Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Bevor ich die Aussprache eröffne, möchte ich, da es gerade Wortmeldungen
zu Zwischenfragen gegeben hat, an unsere Geschäftsordnung erinnern: Danach sind während einer Regierungserklärung keine Zwischenfragen und im Anschluss
an sie auch keine Kurzinterventionen zugelassen, da die
Aussprache erst danach beginnt, liebe Kolleginnen und
Kollegen.
Ich eröffne jetzt die Aussprache und erteile das Wort
dem Kollegen Friedrich Merz, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir hatten ja alle etwas Mühe, bei dieser Regierungserklärung wach zu bleiben.
({0})
Herr Scharping, Sie konnten das nicht sehen, aber bei den
anwesenden Mitgliedern der Bundesregierung war das
noch augenfälliger als bei uns;
({1})
sie sparen vielleicht ihre Kräfte.
Ich will zunächst zwei Fragen stellen, die mir spontan
in den Sinn gekommen sind, als ich Ihre Rede hörte:
({2})
- Ich habe nur zwei, aber dafür zwei konkrete.
Ich habe mich zum einen gefragt, warum eigentlich
vor gut einem Jahr der Generalinspekteur von Kirchbach
zurückgetreten ist,
({3})
wenn Ihr Konzept so gut ist, wie Sie es hier dargelegt haben. Was war eigentlich der Grund für den Amtsverzicht
des Generalinspekteurs,
({4})
den Sie ja auch beauftragt hatten, eine neue Konzeption
für die Bundeswehr vorzulegen?
({5})
Zum Zweiten stellt sich für mich ein logisches
Problem: Wenn die Zahlen - ich frage jetzt nicht nach
Brutto und Netto - alle stimmen, die Sie hier vorgetragen haben, dann müssten Sie eigentlich auf der
Suche nach mindestens 50 neuen Standorten für die
Bundeswehr in der Bundesrepublik Deutschland sein.
({6})
In Wahrheit hat noch nie ein Verteidigungsminister
hier im Parlament eine Konzeption für die zukünftige
Struktur der Bundeswehr vorgestellt, die so auf Sand gebaut ist wie die, die wir heute Morgen zum zweiten Mal
gehört haben.
({7})
Die Bundeswehr steht vor einem Umbauprozess ohne
Perspektive und voller neuer Unsicherheiten. Die „Reform der Bundeswehr von Grund auf“, wie Sie das nennen, stellt die Fähigkeit der Bundeswehr, die ihr gestellten Aufträge auch in Zukunft zu erfüllen, von Grund auf
in Frage. Das ist die Wahrheit.
({8})
Schon die Art und Weise, wie Sie die Standortentscheidungen hier noch einmal präsentiert haben, zeigt das
ganze Ausmaß der Unseriosität, auch was Ihre Zahlen
angeht. Ich will Ihnen drei Beispiele nennen.
Sie haben vor, einen der größten Standorte in den
neuen Bundesländern zu verkleinern. In Ihrem Konzept
wird dieser Standort, Eggesin in Mecklenburg-Vorpommern, von 1 800 Dienstposten auf jetzt 55 reduziert.
({9})
Da die Grenze zwischen Kleinstandorten und Großstandorten bei 50 eingezogen wurde, bleibt dieser Standort
Bundesminister Rudolf Scharping
mit 55 auch in Zukunft ein Großstandort. Meine Damen
und Herren, so rechnet Scharping.
({10})
Lassen Sie mich ein zweites Beispiel nennen. In
Neumünster verbleiben von rund 800 Soldaten und zivilen Mitarbeitern jetzt noch zehn.
({11})
Dort verbleibt das Truppendienstgericht
({12})
- ohne Truppe, meine Damen und Herren.
({13})
Kürzungen, die weniger als 500 Dienstposten ausmachen
und nicht mehr als die Hälfte des Personalbestandes betreffen, werden in Ihrem Konzept überhaupt nicht als
Standortverkleinerungen genannt.
Mit diesen Tricksereien täuscht die Bundesregierung,
täuscht der Bundesverteidigungsminister die Öffentlichkeit. Schlimmer noch: Er täuscht die Betroffenen, die Soldaten und die zivilen Mitarbeiter an den Standorten.
({14})
Welche seltsamen Wege Sie mit Ihrer Öffentlichkeitsarbeit und Ihrer Informationspolitik gehen, Herr Bundesverteidigungsminister, das haben wir schon beim Umgang
mit dem Problem der so genannten DU-Munition und
auch bei der Gefährdung der Soldaten durch die Radarabstrahlungen erlebt.
({15}))
Darüber werden wir bei anderer Gelegenheit noch ausführlicher sprechen.
Ich will nur etwas Grundsätzliches sagen. Sie sind als
Verteidigungsminister, Herr Scharping, nicht nur Inhaber
der Befehls- und Kommandogewalt. Sie sind als oberster
Dienstherr auch zur Fürsorge den Soldaten gegenüber
verpflichtet.
({16})
Diese Fürsorgepflicht ernst zu nehmen gegenüber den
Soldaten der Bundeswehr erfordert Offenheit und Ehrlichkeit, und zwar nicht nur beim Einsatz der Soldaten,
sondern auch dann, wenn sie an ihren Standorten sind.
Von dem Vertrauen, das einmal ein ebenfalls sozialdemokratischer Verteidigungsminister namens Georg Leber bei
den Soldaten der Bundeswehr gehabt hat
({17})
- nein; ich weiß mich daran zu erinnern, weil ich in der
Zeit meinen Wehrdienst geleistet habe -, sind Sie meilenweit entfernt, Herr Scharping.
({18})
Es ist ja nicht nur ein Konzept zur Reduzierung der
Standorte, sondern es muss ein sicherheitspolitisches
Konzept dahinter stehen. Darüber zu sprechen muss
heute Morgen auch Gelegenheit sein.
({19})
Nach der wiedergewonnenen deutschen Einheit haben die
Bundesverteidigungsminister Stoltenberg und Rühe aus
zwei feindlichen Armeen die Armee der Einheit geschaffen.
({20})
Aus Gegnern wurden Freunde in einer gemeinsamen
deutschen Bundeswehr. Nirgendwo sonst in der deutschen Gesellschaft ist die innere Einheit so schnell und so
erfolgreich Realität geworden wie in der Bundeswehr.
({21})
Diese historische Leistung haben wir dem großartigen
Engagement der Soldaten und zivilen Mitarbeiter der
Bundeswehr, aber auch der übernommenen Soldaten und
zivilen Mitarbeiter der Nationalen Volksarmee zu verdanken. Auch zehn Jahre nach der deutschen Einheit hat dies
unseren Respekt und unsere Anerkennung verdient.
({22})
Ich sage dies, weil seitdem die Bundeswehr in Umfang,
Struktur und Auftrag in sehr schwierigen Reformschritten
auf die neuen Aufgaben ausgerichtet worden ist. Es entstanden die Streitkräfte im vereinten Deutschland, die
Streitkräfte eines Landes, das auch in der Außen- und
Sicherheitspolitik eine größere internationale Verantwortung übernehmen musste, übernehmen wollte und auch
übernehmen konnte.
Diese neue Bundeswehr hat ihre ersten internationalen Militäreinsätze bei Friedensmissionen und bei der
Krisenbekämpfung insbesondere in Kambodscha und Somalia sowie - bis heute andauernd - in Bosnien und im
Kosovo professionell und sehr erfolgreich absolviert.
Diese Einsätze waren wichtig für den Frieden in den jeweiligen Ländern. Sie waren von unschätzbarer Bedeutung für das Ansehen unseres Landes nach der Wiedervereinigung. Es gehört eben auch zur historischen
Wahrheit: CDU und CSU haben diese Einsätze damals
zum Teil gegen den erbitterten Widerstand von Teilen der
Sozialdemokraten und insbesondere der Grünen durchsetzen müssen.
({23})
Ich erwähne all dies, weil Sie, Herr Scharping, nach
diesem tief greifenden Umbauprozess in der Bundeswehr
ein gut bestelltes Haus übernommen haben.
({24})
Ich will gar nicht bestreiten, dass es auch nach 1998 weiteren Reformbedarf in der Bundeswehr gegeben hat.
Aber der entscheidende Unterschied ist: Unsere Politik
hätte ihre Grundlage in einer Haushaltsplanung gehabt,
die nach Jahren des Sparens eine Trendumkehr für die
Bundeswehr eingeleitet hätte.
({25})
- Meine Damen und Herren, da Sie erwartungsgemäß
Zwischenrufe in größerer Anzahl machen, möchte ich an
dieser Stelle daran erinnern, dass es nach der Bundestagswahl 1998 einen Konsens gegeben hat, die Haushaltsplanung für die Bundeswehr, so wie ursprünglich vorgesehen, auf knapp 50 Milliarden DM im Jahr aufzustocken.
({26})
Sie, Herr Scharping - wir alle haben dies noch gut in Erinnerung -, haben den Posten als Vorsitzender der SPDBundestagsfraktion nur aufgegeben und sind Verteidigungsminister geworden, weil der Bundeskanzler und der
Bundesfinanzminister Ihnen genau diese Aufstockung zugesagt und versprochen haben. Diese Zusage ist gebrochen worden.
({27})
Unter Rot-Grün gibt es die größte Kürzungsaktion in
der Geschichte der Bundeswehr. Die Streitkräfte verlieren
in vier Jahren knapp 20 Milliarden DM gegenüber dem,
was Sie ihnen zu Beginn Ihrer Amtszeit zugesagt haben.
({28})
Sie haben damit Ihre Versprechen gebrochen. Sie stehen
heute nicht als Gestalter einer Reform, sondern als Getriebener des Bundesfinanzministers vor dem Deutschen
Bundestag.
({29})
Dies zeigt noch etwas anderes: Diese Bundesregierung
und insbesondere viele Regierungsmitglieder haben eine
tiefe innere Distanz zur Bundeswehr. Die Bundeswehr hat
keine Freunde mehr in dieser Regierung.
({30})
Wer ein Unternehmen neu ausrichten will, der weiß,
dass im Zuge einer grundlegenden Reform neue Investitionen erforderlich sind.
({31})
Auf diesen Punkt hat auch die so genannte WeizsäckerKommission in ihrem Bericht „Zukunft der Bundeswehr“ zu Recht hingewiesen.
({32})
Jenseits aller Punkte, die uns heute Morgen in der Bewertung Ihrer Reform voneinander trennen, muss ich sagen:
Sie berufen sich bei Ihrer Reform doch auf den Bericht der
Weizsäcker-Kommission.
({33})
Aber die entscheidende Veränderung, die die WeizsäckerKommission von Ihnen verlangt, Herr Scharping, nämlich
eine Anschubfinanzierung für die Reform der Bundeswehr, fehlt in jeder Haushaltsplanung für die nächsten Jahre.
({34})
Ich will Ihnen ein paar weitere Fragen stellen, Herr
Scharping: Glauben Sie denn wirklich, dass im laufenden
Haushaltsjahr 2001 mehr als 1 Milliarde DM durch den Verkauf von Bundeswehreigentum eingestellt werden kann?
Glauben Sie wirklich, dass die Industrie bereit ist, bisherige Aufgaben der Bundeswehr zu übernehmen, wenn
es sich nicht rechnen wird? Woher nehmen Sie eigentlich
den Optimismus für die hohen Einsparungen, die Sie
durch Privatisierung und Rationalisierung erzielen
wollen?
Glauben Sie schließlich ernsthaft, dass die Soldaten
nicht sehr genau registriert hätten, dass die Höhe des Verteidigungshaushaltes für dieses Jahr gegenüber den Planungen des Finanzministers nur deswegen relativ und
vordergründig freundlich ausfällt, weil Sie rechnerisch im
Verteidigungshaushalt rund 2 Milliarden DM zusätzlich
verbuchen konnten, nämlich für den Einsatz der Bundeswehr auf dem Balkan?
Dies alles ist auf Sand gebaut. Ihre Zahlen stimmen
nicht und Sie wissen das, Herr Scharping.
({35})
Nun lassen Sie mich, weil auch das in diesen Zusammenhang gehört, ein Wort zur Wehrpflicht sagen. Sie haben sich - gegen manche Widerstände, auch aus den eigenen Reihen - stets für die Beibehaltung der allgemeinen
Wehrpflicht in Deutschland ausgesprochen. Wir teilen
diese Einschätzung, weil auch wir der Überzeugung sind,
dass die Wehrpflicht gut begründet ist, nicht nur hinsichtlich der sicherheitspolitischen Lage, sondern auch in unserem Land und in unserer Gesellschaft. Die Wehrpflicht
bleibt als Bindeglied zwischen der Gesellschaft und den
Streitkräften auf längere Sicht unverzichtbar.
({36})
Aber nun sind dramatische Einschnitte bei der Zahl der
Wehrpflichtigen geplant. Sie wissen doch, Herr Scharping,
dass die Zahlen, die Sie uns heute Morgen hier vorgetragen haben - soweit man dem überhaupt folgen konnte -,
falsch sind.
({37})
- Entschuldigung, Sie haben doch allein 30 000 so genannte Schülerstellen in die Zahlen einbezogen, die in der
Bundeswehr gar nicht ausgefüllt werden. - Die Zahl der
Wehrpflichtigen, die Sie vorsehen, und die Haushaltslage,
die damit verbunden ist, werden - das wissen Sie ganz genau - dazu führen, dass die Wehrgerechtigkeit im Kern
gefährdet ist. Damit wird die Wehrpflicht von innen ausgehöhlt. Dies wird auch die Fähigkeit der Bundeswehr,
Zeit- und Berufssoldaten zu rekrutieren, auf mittlere Sicht
im Kern gefährden.
({38})
Die Kürzungen bei der Bundeswehr sind weder sicherheitspolitisch noch verteidigungspolitisch zu verantworten. Die Bundeswehr hat einen erheblichen Modernisierungsbedarf:
({39})
bei der Aufklärung, bei der Kommunikation, beim Transport und auch bei den persönlichen Ausrüstungen der Soldaten.
({40})
Unsere Soldaten haben, gerade wenn wir sie in so
schwierige Einsätze wie im Kosovo schicken, einen Anspruch auf die beste Ausrüstung und die beste Ausbildung.
Hierfür zu sorgen ist Verpflichtung und Verantwortung
der Politik,
({41})
dieses Parlaments, das einen Einsatz der Streitkräfte allein
beschließen kann, und der Bundesregierung.
Wir fordern den Mut zu einer notwendigen Prioritätensetzung zugunsten der Bundeswehr so, wie ihn andere
Länder, insbesondere die USA, bereits aufgebracht haben.
Wir haben deshalb beantragt, zur Finanzplanung der
alten Bundesregierung zurückzukehren, das heißt konkret - ich will es noch einmal sagen -, einen Anstieg der
Mittel auf circa 50 Milliarden DM vorzunehmen.
({42})
Die Politik muss der Bundeswehr gerade in dieser
schweren Zeit klare und verlässliche Rahmenbedingungen setzen. Nur dann kann die Bundeswehr ihren herausragenden Dienst weiterhin so erfolgreich leisten und nur
dann können die Soldaten, die zivilen Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter und ihre Familien endlich wieder eine
verlässliche Lebensplanung haben.
({43})
Der frühere amerikanische Präsident George Bush hat
der Bundesrepublik Deutschland 1991 in einer weltweit
beachteten Rede, die er in der Stadt Mainz gehalten hat,
„partnership in leadership“ angeboten.
({44})
Wenn wir dies ernst nehmen, muss gerade Deutschland
die Streitkräfte in die Lage versetzen, die politisch vorgegebenen Aufgaben auch tatsächlich zu erfüllen.
Auf der Münchener Konferenz für Sicherheitspolitik
am letzten Wochenende - Sie waren doch auch fast die
ganze Zeit anwesend, Herr Scharping - haben alle amerikanischen Politiker, die aus der neuen Regierung und
die aus der früheren Regierung, diese Ansprüche an uns
in aller Deutlichkeit formuliert. Die Erwartungen an
Deutschland sind hoch. Deswegen sehen unsere
Bündnispartner mit großer Sorge, dass zwischen dem politischen Anspruch und der Realität in der Bundeswehr
eine immer größere Lücke klafft.
({45})
Diese Sorgen unserer Partner sind alles andere als unberechtigt. Wer will, dass die Bundeswehr neue Aufgaben
übernimmt - da befinden wir uns in einem Konsens, auch
und gerade was die Beschlüsse von Nizza betrifft -, wer
will, dass diese Aufgaben wirklich erfüllt werden können,
({46})
der muss auch bereit sein, die notwendigen Mittel für die
Modernisierung der Bundeswehr aufzubringen.
Ich will es noch einmal ganz konkret sagen: Weder die
Beschaffung des neuen Transportflugzeuges noch die
Finanzierung des gemeinsamen Aufklärungssatelliten finden sich in Ihren Haushaltszahlen ausreichend wieder.
Was hier auf dem Spiel steht, meine Damen und Herren,
ist nicht mehr und nicht weniger als die unter der früheren
Regierung unter schwierigen Bedingungen, aber erfolgreich begonnene Ausrichtung auf eine neue sicherheitspolitische Lage nach dem Ende des Kalten Krieges. Frieden und Freiheit unseres Landes zu sichern, mitzuwirken
an internationalen Friedensmissionen und deutsche Interessen wirksam zu vertreten, das alles ist nicht zum Nulltarif zu haben.
({47})
Wer nicht zur Solidarität fähig ist, verliert an Einfluss.
Im Bündnis der NATO steht Deutschland mittlerweile an
vorletzter Stelle, was die Ausgaben für die Streitkräfte
betrifft, bezogen auf die Anteile am Bruttosozialprodukt,
noch hinter Luxemburg. Dies wird der Bedeutung und der
Verantwortung unseres Landes nicht gerecht.
({48})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Abschluss deutlich machen: Deutschland ist, ob wir das wollen oder nicht, politisch und wirtschaftlich das bedeutendste Land in Europa. Als wiedervereintes Land in der
geopolitischen Mitte unseres zusammenwachsenden Kontinents haben wir eine neue, größere außenpolitische Verantwortung übernommen. Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik stehen in einem inneren Zusammenhang.
Deutschland, Europa und die NATO sind aufeinander angewiesen. Der Verteidigungsetat dieser Bundesregierung
gefährdet diesen inneren Zusammenhalt.
Wir wünschen uns eine deutsche Außen- und Sicherheitspolitik, die die gewachsene Verantwortung, die unser
Land trägt, auch aktiv wahrnimmt. Wir müssen eine stärkere Rolle im Bündnis der NATO, in den transatlantischen
Beziehungen und in der Europäischen Union spielen.
({49})
Frieden und Freiheit zu sichern, die Menschenrechte
zu schützen, aber eben auch unsere Interessen zu vertreten, dies muss Aufgabe der deutschen Außenpolitik, aber
auch Aufgabe der deutschen Sicherheits- und Verteidigungspolitik sein. Meine Damen und Herren, dieser Aufgabe wird die Bundesregierung mit der vorgelegten Reform der Bundeswehr nicht mehr gerecht.
({50})
Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Jürgen Koppelin, F.D.P.Fraktion, das Wort.
({0})
Herr Kollege Merz, ich
kann durchaus mit vielem, was Sie hier vorgetragen haben, einverstanden sein. Aber ich denke, eines sollten sich
die beiden Oppositionsfraktionen, CDU/CSU und F.D.P.,
in einer solchen Debatte nicht entgehen lassen, nämlich
auf das zurückzukommen, was der Bundesverteidigungsminister in der Haushaltsdebatte Ende November letzten
Jahres gesagt hat. Als wir damals sagten, es würden
50 Standorte geschlossen, hat er nämlich der CDU/CSU
und der F.D.P. in der Person des Kollegen Austermann
und in meiner Person vorgeworfen,
({0})
dies sei völlig übertrieben, und hat uns aufgefordert, den
Beweis hierfür zu liefern. Es spricht heute nur noch von
39, hat aber tatsächlich mindestens 59 Standorte geschlossen.
({1})
Sie haben das Beispiel Neumünster genannt.
Herr Kollege Merz, Sie haben es nicht gesagt. Dann tue
ich es: Herr Bundesverteidigungsminister, hier ist der Beweis, dass Sie über 50 Standorte schließen.
({2})
Daneben fehlt mir sowohl bei Ihnen, Herr Kollege
Merz, als auch beim Bundesverteidigungsminister die
Aussage darüber, was dieses Konzept kosten wird. Eine
Standortreduzierung wird nämlich zunächst einmal viel
Geld kosten. Der Bundesverteidigungsminister hat es bis
heute nicht nötig gehabt - das ist der Unterschied zu unserer alten Koalition; auch wir haben Standorte geschlossen -, in den Haushaltausschuss zu gehen, dort sein Konzept vorzulegen und zu sagen: So viel wird es zunächst
kosten und so viel werde ich langfristig einsparen. Auch
das muss doch gesagt werden!
({3})
Zum Abschluss: Herr Kollege Merz, der Bundesverteidigungsminister hat in vielen Teilen seiner Rede die Opposition, also CDU/CSU und F.D.P., massiv kritisiert. Wir
befinden uns dabei, so meine ich, Herr Verteidigungsminister, in allerbester Gesellschaft. Ich habe nämlich einen Zeitungsartikel dabei und ich freue mich darüber, dass
die Ministerpräsidentin des Landes Schleswig-Holstein
anwesend ist. Die Überschrift lautet: Simonis kritisiert
Scharping. Wahrscheinlich liegt der Unterschied darin,
dass Frau Simonis das schon seit zehn Jahren macht,
während wir es erst tun, seit er Verteidigungsminister ist.
({4})
Ich unterstelle, Kollege Merz, dass Sie darauf nicht antworten wollen, denn
Sie waren gar nicht gemeint. Das, was Herr Koppelin gemacht hat, nennt man eine Dreiecksintervention.
Kollege Koppelin, die Regel lautet: Die Intervention
soll sich auf den vorherigen Redner beziehen. Daran
möchte ich nur erinnern.
({0})
Ich erteile dem Kollegen Gernot Erler, SPD-Fraktion,
das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Aus Januar/Februar 2001 werden wir
zwei Erinnerungen mitnehmen:
({0})
eine daran, dass in diesen Tagen ein wichtiger Schritt zur
Umsetzung der Bundeswehrreform getan wurde, und zwar
mit dem Ziel, die Bundeswehr bündnisfähiger, aufgabenfähiger und zukunftsfähiger zu machen; eine andere daran, dass die Opposition, vor allem die CDU/CSU, diesen
Schritt ausschließlich mit Geschrei und leer laufenden
Attacken begleitet hat.
({1})
Was hier abläuft, ist eine durchschaubare Inszenierung.
Herr Merz, erst haben Sie sich an der Kampagne beteiligt,
dem Verteidigungsminister bei der Uranmunition irgendwas in die Schuhe zu schieben.
({2})
Ich betone dabei „irgendwas“; denn die Vorwürfe waren
beliebig und wechselten täglich. Erst hieß es, es hätte zu
späte Informationen für die eingesetzten Soldaten gegeben, später hieß es, das Problem sei vernachlässigt worden, und schließlich hieß es, es hätte eine schlechte Information des Parlaments gegeben. Was ist heute davon
übrig geblieben? - Nichts, gar nichts!
({3})
Sie mussten anerkennen: Die eingesetzten Soldaten
sind rechtzeitig gewarnt und informiert worden, die Bundeswehr hat anders als andere Streitkräfte sogar eigene
Untersuchungen durchgeführt - das beweist das Gegenteil von Gefahrenunterschätzung -, und wir konnten
Ihnen nachweisen, dass der Bundestag über das Thema
früh, wiederholt und gründlich informiert wurde.
({4})
Wir haben dabei gemerkt: Ihnen ist es überhaupt nicht
um die Sicherheit der Soldaten oder den Schutz von Umwelt und Land gegangen; denn Sie haben uns, als wir versucht haben, in der NATO wenigstens einen Stopp der
Verwendung dieser Munition zu erreichen, im Stich gelassen. Sie haben uns überhaupt nicht unterstützt. Das beweist, um was es Ihnen bei dieser Geschichte wirklich gegangen ist.
({5})
Dann kamen die Standortentscheidungen. Wieder
ging das Geschrei vom Kahlschlag und von der Gefährdung der Sicherheit der Bundesrepublik los. Eigentlich
hat nur noch gefehlt, dass Sie Ihre Familien in ein sicheres Ausland verbracht hätten, so ein Geschrei haben Sie
angestellt.
({6})
Das waren absurde Vorwürfe. Das Echo in der Öffentlichkeit war verheerend,
({7})
und zwar für Sie, nicht für den Verteidigungsminister.
({8})
Ich will Ihnen etwas aus der „Süddeutschen Zeitung“
vortragen. Sie schreibt:
Man kann mäkeln und meckern an dieser oder jener
Ecke seiner Reform: Rudolf Scharping kommt das
klare Verdienst zu, anders als seine Vorgänger von
der Union, gründlich Inventur bei der Bundeswehr
gemacht zu haben. Seine Standortliste schreckt nicht
vor harten Wahrheiten zurück und hat die Logik auf
ihrer Seite: Wer eine moderne und kleinere Bundeswehr will, muss sich damit abfinden, dass sie sich
dann aus manchem Stadtbild verabschiedet. Das eine
wollen und das andere nicht aufgeben, geht nicht.
Der Vorwurf des Kahlschlags ist nicht gerechtfertigt.
Auch die Unterstellung der parteipolitischen Auswahl geht bei genauer Betrachtung der Streichliste
ins Leere.
({9})
Das sind nicht wir, die das sagen, das ist die Öffentlichkeit.
Kollege Erler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen von Klaeden?
Nein, ich möchte gern im Zusammenhang vortragen.
Im „Mannheimer Morgen“ stand:
Scharping hat die Erblast in nur zwei Jahren überwunden und die Bundeswehr so radikal und grundlegend umgekrempelt wie keiner seiner Vorgänger.
Das könnten wir gar nicht besser ausdrücken.
({0})
Die „Kölnische Rundschau“ schreibt:
Dabei versucht die Union wieder einmal, alte
Schlachten neu zu schlagen. Sie spricht von „Kahlschlag“
({1})
und verlangt eine Bundeswehrstärke von 300 000
Soldaten. Im Grunde will die Unionsspitze also nur
kosmetische Veränderungen, aber keine Reformen.
So ist das; das hat die Öffentlichkeit gemerkt.
({2})
Es war also wieder nichts mit der Attacke. In Wirklichkeit wissen Sie ganz genau, dass die Standortentscheidungen im Ganzen rational, in der Lastenverteilung
fair und von der Sache her unumgänglich sind. Von der
CSU haben wir das sogar schriftlich bekommen, freilich
verbunden mit der Aufforderung an die eigenen Funktionäre, trotzdem nach Kräften vor Ort Rabatz zu machen.
({3})
Sie nutzen also die örtlichen Betroffenheiten, die es gibt,
die wir ernst nehmen und auf die wir vor Ort auch unsere
Antworten geben werden,
({4})
für Ihre billigen Attacken gegen die gesamte Bundeswehrreform aus, zu der Sie in 16 Jahren nicht die Kraft gefunden haben.
({5})
Herr Merz, Sie haben noch etwas gemacht: Sie haben
in München auf der Sicherheitskonferenz - vielleicht
sind Sie so nett und hören mir einmal zu, weil ich Sie persönlich ansprechen möchte - vor Fachleuten aus der
ganzen Welt Ihr eigenes Land an den Pranger gestellt mit
den sachlich falschen Behauptungen, die Bundesrepublik
werde durch die Kürzung der Verteidigungsausgaben um
20 Millarden DM
({6})
ihre Bündnisverpflichtungen nicht erfüllen können, die
übrige Welt sei mit Deutschland unzufrieden. Das ist ein
unerhörter Regelverstoß; das gibt es in keinem anderen
Land. Das hat es in 36 Konferenzen vorher nicht gegeben.
({7})
Damit haben Sie den Grundkonsens in der Sicherheitspolitik gebrochen, Herr Merz. Leute, die mehr Erfahrung haben als Sie, werden Ihnen noch oft sagen, dass diese Premiere fehlgeschlagen ist. Sie werden Ihnen sagen, was sie
davon halten, nämlich gar nichts.
({8})
Ziehen wir also Bilanz: Ihr Versuch bezüglich der
Uranmunition ist gescheitert, ebenso der bezüglich der
Standortentscheidungen. Über die Provokation, die Sie
sich in München geleistet haben, haben alle geschwiegen, weil es allen nur peinlich war. Aber Sie brauchen ja
etwas, um schnell in die Offensive zu kommen. Sie müssen ja ablenken von Ihrem internen Führungshakeln und
Führungsdebakel,
({9})
von Ihrem geschmacklosen Plakatdesaster und all den anderen Pleiten der letzten Tage. Deswegen haben Sie jetzt
ein neues Thema gefunden, nämlich die Bundeswehrfinanzen. Nach dem Motto „Ist der Ruf erst ruiniert, lebt
sich’s gänzlich ungeniert“ kann man jetzt natürlich mit
diesem Thema kommen, ohne irgendwelche Etatvorschläge, die gedeckt sind, zu machen. Die Methode ist:
Wieder rein in die Vollen, Horrorzahlen verbreiten, Unsicherheit säen - alles wie gehabt. Die Öffentlichkeit erwartet in der Tat schon gar nichts anderes mehr von Ihnen.
({10})
Aber, Herr Kollege, die Zahlen sind nun einmal neutral; die können Sie nicht anzweifeln. Nach den Zahlen ist
es nun einmal Tatsache, dass der Einzelplan 14 nicht in Ihrer Zeit, sondern in den nur drei Etats der neuen Bundesregierung angewachsen ist. Es ist nun einmal Tatsache,
dass Sie für die Materialerhaltung in den letzten vier Jahren Ihrer Regierung im Schnitt 4 Milliarden DM aufgewendet haben.
({11})
Wann wurde denn von der Kannibalisierung ganzer Waffensysteme gesprochen? Dieser Begriff ist doch zu Ihrer
Regierungszeit geprägt worden und nicht zu unserer.
({12})
Diese Mittel sind jetzt aufgestockt worden. In Investitionen in die militärische Beschaffung sind fast 2 Milliarden DM mehr als in Ihrer Regierungszeit geflossen.
Wir haben doch noch die vielen Klagen der Industrie im
Ohr, die in Ihrer Regierungszeit in Bezug auf die Arbeitsplätze und die Fähigkeit, international mitzuhalten,
geäußert wurden. Das ist jetzt besser geworden.
Auch die Investitionsquote, eine magische Größe,
haben Sie von 26,9 Prozent im Jahre 1991 auf 23,7 Prozent in Ihrem letzten Regierungsjahr heruntergefahren - mit einem Tiefpunkt von 21,1 Prozent im Jahr
1994. Das ist damals international in der Tat ein Thema
gewesen. Jetzt liegt die Investitionsquote wieder bei
24,3 Prozent; wir wollen in diesem Jahr auf 25,4 Prozent kommen.
An diesen Zahlen kommen Sie nicht vorbei. Ihre
Attacken in Bezug auf diese Etatfrage brechen schlicht
und einfach zusammen.
Tatsache ist: Die neue Bundesregierung hat die Mittel
im Einzelplan 14 erhöht.
({13})
Sie hat die Materialerhaltung verstärkt. Sie hat die Mittel für Investitionen erhöht und vor allen Dingen die
Investitionsquote wieder heraufgesetzt. Das alles ist im
dritten Etatjahr der neuen Bundesregierung gelungen.
Das ist ein respektables, ein vorzeigbares Ergebnis, das
zudem unter den Zwängen der Haushaltskonsolidierung erzielt worden ist, die von der Bevölkerung akzeptiert wird und die auch für die Bundeswehr gelten
muss. Darüber gibt es in unserer Gesellschaft einen
Konsens.
({14})
Deswegen kann ich von dieser Stelle aus abschließend
nur eines tun: Ich kann Sie, Herr Merz, und Ihre Fraktion
nur dazu auffordern, endlich einmal zur Kenntnis zu nehmen, dass Sie mit Ihrer ständigen Aufforderung zur Ausweitung der Verteidigungsausgaben weder in der Fachwelt noch in der Mehrheit der Bevölkerung Zustimmung
finden. Die Mehrheit hat die Unseriosität Ihrer Forderungen, die ja gar nicht von irgendwelchen Deckungsvorschlägen begleitet werden, erkannt.
({15})
Sie zielen mit Ihren haltlosen Zahlenspielen zwar auf die
Verunsicherung der Beschäftigten ab, werden damit
aber Schiffbruch erleiden. Denn die Menschen haben
längst bemerkt, dass es nicht um mehr Verteidigungsausgaben geht, sondern darum, die Sicherheit und die
Zukunft der Bundeswehr auf der Basis einer Reform, einer realistischen Anpassung der Größenordnung, also
auf der Basis von Strukturveränderungen, zu gestalten.
Dies ist der einzige Weg und den geht Rudolf Scharping
bzw. die Koalition.
({16})
Ich rufe Ihnen zu: Hören Sie auf mit Ihrem unverantwortlichen Gerede! Kehren Sie zur Sacharbeit zurück, die
noch genügend Platz für ein Ringen um die besseren Antworten lässt! Herr Merz, kehren Sie zu dem in sicherheitspolitischen Fragen bewährten Grundkonsens zurück! Davon haben in der Vergangenheit alle profitiert: die
Gesellschaft, die Bundeswehr und das Ansehen Deutschlands in der ganzen Welt.
Ich danke Ihnen.
({17})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Günther Nolting, F.D.P.-Fraktion.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Herr Kollege Erler, ich habe Sie in
den letzten Wochen nicht ein einziges Mal im Verteidigungsausschuss gesehen. Die gesamte Diskussion ist an
Ihnen vorbeigegangen.
({0})
Sie haben sich an dieser Diskussion überhaupt nicht beteiligt. Nun greifen Sie hier die Opposition an. Das kann
es ja wohl nicht sein.
({1})
Sie reden hier das Konzept des Ministers schön. Sie
werden erleben, dass dieses Konzept nicht zukunftsfähig
ist.
({2})
- Dazu komme ich gleich noch. Einen Moment! - Sie haben hier die Diskussion über die DU-, die Uranmunition
angesprochen. Dazu ist festzustellen: Wir nehmen die
Ängste der Soldaten ernst
({3})
und vertuschen nicht, wie Sie es getan haben.
({4})
Angesichts dessen, dass Sie von Geschrei in den betroffenen Standorten gesprochen haben - auch ich schreie
jetzt, weil ich nicht anders kann und weil die Emotionen
hier hochkommen -,
({5})
ist zu fragen: Nehmen Sie eigentlich die Sorgen der Soldaten, der zivilen Mitarbeiter und der Kommunen ernst?
({6})
Nein, Sie tun es nicht.
({7})
Ist denn die Kritik der Ministerpräsidentin aus SchleswigHolstein, die zu Recht vorgetragen wurde, Geschrei? In
welcher Welt befinden Sie sich? Beschäftigen Sie sich eigentlich mit diesen Fragen?
({8})
Sie sollten in sich gehen und noch einmal überprüfen, was
Sie hier vorgetragen haben.
({9})
Herr Kollege Merz, Sie haben ja Recht: Die so genannte Reform Scharping ist aus der sicherheitspolitischen Analyse nicht ableitbar. Wir haben ja gemeinsam
mit dem früheren Bundespräsidenten von Weizsäcker einen kompetenten Verbündeten; Sie haben darauf hingewiesen. Er stammt aus Ihren Reihen. Aber ebenso wie die
Pläne von Hans-Peter von Kirchbach vom Minister nicht
berücksichtigt wurden, wurden auch die Pläne von Herrn
von Weizsäcker nicht berücksichtigt.
Allerdings suchen Sie sich aus den Plänen der
Weizsäcker-Kommission nur das heraus, was Sie gerade
brauchen. Auf die Personalreduzierungen, die Herr von
Weizsäcker vorgeschlagen hat, sind Sie überhaupt nicht
eingegangen. Auch das hätten Sie einmal tun sollen.
({10})
Ich betone an dieser Stelle: Das vorgelegte Konzept
„Feinausplanung und Stationierung“ ist kein Geniestreich. Aber, Herr Kollege Merz, angesichts Ihrer heutigen Rede kommen bei mir nun doch einige Fragen auf.
({11})
Die Bundeswehr ist seit Jahren drastisch unterfinanziert und Sie wissen dies.
({12})
Das heißt, der Verteidigungshaushalt muss erhöht und das
Personal auf das sicherheitspolitisch erforderliche Maß
reduziert werden. Auch darauf sind Sie heute nicht eingegangen. Sie bewegen sich in realitätsfernen Gefilden,
Herr Kollege Merz.
({13})
Sie erwecken den Eindruck, als sei mit der Union alles
besser. Ich frage mich, woher Sie eigentlich diesen Mut
nehmen.
Wo war der Mut der CDU/CSU-Fraktion in den gemeinsamen Regierungsjahren mit der F.D.P., als die F.D.P.
die Öffnung der Bundeswehr für Frauen forderte? Die
Union hat abgelehnt.
({14})
- Die SPD hat auch abgelehnt. Klatschen Sie nicht!
({15})
Wo war der Wille der CDU/CSU-Fraktion, sich für
die Menschen einzusetzen, als die F.D.P. gleiche Gehälter für die Bundeswehr in Ost und West durchsetzen
wollte?
({16})
Die Union hat abgelehnt, die SPD hat abgelehnt, die Grünen haben abgelehnt und die PDS hat abgelehnt.
({17})
Die F.D.P.-Fraktion hat der Öffentlichkeit bereits vor
zwei Jahren ihre Vorstellungen über die Zukunft der Bundeswehr mitgeteilt. Die von Ihnen geführte CDU/CSUFraktion hat bis heute in dieser Frage kein abgestimmtes
Konzept. So kann es nicht gehen, Herr Kollege Merz.
({18})
Keine eigenen Vorstellungen, aber Kritik üben - das ist
mir schlicht und einfach zu wenig. So verstehen wir Freidemokraten unsere Oppositionsrolle nicht.
Meine Damen und Herren, der Mensch steht im Mittelpunkt. Die Politik muss sich immer daran messen, ob
sie nach diesem Grundsatz handelt. Selbstverständlich
gilt das auch für die Reform der Bundeswehr. Die Angehörigen der Bundeswehr haben Anspruch auf eine bestmögliche Ausbildung, auf modernste Ausrüstung und auf
eine angemessene Bezahlung. Sie haben auch Anspruch
auf größtmögliche Planungssicherheit, auch in Zeiten
schneller Umbrüche wie in den vergangenen Jahren.
Selbstverständlich stehen die Angehörigen der Bundeswehr auch im Mittelpunkt, als Staatsbürger in Uniform.
Unsere Soldaten übernehmen viele und nicht immer
angenehme Pflichten. Ich verweise auf die gegenwärtigen
Einsätze auf dem Balkan. Ich verweise aber auch auf die
wichtige Arbeit zu Hause. Deshalb sage ich: Wir haben es
nicht mit einem abstrakten Gebilde zu tun, sondern mit
Menschen, mit Staatsdienern im wahrsten Sinne des Wortes. Ich kann mir nicht helfen, aber genau hier sehe ich ungeheure Defizite bei den Entscheidungen des Verteidigungsministers, und zwar von Tag zu Tag zunehmend.
In jedem Standort, den ich in den letzten Tagen besucht
habe, bekomme ich von den Menschen gesagt, die Reform der Bundeswehr ginge an ihnen vorbei. Da werden
Hochglanzbroschüren ausgeteilt, die lücken- und fehlerhaft sind. Da werden Informationen so lange zurückgehalten, bis die Gerüchteküche überquillt und Presseveröffentlichungen den Minister zur Unterrichtung zwingen.
Da wird mit Zahlen getrickst, die keiner Überprüfung
standhalten. Ich verweise dabei auf das unhaltbare Papier
zur Wehrgerechtigkeit vom Herbst letzten Jahres. So kann
es niemanden wundern, dass von der vollmundig angekündigten größten Reform in der Geschichte der Bundeswehr lediglich ein verunglücktes Reförmchen übrig
geblieben ist. Ganz offensichtlich hat Sie, Herr Minister
Scharping, der Mut verlassen. Das notwendige Geld war
vorher schon weg.
({19})
Herr Minister Scharping, Sie sind kein Visionär, wie
wir das heute wieder erlebt haben,
({20})
Sie sind nicht einmal Realist.
({21})
Sie sind ein mutloser Zauderer, zunehmend gepaart mit
träumerischen Zügen.
Herr Minister Scharping, der Kollege Koppelin hat
schon darauf hingewiesen: Sie haben hier im letzten
Herbst in der Haushaltsdebatte erklärt, es werde, abgesehen von Kleinststandorten, kein Standort geschlossen,
({22})
und in diesem Zusammenhang die Kollegen Austermann
und Koppelin der Lüge bezichtigt.
({23})
Am 14. Dezember letzten Jahres konnten wir dann in der
Zeitung „Die Welt“ nachlesen, welche Standorte geschlossen werden.
Haben Sie, Herr Minister Scharping, am 29. November
letzten Jahres wissentlich die Unwahrheit gesagt oder arbeitet Ihr Haus an Ihnen vorbei?
({24})
Ich könnte auch sagen: Es begann mit einer Lüge.
({25})
Herr Minister Scharping, Sie sollten sich endlich bei den
Kollegen Koppelin und Austermann genauso wie beim
Vorsitzenden des Deutschen Bundeswehrverbandes entschuldigen.
Natürlich müssen Veränderungen bei Standorten
vorgenommen werden,
({26})
wenn die Bundeswehr umstrukturiert wird. Daran besteht
kein Zweifel. Aber dann darf der verantwortliche Minister nicht noch zehn Wochen zuvor lediglich von zu
schließenden Kleinststandorten sprechen. Das ist der eigentliche Skandal! Herr Minister, Ihre eigenen Parteifreunde haben Ihnen diese Aussagen abgenommen und
dies auch in den Standorten verkündet. Sie stehen jetzt im
Regen.
Sie stehen in dieser Frage auch aus Ihren eigenen Reihen unter Druck, aber lassen nicht von diesem Wege ab,
wie Ihre Hochglanzbroschüre „Feinausplanung und Stationierung“ belegt. Sie ist eine standortpolitische Mogelpackung allererster Güte. Das kann man an einigen wenigen Fakten belegen:
Es werden 59 Standorte geschlossen, davon 39 Großstandorte; das ist in diesem Papier nachzulesen. Zudem
wird der Personalbestand in 20 Standorten halbiert und in
18 Standorten bis zu 98 Prozent reduziert, was einer Totalaufgabe gleichkommt. Ich nenne einige wenige Beispiele: Dülmen wird von 1 969 Dienstposten auf unter 400
reduziert - dort wird es in Zukunft nur noch zivile Mitarbeiter geben - aber der Standort, so der Minister, bleibt erhalten. Eggesin wird von 1 792 auf 55 Dienstposten
gekürzt, aber, so der Minister, der Standort bleibt erhalten.
Neumünster wird von über 900 Dienstposten auf ganze
zehn reduziert, aber der Standort, so der Minister, bleibt
erhalten. - Die Liste ließe sich fortsetzen. Was haben Sie
sich eigentlich dabei gedacht, den Standort Schneeberg
ganz zu streichen? Auch dazu müssen Sie noch eine Erklärung abgeben.
({27})
Herr Minister Scharping, ich fordere Sie auf, endlich
Antworten auf folgende Fragen zu geben: Wie ernst nehmen Sie eigentlich die Gespräche mit den Betroffenen?
Wie gedenken Sie den sozialverträglichen Umbau der
Bundeswehr zu finanzieren? Haben Sie Vorkehrungen getroffen für die fällige Anpassung des Personalbestandes?
Wann erfahren die betroffenen Soldaten und zivilen Mitarbeiter, was mit ihnen passiert? Welche Verträge wird es
geben? Wie wollen Sie den erforderlichen umweltgerechten Rückbau der Liegenschaften und die vielerorts überfällige Modernisierung der Kasernen finanzieren? Wie
wollen Sie den Gemeinden helfen, die ihre Kasernen
plötzlich ganz oder weitgehend eingebüßt haben? Sie
glauben doch selber nicht, dass diese Last allein den Ländern und Kommunen aufgebürdet werden kann.
({28})
Ich prophezeie Ihnen: Wenn Sie hier nicht in kürzester
Zeit tragfähige Konzepte vorlegen, werden Sie einen dramatischen Rückgang beim Unteroffiziersnachwuchs erleben und von einer massiven Welle berechtigter Entrüstung und innerer Kündigung überrollt. Das kann nun
wahrlich nicht im Interesse einer seriösen und zukunftsfähigen Bundeswehrplanung sein.
({29})
Ich werfe Ihnen vor, dass Sie die bei Amtsantritt groß
angekündigte Bundeswehrreform, die überfällig war
- darin sind wir uns ja einig -, zum Reförmchen haben
verkommen lassen. Ich werfe Ihnen vor, dass Ihr Werk
„Feinausplanung und Stationierung“ dieses Jahrzehnt
nicht überdauern wird. Ich werfe Ihnen vor, dass Sie wider besseres Wissen um die Zukunft der Wehrpflicht an
dieser festhalten. Die allgemeine Wehrpflicht wird wegen
der Wehrungerechtigkeit Ihres Strukturmodells in absehbarer Zeit ausgesetzt werden.
Ob nun mangelhaft ausgeprägte Weitsicht, Mutlosigkeit oder parteipolitisches Kalkül dafür verantwortlich
zeichnen, ist für Soldaten wie zivile Bundeswehrbeschäftigte und deren Familien unbedeutend. Diese erkennen nur überdeutlich: Sie, die Menschen, stehen bei Ihren
Entscheidungen nicht im Mittelpunkt, Herr Minister, sie
werden nicht berücksichtigt. Das ist der größte Skandal.
({30})
Ihre Amtszeit, Herr Minister, gleicht einem Drama in
vier Akten. Erster Akt: Vertrauensbildung durch Versprechungen und große Ankündigungen. Zweiter Akt: Beschwichtigung durch Planungsaktivität, Vertuschung und
Täuschung. Dritter Akt: Versprechungen nicht eingehalten, nur scheibchenweise Eingeständnisse. Vierter Akt:
Bundeswehr im Chaos, Scharping macht eine Reform und
keiner macht mit. Wir warten darauf, dass der Vorhang
fällt.
Vielen Dank.
({31})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Winfried Nachtwei, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Die
CDU/CSU-Fraktion macht die Bundeswehrreform mit
der Rede ihres Fraktionsvorsitzenden heute zur Chefsache. Angesichts der Bedeutung des Themas ist das anzuerkennen. Es geht immerhin um die größte und durchgreifendste Reform der Bundeswehr seit ihrer Gründung.
Aber das Auswechseln der Spitzenredner der CDU/CSUFraktion ändert nichts an der Beschränktheit und künstlichen Aufgeregtheit ihrer Attacke.
({0})
Ihre Verurteilung der laufenden Bundeswehrreform ist
total, die Urteilsbegründung aber ausgesprochen dünn.
Das ist auch in Ihrem heute eingebrachten Entschließungsantrag deutlich nachzulesen.
Sie behaupten, die Bundeswehrreform basiere nicht
auf einer umfassenden Bedrohungsanalyse. Mir ist bisher
nicht aufgefallen, dass sich die Bedrohungswahrnehmung
der CDU/CSU sonderlich von der des Ministeriums
unterscheidet. Sie behaupten, mit der geplanten reduzierten Umfangstärke werde die Bundesrepublik ihrer Rolle
in der Mitte Europas nicht mehr gerecht. Es bleibt mir unerfindlich, worauf dann der Vorschlag der CDU/CSU
zielt, in dem geringfügig mehr Soldaten gefordert werden,
nämlich insgesamt 300 000,
({1})
in dem aber auf einen streitkräftegemeinsamen Ansatz,
somit Effizienzgewinne durch straffere Strukturen, verzichtet wird.
Herr Merz, was erwarten Sie eigentlich von einer Bundeswehrreform? Dazu haben Sie gerade in Ihrer Rede gar
nichts gesagt.
({2})
Ihre Kritik ist widersprüchlich, unehrlich, konzeptionslos
und kein produktiver Beitrag zur Bundeswehrreform.
Wir haben es nun mit der 7. Bundeswehrreform in den
45 Jahren ihres Bestehens der Bundeswehr zu tun. Die
Ausrichtung auf neue Aufgaben geschieht einerseits
durch eine grundlegende Umstrukturierung der Kräfte,
also Zusammenfassung von so genannten Querschnittsaufgaben in der Streitkräftebasis, verbunden mit einer Zusammenfassung der Hauptverteidigungskräfte und Krisenreaktionskräfte zu den Einsatzkräften. Andererseits
reduzieren wir die Kräfte der Bundeswehr. Diese Reduzierung ist im Gesamtumfang maßvoll, für einzelne Truppengattungen aber einschneidend. Bei den Kampftruppen
des Heeres zum Beispiel beträgt sie mehr als 40 Prozent,
bei den Logistikverbänden ungefähr 60 Prozent.
Mit dem Konzept „Feinausplanung und Stationierung“
kommt die Bundeswehrreform bei den Menschen vor Ort
an und erhitzt selbstverständlich etliche Gemüter. Unsicherheiten sind in einer solchen Phase zunächst einmal
unvermeidlich. Deshalb ist es besonders wichtig, dass mit
diesen Unsicherheiten offen umgegangen wird und dass
sie vor allem nicht parteipolitisch geschürt oder durch das
Sankt-Florians-Prinzip künstlich angefacht werden.
({3})
Denn nach aller Erfahrung besteht das große Risiko, dass
sich gerade ein fahrlässiger Umgang mit der Standortfrage als Bremse für notwendige Reformen auswirkt.
Der Umfang der Standortreduzierungen ist ausgesprochen moderat ausgefallen, verglichen mit Rationalisierungs- und Einsparungspotenzialen eines strengen Modernisierungskurses oder vor allem mit den Vorschlägen
der Weizsäcker-Kommission, die bei einer Gesamtstärke
von 240 000 Soldaten eine Halbierung der Zahl der Standorte und Liegenschaften empfohlen hat.
({4})
Insgesamt betrachtet sind die Standortentscheidungen
sachgerecht und nachvollziehbar. Wir sehen keinerlei Anhaltspunkte für parteipolitisch motivierte Begünstigungen
oder Benachteiligungen.
({5})
Wo in Einzelfällen die Entscheidungen bisher nicht nachvollziehbar sind, muss dies schnell nachgeholt werden.
({6})
- Herr Braun, Sie sollten ein bisschen genauer hinhören.
Dann brauchen Sie nicht dazwischenzurufen.
Die Reduzierungen sind - darin stimmen die Auffassungen in diesem Haus, wenn man ein bisschen ehrlich
ist, überein - insgesamt unumgänglich. Deshalb sind
Überlegungen überfällig, wie dieser Prozess wirklich sozialverträglich gestaltet werden kann. Dabei geht es als
Erstes um die betroffenen Menschen, die Soldaten, ihre
Angehörigen und die Zivilbeschäftigten. Den Zivilbeschäftigten versprach die Bundesregierung, dass es keine
betriebsbedingten Kündigungen geben werde. Dieses
Versprechen muss jetzt in den laufenden Tarifverhandlungen eingelöst werden.
({7})
Für etliche Kommunen bedeuten diese Standortreduzierungen und -schließungen einen einschneidenden und
gravierenden Vorgang. Allein in dem Regierungsbezirk
Münster, aus dem ich komme, sind mehr als 50 Prozent
der Standortreduzierungen von ganz Nordrhein-Westfalen vorgenommen worden. Das verunsichert natürlich.
Aber wenn wir einmal in die 90er-Jahre zurücksehen, als
enorme Truppenstärken reduziert werden mussten, dann
können wir feststellen, dass diese erheblichen Strukturbrüche - zunächst einmal waren es Strukturbrüche - insgesamt sehr gut bewältigt wurden, allerdings in den verschiedenen Ländern sehr unterschiedlich. Bayern zum
Beispiel war verhältnismäßig wenig betroffen. In
Bayern - das zeigt sich jetzt sehr deutlich - hat sich die
CSU niemals darum gekümmert, wie solche Prozesse
wirklich sozialverträglich abgefedert werden können, wie
also Konversion betrieben werden kann.
({8})
Hier ist ein Unterschied zum Beispiel zum Land
Nordrhein-Westfalen, in dem es darum ging, insgesamt
120 000 so genannte Militärarbeitsplätze, davon mehr
als 20 000 Arbeitsplätze von Zivilbeschäftigten, und
300 Liegenschaften abzubauen. Es gelang, in diesen
Liegenschaften 10 000 neue Arbeitsplätze zu entwickeln; 25 000 weitere sind in Aussicht. Voraussetzung
für diesen erfolgreichen Konversionsprozess war die
ausgezeichnete Zusammenarbeit der Kommunen, kommunaler Akteure, des Landes und der entsprechenden
Beratungseinrichtungen, vor allem des Internationalen
Bonner Konversionszentrums, sowie schließlich und
wesentlich auch der Europäischen Union. Diese Erfahrungen können wir jetzt bei dem weiteren Konversionsprozess hervorragend nutzen. Das macht Hoffnung, diesen Prozess gut bewältigen zu können.
Ich nannte gerade das Stichwort Europäische Union.
Hier ergibt sich zugleich ein Problem: Die EU-Gelder, die
im vorigen Jahrzehnt zur Verfügung standen, werden jetzt
realistischerweise nicht mehr zur Verfügung stehen. In
diesem Falle geht es ja um eine nationale Militärreform
und nicht um eine europaweite Frage. Das heißt in der
Konsequenz, dass nun auch der Bund in der Pflicht ist,
Mitverantwortung für die Standortkonversion zu übernehmen. Das wird nicht einfach und einige InteressenWinfried Nachtwei
konflikte, zum Beispiel beim Liegenschaftsverkauf, sind
vorprogrammiert. Aber mit der Koalitionsvereinbarung,
in der es hieß, „Rüstungskonversion wird auch als bundespolitische Aufgabe gesehen“, haben SPD und Grüne
dazu ihre Bereitschaft erklärt. Dazu stehen wir weiterhin.
Danke schön.
({9})
Das Wort zu einer
Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Ulrich Adam.
Herr Präsident, ich habe
jetzt ein Problem. Ich hatte mich nämlich mit Blick auf
den Kollegen Erler gemeldet.
Dann beziehen Sie
sich auf den Kollegen Erler; er ist ja anwesend.
Danke schön. - Herr Kollege Erler, ich empfand vor allen Dingen zu Beginn Ihrer
Rede die Behauptung vermessen, wir seien in der Standortdiskussion lediglich polemisch. Oben auf der Besuchertribüne sitzen der Bürgermeister von Eggesin, F.D.P.,
und der Bürgermeister von Stavenhagen, CDU, mit Vertretern aus der Region, die auch draußen mit Transparenten sehr deutlich machen, wie betroffen sie von der
Schließung ihrer Standorte sind. Es ist ja schon wiederholt
dargestellt worden, dass die Entscheidung über Eggesin
faktisch einer Schließung gleichkomme. Insofern ist es
ein Ding, wenn Sie behaupten, es sei reine Polemik, wenn
die Bürger ihren Unmut deutlich machen.
Ich kann Ihnen dann nur bescheinigen, dass Sie nichts
über die neuen Bundesländer wissen. Der Landkreis
Demmin, in dem die Reuterstadt Stavenhagen liegt, hat
die höchste Arbeitslosigkeit in Mecklenburg-Vorpommern und in der Bundesrepublik Deutschland. Gleich danach kommt der Landkreis Uecker-Randow, in dem die
Stadt Eggesin liegt. An dieser Stelle frage ich Sie: Wie
geht das mit den Kriterien überein, die der Verteidigungsminister aufgestellt hat? Das habe ich ihm selber auch
schon gesagt. Insofern ist es schon vermessen, wenn Sie
da von Polemik sprechen.
({0})
Ein weiteres Argument: Wir hatten in diesem Haus einen breiten Konsens bei der Aufstellung des NordostKorps. Ich bin sehr stolz darauf, dass das noch unter unserer Regierung stattgefunden hat; bevor Polen in der
NATO war, wurde die Absichtserklärung gegeben. Erklären Sie mir jetzt einmal, wie die Schließung gerade dieser
wichtigen Standorte im Nordosten Deutschlands mit der
internationalen Zusammenarbeit zusammengeht. Das
macht doch wohl keinen Sinn.
Was ich angesprochen habe, war zum Beispiel auch eines der Kriterien für den Erhalt einzelner Standorte, die
der Verteidigungsminister aufgestellt hat. Dass Sie in diesem Zusammenhang immer wieder von Polemik sprechen
und dabei noch den Beifall Ihrer Kollegen haben, halte ich
für ein Unding.
Insofern fordere ich Sie auf, angesichts der betroffenen
Bürger und Soldaten klar zu sagen, worum es hier geht:
Es geht hier nicht um Polemik, sondern um die Sorgen
von Menschen. Es kann nicht sein, dass in den Regionen
unseres Vaterlandes, in denen wir die größten wirtschaftlichen Schwierigkeiten und die höchste Arbeitslosigkeit
haben, Standorte in so radikaler Weise geschlossen werden, dass nicht ein Einziger übrig bleibt.
Wenn Sie sich zum Beispiel den Landkreis Demmin
anschauen, werden Sie feststellen, dass dies in dieser Region der letzte Standort ist, den es dort gegeben hat. Auch
für mich ist das ein Schlag ins Gesicht. Unser Fraktionsvorsitzender hat zu Recht gesagt: Die Bundeswehr ist die
Armee der deutschen Einheit. Wenn Sie zur Schließung
von Standorten in den ärmsten Regionen der neuen Bundesländer - ich schließe darin Schneeberg mit ein - Ihr
Wort geben und unsere Kritik als billige Polemik abtun,
halte ich das schlicht für einen Skandal.
({1})
Kollege Erler.
Herr Kollege Adam, Sie haben
mir ganz offensichtlich nicht zugehört.
({0})
Ich habe den Vorwurf der Polemik nicht den Bürgern gemacht, sondern Ihnen und Ihrer Partei - und dabei bleibe
ich.
({1})
Ich habe in meiner Rede gesagt, dass es Betroffenheiten
vor Ort gibt, die wir in unserer Fraktion sehr ernst nehmen, und dass wir auf den Einzelfall bezogene Antworten
geben werden - und dazu stehen wir.
({2})
Ich weiß zum Beispiel, dass es in dem von Ihnen angesprochenen Fall, den wir sehr ernst nehmen, noch Gespräche zwischen der Landesregierung und dem Ministerium gibt. Dieser Prozess ist noch nicht abgeschlossen.
Ich wiederhole: Wer von Kahlschlag spricht, wer im
Zusammenhang mit den Standortentscheidungen, die bei
einer Bundeswehrreform notwendig sind, ein Horrorgemälde zeichnet, ist polemisch, weil er versucht, die Sorgen der Leute vor Ort für einen Schlag gegen die Bundeswehrreform auszubeuten. Die Bundeswehrreform
insgesamt ist notwendig und dabei bleibe ich. Im Übrigen
war die Reaktion der Öffentlichkeit auf die unerhörten
Übertreibungen, die sich Ihr Fraktionsvorsitzender und
der Sprecher Ihrer Fraktion geleistet haben, entsprechend.
({3})
Das Wort zu einer
weiteren Kurzintervention erteile ich dem Kollegen
Hildebrecht Braun. Sagen Sie bitte, auf wen Sie sich beziehen.
Ich beziehe
mich in erster Linie auf den Kollegen Nachtwei, sage aber
auch etwas zu den Ausführungen des Kollegen Erler.
Herr Erler, Sie weisen den Vorwurf zurück, es habe ein
Kahlschlag stattgefunden. Herr Nachtwei dagegen hat
- in seinem für einen grünen Verteidigungspolitiker bemerkenswerten Beitrag - ausgeführt, dass der Rückgang
der Kampftruppen beim Heer doch sehr beklagenswert sei.
({0})
Das sind interessante Entwicklungen, die sich bei den
Grünen feststellen lassen.
Tatsache ist, Herr Nachtwei, dass Ihre ehrenwerte Kollegin Angelika Beer noch vor zweieinhalb Jahren ein bundeswehrfreies Schleswig-Holstein gefordert hat.
({1})
Jetzt haben Sie, wenn auch nicht in Schleswig-Holstein,
Erfolg. Wenn man sich vor Augen führt, dass das Gebiet
zwischen Donauwörth und Marienberg in Sachsen, zwischen Aalen in Baden-Württemberg und Gera in SachsenAnhalt bundeswehrfrei ist - ein Gebiet, deutlich größer
als Schleswig-Holstein - kann man nur von Kahlschlag
sprechen. Wenn die Menschen in diesem Gebiet mit einer
Ausdehnung von 200 mal 200 Kilometern die Bundeswehr in Zukunft nur noch vom Fernsehen her kennen werden, dann entspricht das nicht dem, was Herr Scharping
angekündigt hat, nämlich dass die Bundeswehr in der
Fläche bleiben werde.
Einiges muss einfach angesprochen werden: Es ist ein
unglaublicher Vorgang, dass Bayern weit überproportional bluten muss und dass innerhalb Bayerns in Schwaben überproportional ausgedünnt wird. So werden zum
Beispiel aus Sonthofen, einem Ort, der in den letzten
45 Jahren in besonderem Maße Opfer für die Bundeswehr
erbracht hat, nahezu 80 Prozent der vorhandenen Streitkräfte abgezogen. In Sonthofen soll die Schule für Feldjäger und Stabsdienst nicht etwa aufgelöst - dafür hätte
man vielleicht noch Verständnis, wenn Opfer gebracht
werden müssen -, sondern verlegt werden, und zwar, aus
nahe liegenden Gründen, nach Hannover.
Wenn darüber hinaus Memmingen dicht gemacht wird,
Dillingen dicht gemacht wird, Günzburg dicht gemacht
wird, in dieser Schiene auch noch Heidenheim dicht gemacht wird, dann ist das nichts anderes als ein Kahlschlag.
Unverständlich erscheint auf der anderen Seite, dass
der „Wall“ gegen das neutrale Österreich verstärkt wird,
nämlich die Südschiene: Mittenwald, Füssen, Reichenhall. Auf der einen Seite wird wirklich geklotzt - dahin
kommen zusätzliche Soldaten; die brauchen wir dort ja
auch aus strategischen Gründen ganz dringend - und auf
der anderen Seite wird Schneeberg dicht gemacht.
Und dann heißt es noch: Es werden den einzelnen Mitarbeitern keine betriebsbedingten Kündigungen aufs Auge
gedrückt. Das heißt, den Halbtagskräften dort wird angeboten, in Zukunft für eine Halbtagsstelle in einen 80 Kilometer entfernten Standort zu fahren?
({2})
- Nein, Herr Erler, beschäftigten Sie sich mit den Auswirkungen dessen, was Sie hier beredt verteidigen, und
Sie werden sehen: Was hier gemacht wird, entspricht
nicht sozialdemokratischen Grundsätzen und ist auch für
die Bundeswehr nicht in Ordnung.
({3})
Das Wort zu einer
weiteren Kurzintervention erteile ich Kollegin Hannelore
Rönsch.
({0})
- Ich nehme an, diese Kurzintervention bezieht sich auch
auf Sie, sodass Sie zusammenhängend antworten können.
Nach dieser Kurzintervention hat dann endlich der
nächste Redner das Wort.
Herzlichen Dank, Herr Präsident. Ich möchte mich auf den
Kollegen Erler beziehen, weil ich ihm einfach einmal
deutlich machen will, wie -
Kollegin, es ist unüblich, dass als Antwort auf eine Kurzintervention nun
wiederum eine Kurzintervention folgt. Sie müssen sich
ausdrücklich auf die Rede beziehen.
Herr
Präsident, ich werde mich ausdrücklich auf die Rede beziehen, da ich ja vorhin schon einen Ansatz gemacht habe,
eine Zwischenfrage an den Minister zu stellen.
Ich will nur einmal deutlich machen, wie örtliche Antworten aussehen: Meine Heimatstadt Wiesbaden hat mit
ihrer Wehrbereichsverwaltung von der Konzeptionslosigkeit des Ministeriums partizipiert. Aus dem Ministerium
kam zunächst die Botschaft, dass dort 800 Arbeitsplätze
wegfallen würden. Durch Verhandlungen und viele Interventionen vorher ist offensichtlich dann doch erreicht
worden, dass 630 dieser Dienstposten in Wiesbaden verbleiben. Das wurde in einer Nacht ausgehandelt und am
nächsten Morgen mitgeteilt.
Jetzt bekommen wir die Mitteilung, dass es sich hierbei um „einfache Verwaltungstätigkeiten“ handelt. Ich
hätte natürlich gerne vom Ministerium gewusst, wie lange
die Nebenstelle Wiesbaden erhalten bleibt. Denn das ist
die dringende Frage der Mitarbeiter dort. Der Minister
hatte seiner Kollegin Wieczorek angeblich schon im Juni
vergangenen Jahres gesagt -
Kollegin Rönsch, ich
muss eine Zwischenbemerkung machen.
({0})
Es handelt sich hier um das parlamentarische Instrument
der Kurzintervention. Sie sprechen jetzt das Ministerium
an. Das ist nicht der Sinn der Kurzintervention.
({1})
Wir haben dieses Instrument ins Leben gerufen, damit unsere Debatten in der parlamentarischen Rede und Gegenrede lebendiger werden.
Sie können jetzt nicht auf Entscheidungen des Ministeriums ausführlich eingehen. Wer soll denn darauf antworten?
Vielleicht kann der Kollege Nachtwei darauf antworten,
({0})
sofern er denn in die Verhandlungen mit einbezogen
wurde, und mir mitteilen, was die 630 Mitarbeiter in der
Wehrbereichsverwaltung IV in Wiesbaden unter „einfachen Verwaltungstätigkeiten“ zu verstehen haben, wer in
Wiesbaden verbleibt und wer aus Wiesbaden abgezogen
wird.
({1})
Das ist die Frage, die die Wehrbereichsverwaltung IV und
die Mitarbeiter dort brennend interessiert. In der Vergangenheit konnte dies keiner beantworten, denn die Staatssekretäre aus dem Ministerium haben immer das Gegenteil von dem behauptet, was der Minister schriftlich
niedergelegt hat.
Kollege Nachtwei,
Sie haben Gelegenheit, sich dazu zu äußern.
Ich will noch einmal daran erinnern: Das Instrument
der Kurzintervention soll nicht die Fragestunde ersetzen,
in der man Minister und die Regierung befragen kann.
({0})
In Respekt vor der rechtsstaatlichen Gewaltenteilung
werde ich natürlich nicht für das Ministerium sprechen,
sondern nur zu den Punkten, in denen ich konkret angesprochen wurde.
Kollege Braun, Sie haben sich offensichtlich vor kurzem
nicht - so zumindest mein Eindruck - an dem Hörtest beteiligt, der hier im Bundestag angeboten wurde. Sonst hätten Sie hören können, dass ich die Reduzierung der Kampftruppen, der Logistikverbände - da könnte man noch
einiges andere, zum Beispiel Kampfunterstützung anführen - schlichtweg als Beleg dafür konstatiert habe, dass
bei einzelnen Truppenteilen die Reduzierungen viel größer
sind als die Reduzierung des Gesamtumfangs. Das war
ohne jede Wertung, das habe ich schlichtweg konstatiert.
Was Bayern angeht: Sie wissen selbst, dass die Standortdichte in Bayern erheblich ist, dass Bayern von früheren Reduzierungen unterproportional betroffen war und
dass Bayern auch von der jetzigen Standortreduzierung
im Vergleich zu etlichen anderen Ländern nicht überproportional betroffen ist.
({0})
Was den Vorwurf eines „Kahlschlags“ angeht: Selbstverständlich - darum kann man gar nicht herumreden - ist
es für die Gegend, in der ein großer Standort aufgelöst
wird, ein Kahlschlag. Wenn allerdings Sie von der F.D.P.
laut über den Rückzug der Bundeswehr aus der Fläche
jammern, dann gebe ich Ihnen Folgendes zu bedenken:
Erstens. Schon bei den Bundeswehrreformen in den letzten Jahren hat es erhebliche Teilrückzüge aus der Fläche
gegeben. Das dürften Sie nicht übersehen haben. Zweitens. Wäre diese Bundeswehrreform rigide allein nach
militärischen und Effektivitätsgesichtspunkten durchgeführt worden, dann wären die Rückzüge aus der Fläche erheblich größer gewesen. Die Wahrung der Präsenz in der
Fläche war gerade im Hinblick auf die Nachwuchsgewinnung weiterhin ein wichtiges Kriterium, und zwar wichtiger, als wir vorher erwartet haben.
Herr Braun, vergessen Sie bitte nicht, was die F.D.P.
zur Bundeswehrreform vorgeschlagen hat: erheblich geringere Kopfstärken.
({1})
Wie wollen Sie diesen Vorschlag mit dem Ziel unverminderter Präsenz in Einklang bringen? Es wäre interessant,
darauf von Ihnen einmal eine Antwort zu hören. Im Moment wollen wir das aber nicht mehr.
({2})
Ich erteile dem Kollegen Wolfgang Gehrcke, PDS-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Wenn all das der Bundeswehr
drohen würde, was aus dem vom Kollegen Merz gezeichneten Bild hervorgeht, dann könnte ich mich vor Begeisterung überhaupt nicht mehr einkriegen.
({0})
Natürlich weiß jeder, dass das - leider - Unsinn, schwarze
Magie war.
Ich habe aber Verständnis dafür, dass der Kollege Merz
persönlich und die CDU allgemein in einem Dilemma
stecken. Ihr Dilemma besteht darin, dass Sie im Prinzip
nichts anderes als das machen würden, was die Regierungskoalition macht, wenn man Sie denn lassen würde.
Deswegen fallen die Reden so nölig aus, deswegen kann
nur am Rande herumgenörgelt und können keine echten
Alternativen aufgezeigt werden.
({1})
In einer Regierungskoalition haben sich die Koalitionsfraktionen den Partner teilweise ausgesucht. Eine Oppositionsfraktion kann sich nicht aussuchen, mit wem sie zusammen die Oppositionsbänke drückt. Das hat man eben
hinzunehmen.
({2})
Die Reform der Bundeswehr ging in diesem Haus vor einem halben Jahr friedlich über die Bühne. In der Richtung
waren sich CDU/CSU, F.D.P., SPD und Grüne über das
qualitativ größte Aufrüstungsprogramm in der Geschichte
der Bundesrepublik Deutschland einig. Sie waren sich in
der Richtung einig, dass aus der Bundeswehr, aus einer
Verteidigungsarmee, eine weltweite Interventionsarmee
werden sollte. Dass der Kollege Erler das jetzt als einen
Inhalt sozialdemokratischer Politik darstellt, wirft ein bezeichnendes Licht darauf, wo die SPD heute angekommen ist. Dort möchte zumindest ich nicht landen. Das ist
ein wirklich eindeutiger Kurswechsel.
({3})
- Die Gefahr besteht wirklich nicht.
Allein die Fraktion der PDS war dagegen und hat ein
anderes Konzept vorgestellt. Die Sache ist doch so: Das
Verteidigungsministerium schlägt Standortschließungen
vor. Das klingt zunächst nach weniger Militär; so ist es
aber nicht. Das Programm heißt nicht Abrüstung, sondern
Umrüstung. Tatsächlich handelt es sich um Aufrüstung. Im
Hinblick auf das Standortkonzept der Regierung ist nicht
entscheidend, wie viel sie abbaut - das ist wenig genug -;
entscheidend ist, was sie abbaut: Es sind Verbände, die etwas mit der Landesverteidigung zu tun haben. Als Interventionsarmee braucht die Bundeswehr hochmobile,
schnelle und flexible Kontingente. Darauf werden die
Standorte zugeschnitten und dafür ist auch fast jedes Mittel heilig.
Sie müssen schon die Frage beantworten, wie Sie es
in Übereinstimmung mit Ihrem Konzept bringen, dass
Sie neben dem Abbau anderer Standorte gleichzeitig die
Garnison Wittstock - die es bisher noch gar nicht gibt und das dortige Bombodrom, also den Bombenabwurfplatz, neu einrichten.
({4})
- Bombodrom heißt das Ding, das sagt doch jeder in der
Region.
({5})
- Dass Sie nicht wissen, wovon Sie sprechen, sieht man
schon daran, dass Sie uns unterstellt haben, dass wir nicht
für die Angleichung der Gehälter in der Bundeswehr in
Ost und West seien. Da haben Sie wirklich etwas verwechselt.
({6})
- Das ist doch Unsinn.
({7})
Wenn man 59 Standorte schließt und gleichzeitig für
den Aufbau eines solchen Standorts insgesamt 500 Millionen DM aufwenden will, stellt sich die Frage, was der
Hintergrund dafür ist. Der Hintergrund dafür ist, dass die
Krisenreaktionskräfte hier Boden-Luft-Übungen durchführen sollen. Das ist das militärpolitische Konzept dieser
Regierung.
({8})
Als Rudolf Scharping noch SPD-Vorsitzender war, hat
er übrigens der Bevölkerung dort versprochen: Das Bombodrom kommt weg. Das war seine Aussage.
({9})
Über das Thema „Scharping und Wahrheit“ wird man
nach der gestrigen „Monitor“-Sendung hier im Bundestag
sowieso noch einmal diskutieren müssen.
({10})
Das, was die SPD einmal versprochen hat, gilt anscheinend nicht mehr. Das zeigt: Es geht Ihnen nicht um Abrüstung, Sie wollen nur umbauen und neue Waffensysteme einführen. Für neue Waffensysteme allerdings taugt
das Standortkonzept. Es wird reduziert, um Mittel freizubekommen für die Modernisierung und Effektivierung
der Bundeswehr. Das ist ein grundfalsches Konzept, das
zu allem Überfluss auch noch schlecht umgesetzt wird:
Sie verordnen nämlich von oben, Sie reden nicht tatsächlich mit den Betroffenen, Sie diktieren. Befehl und Gehorsam mögen beim Militär üblich sein, in der demokratischen Gesellschaft sind sie nicht üblich. Kommunen
hören nicht auf Kommandos. Auch das sollten Sie einmal
lernen.
({11})
Darüber hinaus stiehlt sich die Regierung aus der Verantwortung. Die Kommunen haben sich nicht freiwillig
einseitig auf die Bundeswehr fixiert. Politische Interessen
haben sie dazu gebracht. Nach dem Verursacherprinzip
läge es jetzt beim Bund, den Kommunen ein Leben jenseits der Standorte zu eröffnen. Das tut die Bundesregierung nicht. Sie verbindet die Schließungen nicht mit gezielter regionaler Wirtschaftsförderung. Sie bietet keine
Perspektiven für einen wirtschaftlichen, sozialen und
ökologischen Strukturwandel.
Um aktuell den größten Schaden von den Gemeinden
abzuwenden, fordert die PDS-Fraktion die Bundesregierung auf: Erlöse aus dem Verkauf von Liegenschaften
müssen den Kommunen zugute kommen. Sie dürfen nicht
in den Rüstungshaushalt fließen.
({12})
Beim Verkauf der Liegenschaften müssen die Kommunen
ein Vorkaufsrecht erhalten. Das ist nicht gesichert. Die
Konversion bislang militärisch genutzter Gebäude und
Flächen ist aus dem Verteidigungsetat zu bezahlen. Das ist
eine wichtige Position.
({13})
Den Zivilbeschäftigten und den Berufssoldaten, die das
wünschen, müssen sofort Beratung, Umschulung und
Qualifizierung angeboten und finanziert werden.
({14})
In den letzten Tagen haben wir Mahnwachen vor Standorten erlebt, wo es oft nichts außer der Bundeswehr gibt.
Ich kann sehr gut verstehen, dass sich die Menschen dort
an den Strohhalm Bundeswehr klammern. Wir hatten in
unserer Fraktion diskutiert, von der Bundesregierung zu
fordern, wenigstens keine Standorte in Ostdeutschland
zu schließen. Dafür würde all das sprechen, was letztendlich Hoffnungslosigkeit heißt,
({15})
also Massenarbeitslosigkeit, Mangel an Ausbildungsplätzen, schwierigste Bedingungen für den Mittelstand, Verarmung des kulturellen Lebens. Wir haben uns trotzdem
gegen diese pauschale Forderung entschieden. Auch hier
lassen wir Ost und West nicht gegeneinander ausspielen.
Nicht Aufrüstung, sondern Konversion und Abrüstung in
Ost und West wollen wir. Das ist die Perspektive.
({16})
Konversion und Schließung von Standorten müssen Hand
in Hand gehen, aber Schließungen mit dem Gestus „Nach
uns die Sintflut!“ und ohne Konversion sind unverantwortlich.
({17})
Das trifft insbesondere auf die ostdeutschen Standorte zu,
deren Lage mehr als schlecht ist.
Wir als PDS haben ein Reformkonzept für die Bundeswehr vorgelegt. Das ist ein echtes Kontrastprogramm. Wir
setzen auf den Verzicht auf neue Waffensysteme, auf
strukturelle Nichtangriffsfähigkeit. Die Armee soll auf
100 000 Soldaten reduziert werden und sie soll sich auf
reine Verteidigung beschränken. Unsere Alternative
würde Standortschließungen in weit größerem Umfang
mit sich bringen. Das hier und heute zu sagen gebietet die
Redlichkeit.
Im Unterschied zu Ihnen haben wir in unsere Abrüstungsvorschläge aber die soziale Verantwortung zum Aufbau ziviler Strukturen, ein Amt für Konversion und Abrüstung sowie Konversionsfonds eingebaut. Wir wollen,
dass dieser Prozess sozial verläuft, dass er strukturell geordnet wird. All das fehlt in Ihrem Konzept. Deswegen
werden wir dieses Konzept ablehnen und, soweit wir es
können, dazu beitragen, dass es in der Praxis scheitert.
({18})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Peter Zumkley, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Mit der Feinausplanung und den damit verbundenen Stationierungsentscheidungen ist ein schlüssiges und überzeugendes Konzept vorgelegt worden. Die
Reform der Bundeswehr ist vor dem Hintergrund der Sicherheitslage in Europa überfällig und dringend notwendig. In diesem Punkt sind sich im Übrigen die Fachleute
einig.
({0})
Sie von der CDU sind für 300 000 Soldaten. Wir planen die Zukunft der Bundeswehr mit circa 285 000 Soldaten. Der Unterschied - es ist gesagt worden - zwischen
den beiden Stärkezahlen ist so gering, dass Ihre überzogene Kritik nicht begründet ist.
Im Übrigen vermissen wir ein Alternativkonzept von
CDU und CSU.
({1})
Sie müssen sich endlich einigen, ob Sie 300 000 oder
340 000 oder noch mehr Soldaten haben wollen. Sie müssen sich auch einigen, welchen Inhalt Sie uns vorschlagen, damit man mit Ihnen auch einmal ernsthaft diskutieren kann.
({2})
Bei unserer Reform geht es nicht allein um eine Reduzierung des Personals und der vorhandenen Standorte,
wie es in der Vergangenheit von Ihnen praktiziert wurde.
Unser Ziel ist es, die Bundeswehr für die neuen sicherheitspolitischen Herausforderungen Europas und der
NATO fit zu machen. Dazu erhält die Bundeswehr neue
Fähigkeitsprofile. Für die ihr gestellten Aufgaben im Rahmen der Landes- und Bündnisverteidigung und bei internationalen Kriseneinsätzen ist dies unerlässlich.
Sie von der Union kritisieren, dass Deutschland seinen
international zugesagten Beiträgen nicht nachkommen
könne. Nur ein Beispiel hierzu. In Ihrer Regierungszeit lag
die Zahl der Krisenreaktionskräfte bei circa 50 000 Soldaten bei einer Gesamtstärke von 340 000. Ich gebe Ihnen
zu: Manchmal waren wir bei 320 000 - geschenkt! In der
neuen Konzeption werden 150 000 Soldaten bei einem
Stärkeumfang von circa 285 000 Soldaten zu den Einsatzkräften gehören. Es gibt also eine deutliche Verbesserung
hinsichtlich der Einsatz- und Durchhaltefähigkeit.
Die Feinausplanung verdeutlicht dies. Aufgaben werden neu zugeordnet. Die Zusammenarbeit zwischen den
Teilstreitkräften wird ausgebaut. Die Verantwortungsebenen werden gestrafft. Die logistischen und sanitätsdienstlichen Kräfte werden konzentriert. Die Zusammenarbeit
in multinationalen Verbänden wird gestärkt. Die Streitkräfte werden somit moderner und leistungsfähiger, aber
auch kleiner.
Wenn man den Personalumfang verringert, hat dies
zwangsläufig Auswirkungen auf die Standorte. Die
Schließung oder Reduzierung von Standorten ist für die
Betroffenen auch mit Härten verbunden. Dies bedeutet
oftmals für viele der betroffenen Städte und Gemeinden,
Herr Adam, einen schmerzlichen Einschnitt. Die Angehörigen der Bundeswehr sind als Bürger mit ihren Regionen eng verbunden. Wir wissen um die gewachsenen
Strukturen und Traditionen in den Garnisonen. Auch in
meiner Heimatstadt sind die Menschen in der Bundeswehr und in den sie umgebenden Bereichen durch das
vorliegende Stationierungskonzept zum zweiten Mal
stark betroffen. Es muss ehrlicherweise aber auch gesagt
werden, dass die Bundeswehr nicht ausschließlich einem
strukturpolitischen Zweck dienen kann, so sehr dies im
Einzelfall auch wünschenswert wäre.
Die überwiegende Zahl der Standorte bleibt von der
jetzigen Entscheidung unberührt. Die Bundeswehr bleibt
in der Fläche erhalten. Darüber sind wir froh. Die Soldaten können grundsätzlich auch weiterhin heimatnah einberufen werden und bleiben in die Bevölkerung integriert.
Aus betriebswirtschaftlicher Sicht hätte es auch zu drastischeren Schließungen kommen können. Die WeizsäckerKommission hat dies deutlich empfohlen.
Es ist aber äußerst unglaubwürdig, auf der einen Seite
die jetzt notwendigen Standortveränderungen überschäumend zu kritisieren und auf der anderen Seite die von Ihnen zu verantwortenden und Mitte der 90er-Jahre erfolgten Reduzierungen und Schließungen insbesondere in
Schleswig-Holstein und Niedersachsen nicht zu erwähnen. Veränderungen an 46 Standorten aufgrund der damaligen Entscheidung sind noch nicht vollzogen. Ich bitte
doch um ein wenig Sachlichkeit und Ausgewogenheit in
dieser Diskussion.
({3})
Kollege Zumkley, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Rossmanith?
Ich bin heute stimmlich nicht
auf der Höhe. Deswegen bitte ich um Nachsicht, dass ich
bei meinem Text bleibe. Vielleicht können wir über die
Frage später reden.
({0})
Die überwiegende Zahl der Standorte bleibt also erhalten. Wir sind der Meinung, dass wir diese Diskussion auch
im Interesse der Bundeswehr versachlichen müssen. Den
Vorwurf der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, es handele
sich um einen Kahlschlag und dieser sei darüber hinaus
parteipolitisch motiviert, nimmt in der Öffentlichkeit niemand ernst. Auch Ihre Fachleute tun dies nicht.
In dem vorliegenden Ressortkonzept sind einige Forderungen des Antrages der CDU/CSU bereits aufgenommen - wir sind froh, dass wir auch Gemeinsamkeiten herausstellen können -; exemplarisch nenne ich an dieser
Stelle - das ist besonders wichtig - das Attraktivitätsprogramm für das Personal der Bundeswehr. Wir laden Sie
herzlich dazu ein, dieses Programm konstruktiv kritisch
zu begleiten.
({1})
Weitere Punkte sind die Sozialverträglichkeit der Personalmaßnahmen und die Beibehaltung der Wehrpflicht. Ich
möchte aber hier hinzufügen, dass ich Respekt vor all denen habe, die eine andere Lösung bevorzugt haben.
Allerdings sind Ihre Finanzierungsvorschläge, die Sie
in Ihrem Antrag machen und die auf der überholten Grundlage von 340 000 Soldaten basieren, rückwärts gerichtet
und falsch dimensioniert. Sie haben Ihre Finanzplanung in
der Vergangenheit nie eingehalten. Sie haben häufig Kürzungen im jeweils laufenden Haushaltsjahr vorgenommen. Ein Großteil der Probleme in der Bundeswehr ist
noch heute darauf zurückzuführen - leider. Wir haben
keine Kürzungen vorgenommen und wir werden keine
Kürzungen im laufenden Haushaltsjahr vornehmen. Mit
dem vorgesehenen Plafond werden wir die Bundeswehr
kontinuierlich Schritt für Schritt modernisieren.
Im Übrigen, Herr Kollege Merz, möchte ich Ihnen Folgendes sagen - ich mache diese Bemerkung mit weniger
Leidenschaft als mein Kollege Erler -: Neben bemerkenswerten Teilen Ihrer Rede in München - diese möchte
ich ausdrücklich erwähnen - gab es Teile, zu denen ich sagen muss: Die Finanzierung der Bundeswehr auf einer internationalen Sicherheitskonferenz so zu thematisieren,
wie Sie es getan haben, entsprach nicht den Gepflogenheiten auf internationalem Parkett.
({2})
So haben es viele empfunden.
Herr Kollege Merz, einem solch fachkundigen Publikum wie in München können Sie durchaus zutrauen, dass
es die Positionen von Regierung und Opposition gleichermaßen kennt. Sie sollten diesen meinen Rat in Ihrem
Herzen bewegen, insbesondere wenn Sie den Weg zum
Kanzlerkandidaten beschreiten wollen.
({3})
- Als älterer Kollege darf ich mir diesen Ratschlag erlauben.
({4})
Herr Kollege Merz ist ja noch nicht allzu lange Mitglied
des Bundestages. Insofern ist mein Rat freundschaftlich
gemeint.
({5})
Der Stellenabbau wird sozialverträglich und ohne betriebsbedingte Kündigung erfolgen. Die Umstrukturierung der Bundeswehr wird mehrere Jahre dauern. Diesen
Zeitraum gilt es zu nutzen. Insbesondere die Personal bearbeitenden Dienststellen in der Bundeswehr und die betroffenen Gemeinden haben damit die Möglichkeit, sich
auf die Veränderung zeitlich einzustellen. Das wird oftmals nicht leicht sein.
Für die Bundeswehrreform sind mit den Eckwerten der
Grobausplanung und der Feinausplanung einschließlich
der Stationierungsentscheidung wichtige Meilensteine
gesetzt. Diese Reform verlangt eine große Kraftanstrengung und die Umsetzung des Kabinettsbeschlusses vom
14. Juni 2000.
({6})
Für das Gelingen brauchen wir vor allem die Mitwirkung der Soldaten und zivilen Mitarbeiter sowie ihre Bereitschaft, sich den neuen Herausforderungen mit Engagement zu stellen. Dafür dankt meine Fraktion ihnen
bereits im Voraus.
Vielen Dank.
({7})
Ich rufe
nun zunächst zwei Kurzinterventionen auf, nämlich die
des Kollegen Wolfgang Dehnel und die des Kollegen Kurt
Rossmanith, und gebe dann dem Kollegen Zumkley die
Gelegenheit zu erwidern. Anschließend setzen wir die Debatte in der vorgesehenen Reihenfolge fort.
Herr Kollege Dehnel, bitte.
Herr Kollege
Zumkley, Sie haben gerade das „schlüssige Konzept“ erwähnt und verteidigt. Seit heute früh 7.30 Uhr demonstrieren Schneeberger Bürger vor dem Brandenburger Tor.
Sie haben sich heute Morgen um 3 Uhr auf den Weg gemacht, um für ihren Standort einzutreten.
Sie sprechen von einem „schlüssigen Konzept“. Der
Herr Bundesminister hat noch am 15. Dezember, nachdem die ersten Schließungspläne bekannt geworden sind,
angekündigt, dass letzten Endes keine großen Standorte
geschlossen werden und dass sowohl das wirtschaftliche
Umfeld als auch die Ausbildungssituation in diesen Regionen entsprechend berücksichtigt werden.
In keinem Fall hätte danach der Standort Schneeberg
geschlossen werden dürfen. Die Schneeberger Bürger
werden sich heute wundern, dass hier im Plenum nicht ein
einziger SPD-Abgeordneter aus Sachsen vertreten ist und
dass der Minister für den Osten, Herr Schwanitz, nicht anwesend ist.
({0})
Ich finde, es ist skandalös, dass diese Vertreter ihrer Region nicht da sind. Die Bürger der Region hätten das verdient gehabt. Die ganze Region Südwestsachsen steht
nämlich zu diesem Standort, und zwar nicht erst seit den
Schließungsplänen, sondern die ganzen zehn Jahre seit
der deutschen Einheit. In diesen zehn Jahren sind dort
110 Millionen DM investiert worden, es ist modernisiert
worden. Jetzt kommen die Schließungspläne von Herrn
Bundesminister Scharping.
Ich glaube, das ist nicht gerecht gegenüber der Region
und den dort lebenden Menschen. Ich bitte da um mehr
Verständnis. Sie sollten Ihre sächsischen Kollegen auffordern, Alternativen zu suchen. Meine Alternativen werde
ich Ihnen in der nächsten Woche in der Fragestunde vorstellen.
({1})
Ich rufe
jetzt die Kurzintervention des Kollegen Kurt Rossmanith
auf. Herr Rossmanith, bitte.
({0})
Was das Sprechen
anbelangt, ist Rot ganz gut, für die Zukunft allerdings
nicht.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich hätte den Kolleginnen und Kollegen diese Kurzintervention an sich gerne erspart.
({0})
Aber, Kollege Zumkley, Sie haben leider eine Frage von
mir nicht zugelassen. Jetzt dürfen Sie dann trotz Ihrer belegten Stimme noch antworten.
({1})
Ich möchte auf drei Punkte Ihrer Ausführungen eingehen. Sie haben es als bemerkenswert dargestellt, dass die
Zahl der Einsatzkräfte jetzt praktisch verdreifacht wird.
Ich möchte aber trotzdem darauf hinweisen, dass die
Hauptaufgabe unserer Streitkräfte, der Bundeswehr, nach
wie vor die Bündnis- und die Landesverteidigung ist.
Sie haben von einer Kraftanstrengung gesprochen, die Sie
jetzt unternehmen müssen. Das billige ich Ihnen persönlich zu, weil ich weiß, dass Sie diese so genannte Reform
nur sehr widerwillig verteidigen und vertreten. Aber wir
können jetzt nicht eine Einsatzarmee wollen; das wollen
auch Sie sicher nicht. Deshalb finde ich es nicht richtig,
wenn Sie diese so genannte Reform, wie ich noch einmal
betonen will, jetzt mit dieser Begründung als solche darstellen.
Wenn Sie das schon tun, dann frage ich natürlich auch,
weshalb die fliegenden Verbände um 25 Prozent reduziert
werden müssen. Gerade die vergangenen Konflikte und
insbesondere die Beteiligung der Bundeswehr bei der
Beilegung des Konflikts im Kosovo haben gezeigt, dass
die Luftverbände im zukünftigen Verteidigungsfalle eine
wesentliche Rolle spielen.
Vor diesem Hintergrund ist es mir unverständlich,
weshalb Standorte, wie zum Beispiel Memmingerberg
mit über 2 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einschließlich Soldaten, ohne die Wehrpflichtigen, einfach
mit einem Federstrich verschwinden sollen. Gerade Memmingerberg ist ein Standort, der im Leistungsvergleich
von der Einsatzbereitschaft und von der Einsatzfähigkeit
immer an erster Stelle gelegen hat, der auch meteorologisch mit die besten Einsatzmöglichkeiten bietet, weil
Nebel und schlechte Wetterverhältnisse dort nur eine sehr
geringe Rolle spielen. Mir ist auch unverständlich, weshalb Sonthofen praktisch aufgelöst werden soll - im Endeffekt wird auch der Standort Sonthofen geschlossen;
denn es verbleiben nur ein paar Soldaten - und weshalb
die Feldjägerschule gerade in den Ballungsraum Hannover verlegt werden soll. Auch eine Begründung hierfür
habe ich in Ihren Ausführungen, Herr Kollege Zumkley,
vermisst.
Als Letztes will ich Ihnen sagen: Sie haben davon gesprochen, Sie müssten 46 Standorte schließen, deren
Schließung noch in der Regierungsverantwortung von
CDU/CSU und F.D.P. beschlossen worden sei. Lieber
Herr Kollege Zumkley, Sie, der Sie sich immer an der
Wahrheit orientieren und sich nie mit Halbwahrheiten begnügen - das sage ich Ihnen anerkennend -, sollten solche Argumentationen unterlassen. Diese Standorte werden quasi nur noch abgewickelt. In diesen Standorten
befinden sich kaum mehr Soldaten. Die Schließung von
39 Standorten plus fast noch einmal der gleichen Anzahl,
bei der der beabsichtigte Abbau quasi einer Schließung
gleichkommt, haben Sie zu verantworten. Darüber werden Sie den Bürgerinnen und Bürgern draußen Rede und
Antwort stehen müssen. Sie haben aber nicht einmal Ihren
eigenen Genossen Rede und Antwort gestanden.
({2})
Kommen
Sie bitte zum Schluss.
Sie haben das einfach mit einem Federstrich umgesetzt und erst im Nachhinein mit einer Beschwichtigungspolitik gegenüber
ihren eigenen Genossen, den Landtagskollegen oder den
jeweiligen Bürgermeistern reagiert.
({0})
Herr Kollege Zumkley zur Erwiderung. - Bitte sehr.
Herr Kollege Dehnel, ich verstehe, dass die Schneeberger Bürger um ihren Standort
kämpfen. Es hätten auch meine Fischbeker draußen stehen können. Ich kann sie gut verstehen und finde es auch
gut, dass sie dies tun. Das zeigt, dass sie eine besondere
Beziehung zur Bundeswehr haben, was wir als außerordentlich positiv empfinden.
Aber wenn es nicht Schneeberg ist, muss es ja wohl
ein anderer Standort sein. Heute ist - ich will dieses
Kampfwort eigentlich gar nicht wiederholen - schon vom
Sankt-Florians-Prinzip gesprochen worden. Davon ist das
Ganze weit entfernt. Aber wenn man reduziert, muss es
leider auch Schließungen geben. Die Frage ist immer: Wo
ist die Alternative? Wenn der Minister den Standort in
Schneeberg beließe, müsste er einen Standort an anderer
Stelle schließen. Ich finde, dieses Wechselspiel kann man
so nicht treiben. Im Übrigen ist Ihr Ministerpräsident ja
noch in der Lage, in dieser Hinsicht Vorschläge zu machen.
Ich möchte mich nun dem Kollegen Kurt Rossmanith
zuwenden. Herr Kollege, Sie irren sich, wenn Sie glauben, ich stünde nicht hinter dieser Reform. Ich habe dem
Inspekteur des Heeres auch aufgrund meiner beruflichen
Vergangenheit zu dem neuen deutschen Heer mit den fünf
plus zwei Divisionen gratuliert und zu der Art und Weise,
wie diese Divisionen anders als früher instandgehalten
und eingesetzt werden. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die vielfältigen europäischen Aufgaben unter
dem Stichwort „headline goal“ - aufgrund der Vereinbarungen von Helsinki müssten wir ja 60 000 Soldaten stellen - und an die Erfüllung von NATO-Aufgaben.
Ich stimme mit Ihnen überein, wenn Sie sagen, dass
unsere Einsatzkräfte von 150 000 Soldaten vornehmlich
der Landes- und der Bündnisverteidigung dienen.
Dafür sind sie in erster Linie da, dafür brauchen wir sie
und dafür werden Sie auch ausgebildet. Aus diesem Teil
nehmen wir diejenigen, die bei friedenserhaltenden
Maßnahmen benötigt werden. Darüber besteht bei uns
Konsens.
Dass Sie die Reduzierung der Zahl fliegender Verbände in der Luftwaffe beklagen, verstehe ich. Im Heer
gibt es weit drastischere Reduzierungen bei den Kampftruppen, den Kampfunterstützungstruppen und den Führungstruppen. Das wissen Sie genauso gut wie ich. Auch
bei der Marine gibt es Reduzierungen. Das ist so auch gewollt und hat zur Folge, dass wir die Streitkräftebasis einführen, die viele Aufgaben der Teilstreitkräfte unterstützend übernimmt. Das halte ich für ein sinnvolles
wirtschaftliches und militärisches Konzept.
Sie beklagen die Entwicklungen - ich empfinde das genauso wie bei Schneeberg oder meinen eigenen Leuten in Memmingerberg. Auch dafür habe ich volles Verständnis. Wenn ich aber die Anzahl der fliegenden Verbände reduziere, dann muss ein Fliegerhorst geschlossen werden.
Wenn es nicht Memmingerberg ist, muss es ein anderer
sein. Sollen wir Manching, Kaufbeuren oder Nörvenich
schließen?
({0})
- Es gibt genügend Möglichkeiten, Alternativen zu finden.
({1})
Herr Kollege Zumkley, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Herr Präsident, ich bin lange
gefragt worden. Es gab zwei Interventionen mit mehreren
Fragen. Es muss erlaubt sein, darauf in sachlicher Form
einzugehen.
({0})
Ich glaube, es geht hier um einen ganz wichtigen
Punkt. Ich sage jetzt abschließend: Ich werfe Ihnen nicht
vor, dass 46 Standorte übrig geblieben sind. Sie haben mit
Ihrer Bemerkung völlig Recht, dass diese abgewickelt
werden müssen. Wir haben - damals in der Opposition die 94er-Entscheidung zwar kritisch, aber konstruktiv begleitet,
({1})
weil wir gesehen haben, dass die Bundeswehr von
370 000 auf 340 000 Mann reduziert werden musste.
Ich habe nur dafür plädiert, auch diese Seite zu betrachten, wenn man die jetzigen Maßnahmen und Entscheidungen überschäumend kritisiert. Ich halte Ihre Position für unglaubwürdig und Sie sollten sie wirklich
ernsthaft überprüfen.
({2})
Als
nächstem Redner gebe ich dem Kollegen Christian
Schmidt von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Es wird jetzt in
der Tat eng - für die bayerische SPD. Denn sie hat sich
heute anhören müssen, dass Bayern abgestraft werden
muss, weil es dort zu viele Standorte gibt und man deshalb
zustimmt, dass in Bayern überproportional gekürzt wird.
Genauso ist es.
({0})
Der Bundesminister der Verteidigung hat sein Wort gebrochen. Er betreibt - ich möchte hier mit Genehmigung
des Präsidenten zitieren - „eine dumme Politik der Standortauflösung“. So hat er das am 7. Juni 2000 in diesem
Hause formuliert. In der gleichen Bundestagsdebatte, also
vor gerade acht Monaten, hat er den CSU-Kreisverbänden
- das sind diejenigen, die Ihnen, Herr Pfannenstein, Ärger
machen -, die sich für die Sicherung ihrer Bundeswehrstandorte eingesetzt haben, einen donquichottehaften
Kampf gegen Windmühlen vorgeworfen. Er sagte damals,
die CSU kämpfe um etwas mit großer Kraft, was gar nicht
gefährdet sei.
Zwischenzeitlich habe ich den Eindruck, dass hier kein
Don Quichotte, sondern der Baron von Münchhausen unterwegs ist.
({1})
Dessen Geschichte, man könne sich selbst am Schopf aus
dem Schlamassel ziehen, war bekanntermaßen nur ein
Märchen. Ein Märchen ist auch, dass diese Bundeswehrverkleinerung ohne Geld etwas mit Reform zu tun habe.
Sie verkleinern die Bundeswehr gerade so weit, wie Ihr
Geld reicht. Das ist das Problem, daran kommen Sie nicht
vorbei. Sie haben sich dafür entschieden, die Bundeswehr
drastisch zu verkleinern.
Herr Kollege Schmidt, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Braun?
({0})
Bitte sehr.
Herr Kollege Schmidt, Sie beklagen natürlich zu Recht das
Schweigen der bayerischen SPD. Darf ich Sie aber fragen:
Wo ist heute die Bayerische Staatsregierung?
({0})
Heute geht es doch um ein Konzept, das praktisch ein
bundeswehrfreies Nordbayern vorsieht und das Schwaben in einem Maße beschädigt, wie wir es bisher nicht erlebt haben.
({1})
Wissen Sie:
Ich bin schon etwas überrascht, Herr Kollege. Sie haben
sicherlich verfolgt, dass die Bayerische Staatsregierung
im Bayerischen Landtag eine sehr dezidierte Position zu
dieser Frage bezogen hat.
({0})
Aus dieser Erklärung geht hervor, dass sie mit den Bürgermeistern der 20 Kommunen, die betroffen sind und die
vorher nicht informiert waren, Gespräche führen muss.
Auch deswegen hat die Staatsregierung das Gespräch, das
gestern der Bundesverteidigungsminister mit dem Ministerpräsidenten führen wollte, abgesagt, weil sie der Auffassung ist, das ist zu früh. Es kann doch nicht sein, dass
eine Reform zwei Jahre lang entwickelt wird und dass anschließend innerhalb von vier Werktagen entschieden
werden soll, wie es weitergeht.
({1})
Damit eines ganz klar ist: Hier diskutieren wir über
Verantwortlichkeiten. Die Verantwortung liegt bei der
Bundesregierung und bei niemand anderem.
({2})
Herr Kollege Schmidt, erlauben Sie eine weitere Zwischenfrage
des Kollegen Braun?
Wissen Sie,
Herr Kollege, wir haben ja keine eigene bayerische Armee
mehr und deswegen ist das Ganze Bundesangelegenheit.
({0})
Nachdem ich auch von SPD-Kollegen höre, dass sie bei
der Frage der Finanzierung der Folgen schon klammheimlich auf die Länder verweisen, habe ich den Eindruck, dass da einiges schief läuft. Das muss heute dieser
Bundesregierung klar vor Augen geführt werden. Sie können sicher sein, dass sich die Bayerische Staatsregierung
in bekannt klarer, dezidierter Weise zu diesen Fragen
äußern wird.
({1})
Herr Kollege Schmidt, erlauben Sie trotzdem eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Braun? - Bitte, Herr Braun.
Lieber Kollege Schmidt, natürlich wissen wir sehr gut, dass es sich
hier um reine Bundespolitik handelt.
({0})
Aber sollte man nicht die Bundesratsbank nutzen, um
auch hier Stellung zu nehmen, wenn es um so starke Interessen eines Bundeslandes, nämlich des Freistaates
Bayern, geht?
Der bayerische Ministerpräsident und der Chef der Bayerischen
Staatskanzlei haben sich in dieser Sache geäußert.
({0})
Sie sind im Gespräch mit den Betroffenen und haben es
dort nicht an Deutlichkeit fehlen lassen. Ich bin der Ansicht, dass erst einmal die Fraktionen des Bundestages
diese Frage diskutieren müssen. Ich werde allerdings auch
an den Verteidigungsminister die Aufforderung richten,
({1})
seinen Zeitplan zu revidieren, damit eine vernünftige Auseinandersetzung möglich ist.
({2})
- Entschuldigung, ein solch dummes Gerede habe ich selten gehört, wenn Sie hier „Verweigerungsstrategie“ dazwischenrufen. Am Freitag letzter Woche kam aus dem
Ministerium zum ersten Mal ein Brief. Die Bürgermeister,
die hier auf der Tribüne sitzen, haben bis heute noch
nichts Offizielles bekommen. Dann stellt sich der Verteidigungsminister hier hin und sagt: Die waren leider noch
nicht alle bei mir. - Ja, wo sind wir denn? Entschuldigung,
wer trägt denn hier die Verantwortung?
({3})
Es schwillt mir der Kamm bei dem, was ich von Ihnen,
Herr Kollege Erler, gehört habe.
({4})
- Lassen Sie mich einmal ausreden, dann werden Sie
hören, was mein Konzept ist. Ich schicke es Ihnen zu.
Kollege Erler, Ihre Propagandarede war missglückt.
Uns zu unterstellen, wir hätten kein Konzept auf den Tisch
gelegt, ist ja nun völlig absurd. Sie haben wohl die Diskussion des letzten Jahres nicht verfolgt.
({5})
Wenn Sie über die Wehrkundetagung letzte Woche in
München sprechen, dann sollten Sie einmal überlegen,
welchen Auftritt der Bundeskanzler dort hatte.
({6})
Er war schwierig, um nicht ein schärferes Wort zu verwenden; ich will vorsichtig sein. Wissen Sie zum Beispiel, dass der damalige amerikanische Verteidigungsminister Cohen vor einem halben Jahr in England die
Europäer aufgefordert hat, ihre Verteidigungshaushalte zu
erhöhen? Da liegt doch der Hase im Pfeffer.
({7})
Mit dem Kollegen Zumkley setze ich mich gern sachlich auseinander, weil er ein sachlicher Mann ist.
({8})
Er hat gesagt, er sei dafür, zu reduzieren. Das ist eine achtbare Position.
({9})
Ich bin nicht dafür. Wieso bin ich nicht dafür? - Weil ich
der Meinung bin, dass angesichts der Anforderungen, die
im Bereich der Krisenreaktionskräfte und der Landesverteidigung auf uns zukommen, die Stärke der Bundeswehr
bei Beibehaltung der Wehrpflicht eine kritische Masse
nicht unterschreiten darf. Aus diesem Grunde halte ich die
Zahl von 250 000, 255 000, über die wir faktisch reden
- das müssen wir uns eingestehen, wenn wir ehrlich miteinander umgehen -, für zu wenig. Ihre Position mag eine
andere sein. Aber unsere, meine ich, ist sehr gut begründet. Ich kann sogar den Bundesverteidigungsminister zum
Zeugen anrufen. Er sagt viel, wenn der Tag lang ist. Bundesverteidigungsminister Scharping hat nach einem Zeitungsbericht bei einem Truppenbesuch in Hohenmölsen
in Sachsen-Anhalt gesagt, er halte an der Personalstärke
der Bundeswehr fest. Immerhin sei die Truppenstärke von
rund 700 000 Bundeswehrangehörigen im Jahre 1991 auf
derzeit rund 330 000 Mann mehr als halbiert worden.
Also, der Bundesverteidigungsminister sagt, die Truppenstärke sei halbiert worden, das reiche aus und man
bleibe bei einer Truppenstärke von 330 000. Können Sie
mir bitte erklären, wieso sich die Sicherheitslage zwischen dem 23. August 1999 und dem 9. Februar 2001 so
drastisch verändert hat, dass Sie die Bundeswehr um
80 000 Mann reduzieren wollen? Sie werden es nicht
können.
Nun zum Thema Glaubwürdigkeit. Wenn man als
SPD-Politiker in Goldene Bücher hineinschreibt, wie das
in Kötzting der Fall war, „Der Standort bleibt erhalten“
und ihn dann schließt, wenn man an der Regierung ist,
dann müssen doch die Wähler bzw. die Bürger an der
Glaubwürdigkeit der Politik zweifeln.
({10})
Ihr Genosse Gantzer hat am 31. Januar 2001 im Bayerischen Landtag im Rahmen einer Bundeswehrdebatte den
Truppenabbau als ein Geschenk für die Kommunen bezeichnet. Ich wünsche ihm für das Gespräch mit den
Bürgermeistern von Ebern, Heidenheim, Sonthofen,
Lenggries und Kötzting viel Vergnügen. Ihre Art und
Weise, mit diesem Problem umzugehen, ist absolut unakzeptabel.
Herr Kollege Schmidt, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Pfannenstein?
Aber immer.
({0})
- Vorsicht, ich habe es dabei.
Bitte
schön.
Verehrter Herr Kollege
Schmidt, was halten Sie von der Tatsache, dass Sie am
5. Januar dieses Jahres auf Ihrer Klausurtagung ein Papier
Ihrer Landesgruppe veröffentlicht haben, in dem steht,
({0})
diese Strukturveränderung mache Sinn, aber man müsse
vor Ort jede einzelne Standortschließung bekämpfen? In
diesem Papier wurde der Standort Kötzting aufgeführt.
Eine Schließung macht laut Ihrem Papier Sinn. Nun steht
Kötzting auf der Liste der zu schließenden Standorte; jetzt
macht eine Schließung keinen Sinn mehr. Können Sie mir
eine Antwort auf diese Widersprüche geben?
Ich bin für
diese Zwischenfrage sehr dankbar, um endlich einmal die
hier herumgeisternde Unterstellung, es gebe bei der CSU
die Strategie, Scharping zu unterstützen, zu widerlegen.
({0})
Das ist nämlich für Herrn Scharping ein Problem. Ich bin
schon von Journalisten gefragt worden, ob wir Scharping
gegen Schröder unterstützen würden, weil der einmal die
große Koalition gewollt habe. Ich kann Herrn Scharping
beruhigen: Wir unterstützen ihn nicht in dieser Position
und auch nicht in seiner Reform.
Das können Sie übrigens aus diesem Vermerk ersehen,
der nirgendwo beschlossen worden ist und der offensichtlich, wie ich zwischenzeitlich an der Art, wie er präsentiert wird, festgestellt habe - Herr Erler, passen Sie bitte
auf -,
({1})
nicht ganz lupenrein an die interessierte Beschaffungsabteilung gegangen ist.
Wir werden noch über eine andere Angelegenheit sprechen müssen.
({2})
- Herr Präsident, möchten die Kollegen von der SPD Aufklärung von mir haben oder wollen die mich niederschreien? Sie sollten ruhig sein.
({3})
Wenn Sie
die Zwischenfrage noch beantworten würden, dann würde
ich den Kollegen Pfannenstein bitten, sich noch einmal zu
erheben.
({0})
Nein, ich
habe sie noch nicht beantwortet.
Herr
Schmidt, Kollege Pfannenstein hat Ihnen auf Ihre Genehmigung hin eine Frage gestellt. Die beantworten Sie jetzt.
Ich bitte Herrn Pfannenstein, während dieser Zeit stehen
zu bleiben.
Kollege
Pfannenstein, die CSU hat kein Papier verabschiedet, in
dem sie das Konzept von Scharping in irgendeiner Weise
unterstützt. Sie hat Informationen weitergegeben. Das ist
mehr recht als billig in Zeiten, in denen SPD-Abgeordnete
beispielsweise in Günzburg gesagt haben, dass dieser
Standort sicher sei.
Wenn Sie diesen Vermerk eines Mitarbeiters - mehr ist
es nicht ({0})
genau lesen, dann stellen Sie fest, dass dort steht, ({1})
Christian Schmidt ({2})
Herr Kollege Schmidt, eine Zwischenfrage sollte kurz und knapp
beantwortet werden. Ich bitte darum.
- dass, mein
lieber Kollege Pfannenstein, vor dem Hintergrund dieser
Reform eine Schließung Sinn macht. Wieso macht das
vor dem Hintergrund der Reform Sinn? - Weil Herr
Scharping ein Jahr vorher erzählt hat, es würden nur
Kleinststandorte geschlossen, weil er die Leute belogen
hat. Wir sind aber nicht für diese Reform. Deswegen
macht es nach unserer Meinung auch keinen Sinn; damit
das völlig klar ist.
({0})
Jetzt ist
die Frage beantwortet. Danke schön.
Im Übrigen
wundert mich, mit welch eigenartiger Mischung aus Arroganz, Uninteressiertheit, Spaß und Lust dieses Thema
offensichtlich in der Koalition behandelt wird. Dies ist ein
sehr ernst zu nehmendes Thema.
({0})
Ich bin bereit, über die Inhalte zu diskutieren. Wir tun das
auch schon lange, aber da haben Sie nicht aufgepasst.
Im Übrigen kann ich nur appellieren, das, was jetzt
stattfinden soll, zu blockieren bzw. zu überdenken. Aber
selbst dann, wenn wir noch einmal darüber diskutieren,
wird es in Wahrheit so bleiben. Ihnen fehlt eines: Geld!
({1})
Liebe
Kolleginnen und Kollegen, witzige Zwischenrufe beleben
die Debatte und sind auch durchaus erwünscht. Wenn aber
dieselben Fragen zehnmal dazwischen gerufen werden,
kann dies zu einer Belastung der Debatte führen.
({0})
Ich gebe nun der nächsten Rednerin, der Kollegin
Angelika Beer vom Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
Herr
Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Verehrte
Frau Ministerpräsidentin Heide Simonis, ich freue mich,
dass Sie hier sind, um dieser Debatte trotz manchmal sinkender Qualität zu folgen.
({0})
Ich glaube, der Stationierungsentwurf ist im Ergebnis
in sich ausgewogen und berücksichtigt die verschiedenen
Interessenlagen von Kommunen, Ländern, Soldaten, Zivilisten und deren Familien. Ich bin der Meinung, dass die
Kriterien, die der Minister öffentlich gemacht hat und die
hätten korrigiert werden können, berechtigt sind und als
Grundlage dessen gedient haben, über was wir heute diskutieren.
Ich finde es - hier nehme ich Bezug auf die Rede des
Kollegen Zumkley - verständlich, dass die Länder im
Dialog mit den Kommunen versuchen - ohne die kampagnenartige Gestaltung der CDU -, noch über das eine oder
andere zu diskutieren. Ich sage aber als Schleswig-Holsteinerin und Neumünsteranerin, wo nun nur noch zehn
von 900 Soldaten übrig bleiben sollen:
({1})
Wenn wir bei der Standortentscheidung nach Wirtschaftlichkeitskriterien und nach militärischen Kriterien
- das sind die Hauptkriterien bei dieser Reform - vorgehen, ist es einfach logisch, dass man Teile der Panzerbrigade zusammenzieht und den Hauptstandort in Boostedt lässt, so schlimm das für Neumünster ist. Wir
werden dort mit Fantasie nach vorne schauen, statt immer nur zu schreien.
Heute Morgen hat im Fernsehen - Herr Kollege
Schmidt, Sie haben versucht, dies zu übertrumpfen, aber
es war einfach nicht zu übertrumpfen - der Kollege Huber
von einer „Strafexpedition der Bundesregierung gegen
Bayern“ gesprochen.
({2})
Dazu kann ich nur sagen: Gute Nacht! Bleiben Sie in Bayern und wir machen unsere Reform.
({3})
Nun komme ich zu den Vorwürfen, mit denen Sie uns
im Hinblick auf Niedersachsen bzw. - etwas konkreter auf Hannover parteipolitische Interessen unterstellen und
behaupten, wir würden bei der Zusammenziehung der
Wehrbereichsverwaltungen einen Kanzlerbonus einbauen.
({4})
Dazu kann ich nur sagen - so sehr ich den Kanzler
schätze -: Mir ist die Strukturreform der Bundeswehr und
insofern auch die Zusammenlegung der Wehrbereichsverwaltung in Hannover wichtiger. Diese werde ich auch
weiterhin verteidigen.
Ich will nicht verhehlen, dass die Vorschläge der
Weizsäcker-Kommission und unsere Vorstellungen von
einer weiteren Reduzierung der Bundeswehr auf 200 000
Mann im Rahmen einer Freiwilligenarmee nicht weit auseinander lagen. Wir hätten Farbe bekannt: Nach unserem
Konzept wären noch mehr Standorte geschlossen worden,
mit der Zielsetzung, Kosten zu sparen, wo dies möglich
ist, und mehr Geld für Investitionen freizumachen. Aber
dies sei nun erst einmal zurückgestellt.
Herr Kollege Nolting, ich kann Ihrer fundierten Kritik
an Ihrem früheren Koalitionspartner und an Herrn Merz
weitgehend folgen.
({5})
Aber dass Sie jetzt nur noch populistisch auf das Konzept
von Herrn von Weizsäcker aufspringen, das Sie früher
bekämpft haben, ist doch etwas zu kurzsichtig.
({6})
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich bevorzuge Offenheit in den Aussagen und will anstehende Probleme
nicht populistisch kleinreden.
Frau Kollegin Beer, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Börnsen?
Nein,
danke.
Wer das tut, nützt weder der Bundeswehr noch der
Außen- und Sicherheitspolitik. Dieser Bereich ist in dieser Debatte leider etwas zu kurz gekommen.
Aber ich sage Ihnen noch einmal ganz klar: Wenn man
eine Außen- und Sicherheitspolitik gestalten will und
akzeptiert, dass wir eine handlungsfähige Bundeswehr
brauchen, die ihren Auftrag hat, muss diese Bundeswehr
entsprechend angepasst werden. Das heißt, dass wir sie
reduzieren müssen, und das heißt, dass wir Stationierungsveränderungen vornehmen müssen. Alles andere
ist keine Unterstützung der Außen- und Sicherheitspolitik, es wäre kontraproduktiv.
Herr Merz, ich habe nicht die Zeit, Ihre einzelnen Aussagen von heute Morgen zu analysieren. Aber ich habe
das Gefühl, dass die frühere Regierungsfraktion der
CDU/CSU einem Trauma verhaftet ist, weil Sie sich heute
noch irgendwo innerlich gezwungen sehen, die jahrelangen Fehler in Ihrer Regierungsverantwortung heute noch
zu rechtfertigen. Diesem Trauma verhaftet, sind Sie politisch völlig handlungsunfähig geworden.
({0})
Sie sind nicht einmal in der Lage, über Ihre eigene Vergangenheitsbewältigung hinaus zu denken.
In Ihrem Antrag - der heute abgestimmt und natürlich
abgelehnt werden wird - lautet die Kernaussage: Sie lehnen den Entwurf des Ressortkonzepts „Feinausplanung
und Stationierung der Bundeswehr“ ab. Sie fordern: Erstens. Alles bleibt, wie es war. Zweitens - das muss man
sich wirklich einmal reinziehen - „den Umbau der Bundeswehr für Soldaten und Zivilpersonal, an den Modellen
der ehemaligen Bundesregierung orientiert, sozialverträglich zu gestalten“. Sie haben doch dafür gesorgt, dass
die Bundeswehr nur noch ein Ersatzteillager ist. Sie haben
dafür gesorgt, dass alle Reformen vorher nicht umgesetzt
worden sind. Und jetzt sagen Sie: „Weiter so!“ und fordern noch mehr Geld. Ja, wo bin ich denn hier?
({1})
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir werden das
Reformkonzept weiter unterstützen. Ich sage Ihnen auch,
wie wir Reform verstehen, nicht als Schieben, Strecken,
Streichen, sondern als Wandel. Wandel heißt Bewegung.
Das heißt, die Bundeswehrreform ist auch so etwas wie
ein „work in progress“. Dieser Prozess ist nicht statisch,
ist nicht festgeschrieben bis auf den letzten Tag. Aber wir
wollen ihn zügig umsetzen. Wenn es sein muss, werden
wir auch bereit sein, im Rahmen dieser Reform Nachbesserungen vorzunehmen, um allen Interessen gerecht zu
werden.
Wir haben uns vorgenommen und sind dabei - der
Minister hat das heute deutlich gemacht -, als rot-grüne
Koalition nicht nur die Defizite, die Versäumnisse, vor allem die politischen Versäumnisse, der letzten zehn Jahre
aufzuholen, sondern wir wollen auch gemeinsam mit unseren europäischen Partnern nach vorne gehen. Ich
glaube, es ist richtig - das möchte ich hier noch einmal unterstreichen -, dass wir die Reform der Bundeswehr in ein
Finanzierungskonzept der Bundesregierung eingepasst
haben, das mit der gesamten Haushaltskonsolidierung
kompatibel ist. Dass sich an dieser Konsolidierung auch
das Verteidigungsressort beteiligt, ist eine Selbstverständlichkeit.
Das ist schwierig, aber diesen Weg gehen wir. Sie haben sich heute aus dem Dialog verabschiedet. Das ist bedauerlich, aber es passt in die Planlosigkeit der Opposition, wofür ich mich eigentlich zu bedanken habe.
({2})
Zu einer
Kurzintervention erteile ich nacheinander dem Kollegen
Austermann und dem Kollegen Börnsen das Wort.
Zunächst Herr Kollege Austermann.
Herr Präsident!
Die Kollegin Beer hat behauptet, sie treffe gelegentlich
klare Aussagen. Das mag in der Vergangenheit gegolten
haben.
({0})
- Natürlich Schleswig-Holstein. - Sie hat heute sehr verschwommene Aussagen gemacht,
({1})
entgegen der Aussage kurz nach Veröffentlichung des
Strukturkonzepts des Verteidigungsministers, als sie davon sprach, dass noch viel zu wenig Standorte geschlossen werden. Jetzt frage ich Sie, Frau Kollegin: Ist es wirklich viel zu wenig - der Minister sprach von „nur
vereinzelten Standortschließungen und -reduzierungen“ -, wenn Glückstadt, Großenbrode, Hohenlockstedt,
Leck, List, Pinneberg und Westerland mit 4 000 Soldaten
geschlossen werden? In meinem Wahlkreis sind
2 000 Soldaten betroffen. Die ganze Westküste mit ihren
Bundeswehrstandorten wird ausgedünnt. Hinzu kommen
Neumünster, Eckernförde, Schleswig und Rendsburg, wo
drastisch reduziert wird. Aus diesen Städten sollen
4 000 Soldaten abgezogen werden. Wenn man die zivilen
Mitarbeiter einrechnet, sind es mehr als 10 000 Bundeswehrbeschäftigte. Wenn man den Anteil Schleswig-Holsteins an Bundeswehrfachschulen berücksichtigt, der
3 Prozent beträgt, haben wir am Ende eine Kürzung von
17 Prozent. Halten Sie das für eine bescheidene Kürzung?
Halten Sie das für vertretbar?
({2})
- Es ist völlig richtig, was der Kollege Braun sagt. Sie hat
in der Vergangenheit ein bundeswehrfreies SchleswigHolstein gefordert.
({3})
Wie passt das zu der Position, die jetzt von den Grünen
vertreten wird? - Ich kann Ihnen das Zitat aus dem
Jahr 1995 vorlegen. Sie haben von einem „bundeswehrfreien Schleswig-Holstein“ gesprochen. Sie wollen jetzt die Westküste bundeswehrfrei machen. Auch bei
den Heeresfliegern in Schleswig-Holstein soll reduziert
werden. Es gibt in absehbarer Zeit nördlich der Elbe bei
der Bundeswehr keine Hubschrauber mehr. Dies ist ein
unverantwortliches Vorgehen.
Jetzt komme ich zur Präsenz der Landesregierung,
weil dies vorhin ein Thema gewesen ist. Ich habe gedacht,
der Innenminister des Landes Schleswig-Holstein, Herr
Buß, der heute anwesend ist - er ist der Beauftragte der
Ministerpräsidentin für Bundeswehrfragen -, würde Gelegenheit nehmen, hier zu reden. Nachdem die Ministerpräsidentin eingetroffen ist, bin ich davon ausgegangen,
dass sie sprechen wird. Aber auf der Rednerliste stehen sie
beide nicht. Ihre Namen erscheinen erst bei dem nachfolgenden Tagesordnungspunkt. Ich erinnere in diesem Zusammenhang daran, dass wir bereits im Herbst des letzten
Jahres - Kollege Koppelin hat darauf hingewiesen - gesagt haben, dass die Existenz des Heeresfliegers „Hungriger Wolf“ und mit ihm andere Standorte gefährdet sind.
({4})
Wir wurden in diesem Punkt aber nicht unterstützt.
({5})
- Ich weiß nicht, warum der ehemalige Polizistentreter dauernd dazwischenreden muss. Das war bisher nicht üblich.
Es werden nicht vereinzelt Standorte geschlossen, sondern es kommt zu drastischen Einschnitten. Das muss
deutlich gesagt werden.
Der letzte Punkt, den ich erwähnen möchte, ist die Finanzsituation.
Herr Kollege Austermann, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Mein letzter
Satz, Herr Präsident.
Nein, keinen Satz mehr.
Okay.
Herr Kollege Börnsen, bitte schön.
Frau
Kollegin Beer, Sie haben sich für die Stärkung von Hannover ausgesprochen und deutlich gemacht, dass nicht
parteipolitisch vorgegangen wurde. Damit haben Sie sich
aber gegen Kiel ausgesprochen. Ihre eigene Landtagsfraktion in Kiel hat sich vehement für die Stärkung und
nicht für die Schwächung von Kiel eingesetzt. Ihre Landtagsfraktion hat sich auch für die Beibehaltung des Standortes Neumünster eingesetzt.
Sie halten es für gut, dass der Standort der Bundeswehr
dort geschlossen wurde. Sie haben deutlich gemacht, dass
Sie sich weder für Hohenlockstedt noch für andere Standorte einsetzen. Ist es immer noch Ihre Auffassung, dass in
Schleswig-Holstein keinerlei Bundeswehrstandorte mehr
sein sollen? Von Ihnen gibt es mehrere Belege dafür, dass
Sie für ein bundeswehrfreies Schleswig-Holstein sind.
Sie haben unterstrichen, dass Sie zu dem Konzept des
Bundesverteidigungsministers stehen. Die Kommunen
vor Ort haben nur die nackten Zahlen darüber bekommen, wie viel reduziert und was geschlossen werden soll keine Begründung. Halten Sie das für ein vernünftiges
Konzept? In drei Wochen müssen Stellungnahmen erstellt werden. Niemand weiß, wofür oder wogegen eine
Stellungnahme erstellt werden soll. Ist das Ihre Bereitschaft zum Dialog, Frau Beer? Ist das vertretbar? Alle unsere Bürger sind in Unruhe und Sorge. Man muss ihnen
doch Argumente dafür geben, warum Soldaten aus
Schleswig, aus Tarp, aus Flensburg, aus Hohenlockstedt
und aus vielen anderen Städten und Kreisen unserer Republik abgezogen werden sollen. Es reicht nicht aus, Zahlen zu nennen.
Halten Sie es für richtig, dass vor Ort der Eindruck erweckt wird, der Bundesverteidigungsminister sei bereit,
über jedes Problem mit Bürgermeistern zu sprechen,
während sie in Wirklichkeit vor Ort abgefertigt werden?
Die Hohenlockstedter sind hier gewesen, aber sie haben
mit dem Bundesverteidigungsminister nicht sprechen
können. Auch die Schleswiger sind hier gewesen, aber der
Bundesverteidigungsminister war nicht da. Die Staatssekretäre haben sich große Mühe gegeben, aber vor Ort wird
der Eindruck erweckt, der Bundesverteidigungsminister
selbst werde den Dialog führen. Dann muss er auch Termine nennen.
Ich hoffe sehr, dass er einen Termin für die Standorte
nennt, auf deren Rückzug wir ihn angesprochen haben.
Bisher haben wir von seiner Seite nicht einmal eine Antwort bekommen.
({0})
Frau Kollegin Beer, Sie haben das Wort zur Erwiderung.
Verehrte Kollegen aus Schleswig-Holstein! Worum geht es
hier eigentlich? Wir diskutieren heute die Feinplanung.
Es geht um eine Vorlage des Bundesministers der Verteidigung, die in den Ländern und Kommunen sowie im Parlament zur Debatte gestellt wird. Der Minister hat signalisiert, dass bis zum 15. Februar Gespräche stattfinden
und dass er die endgültige Entscheidung am 16. treffen
wird. Der Verteidigungsminister setzt damit eine Koalitionsvereinbarung zwischen Rot und Grün um, die besagt,
dass wir die Bundeswehr reformieren wollen. Wir haben
beschlossen, dass wir das Personal der Bundeswehr reduzieren wollen. Das bedeutet - das ist die Logik dieses Reformprozesses -, dass Standorte geschlossen werden.
Nun ist es - das habe ich vorhin bereits gesagt - durchaus verständlich, dass alle Gemeinden quer durch die Republik - von Ost nach West, von Nord nach Süd - erst einmal aufschreien und sagen: Okay, eigentlich ja, aber nicht
bei uns! Als verteidigungspolitische Sprecherin unterstütze ich das Konzept des Bundesministers der Verteidigung, jedenfalls weitestgehend. Insofern vertrete ich auch
die Strukturmaßnahmen, die notwendig sind. Ich habe
vorhin gesagt - ich vertrete das auch zu Hause, obwohl
ich Neumünsteraner bin -: Wenn man Geld sparen muss
und die Bundeswehr wirtschaftlich gestalten will, damit
sie für die Zukunft fit ist, dann muss man Strukturveränderungen vornehmen. Deswegen ist es erstens sinnvoll,
Teile der 18. Panzerbrigade von Neumünster nach Boostedt zu verlegen, wo die Kaserne, wie Wirtschaftlichkeitsprüfungen erwiesen haben, sehr viel günstiger als der
Standort in Neumünster arbeitet. Zweitens ist es im Rahmen dieser Umstrukturierung - das betrifft ja nicht nur
Schleswig-Holstein - sinnvoll, die Wehrbereichsverwaltungen in der geplanten Form zusammenzulegen.
Ich nehme durchaus zur Kenntnis - ich habe das übrigens auch mit den Grünen diskutiert -, dass man das vor
Ort etwas anders sieht. Das geht Ihnen ja in Ihren Parteien
genau so; wir wissen das aus allen Diskussionen. Diese
Koalition hat aber noch ein zweites Vorhaben klar definiert: Wir sehen Konversion und die Reform als Schritt
nach vorne. Das heißt - da stimme ich mit dem Sprecher
des Konversionsinstituts in Bonn überein -, dass es gut
ist, wenn die Kommunen nicht in den Fehler verfallen, Ihrer Kampagne gegen die Regierung zu folgen und immer
nur Nein zu schreien, sondern die Chancen einer langfristigen Konversion wahrnehmen. Wir wissen aus der ersten
Konversionsphase in Schleswig-Holstein, dass dies manchen inzwischen geschlossenen Standorten durchaus gut
getan hat.
Wir werden uns bemühen - das ist die Verantwortung
einer Bundespolitikerin; ich hoffe, Sie kommen bald wieder ins gemeinsame Boot zurück -, mit den Kommunen
konzeptionelle Vorschläge zu erörtern und da, wo es möglich ist, mit regionaler Strukturunterstützung auch umzusetzen. Wir haben das Dilemma, dass - das ist nicht nur in
Schleswig-Holstein so, aber bei uns ganz besonders - die
Bundeswehr aus struktur- und wirtschaftspolitischen
Aspekten überproportional ins Land geholt worden ist.
Die Bundeswehr ist aber ein sicherheitspolitisches Instrument. Da die letzte Regierung die Reform verschlafen
hat - ich habe das vorhin ausgeführt -,
({0})
sind wir jetzt in der schwierigen, aber handhabbaren Situation, diesen Reformprozess regional, kommunal, landespolitisch und bundesweit umzusetzen. Ich glaube, dass
die Kriterien, die der Verteidigungsminister zugrunde gelegt hat, weitestgehend berücksichtigt worden sind. Deswegen kann ich mich Ihrem Geschrei, das wirklich nur
parteipolitisch motiviert ist und nichts mit dem Interesse
der Bundeswehr zu tun hat, nicht anschließen.
({1})
Wegen
des Zeitablaufs werde ich in dieser Debatte keine Kurzinterventionen mehr zulassen.
({0})
Die nächste Rednerin ist jetzt die Kollegin Ursula
Mogg von der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich werde versuchen, die Debatte in
aller Sachlichkeit auf den Kern zurückzuführen.
({0})
Die Würfel sind gefallen. Nach der Erarbeitung aller
Grundlagen für die Vorlage einer Konzeption für die Bundeswehr der Zukunft herrscht jetzt bei allen am Prozess
Beteiligten Klarheit: bei den Soldaten, bei den Zivilbeschäftigten, bei den Kommunen und Regionen. Wir wissen jetzt, wohin die Reise gehen wird.
Minister Scharping unterstreicht zu Recht, dass Änderungen nur noch in gut begründeten Einzelfällen möglich
sein werden. Für die sozialverträgliche Umgestaltung ist
es hilfreich, dass jetzt eine weitgehende planerische Sicherheit besteht. Seit damit begonnen wurde, Überlegungen über die sicherheits- und außenpolitisch unbestritten
notwendige Reduzierung der Bundeswehr anzustellen, ist
Wolfgang Börnsen ({1})
klar: Der Mensch steht im Mittelpunkt aller Überlegungen.
({2})
Lassen Sie uns also dem Vorschlag des Ministers folgen und mehr über Arbeitsplätze, aber weniger über
Standorte diskutieren. Ich kenne kein Unternehmen, das
eine Reduzierung und Modernisierung mit einem solchen
Anspruch - betriebsbedingte Kündigungen sind ausgeschlossen, der Umbau erfolgt sozialverträglich - eingeläutet hätte, wie es der Verteidigungsminister, wie es diese
Bundesregierung, getan hat.
({3})
Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Dehnel?
Nein, das erlaube ich jetzt nicht.
({0})
Es gilt jetzt, diesen Anspruch zu konkretisieren. Die
Koalitionsfraktionen bekennen sich ausdrücklich zu ihrer
sozialen Verantwortung bei der Umgestaltung der Bundeswehr. Ich bin mir ganz sicher, die betroffenen Menschen werden erkennen, dass Sie, meine Kolleginnen und
Kollegen von der Opposition, zurzeit nicht dieses Interesse im Auge haben, sondern eine kurzatmige parteipolitische Effekthascherei betreiben.
({1})
Es ist festzuhalten, dass genügend Zeit vorhanden ist,
um geeignete Maßnahmen für die betroffenen Menschen
zu entwickeln. Sowohl beim militärischen als auch beim
zivilen Personal sind Übergangszeiten von mehreren
Jahren eingeplant. Viele werden in dieser Zeitspanne aus
Altersgründen den Arbeitgeber Bundeswehr verlassen
und in den regulären Ruhestand eintreten. Darüber hinaus
wird jetzt selbstverständlich darüber nachgedacht, in welchem Umfang und unter welchen Bedingungen Formen
der Altersteilzeit und des Vorruhestands erwünscht, notwendig und realisierbar sind.
Es wird Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer geben,
die den Arbeitsplatz innerhalb der Bundeswehr wechseln
oder bei einer anderen Verwaltung neu beginnen werden.
Es wird Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer geben, die
zu anderen Arbeitgebern wechseln werden. Kalte Übernahmen werden dabei ausgeschlossen. Niemand muss befürchten, dass die Zusage der Sozialverträglichkeit unterlaufen wird.
({2})
Wir werden dabei auch nicht vergessen, Herr Kollege
Nolting, dass es Festlegungen bezüglich der Zusage von
Versorgungsleistungen geben muss. In einigen Fällen
gibt es heute schon nicht nur die Zusage eines privaten Arbeitgebers, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu
übernehmen, sondern dies auch zu günstigeren Konditionen zu tun, als dies bei der Bundeswehr der Fall ist.
Auf jeden Fall aber muss gelten: Die erforderliche Beendigung des Arbeits- oder Dienstverhältnisses bei der
Bundeswehr bedarf der Zustimmung des betroffenen Mitarbeiters.
Frau Kollegin, galt Ihre Ablehnung von Zwischenfragen grundsätzlich oder gestatten Sie nun eine Zwischenfrage des
Kollegen Adam?
Ich möchte grundsätzlich keine
Zwischenfrage zulassen.
Bei der Bundeswehr entstehen neue, moderne und attraktive Arbeitsplätze. Die Reform der Bundeswehr wird
vielen verbesserte Perspektiven bringen. Sie wird auf
mittlere Sicht neue Aufstiegs- und Beförderungsmöglichkeiten eröffnen. Das ist selbstverständlich auch eine
Herausforderung für die Bereitschaft der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, sich auf Neues einzulassen. Auch
dazu stehen die Angebote: gute Ausbildung, Fort- und
Weiterbildung und zivilberufliche Qualifizierung; in Kooperation mit den Kammern.
Ich bin mir sicher: Diese Reform wird bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Bundeswehr einen
neuen Motivationsschub erzeugen, da wir alle wissen,
dass der Prozess der Erneuerung unumkehrbar ist. Die Zusage der Sozialverträglichkeit gilt in jeder Konsequenz.
Jeder und jede wird die Chance haben, eine Antwort auf
die ganz persönliche Lebens- und Berufsplanung zu finden.
({0})
- Herr Kollege, ich gehöre zu der kleinen Zahl privilegierter Abgeordneter, die ein hartes Jahr der Diskussion
vor Ort hinter sich haben. Ich sehe an dem Standort in Koblenz viele strahlende Gesichter, weil klar ist, welche Perspektiven diese Bundeswehr bietet.
({1})
Der Blick zurück macht Mut. In der Vergangenheit ist
es gelungen, Erneuerungsprozesse sozialverträglich zu
gestalten. Das wird auch in der Zukunft gelingen.
Eine herausfordernde Aufgabe zur Gestaltung der Bundeswehr der Zukunft liegt vor uns. Das ist ganz unbestritten. Ich fordere Sie alle auf: Arbeiten wir gemeinsam daran!
({2})
Als
nächster Redner hat das Wort der Kollege Paul Breuer von
der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man die Debatte hier verfolgt,
auch gerade den letzten Redebeitrag von Frau Mogg, hat
man den Eindruck, die Bundeswehr sei ein Feld für
Betriebswirtschaftler oder Sozialpolitiker. Ich sage Ihnen
eines: Die Bundeswehr ist ein wichtiges verteidigungsund sicherheitspolitisches Instrument.
({0})
Wir werden niemanden in Deutschland und darüber hinaus überzeugen können, wofür wir diese Bundeswehr
brauchen und haben, wenn wir nicht primär eine sicherheits- und verteidigungspolitische Debatte darüber
führen.
({1})
Diese sicherheits- und verteidigungspolitische Debatte,
meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist nicht hinreichend geführt worden. Das ist auch das
Hauptproblem, das Verteidigungsminister Scharping hat.
Sein Hauptproblem ist, dass er sagt, er wolle eine große
Reform machen. Schaut man aber genau hin, stellt man
fest: Er hat nicht das Geld dafür, die Reform nach vorne
zu bringen, keine Anschubinvestition, keine Möglichkeit
zu modernisieren, weder inhaltlich noch personell.
Ich sage Ihnen, warum er es nicht hat: Er hat die Fraktionen in der Regierung, SPD und Grüne, nicht davon
überzeugen können, dass es wichtig ist, das zu tun, weil
sie die sicherheitspolitische Debatte unterlassen haben.
({2})
Den Vorwurf, wir hätten die Bundeswehr in den 90erJahren nicht modernisiert,
({3})
muss man sich einmal genau anschauen. Die Entwicklung
in den 90er-Jahren, in den letzten zehn Jahren,
({4})
war insbesondere natürlich zunächst dadurch geprägt,
dass der Warschauer Pakt zusammenbrach und die Sowjetunion von der Bildfläche verschwand. Das hat uns einen Sicherheitszugewinn hier in Mitteleuropa gebracht.
Auf der anderen Seite hatten wir die Entwicklung, dass
eine diffuse Sicherheitslage in Europa selbst - siehe Balkan - entstanden ist und dass Konflikte am Rande Europas - Kaukasus, Nordafrika, Naher Osten - aufgetreten sind, die uns in Europa nicht ruhig lassen können.
({5})
Wir müssen Sicherheit exportieren, wir müssen Stabilitätspolitik betreiben.
Als diese Debatte in der Sicherheitspolitik in den 90erJahren in Deutschland geführt wurde, haben Sie, SPD und
Grüne, zunächst jämmerlich versagt, weil Sie glaubten,
dass eine deutsche Verantwortungskultur, zusammen mit
unseren Partnern mit Streitkräften ins Ausland zu gehen,
ungefähr mit dem Imperialismus zu vergleichen war.
({6})
Das war doch Ihre Position in der damaligen Zeit.
({7})
Wir haben begonnen, im Übrigen gegen Ihren Willen,
die Bundeswehr zu reformieren.
({8})
Wir haben zunächst einmal zahlenmäßig eine große Anpassung vorgenommen. Die Bundeswehr ist fast halbiert
worden. Wir haben die Krisenreaktionskräfte aufgebaut. Jetzt geht es darum, diesen Reformprozess fortzusetzen.
({9})
Wir wissen sehr genau, dass dieser Reformprozess fortgesetzt werden muss, weil zwischen die Vereinigten Staaten von Amerika und Europa eine Lücke gekommen ist,
eine Lücke der Investition, eine Lücke der Technologie.
Wer nicht bereit ist, in Deutschland diese Verantwortung
zu erkennen und als wesentliches Land in Europa und in
der NATO hier etwas zu tun, der versagt in diesem Prozess.
({10})
Dieses Versagen, Herr Kollege Erler, werfe ich Ihnen und
Ihrem Minister Scharping vor. Scharping ist ein Reformversager.
({11})
Das, was Sie hier als größte Reform aller Zeiten für die
Bundeswehr vorgeben, ist in meinen Augen eine Mogelpackung.
({12})
Es ist auch in der Art, wie es präsentiert wird, eine Mogelpackung. Heute soll über Standorte diskutiert werden.
Wir kennen die Realität.
({13})
60 Standorte werden komplett geschlossen, an die 100 insgesamt massiv betroffen. Wie hat der Verteidigungsminister Scharping die deutsche Öffentlichkeit, die Soldaten
und die zivilen Mitarbeiter der Bundeswehr auf diese Diskussion vorbereitet? In der „Süddeutschen Zeitung“ vom
18. April des letzten Jahres - das ist noch kein Jahr her wird Herr Scharping mit folgender Aussage zitiert:
Ich glaube nicht, dass wir mit Standortschließungen
wirklich weiterkommen, denn das heißt ja immer
auch, in die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Angehörigen der Bundeswehr einzugreifen ...
Das hat er damals gesagt und heute sind 100 Standorte in
Deutschland von Schließungen betroffen. Sie machen
sich unglaubwürdig.
({14})
Gemessen an dem Anspruch, der vertreten worden ist,
sind die vorgelegten Pläne eine Mogelpackung.
({15})
- Sparen Sie Ihre Luft! Sie brauchen sie noch.
Eggesin in Mecklenburg-Vorpommern wurde hier als
Beispiel genannt. Ministerpräsident Ringstorff, SPD,
wird im „Nordkurier“ der letzten Tage zitiert: „Scharping
hat falsche Hoffnungen geweckt.“ Der „Wiesbadener Kurier“ aus Hessen schreibt am 30. Januar - es ist also nur
ein paar Tage her -:
Ringen um den Standort Wiesbaden
Das Bundesverteidigungsministerium hat gestern
der Darstellung von Bundesministerin Heidemarie
Wieczorek-Zeul widersprochen.
Der Hintergrund war, dass Frau Wieczorek-Zeul - sie ist
hier anwesend und sitzt im Übrigen auf der Regierungsbank; Herr Scharping hat sich wieder irgendwohin verdünnisiert;
({16})
ich weiß nicht, wo er gerade ist - in Wiesbaden gesagt hat,
sie habe die Zusage, die Wehrbereichsverwaltung Wiesbaden bleibe erhalten. Die Realität heute sieht so aus, dass
die Wehrbereichsverwaltung Wiesbaden geschlossen
wird, nur die Außenstelle bleibt. So sieht die Glaubwürdigkeit von Verteidigungsminister Scharping und dieser
Bundesregierung aus.
({17})
Die Art, wie dieses Standortkonzept präsentiert wird,
({18})
ist stellvertretend für das gesamte Reformkonzept. Sie erheben hier den Anspruch, die Ausrüstung der Bundeswehr zu modernisieren. Die Rede ist von großen Investitionen. Die Realität in der Bundeswehr ist völlig klar. Ich
sage Ihnen eines: Die Rechnungen für die Reparaturen der
Luftfahrzeuge und für andere Fahrzeuge der Bundeswehr
aus dem vergangenen Jahr sind heute, Anfang Februar,
noch nicht bezahlt.
({19})
Die Realität hinsichtlich der Planungen im Bundesverteidigungsministerium über die Abwicklung des Haushaltes 2001 - nennen Sie mich einen Lügner, wenn es nicht
stimmt - sieht derzeit so aus, dass die Planer dazu aufgefordert werden, dieses Haushaltsjahr mit Tricksereien zu
gestalten. Sie müssen schon jetzt zugeben, dass sie die Reparaturen des laufenden Jahres in diesem Jahr nicht bezahlen können. Die Planer fordern die Industrie dazu auf,
die Rechnungen im November zu stellen, damit man sie im
März oder im April des kommenden Jahres bezahlen kann.
Ich sage Ihnen voraus: Der Haushalt ist so knapp, dass
Sie in diesem Jahr nicht dazu in der Lage sind, ein einziges größeres Beschaffungsprojekt auf den Weg zu bringen. Der Anspruch, den Sie hier erheben, hat mit der
Wirklichkeit einer echten Reform zum Zwecke der Modernisierung der Bundeswehr nichts zu tun. Der Schaden
für Deutschland in Bezug auf seinen Beitrag zur europäischen und zur nordatlantischen Sicherheit wird leider
massiv werden.
({20})
Ändern Sie diese Politik! Es ist dringend notwendig.
({21})
Als letzter Redner in dieser Aussprache hat der Kollege Manfred
Opel von der SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Ich freue mich darüber, dass diese Debatte
im Hohen Hause so viel Aufmerksamkeit findet. Ich begrüße die sehr zahlreich vertretene Delegation aus
Schleswig-Holstein ganz besonders. Das ist mustergültig
für die Landesregierungen. Ich begrüße ausdrücklich
Heide Simonis und Klaus Buß.
({0})
Der Kollege Schmidt hat versucht, sachlich zu bleiben.
Er sagte, die Bürgermeister hätten nichts Offizielles bekommen.
({1})
- Jetzt warten Sie eine Sekunde; dann kommt das alles
schon noch im Detail. - Sämtliche Bürgermeister und
sämtliche Landräte sind zum Beispiel am Mittwoch, dem
31. Januar, von der Ministerpräsidentin des Landes
Schleswig-Holstein - übrigens zum wiederholten Male zu einer Konferenz eingeladen worden.
Dort haben wir die Stellungnahme, die wir dem Bundesminister der Verteidigung geben werden - übrigens
eine sehr konstruktive -, besprochen. Wir haben dort einvernehmlich beschlossen, was zu tun ist.
({2})
Außerdem sind die Bürgermeister in Schleswig-Holstein moderner Technik gegenüber aufgeschlossen:
({3})
Sie haben Zugang zum Internet und konnten sich von
dort das gesamte Konzept des Verteidigungsministers
besorgen. - Verehrte Kollegin Lippmann, Sie verwechseln im Moment Intranet und Internet. Da Sie für Ihre
Technologiefeindlichkeit bekannt sind, ist das auch nicht
verwunderlich.
({4})
Ich will, weil der Kollege Austermann meinte, er könne
die Anwesenheit hochrangiger Vertreter der Landesregierung herunterspielen, ein wenig zur Aufklärung
beitragen. Im Moment finden Protestkundgebungen und
-versammlungen statt. Zum Beispiel wurde die Ministerpräsidentin wie auch ich eingeladen, aus diesem Grunde
nach List auf Sylt, der nördlichsten Gemeinde Deutschlands, zu kommen. Wir haben es vorgezogen, hier zu sein
und uns hier für unsere Standortgemeinden einzusetzen.
Betroffen sind zum Beispiel auch Schleswig oder Hohenlockstedt. Gemeinsam werden wir für Schleswig-Holstein
Forderungen stellen. Das verstehen wir unter einer vernünftigen Politik im Sinne des Ganzen.
Herr Breuer hat gesagt, man würde jetzt so unglaublich
viel abbauen und alles sei doch so schlimm. Ich möchte
daran erinnern, dass beispielsweise für die Dasa ein
Konzept mit dem Namen Dolores erstellt wurde. Demnach sollten die Arbeitsplätze von 60 000 Beschäftigten
dieser Firma auf einmal abgebaut werden, um ein einziges
Ziel zu verfolgen. Dieses Ziel hieß Shareholder-Value.
({5})
Hinterher wurden aufgrund der Konjunkturlage nur
40 000 Arbeitsplätze abgebaut. Es ist aber so, dass Sie hier
im Hause überhaupt kein Wort des Bedauerns für diese
Menschen, die sofort entlassen wurden, geäußert haben.
Hier sprechen Sie angesichts der Tatsache, dass der Bundesminister der Verteidigung den zivilen Bereich bis 2010
insgesamt an die Notwendigkeiten angleichen will, von
unsozialen Maßnahmen. Dies ist nicht der Fall.
({6})
Herr Breuer, Sie haben zu Recht gesagt, dass die Debatte der sicherheitspolitischen Grundlage entbehre. Ich
möchte Sie aber daran erinnern, dass Sie eine Debatte
darüber nie geführt haben. Wir waren immer dazu bereit,
diese Debatte zu führen. Sie haben es jahrelang versäumt.
Seitdem es eine rot-grüne Regierung gibt, wurde wenigstens versucht, hier im Hause - wie heute - und auch in den
Ausschüssen diese Debatte zu führen. Das werden wir
auch weiterhin tun.
Deutsche Sicherheitspolitik ist zugleich immer europäische und atlantische Sicherheitspolitik. Das darf
man nie aus dem Auge verlieren. Wenn wir die Bundeswehr der Zukunft schaffen wollen, dann muss sie folglich auch ihren europäischen und atlantischen Aufgaben
uneingeschränkt nachkommen können. Nationale Sicherheitspolitik, wie sie manchmal gefordert wird - und auch
heute gefordert wurde -, hat sich überlebt. Die Bundeswehr muss in das Bemühen eingebunden werden, Europa zu einigen, und zugleich gegenüber den USA ein
ebenso eigenständiger wie verlässlicher Partner sein.
Weiterhin muss sie in die Bemühungen um Rüstungskontrolle und Abrüstung eingebunden werden. Das muss gerade heute deutlich gesagt werden.
({7})
Es ist unsere politische Hauptaufgabe, unser Land
durch eine Reduzierung der Bedrohung sicherer zu
machen und nicht über Aufrüstung. Auch das muss man
sehr deutlich sagen.
({8})
Wir wollen eine Welt frei von Massenvernichtungswaffen - das hat jüngst auch der Bundeskanzler deutlich gemacht - und frei von ihren Trägern. Dann erübrigen sich
nämlich teure Abwehrsysteme, die viel Geld verschlingen
und deren Nutzen zumindest zweifelhaft ist.
Hier möchte ich dem Kollegen Gehrcke auch etwas
sagen, was ich kürzlich schon Frau Lippmann gesagt
habe. Wenn er behauptet, die Bundeswehr werde zu einer
weltweiten Interventionsarmee umgebaut,
({9})
dann entgegne ich ihm darauf, dass er entweder nicht
weiß, was eine weltweite Interventionsarmee ist - das
nehme ich einmal an -, oder er behauptet etwas wider besseres Wissen. Die Bundeswehr beschränkt sich auf das,
was sie ist, nämlich eine Stütze der gemeinsamen Verteidigung des Bündnisses - sonst nichts.
({10})
Unsere Bundeswehr muss zusammen mit den Armeen
der europäischen Partner die Fähigkeit besitzen, eigenständig auf krisenhafte Entwicklungen aller Art zu reagieren. Deswegen muss sie umgebaut werden.
({11})
Das haben die Regierungschefs in Nizza beschlossen. Die
Struktur der Bundeswehr muss selbstverständlich auf
diese Aufgaben ausgerichtet werden.
Der Kollege Merz - er war gerade noch da ({12})
hat heute den dritten Versuch unternommen, sich als Sicherheitspolitiker zu profilieren. Es ist, um es vornehm
auszudrücken, bei dem Versuch geblieben.
({13})
Er hat sich zum Beispiel über Neumünster geäußert. Er
hat bloß eines vergessen - die Kollegin Beer hat darauf
hingewiesen -: Neben Neumünster liegt Boostedt. Wenn
man das nicht als Einheit sieht, dann kommt man natürlich zu den Fehlschlüssen, die er hier vorgetragen hat übrigens auch der Kollege Börnsen; aber ihm sehe ich das
nach. So viel Ahnung von den Interna der Bundeswehr hat
er nicht.
({14})
Dann hat Herr Merz noch gesagt, der rot-grünen Koalition sei ein gut bestelltes Haus übergeben worden. Jetzt
möchte ich aus einer Zeitung zitieren. Dort heißt es:
Vor diesem Hintergrund warnte der verteidigungspolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion,
Paul Breuer ... davor, daß Deutschland nur noch
„eine Sicherheitspolitik nach Kassenlage“ betreibe ...
Als Folgen einer solchen Sparpolitik befürchtet
Breuer: Der ... festgelegte Bundeswehr-Umfang
wäre „nicht zu finanzieren“. Eine weitere Absenkung
des Personalumfangs dürfte nicht zu umgehen sein.
({15})
Eine „erneute Standortdebatte mit Standortauflösung“ würde notwendig.
Das hat der Kollege Breuer am 30. Juni 1996 in der „Welt
am Sonntag“ gesagt.
({16})
Wenn Herr Merz dann sagt, Sie hätten ein gut bestelltes
Haus übergeben, dann leidet er entweder unter Wahrnehmungsstörungen oder er hört nicht auf Sie, Herr
Breuer.
({17})
Da müssen Sie sich schon entscheiden.
Dann hat Herr Merz - das muss ich hier einfach sagen,
weil das auch qualifiziert - davon gesprochen, dass
30 000 Schülerstellen mitgezählt worden sind. Er weiß
wahrscheinlich gar nicht, was das ist. Die Schülerstellen
sind derzeit in die Dienstposten integriert, die im Haushalt
ausgewiesen sind; das können Sie jederzeit nachlesen.
Wir machen endlich das, was die Truppe und übrigens
auch der Bundeswehr-Verband seit langem fordern: Wir
weisen die 22 000 Schülerstellen gesondert aus. Das ist
eine vernünftige Maßnahme.
({18})
Herr Kollege Opel, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Breuer?
Herr Präsident, mit größtem
Vergnügen.
Bitte
schön, Herr Breuer.
Herr Kollege Opel, könnte
der Unterschied zwischen der Zeit Ende der 90er-Jahre
und heute möglicherweise erstens darin liegen, dass die
Kassenlage wirklich besser geworden ist? Das ist, glaube
ich, eindeutig.
({0})
Könnte der Unterschied in der verteidigungspolitischen Debatte, was die Finanzen angeht, zweitens
möglicherweise darin liegen, dass es damals innerhalb der
Koalition von CDU/CSU und F.D.P. Politiker gab, die
gesagt haben: „Wir müssen in der Finanzpolitik Verantwortung zeigen“, und es heute möglicherweise in Ihren
Reihen niemanden gibt, der Verantwortung zeigt? Das ist
der Vorwurf, den ich Ihnen mache.
({1})
Verehrter Herr Kollege Breuer,
es hat niemand behauptet, dass wir im Geld schwimmen;
am wenigsten der Bundesminister der Verteidigung. Er
hat die tatsächliche Lage immer sehr deutlich gemacht.
Ich möchte Sie nur daran erinnern, dass wir jedes Jahr
82 Milliarden DM nur für Zinszahlungen für die Schulden, die Sie uns hinterlassen haben, ausgeben. Das ist fast
das Doppelte des Verteidigungshaushalts.
({0})
Das ist Ihre Erblast, die wir heute auch zusammen mit der
Bundeswehr abarbeiten müssen. Ich bin stolz darauf, dass
die Bundeswehr das mitmacht und darunter nicht zu sehr
zu leiden hat.
Ich möchte schließen mit drei Bitten. Erstens. Ich bitte
die Landesregierungen und die Kolleginnen und Kollegen, die Stellungnahmen, die Minister Scharping erbeten
hat, mit Augenmaß abzugeben und nicht öffentlich großen
Wind zu machen. Es sollte tatsächlich versucht werden,
einen konstruktiven Beitrag zu leisten. Der Bundesminister der Verteidigung hat angeboten, dass er konstruktive
Vorschläge entsprechend aufnimmt.
Zweitens habe ich die Bitte, nicht etwas zu fordern,
was ganz offensichtlich unsinnig ist. Das ist hier heute
mehrfach geschehen. Herr Breuer, ich habe Sie zitiert; Sie
haben es in Ihrer Zwischenfrage sogar verteidigt. Sie
haben sehr deutlich gemacht, dass die Bundeswehr den
neuen Gegebenheiten angepasst werden muss. Helfen Sie
also mit, sie anzupassen.
({1})
Die dritte Bitte richte ich an den Bundesminister der
Verteidigung, Rudolf Scharping. Ich bitte ihn, die Stellungnahmen, die zum Teil mit viel Herzblut geschrieben
worden sind, ernst zu nehmen - auch in Ihrem Stab - und
sie in das Konzept einzuarbeiten. Ich gehe davon aus - das
haben Sie zugesagt, Herr Bundesminister der Verteidigung -, dass Verbesserungsvorschläge aufgenommen
werden und Verbesserungen auch möglich sind. Darauf
vertrauen wir; darauf vertraut die Bundeswehr.
Wir sind sehr dankbar dafür, dass wir einen Minister
haben, der in der Lage ist, die Gefühle der Menschen, der
Familien und auch der Standortgemeinden aufzunehmen.
Das hat er immer wieder bewiesen. Darauf sind wir stolz.
Wir hoffen, dass diese Reform über diesen Weg zu einem
guten Ende kommt.
({2})
Ich
schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Entschlie-
ßungsanträge auf Drucksachen 14/5220 und 14/5236 zur
federführenden Beratung an den Verteidigungsausschuss
und zur Mitberatung an den Auswärtigen Ausschuss, den
Haushaltsausschuss und den Ausschuss für die Angele-
genheiten der Europäischen Union zu überweisen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall.
Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 15 a bis 15 c sowie
Zusatzpunkt 8 auf:
15 a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Wolfgang Börnsen ({0}), Gunnar Uldall,
Ulrich Adam, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU
Die Ostseeregion - Chancen und Risiken ei-
ner Wachstumsregion von zunehmender
weltweiter Bedeutung
- Drucksachen 14/2293, 14/4460 -
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({1}) zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang Börnsen ({2}), Gunnar
Uldall, Dr. Bernd Protzner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Initiative zur Stärkung der Ostseeregion
- Drucksachen 14/3293, 14/4573 Berichterstattung:
Abgeordnete Margareta Wolf ({3})
c) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Jürgen Koppelin, Dr. Helmut Haussmann, Ulrich
Irmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der F.D.P.
Ostseepolitik der Bundesregierung
- Drucksachen 14/3424, 14/4026 ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Franz
Thönnes, Dr. Margrit Wetzel, Dr. Ditmar
Staffelt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der SPD sowie der Abgeordneten Werner Schulz
({4}), Kerstin Müller ({5}), Rezzo
Schlauch und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Die Entwicklung der Ostseeregion nachhaltig
stärken
- Drucksache 14/5226 Zu der Großen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU
liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der PDS vor.
Weiterhin liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der
F.D.P. zu ihrer eigenen Großen Anfrage vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat die
Kollegin Margrit Wetzel von der SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir führen heute eine Debatte
über die Ostseeregion. Ich denke, es ist wichtig, zunächst
einen Schwerpunkt bei der wirtschaftlichen Entwicklung
zu setzen. Handel und wirtschaftliche Entwicklung sind
nämlich eine der wichtigsten Grundlagen auch für Frieden und Sicherheit, für soziale und kulturelle Achtung sowie für politische Stabilität. Deutschland ist für einige
Länder der wichtigste Handelspartner im Netzwerk der
Ostseeanrainerländer. Damit sind wir auch Motor in den
anderen uns verbindenden Sektoren; denn in Länder, mit
denen wir handeln, reisen wir. Das fördert nicht nur den
beidseitigen Tourismus mit seinen positiven wirtschaftlichen Begleiterscheinungen, sondern auch das Verstehen
der vielfältigen Kulturen und Sprachen, die sich rund um
die Ostsee begegnen. Frieden und Sicherheit, kulturelle
Beziehungen und soziale Entwicklung aber sind wesentliche Voraussetzungen für die Verfestigung der regionalen
Identität, die wir gemeinsam als Wachstumsregion Ostsee
entwickeln wollen.
Es geht, liebe Kolleginnen und Kollegen von der
CDU/CSU - ich darf in diesem Zusammenhang an die
Einbringung Ihrer Große Anfrage erinnern -, nicht um
eine deutsche Strategie für die Ostseeregion, sondern
darum, gemeinsam in guter Kooperation eine europäische
Politik der aktiven Gestaltung des Nordens mit unseren
Partnerländern voranzutreiben. Das ist es, wozu unsere
Regierung den Vorsitz im Ostseerat aktiv nutzt; das ist es,
woran die nördlichen Bundesländer - Frau Simonis wird
uns noch Beispiele dafür geben - in täglicher Praxis arbeiten. Wir wollen die Ostsee selbst als das pulsierende
Herz der Region begreifen.
Lebensader der Wirtschaft sind die Verkehrswege. Die
Straßenverbindungen sind durch die großen Brückenbauwerke erheblich verbessert worden. Aber wir
brauchen Straßen und vor allem Schienenwege rund um
die ganze Ostsee als leistungsfähiges Verkehrsnetz, das
die Schnitt- und Umschlagsstellen der Ostseehäfen
verbindet und schnelle Anschlüsse der Verkehrswege ins
Hinterland ermöglicht. Übrigens nicht nur das Hinterland,
auch der Nord-Ostsee-Kanal verdient hier Erwähnung, ist
er doch schließlich eine der Hauptschlagadern des Handels zwischen der Ostseeregion und Übersee.
Die Ostsee hat nichts Trennendes mehr. Sie ist ein
verbindendes Meer, das der ökologisch unbedenklichste
und sicherste Verkehrsweg überhaupt ist. Für Handel und
Tourismus quer über die Ostsee und an den Küsten sind
und bleiben die Schiffe mit ihren vielfältigen Möglichkeiten des Massentransports, der Spezialtransporte,
der High-Speed-Beförderung, der Fähren, aber auch der
komfortablen Kreuzfahrt im touristischen Bereich unverzichtbar. Deshalb sind wir froh darüber, dass die
Regierung erfolgreich beim Einsatz für mehr Schiffssicherheit war. Wir unterstützen sie energisch darin, die
weitere Förderung des europäischen Schiffbaus voranzutreiben. Dies ist für die gesamten Ostseeanrainerländer wichtig.
Es läuft schon so viel anderes: beispielsweise der Austausch von Studenten und die Kooperation von Forschungseinrichtungen als Teil der Wissensgesellschaft. Im Zeitalter der elektronischen Kommunikation geht es um
internationale Kompatibilität von Geodaten und um die
Erfassung hydrographischer Daten. Wir freuen uns über
die Unterstützung der Institutionen der Wirtschaft beim
Aufbau der kleinen und mittelständischen Unternehmen in
Osteuropa und Kaliningrad.
Aber das reicht noch nicht. Die Unternehmen der verschiedensten Ostseenationen können untereinander auch
jungen Berufstätigen die Chance geben, für eine gewisse
Zeit in den Nachbarländern zu arbeiten. Das erweitert
ihren Horizont, fördert das Verständnis für verschiedene
Kulturen, Arbeits- und Lebensweisen sowie für soziale
Zusammenhänge und ist auch Inbegriff des lebenslangen
Lernens.
An der Stelle fällt mir ein: Haben wir uns eigentlich
schon einmal über gemeinsame Frauenförderung in der
Ostseeregion unterhalten? Ich glaube, nicht wirklich.
({0})
- Schön, dass Sie darauf warten, Herr Koppelin; das habe
ich mir gedacht.
Die Ostseeregion bietet Chancen über Chancen. Wir
sollten sie annehmen und täglich weiter ausbauen.
Umweltschäden halten sich nicht an nationale Grenzen. Hier bestehen ebenfalls Chancen, sie zu bewältigen.
Ich denke, die Ostseeregion ist das beste Beispiel für ein
echtes gemeinsames Küstenzonenmanagement - nicht
so, wie es auf EU-Ebene diskutiert wird, sondern wirklich
im Hinblick auf ein gemeinsames Verstehen und Begreifen der Zusammenhänge von Natur-, Umwelt-,
Küsten- und Klimaschutz.
({1})
Die Nutzung gemeinsam vorangebrachter umweltschützender Technologien, die auch den in ihrer wirtschaftlichen und technischen Entwicklung hinterherhinkenden Ländern sofort zur Verfügung stehen müssen,
kann den Begriff der nachhaltigen wirtschaftlichen Entwicklung zur Leitidee der großen europäischen Wachstumsregion Ostsee machen, sozial, ökonomisch und ökologisch stark.
({2})
Deshalb danken wir - wenn ich das an dieser Stelle
sagen darf - Franz Thönnes als dem unheimlich aktiven
Vorsitzenden der Deutsch-Skandinavischen Parlamentariergruppe für seine Aktivitäten in diesem Zusammenhang.
({3}): Wieso
eigentlich „unheimlich“?)
Regierung und Koalitionsfraktionen sagen Ja zur
Wachstumsregion Ostsee.
Ich bedanke mich fürs Zuhören.
({4})
Als
nächster Redner hat der Kollege Wolfgang Börnsen von
der CDU/CSU-Fraktion hat das Wort.
Herr
Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich anerkenne, dass heute, bei der dritten Debatte um die Ostseeregion, zum ersten Mal der Vorsitzende des Ostseerates,
der Außenminister, persönlich anwesend ist. Ich habe
zweimal seine Abwesenheit kritisiert und will deshalb
ausdrücklich anerkennen, dass er heute mit dabei ist, was
mich aber nicht daran hindern wird, zu der bisherigen Ostseepolitik kritisch Stellung zu nehmen.
({0})
- Das ist prima; er wird auch darauf antworten.
Die augenblickliche Ostseepolitik gleicht, ob man will
oder nicht - wir kennen uns ja beide aus in dem Bereich,
Franz Thönnes -, eher einem kastrierten Kater: Der wird
immer dicker und was ihm fehlt, ist die Potenz.
({1})
Seit dem 1. Juni 2000 hat Deutschland die Präsidentschaft im Ostseerat. Ich wünschte, ich könnte sagen,
Herr Außenminister, Sie hätten die Aufgabe mit Kraft und
Kreativität angetreten.
({2})
Aber Fehlanzeige. Es gibt keine Ostseekooperation mit
einem Konzept.
({3})
Es gibt wenig Pläne, viel Lyrik und keine genaue Ausrichtung der Ostseepolitik.
Jetzt, acht Monate später, kann man das feststellen. Die
Administration hat gewollt, doch der politische Wille hat
gefehlt. Es ist klargeworden, dass man keine Vision hat,
diesen geteilten Musterraum in Europa in eine Vorzeigeregion umzuwandeln.
({4})
Fünf Punkte hat Außenminister Fischer den Parlamentariern der 9. Ostseekonferenz in Malmö vortragen lassen.
Er selber hat absagen müssen, war nicht anwesend - das
erste Mal, dass der Vorsitzende des Ostseerates nicht anDr. Margrit Wetzel
wesend war. Das war ein Affront gegenüber elf Parlamenten. Darüber kann ich nicht lachen. Meine Freunde in
Dänemark, Schweden und Norwegen haben das als ausgesprochen unpassend empfunden. Deren Außenminister
waren da.
({5})
Das wirtschaftliche Gefälle zwischen Ost und West, so
hat er mitteilen lassen, wolle man abbauen. Das war die
Ankündigung. Tatsächlich ist die Schere zwischen Reich
und Arm im Ostseeraum weiter aufgegangen. Das Bruttoinlandsprodukt steigt im Westen und stagniert im Osten.
In Lettland verdient ein Arbeitnehmer im Jahr durchschnittlich 3 800 DM, in Finnland 40 000 DM. Das ist
mehr als zehnmal so viel.
({6})
Das bedeutet, dass wir mit der Wirtschaftsförderung im
Osten ansetzen müssen. Es gibt von uns kein Direktprogramm zur Förderung des Ostseeraumes. Schweden investiert dafür 1 Milliarde DM im Jahr.
({7})
Bei uns: Fehlanzeige. In der Antwort auf unsere Große Anfrage sagt die Bundesregierung sogar, sie erwäge derzeit
nicht, ein eigenes Regionalprogramm für die Ostseekooperation aufzulegen. Franz Thönnes, Sie und viele andere
haben das gewollt und gewünscht. Wir sind Haupthandelspartner aller Länder. Aber um es auch in Zukunft
zu bleiben, wird derzeit nichts getan. Das ist kurzsichtig.
({8})
Die überwiegende Zahl der Programme zur Stärkung
der jungen Demokratien in diesem Raum - von INTERREG bis TACIS - kommt aus Brüssel, nicht aus Deutschland. Aber die östlichen Ostseeanrainer kommen damit
nicht aus. Wir müssen selbst etwas tun.
Aber es geht nicht nur um die finanzielle Förderung.
Wir sind leider auch bei der strukturellen Förderung
passiv. Der Ausbau der Verkehrswege rund um die Ostsee
stagniert: bei der Straße, bei der Schiene, beim
Flugverkehr. Dies gilt auch für unsere gemeinsame
Forderung, mehr Verkehr von der Straße auf das Wasser
zu bringen, „From Road to Sea“ umzusetzen.
({9})
Bei der Fehmarnbelt-Querung gilt das Gleiche. Unser
nördlicher Nachbar Dänemark schafft in einem Jahrzehnt
den Bau zweier großer Brückenprojekte, über den Großen
Belt und über den Oeresund. Wir schaffen Sprechblasen.
({10})
Von der jetzigen Regierung ist nicht einmal die
Fortschreibung des Bundesverkehrswegeplans in die Tat
umgesetzt worden und es kommt auch nicht dazu. Der
Bundesverkehrswegeplan wäre wirtschaftlich und
rechtlich notwendig und international geboten. Der Plan
wird bis nach der Bundestagswahl ausgesetzt und damit
herrscht auch Stillstand bei dringenden Strukturmaßnahmen für die Ostseeregion. Oder wird es noch zu einem
Bundesverkehrswegeplan kommen? Alle Informationen
sagen: Nein. Stillstand herrscht in der Ostseeregion hinsichtlich dringender Strukturmaßnahmen. Das ist das
eigentliche Problem.
({11})
Ein weiteres Beispiel für eine Ostseepolitik im Rückwärtsgang ist, Herr Außenminister - auch wenn Sie sich
darüber amüsieren -, Ihr Programm „Zwei Stunden in
2000“, das Sie zur Grenzabfertigung aufgelegt haben.
Damit soll die Grenzproblematik - an den östlichen
Grenzen gibt es lange Staus - gelöst werden. Was hat
man jetzt gemacht? Das Programm ist geblieben, aber
statt „Zwei Stunden in 2000“ hat man es nunmehr „Zwei
Stunden in 2001“ genannt. Es wurde zwar das Datum
geändert, damit aber nicht die Bürokratie bei der Grenzabfertigung abgebaut. 40 Stunden stehen Brummis an
der Grenze.
({12})
Das ist für Menschen und Wirtschaft eine Zumutung.
Nicht das Datum ist zu ändern, sondern die Grenzbürokratie gilt es abzubauen. Da ist mehr zu tun, als nur darüber zu reden.
({13})
Ich spreche in diesem Zusammenhang auch die Hilfsorganisationen an. Viele, die hier sitzen, sind selbst engagiert, den baltischen Staaten wirklich Hilfe zukommen
zu lassen. Weder Kirchen noch Jugendverbände haben
zurzeit Chancen, ihre Hilfsgüter über die Ostsee zu bringen. Es wird ihnen immer schwerer gemacht, die Bürokratie zu überwinden.
({14})
Damit wird Hilfsbereitschaft unterbunden. Wir appellieren, das Gegenteil umzusetzen, nämlich die gute Tat Tausender von Menschen zu fördern, damit Hilfsmaßnahmen auch an ihrem Ziel ankommen.
Gut 160 Milliarden DM umfasst der durchschnittliche
jährliche Handel Deutschlands mit dem Ostseeraum. Er
hat den gleichen Umfang wie der Handel mit den Vereinigten Staaten und Japan zusammen. Dies ist ein
Riesenpotenzial.
({15})
Das Entwicklungspotenzial wird von den Experten für
die nächsten zehn Jahre auf 100 Prozent bis 250 Prozent
geschätzt. Das heißt, es ergeben sich große Chancen für
Betriebe in unserem Land und damit auch für unsere
Arbeitsplätze.
Wolfgang Börnsen ({16})
({17})
Deutschland muss als Drehscheibe zwischen Nordostund Mitteleuropa eine aktive Rolle in der Ostseeinfrastrukturpolitik einnehmen. Ich will Ihnen zeigen, wie aktiv Ihre Rolle dagegen ist: Sie lassen es zu, dass ein Gütertransport per Bahn von Kopenhagen nach Berlin
18 Stunden und per LKW 8,5 Stunden dauert.
({18})
Das ist ökonomisch und ökologisch unvertretbar. Da muss
man ansetzen. Sie wollten das umsetzen, haben das bisher
aber nicht erreicht.
({19})
Anerkennung sollte man den IHK rund um die Ostsee
zollen,
({20})
die in Eigeninitiative einen Wirtschaftsring um die Ostsee
errichten. Die IHK Kiel ist wesentlicher Motor im Rahmen dieser Initiative.
Der Außenminister hat versprechen lassen, die Wissensgesellschaft in der Ostseeregion zu stärken. Es hat in
den letzten acht Monaten keine wirkliche Initiative dazu
gegeben. Nicht einmal die Eurofakultät in Kaliningrad ist
zu nennen, deren Grundstock bereits 1992 gelegt worden
ist. Nein, wir fordern eine wirkliche Bildungsoffensive
für den Ostseeraum, für die Universitäten im Ostseeraum.
Dort gibt es über 100 Hochschuleinrichtungen, deren Vernetzung ebenso notwendig ist wie ein Ostseehochschulgipfel. Die Anerkennung von privaten Initiativen
wie der Professor-Petersen-Stiftung, die junge Wissenschaftler in die Lage versetzen, im Ostseeraum aktiv
zu sein, ist wichtig.
Der Außenminister hat im Ostseerat versprechen
lassen, die Ostseeländer zu stärken. Er hat auf der Konferenz mitteilen lassen, er hoffe, dass der EU-Beitritt der
ersten Gruppe der Kandidaten am 1. Januar 2005 vollzogen werde. Das kann man wörtlich nachlesen. Er soll
nicht hoffen, er soll handeln. Vielleicht wird er es heute
korrigieren und sagen, wie er sich das Konzept für alle
Ostseeanrainer vorstellt. Nach unserer Auffassung, Herr
Außenminister, gehören die baltischen Staaten gemeinsam in die Europäische Union und nicht, wie es Ihr
Vertreter gesagt hat, in unterschiedlichem Tempo. Wir
sind auf jeden Fall dafür, dass die Ostseeländer gemeinsam Mitglieder der Europäischen Union werden.
Sie haben mitteilen lassen, dass der Ostseeraum zu
einer Modellregion der Nachhaltigkeit werden soll. In
Ihrer Antwort auf unsere Große Anfrage steht das Gegenteil. Die Ostsee ist leider fern davon, ein ökologischer
Modellraum zu sein. Zunehmende Planktondichte, ein
sinkendes Artenspektrum und hohe Schadstoff- und
Nährstoffeinträge sind nur ein paar der Probleme, die in
der Ostsee wieder mehr und nicht weniger werden. So
steht es in der Antwort auf unsere Anfrage. Wir sind der
Auffassung, dass man nicht von dem Ziel, eine saubere
Ostsee zu erreichen, abrücken darf. Darum müssen wir
uns gemeinsam bemühen.
({21})
Der Außenminister hat in Malmö versprechen lassen,
dass es zu einer Stärkung der Zivilgesellschaft kommen
wird. Er hat ausdrücklich betonen lassen, es müsse eine
Beteiligung der Parlamente geben. Die Wirklichkeit
sieht anders aus. Bis auf die jährliche Ostseeparlamentarierkonferenz gibt es für die 100 Parlamentarier aus elf
Ländern wenig zu sagen im Ostseeraum. Während die Europäische Kommission am Tisch des Ostseerates sitzt, ist
die Parlamentarierkonferenz ausgeklammert.
Ich habe den Eindruck, dass es alle Beteiligten - dazu
gehört auch Franz Thönnes ({22})
für nötig halten, dass die Ostseekonferenz auch Sitz und
Stimme im Ostseerat erhält. Wenn es nicht nach zehn Jahren zu einer Reform kommen kann, dann frage ich: Wann
denn sonst? Es ist jetzt an der Zeit, das umzusetzen, was
der Außenminister selbst wünscht.
Die Regierung lässt sich bei der Ostseepolitik leider
vertreten: in der Finanzierung durch Programme der Europäischen Union; ferner verlegt sie eine Reihe von Aufgaben auf Nichtregierungsorganisationen, ohne selbst zu
gestalten, und sie delegiert die Ostseearbeit mehr und
mehr auf die norddeutschen Bundesländer.
Die norddeutschen Bundesländer waren zwar schon
immer aktiv - hier möchte ich den Kollegen Walter ganz
besonders nennen -, doch die Kompetenz der Länder
reicht nach unserer Verfassungslage dafür nicht aus.
Schleswig-Holstein ist nun wirklich kein gleichberechtigter Partner von Russland, Polen und Schweden. Die
Bundesrepublik ist es. Deswegen ist es hier nicht möglich,
Aufgaben zu delegieren. Es ist falsch, dass die Bundesregierung außen- und wirtschaftspolitische Belange
auf die Schultern der Bundesländer abwälzt. Das ist zwar
vor Ort eine prima Sache, aber es geht nicht an, dass man
die Aufgaben trennt.
Die Ostseepolitik bleibt eine nationale Aufgabe. So
wird sie von allen Ostseeanrainern praktiziert. Sie alle
wissen, dass die existenziellen Herausforderungen wie
Sicherheitspolitik, Ökologie, Demokratieförderung, Aufbau von Verkehrsinfrastruktur, Bekämpfung organisierter
Kriminalität und Menschen- und Minderheitenrechte für
alle Staaten Themen sind, die von den nationalen
Regierungen und ihren Parlamenten angepackt werden
müssen, aber nicht von Landesregierungen.
Auch der Sachverhalt, dass die Lebenserwartung in
Skandinavien durchschnittlich bei 80 Jahren liegt - in
Russland liegt sie bei 57-, muss uns einen Anstoß geben,
darüber nachzudenken, weil dieser Unterschied auch
Wanderungsbewegungen auslösen könnte. Wer das nicht
will, muss zu einer aktiven Ostseepolitik kommen, muss
dazu beitragen, dass die Probleme gerade bei den östliWolfgang Börnsen ({23})
chen Ostseeanrainern abgebaut werden, dass die jungen
Demokratien gefördert werden.
Die Bundesregierung ist dabei, der Ostseepolitik den
Rang einer Regionalpolitik zuzuweisen.
({24})
Das geht nicht; sie darf nicht degradiert werden. Damit
verfährt die rot-grüne Bundesregierung nach der Devise,
Schecks auf eine Bank zu ziehen, bei der sie kein Konto
hat.
Danke.
({25})
Für die
Bundesregierung hat jetzt der Bundesminister Joseph
Fischer das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Börnsen,
wir haben es heute und auch in den vergangenen Tagen
mehrfach erlebt, dass Opposition weiß Gott ein schwieriges Geschäft ist, dass man verzweifeln kann und das Gedächtnis ausschalten muss.
({0})
Denn Sie haben ja sehr lange regiert.
Man könnte geradezu meinen, Sie hätten an die rotgrüne Bundesregierung den Vorwurf gerichtet, dass es uns
in zwei Jahren nicht gelungen sei, im Norden ein europäisches Brückenbauprojekt hinzubekommen. Wenn ich
mich richtig entsinne - es tut mir Leid, dass ich Ihnen dieses banale Argument entgegenhalten muss -, hat Ihre Partei 16 Jahre regiert. Sie haben gesagt, die Dänen hätten es
in zehn Jahren geschafft, zwei herausragende Projekte
von europäischem Rang - ich selbst hatte die Gelegenheit,
über eines, die Oeresund-Brücke, zu laufen - hinzubekommen.
({1})
Wenn ich mich richtig entsinne, haben Sie, Herr Börnsen,
das nicht geschafft.
Sie haben das Problem der Verkehrsanbindung Schleswig-Holsteins erwähnt. Wir alle haben das ja erlebt, dass
wir in Hamburg-Altona umsteigen mussten, weil Strecken
nicht elektrifiziert waren; ich selber habe das x-mal auf
dem Weg in den Wahlkampf, zu politischen Veranstaltungen, bei privaten Besuchen oder Urlaubsfahrten erlebt.
Das liegt doch nicht an der rot-grünen Bundesregierung.
Vielmehr stellen Sie sich hier mit einem Wunschkatalog
hin und vergessen, dass Sie die Verantwortung in den vergangenen 16 Jahren hatten. Dieser Verantwortung müssen
Sie sich stellen.
({2})
Im Übrigen finde ich, Sie machen einen Riesenfehler.
Sie tun gerade so, als wenn es sich bei der Ostseeregion ich meine nicht nur die deutschen Bundesländer; ich
meine nicht nur Ihr eigenes wunderbares Bundesland
Schleswig-Holstein; ich meine auch unsere skandinavischen Nachbarn - um die Problemregion in der EU handeln würde. Das ist doch nicht der Fall.
({3})
Vielmehr ist es eine Region mit enormen Chancen und mit
einem enormen Wachstumspotenzial. Es ist eine der zukunftsfähigsten und wird in Zukunft auch eine der reichsten Regionen in der Europäischen Union sein. Ich wollte,
wir hätten in den anderen Regionen die Probleme, die wir
im Ostseeraum haben - mit einigen Ausnahmen; darauf
komme ich gleich zu sprechen -,
({4})
dann hätten wir wenig Probleme.
({5})
Herr Kollege Börnsen, Sie haben auch dem Kollegen
Scharping vorgehalten - ich sage Ihnen, ich weiß, wie
schwer das Oppositionsgeschäft ist; ich fordere Sie aber
auf: Seien Sie nicht so ministerfixiert -, dass die Parlamentarische Staatssekretärin die Bürgermeister empfangen habe; mir werfen Sie vor, dass ich bei der von Ihnen
erwähnten Konferenz nicht gewesen bin. Sie sagen, das
sei eine Missachtung gewesen.
({6})
- Das war es natürlich nicht. Ich habe doch nicht zu Hause
gelegen und war der Meinung: Ich muss mir den Börnsen
nicht anhören. - Vielmehr hatte ich dringende andere Verpflichtungen. Darüber hinaus möchte ich Ihnen sagen:
Die Parlamentarischen Staatssekretäre sind ja Kolleginnen und Kollegen von Ihnen. Es wird ja immer so getan,
als wären sie Vertreter minderen Ranges. Diese Institution
ist aus der Mitte dieses Hauses eingerichtet worden.
({7})
Es handelt sich dabei um Kolleginnen und Kollegen, die
selbstverständlich die Politik des Hauses vertreten. Das
hat doch mit Missachtung nichts zu tun. Der Staatsminister muss mich ja auch an anderer Stelle vertreten.
({8})
Wolfgang Börnsen ({9})
- Ich bekenne offen, Herr Kollege Börnsen: Es ist mir in
den zwei Jahren bisher nicht gelungen, das alte theologische Problem der Ubiquität zu lösen. Deswegen werde ich
auch in Zukunft dann und wann vertreten werden müssen.
Zur Sache: Ich warne davor, die Ostseeraumpolitik zu
überladen. Wir werden die bestehenden Probleme, zum
Beispiel das Sozialgefälle und das Gefälle im Hinblick
auf die Lebenserwartung der Bevölkerung von Russland
und der Bevölkerung der skandinavischen Länder, nicht
zuerst über die Ostseeraumpolitik lösen können.
({10})
Das wäre eine völlige Überfrachtung dessen, was ein solcher regionaler Ansatz leisten kann.
Wir sind sehr der Meinung, dass dieser Ansatz eine
große Zukunft hat. Allerdings sollten wir dabei, Herr Kollege Börnsen, nicht als Erstes nach neuen Regionalprogrammen rufen. Wenn ich mich richtig entsinne, hat die
neue Bundesregierung kein nationales Regionalprogramm vorgefunden und dann eingestellt. Mitnichten!
Nachdem Sie jetzt in der Opposition sind, fordern Sie
plötzlich nach dem Motto „Opponieren kostet nichts“ ein
zusätzliches Regionalprogramm, wobei Sie genau wissen,
dass die dazu erforderlichen nationalen Mittel angesichts
der von uns zu leistenden Haushaltssanierung nicht vorhanden sind. Das ist eine Form von, wie ich finde, sehr
billiger Oppositionspolitik.
Bei der Bundeswehr, die man zum Ersatzteillager denaturiert hat, ruft man jetzt nach mehr Geld. Gleichzeitig
fordert man, für den Ostseeraum und die Landwirtschaft
sollten nationale Zusatzmittel zur Verfügung gestellt werden, das Wunder Steuersenkung sollte finanziert werden
und am Ende sollte auch noch eine Sanierung der Staatsfinanzen herauskommen. Das kann man im Parlament
von Wolkenkuckucksheim realisieren, aber nicht in diesem irdischen Jammertal. Auch wenn man der CDU/CSU
angehört, wird man das nicht schaffen.
({11})
Ich will Ihnen sagen, warum ich nicht auf dieser Ostseekonferenz war. Ich habe mir die Termine heraussuchen
lassen. Gleichzeitig war die erste Botschafterkonferenz
- sie war seit langem festgelegt -, die die Bundesrepublik
Deutschland abgehalten hat. Sie hat am 4. und 5. September 2000 stattgefunden. Es war unverzichtbar, dass der
Bundesaußenminister in Person an dieser Botschafterkonferenz teilgenommen hat. Das wollte ich hier nur einmal betonen. Daran kann man sehen, wie haltlos Ihre Vorwürfe sind.
({12})
Herr
Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Börnsen?
Ja.
Bitte
schön, Herr Börnsen.
Ich bedanke mich, dass ich dazu eine Zwischenfrage stellen
kann.
Herr Minister, ist Ihnen anhand Ihres Terminkalenders
auch deutlich geworden, dass Sie der Landtagspräsident
von Schleswig-Holstein bereits neun Monate vor Beginn
dieser Konferenz angeschrieben und gebeten hat teilzunehmen? Er hat sechs Monate auf die Antwort gewartet.
Auch in der ersten Antwort hat er keinen Hinweis auf die
Botschafterkonferenz bekommen. Erst nachdem er noch
einmal nachgefragt hat - Herr Arens ist ein engagierter
Ostseevertreter -, hat er den Bescheid bekommen, dass
Sie sich vertreten lassen würden. Das ist, so finde ich, ein
Zeichen dafür, dass Sie sich als Vorsitzender nicht um die
Belange dieser Konferenz gekümmert haben.
({0})
Herr Kollege Börnsen, Sie interessiert wohl die Botschafterkonferenz nicht sonderlich. Ich will Ihnen die Gründe
nennen, warum ich an der Ostseekonferenz nicht teilgenommen habe:
({0})
- Nein, hätte sie nicht. Sie war langfristig geplant. Das ist
keine Kleinigkeit. - Angesichts der geplanten umfassenden Reform des Auswärtigen Dienstes war es erstens unverzichtbar, diese Konferenz durchzuführen, und zweitens unverzichtbar, dass ich anwesend war. Also,
akzeptieren Sie das doch einfach! Lassen Sie uns an diesem Punkt keinen Scheinkonflikt führen oder eine Herabstufung vornehmen! Das Gegenteil davon ist richtig.
({1})
Die EU-Osterweiterung bietet eine gewaltige
Chance. Es wird jetzt zu einer Zwischenphase kommen;
danach wird die Ostsee faktisch zu einem EU-Binnenmeer werden. Ganz entscheidend wird es dabei darauf ankommen, dass wir Russland in seinen regionalen Interessen, und zwar vor allen Dingen unter den Gesichtspunkten
der Wirtschafts-, Wissenschafts- und Infrastrukturförderung, aber auch der Sicherheitspolitik - dies ist für mich
ein sehr wichtiger Gesichtspunkt; Rüstungsfragen, Abrüstungsfragen und regionale Stabilitätsfragen spielen dabei
eine große Rolle -, unterstützen.
Wie vorsichtig wir dabei allerdings sein müssen, zeigt
sich daran, dass die in der britischen Presse erschienene
Zeitungsente, Deutschland wolle die Region Kaliningrad/Königsberg zurückhaben, dazu führte, dass mich
verschiedene Kollegen am Rande des Allgemeinen Rates
sofort darauf angesprochen haben, nach der Devise: Ist
denn da was dran? Das heißt, gerade die Region Kaliningrad/Königsberg müssen wir bei unseren Nachbarn mit
der notwendigen historischen Sensibilität behandeln,
ohne uns gleichzeitig zurückzuhalten, wenn es um gemeinsame Entwicklungschancen und um die Integration
dieser Region in den Ostseeraum geht.
({2})
Für uns ist aber folgender Punkt ganz entscheidend
- ich möchte die Kollegen darauf hinweisen -: Wir erleben natürlich gegenwärtig, dass die nordischen EU-Mitgliedstaaten gleichzeitig mit der Frage der nördlichen Dimension ernst machen. Das sind im Grunde genommen
zwei parallele Ansätze. Das heißt, wir müssen verhindern,
dass hier Doppelstrukturen entstehen, die sich dann gegenseitig blockieren, und dass es zu einer Überfrachtung
kommt. Aus meiner Sicht wird die Ostseekooperation erst
dann wirklich anlaufen, wenn die Ostsee faktisch ein EUBinnenmeer sein wird. Dies wird im Zusammenhang mit
dem Beitritt von noch größerer Bedeutung sein.
Eine EU der 27 wird natürlich für die regionale Kooperation eine ganz andere Bedeutung haben. Herr Kollege Börnsen, ohne dass wir uns als Bund verabschieden
wollen, sehe ich den Regionalansatz der Bundesländer als
ganz entscheidend an. Das heißt nicht, dass wir uns aus
der Verantwortung zurückziehen, im Gegenteil. Aber es
ist doch unsere Stärke, dass wir Bundesländer mit höchst
unterschiedlichen Interessenausrichtungen haben. Bayern
interessiert sich dafür weniger als Schleswig-Holstein,
Mecklenburg-Vorpommern und andere nördliche Bundesländer. Dies ist ein großer Vorteil, weil wir dadurch bei
der Kooperation flexibler sind und gleichzeitig im EUVerbund in Verkehrsfragen, Bildungsfragen, Fragen der
Wissenschaftskooperation, der Wirtschaftsförderung und
Wirtschaftskooperation eine ganz andere Flexibilität haben als etwa Berlin oder - wenn Sie noch höher gehen Brüssel. Ich finde, hierin liegt eine große Chance.
Im Übrigen geht es auch um Organisationsgrößen.
Sie haben die baltischen Staaten und Dänemark erwähnt.
Dies sind Staaten, die von der Größenordnung her durchaus in der Lage sind - auch was die Wirtschaftskraft betrifft -, mit unseren Bundesländern zu kooperieren. Ich
sehe hierin keine Alternative, sondern eine hervorragende
Ergänzung. Ich kann nur nochmals betonen, dass die Bundesregierung hierin einen ganz entscheidenden Punkt für
unsere Außen- und vor allen Dingen für unsere Europapolitik sieht.
Hinsichtlich der Erweiterung um die baltischen Staaten
stimme ich Ihnen zu. Entscheidend wird aber sein, dass
sie die Kriterien von Stockholm erfüllen.
({3})
Jetzt geht es aber weiter: Es gibt einen noch wichtigeren
Ostseeanrainer, den Sie nicht erwähnt haben, und zwar Polen, der auch wirtschaftlich und politisch für uns von überragender Bedeutung ist. Das dürfen wir nicht vergessen.
({4})
Damit ich nicht missverstanden werde: Für mich ist das
kein Entweder-oder zwischen baltischen Staaten und Polen. Ich möchte hier wirklich nicht missverstanden werden.
({5})
- Ja, da kann ich Ihnen nur zustimmen. Es geht um alle
vier.
({6})
- Gemeinsam, wenn sie die Kriterien, die wir in Helsinki
festgelegt haben, erfüllen. Es darf keine politische Kulanzentscheidung geben. Daran arbeitet die Bundesregierung.
Gegenwärtig liegt unser eigentlicher Schwerpunkt auf
der EU-Osterweiterung. Die EU-Osterweiterung wird
der wichtigste Beitrag auch für Schleswig-Holstein, für
Mecklenburg-Vorpommern und die anderen ostdeutschen Bundesländer sein. Hierin liegt für unsere neuen
Bundesländer und übrigens auch für die Grenzregionen
in Bayern und für Schleswig-Holstein die große Chance.
Dies wird eine erhebliche Entwicklungsdynamik auslösen.
In diesem Zusammenhang brauchen wir dann nicht
mehr groß über neue Strukturfonds, regionale Fördermittel oder Ähnliches zu diskutieren. Diese brauchen wir im
Zusammenhang mit den Grenzgebieten. Hier hat es diese
Bundesregierung durchgesetzt, dass im Zusammenhang
mit der Erweiterung für die neuen Bundesländer und Bayern als Beitrittsgrenzland ein neuer Fonds aufgelegt wird,
um eine regionale Strukturanpassung und um für einen
bestimmten Zeitraum eine, was die regionale Wirtschaft
betrifft, nicht konfrontative, sondern kooperative Lösung
zu ermöglichen. Die Bundesregierung ist bereit, diese
Chancen umfassend zu nutzen. Aber ich sage auch ganz
offen: Schwerpunkt ist für uns jetzt wirklich, im Interesse
aller Beteiligten die Erweiterung zu einem erfolgreichen
Abschluss zu bringen.
({7})
Dennoch ist die Stärkung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit in dieser Region die große Zukunftschance. Zu
den Infrastrukturprojekten hat auch gerade der Bundeskanzler klargemacht, dass wir ein Interesse daran haben,
die Verkehrsanbindung und hier vor allen Dingen die
Nord-Süd-Anbindung zu verbessern. Dagegen wird man
wenig sagen können.
Sie fordern, es solle mehr Verkehr auf die Schiene
kommen. Meine Güte! Wir haben die Bundesbahn nun
einmal so vorgefunden, wie sie ist. Wenn das jemand bedauert, dann diese Bundesregierung. Das können Sie
glauben. Aber wir können die Dinge nicht schönzeichnen.
Sie sind lange genug schöngerechnet worden. Uns sind
doch allen die Augen übergegangen, als wir von den Defiziten erfahren haben.
Zu Großprojekten: Dort, wo ich zu Hause bin, in
Frankfurt am Main, wurde ein milliardenschweres
Großprojekt geplant. Es hieß „Frankfurt 21“. Diese gab es
auch noch woanders.
({8})
Dies war alles nicht bezahlbar.
({9})
Dies ist alles nicht bezahlbar, wenn Sie gleichzeitig die
Verschuldung betrachten und auch noch die Dinge geleistet werden sollen, von denen Sie gesprochen haben. Auch
ich würde mir wünschen, dass die Schiene als Verkehrsträger beim Gütertransport heute schon wettbewerbsfähig
wäre und nicht erst wettbewerbsfähig gemacht werden
müsste. All das sind Dinge, die wir vorgefunden haben;
die können Sie uns nicht anlasten.
Die „Wissensregion Ostsee“ ist ein weiterer ganz entscheidender Punkt, an dem wir arbeiten wollen. Dazu
wird es an der Humboldt-Universität in Berlin und an der
Universität in Kiel im Mai entsprechende Tagungen geben. Die Intensivierung der Kooperation spielt dabei
ebenfalls eine Rolle. Dasselbe gilt für die Zusammenarbeit der Nichtregierungsorganisationen. Auch hier liegt
eine große Chance.
In Bezug auf praktische Fortschritte in der Umweltpolitik, hier vor allem in Verbindung mit den skandinavischen Staaten würde ich mir wünschen, dass Sie als
Angehörige der Unionsfraktion einmal Ihre Position bezogen auf die Ökosteuer etwas „skandinavisieren“ würden. Dann wäre die Kooperation wesentlich einfacher.
({10})
Wenn Sie Dänemark diesbezüglich als Beispiel nehmen,
kann ich Ihnen nur sagen: Nähern wir uns doch den Dänen und ihren entsprechenden Vorstellungen an! Das ist
etwas, was ich ausdrücklich begrüßen würde.
({11})
Herr
Minister, Sie haben natürlich unbegrenztes Rederecht;
aber Sie haben bereits vier Minuten auf Kosten der Fraktion der SPD geredet.
Das tut mir Leid. Ich komme zum Schluss, Herr Präsident.
Ich möchte hier nochmals versichern, dass die Bundesregierung alles tun wird, um die Kooperation im Ostseeraum, aber in enger Einbindung in die sich entwickelnde nördliche Dimension, voranzubringen. Ich
glaube, Frau Ministerpräsidentin Simonis, die nördliche
Dimension in der EU wird immer wichtiger werden. Der
Ostseeraum ist gegenwärtig sozusagen das Forum. Bei
der schwedischen EU-Präsidentschaft werden wir wieder sehen, was wir bei der finnischen Präsidentschaft damals festgestellt haben und was wir vermutlich auch feststellen werden, wenn wir neue Mitglieder haben: dass, vor
allem wenn die Balten noch hinzukommen werden, die
nördliche Dimension innerhalb der Europäischen Union
immer wichtiger werden wird. Das heißt, die Integration
dieser Staaten wird von großer Bedeutung sein. Ich
glaube, das Regionalinstrument der Ostseekooperation
wird in der Außen- und Sicherheitspolitik und in all den
anderen Fragen immer wichtiger. Die Bundesregierung
wird das Ihre dazu beitragen, aus der Präsidentschaft einen Erfolg zu machen.
({0})
Als
nächster Redner hat das Wort der Kollege Jürgen
Koppelin von der F.D.P.-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Deutschland ist wie kaum ein anderer Anrainerstaat von der Entwicklung im Ostseeraum
unmittelbar betroffen. Stabilität und Sicherheit in der gesamten Region liegen vorrangig im deutschen Interesse.
Insofern wäre es mir lieber - das sage ich ganz offen -,
wenn wir versuchten, Vergangenes etwas weiter nach hinten zu schieben, mehr die Gemeinsamkeiten zu suchen
und auch in dieser Diskussion herauszufinden, wo wir uns
gemeinsam engagieren können. Ich werde nachher noch
auf einen Punkt zurückkommen, bei dem wir vielleicht
sogar als Deutscher Bundestag eine Vorbildwirkung hätten.
Die seit nunmehr zehn Jahren unternommenen
Bemühungen um die Ostseekooperation haben - so meinen wir als Freie Demokraten - leider zu einem kaum
übersehbaren Gestrüpp von Gremien und Organisationen
auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene sowie auf
staatlicher und nichtstaatlicher Ebene geführt.
({0})
Die einzelnen Aktivitäten sind sicher positiv; aber ich
meine, hier fehlt die Koordinierung. Eine britische Zeitschrift hat vor einiger Zeit geschrieben, das Ganze sei Aktionismus, der nur Papierberge und heiße Luft hervorbringe. Ich meine, diesen Spiegel müssen wir uns schon
vorhalten lassen.
Das einzige politische Gremium, in dem alle OstseeAnrainerstaaten sowie Norwegen, Island und die EU zusammenarbeiten und das in der Lage wäre, eine vernünftige Struktur in das heillose Durcheinander der diversen
Kooperationsbemühungen zu bringen, ist der Ostseerat.
Aber auch acht Jahre nach der Gründung ist der Ostseerat
trotz aller Bemühungen heute immer noch weit davon entfernt, seine Koordinierungsrolle effektiv wahrzunehmen.
Das kreide ich nicht unbedingt der Bundesregierung allein an; es sind ja noch mehr Partner dabei. Aber eines
steht fest: Seit Juli letzten Jahres haben wir den Vorsitz,
Herr Bundesaußenminister. Da wäre es mir schon lieber
gewesen, wenn Sie, statt noch ein bisschen auf die alte
Koalition zu schimpfen - aber das ist selbstverständlich
Ihr gutes Recht - und statt uns zu sagen, was Sie alles
noch tun wollen, einmal konkret benannt hätten, was Sie
bisher in diesen acht Monaten bewegt haben.
({1})
Ich habe nicht erkennen können, dass Sie gesagt hätten:
Hier und da und dort haben wir Aktivitäten entfaltet. Vielleicht lag es an der Kürze der Zeit, dass Sie nicht in der
Lage waren, diese Punkte zu nennen. Wir als Freie Demokraten sind jedenfalls daran interessiert, dass in der
Zeit, in der wir den Vorsitz noch innehaben, massiv etwas
getan wird.
Herr Bundesaußenminister, Sie müssen sich schon den
Vorwurf gefallen lassen, dass Ihre Bilanz bisher - ich
drücke es einmal vorsichtig aus - mager ausfällt. Ich habe
das vor Ihrer Rede schon geahnt und habe mich hinterher
bestätigt gefühlt. Sie haben zwar - ich möchte es einmal
so formulieren - so manchen Stein in die Ostsee geworfen. Diese haben mir mehr als die früheren Steine gefallen. Aber ich kann nicht erkennen, dass man auf diese
Steine bauen kann.
({2})
Mein Vorschlag ist, dass Sie wirklich einmal darüber
nachdenken: Was können wir in der kommenden Zeit unternehmen, damit der Ostseerat wirklich der Ort wird, in
dem wir für diese Region alle gemeinsam an einem Strang
ziehen?
Es ist schon angesprochen worden: Es gibt ein Projekt,
das man als durchaus positiv ansehen kann, die Euro-Fakultät in Königsberg. Aber das allein reicht nicht. Kürzlich hat der „Focus“ zur Kooperation im Ostseerat geschrieben: „Deutschland muss aus seiner Mitläuferrolle
herausfinden.“ Auch das kann ich nur unterschreiben. Die
Perspektiven für diese Region sind glänzend. Es ist auch
von anderen Rednern darauf hingewiesen worden: Nirgendwo in Europa gibt es bessere Voraussetzungen für
eine positive Zukunft als dort.
Doch die politische Bedeutung dieser Region fällt im
Augenblick, wie ich finde, eher dürftig aus. Ich will diesen Vorwurf nicht nur an die Bundesregierung richten.
Mein Eindruck ist, dass das Thema Ostseeregion bisher in
Brüssel leider nicht die Rolle gespielt hat, die diese Region verdient hätte.
({3})
Wenn wir mit Vertretern in Brüssel - egal, ob das die Regierung oder das Parlament ist - in den entsprechenden
Gremien Gespräche führen, dann sollten wir etwas mehr
Dampf machen und dafür sorgen, dass diese Region in
Brüssel ernst genommen wird.
({4})
Es wird immer gerne aus Zeitungen zitiert. Erlauben
Sie mir, dass auch ich zitiere, nämlich aus der „Neuen
Zürcher Zeitung“. Sie hat sich vor einiger Zeit intensiv
mit dem Ostseeraum beschäftigt. Dazu hat sie geschrieben:
In deutschen Städten und Regionen, bei Wirtschaftsund Kulturkreisen mag der Ostseeraum ein gewisses
partnerschaftliches Interesse wecken. In der Berliner
Außenpolitik hingegen existiert er nicht, zumindest
nicht als Teil der europäischen Idee. Das könnte sich
später einmal bitter rächen.
Ich finde, das ist sehr sachlich dargestellt. Aber über dieses Thema sollten wir uns alle Gedanken machen.
Ich sage noch einmal: Ich will nicht allein der Bundesregierung diesen Vorwurf machen. Wir alle sind hier zum
Handeln aufgefordert. Ich weiß, dass wir viele Partner haben. Kaum eine Region in Europa hat sich in der letzten
Zeit zu einem so dynamischen Handelsraum entwickelt
wie die Ostseeregion. Aber innerhalb dieses Konglomerats aus EU- und Nicht-EU-Staaten, aus beitrittswilligen
Staaten und einer kontinentalen Macht wie Russland sind
die Unterschiede in Bezug auf Wirtschaftspotenzial, technische Entwicklung, Infrastruktur und Umweltstandards
dramatisch. Diese Unterschiede sind einfach zu groß.
Hier liegt die große Herausforderung für den Ostseerat.
Deswegen sage ich: Bis zu unserer nächsten Sitzung - ich
glaube, sie ist in Hamburg - im Juni sollten sich die
Außenminister wirklich überlegen, was sie für diesen Bereich tun können und wie die ganzen Probleme zu meistern sind oder wie zumindest einiges auf den Weg gebracht werden kann.
Die F.D.P.-Bundestagsfraktion hat verschiedene Initiativen ergriffen. Ihnen liegt heute ein Antrag von uns vor.
Weil wir wissen, wie wichtig diese Region ist, haben wir
entsprechende Anträge eingebracht.
Ich will einen Punkt nennen, bei dem sich die deutsche
Seite in positiver Weise engagiert. Ich sage dies als Mitglied des Aufsichtsrats der GTZ. Auch in anderen Fraktionen gibt es Mitglieder, die im Aufsichtsrat der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit sind. Ich will
ein ganz großes Lob für die Arbeit der GTZ aussprechen,
die sich in dieser Region unglaublich engagiert. Ich weiß,
Frau Ministerpräsidentin Simonis, dass Sie mit Vertretern
der GTZ gesprochen haben. Dazu können wir nur sagen:
Hut ab.
Ich will noch etwas zu den politischen Stiftungen sagen, die sich in diesem Bereich ebenfalls engagieren. Ich
denke, auch sie haben ein Lob verdient.
({5})
In diesem Zusammenhang will ich ein Vorbild nennen.
Ich finde es ausgesprochen positiv, dass sich alle Fraktionen des Schleswig-Holsteinischen Landtages einschließlich der Landesregierung - erlauben Sie mir, Frau Ministerpräsidentin Simonis, dass ich meinen Parteifreund und
Ihren Staatssekretär Klaus Gärtner besonders hervorhebe - in diesem Bereich besonders engagieren. Davon könnte sich der Bundestag noch so manche Scheibe
abschneiden. Hier ist dieser Landtag wirklich ein Vorbild.
({6})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Ostseeraum hat
es verdient, dass wir uns für ihn engagieren. Wir sollten
- über Parteigrenzen hinweg - nicht bei diesem KleinKlein bleiben, sondern wir sollten alle zusammen das Ziel
im Auge behalten. Wenn sich der Deutsche Bundestag zusammen mit der Bundesregierung den Landtag und die
Landesregierung von Schleswig-Holstein - bei allen Unterschieden, die man bei einzelnen Punkten haben kann zum Vorbild nehmen, dann bin ich sicher, dass wir in dieser Sache sehr erfolgreich sein werden.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen ein schönes Wochenende, falls wir uns nicht
mehr sehen.
({7})
Als
nächster Redner hat der Kollege Rolf Kutzmutz von der
PDS-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Ostseeraum ist von enormer
wirtschaftlicher und politischer Bedeutung: Hier wurde
und wird Kulturgeschichte geschrieben und hier treffen
sich West- und Osteuropa. Darin besteht große Übereinstimmung, übrigens auch in der Einschätzung der Lage.
Daher begrüßt meine Fraktion das Bekenntnis zur nachhaltigen Stärkung der Entwicklung in dieser Region. Wir
erwarten, dass dies über den zu Ende gehenden Vorsitz im
Ostseerat hinaus andauert. Wir erwarten auch, dass den
wohlwollenden Worten noch mehr als bisher konkrete Taten folgen.
({0})
Der CDU/CSU gebührt das Verdienst, mit einem eigenen Antrag als Erste in diesem Haus frühzeitig die Diskussion angestoßen zu haben. Deshalb, aber auch wegen
vieler inhaltlicher Übereinstimmungen werden wir nachher einer Ablehnung Ihres Antrags nicht zustimmen. Wir
werden ihn also durchaus unterstützen.
({1})
- Das lag daran, dass ich mich schon auf Sie konzentriert
habe.
Auch die F.D.P. unterbreitet heute viele bedenkenswerte Vorschläge, insbesondere zur Qualifizierung der
Arbeit des Ostseerats. Nur eines, verehrte Kollegen Liberale, scheinen Sie übersehen zu haben: Russland grenzt
nicht nur in Kaliningrad, sondern auch um Sankt Petersburg an die Ostsee. Auch dort sollen in einigen Jahren
künftige EU-Außengrenzen - neben der von Finnland die
von Estland - nicht ausgrenzen, sondern verbinden. Eine
von Ihnen hoffentlich unbeabsichtigte Fokussierung ausgerechnet der Bundesrepublik auf das frühere Königsberg
könnte allzu leicht jahrzehntelang durchaus berechtigte
Ängste von neuem schüren.
({2})
Herr Kollege Kutzmutz, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Koppelin?
Ja.
Bitte
schön.
Herr Kollege Kutzmutz,
ich nehme durchaus ernst, was Sie hier vortragen. Aber
darf ich Ihnen einmal unsere Sorge nennen? Unsere Sorge
ist, dass Königsberg allein schon durch seine Lage eine
Armutsregion an der Ostsee werden könnte. Deswegen
haben wir Königsberg besonders herausgestellt. Es ist
nicht das, was Sie hineininterpretieren.
Nein, Herr Kollege Koppelin,
ich habe ausdrücklich von „unbeabsichtigt“ gesprochen.
Ich habe auch den Artikel Ihres Kollegen Kinkel in der
„Welt“ gelesen; ich bereite mich also durchaus auf solche
Diskussionen vor.
({0})
Ich sehe Ihre Sorge. Aber ich sage zugleich: Mich bewegt
die Sorge, dass es auch passieren kann, dass sich Russland, das wir bei der EU-Erweiterung gedanklich einbeziehen müssen, gerade angesichts der Fokussierung darauf vor den Kopf gestoßen fühlt. Nur deshalb habe ich
das angesprochen, nicht, um Ihnen irgendetwas zu unterstellen. Gerade in diesem sensiblen Punkt dürfen sich
Deutsche aber auch nicht der Spur eines Verdachtes aussetzen.
Am Antrag der Koalition verblüfft mich zweierlei: Erstens scheint Abrüstung kein Thema zu sein; denn mit
„Ausbau der Sicherheitskooperation“, wie es in den Forderungen der Koalition heißt, wird dieses wichtige Anliegen, wenn es denn eines ist, wohl arg verschleiert. Zweitens beginnt Hilfe bei regionaler Kooperation offenbar
erst außerhalb der Bundesgrenzen. Ich zitiere auch dazu:
„enge Zusammenarbeit und Abstimmung mit den norddeutschen Ländern“. Das ist das eine. Aber wie steht es
mit aktiver Unterstützung, beispielsweise bei der Vorbereitung angrenzender Staaten auf den EU-Beitritt?
Ich will an dieser Stelle nicht erneut das leidige Thema
der Haltung der Bundesregierung zu Mecklenburg-Vorpommern beim neuen Airbus 380 thematisieren; wir
haben oft genug darüber gesprochen. Der Bundeskanzler
hat aber mehrfach, beispielsweise auf seiner Sommerreise, die Hoffnung auf eine besondere Förderung der
Regionen an der heutigen EU-Außengrenze genährt. Nun
enttäuscht schon, dass sich die Koalition dazu nach wie
vor keine Aussage entlocken lässt, zumal diese Frage mit
der absehbaren stärkeren Ausrichtung Vorpommerns auf
Szczecin gerade auch an der Ostsee akut wird.
({1})
In diesem Zusammenhang stelle ich - besonders nach
der einhelligen Ablehnung durch die anderen Fraktionen
im Wirtschaftsausschuss - noch einmal unsere Haltung
zum so genannten integrierten Küstenzonenmanagement klar. Natürlich kann es nicht um zusätzliches Berichtsunwesen Richtung Brüssel und muss es auch um
Geld für eine neue Politik gehen. Wir befürchten aber,
dass über die Ablehnung der Berichte auch der zugrunde
liegende Ansatz gleich mit beerdigt wird. Aber ohne eine
ganzheitliche Analyse der Situation und der Potenziale
sowie eine Entwicklung darauf aufbauender Strategien,
wie von der Kommission vorgeschlagen, können keine
tragfähigen politischen Leitbilder für die Region geschaffen werden.
({2})
An dieser Stelle sind wir nicht so weit auseinander; jedenfalls habe ich Sie so verstanden, Frau Kollegin Wetzel.
Ohne solche Leitbilder, an deren Umsetzung dann auch
alle Politikbereiche miteinander und nicht gegeneinander
arbeiten, lassen sich aber weder Investoren locken noch
qualifizierte und mobile junge Menschen halten.
Deshalb ist ein solcher Ansatz überall im Land - auch
in Schleswig-Holstein, besonders aber in MecklenburgVorpommern - wichtig, da die übrige Republik an einer
sich dort sonst zwangsläufig weiter vollziehenden Abwanderung junger und der Zuwanderung älterer Menschen kein ernsthaftes Interesse haben kann.
Kurzum: Auch wenn das Thema Ostsee zum politischen Blick auf ferne Gestade geradezu einlädt, darf das
eigene Ufer nicht vergessen werden. Zu beidem legt die
PDS-Fraktion mit ihrem Antrag nicht nur eine politische
Willensbekundung vor, sondern unterbreitet auch ergebnisorientierte Vorschläge.
Wie schon im Vorjahr bekennt sich die Koalition zum
Ostseeraum als einem Modell für wirtschaftlichen Wohlstand, nachhaltigen Umgang mit der Natur, kulturellen
Reichtum und soziale Verantwortung.
Wir hoffen sehr, dass in der Region wirklich spürbar
Aktivitäten in diesem Sinne ausgelöst werden. Gerade
Mecklenburg-Vorpommern hängt sehr direkt und unmittelbar von der Ostseeregion ab. Damit ist die Entwicklung
dieser Region nicht allein ein Gebot des europäischen Einigungsprozesses, sondern zugleich ein wichtiger Beitrag
zur Vollendung der inneren Einheit der Bundesrepublik
Deutschland.
Danke schön.
({3})
Das Wort hat die Ministerpräsidentin des Landes Schleswig-Holstein, Heide
Simonis.
Heide Simonis, Ministerpräsidentin ({0}) ({1}): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten! Herr Kollege Börnsen, ich habe mich über einige
Passagen Ihrer Ausführungen wirklich gewundert. Wenn
man den Regionen, von denen Sie gesprochen haben,
Hilfe geben will, weiß man, was Bürokratie bedeutet. Wir
haben uns im Namen der Nördlichen Dimension bereit erklärt, zusammen mit Mecklenburg-Vorpommern in Kaliningrad und Sankt Petersburg vor allem humanitäre Aufgaben zu übernehmen.
({2})
Wir wissen, dass die betroffenen Helfer teilweise acht
Stunden an der Grenze warten. Das ist aber doch keine
Folge der deutschen Bürokratie, sondern diese Bürokratie
geht von der anderen Seite aus. Was soll die Bundesregierung in diesem Fall tun? Soll sie mit einem Panzer vorneweg fahren und eine Schneise schlagen? Man kann das
Problem doch nur auf diplomatischem Wege lösen. Mit
dem Anklageton, den Sie angeschlagen haben, als Sie forderten, die Bundesregierung solle etwas unternehmen,
kommt man nicht weiter. Ich habe das Gefühl, da haben
Sie auf dem falschen Bein Hurra geschrien.
({3})
Aus der Sicht der schleswig-holsteinischen Landesregierung - die anderen norddeutschen Länder sehen das
genauso - können wir jedenfalls feststellen: Wir werden
von der Bundesregierung in unseren Aufgaben für die
Ostseeregion so unterstützt wie noch nie zuvor.
({4})
Es war Bundeskanzler Gerhard Schröder, der zum ersten
Mal die drei Staaten im Baltikum besuchte und ihnen somit das Gefühl gab, dass sie zu Europa gehören und von
uns wahrgenommen werden. Diese Staaten haben durch
diesen Besuch zum ersten Mal eine Antwort auf ihre
großen Hoffnungen bekommen. Einen solchen Schritt hat
es vorher noch nicht gegeben.
({5})
Es hat sehr viele Entschließungsanträge gegeben, für
die ich mich ausdrücklich bedanke. Die heutige Debatte
zeigt, dass sich auch der Bundestag für diese Region interessiert. Die Norddeutschen sind Ihnen für dieses Interesse dankbar, da wir in der Tat Hilfen benötigen, und
zwar sowohl im Kleinen als auch im Großen.
Wir wollen gerne, dass die Ergänzung und die Erweiterung der Europäischen Union von uns mitbegleitet
wird, weil wir darin eine Chance sehen und bereit sind,
dafür gewisse Investitionen vorzunehmen. Es gibt allerdings Probleme, die wir selbst dann, wenn wir die Nebenaußenpolitik bis zum Gehtnichtmehr ausdehnen, alleine
nicht lösen können. Dazu gehört, dass das, was unter Region Building - als neudeutsches Wort - eingeführt worden ist, stärker durch die Bundesregierung unterstützt
wird.
Neben den wesentlichen Elementen, die Außenminister Fischer in seiner Rede in der Humboldt-Universität
angesprochen hat, braucht Europa auch Bildung von
handlungsfähigen Großregionen, die sich nicht im
Klein-Klein vertrödeln, sondern mit großen, nachvollziehbaren Projekten in Brüssel als Ansprechpartner stärker wahrgenommen werden als Einzelne.
Wir brauchen in diesen neuen territorialen Gruppierungen Bindungen und Formen, die über die alten Grenzen hinausgehen und neue Elemente von Bindung, Wiedererkennung und Sichwohlfühlen in einer Region
ermöglichen. Dazu brauchen wir Flechtwerke, die diese
Zusammenarbeit tragen.
Eine dieser Großregionen ist die Ostseeregion, die
schon jetzt sehr erfolgreich ist und in der Zukunft noch
erfolgreicher werden wird. Es ist eine Region, die ein
Musterbeispiel an Nachhaltigkeit abgeben kann, weil sie
durch die neuen Wege in die Informationsgesellschaft einige der Fehler, die wir in unserer Entwicklung gemacht
haben, überspringen kann und offensichtlich auch bereit
ist, sie zu überspringen.
({6})
Die Länder um die Ostsee haben es sich zur Aufgabe
gesetzt, den Aufbau der Zivilgesellschaften in den Beitrittsländern und in Russland - nicht nur in Kaliningrad, sondern zum Teil auch in Sankt Petersburg; mehr
können wir nicht schaffen - mit zu unterstützen. Wir wollen, dass sich Bürgerinnen und Bürger treffen. Wir wollen, dass die Universitäten und Technikzentren sowie die
Kammern noch stärker zusammenarbeiten, und haben
deshalb Vertreter vor Ort.
Wir wollen, dass unsere Universitäten sich das zunutze
machen, was man unter einer virtuellen Hochschule versteht. Wir haben zum Beispiel mit Polen einen Windenergiepark für die EXPO konzipiert, wir haben in Estland
eine Kläranlage mitfinanziert, wir machen Stadtentwicklungsprojekte in Estland, Litauen und Kaliningrad. Wir
arbeiten bei der inneren Sicherheit zusammen mit den baltischen Staaten - dahin darf der Bund übrigens keine Polizei schicken, das möchten die Länder schon gerne alleine machen, darauf bestehen wir -, wir haben ein
Molkereiprojekt in Estland für die EXPO mit entwickelt.
Wir tun also schon eine ganze Menge.
Unter anderem wird die Landesregierung in diesem
Mai mit rund 60 Jugendlichen aus Schleswig-Holstein
über Krakau und Auschwitz nach Danzig fahren, wo diese
jungen Leute mit polnischen Jugendlichen einen großen
Kongress über die Zukunft Europas gestalten werden
und - das ist bemerkenswert - privat in polnischen Familien untergebracht sein werden. Das ist das Neue an diesem Projekt.
({7})
Wir tun alles, bis wir an unsere äußerste Grenze kommen.
Nun habe ich drei Wünsche an Sie: Ich verstehe ja, dass
die südlichen Mitgliedstaaten jedes Mal, wenn die Ostseeregion auf die Tagesordnung der Europäischen Union
kommt, die Ohren dicht machen und anfangen zu rechnen, was das wohl kosten könnte. Hier brauchen wir Ihre
Hilfe, zum Beispiel bei der Integration von Verkehrsprojekten in die großen europäischen Netze.
({8})
- Wir bestreiten gar nicht, dass da großer Bedarf besteht.
Wir brauchen eine ganze Menge. Ich wäre schon froh gewesen, Herr Kollege Börnsen, wenn Sie das früher einmal
gesagt hätten, als wir das gefordert haben, als wir das dringend brauchten.
({9})
Jetzt kriege ich langsam einen Adrenalinstoß! Was haben
Sie uns durch den Kakao gezogen, als wir von der festen
Fehmarn-Belt-Querung gesprochen haben! Wer hat denn
in Fehmarn angefangen zu zündeln und von den Arbeitsplätzen zu sprechen?
({10})
- Doch, die wollten wir.
({11})
Wir waren schon viel weiter als ihr.
({12})
- Alles Unsinn. Ich erinnere mich ziemlich genau daran,
wer vor Ort den Fehmeranern erzählt hat, dass jetzt das
Ende der Insel Fehmarn eingeläutet werde, weil wir eine
feste Beltquerung haben wollten.
({13})
Das ist nicht fair, was Sie uns jetzt vorwerfen. Aber ich
will mich wieder abregen, man soll ja Parlamentarier anständig behandeln.
({14})
Wenn wir von Ihnen und durch Ihren Beitrag eine Zusicherung bekommen, dass Sie uns dabei helfen, dass diese
Netze ausgebaut werden - es ist vor allem europäisches
Geld, was dort gefordert ist, gar nicht so sehr bundesrepublikanisches Geld -, dann kann man über Parteigrenzen hinweg zusammenarbeiten.
({15})
- Auf die Diskussion will ich mich jetzt nicht einlassen.
Wir hätten gerne von Ihnen Unterstützung für einen
„Baltic Sea Desk“ in Europa, an den sich die einzelnen
Regionen sofort wenden können. Wir hätten gerne, dass
Sie die vier Staaten, die beitreten wollen, unterstützen. Sie
können Polen nicht von Litauen abspalten und Sie können
auch die beiden anderen baltischen Staaten nicht von Litauen abspalten. Sie müssen also für alle vier reden, damit
sie, wenn sie die Kriterien erfüllt haben, in die Europäische Union aufgenommen werden als die guten Nachbarn, als die sie sich in der Vergangenheit für uns erwiesen haben.
({16})
Ministerpräsidentin Heide Simonis ({17})
Wir sind der Meinung, dass der Vorsitz des Ostseerates
bei der Bundesrepublik Deutschland gut aufgehoben war.
Wir bedanken uns dafür, dass wir nicht ans Gängelband
gelegt worden sind, sondern weiter das machen durften,
was wir für richtig empfunden haben. Wenn Herr Fischer
da gewesen wäre, hätten wir uns gefreut. Wir haben aber
auch ohne ihn gute Politik gemacht. Das ist überhaupt
nicht unser Problem. Herr Bundesaußenminister, wir
schaffen es ganz allein, uns dort für die Interessen der Region, unserer Länder und der Bundesregierung einzusetzen.
({18})
Wir sind auch durchaus in der Lage, egal welcher Partei
diese Bundesregierung angehört, sie zu loben, wenn sie
Gutes tut, und sie zu tadeln, wenn sie nichts Gutes tut. Wir
haben das Gefühl, ihre Arbeit im Ostseerat war sehr hilfreich für die Region.
({19})
Dafür möchte ich mich ausdrücklich bedanken, auch im
Namen meiner norddeutschen Ministerpräsidentenkollegen, die gestern mit mir zusammen über dieses Thema gesprochen haben.
Für alles Weitere, was Ihnen noch einfällt, sind wir
dankbar und offen. Zeigen Sie ein bisschen Kreativität
auch für die nördliche Region. Sie ist eine wunderschöne,
eine spannende Region.
({20})
Sie ist es immer wert, eine Reise dorthin zu machen, Herr
Bundesaußenminister.
({21})
Vielen herzlichen Dank.
({22})
Für die CDU/CSU
spricht jetzt der Kollege Ulrich Adam.
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen! Wir
haben es von vielen heute schon gehört: Die Ostseeregion
entwickelt sich mehr und mehr zu einem Gebiet von
wachsender Bedeutung, und dies im ökonomischen, aber
auch im politischen und kulturellen Sinne. Ich möchte an
dieser Stelle speziell auf einige Beispiele für Chancen,
aber auch für Chancenverwertung meines Heimatlandes
Mecklenburg-Vorpommern eingehen. Bisher haben wir
sehr viele Beispiele der anderen Anlieger, zum Beispiel
Schleswig-Holsteins, gehört.
Wie bei allen Ostseeanliegerstaaten ist die Tourismusbranche ein wichtiges Standbein. Wir sind deswegen besonders stolz, dass wir in Mecklenburg-Vorpommern auf
diesem Gebiet sehr hohe Steigerungsraten erreicht haben.
Die Antwort der Bundesregierung zeigt uns aber, dass
große Chancen bestehen, gerade den Anteil ausländischer
Touristen am Übernachtungsaufkommen noch zu steigern. Ich fordere meine Landesregierung auf, insbesondere im Hinblick auf die Außenwirkung mehr zu unternehmen. Es wäre schön, wenn der Bund mein Land dabei
unterstützte. Insofern begrüße ich natürlich, dass auf der
Bundesratsbank die zuständige Referentin der Landesvertretung sitzt. Ich hätte mir aber gewünscht, dass unser
Land bei dieser wichtigen Debatte, wie Schleswig-Holstein, auch durch den Ministerpräsidenten vertreten wäre.
({0})
Wir haben bei Tourismus diese Steigerungsraten deswegen erreicht, weil wir an die Bäderarchitektur der
20er-Jahre angeknüpft haben. Damit wurde den Gästen
ein sehr willkommenes Angebot gemacht. Rostock-Warnemünde gilt zudem als ein attraktives Ziel für Kreuzfahrten, mit wachsender Tendenz. Daraus lässt sich die
Idee entwickeln, dort einen zweiten Standort anzubieten.
Aus historischer Sicht, liegt der Vorschlag nahe - das
wurde auch schon in den Gemeinden überlegt -, in Zusammenarbeit mit der Entwicklung der Museumslandschaft die Region Peenemünde als neues, interessantes
Ziel gerade für Kreuzfahrer aus Übersee anzubieten. Der
Flughafen Peenemünde würde zudem die Chance einer
guten Anbindung für Auflüge in große Zentren Deutschlands, zum Beispiel Berlin, bieten.
Meine Vorredner haben schon die wichtige Rolle von
Verkehrsverbindungen hervorgehoben. Dabei spielen
die Fährhäfen eine besondere Rolle. Bei uns sind das im
Speziellen Rostock und Mukran. Deswegen ist es mir unverständlich - das geht an die Adresse der jetzigen Regierung -, dass die Deutsche Bahn AG als hundertprozentige
Tochter des Bundes eine erhebliche Ausdünnung bei den
Interregioverbindungen vornimmt, wodurch es zu einer
starken Beeinträchtigung der Anbindung von Mecklenburg-Vorpommern und damit auch der Universitäts- und
Hansestadt Greifswald zu den anderen Ostseeanrainern
kommt. Dem muss dringend Einhalt geboten werden.
({1})
Ich möchte auf die Antwort der Bundesregierung
zurückkommen. Dort wurde festgestellt, dass gerade die
Transrapidtechnik für den Industriestandort Deutschland einen hohen Stellenwert hat. Deshalb ist mir die
Streichung der Transrapidstrecke Hamburg-SchwerinBerlin unerklärlich.
({2})
Es ist für mich, gelinde gesagt, erstaunlich, dass sich der
Ministerpräsident Ringstorff für dieses Projekt nicht eingesetzt hat, sondern sich dagegen ausgesprochen hat. Dem
Land hätte es viele Arbeitsplätze, vor allen Dingen im Bauwesen - laut IHK Schwerin rund 4 000 -, gesichert.
Was die sicherheitspolitische Situation in der Ostseeregion angeht, so ist vor allem die Rolle des trinationalen Korps zwischen Dänemark, Deutschland und Polen
Ministerpräsidentin Heide Simonis ({3})
hervorzuheben. Mit der Unterzeichnung einer Absichtserklärung zum Aufbau dieses Korps am 28. Oktober 1997,
bereits vor dem Eintritt Polens in die NATO, wurde unter
dem damaligen Minister Rühe sehr vorausschauend gehandelt. Das dann 1999 in Dienst gestellte multinationale
Korps Nordost mit Sitz in Stettin ist derzeit der einzige
multinationale Großverband von Heereskräften in dieser
Region. Dort leistet er einen großen Beitrag zu Sicherheit
und Stabilität.
In ihrer Antwort auf unsere Große Anfrage betont die
Bundesregierung in diesem Zusammenhang die Arbeit
des Stabes bei Rettungs- und humanitären Einsätzen,
einschließlich der Katastrophenhilfe. Gerade dies ist eine
Besonderheit dieses multinationalen Korps; schließlich
ist die Katastrophenhilfe in der Regel eine rein nationale
Angelegenheit. Umso unverständlicher ist für mich daher
die geplante enorme Reduzierung des angrenzenden Bundeswehrstandortes Eggesin. Minister Scharping hat sich
bei seinen Plänen offensichtlich ohnehin nicht von seinen
selbst vorgegebenen Kriterien leiten lassen. Schließlich
hat er im Vorfeld die internationale Einbindung als wichtigen Faktor für seine Entscheidungen benannt. Nun
schließt er Eggesin beinahe komplett. Das passt nicht zusammen, Herr Scharping. Ich fordere Sie daher eindringlich auf, Ihre Entscheidung noch einmal gründlich zu
überprüfen.
({4})
Nun zu Ihnen, Herr Bundesaußenminister: Durch das
schon eben beschriebene trinationale Korps wurde gerade
auch aus unserer Sicht die Stellung von Stettin aufgewertet. Umso unverständlicher ist von daher die Schließung
des dortigen Generalkonsulates.
({5})
Bislang gibt es zudem auch keinerlei Maßnahmen, die
diesen Wegfall kompensieren würden, was Sie ja eigentlich zugesagt haben. Ich fordere Sie daher auf, endlich in
diesem Sinne zu handeln, damit der Prozess der Erweiterung der Europäischen Union auch zukünftig entsprechend begleitet wird. Vorbilder in diesem Zusammenhang - das sollten Sie sich einmal genau anschauen - sind
die IHK Neubrandenburg und der Unternehmerverband
Vorpommern, die beide bereits Kontaktbüros in Stettin
eingerichtet haben.
({6})
Damit haben sie nämlich genau das Gegenteil von dem
getan, was Sie getan haben.
Meine Damen und Herren, es ist hervorzuheben, dass
im Bereich der Bildungspolitik durch die CDU/CSU-geführte Bundesregierung die Ständige Konferenz der
Historiker des Ostseeraumes ins Leben gerufen wurde.
Ganz besonders freue ich mich, dass das Koordinierungsbüro an meiner Heimatuniversität Greifswald angesiedelt
wurde. Es wurde ja schon die Bedeutung der Universitäten Berlin und Kiel hervorgehoben. Ich denke, hier reiht
sich Greifswald besonders gut ein. Bislang gibt es für dieses Projekt nationale Förderung der zehn beteiligten Ostseeanrainerstaaten. Der zuständige Leiter der Konferenz,
Professor Wernicke, hat vorgeschlagen, sich nun auch international auf eine Förderung zu verständigen. Ich halte
dies für eine ausgesprochen gute Idee. Damit könnte das
weitere Bestehen des Begegnungs- und Diskussionsforums auf eine neue Grundlage gestellt werden.
Es muss in unser aller Interesse liegen, die Ostseeregion auch zukünftig weiter zu unterstützen und zu fördern, damit sie sich zu einem europäischen und globalen
Motor für Wachstum und Wohlstand entwickelt. Es
wurde ja hier schon der Vergleich zum Mittelmeer gezogen. Gerade vor diesem Hintergrund ist die stark angespannte wirtschaftliche Situation in Mecklenburg-Vorpommern von besonders großer Bedeutung. Hier sind
sowohl die Bundesregierung als auch die Landesregierung gefordert.
Abschließend möchte ich festhalten: Ich sehe für alle
Anrainer der Ostsee große Entwicklungspotenziale. Deshalb muss es vor allem darum gehen, die bisherige Zusammenarbeit fortzuführen, um gerade auch die Staaten
Osteuropas weiter einzubinden. Der Transformationsprozess der osteuropäischen Staaten bietet auch für uns
enorme wirtschaftliche Chancen. Das Beispiel der Kommunalgemeinschaft Europaregion Pomerania im Bereich Pommern dies- und jenseits der deutsch-polnischen
Grenze ist ein gutes Vorbild dafür, wie multinationale Zusammenarbeit gefördert werden kann.
({7})
Nächster Redner ist
der Kollege Franz Thönnes für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Mare Balticum, die Ostsee,
als Region einer aufblühenden wirtschaftlichen und kulturellen Begegnung ist eine unserer großen Visionen - so
1988 der ehemalige Ministerpräsident Schleswig-Holsteins Björn Engholm. Die Anwesenheit der heutigen Ministerpräsidentin des nördlichsten Bundeslandes, Heide
Simonis, unterstreicht die gute Kontinuität dieser Auffassung.
({0})
Aus der Vision ist inzwischen ein vielfältiges Netz
praktischer Zusammenarbeit entstanden. Insgesamt ist die
Ostseekooperation eine faszinierende Erfolgsgeschichte. Vor 50 Jahren herrschten Krieg und Zerstörung,
vor 10 Jahren gab es noch eine Konfrontation der Blöcke,
heute gibt es Zusammenarbeit und Verständigung. Die
Ostsee trennt nicht mehr, die Ostsee verbindet.
({1})
Keine andere Region hat den Übergang aus den Zeiten
der Konfrontation in die Gegenwart so gut und so friedlich bewältigt. Alte Verbindungen lebten wieder auf, neue
Demokratien entstanden, Handel und Verkehr entwickelten sich enorm. Mit Russland entsteht ein neues
nachbarschaftliches Verhältnis, ebenso mit Polen, und die
baltischen Staaten sind wie Polen auf dem Weg in die EU.
Kein Zweifel: Diese Region gehört zu den Zukunftsregionen eines größeren Europas.
({2})
Ich sage aber auch: Alle Regierungen sollten die sich daraus ergebenden Chancen noch viel stärker als bisher nutzen.
({3})
Von der Bundesregierung erwarten wir - das ist die Absicht unseres Antrages -, dass sie gegenüber der EU für
die weitere Ausgestaltung einer eigenständigen EU-Ostseepolitik eintritt. Darunter fallen sowohl eine bessere
Koordinierung der EU-Förderinstrumente im Ostseeraum
als auch die Vereinheitlichung der Zuständigkeiten innerhalb der Kommission.
Die Kooperation zwischen der EU und Russland und
die regionale Zusammenarbeit mit den Regionen Nordwestrusslands unter Einbeziehung von Kaliningrad sind
weiter zu fördern.
Mit den Partnern des Ostseerates gemeinsam sollte
über den EU-Gipfel in Göteborg hinaus an den Projekten
zur weiteren Umsetzung des Aktionsplans zur Nördlichen
Dimension gearbeitet werden. Dabei geht es insbesondere
um die Weiterentwicklung der transeuropäischen Netze
für Transport, Energie, Verkehr und Kommunikation, den
Ausbau der Sicherheitskooperation in der Ostseeregion,
die Entwicklung zur Wissensgesellschaft und den Ausbau
der Zivilgesellschaft mit kultureller Zusammenarbeit, mit
Jugendbegegnungen und der Kooperation von und mit
Nichtregierungsorganisationen.
Gerade am Komplex der Jugendbegegnungen will ich
mit einem besonderen Anliegen anknüpfen. In der Schlussresolution der 9. Ostseeparlamentarierkonferenz haben
116 Parlamentarier der Ostseeanrainerstaaten im September 2000 einstimmig angeregt, zur Förderung des Austausches und des Tourismus in der Ostseeregion eine Ostseejugendstiftung zu bilden. Sie sollte auf den guten
Erfahrungen des Ostseejugendsekretariats in Kiel aufbauen. Das Ostseejugendforum, die Plattform der nationalen bzw. regionalen Jugendringe in der Region, hat den
Bedarf für die Ostseejugendstiftung bestätigt. Unterstützung hat man von der Konferenz über die Ostseejugendzusammenarbeit erhalten. Gleiches gilt für die Konferenz
der Subregionen.
In einer Studie zu Finanzierungsmöglichkeiten von Jugendprojekten im Ostseeraum haben die nationalen Jugendministerien und Jugendringe sowie die Subregionen
im Ostseeraum festgestellt, dass gerade Förderprogramme für Langzeit- und für Folgeprojekte fehlen. Ich
glaube, dass es notwendig ist, diese Stiftung bald auf den
Weg zu bringen; denn sie wäre eine gute Hilfe, Hindernisse für Jugendmobilität im Ostseeraum zu beseitigen.
({4})
Die Ostsee verbindet. Brücken verbinden. Brücken brauchen Pfeiler. Eine Ostseejugendstiftung könnte einer der
tragenden Pfeiler für eine gute und friedliche Zukunft im
Norden Europas sein.
Was den zweiten wichtigen Pfeiler angeht, so sollten
wir Parlamentarier uns aus meiner persönlichen Sicht die
Frage stellen: Wie halten wir es mit der Stärkung der parlamentarischen Demokratie in der Ostseeregion? Sollten
wir angesichts der Herausforderungen und der Chancen in
dieser Region nicht auch der jährlich und diesmal in
Greifswald stattfindenden Ostseeparlamentarierkonferenz mehr Kontinuität, mehr Verantwortung und mehr
Verbindlichkeit zubilligen als bisher? Wenn sich das Europa der Regionen entwickelt, dann wäre auch die Frage
nach regionalen parlamentarischen Strukturen, vielleicht
mit dem Fernziel einer parlamentarischen Versammlung,
zu stellen.
Ich meine, wir sollten in den Parlamentariergruppen
dieses Hauses darüber diskutieren und die Einladung der
finnisch-deutschen Parlamentariergruppe in Helsinki
dazu nutzen, mit den Freundinnen und Freunden dort zu
sprechen. Wir sollten dies auch mit der erstmals gebildeten schwedisch-deutschen Abgeordnetengruppe aus dem
Riksdag in Stockholm erörtern.
Eine engagiert aktive Bundesregierung in Ostseefragen, eine Initiative für die Ausweitung der Jugendkontakte in der Region und eine Stärkung des Parlamentarismus im Mare Balticum, das wären drei starke Pfeiler für
Brücken, die verbinden, Brücken zur nachhaltigen Gestaltung einer friedlichen Zukunft in der Ostseeregion.
({5})
Letzte Rednerin in der
Debatte ist die Kollegin Dr. Christine Lucyga für die
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin!
Meine Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerpräsidentin! Die politische und wirtschaftliche Bedeutung des
Ostseeraums als Wachstumsregion der Zukunft haben alle
Vorredner übereinstimmend hervorgehoben. Sie haben
Chancen deutlich gemacht, aber auch einige Risiken aufgezeigt.
Der Ostseeraum ist über die wirtschaftliche Dimension
hinaus jedoch auch ein Stück Gemeinsamkeit in Kultur,
Geschichte und Tradition mit einem starken verbindenden Element; das ist der maritime Charakter. Deshalb
wird der Ostseeraum eine gemeinsame maritime Zukunft
haben.
Die politische und wirtschaftliche Entwicklung in den
zusammenwachsenden EU-Mitgliedsländern, aber auch
in den künftigen Beitrittsländern macht deutlich, dass die
Chancen der Region unser aller Chancen sind, dass aber
die Probleme, die in der Region zu lösen sind, auch unsere
gemeinsamen Probleme sind, an die wir gemeinsam herangehen müssen. Daher ist es eine lohnende gesamteuropäische Aufgabe, diesen Prozess durch eine langfristige
Orientierung, wie im Aktionsprogramm „Zur nördlichen
Dimension“ vorgegeben, aktiv zu gestalten. Dieses Konzept zielt auf die Weiterentwicklung des gesamten
nordeuropäischen Raumes mit besonderer Zielrichtung
auf die EU-Beitrittskandidaten und Russland. Dies nützt
letztlich auch ganz Europa.
Für die Zusammenarbeit im Ostseeraum bieten sich gerade im Hinblick auf die bevorstehende EU-Osterweiterung umfangreiche gemeinsame Handlungsfelder an, ob
es nun die Umwelt-, Gesundheits- und Bildungspolitik,
eine gemeinsame Energiepolitik oder Fragen der inneren
Sicherheit, aber auch der nuklearen Sicherheit betrifft.
Das ökologische Gleichgewicht der Ostsee muss wieder
hergestellt werden. Es gilt, gemeinsame Strategien der
Kriminalitätsbekämpfung zu entwickeln und Engpässe im
Verkehrsbereich zu überwinden. Ein wichtiges verkehrspolitisches Anliegen ist die Erhöhung der Sicherheit auf
See.
Herr Börnsen, die von Ihnen aufgeführten Defizite haben sich während Ihrer Regierungszeit angesammelt. Wir
haben sie erkannt und benannt. Deutschland hat sie im
Ostseerat zum Thema gemacht. Wir entwickeln dazu gemeinsame Handlungsstrategien. So weit zu Ihrem Vorwurf, den Sie uns eingangs gemacht haben.
({0})
Unverzichtbar ist auch die weitere Entwicklung der
Infrastruktur. Das bedeutet auch die Neuerschließung
oder Wiederbelebung von Verkehrskorridoren über die
Ostsee. Nachdem die Oeresundquerung Skandinavien ein
Stück weiter nach Zentraleuropa bringt, bietet es sich an,
bei der anstehenden Neubewertung der Transeuropäischen Netze auch im Interesse des südeuropäischen Hinterlandes die Nord-Süd-Achse über die deutschen Ostseehäfen zu stärken. Denkbar wäre für mich zum Beispiel
eine Achse Kopenhagen-Berlin-Prag über den Seehafen Rostock, die kürzeste und schnellste Verbindung;
denn bewährte Verkehrswege über die Ostsee müssen
ihren Stellenwert zurückerhalten. Während Ihrer Regierungszeit, Herr Börnsen, ist vieles zurückgefahren worden, was nun wieder in Gang gesetzt werden muss.
({1})
Natürlich brauchen wir auch neue und innovative Verkehrslösungen, über die anderenorts, zum Beispiel in
Schleswig-Holstein, nachgedacht wird. Die logistischen
Stärken der Regionen können sich nämlich nicht im
Selbstlauf durchsetzen. Daher gilt es, ihre jeweiligen Vorzüge beweisfähig zu machen.
Das Land Mecklenburg-Vorpommern, für das ich
hier spreche, wird im Prozess der EU-Osterweiterung eine
besondere Funktion haben. Bereits jetzt gibt es exemplarische Formen der Zusammenarbeit mit Skandinavien,
aber auch insbesondere mit den osteuropäischen Nachbarn, besonders mit Polen. Beispielhaft ist hier die Modellregion Pomerania zu nennen.
Wichtige Ergebnisse wurden unter dem gegenwärtigen
deutschen Ostseeratsvorsitz erreicht. Da der Herr Außenminister selbst die Ergebnisse schon ausgiebig dargestellt
hat,
({2})
kann ich mich kurz fassen und kann ihn außerdem nicht
ganz so ausführlich loben, wie ich es sonst getan hätte.
({3})
Aber immerhin möchte ich erwähnen, dass das Problem
der Schiffssicherheit und der maritimen Notfallvorsorge,
das aufgrund des zunehmenden Schiffsverkehrs auf der
Ostsee an Bedeutung gewinnt, ebenso wie Überlegungen
zur Harmonisierung der EU-Förderprogramme und nicht
zuletzt auch Fragen der Sicherheitskooperation im Ostseeraum zu Themen des Ostseerats wurden. Das geschah
unter deutscher Präsidentschaft. Deutschland bekennt
sich zum Ostseeraum. Es gilt nun, dieses Engagement
fortzusetzen und finanziell wie personell zu untersetzen.
({4})
Handlungsfelder sind reichlich vorgegeben; Instrumente
sind vorhanden. Worauf es jetzt ankommt und wofür wir
uns einsetzen müssen, ist, sie flexibel und insbesondere
für die lokale Ebene handhabbar zu machen, sie besser zu
verzahnen und zu flexibilisieren.
Eine letzte Bemerkung. Die Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft durch Schweden im ersten Halbjahr 2001
wie auch der ab Juli anstehende russische Vorsitz im Ostseerat werden das gesamteuropäische Bewusstsein für
den nordeuropäischen Raum weiter schärfen. Sie werden
dazu beitragen, die Ergebnisse der deutschen Ostseeratspräsidentschaft wie auch die Bekenntnisse des Europäischen Rates zur Ostseeregion nachhaltig zu untersetzen.
Ich danke Ihnen.
({5})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zu den Abstimmungen, zunächst zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion
der PDS auf Drucksache 14/5235. Wer stimmt für diesen
Entschließungsantrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? Der Entschließungsantrag ist gegen die Stimmen der
PDS-Fraktion abgelehnt.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie zu dem Antrag der
Fraktion der CDU/CSU „Initiative zur Stärkung der Ostseeregion“ auf Drucksache 14/4573. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/3293 abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist
gegen die Stimmen von CDU/CSU, F.D.P. und PDS angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der F.D.P. auf Drucksache
14/5231. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist gegen die Stimmen der F.D.P.-Fraktion bei Enthaltung der CDU/CSU abgelehnt.
Nun zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen
der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 14/5226 mit dem Titel „Die Entwicklung der Ostseeregion nachhaltig stärken“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist
gegen die Stimmen der CDU/CSU bei Enthaltung der
PDS- und der F.D.P.-Fraktion angenommen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 10 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes ({0}) zu dem Fünfzehnten Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgesetzes
- Drucksachen 14/3764, 14/4265, 14/4647,
14/5238 Berichterstattung:
Abgeordneter Ludwig Stiegler
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Wird
das Wort zu einer Erklärung gewünscht? - Das ist nicht der
Fall.
Dann kommen wir gleich zur Abstimmung. Der Vermittlungsausschuss hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner
Geschäftsordnung beschlossen, dass im Bundestag über
die Änderungen gemeinsam abzustimmen ist. Wer stimmt
für die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 14/5238? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist bei Enthaltung der
PDS-Fraktion angenommen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 11 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes ({1}) zu dem Gesetz zur Bekämpfung ge-
fährlicher Hunde
- Drucksachen 14/4451, 14/4920, 14/5052,
14/5239 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Ludwig Stiegler
Wird das Wort zur Berichterstattung oder zu einer Er-
klärung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Deshalb kommen wir auch hier gleich zur Abstim-
mung. Der Vermittlungsausschuss hat gemäß § 10 Abs. 3
Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, dass im
Deutschen Bundestag über die Änderungen gemeinsam
abzustimmen ist. Wer stimmt für die Beschlussempfeh-
lung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache
14/5239? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Be-
schlussempfehlung ist gegen die Stimmen der F.D.P.-
Fraktion bei Enthaltung der PDS-Fraktion angenom-
men.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 a bis 16 c auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrich
Heinrich, Ulrike Flach, Marita Sehn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Innovationspotenzial moderner Technologien
für mittelständische Pflanzenzüchter erhalten
- Drucksache 14/2297 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({2})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit
b) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Marita Sehn, Ulrich Heinrich, Ulrike Flach, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Harmonisierung der Zulassungspraxis von
Pflanzenschutzmitteln auf europäischer Ebene
- Drucksachen 14/3054, 14/4136 -
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({3})
- zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU
Zulassung von Pflanzenschutzmitteln auf nationaler und EU-Ebene beschleunigen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Marita Sehn,
Ulrich Heinrich, Ulrike Flach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Wettbewerbsnachteile durch unterschiedliche Zulassungspraxis von Pflanzenschutzmitteln in Europa zügig abbauen
- Drucksachen 14/3096, 14/3298, 14/3713 Berichterstattung:
Abgeordnete. Ulrike Höfken
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
F.D.P. sechs Minuten erhalten soll. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Für die F.D.P. spricht der
Kollege Ulrich Heinrich.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich habe die reizvolle
Aufgabe, innerhalb weniger Minuten über die Große Anfrage der F.D.P.-Bundestagsfraktion zum Pflanzenschutz,
zur Zulassungspraxis von Pflanzenschutzmitteln und zur
Gentechnik zu sprechen. Ich werde versuchen, das einigermaßen hinzubekommen.
In der Bundesrepublik Deutschland ist die F.D.P. eigentlich die einzige Partei, die klare Position
({0})
gegenüber der grünen Gentechnik bezogen hat.
({1})
Vizepräsidentin Petra Bläss
Wir sind der Meinung, dass die grüne Gentechnik eine
Technik der Zukunft ist. Die Biotechnik und die Gentechnik sind in der Zukunft Wachstumsmotoren in der Welt.
Deshalb müssen wir uns - da gibt es gar keine andere
Möglichkeit - daran beteiligen.
({2})
Wir werden uns insbesondere mit der zweiten und dritten Generation der grünen Gentechnik, also den maßgeschneiderten Pflanzen mit entsprechenden Inhaltsstoffen,
verstärkt auseinander setzen müssen; denn diese gentechnisch veränderten Pflanzen werden dem Verbraucher den
tatsächlichen Nutzen deutlicher machen. Das ist dringend
nötig; denn die Bevölkerung ist derzeit noch nicht besonders davon überzeugt, dass die grüne Gentechnik notwendig ist und den Menschen Nutzen bringt. In diesem
Sinne müssen wir mehr Aufklärungsarbeit leisten. Wir
müssen die berechtigten Bedenken abwägen, aber wir
dürfen auf keinen Fall die Chancen, die in dieser Gentechnik stecken, verschlafen.
({3})
Insoweit ist es ganz sicher kontraproduktiv, wenn der
Bundeskanzler zwar zu Kamingesprächen einlädt, dann
aber ganz schnell wieder Ausladungen verschickt, weil er
merkt, dass sich die Windrichtung verändert hat und er
aufgrund der BSE-Krise in der Bevölkerung derzeit kein
geeignetes Klima vorfindet, um diese Gespräche weiterzuführen. Meine Damen und Herren, so kann man keine
Politik machen,
({4})
erst recht keine Politik, die sich künftig auf diese wichtige
Technologie praktisch auswirkt. Hier kritisieren wir die
Bundesregierung nachdrücklich. Sie hat wohl dem grünen
Koalitionspartner gegenüber nachgegeben.
({5})
Ich halte das nicht für akzeptabel.
Ich halte es auch unserer Wirtschaft gegenüber nicht
für akzeptabel. Die Forschung ist das eine, das Umsetzen
in die Praxis ist das andere. Beides gehört zusammen. Wir
können nicht erwarten, dass die Wirtschaft forscht, wenn
sie nicht gleichzeitig Nutzen hieraus ziehen kann. Deshalb muss die Entwicklung weitergehen und deshalb wollen wir auch, nicht zuletzt, um den mittelständischen
Pflanzenzuchtunternehmen in der Bundesrepublik klare
Rahmenbedingungen vorzugeben, dass die Perspektive
klar wird.
({6})
Wenn Sie die grüne Gentechnik nicht wollen, dann sagen Sie das klar und deutlich. Dann wissen die Firmen,
was sie von dieser Regierung in Zukunft zu erwarten haben. Aber diese Zickzack-Politik, diese Schaukelpolitik,
ist nicht akzeptabel. Hierdurch wird der Standort Bundesrepublik Deutschland in einer Art und Weise beschädigt,
die nicht verantwortbar ist.
({7})
Ich habe zu der Großen Anfrage noch einige Anmerkungen zu machen. Einleitend möchte ich sagen: Ich
hoffe, dass sich die neue Ministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft an das erinnert,
was in der Antwort auf unsere Große Anfrage steht, dass
nämlich der chemische Pflanzenschutz auf absehbare
Zeit unverzichtbar ist und zur Produktion qualitativ hochwertiger Nahrungsmittel auch künftig erforderlich sein
wird. Wir werden die künftige Politik an dieser Aussage
messen. Denn in der Tat gibt es derzeit keine Alternative,
die wirtschaftlich vertretbar wäre und die man auch erfolgreich praktizieren könnte.
({8})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, nach wie vor
besteht ein großes Problem im Bereich der Lückenindikation. Nach wie vor besteht ein großes Problem bei der Erhaltung von Kleinkulturen im Gartenbaubereich, im Baumschulenbereich. In den letzten Jahren sind wir hierbei
wirklich an die Grenze des Zumutbaren gestoßen. Wir haben letztes Jahr einiges geschafft; einige Lücken wurden
geschlossen.
({9})
Aber ich bitte doch, dass die Bundesregierung und die sie
tragenden Fraktionen auf diesem Wege weitergehen und
alles unternehmen, damit die Lückenindikation entsprechend weitergeführt wird.
Wir brauchen ein vereinfachtes Zulassungsverfahren
und eine Lösung hinsichtlich der Altwirkstoffe. Die diesbezüglichen Regelungen laufen ja im Jahre 2003 aus.
Wenn dieser Zeitpunkt erreicht ist, sollten wir nicht im
Regen stehen, sondern nach wie vor die notwendigen
Pflanzenschutzmittel zur Verfügung haben, um die Kulturpflanzen gesund erhalten zu können.
Lassen Sie mich zum Schluss noch einen Hinweis geben. Mich hat stutzig gemacht, dass es eine der ersten Reaktionen der Bundesregierung in diesem Bereich war, den
Einsatz von Plantomycin zu verbieten. Plantomycin ist
notwendig, um den gefährlichen Feuerbrand zu bekämpfen. Der Feuerbrand vernichtet die Bäume ganzer Regionen und es gibt kein Mittel, das so dagegen wirkt wie das
Plantomycin. Dieses wird nur sehr vorsichtig verwandt.
Der Einsatz erfolgt nur auf Sondergenehmigung und ist
auf einen Zeitraum von zwei Jahren begrenzt. Bislang gibt
es kein Mittel, das dieses Plantomycin tatsächlich ersetzen könnte. Wir haben gedacht, wir hätten mit ihm ein
Mittel, das wir wirklich zwei Jahre lang einsetzen könnten. Nachdem es in zwei oder drei Proben von Honig gefunden wurde, hat man es schlagartig verboten. Das halte
ich nicht für akzeptabel; denn das gefährdet unsere Kulturlandschaft und die Existenz unserer Obstbauern. Dies
hat eine viel größere Dimension, als man im ersten Augenblick denken mag. Die Streuobstwiesen und die wichtigen ökologischen Nischen, die auch Sie erhalten wollen,
werden damit gefährdet. Ich bitte die Bundesregierung
eindringlich, den Stopp des Einsatzes von Plantomycin
wieder rückgängig zu machen. Denken Sie über Ihre
falsche Entscheidung nach! Spätestens bei der Baumblüte, wenn dieses Mittel eingesetzt werden soll, brauUlrich Heinrich
chen die Landwirte dieses Mittel, zu dem es keinerlei Alternative gibt.
Herzlichen Dank.
({10})
Für die SPD-Fraktion
spricht jetzt der Kollege Heino Wiese.
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Herr Heinrich, die Bundesregierung hat eine ganz klare Meinung zur grünen Gentechnik und die hat sie auch deutlich formuliert.
({0})
- Das ist wohl wahr, Herr Heiderich, auf Sie komme ich
gleich auch noch zu sprechen.
Herr Heinrich, Sie sind für mich der unglaubwürdigste
Politiker, den ich in diesem Bundestag bislang kennen gelernt habe.
({1})
Es gibt eine ganze Reihe von Dingen, die man dafür anführen kann. Auf der einen Seite fordern Sie freien Markt
und freien Handel, auf der anderen Seite aber machen Sie
den größten Aufstand, wenn Subventionen für die
Landwirtschaft gestrichen werden. Daneben sind Sie auch
bei BSE nicht ganz ehrlich gewesen. Heute tun Sie fast so,
als wären Sie der Mahner in der Wüste gewesen, der gesagt hat: Wir kennen alle die BSE-Gefahren.
Ich kann mich noch sehr gut an die Sitzung im Juni des
letzten Jahres erinnern.
({2})
- Ja, aber ich möchte deutlich machen, wie Sie agieren. Im Juni haben Sie die Bundesregierung noch schärfstens
verurteilt und gesagt, sie würde die Bauern in Brüssel
nicht entsprechend vertreten, weil sie den BSE-freien Status Deutschlands nicht durchgesetzt hat.
Damals sind Sie nur noch vom Kollegen Heiderich getoppt worden. Herr Heiderich, vielleicht wissen Sie noch,
was Sie gesagt haben. Sie warfen der Gesundheitsministerin vor, sie falle der deutschen Landwirtschaft in den
Rücken. Heute ist das alles vergessen und Sie tun so, als
ob das Thema für Sie schon immer auf der Tagesordnung
stand.
Herr Heinrich, ich habe in der letzten Woche mit Landwirten aus Ihrer Heimat gesprochen. Diese haben mir
doch tatsächlich glaubhaft versichert, Sie hätten dort verkündet, dass Sie gegen die bestehende Nachbauregelung
und auch gegen die Patentierung von Pflanzen seien.
({3})
Ob das tatsächlich stimmt? Ich habe von Ihnen bisher immer etwas anderes gehört.
({4})
- Ja, das sagte der Bauer, aber vielleicht reden Sie in der
Heimat anders als hier.
({5})
- Vielleicht werden Sie auch nur falsch verstanden. Dann
drücken Sie sich aber wahrscheinlich nicht richtig aus.
({6})
Die grüne Gentechnik birgt Risiken; das wissen wir
alle. Wir haben noch keine Langzeiterfahrung und wissen
nicht, ob nicht zum Beispiel die grüne Gentechnik dazu
führen kann, dass bei der Nahrungsaufnahme Allergien
entstehen.
({7})
- Ich rede jetzt erst einmal davon, wo die Risiken liegen. Ein zweites Risiko ist: Kann die Artenvielfalt erhalten bleiben? Auch das wissen wir nicht. Wenn man die Risiken
aber kennt, dann kann man nicht sagen: Wir fangen erst einmal mit dem Anbau an. Wir werden schon sehen, was dabei herauskommt.
Auf der anderen Seite will ich die Chancen nicht verkennen. Natürlich birgt die Gentechnik Chancen, einerseits
ökonomische - nämlich für die Saatgutunternehmen -, andererseits aber auch ökologische. So braucht man beispielsweise weniger Düngemittel oder weniger Pflanzenschutz; auch das wäre eine gute Sache.
Sie führen immer wieder an, die Entwicklungshilfeländer in der Dritten Welt müssten gefördert werden. Dort
müsste die Nahrungsmittelknappheit bekämpft werden.
({8})
- Ja, das ist ein sehr gutes Ziel. - Bisher habe ich immer
gesagt: Die Entwicklungshilfeländer können sich das
Saatgut von Monsanto und anderen Saatgutunternehmen
ohnehin nicht leisten.
({9})
- Hören Sie erst einmal weiter zu! - Ich habe jetzt etwas
anderes gesehen. Es gibt ein Entwicklungshilfeprojekt bei
Herrn Professor Jacobsen in Hannover, wo junge Nachwuchsforscher aus Entwicklungshilfeländern Praktika
machen. Sie könnten die Ergebnisse dann in ihrem Heimatland selbst umsetzen. Das würde ich tatsächlich für
eine weitere Chance ansehen.
Nur, wir müssen eben beides sehen, die Risiken und die
Chancen. Man kann nicht, wie die F.D.P. es tut, sagen:
„Wir starten dieses Projekt und alle, die das verhindern
wollen, sind Fortschrittsverhinderer“
({10})
- das werfen Sie uns ja immer gern vor -, aber wenn das
Kind in den Brunnen gefallen ist, erklären: Damit haben
wir nichts zu tun.
Die Bundesregierung sagt: Wir wollen die Chancen
nutzen, aber die Risiken vermeiden. Das ist die richtige
Strategie. Um herauszufinden, wie groß die Risiken sind
und welche Chancen wir haben, muss man Forschung betreiben. Das tun wir in verstärktem Maße. Frau Bulmahn,
die Bildungs- und Forschungsministerin, hat 30 Millionen DM jährlich für das GABI-Projekt zur Verfügung
gestellt und damit die Fortführung der Grundlagenforschung ermöglicht.
Ich sage Ihnen jetzt etwas zu dem runden Tisch beim
Bundeskanzler. Dieser runde Tisch ist jetzt erst einmal im
Einvernehmen ausgesetzt worden.
({11})
- Aber es hat vorher Telefonate gegeben.
({12})
Sie wollen angeblich einen Erfolg. Wenn Sie das wollen, dann ist es doch sehr fahrlässig, dieses Thema in einer emotional aufgeladenen Situation, wie wir sie im Moment haben, in den Vordergrund zu stellen. Stattdessen
sollten Sie konstruktiv mitarbeiten.
Zum Schluss will ich Ihnen noch eines sagen: Nur
wenn die Landwirte, die Bürger und Verbraucher davon
überzeugt sind, dass diese Technologie einen wirklichen
Nutzen für sie bringt, werden sie diese Technologie auch
anwenden wollen.
Ich weise auf Folgendes hin, da ich gerade Herrn
Ramsauer sehe: Die CSU hat an dieser Stelle ein ethisches
Problem ausgemacht. Ich meine, die ethischen Probleme
sind noch nicht zu Ende diskutiert. Wir sollten uns daher
an dieser Stelle Zeit nehmen, bis die Bürger und Verbraucher davon überzeugt sind, dass das etwas Gutes ist. Dann
werden wir die grüne Gentechnik auch umsetzen.
Den Antrag der F.D.P. können wir aber nur ablehnen.
Danke schön.
({13})
Für die CDU/CSU
spricht jetzt der Kollege Helmut Heiderich.
({0})
Frau Präsidentin!
Meine verehrten verbliebenen Kolleginnen und Kollegen!
Gern will ich die Zeit nutzen, Frau Kollegin Wolff, um auf
die Themen ein Stück tiefer einzugehen.
Es liegt uns ein Antrag zum Pflanzenschutz vor. Ich
will festhalten, dass für mich die Möglichkeiten des Pflanzenschutzes ein wesentlicher Bestandteil einer hygienischen, einwandfreien, umweltschonenden und lokal optimierten Erzeugung von hoher Qualität im Pflanzenbau
sind. Für dieses Ziel haben wir innerhalb der Europäischen
Union bereits vor zehn Jahren den Beschluss gefasst, eine
EU-weite Harmonisierung mit einer gleichzeitigen Verschärfung der Zulassungsbedingungen und der Kontrollen
herbeizuführen. Hintergrund war damals die Überlegung,
gleiche Chancen für alle Bauern in Europa zu bieten. Das
war und ist der entscheidende Gesichtspunkt.
Deutschland hat in dieser Frage einen nationalen Alleingang unternommen, hat das längst umgesetzt und weitergeführt. Aber auf der europäischen Ebene hinken wir
dieser Entwicklung immer noch hinterher. Obendrein
kommt es zu Engpässen und Wettbewerbsverzerrungen
gerade beim integrierten Pflanzenbau; darauf ist eben bereits hingewiesen worden. Ich denke, es muss an dieser
Stelle dafür gesorgt werden, dass es Übergangslösungen
gibt und dass die Möglichkeiten, die hier vorgesehen sind,
von uns umgesetzt werden.
Der zweite Schwerpunkt, der heute zur Debatte steht,
betrifft die gentechnische Verbesserung von Pflanzen
und den Einsatz dieser Pflanzen in der Landwirtschaft.
Wir alle wissen, dass dazu auf europäischer und auch auf
deutscher Ebene seit vielen Jahren zahlreiche Versuche
stattgefunden haben. Es gibt Hunderte von Freisetzungsversuchen der deutschen Institute. Es gibt vielfältige Versuchsanwendungen der verschiedenen Pflanzenzuchtfirmen und Pflanzenzuchtunternehmen.
Wir haben im letzten Jahr einen Schritt nach vorne gemacht, indem sich alle Beteiligten zu einer Initiative verabredet haben. Mit dieser Initiative sollte dafür Sorge getragen werden, dass genau die Aspekte bearbeitet werden,
die soeben von Ihnen, Herr Kollege Wiese, angesprochen
worden sind: die intensive Prüfung dieser neuen Technologie, die Kommunikation mit der Öffentlichkeit und die
Beantwortung der Fragen, was diese neuen Methoden
leisten können, wo Chancen liegen, die wir nutzen können, wo noch Probleme und Punkte sind, die nicht entsprechend ausgeschöpft worden sind, und wo noch Forschung und Beobachtungen nachgeschoben werden
müssen. Diese Initiative war deswegen sinnvoll, weil sie
alle in ein Boot gebracht hat. Man hat über Monate hinweg eine Lösung ausgearbeitet. Diese Lösung stand kurz
vor der Verabschiedung.
Nun kann man wirklich nicht sagen, dass die Bundesregierung eine geradlinige und zielgerichtete Politik betreiben würde.
({0})
Denn wenige Tage vor der Unterschrift unter dieses gemeinsame Vertragswerk, wenige Tage, bevor man an die
Öffentlichkeit gehen wollte, hat das Kanzleramt den soeben von mir in einem Zuruf genannten Eilbrief an alle
Beteiligten abgeschickt. Keiner von den Beteiligten wusste vorher, was da auf ihn zukommt. Wir alle hatten wenige
Tage vorher auf der Grünen Woche die Gelegenheit, mit
den Betroffenen über diese Thematik zu sprechen. Alle
sind davon ausgegangen, dass es zu einem Ergebnis kommen wird. Umso überraschender ist es gewesen, dass der
Kanzler diese Initiative kurzfristig abgesagt und auf den
Kopf gestellt hat. Ich glaube, damit hat er ihr einen Bärendienst erwiesen. Ebenso problematisch ist die nachgeschobene Begründung für dieses Vorgehen. Es wurde erHeino Wiese ({1})
klärt, diese Initiative habe man abgesagt, weil die Situation
in der Landwirtschaft im Moment sehr schwierig sei.
Dieser möglichen neuen Technologie erweist man einen Bärendienst. Denn wir haben im Hinblick auf den
gentechnischen Pflanzenbau - das muss man einmal festhalten - seit vielen Jahren eine intensive Forschung betrieben. Sie haben soeben selbst auf das Projekt GABI
hingewiesen, das allerdings nur in indirektem Zusammenhang mit dieser Thematik steht. Wir haben auf europäischer und deutscher Ebene eine intensive Forschung
betrieben. Wir haben das berühmte Schritt-für-SchrittPrinzip entwickelt, indem wir gesagt haben: Erst dann,
wenn wir auf der einen Stufe sicher sind, gehen wir die
nächste Stufe an und gehen aus dem Labor ins Freiland.
Dann erfolgt der nächste Schritt.
Der Vorteil dieser Initiative war doch, sagen zu können: Wir gehen jetzt großflächig über das gesamte Land
hinweg auf den flächenweiten Anbau über. Wir geben der
Bevölkerung, jedem Interessenten und der Wissenschaft
die Möglichkeit, diese Technologie unter normalen Anbaubedingungen in der Landwirtschaft zu testen und zu
sehen, ob es Probleme oder ob es keine Probleme gibt,
und zu überprüfen, ob die Ressentiments, die auf den
verschiedenen Seiten bestehen, zutreffen oder nicht zutreffen. Es gibt doch niemanden, der sagen würde: Wir
wollen diese Technologie auf jeden Fall, auch dann, wenn
es keine wissenschaftliche Rückendeckung gibt.
Ich greife ein Stückchen voraus - denn Frau Lemke
wird gleich in ihrer prophetischen Gabe erklären, dass
kein Verbraucher die Produkte der grünen Gentechnik
will -: Frau Lemke, fragen Sie doch einmal den Verbraucher! Kein Mensch weiß, was das ist. Wir müssen doch
erst einmal mit dem Verbraucher in einen Dialog treten.
Wir müssen erst einmal öffentlich klarmachen, was sie bedeutet und worum es hier geht. Wir können doch nicht auf
der einen Seite, so wie Sie das tun, kategorisch Nein sagen, bevor wir überhaupt in die Anwendung und in die
Prüfung gegangen sind. Auf der anderen Seite erklärt Ihr
Bundeskanzler, wenn es um die gentechnische Entwicklung und Forschung am menschlichen Embryo geht, man
solle das alles ohne Scheuklappen und etwas lockerer sehen und sich nicht zu viele Gedanken machen.
({2})
Das passt nicht zusammen. Eine solch widersprüchliche
Politik kann man nicht vertreten, indem man auf der einen
Seite sagt, nicht einmal Forschung und öffentliche Nutzung dürften erlaubt sein, und auf der anderen Seite die
Leinen loslässt und erklärt: Lasst uns doch einmal sehen,
was da auf uns zukommt!
Es ist ganz wesentlich, dass wir die Möglichkeit haben
müssen, bundesweit mit der Öffentlichkeit zu kommunizieren. Dies hat der Kanzler mit seinem Umfallen, mit seiner 180-Grad-Kehrtwendung
({3})
- ja, im Grunde ist es ein Looping -, verspielt. Ich nehme
doch an, dass Sie nach der Absage des Kanzlers die
großen deutschen Tageszeitungen gelesen haben. Sie haben quer durch ganz Deutschland lesen können, dass der
Kanzler hier wieder eine Kehrtwende gemacht hat. Alle
haben geschrieben, dass das wieder einmal Ausdruck des
typisch schröderschen Politikstils gewesen sei, von einem
Tag auf den anderen die Karre um 180 Grad zu drehen.
({4})
Sie können nun wirklich nicht behaupten, dass Sie hier
eine zielgerichtete Politik machen, verehrte Frau Lemke.
({5})
Ich bitte Sie einmal, zu bedenken - das ist Ihnen doch
nicht unbekannt -, dass solche Pflanzen weltweit inzwischen auf rund 40 Millionen Hektar angebaut werden. Der
Anbau und die Verarbeitung dieser Produkte erfolgen
doch nicht unter Inkaufnahme von Risiken. Vielmehr
wurde über die Jahre hinweg festgestellt, dass darin
Chancen liegen.
Wir haben gerade gehört, dass man durch den Einsatz
dieser Pflanzen beispielsweise Pflanzenschutzmittel reduzieren und auf diese Art und Weise der Umwelt dienen
kann. Schauen Sie sich einmal die Situation in den USA
an! Herr Heinrich kennt das aus eigener Anschauung.
Dort sind Bodenerosionen verhindert worden, weil man
jetzt ohne Pflug anbauen kann. Dadurch hat sich die Umweltbilanz deutlich verbessert. Ich glaube also, hier gibt
es große Chancen.
Man sollte nicht immer diese unbewiesenen, platten
Sprüche von sich geben, das alles diene nur der Großindustrie, den agrarindustriellen Komplexen oder wem auch
immer. Dann werden meist noch die einzelnen Firmen
aufgezählt. Schließlich wird behauptet, Gentechnik nutze
ausschließlich der Firma Monsanto und schon deswegen
dürfe man dies nicht machen.
({6})
Verehrte Frau Lemke, das ist genauso wenig haltbar
wie Ihre Sprüche, die Sie in den letzten Tagen ständig zu
der so genannten Agrarindustrie gemacht haben. Sie
sollten sich einmal die Mühe machen und sich, statt von
Agrarfabriken zu faseln, die Unterlagen ansehen, und
zwar den Agrarbericht 2000, den Sie selbst veröffentlicht
haben. Wenn Sie dort nachschauen, stellen Sie fest, dass
95 Prozent der deutschen Agrarbetriebe in den alten Bundesländern eine Fläche von weniger als 100 Hektar haben.
Ich frage Sie, ob Betriebe mit weniger als 100 Hektar jetzt
von Ihnen als Agrarfabriken angesehen werden.
({7})
Unter Ihrer Regierungszeit, nämlich seit 1999, hat die
Anzahl der Betriebe mit weniger als 50 Hektar abgenommen. Sie haben diese Betriebe kaputtgemacht.
({8})
Jetzt, da ich Ihnen Vorwürfe mache, schauen Sie auf
die Uhr, Frau Lemke. Sie haben die Landwirte dazu gebracht, ihre Betriebe zu vergrößern. Und dann faseln Sie
von Agrarfabriken!
Sie klopfen hier Sprüche und machen populistische
Aussagen,
({9})
die die Bauern draußen in ein Licht stellen, das sie überhaupt nicht verdient haben. Die landwirtschaftlichen Familienbetriebe werden von Ihnen zwischen die Mühlsteine gebracht. Sie brummen den Bauern neue Kosten
auf und senken ihnen über Ihre Agenda-2000-Beschlüsse
die Preise. Zwischen den steigenden Kosten und den sinkenden Preisen sind die Bauern quasi wie zwischen
Mühlsteinen. Sie haben eigentlich nur noch zwei Chancen, um Ihrer falschen Politik zu entkommen: Entweder
müssen die Bauern aufhören - im vergangenen Jahr haben
Sie 5,4 Prozent der Bauern zum Aufhören gebracht, nämlich die Familienbetriebe ({10})
oder sie müssen mehr produzieren. Anders können sie Ihrer Politik nicht entkommen. Wenn die Bauern aber mehr
produzieren, erklären Sie ihnen, sie hätten Agrarfabriken.
Denken Sie doch einmal darüber nach, welche Widersprüche Ihre eigene Agrarpolitik aufweist. Damit helfen
Sie niemandem!
Schönen Dank.
({11})
Die nächste Rednerin
ist die Kollegin Steffi Lemke für die Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen.
Frau
Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Herr
Heiderich, ich freue mich, dass Sie mich in Ihrer Rede so
breit gewürdigt haben. Aber auf die Uhr habe ich geschaut, weil ich gewährleisten wollte, dass ich die Redezeit um genauso viel überziehen darf wie Sie.
Ich möchte mich zunächst allerdings mit dem Antrag
der F.D.P. - Herr Heinrich, ich werde Sie jetzt ausreichend
würdigen - befassen, der sich mit den mittelständischen
Pflanzenzüchtern beschäftigt oder zumindest vorgibt,
sich damit zu beschäftigen. Wenn man sich den Antrag anschaut, stellt man fest, dass er einfach nur eine Ansammlung von Worthülsen ist. Herr Heinrich, Sie haben es nicht
geschafft, sich mit dieser Problematik ernsthaft auseinander zu setzen. Ich werde das anhand einiger Beispiele belegen.
Zum ersten Stichwort, Gentechnik: In Ihrem Antrag
heißt es, der Bericht zur Technikfolgenabschätzung stelle
„eindeutig“ fest, dass die gentechnisch unterstützte Pflanzenzüchtung keinen nachweisbaren Einfluss auf die
Biodiversität, sprich: die biologische Vielfalt, habe. Das
steht zwar so im Bericht zur Technikfolgenabschätzung,
aber offensichtlich haben Sie nicht weitergelesen. Das
sind so die kleinen Nachlässigkeiten, Herr Heinrich: Sie
haben vergessen zu erwähnen, dass die Autoren des Berichts tatsächlich eindeutig feststellen, dass das gesamte
Wirkungsgefüge bei der Einführung von Sorten bisher
von der Wissenschaft überhaupt noch nicht verstanden
wurde. Daher ist die Aussage, es gebe keinen Einfluss auf
die biologische Vielfalt, einfach eine Nullaussage. Denn
wenn man nichts darüber weiß, kann man auch nicht eine
Aussage darüber treffen, ob dies einen positiven oder negativen Einfluss haben wird.
({0})
Aber Sie behaupten schon einmal in vorauseilendem Gehorsam, gentechnisch veränderte Sorten hätten keinen
Einfluss auf die Biodiversität.
In ähnlicher Manier zieht sich das durch Ihren gesamten Antrag. Das mache ich Ihnen zum Vorwurf, womit ich
auch sage: Sie beschäftigen sich nicht ernsthaft mit der
mittelständischen Pflanzenzucht. „Gentechnisch veränderte Sorten sichern die Welternährung“, dieses moralische Totschlagargument habe ich inzwischen wirklich
satt. In Ihren Forderungen verraten Sie sich dann aber selber. Im Abschnitt zu den nachwachsenden Rohstoffen
führen Sie aus, dass sich „mithilfe der Gen- und Biotechnologie ... für den Arznei- und Lebensmittelsektor ... maßgeschneiderte Pflanzen mit den gewünschten Inhaltsstoffen“ herstellen ließen. Weiter heißt es: „Dadurch ergeben
sich neue Absatzchancen und -märkte und die Wettbewerbs- sowie Einkommenssituation der betroffenen Wirtschaftsbereiche wird deutlich verbessert.“
Das hat allerdings mit dem Welthunger nichts zu tun,
sondern ausschließlich mit wirtschaftlichen Interessen
von hier ansässigen Firmen.
({1})
Dies ist vollkommen legitim - ich finde es auch richtig,
dies in einem solchen Antrag anzuführen -, aber die moralische Legitimation der Bekämpfung des Welthungers
spreche ich Ihnen mit diesem Argument ab.
({2})
Frau Kollegin Lemke,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Heinrich?
Sehr
gern.
Liebe Frau Kollegin, würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, dass Sie den Welthunger nur auf einer wirtschaftlichen Basis, wenn sich
nämlich die Produktion auch rentiert, überwinden können? Die Produktion muss nicht nur hier in Europa, sondern auch in den Anbauländern selber rentabel sein. Das
ist der Ansatz, den Sie offensichtlich übersehen haben.
Ich
danke Ihnen für diese Zwischenfrage, Kollege Heinrich.
Zunächst stelle ich fest, dass Sie mich im Ausschuss als
„Klugscheißer“ titulieren,
({0})
mich aber dann wiederholt im Parlament befragen. Aber
das nur nebenbei.
Es ist eine Binsenweisheit, dass sich bestimmte Entwicklungen nur auf ökonomischer Basis verwirklichen
lassen. Das ist zwar eine Binsenweisheit, aber eine Erkenntnis, die die Landwirtschaft, wie wir es im Moment
gerade erleben, vernachlässigt hat: Dort sind ökonomische Interessen nicht über die Zeitschiene, sondern nur
kurzfristig betrachtet worden.
Wenn Sie darauf abzielen, den Welthunger mit ökonomischen Instrumenten bekämpfen zu wollen, so ist die
Gentechnik im Moment in keiner Weise ein geeignetes Instrument, weil sich diejenigen, die sich in Drittweltländern, wo der Hunger herrscht, als Bauern betätigen, dort
Pflanzen anbauen und Tiere halten, das, was bei uns hergestellt wird, überhaupt nicht leisten können. Sie wissen,
dass dieses veränderte Saatgut teurer ist als konventionelles Saatgut, das im eigenen Betrieb nachgebaut wird, und
dass gerade die gentechnisch manipulierten Sorten dort
nicht zu kaufen sind. Deshalb müssten die Ökonomie hier
und die Ökonomie in den Drittweltländern voneinander
getrennt werden. Aber das ist nicht möglich.
Frau Kollegin, es gibt
den Wunsch nach einer Frage des Kollegen Heiderich.
Da er
mich so intensiv in seiner Rede bedacht hat, gestatte ich
diese natürlich.
Sehr geehrte Frau
Kollegin, darf ich Sie darauf hinweisen, dass der an der
ETH Zürich entwickelte „Golden Rice“ jetzt kostenlos
abgegeben wird und dass diese Entwicklung insbesondere
in vielen asiatischen Ländern begrüßt wird?
Ihre
Frage finde ich prima. Wie lange, meinen Sie, wird dieser
Reis kostenlos abgegeben werden? Wie lange wird eine
Garantie dafür übernommen werden, dass dieses Saatgut
kostenlos ausgegeben wird, wenn sich die Bauern jetzt auf
diese Sorte einstellen, die Zucht ihrer einheimischen Sorten vernachlässigen und im eigenen Betrieb nicht mehr
anbauen?
({0})
- Ich würde Ihre Antwort gerne entgegennehmen.
Sie machen es sich zu einfach. Wenn wir über Gentechnik in Lebensmitteln ernsthaft sprechen wollen, dann
müssen wir den Welthunger aus dem Spiel lassen. Sie benutzen dies ohnehin nur als moralisches Totschlagargument.
({1})
- Nein, Herr Heinrich, es stört mich überhaupt nicht. Ich
setze mich damit ernsthaft auseinander. Aber ich spreche
Ihnen bei diesem Thema die Legitimation ab.
Sie lehnen in Ihrem Antrag ein Nachzulassungsmonitoring ab und fordern die Deregulierung der Freisetzungsrichtlinie. Wenn Sie sich verantwortlich um die
Gentechnik bemühen wollen, dann können Sie nicht
gleich zu Anfang die Sicherheitsstandards herabsetzen.
Vielmehr muss innerhalb dieser strengen Sicherheitsstandards überprüft werden, was machbar ist. Zudem bleibt
die Frage, ob die Verbraucher diese Produkte wollen oder
nicht. Sie dürfen die Zustimmung der Verbraucher nicht
einfach voraussetzen und, bloß um die Durchsetzbarkeit
zu erreichen, gleich auf der ersten Stufe die Sicherheitskriterien absenken.
Weil Sie immer darauf pochen, die Partei der Wirtschaft zu sein, sage ich Ihnen eines: Schauen Sie sich einmal um und Sie werden erkennen, dass Sie wahrlich voll
im Trend liegen. Schauen Sie sich an, was die „Wirtschaftswoche“ über die grüne Gentechnik schreibt, wie es
an der Börse aussieht, was die Firmen Monsanto und
Aventis mit ihren Gentechniksparten machen.
({2})
- Das ist eine Langzeitaufgabe. Ich weiß, dass bei gentechnisch veränderten Lebensmitteln auf die zweite und
dritte Generation gezielt wird. Jetzt wird versucht, die
Verbraucher dadurch zu fangen, dass man ihnen verspricht: Wir machen gesunde Lebensmittel, sogar Fett
könnt ihr dann ohne Probleme verzehren.
Ich lasse mit mir darüber reden, was es bei der grünen
Gentechnik in Zukunft für Entwicklungen geben kann.
Ich werde mir das anschauen. Aber erst muss der Nachweis bestimmter Leistungen der gentechnischen Manipulation erbracht werden, ehe man an die Markteinführung
denken kann. Ich bin dagegen, die Verbraucher über die
offenen Fragen hinwegzutäuschen.
({3})
Zum zweiten Thema der heutigen Debatte, der Zulassung von Pestiziden. Sie haben von der neuen Verbraucherschutzministerin, Frau Künast, ein Bekenntnis zu der
Frage gefordert, ob synthetische Pflanzenschutzmittel,
auch Pestizide genannt, nach wie vor Bedeutung haben
werden. Sie haben es von unserer Fraktion gehört: Natürlich haben sie auch in Zukunft für die konventionelle
Landwirtschaft Bedeutung. Natürlich wird jetzt nicht die
Keule geschwungen und versucht, alle diese Mittel vom
Markt zu drängen. Das hat die Regierung bisher nicht getan und wird sie auch in Zukunft nicht tun. Aber die Zulassung von Pestiziden muss sich unter dem Aspekt des vorbeugenden Verbraucherschutzes bewähren. Es kann
deshalb auch in diesem Bereich nicht darum gehen, die
Sicherheitskriterien herabzusetzen. Auch hier gilt: kein
Risiko für die Verbraucher! Das ist die Priorität beim Einsatz von Pestiziden.
Ihnen scheint es - so lese ich es aus Ihrem Antrag heraus, aber ich vermute, dies ist insgesamt die Leitlinie Ihrer Politik - ausschließlich darum zu gehen, möglichst
viele Pestizide auf den Markt zu bringen bzw. möglichst
viele dort zu halten. Für dieses Ziel wollen Sie möglichst
niedrige Zulassungskriterien festlegen.
({4})
Eine verantwortungsbewusste Politik muss sich bei der
Zulassung von Pestiziden folgenden Anforderungen stellen, und zwar in der Reihenfolge, in der ich sie vortrage:
Erstens. Sie muss die Sicherheit für Verbraucher, Anwender und Umwelt garantieren. Die Sicherheit muss an erster Stelle stehen. Zweitens. Sie muss transparent und überprüfbar sein. Drittens. Sie muss den neuesten Stand der
Technik gewährleisten. Viertens. Sie muss anwendungsbezogen und problemgerecht sein. Das ist das Ziel der
Bundesregierung und der sie tragenden Koalitionsfraktionen beim Einsatz von Pestiziden.
Die Vorwürfe, die Sie im Zusammenhang mit der Harmonisierung auf europäischer Ebene bei der Lückenindikation erheben, weise ich zurück. Wir haben die
Harmonisierungsbestrebungen auf europäischer Ebene
vorangetrieben, um die im Übrigen auch von der OECD
anerkannten Kriterien, die wir in Deutschland für die
Zulassung haben, zu verankern. Auch haben wir dafür
Sorge getragen, dass dort, wo eine Lücke zu entstehen
drohte, diese kurzfristig und sicherheitsorientiert geschlossen werden konnte.
Das wird auch weiterhin die Prämisse unseres Handelns sein, was aber nicht dazu führen darf, dass wir immer mehr Anträge auf vereinfachte Genehmigung nach
§ 18 des Pflanzenschutzgesetzes mit der Begründung bekommen, es liege eine Lückenindikation vor, und damit
das reguläre Zulassungsverfahren unterlaufen wird. Diese
Entwicklung will ich nicht haben; das Ausnahmeverfahren darf nicht zur Regel werden. Wir werden uns auch
weiterhin am vorsorgenden Verbraucherschutz orientieren.
Danke.
({5})
Jetzt spricht die Kollegin Eva Bulling-Schröter für die PDS-Fraktion.
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Innovationspotenzial
moderner Technologien ... erhalten“ - und dann noch für
den Mittelstand! -, das klingt eigentlich sehr gut. Dennoch ist der Antrag der F.D.P. nur ein weiterer Baustein Ihrer Lobbypolitik für die Gentechnik: eine Technik, die
weder dem Mittelstand noch den Landwirten etwas bieten
kann, geschweige denn den Hunger in Teilen der Welt
wirklich lindert. Sie ist auch alles andere als der Nachhaltigkeit verpflichtet, wie die F.D.P. vorgibt. Wir sollten
uns irgendwann einmal wieder über Nachhaltigkeitsregeln unterhalten; offensichtlich ist das schon zu lange her.
Wer profitiert von der gentechnischen Pflanzenzüchtung? Schauen wir in die USA: Diese Technologie im
Agro-Business führt zu Kartellbildungen und Fusionen.
({0})
Sie führt zu einer immensen Beschleunigung der Ausbildung monokapitalistischer Strukturen und begünstigt
eben nicht den Mittelstand.
({1})
Saatguthersteller wie Monsanto verkaufen ihre eigenen
Herbizide und Pestizide. Die Bauern sind nicht nur beim
Saatgut, sondern auch bei den Giften von einem Konzern
abhängig. Das soll marktwirtschaftlich sein? Herr Hirche,
Sie fragen, wem es nützt? Zumindest bestimmt den Großkonzernen.
Doch wirklich entscheidend für die PDS sind die Risiken dieser Technologien, die im Gegensatz zu anderen in
kürzester Zeit in alle Natur- und Lebensbereiche eingreifen.
({2})
Angesichts des BSE-Dilemmas sollten wir aufmerksam
sein. Wir haben hier eine Verantwortung für die Verbraucher und auch für die Landwirte. Prozesse auf der Basis
gentechnisch veränderter Organismen bzw. deren Transgene sind bei einer Freisetzung in die Umwelt in der Regel irreversibel, nicht rückholbar. Das kann man gar nicht
oft genug sagen, auch wenn es immer wieder anders dargestellt wird.
({3})
Angesichts dessen ist es besonders erschreckend, dass bei
der Gentechnik weltweit gerade einmal 1 Prozent für die
Risikoforschung ausgegeben wird. Dazu habe ich von
Ihnen leider nichts gehört.
Die einseitig motivierte Pflanzen- und Tierzüchtung
führt zu einer weiteren Sortenverarmung und baut, sollten
die Länder des Südens überhaupt das Saatgut bezahlen
können, die Abhängigkeiten der Dritten Welt von den Industriestaaten aus. Was den Hunger angeht, so haben wir
weltweit eine Überproduktion von Nahrungsmitteln und
trotzdem sterben täglich Kinder an Hunger. Vielleicht hat
dies auch etwas mit Verteilung und nicht nur mit Technologie zu tun.
Im Hinblick auf die Harmonisierung des Pflanzenschutzrechtes in der EU kann ich für die PDS nur wiederholen: F.D.P. und CDU/CSU tun so, als hänge vom
Einsatz von Pflanzenschutzmitteln das Wohl und Wehe
der Landwirtschaft ab. Dabei ist es noch nicht so lange
her, dass landwirtschaftliche Produktion auch ohne die
Vielzahl dieser Mittel möglich war; in vielen Ländern ist
dies noch immer möglich.
Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO
erleiden jährlich Millionen Menschen schwere Pestizidvergiftungen. Mindestens 40 000 Fälle verlaufen tödlich.
({4})
- Daran kommen Sie nicht vorbei. Noch heute verkaufen
Pharmakonzerne, zum Beispiel die Firma Bayer, Wirkstoffe, die von der WHO als „extrem gefährlich“ bezeichnet werden.
Eine Harmonisierung der entsprechenden Gesetze
nach unten, wie es die Anträge fordern, kommt deshalb
für die PDS nicht in Frage.
Danke.
({5})
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Gustav Herzog für die SPDFraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als die F.D.P. Anfang des vergangenen Jahres ihre Anfrage eingereicht hat, war das
allgemeine Lamentieren über die ungleichen Wettbewerbsbedingungen, die schleppenden Zulassungen und
die angeblich und zum Teil auch tatsächlich vorhandene
Bedrohung durch fehlende Pflanzenschutzmittel noch
groß.
Es ist still geworden in diesem Bereich und das liegt
nicht nur daran - wie sicherlich gleich jemand einwenden
wird -, dass wir vor der viel größeren Herausforderung
BSE stehen, sondern auch daran, dass ein großer Teil des
Zulassungsstaus abgebaut werden konnte.
Die konzertierten Bemühungen der letzten zwei Jahre
haben Erfolg gezeigt. Daher von dieser Stelle aus ein
herzlicher Dank an die beteiligten Ministerien, den Berufsstand, die Industrie, die Kolleginnen und Kollegen im
Ausschuss - auch wir haben Druck gemacht - und vor allen Dingen an die Bundesregierung.
({0})
Die Bundesregierung hat noch im Herbst 2000 ein Memorandum über die Gleichwertigkeit der Wettbewerbsbedingungen im Bereich Pflanzenschutzmittel in Brüssel
vorgelegt, da sich die Prüfung von Altwirkstoffen durch
die EU extrem verzögert hatte. Nicht zuletzt ging es auch
oft wegen von der Industrie unvollständig vorgelegter Unterlagen nicht voran. Das Memorandum ist bei allen anderen Mitgliedstaaten auf große Zustimmung gestoßen
und wir sind gespannt auf den Bericht, den die Kommission in wenigen Monaten vorlegen muss.
Im Grunde genommen könnte man die heutige Debatte
also weitestgehend als Schnee von gestern bezeichnen.
Sie bietet aber eine gute Gelegenheit für einen grundsätzlichen Gedankenaustausch über den Pflanzenschutz. Die
von CDU/CSU und F.D.P. getragene Bundesregierung
hatte Anfang der 90er-Jahre eine Studie über Nutzen und
Kosten des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln in Auftrag gegeben, die aber, nachdem sie 1997 vorgelegt worden war, still und heimlich in der Schublade verschwunden ist. Ihre Ergebnisse waren nämlich für den
chemischen Pflanzenschutz so unerwartet heikel, dass
man eine Diskussion über den prinzipiellen volkswirtschaftlichen Nutzen von Pflanzenschutzmitteln befürchtete.
Professor Hermann Waibel musste damals Prügel einstecken, weil er anregte, die deutsche Pflanzenschutzpolitik angesichts des zwar positiven, aber doch recht begrenzten volkswirtschaftlichen Nutzens des Einsatzes von
Pflanzenschutzmitteln grundsätzlich zu überdenken, weil
er ermittelt hatte, dass der Einsatz chemischer Pflanzenschutzmittel in den weltweit wichtigsten Kulturen überschätzt wird und weil er empfahl, den Einsatz ökonomischer
Instrumente wie einer Steuer auf Pflanzenschutzmittel zu
erwägen. Eine solche Abgabe wird bereits in Frankreich
und Dänemark erhoben und Großbritannien steht nach
meinen Erkenntnissen kurz vor einer Einführung.
Jetzt ist es Zeit, Studien wie diese hervorzuholen und
den Pflanzenschutz daraufhin abzuklopfen, wie Gedanken an eine ganzheitliche Vorsorge, einen umfassenden
Verbraucherschutz und eine umweltfreundliche Wirtschaftsweise im gesamten Wirtschaften Eingang finden
können. Ich bin mir sicher, dass der Pflanzenschutz prinzipiell sinnvoll ist. Ich sehe allerdings die Notwendigkeit,
noch stärker als bisher die Bedeutung des chemischen
Pflanzenschutzes zurückzudrängen. Er ist ein Bestandteil
integrierten Wirtschaftens, sollte aber auf Dauer seine
führende Stellung verlieren.
Herr Kollege Herzog,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Heinrich?
Nein, es tut mir Leid. Es hat
bereits einige Verzögerungen gegeben. Zudem wartet
mein Flugzeug nicht, wohl aber zu Hause die Familie.
({0})
Es gibt genügend praxisreife Ergebnisse, die beweisen,
dass es sehr oft auch ohne Chemie geht.
Ich bestreite nicht, Herr Heinrich, dass besonders die
Hersteller von Pflanzenschutzmitteln eine Menge Arbeit
und Geld in die Entwicklung von Wirkstoffen stecken, um
diese umweltschonender und anwenderfreundlicher zu
machen. Ich sehe auch die Bemühungen vieler Landwirte,
Winzer und Gärtner, wirklich nach den Prinzipien des integrierten Anbaus zu arbeiten.
Trotzdem werden noch heute 120 bis 180 Millionen DM pro Jahr aufgewendet, um Pflanzenschutzmittelrückstände aus dem Trinkwasser zu entfernen. Nach
dem Prinzip „Das Bessere ist der Feind des Guten“ wird
sich auch der Pflanzenschutz einer eingehenden Neubewertung zu unterziehen haben.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({1})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zu den Überweisungen und Abstimmungen. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage
auf Drucksache 14/2297 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Drucksache 14/3713. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner
Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der
Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/3096 mit dem
Titel „Zulassung von Pflanzenschutzmitteln auf nationaler und EU-Ebene beschleunigen“. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen von
CDU/CSU- und F.D.P.-Fraktion angenommen.
Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der
Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der
F.D.P. auf Drucksache 14/3298 mit dem Titel „Wettbewerbsnachteile durch unterschiedliche Zulassungspraxis
von Pflanzenschutzmitteln in Europa zügig abbauen“.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist
gegen die Stimmen von CDU/CSU- und F.D.P.-Fraktion
angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 sowie den Zusatzpunkt 9 auf:
17. Erste Beratung des von den Abgeordneten Gerda
Hasselfeldt, Heinz Seiffert, Bartholomäus Kalb,
weiteren Abgeordneten und der Fraktion der
CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Erhöhung des Trinkgeldfreibetrages
- Drucksache 14/4938 ({0}) Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({1})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
ZP 9 Erste Beratung des von den Abgeordneten Ernst
Burgbacher, Gerhard Schüßler, Dr. Hermann Otto
Solms, weiteren Abgeordneten und der Fraktion
der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Einkommensteuergesetzes ({2})
- Drucksache 14/5233 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({3})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner für die
CDU/CSU ist der Kollege Klaus Brähmig.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! In der heutigen Sitzung beraten wir über den Gesetzentwurf der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zur Erhöhung des Trinkgeldfreibetrages und
den F.D.P.-Antrag zur Abschaffung der Trinkgeldbesteuerung - ein Ziel, zwei Wege. Wenn man die Berichterstattung in der heutigen „BZ“ liest, stellt man fest: Offensichtlich handelt es sich um einen Sachverhalt mit kleiner
Ursache, aber großer Wirkung.
Zur Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen in
Deutschland brauchen wir dringend eine Umorientierung
zu einer Dienstleistungsmentalität und eine Qualitätsoffensive im Bereich Tourismus. Als Tourismuspolitiker
freue ich mich besonders, dass Praktiker vor Ort wie der
DEHOGA Lippe, der DEHOGA-Landesverband BadenWürttemberg und der Tourismusverband meines Wahlkreises sich bereits seit zwei Jahren dem Thema Qualitätssteigerung widmen.
Eine Hürde auf diesem Weg zum Dienstleistungsland
Deutschland stellt die gegenwärtige Besteuerung von
Trinkgeldern dar, die alle im Dienstleistungssektor Tätigen wie beispielsweise Kellner, Pagen, Taxifahrer,
Krankenschwestern und Friseure gleichermaßen betrifft.
Jeder, der die Situation im Pflegebereich und im Gaststättengewerbe kennt, weiß von den Schwierigkeiten,
hochmotivierte und besonders freundliche dienstleistungsbereite Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu finden,
die bereit sind, insbesondere außerhalb der üblichen Geschäftszeiten sowie an Wochenenden und Feiertagen zu
arbeiten.
({0})
Eine wichtige Voraussetzung für die Motivation und
Freundlichkeit des Personals sind Trinkgelder der Gäste
als Anerkennung für besonders qualifizierten Service und
als Ausdruck der Zufriedenheit mit der in Anspruch genommenen Dienstleistung.
Mit unserem Gesetzentwurf zur Anhebung des Freibetrages für Trinkgelder von derzeit 2 400 DM auf 4 200 DM
wollen wir in einem ersten Schritt die Rahmenbedingungen
für den Dienstleistungssektor verbessern. Die zu erwartenden Steuermindereinnahmen von schätzungsweise
130 Millionen DM werden durch die positiven Auswirkungen für den Tourismusstandort Deutschland mehr als wettgemacht. Motivierte Mitarbeiter und zufriedene Gäste aus
dem In- und Ausland sind das beste Marketingkonzept für
das Urlaubs- und Reiseland Deutschland.
Obwohl auch in anderen Dienstleistungsberufen Trinkgelder die Regel sind, werden sie in erster Linie im gastronomischen Bereich besteuert. Die Gastronomie ist aber
wie kaum eine andere Branche zur Erbringung ihrer Leistung auf motiviertes, gut geschultes und freundliches Personal angewiesen.
({1})
Diese Benachteiligung im Vergleich zu anderen Branchen
hängt damit zusammen, dass es hier leichter ist, die Höhe
des Trinkgeldes in Abhängigkeit vom Umsatz zu schätzen.
Mit unserem Antrag bewegen wir uns im Gegensatz zu
der Forderung der F.D.P. nach einer völligen Abschaffung
der Trinkgeldbesteuerung im derzeitig rechtlich gültigen
Rahmen.
({2})
Die CDU/CSU steht in dieser Frage für seriöse Politik in
nachvollziehbaren Schritten und für realistische Ziele mit
Augenmaß.
({3})
Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes sind Trinkgelder nun einmal Arbeitslohn
und damit der Lohnsteuer unterworfen. Demnach handelt
es sich hier nicht um eine vom Dienstverhältnis losgelöste
und aus rein privaten Motiven erfolgte Schenkung, sondern um ein zusätzliches Entgelt für die entgegengenommene Dienstleistung.
({4})
Außerdem hat meines Erachtens die Besteuerung von
Trinkgeldern möglicherweise auch eine Schutzfunktion
für die Arbeitnehmer im Gastgewerbe. Denn sonst wäre
zu befürchten, dass Arbeitgeber mit dem Hinweis auf die
Steuerfreiheit der Trinkgeldzahlungen ihre eigenen Lohnzahlungen reduzieren.
({5})
Ich möchte aus der „Welt“ von heute Folgendes zitieren - die Überschrift des Artikels lautet „Trinkgeld-Terror“ -:
Es ist bekannt, dass gerade in den USA das Servicepersonal in erster Linie vom Trinkgeld lebt - der
Stundenlohn ist bescheiden, soziale Absicherung zudem oft ein Fremdwort.
({6})
Es darf nicht so kommen, dass die flexiblen Lohnbestandteile die Tariflöhne ersetzen.
Weiterhin gebe ich zu bedenken, dass nominale Werte
von Zeit zu Zeit der Realität angepasst werden müssen.
Die Anpassung des seit 1990 unveränderten Freibetrages
ist angesichts des Anstiegs des allgemeinen Preisniveaus
mehr als überfällig. Schließlich und endlich könnte mit
der Anhebung des Freibetrages ein Beitrag zur Verwaltungsvereinfachung geleistet werden; denn damit würde
verhindert, dass auch bei geringen Trinkgeldbeträgen
Steuerfestsetzungen notwendig werden. Trotz dieser
schlüssigen Argumente für die Anhebung des Freibetrages wurden bisher alle Vorstöße in diese Richtung von der
rot-grünen Koalition niedergestimmt.
Wie stimmt diese Haltung mit Ihren Forderungen vom
Mai 1998 überein, sehr geehrte Kollegen der SPD? Nicht
nur die SPD-Tourismuspolitiker, sondern auch der damalige Ministerpräsident Gerhard Schröder versprachen im
letzten Bundestagswahlkampf vollmundig sogar die völlige Abschaffung der Trinkgeldbesteuerung. Frau Kollegin Irber wiederholte diese Forderung erst heute in der
„B.Z.“.
({7})
Ich habe in den letzten Wochen die 16 Finanzminister
aller deutschen Bundesländer angeschrieben. Von keinem
einzigen Finanzminister habe ich die Zusage bekommen,
sich dafür einsetzen zu wollen, die Trinkgeldbesteuerung
voll und ganz abzuschaffen.
({8})
- Herr Milbradt hat mir geantwortet, als er noch im Amt
war. Aber auch von den anderen Finanzministern, etwa
von Herrn Aller aus Niedersachsen, habe ich Antworten
bekommen, die in dieselbe Richtung gingen.
({9})
Aber es ist wie so häufig bei rot-grüner Regierungspolitik: Der Berg kreißt und gebiert nicht einmal eine Maus. Wo waren Sie bei der Abstimmung über die beiden Anträge, die der Kollege Burgbacher hier für seine Fraktion
im letzten Jahr eingebracht hat? Wir haben zu diesem
Thema schon zwei Debatten geführt, am 2. Dezember
1999 und am 29. Juni 2000. Die heutige Debatte ist also
die dritte. Lieber Kollege Burgbacher, ich gehe davon aus,
dass diese Debatte bis zum Ende der Legislaturperiode
garantiert nicht die letzte sein wird.
Jetzt ein Appell an meine Nachredner und die zu erwartenden Zwischenrufer: Verschonen Sie mich mit
Ihren Hinweisen auf die angeblich so große Entlastung
der Arbeitnehmer durch die Steuerreform. Nach Berechnungen des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung, RWI, haben die privaten Haushalte
durch die gestiegenen Energiekosten und die Ökosteuer
vom zweiten Quartal 1998 bis zum zweiten Quartal 2000
einen Kaufkraftverlust von 37,3 Milliarden DM hinnehmen müssen. Die von der Bundesregierung genannte
Entlastung der privaten Haushalte im Zuge der Steuerreform 2000 von rund 33 Milliarden DM ist also bereits
mehr als verfrühstückt. Bei anhaltend hohen Energiekosten wird die von der Bundesregierung angegebene
Gesamtentlastung von 65 Milliarden DM im Zeitraum
von 1998 bis 2005 noch nicht einmal die höheren Energiekosten kompensieren.
Neben dieser Problematik hat sich die Bundesregierung aber auch einige gezielte Belastungen für die Unternehmen des Gastgewerbes einfallen lassen. Erinnert sei
hier nur an die Neuregelung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse und an die Abschaffung des Vorsteuerabzugs bei geschäftlich veranlasster Bewirtung und Beherbergung. Die Auswirkungen dieser Politik sind
offensichtlich.
Wir freuen uns mit der Branche über die positive
Entwicklung der Gäste- und Übernachtungszahlen im
Deutschlandtourismus: Erstmals mehr als 300 Millionen Übernachtungen sind eine beeindruckende Leistung. Aber schlägt sich das auch auf die Umsatzentwicklung und den Arbeitsmarkt nieder? Fehlanzeige! 1999
sank der Umsatz im Gastgewerbe um 1,4 Prozent und im
Zeitraum von Januar bis Oktober 2000 stieg er lediglich
um 1,1 Prozent. Durchgängig negativ sind die Werte für
die Gastronomie, deren Umsatz 1999 um 2,7 Prozent und
in den ersten Monaten des letzten Jahres um weitere
1,8 Prozent sank. Es überrascht deshalb nicht, dass die
Zahl der Beschäftigten im Gastgewerbe 1999 um 6,4 Prozent und von Januar bis Oktober 2000 noch einmal um
2,7 Prozent zurückging.
Das von der rot-grünen Bundesregierung suggerierte
Bild der Boombranche Tourismus steht also auf tönernen
Füßen. Zu einer ehrlichen volkswirtschaftlichen Analyse
gehören eben alle Zahlen und nicht nur eine selektive Betrachtung. Wenn die Bundesregierung, wie Bundeskanzler Gerhard Schröder formuliert hat, ihren Erfolg wirklich
daran messen lassen will, inwieweit die Arbeitslosigkeit
abgebaut wird, dann können wir für den arbeitsplatzintensiven Tourismus feststellen: Durchgefallen - nicht versetzungsfähig!
Meine Damen und Herren, die Unterstützung unseres
Gesetzentwurfes wäre ein kleiner, aber nicht zu unterschätzender Baustein, ein auch psychologisch wichtiges
Signal für einen Neuanfang in Ihrer bisher verfehlten Tourismuspolitik.
({10})
- Da schauen wir einmal.
({11})
Das von Ihnen auf unseren Vorschlag hin ausgerufene
Jahr des Tourismus in Deutschland braucht - dieser Appell
richtet sich an die die Regierung tragenden Fraktionen positive Impulse. Wir wollten keine Showveranstaltung
für Grüßonkel, sondern eine langfristige Umorientierung
zu einer stärkeren Dienstleistungsmentalität.
Vielen Dank.
({12})
Für die SPD-Fraktion
spricht jetzt die Kollegin Simone Violka.
Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Sehr geehrte Frau Präsidentin! Die
CDU/CSU fordert eine Erhöhung des Freibetrages von
2 400 DM auf 4 200 DM und will damit unter dem Deckmantel „Vereinfachung des Steuerrechts“ mal wieder
Ausnahmetatbestände schaffen. Die F.D.P. setzt sogar
noch einen drauf und fordert die komplette Abschaffung
der Besteuerung von Trinkgeldern.
({0})
Doch solche Ausnahmetatbestände und Steuervergünstigungen für eine einzelne Gruppe müssen immer die anderen Steuerzahler tragen. Was das heißt, haben die Menschen in diesem Land vor 1998 deutlich gespürt, indem
sie jährlich einen größeren Fehlbetrag in ihrer Geldbörse
feststellen mussten. Während der Klein- und Mittelverdiener ohne Kompromisse seine Steuern zahlen musste,
erlaubten es in Ihrer Regierungszeit über 70 Sondertatbestände dem Großverdiener, seine Steuerschuld oftmals bis
auf Null zu reduzieren. Das war eines der ersten Dinge,
die wir nach der Regierungsübernahme abgeschafft haben, und das war gut und richtig so.
({1})
Das hatten wir den Bürgerinnen und Bürger vor der Wahl
versprochen und wir haben es auch gehalten, weil wir es
wie die Menschen, die wir als Abgeordnete vertreten, als
ungerecht empfinden, wenn sich nicht alle nach ihrer
Leistungsfähigkeit an dem Steueraufkommen beteiligen.
Natürlich wurde das dicke Paket der Steuervergünstigungen nicht auf einmal von Ihnen beschlossen. Da war
es mal die eine Gruppe, für die eine Ausnahmeregelung
gemacht wurde, mal die andere. Ich will nicht verneinen,
dass einige dieser Regelungen den neuen Ländern zugute
kommen sollten und auch einige Zeit zugute kamen. Aber
irgendwann wurden aus Aufbauprogrammen nur noch
Steuersparprogramme und Sie haben durch Ihr Nichts-dagegen-Tun bestätigt, dass Sie darüber entweder den
Überblick verloren hatten oder aber dass diese Modelle,
von denen nur Großverdiener profitierten, gewollt waren
und geduldet wurden. Wir haben damit Schluss gemacht.
Anstatt mal die eine, mal die andere Gruppe zu bedienen, haben wir eine Steuerreform auf den Weg gebracht,
von der alle profitieren.
({2})
Wir haben den Eingangssteuersatz für das Jahr 2001 auf
19,9 Prozent gesenkt. Nur einmal zur Erinnerung: Im Jahr
1998 lag er noch bei 25,9 Prozent. Das ist eine Absenkung
um 6 Prozentpunkte. Bis zum Jahr 2005 wird der Eingangssteuersatz auf 15 Prozent gesenkt.
({3})
Damit entlasten wir vor allem die kleinen Einkommen um
insgesamt 10,9 Prozentpunkte. Das ist eine Leistung, die
die Menschen spürbar entlastet. Das haben Sie während
Ihrer Regierungszeit nie fertig gebracht,
({4})
im Gegenteil: Sie haben hier im Bundestag auch noch gegen diese Steuerreform gestimmt. Zum Glück haben einige Ihrer Parteifreunde in den Ländern die politische
Brille abgesetzt und im Bundesrat für diese Steuerreform
gestimmt, weil sie erkannt haben, wie richtig und wichtig
sie für unser Land ist.
({5})
Aber die Senkung der Steuern ist ja nicht unsere einzige Leistung. Zusätzlich steigt noch der Steuerfreibetrag
auf gut 14 000 DM in diesem Jahr und auf gut 15 000 DM
im Jahr 2005. Das bringt auch den Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmern im Gastronomiegewerbe mehr Geld
ins Portemonnaie.
({6})
Frau Kollegin Violka,
gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Simone Violka [SPD]: Ja.
({0})
- Ich muss nicht zum Flieger.
Ich auch nicht, ich fahre
mit der Bahn.
({0})
- Dafür bin ich nicht auch noch zuständig, Kollege
Ramsauer.
Frau Kollegin Violka, sehe ich die Sache richtig, dass
es in der SPD-Fraktion zwischen der Arbeitsgruppe
Finanzen - Sie halten ja hier ein leidenschaftliches Plädoyer dafür, den Freibetrag bei 2 400 DM zu belassen ({1})
und der Arbeitsgruppe Tourismus möglicherweise noch
Abstimmungsbedarf gibt? Ihre Kollegin und meine geschätzte Mitstreiterin im Tourismusausschuss hat sich
nämlich heute in der „B. Z.“ - ich habe darauf hingewiesen - ganz klar und eindeutig für die Abschaffung der
Trinkgeldbesteuerung ausgesprochen. Könnten Sie vielleicht dazu ganz kurz Stellung beziehen?
Selbstverständlich kann ich
Ihnen dazu etwas sagen. Ich kann zwar nicht die Aussage
eines Mitglieds unserer Fraktion bewerten und ich kenne
auch nicht das Originalinterview. Wir alle wissen, wie die
Presse mit so etwas umgeht. Aber ich kann Ihnen eines sagen: Wenn Sie uns nicht so riesengroße Haushaltslöcher
hinterlassen hätten, dann hätten wir in der Steuerfrage
natürlich einen größeren Spielraum.
({0})
- Das meine ich ganz ernst.
({1})
Die Steuerreform, die wir verabschiedet haben, wurde
erst möglich, weil wir die Basis der Steuerzahler verbreitert haben und insbesondere Steuervergünstigungen weitgehend abgeschafft haben. Genau das Gegenteil wollen
Sie mit Ihrem Gesetzentwurf erreichen. Aber von diesem
Weg der politischen Vernunft werden wir nicht abweichen. Darin stimmen uns im Übrigen auch die Wirtschaftssachverständigen zu. Wenn Sie uns aus parteipolitischen Gründen nicht glauben, dann glauben Sie
wenigstens den Sachverständigen. Auf diese beziehen Sie
sich doch sonst so gern, wenn deren Aussage in Ihrem
Sinne ist.
Übrigens bin ich bei der Vorbereitung meiner Rede auf
einen interessanten Ausspruch gestoßen, den ich Ihnen
nicht vorenthalten will. Unter der Überschrift „Anforderungen an eine moderne Steuerreform“ konnte ich lesen:
Gleichbehandlung aller Einkunftsarten
Ein modernes Steuerrecht basiert auf einem synthetischen Einkommensbegriff: Alle Einkünfte werden
in einer Summe zusammengefasst und auf dieses Gesamteinkommen ein einheitlicher Tarif angewendet.
({2})
- Ein Trinkgeld ist keine Schenkung. Das haben wir uns
in mehreren Debatten eigentlich schon angehört. Im Übrigen ist dieses Zitat nachzulesen bei: www.cdu.de.
Das widerspricht nun völlig dem von Ihnen heute eingebrachten Gesetzentwurf. Im Übrigen haben auch die
Petersberger Beschlüsse den Abbau von Steuervergünstigungen verlangt. Aber daran können Sie sich anscheinend nicht mehr erinnern. Das ist eigentlich nicht verwunderlich, wenn man die in Ihren Reihen grassierenden
Erinnerungslücken bedenkt, die vor allem immer dann
vorhanden sind, wenn es um Geld geht.
Nun wieder zurück zu Ihrem Gesetzentwurf. Sie
führen in der Begründung aus, die nicht gerade hoch entlohnten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus dem
Gastronomiegewerbe sollen nicht durch eine zu rigide
Besteuerung geschwächt werden. Ich gebe Ihnen natürlich Recht, dass die Entlohnung dort nicht üppig ist, unter
anderem auch deshalb, weil sich der Arbeitgeber auf die
Trinkgelder beruft, die den Lohn ergänzen.
Aber ich verstehe nicht, weshalb man dieses Phänomen über Steuervergünstigungen lösen soll. Erklären Sie
doch bitte einmal einer Angestellten, die an einer Tankstelle in Schichten arbeitet, auch am Wochenende arbeiten muss, auch den ganzen Tag auf den Beinen ist, auch
freundlich sein muss und dafür 12 DM die Stunde bekommt, warum sie ihren Lohn voll versteuern muss und
jemand anderes, der ähnliche Arbeitsbedingungen in der
Gastronomie hat, für einen Teil seines Einkommens keine
Steuern zahlen soll.
Ein weiterer Grund, den Sie für Ihre Gesetzesinitiative
angegeben haben, ist die Motivation für gute Leistungen
des Personals. Ich frage Sie: Wollen Sie allen Ernstes Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durch einzelne Steuerentlastungen motivieren? In meinen Augen ist das völlig absurd; denn dann müssen Sie auch meiner als Beispiel
dienenden Tankstellenangestellten eine Steuerbefreiung
einräumen. Auch sie hat keine angemessene Entlohnung
und seit mindestens drei Jahren keinen Pfennig Lohnerhöhung gehabt. Oder wollen Sie vielleicht sagen, dass
diese Angestellte nicht motiviert ist, nicht freundlich ist?
({3})
Aber das ist nur ein Beispiel. Es ist richtig, die Bezahlung im Dienstleistungsgewerbe ist größtenteils ziemlich
gering. Aber für eine angemessene Bezahlung sind immer
noch die Tarifpartner verantwortlich. Wer wie Sie die
Steuerpolitik zur Nachbesserung magerer Tarifabschlüsse einsetzen will, bürdet dem Steuerzahler eine
Last auf, die eigentlich die Branche bzw. der Arbeitgeber
zu tragen hat.
Mir ist im Übrigen auch nicht klar, wie die CDU mit
ihrer Begründung ausgerechnet auf eine Erhöhung des
Freibetrages von 75 Prozent kommt. In meinen Augen ist
das eine völlig willkürliche Festlegung, der jegliche
Grundlage fehlt. 1990 wurde der bis dahin geltende Freibetrag auf 2 400 DM angehoben. Jetzt, zehn Jahre später,
soll er um 75 Prozent erhöht werden. Als Begründung
führen Sie an, aufgrund des zwischenzeitlich angestiegenen Preisniveaus sei eine Anpassung vernünftig. Wollen
Sie damit ausdrücken, dass die Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer jetzt 75 Prozent mehr Trinkgeld als 1990
bekommen? Aber wäre es, wenn Sie der Meinung sind,
das Preisniveau sei so stark gestiegen, nicht logischer, davon auszugehen, dass weniger Trinkgelder gezahlt werden, weil die Gäste weniger Geld zur Verfügung haben?
In diesem Fall wäre die bisherige Freigrenze mehr als ausreichend.
({4})
- Die Realität ist so, dass ich sehr lange gekellnert habe.
Ich weiß, was an Trinkgeldern gezahlt wird. Ich habe das
Trinkgeld übrigens versteuert; denn ich habe das meinem
Arbeitgeber vorher mitgeteilt.
({5})
- Das können Sie nachprüfen. Ich habe das sogar nach
Steuerklasse 6 versteuert.
Es tut mir Leid, aber ich kann Ihre Argumente überhaupt nicht nachvollziehen und erst recht nicht teilen. Im
Gegenteil: Die jetzige Regelung der Besteuerung hat
durchaus auch problematische Seiten. Sie ist nämlich deshalb problematisch, weil diese Gruppe von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gegenüber anderen Beschäftigten bei der Versteuerung des Einkommens schon jetzt
bevorzugt wird. Ein Freibetrag von 2 400 DM ist für
viele Menschen in meiner Region schon ein Monatslohn.
Allerdings kann ich diese Bevorzugung vertreten, weil
mit der Abschaffung des Freibetrages der bürokratische
Aufwand natürlich immens ansteigen würde. Das ist aber
auch das einzige Argument, das ich gelten lasse.
Ein weiteres gewichtiges Argument steht Ihrem Entwurf entgegen. Unsere Aufgabe ist es auch, den Steuerzahler gesetzlich vor steuerlichen Missbräuchen zu schützen. Bei einem sehr großen Freibetrag oder bei überhaupt
keiner Besteuerung besteht nämlich die Gefahr, dass
Lohnbestandteile plötzlich in Trinkgelder umgewandelt
werden. Die gegenwärtige Freigrenze von 2 400 DM dient
auch als Barriere gegen nicht mehr zu kontrollierende
Steueroasen.
({6})
Auch wenn Sie es anders sehen: Wir nehmen die Belange
des Gastgewerbes sehr ernst.
({7})
Ihre Zwischenrufe und Ihre Unruhe zeigen mir, dass ich
den Nerv getroffen habe.
({8})
Wir haben die Tourismusbranche und das Gastronomiegewerbe mit mehr Haushaltsmitteln ausgestattet, als
Sie das je gewollt haben. Im Bundeshaushalt 2000 stiegen
die Zuwendungen an die deutsche Zentrale für Tourismus
auf rund 42 Millionen DM. Das ist ein Anstieg um 6 Prozent.
({9})
Ich komme zu dem Wachstum, das Sie angesprochen
haben. Ich erkenne nicht, wo das geltende Recht dem
Wachstum der Branche im Weg stehen soll. Gestern stand
in der Zeitung ein interessanter Artikel mit der Überschrift
„Gastronomie fordert die Green Card für Kellner“. Tatsache ist aber, dass es nicht zu wenig Stellen, sondern zu wenig Kellner gibt. Da fragt man sich natürlich, woran das
liegt.
({10})
In diesem Artikel äußert sich ein Kellner, der einen Job
sucht - ich zitiere -:
Vor zehn Jahren waren die Arbeitsbedingungen besser. Da wurde gut gezahlt, Festanstellung statt Saisonarbeit. Heute werden wegen der Billiglöhne lieber zehn schlechte Leute als eine gute Fachkraft
eingestellt.
Genau das ist der Kern des Problems; denn auch vor
zehn Jahren wurde das Trinkgeld schon besteuert.
({11})
Man ist in der Gastronomie davon abgekommen, seine
Mitarbeiter zu halten. Man ist zu 630-Mark-Jobs und zur
Scheinselbstständigkeit übergegangen. Wir wissen doch
selbst, welche seltsamen Blüten dieses Vorgehen getrieben hat: Ein Kellner wurde nicht mehr als Kellner beschäftigt, sondern als Selbstständiger. Er musste das
Essen an der Theke kaufen und an den Gast weiterverkaufen. Er hatte keinen Handlungsspielraum. Wenn der
Umsatz nicht stimmte, bekam er den Vertrag nicht verlängert. Wo, bitte schön, ist das sozial? Dieser Zustand ist
nicht hinzunehmen.
Solche Beispiele zeigen, wie wichtig es ist, entsprechende gesetzliche Regelungen zu haben. Wenn wir diese
gesetzlichen Regelungen nicht mehr hätten, würde es
viele Ausnahmetatbestände geben, sodass jeder Zweite
- unabhängig von dem Dienstleistungsgewerbe - zur
Hälfte vom Trinkgeld leben müsste, egal, woher es
kommt, und nur noch die Hälfte seines Einkommens versteuert.
Vielen Dank.
({12})
Für die F.D.P.-Fraktion spricht jetzt der Kollege Ernst Burgbacher.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Zunächst einmal möchte ich feststellen, dass es schon seltsam ist, dass bei dieser Debatte weder ein Vertreter des BMF noch ein Vertreter des BMI anwesend ist. Diese Tatsache mag jeder werten, wie er will.
({0})
Die F.D.P.-Fraktion hat im Oktober 1999 einen ersten
Gesetzentwurf zur Abschaffung der Trinkgeldbesteuerung eingebracht. Er wurde im Juni 2000 abgelehnt. Wir sind an der Sache weiter drangeblieben,
weil es um die kleinen Leute geht - es geht nicht um
Großverdiener, wie Sie gerade gesagt haben -, für die
dies ein Problem ist.
({1})
Wir begrüßen es deshalb, dass dieses Thema heute wieder
zur Sprache kommt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU,
Sie fordern die Erhöhung des Freibetrags. Sie beziffern
die Steuermindereinnahmen auf 130 Millionen DM. Ich
bitte Sie sehr, das zu begründen. Ich bin der Sache nachgegangen: Diese Zahl ist wirklich durch nichts zu begründen. Wir gehen von einem Nettoaufkommen der gesamten Trinkgeldbesteuerung in Höhe von 3 Millionen
bis 4 Millionen DM aus. Woher Sie die Zahl von 130 Millionen DM haben, weiß ich nicht.
Sie verfolgen einen falschen Ansatz in dieser Sache.
({2})
Trinkgelder sind für den Dienstleistenden nicht einkalkulierbar. Er hat keinen Anspruch darauf; sie kommen nicht
vom Arbeitgeber. Deshalb handelt es sich nicht um Einkommen aus unselbstständiger Tätigkeit, sondern um eine
Schenkung des Gastes an den Dienstleistenden. Das sollten wir alle hier begreifen.
({3})
Wenn Sie jetzt den Freibetrag erhöhen würden, würden
Sie überhaupt nichts an dem bürokratischen Aufwand der
Aufzeichnungspflicht ändern. Sie würden nichts daran
ändern, dass Trinkgelder geschätzt werden. So läuft es in
der Praxis. Das Finanzamt schätzt, ob das Trinkgeld
2 Prozent, 3 Prozent oder mehr des Umsatzes ausmacht;
das geht bis 3,8 Prozent. Dementsprechend fällt der Steuerbescheid aus.
Dann geht es weiter. Das Finanzamt gibt dieses Ergebnis der Betriebsprüfung an die BfA weiter. Die BfA
schickt einen Bescheid über die Sozialbeiträge an den
Wirt. Ich sage Ihnen: Das geht in Dimensionen - ich kann
Ihnen das gerne zeigen - bis 40 000 oder 50 000 DM. Das
kann doch nicht sein. Dass diese Zahlen auf Schätzungen
beruhen, ist doch kein System, das die Menschen überhaupt noch nachvollziehen können.
({4})
Außerdem geht das gegen die Gleichmäßigkeit der
Besteuerung, weil nur ein Bereich herausgegriffen wird,
nämlich Hotels und Gastronomie. In den meisten anderen
Bereichen werden die Trinkgelder überhaupt nicht besteuert. Auch aus dem Grunde geht das nicht.
Konsequenz daraus: Dann müssen wir halt - zu den
Einwürfen vorhin kann ich nur sagen: wir sind doch der
Gesetzgeber - Gesetze ändern.
({5})
Deshalb haben wir unseren Gesetzentwurf eingebracht, in
dem steht: Freiwillig gezahlte Trinkgelder gehören nicht
zu den Einkünften aus nicht selbstständiger Arbeit. Dann ist alles klar.
({6})
Das können wir als Gesetzgeber natürlich machen.
Jetzt lassen Sie mich noch zu der rot-grünen Mehrheit
im Hause kommen. Sie haben das Jahr des Tourismus
ausgerufen. Sie haben versprochen, gerade die Träger des
Tourismus, Hotels und Gastronomie, zu unterstützen. Was
haben Sie gemacht?
({7})
Sie haben die 0,5-Promille-Grenze eingeführt, ein Schlag
für die Gastronomie.
({8})
- Sie haben halt keine Ahnung, um was es geht, das ist das
Problem; deshalb lachen Sie.
({9})
Sie haben eine Änderung des Gaststättengesetzes vorgelegt. Wir haben das diskutiert. Danach gehen Jugendliche
mit einem Taschenrechner in die Kneipe und rechnen aus,
welches Getränk billiger ist. Das ist völlig realitätsfremd.
Außerdem novellieren Sie das Betriebsverfassungsgesetz
usw. In der Summe sind das Benachteiligungen von Hotels und Gastronomie.
Deshalb sage ich: Überwinden Sie sich doch endlich,
an dieser Stelle etwas Positives zu tun.
({10})
Frau Irber hat es gefordert, Herr Hilsberg hat es gefordert, andere haben es öffentlich gefordert und Sie hatten
es in Ihrem Wahlprogramm.
({11})
- Aber Sie hatten es in einem Parteiprogramm. - Der
heutige Bundeskanzler hat dem DEHOGA nachweislich - ich kann Ihnen das mit Datum sagen - versprochen: Wenn wir an die Regierung kommen, schaffen wir
die Trinkgeldbesteuerung ab.
Halten Sie endlich Ihre Versprechen!
({12})
Ich verspreche Ihnen: Wir lassen nicht locker und wir
werden erreichen, dass ein Beitrag dazu geleistet wird,
dass das Lächeln im Service zurückkommt.
Ich danke Ihnen.
({13})
Das Wort hat jetzt die
Kollegin Christine Scheel für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
ist schon überraschend, welche neuen Erkenntnisse man
an einem Freitagmittag noch gewinnen kann, zum Beispiel dass die F.D.P.-Fraktion zur Rettung der gastronomischen Wirtschaft mit der Forderung nach der Aufhebung der Promillegrenze einen Appell für Alkohol am
Steuer formuliert. Das ist unglaublich.
({0})
Wenn das soziale Gewissen der Nation hier meint, die
Koalition auffordern zu müssen, eine Aufhebung der Besteuerung vorzunehmen, dann frage ich mich, warum Sie
das eigentlich nicht in den 29 Jahren Ihrer Regierungstätigkeit und auch nicht im Zusammenhang mit der Erhöhung der Freigrenze 1990 getan haben. Sie haben sich
anscheinend bei Ihrem Koalitionspartner zum Glück
nicht durchsetzen können.
({1})
Auch das haben wir heute eindeutig feststellen können.
Es ist vollkommen klar, dass man sich als Opposition
hinstellen und, damit es nicht langweilig wird, hartnäckig
zwei Varianten fahren kann.
({2})
Die eine Variante ist die der F.D.P. - darauf komme ich
noch zurück -: generelle Freistellung. Auch die Variante
der CDU/CSU-Fraktion ist interessant. Der letzte Antrag
hat sich auf einen Trinkgeldfreibetrag von 3 600 DM bezogen, mittlerweile ist sie bei 4 200 DM gelandet. Das
ging relativ schnell, nämlich innerhalb eines halben Jahres.
({3})
Wir wollen dem Hotel- und Gaststättengewerbe unter die Arme greifen.
({4})
Das nehmen wir sehr Ernst. Deshalb sage ich dies ganz
bewusst. Das ist sehr sinnvoll. Wir wissen, dass gerade in
Gebieten, in denen andere Unternehmen wenig Chancen
haben, durch das Hotel- und Gaststättengewerbe Arbeitsplätze und Einkommen gesichert sind und dass wir es hier
mit einer sehr arbeitsintensiven Branche zu tun haben, die
auch ausbildet. Das muss man an dieser Stelle auch einmal erwähnen. Nach Angaben des DEHOGA waren in
diesem Bereich im Jahre 1999 gut 10 Prozent mehr Auszubildende beschäftigt als 1998.
({5})
Es lohnt sich also, diese Branche, die - das muss man auch
klar sehen - immer wichtiger wird, zu unterstützen.
({6})
Frau Violka hat angesprochen, wie sich der Haushalt
entwickelt hat. Wenn man die jetzigen Zahlen mit denen
vergleicht, die im Haushalt verankert waren, als wir die
Regierung übernommen haben, so zeigt sich, dass wir den
Bundeshaushalt im Bereich des Fremdenverkehrs mit
45,5 Milliarden DM unterstützen. Im Vergleich von 1998
mit dem Jahr 2001 ergibt sich somit eine 8-prozentige
höhere Unterstützung für die Tourismusbranche gegenüber Ihrer Regierungszeit - und dies trotz des Sparprogramms, das wir fahren. Dies ist eine ganz klare und gute
politische Entscheidung gewesen.
({7})
Die Frage, die sich heute stellt, lautet: Ist die Steuerbefreiung für Trinkgelder oder ein höherer Freibeitrag ein
sinnvoller Weg? Bei der Beantwortung des ersten Teils
der Frage ist interessant zu wissen, was Bayern flankierend zum Gesetzentwurf der CDU/CSU-Fraktion in den
Bundesrat eingebracht hat. Dort hat Staatsminister
Bockelt am 1. Dezember gesagt, warum die Steuerfreiheit
für Trinkgelder kein guter Weg ist. Er hat ausgeführt, der
Fantasie, neue Direktentlohnungssysteme durch den Kunden zu schaffen, wären dann keine Grenzen gesetzt. Das
würde im Endeffekt auch für die dort beschäftigten Arbeitnehmer mehr Unsicherheit schaffen und noch mehr
Druck auf die ohnehin niedrigen Löhne ausüben.
Ich kann nur sagen: Da hat er Recht. Auch die CSU hat
manchmal Recht.
({8})
Ich frage mich, ob auch den Antragstellern der F.D.P.
bewusst ist, was sie tun, wenn sie, was die Steuerbefreiung betrifft, ein Scheunentor aufmachen. Wir werden
Auswirkungen auf die Steuereinnahmen zu verzeichnen
haben.
Sie haben es ja gerade selbst angesprochen, Herr
Burgbacher. Man kann nicht sagen, welche Zahlen zugrunde gelegt werden müssen. Es gibt nur spekulative
Überlegungen. Es liegen keine konkreten Berechnungen
vor. Das heißt, Sie gehen damit ein Wagnis ein,
({9})
und zwar nicht nur, was die Steuereinnahmen betrifft, sondern auch im Hinblick auf die Sozialversicherungssysteme. Denn wenn das Ganze ausufert, sodass in allen
möglichen Berichten Steuerfreistellung gewährt wird,
dann führt dies natürlich auch dazu, dass die Bereitschaft,
in die Sozialkasse einzuzahlen, nicht mehr gegeben ist.
({10})
Somit bekämen wir nicht nur bei der Steuer ein Problem,
sondern auch bei der Sozialkasse, was sich zulasten der
Allgemeinheit durch höhere Sozialversicherungsbeiträge
bemerkbar machen würde.
({11})
Auch das wollen wir nicht.
Diese Regierung hat einen ganz klaren Weg beschritten. Dieser klare Weg heißt: Senkung der Steuersätze, Verbreiterung der Bemessungsgrundlage, Senkung der Sozialversicherungsbeiträge und damit höhere Nettolöhne.
Diesen Weg wollen wir weitergehen. Wir haben einen stabilen Haushalt. Wir werden ihn auch weiterhin stabil halten. Deswegen ist es auch gut, dass der Weg in dieser
Form gegangen wird. Dabei können wir mit Ihren Lobbyismus-Forderungen relativ wenig anfangen.
Danke.
({12})
Letzte Rednerin in
dieser Debatte ist für die PDS-Franktion die Kollegin
Dr. Barbara Höll.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich der Kritik an der
Regierung durchaus anschließen. Auch ich finde, dass
man freitags um 15 Uhr noch Verantwortung auf der Regierungsbank wahrnehmen könnte, sollte und müsste.
({0})
Nach meiner Auffassung lag Herr Brähmig mit seiner
Begründung des Gesetzesentwurfes nicht ganz richtig.
Herr Brähmig, Sie haben festgestellt, dass in bestimmten
Dienstleistungssektoren vielfach hoch motivierte Leute
fehlen. Beispiel Pizzadienst in Leipzig: Dieser sucht ständig Leute. 10 DM brutto Stundenlohn, Einsatz des eigenen Autos mit eigenem Benzin. Sie können sich vorstellen, was dabei netto herauskommt.
Dies bezeichnet ganz klar, worin das Hauptproblem
liegt: Dies sind prekäre Beschäftigungsverhältnisse, viel
zu niedrig bezahlt und zumeist noch mit sehr belastenden
Arbeitszeiten verbunden.
({1})
Daran hat sich leider in den letzten Jahren nichts geändert,
auch unter Ihrer Regierung nicht. Das Ganze fällt zwar unter die Tarifautonomie, trotzdem liegt es in der Verantwortung der Politik, hier Druck auszuüben, zumindest Zeichen
zu setzten. Die Vorschläge in Richtung Steuerpolitik sind
durchaus angebracht.
Vor diesem Hintergrund möchte ich betonen, dass wir
als PDS-Fraktion beiden Initiativen sehr positiv gegenüberstehen. Wir werden uns in den Ausschussberatungen
positionieren und entscheiden, ob wir dem F.D.P.-Vorschlag zur Steuerfreiheit oder dem CDU/CSU-Vorschlag
zur Anhebung der Freigrenzen zustimmen.
({2})
Ich will es ganz klar sagen: Beides wird nicht das Problem
lösen, aber beides sind steuerpolitische Maßnahmen, die
zumindest eine gewisse Entlastung für die Beschäftigten
bringen können.
Der Regierungskoalition möchte ich eine Frage stellen:
Steuersystematisch ist es sicher richtig - das meinen auch
wir -, dass jede Mark Einkommen besteuert werden muss,
wenn ich dann aber Ihre Reform zur Einkommens- und
Unternehmensbesteuerung heranziehe, frage ich mich:
Wo ist die Logik geblieben? Was ist denn mit den Veräußerungsgewinnen, wenn man Beteiligungen verkauft
und dabei Gewinne erzielt? Diese besteuern Sie nicht. Sie
haben in der Unternehmensteuerreform Steuergeschenke
in Höhe von 14 Milliarden DM jährlich verteilt. Ich frage
mich wirklich, warum wir ausgerechnet wieder bei den
Niedriglohnbezieherinnen und -beziehern mit einer konsequenten Umsetzung der Steuersystematik anfangen
sollten. Das findet nicht unsere Zustimmung.
({3})
Unter steuersystematischem Aspekt kommt noch eines
hinzu: Das BVG hat bereits 1991 festgestellt, dass
eine Steuerbelastung, wenn sie offensichtlich nur mehr
den erklärungsbereiten Steuerbürger betrifft, weil die
Erhebungsregelungen für Steuern auf Trinkgelder die
Kontrolle der Steuererklärung weitgehend ausschließen
- hier ist es ja so, weil man die Höhe der Trinkgelder freiwillig angibt bzw. sie nach dem Umsatz geschätzt werden -, das Gebot der steuerlichen Lastengleichheit verletzt. Ich denke, das ist ein hinreichendes Argument dafür,
dass wir über den Vorschlag der F.D.P. sehr gründlich
nachdenken müssen.
In diesem Sinne ist es notwendig, dass wir als Politikerinnen und Politiker zeigen, dass uns das bestehende
Problem nicht gleichgültig ist. Sie hatten schon bei der
Steuerreform nicht den Mut, das steuerfreie Existenzminimum wenigstens in notwendiger Höhe anzuheben - das
wären mindestens 17 000 DM pro Jahr -, deshalb ist es
notwendig, jetzt über die vorgelegten Initiativen positiv
zu diskutieren. Wir als PDS sind aufgeschlossen und hoffen, dass die Ausschussberatungen etwas bringen werden.
Ich danke Ihnen.
({4})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 14/4938 ({0}) und 14/5233 an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der
Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 19 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({1}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Klaus Grehn, Petra Bläss, Dr. Ruth
Fuchs, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
PDS
Aufhebung des Asylbewerberleistungsgesetzes
- Drucksachen 14/3381, 14/4695 Berichterstattung:
Abgeordnete Brigitte Lange
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Erste Rednerin für die
SPD-Fraktion ist die Kollegin Brigitte Lange.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor wir in die Debatte selbst einsteigen, erlauben Sie mir eine Vorbemerkung. Pro Asyl
hat es für richtig gehalten, ein Fax in die Welt zu schicken,
auf dem die Tatsache, dass die Reden heute möglicherweise zu Protokoll gegeben werden, so charakterisiert
wird, als seien wir zu feige, hier Stellung zu beziehen.
({0})
Ich schätze die Arbeit von Pro Asyl wie die Arbeit aller
Organisationen, die in diesem und anderen sozialen Bereichen arbeiten, sehr hoch ein. Sie tragen eine Menge
dazu bei, um Flüchtlingen durch den Alltag zu helfen.
Trotzdem bitte ich Herrn Classen, seine Bemerkung, die
mich verletzt, noch einmal zu überdenken. Ich will auch
erklären, warum. Das ist nämlich etwas, was Herr Classen
möglicherweise nicht gewusst hat.
Der Ältestenrat hat die Diskussion dieses Tagesordnungspunktes für Donnerstag, 19 Uhr, angesetzt. Zu dieser
Zeit geben wir normalerweise keine Reden zu Protokoll.
Frau Maier hat mir erklärt, dass am Donnerstagabend um
19 Uhr das Fernsehen nicht mehr übertragen würde, aber
am Freitagnachmittag. Das heißt, nicht wir haben diesen
Tagesordnungspunkt an das Ende einer Plenarwoche gesetzt, sondern es geschah auf Wunsch der PDS.
Bevor Sie jetzt rufen: „Sehr richtig“, erlauben Sie mir,
dass ich darauf aufmerksam mache, dass zumindest die
Mitglieder großer Fraktionen am Freitagabend sehr oft in
ihrem Wahlkreis erwartet werden. Wir gehen zu wesentlich mehr Veranstaltungen hin, als Sie es müssen.
({1})
Deswegen ist die Unterstellung, wir wären zu feige, hierher zu gehen, einfach dreist, zumal man unsere Stellungnahmen ja auch nachlesen kann. So viel zu dieser Thematik.
({2})
Frau Kollegin Lange,
gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Höll?
({0})
Ja.
Frau Kollegin, würden Sie
bitte zur Kenntnis nehmen, dass wir, die PDS - auch
seitdem wir Fraktionsstatus haben - seit Beginn dieser
Legislaturperiode noch nicht einen einzigen Tagesordnungspunkt bestimmen konnten, der nicht donnerstags der letzte oder vorletzte oder freitags der letzte war?
({0})
Würden Sie bitte weiter zur Kenntnis nehmen, dass sich
in den letzten Sitzungswochen alle anderen Fraktionen
dieses Hauses der Diskussion unserer Anträge nicht gestellt haben, egal ob dieser letzte oder vorletzte Tagesordnungspunkt am Donnerstag um 23 Uhr oder um 21 Uhr,
wie in der letzten Sitzungswoche, stattfand? Das heißt,
dass wir nichts anderes zu erwarten haben, sondern dass
es bei Ihnen tatsächlich Usus geworden ist, dass man sich
der Diskussion nicht mehr stellt.
Würden Sie bitte als Drittes zur Kenntnis nehmen, dass
nur aufgrund der Presseerklärung von Frau Maier - das
glaube ich schon sehr stark -, wonach Sie nicht bereit
sind, sich der Diskussion zu stellen, es heute überhaupt zu
einer Debatte kommt? Davon zeugt auch, dass im Verlauf
der letzten halben Stunde sich ein Kollege der F.D.P. es
überlegt hat und seine Rede doch nicht zu Protokoll gegeben hat, vielmehr jetzt sprechen will.
({1})
Viertens verwahre ich mich dagegen, dass Sie unsere
Arbeit beurteilen und Vermutungen darüber anstellen,
inwiefern wir im Wahlkreis tätig sind. Es verhält sich
nämlich genau umgekehrt: Sie als eine große Fraktion
können sich das scheinbar leisten. Bei der Behandlung
des vorherigen Tagesordnungspunktes waren Sie angewiesen, Ihre Regierungsmehrheit zu sichern. Sie haben
vorher gefragt, ob wir tatsächlich mit Ihnen stimmen.
Denn von uns waren wesentlich mehr Abgeordnete da.
Frau Kollegin Höll,
ich bitte Sie, eine Frage zu stellen.
Würden Sie mir Recht geben, dass es Ihnen nicht zusteht, zu bewerten, wie oft wir
im Wahlkreis sind? Dadurch dass wir weniger Abgeordnete sind, wird jeder Einzelne von uns wahrscheinlich
wesentlich häufiger zu Wahlkreisterminen gebeten.
({0})
Ich danke Ihnen.
({1})
Sie können sich gern hinsetzen; kein Problem.
({0})
Zu Ihrer letzten Einschätzung: Ich habe es nicht bewertet, sondern habe etwas berichtet, was einfach so ist.
({1})
Ob das gut oder schlecht ist, habe ich nicht gesagt.
Zu dem ersten Punkt, den Sie, Frau Dr. Höll, angeführt haben: Ich habe zu denen gehört, die gesagt haben:
Ich bin nicht einverstanden damit, dass dann, wenn dieser Punkt von uns an das Ende der Tagesordnung gelegt
wird, die Reden zu Protokoll gegeben werden sollen.
Was ich nicht wusste, war, dass dieser Tagesordnungspunkt auf Ihren Wunsch mit der Begründung „Das Fernsehen ist dann da“ auf diesen Zeitpunkt gelegt worden
ist.
Ich sage Ihnen auch Folgendes: Wenn alle Kolleginnen und Kollegen nach dem Prinzip „Wir reden nur noch
dann, wenn das Fernsehen da ist“ verfahren würden,
dann wäre die Tagesordnung nicht mehr zu gestalten.
({2})
- Das haben wir nicht nötig, weil genügend Material von
uns dazu vorliegt.
Nun zum Thema. Der Vorschlag der PDS, das Asylbewerberleistungsgesetz abzuschaffen und die Leistungen aus der Sozialhilfe zu bezahlen, mag sympathisch
klingen, ist aber - wie Sie wissen und wie wir wissen unrealistisch.
({3})
Die PDS weiß es und provoziert damit die Frage nach der
Seriosität ihrer Absicht.
({4})
Knapp 4 Milliarden DM gaben 1999 die Länder für
rund 429 000 Flüchtlinge aus, die für eine begrenzte Zeit
hier leben. Übertrüge man diese Leistungen in die Sozialhilfe, wären es circa 20 Prozent mehr, also ungefähr
4,8 Milliarden DM, die nach dem Vorschlag der PDS vom
Bund übernommen werden sollten.
Die Fraktion weiß, dass weder der Bundeshaushalt
noch der Haushalt der Bundesländer diese Mehrbelastung verkraften könnten, auf absehbare Zeit selbst dann
nicht, wenn sich der seit 1996 abzeichnende Trend abnehmender Empfängerzahlen und Ausgaben fortsetzen
sollte.
({5})
Waren es 1996 noch fast 490 000 Menschen, die Leistungen in Höhe von 5,45 Milliarden DM bezogen, sank
die Anzahl der Empfänger 1999 um rund 61 000 und die
Ausgaben um 1,5 Milliarden DM. Die Zahl der insgesamt
bei uns lebenden Flüchtlinge ist seit 1993 kontinuierlich
zurückgegangen. So auch die Zahl der Asylbewerber: Im
Jahr 2000 haben wir 78 564 Personen in Deutschland gehabt, die Asyl beantragten. Das sind 17,4 Prozent weniger
als 1999. Das ist der geringste Stand seit 1987.
Auf die Einwohnerzahl der Länder bezogen, hat Berlin
die höchsten Ausgaben zu verkraften. Bei den absoluten
Ausgaben steht Nordrhein-Westfalen an der Spitze.
({6})
- Ich denke, dass es ganz wichtig ist, eine Vorstellung von
den genauen Zahlen und auch von den bestehenden Problemen zu haben.
Deutschland war bisher das Hauptzielland in Europa.
Im ersten Halbjahr 2000 löste Großbritannien Deutschland ab. Setzt man hingegen die Zahl der Asylanträge in
Relation zur Bevölkerungszahl, nimmt Deutschland unter
14 europäischen Ländern den zehnten Platz ein.
({7})
Von 1998 bis 1999 haben in Deutschland, in den Niederlanden und in Schweden die Asylbewerberzugänge in
absoluten Zahlen abgenommen, in allen übrigen europäischen Staaten jedoch zugenommen. Der prozentuale Anteil an der Gesamtzahl aller in den Staaten gestellten Anträge sank jedoch 1999 in Dänemark, Deutschland, in den
Niederlanden und der Schweiz.
Sie werden jetzt vielleicht verstehen, dass ich einfach
einmal darstellen wollte, zu welcher unterschiedlichen
Entwicklung in den einzelnen europäischen Ländern es
trotz sehr differenzierter sozialer Leistungen kommt. Man
muss sich fragen, ob man die ab- oder zunehmende Zahl
der Asylanträge von der Höhe des Geldbetrages für den
einzelnen Asylbewerber abhängig machen kann. Offensichtlich nicht.
Mit dem Ziel der Abschreckung wurden 1993 zwei
Existenzminima etabliert. Das war damals sehr umstritten und das bleibt umstritten. Die Entscheidung fiel unter dem Druck hoher Asylbewerberzahlen und der damit
wachsenden Belastung der Kommunen. Trotzdem, so
meinen wir, bleibt sie problematisch.
Leider hat sich aber die Belastung der Kommunen
noch nicht so reduziert, dass wir eine Änderung mit Aussicht auf Erfolg herbeiführen könnten. Der im Bundesrat
mit knapper Mehrheit abgelehnte Antrag Hessens, die im
Verhältnis zur Sozialhilfe nach dem Asylbewerberleistungsgesetz geringeren Leistungen nicht mehr auf drei
Jahre zu begrenzen, sondern auf Dauer beizubehalten,
macht den Widerstand deutlich. Das heißt, man wollte
dauerhaft, also für die ganze Zeit, geringere Leistungen
zahlen.
Wir merken, dass die Bundesregierung mit dem Vorschlag, die monatlichen Grundleistungsbeträge zu erhöhen, nicht gerade offene Türen - dies gilt auch für die
Länder - einrennt. Der monatliche Grundleistungsbetrag für den Haushaltsvorstand in Höhe von 360 DM ist
seit Einführung des Gesetzes im Jahre 1993 unverändert
geblieben. Von diesem Betrag muss der Bedarf an Ernährung, Kleidung, Gesundheits- und Körperpflege und
Gebrauchsgütern des Haushalts bestritten werden.
({8})
Hierzu kommen 80 DM Taschengeld. Einen Ausgleich für
Preissteigerungen hat es bisher nicht gegeben.
Die Differenz zu den Sozialhilfeleistungen, die 1993
auf 20 Prozent festgelegt wurde, hat sich damit deutlich
vergrößert. Eine Anhebung der Leistungssätze ist deshalb
dringend notwendig. Ein Verordnungsentwurf des Bundesarbeitsministeriums liegt nun auf dem Tisch. Er befindet sich aber noch in der Abstimmung. Ich hoffe, dass
diese bald abgeschlossen ist und die Erhöhung in Kraft
treten kann.
({9})
Die Gewährung von Sachleistungen - etwa in Form
von Essenspaketen oder in Form des Einkaufes mit Chipkarten in ausgewählten Läden - ist von vielen Seiten als
entwürdigend kritisiert worden. Dem stimme ich zu. Eine
Versorgung mit Essenspaketen ist nicht zumutbar und bei
dezentraler Unterbringung, die möglich ist, überflüssig.
Problematisch ist es auch, wenn Flüchtlinge durch diese
Gutscheine gezwungen werden, in ausgewählten Läden
zum Teil teurer als woanders einzukaufen. Es ist auch
nicht mit der Würde des Menschen vereinbar, Leute in
dieser Weise zu degradieren. Dies ist auch nicht notwendig.
Ich begrüße es deshalb, dass viele Städte und Kreise inzwischen wieder von der Sach- zur Geldleistung übergegangen sind. In Berlin macht man dies übrigens nicht.
Aber daran, dass die genannten Probleme in anderen Ländern nicht auftreten, können Sie sehen, dass dies nicht an
dem Leistungsgesetz selber, sondern an der Handhabung
durch die Länder liegt. Ich hoffe, dass die anderen Länder
hier nachziehen. Das Gesetz lässt ihnen diesen Spielraum.
Sie können Geldleistungen gewähren und damit den Leistungsempfängern eine größere Selbstbestimmung ermöglichen. Außerdem ist dies nach Erfahrung der Kommunen
das kostengünstigere Verfahren.
({10})
Probleme bereitet die medizinische Versorgung.
Schon bei der Einführung des Asylbewerberleistungsgesetzes 1993 war die Beschränkung der medizinischen
Behandlung auf akute Erkrankungen und Schmerzzustände ein wesentlicher Kritikpunkt vor allen Dingen der
Ärzte, die einen anderen Eid geschworen haben als den,
nicht zu behandeln. Arznei- und Verbandmittel sowie
sonstige zur Genesung, zur Besserung oder Linderung
von Krankheiten oder Krankheitsfolgen erforderliche
Leistungen sind zu gewähren. Es besteht ein Rechtsanspruch auf Vorsorgeuntersuchungen und Schutzimpfungen.
Dennoch führt die Regelung im Asylbewerberleistungsgesetz in der Praxis oft dazu, dass chronisch Kranken
die Behandlung versagt wird oder zunächst vor Gericht geklärt werden muss, ob eine Leistung zur Sicherung der Gesundheit unerlässlich ist, obwohl die Verweigerung von
Leistungen bei chronischen Erkrankungen durch den Gesetzeswortlaut in der Regel nicht gedeckt ist. Grundsätzlich
haben Flüchtlinge wie jeder andere das Recht auf eine angemessene gesundheitliche Versorgung. Ich glaube, dass
müssen wir noch eindeutiger regeln.
({11})
Eine entscheidende Verbesserung der Lebenssituation
erwarten wir von der Aufhebung des Arbeitsverbots,
das die Vorgängerregierung zu verantworten hat.
({12})
Zu Jahresbeginn wurde es per Rechtsverordnung aufgehoben. Asylbewerber und geduldete Flüchtlinge haben
nun nach einer Wartezeit von 12 Monaten Zugang zum
Arbeitsmarkt.
({13})
Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge können ohne Wartezeit erwerbstätig sein. Als Voraussetzung für die Gewährung einer Arbeitserlaubnis wird geprüft, ob kein
deutscher Arbeitnehmer und kein Arbeitnehmer aus der
EU für den Arbeitsplatz zur Verfügung steht.
Traumatisierte Flüchtlinge erhalten eine Arbeitserlaubnis ohne eine solche Vorrangprüfung. Diese sinnvolle,
bisher nur für Bosnier geltende Regelung wurde auf traumatisierte Flüchtlinge unabhängig von ihrem Herkunftsland ausgeweitet. Damit bekommen Asylbewerber, Geduldete und Bürgerkriegsflüchtlinge die Möglichkeit,
ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen.
Auf diesem Weg der Verbesserungen wollen wir weitergehen und wenn es nicht anders durchsetzbar ist, auch
in kleinsten Schritten. Sozialpolitiker haben nie Probleme
damit, etwas zu verbessern. Aber Sozialpolitiker können
sich auch nicht den Himmel blau malen, sondern müssen
mit dem umgehen, was vorhanden ist. Sie dürfen nur nicht
in ihrem Bemühen nachlassen. Aber radikale Forderungen haben noch nie weitergeführt.
({14})
Im Vergleich zu den anderen europäischen Ländern
liegen wir mit unseren Sozialleistungen weder so
schlecht, dass wir in Panik verfallen müssten,
({15})
noch für unser Selbstverständnis so gut, dass nichts zu
verbessern wäre:
({16})
im Leistungsrecht, aber auch im Ausländerrecht, das immer undurchschaubarer geregelt worden ist.
Ein Sozialrecht kann klare Regelungen im Ausländerrecht nicht ersetzen. Ergänzend brauchen wir verständliche und handhabbare Regelungen, die Möglichkeiten der
Zuwanderung außerhalb des Asylrechts eröffnen. Die
Zuwanderungskommission wird hierzu Vorschläge machen.
Unabdingbare Voraussetzung für alle Vorhaben ist,
dass wir so viele Menschen wie möglich in unserem Land
auf diesem Weg mitnehmen und begleiten können. Es
wäre erfreulich, wenn es uns allen gemeinsam, abseits
vom Wahlkampfgetöse, mit Herz und Verstand, gelingen
könnte.
Danke.
({17})
Für die CDU/CSU
spricht jetzt der Kollege Karl-Josef Laumann.
Sehr geehrte Frau
Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Jahre 1993 hat
der Deutsche Bundestag das jetzige Asylbewerberleistungsgesetz beschlossen. Es war im Grunde ein Teil des
Asylkompromisses aus dem Jahre 1992,
({0})
bei dem wir uns darauf verständigt haben, in einem eigenen, aus der Sozialhilfe ausgegliederten Leistungsgesetz
Asylbewerbern, die keinen dauerhaften Aufenthalt in der
Bundesrepublik Deutschland haben, eine gegenüber der
Sozialhilfe abgesenkte Unterstützung zukommen zu lassen.
Aus damaliger Sicht - die Gründe gelten heute auch
noch - war das deswegen notwendig, weil wir die Attraktivität Deutschlands für politisch oder religiös nicht verfolgte Menschen ein Stück weit abschwächen wollten.
Ein weiterer Grund war - und auch diesen Grund gibt es
heute noch -, dass in den Ländern, aus denen Menschen
gern flüchten möchten und Hoffnungen damit verbinden,
in Europa oder speziell in Deutschland leben zu können,
unsägliche Schlepperorganisationen tätig sind, die den
Menschen die Möglichkeit eröffnen, nach Deutschland zu
kommen, und anschließend die Sozialhilfe, die sie erhalten, abzocken, um damit schließlich die Kosten für neuen
Menschenhandel zu finanzieren.
({1})
Ein Großteil der Unterstützungsleistungen, die wir an
Asylbewerber ausgezahlt haben, ist am Ende in die Hände
dieser kriminellen Banden gelangt.
({2})
So habe ich - ich bin seit vielen Jahren kommunalpolitisch tätig - oft gedacht: Warum sind diese Unterstützungen eigentlich nicht bei den Kindern der Asylbewerber
angekommen, sondern in ganz anderen Kanälen gelandet? Auch aus diesen Gedanken heraus ist das Prinzip der
Sachleistungen entwickelt worden: weil diese Banden
eben auf diese Sachleistungen keinen Zugriff haben.
({3})
Deswegen bin ich durchaus der Meinung, dass der Vorrang von Sachleistungen vor Geldleistungen seine Begründung haben kann.
Ein weiterer Bereich im Asylbewerberleistungsgesetz
ist die Einschränkung der Krankenbehandlung auf das
medizinisch Notwendige und Unumgängliche. Auf der
anderen Seite muss man auch sehen, dass damit nicht nur
akute Schmerzbehandlungen gemeint sind. Sie wissen,
dass Schwangere, Mütter und Kinder alle Leistungen, die
zu diesem Bereich gehören, in vollem Umfang erhalten.
Ich glaube auch, dass die örtlichen Sozialämter und die
örtlichen Ärzte ganz gut und verantwortungsbewusst mit
dieser Einschränkung umgehen können. Aber ich sehe
auch nicht ein, dass über die Steuergelder unserer Bürgerinnen und Bürger ein Mensch, der vorübergehend in
die Bundesrepublik Deutschland gekommen ist und für
den sehr oft die Tatbestände des Asylrechts nicht zutreffen - nach wie vor sind die Ablehnungsquoten nach den
Verfahren relativ hoch -, hier eine vollständige Zahnersatzbehandlung bekommt, für die andere Menschen in
Deutschland 10 000 DM oder mehr auf den Tisch legen
müssen.
({4})
Ich finde, dass diese Eingrenzungen verantwortbar
sind und dass sie nichts Inhumanes an sich haben. Zurzeit
erfahre ich - das mag Rot-Grün nicht gern hören -, dass
viele Ärzte im Übrigen viel lieber Sozialhilfeempfänger
behandeln als gesetzlich Versicherte, weil die Leistungen
für Sozialhilfebewerber nicht, aber die Leistungen für die
gesetzlich Versicherten sehr wohl im Budget sind. Also
meine ich, dass wir diesen Bereich weiterhin gut verantworten können.
Man sollte als letzten Punkt nicht vergessen, dass für
Menschen, die noch kein dauerhaftes Aufenthaltsrecht in
Deutschland haben, auch keine Integrationsleistungen
bezahlt werden. Der Integration müssen wir uns erst dann
stellen, wenn feststeht, dass diese Menschen ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht bei uns haben. Deswegen würden
wir, so finde ich, Asylbewerbern viel mehr helfen, wenn
wir den Zeitraum, in dem wir feststellen, ob sie dauerhaft
in der Bundesrepublik Deutschland bleiben können, wesentlich verkürzen könnten.
({5})
Es liegt nicht nur an unseren Behörden, sondern auch
daran, dass in der Praxis viele Menschen, die zu uns
kommen, diese Verfahren aufhalten, indem sie alles tun,
damit ihre Identität möglichst lange für unsere Behörden
nicht nachvollziehbar bleibt. Wir würden für die Asylbewerber am meisten erreichen, wenn wir diese Verfahren beschleunigen. Dann könnten sie früher höhere Sozialleistungen sowie Integrationsleistungen beziehen, bei uns arbeiten und damit selber für ihren Lebensunterhalt sorgen und
sich in Deutschland frei bewegen.
Die Position der Union bleibt in der Asylpolitik dieselbe, wie sie seit vielen Jahren ist und wie sie sich aus unserem Menschenbild heraus darstellt: Wir haben vor jedem Menschen Respekt. Jeden Menschen muss man
vernünftig behandeln, egal welche Hautfarbe er hat, welcher Religion er angehört oder welche politische Überzeugung er vertritt. Jeder Mensch soll hier ein normales
Leben führen können. Aber wir müssen diejenigen, die
ohne Notwendigkeit zu uns kommen, in ihre Heimatländer zurückführen, um letzten Endes für die Integration
wirklich verfolgter Menschen eine positive Stimmung in
unserem Land zu erhalten.
Wenn wir über die Integration von politisch Verfolgten
hinaus in der Bundesrepublik Deutschland Einwanderung haben wollen, dann ist das Asylgesetz dafür das
falsche Gesetz. Dafür muss man andere Kriterien zugrunde legen.
({6})
Diese müssen sich danach richten, was unser Arbeitsmarkt an Zuwanderung braucht. Diese dürfen aber nicht
mit den Problemen, die mit dem Asylgesetz zusammenhängen, wie der Verschleierung der Identität, verbunden
werden. Deswegen steht meine Partei nach wie vor zu
dem Asylbewerberleistungsgesetz, wie es damals von uns
mitentwickelt worden ist und das ein Bestandteil des
Asylkompromisses von 1992 im Deutschen Bundestag
war. Ich glaube, wir sind gut beraten, daran festzuhalten.
Schönen Dank.
({7})
Für die Fraktion des
Bündnisses 90/Die Grünen spricht jetzt die Kollegin
Marieluise Beck.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Laumann, wenn Sie die
Geschichte bemühen, erzählen Sie bitte die ganze Wahrheit. Ein Teil des Asylkompromisses war zwar das
Asylbewerberleistungsgesetz, aber ein anderer Teil war
die Festlegung im Asylverfahrensgesetz, dass den Asylbewerbern nach drei Monaten der Arbeitsmarkt offen stehen sollte. Von diesem Teil des Asylkompromisses haben
Sie sich mit dem Clever-Erlass verabschiedet. Sie haben
also mit dieser Überschreitung der gesetzlich eigentlich
vorgesehenen Vorgabe das, was nach dem Asylkompromiss möglich sein sollte - dass sich auch ein Asylbewerber um Arbeit bemüht -, zunichte gemacht. Ich möchte
Sie bitten, dies auch zu nennen.
({0})
Sie haben die Verfahrensdauer angesprochen. Ich
teile Ihre Auffassung, dass wir vor allen Dingen genau
hinschauen sollten, wer auf Dauer hier ist, also integriert
werden und damit Zugang zum Arbeitsmarkt und allen
Sozialleistungen haben sollte, und wer nicht. Aber der
Eindruck, der in der politischen Debatte im Augenblick
immer erweckt wird, die Verfahren seien so unendlich
lang, ist falsch. Die Verfahren beim Bundesamt für
Flüchtlinge dauern im Schnitt nicht länger als sechs Monate. Das Problem liegt bei den Verwaltungsgerichten.
Das allerdings ist Ländersache. Wenn es Länder gibt, bei
denen die Verfahren im Schnitt 29 Monate dauern, weil
die Verwaltungsgerichte nicht ausreichend mit Richtern
bestückt sind, dann ist das ein Problem, das sich die Justizminister der Länder zu Herzen nehmen müssen. Das ist
aber keine Frage des Verfahrens. Auch das sollten Sie sich
noch einmal genau anschauen.
({1})
Nun zum Thema von heute. Es gibt Anträge der Opposition, denen man ihre Berechtigung kaum absprechen
kann. Es ist ein offenes Geheimnis, dass es in der Frage
der Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes
beim Koalitionsvertrag zwischen SPD und Grünen Differenzen gab. Wir wissen aber, dass wir für eine Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes keine parlamentarische Mehrheit haben und dafür auch im
Bundesrat keine Mehrheit finden. Insofern agieren wir in
einem ersten Schritt sehr vorsichtig und versuchen, die
lange überfällige Anhebung der Sätze nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, bei dem sieben Jahre lang nichts
passiert ist, voranzutreiben. Es liegt jetzt ein Referentenentwurf vor; er ist an die Länder verschickt. Ich hoffe,
dass wir auch die Rückwirkung zum Januar 2001 hinbekommen. Das wäre dann ein winzig kleiner Schritt nach
vorne.
Es gibt immer zwei Fronten, an denen wir kämpfen.
Das ist von der Kollegin Lange schon angesprochen
worden. Es gibt von den Ländern Druck, die Bedingungen sogar noch zu verschlechtern. Eine große Auseinandersetzung wurde um die Frage geführt, ob der Dreijahreszeitraum, nach dem die Asylbewerber regulär
Sozialhilfe bekommen, gestrichen werden könnte. Wir
waren froh, dass wir mit der rot-grünen Ländermehrheit
diesen Angriff abwehren konnten. Oftmals besteht ja
der Erfolg der Mühsal darin, Verschlechterungen abgewehrt zu haben. Dies ist uns im letzten Jahr gelungen.
Für mich ist der zentrale Punkt, dass wir jenseits der
Frage der Abschaffung oder Beibehaltung des Asylbewerberleistungsgesetzes Öffnungen herbeiführen, die Flüchtlingen die Chance bieten, überhaupt aus dem Geltungsbereich dieses Gesetzes herauszukommen. Dazu gehören die
Lockerung des Arbeitsverbots - das ist nicht einfach und
hart umkämpft - und die Erweiterung des Rechtes für
Traumatisierte, Zugang zum Arbeitsmarkt zu haben. Ein
solches Recht bestand bisher nur für traumatisierte Bosnier
und soll jetzt für traumatisierte Menschen aus allen Ländern gelten. Dazu gehört auch die Altfallregelung und ein
gewisses Drücken und Schieben, damit bei der Umsetzung
durch die Länder möglichst alle Spielräume genutzt werden, damit so viele Menschen wie möglich ihre Existenz
mit eigener Hände Arbeit sichern können.
Insgesamt gehört dazu eine Neuformulierung der Integrationspolitik, die die Frage klärt, wer vorübergehend
und wer auf Dauer hier ist. Die große Auseinandersetzung
um § 53 Ausländergesetz müssen wir politisch angehen.
Dabei geht es darum, dass Flüchtlinge, denen aufgrund
der Europäischen Menschenrechtskonvention Schutz gewährt werden muss, die in der Regel auf Dauer hier bleiben, ausländerrechtlich aber trotzdem nur die Duldung
bekommen und ihnen damit der Zugang zum Arbeitsmarkt und zu Ausbildungsgängen weitgehend versperrt
ist. Ich hoffe hier auf Unterstützung durch die Zuwanderungskommission. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom August hat uns da heftig auf die Finger geklopft.
Die Strategie, die wir politisch verfolgen, geht also in
Richtung Vereinheitlichung des Flüchtlingsstatus für
diejenigen, die nach Art. 16 a des Grundgesetzes sowie
§§ 51 und 53 Ausländergesetz als schutzwürdig und daher
auf Dauer hier lebend angesehen werden müssen. Wenn
wir diese Perspektive verfolgen und sie mit der Öffnung
des Arbeitsmarkts und anderen sozialen Zugängen zur
Gesellschaft verknüpfen, minimieren wir das Problem des
Asylbewerberleistungsgesetzes, auch wenn wir es damit
nicht beseitigen.
Ich habe Ihnen das dargestellt, damit Sie sehen, entlang
welcher Vorstellungen und Paradigmen wir unsere
Schritte setzen. Man muss sich ja politisch weiterbewegen, auch wenn man nicht ganz durchsetzen kann, was
man sich sonst wünscht.
Schönen Dank.
({2})
Für die F.D.P.-Fraktion spricht jetzt der Kollege Dr. Heinrich Kolb.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Art. 1 unseres Grundgesetzes
besagt: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“
({0})
Dies gilt für alle Menschen, die sich in unserem Land
aufhalten, egal ob Deutsche oder Nichtdeutsche. Darin
sind wir uns alle hier einig.
({1})
Alle Gesetze und Regelungen müssen sich an diesem
Grundsatz messen lassen. Man kann wohl so weit gehen
und sagen, dass dies auch für unsere Gesetze insgesamt
zutrifft, also auch, meine Damen und Herren, für das
Asylbewerberleistungsgesetz.
Der für ein menschenwürdiges Leben notwendige
Grundbedarf an Ernährung, Unterkunft, Heizung, Kleidung, Gesundheits- und Körperpflege sowie Haushaltsgegenständen ist gewährleistet. Von einer Kürzung auf
null kann daher nicht die Rede sein.
Dass die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz geringer als die Sozialhilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz ausfallen, hat aber gute Gründe. Herr Kollege Laumann hat zu Recht darauf hingewiesen, dass
durch die Verringerung materieller Anreize die bei Verabschiedung des Gesetzes im Jahre 1993 das Land überflutende Welle der Asylbewerber etwas eingedämmt werden sollte. Darin war man sich in diesem Hause im
Großen und Ganzen auch einig.
Dass sich die Situation nun völlig geändert haben soll,
vermag zumindest ich nicht zu erkennen. Nach den neuesten Meldungen des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge wurden für Januar 2001 7 583 Anträge gestellt. Das sind 27 Prozent mehr als im Dezember
2000 und knapp 15 Prozent mehr als im Januar letzten Jahres.
Die im Gesetz vorgesehenen weiteren Absenkungen
betreffen unseres Erachtens zu Recht nur solche Menschen, die unser Sozialsystem missbrauchen, indem sie
sich einer bestehenden Leistungspflicht beispielsweise
dadurch entziehen, dass sie ihre Identität leugnen oder
ihre Papiere bewusst vernichten. Aber auch diesen Menschen werden die Leistungen nicht auf null gekürzt. Der
Staat stellt auf jeden Fall das Existenzminimum sicher. Es
ist im Übrigen besonders der F.D.P. zu verdanken, dass
bei der letzten Novelle des Asylbewerberleistungsgesetzes im Jahre 1998 nach langwierigen und schwierigen
Verhandlungen der jetzige Gesetzestext verabschiedet
werden konnte und die vom Bundesrat angeregten restriktiveren Regelungen verhindert werden konnten. Das
betraf damals besonders Kriegsflüchtlinge und geduldete
Ausländer.
Ich möchte nicht bestreiten, dass es bei der Umsetzung
dieses Gesetzes die eine oder andere Unzulänglichkeit gegeben hat und auch heute noch gibt. Auch ich habe von
Lebensmittelunverträglichkeiten, besonders bei kleinen
Kindern, gehört. Diese Fälle müssen natürlich dringend
überprüft werden. Wir sträuben uns nicht gänzlich dagegen, zu prüfen, ob das Sachleistungsprinzip, zumindest
teilweise, gelockert werden kann.
Im Wesentlichen ließen sich die Probleme, die meist
mit der Umsetzung des Gesetzes auf Länderebene zu
tun haben, durch eine wesentlich geringere Dauer des
Marieluise Beck ({2})
Asylverfahrens und insbesondere durch eine sofortige Erlaubnis zur Arbeitsaufnahme für Asylbewerber vom ersten Tag des Aufenthalts an nahezu ausschließlich lösen.
In diesem Zusammenhang will ich Ihnen, Frau Beck,
sagen: Die F.D.P. hat sich schon seit langem dafür eingesetzt, dass auch Asylbewerber eine Arbeitserlaubnis erhalten. Es ist nicht einzusehen, warum Asylbewerber
nicht in die Lage versetzt werden sollen, ihren Bedarf
durch eigenen Verdienst oder Hinzuverdienst zu decken,
um nicht an dem Tropf der Sozialleistungen hängen zu
müssen. In der Tat stellt sich die Frage, ob ein solches Vorgehen mit der Menschenwürde zu vereinbaren ist.
Die Regierung - das muss ich leider feststellen - hat
das nur zum Teil eingesehen. Sie hat zwar das seit 1997
geltende generelle Arbeitsverbot für Asylbewerber gelockert, aber es gilt immer noch eine zwölfmonatige so
genannte Wartefrist. Die muss endlich weg.
({3})
Das wäre der richtige Ansatz, Asylbewerbern, die sich
hier legal aufhalten, wirklich zu helfen und Ihnen einen
menschenwürdigen Aufenthalt zu ermöglichen.
Vielen Dank.
({4})
Als letzte Rednerin in
dieser Debatte spricht die Kollegin Pia Maier für die PDSFraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Trotz der ungewöhnlichen
Eröffnung der Debatte möchte ich an meinem ursprünglichen Plan festhalten und Ihnen über die aktuelle Situation
einer zwanzigjährigen schwangeren Frau berichten, die in
Berlin in dem Flüchtlingsheim in der Fürstenwalder Allee
untergebracht ist. Ich denke, niemand wird bestreiten,
dass eine schwangere Frau ärztliche Versorgung - erst
recht, wenn sie eine Fehlgeburt hatte - benötigt.
({0})
- Sie bekommt keine ärztliche Versorgung. Das Bezirksamt Wedding verweigert ihr die Ausstellung eines Krankenscheins und damit jegliche ärztliche Betreuung. Auch
wenn Sie, Herr Laumann, den Kopf schütteln und auch
Sie, Herr Kolb, sich bisher nicht mit der Realität in Berlin
auseinander gesetzt haben, sind solche Fälle möglich und
durch die Umsetzung des Asylbewerberleistungsgesetzes
in den Ländern gedeckt. Das hat mit Menschenwürde
nichts mehr zu tun. Auch Sie, Frau Lange, kennen solche
Fälle.
Ich weiß, dass der Text des Asylbewerberleistungsgesetzes, wenn man sich ihn durchliest, noch sehr freundlich
klingt. Aber in Berlin wird der Passus „unabweisbare
Leistungen“ im Zweifelsfall dahin gehend interpretiert,
dass darunter nur das Rückflugticket und das Reisegeld
verstanden werden. Wenn die betroffenen Menschen die
Rückreise nicht antreten, müssen sie sich wohl als Obdachlose irgendwie am Leben erhalten, bekommen aber
keinerlei Leistungen mehr. Das ist leider bittere Realität.
Mir ist durchaus bewusst, dass die Praxis in den Ländern unterschiedlich gehandhabt wird. Aber das Asylbewerberleistungsgesetz bietet den Ländern die Möglichkeit, in der geschilderten Weise zu verfahren.
({1})
Solange das so ist, ist die Menschenwürde in diesem
Lande leider sehr gefährdet.
({2})
Auch wenn nur einige Länder so verfahren, kann das
nicht als Maßstab gelten. Das Asylbewerberleistungsgesetz ermöglicht dieses Verfahren. Man kann sich
selbst gegenüber nur ehrlich sein, wenn man zugibt,
dass die Menschenwürde allein durch eine Abschaffung
des Asylbewerberleistungsgesetzes gerettet werden
kann.
Frau Lange, Sie haben bis vor drei Jahren in Marburg
immer die Auffassung vertreten, das Asylbewerberleistungsgesetz müsse abgeschafft werden.
({3})
Sie haben in Ihrer heutigen Rede viele gute Gründe dafür
genannt, warum dieses Gesetz die Würde eines Menschen
verletzt, sind aber am Ende zu dem Schluss gekommen:
Abschaffen können wir es leider nicht, weil - dieses Argument klingt mir noch in den Ohren - die Kommunalfinanzen das leider nicht hergeben und sich die Länder deswegen weigern.
({4})
Frau Beck hat die politischen Zwänge, in denen Sie
sich hier befinden, wesentlich klarer und differenzierter
dargestellt. Dafür bin ich ihr auch sehr dankbar. Ich sehe
durchaus, dass Sie sich bemühen. Aber Sie haben hier einen Zusammenhang hergestellt, indem Sie sagten: Ich
würde ja gerne das Asylbewerberleistungsgesetz abschaffen, wenn es die Kommunalfinanzen zuließen. Sie haben
die Möglichkeit, die Kommunalfinanzen entsprechend zu
ändern und damit die Voraussetzungen für eine Zustimmung der Länder zu schaffen.
({5})
Den Einwand kann ich als Argument gegen ein solch unwürdiges Gesetz wirklich nicht gelten lassen.
Sie waren so freundlich, die Regelsätze und die unterschiedlichen Existenzminima schon zu benennen, die beweisen, dass das Asylbewerberleistungsgesetz ein diskriminierendes Sondergesetz ist. Es schafft Menschenwürde
auf Rabatt. In Berlin wird es wirklich restriktiv ausgelegt.
Sie kennen die Meldungen, die von den hiesigen Verbänden dazu veröffentlicht werden. Ich habe keinen Grund,
an diesen Zuständen zu zweifeln.
Frau Kollegin Maier,
es gibt den Wunsch nach einer Zwischenfrage der Abgeordneten Beck.
Ja.
Frau Kollegin, helfen Sie mir doch bitte einmal mit
meinem Gedächtnis - ich weiß es jetzt nicht genau -: Gibt
es eigentlich aus dem rot-rot regierten Land Mecklenburg-Vorpommern eine Bundesratsinitiative, das Asylbewerberleistungsgesetz zu streichen?
Nein, soweit ich weiß, nicht. Auch
Mecklenburg-Vorpommern mit einer rot-roten Regierung
konnte sich dazu bislang nicht durchringen. An dieser
Entscheidung sind aber sicherlich beide Koalitionspartner
beteiligt.
({0})
Frau Kollegin, Sie
müssen dann bitte zum Schluss kommen.
Ich komme zum Schluss. Ich
möchte Sie noch einmal daran erinnern, dass im November hier in Berlin über 100 000 Menschen auf der Straße
waren, um für Toleranz und Menschlichkeit zu demonstrieren. Auch viele Mitglieder dieses Hauses waren
bei dieser Demonstration, die sich gegen die aktuellen
Ausschreitungen richtete, anwesend. Mit der Kriminalisierung, die das Asylbewerberleistungsgesetz vorantreibt, schaffen Sie weitere Argumente für die Menschen,
gegen Ausländer und für rassistische Diskriminierung zu
sein. Die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes, das heißt deutliche Schritte in diese Richtung wären
sicherlich ein Zeichen, das wirksamer wäre als 100 000
Menschen auf der Straße, die Sie offensichtlich alle
schon wieder vergessen haben.
Ich danke Ihnen.
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Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu dem Antrag der
Fraktion der PDS zur Aufhebung des Asylbewerberleistungsgesetzes, Drucksache 14/4695. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/3381 abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist
gegen die Stimmen der PDS-Fraktion angenommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 14. Februar 2001, 13 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.