Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie
alle hier im Saal recht herzlich zur ersten Sitzung im
neuen Jahr 1999 und wünsche Ihnen alles Gute, Gesundheit und Erfolg sowie ein gutes parlamentarisches
Jahr.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Haushaltsgesetz 1999.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat der Bundesminister der Finanzen, Oskar Lafontaine.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat den Haushaltsentwurf für das Jahr 1999
heute beraten und beschlossen. Wir haben dabei versucht, der konjunkturellen Lage Rechnung zu tragen
und ein Stabilitätssignal zu geben. Dabei mußten wir auf
Grund der politischen Entscheidungen der letzten Monate den Haushalt überarbeiten.
Es ging zunächst darum, die Umsetzung der ersten
Stufe der großen Steuerreform mit den Steuerentlastungen für Arbeitnehmer und Familien im Haushalt zu berücksichtigen. Es ergab sich natürlich aus der Zielsetzung der ökologischen Steuer- und Abgabenreform und
der damit verbundenen Senkung der Lohnnebenkosten,
diese Maßnahmen im Haushalt zu berücksichtigen.
Es war politisch entschieden worden, die Zukunftsinvestitionen für Forschung und Bildung zu verstärken.
Dem trägt der Haushalt Rechnung, indem im Vergleich
zu 1998 1 Milliarde DM mehr angesetzt worden ist. Die
Stabilisierung der Bundesleistungen für den Aufbau Ost
ist ebenfalls ein unstreitiges Ziel, dem dadurch Rechnung getragen wurde, daß sich die Ausgaben für den
Osten quer durch alle Haushaltsbereiche auf insgesamt
100 Milliarden DM summieren.
Wir versuchen, die Investitionen des Bundes zu verstetigen. Wir haben wie andere europäische Staaten ein
Sofortprogramm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit aufgelegt, das natürlich haushaltsmäßig berücksichtigt werden muß. Darüber hinaus haben wir beschlossen, die Ausgaben für die Arbeitsmarktpolitik zu
verstetigen. Auch diese Maßnahme wird, glaube ich,
mehrheitlich auf die Zustimmung im Hause stoßen.
Zur Stabilitätsorientierung: Dadurch, daß alle Ressorts aufgefordert wurden, einen Beitrag zu leisten, ist es
gelungen, die Neuverschuldung in etwa auf der Marke
des Vorjahres zu halten. Sie betrug 56,4 Milliarden DM.
Nach unserem Plan werden es für 1999 56,2 Milliarden
DM sein.
Zum Ausgabenanstieg: Der effektive Ausgabenanstieg begrenzt sich nach unserer Berechnung auf
1,7 Prozent. Dies entspricht den Vereinbarungen des
Finanzplanungsrates. Rechnerisch steigen die Gesamtausgaben gegenüber dem Ist-Ergebnis um 31 Milliarden
DM oder um 6,8 Prozent. Aber dieser Anstieg besteht zu
zwei Dritteln aus durchlaufenden Posten. 6 Milliarden
DM beträgt das Volumen auf Grund der erstmals ganzjährigen Wirkung des bereits von der Vorgängerregierung gefaßten Beschlusses, die Mehrwertsteuer zu erhöhen, um einen Zuschuß an die Rentenversicherung zu
geben. 9,1 Milliarden DM gehen auf den zusätzlichen
Rentenzuschuß zurück, der sich aus der ökologischen
Steuer- und Abgabenreform ergibt - auf der einen Seite
Steuererhöhungen, auf der anderen Seite Senkung der
Abgaben. 8,2 Milliarden DM müssen auf Grund der
erstmaligen Veranschlagung der Zuführung an die
Postunterstützungskassen ausgegeben werden, die durch
Dividendeneinnahmen und Privatisierungserlöse aus
dem Bereich der Postnachfolgeorganisationen finanziert
werden.
Diese durchlaufenden Posten sind keine direkten
Ausgabensteigerungen, auch wenn natürlich jeder dies
nach seinem Urteil bewerten kann. Wir sehen auf jeden
Fall diese durchlaufenden Posten nicht als direkte Ausgabensteigerungen an und bitten, dabei auch den öffentlichen Gesamthaushalt zu berücksichtigen.
Ich sagte bereits, daß die Ausgaben für Forschung
und Bildung verstärkt worden sind. Für den Hochschulneubau waren die Mittel in den letzten Jahren nicht in
dem von den Ländern gewünschten Umfang bereitgestellt worden. Deshalb werden für die Gemeinschaftsaufgabe „Hochschulbau“ 200 Millionen DM zusätzlich
zur Verfügung gestellt. Des weiteren sollen die BAföGMittel erhöht werden, wenn auch nicht in dem gewünschten Umfang; aber ein erster Schritt wird hier getan.
Ferner geht es um eine Verstärkung der Mittel für die
Forschungsförderung kleiner und mittlerer Unternehmen, für die Förderung moderner Schlüsseltechnologien,
für die Förderung von Begabten und von wissenschaftlichem Nachwuchs und für ein Sonderprogramm für den
Ausbau der Forschungslandschaft in den neuen Ländern
- ein Thema, das uns ja immer wieder beschäftigt hat.
Ebenfalls startet mit diesem Haushalt ein Milliardenprogramm zur Förderung der Solarenergie, das sogenannte
100 000-Dächer-Programm. Es startet zunächst mit bescheidenen Beträgen, wächst aber längerfristig zu einem
Milliardenprogramm auf.
Ich sagte auch schon, daß die Mittel für den Aufbau
Ost verstetigt worden sind. Im Vordergrund steht der
Ausbau der Infrastruktur. Die Verkehrsprojekte Deutsche Einheit werden zügig fortgeführt bzw. fertiggestellt. Im Rahmen der regionalen Wirtschaftsförderung
in den neuen Ländern können 1999 neue Bewilligungen
in der Größenordnung von 6 Milliarden DM eingegangen werden. Der Bund hat hierfür Vorsorge getroffen.
Ein Schwerpunkt beim Aufbau Ost ist die Förderung
von Mittelstand und Handwerk. Das Forschungs- und
Entwicklungssonderprogramm für die neuen Länder
wurde auf 325 Millionen DM erhöht. Die Bundesanstalt
für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben kann ihren
Bedarf von 4 Milliarden DM aus Eigenmitteln finanzieren. Hinzu kommt über 1 Milliarde DM für die anderen
Treuhand-Nachfolgeeinrichtungen.
Bei der Schaffung neuer Arbeitsplätze setzen wir vor
allem auf Mittelstand und Handwerk. Die Förderung des
Mittelstandes im Einzelplan des Bundesministers für
Wirtschaft und Technologie wird gegenüber dem Ansatz
der Vorgängerregierung leicht erhöht. Die Forschungsförderung für kleine und mittlere Unternehmen wird gegenüber 1998 um 100 Millionen DM aufgestockt. Im
Haushalt 1999 starten wir auch ein neues Programm zur
Verbesserung der Innovationsfähigkeit der kleinen und
mittleren Unternehmen.
Die Mittel für aktive Arbeitsmarktpolitik werden gegenüber 1998 um 6 Milliarden DM erhöht. Zu den Zuschüssen zur Rentenversicherung habe ich mich bereits
geäußert.
Im neuen Haushalt für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen haben wir die Ausgaben für die Investitionen gebündelt. Für den Ausbau der öffentlichen Infrastruktur stehen insgesamt 25,7 Milliarden DM zur Verfügung.
Beim Verteidigungshaushalt wurde versucht, der Tatsache Rechnung zu tragen, daß die Bundeswehr derzeit
erhebliche Finanzierungsprobleme hat, so daß sie lediglich gebeten wurde, im Rahmen der allgemeinen Einsparungen mitzuwirken; an den Verteidigungshaushalt sind
darüber hinaus keine besonderen Anforderungen gestellt
worden.
Erwähnen sollte ich vielleicht noch, daß der Haushaltsentwurf im Bereich der internationalen Zusammenarbeit einen Akzent setzt. Der Einzelplan wird gegenüber dem alten Entwurf um 124 Millionen DM angehoben. Auf dem Weltwirtschaftsgipfel im Juni in Köln
wird die Bundesregierung zusammen mit anderen Ländern der G 7 eine neue Entschuldungsinitiative zugunsten der ärmsten Entwicklungsländer auf den Weg bringen.
Ein besonderer Akzent ist ebenfalls die Förderung der
Kultur. Für Berlin werden die Mittel um 60 Millionen
DM erhöht, für die neuen Länder um 120 Millionen
DM. Ich weise aber gleich darauf hin, daß das natürlich
auch bedeutet, daß kulturelle Veranstaltungen in Ländern, die finanziell äußerst günstig dastehen, nicht ständig aus dem Bundeshaushalt dotiert und finanziert werden können.
({0})
Zum Konsolidierungsaspekt: Ich sprach bereits von
dem 0,5-Prozent-Konsolidierungsbeitrag und von der
Begrenzung der Nettoneuverschuldung.
Zusammenfassung: Wir versuchen, mit dem Haushalt, den konjunkturellen Erfordernissen Rechnung zu
tragen. Deswegen können wir nicht in großem Umfange
Ausgaben kürzen oder Steuern erhöhen. Auf der anderen
Seite wird aber auch versucht, durch eine Begrenzung
der Neuverschuldung ein Signal zur Fortsetzung der
Stabilitätsorientierung der Haushaltspolitik zu setzen.
Vielen Dank.
Ich bitte Sie, zunächst Fragen zu dem Themenbereich zu stellen, über
den soeben berichtet wurde. - Die erste Wortmeldung ist
vom Kollegen Dr. Günter Rexrodt.
Herr Bundesminister
Lafontaine, nun gibt es ja seit gestern signifikante Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts zur Entlastung
der Familien. Dabei geht es um ein Finanzvolumen von
22 Milliarden DM. 10,2 Milliarden DM entfallen auf
den Bund. Diese Regelung soll, wie es heißt, erst ab
2000 finanziell Platz greifen. Aber wir hören schon
Stimmen, die darauf hinweisen, daß betroffene Familien
bereits in diesem Jahr höhere Pauschbeträge geltend machen sollen. Es besteht also nicht erst in der mittelfristigen Finanzplanung, sondern möglicherweise auch schon
in diesem Jahr eine Relevanz.
Dazu möchte ich Sie fragen, Herr Bundesminister, ob
und inwieweit Sie mit diesem Beschluß gerechnet haben
und ob und inwieweit Sie in der mittelfristigen Finanzplanung, aber eben auch schon im Haushalt 1999 Vorsorge getroffen haben. Wie wollen Sie die genannten
Beträge gegenfinanzieren, vor allem vor dem Hintergrund, daß die Regelungen zu den 630-DM-Jobs nach
Aussagen einiger Vertreter von SPD-regierten Ländern
nicht nur zu Ausfällen in der Größenordnung von 720
Millionen DM, die Sie angesetzt haben, sondern möglicherweise von mehr als 2 Milliarden DM führen, und
angesichts dessen, daß Sie in den Raum gestellt haben,
daß die Länder einen fairen Ausgleich für die Ausfälle
in diesem Bereich bekommen sollen?
Da tun sich Löcher auf. Da gibt es Probleme in einer
Dimension, die ungeheuer groß ist. Meine Frage lautet:
Wie wollen Sie mit diesen neuen Herausforderungen
fertig werden?
Herr Kollege, wenn ich das richtig zusammenfasse, sind
das drei Fragen. Zunächst einmal fragen Sie, ob wir mit
einem solchen Beschluß gerechnet haben. Wir wußten
zwar, daß solche Beschwerden beim Verfassungsgericht
vorliegen. Ich muß aber in allem Freimut sagen: Wie das
ausgehen würde, haben wir natürlich nicht voraussehen
können.
Der Beschluß stellt auf zwei Punkte ab. Der erste
Punkt ist, daß der Gleichheitsgrundsatz nicht beachtet
worden ist. Das ist eine Kritik an der bisherigen Gesetzgebung, die auf den ersten Blick zumindest teilweise berechtigt erscheint - ohne daß ich hier jetzt in eine Bewertung des Beschlusses eintreten will; ich möchte nur
politisch etwas dazu sagen. Der zweite Punkt ist, daß die
Familien bessergestellt werden sollen. Das entspricht
unserem Anliegen. Insofern habe ich die grundsätzliche
Tendenz des Beschlusses auch begrüßt.
Zu den finanziellen Auswirkungen: Natürlich haben
wir bei dem jetzigen Zahlenwerk - der Beschluß liegt
uns seit gestern vor, und da war die Beratung praktisch
abgeschlossen - für das Jahr 1999 dafür noch nichts angesetzt. Es ist auch offen, in welchem Umfang dieser
Beschluß für das Jahr 1999 zu berücksichtigen ist. Für
die weiteren Jahre werden wir die finanziellen Auswirkungen selbstverständlich zu berücksichtigen haben. Ich
habe aber in Absprache mit den Ländern darum gebeten,
daß wir jetzt nicht aufgeregt Zahlen in die Welt setzen.
Der Rahmen, den Sie genannt haben, ist nachvollziehbar, wenn man zunächst einmal alles so durchrechnet, wie es sich anbietet. Das Bundesverfassungsgericht
hat uns aber aufgetragen, zunächst einmal ein neues Gesetz vorzulegen. Dieses möchten wir zusammen mit den
Ländern erarbeiten. Wenn das geschehen ist, werden wir
wissen, welche finanziellen Folgen das für die Haushalte
hat und wie wir das bewältigen können. Es gibt dazu
Vorschläge. Ich möchte nicht dazu Stellung nehmen, ob
alle Vorschläge geeignet sind. Ich möchte hier nur zu
bedenken geben: Wir haben auch der konjunkturellen
Situation Rechnung zu tragen. Wenn jetzt - wie schon
auf dem Weg in den Plenarsaal geschehen - sofort wieder alle hinausposaunen: „Steuererhöhungen!“, dann
wäre das nach meiner Auffassung nicht das richtige Signal für die Konjunktur.
Was die 630-DM-Arbeitsverhältnisse angeht: Hierzu
muß man wissen, daß die noch von der Vorgängerregierung, vom Parlamentarischen Staatssekretär Hauser, abgegebene Erklärung hinsichtlich der damit verbundenen
Steuerausfälle eine - das darf ich einmal so sagen Abwehrerklärung war. Die Vorgängerregierung war
nicht der Meinung, daß man den Veränderungen Rechnung tragen sollte, und bezifferte die Ausfälle, die mit
einer Änderung verbunden wären, vorsichtig zu hoch.
Mittlerweile hat der ursprüngliche Entwurf in einem
Diskussionsprozeß an einer Stelle bereits eine spürbare
Veränderung erfahren: Von der Besteuerung sollen nur
solche Arbeitsverhältnisse freigestellt werden, bei denen
etwa ein Ehepartner ein zusätzliches Arbeitsverhältnis
auf 630-DM-Basis eingeht, nachdem die Kinder aus
dem Haus sind - dies könnte also als Wiedereintritt in
den Arbeitsmarkt gerechtfertigt werden -, während bei
allen Zusatzarbeitsverhältnissen - das ist durchaus eine
beachtliche Zahl - die volle Besteuerung und auch die
Sozialversicherungspflicht greifen.
Insofern glauben wir, daß unsere bisherigen Schätzungen der Steuerausfälle eher am oberen Ende angesiedelt sind. Es gab kürzlich neuere Untersuchungen, etwa
des DIW, wenn ich das richtig in Erinnerung habe, die
wieder von einer geringeren Zahl ausgingen, so daß wir
glauben, daß unser Angebot an die Länder, dies über das
Sinken der Lohnnebenkosten und über den Mehrwertsteueranteil bei der ökologischen Besteuerung auszugleichen, rein rechnerisch eher überkompensiert, als daß
es nicht dem Ausfall Rechnung trägt.
Nächster Fragesteller
ist der Kollege Koppelin. Bitte.
Herr Bundesminister, Sie
haben es etwas umschrieben und nicht konkret gesagt.
Deswegen frage ich konkret nach: Beabsichtigen Sie,
Telekom-Aktien zu verkaufen, und wenn ja, in welcher
Höhe? Wenn Sie das wollen, stimmt dann noch die Aussage Ihrer Partei, die sie - das ist noch gar nicht lange
her - vor einem halben Jahr gemacht hat, das sei ein
Verscherbeln von Tafelsilber? Die Risiken, die angeblich mit dem Verkauf von Telekom-Aktien verbunden
sind, hat Ihr jetziger Parlamentarischer Staatssekretär,
der damalige Obmann der SPD, Diller, am 23. Juni im
Haushaltsausschuß aus seiner Sicht eindeutig beschrieben. Vielleicht lesen Sie das noch einmal nach.
Ich darf in diesem Zusammenhang weiter fragen,
welche größeren Privatisierungseinnahmen Sie eingeplant haben.
Die Aussage, daß man das Tafelsilber nicht verscherbeln
solle, ist sicherlich auch heute noch ein berechtigter
Einwand. Es ist nicht günstig, den Haushalt durch den
Verkauf von Vermögenswerten auszugleichen. Diese
Kritik kann auch gegenüber dem jetzigen Bundeshaushalt aufrechterhalten werden, weil dies im Grunde genommen natürlich kein Beitrag zur Konsolidierung ist,
sondern eine einmalige Einnahme darstellt. Wir verzichten lediglich aus konjunkturellen Gründen derzeit
darauf, stärkere Konsolidierungsbeiträge zu erbringen,
was die strukturelle Lücke von 20 Milliarden DM angeht. Ich hätte es für falsch gehalten, auf der Ausgabenseite oder auf der Einnahmenseite in irgendeiner Form
spürbar zuzulangen. Der Einwand aber, daß das Tafelsilber nicht herangezogen werden sollte, um den ständigen Haushaltsausgleich herbeizuführen, ist nach meiner
Auffassung nach wie vor richtig und gilt auch für den
jetzt vorgelegten Haushalt.
Was die grundsätzliche Frage angeht, denken wir
natürlich daran, den Privatisierungskurs im Telekommunikationsbereich fortzusetzen, weil er sich bewährt
hat. Das gilt nicht nur für die Telekom, das gilt auch für
die Postbank. Allerdings müssen wir dabei auch die Erfordernisse des Marktes beachten. Sie haben vielleicht
die Entwicklung der Telekom-Aktien in den letzten Tagen verfolgt. Insofern bitte ich um Verständnis, daß ich
jetzt keine unvorsichtigen Ankündigungen machen
möchte. Wir haben die Veräußerung in dem bisher vorgesehenen Umfang eingeplant und haben teilweise für
das letzte Jahr vorgesehene Veräußerungen in das jetzige Jahr hinübergenommen, was den Haushaltsausgleich
erleichtert hat. Grundsätzlich denken wir daran, diesen
Kurs fortzusetzen; zu welchem Zeitpunkt, hängt auch
vom Markt ab.
({0})
Nächster Fragesteller
ist der Kollege Austermann.
Herr Bundesminister, wir sind ein bißchen auf Spekulationen angewiesen, weil Sie der Opposition den Haushaltsentwurf
entgegen der bisherigen Gepflogenheit bisher nicht vorgelegt haben, was ich für ungewöhnlich halte. Früher hat
ihn auch die Opposition immer rechtzeitig bekommen.
({0})
Nachdem Sie heute wohl im Kabinett einen Beschluß
gefaßt haben, möchte ich im Namen der Union die Frage
stellen: Was hindert Sie eigentlich daran, in der nächsten
Woche den Haushalt vorzulegen, so daß wir dann die
Debatte, die wir längst hätten führen können, vor der
Wahl in Hessen hier im Parlament führen können, damit
die Bürger die Wahrheit über das erfahren, was der
Haushalt tatsächlich ausweist?
Zweite Frage. Sie haben gesagt, Sie hätten versucht,
mit dem Haushalt - ich habe mir die Formulierung
wörtlich aufgeschrieben - „ein Stabilitätssignal zu geben“, „Steuerentlastungen zu berücksichtigen“ usw.
Nach dem, was ich bisher weiß, kann ich nur sagen: Der
Versuch ist dreimal gescheitert. Konjunkturell ist offensichtlich keine Rücksichtnahme eingetreten. Sie weiten
den Haushalt um 6,8 Prozent aus. Auch wenn Sie versuchen, das damit zu erklären, ein Teil davon, beispielsweise der Rentenzuschuß, seien durchlaufende Posten,
kann man das so richtig eigentlich niemandem beibringen.
({1})
Ein Teil des Rentenzuschusses ist schon heute im
Haushalt eingestellt; das ist kein durchlaufender Posten.
Das, was jetzt dazugekommen ist, soll durchlaufender
Posten sein. Das Haushaltsvolumen hat eine ungeahnte
Höhe erreicht. Wie soll von einem solchen Haushalt und
bei dermaßen steigenden Ausgaben ein Stabilitätssignal
ausgehen?
Sie haben davon gesprochen, Ihr Haushalt basiere
unter anderem auf Steuerentlastungen. Von welchem
Modell gehen Sie zur Zeit bei der Ökosteuer aus? Von
welchem Modell gehen Sie zur Zeit bei dem sogenannten Steuerentlastungsgesetz aus? Von welchem Modell
gehen Sie zur Zeit bei 630-Mark-Jobs aus? Bisher liest
man in der Zeitung zur Steuerreform, das Thema Teilwertabschreibung sei jetzt erledigt. - Dann fehlen im
Haushalt aber 5,7 Milliarden DM. Welches Modell bzw.
welche jeweilige Richtlinie des Bundeskanzlers gilt
hier?
Der letzte Punkt: Privatisierungserlöse. Sie haben davon gesprochen, die Privatisierung im bisherigen Umfang fortzuführen und dabei zum Teil die Reste des
Vorjahres in dieses Jahr herüberzunehmen. Die Vergleichszahlen, die mir zugänglich sind, sehen so aus:
Die Privatisierungserlöse belaufen sich in diesem Jahr neuer Entwurf - auf 18,9 Milliarden DM; im WaigelEntwurf waren 5 Milliarden DM vorgesehen. Das heißt,
Sie kalkulieren 13,9 Milliarden DM mehr für Privatisierungserlöse ein. Es ist wohl richtig, wenn man sagt: Hier
verscherbelt einer das Tafelsilber.
Herr Kollege, daß wir in der Frage, was stabilitäts- bzw.
konjunkturgerecht ist, unterschiedliche Auffassungen
haben, das ist klar. Das können wir auch in Form von
Frage und Antwort nicht klären.
Ich habe gesagt, daß wir im Hinblick auf die Konjunktur keine sehr starken Einnahmeerhöhungen vorgeschlagen haben - das mag man so oder so beurteilen und im Hinblick auf die Stabilitätsorientierung und den
Dialog auf europäischer Ebene die Nettoneuverschuldung so weit wie möglich begrenzt haben. Insofern haben wir an dem Stabilitätssignal, das bereits die Vorgängerregierung vorhatte, festgehalten.
Zu der Frage „Ökosteuer, 630-Mark-Jobs, Teilwertabschreibungen“ möchte ich sagen, daß es sich um einen
ganz normalen Vorgang handelt. Wir befinden uns hier
in der parlamentarischen Beratung. Ich sage nicht nur in
Erwiderung auf Ihre Frage, sondern auch im Hinblick
auf die öffentliche Diskussion: Die Bundesregierung
geht nicht davon aus, daß jeder Gesetzentwurf, den sie
einbringt, die parlamentarische Beratung überflüssig
macht. Wenn es so wäre, dann bräuchten wir die parlamentarische Beratung gar nicht mehr und könnten uns
die Sitzungen sparen.
Sie haben die Teilwertabschreibungen genannt, und
der Kollege Rexrodt hat bereits auf die Veränderungen
bei 630-Mark-Jobs hingewiesen. Das heißt, wenn aus
dem Parlament Anregungen kommen, das eine oder andere zu verändern, dann ist das für uns ein normaler
Vorgang. Was die Teilwertabschreibungen angeht auch Sie haben den enormen Einnahmeausfall beziffert,
der die Folge wäre, wenn ganz auf den Vorschlag verBundesminister Oskar Lafontaine
zichtet würde -: Die Haltung der Bundesregierung ist
immer die gewesen, daß wir selbstverständlich nicht an
Einzelpositionen festhalten, daß wir aber im Hinblick
auf die Vereinbarungen mit den Ländern - der Bundesrat muß zustimmen - das Gesamttableau stets im Auge
behalten müssen; das heißt, daß es keine größeren Steuerausfälle geben darf.
Was die Ökosteuer angeht: Es gibt einen Abstimmungsbedarf mit der Europäischen Gemeinschaft. Das
versteht sich ebenfalls von selbst. Offen war, inwieweit
Ausnahmetatbestände gemeinschaftskonform geregelt
werden können. In dieser Frage befinden wir uns in der
Endabstimmung. Insofern ist Ihre Kritik, daß die endgültige Entscheidung noch nicht gefallen ist, berechtigt.
Das liegt aber am Verfahren der parlamentarischen Beratung.
Zur Privatisierung. Es ist richtig, daß insgesamt 18,9
Milliarden DM eingebucht worden sind. Sie müssen dabei die Postunterstützungskasse und den Übertrag aus
den Vorjahren mit berücksichtigen. Ich habe bereits eingeräumt, daß wir letztendlich ein strukturelles Defizit im
Bundeshaushalt von 20 Milliarden DM haben und daß
wir nicht auf Dauer auf Privatisierungserlöse zurückgreifen können. Insofern ist der Vorwurf mit dem Hinweis auf das Tafelsilber berechtigt. Auf der anderen
Seite haben wir es nicht für richtig gehalten, in der jetzigen Situation labiler konjunktureller Erwartungen ein
strukturelles Defizit, das sich bereits über Jahre hinweg
gezeigt hat, durch kräftige Ausgabekürzungen oder Einnahmeerhöhungen zu bereinigen.
Im übrigen zum Verfahren: Da kann ich mich nur auf
den Kollegen Diller beziehen, der mir mitgeteilt hat, daß
bisher immer so verfahren wurde, daß der Entwurf einen
Tag später zugeleitet wurde.
({0})
Wir werden ja die Vorlage bereits heute mittag im
Haushaltsausschuß einbringen. Insofern hält sich das
Verfahren, daß Sie unmittelbar nach Beschluß des Kabinetts davon unterrichtet werden, im üblichen Rahmen.
Im übrigen wissen Sie ja, daß diese Vorlage, nachdem
sie vom Kabinett beschlossen wurde, nicht im geringsten der Geheimhaltung unterliegt. Im Regelfall sind die
Eckdaten ja auch schon längst vorher veröffentlicht
worden und werden öffentlich diskutiert.
Eine Zusatzfrage? Bitte, Herr Kollege.
Ich habe noch
zwei Fragen. Bei meiner ersten Frage handelt es sich um
keine Zusatzfrage, sondern ich stelle noch einmal meine
Frage von vorhin, die Sie nicht beantwortet haben: Was
hindert Sie eigentlich daran, den Haushalt in der näch-
sten Woche dem Parlament vorzulegen, so daß wir die
Haushaltsberatungen in der nächsten Woche führen
können?
Meine erste Zusatzfrage: Sie haben ja gesagt, daß
dann, wenn das Vorhaben im Zusammenhang mit der
Teilwertabschreibung wegfällt, etwas anderes an diese
Stelle tritt und das Volumen erhalten bleibt. Mit wieviel
Mehr- oder Mindereinnahmen bei den Steuern rechnen
Sie a) durch die Einführung der Ökosteuer, b) durch die
Auswirkungen des Steuerentlastungsgesetzes und c)
durch die Änderungen bei den 630-Mark-Jobs?
Zur ersten Frage: Wir leiten den Haushalt nur zu. Der
Ältestenrat hat die erste Beratung auf Anfang Februar
festgesetzt. Sie müssen akzeptieren, daß nicht wir dem
Parlament vorgeben können, wann es welche Beratungen durchführt.
({0})
- Wir befinden uns hier in der Befragung der Bundesregierung und nicht in einer der Parlamentsmehrheit. Sie
können sich gerne mit den Kollegen der Mehrheitsfraktionen über das parlamentarische Verfahren unterhalten.
({1})
Zu Ihrer zweiten Frage nach den Steuergesetzen
möchte ich Ihnen noch einmal sagen: Die Gesetzentwürfe liegen vor; sie sind jetzt in der Beratung und werden
dann auch in den Haushalt eingehen. Dabei hängt es davon ab, wie sich das Parlament bei den abschließenden
Beratungen entscheidet. Ich kann Ihnen jetzt die Frage
nicht beantworten, wie das mit den Teilwertabschreibungen ausgeht, weil ich nicht die Gabe besitze, zu prophezeien, was am Ende der parlamentarischen Beratungen dabei herauskommt. Danach werden wir ausrechnen, was an Einnahmen und Ausgaben zu verbuchen ist.
So ist das.
Nächste Fragestellerin ist die Kollegin Professor Dr. Luft.
Herr Bundesfinanzminister,
einige uns jetzt bekannte Tendenzen des Bundeshaushaltes 1999 sind ja durchaus zu begrüßen. Ich nenne nur
einmal die Verstetigung bei den Mitteln für die aktive
Arbeitsmarktpolitik, die Aufstockung der Mittel für die
neuen Bundesländer und das, was für Technologieförderung und für Bildungsprojekte vorgesehen ist.
Meine Frage ist, ob die quantitative Aufstockung der
Mittel auch mit dem Beschreiten von innovativen Wegen einhergeht. Werden weiterhin nur ausgetretene Pfade beschritten, oder wird mit den neu zur Verfügung gestellten Mitteln in der Tat Innovatives auf den Weg gebracht? In den neuen Bundesländern - darauf beschränke ich mich jetzt einmal - hat die Förderung von Großprojekten ja leider nicht zur Entwicklung eines selbsttragenden, nachhaltigen Aufschwungs geführt. Gibt es also
innovative Maßnahmen, von denen man erwarten kann,
daß sie einen Einstieg in einen selbsttragenden Aufschwung bieten?
Dasselbe betrifft die aktive Arbeitsmarktpolitik. Wie
kommen wir über eine bloße Verlängerung der Maßnahmen hinaus? Dagegen ist ja nichts zu sagen, aber es
würde nichts Neues bringen, wenn beschränkte ABMaßnahmen nach einem Jahr wieder abgebrochen werden müssen und die Leute wieder ins Nichts fallen. Gibt
es auch die Idee, erste Schritte hin zu einer mehrjährigen
Projektförderung zu unternehmen? Das ist meine erste
Frage.
Zu meiner zweiten Frage: Die ökologischen Signale,
die von diesem Haushalt ausgehen, sind etwas bescheiden. Ich habe das 100 000-Dächer-Solarprogramm zur
Kenntnis genommen. Aber die vorgesehene Förderung
erneuerbarer Energien fällt leider gering aus. Auch die
zur Förderung des Schienentransports vorgesehenen
Mittel sind gemessen an dem, was für die Straße ausgegeben wird, bescheiden.
Drittens. Wie wollen Sie den Ausfall der Einnahmen
bei den Gemeinden ausgleichen, der durch die Neuregelung bei den 630-Mark-Jobs entsteht?
Schließlich - ich gebe zu, es würde den Rahmen
sprengen, dieses Problem heute zu beraten - ergeben
sich aus dem gestrigen Beschluß des Bundesverfassungsgerichts - darüber wurde hier ja schon eingangs
geredet - für die mittelfristige Finanzplanung und den
Bundeshaushalt ab dem Jahr 2000 Auswirkungen, die
nicht nur durch bloßes Sparen bewältigt werden können.
Ich frage daher: Ergeben sich aus Ihrer Sicht daraus
nicht Rückschlüsse für die Steuerreform? Müssen wir
nicht vielleicht früher, als Sie gedacht haben, über das
Ehegattensplitting reden? Müssen wir nicht wieder über
die Erhebung der Vermögensteuer reden? Müssen wir
nicht auch - diesen Vorschlag hat Ihr Fraktionsvorsitzender, Herr Struck, in die Diskussion gebracht - über
eine Millionärsabgabe reden?
Zunächst will ich etwas zum Beschluß des Bundesverfassungsgerichtes sagen. Ich plädiere dafür, unseren
Standpunkt - zumindest als in der Sache begründet - zu
akzeptieren, daß wir in diesem Zusammenhang ganz
gerne eine Abstimmung mit den Ländern hätten; denn
nicht nur der Bund, sondern auch die Länder sind betroffen. Bisher sind wir gut damit gefahren, unsere wichtigen steuerpolitischen Vorhaben mit den Ländern abzustimmen. Ganz ohne den Bundesrat geht es bekanntlich
nicht. Deshalb möchte ich jetzt keine Festlegung treffen.
Hinsichtlich der Vorschläge zum Thema Ehegattensplitting, die ich nicht bewerten möchte, bitte ich zu bedenken, was das Bundesverfassungsgericht dazu sagt.
Ich habe mir an dieser Stelle während der heutigen Beratungen erlaubt, scherzhaft zu bemerken, wir müßten
bezüglich der mittelfristigen Finanzplanung immer eine
Fußnote „vorbehaltlich der gesetzgeberischen Vorgaben
des Bundesverfassungsgerichts“ einfügen. Hier handelt
es sich ja nicht um Größenordnungen, die vernachlässigbar sind. Wir brauchen keine tagespolitische Aufgeregtheit, sondern die Abstimmung mit den Ländern.
Ihre erste Frage galt den Innovationen. Wir wollen
über Forschungs- und Mittelstandsförderung in erster
Linie den Rahmen setzen; die eigentlichen Innovationen
aber müssen von denen hervorgebracht werden, die die
Nutzer von Forschungsmitteln und Wirtschaftsförderung
sind. Ich weiß jetzt nicht, ob diese Antwort den Kern Ihrer Frage trifft.
Wenn der Kern Ihrer Frage aber war - Sie haben die
Arbeitsmarktmittel genannt -, daß Innovationen dadurch
gefördert werden sollen, die Arbeitsmarktmittel hinsichtlich ihrer Befristung und ihrer Höhe anders einzusetzen, dann möchte ich Sie bitten, dies im Fachausschuß zu diskutieren, weil das im Rahmen der Aufstellung des Haushaltsplanes nicht so genau vorgeschlagen
werden soll. Dieses Thema sollten Sie also mit den
Kollegen im Fachausschuß diskutieren. Das ist meine
Empfehlung.
Zu dem Steuerausfall für die Gemeinden. Ich möchte
dazu etwas Grundsätzliches sagen, und ich werde es
immer wieder sagen. Der Haushalt des Bundes ist der
schwächste aller Ebenen. Diese Erkenntnis wird zwar
nicht dazu führen, daß Länder und Gemeinden damit
aufhören, alle Belastungen der Bundeskasse zuzuschieben. Man muß aber festhalten, daß kein anderer Haushalt, auch kein Landeshaushalt, eine Zinssteuerquote
von 25 Prozent hat. Mit Ausnahme von Einzelfällen haben die Gemeinden bei weitem nicht diese Zinssteuerquote. Viele kleinere Gemeinden, zumindest in den
westlichen Ländern, haben weitaus günstigere Einnahme- und Ausgabenstrukturen als der Bundeshaushalt
oder die Länderhaushalte. Wir glauben daher, daß es
auch im Hinblick auf die jüngste Entwicklung der Gemeindefinanzen gerechtfertigt ist, die mittelbar beteiligten Gemeinden an den Ausgleichsmaßnahmen, die wir
den Ländern angeboten haben, zu beteiligen.
Was Schiene und Straße angeht, so weise ich darauf
hin, daß die Ausgaben für die Schiene entgegen der einen oder anderen Bemerkung in der öffentlichen Debatte
höher sind als die Ausgaben für die Straßen. Ich weiß
aber, daß es viele gibt, denen das nicht genügt. In diesem Zusammenhang weise ich darauf hin, daß wir eine
ganze Reihe von Projekten haben, die längerfristig gebunden sind. Insbesondere die sogenannten privat finanzierten Projekte beinhalten längerfristige Verpflichtungen für den Bundeshaushalt, so daß unsere Spielräume
nicht allzugroß sind, um hier umzuschichten. Auch dieses Thema kann im Fachausschuß näher diskutiert werden. Dort kann man Vorschläge machen, welches Projekt man zugunsten des Ausbaus der Schienenwege aufgibt. Dann wird man aber erkennen, daß die Spielräume
sehr eng sind. Ein Ausweg wäre eine Aufstockung, wofür aber in der gegenwärtigen Situation die Mittel fehlen.
Herr Kollege Fuchtel, bitte Ihre Frage.
Es geht noch
einmal um die erste Lesung des Bundeshaushalts. Sie
haben vorhin gesagt, Sie wollen den Mehrheitsfraktionen nicht vorgreifen. Aber im Rahmen Ihrer Antwort auf
die Frage der Kollegin Luft haben Sie der PDS eine
Empfehlung gegeben, wie man beraten soll. Können Sie
uns noch einmal sagen, warum es Ihnen nicht möglich
ist, in der doch sehr entscheidenden Frage eine EmpDr. Christa Luft
fehlung abzugeben, wie mit der ersten Lesung gegenüber Ihren Mehrheitsfraktionen umzugehen ist? Denn es
ist sehr untypisch für Sie, daß Sie dazu nicht in der Lage
sein wollen.
({0})
Die zweite Frage. Sie haben überhaupt nichts zur Personalentwicklung gesagt. Hier hören wir, daß Sie quer
durch die gesamten Leitungsebenen das Personal verstärken werden. Es wäre notwendig, daß Sie sich dazu
äußern, denn hier soll ganz klar ein Durchlauferhitzer
geschaffen werden, indem man jetzt hochdotierte Personalstellen einrichtet, um sie dann mit Personal zu besetzen, das man danach weiter befördern kann. Es ist bekannt, daß diese Stellen später wieder wegfallen sollen.
Aber Sie greifen hier in einer Weise in den Personalkörper ein, wie es vor Ihnen noch niemand gemacht hat.
Zur ersten Frage, warum ich keine konkreten Empfehlungen abgebe. Ich höre gerade vom Kollegen Diller,
der das Verfahren im Parlament viel länger kennt als
ich, daß die Drucklegung 14 Tage in Anspruch nehmen
wird. Ich möchte Ihnen, wenn Sie unbedingt eine Empfehlung von mir haben wollen, vorschlagen, sich mit den
Kollegen der anderen Fraktionen darüber zu verständigen, wann die Beratungen beginnen. Ich bitte aber noch
einmal um Verständnis: Die Bundesregierung leitet dem
Parlament den Haushalt zu, und ab dann entscheidet das
Parlament. Deshalb kann ich dazu nicht mehr sagen. Ich
empfehle Ihnen also, mit den Kolleginnen und Kollegen
zu sprechen.
Zum Personal. Wir beabsichtigen, die 1,5 Prozent, die
auch von der Vorgängerregierung hinsichtlich der Reduktion von Stellen vorgesehen waren, aufrecht zu erhalten. Nun haben Sie den Hinweis gegeben, daß nach
dem Regierungswechsel nach 16 Jahren auf der Leitungsebene eine ganze Reihe von Neubesetzungen erfolgt seien. Das ist unstreitig. Ihr Hinweis allerdings,
daß das vorher nie der Fall gewesen sei, ist durch öffentliches Bewußtsein widerlegt. Ich möchte ihn gar
nicht kommentieren. Wir haben die neuen Stellen, die
geschaffen worden sind, natürlich mit „k.w.“Vermerken versehen, so daß insoweit eine ordnungsgemäße Verfahrensweise angewandt worden ist.
Ich glaube nicht, daß wir uns hier einen Gefallen tun,
wenn wir uns, je nach politischer Situation, beim Regierungswechsel jeweils gegenseitig vorwerfen, daß die
Leitungsebenen neu besetzt werden, weil das Publikum
uns das sowieso nicht glaubt. Aber das soll keine Empfehlung sein, das ist eine Feststellung von meiner Seite.
({0})
Eine kurze Zusatzfrage noch, Herr Kollege.
Müßten Sie
als Finanzminister nicht daran interessiert sein, daß der
Haushalt schnellstmöglich verabschiedet wird, um von
der vorläufigen Bewirtschaftung wegzukommen?
Ich habe überhaupt nichts dagegen, wenn das Parlament
ihn so zügig wie möglich verabschiedet. Aber schon in
der Gemeindedebatte habe ich früher immer darauf hingewiesen, daß das Budgetrecht das vornehmste Recht
des Parlaments ist. Das ist nun Ihre Sache, in welchem
Tempo und in welchem Rahmen Sie weiter vorgehen.
Die Bundesregierung ist jetzt nicht mehr gefragt.
({0})
Frau Kollegin Matthäus-Maier, bitte.
Herr Bundesfinanzminister, im Zusammenhang mit der Teilwertabschreibung sind Steuerausfallzahlen von 5, 6, 7 Milliarden
DM genannt worden. Können Sie bestätigen, daß es bei
der Korrektur, die die Regierung und die Koalitionsfraktionen bei diesem Thema vornehmen werden, keinesfalls darum geht, diesen Teil der Gegenfinanzierung
der Steuerreform komplett zu streichen, sondern daß es
darum geht, das auf Teilwertabschreibung bei dauernder
Wertminderung zu reduzieren, so daß von diesen Riesenzahlen überhaupt keine Rede sein kann?
({0})
Zweitens. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes, die wir seit gestern kennen, wurde bereits
mehrfach angesprochen. Sie haben in den Haushalt 1999
die Kindergeldanhebung von 220 DM auf 250 DM eingestellt, ordentlich etatisiert. Ist es nicht eigentlich so,
daß Sie sich in der Anhebung des Kindergeldes für 1999
- gegen den erbitterten Widerstand der Opposition, gegen viele Stellungnahmen noch im November und Dezember, zum Beispiel der Forschungsinstitute, des Bundes der Steuerzahler und von Professor Bareis, die uns
gesagt haben, daß das Kindergeld nicht angehoben und
statt dessen der Spitzensteuersatz gesenkt werden soll und in Ihrer festen Haltung durch den Karlsruher Beschluß bestätigt fühlen müssen?
Ich kann Ihre letzte Frage natürlich nicht verneinen. Ich
bin dankbar für diese Frage, weil sie im Grunde genommen darlegt, daß der Streit der letzten Jahre berechtigt war. Das Verfassungsgericht hat ja jetzt nicht einen
Sachverhalt bewertet - wie das manchmal da oder dort
kommentiert worden ist -, der zu Lasten der jetzigen
Regierung geht. Das Verfassungsgericht hat vielmehr
die Praxis der letzten Jahre bewertet und hat gesagt: Die
Familien sind zu schlecht behandelt worden.
Natürlich gab es eine Reihe von Verbänden, die uns
in ihren Stellungnahmen stets steuerliche Maßnahmen
empfohlen haben, die nicht den Familien, sondern anderen zugute gekommen wären. Insofern glaube ich, daß
diese Verbände bzw. bestimmte Wissenschaftler ihre
Auffassung jetzt korrigieren müssen. Denn das Gericht
hat an dieser Stelle eine richtige Entscheidung getroffen.
Zumindest sind wir daran gebunden.
Was die Teilwertabschreibung angeht, kann ich bestätigen, daß nach meinem Wissensstand nicht an eine
völlige Aufhebung des ursprünglichen Vorschlages gedacht ist, der ja nicht ein Vorschlag allein im jetzigen
Entwurf der Koalitionsfraktionen ist. Er ist ja bereits im
sogenannten Petersberger Entwurf enthalten.
({0})
Dies ist eine Diskussion, die schon seit Monaten geführt
worden ist. Dies gilt auch - damit ich mir noch mehr
Zurufe einhandle - für Veräußerungsgewinne und Verlustrückträge. All diese Vorschläge beschäftigen uns
schon eine ganze Reihe von Monaten.
Für einen Teil des Hauses möchte ich anmerken: Wer
niedrigere nominale Sätze fordert, der muß dann bitte
schön bereit sein, Steuersubventionen zu kürzen. Es ist
in höchsten Maße unehrlich, niedrigere nominale Sätze
zu fordern und nicht bereit zu sein, Steuersubventionen
zu kürzen.
({1})
Herr Kollege Hollerith, Ihre Frage bitte.
Herr Bundesfinanzminister Lafontaine, die Frage von Frau Matthäus-Maier
provoziert natürlich eine weitere Frage. Um wieviel
müßte denn das Kindergeld angehoben werden, um dem
Verfassungsgerichtsurteil zu entsprechen?
Ihren Hinweis auf die Petersberger Beschlüsse muß
man richtigstellen. Sie verwechseln Teilwertabschreibung und Wertaufholungsgebot.
({0})
Das Wertaufholungsgebot war in den Petersberger Beschlüssen enthalten, aber nicht die Teilwertabschreibung.
Ich möchte eine weitere Frage stellen, die mich bewogen hat, mich auf die Frageliste setzen zu lassen. Herr
Minister, nach den mir vorliegenden Informationen sieht
der Entwurf des Haushaltes 1999 bei den Investitionsmitteln für Bundesfernstraßen eine zusätzliche Anlastung für die Investitionen nach dem Eisenbahnkreuzungsgesetz und für den Kombiverkehr vor, und zwar in
Höhe von etwa 200 Millionen DM.
Dies - wenn diese Information richtig ist - würde bedeuten, daß die realen Mittel, die für Investitionen im
Bereich von Bundesstraßen und Autobahnen verfügbar
sein werden, im Jahre 1999 real sinken. Beabsichtigen
Sie in diesem Zusammenhang, an dem Vorrang der Finanzierung der Verkehrsprojekte Deutsche Einheit festzuhalten, mit der Folge, daß dann in den alten Bundesländern, zum Beispiel in Hessen, nicht in ein baureifes
Teilstück einer Autobahn neu investiert werden könnte?
Zunächst zum Kindergeld. Es wäre jetzt völlig unzulässig, Zahlen bezüglich des Kindergeldes über das hinaus
in die Welt zu setzen, was bereits geplant ist. Der Verfassungsgerichtsbeschluß bezog sich, wie Sie wissen,
auf Freibeträge. Ich sage noch einmal: Wir werden das
mit den Ländern in Ruhe beraten. Es wäre nicht vertretbar, wenn der Finanzminister jetzt neue Zahlen in die
Welt setzen würde.
Zur Teilwertabschreibung. Ich verwechsele das nicht.
Wenn es so ist, daß dieser Vorschlag im Petersberger
Entwurf nicht enthalten ist, bitte ich um Nachsicht für
diesen Irrtum.
({0})
- Entschuldigung, für diesen Irrtum. Wir haben in den
letzten Wochen und Monaten so viele Gesetzestexte gelesen, daß mir dieser Irrtum unterlaufen sein kann. Ich
werde in Zukunft nicht mehr wiederholen, daß die Teilwertabschreibung schon im Petersberger Entwurf enthalten war. Insofern bin ich dankbar für diesen Hinweis.
Das ist ja leicht zu überprüfen.
Die dritte Frage hinsichtlich hessischer Bauinvestitionen und der Verkehrsprojekte Deutsche Einheit
scheint mir etwas durchsichtig zu sein. Wenn Sie damit
ausdrücken wollen, daß nur noch im Osten gebaut wurde
und im Westen nicht mehr, dann, so glaube ich, entspricht das nicht den Realitäten. Wenn Sie Einzelfragen
haben, bitte ich Sie, das im Verkehrsausschuß bzw. im
Haushaltsausschuß zu klären.
Ich habe eine Zusatzfrage.
Aber bitte nur eine
ganz kurze; wir sind schon weit über die Zeit.
Ja, die Frage ist ganz
kurz.
Ist die Information richtig, daß den Investitionsmitteln im Fernstraßenetat zusätzlich 200 Millionen DM
angelastet werden durch das Eisenbahnkreuzungsgesetz
und den Kombiverkehr, mit der Folge des realen Absinkens der Mittel für Straßeninvestitionen?
Ich bin mit dieser Detailfrage überfordert. Ehe ich Ihnen
jetzt eine Antwort gebe, die nicht richtig ist, bitte ich
Sie, das im Fachausschuß zu klären.
Kollege Henke, stellen Sie bitte Ihre Frage.
Herr Bundesminister, Lohnzurückhaltung könne die Arbeitslosigkeit
steigern, hat sowohl der frühere saarländische Ministerpräsident wie auch der jetzige Bundesfinanzminister
wiederholt erklärt. Darf ich die Frage stellen, welches
Veränderungsniveau, was die Lohnentwicklung in 1999
anbelangt, Sie Ihrer Einnahmekalkulation zugrunde gelegt haben und von welchen Zuwächsen Sie bei den Personalkosten im öffentlichen Bereich ausgehen?
Zweite Frage, Herr Bundesminister. Ich habe mir
größte Mühe gegeben, die bisherigen Veröffentlichungen daraufhin durchzusehen, von welcher Arbeitsmarktentwicklung, der ja eine ganz zentrale Bedeutung zukommt, Sie für 1999 ausgehen. Könnten Sie das bitte
dartun? Im Zusammenhang mit dem Bericht Ihrer Regierung zum europäischen Stabilitätspakt sind zu allen
wesentlichen Daten nicht nur für das Jahr 1999, sondern
auch mittelfristig sehr detaillierte und differenzierte
Zahlen, Ausführungen und Daten dargelegt worden. Genau zu diesem zentralen Thema aber fehlt jedes Datum,
sowohl für dieses Jahr als auch für die Folgejahre.
Erlauben Sie mir noch eine letzte Frage im Zusammenhang mit den Sondervermögen, die Sie in den Bundeshaushalt einbezogen haben. Der Haushalt für das
Jahr 1999 ist ja ausgeweitet worden. Sie stellen die Konsolidierung aber ganz vornan als Ziel Ihrer Haushaltspolitik. Wie verhält es sich mit den Tilgungszielen im
Schuldenbereich, speziell was die Sondervermögen, den
Erblastentilgungsfonds und das Bundeseisenbahnvermögen, vor allen Dingen aber auch die Steinkohle anbelangt?
Zunächst zur letzten Frage, die den Bundeshaushalt direkt betrifft. Es bleibt bei der Praxis, die auch die Vorgängerregierung verfolgt hat.
({0})
7 Milliarden DM des Bundesbankgewinns werden vom
Bundeshaushalt vereinnahmt; der Rest fließt in die Tilgung. Das war die bisherige Praxis, und dies wird fortgesetzt. Insofern sind damit einige mißverständliche
Äußerungen der letzten Tage klargestellt.
Nun zu den mehr grundsätzlichen Fragen. Ich bin Ihnen für die erste Frage dankbar, da dies Gelegenheit
gibt, das, was in ungezählten schriftlichen Aufsätzen
von mir niedergelegt worden ist, noch einmal klarzustellen. Die Begriffe der Lohnzurückhaltung oder der
gemäßigten Lohnpolitik sagen mir relativ wenig, da über
zurückhaltendes Vorgehen oder Mäßigung jeder eine
andere Auffassung hat. Dies sind so unbestimmte Begriffe, daß sie überhaupt nicht weiterführen.
Die entscheidende Zielgröße ist die Produktivitätsorientierung. Meine Auffassung ist nach wie vor, daß
Lohnabschlüsse, bei denen der Lohnzuwachs über der
Rate der Produktivitätsentwicklung liegt, in Deutschland
einen Inflationsdruck ausüben und daher fehlerhaft sind.
Solche Entwicklungen hatten wir oft. Anschließend ist
es immer zu Überreaktionen der Geldpolitik und dann
zum Anwachsen der Arbeitslosigkeit gekommen.
Für genauso falsch halte ich es, wenn Lohnabschlüsse
auf Dauer einen Lohnzuwachs beinhalten, der unterhalb
der Rate der Produktivitätsentwicklung liegt. Das ist
wahrscheinlich die Aussage, die Sie ansprechen. Es gibt
eine sehr breite Diskussion darüber, daß in diesem Fall
eine expansive Geldpolitik ausgleichend dagegenhalten
müßte. Wir haben aber in Gesamteuropa - das haben wir
auch im Ecofin-Rat wieder beraten - mit einer Ausnahme zu Beginn der 90er Jahre seit fast Anfang der 80er
Jahre Reallohnentwicklungen, die deutlich unter dem
Produktivitätszuwachs liegen. Wenn das die alleinige
Veränderung der beiden Größen ist, halte ich das für unzureichend und eher geeignet, die Arbeitslosigkeit
strukturell aufzubauen als abzubauen, da die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung zugrunde gelegt werden
muß. - Ich kann das nicht weiter vertiefen, bin Ihnen
aber dankbar, daß Sie mir die Gelegenheit gegeben haben, noch einmal klarzustellen, daß für mich die Produktivitätsorientierung entscheidend ist.
Zu den erwarteten Abschlüssen im öffentlichen
Dienst möchte ich Ihnen dieselbe Antwort geben, die ich
schon auf Gemeindeebene und auf Länderebene immer
gegeben habe: Es wäre falsch, wenn wir exakt angeben
wollten, welchen Abschluß wir erwarten. Denn das wäre
mit zu großen Risiken behaftet. Aber ich will gern meine Auffassung noch einmal wiederholen, die ich in ungezählten Vorträgen und öffentlichen Reden dargelegt
habe, daß nämlich der öffentliche Dienst nie Vorreiter in
der Lohnentwicklung sein kann, sondern auf Grund seiner besonderen Bedingungen eher gehalten ist, im Vergleich zur gewerblichen Wirtschaft etwas weniger hohe
Abschlüsse zu tätigen.
Zur Arbeitsmarktentwicklung 1999. Wir würden einen wirklichen Fehler machen, wenn wir angesichts der
gewaltigen Differenzen in den Prognosen, die wir derzeit erleben - es gibt etwa im Moment in bezug auf das
Realwachstum Werte von 1,3 bis 2,8 Prozent -, Zahlen
angeben würden und dafür Verläßlichkeit beanspruchen
wollten. Diese Prognosen sind auch gemacht worden,
bevor beispielsweise die neueren Entwicklungen in Brasilien einsetzten. Ich bin also nicht in der Lage, Ihnen
hier konkretere Daten zu liefern. Ich halte das auch für
nicht begründbar. Wir müssen in der jetzigen ökonomischen Lage „auf Sicht fahren“ und sind daher nicht in
der Lage, exakte Daten, etwa hinsichtlich der Arbeitsmarktentwicklung usw., zu liefern.
Die Prognosen, die abgegeben werden - das wissen
Sie aus Ihren eigenen Beratungen -, haben immer bestimmte Voraussetzungen, etwa die Entwicklung der
Löhne und Einkommen oder die Entwicklung der Basispreise, insbesondere der Preise für Öl oder anderes
Material, oder eben auch die Stabilisierung der Wechselkurse und die Zinsentwicklung. Ausgehend von diesen Voraussetzungen kann man dann gewisse Prognosen
machen. Aber die Annahme von Voraussetzungen ist
natürlich ebenfalls mit Risiken behaftet, so daß ich da982
von abrate, Prognosen abzugeben und zu meinen, sie
seien verläßlich.
Auf Grund der fortgeschrittenen Zeit lasse ich jetzt keine Zusatzfragen
mehr zu.
Allerletzter Fragesteller in der heutigen Regierungsbefragung ist der Kollege Dr. Hoyer.
Herr Minister, die Koalitionsparteien haben erhebliche strukturelle Verbesserungen beim Wohngeld angekündigt. Nach erster
Durchsicht des Papieres muß ich sagen: Ich finde die
entsprechende Umsetzung nicht. Habe ich etwas übersehen? Oder kommt da noch etwas nach, womit Sie die
Umsetzung dieses Wahlversprechens gewährleisten
wollen?
Die zweite Frage geht in die gleiche Richtung. Die
alte Koalition hatte für eine Verbesserung des Wehrsoldes um 1 DM schon Mittel in den Haushalt eingestellt.
Wir sind damals dafür heftig kritisiert worden; uns wurde gesagt, es müßten mindestens 2 DM sein, die neue
Koalition würde die zusätzliche Mark sofort nachliefern
und die Mittel in den Haushalt einstellen. Wann erfolgt
denn hier die Umsetzung des Wahlversprechens? In dem
mir vorliegenden Entwurf ist das nicht zu erkennen.
Ihr Vorwurf, daß wir jetzt, nach zwei Monaten, nicht
schon alle Wahlversprechen umgesetzt haben, trifft voll
ins Schwarze. Wir haben allerdings schon zehn wichtige
Wahlversprechen umgesetzt, und deshalb habe ich dem
Haushaltsentwurf auch die Überschrift gegeben: Versprochen - gehalten. - Sie haben aber recht: Noch nicht
alle Versprechen wurden eingehalten. Aber wir wollen
ja noch vier Jahre arbeiten.
({0})
- „Mindestens“, vielen Dank. Ich bezog das auf diese
Legislaturperiode.
Ich beende damit die
Regierungsbefragung.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
- Drucksachen 14/266, 14/274 Wir kommen zunächst zur Beantwortung der Dringlichen Fragen. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz auf. Zur Beantwortung steht
der Parlamentarische Staatssekretär, Herr Dr. Eckhart
Pick, zur Verfügung.
Ich rufe die Dringliche Frage 1 des Abgeordneten
Andreas Schmidt ({0}) auf:
Trifft es angesichts von Pressemeldungen zu, wonach die
Fraktion der PDS des Deutschen Bundestages am Abend des
15. Januar 1999 den Honorarvertrag mit dem früheren DDRSpitzenspion Rainer Rupp, alias „Topas“, gebilligt hat, daß nach
der Verwaltungsvorschrift zum Strafvollzugsgesetz Rainer Rupp
grundsätzlich vom Freigang ausgeschlossen ist und dazu nur
ausnahmsweise zugelassen werden darf - nach Anhörung der
Bundesanwaltschaft als Vollstreckungsbehörde?
Herr Kollege Schmidt, die Frage bezieht sich offenbar auf Nr. 6 Abs. 1 Buchstabe a
der Verwaltungsvorschriften zu § 11 Strafvollzugsgesetz, die von den für den Strafvollzug zuständigen Ländern bundeseinheitlich erlassen worden sind.
Nach dieser Vorschrift sind Gefangene, die vom
Oberlandesgericht im ersten Rechtszug wegen Staatsschutzdelikten, unter anderem geheimdienstlicher Agententätigkeit oder Landesverrat, zu einer Freiheitsstrafe
verurteilt worden sind, vom Freigang, das heißt von einer Beschäftigung außerhalb der Anstalt ohne Aufsicht
eines Vollzugsbediensteten, grundsätzlich ausgeschlossen. Diese Voraussetzungen treffen auf Herrn Rupp zu.
Die Justizvollzugsanstalt kann jedoch mit Zustimmung der zuständigen Aufsichtsbehörde des Landes
Ausnahmen zulassen. Die Vollstreckungsbehörde, im
vorliegenden Fall der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof, ist vor der Entscheidung der Vollzugsanstalt anzuhören. Eine solche Anhörung des Generalbundesanwaltes zur Frage eines Freiganges von Herrn Rupp
hat bisher nicht stattgefunden.
Eine Zusatzfrage,
Herr Kollege?
Herr
Kollege Pick, gibt es in dieser Frage eine Weisungsbefugnis Ihres Ministeriums gegenüber der Bundesanwaltschaft?
({0})
Grundsätzlich handelt der Generalbundesanwalt zunächst in eigener Verantwortung.
Im Einzelfall kommt natürlich auch eine Weisung in
Frage.
({0})
Dann rufe ich die
Frage 2 des Abgeordneten Andreas Schmidt ({0})
auf:
Welche Stellungnahme wird die Bundesanwaltschaft abgeben?
Diese Frage, Herr Kollege
Schmidt, schließt sich an Ihre erste Frage an; entsprechend gilt das für die Antwort. Über eine Stellungnahme
kann der Generalbundesanwalt erst dann entscheiden,
wenn er von der Justizvollzugsanstalt zur Frage eines
Freiganges von Herrn Rupp angehört wurde und den zugrunde liegenden Sachverhalt prüfen konnte.
Kollege Schmidt,
bitte.
Herr
Kollege Pick, beabsichtigt Ihr Ministerium, in dieser
Frage von seinem Weisungsrecht gegenüber der Bundesanwaltschaft Gebrauch zu machen?
Das ist eine hypothetische Frage, Herr Kollege. Wir werden, sofern der Generalbundesanwalt mit dieser Frage überhaupt konfrontiert wird,
abwarten, wie er entscheidet.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr
Kollege Pick, ist es denn nicht so, daß Sie von Ihrem
Weisungsrecht Gebrauch machen müßten, bevor die
Bundesanwaltschaft ihre Stellungnahme abgegeben hat?
Ich sage es noch einmal: Der
Generalbundesanwalt ist von seiten der entsprechenden
Behörden im Saarland noch nicht um eine Stellungnahme zu der Frage eines Freiganges gebeten worden. Insofern können wir Ihre Frage erst dann beantworten, wenn
es tatsächlich eine Anhörung gibt. Der Generalbundesanwalt hat aber nur ein Anhörungsrecht.
Nächster Fragesteller
ist der Kollege Gehrcke.
Herr Parlamentarischer
Staatssekretär, stimmen Sie mir nicht zu, daß der offene
Vollzug - um den handelt es sich in diesem Falle - ein
Mittel der sozialen Wiedereingliederung ist, daß Menschen sich ändern können und daß auch ein ehemaliger
Spion nicht zeit seines Lebens Spion bleiben muß?
Sie werden verstehen, daß ich
mich über die Person von Herrn Rupp, der in dieser Frage betroffen ist, nicht äußern kann. Es ist Sache der
Strafvollzugsbehörden, zu entscheiden, wie weit die
Resozialisierung gediehen ist. Deswegen muß ich mich
einer Stellungnahme dazu enthalten.
Es gibt eine weitere
Zusatzfrage des Kollegen Wilhelm Schmidt. Bitte.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, stimmen Sie mir zu, daß es
einen großen Unterschied macht, auf der einen Seite beurteilen zu müssen, was Resozialisierung für Strafgefangene bedeuten kann, und auf der anderen Seite beurteilen zu müssen, was die Beschäftigung solcher Menschen
im resozialisierten Verfahren, also beim Freigang, beispielsweise durch Fraktionen oder Parteien wie die PDS
bedeuten kann?
Herr Kollege Schmidt, es gibt
im Rahmen des Strafvollzugs unterschiedlichste Möglichkeiten, den Gefangenen sozusagen auf den Wiedereintritt ins Leben vorzubereiten. Eine Möglichkeit ist der
Freigang, der heute angesprochen worden ist. Die andere
Möglichkeit - und in der Situation befindet sich Herr
Rupp - ist der offene Vollzug. Das ist etwas anderes als
Freigang. Offener Vollzug ist regelmäßig eine Vorstufe
zum Freigang, in dem der Gefangene auf die Probe gestellt wird, bei dem beobachtet wird, wie er sich verhält
und wie der Vollzug gewirkt hat.
Übrigens sind uns die Einzelheiten einer angeblichen
Beschäftigung bei einer Fraktion dieses Hauses nur aus
der Presse bekannt. Insofern verbietet es sich, darüber
eine Wertung von seiten der Bundesregierung abzugeben.
Ich weise darauf hin,
daß die Dringlichen Fragen 3 und 4 des Kollegen Pofalla
zum Bereich des Bundesministeriums des Innern ebenso
wie die Fragen 1 und 2 der Kollegin Mehl zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz
schriftlich beantwortet werden.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie auf. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär, Herr
Siegmar Mosdorf, zur Verfügung.
Ich rufe Frage 3 des Abgeordneten Laufs, CDU/CSU,
auf:
Auf welche Weise beabsichtigt die Bundesregierung das in
der Koalitionsvereinbarung in Aussicht genommene 100 000Dächer-Photovoltaik-Programm zu verwirklichen?
Frau Präsidentin! Herr Kollege Laufs, Sie haben nach dem
100 000-Dächer-Programm gefragt. Die Bundesregierung hat das 100 000-Dächer-Solarstrom-Programm als
zinsgünstiges Darlehensprogramm konzipiert, das von
der Kreditanstalt für Wiederaufbau abgewickelt wird.
Es ist bereits am 1. Januar 1999 in Kraft getreten. Die
Förderrichtlinien werden voraussichtlich am 21. Januar
1999 im „Bundesanzeiger“ veröffentlicht.
Die wichtigsten Eckpunkte des Programms sind: Antragsberechtigt sind Privatpersonen. Freiberuflich Tätige
sowie kleine und mittlere private gewerbliche Unternehmen sind antragsberechtigt, sobald die Zustimmung
der Kommission der EU vorliegt. Die Anträge sind bei
den örtlichen Kreditinstituten, den Hausbanken, einzureichen. Das ist das übliche Verfahren.
Die Laufzeit beträgt bis zu 10 Jahre, davon bis zu
2 Jahre tilgungsfrei. Der Kredit kann jederzeit außerplanmäßig zurückgezahlt werden.
Der Zinssatz wird um bis zu 4,5 Prozentpunkte verbilligt, so daß der Programmzinssatz bei 0 Prozent liegt.
Nach Ablauf von 9 Laufzeitjahren erfolgt ein Restschulderlaß, sofern die Anlage nachweislich noch betrieben und der bei Zusage versandte Fragebogen vorgelegt wird. Dies bedeutet insgesamt eine Förderung
von etwa 40 Prozent der Investitionskosten.
Die KfW stellt der durchleitenden Hausbank frei, statt
der Gewährung von Darlehen die Zinssubvention als
Festbetrag auszuzahlen und die Darlehensabwicklung
intern vorzunehmen.
Die Kumulation mit anderen Förderungen ist grundsätzlich möglich, soweit die Gesamtförderung nicht die
Höhe der Maßnahmenkosten überschreitet. Es werden
keine Darlehen für Maßnahmen gewährt, bei denen im
Zeitpunkt der Bewilligung für den erzeugten und ins
Netz eingespeisten Strom eine Vergütung gewährt wird,
die über der Mindestvergütung nach dem Stromeinspeisungsgesetz liegt.
Eine Zusatzfrage,
bitte, Herr Kollege.
Welche Schlußfolgerungen für die Akzeptanz Ihres Programms ziehen Sie
aus den Erfahrungen des früheren, bereits abgewickelten
2 000-Dächer-Programms, das mit staatlichen Investitionszuschüssen deutlich besser ausgestattet war?
Herr Laufs,
wir glauben, daß das 1 000-Dächer-Programm - so hieß
es damals - zunächst ein Pilotprogramm war, das auch
in einzelnen Fällen erfolgreich umgesetzt wurde, aber
zum Beispiel bei der Frage, wie man im Umfeld dieses
Programms einen Servicebereich etablieren kann, defizitär war. In manchen Landstrichen wurde nur ein Dach
installiert, und dadurch bekommen Sie keine Handwerksstrukturen aufgebaut. Deshalb haben wir ein
Großprogramm aufgelegt, ein 100 000-Dächer-Programm. Wir wollen nicht nur Pilotprojekte in Gang
bringen, sondern wollen auf diesem Sektor wirklich etwas bewegen. Wir werden begleitend sehr genau beobachten, wie bei der Umsetzung des Programms gerade
diese Defizite beseitigt werden.
Eine zweite Zusatzfrage. Bitte, Herr Kollege.
Geht die Bundesregierung bei ihrem Förderprogramm von der Anwendung
bestimmter Photovoltaiktechniken aus, und wenn nicht,
welche durchschnittlichen Kosten für die Erzeugung einer Kilowattstunde legen Sie zugrunde?
Das kann
ich Ihnen so jetzt nicht sagen. Ich würde das gern
schriftlich beantworten.
Es gibt eine weitere
Zusatzfrage. Herr Kollege Hollerith, bitte.
Herr Staatssekretär,
von welchen Volumina an installierter Leistung gehen
Sie dabei im ersten und in den Folgejahren aus, und ist
dabei sichergestellt, daß die Produktionskapazität der
Solarzellenfabriken in Deutschland für diese Nachfrage
gerüstet ist?
Das ist eine
wichtige Frage. Deshalb haben wir das Programm progressiv angelegt. Sie wissen, wir starten in diesem Jahr
mit einer relativ kleinen Einheit im Haushalt. Das Gesamtvolumen beträgt 1 Milliarde DM, aber auf den Gesamtzeitraum von 16 Jahren gerechnet. Wir gehen davon
aus, daß parallel zu diesem Programm jetzt auch die Kapazitäten aufgebaut werden, weil in den letzten Jahren
viele Produktionskapazitäten verlagert worden sind und
Produktion bei uns nicht mehr stattfindet. Deshalb müssen die Produktionskapazitäten jetzt aufgebaut werden.
Aber ich sage Ihnen: Ich vernehme, registriere und
beobachte jetzt schon - wir überlegen auch, was wir tun
können -, daß beim Aufbau dieser Produktionskapazitäten geholfen werden kann. Es gibt entsprechende Aktivitäten, so daß wir synchron fahren können. Es wäre
nicht gut, wenn es eine Asynchronität in der Weise gäbe,
daß das Programm jetzt läuft, aber wir importieren
müßten. Deshalb wollen wir versuchen, es gemeinsam
aufzubauen.
Ich rufe jetzt die
Frage 4 des Kollegen Hofbauer auf.
Beabsichtigt die Bundesregierung, bei der weiteren Diskussion um die Agenda 2000 ({0}) die Auffassung
von Dr. Monika Wulf-Mathies, Mitglied der Europäischen
Kommission, zu unterstützen, in Zukunft die Arbeitslosigkeit als
wichtigstes Kriterium bei der Verteilung der Fördermittel in den
Ziel-2-Gebieten zugrunde zu legen?
Herr Kollege Hofbauer, Sie haben die Frage zum Thema Agenda
2000 formuliert. Für die Verteilung der Fördermittel in
den Ziel-2-Gebieten hat die EU-Kommission eine einheitliche Mittelzuteilung pro Kopf der Ziel-2-Bevölkerung vorgesehen. Mit dieser Verfahrensweise ist die
Bundesregierung einverstanden.
Der Umfang des Ziel-2-Gebietes eines Mitgliedstaates hängt von den Kriterien ab, die zur Zeit noch in
Brüssel verhandelt werden, auch während unserer Präsidentschaft. Arbeitslosigkeit ist davon eines, das auch
von der Bundesregierung befürwortet wird. Sie wissen,
es gibt weitere Kriterien. Aber wir reden über Einzelheiten mit der EU-Kommission.
Bitte, Herr Kollege
Hofbauer.
Sie wissen, Frau
Kommissarin Wulf-Mathies bringt ganz klar und deutlich zum Ausdruck, daß die Arbeitslosigkeit in Zukunft
das entscheidende Ziel sein soll.
({0})
- Die Arbeitslosigkeit. Sie spricht ausdrücklich von der
Arbeitslosigkeit. Ich habe hier eine Rede vorliegen, die
sie genau so gehalten hat. Sie spricht von der Arbeitslosigkeit.
Wenn Sie heute feststellen, daß der Bereich Arbeitslosigkeit nicht das einzige Ziel sein soll, welche weiteren Schwerpunkte können Sie sich vorstellen?
Wir hatten bisher, wie Sie
wissen, Herr Kollege, auch andere Kriterien, die eine
Rolle spielten. Es wird auch im Zusammenhang mit der
Verhandlung über den deutschen Beitrag darüber zu reden sein, wie die Gewichtung der verschiedenen Kriterien angelegt wird. Daß die EU-Kommission ausdrücklich
auf den Bereich der Arbeitslosigkeit abzielt, ist richtig.
Diese zu bekämpfen, ist ein wichtiger Punkt. Das ist
keine Frage. Das teilen wir auch als Bundesregierung.
Aber die weiteren Kriterien, die wir immer hatten - wie
etwa die Frage der Bevölkerungsdichte in bestimmten
Regionen, Infrastruktur und ähnliche Dinge -, werden
wir ins Gesamtpaket der Gespräche mit einbeziehen.
Es gibt eine weitere
Zusatzfrage des Kollegen Hinsken. Bitte.
Herr Staatssekretär, Sie
haben dieses Thema heute ganz kurz im Wirtschaftsausschuß des Bundestages abgehandelt und angekündigt,
sich darum zu bemühen, daß die dafür verantwortlichen
EU-Kommissare auch für Gespräche in Brüssel oder in
Bonn zur Verfügung stehen. Welche Linie wird dann die
Bundesregierung hier einnehmen? Ist Ihre hier vorgetragene Meinung auch die des Bundesfinanzministers?
Herr Kollege, Sie spielen auf einen wichtigen Punkt an. Sie wissen, daß nach den neuen Ressortzuschnitten der Bundesfinanzminister für den Strukturfonds und für die Beihilfen zuständig ist - das ist also anders, als es in der Vergangenheit der Fall war -, während das Bundeswirtschaftsministerium weiterhin für die Ministerräte Binnenmarkt, Energie, Industrie, Telekommunikation und
Verbraucher zuständig sein wird.
Deshalb werden wir in der Tat über diese Frage und
darüber, wie wir in den Verhandlungen weiterverfahren,
auch mit dem Bundesfinanzminister reden müssen. Das
ist keine Frage. In Brüssel sind Frau Wulf-Mathies und
Herr van Miert für den Beihilfebereich zuständig. Wir
beide wissen und das Haus weiß, daß es bei Ihnen in der
Union ganz unterschiedliche Auffassungen zu dieser
Frage gibt. Sie wissen, Herr Uldall möchte die Mittel erheblich kürzen. Betroffene Ziel-2-Gebiete, aber auch
ostdeutsche Bundesländer haben da andere Vorstellungen. Das zeigt nur das Spektrum der Beratungen der
Diskussion, das in den nächsten Wochen vor uns liegt.
Ich verhehle nicht, daß wir natürlich auch innerhalb
der Regierungskoalition, innerhalb der Bundesregierung
über die genaue Positionierung in dieser Frage reden
müssen. Aber ich sage auch, das hat etwas mit der Nettozahlerposition der Bundesregierung zu tun. Es gibt einen Zusammenhang mit den Fragen der Finanzen der
EU.
Die Anfragen zum
Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familien,
Senioren, Frauen und Jugend werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen nunmehr zum Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für Gesundheit. Zur Beantwortung
steht die Parlamentarische Staatssekretärin, Frau Christa
Nickels, zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 7 des Abgeordneten Weiß ({0}) auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, daß es infolgeder im Gesetz zur Stärkung der Solidarität in der gesetzlichen Krankenversicherung ({1})
vorgesehenen Regelungen ({2}) in einigen Bundesländern zu Kürzungen des Honorarvolumens beim ambulanten Operieren kommt, wie zum Beispiel in Hessen, wo der vorgesehene Betrag um 30 % gekürzt werden soll und deswegen im
Bereich des ambulanten Operierens Arbeitsplatzverluste zu erwarten sind?
Herr Kollege Weiß, für
das Gesundheitsministerium beantworte ich Ihre Frage
wie folgt: Das GKV-Solidaritätsstärkungsgesetz enthält
eine Regelung zur Förderung der Strukturverträge, die
bis zum 30. November 1998 nach § 73 a Sozialgesetzbuch V abgeschlossen worden sind. Danach können die
Gesamtvergütungen zur Finanzierung der in diesen
Verträgen vorgesehenen vertragsärztlichen Leistungen
um einen zusätzlichen Betrag erhöht werden, der sich
auf bis zu 0,6 Prozent der jeweiligen Gesamtvergütung
belaufen kann.
Soweit dieser zusätzliche Finanzierungsspielraum
durch den Finanzierungsbedarf, der mit den bestehenden
Strukturverträgen verbunden ist, überschritten wird, sind
die entsprechenden ärztlichen Leistungen - in Hessen
sind das vor allem ambulante Operationen - wie auch in
anderen Regionen aus der von den Krankenkassen gezahlten Gesamtvergütung zu honorieren.
Die bereits vor dem Inkrafttreten des GKVSolidaritätsstärkungsgesetzes geltende Regelung des
§ 73a SGB V setzt voraus, daß in Strukturverträgen neue
Versorgungs- und Vergütungsstrukturen vereinbart werden, die entweder einen vom Versicherten gewählten
Hausarzt oder einen vom Versicherten gewählten Verbund haus- und fachärztlich tätiger Vertragsärzte zum
Gegenstand haben. Der Gesetzgeber hatte ausdrücklich
nicht die Absicht, durch Strukturverträge Sonderbudgets
für ambulante Operationen einzuführen, die die Krankenkassen zusätzlich zu der von ihnen gezahlten Gesamtvergütung belasten. Die mit dem ambulanten Operieren verbundenen Fragen der hier angemessenen Versorgungs- und Vergütungsstruktur sind im Rahmen der
anstehenden Strukturreform eingehend zu diskutieren.
Sie werden auch eingehend diskutiert.
Eine Zusatzfrage,
Herr Kollege Weiß, bitte.
Frau
Staatssekretärin, ist Ihnen bekannt, daß der Betrag von
plus 0,6 Prozent bei der eben von Ihnen erwähnten Sonderregelung für das ambulante Operieren im Ergebnis
dennoch bedeutet, daß statt der Gesamtvergütung von
82 Millionen DM für das ambulante Operieren im Jahre
1999 nur 58 Millionen DM zur Verfügung stehen werden und daß viele Praxen auf Grund dieser Budgetierung
und dieser limitierten Möglichkeit, ambulant zu operieren, spätestens im Frühherbst ernsthafte Probleme bekommen werden?
Herr Kollege, Sie wissen,
daß diese Frage kurz vor der Weihnachtspause 1998
schon Gegenstand einer Parlamentsdebatte im hessischen Landtag war. Dort ist intensiv darüber diskutiert
worden und die Problematik von allen Fraktionen noch
einmal vorgestellt worden. Die zuständige Ministerin für
Arbeit und Sozialordnung, Frau Stolterfoht, hat dazu
folgendes gesagt - mit Genehmigung der Präsidentin
möchte ich kurz aus dem „Vorläufigen Bericht der 116.
Plenarsitzung - 14. Wahlperiode“ in Hessen zitieren -:
Erstens. Die in Hessen abgeschlossenen Verträge
zum ambulanten Operieren beinhalten eine Regelung, nach der die derzeitigen Mehrausgaben bis
Ende des Jahres 2000 an anderer Stelle der ärztlichen Gesamtvergütung eingespart werden müssen ...
Das heißt, es spricht nichts dagegen, sofort und
gleich damit anzufangen. Es war nie daran gedacht,
die Gesamtkosten auszuweiten, sondern es war daran gedacht, mit den Strukturverträgen letztlich Einsparungen zu erzielen. Dazu haben sich die niedergelassenen Ärzte auch verpflichtet - weitgehend
unbekannt, wenn man jetzt so lamentiert.
Weiter führte die Ministerin aus - ich zitiere -:
Zweitens. Die Hessische Landesregierung ist natürlich aktiv für das ambulante Operieren durch Beratung und Mitwirkung - aber Hauptakteure sind
die Kassenärztliche Vereinigung und die Verbände
der Krankenkassen. Diese haben natürlich längst
Möglichkeiten erörtert, wie sie mit der jetzigen Situation umgehen und die Strukturverträge so weiterentwickeln, daß das ambulante Operieren nicht
eingeschränkt werden muß. Konkret liegt in meinem Hause ein Antrag auf Genehmigung einer bestimmten Weiterentwicklung. Das heißt, es wird
weitergehen. Drittens. Die Hessische Landesregierung wird im Rahmen der Diskussion um eine
wirkliche Gesundheitsstrukturreform im ersten
Halbjahr 1999 auf eine bedarfsgerechte Finanzierung der ambulanten Operationen dringen.
Das Fazit von Ministerin Stolterfoht lautet wie folgt:
Meine Damen und Herren, angesichts der zahlreichen Verbesserungen, die dieses Solidaritätsgesetz
bringt - nämlich Senkung der Zuzahlungen, Herausnahme von chronisch Kranken aus den Zuzahlungen, Herausnahme der Elemente der Privatversicherungen aus der GKV - ist dies eine zu vernachlässigende Größe, ein Problem, das geregelt werden
wird.
Das war ein wörtliches Zitat der zuständigen Ministerin. Ich habe keinen Zweifel daran, daß das von der Ministerin auch entsprechend umgesetzt werden wird.
Eine zweite Zusatzfrage? - Bitte, Herr Kollege.
Frau
Staatssekretärin, ich möchte dem nachgehen, was die
Bundesregierung eben durch Sie angekündigt hat. Sie
haben gesagt, bei der grundlegenden Strukturreform, die
man sich vorgenommen habe, werde auch das Problem
des ambulanten Operierens gelöst werden. In welcher
Weise stellen Sie sich dies vor?
Herr Kollege, Sie wissen
ja, daß man schon 1993, als im Rahmen des GSG das
ambulante Operieren gefördert werden sollte, wegen bestimmter Regelungen erschrocken feststellen mußte, daß
der Effekt dessen, was man beabsichtigt hatte, nicht erreicht worden ist. Konkret gab es das Problem, daß es
hier durch eine bestimmte Förderung zu Mengenausweitungen gekommen ist, die im einzelnen nicht mit
dem Interesse des Patienten oder mit therapeutischen
Notwendigkeiten zu erklären waren. Hier nenne ich die
arthroskopische Knieoperation als ein Beispiel, das Sie
kennen und das auch heute noch in einigen Bereichen
aktuell ist.
Darum muß man sorgfältig erwägen, welches die
Voraussetzungen sein sollen. Wir werden im Rahmen
der Strukturreform drei Komplexe eingehend erörtern
und prüfen, die ich Ihnen im folgenden nenne.
Erstens ist für uns von Bedeutung, in welchem Rahmen ambulante Operationen tatsächlich zu einer Entlastung des stationären Sektors führen werden. Eine Studie im Auftrage des BMG aus dem Jahre 1994 kam zu
dem Ergebnis, daß für ausgewählte Operationen nur ein
geringer Substitutionseffekt erreicht worden ist, daß also
bei einer hohen Leistung für die Patientinnen und Patienten tatsächlich nur geringe Einsparungen erzielt worden sind. Die Auswertungen der verfügbaren Statistiken
für 1995 und 1996 im BMG haben ergeben, daß der in
den Jahren zu verzeichnende Rückgang stationärer Operationen mit einem entsprechenden Zuwachs ambulanter
Operationen durch die Krankenhäuser einhergegangen
ist, so daß über die Summe aller Fälle kein Verlagerungseffekt erkennbar war. Darum muß also hier ganz
genau geprüft werden, in welchem Rahmen ambulante
Operationen tatsächlich zu einer Entlastung des stationären Sektors führen.
Zweitens ist im Zusammenhang mit diesen Beratungen ein sehr wesentlicher Punkt, inwieweit die Expansion des ambulanten Operierens auf eine Indikationsausweitung ohne Substitutionseffekt für den stationären
Bereich zurückzuführen ist. Hier wird von den ambulanten Operateuren nicht bestritten, daß das verstärkte
Angebot ambulanter Operationen auch zu einer stärkeren Inanspruchnahme führt. Der § 73a, Strukturverträge,
will ja beides: Er will neue Netze und neue Formen von
Verzahnung ermöglichen, aber ausdrücklich auch weiterhin eine Beitragsstabilität erreichen. Es ist ja wirklich
nicht nachvollziehbar - ich habe gerade an die Knieoperationen erinnert; das ist immer das beste Beispiel -,
warum in den Gebieten, in denen ambulantes Operieren
stärker ermöglicht wird, so viele Leute mehr als im
Bundesdurchschnitt arthroskopische Knieoperationen
benötigen, auch mehr, als früher stationär durchgeführt
worden sind.
Drittens ist im Zusammenhang mit der Gesundheitsreform zu prüfen, wie kostengünstigeres ambulantes
Operieren tatsächlich zu Einsparungen für die GKV statt
wie bisher nur zu einer Ausweitung des Mittelbedarfs im
ambulanten Bereich ohne Absenkung des Mittelbedarfs
im stationären Bereich führen kann.
Wohlgemerkt, eine stärkere Verzahnung von ambulant und stationär ist erwünscht; das ist auch eine Vorgabe der Strukturreform. Überall dort, wo es sinnvoll ist,
sollen ambulante Leistungen ermöglicht werden. Aber
es darf nicht dazu kommen, daß unter der Überschrift
des ambulanten Operierens reine Vergütungsverträge
geschlossen werden. Im einzelnen ist das aber alles Sache der Spitzenverbände und der Landesebene sowie der
Aufsichtsgremien, die das regeln werden. Wir werden
dazu das Notwendige von unserer Seite prüfen, beraten
und dann auch in die Strukturreform einbeziehen.
Ich rufe nunmehr den
Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung
und Forschung auf. Zur Beantwortung der Fragen steht
der Parlamentarische Staatssekretär Wolf-Michael Catenhusen zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 8 des Abgeordneten Hinsken auf:
Inwieweit ist die Bundesregierung bereit, das durch die
Bayerische Staatsregierung geplante und in Straubing zu errichtende Kompetenzzentrum für Biotechnologie ideell und insbesondere finanziell zu unterstützen?
Lieber Kollege Hinsken, für das Bundesministerium für
Bildung und Forschung beantworte ich Ihre Frage wie
folgt: Die Bundesregierung begrüßt alle Initiativen zur
Stärkung des Forschungsstandortes Deutschland. Das
gilt auch für den Bereich der Bio- und Gentechnik, in
dem nach dem erfolgreichen Beispiel des BioregioWettbewerbs viele Bundesländer regionale Kompetenzzentren entwickeln wollen. Ein Beispiel aus dem Bereich Berlin/Brandenburg ist das Biotopprojekt; auch der
Freistaat Bayern versucht jetzt, solche Kompetenzzentren zu entwickeln.
Vorbehaltlich der Ressortzuständigkeit ist das Bundesministerium für Bildung und Forschung, bereit, eine
Förderung des geplanten Kompetenzzentrums für Biotechnologie in Straubing im Rahmen der Projektförderung des Programms „Biotechnologie 2000“ zu prüfen.
Sobald ausgearbeitete Projektanträge vorliegen, können
diese auf dem üblichen Wege eingereicht werden.
Auf Wunsch der Stadt Straubing wurde bereits ein
Gesprächstermin mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung noch für den Januar vereinbart, in
dessen Rahmen der Oberbürgermeister der Stadt Straubing das Konzept für das Kompetenzzentrum Straubing
vorstellen wird.
Herr Kollege Hinsken, Ihre Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär
Catenhusen, gibt es solche Kompetenzzentren, die so
ausgerichtet sind, wie das Kompetenzzentrum in Straubing ausgerichtet werden soll, bereits weltweit oder europaweit, und welche Bedeutung messen Sie der Biotechnologie insgesamt gesehen bei?
Eine
solche Frage nach dem Konzept von Straubing vor der
Präsentation in meinem Hause zu beantworten fällt mir
etwas schwer. Sie wissen, daß das Projekt im Bereich
der Pflanzenzucht angesiedelt ist. Wir gehen ganz offen
an die Prüfung dieses Projekts heran. Natürlich spielt bei
der Bewertung auch eine Rolle, in welcher Weise sich
die Projektideen in die vorhandene Forschungsinfrastruktur im Bereich der grünen Bio- und Gentechnik, in
dem wir in mehreren Bundesländern im Rahmen von
Bundesforschungsanstalten Konzepte entwickelt haben,
einfügen.
Was die wirtschaftlichen Perspektiven der Bio- und
Gentechnik angeht, wird weltweit natürlich dem
Pharmabereich die größte Bedeutung zugemessen.
Mittlerweile arbeiten aber auch Hunderte von privat finanzierten Risikokapitalfirmen an der kommerziellen
Verwertung von Erfindungen im Bereich der grünen
Gentechnik.
Wir werden ganz offen an die Prüfung des Konzepts
in Straubing herangehen werden.
Eine zweite Zusatzfrage bitte, Herr Kollege.
Herr Kollege Catenhusen, nachdem Sie bereits einen Termin mit Gesprächspartnern aus Straubing für Anfang nächster Woche arrangiert haben, habe ich gedacht, daß Sie zumindest wissen, um was es geht, und daß Ihnen auch
Unterlagen zugeleitet wurden, die Aufschluß darüber
geben, was genau beabsichtigt ist. Wenn ich davon ausgehe, daß Sie diese Unterlagen gelesen haben, müßten
Sie doch auch die Aussage treffen können, um die ich
Sie bitte.
Ich
wiederhole meine Antwort, lieber Kollege Hinsken: Wir
treffen keine abschließende Bewertung - vor allem nicht
öffentlicher Art -, bevor wir nicht mit denjenigen, die
diese Projektideen vertreten, ein Gespräch geführt haben. Wir bilden unsere abschließende Meinung im Hause auch erst nach dem Gespräch mit den Betreffenden.
Das würden Sie, wie ich glaube, an unserer Stelle genauso handhaben.
Ich rufe die Frage 9
des Abgeordneten Hinsken auf:
Wie viele Mittel will die Bundesregierung im kommenden
Bundeshaushalt für Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen zur Verfügung stellen, wie z. B. das Kompetenzzentrum in
Straubing, und mit welchem Finanzanteil an diesem ca. 50Millionen-DM-Projekt könnte gerechnet werden?
Herr
Kollege Hinsken, die Bundesregierung wird 1999 allein
im Haushalt des Bundesministeriums für Bildung und
Forschung für die institutionelle und Projektförderung
im Bereich der Biotechnologie rund 1 Milliarde DM bereitstellen. Konkret kann ich Ihnen sagen, daß die Mittel
für Projektförderung im kommenden Bundeshaushalt
gegenüber den Zahlen für 1998 um 22 Millionen DM von 168 Millionen auf 190 Millionen DM - erhöht werden. Darüber hinaus werden auch von anderen Ressorts,
insbesondere vom Bundesministerium für Ernährung,
Landwirtschaft und Forsten, Arbeiten auf diesem Gebiet
gefördert - etwa bei Bundesforschungsanstalten und bei
Blaue-Liste-Instituten.
Einzelheiten zu den zahlreichen bereits existierenden,
institutionell von der Bundesregierung finanzierten Forschungseinrichtungen der Biotechnologie und zum Umfang der von der neuen Bundesregierung fortgeführten
institutionellen Förderung können Sie dem Teil V des
Faktenberichts 1998 zum Bundesbericht Forschung entnehmen. Ich möchte aber schon an dieser Stelle darauf
hinweisen, daß für uns eine mögliche Projektförderung
natürlich Vorrang hat, da wir eine Vielzahl von Wünschen auf Anschubfinanzierung solcher regionalen
Kompetenzzentren aus verschiedenen Bundesländern
erwarten.
Ob und inwieweit eine Förderung des geplanten
Kompetenzzentrums für Biotechnologie in Straubing aus
Projektmitteln des BMBF möglich ist, kann natürlich
erst nach Vorlage und Prüfung des Konzepts für diese
Einrichtung und natürlich auch erst nach der üblichen
Begutachtung konkreter Vorhaben entschieden werden.
Diese Prüfung wird mit Sicherheit aber auch schnell
durchgeführt werden.
Ihre Zusatzfrage.
Bitte, Herr Kollege.
Gestatten Sie zunächst
die Feststellung, daß hier keine regionale Einrichtung
geschaffen werden soll. Vielmehr wird das Kompetenzzentrum eine landesweite Einrichtung sein und deshalb
bestimmt einen anderen Charakter haben.
Herr Kollege Catenhusen, deshalb meine Frage:
Können Sie sich vorstellen, daß eine solche Einrichtung
seitens des Bundes mit bis zu 25 oder 30 Prozent gefördert wird, weil hier etwas geschaffen wird, wovon letztlich auch die Bundesrepublik Deutschland profitieren
kann?
Ich
kann zu diesem Zeitpunkt, wenn ich keine Stellung
nehme, solche Dinge natürlich auch nicht grundsätzlich
ausschließen. Ich weise nur darauf hin, daß der Bund,
bevor er sich zu institutioneller Förderung verpflichtet,
auf ein bestimmtes Prüfungsverfahren angewiesen ist.
Sie wissen, es gibt gewisse Verabredungen zwischen
den Ländern, etwa im Rahmen der Blaue-Liste-Institute,
wie auch Ansprüche verschiedener Länder, was institutionelle Förderung angeht. Diese müssen zu einem gewissen Ausgleich gebracht werden. Ich glaube, wir
sollten bei der weiteren Diskussion über eine mögliche
Aktivität des Bundes auch bei dem Projekt in Straubing
von dem Begriff Anschubfinanzierung reden.
Die Einrichtungen, die jetzt in den Regionen entstehen, haben keine regionale Zielsetzung. Sie sind zwar
regional verankert, verfolgen aber natürlich die Zielsetzung, mit ihren Innovationen und ihrem Know-how dem
nationalen und internationalen Standard in diesem Bereich gerecht zu werden. Nur dann können sich solche
Einrichtungen erfolgreich am Forschungsmarkt oder
auch in innovatorischen Impulsen für neue Unternehmen
bewähren. Da sind wir uns sicherlich einig, Herr Hinsken.
Eine weitere Zusatzfrage. Bitte, Herr Kollege.
Mit wieviel Prozent
Zuschuß sind bisher gleichgelagerte Projekte in der
Bundesrepublik gefördert worden? Wenn Sie, Herr
Staatssekretär, sich jetzt nicht in der Lage sehen, mir
diese Antwort zu geben - ich weiß selber, daß das vorkommen kann -, bitte ich darum, diese Antwort möglichst bald schriftlich zu bekommen - wenn ich den
Wunsch äußern darf: noch in dieser Woche - weil ich
eher informiert werden möchte als Kommunalpolitiker
aus meiner Heimat, die zu Ihnen kommen, um einen Gesprächstermin wahrzunehmen.
Ich verstehe Ihren Wunsch und weise nur auf folgendes hin: Ich gehe
nicht davon aus, daß bei der ersten Kontaktaufnahme
zwischen dem BMBF und denjenigen aus Straubing, die
das Projekt vorstellen, Vereinbarungen über Zahlen getroffen werden. Das sage ich in aller Deutlichkeit. Deshalb haben Sie auch keine Probleme, daß Kommunalpolitiker schneller etwas erfahren als Sie. Ich sichere Ihnen
aber zu, daß Sie umgehend informiert werden, sobald
konkrete Vereinbarungen über mögliche Projekte in
Straubing getroffen werden, und nicht nach den Kommunalpolitikern. Die Bundesregierung sollte den Abgeordneten eine umfassende und möglichst schnelle Information zusichern.
Es gibt eine weitere
Zusatzfrage. Herr Kollege Brecht.
Herr Staatssekretär,
gehe ich recht in der Annahme, daß Sie angesichts der
sehr erfreulichen Zunahme bei der Förderung von Projekten der Gentechnik und Biotechnologie von 22 Millionen, die Sie eben erwähnt haben, keine Behinderung
von Genehmigungsverfahren zulassen werden? Darf ich
in diesem Zusammenhang fragen, ob das Robert-KochInstitut auch 1999 Genehmigungsbehörde für solche
Vorhaben bleiben wird?
Ich sehe keinen
Anlaß dazu, die Feststellung des Vorgängers im Amt des
Bundesministers für Bildung und Forschung, Herrn
Rüttgers, zu korrigieren, daß unter den bestehenden
rechtlichen Bedingungen von erkennbaren Hemmnissen
für die bio- und gentechnische Forschung in Deutschland durch Genehmigungsverfahren keine Rede sein
kann. Die in der Koalitionsvereinbarung festgelegte
Überprüfung der Genehmigungszuständigkeiten wird
nach unserer Erwartung in einer Weise erfolgen, aus der
sich keine Verzögerung laufender oder noch zur Begutachtung einzureichender Projekte insbesondere auch im
Bereich von Freisetzungsexperimenten ergeben wird.
Die Fragen 10 und
11 des Abgeordneten Schmitt werden schriftlich beantwortet. Ebenso werden die Fragen 12 bis 15, also sämtliche Fragen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern, schriftlich beantwortet.
Ich rufe nunmehr den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen auf. Zur Beantwortung der
Fragen steht die Parlamentarische Staatssekretärin Frau
Dr. Barbara Hendricks bereit.
Ich rufe die Frage 16 des Abgeordneten Weiß auf:
Welche Konsequenzen wird die Bundesregierung daraus ziehen, daß die im Entwurf eines Steuerentlastungsgesetzes
1999/2000/2002 ({0}) vorgesehene Streichung
der steuerlichen Absetzbarkeit von Schulgeldern viele der in
Deutschland ansässigen und als Standortfaktor wichtigen internationalen Schulen in ihrem Weiterbestand gefährdet?
Dr. Barbara Hendricks Parl. Staatssekretärin beim
Bundesminister der Finanzen: Herr Kollege Weiß, die
im Entwurf eines Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/
2002 vorgesehene Streichung des Sonderausgabenabzugs von Schulgeld betrifft nicht die genannten Schulen,
sondern die Eltern der Schulkinder. Da nach der derzeitigen Regelung nur 30 Prozent des gezahlten Schulgeldes als Sonderausgaben abziehbar sind, ist die steuerliche Auswirkung für die einzelnen Eltern in der Regel
nur sehr geringfügig. Durch die Anhebung des Kindergeldes und die Senkung der Steuersätze dürfte sich auch
bei diesen Familien insgesamt eine Entlastung ergeben.
Aus diesem Grund sehe ich weder für die genannten
Schulen noch für den Bildungs- und Wirtschaftsstandort
Deutschland Nachteile.
Bitte, Herr Kollege,
Ihre Zusatzfrage.
Frau
Staatssekretärin, haben Sie bisher keine kritischen
Stimmen der betroffenen internationalen Schulen zur
Kenntnis nehmen können?
Doch, Herr Kollege
Weiß, es hat durchaus kritische Stimmen gegeben. Aber
die gibt es immer. Wenn man ein Steuergesetz ändert, so
wie es zwischen allen Teilen dieses Hauses prinzipiell
unbestritten ist - auf der einen Seite die Verbreiterung
der Bemessungsgrundlage und auf der anderen Seite die
Senkung der Steuersätze gleichsam als kommunizierende Röhren -, dann sagen sehr häufig diejenigen, die unmittelbar betroffen sind: Na klar, das Prinzip erkenne ich
an; aber gerade bei mir darf es doch nicht wirksam werden. Genauso muß ich auch die Einlassung der internationalen Schulen werten.
Bitte, Ihre zweite
Zusatzfrage, Herr Kollege Weiß.
Frau
Staatssekretärin, sehen Sie nicht doch negative Auswirkungen auf die Bereitschaft ausländischer Führungskräfte, die in anderen Ländern, beispielsweise in Belgien
und Großbritannien, insoweit deutlich günstigere Bedingungen antreffen, nach Deutschland zu kommen? Leidet
nicht die Attraktivität des Standorts Deutschland hinsichtlich der Freizügigkeit unter den von Ihnen geplanten Maßnahmen?
Herr Kollege Weiß, ausländische Führungskräfte gehören im Regelfall nicht zu
den Geringverdienern und werden im übrigen auch
durch das Steuerentlastungsgesetz, das für alle in
Deutschland ansässigen Steuerbürger gelten soll, begünstigt. Ich glaube nicht, daß dies einen wesentlichen Ausschlag bezüglich der Investitionsentscheidungen von
ausländischen Unternehmen geben kann. Dafür sind die
Investitionsbedingungen als solche ausschlaggebend.
Eine solche Nebenerscheinung ist nicht tatsächlich wesentlich.
Im übrigen wird man auch überlegen müssen, wie
viele ausländische Führungskräfte mit ihren Familien
auf Dauer in der Bundesrepublik Deutschland leben.
Auch da muß man differenzieren.
Frau Kollegin Pieper,
auch Sie haben eine Zusatzfrage. Bitte.
Meine Zusatzfrage ist mit
dem gestrigen Beschluß des Bundesverfassungsgerichts
verbunden. Wie Sie wissen, stehen die Schulen in freier
Trägerschaft den Kindern von Eltern aller sozialen
Schichten der Bevölkerung bis hin zu Kindern mit Behinderungen zur Verfügung. Betroffen sind nicht allein
Eliteschulen; vielmehr sind insbesondere Kinder aus sozial schwächeren Elternhäusern betroffen.
Inwieweit besteht Übereinstimmung Ihrer Aussagen
mit dem gestrigen Beschluß des Bundesverfassungsgerichts, das ganz deutlich gemacht hat, daß die steuerliche
Abzugsfähigkeit, was solche Bildungseinrichtungen anbelangt, was Freizeitangebote anbelangt und was das
Engagement von Kindern und Jugendlichen in Vereinen
anbelangt, mehr gewährleistet werden muß. Das Vorhaben der Bundesregierung widerspricht dem Wesen des
gestern bekanntgewordenen Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts.
Frau Kollegin Pieper, die
derzeitige Regelung, also die Absetzbarkeit von 30 Prozent der Schulgeldkosten, durchbricht den schon vor
dem gestern bekanntgewordenen Beschluß geltenden
Grundsatz, wonach alle kindbedingten Aufwendungen
durch Kindergeld oder Kinderfreibetrag steuerlich abgegolten werden. Es lag also schon bisher eine Durchbrechung des bis jetzt noch immer gültigen Grundsatzes
vor.
Die Ausnahme läßt sich sicher angesichts der beabsichtigten spürbaren Erhöhung des Kindergeldes künftig
noch weniger rechtfertigen als bisher. Gleichwohl werden wir den gesamten Komplex im Lichte des gestern
bekanntgewordenen Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts erneut zu prüfen haben. Im Beschluß des
Bundesverfassungsgerichts ist allerdings von Kinderbetreuungskosten die Rede. Der Gesetzgeber wird abzugrenzen haben, was denn Kinderbetreuungskosten sind.
Abgesetzt werden können wohl nur nachgewiesene Kosten bis zu einer festgesetzten Grenze. Ich vermag nicht
zu entscheiden, ob etwa Freizeitgestaltungskosten dazugehören; ich würde prima vista eher nein sagen. Das
Schulgeld könnte in diesem Zusammenhang erneut eine
Rolle spielen, würde dann aber - ich kann nach erster
Prüfung des Beschlusses dazu keine abschließende Aussage machen; dafür bitte ich Sie um Verständnis - als
nachgewiesene Kosten einbezogen werden müssen.
Die nächste Zusatzfrage kommt vom Kollegen Wiese.
Frau Staatssekretärin, hat die Bundesregierung in diesem Zusammenhang bei ihren Überlegungen zur Streichung schon einmal an eine Deckelung oder an irgendeine finanzielle
Differenzierung gedacht, da unter Umständen ja auch
Kinder von Eltern aus anderen Einkommensverhältnissen sogenannte Eliteschulen besuchen? Es ist ja eine
Tatsache, daß in anthroposophischen Einrichtungen im
besonderen Kinder aus sozial schwächeren Familien betreut werden, die teilweise Behinderungen haben und einer sonderpädagogischen Betreuung bedürfen. Die meisten dieser Kinder kommen aus Familien, die mit Sicherheit die Streichung dieses Satzes von 30 Prozent
nicht verkraften können.
Herr Kollege, die ursprüngliche Frage Ihres Kollegen Weiß richtete sich gerade - ich zitiere jetzt Ihre Worte - auf die sogenannten
Eliteschulen. Die internationalen Schulen wird man auch
von den Gebühren, die dort verlangt werden, eher in diese Kategorie einordnen müssen. Ich will mir dieses Wort
gar nicht zu eigen machen, weil es möglicherweise als
Unterstellung aufgefaßt wird. Von den Kosten her, die
dort anfallen, wird man diese Schulen jedenfalls in diesen Bereich einordnen müssen.
Auf der anderen Seite sollten Sie bitte beachten, daß
gerade Familien mit geringerem Einkommen von einem
Sonderausgabenabzug - sei er auch gering, also etwa 30
Prozent des Schulgeldes - nur in sehr beschränktem
Umfang profitieren. Das ist bei jedem progressiven
Steuertatbestand so. Möglicherweise sind die Familien,
die Sie angesprochen haben, schon durch die bisherige
Rechtslage nicht gerade spürbar entlastet worden. Dagegen war für Eltern, die ein höheres Einkommen hatten
und höhere Kosten für die jeweiligen schulischen Einrichtungen geltend machen konnten, eine spürbare Entlastung gegeben. Ebenso, wie ich es bei meiner Antwort
auf die Frage der Kollegin Pieper getan habe, möchte
ich auch bei Ihnen um Verständnis bitten, daß wir dies
im Zusammenhang mit der Umsetzung des gestern bekanntgewordenen Verfassungsgerichtsurteils neu bewerten müssen.
Frau Kollegin Nolte,
Ihre Zusatzfrage bitte.
Frau Staatssekretärin,
auf Grund Ihrer Antwort an Frau Kollegin Pieper
möchte ich Sie fragen, ob Sie bestätigen oder widersprechen, daß das Bundesverfassungsgericht gestern gesagt
hat, es bestehe unabhängig davon, ob wirklich Kosten
anfallen, ein Betreuungs- und Erziehungsbedarf, der den
Eltern zuzugestehen ist. Deshalb hat das Bundesverfassungsgericht ja auch ausdrücklich gesagt, daß es die
Ungleichbehandlung von Alleinerziehenden und Eltern
beseitigen will; das heißt, der Alleinerziehenden zusteParl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks
hende Haushaltsfreibetrag, der heute ja auch nicht durch
irgendwelche Belege nachgewiesen werden muß, muß
analog auch gemeinsam erziehenden Eltern zugestanden
werden, da Erziehungs- und Betreuungsbedarf explizit
vorhanden sind, unabhängig davon, ob real Kosten entstehen.
Frau Kollegin Nolte, ich
will Ihre Frage nicht abschließend beantworten, denn
der Verfassungsgerichtsbeschluß muß natürlich noch
geprüft werden. Auch uns ist der Beschluß erst gestern
bekanntgeworden.
Schon bei der bisher gültigen Regelung für Alleinerziehende war ein Nachweis der Kinderbetreuungskosten
grundsätzlich notwendig.
({0})
Im Beschluß des Bundesverfassungsgerichts ist allerdings neu, daß die Kosten für die Betreuung der in bestehenden Ehen lebenden Kinder in Zukunft unabhängig
von der Tatsache berücksichtigt werden sollen, ob beide
Eltern berufstätig sind. Dies ist in der Tat ein neuer
Punkt im Beschluß des Bundesverfassungsgerichts, der
in der bisherigen Rechtsprechung nicht vorhanden war;
denn diese Ausnahmetatbestände zugunsten der Nichtverheirateten beruhen auf einem Urteil von 1982. In diesem Urteil war zur Bedingung gemacht worden, daß die
Eltern für den Lebensunterhalt arbeiten müssen und infolgedessen keine andere Wahl haben, als Kinderbetreuung gegen Entgelt „einzukaufen“. Hier liegt in der neuen
Rechtsprechung, die uns gestern bekanntgeworden ist, in
der Tat ein Unterschied.
Ich will keine Aussage zu der in Ihrer Frage enthaltenen Annahme machen, daß die Kosten nicht immer
nachgewiesen werden müssen. Diesen Punkt müssen wir
noch prüfen. Klar ist allerdings: Es muß nicht mehr
nachgewiesen werden, daß beide Eltern arbeiten oder
arbeiten müßten, um den Lebensunterhalt der Familie zu
bestreiten. Dies war die Voraussetzung in dem alten
Urteil von 1982.
Was den Haushaltsfreibetrag anbelangt, so prüfen
wir, welche Auswirkungen der Beschluß hat. Eindeutig
klar ist, daß der Haushaltsfreibetrag in Zukunft auf
Grund des Gleichheitsgrundsatzes, den das Bundesverfassungsgericht sehr deutlich hervorgehoben hat, nicht
mehr ausschließlich für Alleinerziehende gewährt werden kann. Welche Wirkungen sich in Zukunft auf der
einen Seite für Verheiratete und auf der anderen Seite
für Nichtverheiratete unter Beachtung des Gleichheitsgrundsatzes ergeben werden, müssen wir noch prüfen.
Die Frage 17 wird
schriftlich beantwortet.
Ich rufe jetzt die Frage 18 des Kollegen Seiffert auf.
Wie hoch waren die Teilwertabschreibungen insgesamt, die
von den Wirtschaftsbereichen im Jahre 1997 in den Steuererklärungen geltend gemacht wurden?
Herr Kollege Seiffert, die
amtliche Einkommensteuerstatistik enthält keine Angaben über die geltend gemachten Teilwertabschreibungen. Auch aus anderen Quellen liegen keine statistischen
Daten hierzu vor.
Eine Zusatzfrage? Bitte, Herr Kollege.
Frau Staatssekretärin,
wie kommen Sie dann zu der Annahme, daß etwa 3,6
Milliarden DM eingespart werden können, wenn die
Teilwertabschreibungen künftig steuerlich nicht mehr
berücksichtigt werden können?
Diese Annahme beruht
natürlich auf einer Schätzung. Bei dieser Schätzung der
finanziellen Auswirkungen der Streichung der Teilwertabschreibung ist das Bundesfinanzministerium zunächst
davon ausgegangen, daß durch konzerninterne Veräußerungen von Wirtschaftsgütern zum Teil Wertverluste in
großem Umfang trotz Wegfalls der Teilwertabschreibung kompensiert werden können. In Abstimmung mit
Vertretern der Länderfinanzverwaltungen ist das verbleibende Volumen wegfallender Teilwertabschreibungen auf rund 8 Milliarden DM geschätzt worden. Daraus
lassen sich die im Finanztableau des Entwurfs des
Steuerentlastungsgesetzes enthaltenen Steuermehreinnahmen ableiten.
Eine weitere Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, da Sie im Finanztableau den Betrag von 3,6 Milliarden DM pro Jahr ausweisen, möchte ich fragen: Ist Ihnen bekannt, daß bei Teilwertabschreibungen auch in
der Zukunft Minderansätze eintreten werden? Ist Ihnen
andererseits bekannt, daß mit dem jetzigen Gesetzestext
sehr viel höhere Belastungen in einzelnen Branchen zu
Existenzvernichtungen führen können?
Herr Kollege Michelbach,
es ist uns natürlich bekannt, daß der Wegfall der Teilwertabschreibungen, wie viele andere Maßnahmen in
unserem Steuergesetzentwurf auch, lediglich Einmaleffekte darstellt. Wenn man einmal eine stille Reserve gehoben hat, dann ist sie gehoben und kann für die dann
fällige Bilanz nicht noch einmal wirksam werden. Das
dies dennoch einen Liquiditätsverlust für die Betroffenen darstellt, will ich nicht in Abrede stellen.
Zu dem Merkmal von Einmaleffekten gehört eben,
daß sie nicht auf Dauer wirksam sind. Darum ist auch
die verbreitete Kritik der Wirtschaft wenig verständlich,
denn in unseren Gegenfinanzierungsmaßnahmen finden
sich eine ganze Reihe Maßnahmen mit EinmalwirkunClaudia Nolte
gen; die beabsichtigten Steuersatzsenkungen hingegen
sind auf Dauer angelegt.
Damit rufe ich die
Frage 19 des Kollegen Seiffert auf:
Wie verteilen sich diese Teilwertabschreibungen auf die einzelnen Wirtschaftsbereiche?
Herr Kollege Seiffert, da
über die Teilwertabschreibungen insgesamt keine Daten
vorliegen, läßt sich auch keine Aufteilung auf die einzelnen Wirtschaftsbereiche vornehmen.
Eine Zusatzfrage des
Kollegen Michelbach.
Diese Frage, Frau
Staatssekretärin, ist sehr wichtig, weil das, was Sie eben
formuliert haben, nämlich daß sich die Abschaffung der
Teilwertabschreibung nur für ein Jahr auswirkt, für einzelne Wirtschaftsbereiche nicht gilt, weil dort dieser Effekt immer wieder neu auftritt. Teilwertabschreibungen
in Wirtschaftsbereichen wie zum Beispiel dem Handel
mit modischen Waren haben andere Grundlagen als in
anderen Wirtschaftsbereichen. Deswegen die Frage: Inwieweit können Sie sich vorstellen, daß bei der Veränderung der Teilwertabschreibung, die angekündigt wurde, einzelne Wirtschaftsbereiche, insbesondere der Handel, besonders berücksichtigt werden?
Herr Kollege Michelbach,
Sie haben recht - es ist in dieser Woche auch durch die
Presse gegangen -: Wir machen uns weitere Gedanken
darüber, wie wir mit dem Instrument der Teilwertabschreibung umgehen. Es ist dazu noch keine abschließende Entscheidung getroffen worden. Ich will da auch
dem Gesetzgebungsverfahren nicht vorgreifen. Wie Sie
wissen, haben wir heute im Finanzausschuß gerade den
ersten Durchgang, wie wir so sagen. Der Entwurf des
Steuerentlastungsgesetzes ist vorgelegt. Die Änderungen, die wir ins Auge gefaßt haben, werden sicherlich
insbesondere auf die Bedürfnisse des Einzelhandels eingehen.
Damit rufe ich die
Frage 20 des Kollegen Michelbach auf:
Sind bis zum Jahr 2002 weitere Steuererhöhungen bei der
Mehrwertsteuer sowie der Mineralölsteuer vorgesehen?
Herr Kollege Michelbach,
die Bundesregierung beabsichtigt, im Rahmen der Ökosteuerreform die Mineralölsteuer schrittweise bis zum
Jahr 2002 weiter anzuheben. Zum Ausgleich werden die
Sozialversicherungsbeiträge gesenkt. Die Bundesregierung plant allerdings insbesondere auch vor dem Hintergrund der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung keine
Erhöhung bei der Mehrwertsteuer.
Bitte, Herr Michelbach.
Frau Staatssekretärin, wie werten Sie in diesem Zusammenhang die heutige Aussage des Parlamentarischen Geschäftsführers der
SPD-Bundestagsfraktion, Wilhelm Schmidt, in einer
Agenturmeldung der ADN, daß die Erhöhung der
Mehrwertsteuer im europäischen Kontext möglich sei?
Ebenso spricht er von Steuererhöhungen im Zusammenhang mit der Gegenfinanzierung durch Änderungen
beim Ehegattensplitting, so daß die Aussage, die gerade
getroffen wurde, doch erheblich in Frage zu stellen ist.
Herr Kollege Michelbach,
ich hatte Ihnen das schon gesagt, und es ist auch hier im
Plenum schon gesagt worden: Wir beabsichtigen keine
Erhöhung der Mehrwertsteuer, insbesondere nicht zur
Finanzierung des Steuerentlastungsgesetzes. Da unterscheiden wir uns von der alten Bundesregierung. Das
Thema Mehrwertsteuer ist natürlich auch in der Europäischen Union weiterhin auf der Agenda. Allerdings
muß man mit einer Mär aufräumen: Es gibt, was die
Mehrwertsteuer anbelangt, eine Bandbreite von 15 bis
25 Prozent für den Normalsatz, die von der Europäischen Union festgelegt worden ist. Solange wir uns in
dieser Bandbreite bewegen, kann es keinen unmittelbaren Zwang aus Brüssel geben, die Mehrwertsteuer zu erhöhen.
Zweite Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, Sie haben heute morgen im Finanzausschuß die
Aussage getroffen, daß durch die Steuerausfälle durch
den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts zur Familienentlastung gewissermaßen finanzwirtschaftliche
Maßnahmen zur Kompensation ergriffen werden müssen. Schließen Sie auch in Verbindung mit dem BVGBeschluß eine Steuererhöhung bis zum Jahr 2002 aus,
und wie wollen Sie diese Deckung von 22 Milliarden
DM dann vornehmen?
Herr Kollege Michelbach,
es ist in der Tat zu früh, mich heute zu fragen, ob ich eine Steuererhöhung zu diesem Zwecke ausschließe. Es
wird aber sicherlich keine zusätzliche Steuerentlastung
in Höhe von 22,5 Milliarden DM geben können. 22,5
Milliarden DM wäre die Summe der Steuerausfälle für
Bund, Länder und Gemeinden, wenn wir den Beschluß
des Verfassungsgerichts sozusagen nahtlos umsetzen
würden, ohne den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers zu nutzen.
Wir werden den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers nutzen. Die Bundesregierung wird dem Parlament
dazu rechtzeitig Vorschläge unterbreiten, so daß der Beschluß des Bundesverfassungsgerichts rechtzeitig zum
Jahre 2000 umgesetzt werden kann. Es ist allerdings sicherlich falsch - das war heute in einzelnen Publikationen zu lesen -, daß genau die im Beschluß angegebenen
Freibeträge in Zukunft gelten werden. So ist das im Beschluß des Bundesverfassungsgerichts nicht dargelegt
worden. Es wurde dort vielmehr festgestellt: Wenn der
Gesetzgeber nicht tätig wird, dann gelten unmittelbar
diese Sätze. Gerade Sie als Parlamentarier sollten sich
nicht nur die Freiheit nehmen, sondern es auch als Verpflichtung betrachten, tätig zu werden und den gesetzgeberischen Spielraum unter finanzwirtschaftlicher Verantwortung zu nutzen.
Jetzt hat als erster
Nachfrager Herr Dr. Ilja Seifert das Wort.
Frau Staatssekretärin, ich beziehe mich auf Ihre ursprüngliche Antwort auf die Frage
20. Sie sagten, daß die Mineralölsteuer schrittweise angehoben werden soll, was unter ökologischen Aspekten
sicher positiv sein kann. Trotzdem frage ich Sie, ob und wenn ja, welche - Ausgleichsmaßnahmen die Bundesregierung für Menschen vorsieht, die keine andere
Möglichkeit haben, als mit dem Auto zu fahren. Ich
denke zum Beispiel an Menschen mit Behinderungen.
Momentan ist es ja so, daß sie alle Kosten übergewälzt
bekämen.
Herr Kollege, zum einen
ist es natürlich so, daß wir eine Entlastung bei den Sozialversicherungsbeiträgen vorsehen. Es gibt ja zum Glück
viele Behinderte, die berufstätig sind. Ich weiß allerdings auch, daß gerade in der Gruppe dieser Menschen
die Arbeitslosigkeit überproportional hoch ist, so daß
von daher keine Entlastung erfolgen würde.
Zum anderen ist zu berücksichtigen, daß Menschen
mit Behinderungen besondere Steuerfreibeträge haben,
die ihre besonderen Belastungen ausgleichen. Jedenfalls
sind sie so angelegt. Ich glaube, daß man im übrigen, gerade was die Mineralölsteuer anbelangt, eine Erhöhung
guten Gewissens vertreten kann. Wir sehen ab 1. April
dieses Jahres eine Erhöhung der Mineralölsteuer um
6 Pfennig pro Liter vor. Wie Sie wissen, sind die Preise
für Benzin und Diesel gerade in den letzten zwölf Jahren
auf einen Tiefststand gesunken, also tiefer als jemals zuvor in den vergangenen zwölf Jahren. Es ist den Behinderten auch im September des vergangenen Jahres möglich gewesen, Auto zu fahren, als der Sprit teurer war
als der jetzige Literpreis zuzüglich der vorgesehenen
6 Pfennig.
Jetzt ist der Kollege
Heinz Seiffert mit seiner Zusatzfrage an der Reihe.
Frau Kollegin Dr.
Hendricks, offensichtlich erfährt man manchmal in der
Fragestunde doch etwas Neues. Sie haben gerade relativ
deutlich dargelegt, daß Sie nicht ausschließen, die
Mehrwertsteuer zu erhöhen, um die Deckungslücke von
20 oder mehr Milliarden DM, die durch den Beschluß
des Bundesverfassungsgerichts entstanden ist, zu füllen.
Ich frage Sie: Wäre es nicht auch eine Möglichkeit, eine
Nettoentlastung dadurch hinzubekommen, indem man
einfach noch mehr spart?
Herr Kollege Seiffert,
wenn ich zunächst mich selber bzw. die vorangegangene
Frage des Kollegen Michelbach aus der Erinnerung
richtig zitieren darf: Kollege Michelbach hat gefragt:
Schließen Sie Steuererhöhungen anläßlich der Finanzierung der Folgen des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts aus? Er hat nicht explizit nach der Mehrwertsteuer gefragt. Ich habe daraufhin gesagt: Ich
schließe Maßnahmen zur Gegenfinanzierung nicht
grundsätzlich aus.
Ich bitte Sie um Verständnis: Ich bin die Parlamentarische Staatssekretärin des Finanzministeriums; der Beschluß ist noch nicht geprüft, ich habe noch keine Gelegenheit gehabt, mit meinem Minister darüber zu sprechen, und es hat noch keine Befassung der Koalitionsfraktionen mit diesem Beschluß gegeben. Also wäre eine Aussage meinerseits sowohl in positiver als auch in
negativer Sicht ganz apodiktisch parlamentarisch nicht
angemessen. Ich bitte Sie darum, diesbezügliche Maßnahmen als offene Position zu betrachten, aber nicht als
einen Weg, den wir begehen wollen. Ich bin jetzt nicht
in der Lage, anders zu reagieren. Dafür haben Sie sicherlich Verständnis.
Was den weiteren Inhalt Ihrer Frage anbelangt: Wie
Sie wissen, wirkt die Einkommensteuer sowohl hinsichtlich der Einnahmen als auch hinsichtlich der Ausfälle auf Bund, Länder und Gemeinden mit festgesetzten
Anteilen. Wenn dieser Beschluß sozusagen nahtlos und
ohne gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum umgesetzt
würde, träfen diese 22,5 Milliarden DM zu 42,5 Prozent
den Bund, in gleicher Höhe die Länder und zu 15 Prozent die Kommunen.
Ich bin nicht sicher, ob dies, wie es dann auf Bundesebene nötig wäre, auch auf den anderen Ebenen durch
weiteres Sparen, wie Sie es nennen, ausgeglichen werden kann. Sie sehen es an der Gestaltung des Bundeshaushalts 1999, den der Herr Bundesfinanzminister eben
in der Regierungsbefragung vorgestellt hat: Die Nettokreditaufnahme ist genauso hoch, wie es Bundesfinanzminister Waigel in dem noch von ihm vorgelegten
Haushaltsentwurf geplant hatte. Offenbar hat auch er eine Möglichkeit zu weiterem Sparen nicht gesehen.
Kollege Nolting, Ihre
Zusatzfrage bitte.
Frau Staatssekretärin, Sie haben in Beantwortung der vorletzten Frage
den Zusammenhang zwischen dem zur Zeit niedrigen
Benzinpreis und der von Ihnen angekündigten Steuererhöhung hergestellt. Kann ich daraus schließen, daß bei
steigenden Benzinpreisen die Steuern wieder gesenkt
werden?
Herr Kollege Nolting, Sie
sollten dies bitte nicht daraus schließen. Das wäre auch
gegen jede Übung unseres Gemeinwesens.
Ich darf Sie daran erinnern, daß Bundesfinanzminister Waigel im Jahr 1992 die Mineralölsteuer auf
einen Schlag um 22 Pfennig zur Finanzierung des
Golfkrieges erhöht hat. Bekanntlich findet der Golfkrieg
nicht mehr statt. Diese Erhöhung von 22 Pfennig ist aber
nicht zurückgenommen worden. Ich will Ihnen dies nur
als Beispiel nennen.
Wir dagegen haben vor - das haben wir in einen gesetzgeberischen Zusammenhang gebracht -, daß die
Mittel durch die Erhöhung der Mineralölsteuer an anderer Stelle, nämlich durch die Absenkung der Lohnnebenkosten, wieder zurückgegeben werden.
Herr Kollege Hollerith, Ihre Zusatzfrage bitte.
Frau Staatssekretärin,
habe ich Sie insoweit richtig verstanden, daß Sie generell Steuererhöhungen zur Finanzierung der Anforderungen, die sich aus dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts ergeben, nicht ausschließen? Wie steht
dies im Einklang mit der Finanzierung der existierenden
Haushaltslöcher durch die Veränderungen im Steuerentlastungsgesetz bezüglich der Teilwertabschreibung wir haben dies heute von Herrn Minister Lafontaine gehört - und der Tatsache, daß die Ökosteuer nicht ausreicht, um die Senkung des Rentenversicherungsbeitrages zu finanzieren?
Herr Kollege Hollerith,
ich möchte auf meine vorherige Aussage verweisen. Ich
sehe mich einfach nicht in der Lage, heute für die Bundesregierung eine Aussage zu diesem Thema zu treffen.
Ich sage noch einmal: Es ist keine versteckte Ankündigung von Steuererhöhungen. Ich muß dies einfach mangels Absprache in der Bundesregierung sagen. Ich kann
nicht apodiktisch sagen: „Nein, das kommt auf keinen
Fall“ oder „Wir bereiten dies vor“. Es gab einfach noch
keine Gelegenheit, dies zu besprechen.
Es wäre nicht redlich, wenn Sie von mir als Parlamentarischer Staatssekretärin erwarteten, daß ich Ihnen
heute das Urteil der gesamten Bundesregierung und der
sie tragenden Koalitionsfraktionen darüber mitteile,
nachdem der Beschluß des Bundesverfassungsgerichts
praktisch erst heute in den Häusern eingegangen ist;
denn bis gestern gab es nur eine Pressemitteilung. Es ist
natürlich nicht unser Ziel, Steuern zum Zweck der
Finanzierung der Anforderungen, die sich aus diesem
Beschluß ergeben, zu erhöhen. Das will ich ganz ausdrücklich sagen.
Wir werden einen Gesetzentwurf vorlegen, der die
gesamten steuerlichen Maßnahmen zugunsten von Familie und Ehe auf den Prüfstand stellt. Spätestens im
Herbst werden wir dies beraten müssen. Wenn es uns
gelingt, das Gesetzgebungsverfahren so rechtzeitig in
die Wege zu leiten, daß wir noch vor der Sommerpause
die erste Lesung haben, wäre das sehr gut. Dies ist aber
ein ehrgeiziges Ziel. Also erwarten Sie bitte nicht, daß
wir als Bundesregierung, nachdem der Beschluß nach
der Presseerklärung von gestern erst heute schriftlich
vorliegt, bereits heute eine abschließende Anmerkung
machen können.
Wie lautete noch einmal Ihre weitere Frage, Herr
Hollerith?
Die Frage bezog sich
auf die Teilwertabschreibung und die Ökosteuer.
Was das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 anbelangt, so ist die Zusage an die Länder ergangen - das ist auch durch den
Bundesfinanzminister im Bundesrat zu Protokoll gegeben worden -, daß die Nettoentlastung nicht höher sein
wird, als im Gesetzentwurf vorgesehen. Das heißt, es
wird, wenn an einer Stelle erwartete Mehreinnahmen
nicht eintreten, weil auf eine bestimmte Maßnahme oder
auf Teile einer bestimmten Maßnahme verzichtet wird,
an anderer Stelle im selben Gesetz eine Gegenfinanzierung anderer Art erfolgen, so daß die Nettoentlastung
nicht steigt. Da sind wir - auch gegenüber den Ländern
- im Wort und sehen das aus Sicht des Bundes auch aus
finanzwirtschaftlichen Gründen als unbedingt notwendig
an.
Was die Ökosteuer anbelangt, so muß noch im einzelnen geprüft werden, ob da eine Lücke entsteht. Ich
weiß, daß der Bundesfinanzminister darauf hingewiesen
hat. Aber wir sind auch in diesem Punkt noch nicht am
Schluß der Beratungen.
Eine Zusatzfrage des
Kollegen Hinsken, bitte.
Frau Staatssekretärin,
ich gehe davon aus, daß Sie genau darüber informiert
sind, was gestern und vorgestern bei der Anhörung des
Finanzausschusses von den Sachverständigen, insbesondere der vielen betroffenen Verbände, zu dieser beabsichtigten Ökosteuer gesagt wurde. Ziehen Sie daraus
Schlüsse? Wenn ja: Welche? Ich darf den Hinweis anfügen, daß 90 bis 95 Prozent der anwesenden Sachverständigen diese beabsichtigte Steueränderung, so wie sie
eingebracht worden ist, in Bausch und Bogen verurteilen.
Herr Kollege Hinsken, ich
bin selbstverständlich bei der Anhörung zur Ökosteuer
am Montag anwesend gewesen, und selbstverständlich
habe ich auch die kritischen Stimmen zur Kenntnis genommen. Es ist nicht von der Hand zu weisen, daß es sie
gibt. Aber nicht alle Interessenvertreter sind gleichzeitig
sachverständig, auch wenn sie in der Einladung als
Sachverständige bezeichnet werden.
({0})
Es war dort natürlich auch eine große Gruppe von
Interessenvertretern anwesend, die das gute Recht haben, ihre Interessen zu vertreten; das ist selbstverständlich.
Ich darf an dieser Stelle noch einmal darauf hinweisen: Etwa die Hälfte des Aufkommens bei der von uns
beabsichtigten Ökosteuer kommt durch die sehr mäßige
Anhebung der Mineralölsteuer um 6 Pfennig zustande.
Sie erinnern sich an die Zeit Ihrer eigenen Regierung in
den 90er Jahren; damals ist bei weitem mehr aufgeschlagen worden. Alle diejenigen, die lediglich für ihren
Betrieb Kraftstoffe verbrauchen, werden jetzt bei weitem nicht so schlecht behandelt, wie sie damals durch
Ihre Regierung behandelt worden sind. Darüber hinaus
werden sie ja gleichzeitig bei den Lohnnebenkosten
entlastet. Wir sehen ja auch Ausnahmen bzw. reduzierte
Sätze für das produzierende Gewerbe vor.
Sie dürfen nicht vergessen, daß der Gesamtbetrag der
Einnahmen für die Senkung der Lohnnebenkosten verwendet und damit zurückgegeben wird. Dies ist ein
durchaus anderer, ein neuer und innovativer Schritt und
hat nichts mit dem von der alten Bundesregierung gepflegten Abkassieren bei der Mineralölsteuer zu tun.
({1})
Eine weitere Zusatzfrage, diesmal vom Abgeordneten Michelbach.
Frau Staatssekretärin, wäre es unter dem Aspekt der Erosion der Steuereinnahmen, die Sie nicht ausgeschlossen haben - beim
Steuerentlastungsgesetz, bei dem Sie Änderungen vorgesehen haben und dadurch Finanzlöcher aufreißen; bei
der Ökosteuerreform wie auch natürlich jetzt durch den
BVG-Beschluß -, nicht sinnvoll, wenn Sie die momentan vorliegenden Gesetzentwürfe zur Steuerentlastung
und zur Ökosteuer zurücknähmen und ein Gesamtsteuermodell auf den Tisch legten, das, solide finanziert, mit
einer Nettoentlastung beschäftigungs- und familienfreundlicher wäre?
Herr Kollege Michelbach,
ich kann Ihren Vorschlag nicht so recht verstehen. Bisher ist uns immer vorgeworfen worden, die Nettoentlastung, die wir durch das Steuerentlastungsgesetz
1999/2000/2002 vorsehen, sei zu gering. Dies ist uns gerade aus Ihren Reihen immer vorgehalten worden.
Nachdem der Bundesverfassungsgerichtsbeschluß auf
jeden Fall zu weiteren Ausfällen im Bereich der Familienbesteuerung führen wird - das ist überhaupt nicht von
der Hand zu weisen; nur die Höhe ist noch nicht abschließend festzumachen -, kann ich mir schlechterdings
nicht vorstellen, wieso Sie das Steuerentlastungsgesetz
mit einer Nettoentlastung von 15 Milliarden DM zurückgezogen wissen wollen. Dies würde bedeuten, daß
Sie dann doch wohl - offenbar in Umkehrung Ihrer bisherigen Argumentation - wollen, daß wir in diesem Gesetz überhaupt keine Nettoentlastung vorsehen. Denn
sonst wäre Ihre Einlassung überhaupt nicht logisch.
Wir sind damit am
Ende des Geschäftsbereichs des Bundesfinanzministeriums. Ich danke Frau Staatssekretärin Dr. Hendricks.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung auf. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Ulrike
Mascher bereit.
Ich rufe die Frage 21 der Abgeordneten Claudia Nolte
auf:
Welche Konsequenz zieht die Bundesregierung aus den Urteilen des Bundessozialgerichtes vom 10. November 1998 in den
Revisionen mit den Aktenzeichen B4 RA 25/98 R und B4 RA
33/98 R zur Altersversorgung der Reichsbahner?
Frau Nolte, in
den Revisionen, die unter den von Ihnen aufgeführten
Aktenzeichen verhandelt wurden, ging es im Kern darum, in welcher Höhe die in der DDR vor dem 1. Juli
1990 aus entgeltlicher Beschäftigung erzielten Arbeitsverdienste von Beschäftigten der Deutschen Reichsbahn
oder der Deutschen Post bei der Ermittlung der persönlichen Entgeltpunkte für eine Rente nach dem Sechsten
Buch Sozialgesetzbuch, SGB VI, rechtserheblich sein
können.
Die Urteilsbegründungen zu diesen Verfahren liegen
bisher nicht vor, so daß bislang nicht bekannt ist, ob es
sich um eine auf den Einzelfall bezogene Entscheidung
handelt oder ob sich aus den Urteilen eine grundlegende
Neuausrichtung für die rechtliche und sozialpolitische
Beurteilung des Sachverhaltes ergibt. Eine Aussage über
die Konsequenzen, die aus den Urteilsbegründungen zu
ziehen sein werden, ist deshalb zur Zeit nicht möglich.
Eine Zusatzfrage,
bitte.
Besteht die Absicht,
Gesetzesänderungen herbeizuführen, die Konsequenzen
aus den Urteilen vorgreifen könnten? Oder kann man
davon ausgehen, daß Sie die Urteilsbegründungen erst
einmal in Ruhe abwarten werden?
Wir werden
die Urteilsbegründungen auf jeden Fall abwarten, um
genau feststellen zu können, was notwendig ist.
Zweite Zusatzfrage.
Gibt es für den Fall, daß
generell das Gesamteinkommen zugrunde gelegt wird,
und zwar jenseits der 600-DM-Grenze, Schätzungen
über die Mehrausgaben für die gesetzliche Rentenversicherung?
Nein.
Ich rufe die Frage
22 der Abgeordneten Frau Nolte auf:
Wie gedenkt die Bundesregierung darüber hinaus die erworbenen Anwartschaften und Ansprüche aus der betrieblichen Altersversorgung der ehemaligen Reichsbahner zu gewährleisten?
Die Ansprüche und Anwartschaften aus der 1956 für Beschäftigte
der Deutschen Reichsbahn eingeführten Altersversorgung sind bereits zum 1. Januar 1974 in die allgemeine
Sozialversicherung der ehemaligen DDR überführt worden.
Die Geltungsdauer der Vertrauensschutzbestimmungen aus der bereits 1974 in die allgemeine Sozialversicherung überführten Versorgung ist - wie bei den anderen Sonder- und Zusatzversorgungssystemen der ehemaligen DDR - durch den Einigungsvertrag auf den
31. Dezember 1991 beschränkt worden, weil ab 1. Januar 1992 an die Stelle des bisherigen Rechtes das dynamisierte Rentenrecht des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch der Bundesrepublik, das SGB VI, getreten ist.
Die Besitz- und Vertrauensschutzbestimmungen des
SGB VI und des Renten-Überleitungsgesetzes für Bestandsrentner und rentennahe Jahrgänge - Rentenzugang
bis Dezember 1996 - erfassen auch die Rententeile, die
sich für Beschäftigte der Deutschen Reichsbahn aus dem
für die Rente aus der Sozialpflichtversicherung der ehemaligen DDR geltenden besonderen Steigerungssatz von
1,5 Prozent ergeben. Eine generelle Übernahme des besonderen Steigerungssatzes in das Rentenrecht des SGB
VI war im Zuge der Rentenüberleitung auf die neuen
Bundesländer nicht möglich, weil zusätzliche Beiträge
für diese erhöhten Rentenanwartschaften nicht gezahlt
worden waren.
Die Forderungen des betreffenden Personenkreises,
eine über die Vertrauensschutzbestimmungen des Renten-Überleitungsgesetzes hinausgehende Weiterführung
der bereits 1974 - ich habe es schon einmal gesagt - in
die Sozialversicherung der ehemaligen DDR überführten
Versorgung vorzusehen, könnte nur über die Einführung
einer neuen Versorgungsregelung für bereits berentete
ehemalige Beschäftigte der Deutschen Reichsbahn erreicht werden. Im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung ist jedoch für eine ergänzende betriebliche Versorgungsleistung außerhalb des Leistungsrechtes nach
dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch kein Raum gegeben.
Eine Zusatzfrage,
Frau Nolte.
Wenn ich Sie richtig
verstanden habe, heißt das, daß es nach Ihrer Kenntnis
beim Arbeitgeber Deutsche Reichsbahn nach 1974 keine
betriebliche Altersversorgung gab, bei der Gelder an die
damalige DDR abgeführt worden sind?
Nein. Die
Regelung in der DDR hat für die Reichsbahner einen besonderen Steigerungssatz bei der Rente vorgesehen, dem
aber keine entsprechenden Beiträge gegenüberstanden.
Das kennt unser bundesrepublikanisches gemeinsames
Rentensystem nicht. Deswegen sind hier auch keine entsprechenden Leistungen möglich.
Ich rufe die Frage 23 des Kollegen Manfred Grund auf:
Stehen für die Gewährleistung der Altersversorgungsansprüche der ehemaligen Reichsbahner ({0}) Finanzmittel im Haushalt des
Bundes bereit und, wenn ja, welche?
Herr Grund,
den ehemaligen Reichsbahnern stehen über das Leistungsrecht der gesetzlichen Rentenversicherung hinausgehende besondere Altersversorgungsansprüche nach
geltendem Recht nicht zu. Daher stehen hierfür im Bundeshaushalt Finanzmittel auch nicht bereit. Darüber hinaus ist festzustellen, daß sich im Haushaltsentwurf des
früheren Finanzministers Theo Waigel von der CSU
ebenfalls keine Ansätze zur Gewährleistung dieser besonderen Altersversorgungsansprüche gefunden haben.
Eine Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin,
das ist genau der Teil, der auch von den Reichsbahnern
bestritten wird, nämlich daß ihnen keine Leistungen zustehen, auch wenn Beiträge nicht gezahlt worden sind.
Sie haben auf die Frage meiner Kollegin Nolte gesagt,
damit sind keine Leistungsansprüche gegenüber der gesetzlichen Rentenversicherung begründet worden. Wäre
es vorstellbar, daß zum Beispiel aus dem Bundeseisenbahnvermögen heraus Leistungsansprüche der Reichsbahner in Analogie zu dem, was bei den Bundesbahnern
im ehemaligen alten Bundesgebiet geschieht, abgedeckt
werden?
Herr Grund,
Ihre Frage erstaunt mich ein bißchen, denn ich weiß, daß
Sie sich in den letzten vier Jahren mit anderen Kollegen
aus Ihrer Fraktion sehr engagiert in dieser Frage bemüht
haben. Ich weiß auch, daß diese Bemühungen leider
vergeblich waren.
Im Lichte des Urteils,
das Ihnen noch nicht vorliegt und auch uns noch nicht
zugänglich ist, könnte es durchaus sein, daß Handlungsbedarf besteht. Wir würden die neue Bundesregierung
dabei gern unterstützen.
Vielen Dank
für das Angebot. Wenn das Urteil da ist, dann muß es
bewertet werden, und dann werden wir sehen, was sich
für Notwendigkeiten daraus ergeben. Aber Sie kennen
den Sachverhalt so gut wie ich.
Damit sind wir am
Ende dieses Geschäftsbereichs. Frau Staatssekretärin,
ich danke Ihnen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung auf. Zur Beantwortung steht Frau
Parlamentarische Staatssekretärin Brigitte Schulte zur
Verfügung.
Ich rufe die Frage 24 des Abgeordneten Werner Siemann auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung, die feierlichen Gelöbnisse
auch weiterhin im bisherigen Umfang in der Öffentlichkeit
durchzuführen?
Herr Präsident, liebe
Kolleginnen und Kollegen, da ich vermute, daß die
Mehrheit der anwesenden Parlamentarier, vor allen Dingen aber unsere Zuhörer nicht wissen, um was es bei
dieser Frage geht, möchte ich erläutern, daß der Kollege
Herr Siemann fragt, ob die Bundesregierung in der Zukunft öffentliche Gelöbnisse weiter im bisherigen Umfang durchführen möchte.
Herr Kollege Siemann, ich möchte Ihnen darauf folgendes antworten: Wir werden selbstverständlich nicht
auf die Zahl der öffentlichen Gelöbnisse außerhalb militärischer Liegenschaften Einfluß nehmen. Sie wissen
wahrscheinlich, daß die Entscheidung, ob öffentliche
Gelöbnisse stattfinden, von den örtlichen Kommandeuren und vor allen Dingen in Abstimmung mit den Städten und Gemeinden getroffen wird. Wenn diese den
Wunsch haben, damit ihre Verbindung zur Bundeswehr
darzustellen, dann wird das von uns ausdrücklich begrüßt.
Eine Zusatzfrage,
Kollege Siemann.
Frau Staatssekretärin, sehen Sie sich mit Ihrer Antwort, die Sie etwas erweitert haben, in Übereinstimmung mit Ihrem Koalitionspartner Bündnis 90/Die Grünen, der über seine Sprecherin des Vorstands soeben gesagt hat - ich will das
einmal zitieren -:
Soldaten gehören in Kasernen und nicht auf Marktplätze. Wir werden uns auch in Zukunft gegen
diese Militarisierung des öffentlichen Raumes
wenden.
Gott sei Dank leben wir in
einem freien Rechtsstaat, in dem es jedermann, auch
Kollegen von anderen Parteien, erlaubt ist, eine andere
Meinung zu haben. Ich kann nur wiederholen, was die
Meinung der Bundesregierung und vor allen Dingen des
Bundesministers der Verteidigung ist. Wir werden die
Rechte der Kommandeure und auch den Wunsch der
Garnisonsstädte und Garnisonsgemeinden nicht einschränken. Daß man selbstverständlich eine andere Meinung dazu haben kann, ist, finde ich, in Ordnung.
Ich rufe die Frage 25 des Kollegen Siemann auf:
Wird die Bundesregierung die Form der feierlichen Gelöbnisse als Teil der Selbstdarstellung und Traditionspflege der
Bundeswehr auch künftig beibehalten?
Bei der zweiten Frage
geht es darum, Herr Kollege, ob wir die Form der feierlichen Gelöbnisse als Teil der Selbstdarstellung und
Traditionspflege der Bundeswehr auch künftig beibehalten wollen. Die beantworte ich schlicht mit Ja.
Eine Zusatzfrage.
Stimmen Sie auch in
diesem Punkt mit Ihrem Koalitionspartner Bündnis
90/Die Grünen überein? Diese haben laut einer Meldung
vom 4. Dezember 1998 gefordert - ich zitiere wieder -,
„öffentliche Gelöbnisse, militärische Begrüßungen und
andere Militärspektakel abzuschaffen“.
Die Bewertung, was Militärspektakel sind, wollen wir einmal dem einzelnen
überlassen, vor allen Dingen aber den Garnisonsstädten,
in denen etwas durchgeführt wird.
Was das andere betrifft, möchte ich Ihnen gerne mit
einem Zitat des ersten Bundesverteidigungsministers der
Bundesrepublik Deutschland antworten. Theo Blank hat
gesagt:
Was wir brauchen, ist nicht ein Pathos der Paraden
und militärischen Demonstrationen, sondern ausschließlich jene ernste Nüchternheit, mit der man
ohne große Worte das Notwendige tut.
Zitiert hat das interessanterweise der damalige Sprecher der Bündnisgrünen in einem Beitrag in „Bundeswehr aktuell“ im Sommer 1998. Es war der Kollege Fischer. Sicherlich haben Sie Gelegenheit, ihn auch einmal
danach zu fragen.
Wir bleiben dabei, daß in angemessener Form öffentliche Gelöbnisse durchgeführt werden. Denn eins ist
ganz wichtig: Die jungen Menschen sollen Gelegenheit
haben, ihre Verbundenheit mit diesem demokratischen
Rechtsstaat darzustellen. Das wird manchmal vergessen.
Das ist das Hauptanliegen des öffentlichen Gelöbnisses.
Ich rufe die Frage 26 des Abgeordneten Günther Friedrich Nolting auf:
({0})
- Es tut mir leid, das kam zu spät.
Bedeutet die Aussage des Bundesministers der Verteidigung,
Rudolf Scharping, in der „Berliner Zeitung“ vom 14. Dezember
1998, wonach er ausschließe, daß Deutschland „fern von Europa
als intervenierende Macht“ auftrete, daß es in Zukunft keine
Rettungsaktionen für deutsche Staatsbürger in Krisenregionen
und auch keine Beteiligung an VN-Einsätzen, wie beispielsweise in Somalia, mehr geben wird?
Herr Kollege Nolting, Sie
haben sich über einen Artikel des Bundesverteidigungsministers Rudolf Scharping in der „Berliner Zeitung“ vom 14. Dezember 1998 gewundert, wonach er
ausschließe, daß Deutschland „fern von Europa als intervenierende Macht“ nicht auftrete.
Ich will Ihnen folgendes sagen: Ihre Interpretation
oder auch die Darstellung, wie sie in der „Berliner Zeitung“ am 14. Dezember 1998 erfolgte, ist so nicht richtig. Der Bundesverteidigungsminister hat gegenüber der
„Berliner Zeitung“ zum strategischen Konzept der
NATO Stellung genommen. Er hat dabei ausdrücklich
gesagt, er könne sich nicht vorstellen, einen Kriseneinsatz außerhalb Europas weltweit durchzuführen. Er hat
damit aber ausdrücklich nicht gemeint, daß Rettungsaktionen und eine Beteiligung an Einsätzen der Vereinigten Nationen wie beispielsweise in Somalia nicht erfolgen. Das werden wir natürlich tun.
Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, sehen Sie nicht einen Widerspruch, wenn Minister Scharping auf der einen Seite sagt - ich habe das
Zitat hier -, er könne sich keine Einsätze fern von Europa vorstellen, auf der anderen Seite aber vorschlägt, daß
die Bundesrepublik Deutschland der UNO eine ständige
Blauhelmtruppe zur Verfügung stellt, wobei jeder weiß,
daß diese sehr wohl fern von Europa eingesetzt werden
könnte?
Es geht jetzt allerdings
um den militärischen Einsatz. Sie wissen, Herr Kollege
Nolting, daß es sehr wohl einen Unterschied gibt zwischen der Position, die andere europäische Staaten oder
die Vereinigten Staaten von Amerika einnehmen. Dabei
ist natürlich die Rolle der Vereinigten Staaten von Amerika weltweit eine andere.
Wir sind - ich glaube, das war auch die Position Ihres
früheren Außenministers - aber nicht der Meinung, daß
die NATO als Bündnis an weltweiten internationalen
militärischen Kriseneinsätzen teilnehmen sollte. Selbstverständlich werden wir dem Wunsch der UN, eine
Blauhelmaktion auch in anderen Teilen der Erde durchzuführen, in Abstimmung mit dem Parlament entsprechen. Wir gehen aber nicht davon aus, daß es ein militärischer Kriseneinsatz ist.
Ich rufe die Frage 27 auf:
Wie steht damit im Einklang, daß der Bundesminister der
Verteidigung ebenfalls sagte, daß „Staaten wie Irak notfalls mit
dem nötigen Nachdruck“ gezwungen werden müßten, „in Übereinstimmung mit dem Willen der Vereinten Nationen zu handeln“?
Herr Kollege, zur Krisenbewältigung können die Vereinten Nationen nach einem
entsprechenden Sicherheitsratsbeschluß unter anderem
friedenserhaltende, friedenskonsolidierende und friedenserzwingende Maßnahmen legitimieren. In diesem
Zusammenhang kann der Sicherheitsrat der Vereinten
Nationen verschiedene Maßnahmen, auch die Anwendung von Gewalt nach Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen, beschließen.
Wichtig ist: Die Teilnahme an den militärischen
Maßnahmen liegt im Ermessen der jeweiligen Mitgliedstaaten.
Eine Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, ist gewährleistet, daß sich der Deutsche Bundestag bei solchen Einsätzen in jedem Einzelfall nicht
nur mit der Thematik beschäftigt, sondern seine konstitutive Zustimmung geben kann? Wie können Sie das in
Einklang damit bringen, daß Sie den Vereinten Nationen
eine ständige Blauhelmtruppe unterstellen wollen? Wie
wollen Sie dann gewährleisten - um auch darauf noch
einmal einzugehen -, daß der Deutsche Bundestag seine
entsprechende Zustimmung auch hierzu geben kann und
es keinen Automatismus gibt?
Nein, einen Automatismus wird es nie geben. Ich gehe fest davon aus, daß wir
uns immer entsprechend den Rechten des Parlaments
verhalten werden. Der Gedanke, daß man Verbände zur
Verfügung hat, die sehr schnell im Rahmen einer Blauhelmaktion eingesetzt werden können, hat - wie wir
beide, Herr Kollege Nolting, als Verteidigungspolitiker
wissen - eine gewisse Berechtigung. Man braucht heute
Wochen und Monate - wenn Sie nur an das traurige
Beispiel der Beobachtermission im Kosovo denken -,
bis man genügend qualifiziertes Personal aus verschiedenen Ländern zur Verfügung stellen kann.
Wenn wir aber jetzt im Rahmen der Bundeswehr
Verbände schaffen wollen, die bei entsprechenden Blauhelmaktionen relativ schnell eingesetzt werden können,
dann setzt das voraus, daß das Parlament nicht nur unterrichtet wird, sondern auch seine Zustimmung gibt. Sie
haben völlig recht: Aus jeder dieser Blauhelmaktionen
können sich natürlich schwierigere Situationen entwickeln.
Eine weitere Zusatzfrage.
Darf ich fragen, in welcher Größenordnung Sie sich ein solches
Kontingent vorstellen, das als Blauhelme der UNO ständig zur Verfügung steht?
Zur Zeit stelle ich mir das
überhaupt nicht vor. Ich stelle mir vor, daß das möglich
ist. Ich finde diesen Gedanken angesichts der Zunahme
von Krisen auch richtig. Aber dabei wird man zusammen mit dem Parlament und den Oppositionsfraktionen
darüber nachdenken müssen, in welchem Rahmen das in
der Bundeswehr geschehen soll. Man wird die Frage
stellen müssen: Gibt es außer unserer andere große Nationen, die solche Kontingente zur Verfügung stellen
können?
Aber der Gedanke, daß wir schneller auf eine Krise
reagieren können, um nicht anschließend eine militärische Aktion durchführen zu müssen - da werden Sie mir
sicherlich zustimmen -, ist richtig und wird bestimmt
auch von Ihnen mitgetragen werden.
Ich danke Ihnen,
Frau Staatssekretärin.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische
Staatssekretär Lothar Ibrügger zur Verfügung.
Die Fragen 28, 29 und 30 der Abgeordneten
Ostrowski und Austermann werden auf Wunsch der
Fragesteller schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 31 des Kollegen Paul Laufs auf:
Trifft es zu, daß der vierspurige Neubau der Bundesstraße
B 14 zur Umfahrung der Großen Kreisstädte Winnenden und
Backnang seit 1985 im vordringlichen Bedarf des Bundesverkehrswegeplans enthalten ist und die Planfeststellungsverfahren
für die Abschnitte Winnenden-West bis Leutenbach-Nellmersbach und Nellmersbach bis Backnang derzeit laufen und voraussichtlich in absehbarer Frist abgeschlossen werden können? Beabsichtigt die Bundesregierung, diese Planfeststellungsverfahren
zu stoppen und wesentliche Änderungen vorzugeben?
Herr
Kollege Dr. Laufs, der Neubau der Bundesstraße B 14
zwischen Winnenden-Süd bis Backnang-West ist seit
1985 als vordringlicher Bedarf im Ausbauplan für die
Bundesfernstraßen eingestuft.
Für den Südabschnitt von Winnenden bis Nellmersbach läuft das Planfeststellungsverfahren. Mit einem
Planfeststellungsbeschluß kann nach Mitteilung der
Straßenbauverwaltung Baden-Württemberg im zweiten
Quartal 1999 gerechnet werden. Für den Nordabschnitt
zwischen Nellmersbach bis Backnang-West wurde das
Planfeststellungsverfahren bisher noch nicht beantragt.
Die Bundesregierung beabsichtigt nicht, das laufende
Planfeststellungsverfahren des Südabschnitts zu stoppen.
Mögliche wesentliche Planänderungen, die sich während
des Verfahrens ergeben, bedürfen jedoch der vorherigen
Zustimmung des Bundesministeriums für Verkehr, Bauund Wohnungswesen.
Eine Zusatzfrage,
bitte schön.
Herr Staatssekretär,
können Sie bestätigen, daß die Reduzierung des B-14Neubaus auf nur zwei Spuren ein ganz neues Planfeststellungsverfahren mit unbekanntem Ausgang bedeuten
würde, insbesondere hinsichtlich vertraglicher Regelungen, die mit einem entscheidend wichtigen Grundeigentümer in Winnenden getroffen worden sind?
Herr
Kollege Dr. Laufs, von Verhandlungen mit Grundstückseigentümern weiß die Bundesregierung nichts. Da
der Bund die Planung von Bundesfernstraßen gesetzlich
an die Länder übertragen hat, sind solche Fragen zunächst einmal von der Landesregierung BadenWürttemberg zu beantworten. Sie plant in eigener Zuständigkeit und führt vor allem auch die Planabstimmung mit den Betroffenen durch. Das gilt für Grundstückseigentümer ebenso wie für Träger öffentlicher
Belange und für Städte, Gemeinden oder Landkreise, die
von dieser Planung betroffen sind.
Der erste Teil Ihrer Frage bezog sich auf eine mögliche Veränderung der Zahl der Fahrspuren, die dieser
Planung zugrunde liegen. Hier muß ich für die Bundesregierung darauf hinweisen, daß wir auch in dieser Frage
gegenwärtig verfahrensmäßig nicht am Zuge sind, weil
zunächst die Auftragsverwaltung die Alternativabwägung abschließen muß und dann dem Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen einen Vorschlag zur Entscheidung zu unterbreiten hat. Ihnen
selbst als örtlich Betroffenem und in der Region Kenntnisreichem ist ja bekannt, wie lange dieses Planungsverfahren insgesamt schon läuft und welcher Aufwand dafür bisher schon betrieben wurde. Bei der Finanzierung
der Maßnahme haben wir unabhängig davon, welche
Alternative einmal ausgewählt werden sollte, von neuen
Gesamtkosten in Höhe von 380 bis 390 Millionen DM
auszugehen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Da die Verwirklichung
dieses für die Region außerordentlich wichtigen Vorhabens natürlich von der Finanzierung abhängt, möchte ich
Sie fragen, welche mittelfristige Finanzplanung die
Bundesregierung für den Fernstraßenausbau hat. Insbesondere möchte ich wissen, wann die Mittelbereitstellung für Maßnahmen in den westlichen Bundesländern
wieder an die Höhe angepaßt wird, wie sie vor der Wiedervereinigung war.
Herr
Kollege Dr. Laufs, noch im August 1998 hat im Auftrag
von Bundesminister Wissmann Staatssekretär Henke in
einem Schreiben an den Oberbürgermeister der Stadt
Backnang darauf hingewiesen, daß dieses Projekt von
der zuständigen Straßenbauverwaltung planerisch und
kostenmäßig noch näher zu untersuchen sei und entsprechende Vorbereitungen zu treffen seien. Dies gelte auch
für mögliche Alternativen. In diesem Zusammenhang
kommen natürlich ganz unterschiedliche Kostenschätzungen ins Spiel.
Gegenwärtig vollzieht die Bundesregierung den vom
Gesetzgeber beschlossenen Ausbauplan für die Bundesfernstraßen. Die von Ihnen angesprochene Maßnahme
ist in den aktuellen Fünfjahresplan, der bis zum Jahr
2000 andauert, von der früheren Bundesregierung nicht
eingestellt worden. Formal könnte daher diese Maßnahme frühestens in den Fünfjahresplan 2001 bis 2005 eingestellt werden, der dem Parlament von der Bundesregierung vorzulegen ist und nach seiner Verabschiedung
Gesetzesqualität hat. Eine rasche Umsetzung kann gegenwärtig nicht zugesagt werden, da, wie Sie wissen,
Planungsverfahren, die Schaffung von Baurecht und die
anschließende Finanzierung jeweils sehr umfangreiche
Verfahren sind, die auch kontrovers diskutiert werden
können.
Gerade in Baden-Württemberg ist auch durch die
Projekte „Deutsche Einheit“ seit 1990 ein Prozeß erkennbar, der dazu führt, daß eine Fülle von Maßnahmen
bereits Baureife erreicht hat. Meines Wissens sind es
gegenwärtig 26 Vorhaben, deren Verwirklichung allein
1,945 Milliarden DM erfordert. Alle diese Maßnahmen
haben im Gegensatz zu der von Ihnen angesprochenen
Maßnahme schon ihre rechtliche Unanfechtbarkeit, die
Baureife, erreicht. Das zeigt auf, wie schwierig es ist,
auch im Land Baden-Württemberg noch weitere Maßnahmen zeitgerecht und im Sinne der Betroffenen finanziell sicherzustellen.
Ich rufe die Frage 32 des Kollegen Kurt Rossmanith auf.
({0})
- Herr Rossmanith, ich habe Ihnen vorhin eine Zusatzfrage nicht erlauben können. Sind Sie dennoch einverstanden, daß ich jetzt noch Zusatzfragen zulasse?
({1})
- Danke schön.
Bitte sehr.
Herr Staatssekretär, können Sie sich erklären, wie Vertreter der Vorgängerregierung angesichts einer Warteliste mit den von
Ihnen erwähnten 26 Projekten allein in unserem Bundesland Baden-Württemberg in der Öffentlichkeit den
Eindruck erwecken konnten, daß unmittelbar nach Planfeststellungsbeschluß mit dem Bau begonnen werden
könnte?
Herr
Kollege, ich kann mich für die Bundesregierung hier
nicht an Bewertungen beteiligen. Die Feststellung und
Einordnung von Maßnahmen orientiert sich nicht nur an
deren Einstellung in den Fünfjahresplan, der frühestens
ab dem Jahre 2001 auch für den Raum Backnang Maßnahmen enthalten könnte - unabhängig von der Fragestellung, wie eigentlich mit den Projekten umzugehen
ist, die bereits jetzt die Baureife erzielt haben. Die Einordnung einer solchen Maßnahme richtet sich auch nach
dem jährlich vom Parlament festzulegenden Bundeshaushalt. Erst wenn dieser feststeht, kann die Frage beantwortet werden, wann mit dem Baubeginn für eine
solche Maßnahme, die gegenwärtig auch planerisch
noch sehr kontrovers diskutiert wird, gerechnet werden
kann.
Eine Zusatzfrage
des Kollegen Barthle.
Herr Staatssekretär,
können Sie eine Aussage darüber machen, ob Sie - auch
angesichts der Tatsache, daß die Bundesregierung die
Straßenbaumittel erhöhen will - bereit sind, dieses Projekt in den kommenden Fünfjahresplan aufzunehmen?
Herr
Kollege, eine solche Aussage kann ich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht treffen - ich bitte um Verständnis -;
denn zum gegenwärtigen Zeitpunkt kann niemand mit
Bestimmtheit sagen, ob die jetzt in Planung stehenden
Maßnahmen zum Zeitpunkt 2001 die rechtliche Unanfechtbarkeit erreicht haben. Die Erfahrung der früheren
wie auch der jetzigen Bundesregierung ist, daß in allen
Planungsverfahren des Ausbauplans für die Bundesfernstraßen anstehende Lösungen beklagt werden. Niemand
kann mit Bestimmtheit vorhersagen, wie der Ausgang
eines solchen Überprüfungsverfahrens durch die Gerichte, auch zeitlich, einzuschätzen ist. Bitte sehen Sie es
mir daher nach: Eine solche Aussage läßt sich zum heutigen Zeitpunkt auch für ein solches Projekt nicht treffen.
Eine Zusatzfrage
des Kollegen Scheer.
Herr Staatssekretär, ist
dem Bundesverkehrsministerium irgendeine Initiative
der Landesregierung oder von Abgeordneten aus BadenWürttemberg bekannt, die darauf zielt, daß dieses Projekt nach einer rechtskräftigen Planfeststellung der
Baumaßnahme anderen Projekten in Baden-Württemberg vorgezogen werden könnte oder sollte, damit es
früher als rechtskräftige Maßnahme zum Zuge kommen
könnte?
Aus
der Zusammenschau aller Maßnahmen, die in BadenWürttemberg gegenwärtig im Ausbauplan für die Bundesfernstraßen vorgesehen sind, liegen uns eine Reihe
und Fülle von Anregungen und Anfragen von Kolleginnen und Kollegen aus Baden-Württemberg vor. Alle
weisen auf die Dringlichkeit oder auf die Notwendigkeit
von planerischen oder baulichen Maßnahmen hin. Ich
kann auch bei dieser Maßnahme für die Bundesregierung feststellen, daß sich nach den Auskünften, die uns
von der Landesverwaltung gegeben werden, Abgeordnete aus der betreffenden Region aktiv an den Fragen
der Planungsabwägung und -entscheidung beteiligen.
Eine Zusatzfrage
des Kollegen Berg.
Ist es denn nicht so, Herr
Staatssekretär, daß bei Bewilligungen in der Regel die
Projekte Priorität haben, deren Planfeststellungsverfahren bereits rechtskräftig ist?
Das ist
die einzige Grundlage, Herr Kollege, um überhaupt
Mittel aus dem Bundeshaushalt bereitzustellen und damit Baumaßnahmen in Gang zu setzen. Ohne rechtliche
Unanfechtbarkeit einer solchen Maßnahme, also ohne
Feststellung der Baureife, kann ein solches Projekt
überhaupt nicht finanziert werden.
Im übrigen gilt dieser Grundsatz des Planungsrechtes
natürlich auch für die in Aussicht genommenen Maßnahmen, für die die Planfeststellung rechtskräftig geworden ist. Diese Planfeststellung hat eine Gültigkeit
von 5 Jahren. Ob innerhalb dieses Zeitraums von 5 Jahren die Maßnahme begonnen wird, hängt einzig und allein davon ab, ob das Parlament in der Lage ist, die entsprechenden Mittel im jeweiligen Haushaltsjahr zu bewilligen. Die Planungsträger haben die Möglichkeit, auf
Antrag die Dauer der Planfeststellung zu verlängern.
Aber ich wiederhole: Maßgebend für die Bewilligung
von Haushaltsmitteln ist die Entscheidung des Haushaltsgesetzgebers, aus dem Bundeshaushalt Mittel bereitzustellen und sie im Fünfjahresplan für den Straßenausbau gezielt zu verankern.
Eine Zusatzfrage
der Kollegin Merten.
Herr Staatssekretär, trifft es
zu, daß die Kompetenz für Planfeststellung und Linienbestimmungsverfahren bei den Straßenbaubehörden des
Landes liegt und daß erst anschließend eine endgültige
Bewertung durch das Bundesverkehrsministerium erfolgt?
Frau
Kollegin, Sie haben zwei zu unterscheidende Planungsgesichtspunkte angesprochen. Der eine ist die Bestimmung der Linienführung für eine in Aussicht genommene Bundesstraße oder Bundesautobahn; der andere ist
die Planfeststellung, die am Ende eines langwierigen
Planungsverfahrens steht.
In der Vergangenheit wurde die Linienführung zum
Beispiel für eine in Aussicht genommene Ortsumgehung
durch den Bundesminister für Verkehr festgelegt. Damit
wurde sie eine von allen anderen Trägern öffentlicher
Belange und von den Gemeinden und Städten zu beachtende Maßnahme des Bundes; denn unser Raumordnungs- und Planungsrecht besagt: Bundesplanung bricht
Landes- und Gemeindeplanung.
Inzwischen hat es eine Änderung gegeben. Der Bundesminister für Verkehr bestimmt zum Beispiel nicht
mehr die Linienführung der Ortsumgehungen; dies ist
durch den Gesetzgeber geändert worden. Er bestimmt
jedoch auch in Zukunft die Linienführung von in Aussicht genommenen Bundesautobahnen. Aber damit ist
nicht entschieden, daß diese Maßnahme nach einem
langwierigen Planungsverfahren unter Abwägung aller
Gesichtspunkte, die dabei eine Rolle spielen - Wahrung
des Umweltschutzes, Eingriffsqualitäten -, wirklich von
den Gerichten anerkannt wird. Dies ist eine Abwägungsentscheidung. Wenn das Land bzw. in BadenWürttemberg die Bezirksregierung den Plan festgestellt
hat und wenn dann dagegen geklagt wird, stellen die
Richter fest, ob eine solche Maßnahme allen rechtlichen
Anforderungen genügt. Erst wenn dieser Zustand erreicht wird, kann man über Baumaßnahmen sprechen.
Eine letzte Zusatzfrage der Kollegin Lehder.
Herr Staatssekretär, ich
möchte Sie fragen, ob es zutrifft, daß die Kosten einschließlich des Murrtalviaduktes auf über 800 Millionen
DM geschätzt werden.
Frau
Kollegin, nach den mir vorgelegten Unterlagen gibt es
eine breite Spanne von Kostenschätzungen. Deswegen
kann ich Ihnen gegenwärtig diese Größenordnung von
800 Millionen DM nicht bestätigen. Aus den bisher ermittelten Varianten ergibt sich eine Bandbreite. Die Kosten haben sich jetzt auf den Betrag von 390 Millionen
DM eingependelt.
Dann kommen wir
jetzt zur Frage 32 des Kollegen Kurt Rossmanith:
Hält die Bundesregierung an den Beschlüssen fest, den
Weiterbau der Bundesautobahn A 7 zwischen Nesselwang und
dem im Bau befindlichen Grenztunnel umgehend nach Vorliegen aller rechtlichen Voraussetzungen zu realisieren, oder ist mit
Änderungen zu rechnen?
Herr
Kollege Rossmanith, die Antwort lautet: Ja, die Bundesregierung beurteilt den Lückenschluß zwischen dem
derzeitigen Ende der A 7 bei Nesselwang und der Bundesgrenze bei Füssen entsprechend der Planung und dem
durch das Bundesverwaltungsgericht bestätigten Planfeststellungsbeschluß vom 14. März 1985, ein Projekt,
das mit dem ersten Abschnitt, dem Grenztunnel nach
Österreich, bereits seit 1995 im Bau ist, als ein Vorhaben, das als laufendes Projekt baldmöglichst in Gänze
fertiggestellt werden soll.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, liegt Ihrem Haus oder der Bundesregierung ein
Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen oder ihres
verkehrspolitischen Sprechers, Albert Schmidt aus Ingolstadt, vor, für diesen Teilabschnitt, diesen Lückenschluß eine sogenannte abgespeckte Variante zu erstellen, das heißt, ihn zur Bundesstraße zurückzustufen?
Herr
Kollege Rossmanith, ich habe Ihre Frage, die Sie klar
und deutlich gestellt hatten, beantwortet. Aus dem, was
Sie gesagt hatten, war das, was Ihre Zusatzfrage beinhaltet, nicht ablesbar. Ich bitte um Nachsicht, wenn ich
bei der Antwort bleibe, die ich Ihnen gegeben habe: Der
Grenztunnel wird nach heutiger Einschätzung termingerecht zu Beginn der Sommerreisezeit 1999 in Betrieb
gehen.
Gegenwärtig - das darf ich noch hinzufügen - erarbeitet die bayerische Straßenbauverwaltung mit Nachdruck die Unterlagen für das im Frühjahr 1999 einzuleitende ergänzende Planfeststellungsverfahren, mit dem
die in den bisherigen Planfeststellungsunterlagen enthaltenen Maßnahmen zur Kompensation von Eingriffen
in Natur und Landschaft den aktuellen Rechtsvorschriften angepaßt werden sollen. Mehr ist gegenwärtig als
Antwort auf Ihre Frage nicht möglich.
Es liegt also kein
Antrag vor. Deshalb stelle ich meine zweite Zusatzfrage:
Herr Staatssekretär, ist sichergestellt, daß, sobald der
Planfeststellungsbeschluß rechtsbeständig und vollziehbar ist, mit dem Restbau - sprich: mit dem Lückenschluß - begonnen werden kann?
Herr
Kollege Rossmanith, das wird ganz entscheidend davon
abhängen, wie im Rahmen der dem Freistaat zur Verfügung stehenden Mittel Maßnahmen fortgeführt werden
können. Deswegen kann ich zum heutigen Zeitpunkt für
das Jahr 1999 und die folgenden Jahre keine Aussage
treffen. Das, wonach Sie gefragt haben, vollzieht sich
nach den von uns als selbstverständlich angesehenen
Abstimmungsnotwendigkeiten mit den beteiligten Landesregierungen.
({0})
- Herr Kollege Rossmanith, die Verteilung der Gelder
vollzieht sich nach einem zwischen dem Bund und den
Ländern einvernehmlich vollzogenen Verfahren, nämlich der Länderquote. Im Rahmen dieser Länderquote
finanzieren die Länder diese Maßnahmen.
Eine Zusatzfrage
des Abgeordneten Wiese ({0}).
Herr Staatssekretär, würden Sie die Dringlichkeit dieses Lückenschlusses vor dem Hintergrund sehen, daß es sich hier
im Hinblick auf den alpenüberquerenden Transitverkehr,
im besonderen in der Reisezeit, um eine sehr wichtige
Nord-Süd-Verbindung handelt? Man sollte wissen, daß
gerade diese Strecke eine Hauptstrecke von Norden, von
Dänemark, von Holland, von Belgien, vor allem nach
Italien ist. Wir brauchen dringend auch eine Entlastung
der bisher benutzten Strecke durch den Pfändertunnel.
Wir brauchen für die Strecke von der A 7 Richtung
Südtirol eine Alternative. Das muß auch international
gesehen werden.
Die ganze Verkehrspolitik darf nicht nur nationalen
Gesichtspunkten folgen. Die Dringlichkeit ergibt sich
aus der internationalen Perspektive, im besonderen im
Hinblick auf weiterhin gutnachbarschaftliche Beziehungen mit Österreich.
Herr
Kollege, die Bundesregierung legt großen Wert auf gutnachbarschaftliche Beziehungen, um im Geiste der gegenseitigen Vorteilsgewährung gerade den wachsenden
Verkehr im Personenbereich und bei den Gütern in einer
für alle Beteiligten erträglichen Weise abzuwickeln. Sie
kommen aus einer Region, die gleichzeitig dank ihrer
landschaftlichen Reize ein besonderer Anziehungspunkt
ist. Es ist also nicht nur der Transitverkehr, sondern es
sind auch die Verkehrsmengen, die dort selbst erzeugt
werden.
Wir wissen um die Bedeutung dieser Region. Der
Gesetzgeber hat der Bundesregierung durch den Ausbauplan für die Bundesfernstraßen die Vordringlichkeit
dieses Projektes aufgegeben. Danach handeln wir.
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, mit Blick auf die fortgeschrittene Zeit
will ich darauf hinweisen, daß noch fünf Fragen anstehen. Ich möchte diese Fragen noch zulassen, bitte aber
hinsichtlich der Zusatzfragen um etwas Zurückhaltung.
Ich rufe die Frage 33 des Kollegen Hirche auf:
Wann werden die Bauarbeiten an der A 26 zwischen Hamburg und Stade wieder aufgenommen, und um welche Arbeiten
handelt es sich dabei?
Zur Beantwortung der Frage gebe ich dem Herrn
Staatssekretär das Wort.
Herr
Kollege Hirche, im Straßenbauplan für die Bundesfernstraßen, Titel 741 17 Autobahnneubau, so lautet die Bezeichnung für die Maßnahme „A 26 Stade-Landesgrenze
Niedersachsen-Hamburg“, ist im heute vom Kabinett
beschlossenen Haushaltsentwurf ein Ansatz von 8,03
Millionen DM eingesetzt. Mit der Errichtung eines
Schöpfwerkes sind die Bauarbeiten für die A 26 zwischen Hamburg und Stade, ganz genau auf dem Abschnitt zwischen Stade und Horneburg, im Januar 1998
angelaufen.
Zusatzfrage?
Eine Zusatzfrage. - Ich hätte, Herr Staatssekretär, gerne gewußt, welche Arbeitsschritte als nächste erfolgen und welche Mittel dafür von
Ihrem Ministerium zur Verfügung gestellt werden.
Herr
Kollege, es wird sich bei den Beratungen des Bundeshaushaltes zeigen müssen, ob die jetzt in Aussicht gestellten Ansätze veränderbar sind oder nicht. Gegenwärtig wird mit dem Bau des Schöpfwerkes ein im Ablauf
der Baumaßnahmen zwingend notwendiges Bauwerk errichtet. Die Straßenbauverwaltung hat uns mitgeteilt,
daß als nächstes Vorbereitungen für eine Dammschüttung anzugehen wären. Aber ich wiederhole, daß es sich
im einzelnen noch zeigen muß, in welchem Umfang gegebenenfalls noch weitere Bauarbeiten möglich sind. Im
Entwurf der Bundesregierung sind jedenfalls 8 Millionen DM eingestellt.
Wir kommen zur
Frage 34 des Kollegen Hirche:
Wie ist in diesem Zusammenhang die Behauptung der Parlamentarischen Staatssekretärin beim Bundesministerium für
Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Gila Altmann, zu
bewerten, die A 26 unterliege als Gesamtprojekt einer neuerlichen Prüfung?
Herr
Kollege Hirche, die Durchführung der Maßnahme als
solche ist nicht in Frage gestellt.
Eine Zusatzfrage,
bitte sehr.
Die Meinungsäußerung der
Parlamentarischen Staatssekretärin Altmann ist damit
unerheblich?
Herr
Kollege Hirche, zu Stellungnahmen von Mitgliedern der
Bundesregierung äußere ich mich hier nicht. Ich bitte
Sie, unmittelbar die Kollegin zu fragen.
Aber Sie bleiben bei Ihrer
Aussage, daß die Maßnahme wie geschildert und ohne
Unterbrechung weitergeht?
Herr
Kollege Hirche, Sie selbst haben lange Erfahrungen im
Vollzug von Haushalten. Die Fortsetzung von Bauarbeiten vollzieht sich immer gemäß den zur Verfügung
stehenden Mitteln. Es gilt aber die von mir getroffene
Grundaussage: Die Durchführung der Maßnahme als
solche ist nicht in Frage gestellt.
({0})
Ich rufe die Frage 35 des Kollegen Josef Hollerith auf:
Will die Bundesregierung die Linienfeststellung nach § 17
des Bundesfernstraßengesetzes für die A 94 auf der Trasse Dorfen verändern?
Herr
Kollege Hollerith, auf diese Frage, antworte ich mit
Nein. Für die Bundesregierung sind der im Fernstraßenausbaugesetz festgelegte Bedarf einer Autobahn und die
in der Vergangenheit von ihr oder mit ihrer Zustimmung
getroffenen Entscheidungen zur Linienführung und zur
Projektgestaltung weiterhin gültig. Bei den drei zugehörigen Abschnitten hat das zu Lösungen geführt, die
heute bereits in zwei Planfeststellungsverfahren verhandelt werden; für den letzten Abschnitt steht das Verfahren vor der Einleitung. Angesichts der neu aufgetretenen
Diskussion wird sie Gespräche mit den Beteiligten führen.
Eine Zusatzfrage.
Ich bedanke mich ausdrücklich für die klare Haltung der Bundesregierung und
frage, ob der Bundesregierung in diesem Zusammenhang bekannt ist, daß die High-Tech-Region in Ostbayern existentiell vom raschen Bau dieser auf der Linie
Dorfen festgestellten Autobahn abhängig ist.
Vizepräsident Rudolf Seiters
Herr
Kollege, der Ausbauplan für die Bundesfernstraßen hat
diese Dringlichkeit unterstrichen. Danach handelt die
Bundesregierung. Ich habe hier allerdings angesichts der
sehr komplizierten Planungsverläufe und der unterschiedlichen Alternativen, die diskutiert werden, sehr
wohl Verständnis dafür, daß man zum gegenwärtigen
Zeitpunkt über das endgültige Ergebnis einer dann einmal zu verwirklichenden Straßenplanung keine Aussage
treffen kann. Es ist ja nach all den Vorlagen, die ich inzwischen aus diesem Gebiet bekommen habe, wohl davon auszugehen, daß es hier um Größenordnungen in
Höhe von 620 Millionen DM geht, die dann auch im
Bundeshaushalt entsprechend einzustellen wären. Hier
gilt das gleiche wie für baden-württembergische Projekte, daß sich zunächst einmal die Planung an sich auch
unter Abwägung aller Alternativen zu rechtfertigen hat,
damit die Voraussetzungen für den Bau geschaffen werden können.
An der Dringlichkeit der Verkehrserschließung und
an den Verkehrsproblemen in dem von Ihnen beschriebenen Raum gibt es keinen Zweifel. Hier sind Maßnahmen erforderlich. Wie sie im einzelnen ausgestaltet werden, muß im Planungsverfahren aber noch abschließend
geklärt werden.
Eine weitere Zusatzfrage.
Darf ich Sie so interpretieren, daß Sie bei der Fortschreibung des Verkehrswegeplanes an der Einstufung der A 94 in die erste
Dringlichkeitsstufe festhalten werden?
Herr
Kollege, das liegt in der Hand des Gesetzgebers. Das
Parlament entscheidet über die Dringlichkeit von Maßnahmen. Nach allen bisherigen Erfahrungen werden es
sich das Parlament, der federführende Ausschuß, nämlich der Ausschuß für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, wie auch der Petitionsausschuß des Deutschen
Bundestages, der ebenfalls schon mit diesem Thema befaßt war, nicht nehmen lassen, über die Vorzugswürdigkeit und auch die Dringlichkeit solcher Maßnahmen unter Maßgabe der bisher eingeleiteten Planungsergebnisse
erneut zu entscheiden. Die Bundesregierung kann der
Entscheidung des Gesetzgebers nicht vorgreifen.
Wir kommen zur
Frage 36 des Kollegen Hollerith:
Beabsichtigt die Bundesregierung, für den rechtskräftigen
baureifen Abschnitt Winhöring-Erharting der A 94 in diesem
Jahr Baumittel bereitzustellen?
Herr
Kollege Hollerith, soweit im Rahmen der dem Lande
Bayern 1999 zur Verfügung stehenden Bundesfernstraßenmittel Spielraum besteht, soll die Bereitstellung, die
Sie in Ihrer Frage angesprochen haben, erfolgen. Die
Bundesregierung unterstützt das Ziel, den derzeit größten Engpaß, nämlich die Umfahrung Mühldorf, durch
den baldmöglichen Bau der beiden Abschnitte AmpfingErharting und Erharting-Winhöring zeitnah zu beseitigen.
Finanzierungsgrundlage sind die Bundesfernstraßenmittel in den Bundeshaushalten der kommenden Jahre.
Zusätzlich hat die Bundesregierung bei der Europäischen Kommission den Antrag gestellt, den zusammengefaßten Abschnitt Ampfing-Winhöring der zu dem
Transeuropäischen Straßennetz gehörenden A 94 in das
Förderprogramm TERN aufzunehmen.
Zusatzfrage? - Bitte
schön.
Sie haben für diesen
Abschnitt die Dringlichkeit der Baumaßnahme bestätigt.
Ich frage trotzdem nach, ob seitens der Bundesregierung, die ja unabhängig von der Entscheidung des Parlamentes die Vorlage für die Fortschreibung des Bundesfernstraßenplanes zu erstellen hat, der Ausbau der
A 94 auf ihrer gesamten Länge weiter für die erste
Dringlichkeitsstufe vorgeschlagen wird?
Herr
Kollege, erlauben Sie mir die Antwort, daß ich zum gegenwärtigen Zeitpunkt dies für den gesamten Abschnitt
der A 94 nicht sagen kann. Sie wissen als Beteiligter aus
dieser Region, in welch umfangreichem Maße dort unterschiedliche Planungsvarianten und Überlegungen angestellt werden. Die Grundlage für die Stellungnahme
der Bundesregierung ist zunächst der jetzt gültige und
uns bindende Ausbauplan für die Bundesfernstraßen.
Ich kann laufenden Planungsverfahren durch eine öffentliche Aussage im Parlament nicht vorgreifen. Die
Ergebnisse der laufenden Planungsverfahren werden von
der Bundesregierung im Rahmen ihrer Vorschläge für
die Überarbeitung des Ausbauplanes für die Bundesfernstraßen berücksichtigt. Falls es sich um Maßnahmen
wie die der Umfahrung Mühldorfs handelt, die ja bereits
jetzt im vordringlichen Bedarf enthalten sind, sind diese
unmittelbar zu finanzieren. Diese Absicht habe ich Ihnen deutlich zum Ausdruck gebracht.
Eine weitere Zusatzfrage.
Nachdem Sie bejaht
haben, daß an der Linienfeststellung nach § 17 des Bundesfernstraßengesetzes für die A 94 „Trasse Dorfen“
festgehalten werden soll, hätte ich in der Folge die Aussage erwartet, daß die Bundesregierung an der Einstufung in die erste Dringlichkeit festhält; denn allein diese
Dringlichkeitseinstufung bedeutet die Möglichkeit der
Baumittelzuweisung.
Herr
Kollege, die Einordnung in die entsprechende Dringlichkeitsstufe heißt noch lange nicht, daß die Maßnahme
auch finanzierungsfähig ist. Es gibt eine Vielzahl von
Maßnahmen, die in den einzelnen Bundesländern - Baden-Württemberg habe ich als Beispiel eben genannt schon baureif sind, aber wegen der fehlenden Mittel
nicht alle zum gleichen Zeitpunkt finanziert werden
können. Deswegen wird im Einzelfall immer neu zu entscheiden sein, ob und in welchem Umfang, auch im
Zusammenwirken mit dem Freistaat, Prioritäten bei in
Angriff zu nehmenden Baumaßnahmen in einzelnen
Abschnitten von Bundesfernstraßen oder Bundesautobahnen festzulegen sind.
Eine Zusatzfrage
des Kollegen Straubinger.
Herr Staatssekretär,
Ihre vorletzte Antwort veranlaßt mich zu dieser Zusatzfrage. Sie haben sich dahin gehend geäußert, daß im
weiteren Planungsverfahren möglicherweise doch noch
diverse Prüfungen erfolgen und daß die sich daraus unter Umständen ergebenden Erkenntnisse zu verarbeiten
sind. Ist damit eventuell der vierspurige Ausbau der
B 12 im Abschnitt Simbach-Passau gemeint?
Herr
Kollege, ich kann Ihnen heute nur grundsätzlich im Sinne des Auftrages des Gesetzgebers - Ausbauplan für die
Bundesfernstraßen, Dringlichkeit, Zahl der Streifen und
Einordnung der Priorität - sagen, daß die beauftragte
Staatsregierung diese Planungen angesichts dieser Maßgabe durchführt. Aber zu jedem Planungsprozeß gehört
die Prüfung von Alternativen. Nach jüngsten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts bei der Überprüfung mancher Planungsverfahren muß vor Gericht dokumentiert werden, daß Alternativtrassen, die sich hätten aufdrängen müssen, in die Überlegungen einbezogen
worden sind. In diesem Sinne ist bitte auch die Antwort
zu verstehen, daß sich jede einzelne Maßnahme am Ende zu rechtfertigen hat. Auch das Planungsrecht verlangt
die Prüfung von Alternativen.
Dann rufe ich die
Frage 37 des Kollegen Hans Michelbach auf:
Wann ist mit der Realisierung der Projekte der Deutschen
Einheit bei Straße und Bahn zwischen Unterfranken und Thüringen sowie mit dem sechsspurigen Ausbau der A 3 zu rechnen,
da diese Infrastrukturverbesserungsmaßnahmen für den Wirtschaftsstandort Unter-, Mittel- und Oberfranken zur Sicherung
der Arbeitsplätze dringlich benötigt werden?
Herr
Kollege Michelbach, mit der Realisierung der zu den
Verkehrsprojekten „Deutsche Einheit“ gehörenden A 71
Erfurt-Schweinfurt und A 73 Suhl-Lichtenfels ist bereits 1996 in Thüringen begonnen worden. Die bayerischen Abschnitte sind bis auf den Grenzabschnitt der
A 71 nach Thüringen nördlich Mellrichstadt im Planfeststellungsverfahren. Der Teilabschnitt der A 71 von
Erfurt bis zum Autobahndreieck Suhl wird voraussichtlich bis Ende 2002 durchgängig befahrbar sein. In wesentlichen Teilen wird das Projekt bis zum Jahre 2005
fertiggestellt sein. Die vollständige Fertigstellung wird
bis spätestens 2008 angestrebt.
Mit dem sechsstreifigen Ausbau der A 3 zwischen
Aschaffenburg und Würzburg ist 1998 im Bereich ostwärts Aschaffenburg begonnen worden. Festlegungen
zum Ausbau weiterer Abschnitte der A 3 werden spätestens nach der Fortschreibung des Bedarfsplanes für die
Bundesfernstraßen im Zusammenhang mit der Aufstellung des nächsten Fünfjahresplanes zu treffen sein.
Gemäß Koalitionsvereinbarung vom 20. Oktober
1998 werden derzeit die Alternativplanungen zum Verkehrsprojekt „Deutsche Einheit“ Nr. 8.1, Ausbau-/
Neubaustrecke Nürnberg-Erfurt, geprüft. Dabei wird es
bei den im Bau befindlichen Maßnahmen keine Bauunterbrechung geben. Der erreichte Sach- und Meinungsstand wird derzeit zusammengestellt und bewertet.
Erst danach wird es möglich sein, konkrete Aussagen
zur Realisierung zu treffen.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär,
ich bedanke mich für die positiven und klaren Aussagen,
insbesondere was die Bundesautobahn A 71 betrifft.
Wie erklären Sie sich vor Ort gemachte Aussagen von
Kollegen aus der SPD und dem Bündnis 90/Die Grünen,
daß für Unterfranken neue Planfeststellungsverfahren
stattfinden und daß eine Gesamtüberprüfung des Bundesverkehrswegeplans und die Rückstellung der Baumaßnahmen, die Sie gerade positiv geschildert haben,
vorgesehen werden?
Ich
bitte Sie, in diesem Zusammenhang die Unterscheidung
zwischen Bundesverkehrswegeplan und Ausbauplan für
die Bundesfernstraßen zu bedenken. Ziel der Koalition
ist, den Bundesverkehrswegeplan zu überprüfen und ihn
wegen seiner chronischen Unterfinanzierung und wegen
seiner Maßnahmen, die auf den Prüfstand gehören, erneut zu bewerten. Der Bundesverkehrswegeplan ist zunächst einmal ein reiner Investitionsrahmenplan, der
bisher bis 2012 als Planungshorizont reichte; würde man
aber den jetzigen Baufortschritt zum Beispiel bei den
Vorhaben im Straßenbau unterstellen, würde man im
Jahr 2024 landen.
Es ist daher nur folgerichtig für die neue Regierung,
daß der Bundesverkehrswegeplan als Ganzes auf den
Prüfstand gestellt wird und daß damit in diesem Zusammenhang auch einzelne Maßnahmen wegen ihrer
Kostenträchtigkeit auf ihre Finanzierbarkeit zu überprüfen sind. Dies gilt im übrigen aber auch als eine Verpflichtung, für Maßnahmen des Ausbauplanes für die
Bundesfernstraßen - dazu zählen die Projekte, die ich
Ihnen vorgestellt habe -, die noch in Planungsverfahren
sind. Letzten Endes wird erst nach Gerichtsentscheidungen feststehen, in welchem Umfang und in welcher Art
und Weise die in Aussicht genommenen Vorhaben,
nämlich die Verkehrsverbindungen zwischen Bayern
und Thüringen, im einzelnen vor Ort ausgestaltet werden.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Michelbach.
Herr Staatssekretär,
habe ich Sie richtig verstanden, daß Sie grundsätzlich an
einem weiteren Ausbau dieser Bundesfernstraßen, so
wie es in der Konzeption vorgesehen ist, festhalten, damit keine Bauruinen entstehen, damit der Wirtschaftsstandort Unter-, Mittel- und Oberfranken in Verbindung
mit dem Bundesland Thüringen auch auf diesem Gebiet
weiterentwickelt wird und damit keine Planungsunsicherheit in der Wirtschaft entsteht?
Herr
Kollege, alle Maßnahmen der Bundesregierung sind,
wie der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung
zum Ausdruck gebracht hat, unter einen Beschäftigungsvorbehalt gestellt. Das heißt, alle Maßnahmen
werden daraufhin überprüft, wie vorhandene Beschäftigung gesichert werden kann und wie neue Beschäftigungsfelder eröffnet werden können - dazu zählen auch
die Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“ - ungeachtet
dessen, ob sie dann im einzelnen als Straße oder Schiene
verwirklicht werden.
({0})
Wir sind damit am
Ende der Fragestunde.
Wir brauchen, wie ursprünglich vorgesehen war, die
Sitzung nicht zu unterbrechen. Ich rufe daher Zusatzpunkt 1 auf:
ZP1 Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der F.D.P.
Haltung der Bundesregierung zu den Vorkommnissen in der Europäischen Kommission
und deren Behandlung im Europaparlament
Ich gebe dem Kollegen Haussmann das Wort.
Geschätzter Herr
Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine
Fraktion hat diese Aktuelle Stunde beantragt. Denn in
dem jetzt noch jungen Jahr 1999 gab es für die Bürger in
Europa zwei große Ereignisse: ein positives und - leider
- ein negatives.
Ich beginne mit dem positiven, mit der Einführung
der Europäischen Währungsunion. Ein Traum vieler
Kollegen ist erfüllt, allerdings ohne Beteiligung des
deutschen Finanzministers.
({0})
Das ist, historisch gesehen, nicht zu entschuldigen.
({1})
Die Einführung des Euro ist ein Markstein. Wir haben
den anderen Mitgliedstaaten viel zu verdanken. Wir haben den Stabilitätspakt durchgesetzt. Wir haben durchgesetzt, daß der Euro, eine künftige Weltwährung, in
Frankfurt am Main, in Deutschland, „residiert“. Es wäre
nicht nur ein Akt der Höflichkeit, sondern auch der politischen Integration gewesen, wenn Herr Lafontaine
dieses Ereignis in Brüssel mit seinen Kollegen begangen
hätte.
({2})
Die Geschichte des Euro zeigt, daß aus einer sogenannten kränkelnden Frühgeburt - so der deutsche Bundeskanzler noch vor wenigen Monaten - eine Weltwährung wird, die stärker ist, als viele erwartet hatten. Ich
kann nur wünschen, daß sich die Bundesregierung im
Hinblick auf die Osterweiterung, über deren Verschiebung bereits jetzt eine Diskussion begonnen hat, nicht
ähnlich täuscht. Wir müssen der Anwalt der osteuropäischen Reformstaaten bleiben.
({3})
Wir müssen alles dazu tun, daß sich Osteuropa auf unser
Wort verlassen kann.
Das zweite Ereignis war die Abstimmung in Straßburg - eine große historische Chance für unsere Kollegen im Europaparlament. Und es gab ja Hoffnung! Denn
die Fraktionsvorsitzende der Sozialisten, Frau Green,
hatte angekündigt, daß die sozialistische Fraktion in ihrer Mehrheit für eine Zweidrittelmehrheit sorgt und daß
damit der Kommission das Mißtrauen ausgesprochen
wird. Das hätte politisch dazu geführt, daß einzelne
Kommissare ihre Verantwortung hätten übernehmen
müssen.
({4})
Das ist faktisch nicht geschehen, nicht zuletzt auch
durch die Einwirkung der Bundesregierung. Herr Schröder hat den Kollegen empfohlen, nicht so weit zu gehen.
Damit die Agenda 2000 verabschiedet werden könne,
solle man die Kommission nicht so hart kritisieren. Die Haltung der Bundesregierung im Jahre der deutschen Präsidentschaft ist nicht unwichtig für andere
Mitgliedstaaten.
Wenn ich jetzt im „Spiegel“ lese, daß es 30 Rebellen
aus Deutschland gab, die dem Mißtrauensvotum zugestimmt haben, dann erinnert mich das an die Haltung,
daß sich eine Fraktion gegen eine Regierung wendet und
daß auch ich mit meinen sechs oder sieben BadenWürttembergern dagegen bin, aber gleichzeitig weiß,
daß die Mehrheit der sozialistischen Fraktion in Straßburg anders abstimmt. Das war das Faktum. Es waren
die Grünen und vor allem die Liberalen unter Führung
ihres Fraktionschefs Cox, die bis zum Schluß bei ihrer
klaren Haltung geblieben sind. Leider hat auch das Verhalten eines Teils der verehrten christdemokratischen
Kollegen Wirkung gezeigt, und deshalb hat das Europäische Parlament diese historische Stunde versäumt.
Vor diesem Hintergrund finde ich es erstaunlich, daß
der Außenminister, Herr Fischer, erklärt hat:
Mit der heutigen Abstimmung über den Mißtrauensantrag gegen die Europäische Kommission hat
das Europäische Parlament seine Aufgabe als demokratisches ... Kontrollorgan ... wahrgenommen.
... Eine europäische demokratische Kultur und eine
die nationalen Schranken überschreitende Öffentlichkeit sind im Entstehen. So wird eine europäische Zivilgesellschaft Wirklichkeit.
Also, meine Damen und Herren, diese Haltung des Europäischen Parlaments führt nicht gerade zum Entstehen
einer Zivilgesellschaft in Europa.
({5})
Es war kein guter Tag für Europa, es war eine Selbstentmannung bzw. eine Selbstentfrauung des Europäischen Parlaments. Hier wurde zunächst ein Mißtrauensvotum angekündigt, wie es die Bürger erwartet haben,
weil mit Steuergeldern unredlich umgegangen worden
ist, und nachher eine Untersuchungskommission begründet. Man hat sich schließlich auch noch beklagt und
gesagt: Wir sind als Tiger abgesprungen und als Bettvorleger gelandet. - Dazu haben zwei Fraktionen beigetragen, am meisten aber die sozialistische Fraktion. Sie
hat durch ihre Fraktionsvorsitzende, Frau Green, die
Hoffnung geweckt, es komme zu einer qualifizierten
Ablehnung.
Für die Bundesregierung bedeutet das: Sie hat im Jahr
der deutschen Präsidentschaft eine insgesamt geschwächte Kommission. Hätte sich die Position der Liberalen und von Teilen der Grünen durchgesetzt, hätten
wir eine gereinigte Kommission, die auch in den Augen
der europäischen Bürger ihrer Aufgabe besser gerecht
würde.
Danke schön.
({6})
Das Wort hat der
Staatsminister Günter Verheugen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Der schwere Konflikt zwischen dem Europäischen Parlament und der EU-Kommission hat nach Auffassung der Bundesregierung ein Problem offengelegt,
dessen Lösung für die weitere Entwicklung Europas entscheidend sein kann.
Die Europäische Union hat in den letzten Jahren einen enormen Bedeutungsgewinn erlebt. Ihre Aktionsfelder sind größer geworden, ihr Einfluß auf die Lebensverhältnisse in den Mitgliedstaaten wächst täglich. Diesem Machtgewinn - so darf man dies wohl nennen steht keine entsprechende Anpassung der europäischen
Verfassung gegenüber. Natürlich hat die EU keine Verfassung in politischem Wortsinn. Aber das Vertragswerk, das ihr zugrunde liegt, enthält Regeln und Instrumente, die verfassungsähnlichen Charakter haben. Sie
sind verstreut und unvollständig, aber gleichwohl vorhanden.
Wenn man den Zustand beschreiben will, in dem sich
die so verstandene europäische Verfassung befindet, so
ist „vordemokratisch“ ein zu hartes Wort, aber wir haben jedenfalls auf der europäischen Ebene kein voll
entwickeltes demokratisches System. Deshalb mußte es
über kurz oder lang zu diesem Konflikt kommen.
In der aktuellen Situation barg dieser Konflikt für
Deutschland in seiner frisch übernommenen Aufgabe als
Ratspräsidentschaft eine Menge schwieriger Probleme in
sich. Aber schon mittelfristig kann der Konflikt auch positive Wirkungen entfalten: Die Diskussion über die
Fragen der Transparenz, der demokratischen Kontrolle
und der demokratischen Legitimation des europäischen
Handelns ist nicht mehr aufzuhalten. Schritt für Schritt
kommen wir der Frage näher, wie unsere Europäische
Union im voll entwickelten Zustand aussehen soll. - In
Deutschland gibt es, soweit ich das sehe, eine breite
Übereinstimmung: Wir wollen ein Europa der Bürger.
Wir wollen ein demokratisches Europa.
({0})
Die Bundesregierung hat sich vorgenommen, während ihrer Ratspräsidentschaft die sogenannten institutionellen Reformen der EU voranzubringen und auf dem
Gipfel in Köln eine Agenda und einen Zeitplan für diese
Reformen verabschieden zu lassen. Dabei geht es um die
Funktionsfähigkeit der Union angesichts erweiterter
Aufgaben, es geht um die Erweiterungsfähigkeit im bisher größten beschlossenen Erweiterungsprozeß und um
die Verbreiterung der Legitimationsbasis für unsere eigene Europapolitik.
Dieser letzte Punkt wird nicht überall so ernst genommen wie bei uns. Wir können aber die Augen nicht
vor der Tatsache verschließen, daß Europa auch bei uns
kein Selbstläufer mehr ist. Unsere Bürgerinnen und
Bürger wollen wissen, was Europa konkret für sie bedeutet und welchen Einfluß sie darauf haben, und sie
wollen ebenfalls wissen, was in Brüssel mit ihrem Steuergeld geschieht.
({1})
Diese Gedanken vorausgeschickt, die für mich aber
den Kern des Problems darstellen, möchte ich zur Sache
selber noch folgende Anmerkungen machen:
Das Finanzgebaren der EU-Kommission ist nicht erst
seit gestern Gegenstand der Kritik im Parlament und in
der Öffentlichkeit. Die Bundesregierung hält einen guten
Teil dieser Kritik für berechtigt und hatte deshalb der
Kommission geraten, die Fragen und Forderungen des
Parlaments ernst zu nehmen und auf das Parlament zuzugehen.
Nun, die Kommission hat sich verhalten, wie sie sich
verhalten hat. Gewiß hat sie recht mit dem Argument,
daß sie in pauschaler, manchmal vorverurteilender,
manchmal auch diffamierender Weise angegriffen worden ist. Deshalb will ich auch hier klarstellen, daß keinem Mitglied der Kommission etwa persönliche Korrumpierbarkeit, Betrugsabsichten oder Bereicherungsversuche angelastet werden. Es geht im wesentlichen um
administrative Versäumnisse, die innerhalb Europas
unterschiedlich bewertet werden. Ich sage es einmal
ganz vorsichtig: In der Kommission treffen natürlich
Vertreter unterschiedlicher politischer Kulturen und administrativer Standards aufeinander. Nicht alles, was wir
in Deutschland für skandalös halten, wird von anderen
auch so gesehen. Das, Herr Kollege Haussmann, erklärt
das sehr unterschiedliche Abstimmungsverhalten der
nationalen Delegationen im Parlament, das ja parteiübergreifend war.
Man muß auch selbstkritisch anerkennen, daß ein Teil
der Probleme vom Rat und den Mitgliedstaaten geschaffen worden ist. Man kann nicht über Jahre hinweg einer
Behörde immer mehr Milliarden für immer mehr Programme zur Verfügung stellen, ohne sich darüber Gedanken zu machen, welche zusätzlichen Strukturen im
Interesse einer geordneten und effizienten Mittelverwendung geschaffen werden müssen.
Aus dem Ringen in Straßburg geht die Kommission
handlungsfähig, wenn auch politisch angeschlagen hervor. Die Bundesregierung hatte vor und während der
Krise in ihrer Rolle und Verantwortung als Ratspräsidentschaft gesagt, daß sie an einer stabilen und handlungsfähigen Kommission interessiert ist. Sie hat aber
nicht versucht, das Parlament in irgendeiner Weise unter
Druck zu setzen.
({2})
Sie hat auch das Abstimmungsverhalten der deutschen
EU-Parlamentarier in keiner Weise beeinflußt.
({3})
Das war auch richtig so, und ich weise mit Entschiedenheit den von verschiedenen Seiten erhobenen Vorwurf
zurück, Deutschland habe in einer Art Doppelstrategie
versucht, die Kommission zu schwächen, um sich in einigen Fragen der Agenda 2000 leichter durchsetzen zu
können.
({4})
Soweit diese absurde Idee von Mitgliedern der Kommission vertreten wird, fordere ich diese Mitglieder im Interesse einer vertrauensvollen Zusammenarbeit auf, diesen Erklärungsversuch aufzugeben und sich lieber zu
fragen, was sie vielleicht falsch gemacht haben.
Die Bundesregierung nimmt die Beschlüsse des EUParlaments sehr ernst. Sie will ihren Beitrag zur Herstellung voller Kooperation zwischen Rat, Parlament
und Kommission leisten, damit die Forderungen des
Parlaments erfüllt werden können. Ich nenne die wichtigsten: die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses
unabhängiger Sachverständiger unter Federführung von
Parlament und Kommission zur Überprüfung und zur
Aufdeckung der Fälle von Betrug, Mißmanagement und
Günstlingswirtschaft; die Untersuchung aller Anschuldigungen im Rahmen ordentlicher behördlicher und gerichtlicher Verfahren sowie die vollständige Aufdeckung
aller mutmaßlichen Betrugsfälle in der Kommission; die
weitreichende Reform der Verwaltungspraxis der Kommission; die Änderung des Beamtenstatuts sowie einen
Verhaltenskodex für die Beschäftigung von Angehörigen und persönlichen Bekannten; die Verwirklichung
des Vorschlags von Bundeskanzler Schröder, eine
Gruppe hochrangiger Vertreter von Parlament, Rat und
Kommission einzusetzen mit dem Ziel, Vorschläge zur
unverzüglichen Schaffung eines neuen Amtes für Betrugsbekämpfung außerhalb der politischen Kontrolle
der Kommission zu prüfen und anzunehmen.
Meine Damen und Herren, der Ausgang der Abstimmungen im Europäischen Parlament ist in dreifacher
Hinsicht politisch bedeutsam und wird sich auf das zukünftige Verhältnis der Institutionen der Europäischen
Union zueinander auswirken.
Erstens. Es ist klargeworden, daß das Europäische
Parlament seine Aufgabe als demokratisches und parlamentarisches Kontrollorgan wahrnimmt. Das Europäische Parlament entspricht damit einem wichtigen Anliegen der Bundesregierung: der Forderung nach einer
transparenten Verwendung von Haushaltsmitteln.
Zweitens. Das selbstbewußte Auftreten des Parlaments hat gezeigt, daß der Vertrag von Amsterdam, der
dem Parlament in wichtigen Politikbereichen eine verstärkte Mitsprache einräumt, den richtigen Weg in die
Zukunft weist.
Drittens. Wir werden bei unseren Bemühungen um
einen Gesamtkompromiß für die Reformvorhaben der
Agenda 2000 mit einer handlungsfähigen Kommission
zusammenarbeiten können und haben damit die Chance
bewahrt, den Sondergipfel am 24. Und 25. März 1999
zu einem Erfolg zu führen.
Vielen Dank.
({5})
Ich gebe das Wort
dem Kollegen Peter Hintze von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Der Bundeskanzler
hat sich in der Auseinandersetzung zwischen Kommission und Parlament gegen das Europäische Parlament
gestellt mit dem Argument, die deutsche EU-Präsidentschaft brauche eine handlungsfähige Kommission. Ich
halte die moralische Qualität dieser Argumentation des
Bundeskanzlers für ausgesprochen schlecht; denn nach
diesem Argument könnte sich die Kommission alles und
jedes erlauben. Natürlich ist jede EU-Präsidentschaft
daran interessiert, in dem halben Jahr, das ihr zur Verfügung steht, auf eine handlungsfähige Kommission zu
treffen. Ich hätte vom deutschen Bundeskanzler aber
erwartet, daß er sich gerade im Jahr der deutschen EUPräsidentschaft hinter die Bürger Europas stellt, hinter
die Steuerzahler, die daran interessiert sind, daß mit ihrem Geld ordentlich umgegangen wird, hinter das Europäische Parlament, dem er den Rücken stärken sollte,
anstatt ihm in den Rücken zu fallen.
({0})
Herr Staatsminister Verheugen hat eben gesagt, wir
hätten den Bundeskanzler falsch verstanden; das sei anders gewesen. - Laut ADN bezeichnete Bundeskanzler
Schröder die Straßburger Entscheidung zur EU-Kommission als gut - nachdem das Mißtrauensvotum gescheitert war. Er fügte hinzu, es sei im Interesse seiner
Regierung, eine arbeitsfähige und stabile EU-Kommission zu haben. - Meine Damen und Herren, keiner in
diesem Hause ist gegen eine arbeitsfähige und stabile
EU-Kommission.
Aber heute hat uns in der öffentlichen Sitzung des
EU-Ausschusses Herr Professor Friedmann als vormaliger Präsident und derzeitiges Mitglied des Europäischen
Rechnungshofs, nüchtern vorgetragen, daß der Europäische Rechnungshof der EU-Kommission vier Jahre in
Folge negative Testate erteilen mußte, daß 5 Prozent des
Haushaltsvolumens mit schweren Unregelmäßigkeiten
behaftet sind und daß er deswegen das Parlament gut
versteht, wenn es sagt: Irgendwo ist eine Grenze erreicht. Ab dem Haushalt des Jahres 1996 können wir die
Kommission nicht mehr entlasten. - Wir hätten von der
Regierung erwartet, daß sie ihre eigenen Interessen zugunsten der Rechte des Parlamentes und des europäischen Demokratisierungsprozesses, den Sie, Herr Verheugen, eben angesprochen haben, ein klein wenig zurückstellt.
({1})
- Ich komme gleich zum Abstimmungsverhalten.
Das Europäische Parlament hätte diesen Rückhalt
verdient. Statt dessen hat der Bundeskanzler mit seinem
Vorschlag, einen „Ausschuß der Weisen“ einzuberufen
- in dem übrigens auch die Kommission sitzt -, der die
Vorgänge überprüfen soll, einen Beitrag dazu geleistet,
dem Europäischen Parlament seine ureigenen Kontrollrechte wegzunehmen. Das halten wir für falsch. Das
Parlament muß mehr Rechte bekommen; man darf sie
ihm nicht wegnehmen.
({2})
Zur Abstimmung möchte ich sagen - ich habe mir die
Abstimmungsergebnisse angesehen -: Es ist ein besonderes Trauerspiel, daß die sozialdemokratische Fraktion
im Europäischen Parlament in ihrer Nibelungentreue die
beiden schwarzen Schafe der Kommission - die das
ganze Parlament für verantwortlich hält für Dinge, die
nicht in Ordnung sind -, Frau Cresson und Herrn Marin,
vor einem kritischen Votum des Parlaments geschützt
hat und daß auch von den 40 deutschen sozialdemokratischen Europaabgeordneten nicht ein einziger den Mut
aufgebracht hat, diesen beiden Kommissaren persönlich
das Mißtrauen auszusprechen. Die CDU/CSU-Gruppe
hat es im Parlament geschlossen getan.
({3})
- Von der SPD wird dazwischengerufen: „Vertragstreue“. - Bei diesem Beschlußvorschlag im Europäischen Parlament ging es um ein politisches Votum. Da
haben wir auf den Anstand von Frau Cresson und Herrn
Marin gesetzt. In jeder Kleinstadt wäre der Gemeindedirektor gefeuert worden oder hätte aus Anstand seinen
Rücktritt angeboten, wenn ihm solche Vorhaltungen
gemacht worden wären. Im Europäischen Parlament
stellt sich Frau Cresson hin und sagt: Schuld ist die europäische Presse, die sie heruntermache und die Dinge
öffentlich mache.
Meine Damen und Herren, wenn wir bei den Bürgern
für Europa Vertrauen schaffen wollen, dann müssen wir
dem Parlament und dem Rechnungshof den Rücken
stärken und dafür sorgen, daß mit dem Geld der Steuerzahler sorgfältig umgegangen wird. Wir können nicht
zulassen, daß den beiden Kommissaren von den Sozialdemokraten nur deshalb nicht das Mißtrauen ausgesprochen wird, weil die Kommissare Sozialisten sind.
({4})
Parlamentarische Kontrolle muß klar sein. Eine Kontrolle durch die Filtertüte, wie sie jetzt vorgesehen ist,
wird nur als Rinnsal ausfallen. Der „Ausschuß der Weisen“ bringt das Parlament um seine ureigenen Kontrollrechte. Ich finde es blamabel, daß sich die deutsche Regierung auch noch rühmt, an diesem Beschwichtigungsakt wesentlich mitgewirkt zu haben.
Meine Aufforderung an die Bundesregierung lautet:
Sorgen Sie dafür, daß die Kommission den demokratisch gewählten Vertretern den notwendigen Respekt
erweist; sorgen Sie dafür, daß die Bürger in Europa
Vertrauen haben können; und sorgen Sie dafür, daß es
nicht so weitergeht, daß in Brüssel zwei Kommissare
sagen: Das interessiert uns alles nicht! - Notfalls müssen
wir die Regeln ändern und dem Parlament das Recht geben, mit der entsprechenden qualifizierten Mehrheit
auch einzelnen Kommissaren das Mißtrauen auszusprechen. Wir haben es nicht mit einer Regierung wie in unserer Verfassungsordnung zu tun, sondern mit einer Art
Behörde. Wenn sich zwei in dieser Behörde so verhalten, wie sie es getan haben, muß das Parlament das
Recht haben, hier auch zu handeln.
Herzlichen Dank.
({5})
Ich gebe das Wort
der Kollegin Claudia Roth, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Lieber Herr Haussmann! Der Herr Doktor
Faust seufzt ja und sagt: „Zwei Seelen wohnen, ach! in
meiner Brust, ...“ Ich habe in den letzten Wochen eine
andere Variante gespürt: Zwei Herzen schlagen heftig
und laut in meiner Brust. Denn die Brüsseler Turbulenzen haben uns wirklich in ein Dilemma gebracht. Da
sind der verständliche Wunsch und Anspruch unserer
Bundesregierung, eine erfolgreiche Ratspäsidentschaft
zu absolvieren, eine Ratspräsidentschaft mit einem sehr
anspruchsvollen Aufgabenprofil - das wissen auch
Sie -, zum Beispiel dem erfolgreichen Abschluß der
Agenda-2000-Verhandlungen, eine Grundvoraussetzung
für die europäische Integration, für die Zukunft Europas.
Für diese Mammutaufgabe ist eine starke Kommission
- überhaupt eine Kommission - notwendig. Insofern habe ich das Aufatmen der Bundesregierung nach dem
Mißtrauensvotum verstanden. Herr Haussmann und Herr
Hintze, wären Sie in der Regierung, dann hätten Sie genauso aufgeatmet. Seien Sie hier in diesem Haus doch
ehrlich!
({0})
Jetzt kommt mein anderes Herz, jetzt kommt mein
Parlamentarierinnenherz, und das hat sehr heftig und
sehr laut geschlagen. Die Auseinandersetzungen haben
gezeigt, welche Defizite es innerhalb der Europäischen
Union gibt. Es gibt den Mangel an Demokratie, es gibt
den Mangel an demokratischer Kontrolle, an Transparenz, die überhaupt die Voraussetzung für effiziente
Kontrolle ist. Die Arbeit der Gremien im Europäischen
Parlament und die Nichtentlastung der Kommission im
Dezember beim Haushalt haben deutlich gemacht, daß
das EP versucht, seine vertraglichen Kompetenzen auszufüllen. Es hat seine Arbeit gemacht und Europa nicht
ins Chaos gestürzt, wie immer wieder geraunt worden
ist. Es hat sich angeschickt, Klarheit darüber zu schaffen, was es für eklatante Mißstände in der Kommission
gibt, die die gute Arbeit von vielen relativieren.
Auf der Grundlage der ermittelten Fakten muß es zu
ganz drastischen Konsequenzen kommen, will die
Kommission - und damit die ganze Europäische Union
nicht, daß ihr ein Geruch von Vettern- und Günstlingswirtschaft, ja sogar von Korruption anhaftet oder daß die
EU zu einem Symbol für dunkle Mächte und schwarze
Kassen wird.
Das Europäische Parlament hat - und in großer Mehrheit die deutschen Abgeordneten - in hohem Maße
proeuropäisch agiert, denn nur das schonungslose Aufdecken von Affären, von betrügerischen Machenschaften wird Vertrauen und Akzeptanz in die europäische
Idee schaffen. Ansonsten verfestigt sich ein latentes
Mißtrauen, das der beste Nährboden für eine antieuropäische Stimmung ist.
Also sind jetzt Konsequenzen angesagt und nicht das
selbstzufriedene Zurücklehnen, wie Jacques Santer es
dargeboten hat, gepaart mit einer hochgradig falschen
Interpretation der Abstimmung im Europäischen Parlament als Vertrauensbeweis. Bestenfalls war diese Abstimmung ein letzter Vertrauensvorschuß in den ernsthaften Willen, daß tatsächlich etwas geändert wird, daß
es Transparenz geben wird, daß es nachprüfbaren legalen Umgang mit den Finanzen und endlich eine kompetente Personalpolitik geben wird. Das Europäische Parlament hatte die große Chance, sich als demokratisch legitimierte Institution zu erweisen, die nicht am Tropf
von nationalen Regierungen, von politischen Familien
hängt.
Viele Kollegen und Kolleginnen haben die Loyalität
mit einzelnen Kommissaren, mit der eigenen Partei, mit
der Regierung zu Hause, also das persönliche, das parteipolitische und das nationale Interesse, nicht über das
Interesse Europas gestellt. Sie haben sich wirklich als
glaubwürdige Vertreter der Interessen der Bürger Europas erwiesen. Damit hat das Parlament Vertrauen geschaffen und Appetit auf mehr geweckt: auf mehr
Rechte, auf mehr Mitsprache und mehr Mitentscheidungskompetenz im institutionellen Gefüge.
Trotzdem hätte mein Herz noch viel lauter geschlagen, wenn nicht, wie so oft bei entscheidenden Abstimmungen im Europäischen Parlament, so manche Abgeordneten - übrigens auch von Ihrer Fraktion, Herr Hintze - in die Rolle des Herrn Turtur geschlüpft wären. Ich
gehe davon aus, daß Sie Herrn Turtur kennen. Das ist
der Scheinriese bei Jim Knopf aus der Augsburger Puppenkiste. Ist er weit weg, dann ist er ganz groß, und je
näher er kommt, desto kleiner wird er - bis er ein ganz
kleinenes Männchen ist. Ich hätte mir also mehr Mut
gewünscht und weniger Angst vor der eigenen Courage.
Aber Turturs gibt es überall, auch bei uns.
Ich wünsche mir im Sinne der erfolgreichen deutschen Ratspräsidentschaft eine handlungsfähige und
verantwortungsvolle Kommission, die aus ihren Fehlern
lernt und Konsequenzen zieht. Ich wünsche mir im Sinne der europäischen Demokratie eine institutionelle Reform mit einem gestärkten Europäischen Parlament. Ich
wünsche mir im Sinne der politischen Moral und
Glaubwürdigkeit die Größe von Politikern, nach Fehlern
auch persönliche Konsequenzen ziehen zu können. Wenn heute einzelne Kommissare versuchen, die berechtigte Kritik an ihrer Amtsführung als deutsche Medienkampagne zu diffamieren oder als Versuch, die Erweiterung von deutscher Seite torpedieren zu wollen,
dann wird klar, daß sie für dieses Amt wenig geeignet
sind. - Ich wünsche mir vor allem, daß die Schlagzeilen
endlich wieder von europäischer Politik statt von EUFinanzskandalen beherrscht werden.
({1})
Das Wort hat der
Abgeordnete Manfred Müller, PDS.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegin Roth, bei
dieser Debatte schlägt mir nur ein Herz in der Brust, und
zwar das des Parlamentariers, der dazu da ist, die Regierung zu beauftragen und zu kontrollieren. Da halte ich es
mit der strikten Gewaltenteilung zwischen Exekutive
und Legislative.
Was Straßburg und Brüssel uns in den letzten Wochen geboten haben, gleicht einer surrealistischen Vorstellung in einem virtuellen Theater mit viel Staffage
Claudia Roth ({0})
und wenig Substanz. Das Stück ist schnell erzählt - es
ist hier schon gesagt worden -: Eine EU-Kommission,
die keineswegs durch und durch korrupt ist, aber in deren Verantwortungsbereich es natürlich auch schwarze
Schafe gibt, verweigert die politische Hygiene. Ein Parlament, das erst durch die Zivilcourage eines Brüsseler
Beamten - mit dem man gleich kurzen Prozeß gemacht
hat und der dafür disziplinarisch gemaßregelt worden ist
- auf die Fährte gesetzt wird, bläst die Backen, spitzt
den Mund und traut sich nicht zu pfeifen.
Am Ende jedoch gehen alle zufrieden nach Haus: die
deutschen Europaparlamentarier, weil sie fast unisono
für das Mißtrauensvotum gestimmt haben und hoffen,
daß sich das bei den kommenden Europawahlen auszahlt; die deutsche Bundesregierung, die einerseits das
Scheitern des Mißtrauensvotums in Gestalt ihres Außenministers begrüßt - weil es sonst Essig gewesen wäre mit den ehrgeizigen Zielen der deutschen EURatspräsidentschaft - und die andererseits aus dem
Munde des Bundeskanzlers von einem Stück Emanzipation des Parlaments spricht. Nicht zu vergessen ist die
Europäische Kommission, die weitermachen darf und
obendrein der parlamentarischen Kontrolle noch mehr
entzogen zu sein scheint als zuvor.
Der EU-Haushalt umfaßt 160 Milliarden DM. 80 Prozent davon werden als Subventionen ausgereicht. Kein
Wunder also, daß die EU-Bürokratie besonders anfällig
für Korruption und Vetternwirtschaft ist. Wundern darf
man sich jedoch, wie selten derartige Dinge ans Licht
der Öffentlichkeit dringen. Laut Rechnungshof sind etwa 5 Prozent der gesamten Budgetsumme der EU von wie es heißt - schweren Unregelmäßigkeiten betroffen.
Da werden Aufträge ohne öffentliche Ausschreibungen
vergeben oder Gehälter für osteuropäische Experten
nach westlichen Honorarsätzen berechnet und nach den
wesentlich niedrigeren ortsüblichen Tarifen ausgezahlt.
Die Differenz verschwindet im Brüsseler Nirwana. Von
Transparenz kann dabei gar keine Rede sein.
Die Abstimmung über das Mißtrauensvotum am
14. Januar 1999 hätte zu einer Sternstunde der europäischen Demokratie werden können. Statt dessen erhielten
die ohnehin nicht gerade europabegeisterten Bürger der
Europäischen Union eine Lehrvorführung über europäische Hinterzimmerdiplomatie, politische Winkelzüge
und schäbiges Taktieren. Dies war keine Stunde der europäischen Demokraten, sondern eher die Stunde der
Heuchler. Diese Heuchelei setzt sich hier fort, wenn wir
so tun, als sei die Mißachtung des Europäischen Parlaments durch die allmächtige Europäische Kommission
die Ausnahme und nicht die Regel im Verhältnis zwischen Straßburg und Brüssel.
Wir sollten uns davor hüten, auch nur den Eindruck aufkommen zu lassen, daß diese Arroganz der
Macht, die die europäischen Kommissare gegenüber
dem einzig direkt gewählten Gremium der Europäischen
Union walten lassen, ein Problem anderer sei. Deutsche
EU-Kommissare sind da nicht viel besser oder schlechter.
„Stimmt schön ab, wir machen sowieso, was wir
wollen.“ Diese Worte, meine Damen und Herren von
der F.D.P.,
({1})
stammen - so die „Süddeutsche Zeitung“ vom 15. Januar dieses Jahres - von Ihrem Parteimitglied und EUKommissar für Industrie, Martin Bangemann. Sie fielen
letztes Jahr, als das Europäische Parlament heftig über
Gentechnik beriet.
({2})
Den Rausschmiß der EU-Kommission hätte die europäische Integration verkraftet. Statt dessen sind wir
Zeugen fauler Kompromisse, zu denen auch die sogenannte Kommission der Weisen gehört. Wozu eine solche Expertenrunde, wenn das Parlament über einen unabhängigen Rechnungshof verfügt, der den Geschäften
der EU-Kommission nachspüren soll und dem die
Kommission jederzeit Rede und Antwort stehen muß?
Schließlich war es dieser Ausschuß, der den Stein ins
Rollen brachte und die Unregelmäßigkeiten in den
Haushalten 1996 und 1997 aufgedeckt hat.
Sie wissen ganz genau, was mit einem Vorstand auf
einer Hauptversammlung passiert, der nicht das Testat
der Wirtschaftsprüfer vorweisen kann. Er wird sofort in
die Wüste geschickt. Das ist ein Beispiel dafür, wie auch
mit einer Kommission verfahren werden sollte, die mißbräuchlich zu Lasten der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler die ihr zur Verfügung gestellten Mittel verwendet
oder ihre Kontrollfunktionen nicht ausreichend ausübt.
Schönen Dank.
({3})
Ich gebe das Wort
der Kollegin Ingrid Matthäus-Maier, SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr
Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich
glaube, wer sich selbst gegenüber ehrlich ist, wird - so
jedenfalls die meisten - zugeben müssen, daß man bei
der Bewertung der Vorgänge im Europäischen Parlament innerlich hin und her gerissen ist. Auf der einen
Seite sollte man ehrlich zugeben: Es hätte für so wichtige Reformvorhaben - Verabschiedung der Agenda 2000
und Reform der Agrarpolitik - ein Riesenproblem bedeutet, wenn man seit voriger Woche keine Kommission
mehr gehabt hätte. Herr Haussmann, da Sie zu diesen
Vorgängen so starke Worte finden, möchte ich Ihnen
vorlesen, was der ehemalige Außenminister Kinkel in
der „Welt“ dazu gesagt hat:
Es wäre falsch gewesen, die Kommission jetzt in
die Wüste zu schicken, weil die Folgen in der gegenwärtigen schwierigen Phase Europas unabsehbar gewesen wären.
Ich glaube, er hat recht.
({0})
Manfred Müller ({1})
Insofern muß ich es positiv bewerten, daß Bundeskanzler Schröder konkrete Vorschläge gemacht hat, um
dies zu verhindern und um Parlament und Kommission
aufeinander zuzuführen. Herr Hintze, Ihre „Zweifel“ so haben Sie wörtlich gesagt - „an der moralischen
Qualität der Haltung des Bundeskanzlers“ weise ich
hiermit offiziell zurück. Das ist der alte „TankstellenHintze“, nicht ein seriöser Europapolitiker.
({2})
Auf der anderen Seite - das meine ich, wenn ich sage,
ich bin hin und her gerissen - denke ich als Parlamentarierin. Hier hat aus meiner Sicht der Vorgang der letzten
Woche auf das Ansehen des Parlamentes in Europa keine positive Wirkung gehabt. Ich glaube, daß das Ansehen geschädigt worden und die Akzeptanz in der Bevölkerung, die eh nur begrenzt ist, nicht gerade gewachsen
ist. Ich stelle mich ausdrücklich hinter das Abstimmungsverhalten der allermeisten deutschen EUParlamentarier und freue mich darüber, daß sie so abgestimmt haben. Aber ich sehe deutlich das Problem. Das
Sprichwort „die Lippen gespitzt und nicht gepfiffen“ ist
sicherlich zutreffend. Aber ich erwähnte schon in meinem ersten Redeteil das Hin-und-her-gerissen-sein, das
man als Betroffener empfindet. Gerade was die Stärkung
der europäischen Parlamentarier und des Europäischen
Parlamentes angeht, war dies keine Sternstunde.
Ganz entschieden weise ich zurück, was Edith Cresson laut Zeitungsmeldung über den Vorgang gesagt hat.
Sie hat von einer deutschen Kampagne - speziell auch
der ARD - gesprochen. Was dazu zu sagen war, hat sehr
vorsichtig, aber doch sehr eindeutig der Staatsminister
im Auswärtigen Amt, Verheugen, ausgedrückt, als er
gesagt hat:
Ich sage es einmal ganz vorsichtig: In der Kommission treffen ... Vertreter unterschiedlicher politischer Kulturen und administrativer Standards aufeinander.
({3})
Nicht alles, was wir in Deutschland für skandalös
halten, wird von anderen auch so gesehen. Das ...
erklärt das sehr unterschiedliche Abstimmungsverhalten der nationalen Delegationen im Parlament,
das ja parteienübergreifend war.
Ich bin lange Mitglied dieses Hauses und habe schon
den Eindruck: Wenn ich die Standards ansetze, die in
diesem Hause viele, übrigens unabhängig von ihrer
Parteizugehörigkeit, bei Rücktritten von Ministern in
den letzten 20 Jahren zugrunde gelegt haben, wäre es
unter diesem Gesichtspunkt in Europa durchaus angebracht gewesen, wenn der eine oder andere Kommissar
persönliche Konsequenzen gezogen hätte. Dies hätte der
Kommission und dem Parlament viele Probleme erspart.
Da dies ein Signal ist, geht es für die Zukunft darum,
darauf zu achten, daß der Bericht der Weisen pünktlich
abgegeben wird und dann über Konsequenzen diskutiert
wird. Wir sind auch der Ansicht, daß man bei demnächst
anstehenden Vertragsänderungen dafür sorgen muß, daß
nicht wie nach heutigem Vertrag nur der ganzen Kommission das Mißtrauen ausgesprochen werden kann,
sondern daß das auch gegenüber einzelnen Kommissaren möglich wird. Dann wäre sicherlich manches anders
gelaufen. Im übrigen sollten wir ab sofort - Herr Hintze,
dabei gucke ich auch Sie an - die Diskussion über die
Vergangenheit unterlassen und dafür sorgen, daß wir
uns mit aller Kraft auf einen erfolgreichen Abschluß der
Agenda 2000, der Reform der Agrarpolitik und der anstehenden Erfolge der deutschen Präsidentschaft konzentrieren.
Ich danke Ihnen.
({4})
Das Wort für die
CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Dr. Gerd Müller.
Herr Präsident! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Der europäische Start
der Bundesregierung ist gründlich mißlungen.
({0})
Mißtrauen, Verunsicherung und Ärger machen sich
breit. Bundeskanzler Schröder und Außenminister Fischer haben in den drei Monaten seit Regierungsübernahme und in den wenigen Wochen seit Übernahme der
Präsidentschaft viel Porzellan zerschlagen.
({1})
Die großen Sprüche zu Beginn der deutschen Präsidentschaft haben den Stammtischen gefallen; aber sie haben
uns in Europa geschadet.
({2})
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, denken Sie nur
an den Ecofin: Der Vorschlag der Regierung Kohl/
Waigel zur Finanzreform fand die große Sympathie des
Ratspräsidenten und hatte die Unterstützung von immerhin sieben Mitgliedstaaten. Der Vorschlag dieser
Bundesregierung, des jetzigen Ratspräsidenten steht allein. Wir sind in die europäische Isolation geraten, und
zwar nicht nur in der Frage der EU-Finanzreform, sondern auch in anderen Bereichen.
({3})
Aber nun zum Mißtrauensvotum, um das es heute
geht. Die Christdemokraten sind für eine bedingungslose
Aufklärung der europäischen Korruptionsskandale. Ich
möchte auf den Kern kommen; - Kollege Hintze hat
dies angesprochen -: Die Korruptionsvorwürfe richten
sich gegen zwei sozialistische Kommissare. Alle Mitglieder der sozialistischen Fraktion im Europäischen
Parlament haben gegen die Rücktrittsentschließung gestimmt. Das ist ein Skandal.
({4})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der sozialdemokratische Bundeskanzler hat in dieser Situation der
europäischen Kommission den Rücken gestärkt
({5})
und ist den europäischen Sozialdemokraten in den Rükken gefallen. Mir zwingt sich an dieser Stelle der Eindruck auf, daß die Sozialdemokraten ihre Macht zu einer
Parteipolitisierung der europäischen Politik nutzen. Das
schadet Deutschland, das schadet den deutschen Bürgern.
({6})
Ich möchte dies an vier Punkten darstellen.
Erstens. Das Abstimmungsverhalten zur Rücktrittsforderung an die sozialistischen Kommissare findet aus parteitaktischen Gründen - keine Unterstützung der
SPD im Europäischen Parlament.
Zweitens. Es finden regelmäßige sozialistische Treffen der Finanzminister zur Abstimmung einer sozialistischen Strategie für Europa statt.
Drittens. Herr Verheugen hat vor wenigen Minuten
im Europaausschuß mir gegenüber angedeutet, daß wir,
wenn der europäische Kurs der Staatsregierung in Bayern beibehalten werde, davon ausgehen müßten, daß
Bayern bei der Europaförderung ganz schlecht aussehe.
Das ist eine parteipolitisch motivierte Drohung.
({7})
Viertens. Es ist eine Parteipolitisierung der europäischen Politik festzustellen; Kommissionsposten werden
durch eine Koalitionsvereinbarung vergeben.
Diese vier Punkte zeigen, daß es Ihnen auf europäischer Ebene nicht um Sachpolitik, sondern um Parteipolitik geht.
Wir Christdemokraten haben klare Vorstellungen zur
Verbesserung der Kontrolle der Kommission: Das Initiativmonopol der Kommission muß aufgebrochen werden.
Die Immunität der europäischen Beamten muß abgeschafft werden. Das Haushaltskontrollrecht des Europäischen Parlaments muß ausgeweitet werden. Die Möglichkeiten des Europäischen Rechnungshofes müssen
wesentlich verstärkt werden.
Wir brauchen darüber hinaus bei der Reform des Förderwesens wesentliche Veränderungen. Ich nenne nur
einige Kernpunkte: Einführung einer generellen
50prozentigen nationalen Kofinanzierung, stärkere Umstellung auf Darlehensbasis, Verwaltung der Förderprogramme über nationale Strukturen und Einbeziehung in
die nationale Haushaltskontrolle der Parlamente, Haushalts- und Ausgabensperre in den betroffenen Generaldirektionen.
Diese Vorschläge sollten wir gemeinsam auf europäischer Ebene aufgreifen. Die Bundesregierung sollte die
Korruptionsbekämpfung zu einem Schwerpunkt der
deutschen Ratspräsidentschaft machen. Verlassen Sie
Ihren populistischen Kurs - kommen Sie zurück zur
Sachpolitik!
Danke schön.
({8})
Ich gebe das Wort
dem Kollegen Christian Sterzing, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
denke, die Debatte hat eines klargemacht: Wer an einer
Stärkung des Europäischen Parlaments interessiert ist,
der ist natürlich enttäuscht über das in Rede stehende
Abstimmungsergebnis. Wer aber an einem Erfolg der
deutschen Ratspräsidentschaft interessiert ist, wer an einem Abschluß der Agenda 2000, an inneren Reformen,
an Fortschritten im Erweiterungsprozeß interessiert ist,
der hat das Ergebnis natürlich auch mit einer gewissen
Erleichterung gesehen. Ich glaube, wenn man das Ergebnis insofern mit einem lachenden und einem weinenden Auge betrachtet, dann beschreibt man die Situation
ganz ehrlich. Man ist unehrlich, wenn man Krokodilstränen vergießt, wie Sie von der Opposition das hier tun.
({0})
Diese Affäre, diese Ereignisse, diese Skandale haben
eine ganze Reihe von Aspekten. Ich will nur auf einen
eingehen, und zwar auf den Verlust an Akzeptanz, der in
den letzten Wochen sicherlich fortgeschritten ist. Wir
haben es mit einer Rufschädigung der Kommission,
durch einige Kommissare verschuldet und hervorgerufen, zu tun. Man muß aber deutlich sehen: Wenn wir in
der Debatte so weitermachen, wie Sie das heute hier tun,
dann leidet nicht nur die Reputation der Kommission,
sondern dann leidet auch die Reputation des Europäischen Parlamentes.
({1})
Insofern sollten wir einen Blick über die aktuellen
Ereignisse und über das, was in den letzten Wochen passiert ist, hinaus tun. Wir haben, so glaube ich, deutlich
gesehen, daß die Rufschädigung einzelner Kommissare
durch deren Verhalten eine Schädigung der Reputation
der gesamten Kommission mit sich bringen kann. Insofern bietet sich für meine Begriffe an, kritisch darüber
nachzudenken, inwieweit dieses Instrument, um das es
in der letzten Woche im Europäischen Parlament ging nämlich der Mißtrauensantrag gegen die gesamte Kommission -, geeignet ist, um das Europäische Parlament
in die Lage zu setzen, eine wirkliche Kontrolle der
Kommission auszuüben.
({2})
Insofern ist auch der Blick auf die Gestaltung der Tagesordnung in Europa wichtig: Wir haben - dies hat die
deutsche Präsidentschaft in den letzten Wochen forciert
- das Thema der institutionellen Reformen auf der politischen Tagesordnung. Diese müssen und wollen wir
weiter betreiben. Es geht zum Teil um die Aufarbeitung
von Versäumnissen, von Mängeln des Amsterdamer
Vertrages, die unter dem Stichwort „Verbesserung der
Handlungsfähigkeit, Erhöhung der Effizienz der EU“
läuft. Aber die Ereignisse der letzten Wochen haben
auch deutlich gemacht, daß das Stichwort „Demokratisierung“ viel ernster genommen wird, daß wir die institutionellen Reformen, die sich im Augenblick im wesentlichen in der Diskussion um die Stimmengewichtung und die Zahl der Kommissare erschöpfen, als
Chance für eine Demokratisierung der Europäischen
Union sehen müssen. Insofern gilt es, das Momentum,
das die Ereignisse der letzten Wochen und Monate dem
Thema Demokratisierung verliehen haben, für die Debatten innerhalb der Europäischen Union in den nächsten Monaten zu nutzen.
Die Ereignisse haben gezeigt, daß die Instrumente des
Europäischen Parlaments reformbedürftig sind. Es geht
nicht nur um Mehrheitsentscheidungen, um Mitentscheidungsrechte des Europäischen Parlaments. Vielmehr müssen wir die Rolle des Parlaments gegenüber
der Kommission neu definieren. Dies scheint mir ein
wesentlicher Aspekt zu sein. Das Europäische Parlament
benötigt meines Erachtens ein differenziertes Instrumentarium, um die Kontrollrechte gegenüber der Kommission tatsächlich wirksam ausüben zu können. Das
Wort von der Stärkung des Parlaments, das wir alle gerne im Munde führen, müssen wir konkret ausfüllen:
Stärkung der Haushaltskontrollrechte, eine Veränderung
des Mißtrauensvotums, Stärkung der Untersuchungsrechte - das sind die Stichworte für die Reformen der
nächsten Monate und ein, zwei Jahre. Insofern ist in der
institutionellen Krise der letzten Woche auch eine Chance zu sehen, neuen Schwung für die demokratischen Reformen innerhalb der Europäischen Union zu nehmen.
Inwieweit es diese Opposition mit der Stärkung des
Europäischen Parlaments und mit der Demokratisierung
der Europäischen Union ernst meint, wird sie in den
nächsten Wochen und Monaten unter Beweis stellen
können. Im Augenblick habe ich eher den Eindruck, daß
es Ihnen hier auf parteipolitische Auseinandersetzungen
ankommt
({3})
und Sie das Ganze als Folie mißbrauchen, um die neue
Regierung am Anfang ihrer Ratspräsidentschaft zu beschädigen.
Vielen Dank.
({4})
Das Wort hat die
Kollegin Leutheusser-Schnarrenberger, F.D.P.-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Bürgerinnen und Bürger Europas
sind verunsichert, frustriert und zu Recht auch wütend.
Denn gerade die Vorgänge, die wir in den letzten Wochen erleben mußten, machen auch den zu Europa positiv stehenden Teil der Öffentlichkeit enttäuscht und
skeptisch. Sie sind das Wasser auf die Mühlen all derer,
die die europäische Integration per se bekämpfen und als
Ausverkauf nationaler Interessen zu denunzieren suchen.
Weil das so ist, weil die zum Teil erwiesenen Unregelmäßigkeiten und Peinlichkeiten in der Kommission
das proeuropäische Klima zu vergiften drohen, wäre im
Sinne Europas eine ungeschönte und vor allem mit
nachvollziehbaren Konsequenzen verbundene Behandlung dieser Vorgänge wichtig gewesen. Statt dessen haben alle europäischen Akteure - zunächst die Kommission, dann die nationalen Regierungen, nicht zuletzt
auch die Bundesregierung, und zum Schluß leider sogar
das Europäische Parlament - versagt und ihren Teil dazu
beigetragen, den Vorwurf der Geheimnistuerei und Bürgerfeindlichkeit der europäischen Institutionen zu verfestigen. Das Ergebnis ist, daß die Glaubwürdigkeit und
das Ansehen aller europäischen Akteure Schaden genommen haben.
In unüberbietbarer Uneinsichtigkeit und Selbstherrlichkeit, die in den Augen der europäischen Öffentlichkeit als pure Machtarroganz interpretiert werden konnten, hat sich die Kommission über Wochen hin der
Vorwürfe zu erwehren gesucht. Man darf sich nicht
wundern, daß die auf dem Höhepunkt der Krise lancierte
Rücktrittsdrohung des Kommissionspräsidenten in der
Öffentlichkeit als Nötigung der nationalen Regierungen
und vor allem des Europäischen Parlaments empfunden
wurde.
Beschädigt sind also auch die nationalen Regierungen, nicht zuletzt auch die Bundesregierung. So nachvollziehbar, Herr Bundeskanzler, Ihr Anliegen ist, während Ihrer Präsidentschaft mit einer handlungsfähigen
Kommission zusammenzuarbeiten, mindestens so sehr
wäre es aber auch Ihre Aufgabe und die des Außenministers gewesen, darauf hinzuwirken, daß das Europäische
Parlament als einzige demokratisch legitimierte Institution gestärkt wird.
({0})
Im Interesse des Vertrauens der Bürgerinnen und
Bürger in das zusammenwachsende Europa hätten Sie
darauf hinwirken müssen, das Parlament in seinen ureigenen Aufgaben und in seinem Selbstbewußtsein zu bestärken und vor allen Dingen den Kommissionspräsidenten von seinem unsäglichen Versuch der Nötigung
des Parlaments abzubringen.
({1})
Dies ist zu Lasten des Europäischen Parlamentes versäumt worden. Das paßt nicht mit den unterstützungswürdigen Ankündigungen hinsichtlich einer notwendigen Demokratisierung Europas in den kommenden Reformschritten zusammen.
Nicht zuletzt hat sich das Europäische Parlament mit
seiner durch Druck erzeugten Mehrheitsentscheidung
keinen Gefallen getan. Patrick Cox, der liberale irische
Europa-Abgeordnete, Angehöriger der liberalen Fraktion, die sich von Anfang an für eine Personifizierung
politischer Verantwortung ausgesprochen hatte, hat
recht, wenn er sagt, das Europäische Parlament leide an
selbstherbeigeführtem Kollaps seiner Glaubwürdigkeit.
Nun steht neben der Kommission auch das Parlament
als Verlierer da, erst recht mit seinem Beschluß - wie es
heute schon viele gesagt haben -, sich selbst zu entmündigen und der Einsetzung eines Ausschusses unabhängiger Weiser unter Federführung des Parlaments und der
Kommission zuzustimmen. Können Sie sich vorstellen,
daß wir im Deutschen Bundestag einen Untersuchungsausschuß einrichten, der Vorwürfe gegen Mitglieder der
Bundesregierung untersucht und von Vertretern der
Bundesregierung und des Parlaments geleitet wird?
Bis heute kann nur ein Resümee gezogen werden: Die
Krise der Europäischen Kommission hat dank des
schlechten Krisenmanagements nur Verlierer hinterlassen. Das kann angesichts der für die weitere Integration
der Europäischen Union so wichtigen Entscheidungen
nicht gut sein.
Ein positiver Aspekt läßt sich aus dieser Krise vielleicht noch gewinnen: daß jetzt, wie selten zuvor, die europäische Öffentlichkeit einzusehen beginnt, daß die beschleunigte Demokratisierung Europas unerläßlich ist
({2})
und der Demokratisierungsprozeß nach wie vor erheblich hinter allen Integrationsfortschritten herhinkt.
Es wäre doch sehr interessant, zu wissen, wie die Beratungen zum Vertrag von Amsterdam ausgegangen wären, wenn die krisenhaften Vorfälle vor der abschließenden Abstimmung dieses Vertragswerks stattgefunden
hätten. Ich wage die Behauptung, daß schon dann auch
andere Mitgliedstaaten mit der damaligen Bundesregierung - der damalige Außenminister hat eine stärkere
Beteiligung des Parlaments immer in den Mittelpunkt
seiner Forderungen gestellt - der Meinung gewesen wären, daß mehr für die Stärkung des Europäischen Parlaments und mehr für die institutionellen Reformen hätte
getan werden müssen.
({3})
Jetzt werden wir Außenminister Fischer an den Ankündigungen seiner Rede im Europäischen Parlament
messen, wenn es zur abschließenden Bewertung der
deutschen Präsidentschaft im Juni kommen wird.
Vielen Dank.
({4})
Das Wort für die
SPD-Fraktion hat der Kollege Dr. Norbert Wieczorek.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst ein Wort zu Ihnen, Herr Kollege Müller: Ich finde es äußerst merkwürdig, wenn Sie nach einer Ausschußsitzung, die gerade stattgefunden hat, hier eine Behauptung aufstellen,
die dem, was in der Ausschußsitzung geäußert wurde,
völlig widerspricht.
Der Kollege Verheugen hat mit keinem Wort der Bayerischen Staatsregierung gedroht, wenn sie in Europafragen weiter so auftrete, werde man sich nicht für sie einsetzen. Im Gegenteil, er hat darauf hingewiesen, daß in
Übereinstimmung mit der Bayerischen Staatsregierung
als Ersatz für das Ziel 5 b „Ländlicher Raum in der Förderung der EU“ im Bereich des neuen Zieles 2 Raum
geschaffen wird und es auch Übereinstimmungen hinsichtlich der Modalitäten gibt.
({0})
Ich bitte Sie, dies auch von Ihrer Seite dem Haus in aller
Deutlichkeit zu sagen.
Der anderen Aussage, daß manchmal gewisse öffentliche Reden von Herrn Stoiber auf Parteitagen nicht gerade ein günstiges Klima in Brüssel schaffen, werden
Sie wohl selber zustimmen; vielleicht sind Sie aber auch
auf der gleichen Rednerschule gewesen.
({1})
Nun aber zum eigentlichen Thema: Ich glaube, da
stimme ich Ihnen, Frau Leutheusser-Schnarrenberger,
zu, daß sich weder Kommission noch Parlament geschickt verhalten haben. Ich finde es sehr positiv - das
kann ich, weil der Bundeskanzler es auch so gesagt hat,
auch für ihn sagen -, daß das Parlament dieses alles
endlich einmal aufgerollt hat und nicht wie bei der BSEProblematik und bei anderen Fällen zurückgewichen ist.
Das halte ich für etwas sehr Positives. Allerdings ist
man in die Falle des Vertrages hineingelaufen. Ich
komme gleich noch darauf.
Zum anderen fand ich es nicht sehr gut, wie die
Kommission reagiert hat. Wer ein wenig genauer hingehört hat, konnte feststellen, daß es in der Kommission
unterschiedliche Auffassungen gab, wie man darauf reagieren sollte. Auch die Kommission, die zur Klarheit
verpflichtet ist, hätte den Schaden sehr stark begrenzen
können, wenn die Offenlegung nicht scheibchenweise
erfolgt wäre. Auch das sage ich sehr deutlich.
Das eigentliche Problem liegt doch woanders. Herr
Kollege Haussmann, die Kollegin Green hat ihren Mißtrauensantrag ursprünglich gestellt, um einen Vertrauensantrag zu erreichen. Erst als die Kommission so reagierte, ist das Klima kurzfristig umgeschwenkt. Ich halte
das nicht für ein sehr gutes Verfahren, das sage ich ganz
offen; nur, der Vertrag gibt es leider nicht her, daß entweder das Parlament oder die Kommission selbst die
Vertrauensfrage stellen können. Das ist im Vertrag nicht
vorgesehen. Das zu ändern, darin liegt vielleicht die
Aufgabe.
({2})
- Ich weiß nicht, wo er im Moment ist, aber da er es
vorhin gesagt hat, muß ich darauf eingehen.
Zu dem Antrag, den der Kollege Cox eingebracht hat,
der immerhin eine Gegend Irlands vertritt, mit der ich
sehr vertraut bin, möchte ich nur sagen: Warum ist dieser Antrag nicht so formuliert worden, daß er in Verbindung mit dem Vertrag Sinn gemacht hätte? Der Art. 160
sieht vor:
Jedes Mitglied der Kommission, das die Voraussetzung für die Ausübung seines Amtes nicht mehr erfüllt oder eine schwere Verfehlung begangen hat,
kann auf Antrag des Rates oder der Kommission
durch den Gerichtshof seines Amtes enthoben werden.
Warum ist nicht ein Petitum des Parlaments an
Kommission oder Rat gerichtet worden, dieses in den
beiden Fällen zu überprüfen? Das wäre ein zulässiger
Antrag gewesen. So war der Antrag schlicht nicht zulässig. Dann zu sagen, das haben wir ganz toll gemacht,
finde ich höchst merkwürdig. Ich bin schon dafür, daß
wir Verträge einhalten, sonst kommen wir in der EU
nicht weiter.
({3})
Ich komme zu dem nächsten Punkt: Ich danke dem
Bundeskanzler - Herr Santer hat es selber auch getan -,
daß er mit dafür gesorgt hat, daß eine Untersuchungskommission eingesetzt wurde. Es gibt nämlich Probleme
zu lösen. Es steht die Frage im Raum, ob es Individualverantwortlichkeit eines Kommissars gibt. Das hat
nichts mit seiner politischen Einstellung zu tun. Das ist
etwas anderes, das kann man nicht justitiabel machen.
Ist das ein gangbarer Weg, oder muß die Kollegialverantwortung bleiben? Gerade kleine Länder sehen die
Einzelverantwortung mit Sorge, weil sie dann möglicherweise bei bestimmten Entscheidungen in der Kommission nicht mehr mitreden können. Das war der Grund
dafür, daß wir ein Kollegialorgan haben. Diese Frage
könnte sogar Bestandteil einer Regierungskonferenz
werden.
Ein weiterer Punkt ist, wie das Verhältnis zwischen
Kommissar und seinem Kabinett zur Generaldirektion
ist. Die Generaldirektionen sind in ihrem Verwaltungshandeln sehr selbständig. Da ist ja das meiste von dem
passiert, was jetzt aufgedeckt wurde. Diese Dinge müssen aufgespießt werden, und hier muß eine Lösung gefunden werden. Ich habe nur diese beiden Punkte genannt, weil meine Redezeit jetzt abläuft. Ich glaube, hier
müssen wir ansetzen. Bundeskanzler Schröder hat gerade, wie ich glaube, einen sehr guten Hinweis gegeben,
damit das bis März auf den Weg gebracht wird.
Die Terminierung bis März ist sehr knapp - lassen
Sie mich das zum Abschluß sagen -, aber wenn dieses
Parlament, das ja im Juni nicht mehr im Amt sein wird,
weil ein neues gewählt wird, diese Chance nützt und die
Fragen konstitutiver Art - ich mag den Ausdruck „Verfassungsrang“ nicht, weil das Probleme mit anderen
Ländern mit sich bringt - endlich angeht, dann hat diese
Krise zumindest einen positiven Aspekt. Dafür sollten
wir uns alle einsetzen.
Vielen Dank.
({4})
Ich gebe das Wort
der Kollegin Ursula Heinen, CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist
gekommen, wie es kommen mußte: Statt das Europäische Parlament bei seinen Bemühungen um bessere
Kontrolle zu unterstützen, verfährt der Bundeskanzler
zunächst getreu dem Motto „Nichts hören und nichts sehen“ und kann sich erst nach massivem öffentlichen
Druck zu halbherzigen Vorschlägen durchringen.
({0})
Mehrfach haben wir, CDU und CSU, die Regierung
zum Handeln aufgefordert. Im Parlament erhielten wir
Auskünfte, die an Belanglosigkeit wahrlich nicht zu
überbieten waren. Dies sei eine schwierige Frage, der
Sachverhalt sei noch zu prüfen, waren gängige Antworten auf unsere Anregungen. Ich frage mich als Parlamentsneuling, was so schwierig an der Bewertung dieser
Vorkommnisse ist. Die Fakten liegen auf der Hand:
Erstens. Der Europäische Rechnungshof stellt Unregelmäßigkeiten fest.
Zweitens. Das Europäische Parlament beschließt im
Frühjahr des vergangenen Jahres, die Entlastung der
Kommission auf den Herbst zu verschieben. Das Parlament erwartet bis dahin eine vollständige Aufklärung
von Unregelmäßigkeiten und möglicherweise strafbaren
Machenschaften sowie die Einsetzung einer von der
Kommission unabhängig arbeitenden Betrugsbekämpfungseinheit.
Drittens. Die Bedingungen des Parlaments werden so
gut wie nicht erfüllt. Das Europäische Parlament verweigert daraufhin im Dezember des letzten Jahres die
Entlastung der Kommission.
Als vierter Punkt, Herr Bundeskanzler, wäre jetzt
normalerweise anzuführen: Die EU-Staatschefs drängen
auf baldige Aufklärung und sorgen dafür, daß die betroffenen Kommissare ihr Amt zur Verfügung stellen.
({1})
Es hätte sogar die Möglichkeit eines Amtsenthebungsverfahrens für einzelne Kommissare gegeben. Dieses
Verfahren hätte nach Art. 160 des EG-Vertrages auf
Vorschlag des Rates oder der Kommission in Gang gesetzt werden können.
Deshalb frage ich Sie, Herr Bundeskanzler: Warum
haben Sie von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht? Warum haben Sie nicht zumindest so viel politiDr. Norbert Wieczorek
schen Druck auf die Kommission ausgeübt, daß die vom
Europäischen Parlament geforderte Aufklärung und bessere Kontrolle umgesetzt wurde und wird? Warum haben Sie statt dessen das Gegenteil getan und versucht,
die sozialdemokratischen Abgeordneten im Parlament
bei der Abstimmung über das Mißtrauensvotum zu einer
wohlwollenden Haltung gegenüber der Kommission zu
bewegen?
Wie dem auch sei, fest steht: Mit Ihrem Verhalten
geben Sie zu erkennen, wie wenig Interesse Sie wirklich
an einer lückenlosen Aufklärung der Vorkommnisse haben.
({2})
Oder sind vielleicht die vom Europäischen Rechnungshof allein bei den Ausgaben festgestellten Unregelmäßigkeiten in Höhe von 8 Milliarden DM für Ihre Regierung Peanuts? Würden wir die deutschen Nettozahlungen um diesen Betrag verringern, hätten wir einen kleinen Schritt in die richtige Richtung getan.
({3})
Der Schaden, der hier für Europa und für die europäische Idee entstehen kann, ist immens. Gerade jetzt, da
die Bürgerinnen und Bürger die Europäische Währungsunion und den Euro unterstützen, setzt Rotgrün ein fatales falsches Signal.
({4})
Um so höher sind die Anstrengungen der CDUEuropaabgeordneten Diemut Theato zu bewerten, die als
Vorsitzende des Haushaltskontrollausschusses im Europäischen Parlament maßgeblich zur Aufklärung der Unregelmäßigkeiten beigetragen hat. Dafür sollten wir ihr
im Deutschen Bundestag danken.
Ich appelliere an die Regierung: Stellen Sie sich Ihrer
politischen Verantwortung! Stellen Sie sich auf die Seite
der Volksvertreter des Europaparlaments! Stellen Sie
sich nicht auf die Seite dieser skandalbelasteten Kommission!
({5})
- Zwei der betroffenen Kommissare sind ja Sozialisten.
Noch ein Hinweis: Berufen Sie im Sommer bei den
anstehenden Neubesetzungen der Kommission für die
deutschen Positionen zwei Kommissare von CDU und
CSU. Diese können im Gegensatz zu den Sozialisten
und zu Ihnen mit Geld umgehen.
Danke.
({6})
Das war die erste
Rede der Kollegin Ursula Heinen im Parlament. Ich darf
ihr dazu im Namen aller Kolleginnen und Kollegen
gratulieren.
({0})
Ich weise schon jetzt darauf hin, daß wir noch zwei
weitere Jungfernredner heute zu erwarten haben. Auch
ihnen können Sie dann Ihren Beifall zollen.
Das Wort hat jetzt für die SPD-Fraktion der Kollege
Dr. Jürgen Meyer.
({1})
Herr Präsident!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe in der
Debatte insbesondere den Ausführungen der Opposition
aufmerksam gelauscht, um herauszufinden, was außer
parteipolitischem Hickhack wohl das politische Ziel dieser Debatte sein sollte. Denn das von der F.D.P. vorgegebene Thema waren die Vorkommnisse in der Europäischen Kommission und deren Behandlung im Europaparlament.
Nun habe ich mich gefragt, ob es darum gehen sollte,
dem Europaparlament Zensuren zu erteilen. Frau
Leutheusser-Schnarrenberger, auch wenn Sie ein wenig
in dieser Richtung argumentiert haben, will ich doch sagen: Es kann nicht Sache des Deutschen Bundestages
und auch nicht der Bundesregierung sein, einem anderen
Parlament Zensuren zu erteilen.
({0})
- Ihr Zuruf zeigt mir, daß Sie das auch nicht wollten.
Ging es dann um etwas anderes, nämlich vielleicht
darum, das Verhalten der deutschen Europaparlamentarier zu kritisieren? Auch das konnten Sie nicht gut, denn
der Kollege Haussmann hat ausgeführt, das Mißtrauensvotum sei eine große historische Chance gewesen, und
eigentlich hätte er, weil die deutschen Europaabgeordneten quer durch alle Fraktionen diesem Votum mit großer Mehrheit zugestimmt haben, ein Lob aussprechen
müssen. Das konnte er aber wiederum nicht, weil er
doch deutlich machen wollte, es wäre alles besser gelaufen, wenn die F.D.P. im Europaparlament dabeigewesen
wäre. Sie wollen also von der Gnade des wohlverdienten
Untergangs bei der Europawahl 1994 leben und deutlich
machen: Es wird alles besser, wenn wir demnächst wieder im Europaparlament sind.
({1})
Aber das ist schwierig. Denn wenn Sie auf der einen
Seite sagen, dieses Mißtrauensvotum sei eine große historische Chance gewesen, dann müssen Sie auf der anderen Seite auch begründen, warum Sie bei jeder öffentlichen Kritik an der Tätigkeit und viel mehr noch an der
Untätigkeit des Kommissars Bangemann geradezu beharrlich und vernehmlich mit zusammengebissenen
Zähnen schweigen. Das paßt dann nicht zusammen. Eines geht nur: entweder Kritik oder nicht.
({2})
Die Wirkung der Abstimmung und der Debatte im
Europaparlament scheint mir kurzfristig eine andere zu
sein als mittelfristig. Kurzfristig wird man sagen müssen, daß das Ansehen der Kommission gelitten hat. Man
wird auch feststellen müssen, daß viele Menschen nicht
zwischen den bösen Kommissaren und den guten Parlamentariern unterscheiden werden, so daß die Europaverdrossenheit, mit der wir öfter zu tun haben, gewachsen
ist.
Mittelfristig - so hoffe ich jedenfalls - wird dies aber
ein erster Schritt des längst fälligen Versuchs der Emanzipation des Europäischen Parlaments sein. Wenn der
Amsterdamer Vertrag, den wir hier mit großer Einmütigkeit verabschiedet haben und der die Rechte dieses
Parlaments wesentlich stärkt, demnächst in allen Mitgliedstaaten ratifiziert sein wird, dann wird sich dieses
Parlament - ich hoffe, daß das in unser aller Sinn ist noch deutlich stärker zeigen als in den Debatten der vergangenen Woche.
Was sind die politischen Konsequenzen der vergangenen Woche? Hier ist von den Rednern der CDU/CSU
- von Herrn Hintze genauso wie von Herrn Müller
({3}) - ausgeblendet worden, daß das Europäische
Parlament und nicht nur der Kommissionspräsident was in diesem Zusammenhang weniger wichtig war einen Vorschlag von Gerhard Schröder als Ratspräsident
ausdrücklich angenommen hat. Ich zitiere aus der Entschließung des Parlaments. Es fordert die
Verwirklichung des Vorschlags des Präsidenten des
Europäischen Rates, eine Gruppe hochrangiger
Vertreter des Europäischen Parlaments ... einzusetzen mit dem Ziel, die Vorschläge zur unverzüglichen Schaffung eines neuen Amts für Betrugsbekämpfung das nicht der politischen Kontrolle der
Kommission unterstehen soll, zu prüfen und anzunehmen.
Das scheint mir eine wichtige Sachfrage zu sein, der
man sich zuwenden muß.
Wir haben auch heute in der Ausschußsitzung gehört,
daß UCLAF bei der Betrugsbekämpfung eine wichtige
Aufgabe hat, daß aber ein Strukturfehler darin liegt, daß
diese Behörde von der Kommission abhängig ist. Dies
muß geändert werden, und den entsprechenden Vorschlag des Ratspräsidenten hat das Parlament angenommen. Das heißt, hier einen Gegensatz zwischen
Ratspräsident Schröder und dem Europäischen Parlament zu konstruieren ist ein etwas vordergründiger Versuch, aus der Debatte parteipolitischen Profit zu ziehen.
Wir werden weiter prüfen müssen, ob sich die nächste Regierungskonferenz nicht nur mit den Restanten der
institutionellen Reform, sondern auf Grund des Momentums dieser Debatte in der vergangenen Woche etwa
auch damit befassen sollte, ob eine Amtsenthebung von
Kommissaren über den schwächlichen Art. 160 des geltenden Vertrages hinaus möglich werden soll und ob es
so etwas wie eine Ressortverantwortung von Kommissaren geben sollte.
Schließlich bin ich der Auffassung, daß der Vorschlag des ehemaligen Präsidenten des Rechnungshofes,
Friedmann, im Bereich der profitablen Investitionen verstärkt auf Darlehen überzugehen, die man notfalls zinsverbilligt vergeben solle - diese Gelder müßten also zurückgezahlt werden -, ernsthaft geprüft werden muß.
Das heißt, solche Gelder sind weniger betrugsanfällig
als die nicht zurückzuzahlenden Investitionen bisher.
({4})
Letzte Bemerkung. Lassen Sie uns also in der Sache
gemeinsam weiter überlegen, wie das Interesse der
Steuerzahler bei der Bekämpfung von Betrug in Europa
besser berücksichtigt werden kann, und lassen Sie uns
nicht kleinkariertes Parteigerangel in den Vordergrund
stellen.
({5})
Ich gebe der Kollegin Dr. Martina Krogmann für die CDU/CSU-Fraktion
das Wort.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Kollegen
Haussmann und Hintze haben sicher recht, wenn sie beklagen, daß das Europaparlament viel zu kurz gesprungen ist und daß eine mögliche Sternstunde verpaßt wurde. Aber kann man wirklich so weit gehen, Herr Kollege
Haussmann, von einem schwarzen Tag für Europa zu
sprechen? Wenn wir ehrlich sind, müssen wir erkennen,
daß durch diese Krise einiges erreicht worden ist und
daß jetzt die Chance vorhanden ist, noch mehr zu erreichen.
({0})
Das Gewicht zwischen Kommission und Parlament
hat sich zugunsten des Parlaments verschoben. Die
Kommission sieht sich faktisch zum erstenmal mit der
Kontrolle der Abgeordneten konfrontiert. Die Kommission hat sich verpflichtet, jetzt schnell einen verbindlichen Verhaltenskodex für die Kommissare vorzulegen.
Was bei allem Ärger, den wir jetzt haben, bleibt, ist
die große Chance zur weiteren Stärkung des Parlaments.
Noch vor wenigen Jahren - das müssen wir ehrlich zugeben - wäre das Zustandekommen eines Mißtrauensvotums nicht möglich gewesen. Mit dem Inkrafttreten
des Amsterdamer Vertrags werden die Abgeordneten
noch mehr Rechte erhalten. Das Entscheidende aber ist,
daß das Europaparlament noch nie so stark in der Öffentlichkeit stand und so stark von der Öffentlichkeit
wahrgenommen wurde wie in den vergangenen Wochen.
Es ist ein Stück europäische Öffentlichkeit entstanden.
Diese Öffentlichkeit ist dringend notwendig, ja sogar
unabdingbare Voraussetzung für die Weiterentwicklung
zur Politischen Union.
({1})
Dr. Jürgen Meyer ({2})
Die weitere europäische Integration wird nur möglich
sein, wenn sie von den Bürgern getragen wird. Nur
wenn gemeinschaftliches Handeln öffentlich legitimiert
ist, wenn den Bürgern die in Brüssel und Straßburg getroffenen Entscheidungen auch sinnvoll erscheinen,
wenn sie sie nachvollziehen können und wenn die Entscheidungen durchschaubaren Spielregeln unterliegen,
dann werden wir auch ein europäisches Bewußtsein bekommen.
Das ändert nichts daran, daß die Vorkommnisse
skandalös sind. Deshalb müssen weitere Konsequenzen
gezogen werden. Es muß in Zukunft möglich sein, daß
das Parlament auch einzelnen Kommissaren, einzelnen
schwarzen Schafen, die mit Frechheit, Ignoranz und Unbelehrbarkeit an ihrem Sessel festhalten, das Mißtrauen
ausspricht.
({3})
Kein Kommissar darf sich mehr hinter dem anderen in
dem Kollektivorgan Kommission verstecken dürfen.
Mehr Bürgernähe und eine europäische Öffentlichkeit
werden wir allerdings nicht erreichen. Das ist meine feste Überzeugung. Ich möchte hier noch einmal betonen,
was der Kollege Hintze vorhin sagte.
({4})
- Das war ein Vorausgriff auf das, was ich gleich sage,
Frau Matthäus-Maier. Vielleicht hören Sie erst einmal
zu.
({5})
Ich möchte unterstreichen, was der Kollege Hintze
vorhin sagte. Ich halte es für falsch, wenn wir neue Institutionen wie den Rat der Weisen ins Leben rufen. Eine solche neue Institution beschneidet wieder erheblich
die Kontrollrechte, die sich das Parlament gerade erst erstritten hat.
({6})
Ich habe kein Verständnis dafür, daß sich der SPDSpitzenkandidat Klaus Hänsch für diesen Verfassungsmutanten ausspricht, indem er sagt, der Rat der Weisen
sei - ich zitiere - in Anbetracht der krisenhaften Lage
sinnvoll. Denn was soll dieses Gremium überhaupt aufdecken? Warum gibt es eigentlich einen Haushaltskontrollausschuß des Parlaments, der bereits zu eindeutigen
Ergebnissen gekommen ist?
({7})
Wenn der Rat der Weisen nur das herausfindet, was
das Parlament sowieso schon weiß, dann ist er vollkommen überflüssig und stärkt in der Bevölkerung nur
wieder die Vorbehalte gegen den Brüsseler Wasserkopf.
Die Skandale in der Kommission haben noch einen
Anachronismus vergegenwärtigt, der dringend abgeschafft werden muß: die Immunität der Brüsseler Beamten. Wir alle sind der Meinung, daß Diplomaten aus
guten Gründen Immunität genießen. Man kann sogar mit
ernstzunehmenden Argumenten begründen, warum die
Bediensteten zu Beginn des europäischen Einigungsprozesses diplomatische Immunität genossen haben. Seitdem hat sich allerdings viel verändert: Die Grenzen zwischen den Schengen-Staaten sind verschwunden. Es ist
ein riesiger einheitlicher Wirtschaftsraum mit einer eigenen Währung entstanden. Europa ist Inland geworden.
Es läßt sich kein triftiger Grund mehr für die Aufrechterhaltung der Immunität der Bediensteten der Kommission finden.
Ich fordere deshalb die Bundesregierung auf, ihre
Ratspräsidentschaft kraftvoll zu nutzen und die notwendige Reform der Institutionen voranzubringen,
({8})
für ein demokratisches, transparentes und bürgernahes
Europa mit der europäischen Öffentlichkeit.
Vielen Dank.
({9})
Ich darf im Namen
des Hauses und unter den wohlwollenden Blicken des
Bundeskanzlers
({0})
auch der Kollegin Martina Krogmann herzlich zu ihrer
ersten Rede gratulieren.
({1})
Nun hat der Kollege Michael Roth ({2}), SPDFraktion, das Wort.
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es freut mich, daß ich
an die Rede von Frau Kollegin Krogmann anschließen
kann, weil ich sehr zuversichtlich bin, daß wir wieder zu
der konstruktiven Ebene der Auseinandersetzung zurückfinden, die ich in diesem wichtigen Bereich der Politik und nicht nur in diesem Hause als Grundlage erachte.
Die Taschentücher, die notwendig wären, um die
vom Kollegen Sterzing beschriebenen Krokodilstränen
zu trocknen, die hier geflossen sind, bekämen wir heute
gar nicht mehr zusammen.
Was ich überhaupt nicht nachvollziehen kann, ist das
Aufblasen vor allem der bayerischen Kollegen, die hier
einen solchen Wind machen und außer acht lassen, daß
gerade der bayerische Ministerpräsident derjenige ist,
der mit dem Thema Europa und der europäischen Politik
in unverantwortlicher Weise spielt.
({0})
Wir müssen einmal ganz selbstkritisch in unserem eigenen Land nachfragen, wer die Verantwortung, die ihm
zuteil wird, überhaupt wahrnimmt. Die deutschen Abgeordneten im Europäischen Parlament haben ja Flagge
gezeigt, und das Europäische Parlament - das ist eine
positive Errungenschaft dieser Auseinandersetzung - ist
selbstbewußter geworden.
Was ich ebenfalls nicht nachvollziehen kann - es sei
denn, ich unterstellte dem Kollegen Hintze Populismus -,
({1})
ist diese Dolchstoßlegende; denn das, was er eben gesagt
hat, indem er Bundeskanzler Schröder angriff, deckt sich
überhaupt nicht mit dem, was er noch vor kurzem gegenüber dem ADN geäußert hat. Da heißt es nämlich:
Dennoch sollten die jüngsten Korruptions- und Betrugsfälle nicht dazu führen, „der gesamten Europäischen Kommission mit Zweidrittelmehrheit das
Mißtrauen“ auszusprechen.
Das war noch vor kurzem die Aussage des Kollegen
Hintze.
Da muß heute erst der Kollege Haussmann von der
F.D.P. kommen - die F.D.P. ist nicht im Europäischen
Parlament vertreten; deswegen diskutieren wir hier darüber -, damit Sie so schnell Ihre Meinung ändern, bis es
in Ihr politisches Kalkül paßt.
({2})
Der Bundeskanzler hat schlicht und ergreifend seine
Aufgabe als Ratspräsident wahrgenommen. Wir können
dafür dankbar sein, daß er die Handlungsfähigkeit der
EU bewahrt hat. Das ist auch die Aufgabe eines Ratspräsidenten, egal welcher Couleur er angehört. Dafür
müssen wir alle Sorge tragen, und das sollten wir belobigen.
({3})
Was ich ebenfalls kritisiere - da bin ich mit allen
Kolleginnen und Kollegen einer Meinung: Es fehlt bei
den politischen Akteuren in der EU an einem Konsens
im Hinblick auf den Umgang mit der politischen Verantwortung und den Beiträgen zur Aufklärung von
Skandalen.
Deswegen - so traurig das ist - brauchen wir einen
Verhaltenskodex. Auch ich bin der Auffassung, daß einige Kolleginnen und Kollegen in der Europäischen
Kommission selbstverständlich hätten zurücktreten müssen. Aber wir dürfen nicht nur über die Kommissarin
Cresson oder den Kommissar Marín reden; wir könnten
genauso über Bangemann oder über diejenigen Kommissare reden, die in den BSE-Skandal verwickelt waren. Bei diesen Punkten habe ich ihre laute Stimme vermißt.
({4})
Die EU und ihre Organe stehen gegenwärtig im Fokus der politischen Auseinandersetzung. Das ist in der
Weise bislang sicherlich einmalig. Die Europäische
Union braucht eine solche Öffentlichkeit; sie ist Voraussetzung, für eine demokratische Europäische Union.
Wir müssen aber selbstkritisch auf die Ebene der
Mitgliedstaaten zurückgehen. Denn auch die Mitgliedstaaten tragen Verantwortung, ebenso wie der Rat. Sie
müssen die Kommission kontrollieren. Staatsminister
Verheugen hat es eben etwas diplomatisch verbrämt.
Wir als Abgeordnete können das etwas deutlicher formulieren: Hier müssen die Mitgliedstaaten ihre Hausaufgaben erledigen.
Wir sollten folgenden konstruktiven Schluß aus den
Entwicklungen in Brüssel ziehen: Wir brauchen, so
schnell es geht, institutionelle Reformen in der Europäischen Union. Der Kollege Professor Meyer hat schon
davon gesprochen: Wir brauchen das Ressortprinzip. Es
gibt unterschiedliche Modelle, die aber auf eines hinauslaufen müssen: Die politische Verantwortung des
einzelnen Kommissars muß gestärkt werden, und es
muß eine Abberufungsmöglichkeit geben. Ich würde mir
wünschen, daß das Europäische Parlament diese Abberufungsmöglichkeit hätte. Auch ein gestärkter Präsident
der Europäischen Kommission könnte diese Kompetenz
innehaben. Wir müssen die Bundesregierung stärken
und sie unterstützen, wenn sie das Ziel verfolgt, auf dem
Kölner Gipfel einen konkreten Fahrplan festzulegen, mit
dem diese notwendigen institutionellen Reformen auf
den Weg gebracht werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sollten uns auch
als starker Partner des Europäischen Parlaments sehen,
weil wir ein gemeinsames Ziel haben: Wir wollen in der
EU die Demokratie stärken, wir wollen das Vertrauen
bei den Bürgerinnen und Bürgern stärken, wir müssen
die Kontrolle gegenüber der Exekutive verschärfen, und
wir müssen die Handlungsfähigkeit der EU trotz der
Konfliktsituationen garantieren. Ich wünschte mir, wir
würden zu diesem Thema öfter konstruktive Debatten,
vor allem in diesem Hohen Hause, führen.
Danke schön.
({5})
Auch der Kollege
Michael Roth hat seine erste Rede gehalten. Auch ihm
gratuliere ich im Namen des Hauses.
({0})
Die Aktuelle Stunde ist damit beendet.
Wir sind am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 21. Januar, 9 Uhr ein.
Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend.
Die Sitzung ist geschlossen.