Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 1/20/1999

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Die Sitzung ist eröffnet. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie alle hier im Saal recht herzlich zur ersten Sitzung im neuen Jahr 1999 und wünsche Ihnen alles Gute, Gesundheit und Erfolg sowie ein gutes parlamentarisches Jahr. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 1 auf: Befragung der Bundesregierung Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Haushaltsgesetz 1999. Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht hat der Bundesminister der Finanzen, Oskar Lafontaine.

Oskar Lafontaine (Minister:in)

Politiker ID: 11002715

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat den Haushaltsentwurf für das Jahr 1999 heute beraten und beschlossen. Wir haben dabei versucht, der konjunkturellen Lage Rechnung zu tragen und ein Stabilitätssignal zu geben. Dabei mußten wir auf Grund der politischen Entscheidungen der letzten Monate den Haushalt überarbeiten. Es ging zunächst darum, die Umsetzung der ersten Stufe der großen Steuerreform mit den Steuerentlastungen für Arbeitnehmer und Familien im Haushalt zu berücksichtigen. Es ergab sich natürlich aus der Zielsetzung der ökologischen Steuer- und Abgabenreform und der damit verbundenen Senkung der Lohnnebenkosten, diese Maßnahmen im Haushalt zu berücksichtigen. Es war politisch entschieden worden, die Zukunftsinvestitionen für Forschung und Bildung zu verstärken. Dem trägt der Haushalt Rechnung, indem im Vergleich zu 1998 1 Milliarde DM mehr angesetzt worden ist. Die Stabilisierung der Bundesleistungen für den Aufbau Ost ist ebenfalls ein unstreitiges Ziel, dem dadurch Rechnung getragen wurde, daß sich die Ausgaben für den Osten quer durch alle Haushaltsbereiche auf insgesamt 100 Milliarden DM summieren. Wir versuchen, die Investitionen des Bundes zu verstetigen. Wir haben wie andere europäische Staaten ein Sofortprogramm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit aufgelegt, das natürlich haushaltsmäßig berücksichtigt werden muß. Darüber hinaus haben wir beschlossen, die Ausgaben für die Arbeitsmarktpolitik zu verstetigen. Auch diese Maßnahme wird, glaube ich, mehrheitlich auf die Zustimmung im Hause stoßen. Zur Stabilitätsorientierung: Dadurch, daß alle Ressorts aufgefordert wurden, einen Beitrag zu leisten, ist es gelungen, die Neuverschuldung in etwa auf der Marke des Vorjahres zu halten. Sie betrug 56,4 Milliarden DM. Nach unserem Plan werden es für 1999 56,2 Milliarden DM sein. Zum Ausgabenanstieg: Der effektive Ausgabenanstieg begrenzt sich nach unserer Berechnung auf 1,7 Prozent. Dies entspricht den Vereinbarungen des Finanzplanungsrates. Rechnerisch steigen die Gesamtausgaben gegenüber dem Ist-Ergebnis um 31 Milliarden DM oder um 6,8 Prozent. Aber dieser Anstieg besteht zu zwei Dritteln aus durchlaufenden Posten. 6 Milliarden DM beträgt das Volumen auf Grund der erstmals ganzjährigen Wirkung des bereits von der Vorgängerregierung gefaßten Beschlusses, die Mehrwertsteuer zu erhöhen, um einen Zuschuß an die Rentenversicherung zu geben. 9,1 Milliarden DM gehen auf den zusätzlichen Rentenzuschuß zurück, der sich aus der ökologischen Steuer- und Abgabenreform ergibt - auf der einen Seite Steuererhöhungen, auf der anderen Seite Senkung der Abgaben. 8,2 Milliarden DM müssen auf Grund der erstmaligen Veranschlagung der Zuführung an die Postunterstützungskassen ausgegeben werden, die durch Dividendeneinnahmen und Privatisierungserlöse aus dem Bereich der Postnachfolgeorganisationen finanziert werden. Diese durchlaufenden Posten sind keine direkten Ausgabensteigerungen, auch wenn natürlich jeder dies nach seinem Urteil bewerten kann. Wir sehen auf jeden Fall diese durchlaufenden Posten nicht als direkte Ausgabensteigerungen an und bitten, dabei auch den öffentlichen Gesamthaushalt zu berücksichtigen. Ich sagte bereits, daß die Ausgaben für Forschung und Bildung verstärkt worden sind. Für den Hochschulneubau waren die Mittel in den letzten Jahren nicht in dem von den Ländern gewünschten Umfang bereitgestellt worden. Deshalb werden für die Gemeinschaftsaufgabe „Hochschulbau“ 200 Millionen DM zusätzlich zur Verfügung gestellt. Des weiteren sollen die BAföGMittel erhöht werden, wenn auch nicht in dem gewünschten Umfang; aber ein erster Schritt wird hier getan. Ferner geht es um eine Verstärkung der Mittel für die Forschungsförderung kleiner und mittlerer Unternehmen, für die Förderung moderner Schlüsseltechnologien, für die Förderung von Begabten und von wissenschaftlichem Nachwuchs und für ein Sonderprogramm für den Ausbau der Forschungslandschaft in den neuen Ländern - ein Thema, das uns ja immer wieder beschäftigt hat. Ebenfalls startet mit diesem Haushalt ein Milliardenprogramm zur Förderung der Solarenergie, das sogenannte 100 000-Dächer-Programm. Es startet zunächst mit bescheidenen Beträgen, wächst aber längerfristig zu einem Milliardenprogramm auf. Ich sagte auch schon, daß die Mittel für den Aufbau Ost verstetigt worden sind. Im Vordergrund steht der Ausbau der Infrastruktur. Die Verkehrsprojekte Deutsche Einheit werden zügig fortgeführt bzw. fertiggestellt. Im Rahmen der regionalen Wirtschaftsförderung in den neuen Ländern können 1999 neue Bewilligungen in der Größenordnung von 6 Milliarden DM eingegangen werden. Der Bund hat hierfür Vorsorge getroffen. Ein Schwerpunkt beim Aufbau Ost ist die Förderung von Mittelstand und Handwerk. Das Forschungs- und Entwicklungssonderprogramm für die neuen Länder wurde auf 325 Millionen DM erhöht. Die Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben kann ihren Bedarf von 4 Milliarden DM aus Eigenmitteln finanzieren. Hinzu kommt über 1 Milliarde DM für die anderen Treuhand-Nachfolgeeinrichtungen. Bei der Schaffung neuer Arbeitsplätze setzen wir vor allem auf Mittelstand und Handwerk. Die Förderung des Mittelstandes im Einzelplan des Bundesministers für Wirtschaft und Technologie wird gegenüber dem Ansatz der Vorgängerregierung leicht erhöht. Die Forschungsförderung für kleine und mittlere Unternehmen wird gegenüber 1998 um 100 Millionen DM aufgestockt. Im Haushalt 1999 starten wir auch ein neues Programm zur Verbesserung der Innovationsfähigkeit der kleinen und mittleren Unternehmen. Die Mittel für aktive Arbeitsmarktpolitik werden gegenüber 1998 um 6 Milliarden DM erhöht. Zu den Zuschüssen zur Rentenversicherung habe ich mich bereits geäußert. Im neuen Haushalt für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen haben wir die Ausgaben für die Investitionen gebündelt. Für den Ausbau der öffentlichen Infrastruktur stehen insgesamt 25,7 Milliarden DM zur Verfügung. Beim Verteidigungshaushalt wurde versucht, der Tatsache Rechnung zu tragen, daß die Bundeswehr derzeit erhebliche Finanzierungsprobleme hat, so daß sie lediglich gebeten wurde, im Rahmen der allgemeinen Einsparungen mitzuwirken; an den Verteidigungshaushalt sind darüber hinaus keine besonderen Anforderungen gestellt worden. Erwähnen sollte ich vielleicht noch, daß der Haushaltsentwurf im Bereich der internationalen Zusammenarbeit einen Akzent setzt. Der Einzelplan wird gegenüber dem alten Entwurf um 124 Millionen DM angehoben. Auf dem Weltwirtschaftsgipfel im Juni in Köln wird die Bundesregierung zusammen mit anderen Ländern der G 7 eine neue Entschuldungsinitiative zugunsten der ärmsten Entwicklungsländer auf den Weg bringen. Ein besonderer Akzent ist ebenfalls die Förderung der Kultur. Für Berlin werden die Mittel um 60 Millionen DM erhöht, für die neuen Länder um 120 Millionen DM. Ich weise aber gleich darauf hin, daß das natürlich auch bedeutet, daß kulturelle Veranstaltungen in Ländern, die finanziell äußerst günstig dastehen, nicht ständig aus dem Bundeshaushalt dotiert und finanziert werden können. ({0}) Zum Konsolidierungsaspekt: Ich sprach bereits von dem 0,5-Prozent-Konsolidierungsbeitrag und von der Begrenzung der Nettoneuverschuldung. Zusammenfassung: Wir versuchen, mit dem Haushalt, den konjunkturellen Erfordernissen Rechnung zu tragen. Deswegen können wir nicht in großem Umfange Ausgaben kürzen oder Steuern erhöhen. Auf der anderen Seite wird aber auch versucht, durch eine Begrenzung der Neuverschuldung ein Signal zur Fortsetzung der Stabilitätsorientierung der Haushaltspolitik zu setzen. Vielen Dank.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Ich bitte Sie, zunächst Fragen zu dem Themenbereich zu stellen, über den soeben berichtet wurde. - Die erste Wortmeldung ist vom Kollegen Dr. Günter Rexrodt.

Dr. Günter Rexrodt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002759, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Bundesminister Lafontaine, nun gibt es ja seit gestern signifikante Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts zur Entlastung der Familien. Dabei geht es um ein Finanzvolumen von 22 Milliarden DM. 10,2 Milliarden DM entfallen auf den Bund. Diese Regelung soll, wie es heißt, erst ab 2000 finanziell Platz greifen. Aber wir hören schon Stimmen, die darauf hinweisen, daß betroffene Familien bereits in diesem Jahr höhere Pauschbeträge geltend machen sollen. Es besteht also nicht erst in der mittelfristigen Finanzplanung, sondern möglicherweise auch schon in diesem Jahr eine Relevanz. Dazu möchte ich Sie fragen, Herr Bundesminister, ob und inwieweit Sie mit diesem Beschluß gerechnet haben und ob und inwieweit Sie in der mittelfristigen Finanzplanung, aber eben auch schon im Haushalt 1999 Vorsorge getroffen haben. Wie wollen Sie die genannten Beträge gegenfinanzieren, vor allem vor dem Hintergrund, daß die Regelungen zu den 630-DM-Jobs nach Aussagen einiger Vertreter von SPD-regierten Ländern nicht nur zu Ausfällen in der Größenordnung von 720 Millionen DM, die Sie angesetzt haben, sondern möglicherweise von mehr als 2 Milliarden DM führen, und angesichts dessen, daß Sie in den Raum gestellt haben, daß die Länder einen fairen Ausgleich für die Ausfälle in diesem Bereich bekommen sollen? Da tun sich Löcher auf. Da gibt es Probleme in einer Dimension, die ungeheuer groß ist. Meine Frage lautet: Wie wollen Sie mit diesen neuen Herausforderungen fertig werden?

Oskar Lafontaine (Minister:in)

Politiker ID: 11002715

Herr Kollege, wenn ich das richtig zusammenfasse, sind das drei Fragen. Zunächst einmal fragen Sie, ob wir mit einem solchen Beschluß gerechnet haben. Wir wußten zwar, daß solche Beschwerden beim Verfassungsgericht vorliegen. Ich muß aber in allem Freimut sagen: Wie das ausgehen würde, haben wir natürlich nicht voraussehen können. Der Beschluß stellt auf zwei Punkte ab. Der erste Punkt ist, daß der Gleichheitsgrundsatz nicht beachtet worden ist. Das ist eine Kritik an der bisherigen Gesetzgebung, die auf den ersten Blick zumindest teilweise berechtigt erscheint - ohne daß ich hier jetzt in eine Bewertung des Beschlusses eintreten will; ich möchte nur politisch etwas dazu sagen. Der zweite Punkt ist, daß die Familien bessergestellt werden sollen. Das entspricht unserem Anliegen. Insofern habe ich die grundsätzliche Tendenz des Beschlusses auch begrüßt. Zu den finanziellen Auswirkungen: Natürlich haben wir bei dem jetzigen Zahlenwerk - der Beschluß liegt uns seit gestern vor, und da war die Beratung praktisch abgeschlossen - für das Jahr 1999 dafür noch nichts angesetzt. Es ist auch offen, in welchem Umfang dieser Beschluß für das Jahr 1999 zu berücksichtigen ist. Für die weiteren Jahre werden wir die finanziellen Auswirkungen selbstverständlich zu berücksichtigen haben. Ich habe aber in Absprache mit den Ländern darum gebeten, daß wir jetzt nicht aufgeregt Zahlen in die Welt setzen. Der Rahmen, den Sie genannt haben, ist nachvollziehbar, wenn man zunächst einmal alles so durchrechnet, wie es sich anbietet. Das Bundesverfassungsgericht hat uns aber aufgetragen, zunächst einmal ein neues Gesetz vorzulegen. Dieses möchten wir zusammen mit den Ländern erarbeiten. Wenn das geschehen ist, werden wir wissen, welche finanziellen Folgen das für die Haushalte hat und wie wir das bewältigen können. Es gibt dazu Vorschläge. Ich möchte nicht dazu Stellung nehmen, ob alle Vorschläge geeignet sind. Ich möchte hier nur zu bedenken geben: Wir haben auch der konjunkturellen Situation Rechnung zu tragen. Wenn jetzt - wie schon auf dem Weg in den Plenarsaal geschehen - sofort wieder alle hinausposaunen: „Steuererhöhungen!“, dann wäre das nach meiner Auffassung nicht das richtige Signal für die Konjunktur. Was die 630-DM-Arbeitsverhältnisse angeht: Hierzu muß man wissen, daß die noch von der Vorgängerregierung, vom Parlamentarischen Staatssekretär Hauser, abgegebene Erklärung hinsichtlich der damit verbundenen Steuerausfälle eine - das darf ich einmal so sagen Abwehrerklärung war. Die Vorgängerregierung war nicht der Meinung, daß man den Veränderungen Rechnung tragen sollte, und bezifferte die Ausfälle, die mit einer Änderung verbunden wären, vorsichtig zu hoch. Mittlerweile hat der ursprüngliche Entwurf in einem Diskussionsprozeß an einer Stelle bereits eine spürbare Veränderung erfahren: Von der Besteuerung sollen nur solche Arbeitsverhältnisse freigestellt werden, bei denen etwa ein Ehepartner ein zusätzliches Arbeitsverhältnis auf 630-DM-Basis eingeht, nachdem die Kinder aus dem Haus sind - dies könnte also als Wiedereintritt in den Arbeitsmarkt gerechtfertigt werden -, während bei allen Zusatzarbeitsverhältnissen - das ist durchaus eine beachtliche Zahl - die volle Besteuerung und auch die Sozialversicherungspflicht greifen. Insofern glauben wir, daß unsere bisherigen Schätzungen der Steuerausfälle eher am oberen Ende angesiedelt sind. Es gab kürzlich neuere Untersuchungen, etwa des DIW, wenn ich das richtig in Erinnerung habe, die wieder von einer geringeren Zahl ausgingen, so daß wir glauben, daß unser Angebot an die Länder, dies über das Sinken der Lohnnebenkosten und über den Mehrwertsteueranteil bei der ökologischen Besteuerung auszugleichen, rein rechnerisch eher überkompensiert, als daß es nicht dem Ausfall Rechnung trägt.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Nächster Fragesteller ist der Kollege Koppelin. Bitte.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Bundesminister, Sie haben es etwas umschrieben und nicht konkret gesagt. Deswegen frage ich konkret nach: Beabsichtigen Sie, Telekom-Aktien zu verkaufen, und wenn ja, in welcher Höhe? Wenn Sie das wollen, stimmt dann noch die Aussage Ihrer Partei, die sie - das ist noch gar nicht lange her - vor einem halben Jahr gemacht hat, das sei ein Verscherbeln von Tafelsilber? Die Risiken, die angeblich mit dem Verkauf von Telekom-Aktien verbunden sind, hat Ihr jetziger Parlamentarischer Staatssekretär, der damalige Obmann der SPD, Diller, am 23. Juni im Haushaltsausschuß aus seiner Sicht eindeutig beschrieben. Vielleicht lesen Sie das noch einmal nach. Ich darf in diesem Zusammenhang weiter fragen, welche größeren Privatisierungseinnahmen Sie eingeplant haben.

Oskar Lafontaine (Minister:in)

Politiker ID: 11002715

Die Aussage, daß man das Tafelsilber nicht verscherbeln solle, ist sicherlich auch heute noch ein berechtigter Einwand. Es ist nicht günstig, den Haushalt durch den Verkauf von Vermögenswerten auszugleichen. Diese Kritik kann auch gegenüber dem jetzigen Bundeshaushalt aufrechterhalten werden, weil dies im Grunde genommen natürlich kein Beitrag zur Konsolidierung ist, sondern eine einmalige Einnahme darstellt. Wir verzichten lediglich aus konjunkturellen Gründen derzeit darauf, stärkere Konsolidierungsbeiträge zu erbringen, was die strukturelle Lücke von 20 Milliarden DM angeht. Ich hätte es für falsch gehalten, auf der Ausgabenseite oder auf der Einnahmenseite in irgendeiner Form spürbar zuzulangen. Der Einwand aber, daß das Tafelsilber nicht herangezogen werden sollte, um den ständigen Haushaltsausgleich herbeizuführen, ist nach meiner Auffassung nach wie vor richtig und gilt auch für den jetzt vorgelegten Haushalt. Was die grundsätzliche Frage angeht, denken wir natürlich daran, den Privatisierungskurs im Telekommunikationsbereich fortzusetzen, weil er sich bewährt hat. Das gilt nicht nur für die Telekom, das gilt auch für die Postbank. Allerdings müssen wir dabei auch die Erfordernisse des Marktes beachten. Sie haben vielleicht die Entwicklung der Telekom-Aktien in den letzten Tagen verfolgt. Insofern bitte ich um Verständnis, daß ich jetzt keine unvorsichtigen Ankündigungen machen möchte. Wir haben die Veräußerung in dem bisher vorgesehenen Umfang eingeplant und haben teilweise für das letzte Jahr vorgesehene Veräußerungen in das jetzige Jahr hinübergenommen, was den Haushaltsausgleich erleichtert hat. Grundsätzlich denken wir daran, diesen Kurs fortzusetzen; zu welchem Zeitpunkt, hängt auch vom Markt ab. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Nächster Fragesteller ist der Kollege Austermann.

Dietrich Austermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000066, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundesminister, wir sind ein bißchen auf Spekulationen angewiesen, weil Sie der Opposition den Haushaltsentwurf entgegen der bisherigen Gepflogenheit bisher nicht vorgelegt haben, was ich für ungewöhnlich halte. Früher hat ihn auch die Opposition immer rechtzeitig bekommen. ({0}) Nachdem Sie heute wohl im Kabinett einen Beschluß gefaßt haben, möchte ich im Namen der Union die Frage stellen: Was hindert Sie eigentlich daran, in der nächsten Woche den Haushalt vorzulegen, so daß wir dann die Debatte, die wir längst hätten führen können, vor der Wahl in Hessen hier im Parlament führen können, damit die Bürger die Wahrheit über das erfahren, was der Haushalt tatsächlich ausweist? Zweite Frage. Sie haben gesagt, Sie hätten versucht, mit dem Haushalt - ich habe mir die Formulierung wörtlich aufgeschrieben - „ein Stabilitätssignal zu geben“, „Steuerentlastungen zu berücksichtigen“ usw. Nach dem, was ich bisher weiß, kann ich nur sagen: Der Versuch ist dreimal gescheitert. Konjunkturell ist offensichtlich keine Rücksichtnahme eingetreten. Sie weiten den Haushalt um 6,8 Prozent aus. Auch wenn Sie versuchen, das damit zu erklären, ein Teil davon, beispielsweise der Rentenzuschuß, seien durchlaufende Posten, kann man das so richtig eigentlich niemandem beibringen. ({1}) Ein Teil des Rentenzuschusses ist schon heute im Haushalt eingestellt; das ist kein durchlaufender Posten. Das, was jetzt dazugekommen ist, soll durchlaufender Posten sein. Das Haushaltsvolumen hat eine ungeahnte Höhe erreicht. Wie soll von einem solchen Haushalt und bei dermaßen steigenden Ausgaben ein Stabilitätssignal ausgehen? Sie haben davon gesprochen, Ihr Haushalt basiere unter anderem auf Steuerentlastungen. Von welchem Modell gehen Sie zur Zeit bei der Ökosteuer aus? Von welchem Modell gehen Sie zur Zeit bei dem sogenannten Steuerentlastungsgesetz aus? Von welchem Modell gehen Sie zur Zeit bei 630-Mark-Jobs aus? Bisher liest man in der Zeitung zur Steuerreform, das Thema Teilwertabschreibung sei jetzt erledigt. - Dann fehlen im Haushalt aber 5,7 Milliarden DM. Welches Modell bzw. welche jeweilige Richtlinie des Bundeskanzlers gilt hier? Der letzte Punkt: Privatisierungserlöse. Sie haben davon gesprochen, die Privatisierung im bisherigen Umfang fortzuführen und dabei zum Teil die Reste des Vorjahres in dieses Jahr herüberzunehmen. Die Vergleichszahlen, die mir zugänglich sind, sehen so aus: Die Privatisierungserlöse belaufen sich in diesem Jahr neuer Entwurf - auf 18,9 Milliarden DM; im WaigelEntwurf waren 5 Milliarden DM vorgesehen. Das heißt, Sie kalkulieren 13,9 Milliarden DM mehr für Privatisierungserlöse ein. Es ist wohl richtig, wenn man sagt: Hier verscherbelt einer das Tafelsilber.

Oskar Lafontaine (Minister:in)

Politiker ID: 11002715

Herr Kollege, daß wir in der Frage, was stabilitäts- bzw. konjunkturgerecht ist, unterschiedliche Auffassungen haben, das ist klar. Das können wir auch in Form von Frage und Antwort nicht klären. Ich habe gesagt, daß wir im Hinblick auf die Konjunktur keine sehr starken Einnahmeerhöhungen vorgeschlagen haben - das mag man so oder so beurteilen und im Hinblick auf die Stabilitätsorientierung und den Dialog auf europäischer Ebene die Nettoneuverschuldung so weit wie möglich begrenzt haben. Insofern haben wir an dem Stabilitätssignal, das bereits die Vorgängerregierung vorhatte, festgehalten. Zu der Frage „Ökosteuer, 630-Mark-Jobs, Teilwertabschreibungen“ möchte ich sagen, daß es sich um einen ganz normalen Vorgang handelt. Wir befinden uns hier in der parlamentarischen Beratung. Ich sage nicht nur in Erwiderung auf Ihre Frage, sondern auch im Hinblick auf die öffentliche Diskussion: Die Bundesregierung geht nicht davon aus, daß jeder Gesetzentwurf, den sie einbringt, die parlamentarische Beratung überflüssig macht. Wenn es so wäre, dann bräuchten wir die parlamentarische Beratung gar nicht mehr und könnten uns die Sitzungen sparen. Sie haben die Teilwertabschreibungen genannt, und der Kollege Rexrodt hat bereits auf die Veränderungen bei 630-Mark-Jobs hingewiesen. Das heißt, wenn aus dem Parlament Anregungen kommen, das eine oder andere zu verändern, dann ist das für uns ein normaler Vorgang. Was die Teilwertabschreibungen angeht auch Sie haben den enormen Einnahmeausfall beziffert, der die Folge wäre, wenn ganz auf den Vorschlag verBundesminister Oskar Lafontaine zichtet würde -: Die Haltung der Bundesregierung ist immer die gewesen, daß wir selbstverständlich nicht an Einzelpositionen festhalten, daß wir aber im Hinblick auf die Vereinbarungen mit den Ländern - der Bundesrat muß zustimmen - das Gesamttableau stets im Auge behalten müssen; das heißt, daß es keine größeren Steuerausfälle geben darf. Was die Ökosteuer angeht: Es gibt einen Abstimmungsbedarf mit der Europäischen Gemeinschaft. Das versteht sich ebenfalls von selbst. Offen war, inwieweit Ausnahmetatbestände gemeinschaftskonform geregelt werden können. In dieser Frage befinden wir uns in der Endabstimmung. Insofern ist Ihre Kritik, daß die endgültige Entscheidung noch nicht gefallen ist, berechtigt. Das liegt aber am Verfahren der parlamentarischen Beratung. Zur Privatisierung. Es ist richtig, daß insgesamt 18,9 Milliarden DM eingebucht worden sind. Sie müssen dabei die Postunterstützungskasse und den Übertrag aus den Vorjahren mit berücksichtigen. Ich habe bereits eingeräumt, daß wir letztendlich ein strukturelles Defizit im Bundeshaushalt von 20 Milliarden DM haben und daß wir nicht auf Dauer auf Privatisierungserlöse zurückgreifen können. Insofern ist der Vorwurf mit dem Hinweis auf das Tafelsilber berechtigt. Auf der anderen Seite haben wir es nicht für richtig gehalten, in der jetzigen Situation labiler konjunktureller Erwartungen ein strukturelles Defizit, das sich bereits über Jahre hinweg gezeigt hat, durch kräftige Ausgabekürzungen oder Einnahmeerhöhungen zu bereinigen. Im übrigen zum Verfahren: Da kann ich mich nur auf den Kollegen Diller beziehen, der mir mitgeteilt hat, daß bisher immer so verfahren wurde, daß der Entwurf einen Tag später zugeleitet wurde. ({0}) Wir werden ja die Vorlage bereits heute mittag im Haushaltsausschuß einbringen. Insofern hält sich das Verfahren, daß Sie unmittelbar nach Beschluß des Kabinetts davon unterrichtet werden, im üblichen Rahmen. Im übrigen wissen Sie ja, daß diese Vorlage, nachdem sie vom Kabinett beschlossen wurde, nicht im geringsten der Geheimhaltung unterliegt. Im Regelfall sind die Eckdaten ja auch schon längst vorher veröffentlicht worden und werden öffentlich diskutiert.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Eine Zusatzfrage? Bitte, Herr Kollege.

Dietrich Austermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000066, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe noch zwei Fragen. Bei meiner ersten Frage handelt es sich um keine Zusatzfrage, sondern ich stelle noch einmal meine Frage von vorhin, die Sie nicht beantwortet haben: Was hindert Sie eigentlich daran, den Haushalt in der näch- sten Woche dem Parlament vorzulegen, so daß wir die Haushaltsberatungen in der nächsten Woche führen können? Meine erste Zusatzfrage: Sie haben ja gesagt, daß dann, wenn das Vorhaben im Zusammenhang mit der Teilwertabschreibung wegfällt, etwas anderes an diese Stelle tritt und das Volumen erhalten bleibt. Mit wieviel Mehr- oder Mindereinnahmen bei den Steuern rechnen Sie a) durch die Einführung der Ökosteuer, b) durch die Auswirkungen des Steuerentlastungsgesetzes und c) durch die Änderungen bei den 630-Mark-Jobs?

Oskar Lafontaine (Minister:in)

Politiker ID: 11002715

Zur ersten Frage: Wir leiten den Haushalt nur zu. Der Ältestenrat hat die erste Beratung auf Anfang Februar festgesetzt. Sie müssen akzeptieren, daß nicht wir dem Parlament vorgeben können, wann es welche Beratungen durchführt. ({0}) - Wir befinden uns hier in der Befragung der Bundesregierung und nicht in einer der Parlamentsmehrheit. Sie können sich gerne mit den Kollegen der Mehrheitsfraktionen über das parlamentarische Verfahren unterhalten. ({1}) Zu Ihrer zweiten Frage nach den Steuergesetzen möchte ich Ihnen noch einmal sagen: Die Gesetzentwürfe liegen vor; sie sind jetzt in der Beratung und werden dann auch in den Haushalt eingehen. Dabei hängt es davon ab, wie sich das Parlament bei den abschließenden Beratungen entscheidet. Ich kann Ihnen jetzt die Frage nicht beantworten, wie das mit den Teilwertabschreibungen ausgeht, weil ich nicht die Gabe besitze, zu prophezeien, was am Ende der parlamentarischen Beratungen dabei herauskommt. Danach werden wir ausrechnen, was an Einnahmen und Ausgaben zu verbuchen ist. So ist das.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Nächste Fragestellerin ist die Kollegin Professor Dr. Luft.

Prof. Dr. Christa Luft (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002728, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Bundesfinanzminister, einige uns jetzt bekannte Tendenzen des Bundeshaushaltes 1999 sind ja durchaus zu begrüßen. Ich nenne nur einmal die Verstetigung bei den Mitteln für die aktive Arbeitsmarktpolitik, die Aufstockung der Mittel für die neuen Bundesländer und das, was für Technologieförderung und für Bildungsprojekte vorgesehen ist. Meine Frage ist, ob die quantitative Aufstockung der Mittel auch mit dem Beschreiten von innovativen Wegen einhergeht. Werden weiterhin nur ausgetretene Pfade beschritten, oder wird mit den neu zur Verfügung gestellten Mitteln in der Tat Innovatives auf den Weg gebracht? In den neuen Bundesländern - darauf beschränke ich mich jetzt einmal - hat die Förderung von Großprojekten ja leider nicht zur Entwicklung eines selbsttragenden, nachhaltigen Aufschwungs geführt. Gibt es also innovative Maßnahmen, von denen man erwarten kann, daß sie einen Einstieg in einen selbsttragenden Aufschwung bieten? Dasselbe betrifft die aktive Arbeitsmarktpolitik. Wie kommen wir über eine bloße Verlängerung der Maßnahmen hinaus? Dagegen ist ja nichts zu sagen, aber es würde nichts Neues bringen, wenn beschränkte ABMaßnahmen nach einem Jahr wieder abgebrochen werden müssen und die Leute wieder ins Nichts fallen. Gibt es auch die Idee, erste Schritte hin zu einer mehrjährigen Projektförderung zu unternehmen? Das ist meine erste Frage. Zu meiner zweiten Frage: Die ökologischen Signale, die von diesem Haushalt ausgehen, sind etwas bescheiden. Ich habe das 100 000-Dächer-Solarprogramm zur Kenntnis genommen. Aber die vorgesehene Förderung erneuerbarer Energien fällt leider gering aus. Auch die zur Förderung des Schienentransports vorgesehenen Mittel sind gemessen an dem, was für die Straße ausgegeben wird, bescheiden. Drittens. Wie wollen Sie den Ausfall der Einnahmen bei den Gemeinden ausgleichen, der durch die Neuregelung bei den 630-Mark-Jobs entsteht? Schließlich - ich gebe zu, es würde den Rahmen sprengen, dieses Problem heute zu beraten - ergeben sich aus dem gestrigen Beschluß des Bundesverfassungsgerichts - darüber wurde hier ja schon eingangs geredet - für die mittelfristige Finanzplanung und den Bundeshaushalt ab dem Jahr 2000 Auswirkungen, die nicht nur durch bloßes Sparen bewältigt werden können. Ich frage daher: Ergeben sich aus Ihrer Sicht daraus nicht Rückschlüsse für die Steuerreform? Müssen wir nicht vielleicht früher, als Sie gedacht haben, über das Ehegattensplitting reden? Müssen wir nicht wieder über die Erhebung der Vermögensteuer reden? Müssen wir nicht auch - diesen Vorschlag hat Ihr Fraktionsvorsitzender, Herr Struck, in die Diskussion gebracht - über eine Millionärsabgabe reden?

Oskar Lafontaine (Minister:in)

Politiker ID: 11002715

Zunächst will ich etwas zum Beschluß des Bundesverfassungsgerichtes sagen. Ich plädiere dafür, unseren Standpunkt - zumindest als in der Sache begründet - zu akzeptieren, daß wir in diesem Zusammenhang ganz gerne eine Abstimmung mit den Ländern hätten; denn nicht nur der Bund, sondern auch die Länder sind betroffen. Bisher sind wir gut damit gefahren, unsere wichtigen steuerpolitischen Vorhaben mit den Ländern abzustimmen. Ganz ohne den Bundesrat geht es bekanntlich nicht. Deshalb möchte ich jetzt keine Festlegung treffen. Hinsichtlich der Vorschläge zum Thema Ehegattensplitting, die ich nicht bewerten möchte, bitte ich zu bedenken, was das Bundesverfassungsgericht dazu sagt. Ich habe mir an dieser Stelle während der heutigen Beratungen erlaubt, scherzhaft zu bemerken, wir müßten bezüglich der mittelfristigen Finanzplanung immer eine Fußnote „vorbehaltlich der gesetzgeberischen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts“ einfügen. Hier handelt es sich ja nicht um Größenordnungen, die vernachlässigbar sind. Wir brauchen keine tagespolitische Aufgeregtheit, sondern die Abstimmung mit den Ländern. Ihre erste Frage galt den Innovationen. Wir wollen über Forschungs- und Mittelstandsförderung in erster Linie den Rahmen setzen; die eigentlichen Innovationen aber müssen von denen hervorgebracht werden, die die Nutzer von Forschungsmitteln und Wirtschaftsförderung sind. Ich weiß jetzt nicht, ob diese Antwort den Kern Ihrer Frage trifft. Wenn der Kern Ihrer Frage aber war - Sie haben die Arbeitsmarktmittel genannt -, daß Innovationen dadurch gefördert werden sollen, die Arbeitsmarktmittel hinsichtlich ihrer Befristung und ihrer Höhe anders einzusetzen, dann möchte ich Sie bitten, dies im Fachausschuß zu diskutieren, weil das im Rahmen der Aufstellung des Haushaltsplanes nicht so genau vorgeschlagen werden soll. Dieses Thema sollten Sie also mit den Kollegen im Fachausschuß diskutieren. Das ist meine Empfehlung. Zu dem Steuerausfall für die Gemeinden. Ich möchte dazu etwas Grundsätzliches sagen, und ich werde es immer wieder sagen. Der Haushalt des Bundes ist der schwächste aller Ebenen. Diese Erkenntnis wird zwar nicht dazu führen, daß Länder und Gemeinden damit aufhören, alle Belastungen der Bundeskasse zuzuschieben. Man muß aber festhalten, daß kein anderer Haushalt, auch kein Landeshaushalt, eine Zinssteuerquote von 25 Prozent hat. Mit Ausnahme von Einzelfällen haben die Gemeinden bei weitem nicht diese Zinssteuerquote. Viele kleinere Gemeinden, zumindest in den westlichen Ländern, haben weitaus günstigere Einnahme- und Ausgabenstrukturen als der Bundeshaushalt oder die Länderhaushalte. Wir glauben daher, daß es auch im Hinblick auf die jüngste Entwicklung der Gemeindefinanzen gerechtfertigt ist, die mittelbar beteiligten Gemeinden an den Ausgleichsmaßnahmen, die wir den Ländern angeboten haben, zu beteiligen. Was Schiene und Straße angeht, so weise ich darauf hin, daß die Ausgaben für die Schiene entgegen der einen oder anderen Bemerkung in der öffentlichen Debatte höher sind als die Ausgaben für die Straßen. Ich weiß aber, daß es viele gibt, denen das nicht genügt. In diesem Zusammenhang weise ich darauf hin, daß wir eine ganze Reihe von Projekten haben, die längerfristig gebunden sind. Insbesondere die sogenannten privat finanzierten Projekte beinhalten längerfristige Verpflichtungen für den Bundeshaushalt, so daß unsere Spielräume nicht allzugroß sind, um hier umzuschichten. Auch dieses Thema kann im Fachausschuß näher diskutiert werden. Dort kann man Vorschläge machen, welches Projekt man zugunsten des Ausbaus der Schienenwege aufgibt. Dann wird man aber erkennen, daß die Spielräume sehr eng sind. Ein Ausweg wäre eine Aufstockung, wofür aber in der gegenwärtigen Situation die Mittel fehlen.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Fuchtel, bitte Ihre Frage.

Hans Joachim Fuchtel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000616, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Es geht noch einmal um die erste Lesung des Bundeshaushalts. Sie haben vorhin gesagt, Sie wollen den Mehrheitsfraktionen nicht vorgreifen. Aber im Rahmen Ihrer Antwort auf die Frage der Kollegin Luft haben Sie der PDS eine Empfehlung gegeben, wie man beraten soll. Können Sie uns noch einmal sagen, warum es Ihnen nicht möglich ist, in der doch sehr entscheidenden Frage eine EmpDr. Christa Luft fehlung abzugeben, wie mit der ersten Lesung gegenüber Ihren Mehrheitsfraktionen umzugehen ist? Denn es ist sehr untypisch für Sie, daß Sie dazu nicht in der Lage sein wollen. ({0}) Die zweite Frage. Sie haben überhaupt nichts zur Personalentwicklung gesagt. Hier hören wir, daß Sie quer durch die gesamten Leitungsebenen das Personal verstärken werden. Es wäre notwendig, daß Sie sich dazu äußern, denn hier soll ganz klar ein Durchlauferhitzer geschaffen werden, indem man jetzt hochdotierte Personalstellen einrichtet, um sie dann mit Personal zu besetzen, das man danach weiter befördern kann. Es ist bekannt, daß diese Stellen später wieder wegfallen sollen. Aber Sie greifen hier in einer Weise in den Personalkörper ein, wie es vor Ihnen noch niemand gemacht hat.

Oskar Lafontaine (Minister:in)

Politiker ID: 11002715

Zur ersten Frage, warum ich keine konkreten Empfehlungen abgebe. Ich höre gerade vom Kollegen Diller, der das Verfahren im Parlament viel länger kennt als ich, daß die Drucklegung 14 Tage in Anspruch nehmen wird. Ich möchte Ihnen, wenn Sie unbedingt eine Empfehlung von mir haben wollen, vorschlagen, sich mit den Kollegen der anderen Fraktionen darüber zu verständigen, wann die Beratungen beginnen. Ich bitte aber noch einmal um Verständnis: Die Bundesregierung leitet dem Parlament den Haushalt zu, und ab dann entscheidet das Parlament. Deshalb kann ich dazu nicht mehr sagen. Ich empfehle Ihnen also, mit den Kolleginnen und Kollegen zu sprechen. Zum Personal. Wir beabsichtigen, die 1,5 Prozent, die auch von der Vorgängerregierung hinsichtlich der Reduktion von Stellen vorgesehen waren, aufrecht zu erhalten. Nun haben Sie den Hinweis gegeben, daß nach dem Regierungswechsel nach 16 Jahren auf der Leitungsebene eine ganze Reihe von Neubesetzungen erfolgt seien. Das ist unstreitig. Ihr Hinweis allerdings, daß das vorher nie der Fall gewesen sei, ist durch öffentliches Bewußtsein widerlegt. Ich möchte ihn gar nicht kommentieren. Wir haben die neuen Stellen, die geschaffen worden sind, natürlich mit „k.w.“Vermerken versehen, so daß insoweit eine ordnungsgemäße Verfahrensweise angewandt worden ist. Ich glaube nicht, daß wir uns hier einen Gefallen tun, wenn wir uns, je nach politischer Situation, beim Regierungswechsel jeweils gegenseitig vorwerfen, daß die Leitungsebenen neu besetzt werden, weil das Publikum uns das sowieso nicht glaubt. Aber das soll keine Empfehlung sein, das ist eine Feststellung von meiner Seite. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Eine kurze Zusatzfrage noch, Herr Kollege.

Hans Joachim Fuchtel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000616, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Müßten Sie als Finanzminister nicht daran interessiert sein, daß der Haushalt schnellstmöglich verabschiedet wird, um von der vorläufigen Bewirtschaftung wegzukommen?

Oskar Lafontaine (Minister:in)

Politiker ID: 11002715

Ich habe überhaupt nichts dagegen, wenn das Parlament ihn so zügig wie möglich verabschiedet. Aber schon in der Gemeindedebatte habe ich früher immer darauf hingewiesen, daß das Budgetrecht das vornehmste Recht des Parlaments ist. Das ist nun Ihre Sache, in welchem Tempo und in welchem Rahmen Sie weiter vorgehen. Die Bundesregierung ist jetzt nicht mehr gefragt. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Frau Kollegin Matthäus-Maier, bitte.

Ingrid Matthäus-Maier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001436, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Bundesfinanzminister, im Zusammenhang mit der Teilwertabschreibung sind Steuerausfallzahlen von 5, 6, 7 Milliarden DM genannt worden. Können Sie bestätigen, daß es bei der Korrektur, die die Regierung und die Koalitionsfraktionen bei diesem Thema vornehmen werden, keinesfalls darum geht, diesen Teil der Gegenfinanzierung der Steuerreform komplett zu streichen, sondern daß es darum geht, das auf Teilwertabschreibung bei dauernder Wertminderung zu reduzieren, so daß von diesen Riesenzahlen überhaupt keine Rede sein kann? ({0}) Zweitens. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes, die wir seit gestern kennen, wurde bereits mehrfach angesprochen. Sie haben in den Haushalt 1999 die Kindergeldanhebung von 220 DM auf 250 DM eingestellt, ordentlich etatisiert. Ist es nicht eigentlich so, daß Sie sich in der Anhebung des Kindergeldes für 1999 - gegen den erbitterten Widerstand der Opposition, gegen viele Stellungnahmen noch im November und Dezember, zum Beispiel der Forschungsinstitute, des Bundes der Steuerzahler und von Professor Bareis, die uns gesagt haben, daß das Kindergeld nicht angehoben und statt dessen der Spitzensteuersatz gesenkt werden soll und in Ihrer festen Haltung durch den Karlsruher Beschluß bestätigt fühlen müssen?

Oskar Lafontaine (Minister:in)

Politiker ID: 11002715

Ich kann Ihre letzte Frage natürlich nicht verneinen. Ich bin dankbar für diese Frage, weil sie im Grunde genommen darlegt, daß der Streit der letzten Jahre berechtigt war. Das Verfassungsgericht hat ja jetzt nicht einen Sachverhalt bewertet - wie das manchmal da oder dort kommentiert worden ist -, der zu Lasten der jetzigen Regierung geht. Das Verfassungsgericht hat vielmehr die Praxis der letzten Jahre bewertet und hat gesagt: Die Familien sind zu schlecht behandelt worden. Natürlich gab es eine Reihe von Verbänden, die uns in ihren Stellungnahmen stets steuerliche Maßnahmen empfohlen haben, die nicht den Familien, sondern anderen zugute gekommen wären. Insofern glaube ich, daß diese Verbände bzw. bestimmte Wissenschaftler ihre Auffassung jetzt korrigieren müssen. Denn das Gericht hat an dieser Stelle eine richtige Entscheidung getroffen. Zumindest sind wir daran gebunden. Was die Teilwertabschreibung angeht, kann ich bestätigen, daß nach meinem Wissensstand nicht an eine völlige Aufhebung des ursprünglichen Vorschlages gedacht ist, der ja nicht ein Vorschlag allein im jetzigen Entwurf der Koalitionsfraktionen ist. Er ist ja bereits im sogenannten Petersberger Entwurf enthalten. ({0}) Dies ist eine Diskussion, die schon seit Monaten geführt worden ist. Dies gilt auch - damit ich mir noch mehr Zurufe einhandle - für Veräußerungsgewinne und Verlustrückträge. All diese Vorschläge beschäftigen uns schon eine ganze Reihe von Monaten. Für einen Teil des Hauses möchte ich anmerken: Wer niedrigere nominale Sätze fordert, der muß dann bitte schön bereit sein, Steuersubventionen zu kürzen. Es ist in höchsten Maße unehrlich, niedrigere nominale Sätze zu fordern und nicht bereit zu sein, Steuersubventionen zu kürzen. ({1})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Hollerith, Ihre Frage bitte.

Josef Hollerith (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000946, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundesfinanzminister Lafontaine, die Frage von Frau Matthäus-Maier provoziert natürlich eine weitere Frage. Um wieviel müßte denn das Kindergeld angehoben werden, um dem Verfassungsgerichtsurteil zu entsprechen? Ihren Hinweis auf die Petersberger Beschlüsse muß man richtigstellen. Sie verwechseln Teilwertabschreibung und Wertaufholungsgebot. ({0}) Das Wertaufholungsgebot war in den Petersberger Beschlüssen enthalten, aber nicht die Teilwertabschreibung. Ich möchte eine weitere Frage stellen, die mich bewogen hat, mich auf die Frageliste setzen zu lassen. Herr Minister, nach den mir vorliegenden Informationen sieht der Entwurf des Haushaltes 1999 bei den Investitionsmitteln für Bundesfernstraßen eine zusätzliche Anlastung für die Investitionen nach dem Eisenbahnkreuzungsgesetz und für den Kombiverkehr vor, und zwar in Höhe von etwa 200 Millionen DM. Dies - wenn diese Information richtig ist - würde bedeuten, daß die realen Mittel, die für Investitionen im Bereich von Bundesstraßen und Autobahnen verfügbar sein werden, im Jahre 1999 real sinken. Beabsichtigen Sie in diesem Zusammenhang, an dem Vorrang der Finanzierung der Verkehrsprojekte Deutsche Einheit festzuhalten, mit der Folge, daß dann in den alten Bundesländern, zum Beispiel in Hessen, nicht in ein baureifes Teilstück einer Autobahn neu investiert werden könnte?

Oskar Lafontaine (Minister:in)

Politiker ID: 11002715

Zunächst zum Kindergeld. Es wäre jetzt völlig unzulässig, Zahlen bezüglich des Kindergeldes über das hinaus in die Welt zu setzen, was bereits geplant ist. Der Verfassungsgerichtsbeschluß bezog sich, wie Sie wissen, auf Freibeträge. Ich sage noch einmal: Wir werden das mit den Ländern in Ruhe beraten. Es wäre nicht vertretbar, wenn der Finanzminister jetzt neue Zahlen in die Welt setzen würde. Zur Teilwertabschreibung. Ich verwechsele das nicht. Wenn es so ist, daß dieser Vorschlag im Petersberger Entwurf nicht enthalten ist, bitte ich um Nachsicht für diesen Irrtum. ({0}) - Entschuldigung, für diesen Irrtum. Wir haben in den letzten Wochen und Monaten so viele Gesetzestexte gelesen, daß mir dieser Irrtum unterlaufen sein kann. Ich werde in Zukunft nicht mehr wiederholen, daß die Teilwertabschreibung schon im Petersberger Entwurf enthalten war. Insofern bin ich dankbar für diesen Hinweis. Das ist ja leicht zu überprüfen. Die dritte Frage hinsichtlich hessischer Bauinvestitionen und der Verkehrsprojekte Deutsche Einheit scheint mir etwas durchsichtig zu sein. Wenn Sie damit ausdrücken wollen, daß nur noch im Osten gebaut wurde und im Westen nicht mehr, dann, so glaube ich, entspricht das nicht den Realitäten. Wenn Sie Einzelfragen haben, bitte ich Sie, das im Verkehrsausschuß bzw. im Haushaltsausschuß zu klären.

Josef Hollerith (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000946, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe eine Zusatzfrage.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Aber bitte nur eine ganz kurze; wir sind schon weit über die Zeit.

Josef Hollerith (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000946, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, die Frage ist ganz kurz. Ist die Information richtig, daß den Investitionsmitteln im Fernstraßenetat zusätzlich 200 Millionen DM angelastet werden durch das Eisenbahnkreuzungsgesetz und den Kombiverkehr, mit der Folge des realen Absinkens der Mittel für Straßeninvestitionen?

Oskar Lafontaine (Minister:in)

Politiker ID: 11002715

Ich bin mit dieser Detailfrage überfordert. Ehe ich Ihnen jetzt eine Antwort gebe, die nicht richtig ist, bitte ich Sie, das im Fachausschuß zu klären.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Kollege Henke, stellen Sie bitte Ihre Frage.

Hans Jochen Henke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003146, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Bundesminister, Lohnzurückhaltung könne die Arbeitslosigkeit steigern, hat sowohl der frühere saarländische Ministerpräsident wie auch der jetzige Bundesfinanzminister wiederholt erklärt. Darf ich die Frage stellen, welches Veränderungsniveau, was die Lohnentwicklung in 1999 anbelangt, Sie Ihrer Einnahmekalkulation zugrunde gelegt haben und von welchen Zuwächsen Sie bei den Personalkosten im öffentlichen Bereich ausgehen? Zweite Frage, Herr Bundesminister. Ich habe mir größte Mühe gegeben, die bisherigen Veröffentlichungen daraufhin durchzusehen, von welcher Arbeitsmarktentwicklung, der ja eine ganz zentrale Bedeutung zukommt, Sie für 1999 ausgehen. Könnten Sie das bitte dartun? Im Zusammenhang mit dem Bericht Ihrer Regierung zum europäischen Stabilitätspakt sind zu allen wesentlichen Daten nicht nur für das Jahr 1999, sondern auch mittelfristig sehr detaillierte und differenzierte Zahlen, Ausführungen und Daten dargelegt worden. Genau zu diesem zentralen Thema aber fehlt jedes Datum, sowohl für dieses Jahr als auch für die Folgejahre. Erlauben Sie mir noch eine letzte Frage im Zusammenhang mit den Sondervermögen, die Sie in den Bundeshaushalt einbezogen haben. Der Haushalt für das Jahr 1999 ist ja ausgeweitet worden. Sie stellen die Konsolidierung aber ganz vornan als Ziel Ihrer Haushaltspolitik. Wie verhält es sich mit den Tilgungszielen im Schuldenbereich, speziell was die Sondervermögen, den Erblastentilgungsfonds und das Bundeseisenbahnvermögen, vor allen Dingen aber auch die Steinkohle anbelangt?

Oskar Lafontaine (Minister:in)

Politiker ID: 11002715

Zunächst zur letzten Frage, die den Bundeshaushalt direkt betrifft. Es bleibt bei der Praxis, die auch die Vorgängerregierung verfolgt hat. ({0}) 7 Milliarden DM des Bundesbankgewinns werden vom Bundeshaushalt vereinnahmt; der Rest fließt in die Tilgung. Das war die bisherige Praxis, und dies wird fortgesetzt. Insofern sind damit einige mißverständliche Äußerungen der letzten Tage klargestellt. Nun zu den mehr grundsätzlichen Fragen. Ich bin Ihnen für die erste Frage dankbar, da dies Gelegenheit gibt, das, was in ungezählten schriftlichen Aufsätzen von mir niedergelegt worden ist, noch einmal klarzustellen. Die Begriffe der Lohnzurückhaltung oder der gemäßigten Lohnpolitik sagen mir relativ wenig, da über zurückhaltendes Vorgehen oder Mäßigung jeder eine andere Auffassung hat. Dies sind so unbestimmte Begriffe, daß sie überhaupt nicht weiterführen. Die entscheidende Zielgröße ist die Produktivitätsorientierung. Meine Auffassung ist nach wie vor, daß Lohnabschlüsse, bei denen der Lohnzuwachs über der Rate der Produktivitätsentwicklung liegt, in Deutschland einen Inflationsdruck ausüben und daher fehlerhaft sind. Solche Entwicklungen hatten wir oft. Anschließend ist es immer zu Überreaktionen der Geldpolitik und dann zum Anwachsen der Arbeitslosigkeit gekommen. Für genauso falsch halte ich es, wenn Lohnabschlüsse auf Dauer einen Lohnzuwachs beinhalten, der unterhalb der Rate der Produktivitätsentwicklung liegt. Das ist wahrscheinlich die Aussage, die Sie ansprechen. Es gibt eine sehr breite Diskussion darüber, daß in diesem Fall eine expansive Geldpolitik ausgleichend dagegenhalten müßte. Wir haben aber in Gesamteuropa - das haben wir auch im Ecofin-Rat wieder beraten - mit einer Ausnahme zu Beginn der 90er Jahre seit fast Anfang der 80er Jahre Reallohnentwicklungen, die deutlich unter dem Produktivitätszuwachs liegen. Wenn das die alleinige Veränderung der beiden Größen ist, halte ich das für unzureichend und eher geeignet, die Arbeitslosigkeit strukturell aufzubauen als abzubauen, da die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung zugrunde gelegt werden muß. - Ich kann das nicht weiter vertiefen, bin Ihnen aber dankbar, daß Sie mir die Gelegenheit gegeben haben, noch einmal klarzustellen, daß für mich die Produktivitätsorientierung entscheidend ist. Zu den erwarteten Abschlüssen im öffentlichen Dienst möchte ich Ihnen dieselbe Antwort geben, die ich schon auf Gemeindeebene und auf Länderebene immer gegeben habe: Es wäre falsch, wenn wir exakt angeben wollten, welchen Abschluß wir erwarten. Denn das wäre mit zu großen Risiken behaftet. Aber ich will gern meine Auffassung noch einmal wiederholen, die ich in ungezählten Vorträgen und öffentlichen Reden dargelegt habe, daß nämlich der öffentliche Dienst nie Vorreiter in der Lohnentwicklung sein kann, sondern auf Grund seiner besonderen Bedingungen eher gehalten ist, im Vergleich zur gewerblichen Wirtschaft etwas weniger hohe Abschlüsse zu tätigen. Zur Arbeitsmarktentwicklung 1999. Wir würden einen wirklichen Fehler machen, wenn wir angesichts der gewaltigen Differenzen in den Prognosen, die wir derzeit erleben - es gibt etwa im Moment in bezug auf das Realwachstum Werte von 1,3 bis 2,8 Prozent -, Zahlen angeben würden und dafür Verläßlichkeit beanspruchen wollten. Diese Prognosen sind auch gemacht worden, bevor beispielsweise die neueren Entwicklungen in Brasilien einsetzten. Ich bin also nicht in der Lage, Ihnen hier konkretere Daten zu liefern. Ich halte das auch für nicht begründbar. Wir müssen in der jetzigen ökonomischen Lage „auf Sicht fahren“ und sind daher nicht in der Lage, exakte Daten, etwa hinsichtlich der Arbeitsmarktentwicklung usw., zu liefern. Die Prognosen, die abgegeben werden - das wissen Sie aus Ihren eigenen Beratungen -, haben immer bestimmte Voraussetzungen, etwa die Entwicklung der Löhne und Einkommen oder die Entwicklung der Basispreise, insbesondere der Preise für Öl oder anderes Material, oder eben auch die Stabilisierung der Wechselkurse und die Zinsentwicklung. Ausgehend von diesen Voraussetzungen kann man dann gewisse Prognosen machen. Aber die Annahme von Voraussetzungen ist natürlich ebenfalls mit Risiken behaftet, so daß ich da982 von abrate, Prognosen abzugeben und zu meinen, sie seien verläßlich.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Auf Grund der fortgeschrittenen Zeit lasse ich jetzt keine Zusatzfragen mehr zu. Allerletzter Fragesteller in der heutigen Regierungsbefragung ist der Kollege Dr. Hoyer.

Dr. Werner Hoyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000967, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Minister, die Koalitionsparteien haben erhebliche strukturelle Verbesserungen beim Wohngeld angekündigt. Nach erster Durchsicht des Papieres muß ich sagen: Ich finde die entsprechende Umsetzung nicht. Habe ich etwas übersehen? Oder kommt da noch etwas nach, womit Sie die Umsetzung dieses Wahlversprechens gewährleisten wollen? Die zweite Frage geht in die gleiche Richtung. Die alte Koalition hatte für eine Verbesserung des Wehrsoldes um 1 DM schon Mittel in den Haushalt eingestellt. Wir sind damals dafür heftig kritisiert worden; uns wurde gesagt, es müßten mindestens 2 DM sein, die neue Koalition würde die zusätzliche Mark sofort nachliefern und die Mittel in den Haushalt einstellen. Wann erfolgt denn hier die Umsetzung des Wahlversprechens? In dem mir vorliegenden Entwurf ist das nicht zu erkennen.

Oskar Lafontaine (Minister:in)

Politiker ID: 11002715

Ihr Vorwurf, daß wir jetzt, nach zwei Monaten, nicht schon alle Wahlversprechen umgesetzt haben, trifft voll ins Schwarze. Wir haben allerdings schon zehn wichtige Wahlversprechen umgesetzt, und deshalb habe ich dem Haushaltsentwurf auch die Überschrift gegeben: Versprochen - gehalten. - Sie haben aber recht: Noch nicht alle Versprechen wurden eingehalten. Aber wir wollen ja noch vier Jahre arbeiten. ({0}) - „Mindestens“, vielen Dank. Ich bezog das auf diese Legislaturperiode.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Ich beende damit die Regierungsbefragung. Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf: Fragestunde - Drucksachen 14/266, 14/274 Wir kommen zunächst zur Beantwortung der Dringlichen Fragen. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz auf. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär, Herr Dr. Eckhart Pick, zur Verfügung. Ich rufe die Dringliche Frage 1 des Abgeordneten Andreas Schmidt ({0}) auf: Trifft es angesichts von Pressemeldungen zu, wonach die Fraktion der PDS des Deutschen Bundestages am Abend des 15. Januar 1999 den Honorarvertrag mit dem früheren DDRSpitzenspion Rainer Rupp, alias „Topas“, gebilligt hat, daß nach der Verwaltungsvorschrift zum Strafvollzugsgesetz Rainer Rupp grundsätzlich vom Freigang ausgeschlossen ist und dazu nur ausnahmsweise zugelassen werden darf - nach Anhörung der Bundesanwaltschaft als Vollstreckungsbehörde?

Prof. Dr. Eckhart Pick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001715

Herr Kollege Schmidt, die Frage bezieht sich offenbar auf Nr. 6 Abs. 1 Buchstabe a der Verwaltungsvorschriften zu § 11 Strafvollzugsgesetz, die von den für den Strafvollzug zuständigen Ländern bundeseinheitlich erlassen worden sind. Nach dieser Vorschrift sind Gefangene, die vom Oberlandesgericht im ersten Rechtszug wegen Staatsschutzdelikten, unter anderem geheimdienstlicher Agententätigkeit oder Landesverrat, zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden sind, vom Freigang, das heißt von einer Beschäftigung außerhalb der Anstalt ohne Aufsicht eines Vollzugsbediensteten, grundsätzlich ausgeschlossen. Diese Voraussetzungen treffen auf Herrn Rupp zu. Die Justizvollzugsanstalt kann jedoch mit Zustimmung der zuständigen Aufsichtsbehörde des Landes Ausnahmen zulassen. Die Vollstreckungsbehörde, im vorliegenden Fall der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof, ist vor der Entscheidung der Vollzugsanstalt anzuhören. Eine solche Anhörung des Generalbundesanwaltes zur Frage eines Freiganges von Herrn Rupp hat bisher nicht stattgefunden.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Eine Zusatzfrage, Herr Kollege?

Andreas Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001999, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Pick, gibt es in dieser Frage eine Weisungsbefugnis Ihres Ministeriums gegenüber der Bundesanwaltschaft? ({0})

Prof. Dr. Eckhart Pick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001715

Grundsätzlich handelt der Generalbundesanwalt zunächst in eigener Verantwortung. Im Einzelfall kommt natürlich auch eine Weisung in Frage. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Dann rufe ich die Frage 2 des Abgeordneten Andreas Schmidt ({0}) auf: Welche Stellungnahme wird die Bundesanwaltschaft abgeben?

Prof. Dr. Eckhart Pick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001715

Diese Frage, Herr Kollege Schmidt, schließt sich an Ihre erste Frage an; entsprechend gilt das für die Antwort. Über eine Stellungnahme kann der Generalbundesanwalt erst dann entscheiden, wenn er von der Justizvollzugsanstalt zur Frage eines Freiganges von Herrn Rupp angehört wurde und den zugrunde liegenden Sachverhalt prüfen konnte.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Kollege Schmidt, bitte.

Andreas Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001999, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Pick, beabsichtigt Ihr Ministerium, in dieser Frage von seinem Weisungsrecht gegenüber der Bundesanwaltschaft Gebrauch zu machen?

Prof. Dr. Eckhart Pick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001715

Das ist eine hypothetische Frage, Herr Kollege. Wir werden, sofern der Generalbundesanwalt mit dieser Frage überhaupt konfrontiert wird, abwarten, wie er entscheidet.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Eine zweite Zusatzfrage.

Andreas Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001999, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Pick, ist es denn nicht so, daß Sie von Ihrem Weisungsrecht Gebrauch machen müßten, bevor die Bundesanwaltschaft ihre Stellungnahme abgegeben hat?

Prof. Dr. Eckhart Pick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001715

Ich sage es noch einmal: Der Generalbundesanwalt ist von seiten der entsprechenden Behörden im Saarland noch nicht um eine Stellungnahme zu der Frage eines Freiganges gebeten worden. Insofern können wir Ihre Frage erst dann beantworten, wenn es tatsächlich eine Anhörung gibt. Der Generalbundesanwalt hat aber nur ein Anhörungsrecht.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Nächster Fragesteller ist der Kollege Gehrcke.

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Parlamentarischer Staatssekretär, stimmen Sie mir nicht zu, daß der offene Vollzug - um den handelt es sich in diesem Falle - ein Mittel der sozialen Wiedereingliederung ist, daß Menschen sich ändern können und daß auch ein ehemaliger Spion nicht zeit seines Lebens Spion bleiben muß?

Prof. Dr. Eckhart Pick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001715

Sie werden verstehen, daß ich mich über die Person von Herrn Rupp, der in dieser Frage betroffen ist, nicht äußern kann. Es ist Sache der Strafvollzugsbehörden, zu entscheiden, wie weit die Resozialisierung gediehen ist. Deswegen muß ich mich einer Stellungnahme dazu enthalten.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Es gibt eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Wilhelm Schmidt. Bitte.

Wilhelm Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002022, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Parlamentarischer Staatssekretär, stimmen Sie mir zu, daß es einen großen Unterschied macht, auf der einen Seite beurteilen zu müssen, was Resozialisierung für Strafgefangene bedeuten kann, und auf der anderen Seite beurteilen zu müssen, was die Beschäftigung solcher Menschen im resozialisierten Verfahren, also beim Freigang, beispielsweise durch Fraktionen oder Parteien wie die PDS bedeuten kann?

Prof. Dr. Eckhart Pick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001715

Herr Kollege Schmidt, es gibt im Rahmen des Strafvollzugs unterschiedlichste Möglichkeiten, den Gefangenen sozusagen auf den Wiedereintritt ins Leben vorzubereiten. Eine Möglichkeit ist der Freigang, der heute angesprochen worden ist. Die andere Möglichkeit - und in der Situation befindet sich Herr Rupp - ist der offene Vollzug. Das ist etwas anderes als Freigang. Offener Vollzug ist regelmäßig eine Vorstufe zum Freigang, in dem der Gefangene auf die Probe gestellt wird, bei dem beobachtet wird, wie er sich verhält und wie der Vollzug gewirkt hat. Übrigens sind uns die Einzelheiten einer angeblichen Beschäftigung bei einer Fraktion dieses Hauses nur aus der Presse bekannt. Insofern verbietet es sich, darüber eine Wertung von seiten der Bundesregierung abzugeben.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Ich weise darauf hin, daß die Dringlichen Fragen 3 und 4 des Kollegen Pofalla zum Bereich des Bundesministeriums des Innern ebenso wie die Fragen 1 und 2 der Kollegin Mehl zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz schriftlich beantwortet werden. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie auf. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär, Herr Siegmar Mosdorf, zur Verfügung. Ich rufe Frage 3 des Abgeordneten Laufs, CDU/CSU, auf: Auf welche Weise beabsichtigt die Bundesregierung das in der Koalitionsvereinbarung in Aussicht genommene 100 000Dächer-Photovoltaik-Programm zu verwirklichen?

Siegmar Mosdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001535

Frau Präsidentin! Herr Kollege Laufs, Sie haben nach dem 100 000-Dächer-Programm gefragt. Die Bundesregierung hat das 100 000-Dächer-Solarstrom-Programm als zinsgünstiges Darlehensprogramm konzipiert, das von der Kreditanstalt für Wiederaufbau abgewickelt wird. Es ist bereits am 1. Januar 1999 in Kraft getreten. Die Förderrichtlinien werden voraussichtlich am 21. Januar 1999 im „Bundesanzeiger“ veröffentlicht. Die wichtigsten Eckpunkte des Programms sind: Antragsberechtigt sind Privatpersonen. Freiberuflich Tätige sowie kleine und mittlere private gewerbliche Unternehmen sind antragsberechtigt, sobald die Zustimmung der Kommission der EU vorliegt. Die Anträge sind bei den örtlichen Kreditinstituten, den Hausbanken, einzureichen. Das ist das übliche Verfahren. Die Laufzeit beträgt bis zu 10 Jahre, davon bis zu 2 Jahre tilgungsfrei. Der Kredit kann jederzeit außerplanmäßig zurückgezahlt werden. Der Zinssatz wird um bis zu 4,5 Prozentpunkte verbilligt, so daß der Programmzinssatz bei 0 Prozent liegt. Nach Ablauf von 9 Laufzeitjahren erfolgt ein Restschulderlaß, sofern die Anlage nachweislich noch betrieben und der bei Zusage versandte Fragebogen vorgelegt wird. Dies bedeutet insgesamt eine Förderung von etwa 40 Prozent der Investitionskosten. Die KfW stellt der durchleitenden Hausbank frei, statt der Gewährung von Darlehen die Zinssubvention als Festbetrag auszuzahlen und die Darlehensabwicklung intern vorzunehmen. Die Kumulation mit anderen Förderungen ist grundsätzlich möglich, soweit die Gesamtförderung nicht die Höhe der Maßnahmenkosten überschreitet. Es werden keine Darlehen für Maßnahmen gewährt, bei denen im Zeitpunkt der Bewilligung für den erzeugten und ins Netz eingespeisten Strom eine Vergütung gewährt wird, die über der Mindestvergütung nach dem Stromeinspeisungsgesetz liegt.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Eine Zusatzfrage, bitte, Herr Kollege.

Prof. Dr. Paul Laufs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001293, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Welche Schlußfolgerungen für die Akzeptanz Ihres Programms ziehen Sie aus den Erfahrungen des früheren, bereits abgewickelten 2 000-Dächer-Programms, das mit staatlichen Investitionszuschüssen deutlich besser ausgestattet war?

Siegmar Mosdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001535

Herr Laufs, wir glauben, daß das 1 000-Dächer-Programm - so hieß es damals - zunächst ein Pilotprogramm war, das auch in einzelnen Fällen erfolgreich umgesetzt wurde, aber zum Beispiel bei der Frage, wie man im Umfeld dieses Programms einen Servicebereich etablieren kann, defizitär war. In manchen Landstrichen wurde nur ein Dach installiert, und dadurch bekommen Sie keine Handwerksstrukturen aufgebaut. Deshalb haben wir ein Großprogramm aufgelegt, ein 100 000-Dächer-Programm. Wir wollen nicht nur Pilotprojekte in Gang bringen, sondern wollen auf diesem Sektor wirklich etwas bewegen. Wir werden begleitend sehr genau beobachten, wie bei der Umsetzung des Programms gerade diese Defizite beseitigt werden.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Eine zweite Zusatzfrage. Bitte, Herr Kollege.

Prof. Dr. Paul Laufs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001293, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Geht die Bundesregierung bei ihrem Förderprogramm von der Anwendung bestimmter Photovoltaiktechniken aus, und wenn nicht, welche durchschnittlichen Kosten für die Erzeugung einer Kilowattstunde legen Sie zugrunde?

Siegmar Mosdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001535

Das kann ich Ihnen so jetzt nicht sagen. Ich würde das gern schriftlich beantworten.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Es gibt eine weitere Zusatzfrage. Herr Kollege Hollerith, bitte.

Josef Hollerith (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000946, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, von welchen Volumina an installierter Leistung gehen Sie dabei im ersten und in den Folgejahren aus, und ist dabei sichergestellt, daß die Produktionskapazität der Solarzellenfabriken in Deutschland für diese Nachfrage gerüstet ist?

Siegmar Mosdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001535

Das ist eine wichtige Frage. Deshalb haben wir das Programm progressiv angelegt. Sie wissen, wir starten in diesem Jahr mit einer relativ kleinen Einheit im Haushalt. Das Gesamtvolumen beträgt 1 Milliarde DM, aber auf den Gesamtzeitraum von 16 Jahren gerechnet. Wir gehen davon aus, daß parallel zu diesem Programm jetzt auch die Kapazitäten aufgebaut werden, weil in den letzten Jahren viele Produktionskapazitäten verlagert worden sind und Produktion bei uns nicht mehr stattfindet. Deshalb müssen die Produktionskapazitäten jetzt aufgebaut werden. Aber ich sage Ihnen: Ich vernehme, registriere und beobachte jetzt schon - wir überlegen auch, was wir tun können -, daß beim Aufbau dieser Produktionskapazitäten geholfen werden kann. Es gibt entsprechende Aktivitäten, so daß wir synchron fahren können. Es wäre nicht gut, wenn es eine Asynchronität in der Weise gäbe, daß das Programm jetzt läuft, aber wir importieren müßten. Deshalb wollen wir versuchen, es gemeinsam aufzubauen.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Ich rufe jetzt die Frage 4 des Kollegen Hofbauer auf. Beabsichtigt die Bundesregierung, bei der weiteren Diskussion um die Agenda 2000 ({0}) die Auffassung von Dr. Monika Wulf-Mathies, Mitglied der Europäischen Kommission, zu unterstützen, in Zukunft die Arbeitslosigkeit als wichtigstes Kriterium bei der Verteilung der Fördermittel in den Ziel-2-Gebieten zugrunde zu legen?

Siegmar Mosdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001535

Herr Kollege Hofbauer, Sie haben die Frage zum Thema Agenda 2000 formuliert. Für die Verteilung der Fördermittel in den Ziel-2-Gebieten hat die EU-Kommission eine einheitliche Mittelzuteilung pro Kopf der Ziel-2-Bevölkerung vorgesehen. Mit dieser Verfahrensweise ist die Bundesregierung einverstanden. Der Umfang des Ziel-2-Gebietes eines Mitgliedstaates hängt von den Kriterien ab, die zur Zeit noch in Brüssel verhandelt werden, auch während unserer Präsidentschaft. Arbeitslosigkeit ist davon eines, das auch von der Bundesregierung befürwortet wird. Sie wissen, es gibt weitere Kriterien. Aber wir reden über Einzelheiten mit der EU-Kommission.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Bitte, Herr Kollege Hofbauer.

Klaus Hofbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003149, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie wissen, Frau Kommissarin Wulf-Mathies bringt ganz klar und deutlich zum Ausdruck, daß die Arbeitslosigkeit in Zukunft das entscheidende Ziel sein soll. ({0}) - Die Arbeitslosigkeit. Sie spricht ausdrücklich von der Arbeitslosigkeit. Ich habe hier eine Rede vorliegen, die sie genau so gehalten hat. Sie spricht von der Arbeitslosigkeit. Wenn Sie heute feststellen, daß der Bereich Arbeitslosigkeit nicht das einzige Ziel sein soll, welche weiteren Schwerpunkte können Sie sich vorstellen?

Siegmar Mosdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001535, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wir hatten bisher, wie Sie wissen, Herr Kollege, auch andere Kriterien, die eine Rolle spielten. Es wird auch im Zusammenhang mit der Verhandlung über den deutschen Beitrag darüber zu reden sein, wie die Gewichtung der verschiedenen Kriterien angelegt wird. Daß die EU-Kommission ausdrücklich auf den Bereich der Arbeitslosigkeit abzielt, ist richtig. Diese zu bekämpfen, ist ein wichtiger Punkt. Das ist keine Frage. Das teilen wir auch als Bundesregierung. Aber die weiteren Kriterien, die wir immer hatten - wie etwa die Frage der Bevölkerungsdichte in bestimmten Regionen, Infrastruktur und ähnliche Dinge -, werden wir ins Gesamtpaket der Gespräche mit einbeziehen.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Es gibt eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Hinsken. Bitte.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, Sie haben dieses Thema heute ganz kurz im Wirtschaftsausschuß des Bundestages abgehandelt und angekündigt, sich darum zu bemühen, daß die dafür verantwortlichen EU-Kommissare auch für Gespräche in Brüssel oder in Bonn zur Verfügung stehen. Welche Linie wird dann die Bundesregierung hier einnehmen? Ist Ihre hier vorgetragene Meinung auch die des Bundesfinanzministers?

Siegmar Mosdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001535

Herr Kollege, Sie spielen auf einen wichtigen Punkt an. Sie wissen, daß nach den neuen Ressortzuschnitten der Bundesfinanzminister für den Strukturfonds und für die Beihilfen zuständig ist - das ist also anders, als es in der Vergangenheit der Fall war -, während das Bundeswirtschaftsministerium weiterhin für die Ministerräte Binnenmarkt, Energie, Industrie, Telekommunikation und Verbraucher zuständig sein wird. Deshalb werden wir in der Tat über diese Frage und darüber, wie wir in den Verhandlungen weiterverfahren, auch mit dem Bundesfinanzminister reden müssen. Das ist keine Frage. In Brüssel sind Frau Wulf-Mathies und Herr van Miert für den Beihilfebereich zuständig. Wir beide wissen und das Haus weiß, daß es bei Ihnen in der Union ganz unterschiedliche Auffassungen zu dieser Frage gibt. Sie wissen, Herr Uldall möchte die Mittel erheblich kürzen. Betroffene Ziel-2-Gebiete, aber auch ostdeutsche Bundesländer haben da andere Vorstellungen. Das zeigt nur das Spektrum der Beratungen der Diskussion, das in den nächsten Wochen vor uns liegt. Ich verhehle nicht, daß wir natürlich auch innerhalb der Regierungskoalition, innerhalb der Bundesregierung über die genaue Positionierung in dieser Frage reden müssen. Aber ich sage auch, das hat etwas mit der Nettozahlerposition der Bundesregierung zu tun. Es gibt einen Zusammenhang mit den Fragen der Finanzen der EU.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Die Anfragen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familien, Senioren, Frauen und Jugend werden schriftlich beantwortet. Wir kommen nunmehr zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin, Frau Christa Nickels, zur Verfügung. Ich rufe die Frage 7 des Abgeordneten Weiß ({0}) auf: Wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, daß es infolgeder im Gesetz zur Stärkung der Solidarität in der gesetzlichen Krankenversicherung ({1}) vorgesehenen Regelungen ({2}) in einigen Bundesländern zu Kürzungen des Honorarvolumens beim ambulanten Operieren kommt, wie zum Beispiel in Hessen, wo der vorgesehene Betrag um 30 % gekürzt werden soll und deswegen im Bereich des ambulanten Operierens Arbeitsplatzverluste zu erwarten sind?

Christa Nickels (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001601

Herr Kollege Weiß, für das Gesundheitsministerium beantworte ich Ihre Frage wie folgt: Das GKV-Solidaritätsstärkungsgesetz enthält eine Regelung zur Förderung der Strukturverträge, die bis zum 30. November 1998 nach § 73 a Sozialgesetzbuch V abgeschlossen worden sind. Danach können die Gesamtvergütungen zur Finanzierung der in diesen Verträgen vorgesehenen vertragsärztlichen Leistungen um einen zusätzlichen Betrag erhöht werden, der sich auf bis zu 0,6 Prozent der jeweiligen Gesamtvergütung belaufen kann. Soweit dieser zusätzliche Finanzierungsspielraum durch den Finanzierungsbedarf, der mit den bestehenden Strukturverträgen verbunden ist, überschritten wird, sind die entsprechenden ärztlichen Leistungen - in Hessen sind das vor allem ambulante Operationen - wie auch in anderen Regionen aus der von den Krankenkassen gezahlten Gesamtvergütung zu honorieren. Die bereits vor dem Inkrafttreten des GKVSolidaritätsstärkungsgesetzes geltende Regelung des § 73a SGB V setzt voraus, daß in Strukturverträgen neue Versorgungs- und Vergütungsstrukturen vereinbart werden, die entweder einen vom Versicherten gewählten Hausarzt oder einen vom Versicherten gewählten Verbund haus- und fachärztlich tätiger Vertragsärzte zum Gegenstand haben. Der Gesetzgeber hatte ausdrücklich nicht die Absicht, durch Strukturverträge Sonderbudgets für ambulante Operationen einzuführen, die die Krankenkassen zusätzlich zu der von ihnen gezahlten Gesamtvergütung belasten. Die mit dem ambulanten Operieren verbundenen Fragen der hier angemessenen Versorgungs- und Vergütungsstruktur sind im Rahmen der anstehenden Strukturreform eingehend zu diskutieren. Sie werden auch eingehend diskutiert.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Weiß, bitte.

Gerald Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003256, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, ist Ihnen bekannt, daß der Betrag von plus 0,6 Prozent bei der eben von Ihnen erwähnten Sonderregelung für das ambulante Operieren im Ergebnis dennoch bedeutet, daß statt der Gesamtvergütung von 82 Millionen DM für das ambulante Operieren im Jahre 1999 nur 58 Millionen DM zur Verfügung stehen werden und daß viele Praxen auf Grund dieser Budgetierung und dieser limitierten Möglichkeit, ambulant zu operieren, spätestens im Frühherbst ernsthafte Probleme bekommen werden?

Christa Nickels (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001601

Herr Kollege, Sie wissen, daß diese Frage kurz vor der Weihnachtspause 1998 schon Gegenstand einer Parlamentsdebatte im hessischen Landtag war. Dort ist intensiv darüber diskutiert worden und die Problematik von allen Fraktionen noch einmal vorgestellt worden. Die zuständige Ministerin für Arbeit und Sozialordnung, Frau Stolterfoht, hat dazu folgendes gesagt - mit Genehmigung der Präsidentin möchte ich kurz aus dem „Vorläufigen Bericht der 116. Plenarsitzung - 14. Wahlperiode“ in Hessen zitieren -: Erstens. Die in Hessen abgeschlossenen Verträge zum ambulanten Operieren beinhalten eine Regelung, nach der die derzeitigen Mehrausgaben bis Ende des Jahres 2000 an anderer Stelle der ärztlichen Gesamtvergütung eingespart werden müssen ... Das heißt, es spricht nichts dagegen, sofort und gleich damit anzufangen. Es war nie daran gedacht, die Gesamtkosten auszuweiten, sondern es war daran gedacht, mit den Strukturverträgen letztlich Einsparungen zu erzielen. Dazu haben sich die niedergelassenen Ärzte auch verpflichtet - weitgehend unbekannt, wenn man jetzt so lamentiert. Weiter führte die Ministerin aus - ich zitiere -: Zweitens. Die Hessische Landesregierung ist natürlich aktiv für das ambulante Operieren durch Beratung und Mitwirkung - aber Hauptakteure sind die Kassenärztliche Vereinigung und die Verbände der Krankenkassen. Diese haben natürlich längst Möglichkeiten erörtert, wie sie mit der jetzigen Situation umgehen und die Strukturverträge so weiterentwickeln, daß das ambulante Operieren nicht eingeschränkt werden muß. Konkret liegt in meinem Hause ein Antrag auf Genehmigung einer bestimmten Weiterentwicklung. Das heißt, es wird weitergehen. Drittens. Die Hessische Landesregierung wird im Rahmen der Diskussion um eine wirkliche Gesundheitsstrukturreform im ersten Halbjahr 1999 auf eine bedarfsgerechte Finanzierung der ambulanten Operationen dringen. Das Fazit von Ministerin Stolterfoht lautet wie folgt: Meine Damen und Herren, angesichts der zahlreichen Verbesserungen, die dieses Solidaritätsgesetz bringt - nämlich Senkung der Zuzahlungen, Herausnahme von chronisch Kranken aus den Zuzahlungen, Herausnahme der Elemente der Privatversicherungen aus der GKV - ist dies eine zu vernachlässigende Größe, ein Problem, das geregelt werden wird. Das war ein wörtliches Zitat der zuständigen Ministerin. Ich habe keinen Zweifel daran, daß das von der Ministerin auch entsprechend umgesetzt werden wird.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Eine zweite Zusatzfrage? - Bitte, Herr Kollege.

Gerald Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003256, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, ich möchte dem nachgehen, was die Bundesregierung eben durch Sie angekündigt hat. Sie haben gesagt, bei der grundlegenden Strukturreform, die man sich vorgenommen habe, werde auch das Problem des ambulanten Operierens gelöst werden. In welcher Weise stellen Sie sich dies vor?

Christa Nickels (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001601

Herr Kollege, Sie wissen ja, daß man schon 1993, als im Rahmen des GSG das ambulante Operieren gefördert werden sollte, wegen bestimmter Regelungen erschrocken feststellen mußte, daß der Effekt dessen, was man beabsichtigt hatte, nicht erreicht worden ist. Konkret gab es das Problem, daß es hier durch eine bestimmte Förderung zu Mengenausweitungen gekommen ist, die im einzelnen nicht mit dem Interesse des Patienten oder mit therapeutischen Notwendigkeiten zu erklären waren. Hier nenne ich die arthroskopische Knieoperation als ein Beispiel, das Sie kennen und das auch heute noch in einigen Bereichen aktuell ist. Darum muß man sorgfältig erwägen, welches die Voraussetzungen sein sollen. Wir werden im Rahmen der Strukturreform drei Komplexe eingehend erörtern und prüfen, die ich Ihnen im folgenden nenne. Erstens ist für uns von Bedeutung, in welchem Rahmen ambulante Operationen tatsächlich zu einer Entlastung des stationären Sektors führen werden. Eine Studie im Auftrage des BMG aus dem Jahre 1994 kam zu dem Ergebnis, daß für ausgewählte Operationen nur ein geringer Substitutionseffekt erreicht worden ist, daß also bei einer hohen Leistung für die Patientinnen und Patienten tatsächlich nur geringe Einsparungen erzielt worden sind. Die Auswertungen der verfügbaren Statistiken für 1995 und 1996 im BMG haben ergeben, daß der in den Jahren zu verzeichnende Rückgang stationärer Operationen mit einem entsprechenden Zuwachs ambulanter Operationen durch die Krankenhäuser einhergegangen ist, so daß über die Summe aller Fälle kein Verlagerungseffekt erkennbar war. Darum muß also hier ganz genau geprüft werden, in welchem Rahmen ambulante Operationen tatsächlich zu einer Entlastung des stationären Sektors führen. Zweitens ist im Zusammenhang mit diesen Beratungen ein sehr wesentlicher Punkt, inwieweit die Expansion des ambulanten Operierens auf eine Indikationsausweitung ohne Substitutionseffekt für den stationären Bereich zurückzuführen ist. Hier wird von den ambulanten Operateuren nicht bestritten, daß das verstärkte Angebot ambulanter Operationen auch zu einer stärkeren Inanspruchnahme führt. Der § 73a, Strukturverträge, will ja beides: Er will neue Netze und neue Formen von Verzahnung ermöglichen, aber ausdrücklich auch weiterhin eine Beitragsstabilität erreichen. Es ist ja wirklich nicht nachvollziehbar - ich habe gerade an die Knieoperationen erinnert; das ist immer das beste Beispiel -, warum in den Gebieten, in denen ambulantes Operieren stärker ermöglicht wird, so viele Leute mehr als im Bundesdurchschnitt arthroskopische Knieoperationen benötigen, auch mehr, als früher stationär durchgeführt worden sind. Drittens ist im Zusammenhang mit der Gesundheitsreform zu prüfen, wie kostengünstigeres ambulantes Operieren tatsächlich zu Einsparungen für die GKV statt wie bisher nur zu einer Ausweitung des Mittelbedarfs im ambulanten Bereich ohne Absenkung des Mittelbedarfs im stationären Bereich führen kann. Wohlgemerkt, eine stärkere Verzahnung von ambulant und stationär ist erwünscht; das ist auch eine Vorgabe der Strukturreform. Überall dort, wo es sinnvoll ist, sollen ambulante Leistungen ermöglicht werden. Aber es darf nicht dazu kommen, daß unter der Überschrift des ambulanten Operierens reine Vergütungsverträge geschlossen werden. Im einzelnen ist das aber alles Sache der Spitzenverbände und der Landesebene sowie der Aufsichtsgremien, die das regeln werden. Wir werden dazu das Notwendige von unserer Seite prüfen, beraten und dann auch in die Strukturreform einbeziehen.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Ich rufe nunmehr den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung auf. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Wolf-Michael Catenhusen zur Verfügung. Ich rufe die Frage 8 des Abgeordneten Hinsken auf: Inwieweit ist die Bundesregierung bereit, das durch die Bayerische Staatsregierung geplante und in Straubing zu errichtende Kompetenzzentrum für Biotechnologie ideell und insbesondere finanziell zu unterstützen?

Wolf Michael Catenhusen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000326

Lieber Kollege Hinsken, für das Bundesministerium für Bildung und Forschung beantworte ich Ihre Frage wie folgt: Die Bundesregierung begrüßt alle Initiativen zur Stärkung des Forschungsstandortes Deutschland. Das gilt auch für den Bereich der Bio- und Gentechnik, in dem nach dem erfolgreichen Beispiel des BioregioWettbewerbs viele Bundesländer regionale Kompetenzzentren entwickeln wollen. Ein Beispiel aus dem Bereich Berlin/Brandenburg ist das Biotopprojekt; auch der Freistaat Bayern versucht jetzt, solche Kompetenzzentren zu entwickeln. Vorbehaltlich der Ressortzuständigkeit ist das Bundesministerium für Bildung und Forschung, bereit, eine Förderung des geplanten Kompetenzzentrums für Biotechnologie in Straubing im Rahmen der Projektförderung des Programms „Biotechnologie 2000“ zu prüfen. Sobald ausgearbeitete Projektanträge vorliegen, können diese auf dem üblichen Wege eingereicht werden. Auf Wunsch der Stadt Straubing wurde bereits ein Gesprächstermin mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung noch für den Januar vereinbart, in dessen Rahmen der Oberbürgermeister der Stadt Straubing das Konzept für das Kompetenzzentrum Straubing vorstellen wird.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Hinsken, Ihre Zusatzfrage, bitte.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär Catenhusen, gibt es solche Kompetenzzentren, die so ausgerichtet sind, wie das Kompetenzzentrum in Straubing ausgerichtet werden soll, bereits weltweit oder europaweit, und welche Bedeutung messen Sie der Biotechnologie insgesamt gesehen bei?

Wolf Michael Catenhusen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000326

Eine solche Frage nach dem Konzept von Straubing vor der Präsentation in meinem Hause zu beantworten fällt mir etwas schwer. Sie wissen, daß das Projekt im Bereich der Pflanzenzucht angesiedelt ist. Wir gehen ganz offen an die Prüfung dieses Projekts heran. Natürlich spielt bei der Bewertung auch eine Rolle, in welcher Weise sich die Projektideen in die vorhandene Forschungsinfrastruktur im Bereich der grünen Bio- und Gentechnik, in dem wir in mehreren Bundesländern im Rahmen von Bundesforschungsanstalten Konzepte entwickelt haben, einfügen. Was die wirtschaftlichen Perspektiven der Bio- und Gentechnik angeht, wird weltweit natürlich dem Pharmabereich die größte Bedeutung zugemessen. Mittlerweile arbeiten aber auch Hunderte von privat finanzierten Risikokapitalfirmen an der kommerziellen Verwertung von Erfindungen im Bereich der grünen Gentechnik. Wir werden ganz offen an die Prüfung des Konzepts in Straubing herangehen werden.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Eine zweite Zusatzfrage bitte, Herr Kollege.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Catenhusen, nachdem Sie bereits einen Termin mit Gesprächspartnern aus Straubing für Anfang nächster Woche arrangiert haben, habe ich gedacht, daß Sie zumindest wissen, um was es geht, und daß Ihnen auch Unterlagen zugeleitet wurden, die Aufschluß darüber geben, was genau beabsichtigt ist. Wenn ich davon ausgehe, daß Sie diese Unterlagen gelesen haben, müßten Sie doch auch die Aussage treffen können, um die ich Sie bitte.

Wolf Michael Catenhusen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000326

Ich wiederhole meine Antwort, lieber Kollege Hinsken: Wir treffen keine abschließende Bewertung - vor allem nicht öffentlicher Art -, bevor wir nicht mit denjenigen, die diese Projektideen vertreten, ein Gespräch geführt haben. Wir bilden unsere abschließende Meinung im Hause auch erst nach dem Gespräch mit den Betreffenden. Das würden Sie, wie ich glaube, an unserer Stelle genauso handhaben.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Ich rufe die Frage 9 des Abgeordneten Hinsken auf: Wie viele Mittel will die Bundesregierung im kommenden Bundeshaushalt für Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen zur Verfügung stellen, wie z. B. das Kompetenzzentrum in Straubing, und mit welchem Finanzanteil an diesem ca. 50Millionen-DM-Projekt könnte gerechnet werden?

Wolf Michael Catenhusen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000326

Herr Kollege Hinsken, die Bundesregierung wird 1999 allein im Haushalt des Bundesministeriums für Bildung und Forschung für die institutionelle und Projektförderung im Bereich der Biotechnologie rund 1 Milliarde DM bereitstellen. Konkret kann ich Ihnen sagen, daß die Mittel für Projektförderung im kommenden Bundeshaushalt gegenüber den Zahlen für 1998 um 22 Millionen DM von 168 Millionen auf 190 Millionen DM - erhöht werden. Darüber hinaus werden auch von anderen Ressorts, insbesondere vom Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Arbeiten auf diesem Gebiet gefördert - etwa bei Bundesforschungsanstalten und bei Blaue-Liste-Instituten. Einzelheiten zu den zahlreichen bereits existierenden, institutionell von der Bundesregierung finanzierten Forschungseinrichtungen der Biotechnologie und zum Umfang der von der neuen Bundesregierung fortgeführten institutionellen Förderung können Sie dem Teil V des Faktenberichts 1998 zum Bundesbericht Forschung entnehmen. Ich möchte aber schon an dieser Stelle darauf hinweisen, daß für uns eine mögliche Projektförderung natürlich Vorrang hat, da wir eine Vielzahl von Wünschen auf Anschubfinanzierung solcher regionalen Kompetenzzentren aus verschiedenen Bundesländern erwarten. Ob und inwieweit eine Förderung des geplanten Kompetenzzentrums für Biotechnologie in Straubing aus Projektmitteln des BMBF möglich ist, kann natürlich erst nach Vorlage und Prüfung des Konzepts für diese Einrichtung und natürlich auch erst nach der üblichen Begutachtung konkreter Vorhaben entschieden werden. Diese Prüfung wird mit Sicherheit aber auch schnell durchgeführt werden.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Ihre Zusatzfrage. Bitte, Herr Kollege.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gestatten Sie zunächst die Feststellung, daß hier keine regionale Einrichtung geschaffen werden soll. Vielmehr wird das Kompetenzzentrum eine landesweite Einrichtung sein und deshalb bestimmt einen anderen Charakter haben. Herr Kollege Catenhusen, deshalb meine Frage: Können Sie sich vorstellen, daß eine solche Einrichtung seitens des Bundes mit bis zu 25 oder 30 Prozent gefördert wird, weil hier etwas geschaffen wird, wovon letztlich auch die Bundesrepublik Deutschland profitieren kann?

Wolf Michael Catenhusen (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000326

Ich kann zu diesem Zeitpunkt, wenn ich keine Stellung nehme, solche Dinge natürlich auch nicht grundsätzlich ausschließen. Ich weise nur darauf hin, daß der Bund, bevor er sich zu institutioneller Förderung verpflichtet, auf ein bestimmtes Prüfungsverfahren angewiesen ist. Sie wissen, es gibt gewisse Verabredungen zwischen den Ländern, etwa im Rahmen der Blaue-Liste-Institute, wie auch Ansprüche verschiedener Länder, was institutionelle Förderung angeht. Diese müssen zu einem gewissen Ausgleich gebracht werden. Ich glaube, wir sollten bei der weiteren Diskussion über eine mögliche Aktivität des Bundes auch bei dem Projekt in Straubing von dem Begriff Anschubfinanzierung reden. Die Einrichtungen, die jetzt in den Regionen entstehen, haben keine regionale Zielsetzung. Sie sind zwar regional verankert, verfolgen aber natürlich die Zielsetzung, mit ihren Innovationen und ihrem Know-how dem nationalen und internationalen Standard in diesem Bereich gerecht zu werden. Nur dann können sich solche Einrichtungen erfolgreich am Forschungsmarkt oder auch in innovatorischen Impulsen für neue Unternehmen bewähren. Da sind wir uns sicherlich einig, Herr Hinsken.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Eine weitere Zusatzfrage. Bitte, Herr Kollege.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Mit wieviel Prozent Zuschuß sind bisher gleichgelagerte Projekte in der Bundesrepublik gefördert worden? Wenn Sie, Herr Staatssekretär, sich jetzt nicht in der Lage sehen, mir diese Antwort zu geben - ich weiß selber, daß das vorkommen kann -, bitte ich darum, diese Antwort möglichst bald schriftlich zu bekommen - wenn ich den Wunsch äußern darf: noch in dieser Woche - weil ich eher informiert werden möchte als Kommunalpolitiker aus meiner Heimat, die zu Ihnen kommen, um einen Gesprächstermin wahrzunehmen.

Wolf Michael Catenhusen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000326, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich verstehe Ihren Wunsch und weise nur auf folgendes hin: Ich gehe nicht davon aus, daß bei der ersten Kontaktaufnahme zwischen dem BMBF und denjenigen aus Straubing, die das Projekt vorstellen, Vereinbarungen über Zahlen getroffen werden. Das sage ich in aller Deutlichkeit. Deshalb haben Sie auch keine Probleme, daß Kommunalpolitiker schneller etwas erfahren als Sie. Ich sichere Ihnen aber zu, daß Sie umgehend informiert werden, sobald konkrete Vereinbarungen über mögliche Projekte in Straubing getroffen werden, und nicht nach den Kommunalpolitikern. Die Bundesregierung sollte den Abgeordneten eine umfassende und möglichst schnelle Information zusichern.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Es gibt eine weitere Zusatzfrage. Herr Kollege Brecht.

Dr. Eberhard Brecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000254, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, gehe ich recht in der Annahme, daß Sie angesichts der sehr erfreulichen Zunahme bei der Förderung von Projekten der Gentechnik und Biotechnologie von 22 Millionen, die Sie eben erwähnt haben, keine Behinderung von Genehmigungsverfahren zulassen werden? Darf ich in diesem Zusammenhang fragen, ob das Robert-KochInstitut auch 1999 Genehmigungsbehörde für solche Vorhaben bleiben wird?

Wolf Michael Catenhusen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000326, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich sehe keinen Anlaß dazu, die Feststellung des Vorgängers im Amt des Bundesministers für Bildung und Forschung, Herrn Rüttgers, zu korrigieren, daß unter den bestehenden rechtlichen Bedingungen von erkennbaren Hemmnissen für die bio- und gentechnische Forschung in Deutschland durch Genehmigungsverfahren keine Rede sein kann. Die in der Koalitionsvereinbarung festgelegte Überprüfung der Genehmigungszuständigkeiten wird nach unserer Erwartung in einer Weise erfolgen, aus der sich keine Verzögerung laufender oder noch zur Begutachtung einzureichender Projekte insbesondere auch im Bereich von Freisetzungsexperimenten ergeben wird.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Die Fragen 10 und 11 des Abgeordneten Schmitt werden schriftlich beantwortet. Ebenso werden die Fragen 12 bis 15, also sämtliche Fragen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern, schriftlich beantwortet. Ich rufe nunmehr den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen auf. Zur Beantwortung der Fragen steht die Parlamentarische Staatssekretärin Frau Dr. Barbara Hendricks bereit. Ich rufe die Frage 16 des Abgeordneten Weiß auf: Welche Konsequenzen wird die Bundesregierung daraus ziehen, daß die im Entwurf eines Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 ({0}) vorgesehene Streichung der steuerlichen Absetzbarkeit von Schulgeldern viele der in Deutschland ansässigen und als Standortfaktor wichtigen internationalen Schulen in ihrem Weiterbestand gefährdet? Dr. Barbara Hendricks Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister der Finanzen: Herr Kollege Weiß, die im Entwurf eines Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/ 2002 vorgesehene Streichung des Sonderausgabenabzugs von Schulgeld betrifft nicht die genannten Schulen, sondern die Eltern der Schulkinder. Da nach der derzeitigen Regelung nur 30 Prozent des gezahlten Schulgeldes als Sonderausgaben abziehbar sind, ist die steuerliche Auswirkung für die einzelnen Eltern in der Regel nur sehr geringfügig. Durch die Anhebung des Kindergeldes und die Senkung der Steuersätze dürfte sich auch bei diesen Familien insgesamt eine Entlastung ergeben. Aus diesem Grund sehe ich weder für die genannten Schulen noch für den Bildungs- und Wirtschaftsstandort Deutschland Nachteile.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Bitte, Herr Kollege, Ihre Zusatzfrage.

Gerald Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003256, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, haben Sie bisher keine kritischen Stimmen der betroffenen internationalen Schulen zur Kenntnis nehmen können?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Doch, Herr Kollege Weiß, es hat durchaus kritische Stimmen gegeben. Aber die gibt es immer. Wenn man ein Steuergesetz ändert, so wie es zwischen allen Teilen dieses Hauses prinzipiell unbestritten ist - auf der einen Seite die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage und auf der anderen Seite die Senkung der Steuersätze gleichsam als kommunizierende Röhren -, dann sagen sehr häufig diejenigen, die unmittelbar betroffen sind: Na klar, das Prinzip erkenne ich an; aber gerade bei mir darf es doch nicht wirksam werden. Genauso muß ich auch die Einlassung der internationalen Schulen werten.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Bitte, Ihre zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Weiß.

Gerald Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003256, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, sehen Sie nicht doch negative Auswirkungen auf die Bereitschaft ausländischer Führungskräfte, die in anderen Ländern, beispielsweise in Belgien und Großbritannien, insoweit deutlich günstigere Bedingungen antreffen, nach Deutschland zu kommen? Leidet nicht die Attraktivität des Standorts Deutschland hinsichtlich der Freizügigkeit unter den von Ihnen geplanten Maßnahmen?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Kollege Weiß, ausländische Führungskräfte gehören im Regelfall nicht zu den Geringverdienern und werden im übrigen auch durch das Steuerentlastungsgesetz, das für alle in Deutschland ansässigen Steuerbürger gelten soll, begünstigt. Ich glaube nicht, daß dies einen wesentlichen Ausschlag bezüglich der Investitionsentscheidungen von ausländischen Unternehmen geben kann. Dafür sind die Investitionsbedingungen als solche ausschlaggebend. Eine solche Nebenerscheinung ist nicht tatsächlich wesentlich. Im übrigen wird man auch überlegen müssen, wie viele ausländische Führungskräfte mit ihren Familien auf Dauer in der Bundesrepublik Deutschland leben. Auch da muß man differenzieren.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Frau Kollegin Pieper, auch Sie haben eine Zusatzfrage. Bitte.

Cornelia Pieper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003208, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Meine Zusatzfrage ist mit dem gestrigen Beschluß des Bundesverfassungsgerichts verbunden. Wie Sie wissen, stehen die Schulen in freier Trägerschaft den Kindern von Eltern aller sozialen Schichten der Bevölkerung bis hin zu Kindern mit Behinderungen zur Verfügung. Betroffen sind nicht allein Eliteschulen; vielmehr sind insbesondere Kinder aus sozial schwächeren Elternhäusern betroffen. Inwieweit besteht Übereinstimmung Ihrer Aussagen mit dem gestrigen Beschluß des Bundesverfassungsgerichts, das ganz deutlich gemacht hat, daß die steuerliche Abzugsfähigkeit, was solche Bildungseinrichtungen anbelangt, was Freizeitangebote anbelangt und was das Engagement von Kindern und Jugendlichen in Vereinen anbelangt, mehr gewährleistet werden muß. Das Vorhaben der Bundesregierung widerspricht dem Wesen des gestern bekanntgewordenen Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts.

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Frau Kollegin Pieper, die derzeitige Regelung, also die Absetzbarkeit von 30 Prozent der Schulgeldkosten, durchbricht den schon vor dem gestern bekanntgewordenen Beschluß geltenden Grundsatz, wonach alle kindbedingten Aufwendungen durch Kindergeld oder Kinderfreibetrag steuerlich abgegolten werden. Es lag also schon bisher eine Durchbrechung des bis jetzt noch immer gültigen Grundsatzes vor. Die Ausnahme läßt sich sicher angesichts der beabsichtigten spürbaren Erhöhung des Kindergeldes künftig noch weniger rechtfertigen als bisher. Gleichwohl werden wir den gesamten Komplex im Lichte des gestern bekanntgewordenen Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts erneut zu prüfen haben. Im Beschluß des Bundesverfassungsgerichts ist allerdings von Kinderbetreuungskosten die Rede. Der Gesetzgeber wird abzugrenzen haben, was denn Kinderbetreuungskosten sind. Abgesetzt werden können wohl nur nachgewiesene Kosten bis zu einer festgesetzten Grenze. Ich vermag nicht zu entscheiden, ob etwa Freizeitgestaltungskosten dazugehören; ich würde prima vista eher nein sagen. Das Schulgeld könnte in diesem Zusammenhang erneut eine Rolle spielen, würde dann aber - ich kann nach erster Prüfung des Beschlusses dazu keine abschließende Aussage machen; dafür bitte ich Sie um Verständnis - als nachgewiesene Kosten einbezogen werden müssen.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Die nächste Zusatzfrage kommt vom Kollegen Wiese.

Heinz Wiese (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003261, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, hat die Bundesregierung in diesem Zusammenhang bei ihren Überlegungen zur Streichung schon einmal an eine Deckelung oder an irgendeine finanzielle Differenzierung gedacht, da unter Umständen ja auch Kinder von Eltern aus anderen Einkommensverhältnissen sogenannte Eliteschulen besuchen? Es ist ja eine Tatsache, daß in anthroposophischen Einrichtungen im besonderen Kinder aus sozial schwächeren Familien betreut werden, die teilweise Behinderungen haben und einer sonderpädagogischen Betreuung bedürfen. Die meisten dieser Kinder kommen aus Familien, die mit Sicherheit die Streichung dieses Satzes von 30 Prozent nicht verkraften können.

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Kollege, die ursprüngliche Frage Ihres Kollegen Weiß richtete sich gerade - ich zitiere jetzt Ihre Worte - auf die sogenannten Eliteschulen. Die internationalen Schulen wird man auch von den Gebühren, die dort verlangt werden, eher in diese Kategorie einordnen müssen. Ich will mir dieses Wort gar nicht zu eigen machen, weil es möglicherweise als Unterstellung aufgefaßt wird. Von den Kosten her, die dort anfallen, wird man diese Schulen jedenfalls in diesen Bereich einordnen müssen. Auf der anderen Seite sollten Sie bitte beachten, daß gerade Familien mit geringerem Einkommen von einem Sonderausgabenabzug - sei er auch gering, also etwa 30 Prozent des Schulgeldes - nur in sehr beschränktem Umfang profitieren. Das ist bei jedem progressiven Steuertatbestand so. Möglicherweise sind die Familien, die Sie angesprochen haben, schon durch die bisherige Rechtslage nicht gerade spürbar entlastet worden. Dagegen war für Eltern, die ein höheres Einkommen hatten und höhere Kosten für die jeweiligen schulischen Einrichtungen geltend machen konnten, eine spürbare Entlastung gegeben. Ebenso, wie ich es bei meiner Antwort auf die Frage der Kollegin Pieper getan habe, möchte ich auch bei Ihnen um Verständnis bitten, daß wir dies im Zusammenhang mit der Umsetzung des gestern bekanntgewordenen Verfassungsgerichtsurteils neu bewerten müssen.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Frau Kollegin Nolte, Ihre Zusatzfrage bitte.

Claudia Nolte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001621, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, auf Grund Ihrer Antwort an Frau Kollegin Pieper möchte ich Sie fragen, ob Sie bestätigen oder widersprechen, daß das Bundesverfassungsgericht gestern gesagt hat, es bestehe unabhängig davon, ob wirklich Kosten anfallen, ein Betreuungs- und Erziehungsbedarf, der den Eltern zuzugestehen ist. Deshalb hat das Bundesverfassungsgericht ja auch ausdrücklich gesagt, daß es die Ungleichbehandlung von Alleinerziehenden und Eltern beseitigen will; das heißt, der Alleinerziehenden zusteParl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks hende Haushaltsfreibetrag, der heute ja auch nicht durch irgendwelche Belege nachgewiesen werden muß, muß analog auch gemeinsam erziehenden Eltern zugestanden werden, da Erziehungs- und Betreuungsbedarf explizit vorhanden sind, unabhängig davon, ob real Kosten entstehen.

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Frau Kollegin Nolte, ich will Ihre Frage nicht abschließend beantworten, denn der Verfassungsgerichtsbeschluß muß natürlich noch geprüft werden. Auch uns ist der Beschluß erst gestern bekanntgeworden. Schon bei der bisher gültigen Regelung für Alleinerziehende war ein Nachweis der Kinderbetreuungskosten grundsätzlich notwendig. ({0}) Im Beschluß des Bundesverfassungsgerichts ist allerdings neu, daß die Kosten für die Betreuung der in bestehenden Ehen lebenden Kinder in Zukunft unabhängig von der Tatsache berücksichtigt werden sollen, ob beide Eltern berufstätig sind. Dies ist in der Tat ein neuer Punkt im Beschluß des Bundesverfassungsgerichts, der in der bisherigen Rechtsprechung nicht vorhanden war; denn diese Ausnahmetatbestände zugunsten der Nichtverheirateten beruhen auf einem Urteil von 1982. In diesem Urteil war zur Bedingung gemacht worden, daß die Eltern für den Lebensunterhalt arbeiten müssen und infolgedessen keine andere Wahl haben, als Kinderbetreuung gegen Entgelt „einzukaufen“. Hier liegt in der neuen Rechtsprechung, die uns gestern bekanntgeworden ist, in der Tat ein Unterschied. Ich will keine Aussage zu der in Ihrer Frage enthaltenen Annahme machen, daß die Kosten nicht immer nachgewiesen werden müssen. Diesen Punkt müssen wir noch prüfen. Klar ist allerdings: Es muß nicht mehr nachgewiesen werden, daß beide Eltern arbeiten oder arbeiten müßten, um den Lebensunterhalt der Familie zu bestreiten. Dies war die Voraussetzung in dem alten Urteil von 1982. Was den Haushaltsfreibetrag anbelangt, so prüfen wir, welche Auswirkungen der Beschluß hat. Eindeutig klar ist, daß der Haushaltsfreibetrag in Zukunft auf Grund des Gleichheitsgrundsatzes, den das Bundesverfassungsgericht sehr deutlich hervorgehoben hat, nicht mehr ausschließlich für Alleinerziehende gewährt werden kann. Welche Wirkungen sich in Zukunft auf der einen Seite für Verheiratete und auf der anderen Seite für Nichtverheiratete unter Beachtung des Gleichheitsgrundsatzes ergeben werden, müssen wir noch prüfen.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Die Frage 17 wird schriftlich beantwortet. Ich rufe jetzt die Frage 18 des Kollegen Seiffert auf. Wie hoch waren die Teilwertabschreibungen insgesamt, die von den Wirtschaftsbereichen im Jahre 1997 in den Steuererklärungen geltend gemacht wurden?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Kollege Seiffert, die amtliche Einkommensteuerstatistik enthält keine Angaben über die geltend gemachten Teilwertabschreibungen. Auch aus anderen Quellen liegen keine statistischen Daten hierzu vor.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Eine Zusatzfrage? Bitte, Herr Kollege.

Heinz Seiffert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002797, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, wie kommen Sie dann zu der Annahme, daß etwa 3,6 Milliarden DM eingespart werden können, wenn die Teilwertabschreibungen künftig steuerlich nicht mehr berücksichtigt werden können?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Diese Annahme beruht natürlich auf einer Schätzung. Bei dieser Schätzung der finanziellen Auswirkungen der Streichung der Teilwertabschreibung ist das Bundesfinanzministerium zunächst davon ausgegangen, daß durch konzerninterne Veräußerungen von Wirtschaftsgütern zum Teil Wertverluste in großem Umfang trotz Wegfalls der Teilwertabschreibung kompensiert werden können. In Abstimmung mit Vertretern der Länderfinanzverwaltungen ist das verbleibende Volumen wegfallender Teilwertabschreibungen auf rund 8 Milliarden DM geschätzt worden. Daraus lassen sich die im Finanztableau des Entwurfs des Steuerentlastungsgesetzes enthaltenen Steuermehreinnahmen ableiten.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Eine weitere Zusatzfrage.

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, da Sie im Finanztableau den Betrag von 3,6 Milliarden DM pro Jahr ausweisen, möchte ich fragen: Ist Ihnen bekannt, daß bei Teilwertabschreibungen auch in der Zukunft Minderansätze eintreten werden? Ist Ihnen andererseits bekannt, daß mit dem jetzigen Gesetzestext sehr viel höhere Belastungen in einzelnen Branchen zu Existenzvernichtungen führen können?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Kollege Michelbach, es ist uns natürlich bekannt, daß der Wegfall der Teilwertabschreibungen, wie viele andere Maßnahmen in unserem Steuergesetzentwurf auch, lediglich Einmaleffekte darstellt. Wenn man einmal eine stille Reserve gehoben hat, dann ist sie gehoben und kann für die dann fällige Bilanz nicht noch einmal wirksam werden. Das dies dennoch einen Liquiditätsverlust für die Betroffenen darstellt, will ich nicht in Abrede stellen. Zu dem Merkmal von Einmaleffekten gehört eben, daß sie nicht auf Dauer wirksam sind. Darum ist auch die verbreitete Kritik der Wirtschaft wenig verständlich, denn in unseren Gegenfinanzierungsmaßnahmen finden sich eine ganze Reihe Maßnahmen mit EinmalwirkunClaudia Nolte gen; die beabsichtigten Steuersatzsenkungen hingegen sind auf Dauer angelegt.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Damit rufe ich die Frage 19 des Kollegen Seiffert auf: Wie verteilen sich diese Teilwertabschreibungen auf die einzelnen Wirtschaftsbereiche?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Kollege Seiffert, da über die Teilwertabschreibungen insgesamt keine Daten vorliegen, läßt sich auch keine Aufteilung auf die einzelnen Wirtschaftsbereiche vornehmen.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Eine Zusatzfrage des Kollegen Michelbach.

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Diese Frage, Frau Staatssekretärin, ist sehr wichtig, weil das, was Sie eben formuliert haben, nämlich daß sich die Abschaffung der Teilwertabschreibung nur für ein Jahr auswirkt, für einzelne Wirtschaftsbereiche nicht gilt, weil dort dieser Effekt immer wieder neu auftritt. Teilwertabschreibungen in Wirtschaftsbereichen wie zum Beispiel dem Handel mit modischen Waren haben andere Grundlagen als in anderen Wirtschaftsbereichen. Deswegen die Frage: Inwieweit können Sie sich vorstellen, daß bei der Veränderung der Teilwertabschreibung, die angekündigt wurde, einzelne Wirtschaftsbereiche, insbesondere der Handel, besonders berücksichtigt werden?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Kollege Michelbach, Sie haben recht - es ist in dieser Woche auch durch die Presse gegangen -: Wir machen uns weitere Gedanken darüber, wie wir mit dem Instrument der Teilwertabschreibung umgehen. Es ist dazu noch keine abschließende Entscheidung getroffen worden. Ich will da auch dem Gesetzgebungsverfahren nicht vorgreifen. Wie Sie wissen, haben wir heute im Finanzausschuß gerade den ersten Durchgang, wie wir so sagen. Der Entwurf des Steuerentlastungsgesetzes ist vorgelegt. Die Änderungen, die wir ins Auge gefaßt haben, werden sicherlich insbesondere auf die Bedürfnisse des Einzelhandels eingehen.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Damit rufe ich die Frage 20 des Kollegen Michelbach auf: Sind bis zum Jahr 2002 weitere Steuererhöhungen bei der Mehrwertsteuer sowie der Mineralölsteuer vorgesehen?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Kollege Michelbach, die Bundesregierung beabsichtigt, im Rahmen der Ökosteuerreform die Mineralölsteuer schrittweise bis zum Jahr 2002 weiter anzuheben. Zum Ausgleich werden die Sozialversicherungsbeiträge gesenkt. Die Bundesregierung plant allerdings insbesondere auch vor dem Hintergrund der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung keine Erhöhung bei der Mehrwertsteuer.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Bitte, Herr Michelbach.

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, wie werten Sie in diesem Zusammenhang die heutige Aussage des Parlamentarischen Geschäftsführers der SPD-Bundestagsfraktion, Wilhelm Schmidt, in einer Agenturmeldung der ADN, daß die Erhöhung der Mehrwertsteuer im europäischen Kontext möglich sei? Ebenso spricht er von Steuererhöhungen im Zusammenhang mit der Gegenfinanzierung durch Änderungen beim Ehegattensplitting, so daß die Aussage, die gerade getroffen wurde, doch erheblich in Frage zu stellen ist.

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Kollege Michelbach, ich hatte Ihnen das schon gesagt, und es ist auch hier im Plenum schon gesagt worden: Wir beabsichtigen keine Erhöhung der Mehrwertsteuer, insbesondere nicht zur Finanzierung des Steuerentlastungsgesetzes. Da unterscheiden wir uns von der alten Bundesregierung. Das Thema Mehrwertsteuer ist natürlich auch in der Europäischen Union weiterhin auf der Agenda. Allerdings muß man mit einer Mär aufräumen: Es gibt, was die Mehrwertsteuer anbelangt, eine Bandbreite von 15 bis 25 Prozent für den Normalsatz, die von der Europäischen Union festgelegt worden ist. Solange wir uns in dieser Bandbreite bewegen, kann es keinen unmittelbaren Zwang aus Brüssel geben, die Mehrwertsteuer zu erhöhen.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Zweite Zusatzfrage.

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, Sie haben heute morgen im Finanzausschuß die Aussage getroffen, daß durch die Steuerausfälle durch den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts zur Familienentlastung gewissermaßen finanzwirtschaftliche Maßnahmen zur Kompensation ergriffen werden müssen. Schließen Sie auch in Verbindung mit dem BVGBeschluß eine Steuererhöhung bis zum Jahr 2002 aus, und wie wollen Sie diese Deckung von 22 Milliarden DM dann vornehmen?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Kollege Michelbach, es ist in der Tat zu früh, mich heute zu fragen, ob ich eine Steuererhöhung zu diesem Zwecke ausschließe. Es wird aber sicherlich keine zusätzliche Steuerentlastung in Höhe von 22,5 Milliarden DM geben können. 22,5 Milliarden DM wäre die Summe der Steuerausfälle für Bund, Länder und Gemeinden, wenn wir den Beschluß des Verfassungsgerichts sozusagen nahtlos umsetzen würden, ohne den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers zu nutzen. Wir werden den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers nutzen. Die Bundesregierung wird dem Parlament dazu rechtzeitig Vorschläge unterbreiten, so daß der Beschluß des Bundesverfassungsgerichts rechtzeitig zum Jahre 2000 umgesetzt werden kann. Es ist allerdings sicherlich falsch - das war heute in einzelnen Publikationen zu lesen -, daß genau die im Beschluß angegebenen Freibeträge in Zukunft gelten werden. So ist das im Beschluß des Bundesverfassungsgerichts nicht dargelegt worden. Es wurde dort vielmehr festgestellt: Wenn der Gesetzgeber nicht tätig wird, dann gelten unmittelbar diese Sätze. Gerade Sie als Parlamentarier sollten sich nicht nur die Freiheit nehmen, sondern es auch als Verpflichtung betrachten, tätig zu werden und den gesetzgeberischen Spielraum unter finanzwirtschaftlicher Verantwortung zu nutzen.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Jetzt hat als erster Nachfrager Herr Dr. Ilja Seifert das Wort.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Staatssekretärin, ich beziehe mich auf Ihre ursprüngliche Antwort auf die Frage 20. Sie sagten, daß die Mineralölsteuer schrittweise angehoben werden soll, was unter ökologischen Aspekten sicher positiv sein kann. Trotzdem frage ich Sie, ob und wenn ja, welche - Ausgleichsmaßnahmen die Bundesregierung für Menschen vorsieht, die keine andere Möglichkeit haben, als mit dem Auto zu fahren. Ich denke zum Beispiel an Menschen mit Behinderungen. Momentan ist es ja so, daß sie alle Kosten übergewälzt bekämen.

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Kollege, zum einen ist es natürlich so, daß wir eine Entlastung bei den Sozialversicherungsbeiträgen vorsehen. Es gibt ja zum Glück viele Behinderte, die berufstätig sind. Ich weiß allerdings auch, daß gerade in der Gruppe dieser Menschen die Arbeitslosigkeit überproportional hoch ist, so daß von daher keine Entlastung erfolgen würde. Zum anderen ist zu berücksichtigen, daß Menschen mit Behinderungen besondere Steuerfreibeträge haben, die ihre besonderen Belastungen ausgleichen. Jedenfalls sind sie so angelegt. Ich glaube, daß man im übrigen, gerade was die Mineralölsteuer anbelangt, eine Erhöhung guten Gewissens vertreten kann. Wir sehen ab 1. April dieses Jahres eine Erhöhung der Mineralölsteuer um 6 Pfennig pro Liter vor. Wie Sie wissen, sind die Preise für Benzin und Diesel gerade in den letzten zwölf Jahren auf einen Tiefststand gesunken, also tiefer als jemals zuvor in den vergangenen zwölf Jahren. Es ist den Behinderten auch im September des vergangenen Jahres möglich gewesen, Auto zu fahren, als der Sprit teurer war als der jetzige Literpreis zuzüglich der vorgesehenen 6 Pfennig.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Jetzt ist der Kollege Heinz Seiffert mit seiner Zusatzfrage an der Reihe.

Heinz Seiffert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002797, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Dr. Hendricks, offensichtlich erfährt man manchmal in der Fragestunde doch etwas Neues. Sie haben gerade relativ deutlich dargelegt, daß Sie nicht ausschließen, die Mehrwertsteuer zu erhöhen, um die Deckungslücke von 20 oder mehr Milliarden DM, die durch den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts entstanden ist, zu füllen. Ich frage Sie: Wäre es nicht auch eine Möglichkeit, eine Nettoentlastung dadurch hinzubekommen, indem man einfach noch mehr spart?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Kollege Seiffert, wenn ich zunächst mich selber bzw. die vorangegangene Frage des Kollegen Michelbach aus der Erinnerung richtig zitieren darf: Kollege Michelbach hat gefragt: Schließen Sie Steuererhöhungen anläßlich der Finanzierung der Folgen des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts aus? Er hat nicht explizit nach der Mehrwertsteuer gefragt. Ich habe daraufhin gesagt: Ich schließe Maßnahmen zur Gegenfinanzierung nicht grundsätzlich aus. Ich bitte Sie um Verständnis: Ich bin die Parlamentarische Staatssekretärin des Finanzministeriums; der Beschluß ist noch nicht geprüft, ich habe noch keine Gelegenheit gehabt, mit meinem Minister darüber zu sprechen, und es hat noch keine Befassung der Koalitionsfraktionen mit diesem Beschluß gegeben. Also wäre eine Aussage meinerseits sowohl in positiver als auch in negativer Sicht ganz apodiktisch parlamentarisch nicht angemessen. Ich bitte Sie darum, diesbezügliche Maßnahmen als offene Position zu betrachten, aber nicht als einen Weg, den wir begehen wollen. Ich bin jetzt nicht in der Lage, anders zu reagieren. Dafür haben Sie sicherlich Verständnis. Was den weiteren Inhalt Ihrer Frage anbelangt: Wie Sie wissen, wirkt die Einkommensteuer sowohl hinsichtlich der Einnahmen als auch hinsichtlich der Ausfälle auf Bund, Länder und Gemeinden mit festgesetzten Anteilen. Wenn dieser Beschluß sozusagen nahtlos und ohne gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum umgesetzt würde, träfen diese 22,5 Milliarden DM zu 42,5 Prozent den Bund, in gleicher Höhe die Länder und zu 15 Prozent die Kommunen. Ich bin nicht sicher, ob dies, wie es dann auf Bundesebene nötig wäre, auch auf den anderen Ebenen durch weiteres Sparen, wie Sie es nennen, ausgeglichen werden kann. Sie sehen es an der Gestaltung des Bundeshaushalts 1999, den der Herr Bundesfinanzminister eben in der Regierungsbefragung vorgestellt hat: Die Nettokreditaufnahme ist genauso hoch, wie es Bundesfinanzminister Waigel in dem noch von ihm vorgelegten Haushaltsentwurf geplant hatte. Offenbar hat auch er eine Möglichkeit zu weiterem Sparen nicht gesehen.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Kollege Nolting, Ihre Zusatzfrage bitte.

Günther Friedrich Nolting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001622, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Staatssekretärin, Sie haben in Beantwortung der vorletzten Frage den Zusammenhang zwischen dem zur Zeit niedrigen Benzinpreis und der von Ihnen angekündigten Steuererhöhung hergestellt. Kann ich daraus schließen, daß bei steigenden Benzinpreisen die Steuern wieder gesenkt werden?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Kollege Nolting, Sie sollten dies bitte nicht daraus schließen. Das wäre auch gegen jede Übung unseres Gemeinwesens. Ich darf Sie daran erinnern, daß Bundesfinanzminister Waigel im Jahr 1992 die Mineralölsteuer auf einen Schlag um 22 Pfennig zur Finanzierung des Golfkrieges erhöht hat. Bekanntlich findet der Golfkrieg nicht mehr statt. Diese Erhöhung von 22 Pfennig ist aber nicht zurückgenommen worden. Ich will Ihnen dies nur als Beispiel nennen. Wir dagegen haben vor - das haben wir in einen gesetzgeberischen Zusammenhang gebracht -, daß die Mittel durch die Erhöhung der Mineralölsteuer an anderer Stelle, nämlich durch die Absenkung der Lohnnebenkosten, wieder zurückgegeben werden.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Hollerith, Ihre Zusatzfrage bitte.

Josef Hollerith (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000946, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, habe ich Sie insoweit richtig verstanden, daß Sie generell Steuererhöhungen zur Finanzierung der Anforderungen, die sich aus dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts ergeben, nicht ausschließen? Wie steht dies im Einklang mit der Finanzierung der existierenden Haushaltslöcher durch die Veränderungen im Steuerentlastungsgesetz bezüglich der Teilwertabschreibung wir haben dies heute von Herrn Minister Lafontaine gehört - und der Tatsache, daß die Ökosteuer nicht ausreicht, um die Senkung des Rentenversicherungsbeitrages zu finanzieren?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Kollege Hollerith, ich möchte auf meine vorherige Aussage verweisen. Ich sehe mich einfach nicht in der Lage, heute für die Bundesregierung eine Aussage zu diesem Thema zu treffen. Ich sage noch einmal: Es ist keine versteckte Ankündigung von Steuererhöhungen. Ich muß dies einfach mangels Absprache in der Bundesregierung sagen. Ich kann nicht apodiktisch sagen: „Nein, das kommt auf keinen Fall“ oder „Wir bereiten dies vor“. Es gab einfach noch keine Gelegenheit, dies zu besprechen. Es wäre nicht redlich, wenn Sie von mir als Parlamentarischer Staatssekretärin erwarteten, daß ich Ihnen heute das Urteil der gesamten Bundesregierung und der sie tragenden Koalitionsfraktionen darüber mitteile, nachdem der Beschluß des Bundesverfassungsgerichts praktisch erst heute in den Häusern eingegangen ist; denn bis gestern gab es nur eine Pressemitteilung. Es ist natürlich nicht unser Ziel, Steuern zum Zweck der Finanzierung der Anforderungen, die sich aus diesem Beschluß ergeben, zu erhöhen. Das will ich ganz ausdrücklich sagen. Wir werden einen Gesetzentwurf vorlegen, der die gesamten steuerlichen Maßnahmen zugunsten von Familie und Ehe auf den Prüfstand stellt. Spätestens im Herbst werden wir dies beraten müssen. Wenn es uns gelingt, das Gesetzgebungsverfahren so rechtzeitig in die Wege zu leiten, daß wir noch vor der Sommerpause die erste Lesung haben, wäre das sehr gut. Dies ist aber ein ehrgeiziges Ziel. Also erwarten Sie bitte nicht, daß wir als Bundesregierung, nachdem der Beschluß nach der Presseerklärung von gestern erst heute schriftlich vorliegt, bereits heute eine abschließende Anmerkung machen können. Wie lautete noch einmal Ihre weitere Frage, Herr Hollerith?

Josef Hollerith (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000946, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die Frage bezog sich auf die Teilwertabschreibung und die Ökosteuer.

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Was das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 anbelangt, so ist die Zusage an die Länder ergangen - das ist auch durch den Bundesfinanzminister im Bundesrat zu Protokoll gegeben worden -, daß die Nettoentlastung nicht höher sein wird, als im Gesetzentwurf vorgesehen. Das heißt, es wird, wenn an einer Stelle erwartete Mehreinnahmen nicht eintreten, weil auf eine bestimmte Maßnahme oder auf Teile einer bestimmten Maßnahme verzichtet wird, an anderer Stelle im selben Gesetz eine Gegenfinanzierung anderer Art erfolgen, so daß die Nettoentlastung nicht steigt. Da sind wir - auch gegenüber den Ländern - im Wort und sehen das aus Sicht des Bundes auch aus finanzwirtschaftlichen Gründen als unbedingt notwendig an. Was die Ökosteuer anbelangt, so muß noch im einzelnen geprüft werden, ob da eine Lücke entsteht. Ich weiß, daß der Bundesfinanzminister darauf hingewiesen hat. Aber wir sind auch in diesem Punkt noch nicht am Schluß der Beratungen.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Eine Zusatzfrage des Kollegen Hinsken, bitte.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, ich gehe davon aus, daß Sie genau darüber informiert sind, was gestern und vorgestern bei der Anhörung des Finanzausschusses von den Sachverständigen, insbesondere der vielen betroffenen Verbände, zu dieser beabsichtigten Ökosteuer gesagt wurde. Ziehen Sie daraus Schlüsse? Wenn ja: Welche? Ich darf den Hinweis anfügen, daß 90 bis 95 Prozent der anwesenden Sachverständigen diese beabsichtigte Steueränderung, so wie sie eingebracht worden ist, in Bausch und Bogen verurteilen.

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Kollege Hinsken, ich bin selbstverständlich bei der Anhörung zur Ökosteuer am Montag anwesend gewesen, und selbstverständlich habe ich auch die kritischen Stimmen zur Kenntnis genommen. Es ist nicht von der Hand zu weisen, daß es sie gibt. Aber nicht alle Interessenvertreter sind gleichzeitig sachverständig, auch wenn sie in der Einladung als Sachverständige bezeichnet werden. ({0}) Es war dort natürlich auch eine große Gruppe von Interessenvertretern anwesend, die das gute Recht haben, ihre Interessen zu vertreten; das ist selbstverständlich. Ich darf an dieser Stelle noch einmal darauf hinweisen: Etwa die Hälfte des Aufkommens bei der von uns beabsichtigten Ökosteuer kommt durch die sehr mäßige Anhebung der Mineralölsteuer um 6 Pfennig zustande. Sie erinnern sich an die Zeit Ihrer eigenen Regierung in den 90er Jahren; damals ist bei weitem mehr aufgeschlagen worden. Alle diejenigen, die lediglich für ihren Betrieb Kraftstoffe verbrauchen, werden jetzt bei weitem nicht so schlecht behandelt, wie sie damals durch Ihre Regierung behandelt worden sind. Darüber hinaus werden sie ja gleichzeitig bei den Lohnnebenkosten entlastet. Wir sehen ja auch Ausnahmen bzw. reduzierte Sätze für das produzierende Gewerbe vor. Sie dürfen nicht vergessen, daß der Gesamtbetrag der Einnahmen für die Senkung der Lohnnebenkosten verwendet und damit zurückgegeben wird. Dies ist ein durchaus anderer, ein neuer und innovativer Schritt und hat nichts mit dem von der alten Bundesregierung gepflegten Abkassieren bei der Mineralölsteuer zu tun. ({1})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Eine weitere Zusatzfrage, diesmal vom Abgeordneten Michelbach.

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, wäre es unter dem Aspekt der Erosion der Steuereinnahmen, die Sie nicht ausgeschlossen haben - beim Steuerentlastungsgesetz, bei dem Sie Änderungen vorgesehen haben und dadurch Finanzlöcher aufreißen; bei der Ökosteuerreform wie auch natürlich jetzt durch den BVG-Beschluß -, nicht sinnvoll, wenn Sie die momentan vorliegenden Gesetzentwürfe zur Steuerentlastung und zur Ökosteuer zurücknähmen und ein Gesamtsteuermodell auf den Tisch legten, das, solide finanziert, mit einer Nettoentlastung beschäftigungs- und familienfreundlicher wäre?

Dr. Barbara Hendricks (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002672

Herr Kollege Michelbach, ich kann Ihren Vorschlag nicht so recht verstehen. Bisher ist uns immer vorgeworfen worden, die Nettoentlastung, die wir durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 vorsehen, sei zu gering. Dies ist uns gerade aus Ihren Reihen immer vorgehalten worden. Nachdem der Bundesverfassungsgerichtsbeschluß auf jeden Fall zu weiteren Ausfällen im Bereich der Familienbesteuerung führen wird - das ist überhaupt nicht von der Hand zu weisen; nur die Höhe ist noch nicht abschließend festzumachen -, kann ich mir schlechterdings nicht vorstellen, wieso Sie das Steuerentlastungsgesetz mit einer Nettoentlastung von 15 Milliarden DM zurückgezogen wissen wollen. Dies würde bedeuten, daß Sie dann doch wohl - offenbar in Umkehrung Ihrer bisherigen Argumentation - wollen, daß wir in diesem Gesetz überhaupt keine Nettoentlastung vorsehen. Denn sonst wäre Ihre Einlassung überhaupt nicht logisch.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Wir sind damit am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesfinanzministeriums. Ich danke Frau Staatssekretärin Dr. Hendricks. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung auf. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Ulrike Mascher bereit. Ich rufe die Frage 21 der Abgeordneten Claudia Nolte auf: Welche Konsequenz zieht die Bundesregierung aus den Urteilen des Bundessozialgerichtes vom 10. November 1998 in den Revisionen mit den Aktenzeichen B4 RA 25/98 R und B4 RA 33/98 R zur Altersversorgung der Reichsbahner?

Ulrike Mascher (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001432

Frau Nolte, in den Revisionen, die unter den von Ihnen aufgeführten Aktenzeichen verhandelt wurden, ging es im Kern darum, in welcher Höhe die in der DDR vor dem 1. Juli 1990 aus entgeltlicher Beschäftigung erzielten Arbeitsverdienste von Beschäftigten der Deutschen Reichsbahn oder der Deutschen Post bei der Ermittlung der persönlichen Entgeltpunkte für eine Rente nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch, SGB VI, rechtserheblich sein können. Die Urteilsbegründungen zu diesen Verfahren liegen bisher nicht vor, so daß bislang nicht bekannt ist, ob es sich um eine auf den Einzelfall bezogene Entscheidung handelt oder ob sich aus den Urteilen eine grundlegende Neuausrichtung für die rechtliche und sozialpolitische Beurteilung des Sachverhaltes ergibt. Eine Aussage über die Konsequenzen, die aus den Urteilsbegründungen zu ziehen sein werden, ist deshalb zur Zeit nicht möglich.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Eine Zusatzfrage, bitte.

Claudia Nolte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001621, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Besteht die Absicht, Gesetzesänderungen herbeizuführen, die Konsequenzen aus den Urteilen vorgreifen könnten? Oder kann man davon ausgehen, daß Sie die Urteilsbegründungen erst einmal in Ruhe abwarten werden?

Ulrike Mascher (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001432

Wir werden die Urteilsbegründungen auf jeden Fall abwarten, um genau feststellen zu können, was notwendig ist.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Zweite Zusatzfrage.

Claudia Nolte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001621, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gibt es für den Fall, daß generell das Gesamteinkommen zugrunde gelegt wird, und zwar jenseits der 600-DM-Grenze, Schätzungen über die Mehrausgaben für die gesetzliche Rentenversicherung?

Ulrike Mascher (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001432

Nein.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich rufe die Frage 22 der Abgeordneten Frau Nolte auf: Wie gedenkt die Bundesregierung darüber hinaus die erworbenen Anwartschaften und Ansprüche aus der betrieblichen Altersversorgung der ehemaligen Reichsbahner zu gewährleisten?

Ulrike Mascher (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001432

Die Ansprüche und Anwartschaften aus der 1956 für Beschäftigte der Deutschen Reichsbahn eingeführten Altersversorgung sind bereits zum 1. Januar 1974 in die allgemeine Sozialversicherung der ehemaligen DDR überführt worden. Die Geltungsdauer der Vertrauensschutzbestimmungen aus der bereits 1974 in die allgemeine Sozialversicherung überführten Versorgung ist - wie bei den anderen Sonder- und Zusatzversorgungssystemen der ehemaligen DDR - durch den Einigungsvertrag auf den 31. Dezember 1991 beschränkt worden, weil ab 1. Januar 1992 an die Stelle des bisherigen Rechtes das dynamisierte Rentenrecht des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch der Bundesrepublik, das SGB VI, getreten ist. Die Besitz- und Vertrauensschutzbestimmungen des SGB VI und des Renten-Überleitungsgesetzes für Bestandsrentner und rentennahe Jahrgänge - Rentenzugang bis Dezember 1996 - erfassen auch die Rententeile, die sich für Beschäftigte der Deutschen Reichsbahn aus dem für die Rente aus der Sozialpflichtversicherung der ehemaligen DDR geltenden besonderen Steigerungssatz von 1,5 Prozent ergeben. Eine generelle Übernahme des besonderen Steigerungssatzes in das Rentenrecht des SGB VI war im Zuge der Rentenüberleitung auf die neuen Bundesländer nicht möglich, weil zusätzliche Beiträge für diese erhöhten Rentenanwartschaften nicht gezahlt worden waren. Die Forderungen des betreffenden Personenkreises, eine über die Vertrauensschutzbestimmungen des Renten-Überleitungsgesetzes hinausgehende Weiterführung der bereits 1974 - ich habe es schon einmal gesagt - in die Sozialversicherung der ehemaligen DDR überführten Versorgung vorzusehen, könnte nur über die Einführung einer neuen Versorgungsregelung für bereits berentete ehemalige Beschäftigte der Deutschen Reichsbahn erreicht werden. Im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung ist jedoch für eine ergänzende betriebliche Versorgungsleistung außerhalb des Leistungsrechtes nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch kein Raum gegeben.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Eine Zusatzfrage, Frau Nolte.

Claudia Nolte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001621, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wenn ich Sie richtig verstanden habe, heißt das, daß es nach Ihrer Kenntnis beim Arbeitgeber Deutsche Reichsbahn nach 1974 keine betriebliche Altersversorgung gab, bei der Gelder an die damalige DDR abgeführt worden sind?

Ulrike Mascher (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001432

Nein. Die Regelung in der DDR hat für die Reichsbahner einen besonderen Steigerungssatz bei der Rente vorgesehen, dem aber keine entsprechenden Beiträge gegenüberstanden. Das kennt unser bundesrepublikanisches gemeinsames Rentensystem nicht. Deswegen sind hier auch keine entsprechenden Leistungen möglich.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich rufe die Frage 23 des Kollegen Manfred Grund auf: Stehen für die Gewährleistung der Altersversorgungsansprüche der ehemaligen Reichsbahner ({0}) Finanzmittel im Haushalt des Bundes bereit und, wenn ja, welche?

Ulrike Mascher (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001432

Herr Grund, den ehemaligen Reichsbahnern stehen über das Leistungsrecht der gesetzlichen Rentenversicherung hinausgehende besondere Altersversorgungsansprüche nach geltendem Recht nicht zu. Daher stehen hierfür im Bundeshaushalt Finanzmittel auch nicht bereit. Darüber hinaus ist festzustellen, daß sich im Haushaltsentwurf des früheren Finanzministers Theo Waigel von der CSU ebenfalls keine Ansätze zur Gewährleistung dieser besonderen Altersversorgungsansprüche gefunden haben.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Eine Zusatzfrage.

Manfred Grund (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002667, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, das ist genau der Teil, der auch von den Reichsbahnern bestritten wird, nämlich daß ihnen keine Leistungen zustehen, auch wenn Beiträge nicht gezahlt worden sind. Sie haben auf die Frage meiner Kollegin Nolte gesagt, damit sind keine Leistungsansprüche gegenüber der gesetzlichen Rentenversicherung begründet worden. Wäre es vorstellbar, daß zum Beispiel aus dem Bundeseisenbahnvermögen heraus Leistungsansprüche der Reichsbahner in Analogie zu dem, was bei den Bundesbahnern im ehemaligen alten Bundesgebiet geschieht, abgedeckt werden?

Ulrike Mascher (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001432

Herr Grund, Ihre Frage erstaunt mich ein bißchen, denn ich weiß, daß Sie sich in den letzten vier Jahren mit anderen Kollegen aus Ihrer Fraktion sehr engagiert in dieser Frage bemüht haben. Ich weiß auch, daß diese Bemühungen leider vergeblich waren.

Manfred Grund (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002667, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Im Lichte des Urteils, das Ihnen noch nicht vorliegt und auch uns noch nicht zugänglich ist, könnte es durchaus sein, daß Handlungsbedarf besteht. Wir würden die neue Bundesregierung dabei gern unterstützen.

Ulrike Mascher (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001432

Vielen Dank für das Angebot. Wenn das Urteil da ist, dann muß es bewertet werden, und dann werden wir sehen, was sich für Notwendigkeiten daraus ergeben. Aber Sie kennen den Sachverhalt so gut wie ich.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs. Frau Staatssekretärin, ich danke Ihnen. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung auf. Zur Beantwortung steht Frau Parlamentarische Staatssekretärin Brigitte Schulte zur Verfügung. Ich rufe die Frage 24 des Abgeordneten Werner Siemann auf: Beabsichtigt die Bundesregierung, die feierlichen Gelöbnisse auch weiterhin im bisherigen Umfang in der Öffentlichkeit durchzuführen?

Brigitte Traupe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002099

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, da ich vermute, daß die Mehrheit der anwesenden Parlamentarier, vor allen Dingen aber unsere Zuhörer nicht wissen, um was es bei dieser Frage geht, möchte ich erläutern, daß der Kollege Herr Siemann fragt, ob die Bundesregierung in der Zukunft öffentliche Gelöbnisse weiter im bisherigen Umfang durchführen möchte. Herr Kollege Siemann, ich möchte Ihnen darauf folgendes antworten: Wir werden selbstverständlich nicht auf die Zahl der öffentlichen Gelöbnisse außerhalb militärischer Liegenschaften Einfluß nehmen. Sie wissen wahrscheinlich, daß die Entscheidung, ob öffentliche Gelöbnisse stattfinden, von den örtlichen Kommandeuren und vor allen Dingen in Abstimmung mit den Städten und Gemeinden getroffen wird. Wenn diese den Wunsch haben, damit ihre Verbindung zur Bundeswehr darzustellen, dann wird das von uns ausdrücklich begrüßt.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Eine Zusatzfrage, Kollege Siemann.

Werner Siemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003236, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretärin, sehen Sie sich mit Ihrer Antwort, die Sie etwas erweitert haben, in Übereinstimmung mit Ihrem Koalitionspartner Bündnis 90/Die Grünen, der über seine Sprecherin des Vorstands soeben gesagt hat - ich will das einmal zitieren -: Soldaten gehören in Kasernen und nicht auf Marktplätze. Wir werden uns auch in Zukunft gegen diese Militarisierung des öffentlichen Raumes wenden.

Brigitte Traupe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002099

Gott sei Dank leben wir in einem freien Rechtsstaat, in dem es jedermann, auch Kollegen von anderen Parteien, erlaubt ist, eine andere Meinung zu haben. Ich kann nur wiederholen, was die Meinung der Bundesregierung und vor allen Dingen des Bundesministers der Verteidigung ist. Wir werden die Rechte der Kommandeure und auch den Wunsch der Garnisonsstädte und Garnisonsgemeinden nicht einschränken. Daß man selbstverständlich eine andere Meinung dazu haben kann, ist, finde ich, in Ordnung.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich rufe die Frage 25 des Kollegen Siemann auf: Wird die Bundesregierung die Form der feierlichen Gelöbnisse als Teil der Selbstdarstellung und Traditionspflege der Bundeswehr auch künftig beibehalten?

Brigitte Traupe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002099

Bei der zweiten Frage geht es darum, Herr Kollege, ob wir die Form der feierlichen Gelöbnisse als Teil der Selbstdarstellung und Traditionspflege der Bundeswehr auch künftig beibehalten wollen. Die beantworte ich schlicht mit Ja.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Eine Zusatzfrage.

Werner Siemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003236, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Stimmen Sie auch in diesem Punkt mit Ihrem Koalitionspartner Bündnis 90/Die Grünen überein? Diese haben laut einer Meldung vom 4. Dezember 1998 gefordert - ich zitiere wieder -, „öffentliche Gelöbnisse, militärische Begrüßungen und andere Militärspektakel abzuschaffen“.

Brigitte Traupe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002099

Die Bewertung, was Militärspektakel sind, wollen wir einmal dem einzelnen überlassen, vor allen Dingen aber den Garnisonsstädten, in denen etwas durchgeführt wird. Was das andere betrifft, möchte ich Ihnen gerne mit einem Zitat des ersten Bundesverteidigungsministers der Bundesrepublik Deutschland antworten. Theo Blank hat gesagt: Was wir brauchen, ist nicht ein Pathos der Paraden und militärischen Demonstrationen, sondern ausschließlich jene ernste Nüchternheit, mit der man ohne große Worte das Notwendige tut. Zitiert hat das interessanterweise der damalige Sprecher der Bündnisgrünen in einem Beitrag in „Bundeswehr aktuell“ im Sommer 1998. Es war der Kollege Fischer. Sicherlich haben Sie Gelegenheit, ihn auch einmal danach zu fragen. Wir bleiben dabei, daß in angemessener Form öffentliche Gelöbnisse durchgeführt werden. Denn eins ist ganz wichtig: Die jungen Menschen sollen Gelegenheit haben, ihre Verbundenheit mit diesem demokratischen Rechtsstaat darzustellen. Das wird manchmal vergessen. Das ist das Hauptanliegen des öffentlichen Gelöbnisses.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich rufe die Frage 26 des Abgeordneten Günther Friedrich Nolting auf: ({0}) - Es tut mir leid, das kam zu spät. Bedeutet die Aussage des Bundesministers der Verteidigung, Rudolf Scharping, in der „Berliner Zeitung“ vom 14. Dezember 1998, wonach er ausschließe, daß Deutschland „fern von Europa als intervenierende Macht“ auftrete, daß es in Zukunft keine Rettungsaktionen für deutsche Staatsbürger in Krisenregionen und auch keine Beteiligung an VN-Einsätzen, wie beispielsweise in Somalia, mehr geben wird?

Brigitte Traupe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002099

Herr Kollege Nolting, Sie haben sich über einen Artikel des Bundesverteidigungsministers Rudolf Scharping in der „Berliner Zeitung“ vom 14. Dezember 1998 gewundert, wonach er ausschließe, daß Deutschland „fern von Europa als intervenierende Macht“ nicht auftrete. Ich will Ihnen folgendes sagen: Ihre Interpretation oder auch die Darstellung, wie sie in der „Berliner Zeitung“ am 14. Dezember 1998 erfolgte, ist so nicht richtig. Der Bundesverteidigungsminister hat gegenüber der „Berliner Zeitung“ zum strategischen Konzept der NATO Stellung genommen. Er hat dabei ausdrücklich gesagt, er könne sich nicht vorstellen, einen Kriseneinsatz außerhalb Europas weltweit durchzuführen. Er hat damit aber ausdrücklich nicht gemeint, daß Rettungsaktionen und eine Beteiligung an Einsätzen der Vereinigten Nationen wie beispielsweise in Somalia nicht erfolgen. Das werden wir natürlich tun.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Zusatzfrage.

Günther Friedrich Nolting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001622, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Staatssekretärin, sehen Sie nicht einen Widerspruch, wenn Minister Scharping auf der einen Seite sagt - ich habe das Zitat hier -, er könne sich keine Einsätze fern von Europa vorstellen, auf der anderen Seite aber vorschlägt, daß die Bundesrepublik Deutschland der UNO eine ständige Blauhelmtruppe zur Verfügung stellt, wobei jeder weiß, daß diese sehr wohl fern von Europa eingesetzt werden könnte?

Brigitte Traupe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002099

Es geht jetzt allerdings um den militärischen Einsatz. Sie wissen, Herr Kollege Nolting, daß es sehr wohl einen Unterschied gibt zwischen der Position, die andere europäische Staaten oder die Vereinigten Staaten von Amerika einnehmen. Dabei ist natürlich die Rolle der Vereinigten Staaten von Amerika weltweit eine andere. Wir sind - ich glaube, das war auch die Position Ihres früheren Außenministers - aber nicht der Meinung, daß die NATO als Bündnis an weltweiten internationalen militärischen Kriseneinsätzen teilnehmen sollte. Selbstverständlich werden wir dem Wunsch der UN, eine Blauhelmaktion auch in anderen Teilen der Erde durchzuführen, in Abstimmung mit dem Parlament entsprechen. Wir gehen aber nicht davon aus, daß es ein militärischer Kriseneinsatz ist.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich rufe die Frage 27 auf: Wie steht damit im Einklang, daß der Bundesminister der Verteidigung ebenfalls sagte, daß „Staaten wie Irak notfalls mit dem nötigen Nachdruck“ gezwungen werden müßten, „in Übereinstimmung mit dem Willen der Vereinten Nationen zu handeln“?

Brigitte Traupe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002099

Herr Kollege, zur Krisenbewältigung können die Vereinten Nationen nach einem entsprechenden Sicherheitsratsbeschluß unter anderem friedenserhaltende, friedenskonsolidierende und friedenserzwingende Maßnahmen legitimieren. In diesem Zusammenhang kann der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen verschiedene Maßnahmen, auch die Anwendung von Gewalt nach Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen, beschließen. Wichtig ist: Die Teilnahme an den militärischen Maßnahmen liegt im Ermessen der jeweiligen Mitgliedstaaten.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Eine Zusatzfrage.

Günther Friedrich Nolting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001622, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Staatssekretärin, ist gewährleistet, daß sich der Deutsche Bundestag bei solchen Einsätzen in jedem Einzelfall nicht nur mit der Thematik beschäftigt, sondern seine konstitutive Zustimmung geben kann? Wie können Sie das in Einklang damit bringen, daß Sie den Vereinten Nationen eine ständige Blauhelmtruppe unterstellen wollen? Wie wollen Sie dann gewährleisten - um auch darauf noch einmal einzugehen -, daß der Deutsche Bundestag seine entsprechende Zustimmung auch hierzu geben kann und es keinen Automatismus gibt?

Brigitte Traupe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002099

Nein, einen Automatismus wird es nie geben. Ich gehe fest davon aus, daß wir uns immer entsprechend den Rechten des Parlaments verhalten werden. Der Gedanke, daß man Verbände zur Verfügung hat, die sehr schnell im Rahmen einer Blauhelmaktion eingesetzt werden können, hat - wie wir beide, Herr Kollege Nolting, als Verteidigungspolitiker wissen - eine gewisse Berechtigung. Man braucht heute Wochen und Monate - wenn Sie nur an das traurige Beispiel der Beobachtermission im Kosovo denken -, bis man genügend qualifiziertes Personal aus verschiedenen Ländern zur Verfügung stellen kann. Wenn wir aber jetzt im Rahmen der Bundeswehr Verbände schaffen wollen, die bei entsprechenden Blauhelmaktionen relativ schnell eingesetzt werden können, dann setzt das voraus, daß das Parlament nicht nur unterrichtet wird, sondern auch seine Zustimmung gibt. Sie haben völlig recht: Aus jeder dieser Blauhelmaktionen können sich natürlich schwierigere Situationen entwickeln.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Eine weitere Zusatzfrage.

Günther Friedrich Nolting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001622, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Darf ich fragen, in welcher Größenordnung Sie sich ein solches Kontingent vorstellen, das als Blauhelme der UNO ständig zur Verfügung steht?

Brigitte Traupe (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002099

Zur Zeit stelle ich mir das überhaupt nicht vor. Ich stelle mir vor, daß das möglich ist. Ich finde diesen Gedanken angesichts der Zunahme von Krisen auch richtig. Aber dabei wird man zusammen mit dem Parlament und den Oppositionsfraktionen darüber nachdenken müssen, in welchem Rahmen das in der Bundeswehr geschehen soll. Man wird die Frage stellen müssen: Gibt es außer unserer andere große Nationen, die solche Kontingente zur Verfügung stellen können? Aber der Gedanke, daß wir schneller auf eine Krise reagieren können, um nicht anschließend eine militärische Aktion durchführen zu müssen - da werden Sie mir sicherlich zustimmen -, ist richtig und wird bestimmt auch von Ihnen mitgetragen werden.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich danke Ihnen, Frau Staatssekretärin. Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Lothar Ibrügger zur Verfügung. Die Fragen 28, 29 und 30 der Abgeordneten Ostrowski und Austermann werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Ich rufe die Frage 31 des Kollegen Paul Laufs auf: Trifft es zu, daß der vierspurige Neubau der Bundesstraße B 14 zur Umfahrung der Großen Kreisstädte Winnenden und Backnang seit 1985 im vordringlichen Bedarf des Bundesverkehrswegeplans enthalten ist und die Planfeststellungsverfahren für die Abschnitte Winnenden-West bis Leutenbach-Nellmersbach und Nellmersbach bis Backnang derzeit laufen und voraussichtlich in absehbarer Frist abgeschlossen werden können? Beabsichtigt die Bundesregierung, diese Planfeststellungsverfahren zu stoppen und wesentliche Änderungen vorzugeben?

Lothar Ibrügger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000989

Herr Kollege Dr. Laufs, der Neubau der Bundesstraße B 14 zwischen Winnenden-Süd bis Backnang-West ist seit 1985 als vordringlicher Bedarf im Ausbauplan für die Bundesfernstraßen eingestuft. Für den Südabschnitt von Winnenden bis Nellmersbach läuft das Planfeststellungsverfahren. Mit einem Planfeststellungsbeschluß kann nach Mitteilung der Straßenbauverwaltung Baden-Württemberg im zweiten Quartal 1999 gerechnet werden. Für den Nordabschnitt zwischen Nellmersbach bis Backnang-West wurde das Planfeststellungsverfahren bisher noch nicht beantragt. Die Bundesregierung beabsichtigt nicht, das laufende Planfeststellungsverfahren des Südabschnitts zu stoppen. Mögliche wesentliche Planänderungen, die sich während des Verfahrens ergeben, bedürfen jedoch der vorherigen Zustimmung des Bundesministeriums für Verkehr, Bauund Wohnungswesen.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Eine Zusatzfrage, bitte schön.

Prof. Dr. Paul Laufs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001293, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, daß die Reduzierung des B-14Neubaus auf nur zwei Spuren ein ganz neues Planfeststellungsverfahren mit unbekanntem Ausgang bedeuten würde, insbesondere hinsichtlich vertraglicher Regelungen, die mit einem entscheidend wichtigen Grundeigentümer in Winnenden getroffen worden sind?

Lothar Ibrügger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000989

Herr Kollege Dr. Laufs, von Verhandlungen mit Grundstückseigentümern weiß die Bundesregierung nichts. Da der Bund die Planung von Bundesfernstraßen gesetzlich an die Länder übertragen hat, sind solche Fragen zunächst einmal von der Landesregierung BadenWürttemberg zu beantworten. Sie plant in eigener Zuständigkeit und führt vor allem auch die Planabstimmung mit den Betroffenen durch. Das gilt für Grundstückseigentümer ebenso wie für Träger öffentlicher Belange und für Städte, Gemeinden oder Landkreise, die von dieser Planung betroffen sind. Der erste Teil Ihrer Frage bezog sich auf eine mögliche Veränderung der Zahl der Fahrspuren, die dieser Planung zugrunde liegen. Hier muß ich für die Bundesregierung darauf hinweisen, daß wir auch in dieser Frage gegenwärtig verfahrensmäßig nicht am Zuge sind, weil zunächst die Auftragsverwaltung die Alternativabwägung abschließen muß und dann dem Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen einen Vorschlag zur Entscheidung zu unterbreiten hat. Ihnen selbst als örtlich Betroffenem und in der Region Kenntnisreichem ist ja bekannt, wie lange dieses Planungsverfahren insgesamt schon läuft und welcher Aufwand dafür bisher schon betrieben wurde. Bei der Finanzierung der Maßnahme haben wir unabhängig davon, welche Alternative einmal ausgewählt werden sollte, von neuen Gesamtkosten in Höhe von 380 bis 390 Millionen DM auszugehen.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Eine weitere Zusatzfrage.

Prof. Dr. Paul Laufs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001293, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Da die Verwirklichung dieses für die Region außerordentlich wichtigen Vorhabens natürlich von der Finanzierung abhängt, möchte ich Sie fragen, welche mittelfristige Finanzplanung die Bundesregierung für den Fernstraßenausbau hat. Insbesondere möchte ich wissen, wann die Mittelbereitstellung für Maßnahmen in den westlichen Bundesländern wieder an die Höhe angepaßt wird, wie sie vor der Wiedervereinigung war.

Lothar Ibrügger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000989

Herr Kollege Dr. Laufs, noch im August 1998 hat im Auftrag von Bundesminister Wissmann Staatssekretär Henke in einem Schreiben an den Oberbürgermeister der Stadt Backnang darauf hingewiesen, daß dieses Projekt von der zuständigen Straßenbauverwaltung planerisch und kostenmäßig noch näher zu untersuchen sei und entsprechende Vorbereitungen zu treffen seien. Dies gelte auch für mögliche Alternativen. In diesem Zusammenhang kommen natürlich ganz unterschiedliche Kostenschätzungen ins Spiel. Gegenwärtig vollzieht die Bundesregierung den vom Gesetzgeber beschlossenen Ausbauplan für die Bundesfernstraßen. Die von Ihnen angesprochene Maßnahme ist in den aktuellen Fünfjahresplan, der bis zum Jahr 2000 andauert, von der früheren Bundesregierung nicht eingestellt worden. Formal könnte daher diese Maßnahme frühestens in den Fünfjahresplan 2001 bis 2005 eingestellt werden, der dem Parlament von der Bundesregierung vorzulegen ist und nach seiner Verabschiedung Gesetzesqualität hat. Eine rasche Umsetzung kann gegenwärtig nicht zugesagt werden, da, wie Sie wissen, Planungsverfahren, die Schaffung von Baurecht und die anschließende Finanzierung jeweils sehr umfangreiche Verfahren sind, die auch kontrovers diskutiert werden können. Gerade in Baden-Württemberg ist auch durch die Projekte „Deutsche Einheit“ seit 1990 ein Prozeß erkennbar, der dazu führt, daß eine Fülle von Maßnahmen bereits Baureife erreicht hat. Meines Wissens sind es gegenwärtig 26 Vorhaben, deren Verwirklichung allein 1,945 Milliarden DM erfordert. Alle diese Maßnahmen haben im Gegensatz zu der von Ihnen angesprochenen Maßnahme schon ihre rechtliche Unanfechtbarkeit, die Baureife, erreicht. Das zeigt auf, wie schwierig es ist, auch im Land Baden-Württemberg noch weitere Maßnahmen zeitgerecht und im Sinne der Betroffenen finanziell sicherzustellen.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich rufe die Frage 32 des Kollegen Kurt Rossmanith auf. ({0}) - Herr Rossmanith, ich habe Ihnen vorhin eine Zusatzfrage nicht erlauben können. Sind Sie dennoch einverstanden, daß ich jetzt noch Zusatzfragen zulasse? ({1}) - Danke schön. Bitte sehr.

Christian Lange (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003168, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, können Sie sich erklären, wie Vertreter der Vorgängerregierung angesichts einer Warteliste mit den von Ihnen erwähnten 26 Projekten allein in unserem Bundesland Baden-Württemberg in der Öffentlichkeit den Eindruck erwecken konnten, daß unmittelbar nach Planfeststellungsbeschluß mit dem Bau begonnen werden könnte?

Lothar Ibrügger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000989

Herr Kollege, ich kann mich für die Bundesregierung hier nicht an Bewertungen beteiligen. Die Feststellung und Einordnung von Maßnahmen orientiert sich nicht nur an deren Einstellung in den Fünfjahresplan, der frühestens ab dem Jahre 2001 auch für den Raum Backnang Maßnahmen enthalten könnte - unabhängig von der Fragestellung, wie eigentlich mit den Projekten umzugehen ist, die bereits jetzt die Baureife erzielt haben. Die Einordnung einer solchen Maßnahme richtet sich auch nach dem jährlich vom Parlament festzulegenden Bundeshaushalt. Erst wenn dieser feststeht, kann die Frage beantwortet werden, wann mit dem Baubeginn für eine solche Maßnahme, die gegenwärtig auch planerisch noch sehr kontrovers diskutiert wird, gerechnet werden kann.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Eine Zusatzfrage des Kollegen Barthle.

Norbert Barthle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003033, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, können Sie eine Aussage darüber machen, ob Sie - auch angesichts der Tatsache, daß die Bundesregierung die Straßenbaumittel erhöhen will - bereit sind, dieses Projekt in den kommenden Fünfjahresplan aufzunehmen?

Lothar Ibrügger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000989

Herr Kollege, eine solche Aussage kann ich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht treffen - ich bitte um Verständnis -; denn zum gegenwärtigen Zeitpunkt kann niemand mit Bestimmtheit sagen, ob die jetzt in Planung stehenden Maßnahmen zum Zeitpunkt 2001 die rechtliche Unanfechtbarkeit erreicht haben. Die Erfahrung der früheren wie auch der jetzigen Bundesregierung ist, daß in allen Planungsverfahren des Ausbauplans für die Bundesfernstraßen anstehende Lösungen beklagt werden. Niemand kann mit Bestimmtheit vorhersagen, wie der Ausgang eines solchen Überprüfungsverfahrens durch die Gerichte, auch zeitlich, einzuschätzen ist. Bitte sehen Sie es mir daher nach: Eine solche Aussage läßt sich zum heutigen Zeitpunkt auch für ein solches Projekt nicht treffen.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Eine Zusatzfrage des Kollegen Scheer.

Dr. Hermann Scheer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001950, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, ist dem Bundesverkehrsministerium irgendeine Initiative der Landesregierung oder von Abgeordneten aus BadenWürttemberg bekannt, die darauf zielt, daß dieses Projekt nach einer rechtskräftigen Planfeststellung der Baumaßnahme anderen Projekten in Baden-Württemberg vorgezogen werden könnte oder sollte, damit es früher als rechtskräftige Maßnahme zum Zuge kommen könnte?

Lothar Ibrügger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000989

Aus der Zusammenschau aller Maßnahmen, die in BadenWürttemberg gegenwärtig im Ausbauplan für die Bundesfernstraßen vorgesehen sind, liegen uns eine Reihe und Fülle von Anregungen und Anfragen von Kolleginnen und Kollegen aus Baden-Württemberg vor. Alle weisen auf die Dringlichkeit oder auf die Notwendigkeit von planerischen oder baulichen Maßnahmen hin. Ich kann auch bei dieser Maßnahme für die Bundesregierung feststellen, daß sich nach den Auskünften, die uns von der Landesverwaltung gegeben werden, Abgeordnete aus der betreffenden Region aktiv an den Fragen der Planungsabwägung und -entscheidung beteiligen.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Eine Zusatzfrage des Kollegen Berg.

Dr. Axel Berg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003036, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ist es denn nicht so, Herr Staatssekretär, daß bei Bewilligungen in der Regel die Projekte Priorität haben, deren Planfeststellungsverfahren bereits rechtskräftig ist?

Lothar Ibrügger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000989

Das ist die einzige Grundlage, Herr Kollege, um überhaupt Mittel aus dem Bundeshaushalt bereitzustellen und damit Baumaßnahmen in Gang zu setzen. Ohne rechtliche Unanfechtbarkeit einer solchen Maßnahme, also ohne Feststellung der Baureife, kann ein solches Projekt überhaupt nicht finanziert werden. Im übrigen gilt dieser Grundsatz des Planungsrechtes natürlich auch für die in Aussicht genommenen Maßnahmen, für die die Planfeststellung rechtskräftig geworden ist. Diese Planfeststellung hat eine Gültigkeit von 5 Jahren. Ob innerhalb dieses Zeitraums von 5 Jahren die Maßnahme begonnen wird, hängt einzig und allein davon ab, ob das Parlament in der Lage ist, die entsprechenden Mittel im jeweiligen Haushaltsjahr zu bewilligen. Die Planungsträger haben die Möglichkeit, auf Antrag die Dauer der Planfeststellung zu verlängern. Aber ich wiederhole: Maßgebend für die Bewilligung von Haushaltsmitteln ist die Entscheidung des Haushaltsgesetzgebers, aus dem Bundeshaushalt Mittel bereitzustellen und sie im Fünfjahresplan für den Straßenausbau gezielt zu verankern.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Eine Zusatzfrage der Kollegin Merten.

Ulrike Merten (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003192, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß die Kompetenz für Planfeststellung und Linienbestimmungsverfahren bei den Straßenbaubehörden des Landes liegt und daß erst anschließend eine endgültige Bewertung durch das Bundesverkehrsministerium erfolgt?

Lothar Ibrügger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000989

Frau Kollegin, Sie haben zwei zu unterscheidende Planungsgesichtspunkte angesprochen. Der eine ist die Bestimmung der Linienführung für eine in Aussicht genommene Bundesstraße oder Bundesautobahn; der andere ist die Planfeststellung, die am Ende eines langwierigen Planungsverfahrens steht. In der Vergangenheit wurde die Linienführung zum Beispiel für eine in Aussicht genommene Ortsumgehung durch den Bundesminister für Verkehr festgelegt. Damit wurde sie eine von allen anderen Trägern öffentlicher Belange und von den Gemeinden und Städten zu beachtende Maßnahme des Bundes; denn unser Raumordnungs- und Planungsrecht besagt: Bundesplanung bricht Landes- und Gemeindeplanung. Inzwischen hat es eine Änderung gegeben. Der Bundesminister für Verkehr bestimmt zum Beispiel nicht mehr die Linienführung der Ortsumgehungen; dies ist durch den Gesetzgeber geändert worden. Er bestimmt jedoch auch in Zukunft die Linienführung von in Aussicht genommenen Bundesautobahnen. Aber damit ist nicht entschieden, daß diese Maßnahme nach einem langwierigen Planungsverfahren unter Abwägung aller Gesichtspunkte, die dabei eine Rolle spielen - Wahrung des Umweltschutzes, Eingriffsqualitäten -, wirklich von den Gerichten anerkannt wird. Dies ist eine Abwägungsentscheidung. Wenn das Land bzw. in BadenWürttemberg die Bezirksregierung den Plan festgestellt hat und wenn dann dagegen geklagt wird, stellen die Richter fest, ob eine solche Maßnahme allen rechtlichen Anforderungen genügt. Erst wenn dieser Zustand erreicht wird, kann man über Baumaßnahmen sprechen.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Eine letzte Zusatzfrage der Kollegin Lehder.

Christine Lehder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003169, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, ich möchte Sie fragen, ob es zutrifft, daß die Kosten einschließlich des Murrtalviaduktes auf über 800 Millionen DM geschätzt werden.

Lothar Ibrügger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000989

Frau Kollegin, nach den mir vorgelegten Unterlagen gibt es eine breite Spanne von Kostenschätzungen. Deswegen kann ich Ihnen gegenwärtig diese Größenordnung von 800 Millionen DM nicht bestätigen. Aus den bisher ermittelten Varianten ergibt sich eine Bandbreite. Die Kosten haben sich jetzt auf den Betrag von 390 Millionen DM eingependelt.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Dann kommen wir jetzt zur Frage 32 des Kollegen Kurt Rossmanith: Hält die Bundesregierung an den Beschlüssen fest, den Weiterbau der Bundesautobahn A 7 zwischen Nesselwang und dem im Bau befindlichen Grenztunnel umgehend nach Vorliegen aller rechtlichen Voraussetzungen zu realisieren, oder ist mit Änderungen zu rechnen?

Lothar Ibrügger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000989

Herr Kollege Rossmanith, die Antwort lautet: Ja, die Bundesregierung beurteilt den Lückenschluß zwischen dem derzeitigen Ende der A 7 bei Nesselwang und der Bundesgrenze bei Füssen entsprechend der Planung und dem durch das Bundesverwaltungsgericht bestätigten Planfeststellungsbeschluß vom 14. März 1985, ein Projekt, das mit dem ersten Abschnitt, dem Grenztunnel nach Österreich, bereits seit 1995 im Bau ist, als ein Vorhaben, das als laufendes Projekt baldmöglichst in Gänze fertiggestellt werden soll.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Zusatzfrage.

Kurt J. Rossmanith (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001887, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, liegt Ihrem Haus oder der Bundesregierung ein Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen oder ihres verkehrspolitischen Sprechers, Albert Schmidt aus Ingolstadt, vor, für diesen Teilabschnitt, diesen Lückenschluß eine sogenannte abgespeckte Variante zu erstellen, das heißt, ihn zur Bundesstraße zurückzustufen?

Lothar Ibrügger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000989

Herr Kollege Rossmanith, ich habe Ihre Frage, die Sie klar und deutlich gestellt hatten, beantwortet. Aus dem, was Sie gesagt hatten, war das, was Ihre Zusatzfrage beinhaltet, nicht ablesbar. Ich bitte um Nachsicht, wenn ich bei der Antwort bleibe, die ich Ihnen gegeben habe: Der Grenztunnel wird nach heutiger Einschätzung termingerecht zu Beginn der Sommerreisezeit 1999 in Betrieb gehen. Gegenwärtig - das darf ich noch hinzufügen - erarbeitet die bayerische Straßenbauverwaltung mit Nachdruck die Unterlagen für das im Frühjahr 1999 einzuleitende ergänzende Planfeststellungsverfahren, mit dem die in den bisherigen Planfeststellungsunterlagen enthaltenen Maßnahmen zur Kompensation von Eingriffen in Natur und Landschaft den aktuellen Rechtsvorschriften angepaßt werden sollen. Mehr ist gegenwärtig als Antwort auf Ihre Frage nicht möglich.

Kurt J. Rossmanith (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001887, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Es liegt also kein Antrag vor. Deshalb stelle ich meine zweite Zusatzfrage: Herr Staatssekretär, ist sichergestellt, daß, sobald der Planfeststellungsbeschluß rechtsbeständig und vollziehbar ist, mit dem Restbau - sprich: mit dem Lückenschluß - begonnen werden kann?

Lothar Ibrügger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000989

Herr Kollege Rossmanith, das wird ganz entscheidend davon abhängen, wie im Rahmen der dem Freistaat zur Verfügung stehenden Mittel Maßnahmen fortgeführt werden können. Deswegen kann ich zum heutigen Zeitpunkt für das Jahr 1999 und die folgenden Jahre keine Aussage treffen. Das, wonach Sie gefragt haben, vollzieht sich nach den von uns als selbstverständlich angesehenen Abstimmungsnotwendigkeiten mit den beteiligten Landesregierungen. ({0}) - Herr Kollege Rossmanith, die Verteilung der Gelder vollzieht sich nach einem zwischen dem Bund und den Ländern einvernehmlich vollzogenen Verfahren, nämlich der Länderquote. Im Rahmen dieser Länderquote finanzieren die Länder diese Maßnahmen.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Wiese ({0}).

Heinz Wiese (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003261, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, würden Sie die Dringlichkeit dieses Lückenschlusses vor dem Hintergrund sehen, daß es sich hier im Hinblick auf den alpenüberquerenden Transitverkehr, im besonderen in der Reisezeit, um eine sehr wichtige Nord-Süd-Verbindung handelt? Man sollte wissen, daß gerade diese Strecke eine Hauptstrecke von Norden, von Dänemark, von Holland, von Belgien, vor allem nach Italien ist. Wir brauchen dringend auch eine Entlastung der bisher benutzten Strecke durch den Pfändertunnel. Wir brauchen für die Strecke von der A 7 Richtung Südtirol eine Alternative. Das muß auch international gesehen werden. Die ganze Verkehrspolitik darf nicht nur nationalen Gesichtspunkten folgen. Die Dringlichkeit ergibt sich aus der internationalen Perspektive, im besonderen im Hinblick auf weiterhin gutnachbarschaftliche Beziehungen mit Österreich.

Lothar Ibrügger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000989

Herr Kollege, die Bundesregierung legt großen Wert auf gutnachbarschaftliche Beziehungen, um im Geiste der gegenseitigen Vorteilsgewährung gerade den wachsenden Verkehr im Personenbereich und bei den Gütern in einer für alle Beteiligten erträglichen Weise abzuwickeln. Sie kommen aus einer Region, die gleichzeitig dank ihrer landschaftlichen Reize ein besonderer Anziehungspunkt ist. Es ist also nicht nur der Transitverkehr, sondern es sind auch die Verkehrsmengen, die dort selbst erzeugt werden. Wir wissen um die Bedeutung dieser Region. Der Gesetzgeber hat der Bundesregierung durch den Ausbauplan für die Bundesfernstraßen die Vordringlichkeit dieses Projektes aufgegeben. Danach handeln wir.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit Blick auf die fortgeschrittene Zeit will ich darauf hinweisen, daß noch fünf Fragen anstehen. Ich möchte diese Fragen noch zulassen, bitte aber hinsichtlich der Zusatzfragen um etwas Zurückhaltung. Ich rufe die Frage 33 des Kollegen Hirche auf: Wann werden die Bauarbeiten an der A 26 zwischen Hamburg und Stade wieder aufgenommen, und um welche Arbeiten handelt es sich dabei? Zur Beantwortung der Frage gebe ich dem Herrn Staatssekretär das Wort.

Lothar Ibrügger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000989

Herr Kollege Hirche, im Straßenbauplan für die Bundesfernstraßen, Titel 741 17 Autobahnneubau, so lautet die Bezeichnung für die Maßnahme „A 26 Stade-Landesgrenze Niedersachsen-Hamburg“, ist im heute vom Kabinett beschlossenen Haushaltsentwurf ein Ansatz von 8,03 Millionen DM eingesetzt. Mit der Errichtung eines Schöpfwerkes sind die Bauarbeiten für die A 26 zwischen Hamburg und Stade, ganz genau auf dem Abschnitt zwischen Stade und Horneburg, im Januar 1998 angelaufen.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Zusatzfrage?

Walter Hirche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002678, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Eine Zusatzfrage. - Ich hätte, Herr Staatssekretär, gerne gewußt, welche Arbeitsschritte als nächste erfolgen und welche Mittel dafür von Ihrem Ministerium zur Verfügung gestellt werden.

Lothar Ibrügger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000989

Herr Kollege, es wird sich bei den Beratungen des Bundeshaushaltes zeigen müssen, ob die jetzt in Aussicht gestellten Ansätze veränderbar sind oder nicht. Gegenwärtig wird mit dem Bau des Schöpfwerkes ein im Ablauf der Baumaßnahmen zwingend notwendiges Bauwerk errichtet. Die Straßenbauverwaltung hat uns mitgeteilt, daß als nächstes Vorbereitungen für eine Dammschüttung anzugehen wären. Aber ich wiederhole, daß es sich im einzelnen noch zeigen muß, in welchem Umfang gegebenenfalls noch weitere Bauarbeiten möglich sind. Im Entwurf der Bundesregierung sind jedenfalls 8 Millionen DM eingestellt.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Wir kommen zur Frage 34 des Kollegen Hirche: Wie ist in diesem Zusammenhang die Behauptung der Parlamentarischen Staatssekretärin beim Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Gila Altmann, zu bewerten, die A 26 unterliege als Gesamtprojekt einer neuerlichen Prüfung?

Lothar Ibrügger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000989

Herr Kollege Hirche, die Durchführung der Maßnahme als solche ist nicht in Frage gestellt.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Eine Zusatzfrage, bitte sehr.

Walter Hirche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002678, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Die Meinungsäußerung der Parlamentarischen Staatssekretärin Altmann ist damit unerheblich?

Lothar Ibrügger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000989

Herr Kollege Hirche, zu Stellungnahmen von Mitgliedern der Bundesregierung äußere ich mich hier nicht. Ich bitte Sie, unmittelbar die Kollegin zu fragen.

Walter Hirche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002678, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Aber Sie bleiben bei Ihrer Aussage, daß die Maßnahme wie geschildert und ohne Unterbrechung weitergeht?

Lothar Ibrügger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000989

Herr Kollege Hirche, Sie selbst haben lange Erfahrungen im Vollzug von Haushalten. Die Fortsetzung von Bauarbeiten vollzieht sich immer gemäß den zur Verfügung stehenden Mitteln. Es gilt aber die von mir getroffene Grundaussage: Die Durchführung der Maßnahme als solche ist nicht in Frage gestellt. ({0})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich rufe die Frage 35 des Kollegen Josef Hollerith auf: Will die Bundesregierung die Linienfeststellung nach § 17 des Bundesfernstraßengesetzes für die A 94 auf der Trasse Dorfen verändern?

Lothar Ibrügger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000989

Herr Kollege Hollerith, auf diese Frage, antworte ich mit Nein. Für die Bundesregierung sind der im Fernstraßenausbaugesetz festgelegte Bedarf einer Autobahn und die in der Vergangenheit von ihr oder mit ihrer Zustimmung getroffenen Entscheidungen zur Linienführung und zur Projektgestaltung weiterhin gültig. Bei den drei zugehörigen Abschnitten hat das zu Lösungen geführt, die heute bereits in zwei Planfeststellungsverfahren verhandelt werden; für den letzten Abschnitt steht das Verfahren vor der Einleitung. Angesichts der neu aufgetretenen Diskussion wird sie Gespräche mit den Beteiligten führen.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Eine Zusatzfrage.

Josef Hollerith (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000946, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bedanke mich ausdrücklich für die klare Haltung der Bundesregierung und frage, ob der Bundesregierung in diesem Zusammenhang bekannt ist, daß die High-Tech-Region in Ostbayern existentiell vom raschen Bau dieser auf der Linie Dorfen festgestellten Autobahn abhängig ist. Vizepräsident Rudolf Seiters

Lothar Ibrügger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000989

Herr Kollege, der Ausbauplan für die Bundesfernstraßen hat diese Dringlichkeit unterstrichen. Danach handelt die Bundesregierung. Ich habe hier allerdings angesichts der sehr komplizierten Planungsverläufe und der unterschiedlichen Alternativen, die diskutiert werden, sehr wohl Verständnis dafür, daß man zum gegenwärtigen Zeitpunkt über das endgültige Ergebnis einer dann einmal zu verwirklichenden Straßenplanung keine Aussage treffen kann. Es ist ja nach all den Vorlagen, die ich inzwischen aus diesem Gebiet bekommen habe, wohl davon auszugehen, daß es hier um Größenordnungen in Höhe von 620 Millionen DM geht, die dann auch im Bundeshaushalt entsprechend einzustellen wären. Hier gilt das gleiche wie für baden-württembergische Projekte, daß sich zunächst einmal die Planung an sich auch unter Abwägung aller Alternativen zu rechtfertigen hat, damit die Voraussetzungen für den Bau geschaffen werden können. An der Dringlichkeit der Verkehrserschließung und an den Verkehrsproblemen in dem von Ihnen beschriebenen Raum gibt es keinen Zweifel. Hier sind Maßnahmen erforderlich. Wie sie im einzelnen ausgestaltet werden, muß im Planungsverfahren aber noch abschließend geklärt werden.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Eine weitere Zusatzfrage.

Josef Hollerith (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000946, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Darf ich Sie so interpretieren, daß Sie bei der Fortschreibung des Verkehrswegeplanes an der Einstufung der A 94 in die erste Dringlichkeitsstufe festhalten werden?

Lothar Ibrügger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000989

Herr Kollege, das liegt in der Hand des Gesetzgebers. Das Parlament entscheidet über die Dringlichkeit von Maßnahmen. Nach allen bisherigen Erfahrungen werden es sich das Parlament, der federführende Ausschuß, nämlich der Ausschuß für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, wie auch der Petitionsausschuß des Deutschen Bundestages, der ebenfalls schon mit diesem Thema befaßt war, nicht nehmen lassen, über die Vorzugswürdigkeit und auch die Dringlichkeit solcher Maßnahmen unter Maßgabe der bisher eingeleiteten Planungsergebnisse erneut zu entscheiden. Die Bundesregierung kann der Entscheidung des Gesetzgebers nicht vorgreifen.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Wir kommen zur Frage 36 des Kollegen Hollerith: Beabsichtigt die Bundesregierung, für den rechtskräftigen baureifen Abschnitt Winhöring-Erharting der A 94 in diesem Jahr Baumittel bereitzustellen?

Lothar Ibrügger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000989

Herr Kollege Hollerith, soweit im Rahmen der dem Lande Bayern 1999 zur Verfügung stehenden Bundesfernstraßenmittel Spielraum besteht, soll die Bereitstellung, die Sie in Ihrer Frage angesprochen haben, erfolgen. Die Bundesregierung unterstützt das Ziel, den derzeit größten Engpaß, nämlich die Umfahrung Mühldorf, durch den baldmöglichen Bau der beiden Abschnitte AmpfingErharting und Erharting-Winhöring zeitnah zu beseitigen. Finanzierungsgrundlage sind die Bundesfernstraßenmittel in den Bundeshaushalten der kommenden Jahre. Zusätzlich hat die Bundesregierung bei der Europäischen Kommission den Antrag gestellt, den zusammengefaßten Abschnitt Ampfing-Winhöring der zu dem Transeuropäischen Straßennetz gehörenden A 94 in das Förderprogramm TERN aufzunehmen.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Zusatzfrage? - Bitte schön.

Josef Hollerith (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000946, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie haben für diesen Abschnitt die Dringlichkeit der Baumaßnahme bestätigt. Ich frage trotzdem nach, ob seitens der Bundesregierung, die ja unabhängig von der Entscheidung des Parlamentes die Vorlage für die Fortschreibung des Bundesfernstraßenplanes zu erstellen hat, der Ausbau der A 94 auf ihrer gesamten Länge weiter für die erste Dringlichkeitsstufe vorgeschlagen wird?

Lothar Ibrügger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000989

Herr Kollege, erlauben Sie mir die Antwort, daß ich zum gegenwärtigen Zeitpunkt dies für den gesamten Abschnitt der A 94 nicht sagen kann. Sie wissen als Beteiligter aus dieser Region, in welch umfangreichem Maße dort unterschiedliche Planungsvarianten und Überlegungen angestellt werden. Die Grundlage für die Stellungnahme der Bundesregierung ist zunächst der jetzt gültige und uns bindende Ausbauplan für die Bundesfernstraßen. Ich kann laufenden Planungsverfahren durch eine öffentliche Aussage im Parlament nicht vorgreifen. Die Ergebnisse der laufenden Planungsverfahren werden von der Bundesregierung im Rahmen ihrer Vorschläge für die Überarbeitung des Ausbauplanes für die Bundesfernstraßen berücksichtigt. Falls es sich um Maßnahmen wie die der Umfahrung Mühldorfs handelt, die ja bereits jetzt im vordringlichen Bedarf enthalten sind, sind diese unmittelbar zu finanzieren. Diese Absicht habe ich Ihnen deutlich zum Ausdruck gebracht.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Eine weitere Zusatzfrage.

Josef Hollerith (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000946, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nachdem Sie bejaht haben, daß an der Linienfeststellung nach § 17 des Bundesfernstraßengesetzes für die A 94 „Trasse Dorfen“ festgehalten werden soll, hätte ich in der Folge die Aussage erwartet, daß die Bundesregierung an der Einstufung in die erste Dringlichkeit festhält; denn allein diese Dringlichkeitseinstufung bedeutet die Möglichkeit der Baumittelzuweisung.

Lothar Ibrügger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000989

Herr Kollege, die Einordnung in die entsprechende Dringlichkeitsstufe heißt noch lange nicht, daß die Maßnahme auch finanzierungsfähig ist. Es gibt eine Vielzahl von Maßnahmen, die in den einzelnen Bundesländern - Baden-Württemberg habe ich als Beispiel eben genannt schon baureif sind, aber wegen der fehlenden Mittel nicht alle zum gleichen Zeitpunkt finanziert werden können. Deswegen wird im Einzelfall immer neu zu entscheiden sein, ob und in welchem Umfang, auch im Zusammenwirken mit dem Freistaat, Prioritäten bei in Angriff zu nehmenden Baumaßnahmen in einzelnen Abschnitten von Bundesfernstraßen oder Bundesautobahnen festzulegen sind.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Eine Zusatzfrage des Kollegen Straubinger.

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, Ihre vorletzte Antwort veranlaßt mich zu dieser Zusatzfrage. Sie haben sich dahin gehend geäußert, daß im weiteren Planungsverfahren möglicherweise doch noch diverse Prüfungen erfolgen und daß die sich daraus unter Umständen ergebenden Erkenntnisse zu verarbeiten sind. Ist damit eventuell der vierspurige Ausbau der B 12 im Abschnitt Simbach-Passau gemeint?

Lothar Ibrügger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000989

Herr Kollege, ich kann Ihnen heute nur grundsätzlich im Sinne des Auftrages des Gesetzgebers - Ausbauplan für die Bundesfernstraßen, Dringlichkeit, Zahl der Streifen und Einordnung der Priorität - sagen, daß die beauftragte Staatsregierung diese Planungen angesichts dieser Maßgabe durchführt. Aber zu jedem Planungsprozeß gehört die Prüfung von Alternativen. Nach jüngsten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts bei der Überprüfung mancher Planungsverfahren muß vor Gericht dokumentiert werden, daß Alternativtrassen, die sich hätten aufdrängen müssen, in die Überlegungen einbezogen worden sind. In diesem Sinne ist bitte auch die Antwort zu verstehen, daß sich jede einzelne Maßnahme am Ende zu rechtfertigen hat. Auch das Planungsrecht verlangt die Prüfung von Alternativen.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Dann rufe ich die Frage 37 des Kollegen Hans Michelbach auf: Wann ist mit der Realisierung der Projekte der Deutschen Einheit bei Straße und Bahn zwischen Unterfranken und Thüringen sowie mit dem sechsspurigen Ausbau der A 3 zu rechnen, da diese Infrastrukturverbesserungsmaßnahmen für den Wirtschaftsstandort Unter-, Mittel- und Oberfranken zur Sicherung der Arbeitsplätze dringlich benötigt werden?

Lothar Ibrügger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000989

Herr Kollege Michelbach, mit der Realisierung der zu den Verkehrsprojekten „Deutsche Einheit“ gehörenden A 71 Erfurt-Schweinfurt und A 73 Suhl-Lichtenfels ist bereits 1996 in Thüringen begonnen worden. Die bayerischen Abschnitte sind bis auf den Grenzabschnitt der A 71 nach Thüringen nördlich Mellrichstadt im Planfeststellungsverfahren. Der Teilabschnitt der A 71 von Erfurt bis zum Autobahndreieck Suhl wird voraussichtlich bis Ende 2002 durchgängig befahrbar sein. In wesentlichen Teilen wird das Projekt bis zum Jahre 2005 fertiggestellt sein. Die vollständige Fertigstellung wird bis spätestens 2008 angestrebt. Mit dem sechsstreifigen Ausbau der A 3 zwischen Aschaffenburg und Würzburg ist 1998 im Bereich ostwärts Aschaffenburg begonnen worden. Festlegungen zum Ausbau weiterer Abschnitte der A 3 werden spätestens nach der Fortschreibung des Bedarfsplanes für die Bundesfernstraßen im Zusammenhang mit der Aufstellung des nächsten Fünfjahresplanes zu treffen sein. Gemäß Koalitionsvereinbarung vom 20. Oktober 1998 werden derzeit die Alternativplanungen zum Verkehrsprojekt „Deutsche Einheit“ Nr. 8.1, Ausbau-/ Neubaustrecke Nürnberg-Erfurt, geprüft. Dabei wird es bei den im Bau befindlichen Maßnahmen keine Bauunterbrechung geben. Der erreichte Sach- und Meinungsstand wird derzeit zusammengestellt und bewertet. Erst danach wird es möglich sein, konkrete Aussagen zur Realisierung zu treffen.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Zusatzfrage.

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ich bedanke mich für die positiven und klaren Aussagen, insbesondere was die Bundesautobahn A 71 betrifft. Wie erklären Sie sich vor Ort gemachte Aussagen von Kollegen aus der SPD und dem Bündnis 90/Die Grünen, daß für Unterfranken neue Planfeststellungsverfahren stattfinden und daß eine Gesamtüberprüfung des Bundesverkehrswegeplans und die Rückstellung der Baumaßnahmen, die Sie gerade positiv geschildert haben, vorgesehen werden?

Lothar Ibrügger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000989

Ich bitte Sie, in diesem Zusammenhang die Unterscheidung zwischen Bundesverkehrswegeplan und Ausbauplan für die Bundesfernstraßen zu bedenken. Ziel der Koalition ist, den Bundesverkehrswegeplan zu überprüfen und ihn wegen seiner chronischen Unterfinanzierung und wegen seiner Maßnahmen, die auf den Prüfstand gehören, erneut zu bewerten. Der Bundesverkehrswegeplan ist zunächst einmal ein reiner Investitionsrahmenplan, der bisher bis 2012 als Planungshorizont reichte; würde man aber den jetzigen Baufortschritt zum Beispiel bei den Vorhaben im Straßenbau unterstellen, würde man im Jahr 2024 landen. Es ist daher nur folgerichtig für die neue Regierung, daß der Bundesverkehrswegeplan als Ganzes auf den Prüfstand gestellt wird und daß damit in diesem Zusammenhang auch einzelne Maßnahmen wegen ihrer Kostenträchtigkeit auf ihre Finanzierbarkeit zu überprüfen sind. Dies gilt im übrigen aber auch als eine Verpflichtung, für Maßnahmen des Ausbauplanes für die Bundesfernstraßen - dazu zählen die Projekte, die ich Ihnen vorgestellt habe -, die noch in Planungsverfahren sind. Letzten Endes wird erst nach Gerichtsentscheidungen feststehen, in welchem Umfang und in welcher Art und Weise die in Aussicht genommenen Vorhaben, nämlich die Verkehrsverbindungen zwischen Bayern und Thüringen, im einzelnen vor Ort ausgestaltet werden.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Eine weitere Zusatzfrage, Herr Michelbach.

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, habe ich Sie richtig verstanden, daß Sie grundsätzlich an einem weiteren Ausbau dieser Bundesfernstraßen, so wie es in der Konzeption vorgesehen ist, festhalten, damit keine Bauruinen entstehen, damit der Wirtschaftsstandort Unter-, Mittel- und Oberfranken in Verbindung mit dem Bundesland Thüringen auch auf diesem Gebiet weiterentwickelt wird und damit keine Planungsunsicherheit in der Wirtschaft entsteht?

Lothar Ibrügger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000989

Herr Kollege, alle Maßnahmen der Bundesregierung sind, wie der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung zum Ausdruck gebracht hat, unter einen Beschäftigungsvorbehalt gestellt. Das heißt, alle Maßnahmen werden daraufhin überprüft, wie vorhandene Beschäftigung gesichert werden kann und wie neue Beschäftigungsfelder eröffnet werden können - dazu zählen auch die Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“ - ungeachtet dessen, ob sie dann im einzelnen als Straße oder Schiene verwirklicht werden. ({0})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Wir sind damit am Ende der Fragestunde. Wir brauchen, wie ursprünglich vorgesehen war, die Sitzung nicht zu unterbrechen. Ich rufe daher Zusatzpunkt 1 auf: ZP1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der F.D.P. Haltung der Bundesregierung zu den Vorkommnissen in der Europäischen Kommission und deren Behandlung im Europaparlament Ich gebe dem Kollegen Haussmann das Wort.

Prof. Dr. Helmut Haussmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000836, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Geschätzter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Fraktion hat diese Aktuelle Stunde beantragt. Denn in dem jetzt noch jungen Jahr 1999 gab es für die Bürger in Europa zwei große Ereignisse: ein positives und - leider - ein negatives. Ich beginne mit dem positiven, mit der Einführung der Europäischen Währungsunion. Ein Traum vieler Kollegen ist erfüllt, allerdings ohne Beteiligung des deutschen Finanzministers. ({0}) Das ist, historisch gesehen, nicht zu entschuldigen. ({1}) Die Einführung des Euro ist ein Markstein. Wir haben den anderen Mitgliedstaaten viel zu verdanken. Wir haben den Stabilitätspakt durchgesetzt. Wir haben durchgesetzt, daß der Euro, eine künftige Weltwährung, in Frankfurt am Main, in Deutschland, „residiert“. Es wäre nicht nur ein Akt der Höflichkeit, sondern auch der politischen Integration gewesen, wenn Herr Lafontaine dieses Ereignis in Brüssel mit seinen Kollegen begangen hätte. ({2}) Die Geschichte des Euro zeigt, daß aus einer sogenannten kränkelnden Frühgeburt - so der deutsche Bundeskanzler noch vor wenigen Monaten - eine Weltwährung wird, die stärker ist, als viele erwartet hatten. Ich kann nur wünschen, daß sich die Bundesregierung im Hinblick auf die Osterweiterung, über deren Verschiebung bereits jetzt eine Diskussion begonnen hat, nicht ähnlich täuscht. Wir müssen der Anwalt der osteuropäischen Reformstaaten bleiben. ({3}) Wir müssen alles dazu tun, daß sich Osteuropa auf unser Wort verlassen kann. Das zweite Ereignis war die Abstimmung in Straßburg - eine große historische Chance für unsere Kollegen im Europaparlament. Und es gab ja Hoffnung! Denn die Fraktionsvorsitzende der Sozialisten, Frau Green, hatte angekündigt, daß die sozialistische Fraktion in ihrer Mehrheit für eine Zweidrittelmehrheit sorgt und daß damit der Kommission das Mißtrauen ausgesprochen wird. Das hätte politisch dazu geführt, daß einzelne Kommissare ihre Verantwortung hätten übernehmen müssen. ({4}) Das ist faktisch nicht geschehen, nicht zuletzt auch durch die Einwirkung der Bundesregierung. Herr Schröder hat den Kollegen empfohlen, nicht so weit zu gehen. Damit die Agenda 2000 verabschiedet werden könne, solle man die Kommission nicht so hart kritisieren. Die Haltung der Bundesregierung im Jahre der deutschen Präsidentschaft ist nicht unwichtig für andere Mitgliedstaaten. Wenn ich jetzt im „Spiegel“ lese, daß es 30 Rebellen aus Deutschland gab, die dem Mißtrauensvotum zugestimmt haben, dann erinnert mich das an die Haltung, daß sich eine Fraktion gegen eine Regierung wendet und daß auch ich mit meinen sechs oder sieben BadenWürttembergern dagegen bin, aber gleichzeitig weiß, daß die Mehrheit der sozialistischen Fraktion in Straßburg anders abstimmt. Das war das Faktum. Es waren die Grünen und vor allem die Liberalen unter Führung ihres Fraktionschefs Cox, die bis zum Schluß bei ihrer klaren Haltung geblieben sind. Leider hat auch das Verhalten eines Teils der verehrten christdemokratischen Kollegen Wirkung gezeigt, und deshalb hat das Europäische Parlament diese historische Stunde versäumt. Vor diesem Hintergrund finde ich es erstaunlich, daß der Außenminister, Herr Fischer, erklärt hat: Mit der heutigen Abstimmung über den Mißtrauensantrag gegen die Europäische Kommission hat das Europäische Parlament seine Aufgabe als demokratisches ... Kontrollorgan ... wahrgenommen. ... Eine europäische demokratische Kultur und eine die nationalen Schranken überschreitende Öffentlichkeit sind im Entstehen. So wird eine europäische Zivilgesellschaft Wirklichkeit. Also, meine Damen und Herren, diese Haltung des Europäischen Parlaments führt nicht gerade zum Entstehen einer Zivilgesellschaft in Europa. ({5}) Es war kein guter Tag für Europa, es war eine Selbstentmannung bzw. eine Selbstentfrauung des Europäischen Parlaments. Hier wurde zunächst ein Mißtrauensvotum angekündigt, wie es die Bürger erwartet haben, weil mit Steuergeldern unredlich umgegangen worden ist, und nachher eine Untersuchungskommission begründet. Man hat sich schließlich auch noch beklagt und gesagt: Wir sind als Tiger abgesprungen und als Bettvorleger gelandet. - Dazu haben zwei Fraktionen beigetragen, am meisten aber die sozialistische Fraktion. Sie hat durch ihre Fraktionsvorsitzende, Frau Green, die Hoffnung geweckt, es komme zu einer qualifizierten Ablehnung. Für die Bundesregierung bedeutet das: Sie hat im Jahr der deutschen Präsidentschaft eine insgesamt geschwächte Kommission. Hätte sich die Position der Liberalen und von Teilen der Grünen durchgesetzt, hätten wir eine gereinigte Kommission, die auch in den Augen der europäischen Bürger ihrer Aufgabe besser gerecht würde. Danke schön. ({6})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Das Wort hat der Staatsminister Günter Verheugen.

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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der schwere Konflikt zwischen dem Europäischen Parlament und der EU-Kommission hat nach Auffassung der Bundesregierung ein Problem offengelegt, dessen Lösung für die weitere Entwicklung Europas entscheidend sein kann. Die Europäische Union hat in den letzten Jahren einen enormen Bedeutungsgewinn erlebt. Ihre Aktionsfelder sind größer geworden, ihr Einfluß auf die Lebensverhältnisse in den Mitgliedstaaten wächst täglich. Diesem Machtgewinn - so darf man dies wohl nennen steht keine entsprechende Anpassung der europäischen Verfassung gegenüber. Natürlich hat die EU keine Verfassung in politischem Wortsinn. Aber das Vertragswerk, das ihr zugrunde liegt, enthält Regeln und Instrumente, die verfassungsähnlichen Charakter haben. Sie sind verstreut und unvollständig, aber gleichwohl vorhanden. Wenn man den Zustand beschreiben will, in dem sich die so verstandene europäische Verfassung befindet, so ist „vordemokratisch“ ein zu hartes Wort, aber wir haben jedenfalls auf der europäischen Ebene kein voll entwickeltes demokratisches System. Deshalb mußte es über kurz oder lang zu diesem Konflikt kommen. In der aktuellen Situation barg dieser Konflikt für Deutschland in seiner frisch übernommenen Aufgabe als Ratspräsidentschaft eine Menge schwieriger Probleme in sich. Aber schon mittelfristig kann der Konflikt auch positive Wirkungen entfalten: Die Diskussion über die Fragen der Transparenz, der demokratischen Kontrolle und der demokratischen Legitimation des europäischen Handelns ist nicht mehr aufzuhalten. Schritt für Schritt kommen wir der Frage näher, wie unsere Europäische Union im voll entwickelten Zustand aussehen soll. - In Deutschland gibt es, soweit ich das sehe, eine breite Übereinstimmung: Wir wollen ein Europa der Bürger. Wir wollen ein demokratisches Europa. ({0}) Die Bundesregierung hat sich vorgenommen, während ihrer Ratspräsidentschaft die sogenannten institutionellen Reformen der EU voranzubringen und auf dem Gipfel in Köln eine Agenda und einen Zeitplan für diese Reformen verabschieden zu lassen. Dabei geht es um die Funktionsfähigkeit der Union angesichts erweiterter Aufgaben, es geht um die Erweiterungsfähigkeit im bisher größten beschlossenen Erweiterungsprozeß und um die Verbreiterung der Legitimationsbasis für unsere eigene Europapolitik. Dieser letzte Punkt wird nicht überall so ernst genommen wie bei uns. Wir können aber die Augen nicht vor der Tatsache verschließen, daß Europa auch bei uns kein Selbstläufer mehr ist. Unsere Bürgerinnen und Bürger wollen wissen, was Europa konkret für sie bedeutet und welchen Einfluß sie darauf haben, und sie wollen ebenfalls wissen, was in Brüssel mit ihrem Steuergeld geschieht. ({1}) Diese Gedanken vorausgeschickt, die für mich aber den Kern des Problems darstellen, möchte ich zur Sache selber noch folgende Anmerkungen machen: Das Finanzgebaren der EU-Kommission ist nicht erst seit gestern Gegenstand der Kritik im Parlament und in der Öffentlichkeit. Die Bundesregierung hält einen guten Teil dieser Kritik für berechtigt und hatte deshalb der Kommission geraten, die Fragen und Forderungen des Parlaments ernst zu nehmen und auf das Parlament zuzugehen. Nun, die Kommission hat sich verhalten, wie sie sich verhalten hat. Gewiß hat sie recht mit dem Argument, daß sie in pauschaler, manchmal vorverurteilender, manchmal auch diffamierender Weise angegriffen worden ist. Deshalb will ich auch hier klarstellen, daß keinem Mitglied der Kommission etwa persönliche Korrumpierbarkeit, Betrugsabsichten oder Bereicherungsversuche angelastet werden. Es geht im wesentlichen um administrative Versäumnisse, die innerhalb Europas unterschiedlich bewertet werden. Ich sage es einmal ganz vorsichtig: In der Kommission treffen natürlich Vertreter unterschiedlicher politischer Kulturen und administrativer Standards aufeinander. Nicht alles, was wir in Deutschland für skandalös halten, wird von anderen auch so gesehen. Das, Herr Kollege Haussmann, erklärt das sehr unterschiedliche Abstimmungsverhalten der nationalen Delegationen im Parlament, das ja parteiübergreifend war. Man muß auch selbstkritisch anerkennen, daß ein Teil der Probleme vom Rat und den Mitgliedstaaten geschaffen worden ist. Man kann nicht über Jahre hinweg einer Behörde immer mehr Milliarden für immer mehr Programme zur Verfügung stellen, ohne sich darüber Gedanken zu machen, welche zusätzlichen Strukturen im Interesse einer geordneten und effizienten Mittelverwendung geschaffen werden müssen. Aus dem Ringen in Straßburg geht die Kommission handlungsfähig, wenn auch politisch angeschlagen hervor. Die Bundesregierung hatte vor und während der Krise in ihrer Rolle und Verantwortung als Ratspräsidentschaft gesagt, daß sie an einer stabilen und handlungsfähigen Kommission interessiert ist. Sie hat aber nicht versucht, das Parlament in irgendeiner Weise unter Druck zu setzen. ({2}) Sie hat auch das Abstimmungsverhalten der deutschen EU-Parlamentarier in keiner Weise beeinflußt. ({3}) Das war auch richtig so, und ich weise mit Entschiedenheit den von verschiedenen Seiten erhobenen Vorwurf zurück, Deutschland habe in einer Art Doppelstrategie versucht, die Kommission zu schwächen, um sich in einigen Fragen der Agenda 2000 leichter durchsetzen zu können. ({4}) Soweit diese absurde Idee von Mitgliedern der Kommission vertreten wird, fordere ich diese Mitglieder im Interesse einer vertrauensvollen Zusammenarbeit auf, diesen Erklärungsversuch aufzugeben und sich lieber zu fragen, was sie vielleicht falsch gemacht haben. Die Bundesregierung nimmt die Beschlüsse des EUParlaments sehr ernst. Sie will ihren Beitrag zur Herstellung voller Kooperation zwischen Rat, Parlament und Kommission leisten, damit die Forderungen des Parlaments erfüllt werden können. Ich nenne die wichtigsten: die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses unabhängiger Sachverständiger unter Federführung von Parlament und Kommission zur Überprüfung und zur Aufdeckung der Fälle von Betrug, Mißmanagement und Günstlingswirtschaft; die Untersuchung aller Anschuldigungen im Rahmen ordentlicher behördlicher und gerichtlicher Verfahren sowie die vollständige Aufdeckung aller mutmaßlichen Betrugsfälle in der Kommission; die weitreichende Reform der Verwaltungspraxis der Kommission; die Änderung des Beamtenstatuts sowie einen Verhaltenskodex für die Beschäftigung von Angehörigen und persönlichen Bekannten; die Verwirklichung des Vorschlags von Bundeskanzler Schröder, eine Gruppe hochrangiger Vertreter von Parlament, Rat und Kommission einzusetzen mit dem Ziel, Vorschläge zur unverzüglichen Schaffung eines neuen Amtes für Betrugsbekämpfung außerhalb der politischen Kontrolle der Kommission zu prüfen und anzunehmen. Meine Damen und Herren, der Ausgang der Abstimmungen im Europäischen Parlament ist in dreifacher Hinsicht politisch bedeutsam und wird sich auf das zukünftige Verhältnis der Institutionen der Europäischen Union zueinander auswirken. Erstens. Es ist klargeworden, daß das Europäische Parlament seine Aufgabe als demokratisches und parlamentarisches Kontrollorgan wahrnimmt. Das Europäische Parlament entspricht damit einem wichtigen Anliegen der Bundesregierung: der Forderung nach einer transparenten Verwendung von Haushaltsmitteln. Zweitens. Das selbstbewußte Auftreten des Parlaments hat gezeigt, daß der Vertrag von Amsterdam, der dem Parlament in wichtigen Politikbereichen eine verstärkte Mitsprache einräumt, den richtigen Weg in die Zukunft weist. Drittens. Wir werden bei unseren Bemühungen um einen Gesamtkompromiß für die Reformvorhaben der Agenda 2000 mit einer handlungsfähigen Kommission zusammenarbeiten können und haben damit die Chance bewahrt, den Sondergipfel am 24. Und 25. März 1999 zu einem Erfolg zu führen. Vielen Dank. ({5})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich gebe das Wort dem Kollegen Peter Hintze von der CDU/CSU-Fraktion.

Peter Hintze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000907, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Bundeskanzler hat sich in der Auseinandersetzung zwischen Kommission und Parlament gegen das Europäische Parlament gestellt mit dem Argument, die deutsche EU-Präsidentschaft brauche eine handlungsfähige Kommission. Ich halte die moralische Qualität dieser Argumentation des Bundeskanzlers für ausgesprochen schlecht; denn nach diesem Argument könnte sich die Kommission alles und jedes erlauben. Natürlich ist jede EU-Präsidentschaft daran interessiert, in dem halben Jahr, das ihr zur Verfügung steht, auf eine handlungsfähige Kommission zu treffen. Ich hätte vom deutschen Bundeskanzler aber erwartet, daß er sich gerade im Jahr der deutschen EUPräsidentschaft hinter die Bürger Europas stellt, hinter die Steuerzahler, die daran interessiert sind, daß mit ihrem Geld ordentlich umgegangen wird, hinter das Europäische Parlament, dem er den Rücken stärken sollte, anstatt ihm in den Rücken zu fallen. ({0}) Herr Staatsminister Verheugen hat eben gesagt, wir hätten den Bundeskanzler falsch verstanden; das sei anders gewesen. - Laut ADN bezeichnete Bundeskanzler Schröder die Straßburger Entscheidung zur EU-Kommission als gut - nachdem das Mißtrauensvotum gescheitert war. Er fügte hinzu, es sei im Interesse seiner Regierung, eine arbeitsfähige und stabile EU-Kommission zu haben. - Meine Damen und Herren, keiner in diesem Hause ist gegen eine arbeitsfähige und stabile EU-Kommission. Aber heute hat uns in der öffentlichen Sitzung des EU-Ausschusses Herr Professor Friedmann als vormaliger Präsident und derzeitiges Mitglied des Europäischen Rechnungshofs, nüchtern vorgetragen, daß der Europäische Rechnungshof der EU-Kommission vier Jahre in Folge negative Testate erteilen mußte, daß 5 Prozent des Haushaltsvolumens mit schweren Unregelmäßigkeiten behaftet sind und daß er deswegen das Parlament gut versteht, wenn es sagt: Irgendwo ist eine Grenze erreicht. Ab dem Haushalt des Jahres 1996 können wir die Kommission nicht mehr entlasten. - Wir hätten von der Regierung erwartet, daß sie ihre eigenen Interessen zugunsten der Rechte des Parlamentes und des europäischen Demokratisierungsprozesses, den Sie, Herr Verheugen, eben angesprochen haben, ein klein wenig zurückstellt. ({1}) - Ich komme gleich zum Abstimmungsverhalten. Das Europäische Parlament hätte diesen Rückhalt verdient. Statt dessen hat der Bundeskanzler mit seinem Vorschlag, einen „Ausschuß der Weisen“ einzuberufen - in dem übrigens auch die Kommission sitzt -, der die Vorgänge überprüfen soll, einen Beitrag dazu geleistet, dem Europäischen Parlament seine ureigenen Kontrollrechte wegzunehmen. Das halten wir für falsch. Das Parlament muß mehr Rechte bekommen; man darf sie ihm nicht wegnehmen. ({2}) Zur Abstimmung möchte ich sagen - ich habe mir die Abstimmungsergebnisse angesehen -: Es ist ein besonderes Trauerspiel, daß die sozialdemokratische Fraktion im Europäischen Parlament in ihrer Nibelungentreue die beiden schwarzen Schafe der Kommission - die das ganze Parlament für verantwortlich hält für Dinge, die nicht in Ordnung sind -, Frau Cresson und Herrn Marin, vor einem kritischen Votum des Parlaments geschützt hat und daß auch von den 40 deutschen sozialdemokratischen Europaabgeordneten nicht ein einziger den Mut aufgebracht hat, diesen beiden Kommissaren persönlich das Mißtrauen auszusprechen. Die CDU/CSU-Gruppe hat es im Parlament geschlossen getan. ({3}) - Von der SPD wird dazwischengerufen: „Vertragstreue“. - Bei diesem Beschlußvorschlag im Europäischen Parlament ging es um ein politisches Votum. Da haben wir auf den Anstand von Frau Cresson und Herrn Marin gesetzt. In jeder Kleinstadt wäre der Gemeindedirektor gefeuert worden oder hätte aus Anstand seinen Rücktritt angeboten, wenn ihm solche Vorhaltungen gemacht worden wären. Im Europäischen Parlament stellt sich Frau Cresson hin und sagt: Schuld ist die europäische Presse, die sie heruntermache und die Dinge öffentlich mache. Meine Damen und Herren, wenn wir bei den Bürgern für Europa Vertrauen schaffen wollen, dann müssen wir dem Parlament und dem Rechnungshof den Rücken stärken und dafür sorgen, daß mit dem Geld der Steuerzahler sorgfältig umgegangen wird. Wir können nicht zulassen, daß den beiden Kommissaren von den Sozialdemokraten nur deshalb nicht das Mißtrauen ausgesprochen wird, weil die Kommissare Sozialisten sind. ({4}) Parlamentarische Kontrolle muß klar sein. Eine Kontrolle durch die Filtertüte, wie sie jetzt vorgesehen ist, wird nur als Rinnsal ausfallen. Der „Ausschuß der Weisen“ bringt das Parlament um seine ureigenen Kontrollrechte. Ich finde es blamabel, daß sich die deutsche Regierung auch noch rühmt, an diesem Beschwichtigungsakt wesentlich mitgewirkt zu haben. Meine Aufforderung an die Bundesregierung lautet: Sorgen Sie dafür, daß die Kommission den demokratisch gewählten Vertretern den notwendigen Respekt erweist; sorgen Sie dafür, daß die Bürger in Europa Vertrauen haben können; und sorgen Sie dafür, daß es nicht so weitergeht, daß in Brüssel zwei Kommissare sagen: Das interessiert uns alles nicht! - Notfalls müssen wir die Regeln ändern und dem Parlament das Recht geben, mit der entsprechenden qualifizierten Mehrheit auch einzelnen Kommissaren das Mißtrauen auszusprechen. Wir haben es nicht mit einer Regierung wie in unserer Verfassungsordnung zu tun, sondern mit einer Art Behörde. Wenn sich zwei in dieser Behörde so verhalten, wie sie es getan haben, muß das Parlament das Recht haben, hier auch zu handeln. Herzlichen Dank. ({5})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich gebe das Wort der Kollegin Claudia Roth, Bündnis 90/Die Grünen.

Claudia Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003212, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Haussmann! Der Herr Doktor Faust seufzt ja und sagt: „Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust, ...“ Ich habe in den letzten Wochen eine andere Variante gespürt: Zwei Herzen schlagen heftig und laut in meiner Brust. Denn die Brüsseler Turbulenzen haben uns wirklich in ein Dilemma gebracht. Da sind der verständliche Wunsch und Anspruch unserer Bundesregierung, eine erfolgreiche Ratspäsidentschaft zu absolvieren, eine Ratspräsidentschaft mit einem sehr anspruchsvollen Aufgabenprofil - das wissen auch Sie -, zum Beispiel dem erfolgreichen Abschluß der Agenda-2000-Verhandlungen, eine Grundvoraussetzung für die europäische Integration, für die Zukunft Europas. Für diese Mammutaufgabe ist eine starke Kommission - überhaupt eine Kommission - notwendig. Insofern habe ich das Aufatmen der Bundesregierung nach dem Mißtrauensvotum verstanden. Herr Haussmann und Herr Hintze, wären Sie in der Regierung, dann hätten Sie genauso aufgeatmet. Seien Sie hier in diesem Haus doch ehrlich! ({0}) Jetzt kommt mein anderes Herz, jetzt kommt mein Parlamentarierinnenherz, und das hat sehr heftig und sehr laut geschlagen. Die Auseinandersetzungen haben gezeigt, welche Defizite es innerhalb der Europäischen Union gibt. Es gibt den Mangel an Demokratie, es gibt den Mangel an demokratischer Kontrolle, an Transparenz, die überhaupt die Voraussetzung für effiziente Kontrolle ist. Die Arbeit der Gremien im Europäischen Parlament und die Nichtentlastung der Kommission im Dezember beim Haushalt haben deutlich gemacht, daß das EP versucht, seine vertraglichen Kompetenzen auszufüllen. Es hat seine Arbeit gemacht und Europa nicht ins Chaos gestürzt, wie immer wieder geraunt worden ist. Es hat sich angeschickt, Klarheit darüber zu schaffen, was es für eklatante Mißstände in der Kommission gibt, die die gute Arbeit von vielen relativieren. Auf der Grundlage der ermittelten Fakten muß es zu ganz drastischen Konsequenzen kommen, will die Kommission - und damit die ganze Europäische Union nicht, daß ihr ein Geruch von Vettern- und Günstlingswirtschaft, ja sogar von Korruption anhaftet oder daß die EU zu einem Symbol für dunkle Mächte und schwarze Kassen wird. Das Europäische Parlament hat - und in großer Mehrheit die deutschen Abgeordneten - in hohem Maße proeuropäisch agiert, denn nur das schonungslose Aufdecken von Affären, von betrügerischen Machenschaften wird Vertrauen und Akzeptanz in die europäische Idee schaffen. Ansonsten verfestigt sich ein latentes Mißtrauen, das der beste Nährboden für eine antieuropäische Stimmung ist. Also sind jetzt Konsequenzen angesagt und nicht das selbstzufriedene Zurücklehnen, wie Jacques Santer es dargeboten hat, gepaart mit einer hochgradig falschen Interpretation der Abstimmung im Europäischen Parlament als Vertrauensbeweis. Bestenfalls war diese Abstimmung ein letzter Vertrauensvorschuß in den ernsthaften Willen, daß tatsächlich etwas geändert wird, daß es Transparenz geben wird, daß es nachprüfbaren legalen Umgang mit den Finanzen und endlich eine kompetente Personalpolitik geben wird. Das Europäische Parlament hatte die große Chance, sich als demokratisch legitimierte Institution zu erweisen, die nicht am Tropf von nationalen Regierungen, von politischen Familien hängt. Viele Kollegen und Kolleginnen haben die Loyalität mit einzelnen Kommissaren, mit der eigenen Partei, mit der Regierung zu Hause, also das persönliche, das parteipolitische und das nationale Interesse, nicht über das Interesse Europas gestellt. Sie haben sich wirklich als glaubwürdige Vertreter der Interessen der Bürger Europas erwiesen. Damit hat das Parlament Vertrauen geschaffen und Appetit auf mehr geweckt: auf mehr Rechte, auf mehr Mitsprache und mehr Mitentscheidungskompetenz im institutionellen Gefüge. Trotzdem hätte mein Herz noch viel lauter geschlagen, wenn nicht, wie so oft bei entscheidenden Abstimmungen im Europäischen Parlament, so manche Abgeordneten - übrigens auch von Ihrer Fraktion, Herr Hintze - in die Rolle des Herrn Turtur geschlüpft wären. Ich gehe davon aus, daß Sie Herrn Turtur kennen. Das ist der Scheinriese bei Jim Knopf aus der Augsburger Puppenkiste. Ist er weit weg, dann ist er ganz groß, und je näher er kommt, desto kleiner wird er - bis er ein ganz kleinenes Männchen ist. Ich hätte mir also mehr Mut gewünscht und weniger Angst vor der eigenen Courage. Aber Turturs gibt es überall, auch bei uns. Ich wünsche mir im Sinne der erfolgreichen deutschen Ratspräsidentschaft eine handlungsfähige und verantwortungsvolle Kommission, die aus ihren Fehlern lernt und Konsequenzen zieht. Ich wünsche mir im Sinne der europäischen Demokratie eine institutionelle Reform mit einem gestärkten Europäischen Parlament. Ich wünsche mir im Sinne der politischen Moral und Glaubwürdigkeit die Größe von Politikern, nach Fehlern auch persönliche Konsequenzen ziehen zu können. Wenn heute einzelne Kommissare versuchen, die berechtigte Kritik an ihrer Amtsführung als deutsche Medienkampagne zu diffamieren oder als Versuch, die Erweiterung von deutscher Seite torpedieren zu wollen, dann wird klar, daß sie für dieses Amt wenig geeignet sind. - Ich wünsche mir vor allem, daß die Schlagzeilen endlich wieder von europäischer Politik statt von EUFinanzskandalen beherrscht werden. ({1})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Das Wort hat der Abgeordnete Manfred Müller, PDS.

Manfred Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002740, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegin Roth, bei dieser Debatte schlägt mir nur ein Herz in der Brust, und zwar das des Parlamentariers, der dazu da ist, die Regierung zu beauftragen und zu kontrollieren. Da halte ich es mit der strikten Gewaltenteilung zwischen Exekutive und Legislative. Was Straßburg und Brüssel uns in den letzten Wochen geboten haben, gleicht einer surrealistischen Vorstellung in einem virtuellen Theater mit viel Staffage Claudia Roth ({0}) und wenig Substanz. Das Stück ist schnell erzählt - es ist hier schon gesagt worden -: Eine EU-Kommission, die keineswegs durch und durch korrupt ist, aber in deren Verantwortungsbereich es natürlich auch schwarze Schafe gibt, verweigert die politische Hygiene. Ein Parlament, das erst durch die Zivilcourage eines Brüsseler Beamten - mit dem man gleich kurzen Prozeß gemacht hat und der dafür disziplinarisch gemaßregelt worden ist - auf die Fährte gesetzt wird, bläst die Backen, spitzt den Mund und traut sich nicht zu pfeifen. Am Ende jedoch gehen alle zufrieden nach Haus: die deutschen Europaparlamentarier, weil sie fast unisono für das Mißtrauensvotum gestimmt haben und hoffen, daß sich das bei den kommenden Europawahlen auszahlt; die deutsche Bundesregierung, die einerseits das Scheitern des Mißtrauensvotums in Gestalt ihres Außenministers begrüßt - weil es sonst Essig gewesen wäre mit den ehrgeizigen Zielen der deutschen EURatspräsidentschaft - und die andererseits aus dem Munde des Bundeskanzlers von einem Stück Emanzipation des Parlaments spricht. Nicht zu vergessen ist die Europäische Kommission, die weitermachen darf und obendrein der parlamentarischen Kontrolle noch mehr entzogen zu sein scheint als zuvor. Der EU-Haushalt umfaßt 160 Milliarden DM. 80 Prozent davon werden als Subventionen ausgereicht. Kein Wunder also, daß die EU-Bürokratie besonders anfällig für Korruption und Vetternwirtschaft ist. Wundern darf man sich jedoch, wie selten derartige Dinge ans Licht der Öffentlichkeit dringen. Laut Rechnungshof sind etwa 5 Prozent der gesamten Budgetsumme der EU von wie es heißt - schweren Unregelmäßigkeiten betroffen. Da werden Aufträge ohne öffentliche Ausschreibungen vergeben oder Gehälter für osteuropäische Experten nach westlichen Honorarsätzen berechnet und nach den wesentlich niedrigeren ortsüblichen Tarifen ausgezahlt. Die Differenz verschwindet im Brüsseler Nirwana. Von Transparenz kann dabei gar keine Rede sein. Die Abstimmung über das Mißtrauensvotum am 14. Januar 1999 hätte zu einer Sternstunde der europäischen Demokratie werden können. Statt dessen erhielten die ohnehin nicht gerade europabegeisterten Bürger der Europäischen Union eine Lehrvorführung über europäische Hinterzimmerdiplomatie, politische Winkelzüge und schäbiges Taktieren. Dies war keine Stunde der europäischen Demokraten, sondern eher die Stunde der Heuchler. Diese Heuchelei setzt sich hier fort, wenn wir so tun, als sei die Mißachtung des Europäischen Parlaments durch die allmächtige Europäische Kommission die Ausnahme und nicht die Regel im Verhältnis zwischen Straßburg und Brüssel. Wir sollten uns davor hüten, auch nur den Eindruck aufkommen zu lassen, daß diese Arroganz der Macht, die die europäischen Kommissare gegenüber dem einzig direkt gewählten Gremium der Europäischen Union walten lassen, ein Problem anderer sei. Deutsche EU-Kommissare sind da nicht viel besser oder schlechter. „Stimmt schön ab, wir machen sowieso, was wir wollen.“ Diese Worte, meine Damen und Herren von der F.D.P., ({1}) stammen - so die „Süddeutsche Zeitung“ vom 15. Januar dieses Jahres - von Ihrem Parteimitglied und EUKommissar für Industrie, Martin Bangemann. Sie fielen letztes Jahr, als das Europäische Parlament heftig über Gentechnik beriet. ({2}) Den Rausschmiß der EU-Kommission hätte die europäische Integration verkraftet. Statt dessen sind wir Zeugen fauler Kompromisse, zu denen auch die sogenannte Kommission der Weisen gehört. Wozu eine solche Expertenrunde, wenn das Parlament über einen unabhängigen Rechnungshof verfügt, der den Geschäften der EU-Kommission nachspüren soll und dem die Kommission jederzeit Rede und Antwort stehen muß? Schließlich war es dieser Ausschuß, der den Stein ins Rollen brachte und die Unregelmäßigkeiten in den Haushalten 1996 und 1997 aufgedeckt hat. Sie wissen ganz genau, was mit einem Vorstand auf einer Hauptversammlung passiert, der nicht das Testat der Wirtschaftsprüfer vorweisen kann. Er wird sofort in die Wüste geschickt. Das ist ein Beispiel dafür, wie auch mit einer Kommission verfahren werden sollte, die mißbräuchlich zu Lasten der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler die ihr zur Verfügung gestellten Mittel verwendet oder ihre Kontrollfunktionen nicht ausreichend ausübt. Schönen Dank. ({3})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich gebe das Wort der Kollegin Ingrid Matthäus-Maier, SPD-Fraktion.

Ingrid Matthäus-Maier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001436, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, wer sich selbst gegenüber ehrlich ist, wird - so jedenfalls die meisten - zugeben müssen, daß man bei der Bewertung der Vorgänge im Europäischen Parlament innerlich hin und her gerissen ist. Auf der einen Seite sollte man ehrlich zugeben: Es hätte für so wichtige Reformvorhaben - Verabschiedung der Agenda 2000 und Reform der Agrarpolitik - ein Riesenproblem bedeutet, wenn man seit voriger Woche keine Kommission mehr gehabt hätte. Herr Haussmann, da Sie zu diesen Vorgängen so starke Worte finden, möchte ich Ihnen vorlesen, was der ehemalige Außenminister Kinkel in der „Welt“ dazu gesagt hat: Es wäre falsch gewesen, die Kommission jetzt in die Wüste zu schicken, weil die Folgen in der gegenwärtigen schwierigen Phase Europas unabsehbar gewesen wären. Ich glaube, er hat recht. ({0}) Manfred Müller ({1}) Insofern muß ich es positiv bewerten, daß Bundeskanzler Schröder konkrete Vorschläge gemacht hat, um dies zu verhindern und um Parlament und Kommission aufeinander zuzuführen. Herr Hintze, Ihre „Zweifel“ so haben Sie wörtlich gesagt - „an der moralischen Qualität der Haltung des Bundeskanzlers“ weise ich hiermit offiziell zurück. Das ist der alte „TankstellenHintze“, nicht ein seriöser Europapolitiker. ({2}) Auf der anderen Seite - das meine ich, wenn ich sage, ich bin hin und her gerissen - denke ich als Parlamentarierin. Hier hat aus meiner Sicht der Vorgang der letzten Woche auf das Ansehen des Parlamentes in Europa keine positive Wirkung gehabt. Ich glaube, daß das Ansehen geschädigt worden und die Akzeptanz in der Bevölkerung, die eh nur begrenzt ist, nicht gerade gewachsen ist. Ich stelle mich ausdrücklich hinter das Abstimmungsverhalten der allermeisten deutschen EUParlamentarier und freue mich darüber, daß sie so abgestimmt haben. Aber ich sehe deutlich das Problem. Das Sprichwort „die Lippen gespitzt und nicht gepfiffen“ ist sicherlich zutreffend. Aber ich erwähnte schon in meinem ersten Redeteil das Hin-und-her-gerissen-sein, das man als Betroffener empfindet. Gerade was die Stärkung der europäischen Parlamentarier und des Europäischen Parlamentes angeht, war dies keine Sternstunde. Ganz entschieden weise ich zurück, was Edith Cresson laut Zeitungsmeldung über den Vorgang gesagt hat. Sie hat von einer deutschen Kampagne - speziell auch der ARD - gesprochen. Was dazu zu sagen war, hat sehr vorsichtig, aber doch sehr eindeutig der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Verheugen, ausgedrückt, als er gesagt hat: Ich sage es einmal ganz vorsichtig: In der Kommission treffen ... Vertreter unterschiedlicher politischer Kulturen und administrativer Standards aufeinander. ({3}) Nicht alles, was wir in Deutschland für skandalös halten, wird von anderen auch so gesehen. Das ... erklärt das sehr unterschiedliche Abstimmungsverhalten der nationalen Delegationen im Parlament, das ja parteienübergreifend war. Ich bin lange Mitglied dieses Hauses und habe schon den Eindruck: Wenn ich die Standards ansetze, die in diesem Hause viele, übrigens unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit, bei Rücktritten von Ministern in den letzten 20 Jahren zugrunde gelegt haben, wäre es unter diesem Gesichtspunkt in Europa durchaus angebracht gewesen, wenn der eine oder andere Kommissar persönliche Konsequenzen gezogen hätte. Dies hätte der Kommission und dem Parlament viele Probleme erspart. Da dies ein Signal ist, geht es für die Zukunft darum, darauf zu achten, daß der Bericht der Weisen pünktlich abgegeben wird und dann über Konsequenzen diskutiert wird. Wir sind auch der Ansicht, daß man bei demnächst anstehenden Vertragsänderungen dafür sorgen muß, daß nicht wie nach heutigem Vertrag nur der ganzen Kommission das Mißtrauen ausgesprochen werden kann, sondern daß das auch gegenüber einzelnen Kommissaren möglich wird. Dann wäre sicherlich manches anders gelaufen. Im übrigen sollten wir ab sofort - Herr Hintze, dabei gucke ich auch Sie an - die Diskussion über die Vergangenheit unterlassen und dafür sorgen, daß wir uns mit aller Kraft auf einen erfolgreichen Abschluß der Agenda 2000, der Reform der Agrarpolitik und der anstehenden Erfolge der deutschen Präsidentschaft konzentrieren. Ich danke Ihnen. ({4})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Das Wort für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Dr. Gerd Müller.

Dr. Gerd Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002742, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der europäische Start der Bundesregierung ist gründlich mißlungen. ({0}) Mißtrauen, Verunsicherung und Ärger machen sich breit. Bundeskanzler Schröder und Außenminister Fischer haben in den drei Monaten seit Regierungsübernahme und in den wenigen Wochen seit Übernahme der Präsidentschaft viel Porzellan zerschlagen. ({1}) Die großen Sprüche zu Beginn der deutschen Präsidentschaft haben den Stammtischen gefallen; aber sie haben uns in Europa geschadet. ({2}) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, denken Sie nur an den Ecofin: Der Vorschlag der Regierung Kohl/ Waigel zur Finanzreform fand die große Sympathie des Ratspräsidenten und hatte die Unterstützung von immerhin sieben Mitgliedstaaten. Der Vorschlag dieser Bundesregierung, des jetzigen Ratspräsidenten steht allein. Wir sind in die europäische Isolation geraten, und zwar nicht nur in der Frage der EU-Finanzreform, sondern auch in anderen Bereichen. ({3}) Aber nun zum Mißtrauensvotum, um das es heute geht. Die Christdemokraten sind für eine bedingungslose Aufklärung der europäischen Korruptionsskandale. Ich möchte auf den Kern kommen; - Kollege Hintze hat dies angesprochen -: Die Korruptionsvorwürfe richten sich gegen zwei sozialistische Kommissare. Alle Mitglieder der sozialistischen Fraktion im Europäischen Parlament haben gegen die Rücktrittsentschließung gestimmt. Das ist ein Skandal. ({4}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, der sozialdemokratische Bundeskanzler hat in dieser Situation der europäischen Kommission den Rücken gestärkt ({5}) und ist den europäischen Sozialdemokraten in den Rükken gefallen. Mir zwingt sich an dieser Stelle der Eindruck auf, daß die Sozialdemokraten ihre Macht zu einer Parteipolitisierung der europäischen Politik nutzen. Das schadet Deutschland, das schadet den deutschen Bürgern. ({6}) Ich möchte dies an vier Punkten darstellen. Erstens. Das Abstimmungsverhalten zur Rücktrittsforderung an die sozialistischen Kommissare findet aus parteitaktischen Gründen - keine Unterstützung der SPD im Europäischen Parlament. Zweitens. Es finden regelmäßige sozialistische Treffen der Finanzminister zur Abstimmung einer sozialistischen Strategie für Europa statt. Drittens. Herr Verheugen hat vor wenigen Minuten im Europaausschuß mir gegenüber angedeutet, daß wir, wenn der europäische Kurs der Staatsregierung in Bayern beibehalten werde, davon ausgehen müßten, daß Bayern bei der Europaförderung ganz schlecht aussehe. Das ist eine parteipolitisch motivierte Drohung. ({7}) Viertens. Es ist eine Parteipolitisierung der europäischen Politik festzustellen; Kommissionsposten werden durch eine Koalitionsvereinbarung vergeben. Diese vier Punkte zeigen, daß es Ihnen auf europäischer Ebene nicht um Sachpolitik, sondern um Parteipolitik geht. Wir Christdemokraten haben klare Vorstellungen zur Verbesserung der Kontrolle der Kommission: Das Initiativmonopol der Kommission muß aufgebrochen werden. Die Immunität der europäischen Beamten muß abgeschafft werden. Das Haushaltskontrollrecht des Europäischen Parlaments muß ausgeweitet werden. Die Möglichkeiten des Europäischen Rechnungshofes müssen wesentlich verstärkt werden. Wir brauchen darüber hinaus bei der Reform des Förderwesens wesentliche Veränderungen. Ich nenne nur einige Kernpunkte: Einführung einer generellen 50prozentigen nationalen Kofinanzierung, stärkere Umstellung auf Darlehensbasis, Verwaltung der Förderprogramme über nationale Strukturen und Einbeziehung in die nationale Haushaltskontrolle der Parlamente, Haushalts- und Ausgabensperre in den betroffenen Generaldirektionen. Diese Vorschläge sollten wir gemeinsam auf europäischer Ebene aufgreifen. Die Bundesregierung sollte die Korruptionsbekämpfung zu einem Schwerpunkt der deutschen Ratspräsidentschaft machen. Verlassen Sie Ihren populistischen Kurs - kommen Sie zurück zur Sachpolitik! Danke schön. ({8})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich gebe das Wort dem Kollegen Christian Sterzing, Bündnis 90/Die Grünen.

Christian Sterzing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002810, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, die Debatte hat eines klargemacht: Wer an einer Stärkung des Europäischen Parlaments interessiert ist, der ist natürlich enttäuscht über das in Rede stehende Abstimmungsergebnis. Wer aber an einem Erfolg der deutschen Ratspräsidentschaft interessiert ist, wer an einem Abschluß der Agenda 2000, an inneren Reformen, an Fortschritten im Erweiterungsprozeß interessiert ist, der hat das Ergebnis natürlich auch mit einer gewissen Erleichterung gesehen. Ich glaube, wenn man das Ergebnis insofern mit einem lachenden und einem weinenden Auge betrachtet, dann beschreibt man die Situation ganz ehrlich. Man ist unehrlich, wenn man Krokodilstränen vergießt, wie Sie von der Opposition das hier tun. ({0}) Diese Affäre, diese Ereignisse, diese Skandale haben eine ganze Reihe von Aspekten. Ich will nur auf einen eingehen, und zwar auf den Verlust an Akzeptanz, der in den letzten Wochen sicherlich fortgeschritten ist. Wir haben es mit einer Rufschädigung der Kommission, durch einige Kommissare verschuldet und hervorgerufen, zu tun. Man muß aber deutlich sehen: Wenn wir in der Debatte so weitermachen, wie Sie das heute hier tun, dann leidet nicht nur die Reputation der Kommission, sondern dann leidet auch die Reputation des Europäischen Parlamentes. ({1}) Insofern sollten wir einen Blick über die aktuellen Ereignisse und über das, was in den letzten Wochen passiert ist, hinaus tun. Wir haben, so glaube ich, deutlich gesehen, daß die Rufschädigung einzelner Kommissare durch deren Verhalten eine Schädigung der Reputation der gesamten Kommission mit sich bringen kann. Insofern bietet sich für meine Begriffe an, kritisch darüber nachzudenken, inwieweit dieses Instrument, um das es in der letzten Woche im Europäischen Parlament ging nämlich der Mißtrauensantrag gegen die gesamte Kommission -, geeignet ist, um das Europäische Parlament in die Lage zu setzen, eine wirkliche Kontrolle der Kommission auszuüben. ({2}) Insofern ist auch der Blick auf die Gestaltung der Tagesordnung in Europa wichtig: Wir haben - dies hat die deutsche Präsidentschaft in den letzten Wochen forciert - das Thema der institutionellen Reformen auf der politischen Tagesordnung. Diese müssen und wollen wir weiter betreiben. Es geht zum Teil um die Aufarbeitung von Versäumnissen, von Mängeln des Amsterdamer Vertrages, die unter dem Stichwort „Verbesserung der Handlungsfähigkeit, Erhöhung der Effizienz der EU“ läuft. Aber die Ereignisse der letzten Wochen haben auch deutlich gemacht, daß das Stichwort „Demokratisierung“ viel ernster genommen wird, daß wir die institutionellen Reformen, die sich im Augenblick im wesentlichen in der Diskussion um die Stimmengewichtung und die Zahl der Kommissare erschöpfen, als Chance für eine Demokratisierung der Europäischen Union sehen müssen. Insofern gilt es, das Momentum, das die Ereignisse der letzten Wochen und Monate dem Thema Demokratisierung verliehen haben, für die Debatten innerhalb der Europäischen Union in den nächsten Monaten zu nutzen. Die Ereignisse haben gezeigt, daß die Instrumente des Europäischen Parlaments reformbedürftig sind. Es geht nicht nur um Mehrheitsentscheidungen, um Mitentscheidungsrechte des Europäischen Parlaments. Vielmehr müssen wir die Rolle des Parlaments gegenüber der Kommission neu definieren. Dies scheint mir ein wesentlicher Aspekt zu sein. Das Europäische Parlament benötigt meines Erachtens ein differenziertes Instrumentarium, um die Kontrollrechte gegenüber der Kommission tatsächlich wirksam ausüben zu können. Das Wort von der Stärkung des Parlaments, das wir alle gerne im Munde führen, müssen wir konkret ausfüllen: Stärkung der Haushaltskontrollrechte, eine Veränderung des Mißtrauensvotums, Stärkung der Untersuchungsrechte - das sind die Stichworte für die Reformen der nächsten Monate und ein, zwei Jahre. Insofern ist in der institutionellen Krise der letzten Woche auch eine Chance zu sehen, neuen Schwung für die demokratischen Reformen innerhalb der Europäischen Union zu nehmen. Inwieweit es diese Opposition mit der Stärkung des Europäischen Parlaments und mit der Demokratisierung der Europäischen Union ernst meint, wird sie in den nächsten Wochen und Monaten unter Beweis stellen können. Im Augenblick habe ich eher den Eindruck, daß es Ihnen hier auf parteipolitische Auseinandersetzungen ankommt ({3}) und Sie das Ganze als Folie mißbrauchen, um die neue Regierung am Anfang ihrer Ratspräsidentschaft zu beschädigen. Vielen Dank. ({4})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Das Wort hat die Kollegin Leutheusser-Schnarrenberger, F.D.P.-Fraktion.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001336, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Bürgerinnen und Bürger Europas sind verunsichert, frustriert und zu Recht auch wütend. Denn gerade die Vorgänge, die wir in den letzten Wochen erleben mußten, machen auch den zu Europa positiv stehenden Teil der Öffentlichkeit enttäuscht und skeptisch. Sie sind das Wasser auf die Mühlen all derer, die die europäische Integration per se bekämpfen und als Ausverkauf nationaler Interessen zu denunzieren suchen. Weil das so ist, weil die zum Teil erwiesenen Unregelmäßigkeiten und Peinlichkeiten in der Kommission das proeuropäische Klima zu vergiften drohen, wäre im Sinne Europas eine ungeschönte und vor allem mit nachvollziehbaren Konsequenzen verbundene Behandlung dieser Vorgänge wichtig gewesen. Statt dessen haben alle europäischen Akteure - zunächst die Kommission, dann die nationalen Regierungen, nicht zuletzt auch die Bundesregierung, und zum Schluß leider sogar das Europäische Parlament - versagt und ihren Teil dazu beigetragen, den Vorwurf der Geheimnistuerei und Bürgerfeindlichkeit der europäischen Institutionen zu verfestigen. Das Ergebnis ist, daß die Glaubwürdigkeit und das Ansehen aller europäischen Akteure Schaden genommen haben. In unüberbietbarer Uneinsichtigkeit und Selbstherrlichkeit, die in den Augen der europäischen Öffentlichkeit als pure Machtarroganz interpretiert werden konnten, hat sich die Kommission über Wochen hin der Vorwürfe zu erwehren gesucht. Man darf sich nicht wundern, daß die auf dem Höhepunkt der Krise lancierte Rücktrittsdrohung des Kommissionspräsidenten in der Öffentlichkeit als Nötigung der nationalen Regierungen und vor allem des Europäischen Parlaments empfunden wurde. Beschädigt sind also auch die nationalen Regierungen, nicht zuletzt auch die Bundesregierung. So nachvollziehbar, Herr Bundeskanzler, Ihr Anliegen ist, während Ihrer Präsidentschaft mit einer handlungsfähigen Kommission zusammenzuarbeiten, mindestens so sehr wäre es aber auch Ihre Aufgabe und die des Außenministers gewesen, darauf hinzuwirken, daß das Europäische Parlament als einzige demokratisch legitimierte Institution gestärkt wird. ({0}) Im Interesse des Vertrauens der Bürgerinnen und Bürger in das zusammenwachsende Europa hätten Sie darauf hinwirken müssen, das Parlament in seinen ureigenen Aufgaben und in seinem Selbstbewußtsein zu bestärken und vor allen Dingen den Kommissionspräsidenten von seinem unsäglichen Versuch der Nötigung des Parlaments abzubringen. ({1}) Dies ist zu Lasten des Europäischen Parlamentes versäumt worden. Das paßt nicht mit den unterstützungswürdigen Ankündigungen hinsichtlich einer notwendigen Demokratisierung Europas in den kommenden Reformschritten zusammen. Nicht zuletzt hat sich das Europäische Parlament mit seiner durch Druck erzeugten Mehrheitsentscheidung keinen Gefallen getan. Patrick Cox, der liberale irische Europa-Abgeordnete, Angehöriger der liberalen Fraktion, die sich von Anfang an für eine Personifizierung politischer Verantwortung ausgesprochen hatte, hat recht, wenn er sagt, das Europäische Parlament leide an selbstherbeigeführtem Kollaps seiner Glaubwürdigkeit. Nun steht neben der Kommission auch das Parlament als Verlierer da, erst recht mit seinem Beschluß - wie es heute schon viele gesagt haben -, sich selbst zu entmündigen und der Einsetzung eines Ausschusses unabhängiger Weiser unter Federführung des Parlaments und der Kommission zuzustimmen. Können Sie sich vorstellen, daß wir im Deutschen Bundestag einen Untersuchungsausschuß einrichten, der Vorwürfe gegen Mitglieder der Bundesregierung untersucht und von Vertretern der Bundesregierung und des Parlaments geleitet wird? Bis heute kann nur ein Resümee gezogen werden: Die Krise der Europäischen Kommission hat dank des schlechten Krisenmanagements nur Verlierer hinterlassen. Das kann angesichts der für die weitere Integration der Europäischen Union so wichtigen Entscheidungen nicht gut sein. Ein positiver Aspekt läßt sich aus dieser Krise vielleicht noch gewinnen: daß jetzt, wie selten zuvor, die europäische Öffentlichkeit einzusehen beginnt, daß die beschleunigte Demokratisierung Europas unerläßlich ist ({2}) und der Demokratisierungsprozeß nach wie vor erheblich hinter allen Integrationsfortschritten herhinkt. Es wäre doch sehr interessant, zu wissen, wie die Beratungen zum Vertrag von Amsterdam ausgegangen wären, wenn die krisenhaften Vorfälle vor der abschließenden Abstimmung dieses Vertragswerks stattgefunden hätten. Ich wage die Behauptung, daß schon dann auch andere Mitgliedstaaten mit der damaligen Bundesregierung - der damalige Außenminister hat eine stärkere Beteiligung des Parlaments immer in den Mittelpunkt seiner Forderungen gestellt - der Meinung gewesen wären, daß mehr für die Stärkung des Europäischen Parlaments und mehr für die institutionellen Reformen hätte getan werden müssen. ({3}) Jetzt werden wir Außenminister Fischer an den Ankündigungen seiner Rede im Europäischen Parlament messen, wenn es zur abschließenden Bewertung der deutschen Präsidentschaft im Juni kommen wird. Vielen Dank. ({4})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Das Wort für die SPD-Fraktion hat der Kollege Dr. Norbert Wieczorek.

Dr. Norbert Wieczorek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002502, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst ein Wort zu Ihnen, Herr Kollege Müller: Ich finde es äußerst merkwürdig, wenn Sie nach einer Ausschußsitzung, die gerade stattgefunden hat, hier eine Behauptung aufstellen, die dem, was in der Ausschußsitzung geäußert wurde, völlig widerspricht. Der Kollege Verheugen hat mit keinem Wort der Bayerischen Staatsregierung gedroht, wenn sie in Europafragen weiter so auftrete, werde man sich nicht für sie einsetzen. Im Gegenteil, er hat darauf hingewiesen, daß in Übereinstimmung mit der Bayerischen Staatsregierung als Ersatz für das Ziel 5 b „Ländlicher Raum in der Förderung der EU“ im Bereich des neuen Zieles 2 Raum geschaffen wird und es auch Übereinstimmungen hinsichtlich der Modalitäten gibt. ({0}) Ich bitte Sie, dies auch von Ihrer Seite dem Haus in aller Deutlichkeit zu sagen. Der anderen Aussage, daß manchmal gewisse öffentliche Reden von Herrn Stoiber auf Parteitagen nicht gerade ein günstiges Klima in Brüssel schaffen, werden Sie wohl selber zustimmen; vielleicht sind Sie aber auch auf der gleichen Rednerschule gewesen. ({1}) Nun aber zum eigentlichen Thema: Ich glaube, da stimme ich Ihnen, Frau Leutheusser-Schnarrenberger, zu, daß sich weder Kommission noch Parlament geschickt verhalten haben. Ich finde es sehr positiv - das kann ich, weil der Bundeskanzler es auch so gesagt hat, auch für ihn sagen -, daß das Parlament dieses alles endlich einmal aufgerollt hat und nicht wie bei der BSEProblematik und bei anderen Fällen zurückgewichen ist. Das halte ich für etwas sehr Positives. Allerdings ist man in die Falle des Vertrages hineingelaufen. Ich komme gleich noch darauf. Zum anderen fand ich es nicht sehr gut, wie die Kommission reagiert hat. Wer ein wenig genauer hingehört hat, konnte feststellen, daß es in der Kommission unterschiedliche Auffassungen gab, wie man darauf reagieren sollte. Auch die Kommission, die zur Klarheit verpflichtet ist, hätte den Schaden sehr stark begrenzen können, wenn die Offenlegung nicht scheibchenweise erfolgt wäre. Auch das sage ich sehr deutlich. Das eigentliche Problem liegt doch woanders. Herr Kollege Haussmann, die Kollegin Green hat ihren Mißtrauensantrag ursprünglich gestellt, um einen Vertrauensantrag zu erreichen. Erst als die Kommission so reagierte, ist das Klima kurzfristig umgeschwenkt. Ich halte das nicht für ein sehr gutes Verfahren, das sage ich ganz offen; nur, der Vertrag gibt es leider nicht her, daß entweder das Parlament oder die Kommission selbst die Vertrauensfrage stellen können. Das ist im Vertrag nicht vorgesehen. Das zu ändern, darin liegt vielleicht die Aufgabe. ({2}) - Ich weiß nicht, wo er im Moment ist, aber da er es vorhin gesagt hat, muß ich darauf eingehen. Zu dem Antrag, den der Kollege Cox eingebracht hat, der immerhin eine Gegend Irlands vertritt, mit der ich sehr vertraut bin, möchte ich nur sagen: Warum ist dieser Antrag nicht so formuliert worden, daß er in Verbindung mit dem Vertrag Sinn gemacht hätte? Der Art. 160 sieht vor: Jedes Mitglied der Kommission, das die Voraussetzung für die Ausübung seines Amtes nicht mehr erfüllt oder eine schwere Verfehlung begangen hat, kann auf Antrag des Rates oder der Kommission durch den Gerichtshof seines Amtes enthoben werden. Warum ist nicht ein Petitum des Parlaments an Kommission oder Rat gerichtet worden, dieses in den beiden Fällen zu überprüfen? Das wäre ein zulässiger Antrag gewesen. So war der Antrag schlicht nicht zulässig. Dann zu sagen, das haben wir ganz toll gemacht, finde ich höchst merkwürdig. Ich bin schon dafür, daß wir Verträge einhalten, sonst kommen wir in der EU nicht weiter. ({3}) Ich komme zu dem nächsten Punkt: Ich danke dem Bundeskanzler - Herr Santer hat es selber auch getan -, daß er mit dafür gesorgt hat, daß eine Untersuchungskommission eingesetzt wurde. Es gibt nämlich Probleme zu lösen. Es steht die Frage im Raum, ob es Individualverantwortlichkeit eines Kommissars gibt. Das hat nichts mit seiner politischen Einstellung zu tun. Das ist etwas anderes, das kann man nicht justitiabel machen. Ist das ein gangbarer Weg, oder muß die Kollegialverantwortung bleiben? Gerade kleine Länder sehen die Einzelverantwortung mit Sorge, weil sie dann möglicherweise bei bestimmten Entscheidungen in der Kommission nicht mehr mitreden können. Das war der Grund dafür, daß wir ein Kollegialorgan haben. Diese Frage könnte sogar Bestandteil einer Regierungskonferenz werden. Ein weiterer Punkt ist, wie das Verhältnis zwischen Kommissar und seinem Kabinett zur Generaldirektion ist. Die Generaldirektionen sind in ihrem Verwaltungshandeln sehr selbständig. Da ist ja das meiste von dem passiert, was jetzt aufgedeckt wurde. Diese Dinge müssen aufgespießt werden, und hier muß eine Lösung gefunden werden. Ich habe nur diese beiden Punkte genannt, weil meine Redezeit jetzt abläuft. Ich glaube, hier müssen wir ansetzen. Bundeskanzler Schröder hat gerade, wie ich glaube, einen sehr guten Hinweis gegeben, damit das bis März auf den Weg gebracht wird. Die Terminierung bis März ist sehr knapp - lassen Sie mich das zum Abschluß sagen -, aber wenn dieses Parlament, das ja im Juni nicht mehr im Amt sein wird, weil ein neues gewählt wird, diese Chance nützt und die Fragen konstitutiver Art - ich mag den Ausdruck „Verfassungsrang“ nicht, weil das Probleme mit anderen Ländern mit sich bringt - endlich angeht, dann hat diese Krise zumindest einen positiven Aspekt. Dafür sollten wir uns alle einsetzen. Vielen Dank. ({4})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich gebe das Wort der Kollegin Ursula Heinen, CDU/CSU-Fraktion.

Ursula Heinen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003143, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist gekommen, wie es kommen mußte: Statt das Europäische Parlament bei seinen Bemühungen um bessere Kontrolle zu unterstützen, verfährt der Bundeskanzler zunächst getreu dem Motto „Nichts hören und nichts sehen“ und kann sich erst nach massivem öffentlichen Druck zu halbherzigen Vorschlägen durchringen. ({0}) Mehrfach haben wir, CDU und CSU, die Regierung zum Handeln aufgefordert. Im Parlament erhielten wir Auskünfte, die an Belanglosigkeit wahrlich nicht zu überbieten waren. Dies sei eine schwierige Frage, der Sachverhalt sei noch zu prüfen, waren gängige Antworten auf unsere Anregungen. Ich frage mich als Parlamentsneuling, was so schwierig an der Bewertung dieser Vorkommnisse ist. Die Fakten liegen auf der Hand: Erstens. Der Europäische Rechnungshof stellt Unregelmäßigkeiten fest. Zweitens. Das Europäische Parlament beschließt im Frühjahr des vergangenen Jahres, die Entlastung der Kommission auf den Herbst zu verschieben. Das Parlament erwartet bis dahin eine vollständige Aufklärung von Unregelmäßigkeiten und möglicherweise strafbaren Machenschaften sowie die Einsetzung einer von der Kommission unabhängig arbeitenden Betrugsbekämpfungseinheit. Drittens. Die Bedingungen des Parlaments werden so gut wie nicht erfüllt. Das Europäische Parlament verweigert daraufhin im Dezember des letzten Jahres die Entlastung der Kommission. Als vierter Punkt, Herr Bundeskanzler, wäre jetzt normalerweise anzuführen: Die EU-Staatschefs drängen auf baldige Aufklärung und sorgen dafür, daß die betroffenen Kommissare ihr Amt zur Verfügung stellen. ({1}) Es hätte sogar die Möglichkeit eines Amtsenthebungsverfahrens für einzelne Kommissare gegeben. Dieses Verfahren hätte nach Art. 160 des EG-Vertrages auf Vorschlag des Rates oder der Kommission in Gang gesetzt werden können. Deshalb frage ich Sie, Herr Bundeskanzler: Warum haben Sie von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht? Warum haben Sie nicht zumindest so viel politiDr. Norbert Wieczorek schen Druck auf die Kommission ausgeübt, daß die vom Europäischen Parlament geforderte Aufklärung und bessere Kontrolle umgesetzt wurde und wird? Warum haben Sie statt dessen das Gegenteil getan und versucht, die sozialdemokratischen Abgeordneten im Parlament bei der Abstimmung über das Mißtrauensvotum zu einer wohlwollenden Haltung gegenüber der Kommission zu bewegen? Wie dem auch sei, fest steht: Mit Ihrem Verhalten geben Sie zu erkennen, wie wenig Interesse Sie wirklich an einer lückenlosen Aufklärung der Vorkommnisse haben. ({2}) Oder sind vielleicht die vom Europäischen Rechnungshof allein bei den Ausgaben festgestellten Unregelmäßigkeiten in Höhe von 8 Milliarden DM für Ihre Regierung Peanuts? Würden wir die deutschen Nettozahlungen um diesen Betrag verringern, hätten wir einen kleinen Schritt in die richtige Richtung getan. ({3}) Der Schaden, der hier für Europa und für die europäische Idee entstehen kann, ist immens. Gerade jetzt, da die Bürgerinnen und Bürger die Europäische Währungsunion und den Euro unterstützen, setzt Rotgrün ein fatales falsches Signal. ({4}) Um so höher sind die Anstrengungen der CDUEuropaabgeordneten Diemut Theato zu bewerten, die als Vorsitzende des Haushaltskontrollausschusses im Europäischen Parlament maßgeblich zur Aufklärung der Unregelmäßigkeiten beigetragen hat. Dafür sollten wir ihr im Deutschen Bundestag danken. Ich appelliere an die Regierung: Stellen Sie sich Ihrer politischen Verantwortung! Stellen Sie sich auf die Seite der Volksvertreter des Europaparlaments! Stellen Sie sich nicht auf die Seite dieser skandalbelasteten Kommission! ({5}) - Zwei der betroffenen Kommissare sind ja Sozialisten. Noch ein Hinweis: Berufen Sie im Sommer bei den anstehenden Neubesetzungen der Kommission für die deutschen Positionen zwei Kommissare von CDU und CSU. Diese können im Gegensatz zu den Sozialisten und zu Ihnen mit Geld umgehen. Danke. ({6})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Das war die erste Rede der Kollegin Ursula Heinen im Parlament. Ich darf ihr dazu im Namen aller Kolleginnen und Kollegen gratulieren. ({0}) Ich weise schon jetzt darauf hin, daß wir noch zwei weitere Jungfernredner heute zu erwarten haben. Auch ihnen können Sie dann Ihren Beifall zollen. Das Wort hat jetzt für die SPD-Fraktion der Kollege Dr. Jürgen Meyer. ({1})

Prof. Dr. Jürgen Meyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001494, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe in der Debatte insbesondere den Ausführungen der Opposition aufmerksam gelauscht, um herauszufinden, was außer parteipolitischem Hickhack wohl das politische Ziel dieser Debatte sein sollte. Denn das von der F.D.P. vorgegebene Thema waren die Vorkommnisse in der Europäischen Kommission und deren Behandlung im Europaparlament. Nun habe ich mich gefragt, ob es darum gehen sollte, dem Europaparlament Zensuren zu erteilen. Frau Leutheusser-Schnarrenberger, auch wenn Sie ein wenig in dieser Richtung argumentiert haben, will ich doch sagen: Es kann nicht Sache des Deutschen Bundestages und auch nicht der Bundesregierung sein, einem anderen Parlament Zensuren zu erteilen. ({0}) - Ihr Zuruf zeigt mir, daß Sie das auch nicht wollten. Ging es dann um etwas anderes, nämlich vielleicht darum, das Verhalten der deutschen Europaparlamentarier zu kritisieren? Auch das konnten Sie nicht gut, denn der Kollege Haussmann hat ausgeführt, das Mißtrauensvotum sei eine große historische Chance gewesen, und eigentlich hätte er, weil die deutschen Europaabgeordneten quer durch alle Fraktionen diesem Votum mit großer Mehrheit zugestimmt haben, ein Lob aussprechen müssen. Das konnte er aber wiederum nicht, weil er doch deutlich machen wollte, es wäre alles besser gelaufen, wenn die F.D.P. im Europaparlament dabeigewesen wäre. Sie wollen also von der Gnade des wohlverdienten Untergangs bei der Europawahl 1994 leben und deutlich machen: Es wird alles besser, wenn wir demnächst wieder im Europaparlament sind. ({1}) Aber das ist schwierig. Denn wenn Sie auf der einen Seite sagen, dieses Mißtrauensvotum sei eine große historische Chance gewesen, dann müssen Sie auf der anderen Seite auch begründen, warum Sie bei jeder öffentlichen Kritik an der Tätigkeit und viel mehr noch an der Untätigkeit des Kommissars Bangemann geradezu beharrlich und vernehmlich mit zusammengebissenen Zähnen schweigen. Das paßt dann nicht zusammen. Eines geht nur: entweder Kritik oder nicht. ({2}) Die Wirkung der Abstimmung und der Debatte im Europaparlament scheint mir kurzfristig eine andere zu sein als mittelfristig. Kurzfristig wird man sagen müssen, daß das Ansehen der Kommission gelitten hat. Man wird auch feststellen müssen, daß viele Menschen nicht zwischen den bösen Kommissaren und den guten Parlamentariern unterscheiden werden, so daß die Europaverdrossenheit, mit der wir öfter zu tun haben, gewachsen ist. Mittelfristig - so hoffe ich jedenfalls - wird dies aber ein erster Schritt des längst fälligen Versuchs der Emanzipation des Europäischen Parlaments sein. Wenn der Amsterdamer Vertrag, den wir hier mit großer Einmütigkeit verabschiedet haben und der die Rechte dieses Parlaments wesentlich stärkt, demnächst in allen Mitgliedstaaten ratifiziert sein wird, dann wird sich dieses Parlament - ich hoffe, daß das in unser aller Sinn ist noch deutlich stärker zeigen als in den Debatten der vergangenen Woche. Was sind die politischen Konsequenzen der vergangenen Woche? Hier ist von den Rednern der CDU/CSU - von Herrn Hintze genauso wie von Herrn Müller ({3}) - ausgeblendet worden, daß das Europäische Parlament und nicht nur der Kommissionspräsident was in diesem Zusammenhang weniger wichtig war einen Vorschlag von Gerhard Schröder als Ratspräsident ausdrücklich angenommen hat. Ich zitiere aus der Entschließung des Parlaments. Es fordert die Verwirklichung des Vorschlags des Präsidenten des Europäischen Rates, eine Gruppe hochrangiger Vertreter des Europäischen Parlaments ... einzusetzen mit dem Ziel, die Vorschläge zur unverzüglichen Schaffung eines neuen Amts für Betrugsbekämpfung das nicht der politischen Kontrolle der Kommission unterstehen soll, zu prüfen und anzunehmen. Das scheint mir eine wichtige Sachfrage zu sein, der man sich zuwenden muß. Wir haben auch heute in der Ausschußsitzung gehört, daß UCLAF bei der Betrugsbekämpfung eine wichtige Aufgabe hat, daß aber ein Strukturfehler darin liegt, daß diese Behörde von der Kommission abhängig ist. Dies muß geändert werden, und den entsprechenden Vorschlag des Ratspräsidenten hat das Parlament angenommen. Das heißt, hier einen Gegensatz zwischen Ratspräsident Schröder und dem Europäischen Parlament zu konstruieren ist ein etwas vordergründiger Versuch, aus der Debatte parteipolitischen Profit zu ziehen. Wir werden weiter prüfen müssen, ob sich die nächste Regierungskonferenz nicht nur mit den Restanten der institutionellen Reform, sondern auf Grund des Momentums dieser Debatte in der vergangenen Woche etwa auch damit befassen sollte, ob eine Amtsenthebung von Kommissaren über den schwächlichen Art. 160 des geltenden Vertrages hinaus möglich werden soll und ob es so etwas wie eine Ressortverantwortung von Kommissaren geben sollte. Schließlich bin ich der Auffassung, daß der Vorschlag des ehemaligen Präsidenten des Rechnungshofes, Friedmann, im Bereich der profitablen Investitionen verstärkt auf Darlehen überzugehen, die man notfalls zinsverbilligt vergeben solle - diese Gelder müßten also zurückgezahlt werden -, ernsthaft geprüft werden muß. Das heißt, solche Gelder sind weniger betrugsanfällig als die nicht zurückzuzahlenden Investitionen bisher. ({4}) Letzte Bemerkung. Lassen Sie uns also in der Sache gemeinsam weiter überlegen, wie das Interesse der Steuerzahler bei der Bekämpfung von Betrug in Europa besser berücksichtigt werden kann, und lassen Sie uns nicht kleinkariertes Parteigerangel in den Vordergrund stellen. ({5})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich gebe der Kollegin Dr. Martina Krogmann für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.

Dr. Martina Krogmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003163, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Kollegen Haussmann und Hintze haben sicher recht, wenn sie beklagen, daß das Europaparlament viel zu kurz gesprungen ist und daß eine mögliche Sternstunde verpaßt wurde. Aber kann man wirklich so weit gehen, Herr Kollege Haussmann, von einem schwarzen Tag für Europa zu sprechen? Wenn wir ehrlich sind, müssen wir erkennen, daß durch diese Krise einiges erreicht worden ist und daß jetzt die Chance vorhanden ist, noch mehr zu erreichen. ({0}) Das Gewicht zwischen Kommission und Parlament hat sich zugunsten des Parlaments verschoben. Die Kommission sieht sich faktisch zum erstenmal mit der Kontrolle der Abgeordneten konfrontiert. Die Kommission hat sich verpflichtet, jetzt schnell einen verbindlichen Verhaltenskodex für die Kommissare vorzulegen. Was bei allem Ärger, den wir jetzt haben, bleibt, ist die große Chance zur weiteren Stärkung des Parlaments. Noch vor wenigen Jahren - das müssen wir ehrlich zugeben - wäre das Zustandekommen eines Mißtrauensvotums nicht möglich gewesen. Mit dem Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrags werden die Abgeordneten noch mehr Rechte erhalten. Das Entscheidende aber ist, daß das Europaparlament noch nie so stark in der Öffentlichkeit stand und so stark von der Öffentlichkeit wahrgenommen wurde wie in den vergangenen Wochen. Es ist ein Stück europäische Öffentlichkeit entstanden. Diese Öffentlichkeit ist dringend notwendig, ja sogar unabdingbare Voraussetzung für die Weiterentwicklung zur Politischen Union. ({1}) Dr. Jürgen Meyer ({2}) Die weitere europäische Integration wird nur möglich sein, wenn sie von den Bürgern getragen wird. Nur wenn gemeinschaftliches Handeln öffentlich legitimiert ist, wenn den Bürgern die in Brüssel und Straßburg getroffenen Entscheidungen auch sinnvoll erscheinen, wenn sie sie nachvollziehen können und wenn die Entscheidungen durchschaubaren Spielregeln unterliegen, dann werden wir auch ein europäisches Bewußtsein bekommen. Das ändert nichts daran, daß die Vorkommnisse skandalös sind. Deshalb müssen weitere Konsequenzen gezogen werden. Es muß in Zukunft möglich sein, daß das Parlament auch einzelnen Kommissaren, einzelnen schwarzen Schafen, die mit Frechheit, Ignoranz und Unbelehrbarkeit an ihrem Sessel festhalten, das Mißtrauen ausspricht. ({3}) Kein Kommissar darf sich mehr hinter dem anderen in dem Kollektivorgan Kommission verstecken dürfen. Mehr Bürgernähe und eine europäische Öffentlichkeit werden wir allerdings nicht erreichen. Das ist meine feste Überzeugung. Ich möchte hier noch einmal betonen, was der Kollege Hintze vorhin sagte. ({4}) - Das war ein Vorausgriff auf das, was ich gleich sage, Frau Matthäus-Maier. Vielleicht hören Sie erst einmal zu. ({5}) Ich möchte unterstreichen, was der Kollege Hintze vorhin sagte. Ich halte es für falsch, wenn wir neue Institutionen wie den Rat der Weisen ins Leben rufen. Eine solche neue Institution beschneidet wieder erheblich die Kontrollrechte, die sich das Parlament gerade erst erstritten hat. ({6}) Ich habe kein Verständnis dafür, daß sich der SPDSpitzenkandidat Klaus Hänsch für diesen Verfassungsmutanten ausspricht, indem er sagt, der Rat der Weisen sei - ich zitiere - in Anbetracht der krisenhaften Lage sinnvoll. Denn was soll dieses Gremium überhaupt aufdecken? Warum gibt es eigentlich einen Haushaltskontrollausschuß des Parlaments, der bereits zu eindeutigen Ergebnissen gekommen ist? ({7}) Wenn der Rat der Weisen nur das herausfindet, was das Parlament sowieso schon weiß, dann ist er vollkommen überflüssig und stärkt in der Bevölkerung nur wieder die Vorbehalte gegen den Brüsseler Wasserkopf. Die Skandale in der Kommission haben noch einen Anachronismus vergegenwärtigt, der dringend abgeschafft werden muß: die Immunität der Brüsseler Beamten. Wir alle sind der Meinung, daß Diplomaten aus guten Gründen Immunität genießen. Man kann sogar mit ernstzunehmenden Argumenten begründen, warum die Bediensteten zu Beginn des europäischen Einigungsprozesses diplomatische Immunität genossen haben. Seitdem hat sich allerdings viel verändert: Die Grenzen zwischen den Schengen-Staaten sind verschwunden. Es ist ein riesiger einheitlicher Wirtschaftsraum mit einer eigenen Währung entstanden. Europa ist Inland geworden. Es läßt sich kein triftiger Grund mehr für die Aufrechterhaltung der Immunität der Bediensteten der Kommission finden. Ich fordere deshalb die Bundesregierung auf, ihre Ratspräsidentschaft kraftvoll zu nutzen und die notwendige Reform der Institutionen voranzubringen, ({8}) für ein demokratisches, transparentes und bürgernahes Europa mit der europäischen Öffentlichkeit. Vielen Dank. ({9})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich darf im Namen des Hauses und unter den wohlwollenden Blicken des Bundeskanzlers ({0}) auch der Kollegin Martina Krogmann herzlich zu ihrer ersten Rede gratulieren. ({1}) Nun hat der Kollege Michael Roth ({2}), SPDFraktion, das Wort.

Michael Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003213, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es freut mich, daß ich an die Rede von Frau Kollegin Krogmann anschließen kann, weil ich sehr zuversichtlich bin, daß wir wieder zu der konstruktiven Ebene der Auseinandersetzung zurückfinden, die ich in diesem wichtigen Bereich der Politik und nicht nur in diesem Hause als Grundlage erachte. Die Taschentücher, die notwendig wären, um die vom Kollegen Sterzing beschriebenen Krokodilstränen zu trocknen, die hier geflossen sind, bekämen wir heute gar nicht mehr zusammen. Was ich überhaupt nicht nachvollziehen kann, ist das Aufblasen vor allem der bayerischen Kollegen, die hier einen solchen Wind machen und außer acht lassen, daß gerade der bayerische Ministerpräsident derjenige ist, der mit dem Thema Europa und der europäischen Politik in unverantwortlicher Weise spielt. ({0}) Wir müssen einmal ganz selbstkritisch in unserem eigenen Land nachfragen, wer die Verantwortung, die ihm zuteil wird, überhaupt wahrnimmt. Die deutschen Abgeordneten im Europäischen Parlament haben ja Flagge gezeigt, und das Europäische Parlament - das ist eine positive Errungenschaft dieser Auseinandersetzung - ist selbstbewußter geworden. Was ich ebenfalls nicht nachvollziehen kann - es sei denn, ich unterstellte dem Kollegen Hintze Populismus -, ({1}) ist diese Dolchstoßlegende; denn das, was er eben gesagt hat, indem er Bundeskanzler Schröder angriff, deckt sich überhaupt nicht mit dem, was er noch vor kurzem gegenüber dem ADN geäußert hat. Da heißt es nämlich: Dennoch sollten die jüngsten Korruptions- und Betrugsfälle nicht dazu führen, „der gesamten Europäischen Kommission mit Zweidrittelmehrheit das Mißtrauen“ auszusprechen. Das war noch vor kurzem die Aussage des Kollegen Hintze. Da muß heute erst der Kollege Haussmann von der F.D.P. kommen - die F.D.P. ist nicht im Europäischen Parlament vertreten; deswegen diskutieren wir hier darüber -, damit Sie so schnell Ihre Meinung ändern, bis es in Ihr politisches Kalkül paßt. ({2}) Der Bundeskanzler hat schlicht und ergreifend seine Aufgabe als Ratspräsident wahrgenommen. Wir können dafür dankbar sein, daß er die Handlungsfähigkeit der EU bewahrt hat. Das ist auch die Aufgabe eines Ratspräsidenten, egal welcher Couleur er angehört. Dafür müssen wir alle Sorge tragen, und das sollten wir belobigen. ({3}) Was ich ebenfalls kritisiere - da bin ich mit allen Kolleginnen und Kollegen einer Meinung: Es fehlt bei den politischen Akteuren in der EU an einem Konsens im Hinblick auf den Umgang mit der politischen Verantwortung und den Beiträgen zur Aufklärung von Skandalen. Deswegen - so traurig das ist - brauchen wir einen Verhaltenskodex. Auch ich bin der Auffassung, daß einige Kolleginnen und Kollegen in der Europäischen Kommission selbstverständlich hätten zurücktreten müssen. Aber wir dürfen nicht nur über die Kommissarin Cresson oder den Kommissar Marín reden; wir könnten genauso über Bangemann oder über diejenigen Kommissare reden, die in den BSE-Skandal verwickelt waren. Bei diesen Punkten habe ich ihre laute Stimme vermißt. ({4}) Die EU und ihre Organe stehen gegenwärtig im Fokus der politischen Auseinandersetzung. Das ist in der Weise bislang sicherlich einmalig. Die Europäische Union braucht eine solche Öffentlichkeit; sie ist Voraussetzung, für eine demokratische Europäische Union. Wir müssen aber selbstkritisch auf die Ebene der Mitgliedstaaten zurückgehen. Denn auch die Mitgliedstaaten tragen Verantwortung, ebenso wie der Rat. Sie müssen die Kommission kontrollieren. Staatsminister Verheugen hat es eben etwas diplomatisch verbrämt. Wir als Abgeordnete können das etwas deutlicher formulieren: Hier müssen die Mitgliedstaaten ihre Hausaufgaben erledigen. Wir sollten folgenden konstruktiven Schluß aus den Entwicklungen in Brüssel ziehen: Wir brauchen, so schnell es geht, institutionelle Reformen in der Europäischen Union. Der Kollege Professor Meyer hat schon davon gesprochen: Wir brauchen das Ressortprinzip. Es gibt unterschiedliche Modelle, die aber auf eines hinauslaufen müssen: Die politische Verantwortung des einzelnen Kommissars muß gestärkt werden, und es muß eine Abberufungsmöglichkeit geben. Ich würde mir wünschen, daß das Europäische Parlament diese Abberufungsmöglichkeit hätte. Auch ein gestärkter Präsident der Europäischen Kommission könnte diese Kompetenz innehaben. Wir müssen die Bundesregierung stärken und sie unterstützen, wenn sie das Ziel verfolgt, auf dem Kölner Gipfel einen konkreten Fahrplan festzulegen, mit dem diese notwendigen institutionellen Reformen auf den Weg gebracht werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sollten uns auch als starker Partner des Europäischen Parlaments sehen, weil wir ein gemeinsames Ziel haben: Wir wollen in der EU die Demokratie stärken, wir wollen das Vertrauen bei den Bürgerinnen und Bürgern stärken, wir müssen die Kontrolle gegenüber der Exekutive verschärfen, und wir müssen die Handlungsfähigkeit der EU trotz der Konfliktsituationen garantieren. Ich wünschte mir, wir würden zu diesem Thema öfter konstruktive Debatten, vor allem in diesem Hohen Hause, führen. Danke schön. ({5})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Auch der Kollege Michael Roth hat seine erste Rede gehalten. Auch ihm gratuliere ich im Namen des Hauses. ({0}) Die Aktuelle Stunde ist damit beendet. Wir sind am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 21. Januar, 9 Uhr ein. Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend. Die Sitzung ist geschlossen.