Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Birgit Schnieber-Jastram.
Franz Thönnes
Frau Präsidentin! Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Thönnes, „die Botschaft hör‘ ich wohl, allein mir
fehlt der Glaube“!
({0})
Nach knapp einem Jahr Schamfrist haben Sie Ihre Beratungsresistenz aufgegeben und endlich unseren Vorschlag
zur Einführung eines Jobrotation-Programms aufgenommen.
({1})
Das sind erste Anzeichen von Lernfähigkeit, die uns hoffen lassen, und zwar darauf, dass die Regierungskoalition
auch unsere anderen Vorschläge zur Qualifizierung und
Beschäftigung älterer Menschen übernehmen wird. Wir
haben diese ja vor kurzem im Plenum eingebracht und diskutiert. Vielleicht geht Ihre bessere Einsicht ja sogar so
weit, dass die Vernunft auch bei der Rentenreform, der
Neuregelung des Betriebsverfassungsgesetzes und anderen Vorhaben greift. Das würde uns ganz besonders freuen.
Ich habe es gesagt: Sie haben unseren Vorschlag zum
Jobrotation-Programm aufgegriffen. Vielleicht ist das ein
gutes Zeichen und auf gute Zeichen am Arbeitsmarkt warten derzeit ungefähr 5,2 Millionen, nach manchen Schätzungen sogar 5,7 Millionen Menschen; denn die Arbeitslosigkeit, die offizielle und die verdeckte, ist nun einmal
so hoch.
Diese Menschen haben am vergangenen Sonntag wieder einmal gewartet, aber vergebens. Denn es ist sehr
deutlich geworden: Was in des Kanzlers Konsensrunde
verabschiedet wurde, bedeutet „Stillstand statt Aufbruch“. „Nach achtmonatiger Vorbereitungszeit ist solch
ein Ergebnis nur blamabel zu nennen.“ Dieses Resümee
zieht die „Süddeutsche Zeitung“, die bekanntlich kein Organ der Opposition ist.
({2})
Schauen wir uns doch einmal an, was die Beteiligten
des Treffens am Sonntag als Ergebnis festgehalten haben.
Der Kanzler hat betont, dass es seine Rolle sei, den Versuch zu machen, „wirtschaftliche Vernunft zu realisieren“
und dann „für einen Ausgleich der Interessen zu sorgen“.
Davon abgesehen, dass es an der wirtschaftlichen Vernunft der Regierung berechtigte Zweifel geben kann,
({3})
scheint ihm die Vermittlerrolle ja in der Tat hervorragend
gelungen zu sein. Der Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt
spricht von einem „2:0-Erfolg für uns“, also für die Arbeitgeber. Anscheinend hat er Recht, denn Dieter Schulte,
der Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes, dem die
meisten von Ihnen ja in besonderer Weise zugetan sind, hat
laut „Frankfurter Rundschau“ eine Niederlage eingeräumt.
({4})
IG-Metall-Chef Klaus Zwickel - auch er ist für Sie alle
kein Fremder - hat gesagt, das Bündnis fürArbeit sei unter dem Aspekt der Beschäftigung „kein ausreichender
Erfolg“; er hat von „unverbindlichen Vereinbarungen“ gesprochen und hat mit einer „schwierigen, möglicherweise
explosiven“ Tarifrunde gedroht. Das ist Ihr Verdienst.
({5})
Wenn der Kanzler schon glaubt, bei den Treffen der Tarifpartner
({6})
den Moderator geben zu müssen, dann sollte er, finde ich,
jedenfalls für Ergebnisse sorgen, bei denen sich nicht eine
Partei als Sieger und die andere Partei als Verlierer fühlt.
Manches Gewerkschaftsmitglied wird sich wirklich fragen, wem man 1998 mit Millionen aus Beiträgen zur
Kanzlerschaft verholfen hat. Was ist die Ernte? Was wird
beim Bündnis für Arbeit vermittelt?
({7})
- Ihnen fällt wirklich nichts Besseres ein, Herr Thönnes.
Welche konkreten Maßnahmen sind nun vereinbart
worden? Die Antwort ist einfach: Keine.
({8})
Was wurde vereinbart, um die Millionen Erwerbslosen in
Arbeit zu bringen? Nichts.
({9})
Was waren die zählbaren Ergebnisse des Treffens am
Sonntag? Achteinhalb Seiten heiße Luft und Absichtserklärungen nach dem Motto: Wie schön, dass wir mal
wieder darüber geredet haben!
({10})
Die Liste der Teilnehmer ist länger als alle Passagen der
gemeinsamen Erklärung zu den wirklichen Problemgruppen des Arbeitsmarktes. Die Einzigen, denen das
Treffen zusätzliche Beschäftigung gebracht hat, sind die
Mitarbeiter, die für Organisation und Einladung sorgen
mussten.
({11})
Wenn die Bundesregierung den Gesprächen mit den
Tarifpartnern wirklich einen Sinn geben will, dann muss
sie endlich die Themen in die Debatte einbringen, die der
Schaffung neuer Arbeitsplätze in Deutschland entgegenstehen. Das sind folgende Fragen: Wie kann die fortschreitende Überregulierung des Arbeitsmarktes endlich
gestoppt und wie können überflüssige Vorschriften endlich abgebaut werden?
({12})
Wie können die 43 Milliarden DM für aktive Arbeitsmarktpolitik sinnvoller und effektiver als bisher verwandt
werden? Wie können Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe so
verknüpft werden, dass Anreize zur Arbeit geschaffen
werden? Wie können für Geringqualifizierte zusätzliche
Arbeitsplätze geschaffen werden? Zu all diesen Themen
herrscht Schweigen, wenn die Tarifpartner mit dem Kanzler Tee trinken.
Was mir beim besten Willen nicht einleuchten will, ist
die Tatsache, dass die erschreckende Arbeitsmarktsituation in den neuen Ländern in der gemeinsamen Erklärung mit so gut wie keinem Wort angesprochen wird.
({13})
Ich hatte gehört - ich denke, Sie auch -, dass der Kanzler
die Angelegenheiten der neuen Länder zur Chefsache machen wollte.
({14})
Sie scheinen ihm aber nicht so wichtig zu sein, um sie
beim Bündnis für Arbeit zu diskutieren.
Was hat der Kanzler in der Chefsache bisher erreicht?
Ich zitiere in diesem Zusammenhang aus der Mitgliederzeitschrift der IG Metall: extrem hohe Arbeitslosigkeit,
viel zu wenig Lehrstellen, Flucht von qualifizierten
Arbeitnehmern in den Westen.
Gestern stand in der „Bild“-Zeitung, der glücklichste
Mann in der brandenburgischen Stadt Wittenberge sei der
Umzugsunternehmer, da jedes Jahr durchschnittlich
1 400 Bürger ihre Koffer packen, um dem Schicksal der
Arbeitslosigkeit - es gibt dort eine Arbeitslosenquote von
18 Prozent - zu entfliehen. Geht das so weiter, ist die Stadt
in 20 Jahren ohne Einwohner.
({15})
Die Krönung ist: Das Bundesarbeitsministerium gönnt
den neuen Bundesländern in seiner Kommentierung der
neuesten Arbeitslosenzahlen nur einen Satz:
In Ostdeutschland hat sich die Zahl der Arbeitslosen
leicht auf 1,490 Millionen erhöht ({16}).
Das war es. Es folgen weder Erklärungen noch Lösungsvorschläge; denn was Sie nicht mit Siegerlächeln verkünden können, wollen Sie unter den Teppich kehren.
({17})
Ich frage nochmals: Warum hat die Bundesregierung
die neuen Länder nicht zum Hauptthema des Bündnisses
für Arbeit gemacht? Ich vermute als Grund, die Bundesregierung hätte sonst eingestehen müssen, dass die tatsächliche Arbeitslosigkeit in vielen Arbeitsamtsbezirken
Mecklenburg-Vorpommerns, Sachsen-Anhalts und anderer neuer Bundesländer doppelt so hoch ist, wie die Daten
der offiziellen Statistik es ausweisen. Wenn man die
Arbeitsuchenden dazuzählt, die zeitlich befristet an öffentlich geförderten Beschäftigungs- und Qualifizierungsmaßnahmen teilnehmen, dann ergibt sich, dass oftmals vier von zehn Erwerbstätigen nicht auf dem ersten
Arbeitsmarkt beschäftigt werden. Ich sage nur: Chefsache
Ost.
({18})
Schauen wir uns doch einmal ein anderes Programm
etwas näher an, auf das Sie auch sehr stolz sind. Da gibt
es das legendäre JUMP-Programm für junge Menschen.
Legenden haftet ja oftmals eine etwas freiere Auslegung
der Wahrheit an;
({19})
aber ich sage Ihnen eins: Das JUMP-Programm ist
schlichtweg eine Münchhausen-Geschichte.
({20})
Seit rund zwei Jahren fließen jährlich 800 Millionen DM
aus diesem Programm in die neuen Länder. Jetzt sollen es
jährlich 1 Milliarde DM werden. Das Ergebnis - Sie haben das immer noch nicht wahrgenommen -: Anstieg der
Jugendarbeitslosigkeit in den neuen Ländern im
letzten Jahr um sage und schreibe 13,1 Prozent! Das ist
das Ergebnis dieses Münchhausen-Programms.
({21})
Sie machen hier - Sie wissen es in Wirklichkeit ganz
genau, Herr Thönnes - Programme und Programme für
zig Milliarden Mark und wissen noch nicht einmal, wem
sie nutzen; Hauptsache, es werden wieder ein paar Erwerbslose aus der Statistik verschwinden. Das ist Ihre Intention.
Das gilt auch für die älteren Arbeitslosen, für die die
Bundesregierung sich ja jetzt angeblich so energisch einsetzen will.
({22})
- Jetzt hören Sie doch mal zu! Wir reden nun über die älteren Arbeitslosen.
Ich will Ihnen meine Ausführungen anhand zweier
Zahlen verdeutlichen, die uns die Bundesregierung selbst
in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage übermittelt hat:
Im Jahresdurchschnitt 2000 lag der Anteil der über
50-Jährigen an den durch die Instrumente der aktiven
Arbeitsmarktpolitik geförderten Personen bei 20,3 ProBirgit Schnieber-Jastram
zent; bei den Maßnahmen zur Förderung der beruflichen
Weiterbildung lag er gerade bei 7,3 Prozent. Diese Zahlen
zeigen sehr deutlich, wo die Zielsetzung der Bundesregierung zu suchen ist: im Drehtüreffekt und nicht darin,
ältere Menschen im ersten Arbeitsmarkt zu vermitteln.
({23})
Es gibt noch andere interessante Aussagen. Zum Beispiel:
Gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse über die
tatsächlichen Erklärungsfaktoren für die Höhe der
Erwerbstätigenquote älterer Menschen liegen der
Bundesregierung nicht vor.
So sagt die Bundesregierung. Stochern Sie denn wirklich
überall nur im Nebel herum?
Die Passage Ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage, in
der die „weit verbreitete Frühverrentung“ zu einer Maßnahme erklärt wird, die die „Zustimmung aller Betroffenen“ gefunden habe, halte ich sogar für zynisch. Ich bin
mir nicht so sicher, dass wirklich alle Betroffenen unglaublich begeistert davon waren, mit 50 Jahren oder
früher oder später in Frührente zu gehen. Ich erlebe etwas anderes.
({24})
Ich weiß nicht, wie ein Vater seinen erwachsenen Kindern
erklären soll, dass er nun ohne Arbeit ist und mit knapp
55 Jahren in Frührente geht.
({25})
Wir sind im Gegensatz zu Ihnen der Meinung, dass Arbeit nicht nur Broterwerb ist, sondern auch viel mit Würde,
Selbstbewusstsein und sozialer Teilhabe zu tun hat.
({26}) so-
wie des Abg. Dirk Niebel [F.D.P.] - Franz
Thönnes [SPD]: Wie viel Arbeitslose habt ihr
denn hinterlassen?)
Deshalb ist Erwerbstätigkeit auch und gerade für ältere
Menschen in jedem Fall besser als die Teilnahme an arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen.
Liebe Kollegen,
rufen Sie bitte nicht dauernd dazwischen! Ansonsten kann
die Rednerin gar nicht Luft holen.
Insofern
halte ich es für erstaunlich, dass Herr Ostertag in der letzten Woche in einer Debatte erklärt hat, dass er stolz sei,
dass die Erwerbstätigenquote der 50- bis 65-Jährigen
mit 48,2 Prozent nur knapp unter dem EU-Durchschnitt
von 48,6 Prozent liege. Woran orientieren Sie sich eigentlich? Offenbar am unteren Mittelmaß. Es gibt Länder wie
die Schweiz, wie Norwegen, Dänemark, Großbritannien
- diese Länder sind gar nicht so weit entfernt - oder die
USA, in denen die Erwerbstätigenquote älterer Menschen
bei bis zu 70 Prozent liegt. Das ist das Ziel, das wir erreichen müssen. Aber davon sind Sie weit entfernt.
({0})
Sie haben keine konsequente Linie in der Arbeitsmarktpolitik und denken bestenfalls in Monatszeiträumen.
({1})
Zum Abschluss möchte ich noch etwas zu Ihrem Antrag „Eckpunkte zur Verbesserung der Bekämpfung illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit“ sagen. Wir stimmen zwar der darin zum Ausdruck kommenden
Grundintention durchaus zu. Aber wir sind natürlich mit
der dort enthaltenen Passage über die erfolgreiche Wirtschafts- und Steuerpolitik der rot-grünen Regierungskoalition überhaupt nicht einverstanden. An dieser Stelle
können wir den Antrag nicht mehr mittragen.
({2})
Herr Thönnes, es gibt viel zu tun, nicht nur für Sie und
für alle Ihre Fraktionskollegen, sondern auch für die Regierung, die zwei Jahre lang nur untätig zugeschaut hat.
Die Zahlen sind ein deutlicher Beleg dafür.
({3})
Machen Sie endlich was!
Danke.
({4})
Jetzt hat die Abgeordnete Thea Dückert das Wort.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren hier - ich glaube, das muss ich in Erinnerung rufen - eigentlich über zwei Anträge, nämlich
über den Antrag zur Jobrotation und über den Antrag zur
Verbesserung der Bekämpfung der illegalen Beschäftigung.
Frau Schnieber-Jastram, Sie haben wirklich ein Kunststück vollbracht;
({0})
denn Sie haben von zehn Minuten Ihrer Redezeit - ich
schätze einmal - jeweils nur zehn Sekunden zur Jobrotation und zur Bekämpfung der illegalen Beschäftigung gesprochen.
({1})
Die beiden Botschaften, die Sie uns übermitteln wollten,
lassen sich in etwa wie folgt umreißen: Sie nehmen bei der
Jobrotation das Urheberrecht in Anspruch und zur
Bekämpfung der illegalen Beschäftigung sagen Sie:
Dagegen wollten wir schon immer etwas tun. Wenn das
Ihr ganzer beschäftigungspolitischer Ansatz ist, dann
weiß ich, warum Sie von zehn Minuten nur 20 Sekunden
zu den Themen der vorliegenden Anträge gesprochen haben.
({2})
Die CDU/CSU nimmt für sich in Anspruch, Erfinder
der Jobrotation zu sein. Aber das Instrument der Jobrotation existiert bereits seit 1994 in Dänemark. Ich weise nur
darauf hin, weil Sie sich auf unsere Nachbarländer berufen haben.
({3})
Die Jobrotation ist ein sehr erfolgreiches Instrument.
Auch wir haben in rot-grün regierten Ländern wie Nordrhein-Westfalen sehr gute Erfahrungen mit diesem Instrument gemacht. Deswegen ist die Zeit jetzt reif, das Prinzip der Jobrotation in der ganzen Bundesrepublik
Deutschland einzuführen.
({4})
Nur, was ich überhaupt nicht leiden kann, Frau
Schnieber-Jastram, ist, wenn Sie hier in Krokodilstränen
ausbrechen, obwohl doch ganz deutlich belegbar ist, dass
Sie bereits seit 1994 einem guten Beispiel aus dem Ausland hätten nacheifern können, aber sage und schreibe erst
im Frühjahr des Jahres 2001 einen sehr mageren Antrag
zu diesem Thema vorlegen. Das hat mit einer Beschäftigungspolitik, die versucht, sich mit den Erfahrungen, mit
dem, was um uns herum passiert, auseinander zu setzen
und für Deutschland kreative neue Instrumente anzubieten, überhaupt nichts zu tun.
({5})
Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland ein
großes Problem: Für uns als rot-grüne Koalition steht Beschäftigungspolitik auf der politischen Agenda ganz oben.
Aber wir haben einen desolaten Arbeitsmarkt und eine desolate Beschäftigungspolitik übernommen und im Hinblick darauf müssen wir Schritt für Schritt eine Modernisierung einführen.
Wir haben - das ist nachweisbar - seit Herbst 1999 einen stetigen Abbau der Arbeitslosigkeit und ein stetiges
Ansteigen der Beschäftigung zu verzeichnen.
({6})
Das reicht nicht; das sage ich auch. Und im Vergleich zu
den europäischen Nachbarländern müssen wir noch einiges lernen. Warum ist das so? - Weil Ihre Regierung die
Entwicklung um uns herum seit Anfang der 90er-Jahre
systematisch verschlafen hat. Die Nachbarländer sind uns
um Nasenlängen voraus.
Mit dem, was wir heute vorschlagen - ich freue mich
besonders darüber, weil meine Fraktion seit mehr als einem Jahr an diesem Projekt arbeitet -,
({7})
nämlich die Jobrotation in der Bundesrepublik Deutschland zu übernehmen, machen wir endlich einen ersten,
wenn auch kleinen Schritt in Richtung einer modernen
Beschäftigungspolitik, der durch viele andere Maßnahmen ergänzt wird.
({8})
- Herr Laumann und Frau Schnieber-Jastram, ich kann
Sie wirklich beruhigen. Sie brauchen sich gar nicht so aufzuregen. Wir werden im Sommer dieses Jahres eine Reform des SGB III in Gang bringen, die im Kern die beschäftigungspolitischen Instrumente zum Inhalt hat.
({9})
- Sie mögen im Sommer vielleicht nicht hier sein, Herr
Laumann. Wir aber werden hier sein,
({10})
weil gerade im Sommer angesichts der entspannten Arbeitsmarktsituation eine gute Zeit ist, endlich die Reformprojekte anzugehen.
Ich kann Ihnen nur sagen: Das, was Sie hier abgeliefert
haben, bestätigt eigentlich wieder, dass Sie uns einen hohen Berg von Arbeitslosen hinterlassen haben. Es bestätigt, dass Sie in Ihrer Regierungszeit überhaupt kein
Fünkchen Kreativität und Modernität in der Beschäftigungspolitik hatten.
({11})
Ich finde es gut, dass Sie nachträglich auf diesen Zug
aufspringen wollen. Seien Sie herzlich begrüßt.
Vielen Dank.
({12})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Dirk Niebel.
Frau Präsidentin! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Wir debattieren heute über
zwei recht interessante und nicht ganz unwichtige Anträge. Dass dafür nur eine halbe Stunde zur Verfügung
steht, zeigt den Stellenwert, den die Regierung diesen Anträgen zumisst.
({0})
Aber der Kanzler kümmert sich auch sonst nicht so
sehr um Zahlen. Was sind denn 500 000 Arbeitslose mehr
oder weniger? Überhaupt: Wenn sich jemand nach gerade
einmal zwei Jahren Kanzlerschaft schon selbst als alten
Zirkusgaul in der Manege bezeichnet, denkt man eigentlich eher an das Altenteil als an Regierungsfähigkeit.
({1})
Ich befürchte nur, wir werden auch diesen Klepper
noch bis 2002 durchfüttern müssen. Dann gibt es zwei
Möglichkeiten: Entweder bekommt er eine Frischzellenkur oder er geht zum Pferdemetzger.
({2})
Ich glaube, das
war jetzt ein bisschen an der Grenze, Herr Kollege.
Jawoll, Frau Präsidentin.
({0})
Das Thema Arbeitsplatzrotation ist nicht neu. Wir kennen das Ganze aus Dänemark. Wir müssen in Ruhe die
Vor- und Nachteile abwägen. Wir müssen schauen, ob
nicht womöglich der bürokratische Moloch, von dem wir
befürchten, dass Sie ihn - wie bei anderen Gesetzen wieder aufbauen, dieses Instrument wegen des damit zusammenhängenden hohen organisatorischen und finanziellen Aufwands gerade für kleine und mittlere Betriebe
ungeeignet macht.
({1})
Darüber hinaus möchte ich zu bedenken geben, dass es
manchmal gar nicht so leicht sein wird, den passenden
Stellvertreter zu finden. Schauen Sie nach Baden-Württemberg. Wir haben in manchen Regionen des Landes
aufgrund der hervorragenden Wirtschaftpolitik von
Walter Döring und den Freien Demokraten fast eine Situation der Vollbeschäftigung mit einer Drei vor dem
Komma.
({2})
Sie müssen erst einmal gucken, wie Sie die passenden
Stellvertreter in die Betriebe bekommen, die Sie mit einer
weiteren Subvention ködern wollen.
Darüber hinaus möchte ich darauf hinweisen, dass man
dieses Thema im Zusammenhang mit den Bereichen Flexibilisierung der Arbeitszeit, Lebensarbeitszeitkonten,
Arbeitnehmerüberlassung und Zeitarbeit diskutieren
muss. Im Grunde ist dieses Thema interessant. Besonders
gut gefällt mir, dass Sie einen weiteren Schritt in Richtung
Dezentralisierung gehen, dass Sie mehr Kompetenzen auf
die örtliche Ebene verlagern und dass Sie eine regionalere
Arbeitsmarktpolitik machen wollen. Das ist vernünftig;
davon brauchen wir mehr.
({3})
Ich erinnere an meinen Vorschlag zu den Globalhaushalten für die Arbeitsämter. Darüber sollten wir noch einmal
diskutieren.
Was die Schwarzarbeit anbetrifft, möchte ich daran erinnern, dass die Freien Demokraten dazu bereits vor ungefähr einem Jahr, am 23. März letzten Jahres, einen Antrag eingebracht haben. Bisher hat man ihn noch nicht für
so wichtig erachtet, dass man dieses Thema im Plenum
hier behandelt. Angesichts eines geschätzten Volumens
der Schwarzarbeit in Höhe von 658 Milliarden DM und
angesichts von Bußgeldern in Höhe von 325 Millionen DM allein im letzten Jahr haben wir es mit einer
wahren Boombranche zu tun. Ich würde mich freuen,
wenn die Konjunktur in der regulären Wirtschaft genauso
brummen würde; aber sie wird durch Ihre Gesetzgebungsverfahren bisher ja abgewürgt.
({4})
Um Schwarzarbeit bekämpfen zu können, muss das
Lohnabstandsgebot durchgesetzt werden. Um das zu
erreichen, müssen wir die Arbeitnehmereinkommen von
Abgaben und Steuern wesentlich mehr entlasten, als es
jetzt der Fall ist. Es muss sich lohnen zu arbeiten. Es
muss zwischen staatlicher Transferleistung und Erwerbseinkommen eine deutliche Differenz erkennbar
sein. Die Steuerreform darf nicht bei dem stehen bleiben, was bisher vorgelegt worden ist. Das kann nur ein
erster kleiner Schritt in Richtung echter Entlastungen
gewesen sein.
Wir müssen auch die Lohnnebenkosten ins Auge fassen. Wir hätten seit über einem Jahr die Beiträge für die
Arbeitslosenversicherung um einen Prozentpunkt senken
können. Sie wollten das nicht, weil Sie diese Senkung erst
im nächsten Jahr vornehmen wollen. Wir alle wissen,
warum: Da ist Bundestagswahl. So wird es nicht funktionieren; die Entlastungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer brauchen wir früher.
({5})
Um Schwarzarbeit zu verhindern, brauchen wir Anreize, eine reguläre Arbeit anzunehmen. Wir brauchen ein
eindeutig reformiertes Arbeitsgenehmigungsrecht. Wer
sich in diesem Land aufhalten darf, der muss für die Dauer
des erlaubten Aufenthaltes in die Lage versetzt werden,
selbst für seinen Lebensunterhalt zu sorgen und nicht
zwangsweise an den Tropf der Sozialkassen gehängt zu
werden. Wenn jemand arbeiten möchte und arbeiten kann
und auf der anderen Seite ein Arbeitgeber einen Arbeitsplatz nicht besetzen kann, dann finden sich andere Wege,
ins Geschäft zu kommen. Solche Reformen haben Sie
bisher verhindert. Selbst die kleinen Schritte, die Sie seit
Januar dieses Jahres in die richtige Richtung gegangen
sind, haben Sie nur auf Druck der Opposition eingeleitet.
Kehren Sie um!
({6})
Wir brauchen mehr F.D.P. in diesem Land.
Vielen Dank.
({7})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Klaus Grehn.
Verehrte Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit Jahren - Kollege
Thönnes, Sie haben 1992 genannt - ist das Projekt Jobrotation bekannt. Zumindest seit 1993 besteht die Forderung, so etwas auch in Deutschland durchzuführen. Das
heißt, dass Sie auf der rechten Seite fünf Jahre lang Gelegenheit hatten, das durchzuführen; Sie auf der linken Seite
hatten zwei Jahre Zeit. In den vergangenen sieben Jahren
hat man es also nicht geschafft. Nun steht dieses Thema
auf der Tagesordnung. Wir halten Jobrotation für notwendig. Wir unterstützen jede Maßnahme, die einigermaßen
vernünftig ist; aus diesem Grunde gilt unsere Unterstützung auch dem Prinzip der Jobrotation.
({0})
Die CDU hat zwar vor einem Jahr den Antrag 14/2909
eingebracht; aber wir haben ihm damals nicht zugestimmt, weil er einen wesentlichen Mangel hatte: Sie
wollten, dass die Arbeitslosen zu nicht tariflichen Entgelten eingestellt werden können. Das ist sozial ungerecht
und mit uns nicht zu machen. Dieser Mangel ist behoben; deshalb findet der Antrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen unsere Zustimmung.
({1})
Was die Lage der älteren Arbeitnehmer betrifft, kann
ich Ihre Erwartungshaltung allerdings nicht teilen. Meine
Erwartung ist eher gedämpft. Die Ursache für die hohe
Anzahl arbeitsloser älterer Arbeitnehmer hat nicht so sehr
etwas mit ihrer Qualifikation zu tun, sondern liegt in deren Alter. Das Jobrotation-Vorhaben müsste daher eigentlich um ein Programm erweitert werden, mit dem die Arbeitgeber davon überzeugt werden, dass die älteren
Arbeitnehmer sinnvoll in den Arbeitsmarkt integriert
werden können.
({2})
Solange Ihnen diese Überzeugungsarbeit nicht gelingt,
wird Ihr Vorhaben nicht den von Ihnen erwarteten Erfolg
haben. Trotzdem erkenne ich an, dass es eine Möglichkeit
unter mehreren ist.
Sie haben auf die Einigung im Bündnis für Arbeit
verwiesen. Das ist für mich sehr interessant. In Bezug auf
Jobrotation hat man im Bündnis für Arbeit eine Einigung
gefunden, während das Thema Überstundenabbau - eine
weitere Möglichkeit, die Arbeitslosigkeit abzubauen nicht behandelt worden ist;
({3})
deshalb ist dieses Thema in diesem Parlament auch nicht
zur Diskussion gestellt worden.
({4})
Die Frage ist: Wer entscheidet wo und was?
Ein Weiteres will und kann ich Ihnen nicht ersparen.
Seit mehr als zwei Jahren bringt die PDS-Fraktion Anträge zur Veränderung des SGB III ein.
({5})
Sie haben alle Anträge rundherum mit der Begründung
abgelehnt, dass es sich um Einzelmaßnahmen handele,
aber ein neues SGB III komme. Was ist denn nun Ihre Jobrotation-Maßnahme anderes als eine Einzelmaßnahme?
Was wollen Sie denn nun eigentlich? Wollen Sie ein neues
SGB III oder wollen Sie es nicht?
({6})
Ein paar Bemerkungen zur Schwarzarbeit: Wir haben
uns mit dem Problem der Schwarzarbeit und der illegalen
Beschäftigung erst vor zwei Monaten im Zusammenhang
mit dem Bericht der Bundesregierung zur Bekämpfung
der illegalen Beschäftigung befasst. Darin wurde deutlich, dass das Ausmaß der Schwarzarbeit und der illegalen Beschäftigung, über das niemand etwas Genaues
weiß, da es keine genauen Zahlen gibt, über das aber alle
reden, trotz verstärkter Maßnahmen bei der Bekämpfung
und verschärfter Sanktionen gestiegen ist. In Ihrer jetzigen Vorlage ist nichts anderes vorgesehen, als die Sanktionen weiter zu verschärfen: Die Abschreckungswirkung
soll erhöht und die Effizienz der Verfolgungsbehörden
verbessert werden. Neben diesen kopflastigen Ansätzen
steht ganz klein die Prävention.
Ich meine, man sollte sich mehr auf Prävention stützen
und dabei auch im Auge haben, dass Schwarzarbeit erst
dadurch ermöglicht wird, dass gewisse Leute Schwarzarbeit anbieten
({7})
und andere sie annehmen, weil sie keine andere Möglichkeit haben, eine Beschäftigung auf dem Arbeitsmarkt zu
finden, ihren Unterhalt zu verdienen und ihre Familien zu
versorgen.
({8})
Setzen Sie dort an! Schützen Sie die Arbeitnehmerrechte!
Auch das ist eine Möglichkeit, der Schwarzarbeit zu begegnen. So kommen wir ein Stückchen weiter.
({9})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Klaus Wiesehügel.
Frau Präsidentin! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin manchmal
schon erstaunt, wenn ich Ihre Debattenbeiträge höre.
Aber, Herr Niebel, das, was Sie eben über den Bundeskanzler gesagt haben, sollten Sie einmal nachlesen.
({0})
- Ich meine das mit dem Pferdemetzger. Sie sollten einmal selbst lesen, was Sie da gesagt haben. Ich weiß zwar,
dass Sie eine schlechte Kinderstube hatten. Das habe ich
schon an vielen Ihrer Äußerungen bemerkt.
({1})
Aber was Sie da gerade gesagt haben, entspricht nun wirklich nicht unserem Umgang miteinander. Das ist schon
mehr als unterste Talsohle.
({2})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, über die
Schwarzarbeit ist auch in der Vergangenheit viel geredet
worden. Es gibt einige Dinge, die unbestritten sind. Unbestritten ist, dass 15 Prozent des Bruttosozialprodukts
- das ist ungefähr ein Siebtel - in diesem Bereich erwirtschaftet werden. Es ist immer schwierig, bei der Illegalität
genaue Zahlen zu benennen, aber nach Studien summieren sich die Erträge aus der Schwarzarbeit und der Illegalität auf wahrscheinlich über 600 Milliarden DM.
Diese Summe ist für sich genommen schon schlimm genug. Wenn man aber bedenkt, dass nur ungefähr 70 Prozent in den normalen Wirtschaftskreislauf zurückfließen,
bleiben 100 Milliarden DM, die dem Staat an Steuern
und Sozialversicherungsbeiträgen entzogen werden.
Wenn wir diese Summe im Haushalt zusätzlich zur Verfügung hätten, würde manch schwierige Debatte, die wir
über das Sparen führen müssen, überflüssig. Von daher
sollte man in diesem Bereich alle Anstrengungen unternehmen, um von diesen 100 Milliarden DM einen großen
Teil wieder in die Legalität zu führen.
({3})
Hinzu kommt, dass Schwarzarbeit zu ordnungspolitisch unerwünschten Wettbewerbsverzerrungen führt und
sich bedrohlich auf die Seriosität und das öffentliche Ansehen ganzer Branchen auswirkt. Manche Branchen werden heute derart mit Illegalität und Schwarzarbeit in Verbindung gebracht, dass sie enorme Schwierigkeiten
haben, sich öffentlich besser darzustellen.
Die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt wurden
bereits vielfach genannt. Auch ich möchte sie noch einmal
sehr deutlich machen: Wir wissen, dass durch 100 000 illegal Beschäftigte 60 000 legale Arbeitsplätze verdrängt
werden. Für diese 60 000 müssen wir nicht nur Transferleistungen bezahlen, sondern sie bedeuten auch einen Verlust an Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen in Höhe
von 3,1 Milliarden DM. Dies ist insgesamt ein Bereich, in
dem wir wirklich etwas tun müssen. Darin sind sich ja
auch alle einig.
Über die Begriffe Schwarzarbeit und Illegalität ist die
Einigkeit allerdings nicht mehr ganz so groß. Wir haben
ja die Kampagne der alten Bundesregierung erlebt. Ich
kann mich sehr lebhaft an die Kampagne von Norbert
Blüm gegen Schwarzarbeit erinnern. Er hat Schwarzarbeit nur als Arbeitnehmerschwarzarbeit darzustellen
versucht. Er hat versucht, Handwerker und Arbeitnehmer
dafür öffentlich an den Pranger zu stellen. Dass es aber einen viel größeren Anteil von unternehmerischer Schwarzarbeit und damit von organisierter Kriminalität gibt, ist
bei Ihnen nie wirklich angekommen. Diese Erkenntnis ist
damit auch nie Bestandteil Ihrer Politik gewesen. Deswegen konnten Sie auch nicht erfolgreich sein.
({4})
- Das stimmt wohl. Schauen Sie sich doch einmal die alten Kampagnen an, Herr Niebel! Ihre Partei war ja mit
dafür verantwortlich.
({5})
- Hören Sie doch damit auf, immer von „Gewerkschafter“
zu sprechen!
({6})
Ich möchte einmal erleben, dass Sie bei einer Rede von
Frau Wöhrl dazwischenrufen: Ach, eine Vertreterin des
deutschen Handels! - Sie protestieren ja auch nicht, wenn
Lobbyisten aus anderen Bereichen sprechen, Herr Niebel.
Hören Sie also auf, von „Gewerkschafter“ zu sprechen!
({7})
In dem vorliegenden Antrag der Regierungsfraktionen
haben wir das Problem auf den Punkt gebracht und - diesmal ohne einseitige Schuldzuweisungen - in seiner
ganzen Bandbreite als organisierte Kriminalität und
unternehmerische Schwarzarbeit erfasst. Im Übrigen
möchte ich feststellen: Wenn keine Handwerkerrechnung
ausgestellt wird, weil die Mehrwertsteuer eingespart werden soll, dann gehört das für mich auch zur Schwarzarbeit
und damit in den Bereich der Illegalität.
({8})
Man darf nicht sagen, dass das eine weniger schlimm ist
als das andere. Man muss vielmehr die gesamte Bandbreite sehen. Dies tun wir mit unserem Antrag.
Es gibt vielfältige Vorschläge, wie man in diesem Bereich erfolgreich sein kann. Sie sind dem Antrag zu entnehmen. Die Regierung kann diese Vorschläge umsetzen.
Entsprechende Gesetze sind dringend erforderlich, was
die Praxis ganz deutlich zeigt.
Ich will einige wesentliche Punkte ansprechen. Wir
brauchen Verbesserungen im Bereich der Abschreckung
und des Vollzugs. Dabei geht es nicht nur um die Erhöhung
des Strafrahmens oder um die Erhöhung der Bußgelder,
sondern dazu gehört auch die Einbeziehung von Maßnahmen im Falle der Hinterziehung von Sozialabgaben. Wenn
jemand Sozialabgaben nicht weiterleitet, dann ist das für
mich genauso ein unredlicher und krimineller Akt wie
Steuerhinterziehung. Dieser Tatbestand muss also auch
berücksichtigt werden. Wir tun dies in unserem Antrag.
Auch die Effizienz der Arbeit der Vollzugsbehörden
ist zu prüfen. Auch das ist im Antrag sehr deutlich dargestellt. Aus der Praxis weiß ich, dass wir zum Beispiel in
Hamburg 13 und in anderen Gebietskörperschaften auch
mindestens zehn verschiedene Behörden haben, die nebeneinander her kontrollieren. Der Gesetzgeber spricht
lediglich davon, dass sie die Informationen austauschen
sollen. Wenn also eine Behörde Missstände festgestellt
hat, die nicht in ihre Kompetenz fallen, dann muss sie
selbst entscheiden, ob sie der zuständigen Behörde Bescheid sagt oder nicht. Das führt in der Regel dazu, dass
nicht Bescheid gesagt wird. Der Zustand, dass viele Missstände bei Kontrollen aufgedeckt werden, aber nicht an
die zuständige Behörde weitergeleitet werden, muss beendet werden. Wir brauchen eine Verknüpfung der Kompetenzen. Die zuständigen Vollzugsbehörden müssen zur
Zusammenarbeit verbindlich veranlasst werden.
({9})
Wir müssen bestehende Gesetze wie das Arbeitnehmerentsendegesetz integrieren; wir müssen die Zusammenarbeit der Behörden auch in dieser Frage besser koordinieren. Es kann ja nicht sein, dass ein Steuerbeamter,
der ein Unternehmen prüft und der dabei eine illegale Beschäftigung feststellt, sich nicht zuständig fühlt - er denkt
sich vielleicht: Es ist Freitag, 13 Uhr, jetzt müsste ich eigentlich noch einen Bericht schreiben und diesen den
Kollegen in der zuständigen Behörde schicken; das muss
ich aber nicht unbedingt tun - und dementsprechend die
Information nicht weitergibt. Ich bin dem Beamten gar
nicht böse, wenn er so denkt; denn der Bericht könnte ja
umfangreich ausfallen und der Vorgesetzte könnte nachfragen. Wir müssen davon wegkommen, dass es auf Freiwilligkeit beruht, Verstöße gegen Gesetze den zuständigen Behörden zu melden. Wir müssen vielmehr dafür
sorgen, dass dies verbindlich geschieht.
Einen weiteren Punkt halte ich ebenfalls für sehr wichtig. Hinsichtlich der Hinterziehung von Sozialversicherungsbeiträgen - ich habe diesen Punkt vorhin schon
angesprochen - gibt es noch ein ganz besonderes Problem. Wenn sich Menschen, die hier illegal beschäftigt
werden, dem Zugriff durch Flucht über die Grenze entziehen können, dann haben wir keine Chance mehr, sie zu
belangen. Im Sozialversicherungsbereich gibt es nämlich
nur ein entsprechendes Abkommen mit Österreich. Mit allen anderen Ländern wäre es aber durchaus möglich.
Herr Kollege,
ich muss Sie darauf hinweisen, dass Sie Ihre Redezeit erheblich überzogen haben.
Ich komme sofort zum
Schluss. - Diejenigen, die sich als Schlepper betätigen
- ich will sie einmal als Lumpenpack bezeichnen -, sind
durchaus in der Lage, über die Grenze zu entkommen.
({0})
Wir können ihrer dann nicht mehr habhaft werden.
Wir brauchen eine Ausweitung des dinglichen Arrestes. Das versetzt uns zumindest in die Lage, harte Maßnahmen zu ergreifen, damit diejenigen, die sich auf kriminelle Weise in unserem Land betätigen, zur
Rechenschaft gezogen werden.
({1})
Es gäbe noch viel zu sagen, auch auf das, was Sie gerade völlig falsch einwerfen, aber meine Redezeit ist leider zu Ende. Ich hoffe, wir werden die Schwarzarbeit und
die Illegalität erfolgreich bekämpfen.
({2})
Ich schließe damit die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 14/5270 und 14/5245 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Einverstanden? - Dann verfahren wir so.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dirk
Fischer ({0}), Dr.-Ing. Dietmar Kansy,
Dr. Klaus W. Lippold ({1}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Konzept für die zukünftige Finanzierung der
Bundesverkehrswege
- Drucksache 14/5317 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({2})
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Widerspruch höre ich nicht. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der
Abgeordnete Eduard Oswald.
Frau Präsidentin!
Meine Kolleginnen und Kollegen! Leistungsfähige Verkehrswege sind die Grundvoraussetzung für ein Verkehrssystem, das in der Lage sein muss, auch künftigen
Verkehrszuwachs reibungslos, sicher und umweltschonend zu bewältigen. Ganz sicher sind wir gemeinsam der
Meinung, dass die Qualität unseres Verkehrssystems auch
in den kommenden Jahrzehnten ein maßgeblicher Faktor
für Wohlstand und wirtschaftliches Wachstum sein wird.
Wir müssen jetzt die notwendigen Weichen stellen, damit
Erhalt sowie Aus- und Neubau der Verkehrsinfrastruktur
in unserem Land auch in der Zukunft auf einer ökonomisch und ökologisch tragfähigen Basis den steigenden
Mobilitätsansprüchen von Gesellschaft und Wirtschaft gerecht werden.
({0})
Gemeinsam wissen wir, dass sich die Haushaltsfinanzierung in mancherlei Hinsicht als investitionshemmend
erwiesen hat. Mit dem vorgelegten Bericht der Kommission „Verkehrsinfrastrukturfinanzierung“ sind
konkrete Empfehlungen für die künftige Finanzierung der
Verkehrswege erarbeitet worden. Mein Dank gilt dem
Vorsitzenden der Kommission, Dr. Wilhelm Pällmann, für
seine Offenheit und seinen Mut zur Klarheit, die sich in
dem in dieser schwierigen Situation unter seiner Verantwortung entstandenen Bericht widerspiegeln.
Nach unserer Auffassung sind die Empfehlungen der
Kommission eine gute und geeignete Grundlage für die
notwendigen weiteren Beratungen und für unsere gemeinsame Suche nach neuen, zukunftsorientierten
Finanzierungsmöglichkeiten für die Bundesverkehrswege. Es geht natürlich nicht, dass man sich nur einzelne
Punkte, die einem möglicherweise politisch gefallen, aus
dem Bericht herausholt und diese dann realisiert, ohne das
Gesamtpaket einer intensiven Diskussion zu unterziehen.
Den Bericht nur als Argumentationshilfe für die Höhe der
LKW-Maut zu nutzen, wäre der falsche Weg. Wir wollen
erreichen, dass Sie auf der Grundlage des Berichtes ein
Konzept für eine zukunftsorientierte Gestaltung der Verkehrsinfrastrukturinvestitionen vorlegen.
({1})
Dies ist deswegen so notwendig, weil sich der Verkehr
in erheblichem Maße anders entwickelt hat, als dies der
Bundesverkehrswegeplan prognostiziert:
Erstens. Insbesondere die schnelle Entwicklung nach
der Öffnung zu den mittel- und osteuropäischen Nachbarstaaten hat im Personen- und vor allem im Güterverkehr
zu beträchtlichen Veränderungen gegenüber den bisherigen Voraussetzungen geführt.
Zweitens. Der Straßengüterverkehr hat überproportional zugenommen.
Drittens. Der Schienengüterverkehr liegt dagegen nur
bei der Hälfte des vorausgesagten Wertes.
Aus der Erkenntnis, dass die Schiene weiter Anteile an
die Straße verlieren wird, sind die verkehrs- und umweltpolitisch notwendigen Folgerungen zu ziehen. Für uns gilt
unverändert, dass Eisenbahnen und Binnenschifffahrt
in unserem Verkehrssystem auch zukünftig unverzichtbar
sind. Sie müssen aber in Zukunft mehr als nur eine Ergänzungsfunktion erfüllen. Sie müssen ihre systemtypischen Stärken besser zur Geltung bringen und wir
müssen sie dabei weiter in besonderer Weise unterstützen.
Wenn die Kommission betont, dass es nach ihrer Überzeugung nicht nur darum gehen kann, nach zusätzlichen
Möglichkeiten der Mobilisierung privaten Kapitals für
die Finanzierung der Bundesverkehrswege zu suchen,
dann ist dies richtig. Die Kommission hat für die zukünftige Finanzierung der Bundesverkehrswege daher weiter
gehende Überlegungen angestellt. Dazu gehören erstens
eine Umstellung auf Nutzerfinanzierung, zweitens die
Anwendung des Verursacherprinzips, drittens die Ausgliederung der Bundesverkehrswege aus der Bundesverwaltung, viertens eine Überprüfung der Abgrenzung der
Bundesverkehrswege, fünftens die Erweiterung der Möglichkeiten der Privatfinanzierung und sechstens die Beteiligung Dritter an der Finanzierung der Bundesverkehrswege.
Weil wir in die Infrastruktur investieren müssen, müssen wir auch neue Wege gehen. Es geht um unseren Wirtschaftsstandort, es geht um Ökologie und es geht auch um
unsere individuellen Bewegungsmöglichkeiten sowie um
die Verkehrssicherheit. Wir fordern Sie also auf, ein Konzept vorzulegen. Dies ist Ihre Aufgabe, Herr Kollege
Schmidt. Ihren Zwischenruf habe ich sehr wohl aufgenommen. Es ist Aufgabe der Regierung, nicht Aufgabe
der Opposition, auf der Grundlage des Kommissionsberichts ein Konzept zu erstellen und diesem Hause vorzulegen. Das ist unsere unmissverständliche Forderung. Sie
können sich hier nicht aus der Verantwortung herausstehlen.
({2})
- Es ist ja gut, wenn es jetzt ein bisschen lebhaft wird. Die
Unruhe zeigt mir nur, dass Sie in einigen Punkten ein
schlechtes Gewissen haben. Anders kann man diese Unruhe überhaupt nicht werten.
({3})
Für ein solches Konzept gilt Folgendes:
Erstens. Die verkehrspolitischen Probleme in unserem
Lande dulden keinen Aufschub.
Zweitens. Legen Sie Ihre Positionen auf den Tisch. Die
Verkehrsinfrastruktur braucht den Aus- und Neubau und
nicht Erklärungen.
Drittens. Treffen Sie Entscheidungen in der Frage der
Trennung von Netz und Betrieb bei der Bahn.
Viertens. Sagen Sie den Speditionen, was auf sie zukommt, mit welcher Mauthöhe sie zu rechnen haben und
wie die Kompensation aussieht. Schieben Sie dieses
Thema nicht vor sich her.
Der Pällmann-Bericht ist eine große Chance, die Verkehrsinfrastruktur nach vorne zu bringen. Wir sind hier
gern zur Zusammenarbeit bereit.
({4})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Reinhard Weis.
Frau Präsidentin!
Sehr geehrte Damen und Herren! Ein Antrag, der künftige
Finanzierungskonzepte für Bundesverkehrswege verheißt, klingt auf jeden Fall interessant. Er klingt nicht nur
nach viel Geld, sondern ist auch millionenschwer. Umso
enttäuschender ist es, wenn der vorliegende Antrag der
CDU/CSU diesem Anspruch nicht gerecht wird. Wir können in ihm nicht einen einzigen Anflug eines eigenen Gedankens erkennen, wohin ein solches künftiges Finanzierungskonzept nach Meinung der CDU/CSU-Fraktion
gehen könnte.
({0})
Es gibt keinen Hinweis darauf, mit welchen Kriterien
die CDU/CSU-Fraktion an die Prüfung eines solchen
Konzeptes herangehen würde. Dabei gibt es dafür Stoff
genug. Vor einem halben Jahr hat die Pällmann-Kommission, deren Bericht unser Ausschussvorsitzender eben
vorgestellt hat, neue Vorschläge zur Finanzierung von
Bundesverkehrswegen gemacht. Sie folgte damit einer
Einladung unseres ehemaligen Bundesverkehrsministers
Müntefering, der früh erkannt hatte, dass die vorige Bundesregierung im Verkehrshaushalt Schlaglöcher in Millionenhöhe - bei Löchern muss man eigentlich „Tiefe“ sagen - hinterlassen hatte,
({1})
die aus normalen Haushaltsmitteln nicht zu stopfen sind.
Die Pällmann-Kommission hat nach erstaunlich kurzer
Zeit mutige Vorschläge mit zum Teil auch spektakulären
Auswirkungen gemacht. Diese Feststellung ist keine Kritik von mir; es ist das gute Recht einer jeden Expertenkommission, ja, es ist ihre Aufgabe, sich auch mit radikalen Vorschlägen zu Wort zu melden. Es ist aber auch das
gute Recht und die Aufgabe der Politiker, eine sorgfältige
Auswahl zu treffen, welche dieser Vorschläge weiterverfolgt werden sollen und können, welche sinnvoll umgesetzt werden können und welche eher als abwegig erscheinen. Der Antrag der CDU/CSU, der nichts von einer
solchen Differenzierung enthält, ist als bloße Aufforderung zur Auswertung deshalb nach unserer Meinung
ziemlich überflüssig.
({2})
Es ist natürlich auch das gute Recht der Oppositionsparteien, in Sachen Vorschläge Blindekuh zu spielen. So
ein Antrag kostet nichts, man kann nichts falsch machen,
das ist bequem und es lenkt davon ab, dass die PällmannKommission den ehemaligen Regierungsparteien, der
heutigen Opposition, nicht nur Freundlichkeiten ins
Stammbuch geschrieben hat.
({3})
Jedenfalls beschreibt die Pällmann-Kommission ausführlich die Instandhaltungskrise des Bundesverkehrswegenetzes, die sich seit Beginn der 90er-Jahre mit jährlichen
Unterhaltungsrückständen von 7,5 Milliarden DM aufgebaut hat und die Sie zu verantworten haben.
({4})
- Hören Sie zu; ich komme auf diesen Einwand noch zu
sprechen.
Aus der Vielzahl der Kommissionsvorschläge und den
dortigen Bewertungen möchte ich im Folgenden beispielhaft einige herausgreifen.
Erstens möchte ich gleich auf Ihren Einwurf eingehen.
Die Koalitionsparteien haben nämlich bereits Konsequenzen aus der geschilderten Instandhaltungskrise gezogen.
({5})
Im laufenden Jahr, also 2001, werden wir die Rekordsumme von 10,8 Milliarden DM in das Straßennetz
stecken, und zwar für die Schwerpunkte Engpassbeseitigung und Bestandserhaltung.
({6})
Zu einer solchen Leistung waren Sie nicht fähig. Wir machen das, ohne dabei die Schiene zu vernachlässigen. Zusätzlich gibt es in den nächsten drei Jahren 6 Milliarden DM für den Schienenausbau.
({7})
Das leider heute reparaturanfällige Schienennetz wollen
wir mit einer Vielzahl von Einzelmaßnahmen an die Anforderungen des modernen Personen- und Güterverkehrs
anpassen.
({8})
Zweitens. Durch das starke Plädoyer von Pällmann für
die möglichst rasche Einführung einer entfernungsabhängigen LKW-Gebühr fühlen wir uns kräftig unterstützt. Wir werden diese LKW-Maut pünktlich zum Jahr
2003 einführen und damit in der EU technologisches Neuland betreten. Eine ganze Reihe von Nachbarstaaten sind
interessiert, sich an diesem System zu beteiligen.
Interessant ist nun die Herleitung der von der
Pällmann-Kommission vorgeschlagenen Gebührenhöhe
von 25 Pfennig pro Kilometer. Diese Höhe orientiert sich
an den tatsächlichen Wegekosten und bleibt im gängigen
europäischen Rahmen. Das muss aber nicht das letzte
Wort sein, denn Sie wissen, dass für die EU-Genehmigung der Gebühr eine Wegekostenanalyse erarbeitet werden muss, die so von der Kommission nicht vorgelegt
werden konnte. Wir warten gespannt auf die Ergebnisse
dieser Analyse und die daraus abgeleitete tatsächliche Gebührenhöhe.
Entnehmen Sie bitte diesen Sätzen, dass die Gebühr
nicht politisch, sondern entsprechend EU-Recht durch die
tatsächlichen Wegekosten bestimmt wird. Mehr ist bei allen Begehrlichkeiten, von denen hier und da zu hören ist,
auch gar nicht genehmigungsfähig.
({9})
Wir werden aus dem Gebührenaufkommen dann zum
Beispiel das Anti-Stau-Programm finanzieren. Wir werden Langsamfahrstrecken und Engpässe auf Autobahnen,
Schienenwegen und Wasserstraßen beseitigen.
({10})
- Für das Anti-Stau-Programm haben wir einen Terminplan vorgelegt. Diese Frage kann mit Jahreszahl beantwortet werden.
({11})
Drittens. In einem anderen Punkt kann man der
Pällmann-Kommission nur widersprechen. Eine Reservierung der LKW-Maut nur für Investitionen in die Straße
ist nicht zwingend. Dies wäre zum Beispiel eine reichlich
verkürzte Sicht von Güterverkehrspolitik.
({12})
Wir wollen den Güterverkehr auf der Schiene von jetzt bis
zum Jahre 2015 verdoppeln. Unser Ausschussvorsitzender hat die Erreichung dieses Ziels auch als notwendig beschrieben.
({13})
Das geht nur, wenn wir auch mutig in das Schienennetz
investieren. Generell gilt: Jede Tonne, die zusätzlich auf
der Schiene transportiert wird, entlastet die Straße, und
das kann ein effektiverer Mitteleinsatz sein.
Viertens. Auch dem Vorschlag einer PKW-Maut werden wir nicht folgen. Es hätte mich im Zusammenhang
mit diesem Antrag der CDU/CSU-Fraktion schon interessiert, ob der Vorschlag der Landesregierungen von BadenWürttemberg und Bayern aus dem Jahr 1967,
({14})
eine PKW-Maut einzuführen, nun durch die Feststellungen der Pällmann-Kommission in den Forderungskatalog
der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Eingang gefunden
hat. Ich denke, dass ist eine für die Öffentlichkeit interessante Frage.
({15})
Wir wollen das nicht. Aus dem Großversuch auf der
A 555 wissen wir, dass eine elektronische Mauterhebung
in jedem PKW zur Totalüberwachung eines jeden Autofahrers werden würde. Das lehnen wir ab.
Wir halten es auch für vernünftig, uns bei der Erhebung
der Straßenbenutzungsgebühr auf den Hauptkostenverursacher, nämlich den schweren LKW, zu konzentrieren. Insofern sehen wir auch die generelle Nutzerfinanzierung
der Verkehrswege, wie von der Pällmann-Kommission
vorgeschlagen, als problematisch an. Das Prinzip werden
wir aber für den Hauptkostenverursacher übernehmen.
Fünftens. Überhaupt sollte man die Vorstellung von der
Nutzerfinanzierung aller Verkehrswege nicht überstrapazieren. Meines Erachtens ist zum Beispiel die Idee von der
Privatisierung der Wasser- und Schifffahrtsverwaltungen
reichlich abenteuerlich. Hier sind wirklich Differenzierungen angesagt.
({16})
Sechstens. Positiv bewerten wir die Vorschläge zur
weiteren Anwendung des Fernstraßenbauprivatfinanzierungsgesetzes. Dieses dürfte ein sinnvoller Weg sein, um
gezielt zusätzliches Kapital außerhalb der Haushaltsfinanzierung zu mobilisieren.
Siebtens. Was die Bahnstruktur betrifft, so werden wir
sehr sorgfältig prüfen, wie das Verhältnis zwischen
Schienennetz und -betrieb zukunftsfähig gestaltet werden kann. Diese Entscheidung dürfen wir nicht übers Knie
brechen. Es gibt bisher nur schlechte Beispiele für Versuche dieser Art. Wir haben die Bundesregierung aufgefordert, Chancen und Risiken unterschiedlicher Organisationsformen umfassend zu bewerten. Dabei werden
natürlich auch die Vorschläge der Pällmann-Kommission
einzubeziehen sein. Auf der Basis dieser Bewertungen
werden wir als Parlament dann entscheiden müssen. Dieser Weg ist übrigens nicht spektakulär und neu, sondern
schon durch die Bahnreform, die wir gemeinsam beschlossen haben, so vorgezeichnet.
Ich fasse zusammen: Meines Erachtens müssen wir die
Gemeinwohlverpflichtung sehr ernst nehmen. Das heißt,
die Infrastrukturverantwortung für das gesamte Verkehrswegenetz muss bei den politisch Verantwortlichen bleiben. Dies ist die Voraussetzung für eine Infrastruktur aus
einem Guss. Die Entscheidungen über die Struktur der
Verkehrswege, über die Mittelverteilung, über den Ausbaustandard aller Verkehrswege und über regionale
Schwerpunkte gehören in staatliche Verantwortung.
({17})
Ansonsten werden wir unser Ziel, das integrierte Verkehrsnetz, in dem alle Verkehrsträger entsprechend ihren
jeweiligen Vorzügen aufeinander bezogen sind, nicht erreichen.
Die Vorschläge der Pällmann-Kommission zur künftigen Finanzierung der Bundesverkehrswege sind ein
außerordentlich interessanter Beitrag in der politischen
Meinungsbildung. Ich freue mich schon auf die Diskussion mit dem Vorsitzenden der Kommission, der in der
kommenden Woche Gast im Ausschuss für Verkehr, Bauund Wohnungswesen sein wird. Es wird auch eine sehr
spannende Aufgabe sein, in der parlamentarischen Arbeit
zielstrebig Schlussfolgerungen und Konsequenzen zu ziehen.
Ich habe dargelegt, in welcher Richtung wir von vornherein für diese Vorschläge offen und bei welchen
Reinhard Weis ({18})
Akzenten wir eher skeptisch sind. Auf jeden Fall werden
wir uns - dies hätten wir auch ohne Ihren Antrag getan vorurteilsfrei mit den Aussagen der Kommission beschäftigen. Von dieser Stelle aus richte ich deshalb einen
herzlichen Dank an die Kommission für ihre umfassende
Arbeit und die Grundlagen, die sie uns dadurch gegeben
hat.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({19})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Horst Friedrich.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Weis, wenn ich Ihren Schlusssatz, dass Sie sich vorurteilsfrei mit dem befassen, was Herr Pällmann und seine
Kommission vorgelegt haben, als Maßstab nehme und das
Revue passieren lasse, was Sie in Ihrer Rede gesagt haben, dann stelle ich im Ergebnis fest, dass Sie sich mit
Herrn Pällmann nur in der Höhe der entfernungsbezogenen Maut für LKW identifizieren. Alles andere haben Sie
in Ihrer Rede eigentlich bereits im Vorfeld abgelehnt.
({0})
Das Schlimme daran ist: Die Verkehrsinfrastruktur in
Deutschland hätte tatsächlich etwas Besseres verdient,
nämlich dass man sich mit dem, was die Pällmann-Kommission vorschlägt, intensiv befasst.
({1})
Dass die F.D.P. diejenige Fraktion ist, die mit diesen Vorschlägen die wenigsten Probleme hat, überrascht eigentlich niemanden.
({2})
Denn bereits vor Einsetzung der Pällmann-Kommission
haben wir das angesprochen, was jetzt die Union in ihrem
Antrag fordert.
Unser Programm „Straßenbau statt Autostau“ beinhaltet im Wesentlichen genau die Elemente, die auch
Pällmann für wichtig erachtet. Überraschenderweise ist es
von Ihnen abgelehnt worden. - Sie wollten ja vorurteilsfrei prüfen! - Bezeichnenderweise hat auch die Union
dieses Programm, das wir im Rahmen eines Antrages eingebracht haben, nicht mitgetragen. Dazu komme ich aber
noch später.
In einem Land, in dem zwei Drittel des gesamten
EU-Verkehrs stattfinden, in dem sich das Verkehrsaufkommen seit 1960 um 900 Prozent erhöht hat, während
der Verkehrsinfrastrukturausbau lediglich um 50 Prozent
zugenommen hat, sollte man eigentlich erkennen, dass die
klassische Form der Haushaltsfinanzierung offensichtlich
an Grenzen gestoßen ist.
({3})
Die Segnungen einer zusätzlichen Finanzierung durch die
Erlöse aus der Versteigerung der UMTS-Lizenzen und
durch Privatisierungen, die Sie eigentlich gar nicht mitgetragen haben und deren Erfolge Sie jetzt verwerten,
({4})
sind einmalig und können nicht auf Dauer eingerechnet
werden. Ich bin gespannt, was in den Haushaltsansätzen
des Jahres 2002, die keine UMTS-Lizenzerlöse mehr
enthalten, steht.
Eines, Herr Kollege Schmidt, ist absehbar: Die erste
Rate von 2 Milliarden DM, die die Bahn erhält, ist in diesem Jahr wahrscheinlich nicht verwendbar. Es ist ein offenes Geheimnis, dass frühestens im Herbst dieses Jahres
mit Ausschreibungen begonnen werden kann.
({5})
Schauen wir also einmal, wie es weitergeht.
({6})
Auch im letzten Jahr hat die Bahn 1,1 Milliarden DM
nicht verbauen können. Ich bin auf die weitere Entwicklung gespannt.
Als der Antrag mit der Überschrift „Konzept für die
zukünftige Finanzierung der Bundesverkehrswege“ von
der Union vorgelegt wurde, dachte ich, man könne dort
erfahren, welche Vorstellungen die Union hat.
({7})
Ich bin schon einigermaßen erstaunt, dass Sie lediglich
darstellen, was Herr Pällmann vorgeschlagen hat, und die
Bundesregierung auffordern, ein Konzept vorzulegen. Interessant wäre zu erfahren, welche Vorstellungen Sie
selbst haben.
({8})
Denn es hilft natürlich nicht, zu verlangen, es müsse sich
etwas ändern, aber selbst nicht zu sagen, was man politisch mitträgt.
Wir sind da ein bisschen weiter. Wir haben Anträge zu
den entscheidenden Verkehrsträgern vorgelegt. Wir tragen die Ergebnisse der Pällmann-Kommission mit.
({9})
Wir sind für eine tatsächliche Umstellung der Finanzierung - und das, Herr Kollege Weis, ohne dass die hoheitlichen Aufgaben dem Staat abgenommen werden. Wir
wollen - auch das ist eine klare Aussage; das will ich hier
wiederholen, damit das nicht untergeht - die PrivatfinanReinhard Weis ({10})
zierung nicht auf die jetzige Belastung der Autofahrer
draufsetzen. Es muss zu einer Gesamtlösung kommen,
mit der die bisherigen Belastungen reduziert werden und
die Finanzierung umgestellt wird. Eine Lösung in der
Form, dass diese Finanzierung zusätzlich auf den deutschen Autofahrer umgelegt wird, tragen wir nicht mit. Darüber müssen wir ernsthaft diskutieren.
({11})
Zum Abschluss möchte ich feststellen: Der Bericht der
Kommission hat mehr verdient als lediglich das Führen
einer Diskussion über das enge Fenster, wie eine LKWGebühr ausgestaltet sein kann und wie hoch sie sein
müsste. In diesem Bericht sind sehr viele bedenkenswerte
Ansätze enthalten, die wir gezwungenermaßen umsetzen
sollten, wenn wir bei der Verkehrsinfrastruktur nicht andauernd den Entwicklungen hinterherlaufen wollen, sondern endlich auch einmal in der Lage sein wollen, vorausschauend zu planen. Dabei geht es selbstverständlich
auch um das immer größer werdende Problem des Erhalts
der Infrastruktur.
Insofern freue ich mich auf die offene Diskussion über
den Bericht der Kommission. Ich bin allerdings gespannt,
was die Union selbst nach dieser Diskussion politisch will
und erklärt.
({12})
Das würde mich schon interessieren. Der vorliegende Antrag hilft uns in der jetzigen Situation nicht weiter.
Danke sehr.
({13})
Jetzt hat der
Kollege Albert Schmidt das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Eines vorweg: Die Koalition hat es nicht nötig,
über Finanzkonzepte im Verkehrswegebau ausgerechnet
von denen belehrt zu werden, die über Jahre die Verkehrsinvestitionen zusammengestrichen bzw. gekürzt haben.
({0})
Ich kann es Ihnen als Einstieg nicht ersparen, einige
Zahlen zu nennen:
Die Investitionen im Straßenbau betrugen 1998 unter Waigel und Wissmann 8,5 Milliarden DM. Heute sind
es 9,1 Milliarden DM und 2003, wenn das Anti-Stau-Programm greift, werden es 9,6 Milliarden DM sein. Das ist
eine Steigerung um 1,1 Milliarden DM innerhalb von vier
Jahren.
({1})
Wenn Sie das nur ein einziges Mal geschafft hätten, hätten Sie sich die Finger geleckt.
Die Bahninvestitionen betrugen 1998, als wir die Regierung übernommen haben, nur noch 5,8 Milliarden DM.
Heute sind es 8,8 Milliarden DM und im Jahr 2003, wenn
das Anti-Stau-Programm greift, werden es 9,2 Milliarden DM, zusammen mit den Schieneninvestitionen nach
dem GVFG sogar 9,7 Milliarden DM sein. Das heißt, wir
haben innerhalb von drei Jahren die Schieneninvestitionen real um über 50 Prozent gesteigert. Davon konnten
Sie nur träumen.
({2})
Wir haben mit dem Anti-Stau-Programm und mit dem
Zukunftsinvestitionsprogramm durchfinanzierte Infrastrukturprogramme aufgelegt, und dies - das ist der entscheidende Punkt - trotz Sparhaushalten, bei gleichzeitiger Steuersenkung und gleichzeitigem Schuldenabbau.
Das ist der eigentliche qualitative Unterschied zwischen
Ihrer und unserer Politik.
({3})
Dennoch steckt hinter Ihrem Antrag ein ernstes Anliegen; das will ich gar nicht in Abrede stellen.
({4})
- Verehrter Herr Kollege Oswald, ich habe Ihren Antrag
mit Interesse gelesen und darin gesucht, was die Union
nun eigentlich will. Ich habe sogar auf der Rückseite
nachgeschaut. Auf der Rückseite stand es auch nicht. Sie
referieren nur, was wir alle schon im Bericht der
Pällmann-Kommission lesen konnten. Wo steht denn eigentlich, was Sie wollen? Worauf wollen Sie hinaus? Es
ist doch billig, nur das abzuschreiben, was Pällmann viel
besser dargelegt hat. Ein bisschen Oppositionsseriosität
wünsche ich mir schon.
({5})
Der Kern Ihres Anliegens ist doch folgender - das müssen wir alle gemeinsam feststellen -: Erstens. Wir haben
es mit erheblichen Investitionsrückständen, mit einem Investitionsnachholbedarf zu tun, und zwar insbesondere
im Schienennetz. Ich glaube, das ist unstrittig. Zweitens
gibt es unabweisbare Sparzwänge in allen öffentlichen
Haushalten, von den kommunalen Haushalten bis zum
Bundeshaushalt. Drittens haben wir zunehmend höhere
Kosten für die bloße Instandhaltung von Verkehrswegen - das gilt gleichermaßen für Straße wie für Schiene -,
Horst Friedrich ({6})
schon allein dadurch, dass wir große Verkehrsnetze haben
und dass Kunstbauwerke wie Tunnel und Brücken allmählich in ein kritisches Alter kommen und sanierungsbedürftig werden. Das heißt, wir stehen vor der Situation,
trotz der Verknappung öffentlicher Mittel den erhöhten
Ansprüchen für die Unterhaltung von Verkehrswegen gerecht werden zu müssen. Vor diesem Hintergrund hat der
Bundesverkehrsminister der Pällmann-Kommission den
Auftrag erteilt, einmal zu prüfen, inwieweit andere Finanzierungsmodelle geeignet sind, dieses Dilemma aufzulösen.
Die Grundidee der Pällmann-Kommission ist doch, zumindest bei der Unterhaltung der Verkehrswege schrittweise von der Steuerfinanzierung auf eine Nutzerfinanzierung überzugehen. Dieser Kerngedanke ist richtig,
({7})
und zwar deshalb - dazu bekennen wir uns im Gegensatz
zu Ihnen, Herr Oswald - weil es ein verursachergerechter
Ansatz ist. Wir werden ab 2003 die LKW-Maut entfernungs- und gewichtsbezogen einführen, um die verursachergerechte Anlastung der Wegekosten im Verhältnis 1:1
umzusetzen.
({8})
Das ist auch deshalb notwendig, weil wir faktisch schon
eine Schienenmaut haben; denn schon heute wird für jeden Güterzug Kilometer für Kilometer ein Trassenpreis
bezahlt. Diese Schieflage müssen wir beseitigen.
Zum Thema „LKW-Maut“ füge ich hinzu, dass wir
Grünen davon ausgehen, dass in einem zweiten Schritt
auch im nachgeordneten Straßennetz diese Gebührenpflicht bestehen muss;
({9})
denn wir wollen keine Verdrängung von der gebührenpflichtigen Autobahn auf die gebührenfreie Bundesstraße
und Ortsdurchfahrt. Das kann letztlich nicht die Perspektive sein.
({10})
Nun zur PKW-Maut. Auch um dieses Thema drücken
Sie sich herum, Herr Kollege Oswald. Was ist denn mit
der PKW-Maut? Wiesheu sagt es heute so, Waigel sagte
früher etwas anderes. Was sagt Oswald?
({11})
Die PKW-Maut ist nach Auffassung von Bündnis 90/Die
Grünen vom Prinzip her ein richtiger Ansatz; aber es gibt
aus unserer Sicht eine Reihe ungeklärter, offener Fragen:
Die technische Funktionsfähigkeit eines solchen Systems
ist aus unserer Sicht nicht ausreichend erprobt. Es gibt
auch noch Datenschutzprobleme. Ich jedenfalls möchte
nicht, dass Bewegungsprofile eines gläsernen Autofahrers
erstellt werden, die nachher missbräuchlich genutzt werden könnten.
({12})
Aber wenn irgendwann - nicht in nächster Zeit - eine
Nutzerfinanzierung des Autobahnnetzes auch für PKW
Platz greifen soll, dann geht das nach unserer Einschätzung nur unter zwei Bedingungen - beide Bedingungen
hat übrigens auch die Pällmann-Kommission formuliert -:
Erstens. Die Planungshoheit, also die Entscheidungsgewalt darüber, wer wo Straßen baut und welche Straßen
vorrangig zu realisieren sind, muss ebenso wie das Eigentum in öffentlicher Hand bleiben.
({13})
- Da sind wir uns einig, wunderbar. - Das bedeutet, dass
die Entscheidungsbefugnis über Aus- und Neubau von
Straßen ebenso wie das Eigentum dauerhaft in öffentlicher Hand bleiben sollen.
Zweitens. Die Gesamtbelastung für den Autofahrer
darf sich unterm Strich nicht erhöhen.
({14})
Auch das hat die Pällmann-Kommission mit Recht festgehalten. Man müsste dann an anderer Stelle, etwa bei den
Verkehrsteuern, nachgeben.
({15})
Es darf unterm Strich zu keiner Mehrbelastung für den
PKW-Fahrer kommen.
Das heißt, dass nach unserer Einschätzung das Zukunftsmodell ein Mischsystem aus öffentlicher Zuständigkeit und privater Refinanzierung in Bezug auf die Unterhaltung dieser Verkehrswege ist.
({16})
Dies setzt eine klare Aufgabenverteilung voraus: Eigentümer, Aufgabenträger ist die öffentliche Hand. Sie
hat auch die Planungshoheit. Die Infrastrukturgesellschaften könnten hingegen Aufgabenmanager sein, die
die Infrastruktur unterhalten, bewirtschaften und Maßnahmen umsetzen.
Zu Ende gedacht, muss am Ende natürlich auch für die
Schiene ein vergleichbares Modell kommen.
({17})
Es ist nicht notwendig, noch zusätzliche Gründe anzuführen. Natürlich ist auch bei der Bahn eine bilanzielle
und unternehmerische Entflechtung von Netz und Betrieb
in puncto diskriminierungsfreier Wettbewerb besser.
({18})
Natürlich ist es auch besser für die Bilanz eines Unternehmens, wenn die öffentliche Infrastruktur nicht brutal
dem Diktat der Eigenwirtschaftlichkeit unterworfen wird,
was wir heute bei der Schiene faktisch tun, bei der Straße
Albert Schmidt ({19})
aber nicht. Das kann nicht aufgehen. Diese Asymmetrie
muss über kurz oder lang beseitigt werden.
Ich freue mich auf eine qualifizierte und lebhafte Beratung der, wie ich finde, nicht nur höchst interessanten,
sondern wegweisenden Vorschläge der Pällmann-Kommission. Wir sollten dieses Gutachten nicht in den Papierkorb werfen, sonst müssen wir es eines Tages mit den
Zähnen wieder herausholen.
Ich danke Ihnen.
({20})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Winfried Wolf.
Werte Präsidentin! Werte
Kolleginnen! Werte Kollegen! Ich glaube, man kann sagen, dass wir momentan einen Wettstreit darüber erleben,
wie weiße Salbe in den parlamentarischen Betrieb eingebracht werden kann. Wir haben dies gestern Abend beim
Thema Euro-Führerschein erlebt und erleben es heute bei
dem Antrag für ein „Konzept für die zukünftige Finanzierung der Bundesverkehrswege“. Hier wird referiert, was
die Pällmann-Kommission sagte. Wir werden aufgefordert, das zu tun, was sie sagt, was im Prinzip auch die
Bundesregierung sagt, tun zu wollen. Wir können hier
eine Art pikfeine Volksfront erreichen nach dem Motto:
Alle sind einverstanden, aber nichts passiert.
({0})
Ich glaube, dass wir tiefer ansetzen müssen, und zwar
bei der Geschichte, bei den realen Kosten und bei dem
Thema „Markt und Plan“.
Erstens zur Geschichte. Ich glaube, dass die einzelnen
Verkehrsträger extrem ungleiche Ausgangsbedingungen
haben. Die Eisenbahn hat zunächst 130 Jahre lang Gewinne gemacht. Verkehrswege und Betrieb waren dabei
immer vereint und die Gewinne wurden abgeschöpft. In
den letzten 40 Jahren hat die Bahn Verluste gemacht, wohingegen die anderen Verkehrsträger stark subventioniert
wurden. Umgekehrt waren Straßen, Wasserwege und
Flughäfen immer staatlich. Über 100 Jahre lang wurde
dort immer hineingebuttert. Jetzt sind sie vielleicht unter
ganz bestimmten Bedingungen gewinnbringend. Diese
Unterschiede wären anzurechnen.
Zweitens zu den realen Kosten. CDU/CSU und die
Pällmann-Kommission sagen, dass man auf eine Nutzerfinanzierung und auf das Verursacherprinzip umstellen
soll. Die Frage ist nur, was dabei mit einbezogen wird.
Dazu ein Zitat:
Als Faustregel für den Straßenfraß durch LKW gilt
das Gesetz der vierten Potenz. Danach zerstört ein
einziger LKW mit 40 Tonnen und zehn Rädern so
viel Straßenbelag wie 163 840 vierrädrige Mittelklassewagen von je 1 Tonne Gewicht.
Cambridge University, 1990. - Ist dies sowie die Frage
der Umweltzerstörung durch Flugverkehr konkret eingerechnet? Sind die 2 Milliarden DM an Steuersubventionen
für den A 380 eingerechnet?
({1})
Drittens: Markt und Plan. Pällmann und die
CDU/CSU sind der Auffassung, dass die Verkehrswege
aus der Bundesverwaltung generell ausgegliedert werden
und sich selbst finanzieren sollten. Das klingt gut. Die
PDS ist grundsätzlich dafür. Aber: Soll dies ohne jede
Vorgabe, ohne jede Planung und ohne jegliche Priorität
stattfinden? Dabei frage ich mich: Was bedeutet das zum
Beispiel in Bezug auf die Wasserwege? Der Rhein-MainDonau-Kanal - Ihre wunderschöne Landschaft in Bayern,
Herr Kollege Oswald - läuft sozusagen aus, wenn Sie ihn
an die Börse bringen. Sie sagen, die Verkehrswege sollen
sich selbst finanzieren. Aber wenn 95 Prozent des RheinMain-Donau-Kanals subventioniert werden, dann wissen
wir, dass nur 5 Prozent durch den Verkehr gedeckt werden. Wollen wir das? Im Interesse der Freunde der
Binnenschifffahrt im Parlament sage ich: Trotz dieser
Kosten soll die Binnenschifffahrt insgesamt erhalten bleiben, weil sie zum größten Teil umweltfreundlich ist.
Zum Schluss: Sozialismus, ja oder nein? Ein bisschen
Planung muss sein, bei Verkehrswegen sogar sehr viel
Planung. Dies muss, Kollege Oswald, aus Verantwortung
gegenüber folgenden Generationen, aus umweltpolitischer Sicht und für die Grundvorsorge geschehen. Ich bin
für schwarzen Sozialismus, wie uns vorgestern der Tenor
aus Bayreuth, der Kollege Friedrich, mit Blick auf den Interregio-Antrag von Bayern und Baden-Württemberg gesagt hat. Es kann sinnvoll sein, schwarzen Sozialismus
anzuwenden, wenn „schwarz“ „konservativ“ meint, und
zwar im ursprünglichen Sinne von „conservare“, naturerhaltend, und damit eine lebenswerte Umwelt erhaltend.
Danke schön.
({2})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Dirk Fischer.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Der deutsche Autofahrer steht im Stau. Der Bahnkunde wartet viel
zu oft auf unpünktliche Züge. Tiefe Schlaglöcher und ein
marodes Schienennetz bergen erhebliche Sicherheitsrisiken.
({0})
Im Luftverkehr werden die Kapazitäten knapp. Auf
Deutschlands Rollfeldern droht der Kollaps. Auch der desolate Zustand unserer Kanäle, insbesondere in den neuen
Bundesländern, ist besorgniserregend.
({1})
Albert Schmidt ({2})
Die Koalition versucht, statt als Regierung zu handeln,
mit der Vergangenheit zu argumentieren und uns Vorwürfe zu machen.
({3})
Das ist völlig unbegründet, weil Sie, gemessen am Haushalt 1998 und der mittelfristigen Finanzplanung des Finanzministers Waigel und des Verkehrsministers
Wissmann, die Investitionen 1999 massiv - auch mittelfristig - zurückgefahren haben.
({4})
Nachdem Sie die Mittel für den Straßenbau bei der mittelfristigen Finanzplanung um 5 Milliarden gekürzt haben, versuchen Sie jetzt den Trick, durch eine kleine Erhöhung prozentuale Zuwächse zu suggerieren, die es gar
nicht gibt. Das Niveau ist gegenüber 1998 dramatisch abgefallen.
({5})
Herr Schmidt, ich habe Ihnen das Zahlenwerk schon
drei- oder viermal vorgetragen.
({6})
Ich habe keine Lust, dies am Freitagmorgen ein weiteres
Mal zu tun, um das, was ich eben gesagt habe, zu belegen.
Das Niveau der Investitionen ist gesunken. Deswegen hat
das Infrastruktursystem in Deutschland mit der jetzigen,
rot-grünen Koalition qualitativ einen deutlichen Abstieg
erfahren. Das muss man zur Kenntnis nehmen.
({7})
Wenn Sie, Herr Schmidt, zu verantwortlichem Handeln unfähig sind, dann bedeutet dies in einer Demokratie: Wenn ich meine Aufgabe nicht richtig erfüllen kann,
gebe ich das Mandat an den Wähler zurück. In dem Fall
müssen dann andere her, die es besser machen.
({8})
Die Schwachstellen sind vielfältig. Die Behandlung
dieser Probleme aber ist für unser Land und für Europa
richtungsweisend. Deutschland und Europa brauchen
eine leistungsfähige Infrastruktur;
({9})
denn nur gut ausgebaute Verkehrswege, die eine gut vernetzte, zuverlässige und kostengünstige Mobilität von
Personen und Gütern ermöglichen, stärken den Standort
im internationalen Wettbewerb. Investitionen in die
Verkehrsinfrastruktur sind Investitionen in die Wirtschaft
mit positiven Impulsen für den Arbeitsmarkt; denn wir
wissen, dass jeder fünfte Arbeitsplatz direkt oder indirekt
von der Verkehrswirtschaft in unserem Lande abhängig
ist.
({10})
Diese Bundesregierung stochert aber völlig orientierungslos im Nebel herum.
({11})
Der Beitrag vom Kollegen Schmidt hat dies deutlich gemacht.
({12})
Er hat nichts zur Zukunft, zu Konzeptionen, Entscheidungen oder Tatsachen gesagt,
({13})
sondern er hat im Grunde genommen eine wüste Anklagerede gehalten. Aber eine Regierungskonzeption war in
keinem Satz Ihrer Ausführungen erkennbar.
({14})
Herr Schmidt, statt ein schlüssiges Konzept zur Finanzierung der Bundesverkehrswege vorzulegen, verstrickt
sich diese Bundesregierung in immer neuen Ankündigungen und Programmen,
({15})
bei denen immerhin ein roter Faden zu erkennen ist: Nur
einmal vorhandene Mittel werden Land und Leuten in
immer veränderter Verpackung und Benennung als neue
Investitionen verkauft.
({16})
Das bedeutet, dass das gleiche Geld das eine Mal so und
das andere Mal so zusammengepackt und mit anderen
Überschriften versehen wird,
({17})
um den Leuten weiszumachen, es käme insgesamt mehr
Geld. Es kommt aber nicht mehr Geld und das ist das
Traurige an dieser Strategie.
({18})
Ihre Strategie setzt nicht auf Sachleistung, sondern auf
Propaganda.
({19})
Dirk Fischer ({20})
Deswegen ist diese Regierung Schröder nur dabei, ihre
verantwortungslosen Kürzungen bei den Investitionen geschickt zu verschleiern. Aber eine solche Politik richtet
sich selbst.
({21})
Es ist Deutschland und Europa eigentlich nur zu wünschen, dass dieses sehr bald geschieht, damit wir im Niveau nicht immer weiter zurückfallen. Denn hinterher
wird der Aufholprozess für die künftig Verantwortlichen
umso schwieriger zu bewältigen sein.
({22})
Wann begreift Rot-Grün, dass nur nachhaltige Lösungen
dem Problem Rechnung tragen können?
({23})
Wir fordern die Bundesregierung auf, den Bundesverkehrswegeplan zügig zu überarbeiten - das steht doch
auch in der Koalitionsvereinbarung - und die Fortschreibung mit den entsprechenden Gesetzesänderungen für
den notwendigen Ausbau von Straße und Schiene uns
jetzt endlich auf den Tisch zu legen. Die bisherigen gesetzlichen Grundlagen sind im Jahre 2000 ausgelaufen;
entgegen dem gesetzlichen Auftrag schreibt diese Regierung das nicht fort und legt dem Parlament das nicht
pünktlich vor. Das ist ein übles, gesetzwidriges Verhalten
dieser Bundesregierung.
({24})
Der Gesetzgeber muss noch in dieser Wahlperiode Gelegenheit haben, den Menschen im Lande im Hinblick auf
die Wahl 2002 deutlich zu sagen, was Sache ist. Sie wollen sich aber daran vorbeimogeln.
({25})
Nach dem Motto „Immer davon reden, nie daran denken!“
wollen Sie die Fantasie der Leute beflügeln, legen dem
Parlament aber nichts vor, sodass der Wähler auch keine
demokratische Kontrolle ausüben kann. Das ist Ihr Umgang mit den wahlberechtigten Bürgern.
({26})
Meine Damen und Herren, Sie müssen das frühzeitig
tun. Das Parlament braucht für die Behandlung von etwa
7 500 Einzelprojekten eine ausreichende Beratungszeit,
die nach früheren Erfahrungen mehrere Monate beträgt.
Die Länder brauchen Klarheit für ihre Projekte im Bundesfernstraßenbau. Die Bahn braucht einen gesicherten
Planungsrahmen,
({27})
und zwar etwa bis 2015. Der Luftverkehr muss in den
Bundesverkehrswegeplan einbezogen werden, um die
Kapazitäten der dynamischen Entwicklung am Luftverkehrsmarkt besser anpassen zu können. Wir haben im Bereich des Luftverkehrs in den nächsten 10 bis 15 Jahren
ein prognostiziertes Wachstum von etwa 5 bis 6 Prozent
jährlich. Das ist eine gewaltige Steigerung und damit eine
Herausforderung.
({28})
Auch für die Binnenschifffahrt ist eine aktuelle objektive
Bedarfsermittlung wichtig, um Strukturengpässe in diesem Sektor beseitigen und den Gütertransport von anderen Verkehrsträgern auf die Wasserstraße verlagern zu
können.
Unser Verkehrssystem muss für die Anforderungen
des 21. Jahrhunderts ertüchtigt werden. Ohne eine zielführende Engpassbeseitigung zu Lande, zu Wasser und in
der Luft sind künftige Verkehrszuwächse unbeherrschbar.
Die Verweigerung zukunftsorientierter Investitionen behindert das Wirtschaftswachstum und vernichtet Arbeitsplätze. Der Wohlstand der Menschen wird gefährdet. Der
ökonomisch und ökologisch ausgewogene Neu- und Ausbau der Bundesfernstraßen ist dringend geboten.
({29})
In der Zukunft ist die Mineralölsteuer teilweise, die elektronische, nutzungsabhängige LKW-Maut vollständig
zweckgebunden für den Straßenbau aufzuwenden. Die
Leistungsfähigkeit der Schienenwege sichern heißt in
Wahrheit, Personennah-, Personenfern- und Güterverkehr
zumindest in den Ballungsräumen und auf hoch belasteten Strecken zu entmischen. Das sind Investitionen, die
getätigt werden müssen.
({30})
Die Wachstumsbranche Luftverkehr verlangt zu Recht,
die Qualität deutscher Flughäfen den internationalen Erfordernissen zeitnah anzupassen und Kapazitätsengpässe
abzubauen. Die Experten sagen, dass wir in den nächsten
zehn Jahren in Deutschland vier interkontfähige Startund Landebahnen brauchen, um dem Wachstum im Luftverkehr entsprechen und gerecht werden zu können.
({31})
Damit die Binnenschifffahrt mehr als nur eine Ergänzungsfunktion erfüllen kann, müssen das bestehende
Wasserstraßennetz saniert und die Ost-West-Verbindung
sowie die Binnenhäfen ausgebaut werden.
Zur Bewältigung dieser finanziellen Herausforderungen, die man sich einmal verdeutlichen muss, sind die
konkreten Empfehlungen der Pällmann-Kommission
eine solide und hilfreiche Beratungsgrundlage. Wir werden das in der nächsten Woche anpacken und die Regierung zwingen, Ross und Reiter zu nennen, sich zu den
Dirk Fischer ({32})
Notwendigkeiten zu bekennen und nicht nur mit solchen
Berichten zu spielen. Sie sollte sie nutzen und ihre Erkenntnisse sinnvoll umsetzen.
({33})
Die speziellen Lösungskonzepte der Kommission für
die Bundesfernstraßen, die Bundesschienenwege und die
Bundeswasserstraßen entsprechen in vielen grundsätzlichen Punkten unseren Überzeugungen und unseren früheren Forderungen. Dies betrifft zum Beispiel die Gründung
von Finanzierungs- und Managementgesellschaften für
die Verkehrswege. Die Ausgliederung der DB Netz AG
aus der DB Holding AG - Kollege Horst Friedrich hat dies
in einem Zwischenruf angesprochen - bedeutet eine Verselbstständigung des Netzes und die Überführung in staatliche Verantwortung. Das ist eine Voraussetzung für einen
ungehinderten Wettbewerb im Schienenverkehr. Ich will
an dieser Stelle sagen: Wenn der Wechsel von Herrn Vogel
zu Herrn Frenzel im Vorsitz des Aufsichtsrates der DB AG
die Absage der DB AG und des Bundesministers Bodewig
- entgegen seinem Bekenntnis im Plenum - an eine Trennung von Netz und Betrieb bedeutet, dann werden Sie mit
Ihrer Schienenverkehrspolitik nachhaltig scheitern.
({34})
Ich sage Ihnen voraus: Es wird in der Zukunft keine Börsenfähigkeit der DB Holding AG, zu der noch die Netz AG
gehört, geben. Dies wird nach meiner Überzeugung völlig unmöglich sein.
({35})
Die Erhebung streckenbezogener und belastungsabhängiger Gebühren für den LKW-Verkehr und die erweiterte Privatfinanzierung sind ergebnisorientierte Ansätze
und als solche zu begrüßen. Wir fordern die Bundesregierung mit unserem Antrag auf, umgehend auf der Grundlage des Berichtes der Pällmann-Kommission ein brauchbares langfristiges Konzept für die Finanzierung der
Bundesverkehrswege vorzulegen.
Die Tatsache, dass Bundesverkehrsminister Bodewig
nicht da ist, obwohl es seiner Pflicht als Bundestagsabgeordneter und Fachminister entsprechen würde, ist nach
unserer Auffassung ein Beweis dafür, dass er mit dem
Thema und mit dem Parlament ausgesprochen desinteressiert und lax umgeht. Wir werden das als Opposition bei
jeder sich bietenden Gelegenheit nachhaltig kritisieren.
So behandelt man das Parlament nicht.
({36})
Ihre Zustimmung zu unserem Antrag wäre ein Bekenntnis zu einem qualifizierten und qualitativ hochwertigen Verkehrssystem, und damit zu wirtschaftlichem
Wachstum und dauerhaftem Wohlstand in Deutschland
und Europa.
({37})
Deshalb müssen Sie zustimmen.
({38})
Jetzt erhält der
Abgeordnete Klaus Hasenfratz das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon erstaunlich, wie
man in einer solchen Lautstärke so viel Unsinn erzählen
kann. Dazu gehört sicherlich viel Mut.
({0})
Ich möchte eines deutlich machen, um einer Legendenbildung vorzubeugen: Sie sagen, wir hätten den Verkehrshaushalt heruntergefahren. Ich nehme einfach mal
die alte Gleichung Ihres ehemaligen Bundesministers
Dr. Norbert Blüm, der gefragt hat: Sind 8,7 Milliarden DM für die Schiene mehr als 6 Milliarden DM? Man
braucht nicht lange nachzurechnen.
Sie haben den Schienenhaushalt in Ihrer Zeit auf knapp
6 Milliarden DM heruntergefahren.
({1})
Wir fahren ihn jetzt kontinuierlich Jahr für Jahr auf insgesamt 8,7 Milliarden DM hoch. Ich weiß nicht, wo Sie in
diesem Konzept Luftbuchungen festgestellt haben wollen.
({2})
Sie müssen einmal die Konzepte lesen und sich die Planungen vergegenwärtigen.
Wir fahren den Straßenhaushalt auf den höchsten Stand
der letzten zehn Jahre hoch. Davon konnten Sie doch nur
träumen. Wir haben mit dem Anti-Stau-Programm ein
Konzept vorgelegt, das Planungssicherheit gibt. Wir haben
daneben das Investitionsprogramm und das ZIP vorgelegt.
Ich weiß nicht, warum Sie diese Konzepte nicht lesen.
({3})
Sie stellen sich hin und spucken Rotz und Galle, ohne überhaupt - wie Sie das im Ausschuss immer ankündigen - eine
Vorlage zu haben. Ich weiß nicht, woher Sie den Mut dazu
nehmen. Das nimmt Ihnen doch kein Mensch mehr ab.
({4})
Sie haben während Ihrer Regierungszeit Luftbuchungen in den Bundesverkehrswegeplan eingestellt.
({5})
Jeder Sachverständige wird Ihnen dokumentarisch belegen können, dass der Bundesverkehrswegeplan - - Aber
Dirk Fischer ({6})
ich kenne ja Ihre Antwort schon: Der Bundesverkehrswegeplan ist kein Investitionsplan.
({7})
Aber in Ihrer Planung fehlten 80 Milliarden bis 120 Milliarden DM, um die entsprechenden Projekte zu finanzieren.
({8})
Wenn jemand angesichts dieser Planung von Seriosität,
Planungssicherheit und Zukunftssicherheit spricht, dann
weiß ich nicht, auf welchem Stern der lebt.
({9})
Herr Fischer, wir haben ein Programm vorgelegt, das
der Bauwirtschaft, insbesondere der Straßenbauwirtschaft, den Ländern und den Kommunen für die Zukunft
Planungssicherheit auf sehr hohem Niveau gibt. Davon
können Sie nur träumen. Sie werden sich noch wundern,
welche Investitionen die Bundesregierung für die Verkehrswege noch möglich machen wird.
({10})
Ich schließe die
Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/5317 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainer
Brüderle, Marita Sehn, Ina Albowitz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Steuerrecht vereinfachen - Schaumweinsteuer
abschaffen
- Drucksache 14/5337 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({0})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuss für Tourismus
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
F.D.P. fünf Minuten erhalten soll. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als Erste hat die Abgeordnete Marita Sehn das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die marinen Großmachtsträume
sind ausgeträumt. Die preußische Monarchie gibt es nicht
mehr. Nur die Sektsteuer hat überlebt. Diese Steuer ist für
uns ein Musterbeispiel für die Überlebensfähigkeit von
Steuern. Unterstellt man einmal der Bundesregierung,
dass sie keine Flottenpolitik mehr betreiben möchte, dann
fragt sich doch jeder: Warum gibt es diese Steuer noch?
Haben Sie eine Antwort darauf?
({0})
Ich finde es sehr interessant, dass eine Regierung, die
sich mit dem Pazifismus schmückt, bei ihrer Mittelbeschaffung gerne auf die Relikte des preußischen Militarismus zurückgreift. Aber wie heißt es doch so schön: Zuerst kommt das Fressen und dann die Moral!
({1})
Was, bitte schön, bezwecken Sie mit der Sektsteuer?
Wollen Sie die Leute vom Sektkonsum abhalten, oder
was? - Ich denke, wir alle kennen die Antwort. Wir haben
die Sektsteuer,
({2})
- Herr Herzog, weil es sie nun einmal gibt und weil sie so
einen schönen, stetigen Finanzfluss in die chronisch
klammen Kassen von Herrn Eichel bewirkt. Rund 1 Milliarde DM, Herr Herzog, sind ja auch alles andere als ein
Pappenstiel. Darüber sind wir uns einig. Aber reicht dies
denn wirklich, um die Existenz dieser Steuer zu rechtfertigen? Die Antwort der F.D.P. lautet: Nein! Der Staat
sollte den Mut haben, eine Steuer, die sich historisch überlebt hat und keinerlei Lenkungsfunktion mehr erfüllt,
abzuschaffen.
({3})
Die F.D.P. hat diese Entwicklung schon immer kritisch
beobachtet: Da werden Steuern eingeführt und später,
wenn sie sich historisch längst überlebt haben, beibehalten. Man braucht ja schließlich das Geld. Der Solidaritätsbeitrag droht in diesem Sinne zur Sektsteuer der Zukunft zu werden. Warum auch abschaffen, wo der Rubel
doch so schön rollt? Aber darf ein demokratischer Staat
auf solche fragwürdigen Finanzierungstricks zurückgreifen? Die F.D.P. hat schon frühzeitig eine kritische Diskussion über den Sinn des Solidaritätsbeitrags gefordert.
Wir werden auch in Zukunft genauestens darauf achten,
dass Steuern und Abgaben nur dort erhoben werden, wo
es auch Sinn macht.
({4})
Die Bundesregierung rühmt sich ihrer Steuerreform als
großen Schritt. Aber warum hat sie denn nicht mit den
ganzen steuerpolitischen Anachronismen aufgeräumt?
Eine Steuerreform, die diesen Namen wirklich verdient,
hätte mit diesen Relikten aus der Zeit deutscher Großmachtsträume aufgeräumt. Die F.D.P. hat sich schon immer für eine Vereinfachung unseres Steuersystems eingesetzt. Es geht uns bei unserem Antrag auf Abschaffung
der Sektsteuer deshalb nicht nur darum, eine überflüssige
Steuer zu beseitigen. Es geht uns um mehr: Wir Liberalen
sind für Steuerehrlichkeit und für steuerliche Transparenz.
Nur ein transparentes und einfaches Steuersystem wird als
gerecht empfunden. Die Abschaffung einer Steuerart wie
der Sektsteuer ist dazu ein - wenn auch kleiner - Beitrag.
({5})
Der Staat muss viele Aufgaben übernehmen. Dafür
braucht er entsprechende Finanzmittel. Diese muss er sich
beschaffen. Aber die Beschaffung der Finanzmittel muss
für die Bürger nachvollziehbar sein. Der Staat darf sich
der Kontrolle durch die Bürger nicht entziehen. Eine Finanzbeschaffung nach dem Motto „Ein bisschen hier, ein
bisschen dort und hoffentlich merkt es keiner“ ist demokratiefeindlich und unwürdig. Mit welchem Recht fordert
der Finanzminister eine Steuermoral bei unseren Bürgerinnen und Bürgern ein, wenn er sich gleichzeitig gegen
den Blick in seine Kassenbücher wehrt?
Machen wir uns nichts vor: Steuern werden immer als
lästig empfunden. Umso wichtiger ist es deshalb, dass der
Bürger auch weiß, wofür er an welcher Stelle Steuern bezahlen muss.
Die Abschaffung der Sektsteuer wäre immerhin ein erstes Signal an die Bürgerinnen und Bürger, dass der Staat
auch seine Finanzierung kritisch hinterfragt und bereit ist,
auf steuerliche Anachronismen zu verzichten. Wir Liberalen fordern, dass alle Steuern und Abgaben regelmäßig
auf den Prüfstand müssen; denn nur ein offener und ehrlicher Staat darf auch von seinen Bürgern Ehrlichkeit und
Offenheit erwarten.
Danke.
({6})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Horst Schild.
Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Zu dieser Gelegenheit hätte sich vielleicht
auch ein Gläschen Schaumwein angeboten.
({0})
Die Zeiten sind
vorbei, Herr Abgeordneter.
Die Karnevalszeit ist leider vorbei, Kollege Seiffert. Aber ich habe schon den Eindruck,
dass wir das Thema nicht losgelöst vom Landtagswahlkampf in Rheinland-Pfalz behandeln können.
({0})
Die F.D.P. hat festgestellt, dass es die kaiserliche Flotte
nicht mehr gibt.
({1})
Dafür haben Sie lange gebraucht; denn es gibt sie bekanntlich schon seit einigen Jahren nicht mehr. Wenn Sie
dieses Thema für so bedeutsam halten, hätte es sich sicherlich angeboten, dass Sie über dieses Thema bereits
während der Zeit Ihrer Regierungsverantwortung einmal
ernsthaft nachgedacht hätten. Stattdessen haben Sie auf
die Oppositionszeit gewartet, um all das zu fordern, wozu
Sie in der Regierungsverantwortung nicht bereit waren.
({2})
- Sie hören das nicht gerne. Aber es stellt sich doch für jeden Betrachter die Frage, wieso man, wenn die Abschaffung der kaiserlichen Marine der Grund dafür ist, dass
man heute die Abschaffung der Schaumweinsteuer für geboten hält, nicht eher auf den Trichter kam.
({3})
Was im Übrigen die Historie von Steuern anlangt, so
gibt es ja dieses Bändchen „Unsere Steuern“, das Theo
Waigel wohl letztmalig herausgegeben hat. Das ist eine
interessante Quelle. Er hat nämlich verheimlicht, dass es
da einen Zusammenhang gibt. Er hat schlichtweg gesagt,
das sei 1902 als Banderolensteuer eingeführt worden.
Vielleicht haben Sie deswegen nicht wahrgenommen,
dass das etwas mit der kaiserlichen Marine zu tun hat.
Wie gesagt, die närrische Zeit ist vorbei. Der Antrag
hätte besser in diese Zeit gepasst.
({4})
Aber vielleicht haben Sie dabei auch den heimlichen
Ganzjahreskarnevalisten im Auge.
Ich stelle mir vor, Sie hätten das in Ihrer Regierungszeit gemacht - das wäre auch viel amüsanter gewesen und der damalige Kollege Kleinert hätte die Chance gehabt, diesen Antrag vor dem Hohen Hause zu begründen.
({5})
Ich denke, da hätten wir alle an diesem Antrag auf Abschaffung der Schaumweinsteuer großen Spaß gehabt.
Aber auf eines hätte der Kollege Kleinert sicherlich auch
großen Wert gelegt, nämlich dass diese Forderung dann
auch mit der Forderung nach Abschaffung der Biersteuer
verbunden worden wäre. Diese Konsequenz geht Ihrem
Antrag ab. Nur Sekttrinker zu fördern ist natürlich eine
grobe Missachtung und Diskriminierung der Biertrinker
in diesem Lande.
({6}) - Marita Sehn [F.D.P.]: Sie ha-
ben nicht verstanden, um was es uns wirklich
geht!)
- Doch, das haben wir schon verstanden. Deswegen stelle
ich mich ungefähr auf das ein, was ernsthafterweise dahinter steckt. Vor einer Abschaffung der Biersteuer
schrecken Sie möglicherweise deshalb zurück, weil sich
bereits im 15. Jahrhundert - auch das ist der Broschüre
„Unsere Steuern“ zu entnehmen - die Landesfürsten der
Biersteuer bemächtigt haben. Landesfürsten gibt es bekanntlich heute noch.
Man könnte auch überlegen, ob vielleicht auch ein tieferer gesundheitspolitischer Gesichtspunkt dahinter steht.
({7})
- Ich sage nur einmal eines: Wo sind denn eigentlich die
Finanzpolitiker Ihrer Fraktion? Ich habe sie bei den in
Ihrem Antrag aufgeführten Namen vermisst.
({8})
- Das war ein anderer Abgeordneter, der diesem Hause
mittlerweile nicht mehr angehört.
Der Hintergrund dieses Antrags könnte gesundheitspolitischer Art sein; Sie kennen vielleicht den so genannten
Snobeffekt. Wenn man diesen Effekt zugrunde legen
würde, dann würde das bedeuten, dass die Senkung der
Sektpreise dazu führt, dass der Sektverbrauch zurückgeht.
({9})
Die Abschaffung der Schaumweinsteuer wäre dann in der
Tat ein Akt, sich um die Volksgesundheit verdient zu machen.
Um noch ein bisschen ernster zu werden:
({10})
Der Kollege Thiele - er ist im Moment nicht anwesend;
er hat den Antrag auch nicht unterschrieben ({11})
- ja, Sie kennen ihn, Herr Seiffert - hat in der letzten Sitzung des Finanzausschusses die Konsolidierung des Bundeshaushaltes durch die Politik des Bundesministers
Eichel begrüßt. Wenn das die Auffassung Ihrer Fraktion
ist, dann hätten Sie in den Antrag vielleicht einmal ein paar
Worte zur Gegenfinanzierung hineinschreiben können. Es
geht um Steuerausfälle durch die Abschaffung der
Schaumweinsteuer. Würde man auch die Biersteuer abschaffen, dann käme es zu Ausfällen bei der Umsatzsteuer.
Sie sollten sich in Ihrer Hoffnung nicht entmutigen lassen, eines Tages wieder Regierungsverantwortung zu
übernehmen. Sie werden feststellen, dass wir zwar keine
kaiserliche Marine mehr haben,
({12})
wohl aber eine Bundesmarine, deren chronische Unterfinanzierung Sie in den letzten Tagen vehement beklagt haben.
Danke schön.
({13})
Jetzt hat der Abgeordnete Norbert Schindler zehneinhalb Minuten Gelegenheit, zu diesem Thema zu sprechen.
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Liebe Gäste auf der Besuchertribüne dieses Plenarsaals! Die Sektsteuer - ein Relikt von 1902 - gehört abgeschafft. Das muss man einfach
nüchtern feststellen. Frau Staatssekretärin Hendricks
kann bestätigen, dass ich mich in Briefen vom Mai 1999
und vom Mai 2000 vehement dafür eingesetzt habe, dieses Relikt endlich aus der Steuergesetzgebung zu entfernen.
Ein erster Schritt, Steuervereinfachungen vorzunehmen,
war, dass die alte Koalition 1992/1993 die Abschaffung der
Zuckersteuer, der Teesteuer, der Leuchtmittelsteuer - Lichtsteuer, Fensterbeleuchtung und alles, was damit zusammenhing - und der berühmten alten Salzsteuer auf den Weg gebracht hat.
({0})
Deswegen ist diese Idee der F.D.P. nicht neu. Die SPD
hätte diese Idee vielleicht gerne vorgetragen, auch wenn
sie sie aus den verschiedensten Gründen zurückweisen
wird.
Bestimmte Genussmittel wie Sekt sind heute kein
Luxusartikel mehr, wie der Kaiser und das Parlament damals meinten; vielmehr sind sie allgemeine Gebrauchsgüter geworden. Nebenbei gesagt - das sagen auch die
Ärzte -: Sekt dient, in Maßen genossen, eindeutig der Gesundheit.
({1})
Auch das muss man heute einmal feststellen.
Bei einer Abschaffung der Schaumweinsteuer hätten
wir, so lautet die Schätzung, in diesem Jahr Steuerausfälle
in Höhe von 700 Millionen DM zu verzeichnen. Im Jahre
1998 hätten die Steuerausfälle bei rund 1 Milliarde DM
gelegen. Frau Staatssekretärin Hendricks - Sie werden
später darauf eingehen -, ich könnte den Brief vorlesen,
den Sie mir in dieser Sache vor einem Jahr geschrieben
haben.
Die Höhe der UMTS-Erlöse liegt bei 99 Milliarden DM.
Im Zuge der europäischen Steuergleichstellung hat man in
Deutschland neue Sondersteuerarten eingeführt. Die Sektsteuer ist in Deutschland eine Sondersteuer. In einer
EU-Vorschrift wird ausdrücklich festgelegt, dass Weinund Alkoholsteuern abzuschaffen sind. Von daher haben
wir innerhalb der Europäischen Union die Möglichkeit,
dies zu tun.
Vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Steuersätze in den Staaten der Europäischen Union bedeutet die
Ökosteuer eine zusätzliche Belastung für die deutsche
Landwirtschaft.
({2})
Das ist nicht gut. Deswegen soll man wenigstens hier den
Versuch unternehmen, eine Steuerangleichung auf europäischem Niveau vorzunehmen. Die Belastung pro Liter Sekt inklusive Mehrwertsteuer beträgt - das geht in der
Regel unter - 2,60 DM. Damit liegen wir europaweit an
der Spitze. Man muss einmal kundtun, wie hoch die Verbraucher durch eine Sondersteuer belastet werden, die mit
dazu dient, den Staatshaushalt zu finanzieren.
Die Steuererhebung läuft folgendermaßen ab: Die
Winzer, auch die in Rheinland-Pfalz, und alle anderen in
der Sektwirtschaft Tätigen sind dann, wenn der Sekt das
Steuerlager verlässt, zur Steuerzahlung verpflichtet. Sie
müssen also in Vorleistung für ein Produkt treten, für das
vielleicht erst zwei oder drei Jahre später ein Verkaufserlös erzielt wird. So lange kann die Refinanzierung dauern. Der Wettbewerb gegenüber Prosecco und Perlweinen
ist dadurch deutlich verzerrt.
Man kann feststellen, dass die Einnahmen aus der
Sektsteuer Jahr für Jahr kontinuierlich zurückgehen, weil
man auf ähnliche Produkte des europäischen Binnenmarktes ausweicht. Diese Tatsache macht mir Sorge. Bleiben wir in Deutschland stur bei der hohen steuerlichen
Hürde, werden wir vielleicht, ob wir das wollen oder
nicht, die Sektsteuer quasi selbst abschaffen. Die Frage
der Abschaffung der Sektsteuer sollte man sowohl vor
dem Hintergrund des Ziels der Steuervereinfachung und
der Tatsache der zurückgehenden Steuereinnahmen als
auch vor dem Hintergrund des europaweiten Wettbewerbs
sehen.
({3})
Jeder versucht ja, seinen Weg zu gehen. Die Italiener
machen uns vor, wie es erfolgreich geht; auch die deutsche Weinwirtschaft hat davon einiges übernommen. Im
Vergleich stehen Rheinland-Pfalz, Bayern und BadenWürttemberg ja nicht schlecht da. Gerade vor diesem Hintergrund sollten wir nicht stur an einer veralteten Regelung festhalten, sondern sie beseitigen.
Ich möchte aber auch, Kollegin Sehn, ein ernstes Wort
an unsere F.D.P. richten.
({4})
- Natürlich, wir haben ja momentan Wahlkampf in Rheinland-Pfalz. Da ich aus Rheinland-Pfalz komme, sage ich
das ganz bewusst.
Ich hätte mir gewünscht, dass die Initiative der F.D.P.,
mit der meine Partei und auch ich schon seit Jahren
übereinstimmen, auch von einer Bundesratsinitiative, die
unsere sozial-liberal geführte Regierung in Mainz auf den
Weg hätte bringen müssen, begleitet worden wäre.
({5})
Das jetzige Verhalten erinnert mich schon ein wenig an
den Begriff der Doppelzüngigkeit, den wir ja alle von Karl
Mays Winnetou kennen: Hier wird mit gespaltener Zunge
gesprochen.
({6})
Dies sage ich mit vollem Ernst. Wir können dieses Thema
bei der Beratung des Antrages heute zwar publizistisch
besetzen, um es aber auf Dauer mit Inhalten zu erfüllen,
wäre es schon sehr hilfreich, wenn auch Rheinland-Pfalz
Flagge zeigte.
({7})
Ich fordere unsere Regierung in Mainz auf, dieses vor der
Wahl zu tun und nicht erst nach dem 25. März gemäß dem
Motto: Wir gehen dann wieder zur normalen Tagesordnung über.
Meine Damen und Herren, die Steuerungerechtigkeiten in diesem Land - das wurde auch in der Aktuellen
Stunde vorgestern in Bezug auf die Ökosteuer noch einmal angesprochen - sind symptomatisch für den Umgang
des Staates mit seinen Bürgern: Bestimmte Klientelen
werden abgestraft, seien es die Kraftfahrzeugindustrie
oder die Bauwirtschaft, die ja auch von der Ökosteuer bei
ihren Transporten betroffen ist, sei es die deutsche Landwirtschaft, die vor dem Problem steht, wie mit den Folgekosten von BSE umgegangen wird. 2 Milliarden DM werden hierfür benötigt. Gestern stritt man sich über die
Finanzierung, kam zu keinem Ergebnis und vertagte sich
auf Ende April. Weiterhin frage ich: Wie geht es mit der
deutschen Fleischwirtschaft weiter, welche Zukunft haben die Schlachthöfe, auch die in Rheinland-Pfalz? Was
Sie machen, kann man nicht als verantwortungsvolle Politik bezeichnen.
Ich bin tief enttäuscht über die Äußerungen des Bundesfinanzministers, der vor zwei Tagen im Finanzausschuss auf meine Frage, wie denn die Kosten zugeordnet
werden sollen, locker vom Hocker und schnoddrig antwortete: Das geht uns eigentlich nichts an; was die Länder vorgelegt haben, akzeptiere ich nicht. - Gesundheitsvorsorge ist eine allgemeine Aufgabe und Verpflichtung
sowohl des Bundes - diesen nenne ich an erster Stelle als auch der Länder. Was hier an Zeit vertan wurde - das
gilt mittlerweile auch für die neue Verbraucherschutzministerin -, ist nicht mehr zu verantworten.
({8})
Dass wir heute die Abschaffung der Sektsteuer diskutieren, kann ich für die CDU/CSU nur ausdrücklich begrüßen. Ich hoffe darauf, dass wir dieses gesunde Produkt
weiteren Verbraucherschichten öffnen können, indem wir
der Weinwirtschaft die Möglichkeit geben, mit dem eingesparten Steuergeld günstigere Angebote auf den Markt
zu bringen.
({9})
Ich hoffe auf die Einsicht der Regierungskoalition,
vielleicht nicht heute und morgen, aber im Laufe der Beratung dieses Antrages. Mit der Abschaffung dieser Steuer
tun wir etwas Gutes für die Steuervereinfachung in
Deutschland und für die Steuerangleichung in Europa.
Vielen Dank.
({10})
Die Kollegin
Christine Scheel, Bündnis 90/Die Grünen, hat ihre Rede
zu Protokoll gegeben.1) - Ich sehe Einverständnis im ge-
samten Hause.
1) Anlage 3
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Dietmar Bartsch
für die PDS-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Dem Thema sollte eine halbtrockene
Rede angemessen sein, so wie sie Herr Schild gehalten
hat.
({0})
Die Erkenntnis der F.D.P. nach ewiger Regierungszeit
kommt zwar etwas spät. Aber die Abgeordneten der PDS,
die „Rotkäppchen“ im Deutschen Bundestag, unterstützen die Initiative zur Abschaffung der Sektsteuer.
({1})
Die Liberalen muten uns zugegebenermaßen keinen
übertrieben großen Schritt zu. Sie wollen den Menschen
eine Last nehmen, von deren Existenz bislang wohl nur
die Wenigsten wussten.
({2})
Von Massenpetitionen oder von Großdemonstrationen ist
zumindest uns nichts bekannt.
Ich glaube auch nicht, dass sofort die Korken knallen,
wenn die Portemonnaies der Bürgerinnen und Bürger um
etwas mehr als 12 DM im Jahr - statistisch gesehen; wir
wissen ja, wie das mit dem Durchschnitt ist - entlastet
werden. Allerdings möchte ich Sie angesichts der großzügig gefassten Begründung Ihres Antrages beim Wort nehmen. Sie wissen ja: Im Wein liegt die Wahrheit.
In Ihrem Bestreben, das Steuerrecht zu vereinfachen,
werden Sie stets unsere Unterstützung finden. Eine radikale Vereinfachung, Transparenz und Entbürokratisierung des Steuerrechts sind die Voraussetzungen für
mehr Demokratie und Gerechtigkeit.
Wir wurden auch auf die verfassungsrechtliche Dimension der zu behandelnden Fragen hingewiesen. Mit
großem Interesse habe ich zur Kenntnis genommen, dass
die F.D.P. der Spaltung unserer Gesellschaft in Arm und
Reich zu Leibe rücken will. Zu Beginn des neuen Jahrtausends könnte die Prosecco/Champagner-Trennlinie
fallen und wir sind dabei gewesen.
({3})
„Sekt für alle“ ist sicherlich eine gute Devise. Nur
müssen die Menschen in diesem Land mehr Gründe zum
Anstoßen haben. Ich bin deshalb gespannt, welche weiteren Initiativen zur Entlastung der Bürgerinnen und Bürger
und für mehr Demokratie und soziale Gerechtigkeit Sie
nun auf den Weg bringen werden. Gerade hier gilt doch:
Manchmal muss Mumm sein.
Wenn Steuern und Abgaben in diesem Land so reformiert werden, dass die Massenerwerbslosigkeit wirksam
bekämpft, soziale Sicherheit gewährleistet, reale Gleichstellung der Geschlechter unterstützt und eine ökologisch
nachhaltige Wirtschaftsentwicklung gefördert werden,
dann können sich die Menschen über den Wegfall der Alternative „Sekt oder Selters“ freuen. Dann werden wir uns
gern dieser Debatte erinnern und gemeinsam mit der
Fraktion der F.D.P. in den Ruf einstimmen: Trink,
Brüderle, trink!
({4})
Letzte Rednerin in
dieser Debatte ist die Parlamentarische Staatssekretärin
Barbara Hendricks.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Man könnte ja versucht sein, in den
Ruf einzustimmen: Sekttrinker aller Länder, vereinigt
euch hinter der blau-gelben Fahne des Liberalismus!
({0})
Werft die Ketten der Ausbeutung ab, damit ihr die 2 DM
pro Flasche, die ihr seit 1902 bezahlen müsst, endlich loswerdet!
({1})
Damit haben wir dann auch noch die Vereinfachung des
Steuerrechts erreicht.
({2})
Wenn man es sich so einfach macht, das Steuerrecht
durch die Abschaffung von ganzen Steuerarten reformieren zu wollen, dann ist das leider ein bisschen fantasielos.
({3})
Man wird sich schon sozusagen um die innere Struktur
der jeweiligen Steuer kümmern müssen, so wie wir das
zum Beispiel gerade bei der Körperschaftsteuer mit einem wesentlichen Vereinfachungsschritt gemacht haben.
Steuern einfach abzuschaffen ist keine Steuervereinfachung.
({4})
Ich will Ihnen einmal sagen, wie die Situation bei der
Sektsteuer ist: Wir haben im letzten Jahr 930 Millionen DM Einnahmen gehabt. Die Bearbeitung bei den
5 500 Steuerpflichtigen wurde bundesweit von 56 Zöllnern durchgeführt, deren Besoldung rund 6 Millionen DM
kostet. Das ist also gerade etwas mehr als ein halbes Prozent des Ertrages, den wir bei den 5 500 Steuerpflichtigen
einnehmen können, die naturgemäß die Steuer auf den
Verbraucher abwälzen. Es ist so ungefähr die einfachste
Steuer, die man sich vorstellen kann. Mit 56 Leuten bei
5 500 Steuerpflichtigen rund 1 Milliarde DM einholen,
das ist ein vernünftiger Ertrag.
({5})
Vizepräsidentin Petra Bläss
Es wäre schön, wenn alle Steuern so einfach zu handhaben wären.
Natürlich haben wir keine kaiserliche Flotte mehr; das
ist völlig klar. Aber wir haben eine republikanische, demokratisch legitimierte Flotte, die ebenfalls Geld braucht.
Erst gestern, auf Ihren Antrag hin, haben Sie hier eine
Stunde lang die angebliche Unterfinanzierung der Bundeswehr beklagt. Natürlich ist die Sektsteuer nicht zweckgebunden zur Finanzierung der Bundeswehr;
({6})
sie würde leider auch nicht ausreichen, weil die Bundeswehr ungefähr 44 Milliarden DM im Jahr und nicht nur
1 Milliarde DM braucht.
Aber ich möchte wenigstens den Versuch machen, eine
allererste Einführung in die Grundzüge des Steuerrechts, sozusagen privatissime et gratis für die F.D.P.Fraktion, zu geben.
({7})
Es gibt so genannte direkte Steuern; sie werden auf Gewinn und Einkommen erhoben, progressiv, jeweils abhängig von der Höhe des Gewinns und des Einkommens.
Dann gibt es indirekte Steuern, hier insbesondere die Verbrauchsteuern - die wesentlichste von diesen ist die Umsatzsteuer - und die speziellen Verbrauchsteuern; dazu
gehört die Sektsteuer.
({8})
Sie wird nach Verbrauch erhoben, wie der Name schon
sagt, in diesem Fall 2 DM auf 0,75 Liter einer normalen
Sektflasche.
Das ist auch nicht verschleiert. Da hat Minister Eichel
nicht irgendwie seine Bücher zugehalten, wie Sie das behaupten. Die Sektsteuer ist nun fast 100 Jahre alt und hat
sich im Prinzip kaum geändert,
({9})
außer dass sie in der Höhe differiert hat. Jetzt liegt sie seit
ungefähr 20 Jahren auf derselben Höhe. Was also soll
daran verschleiert sein? Jeder Bürger weiß das oder kann
es zumindest wissen. Was haben Sie davon, wenn die Flasche jetzt 2 DM billiger wird? Es war von gesundem Verbrauch, „in Maßen genossen“, die Rede, lieber Kollege
Schindler. Du als Winzer hast natürlich ein spezielles Interesse; das muss man den Bürgerinnen und Bürgern auf
der Tribüne vielleicht einmal sagen.
({10})
Was heißt, „in Maßen“? Bezieht sich das vielleicht auf
den durchschnittlichen Verbrauch pro Kopf, also etwa
sechs Flaschen im Jahr? Sonst kämen die vom Kollegen
Bartsch genannten 12 DM pro Jahr ja nicht zustande. Was
soll daran entscheidend sein, dass der Mensch sechsmal
im Jahr 2 DM spart oder nicht?
({11})
- Doch, darum geht es wohl.
({12})
Steuern sind allgemeine Deckungsmittel für die Deckung
der Bedürfnisse des gesamten Haushaltes. Sie, Kollege
Schindler, haben am Ende Ihrer Rede lautstark beklagt,
was im Zusammenhang mit BSE alles noch passieren
muss, dass es allein in diesem Jahr ein Risiko von über
2 Milliarden DM gibt.
({13})
- Ja, natürlich! Allein wegen der BSE-Krise haben wir in
diesem Jahr ein Haushaltsrisiko von mindestens 2 Milliarden DM. - Aber im selben Atemzug sagen Sie, wir sollten leichthin auf die 1 Milliarde DM aus der Sektsteuer
verzichten.
({14})
- Die Einnahmen aus den UMTS-Erlösen haben wir zum
Schuldenabbau gebraucht, und zwar zum Abbau der
Schulden, die Sie uns hinterlassen haben. Mit den
100 Milliarden DM konnten wir natürlich nur einen kleinen Teil davon abbauen.
({15})
14 mal 100 Milliarden DM sind es dann immer noch an
Schulden. Auch die müssen wir irgendwann noch tilgen.
Das ist die tatsächliche „Erblast“. Ich will dieses Wort ja
eigentlich nicht benutzen, aber wenn Sie mich herausfordern, muss ich es doch einmal sagen.
Frau Staatssekretärin,
gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Aber klar.
Frau Staatssekretärin Hendricks, Gott sei Dank können wir persönlich eigentlich gut miteinander.
({0})
Dann werden Sie mir in Bezug auf die Schulden in Höhe
von 1,4 Billionen DM, die Sie jetzt wieder genüsslich vorführen, doch zugestehen: Dabei ging es um die beste Investition in Deutschlands Zukunft, nämlich darum, die
Wiederherstellung der deutschen Einheit auch finanziell
zu gewährleisten. Ich bin auf diese Schulden ausdrücklich
stolz. Das sollte man in diesem Zusammenhang doch
wirklich in allem Ernst feststellen. Oder ist es anders?
Herr Kollege Schindler, da
will ich Ihnen gerne zustimmen. Ich sehe durchaus die
Tatsache, dass etwa die Hälfte dieses hohen Schuldenberges
({0})
dadurch entstanden ist, dass wir das finanzielle Problem
der deutschen Einheit schultern mussten; wir müssen es
auch weiter schultern. Deswegen gibt es auch keinen Anlass, sich zurückzulehnen und zu sagen, die Sache sei jetzt
erledigt. Sie wissen, dass wir in Verhandlungen über den
Solidarpakt II eintreten. Sie wissen, dass wir eine besondere Finanzierung zur Entwicklung der neuen Länder
auch in der Zukunft brauchen werden. Darum ist es nicht
so einfach, hier oder da auf Einnahmen zu verzichten. Sie
haben den Solidaritätszuschlag angesprochen. Den werden wir auch in Zukunft brauchen, solange wir die besondere finanzielle Belastung, die im Gefolge der deutschen
Einheit entstanden ist, noch haben.
({1})
Darum ist es eben nicht verantwortlich, einfach so zu tun,
als könnten wir leichthin auf 1 Milliarde DM verzichten.
Noch einmal: Die UMTS-Erlöse in Höhe von 100 Milliarden DM haben wir tatsächlich zum Schuldentilgen
verwandt, das wissen Sie. Das sind 100 Milliarden DM
von 15 mal 100 Milliarden DM gewesen. 14 mal 100 Milliarden DM bleiben bestehen und müssen mit Zinsen in
Höhe von jährlich 80 Milliarden DM bedient werden.
Auch das muss man sich vergegenwärtigen. Das bekommen wir nicht von heute auf morgen weg, Kollege
Schindler. Deswegen bitte ich Sie, mir zuzugestehen, dass
wir die Milliarden nicht einfach so verschenken können,
wenn wir verantwortungsbewusst handeln, zumal es offenbar ist, dass die Menschen durch die Sektsteuer eine
tatsächliche Belastung weder erfahren noch spüren.
({2})
Herr Kollege Schindler, obwohl Sie mir durch Ihre
Zwischenfrage Gelegenheit gegeben haben, meine Redezeit auszudehnen, will ich davon keinen Gebrauch machen. Die Argumente liegen auf der Hand. Man sollte es
sich nicht so einfach machen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der F.D.P., sondern man muss sich zum Thema
Steuervereinfachungen schon ein paar Gedanken machen.
Erlauben Sie mir eine Bemerkung zum Schluss: Im Antrag der F.D.P. heißt es, die Bundesregierung möge „einen
Gesetzentwurf über die Abschaffung der Sektsteuer“ vorlegen. Ich erkläre für die Bundesregierung, dass wir das
nicht tun. Aber was mich bei diesem Antrag gewundert
hat, ist folgender Tatbestand: Die Erarbeitung eines Gesetzentwurfs zur Abschaffung der Sektsteuer, dem ich,
wie gesagt, inhaltlich nicht zustimme, ist ein ausgesprochen einfacher gesetzestechnischer Vorgang. Ihre Fraktion, die etwa zur Hälfte aus ehemaligen Regierungsmitgliedern besteht, hätte diesen Gesetzentwurf zumindest
selber formulieren können.
Herzlichen Dank.
({3})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/5337 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestags auf Mittwoch, den 14. März 2001, 13 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.