgaben im Rahmen seiner Bewirtschaftungsmöglichkeiten auffangen. Ich will noch eines aufgreifen, was Herr Austermann angesprochen hat: das Beispiel der EXPO. Auch da kann man sehen, wie unsinnig seine Formulierungen sind. Herr Austermann hat in der Öffentlichkeit prophezeit, es gäbe für den Bund eine zusätzliche Belastung von mehr als 1 Milliarde DM. Das ist überhaupt nicht nachvollziehbar; denn bei einem zu erwartenden EXPO-Defizit - Herr Austermann, wenn Sie sich einmal sachkundig machen würden - von 2,4 Milliarden DM ergeben sich für den Bund noch zu finanzierende Mehrkosten von 400 Millionen DM. Sie kennen Ihren eigenen Haushalt nicht. ({6}) Also, Herr Fraktionsvorsitzender, überlegen Sie sich eine neue Besetzung dieses Postens. ({7}) Deswegen bleibt eines richtig: Wir wollen erst einmal abwarten, bis die - ja, was ist es? - GmbH in Liquidation ihre endgültigen Zahlen vorgelegt hat, bis die geprüft sind. ({8}) Dann erst wird ja das endgültige Ergebnis feststehen können und dann werden wir diese Geschichte auch schultern, und zwar so, dass sie im Jahre 2002 geschultert wird. Die Steuereinnahmen, meine Damen und Herren, sind in 2000 zwar um 6 Milliarden DM hinter dem Ergebnis der Steuerschätzexperten des Bundes und aller Länder geblieben. Die haben im November getagt und uns für Ende Dezember 6 Milliarden DM Mehreinnahmen prognostiziert; das ist leider Gottes nicht eingetroffen. Gleichwohl waren die eingegangenen Steuereinnahmen um 1,3 Milliarden DM höher, als es den veranschlagten Sollzahlen entsprach. Das bedeutet, dass sich ein Teil der prognostizierten Steuermehreinnahmen, die dann nicht eingetreten sind, weil wir den Haushaltsplan 2001 aufgrund dieser Prognose für 2001, wie das seit Jahrzehnten üblich ist, aufgestellt haben - mit Ihrer Zustimmung übrigens -, nun als Steuermindereinnahmen als Basiseffekt für dieses Jahr und die kommenden Jahre in der Finanzplanung durchwälzen wird. Darüber haben wir den Haushaltsausschuss bereits bei der Vorlage des endgültigen Haushaltsabschlusses für das Jahr 2000 unterrichtet. Ich kann Ihnen sagen, dass Tatsache ist, dass es einen erfreulichen Steuereinnahmenzuwachs beim Bund sowohl im Januar wie im Februar gegeben hat; im Februar hat er sich schon deutlich korrigiert, weil der Januarmonat besonders starke Einmaleffekte hatte. Insgesamt, meine Damen und Herren, ist das, was Herr Austermann zum Schluss sagte, wahr. Zum Schluss hat er nämlich gesagt, dass er das alles wegen der anstehenden Wahlen macht. ({9}) Deswegen ordnen wir das ordentlich ein, kehren zurück zur Sachpolitik; und die Sachpolitik sagt, für einen NachParl. Staatssekretär Karl Diller tragshaushaltsplan für dieses Jahr besteht überhaupt kein Anlass. Ich bedanke mich. ({10})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zu einer Kurzintervention erteile ich der Kollegin Birgit Schnieber-Jastram von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.

Birgit Schnieber-Jastram (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002785, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Staatssekretär Diller, ich möchte eine kleine Einlassung von Ihnen korrigieren. Sie haben eben gesagt, auf unseren Wunsch finde diese Debatte erst zu diesem Zeitpunkt statt. Offensichtlich haben Sie den Kontakt und den Informationsfluss zur eigenen Fraktion verloren; denn ich darf Ihnen sagen, dass die eigentlich für diesen Nachmittag geplante Debatte zum Thema der transatlantischen Beziehungen auf Ihren Wunsch hin auf den Vormittag verlegt worden ist, und dementsprechend kam alles andere ins Rutschen. Herr Minister Eichel scheint mir übrigens heute den ganzen Tag über doch eher nicht im Hause zu sein. Meine Anregung also: Informieren Sie sich das nächste Mal bei Ihren eigenen Geschäftsführern der Fraktion darüber, was wirklich Sache ist. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Staatssekretär, zur Beantwortung, bitte.

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Frau Kollegin, ich habe mich hierbei auf folgende Unterrichtung gestützt. ({0}) Der Leiter der Fraktionsverwaltung der SPD hat festgehalten: Dass zu diesem Tagesordnungspunkt am Nachmittag und nicht wie ursprünglich von der CDU beabsichtigt am Vormittag debattiert wird, ({1}) liegt einzig und allein daran, dass man dem Wunsch nachgekommen ist, die Debatte über die transatlantischen Beziehungen in Anwesenheit des Außenministers in der Kernzeit zu führen. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich erteile jetzt dem Kollegen Günther Rexrodt von der F.D.P.-Fraktion das Wort.

Dr. Günter Rexrodt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002759, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bisher wurde sie als Markenzeichen der rot-grünen Koalition geführt, die Finanzpolitik von Hans Eichel. Der Kanzler hatte ihn machen lassen. Wer sich nur eineinhalb Jahre zurück erinnert, weiß, dass es der Konsolidierungskurs der Bundesregierung war, der den Bürgern erstmals nach dem desaströsen Jahr 1999 wieder ein Stück Zutrauen gab - und zugleich Hoffnung auf mehr Geld. Nach den - übrigens bis heute unkorrigierten - Entscheidungen zur Scheinselbstständigkeit, zu den 630Mark-Jobs und zum Kündigungsschutz kam nun der sparsame Hans und verkündete: Die Nettoneuverschuldung soll mittelfristig auf null gebracht werden. Steuerentlastungen stehen an. Dann kam die Sache mit der Ökosteuer. Nun, die hat man nicht geliebt, aber die Rentenbeiträge sollten ja nicht erhöht werden. Der unerwartete Geldsegen aus der UMTS-Versteigerung wurde entgegen der sozialdemokratischen Tradition nicht den Wünschen der Ressorts geopfert. Ja, das erschien akzeptabel und seriös. Die sind doch eigentlich gar nicht so schlimm, dachten die Bürger. Wer sich aber mit der Finanzpolitik und speziell mit den Haushaltsansätzen 2000 und 2001 befasst hatte, merkte bald, um was es ging: einerseits Verringerung der Staatsschuld aufgrund außergewöhnlich guter Einnahmen - gut so! - und andererseits keine wirklichen Veränderungen auf der Ausgabenseite. Im Gegenteil: Seit der Regierungsübernahme - das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen - sind die Ausgaben um 22 Milliarden DM gewachsen. In den Jahren 2000 und 2001 blieben bzw. bleiben sie auf hohem Niveau konstant. Ab 2002 steigen sie wieder bis auf eine halbe Billion DM 500 Milliarden DM! Das ist noch nie da gewesen. ({0}) Die für eine Verbesserung auf der Ausgabenseite notwendigen Hausaufgaben sind von Hans Eichel nicht gemacht worden. ({1}) Hans Eichel war aufgrund der Entwicklung auf der Einnahmenseite der Hans im Glück. Nun hat ihn - deshalb stehen wir hier - das Leben eingeholt: Wer keine Vorsorge trifft, den erwischt es auf falschem Fuße. So ist das mit ungedeckten Ausgaben. Wenn dann noch etwas mit der Konjunktur passiert, befindet sich das Schiff Finanzpolitik in ganz schwerem Fahrwasser. ({2}) Mit dem Leichtwasserfahrzeug, das Sie mit Ihrem Haushalt 2001 gebaut haben, werden Sie da nicht durchkommen, meine Damen und Herren von der Koalition. Das erste Risiko liegt bei der Bundeswehr. Der Umbau ist nicht durchfinanziert. Die Krise ist hausgemacht. Hier fehlt schon lange ein Konzept. ({3}) Das ist auch kein Wunder, denn große Teile der Grünen und nicht ganz unerhebliche Teile der Sozialdemokraten tun sich mit der Bundeswehr schwer, und Herr Eichel war mit seinem politischen Hintergrund nie ein Fels in der Brandung. ({4}) Da hält man die Soldaten erst einmal kurz. Offene Rechnungen aus dem Jahre 2000 in Höhe von 800 Millionen DM wurden in das Jahr 2001 geschleppt. Dies ist ein Unding an sich. ({5}) - Das ist nicht richtig, Herr Wagner. Den Beweis dafür können Sie nicht antreten. ({6}) Wir haben auch dann, als die Einnahmensituation sehr viel schlechter war, zur Bundeswehr gestanden und haben das für die Bundeswehr getan, was wir leisten konnten. Das weiß die Truppe. ({7}) Sie haben es nicht gemacht, und deshalb ist die Truppe demotiviert. Gehen Sie doch einmal zu den Standorten. Ich war jetzt während des Wahlkampfes an einigen Standorten in Hessen. Sehen Sie sich diese einmal an und sprechen Sie mit den Soldaten darüber, wie die über Sie und Ihre Koalition denken. Die fühlen sich im Stich gelassen. Das ist eine Tatsache. ({8}) Herr Wagner, es sind russische Verhältnisse eingetreten. Fahrzeuge werden ausgeschlachtet, damit andere noch fahren können. Das ist ein Faktum und das Ergebnis Ihrer Politik. Das muss laut gesagt werden. ({9}) Dann gibt es noch das Defizit bei der EXPO. Das gibt es schon, Herr Staatssekretär Diller. ({10}) Sie haben viel zu wenig in den Haushalt eingestellt. Solange kein endgültiger Abschluss der EXPO vorliegt - so wird gesagt -, solle man die Finanzierung offen lassen. Ob nun zwischen dem Bund und dem Land Niedersachsen im Verhältnis 50:50 oder im Verhältnis zwei Drittel zu einem Drittel geteilt wird: In jedem Fall ist für Hunderte Millionen, wenn nicht für Milliarden, Herr Diller, keine Vorsorge getroffen. Das ist keine solide Haushaltspolitik. ({11}) Dann gibt es noch die zusätzlichen Verpflichtungen aufgrund der BSE-Krise. Hoffen wir, dass nicht noch anderes hinzukommt, aber auszuschließen ist es nicht. Dass diese Krise und zusätzliche Aufwendungen auf uns zukommen, kann man der Bundesregierung, wenn man fair ist, nicht vorwerfen. Aber man kann ihr sehr wohl die Art vorwerfen, mit diesen Dingen umzugehen. ({12}) Die Bauern wissen nicht, wo es langgeht. Sie haben den Eindruck, die Krise ginge allein zu ihren Lasten. Die Verunsicherung wächst jeden Tag. Auch nenne ich hier das Gezerre zwischen dem Bund und den Ländern, wer nun was bezahlt. ({13}) Die Bauern haben den Eindruck - das sage ich auch aus persönlicher Erfahrung aus Gesprächen auf den Höfen mit den Bauern -: Sie sind die Leidtragenden. ({14}) Zusätzlich gibt es noch das Gezerre zwischen Brüssel und Berlin. Die Geprellten - so wird es aufgenommen und so ist es auch - sind die Bauern. Gleichzeitig - der Herr Staatssekretär ist nun nicht mehr da - wird großspurig von der Agrarwende in Deutschland gesprochen. Wie soll denn das passieren, wenn die Komplementärmittel für Brüsseler Beiträge fehlen, die Gemeinschaftsaufgabe Agrarstruktur und Küstenschutz heruntergefahren werden soll und die Reduzierung des Steuersatzes beim Agrardiesel, die als Einkommensausgleich gepriesen wurde, wieder abgeschafft werden soll? „Die Bauern wählen uns sowieso nicht“, das ist keine Politik, die dem Gemeinwohl verpflichtet ist. So kann man nicht vorgehen. ({15}) Es gibt noch andere Risiken im Haushalt, Herr Diller. Ich will das nicht im Einzelnen ausführen, sondern nur die Stichworte Transrapid und Rückerstattung an die Telekom nennen. ({16}) Zwei Dinge möchte ich aber noch kurz ansprechen. Das eine ist der Arbeitsmarkt. Am Arbeitsmarkt ist der erhoffte Durchbruch nicht gelungen. Zwar sind die Arbeitslosenzahlen moderat gefallen. Aber wir wissen alle, dass dies viel mit der Demographie und auch etwas mit der besseren Konjunktur zu tun hat. Deswegen jedoch der Bundesanstalt die Zuschüsse um 6,5 Milliarden DM zu kürzen, das war nicht berechtigt. Ich sage Ihnen: Sie werden da noch Ihr blaues Wunder erleben. Wenn Sie nicht das verkrustete Arbeitsrecht aufbrechen und statt Flexibilität und Teilhabe jetzt auch noch mit der Ausweitung der Mitbestimmung lieber den Dino-Vorstellungen von Herrn Zwickel Folge leisten - mit anderen Worten: mehr Macht den Gewerkschaften -, werden Sie die Probleme des Arbeitsmarktes nicht in den Griff bekommen. Das kostet das Geld der Wirtschaft, das Geld des Finanzministers und damit unser aller Geld. ({17}) Der zweite Punkt: Ich gehöre bei der Konjunktur nicht zu den Skeptikern, eher im Gegenteil. Aber ich erinnere mich noch sehr wohl, meine Damen und Herren von der Koalition: Als damals 1998 die konjunkturelle Wende und der Umschwung kamen, haben Sie - das Theater in Bonn sehe ich noch vor mir - gerufen: Das ist nur auf den Export zurückzuführen. Wo würden Sie denn konjunkturell stehen, wenn es den Export nicht gäbe? Das ist das Dilemma, in dem Sie sich befinden. ({18}) Wer wird denn in Abrede stellen können, dass die Entwicklung in den USA auf uns Auswirkungen haben wird? Die japanische Wirtschaft ist über alle Maßen schwach. Die anderen asiatischen Staaten schwächeln noch. Wollen Sie weiter in Abrede stellen, dass die Kapitalvernichtung von 315 Milliarden DM allein am Neuen Markt ohne Auswirkungen auf die Finanzierungsmöglichkeiten der deutschen Wirtschaft ist? Nichts da! Mit dieser Konjunktur bewegen wir uns wie bei einer Gratwanderung. Das wird sehr schwierig werden. ({19}) Die Institute haben Recht, wenn sie jetzt den Ansatz des Wachstums von 2,7 oder 2,8 Prozent auf 2,1 oder 2,2 Prozent reduzieren wollen. Herr Poß, Sie wissen genau: Jedes Prozent kostet 9 Milliarden DM. Das kostet den Bund also mindestens 3 Milliarden DM. Das sind enorme zusätzliche Risiken im Haushalt. Wir wollen wissen, was Sache ist. Kein Lavieren und kein Hinhalten mehr! Wir als Parlamentarier und die Bevölkerung haben das Recht, von Ihnen befriedigende Auskünfte und konkrete Zahlen zu verlangen. Die Bürger können dies einfordern. Es ist das erste Recht des Parlaments, dass wir darauf drängen. ({20}) Wenn Sie das nicht ausführlich und dezidiert machen, wenn Sie beschönigen und lavieren, dann werden wir erneut mit der Forderung nach einem Nachtragshaushalt kommen. Jetzt haben Sie die Chance: Legen Sie die Zahlen vor, so wie es sich gehört, und reden Sie die Situation nicht schön! Sie haben uns über Jahre vorgeworfen, wir hätten die wirtschaftliche Situation schöngeredet und uns gesundgerechnet. Das Gegenteil ist der Fall. Sie tun das und wir haben einen Anspruch darauf, zu wissen, was wirklich Sache ist. Sie müssen eine überzeugende Haushaltspolitik machen. Wenn Sie das nicht tun, wird das dem Markenzeichen von Hans Eichel, das zugegebenermaßen als solches in der Öffentlichkeit zu verkaufen war, nicht gerecht. ({21}) - Herr Poß, Sie lassen sich zu scharfen, überzogenen und - nicht in diesem Fall - persönlichen Äußerungen hinreißen. Machen Sie Ihre Arbeit! Dann haben Sie viel zu tun. ({22})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Oswald Metzger vom Bündnis 90/Die Grünen.

Oswald Metzger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002736, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! An die Adresse der Kollegen Rexrodt, Austermann und Co aus der Union: Die Finanzpolitik bleibt das Markenzeichen dieser Koalition. Hans Eichel muss doch eine solche Diskussion nicht meiden. Der könnte Ihnen angesichts der unberechtigten Forderungen nach einem Nachtragshaushalt die Leviten lesen. ({0}) Deshalb ist es absurd, hier den Eindruck zu erwecken, der Finanzminister würde den Kontakt mit dem Parlament und die öffentliche Debatte über dieses Thema scheuen. Ich möchte Ihnen in Erinnerung rufen: 1996 - Ihre Fraktionen hatten die Verantwortung - betrug die Nettokreditaufnahme 78 Milliarden DM, was zum Vollzug eines verfassungswidrigen Haushalts führte. 1997 belief sich die Nettokreditaufnahme auf 63 Milliarden DM. 1998 - in dem Jahr, in dem wir die Regierung übernommen haben - belief sie sich auf 56 Milliarden DM. ({1}) Im Jahr 1999 betrug die Nettokreditaufnahme 46,5 Milliarden DM und in diesem Jahr werden wir mit einer Nettokreditaufnahme von 43,7 Milliarden DM auskommen. Das bedeutet, innerhalb des von mir aufgezeigten Zeitraumes - zwei Jahre entfallen auf Ihre Koalitionsregierung und drei Jahre auf unsere Koalition - ist die Nettoneuverschuldung auf Bundesebene um rund 25 Milliarden DM reduziert worden. Das ist eine Leistung, auf die diese Koalition stolz sein kann. ({2}) Ohne diese Leistung könnten wir auch nicht zugunsten der Bürgerinnen und Bürger die Steuern senken, was wir in diesem Jahr tun.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Rauen?

Oswald Metzger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002736, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Bitte, Herr Kollege Rauen. Ich werde meinen Faden nicht verlieren.

Peter Rauen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001783, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Können Sie bestätigen, dass in den Jahren 1995, 1996 und 1997 die Steuereinnahmen aller Gebietskörperschaften zurückgegangen sind und dass wir seit 1998 einen Steuerzuwachs von über 100 Milliarden DM gehabt haben?

Oswald Metzger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002736, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Rauen, ich bin froh über diese Frage, weil man daran sehen kann, dass die kalte Progression, die Sie auch heute früh in der Mittelstandsdebatte beklagt haben, immer ein probates Mittel war, die Einnahmen der öffentlichen Haushalte zu steigern, um den Anstieg der Ausgaben, - Personal- und Sachkosten steigen natürlich auch ausgleichen zu können. Nur 1997 sind die tatsächlichen Steuereinnahmen aller staatlichen Ebenen ein einziges Mal netto geringer gewesen als im Vorjahr. Das stimmt. Aber 1996 hatten Sie ein großes Loch im Haushalt, weil 1996 die Konjunktur wegbrach, die Arbeitslosigkeit explodierte und Sie einen Finanzminister hatten, der für seine Haushaltspläne auf Sand gebaute, nicht realitätstaugliche Projektionen verwandte. ({0}) Ich setze meine Ausführungen zu der Senkungsstrategie bei der Verschuldung fort: Kollege Rexrodt - im Allgemeinen ein sachlicher Mann, aber auch für eine spitze Zunge gut - hat in einem Punkt den Eindruck erweckt, unsere Koalition habe eigentlich nicht gespart, weil 1999 die Ausgaben um gut 20 Milliarden DM höher gewesen seien. Das ist richtig. Wissen Sie aber auch, warum die Ausgaben höher waren? - Weil wir in unserer Regierung zum ersten Mal die Schattenhaushalte - Erblastentilgungsfonds und anderes - im Bundeshaushalt etatisiert haben. ({1}) - Nein, wir haben den Erblastentilgungsfonds in den Zinsausgaben des Bundeshaushalts veranschlagt und damit sind die Zinsausgaben zwischen 1998 und 1999 entsprechend angestiegen. Ich habe das Material an meinem Platz. Die Zahlen sind mir präsent; ich kann es Ihnen belegen. Der Anstieg der Ausgaben in unserer Regierungszeit resultiert aus dem explosionsartigen Anstieg der Zinsausgaben. Ihre Erblast schlägt durch bis heute. Wer die Verantwortung dafür trägt - meine Damen und Herren von Union und F.D.P., ich teste das zurzeit im baden-württembergischen Wahlkampf -, können auch Ihre Wählerinnen und Wähler gut einschätzen. Ich sage Ihnen eines: Bei jeder Wahlkampfveranstaltung kann jeder Sozialdemokrat und jeder Grüne damit punkten, auch vor konservativem und liberalem Publikum. Das tut Ihnen so weh. Deshalb versuchen Sie immer wieder, die Regierung mit falschen Behauptungen vor sich herzutreiben. Aber Sie können uns nicht treiben; denn da haben wir wirklich etwas zu bieten. ({2}) Ich möchte auf die finanziellen Risiken dieses Jahres zu sprechen kommen. Ich bin für meinen Realitätssinn bekannt. Unser Kollege Wagner hat als haushaltspolitischer Sprecher der Regierungsfraktionen ebenso wie ich in den letzten Tagen darauf hingewiesen: Wir müssen uns vor Übermut hüten. Wir sehen natürlich die negativen weltwirtschaftlichen Veränderungen, die auch das Wachstum in Deutschland und in Europa reduzieren werden. Wir dürfen nicht so tun, als könnten wir in diesem Jahr einfach Steuermehreinnahmen einkalkulieren, um die möglichen Risiken im Bundeshaushalt finanziell abzufedern. Es handelt sich um Risiken, die unvorhersehbar waren, wie zum Beispiel BSE. Es ist keine Frage: Die Milliarde, die Staatssekretär Diller im Zusammenhang mit den BSE-Folgekosten genannt hat, müssen wir dieses Jahr im Haushalt auffangen. Dass die Langzeitarbeitslosigkeit trotz aller Versuche erschreckend hoch bleibt, müssen wir konstatieren. ({3}) Wenn aber der Obmann der Unionsfraktion Austermann in der heutigen Ausgabe des „Handelsblatts“ einfach locker verkündet, man müsse für die Arbeitslosenhilfe mehr einkalkulieren und deshalb den Bundeszuschuss an die Bundesanstalt für Arbeit - 1,2 Milliarden DM sind dafür im Haushalt eingestellt - einfach kassieren, dann antworte ich ihm, er sollte den Haushalt genau lesen. Er enthält nämlich einen Deckungsvermerk für Mehrausgaben im Bereich der Arbeitslosenhilfe. Wir haben also mit einer etatisierten Position im Bundeshaushalt Vorsorge getroffen, die finanziellen Mehrausgaben für die Arbeitslosenhilfe - Stichwort: Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit - aufzufangen. Wir müssen uns also nicht auf Risiken in Höhe von bis zu 2 Milliarden DM einstellen, weil wir bereits mit der Etatisierung von Teilbeträgen vorgesorgt haben. Ich möchte auch an die Debatte über die Bundeswehr in der letzten Woche erinnern. Es gab eine Auseinandersetzung darum, dass sich der Verteidigungsminister an das Haushaltsgesetz und die Finanzplanung hält, so wie es zwischen Kanzler und Finanzminister abgesprochen war. Das, was unserer Etatplanung zugrunde liegt, wird auch eingehalten, keine Frage. Staatssekretär Diller hat die Verteidigungspolitiker der Union - ich sehe gerade Herrn Breuer - zu Recht darauf hingewiesen, dass sie und Verteidigungsminister Rühe es waren, die der Truppe verboten haben, über Reformen nachzudenken, ({4}) und deshalb der jetzigen Koalition, die Reformen auch im Verteidigungsbereich angeht, nicht vorwerfen dürfen, Wolkenkuckucksheime zu bauen. ({5}) Wir haben tatsächlich auch im Verteidigungsetat Reserven mobilisiert. Lassen Sie die Gesellschaft zur Verwertung der Bundeswehrliegenschaften die Liegenschaften erst einmal baureif machen und ausgemustertes Material - dafür sind natürlich mehr als zwei Monate Vorlauf erforderlich - werthaltig verkaufen! Dann werden wir auch in diesem Bereich Einnahmen erzielen, mit denen wir einen Teil der notwendigen Investitionen finanziell absichern können. Auch das ist seriös und solide. Man kann der Bundeswehr den Zwang, ihr eigenes Effizienzund Rationalisierungspotenzial zu nutzen, nicht dadurch ersparen, indem man ihr mehr Geld gibt. Vielmehr muss man die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Truppe zwingen, das Notwendige zu tun, um wirtschaftlich und effizient zu werden, keine Frage. ({6}) Zu einer Generaldebatte über den Nachtragshaushalt gehört nicht nur - wir wollen natürlich nichts beschönigen - die Diskussion über finanzielle Risiken. Vielmehr müssen wir unsere Volkswirtschaft auch in das konjunkturelle Umfeld stellen. Ich möchte Sie im Hinblick auf das Makroklima davon in Kenntnis setzen, dass viele realwirtschaftliche Daten wie das Konsumklima positiv sind. Lesen Sie den gestern von der GZ-Bank vorgelegten Bericht zum Einzelhandelskonsumklima im Januar. Wenn Sie das tun, werden Sie feststellen, dass die realen Umsatzzuwächse 2,5 Prozent über dem liegen, was die Analysten erwartet haben. Seit drei bis vier Monaten schätzen die Einzelhändler das Klima immer besser ein. Warum? Sie schätzen es immer besser ein, weil sie eine Steigerung des Konsums durch die Auswirkungen der Steuerreform erwarten. Die Basisdaten in den USA sind nicht so schlecht, als dass man dort eine Rezession erwarten müsste. Es ist richtig, dass die US-amerikanische Konjunktur gewaltig gebremst wird. Deshalb bauen selbst der IWF und die OECD auf Europa. Ein Argument dafür, dass Europa die Weltwirtschaft vor einer starken Abkühlung bewahren kann, sind die Steuerreformen in Deutschland und Frankreich, die in diesem Jahr greifen. Meine Damen und Herren von der Opposition, ich frage Sie: Wenn man außerhalb dieser Republik anerkennt, dass wir in diesem Jahr der Wirtschaft sowie den Verbraucherinnen und Verbrauchern eine Steuerentlastung in Höhe von 1 Prozent des Bruttoinlandsproduktes - das sind über 40 Milliarden DM - gewähren und dass wir einen sensationellen Kraftakt leisten, wenn in diesem Jahr wie im letzten Jahr unserer Regierungszeit gleichzeitig die Kreditaufnahme des Bundes sinkt, dann sollten Sie das auch anerkennen. ({7}) Das ist eine Herkulesarbeit, für die wir in der Tat den Beifall hier im Haus, aber auch Zustimmung bei Veranstaltungen im Land und auch bei der Wirtschaft erwarten. Deshalb sollte man sich, wenn man das Konjunkturklima anschaut, nicht darauf einstellen, nur zu unken. Wir waren als Regierung vorsichtig genug. Im letzten Jahr, wo viele gesagt haben, ihr habt beim Wachstum untertrieben, wo die Prognosen teilweise über 3 Prozent hinausgeschossen sind, sind wir auf dem Teppich geblieben und haben 2,75 Prozent wirtschaftliches Wachstum beim Haushalt 2001 und im Übrigen für die Folgejahre 2,5 Prozent in der Finanzplanung unterstellt. Wir sind also auf der sicheren Seite geblieben. Das Motto jedes guten Haushälters, jedes guten Finanzpolitikers ist immer - das dürfte für die Schwarzen genauso gelten wie für die Rot-Gelb, Rot-Rot und Liberal -: Man schätzt die Einnahmen eher vorsichtig und die Ausgaben eher zu hoch, denn dann kommt unterm Strich ein gutes Ergebnis heraus. An diesem Prinzip wollen wir auch im Haushaltsvollzug dieses Jahres festhalten in der Hoffnung, dass uns nicht abenteuerliche Einbrüche bevorstehen. Gegen die könnten wir natürlich nichts machen. Aber nach menschlichem Ermessen werden wir den Haushalt vor dem Wahljahr 2002 so ordentlich abschließen, dass in der Tat die finanzpolitische Solidität das Markenzeichen dieser Koalition bleibt. ({8}) Nun noch ein Stichwort zum Thema Ökosteuer. Ich habe mich daran gewöhnt, dass so gut wie keine Zahl stimmt, die Kollege Austermann, der Haushaltssprecher der Union, hier nennt. ({9}) Kollege Austermann hat von Ökosteuereinnahmen von 65 Milliarden DM geredet. ({10}) - Wenn Kollege Austermann das jetzt durch Zwischenruf - das sage ich für die Zuschauer - korrigiert und sagt, die Energieverteuerung - ({11}) - Also er kennt die Zahlen, aber er hat vorher einen anderen Eindruck entstehen lassen. ({12}) Wenn er das jetzt korrigiert, ist das in Ordnung. Herr Austermann hat natürlich die Ökosteuer angesprochen. ({13}) - Ich weiß es, Kollege Poß. Natürlich hat er den Eindruck erweckt, die Energieverteuerung, die Marktpreisentwicklung sei von der Regierung zu schultern. Euro-Dollar-Relation, OPEC, Rohölpreissteigerung, das macht zwei Drittel der Kostensteigerung der Energiepreise aus, die übrigens auch überwiegend für den Anstieg der Inflationsrate verantwortlich sind. ({14}) 22 Milliarden DM werden dieses Jahr an Einnahmen erwartet. Ich nenne jetzt aber ein Beispiel, bei dem man den Kassenabschluss sieht; das ist noch besser. Ich sage, was wir 2000 eingenommen haben. Wir haben 17,4 Milliarden DM im Bundeshaushalt des letzten Jahres an Ökosteuereinnahmen erwartet; eingegangen sind 17,2 Milliarden DM, 200 Millionen DM weniger, als wir im Haushaltsplan im Soll eingestellt hatten. An die Rentenversicherung gingen 16,8 Milliarden DM, also 400 Millionen DM weniger, als eingegangen sind. Damit haben wir die Lohnnebenkosten gesenkt. Wir haben in unserer Regierungszeit die Situation geschaffen, dass der Durchschnittsarbeitnehmer in der gewerblichen Wirtschaft ({15}) jetzt rechne ich einfach mit 5 000 DM monatlichem Bruttoeinkommen - 30 DM weniger an Abgaben in die Rente zahlt, also 30 DM netto mehr hat. Damit kann der Durchschnittsarbeitnehmer - ich erinnere an das Argument „Energie teurer, Arbeit billiger“ - fast 100 Kilometer am Tag zur Arbeit fahren und damit hat er den Ausgleich durch Senkung der Arbeitskosten in der Tasche. In meinem schwarzen Wahlkreis kann ich den Wählerinnen und Wählern und den Pendlern den Zusammenhang erklären, dass „Arbeit billiger und Energie teurer“ ein Markenzeichen dieser Koalition ist. Das ist eine Botschaft, die sowohl von den Grünen als auch von den Sozialdemokraten programmatisch vor der Bundestagswahl den Wählerinnen und Wählern auch deutlich gemacht wurde. Sie haben 1998 die Mehrwertsteuer um einen Prozentpunkt erhöht, damit der Anstieg der Rentenversicherung auf 21 Prozent nicht greifen konnte. ({16}) Sie haben praktisch eine Steuererhöhung versus Nichtanstieg der Rentenversicherungsbeiträge als Mittel Ihrer Politik zugelassen. Innerhalb der Union gab es damals eine Riesendebatte zwischen Repnik, Schäuble, damals noch Fraktionsvorsitzender, und der CSU. Die CSU hat verhindert, dass Sie damals Schäubles Vorschlag gefolgt sind, die Mineralölsteuer um 12 bis 15 Pfennige zu erhöhen, um den Anstieg in der Rentenversicherung zu verhindern; denn Herr Schäuble hatte eher Sympathien für eine Ökosteuer als für die Erhöhung von Verbrauchsteuern. Herr Schäuble hat Recht gehabt. Warum? - Weil der Verbraucher bei steigender Mehrwertsteuer eine Mehrbelastung über sein gesamtes Ausgabe- und Konsumgebaren erfährt. Wenn die Energiepreise steigen und dafür die Arbeitskosten sinken, dann hat der Konsument, zum Beispiel durch die Art, wie er sein Gaspedal benutzt oder seine Wohnung heizt, durchaus Einfluss auf den Verbrauch und damit darauf, wie viel Steuern er mehr zahlt. Der Mehrwertsteuer kann der Verbraucher nur entgehen, wenn er schwarz einkauft. So einfach - Sie können das ermitteln - sind Zusammenhänge. Auch ein grüner Finanzpolitiker braucht sich wegen der Ökosteuer und wegen ihrer Verwendung zur Senkung der Arbeitskosten überhaupt nicht zu genieren. Das kann man in jeder Wahlveranstaltung und in jeder Debatte, auch mit Wirtschaftsvertretern, vertreten. ({17}) Ich komme zum Schluss. Ich bin der Auffassung, dass wir den Haushalt dieses Jahres auf Sicht fahren müssen. Wir müssen uns vor Übermut schützen. Die Ausgaben in den einzelnen Ressorts müssen natürlich im Rahmen der Sollanschläge bleiben. Vor allem darf es in diesem Jahr keine selbst gesetzten Mehrausgaben geben. Es geht darum, dass wir zum Jahresende einen soliden Haushaltsabschluss und im Herbst einen soliden Haushalt für das Wahljahr 2002 vorlegen können. Daran werden wir uns messen lassen. Wir müssen uns für die letzten knapp drei Jahre überhaupt nicht genieren. Vielen Dank. ({18})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem Kollegen Dietrich Austermann.

Dietrich Austermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000066, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Der Kollege Metzger hat meine Zahlen angezweifelt. Ich möchte sie kurz erläutern. Wir gehen davon aus, dass der Liter Sprit zurzeit 50 Pfennig mehr kostet. Davon sind 22 Pfennig ökosteuerbedingt. ({0}) - Plus Mehrwertsteuer. - Wenn man die Mehrkosten von 50 Pfennig mit der Menge des in Deutschland verbrauchten Sprits multipliziert und dasselbe in Bezug auf Heizöl, Gas und Strom tut, dann kommt man auf eine Gesamtbelastung der Bürger und der Betriebe von 65 Milliarden DM pro Jahr. ({1}) Viele Menschen - in Baden-Württemberg und anderswo bekommen zurzeit ihre Heizkostenabrechnung und können ganz leicht nachvollziehen, dass die Heizkosten um 50 Prozent höher als im vorigen Jahr sind. ({2}) - Die Regierung hat die Ökosteuer eingeführt. Sie schlägt sich in den 22 Pfennig von den zusätzlichen 50 Pfennig Sprit nieder. Außerdem trägt die Regierung einen Anteil an einer wachstumsschädlichen Politik, die dazu geführt hat, dass sich die Relation zwischen D-Mark und Dollar verschlechtert hat. ({3}) Das heißt, dass sich die Politik der Regierung auch bei den Energiepreisen und bei den Öleinkaufspreisen bemerkbar macht. Ich behaupte nicht, dass die 65 Milliarden DM in Gänze auf die Politik der Bundesregierung zurückzuführen sind, aber ein wesentlicher Teil. ({4}) Ich setze diese 65 Milliarden DM in Relation zur Steuerentlastung vom 1. Januar in Höhe von 45 Milliarden DM. Ich halte mich genau an die bekannten Zahlen. Die Energiebelastung - zum Teil regierungsbedingt, zum Teil durch Außenmärkte bedingt - liegt um 20 Milliarden DM höher als die Steuerentlastung. Wenn man sich diese Situation betrachtet, dann ist ziemlich klar, wer der Verursacher der gegenwärtigen konjunkturellen Situation ist. Ein Letztes. Ich zitiere - auch von Herrn Diller ist hier etwas zum Thema Steuereinnahmen vorgetragen worden - mit Erlaubnis des Präsidenten zwei Sätze aus den Volks- und Finanzwirtschaftlichen Berichten des Finanzministeriums, Bericht Januar 2001: Die reinen Bundessteuern verzeichneten eine Steigerung - also im Januar dieses Jahres gegenüber dem Vorjahr um + 52,8 Prozent. Bereinigt um den o. g. Effekt der Zahlungsverschiebung bei der Mineralölsteuer - diese 3,5 Milliarden DM haben nämlich im Vergleich zu dem, was wir prognostiziert haben, gefehlt betrug die Zunahme + 15,8 Prozent. Das heißt, der Finanzminister hat im Januar unter anderem durch eine höhere Mineralölsteuer 15,8 Prozent mehr an Steuereinnahmen erzielt. „Sie sind auf höhere Einnahmen durch die Stromsteuer, durch den Solidaritätszuschlag“ - er hängt ja von der Höhe der Lohn- und Einkommensteuer ab - „und durch die Mineralölsteuer“ zurückzuführen. Eine falsche Wirtschaftspolitik, eine falsche Energiepolitik belastet die Konjunktur also dramatisch. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zur Erwiderung hat der Kollege Metzger das Wort.

Oswald Metzger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002736, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vom Mikrofon des Rednerpultes aus war ich zu fair, weil Herrn Austermanns Zwischenruf, der sich auf die diesjährigen Einnahmen durch die Ökosteuer in Höhe von 22 Milliarden DM bezog, die Kenntnis der Zahlen vermuten ließ. Jetzt hat Herr Austermann wieder den Eindruck erweckt, dass die gesamte Energiekostenverteuerung von 65 Milliarden DM, die Wirtschaft und Verbraucher zu tragen haben, auf die Ökosteuer zurückzuführen sei. ({0}) - Doch. Ich bleibe dabei: Wir haben mit den Einnahmen durch die Ökosteuer den Zuschuss an die Rentenversicherung erhöht und dadurch die Rentenversicherungsbeiträge gesenkt. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Metzger, Herr Kollege Kalb.

Oswald Metzger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002736, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Der Kollege Kalb kann ja nachher in die Debatte eingreifen. Ich stelle noch einmal fest: Die Richtigkeit der Politik, die Energie teurer, die Arbeit billiger zu machen, können Sie auch mit den Istzahlen der vergangenen Jahre belegen. Das gilt auch für 1999, das erste Jahr, in dem die Ökosteuer erhoben wurde. Zu Ihrem zweiten Punkt, zur konjunkturellen Entwicklung, Kollege Austermann: Sie sollten zur Kenntnis nehmen, dass alle internationalen Auguren Deutschland und damit der größten Volkswirtschaft in Europa eine stabilisierende Wirkung auf die Weltwirtschaft zuschreiben, weil wir in diesem Jahr 1 Prozent unserer gesamten volkswirtschaftlichen Leistung - das sind rund 43 Milliarden DM - in Form von Steuerentlastungen den Bürgern zurückgeben und die Belastungen durch die Ökosteuer durch die Absenkung der Lohnnebenkosten kompensieren. Die Wachstumsdelle im Winter wurde durch den extremen Anstieg der Energiepreise im Herbst verursacht, die aber, wie Sie vielleicht einmal zur Kenntnis nehmen sollten, zurückgehen. Selbst die Europäische Zentralbank sagt, die Kerninflation in Europa betrage nach wie vor praktisch 1,2 oder 1,3 Prozent. Sie treiben dagegen die Behauptung einer Inflationsrate von 2,6 Prozent als politische Sau durchs Dorf. ({0}) - Die leugne ich nicht, aber es ist klar, dass nach menschlichem Ermessen in drei bis vier Monaten aufgrund der fallenden Energiepreise auch die Inflationsrate zurückgehen wird. Dann können Sie die tagespolitische Argumentation, die Sie heute bringen, vergessen. Genau das Gleiche gilt auch für die Halbwertzeit der Debatte über die Benzinpreise, die Sie im Herbst letzten Jahres vom Zaun gebrochen haben. Ihre Rechnung ging nicht auf. Die Ökosteuerdiskussion spielt im baden-württembergischen Wahlkampf faktisch keine Rolle. Sie hätten sich gewünscht, mit diesem Thema die Schwarzen zu mobilisieren. Sie werden aber am 25. März in BadenWürttemberg die Rechnung dafür bekommen. Wir haben das ja schon am vergangenen Sonntag in Friedrichshafen am Bodensee bei der OB-Wahl gesehen, wo ein Amtsinhaber trotz positiver Bilanz aus dem Amt gewählt wurde. ({1}) Die Stimmung in Baden-Württemberg ist so, dass Sie mit der Argumentation, die Sie hier im Bundestag bringen, bei Versammlungen nicht mehr ankommen. Die Leute haben die schwarze Regierung im Lande satt. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Christa Luft von der PDS-Fraktion.

Prof. Dr. Christa Luft (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002728, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Was hier vor sich geht - im Übrigen eigentlich schon seit heute Morgen -, ist typisch für Wahlkampfzeiten. Die Union versucht noch einmal, die Koalition so richtig vorzuführen, die Koalition schlägt selbstverständlich zurück. Das Ganze ist zwar legitim, aber es droht zu einem Routineakt zu werden. Menschen, die zurzeit arbeitslos sind - und das sind ja viele -, kleinen Unternehmen, die Auftragssorgen haben, und jungen Leuten im Osten, die auf gepackten Koffern sitzen, weil sie dort keine Perspektive erkennen können, nützt die bisher geführte Debatte über einen eventuellen Nachtragshaushalt 2001 überhaupt nichts. ({0}) Sie von der Union wissen ganz genau, dass Ihr Begehren von der Koalition heute schon rein formal abgewiesen werden kann. Die rechtlichen Voraussetzungen für die Forderung eines Nachtragshaushaltes können nämlich noch bestritten werden. Spätestens nach den Landtagswahlen wird auch die Koalition manch beängstigenden Trend nicht mehr verharmlosen können, wie das nach meiner Ansicht der Staatssekretär Diller und auch Kollege Metzger soeben noch versucht haben, es sei denn, sie haben finanzielle Polster im Haushalt versteckt, die sie jetzt mobilisieren können. Wenn dies so ist, wäre das Haushaltsverfahren nicht ganz in Ordnung gewesen. ({1}) In einem sind wir uns mit der antragstellenden Fraktion allerdings einig, selbst wenn das die Union während ihrer Regierungszeit auch nicht ernst genommen hat: Budgetfragen dürfen nicht, wie das bisher mit den Rentenfragen im Bündnis für Arbeit geschehen ist, in Nebenzirkeln behandelt werden. Sie gehören hier ins Parlament. ({2}) Ich bin mir insofern sicher, dass sich der Deutsche Bundestag noch vor der Sommerpause mit dem Haushaltsvollzug 2001 und mit den gravierenden Abweichungen bei Einnahmen und Ausgaben, wenn dafür belastbare Daten vorliegen, zu befassen haben wird. Die Risiken für den Haushalt 2001 haben doch ihre Ursache nicht im EXPO-Defizit, da dieses bei der Haushaltsaufstellung ziemlich deutlich abzusehen war. Auch aufgrund der BSE-Krise, so ernsthaft die finanziellen Folgen, insbesondere auch für die Länder, sind, entstehen dem Haushalt keine Risiken. Das Grundproblem des Haushalts 2001 ist meiner Meinung nach ein anderes. Es wird offenbar, dass manche Weichenstellung in der eichelschen Finanz-, Steuer- und Haushaltspolitik falsch gewesen ist. Der Lack platzt allmählich ab; der selbst aufgetragene Glanz verblasst. ({3}) Nehmen wir die hoch gelobte Steuerreform. Üppige Senkungen der Steuersätze sollten den Inlandskonsum und private Investitionen ankurbeln. Herr Kollege Metzger, ich würde die Januarzahlen des Einzelhandelsumsatzes nicht überbewerten. Beide - also angekurbelte private Investitionen und angekurbelter Inlandskonsum sollten das Wirtschaftswachstum stimulieren und dadurch den Steuertopf füllen. Jetzt ist offenbar das Gegenteil der Fall. Da ist doch offensichtlich etwas schief gelaufen. Es war kontraproduktiv, eine Steuerreform dieses Kalibers vor allen Dingen zugunsten großer Unternehmen durchzuführen und außer Acht zu lassen, dass der Konjunkturaufschwung nicht ewig währt. Es war falsch, den Ländern und Kommunen die finanziellen Spielräume einzuengen, ihnen aber gleichzeitig immer neue Aufgaben aufzubürden und ihnen im kommunalen Bereich die Investitionsfähigkeit zu beschränken. Es war angesichts der zunehmenden Polarisierung von Arm und Reich falsch - siehe den jüngsten Armuts- und Reichtumsbericht -, auf eine angemessene Vermögensbesteuerung zu verzichten. Selbst wenn diese Einnahmen nicht in den Bundeshaushalt geflossen wären, hätten sie doch die finanzielle Situation der Länder erleichtert. ({4}) Es rächt sich bitter, dass seit Jahren die immer dreister werdende Umsatzsteuerhinterziehung tatenlos hingenommen wird. Auch die Weichenstellung bei der Bundeswehrreform ist falsch. Ich komme aber nicht zu diesem Schluss, Herr Kollege Rexrodt, weil ich fürchte, dass dort russische Verhältnisse einziehen würden. ({5}) Wer die russischen Verhältnisse einigermaßen kennt, der weiß, dass sich die russische Armee freuen würde, wenn es dort Verhältnisse wie in der Bundeswehr gäbe. ({6}) Wir sind für eine Ausrüstung der Bundeswehr, mit der der grundgesetzlich verankerte Verteidigungsauftrag erfüllt werden kann. Aber die Bundeswehr soll für die Erfüllung von Interventionsaufgaben ausgestattet werden. Das haben wir immer abgelehnt und das werden wir auch heute wieder ablehnen. ({7}) Wegen nicht ausreichender Gelder für die Anschaffung des Eurofighters oder von Großraumtransportflugzeugen einen Nachtragshaushalt zu fordern, lehnen wir entschieden ab. Wir sehen hier sogar Einsparpotenziale. ({8}) Der Bundesfinanzminister tappt in eine selbst aufgestellte Falle. Er hat nämlich die Absenkung der jährlichen Neuverschuldung auf Null bis 2006 zum wichtigsten Gütesiegel seiner Politik, zum Aushängeschild für Rot-Grün erklärt. Es war aber abzusehen, wie schwierig dies werden wird. Ehrgeiz allein zählt in der Politik nicht. Nichts ist gegen die Rückführung der Kreditaufnahme zu sagen. Auch wir haben uns dafür eingesetzt. Aber wenn unter Maß und Tempo hierbei die Ankurbelung existenzsichernder Beschäftigung, die Armutsbekämpfung oder die besonders für den Osten Deutschlands notwendige Innovations- und Investitionsoffensive leidet, dann kann das nicht im Interesse der Bevölkerung sein. Überhaupt verwundert uns an dem Antrag der Union, dass über die bestürzende Lage in den neuen Ländern überhaupt kein Wort verloren wird; denn auch das würde haushaltspolitisches Handeln erzwingen, auf Bundesebene ebenso wie auf Länderebene. Das kann man nicht auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschieben, sondern es müsste noch in diesem Jahr angeschoben werden, damit wir vor der Osterweiterung der Europäischen Union im Jahre 2004 im Osten eine Innovations- und Investitionsoffensive sowie eine Offensive zur Erschließung sowohl regionaler als auch überregionaler und internationaler Märkte auf den Weg bringen können. Ansonsten droht das Gebiet zwischen Elbe und Oder tatsächlich in Agonie zu verfallen. Daran kann niemand interessiert sein. Falsch war die drastische Reduzierung des Zuschusses an die Bundesanstalt für Arbeit und die Streichung der Sachkostenzuschüsse für ABM. Beide Entscheidungen - das zeigen Signale aus den strukturschwächsten Regionen in Ost und West - werden schon in den nächsten Monaten zu sozialen Zuspitzungen und in nicht wenigen ostdeutschen Städten und Landkreisen zu einer katastrophalen Situation auf dem Arbeitsmarkt führen. Die Bundesregierung kann das Thema Ost nicht aussitzen. Sie muss umgehend handeln, auch in Vorbereitung auf die Osterweiterung der Europäischen Union. Wir müssen vor der Sommerpause - erst dann - die Frage nach einem Nachtragshaushalt mit Ja beantworten, wenn es zutrifft, was Institute und Banken voraussagen, dass nämlich das Wirtschaftswachstum erheblich unter dem Ansatz im Haushaltsplan liegen wird, und wenn es zutrifft - was zu erwarten ist - dass die Arbeitslosigkeit schwächer sinkt als geschätzt und die Folgekosten damit steigen. Danke. ({9})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat der Kollege Steffen Kampeter von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.

Steffen Kampeter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001062, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Diese Debatte über die völlig verfehlte Haushalts- und Finanzpolitik der rot-grünen Bundesregierung ({0}) findet zum Zeitpunkt eines grundlegenden Wandels der wirtschafts- und finanzpolitischen Stimmung statt. Die wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute korrigieren Woche für Woche ihre Wachstumsprognosen nach unten. Erste Prognosen sehen das Wachstum nicht, wie vermutet, bei 3 Prozent, sondern bei unter 2 Prozent. Die Inflation ist auf dem höchsten Stand seit sechs Jahren. Es ist eigentlich empörend, in welcher Art und Weise der Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen diese inflationäre Entwicklung in seinem Redebeitrag verniedlicht hat. ({1}) Infolgedessen verändern sich auch die haushaltspolitischen Rahmenbedingungen. Der Kollege Metzger hat vor dem Forum des Deutschen Bundestages darauf hingewiesen, wie exakt die Regierung - er war stolz darauf - die Steuereinnahmen prognostiziert und auch schon ausgegeben hat. Wenn aber das Wachstum 1 Prozent hinter den Erwartungen zurückbleibt, bedeutet allein das einen Ausfall bei den Steuereinnahmen in der Größenordnung von 9 Milliarden DM. Diese exakten Schätzungen, die der Kollege Metzger hier stolz vorgetragen hat, entsprechend den wirtschaftspolitischen Erwartungen noch vor wenigen Monaten, werden zum Bumerang werden und weitere große Haushaltslöcher in den Eichel-Etat reißen. ({2}) Der Euro dümpelt mit einem niedrigen Außenwert herum. Dies mag den Export fördern und Bestandteil der Strategie der Regierung sein, die binnenwirtschaftliche Reformen verweigert und versucht, mit der Exportkonjunktur wirtschaftlich zu punkten. Aber trotzdem: In dem Maße, in dem der außenwirtschaftliche Motor stocken wird, wird sich auch hier ein großes wirtschafts- und haushaltspolitisches Risiko zeigen. Es ist auch deutlich geworden - der Kollege Rexrodt hat darauf hingewiesen -, dass die strukturellen Anpassungen auf dem Arbeitsmarkt nicht so vorangehen, wie es noch vor wenigen Monaten prognostiziert worden ist. 100 000 Arbeitslose mehr kosten 4 Milliarden DM mehr ein unübersehbares Haushaltsrisiko! Dass dies nicht nur die von der Opposition vorgetragene Einschätzung der wirtschaftlichen Entwicklung ist, zeigt ein Blick auf die Börse. Da graust es einem. Der Frühindikator zeigt ganz klar nach unten. Aber eines muss deutlich werden: Erschreckender als dieser Befund ist die Ignoranz, mit der die rot-grüne Bundesregierung mit diesen wirtschaftspolitischen Rahmendaten umgeht. Die Vereinigten Staaten senken in dieser Situation die Steuern, um die Wachstumsschwäche zu überwinden. Wir verschlechtern durch die Änderung der Abschreibungstabellen die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und geben den kleinen und mittleren Betrieben in dieser Wachstumsschwäche nicht durch ein Vorziehen weiterer Schritte der Steuerreform wachstumspolitische Impulse. In Japan verändern sich die Konjunkturdaten dramatisch. Und was macht der Bundesfinanzminister? Er will die Steuerschätzung abwarten. Abwarten und Tee trinken, das ist eine völlig unzureichende haushaltspolitische Strategie. ({3}) Jetzt kommt nämlich langsam die Wahrheit auf den Tisch. Die Kommentare klingen anders als noch vor wenigen Wochen, als die Haushaltspolitik irreführenderweise als ein Markenzeichen der rot-grünen Bundesregierung bezeichnet wurde. Krise, Haushaltsrisiko, Defizit - jede Woche erfahren wir von einem neuen Loch und der Staatssekretär bemüht sich nicht einmal darum, hier das eine oder andere zu dementieren. Bei 18 bis über 20 Milliarden DM liegen nach unseren gegenwärtigen Schätzungen die Haushaltsrisiken, die sich seit der Haushaltsaufstellung ergeben haben. ({4}) Aus dem Hoch- und Vielflieger Finanzminister wurde eine lahme Ente. Hans Eichel, der Lack ist ab! Wenn ich sehe, in welcher Art und Weise der Staatssekretär aus dem Finanzministerium, der, während der Bundesfinanzminister offensichtlich irgendwo in Deutschland Wahlkampf macht, hier hingeschickt worden ist, auch die Steuerverschiebung, bei der zwischen den Jahren ein paar Milliarden hin- und hergeschoben worden sind, zum Erfolg seiner Politik erklärt, muss ich feststellen: Das ist Täuschung der Öffentlichkeit und hat mit Haushaltsklarheit und -wahrheit überhaupt nichts mehr zu tun. ({5}) Deswegen fordern wir die Bundesregierung auf: Beenden Sie die Wirklichkeitsverweigerung! Nehmen Sie die rosarote Brille ab! Legen Sie endlich einen Nachtragshaushalt vor! Korrigieren Sie Ihren Finanzplan und geben Sie uns Auskunft über die anstehenden haushalts- und finanzpolitischen Fragen! Wir wollen eigentlich nur wissen: Gibt es eine Mehrwertsteuererhöhung, wie von Herrn Metzger in der Öffentlichkeit angedeutet wurde, oder wird stattdessen die Ökosteuer erhöht? Wie wollen Sie die Löcher in der Rentenkasse füllen? Klar ist bei der Rentenreform doch nur eines: Sie wird teurer, als Sie uns bisher gesagt haben. Wie wollen Sie die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr wieder herstellen? Das, was der Kollege Diller hier vorgetragen hat, war eine unerträgliche Verniedlichung der Beschreibung, dass unsere Bundeswehr unterfinanziert und nicht mehr vollständig einsatzfähig ist. Mit solchen Aussagen muss Schluss sein, wir erwarten eine klare Antwort der Bundesregierung. ({6}) Gibt es eine Haushaltssperre, über die in der Presse bereits öffentlich spekuliert wird? Kein Wort dazu! Wie wollen Sie reagieren, wenn die Verfassungsklage der Länder gegen die Verwendung der UMTS-Mittel erfolgreich sein sollte und Sie dadurch neue Haushaltsrisiken im zweistelligen Milliardenbereich hätten? Die eigentlich entscheidende Frage ist: Sagt diese Bundesregierung vor den Landtagswahlen endlich einmal die Wahrheit oder wird sie die Bevölkerung weiterhin über ihre politischen Absichten täuschen? ({7}) All diese Fragen liegen auf dem Tisch des Parlaments. Da hilft jetzt kein Herummogeln mehr. Der „alte Ackergaul“ mag irren; eine verantwortungsvolle Regierung darf dies nicht. Ein Nachtragshaushalt ist nach unserer Auffassung die einzig ehrliche Antwort auf unsere Fragen. Die Bürger in diesem Land wollen Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit und keine die Tatsachen vernebelnden Reden wie die des Herrn Metzger, ({8}) der bei den Zinsausgaben die Öffentlichkeit getäuscht hat und hier eine Angabe gemacht hat, die überhaupt nicht mit den haushaltspolitischen Daten übereinstimmt. Dies müssen wir als Haushälter den Menschen draußen sagen. Wir wollen Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit; aber Sie verweigern sie uns. Wir brauchen keinen Finanzminister, der nur auf seine PR-Berater hört und im Wahlkampf herumturnt, ({9}) sondern wir brauchen einen Finanzminister, der sich hier und heute im Parlament den Problemen stellt. ({10}) Wir brauchen einen Finanzminister, der endlich einen Nachtragshaushalt vorlegt, wie es die CDU/CSU-Bundestagsfraktion heute beantragt. ({11})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zu einer Kurzintervention - ich füge gleich hinzu: das ist die letzte, die ich in dieser Debatte zulasse - erteile ich dem Kollegen Metzger das Wort.

Oswald Metzger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002736, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich spreche in meiner Kurzintervention nicht zur Sache. Ich bin ein Abgeordneter, der dann, wenn er in freiem Vortrag etwas unpräzise darstellt, das auch korrigiert. Ich möchte eine Aussage aus meiner Rede - Kollege Kampeter, Sie haben es gerade eben in einem Halbsatz angedeutet - zum Thema Zinsausgaben korrigieren. Wir hatten zwischen 1998 und 1999 in der Tat bei den etatisierten Zinsausgaben einen Anstieg von 24 Milliarden DM. Es ist richtig, dass wir Schattenhaushalte in den Bundeshaushalt integriert haben, wenn auch nicht in dem genannten Umfang. Integriert haben wir die Postunterstützungskassen mit 8,4 Milliarden DM und wir haben Zuschüsse an den Erblastentilgungsfonds, der noch aus Ihrer Regierungszeit stammt, auf der Ausgabenseite anders etatisiert. Daraus mussten praktisch die Zinsen des ELF bezahlt werden. Nachher haben wir diese Zuschüsse buchungstechnisch zu den Zinsausgaben umorientiert. Das heißt, der Anstieg der Zinsausgaben resultierte nicht allein aus einer tatsächlichen Erhöhung der Zinsausgaben, da an anderer Stelle die Ausgaben des Bundes gesenkt wurden. Dies war bereits den Zwischenrufen der Haushälter der Opposition zu entnehmen; sie hatten Recht. Der Ausgabenanstieg kam durch die Erhöhung des Zuschusses an die Rentenversicherung, durch die Integration der Postunterstützungskassen und in einem Teilbereich auch durch einen Anstieg auf der Ausgabenseite durch Erhöhung bestimmter Haushaltstitel. Wahrheit muss Wahrheit bleiben. Ich will meinen Ruf behalten, dass ich korrekt und präzise bin. Danke.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zur Erwiderung, Kollege Kampeter.

Steffen Kampeter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001062, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ehrt den Kollegen Metzger sehr, dass er in dieser einen Frage seine Fehlinformationen richtig gestellt hat. Es wäre zu wünschen gewesen, dass er die übrigen Desinformationen, Nebelkerzen und Verharmlosungen, die er in seine Rede eingebaut hatte, gleichermaßen zurückgenommen hätte. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächstem Redner gebe ich jetzt dem Kollegen Volker Kröning von der SPD-Fraktion das Wort.

Volker Kröning (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002707, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Verteidigungshaushalt ist einer der Punkte, die die CDU/CSU dazu bewogen haben, diese Debatte zu beantragen und einen Nachtragshaushalt zu verlangen. Nach dem bisherigen Verlauf der Debatte habe ich den Eindruck, dass Sie Ihr Feuerwerk zum Verteidigungshaushalt abgebrannt und überhaupt kein Interesse an Einzelheiten zu diesem Thema haben. ({0}) Ich möchte dennoch die Gelegenheit nutzen, einiges klarzustellen. ({1}) Was ich zu sagen habe, ist zwar Experten nicht neu, braucht aber offenbar seine Zeit, um allgemein akzeptiert zu werden. Der beliebteste Vorwurf gegen die Reform der Bundeswehr, die auch eine Reform des Einzelplans 14 sein muss, ist der, die Bundeswehr sei unterfinanziert, oder vulgär: Eichels Finanzplanung diktiere Scharping eine Bundeswehr nach Kassenlage. Unbedacht offenbaren Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU-Fraktion, damit ein weiteres Mal die Politikunfähigkeit Ihrer, nämlich der früheren, Regierung. Aussitzen und Reformstau waren die Kennzeichen der letzten Jahre vor dem Regierungswechsel. ({2}) Was den Verteidigungshaushalt angeht, so ist der Eindruck beinahe zwingend, dass Sie die Zeichen der Zeit immer noch nicht begriffen haben und dass Sie die Rückkehr zur Planung von Waigel und Rühe wollen und damit den Rückweg in den Schulden- und Abgabenstaat. Das werden Sie mit uns nicht hinkriegen; das wird mit uns nicht geschehen. Wer mehr Geld ausgeben will, als wir haben, muss sagen, woher er es nehmen will. Die Koalition wird jedenfalls nicht davon abgehen, die Neuverschuldung stetig zu reduzieren. Bis wir einen Überschuss erreicht haben und einen Teil davon - neben der Rückführung der Staatsverschuldung und weiteren Steuersenkungen - für Mehrausgaben verwenden können, wird es noch ein langer Weg sein. Nicht über den Haushaltsumfang, sondern über Haushaltsstrukturen wird in den nächsten Jahren zu streiten sein. Damit sind wir beim nächsten Vorwurf, der Reform fehle es an einer Anschubfinanzierung. Auch dies ist falsch; das ist ebenfalls schon längst gesagt worden. Die Anschubfinanzierung besteht zum Ersten in der Differenz zwischen den Balkan-Mitteln, die unmittelbar für den Bundeswehreinsatz benötigt werden, und der vollen Höhe von 2 Milliarden DM, die bereits seit dem Jahr 2000 und seit 2001 im Einzelplan 14 zur Verfügung stehen, und zwar nach der geltenden Finanzplanung bis 2004 und nach allen außen- und sicherheitspolitischen Auspizien sicherlich auch über diesen Zeitpunkt hinaus. Ich rechne vorsichtig mit einem Betrag von 800 Millionen DM pro Jahr. Dies gleicht die Reduzierung des Plafonds zu einem erheblichen Teil aus und trägt schon heute zum Abbau des Ausrüstungsdefizits bei der Bundeswehr bei. Zum Zweiten besteht die Anschubfinanzierung in dem Eigenbehalt, den der Finanzminister dem Verteidigungsminister bei Veräußerungen und bei Effizienzsteigerung zugestanden hat, übrigens weitaus mehr als jedem anderen Ressort. Für 2001 bis 2004 sind dafür rund 4,6 Milliarden DM eingeplant. Zum Dritten gibt es Besserstellungen des Verteidigungshaushaltes gegenüber dem Gesamthaushalt, die nicht vergessen werden dürfen, nämlich die im Vergleich zu den anderen Ressorts pro Jahr um 200 Millionen DM reduzierte Effizienzrendite und die um 500 Millionen DM pro Jahr verbesserte Plafondlinie im Vergleich zu der Entwicklung des Gesamthaushaltes.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Kröning, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Koppelin?

Volker Kröning (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002707, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wenn es nicht zulasten meiner Redezeit geht, bitte schön.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nein, sie wird gestoppt.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Zumal Sie heute Geburtstag haben, zu dem ich Ihnen recht herzlich gratuliere. ({0}) Jetzt aber zu meiner Frage: Herr Kollege Kröning, durch Beschluss des Bundestages haben wir Soldaten im Ausland im Einsatz. Ist es richtig - als Mitglied der Koalition und auch, genau wie ich, zuständig für den Einzelplan 14, können Sie dazu sicherlich konkret etwas sagen -, dass sich jetzt eine Kommission auf den Weg macht, den Einsatz unserer Soldaten im Ausland begutachtet und überlegt, die Auslandszulage zu kürzen, was für den Verteidigungsminister Ersparnisse von circa 45 Millionen DM bedeutet?

Volker Kröning (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002707, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Koppelin, ich weiß das genau wie Sie nur aus der Zeitung. Ich denke, wir beide werden uns zusammen mit den anderen Berichterstattern noch darum kümmern und dafür sorgen, dass trotz der Notwendigkeit der Gleichbehandlung aller öffentlich Bediensteten aufgrund der Sonderbedingungen, unter denen unsere Soldaten und auch vergleichbare Exekutivbeamte auf dem Balkan arbeiten, die Zulage nicht reduziert wird, solange die Spannung anhält. Lassen Sie mich bitte in meinen Ausführungen fortfahren. Besonders beliebt ist der Vorwurf, die Bundesrepublik gefährde mit ihren angeblich niedrigen Verteidigungsausgaben ihren Einfluss in Europa und in der Welt. Auch dieser Vorwurf geht ins Leere. Erstens ignorieren Sie - anders als unsere Partner; das erfährt man in der Begegnung mit Vertretern der Verbündeten - die nicht militärischen Sicherheitsaufwendungen wie die Milliardenhilfen für Russland, ohne die wir mit Präsident Putin über NATOOsterweiterung oder NMD überhaupt nicht zu reden brauchten. Zum anderen sind die wesentlichen neuen Verpflichtungen, die wir eingegangen sind, nämlich bei den Vereinten Nationen und auch bei der Europäischen Union, mit der Finanzlinie zu erfüllen. Herr Austermann, Sie erinnern sich, dass uns als Berichterstattern das sogar schriftlich mitgeteilt worden ist. ({0}) Völlig deplatziert möchte ich es schließlich nennen, wenn in die Kritik an der angeblich unzulänglichen Sachausstattung der Bundeswehr der Verdacht eingestreut wird, der Bund vernachlässige seine Fürsorgepflicht gegenüber den Soldaten und gegenüber den Zivilbeschäftigten. Auch die Form, in der sich manche Kritiker äußern, hat mit der Sache nichts mehr zu tun. Das jüngste Beispiel dafür hat Herr Oberst Gertz geliefert. Ich stehe nicht an, dies für unsere Fraktion hier schärfstens zurückzuweisen. ({1}) Ich sage für beide Koalitionsfraktionen zum Thema Fürsorgepflicht gegenüber den Soldaten und den Zivilbeschäftigten: Der Kabinettsbeschluss zu den Strukturverbesserungen beim Personal der Bundeswehr wird erfüllt, beginnend im Jahre 2001 und weiter im Jahre 2002 - genau so, wie wir es in den Haushaltsberatungen zugesichert haben und wie es im Haushalt bereits beschlossen worden ist. Ich darf zusammenfassen: Legendenbildung war noch nie ein guter Ratgeber in der Politik. Doch im Grunde genommen geht es um ein tieferes Problem. Teile der bundesdeutschen Elite haben noch nicht erkannt, dass die Jahre 1989 bis 1991 nicht die Rückkehr zu einem ungebundenen Nationalstaat markierten, dessen wichtigstes Merkmal umfassendes militärisches Handlungsvermögen ist. Vor allem der Begriff „Souveränität“ trägt nicht zur Lösung bei. Denn so instabil einige Randregionen in Europa sind, so unübersehbar und schwer beherrschbar Risiken in aller Welt sind, es steht doch fest, dass militärische Mittel nur eine begrenzte, wenn auch unentbehrliche Funktion in der internationalen Politik haben. Ein Staat, der auf seine Autonomie Wert legt und zugleich auf dem Klavier der vielfältigen Interdependenzen zu spielen beansprucht wie die Bundesrepublik Deutschland, muss Sicherheit arbeitsteilig organisieren. Wir verdanken es der Nachkriegsentwicklung, dass dafür Strukturen entstanden sind - die über Regierungswechsel hinweg gefestigt worden sind -, die uns die Einordnung unserer Sicherheitspolitik besonders in einen europäischen Gesamtzusammenhang gestatten. Es zählt zu den besten Traditionen der Bundesrepublik, sich auf keine militärische Statuskonkurrenz einzulassen, sondern einen eigenständigen, berechenbaren und sogar vertrauensbildenden Weg militärischer und nicht militärischer Sicherheitsvorsorge zu gehen. Der Bundeskanzler hat diese Richtschnur bereits vor eineinhalb Jahren in seiner Rede vor der Kommandeurtagung in Hamburg klar formuliert. Ich weiß, dass einige Soldaten daran zu schlucken hatten. Ich rechne es unseren Soldaten hoch an, dass sie, bis auf Bruchteile eines Prozents, diese Vorgabe der Regierung loyal mittragen. Wir werden uns jedenfalls daran halten. Die Verteidigungsausgaben werden bei der Fortschreibung der Finanzplanung in diesem und im nächsten Jahr verstetigt werden. Die Strukturreform der Bundeswehr und des Verteidigungshaushaltes wird einen sicheren Rahmen behalten, innerhalb dessen wir Schritt für Schritt die einzelnen Maßnahmen verwirklichen. Messen Sie uns bitte daran; betreiben Sie keine Panikmache und erst recht keine Desinformation. Danke schön. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat der Kollege Josef Hollerith von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.

Josef Hollerith (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000946, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir behandeln den Antrag der CDU/CSU-Fraktion auf Drucksache 14/5449 zur Vorlage eines Nachtragshaushaltes zur Korrektur der Entwicklung der Bundesfinanzen. Der ursprüngliche Anlass dieses Antrages ist die Absicht der Bundesregierung gewesen, die Folgekosten der BSE-Krise mit über- bzw. außerplanmäßig bereitzustellenden Geldern zu finanzieren. Nach § 37 Bundeshaushaltsordnung ist die Voraussetzung für eine über- bzw. außerplanmäßige Ausgabe, dass sie, bezogen auf den Zeitpunkt der Verabschiedung des Haushalts, unvorhergesehen oder unabweisbar ist. UnJürgen Koppelin vorhergesehen kann diese Ausgabe nicht sein. Denn die Union hatte in den Haushaltsverhandlungen vor dem Hintergrund der sich anbahnenden BSE-Krise ein BSE-Sonderprogramm gefordert, das mit der rot-grünen Mehrheit sowohl im Haushaltsausschuss als auch bei der zweiten Lesung des Bundeshaushaltes abgelehnt worden war. ({0}) Bei rechtlich einwandfreier Handhabung des Haushaltsrechtes müssen die BSE-Mittel daher in Form eines Nachtragshaushaltes bereitgestellt werden. Weiter ist es im Sinne von Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit sachlich geboten, dass ein Nachtragshaushalt vorgelegt wird. Ich verweise stichwortartig auf die Risikokosten durch die Bundeswehr, das EXPO-Defizit, den Konjunktureinbruch mit steigenden Sozialausgaben, erheblichen Steuermindereinnahmen und erhöhter Arbeitslosenhilfe sowie die BSE-Krise, die weit über die von der Bundesregierung geschätzte 1 Milliarde DM hinausgehen. Nach seriöser Schätzung zum heutigen Tage rechne ich damit, dass der Bundeshaushalt in diesem Jahr mit mindestens 3,5 Milliarden DM zusätzlich belastet wird: Die Herauskaufaktion von 400 000 Rindern, die schon beschlossen worden ist, belastet Deutschland mit einem Anteil an der EU-Finanzierung in Höhe von 500 Millionen DM. Zusätzlich entstehen dem Bund Kosten in Höhe von 362 Millionen DM für die nationale Kofinanzierung und in Höhe von rund 63 Millionen DM für die anteilige Mitfinanzierung der Beseitigung des verbotenen Tiermehls. Hinzu kommt die bereits von Kommissar Fischler und einem Großteil der europäischen Agrarminister geforderte und in Aussicht genommene notwendige weitere Herauskaufaktion von 1,2 Millionen Rindern, welche den Bundeshaushalt im Rahmen der anteiligen Finanzierung der EU-Ausgaben mit weiteren 1,5 Milliarden DM belasten wird. Dazu kommt die anteilige nationale Kofinanzierung von 1,08 Milliarden DM. Das heute realistisch absehbare Gesamtvolumen der BSE-bedingten Folgekosten beträgt also 3,5 Milliarden DM. ({1}) Die deutsche Landwirtschaft befindet sich angesichts dieser katastrophalen Situation in einer existenziellen Bedrohung. ({2}) In dieser Situation tragen die Bauern am wenigsten Schuld daran, dass die BSE-Krise über sie hereingebrochen ist. Sie sind am wenigsten dafür verantwortlich. ({3}) Deswegen muss in dieser Situation der nationalen Katastrophe die Gemeinschaft der Steuerzahler die notwendigen Beistandsfinanzierungen leisten. In der Landwirtschaft besteht zudem eine enorme psychologische Belastung. Der Landwirt hat jeden Tag die Sorge, dass womöglich ein Stück Vieh, wenn es den Stall verlässt, von der BSE-Krankheit befallen sein könnte. Dies hätte die Folge, dass der gesamte Bestand - fälschlicherweise, wie ich meine, da nicht das Schweizer Modell angewendet wird - gekeult wird. Der Landwirt wird damit bundesweit in Deutschland zum Schauobjekt lüsterner Kameras. Er muss in diesem Falle von der Polizei geschützt werden, damit er als normaler Staatsbürger von seinen Rechten, zum Beispiel von dem Recht, sich frei zu bewegen, Gebrauch machen kann. In dieser dramatischen Situation treibt die Bundesregierung die Landwirtschaft in eine weitere unverantwortliche Belastung. - Ich halte dies für den eigentlichen Skandal im Rahmen der Diskussion über die Bewältigung der BSE-Folgekosten: - In dieser Lage finanziert Frau Bundesministerin Künast die BSE-Folgekosten in ihrem Haushalt durch Kürzung der ohnehin zu gering veranschlagten Mittel für die Agrarstruktur und den Küstenschutz um 125 Millionen DM, was zu einer weiteren Belastung der Bauern führt. ({4}) Dies ist ein Skandal. Hier gilt für die Frau Ministerin: Sie ist als Löwin gesprungen und als Bettvorleger gelandet. Das ist die richtige Beschreibung für das Ergebnis einer solchen Politik. ({5}) Hinzu kommt eine enorme Vorbelastung der deutschen Landwirtschaft durch falsche Beschlüsse der rot-grünen Mehrheit in diesem Hause. Ich erinnere an die Kürzungen in der Agrarsozialpolitik um 650 Millionen DM und an die Belastungen durch die Ökosteuer in Höhe von 1 Milliarde DM. Ich verweise auf den Agrardiesel: 27 Pfennig pro Liter kostete er während unserer Zeit; jetzt sind es 50 Pfennig pro Liter, was wiederum eine enorme Belastung für die deutsche Landwirtschaft in der Wettbewerbssituation ausmacht. Bei einem Verbrauch von 100 bis 150 Litern Agrardiesel pro Hektar heißt dies, dass die deutschen Bauern gegenüber ihren holländischen Wettbewerbern, ihren französischen, österreichischen, dänischen Wettbewerbern mit zwischen 23 DM und 34,50 DM pro Hektar zusätzlich belastet werden. Hinzu kommt, dass durch die weitere Kürzung der Mittel für die Agrarstruktur und den Küstenschutz um 125 Millionen DM europäische Kofinanzierungsmittel nicht abgerufen und nicht zur Strukturverbesserung in der deutschen Landwirtschaft verwendet werden können. Meine sehr verehrten Damen und Herren, bezeichnend ist für diese Politik - damit komme ich auf das zurück, was Staatssekretär Diller zum Thema Prophetie gesagt hat -: Bundeskanzler Schröder ist mit der Aussage angetreten, es bleibe bei 6 Pfennig Belastung je Liter Benzin. ({6}) Heute sind wir bei: 35 Pfennig. Der Lügenbundeskanzler ist mit der Aussage angetreten: Es bleibt bei der nettolohnbezogenen Rente. ({7}) Zwei Mal sind die Renten in diesem Lande unter Inflationsrate gestiegen. Der Lügenbundeskanzler! Ein Wort zum Kollegen Metzger. Er hat von der Nettoneuverschuldung gesprochen und er hat Recht: Die Last zu unserer Zeit war enorm. Ja, warum war sie denn enorm? - Weil die Altlastenbeseitigung von Kommunismus, Planwirtschaft und Sozialismus zu bewältigen war, weil es darum ging, Freiheit, Demokratie und soziale Marktwirtschaft in diesem Lande einzuführen. ({8}) Das war die Ursache dafür, und dazu stehen wir, weil wir für die Freiheit und das Selbstbestimmungsrecht auch der Freunde in den neuen Bundesländern eingetreten sind. ({9}) Dazu bekennen wir uns als nationale Leistung, als historische Leistung dieser Mehrheit von CDU und CSU im Deutschen Bundestag mit Bundeskanzler Kohl in der Vergangenheit. Herzlichen Dank. ({10})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Hollerith, ich bitte darum, dass Sie dem parlamentarischen Sprachgebrauch folgen und nicht diese sprachlichen Übertreibungen benutzen. ({0}) Als nächster Redner hat der Kollege Hans Georg Wagner das Wort.

Hans Georg Wagner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002406, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich gehe davon aus, dass der Kollege Hollerith diesen Ausdruck zurücknimmt; denn es ist eine Unverschämtheit, was er hier geäußert hat, und es ist in keiner Weise zutreffend. Ich finde es unverschämt und unterträglich, dass Sie einen solchen unparlamentarischen Ausdruck gebraucht haben. ({0}) Meine Damen und Herren, es ist wie bei dem Weihnachtslied, das lautet: Alle Jahre wieder kommt das Christuskind. Alle Jahre wieder reden wir auf Antrag der Opposition Anfang des Jahres über einen Nachtragshaushalt. Herr Austermann, ich war ganz irritiert, als die ersten beiden Monate des Jahres schon vorbei waren und immer noch kein Antrag auf einen Nachtragshaushalt vorlag. Der Januar ging ohne Nachtragshaushalt vorbei, der Februar ging ohne Nachtragshaushalt vorbei. Ich habe gedacht: Du lieber Gott, was ist denn jetzt los? Irgendwann muss die Opposition in Gestalt von CDU/CSU doch einen Antrag stellen, damit wir darüber reden. Dann kam er Gott sei Dank. Ich war sehr erleichtert, dass Sie in der Kontinuität Ihrer Arbeit geblieben sind: Panikmache, Panikmache, Panikmache ({1}) - und dann der Antrag zum Nachtragshaushalt. Ich halte das nicht für gut und generell für falsch. ({2}) Ein paar Punkte möchte ich nennen, und zwar zunächst einmal das Stichwort Arbeitslosigkeit. Ich kann es Ihnen nicht ersparen, sich die Zahlen einmal genau anzusehen: Im Jahre 1998, im letzten Jahr Ihrer Regierungszeit, bevor Sie von den Wählerinnen und Wählern von der Regierungsbank vertrieben worden sind, hatten wir im Februar 4,82 Millionen Arbeitslose. Im Jahr 1999 waren es noch 4,46 Millionen, im Jahre 2000 4,28 Millionen und im Jahr 2001 4,11 Millionen. Wenn ich richtig rechne, gibt es 710 000 Arbeitslose weniger, seit Sie aus der Regierung herausgewählt worden sind. Ich finde, das ist gut. Wir müssen auch über Subventionen reden. Einige, die Subventionen erhalten, wurden heute ständig als die Ärmsten der Nation geschildert. Aber die Subventionen zum Beispiel für den Wohnungsbau liegen bei 60 Milliarden DM - das sind die höchsten aus dem Bundeshaushalt -, und die Subventionen für die Landwirtschaft betragen insgesamt 27,3 Milliarden DM, die zweithöchsten Subventionen. Dann kommt mit 11,4 Milliarden DM der Steinkohlenbergbau. Diese Subventionen sind abgeschmolzen. Die einzige Regelung zur Reduzierung von Subventionen betrifft den Steinkohlenbergbau. Ich möchte sagen: Auch bei anderen muss man einmal genau hinsehen. ({3}) Genauso gilt das für andere Diskussionen. Die Schulden - das sind immer noch Ihre Schulden beliefen sich zum 31. Dezember 2000 auf 1,513 Billionen DM. ({4}) - Ja, das ist mehr geworden, natürlich. ({5}) - Nun seien Sie doch einmal ruhig! - Durch die Nettokreditaufnahme steigen die Schulden immer an. Wenn wir also in diesem Jahr eine Nettokreditaufnahme von 43,7 Milliarden DM haben - der geringste Betrag seit über einem Jahrzehnt -, dann haben wir 43,7 Milliarden DM mehr Schulden. Im Jahr 2006 soll die Nettokreditaufnahme bei Null liegen. ({6}) Es wäre gut, wenn Sie uns dabei helfen würden und nicht Anträge stellten, die genau das Gegenteil bewirken. Allein die Umsetzung des Vorschlags von Herrn Stoiber betreffend das so genannte Familiengeld würde 60 Milliarden DM kosten. - Dies ist nicht gegenfinanziert. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion und die CDU-regierten Länder Baden-Württemberg und Hessen wollen für die Länder und Kommunen einen Anteil an den UMTS-Erlösen und an den Zinsersparnissen gemäß Steueranteil. Daraus ergäbe sich eine Forderung von 60 Milliarden DM an den Bund. - Auch dies ist nicht gegenfinanziert. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion und das CDU-regierte Land Thüringen wollen 40 Milliarden DM für ein Sonderprogramm Ost. ({7}) Zur Deckung werden Positionen vorgeschlagen, die aber als Einnahmen im Haushalt längst enthalten sind. ({8}) Das bedeutet also nichts anderes als 40 Milliarden DM neue Schulden. An Ihrer unbekümmerten Art, Schulden zu machen, hat sich gar nichts geändert. Sie meinen, Sie seien immer noch an der Regierung, und möchten immer mehr Schulden. ({9}) Das wird sich ändern. Die Abschaffung der Ökosteuer würde ein Loch in Höhe von 82,6 Milliarden DM in die Haushalte 2001 bis 2003 reißen. Jetzt erklären Sie mir bitte einmal, wie Sie die Sozialversicherung finanzieren wollen! Wenn wir die Ökosteuer abschaffen würden, kämen wir auf einen Sozialversicherungsbeitrag von 23 Prozent. ({10}) Sagen Sie mir also, einmal ganz ehrlich, was Sie machen wollen! ({11}) Ich kann weitere Beispiele aus Ihren Anträgen anführen. So sollen zum Beispiel die Funktionäre von Ärztekammern steuerlich besser gestellt werden, indem die ehrenamtlichen Aufwandsentschädigungen von der Sozialversicherungs- und Steuerpflicht freigestellt werden. ({12}) Das würde die Sozialversicherungskassen mit 4,9 Milliarden DM belasten und zudem 4,8 Milliarden DM weniger an Einnahmen bedeuten. ({13}) Die CDU/CSU will außerdem - das ist eben schon gesagt worden - mehr Geld für die Bundeswehr. Jetzt komme ich zu dem zurück, was Herr Austermann prognostiziert hat; das war ja sehr interessant. Er hat im vergangenen Jahr gesagt - Herr Diller hat bereits darauf hingewiesen -, dass die Ausgaben um einen bestimmten Betrag steigen werden, aber am Schluss waren es 6 Milliarden DM weniger. ({14}) Anfang dieses Jahres hatten Sie dann gefordert, wegen der Wohngeldvereinbarungen und der Familienförderung müsse es einen Nachtragshaushalt geben. Am Ende aber war das Geld dafür da. So schlecht sind Ihre Prognosen. Sie werden das wahrscheinlich nie lernen. Diese Erfahrung habe ich schon gemacht. Nun zum Stichwort EXPO. Sie wissen ganz genau, wie die Finanzierung geregelt worden ist. Im Haushalt 2001 wurden dafür keine Mittel eingestellt, weil es keine entsprechende Vereinbarung gab. In den Haushalt 2002 werden wir natürlich die entsprechenden Mittel einstellen, die wir aus Solidarität mit dem Land Niedersachsen zugesagt haben. Wo waren denn Ihre Bundesländer? Neuschwanstein, das Sie im Rahmen der EXPO als Weltkulturerbe mit angegeben haben, liegt ja nicht in Niedersachsen. Die Solidarität der Länder mit dem Land Niedersachsen fehlt; das ist ein ganz gewichtiger Punkt. Wir stehen zu unserer Solidarität, meine Damen und Herren. ({15}) Zu Herrn Austermann muss ich noch etwas sagen. Sie haben am 26. Januar des vergangenen Jahres im Haushaltsausschuss damit begonnen zu sagen: Ein Nachtragshaushalt muss kommen! Am 24. Februar haben Sie dies dann in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ wiederholt. - Das ist ja Ihr Wechselspiel: „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ an einem Tag, „Welt am Sonntag“ am nächsten Sonntag, zwischendurch einmal „Die Welt“. Der Ball wird gespielt, wird mit Ihrem Namen zurückgespielt und dann wird in ganz Deutschland darüber diskutiert. Ich begreife nicht, warum das so ist, aber Journalisten sind manchmal auch so. ({16}) Am 30. März 2000 haben Sie in der „FAZ“ noch einmal den Anstieg der Ausgaben des Bundeshaushalts auf 484 Milliarden DM vorausgesagt. Herr Diller hat es schon gesagt: Am Schluss waren es 478 Milliarden DM, also 6 Milliarden DM weniger. - Dann kam am 26. Juni 2000 eine Presseerklärung von Ihnen mit dem gleichen Ergebnis. Am 1. August erfolgte noch einmal dasselbe. Es ist immer dieselbe Leier, immer der Versuch, Panik zu machen. Die Situation fiel aber wesentlich besser aus. Wir haben die Nettokreditaufnahme um 3 Milliarden DM geringer ausfallen lassen, als sie vorher in der Planung war, und zwar durch eine solide Haushaltspolitik, mit Zahlen belegt. Sie kommen jetzt mit Ihren 240 Milliarden DM, die Sie ausgeben wollen, gegenfinanziert übrigens durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer. 240 Milliarden DM machen genau 17 Punkte Mehrwertsteuer aus. Sie schlagen also vor, die Mehrwertsteuer von derzeit 16 Prozent auf 33 Prozent zu erhöhen. Dann läge Deutschland ganz an der Spitze, noch vor Irland mit 25 Prozent. Dies ist eine falsch verstandene Harmonisierung der Mehrwertsteuer in der Europäischen Union. Dabei macht diese Koalition mit Sicherheit nicht mit. ({17}) Zu den Steuereinnahmen! Die Zahlen für Januar sind genannt worden. Die Zahlen für Februar sind mit denen vom Februar 2000 vergleichbar. Sie sind also kein Anlass zur Dramatisierung, wie dies jetzt schon wochenlang passiert. Sie müssen sich einmal mit der durch diese Zahlen belegten Wahrheit befassen. Wir müssen zwei Punkte bedenken, und zwar einmal, wie die Steuerentwicklung zum 31. März 2001 aussieht, denn die Steuervorauszahlungen waren nicht schon am 10. Januar, sondern sind erst am 10. März zu erwarten. Ende März werden wir sehen, wie sie sich weiterentwickeln. Außerdem bitte ich sehr darum, das zu machen, was immer gemacht wird, nämlich die Steuerschätzung abzuwarten, die Anfang Mai vorgelegt werden wird. Die Steuerschätzung gibt dann möglicherweise Anhaltspunkte für die Zahlen des Jahres 2002. ({18}) Ich bin mir absolut sicher, dass nach Würdigung all dieser Zahlen festgestellt werden kann, dass der Haushalt solide finanziert ist. Herr Austermann, um eines bitte ich sehr: Sie haben mit Herrn Eichel den Falschen getroffen. Sie haben gesagt: Ein Finanzminister, der Schulden macht, ist ein schlechter Finanzminister. Ich bitte doch darum, dass ihr bei Theo Waigel nicht immer nachtreten lasst. Beim Fußball würde man das als Foul gegen Theo Waigel bezeichnen, denn er hat die meisten Schulden aller Zeiten gemacht. ({19}) Sie haben ihm mit all der Kraft, die Sie hatten, dabei geholfen. Dass wir bei Staatsschulden in Höhe von 1,5 Billionen DM und mehr gelandet sind, ist Ihr Verdienst. ({20}) Ihre Anträge, die hier im Hause vorliegen, zeigen, dass Sie mit dieser Spielerei weitermachen wollen. Aber mit uns wird das nicht gehen. Wir werden unsere solide Haushaltspolitik fortsetzen. Am Ende des Jahres werden Sie sehen, dass die Lage nicht so schlecht ist, wie Sie es im Januar angekündigt haben, nur damit Sie in die Zeitung kommen. Dies dient nur der Verunsicherung der Bevölkerung. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie dies lassen würden. Sie verunsichern die Bevölkerung in einer Art und Weise, die unverschämt ist und nicht mehr hingenommen werden kann. Schönen Dank. ({21})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 14/5449 und 14/5544 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe Zusatzpunkt 6 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Konsequenzen aus der Tatsache, dass die deutsche Wirtschaft ihren Beitrag zur Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ noch nicht geleistet hat Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner - Ihre Zustimmung vorausgesetzt - hat der Beauftragte des Bundeskanzlers für die Stiftungsinitiative Deutscher Unternehmen, Dr. Otto Graf Lambsdorff, das Wort. Dr. Otto Graf Lambsdorff, Beauftragter des Bundeskanzlers für die Stiftungsinitiative Deutscher Unternehmen ({0}): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Der Bundeskanzler hat mich gebeten, Ihnen den Stand der Gespräche, vor allem das Treffen darzustellen, zu dem der Bundeskanzler gestern Vorstandsvorsitzende der Unternehmen der Stiftungsinitiative eingeladen hatte. Der Bundeskanzler hat der Stiftungsinitiative Deutscher Unternehmen unter ihrem Sprecher Dr. Gentz ausdrücklich für ihre Bereitschaft gedankt, die im Dezember 1999 gemachte Zusage, für das Kapital der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ zu sorgen, mit einem letzten, rechtlich und finanziell belastbaren Schritt zu untermauern. Deswegen ist die Überschrift der heutigen Aktuellen Stunde durch den Gang der Ereignisse - erfreulicherweise - ein bisschen überholt. Die 16 Gründungsunternehmen haben ihren Beitrag deutlich erhöht und für den Rest Ausfallbürgschaften zugesagt. Es ist jedoch klar, dass sich die Wirtschaft viel Ärger und öffentliche Schelte erspart hätte, wenn sie sich zu diesem Schritt einige Monate früher entschlossen hätte. ({1}) Das Zögern hat den möglichen Bonus für das Ansehen der deutschen Wirtschaft in einen Malus verwandelt. Aber kritisieren sollte man nicht diejenigen, die das Geld gesammelt und sich bemüht haben, sondern diejenigen, die sich verweigert haben. ({2}) Vielleicht wäre auch der Beschluss der New Yorker Richterin Kram anders ausgefallen. Das alles ist sehr schade; denn es bleibt eine wirklich beachtenswerte Leistung, 5 Milliarden DM - das ist kein Kleingeld - in einer freiwilligen Aktion zusammenzubringen. Der Bundeskanzler hat festgestellt, dass damit beide Seiten, Bundesregierung und Unternehmen der Stiftungsinitiative auf der einen Seite, die amerikanische Regierung auf der anderen Seite, ihre Verpflichtungen aus dem deutsch-amerikanischen Regierungsabkommen vom 17. Juli vorigen Jahres erfüllt haben. Das im Dezember 1999 zugesagte Stiftungskapital von 10 Milliarden DM ist aufgebracht. Die US-Regierung hat in allen Fällen einen Schriftsatz, das Statement of Interest, abgegeben, in dem sie die Stiftungslösung als fair, angemessen und für die Kläger vorteilhaft bezeichnet und die Richter darauf hinweist, dass es im außenpolitischen Interesse der Vereinigten Staaten liegt, wenn die Klagen abgewiesen und die Kläger an die Stiftung verwiesen werden. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch etwas zur Kritik an diesem Weg sagen. Ich lese immer wieder, dass man diese Summe doch hätte einklagen sollen. Wenn Sie die Kläger auf den Gerichtsweg verweisen, dann bekommt nicht ein einziger der Überlebenden zu seiner Lebzeit eine einzige Mark zu sehen. Nur dieser Weg kann dazu führen, dass die Überlebenden noch Geld bekommen. ({3}) Mit dieser Erklärung, die wir gestern Abend abgegeben haben und die ohne Widerspruch angenommen wurde, wie ich feststellen konnte, erfüllt die amerikanische Regierung auch im Detail die eingegangenen Verpflichtungen. Die auch öffentlich geäußerte Kritik am Verhalten der US-Regierung ist grundlos. Der amerikanische Außenminister Colin Powell hat gestern in einem Brief an Außenminister Fischer eindeutig das Engagement auch der neuen US-Administration für einen umfassenden und dauerhaften Rechtsfrieden für deutsche Unternehmen unterstrichen. Es ist klar - der Bundeskanzler hat dies gestern angekündigt -, dass dieses Thema bei seinem Besuch in Washington, beim amerikanischen Präsidenten, eine Rolle spielen wird. Wir sind zuversichtlich, dass Präsident Bush genau dieselbe Bestätigung geben wird wie Colin Powell. Noch einmal: Die Stiftungsinitiative, also die deutsche Wirtschaft, der Bundestag - dafür möchte ich mich erneut bedanken -, die Bundesregierung und die US-Regierung sowie die Klägeranwälte haben jetzt alles getan, was sie zu tun hatten und wozu sie sich verpflichtet hatten. Es liegt jetzt an den amerikanischen Gerichten und den amerikanischen Klägeranwälten, die am 17. Juli 2000 die Gemeinsame Erklärung unterschrieben haben, den Zustand herzustellen, den § 17 Abs. 2 des Stiftungsgesetzes als „ausreichende Rechtssicherheit für deutsche Unternehmen“ beschreibt. Wir alle haben die Rechtssicherheit bei der Unterzeichnung der Verträge im Juli vorigen Jahres noch für den September 2000 für erreichbar gehalten. Das hat sich leider als Irrtum erwiesen. Ein amerikanischer Richterausschuss, das so genannte „Multi District Litigation Panel”, lehnte es im Juli vorigen Jahres ab, die Sammelklagen, wie von Klägern und Beklagten beantragt, vor einen einzigen Richter zu bringen - in Amerika heißt dies „konsolidieren“ -, und beließ sie bei drei Richtern. Bei zwei Richtern führte dies nur zu geringfügigen Zeitverlusten. Richter Bassler hat am 13. November in New Jersey die nicht streitigen Zwangsarbeiterklagen, Richter Mukasey am 8. Dezember des letzten Jahres die Versicherungsklagen abgewiesen. Man ist als Kläger einer Sammelklage im amerikanischen Prozessrecht nicht wie im deutschen Zivilprozessrecht Herr seiner eigenen Klage. Der Richter muss die Klagerücknahme genehmigen. Auf die Wahrung der Interessen nicht benannter Kläger hat Richterin Kram am 7. März dieses Jahres ihre Ablehnung gestützt, die Bankenklagen, wie von beiden Parteien beantragt - Klägern und Beklagten -, abzuweisen. Sie hat festgestellt, dass es unfair sei, die Kläger auf eine Stiftung zu verweisen, die nicht voll finanziert ist. Nicht zuletzt auf unsere Anregung hin haben die beiden Richter Bassler und Mukasey dieses Risiko mit einer Formulierung aufgefangen, wonach den Klägern die Wiederaufnahme der Klagen ausdrücklich eröffnet wurde, sollte das Geld nicht zusammenkommen. Darum hat sich Richterin Kram nicht gekümmert. Sie hat diesen Weg nicht akzeptiert. Das nicht vorhandene Geld war nicht der einzige Grund, weswegen sie die Klagen nicht abgewiesen hat. Zum Zweiten hat sie noch Geld für abgetretene angebliche Forderungen österreichischer gegen deutsche Banken gefordert. Dabei hat sie feststellen müssen, dass die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ nicht dazu da ist, Forderungen juristischer Personen untereinander abzudecken. Sie hat - ich kann es nicht anders formulieren - mit einem rechtlich fehlerhaften Beschluss den Beginn der Auszahlungen um etliche Wochen, bis über die Rechtsmittel entschieden ist, zulasten der Opfer verzögert. Unter den übrigen Klagen sticht die Klage gegen die amerikanische IBM hervor, die sich aber in ihrer Begründung de facto gegen die seinerzeitige deutsche Tochter Hollerith GmbH richtet. Die Klage gegen IBM wurde von zwei Anwälten eingereicht, die sich in der Gemeinsamen Erklärung verpflichtet hatten, für Rechtssicherheit zu sorgen. Ich habe eben gesagt, die Klägeranwälte hätten alles getan, was in ihren Kräften steht, um die getroffene Vereinbarung umzusetzen. Diese beiden haben das genaue Gegenteil getan. Ihr Vorgehen ist eindeutig rechtsmissbräuchlich und ein eindeutiger Vertragsverstoß. Selbstverständlich ist die deutsche IBM Mitglied der Stiftungsinitiative. Die amerikanische Regierung bemüht sich intensiv, auch diese Klage aus der Welt zu schaffen. Aber ohne Zeitverlust ist dies nach amerikanischem Prozessrecht nicht möglich. - Ich weise auf diesen Fall hin, weil Dr. Otto Graf Lambsdorff ich um Ihr Verständnis für die Haltung der deutschen Unternehmen werben möchte, die gerade über diese neue Klage zu Recht besonders empört sind. Es ist zwischen der Bundesregierung und der amerikanischen Regierung völlig unstreitig, dass der in Ziffer 4 d der Gemeinsamen Erklärung vorgesehene Zustand, nämlich die rechtskräftige Abweisung der in diesem Zusammenhang gegen deutsche Unternehmen anhängigen Klagen, bisher nicht hergestellt ist. Die Stiftungsinitiative ist aber vor allem gegründet worden, um einer moralischen Verantwortung gerecht zu werden, wie es in der Gemeinsamen Erklärung vom 16. Februar 1999 formuliert wurde. Ich betone erneut, dass Rechtsfrieden nicht nur im Interesse der Unternehmen liegt. Auch die Bundesregierung und die amerikanische Regierung haben ein vitales Interesse daran, dass solche Auseinandersetzungen vor amerikanischen Gerichten nicht die deutsch-amerikanischen Wirtschaftsbeziehungen unterhöhlen oder gar die politischen Beziehungen zwischen beiden Ländern in Mitleidenschaft ziehen. Die US-Regierung bringt das in ihrem Statement of Interest ganz klar zum Ausdruck. Es bestand gestern Abend völlige Einigkeit darüber, dass die Abweisung der zurzeit vor Richterin Kram anhängigen Klagen - wahrscheinlich in einem Berufungsverfahren - eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für die Rechtssicherheit ist. Der Bundeskanzler hat deswegen vorgeschlagen, eine Arbeitsgruppe aus Mitarbeitern der Bundesregierung und der Stiftungsinitiative einzusetzen, die nach Abweisung der Bankenklagen - also der Klagen vor Richterin Kram - feststellen soll, welche relevanten Fälle, wie es Dr. Gentz ausdrückte, noch anhängig sind und wann der Komplex positiv entschieden ist, wie es der Bundeskanzler ausdrückte. Wir werden uns in einem intensiven Dialog mit dem Bundestag darum bemühen, in dieser Frage eine gemeinsame Haltung zu finden. Das wird nicht ganz einfach sein; das muss jeder wissen. Auch Sie, Herr Beck, wissen das. Wir wissen es alle. Wir müssen es aber versuchen, und zwar auf seriöse Weise. Ich möchte schließlich noch kurz auch auf den von den Unternehmen eingebrachten Vorschlag eingehen, Stiftung und Rechtssicherheit zu spalten: In einer Gesetzesänderung soll der Bundestag erklären, dass die Rechtssicherheit nicht gegeben sei, die Auszahlung aber dennoch mit den Bundesmitteln beginnen soll. So sehr das hinter dieser Überlegung stehende Engagement für die Überlebenden zu verstehen ist: Der Bundeskanzler hat diesen Vorschlag aus gewichtigen, und wie ich meine, auch zutreffenden Gründen abgelehnt. Er erinnerte daran, dass das gemeinsame Vorgehen von Regierung und Wirtschaft zu den Prämissen der Stiftungsinitiative gehörte. Die Bundeskasse - das betrifft vor allem den Bundesfinanzminister - würde für das gesamte Stiftungskapital ins Obligo gebracht, ohne dass der Zeitpunkt der Überweisung durch die Stiftungsinitiative ausreichend gesichert wäre. Schließlich löst der Beginn der Auszahlungen an die Überlebenden nach den getroffenen Vereinbarungen automatisch die Honorarzahlungen an die amerikanischen Klägeranwälte aus. Auf deren Unterstützung sind wir aber bei der Herstellung des Rechtsfriedens nach wie vor angewiesen. Daher dürfen wir deren Interessen nicht außer Acht lassen. Allen Beteiligten ist bewusst, dass es um das Schicksal von etwa 1 Million Menschen geht, denen seit mehr als zwei Jahren Zahlungen in Aussicht gestellt wurden, auf die sie einen moralischen Anspruch haben. Alle Betroffenen sind alt: Die meisten - über 90 Prozent - leben in Osteuropa. Viele gehören zu den Verlierern der Öffnung zum Westen und der Perestroika, wie so viele alte Menschen in diesem Teil der Welt. Für jemanden, der in der Ukraine oder in Weißrussland lebt, sind 5 000 oder 15 000 DM eine große Summe. Für jemanden, der in Amerika lebt, ist das auch viel Geld, aber lange nicht so bedeutsam wie für Menschen, die über 50 Jahre lang noch nie etwas bekommen haben. Wir werden die uns hier gestellte Aufgabe mit dem gebotenen Ernst und im Bewusstsein der Menschen, an denen sich Deutschland vergangen hat, so schnell wie möglich zu Ende führen. Ich kann nicht sagen, wann ich dem Deutschen Bundestag empfehlen kann, die Rechtssicherheit festzustellen. Es hat keinen Sinn, Daten in die Welt zu setzen, die man hinterher korrigieren muss. ({4}) Ich kann insbesondere nicht vorhersagen, ob dies so rechtzeitig geschehen wird, dass der Bundestag noch vor der Sommerpause entscheiden kann. Ich glaube es kaum. Das hängt jetzt allein von den US-amerikanischen Gerichten ab. ({5}) - Nein, Frau Jelpke, die Wirtschaft hat das Geld zur Verfügung gestellt. Es hängt von den US-amerikanischen Gerichten und nicht von der Wirtschaft ab, ob die noch anhängigen Gerichtsverfahren, die nach übereinstimmender Auffassung von Bundestag, Bundesregierung und deutscher Wirtschaft aus der Welt sein müssen, bevor man von Rechtssicherheit sprechen kann, beendet werden. Wenn die Wirtschaft bei der Forderung nach dem, was alles unter dem Begriff Rechtssicherheit zu verstehen ist, überziehen sollte, dann müssen wir erneut Gespräche führen. Nach dem Gespräch gestern Abend haben wir nach meiner Einschätzung alle Möglichkeiten, uns zumindest sehr weit anzunähern. Ich lasse es einmal dahingestellt, ob wir uns über jeden Fall hundertprozentig einig werden. Insofern war das Gespräch gestern Abend nützlich, zielstrebig und, wie ich hoffe, den Gesamtanstrengungen, die wir vor uns haben, förderlich. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat nun der Kollege Wolfgang Bosbach von der CDU/CSU-Fraktion. Dr. Otto Graf Lambsdorff

Wolfgang Bosbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002632, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Lieber Graf Lambsdorff! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch wenn Grund und Überschrift dieser Aktuellen Stunde mittlerweile - glücklicherweise - überholt sind, so ist diese Debatte dennoch richtig und wichtig. Vor wenigen Tagen hat die deutsche Wirtschaft die von ihr zugesagten 5 Milliarden DM aufgebracht und damit ihre Zahlungszusage eingelöst. Nunmehr kann eigentlich kein US-amerikanisches Gericht die notwendige Erledigung oder Abweisung der dort anhängigen Klagen gegen deutsche Unternehmen länger unter Hinweis darauf verweigern, dass Zweifel an der Leistungsbereitschaft und der Leistungsfähigkeit der Bundesstiftung bestünden. Anders formuliert: Mit der Bereitstellung der 5 Milliarden DM ist eine wichtige Voraussetzung dafür geschaffen worden, dass der notwendige Rechtsfrieden nunmehr rasch hergestellt werden kann. Nicht mehr, aber auch nicht weniger haben wir bis heute erreicht. Es wäre gut, wenn die deutsche Wirtschaft die 5 Milliarden DM zügig an die Bundesstiftung überweisen würde, auch, weil dann die nicht unerheblichen Zinserträge dem Stiftungszweck zugute kämen. ({0}) Eine Auszahlung dieses Betrages kommt allerdings erst dann in Betracht, wenn ausreichende Rechtssicherheit besteht und diese durch Beschluss des Deutschen Bundestages ausdrücklich festgestellt wird. Die Entschädigung für NS-Zwangsarbeit und die Einrichtung eines Zukunftsfonds einerseits und die Herstellung ausreichender Rechtssicherheit für deutsche Unternehmen in den USA andererseits sind zwei Seiten ein und derselben Medaille. Wer diesen nach langwierigen, schwierigen und komplizierten Verhandlungen von allen Seiten akzeptierten Zusammenhang auflöst, wird die Ziele der Stiftung in absehbarer Zeit nicht erreichen. Die deutsche Wirtschaft ist für ihre bislang zögerliche Haltung in den letzten Monaten oft und nicht zu Unrecht kritisiert worden. Aber wir können sie jetzt nicht auch noch dafür kritisieren, dass sie auf die Einhaltung geschlossener Verträge Wert legt. ({1}) Wer die versprochene Leistung erbracht hat, kann erwarten, dass auch die vereinbarte Gegenleistung erbracht wird. Rechtsfrieden und Rechtssicherheit müssen jetzt durch gemeinsame Anstrengungen von Klägern, Klägervertretern und Gerichten vor der US-amerikanischen Justiz hergestellt werden, und dies so rasch wie möglich; denn Ziel der Bundesstiftung kann ja nicht sein, die Hinterbliebenen der ehemaligen Zwangsarbeiter zu erreichen. Vielmehr müssen die noch heute lebenden, alten und oft kranken und gebrechlichen Opfer erreicht werden. Leider - ich betone: leider - kann der Deutsche Bundestag zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht ausreichende Rechtssicherheit für die deutschen Unternehmen durch einen Beschluss feststellen. Es wäre schön, wenn diese Rechtssicherheit schon jetzt bestünde. Dies ist jedoch nicht der Fall. Allerdings muss sich die deutsche Wirtschaft fragen lassen - darauf hat Graf Lambsdorff zu Recht hingewiesen -, ob sie tatsächlich auf der Haltung bestehen will, dass ausreichende Rechtssicherheit nur dann gegeben sei und von uns gemeinsam festgestellt werden dürfe, wenn zunächst ausnahmslos alle Klagen vor US-amerikanischen Gerichten abgewiesen seien, bevor die 5 Milliarden DM ausgezahlt werden dürften. Die Klagen bei der Richterin Kram und das Verfahren Deutsch gegen Turner Corporation in Kalifornien - es handelt sich hier um ein streitiges Berufungsverfahren in einem Zwangsarbeiterfall - sind in der Tat wichtige Präzedenzfälle, deren Ausgang wir abwarten müssen. Allerdings muss die Wirtschaft dann auch einmal in Ruhe darüber nachdenken, ob es tatsächlich richtig ist, auch allen anderen Fällen die gleiche Bedeutung zukommen zu lassen, ohne dass diese wirtschaftlich oder materiell-rechtlich tatsächlich ebenso wichtige Präzedenzfälle sind. ({2}) Es wäre gut, wenn auch in puncto Rechtssicherheit Einvernehmen zwischen dem Bundestag und der Wirtschaft erzielt werden könnte. Dieses Einvernehmen dürfte jedoch nur dann erzielbar sein, wenn einerseits der Deutsche Bundestag nicht leichtfertig Rechtssicherheit feststellt, ohne dass diese tatsächlich vorliegt, und wenn die Wirtschaft andererseits bereit ist, zu akzeptieren, dass ausreichende Rechtssicherheit nicht zwangsläufig die Erledigung aller Klagen bedeuten muss. Wir müssen beides gewährleisten: Schnelligkeit und Einigkeit. Das sind wir den noch lebenden Opfern schuldig. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Volker Beck vom Bündnis 90/Die Grünen.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Graf Lambsdorff! Meine Damen und Herren! 10 Millionen Zwangsarbeiter wurden von Deutschland verschleppt, versklavt und gequält. Von diesen leben heute noch ungefähr anderthalb Millionen Menschen. Bis 1998 hat die Bundesrepublik Deutschland mit ihnen um die Frage gerechtet, ob sie aus dieser Zeit einen Anspruch auf Entschädigung oder auch nur auf Lohn haben. Zwei Jahre haben wir mit den Opferorganisationen, den osteuropäischen Staaten und dem Staat Israel verhandelt und sind schließlich im Juli 2000 zu einer Lösung gekommen und haben als Bundestag das Stiftungsgesetz verabschiedet. Als wir das getan haben, haben wir gehofft, wesentlich früher mit der Auszahlung an die Opfer beginnen zu können. Mit den Ereignissen dieser Woche sind wir einen entscheidenden Schritt vorangekommen. Das Geld ist nun vorhanden; die deutsche Wirtschaft hat ihre 5 Milliarden DM zusammen. Sie hat hierfür eine Lösung gefunden. Aber damit ist noch nicht alles erfüllt, was wir brauchen, um auf einem sicheren Weg zur Rechtssicherheit zu kommen. Das Geld muss an die Bundesstiftung überwiesen werden. Zur Not kann hierfür die Konstruktion eines Treuhandverhältnisses gewählt werden. Aber Richterin Kram hat in ihrem Urteil ganz eindeutig gesagt: „Full funding of the foundation is accomplished.“ Die volle Finanzierung der Stiftung ist erreicht. Sie hat nicht gesagt: ist gewährleistet oder garantiert. Das heißt, wenn man diesen Richterspruch erfüllen will, muss das Geld der Stiftung zur Verfügung gestellt werden. Ansonsten geht die Wirtschaft erneut unnötige Prozessrisiken auf Kosten der Opfer ein. ({0}) Wir haben der Wirtschaft bereits vor diesem Urteil geraten, sie solle durch eine erste Überweisung ihre Zahlungswilligkeit demonstrieren. Damals hat man uns gesagt: Das wird die Richterin nicht interessieren, die Klagen werden schon abgewiesen werden. Man hat sich schon einmal getäuscht. Ich warne davor, ein Risiko in der nächsten Instanz einzugehen, denn dann könnte Rechtssicherheit auch höchstrichterlich abgelehnt werden. Meine Damen und Herren, die Verträge wie das Stiftungsgesetz machen die Feststellung ausreichender Rechtssicherheit zur Voraussetzung von Auszahlungen an die Opfer. Dabei dürfen wir die Anforderungen nicht zu hoch schrauben. Wir hatten im Bundestag immer Einvernehmen darüber, dass wir gesagt haben, wir müssen die Sammelklagen zurückgewiesen haben und wir brauchen einen Testfall für die Belastbarkeit des Statement of Interest. Ich meine, dies muss ausreichen. Selbstverständlich hat die deutsche Wirtschaft ein berechtigtes Interesse an einem allumfassenden rechtlichen Frieden, wie er uns Deutschen von den Amerikanern versprochen wurde, für deutsche Unternehmen in den Vereinigten Staaten. Wir stehen auf ihrer Seite, wenn es darum geht, diese vertragliche Zusage einzufordern, solange sich das nicht gegen die Interessen der Opfer wendet. Es geht einerseits zwar um Rechtssicherheit, aber es geht andererseits auch um den moralischen Gehalt dieses Projektes. Es geht um historische Schuld, um Verantwortung, die wir als Deutsche dafür übernehmen wollen, und es geht um Versöhnung. Wenn Rechtssicherheit nicht schnell erreicht werden kann - Vertreter der Wirtschaft haben gestern in Interviews mitgeteilt, dass man alle Urteile zu diesem Thema abwarten will; man muss sich daher darüber klar sein, dass bis zum Jahresende wahrscheinlich weder Rechtssicherheit bestehen wird noch Auszahlungen erfolgen können -, dann werden wir in einem moralischen Dilemma sein und darüber nachdenken müssen, ob es eine humanitär motivierte Lösung geben kann. ({1}) Der Bundestag muss die Lage neu bewerten, wenn der Bundeskanzler aus den Vereinigten Staaten zurückkommt. Wir müssen von unseren amerikanischen Freunden auch verlangen, dass sie ihre Zusagen aus dem Regierungsabkommen voll und ganz einhalten. Dazu können Sie einiges mehr als in der Vergangenheit tun. Die Statements of Interest können näher an dem Regierungsabkommen liegen, als dies bislang der Fall war. Wir dürfen aber bei all diesen Diskussionen über Rechtsfragen die Opfer nicht vergessen. Jeden Tag sterben nach Schätzungen der Opferorganisationen 200 Menschen, die eigentlich eine Zahlung aus der Bundesstiftung erhalten sollen. Allein in Tschechien sind es 15 Menschen pro Tag. Als wir vor nicht langer Zeit das Stiftungsgesetz verabschiedet haben, wollten wir eine Überlebendenstiftung schaffen. Wir müssen aufpassen - der Bundestag hat dafür die Verantwortung -, dass daraus keine Hinterbliebenenstiftung wird. ({2}) Deshalb sollten wir diese Fragen gründlich diskutieren und dabei alle Motive des Projektes berücksichtigen. Nach der Reise des Bundeskanzlers sollten wir uns in den Ausschüssen noch einmal intensiv mit Lösungsmöglichkeiten beschäftigen. ({3})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die F.D.P.-Fraktion spricht jetzt der Kollege Dr. Max Stadler.

Dr. Max Stadler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002805, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Als sich vor knapp einem Jahr abzeichnete, dass die internationalen Verhandlungen zu einem erfolgreichen Ende kommen, hat der Bundestag zwei Versprechen abgegeben: erstens, das notwendige Stiftungsgesetz gründlich zu beraten und, zweitens, es zugleich schnell zu verabschieden, damit die Zahlungen an die Opfer rasch beginnen können, bei gleichzeitiger Rechtssicherheit für die deutsche Wirtschaft. Der Bundestag hat diese Versprechen eingehalten. Das Gesetz ist hier trotz der Kompliziertheit der Materie schnell beraten und verabschiedet worden. Noch vor der Sommerpause 2000 ist ein Kuratorium installiert worden, das seither mit Hochdruck an der verwaltungstechnischen Umsetzung des gesamten Projekts arbeitet. Dennoch ist die Zielsetzung des Stiftungsgesetzes bis heute nicht erreicht worden. Dies ist wirklich bedrückend. Man kann hinsichtlich der beiden Anwälte, die an den Verhandlungen beteiligt waren und jetzt mit der Erhebung neuer Klagen den Eintritt der Rechtssicherheit hinauszögern, nur Unverständnis haben. Unverständnis muss man auch gegenüber den Teilen der deutschen Wirtschaft zeigen, die gezögert haben, sich an der Aufbringung der 5 Milliarden DM zu beteiligen - dies gilt aber nicht für die Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft insgesamt. ({0}) In diesem Haus herrscht auf allen Seiten Unverständnis darüber, dass die vielen Mahnungen von Graf Lambsdorff, von den Fraktionen des Bundestages und von vielen anderen in der Öffentlichkeit, das Kapital rechtzeitig und in voller Höhe zur Verfügung zu stellen, in den Wind geschlagen worden sind, weswegen weitere Verzögerungen eingetreten sind. Volker Beck ({1}) Wir sind in einen Teufelskreis von fehlendem Stiftungskapital und fehlender Rechtssicherheit geraten. Erfreulicherweise ist seit Dienstag dieser Woche die Chance gegeben, diesen Teufelskreis zu durchbrechen. Deshalb schließe ich mich den Appellen an die amerikanische Justiz an, jetzt die Verfahren rasch abzuschließen. Aber der Bundestag kommt wieder in die Situation - sie ist so ähnlich wie die vor knapp einem Jahr -, dass er eine Entscheidung gründlich, aber rasch wird treffen müssen; denn - ich mache auf diesen Aspekt bewusst aufmerksam - es ist einzig und allein der Bundestag, der nach dem Stiftungsgesetz die Feststellung der ausreichenden Rechtssicherheit zu treffen hat. ({2}) Wir stehen unter Entscheidungszwang. Kein runder Tisch, keine Arbeitsgruppe, kein Bundeskanzler und nicht einmal der geschätzte Graf Lambsdorff können uns diese Entscheidung abnehmen. ({3}) Dies ist im Stiftungsgesetz bewusst so festgelegt worden, weil von vornherein damit gerechnet wurde, dass über die Voraussetzungen der Rechtssicherheit durchaus unterschiedliche Meinungen entstehen können. Daher ist eine einvernehmliche Lösung dieser Frage wünschenswert und anzustreben. Dem Bundestag bleibt nichts anderes übrig, als erneut das Versprechen zu geben, diese Frage in den nächsten Tagen und Wochen zwar mit der gebotenen Akribie zu prüfen, aber dann rasch so oder so zu entscheiden. Meine Damen und Herren, wir sind uns dabei unserer Verantwortung bewusst. Wir tragen Verantwortung dafür, dass das Interesse der Wirtschaft, für die gleiche Sache nicht zweimal zahlen zu müssen, berücksichtigt wird; wir haben aber auch eine Verantwortung gegenüber den Opfern. Aufgrund der praktischen Bewährung des Statement of Interest ist mit größter Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen, dass noch anhängige Klagen in den USA abgewiesen werden. Der Streit geht darum, welche Klagen noch relevant sind. Dies ist das berechtigte Interesse der Wirtschaft. Es darf aber nicht zugewartet werden, bis die letzte aussichtslose Einzelklage alle Instanzen durchlaufen hat. Dies ist das berechtigte Interesse der Opfer. Ich erwarte vom Deutschen Bundestag, dass er in diesem Spannungsfeld unter Wahrung beider Interessenlagen bald eine kluge Entscheidung trifft. ({4})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Das Wort hat Kollege Ludwig Stiegler für die SPD-Fraktion.

Ludwig Stiegler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002248, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Graf Lambsdorff! Meine Damen und Herren! Die beklagenswerte Lage wurde schon angesprochen: Das Geld ist da, doch die Opfer können es nicht bekommen. Diese Situation ist fast mit der des Tantalus zu vergleichen: Die Möglichkeit zu helfen, also das zu erreichen, was wir immer wollten, ist zum Greifen nahe, aber es geht noch nicht. Es ist auch traurig, dass die deutsche Wirtschaft ihre Chance vertan hat. Hätte sie vor vier Wochen gehandelt, könnte sie sagen: Wir haben mit viel Mühe das Ziel erreicht. - Jetzt muss man sich fragen, ob immer erst etwas passieren muss - ein Richterspruch oder die Anberaumung eines Kanzlergesprächs -, bevor sich etwas bewegt. Es ist wirklich schade, dass der moralische Aspekt dieser großen Bemühungen in diesem Zögern einfach untergeht. Lassen Sie uns aber nach vorne schauen: Wir können Frau Kram vonseiten des Deutschen Bundestages sagen, dass das Geld da ist. Dies ist eine ganz wichtige Botschaft. So ärgerlich die Entscheidung von Frau Kram auch war, wer sie im Detail liest, wird feststellen, dass die Ausführungen zum Statement of Interest und zu seiner Bedeutung eine wesentliche Hilfe bei weiteren Fällen sein können. Es wurde wirklich deutlich gemacht, dass das Statement of Interest nicht ein einfaches Papier ist, sondern sehr bedeutungsvoll ist. Frau Kram hat sich gerade darauf berufen und gesagt, dass, solange das Geld nicht da ist, dieses Instrument nicht wirksam eingesetzt werden könne. Damit können wir darauf vertrauen, dass es so ähnlich wie bereits in einigen früheren Fällen auch in Zukunft läuft. Wir müssen uns auch darüber klar sein, dass es sich bei der Vereinbarung mit der deutschen Wirtschaft um eine Gesamtvereinbarung handelt. Es ist leider nicht so, wie Kollege Stadler soeben gesagt hat, dass der Deutsche Bundestag entscheidet und die Wirtschaft zahlen muss. In § 17 steht: Wenn der Bundestag ausreichende Rechtssicherheit feststellt, kann die Stiftung an die Partnerorganisation zahlen. - Die Regelung, wann die Leistungen der Wirtschaft an die Stiftung fällig werden, steht leider woanders. In diesem Bereich ist Rechtsfriede nötig. Wir tun gut daran, diesen Gesamtrahmen strikt einzuhalten und die sich daraus ergebenden Folgen miteinander zu tragen. Wir sollten nicht über dieses gesamte Vertragswerk hinausgehen. Vertragstreue gilt für beide Seiten. Angesichts der Tatsache, dass wir alle Anstrengungen unternehmen, um möglichst viel Rechtssicherheit herbeizuführen, bin ich mir sicher, dass sich die deutsche Wirtschaft am Ende der Entscheidung des Parlamentes nicht verweigern wird. Wir erwarten von der deutschen Wirtschaft, dass sie nicht sozusagen die Buchstaben reitet, sondern dafür Sorge trägt, dass die grundlegenden Ziele erreicht werden und dass dem moralischen Anspruch das notwendige Gewicht verliehen wird. Entsprechende Signale deuten darauf hin, dass die deutsche Wirtschaft nicht justament auf Abweisung der letzten Klage bestehen wird. Darauf werden wir auch in unseren Gesprächen dringen. Es geht jetzt darum, dass die amerikanische Seite ihre Zusagen erfüllt. Jetzt muss Tempo in die Verfahren gebracht werden. Mir genügt das Statement of Interest allein nicht. Ich darf in diesem Zusammenhang aus Art. 2 Abs. 2 des deutsch-amerikanischen Regierungsabkommens zitieren: Die Vereinigten Staaten werden sich in Anerkennung der Bedeutung der Ziele dieses Abkommens einschließlich des umfassenden und dauernden Rechtsfriedens frühzeitig und nach besten Kräften bemühen, auf eine Weise, die sie für angemessen halten, diese Ziele gemeinsam mit den Regierungen der Bundesstaaten und der Kommunen zu verwirklichen. Ich erwarte jetzt von der amerikanischen Seite, dass sie noch einmal an die Gerichte herantritt und auf der Grundlage der Information über die Zusagen der deutschen Wirtschaft erklärt: Wer bisher noch Bedenken hinsichtlich der Bereitstellung der 5 Milliarden DM in voller Höhe hatte, der möge diese, bitte schön, zurückstellen. - Wir müssen uns darum bemühen, dass bei den Gerichten Tempo gemacht wird, und deutlich machen, dass jeder Richter, der in dieser Angelegenheit nicht schnellstmöglich entscheidet, die Opfer, die er schützen will, im Grunde genommen schädigt, weil die Hilfe für sie zu spät kommen kann. Wir sollten gemeinsam den Richtern in Amerika sehr deutlich machen: Wir haben unseren Beitrag geleistet. Nun tut ihr das Eure! Vielen Dank. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die PDS-Fraktion spricht die Kollegin Ulla Jelpke.

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nicht das Leid der überlebenden Zwangsarbeiter, sondern der Spruch der US-Richterin Kram hat die Wirtschaft dazu veranlasst, die längst überfälligen 5 Milliarden DM nun endlich verbindlich zuzusagen. Allein dies zeigt: Das Unrechtsbewusstsein der deutschen Wirtschaft beim Thema NS-Zwangsarbeit ist nach wie vor erbärmlich. ({0}) An dieser Stelle möchte ich einige Worte an die überlebenden Zwangsarbeiter richten: Ich versichere Ihnen, die PDS-Fraktion empfindet die jetzige Situation als unerträglich und skandalös. Wir sind wütend und ratlos zugleich, dass immer noch kein Geld an die überlebenden Opfer ausgezahlt wurde. Wir werden alles daran setzen, dass so schnell wie möglich mit der Auszahlung begonnen wird. In den letzten Wochen und auch in diesen Stunden findet ein Gezerre um Fragen der Rechtssicherheit für die Wirtschaft statt, das alles andere in den Hintergrund stellt. Völlig unverfroren hat erst gestern der Sprecher der Stiftungsinitiative, Herr Gibowski, wiederholt, dass alle neuen Klagen in den USA niedergeschlagen oder zurückgezogen sein müssen, bevor mit der Auszahlung an die Opfer begonnen werden kann. Ich muss Ihnen ehrlich sagen, dass mir zu diesem Herrn nichts mehr einfällt, der in den letzten Wochen und Monaten nichts unversucht gelassen hat, immer wieder Vorwände - meiner Meinung nach: auch Gemeinheiten - zu finden, um die Auszahlung zu verzögern. Ich möchte hier ganz eindeutig denjenigen widersprechen, die jetzt auf die amerikanischen Gerichte und auf die Situation in den USA hinweisen. ({1}) Das Entscheidende ist, dass vor allen Dingen die Wirtschaft in den letzten Monaten immer wieder gezeigt hat, dass sie überhaupt nicht bereit war, zu zahlen und nach einer Lösung zu suchen. Das ist nach wie vor skandalös. Ich bin der Meinung, dass die Lage relativ klar ist. Erstens. Die Wirtschaft muss sofort ihren Beitrag von 5 Milliarden DM auf das Konto der Bundesstiftung überweisen. ({2}) Zweitens. Die letzte Sammelklage in den USA - dafür müssen wir uns einsetzen - muss so schnell wie möglich eingestellt werden. Dann - da waren sich die Mitglieder des Kuratoriums bisher immer einig - könnte der Bundestag eigentlich Rechtssicherheit beschließen und mit der Auszahlung an die Opfer beginnen. Ich möchte hier klipp und klar sagen: Für die Opfer ist das, was in diesem Zusammenhang in den letzten Monaten gelaufen ist, nicht mehr akzeptabel. Uns begegnen immer wieder Menschen, die völlig hilflos fragen: Wie kann es nur angehen, dass in Deutschland keine Lösung gefunden wird? - Schauen wir zum Beispiel nach Österreich. Dort ist offensichtlich alles viel schneller geregelt worden. Auch andere Organisationen waren sehr viel schneller in der Lage, die Opfer zu entschädigen. Hinsichtlich der Gespräche gestern beim Bundeskanzler hatten wahrscheinlich viele die Erwartung, dass der Kanzler endlich einmal ein Machtwort spricht. Aber auch das, was Sie, Herr Lambsdorff, heute hier vorgetragen haben, war im Prinzip nichts Neues. Ich bin nicht alleine enttäuscht darüber, dass hier nicht ganz klar entschieden worden ist, dass im Sinne der Opfer schnell gehandelt wird. Es ist wie immer: Wenn man nicht weiterweiß, gründet man einen Arbeitskreis. Dieser soll jetzt beim Bundeskanzler angesiedelt werden. Ich muss ehrlich sagen, dass ich wenig Hoffnung habe, dass dieser Arbeitskreis die Lösung bringen wird, die wir in monatelangen Gesprächen und Verhandlungen zu finden versucht haben. Ich weiß nicht, was dieser Arbeitskreis im Zusammenhang damit bringen soll, dass jetzt schnell Rechtssicherheit hergestellt und die Opfer entschädigt werden sollen. Insofern möchte ich von dieser Stelle aus ein weiteres Mal an die Bundesregierung appellieren, sich klar und deutlich für die Opfer einzusetzen, nicht gegenüber der Wirtschaft einzuknicken und womöglich noch weitere Klagen abzuwarten, bevor sie die Entschädigungszahlungen leistet. Ich möchte auch noch ein Wort zu meinem Kollegen Beck sagen. Herr Kollege Beck, Sie sind jetzt in der Öffentlichkeit mit dem Vorschlag vorgeprescht, man könne ja die Rechtssicherheit von den jetzigen Zahlungen abkoppeln. Ich halte überhaupt nichts davon, dass ein einzelnes Mitglied des Kuratoriums vorprescht ({3}) und irgendwelche Vorschläge macht, die falsche Hoffnungen wecken. Das aber haben Sie in den vergangenen Tagen immer wieder getan. Ich fordere - ebenso wie beispielsweise die osteuropäischen Partnerorganisationen, aber auch andere Mitglieder des Kuratoriums -, sofort eine Sitzung des Kuratoriums einzuberufen und mit den Opferverbänden darüber zu diskutieren, ({4}) was jetzt getan werden kann. Die Opferverbände sollten auch in die Arbeitsgruppe mit einbezogen werden, statt die Verhandlungen hinter verschlossenen Türen stattfinden zu lassen. ({5})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Frau Kollegin Jelpke, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ja, ich komme zum letzten Satz. Wenn es - in dem Punkt stimme ich mit dem Kollegen Beck völlig überein - so weitergeht wie bisher, dann werden wir keine Stiftung für die Entschädigung der überlebenden Zwangsarbeiter haben, sondern eine Hinterbliebenenstiftung. Das darf nicht passieren. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Das Wort hat der Kollege Bernd Reuter für die SPD-Fraktion.

Bernd Reuter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001828, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will an das anknüpfen, was Frau Jelpke hier vorgetragen hat, nämlich dass wir alle darüber betroffen sind, dass es uns nicht gelingt, endlich an die Menschen eine Auszahlung leisten zu können, die dieses schwere Schicksal erlitten haben. Aber ich möchte auch davor warnen, dass hier der Eindruck vermittelt wird, man müsse nur wollen, dann könne man das Geld auch auszahlen. ({0}) Ich bin ein ehrlicher Makler: Wir wollten im Rahmen der Diskussion heute eine Aktuelle Stunde machen, um der Industrie einmal deutlich zu sagen, dass sie endlich das Geld bringen muss. Es hieß ja immer: Das Geld ist da, wenn es gebraucht wird. Seit dem 13. März heißt es: Das Geld ist da. Nun will ich mich nicht an dem theoretischen Streit beteiligen, ob das Geld bei der Stiftung eingezahlt werden muss. Mir wäre es lieber, wie es auch Herr Kollege Bosbach gesagt hat, wenn es eingezahlt werden würde. Aber nach den Regeln, die wir uns selbst gegeben haben, ist dies nicht zwingend erforderlich. Wir haben unsere Aufgaben zunächst ordentlich erfüllt. Die Wirtschaft hat das Geld zur Verfügung gestellt. Jetzt liegt es - das klang auch bei Max Stadler an - in der Tat an der Justiz in Amerika, durch entsprechende Entscheidungen dafür zu sorgen, dass wir in die Lage versetzt werden, ausreichend Rechtsfrieden herzustellen. ({1}) Die Entscheidung der Richterin Kram in Amerika sehe ich ähnlich wie Graf Lambsdorff. Sie mag rechtsfehlerhaft gewesen sein. Aber, meine Damen und Herren, auch wenn heute nicht der Tag der Dankadressen ist, sollten wir vielleicht der Richterin Kram dafür danken, dass sie diese Entscheidung getroffen hat; denn nicht die Drohung mit unserer Aktuellen Stunde hat die Wirtschaft dazu gebracht, das Geld bereitzustellen, sondern möglicherweise die Entscheidung dieser weisen Dame in Amerika. ({2}) Wir müssen mit einer Richterschelte auch deswegen vorsichtig sein, weil dies kontraproduktiv sein könnte. Es ist richtig, was Ludwig Stiegler dargelegt hat: Wir können dem Kanzler natürlich mit auf den Weg geben, seine Kontakte in Amerika zu nutzen, um dafür zu werben, dass auch in Amerika eine Stimmung erzeugt wird, die es der Justiz ermöglicht, schnell zu entscheiden. Nichtsdestotrotz werden wir nicht alle Klagen schnell vom Tisch bekommen. Auf der einen Seite steht die Verpflichtung, dass die Wirtschaft das Geld zusammenbringt - die Bundesregierung hat ihren Anteil von 5 Milliarden DM bereits erbracht -, auf der anderen Seite die so genannte ausreichende Rechtssicherheit. Da können wir uns nicht davonstehlen - so Leid es mir tut, Ulla Jelpke - und sagen, der Kanzler sei vor der Wirtschaft eingeknickt oder er kusche vor der Wirtschaft. Man kann auch nicht so wie andere argumentieren - man braucht ja nur den Fernseher anzuschalten oder Radio zu hören -, die sagen, hier werde nur die Sache der Wirtschaft vorgetragen. Wenn ich diese Töne manchmal höre, wundere ich mich nicht, dass die Industrie nicht bereit ist, das Geld einzuzahlen. Ich habe den Eindruck, manche hier argumentieren, es sei ganz egal, ob wir Rechtssicherheit erreichen, wir sollten einfach auszahlen. Aus meiner Sicht kann ich nur warnen: Wenn wir jetzt das Gesetz ändern und Mittel aus der Stiftung auszuzahlen beginnen, dann gefährden wir das gesamte Projekt. Wir müssen aber alles daran setzen, dass dieses Projekt erfolgreich abgeschlossen wird. Wenn es nun noch etwas länger dauert, ist das zwar bedauerlich; aber der Deutsche Bundestag könnte, sollte dies bis zum Eintritt in die Sommerpause nicht zu bewerkstelligen sein, auch aus der Sommerpause zurückgeholt werden, damit wir hier die Rechtssicherheit feststellen und die Auszahlung beginnen kann. ({3}) Es liegt nun daran, durch vernünftiges Verhalten dazu beizutragen, dass hier keine Irritationen ausgelöst werden. Ich sage an dieser Stelle auch - das klang bei Ulla Jelpke ebenfalls an -: So manche Empfehlung, die ich in den letzten Tagen gehört habe, zeugt davon, dass diejenigen, die öffentlich so argumentieren, einfach ihre Unterlagen zur Seite gelegt haben. Man muss nur in diese Unterlagen hineinschauen; dann weiß man auch, welche Probleme lösbar sind und was machbar ist. Mein Appell und meine Bitte: Wir müssen in dieser Frage zusammenbleiben. Nur dann, wenn der Deutsche Bundestag und die Kuratoriumsmitglieder dieses Hauses einig und geschlossen die Interessen der bemitleidenswerten Menschen vertreten, die auf ihr Geld warten, wird es uns gelingen, Eindruck auf die Justiz in Amerika zu machen. Nur dann sind wir in der Lage, in absehbarer Zeit endlich mit den Zahlungen zu beginnen. Dieses Ziel muss für uns im Vordergrund stehen und dafür sollten wir alle gemeinsam streiten. Schönen Dank. ({4})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Nächster Redner ist der Kollege Martin Hohmann für die CDU/CSU-Fraktion.

Martin Hohmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003152, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Graf Lambsdorff! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! „Unvorstellbar“ war für den Kanzler das von vielen als dauerhaft vermutete Unvermögen der deutschen Wirtschaft, ihren Anteil am Stiftungsvermögen zusammenzubekommen. Auch mithilfe einer „Ruck“-Entscheidung von Richterin Shirley Kram hat Gerhard Schröder Recht behalten. Krise und Blamage sind abgewendet, Gott sei Dank. Reist der Kanzler jetzt zu seiner Antrittsvisite bei Präsident Bush mit leichtem Gepäck? - Fehlanzeige! Nach der Geldnot kommt die Zeitnot. Wer 55 Jahre auf eine Geste der Wiedergutmachung für Zwangsarbeit gewartet hat, darf keinen Tag länger hingehalten werden, hört man. Die Opfer sollen das Geld bekommen, nicht die Erben. - Wer wollte dem widersprechen? Auf der einen Seite steht die Humanität, auf der anderen Seite das, was man als juristischen Formelkram bezeichnet. Da kann, da darf doch nicht mehr gezögert werden. Sofort das Geld auszahlen, der Stimme des Herzens folgen, so die populäre Forderung. Wagt da jemand zu widersprechen? - Ja, der Kanzler selbst und Otto Graf Lambsdorff, sein Sonderbeauftragter. Sind das Unmenschen? - Nein! Sie tun ihre Pflicht, wenn sie uns in einer Phase großer öffentlicher Erwartungen zur Besonnenheit mahnen, wenn sie uns daran erinnern, dass Deutschland und die deutsche Wirtschaft eben nicht aufgrund rechtlicher, sondern aufgrund politischmoralischer Verpflichtung Entschädigung leisten, wenn sie uns an die Geschäftsgrundlage erinnern. Diese Geschäftsgrundlage wurde von einer breiten Mehrheit durch Bundestagsbeschluss im letzten Sommer gegengezeichnet. Sie lautet: Entschädigungsleistung gegen Rechtssicherheit. Rechtssicherheit ist sicher erst dann gegeben, wenn der Fall Deutsch gegen Turner-Corporation vor dem amerikanischen Berufungsgericht im Juni positiv entschieden ist. All das fasst Graf Lambsdorff in der zutreffenden Erwartung zusammen, dass mit den Zahlungen frühestens im Sommer dieses Jahres gerechnet werden kann. Für diese klaren Worte sollten wir Graf Lambsdorff nicht tadeln. Wir sollten ihm auch dafür dankbar sein. Dankbar sollten wir auch den beteiligten deutschen Unternehmen sein; es ist bereits ausgedrückt worden. Immerhin haben mehr als 50 Prozent dieser Unternehmen 1945 noch gar nicht bestanden. ({0}) Trotzdem haben sie in den Fonds einbezahlt und die Gründungsmitglieder haben kräftig nachgeschossen. ({1}) Nachdem wir gemeinsam mit der Wirtschaft so weit gekommen sind, habe ich jede Zuversicht, dass wir auch den Rest, die letzten 100 Meter bis zum Ziel, gemeinsam schaffen. Aber der Ball liegt jetzt im Spielfeld der Amerikaner. Die amerikanische Justiz und die Bush-Regierung sind jetzt am Zug. Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, nachdem das Projekt der Zwangsarbeiterentschädigung mit großer Unterstützung aus allen Fraktionen kurz vor einem erfolgreichen Abschluss steht, mein Appell an die rot-grüne Mehrheit des Hauses: Denken Sie bitte auch an die deutschen Zwangsarbeiter, denken Sie bitte auch an die deutschen Spätheimkehrer, die in die ehemalige DDR entlassen wurden! ({2}) Treffen denn die grausigen Berichte über Hunger, Qualen und Misshandlungen nicht auch auf sie zu? Gehen wir nicht von einer universalen Geltung der Menschenrechte aus? Sind wir etwa ein Schwellenland in Sachen Menschenrechte? Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, in Ihrer Oppositionszeit haben Sie auf das Thema Menschenrechte größten Nachdruck gelegt. Als Union sind wir Ihnen bezüglich der Zwangsarbeiterentschädigung darin gefolgt. Wir können Sie nur bitten, umgekehrt uns bei der beantragten Entschädigung der DDR-Spätheimkehrer zu folgen. Oder sind die 90 Millionen DM, knapp 1 Prozent von 10 Milliarden DM, für diese wirklich vergessenen, alten Menschen zu viel? Wenn das der Fall wäre, müssten wir uns einfach nur schämen. ({3})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Jetzt spricht Kollege Winfried Nachtwei für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Winfried Nachtwei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002743, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als der Bundestag im Juli 2000 das Gesetz zur Bundesstiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ beschloss, war das ein großes Zeichen der Hilfe und Hoffnung für viele Hunderttausende ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter in Osteuropa, zumal nach Jahrzehnten der Ignoranz und Gleichgültigkeit, die sie aus Deutschland ihrem Schicksal gegenüber vorher erfahren hatten. Dieser Beschluss war ein regelrechtes Rettungssignal gerade für die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aus Osteuropa, die ja ungefähr 90 Prozent der Zwangsarbeiter insgesamt ausmachen. Mit wachsender Irritation und Enttäuschung mussten diese Menschen erleben, dass sich die Umsetzung der Ankündigung verzögerte und verzögerte. Die Verweigerungshaltung eines Teils der deutschen Unternehmen verhinderte allzu lange, dass die zugesagten 5 Milliarden DM zusammenkamen. Sie konterkarierten dadurch zugleich die verantwortliche Haltung anderer Unternehmen, vor allem auch derjenigen, die selbst gar keine Zwangsarbeiter beschäftigt hatten oder Nachkriegsgründungen waren. Damit wurde die große Versöhnungsgeste der Wirtschaft, des deutschen Parlaments entwertet und viele, viele Tausend Zwangsarbeiter wurden um ihre Entschädigung betrogen, weil sie inzwischen eben gestorben sind. Am 22. Juni, in wenigen Monaten, jährt sich zum sechzigsten Mal der Beginn des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion. Damals begann der größte Vertreibungs-, Vernichtungs- und Versklavungskrieg, den die Geschichte gesehen hat. Bis zu diesem Datum muss die Auszahlung der Entschädigung angelaufen, muss sie konkret in Sicht sein. Deshalb darf die deutsche Wirtschaft keine maximalen Forderungen an Rechtssicherheit stellen. Deshalb muss in die Bundesstiftung direkt und schnellstmöglich eingezahlt werden. ({0}) Die bisherige Entwicklung ist trotz aller guten Leistungen dabei insgesamt eher beschämend. Umso mehr möchte ich auf diejenigen Bürgerinnen und Bürger in Deutschland aufmerksam machen, die von sich aus schon seit Jahren Verantwortung in dieser Frage übernommen haben. Sie machten ehemalige Zwangsarbeiter aus ihren Regionen ausfindig, organisierten Patenschaften und Besuchsreisen. Sie organisierten Spendensammlungen für ehemalige KZ- und Getto-Häftlinge sowie für Zwangsarbeiter. Sie nahmen persönliche Kontakte auf, die oft in Freundschaften mündeten. Sie bewiesen persönlich anschaulich und überzeugend an ihren jeweiligen Orten, wie überfällig eine so genannte Entschädigung ist und dass Ressentiments, antisemitische Ressentiments, die sich oft gerade an der Entschädigungsfrage festmachen, die Wirklichkeit absolut entstellen und unmenschlich sind. ({1}) Beispielhaft für solche Bürgerinnen und Bürger nenne ich das Ehepaar Hanna und Wolf Middelmann in Göttingen, den ehemaligen Pfarrer Werner Lindemann oder Margret Sintram aus Lüneburg, die in großem Umfang solche Partnerschaftsbeziehungen mit ehemaligen Zwangsarbeitern in Weißrussland, im Baltikum aufbauten. Solchen Bürgerinnen und Bürgern hat der Deutsche Bundestag ausdrücklich zu danken. ({2}) Ihre demokratische Privatinitiative sollte sich die gesamte - die gesamte! - deutsche Wirtschaft zum Vorbild nehmen. Zugleich sollten wir, liebe Kolleginnen und Kollegen, solche Privatinitiativen in unseren Wahlkreisen unterstützen; denn sie sind das persönliche und menschliche Fundament einer Versöhnungsarbeit, die sich nicht auf die Auszahlung von Geldbeträgen beschränken kann und für die wir nicht mehr viel Zeit haben werden. Danke schön. ({3})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Das Wort hat die Kollegin Beatrix Philipp, CDU/CSU-Fraktion.

Beatrix Philipp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002750, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin immer noch nicht ganz sicher, ob es wirklich klug war, mit diesem Thema heute eine Aktuelle Stunde durchzuführen, deren ursprünglicher Anlass eigentlich entfallen ist, oder ob es nicht besser und wirklich klüger gewesen wäre, nur einen Sachstandsbericht, wie ihn Graf Lambsdorff gegeben hat, entgegenzunehmen. Wir alle wissen, dass es manchmal klüger ist, zu schweigen und keine Unsicherheiten aufkommen zu lassen. ({0}) Wenn in der letzten Debatte zum Nachtragshaushalt, also beim vorigen Tagesordnungspunkt, mehrfach von einem Bumerang die Rede war, dann heißt das: Die Wahrheit und die Realität werden uns einholen. Es wäre nämlich falsch und schädlich, wenn durch die heutige Debatte zu einer weiteren Verunsicherung der amerikanischen Gerichte und insbesondere der Opfer beigetragen werden würde. ({1}) - Frau Jelpke, auch Ihr Beitrag war nicht dazu geeignet, das auszudrücken, was wir dringend brauchen. ({2}) - Frau Fuchs, ich bin da anderer Ansicht. Sie müssen sich jetzt anhören, warum. - Wir müssen nämlich nach außen den Eindruck erwecken, dass wir bei dem bleiben, was wir hier alle gemeinsam beschlossen haben. Genau das habe ich gemeint. Wenn wir das nicht tun, schafft das Verunsicherung. ({3}) Auch dass Herr Beck soeben die Hoffnung geweckt hat, wir würden uns nach der Reise des Bundeskanzlers in die USA möglicherweise auf die Suche nach neuen Lösungswegen machen, kann nicht der richtige Weg sein. Weil ich das befürchtet habe, habe ich eingangs gesagt: Vielleicht wäre es klüger gewesen, von einer solchen Aktuellen Stunde abzusehen. Ich halte es für wichtig, dass wir bei der in diesem Hause bisher bestehenden Einigkeit bleiben. ({4}) - Herr Stiegler, wenn wir erwarten, dass sich die US-Gerichte an das Vereinbarte halten, dann müssen auch wir uns in Zukunft darauf verständigen, bei dem zu bleiben, was wir gemeinsam beschlossen haben. Frau Jelpke, da nutzt es nichts, wenn Sie jetzt die Wirtschaft beschimpfen, die 5 Milliarden DM - wie auch immer; natürlich zu spät, da sind wir uns einig - zusammengebracht hat. Wenn Sie einmal schauen, welche Unternehmen das gewesen sind, dann stellen Sie fest, dass das nicht ganz selbstverständlich war. Es gibt bei denjenigen, die eingezahlt haben, ein moralisches Empfinden. Ich denke, es ist hier der falsche Ort, sie zu beschimpfen und zu sagen, das sei alles nicht in Ordnung gewesen. Das, was in diesem Hause bisher der Fall gewesen ist, brauchen wir auch weiterhin: Die Seite, die außerhalb dieses Hauses tätig ist, das heißt sowohl die deutsche Wirtschaft als auch die Gerichte, muss wissen, dass sie sich auf das verlassen kann, was wir hier gemeinsam beschlossen haben. Es wäre richtig, wenn wir jetzt in Ruhe auf das vertrauen, was Graf Lambsdorff gesagt hat, nämlich dass er so schnell wie möglich die Empfehlung geben wird, dass wir hier ausreichende Rechtssicherheit feststellen. Der Sache angemessen wäre es auch, wenn wir im Prinzip gemeinsam davon ausgingen, dass alle Beteiligten daran interessiert sind, möglichst schnell zu einer Auszahlung zu kommen. Jede Vermutung in eine andere Richtung hielte jedenfalls ich für wenig hilfreich. Vielen Dank. ({5})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Nächster Redner ist der Kollege Dietmar Nietan für die SPD-Fraktion.

Dietmar Nietan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003199, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Philipp, ich glaube, die Opfer sind vor allem dadurch verunsichert, dass sie seit Monaten das Trauerspiel erleben, dass sie auch von den Vertretern der Stiftungsinitiative nur Worte gehört, aber keine Taten gesehen haben. ({0}) Es entstand vielleicht auch dadurch Verunsicherung, dass keine Worte des Mitgefühls für die Opfer gefallen sind, sondern Worte, die bei allem Dank dafür, dass die Stiftungsinitiative das erforderliche Geld zusammenbekommen hat, dafür gesorgt haben, dass man manchmal an der Ernsthaftigkeit der Absichten der Stiftungsinitiative zweifeln musste. Dies war zum Beispiel der Fall, als der Sprecher der Stiftungsinitiative erklärte, der Deutsche Bundestag könne beschließen, was er wolle, aber die Wirtschaft behalte sich vor, dann einzuzahlen, wann sie wolle. Nachdem der Sprecher der Stiftungsinitiative in der Öffentlichkeit so getan hat, als ob ein Klagefall nach dem anderen dazu komme und es mit der Abweisung der einen oder anderen Sammelklage nicht getan sei, konnte schon der Eindruck aufkommen, dass man es mit dem Anliegen der Initiative nicht so ernst meint. Das Urteil der Richterin Kram - ich bedauere es sehr; denn es hat zu einer zeitlichen Verzögerung geführt - hat irrsinnigerweise dazu geführt, dass die Industrie das, was sie monatelang nicht konnte, innerhalb von wenigen Tagen konnte. Das alles verunsichert nicht nur die Opfer, sondern auch uns als Verantwortliche. ({1}) Die Industrie hat durch dieses Vorgehen das Vertrauen verspielt, das sie sich sicherlich überall in der Welt mit dem mutigen Versprechen, das Geld zusammenzubekommen, erworben hat. Es wäre nur allzu gut, dieses Vertrauen wieder zu festigen und nicht nur in Pressemitteilungen zu erklären, man habe das Geld zusammen. Dieses Geld muss vielmehr so schnell wie möglich auf das Konto der Zwangsarbeiterstiftung überwiesen werden. Ich will an dieser Stelle sehr deutlich sagen, dass es auch ein wichtiges und richtiges Signal ist, jetzt nicht das Gesetz zu ändern. Bei allem Verständnis dafür, dass einige das aus moralischen Erwägungen gegenüber den Opfern gern tun wollten, glaube ich doch, jetzt das Stiftungsgesetz zu ändern würde das Gegenteil erreichen, nämlich auch in den USA die Frage aufwerfen: Warum ändert man jetzt das Gesetz? Glaubt man nicht mehr, dass dieses Gesetz trägt? Deshalb sollten wir zum jetzigen Zeitpunkt auch daran festhalten. ({2}) In diesem Zusammenhang begrüße ich ausdrücklich auch die Arbeitsgruppe, die der Bundeskanzler eingerichtet hat. Diese Arbeitsgruppe muss in der Tat in dem Sinne handeln, wie es Kollege Bosbach gesagt hat: Sie muss Schnelligkeit und Einigkeit darüber bringen, wie die Rechtssicherheit hergestellt werden kann. Aber es muss auch klar sein, dass weder diese Arbeitsgruppe noch irgendein Richter noch die deutsche Wirtschaft die Entscheidung treffen können, die Rechtssicherheit im Bundestag zu beschließen. Das können nur wir. Dafür tragen wir die Verantwortung, wie es der Kollege Stadler gesagt hat. Der Bundeskanzler wünscht sich - auch das unterstützte ich -, dass wir das möglichst noch vor der Sommerpause tun. Der Bundeskanzler hat gesagt: Die Bedingungen, die noch fehlen, sind nicht von uns herstellbar. Auch darin gebe ich dem Bundeskanzler Recht. Wir können diese Bedingungen nicht herstellen, aber wir haben die Verantwortung dafür festzustellen, wie hoch die Hürden für diese Bedingungen sind. Ich sage an dieser Stelle sehr deutlich: Vielleicht kommt der Zeitpunkt - ich hoffe, er kommt nicht -, an dem der Deutsche Bundestag entgegen denjenigen Kräften in der deutschen Wirtschaft, die die hundertprozentige Rechtssicherheit haben wollen, auch erklären muss, dass Rechtssicherheit besteht. Auch das gehört zu unserer Verantwortung, der wir gerecht werden müssen. Wer es allerdings ernst meint in dem Sinne, dass es mit einer möglichst schnellen Auszahlung weitergehen muss, der sollte die Zeit jetzt nutzen, zu einem Rechtsfrieden, zu einer Rechtssicherheit zu kommen. Deshalb ist die Reise des Bundeskanzlers aus meiner Sicht sehr wichtig, um das in den USA zu versuchen. Ich sage aber auch klar und deutlich, dass diese Verantwortung nicht nur wir tragen, indem wir jetzt, wie es eben gesagt wurde, nicht weitere Diskussionen führen, sondern hoffen, dass es zu Ergebnissen kommt. Ich warne jeden in der deutschen Wirtschaft davor, in dieser empfindlichen Phase Diskussionen in der Öffentlichkeit fortzusetzen, welche einzelnen Urteile denn noch abgewiesen werden müssen, bis man aus Sicht der deutschen Wirtschaft die Rechtssicherheit hergestellt hat. ({3}) Wenn wir uns einig darüber sind, dass die Bemühungen in den USA, die Leute davon zu überzeugen, dass wir eine neue Lage haben, weil das Geld jetzt vorhanden ist, fruchten sollen, dann hat jetzt auch jeder an seinem Platz und in seiner Verantwortung dafür zu sorgen, dass er durch neue öffentliche Äußerungen den Eindruck, dass wir diesen Rechtsfrieden schnell herbeiführen wollen, nicht torpediert. Dazu appelliere ich an alle, nicht nur an uns, sondern auch an die Vertreter der deutschen Wirtschaft. ({4})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die CDU/CSUFraktion spricht jetzt der Kollege Thomas Strobl.

Thomas Strobl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003243, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte die heutige Debatte zunächst zum Anlass nehmen, jemandem Dank zu sagen, der eine schwierige Aufgabe und die Lösung eines heiklen Problems übernommen hat und dies, wie ich glaube sagen zu können, bisher erfolgreich, engagiert, hervorragend und auch mit der nötigen Nüchternheit geleistet hat. Ich glaube, für viele Kolleginnen und Kollegen Otto Graf Lambsdorff herzlichen Dank aussprechen zu dürfen. ({0}) 5 Milliarden DM sind kein Pappenstiel. Ich glaube, viele sind erleichtert darüber, dass es gelungen ist, einen Teufelskreis zu durchbrechen. Weil vom Vorredner gerade Kritik an der deutschen Wirtschaft geübt worden ist: Ich finde es schon bemerkenswert, dass eine ganze Reihe von Unternehmen, die erst nach dem Jahr 1949 gegründet worden sind, in der Lage sind, in diesem Punkt gesamtstaatliche Verantwortung zu übernehmen, ({1}) und sich in starkem Maße zu beteiligen. Auch dies sollten wir meines Erachtens sagen. Ein Teufelskreis bestand dergestalt, dass Teile der deutschen Wirtschaft sagten: „Wir zahlen nicht, ohne dass Rechtssicherheit hergestellt ist“, und umgekehrt amerikanische Gerichte anhängige Klagen mit der Begründung nicht abgewiesen haben, in Deutschland stünde das Geld nicht bereit. Jetzt stehen neben den 5 Milliarden DM aus Haushaltsmitteln weitere 5 Milliarden DM der deutschen Wirtschaft bereit. Ich denke, dies ist ein wichtiges psychologisches Signal für Amerika. Ein wichtiges Zwischenziel jedenfalls ist erreicht. Allerdings droht der nächste Teufelskreis: Ausgezahlt werden soll erst, so ist es vereinbart, wenn nachhaltig ausreichende Rechtssicherheit besteht. Ich will hier gleich sagen, was ich denke, was die deutsche Seite - damit möchte ich beginnen - in diesem Zusammenhang tun sollte, ja vielleicht sogar tun muss. Es muss jetzt in jeder, und zwar in wirklich jeder Art und Weise Vorsorge für eine schnelle Auszahlung getroffen werden. Das wäre ein weiteres Signal an die amerikanischen Gerichte. Über 1 Million Anträge werden erwartet. Da stellt sich in der Tat die praktische und organisatorische Frage, ob alle Voraussetzungen für eine schnelle Auszahlung der Gelder nach dem entsprechenden Beschluss des Deutschen Bundestages geschaffen sind. Steht in Ämtern und Archiven ausreichend Personal bereit? Gibt es ein effizientes und zügiges Verfahren im Einzelfall? Können die Unternehmen jetzt so rasch wie möglich die fehlende Summe auf das Konto der Stiftungsinitiative überweisen? Vor allem das wäre ein Signal, ein weiteres Signal an die Richterin Kram, dass nämlich im Grunde sofort ausgezahlt werden könnte. Es ist der Part der deutschen Seite, diese Voraussetzungen rasch und sichtbar zu schaffen. Zum anderen liegt es bei der amerikanischen Seite, hinreichend Rechtssicherheit für die deutschen Unternehmen herzustellen. Die Verfahren sollten schnell bearbeitet und abgeschlossen werden. Darauf haben wir nur mittelbaren Einfluss und selbst die amerikanische Regierung hat auf unabhängige Gerichte keinen unmittelbaren Einfluss. Richtig ist auch, hundertprozentige Rechtssicherheit kann es natürlich nicht geben. Aber wir dürfen den amerikanischen Gerichten schon sagen: Es ist im Interesse der Betroffenen und der Opfer, wenn die Verfahren schnell erledigt werden. Es ist gesagt worden, man müsse der Richterin Kram - ich glaube, der Kollege Reuter hat es gesagt - dankbar sein für ihren Urteilsspruch, weil dies ein Grund dafür war, dass die fehlenden 1,4 Milliarden DM jetzt doch zusammen gekommen sind. Ich möchte hinzufügen: Noch dankbarer wären wir der Richterin Kram, wenn sie jetzt ihren Urteilsspruch änderte, nachdem das Geld da ist, damit wir auch möglichst schnell zur Auszahlung kommen können. ({2}) Abschließend möchte ich zwei Bemerkungen zu diesem Thema machen. Die Gemeinsamkeit der Demokraten gibt es hier im Deutschen Bundestag zu diesem wichtigen Thema. Ich stimme denen zu, die darauf hingewiesen haben, dass wir sie gerade bei diesem Thema auch in Zukunft erhalten sollten - auch mit Blick auf den Eindruck, den wir gegenüber amerikanischen Gerichten machen können oder eben auch nicht machen können. Ein Zweites möchte ich in dieser Debatte einfach sagen, weil man dies zu diesem Thema immer sagen muss. Finanzielle Hilfen können das begangene Unrecht, das zugefügte unermessliche menschliche Leid niemals wieder gutmachen. Es geht um eine moralische Verpflichtung, den Opfern zu helfen. Wir haben mit der Stiftung das zum Ausdruck gebracht, was auch der Bundespräsident sagte, nämlich dass Leid als Leid anerkannt und dass Unrecht, das ihnen angetan worden ist, Unrecht genannt wird. Die breite überparteiliche Zustimmung wurde und wird auch von den betroffenen Staaten als politisches Signal gesehen. Das muss auch in Zukunft so bleiben. Meine Damen und Herren, alle müssen sich jetzt schnell um eine effektive Schaffung der Voraussetzungen für die Auszahlung an die Opfer bemühen. Es muss unser aller Interesse sein, alle Hürden aus dem Weg zu räumen, damit noch Lebenden eine humanitäre Geste des guten Willens und des Friedens entgegengebracht werden kann. Der Tod hält sich nicht an zeitliche Pläne. Jeder Monat, jeder Tag zählt, bevor es für die Opfer zu spät ist. Hier haben die amerikanischen Gerichte eine große Verantwortung. Wir allerdings bleiben in dem soeben beschriebenen Sinne ebenfalls in der Verantwortung. Besten Dank. ({3})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Letzter Redner in dieser Aktuellen Stunde ist der Kollege Dieter Wiefelspütz für die SPD-Fraktion.

Dr. Dieter Wiefelspütz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002506, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Strobl, Ihre Rede hat mir sehr gut gefallen. Das Projekt, über das wir heute reden, ist nicht nur eine Angelegenheit der Koalition. Diesem Projekt haben sich viele von Rot-Grün von Beginn an sehr verbunden gefühlt und sich mit viel Herzblut engagiert. Aber dies ist eine Sache des ganzen deutschen Volkes und demzufolge auch eine Sache des ganzen Deutschen Bundestages. Das war für uns immer klar. Es ist wichtig, immer wieder zu betonen, dass wir dies - bei allem, was uns sonst trennt - gemeinsam bewerkstelligen wollen. Hierfür tragen wir gemeinsam die Verantwortung. Dies will ich noch einmal sehr deutlich unterstreichen. ({0}) Ich habe noch nie ein solch ungewöhnliches Gesetzgebungsverfahren wie das beim Stiftungsgesetz erlebt. Ich glaube auch nicht, dass sich so etwas noch einmal wiederholen wird. Normalerweise werden Bundesgesetze von deutschen Abgeordneten im Deutschen Bundestag gemacht, von Männern und Frauen, die gewählt sind. Als wir über das Stiftungsgesetz beraten haben, saßen aber neben uns deutschen Abgeordneten noch Vertreter vieler anderer Regierungen mit am Tisch: Polens, Tschechiens, der Ukraine, Weißrusslands, Israels sowie der Vereinigten Staaten von Amerika. Hier saßen Vertreter der Opferverbände, des Jewish Claims Congress, des Jewish World Congress, vieler Opferorganisationen - ich denke, im Geiste auch die Opfer selbst - mit am Tisch und haben auf ein wichtiges Gesetzesvorhaben - sehr spät - Einfluss genommen. Auch Vertreter der deutschen Wirtschaft saßen mit am Tisch. Ich verstehe manche Kritik, aber ich bitte insbesondere diejenigen, die sich kritisch äußern, um Verständnis dafür - ich kenne eine ganze Reihe von Menschen aus der Wirtschaft, die mit großem, ehrlichem inneren Engagement bei der Sache sind; diejenigen, die gestern beim Kanzler waren, gehören mit Sicherheit dazu; diese handeln mit großem Verantwortungsbewusstsein -, dass hier etwas gemacht werden muss, was auch schon - viel besser - viel früher hätte gemacht werden können. Hierfür gibt es Gründe, die wir alle kennen. Ich weiß, die Würde der Opfer gebietet es, dass Auszahlungen so rasch wie möglich erfolgen. Wir arbeiten an dieser Sache jetzt seit zwei Jahren. Dies ist unerträglich lang. Es ist natürlich vor allem für die Opfer nicht zu ertragen, dass es so lange dauert. Ich glaube aber auch, dass es für viele von uns fast unerträglich ist. Wir haben in den letzten zwei Jahren, liebe Kolleginnen und Kollegen, Graf Lambsdorff - dies ist vielleicht ein kleiner Trost -, sehr schwierige Situationen gemeistert. Es gab immer wieder die Situation, dass wir geglaubt haben, jetzt gehe es nicht mehr weiter. Dies haben wir immer geschafft. Ich gebe auch zu bedenken, dass viele von uns vor einer Woche bezweifelten, dass es weitergeht, weil das Geld nicht da war. Wir wissen, wie wichtig dies in dieser Situation ist. Jetzt ist es da und wir haben erneut eine schwierige Situation gemeistert, einen weiteren Schritt nach vorn gemacht. Ich bin mir ganz sicher - ich will nicht von Erfolgen sprechen, das ist in diesem Zusammenhang unangemessen -, dass wir das Ziel, das wir uns vorgenommen haben, erreichen werden. Ich kann so wenig wie Graf Lambsdorff einen Zeitpunkt nennen. Das sollten wir auch unterlassen. Wir müssen dieses komplizierte Gesetz jetzt bitte so nehmen, wie es ist. Wir sollten es nicht aufschnüren. Wir würden Chaos produzieren. Deswegen muss das Gesetz so bleiben, wie es ist. Ich will keine Schwarze-PeterSpiele betreiben. Das hilft uns überhaupt nicht weiter. Ich schätze die Situation so ein wie manche meiner Vorredner, dass jetzt auf amerikanischer Seite eine besondere VerThomas Strobl ({1}) antwortung liegt. Das Geld ist da. Jetzt wird es darauf ankommen, dass die amerikanische Seite, die amerikanischen Gerichte ihren Beitrag leisten. Es wird noch einmal kompliziert werden, wenn es um Rechtssicherheit geht. Der Bundestag wird, da bin ich ganz sicher, seiner Verantwortung gerecht werden. Ich bin auch ganz sicher, dass die Wirtschaft dann, wenn es so weit ist, wissen wird, worauf es ankommt. Ich gehe davon aus, dass es dann - das muss man auch vorbereiten - nicht nur um juristische Aspekte der ausreichenden Rechtssicherheit gehen wird. Das wird auch für die Wirtschaft nicht nur eine juristische Frage sein, sondern es wird eine politischethisch-juristische Frage sein. Die Leute, auf die es ankommt, sind - da bin ich ganz sicher - diejenigen, die gestern beim Kanzler saßen. Sie werden ihrer Verantwortung gerecht werden. Wir müssen das Ganze vorantreiben. Der Zeitpunkt wird kommen, an dem wir es gemeinsam abschließen können. Ich habe keinen Zweifel: Diese letzte Geduld, so schmerzlich das auch ist, werden wir aufbringen müssen. Ich schließe auch nicht aus, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass wir, Herr Bosbach, Herr Beck, Herr Reuter und andere, als Abgeordnete noch einmal in die USA reisen, um dort noch einmal für das zu werben, was jetzt zu tun ist, ohne irgendjemandem Vorwürfe zu machen. Ich bin ganz sicher, dass die Reise des Bundeskanzlers eine wichtige Rolle spielen wird. Deswegen bitte ich darum, dass wir nicht in allerbester Absicht Vorschläge machen, die kontraproduktiv sind, sondern Vernunft behalten und das Gesetz in seiner Struktur so ernst nehmen, wie wir es gemeinsam mit vielen, vielen Beteiligten geschaffen haben. Dann werden wir in den nächsten Wochen und Monaten die letzte Strecke gemeinsam erfolgreich gehen. Herzlichen Dank. ({2})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Die Aktuelle Stunde ist beendet. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 und den Zusatzpunkt 7 sowie den Tagesordnungspunkt 9 und den Zusatzpunkt 8 auf: 7. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Qualitätssicherung und zur Stärkung des Verbraucherschutzes in der Pflege ({0}) - Drucksache 14/5395 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit ({1}) Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ZP 7 Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Leistungen in der Pflege ({2}) - Drucksache 14/5547 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit ({3}) Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss 9. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Heimgesetzes - Drucksache 14/5399 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({4}) Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus Haupt, Dr. Irmgard Schwaetzer, Ina Lenke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P. Für ein aktives und mitbestimmendes Leben im Alter - Drucksache 14/5565 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({5}) Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Zur Einführung hat die Bundesministerin für Gesundheit, Ulla Schmidt, das Wort.

Ulla Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002019

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir alle sind uns darüber einig, dass es eine schöne und positive Entwicklung ist, dass die Menschen älter werden. Wir haben Verständnis dafür, dass alle erwarten, hoffen und sich wünschen, dass es ihnen im Alter auch dann gut geht, wenn sie auf Hilfe angewiesen sind. Wir alle haben gemeinsam dafür gesorgt, dass diejenigen, die im Alter auf Pflege angewiesen sind, auch Angebote erhalten. Mit der Pflegeversicherung ist in der Vergangenheit ein fraktionsübergreifender Konsens im Interesse der pflegebedürftigen Menschen gelungen. Heute kann man nach unseren Erfahrungen sagen, dass dieser Beschluss gut war. Seit fast sechs Jahren erbringt die Pflegeversicherung solidarisch finanzierte Leistungen zur Absicherung des Lebensrisikos „Pflege“. Der neueste Bericht über die Entwicklung der Pflegeversicherung weist aus: 1,9 Millionen Menschen nehmen Hilfe in Anspruch. Alle Untersuchungen sowohl bei den Pflegenden als auch bei den zu Pflegenden zeigen, dass insgesamt die Leistungen der Pflegeversicherung für die Menschen zufriedenstellend sind und es positiv bewertet wird, dass es dieses Instrument gibt. ({0}) Der Pflegebericht zeigt auch, dass wir mittlerweile sowohl im ambulanten wie auch im stationären Bereich über ein quantitativ ausreichendes Angebot verfügen. Jetzt geht es darum, die Qualität der Leistungen in der Pflege zu verbessern. Es geht hier nicht nur darum, Pflegeskandale zu vermeiden oder offensichtliche Missstände zu verhindern. Wir haben in diesem Bereich viele gute Einrichtungen und Angebote. Ich halte dies für eine Selbstverständlichkeit. Es geht insgesamt um die Sicherstellung höherer Qualitätsstandards. Die Pflegebedürftigen müssen eine Versorgung erhalten, die ihnen das gibt, was sie brauchen, und die vor allen Dingen denjenigen, die auf Pflege angewiesen sind, ein hohes Maß an Sicherheit bietet. ({1}) Mit dem vorliegenden Pflege-Qualitätssicherungsgesetz wollen wir dazu einen Beitrag leisten. Unser Ziel ist es, die Qualität der Pflege zu verbessern und die Verbraucherrechte zu stärken. Wir alle wissen, dass Qualität nicht von außen in die Einrichtungen „hineingeprüft“ werden kann, sondern dass sie von innen heraus aus der Eigenverantwortung der Einrichtungsträger und aus der Mitverantwortung der Leistungsträger entwickelt werden muss. Viele Träger haben dies bereits erkannt. Wir wollen diese Entwicklung mit dem vorliegenden Gesetzentwurf stärken. Alle müssen dazu ihren Beitrag leisten. Ich bin davon überzeugt, dass jedes Pflegeheim und jeder Pflegedienst ein umfassendes einrichtungsinternes Qualitätsmanagement einführen kann und muss. Wir wollen die Träger darüber hinaus verpflichten, in regelmäßigen Abständen die Qualität ihrer Leistungen durch unabhängige Sachverständige und Prüfstellen nachzuweisen. Ich glaube, das ist richtig. ({2}) Parallel zu diesem internen Qualitätsmanagement bleiben die externe Qualitätssicherung durch die Landesverbände der Pflegekassen und die staatlichen Kontrollen durch die Heimaufsichtsbehörden bestehen. Ich halte es - egal, was an Kritik geäußert wird - für eine Selbstverständlichkeit, dass sich externe Prüfungen nicht nur auf angemeldete Besuche beschränken dürfen, sondern dass zur Qualitätssicherung auch unangemeldete Prüfungen gehören. ({3}) Ich sage immer: Wer eine hohe Qualität anbietet, braucht eine unangemeldete Überprüfung nicht zu fürchten. ({4}) Ich bin mir darüber im Klaren, dass zu diesem Punkt viel Kritik geäußert wird. Die einen loben dieses Vorhaben, die anderen kritisieren es. Ich sage aber deutlich: Jede Einrichtung kann nach meiner Auffassung auf Dauer nur durch Qualität bestehen. Eine Qualitätssicherung ist im Interesse der pflegebedürftigen Menschen, weil diese oft - sowohl im ambulanten wie auch im stationären Bereich - in einer Situation sind, in der sie ihre eigenen Interessen nicht mehr artikulieren können. Deshalb brauchen sie unseren Schutz, den besonderen Schutz des Staates. Daher glaube ich, dass wir alle gefordert sind, im Deutschen Bundestag mit dafür zu sorgen, eine solche Qualitätssicherung zu gewährleisten. ({5}) Ich glaube, es darf nicht sein, dass wir einerseits bei der Bekämpfung von BSE ein lückenloses staatliches Kontrollsystem fordern und uns andererseits darüber unterhalten, ob eine staatliche Fürsorgepflicht für gebrechliche und ältere Menschen an den Türen der Pflegeheime enden soll. Nein, der umgekehrte Weg ist hier einzuschlagen: Wir brauchen eine staatliche Kontrolle, damit die Menschen sicher sein können, die beste Qualität zu erhalten. ({6}) Der nächste wichtige Punkt: Gut geführte Pflegeeinrichtungen zeichnen sich auch durch eine ausreichende Personalausstattung aus und deshalb wollen wir mit diesem Gesetz ebenfalls den personellen Aufwand besser berücksichtigen. Dabei geht es nicht nur um Verhandlungen über Geld, sondern es geht um Verhandlungen über angebotene Leistungen. Wir wollen mit neuen Instrumenten dafür sorgen, dass Leistungs- und Qualitätsmerkmale in den einzelnen Pflegeeinrichtungen beschrieben werden können. Der maßgerechte Zuschnitt der Leistungs- und Qualitätsvereinbarung auf die Bewohnerschaft eines Pflegeheims kommt langfristig insbesondere den demenzkranken Heimbewohnern zugute, weil deren Bedarf an sozialer Betreuung künftig in den Vereinbarungen gebührend berücksichtigt werden soll. ({7})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Ilja Seifert?

Ulla Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002019

Nein, wir sind ohnehin schon stark in Verzug und ich möchte - auch im Interesse der anderen Kollegen - weiterreden. Wir wollen im stationären Bereich die Zusammenarbeit zwischen den Medizinischen Diensten der Krankenversicherung und der staatlichen Heimaufsicht verbessern. Beide Aufsichtsinstitutionen sollen die Überwachung durch gegenseitige Information und Beratung, durch Terminabsprachen für eine gemeinsame oder arbeitsteilige Überprüfung von Heimen sowie eine Verständigung darüber, was im Einzelfall an Maßnahmen notwendig ist, wirksam aufeinander abstimmen. Dabei geht es - in diesem Punkt sehen wir auch das Interesse der Einrichtungsträger - insbesondere darum, Doppelprüfungen nach Möglichkeit zu vermeiden. Das ist die eine Seite. Die andere Seite ist: Der vorliegende Gesetzentwurf berührt auch den Verbraucherschutz.Wir wollen die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen vor allem durch verstärkte Beratung und Information in die Lage versetzen, ihre Rechte wahrzunehmen. Ich möchte zwei Beispiele nennen, die zeigen, worauf unser Gesetzentwurf abzielt. In Zukunft muss ein schriftlicher Pflegevertrag auch bei der häuslichen Pflege abgeschlossen werden. Wenn Pflegeeinrichtungen Leistungen, die sie versprochen haben, nicht in der vereinbarten Qualität erbringen, sind sie zur Rückzahlung verpflichtet. Das stärkt die Rechte der Verbraucherinnen und Verbraucher in diesem Bereich. ({0}) Ich bin mir darüber im Klaren, dass viele eine Leistungsausweitung von den von uns vorgelegten Gesetzentwürfen erwarten, vor allen Dingen im ambulanten und häuslichen Bereich. Uns liegen ganz besonders diejenigen Menschen am Herzen, die im familiären Bereich Demenzkranke betreuen. Deshalb werden wir in Kürze einen Gesetzentwurf einbringen, mit dem die in diesem Bereich bestehenden Defizite abgebaut werden sollen ({1}) und der im Gegensatz zu dem, was die Kollegen von der Unionsfraktion heute vorgelegt haben, im Rahmen der Pflegeversicherung finanzierbar ist; ({2}) denn aus populistischen Gründen kann man vieles fordern. Aber entscheidend ist, dass es finanzierbar ist. Wenn Sie die Kosten von der Pflegeversicherung in die Krankenversicherung verschieben wollen, dann müssen Sie den Menschen auch sagen, dass die Zuzahlungen bei Medikamenten für chronisch Kranke sowie bei Heimaufenthalten und Kuren erhöht werden müssen, damit Ihre Wünsche erfüllt werden können. Danke schön. ({3})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Zöller? - Offenbar nicht. Sie hatte ja bereits gesagt, dass sie aus Zeitgründen keine Zwischenfrage zulässt. Ich erteile jetzt das Wort dem Kollegen Ulf Fink für die CDU/CSU-Fraktion.

Ulf Fink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002651, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte nicht an das Ende, sondern an den Beginn der Rede der Ministerin anknüpfen. Ich halte es für einen guten Stil, dass die Ministerin zu Beginn ihrer Rede die Leistungen ihres Vorgängers gelobt und deutlich gemacht hat: Es war wirklich eine überzeugende politische Leistung, die Norbert Blüm erbracht hat, als er die Pflegeversicherung eingeführt hat. ({0}) Wir debattieren heute in erster Lesung den Entwurf eines Pflege-Qualitätssicherungsgesetzes und eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Heimgesetzes der Bundesregierung sowie den Entwurf eines Pflege-Leistungs-Verbesserungsgesetzes, den meine Fraktion eingebracht hat. Wir könnten uns, glaube ich, über eine ganze Reihe von Fragen einigen. Auch wir wollen, dass alles getan wird, damit kranken, alten und pflegebedürftigen Menschen geholfen wird, und dass nichts geschieht, was ihnen Unrecht tut. Die Frage ist nur: Wie macht man das am besten? Sollte man das so machen, dass man eine Fülle von ordnungsrechtlichen Instrumentarien einführt, oder sollte man sich nicht lieber darum kümmern - ist das nicht die eigentliche Aufgabe der Politik? -, dass die Bedingungen, unter denen gepflegt wird, verbessert werden? Anhand dieser Fragen erfolgt die entscheidende Weichenstellung. Ich glaube, dass der wirkliche Unterschied zwischen der Politik der Bundesregierung und unserer Auffassung in Folgendem besteht: Wir sind der Meinung, dass die Pflegequalität nur dann wirkungsvoll verbessert werden kann, wenn man die Bedingungen für die Pflegeberufe in den Heimen deutlich verbessert. ({1}) Unsere Auffassung ist, dass nicht so sehr bürokratische Kontrollen, sondern eine bessere finanzielle Ausstattung die Qualität der Pflegeleistung sichert. Mit ihrem Gesetzentwurf zäumt die Bundesregierung das Pferd vom Schwanz her auf, weil dort lediglich neue Kontrollmechanismen und nicht die Verbesserung der Voraussetzungen vorgesehen sind, unter denen in den Heimen - wie wir finden: zum Teil aufopfernd - gepflegt wird. Qualität muss man schaffen. Qualität kann man in Pflegeeinrichtungen nicht „hineinkontrollieren“. Wo liegen denn die Probleme? Sie liegen darin, dass die Leistungen der Pflegeversicherung besonders in den Pflegestufen II und III, also für die Schwerstpflegebedürftigen, einfach nicht mehr ausreichen, um die Kosten zu decken, die bei der Betreuung dieser Menschen entstehen, zumal mit den Pflegesätzen auch noch die Kosten der medizinischen Behandlungspflege gedeckt werden müssen. Wir schlagen vor, dass die Pflegeversicherung künftig diese Kosten nicht mehr bezahlen muss. Damit würden 1,5 Milliarden DM frei, die unserer Auffassung nach zur Einstellung von etwa 20 000 neuen Pflegekräften genutzt werden sollten. Für diesen Vorschlag spricht, dass die Krankenkasse schon heute die Kosten für die medizinische Behandlungspflege bezahlt, allerdings nur, wenn der Pflegebedürftige ambulant versorgt wird. Unser Vorschlag bedeutet also, dass das, was für ambulant Pflegebedürftige gilt, nun auch auf stationär Pflegebedürftige ausgedehnt wird. ({2}) Ich meine, es ist ja auch überhaupt nicht einsichtig, dass die Krankenkasse zahlt, und zwar klaglos, solange der Pflegebedürftige zu Hause ist. In dem Moment, da nichts anderes geschieht, als dass er von seiner häuslichen Umgebung in das Heim wechselt, zahlt die Krankenkasse nicht mehr. Das macht einfach keinen Sinn. Da ist es doch besser, den Vorschlag zu verwirklichen, den wir hiermit unterbreiten. Durch unseren Vorschlag wird ein echter Beitrag zur Verbesserung der Pflegequalität geleistet, jedenfalls ein viel besserer Beitrag, als wenn man nichts tun würde und lediglich die vorhandenen, zum Teil überlasteten Pflegekräfte dazu veranlasst, Prüfpapiere, Statistiken, Berichte usw. noch zusätzlich zu fertigen. Pflegekräfte sollen die Kranken pflegen und nicht die Bürokratie. ({3}) Es könnte sonst der bittere Spruch Wahrheit werden, dass die Pflegekräfte künftig die Aufgabe haben, eine drittklassige Pflege erstklassig zu beschreiben. ({4}) Zu leicht kann es dann passieren, dass die Pflegekräfte in eine Art Generalverdacht kommen, ihre Arbeit nicht ordentlich zu erledigen, und das haben sie nicht verdient. Wir haben einen zweiten wichtigen Punkt. Wir müssen, um die Verbesserung der Pflegequalität wirklich sicherstellen zu können, günstigere Bedingungen schaffen, um den altersverwirrten, den dementen Menschen besser als bisher zu helfen. Das hat ja die Regierungskoalition in ihrer Regierungsvereinbarung aus dem Jahr 1998 festgelegt, und sie hat angekündigt, dieses in die Tat umzusetzen. Geschehen ist allerdings bisher nichts. Das Einzige, was bisher geschehen ist, ist, dass Gesetzentwürfe im Bundesrat, die genau dieses Ziel zum Inhalt hatten, ohne Alternative abgelehnt worden sind. Dasselbe ist auch unseren Anträgen bisher im Deutschen Bundestag passiert. Wir haben Anträge zu diesem Komplex eingebracht; aber sie sind abgelehnt worden. Schon Ihre Vorgängerin, Frau Schmidt, hat - ich glaube, es war im Sommer letzten Jahres - Eckpunkte verkündet, die der Verbesserung der Versorgung Demenzkranker dienen sollten. ({5}) Man hat damals auch gehört, dass bald ein Referentenentwurf erarbeitet werde. Bis zur Stunde liegt dieser Referentenentwurf nicht vor. ({6}) Sie versprechen nun, dass Sie diesen Gesetzentwurf einbringen. Wir hoffen sehr, dass diesmal den Worten auch Taten folgen. Ich wünsche Ihnen das Allerbeste, dass das auch wirklich geschieht. Denn die tägliche Körperpflege ist bei vielen in den Heimen gar nicht einmal das entscheidende Problem. Diese Aufgabe können die Pflegekräfte unter den gegebenen Umständen oft noch gut erfüllen. Das Problem besteht doch darin, dass Demenzkranke rund um die Uhr betreut und beaufsichtigt werden müssen. Es ist diese tägliche Rundumbetreuung, die den Pflegekräften eine gewaltige Kraftanstrengung und viel persönliches Engagement abverlangt. Nun ist im Rahmen der Pflegeversicherung bisher genau dafür nichts vorgesehen. Viele Mängel, die in den Heimen vorkommen, sind darauf zurückzuführen, dass überhaupt keine finanziellen Voraussetzungen dafür gegeben sind, dass die Pflegekräfte sich wirklich um die Demenzkranken kümmern können. Ich denke, dass es wichtig wäre, unserem Ansatz zu folgen, um eine bessere Pflegequalität für die Altersverwirrten zu erreichen, einen zusätzlichen Betreuungsbedarf für Demente anzuerkennen. Wir schlagen 30 Minuten vor. ({7}) Damit würden etwa 50 000 Pflegebedürftige, die bisher keinerlei Leistung bekommen, in den Genuss von Leistung kommen. Das ist viel mehr, als man denkt; denn man würde damit ein Drittel der Voraussetzungen erfüllen, die für die Einstufung in Pflegestufe I Voraussetzung sind. Ich glaube, dass die 1 Milliarde DM, die dieser Vorschlag erfordert, sinnvoll aufgebracht werden kann. Auch die Bundesregierung sagt, dass 500 Millionen DM vertretbar seien. Wenn diese 500 Millionen DM zusammenkämen, dann fehlten noch gut 400 Millionen DM bis 500 Millionen DM. ({8}) - In Bezug auf die Demenzkranken liegt der Vorschlag bei insgesamt 1 Milliarde DM. Auch Sie sagen, dass 500 Millionen DM gehen. Wenn diese 500 Millionen DM zusammenkämen, dann fehlten 400 Millionen DM bis 500 Millionen DM. Frau Bundesministerin, ich mache Ihnen dazu einen Vorschlag: Setzen Sie sich gemeinsam mit Frau Schmidt-Zadel - auch sie ist dafür -, der sozialpolitischen Sprecherin der SPD-Fraktion, ({9}) dafür ein, dass das Unrecht, das die Bundesregierung den Pflegeversicherten und der Pflegeversicherung angetan hat, rückgängig gemacht wird. Herr Eichel hat der Pflegeversicherung dadurch jährlich 400 Millionen DM entzogen, dass er die Beiträge für Arbeitslosenhilfeempfänger willkürlich gesenkt hat. Das muss rückgängig gemacht werden. ({10}) Wenn das geschieht, dann haben Sie das Geld, das notwendig ist, um den Dementen wirklich zu helfen. Frau Bundesministerin, ich selbst war einmal Minister in einer Landesregierung. Ich weiß noch, wie es war, mit dem Finanzsenator zu kämpfen. Ich gebe zu: So etwas ist nicht so einfach, sondern schwer. Auch Herr Eichel ist eine harte Nuss; das räume ich ein. Nur, es hilft nichts. Wenn man für die Altersverwirrten wirklich etwas tun will, dann muss man sich an der entsprechenden Stelle einsetzen und durchsetzen. Mit dem Betrag, über den Sie jetzt verfügen, können Sie nur etwas für die Ambulanzdementen und gar nichts für die Altersverwirrten in den Heimen tun. Das bedeutet, dass eine ganz große Lücke klafft, die heute zum Teil zu erheblichen Schwierigkeiten in den Heimen führt. Wir werden den Gesetzentwürfen unsere Zustimmung dann verweigern, wenn es zu keiner Leistungsverbesserung kommt. Wenn es zu einer Leistungsverbesserung kommt, dann kann man mit uns reden. ({11})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt die Kollegin Katrin Göring-Eckardt.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Mit der Einführung der Pflegeversicherung 1995 wurde - ich glaube, das muss man so sagen - durch eine gemeinsame Anstrengung die letzte Lücke in der sozialen Versorgung gegen Lebensrisiken geschlossen. Rund 60 Millionen Menschen haben inzwischen Ansprüche aus der Pflegeversicherung. Mit ihren Leistungen erreicht die Pflegeversicherung insgesamt 1,9 Millionen Pflegebedürftige. Wenn wir uns hier diese Zahlen vergegenwärtigen, dann wissen wir, dass wir über einen sehr wichtigen Bereich reden, auch wenn diese Debatte zu abendlicher Stunde geführt wird. Es ist ein Erfolg der Pflegeversicherung, dass die überwiegende Zahl der Pflegebedürftigen nicht mehr von der Sozialhilfe abhängig ist. Auch den Menschen, die im Pflegebereich arbeiten, gebührt - in dieser Hinsicht kann ich mich der Ministerin nur anschließen - Anerkennung und Dank für eine engagierte und nicht zuletzt oft auch zu gering entlohnte Tätigkeit. Ein weiteres großes Verdienst ist es, dass es zum ersten Mal gelungen ist, eine soziale Absicherung der Pflegepersonen einzuführen und die Pflegetätigkeit wie eine Erwerbstätigkeit sozial abzusichern. Derzeit profitieren davon 600 000 Personen. 90 Prozent davon sind Frauen. Auch das ist ein großer Erfolg für Angehörige, für Freundinnen und Freunde und für Nachbarn. Obwohl die Pflegeversicherung bewusst als Teilabsicherung konzipiert wurde, gibt es gravierende Lücken in der vorgesehenen Versorgung. Das betrifft vor allen Dingen die Qualität. Deswegen debattieren wir heute unter anderem über die Versorgung in der ambulanten wie in der stationären Pflege. Berichte über Mängel in der Pflege häufen sich. Wir kennen sie aus eigener Anschauung, aus dem Wahlkreis, aus Besuchen in Pflegeheimen oder aus dramatischen Fernsehberichten, die oft entwürdigende Zustände in Pflegeheimen beschreiben. Wir haben einen dringenden Handlungsbedarf. Der vorliegende Gesetzentwurf deckt sich mit den Zielen, die wir in der Gesundheitspolitik seit der Regierungsübernahme insgesamt formuliert haben, nämlich mehr Qualität, mehr Eigenverantwortung und mehr Patientenrechte. ({0}) Dieses Gesetz ist ein weiterer Schritt dahin, Qualität, Wirtschaftlichkeit und Eigenverantwortung zu verbinden und als Parameter fest zu verankern. Was bedeutet denn Qualität? Es geht um eine gute und angemessene Versorgung, um eine Versorgung, die Würde und Selbstbestimmung gewährleistet. Menschen, die der Pflege bedürfen, sind nicht Objekt einer Maschinerie oder einer falsch verstandenen Fürsorge. Die Personalpolitik darf Pflegepersonal nicht als Verschiebemasse gebrauchen, sodass es hier zu chronischen Unterbesetzungen kommt. Insbesondere muss Fehlmanagement vorgebeugt werden. ({1}) Fehlende Qualitätsvereinbarungen dürfen nicht mehr auf dem Rücken dieser beiden Gruppen ausgetragen werden. Natürlich sollten auch die Träger selbst ein Interesse an hoher Qualität haben. Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, es geht um die Stärkung der Eigenverantwortung der Pflegeselbstverwaltung. Qualitätssicherung kann man nämlich nicht - das wollen wir auch nicht - gegen Pflegepersonal und Selbstverwaltung durchsetzen. Es geht um die Sicherung, Weiterentwicklung und nicht zuletzt auch um die Prüfung von Pflegequalität. Schließlich geht es um bessere Zusammenarbeit von staatlicher Heimaufsicht und von Selbstverwaltung. Die Tatsache, dass Trägervereinigungen selbst Vorschläge vorgelegt haben, wie Qualitätssicherung angegangen werden kann, gibt unserem Vorhaben Recht. Hier wird deutlich, dass sie die Verantwortung zur Sicherung von Qualität nicht mehr Heimaufsichtsbehörden oder Trägereinrichtungen überlassen, sondern die Sicherung der Qualität in der Pflege eigenverantwortlich gestalten wollen. Beispielsweise verpflichten sich Pflegeeinrichtungen zum Qualitätsmanagement und zur Vorlage von regelmäßigen Leistungs- und Qualitätsnachweisen. Außerdem sollen unabhängige Sachverständige eingebunden werden. Was heißt das? Die Arbeit von Pflegeeinrichtungen, die ja überwiegend - das sollte man bei aller Kritik und angesichts öffentlicher Berichte nicht vergessen - schon heute von guter Qualität ist, wird transparenter. Dann entscheiden sich eben Pflegebedürftige und ihre Angehörigen nicht mehr zufällig für die eine oder andere Einrichtung, sondern für diejenige, die für die betroffene Person tatsächlich die beste und sinnvollste Alternative darstellt. Das wollen wir erreichen. Wenn wir genau hinsehen, dann stellen wir fest, Herr Fink, dass das System nicht in erster Linie mehr Geld braucht. Damit macht man es sich auf gewisse Weise einfach. Wir brauchen zunächst einmal eine verbesserte interne Steuerung, um die vorhandenen Ressourcen effizient einzusetzen. Dies beinhaltet nicht nur abstraktes Management oder die Effizienzsteigerung von Abläufen, sondern auch Eigenverantwortung für Qualität und Mittun von Pflegebedürftigen. Die Tatsache, dass die Pflegeeinrichtungen hier selbst mitmachen wollen, gibt unserem Vorhaben, wie ich glaube, Recht. Der ernst genommene, informierte und eigenständige Patient ist dafür die Voraussetzung. Deswegen ist es so wichtig, dass Patientinnen und Patienten sowie Pflegebedürftige in kritischer Weise mitbestimmen können. Versicherte sollen verbesserte Möglichkeiten erhalten, sich generell über medizinische Leistungsangebote, Pflegeangebote und deren Qualität zu informieren. Deshalb muss endlich die unabhängige Patientenberatung in Deutschland in Gang kommen. ({2}) Wir können nicht über Verbraucherschutz reden, wo die Kuh längst in den Brunnen gefallen ist, ({3}) und riskieren, dass wir an anderer Stelle blind handeln. Ich fordere die Selbstverwaltung mit Nachdruck auf, hier endlich ihre Scheu und an mancher Stelle vielleicht auch ihre Überheblichkeit zu überwinden. Beste Information aller Seiten ist auch die beste Grundlage für hohe Qualität. Das heißt konkret: Trotz ihrer Abhängigkeit von fremder Hilfe müssen Pflegebedürftige ein möglichst selbstbestimmtes Leben führen können, sich in den Institutionen zurechtfinden können sowie wissen und auch aufgefordert werden zu sagen, was gut für sie ist und was sie auf gar keinen Fall wollen. Deshalb sollten pflegebedürftige Menschen und ihre Angehörigen eine Beratung erhalten, die sie in die Lage versetzt, ihre Rechte besser wahrzunehmen. Allerdings hat sich auch gezeigt, ({4}) dass weiterhin ein externes und effizientes Kontrollinstrument notwendig ist mit, wie die Ministerin ausgeführt hat, Prüf- und Zutrittsrechten. Die Einrichtungen, in denen die Pflegebedürftigen nicht mit der notwendigen Sorgfalt gepflegt werden, müssen auch finanzielle Konsequenzen tragen und zur Rechenschaft gezogen werden. Nur mit einer solchen Konsequenz ist es möglich, tatsächlich dafür zu sorgen, dass Qualitätsstandards eingehalten werden. Es geht um die Stärkung der Rechte der Verbraucherinnen und Verbraucher und der Pflegebedürftigen. Es geht um die Würde und um die Sicherstellung höchster Qualitätsstandards, die die Pflegebedürftigen brauchen. Dieses Gesetz ist notwendig. Es ist ein erster Schritt; weitere werden folgen. Es würde sehr viel Sinn für die Pflegebedürftigen und deren Angehörige in diesem Land machen, diesen ersten Schritt gemeinsam zu gehen. Vielen Dank. ({5})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Für die F.D.P.-Fraktion spricht jetzt der Kollege Detlef Parr.

Detlef Parr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001676, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Niemand kann dem Inhalt des Gesetzentwurfes widersprechen. Es ist nämlich dringend erforderlich, dass wir eine Qualitätsdiskussion führen. Missstände in Pflegeheimen müssen, wo immer sie auftreten, mit Nachdruck beseitigt werden. Ein Blick auf die Arbeit der unabhängigen Beschwerdestellen und Krisentelefone zur Hilfe und Beratung bei Konflikten und Gewalt in der Pflege älterer Menschen liefert oft erschütternde Beweise für solche Missstände. Richtig ist weiterhin, Frau Ministerin, dass Qualität nicht von außen in die unterschiedlichen Einrichtungen „hineinkontrolliert“ werden kann. Es gilt aber auch: Qualität kann nicht „hineinreguliert“ werden. ({0}) Die Bundesregierung fordert mit ihren Vorstellungen einen hohen Preis: Dieses Gesetz kostet die Pflegebedürftigen immerhin 40 Millionen DM jährlich, verursacht in der Hauptsache durch Bürokratie. Kollege Fink hat schon darauf hingewiesen. ({1}) Der Chefarzt des gerontopsychiatrischen Zentrums der Rheinischen Kliniken Bonn und Leiter der Initiative „Handeln statt Misshandeln“ sagt dazu: Es gibt jetzt schon gute Gesetze, die in keiner Weise angewendet oder eingeklagt werden. Es ist bedauerlich, dass die Bundesregierung nicht zunächst an einer besseren Umsetzung der bestehenden Gesetze gearbeitet hat. ({2}) Jetzt müssen wir uns also mit einer Vielzahl neuer Bestimmungen auseinander setzen. Frau Ministerin, Sie müssen sich wieder die Fragen nach den Umsetzungsmöglichkeiten in der Praxis stellen lassen: Wird die Heimaufsicht wirklich einmal jährlich jedes Pflegeheim unter die Lupe nehmen können? Wiegen Sie die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen nicht in einer falschen Qualitätssicherheit, wenn Sie nach einer Zertifizierung, diesem Gütesiegel der Pflege, den Überprüfungszeitraum auf zwei Jahre automatisch verlängern? Was bedeutet ganz konkret Ihre Forderung nach „aktivierender Pflege“? Wie steht es mit der Eindämmung des Arzneimittelmissbrauchs - Stichwort: Ruhigstellen statt Sichkümmern aus? Hinzu kommt die entscheidende Frage: Billigen Sie den Pflegerinnen und Pflegern zukünftig genügend Zeit für die geforderten Leistungen zu oder bleibt es bei dem Grundsatz des „Ratzfatz“, also sauber, satt und kein Stück mehr? Ich stimme der Feststellung des Verbandes der Krankenhausdirektoren Deutschlands zu - ich zitiere -: Sollte das Bundesministerium für Gesundheit davon ausgehen, dass die Umsetzung dieses Gesetzesvorhabens im Rahmen der bisherigen Vergütungssätze erfolgen soll, wird dies die Pflegequalität negativ beeinflussen, da diese nicht unabhängig von der verfügbaren Pflegezeit erreicht werden kann. Wichtig ist und bleibt mehr Transparenz im System. Frau Ministerin, mir ist schon sehr unwohl geworden, als Sie von einer lückenlosen staatlichen Kontrolle gesprochen und einen Vergleich zum BSE-Problem gezogen haben. Ich glaube, mit diesem Vergleich lagen Sie ein bisschen daneben. ({3}) Ich könnte mir vorstellen, dass als dritte Säule neben den offiziellen Einrichtungen, also Medizinischer Dienst der Krankenkassen einerseits und der Heimaufsicht andererseits, eine unabhängige Stelle nach dem Muster „Pflege in Not - Krisentelefone und Beschwerdestellen“, von denen es bereits 14 in Deutschland gibt, für mehr Transparenz sorgt. Wir haben am Mittwoch im Gesundheitsausschuss einer Anhörung zu diesem wichtigen Themenbereich zugestimmt. Sie ist dringend notwendig; denn die gute Absicht dieses Gesetzentwurfs allein reicht nicht aus. Es bedarf weiterer Überlegungen, an denen sich die F.D.P. gern konstruktiv beteiligen wird. ({4})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Das Wort hat der Kollege Dr. Ilja Seifert für die PDS-Fraktion.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin, Sie benennen das Ziel so präzise, zeichnen aber den Weg dorthin so mangelhaft auf, dass man eigentlich nicht darüber reden sollte. Wenn wir in der Pflege wirklich über Qualität reden wollen, dann müssen wir erst einmal den Pflegebegriff ändern; denn man kann sich dann nicht ausschließlich auf den somatischen Pflegebegriff beziehen. Insofern, Herr Fink, können Sie Ihr Lob für Herrn Blüm ein kleines bisschen herunterschrauben. - Es freut mich, dass Sie nicken; ich hoffe, dass das ins Protokoll kommt. ({0}) - Deswegen sage ich es ja. ({1}) Wenn Sie von Qualität in der Pflege sprechen, die wir erreichen wollen, dann sagen Sie doch einmal, welche Qualität Sie überhaupt meinen. Es kann doch nur um die Lebensqualität von Menschen gehen, die fremde Hilfe brauchen, und nicht um die Qualität des Aufschreibens von irgendwelchen Verrichtungen, die man angeblich getan hat. ({2}) Aber darauf läuft es hinaus. Wir brauchen nicht so zu tun, als ob es etwas anderes wäre. Die einzige Möglichkeit, den Menschen in Einrichtungen und auch zu Hause zu helfen, ist, über größere Zeiträume mehr Personal zur Verfügung zu stellen. Das ist nicht zum Nulltarif zu haben. ({3}) Die Pflegeversicherung ist aber so angelegt, dass die zur Verfügung stehenden Mittel nicht einmal gleich bleiben, sondern immer weniger werden, weil auch die Inflationsrate usw. eine Rolle spielt, es aber nicht mehr Geld gibt. Frau Ministerin, Sie sagen hier, dass die Situation besser werden soll. Sie kann aber gar nicht besser werden, wenn nicht mehr Leute in die Arbeit einbezogen werden. Insofern müssen Sie, wenn Sie wirklich eine Verbesserung der Situation wollen, in das Gesetz bindend hineinschreiben, wie viele Leute pro Tag und pro Stunde in den Heimen anwesend sein müssen, und damit dafür sorgen, dass die Heime nicht selbst entscheiden können, was sie unter Pflegequalität verstehen. Das ist der Punkt, um den es geht. Ich hätte hier noch viele andere Punkte, die ich gerne aufzählen würde, aber das ist der entscheidende Punkt: Ohne mehr Personal geht es nicht. Mehr Personal kostet Geld und wer das nicht ausgeben will, braucht nicht von Qualität in der Pflege zu reden. ({4}) Auch die Diakonie sagt: Das Gesetz läuft nur auf mehr Bürokratie hinaus. Wenn das, was Sie hier vorhaben, am Ende nur dazu führt, dass die Menschen, die die Hilfe brauchen, mehr bezahlen müssen - und so wird es sein -, dann können Sie damit rechnen: Wir, die PDS, werden einem solchen Gesetz, das der Öffentlichkeit die Situation verschleiert, nicht zustimmen können. Wir fordern: Nennen Sie die wirkliche Situation in der Pflege beim Namen. Sagen Sie nicht, die meisten seien gut und artig und es gebe nur einige schwarze Schafe. Es gibt zu viel unglaubliches Elend in diesem Bereich, das Sie benennen müssen. Wenn Sie die Situation ändern wollen, dann müssen Sie mehr Leute einstellen, die arbeiten können, die helfen können, die mit den Menschen, die Hilfe brauchen, reden können und die sich um sie kümmern können. Kultur der Pflege ist etwas anderes als Verwaltung und Bürokratie. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({5})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Das Wort hat die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Dr. Christine Bergmann.

Christine Bergmann (Minister:in)

Politiker ID: 11005290

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete, speziell Herr Abgeordneter Seifert! Was wir heute hier vorlegen, geht davon aus, dass wir wollen, dass der Reformstau, den wir im Bereich der Altenpflege haben, abgebaut wird. ({0}) Da haben wir uns auf den Weg gemacht. Wir haben das bereits - da wende ich mich an Sie, Herr Fink - mit der bundeseinheitlichen Altenpflegeausbildung getan. Denn wenn wir die Bedingungen - auch in der Pflege, Herr Seifert - verbessern wollen, brauchen wir natürlich auch gute Fachkräfte. Wir brauchen Menschen, die motiviert sind, diesen Beruf zu ergreifen, und dafür müssen sie eine Chance bekommen. Das ist eine Voraussetzung, die wir zunächst einmal geschaffen haben. ({1}) Natürlich haben wir Missstände in der Pflege. Deswegen machen wir diese Gesetze und sprechen darüber, wie wir diese Missstände abbauen können. Diese Missstände haben nicht immer etwas mit der personellen Ausstattung in den Heimen zu tun. ({2}) - Das ist auch ein Thema. Aber in den meisten Heimen wird sehr verantwortungsvoll gepflegt; das wurde heute schon angesprochen. All diese guten Heime leiden darunter, dass wir den einen oder anderen Missstand haben. Das wollen wir ändern. ({3}) Da geht es uns schon um Qualität, die sich allerdings nicht mit einer bestimmten Zahl von Beschäftigten automatisch verbessern lässt. Wir müssen uns vielmehr überlegen, was in den Heimen passiert, warum es in dem einen gut und in dem anderen schlecht funktioniert und ob wir unserer Kontrollaufgabe gerecht werden. Sie können so viele Mitarbeiter in ein Heim geben, wie Sie nur wollen; wenn kein ordentliches Qualitätsmanagement vorhanden ist und wenn nicht eine gewisse Sicherheit gegeben ist, dass von außen kontrolliert wird, dann kann man immer erst handeln, wenn der Staatsanwalt auf den Plan gerufen wurde. Das wollen wir nun wirklich vermeiden. ({4}) Deswegen ist es so wichtig, dass wir mit diesen beiden Gesetzen die Möglichkeiten verbessern, die wir in diesem Bereich haben. In diesem Zusammenhang kann ich es nicht mehr hören, dass immer nur über Bürokratie geredet wird. Herr Fink, Sie wissen es doch besser. Das, was im Heimgesetz gefordert wird, ist genau das, was ein ordentlich arbeitendes Heim jetzt schon erfüllt, zum Beispiel die Arzneimitteldokumentation. ({5}) - Ja, es gibt in dem einen oder anderen Bereich Zusätzliches. Das ist auch begründet. Aber Sie können nicht so tun, als bauten wir mit dem Gesetz nur Bürokratie auf. Wir wollen - das gilt vor allem für das Heimgesetz - mehr Beratung in die Heime hineinbringen. Das Heimgesetz ist nicht nur ein ordnungspolitisches Gesetz, das kontrolliert. Es will auch für mehr Beratung, und zwar für mehr Einzelfallberatung sorgen und hier das erreichen, was unter den jeweiligen Bedingungen möglich ist. Wir wollen nämlich, dass die Achtung der Menschenwürde nicht vor dem Heim Halt macht. Wir wollen, dass Menschen im Alter ordentlich gepflegt werden und das Recht haben, bis zum letzten Tag ein menschenwürdiges Leben zu führen. ({6}) Das ist unser Ziel, über das wir uns, wie ich glaube, auch verständigen können. Deswegen hoffe ich auch, dass wir das einigermaßen im Konsens hinbekommen können. Was verändern wir im Heimgesetz? Zum einen verbessern wir die Rechtsstellung der Heimbewohnerinnen und Heimbewohner. Ein ganz wichtiger Punkt ist dabei, dass wir mehr Transparenz haben. Im Moment wird überall über mangelnde Transparenz der Heimverträge, über mangelnde Nachvollziehbarkeit von Entgelterhöhungen und über rückwirkende Entgelterhöhungen geklagt. ({7}) - Sie nicken. So etwas hören Sie bestimmt auch in Ihren Wahlkreisen und Ihrem persönlichen Umfeld immer wieder. Deswegen wird jetzt im Heimgesetz geregelt, dass im Heimvertrag die Leistungen gesondert beschrieben und die Entgelte angegeben werden. Das betrifft Unterkunft, Verpflegung und alle möglichen sonstigen Leistungen. Das heißt, die Heimbewohnerinnen und Heimbewohner sowie die Angehörigen können Leistungen verschiedener Heime miteinander vergleichen und können erkennen, wofür sie etwas bezahlen müssen. Natürlich können sie die Leistungen, für die sie bezahlen, auch einfordern. Das ist im Interesse der Heimbewohnerinnen und Heimbewohner. ({8}) Diese Entgelte müssen auch nach einheitlichen Grundsätzen bemessen werden. Das bedeutet, dass eine Differenzierung nach Kostenträgern unzulässig ist. Es war dringend erforderlich, im Gesetz zu regeln, dass Selbstzahler keine anderen Preise bezahlen als diejenigen, die andere Kostenträger haben. Rückwirkende Erhöhungen sind nicht mehr zulässig, was dazu führt, dass sich Heimbewohnerinnen und Heimbewohner auf Entgelterhöhungen einstellen können. Durch Begründungszwang wird die Entgelterhöhung nachvollziehbar. Wir bringen also endlich all das in die Heime hinein, was in anderen Bereichen der Gesellschaft selbstverständlich ist. Ich glaube, dies sollte von allen Seiten unterstützt werden. Wir entwickeln die Heimmitwirkung weiter. Auch dies ist ein wichtiger Grund, weshalb wir das Heimgesetz novellieren und das Pflege-Qualitätssicherungsgesetz einführen. Die Situation hat sich verändert. Wir haben vor kurzem hier den Dritten Altenbericht diskutiert und wissen, dass die meisten Menschen, die in Heime gehen, über 80 Jahre alt sind. Viele von ihnen leiden an psychischen Störungen oder sind dement; sie können also gar nicht mehr in einem Heimbeirat mitarbeiten. Deswegen erweitern wir jetzt die Regelung und legen fest, dass Angehörige und auch Menschen aus Seniorenverbänden in den Heimbeiräten mitarbeiten können. Wir stärken hier die Mitwirkungsrechte. Der Heimträger soll den Heimbeirat künftig auch an Vergütungsverhandlungen sowie an Verhandlungen über Leistungs- und Qualitätsvereinbarungen beteiligen. ({9}) Damit wird ein ganz wichtiges Recht der Mitwirkung gesichert. Der Beirat wird auch in die Qualitätssicherung und in die Kontrolle durch die Heimaufsicht einbezogen. Wenn ich den Antrag der F.D.P. richtig gelesen habe, dann sind das Anliegen, die Sie durchaus unterstützen. Also werden wir hier doch zu einem breiteren Konsens kommen. ({10}) - Man muss ja Menschen auch eine Entwicklungsmöglichkeit zugestehen. Darüber haben wir in diesem Hause auch schon häufiger diskutiert. Wir stärken die Heimaufsicht. Das ist ein wichtiger Punkt. Hier geht es eben nicht schlicht und einfach um mehr Kontrolle, sondern darum, neben dieser Aufsicht, die die Heimaufsicht jetzt schon leisten soll und die sie mehr oder weniger gut erbringt, vor allem die Aufgabe der Beratung wahrzunehmen. Das wollen wir verstärken, aber wir wollen natürlich auch Kontrollmöglichkeiten verbessern. Immer wieder höre ich die Klagen, es werde in den Heimen zu selten kontrolliert. Wenn wir jetzt sagen, eine Kontrolle im Jahr ist die Regel, dann ist das sehr wichtig. Damit wissen die Heime - die meisten haben damit auch überhaupt kein Problem -, in welchen Abständen Kontrollen zu erwarten sind. Wir haben auch die Möglichkeit vorgesehen, dass in größeren Abständen geprüft werden kann, wenn entsprechende Zertifikate - aber eben von unabhängigen Sachverständigen - vorliegen. Diese Kontrollen finden dann nicht alle zwei Jahre statt, sondern es gibt dann generell eine andere Regelung. Natürlich müssen diese Prüfungen auch unangemeldet erfolgen können. Sie müssen, wenn das begründet ist, auch einmal zu ungewöhnlichen Zeiten durchgeführt werden, zum Beispiel nachts. Wie will ich beispielsweise kontrollieren, ob nachts Pflegekräfte anwesend sind, wenn ich nicht auch einmal nachts kontrolliere? ({11}) Das sind alles Dinge, die sehr im Interesse der Heimbewohnerinnen und Heimbewohner und auch im Interesse der Heimträger liegen. Ferner verbessern wir die Zusammenarbeit zwischen der Heimaufsicht, dem Medizinischen Dienst der Krankenkassen, den Pflegekassen und den Trägern der Sozialhilfe. Diese Zusammenarbeit soll durch Bildung von Arbeitsgemeinschaften institutionalisiert werden. Das ist nötig. Die gemeinsame Arbeit soll sich auf die Prüftätigkeit und auf die Verständigung über im Einzelfall notwendige Maßnahmen zur Beseitigung von Mängeln oder zur Vermeidung von Fehlern erstrecken. Damit decken wir den Bereich der Qualitätssicherung gut ab. Dabei bleibt die Letztverantwortung der Heimaufsicht unberührt. Ich glaube, auch damit haben wir einen wichtigen Punkt angesprochen. Diesbezüglich gibt es auch einen breiten Konsens mit den Ländern. Wir haben viele Gespräche mit den Verbänden geführt, die eigentlich sehr befriedigend verlaufen sind. Da kann man sich immer noch einmal über den einen oder anderen Punkt streiten. Dazu stehen auch noch Anhörungen aus; das Verfahren dazu beginnt ja auch erst. Ich rechne aber doch mit einem breiten Konsens zwischen allen Seiten. Ich hoffe, dass wir einen solchen Konsens auch hier im Haus zustande bringen, weil wir uns eines wirklich nicht leisten können: Das sind ständig wiederkehrende Pressemitteilungen über Missstände, über Pflegefehler, die auf schlechtes Qualitätsmanagement oder darauf zurückzuführen sind, dass sich bestimmte Anbieter darauf verlassen können, dass nicht so schnell eine Kontrolle zu erwarten ist. Das wollen wir mit gemeinsamen Kräften vermeiden, weil Menschen in Einrichtungen das gleiche Recht auf Unversehrtheit und auf ein Leben in Menschenwürde haben wie Menschen außerhalb von Einrichtungen. ({12}) In diesem Sinne hoffe ich auf eine konstruktive Zusammenarbeit bei der Beratung über diese beiden Gesetze. Danke. ({13})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Das Wort hat Kollege Wolfgang Zöller für die CDU/CSU-Fraktion.

Wolfgang Zöller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002603, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir diskutieren heute wieder einen typischen Gesetzentwurf à la Schröder ({0}) nach dem Motto: Die Zielsetzung wird von allen ausdrücklich begrüßt; ({1}) allerdings können mit den geplanten Regelungen die genannten Ziele nicht erreicht werden. ({2}) Ich darf das Diakonische Werk der Evangelischen Kirche zitieren, das in einer Stellungnahme Folgendes schreibt: Die vorgesehenen Vorschriften führen nicht zur Qualitätsentwicklung, zu mehr Effizienz und erhöhter Wirtschaftlichkeit. Sie verursachen vielmehr einen hohen Verwaltungsaufwand und werden in der Praxis nicht umsetzbar sein. ({3}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, wer mehr Qualität fordert - ich glaube, darin sind wir uns alle einig -, muss auch die Voraussetzungen dafür schaffen, dass mehr Qualität geleistet werden kann. Hier unterscheiden wir uns ganz wesentlich. Sie setzen auf mehr Kontrolle; wir setzen mehr auf qualifiziertes Personal, ({4}) weil wir nämlich fest davon überzeugt sind - dieser Satz ist heute schon wiederholt gefallen; umso richtiger ist er -: Qualität kann man nicht in Pflegeeinrichtungen hineinkontrollieren. Zur Lösung dieses Problems haben wir auch einen ganz klaren Vorschlag unterbreitet - Kollege Fink hat dies vorgetragen -, nämlich: Durch die systemgerechte Verlagerung der Kosten der Behandlungspflege auf die Krankenkassen wird im Bereich der Pflegeversicherung ein finanzieller Handlungsspielraum geschaffen, der für die Finanzierung zusätzlichen Pflegepersonals genutzt werden kann. Frau Ministerin Schmidt, eine Unterstellung lasse ich Ihnen nicht durchgehen, nämlich die, dass Sie sich hierher stellen und sagen: Wenn die CDU/CSU mehr Qualität will, müssen chronisch Kranke automatisch mehr zuzahlen. - Diese Rechnung geht nicht auf. Im Übrigen sind chronisch Kranke sowieso von der Zuzahlung befreit. Bei uns mussten diejenigen, die ein höheres Einkommen hatten, eine Zuzahlung leisten. Diese haben Sie um eine Mark reduziert. Da frage ich mich: Ist es nicht überlegenswert, über diese eine Mark Zuzahlung zu sprechen und dafür mehr Qualität in der Pflege zu bekommen? Ist das nicht das höhere Gut? Ich kann Ihnen aber noch eine zweite Finanzierungsmöglichkeit nennen und möchte dazu die Überschrift „Mehrbelastungen in der GKV: 5 Milliarden aus politischen Entscheidungsgründen“ zitieren. Nehmen Sie Ihre falschen politischen Entscheidungen zurück, dann haben wir genügend Geld, um für die entsprechende Qualität in der Pflegeversicherung zu sorgen. ({5}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, neben dem Pflege-Qualitätssicherungsgesetz sieht auch die Änderung des Heimgesetzes eine Vielzahl von Prüfungen durch den MDK, durch Sachverständige, durch die Heimaufsicht in regelmäßigem Turnus sowie ergänzend durch Einzelprüfungen, Stichprobenprüfungen und vergleichende Prüfungen vor. Überzogene Kontrollen und die dazu erforderlichen Verwaltungsvorgänge demotivieren jedoch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, vor allem, solange keine ausreichenden Personalschlüssel zur Verfügung gestellt werden. ({6}) Wegen der vielen Prüfungen und des damit verbundenen hohen Verwaltungsaufwandes bleibt immer weniger Zeit für die eigentliche Pflege, Betreuung und Versorgung übrig. Für besonders wichtig halte ich, dass im Rahmen der Diskussion über die Qualität der Pflege auch deutlich über die Belastung der Pflegekräfte gesprochen wird. ({7}) Beruflich Pflegende sind ebenso wie pflegende Angehörige nicht nur physisch, sondern vor allem auch psychisch hohen Belastungen ausgesetzt. ({8}) Hinzu kommt noch der Zwiespalt, dass sie sich oftmals nicht in der Lage sehen, so zu pflegen, wie es den fachlichen Anforderungen und ihrer Ausbildung entspricht, weil wegen Zeitmangels und mangelnder personeller Ausstattung keine Möglichkeit besteht, die Pflege aktivierend und rehabilitierend auszuführen. Diese Situation kann bei den Pflegenden zu Gleichgültigkeit und Aggressionen führen. Wir alle sind aufgefordert, uns dieses Problems verstärkt anzunehmen. Ich habe nämlich die große Befürchtung, dass man aufgrund von Meldungen über bestehende Defizite die entscheidenden Fragen zum Bereich der Pflege aus den Augen verliert. Wir müssen uns als Gesellschaft folgende Fragen stellen und beantworten: Wie wollen wir mit unseren Pflegebedürftigen umgehen? Was ist uns die Pflege wert? Wie kann in einer Gesellschaft, die immer älter wird und in der immer mehr Menschen auf fremde Hilfe angewiesen sind, sichergestellt werden, dass jedem eine menschenwürdige Hilfe und Betreuung zuteil wird? Wie können wir auch in Zukunft genügend engagierte Pflegekräfte finden, die sich der Aufgabe annehmen, pflegebedürftige ältere Menschen in einem Lebensabschnitt zu begleiten, der ein hohes Maß an Zuneigung und Sozialkompetenz erfordert? Wie kann auf Dauer sichergestellt werden, dass der Ausgleich zwischen den Generationen, nämlich den Beitragszahlern auf der einen und den Leistungsempfängern auf der anderen Seite, auf größtmögliche Akzeptanz stößt? Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie uns gemeinsam nach dem richtigen Weg für die Pflegebedürftigen suchen. Wir bieten auch hierzu unsere Mitarbeit an. ({9})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Die nächste Rednerin ist die Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Irmingard Schewe-Gerigk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben in den letzten Wochen über eine Reihe von parlamentarischen Initiativen diskutiert, bei denen es eine große Übereinstimmung gibt. Ich glaube, das wird bei der Novelle zum Heimgesetz ähnlich sein. Denn die demographische Entwicklung macht ja nicht vor den Toren der Altenheime halt. ({0}) - Sie macht nicht halt. Sie sollten genau zuhören, Herr Kollege Lohmann! ({1}) Bei Einführung des Heimgesetzes vor 25 Jahren lag das durchschnittliche Heimeintrittsalter bei 72 Jahren; heute liegt es bei 82 Jahren. Mit zunehmendem Alter steigt das Risiko, pflegebedürftig zu werden. Zwei Drittel der Heimbewohnerinnen und -bewohner sind schon heute schwer- bzw. schwerstpflegebedürftig. Gibt es heute fast 2 Millionen pflegebedürftige Menschen, werden es in 50 Jahren wohl 5 Millionen Menschen sein. Das Risiko einer Demenzerkrankung wächst mit zunehmendem Alter. Schon heute leiden 850 000 Menschen an einer mittelschweren bzw. schweren Demenz und die Tendenz ist steigend. Es werden also immer mehr alte Menschen mit immer höherem Alter und schweren Beeinträchtigungen, die auf eine intensivere Pflege in einem Altenheim angewiesen sind. Allein das ist ein Grund, das Heimgesetz zu ändern und die Rechte der Bewohnerinnen und Bewohner zu verbessern. Viele Heimbewohnerinnen und -bewohner können heute ihre Interessen in den Heimbeiräten kaum wirkungsvoll vertreten. Nicht selten kommt überhaupt kein Heimbeirat zustande. Deshalb ist es sinnvoll, die Interessenvertretung für Dritte, für Außenstehende, zu öffnen. In Zukunft können auch Vertrauenspersonen und Angehörige, aber auch Mitglieder der Seniorenvertretungen in den Heimbeirat gewählt werden. Sie werden künftig mehr Mitspracherechte haben. Bei Vergütungsverhandlungen, aber auch bei Leistungs- und Qualitätsvereinbarungen muss der Heimbeirat angehört werden. Die Zusammenarbeit der Heimträger und der Pflegebedürftigen wird so intensiviert. Zwar ist die Beteiligung der Heimbewohnerinnen und -bewohner durch die neuen Regelungen verstärkt worden. Allerdings handelt es sich hierbei lediglich um eine Mitwirkung und nicht um eine echte Mitbestimmung. Noch immer herrscht ein deutliches Ungleichgewicht zwischen dem Heimträger und den Pflegebedürftigen. Um der Interessenvertretung der Bedürftigen mehr Respekt zu zollen, sind meines Erachtens klarere Mitbestimmungsrechte nötig. Da stimme ich Ihnen, Herr Haupt, ausdrücklich zu. ({2}) Durch die Öffnung des Heimbeirates wäre dies zukünftig ohne Probleme realisierbar. Ich hoffe, dass wir diesen Aspekt in den parlamentarischen Beratungen, aber auch in der in diesem Zusammenhang vorgesehenen Anhörung noch einmal zum Thema machen werden. Ein weiterer Bereich bedarf der Regelung: Mit dem vorliegenden Entwurf werden bestimmte Bereiche des betreuten Wohnens, die heute noch unter die Schutzregelungen des Heimgesetzes fallen, jedoch nicht Heime im engeren Sinne sind - das sind eine Menge -, in die Regellosigkeit entlassen. Zukünftig wird es dort nicht mehr nachvollziehbar sein, wer welche Leistungen zu welchem Preis anbietet. Der Markt des betreuten Wohnens könnte dadurch völlig unübersichtlich werden. Ja, es müssen noch nicht einmal Verträge über die angebotenen Leistungen geschlossen werden. Wir alle wissen: Betreutes Wohnen ist das Modell der Zukunft und wird nicht nur von uns Bündnisgrünen, sondern auch von der Fachwelt grundsätzlich als eine sehr begrüßenswerte Entwicklung betrachtet, die auch weiter gefördert werden muss. Schließlich werden dadurch flexible, aber auch bedürfnisorientierte Wohnformen ermöglicht. Gerade darum brauchen wir bei dieser expandierenden Form des Wohnens alter Menschen verlässliche Rechte. Regelungen analog zum Heimgesetz, die die Besonderheiten des betreuten Wohnens aufnehmen, müssen für diesen Bereich zügig geschaffen werden, wie es im Übrigen auch der Bundesrat fordert. Ein Schwerpunkt der Novellierung ist die transparente Gestaltung der Heimverträge. Bis heute war es dem Heimträger möglich, ohne konkrete Angabe von Gründen eine Entgelterhöhung zu verlangen. Es konnten bisher sogar über mehrere Monate rückwirkend Forderungen erhoben werden. Künftig müssen im Heimvertrag Leistungen wie zum Beispiel Unterkunft, Verpflegung und Betreuung gesondert ausgewiesen werden. Das ist sicherlich ein großer Vorteil; denn so können die Leistungen miteinander verglichen oder bei Schlechtleistungen Forderungen gestellt werden. ({3}) Der vorliegende Gesetzentwurf wurde vonseiten bestimmter Interessenverbände auch sehr massiv kritisiert. Ich kann die Kritik gerade der Wohlfahrtsverbände nicht nachvollziehen. Bei der Novellierung des Heimgesetzes muss es uns um den Schutz der pflege- und hilfsbedürftigen Menschen gehen, und finanzielle Erwägungen müssen hintangestellt werden. Es ist schon darauf hingewiesen worden, dass Missstände und Skandale in Heimen in den vergangenen Jahren immer wieder Thema öffentlicher Diskussionen waren: überfordertes Pflegepersonal, schlechtes Essen, mangelnde Hygiene, gammeliges Interieur. „Satt und sauber“ war häufig die Devise von Heimunterbringung. Das bedeutet: Verwahrung statt Pflege. Ich finde, ein menschenwürdiges Wohnen ist das nicht. Auch deshalb ist eine Novellierung des Heimgesetzes wichtig. Die Zustände in den Heimen müssen weiter und intensiver überwacht werden. ({4}) - Herr Zöller, auch darum brauchen wir die Einführung regelmäßiger Kontrollen, die auch ohne Vorankündigung erfolgen können. Das ist konsequent. ({5}) Natürlich dürfen wir das Personal in den Einrichtungen nicht mit den Problemen alleine lassen. Darin stimme ich Ihnen zu, Herr Fink. Denn viele pflegen bis zur Erschöpfung ihrer eigenen Kräfte. Darum bin ich der Meinung, dass eine angemessene Personalbemessung in der Heimpersonalverordnung verankert werden muss. Wir führen gerade ein Modellprojekt „Plaisir“ durch. Wir werden die Ergebnisse auswerten und darauf entsprechend reagieren. ({6}) Menschen, die in Heimen leben, haben das gleiche Recht auf ein menschenwürdiges und selbstbestimmtes Leben wie jene, die nicht auf Hilfe angewiesen sind. Die Politik hat die Pflicht, besonders denen Schutz zukommen zu lassen, die in Abhängigkeit von anderen leben müssen. ({7}) Diesem Anspruch kommen wir mit der Novellierung des Heimgesetzes nach. Ich danke Ihnen. ({8})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Nächster Redner ist der Kollege Klaus Haupt für die F.D.P.-Fraktion.

Klaus Haupt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003140, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Seit über 25 Jahren gibt es das Heimgesetz als Schutzgesetz für Heimbewohner. Entwicklungen und Änderungen in der gesellschaftlichen Realität, Strukturveränderungen sowie insbesondere die demographische Entwicklung machen eine grundlegende Reform des Heimgesetzes notwendig. Ziel muss es sein, die Rechtsstellung und den Schutz von Heimbewohnern den heutigen Ansprüchen anzupassen. ({0}) Partizipation und Stärkung der Mitwirkungsrechte der Heimbewohner sind eines der wichtigsten Ziele der Heimgesetznovelle. ({1}) Die F.D.P. begrüßt, dass dies nun zum Gesetzeszweck erhoben wird; denn Freiheit und Verantwortung kennen weder Ruhestand noch Altersgrenzen. - Sie können wieder klatschen. ({2}) Doch Tatsache ist: Das Eintrittsalter für Seniorenheime liegt heute bei 80 Jahren, das Durchschnittsalter bei 82 Jahren. Deshalb unterstützen wir die Öffnung der Heimbeiräte für externe Personen. ({3}) Dies ermöglicht auch, mehr Sachkompetenz für die Heimbeiräte zu erschließen. Im Zusammenhang mit den Heimbeiräten sind aber auch die erforderliche Ausstattung mit finanziellen Mitteln, die Möglichkeiten der Schulung, der externen Unterstützung, aber auch die immer notwendige Bestärkung und Motivation zur Mitgestaltung anzumahnen. Die bisherige Kritik an einer fehlenden Beteiligung der Bewohner an der Gestaltung zum Beispiel der Pflegekosten und Pflegesatzvereinbarungen wurde durch die Beteiligung des Heimbeirates bei der Vorbereitung von Leistungs-, Vergütungs- und Qualitätsvereinbarungen berücksichtigt. Aber auch das ist keine echte Mitwirkung. Es gilt ganz allgemein festzustellen: Die Rechte der Heimbewohner sind im vorliegenden Gesetzentwurf auf Mitwirkung begrenzt - meine Vorrednerin hat darauf hingewiesen -; Mitbestimmung ist nicht vorgesehen. ({4}) Im § 2 - Zweck des Gesetzes - fehlen die Leitwerte Mitverantwortung und Mitbestimmung. ({5}) Deshalb sollte nach Meinung der F.D.P. durch eine Experimentierklausel ({6}) - zu Ende zuhören! - die Möglichkeit geschaffen werden, in bestimmten Teilbereichen, die die Bewohner unmittelbar betreffen - Freizeitgestaltung, Durchführung von Veranstaltungen, Verpflegung -, Mitbestimmungsrechte in Modellversuchen zu erproben. ({7}) Ein zweites zentrales Ziel der Gesetzesnovelle - die Frau Ministerin hat darauf hingewiesen - ist die Transparenz, die bessere Durchschaubarkeit und Rechtswirksamkeit des vertraglichen Miteinanders von Bewohner und Träger. Wir begrüßen die Leistungs- und Aufgabenbeschreibung der Heime und die differenzierte Aufstellung einzelner Leistungsbereiche und Entgeltbestandteile. Auch dass die Unterrichtung und Beratung der Heimbewohner nicht mehr allein dem Heimbetreiber obliegt, ist eine Verbesserung der bisherigen Regelung. ({8}) Beide Neuregelungen können zu einer erhöhten Kundenorientierung beitragen und dienen dem Verbraucherschutz. ({9}) Dagegen halten wir die vorgesehene Fristkürzung bei Entgelterhöhung von vier auf zwei Wochen für problematisch. ({10}) Alte Menschen müssen mehr Zeit haben, die aus einer solchen Entgelterhöhung resultierenden schwerwiegenden Fragen zu beantworten. Dazu sind die Formulierungen im Gesetzentwurf zum Thema Entgelterhöhung und Entgeltkürzung zu unbestimmt. So schwammige Rechtsbegriffe wie „nicht erhebliche Mängel“ oder „angemessene Kürzung“ werden in der Praxis zu erheblichen Interpretationsschwierigkeiten führen. Heimbewohner fühlen sich unter Umständen durch Entgelterhöhung übervorteilt oder sehen sich nicht ohne weiteres in der Lage, die vorgelegten Unterlagen, die die Forderungen des Heimes untermauern sollen, sachkundig zu kontrollieren. Deshalb fordern wir Liberalen eine Schiedsstelle, die das Erhöhungsbegehren innerhalb eines Monats gutachterlich überprüft. Die vorgesehene Aufzeichnungspflicht als Teil der Qualitätssicherung führt zu einer erheblichen Mehrbelastung der Heime. Dies darf nicht dazu führen, dass der entsprechende Mehrbedarf an Arbeitszeit und -personal bei Versorgung und Betreuung der Heimbewohner eingespart wird. Das dritte bedeutende Anliegen der Heimgesetznovelle ist die Verbesserung der Heimaufsicht. Bisher konnte die Heimaufsicht die ihr zugedachten Aufgaben nicht erfüllen. Weder personell noch in sachlicher Hinsicht war sie genügend ausgestattet. Die Qualität der Aufsicht hängt aber entscheidend ab von der Kompetenz der Mitarbeiter und dem Stellenwert, der ihr in der Verwaltung eingeräumt wird. Die Heimaufsicht muss unabhängig sein von den Interessen der Leistungsträger. Der Entwurf der Novelle verstärkt dagegen solche Abhängigkeiten noch. Dazu verletzt er in erheblicher Weise die Interessen des Datenschutzes. Der Datenaustausch zwischen Pflegekassen, Medizinischem Dienst der Krankenkassen und den Sozialhilfeträgern darf nicht in diesem Maße uneingeschränkt möglich sein. ({11}) Als Fazit darf ich für die F.D.P.-Fraktion feststellen, dass wir viele gute Ansätze und Verbesserungen im Heimgesetz sehen, dass aber in zahlreichen Details noch erheblicher Nachbesserungsbedarf besteht. Einige Formulierungen sind zu wenig präzise, ({12}) manche Regularien zu bürokratisch, andere Teile der Novelle werden die beabsichtigte Wirkung so nicht entfalten können. Wir Liberalen werden daher - wie Sie schon aus unserem Antrag ersehen können - an den weiteren Beratungen kritisch, aber konstruktiv mitwirken. Wir hoffen, dass die Koalition für unsere Vorschläge offen ist. Ich bedanke mich ganz herzlich. Herr Präsident, darf ich einen P.S.-Nachtrag machen?

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön, Herr Kollege.

Klaus Haupt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003140, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

In einer früheren Debatte hatten wir hier eine Auseinandersetzung. In einer Kurzintervention hatte ich auf die Kollegin Lörcher geantwortet, dass Mitbestimmung nicht vorgesehen ist. Frau Lörcher sagte: Herr Haupt, bei der Novellierung des Heimgesetzes ist Mitbestimmung sehr wohl vorgesehen; es freut mich, dass Sie sich derart dafür interessieren. - Lesen Sie sich doch die Vorschrift noch einmal durch! Mit meinem Vortrag habe ich sicherlich bewiesen, dass keine Mitbestimmung vorgesehen ist. Es ging um eine gute Flasche sächsischen Weines. Diese habe also ich gewonnen. Frau Lörcher, aus kollegialer Verbundenheit kriegen Sie von mir eine Flasche Likör aus Hoyerswerda. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Marga Elser von der SPD-Fraktion.

Marga Elser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003113, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, man sollte beim Aufzählen derjenigen, die gegen das Pflege-Qualitätssicherungsgesetz und das Heimgesetz sind, nicht immer nur die Anbieter anführen, sondern vielleicht auch einmal diejenigen, für die diese Gesetze verabschiedet werden sollen: die Männer und Frauen, die im Heim wohnen. ({0}) Das ist sehr wichtig. Wenn man dies tut, dann weiß man, dass wir mit unseren Gesetzen auf dem richtigen Weg sind. Wir haben festgestellt, dass wir bei der Pflege das Augenmerk verstärkt auf die Qualitätssicherung und die Verbesserung des Verbraucherschutzes richten müssen. Es gibt sehr viele Pflegeeinrichtungen, die schon seit Jahren Pflegeleistungen auf einem hohen Qualitätsniveau erbringen. Eine ganze Reihe von Heimen sah sich seinerzeit, als die Pflegeversicherung eingeführt wurde, veranlasst bzw. wurde vom Medizinischen Dienst darauf gestoßen, verstärkt Methoden der internen Qualitätssicherung anzuwenden. Es gibt aber eben auch - das war heute schon mehrmals Thema - Heime, die keine qualitätsgerechte Versorgung anbieten. Diese sind eine nicht zu unterschätzende Gefahr für die Pflegebedürftigen. Natürlich gibt es viele Gründe für solche Fehler. Wir wollen mit unserem Gesetz die Weiterentwicklung der Pflegequalität und die Stärkung der Verbraucherrechte fördern und so dafür sorgen, dass die Heimbewohnerinnen und Heimbewohner eine gute Pflege bekommen, und zwar flächendeckend. ({1}) Gleichzeitig mit dem Gesetz zur Qualitätssicherung haben wir heute die Novellierung des Heimgesetzes zu beraten. Wir wissen, dass die Leistungsqualität in der Pflege nicht allein durch Kontrolle und Überwachung verbessert werden kann. Das ist klar. Wir wissen aber, dass dies durch eine Förderung und Intensivierung der Qualität der pflegerischen Versorgung möglich ist. Deshalb wollen wir vor allem das Eigeninteresse der Heime daran stärken, qualitativ hochwertige Pflege anzubieten. Wir als Gesetzgeber konzentrieren uns schwerpunktmäßig auf die Sicherung, Weiterentwicklung und Überprüfung der Pflegequalität, auf die Stärkung der Eigenverantwortung der Pflegeselbstverwaltung und auf eine bessere Zusammenarbeit von Heimaufsicht und Selbstverwaltung. Das ist ganz wichtig. ({2}) Wir verknüpfen dies mit einer Verstärkung des Verbraucherschutzes. Es ist klar, dass für die Sicherung und Weiterentwicklung der Qualität ihrer Leistungen zuallererst die Träger der Pflegeeinrichtungen zuständig und verantwortlich sind. Das heißt, dass es für jedes Pflegeheim und für jeden Pflegedienst ein umfassendes Qualitätsmanagement geben muss. Wir halten es aber auch für sehr wichtig, dass dieses Qualitätsmanagement gelegentlich von entsprechenden übergeordneten Stellen, also beispielsweise vom Medizinischen Dienst, kontrolliert wird und der Nachweis einer guten Pflege erbracht werden muss. Dies beruht nicht auf einem Misstrauen gegenüber der Pflegeeinrichtung. Es ist aber im Interesse der Heimbewohnerinnen und Heimbewohner, dass das Qualitätsmanagement ihres Heimes gelegentlich überprüft wird. Davor sind wir überhaupt nicht bange. Und gute Heime brauchen dies auch nicht zu sein. Viele Trägervereinigungen haben ein hervorragendes Management und werden dies bei den gelegentlichen Überprüfungen auch gerne vorzeigen. ({3}) Die Qualitätssicherung und die entsprechenden Zertifizierungen werden einen guten Vergleich der Heime untereinander ermöglichen. Dies ist wichtig, da dadurch die Rechte der Pflegebedürftigen geschützt und gestärkt werden. ({4}) Gleichzeitig wollen wir die Eigenverantwortung durch Anpassungen im Vertragsrecht stärken. Die Eigenverantwortung beinhaltet die Pflicht, aber auch das Recht der Träger, die personelle und die sachliche Ausstattung bereitzustellen, die für eine leistungs- und qualitätsgerechte Versorgung der von ihnen betreuten Pflegebedürftigen erforderlich ist. Das heißt aber auch - dies ist ganz wichtig, wird aber oft vergessen -, dass die Träger dann die Möglichkeit haben, ihren Anspruch auf leistungsgerechte Vergütungen gegenüber den Kostenträgern effizient durchzusetzen. Es gibt zum einen die unternehmerische Verantwortung und die Gestaltungsfreiheit in der Pflege. Zum anderen wollen wir aber auch einen effektiven Schutz gegen illegale Praktiken zum Schaden der Pflegebedürftigen. Beispielsweise sollte es nicht vorkommen, dass Pflegekräfte zwar in der Buchhaltung auftauchen, aber im Heim selber nicht vorhanden sind. Wir brauchen dieses Gesetz also auch zum Schutz der Mitarbeiter. ({5}) Es wird sicherlich für das gesamte Vertrags- und Vergütungsrecht ein schwieriges Problem sein, dass es allgemein anerkannte Maßstäbe für die Personalbemessung in den Pflegeheimen derzeit nicht gibt. Wir sind derzeit dabei, Pflegeprogramme wie „Plaisir“ oder „Persis“ zu untersuchen. Grundsätzlich wird es aber so sein, dass im Rahmen der Leistungs- und Qualitätsvereinbarungen die Einführung von landesweiten oder regionalen Rahmenverträgen diskutiert wird. ({6}) Allerdings werden die Vertragsparteien dann in die Pflicht genommen, sich auf landesweite Personalvermittlungsverfahren zu verständigen. Mit der Stärkung der Verbraucherrechte wird die Beratung der Pflegebedürftigen weiter verbessert. Es geht darum, dass wir die individuelle Bedürftigkeit der Pflegebedürftigen ermitteln und die Pflege gelegentlich entsprechend verbessern. Dazu gehört natürlich auch, dass pflegebedürftige Menschen und ihre Angehörigen durch Beratung in der Lage sind, ihre Rechte wahrzunehmen. Preis- und Leistungsvergleiche müssen an diese Vereinbarungen geknüpft werden. Uns ist vor allem wichtig, dass bei stationärer Pflege die Pflegeheime ausdrücklich verpflichtet werden, für eine qualitätsgerechte Versorgung und Betreuung der Heimbewohnerinnen und Heimbewohner das erforderliche Personal bereitzustellen. Ich denke, das kommt vor allem den Heimbewohnern zugute, die besonders häufig einen hohen Bedarf an allgemeiner und sozialer Betreuung benötigen. Das ist vor allem bei Demenzkranken der Fall. Weil dies auch der Inhalt des Gesetzentwurfes der CDU/CSU ist, darf ich zur Situation der Demenzkranken auf das verweisen, was unsere Gesundheitsministerin vorher gesagt hat. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.

Marga Elser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003113, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bin sofort fertig. - Ich möchte an dieser Stelle unseren beiden Ministerinnen, Frau Ulla Schmidt und Frau Christine Bergmann, für die beiden Gesetzentwürfe sehr herzlich danken. Ich wünsche uns allen eine gute Beratung. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Monika Balt von der PDS-Fraktion das Wort.

Monika Balt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003030, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ziel des Heimgesetzes ist es, „die Rechtsstellung und den Schutz von Bewohnerinnen und Bewohnern von Heimen zu verbessern und die Qualität der Betreuung und Pflege weiterzuentwickeln“. So der Entwurf der Bundesregierung. Grundsätzlich ist gegen eine Verbesserung des Heimgesetzes ebenso wenig wie gegen ein Gesetz zur Qualitätssicherung in der Pflege einzuwenden. Aber die jetzige Diskussion erweckt in der Öffentlichkeit den Eindruck, als ob wir derzeit keine gesetzlichen Grundlagen hätten. Dem ist nicht so. Das 1974 verabschiedete Heimgesetz erfüllt prinzipiell seinen Zweck. Das Problem ist, dass die Umsetzung des Heimgesetzes regional sehr unterschiedlich ausfällt. Um es ganz klar zu sagen: Die Probleme des Heimgesetzes liegen weniger im Gesetz selbst als vielmehr in Qualifikations- und Vollzugsdefiziten der Heimaufsichtsbehörden vor Ort. Hieran ändert auch der neue Gesetzentwurf nichts. Wichtig wäre nämlich, eine bemerkenswerte Interessenkollision bei Ländern und Kommunen aufzulösen. So liegt die Zuständigkeit für die Heimaufsicht in vielen Ländern bei denselben Behörden, die letztendlich auch für die Pflege in den Heimen finanziell aufzukommen haben, nämlich den Sozialhilfeträgern. Wenn nun nach einer Prüfung durch die Heimaufsicht Auflagen an den weiteren Betrieb der Einrichtungen gemacht werden, betrifft dies somit nicht nur den Träger des Heimes, sondern - unter finanziellen Gesichtspunkten - in den meisten Fällen auch die eigene Behörde, in allen Fällen jedoch die öffentliche Kasse. ({0}) Dieser Zusammenhang ist im Ministerium durchaus bekannt. In § 24 des Gesetzentwurfes ist formuliert: „Die Landesregierungen haben darauf hinzuwirken, dass die Aufgabenwahrnehmung durch die zuständigen Behörden nicht durch Interessenkollisionen gefährdet oder beeinträchtigt wird“. Noch schwächer kann man einen Appell wohl kaum formulieren. ({1}) Der zitierte Paragraph dokumentiert eher die Hilflosigkeit des Ministeriums in diesem Punkt. Diese Hilflosigkeit setzt sich in fataler Weise fort: So ist 1996 auf Wunsch der Länder eine Regelung in das Heimgesetz aufgenommen worden, wonach Auflagen der Heimaufsichtsbehörden generell im Einvernehmen mit dem Sozialhilfeträger zu erfolgen haben. Im Klartext: Sie stehen unter Kostenvorbehalt. Unter dem Strich weckt das neue Heimgesetz Erwartungen, die es gar nicht erfüllen kann. Die Aufblähung bürokratischer Anforderungen verbraucht im Gegenteil unnützerweise Ressourcen, die für eine gute Pflege dann nicht mehr zur Verfügung stehen. Wir sind der Auffassung, dass die Instrumente des geltenden Heimgesetzes durchaus ausreichen, sie aber auch konsequent angewandt werden müssen. Wir fordern, unabhängige Anlaufstellen einzurichten, die Beschwerden entgegennehmen, diesen kompetent nachgehen und die Pflegebedürftigen und Angehörigen entsprechend beraten. Unser Anspruch ist, Bürokratie abzubauen statt sie weiter aufzublähen, ({2}) Pflege zu verbessern statt Apparate zu vergrößern. Genau das muss in dem vorliegenden Gesetzentwurf noch berücksichtigt werden. Danke. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Arne Fuhrmann von der SPD-Fraktion.

Arne Fuhrmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000619, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Fink, vorneweg eine kurze Bemerkung, die Sie kennen, die ich aber gerne wiederhole, weil sie im Kontext Ihrer Rede wohl ziemlich wichtig ist: Nicht immer neues Geld, sondern gelegentlich eine Idee und deren Umsetzung machen Bestehendes zu etwas Besserem. ({0}) Wenn wir am heutigen Abend unter dieser Prämisse miteinander diskutieren und uns nicht gegenseitig vorrechnen, wo man Geld herbekommt bzw. wo man es nicht herbekommen kann, wären wir auch in dem von allen beteuerten Konsens, es der älteren Generation in diesem Lande leichter und vielleicht auch angenehmer zu machen, einen Schritt weiter. Jetzt zurück zu dem Thema Heimgesetz. Ich habe einen Zeitungsbericht gelesen, den ich zwar nicht besonders ernst nehmen kann, zu dem ich aber eine Bemerkung machen möchte. Wenn wir dazu übergehen und sagen, dass Wohnen im Altenheim kein Zuhause ersetzt, machen wir uns zu einem schäbigen und nicht tauglichen Parlament. ({1}) Die letzten Tage, Wochen, Monate oder Jahre im Leben eines alten Menschen, die er in einer Pflegeeinrichtung oder einer Alteneinrichtung verbringt, müssen von Qualität, Wohlbefinden, Vertrauen und Perspektiven - welcher Art auch immer - geprägt sein. Nur dann wird er sich im Endeffekt zu Hause fühlen. Um das zu erreichen, ist die Novellierung des Heimgesetzes einer der entscheidenden Schritte überhaupt; denn zum Wohlbefinden und zum Vertrauen gehört auch das Element des Verbraucherschutzes, über den wir im Zusammenhang mit einer solch elementaren Frage gar nicht intensiv genug diskutieren können. ({2}) Es gibt einige wenige Punkte, die zumindest nach meiner Meinung heute noch nicht deutlich genug angesprochen wurden. Das ist zum Beispiel die Klarheit und Überschaubarkeit von Verträgen im Zusammenhang mit Vertragsdauer und Tod. Wenn Sie sich - Herr Fink, Sie sind ja Spezialist und kennen das - überlegen, was heute immer noch gang und gäbe ist, dass nämlich nach dem Tod eines Heimbewohners auf Wochen und Monate hinaus von den Hinterbliebenen oder aus der Erbmasse Geld noch geschöpft wird, weil der Heimplatz nicht neu zu belegen ist oder er renoviert werden muss ({3}) - lassen Sie es; Praktiker wissen, dass es so ist -, ({4}) werden Sie mir zustimmen, wenn ich sage: Ich finde es nur recht und billig, wenn im Heimgesetz verankert wird, dass der Vertrag und damit auch die Zahlungspflicht mit dem Tod endet. ({5}) Es ist ein wesentlicher Punkt, dass das Verhältnis von Leistungen und Geldzahlungen im Gesetz differenzierter als bislang beschrieben wird. Ich denke, darauf haben nicht nur die Heimbewohner, sondern auch deren Angehörige einen Anspruch. Die Verhandlungen über die Pflegesätze - darauf hat die Ministerin vorhin sehr deutlich hingewiesen; auch Herr Haupt hat es zu meiner Freude getan - können nicht über die Köpfe der Heimbewohner hinweg geführt werden. ({6}) Wenn ich mir vorstelle, dass ich mit 85 Jahren als gnaddriger Greis in einer Alteneinrichtung untergebracht bin und dass über meinen Kopf hinweg - aus welchen Gründen auch immer - entschieden wird, dass der Pflegesatz um 250 DM im Monat angehoben wird, dann können Sie sich sicherlich vorstellen, dass ich dann erst recht gnaddrig werde. ({7}) Dann hat das Heim, in dem ich untergebracht bin, nichts zu lachen. ({8}) Wir geben den Heimbewohnern die Chance - diese Regelung ist vernünftig -, sich zum Beispiel gegen die Kündigung des Heimvertrages zu wehren, wenn sie nicht das notwendige Geld haben. Das wird zwar vielen Betreibern von Pflegeeinrichtungen nicht gerade viel Spaß bereiten. Aber damit sind wir, glaube ich, auch einen Schritt im Hinblick darauf weiter, dass man sich auch in Pflegeeinrichtungen zu Hause fühlen und dort Vertrauen zu anderen aufbauen kann. Damit wird im Grunde genommen auch die Position derjenigen gestützt, die bereits heute ihre Einrichtungen so leiten und führen, wie wir uns das wünschen und wie es dem Sinn des Heimgesetzes von 1974 entspräche, wenn es komplett umgesetzt würde. Aber dies ist wohl eine Illusion. Deshalb ist die Novellierung des Heimgesetzes notwendig. ({9}) Sie reden immer davon, dass Kontrollen eine fürchterliche Sache seien. Mit der Novellierung des Heimgesetzes wollen wir im Grunde neben einigen anderen Punkten vor allem drei ganz entscheidende Knackpunkte angehen. Wir wollen erreichen, dass differenziert aufgeschlüsselt wird, welche und unter welchen Bedingungen die Heimbewohnerinnen und -bewohner Medikamente bekommen. Wir wollen wissen, wie der Pflegeverlauf aussieht. Wir wollen vorrangig wissen, welche freiheitsbeschränkenden Maßnahmen unter welchen Grundvoraussetzungen durchgeführt werden. ({10}) Wir müssen uns in diesem Haus doch nichts vormachen. Wir haben in den letzten Wochen und Monaten nicht nur darüber zu reden gehabt, dass in den Heimen aufopferungsvoll gepflegt wird und dass dort nur hoch qualifiziertes Personal beschäftigt ist. Wir haben auch über katastrophale Zustände in verschiedenen Einrichtungen heftig diskutiert, unter denen diejenigen leiden müssen, die ihren Lebensabend dort verbringen, und uns von der Presse auch manches Mal um die Backe knallen lassen müssen, dass wir auch politisch etwas verändern müssten. ({11}) Ich als politisch Verantwortlicher möchte in Zukunft nicht mehr die Prügel dafür einstecken, dass die Vorschriften des Heimgesetzes möglicherweise nicht erfüllt werden. Deshalb möchte ich Kontrollen einführen, zumindest so lange, wie diese ordnungsrechtlich zulässig sind. Da Sie die Schwierigkeiten, die ein solches Gesetz auch im Hinblick auf die Zuständigkeit der Länder mit sich bringt, samt und sonders kennen, wissen Sie, dass man an manchen Stellen auch Kompromisse schlucken muss. Vielleicht kann man dann, wenn das Gesetz novelliert ist, versuchen, Änderungen auf der Ebene der Länder durchzusetzen. Ich glaube, die Selbstverwaltung und die Eigenverantwortung der Heime und ihrer Träger sollten zwar durch das Heimgesetz nicht angetastet werden. Aber staatliche Daseinsvorsorge und Verantwortung enden nicht am Bett im Pflegeheim oder an der Haustür. Diese bestehen vielmehr immer und überall und gelten für jeden Menschen in Deutschland, egal, wie alt er ist, wo er wohnt oder ob er Geld hat oder nicht. ({12}) Alle Einrichtungsträger, die sich bisher ordnungsgemäß verhalten haben und deren Einrichtungen vom Standard und vom Pflegeniveau her vernünftig geführt werden, werden im Grunde durch das Heimgesetz überhaupt nicht tangiert. Sie werden vielmehr unterstützt und werden in Zukunft - auch durch die Möglichkeit der Zertifizierung - sehr schnell aus den Kontrollen - egal, welcher Art sie sind - entlassen werden, weil sie ihre Sache richtig machen. Deshalb wird dieses Gesetz, glaube ich, nicht nur Ärger, sondern auch Freude bei denen, die sich schon bisher ordnungsgemäß verhalten haben, und auch bei den Betroffenen auslösen. Im selben Atemzug bedanke ich mich bei den Mitarbeitern meines Ministeriums sehr herzlich für die konstruktive Zusammenarbeit und auch für die Bereitschaft, mit denen zusammenzuarbeiten, die uns noch heute kritisieren. Ich denke, es wird schon funktionieren. Danke schön. ({13})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat das Wort Herr Kollege Gerald Weiß von der CDU/CSU. ({0})

Gerald Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003256, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Ministerin, den von Ihnen eingeforderten Konsens im Themenzusammenhang, Frau Schewe-Gerigk, die von Ihnen geforderte Übereinstimmung im Sachzusammenhang ({0}) - ähnlich haben Sie sich, Herr Minister Fuhrmann, geäußert -, ({1}) lösen wir in der Grundsatzfrage natürlich ein. Beim neuen Heimgesetz, Frau Ministerin, streiten wir nicht über die grundlegenden Ziele. Wir streiten über die richtigen Wege - wie das Herr Fink und Herr Zöller schon gesagt haben -, ({2}) den Schutz der Menschen in den Heimen bestmöglich zu gewährleisten, ihre Würde zu sichern, Pflegequalität zu optimieren und zu bewahren. Das sind unstreitige, richtige Grundziele. Es geht nicht um das Ob, sondern es geht um das Wie. In der übergroßen Zahl von Heimen wird gut und aufopferungsvoll gepflegt. ({3}) Aber die Minderzahl schlecht pflegender Heime, deren Opfer weitgehend hilf- und wehrlose Menschen sind, ist die Herausforderung für den Staat, der auf diesem Feld, Herr Kollege Fuhrmann, wirklich nichts weniger sein darf als Nachtwächterstaat. Hier geht es im Kern um eine staatliche Ordnungsaufgabe. Bei diesem Gesetz, Frau Ministerin, gestehen wir zu, dass es gut gemeint ist; das attestieren wir sofort. Aber ob es wirklich insgesamt gut ist im Sinne von zielführend, da haben wir einige Zweifel. Gut gemeint ist noch lange nicht zielführend. Gut ist, wenn man Teilhaberechte vernünftig weiterentwickelt. Aber wir haben Zweifel, ob es zielführend ist, die Heime mit Bürokratie, Verwaltungsvorschriften und Berichtspflichten, die zum Teil ans Unsinnige grenzen, zu überziehen. Da haben wir sehr große Zweifel, weil Kapazität in den Heimen für Administration statt für den Menschen in Anspruch genommen würde. ({4}) Es war übrigens interessant, Frau Schewe-Gerigk, dass Sie gesagt haben, Sie könnten die Äußerung, die die Wohlfahrtsverbände gemacht haben, nicht verstehen. Bis vor kurzem, in Ihrer Oppositionszeit, waren sie noch Ihre Kronzeugen. ({5}) Die Arbeiterwohlfahrt, die ja nicht gerade eine Filiale der Union ist, hat Ihnen zum Beispiel ins Stammbuch geschrieben: Die freie Wohlfahrtspflege wird zum Objekt von Überregulierung und Bürokratisierung. Die Diakonie hat gesagt: Die Mitarbeiterinnen müssen über ausreichend Zeit für die Pflegebedürftigen verfügen. Das gilt vor allem für Gespräche. Die zu erwartenden Gesetze sollten hierfür entsprechende Rahmenbedingungen schaffen. Es ist aber jetzt zu befürchten, dass deren Umsetzung eher das Gegenteil bewirken wird. Durch neue Auflagen, etwa zur Dokumentation, wird immer weniger Zeit für die eigentliche Pflege, Betreuung und Versorgung zur Verfügung stehen. ({6}) Das ist doch der falsche Ansatz. ({7}) Geben Sie qualifiziertes Personal in die Heime, statt administrative Aufgaben vorzuschreiben, deren Erkenntniswert sehr begrenzt sein wird. Was uns auch nicht gefällt: Das Gesetz mutet an wie eine einzige große Misstrauenserklärung an alle Heimträger. Wir sind aber eher für eine Kriegserklärung an die Minderheit derjenigen, die schlecht pflegen. Das müsste die Ausrichtung sein. ({8}) Da sind wir bei der Ordnungsfunktion. Ich sage Ihnen: Dreh- und Angelpunkt, Herr Fuhrmann, ist eine funktionierende Heimaufsicht. Was Sie dazu in das Gesetz geschrieben haben, kommt mir manchmal vor wie viel Lärm um wenig. Das ist ja eher rudimentär, wenn Sie die Wahrheit zugestehen würden. Das kann es in einem Bundesgesetz auch nur sein. Das ist Domäne der Bundesländer. Ich komme aus einem Land, aus Hessen, das eine sehr gute Heimaufsicht hat, für die ich einmal Verantwortung hatte. Die Art und Weise, wie die Heimaufsicht - auch personell ausgestaltet und organisiert ist, entscheidet über ihre gesamte Wirksamkeit und über die präventive Wirksamkeit im Alltagsgeschehen. Wir sind für eine starke Heimaufsicht. Deren Stärke bemisst sich aber nicht am Umfang von Gesetzen, wie sich auch ein starker Staat, für den wir sind, nicht am Umfang seiner Gesetze bemisst. Manchmal habe ich den Eindruck, dass das für Sie ein Kriterium ist. Sie türmen - das ist bereits gesagt worden - einen unbestimmten Rechtsbegriff auf den anderen. Neue Panoramadachfenster, die mehr Licht in die Pflegezimmer bringen, seien betriebsnotwendige Investitionen. Ist das betriebsnotwendig oder nicht? Mit der Klärung dieser Frage werden Sie Gerichte beschäftigen, da Sie in diesem Gesetzentwurf eine Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe kreieren. ({9}) Frau Bergmann, Sie sagten, dass Sie motivierte Menschen wollen. Ich glaube, dass Sie die Menschen demotivieren. Formulare motivieren die Menschen nicht, sondern sie demotivieren, wenn sie sie von ihren eigenen Pflichten ablenken. Es wird zu keiner Verbesserung der Bedingungen in den Heimen, sondern zu einer Verschlechterung kommen. Herr Fuhrmann, ich greife einmal einen Punkt einer einzelnen Regelung auf - Sie haben ihn gerade erwähnt -, um zu demonstrieren, wo bei diesem Gesetzentwurf der Teufel im Detail steckt. Sie sagen: Das Vertragsverhältnis endet mit dem Tod; das muss so sein. Ich halte Ihnen entgegen: Zumindest in denjenigen Heimen, wo die Wohnkomponente, das Wohnverhältnis bzw. das Mietverhältnis im Vordergrund stehen, bewirken Sie damit im Ergebnis eine Erbenschutzklausel und - durchdenken Sie es einmal! - eine Umverteilung der Kostenlast auf die übrigen Heimbewohnerinnen und Heimbewohner. Das kann doch nicht wahr sein. Das ist eine unsachgemäße Regelung. ({10}) Ich möchte noch auf eine andere Norm hinweisen. Dieser Gesetzentwurf versucht in vielem Antworten auf Fragen zu geben, die es gar nicht gibt. Betrachten wir einmal den Aspekt der Kürzungen von Leistungen. Natürlich müssen Leistungen gekürzt werden können, wenn sie unqualifiziert sind und wenn es Mängel gibt. Aber dieser Anspruch ist bereits im guten alten BGB enthalten. ({11}) Dem durch dieses Gesetz eine Spezialnorm hinzuzufügen, legt den Verdacht nahe, dass Sie so vorgehen, weil es so fortschrittlich wirkt. Wir brauchen aber keine Überregulierung, sondern Einfachheit der Rechtsnormen und Rechtsklarheit. In dieser Hinsicht liegen wir - darüber werden wir diskutieren müssen - mit dem BGB recht gut. Ich nenne ein anderes Beispiel. In diesen Sachzusammenhang passt die Bildung von Arbeitsgemeinschaften. Sie schreiben, dass Arbeitsgemeinschaften der Beteiligten, der Kostenträger, der Pflegekassen, der Heimträger und eine Heimaufsicht gebildet werden müssen. Weil es vernünftig ist und ungeheuer nahe liegt, gehört es doch zur täglichen Wirklichkeit, dass alle Beteiligten - ich glaube, nahezu flächendeckend in dieser Republik - die Zusammenarbeit suchen; denn es ist notwendig. ({12}) - Nein, so sieht die Praxis aus. - Sie beabsichtigen, eine Bundesnorm zu schaffen, die in diesem Fall eine Verpflichtung auferlegt. Warum können Sie sich nicht von diesem bundesgesetzlichen Zentralismus lösen? Bundesgesetzlicher Zentralismus durchzieht diesen ganzen Gesetzentwurf. In Bezug auf die Heimaufsicht habe ich Ihnen das bereits beschreiben können. ({13}) Ich will noch eine andere Norm ansprechen. Es stimmt uns sehr skeptisch, in welchem Umfang der Gesetzentwurf personenbezogene und übrigens auch betriebsbezogene Daten zum Austausch freigibt. Personenbezogene Daten dürfen in nicht anonymisierter Form den Pflegekassen übermittelt werden, wenn es im Sinne des Sozialgesetzbuches ist. Eine so weit gefasste - scheunentorweite - Formulierung bedeutet die Schaffung eines Einfallstors für Verstöße gegen den Datenschutz. Ich wundere mich eigentlich, dass die selbst ernannten Gralshüter des Datenschutzes nicht hellwach werden, wenn eine solche Regelung in einem Gesetzentwurf auftaucht. Auch und gerade Pflegebedürftige müssen davor geschützt bleiben, gläserne Patienten zu werden, ({14}) wenn wir die Würde der Menschen bewahren wollen. Nur noch ein Stichwort: Zu den Mängeln des Gesetzes gehört, dass durch standardisierende und nivellierende Vorschriften, nämlich durch den Zangengriff, dass das Entgelt, das die Bewohnerinnen und Bewohner zu zahlen haben - eben, Herr Fuhrmann, von Ihnen noch gefeiert -, vereinheitlicht wird und Investitionen, soweit Entgeltwirkungen damit verbunden sind, dem Kriterium der Betriebsnotwendigkeit unterworfen werden, einem ganzen Bereich altengerechten Wohnens der Garaus gemacht wird. Das gilt insbesondere für die Wohnstifte in Deutschland. Sie wollen nivellieren, das Niveau standardisieren. Das ist ein zentralistischer Regelungsanspruch. ({15}) Wir sind entschieden dagegen. Wir wollen Vielfalt und ein differenziertes Angebot. Insgesamt wollen wir einen kritisch-konstruktiven Dialog mit Ihnen führen. Ausgehend von gemeinsamen Grundzielen möchten wir über die Kritik an Detailfragen zu einem gemeinsamen Ergebnis kommen. Das gelingt uns, wenn wir uns bemühen. Vielen herzlichen Dank. ({16})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 14/5395, 14/5547, 14/5399 und 14/5565 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? Ich höre keinen Widerspruch. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainer Brüderle, Rainer Funke, Hildebrecht Braun ({0}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P. Gerald Weiß ({1}) Ende der Exklusivlizenz für die Deutsche Post zum 31. Dezember 2002 - Drucksache 14/5333 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({2}) Rechtsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen, wobei die F.D.P. sieben Minuten erhalten soll. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat für den Antragsteller der Kollege Rainer Funke von der F.D.P.-Fraktion das Wort. ({3})

Rainer Funke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000624, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Absicht der Bundesregierung und vor allem des Bundeswirtschaftsministers, das Postmonopol über den 1. Januar 2003 hinaus zu verlängern, zeugt von einem tiefen Misstrauen in die Marktwirtschaft. ({0}) Das verwundert mich bei einem Bundeswirtschaftsminister ganz besonders. ({1}) Im Zuge der Postreform II haben die damaligen Koalitionsfraktionen CDU/CSU und F.D.P., aber auch die SPD das Grundgesetz in Art. 87 f geändert und bestimmt, dass im Bereich des Postwesens die Dienstleistungen privatwirtschaftlich durch die aus dem Sondervermögen Deutsche Bundespost hervorgegangenen Unternehmen und durch private Anbieter erbracht werden. ({2}) Das heißt eindeutig, dass die Post AG und die privaten Anbieter gleichberechtigt am Markt tätig sein sollen. ({3}) Im Postgesetz ist geregelt worden, dass das Monopol für die Beförderung von Briefen bis zu 250 Gramm für eine Übergangszeit bei der Post AG verbleiben solle. Diese Exklusivlizenz sollte am 31. Dezember 2002 auslaufen. ({4}) Dieses Postgesetz einschließlich des Auslaufens der Exklusivlizenz kam im Vermittlungsausschuss als Kompromiss zustande. Dieser Kompromiss wurde von der CDU/CSU, der SPD und der F.D.P. getragen. Es ist kein Geheimnis - jedermann weiß es -, dass die F.D.P. durchaus bereit war, diese Exklusivlizenz auch schon früher auslaufen zu lassen. Im Vermittlungsausschuss mussten wir den Kollegen der SPD und der CDU/CSU aber entgegenkommen, weil auch wir dieses Postgesetz wollten. Im Übrigen wollte dies auch der jetzige Staatsminister im Bundeskanzleramt, der Kollege Bury, der im Vermittlungsausschuss vehement für den 31. Dezember 2002 gekämpft hat. ({5}) - Daran habe ich große Zweifel. Auch damals war es um seine Marktwirtschaftlichkeit nicht ganz so gut bestellt, lieber Herr Kollege van Essen. Wenn heute der Bundeswirtschaftsminister von diesem Kompromiss abweichen will, dann ist das nicht nur verfassungswidrig - worauf namhafte Verfassungsrechtler hinweisen -, ({6}) sondern dies zeugt auch davon, wie sehr man sich, lieber Herr Kollege Barthel, auf ein gegebenes Wort der SPD verlassen kann. Da gilt auch nicht der Grundsatz, dass man einfache Gesetze mit einfachen Mehrheiten ändern kann. Zwar kann sich der Bürger nicht darauf verlassen, dass ein einfaches Gesetz ewig Bestand hat. Aber jeder Sachkundige weiß - vielleicht mit Ausnahme des Bundeswirtschaftsministers -, dass man ein Postdienstnetz nicht von heute auf morgen aufbauen kann, sondern drei bis fünf Jahre dazu benötigt. Das haben Feldversuche ergeben. Die Investoren müssen einen gewissen Vorlauf haben und müssen sich auch darauf verlassen können, dass der Gesetzgeber bei den beschlossenen Fristen bleibt. Ein Eingriff des Gesetzgebers kurz vor Auslaufen der Exklusivlizenz verstößt nicht nur gegen Eigentumsrechte der Investoren gemäß Art. 14 des Grundgesetzes - das dürfte den meisten bekannt sein, aber vielleicht Ihnen nicht, Herr Barthel -, ({7}) sondern erschüttert auch das Vertrauen der Bürger in die Rechtskraft und Rechtswirkung von Gesetzen. ({8}) Eine Entscheidung der Bundesregierung, die Exklusivlizenz für die Post AG zu verlängern, wird nicht nur viel Geld aus dem Haushalt als Entschädigung für die Investoren kosten, sondern auch das Vertrauen des Bürgers in von Bundestag und Bundesrat beschlossene Gesetze erschüttern. Will man die Exklusivlizenz verlängern, müssten höherrangige und höherwertige Interessen vorhanden sein. Wir haben schon damals bei der Beratung im Vermittlungsausschuss gewusst, dass die Vorstellungen der nordeuropäischen Länder unseren Vorstellungen von Wettbewerb, Marktwirtschaft und privater Wirtschaft mehr entsprechen als die Vorstellungen von Frankreich und beispielsweise der südeuropäischen Länder. Seit dem Beschluss des Bundestages ist also überhaupt keine neue Situation eingetreten. Wir haben immer gewusst, dass Frankreich und die südeuropäischen Länder bei der Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Aufgabe des Postmonopols eher zurückhaltend sein werden. Wir haben uns auch sonst noch nie um diese Fragen gekümmert, etwa als es darum ging, die Postunternehmen - damals zum Beispiel die Telekom - in den Wettbewerb zu entlassen. Wir haben auch damals gewusst, dass die Franzosen in dieser Angelegenheit etwas zurückhaltender sind. Aber wir haben damals schon gezeigt, dass der Weg in Richtung mehr Wettbewerb und Marktwirtschaft richtig ist und dem Bürger zugute kommt. Den Mut sollten wir auch in Bezug auf die Post AG haben. ({9}) Interessanterweise fordert der Vorstand der Post AG nicht eine Verlängerung der Exklusivlizenz, weil die Post AG weiß, dass sie ein modern aufgestelltes Logistikunternehmen mit gutem Management und mit guten Mitarbeitern ist. Die Post AG braucht keinen Wettbewerb zu scheuen. Der Wettbewerb stärkt alle am Wettbewerb teilnehmenden Unternehmen. Das sollte eigentlich der Wirtschaftsminister, der ja einer der Nachfolger von Professor Ludwig Erhard ist, wissen. Er sollte sich auch der Marktwirtschaft und dem Wettbewerb verpflichtet fühlen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({10})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Für die Bundesregierung hat jetzt die Parlamentarische Staatsse- kretärin Margareta Wolf das Wort.

Margareta Wolf-Mayer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002831

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Sehr ge- ehrter Herr Funke! Die Bundesregierung beabsichtigt, die Exklusivlizenz der Deutschen Post AG um fünf Jahre zu verlängern. Jörg van Essen [F.D.P.]: Das ist schlimm!) Das tun wir nicht deshalb, weil wir Monopole so schön finden, sondern weil uns unter vernünftiger Betrachtung der Welt um uns herum nichts anderes übrig bleibt. ({0}) Ausgangspunkt der Überlegungen zur Verlängerung der Exklusivlizenz ist im Wesentlichen die Entwicklung der Postpolitik innerhalb der Europäischen Union. ({1}) Dort ergeben sich nicht die Fortschritte, die sich die Bundesregierung bisher erhofft hatte. Die Europäische Kommission hatte zwar am 30. Mai letzten Jahres endlich einen Vorschlag für eine neue Postdienste-Richtlinie vorgelegt. Grundsätzlich hat die Bundesregierung - das wissen Sie auch - diesen Vorschlag begrüßt, weil er einen weiteren Schritt zur Öffnung der Postmärkte ab 2003 enthielt. Wir hätten den Vorschlag der Kommission allerdings noch heftiger begrüßt, wenn er auch einen Zeitplan für die vollständige Öffnung der Postmärkte enthalten hätte. An dieser Stelle möchte ich auch dem Vorwurf entgegentreten, dass sich die Bundesregierung nicht energisch genug für eine Marktöffnung im Postbereich eingesetzt habe. Bereits im Vorfeld des Kommissionsbeschlusses standen wir in engem Kontakt mit den beiden deutschen Kommissaren in Brüssel, die sich beide nachhaltig für die Position der Bundesregierung eingesetzt haben. ({2}) Nicht nur innerhalb der Kommission, sondern auch im Europäischen Parlament und im Ministerrat - das ist auch bekannt - sind die Befürworter und die Gegner weiterer Marktöffnungsschritte im Postbereich in etwa gleich stark. Dies erklärt, warum in den letzten Monaten bei der Formulierung einer zukunftsgerichteten europäischen Postpolitik keine nennenswerten Fortschritte zu erzielen waren. Die gegenwärtige Präsidentschaft betrachtet die Postpolitik nicht als vorrangig. Wir bemühen uns zwar, die Postdienste-Richtlinie auf der Tagesordnung zu halten. Absehbar ist jedoch, dass wir mit der Verabschiedung eines gemeinsamen Standpunktes im Ministerrat kurzfristig nicht rechnen können. Ein Blick auf den Zeitplan zeigt, dass die Zeit auf der europäischen Ebene noch nicht stark genug drängt, um Kompromisse zu erzwingen. Die gegenwärtige Richtlinie - das wissen Sie - läuft erst Ende 2004 aus. Selbst für ein möglicherweise notwendig werdendes Vermittlungsverfahren zwischen Europäischem Parlament und Ministerrat bleibt aus heutiger Sicht noch reichlich Zeit. Dagegen läuft nach gegenwärtiger Rechtslage in Deutschland die Exklusivlizenz Ende 2002 aus. Dies zwingt uns - so meinen wir - zum Handeln, da die Bundesregierung nicht beabsichtigt, das nationale Restmonopol auslaufen zu lassen, ohne zu wissen, wie es innerhalb der EU weitergeht. Die Bundesregierung befürwortet ein gemeinsames Vorgehen innerhalb der Europäischen Union, auch im Postbereich. Damit haben wir in der Vergangenheit gute Erfahrungen gemacht, beispielsweise bei der Telekommunikation. Darauf haben Sie, Herr Funke, hingewiesen. Eher schlechte Erfahrungen hat Deutschland dagegen mit der einseitigen vollständigen Marktöffnung in den Bereichen von Strom und Gas gemacht, in denen wir auch heute noch keine gleichgewichtige europäische Marktöffnung haben. Dies wirkt nach. Wir wollen vermeiden, dass Postunternehmen aus geschlossenen oder nahezu geschlossenen Märkten in einem vollständig geöffneten deutschen Markt tätig werden können. Der deutsche Postmarkt ist der mit Abstand größte in Europa und überdies mit seiner zentralen Lage für alle ausländischen Postunternehmen sehr lukrativ. Ungleiche Wettbewerbschancen würden - so meinen wir - zu Wettbewerbsverzerrungen führen. Den Preis dafür müssten vor allen Dingen die Kunden, die deutschen Postunternehmen, aber auch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zahlen. Das wollen wir nicht. ({3}) Allein mit wettbewerbsrechtlichen Instrumenten wäre missbräuchliches Verhalten nur im Nachhinein zu sanktionieren. Die Bundesregierung kann und wird eine Beeinträchtigung unternehmerischer Strukturen in Deutschland nicht billigen. Entweder gibt es fairen Wettbewerb oder keinen; unfairen Wettbewerb werden wir nicht zulassen. ({4}) Lassen Sie mich zum Schluss etwas zu den Briefentgelten sagen. Mit der Verschiebung der vollständigen Marktöffnung im Postbereich müssen die Verbraucher jedoch nicht unbedingt auf sinkende Preise verzichten. Das Postgesetz sieht vor, dass sich die Briefentgelte an den Kosten einer effizienten Leistungsbereitstellung zu orientieren haben. Die Deutsche Post AG hat in puncto Effizienz in den letzten Jahren durchaus Fortschritte gemacht, übrigens in Erwartung des Wettbewerbs. Es bedarf also keiner hellseherischen Fähigkeiten, um vorauszusagen, dass die Briefentgelte ab 2003 tendenziell sinken könnten. Damit werden dem Verbraucher die Preisvorteile, die der Wettbewerb ansonsten - wenn auch nicht kalkulierbar mit sich brächte, grundsätzlich nicht vorenthalten. Wir sind darüber im Gespräch. Das Handeln der Bundesregierung im Postbereich wird von der Einsicht in das Notwendige und in das Machbare bestimmt. Indem die Bundesregierung bereits jetzt die Änderung des Postgesetzes ankündigt, schafft sie Klarheit darüber, was auf die Unternehmen im Postbereich ab 2003 zukommt. Im Sinne von Max Weber beweist die Bundesregierung damit Augenmaß. Wünsche zu formulieren ist hingegen ein Vorrecht der Opposition. Meine Damen und Herren, ich bitte Sie deshalb namens der Bundesregierung, den vorliegenden Antrag in der parlamentarischen Beratung abzulehnen. Danke schön. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat der Kollege Elmar Müller von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.

Elmar Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001546, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! So weit also die Mittelstandsbeauftragte dieser Bundesregierung, Kollege Funke. Es ist schon eine erstaunliche Entwicklung, die diese Dame vollzogen hat. ({0}) Zunächst gratuliere ich - ich meine das überhaupt nicht ironisch - der Deutschen Post AG herzlich dazu, dass sie am Montag mit einem Anteil von 1,53 Prozent in den Dax kommt. Das ist eine reife Leistung dieses Unternehmens; das hat es verdient. Die Vorstände und Manager dieses Unternehmens, an der Spitze Herr Zumwinkel, machen auch einen guten Job, wenngleich zumindest einige derer, die sich mit der Post beschäftigen, mit der Postpolitik, wie sie vorgegeben wird, nicht immer einverstanden sind. Aber das ändert nichts daran, dass man dies respektvoll bemerken darf. Meine Damen und Herren, ich greife, gerichtet an die SPD-Fraktion, Herr Kollege Barthel, weit in die Geschichte zurück. Seit der Französischen Revolution im Jahre 1789 gibt es das unveräußerliche Menschenrecht der Berufs- und Gewerbefreiheit. ({1}) Nun wissen wir allerdings, dass es Regierungen gibt, die sagen, sie verzichteten überall dort gern auf Berufs- und Gewerbefreiheit, wo die Kasse klingelt. So sind wir an einem Punkt angelangt, der diese Regierung ganz besonders auszeichnet. ({2}) Das Briefbeförderungsmonopol bedeutet bei uns ganz konkret, dass Briefe mit einem Gewicht von unter 200 Gramm und Infopost mit einem Gewicht von unter 50 Gramm nur von einem Unternehmen befördert werden dürfen und dass alle anderen Unternehmen aus dieser Branche ausgeschlossen sind. Dabei gilt seit 1997 - als wir das Postgesetz geschaffen haben -, dass der Wettbewerb die Regel und das Monopol die zu begründende Ausnahme sei. An diesem Punkt haben wir richtig gehandelt, auch wenn Herr Funke gesagt hat, es hätte etwas schneller kommen können. Aber wir haben eine vernünftige Linie gefunden. Damit sollte für den Verbraucher und für die Wirtschaft der Zugang zu preiswerten und kundengerechten Postdienstleistungen sichergestellt werden. Dass es in der Praxis anders ist, Herr Barthel, erleben wir ja derzeit bei einer Post, die sich über Einnahmen und Gewinne nicht beklagen kann. Trotzdem erreichen uns täglich Berichte über irgendwelche Missstände. Zuletzt haben wir - Sie genauso wie ich - einen Brief der Diamant- und Edelsteinbörse auf den Tisch bekommen. Allein aus der Streichung des Wertbriefversandes im Jahre 1999 und der Veränderung der allgemeinen Geschäftsbedingungen im vergangenen Jahr sind dieser Branche inzwischen in 523 Fällen Verluste in Höhe von 2,5 Millionen DM entstanden. Ein zweites Beispiel - darüber werden wir uns auch noch unterhalten - ist die Frage der Massendrucksachen: Bis hinunter in die kleinsten Dörfer sollen nun Einlieferungen im Wert von weniger als 500 DM nicht mehr möglich sein. Man stelle sich das einmal vor. Das betrifft vor allem jene Gemeinden, die im Fremdenverkehrsbereich tätig sind. Sie fragen: Wie sollen wir in einer kleinen Gemeinde mit 800 Einwohnern auf einen Umsatz von 500 DM kommen? ({3}) - Genau das ist das Thema. Herr Barthel, jetzt will ich aus einem Brief zitieren, der dem Kollegen Ernst Hinsken dazu zugegangen ist. Das ist nun wirklich interessant: Die von einigen Kunden geforderten Ausnahmeregelungen für kleine Gemeinden, Vereine usw. würden dem durch die Einführung einer Mindestauslieferung verfolgten Zweck der Effizienzsteigerung zuwiderlaufen, denn gerade bei kleinen Sendungsmengen stehen die Einnahmen zu den entstehenden Bearbeitungskosten in einem besonders ungünstigen Verhältnis. ({4}) So weit die Post. Da sagen Sie, wir müssten dieses System beibehalten. Herr Kollege Barthel, ich denke, dass Sie durchaus noch einmal darüber nachdenken sollten, wie Sie das verantworten wollen. Eine Verlängerung der Exklusivlizenz stößt sowohl auf verfassungsrechtliche Widerstände wie auch auf erhebliche europarechtliche Probleme, weil die Überleitungsregelungen in Art. 143 b Grundgesetz, die durch Gesetz von 1994 in das Grundgesetz aufgenommen wurden, durch das 1997 verabschiedete Postgesetz mit der einmaligen Verlängerung der Exklusivlizenz ausgeschöpft sind. Eine darüber hinausgehende Beschränkung der Berufsfreiheit ist mit Sicherheit - davon kann man heute ausgehen - mit Art. 12 Grundgesetz nicht vereinbar. Es wird dazu vermutlich ein Verfahren geben. ({5}) Wir sind jetzt an einem Punkt, meine Damen und Herren, an dem ich gespannt darauf warte, was die Kollegin der Grünen dazu zu sagen hat. Wir haben ja gehört, dass die Grünen gegen eine Verlängerung sind. Das ist möglicherweise der gleiche Vorgang wie vor einem Jahr, als die Kollegin Wolf beim Portostreit öffentlich bekannte, dass der Minister mit seinem Eingriff in die Portoregelung falsch gehandelt habe. Als wir dann hier darüber diskutierten, wurde das alles zurückgenommen und gesagt, das sei alles nicht so gemeint gewesen. Ich befürchte, Frau Kollegin Hustedt, dass Sie auch in der Frage der Verlängerung der Exklusivlizenz wahrscheinlich bereits in wenigen Tagen - zumindest nach der Landtagswahl - wieder den Kotau vor Ihrem Koalitionspartner machen werden und Ihr vermeintlicher Widerstand wahrscheinlich sehr schnell beendet sein wird. Eines, meine Damen und Herren, ist beim Portostreit des vergangenen Jahres völlig klar geworden: Ohne Konkurrenz gibt es für die Post AG überhaupt keinen Grund, ihre Preise zu senken. ({6}) Die Post AG nennt sich zwar heute Global Player, aber immerhin 90 Prozent ihrer Gewinne schöpft sie auch heute noch aus den alten Produkten, das heißt aus der Exklusivlizenz. Da soll einer sagen, sie verdiene als Global Player heute weltweit ihr Geld. Nein, in dieser Frage muss man einfach sagen: Der Bundesbürger wird mit überhöhten Portopreisen und durch eine Verlängerung der Exklusivlizenz zugunsten eines Unternehmens noch mehr und noch länger geschröpft. Diese Frage müssen Sie als Koalition schon beantworten: Darf es möglich sein und ist es rechtlich richtig, dass sich eine Regierung zugunsten eines Unternehmens derartig ins Zeug legt und sagt, dieses Unternehmen darf dick und fett werden, während die anderen, die vor der Tür stehen, ruhig warten sollen? Sie sollten in dieser Frage endlich zu einer wettbewerbsorientierten Politik zurückfinden, vor allem zu einer Politik, die im Zusammenhang mit der Förderung des Mittelstandes positiv genannt werden kann. Dies meine ich vor allem im Zusammenhang mit den Arbeitsplätzen, Herr Kollege Barthel. Ich war vorhin schon etwas erstaunt, Frau Staatssekretärin, als Sie mit Arbeitsplätzen argumentierten. Es ist wirklich das Gegenteil der Fall.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Müller, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Funke?

Elmar Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001546, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber selbstverständlich.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte, Herr Funke.

Rainer Funke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000624, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Müller, kennen Sie ein an der deutschen Börse notiertes privatwirtschaftliches Unternehmen außer der Post AG, das eine Monopolrente an die Aktionäre ausschütten kann und das durch den Staat fett gemacht wird?

Elmar Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001546, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich würde gerne ausführlicher antworten, aber ich kann Ihnen sagen, Herr Kollege Funke: Das gibt es nicht; das ist in der Tat ein Widerspruch in sich. Daran wird das Fehlerhafte dieser Diskussion deutlich, ({0}) auch die Absurdität dieser Entwicklung. Ich bedanke mich für diese Feststellung und schließe mich ihr vorbehaltlos an. ({1}) Frau Kollegin, Frau Staatssekretärin Wolf, zu den Arbeitsplätzen: Sie wissen, dass die Post AG in den letzten Jahren 150 000 Arbeitsplätze abgebaut hat. Das musste Elmar Müller ({2}) sein; denn sie war mit Arbeitsplätzen übermäßig ausgestattet. Das hatte mit dem alten System, vor allem mit den Gewerkschaften zu tun. Allerdings wurde hier - im Gegensatz zur Telekommunikation - aufgrund der Exklusivlizenz der Wettbewerb verhindert und damit die Schaffung neuer Arbeitsplätze. Wir haben in diesem Bereich über 800 Lizenznehmer. Diese Lizenznehmer haben inzwischen trotz ihres geringen Umsatzes immerhin rund 4 000 Vollzeitarbeitsplätze und etwa 20 000 Teilzeitarbeitsplätze geschaffen. Genau hier liegt das Potenzial, das Sie in den nächsten Monaten bräuchten. Sie werden in den nächsten Monaten - alles spricht ja dafür, dass wir auf dem Arbeitsmarkt in eine schwierige Phase geraten - in die Situation geraten, Langzeitarbeitslose und gerade solche, die nicht die höchste Qualifikation haben, genau für solche Arbeiten aktivieren zu können. Hier wird von Ihnen die Chance vertan, Arbeitslose und Langzeitarbeitlose wieder in den Arbeitsmarkt zurückzubringen, was wirklich schade ist. Auf diesem Markt kann im Grunde genommen doch nur durch einen Wettbewerb, an dem vor allem der Mittelstand beteiligt ist, durch neue Produkte und neue Impulse etwas geschehen. Ich will Ihnen noch einmal die Zahlen nennen: In der Bundesrepublik Deutschland werden pro Einwohner und Jahr etwa 250 Briefe versandt. In den USA sind es 700 Briefe pro Einwohner im Jahr bei wesentlich geringeren Portokosten. ({3}) Im nordeuropäischen Bereich, bei unseren skandinavischen Nachbarn, sind es immerhin noch doppelt so viele wie bei uns. Herr Kollege Barthel, Sie mögen sich darüber lustig machen, aber das hat damit zu tun, ({4}) dass in Schweden und Finnland seit 1993 die Monopolsituation aufgehoben worden ist. Dort kann aber niemand behaupten, dass die Postinfrastruktur, worauf die Bürger einen Anspruch haben, in irgendeiner Weise beeinträchtigt worden ist. Im Gegenteil, die Bürger haben dieselben Möglichkeiten wie vorher, aber mittelständische junge Unternehmen haben dort eine Chance bekommen. Herr Kollege Barthel, da Sie mir nicht glauben, will ich einen Kollegen aus Ihrer Fraktion zu diesem Thema mit einem fast klassischen Beitrag für ein Lehrbuch zur Betriebwirtschaftslehre zitieren. Kollege Professor Uwe Jens, der bei solchen Gelegenheiten überhaupt nicht reden darf, hat vor wenigen Tagen in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ Folgendes geschrieben: Doch hat der Wirtschaftsminister Politik für einzelne Unternehmen oder für die ganze Volkswirtschaft zu betreiben? Ist es sinnvoll, deutsche Unternehmen für den Weltmarkt staatlich zu füttern, damit sie dort unsere Interessen vertreten? Für die Gesamtwirtschaft ist dies verhängnisvoll. Weiter sagt er: Die kleinen und mittleren Unternehmen haben nur Nachteile davon. Geschwächt wird das dynamische Element der Gesamtwirtschaft. Professor Jens schließt dann mit den Worten: Deutschlands Wirtschaft profitiert von offenen Weltmärkten. Diese Weltmärkte können nicht dort, wo es politisch opportun ist, geschlossen werden, wie es diese Regierung nach Gutsherrenart vorhat, sondern man muss schon bei einer bestimmten ordnungspolitischen Linie bleiben. Das tun Sie derzeit aber nicht. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Post AG hat, wie gesagt, in den letzten Jahren eine Menge Arbeitskräfte entlassen müssen und es wird in der Tat verhindert, dass andere, neue Unternehmen diesen Arbeitskräfteabbau ausgleichen können. Das ist ein Versäumnis, das ich nur immer wieder beklagen kann. Sie können noch so viele Argumente finden, ({5}) aber es wird Ihnen nicht gelingen, die Binsenweisheit, dass durch Wettbewerb neue Arbeitsplätze geschaffen werden können, auch nur im Ansatz zu widerlegen. ({6}) Das Ganze zeigt mir Ihr Misstrauen, Frau Staatssekretärin, gegenüber dem Mittelstand; anders kann man das nicht bezeichnen. Wir haben in den letzten anderthalb Jahren ausschließlich junge mittelständische Unternehmen mit Lizenzen versorgt. Über 800 Unternehmen warten darauf, dass dieser Markt endlich wettbewerbsmäßig neu aufgemischt werden kann. Eine ganze Menge neuer Produkte - die Post hat es natürlich nicht nötig, diese anzubieten - könnte auf den Markt kommen. Ich frage Sie wirklich, ob es sein muss, dass ein Brief innerhalb Berlins den gleichen Portowert hat wie ein Brief zum Beispiel von Garmisch nach Flensburg, oder ob ein Brief, der am nächsten Tag ankommen muss, den gleichen Tarif haben muss wie ein Brief, den mir meine kurlaubende Tante schreibt und der erst nächste Woche ankommen muss. ({7}) - Herr Kollege Barthel, Sie unterstützen doch im Hinblick auf die Telekom genau diesen Punkt, ({8}) indem Sie sagen: Die unterschiedliche Stärke des in den Regionen bestehenden Marktes muss aufgebröselt werden. - Auf dem Postmarkt aber verweigern Sie sich einer solchen Lösung. Meine Damen und Herren, die rot-grüne Bundesregierung will mit dieser Mittelstandsfeindlichkeit neue Strukturen schaffen. Wir sagen jedoch: Marktpositionen dürfen nicht durch Machtpositionen verfestigt werden, sondern Elmar Müller ({9}) müssen durch Leistung immer wieder neu errungen werden. Deshalb ist und bleibt die Union die Partei des fairen Wettbewerbs und des Mittelstandes. Daher muss das, was derzeit im Gesetz steht, nämlich dass das Monopol Ende 2002 ausläuft, bestehen bleiben. Einen anderen Weg darf es nicht geben. Ich bedanke mich. ({10})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Michaele Hustedt vom Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Michaele Hustedt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002685, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kurs der Telekomaktie steigt wieder. Der Hintergrund ist, dass die Hauptversammlung von Voicestream gestern der Übernahme durch die Telekom zugestimmt hat. Das heißt, der Kurs der Telekomaktie steigt in Abhängigkeit davon, ob die Übernahme von Voicestream durch die Telekom klappt. Daran kann man erkennen - auch wenn man nicht immer alles das versteht, was an den Börsen passiert -, ({0}) dass Aktienkurse nicht nur vom Gewinn, sondern auch von ganz anderen Dingen abhängen. Ich frage mich, ob man sicher sein kann, dass der Kurs der Postaktie steigt, wenn man das Monopol der Post beseitigt, ob ein Unternehmen, das durch den Staat künstlich gestützt wird, für Investoren nicht Unsicherheiten mit sich bringt, weil sich dieses Unternehmen nicht auf den Markt eingestellt hat. ({1}) Mein Eindruck ist, dass in den großen Volksparteien, im Übrigen auch in der CDU/CSU, häufig Skepsis gegenüber dem Wettbewerb und dem Markt bei Übergängen von Monopolen zu Wettbewerbssituationen herrscht. Dahinter stecken natürlich teilweise berechtigte Befürchtungen; denn bestimmte Dinge müssen gewährleistet werden. Bei der Post ist es ganz klar: Eine Versorgung mit Postdienstleistungen, sprich: die Lieferung und die Abgabe von Briefen, muss flächendeckend, also auch auf dem Land, innerhalb eines bestimmten Zeitraums, der akzeptabel sein muss, gewährleistet werden. Jeder muss an die Postversorgung angeschlossen sein. Das gilt sehr wohl auch für andere Märkte, zum Beispiel für den Telekommunikations-, den Gas- und den Strommarkt. Auch auf diesen Märkten ist dies machbar. Ich teile nicht die Position, dass es für den deutschen Strommarkt schlecht war, ihn so frühzeitig für den Wettbewerb zu öffnen. Im Gegenteil: Die deutschen Stromkonzerne - darauf muss man sehr deutlich hinweisen sind im europäischen Wettbewerb hervorragend positioniert. Auf lange Frist wird sich erweisen, dass die schwedischen und die deutschen Stromkonzerne, die sich sehr früh einer Liberalisierung stellen mussten, wesentlich besser fahren als diejenigen Konzerne, die später dazugekommen sind. ({2}) Die Vorteile des Marktes sind eminent. Das sieht man insbesondere an den Preisen; ich nenne beispielsweise den Telekommunikations- und den Energiebereich. Das nützt der Volkswirtschaft, den Verbrauchern und der Industrie. Dass wir heute für 5 Pfennig pro Minute statt für 60, wie noch vor kurzer Zeit üblich, ein Ferngespräch führen können, bietet gerade Niedrigverdienern eine wirkliche Chance zur Kommunikation. ({3}) Ich habe bedauert, dass, als die Regulierungsbehörde im März 2000 das Porto senken wollte, Minister Müller sie angewiesen hat, dies bis 31. Dezember 2002 konstant zu halten. Wir haben europaweit das zweithöchste Porto. ({4}) Ich halte es deswegen für wichtig, dass, wenn überhaupt über die Verlängerung des Monopols gesprochen wird, diese Weisung aufgehoben wird. Ich begrüße ausdrücklich, was Margareta Wolf gefordert hat, nämlich dass im Wirtschaftsministerium in dieser Richtung nachgedacht werden muss. Wir werden darüber auch weiterhin zu diskutieren haben. ({5}) Wir, die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, wollen die Einführung des Wettbewerbs auch für die Post und befinden uns deshalb in der Diskussion mit der SPD und mit dem Wirtschaftsministerium. In der Tat gibt es auch Probleme, wenn man das Monopol verlängert. Es gibt Unternehmen, die bereits entsprechend investiert haben. Ich weiß von Unternehmen, die schon Briefsortieranlagen gekauft haben und jetzt darauf sitzen bleiben. Die Gefahr, dass ausländische Investoren kommen und der Deutschen Post sozusagen den Markt streitig machen, halte ich für ungeheuer gering. ({6}) Man muss 600 Millionen DM Investitionskosten vorschießen, wenn man tatsächlich die flächendeckende Versorgung in diesem Bereich übernehmen will. Auch in anderen Ländern, wie Schweden und Finnland, die schon lange weitgehend liberalisiert haben, ist das nicht passiert. Selbst auf den kleineren Märkten hat niemand angegriffen und diesen Bereich übernommen. In Deutschland wäre das noch wesentlich schwieriger. Ganz anders sieht es aber mit den Nischen aus, die gerade kleine Unternehmen besetzen können. Es ist zum Beispiel für Zeitungsverleger, die sowieso ihre Zeitung verteilen, ganz attraktiv, vor Ort auch Briefe mitzuverteilen. Dabei machen sie - das gibt es teilweise schon - ganz hervorragende Angebote, zum Beispiel die Post am selben Tag oder über Nacht auszutragen. Es gibt auch schon AnElmar Müller ({7}) gebote, bei denen das Porto, von solchen Synergieeffekten getragen, eindeutig unter dem der Post liegt, also bei etwa 80 Pfennig statt 1,10 DM. ({8}) Ich wäre allerdings dafür, das Postmonopol auslaufen zu lassen. Wir werden gemeinschaftlich darüber reden und sicherlich einen Kompromiss finden. Auf jeden Fall muss klar sein, dass man es nicht auf zwei Legislaturperioden hinaus verlängert, sondern dass wir uns in der nächsten Legislaturperiode darüber unterhalten werden. Wenn Sie jetzt eine Kompromisssuche anprangern, dann werde ich Sie daran messen, wie im Bundesrat abgestimmt wird. Falls die F.D.P. nach der Wahl in RheinlandPfalz, im letzten Bundesland, in dem sie mitregiert, noch weiter in der Regierung sein sollte, was ich allerdings nicht glaube ({9}) - gut, aber da haben Sie ja sowieso nichts zu sagen -, ({10}) wenn Sie also noch mit Beck zusammen regieren sollten, dann werde ich genau darauf achten, wie sich die F.D.P. im Bundesrat verhalten wird; denn soweit ich weiß, ist Ministerpräsident Beck für die Verlängerung des Postmonopols. Ich werde auch genau beobachten, wie die Länder Bayern und Sachsen, wie Berlin und Hessen in dieser Frage abstimmen werden. Dann werden wir uns hier wiedersehen und über diese Frage reden. ({11}) - In der Tat, Hessen ist auch ein Bundesland. Ich werde Hessen genau beobachten.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Funke?

Michaele Hustedt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002685, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, wenn es sein muss.

Rainer Funke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000624, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin, nach Ihrer fulminanten Rede habe ich fast den Eindruck, dass Sie durchaus bereit sind, dem Antrag des Bundeswirtschaftsministeriums und der Bundesregierung zur Verlängerung der Lizenz nicht die Zustimmung zu geben. Wie werden Sie sich denn nun verhalten, wenn der Antrag der Bundesregierung eingebracht wird, das Gesetz zu ändern und die Exklusivlizenz zu verlängern? ({0})

Michaele Hustedt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002685, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Da hat Herr Schmidt völlig Recht: Ein bisschen Spannung muss sein. Ich habe es in meiner Rede sehr deutlich gesagt: Wir sind zurzeit mitten in der Diskussion über diese Frage. ({0}) Wir führen sie sehr solidarisch und gemeinschaftlich und werden selbstverständlich - so ist es in der Politik - einen Kompromiss finden. ({1}) - Nein, ich eiere nicht. Sie haben eben genau dargestellt, wie es damals gewesen ist ({2}) und wie sich die F.D.P. verhalten hat: Sie wollte das Briefmonopol wesentlich früher aufgeben, hat dem Antrag dann aber doch zugestimmt. Haben Sie damals geeiert? ({3}) Nein, Sie haben sich so verhalten, wie man sich in der Politik meistens verhält, wenn es unterschiedliche Vorstellungen gibt: Man sucht einen Kompromiss. Das werden wir in diesem Punkt genauso tun. ({4}) Abschließend warne ich gerade Sie von der F.D.P. davor, die Backen so aufzublasen. - Wie gesagt: Ich werde das Abstimmungsverhalten der Bundesländer haargenau beobachten. - Denn sonst enden Sie genauso wie bei der Steuerreform, dass Sie nämlich als Tiger losspringen und als Bettvorleger landen. Danke. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat der Kollege Gerhard Jüttemann von der PDS-Fraktion das Wort.

Gerhard Jüttemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002693, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor wenigen Wochen ist bekannt geworden, dass die Deutsche Post AG 12 000 Arbeitsplätze im Bereich Verkehr auslagern wird. Das wird das Aus für 12 000 tarifvertraglich und sozial geschützte Arbeitsplätze bedeuten. ({0}) Die Postgewerkschaft nennt dieses Vorhaben zu Recht einen „platten Ausverkauf des Fahrdienstes“, der nicht hinzunehmen sei. ({1}) Ersetzt werden sollen die vernichteten Arbeitsplätze durch Billigjobs. Das ist das Ergebnis Ihrer Privatisierungs- und Liberalisierungspolitik im Postbereich: maßloses Lohn- und Sozialdumping. Erst zu Anfang dieses Jahres ist bei der Post ein neuer Tarifvertrag in Kraft getreten, der bei allen Neubeschäftigten zu gewaltigen Lohneinbußen führt. Hätten die Gewerkschaften ihm nicht zugestimmt, wären weitere Tausende Arbeitsplätze ausgelagert worden. „Auslagern“ heißt aber, wie wir gerade gesehen haben, nichts anderes als vernichten. Das, was Sie schönfärberisch Wettbewerb nennen, zersetzt das soziale Gefüge der Bundesrepublik. Das Tempo dieses sozialen Kahlschlages erhöht sich dabei in einer Weise, die noch vor kurzem kaum jemand für möglich gehalten hätte. Zwischen 1995 und 2000 wurden laut Regulierungsbehörde 71 000 Arbeitsplätze bei der Post platt gemacht. Natürlich drückt sich die Behörde vornehmer aus; sie nennt das „Personalanpassung“. Warum, das werden wir gleich sehen. Jedenfalls stehen dieser unglaublichen Zahl von 71 000 vernichteten Arbeitsplätzen insgesamt nur schlappe 27 000 Arbeitsplätze bei der Konkurrenz im Briefbereich gegenüber. Wie sehen die neuen Arbeitsplätze aus, die durch den Wettbewerb entstehen? ({2}) Von den 27 000 Beschäftigten handelt es sich bei 16 000 um geringfügig Beschäftigte ohne Sozialversicherungspflicht. So sieht die Qualität von 60 Prozent aller bei den Konkurrenten entstandenen Arbeitplätze aus. Diesen Skandal nennt die Regulierungsbehörde der Bundesregierung vornehm „Personalanpassung“. Nun kommt noch etwas hinzu: Der gewaltige Stellenabbau bei der Deutschen Post AG hatte bisher direkt mit der Konkurrenz noch gar nichts zu tun; denn im Briefbereich gab es weder Umsatz- noch Absatzrückgänge. Im Gegenteil, es gab sogar Zuwächse. Nun kommt die F.D.P. und fordert das Ende der Exklusivlizenz zum Ende des Jahres 2002, damit es infolge der Konkurrenz der Turnschuhbrigaden endlich zu den lang ersehnten Umsatzund Absatzeinbußen kommt und damit die schon jetzt unerträgliche Entlassungswelle bei der Deutschen Post AG zur unbeherrschbaren Lawine wird. Übrigens ist Ihr Antrag nicht nur inhaltlich, sondern auch formal überflüssig. Schließlich läuft der reservierte Bereich laut Postgesetz ohnehin Ende 2002 aus. Was wir wirklich brauchen, ist also nicht Ihren Antrag, sondern die Änderung des Postgesetzes, um das zu verhindern. Was derzeit aus dem Wirtschaftsministerium dazu zu vernehmen ist, klingt vernünftig. Inzwischen geht ja selbst die Europäische Kommission davon aus, dass der Rückgang der Gesamtbeschäftigung im Postsektor bis 2007 anhalten werde. Als Grund führt sie an - ich zitiere -, „dass der Stellenabbau durch Effizienzsteigerungen größer ist als das durch das Marktwachstum bewirkte Plus“. Die Kommission hat deshalb eine Beschäftigungsstudie in Auftrag gegeben, in der nachgewiesen wird, dass die privaten Postkonkurrenten schlechtere Beschäftigungsbedingungen anbieten. Die Arbeitszeiten seien länger, die Grundlöhne geringer und der gewerkschaftliche Organisationsrat sei erheblich niedriger. Der europäische Ausschuss für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten hat deshalb eine weiter gehende Liberalisierung entschieden abgelehnt. Die Auswirkungen der vollständigen Liberalisierung auf die Erbringung des Universaldienstes sind bisher überhaupt noch nicht untersucht worden. Werden wir unterschiedliche Preise für gleiche Produkte bekommen? Welche Nachteile wird es in ländlichen Regionen geben? Auch in Deutschland liegen dazu keine Untersuchungen vor, wie auch die sozialen Folgen für die Beschäftigten in Deutschland nicht im Vorhinein untersucht werden. Doch das ist die Forderung, die heute erhoben werden muss: Untersuchen Sie die Folgen Ihrer sozialfeindlichen Postpolitik! Ich danke. Denken Sie einmal darüber nach! ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Jetzt hat der Kollege Klaus Barthel von der SPD-Fraktion das Wort.

Klaus Barthel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002622, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nachdem Elmar Müller selber die Stichworte „gesamtwirtschaftliche Verantwortung“ und „Telekom“ in die Debatte eingeführt hat, muss ich an dieser Stelle auf einen Vorgang eingehen, der auf den ersten Blick nicht unmittelbar mit dem heutigen Thema zusammenzuhängen scheint, der mich aber sehr beunruhigt und der letztlich auch in einem sehr engen Sachzusammenhang mit dem steht, was wir heute diskutieren. Bisher habe ich Sie, Kollege Müller, für einen soliden Kollegen gehalten, mit dem man zwar nicht immer einer Meinung ist, der aber noch Maß und Ziel kennt. ({0}) Was wir aber vorgestern Abend im „Heute-Journal“ sehen und hören mussten, steht außerhalb des Hinnehmbaren. Deswegen frage ich Sie heute: Stimmt es, Herr Müller, dass Sie der Ansicht sind, der deutsche Telekommunikationsmarkt sei nicht offen genug für US-amerikanische Unternehmen? Stimmt es, dass Sie es richtig finden, dass man die Deutsche Telekom am Zugang zum Markt in den USA hindern soll, damit sie in Deutschland gefügiger wird? Stimmt es, dass Sie US-amerikanischen Stellen verzerrte und einseitige Informationen über die Situation auf dem deutschen Markt zukommen lassen, die dann von den Protektionisten vom Schlage des Senators Hollings missbraucht werden, um den Zugang der Deutschen Telekom zum US-amerikanischen Markt zu verhindern? ({1}) Stimmt es, dass Sie die unglaublichen Schikanen, denen ausländische Unternehmen in den USA unterworfen sind - mittlerweile dauert es dort über ein Jahr, bis eine Unternehmensübernahme genehmigt wird -, auf eine Ebene mit der deutschen Regulierungspolitik zerren, die - wohlgemerkt - für den deutschen Telekommunikationsmarkt, auf dem sich US-amerikanische Unternehmen, für die die Deutsche Telekom sogar die Gebühren eintreibt, begrüßenswerterweise mit großer Intensität und völlig ungehindert tummeln, zuständig ist? ({2}) Stimmt es, dass Sie der Ansicht sind, dass der Wettbewerb so aussehen muss, dass Polizei und Geheimdienste, Regulierungsbehörden und Parlamente, Regierungskommissionen und Gerichte bei staatlicher Beteiligung an ausländischen Unternehmen prüfen und prüfen müssen, ob das nationale Interesse bei Unternehmenskäufen gewahrt bleibt? ({3}) Stimmt es, dass Sie sich bei derartigen Auswüchsen auch dadurch zum Kronzeugen der US-amerikanischen Protektionisten machen lassen, indem Sie Schauermärchen über den deutschen Markt und angebliche Machenschaften der Bundesregierung und der SPD verbreiten? ({4}) Es gibt nur zwei Möglichkeiten, Kollege Müller: Entweder Sie distanzieren sich von den dubiosen Aktivitäten des VATM und seiner Anwälte in den USA, bei denen Sie als Informant und Ratgeber genannt werden, ({5}) und fordern, dass der US-Markt für europäische Unternehmen endlich genauso zugänglich wird, wie das umgekehrt der Fall ist, oder Sie sind in Ihrer Rolle als Vorsitzender des Beirates der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post nicht mehr tragbar. Ich hoffe in unserem gemeinsamen Interesse, Sie schaffen ersteres. ({6}) Um dasselbe Thema, nämlich um die internationale Vergleichbarkeit von Marktzutrittschancen und faire Wettbewerbsbedingungen auf internationalen Märkten, geht es auch in der heutigen postpolitischen Debatte. Leider haben wir auch im Postsektor Ähnliches erlebt wie mit Elmar Müller im Telekommunikationsbereich. Ich meine - Herr Funke wird sich sicher erinnern - die Erscheinung, dass deutsche Parlamentarier - zumindest bei einem ist es nachgewiesen - die Deutsche Post und die deutsche Bundesregierung in Brüssel wegen angeblicher Quersubventionierung angeschwärzt haben. Ich stelle jetzt einmal fest: Schon heute hat die Bundesrepublik einen der offensten nationalen Postmärkte in der Europäischen Union. Schauen wir uns die Situation in Europa einmal an: In 13 von 15 Ländern gibt es reservierte Bereiche; in elf Ländern ist der reservierte Bereich größer und nur in einem kleiner als in Deutschland. In nur einem weiteren Land ist die Post nicht mehr ausschließlich in staatlichem Besitz. In nur einem weiteren Land ist die Exklusivlizenz bisher befristet. In nur drei weiteren Ländern gibt es einen Netzzugang für Wettbewerber. In fünf nicht unwesentlichen Ländern gibt es einen offen zugegebenen Transfer vom Staat in die nationalen Postunternehmen. In kaum einem Land in Europa gibt es Pläne oder Tendenzen in Richtung auf eine weitere Liberalisierung und Privatisierung der Postmärkte. ({7}) Sie sagen, es gebe seit 1997 keine neue Situation. Das ist doch absolut lachhaft. Ich frage Sie: Weshalb sollte sich daran etwas ändern, wenn der deutsche Markt geöffnet wird, wenn die schon vorgezogene Liberalisierung bisher in dieser Richtung nichts bewirkt hat? Sie führen an dieser Stelle immer Finnland und Schweden als Beispiele an und sagen, dort sei alles liberalisiert. Diese Länder sind Ihre großen Vorbilder. Wie wäre es denn mit ein paar Fakten? In Schweden sind seit der Marktöffnung 1993 die Porti für Briefe inklusive Mehrwertsteuer um 60 Prozent gestiegen. Dies geschah trotz der Behauptung der F.D.P., durch eine Liberalisierung werde alles billiger. In Schweden steht der Wettbewerb auf dem Papier. Trotz formaler Marktfreigabe werden 95 Prozent aller Briefe von der Staatspost ausgeliefert. Es gibt keine asymmetrische Regulierung. Die schwedische Post hat über 41 000 Beschäftigte. Sie ist ein staatliches Unternehmen und wirft keinen Gewinn ab. Rechnet man einmal die Beschäftigtenzahl der schwedischen Post auf die Bevölkerungszahl und Wirtschaftskraft Deutschlands um, müsste die Deutsche Post AG 370 000 Beschäftigte haben. Sie hat aber ein Drittel weniger, nämlich 240 000 Beschäftigte. Schweden liegt am Rand Europas, hat 9 Millionen Einwohner und weite ländliche Räume. Deutschland in zentraleuropäischer Lage hat eine neunmal so große Bevölkerung. Jetzt frage ich Sie von der F.D.P.: Weshalb kann man wohl in Schweden den Markt so leicht liberalisieren? Weshalb ist es wohl ein Unterschied, ob man den schwedischen oder den deutschen Markt öffnet? Warum haben die postalischen Global Player und die Mittelständler so große Lust auf Lappland? ({8}) Sind Sie bereit, mit uns zusammen eine Wirtschafts- und Sozialpolitik nach dem schwedischen Modell zu machen, bei dem die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer keine Angst vor Umstrukturierungen haben müssen, weil es dort massive sozialstaatliche Sicherungen gibt? Wenn wir nun nicht mehr von Schweden reden wollen, dann reden wir von halbwegs vergleichbaren europäischen Ländern. Warum ist man in Italien, in Frankreich und in Großbritannien so wenig zu weiteren Marktöffnungen geneigt? Das liegt daran, dass die Lage dort anders als in Schweden ist. Diese Länder wissen aus Erfahrungen im eigenen Land, dass die Liberalisierung bei der Post eben nicht der große Renner und deren Akzeptanz in der Bevölkerung gering ist. In Großbritannien hat nicht nur die Regierung gewechselt, auch die Stimmung ist zugunsten des Erhalts der Post als öffentliches Unternehmen Klaus Barthel ({9}) und zugunsten eines reservierten Bereiches völlig umgekippt. Warum sind auch wir gut beraten, mit der Postliberalisierung vorsichtig umzugehen? Erstens. Das viel strapazierte Beispiel der Telekommunikation passt überhaupt nicht. Die Telekommunikation und ihr Umfeld in der IuKBranche wachsen volumen- und umsatzmäßig dynamisch. Marktanteilsverluste können dort durch Volumenund Umsatzzuwächse leicht aufgefangen werden. Nur ein Beispiel: In den letzten drei Jahren hat sich das Verkehrsvolumen im Festnetz um insgesamt 60 Prozent erhöht, allein im letzten Jahr um 26 Prozent. Die Deutsche Telekom konnte in diesen drei Jahren ihr Volumen um rund 25 Prozent erhöhen, obwohl ihr die Wettbewerber einen Marktanteil von 22 Prozent abgenommen haben. Ich frage Sie: Ist hier irgendjemand im Raum, der eine ähnliche Prognose für den Postsektor treffen möchte? Das bedeutete 60 Prozent mehr Briefe, mehr Massensendungen und mehr Pakete in drei Jahren. Das wäre ein volumenmäßiges Wachstum von 20 Prozent im Jahresdurchschnitt. Das ist ebenso wahrscheinlich wie die 18 Prozent für die Drei-Pünktchen-Partei. Zweitens. Im Postsektor gibt es durchaus Wachstumschancen. Derzeit bewegt sich das jährliche Volumen- und Umsatzwachstum bei 2 Prozent im Jahr. Das mögliche Wachstum wird aber nicht durch die Exklusivlizenz behindert, weil dieses nicht in das Drittel des reservierten Postmarktes fällt, sondern in den freigegebenen Bereich. Sie haben selber die Beispiele genannt. Es wird niemand daran gehindert, Prospekte auszutragen oder beim Paketservice Mehrwertdienste anzubieten. Drittens. Was heißt das also? Bei einer zu raschen Liberalisierung würde in dem bisher geschützten Monopolbereich ein Verdrängungswettbewerb stattfinden - kein Zuwachs an Qualität, sondern Überlebenskampf durch Lohn- und Sozialdumping sowie ein Abbau von Leistungen gegenüber den Kunden. Viertens. Noch ein Wort zu den selbst ernannten Mittelstandspolitikern aus der F.D.P. und der Union: Sie tun immer so, als sei die schnelle Marktöffnung eine Chance für kleinere und mittlere Unternehmen. Das ist ein Märchen und das wissen die UPS-Berater auch. Nur eine schrittweise und harmonisierte Öffnung kann, wenn überhaupt, den kleinen und mittleren Unternehmen eine Chance geben. Wenn wir dagegen im Jahre 2003 auf einen Schlag einseitig unseren Markt öffnen, dann ist das die Stunde der Post- und Logistikkonzerne aus den Nachbarländern. Die kleinen und mittleren Unternehmen können nicht auf einen Schlag 600 Millionen DM aufbringen - Frau Hustedt hat es schon angesprochen -; dies können nur große Unternehmen. Wir hätten dann Verhältnisse wie im Güterfernverkehr und auf den Baustellen: organisiertes Lohnund Sozialdumping zulasten der Sicherheit, zulasten des Mittelstandes, zulasten der Kunden, zulasten der Infrastruktur und zulasten der Arbeitsplätze. Das wäre ein fliegendes Suizidkommando und das geht mit uns nicht. ({10}) Nur mit einer schrittweisen, sozial flankierten und mit einer konsequenten Bekämpfung illegaler Praktiken sowie der Sicherung des Universaldienstes verbundenen, europäisch abgestimmten Liberalisierung können wir diesen Tendenzen begegnen. Wir laden alle recht herzlich ein, uns auf diesem Weg zu begleiten. Wir haben die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass insbesondere der Bundesrat zum Beispiel bei der Frage der Infrastruktur noch an die Länderinteressen denkt. Rechtlich ist eine Verlängerung des reservierten Bereichs, beispielsweise bis zum Jahre 2007, völlig unproblematisch. Ein Blick in das Gesetz und die Erinnerung an das Vermittlungsverfahren zum Postgesetz von 1997 - Stichwort § 47, Herr Funke, auch wenn Sie sich immer nur an die eine Seite des Kompromisses erinnern können - ersparen uns sinnlose Debatten. Zum Schluss, damit wir uns richtig verstehen: Für uns ist ein reservierter Bereich für ein privates Unternehmen weder eine Ideallösung noch ein Dauerzustand. Ein reservierter Bereich für sich allein bewirkt nichts anderes als Einnahmensicherheit. Aber die Entwicklungen bei der Deutschen Post - Stichworte: Benachteiligung ländlicher Räume durch Mindestvolumen bei Wurfsendungen, Outsourcingpläne in der Sparte Transport und Unterlaufen der Universaldienstverordnung - verfolgen wir mit Sorge und Kritik. Die Ziele und Zwecke des reservierten Bereichs sind und bleiben für uns klar - und wir werden sie durchsetzen -: Kundeninteresse, Infrastruktur und Arbeitsplätze. Es wird also keinen Freibrief für die Post AG geben, und zwar weder bei der Höhe des Portos ab 2003 noch bei den anderen genannten Bereichen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Kommen Sie bitte zum Schluss!

Klaus Barthel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002622, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wie Sie wissen, planen Koalitionsfraktionen und Regierung eigene Initiativen zum weiteren Vorgehen in der Postpolitik. Unter Hinweis darauf und in der Hoffnung, dass gemeinsames Nachdenken doch noch zur Einsicht führt, weisen wir den F.D.P.-Antrag heute nur inhaltlich zurück, stimmen aber einer Überweisung an die Ausschüsse zu. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem Kollegen Elmar Müller.

Elmar Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001546, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Barthel, Sie hatten etwas angesprochen, das mich, wie viele andere auch, seit 24 Stunden amüsiert. Ich habe es persönlich nicht gesehen, aber angeblich soll ein Unternehmer in Washington vor einer Behörde auf und ab gesprungen sein und mit einem Papier gewedelt haben, das von mir stammen soll. Ich will Ihnen nun sagen, was zwischen mir, nachdem ich als Mitglied des Beirats der Regulierungsbehörde anKlaus Barthel ({0}) gegangen worden bin, und der FCC an Austausch erfolgt ist: Anfang Dezember des vergangenen Jahres erreichte mich ein Anruf aus Washington, in dem mir mitgeteilt wurde, es gebe in den amerikanischen Zeitungen eine Diskussion über dieses Thema. Man wollte wissen, wie denn das Ganze zustande gekommen sei, da man die Vorgänge nicht ganz verstehe. Ich habe daraufhin geantwortet, seit 14 Tagen werde in den Wirtschaftsabteilungen der Zeitungen ein Papier diskutiert, das von dem Kollegen Barthel stamme, welches am 4. Dezember veröffentlicht und außerdem ins Internet gestellt worden sei. In diesem Papier bringe die große Regierungspartei zum Ausdruck, die Regulierung bei Post und Telekom müsse überprüft und zurückgefahren werden, und dagegen hätten sich nicht nur ich, sondern auch eine ganze Menge von Wirtschaftssachverständigen gewehrt. Die Frage, ob man dieses Papier haben könne, habe ich mit Ja beantwortet. Ich habe dieses Papier kommentarlos nach Washington gefaxt. Dieses Papier war das Einzige, was zwischen mir und dieser Einrichtung ausgetauscht worden ist. Herr Kollege Barthel, ich frage Sie: Ist es denn wirklich eine Schande, ein Papier eines Mitglieds einer Regierungsfraktion im Austausch zwischen deutschen und USamerikanischen Parlamentariern - ich sage es noch mal: ohne jeglichen Kommentar von mir - nach Amerika zu faxen? Ist ein solches Papier, das von der SPD-Fraktion am 4. Dezember des vergangenen Jahres veröffentlicht worden ist, etwa so geheim, dass man es den Kollegen jenseits des Atlantiks nicht zur Kenntnis bringen darf? Wie verhält es sich also mit solchen Papieren? Ich habe heute Nachmittag gehört, dass dieses Papier offensichtlich nicht ganz autorisiert war und dass ihm in den vergangenen Tagen die Zähne gezogen worden sind. Ich kenne allerdings die Neuauflage dieses Papiers nicht. Auf alle Fälle, Herr Kollege Barthel, bestand der einzige Kontakt zwischen mir und einem Anwalt in Washington in dem Austausch Ihres Papiers.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Barthel zur Erwiderung.

Klaus Barthel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002622, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Müller, es geht überhaupt nicht um dieses Papier; denn dieses stand nicht im Zusammenhang mit dem Bericht des ZDF im „Heute-Journal“. Sie sollten sich einmal anschauen, wie der Sachverhalt in diesem Bericht dargestellt worden ist und wie Sie dort zitiert worden sind. In den Berichten, die in die USA gelangt sind, werden Sie nicht primär mit irgendwelchen Aussagen zu meinem Papier, sondern mit Aussagen über die Offenheit des deutschen Telekommunikationsmarktes und damit zitiert, dass Sie die dort herrschenden Zustände bedauert haben. Dort hieß es, Sie hätten versucht, Benachteiligungen und Einschränkungen glaubhaft zu machen, die es angeblich auf dem deutschen Telekommunikationsmarkt gebe. Damit haben Sie für die US-amerikanischen Beobachter indirekt die Legitimation geliefert, die Deutsche Telekom auf ihrem Weg in die USA zu behindern. Wenn das alles nicht stimmt und Ihre Aussagen falsch wiedergegeben worden sind, was durchaus sein kann - wir wissen ja, wie das manchmal läuft -, dann bitte ich Sie dringend: Schauen Sie sich den Bericht genau an; stellen Sie das Ganze schriftlich klar und distanzieren Sie sich von dem, wofür Sie in Anspruch genommen worden sind. Wenn Sie das tun, müssen wir über die Sache hier nicht weiter reden. Aber angesichts der heiklen Situation, in der wir uns befinden, erwarte ich von Ihnen, dass Sie eine deutliche Haltung zu dieser Sache einnehmen. Darum ging es mir und um nicht mehr.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 14/5333 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf: 10. Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Uta Zapf, Brigitte Adler, Rainer Arnold, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Winfried Nachtwei, Dr. Uschi Eid, Angelika Beer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Förderung der Handlungsfähigkeit zur zivilen Krisenprävention, zivilen Konfliktregelung und Friedenskonsolidierung - Drucksachen 14/3862, 14/5283 Berichterstattung: Abgeordnete Uta Zapf Clemens Schwalbe Ulrich Irmer Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat das Wort zu diesem Tagesordnungspunkt die Kollegin Uta Zapf von der SPD-Fraktion.

Uta Zapf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002582, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Titel des Tagesordnungspunktes, den der Präsident gerade vorgelesen hat, hat heute tragische Aktualität erlangt, weil eine Situation eingetreten ist, die beweist, wie dringend die Förderung von Krisenprävention und Krisenbewältigung ist: Die Eskalation der Gewalt in Mazedonien, die wir heute in den Nachrichten sehen konnten - ich nehme an, einige von Ihnen haben die Nachrichten vernommen -, zeigt, dass wir noch ein großes Stück zu gehen haben und dass das, was wir bisher auf dem Balkan getan haben, noch immer nicht ausreicht. Elmar Müller ({0}) Ich lese ein paar Schlagzeilen vom heutigen Morgen vor: „Konflikt greift auf Mazedonien über“, „Albanische Extremisten liefern sich heftige Gefechte mit der mazedonischen Armee“, „Verteidigungsminister“ - gemeint ist der mazedonische - „sieht Land am Rande eines Krieges“, „Blutige Gefechte verschärfen Krise in Mazedonien“, „Mazedonische Minderheiten flüchten aus Tetovo“. Deshalb, lieber Kollege Irmer, hoffe ich, dass Sie heute nicht wieder dasselbe Urteil über ein solches Konzept der Krisenprävention fällen, wie Sie das das letzte Mal gemacht haben; denn es ist kein „Schmarren“, und es ist keine „weiße Salbe auf eine grüne Seele“. ({1}) Wenn es an dieser Stelle um eine Seele geht, dann um die rot-grüne; denn sowohl die Grünen als auch wir als Sozialdemokraten haben uns seit Jahren um diesen Bereich gekümmert, als noch niemand dieses Wort richtig aussprechen konnte - zu Recht, wie ich denke. Es ist auch gut, dass diese Koalition endlich angefangen hat, diese Dinge in die Hand zu nehmen und auf allen Ebenen zu entwickeln. Das, was wir wollen, ist keine Heilsarmee von „Gutmenschen“ und Fernethikern. Es geht um Instrumente, die dringend notwendig sind, um Mord und Totschlag zu verhindern - wenn es uns denn gelingt. Was wir wollen, sind auch keine gläsernen Weihnachtszwerge mit Korkhämmern, die „Frieden, Frieden“ schreien. Ich denke, wir müssen dieses Thema wirklich ernster nehmen, als Sie, lieber Kollege, das zu meiner großen Enttäuschung beim letzten Mal getan haben. ({2}) Vielleicht hilft die aktuelle Situation, dieses etwas ernster zu nehmen, endlich auch mehr dafür zu tun und entsprechend zu handeln. Das, was da passiert, ist doch ein Beweis dafür, dass die internationale Staatengemeinschaft immer noch unvollkommen mit den vorhandenen Instrumenten zur Friedenskonsolidierung und Krisenprävention umgehen kann. Wenn Rolf Paasch am 13. März in der „FR“ schreibt, dass das, was da passiert, ein Armutszeugnis für die NATO in Sachen Friedensmission sei, dann ist dieses Urteil sicher nicht richtig, aber dann beweist das doch die Notwendigkeit der Weiterentwicklung und der Verbesserung der Instrumente und der Konzepte. Wir müssen in dieser Situation schneller und einiger reagieren, als sich das - leider - bisher abzeichnet. Ich denke, ein Eingreifen der internationalen Staatengemeinschaft mit Polizei und Sicherheitstruppen, um eine weitere Eskalation zu verhindern, ist dringend angesagt. Dann müssen wir uns überlegen: Was haben wir vielleicht in diesem Zusammenhang falsch gemacht? Die halbherzige Entwaffnung der UÇK im Kosovo zum Beispiel haben wir alle mit Unbehagen gesehen. Dass da so eine Art technisches Hilfswerk in Form des KosovoSchutzkorps aufgestellt worden ist, war uns auch nicht so ganz geheuer. Jetzt erweist sich, welche Fehler und Mängel dort passiert sind. Es wäre ein Demobilisierungsprogramm mit einer echten Zukunftsperspektive für die jungen Menschen angesagt gewesen. Aber im Moment sieht es ganz anders aus. Das macht mir tiefe Sorge. Beim KPC und bei dem einzigen größeren Arbeitgeber, dem Energieunternehmen KEK, wo auch lauter ehemalige UÇK-Kämpfer untergekommen sind, wird es eine Entlassungswelle geben, sodass in den nächsten zwei Jahren circa 5 000 bis 7 000 ehemalige Kämpfer auf der Straße stehen werden, ohne Arbeit, ohne Perspektive, ohne Zukunft. Was das in einer Situation bedeutet, da die Konflikte, die wir dort zu beruhigen versuchen, immer noch schwelen und an der einen oder anderen Stelle eskalieren, das brauche ich Ihnen, glaube ich, nicht auszumalen. ({3}) Es gibt also mehr als genug Alarmsignale, die uns veranlassen sollten, jetzt diese Konzepte weiterzuentwickeln, weiter auszubauen und in diesem Bereich Ernst zu machen. Der Kollege Clemens Schwalbe, der beim letzten Mal für die CDU geredet hat, hat beklagt, dieser Antrag tue so, als werde Prävention hier erstmals propagiert. Das ist natürlich nicht richtig. Das meint dieser Antrag auch nicht. ({4}) Aber dieser Antrag lobt die Bundesregierung mit Recht, weil sie eine konsequente nationale und internationale Politik der Prävention und des Krisenmanagements eingeleitet, konsequent aufgebaut und weitergeführt hat. Sie gedenkt dies auch in Zukunft zu tun. ({5}) Wir versuchen, mit diesem Antrag Bausteine dazu zu liefern. Aber jeder ist eingeladen, an diesem Konzept mitzuarbeiten und es weiterzuentwickeln. Wir brauchen eine Gesamtstrategie für Prävention und Konfliktbearbeitung, die umfassend und ressortübergreifend sein muss. Eine solche Strategie - das sehen wir an jeder Stelle - ist nur im internationalen Rahmen wirksam. Ich nenne einige Stichworte aus dem Grundsatzpapier der Bundesregierung „Krisenprävention und Konfliktbeilegung“, um klarzumachen, was zu einem solchen Gesamtkonzept gehört: Dazu gehört - das ist ein ganz schwieriger Punkt - eine Fortentwicklung des Völkerrechts. Darüber sind wir uns alle einig. Dazu gehört eine Verrechtlichung der Konfliktaustragung. In diesem Punkt sind wir uns mit dem Internationalen Gerichtshof und anderen Schlichtungsformen ein Stück weit einig. Aber auch das garantiert noch keinen Erfolg. Dazu gehört eine integrierte Entwicklungspolitik. Das heißt, dass wirtschaftliche, soziale und ökologische Aspekte sowie Rechtsstaatlichkeit in andere Politiken - auch auf EU-Ebene - integriert und besser koordiniert werden müssen. Dazu gehört Abrüstung und Rüstungskontrolle. Dazu gehört schließlich der Aufbau von zivilen Strukturen der Konfliktbearbeitung unter Einbeziehung der NGOs. Ein guter Teil unseres Antrages beschäftigt sich mit diesem Feld. Das ist insofern gerechtfertigt, weil es sich um Organisationen handelt, die von den Konflikten und von den Zuständen vor Ort sehr viel Ahnung haben; deshalb ist die Kooperation mit diesen Organisationen dringend erforderlich. ({6}) Wir brauchen den Aufbau einer Infrastruktur, wie er jetzt begonnen worden ist. Meines Erachtens besteht darin die zentrale Leistung der Bundesregierung in diesem Bereich. Wir brauchen zudem eine Integration in die internationalen Strukturen. Auf der EU-Ebene haben wir mit dem zivilen Ausschuss für Konfliktprävention begonnen - auch das ist ein großes Verdienst dieser Bundesregierung -, eine solche Infrastruktur zu schaffen, genauso wie auf der OSZE-Ebene. Der zivile Friedensdienst, den die CDU 1997 noch abgelehnt hat, und das Ausbildungsprogramm für die zivilen Experten integrieren sich in diese Strukturen. Das ist auch so beabsichtigt, weil es anders gar nicht geht. Ich bin froh, dass wir heute, anders als zum Beispiel zum Zeitpunkt der Kosovo-Verifikationsmission, einen Personalpool haben und nicht mehr in die Situation kommen könnten, die gegenüber der Mission zugesagten 80 Personen über Monate hinweg mühsam suchen zu müssen. Es gibt im Auswärtigen Amt ein Krisenreaktionszentrum und einen Sonderbeauftragten für die Krisenprävention. Sie arbeiten mit all den anderen Instanzen, die zum Beispiel bei der OSZE oder bei der UNO angesiedelt sind, zusammen. Im Übrigen müssen wir berücksichtigen, dass die UNO - eine Entscheidung über den Brahimi-Report steht aus - in diesem Sinne gestärkt und weiterentwickelt werden muss. Natürlich wird das Geld kosten. Aber wie viel mehr wird es kosten, wenn immerfort Kriege geführt werden? Irgendjemand Schlaues hat einmal ausgerechnet, dass der Jugoslawien-Konflikt bisher insgesamt eine dreistellige Milliardensumme gekostet hat. Wenn wir das irgendwo im Hinterkopf haben, dann werden wir nicht mehr so knickrig sein. Dies muss auch unsere Haushaltsberatungen berühren. ({7}) Ich plädiere sehr dafür, dass wir dieser Erkenntnis, die wir alle haben, in Zukunft auch insofern Rechnung tragen, als wir in unseren Haushalten zusätzliche Gelder einstellen. Ich finde es angesichts der vorhandenen Konflikte erfreulich - das muss man vielleicht wirklich einmal laut sagen -, dass innerhalb der europäischen Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik beide Elemente, nämlich das militärische und das zivile Element, damit also das präventive, berücksichtigt worden sind. Das, was wir heute im Fernsehen gesehen haben und morgen in der Presse lesen können, beweist doch, dass wir zwar ohne den militärischen Fuß nicht auskommen, dass es aber ohne den zivilen überhaupt nicht geht. Wir brauchen zivile Maßnahmen, um weit im Vorfeld zu vermeiden, dass Gewalt ausbricht und dann militärisch reagiert werden muss. Wir brauchen zivile Maßnahmen aber auch, um ausgebrochene Gewalt einzudämmen und in eine Situation zu kommen, in der Frieden wieder aufgebaut werden kann. Ich bin froh, dass diese Konzeption der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik nicht rein militärischer Art ist, sondern ihr der erweiterte Sicherheitsbegriff zugrunde liegt, der all das, was ich vorher gesagt habe, in Bezug auf Entwicklungspolitik, auf Ökonomie und auf soziale Zustände, berücksichtigt. Meine Damen und Herren, ich glaube, dass ein wichtiges Problem noch nicht gelöst ist - etwas, was wir nicht anders lösen können als durch einen ständigen offenen Diskurs über das Problem -, nämlich die Akzeptanz von internationaler Konfliktvermittlung in Fällen, in denen sich Kontrahenten gegenüberstehen und selber nicht zu einer friedlichen Lösung kommen. Das ist auch der Grund dafür, dass die Beratungen über den Brahimi-Bericht im Moment ins Stocken geraten sind. Wir sollten dazu beitragen, dass die Akzeptanz solcher Vermittlung und auch der Wille der Konfliktparteien zur Annahme dieser gestärkt wird. Dem entgegen steht immer der Souveränitätsgedanke; dieser stellt ein großes Hindernis dar.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Kommen Sie bitte zum Schluss!

Uta Zapf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002582, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bin sofort beim letzten Satz meiner Rede. - Meine Damen und Herren, wir wissen, dass alle diese Instrumente, die ich eben dargestellt habe, im Zweifelsfall nicht ausreichen und keine Garantie darstellen. Wenn wir aber nicht alle Instrumente stärken und nutzen, die im Rahmen eines solchen umfassenden Sicherheitsbegriffes zur Verfügung stehen, dann werden wir keine Chance haben, durch Konfliktprävention zukünftig Leid und Elend da, wo wir es können, zu verhindern. Ich danke Ihnen. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Ruprecht Polenz von der CDU/CSUFraktion.

Ruprecht Polenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002751, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Quintessenz des vorliegenden Antrags der Koalitionsfraktionen lässt sich in einem Satz zusammenfassen: Vorbeugen ist besser als heilen. Wer wollte dieser Lebensweisheit widersprechen? Natürlich haben Sie Recht, wenn Sie schreiben: Die Chancen, humanitäre Krisen, Kriege oder gewalttätige Konflikte erfolgreich zu verhindern, sind am größten, wenn auf der Grundlage einer fundierten und permanenten Konfliktanalyse frühzeitig gehandelt wird. Es ist auch richtig, um einen weiteren unstrittigen Punkt zu nennen, dass wir es, wie Sie in Ihrer Analyse feststellen, heute weniger mit bewaffneten Konflikten zwischen Staaten zu tun haben, sondern dass das Gros der heutigen bewaffneten Konflikte innerstaatlicher Natur ist. Auch sonst stehen auf den neun Seiten Ihres Antrages viele Punkte, die seit langem unstrittig sind, wie etwa das Erfordernis einer Stärkung und Mitgestaltung der multilateralen und europäischen Entwicklungszusammenarbeit im Bereich von Krisenprävention und ziviler Konfliktbearbeitung. Ich habe mich angesichts so vieler Selbstverständlichkeiten gefragt, weshalb Sie das alles in einem Antrag aufschreiben. Sie mögen mich umgekehrt fragen, warum wir Ihrem Antrag nicht zustimmen, obwohl auch Richtiges drinsteht. Auf beides will ich eine Antwort geben. Warum stellen Sie den Antrag? Der Hauptgrund ist, dass die rot-grüne Basis nach der militärischen Intervention im Kosovo beruhigt werden musste. ({0}) Jahrelang hatten Sie der alten Bundesregierung eine Militarisierung der Außenpolitik vorgeworfen. Der Vorwurf war zwar falsch, böswillig und völlig unbegründet, er drohte sich aber wegen der Intervention im Kosovo gegen Sie selbst zu wenden. Frau Beer und der Außenminister können ein Lied davon singen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Polenz, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Zapf?

Ruprecht Polenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002751, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gerne.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte, Frau Zapf.

Uta Zapf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002582, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Polenz, ich möchte Sie fragen, ob Ihnen entgangen ist, dass schon in der letzten Legislaturperiode von der SPD ein ziemlich ähnlicher Antrag in den Bundestag eingebracht worden ist, der dann leider der Diskontinuität am Ende der Legislaturperiode anheim gefallen ist. Ist Ihnen das entgangen? Würden Sie angesichts einer vielleicht wieder aufgefrischten Erinnerung immer noch behaupten, dass dieser Antrag als Placebo für rot-grüne Klientel gedacht sei? ({0})

Ruprecht Polenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002751, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Dieser damalige Vorgang ist mir nicht nur nicht entgangen. Ich habe heute noch mit meinem Kollegen Laschet telefoniert. Er berichtete mir von den Bestrebungen in der letzten Legislaturperiode, zu einer gemeinsamen Entschließung aller Bundestagsfraktionen zu kommen. Ich will aber gleich begründen, wie ich dennoch zu meiner Ansicht komme, Frau Kollegin. Dieser Vorwurf der Militarisierung der Außenpolitik drohte sich, wie gesagt, durch die Intervention im Kosovo gegen Sie selbst zu wenden. Deshalb gab es zur Beruhigung der aufgebrachten Basis einen Antrag, in dem die zivile Krisenprävention und die zivile Konfliktregelung betont wird. Der Text wurde vorsorglich so formuliert, dass ihn jeder Koalitionsabgeordnete unkommentiert an alle im Wahlkreis verschicken konnte, die sich mit kritischen Fragen wegen des Militäreinsatzes im Kosovo gemeldet hatten. Er ist ein Placebo, um die Reste der fundamentalen Pazifisten bei der rot-grünen Stange zu halten. Der zweite Grund für Ihren Antrag ist die deutliche Kritik vor allem von Nichtregierungsorganisationen an den massiven Kürzungen, die Sie in der Entwicklungshilfepolitik vorgenommen haben. Dieser berechtigten Kritik setzen Sie in Ihrem Antrag ein entschlossenes Eigenlob entgegen nach dem Motto: „Wenn uns schon niemand anderes lobt, dann tun wir das eben selbst.“ Aber ist dieses Eigenlob berechtigt? Hat die Bundesregierung die Streicheleinheiten nicht nur nötig, sondern auch verdient? Ich meine, nein, und will das im Folgenden begründen. Wir sind uns sicher darüber einig, dass Armut in der Welt nicht nur aus humanitären Gründen bekämpft werden muss, sondern dass Armut auch eine besonders brisante Ursache für Konflikte ist. Was tut die Bundesregierung zur Armutsbekämpfung? Vor allem: Tut sie auch genug? Weil Sie meine Kritik vielleicht als parteilich abtun würden, möchte ich Ihnen vorhalten, was die Deutsche Welthungerhilfe und das Hilfswerk terre des hommes in ihrer Zwischenbilanz zu zwei Jahren rot-grüner Entwicklungspolitik vor kurzem festgestellt haben. Ich zitiere: Die Analyse des entwicklungspolitischen Teils im Bundeshaushalt zeigt, dass die Bundesregierung auch in ihrer eigenen bilateralen Politik gegenüber früheren Bemühungen zur Armutsbekämpfung zurückfällt. Mit anderen Worten: Die frühere Bundesregierung hat mehr gegen die Armut getan als jetzt Rot-Grün. ({0}) Immer wieder ist in Ihrem Antrag - übrigens zu Recht - die Rede davon, dass die Entwicklung einer kohärenten, ressortübergreifenden Gesamtstrategie zur zivilen Krisenprävention unverzichtbar sei. Auch in diesem Punkt ist nach dem Urteil von Welthungerhilfe und terre des hommes das rot-grüne Eigenlob unbegründet. Ich zitiere: Die Proklamation der Bundesregierung, künftig globale Strukturpolitik betreiben zu wollen, ist instituRuprecht Polenz tionell noch nicht angemessen umgesetzt worden. Auch unter rot-grüner Bundesregierung verläuft die interministerielle Kooperation hinsichtlich der schnell wachsenden globalen Herausforderungen weiterhin in den seit Jahrzehnten praktizierten traditionellen Bahnen. Besondere Anstrengungen, durch institutionelle Reformen einer kohärenten globalen Strukturpolitik näher zu kommen, sind nicht erkennbar. In ihrer Kritik warnen terre des hommes und Welthungerhilfe die Bundesregierung davor, in eine Omnipotenzfalle zu geraten, also zuerst das Blaue vom Himmel zu versprechen, um später eingestehen zu müssen, dass die Kräfte zu schwach waren, um die hoch gesteckten Ziele zu erreichen. Diese Sorge muss man auch beim Lesen Ihres Antrages haben. Er vermittelt nämlich den Eindruck, dass sich die Konflikte dieser Welt in Wohlgefallen auflösen würden, wenn nur verwirklicht würde, was SPD und Grüne aufgeschrieben haben. Der Nordirlandkonflikt, der Nahostkonflikt, der Zypernkonflikt, der Kaschmirkonflikt, die Konflikte in Tschetschenien, Indonesien und Afrika als wenn es so einfach wäre, all diese Konflikte zu lösen, wie Ihren Antrag zu Papier zu bringen. Bei allem Ehrgeiz in der Zielsetzung - da sind wir uns einig -, mehr und besser zur Konfliktprävention und zur friedlichen Konfliktlösung beizutragen: ({1}) Etwas mehr realistische Bescheidenheit, Herr Kollege Nachtwei, wäre schon angebracht. ({2}) Bei Ihrem Eigenlob tun Sie so, als hätten Sie zivile Konfliktprävention erfunden. Dabei ist vor dem Hintergrund unserer Geschichte der gesamte Prozess der europäischen Einigung und Integration geradezu der Modellfall für eine zivile Konfliktprävention, ({3}) die an strukturellen Ursachen ansetzt und mit einer aufeinander abgestimmten Koordinierung praktisch aller Politikbereiche darauf antwortet. Dieser Prozess der europäischen Einigung und Integration wird in Deutschland vor allem mit den Namen von Konrad Adenauer und Helmut Kohl verbunden. ({4}) Zur zivilen Konfliktprävention der früheren Bundesregierung gehören übrigens auch die Wirtschaftshilfen und Kredite an Russland, die nicht zuletzt deshalb gegeben wurden, um Russland auf seinem Weg zur Demokratie und Marktwirtschaft zu helfen. Wenn Sie also bei jeder Kritik an Ihrer Kürzungspolitik nicht müde werden, auf die Verschuldung unseres Staates hinzuweisen, dann müssen Sie ebenso feststellen, dass auch diese Hilfeleistungen in unserer unmittelbaren Nachbarschaft im Sinne einer zivilen Konfliktprävention zu unserer Verschuldung beigetragen haben. Ich bleibe dabei: Für den beschleunigten Abzug der Roten Armee aus Deutschland war dieses Geld gut angelegt. ({5}) Auch die von Ihnen zunächst abgelehnte Öffnung der NATO für die Reformstaaten Mittel- und Osteuropas hat einen wirksamen Beitrag zur zivilen Konfliktprävention geleistet. Weil es eine Vorbedingung für den Beitritt war, Minderheiten im eigenen Staat zu schützen und Konflikte mit Nachbarn auszugleichen, wurden gleichsam als Vorwirkung des erstrebten NATO-Beitritts die Bedingungen für Minderheiten in Polen, Ungarn und der Slowakei verbessert und Spannungen beispielsweise zwischen Polen und Litauen oder der Slowakei und Ungarn abgebaut. ({6}) Zivile Krisenprävention also als Vorwirkung eines erstrebten Beitritts zu einem militärischen Verteidigungsbündnis. ({7}) Damit bin ich bei meinem Hauptvorwurf und Hauptkritikpunkt: Sie sprechen zwar von einem umfassenden Sicherheitsbegriff, spielen aber nach wie vor zivile Krisenvorsorge und militärische Krisenprävention gegeneinander aus. ({8}) Sie erwecken den Eindruck, als ließe sich sicherheitspolitische Vorsorge - bei gutem Willen und wenn man sich nur genug anstrengt - allein durch zivile Krisenprävention betreiben. Wir brauchen aber beides: zivile und militärische Krisenprävention. ({9}) Das Beispiel Mazedonien, auf das Sie verwiesen haben, belegt das augenscheinlich. Sie fordern die Bundesregierung auf - das ist nicht nur richtig, sondern dringend notwendig -, sicherzustellen, dass die Bundesrepublik Deutschland im Rahmen ihrer Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik personell, institutionell und finanziell in der Lage ist, einen ihrem politischen und ökonomischen Gewicht angemessenen Beitrag zur internationalen zivilen Krisenprävention, Konfliktregelung und Friedenskonsolidierung zu leisten. Ebenso notwendig und richtig wäre es, die Bundesregierung dazu aufzufordern, dass sie auch auf dem Gebiet der militärischen Krisenprävention und Sicherheitsvorsorge den Beitrag leistet, der unserem politischen und ökonomischen Gewicht angemessen ist. Denn auf beiden Feldern tut die Bundesregierung zu wenig. ({10}) Aber hier ist von Ihnen nichts zu hören. Sie bleiben wegen der unbelehrbaren Reste Ihrer fundamental-pazifistischen Klientel ({11}) wie zu Oppositionszeiten dabei und spielen zivile und militärische Krisenprävention gegeneinander aus. Damit enthalten Sie Ihren Anhängern den Lerneffekt vor, den jedenfalls ein Teil von Ihnen in der Regierungsverantwortung gehabt hat. Mit den Rüstungsexporten ist das übrigens ganz genau so. Wie haben Sie die unionsgeführte Bundesregierung wegen ihrer Rüstungsexporte kritisiert! Jetzt hat die deutsche Rüstungsindustrie unter der Schirmherrschaft der rot-grünen Bundesregierung im Jahre 1999 Waffen im Wert von 5,9 Milliarden DM exportiert. ({12}) Das waren erstens mehr als je zuvor und damit zweitens mehr als zur Regierungszeit von Helmut Kohl. ({13}) Damit wir uns hier nicht missverstehen: Ich will nicht die Höhe der Waffenexporte kritisieren. Denn ich gehe davon aus, dass überwiegend NATO-Partner zu den Empfängerländern gehörten ({14}) und dass unsere seit Jahrzehnten außerordentlich restriktive Rüstungsexportpolitik auch 1999 durchgehalten wurde und Waffen nicht in Krisen- oder Spannungsgebiete exportiert wurden. ({15}) Ich erwarte und verlange aber dann von Ihnen, dass Sie entweder den Lerneffekt der eigenen Regierung nachvollziehen und zu diesen Rüstungsexporten stehen oder Ihre eigene Regierung mit den Maßstäben messen, auf deren Basis Sie uns seinerzeit kritisiert haben. ({16}) Mit grüner Dialektik, wie man sie von der sicherheitspolitischen Sprecherin der Grünen hören konnte, lassen sich diese Widersprüche nicht wegreden. Das ist nicht grüne Dialektik, sondern Sprechen mit doppelter Zunge. ({17}) Sie haben also noch eine Menge Fragen in Ihren eigenen Reihen zu klären, ehe Sie wirklich eine kohärente Sicherheitspolitik formulieren können, die alle notwendigen Elemente umfasst. Bis dahin erweist sich Ihr Gerede von einem umfassenden Sicherheitsbegriff als leere Hülse. Denn oft wirkt zivile Krisenprävention doch nur deshalb, weil der Adressat der Maßnahmen - etwa der von Ihnen geforderten effektiveren, nicht militärischen Sanktionen - einlenkt und friedlich wird, da am Ende der Einwirkungsskala, sozusagen als Ultima Ratio, auch militärische Mittel zur Verfügung stehen, um Frieden durchzusetzen. ({18})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Das Wort hat der Kollege Winfried Nachtwei für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Winfried Nachtwei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002743, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollege Polenz, Ihren Beitrag fand ich sehr enttäuschend, weil Sie in der Kritik dieses Antrages auf Nebenfelder ausgewichen sind und zu den konkreten Vorschlägen des Antrages, um die es im Kern geht, nichts gesagt haben. Ich erinnere mich an die erste Lesung dieses Antrages am 9. November letzten Jahres. Da war nämlich auffällig, dass im Kern der Sache - bis auf den Kollegen Irmer; sein Ausreißer ist vorhin schon gebührend gewürdigt worden eine auffällige Einigkeit bestand. Auch von der PDS kam die Kritik nicht am Kern dieses Projekts, nicht an den einzelnen Maßnahmen, sondern am Kontext rot-grüner Politik. Es sei Ihnen unbenommen, das zu kritisieren und Widersprüche aufzuzeigen. Im Kern der Sache kam von Ihnen aber kein Widerspruch. Ich hoffe immer noch, dass wir heute noch mehr über den Kern der Sache diskutieren und keine ausweichenden Debatten führen. Deshalb will ich vor allem etwas zu den nächsten vordringlichen Schritten sagen, die in diesem Bereich notwendig sind. Die Anforderungen der Staatengemeinschaft zur nicht militärischen Krisenbewältigung und -vorbeugung liegen auf dem Tisch, und zwar als Konsequenz aus der Erfahrung mit militärischen Kriseneinsätzen. Lassen Sie mich zunächst etwas zu dem wichtigen Instrument der Friedensmissionen auf Ebene der Vereinten Nationen sagen. Wer weiß schon, dass die Bundesrepublik nach den USA das meiste Personal für solche Friedensmissionen stellt? In den letzten Jahren wurde allerdings auch die Erfahrung gemacht, dass bei diesen Friedensmissionen zunehmend ziviles Personal gebraucht wird. Hier hat die Staatengemeinschaft insgesamt bisher die größten Rekrutierungsprobleme. Die Europäische Union hat im letzten Sommer Planziele für die Entsendung von nicht militärischen Polizeimissionen aufgestellt. Sie erinnern sich: Bis 2003 will die Europäische Union 5000 Polizisten für Auslandseinsätze zur Verfügung haben. Im zweiten Halbjahr dieses Jahres sollen die Mitgliedstaaten auf einer Beitragstellerkonferenz ihre Angebote an Kontingenten benennen. Bis zum Gipfel in Göteborg im Juni sollen Planziele für andere Expertengruppen aufgestellt werden, nämlich Fachpersonal zur Stärkung des Rechtsstaats, der Zivilverwaltung und des Katastrophenschutzes. Ich möchte einmal wissen, was an diesen konkreten Anforderungen rot-grüne Spinnerei ist. ({0}) Nein, das sind Anforderungen der internationalen Staatengemeinschaft, die sich aus den Erfahrungen ergeben haben. ({1}) Nun zu den vorrangigen, notwendigen Schritten. Das Auswärtige Amt hat im Sommer 1999, als der KosovoKrieg lief - das ist Anfang 1999 angestoßen worden -, mit der Ausbildung von Fachpersonal für internationale Friedensmissionen begonnen. Diese Ausbildung hat sich sehr bewährt und ist international hoch anerkannt. Jetzt kommt es darauf an, die Rekrutierung, Begleitung und Evaluation solcher ziviler Kriseneinsätze auf eine stabile Grundlage zu stellen und erheblich zu effektivieren. Diese zivilen Kriseneinsätze laufen in der Regel parallel zu militärischen Missionen; denn wir wissen: So etwas funktioniert nur als integrierter, umfassender Kriseneinsatz, nicht als einseitiger Kriseneinsatz. ({2}) - Kollege Polenz, es geht um die nächsten praktischen Schritte, nicht um Hirngespinste. - Diese Aufgaben sind mit dem normalen Personal eines AA-Referats, das vorher auch andere Aufgaben hatte, nicht mehr zu bewältigen. Hierfür muss tatsächlich eine Ausgliederung geschehen, muss eine neue Dachorganisation aufgebaut werden. Dies ist - das müssen wir hier ganz nüchtern und klar feststellen - bei der Aufstellung des Haushalts für das nächste Jahr unbedingt zu berücksichtigten. Zusammen mit der Verstetigung der Gelder für den Titel „Friedenserhaltende Maßnahmen“ ist das der Knackpunkt beim Aufbau einer VN- und OSZE-Fähigkeit, die den künftigen Anforderungen entspricht. Ein zweiter sehr wichtiger Bereich sind die nicht militärischen Polizeimissionen. Zurzeit sind 550 deutsche Polizeibeamte im auswärtigen Einsatz, davon 318 im Kosovo. Sie leisten unter schwierigsten Bedingungen und bei einer Einsatzdauer von neun Monaten bis zu einem Jahr hervorragende Arbeit, international höchst anerkannt. Herr Staatssekretär, ich bitte Sie, dies über Ihr Haus auch an die Beamten weiterzuleiten. ({3}) Die Bundesrepublik hatte für die UNMIK-Polizei im Kosovo 420 Beamte zugesagt; sie kann aber nur 318 Beamte stellen. Das ist ein Fehl von 25 Prozent. Stellen Sie sich einmal vor, ein solches Fehl gäbe es bei den Bundeswehr-Anteilen für KFOR oder SFOR! Das wäre nicht vorstellbar. In diesem Bereich ist es offensichtlich vorstellbar, aber daraus resultiert kein Vorwurf gegen die Landesinnenministerien oder gegen das Bundesinnenministerium, sondern hier ist schlichtweg eine Schallgrenze erreicht. Das heißt, es müssen neue Wege der Rekrutierung von Beamten für internationale Polizeimissionen gefunden werden. Deshalb - ich habe es bei der ersten Lesung schon einmal gesagt - kommen wir wahrscheinlich nicht darum herum, neben der Attraktivitätssteigerung in diesem Bereich sowohl in den Ländern als auch beim Bund neue Planstellen für diese künftige Daueraufgabe des Bundes und der Länder einzurichten. Ohne eine solche Verstärkung wird die Bundesrepublik gegenüber der Europäischen Union keinen Beitrag nennen können, der ihrer Stellung entspräche. In Kürze werden die Staatssekretäre von Bund und Ländern über die künftige Lastenverteilung bei internationalen Polizeimissionen verhandeln. Bundestag und Länderparlamente sollten darauf achten, dass die Bundesrepublik auch auf diesem Feld ihre gewachsene Verantwortung wahrnehmen kann. Die schwedische EU-Präsidentschaft macht hervorragend Tempo beim Aufbau von Fähigkeiten nicht militärischer Krisenbewältigung. Die rot-grüne Koalition begrüßt das voll und ganz. Ich denke, bei genauerem Hinsehen - Kollege Polenz nickt; das freut mich - müssten alle Fraktionen des Hauses dieses Tempo begrüßen. ({4}) Der zu beschließende Antrag zeigt, was wir dafür leisten wollen. Danke schön. ({5})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die F.D.P.-Fraktion spricht Kollege Ulrich Irmer.

Ulrich Irmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000996, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon ein Triumpherlebnis, wenn man nach viereinhalb Monaten hört - so lange liegt unsere erste Debatte zu diesem Thema zurück -, dass die Kollegen zum Teil noch wörtlich wissen, was ich damals gesagt habe. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({0}) Frau Zapf, es war natürlich ein Missverständnis, ich hätte Ihr Anliegen ins Lächerliche ziehen wollen. Was ich beanstandet habe - wobei ich der Auffassung bin, dass man dem am besten mit satirischen Mitteln beikommt -, ist dieser himmelweite Abstand zwischen Anspruch und Wirklichkeit, der bei Ihnen immer wieder deutlich wird, aber in diesem Antrag ganz besonders. ({1}) Ich kann dem, was Kollege Nachtwei hier gerade zu der beklagenswerten Situation, dass es der Bundesrepublik Deutschland nicht gelungen ist, die zugesagten Polizisten vor Ort zu entsenden, gesagt hat, voll zustimmen. Auch ich finde es außerordentlich bedauerlich, unter welchen Gefährdungen diese Kräfte dort mit wie wenig robusten Mitteln ausgestattet sind. Ich glaube, hier besteht ein erheblicher Nachholbedarf. Frau Zapf, wenn Sie auf die schrecklichen Nachrichten von heute früh verweisen, dann kann ich das nur bestätigen. Natürlich ist das furchtbar. Das hätten wir alles nicht, wenn dieser Antrag endlich verabschiedet würde - das ist doch das, was mich zur Heiterkeit reizt. ({2}) Das, was Sie in diesem Antrag alles auflisten, was alles geschehen müsste, ist doch, wenn man es zusammen betrachtet, nichts als ein Misstrauensvotum gegenüber Ihrer eigenen Bundesregierung. ({3}) Es ist ein Misstrauensvotum gegenüber der gesamten klassischen Außen- und Entwicklungspolitik und ihren Instrumenten und damit ein Misstrauensvotum gegenüber Ihrer eigenen Bundesregierung, die ich hier gegen diese Ihre Vorwürfe, Herr Zöpel, ganz vehement in Schutz nehmen möchte; denn so schlecht, wie sie aussieht, ist sie gar nicht. So schlecht sind Sie wirklich nicht. ({4}) Sie lassen es sich von Ihrer Mehrheit in Ihrem Parlament gefallen, dass sie Ihnen auf neun Seiten vorschreibt und auflistet, was Sie alles nicht gemacht haben. Ich fand es eben außerordentlich interessant zu hören, dass es - das war mir entfallen, Frau Zapf - in der letzten Wahlperiode schon einmal einen entsprechenden Antrag, damals allein von der SPD, gegeben hat. Da haben Sie die gesamten Vorwürfe, die Sie jetzt wieder erheben, der alten Bundesregierung gemacht. Das war Ihre Aufgabe als Opposition, aber dass Sie jetzt fast denselben Antrag wieder einbringen, zeigt doch, dass die neue Bundesregierung, jetzt da sie die Macht hat, nichts aus ihrem alten Antrag gelernt hat. ({5}) Was ich auch außerordentlich bemerkenswert finde, ist, dass viele ihrer Forderungen hierin stehen - den Antrag haben Sie ja vor Monaten formuliert -, in Ihre Haushaltsbeschlüsse, die Sie mit Mehrheit gefasst haben, jedoch keinen Eingang gefunden haben. ({6}) Es ist wunderschön, als Opposition von einer Bundesregierung alles Mögliche zu verlangen. Das ist die Aufgabe der Opposition. Wenn Sie aber selbst die Mehrheit und die Macht haben und alles das beschließen und durchsetzen könnten, stellt sich doch die Frage: Warum haben Sie es denn nicht getan? ({7}) Stattdessen beglücken Sie uns hier zum wiederholten Male mit einem doch eher abstrus wirkenden Wortgeklingel. Ich will Ihnen einige konkrete Punkte nennen, bei denen nun wirklich Abhilfe geschaffen werden könnte. Ich verstehe es so, dass Sie einen albernen Verschnitt eines Peace-Korps ausbilden wollen. Da lassen Sie wirklich nichts aus. Insofern hat Herr Polenz natürlich Recht; da kommt das ganze Spektrum honigsüß triefender Beglückungsrhetorik wieder, welche die Grünen so mögen. Da muss natürlich besonderer Wert auf frauenspezifische Fragen gelegt werden. Ich habe mit großem Interesse gelernt, dass man das neuerdings „gender training“ nennt. Ich hatte das irgendwie anders in Erinnerung. Lassen Sie sich den Begriff „gender training“ auf der Zunge zergehen! ({8}) Des Weiteren: Die berufliche Freistellung des Missionspersonals soll rechtlich abgesichert werden. Ja, fabelhaft, das ist wieder eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für stellungslose grüne Universitätsabsolventen. Das kennen wir alles schon. ({9}) Jede Nische des grünen Gemüts wird hier mit einer Bemerkung bedient. Da sind die Kindersoldaten erwähnt, da muss die Trauma-Hilfe herangezogen werden. Nein, meine Damen und Herren, das Thema ist mir viel zu ernst ({10}) und im Übrigen keine Erfindung von Ihnen. Schon der Wiener Kongress hat festgestellt, dass Vorbeugen besser ist als Schießen. Dem will auch niemand etwas entgegensetzen. Sie haben in vielem Recht. Herr Polenz hat Recht, wenn er sagt, es seien zum Teil grobe Gemeinplätze, die hier kommen. Wir lehnen den Antrag ab, weil er nichts als Rhetorik und Romantik ist, und damit haben wir es nicht so sehr, jedenfalls nicht in der Öffentlichkeit. ({11}) Meine Damen und Herren, ich fordere Sie auf -

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich fordere Sie auf, hier zum Schluss zu kommen, Herr Kollege. ({0})

Ulrich Irmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000996, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich bin sofort fertig. Es ist nur außerordentlich schwierig, Herr Präsident, die Redezeit einzuhalten, wenn man durch Gelächter und Beifall unterbrochen wird. ({0}) Ich darf noch einen letzten Satz hinzufügen. Ich bitte Sie herzlich: Nehmen Sie Ihre eigenen Worte ernst und nutzen Sie Ihre Mehrheit dazu, Ihre Forderungen nicht nur verbal hier zu postulieren, sondern ein wenig davon in die Realität der praktischen Politik umzusetzen. Ich danke Ihnen. ({1})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Nun spricht die Kollegin Heidi Lippmann für die Fraktion der PDS.

Heidi Lippmann-Kasten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003173, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann im Anschluss an Ihre Rede, Herr Irmer, nur noch - um Erich Kästner zu zitieren - sagen: Es gibt nichts Gutes, außer man tut es. Der vorliegende Antrag und die Emotionalität, mit der du, liebe Uta Zapf, diesen Antrag verteidigt hast, sind natürlich Beleg dafür, in welchen Argumentationsschwierigkeiten sich die Friedenspolitiker in diesem Hause angesichts des Gesamtkontextes der Außen- und Sicherheitspolitik bewegen. ({0}) Eine Voraussetzung dafür, die zivile Krisenprävention und Konfliktregelung tatsächlich zu einem der höchsten Güter deutscher Politik im 21. Jahrhundert zu machen, wäre, wie die Antragsteller richtig beschreiben, die Notwendigkeit der Konfliktanalyse als politische Daueraufgabe zu verstehen und dementsprechende Instrumente zur zivilen Konfliktbewältigung zu benennen. Eine weitere Grundvoraussetzung ist die Ursachenforschung. Dazu wird im vorliegenden Antrag herzlich wenig gesagt. ({1}) Zwar ist im Antrag allgemein von „gerechtem Interessenausgleich“ und der „Verbesserung der wirtschaftlichen, sozialen, ökologischen und politischen Verhältnisse“ die Rede. Doch ich frage Sie: Wessen Interessen stehen dem entgegen und wer wäre folglich in erster Linie verpflichtet, seine Politik in den Bereichen Wirtschaft, Finanzen, Umwelt, Militär, auswärtige Beziehungen und Entwicklungszusammenarbeit auf den Prüfstand zu stellen? Das wird hier nicht gesagt. Natürlich wird auch nicht erwähnt, dass Deutschland wie die übrigen Industriestaaten des Westens und des Nordens die Konfliktpotenziale in der Welt permanent anheizt, zum Beispiel durch Hermesbürgschaften, durch Rüstungsexporte, durch die Unterstützung umweltschädlicher Großprojekte, durch die Verschuldungsproblematik und letztendlich durch die eigene neoliberale Wirtschaftspolitik. Ich frage Sie, Kolleginnen und Kollegen von den Grünen und von der SPD: Wo bleibt Ihre Forderung nach einer Neuausrichtung der internationalen Finanz-, Währungs- und Wirtschaftspolitik, die nicht allein auf die Interessen der Industriestaaten ausgerichtet ist? Wo bleibt Ihre Forderung nach einer Reform der Institutionen Weltbank, Internationaler Währungsfonds und WHO zur Annäherung an einen „gerechten Interessenausgleich“? Kann man von einer zivilen Friedenspolitik sprechen, wenn rund 40 Millionen DM für den zivilen Friedensdienst ausgegeben werden und auf der anderen Seite ein Rüstungsetat von knapp 47 Milliarden DM steht, wobei die rund 200 Milliarden DM, die man in den nächsten 10 bis 15 Jahren in diesen Bereich investieren will, noch gar nicht eingerechnet sind? ({2}) Nein, das kann man nicht. Denn der Schwerpunkt deutscher Sicherheitspolitik ist vorrangig auf die militärische Absicherung deutscher Wirtschaftsinteressen orientiert. Wer die Bundeswehr für weltweite Militärinterventionen umrüstet, der kann nicht glaubhaft von der Priorität ziviler Konfliktvorbeugung sprechen. ({3}) Die Knappheit der öffentlichen Haushalte verlangt eine Grundsatzentscheidung: Geld für die zivile Bekämpfung der Krisenursachen oder Geld für die gewaltförmige und vordergründige Eindämmung von Krisen? Wer auf die umfassende Stärkung der NATO durch immer neue Rüstungsmodernisierungen setzt, kann nicht gleichzeitig die UN als zentrale Einrichtung der Weltentwicklung und des Weltfriedens stärken. Wer zu 1 Prozent auf Zivil und zu 99 Prozent auf Militär setzt, der setzt seine Prioritäten falsch. ({4}) Wer durch weltweite Rüstungsexporte dazu beiträgt, dass Krisen und Kriege technisch führbar gemacht werden, der trägt zur Verschärfung von Konflikten bei. In diesem Kontext - liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sehe Ihr Wohlwollen und ich glaube Ihnen ernsthaft, dass Sie Interesse daran haben, diesen Politikbereich voranzubringen - können wir Ihrem Antrag nicht zustimmen. ({5})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen mit dem Titel „Förderung der Handlungsfähigkeit zur zivilen Krisenprävention, zivilen Konfliktregelung und Friedenskonsolidierung“, Drucksache 14/5283. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/3862 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der anderen Fraktionen angenommen. Ich rufe nunmehr Tagesordnungspunkt 11 auf: Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Jugendgerichtsgesetzes - Drucksache 14/5014 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({0}) Innenausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ich gebe als erstem Redner dem Justizminister des Landes Thüringen, Dr. Andreas Birkmann, das Wort. Dr. Andreas Birkmann, Minister ({1}): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir beraten heute in erster Lesung einen Gesetzentwurf des Bundesrates zur Änderung des Jugendgerichtsgesetzes, der zwei Ziele verfolgt: erstens das beschleunigte Verfahren des Erwachsenenstrafrechts auch bei jugendlichen Straftätern anwenden zu können und zweitens: das schon bestehende vereinfachte Jugendverfahren prozessrechtlich effizienter zu gestalten. Lassen Sie mich bitte darlegen, warum die Länderkammer eine Gesetzesänderung für notwendig erachtet. Wir erleben immer wieder, dass bei Straftaten Tätergruppen so konstruiert sind, dass 17-Jährige, 19-Jährige und 22-Jährige zusammen auftreten. Das erleben wir bei allgemeinen Straftaten, das erleben wir aber auch besonders bei Gewaltdelikten und hier nicht nur, aber insbesondere auch bei rechtsradikalen Ausschreitungen Jugendlicher und Heranwachsender. Die gerichtliche Praxis hat in der Vergangenheit, wenn es dann bei der Aburteilung der Straftaten zu Verzögerungen gekommen ist, prozessuale Schwierigkeiten dafür verantwortlich gemacht. Bei einem Tatgeschehen, also einer prozessualen Tat, ist gegen den Heranwachsenden zwischen 18 und 21 Jahren das beschleunigte Verfahren anwendbar, gegen den jüngeren, den unter 18-Jährigen, jedoch nicht. Folgender Fall, der leider nicht untypisch ist, verdeutlicht das Problem. Zwei mehrfach und einschlägig, wenn auch nicht gravierend in Erscheinung getretene junge Männer von 17 und 19 Jahren misshandeln einen Fahrgast in einer Straßenbahn aus rassistischen Motiven oder weil sie ihn für einen Ausländer oder politisch Andersdenkenden halten oder weil dieser schlicht körperbehindert und nach ihrer Auffassung offenbar minderwertig ist. Dazu bekennen Sie sich dann auch demonstrativ. Das Opfer erleidet schwere Verletzungen und muss längere Zeit stationär im Krankenhaus verweilen. Die Täter wohnen bei den Eltern; es besteht also ein fester Wohnsitz. Sie haben eine Lehrstelle oder gehen noch in die Schule. Sie bekennen sich aber zu ihrer Weltanschauung. Die Öffentlichkeit ist zu Recht empört. Die Polizei verweist auf die Justiz. Eltern und Schule sind hilflos. Was passiert? Haftbefehle dürften in Ermangelung von Haftgründen ausscheiden. Eine schnelle Reaktion muss die Straftäter nachhaltig beeindrucken. Gegen den 19Jährigen, also den Heranwachsenden, kann das beschleunigte Verfahren durchgeführt werden. Er kann mit dem Sanktionenkatalog des Jugendstrafrechts, gegebenenfalls auch mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr belegt werden. Nicht so bei dem tatbeteiligten Jugendlichen, der unter Umständen der weitaus üblere Schläger war. Das vereinfachte Jugendverfahren gibt die erforderlichen Sanktionen nicht her. Klar ist aber auch, dass der Jugendliche nicht erst in ein paar Wochen oder Monaten, sondern sofort, umgehend spüren muss, was er angerichtet hat. Nach derzeitigem Recht bekommt er voraussichtlich eine Anklage, über die in der Regel erst nach einigen Wochen verhandelt wird, wobei zwischen Verurteilung und Abbüßung der Strafe weitere Zeit ins Land gehen wird. Bis dahin war für ihn, den Jugendlichen, der Vorfall offensichtlich nicht so schlimm; denn in seiner Vorstellungswelt wäre er anderenfalls bereits im Gefängnis. Die schnelle Reaktion, die den Zusammenhang zur Tat sinnfällig macht, ist zwar dringend geboten, aber nicht möglich. Hier setzt der Reformvorschlag an. Auch hier muss ein rasches Jugendstrafverfahren möglich sein. ({2}) Die Aufsplittung eines solchen einheitlichen Tatgeschehens in mehrere Strafverfahren - gegen Heranwachsende und Erwachsene das beschleunigte Verfahren einerseits, gegen Jugendliche das normale Jugendverfahren andererseits - und die damit zwangsläufig verbundene zeitliche Verzögerung erscheinen im Hinblick auf die gewünschte Beschleunigung der Sanktionierung eines solchen Verhaltens kontraproduktiv. In Gesprächen bei Staatsanwaltschaften und Gerichten sowie mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Jugendgerichtshilfe ist mir von diesem Missstand immer wieder berichtet worden. Mir leuchtet ein, dass bei unserer Reaktion auf Jugendkriminalität nicht nur zählt, welche Strafen Gerichte im Urteil aussprechen, sondern dass vor allem auch zählt, dass die Reaktion schnell erfolgt. Nach dem Gesetzentwurf der Länderkammer soll deshalb das in der Strafprozessordnung vorgesehene beschleunigte Verfahren, das eine zügige Aburteilung ermöglicht, künftig auch im Jugendstrafrecht Anwendung finden können. ({3}) Ich betone ausdrücklich: können. Das heißt nicht: müssen. Denn letzten Endes bleibt es der Einzelfallentscheidung des Richters vorbehalten, ob zur Aburteilung der konkreten Straftat im beschleunigten Verfahren verhandelt werden soll oder nicht. Meine Damen und Herren, ich weiß, diesem Lösungsansatz des Gesetzentwurfes wird vereinzelt entgegengehalten, dass die Einführung des beschleunigten Verfahrens für Jugendliche wesentlichen Prinzipien des Jugendstrafrechts widerspreche, da sich das Jugendstrafrecht am Erziehungsgedanken orientiere und auf eine Beteiligung der Jugendgerichtshilfe nicht verzichtet werden könne. Dieser Einwand ist nicht zutreffend. Er verkennt zweierlei: zum einen, dass die Beschleunigung dem Erziehungsgedanken nicht nur nicht im Wege steht, sondern ihn fördert; zum anderen, dass die Grundsätze des Jugendstrafrechts im vorliegenden Gesetzentwurf - das betone ich ausdrücklich - nicht infrage gestellt werden. Um dies noch einmal ausdrücklich klarzustellen: Auf eine Beteiligung der Jugendgerichtshilfe kann und soll nicht verzichtet werden. ({4}) Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters - Danke schön. Sie werden noch Weiteres erfahren und feststellen, wie gut es ist, dass ich sie hier halte. Der Gesetzentwurf des Bundesrats sieht demgemäß auch keine dahin gehenden Beschränkungen vor. Es werden weder Elternrechte tangiert noch wird die Beteiligung der Jugendgerichtshilfe beschränkt noch werden Verteidigerrechte beschnitten. Eine im Einzelfall eventuell notwendig werdende Hauptverhandlungshaft findet ihre gesetzlichen Schranken in der Regelung des § 72 des Jugendgerichtsgesetzes ({5}) und selbstverständlich im Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Dies sind unverrückbare Grundsätze. ({6}) Andere Lösungsmöglichkeiten sind zur Bewältigung der aufgezeigten Problemlage nicht ausreichend. Das vereinfachte Jugendverfahren, das wir ja bereits anwenden und das im Jugendgerichtsgesetz niedergelegt ist, kommt dem Bedürfnis nach Beschleunigung nur eingeschränkt entgegen, da es nur bei Jugendlichen gilt, nicht jedoch gleichzeitig bei Heranwachsenden und Erwachsenen. Dabei darf nicht auf Jugendstrafe erkannt werden, auch wenn schädliche Neigungen des Jugendlichen oder die „Schwere der Schuld“ - so der Gesetzeswortlaut - dies ansonsten gebieten würden. Ich meine, meine sehr verehrten Damen und Herren, in dem gesetzgeberischen Anliegen müssten wir uns an sich alle einig sein. Es geht darum, dem Bedürfnis nach Beschleunigung im Jugendstrafverfahren Rechnung zu tragen, um möglichst effektiv auf straffällig gewordene Jugendliche einzuwirken, damit ihnen eine kriminelle Karriere erspart bleibt. Der Beschleunigungsgrundsatz beherrscht bekanntlich das gesamte Jugendstrafrecht. Das ist so richtig. Was wir wollen, ist nur die konsequente Fortsetzung dieser schon bisher als richtig erkannten Maxime. Mit diesem Gesetzentwurf wollen wir keine Verfahrensbeschleunigung um jeden Preis. Aber unseren Jugendstaatsanwältinnen und Jugendstaatsanwälten, Jugendrichterinnen und Jugendrichtern müssen alle wirksamen Mittel zur Verfügung stehen, um in den hierfür geeigneten Fällen eine schnelle Reaktion herbeiführen zu können; jedoch - das betone ich ausdrücklich - nicht mit dem Ziel, jugendliche Straftäter wegzuschließen, sondern um ihnen zu helfen und ihnen Lösungswege für eine straffreie Zukunft aufzuzeigen. ({7}) In jedem Fall ist hierfür jedoch eine zeitnahe Reaktion erforderlich. Eine solche zeitnahe Reaktion ist sowohl mit Blick auf den jugendlichen Täter als auch unter dem Aspekt der Wirkung in der Öffentlichkeit positiv zu sehen. Das sind jedenfalls die Erfahrungen, die wir mit dem beschleunigten Verfahren im Erwachsenenstrafrecht ständig machen. Wenn die Strafe der Tat alsbald auf dem Fuße folgt, beeindruckt das den Täter und - auch das ist wichtig - stärkt das Sicherheitsgefühl in der Öffentlichkeit. Warum soll dieses nicht auch im Jugendstrafrecht gelten, meine Damen und Herren? Im Interesse einer Verfahrensbeschleunigung ist es dabei allen Verfahrensbeteiligten - auch der Jugendgerichtshilfe - zuzumuten, die erforderlichen Ermittlungen und Prozesshandlungen in kurz bemessener Zeit vorzunehmen, zumal der Jugendgerichtshilfe manch ein Täter aus früheren Verfahren durchaus bekannt sein dürfte. Wenn die Entscheidungsvoraussetzungen für das beschleunigte Verfahren vorliegen - dazu gehört, um das noch einmal zu sagen, dass die Sache aufgrund des einfachen Sachverhalts und der klaren Beweislage zur sofortigen Verhandlung geeignet ist -, ist eine zügige Bearbeitung regelmäßig möglich. ({8}) - Herr Präsident, ich möchte noch ganz kurz einen zweiten Aspekt des vorliegenden Gesetzentwurfs ansprechen.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Herr Minister, ich unterbreche einen Vertreter eines Bundeslandes ja nur ungern, aber es gibt unter den Fraktionen eine Absprache über die Redezeit zu dieser abendlichen Stunde. Sie haben Ihre Redezeit schon deutlich überschritten. Ich wäre Ihnen daher dankbar, wenn Sie zügig zum Abschluss kommen würden. Dr. Andreas Birkmann, Minister ({0}): Herr Präsident, ich werde Ihrer Bitte gerne folgen und will nur noch kurz darauf hinweisen, dass die Gesetzesvorlage einen zweiten Aspekt hat, nämlich die Einführung der Zwangsmittel Vorführung und Haftbefehl, was ebenfalls notwendig erscheint, um das vereinfachte Jugendverfahren zügig durchführen zu können. Damit komme ich zum Schluss. Meine Damen und Herren, der Bundesrat bezweckt mit der von ihm beschlossenen Gesetzesinitiative die genannte Beschleunigung. Dieses Anliegen entspricht der allgemeinen Intention des Jugendstrafrechts, und dem kommt angesichts der Zunahme von Gewalttaten Jugendlicher - häufig mit jungen Erwachsenen zusammen - besondere Bedeutung zu. Lassen Sie uns deswegen bei den anstehenden Beratungen in den Ausschüssen gemeinsam überlegen, wie wir diesem Anliegen Rechnung tragen können. Der vorliegende Gesetzesentwurf erscheint mir die geeignete Grundlage dafür zu sein. Schönen Dank. ({1})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die SPD-Fraktion spricht nun die Kollegin Erika Simm.

Erika Simm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002176, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf des Bundesrates zur Änderung des Jugendgerichtsgesetzes soll das beschleunigte Verfahren aus dem allgemeinen Strafprozess auch im Strafverfahren gegen Jugendliche, also gegen die unter 18-Jährigen, und Minister Dr. Andreas Birkmann ({0}) damit auch die Anordnung von Hauptverhandlungshaft zugelassen werden. Ferner soll künftig in dem schon jetzt bestehenden so genannten vereinfachten Jugendverfahren gegen einen Jugendlichen, der unentschuldigt nicht zur Hauptverhandlung erscheint, gemäß § 230 der Strafprozessordnung die polizeiliche Vorführung angeordnet und Haftbefehl erlassen werden können. Begründet wird die Notwendigkeit dieser Änderungen damit, dass in der letzten Zeit in der Öffentlichkeit vermehrt Fälle bekannt geworden seien, in denen auf frischer Tat betroffene Jugendliche trotz eindeutiger Beweislage erst nach Wochen oder gar Monaten einer strafrechtlichen Sanktion hätten zugeführt werden können. Dass Jugendgerichtsverfahren mitunter zu lange dauern, ist keineswegs eine neue Erscheinung. Dies ist auch in der Vergangenheit immer wieder beklagt worden. Es fragt sich nur, was die Ursachen sind. Nach meiner Einschätzung liegt es in der Regel zuletzt daran, dass jugendliche Angeklagte nicht zur Hauptverhandlung erscheinen. Oft aber hat das damit zu tun, dass Polizeibeamte, Staatsanwälte und Richter überlastet sind und dass die Arbeitsabläufe innerhalb der Justiz auch einem gutwilligen Richter wenig Flexibilität ermöglichen. So kann es zum Beispiel - dabei spreche ich aus Erfahrung - schon zu einem Problem werden, wenn man als Jugendrichter außerhalb der üblichen Sitzungstage einen Sitzungsraum oder einen Protokollführer braucht, um eine schnelle Hauptverhandlung durchzuführen. Oft mangelt es auch an der notwendigen und rechtzeitigen Zusammenarbeit zwischen Staatsanwaltschaft, Jugendgerichtshilfe und Gericht. Die vorgeschlagenen Gesetzesänderungen sind nicht geeignet, solchen Mängeln abzuhelfen. ({1}) Im Übrigen stellt das Jugendgerichtsgesetz neben den Möglichkeiten der Verfahrenserledigung nach den §§ 45 und 47 - das ist die Einstellung in der Regel mit einer Sanktion - in Form des so genannten vereinfachten Verfahrens eine Verfahrensalternative zur Verfügung, die durchaus eine rasche Verhandlung und Aburteilung ermöglicht. In diesem vereinfachten Verfahren, wie wir es haben, können alle Sanktionen des Jugendgerichtsgesetzes mit Ausnahme von Jugendstrafe, Heimunterbringung und Unterbringung in einer Entziehungsanstalt verhängt werden. So kann zum Beispiel auf Jugendarrest von bis zu vier Wochen, bei Verkehrssachen auf Fahrverbot und Führerscheinentzug mit einer Sperrfrist von bis zu zwei Jahren erkannt werden. Der mögliche Anwendungsbereich des vereinfachten Verfahrens umfasst damit die leichte bis mittlere Kriminalität, deckt also sehr viel ab und erscheint mir deswegen voll ausreichend. Ein Bedürfnis, daneben noch das beschleunigte Verfahren zuzulassen, sehe ich nicht. Im Übrigen möchte ich darauf verweisen, dass es das beschleunigte Verfahren gab, bevor das vereinfachte Verfahren eingeführt wurde. Das beschleunigte Verfahren wurde durch das vereinfachte und stärker auf Jugendliche hin orientierte Verfahren abgeschafft. Ich halte es für geradezu widersinnig, nun beide Verfahren nebeneinander zuzulassen. Das gab es noch nie. Auch spricht in der Sache nichts dafür, das zu tun. Ich bin aber auch der Meinung, dass das beschleunigte Verfahren den im Jugendgerichtsgesetz verankerten Grundprinzipien des Strafverfahrens gegen Jugendliche nicht hinreichend Rechnung trägt. ({2}) So kann im beschleunigten Verfahren die Anklage mündlich erhoben werden, die Ladungsfrist kann auf 24 Stunden verkürzt werden, Aussagen von Zeugen, Sachverständigen und Mitbeschuldigten können verlesen werden. Die vorgeschriebene Beteiligung der Jugendgerichtshilfe und des gesetzlichen Vertreters, aber auch das gerade in Verfahren gegen Jugendliche so wichtige Mündlichkeitsprinzip der Verhandlung erscheint mir damit nicht hinreichend gewährleistet. Mit der Ermöglichung der Hauptverhandlungshaft wird in meinen Augen gegen den Grundsatz verstoßen, dass Freiheitsentziehung gegen Jugendliche stets Ultima Ratio sein sollte. ({3}) Wohlgemerkt: Wir reden von den 14- bis 17-Jährigen. Dieser Grundsatz hat zuletzt 1990 im Ersten Gesetz zur Änderung des Jugendgerichtsgesetzes in den §§ 71 und 72 einen besonderen Niederschlag gefunden, wonach zum Beispiel die Untersuchungshaft gegen Jugendliche unter 16 Jahren nur noch unter ganz engen Voraussetzungen verhängt werden darf, praktisch nämlich dann, wenn es wirklich keine andere Möglichkeit gibt, den Jugendlichen bis zur Hauptverhandlung festzuhalten. Man zog damit die Konsequenzen aus der über die Jahrzehnte hinweg gewonnenen Erkenntnis, dass Freiheitsentziehung, insbesondere kurze Inhaftierung in Einrichtungen, die nicht speziell auf die erzieherischen Bedürfnisse von Jugendlichen ausgerichtet sind, oft mehr schadet als nutzt. Gegen die Vorführung oder gar einen Haftbefehl nach § 230 der Strafprozessordnung im vereinfachten Jugendverfahren bestehen schon aus dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit in meinen Augen erhebliche Bedenken. Im Übrigen halte ich die Durchführung eines vereinfachten Verfahrens grundsätzlich nur in den Fällen für sinnvoll, in denen ein gewisses Maß an Einsichtsfähigkeit und Kooperationsbereitschaft bei den jugendlichen Angeklagten vorausgesetzt werden kann. Der unentschuldigt nicht zur Verhandlung erschienene Jugendliche hat durch sein Nichterscheinen aber gerade bewiesen, dass er nicht bereit ist, die Konsequenzen aus seinem Fehlverhalten zu tragen und sich dem Verfahren zu stellen. Ich bin der Meinung, dass es in diesen Fällen auch aus erzieherischen Gründen geradezu geboten ist, ins reguläre Verfahren überzuwechseln und eine förmliche Hauptverhandlung durchzuführen. Im Übrigen ist meine Erfahrung, dass Jugendliche eher selten nicht zur Verhandlung erscheinen. Das gilt zumindest dann, wenn es vor Ort eine funktioErika Simm nierende Jugendgerichtshilfe gibt, die zu dem Jugendlichen vor der Verhandlung Kontakt aufnimmt und ihn auf die bevorstehende Verhandlung und das, was ihn dort erwartet, entsprechend vorbereitet. Zusammenfassend stelle ich fest: Das Instrumentarium des geltenden Jugendgerichtsgesetzes reicht völlig aus, um Strafverfahren gegen Jugendliche mit der gebotenen Beschleunigung durchzuführen. Wenn die Verfahren im Einzelfall dennoch zu lange dauern, so sind die Ursachen im unzureichenden Vollzug des Gesetzes zu sehen. In diesem Punkt wäre dann auch anzusetzen, wenn man ernsthaft zu einem schnelleren Abschluss der Verfahren kommen will. ({4})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich gebe nun dem Kollegen Jörg van Essen für die F.D.P.-Fraktion das Wort.

Jörg Essen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000495, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das, was Frau Kollegin Simm gerade vorgetragen hat, entspricht sicherlich der Auffassung vieler, die in der Praxis tätig sind. Ich muss sagen: Viele der von Ihnen vorgetragenen Argumente sind von hohem Gewicht und haben auch mich immer überzeugt. Trotzdem: Ich will signalisieren, dass ich bei dem einen oder anderen Punkt durchaus nachdenklich geworden bin, und zwar deswegen, weil sich das Jugendstrafrecht in unserem Lande in besonderer Weise bewährt hat. Wir haben gerade am Wochenende wieder lesen können, dass verschiedene Länder anders mit ihren Jugendlichen umgehen. Wir haben ein Urteil in den Vereinigten Staaten erlebt, wonach ein 14-Jähriger wegen eines Tötungsdeliktes, das er im Alter von zwölf Jahren begangen hat, zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilt worden ist. Wir haben die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen. Im Übrigen nützt ein solches Vorgehen überhaupt nichts: Die Gewaltkriminalität und die Jugendkriminalität insgesamt sind in den Vereinigten Staaten viel höher als bei uns. Das macht deutlich, dass der erzieherische Ansatz, den wir in unserem Jugendstrafrecht haben, offensichtlich richtig ist. Die Betonung liegt aber auf dem erzieherischen Ansatz. In diesem Zusammenhang will ich auf einen Aspekt eingehen. Frau Simm, Sie haben gesagt: Wenn ein Jugendlicher nicht zur Hauptverhandlung erscheint, dann macht das deutlich, dass er sich mit der Tat nicht richtig auseinander gesetzt hat. - Das kann auch andere Gründe haben, zum Beispiel den Grund, dass er das Gericht nicht ernst nimmt. Sein Verhalten macht aber deutlich, dass bei ihm eine erzieherische Einwirkung notwendig ist. Wie Sie in diesem Bereich als Richterin Erfahrung sammeln konnten, so weiß ich als Oberstaatsanwalt, dass gerade Jugendliche darauf reagieren, wenn sie mal einen Tag in der Kiste waren. Das ist eine Erfahrung, die dazu führt, etwas intensiver über die eigene Situation nachzudenken und nicht anzunehmen, der Staat ließe alles mit sich machen. ({0}) Ich glaube, für Erziehung ist entscheidend, dass Fehlverhalten - das Nichterscheinen bei Gericht ist ein solches Fehlverhalten - nicht folgenlos bleibt. ({1}) Deshalb könnte eine entsprechende Reaktion bewirken, dass das, was der Richter anordnet und was dann geschieht, zu einer wesentlich intensiveren erzieherischen Einwirkung führt. Das kann bedeuten, dass die Entscheidung, die der Jugendrichter zu treffen hat, ganz anders ausfällt , weil eine erzieherische Wirkung erzielt worden ist. ({2}) Ich selbst habe das in meinem persönlichen Umfeld bei jemandem, der auf die schiefe Bahn gekommen ist, erlebt. Erst, nachdem ein Tag in Haft verbracht worden war, war ein Gespräch über die Situation möglich. ({3}) Über diese Punkte lohnt es sich nachzudenken. Deswegen bin ich der Auffassung, wir sollten offen in eine Anhörung gehen - wir werden mit Sicherheit eine solche haben -, und ich signalisiere, dass ich dafür offen bin. Was mich sehr nachdenklich macht, ist die Frage nach der Beteiligung der Jugendgerichtshilfe. Für mich war bei der Vorbereitung auf Jugendverfahren der Bericht der Jugendgerichtshilfe von außerordentlicher Bedeutung. Ich habe mich deshalb ganz bewusst immer mit den Berichten der Jugendgerichtshilfe auf die entsprechenden Verhandlungen vorbereitet, weil man durch diese Berichte wertvolle Hinweise bekam, was hinterher als Reaktion erfolgen sollte. Leider muss ich feststellen, dass das nicht alle Richter genauso gesehen haben, es reichte aber aus, wenn der Staatsanwalt nachhelfen und den einen oder anderen Hinweis geben konnte. Ich denke, wir sollten zu einer Beschleunigung des Verfahrens kommen. Im Übrigen hat sich gezeigt - auch das gehört zu einer klaren Lagebeurteilung -, dass viele der Befürchtungen, die wir aus der SPD-Fraktion, aber auch aus meiner eigenen Fraktion bei der Förderung des beschleunigten Verfahrens gehört haben, nicht eingetroffen sind. Es ist auffällig, wie viele der beschleunigten Verfahren sofort rechtskräftig werden. Das zeigt, dass die Angeklagten eben keine Beschränkung ihrer Rechte zu befürchten haben. Ich denke, dass gerade das Jugendverfahren von Beschleunigung lebt. Deshalb ist für mich die Sicherstellung der Beteiligung der Jugendgerichtshilfe ein wichtiger Faktor. Darauf werde ich auch bei den Beratungen großen Wert legen. Das muss gewährleistet sein. Es darf also nicht Beschleunigung um jeden Preis geben; denn die erzieherischen Vorgaben des Jugendgerichtsgesetzes müssen bei allen Anstrengungen, die zu einer Beschleunigung der Verfahren unternommen werden, erhalten bleiben. Aber Beschleunigung ist notwendig. Je schneller Jugendliche eine Reaktion spüren, desto besser ist es auch für ihren weiteren Lebensweg. Vielen Dank. ({4})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Der Redner der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen, Volker Beck, gibt seine Rede zu Protokoll.1) Es spricht nun für die Fraktion der PDS die Kollegin Sabine Jünger.

Sabine Jünger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003156, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte meinem Erstaunen zumindest über den ersten Teil Ihrer Rede, Herr van Essen, Ausdruck verleihen. „Erstaunen“ ist noch eine sehr vorsichtige Formulierung. Ich gebe gerne zu, dass Sie mich überrascht haben. Das hätte ich von Ihnen so nicht erwartet. Wenn das die neue Liberalität ist, dann muss ich ehrlich zugeben, dass es mich ein Stück weit davor gruselt. ({0}) Jugendstrafverfahren - das möchte ich deutlich unterstreichen - sollten so schnell wie möglich abgeschlossen werden. Ich denke, darüber sind wir uns alle einig. Außerdem steht es schon jetzt ganz deutlich im Gesetz. Das Jugendgerichtsgesetz enthält ausdrücklich ein Beschleunigungsgebot für alle Verfahren. - Herr Nooke, wenn Sie mir zuhören würden, dann könnten Sie das vielleicht auch verstehen. ({1}) §§ 76 ff. bieten darüber hinaus die Möglichkeit, Verfahren zu vereinfachen und damit relativ zügig abzuschließen. Nun gibt es aber doch leider immer wieder Fälle, in denen es über ein Jahr - wenn nicht noch länger - dauert, bis es zu einem Urteil kommt. ({2}) Das ist nicht nur bedauerlich, nein, das ist in jeder Hinsicht kontraproduktiv. Die Frage ist nur, woran das liegt. Frau Simm, der doppelt so viel Redezeit zur Verfügung stand wie mir jetzt, konnte darauf etwas ausführlicher eingehen. Ich fasse mich ganz kurz und sage: Es liegt an der Überlastung von Polizei und Gerichten sowie an der schlechten Ausstattung und Überlastung der Jugendgerichtshilfe. Die gesetzlichen Möglichkeiten, denke ich, sind ausreichend. ({3}) An denen liegt es wohl zu allerletzt. Der Gesetzentwurf des Bundesrates geht meiner Meinung nach völlig an den Problemen vorbei, noch schlimmer: Er ist ein Angriff auf grundlegende Prinzipien des Jugendstrafrechts. Wenn es um Haftstrafen für Jugendliche geht, muss sorgfältig gearbeitet werden. Das Jugendgerichtsgesetz legt ganz klar fest, was darunter zu verstehen ist. ({4}) - Wenn ich mich mit Ihren alten Argumenten, Herr Geis, wie Herabsetzung der Strafmündigkeit auseinander setzen würde, die Sie Jahr für Jahr aus der Mottenkiste holen, dann hätte ich viel zu tun. ({5}) - Wissen Sie, ich saß vorher vier Jahre im Rechtsausschuss des Landtages von Mecklenburg-Vorpommern. Auch dort durfte ich mich öfter mit Ihren Ergüssen auseinander setzen. Sie sind ja - das möchte ich Ihnen zugestehen - ein Stück weit über den Bundestag hinaus bekannt, sodass mir das auch dort leider nicht erspart blieb. ({6}) Die so genannten beschleunigten Verfahren aus dem allgemeinen Strafrecht können dem, was ich vorhin über die Haftstrafen für Jugendliche gesagt habe, nicht gerecht werden. Genau deshalb sind sie ausdrücklich unzulässig. Das muss auch so bleiben. Richtig haarig wird es an dem Punkt, wo die Hauptverhandlungshaft auch für Jugendliche eingeführt werden soll. Dieser Vorschlag stellt sich ausdrücklich gegen das Prinzip der Haftvermeidung bei Jugendlichen und damit gegen unser nationales Recht. Es geht den konservativen Urhebern dieses Gesetzentwurfs offensichtlich im Kern wieder einmal darum, sich als Hüter der öffentlichen Sicherheit aufzuspielen. Dazu ist ihnen bekanntlich jedes Mittel recht. Zurzeit dient ja die Bekämpfung des Rechtsextremismus regelmäßig als Vorwand für den Ruf nach Strafverschärfungen. Wir haben das heute auch vom Justizminister aus Thüringen gehört. Alles, was die Konservativen schon immer am vermeintlich zu liberalen Jugendstrafrecht gestört hat, soll jetzt unter diesem Vorwand wieder einmal entsorgt werden. Auch der vorliegende Gesetzentwurf des Bundesrates, der auf Initiative des Landes Thüringen zustande gekommen ist, lässt sich hier nahtlos einreihen. Ich wundere mich immer wieder, dass gerade diejenigen am lautesten nach Strafverschärfung rufen, die das Problem des Rechtsextremismus an anderer Stelle kleinreden. Rechtsextremismus ist kein Jugendproblem, das durch Änderungen im Jugendstrafrecht bekämpft werden könnte. Hier sind gesamtgesellschaftliche Lösungen gefragt, die weit von der Ebene des Strafrechts entfernt ansetzen müssen. Gerade in Thüringen, aber nicht nur dort, sollte man sich dieser Thematik viel dringender stellen. ({7}) 1) Anlage 2

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich gebe das Wort nunmehr dem Kollegen Alfred Hartenbach für die Fraktion der SPD.

Alfred Hartenbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002669, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister Birkmann! Der vorliegende Gesetzentwurf des Bundesrates beginnt mit zwei Denkfehlern. Der erste Denkfehler ist, dass in der letzten Zeit - Frau Simm hat schon darauf hingewiesen - die Verfahren zu lange dauern. In dem Entwurf steht „Wochen und Monate“. Wenn Verfahren Wochen dauern, ist das bei Jugendlichen eine gute Sache, und Monate haben sie auch schon vorher gedauert. Das wird man nicht verhindern können. Der zweite Denkfehler ist, dass wir etwas Neues brauchen. Gehen Sie einmal etwas in die Geschichte des Jugendgerichtsgesetzes hinein. Gustav Radbruch hat es 1923 hauptsächlich und vornehmlich initiiert. Er hat die Strafmündigkeit mit diesem Gesetz von 12 auf 14 Jahre hochgesetzt und hat erstmals für die 14- bis 17-Jährigen neben den allgemeinen Knast, der damals, 1923, üblich war, erzieherische Maßnahmen gesetzt. Dass in der nationalsozialistischen Zeit leider vieles verschärft wurde, will ich hier nicht weiter ausführen. Das ist auch leider 1953 bei der ersten maßvollen Korrektur des Jugendgerichtsgesetzes kaum verbessert worden. Allerdings hat dieses Jugendgerichtsgesetz 1953 etwas gebracht, was auch sehr wichtig ist: dass nämlich Jugendstrafrecht auch auf die 18- bis 21-Jährigen angewandt werden kann. Erst 1990 haben wir - Frau Simm hat eben schon das Thema mit der Untersuchungshaft angesprochen - einen weiteren Schritt hin zu einem modernen und auch sachgerechten Jugendstrafrecht getan, indem diese unselige Jugendstrafe von unbestimmter Dauer abgeschafft wurde. Diese Strafe war das Härteste, was man Jugendlichen überhaupt antun konnte. Das geschah damals unter einer konservativ-liberalen Regierung. Herr van Essen, derjenige, der das damals gemacht hat, war der Justizminister Engelhardt. ({0}) Dies war ein sehr liberaler Mann. ({1}) - Ja, das war gut. - Das gebe ich Ihnen nur einmal kurz mit auf den Weg: ein sehr liberaler Mann. Was Sie heute wollen, Herr Birkmann - und darin sind Sie von Herrn van Essen unterstützt worden -, ist, das Rad wieder zurückzudrehen. Sie wollen wieder mehr formelles Erwachsenenstrafrecht in diesen Jugendstrafprozess hineinbringen über die Verhaftung, über das beschleunigte Verfahren mit der Hauptverhandlungshaft. Sie kennen meine Einstellung zur Hauptverhandlungshaft. Es war kein guter Tag, als dieser Bundestag damals die Hauptverhandlungshaft beschlossen hat. ({2}) - Herr van Essen, ich habe eben erlebt, wie Ihre Praxis ist. Die heißt: Rein in den Kasten; das wird schon helfen. ({3}) Früher sagte man dazu: U-Haft schafft Rechtskraft. Herr van Essen, wenn Sie als Mensch mit liberalem Anspruch sich hier hinstellen und sagen: „Es ist gut, wenn einer einmal einen Tag gesessen hat; das wirkt“, dann zementieren und verfestigen Sie damit, dass Sie bei einer Unschuldsvermutung jemanden einfach einsperren wollen. Dann sehen wir mal zu, was hinterher daraus wird. Ich bin einigermaßen enttäuscht. ({4}) Ihr liberaler Freund, Herr Funke, hat Magenschmerzen bekommen, als Sie hier eben geredet haben. ({5}) - Herr Geis, Gott sei Dank haben Sie heute mal nichts zu sagen. ({6}) Wenn wir nun in diese Beratungen hineingehen - und wir werden uns diesen Beratungen nicht verschließen -, dann sollen Sie wissen, ({7}) was für uns als Prämisse gilt: Wir wollen, dass in dem Spannungsfeld zwischen Strafe und pädagogischer Ausrichtung des Jugendgerichtsgesetzes der erzieherische Gedanke eine ganz wesentliche und gewichtige Rolle spielt. ({8}) Der erzieherische Gedanke kann keine wesentliche und gewichtige Rolle spielen, wenn Sie hier ein HauruckVerfahren haben wollen, wie es das beschleunigte Verfahren ist. ({9}) Wir brauchen in diesen Verfahren eine sehr sorgfältige Beobachtung des jungen Menschen und eine sehr sorgfältige Auslotung des Wesens des jungen Menschen. ({10}) Die allermeisten, die als Jugendliche abweichendes Verhalten zeigen, sind weder kriminell noch drohen sie kriminell zu werden. Deswegen war die Bemerkung „einen Tag in die Kiste“ auch so schlimm. ({11}) Sie brauchen eine klare entsprechende Ausrichtung. Das gelingt eben nur mit einer vernünftigen Jugendgerichtshilfe und einer vernünftigen Verhandlung. Wir haben - Frau Simm hat es angesprochen - die notwendigen Instrumentarien. Sie wollen, dass gegen rechtsradikale jugendliche Täter so wie gegen Erwachsene verhandelt wird. Wir müssen auch das Umfeld genau derjenigen rechtsradikalen Täter, die Herr Birkmann angesprochen hat, sehr sorgfältig und sehr genau ausloten. Gerade bei einem jungen Menschen genügt es nicht, ihn wie einen Erwachsenen zu packen, ihn ins „Kästchen“ zu stecken, gegen ihn zu verhandeln und ihn zu verurteilen. Alle Maßnahmen müssen sehr sauber gegeneinander abgewogen sein. ({12}) - Herr Geis, da haben Sie Ihren Parteifreund, Herrn Birkmann, ganz offensichtlich sehr missverstanden. ({13}) Im Hinblick darauf, dass wir die Beratungen demnächst beginnen, wiederhole ich: Es wird für uns wichtig sein, dass wir bei Ihnen die Bereitschaft vorfinden, über Möglichkeiten nachzudenken, wie man Tat und Reaktion in einen vernünftigen zeitlichen Zusammenhang bringen kann. Ich denke, dass ich bei Ihnen als früherem Familienrechtler Verständnis dafür finden müsste. Ich bin aber nicht sicher, ob das auch für jemanden gilt, der einen Gentest für alle männlichen Bewohner dieses Landes will. Vielen Dank. ({14})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent- wurfs auf Drucksache 14/5014 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu an- dere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 sowie Zusatz- punkt 9 auf: Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Einsetzung eines Ausschusses für Verbraucher- schutz, Ernährung und Landwirtschaft - Drucksache 14/5543 - Beratung des Antrags der Abgeordneten Gudrun Kopp, Rainer Brüderle, Paul K. Friedhoff, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P. Einsetzung eines Ausschusses für Verbraucher- fragen - Drucksache 14/5568 - Zum Antrag der Fraktionen der SPD und des Bündnis- ses 90/Die Grünen liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der F.D.P. vor. Ich habe heute Mittag im Ältestenrat gesagt, dass ich auf die Weitsicht der Parlamentarischen Geschäftsführer und auf die Einsicht der Redner vertraue. Wie die nächs- ten vier Tagesordnungspunkte zeigen, ist dieses Vertrauen gerechtfertigt. Bei diesem Tagesordnungspunkt geben die Redner Ilse Janz, SPD, Peter Harry Carstensen, CDU/CSU, Steffi Lemke, Bündnis 90/Die Grünen, Gudrun Kopp, F.D.P., und Kersten Naumann, PDS, ihre Reden zu Protokoll.1) ({0}) Wir kommen zu den Abstimmungen, und zwar zunächst über den Antrag der Fraktion der F.D.P. zur Ein- setzung eines Ausschusses für Verbraucherfragen. Wer stimmt für den Antrag auf Drucksache 14/5568? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und CDU/CSU bei Enthaltung der PDS gegen die Stimmen der F.D.P. abgelehnt. Wir kommen nun zu dem Antrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Einset- zung eines Ausschusses für Verbraucherschutz, Ernäh- rung und Landwirtschaft“, Drucksache 14/5543. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der F.D.P. auf Drucksache 14/5569 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Gegen- probe! - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der anderen Fraktionen abgelehnt. Nun stimmen wir über den Antrag auf Drucksache 14/5543 ab. Wer stimmt für diesen Antrag? - Gegen- probe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung von CDU/CSU und PDS gegen die Stimmen der F.D.P. ange- nommen. Damit ist der Ausschuss für Ernährung, Land- wirtschaft und Forsten in Ausschuss für Verbraucher- schutz, Ernährung und Landwirtschaft umbenannt. Der Ausschuss hat 35 Mitglieder. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 13 a und b auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung der Formvorschriften des Pri- vatrechts und anderer Vorschriften an den mo- dernen Rechtsgeschäftsverkehr 1) Anlage 3 - Drucksache 14/4987 ({1}) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({2}) - Drucksache 14/5561 Berichterstattung: Abgeordnete Christine Lambrecht Dr. Wolfgang Götzer Volker Beck ({3}) Dr. Evelyn Kenzler b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des Verfahrens bei Zustellungen im gerichtlichen Verfahren ({4}) - Drucksache 14/4554 ({5}) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({6}) - Drucksache 14/5564 Berichterstattung: Abgeordnete Joachim Stünker Dr. Norbert Röttgen Helmut Wilhelm ({7}) Dr. Evelyn Kenzler Die Kolleginnen und Kollegen Christine Lambrecht, SPD, Dr. Wolfgang Götzer, CDU/CSU, Helmut Wilhelm, Bündnis 90/Die Grünen, Rainer Funke, F.D.P., Dr. Evelyn Kenzler, PDS, und die Bundesministerin der Justiz, Dr. Herta Däubler-Gmelin, geben ihre Reden zu Pro- tokoll.1) Wir stimmen über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Anpassung der Formvorschriften des Privatrechts und anderer Vorschriften an den modernen Rechtsgeschäftsverkehr auf den Drucksachen 14/4987 und 14/5561 ab. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen des Hauses bei Enthaltung der PDS angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist auch in dritter Beratung mit den Stimmen des Hauses bei Enthaltung der Fraktion der PDS angenommen. Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Reform des gerichtlichen Zustellungsverfahrens auf den Drucksachen 14/4554 und 14/5564: Wer möchte diesem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen? - Gegenprobe! Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung einstimmig angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte, hier ähnlich wie bei der zweiten Beratung abzustimmen und sich zu erheben, wenn Sie diesem Gesetzentwurf zustimmen wollen. - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen Ich rufe Tagesordnungspunkt 14 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des Bundesdisziplinarrechts ({8}) - Drucksache 14/4659 ({9}) Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({10}) - Drucksache 14/5529 - Berichterstattung: Abgeordnete Peter Enders Meinrad Belle Cem Özdemir Petra Pau Zu Protokoll gegeben wurden die Reden von Peter Enders, SPD, Meinrad Belle, CDU/CSU, Helmut Wilhelm, Bündnis 90/Die Grünen, Dr. Edzard Schmidt- Jortzig, F.D.P., Petra Pau, PDS, und des Parlamentari- schen Staatssekretärs beim Bundesminister des Innern, Fritz Rudolf Körper.2) Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Neuordnung des Bundesdisziplinarrechts auf den Drucksachen 14/4659 und 14/5529: Wer diesem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Bei Enthaltung der F.D.P. und gegen die Stimmen der PDS ist dieser Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit der gleichen Mehrheit wie in der zweiten Beratung angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 15 auf: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({11}) Sammelübersicht 217 zu Petitionen ({12}) - Drucksache 14/5256 - Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der PDS vor. Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters 1) Anlage 4 2) Anlage 5 Die Kolleginnen und Kollegen Reinhold Hiller, SPD, Martin Hohmann, CDU/CSU, Cem Özdemir, Bündnis 90/ Die Grünen, Dr. Karlheinz Guttmacher, F.D.P., Ulla Jelpke, PDS, und für die Bundesregierung die Staatsse- kretärin Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast geben ihre Reden zu Protokoll.1) Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses in Sammelübersicht 217. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/5537 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der PDS abgelehnt. Wer stimmt für Sammelübersicht 217 auf Drucksache 14/5256? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Sammelübersicht 217 ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der PDS angenommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind am Schluss der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 16. März 2001, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.