Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr
geehrten Herren und Damen! Der Bundesbericht Forschung 2000 belegt: Seit 1999 geht es mit Bildung und
Forschung in Deutschland endlich wieder aufwärts.
({0})
Diese Bundesregierung hat eine klare strategische
Entscheidung für Bildung und Forschung getroffen. Wir
haben den Haushalt in diesem Jahr auf knapp 16 Milliarden DM deutlich erhöht. Wir haben uns entschieden, die
notwendigen Reformen nicht länger auf die lange Bank zu
schieben, sondern sie endlich anzupacken.
({1})
Ich bin gerade aus den Vereinigten Staaten zurückgekehrt. Ich habe in Palo Alto mit sehr vielen jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern diskutiert, die
Deutschland verlassen haben und in die USA gegangen
sind, um dort zu arbeiten, weil sie dort für sich bessere
Chancen sahen, ihre Ideen zu verwirklichen, zu lehren
und zu forschen. Es ist offensichtlich: Deutsche Hochschulen bieten ihren Absolventen hervorragende Voraussetzungen für den Wettbewerb um interessante Stellen auf
der ganzen Welt, aber sie bieten ihnen zu wenig interessante Arbeitsplätze im eigenen Land.
Fatal haben sich dabei nicht nur die Mittelkürzungen
unter der Regierung Kohl ausgewirkt, sondern auch die
mangelnde Kraft zur strukturellen Neuordnung unserer
Forschungslandschaft. Es genügt eben nicht, nur die
schöne Fassade des Forschungsgebäudes zu erhalten,
vielmehr muss das Haus selbst modernisiert werden.
({2})
Der jahrelange Stillstand in der Forschungspolitik war
in Wahrheit ein Rückschritt; denn er kostete uns besonders viele fähige Nachwuchswissenschaftler. Das muss
geändert werden. Zusätzliche Mittel sind notwendig,
bringen aber alleine nichts, wenn das Forschungsgebäude
selbst renovierungsbedürftig ist. Deshalb sind die von uns
in Angriff genommenen strukturellen Reformen entscheidend.
Erster Schwerpunkt dabei ist die Dienstrechtsreform.
({3})
Sie sorgt dafür, dass die besten Köpfe im Land bleiben
werden bzw. zurückkehren. Zweiter Schwerpunkt ist die
Neustrukturierung der Forschungslandschaft. Sie bringt
Deutschland in den Zukunftsthemen der Forschung an die
Spitze. Hinzu kommen die deutliche Verbesserung der
Nachwuchswissenschaftlerförderung,
({4})
die stärkere Internationalisierung unserer Forschungseinrichtungen und -organisationen, das Marketing, das eine
notwendige Ergänzung darstellt, sowie - dieser Punkt ist
sehr wichtig - eine bessere Vernetzung von Forschung
und Wirtschaft.
({5})
Erst wenn die begabtesten Forscher aus anderen Ländern, beispielsweise aus den USA und aus Südostasien,
auch verstärkt zu uns kommen, um hier zu forschen und
zu lehren, dann haben wir unser Ziel erreicht, Deutschland wieder zu einem attraktiven Forschungsstandort zu
machen.
({6})
Lassen Sie uns dazu den alten Zopf der Habilitation abschneiden
({7})
und mit der Juniorprofessur den jungen Menschen endlich die Chance geben, deutlich früher eigenständig zu
Präsident Wolfgang Thierse
forschen und zu lehren! Damit nutzen wir selbst die
Chance, als Wissenschaftsstandort attraktiv zu sein und
den Wettbewerb um die besten Köpfe dieser Welt zu
gewinnen.
An die Stelle jahrelanger Untätigkeit setzen wir auf
eine Strategie des Gewinnens im Wettbewerb um die besten Köpfe. Die Dienstrechtsreform schafft - um in dem
eingangs von mir erwähnten Bild zu bleiben - die modernen Arbeitsräume, die wir brauchen, und mehr Bewegungsmöglichkeiten. Genau das macht unser Forschungsgebäude attraktiver.
Die zweite strategisch wichtige Reform ist die Neuordnung der Forschungslandschaft. Unser Ziel ist es, in
den besonders zukunftsträchtigen Bereichen - in den Lebenswissenschaften, in der Informations- und Kommunikationstechnologie, in der Mikrotechnik und in der Nanotechnologie - führend zu sein. Dafür müssen wir unsere
Kräfte bündeln. Das erfordert mehr Flexibilität im deutschen Wissenschaftssystem, mehr Profilbildung und mehr
Wettbewerb, um wirklich die besten Ideen hervorzubringen und dann zu fördern. Dabei gilt es, Wände einzureißen und neue Räume für Kreativität und für Eigenverantwortung zu schaffen.
({8})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das erfordert vor allem
unsere Bereitschaft, sich für dieses Ziel einzusetzen.
Die bereits vollzogene Fusion von GMD und Fraunhofer-Gesellschaft ist dafür ein Beispiel. Wir schaffen mit
dieser Fusion in einem der wichtigsten Technologie- und
Forschungsbereiche die größte und leistungsfähigste Forschungseinrichtung für Informationstechnik in Europa.
Die Helmholtz-Zentren, deren Gemeinschaft die größte
Forschungsorganisation in unserem Land darstellen, wollen wir künftig programmorientiert fördern. Was bedeutet
das? Wir wollen weg von der starren Förderung der Institutionen und hin zu einer Programmförderung. Damit stimulieren wir den Wettbewerb, den wir dringend brauchen, um gute Ergebnisse zu erreichen. Damit stimulieren
wir ebenfalls die Entstehung hervorragender Ideen und
die Profilbildung der Zentren.
Wir schaffen damit also die notwendigen Strukturen,
um den wohlfeilen Satz, dass sich die Forschung den Zukunftsthemen widmen solle, in die Realität umzusetzen.
({9})
Der Dreh- und Angelpunkt ist dabei die Stärkung der Projektförderung gegenüber der institutionellen Förderung.
Wir haben die Mittel für diese Förderung seit 1998 um
38,7 Prozent gesteigert. Das bedeutet einen enormen
qualitativen Fortschritt.
Um Deutschland zu einem bevorzugten internationalen Wissenschaftsstandort zu machen, richten wir immer mehr Studiengänge international aus. Auch dies ist
ein Teil des notwendigen kulturellen Wandels in unserem
Land. Wir betreiben die wechselseitige Anerkennung von
Hochschulabschlüssen, die Akkreditierung von Studiengängen und schaffen damit erst internationale Vergleichbarkeit. Ein ganz wichtiger Schritt ist dabei die Einführung von Bachelor- und Master-Studiengängen. Ich
bin sehr froh, dass sie von den Hochschulen engagiert betrieben wird.
({10})
Das heißt, auch in Deutschland forscht und lehrt man
in einem internationalen Umfeld. Diese Internationalisierung flankieren wir mit einem starken Fokus auf die
neuen Medien, konkret mit dem Ausbau virtueller Studiengänge. Das BMBF fördert in den nächsten drei Jahren
mit rund 400 Millionen DM die Entwicklung multimedialer Studiengänge, neue Fernstudienangebote und Kombinationen mit der Präsenzlehre. Damit soll sowohl die
Qualität der Lehre verbessert als auch der Anteil des betreuten Selbststudiums vergrößert werden.
Wichtig ist aber nicht nur eine stärkere Internationalisierung unserer Hochschulen, sondern auch ein gezieltes
Marketing für unseren Wissenschafts- und Forschungsstandort. Deshalb starten wir in diesem Jahr eine Marketingoffensive. Wichtig ist natürlich ebenso unsere Mitwirkung bei der Entwicklung eines europäischen
Hochschul- und Forschungsraumes.
Eminent wichtig ist die bessere Verzahnung von Forschung und Wirtschaft. Nur dadurch können wir erreichen, dass Forschung wirklich den Menschen zugute
kommt. Wir fördern verstärkt Kompetenznetzwerke zwischen Wissenschaft und Wirtschaft oder Anwendern, damit eine schnelle Umsetzung von Forschungsergebnissen
in neue Produkte und Dienstleistungen gelingt, und zwar
insbesondere in den neuen Ländern. Inno-Regio ist dabei
nur eines unserer Programme, ein besonders erfolgreiches
und bekanntes. Mit der Förderung innovativer Wachstumskerne in den neuen Ländern setzen wir unsere Anstrengungen zur Revitalisierung der Wirtschaft in den
neuen Bundesländern fort.
Mir liegt besonders die gute Kooperation zwischen
KMUs und Forschungseinrichtungen am Herzen, weil ich
weiß, dass diese gerade in den neuen Ländern eine zwingende Voraussetzung für die Revitalisierung ist.
({11})
Sie ist besonders in wichtigen Zukunftsbranchen wie der
Biotechnologie und der Informations- und Kommunikationstechnologie bedeutsam, weil in diesen Branchen gerade die kleinen und mittleren Unternehmen neue Ideen
schnell aufgreifen und zügig umsetzen. Deshalb haben
wir diese Zusammenarbeit in den Mittelpunkt gerückt und
unsere Anstrengungen hier verstärkt.
Aufbruch und Aufschwung sind nicht nur bei der öffentlichen Forschungsförderung zu beobachten, sondern
auch die Wirtschaft engagiert sich wieder deutlich stärker
in Forschung und Entwicklung. Das ist auch notwendig.
Diese Entwicklung ist nicht von allein gekommen, sondern hängt mit den notwendigen Reformen und der Erhöhung der Mittel der Bundesregierung zusammen.
({12})
Um diesen Kurs weiter zu unterstützen, werden wir in
Kürze zusätzlich das Aktionsprogramm „Wissen schafft
Märkte“ starten. Wegweisend ist dabei unsere Strategie,
Ausgründungen aus Hochschulen und aus Forschungsinstituten zu begünstigen. Wir brauchen die Bereitschaft
von mehr Forschern, ihre Erfindungen selbst auf den
Markt zu bringen.
Die Intensivierung der Kooperation von Wirtschaft
und Wissenschaft sowie die Verstärkung der Anwendungsbezogenheit von Wissenschaft und Forschung bedeuten weder eine Schwächung der Grundlagenforschung
noch einen Ausverkauf der Wissenschaft an die Industrie.
({13})
Wozu betreiben wir denn Forschung und Wissenschaft?
Damit sie den Menschen in diesem Lande zugute kommt.
Dies geschieht durch die Sicherung der Lebensgrundlagen, durch neue Erkenntnisse über die Behandlung von
Krankheiten, aber auch durch die Sicherung von Arbeitsplätzen in Deutschland. Diesen Ansatz treiben wir in den
Bereichen Gesundheit, Verkehr, Lebens- und Informationswissenschaften auch innerhalb der gemeinsamen europäischen Forschungsarbeit voran. Denn die Aufgabe,
ein nachhaltiges und damit global nachahmenswertes
Wohlstandsmodell zu entwickeln, wird sich Europa zur
historischen Aufgabe wählen müssen.
({14})
Wir müssen uns dabei auf die Arbeitsplatzlokomotiven
von heute und morgen - die Informations- und Kommunikationstechnologien, die Mikrosystemtechnik, die Nanotechnologie, die Biotechnologie - konzentrieren. Deshalb
fördern wir seit 1999 verstärkt diese Technologiebereiche.
Mit dem Rahmenkonzept „Innovation und Arbeitsplätze in der Informationsgesellschaft des 21.Jahrhunderts“ der Bundesregierung haben wir den Weg dafür bereitet, Deutschland bei der Nutzung der modernen
I-und-K-Technologien in den nächsten drei bis fünf Jahren in die Spitzengruppe der führenden Industrienationen
zu bringen. In bisher einmaliger Art und Weise arbeiten
Wirtschaft und Staat in der Initiative D 21 zur Stärkung
der New Economy zusammen.
({15})
Besonders wichtig für die Menschen ist die Forschung
im Bereich der Lebenswissenschaften, in der Gesundheitsforschung und in der Bio- und Gentechnologie. Dies
sind die Zukunftsfelder. Die Genomforschung eröffnet
ganz neue Chancen zur Bekämpfung von Krebs,
({16})
zur Bekämpfung von Alzheimer, zur Bekämpfung von Infektionen und zur Bekämpfung bisher nicht oder nur unzureichend behandelbarer Krankheiten.
({17})
Wenn man diese Chancen nicht nutzt - das sage ich Ihnen ganz klar -, handelt man verantwortungslos.
({18})
Zur Politik gehört deshalb - weil es eben auch Risiken
gibt -, dass man Risiken minimiert, sie verringert und die
Grenzen so gestaltet, dass die Risiken ausgeschlossen
werden, dass wir aber zugleich die Chancen mutig und
couragiert nutzen. Das ist, wie ich finde, die richtige Politik.
({19})
Wir haben daher in diesem Jahr im Rahmen des
Zukunftsinvestitionsprogramms der Bundesregierung
eine koordinierte nationale Maßnahme „Krankheitsbekämpfung durch Genomforschung“ gestartet. Die Mittel
für diesen Bereich haben wir um fast 300 Prozent auf rund
500 Millionen DM gesteigert.
Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Seifert von
der PDS-Fraktion?
Ja, ich gestatte eine Zwischenfrage.
Frau Ministerin, Sie sprachen
gerade sehr engagiert von den Chancen der Gentechnologie und der Biomedizin usw. und sagten, man müsse die
Risiken minimieren. Halten Sie es nicht für möglich, dass
es auch Risiken gibt, die man aus ethischer Verantwortung
für die Zukunft der gesamten Menschheit nicht eingehen
darf? Glauben Sie nicht, dass es zumindest die Möglichkeit gibt, dass bestimmte Biotechnologien nicht in Betracht kommen, wirklich angewandt zu werden, weil eben
die Risiken viel zu groß sind und die Chancen in keinem
angemessenen Verhältnis dazu stehen könnten? Immerhin
gibt es ja eine Enquete-Kommission, die das herauskriegen soll.
Ich halte das für möglich. Es herrscht ja
in diesem Parlament ein sehr breiter Konsens darüber,
dass wir die Klonierung des Menschen nicht wollen. Deshalb sage ich: Wir müssen die Risiken und die Anwendungen, die wir für falsch halten, durch gemeinsame Entscheidungen ausschließen und erklären, dass wir diesen
Weg nicht gehen wollen.
Das kann und darf aber nicht heißen, dass ich eine
Technologie, einen Forschungsbereich als Ganzes, der
auch ungeheuer viele Chancen birgt, in Zukunft bisher
nicht heilbare Krankheiten tatsächlich heilen zu können,
einfach ad acta lege und sage: In diesem Bereich wollen
wir nichts tun.
({0})
Nach meiner Meinung unterscheiden wir Menschen
uns gerade dadurch von allen anderen Lebewesen, dass
wir eine Vernunft besitzen, dass wir ein Gewissen haben
und deshalb auch vernunftgemäße Entscheidungen treffen können. Ich finde, wir sollten die Aufklärung und das,
was sie uns gebracht hat, nicht vergessen, sondern dies alles aktiv nutzen und einsetzen.
Frau Ministerin, gestatten Sie eine Nachfrage des Kollegen Seifert?
Ja.
Bitte schön.
Vielen Dank für die Freundlichkeit. - Frau Ministerin, ich verstehe das, was Sie über
die Vernunft gesagt haben, durchaus. Aber wenn Sie in Ihrer Rede die Chancen ganz groß herausstellen und erklären, wir müssten die Chancen nutzen und die Risiken minimieren, ist das dann nicht eine Präjudizierung in der
Richtung: Lasst es uns einmal versuchen und sehen, was
dabei herauskommt? Besteht denn nicht auch die Möglichkeit, dass bestimmte Forschungsbereiche - Sie sprachen die Klonierung von Menschen an; es gibt ja noch
sehr viele andere Projekte, die genauso gefährlich sein
könnten - so gefährlich sein könnten, dass man das lieber
lassen sollte? Es geht mir darum, dass man nicht die
Chancen zu sehr betont und die Risiken ein bisschen herunterspielt.
Es ist genau deswegen keine Präjudizierung, weil wir die Risiken minimieren wollen. Weil wir
Risiken ausschließen wollen, haben wir ja diesen Konsens
gefunden. Ich habe auch die Mittel für die Sicherheitsforschung erheblich erhöht, damit wir mehr darüber wissen
und auch vorbeugend tätig werden können. Das ist also
kein Gegensatz. Vielmehr gehören Chancen und Risiken
zusammen. Das ist im Übrigen auch in vielen anderen Lebensbereichen so.
Wir haben deshalb, wie gesagt, in diesem Bereich die
Mittel für die staatliche Forschungsförderung erhöht, um
zum Beispiel die notwendige Sicherheitsforschung zu
finanzieren. Wir liegen hier im Übrigen inzwischen weltweit an zweiter Stelle hinter den USA. Auch das ist ein Erfolg unserer Politik. Ebenso ein Erfolg unserer Politik ist
- auch das will ich ausdrücklich betonen -, dass wir inzwischen in Europa bei der Zahl der Biotechnologieunternehmen an erster Stelle liegen. Das heißt auch, dass hier
zukunftsfähige Arbeitsplätze geschaffen wurden.
({0})
Um zum aktuellen Thema Nummer eins, zur BSEBekämpfung, etwas zu sagen: Wir konzentrieren uns in
der Forschung auf die Bereiche Diagnostik und Therapie.
Das ist richtig und notwendig. Wir fördern den Wissensaustausch in Europa und wir entwickeln ein nationales
Forschungskonzept, dessen Ziel die Gesundheit von Mensch
und Tier ist.
Wir verfolgen also mehrere Ziele gleichzeitig: Wir intensivieren den Kampf gegen Krankheiten, die viele Menschen in der ganzen Welt betreffen, und wir sichern außerdem die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands und damit
zukunftsfähige Arbeitsplätze.
Meine Damen und Herren, Sie sehen, wir haben
Schluss gemacht mit der Förderphilosophie nach dem
Motto: „The same procedure as every year“,
({1})
mit Mittelkürzungen und mit dem Senioritätsprinzip bei
der Besoldung von Hochschullehrern. Wir haben mit unseren Reformen die Weichen für mehr Innovation und den
notwendigen Aufbruch richtig gestellt.
Die Entscheidung der Bundesregierung, die deutsche
Forschungslandschaft zu modernisieren, zahlt sich aus.
Sie hat entscheidend dazu beigetragen, dass Deutschland
im international bekannten „World Competitiveness Report“ des Wirtschaftsforums in Genf von Platz 25 im Jahre
1997 auf Platz 3 im Jahre 2000 vorgerückt ist. Ein so gewaltiger Sprung beweist: Wir machen die richtige Politik.
({2})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Gerhard Friedrich, CDU/CSU-Fraktion.
Herr
Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Forschungsbericht 2000 nennt endgültige Daten nur bis zum
Jahre 1998. Deshalb ist es sehr problematisch, die Zeit bis
zum Regierungswechsel und die Zeit nach dem Regierungswechsel miteinander zu vergleichen. Bis 1998 werden Istdaten, also Ergebnisse, genannt, danach Haushaltsansätze. Ein Vergleich zwischen Soll und Ist ist aber nicht
ganz korrekt. Wir haben nicht vergessen, dass die Bundesforschungsministerin im ersten Jahr ihrer Amtszeit,
nämlich 1999, 236 Millionen DM an den Bundesfinanzminister zurückgegeben hat. Das heißt, sie hat die Mittel
zwar bereitgestellt, sie aber nicht ausgegeben. Das wollen
wir in das Zahlenwerk eingearbeitet sehen. Dann können
wir wirklich vergleichen.
Frau Ministerin Bulmahn, ich halte es für ein bisschen
kleinkariert, wenn Sie die Forschungslandschaft, die Sie
von Ihrem Vorgänger, von Herrn Minister Rüttgers,
({0})
übernommen haben, in den düstersten Farben schildern,
um sich dann selbst als Lichtgestalt zu preisen, die die
Trendwende herbeigeführt hat.
({1})
Sie verweisen zum Beispiel auf sinkende Ausgaben in
dem Ressort für Bildung und Forschung. Dabei kommt es
darauf an, mit welchem Jahr man mit einem Vergleich beginnt. Zu Beginn der deutschen Einheit sind die Ausgaben für Forschung und Entwicklung deutlich gestiegen;
wir sind ja auch ein bisschen größer geworden. Dann
haben sich ab etwa 1994 die Verhältnisse normalisiert
({2})
und die Ausgaben für Forschung und Entwicklung haben
sich bei etwa 10 Milliarden DM jährlich eingependelt.
Das waren also wirklich außergewöhnliche Zeiten. Sie
eignen sich sehr wenig für einen Vergleich.
Sie sagten, Kürzungen seien insgesamt etwas Schreckliches. Wir haben uns nicht darüber gefreut. Betroffen war
übrigens vor allem der Bildungsbereich. Aber dass das
manchmal notwendig ist, haben Sie ja selbst erfahren. Wir
haben noch in Erinnerung, dass Sie im letzten Jahr für
Ihren Haushalt 340 Millionen DM weniger zur Verfügung
gestellt bekommen haben als im Jahr davor.
Wie problematisch der Vergleich ist, zeigt auch eine
andere Zahl, die Sie immer wieder in Ihren Presseerklärungen im Zusammenhang mit diesem Bundesforschungsbericht nennen. Sie weisen darauf hin, dass in den
Jahren 1989 bis 1997 die Ausgaben für Forschung und
Entwicklung pro Kopf nur um 23 US-Dollar auf etwa
511 US-Dollar gestiegen sind. Damit vergleichen Sie die
Verhältnisse in den alten Bundesländern mit den Verhältnissen nach der deutschen Einheit. Wir wissen doch - vor
allem der Kollege Schmidt, der sich sehr engagiert hat und
nachher noch reden wird -, dass die großen Forschungskombinate der DDR nach der deutschen Einheit als Erstes
ihre Forschungsabteilungen ausgegliedert haben. Viele
davon sind untergegangen, einige haben wir als Forschungs-GmbHs am Leben gehalten. Es ist nach wie vor
so, dass die Unternehmen in den neuen Bundesländern,
im Beitrittsgebiet - das ist traurig, aber wahr -, nur etwa
halb so viele Forscher und Entwickler pro 1 000 Einwohner beschäftigen wie die Unternehmen in den alten Bundesländern.
({3})
Daran ist nicht vorrangig die jetzige Forschungsministerin schuld, aber auch nicht Herr Rüttgers, sondern Herr
Honecker und die, die mit ihm früher in einer Partei
waren.
({4})
Sehr verehrte Frau Ministerin, ich schlage Ihnen vor,
die Auseinandersetzungen des Wahlkampfjahres 1998
jetzt langsam zu beenden. Es ist doch kein Beweis für
Souveränität, wenn man dauernd nachtritt. Auf dem Fußballfeld wird man beim Nachtreten vom Platz gestellt.
Meine Damen und Herren, da die zuverlässigen Daten
des Berichtes nur bis zum Jahre 1998 reichen, also sozusagen eine abschließende Bilanz unserer Regierungszeit
erlauben, und die Frau Ministerin hier wieder von Stillstand und Rückschritt gesprochen hat, möchte ich einmal
aufzeigen, was sich verbessert hat.
Wir haben in diesen Jahren begonnen - das beweisen
alle Berichte, nicht nur der neue -, in den Spitzentechnologien aufzuholen. Wir haben, wie auch Sie, Schwerpunkte im Bereich der Informationstechnologie und im
Bereich der Biotechnologie gebildet. In der IT-Branche
sind schon in den 90er-Jahren die Umsätze jährlich um
10 Prozent gestiegen, es gab einen deutlichen Zuwachs
bei der Beschäftigung.
Wie war es denn bei der Biotechnologie? Minister
Rüttgers hat doch erst durch seinen Bio-Regio-Wettbewerb dafür gesorgt, dass wir jetzt in Deutschland - zum
Beispiel in Martinsried bei München oder in der Stadt daneben, in Großhadern - Kompetenzzentren haben, die international an der Spitze mitmischen können.
Die chemische Industrie, mit deren Vertretern ich
früher viele Gespräche geführt habe, hat uns bestätigt,
dass wir die Investitionshemmnisse im Bereich der Genehmigungsverfahren für Gentechnik abgeschafft haben.
Wer war denn damals in diesem Bereich eines der großen
Investitionshemmnisse in Deutschland? Fragen Sie doch
einmal bei der Firma Hoechst in Frankfurt nach! Das war
doch der frühere hessische Umweltminister Fischer, jetzt
Außenminister dieser Regierung. Ich war einmal gemeinsam mit einigen Forschungspolitikern in Kalifornien und
habe gesehen, dass Hoechst im Bereich der Gentechnologie jahrelang in den USA investiert hat, weil man mit
Herrn Fischer in Frankfurt überhaupt nicht zurechtgekommen ist.
({5})
Frau Bulmahn, die Humangenomforschung halten
wir gemeinsam für wichtig. Wir waren ja schon vor Verabschiedung des Haushalts 2001 übereinstimmend der
Überzeugung, dass jährlich rund 200 Millionen DM mehr
bereitgestellt werden sollten. 100 Millionen DM hat Ihnen
der Bundesfinanzminister bewilligt; das ist schon ein
Fortschritt. Wir wollten gemeinsam mehr. Aber ich
möchte daran erinnern: Gestartet wurde das Humangenomprojekt bzw. die Finanzierung durch Ihren Vorgänger, Herrn Minister Rüttgers.
Herr Rüttgers hat auch das neue Instrument der Förderung der Leitprojekte eingeführt und Sie sind jetzt stolz
auf Inno-Regio. Wir wissen, dass die Pläne dafür in den
Schubladen des Ministeriums lagen. Sie wenden also Instrumente an, die andere entwickelt haben. Wir finden das
gut. Aber man kann doch nicht sagen: Vor meiner Amtszeit war alles katastrophal und bei mir, kaum sitze ich auf
dem Sessel, wird alles besser.
Ich erinnere an den Kapitalmangel unserer Hightechfirmen. Wir haben uns jahrelang darüber unterhalten, dass
es Probleme in der Phase der Unternehmensgründung
gibt, weil Risikokapital gefehlt hat. Schauen Sie sich die
Berichte an! Bei Beginn Ihrer Amtszeit war die Versorgung mit Risikokapital ausreichend. Auch das hat übrigens nicht nur die damalige Bundesregierung geschafft,
sondern dazu gab es kräftige Beiträge einzelner Länder,
zum Beispiel des Freistaates Bayern.
Wir sind bei der Umsetzung von Forschungsergebnissen in marktfähige Produkte deutlich besser geworden.
Dr. Gerhard Friedrich ({6})
Allerdings wissen wir - auch der Wissenschaftsrat hat uns
wieder daran erinnert -, dass wir im Bereich Anwendungsorientierung und Praxisbezug der Forschung noch
besser werden müssen, zumindest in den naturwissenschaftlichen und technischen Disziplinen. Auch wir wissen - nicht nur die neue Ministerin -, dass wir Fortschritte
bei der Internationalisierung unseres Wissenschaftssystems brauchen. Denn wenn die Wirtschaft immer globaler
handelt, dann müssen auch Hochschule und unsere Forschungslandschaft insgesamt international mehr kooperieren, Erfahrungen und Forschungspersonal austauschen.
Wir haben damit begonnen, indem wir bei der Hochschulreform die neuen internationalen Abschlüsse Bachelor und Master eingeführt und ein Förderprogramm für international ausgerichtete Studiengänge ins Leben gerufen
haben. Leider haben Sie für dieses Förderprogramm keine
einzige zusätzliche Mark in den Haushalt 2001 eingestellt, obwohl es, sehr viele positiv begutachtete Anträge
der Hochschulen gab.
Ich unterstütze Ihren Vorschlag - das wissen Sie -, in
Ergänzung der Hochschulreform auch das Hochschuldienstrecht zu ändern, es leistungsorientierter zu gestalten. Es ist notwendig - ich möchte das ausdrücklich bestätigen -, dass wir die Qualifizierungsphase an unseren
Hochschulen verkürzen, dass wir unseren jungen Wissenschaftlern die Chance geben, früher wissenschaftlich
selbstständig zu arbeiten. Wir sind deshalb einer Meinung, dass wir die neue Stellung eines Juniorprofessors an
den Hochschulen einführen sollten; wir streiten nur noch
darüber, ob es erforderlich ist, die Habilitation insgesamt
abzuschaffen. Die Stellungnahmen, die wir von den
großen Wissenschaftsgesellschaften, auch von der Hochschulrektorenkonferenz bekommen, sind mehr für Abschaffung. Reden wir aber vor Ort mit den Professorinnen
und Professoren an unseren Universitäten, dann sagen
diese: Wir brauchen in einigen Fächern - zwar nicht allein, aber als Alternative zum Juniorprofessor - auch die
Habilitation. - Darüber werden wir heute und in den
nächsten Wochen sicher noch diskutieren.
({7})
In seinen Thesen zur künftigen Entwicklung des Wissenschaftssystems in Deutschland stellte der Wissenschaftsrat im letzten Jahr fest:
Die Stärkung des institutionellen Wettbewerbs ist ein
entscheidendes Instrument, um die bisherige Überbetonung funktionaler Differenzierung im deutschen
Wissenschaftssystem auszugleichen.
Das ist sehr kompliziert, deshalb übersetze ich es: Die an
den vorhandenen Planstellen ausgerichtete staatliche Förderung der großen Forschungsinstitutionen führt dazu,
dass die Verhältnisse relativ starr und unbeweglich sind
und dass diese institutionell geförderten Forschungseinrichtungen nur schwer auf neue Forschungsziele ausgerichtet werden können.
Es gibt übrigens noch jemanden, der uns manchmal daran hindert, die Gewichte rechtzeitig zu verlagern. Das
sind die Länder, die gemeinsam mit dem Bund, mit unterschiedlichen Prozentsätzen - das nennt man Mischfinanzierung -, diese großen Forschungseinrichtungen
fördern: die großen Zentren zu 90 Prozent Bund, zu
10 Prozent Land. Bereits diese 10 Prozent Anteil des Landes führen aber dazu, dass die Länder eine Art Vetorecht
haben. Die Länder sind in der Theorie für Veränderungen.
Wenn es aber darum geht, Forschungsmittel umzuleiten,
sodass einige Mittel in ein anderes Bundesland fließen
und man ein paar Planstellen verliert, woanders aber ein
paar Planstellen mehr entstehen, dann wird ein Veto eingelegt. Trotzdem werden wir, glaube ich, die Mischfinanzierung nicht abschaffen können; denn dann hätten
wir einen fürchterlichen Streit mit unseren eigenen Bundesländern. Ich möchte aber an die Länder appellieren,
nicht nur in Besitzstandsdenken zu verharren.
({8})
Frau Ministerin, die unionsgeführten Bundesländer
kommen übrigens immer sehr gut weg; das wissen Sie.
50 Prozent der Menschen, die bei uns im Bereich Forschung und Entwicklung arbeiten, tun das in Bayern und
Baden-Württemberg.
({9})
Deshalb gibt es in SPD-regierten Ländern immer wieder Bedenken. Wenn Sie ein neues Forschungsprogramm
auflegen oder ein Programm aufstocken, wie in der Genomforschung, dann sagen die Rheinland-Pfälzer: Das
Geld wird wieder vollständig nach Bayern und BadenWürttemberg fließen. - Das heißt, den Wettbewerb fürchten wir überhaupt nicht, auch nicht der Kollege Schmidt
aus Sachsen. Wenn man sich die Bilanz der neuen Bundesländer anschaut, können Herr Jork, der jetzt ein bisschen lacht, und Herr Schmidt wirklich zufrieden sein. Die
Zentren der Forschung in den neuen Bundesländern liegen in Sachsen. Ich wiederhole: Wir haben überhaupt
keine Angst vor Wettbewerb.
({10})
Frau Ministerin, es ist schlicht falsch, dass wir in Sachen Strukturreformen während unserer Regierungszeit
nichts unternommen hätten. Ich gebe nur eines zu: Wir
hatten noch ein wichtigeres Problem Anfang der 90erJahre. Das vergessen Sie. Die deutsche Einheit blenden
Sie aus. Wir haben eine ostdeutsche Forschungslandschaft übernommen - eigentlich müsste man „mitteldeutsche Forschungslandschaft“ sagen -,
({11})
die abzukippen drohte. Wir mussten schnell begutachten,
was davon erhaltenswert ist und was wir in unsere Wissenschaftsgesellschaften und in die Hochschulen eingliedern. Dies hatte oberste Priorität. Dann kann man nicht
gleichzeitig die Verhältnisse in den alten Bundesländern
umkrempeln. Die Kapazitäten der Minister und ihrer Mitarbeiter sind eben irgendwann erschöpft.
Trotzdem haben wir schon Mitte der 90er-Jahre begonnen, Strukturreformen durchzuführen. Sie haben
von der Helmholtz-Gemeinschaft gesprochen, von den
großen Forschungszentren. Ich erinnere nur daran, dass
Dr. Gerhard Friedrich ({12})
wir dort den Strategiefonds eingeführt haben. Wir haben
die Planstellenfinanzierung ein bisschen heruntergefahren und die Mittel in einen gemeinsamen Topf gegeben.
Die einzelnen Zentren bewerben sich seither um Projektmittel. Das war der Beginn der Flexibilisierung. Ich gebe
zu, dass dies nicht viel gebracht hat, wie wir heute wissen.
Das neueste Gutachten des Wissenschaftsrates führt aus,
dass dies etwas unterlaufen wurde. Deshalb sind wir
durchaus bereit, mit Ihnen konstruktiv über das zu reden,
was Sie jetzt Programmsteuerung nennen.
Die unionsregierten Länder sagen auch: Im Grundsatz
sind wir uns einig, im Detail gibt es aber noch viele ungelöste Probleme. - Das müssen wir wissen. Ich frage
mich zum Beispiel, wie wir mit dem Problem der Verantwortung des Leiters eines großen Forschungszentrums
und der des Zuständigen für ein Programm, das in mehreren Forschungszentren durchgeführt wird, zurechtkommen. Da besagen die Papiere, die uns bisher vorliegen: Sie
sollen sich eben einigen. - Wenn sich die Leute einigen,
brauche ich keine Spielregeln und keine Rechtsnormen.
Leider einigen sich die Menschen nicht immer, sondern es
gibt Interessenkonflikte. Dafür brauchen wir noch vernünftige Regeln. Wir müssen hier schon noch etwas weiterarbeiten.
Sie sagen, Sie sind die große Reformerin in der Struktur der Forschungslandschaft.
({13})
- Dazu sage ich Ihnen nur, Herr Kollege Tauss: Bisher haben Sie vom Ergebnis her nur eines geschafft, nämlich die
Eingliederung der GMD in die Fraunhofer-Gesellschaft.
Etwas anderes können Sie nicht vorweisen. Sonst haben Sie nur Absichten geäußert. Die Eingliederung der
GMD geschah mit der Brechstange. Es gab einen Aufstand. Jetzt hören wir, das werde eine großartige Sache,
ein neuer Schwerpunkt in Sachen Informationstechnologie. Kollege Hauser hat uns in der Arbeitsgruppe gesagt,
die Herren in der Nähe von Bonn, wo die Gesellschaft für
Mathematik und Datenverarbeitung sitzt, folgen jetzt Rufen von Universitäten und gehen. Wir müssen da behutsam vorgehen. Das Projekt GMD/Fraunhofer-Gesellschaft war nicht gerade beispielhaft.
Meine Damen und Herren, ich will zum Schluss noch
zwei Dinge sagen. Das Erste: Wenn Sie den Bundesbericht Forschung lesen, dann schauen Sie sich bitte auch
einmal an, wie die Bilanz der Bundesregierung insgesamt
aussieht. Frau Bulmahn, Sie haben in zwei Jahren mehr
Geld in das System gegeben; der Wirtschaftsminister hat
kräftig gespart. Nach den Haushaltsansätzen sollten die
Ausgaben für Forschung und Entwicklung in den ersten
beiden Jahren, also 1999/2000, um 4,1 Prozent steigen.
Das steht so im Bericht. Das Ist wird geringer sein, nämlich 3,8 Prozent in zwei Jahren. Herzlichen Glückwunsch
zum Inflationsausgleich! So toll ist das ja nicht.
({14})
Zum Zweiten sollte man sich bei der Beurteilung der
Verhältnisse nicht immer nur auf sich selbst verlassen. Sie
sind subjektiv, ich natürlich auch. Darum haben wir einmal im Archiv geschaut, was andere dazu sagen. Das
„Handelsblatt“ hat am 15. Dezember das Ergebnis einer
Umfrage unter Führungskräften der Wirtschaft veröffentlicht. Sie sollten sich äußern, wo die Kompetenz in Sachen Technologie und Innovation liegt. Die Union liegt
mit 56 Prozent vorn; die SPD liegt mit 24 Prozent hinten.
Das entspricht der Verteilung der Forschung in Deutschland.
Vielen Dank.
({15})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Hans-Josef Fell, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr
Dr. Friedrich, Sie haben zu Recht angemahnt, den Wahlkampf 1998 endlich zu beenden. Aber ich finde es nicht
gut, dass Sie den Wahlkampf 2002 eröffnen wollen und
dass Sie immer wieder den Blick nach vorne richten und
Wahlkampf betreiben wollen.
({0})
Nein, daran werde ich mich nicht beteiligen. Vielmehr
werde ich aufzeigen, wo die Fehler der Vergangenheit in
der Forschungspolitik lagen - sie sind im Forschungsbericht 2000 offenkundig geworden - und wo die neue
Regierung neue Akzente gesetzt hat.
An einem Punkt will ich das gleich verdeutlichen. Sie
haben behauptet, das Programm Inno-Regio für die Ostförderung sei unter Rüttgers vorbereitet und von uns nur
hervorgeholt worden. Es mag sein, dass er etwas in der
Schublade gehabt hat. Aber der entscheidende Unterschied ist doch:
({1})
Wir haben es hervorgeholt. Wir haben neue Konzepte verwirklicht. Wir haben damit Ihre Pläne, von denen Sie immer gesprochen haben, aber die Sie nie verwirklicht haben, in die Tat umgesetzt. Das ist der Unterschied in der
Forschungspolitik zwischen der rot-grünen und der alten
Regierung.
({2})
Forschung ist der Garant einer zukünftigen Entwicklung. Forschung wird für die Entwicklung neuer Technologien genauso wie für die Analyse ihrer Auswirkungen
benötigt. Die Erkenntnisse der Forschung geben uns Hinweise auf gesunde und ungesunde Entwicklungen. Vor allem gibt uns Forschung neue Erkenntnisse, die wir zum
Wohle von Mensch und Umwelt einsetzen können. Daher
gilt auch für Bündnis 90/Die Grünen: Forschung ist unverzichtbar und Forschung hat einen hohen gesellschaftlichen Wert.
Dr. Gerhard Friedrich ({3})
Wer wie die alte Bundesregierung die Ausgaben für
Forschung senkt, setzt fahrlässig die Zukunft des Technologiestandortes Deutschland aufs Spiel. Der Anteil
der Forschungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt ist laut
dem heute diskutierten Bericht - Herr Dr. Friedrich, hören
Sie zu! - von 2,87 Prozent im Jahre 1989 auf 2,32 Prozent
im Jahre 1998 gesunken. Das nennen Sie eine notwendige
Nivellierung? Nein, Herr Dr. Friedrich, das ist der Ausdruck des Rückganges der Forschung unter der alten Bundesregierung.
({4})
Andere Industrieländer haben diesen Anteil auf zum
Teil deutlich höherem Niveau halten können, zum Beispiel Japan mit 2,9 Prozent oder die USA mit 2,77 Prozent. Die Folge ist klar: Bei neuen Technologien bekamen
vor allem Japan und USA immer mehr Weltmarktanteile
- eine bedrohliche Entwicklung für die exportabhängige
Bundesrepublik Deutschland.
Die rot-grüne Regierung hat aber bereits die Kehrtwende eingeleitet. So konnten die Bruttoinlandsausgaben
von 87 Milliarden DM 1998 bereits für 1999 auf 92 Milliarden DM gesteigert werden. Auch für 2000 und 2001
sind im Bundeshaushalt Ausgabensteigerungen vorgenommen worden. Dies ist eine großartige Regierungsleistung, da wir gleichzeitig im Gegensatz zu Ihnen die Senkung der Staatsausgaben insgesamt erreicht haben.
({5})
Diese Steigerung der Forschungsausgaben zeigt eindrucksvoll, dass wir es mit der Forschung und übrigens
auch mit der eng damit zusammenhängenden Bildung
ernst meinen. Wir Bündnisgrünen streben an, mittelfristig
3,0 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für die Forschung
auszugeben.
Die demographische Entwicklung dieses Landes ist
aus meiner Sicht ein zwingender Grund, dieses Ziel anzustreben. Nur so wird es möglich sein, dass zukünftig immer weniger junge Menschen unseren Wohlstand finanzieren können.
Gesamtausgabensteigerungen sind ein wichtiges Ziel.
Genauso wichtig sind aber auch strukturelle Verbesserungen der Forschungslandschaft und neue inhaltliche
Schwerpunktsetzungen. Auch hier hat Rot-Grün bereits
Zeichen gesetzt, weitere sind in Bearbeitung. Strukturelle Veränderungen sollen dazu dienen, Flexibilisierung von Entscheidungsprozessen, Entbürokratisierung,
Stärkung der Eigenverantwortung und Straffung der Forschungslandschaft endlich zu erreichen.
({6})
Dazu dient zum Beispiel die Programmsteuerung bei
den Helmholtz-Gemeinschaften. Diese wird dort stärker
als bisher Innovationen beschleunigen oder auch den gesellschaftlichen Einfluss auf die Forschungsinhalte verstärken. Allerdings darf sich der gesellschaftliche Einfluss
nicht allein von wirtschaftlichen Interessen leiten lassen.
Auch der Einfluss beispielsweise von Gewerkschaften
oder Umweltverbänden ist zu verstärken.
({7})
Eine Reform des Dienstrechtes ist notwendig. Die Anreize für junge Wissenschaftler, in Deutschland zu bleiben, statt in die USA abzuwandern, können so verstärkt
werden, zum Beispiel durch eine Juniorprofessur. Frau
Bulmahn hat auf ihrer USA-Reise zu diesem Thema wichtige Aussagen gemacht und es zu Recht in den Mittelpunkt gerückt.
Forschung ist die Grundlage für technologischen Fortschritt und damit für den Erhalt und den Ausbau von Arbeitsplätzen. Da gerade der Mittelstand den Löwenanteil
an Arbeitsplätzen stellt, ist es nur folgerichtig, auch für
den Mittelstand die Forschungsunterstützung zu verstärken. Bündnis 90/Die Grünen begrüßen es daher sehr, dass
im Wirtschaftsministerium die Mittel für die Forschungsförderung des Mittelstandes von 1998 bis 2000 um fast
5 Prozent erhöht werden konnten.
Um Arbeitsplätze zu sichern und neue schaffen zu können, ist es richtig, die Forschung anwendungsbezogen zu
verstärken. Enge Kooperationen mit der Wirtschaft können die öffentlichen Haushalte entlasten. Allerdings ist
bei allen jetzt vorgesehenen Strukturänderungen immer
im Auge zu behalten, dass die Grundlagenforschung dabei nicht unter die Räder kommt. Wer heute die Grundlagenforschung vernachlässigt, dem gehen in wenigen
Jahren die Ideen für neue anwendungsorientierte Forschungen aus.
({8})
Im Ost-West-Vergleich hat die Bundesregierung den
Anteil der neuen Länder leicht steigern können, allerdings - das geben wir unumwunden zu - ist der Nachholbedarf in den neuen Bundesländern weiterhin groß und
wir werden uns dafür einsetzen, diesen endlich zu stillen,
beispielsweise mit neuen Institutsgründungen.
Meine Damen und Herren, neben den strukturellen
Verbesserungen, die in der Forschungslandschaft anstehen und die wichtig sind, haben wir uns aber auch um
neue inhaltliche Schwerpunktsetzungen zu kümmern. Ich
möchte als wichtigsten Schwerpunkt aus meiner Sicht die
Anpassung der Forschungsinhalte an die veränderten Bedingungen dieser Welt aufzeigen. Ich sehe vor allem, dass
die Ergebnisse des Weltumweltgipfels 1992 in Rio wichtige und notwendige Maßnahmen auch für die Forschung
sind. Die Grundgedanken von Rio müssen auf die Forschung übertragen werden. Das heißt, die Forschung
muss demokratischen, ökologischen, sozialen und friedenspolitischen Pflichten endgültig und vollständig verpflichtet werden.
({9})
Für einige Forschungsschwerpunkte möchte ich diese
grüne Sicht verdeutlichen.
In vielen Grundsatzreden und Grundsatzartikeln werden die wichtigsten Forschungsschwerpunkte genannt.
Immer finden sich darunter die Biotechnologie, die Informations- und Kommunikationstechnologie, die Gesundheitsforschung, manchmal auch die Materialforschung
und die Nanotechnologie. Ohne Zweifel sind diese Forschungsfelder auch aus grüner Sicht wesentlich und für
eine technologische Entwicklung Deutschlands unverzichtbar.
Aber in den Aufzählungen für diese zukunftsorientierten Forschungsfelder fehlt fast immer ein zentraler und
extrem wichtiger Forschungszweig. Es ist die Energieforschung. Kaum genannt werden aber auch andere
wichtige Forschungsbereiche, wie beispielsweise die landwirtschaftliche Forschung, die Friedensforschung oder
die Sozialforschung.
Lassen Sie mich die Energieforschung etwas näher beleuchten. Wie wichtig Energie für unsere Gesellschaft ist,
kann man zurzeit in Kalifornien an einem Lehrbeispiel für
ideologisch geleitetes politisches Handeln erkennen.
({10})
Dort wurde die Liberalisierung des Strommarktes mit
dem ausschließlichen Ziel billiger Strompreise bis zum
Extrem vorangetrieben. Das führte zusammen mit Engpässen in der regionalen Gasversorgung zu einem teilweisen Zusammenbruch der Stromversorgung.
({11})
Ich hoffe, dass dieses Beispiel für eine verfehlte Liberalisierungspolitik auch bei den Vertretern einer neoliberalen
Energiepolitik in Europa endlich zu einem Erwachen
führt.
Kollege Fell, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Flach?
Ja,
gerne.
({0})
Herr Kollege Fell, ist Ihnen klar,
dass Sie, wenn Sie sagen, dass es hier nur um den Fehler
der Liberalisierung geht, völlig am Thema vorbeireden?
Die Liberalisierung spielt in Kalifornien an keiner Stelle
eine Rolle, sondern das Problem ist die Regulierung des
Preises.
({0})
Verehrte Kollegin Flach, das Problem ist die Regulierung
des Preises; aber schon der Grundgedanke, Billigprodukte
seien das Wichtigste, was in unserem Leben anzustreben
ist, ist falsch. Das Ziel, nur für billige Preise zu sorgen, hat
mit den Liberalisierungstendenzen dazu geführt, dass
Preissteigerungen, die notwendig wären, um Fehlentwicklungen zu verhindern, nicht möglich waren. Genau
dies entspricht dem falschen Grundgedanken, über eine
Liberalisierung des Marktes billigen Strom zu bekommen. Dieses nun auch regulierend durchzusetzen - da
stimme ich Ihnen zu - ist ein dramatischer Fehler, den wir
nicht machen sollten.
({0})
Kollege Fell, gestatten Sie eine Nachfrage der Kollegin Flach?
Ja.
Herr Kollege Fell, wir sind uns
also offensichtlich einig, dass das Modell von Bundesminister a. D. Günter Rexrodt in keiner Weise mit dem kalifornischen identisch ist.
({0})
Doch! Es gibt dort einige Gemeinsamkeiten.
({0})
- Sie sind nicht vollständig identisch, das ist klar, aber es
gibt einige Gemeinsamkeiten zwischen beiden Modellen.
Die wichtigste Gemeinsamkeit ist der Glaube an die Ideologie, dass alleine die Kräfte des Marktes zu billigen Preisen führen und damit alle Probleme insgesamt zu lösen
wären.
({1})
Hier liegt der Trugschluss. Diesen Weg gehen wir nicht
mit. Wir sehen, dass Regulierung dort notwendig ist, wo
es der Markt alleine nicht schafft.
({2})
Wir stehen für den liberalisierten Markt.
Lassen Sie mich zur Energieforschung zurückkehren:
Viele Forschungsergebnisse aus den zurückliegenden Jahren über zukünftige Energieverbräuche, Energieressourcen oder Umweltauswirkungen legen den Schluss nahe,
dass die Energieversorgung in dieser Welt als Motor für
alle Technologien vor einem gewaltigen Wandel steht.
Die entscheidende Strategie liegt darin, neue Energieerzeugungstechnologien auf der Basis erneuerbarer Energien rasant auszubauen. Nur diese sind meines Erachtens
in der Lage, mittel- und langfristig die sich ankündigenden Versorgungsengpässe zu schließen.
Die Energiekommissarin der EU, Frau Palacio, hat
kürzlich mit dem Grünbuch der Versorgungssicherheit auf
eine bedrohliche Entwicklung hingewiesen: Im Jahre
2020 wird Europa über 70 Prozent seiner Energie importieren müssen. Das ist ein Schreckensszenario, wenn man
die Abhängigkeit unserer Technologien von Energie betrachtet. Es sind daher auch die Forschungsmittel für erneuerbare Energien und Einspartechnologien weiter drastisch zu erhöhen. Ein erster Erfolg versprechender Schritt
ist, dass im Haushalt 2001 dieser rot-grünen Regierung
100 Millionen DM mehr für die Erforschung neuer
Energietechnologien, beispielsweise der Brennstoffzelle,
bereitgestellt wurden. Eine weitere Steigerung der Forschungsmittel für erneuerbare Energien und rationelle
Energieverwendung in den kommenden Jahren ist aus
grüner Sicht dringend geboten.
Damit bei den jetzt anstehenden Strukturveränderungen der gesamten deutschen Forschungslandschaft nicht
wieder die Entwicklungen, die in der Vergangenheit durch
falsche Schwerpunktsetzung eingeleitet wurden, fortwirken, fordern Bündnis 90/Die Grünen eine interministerielle Arbeitsgruppe unter Beteiligung der Fraktionen
zur Neufestlegung der Energieforschungsschwerpunkte.
Die Vergangenheit hat gezeigt, dass die jahrelange einseitige Förderung für die Erforschung der Kernenergie
nicht den gewünschten Erfolg brachte. Man kann sogar
sagen: Das einseitige Festlegen auf die Erforschung der
Kernenergie war ein zentraler Fehler der Forschungsförderung der letzten Jahrzehnte.
({3})
Das kann man unschwer daran erkennen, dass der Beitrag
der Kernenergie an der gesamten Energieversorgung in
der EU knapp unter 10 Prozent liegt. Mehr hat diese massive Forschungsförderung nicht gebracht.
({4})
Eine Neufestsetzung der Energieforschungsschwerpunkte unter dem Aspekt des mittelfristigen Ersatzes für
Erdöl und Kernenergie, vor allem aus Klimaschutzgründen und Gründen der Versorgungssicherheit, ist unverzichtbar. Das bezieht sich auch auf die Erarbeitung der
Schwerpunkte des 6. Forschungsrahmenprogramms der
Europäischen Union. Auf europäischer Ebene sollten wir
darauf hinwirken, dass alle Forschungsmittel - ganz speziell die Mittel für Euratom - endlich einer demokratischen Kontrolle, zum Beispiel durch das Europäische Parlament, unterworfen werden.
Ich möchte noch einige Schlaglichter auf andere
Forschungsschwerpunkte werfen. Bündnis 90/Die Grünen stehen hinter der Neutronenforschung. Daher setzen
wir uns für den Bau einer neuen europäischen Spallationsquelle ein. Sehr kritisch betrachten wir aber weiterhin
die Verwendung von hochangereichertem Uran, wie es in
einem Forschungsreaktor in Garching geplant ist. Aus
Gründen der Proliferation und der Entsorgung sollten wir
hier auf eine andere Technologie setzen; denn dieser
FRM II wird nach Fertigstellung der europäischen Spallationsquelle zum alten Eisen gehören.
In den kommenden Jahren wird beim Verbraucherschutz und bei der Landwirtschaft ein Forschungsschwerpunkt liegen müssen. Die BSE-Krise hat uns in
aller Eindringlichkeit vor Augen geführt, wohin das Ignorieren von wichtigen Forschungsergebnissen führt. Warnende Stimmen aus den Kreisen der Gesundheitsforscher
hat es viele gegeben. Damit nun der Wechsel in der Landwirtschaft zu einer verbraucherorientierten, sauberen und
ökologischen Landwirtschaft gelingen kann, muss die
Forschung ihren Anteil beisteuern. Bündnis 90/Die Grünen fordern daher für die kommenden Haushalte eine
Stärkung der Landwirtschaftsforschung aus der Zukunftsmilliarde.
Welche Chancen in der Landwirtschaftsforschung liegen, zeigen beispielsweise Forschungsergebnisse von
bayerischen Biobauern auf, die ohne staatliche Unterstützung die Problemlösungen für Tierfutter, Nahrungsmittelanbau und Energieproduktion mit hochinteressanten
Ergebnissen vorantrieben. So wurde im Mischfruchtanbau Gerste gleichzeitig mit der Ölpflanze Leindotter angebaut. Es gab keine Ertragsminderung der Gerste, aber
eine Steigerung der Gerstenqualität. Der Leindotter brachte über das Pflanzenöl zusätzlich Energie, und zwar mehr
als zur Bewirtschaftung des Ackers notwendig war.
Gleichzeitig entstand aus dem Pressen dieses Leindotters
ein eiweißreiches Tierfutter. Das zeigt: Es gibt Möglichkeiten für einen Ersatz von Tiermehl und gentechnischem
Soja durch einen entsprechenden Anbau auf unseren Feldern, ohne dass dabei dem Nahrungsmittelanbau Konkurrenz gemacht wird. Das ist ökologischer Landbau.
Solche Forschungen wurden in unserem Lande jahrelang nicht vorangetrieben. Wir werden uns dafür einsetzen, dass die Forschung solche neuen Ergebnisse insgesamt aufgreift und darauf aufbaut.
({5})
Einen Beginn haben wir in der rot-grünen Regierung bereits gemacht, beispielsweise mit der Neugründung eines
Institutes für die Erforschung des ökologischen Landbaus
in Trenthorst. Der gesamte Bereich der grünen Biotechnologieforschung ist unter den Erfahrungen der BSE-Krise
kritisch neu zu bewerten. Kritiker sagen für gentechnisch
veränderte Pflanzen ähnliche Risiken voraus, wie sie kritische Forscher für BSE bereits vor Jahren geäußert hatten. Wir begrüßen daher den gestrigen Stopp der Verhandlungen zwischen Regierung und Industrie zum
Anbau gentechnisch veränderter Lebensmittel.
Wir Grüne sehen die starke Fokussierung der biotechnologischen Forschungsförderung auf gentechnische
Fragen mit einem gewissen Unbehagen, auch wenn die
Sicherheitsforschung und ethische Begleitforschung dadurch deutlich gestärkt wurden. Wir erkennen aber Defizite in der Forschungsförderung von gentechnikfernen
Zweigen der Biotechnologie. Ich nenne hier: Bionik, Farben oder Treibstoff aus Pflanzen sowie Medikamente aus
der Biodiversität der Natur. Grüne stehen für Biotechnologie. Aber wir wollen verstärkt Biotechnologieforschung
in Bereichen, die eben nicht durch berechtigte Bedenken
belastet sind.
Lassen Sie mich zum Ende kommen. Der vorliegende
Forschungsbericht 2000 bietet eine Fundgrube an exzellenten Informationen über die deutsche Forschungslandschaft. Aus ihm lassen sich die Grunddaten für die Veränderung der kommenden Jahre in der Forschung sehr gut
ableiten. Er zeigt aber auch auf, welch hohes Niveau die
bundesdeutsche Forschung aufweist.
Die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen
wird weiterhin gemeinsam mit der Bundesregierung für
eine Stärkung und Modernisierung der Forschung eintreten, vor allem mit Blick auf die Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele von Rio.
({6})
Ich erteile der Kollegin Ulrike Flach, F.D.P.-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Der Bundesbericht Forschung 2000 ist in doppelter Hinsicht ein gewichtiges Werk: erstens physisch mit
rund 1 900 Gramm und zweitens als wichtigstes Übersichtswerk über die Forschungslandschaft in Deutschland.
Ich darf mich als Vorsitzende des Forschungsausschusses
herzlich bedanken: Der Bericht ist erfreulich übersichtlich
und lesbar. Wir werden ihn gut gebrauchen können.
({0})
Es wird allerdings niemanden verwundern, dass ich
trotzdem noch einige Kritikpunkte anfüge.
({1})
- Lassen Sie mich Ihnen zuliebe, Herr Tauss, mit dem Positiven beginnen. Die Investitionen in Forschung und
Entwicklung sind gestiegen, der Bericht bekennt sich zu
einer wettbewerblich organisierten Projektförderung und
zu einer regelmäßigen Überprüfung der Wissenschaftsorganisationen bezüglich der Qualitätssicherung der Forschung. Das ist urliberales Denken. Ich begrüße, dass dies
auch bei Ihnen Fuß gefasst hat, Frau Bulmahn.
({2})
Mir fehlt die Zeit, auf alle Forschungsbereiche einzugehen. Fest steht: Deutschland ist vor allem in der Breitenforschung gut, hat auch in einigen Bereichen aufgeholt;
dennoch liegen wir bei der Entwicklung der Investitionen
in Forschung insgesamt seit zehn Jahren hinter Japan und
den USA - und das mit wachsendem Abstand. Eine Trendwende, die trotz aller vollmundigen Erklärungen nicht eingetreten ist - Frau Bulmahn, ich möchte Sie an dieser
Stelle an Ihre Versprechungen im Wahlkampf erinnern -,
können wir bisher nur in Ihren Reden, weniger in Ihren Taten nachvollziehen.
({3})
In der Spitzenforschung zeigt sich dieses besonders.
Nach wie vor haben wir keine Struktur, wie von uns allen
gewünscht, die eindeutig auf Centers of Excellence, an
denen erstklassige Wissenschaftler unter hervorragenden
Bedingungen arbeiten können, ausgerichtet ist. Dass dies
auch nicht so einfach ist, hat Herr Dr. Friedrich gerade mit
dem Beispiel der IuK-Akademie in Bonn sehr klar und
deutlich belegt. Spitzenforschung ist vernetzte Forschung
und Sie, Frau Bulmahn, stehen vor der sehr schwierigen
Aufgabe, mit Bund, Land, Kommune und Universität so
etwas auf den Weg zu bringen, damit es endlich schneller
und zügiger vonstatten geht und uns die Wissenschaftler
nicht wegrennen.
({4})
Es ist - auch vor dem Hintergrund der Koordinierungsaufgabe der Bundesforschungsministerin - ganz in
unserem Sinne, dass der Wissenschaftsrat am Montag
dem Bund empfohlen hat, die Gesundheitsforschung und
den Verbraucherschutz durch Ihr Ministerium, das Wissenschaftsministerium, und nicht durch die Ministerelevin Renate Künast zu koordinieren.
({5})
Dies soll jeweils in Abstimmung mit der Hochschulforschung und der außeruniversitären Forschung geschehen.
Frau Bulmahn, das ist eine Chance, die Sie wirklich nutzen sollten.
({6})
Sie haben bei der größten Gesundheitskrise der letzten
Jahre reagiert. Wir wünschen uns allerdings - gerade auf
den gestrigen Ausschussdiskussionen basierend - mehr
Tempo. Es mag üblich sein, erst einmal Programme zu
sortieren, Länder abzufragen und Schwerpunkte festzulegen; aber diese Situation erfordert eine deutlich schnellere
Vorgehensweise als üblich. Hier geht es um die Gesundheit unserer Bevölkerung und es geht selbstverständlich
auch um die Existenz zahlreicher Landwirte. Das erfordert unbürokratisches und zügiges Vorgehen.
Ich begrüße an dieser Stelle ausdrücklich für uns, dass
Sie Geld aus dem Gesundheitsforschungsprogramm für
die BSE-Forschung einsetzen wollen. Ich begrüße auch
ausdrücklich den von Ihnen betonten europäischen Ansatz der Forschung. Der Fehler der englischen Regierung,
die Gängelung der BSE-Forschung, darf sich bei uns nicht
wiederholen.
({7})
Kollege Fell, er darf übrigens auch nicht durch eine voreilige Festlegung auf die allheiligmachende ökologische
Landwirtschaft entstehen.
({8})
Es gibt bisher keine Forschungsergebnisse, die belegen,
dass die ökologische Landwirtschaft die Lösung ist.
({9})
- Forschung macht nur Sinn, Kollege Fell, wenn sie vorurteilsfrei ansetzt.
({10})
Frau Ministerin, 15 Millionen DM sind schön und gut,
aber man muss auch die richtigen Fragen stellen und die
richtigen Projekte anschieben. Der F.D.P. geht es dabei im
Sinne des Verbrauchers ganz konkret um drei Punkte: Wir
brauchen ein Forschungsprojekt zur Entwicklung eines
BSE-Schnelltests am lebenden Rind, ein Forschungsprojekt zur Entwicklung eines Heilmittels für BSE und ein
Projekt zur Züchtung BSE-immuner bzw. -resistenter
Rinder, wie es der Genforscher Weissmann im „Focus“
dieser Woche zu Recht gefordert hat.
({11})
Das sind die Fragen, die die Verbraucher und die Landwirte umtreiben.
Unabhängig von dieser aktuellen Forschungsdebatte
möchte ich im Folgenden noch auf einige Standortnachteile eingehen, die unserer Meinung nach daran schuld
sind, dass wir uns in der Bundesrepublik nach wie vor bei
der internationalen Schul- und Forschungslandschaft auf
einem sehr mäßigen Platz befinden:
Erstens: Mangelnder Nachwuchs. Wo man hingeht, jeder jammert über Nachwuchsmangel in der Wissenschaft; vor allem bei Ingenieuren, Mathematikern und Naturwissenschaftlern. „Deutschland laufen die Forscher
weg“, so warnt der Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, Hubert Markl. Doktorandenstellen können oft nicht
besetzt werden. Dies alles ist ein Skandal. Ich muss darum
bitten, dass wir dieses Problem endlich einmal aktiv angehen. Wir müssen in Deutschland mehr junge Leute für die
Naturwissenschaften begeistern, es fehlt eine breit angelegte Werbekampagne. Einzelprojekte wie „Saturday morning physics“ sind gut, reichen aber nicht aus.
Wir müssen viel früher ansetzen, nämlich in den Schulen, und zwar bereits in den Grundschulen. Auch in diesem
Punkt ist der Bericht eindeutig; er betont ausdrücklich den
Zusammenhang zwischen Bildung und Forschung. Es
muss jedoch beunruhigen, wenn wir 25 Prozent weniger
Erstsemester im Studiengang für das Lehramt Physik haben und nur noch jeder zehnte Gymnasiast Physik oder
Chemie als Leistungskurs belegt. Das sind Alarmzeichen,
die wir als Politiker nicht mehr länger ignorieren dürfen.
({12})
Im internationalen Vergleich sind unsere Erstsemester
mit durchschnittlich 22 Jahren zu alt und die PostdocPhase ist mit acht bis zehn Jahren nach wie vor zu lang.
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft weist in einem
Strategiepapier zur Nachwuchsförderung darauf hin, dass
Wissenschaftler bei uns oft bis ins fünfte Lebensjahrzehnt
nicht selbstständig forschen. Auslandsaufenthalte behindern oft, weil der Forscher hinterher keine Stelle mehr findet, und Hausberufungsverbote behindern die Auswahl
der Bestqualifizierten. Frau Bulmahn, die Förderung der
Wissenschaftler muss verbessert werden gerade vor dem
Hintergrund, dass Sie das Emmy-Noether-Programm
nicht aufgestockt haben; dieses Programm dümpelt weiter im Kleinen vor sich hin.
({13})
Eine gute Entwicklung der Forschung im Bereich der
Naturwissenschaften können wir heute - darüber freue
ich mich - im Osten verzeichnen. Dort haben die Länder
viel getan und dort hat auch die alte Regierung Erhebliches geleistet. Dort bilden sich Cluster- und Innovationszentren mit Wirkung auf Wirtschaft und Arbeitsmarkt.
Bio-Regio der alten und Inno-Regio der neuen Regierung,
Herr Tauss, haben hier viel Gutes bewirkt.
({14})
Es gibt aber ein Problem: Die immer noch geringere
Bezahlung nach BAT Ost sorgt für die Abwanderung von
Spitzenleuten in den Westen oder ins Ausland. Die pauschale Stellenkürzung, Frau Bulmahn, von jährlich
1,5 Prozent bei den Instituten der Leibniz-Gemeinschaft,
die primär im Osten sitzen, macht es den Forschern
schwer, ihre Aufträge zu erfüllen.
({15})
Zweites Problem: Auslandsmarketing. Im Bundesbericht Forschung 2000 kommt das Thema nicht vor. Ich
freue mich, dass Sie eben angeregt haben, dies in Zukunft
zu ändern. Es wäre auch sehr schön, wenn Sie dieses für
uns sehr wichtige Thema bei einer Kabinettssitzung einmal Ihrem Kollegen Fischer vermitteln könnten. Nach wie
vor leben wir damit, dass Goethe-Institute im Ausland geschlossen werden. Damit haben wir einen der Türöffner,
den es für ausländische Studenten gibt, wieder blockiert.
({16})
Ihre Rückrufaktion für deutsche Wissenschaftler im
Ausland kann bei der F.D.P. nur ein müdes Lächeln hervorrufen. Ich frage mich, wieso ein Wissenschaftler, der
tagtäglich Reden wie beispielsweise die von Herrn Fell
hört und eine Atmosphäre einer voreingenommenen Wissenschaftsdiskussion erfährt, wieder zurückkommen soll.
({17})
Weitere Defizite kommen hinzu, zum Beispiel ein verkrustetes Hochschuldienstrecht. Frau Bulmahn, es ist
schön, dass Sie das erkannt haben. Allerdings muss ich Ihnen vorhalten: Bei der Debatte darüber heute Abend liegen zwei Anträge von F.D.P. und CDU/CSU auf dem
Tisch - und keiner aus Ihrem Haus. Das ist die Lücke, die
wir nach wie vor zu beklagen haben. Das Ganze führt
dazu, dass wir nach wie vor nicht dazu in der Lage sind,
international zu agieren. Unsere Professoren haben zu geringe Gehälter. Ich darf erneut Herrn Markl von der MPG
zitieren, der sagt: „Es reicht nicht mehr, mit dem Ruhm zu
wedeln.“ Auch Naturwissenschaftler lesen die Zeitung
und wissen, was in der Industrie verdient wird. Vor diesem Hintergrund wundert es mich nicht, dass sie nicht an
die Universitäten gehen.
Die USA steigerten ihren Forschungsetat - nur, um das
einmal in Erinnerung zu rufen - im Jahre 2000 um 14 Prozent, die Briten um 7 Prozent.
({18})
Das sind die Richtgrößen, die für uns Maßstab sein sollten, wenn wir Ihnen begeistert zujubeln sollen, wenn Sie
uns erzählen, welche großen Fortschritte diese Forschungslandschaft unter Ihrer Ägide gemacht hat. Da
können wir noch etwas zulegen, Frau Bulmahn.
({19})
Frau Ministerin, wir stimmen, wie Sie wissen, mit
Ihren Zielen oft überein. Das macht der vorliegende Bericht auch deutlich. Leider fehlt Ihnen nach wie vor die
Durchschlagskraft, die wir uns für Sie und für dieses Land
sehr wünschen. Sie regieren nicht, Sie reagieren sehr oft.
Jetzt, wo die Hälfte Ihrer Kabinettskollegen entweder neu
oder angeschlagen ist, sollten Sie die Gelegenheit nutzen,
um einmal so richtig loszulegen.
({20})
Erweitern Sie Ihren Spielraum! Kommen Sie mit Reformen, nicht mit Reförmchen! Wenn Sie wirklich einen
Aufbruch in der deutschen Bildungs- und Forschungslandschaft wollen, dann kommen Sie mit uns, Frau
Bulmahn. Sie werden uns dort finden, wo die F.D.P. immer ist: nämlich an der Spitze des Fortschritts.
({21})
Ich erteile der Kollegin Maritta Böttcher, PDS-Fraktion, das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich überlege noch, ob ich
mit zur Spitze komme, Frau Flach.
({0})
Der Forschungsbericht unterliegt - das ist hier schon
deutlich geworden; ich will das unterstreichen - seit Jahrzehnten einer Schieflage. Der Beitrag, den die Forschung
für die gesellschaftliche Entwicklung insgesamt erbringen
könnte, ist systematisch vernachlässigt worden. Die aktuelle BSE-Debatte macht exemplarisch deutlich, wovon ich
spreche: Beim Streben nach einem Höher, Schneller und
Weiter in der agrarindustriellen Produktion, die einem verschärften Konkurrenzdruck ausgesetzt ist, kamen Fragen
nach den Folgen für die Umwelt und die Gesundheit der
Verbraucherinnen und Verbraucher unter die Räder. Das
BMBF hat gestern zwar eine Liste mit BSE-relevanten
Projekten an Hochschulen und Forschungseinrichtungen
zusammengestellt, im vorliegenden Forschungsbericht
kommt aber nicht einmal der Begriff BSE vor.
Dieses aktuelle Beispiel unterstreicht die Notwendigkeit einer sozialökologischen Umorientierung der
Forschungspolitik des Bundes. Eine nach wie vor untergeordnete Rolle spielen unter anderem das Welternährungsproblem, die globale Klimakatastrophe, die drohende
Deindustrialisierung und Entvölkerung ganzer Landstriche im Osten Deutschlands und Europas. Es geht mit anderen Worten um die Mobilisierung wissenschaftlicher
Kompetenz für die Lösung der Konfliktdimensionen
Mensch-Natur, Mann-Frau, Nord-Süd, West-Ost oder
Arm-Reich.
Damit sind wesentliche Herausforderungen für die
Forschungspolitik des 21. Jahrhunderts benannt, von der
wir einen entscheidenden Beitrag zum sozialökologischen Umbau unserer Gesellschaft erwarten. Das verlangt
aber zunächst, dass wir die Eigenständigkeit der Forschungs- und Technologiepolitik gegenüber der Wirtschafts- und Industriepolitik akzeptieren. Die Abspaltung
des Technologieressorts aus dem ehemaligen Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und
Technologie macht die Einlösung dieses Anspruchs auf
jeden Fall nicht leichter.
Ich nehme durchaus zur Kenntnis, dass der vorliegende
Bericht neue Akzente erkennen lässt, was die eingangs
von mir betonte gesellschaftspolitische Funktion von Forschungs- und Technologieförderung betrifft. Frau Ministerin, Sie haben es sich zumindest zum Ziel gesetzt, das
einseitig dem ökonomischen Standortwettbewerb untergeordnete forschungspolitische Verständnis der Vorgängerregierung nicht ungebrochen fortzusetzen, und haben
sich vorgenommen, die gesellschaftlichen Aufgaben des
wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritts ernst zu nehmen.
Die Erhöhung der Haushaltsmittel für die Forschungsförderung ist unbestreitbar und grundsätzlich
auch anzuerkennen. Wir kritisieren aber die einseitige
Schwerpunktsetzung: Die größten Steigerungsraten gibt
es in den Bereichen molekulare Medizin, Genomforschung und Biotechnologie. Mit der Gentechnologie wird
einer Risikotechnologie Priorität - es geht um Priorität! eingeräumt, die aufgrund ihrer Gefahren, ihrer ethischen
Grenzüberschreitungen und ihres fragwürdigen Nutzens
gesamtgesellschaftlich äußerst umstritten ist.
({1})
Es ist bemerkenswert, dass unter der Verantwortung einer
rot-grünen Regierung ein Sechstel der Mittel des Zukunftsinvestitionsprogramms in die Genomforschung fließen und
dies von den Grünen leidenschaftlich begrüßt wird.
Die Forschungsförderung des Bundes weist insgesamt ein Ungleichgewicht auf; ihre Struktur wird der Notwendigkeit einer sozialökologischen Umorientierung der
Forschungs- und Technologiepolitik nicht gerecht. Auf
Förderbereiche wie Weltraumforschung und Weltraumtechnik, nukleare Energieforschung und Kernfusionsforschung, Informationstechnik und Fertigungstechnik, Materialforschung, Innovationsförderung sowie die bereits
erwähnte Biotechnologie und die gendeterminierte Gesundheitsforschung entfallen nach wie vor die Löwenanteile der Forschungsausgaben des Bundes.
Die technologieorientierte Forschung dominiert absolut, während die Förderbereiche Geistes-, WirtschaftsUlrike Flach
und Sozialwissenschaften oder Bildungsforschung auf
äußerst niedrigem, geradezu marginalem Niveau stagnieren: Weniger als 5 Prozent der Forschungsausgaben des
Bundes fließen in diesen Bereich.
Ungebrochen ist hingegen auch unter Rot-Grün die Bedeutung der Militärforschung. Jede achte Forschungsmark wird erklärtermaßen für Militärforschung ausgegeben. Darin ist noch nicht die Förderung von Technologie
mit Dual-Use-Charakter enthalten, die eine indirekte
Form der Rüstungsforschung darstellt.
Die unter dem Förderbereich „umweltgerechte nachhaltige Entwicklung“ subsumierten Programme wurden
zwar erfreulicherweise verstärkt, haben aber insgesamt
nach wie vor eine untergeordnete Bedeutung; ihr Anteil
macht gerade ein Zwölftel der Gesamtausgaben aus.
Zweieinhalb Jahre nach dem Regierungswechsel führen
sozialökologische Wissenschaftsansätze immer noch ein
Schattendasein in der deutschen Wissenschaftslandschaft.
Die Umwandlung der Hochschulen in marktgesteuerte Dienstleistungsunternehmen gefährdet kritische,
nicht marktangepasste Wissenschaftsansätze.
({2})
Zur Stunde führen die Studierenden des Otto-Suhr-Instituts der Freien Universität Berlin einen Aktionstag gegen
geistigen Kahlschlag durch.
({3})
Ich möchte den beteiligten Studierenden und Lehrenden
auch von dieser Stelle aus meine Solidarität aussprechen.
({4})
Die Bundesregierung fordere ich auf, in ihrer Forschungspolitik kritischen, alternativen und nicht ökonomisch verwertbaren Wissenschaftsansätzen einen gesicherten Status zu geben.
({5})
Zugleich trete ich dafür ein, dass die Hochschulen als
Schnittstellen von Forschung, Lehre und Studium wieder
zur tragenden Säule des bundesdeutschen Wissenschaftssystems werden und die sukzessive Auswanderung der
Forschung in außeruniversitäre Forschungseinrichtungen
und in die Wirtschaft gestoppt wird.
({6})
Das gilt auch für die Fachhochschulen, die in der Forschungspolitik des Bundes systematisch benachteiligt
werden. Der Anteil der von Fachhochschulen beantragten
Forschungsvorhaben an allen von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekten beträgt gerade einmal 0,2 Prozent.
({7})
- Der Anteil beträgt 0,2 Prozent, trotz Aufstockung! Das
muss hier gesagt werden können und das muss zur Kenntnis genommen werden.
({8})
Die Bundesregierung stellt in ihrer Forschungspolitik
die bisherige strikte Unterscheidung von Grundlagenforschung und anwendungsorientierter Forschung infrage.
Wenn dies zutrifft, so erlangt aber auch die Arbeitsteilung
zwischen Universitäten und Fachhochschulen in der Forschung eine neue Bedeutung. Die Fachhochschulen, die
bisher auf die anwendungsorientierte Forschung verwiesen worden sind, während die Grundlagenforschung den
so genannten wissenschaftlichen Hochschulen, den Universitäten, vorbehalten blieb, müssen gleichberechtigte
Partner in der Forschungspolitik des Bundes und der Länder werden. Ich fordere daher eine strukturelle Öffnung
der DFG für die Fachhochschulen. Die Wissenschaftspolitik der Bundesregierung darf die Fachhochschulen nicht
länger bremsen, sondern muss ihre Entwicklung aktiv unterstützen.
Über die Personalstruktur und das Dienstrecht an Hochschulen und Forschungseinrichtungen reden wir ja heute
noch. Deshalb an dieser Stelle nur so viel: Was den gleichberechtigten Zugang von Frauen zu Wissenschaft und
Forschung angeht, hat sich die Situation nicht grundlegend verbessert. Die Lage an den außerhochschulischen
Forschungseinrichtungen ist diesbezüglich noch düsterer
als an den Hochschulen. Bei den Führungspositionen an
Forschungseinrichtungen in den alten Bundesländern liegt
der Frauenanteil bei verschwindenden 2 Prozent. Auch aus
diesem Grunde ist eine Strukturreform der Personalverfassung an den Hochschulen und Forschungseinrichtungen
geboten. Leider warten wir bis heute auf den versprochenen Gesetzentwurf der Bundesregierung.
Lassen Sie mich abschließend etwas zur viel diskutierten Internationalisierung von Wissenschaft und Forschung sagen. Mit dem Stichwort „Internationalität deutscher Forschung“ zeigt der Bundesbericht am deutlichsten,
dass sich die neue Bundesregierung keineswegs vollständig
von der Standortpolitik der alten Regierung Kohl emanzipiert hat. Internationalisierung von Wissenschaft und Forschung wird in erster Linie als Europäisierung verstanden
und dort wiederum stark auf die Mitgliedstaaten der Europäischen Union bezogen. Im globalen Maßstab wird Internationalisierung vor allem unter das Verdikt der „Triadenkonkurrenz“ Europas mit Japan und den USA gestellt.
Wir brauchen aber eine gleichberechtigte und partnerschaftliche Kooperation mit allen Völkern dieses Erdballs.
Frau Ministerin, ich kann Ihnen den guten Willen nicht
absprechen und will es auch nicht tun. Aber ich muss sagen, dass die bisherigen Ergebnisse Ihrer Arbeit noch zu
wenige Belege für den Vollzug der angekündigten sozialökologischen Neuorientierung der Forschungspolitik enthalten. Der Regierungswechsel ist bereits Geschichte; der
qualitative Politikwechsel steht allerdings noch aus. Deshalb möchte ich mit Ihnen - wenn es sein muss, auch mit
Frau Flach - an die Spitze vordringen.
Danke.
({9})
Ich erteile nun das
Wort dem Kollegen Jörg Tauss, SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident!
Meine lieben Kolleginnen! Meine lieben Kollegen! Ich
will mich dem Dank der Opposition für den Bundesbericht Forschung selbstverständlich anschließen.
({0})
Mit diesem Bericht legt die Bundesregierung dem
Deutschen Bundestag alle vier Jahre
({1})
eine sehr umfassende Darstellung zur Forschungspolitik
in Deutschland vor. Dieser Bericht gibt - Herr Kollege
Friedrich, Sie müssen natürlich pflichtgemäß protestieren - in aller Klarheit Auskunft über folgenschwere forschungspolitische Versäumnisse in den 90er-Jahren. Er
gibt gleichzeitig die richtigen Hinweise auf die Neuausrichtungen und auf die Schwerpunktsetzungen in der
Forschungspolitik für die nächsten Jahre.
In den 90er-Jahren wurde zu wenig - darauf wurde
schon ausführlich von dem Kollegen Fell hingewiesen - in
Deutschlands Zukunft investiert. Lieber Kollege Friedrich,
die Erklärung, daran sei Herr Honecker schuld, ist einfach
zu dünn. Sie sollten sich nicht hinter Herrn Honecker verstecken, sondern sich klar zu den eigenen Versäumnissen
bekennen. Auch das gehört zur Wahrheit und zum politischen Anstand.
({2})
In den 90er-Jahren haben Sie die Ausgaben für Bildung und Forschung stark gekürzt, während es in den
Vereinigten Staaten und Japan immense Steigerungen
gab. Jetzt sprechen Sie davon, dass es heute im Forschungsbereich nur eine kleine Erhöhung in der Größenordnung der Inflationsrate gebe. Die Inflationsrate liegt
bei deutlich unter 2 Prozent, während in diesem Jahr die
Ausgaben für Bildung und Forschung in unserem Haushalt um über 9 Prozent steigen. Ihre Interpretation der
Zahlen stimmt einfach nicht.
({3})
Ebenso wenig, wie Sie der Forschung in Deutschland
in der Vergangenheit die notwendige Mittelaufstockung
gewährt haben, die dringend notwendig gewesen wäre,
um den Anschluss an andere Industrienationen nicht zu
verlieren, haben Sie die längst überfälligen Reformen der
strukturellen und rechtlichen Rahmenbedingungen für
eine zukunftsfähige Forschung in Deutschland eingeleitet. Auch an diesem Versäumnis ist Herr Honecker nicht
schuld, Herr Friedrich.
Aus den Versäumnissen, die Sie zu verantworten haben, haben sich strukturelle Probleme für den Forschungsstandort Deutschland ergeben. Die jetzt notwendigen strukturellen Reformen sind von uns in Angriff
genommen worden - die Ministerin hat sie schon erwähnt -: die Modernisierung der Forschungslandschaft
und die Reform des Dienstrechtes an den Hochschulen.
Gegen viele dieser Prozesse - heute haben sich Ihre
Einwände vergleichsweise moderat angehört - erheben
Sie vor Ort, zum Beispiel in Bayern, lebhaften Protest.
Der Kollege Rachel glaubt, die Beschäftigten an den Forschungseinrichtungen mit negativen Meldungen über die
Reformprozesse beglücken zu müssen. Sie erheben Protest, ohne selbst Alternativen vorzulegen. Sie verkürzen
die Sachverhalte polemisch und in unzulässiger Weise.
({4})
Die von Ihnen vorgetragenen Einwände sind in bewundernswerter Form untereinander völlig inkompatibel.
Herr Kollege Rachel, angesichts dieser Inkompatibilität
Ihrer eigenen Vorstellungen brauche ich nicht nervös zu
sein.
({5})
In dem Bericht wird völlig zu Recht festgestellt, dass
„der selbstverständliche Zusammenhang von Forschung
und Bildung lange Jahre übersehen wurde“. Auch dieses
ist Ihr Versäumnis.
Frau Kollegin Flach, die heute vorzufindenden Probleme, die wir alle sehen können, reichen vom Nachwuchsmangel in der Wissenschaft - auch das ist eine
Folge von unflexiblen und verkrusteten Strukturen - bis
hin zur fehlenden Motivation und Bereitschaft junger
Menschen, eine akademische naturwissenschaftliche
Laufbahn zu wählen. Diese Mängel jedoch sind alle nicht
erst gestern aufgetreten. Sie haben sich vielmehr im Laufe
der Jahre entwickelt. Aus diesem Grunde wäre es auch
gut, Frau Kollegin Flach, wenn Sie diesen Zustand nicht
nur beschreiben, sondern wenn Sie sich auch zu den von
Ihnen eingeleiteten Fehlentwicklungen klar bekennen
würden.
Auch das würde zur politischen Ehrlichkeit gehören.
({6})
Ich stimme Ihnen völlig zu: Es ist ein absolutes Unding, dass bei der Zahl der Studienanfänger in Physik ein
Rückgang um 80 Prozent zu verzeichnen ist. Von den Ingenieurberufen will ich an dieser Stelle gar nicht sprechen. Aber wenn wir über den Mangel an Fachkräften reden und über wichtige Initiativen diskutieren, wie
beispielsweise in einem Bereich die Green-Card-Aktion,
dann kommen von Ihrer Seite, wie im NRW-Wahlkampf,
verantwortungslose polemische Sprüche statt inhaltlicher
Argumente, obwohl diese Maßnahmen ein wichtiger Beitrag sind, hier ein Stück weit gegenzusteuern und die
gröbsten Probleme zu beseitigen.
Das ist nur ein Baustein im Maßnahmenbündel. Darüber hinaus brauchen wir ein Sofortprogramm zur Weiterentwicklung der Informatikstudiengänge. Dieses ist
angepackt worden. Wir brauchen die Steigerung der Zahl
der Ausbildungsplätze in den IT-Berufen. Das ist mit der
Wirtschaft vereinbart worden. Wir brauchen die intensive
Förderung von Bildungssoftware. Dieses Projekt ist mit
sehr viel Geld auf den Weg gebracht worden.
Das alles sind Belege dafür, dass die Probleme, die wir
geerbt haben, von dieser Bundesregierung nicht nur erkannt worden sind, sondern auch ernst genommen und angepackt werden. Wir bitten um Ihre freundliche Unterstützung.
({7})
Die SPD-Fraktion begrüßt daher, Frau Ministerin, ausdrücklich die mit dem Regierungswechsel begonnene
Neuausrichtung der Forschungspolitik. Viele der in
Angriff genommenen Reformvorhaben und viele neue
Akzentuierungen in der Forschungs- und Förderpolitik
sind richtig. Die Internationalisierung von Lehre und Forschung, das Durchbrechen von Überreglementierung und
komplizierten Entscheidungsprozessen, die Verbesserung
des Wissenstransfers an der Schnittstelle von Wirtschaft
und Wissenschaft - Stichwort Info-Mining; da können wir
alle miteinander noch einiges tun -, die Entwicklung von
Leitprojekten und die klare Prioritätensetzung bei der
Leistungsförderung - all dies sind notwendige und richtige
Entscheidungen, die Sie, lieber Kollege Friedrich, eigentlich mit starkem Beifall begrüßen müssten. Sagen Sie deshalb an dieser Stelle ein klares Ja zur Programmsteuerung
und hören Sie auf, Verunsicherung zu säen. Geben Sie zu,
dass das, was die Bundesregierung hier angepackt hat, der
richtige Weg ist, statt mit Ihrer Lokalzeitung darüber zu
diskutieren.
({8})
Die Bundesregierung hat ihre Forschungs- und Förderpolitik an programmatischen Schwerpunkten ausgerichtet, auf die ich nicht im Detail eingehen möchte. Ich
möchte jedoch einige Schlüsselbereiche nennen, zunächst
die Informations- und Kommunikationstechnik. Ihr
kommt eine wesentliche Bedeutung zu. Wir müssen in
diesem Zukunftsbereich wieder Anschluss an die Spitze
gewinnen. Sie haben immer von der Wissens- und Informationsgesellschaft geredet. Wenn man von den Multimediagesetzen absieht - über die man auch diskutieren
kann, weil sie eine durchaus unterschiedliche Qualität haben -, haben Sie es versäumt, Ihre Sonntagsreden zur Informations- und Wissensgesellschaft politisch und forschungspolitisch zu begleiten.
({9})
Zu nennen ist an dieser Stelle die Förderung der Biotechnologie, mit der, gerade bei der Bekämpfung von
Krankheiten, wichtige Innovationsprozesse gefördert
werden. Wir hoffen, Frau Gesundheitsministerin, Ihnen
auf diesem Gebiet viele Ergebnisse vorweisen zu können,
damit Sie Ihren Etat schonen können und vor allem ein
Beitrag dazu geleistet wird, dass die Menschen weniger
häufig krank werden. Deshalb wollen wir die Lebenswissenschaften, die Gesundheitsförderung insgesamt mit Ihnen gemeinsam ausweiten. Bei allen politischen Diskussionen auf diesem Feld geht es um die Frage, wie wir mit
den Ergebnissen dieser Forschung für die Menschen eine
leistungsfähige und dabei wirtschaftliche Versorgung sicherstellen können. Auch das ist ein wichtiger Punkt.
Auf alle Punkte kann man nicht eingehen. Aber man
kann sagen: Der vorliegende umfängliche Bericht gibt
Antworten zu Forschungsprojekten von der Gesundheit
auf der Erde bis hin zur Raumfahrt. In all diesen Bereichen werden wichtige Initiativen ergriffen.
Die Ministerin verdoppelt die Mittel zur Förderung
der interdisziplinären Innovations- und Technikanalyse. Das ist ein Punkt, der von Ihnen immer kritisch gesehen worden ist; gelegentlich wurde sogar polemisiert,
wurden die Risiken in den Mittelpunkt gestellt und die
Chancen nicht gesehen. Wir müssen beides tun: Wir müssen Chancen und Risiken bewerten.
({10})
Als Stichwort sei hier der gesamte Bereich „Wissenschaft
im Dialog“ genannt. Wie notwendig dieser Dialog ist,
zeigte sich in den vergangenen Wochen beinahe täglich
beim Blick in die Zeitungen.
Der Bundesbericht Forschung listet umfassend die forschungspolitischen Aktivitäten und Ziele der Bundesregierung auf. Wir können feststellen, dass wir in einigen
Forschungsfeldern - trotz, nicht wegen Ihrer Politik - an
der Spitze stehen. Dazu gehören die Nanotechnologie, die
kombinatorische Chemie und die Entwicklungsbiologie,
um nur einige Felder zu nennen.
In den neuen Bundesländern, wo wir sicherlich noch
Sorgen haben - der Kollege Kasparick wird darauf noch
im Detail eingehen -, ist der Aufbau der wissenschaftlichtechnischen Infrastruktur immerhin weit vorangekommen.
Wenn wir im Übrigen gemeinsam beklagen, Frau
Flach, dass ein Nachwuchsmangel herrscht, dann müssen
wir uns wohl auch darüber unterhalten, dass 50 Prozent
der Menschheit, die Frauen, gerade in der naturwissenschaftlichen Forschung nicht anzutreffen sind und dass
uns dies von anderen Nationen unterscheidet. Mit gezielter Nachwuchsförderung gerade für junge Frauen
haben wir wichtige Schritte in diesem Bereich getan. Ich
weiß nicht, woher Sie Ihre Zahlen nehmen; denn nach
dem Bericht - Sie sollten ihn lesen und ihn nicht nur nach
Stichworten durchforsten - werden in die Nachwuchsförderung 1,2 Milliarden DM investiert. Das Noether-Programm stagniert nicht - auch diese Aussage ist unrichtig -, sondern es wird gemeinsam mit den Bundesländern
Stück für Stück aufgestockt.
({11})
Im Mittelpunkt steht vor allem die Förderung junger
Wissenschaftlerinnen. Darauf sind wir, wie ich sagen
möchte, ein Stück weit stolz.
Die letzten Tage und Wochen haben aber auch gezeigt,
meine Damen und Herren, dass Forschungspolitik nicht
eine Politik im abgeschotteten Elfenbeinturm ist. Ich
denke an das Thema BSE und an mögliche Folgen für
den Menschen. Übrigens sei Ihnen, Frau Böttcher, die
Seite 161 des Berichts zur Lektüre empfohlen. Natürlich
wird BSE in dem Bericht erwähnt; Sie sollten nicht nur
quer lesen.
({12})
Aber die Wissenschaft kann natürlich auch einen Beitrag dazu leisten - sie sollte dies jedoch nicht tun -, solche Probleme zu ignorieren. Wir sollten den Weizen von
der Spreu trennen, die gesellschaftlichen Probleme aufgreifen und zu wirksamen Lösungen jenseits von Lobbyinteressen kommen. Wir sollten die wissenschaftlichen
Erkenntnisse und die Notwendigkeit politischen Handelns miteinander verbinden. Das gilt für den internationalen Bereich, zu dem in einem Bericht festgestellt worden ist, dass die Ignoranzquote von Politik gegenüber
erkannten Problemen noch immer viel zu hoch sei; sie
habe sich aber wenigstens nicht verschlechtert.
Lieber Herr Merz, da ich Sie gerade sehe: Wenn ich an
den Begriff „Ignoranzquote“ denke, fallen Sie mir ein; ich
weiß nicht, warum. Was sollen denn Ihre wunderschönen
Aktionen an Tankstellen, die die Zusammenhänge zwischen Energieerzeugung, Energiepreisen und Umweltbelastung leugnen? Genau das ist es, was Sie bei der Ökosteuer tun: Sie zeigen eine Ignoranz gegenüber wissenschaftlichen Erkenntnissen.
({13})
Aus diesem Grunde setzen Sie sich mit Ihrem Aktionismus bei den Bürgerinnen und Bürgern nicht durch und
müssen Ihre Plakate zurücknehmen. Sie richten Schaden
an, ohne die Folgen zu bedenken.
Bleiben wir bei BSE: Es wäre sehr schön, wenn nach
Frau Stamm in Bayern auch Frau Staiblin endlich ginge.
Eine Landwirtschaftsministerin der CDU, die wissenschaftliche Erkenntnisse und daraus resultierende Gesetze
gering schätzt, ist in diesem Lande - auch in Baden-Württemberg - untragbar. Auch dort könnte ein Beitrag geleistet werden.
({14})
Im Übrigen ist Baden-Württemberg ein Land, das die
Ausgaben für Forschung ebenfalls gekürzt hat, und zwar
entgegen allen Auskünften, die Sie sonst geben. Das ist
nicht Geschwätz, sondern Sie sollten sich einfach einmal
mit den Zahlen - unter anderem des Technologierates der
Landesregierung Baden-Württemberg - beschäftigen. In
dem dortigen Bericht wird die Landesregierung wegen
der Kürzung der Forschungsausgaben kritisiert. Sie nehmen die Wirklichkeit nicht zur Kenntnis; das ist Ihr Problem, das Sie immer wieder haben und dessentwegen Sie
gelegentlich Plakate zurückziehen müssen.
({15})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben als
Politik auch die Aufgabe, ethische Grundlagen des Handelns klar zu formulieren. Ich denke, es darf keine Situation geben - um an eine Frage, die vorhin gestellt wurde,
anzuknüpfen -, in der sich die Wissenschaft unbeobachtet über die Gesellschaft verbindende Grundsätze erhebt
oder in der allein wirtschaftliches Tun die Ausrichtung
von Forschung bestimmt oder gar Ethik als Wert ersetzt.
Ich glaube, dies könnte eine Gemeinsamkeit sein, auf die
wir uns auch in diesem Hause verständigen könnten. Wirtschaftliches Handeln und ethische Grundsätze können
nicht einfach gleichgestellt werden. Selbstverständlich
sind die Grenzen fließend; dies ist klar. Ethische Grundlagen werden durch die Politik gesetzt, wie tagesaktuelle Beispiele zeigen. Denken wir an die Abtreibungsdebatte in den USA oder an das Klonen in Großbritannien.
Aber ich rede darüber - wenn ich auch auf diese Fragen jetzt nicht im Detail eingehe -, dass wir in diesen
Punkten einen zumindest mehrheitlichen Konsens zwischen Politik, Wissenschaft und Wirtschaft und einen
möglichst breiten Konsens innerhalb der gesamten Gesellschaft brauchen und ihn schnell erzielen müssen. Das
gilt natürlich auch für dieses Parlament.
Dabei dürfen übrigens Wissenschaft und Forschung
nicht in Unklarheit bleiben; ganz im Gegenteil, sie müssen in Klarheit darüber leben können, in welchem Kontext sie arbeiten. Ich wiederhole und spitze es zu: Dieser
mehrheitliche Kontext wird sich beispielsweise in der
Biotechnologie weder an dogmatischen Verkürzungen der
einen Seite noch an kritiklosem wirtschaftlichen Handeln
der anderen Seite orientieren dürfen. Weder sollten wir
dogmatische Verkürzungen zum Gegenstand unseres
praktischen Handelns in der Politik machen, noch sollten
wir Handeln kritiklos an wirtschaftlichen Vorgängen orientieren.
Herr Kollege Tauss,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Seifert?
Bitte schön, lieber Kollege Seifert.
Lieber Kollege, Sie haben bei
Ihren Bemerkungen hinsichtlich der dogmatischen Verkürzungen ein bisschen in meine Richtung geschaut. Ich
glaube, das war reiner Zufall.
Eine Frage gestatten Sie mir bitte: Ist es nicht so, dass,
selbst wenn die Mehrheit, wie Sie sagen, ethische
Grundsätze sehr achtet und nur ganz wenige das nicht tun,
diese wenigen irreversible Schäden anrichten können, sodass die gesamte Menschheit mit den Folgen leben muss,
wenn zum Beispiel in der Biotechnologie oder in der
medizinischen Genforschung Dinge in die Welt gesetzt
werden, die wir nie wieder loswerden können? Das
Problem dabei ist doch, dass wir mögliche Forschungsergebnisse nicht zurücknehmen können.
Kollege Seifert, das ist genau das
Problem, über das ich sprach. Im Übrigen, wenn Sie sich
den Schuh des Dogmatikers anziehen wollen, dann will
ich Sie daran nicht hindern. Ich meinte damit aber durchaus auch andere: zum Beispiel bestimmte Zirkel von DogJörg Tauss
matikern wie etwa Opus Dei, Fundamentalisten einer
ganz anderen Seite. Möglicherweise gibt es solche Fundamentalisten auch in Vorstandsetagen einiger Unternehmen.
Unsere Rahmenbedingungen - das war meine Aussage - benötigen im Interesse der Wirtschaft und der Forschung eine möglichst breite gesellschaftliche Akzeptanz,
die nur im Diskurs und im Abwägen des Für und Wider
gewonnen werden kann. Wir haben eine Debatte über die
Notwendigkeit und die Chancen der Biotechnologie und
über deren mögliche Grenzen eingefordert. Dabei ist die
Tatsache zu beachten, dass diese gesellschaftspolitisch
wichtige Debatte über tradierte Ressortabgrenzungen hinaus geführt wird. Für diese Debatte und die Art und
Weise, wie sie geführt wird, tragen gerade wir als Forschungspolitikerinnen und Forschungspolitiker in diesem
Hause eine große Verantwortung. Wir sollten diese Verantwortung wahrnehmen.
({0})
Das war meine Antwort auf Ihre Frage. Ich würde mich
freuen, wenn Sie mit eigenen Antworten dazu beitragen
würden, diese Probleme zu lösen.
Ich stelle zusammenfassend fest: Die Politik hat zuvörderst mit der Wissenschaft - dies betrifft auch die Wissenschaft selbst - die Aufgabe, die ethischen Grundlagen
ihres Tuns zu definieren. Sie hat die Aufgabe - auch das
ist ganz klar -, die Forschung in den Dienst der Menschen
zu stellen und nicht allein in ihren Dienst. Nur so bildet
sie eine Grundlage für ein nachhaltiges wirtschaftliches
Wachstum, für eine gesamtgesellschaftliche Entwicklung
und letztlich auch für kulturelle Vielfalt.
Ich sehe gerade Herrn Staatsminister Nida-Rümelin.
Ich gratuliere ihm recht herzlich zu seinem neuen Amt.
({1})
Wir haben in diesen Fragen schon einen sehr interessanten Dialog begonnen.
({2})
- Sie sollten sie einmal nachlesen. Dann wüssten Sie, was
gesagt worden ist.
Für die gesamtgesellschaftliche Entwicklung trägt
letztlich auch die Kultur Mitverantwortung. Wir müssen
eine kulturelle Vielfalt schaffen. Kultur und Wissenschaft sind keine getrennten und einander unzugänglichen Welten. Wissenschaft ohne Kultur wäre im Übrigen
folgenlos. Deshalb meine Bitte: Sie sollten die Politik, die
wir betreiben und die im Forschungsbericht 2000 klar
zum Ausdruck kommt, unterstützen.
Herr Kollege Friedrich, Sie sollten aufhören, sich mit
fremden Federn zu schmücken. Sie sprachen von Schubladen. Dazu kann ich Ihnen nur sagen: Beispielsweise bei
dem Programm Inno-Regio, das Sie angesprochen haben,
war die Schublade so leer, dass nicht einmal Staub darin
war, den wir hätten aufwirbeln können.
Hier muss Folgendes klargestellt werden: Sie haben
Versäumnisse zu verantworten. Nicht alles, was Sie getan
haben, war schlecht. Aber, wie wir es schon im Wahlkampf gesagt haben, wir bemühen uns, das, was Sie
schlecht gemacht haben, besser zu machen. Dass dies geschieht, zeigt die Entwicklung im ganzen Land. Dies gilt
bis hin zu den Auslandsinvestitionen, die sich aufgrund
unserer Steuerreform, die Sie noch immer mit Argumenten bekämpfen, die nicht nachvollziehbar sind, in kürzester Zeit vervierfacht haben. Genauso werden wir das
auch im Bereich der Wissenschafts- und der Forschungspolitik tun. Sie versuchen, Staub aufzuwirbeln, und zwar
auch dort, wo Sie in den Schubladen nichts hinterlassen
haben.
Aus diesem Grunde kann ich nur sagen, Sie werden
ähnlich wie bei der Ökosteuer und bei sonstigen Mätzchen, die Sie machen - mit Plakaten, egal welcher Art -,
weder bei der Bevölkerung noch bei der Wissenschaft
noch in der Forschungslandschaft Zuspruch finden. Sie
werden die Menschen im Lande nicht überzeugen, Sie
werden mit diesem destruktiven Oppositionskurs nichts
bewirken. Wir werden so, wie der Weg eingeschlagen
worden ist, Frau Ministerin, fortschreiten und es wird wie
auch in den anderen Bereichen ein erfolgreicher Weg sein.
Ich bedanke mich.
({3})
Ich erteile dem Kollegen Joachim Schmidt, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir diskutieren
heute nicht nur über den Bericht, sondern auch über die Situation der Forschung 2000 in Deutschland. Dabei muss
die Erhöhung der Effektivität eine wichtige Rolle spielen.
Dieses unstrittige Ziel versucht die Bundesregierung unter anderem durch Strukturveränderungen in der Forschungslandschaft, zum Beispiel Fusionen - davon war
heute schon die Rede -, zu erreichen. Mit gleichem Instrumentarium hat seinerzeit auch die DDR versucht, den
Wirkungsgrad ihrer Forschung zu erhöhen. Das Ergebnis
war, dass das Ziel klar verfehlt wurde.
({0})
Im Lichte meiner eigenen langjährigen beruflichen Tätigkeit in der DDR-Forschung habe ich hier nur eher leidvolle Erfahrungen in Erinnerung.
({1})
Wenn man die Effizienz der Forschung wirklich steigern will, dann müssen zum einen Denkweise und Denkmuster derer, die aktiv Forschung betreiben, und zum anderen deren Interessen Gegenstand der Überlegungen
sein.
({2})
Dabei ist davon auszugehen, dass die verantwortungsbewusst und kompetent arbeitenden Wissenschaftler - das
ist die übergroße Mehrheit in unserem Land - sich auf
ihren Gebieten am besten auskennen und auch Risiken
und Chancen am klarsten beurteilen können. Aus der
Wissenschaft müssen nachvollziehbare Informationen
und Botschaften an die Politik gerichtet werden, um daraus sinnvolle politische Entscheidungen abzuleiten.
Strukturelle Überlegungen sind dabei absolut nebensächlich.
({3})
Im Hinblick auf die Interessenlage sind vor allem Anreize und Wettbewerb notwendig. Leistung und Erfolg
müssen sich lohnen. Das war in der DDR leider nicht der
Fall. Deshalb muss das Dienstrecht - da sind wir uns alle
einig - unbedingt auf den Prüfstand. Aber dazu müssen
nun auch bald einmal Vorschläge gemacht werden.
Hinsichtlich des Stellenwertes der Strukturveränderungen möchte ich nur vor einem warnen: Man sollte nicht
Fehler wiederholen, die andere gemacht haben, und man
sollte diesbezügliche Erfahrungen ernst nehmen. Deshalb: Stellen Sie die Überlegungen zu Strukturveränderungen zurück! Sie werden nicht viel bringen. Sie erzeugen damit nur Unruhe, keine schöpferische, sondern eine
aufgeregte, und die ist für die Forschung vom Grundsatz
her eher kontraproduktiv.
({4})
Verstärken Sie dafür die Kommunikation mit den Forschern. Ich meine jetzt nicht so sehr die Forschungsmanager,
die die Kommandohöhen in den Forschungsgesellschaften
und -verbänden besetzen, sondern die, die aktiv an der Front
der Erkenntnis arbeiten. Von ihnen hängen die Fortschritte
in unserer Forschung in entscheidender Weise ab. Ihre
Probleme und Lösungsansätze müssen bevorzugt in die
praktische Politik einfließen. Lassen Sie sich das von jemandem sagen, der selbst viele Jahre Forschung betrieben
hat. Man kann inhaltliche Probleme nicht mit formalen Instrumenten lösen. Ich wäre froh, wenn Sie das berücksichtigten.
({5})
Meine Damen und Herren, ich wechsele das Thema.
Wenn wir heute über die Forschung 2000 diskutieren,
dann ist es im Rahmen dieses Themas nicht nur sinnvoll,
sondern unbedingt notwendig, auch eine kritisch-konstruktive Bilanz der Forschung in den neuen Bundesländern zu ziehen. Ich will dies im Folgenden versuchen.
Wir sind in der Forschung wie auch auf anderen Gebieten im Osten gut vorangekommen, sicherlich weiter als
auf halbem Wege, aber noch lange nicht am Ziel. Die ostdeutsche Forschungslandschaft ist kein Steinbruch,
auch kein Kahlschlag, sie steht auch nicht auf der Kippe.
Aber es gibt nach wie vor ernsthafte Probleme, die gelöst
werden müssen. Die ostdeutschen Forschungseinrichtungen haben sich in der nationalen und internationalen Forschungslandschaft einen festen und respektablen
Platz erarbeitet. Dabei ist festzustellen, dass sich seit zehn
Jahren Bund und Länder sehr engagiert um diese Forschungseinrichtungen bemüht haben. Seit 1991 wurden
im Einzelplan des BMBF jährlich circa 3 Milliarden DM
für die ostdeutsche Forschung und Entwicklung bereitgestellt. Viele spezielle Förderprogramme, die im Großen
und Ganzen zielführend waren und auch dankbar angenommen wurden, haben entscheidend zum Aufschwung
von Forschung und Entwicklung im Osten beigetragen.
Die positive Bilanz betrifft vor allem die außeruniversitäre und die Hochschulforschung. Beide können
im Wesentlichen als konsolidiert angesehen werden. Dies
hat sich nicht zuletzt darin gezeigt, dass bei der Evaluierung der Institute der Wissenschaftsgemeinschaft
Leibniz die ostdeutschen Institute ganz besonders gut abgeschnitten haben. Das ist um so erfreulicher, als die ehemaligen Blaue-Liste-Institute eine herausragende Rolle in
der ostdeutschen Forschungslandschaft spielen. Die
außeruniversitäre und die Hochschulforschung der neuen
Bundesländer haben nationale und internationale Reputation gewonnen. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass sie sich durch überdurchschnittlich hohe
Drittmittelaktivitäten auszeichnen.
Weitaus kritischer ist die Situation in der wirtschaftsnahen Forschung, das heißt in der Industrieforschung,
einzuschätzen. Dies gilt nicht - das will ich ausdrücklich
betonen - für das intellektuelle und fachliche Niveau,
wohl aber für Kapazität und wirtschaftliche Lage. 1990
umfasste die Industrieforschung circa 85 000 Beschäftigte, 1993 waren in ihr noch 15 000 Mitarbeiter beschäftigt, deren Zahl bis 1998 auf 21 000 anstieg. Seitdem
stagniert die Entwicklung. Die Industrieforschungskapazitäten in den neuen Bundesländern entsprechen zurzeit
etwa 6 Prozent der in den alten Ländern. Um proportionale Verhältnisse zu erhalten, müssten diese Kapazitäten
also um das Dreifache erhöht werden.
Die Industrieforschung war in besonderem Maße - das
muss man wissen - vom totalen Umbruch des Wirtschaftssystems betroffen. Im Ergebnis dieser Umwandlung ist im Osten eine Wirtschaftslandschaft entstanden,
die vor allem durch kleine und mittelständische Betriebe
geprägt ist, die eigene Forschungskapazitäten meist nicht
betreiben können. Auch darin liegt eine Ursache dafür,
dass die Kapazitäten der Industrieforschung bei uns so gering sind. Die Feststellung, dass die Industrieforschung
sich auf niedrigem Niveau stabilisiert hat, trifft zwar zu,
aber seit zwei Jahren sind kapazitätsmäßige Fortschritte
nicht mehr zu beobachten.
Umso unverständlicher und inakzeptabler ist es, dass
die derzeitige Bundesregierung in den letzten zwei Jahren
die für die ostdeutsche Industrieforschung eingesetzten
Mittel drastisch gekürzt hat.
({6})
Waren 1998 dafür im Einzelplan 09 des Wirtschaftsministeriums noch 300 Millionen DM eingestellt, sind es
im Haushaltsjahr 2001 nur noch 240 Millionen DM, für
die zusätzlich noch eine globale Minderausgabe von
5 Prozent gilt,
({7})
Dr.-Ing. Joachim Schmidt ({8})
sodass de facto nur 228 Millionen DM zur Verfügung stehen.
Nach Informationen des Verbandes innovativer Unternehmen werden bei einer derartigen Entwicklung in diesem Jahr 2 000 Arbeitsstellen in der ostdeutschen Industrieforschung direkt gefährdet sein. Ein solches Vorgehen
ist deshalb nicht zu verantworten.
({9})
Schließlich gelten nach wie vor die Zahlen - sie sind
nicht korrigiert - der mittelfristigen Finanzplanung des
Bundesfinanzministeriums für die ostdeutsche Industrieforschung. Danach soll die Förderung bis zum Jahr 2003
auf 50 Millionen DM reduziert werden. Dies würde bedeuten, dass die gesamte externe Industrieforschung in ihrer Existenz gefährdet würde. Das darf nicht geschehen.
({10})
Die Absichtserklärung der Bundesregierung, die ostdeutsche Industrieforschung zukünftig - ich zitiere „weiterhin auf hohem Niveau zu fördern“, ist angesichts
dieser Tatsache wenig glaubwürdig. Wunsch und Tat klaffen weit auseinander.
({11})
Es sei hinzugefügt, dass die ständigen Haushaltssperren in
den Jahren 1999 und 2000 für die Ostprogramme des
BMWi dazu geführt haben, dass diese Programme teilweise außer Tritt geraten sind und Anträge für neue Projekte nicht mehr gestellt werden konnten.
Auf diese Weise erzielt man jedenfalls eines nicht: unbedingte Planungssicherheit für die Forschung, und unter
der Rubrik „aktiver Einsatz für den Osten“ kann man dies
wohl auch nicht verbuchen.
({12})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich jetzt im
Blick nach vorn auf einige Probleme der ostdeutschen
Forschung eingehen, die aktuell zur Debatte stehen und
die zum Teil echte Sorgen auslösen.
Erstens. Wir sollten alles unternehmen, damit in unserem Land generell, in Ostdeutschland im Besonderen, ein
Klima der Technikfreundlichkeit erhalten bleibt.
Dies schließt ein, dass im öffentlichen Bewusstsein die
Chancen eine mindestens so große Rolle spielen müssen
wie die Risiken, die von Wissenschaft und Technik ausgehen. Wissenschaft und Technik sollten im Grundsatz eher
positive Emotionen auslösen und weniger Ängste.
({13})
Schulen und Medien können hierbei eine sehr hilfreiche Rolle spielen. Ihnen kommt in dieser Hinsicht eine besondere Verantwortung zu,
({14})
den Schulen vor allen Dingen auch deshalb, weil aus ihnen der Nachwuchs für unsere Forschungslandschaft
kommen muss. Denn unser derzeit größtes Defizit in den
neuen Bundesländern besteht vor allem darin, dass die
Forschungslandschaft überaltert ist. Nachwuchs zu gewinnen und im Land zu halten, dies ist eine der gegenwärtigen Kernaufgaben.
Es besteht kein Zweifel darüber, dass hierbei vor allem
auch materielle Randbedingungen eine entscheidende
Rolle spielen, wobei im Hinblick auf die reale Finanzkraft
der neuen Bundesländer leider eindeutige Grenzen gezogen sind. Aber der Anreiz für junge begabte Wissenschaftler, für die Forschung zu arbeiten, umfasst nicht nur
das dabei zu verdienende Geld - das steht außer Frage -,
sondern in nicht zu unterschätzender Weise auch die speziellen Arbeitsbedingungen, das heißt die intellektuellen
und fachlichen Freiräume in den jeweiligen Forschungseinrichtungen. In dieser Hinsicht bieten sich überall große
und immaterielle Möglichkeiten, weil die Ausrüstungen
in unseren Forschungsinstituten mittlerweile durchgängig
gut sind. Ich bin nicht sicher, ob überall davon Gebrauch
gemacht wird und ob dies vor allen Dingen auch überall
nachvollziehbar propagiert wird. Wer Interesse, ja wer
Passion für die Forschung hat, wird derartige Konditionen
für seine Arbeitsplatzwahl jedenfalls nicht gering schätzen.
Zweitens. Wichtigstes wirtschafts- und forschungspolitisches Gebot ist die erhebliche Verstärkung der Kooperation zwischen den kleinen und mittelständischen Betrieben, die sich keine eigenen Forschungskapazitäten
leisten können, und der aus außeruniversitärer, Hochschul- und externer Industrieforschung bestehenden Forschungslandschaft. Diese Forschungslandschaft muss
zukünftig weit mehr zur Wertschöpfung in den neuen
Bundesländern beitragen als bisher.
({15})
Zu diesem Zwecke ist es auch erforderlich, dass in den
kleinen und mittelständischen Betrieben mehr Personal
angesiedelt wird, das für die Kooperation mit diesen
Forschungseinrichtungen verfügbar und entsprechend
kompetent ist. Dies gilt sowohl für die Erarbeitung von
Aufgabenstellungen als auch für die Umsetzung der erreichten Forschungsergebnisse in den eigenen Unternehmen.
Ich schlage vor, zukünftig bei der Evaluierung ostdeutscher Forschungseinrichtungen auch in besonderem
Maße die Anstrengungen zu bewerten, die diese Forschungseinrichtungen unternehmen, um zur Wertschöpfung im Osten einen größeren Beitrag zu leisten.
({16})
- Man muss sich im Osten auskennen, Herr Tauss. - Dies
gilt insbesondere für Forschungseinrichtungen, die sich
vor allem mit angewandter Forschung befassen, und dies
gilt selbstverständlich für alle Hochschulen. Nach meiner
festen Überzeugung liegen in der Verstärkung und Qualifizierung dieser Kooperation auf jeden Fall außerordentlich hohe Reserven für den Aufschwung im Osten.
({17})
Dr.-Ing. Joachim Schmidt ({18})
Drittens. Die verstärkte Gründung technologieorientierter Unternehmen, hier insbesondere auch in Form
von Ausgründungen aus Forschungsinstituten und Hochschulen, bleibt auf Sicht eine herausragende förderwürdige Aufgabe.
Schließlich viertens. Für die überschaubare Zukunft
bedarf die Forschung, insbesondere die wirtschaftsnahe
Forschung, im Osten weiter einer angemessenen und wirkungsvollen finanziellen Unterstützung. Ich wiederhole
deshalb, dass die beabsichtigten Kürzungen der BMWiProgramme für die neuen Bundesländer in keiner Weise
akzeptabel sind.
({19})
Es gibt keinen einzigen vernünftigen, auch keinen ordnungspolitischen Grund für eine wie geplant rabiate Degression der Forschungsförderung. Ich halte es deshalb
für absolut erforderlich, im Einzelplan 09 für die nächsten
fünf Jahre mindestens 300 Millionen DM, wie im Haushalt 1998, für das FuE-Sonderprogramm für die neuen
Bundesländer vorzusehen. Für die Zukunft sollte sichergestellt werden, dass die der ostdeutschen Forschung gewidmeten Programme nicht durch Haushaltssperren - ich
habe gerade darüber gesprochen - in ihrer Wirkung empfindlich gestört werden.
Insgesamt ist zu konstatieren, dass die temporär angelegte Förderung der ostdeutschen Forschung, der Industrieforschung in besonderer Weise, nach derzeitiger Erkenntnis über das Jahr 2005 hinausgehen muss, um das
gestellte wirtschaftspolitische Ziel einer weitgehenden
Angleichung des Niveaus von Produktivität, Exportkraft
und Beschäftigung an das des früheren Bundesgebietes zu
erreichen.
Im Abstand von circa vier Jahren sollte deshalb eine
weitere Evaluierung der Wirkung des FuE-Sonderprogramms vorgenommen werden.
Für 2004 auslaufende Programmteile, wie zum Beispiel das Programm „Personalförderung Ost“, mit dem
die Verstärkung der Personalbasis für Forschung und Entwicklung in den ostdeutschen kleinen und mittelständischen Unternehmen bisher wirkungsvoll gefördert
wird, sollte ein sinnvolles, praktikables Forschungsfortsetzungsprogramm entwickelt werden. Die AiF hat dafür
kürzlich einen sehr interessanten Vorschlag gemacht, der
erfreulicherweise auch steuerliche Anreize vorsieht - in
der Forschung wäre das einmal etwas Neues -, wobei
dieses Programm nach 2004 bundesweit eingeführt werden sollte.
Meine Damen und Herren, ich fasse alles Gesagte in einem Satz zusammen,
({20})
den ich in diesem Hause - wie ein Ceterum censeo - nicht
zum ersten Male ausspreche: Das Wohl und Wehe der ostdeutschen Forschungslandschaft bleibt auf Sicht eine zentrale Aufgabe deutscher Forschungspolitik, zu der sich die
CDU/CSU-Fraktion ohne Wenn und Aber bekennt, heute
und auch morgen.
({21})
Ich erteile dem Kollegen Ulrich Kasparick, SPD-Fraktion, das Wort.
Verehrter Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu Beginn dieser kurzen Rede einen herzlichen Dank an die Bundesforschungsministerin! Sie war jetzt gerade in den Vereinigten Staaten und hat sehr engagiert dafür gekämpft,
Spitzenforscher nach Deutschland zurückzuholen.
({0})
Das nur als Antwort auf Ihre Randbemerkung, Frau Flach,
die Regierung tue nichts. Sie tut aktiv etwas dafür, dass
Spitzenforscher zurückkommen.
Meine zweite Bemerkung geht an Herrn Friedrich. Sie
betrifft die Schubfächer, die Sie vorhin angesprochen haben. Sie haben das Gerücht verbreitet, das Inno-RegioKonzept habe im Schubfach von Herrn Rüttgers gelegen.
({1})
Als historisch-kritischer Exeget darf ich Ihnen mitteilen:
Dies ist ein Gerücht. Die Idee zu Inno-Regio entstammt
dem Managerkreis der Friedrich-Ebert-Stiftung - so viel
Ehre muss ich meinen früheren Kollegen doch erweisen und nicht aus dem Schubfach von Herrn Rüttgers. Ich
finde es gut, dass diese Regierung diese Idee sofort aufgegriffen und schnell und konsequent umgesetzt hat, insbesondere zum Vorteil von Ostdeutschland. Ich sage dazu
gleich noch mehr.
({2})
Drittens. Herr Friedrich, Sie haben gefragt, wie sich die
Forschungspolitik in die gesamten politischen Entscheidungen dieser Regierung einordne. Ich mache Sie nur auf
eine Zahl aufmerksam, die man heute der „Berliner Zeitung“ entnehmen kann: Die Auslandsinvestitionen sind
vom Jahr 1999 auf das Jahr 2000 um das Vierfache gestiegen.
({3})
- Das ist das Ergebnis der Steuerreform; da haben Sie sehr
Recht.
({4})
Unverdächtige Zeugen wie Hilmar Kopper, den Sie von
bestimmten Bemerkungen her kennen, sagen: Endlich
kommt wieder Auslandskapital nach Deutschland. Ich bin
mir sicher, dass dieses Geld sich auch in der Forschungslandschaft bemerkbar machen wird.
({5})
Jetzt zu den einzelnen Punkten.
Ich will etwas zu Inno-Regio sagen. Eben ist von dem
Kollegen aus Sachsen gesagt worden, die Industrieforschungsmittel seien degressiv. Ich sage Ihnen eines: Ich
Dr.-Ing. Joachim Schmidt ({6})
war bei der Tagung der AiF dabei. Ich finde es im Übrigen gut, dass die AiF jetzt berechtigt werden soll, europäische Fördermittel zu beantragen. Das ist eine ganz wichtige Innovation.
({7})
Ich finde den Mut dieser Regierung richtig und wichtig,
die sagt: Wir wollen nicht nur in bisherigen Strukturen
weiter fördern, sondern wir wollen strukturelle Innovation.
({8})
Mit Inno-Regio belohnt diese Regierung Kooperationen.
Genau das, was der Kollege Schmidt eben eingefordert
hat, tun wir. Sie haben das nicht hinbekommen.
({9})
Ich selber komme aus einem Wahlkreis, der neben einem sächsischen Projekt den Hauptpreis in der Endphase
von Inno-Regio bekommen hat. 40 Millionen DM kommen zu uns in die Region.
({10})
Wenn Sie mit Vertretern der Institute in Gatersleben und
der angrenzenden Institute, die da jetzt mitmachen, sprechen, dann stellen Sie fest, dass es eine große Bereitschaft
zu dieser Kooperation gibt. Die Regierung hilft dabei,
dass wir mit diesen Kooperationen vorankommen. Das
haben Sie leider Gottes nicht erreicht. Wir tun es.
({11})
Ich bin dieser Regierung ausgesprochen dankbar dafür,
dass wir bei der BAföG-Reform jetzt eine Gleichstellung
von Ost und West erreicht haben. Das ist ein ganz wichtiger Punkt, weil jetzt ein Klima des Selbstbewusstseins
entsteht. Die Studenten können sagen: Wir als junge, an
Wissenschaft interessierte Menschen studieren mit gleichem Förderungssystem.
Wichtig ist: Wenn man sich die ostdeutsche Landschaft
anguckt und mit den Menschen spricht - ich bin in den
letzten zwei Jahren in 145 Instituten gewesen, von Greifswald bis Ilmenau, und habe mit über 500 Wissenschaftlern gesprochen -, dann merkt man, dass in den Instituten
sehr wohl verstanden wird, dass diese Bundesregierung
für Forschung mehr als in der Vergangenheit tun wird. Die
Institute haben sehr fein registriert, dass die Haushalte im
Budget um 10 Prozent wachsen. 10 Prozent geben wir
mehr in die Forschung als Sie.
({12})
Das ist ein Klima, von dem Sie, wenn Sie mit den Institutsleuten reden - ich habe mit über 500 von ihnen gesprochen -, zu hören bekommen. Es ist eine Aufbruchstimmung da, die wir fördern wollen; denn sie ist für
Ostdeutschland besonders wichtig. Dabei muss berücksichtigt werden: Wir haben noch keine Chancengleichheit. Das betrifft die Bezahlung, BAT-Vergütung, die wir
angesprochen haben. Die Richtung, dass wir sagen, der
Schwerpunkt der Wirtschaftsförderung muss über die
Förderung der Wissenschaft gehen, ist insbesondere für
Ostdeutschland richtig.
Für Ostdeutschland - das ist eine Bilanz, die ich nach
zwei Jahren intensiver Besuchsarbeit an den Instituten
ziehe -, für den Aufbau Ost muss die nächste wichtige
Phase heißen: Wer die Wirtschaft fördern will, der muss
die Forschung fördern. Genau dafür sind Konzepte wie
Inno-Regio und auch die Nachfolgeprojekte die geeigneten Instrumente. McKinsey hat im europaweiten Vergleich der interessanten Forschungscluster gezeigt, dass
Berlin-Adlershof und Dresden auf Platz 13 und Platz 15
mit zu diesen Clustern gehören. Die Richtung, Wirtschaft
über Forschungsförderung zu entwickeln, ist richtig.
({13})
Ich sage Ihnen zum Schluss aber noch eines: Das ist
keine Frage des Parteibuches. Sie haben heute am Anfang
Ihrer Rede darzustellen versucht, dass die CDU-regierten
Länder das günstiger machten. Ich komme aus einem
Bundesland, in dem eine CDU-Regierung - die erste Regierung, die dieses Land hatte - den Leuten im Lande gesagt hat: Statt Institute zu gründen und auf Wissenschaft
zu setzen, solltet ihr große kommunale Kläranlagen
bauen. Das Ergebnis ist, dass wir das heute immer noch
hinter uns herziehen müssen. Wir müssen jetzt sehen, dass
die Gründerjahre für neue Institute weitgehend vorüber
sind. Da ist sehr viel verschlafen worden. Deswegen sage
ich Ihnen: Es hängt an Personen und nicht an Parteibüchern. Ich bin mir ganz sicher, dass diese Angelegenheit sowohl bei der Bundesbildungsministerin als
auch bei ihrem Staatssekretär Catenhusen, der sich
während der Evaluierungsphase und der Umstrukturierungsphase um die ostdeutschen Institute sehr verdient
gemacht hat, in sehr guten Händen ist.
Herzlichen Dank.
({14})
Ich schließe da-
mit die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/4229 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Einverstanden? - Das
ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich möchte Sie darauf hinweisen, dass wir die Sitzung
gegen 13 Uhr für circa eine halbe Stunde wegen einer
Fraktionssitzung der SPD unterbrechen.
Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 4 a bis 4 g auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Kurt-Dieter Grill, Gunnar Uldall, Dr. Klaus
W. Lippold ({1}), weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der CDU/CSU
Energiepolitik für Deutschland - Konsequen-
zen aus dem Energiedialog 2000
- Drucksachen 14/3507, 14/4338 -
Berichterstattung
Abgeordneter Kurt-Dieter Grill
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit ({2}) zu dem Antrag
der Abgeordneten Dr. Christian Ruck, Dr. Klaus W.
Lippold ({3}), Dr. Paul Laufs und der Fraktion der CDU/CSU
Energieeinsparung durch Minderung des Stromverbrauchs von Elektrogeräten im Leerlaufmodus ({4})
- Drucksachen 14/2348, 14/3328 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Marion Caspers-Merk
Michaele Hustedt
Birgit Homburger
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({5}) zu der Unterrichtung durch
das Europäische Parlament
Entschließung des Europäischen Parlaments zu
Elektrizität aus erneuerbaren Energieträgern
und zum Elektrizitätsbinnenmarkt
({6}) ({7})
- Drucksachen 14/3428 Nr. 1.9, 14/4339 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Kurt-Dieter Grill
d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({8}) zu dem Antrag der Abgeordneten Walter Hirche, Rainer Brüderle, Ernst
Burgbacher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Zukunftsfähige Energiepolitik für den Standort
Deutschland
- Drucksachen 14/2364, 14/2946 Berichterstattung:
Abgeordneter Volker Jung ({9})
e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit ({10}) zu dem Antrag
der Abgeordneten Kurt-Dieter Grill, Gunnar Uldall,
Dr. Klaus W. Lippold ({11}), Dietrich
Austermann und der Fraktion der CDU/CSU
Energiepolitik für das 21. Jahrhundert - Ein-
stieg in ein nachhaltiges, klimaverträgliches
Energiekonzept statt Ausstieg aus der Kern-
energie
- Drucksachen 14/543, 14/3229 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Horst Kubatschka
Kurt-Dieter Grill
Birgit Homburger
f) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({12}) zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Walter Hirche, Ulrike
Flach, Birgit Homburger, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der F.D.P. zu dem Entwurf eines
Gesetzes zur Förderung der Stromerzeugung aus
erneuerbaren Energien ({13}) sowie zur Änderung des Mine-
ralölsteuergesetzes
- Drucksachen 14/2341, 14/2778, 14/3343
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Hermann Scheer
g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike
Flach, Birgit Homburger, Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Solarbericht
- Drucksache 14/1234 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({14})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. - Kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der
Abgeordnete Michael Müller.
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Für die energiepolitische Debatte, die wir heute führen, gibt es drei zentrale Ausgangspunkte. Diese drei Punkte stehen in einem engen
Zusammenhang. Der erste, der vielleicht wichtigste,
- diese Woche noch einmal in unser Bewusstsein gerückte -, ist die Frage der Klimabelastung durch unser
Energiesystem. Wir haben die unmissverständlichen Signale von Schanghai auf der dritten Konferenz des IPCC
gehört: Die Erde wird sehr viel schneller erwärmt, als man
bisher angenommen hat. Dies ist ein Alarmsignal, das
nicht folgenlos bleiben darf. Es macht umso deutlicher,
wie groß unser Handlungsdruck ist.
Das IPCC kommt zu dem Ergebnis, dass die Erwärmung bis zum Ende dieses Jahrhunderts aller Wahrscheinlichkeit nach bei mindestens 2,5 Grad Celsius liegt,
aber nicht ausgeschlossen werden kann, dass sie um bis zu
5,8 Grad Celsius ansteigt. Dies ist eine fast unvorstellbare
dramatische Entwicklung. Man muss sich nur vor Augen
halten, dass die Klimawissenschaft die ErwärmungsoberVizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
grenze bei 1,5 Grad pro Jahrhundert - also das Äußerste,
was vertretbar ist - ansetzt. Das ist eine alarmierende Entwicklung, die uns in den Industriestaaten zutiefst herausfordert, da überwiegend wir für den hohen Energieverbrauch verantwortlich sind.
Schauen wir uns die Fakten an: Der Kohlendioxidgehalt in der Atmosphäre ist der entscheidende Indikator für
unser Klimasystem. Er ist seit dem Beginn des industriellen Zeitalters um ungefähr ein Drittel angestiegen. Das
heißt, er liegt heute bei ungefähr 370 Teilen auf 1 Million
Teile. Dies ist ein eindeutiges Zeichen, dass sich die chemische Zusammensetzung und damit das ganze dynamische System unserer Atmosphäre verändert. Damit bauen
wir eine ungeheure Hypothek für künftige Generationen
auf, die wir nicht verantworten können.
({0})
Um es anders zu sagen: Wir würden, wenn dieser Trend
anhält, bis zum Ende dieses Jahrhunderts, also in einem
Zeitraum von weniger als 300 Jahren, das Klima in einem
Umfang verändern, für den natürliche Prozesse mehr als
10 000 Jahre gebraucht haben. Das kann das Ökosystem
nicht verkraften. Wir müssen dies vor allem vor dem Hintergrund des großen Nachholbedarfs bei der Industrialisierung und des Bevölkerungswachstums in anderen Regionen der Erde sehen. Mit anderen Worten: Wir haben
heute schon die Grenze der Belastbarkeit der Erde erreicht.
Hält der heutige Trend aber an, wird sich der Energieund Ressourcenumsatz in etwa 50 Jahren verdreißigfacht
haben. Dies ist nicht machbar. Es ist unsere Pflicht, heute
zu handeln, denn in der Zukunft werden wir dafür immer
weniger Handlungsspielraum haben. Deshalb haben wir
die energiepolitische Wende eingeleitet.
({1})
Diese Wende ist keine Willkür, sondern ein Gebot von
Vernunft und Aufklärung.
Der erste wichtige Punkt für uns ist also, wegzukommen von einer Energiepolitik, die ihr zentrales Ziel in der
Sicherung hoher Kapazitäten und billiger Preise sieht. Die
Sicherung von Kapazitäten und von günstigen Preisen
sind weiter wichtige Gesichtspunkte, aber das zentrale
Ziel muss lauten, mit so wenig Energie wie möglich überhaupt auszukommen - darin besteht die Kehrtwende und gleichzeitig die Brücke ins solare Zeitalter zu bauen.
Es handelt sich also um eine Doppelstrategie: Effizienzrevolution und Solarwirtschaft.
({2})
Es geht uns nicht, um es klar zu sagen, um einen Austausch von Energieträgern. Es geht nicht darum, einen
Energieträger jetzt durch einen anderen zu ersetzen. Es
geht um eine Veränderung der gesamten Struktur der
Energieversorgung, nämlich um eine ständige Verringerung des Energiebedarfs. Die energiepolitische Losung
der Zukunft muss lauten, mit so wenig Energie wie möglich auszukommen. Das Einsparkraftwerk ist das Kraftwerk der Zukunft.
({3})
Die Bundesregierung - die alte wie die neue, Herr
Lippold - hat sich das ehrgeizige Ziel von minus 25 Prozent beim Kohlendioxidausstoß gesetzt. Sie wissen noch
aus der damaligen Enquete-Kommission, dass wir uns sogar noch weiter gehende Ziele haben vorstellen können.
Wir wissen aber auch, dass schon das 25-Prozent-Ziel ein
sehr ehrgeiziges Ziel ist. Die Situation nach dem letzten
Jahr stellt sich wie folgt dar: Bei einem Wirtschaftswachstum von 3 Prozent haben wir im Jahr 2000 „nur“
eine Verringerung des Energiewachstums um 0,2 Prozent
erreicht. Das heißt, im letzten Jahr hat der Verbrauch nach
den neuen Zahlen der Arbeitsgemeinschaft der Energiebilanzen mehr oder weniger stagniert. Hier muss deutlich
nachgelegt werden, sonst werden die Verringerungen
nicht erreicht.
Gegenüber 1990 wurde eine Verringerung um etwa
150 Millionen Tonnen Kohlendioxid erreicht; es fehlen
also noch etwa 100 Millionen Tonnen bis zum Jahre 2005.
Diese können nicht bei Beibehaltung des Status quo
eingespart werden. Sie werden nur eingespart werden,
wenn wir eine aktive Energiepolitik betreiben. Dazu
gehört der Ausbau der Solarenergie genauso wie eine Effizienzrevolution. Dazu gehört auch - an diesem Ziel wird
kein Weg vorbeigehen - der Ausbau der Kraft-WärmeKopplung. Ohne diese Maßnahmen wird diese ehrgeizige Reduktion nicht zu erreichen sein.
({4})
Deshalb begrüßen wir das Klimaschutzprogramm der
Bundesregierung vom 18. Oktober, in dem konkrete Zahlen festgelegt sind. Wir können über Wege reden, eine Infragestellung dieses Zieles steht aber nicht zur Debatte.
Wir können uns nach all den seriösen wissenschaftlichen
Gutachten, die heute vorliegen, nicht vorstellen, dass das
auf einem anderen Weg zu erreichen ist als über den Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung. Dies ist, nach all dem,
was wir wissen, anders nicht möglich. Bei diesen Alternativen müsste man zu einer gigantischen Subventionierung übergehen, womit die ganze Argumentation der
KWK-Gegner, man sei aus wettbewerbsrechtlichen Gründen gegen die KWK, in sich zusammenbräche. Wir wollen dieses System, weil es richtig ist.
({5})
Der zweite wesentliche Punkt ist der Ausstieg aus der
Atomkraft. Wir begrüßen die Vereinbarung vom
14. Juni 2000. Wir hoffen, dass die Atomnovelle schnell
vorgelegt wird, damit wir Klarheit schaffen und zu einer
Entscheidung kommen. Wir brauchen in diesen Fragen
eine berechenbare Politik. Dies ist auch notwendig, weil
Ausstieg und Einstieg eine Einheit bilden. Auch bei diesem Strukturwandel steht nicht der Austausch der Energieträger, sondern der Strukturwandel selbst im Vordergrund. Wir werden dieses Ziel nicht erreichen, wenn wir
glauben, die Ersetzung durch andere Energieträger nach
Michael Müller ({6})
Ausschalten der Atomkraftwerke sei die Lösung des Problems. Energieträger müssen sich daran messen lassen,
wie effizient sie eingesetzt werden können.
Das ist der entscheidende Punkt, der in einem engen
Zusammenhang mit den drei grünen Säulen der Energiepolitik steht: erstens eine massive Steigerung der
Energieproduktitivität, zweitens Ausbau der Solarenergie - wir sind froh, dass wir im letzten Jahr beim Anteil
der Solarenergie einen deutlichen Sprung nach vorne gemacht haben, das war überfällig -,
({7})
drittens der Ausbau der gekoppelten, intelligenten Systeme in der Erzeugung von Strom und Wärme.
Eine dritte große Herausforderung ist Europa, mit der
Bildung einer europäischen Verbundwirtschaft. Wir
halten es nicht für ein zukunftsfähiges Energiesystem,
wenn jetzt die Gebietsmonopole durch Unternehmensmonopole ersetzt werden. Was wir wollen, ist ein wirklicher
Wettbewerb, und zwar nicht nur zwischen einzelnen Unternehmen, sondern auch zwischen unterschiedlichen
Diestleistungsformen. Deshalb wollen wir auch nicht,
dass die Bundesrepublik in der Zukunft zu einem reinen
Stromhandelsland wird. Wir wollen in der Bundesrepublik Erzeugung, Beschäftigung und Umweltschutz sichern. Auch deshalb führt kein Weg an einem Strukturwandel vorbei.
Aus diesen Gründen - Klimaschutz, Ausstieg aus der
Atomenergie und europäische Herausforderung - ist das
Primat der Politik gefordert, die Rahmensetzung für mehr
Wettbewerb, für eine intelligente, zukunftsorientierte
Energiepolitik und für die Sicherung von Umweltschutz
und Beschäftigung zu schaffen. Das ist Zukunftsfähigkeit.
Ich will hinzufügen: Vor dem Hintergrund der amerikanischen Entwicklung, wo nach dem Amtsantritt des neuen
Präsidenten als Erstes der Umweltschutz zurückgedrängt
wurde, ist die Herausforderung für Europa und für unser
Land noch größer geworden, diesen Strukturwandel anzugehen.
({8})
Ich erinnere mich noch sehr gut an eine Debatte in der
Enquete-Kommission. Wir hatten damals Vertreter aller
Energieunternehmen eingeladen, um mit ihnen über Klimaschutz zu diskutieren. In dieser Debatte wurde uns von
den Vertretern der Energiewirtschaft eine Stunde lang erzählt, was alles nicht möglich ist. Daraufhin haben der
Kollege Schmidbauer von der CDU und ich gemeinsam
gesagt: Entweder diskutieren wir jetzt über das, was möglich ist, um das CO2-Ziel zu erreichen, oder wir beenden
die Veranstaltung. Da war einmal kreative Fantasie möglich. Diese Kreativität und Verantwortung erwarten wir
von allen Beteiligten. Das ist die Grundlage für ein kooperatives Klima.
({9})
Hören wir mit kurzfristiger Interessenpolitik auf!
({10})
Es steht sehr viel auf dem Spiel. Lassen Sie uns bitte den
Weg in die neue Energiepolitik mit möglichst viel Konsens, aber auch mit möglichst viel Vernunft gehen.
({11})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Dr. Klaus Lippold.
Frau
Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Energiepolitik ist Zukunftspolitik für die Menschen und
die Umwelt, aber auch Zukunftspolitik für die Wirtschaft.
In diesem Sinne hat die CDU/CSU-Fraktion ein Energiekonzept erarbeitet, das auf eine umweltfreundliche und
nachhaltige Energieversorgung, aber gleichzeitig auch
auf eine preiswerte und für die Zukunft sichere Energieversorgung abstellt.
Wir haben Energiepolitik - wie das neudeutsch heißt mit anderen Politikfeldern vernetzt: der Verkehrspolitik,
der Baupolitik, aber insbesondere auch der Umwelt- und
Klimaschutzpolitik, damit wir den Ansprüchen an eine
moderne und zukunftsorientierte Energiepolitik gerecht
werden. Das ist ein in sich schlüssiges Konzept und das
vermisse ich bei der Regierung.
Herr Minister Müller, Sie haben verschiedentlich gesagt, dass Sie in sich schlüssige, abgewogene Konzepte
vorlegen werden, aber Sie sind uns den Nachweis, dass
Sie das auch wirklich tun, bis heute schuldig geblieben.
({0})
Wir brauchen nicht Ankündigungen, sondern wir brauchen auch von Ihnen klare Vorstellungen darüber, wohin
der Weg geht, damit wir uns daran orientieren können.
Diese müssen langfristig ausgerichtet sein, weil Energiepolitik nicht kurzfristig betrieben werden kann.
({1})
Wenn wir diesen Weg gehen, ersparen wir uns auch
eine ganze Reihe von - ich sage es einmal so - zumindest
irritierenden Vorstellungen. Wenn ich das unter dem
Aspekt betrachte, Energiepolitik soll einen Beitrag zur
Klimaschutzpolitik leisten, dann ist der Ausstieg aus der
Kernenergie falsch, weil wir ohne Kernenergiepolitik
mittel- und langfristig keine Klimaschutzpolitik leisten
können, die vor dem Hintergrund der IPCC-Warnung jetzt
besonders wichtig ist.
({2})
Sie selbst, Herr Müller, haben seinerzeit gesagt, dass Sie
sich einen späteren Einstieg wieder vorstellen können. Ich
halte das für richtig, aber Sie müssen auch durchsetzen,
dass darüber schon jetzt diskutiert wird und es nicht Makulatur bleibt.
Michael Müller ({3})
Es gibt einen anderen Ansatzpunkt, bei dem Sie Umweltschutz- und Energiepolitik miteinander verknüpfen,
ohne dass es zu einer klaren Aussage kommt. Ich meine
die Kraft-Wärme-Kopplung. Bei der Kraft-WärmeKopplung, Herr Minister, gehen die Koalitionsparteien
davon aus, dass sie innerhalb kurzer Frist verdoppelt und
ihr Anteil von 10 Prozent auf 20 Prozent festgeschrieben
werden muss. Wir halten das für einen falschen Weg. Das
ist nicht ökologisch; denn wenn Sie ohne Rücksicht auf
Verluste eine Quote festschreiben, wird auch die traditionelle Produktion gefördert, die nicht ökologisch und umweltfreundlich ist. Das kann es wirklich nicht sein.
({4})
In diesem Sinne begrüße ich, was Sie im „Focus“ gesagt haben:
Ich halte von einer relativ kurzfristigen Verdopplung
der Kraft-Wärme-Kopplung nichts. Man sollte nichts
beschließen, was einen politisch schon bald wieder
einholt ... KWK macht ökologisch nur da Sinn, wo
Wärme und Strom in der Industrie wirklich das ganze
Jahr über parallel gebraucht werden, zum Beispiel
bei Produktionsprozessen. Es reicht nicht, neben einem Kraftwerk als Alibi einen Fischteich anzulegen,
der dann mitbeheizt wird.
({5})
Und da es in Deutschland keine unbeheizte Wohnung
mehr gibt, müssen bestehende Heizungen durch
Fernwärme teuer ersetzt werden.
Sie beziffern die Zusatzkosten in diesem Bereich auf eine
Größenordnung von 6 bis 8 Milliarden DM. Das heißt, die
Vorstellungen, die von dem Kollegen Michael Müller und
vielen anderen in der SPD-Fraktion entwickelt worden
sind, sind nicht nur unter dem Aspekt der Preiswürdigkeit,
sondern auch unter dem Aspekt der ökologischen Steuerung falsch.
({6})
Deshalb, Herr Minister, hoffe ich, dass die Selbstverpflichtung jetzt nicht nur eine Ankündigung ist, sondern
dass sie auch umgesetzt wird, damit nicht wieder Erwartungen geweckt werden, die in absehbarer Zeit bitter enttäuscht werden, wie wir es früher schon bei anderen Positionen erleben mussten.
Ich sage ganz deutlich, Herr Minister: Setzen Sie sich
doch einmal mit Ihren Vorstellungen im Kabinett durch!
Das wäre in diesem Fall erfreulich, natürlich immer unterstellt, dass das, wenn wir den Entwurf einmal vorliegen
haben und ihn prüfen können, zu einem positiven und
guten Ergebnis führen wird. Diese Prüfung behalten wir
uns vor; ich glaube, das ist ganz selbstverständlich. Setzen Sie Ihre Ziele einmal durch, Herr Minister, damit die
ideologischen Vorstellungen, die von den Koalitionsparteien entwickelt worden sind, so nicht zum Tragen kommen und der Weg nicht in die falsche Richtung führt. Das
können wir uns nicht leisten.
({7})
In der Frage der Ankündigung will ich gleich noch einen anderen Punkt nennen. Das ist die Frage der Energieeinsparverordnung. Sie sollte vor einem Jahr verabschiedet werden, sie sollte vor einem halben Jahr verabschiedet werden. Dann hieß es, sie sollte jetzt verabschiedet werden, und schon wieder ist sie verschoben
worden und wir kennen nicht das Datum, wann Sie sie
vorlegen werden.
Ich sage ganz deutlich: Das ist ein Kernpunkt bei der
Abwägung zwischen Energiepolitik auf der einen und
Umweltschutzpolitik auf der anderen Seite. Auch in diesem Punkt schlabbern Sie, handeln nicht zügig und versäumen Zeit, die wir dringend brauchen, um die Reduktionszeitkorridore einhalten zu können. So geht es nicht.
Nicht nur ankündigen, sondern handeln! Das ist angesagt.
Ich glaube, an diesem Punkt ließe sich noch einiges hinzufügen, was noch ungelöst ist.
Herr Minister, die alte Bundesregierung und die sie
tragenden Fraktionen haben mit der Novellierung des Energiewirtschaftsrechts durchgesetzt, dass zugunsten der
Verbraucher und der Wirtschaft eine - ich sage es einmal
so - Preissenkung von circa 15 Milliarden DM möglich
gemacht wurde. Das war ein guter und richtiger Schritt.
Mit der Politik, die Sie jetzt betreiben - Ökosteuer, Subventionsspirale bei den erneuerbaren Energien, bislang
geplante Kraft-Wärme-Kopplung -, zehren Sie diese Vorteile Schritt für Schritt wieder auf und verkehren sie ins
Gegenteil. Ich halte das für einen völlig falschen Weg.
Wenn ich die Belastungen, die aus Ihren verschiedenen
Ankündigungen resultieren würden, in Extremform einmal summiere, komme ich bis zum Jahre 2010 auf Belastungen von circa 30 Milliarden DM. Herr Minister, das ist
nicht tragbar und hat nichts mit Umsteuern in der Energiepolitik zu tun. Ein Umsteuern würde voraussetzen,
dass dahinter ein Gesamtkonzept steht, das ökologisch
orientiert ist. Das ist nicht der Fall. Deshalb: Verzichten
Sie auf die Belastungsspirale, die für die Verbraucher und
für die Wirtschaft schädlich ist!
({8})
Herr Minister, in diesem Zusammenhang kann ich Ihnen nicht ersparen, auf die Ökosteuer einzugehen. Alle in
diesem Hause wissen, dass Gutachten vorliegen, wonach
die Ökosteuer keine Lenkungswirkung hat.
({9})
Das heißt, ebenso wie bei der Kraft-Wärme-Kopplung ist
es auch bei der Ökosteuer: Ihr fehlt die Lenkungswirkung.
Darüber hinaus haben Ihnen der Sachverständigenrat und
andere Sachverständige bescheinigt, dass die Ökosteuer
keine umweltschützende Leistung erbringt.
({10})
Sie stellt aber eine zusätzliche Belastung dar, und deshalb die Forderung: Sie sollten - Ministerkollegen aus
Ihrem Kabinett haben ja schon gesagt, dass in der Zukunft
auf sie verzichtet werden kann - sie nicht nur für die Zukunft verzichtbar machen, sondern darüber hinaus deutlich machen, dass Sie auf diesen falschen Weg verzichten
Dr. Klaus W. Lippold ({11})
und von einer Straf- und Abkassieraktion, die ökologisch
keinen Sinn macht, Abstand nehmen. Es gibt einen wesentlich besseren Einsatz für diese Gelder und ich bitte Sie
zu überlegen, wie man mit einem vernünftigen Konzept
eine preiswerte und sichere Energieversorgung mit mehr
Ökologie kombinieren kann.
({12})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Dr. Berg?
Ja.
Herr Dr. Lippold, ich hoffe, ich
habe Sie richtig verstanden. In der Analyse sind wir uns ja
mehr oder weniger einig: Das Klima ist bedroht. Ihre Therapieempfehlung ist: Wir brauchen mehr Atomkraft und
wir brauchen ein Konzept. Wenn wir durch Atomkraft das
Klima retten wollten - bei der Energieerzeugung durch
Atomkraft wird ja kaum Kohlendioxid ausgestoßen -,
müssten wir weltweit round about jede Woche ein neues
Atomkraftwerk ans Netz gehen lassen und würden uns dadurch jede Menge andere Risiken aufladen. Wie stehen
Sie dazu?
Was stellen Sie sich unter einem Konzept vor? Ein
Konzept ist immer etwas Schönes. Meinen Sie aber nicht,
dass wir bereits genug wissen und endlich handeln sollten, dass wir das Klima nicht dadurch retten können, dass
wir weitere zehn Jahre über das beste Konzept diskutieren?
Herr
Kollege, der erste Punkt ist: Meine Aufforderung war ja
gerade, in sich schlüssige Konzepte sofort vorzulegen und
Lösungen nicht, wie Sie es tun, immer weiter hinauszuzögern und zu verschieben. Das ist doch der Fehler, den
Sie begehen.
Der zweite Punkt ist: Ich werde mich nicht der Übertreibung anschließen - mit der man einen vernünftigen
Gedanken, auf welche Weise auch immer, kaputtmachen
kann -, die Rettung des Klimaschutzes in einer einzigen
Maßnahme zu sehen. Wir brauchen ein breites Bündel
wohlabgestimmter Maßnahmen, um einen Beitrag zur
Klimaschutzpolitik zu leisten. Wir brauchen dieses breite
Bündel nicht nur in der Bundesrepublik Deutschland,
sondern europaweit.
Ich füge hinzu: Dank der alten Bundesregierung haben
wir doch die Vorleistungen erbracht, mit denen die jetzige
Bundesregierung auf den Klimakonferenzen glänzt und
mit denen wir das europäische Bubble-Konzept, die europäische Energieeinsparlösung, nach draußen tragen konnten; denn ohne unsere Reduktionserfolge hätte es dort
keine gegeben.
Ich füge hinzu: Wir brauchen, wenn wir zu Lösungen
kommen wollen, natürlich ein globales Konzept, getragen
von den großen Industriestaaten, von den USA, aber auch
von den Schwellenländern China, Indien, Mexiko und anderen. Wir haben in der Enquetekommission gemeinsam
daran gearbeitet, Herr Berg. Es gibt viele vernünftige Vorstellungen, die aber auch ausdiskutiert und ausdifferenziert werden müssen.
Hinsichtlich der Vorstellung dieser Regierung, wie die
zukünftigen Mechanismen genutzt werden sollen - ich
nenne nur Clean Development Mechanism, Joint Implementation, Sinks und dergleichen -, hätten wir von Ihnen
mehr erwartet, als Sie in die Konferenzen eingebracht haben. Dazu zählt auch eine konstruktivere Gestaltung. Das
alles ist nicht erfolgt.
Auch jetzt wären von Ihnen viel intensivere Anstrengungen vonnöten, um auf der internationalen Bühne zum
Ersten wissenschaftlich und zum Zweiten politisch entsprechende Umsetzungen voranzutreiben, damit der Kioto-Prozess nicht mit der Konferenz in Den Haag ins
Stocken gerät, sondern wieder Fahrt aufnimmt. Solche
Anstrengungen sehe ich aber nicht; ich sehe nur gelegentlich eine Ankündigung. Was ich bei Ihnen vermisse,
das ist der massive politische Druck, wie wir ihn früher
von der Spitze, vom Kanzler und von den verschiedenen
Ministern - also nicht nur vom Umweltminister -, gekannt haben. Einige werden sagen, ich hätte das schon
einmal gesagt. Das ist völlig richtig. Aber solange Sie
diese Politik nicht ändern, werden wir Ihnen das noch
häufiger sagen müssen.
({0})
Noch einmal zur Frage der Kernenergie im Speziellen,
Herr Berg. Wir müssen - das sage ich Ihnen ganz deutlich - bei der Risikoabwägung natürlich an den Äußerungen des Club of Rome, eines exzellenten Gremiums fähiger Wissenschaftler, festhalten. Er schätzt das Risiko der
Klimakatastrophe wesentlich höher ein als die Risiken
aus Kernenergie und hält Kernenergie deshalb für vertretbar. Im IPCC-Bericht wird das bestätigt. Sie wollen doch
immer das Votum der Wissenschaft. Nehmen Sie dieses
Votum der Wissenschaft zur Kenntnis und halten Sie sich
daran! Bauen Sie Kernenergie in Ihr Energiekonzept ein nicht alleine, aber auch.
Ich komme nun zu einem weiteren Punkt, um deutlich
zu machen, dass es nicht nur um diese Frage geht. Wir haben seinerzeit die Förderung von Energieeinsparmaßnahmen im Baubereich eingeführt. Das halte ich für
richtig. Sie haben diesen Ansatz jetzt weiter ausgebaut.
Herr Kollege Berg, ich habe nie einen Hehl daraus gemacht, dass ich, wenn Schritte in die richtige Richtung gehen, nichts anderes tue, als das zu akzeptieren. Ich kritisiere doch nicht um der Kritik willen.
Ich habe Ihnen, Herr Müller, aber auch gesagt, dass
man dieses Konzept auch um eine steuerliche Förderung
ergänzen könnte, nicht nur um die Herabsetzung von Zinsen. Diesen Gedanken der steuerlichen Förderung, mit
dem wir die Energieeinsparungen im Altbaubestand wesentlich schneller, wesentlich intensiver und wesentlich
marktkonformer vorantreiben könnten, greifen Sie nicht
auf. Wir haben Ihnen das mehrfach angeboten. Wenn Sie
das umsetzen würden, dann könnten Sie sagen: Wir haben
das gemacht. Darum wären wir nicht verlegen und würden sagen: Diese Koalition hat endlich einmal etwas
Dr. Klaus W. Lippold ({1})
Richtiges gemacht. Wenn Sie das schnell machen, dann
würden wir das begrüßen. Sie aber denken gar nicht in
diese Richtung; dieser breitere Ansatz fehlt bei Ihnen. Sie
begrenzen das Ganze ideologisch auf bestimmte Positionen. Das ist der Punkt, den ich für falsch halte.
({2})
Deshalb sollten Sie hier noch einmal nachdenken. Ich
meine, dass wir in diesem Bereich noch viel aufzuarbeiten haben.
Folgendes möchte ich Ihnen noch sagen: In der Frage,
wie sie jetzt ansteht, brauchen wir nicht nur die Zinsverbilligungsprogramme, sondern auch eine breite Aufklärungskampagne, wie und wo etwas gemacht werden
kann. Die Information der Öffentlichkeit ist sehr wichtig.
In diesem Punkt sehe ich bei Ihnen keine hinreichenden
Aktivitäten. Auch diesen Ansatz würden wir unterstützen,
weil wir konstruktiv sind. Wir würden ihn mittragen, weil
wir positive Ideen mittragen und nicht konterkarieren.
Aber Sie müssen, da Sie jetzt die Regierung stellen, auch
die Ansatzpunkte dafür liefern. Ich habe gehört, dass Sie
das machen wollen, sehe aber nicht, dass Sie es tun.
Ich bitte deshalb noch einmal darum: Legen Sie, entsprechend unserem Energiekonzept, ein in sich geschlossenes Konzept vor, das die verschiedenen Aspekte von
Energie - sichere Energie und preiswerte Energie - mit
dem Umweltschutz nachhaltig verknüpft, das eine Leitorientierung bietet, damit Sie nicht wie jetzt bei KWK von
einem Tag zum anderen mal so und mal so argumentieren
müssen und keiner mehr weiß, was Sache ist. Auch bei Ihnen muss eine klare Leitlinie erkennbar sein, die Kontinuität für wirtschaftliche Investitionen und Entwicklungen möglich macht und die gleichzeitig sicherstellt, dass
im Gegensatz zu Ihrer bisherigen Politik die Verbraucher,
unsere Bürger im Land, nicht durch Ökosteuer und andere
sinnlose Maßnahmen geschröpft und abkassiert werden,
ohne dass dies für die Ökologie etwas bringt. Denken Sie
darüber nach, setzen Sie das um, aber bitte nicht in ferner
Zukunft!
Herzlichen Dank.
({3})
Eine Kurzintervention des Kollegen Müller.
Professor Latif
vom Max-Planck-Institut in Hamburg gilt als einer der
führenden Klimaforscher in der Bundesrepublik; Sie können das bestätigen. Ihm wurde vorgestern die Frage
gestellt:
Ist das ein Argument für die weitgehend klimaneutrale Atomkraft?
Antwort Latif:
Überhaupt nicht. Da würden wir den nachfolgenden
Generationen andere Probleme aufhalsen. Wir würden den Teufel mit dem Beelzebub austreiben.
Das ist also der falsche Weg. Das war die erste Bemerkung.
Zweite Bemerkung. Sie kennen ja die Szenarien der
Weltenergiekonferenzen. Bei keinem einzigen Szenarium
kommt es zur notwendigen Reduktion von Kohlendioxid,
auch nicht bei einem massiven Ausbau der Atomenergie,
beispielsweise einer Verzwölffachung, und zwar aus
einem ganz einfachen Grund: weil die verschwenderischen Energiestrukturen festgeschrieben werden. Das
entscheidende Problem ist der Strukturwandel hin zu
einer effizienteren Nutzung von Energie. Diese kann man
nur mit bestimmten Strukturen erreichen.
Lassen Sie mich eine dritte Bemerkung machen: So
schlecht kann die Ökosteuer nicht sein, wenn wir jetzt in
allen Jahresabschlüssen feststellen, dass beispielsweise
der Mineralölverbrauch deutlich zurückgegangen ist,
nämlich um rund 4 Prozent,
({0})
und gleichzeitig - wie wir von den wissenschaftlichen Instituten hören - große Arbeitsplatzeffekte erzielt werden.
Also, Sie sollten ein bisschen vorsichtiger mit Ihren Aussagen sein.
({1})
Herr
Kollege Müller, ich mache noch einmal deutlich: In
keiner unserer Aussagen stellen wir ausdrücklich auf die
Kernenergie ab. Im Gegenteil: Wir bieten eine breite
Palette an Maßnahmen, mit denen wir CO2-Einsparungen
garantieren wollen. Aus Zeitgründen habe ich hier nur auf
Weniges eingehen können. Aber diese Gedanken greifen
Sie nicht auf.
({0})
Ein Zweites, Herr Müller. Der Gedanke der Energieeffizienz ist von der vorherigen Bundesregierung und den
sie tragenden Koalitionsparteien ständig vorangetrieben
worden. Die Energieeffizienz in unserem Land ist stetig
und ständig verbessert worden.
({1})
Bei uns gibt es - das ist nachweisbar - eine Abkopplung
des Energieverbrauchs vom Wirtschaftswachstum. Das
müssen Sie doch zur Kenntnis nehmen. Wir sind hier
weiter als viele andere Länder, wir gehören hier mit wenigen anderen weltweit zur Spitzengruppe. Die Japaner mögen in diesem Bereich ein klein wenig vor uns liegen, aber
in anderen Bereichen schlagen wir auch die Japaner. Ich
hoffe, dass das auch zukünftig so sein wird.
({2})
- Hinsichtlich der Castor-Transporte, Herr Kollege, fasst
Ihr Parteirat auf der einen Seite Beschlüsse, denen auf der
anderen Seite Ihre Kollegen aus dem betroffenen Bundesland sofort widersprechen. Klären Sie das einmal in
Dr. Klaus W. Lippold ({3})
den eigenen Reihen, dann brauchen wir solche Zurufe
nicht.
Zurück zum anstehenden Problem. Man sollte keine
Buhmänner aufbauen, Herr Müller. Sie können die breite
Palette dessen, was wir vorhaben gerne einmal mit uns
diskutieren und Sie werden sehen, dass Ihr Vorwurf ungerechtfertigt ist. Sie wiederholen ihn ja auch nur aus taktischen Gründen, nach dem Motto: Wenn einer nicht
Bescheid weiß, dann kann er bei ihm vielleicht hängen
bleiben. Aus diesem Grund musste ich Ihnen widersprechen.
({4})
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Michaele Hustedt.
Verehrte Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Lippold, wie schön sind doch die Oppositionszeiten! Da
kann man sich im Schreiben von Grundsatzprogrammen
und Grundsatzpapieren ergehen.
({0})
Die CDU hat es in der Tat nötig. Sie sagen zwar, Sie haben
eine breite Palette an Vorhaben, aber ehrlich gesagt: Dazu,
wie wir hier in Deutschland Klimaschutz betreiben
wollen, habe ich eben in Ihrer Rede keinen einzigen
konstruktiven Vorschlag gehört, sondern nur Ablehnung
unserer Vorschläge und unserer Vorangehensweise.
({1})
Wir haben sehr viele Aufgaben zu erfüllen, die es gilt,
ganz pragmatisch anzugehen. Dann wächst Stein für Stein
das Haus einer neuen Klimaschutzpolitik, einer neuen
Energiepolitik, die Umweltschutz und Wettbewerb
miteinander verknüpft.
Eine der ganz großen Herausforderungen, die anstehen, ist die Gasmarktliberalisierung. Die Gaspreise sind
in der letzten Zeit - aber nicht wegen der Ökosteuer - um
40 Prozent gestiegen. In diesem Bereich muss uns die
Liberalisierung einen großen Schritt voranbringen. Ein
Gesetzentwurf liegt im Bundesrat und wird im März im
Bundestag verabschiedet werden. Gestern ist das
Gespräch der Verbände über eine entsprechende Vereinbarung leider ohne Ergebnis zu Ende gegangen. Wir sollten deshalb auch darüber diskutieren, wie wir eine höhere
Wettbewerbsintensität durch einen verbindlich geregelten
Netzzugang schaffen können.
Das gilt ausdrücklich auch für den Strombereich; denn
drei Jahre nach der Liberalisierung der Strommärkte
haben die Bürger - anders, als es das Gesetz verspricht noch keine freie Wahl des Stromanbieters. Hier wird
durch Schikane und durch hohe Preise ein Wechsel tatsächlich verhindert. Es ist deswegen wichtig, dass wir uns
in der anstehenden Debatte über die Novellierung des
Energiewirtschaftsgesetzes auch fragen, ob die bestehende Regulierungsdichte ausreicht, um jedem Anbieter
- ob klein oder groß - den Zugang zum Netz zu ermöglichen.
Ich glaube auch, dass diejenigen Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU und der F.D.P. auf dem falschen
Weg sind, die Wettbewerb und Regulierung gegeneinander ausspielen wollen. Das Gegenteil ist der Fall: Eine
hohe Wettbewerbsintensität erreicht man dann, wenn man
die Netze, die ein natürliches Monopol darstellen, so organisiert, dass jeder einen fairen Zugang dazu bekommt.
({2})
Die Organisation der Netze wird ein Teil der anstehenden
Debatte sein. Sie bedeutet Schutz für die kleinen Anbieter
und damit Schutz für die Kunden.
Ein zweiter wichtiger Punkt wurde schon angesprochen: die Kraft-Wärme-Kopplung. Wie Sie alle
wissen, gibt es in der Gesellschaft eine intensive Diskussion darüber. Es gibt Gruppen, die dafür sind, und es gibt
Gruppen, die dagegen sind.
({3})
Ich fange einmal mit den Gruppen an, die dafür sind.
Der Verband kommunaler Unternehmen und der
Deutsche Städtetag sind dafür. Sie sehen nämlich in der
Kraft-Wärme-Kopplung eine Chance, damit auch kleine
Akteure auf dem Markt weiter Strom produzieren können
und dass wir in Zukunft nicht ein Oligopol haben, weil nur
noch große Unternehmen Strom produzieren und dadurch
der Wettbewerb äußerst eingeschränkt wird.
Der VDMA, der größte Unternehmensverband
Deutschlands, ist dafür, weil er der Meinung ist, dass es
durch die hohen Überkapazitäten eine enorme Zurückhaltung bei den Investitionen gibt. Es besteht die große
Gefahr eines Fadenrisses im Anlagenbau. Deswegen ist es
gut, durch eine Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung
die Investitionsbereitschaft anzuregen, sodass Investitionen vorgezogen werden können.
({4})
Die ÖTV, die IG BAU, die DAG und die IG Metall, die
größte Einzelgewerkschaft Deutschlands, haben die Bundesregierung aufgefordert, umgehend einen Entwurf für
ein Gesetz zum Erhalt und Ausbau der Kraft-WärmeKopplung bei der Energieerzeugung vorzulegen. Das
sichere den Energiestandort Deutschland und mehrere
10 000 Arbeitsplätze in der Metallindustrie, sowie in der
Bau- und Energiewirtschaft. Zudem seien bessere Exportchancen für die Anlagenhersteller zu erwarten. Die
Umweltverbände BUND, NABU und Greenpeace sind
aus bekannten Gründen ebenfalls für den Ausbau der
Kraft-Wärme-Kopplung; denn auch nach ihrer Meinung
handelt es sich um einen substanziellen Beitrag zum Klimaschutz.
Die Stromkonzerne sind aus verständlichen Gründen
dagegen, weil sie in Zeiten von Überkapazitäten ihre
Kraftwerke so lange wie möglich betreiben und das Ende
Dr. Klaus W. Lippold ({5})
sozusagen abfedern wollen. Ein Nebeneffekt ist für sie,
dass der Markt von kleinen Anbietern bereinigt würde.
Wir haben den Stromkonzernen angeboten, Alternativvorschläge auf den Tisch zu legen. Am Freitag findet
ein entsprechendes Gespräch statt. Ich sage aber ganz
deutlich: Die Alternativvorschläge müssen beim Kohlendioxidausstoß eine Einsparung von 23 Millionen Tonnen
durch den Ausbau von Kraft-Wärme-Kopplung ermöglichen. Es darf keine Doppelzählung geben. Das
heißt, entsprechende Maßnahmen des Klimaschutzprogramms dürfen nicht auf die Kraft-Wärme-Kopplung angerechnet werden.
Es darf sich auch nicht um Vorschläge handeln, die
beinhalten, dass die Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung aus dem Haushalt zu finanzieren ist. Wenn das
gefordert würde, müsste man soliderweise sagen, dass die
Ökosteuer erhöht werden muss.
({6})
Solche Vorschläge können nicht akzeptiert werden. Es
darf keine Schummelei und Augenwischerei geben.
Michael Müller hat schon darauf hingewiesen, dass wir
uns in einer außerordentlich schwierigen Situation
befinden. Die UNO schlägt Alarm, weil sich die Erde
wesentlich schneller erwärmt als zunächst geglaubt. Die
UN-Wissenschaftler warnen, dass eine katastrophale
Veränderung des Klimas bevorsteht. Töpfer - er ist Ihnen
ja durchaus bekannt und noch immer Mitglied der CDU sagt sehr deutlich, der Bericht solle in jeder Hauptstadt
und in jeder Gemeinde die Alarmglocken klingeln lassen.
({7})
Jetzt ist Handeln notwendig. Von diesem Handeln kann
man sich nicht verabschieden. Man muss Vorschläge auf
den Tisch bringen, wie man den Klimaschutz voranbringen will.
({8})
Es gibt auch von der Seite der Kohlelobby die Befürchtung, dass sie der Verlierer einer Förderung der
Kraft-Wärme-Kopplung sein könnten. Ich halte diese
Haltung für außerordentlich defensiv, denn die Kohle
wird am Zertifikathandel teilhaben. Der Gaspreis ist, wie
gesagt, im letzten Jahr um 40 Prozent gestiegen. Damit ist
die wettbewerbliche Ausgangssituation für die Kohle
heute eine völlig andere als noch vor einem Jahr. Außerdem sind Effizienzkriterien ein Bestandteil des Zertifikathandels und Kohleanlagen, in denen modernste Technologie eingesetzt ist, werden diese Effizienzkriterien
erfüllen können.
Wir brauchen auch im Anlagenbau moderne
Kohletechnologien; das sage ich ganz deutlich. Weltweit
werden 50 Kohlekraftwerke gebaut und 25 modernisiert.
Es wird - leider, sage ich als Ökologin - noch lange Zeit
so sein, dass die Kohle zur Energieerzeugung beiträgt,
zum Beispiel in China und in Indien. Deshalb brauchen
wir in diesem Bereich modernste Kohletechnologien, die
den Einsatz von Kohle, wenn er denn schon erfolgt,
wesentlich effizienter machen.
In Amerika gibt es eine Offensive, um die Wirkungsgrade von Kohle um 10 oder 20 Prozent zu steigern und
sogar in Richtung CO2-freies Kohlekraftwerk zu forschen,
in dem CO2 abgefangen und in Salz eingelagert wird.
Das sind ungeheuer interessante Technologien. Lassen
Sie uns lieber darüber diskutieren, wie wir diese Technologien als Pilotprojekte, als Teil des KWK-Zertifikathandels nach Deutschland holen. Das wäre eine konstruktive Debatte, die wir hier gemeinsam führen sollten.
({9})
Abschließend möchte ich die Opposition sehr deutlich
auffordern, sich von ihrer destruktiven Haltung zu verabschieden. Ich erwarte von Ihnen konstruktive Vorschläge.
Sie sollten sich nicht immer nur hier hinstellen und sagen,
was Sie alles falsch finden.
({10})
- Sie dürfen sagen, was Sie falsch finden. Aber dann erwarte ich - es kommen ja noch einige Redner von Ihrer
Seite, zum Beispiel Herr Uldall und Herr Hirche - angesichts dessen, dass die UNO uns mahnt, von Ihnen - vor
dieser Verantwortung können auch Sie sich nicht
drücken -, dass Sie nicht nur sagen, andere, zum Beispiel
in Osteuropa, sollen sich um den Klimaschutz bemühen,
sondern dass Sie Vorschläge machen, wie wir in Deutschland zum Erreichen des Klimaschutzzieles beitragen können.
({11})
Wenn Sie meinen, das soll durch Atomkraft geschehen,
dann erwarte ich von Ihnen, dass Sie ganz konkret darlegen, wie viel CO2 eingespart werden soll, indem so und
so viele AKWs in Deutschland gebaut werden, und lassen
Sie uns darüber diskutieren. Aber wenn Sie einfach nur auf
den Tisch hauen und sagen, dass Ihnen unsere Vorschläge
nicht gefallen, und sich aus der Verantwortung stehlen,
dann werden Sie niemals wieder Regierungspartei werden.
Danke.
({12})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Walter Hirche.
Frau Präsidentin! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Am Anfang eine Feststellung der Gemeinsamkeit: Ich glaube, in diesem Hause
gibt es niemanden, der den letzten IPCC-Bericht infrage
stellt. Das ist unser Ausgangspunkt. Deswegen muss das
oberste Ziel im Zusammenhang mit Klima- und Energiepolitik sein, den CO2-Ausstoß bzw. den Ausstoß von
CO2-Äquivalenten zu verringern. Dabei muss man für
jede Maßnahme offen sein. Ich glaube, die Formel, die
Erde in der Balance zu halten, ist eine wesentliche Ausgangslinie. Herr Müller hat zu Beginn bereits die Zahlen
dargelegt, die der IPCC-Bericht zur Erderwärmungsgefahr nennt. Ich will sie nicht wiederholen. Selbst der Mittelwert und der untere Wert sind schon problematisch.
Angesichts dieser Situation würde ich mir allerdings
doch wünschen - das muss ich zu den beiden Rednern der
Regierungsfraktionen sagen -, dass die Bundesregierung
ein Konzept vorlegt, nach dem sie dann auch handelt.
Der Wirtschaftsminister Müller hat ja - wie ich meine,
verdienstvollerweise - im letzten Jahr einen Energiedialog durchgeführt. Es gab auch ein Ergebnis dieses Dialogs. In einem Punkt bestand allerdings Streit, nämlich
darüber, wieweit die Kernenergie insgesamt eine positive
Rolle spielen sollte. Im Übrigen gab es breite Übereinstimmung. Ich sehe jedoch nicht, dass diese Übereinstimmung jetzt die Regierung insgesamt erreicht. Insofern
steht der Wirtschaftsminister wie bei so vielen seiner
Maßnahmen, die man öffentlich gut diskutieren könnte,
auf einsamem Posten. Deswegen sagt er, er wolle bis zum
Jahre 2010 einen Energiebericht vorlegen; ein konsistentes Energieprogramm könne man erst für die Zeit nach
2020 vorlegen.
Das spricht vielleicht für seine ehrliche Darlegung des
Umgangs in dieser Bundesregierung, also dessen, wie
man miteinander zurechtkommt, aber ich finde es bemerkenswert, dass die Mehrheit im Wirtschaftsausschuss
einen Antrag auf Vorlage eines Konzepts mit der Begründung abgelehnt hat, man brauche keine Konzepte, man
müsse handeln.
Auch ich sage: Natürlich muss man handeln; aber man
muss doch auf der Grundlage eines zusammenhängenden
Konzepts handeln. Das trifft aber für die Maßnahmen, die
Sie ergriffen haben, nicht zu. Frau Hustedt, das alles mag
ja pragmatisch sein; aber wenn es falsch ist, dann nützt
auch das Pragmatische nicht.
({0})
Sie haben eine Ökosteuer eingeführt, die keine
Lenkungswirkung hat. Ich darf hinzufügen: In keinem europäischen Land, in dem die Ökosteuer eingeführt worden
ist, ist anschließend der CO2-Ausstoß zurückgegangen.
({1})
Das ist der Beweis dafür, dass es diese Lenkungswirkung,
wie Sie sie vermuten, nicht gibt. Ich bin durchaus bereit,
wie es der Sachverständigenrat zur Beurteilung der
gesamtwirtschaftlichen Entwicklung vorgeschlagen hat,
über ein anderes Modell zu diskutieren.
({2})
Aber dieses Modell hat keine Lenkungswirkung; es ist insgesamt eine Abzocke.
({3})
Sie können im Übrigen auch nicht sagen, der auch in
diesem Jahr wieder gesunkene Ölverbrauch hänge mit der
Ökosteuer zusammen. Womit hing das denn in den Vorjahren zusammen? Es hängt mit der Einsicht der Menschen zusammen, sich hinsichtlich des Energieverbrauchs
umstellen zu müssen. Das ist der wichtigste Punkt.
({4})
Zur KWK-Regelung: Die KWK-Regelung, die Sie in
diesem Hause beschlossen haben, lenkt die Fördergelder
zu einem großen Teil fehl. Einem Bericht des Wirtschaftsministers ist zu entnehmen, dass die KWK-Kapazität der öffentlichen Versorgung im kommunalen Bereich
28 Terawattstunden beträgt, es sind aber Fördergelder, für
48 Terawattstungen beantragt worden, für die auch ein
Bonus verlangt wird. Was ist denn da passiert? Da sind
plötzlich alte „Schleudern“, die überhaupt keine positive
CO2-Wirkung haben, sondern eine negative, wieder in
Gang gesetzt worden und wir erleben eine völlig kontraproduktive Entwicklung zu dem Oberziel, den CO2Ausstoß zu senken. Das müssen Sie doch zur Kenntnis
nehmen.
({5})
Auch die jetzt konstruierte Regelung wird dem nicht
entgegenwirken. Ich begrüße deswegen ausdrücklich,
dass die Wirtschaft noch einmal die Chance hat, etwas im
Wege der Selbstverpflichtung zu tun. Ich hoffe, dass dies
dann auch so vernünftig sein wird, dass es von der Politik
insgesamt akzeptiert wird. Denn - und dies ist meine
Antwort, Frau Hustedt - wir haben in Deutschland durch
die Selbstverpflichtung der Wirtschaft, ohne spezielle
Markteingriffe, sehr viel mehr erreicht als jedes andere
Land der Erde.
({6})
Wir haben auf Marktwirtschaft gesetzt, wir haben auf
Eigenverantwortung gesetzt, wir haben auf Kostenoptimierung in diesem Zusammenhang gesetzt. Damit haben
wir eine CO2-Verminderung erreicht. Es ist also nicht nur
durchaus möglich, sondern sogar geboten, sich dieser Instrumente zu bedienen, weil die Ziele auf diese Weise
besser erreicht werden können als durch Vorgaben.
({7})
Das gilt auch für das umstrittene Thema der Kernenergie. Ich habe ja gesagt: Wenn der Markt es wirklich
so will, wie Sie es immer gesagt haben, Herr Minister
Müller, dann werden eben keine neuen Kernkraftwerke
gebaut. Dann kann ich das auch nicht ändern. Dann
brauche ich aber keinen Beschluss zu fassen; dann
brauche ich nicht einzugreifen. Dieser Beschluss verrät
doch, dass Sie an dieser These zweifeln.
Vizepräsidentin Vollmer - sie führt gerade den Vorsitz - hat anlässlich eines Besuches in China, an dem ich
teilgenommen habe, versucht, dem Vorsitzenden des chinesischen Umweltausschusses klarzumachen, dass China
auf Kernkraftwerke verzichten müsse. Darauf wurde
geantwortet, dass man nicht daran denke und sich dies offen halten wolle, dass China auch diese Energieform
brauche. Wenn es aber so ist, dass andere Länder in der
Welt auf diese Energieform zurückgreifen, dann sollten
wir den in Deutschland bestehenden Technologievorsprung erhalten.
({8})
Insofern geht es hier um etwas anderes: nicht um einen
zusätzlichen Ausbau, sondern erst einmal darum, den
zurzeit existierenden Anteil der Kernkraft an der Energieversorgung zu erhalten. Wenn Sie diesen Anteil wegfallen lassen, kommt es zu einer Steigerung der CO2Emissionen um einen Wert, der den Emissionen des
gesamten Straßenverkehrs in Deutschland entspricht.
Dies ist eine Größenordnung, die alle vorhandenen
Berechnungen durcheinander wirbelt.
Wenn das Thema der Minderung der CO2-Emissionen
von Ihnen ernst genommen wird, dann sollten Sie auf bestimmte Maßnahmen verzichten bzw. sie anders anlegen
- ich will nicht sagen, dass deswegen bestimmte Maßnahmen ausscheiden - und dann sollten wir uns in diesem
Zusammenhang über die Justierung vernünftig unterhalten.
Das gilt auch für das, was Sie im Bereich der erneuerbaren Energien tun. Der von Ihnen vorgenommene Einsatz der Gelder ist nicht optimal. Auch ist zu fragen, ob bei
bestimmten Maßnahmen der Stand der Anwendung schon
so weit ist, dass sich der Einsatz von Fördergeldern für die
Anwendung rechtfertigt, oder ob es nicht besser wäre, erheblich mehr im Bereich Forschung zu tun.
Das 100 000-Dächer-Programm - das ist in der Öffentlichkeit nicht sehr bekannt -, das Sie als einen überaus
wichtigen Baustein loben, trägt zur Energieversorgung im
Strombereich 0,1 Prozent bei, wobei umfangreiche Fördermittel notwendig sind. Ich behaupte, durch Unterstützung
der Forschung und Verschiebung der Anwendung um zwei,
drei Jahre würden Sie einen weit höheren Effekt erzielen,
als das jetzt der Fall ist.
({9})
Ich begrüße, dass parallel zu unserer Debatte eine
Pressekonferenz meiner Kollegin Flach, der Vorsitzenden
des Forschungsausschusses, zum Thema Brennstoffzelle
stattfindet. Denn ich glaube, das ist ein Stichwort, über
das wir uns im Gegensatz zur Kernenergie verständigen
könnten, indem wir uns gemeinsam dafür einsetzen, Anwendungsformen zu untersuchen und Antworten darauf
zu finden, wie wir mit der Brennstoffzellentechnik
sowohl im Verkehrsbereich
({10})
als auch im Bereich der Privathaushalte weiterkommen
können.
In diesem Zusammenhang hat der Wirtschaftsminister
darauf aufmerksam gemacht, dass man mit einer falschen
KWK-Förderung unter Umständen den Anwendungsbereich für eine entwickelte Brennstoffzelle, die sehr viel
günstigere Ergebnisse im Hinblick auf die CO2-Emissionen aufweist, verbaut, weil man den Markt mit einer Technologie zustopft, die nicht das verspricht, was heute auf
dem Markt eigentlich schon möglich wäre.
({11})
Insofern stimme ich Ihnen natürlich zu, wenn Sie sagen,
man müsse über Alternativen sprechen. Aber ich schließe
nicht aus, dass der für die Brennstoffzellentechnologie notwendige Wasserstoff - auch darüber müssen wir uns ja unterhalten - mithilfe der Kerntechnik erzeugt wird. Bauen
Sie doch nicht die Ausschlussszenarien auf!
({12})
Lassen Sie uns vielmehr im Sinne eines Energiemixes
an der Offenheit festhalten, die wir jetzt haben. Welchen
Energiemix wir in Zukunft haben werden, das wird sich
maßgeblich auf dem Markt und an der Rahmenbedingung, welche CO2-Emissionen entstehen, entscheiden.
Das ist ein wichtiger Punkt. Verengen Sie sich nicht auf
ein oder zwei Energietechnologien, sondern lassen Sie
eine gewisse Breite zu! Wir können uns doch nicht anmaßen, heute zu wissen, zu welchen Entwicklungen es
kommt.
Insofern glaube ich, dass diese Offenheit auch auf den
Energiemärkten zu einem positiven Ergebnis führt. Die
Deregulierung und die Liberalisierung haben eine äußerst
positive Bewegung in diese Märkte gebracht. Nur dort,
wo die Liberalisierung und die Deregulierung nicht konsequent durchgeführt worden sind, haben wir negative Ergebnisse.
({13})
Herr Minister, ich frage mich sogar, ob auf einem wirklichen Wettbewerbsmarkt Preisgenehmigungsbehörden
überhaupt noch gefragt sind. Ich glaube, auf die können
wir dann verzichten. Wenn die Praxis sogar so ist, wie ich
gestern in dem Bundesland, aus dem ich komme, gehört
habe, dass die Preisgenehmigungsbehörden den Stadtwerken Preiserhöhungen verweigern, die aus der Ökosteuer,
dem Erneuerbare-Energien-Gesetz und dem KWK-Vorschaltgesetz resultieren - weil sie nicht zugeben wollen,
dass das preissteigernd ist -, dann ist das ein Beweis dafür,
dass wir diese Behörden nicht brauchen.
Lassen Sie mich am Ende sagen: Neben der Offenheit
beim Energienmix und bei den verschiedenen Technologien ist das Wichtigste, in dieser Debatte, nicht immer nur über Deutschland allein zu reden. Wir agieren in
einem europäischen Markt, wir leben unter globalisierten
Bedingungen und die Welt wird sich nicht danach richten,
was sich Rot oder Grün ausdenkt. Es war für die Menschen und das Wohlergehen der Menschen immer noch
das Beste, wenn man die Verbraucher hat entscheiden lassen. Das ist nämlich das Marktprinzip, das demokratische
Prinzip in der Wirtschaft. Das wird auch in der Energiepolitik das erfolgreichste Prinzip sein.
Vielen Dank.
({14})
Das Wort hat
jetzt die Abgeordnete Eva Bulling-Schröter.
Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie von der CDU/CSU,
liebe Kolleginnen und Kollegen, beklagen in einem Antrag, dass aus dem Energiedialog 2000 keine Konsequenzen gezogen wurden. Ich muss Sie aber daran erinnern, dass es sich beim Energiedialog 2000 um eine
außerparlamentarische Veranstaltung der FriedrichEbert- und der Konrad-Adenauer-Stiftung unter leitender
Mitwirkung der Atom- und Energiewirtschaft gehandelt
hat. Wir sehen deshalb wenig Veranlassung, uns hier im
Haus mit gescheiterten Veranstaltungen von parteinahen
Stiftungen zu befassen.
Gleiches gilt für die Treffen der Energiewirtschaft mit
Vertretern der Bundesregierung, die zu einem Atomkonsens zwischen den Beteiligten geführt haben sollen. Außer
der Koalition setzt heute wohl niemand mehr auf einen
Atomkonsens. Die Energiekonzerne halten sich eine
zukünftige Fortsetzung der Atomkraftnutzung offen. Wie
die vorliegenden Anträge zeigen, werden sie darin von
Christdemokraten, der F.D.P. und von unionsregierten
Ländern unterstützt. Damit, so meine ich, dürfte die rotgrüne Konsensstrategie gescheitert sein.
Zu den anderen Anträgen möchte ich mich kurz halten.
Gegen die Vermeidung von Stand-by-Verlusten bei Elektrogeräten ist vom Grundsatz her nichts einzuwenden. Es
gab in der letzten Legislaturperiode wesentlich Besseres.
Leider wurde das von Ihrer Seite damals abgelehnt. Jetzt
haben Sie etwas eingebracht. Nur, was die Frage der
Energieeinsparung betrifft, möchte ich einmal kurz von
der gestrigen Anhörung zur IVU/UVP-Richtlinie berichten. BDI und VCI, Verband der Chemischen Industrie, haben sich besonders damit hervorgetan, dass sie einen bestimmten Artikel zur Energieeinsparung in diesem
Artikelgesetz nicht haben wollen. Wenn das gleich mit
Planwirtschaft und ähnlichen Dingen verglichen wird,
frage ich mich natürlich schon, wo die Industrie wirklich
Energie einspart und warum sie das nicht will.
Hinsichtlich der EU-Richtlinie zu regenerativen Energien haben wir beruhigt zur Kenntnis genommen, dass Vergütungen nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz nicht
als Beihilfen im Sinne des EG-Vertrages verstanden werden.
Die F.D.P. fordert mit ihrem Antrag die Bundesregierung zur Abgabe eines jährlichen Solarberichtes auf. Unverständlich ist, warum dieser Bericht jährlich gegeben
werden soll. Das alte Stromeinspeisungsgesetz sah auch
keine jährliche Berichterstattung vor. Unklar ist, warum
zum Stand des Ausbaus anderer regenerativer Energien
kein Bericht gefordert wird.
Jetzt zum Trauerspiel KWK. Der seit Jahren seitens
des Wirtschaftsministeriums bestehende Widerstand gegen den Ausbau der Kraft-Wärme-Koppelung tritt seit
den vergangenen Wochen offen zutage. Zur Kritik an der
Quote aus Teilnehmerkreisen einer „Handelsblatt“-Veranstaltung sagte Bundeswirtschaftsminister Müller kürzlich:
Das, was Sie sagen, ist richtig, aber es befriedigt im
Inland keine Ideologien.
Offenbar war der Ideologe Müller nicht auf der Kabinettssitzung zum nationalen Klimaschutzprogramm am
18. Oktober 2000, in der beschlossen wurde - ich zitiere
wiederum -:
Bis Ende 2000 wird die Bundesregierung Eckpunkte
einer Quotenregelung zum Ausbau der KWK vorlegen. Ziel ist die zusätzliche Minderung der CO2Emissionen in einer Größenordnung von 10 Millionen Tonnen bis 2005 bzw. 23 Millionen Tonnen bis
2010. Das Gesetzgebungsverfahren soll spätestens
Mitte 2001 abgeschlossen sein.
Also ich halte fest: Das Gesetzgebungsverfahren soll spätestens Mitte 2001 abgeschlossen sein. Jetzt haben wir
Ende Januar - und von Eckpunkten keine Spur. Morgen
trifft sich diesbezüglich Kanzler Schröder mit den Ministern Trittin und Müller zum Krisengipfel, wo wohl der mit
Gewalt-Debatten weichgekochte Umweltminister zum
Kotau gezwungen werden soll. Das wäre natürlich ein Triumph des Ex-VEBA-Managers im Ministeramt und der
Stromkonzerne auf der ganzen Linie. Nicht nur dass ihnen
die Verwertung ihrer Atomkraftwerke schon politisch garantiert wurde, es würde ihnen mit dem Fall der KWKQuote auch noch jede potenzielle Konkurrenz vom Leibe
gehalten, die mit einem größeren KWK-Anteil entstünde.
Natürlich wissen auch wir, dass das KWK-Vorschaltgesetz schnellstens ersetzt werden muss, weil es ökologisch in Teilen eher kontraproduktiv ist. Wenn im vergangenen Jahr statt der prognostizierten 20 Terawattstunden
tatsächlich 55 Terawattstunden als KWK-Strom vergütet
wurden, so spricht vieles dafür, dass hier massiv reiner
Kondensationsstrom überbezahlt wurde.
({0})
Aber auch diese Kritik muss sich zuerst an die Übertragungsnetzbetreiber richten, also wieder die großen
Stromkonzerne. Ihnen ist offensichtlich jedes Mittel
recht, um die KWK zu diskreditieren.
({1})
Denn selbstverständlich gibt es vernünftige Alternativen: Statt der ursprünglich diskutierten abstrakten Verdopplung der KWK-Stromerzeugung sollte auf die im bereits erwähnten nationalen Klimaschutzprogramm für den
KWK-Ausbau festgelegte konkrete Emissionsreduktion
abgehoben werden. Der Beitrag der einzelnen Anlagen
dazu, also die konkrete Zahl der für deren Betreiber gegebenenfalls handelbaren Zertifikate, könnte definiert werden
durch das Produkt aus der Menge des bei der Nutzwärmeproduktion erzeugten Stromes und der Differenz zwischen
Brennstoffausnutzungsgrad dieser KWK-Anlage und dem
Durchschnitt des Ausnutzungsgrades der reinen Stromerzeugungsanlagen mit dem gleichen Brennstoff.
So ließen sich relativ einfach nicht nur vermiedene
Kohlendioxidmengen exakt ermitteln, auch hätten moderne Braun- und Steinkohle-KWK-Anlagen wieder eine
Zukunftsperspektive, und ich denke, das ist auch notwendig. Vielleicht würde das ja auch die nordrhein-westfälische SPD aus ihrer unheiligen Allianz mit den Strombossen wieder etwas lösen.
Dieses Modell wäre tatsächlich voll klimaschutzorientiert, da es sich direkt an der gesellschafts- und nicht an einer industriepolitischen Zielgröße ausrichtet, und es wäre
der zumindest EU-weit erstmals unternommene praktische
Versuch der Umsetzung eines flexiblen Instruments des
Kioto-Prozesses, der damit auch über seinen eigentlichen
Zweck weit hinausreichende Standards setzen könnte.
({2})
Das müsste eigentlich auch die F.D.P. begeistern.
Aber all das scheint weder bei der Mehrheit der Regierung noch in der Wirtschaft Gehör zu finden. Denn offensichtlich haben maßgebliche Wirtschaftsverbände die
KWK-Förderung zu einer Entscheidungsschlacht über die
gesellschaftspolitisch fundamentale Frage auserkoren, ob
und wie schrankenlose Deregulierung weiterhin ein Primat von Regierungspolitik bleibt bzw. wieder wird. Ich
denke, wir haben da eine Verantwortung, und hier sollte
wirklich etwas getan werden. Herr Minister Müller, Sie
sind gefragt. Sie sollten nicht nur eine Lobby-Gruppe vertreten, sondern eben endlich auch im Sinne des Klimaschutzes - alle Parteien haben es ausgeführt - handeln.
Danke.
({3})
Wie es sich so
fügt, hat Herr Bundesminister Dr. Werner Müller jetzt
auch das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Ich werde im Protokoll der bisherigen Sitzung
einmal nachlesen, was die Opposition eigentlich so gefordert hat. Hätten Sie - nehmen wir das einmal an - insgesamt eine nachhaltige Energiepolitik von dieser Bundesregierung gefordert, dann hätte ich jetzt sagen können:
„Wir stimmen mit Ihnen überein“, hätte dann allerdings
hinzugefügt: Das Problem bei Ihnen, wenn Sie eine nachhaltige Energiepolitik fordern, ist - das merkt man deutlich - die Glaubwürdigkeit, weil man ja fragen muss: Was
haben Sie in all den Jahren dazu beigetragen? Das frage
ich Sie eingedenk der Tatsache, dass Energiepolitik immer eine sehr langfristige Sache ist.
Ich möchte das an einem Beispiel verdeutlichen: Sie
haben sehr ehrgeizige Klimaschutzziele entwickelt und
sie international verbindlich gemacht. Sie haben aber
- das ist ein Problem für diese Bundesregierung - jahrelang nichts Konkretes eingeleitet, damit diese Ziele auch
verwirklicht werden können.
({0})
Ich will Ihnen ein anderes Beispiel nennen: Sie haben
die Liberalisierung der Strom- und Gasmärkte vorbereitet - ganz ohne Zweifel -, aber Sie haben die Thematik, nach welchen Regeln Wettbewerb ablaufen soll, nicht
konsequent bearbeitet. Was mich besonders gestört hat:
Sie haben nicht dafür gesorgt, dass das irgendwie im europäischen Gleichschritt geschieht.
({1})
Deswegen bin ich ganz zufrieden mit dem, was wir nach
langen Verhandlungen mit der Europäischen Kommission
erreicht haben. Wir werden unter schwedischer Präsidentschaft einen neuen Anlauf nehmen, die Liberalisierung
der Strom- und Gasmärkte bis 2005 in Europa verwirklicht zu haben. Das ist, wenn es gelingt, ein wirklicher
Durchbruch. - Dies ist die erste Anmerkung dazu, dass
Energiepolitik natürlich, wie Sie gesagt haben, auch europäische Dimensionen hat, aber man muss sie dann auch
konsequent befolgen.
Nehmen Sie Ihre Auseinandersetzung mit der Kernenergie als weiteres Beispiel. Sie zementieren da alte
Grabenkämpfe. Das ist wirklich mein Eindruck.
({2})
Ich darf Ihnen sagen: Uns ist es gelungen, im Konsens mit
der Wirtschaft diesen Konflikt zu befrieden.
({3})
So haben wir bei Regierungsantritt rundherum, auch auf
dem Gebiet der Energiepolitik, viel Aufräumarbeit leisten
müssen, was nicht immer ein Zuckerschlecken ist. Aber
dafür sind wir ja gewählt worden, und wir werden die
Wege, die wir eingeschlagen haben, auch konsequent weitergehen.
Nach etwa einjähriger Diskussion mit den meisten gesellschaftspolitischen Gruppen und Verbänden haben wir
einen Grundkonsens über die Leitlinien einer langfristigen Energiepolitik erzielt. Dabei sind wir mit den allermeisten gesellschaftspolitischen Gruppen, außer der
Union, einig, dass die drei energiepolitischen Ziele Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit und Umweltverträglichkeit gleichrangig nebeneinander zu verwirklichen sind.
({4})
Wir sind uns auch mit allen, außer der Union, einig,
dass die Liberalisierung der Strom- und Gasmärkte weiter
fortgesetzt werden muss. Der Markt soll also Vorrang haben. Wir sind uns allerdings in den Gesprächen über energiepolitische Leitlinien mit allen, eben außer der Union,
auch einig geworden, dass der Markt alleine nicht alles regeln kann. Gerade in diesen Tagen erleben wir doch, dass
Liberalisierung im Strommarkt nicht heißen darf, nur auf
den Energiepreis zu schauen. Wenn Sie eine rein auf niedrige Preise orientierte Politik machen, erleben Sie, dass
die Strommärkte irgendwelche Versicherungsprämien in
Richtung einer langfristigen Zukunft nicht hergeben.
Wenn Sie Ihre Strommarktpolitik zehn Jahre fortgesetzt
hätten, hätten wir im Jahr 2010 Verhältnisse, wie wir sie
heute in Kalifornien haben, das heißt bankrotte EVU und
flächendeckende Stromausfälle.
({5})
- Ich rede ja nicht von Ihnen. Ich rede doch von der CDU.
({6})
- Natürlich. Sie wären eine Art kalifornische DunkelUnion geworden.
({7})
Sie müssen einfach einmal zur Kenntnis nehmen, was sich
in Kalifornien tut, und daraus Rückschlüsse ziehen. Denn
so etwas entwickelt sich über ein Jahrzehnt, ist aber dann
in Jahren nicht mehr reparabel. Es ist unsere Aufgabe, die
Rahmendaten so zu setzen, dass diese Situation gar nicht
erst eintreten kann.
({8})
Ich will Ihnen sagen, was wir weiterhin mit Brüssel vereinbart haben, weil Sie die Europäisierung richtigerweise
für wichtig erachten. Wir haben inzwischen grundsätzliche
Übereinstimmung mit den Mitgliedstaaten und Brüssel erzielt, um bei den erneuerbaren Energien unsere nationalen Fördersysteme abzusichern, die teilweise Sie noch
eingeführt haben, auch wenn Sie sie heute beklagen, zum
Beispiel das Energieeinspeisegesetz. Wir haben in Brüssel
auch umfangreiche andere Projekte wie Marktanreizprogramme und vor allem Forschungsförderung abgesichert.
Auch mit dem Grünbuch zum Thema Versorgungssicherheit hat die Europäische Kommission jetzt Vorschläge vorgelegt, mit denen unsere Energiepolitik der
letzten zwei Jahre in weiten Teilen nunmehr europäisiert
werden soll. Die Kommission setzt auf verstärkte Energieeffizienzmaßnahmen insbesondere im Verkehrs- und
Gebäudebereich. Sie will die Zusammenarbeit mit den
Lieferländern voranbringen. Sie setzt auf die Entwicklung
neuer, umweltfreundlicher Technologien und Antriebsstoffe. Sie schlägt vor, Importrisiken durch einen ausgewogenen Energiemix abzumildern. Die Nutzung einheimischer Energieträger hat dabei in diesem Grünbuch
einen hohen Stellenwert. Um es kurz zu fassen: Die Kommission greift mutig die Frage auf, ob nur das Thema „Liberalisierung der Energiemärkte“ die Energiepolitik bestimmt oder ob Energiepolitik nicht wesentlich weiter
verstanden werden muss. Auch hinsichtlich der Antworten darauf stimmen wir mit der EU-Kommission in vielem überein.
Ganz sicher ist es eine Frage der Zukunftsvorsorge, wie
die Mitgliedstaaten der EU langfristig ihre Versorgungssicherheit garantieren können und wie die Wirtschaftlichkeit und die Umweltverträglichkeit der Energieversorgung darin eingebettet werden.
Ich teile vollkommen die Schwerpunkte, die die Kommission setzt. In puncto Energieeffizienz und Energieeinsparung werden alle Mitgliedstaaten, auch Deutschland, alle Register ziehen müssen, wenn wir die ehrgeizigen
Ziele erreichen wollen. Das heißt, wir müssen die Energieeffizienz im Umwandlungssektor, bei der Kraft-WärmeKopplung, durch die Steigerung der Wirkungsgrade von
Kraftwerken und durch die Verringerung der Leerlaufverluste von Elektrogeräten erhöhen, vor allem aber den
Energiebedarf und die Nachfrage nach Raumwärme und
nach Mobilität senken. Diese Strategie vorrangig auszubauen und langfristig und stetig zu betreiben, das wird
nicht nur die Umweltverträglichkeit der Energieversorgung erhöhen; auch die Preisrisiken der Importabhängigkeit werden zunehmend abgefedert.
Nur am Rande, Herr Lippold: Es wird Ihnen wahrscheinlich entgangen sein, dass die von Ihnen angemahnte
Energieeinsparverordnung vom Kollegen Bodewig und
mir vor zwei Monaten im Entwurf der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Wenn Sie so freundlich sind, ihn lesen zu
wollen, sende ich Ihnen den Entwurf gerne zu.
Deutschland ist in der Entkopplung von Energieverbrauch und Wirtschaftswachstum gerade in den letzten
Jahren ein großes Stück weitergekommen. Der Primär
energieverbrauch je Einheit Bruttoinlandsprodukt ist in
den letzten Jahren kontinuierlich um fast 16 Prozent gesunken. Ich sage ganz deutlich: Wenn wir das Konzept der
Energiebesteuerung, der Ökosteuer fortführen, wird der
spezifische Energieverbrauch je Einheit Bruttoinlandsprodukt bis 2020 halbiert.
({9})
Das sind die Prognosen, die wir im Energiebericht auswerten.
Nun ist gefragt worden: Wo bleibt der Energiebericht? Da haben Sie einmal etwas Richtiges festgestellt:
Ich habe ihn noch nicht vorgelegt. Aber ich darf Ihnen sagen: Er wird vorgelegt werden, und zwar genau dann,
wenn er fertig ist.
({10})
- Ich weiß nicht, was es da zu lachen gibt. Etwas Halbfertiges haben Sie immer vorgelegt. Wir legen nichts
Halbfertiges vor.
({11})
Wenn ich an Ihre Energieprogramme denke, darf ich
ein Zweites sagen: Ich will den Energiebericht, den ich
vorlege, noch in zehn und in 20 Jahren lesen können, ohne
rot zu werden. Das tun Sie mit Ihren Programmen nicht;
denn sonst würden Sie rot.
({12})
Meine Damen und Herren von der Opposition, mir ist
nicht unbekannt - das ist heute auch wieder deutlich geworden -, dass Sie zur Kernenergie als Baustein im Rahmen einer Nachhaltigkeitsstrategie eine andere Meinung
haben als diese Bundesregierung. Aber es ist doch auch
klar, dass diese nur noch von Ihnen - warum auch immer gepflegte Kontroverse wenig dazu beiträgt, mit einer vernünftigen, nachhaltigen Energiepolitik weiterzukommen.
Ich habe in diesem Hause schon öfters gesagt: 85 Prozent unseres Primärenergieverbrauches kommen aus fossilen Energieträgern.
({13})
Verkehr und Raumwärme mit einem Anteil von zwei Dritteln am Endenergieverbrauch sind mehr oder weniger
vollständig von den Importenergieträgern Öl und Gas abhängig.
({14})
Jeder Kundige - das betone ich - weiß, dass die steigende
Nachfrage nach Verkehrsleistungen Einsparerfolge beim
Energieverbrauch überkompensiert und dass sich hier die
großen Probleme der Energiepolitik der Zukunft auftun.
Jeder Kundige weiß, dass beim Energieeinsatz im Wärmemarkt enorme Einsparpotenziale ausgenutzt werden
könnten. Jedenfalls wir wissen das und haben deshalb,
wie gesagt, die Energieeinsparverordnung auf den Weg
gebracht.
Alle Analysen, die wir im Rahmen des Energieberichtes bisher angestellt haben, zeigen uns, dass wir auf dem
richtigen Weg sind. Wir wissen, dass wir das Vorwärtskommen auf diesem richtigen Weg noch beschleunigen
müssen, damit wir die von Ihnen genannten Klimaschutzziele erreichen. Wir müssen des Weiteren dafür sorgen,
dass wir hier in Europa gemeinsam vorwärts kommen.
Ein Wort über den Strommarkt, weil Sie ihn immer
wieder ansprechen: Bis 2005 hat die Vereinbarung mit der
Stromwirtschaft zum Thema Kernenergie keine nennenswerten praktischen Auswirkungen. Nach 2010 stellen sich
dann die Fragen des Klimaschutzes und der Kernenergie
ganz anders, weil die Masse der Kernenergiestromerzeugung nach 2010 peu à peu vom Netz gehen wird. Aber
diese Fragen stellen sich nicht nur bei uns, sondern überall
auf den integrierten europäischen Strommärkten, die wir
bis zum Jahre 2010 haben werden.
Eines will ich Ihnen zu bedenken geben: dass Investoren in liberalisierten Märkten irgendwo in Europa angesichts der hohen Investitionskosten und langfristiger Kapitalbindung auf neue Kernenergiekapazitäten setzen, das
muss doch auch Ihnen aus heutiger Sicht völlig unwahrscheinlich vorkommen. Das bedeutet für Europa - keineswegs nur für die Bundesrepublik -, dass das Problem
des Klimaschutzes nicht mit dem Thema Kernenergie
gelöst werden kann,
({15})
es sei denn, Sie denken an staatliche Investitionslenkung.
({16})
Aber wenn Sie das als Ziel propagieren, dann sind Sie,
ähnlich wie Frau Hustedt es gesagt hat, ganz konkret aufgefordert, konsequenterweise ein Kernkraftwerks-Neubau-Gesetz hier in diesem Bundestag vorzulegen.
({17})
- Ich habe gesagt, es werde niemand mehr bauen, und Sie
haben auch keine Bauherren, und dann müssen Sie es
eben per Gesetz herbeizwingen. So einfach ist das.
Auch die Stromerzeugung in Kraftwerken mit niedrigen Umweltstandards in europäischen Mitgliedstaaten
kann keine Lösung sein, auf die wir langfristig setzen können. Ich habe deswegen mit Frau de Palacio lange darüber
gesprochen, dass wir insbesondere mit den Beitrittsländern auch über eine ökologische Reziprozität verhandeln
müssen.
({18})
Ich habe im Übrigen mit Frau de Palacio besprochen,
dass wir zum Schutz einheimischer Energieträger, seien
sie fossil, seien sie regenerativ, in Europa einen nationalen Primärenergiesockel einführen wollen, der vom Wettbewerbsregime der EU freigestellt ist.
Alles in allem, meine Damen und Herren, darf ich Ihnen sagen: Diese Bundesregierung macht eine vernünftige Energiepolitik.
({19})
Die Punkte, die Sie manchmal kritisch anmerken, werden
wir so erledigen, dass sich alle Seiten in den Beschlüssen
wiederfinden.
Über die Frage, wie der Neubau von Kraft-WärmeKopplungsanlagen erreicht wird, finden, wie Sie wissen,
Gespräche statt. Ich bin ganz zuversichtlich, dass wir Ergebnisse erreichen,
({20})
die uns dem Klimaschutz näher bringen - das kann die
Kraft-Wärme-Kopplung nämlich -,
({21})
die die Wirtschaftlichkeitsziele nicht außer Acht lassen
und die auch beim Strommarkt nicht zu hohen Prozentsätzen neuer Reglementierungen führen.
Wenn Sie in der Stromwirtschaft auf Selbstverpflichtungen setzen - ich würde das gern tun -, dann müssen
diese erst einmal vorliegen,
({22})
und man sollte möglichst nicht nach neuen Subventionen
rufen. Ich habe mit dem Thema der Selbstverpflichtung so
meine Erfahrungen.
({23})
Denn wie Sie wissen, ist die Gaswirtschaft aufgefordert
- oder sollte es als Chance begreifen -, sich selbst einen
Rahmen zu geben, wie der Wettbewerb im Gasmarkt ablaufen soll. Aber die Gaswirtschaft sagt mir mehr oder weniger deutlich: Mach lieber du das, das ist uns viel zu
kompliziert.
Ich weise abschließend auf Folgendes hin: Wenn die
Gaswirtschaft eine staatliche Netzzugangsverordnung
will, dann kann sie sie haben. Wir fangen parallel mit der
Arbeit an.
({24})
Dann wird es eine Regulierungsbehörde Gas geben, und
wenn es eine Regulierungsbehörde Gas gibt, dann werden
wir auch, weil die Wirtschaft es so will, zu einer Regulierungsbehörde Strom kommen.
({25})
- Bitte, keinen Beifall! Ich bin ja eigentlich nicht dafür,
ich sage das nur so.
({26})
Dann werden wir auch das Problem gelöst bekommen,
dass wir das einzige Land in Europa sind, das gar keinen
staatlichen Regulator hat. Denn wir kommen in ein Problem - wie Frau de Palacio mir gesagt hat -: Wenn alle europäischen Staaten im Jahre 2005 einen liberalisierten
Strom- und Gasmarkt haben, dann haben alle Länder einen staatlichen Regulator - Regulierungsbehörde, Netzzugangsverordnung etc. -, nur Deutschland nicht. Wenn
die Energiewirtschaft wirklich ernsthaft sagt, eine Regulierungsbehörde sei besser, dann werde ich mich diesem
Diktat beugen. Ich erlebe dann ein weiteres Mal, dass in
den häufigen Klagen der Wirtschaft über staatliche Regulierung nichts anderes zum Ausdruck kommt als die mangelnde Bereitschaft, Verantwortung in Form von Selbstregulierung zu übernehmen, sei es aus Bequemlichkeit
oder Angst. Das werde ich mir dann merken.
Vielen Dank.
({27})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Gunnar Uldall.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Der Vorfall, dass der Herr Minister an
der falschen Stelle Beifall von der Regierungskoalition
bekommt,
({0})
ist zum einen vielleicht eine kleine lustige Begebenheit;
er spricht aber auf der anderen Seite Bände, was das Verhältnis zwischen Ihnen und der Regierungskoalition angeht.
({1})
Darauf, Herr Minister, werde ich gleich noch einmal zu
sprechen kommen.
Vor drei Jahren haben wir, CDU/CSU und F.D.P., die
Strommonopole in Deutschland geknackt und die Märkte
dem Wettbewerb ausgesetzt. Das haben wir alle positiv
gespürt. Für eine kurze Zeit konnten wir eine erfreuliche
Tatsache registrieren: Wir bekamen nämlich Briefe von
unseren Stromversorgern, in denen keine Erhöhung der
Strompreise mitgeteilt wurde, sondern mitgeteilt wurde,
dass die Höhe der Stromabbuchungen pro Monat herabgesetzt wurde. Das waren gute energiepolitische Zeiten
unter CDU/CSU und F.D.P.
({2})
Jetzt sieht das alles schon ganz anders aus: Still und
heimlich hat die rot-grüne Koalition es verstanden, diese
Entlastungen, die wir für die Bürger und für die Betriebe,
die im internationalen Wettbewerb stehen und deshalb
dringend auf eine Senkung ihrer Kosten angewiesen waren, erreicht hatten, wieder zurückzufahren. Was ich dabei „bewundere“, ist, dass das gelungen ist, ohne dass es
von dem Einzelnen so richtig registriert wurde. Diese
Maßnahmen wurden nämlich immer in homöopathischen
Dosen verabreicht.
Ich will einmal die Dinge zusammenfassen, damit wir
alle das verstehen: Es hatte damit begonnen, dass im Zuge
der Ökosteuer auch eine neue Stromsteuer eingeführt
wurde. Inzwischen sind das 3 Pfennig. Man wird sagen:
Na ja, 3 Pfennig sind nicht so viel. Dazu muss man sagen:
Die Menge macht es; pro Kilowattstunde 3 Pfennig mehr,
das macht im Monat schon eine ganze Menge aus. Dann
kam das Erneuerbare-Energien-Gesetz; das brachte eine
zusätzliche Belastung von 0,3 Pfennig. Wer redet schon
über 0,3 Pfennig pro Kilowattstunde? So eine kleine
Größenordnung, so könnte man leichtsinnigerweise denken, können wir vergessen. Dann wurde ein Viertelpfennig für die Kraft-Wärme-Kopplung draufgeschlagen.
Auch hier sagte man: Das ist unbedeutend, das können
wir eigentlich übergehen.
({3})
Wenn ich das alles zusammenzähle, stelle ich fest, dass
bereits die Belastungen durch das Erneuerbare-EnergienGesetz und das Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz zusammengenommen so hoch für die einzelnen Haushalte sind,
als wenn die Mehrwertsteuer um einen Prozentpunkt angehoben worden wäre. Wenn man das gemacht hätte,
dann hätte es in Deutschland ein richtiges Aufbrausen gegeben, weil man sich diese Belastung nicht hätte gefallen
lassen. Durch eine geschickte Terminierung und eine Verabreichung in homöopathischen Dosen aber ist es der Regierung gelungen, diese Belastungen den Bürgern still
und heimlich aufzudrücken. Wir sind dafür da, das einmal
richtig darzulegen.
({4})
Es geht aber noch weiter; es hört ja nicht beim Strom auf:
Auf Heizöl sind 4 Pfennig mehr Steuern als 1998 zu zahlen. Es darf nicht vergessen werden, dass auch der öffentliche Nahverkehr, Stadtreinigung und Müllabfuhr infolge
der Energieverteuerung ihre Preise erhöhen müssen.
({5})
Schließlich kommen die drastischen Erhöhungen durch
die Ökosteuer hinzu, die ja bekannt sind.
Nun habe ich mir einmal die Mühe gemacht und alles
das in einer Übersicht zusammengestellt, was bei einem
Vierpersonenhaushalt, also Vater, Mutter und zwei Kinder, zusammenkommt.
({6})
Ich stelle fest: Gegenüber dem Jahre 1998, dem letzten
Regierungsjahr der CDU/CSU-F.D.P.-Koalition, muss
dieser Haushalt heute in einer 100 Quadratmeter großen
Wohnung 174 DM pro Jahr mehr für Strom bezahlen.
Durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz und die KraftWärme-Kopplung kommen 31,90 DM dazu. Beim Heizöl
sind es zusätzlich 116 DM. Bei den sonstigen Mehrkosten, wie ÖPNV und Straßenreinigung, sind es 72 DM. Die
Mehrbelastung auf die Kraftstoffe durch die Ökosteuer
beträgt 203 DM.
Wenn ich alles zusammenzähle, so macht das 630 DM,
({7})
die pro Jahr je Haushalt durch steuererhöhende Maßnahmen zusätzlich verlangt werden, die Sie so durchgeführt
haben, dass das von der Bevölkerung gar nicht richtig registriert wurde. Deswegen war es notwendig, diese Rechnung an dieser Stelle einmal aufzumachen.
({8})
Wenn ich das mit dem vergleiche, was an Entlastung
durch die Steuerreform kommt, dann kann ich nur sagen:
All das, was Sie immer wieder vorrechnen und unter das
Volk bringen, ist durch Ihren Griff in die Taschen der Bürger längst wieder futsch, Herr Minister.
Zur Kraft-Wärme-Kopplung: Es ist richtig, dass die
Kraft-Wärme-Kopplung energiesparend ist. Aber diese
Anlagen haben einen großen Nachteil: Sie produzieren
Strom und Wärme immer gleichzeitig. Nun ist die Wirklichkeit im Leben leider nicht so, dass immer gleichzeitig
Wärme- und Strombedarf besteht. Im Winter haben wir
die Notwendigkeit, Strom zu verbrauchen, um zu kochen,
weil wir etwas Schönes essen wollen, und gleichzeitig
heizen wir. Hier passt es zusammen. Im Sommer sieht es
schon anders aus. Im Sommer brauchen wir ebenfalls
Strom zum Kochen, aber keine Fernwärme, um die Wohnung zu heizen. Um das Energiesparkonzept der Regierung in dieser Form aufgehen zu lassen, müsste man die
Fenster öffnen und die Wärme wieder herauslassen. Jeder
sieht, dass ein solches Konzept ökologisch unsinnig ist
und so nicht aufgehen kann.
Deswegen kann man sagen: Wir erkennen, dass die
Kraft-Wärme-Kopplung immer nur mit einem gewissen
Anteil für die Stromversorgung sinnvoll einsetzbar ist.
Die Grünen und die Sozialdemokraten wollen jedoch
durch eine Quotenregelung eine Verdoppelung des Anteils des KWK-Stroms in Deutschland erreichen.
({9})
Dann würde so viel Wärme produziert werden, dass sie
gar nicht unterzubringen ist.
({10})
Das zeigt, dass das KWK-Subventionsgesetz nicht nur ein
wirtschaftlicher Unsinn ist, da Überkapazitäten staatlich
gefördert würden, sondern dass es in dieser Form auch
ökologisch nicht vertretbar ist.
({11})
Das, Herr Minister, darf in dieser Form in Deutschland
nicht stattfinden. Sie gehörten immer zu denen, die davor
gewarnt haben, dies beliebig auszubauen. Damit standen
Sie in einer Reihe mit unserem früheren Kollegen von der
SPD, Herrn Schwanhold. Er ist inzwischen Wirtschaftsminister in Nordrhein-Westfalen. Schließlich hat auch der
Vorsitzende der Gewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie
dasselbe wie Herr Schwanhold gesagt und das Konzept
der Regierung für falsch erklärt.
Deswegen kann ich nur sagen: Setzen Sie sich gegen
die Ökoideologen in der Koalition durch! Ich habe gestern
in der „Süddeutschen Zeitung“ einen Artikel gelesen, dessen Überschrift lautete: Grüne setzen Wirtschaftsminister
Müller unter Druck.
({12})
- Das war in der „Frankfurter Rundschau“. Herr Minister
Müller, Sie dürfen in dieser Frage nicht nachgeben. Lassen Sie den Ideologen nicht zu viel Spielraum! Wir werden Sie in dieser Frage unterstützen, Herr Minister.
({13})
Leider gibt es schon eine ganze Reihe von Fällen, in
denen Sie sich bei wirtschaftspolitischen Themen zwar
immer kernig geäußert, aber nicht durchgesetzt haben.
Ich will ein paar Beispiele anführen. Sie haben vor
einer Belastung der mittelständischen Betriebe durch
das Gesetz zum Recht auf Teilzeitarbeit gewarnt - ohne
Erfolg, Herr Minister. Sie fordern eine steuerlich sinnvolle Behandlung von Aktienoptionen - ohne Erfolg, Herr
Minister. Sie wenden sich gegen eine Ausweitung der
Mitbestimmung im Betriebsverfassungsgesetz - ohne Erfolg, Herr Minister.
({14})
Sie verlangen mit vollem Recht die Verantwortung für
wirtschaftspolitische Grundsatzfragen - ohne Erfolg,
Herr Minister.
({15})
Ich kann Ihnen nur sagen, Herr Minister: Lassen Sie
sich das in dieser Form nicht gefallen! Verhindern Sie das
Subventionsgesetz für die Kraft-Wärme-Kopplung! Verhindern Sie damit eine gigantische Fehlentwicklung in
der deutschen Energiepolitik! Diesmal, Herr Minister,
müssen Sie Rückgrat zeigen. Notfalls müssen Sie Minister acht sein, denn Sie haben bereits gute Angebote von
zukünftigen Arbeitgebern.
({16})
Das Wort hat
jetzt der Herr Bundesminister Jürgen Trittin.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Herr Uldall, Sie haben mich gerade
an etwas erinnert. Als Sie sagten, das Ganze hätte einen
zusätzlichen Punkt Mehrwertsteuer bedeutet, habe ich
mich an den März 1998 erinnert. Im März 1998 hat Ihre
Mehrheit - übrigens gegen den Rat Ihres damaligen Fraktionsvorsitzenden, der etwas anderes wollte - die Mehrwertsteuer um einen Punkt erhöht, um die von Ihnen verursachte Rentenkrise zu finanzieren.
({0})
Ich will eines hinzufügen: Das haben Sie in einer Situation getan,
({1})
in der Sie innerhalb weniger Jahre die Sozialversicherungsbeiträge von 35 Prozent des Bruttolohns auf fast
44 Prozent gesteigert haben. Anschließend haben Sie
noch die Mehrwertsteuer draufgehauen.
({2})
Wenn Sie als Steuerpolitiker meinen, sich in der energiepolitischen Debatte profilieren zu müssen, möchte ich
Ihnen in aller Ruhe sagen: Wir haben mit der Ökosteuer
den Irrweg der Anhebung der Bruttolohnkosten verlassen
und den Anschlag
({3})
auf Beschäftigung in Deutschland gestoppt. Stattdessen
besteuern wir das, was sinnvoll ist, nämlich den Verbrauch natürlicher Ressourcen.
({4})
Ich kann noch ein Beispiel bringen: Sie haben dieser
Regierung und ihrem Wirtschaftsminister vorgeworfen,
sie könnten ihre Vorstellungen nicht durchsetzen. Das ist
falsch. Wer hat denn im Bundesrat versucht, die Steuerfreistellung von Veräußerungsgewinnen zu blockieren?
Das waren die CDU/CSU-geführten Bundesländer. Es
war gut, dass wir es geschafft haben,
({5})
diese Blockade zu Beginn der Sommerpause zu durchbrechen. Spielen Sie sich hier nicht als Scheinheiliger, als
Verteidiger des Wirtschaftsministers auf!
({6})
In Wirklichkeit versuchen Sie, die vernünftige Wirtschaftspolitik dieser Bundesregierung kaputtzumachen
und zu blockieren.
({7})
Ich möchte eine zweite Bemerkung machen. Es ist
schön, dass Herr Lippold angeblich ein Energiekonzept
hat.
({8})
Aber, entschuldigen Sie, ein Energiekonzept ist noch keine
Energiepolitik. Die Frage danach muss doch erlaubt sein.
Wir alle finden den IPCC-Bericht zum Klimaschutz
und zur Notwendigkeit einer Klimapolitik richtig; Herr
Hirche sprach das bereits an. Wenn das unsere gemeinsame Priorität ist, dann möchte ich Sie fragen: Was haben
Sie gemacht, als diese Bundesregierung und die sie tragende Koalition gesagt haben, der jetzige Ausbau der erneuerbaren Energien sei nicht hinreichend, hier müsse es
einen Push geben? Sie, die von Ihnen geführten Bundesländer, haben versucht, das Erneuerbare-Energien-Gesetz zu blockieren. Dieses Gesetz ist aber eine wirkliche
Erfolgsgeschichte. In den letzten zwei Jahren dieser Regierung ist allein der Anteil des Stroms in diesem Land,
der aus Windenergie gewonnen wird, verdoppelt worden.
Wir sind heute mit 6 000 Megawatt absoluter Spitzenreiter in der Welt; zweiter sind die USA mit 2 500 Megawatt.
Das ist die Wirklichkeit. Diese Energiepolitik hat unsere
Regierung gegen Ihren Widerstand durchgesetzt.
({9})
- Verehrter Herr Kollege, ich habe bewusst auf die Zahlen von 1998 bis heute Bezug genommen.
({10})
Wir haben die Verunsicherung, die Sie erzeugt haben,
durchbrochen. Wir haben Stabilität und Investitionssicherheit in diesen Bereich gebracht.
({11})
Wir haben nicht nur die Stromgewinnung aus Windenergie
gefördert, sondern gerade auch dem ländlichen Raum mit
der Biomasse eine Alternative gegeben. Ich glaube, von
Photovoltaik brauche ich an dieser Stelle nicht zu reden.
Nächste Bemerkung: Wenn es richtig ist, dass die Energieeffizienz eine Schlüsselfrage ist, warum legen Sie - inzwischen lachen die Leute ja schon darüber - jedes halbe
Jahr eine Kampagne gegen die Ökosteuer auf?
({12})
Das verstehe ich nicht.
Ich habe gestern mit Vertretern der OECD zusammengesessen. Sie haben Deutschland zum zweiten
Mal begutachtet und uns ziemlich gute Noten gegeben.
Die OECD hat ausdrücklich festgehalten: Die Ökologisierung des Steuersystems in der Bundesrepublik Deutschland durch die Ökosteuer hat einen Lenkungseffekt. Sie
haben kritisch hinzugefügt, dieser Lenkungseffekt ließe
sich verstärken, und vorgeschlagen, den Steuernachlass
für die gewerbliche Wirtschaft von 20 Prozent zu erhöhen.
Ich möchte einmal erleben, wie sich die rechte Seite dieses
Hauses verhalten würde, wenn wir diesem Ratschlag der
OECD noch in diesem Jahr folgten. Aber darüber werden
wir bei der Fortentwicklung der Ökosteuer nach dem Jahre
2003 diskutieren müssen.
Sie stellen sich jedoch hierhin und sagen, die Ökosteuer
habe keine Lenkungswirkung. Herr Lippold, im Interesse
einer wirklich konsistenten Energiepolitik müssen Sie nun
springen und zu den Konsequenzen stehen. Springen ist
aber auch eine Frage der Kondition und der Fitness.
({13})
Lassen Sie mich noch eine Bemerkung zu den Bereichen Klimaschutz, Atomenergie und Effizienz machen.
Wenn wir Energiepolitik betreiben, haben wir eine
grundsätzliche Entscheidung zu treffen: Setzen wir auf effiziente und energiesparende Technologien oder halten wir
an einer kapitalintensiven und vor allen Dingen ineffizienten Struktur fest? Wir sagen ganz bewusst: Anlagen wie
zum Beispiel Atomkraftwerke, die eine Effizienz von weniger als 40 Prozent haben, sind nicht nachhaltig zukunftsfähig. Deswegen brauchen wir, wenn wir das Klimaschutzziel erreichen wollen, einen Umbau in der
Struktur. Nicht trotz des Atomausstiegs, sondern weil wir
schrittweise aussteigen, schaffen wir die Voraussetzung
für eine effiziente und sparsame, in vielen Fällen dezentralen Energiestruktur.
({14})
In einer solchen Struktur spielt neben den erneuerbaren
Energien auch die Kraft-Wärme-Kopplung eine Rolle.
Man kann sich nicht hierhin stellen und auf der einen Seite
sagen, man sei für Effizienz, auf der anderen Seite aber eingestehen, keine Vorschläge zu haben. Ich hätte es verstanden, wenn Sie gesagt hätten: Lassen Sie uns darüber streiten, ob die Quote das richtige Instrument ist! Man kann
dafür oder dagegen sein. Wir - Wirtschaftsministerium und
Umweltministerium - haben Gutachten vorliegen, die alle
zum gleichen Ergebnis kommen. Das DIW und das Wuppertal-Institut sagen: Wir bekommen die Einsparung von
23 Millionen Tonnen CO2, die zusätzlich zur Selbstverpflichtung der deutschen Wirtschaft zu erbringen ist, nicht
mit dem Instrument der Quote hin. Wir sind bereit, über Alternativen dazu zu diskutieren.
Aber eines muss ich an dieser Stelle mit allem Nachdruck sagen: Es geht nicht an, dass man Verpflichtungen,
die man auf einem anderen Gebiet eingegangen ist - zum
Beispiel mit der Selbstverpflichtung -, ein zweites Mal
anrechnet. Es geht nicht an, dass man glaubt, man könne
zusätzlich 7 Milliarden DM an Steuermitteln aus der Tasche holen. Das ist nicht die Alternative.
({15})
Wir sind dafür offen, diese effiziente Struktur auch mit anderen Instrumenten als der Quote hinzubekommen. Ich
sage Ihnen aber mit allem Nachdruck: Dies geht nicht
durch eine weitere Finanzierung aus dem Steuersäckel
und durch Anrechnung von Reduktionen in anderen Bereichen. In diesem Sinne wird diese Regierung in aller
Freundschaft und Solidarität mit der Wirtschaft zu reden
haben.
Ich danke Ihnen.
({16})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Christian Ruck.
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Die Wissenschaft hat uns in
eindringlicher Weise deutlich gemacht, wie sehr Energiepolitik auch Umweltpolitik ist. In der Tat ist der jüngste
Bericht des Gremiums für Klimaveränderung erneut besorgniserregend. Es gibt keine Entwarnung, im Gegenteil.
Die energiepolitischen Weichen, die wir in diesen Tagen
und Jahren stellen, entscheiden auch über die Zukunft des
regionalen und globalen Klimas sowie über das Wohl und
Wehe von Regionen, ganzen Erdteilen und zukünftigen
Generationen.
Deswegen gebe auch ich meinen Vorrednern Recht:
Ziel jeder nationalen und internationalen Energiepolitik
muss neben der Sicherung einer Energieversorgung zu
wettbewerbsfähigen Preisen das Zurückfahren der Treibhausgase sein. Das ist die Verpflichtung der heutigen Politiker für unsere Kinder, Enkel und Urenkel. Ich glaube,
da sind wir uns alle weitgehend einig.
({0})
Nicht einig sind wir uns natürlich über den richtigen
energiepolitischen Weg, dieser Verpflichtung nachzukommen. Die Vorstellungen von Rot-Grün sind von den
unsrigen meilenweit entfernt. Trotzdem ist es bemerkenswert, dass wir uns zumindest auf ein Instrument schon
einmal verständigt haben, wie unser Stand-by-Antrag
zeigt. Der so genannte Stand-by-Verbrauch, also der
Stromverbrauch von Geräten im Leerlauf, der immerhin
eine Größenordnung von 4,5 bis 5 Prozent des Gesamtstromverbrauchs ausmacht, ließe sich leicht auf einen
Bruchteil des heutigen Wertes reduzieren. Die Technik
dazu ist zu niedrigen Kosten vorhanden. Deswegen ist es
richtig, dass wir gemeinsam über alle Parteien hinweg der
Bundesregierung Dampf machen, ihre Aktivitäten zu verstärken und zumindest diesem Einsparungspotenzial national und EU-weit zum Durchbruch zu verhelfen.
Ebenso richtig ist es, dass wir zuerst eine Verhandlung
mit den Herstellern mit dem Ziel einer freiwilligen Selbstverpflichtung anstreben, aber das Einsparungspotenzial
nach einer angemessenen Frist unter Umständen auch mit
entsprechenden ordnungsrechtlichen Maßnahmen auf
EU-Ebene durchsetzen.
Das damit ausgeschöpfte CO2-Minderungspotenzial
ist natürlich bescheiden. Aber es zeigt doch, dass man
auch in der Energiepolitik in Deutschland zu gemeinsamen Lösungen finden könnte, wenn man sich im Ziel einig ist, auf die Wissenschaft hört und an der Sache orientiert diskutiert. Das ist aber leider bei Rot-Grün in weiten
Teilen ihrer Energiepolitik eben nicht der Fall - mit fatalen Wirkungen für Ökonomie und Ökologie.
Ich nenne Ihnen dazu einige Punkte. Die Ökosteuer ist
schon mehrfach angesprochen worden. Sie ist gerade unter ökologischen Gesichtspunkten irrational; denn die
energieintensiven Betriebe sind weitgehend ausgenommen, die Kohle wird geschont, die CO2-freie Kernenergie
dagegen nicht, dafür werden Eisenbahn und öffentlicher
Personennahverkehr belastet. Vor allem aber verschwindet das finanzielle Aufkommen in Haushaltslöchern oder
im Rentensystem, nicht aber im Umweltsektor oder beim
Klimaschutz.
({1})
Damit ist die Ökosteuer nicht nur wirtschaftspolitisch verfehlt und sozial unausgewogen, sondern auch ein umweltpolitischer Etikettenschwindel erster Ordnung.
Das Gleiche gilt für die Politik der Kraft-WärmeKopplung. Natürlich kann KWK einen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Aber Ihr KWK-Vorschaltgesetz dient
einzig und allein - das hat Herr Hirche schon ausgeführt der ökonomischen Rettung vor allem kommunaler Altanlagen mit meist geringem Energieausnutzungsgrad, die in
der Folge - auch hier wieder auf dem Rücken der Bürger
und Verbraucher - prompt ihre unökologische Produktionsweise massiv hochgefahren haben.
Die endlich vorgelegte Energieeinsparverordnung
wurde vor einigen Tagen in einer Anhörung ebenfalls als
Rückschlag für den Umweltschutz kritisiert.
({2})
Ihre neuen Programme zur Sanierung des Gebäudebestands sind im Gegensatz zu unserem Gegenvorschlag ein
Tropfen auf dem heißen Stein. Auch das EEG hat schwere
Mängel. Sie knöpfen dem normalen Verbraucher für das
100 000-Dächer-Programm in Deutschland pro Jahr insgesamt 1,2 Milliarden DM ab; hinzu kommen noch
5,4 Milliarden DM aus dem EEG. Beides hat allerdings
den gigantischen Erfolg, dass sich der Anteil der Photovoltaik an der deutschen Stromproduktion auf sage und
schreibe 0,3 bis 0,6 Promille steigert.
({3})
Jetzt zum Stromeinspeisungsgesetz, Herr Trittin. Ich
glaube, jeder hier, der sich mit Energiepolitik beschäftigt,
weiß, dass die vorige Bundesregierung und die damalige
Koalition den Vorläufer der jetzigen Gesetzeslage und damit auch die Grundlage für den Erfolg zum Beispiel bei
der Windkraft geschaffen haben. Wir können uns diesen
Erfolg also mit an den Hut heften.
({4})
Sie fahren - es wurden China und Indien genannt - die
Entwicklungshilfe zurück, was natürlich die Handlungsspielräume für Energie- und Klimapolitik im Ausland einschränkt, und schrauben die Ausgaben für die Energieforschung zurück, und zwar vor allem auf dem Gebiet der
Kraftwerkstechnik, die Sie für besonders wichtig halten.
Ich gebe Ihnen Recht: Genau hier liegen die großen CO2Minderungsspielräume für die Zukunft. Wenn Sie sich
aber die mittelfristige Finanzplanung anschauen, dann
wird deutlich, dass Sie dieses Programm bis 2004 erheblich zurückfahren.
Besonders gravierend ist für mich die Frage des Kernenergieausstiegs, und zwar nicht nur ökonomisch und
außen- und sicherheitspolitisch, sondern auch umweltpolitisch. Niemand von Rot-Grün hat bisher schlüssig darlegen können, wie wir die 160 Millionen Tonnen CO2, die
wir zusätzlich produzieren, kompensieren können. Auch
die EU-Kommissarin de Palacio hat vor kurzem erklärt,
dass die Klimaschutzziele mit einem Atomausstieg nicht
in Einklang zu bringen sind.
({5})
Niemand konnte mir bisher erklären, welchen Gewinn die
Welt davon hat, wenn wir aus der sichersten Kerntechnologie aussteigen und andere Länder im Osten oder Entwicklungsländer - übrigens nicht nur in China, sondern
auch in Indien - in eine viel weniger sichere Kerntechnologie einsteigen.
({6})
Wir exportieren damit nicht länger Sicherheit und Technologie, sondern wir importieren Atomstrom aus KernDr. Christian Ruck
kraftwerken, auf die wir keinen Einfluss mehr haben. Das
ist wirklich kein Gewinn, auch nicht für die Umwelt.
All diese Irrationalitäten Ihrer Energiepolitik sind ein
umweltpolitischer Rückschlag. Sie machen Deutschland
zu einem unsicheren Kantonisten, der international an
Einfluss verliert. Sie machen Umweltschutz teuer. Sie
verärgern die Leute und machen es der Politik damit
schwer, für Umwelt- und Klimaschutz zu werben.
Wir wissen alle, dass wir vor gigantischen Herausforderungen stehen. Die Erfüllung der Verpflichtung, die
CO2-Emissionen in Deutschland bis zum Jahre 2005 um
25 Prozent zu reduzieren, ist schwer genug. Aber jeder
von uns weiß, dass dies erst der Anfang ist, wenn wir unser Klima einigermaßen in der Balance halten wollen.
Jeder von uns kennt das schwierige internationale Umfeld. Wir werden unserer energiepolitischen Verantwortung
nur dann gerecht werden, wenn wir uns erstens international nicht isolieren, wenn wir zweitens die Klimaschutzziele
mit dem geringsten volkswirtschaftlichen Aufwand verfolgen und wenn wir drittens die Bürger in unserem Land davon überzeugen, dass wir ihnen für den Klimaschutz nur
die Opfer abverlangen, die wirklich nötig sind; denn dann
sind sie auch zu diesen Opfern bereit.
({7})
Unsere Energiepolitik setzt nicht nur auf den Erhalt der
Kernenergie, sondern auch auf die technologische Fortentwicklung der Kernenergie hin zu noch mehr Effizienz
und Sicherheit, zum Beispiel auf den EPR. Auch wir setzen bei der Verdoppelung der regenerativen Energien an,
aber nicht mit Instrumenten, die schließlich zum Selbstzweck werden. Wir fordern eine Komplettsanierung des
Gebäudebestandes.
Frau Hustedt, es kränkt mich etwas, dass Sie die Anträge,
die wir dazu vorgelegt haben - sie sind auch von mir -, nicht
gelesen haben. Ich schicke sie Ihnen gerne noch einmal zu,
auch unseren Antrag zur KWK-Politik.
Wir wollen eine Stärkung der Energieforschung, aber
ohne ideologische Scheuklappen. Dabei denken wir an
Forschungen zur Effizienzsteigerung, an die Wasserstofftechnologie, die Brennstoffzelle, aber auch an die Kernfusion. Wir setzen auf die Förderung von KWK, aber
nicht durch eine antiquierte Quotenregelung, sondern
zum Beispiel durch ein 100 000-Keller-Programm zur
Markteinführung innovativer, dezentraler Anlagen.
({8})
Wir wollen auch die Stärkung der Entwicklungspolitik
zugunsten eines massiven Technologietransfers in die
Entwicklungs- und Schwellenländer;
({9})
denn hier - darauf wurde von Ihnen schon hingewiesen liegen die eigentlichen klimapolitischen Sprengsätze der
Zukunft.
Wir sind durchaus bereit und in der Lage, über Steuerpolitik zu reden, aber über Steuern, die die Gefahrenquelle treffen, die wettbewerbsneutral sind und deren
Aufkommen wiederum für sinnvollen Klimaschutz verwendet wird.
({10})
Eine solche Klimapolitik ist dann auch gleichzeitig
Umweltpolitik. Aber Ihre rot-grüne Energiepolitik steht
für Widersprüchlichkeit, für umweltpolitische Ineffizienz, für Verschwendung knapper Ressourcen und leider
- dank Trittin und Co. - für ideologische Borniertheit bis
hin zur Sabotage des Rechtsstaats. Eine solche Energiepolitik ist nicht vernünftig, Herr Müller. Sie ist vielmehr
eine schlechte Politik. Wir haben dazu eine klare und gute
Alternative.
({11})
Das Wort hat
jetzt der Abgeordnete Volker Jung.
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! In dieser Debatte ist schon
sehr viel über Wettbewerb und Liberalisierung gesprochen worden. Das ist auch richtig so; denn in diesem Bereich gibt es sehr viele ungelöste Probleme. Ich möchte
meine knappe Redezeit nutzen, an diesen Punkt anzuknüpfen.
Wohin eine falsch angelegte Deregulierung in der
Stromversorgung führen kann - das ist schon verschiedentlich erwähnt worden -, können wir in diesen Tagen in
Kalifornien beobachten. Dadurch kann die Versorgungssicherheit massiv gefährdet werden und zu ruinösen Folgen für die gesamte Wirtschaft führen. Die Internationale
Energie-Agentur sagt, dass uns dies in Europa nicht passieren könne. Sie schränkt diese Aussage aber ein, indem
sie hinzufügt, dass es nur dann nicht passieren könne,
wenn die Überkapazitäten bei der Stromversorgung nicht
wegfallen würden. Aber genau das ist die Entwicklung,
die vor uns liegt.
Auch bei uns ist zu beobachten, dass die Liberalisierung der europäischen Strom- und Gasmärkte einen dramatischen Umbruch in unserer Energieversorgung eingeleitet hat, der bis zum heutigen Tag nicht abgeschlossen
ist. Wir haben die überstürzte Liberalisierungspolitik der
damaligen Bundesregierung heftig kritisiert, nicht etwa
deswegen, weil wir den Wettbewerb auch in der leitungsgebundenen Energieversorgung ablehnen. Wir haben sie
vielmehr kritisiert, weil das neue Energiewirtschaftsgesetz fast ausschließlich auf die Verschärfung des Preiswettbewerbes abstellt, und zwar ohne Rücksicht auf die
Umweltstandards und die Umweltziele, ohne Rücksicht
auf die Versorgungsstrukturen, die in unserem Land sehr
viel differenzierter angelegt sind, und ohne Rücksicht auf
die nationalen Energiestandorte und Arbeitsplätze.
Die alte Bundesregierung hat praktisch keinen der vorhandenen Gestaltungsspielräume der europäischen Stromrichtlinie genutzt und ausgeschöpft, wie zum Beispiel die
stufenweise Marktöffnung, die Verankerung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen, die Versorgungssicherheit,
den Umweltschutz und den Schutz heimischer Energieträger. Die Folge ist, dass ein reiner Preiswettbewerb entstanden ist, der mit Dumpingangeboten, mit Fusionen, mit
Unternehmensaufkäufen, mit Kraftwerksstilllegungen
und mit Billigstromimporten ausgetragen wird. Umweltfreundliche Arten der Energieerzeugung, heimische Kraftwerksstandorte und verbrauchernahe Versorgungsstrukturen sind dabei infrage gestellt.
Dies ist kein akzeptables Ergebnis der Deregulierung weder in Deutschland noch in Europa. Deshalb muss nach
unserer Auffassung im europäischen Binnenmarkt ausgeschlossen werden, dass sich zulasten der Umwelt und
künftiger Generationen die billigsten Anbieter und die
schlechtesten Anlagen durchsetzen,
({0})
dass die Stromversorgung in das Belieben der Anbieter
gestellt wird und dass das Netzmonopol missbraucht
wird. Es ist und bleibt Aufgabe der Politik, das auszuschließen. Wir tun dies Schritt für Schritt.
({1})
Unsere Energiepolitik steht vor der Herausforderung,
das - wie ich es nennen möchte - Zielvieleck, bestehend
aus Wirtschaftlichkeit, Versorgungssicherheit und Umweltverträglichkeit - Bundeswirtschaftsminister Müller
hat diese Punkte schon erwähnt - und, wie ich hinzufügen
will, Standort- und Beschäftigungssicherheit, unter den
veränderten Bedingungen des europäischen Wettbewerbs
und gestiegener Klimaschutzanforderungen wieder ins
Gleichgewicht zu bringen.
({2})
Das gilt zunächst für die unterschiedlichen Marktöffnungen in Europa. Die alte Regierungsmehrheit hatte entschieden, dass der deutsche Markt ohne Übergang, von
einem Tag auf den anderen, vollständig geöffnet wurde.
Unser Nachbar Frankreich zum Beispiel hat die Umsetzung der europäischen Stromrichtlinie über ein Jahr verschleppt und musste von der Europäischen Kommission
erst mit einem Vertragsverletzungsverfahren bedroht werden, um ein nationales Gesetz zur Umsetzung der Stromrichtlinie zu erlassen, das dann aber auch nur die minimal
vorgeschriebene Öffnung des französischen Marktes vorsah.
Dieses Problem lässt sich nach unserer Auffassung nur
auf zwei Wegen sauber lösen. Ein Weg ist, die Marktöffnung in Europa zu beschleunigen. Das halten wir für den
wettbewerbskonformen Weg. Deswegen unterstützen wir
die Initiative des Bundeswirtschaftsministers in Brüssel.
Die Kommission hat inzwischen vorgeschlagen, für Strom
bis zum Jahr 2005 eine vollständige Marktöffnung herbeizuführen. Eine parallele Initiative für Gas ist in Vorbereitung.
Aber wer sich mit der Willensbildung in der Europäischen Union etwas auskennt, wird eine gewisse Skepsis gegenüber den Erfolgsaussichten nicht verhehlen können. Deswegen ist es unverzichtbar, auch über den alternativen Weg nachzudenken, nämlich die Reziprozitätsklausel im Energiewirtschaftsgesetz zu verschärfen.
Dieser Vorschlag liegt auf dem Tisch und muss gründlich
diskutiert werden.
Dies gilt aber auch für den Umwelt- und Klimaschutz. Der drastische Preiswettbewerb hatte unmittelbar
zur Folge, dass die umweltschonende Stromerzeugung
aus erneuerbaren Energien und der Kraft-Wärme-Kopplung, deren Ausbau seit Jahrzehnten mit dreistelligen Milliardenbeträgen gefördert wurde, akut gefährdet war. Deshalb sahen wir uns gezwungen, schnell zu handeln. Mit
dem Erneuerbare-Energien-Gesetz und dem KWK-Soforthilfegesetz, die wir im vergangenen Jahr verabschiedet haben, glauben wir, diese Fehlentwicklung gestoppt
zu haben und umkehren zu können.
({3})
Der Wettbewerbsmarkt Energie braucht ökologische
Flankierungen zugunsten erneuerbarer Energien und der
Kraft-Wärme-Kopplung sowie Anreize für einen sparsamen und effizienten Umgang mit Energie. Das gilt nicht
nur für unser Land, sondern für ganz Europa. Denn beide
Ebenen sind Signatare der Kioto-Verpflichtung und tragen dafür auch die politische Verantwortung.
({4})
Mit den bisher beschlossenen Maßnahmen - ökologische Steuerreform, Erneuerbare-Energien-Gesetz, KWKSoforthilfegesetz, Förderprogramme für erneuerbare Energien - haben wir in Deutschland wichtige Schritte
unternommen. Weitere Maßnahmen, die in unserem Klimaschutzprogramm verankert sind, vor allem der Ausbau
der Kraft-Wärme-Kopplung, müssen folgen.
({5})
Herr Kollege,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hirche?
Bitte sehr, Herr
Hirche.
Herr Kollege Jung, ich erbitte
zu Folgendem Ihre Stellungnahme: Im KWK-Bereich öffentliche Versorgung haben wir 28 Terawatt, für 48 Terawatt sind laut Bericht des Bundeswirtschaftsministers
Subventionsanträge gestellt worden. Wie soll bei dieser
Diskrepanz Qualität gesichert werden?
Diese Verwirrung
bringen Sie in die Diskussion, weil Sie schlicht den Förderansatz des Soforthilfegesetzes und den Ansatz, den wir
für das Ausbaugesetz finden müssen, verwechseln. Im
Soforthilfegesetz ging es immer um „stranded investments“. Dass dabei ein Teil des Kondensationsstroms mitVolker Jung ({0})
gefördert worden ist, liegt an der Anlage, daran, dass die
Anlagen insgesamt gefährdet sind. Deswegen war das
eine bewusste Entscheidung. Im Ausbaugesetz werden
die Effizienzkriterien sehr viel enger angelegt werden.
Wesentliche Mitnahmeeffekte sollen verhindert werden.
Es wird vor allen Dingen ein Marktdruck ausgeübt werden, damit es im Anlagenbestand zu einer technologischen Entwicklung kommt.
Das ist der Unterschied. Wenn Sie den nicht zur Kenntnis nehmen, dann können Sie die ganze Diskussion nicht
verstehen.
({1})
Ich empfehle Ihnen, abzuwarten, welche Vorschläge auf
den Tisch kommen. Die Arbeiten sind relativ weit vorangeschritten.
Uns ist durchaus bewusst, dass all die Maßnahmen, die
ich hier erwähnt habe, die Wettbewerbsposition der deutschen Wirtschaft berühren. Darum müssen wir diese
Schritte auch mit Augenmaß unternehmen. Aber nach aller
Erfahrung geht kein Weg daran vorbei, das immer einige
Länder in Europa vorangehen müssen, um europäische
Entscheidungen voranzubringen.
({2})
Unser Ziel ist und bleibt es aber, diese Maßnahmen auf
europäischer Ebene zu ergänzen und auch zu harmonisieren. Dies gilt nicht zuletzt für die Standort- und Beschäftigungssicherung. Unter den Rahmenbedingungen
eines zugespitzten Preiswettbewerbs, erheblicher Überkapazitäten in der Stromerzeugung, einer ungleichgewichtigen Marktöffnung und zunehmender Importabhängigkeit in der Energiewirtschaft sind Standort- und
Beschäftigungssicherung sehr viel schwieriger geworden,
aber gleichwohl unentbehrlich. Dort werden wir unsere
ganze Kraft einsetzen.
Ich glaube, meine Damen und Herren, dass die eigentliche Ideologie, die in dieser Debatte zum Ausdruck gekommen ist, darin liegt, dass die Opposition meint, Wettbewerb als Selbstzweck hochstilisieren zu können.
Wettbewerb ist aber immer nur Mittel zum Zweck, das
heißt, die Politik muss die Rahmenbedingungen setzen,
unter denen sich Wettbewerb entfalten kann, und
Rahmenbedingungen müssen - wie es schon gesagt worden ist - die Wirtschaftlichkeit, die Versorgungssicherheit, die Umweltverträglichkeit, aber auch die Standortund Beschäftigungssicherung berücksichtigen. Das sind
die Leitlinien unseres Handelns.
Schönen Dank.
({3})
Ich schließe damit die Aussprache. Wir kommen zu den Abstimmungen:
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und
Technologie zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU
mit dem Titel „Energiepolitik für Deutschland - Konsequenzen aus dem Energiedialog 2000“. Der Ausschuss
empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/3507 abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des
Ausschusses? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen von
CDU/CSU und F.D.P. angenommen.
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der
Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel „Energieeinsparung durch Minderung des Stromverbrauchs von Elektrogeräten im Leerlaufmodus“. Der Ausschuss empfiehlt
die Annahme des Antrags auf Drucksache 14/2348 in der
Ausschussfassung. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des Ausschusses? - Gibt es Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig
angenommen worden.
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft
und Technologie zu der Unterrichtung durch das Europäische Parlament mit dem Titel „Entschließung des Europäischen Parlaments zu Elektrizität aus erneuerbaren
Energieträgern und zum Elektrizitätsbinnenmarkt“. Der
Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis dieser Resolution eine
Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen von
CDU/CSU und F.D.P. angenommen.
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft
und Technologie zu dem Antrag der Fraktion der F.D.P.
mit dem Titel „Zukunftsfähige Energiepolitik für den
Standort Deutschland“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/2364 abzulehnen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Diese Beschlussempfehlung ist mit dem eben
festgestellten Stimmenverhältnis angenommen.
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der
Fraktion der CDU/CSU zu dem Thema „Energiepolitik
für das 21. Jahrhundert - Einstieg in ein nachhaltiges,
klimaverträgliches Energiekonzept statt Ausstieg aus der
Kernenergie“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf
Drucksache 14/543 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung des Ausschusses? - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die
Stimmen der CDU/CSU angenommen; die F.D.P. hat sich
enthalten.
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft
und Technologie zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der F.D.P. zu dem Gesetzentwurf zur Förderung der
Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien sowie zur
Änderung des Mineralölsteuergesetzes. Der Ausschuss
empfiehlt, den Entschließungsantrag auf Drucksache 14/2778 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen von
CDU/CSU und F.D.P. angenommen.
Volker Jung ({0})
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/1234 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Einverstanden? Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Die Fraktion der SPD hat gebeten, die Sitzung für etwa
eine halbe Stunde zu unterbrechen. Das tun wir auch. Der
Wiederbeginn der Sitzung wird rechtzeitig durch Klingelsignal angekündigt.
Die Sitzung ist damit unterbrochen.
({1})
Die un-
terbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 17 a bis 17 e auf:
Überweisungen im vereinfachten Verfahren
a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Jörg van
Essen, Gerhard Schüßler, Dr. Max Stadler, weiteren
Abgeordneten und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung
des Deutschen Richtergesetzes ({0})
- Drucksache 14/4909 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({1})
Innenausschuss
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 13. Dezember 1999 zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und der Republik
Panama über den Luftverkehr
- Drucksache 14/4988 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({2})
Finanzausschuss
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 2. Mai 1997 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der
Regierung der Republik Estland über den
Luftverkehr
- Drucksache 14/4989 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({3})
Finanzausschuss
d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung des Magnetschwebebahnbedarfsgesetzes
- Drucksache 14/5067 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({4})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus
e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umstellung von Vorschriften im land- und forstwirtschaftlichen Bereich auf Euro ({5})
- Drucksache 14/4555 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({6})
Finanzausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der
Fall. Dann sind die Überweisungen beschlossen.
Wir kommen nun zu den Tagesordnungspunkte 18 a bis
18 m. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Tagesordnungspunkt 18 a:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Verarbeitung und Nutzung der zur Durchführung
der Verordnung ({7}) Nr. 820/97 des Rates
erhobenen Daten
- Drucksache 14/4721 ({8})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
({9})
- Drucksache 14/5142 Berichterstattung:
Abgeordneter Franz Obermeier
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in
dritter Beratung einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 18 b:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung von Vorschriften auf dem Gebiet
der Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen
- Drucksache 14/4591 ({10})
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({11})
- Drucksache 14/5143 Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Berichterstattung:
Abgeordnete Margot von Renesse
Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten
Rainer Funke
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist
einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 18 c:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu
den Änderungsurkunden vom 6. November
1998 zur Konstitution und zur Konvention der
Internationalen Fernmeldeunion vom 22. Dezember 1992
- Drucksache 14/3952 ({12})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({13})
- Drucksache 14/5104 Berichterstattung:
Abgeordnete Gudrun Kopp
Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt auf Drucksache 14/5104, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in
zweiter Beratung einstimmig angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist
einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 18 d:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 28. Juli
1995 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der
Aserbaidschanischen Republik über den Luftverkehr und zu dem Protokoll vom 29. Juni
1998 zur Berichtigung und Ergänzung des Abkommens vom 28. Juli 1995 zwischen der
Regierung der Bundesrepublik Deutschland
und der Regierung der Aserbaidschanischen
Republik über den Luftverkehr
- Drucksache 14/3476 ({14})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({15})
- Drucksache 14/4971 Berichterstattung:
Abgeordneter Norbert Königshofen
Der Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
empfiehlt auf Drucksache 14/4971, den Gesetzentwurf
anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 18 e:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 21. Mai
1999 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Moldau über den Luftverkehr
- Drucksache 14/3475 ({16})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({17})
- Drucksache 14/4972 Berichterstattung:
Abgeordneter Norbert Königshofen
Der Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
empfiehlt auf Drucksache 14/4972, den Gesetzentwurf
anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen.
Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses.
Tagesordnungspunkt 18 f:
Beratung der Beschlussempfehlung des
Petitionsausschusses ({18})
Sammelübersicht 174 zu Petitionen
- Drucksache 14/3537 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 174 ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen aller anderen
Fraktionen angenommen.
Tagesordnungspunkt 18 g:
Beratung der Beschlussempfehlung des
Petitionsausschusses ({19})
Sammelübersicht 194 zu Petitionen
({20})
- Drucksache 14/4561 -
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der PDS
auf Drucksache 14/4927 vor. Wer stimmt für diesen Än-
derungsantrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der
Änderungsantrag ist gegen die Stimmen der PDS mit den
Stimmen aller anderen Fraktionen abgelehnt.1)
Wer stimmt für die Sammelübersicht 194? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht
194 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der
CDU/CSU und der F.D.P. gegen die Stimmen der PDS angenommen.
Tagesordnungspunkt 18 h:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({21})
Sammelübersicht 234 zu Petitionen
- Drucksache 14/5098 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 234 ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen, der CDU/CSU und der F.D.P. bei
Enthaltung der PDS angenommen.
Tagesordnungspunkt 18 i:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({22})
Sammelübersicht 235 zu Petitionen
- Drucksache 14/5099 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 235 ist bei Enthaltung der
PDS mit den Stimmen aller anderen Fraktionen angenommen.
Tagesordnungspunkt 18 j:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({23})
Sammelübersicht 236 zu Petitionen
- Drucksache 14/5100 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 236 ist damit einstimmig
angenommen.
Tagesordnungspunkt 18 k:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({24})
Sammelübersicht 237 zu Petitionen
- Drucksache 14/5101 Wer stimmt dafür? - Wer enthält sich? - Wer stimmt
dagegen? - Sammelübersicht 237 ist damit einstimmig
angenommen.
Tagesordnungspunkt 18 l:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({25})
Sammelübersicht 238 zu Petitionen
- Drucksache 14/5102 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 238 ist damit einstimmig
angenommen.
Tagesordnungspunkt 18 m:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({26})
Sammelübersicht 239 zu Petitionen
- Drucksache 14/5103 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 239 ist bei Gegenstimmen
der PDS mit den Stimmen aller anderen Fraktionen angenommen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 2 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU
Keine Ausgrenzung unserer Bauern - die
Bundesregierung muss dem ländlichen Raum
in der gegenwärtigen Krise helfen
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der
Kollege Michael Glos von der CDU/CSU-Fraktion das
Wort.
({27})
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Die Gewerkschaft
Nahrung - Genuss - Gaststätten sagt: 40 000 Arbeitsplätze sind durch BSE gefährdet. In der Fleischwarenindustrie herrscht Kurzarbeit. Erste Konkurse sind zu verzeichnen. Die Lage unserer Vieh haltenden Bauern ist
verzweifelt. In Bayern werden 30 Prozent des deutschen
Rindfleisches erzeugt. 80 000 schlachtreife, aber nicht
vermarktbare Rinder stehen derzeit allein in Bayern in
den Ställen. Jede Woche kommen 10 000 weitere hinzu,
({0})
die eigentlich geschlachtet werden müssten, aber gegenwärtig auf dem Markt nicht unterzubringen sind.
({1})
Die deutschen Bauern haben sich stets bemüht, die
Rahmenbedingungen, die ihnen vorgeschrieben wurden,
einzuhalten und zu erfüllen.
({2})
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
1) Anlage 2, Erklärung nach § 31 GO des Abg. Dr. Ilja Seifert ({3})
Die Wirtschaftsbereiche, die mit der Landwirtschaft verbunden sind, wie der Landhandel, der Landmaschinenhandel, aber auch die Banken, insbesondere die Genossenschaftsbanken, die den Landwirten Kredite gegeben
haben, befinden sich alle in einer sehr schwierigen Situation.
Deswegen fordern wir heute von der Bundesregierung
ein klares, rasches und überzeugendes Hilfskonzept.
({4})
Man kann einen Wirtschaftszweig in dieser dramatischen Situation nicht allein lassen. Gerade die CDU/CSU
und die Bayern sind verlacht worden
({5})
wegen des so genannten bayerischen Weges,
({6})
bei dem wir uns bemüht haben, möglichst viele Landwirtschaftsbetriebe am Leben zu halten
({7})
und keine Politik des „Wachsens oder Weichens“ zu betreiben. Wenn heute gegenüber der Agrarindustrie der
Vorwurf unterschwellig - erhoben wird, alle größeren
Haltungsformen seien des Teufels, dann muss man sagen:
Gerade in Bayern ist dieses sehr viel weniger ausgeprägt
als anderswo.
({8})
Wir wissen allerdings, dass das nicht automatisch davor
schützt, dass es auch dort zu Krankheiten und Infektionen
kommen kann.
Anderswo, auch und gerade in Niedersachsen - ({9})
- Ich habe einmal gelernt: Wer schreit, der hat Unrecht.
({10})
- Jetzt warten Sie doch erst einmal ab.
Gerade in Niedersachsen, während der Regierungszeit
des Ministerpräsidenten Gerhard Schröder, setzte man
stark auf größere Einheiten in der Viehhaltung. Vor allen
Dingen hat man eine stärkere Orientierung an den europäischen Märkten und auch an den Weltmärkten gefordert. Dies alles ist in enger Fühlungnahme und in Abstimmung - wie es sich gehört - mit dem Bauernverband
und auch mit dem damals hoch gelobten und jetzt rasch
entlassenen Agrarminister Funke geschehen.
Nach dem Regierungswechsel im Bund haben sich die
Verantwortlichen der Bauernverbände - das sind keine
Berufsfunktionäre, wie der Herr Bundeskanzler abwertend sagte - mit der neuen Regierung zusammengesetzt,
um das Beste für ihren Berufsstand zu erreichen und damit für eine sichere Ernährung in Deutschland zu sorgen.
Die Bauernverbände sind sogar so weit gegangen - was
ich nicht billigen kann; das geschah natürlich in Anpassung an die neuen Herrschaftsverhältnisse in Deutschland -, einen Bauernverderber wie den Herrn Gysi auf
dem Deutschen Bauerntag reden zu lassen.
({11})
Man kann den Bauernverbänden keine Einseitigkeit
vorwerfen, so wie es jetzt im Nachhinein konstruiert werden soll.
({12})
Ich wehre mich dagegen, dass SPD und Grüne unsere
Bauern wegen der BSE-Krise zu Prügelknaben der Nation
machen wollen.
({13})
Wenn der Herr Bundeskanzler, nachdem diese Krise
auch uns erreicht hat, sofort markig davon spricht, dass er
sich vom Geschrei der Funktionäre des Deutschen Bauernverbandes, mit denen er sonst ein sehr spezielles Verhältnis hatte, nicht mehr beeindrucken lässt, dann ist das
mindestens so unverschämt wie Ihr ständiges Geschrei
hier.
({14})
Am 29. November 2000 hat der Bundeskanzler von
dieser Stelle aus verkündet: „Weg von den Agrarfabriken.“ Er hat angekündigt, „eine Perspektive für eine andere, verbraucherfreundlichere Landwirtschaft zu entwickeln.“
Derselbe Bundeskanzler, Gerhard Schröder, hat noch
am 2. Juli 1999 auf dem Bauerntag in Cottbus erklärt - ich
zitiere -:
Die teilweise Absenkung der Agrarpreise in der
Agenda 2000 ist ein Erfolg, weil jeder sich im Klaren sein musste, dass wir näher an die Preise des
Weltmarktes heran müssen.“
Herr Funke hat die Bauern stets insbesondere vor der
Politik in Bayern gewarnt
({15})
und hat die auf die Umwelt bezogenen Ausgleichsbeträge,
die es nur in Bayern gegeben hat, als einen Fehler bezeichnet.
Der Agrarsprecher der SPD - Weisheit soll er heißen;
hier ist der Name anscheinend nicht Omen, sondern offensichtlich Zufall - hat gesagt
({16})
- Moment, jetzt hören Sie sich doch erst einmal an, was
er gesagt hat; ich zitiere -:
In den letzten Jahren hat zu wenig Strukturwandel in
Teilen dieser Republik stattgefunden.
Er hat nicht den Strukturwandel hin zu mehr ökologischer
Landwirtschaft, sondern hin zu Großproduktion gemeint.
Eine Aktuelle Stunde erlaubt nicht, die Dinge zu Ende
zu führen. Deswegen sage ich, da das alles so war und da
Sie bei uns im Lande Verantwortung tragen: Handeln Sie
endlich zugunsten unserer Bauern!
({17})
Als
nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Waltraud
Wolff von der SPD-Fraktion.
Sehr geehrter
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Rot-grünes
Chaos in der Krisenbewältigung“, „Die Bauern werden
allein gelassen“, „Es zählen nur noch Verbraucherinteressen …“ - das sind Aussagen einer Opposition aus den vergangenen Wochen und Tagen, die es heute wagt, zu diesem Thema eine Aktuelle Stunde zu inszenieren.
({0})
Zum größten Teil besteht sie aus denselben Politikern, die
in den Jahren eigener Regierungsverantwortung die
Worte Sicherheit und Verbraucherschutz aus ihrem Wortschatz gestrichen hatten. Da frage ich natürlich ernsthaft:
Wer hat hier die Bauern im Regen stehen lassen? Warum
stehen denn, Herr Glos, wie Sie eben gesagt haben, die
vielen Arbeitsplätze im landwirtschaftlichen Bereich und
in den Sekundärbereichen auf der Kippe? Weil Sie nicht
gehandelt haben, weil Sie zu feige waren, die richtigen
Maßnahmen zu ergreifen. Gestern in der Ausschusssitzung glaubte ich allerdings, dass die Abgeordneten der
CDU in ihren Wortbeiträgen meine Kolleginnen von den
Grünen noch links überholen würden. So ändern sich die
Zeiten.
({1})
Nach dem ersten BSE-Fall in Deutschland hat die
Bundesregierung sofort gehandelt. Das Verbot der Verfütterung von Tiermehl und der Verwendung von Milchaustauschern kam augenblicklich. Rasche Hilfe ist notwendig. Das ist völlig unstrittig. Komischerweise sind wir uns
darüber fraktionsübergreifend - allerdings: unpopulär,
hinter verschlossenen Ausschusstüren - einig.
Meine Damen und Herren, schnelle Hilfe tut Not - darüber gibt es keine gegensätzlichen Auffassungen -: Erstens. Wir sind für eine gesunde Ernährung von mehr als
80 Millionen deutscher Bürgerinnen und Bürger verantwortlich. Wir müssen dem Verbraucherschutz oberste Priorität einräumen.
({2})
Zweitens. Wir haben für eine gläserne Produktion zu sorgen, und zwar nicht nur, weil wir den Verbrauchern verpflichtet sind, sondern auch, weil wir nur auf diese Weise
dem Berufsstand der Bauern helfen können.
Zweifelsohne kommen - das räume ich hier ein - die
Auswirkungen des Sofortprogramms zu langsam bei den
Bauern an. Aber was seit sechs oder sieben Jahren verschlampt und verschlafen wurde, kann man nicht in einem
Monat wieder beheben. Meine Damen und Herren der
Opposition, Sie sollten lieber Ihre Kraft effektiv bei der
Krisenbewältigung einsetzen, statt hier populistisch Aktuelle Stunden zu beantragen.
({3})
In der nächsten Woche werden Entscheidungen der Ministerin, Frau Künast, zum Marktentlastungsprogramm
bekannt gegeben werden. Mit circa 1,9 Milliarden DM
will die EU den Aufkauf von rund 2 Millionen Rindern
über 30 Monate finanzieren und sich an den Kosten der
BSE-Tests beteiligen; in Deutschland könnten im Zuge
dieses Pakets allein 400 000 Rinder herausgekauft werden. Ich weiß, bezüglich der Frage: „Was wird mit den
getöteten BSE-freien Tieren?“ gibt es ethische und auch
tierschutzrechtliche Bedenken. Meine Damen und Herren, mir sind Tierschutz und Hunger in der Welt bei weitem nicht egal. Aber mit aller Deutlichkeit will ich hier sagen, dass wir angesichts unseres jetzigen Wissensstandes
weder um die Keulung ganzer Herden bei Auftreten von
BSE noch um das Marktentlastungsprogramm herumkommen. Die Bauern warten darauf. Auf ihnen lastet der
Druck. Sie wissen nicht mehr, wohin mit ihren Tieren. Sie
alle kennen das auch aus Ihren Wahlkreisen. Wer, bitte
schön, möchte sich das Horrorszenario ausmalen, das
Wirklichkeit wird, wenn wir jetzt nicht schnell handeln?
Gestern gab es eine Aktuelle Stunde zum Thema Arzneimittel in der Schweinehaltung. Es geht weiter, meine
Damen und Herren, die Skandale nehmen kein Ende.
Schuld daran sind meiner Meinung nach zum Teil auch
die Wünsche der Verbraucher, die ständig auf billige
Lebensmittel gedrungen haben, vorrangig aber kriminelle
Tierärzte und betrügerische, unverantwortliche Bauern,
die meinten, sie seien selber Arzt, und so dem gesamten
Berufsstand geschadet haben.
({4})
- Richtig, die Bayerische Staatsregierung schaut weg. Um gegenüber der Landwirtschaft wieder Vertrauen zu
schaffen, den Bauern wieder zu dem Vertrauen zu verhelfen, das sie verdient haben, hat der Bundeskanzler das einzig Richtige getan, nämlich den Verbraucherschutz im
Landwirtschaftsministerium verankert. Lebensmittelsicherheit durch Prüfungen ist unabdingbar. Harte Sanktionen bei Verstößen reichen mir persönlich nicht aus. Ich
will, dass solche groben und wissentlichen Zuwiderhandlungen strafrechtlich geahndet werden.
({5})
Ich begrüße es, dass Frau Künast einen Wissenschaftlichen Beirat im Ministerium berufen will. Es wird eine
Behörde für Lebensmittelsicherheit geschaffen. Wir werden ein staatliches Prüfsiegel erlassen, das strengen Kriterien unterliegt, und zwar sowohl für den konventionellen als auch für den ökologischen Anbau.
Wir haben in den nächsten Wochen Entscheidungen
auf EU-Ebene und auf nationaler Ebene zu treffen. Sie
sind im gesamtdeutschen Interesse, aber vor allem auch
im Interesse des Berufsstandes der Bauern; denn es ist ihr
Ansinnen, Qualität zu sichern und Vertrauen in ihre Produkte wiederherzustellen. Nicht die Bauern sind ursächlich schuld. Deshalb lassen die SPD und die Grünen, die
Regierungsfraktionen, die Bauern nicht allein. Wir kümmern uns weiterhin um die Entwicklung des ländlichen
Raumes.
Schönen Dank.
({6})
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Marita Sehn von der
F.D.P.-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! In Ihrem Bericht vom 6. Dezember 2000 zur Politik der ländlichen Räume schreiben Sie,
dass nach dem Regierungswechsel von 1998 eine Neuausrichtung der Agrarpolitik stattgefunden hat. Jetzt, im
Angesicht der BSE-Krise, wird der Kanzler nicht müde,
zu betonen, dass die Agrarpolitik wieder neu ausgerichtet
werden muss. Erneut ist die Rede von einer Wende.
Meine Damen und Herren, den Landwirten muss ja
schon ganz schwindlig werden, so schnell, wie sich die
Regierung in der Agrarpolitik wendet.
({0})
Aber es liegt nun einmal im Wesen von Wenden, dass derjenige, der sich zweimal wendet, wieder dort steht, wo er
am Anfang war. Eine Politik für den ländlichen Raum, die
diesen Namen verdient, darf sich nicht ausschließlich um
die Interessen der Landwirte kümmern. Sie muss die Interessen aller Bewohner und wirtschaftlichen Akteure des
ländlichen Raumes vertreten: des Handwerkes ebenso
wie des Mittelstandes und natürlich auch der Landwirte.
Die Neugestaltung des Agrarressorts hätte eine echte
Chance sein können, das Ziel einer integrierten Politik für
den ländlichen Raum auch institutionell zu verankern und
das Landwirtschaftsministerium mit zusätzlichen, für die
ländlichen Gebiete relevanten Kompetenzen auszustatten.
({1})
Auf diese Weise hätte ein kraftvolles, homogenes Ministerium für den ländlichen Raum geschaffen werden können. Stattdessen hatte man den Eindruck, dass es bei der
Ressortaufteilung zuging wie auf einem parteipolitischen
Basar. Der Anspruch, effiziente Strukturen zu schaffen,
spielte in dieser Diskussion keine Rolle.
Die Politik der Bundesregierung wird nicht von der Ladentheke her gedacht, sondern aus der Stadt heraus, und
dann den ländlichen Gebieten übergestülpt.
({2})
Die Bewohner des ländlichen Raumes - Herr Weisheit,
das ist leider wahr - fühlen sich von dieser Regierung
schon lange nicht mehr vertreten.
({3})
Aber was kümmern den Genossen der Bosse die Bauern?
Was kümmern ihn die Sorgen und Nöte des Handwerkes
und des Mittelstandes?
Ich freue mich immer wieder, wenn ich sehe, wie viel
sich in Berlin in den letzten Jahren verändert hat. Es freut
mich, zu sehen, was mit den eingesetzten Mitteln erreicht
werden konnte. Im krassen Widerspruch dazu stehen allerdings die Schwierigkeiten, Mittel auf kommunaler
Ebene, selbst für dringend notwendige Maßnahmen, zu
bekommen. Die Verärgerung und Frustration, die in vielen ländlichen Gebieten zutage tritt, kann ich sehr gut
nachvollziehen. So warten, um Ihnen ein Beispiel zu nennen - Herr Diller kennt es -, die Bürger von Kastellaun
und Gödenroth im Hunsrück schon seit langem vergeblich
auf die dringend benötigten Umgehungsstraßen, ohne
dass sich etwas tut.
({4})
- Es ist eine Bundesstraße, liebe Frau Höfken.
({5})
Eine Politik für den ländlichen Raum würde ein konzertiertes Vorgehen der relevanten Ressorts aus Verkehrs-,
Umwelt-, Wirtschafts- und Landwirtschaftsministerium
erfordern.
({6})
Hier wäre echte Teamarbeit gefragt und nicht das isolierte
Herumagieren der einzelnen Ressorts. Wie das Teamplay
innerhalb der Bundesregierung funktioniert, hat das Duo
Funke/Fischer in eindrucksvoller Weise demonstriert. Bei
einer Politik für den ländlichen Raum sind aber Konzepte
gefragt und keine grün-rote Flickschusterei.
Die Erfolgsbilanz der Agrarpolitik dieser Bundesregierung ist bislang alles andere als beeindruckend.
({7})
Da wird ein Landwirtschaftsminister ernannt, und kaum
dass die Landwirte ein ernsthaftes Problem haben, macht
sich Herr Funke aus dem Staub und lässt die Bauern im
Regen stehen. Um dem Ganzen noch die Krone aufzusetzen, verkündet der Bundeskanzler, dass er sowieso nur
mit den „redlichen Landwirten“ reden möchte. Aber wer
sind denn nun die „unredlichen“ Landwirte, Herr
Schröder? Sind es die 97 Prozent konventionell wirtschaftenden Betriebe oder sind es die nicht SPD-wählenden Landwirte?
({8})
- Das ist wohl wahr.
Waltraud Wolff ({9})
Es ist interessant, wenn man sieht, wie fleißig Frau
Künast bemüht ist, sich von den vollmundigen Verlautbarungen ihres Kanzlers zu distanzieren. Da heißt es auf einmal:
Ich werde mich nicht daran beteiligen, konventionelle und ökologische, große und kleine Betriebe gegeneinander auszuspielen!
({10})
Das müssen Sie auch nicht, Frau Künast, da Ihr Chef das
bereits für Sie erledigt hat.
Und man höre und staune: Aus der groß angekündigten
Wende in der Agrarpolitik ist ein „Wendechen“ geworden.
Die einzigen Wenden, die diese Regierung hinbekommt,
sind die Wenden der grünen Politiker: Joschka Fischer
wendet sich vom Straßenkämpfer zum staatstragenden
Außenminister,
({11})
Jürgen Trittin vom Terrorismusbefürworter zum Armaniträger und Frau Künast, liebe Frau Lemke, befindet sich
gerade in Vorbereitung ihrer agrarpolitischen Wende.
Aus dem im Bundestagswahlprogramm von 1998
pompös angekündigten sozialökologischen Agrarprogramm ist mittlerweile ein bescheidenes Ausschöpfen der
bestehenden Möglichkeiten für eine differenzierte Förderpolitik geworden, was auch immer die Ministerin darunter
versteht. Sie ist also aus ihrem grünen Wolkenkuckucksheim auf den Boden der Realpolitik heruntergekommen.
({12})
Sehr geehrte Damen und Herren, der ländliche Raum
und mit ihm die Landwirte sind für die kulturelle Identität
unseres Landes von extremer Bedeutung. Wir Liberalen
bekennen uns zu einer starken und selbstbewussten deutschen Landwirtschaft als integralem Bestandteil des ländlichen Raumes und fordern schnelle und unbürokratische
Hilfe.
Danke.
({13})
Als
nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Steffi Lemke,
Bündnis 90/Die Grünen.
Geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Deutschland steckt in der BSE-Krise, und zwar nicht nur
die deutschen Landwirte, sondern die gesamte Gesellschaft. Wir diskutieren über eine Neuausrichtung der
Agrarpolitik und über das aktuelle BSE-Krisenmanagement. Die CDU/CSU leistet zu dieser Debatte so wertvolle Beiträge wie die heutige Aktuelle Stunde.
Ich hatte erwartet, dass Sie inzwischen vielleicht Vorschläge und Konzepte zur BSE-Bekämpfung und zur
Neuorientierung der Agrarpolitik haben, die Sie dem Parlament vorlegen. Fehlanzeige! Sie sind damit beschäftigt,
Ihre Fehler der Vergangenheit aufzuarbeiten, und können
es nicht verknusen, dass die Bauern, die Sie bisher als Ihr
politisches Eigentum betrachtet haben, jetzt mit uns in einen Dialog eintreten - Herr Sonnleitner und die Präsidenten anderer Bauernverbände haben uns die Bereitschaft
zum Dialog deutlich signalisiert - und über die Neuausrichtung der Agrarpolitik diskutieren.
({0})
Sie versuchen seit Wochen, Grabenkämpfe mit uns
auszutragen. Sie versuchen, uns zu unterstellen, wir würden eine Ausgrenzungspolitik gegen die Landwirte betreiben. Sie versuchen, Gräben zwischen Ost und West,
zwischen Groß und Klein und zwischen Öko und Konventionell aufzuschütten. Ich sage Ihnen: Wir lassen uns
nicht in eine solche Debatte hineintreiben, und zwar weder von Ihnen noch von einzelnen Bauernverbandfunktionären.
Es wird mit Rot-Grün keine einseitig ausgerichtete
Agrarpolitik geben. Wir werden auch weiterhin, wie wir
es in der Vergangenheit getan haben, für große und für
kleine Betriebe, für Betriebe im Osten und im Westen und
für ökologische und konventionelle Betriebe Landwirtschaftspolitik betreiben, weil im Moment alle Arten von
Landwirtschaft und alle Bauern eine Diskussion über ihre
Perspektiven und keinen billigen politischen Schlagabtausch, wie Sie ihn heute wieder zu liefern versuchen,
brauchen.
({1})
Herr Glos, ich möchte Sie gern persönlich ansprechen,
weil Sie versuchen, die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen mit Vorwürfen und Fehlern aus der Vergangenheit zu konfrontieren: Angesichts dessen, was in Bayern passiert ist, möchte ich Ihnen raten, mit dem Kollegen
Stoiber zu sprechen, damit er sich Herrn Miller für ein
Vier-Augen-Gespräch vornimmt. Nachdem offensichtlich geworden ist, wie die hochgelobte Landwirtschaftpolitik in Bayern von offizieller Seite gegen die Wand gefahren worden ist, sollten Sie hier im Parlament mit
Vorwürfen gegenüber anderen sehr zurückhaltend sein.
({2})
1997 hat der Bayerische Landtag den Beschluss gefasst
- wenn ich richtig informiert bin, sind dafür die Stimmen
der CSU notwendig -, antibiotisch wirkende Leistungsförderer aus dem Qualitätsfleischprogramm in Bayern
herauszunehmen. Das ist im Landtag von allen Fraktionen, also auch mit den Stimmen der CSU, beschlossen
worden. Und: Was ist passiert? Vor gerade einmal sechs
Tagen - man höre und staune - geht man daran, das umMarita Sehn
zusetzen, nachdem drei Jahre lang nichts passiert ist. Sie
hätten den Schweinemastskandal verhindern können,
wenn Sie mit wirksameren Kontrollen und mehr Durchsetzungsvermögen an das Problem herangegangen wären.
({3})
Wenn ich höre, dass Frau Stamm noch im Sommer gefordert hat, das Risikomaterial für BSE nicht aus der Nahrungskette zu nehmen, wohl wissend, welche Folgen BSE
in den vergangenen Jahren für die Bauern in anderen Staaten hatte, muss ich sagen: Sie haben mit Ihrem Sicherheitsverständnis in den vergangenen Jahren eine fahrlässige Politik gegen die Bauern betrieben.
({4})
Ich glaube, gegenseitige Schuldzuweisungen sind das
Allerletzte, was die Landwirtschaft im Moment gebrauchen kann. Auch wir hätten eine Aktuelle Stunde beantragen können
({5})
- Entschuldigung, das ist heute Ihre Debatte! -, um die
Fehler der ehemaligen Bundesregierung, allen voran von
Horst Seehofer, in den letzten zehn Jahren im Zusammenhang mit BSE aufzuarbeiten. Ich glaube, es ist jetzt
nicht die Stunde, dies zu tun.
({6})
Es ist vielmehr an der Zeit, den Bauern zu helfen, das Vertrauen der Verbraucher in die Nahrungsmittel wiederherzustellen und einen Dialog über die Neuausrichtung in der
Agrarpolitik zu führen, damit wir in Zukunft wieder einen
funktionierenden Rindfleischmarkt in Deutschland haben. Dazu haben Sie auch heute keinen Beitrag geleistet.
Vielleicht werden Sie das in den nächsten Wochen noch
tun.
({7})
- Herr Merz, danke für diesen Zuruf: „Wer regiert denn
hier?“ Ihr Kollege Ronsöhr, der agrarpolitische Sprecher
der CDU/CSU-Fraktion sagt, es sei nicht Aufgabe der Opposition, Konzepte zu entwickeln, sie müsse vielmehr die
Regierung kritisieren. Fahren Sie damit fort, dann werden
Sie dort bleiben, wo Sie im Moment sitzen.
({8})
Danke.
({9})
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Kersten Naumann von
der PDS-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Das Thema der Aktuellen Stunde ist
zwar hochaktuell. Ich weiß aber nicht, ob sich an den Verhältnissen etwas ändert, wenn wir immer nur über dieses
Thema reden. Ich denke, wir sollten endlich handeln.
({0})
Noch nie in der Geschichte hatte ein Lebensmittelskandal
solche Auswüchse. Noch nie war das Vertrauen der Verbraucher in die Agrarproduktion und deren Erzeugnisse
derart beschädigt. Das Ansehen der Landwirtschaft und
damit eines ganzen Berufsstandes ist ramponiert. Was im
Mittelalter die Pest war, scheint heute BSE zu sein.
Die Bauern werden an den Pranger gestellt. Das
scheint logisch, denn in ihren Ställen werden die BSE-erkrankten Tiere entdeckt. Dabei haben die Bauern mit Sicherheit die geringste Schuld an der Krise der Landwirtschaft.
({1})
Eine Frechheit hierbei ist, dass ausgerechnet der Bundeskanzler vor laufenden Kameras wiederholt von den „redlichen Bauern“ gesprochen hat. Mit dieser Wortwahl hat
er den Fernsehkonsumenten im Umkehrschluss die „unredlichen Bauern“ als Sündenböcke präsentiert. Ich sage
offen: Diese und manch andere Wortwahl ist mir bitter
aufgestoßen. Es roch mir sehr nach einer Retourkutsche
des Kanzlers für die Schmach von Cottbus.
({2})
Auf jeden Fall ist ein solch selektives Demokratieverständnis nicht akzeptabel.
Für mich und meine Fraktion stellt sich die Frage,
warum die eigentlich Schuldigen - zum Beispiel die Betriebe der Futtermittelindustrie, deren Rindermischfutter
trotz Verbots nachweisbar Tiermehlbestandteile enthielt nicht mit Name, Straße und Hausnummer öffentlich
geächtet werden.
({3})
Wer an die wirklichen Ursachen heranwill, muss klarstellen, dass Profitmacherei mit kriminellen Mitteln auch
nicht durch das Wettbewerbsprinzip der Marktwirtschaft
gedeckt ist, muss für staatliche Aufsicht und Kontrolle
sorgen. Sonst braucht sich der Bundeskanzler nicht zu
wundern, wenn er erneut mit dem Vorwurf konfrontiert
wird, er sei der Kanzler der Bosse.
Meine Fraktion jedenfalls wird darauf drängen, dass
das gesetzgeberisch Notwendige sehr rasch auf den Weg
gebracht wird, damit Verstöße gegen das Futtermittel- und
Lebensmittelrecht als Straftatbestände eingestuft und entsprechend geahndet werden können. Denn auch Abschreckung gehört zum vorbeugenden Verbraucherschutz.
Im Namen meiner Fraktion möchte ich sehr deutlich
unser Unverständnis darüber äußern, dass Frau Ministerin
Künast in ihrer Eröffnungsrede zur Grünen Woche kein
einziges Wort zu BSE-Finanzhilfen für betroffene Landwirte verloren hat. Dabei hat wohl keiner erwartet, dass
sie sich bereits über die Höhe und Modalitäten einer Unterstützung äußert. Es war aber einfach zu wenig und hat
die anwesenden Landwirte enttäuscht, lediglich festzustellen, viele landwirtschaftliche Betriebe seien in Schwierigkeiten und teilweise in Existenznot geraten. Auch in
der gestrigen Ausschusssitzung hat sie sich sehr bedeckt
gehalten.
Klar wurde allerdings, dass der Unterstützung der
Landwirtschaft wegen der Einkommensausfälle durch
den Nachfragerückgang bei Rindfleisch und den Preissturz kein allzu großer Stellenwert in der Prioritätenliste
der BSE-Folgekosten beigemessen wird. Ich halte diese
Einschätzung für fatal, zumal allen Beteiligten klar ist,
dass es nur um Nothilfe und nicht um einen Ausgleich von
Einkommensausfällen gehen kann.
Für einen groben politischen Fehler halte ich es deshalb, dass unser Antrag vom 1. Dezember des vergangenen Jahres betreffend ein Soforthilfeprogramm zur finanziellen Entlastung der von der BSE-Krise betroffenen
Kommunen und Landwirte gestern im Ausschuss abgelehnt wurde. Welcher Landwirt soll das verstehen?
({4})
Ein unmissverständlicher Auftrag des Parlaments wäre
ein wichtiges Signal der Solidarität des Bundestages mit
den betroffenen Bauern gewesen.
Ich kann hier nicht auf alle anderen Forderungen eingehen, die von meiner Fraktion und von anderen Fraktionen zur Bewältigung der BSE-Krise erhoben wurden. Allerdings erwarte ich, dass im Ergebnis der verschobenen
Konferenz der Agrar- und Umweltminister endlich Antworten kommen, auch zum bereits im November angemahnten Konzept zur Entwicklung der heimischen Eiweißpflanzenproduktion.
Das Allerwichtigste ist jetzt zweifellos, das Vertrauen
der Verbraucher zurückzugewinnen. Die Chance dafür ist
gegeben, denn die Verbraucher sind wie nie zuvor für eine
nachhaltige, umweltschonende und tierartgerechte Landwirtschaft sensibilisiert, die vor allem gesundheitlich unbedenkliche Lebensmittel erzeugt. Deshalb wird meine
Fraktion auch alles unterstützen, was die Bundesregierung in dieser Richtung initiiert.
Ich möchte aber auch zu bedenken geben, dass die
doch recht nebulösen Ankündigungen zur neuen Agrarpolitik zu einer zusätzlichen Verunsicherung bei den
Landwirten geführt haben. Deshalb müssen schnellstens
die Umrisse eines Agrarkonzepts auf den Tisch und in die
breite Diskussion. Die hierbei schwierigste Frage dürfte
sein, wie die Ökologisierung der Landwirtschaft bei besonderer Förderung des Ökolandbaus unter den Bedingungen des EU-Binnenmarktes und der EU-Agrarreform
umgesetzt werden kann.
Meine Damen und Herren, bei allen scheinbar unüberwindbaren Problemen und den damit verbundenen dringend erforderlichen Lösungen muss klar sein, dass es
keine Ausgrenzung der Bauern geben darf und die Bundesregierung dem ländlichen Raum in der gegenwärtigen
Krise schnell und zukunftsorientiert helfen muss. Die Zusammenarbeit mit den Bauern und den Verbrauchern ist
für mich dabei unerlässlich.
Danke.
({5})
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Iris Hoffmann von der
SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich eines gleich
vorwegnehmen und bekräftigen: Wir lassen die Landwirte
nicht alleine und stehen an der Seite der Bauern.
({0})
Uns ist durchaus bewusst, dass nicht die deutschen Bauern die Ursachen für BSE gesetzt haben. Nein, hier stehen
Hersteller der Futtermittel in der Kritik.
Meine Damen und Herren, die Situation der Landwirtschaft ist auch deshalb so dramatisch, weil derzeit keinerlei wissenschaftliche Erkenntnisse sowohl über den Erreger als auch über die Übertragung der Krankheit
vorliegen. Fakt ist bislang nur, dass Tiermehl ein sehr wesentlicher Überträger zu sein scheint; auch Milchaustauscher sind nach wie vor nicht auszuschließen. Deshalb
war es nach dem Auftreten von BSE ein dringendes Gebot, die Verwendung von Tiermehlen und Tierfetten zu
Futterzwecken zu verbieten. Wir sind dafür und bleiben
dabei - auch im Interesse der Landwirte -, das Verfütterungsverbot in Deutschland unbefristet gelten zu lassen.
Dieses Verbot muss auch EU-weit Bestand haben.
BSE hat bei uns aber auch den Stellenwert des vorsorgenden Verbraucherschutzes in ein anderes Licht gerückt.
Wir als Politiker haben jetzt die Aufgabe, im Konsens
zwischen Bauern und Verbrauchern die Agrar- und Verbraucherpolitik zu definieren. Dies ist auch im Sinne und
Interesse der deutschen Landwirte. Ich freue mich, dass
auch der Bauernverband zu diesem Konsens zwischen
Bauern und Verbrauchern steht. Nur wenn die Produkte
qualitativ den Ansprüchen der Verbraucher gerecht werden, werden sie dauerhaft absetzbar sein. Die Verbraucher
müssen natürlich wissen, dass qualitativ hochwertige
landwirtschaftliche Erzeugnisse ihren Preis haben. Auch
dem Handel als einem Kettenglied zwischen Erzeuger
und Verbraucher kommt hierbei eine große und besondere
Verantwortung zu.
Wenn wir in diesem Zusammenhang über finanzielle
Mittel reden, muss aber auch klar sein, dass jeder hier das
Seine zu schultern hat. Mit Blick auf die Länder mache
ich deshalb deutlich auf deren Verantwortung aufmerksam. Ganz sicher ist auch der Bund in der Pflicht. National werden wir 900 Millionen DM zusätzlich bereitstellen. 500 Millionen DM gehen an die EU, um den Anteil
Deutschlands an der Aufstockung des EU-Haushaltes zur
Finanzierung der EU-weiten BSE-Maßnahmen abzudecken. Des Weiteren werden wir bis zu 400 Millionen DM zur Verfügung stellen, wenn die EU-Regelung
angewendet werden muss, bis zu 400 000 Rinder in
Deutschland zu keulen und zu vernichten. Aber: Was über
die Größenordnung von 900 Millionen DM hinausgeht,
muss und wird in den nächsten Wochen letztlich mit den
Ministerpräsidenten zu verhandeln sein.
Dabei wird sich zuallererst die Frage stellen, ob die
Maßnahmen der Länder wenigstens annähernd ein VoluKersten Naumann
men erreichen, das dem der Bundesbeteiligung entspricht.
Bis jetzt ist eigentlich von den Ländern nur lautes Rufen
nach dem Bund zu vernehmen. Deutlich sage ich aber
auch, dass der Bund nur in der Lage ist, innerhalb des bestehenden Haushaltvolumens weitere Mittel aufzubringen.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch etwas
sagen: Wenn ich Anträge der Opposition wie etwa mit
dem Titel „Ländlichen Raum gemeinsam mit der Landwirtschaft stärken“ sehe und darin die Forderung finde,
wieder den Titelansatz der Gemeinschaftsaufgabe anzuheben, ist das, meine Damen und Herren von der
CDU/CSU, zynisch und auch unehrlich gegenüber den
deutschen Bauern. Das habe ich Ihnen vor acht Wochen in
der Debatte zum Agrarhaushalt gesagt und ich tue es heute
gerne noch einmal: Erst nach dem Regierungswechsel haben Sie Ihre Affenliebe zur Gemeinschaftsaufgabe entdeckt. Sie waren doch diejenigen, die die Mittelausstattung der Gemeinschaftsaufgabe in 16 Jahren dramatisch
- um Milliardenbeträge - zurückgeführt haben.
Hinzu kommt, dass Sie genau wissen, dass der größte
Teil der Finanzminister der Länder bereits in argen Nöten
ist, den jeweiligen Länderanteil an der Gemeinschaftsaufgabe aufzubringen. Deshalb sage ich noch einmal: Ihre
Mätzchen machen wir nicht mit. Wir werden solche
Schaufensteranträge auch in Zukunft ablehnen, wenn sie
auf der Tagesordnung stehen.
Vielen Dank.
({1})
Als
nächster Redner hat Kollege Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die
BSE-Krise trifft viele Vieh haltende Betriebe in der Bundesrepublik Deutschland. Die Ställe sind randvoll. Bei
mir hat sich neulich jemand mit den Worten beklagt, er
könne inzwischen ein Altersheim für Kühe einrichten. Die
Zahl der Schlachtungen ist drastisch zurückgeführt worden.
Nun heißt es - diesen Vorwurf möchte ich zurückweisen -, die Landwirte hätten am Markt vorbei produziert.
({0})
- Ich habe doch dem Bundeskanzler zugehört, Frau
Lemke. - Noch vor kurzem hat man hier davon gesprochen, dass sich selbst für die konventionellen Rindfleischerzeuger auf dem Rindfleischmarkt besondere Marktchancen ergeben, dass sich die Rindfleischmärkte stabilisiert
haben. Heute können die Landwirte ihre Tiere teilweise,
zum Beispiel wenn sie Kälber, wenn sie Fresser gekauft
haben, um diese zu mästen, nicht einmal mehr zum Einkaufspreis verkaufen. Ich finde, dass man durchaus einmal an die Einschätzungen der Marktentwicklung erinnern muss. Man darf jetzt nicht so tun, als handele es sich
hier um ein Fehlverhalten in der Landwirtschaft.
({1})
Der Bundeskanzler - ich rede ganz bewusst über ihn hat den Landwirten und den Bauernfunktionären vorgeworfen, sie würden teilweise keine gesunden Lebensmittel produzieren. Dabei hat die Bundesregierung im
Ernährungsbericht 2000 selbst festgestellt - und im Parlament entsprechende Aussagen getroffen -, dass das Zusammenwirken aller Maßnahmen dazu geführt hat und
weiterhin sicherstellen wird, dass der vorbeugende Gesundheitsschutz des Verbrauchers bei der Ernährung umfassend gewährleistet ist. Hat man den Verbraucher hier
vielleicht beschwindelt? Es muss doch einmal jemand erklären, warum man heute ganz andere Aussagen hört und
den Bauern Vorhaltungen macht.
({2})
Es geht weiter: Damit nicht gesagt wird, dass es sich
um zwei oder drei Ministerien handelt, will ich einmal aus
dem Entschließungsantrag zum Agrarbericht 2000 zitieren. In diesem Entschließungsantrag hat Rot-Grün festgestellt, dass die Landwirtschaft die Versorgung mit gesunden Lebensmitteln sichere. Bitte machen Sie den Bauern
jetzt also keine Vorwürfe!
({3})
Sie sind ungerechtfertigt. Damit wollen Sie nur von einem
Versagen der Politik ablenken.
Ich frage mich nach wie vor, was die Bauern in ihren
Betrieben eigentlich falsch gemacht haben.
({4})
- Sprechen Sie das doch offen an! Herr Schröder wirft den
Bauern ständig Versäumnisse vor, über die vorher aber
noch nie hier diskutiert wurde.
({5})
Wir dürfen die Bauern jetzt nicht im Stich lassen. Sie
befinden sich in einer existenziellen Krise. Ich war mit
Frau Merkel auf der Grünen Woche, um unsere Solidarität
mit den Bauern zu zeigen.
({6})
- Aber der Bundeskanzler darf Herrn Sonnleitner beleidigen und die Bauern anklagen! Das finde ich genauso ungehörig. Wenden Sie sich bitte auch einmal dagegen, dass
der Bundeskanzler die Bauern beleidigt.
({7})
- Ja, das ist ein schönes Thema. Sie greifen nämlich jetzt
Menschen ungerechtfertigterweise an.
Wir haben allen Grund, jetzt endlich einen Solidaritätsfonds für den ländlichen Raum einzurichten.
({8})
Iris Hoffmann ({9})
Meine Fraktion hat gestern einen entsprechenden Antrag
eingebracht, der aber abgelehnt wurde. Wir waren uns bei
den Maßnahmen zur BSE-Bekämpfung weitestgehend einig. Jetzt fordern wir einen Aktionsplan für die Schlachtereien, für die vor- und nachgelagerten Bereiche in der
Landwirtschaft und für die Landwirtschaft selbst.
({10})
Wir dürfen nicht erst die Strukturen wegbrechen lassen, um sie dann wieder aufbauen zu müssen. Wir müssen
vielmehr jetzt die Strukturen im ländlichen Raum sichern.
Es geht hierbei vor allen Dingen um die Menschen in diesem Raum, deren Erwerbsmöglichkeit auch weiterhin gesichert werden muss. Ich möchte deshalb an Sie appellieren, jetzt endlich Flagge für den ländlichen Raum und für
die Landwirtschaft zu zeigen.
({11})
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Ulrike Höfken vom
Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Sehr
geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und
Kollegen! Man kann der Rede von Herrn Ronsöhr anmerken, dass er die neue Rolle des Verbraucherschützers
noch nicht ganz angenommen hat. Ich will betonen, dass
wir die Lage der betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Ernährungsindustrie, im Handwerk und
in der Landwirtschaft sowie die Lage der Verbraucher
nicht missachten dürfen.
({0})
Die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler müssen jetzt für
die mangelhaften Schutzmaßnahmen der alten Bundesregierung aufkommen. Wir sind uns ja darin einig, dass die
Infektion vor fünf Jahren oder noch früher erfolgte. Es gab
mangelhafte Kontrollen - Stichwort „Bayern“ - und eine
unglaubliche Ignoranz von Ihrer Seite.
({1})
Sagen Sie jetzt bloß nicht, Sie hätten all das nicht gewusst! Denn wir haben in der Opposition entsprechende
Warnungen ununterbrochen ausgesprochen.
({2})
Sie können dem früheren Landwirtschaftsminister
Funke vorwerfen, dass er bei der Krisenbewältigung einige Fehler gemacht habe. Aber er hat - im Gegensatz zu
Ihnen - die Verantwortung übernommen.
({3})
Die Verantwortlichen für die Ursachen sind Sie.
({4})
Die Verantwortung liegt auch bei den Funktionären des
Berufsstandes und vor allen Dingen bei der Futtermittelindustrie,
({5})
für die Sie nun eine Entschädigung fordern. Nach Ihrer
Auffassung sollen also die Verursacher der Krise entschädigt werden. Ich bin sehr dafür, dass die Unternehmen, bei
denen es Panschereien gab - ich nenne in diesem Zusammenhang Deuka und Raiffeisen - , zur Verantwortung
gezogen werden und sich an der Finanzierung beteiligen
müssen.
({6})
Ich bin auch dafür, dass alle vorhandenen Futtermittel untersucht werden.
Ich bedaure am meisten die betroffenen Betriebe. Ich
sehe es auch so, dass die Bauern in ihrer großen Mehrzahl
weit mehr Opfer als Täter waren.
Aber man kann beobachten, dass die fatale Ignoranz in
großen Teilen der Opposition weiter fortlebt.
({7})
Ich erinnere nur an die Debatte gestern im Ausschuss, gerade vonseiten der F.D.P. Bei der Diskussion über die
Kohortenschlachtung oder die Herdenschlachtung werden Gebilde aufgebaut, die jeder Realität entbehren.
Wenn man die Hilfe für die Betriebe in den Vordergrund
stellen will, muss man doch auch die rechtlichen Voraussetzungen dafür schaffen. Stattdessen wird davon abgeraten, nach dem entsprechenden Seuchengesetz zu handeln,
und dazu geraten, alle möglichen Ausnahmeregelungen
zu schaffen. Man beruft sich von Ihrer Seite auf die
Schweiz.
Aber um das einmal klarzustellen: Die Schweiz hat,
sehr verantwortungsvoll, vor zehn Jahren mit der BSEBekämpfung angefangen. Sie hat konsequent gehandelt
und jahrelang ganze Herden geschlachtet. Erst dann hat
sie überlegt, anders vorzugehen, und das macht sie jetzt.
Wenn Sie zehn Jahre so wie die Schweiz handeln, bin ich
einverstanden. Stattdessen betreiben Sie eine Verunsicherung der Betriebe und verhindern, dass die entsprechenden Hilfen, Unterstützungsmaßnahmen und Neuaufbaumaßnahmen dort ankommen können.
Das Zweite ist das Marktentlastungsprogramm. Ich bin
gestern fast vom Stuhl gefallen: Die F.D.P. spricht sich dagegen aus, dass ein solches Programm überhaupt aufgenommen wird.
({8})
Mir tut es um jedes Tier Leid, das geschlachtet wird, und
ich teile weiß Gott ethische Bedenken, was eine Nichtverwendung von Fleisch als Lebensmittel angeht. Aber
man muss doch tatsächlich fragen: Was ist denn eigentlich
die Alternative? Möchten Sie Altersheime für Kühe finanzieren? Dann müssen Sie sich die Frage gefallen lasHeinrich-Wilhelm Ronsöhr
sen, ob die Mittel dafür nicht besser den Menschen zugute
kommen sollten. Oder möchten Sie vielleicht eine
Zwangsverfütterung von Rindfleisch oder sollen sich
Freiwillige melden, die jede Woche 1 Kilo altes Rindfleisch essen? Das ist wirklich eine attraktive Angelegenheit, die dann sicher mit dem Bundesverdienstkreuz belohnt wird. Oder soll das Rindfleisch in die Dritte Welt
geschickt werden? Oder soll es eine Intervention geben?
Sie wissen ganz genau, dass das Fleisch nach zwei Jahren
nicht mehr verkehrsfähig ist und dann verbrannt werden
muss. Dann hat man für die Lagerung auch noch die Energieverschwendung.
Wenn man sich wirklich entschließen will, die betroffenen Betriebe zu unterstützen, dann muss man sich an einem Tisch zusammensetzen und dann muss man ein
Marktprogramm entwickeln, das anschließend konsequent umgesetzt werden muss. Ich glaube, dazu gibt es
keine Alternativen.
({9})
In einem ersten Schritt werden - auch Frau Hoffmann
hat darauf verwiesen - die alten Futtermittel abgeholt und
auf Bundeskosten entsorgt. Zweitens - da sind die Länder gefordert - müssen entsprechende Gebühren erhoben
werden, was die Nichtverwendung des Tiermehls anbelangt. Drittens müssen Bauern und Arbeitnehmer, die von
der jetzigen Absatzkrise betroffen sind, eine neue Perspektive erhalten, und zwar mit einer Agrarpolitik, die
auf Qualität setzt und das Vertrauen der Verbraucher
wiedergewinnt. Auch da - ganz wichtig - würden wir uns
freuen, wenn Sie dazu beitragen würden, im Rahmen der
Agrarreform beispielsweise die Verordnung für den ländlichen Raum zu stärken, statt immer nur auf Flächenprämien und Tierprämien zu beharren - das gilt gerade für
die F.D.P. - ,
({10})
und mit dieser Verordnung eine Umlenkung in Richtung
umweltgerechte Landwirtschaft und ländliche Räume zu
unterstützen.
Ich finde, im Rahmen eines Solidaritätsfonds - Sie
verstehen darunter: „Staat, gib uns Mittel“; so verstehe ich
das nicht - sollte darüber nachgedacht werden, ob es
nicht eine Umlage, wie es in Frankreich der Fall ist, geben sollte, die zweckgebunden für den Aufbau einer
neuen Qualitätsproduktion und die Sicherheit der Lebensmittel eingesetzt wird, und ob wir nicht auf diese Art
und Weise verhindern können, dass sich ein solches Geschehen wiederholt.
Frau Kollegin!
Ich
denke, unser Motto muss lauten: Nie wieder!
Danke.
({0})
Als
nächster Redner hat der Kollege Peter Bleser von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Ein Freund des ländlichen Raumes ist
unser Bundeskanzler ja nun wahrlich nicht.
({0})
Das erfährt er jetzt jeden Tag auf seiner Wahlkampftour
durch Rheinland-Pfalz. Überall, wo er hinkommt, warten
die Bauern auf ihn
({1})
und zeigen ihm ihren Unmut. Sie sind äußerst verärgert
über die abfälligen Äußerungen des Bundeskanzlers über
die Bauern und deren gewählte ehrenamtliche Berufsstandsvertreter.
({2})
Meine Damen und Herren, da wird vom Bundeskanzler immer wieder die populäre Forderung erhoben, mehr
für gute Nahrungsmittel zu zahlen. Das ist richtig; Qualität muss ihren Preis haben. Aber wer weiß noch, dass
derselbe Bundeskanzler im Jahre 1999 bei der Beschlussfassung über die Agenda 2000 massiv für eine Senkung
der Preise für Getreide um 15 Prozent und für Rindfleisch
um 20 Prozent eingetreten ist? Derselbe Bundeskanzler
vor anderthalb Jahren!
({3})
- Vielleicht mäßigen Sie sich in den Äußerungen; dann
verstehen wir uns alle.
Am 24. November 2000 wurde in Deutschland das
erste Rind BSE-positiv getestet. Das war gestern vor zwei
Monaten. Heute haben wir es mit dem 19. Fall zu tun und
weitere positiv getestete Tiere stehen zur Überprüfung an.
Zwei lange Monate sind vergangen, ohne dass über das
Verfütterungs- und Verbringungsverbot von Tiermehl und
Tierfetten hinaus eine Strategie zur Bekämpfung dieser
Seuche vorgelegt worden ist. Zwei lange Monate sind also
vergangen.
Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Das
stimmt doch gar nicht! - ({4})
Die Verbraucher sind nach wie vor unsicher. Sie vertrauen nach wie vor nicht - das beweist das Kaufverhalten - der versprochenen Fleischqualität und noch viel weniger vertrauen sie der Krisenlösungskompetenz dieser
Bundesregierung. Die Verbraucher sorgen sich um ihre
Gesundheit, die Bauern kämpfen um ihre Existenz. Das
ist das Ergebnis von zwei Monaten Wurschteln dieser
Bundesregierung.
({5})
Gestern hat bei einer Veranstaltung der Grünen Woche - Sie waren dabei, Frau Wolff - eine junge rindviehhaltende Landwirtin sehr emotional die dramatische
Lage ihres Familienbetriebs geschildert. Die Frau war den
Tränen nahe.
({6})
Sie hat gesagt, dass die Fleischpreise im Keller sind, dass
die Tiere kaum noch absetzbar sind, dass die Ställe immer
voller werden und dass die Kosten Tag für Tag weiterlaufen. Bei ihr waren es dann auch noch die Kredite und die
Zinsen, die zusätzlich zu zahlen sind.
({7})
Die Menschen haben Angst vor dem wirtschaftlichen
Ruin. Dies registrieren Sie hier nicht einmal.
({8})
Wenn der Staatssekretär Dr. Wille weisungsgemäß
sagt: „Wir brauchen noch Zeit, um eine Herauskaufaktion
von 400 000 Rindern über 30 Monate in Gang zu setzen,
wir brauchen noch Zeit, um die Finanzierung der BSETests zu regeln, wir brauchen noch Zeit, um die Vernichtung von Tiermehlresten und von mit Tiermehl vermischtem Futter zu organisieren, wir brauchen noch Zeit, um
die Kostenübernahme zur Beseitigung der Tierkadaver
festzusetzen“ - und das nach über zwei Monaten - , dann
können wir das nicht auf sich beruhen lassen.
({9})
Wenn darüber hinaus über Hilfen für die schwer geschädigten Bauern und die Betroffenen im Fleischgewerbe - Arbeitnehmer, Handwerker - noch nicht einmal
gesprochen wird, dann zeigt dies, wie zynisch der Bundeskanzler mit einer ganzen Branche umgeht.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen
mehr Sicherheit für die Verbraucher. Frau Ministerin
Künast - vielleicht übermitteln Sie, meine Damen und
Herren, ihr das, was ich jetzt sage - , ich vermute, es wird
kein Weg daran vorbeiführen, dass wir alle BSE-testfähigen Tiere aus dem Markt nehmen, sobald sie zur Schlachtung anstehen, damit den Verbraucherschutz erhöhen,
Frau Ministerin; denn wenn nach zwei Jahren kein Tier
mehr auf dem Markt sein kann, das mit Tiermehl gefüttert
worden sein könnte, wäre mit Sicherheit davon auszugehen, dass eine Infektion über das Futter nicht stattgefunden hat.
Ich sage Ihnen: Sie werden mit Ihren 400 000 Tieren
nicht zurechtkommen,
({10})
solange es nicht möglich ist, einen Test am lebenden Tier
durchzuführen und damit zweifelsfrei zu garantieren, dass
der Verbraucher keine Gefahr zu fürchten hat.
({11})
Es wird mit Sicherheit noch weitere Nachahmer einiger
Betriebe im Norden Deutschlands geben, die es ablehnen,
Tiere über 30 Monate überhaupt zu schlachten, weil sie
fürchten, in ihrem Betrieb könnte ein BSE-Fall auftreten
und damit auch ihre Existenz gefährdet werden. Der
„Spiegel“ spricht sogar davon, dass man weit über 1 Million Tiere aus dem Markt nehmen muss.
Ich fordere die Bundesregierung auf: Finden Sie einen
Kompromiss mit Wissenschaftlern, Verbrauchern und
Bauern, aber auch mit dem Lebensmittelhandel über die
zukünftige Form der Lebensmittelproduktion. Dabei
müssen der vorsorgende Verbraucherschutz, der Tierschutz, eine nachhaltige Landbewirtschaftung sowie eine
transparente Produktion von Futter bis zum Fleisch, das
an der Ladentheke verkauft wird, im Vordergrund stehen.
({12})
Kommen
Sie bitte zum Schluss.
Ich komme sofort zum
Schluss. - Wir bitten die Bundesregierung, unsere Unterstützung anzunehmen - wir jedenfalls bieten sie an - , um
dieses Land aus der derzeitigen schweren Krise herauszuführen. Dazu gehört, dass Sie endlich Ihrer Verantwortung
gerecht werden.
({0})
Für die
Bundesregierung erteile ich jetzt dem Parlamentarischen
Staatssekretär Gerald Thalheim das Wort.
Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr
geehrten Damen und Herren! Wenn man der Diktion des
zu diesem Thema vorliegenden Antrags folgt, dann hat
man fast den Eindruck, als ob man die BSE-Krise wie
ähnliche Ereignisse in der Vergangenheit behandeln will:
Es kommt zu einer Krise, der Bund soll Geld geben und
das Problem ist aus der Welt geschafft.
({0})
So wird es natürlich nicht gehen.
Dies ist schon gar nicht dadurch zu schaffen, dass gegenüber dem Bundeskanzler Vorwürfe erhoben werden
und suggeriert wird, die Bundesregierung grenze die Bauern aus. Davon kann überhaupt keine Rede sein. Frau
Bundesministerin Künast hat hier im Plenum erst vor
kurzem erklärt, dass es bei der Bewältigung dieser Krise
nur ein Miteinander von Verbrauchern und Landwirten
geben kann. Das ist der einzig richtige Weg.
({1})
Natürlich trägt jeder seinen Teil der Verantwortung. Auch
die Funktionäre des Deutschen Bauernverbandes können
hiervon nicht ausgenommen werden.
In diesem Zusammenhang möchte ich auf das Stichwort „Redlichkeit“ zu sprechen kommen. Unredlich haben vor allen Dingen diejenigen gehandelt, die die Sorgen
um die Agenda 2000 politisch instrumentalisiert haben.
Unredlich haben auch die Kollegen gehandelt, die in
Cottbus auf dem Bauerntag fast Wortführer des Protestes
waren.
Unredlich handeln vor allem Sie, Herr Glos. Wenn man
seit 1990 die Ehre hat, diesem Hohen Hause anzugehören,
dann hat man ja an einigen Entscheidungen teilgenommen. Ich kann mich noch gut an die eigentliche Reform
von 1992 erinnern: Die hatte Ignaz Kiechle zu verantworten. Er hatte im Grunde genommen keinen Ausweg;
aber er führte die Orientierung Richtung Weltmarkt ein.
Dann kam die Uruguay-Runde von 1994 mit der Konsequenz, auch die Agrarmärkte zu öffnen und die Zölle
abzubauen, und vor allen Dingen mit der Folge, nicht
mehr wie in der Vergangenheit mit Exporterstattungen arbeiten zu können. Wohlgemerkt, Herr Glos, das war 1994.
Da gab es gar keine andere Wahl, als auf diesem Weg weiterzugehen.
Hier wurde angesprochen, es sei immer von Weltmarktorientierung die Rede gewesen. Wie deformiert wir
alle sind - ich schließe mich sehr wohl ein - , zeigt sich
daran, dass wir, wenn in der Landwirtschaft von Markt die
Rede ist, nur an den Preis denken. Dass aber auf dem
Markt auch Qualität und vieles andere mehr eine Rolle
spielen, ist fast vergessen.
({2})
Was heißt das in der Konsequenz? Aus der BSE-Krise
sind keine parteipolitischen Funken zu schlagen. Hier hat
die Bundesregierung - da schließe ich meine Person nicht
aus - Fehler gemacht. Stichworte hierbei sind „Tiermehlverfütterungsverbot“ und „Herausnahme von Risikomaterialien“. Bei letzterem Stichwort habe ich noch gut die
Kritik von vielen Kollegen dahin gehend im Ohr, dass
dies gemacht wurde. Insofern sollten wir uns an dieser
Stelle gegenseitig nichts vorwerfen.
Das Problem ist, dass viele für das Entstehen der Krise
verantwortlich sind, auch der Handel. Ausgehend von
dem enormen Preisdruck, der im Lebensmitteleinzelhandel besteht, der mit Schleuderangeboten um Kunden geworben hat, waren alle Beteiligten - beginnend bei der
Futtermittelindustrie, sich fortsetzend bei den Bauern und
endend beim Handel im nachgelagerten Bereich - gezwungen, Kosten einzusparen.
Meine Damen und Herren, so richtig das in einer
Marktwirtschaft ist: Gefährlich wird es dann, wenn es um
die Lebensmittelsicherheit geht. In diesem Zusammenhang sind die Stichworte „Unvernunft“, „Verantwortungslosigkeit“ und „Kriminalität“ zu nennen. Im Hinblick auf die Unvernunft ist zum Beispiel die Verwendung
von Separatorenfleisch zu nennen. Obwohl wir im Überfluss leben, musste noch das letzte von den Knochen abgekratzte Fleisch mit in der Wurst verarbeitet werden.
Verantwortungslosigkeit betrifft die Frage, dass Tiermehl an Wiederkäuer verfüttert wurde, und es ist Verantwortungslosigkeit nicht nur bei der Futtermittelindustrie
vorhanden, sondern letztendlich auch bei denen, die zu
kontrollieren hätten.
({3})
Kriminalität war gestern das Thema beim Arzneimittelskandal.
Meine Damen und Herren, eines ist, denke ich, an dieser Stelle grundsätzlich festzuhalten: Es ist mittlerweile
auch im Bewusstsein vieler Bauern, dass BSE nicht nur
die Folge von Verfütterungsfehlern ist, BSE stellt einen
Kollaps des Systems dar.
({4})
- Die Konsequenz aus dieser Erkenntnis ist allerdings bei
dir persönlich wie auch bei der Bayerischen Staatsregierung ausgeblieben.
({5})
Es ist also mehr erforderlich, als nur Geld in die Hand
zu nehmen. Die Bundesministerin Frau Künast wird am
8. Februar die Grundsätze ihrer neuen Agrarpolitik in einer Regierungserklärung bekannt geben. Natürlich können wir nicht bis zum 8. Februar warten; da ist vorher einiges zu tun. Es sind Fragen zu stellen, wie es am Ende
mit den Ernährungsgewohnheiten weitergehen soll, wie
die Art und Weise der Lebensmittelherstellung, die Organisation und Effizienz der Verwaltungsstrukturen sowie
die Kontrollen zwischen Bund und Ländern zu gestalten
sind, ebenso die Frage, wie wir noch mehr für den ländlichen Raum tun können.
An dieser Stelle möchte ich im Übrigen den Hinweis
geben, dass mit der Agenda 2000 eine neue Säule, wie wir
das nennen, geschaffen worden ist, um mehr Geld in diesen Bereich zu geben.
({6})
Also, der Vorwurf, dass hier nichts getan worden sei, ist
völlig fehl am Platz.
Das Erste, was die Bundesministerin getan hat
- ich denke, das ist in dieser Situation das Wichtigste - ,
war, einige Entscheidungen zu treffen, um das Vertrauen der
Verbraucher wiederzugewinnen. Mit Aufkaufaktionen und
Parl. Staatssekretär Dr. Gerald Thalheim
allem, was wir diskutieren, ist das Problem nicht zu lösen.
Am Ende werden wir das Ziel nur erreichen, wenn die
Verbraucher wieder Vertrauen in Rindfleisch und in
Fleisch insgesamt gewinnen.
Natürlich geht es auch um direkte Hilfeleistungen. Der
Bund wird sich hier nicht verweigern. Wir müssen das
aber parallel zu einigen Entscheidungen im Futtermittelrecht tun, im Grunde genommen auch dazu, wie künftig
geschlachtet wird, wie wir künftig bestimmte Regeln in
der Ernährungsindustrie neu fassen. Es wird um Liquiditätshilfen für die Betriebe gehen.
Aber da, Kollege Ronsöhr, möchte ich einen dezenten
Hinweis geben: Wir alle wissen, wie groß das Missmanagement in der ganzen Schlachthofbranche war. Ihr damaliger Landwirtschaftsminister Jochen Borchert ist ja mit
dem Versuch gescheitert, ein Strukturkrisenkartell einzurichten. Was an der Stelle nicht geht, ist, dass wir mit
Steuergeldern das Missmanagement ausgleichen.
({7})
An dieser Stelle hat diese Branche ihre eigene Verantwortung.
Wenn wir jemandem zu helfen haben, dann den Beschäftigten in diesem Bereich. Der Bund wird auch für die
Konsequenzen aus dem BSE-Programm auf europäischer
Ebene finanziell einstehen. Da sind Zahlen um etwa
500 Millionen DM in der Diskussion, die mögliche Mitfinanzierung des Bundes bei der europäischen Herauskaufaktion überhaupt noch nicht eingerechnet.
Das heißt auf keinen Fall, dass diese ganze Geschichte
letztlich am Bund vorbeigehen würde, ohne dass finanzielle Konsequenzen daran gebunden wären. Aber im Umkehrschluss heißt es, dass für vieles andere die Beteiligten
Mitverantwortung tragen, auch finanziell, die das mit verursacht haben. Alle in der Kette, auch die Verbraucher,
sind für Tests, Untersuchungen usw. mit in der Pflicht.
Ich möchte gerade bei der Frage, wer in der Kette die
Kosten trägt, abschließend die Gelegenheit für einen Appell vor allem an den Lebensmitteleinzelhandel nutzen,
dass in Zukunft eben nicht mehr der Wettbewerb ausschließlich über den Preis geführt wird, sondern dass Qualität, Herkunft und Ähnliches eine größere Rolle spielen.
Wir als Politik haben für eine Kennzeichnung zu sorgen, hinsichtlich deren dort, wo Qualität draufsteht, auch
Qualität enthalten ist. Nur dann wird er bereit sein, den
entsprechenden Preis zu zahlen.
Kurz und gut: Wir werden den Teil finanzielle Verantwortung übernehmen, der uns zusteht, aber alle Beteiligten in der Kette, auch die Länder, werden ihren Teil mit
übernehmen müssen.
Vielen Dank.
({8})
Als
nächster Redner hat der Kollege Albert Deß von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, Schuldzuweisungen
wegen BSE sind unangebracht. Wenn hier dauernd Bayern an den Pranger gestellt wird, dann möchte ich fragen:
Was hat ein Ministerpräsident Schröder in Niedersachsen,
was hat eine Frau Simonis in Schleswig-Holstein getan,
um dort die BSE-Fälle zu verhindern? In diesem Punkt
sind keine politischen Debatten möglich,
({0})
sondern wir müssen jetzt versuchen, etwas zu unternehmen, damit diese Krise möglichst schnell bewältigt werden kann.
({1})
Seit dem Auftreten von BSE in Deutschland hat sich
für die Verbraucher, die Landwirtschaft und die vor- und
nachgelagerten Bereiche vieles verändert. Oberstes Ziel
muss es jetzt sein, das Vertrauen der Verbraucher in gesunde Nahrungsmittel wiederherzustellen. Es sind deshalb alle geeigneten Schutzmaßnahmen zu ergreifen, um
den Verbrauchern ein größtmögliches Maß an Sicherheit
zu geben. Zur Bewältigung der gegenwärtigen Situation
ist ein gemeinsames Vorgehen auf allen Ebenen und über
alle Parteigrenzen hinweg erforderlich. Europäische
Union, der Bund, die Länder und die Kommunen sind
ebenso gefordert wie die Verbände und die Betroffenen in
den vor- und nachgelagerten Bereichen.
Über zwei Monate sind vergangen, seit der erste BSEFall in Deutschland aufgetreten ist. Die rot-grüne Bundesregierung hat bis heute kein Programm vorgelegt, wie
sie den vielen unverschuldet in existenzielle Schwierigkeiten geratenen Betrieben helfen
({2})
und auch die unmittelbar davon betroffenen Wirtschaftszweige unterstützen will.
({3})
Im Gegenteil: Die Bundesregierung hat es bis heute nicht
geschafft, die strengen deutschen Maßnahmen, die im Zusammenhang mit BSE beschlossen wurden, europaweit
umzusetzen. Wie sollen die deutschen Landwirte im europäischen Wettbewerb bestehen können, wenn in angrenzenden EU-Ländern völlig andere Standards erlaubt
sind?
({4})
Wie will die rot-grüne Bundesregierung den Verbraucherschutz sicherstellen, wenn zum Beispiel in Holland zum
Beispiel bei der Kälbermast nach wie vor tierische Fette
einsetzt werden können?
Es nützt nichts, meine sehr verehrten Damen und Herren, hier in Deutschland große Sprüche zu klopfen, wenn
Parl. Staatssekretär Dr. Gerald Thalheim
man andererseits nicht fähig ist, europaweit einen einheitlichen Verbraucherschutz durchzusetzen. Wenn die
Bundesregierung dazu nicht in der Lage ist, muss sie
schnellstens ein Importverbot für Nahrungsmittel aus
Ländern durchsetzen, die nicht nach unseren Standards
produzieren.
({5})
Wir haben hier die gleiche Situation wie beim Abschluss der Agenda 2000 -: Außer großen Sprüchen ist
von den Ankündigungen des Bundeskanzlers nicht viel
übrig geblieben. Die einmalige Chance, eine Kehrtwende
in der europäischen Agrarpolitik vorzunehmen, wurde zu
nutzen versäumt.
Heute fordert der Bundeskanzler eine Kehrtwende der
von ihm mit beschlossenen Reformen. Die Halbwertzeiten der Aussagen des „Basta“-Kanzlers werden immer
kürzer. Es war eine Beleidigung vieler deutscher Bäuerinnen und Bauern, als der Bundeskanzler im Zusammenhang mit BSE von „Agrarfabriken“ und „Massentierhaltung“ gesprochen hat.
({6})
Gerade die Rinderhaltung befindet sich in Deutschland
weitgehend in bäuerlichen Strukturen. Von allen landwirtschaftlichen Produktionsbereichen findet die Rinderhaltung in den kleinsten Strukturen statt.
Wenn die rot-grüne Bundesregierung zusammen mit
der Europäischen Union und den Ländern nicht schnellstens Hilfsmaßnahmen beschließt, werden am Ende dieser
Entwicklung Agrarfabriken stehen. Gerade die BSEKrise wird viele verbraucherfreundlich produzierende
bäuerliche Betriebe zur Hofaufgabe zwingen.
Und wann spricht der Bundeskanzler ein Machtwort
gegen die Preisdruckpolitik aus Brüssel, die unsere Bauern zwingt, wertvolle Nahrungsmittel zu Ramschpreisen
zu verkaufen? Im Gegenteil: Er hat den Agrarpreisverfall
begrüßt.
Wie will die rot-grüne Bundesregierung eine nationale
Agrarpolitik gegen den Wettbewerb innerhalb der Europäischen Union absichern? Wird bei der Osterweiterung
der Europäischen Union eine andere Agrarpolitik eingefordert und wird bei der nächsten Welthandelsrunde eine
Kehrtwende der Agrarpolitik weg von Weltmarkt-Agrarpreisen massiv vertreten? - Eine Reihe von Fragen, die bis
heute von dieser Bundesregierung nicht beantwortet sind.
Zurzeit ist es für unsere Milchviehbetriebe eine unerträgliche Belastung, mit der Angst zu leben, dass ihr Betrieb der nächste ist, dessen Rinder beim Auftreten eines
BSE-Falles gekeult werden. Die Bundesregierung muss
schnellstens prüfen, ob statt der Keulung ganzer Bestände
das Schweizer Modell der Kohortenkeulung, ergänzt um
zusätzliche Maßnahmen im Interesse des Verbraucherschutzes, umgesetzt werden kann.
Wir müssen uns die Erfahrungen der Schweiz zunutze
machen, um die Krise schneller meistern zu können.
({7})
Dazu brauchen wir die aktive Mitarbeit der Rinder haltenden Betriebe. Dies wird am besten erreicht, wenn wir
den Bauern die Angst nehmen, dass beim Auftreten eines
BSE-Falles jahrzehntelange Zuchtarbeit zerstört wird.
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.
Einen Satz noch.
Der Bundeskanzler hat sich medienwirksam in Szene
gesetzt, als er das Leben einer Weihnachtsgans gerettet
hat. Er sollte sich auch einmal für die Tiere unserer Bauern interessieren und sich dort ähnlich medienwirksam in
Szene setzen.
Die CDU/CSU-Fraktion wird die Interessen der bäuerlichen Landwirtschaft auch im Deutschen Bundestag
massiv vorbringen.
Danke schön.
({0})
Als
nächster Redner hat der Kollege Holger Ortel von der
SPD-Fraktion das Wort.
({0})
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich weiß nicht: Ist die CDU die bessere
Bauernpartei?
({0})
Nach dem, was ich bisher hier gehört habe, habe ich
meine Zweifel. Die Menschen in diesem Lande verstehen
dieses Hickhack gar nicht mehr. Sie haben nämlich die
Nase voll davon. Die Menschen in diesem Lande wollen,
dass wir und vor allen Dingen Sie auf den Oppositionsbänken mit diesem Aktionismus endlich aufhören.
({1})
Die Leute wollen, dass wir endlich vernünftig an diesem Thema arbeiten, und zwar alle zusammen.
({2})
Darum geht es.
({3})
Wir müssen gemeinsam an der Zukunft des ländlichen
Raumes arbeiten. Wenn sich die Opposition hier verweigert, kann man das dann auch unverantwortlich nennen.
Wir müssen auch gemeinsam den Druck von unseren
Bauern nehmen,
({4})
den sie selber nicht erzeugt haben. Nicht alle Bauern sind
schwarze Schafe. Wenn Kollege Ronsöhr von „den Bauern“ spricht, dann meint er 500 000 im Lande.
({5})
Bauer ist heute für mich immer noch ein hochanständiger
Beruf.
({6})
Man kann nicht 500 000 Bauern an den Pranger stellen
und alle meinen.
({7})
- Auch der Kanzler weiß, dass das ein hochanständiger
Beruf ist.
({8})
- Doch.
An dieser Stelle nutze ich die Gelegenheit, eine herzliche Bitte an die Medien zu richten: Bei der Aufgabe des
Aufklärens und Kommentierens von Missständen haben
auch unsere Medien eine Verantwortung. Ich bitte Sie von
den Medien herzlich, diese Verantwortung wirklich wahrzunehmen.
({9})
Unsere Bauern sind, wie eine Zeitung jetzt getitelt hat,
nicht die „Mülleimer der Nation“.
Ich darf - sicherlich gemeinsam mit Ihnen, Herr
Ronsöhr - feststellen: Verbraucher und Erzeuger sitzen in
einem Boot.
({10})
Der Preisdruck, der vom Handel auf die Erzeuger ausgeübt wurde und immer noch ausgeübt wird, spricht gegen alle Vernunft. Lebensmittel als Lockmittel für den
Verbraucher zu nehmen halte ich für unanständig. Lebensmittel als Ramschware zu verhökern ist pervers.
({11})
Ein halbes Pfund Butter für 0,99 DM, ein Kilo Rouladen für 5,55 DM oder fünf Hähnchen für 10 DM, das sind
Preise, die man mit dem gesunden Menschenverstand
überhaupt nicht nachvollziehen kann. Wir Verbraucher
- auch ich bin einer - müssen auch einmal darüber nachdenken, wie es wohl kommt, dass wir für die Freizeit mehr
ausgeben als für unsere Lebensmittel.
Es gibt auch bei Schlachtern und Metzgern schwarze
Schafe; das wissen wir. Wer meint, alles „verwursteln“ zu
können, der muss dann eben auf die Wurst einen Aufkleber anbringen, wie wir ihn von Zigarettenschachteln kennen: „Die Gesundheitsminister …“ Ein solcher Aufkleber
gehört dann auf die Wurst.
Wir sind uns sicherlich auch einig, Kollege Ronsöhr,
dass Futtermittelpanschern die rote Karte gezeigt werden
muss. Wir sind uns auch einig, dass Schweinedoping und
Rinder zu Kannibalen zu machen eine unvorstellbare
Grausamkeit ist.
({12})
Ich denke, auch in diesem Bereich können wir gemeinsam
etwas machen.
Chemiecocktails und chemische Keulen haben in der
Lebensmittelproduktion nichts zu suchen. Auch da gibt es
Einigkeit. Warum nutzen wir nicht unsere Einigkeit in
vielen Bereichen und setzen sie wirklich in Politik um?
({13})
Ich denke, wir sind uns einig, dass wir gemeinsam den
Markt für unsere Bauern und unsere Produkte wieder in
Gang bringen müssen. Wir wollen und wir müssen den
ländlichen Raum weiterentwickeln. Auch da gibt es einen
Konsens. Wir streiten uns nachher über Beträge. Aber darüber, dass wir das tun müssen, sind wir uns einig. Das
geht nur im Kontext mit allen Regionen in diesem vereinten Europa.
In der Landwirtschaft und im ländlichen Raum brauchen wir keine Revolution, sondern Evolution. Die bestehende Krise muss wirklich für uns alle eine nationale Herausforderung sein. Wir haben die Probleme abzuarbeiten
und nicht täglich von dieser Stelle aus zu beschwören. Ich
finde es beachtlich und positiv, dass jetzt endlich auch die
Vertreter des Berufsstandes laut über Veränderungen
nachdenken.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, bei der Bundesregierung ist diese Landwirtschaft wirklich in guten Händen.
({14})
Das muss man sagen, auch wenn hier und da einmal eine
überzogene Anmerkung kommt; das will ich gerne zugeben.
Ich denke, ein wohldurchdachter Schwenk in der
Agrarpolitik ist längst überfällig. Wir werden in diesen
Schwenk die Betroffenen im ländlichen Raum einbinden.
Herzlichen Dank.
({15})
Ich erteile
das Wort dem Kollegen Manfred Grund für die Fraktion
der CDU/CSU.
({0})
Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich als
vorletzten Redner die Gelegenheit nutzen, auf die Folgen
der aktuellen BSE-Krise für den ländlichen Raum in den
neuen Bundesländern hinzuweisen. Dies erscheint mir
deshalb geboten, weil es hier durchaus einige grundlegende Unterschiede gegenüber der Agrarstruktur in den
alten Bundesländern gibt, was die Größe der Betriebe und
damit auch die Folgen auftretender BSE-Fälle für Menschen und Tiere betrifft.
({0})
Die mehr oder weniger offen ausgesprochene Vorverurteilung landwirtschaftlicher Großbetriebe bereitet den
in den neuen Ländern in der Landwirtschaft arbeitenden
Menschen große Sorgen.
({1})
- Ich sage es auch dem Bundeskanzler; das können Sie
vielleicht weitersagen. - Im Raum stehen Begriffe wie
„industrielle Landwirtschaft“, „Massentierhaltung“ und
„Agrarfabriken“.
({2})
Die Ursache von BSE und mancherlei anderen Verirrungen in der Landwirtschaft schien schnell ausgemacht zu
sein, nämlich in der industriellen landwirtschaftlichen
Produktion.
({3})
Rasch und lautstark haben der Bundeskanzler und die
neue Ministerin eine grundlegende Kehrtwende angekündigt. Doch eine Kehrtwende wohin und eine Abwendung
wovon?
Inzwischen zeigt sich immer deutlicher, dass BSE jedenfalls kein ausschließliches Problem industrieller
Landwirtschaft ist, wenn man sie nur von der Betriebsgröße her definiert. Der Erreger fragt nicht nach der Stallgröße. Der aktuelle BSE-Atlas weist gerade Regionen mit
traditioneller bäuerlicher Landwirtschaft als Schwerpunkte der Krise aus. BSE macht auch keinen Bogen um
Höfe mit gesicherter ökologischer Erzeugung.
Die Folgen eines nachgewiesenen BSE-Falls in einem
der vielen typischen Großbetriebe in den neuen Ländern - seit gestern gibt es ja den ersten nachgewiesenen
Fall in Sachsen-Anhalt - sind allerdings für die betroffenen Menschen und auch für die Tiere enorm. So wird der
gestern nachgewiesene BSE-Fall wahrscheinlich dazu
führen, dass die gesamte Herde von nahezu 1 000 Tieren
auf einen Schlag getötet werden muss. Dies ist umso dramatischer, als die Voraussetzungen für eine artgerechte
Tierhaltung in den neuen Bundesländern durchaus gegeben sind. So liegt beispielsweise in Thüringen der durchschnittliche Tierbesatz mit 0,55 Kühen pro Hektar weit
unter dem Bundesdurchschnitt, wobei der Spitzenwert bei
1,24 Tieren je Hektar liegt.
Am Einsatz von Landesmitteln für die ökologische
Bewirtschaftung, für die Landschaftspflege, für den Vertragsnaturschutz wird der Wille zur ökologischen Bewirtschaftung deutlich. Viele Betriebe in den neuen Bundesländern, ob Wiedereinrichter oder Anlagen mit größeren
Tierbeständen, haben die Kehrtwende, die in der Agrarpolitik aktuell eingefordert wird, längst vollzogen:
({4})
Anlagen mit artgerechter Haltung, frei laufende Kälber
und Kühe, Haltung nach Leistungsgruppen, geräumige
und luftige Ställe. Eine Überdüngung der Felder ist weitgehend ausgeschlossen, weil der Höchstbesatz pro Hektar
weit unterschritten wird.
In diesem Zusammenhang ist auch wichtig, dass zum
Beispiel in Thüringen 87 Prozent des Grünlandes extensiv bewirtschaftet werden.
({5})
Vieles, was jetzt als Kehrtwende in der Agrarwirtschaft
gefordert wird, gibt es in den neuen Bundesländern längst.
({6})
BSE ist aber nicht nur ein Problem für die Landwirtschaft und die unmittelbar in ihr arbeitenden Menschen,
sondern hat auch weit reichende Folgen für andere Branchen wie die Verarbeitung, die Gastronomie und den Tourismus. Das ist deshalb ein Problem, weil vieles, was hiermit zusammenhängt, ungeklärt und ungeregelt ist.
In dieser ungeregelten Situation ist nun der erste BSEFall in einer Anlage mit nahezu 1 000 Tieren aufgetreten.
Wer die Bilder vor Augen hat, wie einem Landwirt zumute ist, wenn 30 Tiere aus dem Stall getrieben werden,
der kann sich vorstellen, was es bedeutet, wenn 30 mal 30
Tiere aus dem Stall getrieben werden und damit 30 bäuerliche Familien in ihrer Existenz betroffen sind.
({7})
Auch in Thüringen - bisher ohne einen BSE-Fall - gibt
es jetzt bereits Kündigungen. So werden im Schlachthof
Altenburg von bisher 200 Beschäftigten 60 entlassen.
Fleisch- und Wurstverarbeitungsbetriebe werden von
mehreren Seiten unter Druck gesetzt. Lebensmittelketten
verlangen die Umstellung der Produktion - was auch richtig ist -, aber wie die Kostensteigerungen aufgefangen
werden können, ist ungeklärt.
Bisher klopften alle, also Landwirte, Schlachthöfe,
Fleischverarbeiter, an die Türen der Staatskanzleien. Die
Landesregierungen helfen, vielfach unbürokratisch
schnell und über ihre eigene Zuständigkeit hinaus. Von
der Bundesregierung hingegen - das ist hier schon mehrfach angesprochen worden - fehlen bisher konkrete Hilfen.
({8})
- Es sind Hilfen angekündigt worden, sie sind aber bisher
nicht da.
({9})
Alles das, was an Verunsicherung, an existenziellen Fragen mit BSE zusammenhängt, bleibt ungeklärt.
Ich will darauf verzichten - es ist schon von meinen
Vorrednern gesagt worden -, darzustellen, was zu tun ist.
Hier ist, Frau Höfken, die Frage nach einem konkreten
Beispiel gestellt worden. Ich nenne Ihnen ein Beispiel.
Auf einem Schlachthof, auf dem ein BSE-infiziertes Rind
getötet und verarbeitet worden ist, müssen anschließend
ein oder zwei Quarantänetage eingelegt werden. Es muss
desinfiziert werden und die gesamte Charge, die geschlachtet worden ist, ist verdorben. Wenn wir in Zukunft
dahin kommen, mehrere 100 000 Tiere, die über 30 Monate alt sind, vom Markt zu nehmen - also zu schlachten
und auf BSE zu testen -, so wird sich ein riesiges Problem
für die Schlachthöfe ergeben, wenn wir nicht festlegen
- das wäre ein konkreter Vorschlag -, bundesweit zwei
oder drei zentrale Schlachthöfe zu benennen, in denen die
Tiere geschlachtet werden, damit die Verarbeitung in den
anderen Betrieben nicht gestört wird. Das wäre ein konkretes Beispiel.
Ansonsten: Handeln Sie schnell! Wenn Sie als Bundesregierung nicht bald helfen, kommt Ihre Hilfe nicht
mehr dort an, wohin sie kommen müsste.
({10})
Als letzter
Redner in dieser Aktuellen Stunde spricht nun der Kollege
Reinhard Schultz für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte noch
kurz auf einen Punkt zurückkommen, der mit der Sache
dieser Debatte eigentlich wenig zu tun hat, aber von Herrn
Ronsöhr hier - möglicherweise leichtfertig - eingeführt
worden ist. Sie haben sich dazu verstiegen - warum auch
immer, aus Panik oder aus Leichtsinn -,
({0})
den Versuch der Kriminalisierung unseres Bundeskanzlers durch das berühmte Plakat, das sie gestern zurückgezogen haben, mit der politischen Auseinandersetzung
zwischen dem Bundeskanzler und dem Präsidenten des
Deutschen Bauernverbandes sozusagen gleichzustellen.
Das halte ich für einen groben Fehlgriff. Ich weise diese
Gleichstellung zurück.
({1})
Sie sollten in sich gehen und gucken, wie Sie mit Ihrer
Fehlleistung umgehen. Ihre Parteivorsitzende war wesentlich schlauer als Sie, die Sie heute noch einmal nachgetreten haben.
({2})
- Ich gucke mir das gleich an; denn trotz Brille ist meine
Weitsichtigkeit nicht so groß, dass ich das von hier aus genau sehen könnte.
({3})
- Um Sie zu erkennen, reicht sie allemal noch, aber weit
darüber hinaus geht es zugegebenermaßen nicht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei der Diskussion
um die Folgen von BSE geht es nicht nur darum - das
wird natürlich geschehen, auch auf der Grundlage der Regierungserklärung der Ministerin in der nächsten Sitzungswoche -, konkrete Strukturhilfen und Liquiditätshilfen zu leisten, die Entsorgung zum Beispiel von
Tiermehl und von Futtermitteln, in denen Tiermehl enthalten ist, vernünftig zu organisieren und sich darauf zu
verständigen, wie man eine Marktbereinigung dadurch
herbeiführt, dass man Bestände nach bestimmten Qualitätsmerkmalen ersatzlos aus dem Markt herausnimmt.
Das wird alles geschehen, und zwar schneller, als Sie
heute glauben.
({4})
Es geht auch darum, uns darüber klar zu werden, wie
das System der Nahrungsmittelerzeugung und Nahrungsmittelverteilung in Deutschland und in Europa heute eigentlich funktioniert und wie es funktionieren sollte. Sie
haben ja alle Recht, die Sie sagen: Die Bauern und die
Verbraucher sind die Opfer einer solchen Entwicklung.
Aber welcher Entwicklung denn eigentlich? Wir haben in
Deutschland einen Lebensmittelhandel, in dem zehn Unternehmen 80 Prozent des Marktes beherrschen. Das ist
eine marktbeherrschende Stellung, wenn auch nicht im
Sinne des Rechts, weil 33 Prozent am relevanten Markt
nicht überschritten werden. In diesem sensiblen Bereich
wird eine solche Nachfragemacht erzeugt, dass Preise
diktiert werden können.
Überall dort, wo sich die Anbieter organisiert haben,
wie zum Beispiel im Milchbereich, um durch große Einheiten ein Gegengewicht herzustellen, erzielen die Erzeuger mittlerweile auch wieder auskömmlichere Preise. Im
Fleischbereich ist die Lage derartig zersplittert, dass die
Erzeuger dem Preisdiktat hilflos ausgeliefert sind, und
zwar nicht nur dann, wenn der Anbieter Fleisch so wie
früher Socken zu Schnäppchenpreisen anbieten will, sondern generell. Aufgrund des Wettbewerbs dieser Zehn in
Deutschland sind die Margen beim Endverbraucherpreis
so gering geworden, dass Geschäfte nur noch über die
Masse, also über massenhaften Verkauf von Lebensmitteln wie Fleisch, gemacht werden können; dieser Preisdruck wird direkt an den Erzeuger weitergegeben. Der Erzeuger wird, wenn er sich diesem Tempo und dieser
Marktordnung nicht stellt, brutal ausgelistet und darf
überhaupt nicht mehr an diese Zehn liefern. Er steht dann
im Regen.
Im Alltag wird der Produzent erpresst, zu Bedingungen
zu produzieren, die seiner eigenen Überzeugung widersprechen, nämlich ohne Berücksichtigung ökologischer
Kriterien und Qualitätskriterien. Er wird gezwungen, solche Futtermittel einzusetzen, von denen er selber weiß,
dass ein Pflanzenfresser sie eigentlich nicht fressen sollte.
({5})
Er wird, wie wir es beim Kälberskandal in NordrheinWestfalen erlebt haben und Sie es jetzt in Bayern in Form
des Einsatzes von Pharmaka und Hormonen als Aufzuchtmittel bei Schweinen erleben, immer wieder gezwungen
oder gedrängt, die Grenze von normaler Produktion zur
Kriminalität zu überschreiten. Ich bin überzeugt davon,
wir bekommen dieses System nicht durch Soforthilfen
oder durch eine Wende in der Landwirtschaftspolitik, wie
angekündigt, in den Griff, sondern nur im Rahmen eines
breiten Konsenses bezüglich der Qualität, die diese Gesellschaft bei Lebensmitteln erwartet.
({6})
- Ja, ich meine auch die Einkäufer von Aldi.
Wir haben im Rahmen einer breiten gesellschaftlichen
Diskussion zum Beispiel die Produktionsmerkmale, nach
denen Kraftfahrzeuge in Deutschland hergestellt werden,
völlig verändert. In unserem Land werden aufgrund politischer und gesellschaftlicher Diskussionen, durch ein
entsprechendes Ordnungsrecht, durch Anreize und aufgrund von freiwilligen Selbstverpflichtungen die verbrauchsärmsten Automobilflotten der Welt hergestellt.
Wenn wir im Bereich der Lebensmittelproduktion einen
nur annähernd vergleichbaren Konsens zwischen Politik,
Herstellern, Verbrauchern und dem Handel erreichten,
wären wir einen großen Schritt weiter.
({7})
In der Energiepolitik besteht weitgehend Konsens darüber - er hat immer mehr zugenommen -, dass wir Energie nicht nur durch den Einsatz von Kernkraft oder fossilen Brennstoffen erzeugen dürfen, sondern auch durch
den Einsatz erneuerbarer Energien oder durch Energiesparen zu einem verantwortlichen Umgang mit unseren
natürlichen Ressourcen beitragen müssen. Durch eine
Verbindung von politischem Konsens, Ordnungsrecht
und Anreizen wird das bewerkstelligt; der Markt entwickelt sich zunehmend dynamisch in diese Richtung.
Wenn wir einen ähnlichen Konsens zwischen Politik,
Handel und Produzenten im Nahrungsmittelsektor hätten,
wären wir einen ganzen Kilometer weiter.
({8})
Deswegen hoffe ich, dass wir fraktionsübergreifend es handelt sich ja um ein Riesenthema, bei dem es um die
Macht und sehr große Gewinne von Unternehmen geht,
die aufgrund der hohen Konzentration in diesem Sektor
die Alternative haben, Aktivitäten ins Ausland zu verlagern oder sie hier zu belassen - große Qualitätskonferenzen durchführen, die zum Ziel haben, unter dem Dach des
Marktes einen Konsens über Spielregeln, die zwischen
Handel, Industrie und Produzenten in der Landwirtschaft
im Interesse der Verbraucher gelten sollten, zu erreichen.
Solche Qualitätskonferenzen könnten das Bewusstsein
sehr schärfen. Ich gehe davon aus, auch der Bauernverband würde daran teilnehmen.
Herr Kollege Schultz, Sie haben schon ein paar Mal zum Schlusssatz angesetzt. In einer Aktuellen Stunde haben Sie fünf
Minuten und nicht, wie jetzt schon, sieben Minuten Redezeit. Kommen Sie bitte zum Schluss.
Okay, ich
komme zum Schluss.
Wenn ich mir anschaue, wie in der Region, die ich
überschaue, nämlich im Westfälischen, heute Landwirte
auf diese Krise reagieren, dann stelle ich fest, dass sie
längst nicht so laut sind und das Kriegsgeschrei anstimmen, das Herr Ronsöhr und andere hier an den Tag gelegt
haben,
({0})
sondern sich freiwillig selbst bescheiden und auf die eigene Verantwortung besinnen.
Vielen Dank.
({1})
Die Aktuelle
Stunde ist damit beendet.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a bis 5 c auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes
und anderer straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften ({0})
- Drucksache 14/4304 Reinhard Schultz ({1})
({2})
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({3})
- Drucksache 14/5132 Berichterstattung:
Abgeordnete Rita Streb-Hesse
Eduard Lintner
Albert Schmidt ({4})
Horst Friedrich ({5})
Dr. Winfried Wolf
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({6})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Rita StrebHesse, Dr. Margrit Wetzel, Ingrid BeckerInglau, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der SPD sowie der Abgeordneten Albert
Schmidt ({7}), Kerstin Müller ({8}),
Rezzo Schlauch und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Regelung des Anwohnerparkens durch
Städte und Gemeinden
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Margrit
Wetzel, Hans-Günter Bruckmann, Dr. Peter
Wilhelm Danckert, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten
Albert Schmidt ({9}), Kerstin Müller
({10}), Rezzo Schlauch und der Fraktion
BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN
Verbot des Mitführens von Radar- und
Laserwarngeräten in Kraftfahrzeugen
- Drucksachen 14/1258, 14/1351, 14/5132 Berichterstattung:
Abgeordnete Rita Streb-Hesse
Eduard Lintner
Albert Schmidt ({11})
Horst Friedrich ({12})
Dr. Winfried Wolf
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen ({13}) zu dem Antrag
der Abgeordneten Dr. Winfried Wolf, Christine
Ostrowski, Dr. Gregor Gysi und der Fraktion der
PDS
Geschwindigkeitsbegrenzung auf 130 km/h auf
Autobahnen
- Drucksachen 14/1082, 14/5076 Berichterstattung:
Abgeordneter Albert Schmidt ({14})
Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung
des Straßenverkehrsgesetzes liegen ein Änderungsantrag
der Fraktion der CDU/CSU und ein Entschließungsantrag
der Fraktion der F.D.P. vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Das Haus ist damit
einverstanden.
Ich eröffne die Aussprache und gebe zunächst der Kollegin Rita Streb-Hesse für die SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Heute werden wir - leider mit zweimonatiger Verzögerung - wichtige Neuerungen im
Straßenverkehrsrecht auf den Weg bringen. Unstreitig
sind Ergänzungen, zum Beispiel zum Fahrerlaubnis- und
Fahrlehrerrecht, sowie Anpassungen der 1999 vorgenommenen Änderungen. Auch zu den drei Schwerpunkten der
Novellierung, zu denen die CDU/CSU quasi über Nacht
doch noch eine Anhörung für nötig erachtete, findet sich
bei den Experten aus der Wissenschaft, bei den Verbänden
und auch in den Landesregierungen überwiegend
Unterstützung.
Das Verbot des Mitführens von Radar- und Laserwarngeräten - von der SPD-Fraktion 1999 beantragt - wird
voll mitgetragen. Solche Art von Technik ist für die Verkehrssicherheit kontraproduktiv und wird weder im noch
am Auto - diesen bayerischen Ergänzungsvorschlag nehmen wir auf - erlaubt.
Für Bewohnerparkzonen, besser bekannt als Anwohnerparkplätze, bringen jetzt klare Vorgaben die notwendige Rechtssicherheit.
({0})
Seit Mai 1998 waren nach höchstrichterlichem Spruch nur
noch kleinräumige Zonen zulässig, beschränkt auf zwei
bis drei Straßen im Wohnumfeld. Viele Städte mussten bewährte Parkraumkonzepte abschaffen bzw. aussetzen. Andere behalfen sich mit Notlösungen wie Kurzparkzonen
und Ähnlichem. Die von der Bundesregierung vorgeschlagene Ermächtigung erlaubt nun Bewohnerparkzonen bis
zu einer maximalen Ausdehnung von 1 Kilometer. Sie gewährleistet den von den Kommunalpolitikern aller Parteien als notwendig erachteten Ermessensspielraum, um
angesichts von Parkraummangel, Pendlerverkehr und
nachhaltiger Stadtentwicklung praxistaugliche Parkkonzepte umsetzen zu können.
({1})
Wir vertrauen auf die Kompetenz vor Ort. Streitpunkt
ist nicht das Ob. Wir sind uns darüber einig, dass wir eine
neue, rechtssichere Regelung brauchen. Das wollen die
Anwohner und die Kommunen. Es gibt Gewerbetreibende in großer Zahl, die gute Erfahrungen gemacht haben.
({2})
Streitpunkt bleibt das Wie. Der Schauplatz für eine realitätsnahe und vernünftige Regelung wird der Verhandlungstisch mit den Ländern sein. Eine knappe Mehrheit
der Länder - den Anträgen Bayerns und Hessens folgend - will maximal 50 Prozent der Parkplätze für Anwohner und zusätzlich eine Beschränkung der Größe der
Zonen, gestaffelt nach der Einwohnerzahl der Städte.
Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters
Dies, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, unterstützen Sie. Eigentlich haben Sie jetzt Erklärungsbedarf. Sie müssten doch wissen, dass dann unser gemeinsam festgestelltes Anliegen, auch Kommunen ohne den
feststehenden Stadtstatus die Einrichtung von Bewohnerparkzonen zu ermöglichen, außen vor bleibt.
Lassen Sie uns realistisch sein und die Fakten betrachten. In der Praxis gab und gibt es nirgendwo hundertprozentige Anwohnerparkzonen, in denen nicht auch Kunden, Handwerksbetriebe und Besucher parken dürfen.
Jede Kommune sorgt im eigenen Interesse für einen fairen Ausgleich. Jede Kommune berücksichtigt bei der Entscheidung über die Größe die Nutzungsstruktur. In der
Anhörung wurde erneut und überzeugend dargelegt, dass
restriktive Vorgaben weder praxistauglich sind noch den
kommunalen Anliegen gerecht werden.
Ich freue mich deshalb über die breite Zustimmung einer kommunalfreundlichen Regelung in diesem Haus,
auch vonseiten der F.D.P., die sich hier allerdings von
ihren Länderministern unterscheidet.
({3})
Ich werte dies auch als Unterstützung des Bundesministeriums, bei den anstehenden Verhandlungen über die
Straßenverkehrsordnung und die notwendigen Verwaltungsvorschriften die kommunale Selbstverwaltung zu
achten.
Als streitiger Punkt bleibt - dies überrascht nicht - die
Festlegung von 0,5 Promille als einheitlichem Grenzwert,
ab dem Alkohol am Steuer künftig härter, also auch mit
Fahrverbot geahndet werden soll. Meine Damen und Herren von der CDU/CSU und jetzt auch von der F.D.P., ich
kann nicht nachvollziehen, warum wir uns bei der Promilleregelung nicht auf die einheitliche Absenkung einigen können.
Das Grundargument, die Erhöhung der Verkehrssicherheit, teilen wir. Das war Ihr Hauptargument, als Sie
1998 die 0,5-Promille-Grenze eingeführt haben. Nun behaupten Sie, eine Festschreibung dieser Grenze sei nicht
nötig bzw. sie komme zu früh. Sie pochen dabei auf statistische Angaben, zum Beispiel darauf, dass über 70 Prozent aller Unfälle unter Alkoholeinfluss von Fahrern mit
mehr als 1,1 Promille Alkohol verursacht wurden.
({4})
Damit argumentieren Sie und hoffen, eine stichhaltige Begründung für eine gestaffelte Promilleregelung zu haben.
Sie wollen auch glaubhaft machen, dass die 0,5-Promille-Grenze für eine unmaßgebliche und ungefährliche
Gruppe von schwach alkoholisierten Genusstrinkern gedacht ist. Die Frage bleibt: Warum haben Sie 1998 überhaupt die 0,5-Promille-Grenze als Gefahrengrenzwert
eingeführt? Sie und wir wissen, dass Sie ein eindeutiges
Signal setzen wollten. Deswegen haben wir damals Ihrem
Gesetz zugestimmt und werden es heute konsequent verbessern.
({5})
Meine Damen und Herren von der Opposition, Ihre
Zahlen und die der Statistik, die von 70 Prozent spricht,
beziehen sich - das wissen Sie - auf die Zahl der registrierten Unfälle.
({6})
Wie hoch aber ist die Dunkelziffer all der Fahrer, die
0,5 Promille oder 0,8 Promille hatten
({7})
und das Glück hatten, nicht erwischt zu werden, weil sie
Gott sei Dank keinen Unfall gebaut, aber in vielen Fällen
eine erhebliche Gefährdung für alle Verkehrsteilnehmer
dargestellt haben?
({8})
Die von Ihnen so viel zitierte Statistik sagt auch, dass
nur jede 600. Fahrt unter Alkoholeinfluss überhaupt entdeckt wird. Sie sagt auch, dass rund 100 Menschen getötet und über 1 000 bei Verkehrsunfällen schwer verletzt
wurden, bei denen die Verursacher einen Blutalkoholgehalt von 0,5 bis 0,8 Promille hatten.
Sie ignorieren diese Zahlen ebenso wie - das ist mir
viel wichtiger - übereinstimmende Aussagen von Sachverständigen, dass sich ab 0,3 Promille, spätestens bei
0,4 Promille Ausfallerscheinungen und Einschränkungen
der Leistungsfähigkeit zeigen, dass die Einführung des
0,5-Promille-Wertes bereits jetzt einen Rückgang der
Zahl von Verkehrsunfällen unter Alkohol bewirkt hat
und - das ist für eine Regierungspartei und für die Regierung wichtig - dass der allergrößte Teil der Bevölkerung
heute - 83 Prozent im Osten und 52 Prozent im Westen Verständnis für eine Senkung zeigt. Dies gilt für Fahranfänger und Fahrerfahrene. Für beide wird die 0,5-Promille-Grenze eine nachvollziehbare und akzeptierte
Regelung im Interesse der eigenen Sicherheit sein. Für jugendliche Fahranfänger haben wir bereits die Probezeit
auf vier Jahre verlängert;
({9})
weitere Konzepte zur Vorbeugung sind angebracht.
Meine Damen und Herren, die Festlegung einer eindeutigen und einheitlichen Promillegrenze ist ein glaubwürdiger, richtungsweisender Kompromiss zwischen den
Vorstellungen mancher Bundesländer, ein Fahrverbot
schon bei 0,3 Promille bzw. 0,0 Promille festzulegen oder
die 0,8-Promille-Regelung beizubehalten.
({10})
Diese Grenze unterstützt unser Bemühen, die Verkehrssicherheit zu erhöhen und die Zahl von Unfallverletzungen
und Todesfällen zu senken. Sie ist weiterhin ein wichtiger
Beitrag in der europaweiten Verabredung, eine Durchsetzung der 0,5-Promille-Regelung oder weniger zu erreichen, wobei die Sanktionen in anderen Ländern bekanntermaßen drastischer sind.
({11})
Umso mehr bedauere ich die Ablehnung von CDU/CSU
und F.D.P. Es wird Sie nicht erstaunen, dass wir Ihre heute
vorgelegten Anträge - bei der CDU/CSU in bekannter
Form, bei der F.D.P. dürftig kaschiert mit der Forderung
nach einer Konzeption - ablehnen.
({12})
Ein wichtiges Gesetzesvorhaben für den Straßenverkehr und die Verkehrssicherheit findet heute aus unserer
Sicht einen guten Abschluss. Dafür möchte ich mich bei
allen, die dazu beigetragen haben, bedanken.
({13})
Für die
CDU/CSU-Fraktion erteile ich das Wort dem Kollegen
Wolfgang Börnsen.
Herr
Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin
Streb-Hesse, ich finde, dass es ausgesprochen fair ist,
wenn Sie deutlich machen, dass große Teile des jetzt zu
verabschiedenden Gesetzes auf eine gemeinsame Initiative zurückgehen, dass einige der Vorschläge fast drei
Jahre alt sind und von der alten Regierung stammen und
dass große Teile von CDU/CSU und F.D.P. mitgetragen
werden. Das halte ich für einen prima Stil und daran sollten wir auch festhalten.
Ich will auf das eingehen, was uns trennt, und nicht auf
das, worüber wir uns einig sind, weil ich finde, dass es
richtig ist, sich mit einem Thema, das Millionen von Menschen interessiert, sachlich auseinanderzusetzen.
({0})
Wer kennt nicht diese Wochenendschlagzeilen, die wir
alle im Ohr haben: „Trunkenheitsfahrt endet tödlich“,
„Junge Frau nach Verkehrsunfall querschnittsgelähmt“,
„Vier junge Leute schwer verletzt - Promillegrenze nicht
eingehalten“. Neben nicht angepasster Geschwindigkeit
und Vorfahrtsfehlern stehen Alkoholfahrten an der Spitze
der vermeidbaren Unfallursachen. Die Unfälle sind folgenreicher als andere, sie ereignen sich oft nachts, vielfach im Anschluss an Discobesuche, und an ihnen sind
mehr junge Leute als an den aus anderen Gründen verursachten Unfällen beteiligt. Nach Angaben der Verkehrsverbände gibt es bei uns fast 29 000 Trunkenheitstäter
jährlich. Sie verletzen über 30 000 Menschen, und fast
1 200 Mitbürger jährlich werden getötet, weil durch Alkohol am Steuer ein Unfall verursacht wurde. Jeder siebte
tödliche Unfall geht auf eine Alkoholfahrt zurück. Die EU
beziffert ein Viertel der jährlich 40 000 Verkehrstoten
- also 10 000 Tote - als Opfer von Trunkenheitsfahrten;
davon sterben 3 500 Menschen unschuldig.
Die EU-Kommission sieht vor allem bei den jugendlichen männlichen Fahrern aktuellen Handlungsbedarf, die
- so heißt es wörtlich - den harten Kern bei Unfällen mit
Alkohol ausmachen. Das Statistische Bundesamt in Wiesbaden bestätigt diese Aussage. Fast ein Viertel aller alkoholisierten Unfallverursacher hat das 25. Lebensjahr noch
nicht erreicht. Der Anteil dieser Gruppe an der Gesamtbevölkerung beträgt gut acht Prozent, aber jeder fünfte
Unfall in Deutschland wird durch sie verursacht; auch jeder fünfte tödliche Unfall.
Die Reaktion der Bundesregierung ist angesichts
dieser Sachlage erschütternd. Bundesverkehrsminister
Bodewig äußert sich fast gar nicht und will sich den Vorschlag erst einmal ansehen, obwohl die EU-Empfehlung
nach Rücksprache mit Berlin ausgesprochen wurde, die
Koalitionsvereinbarung klare Regelungen enthält und
SPD und Bündnisgrüne in ihrer Oppositionszeit klar auf
eine Null-Promillegrenze festgelegt waren. Leider fehlt
der Minister heute bei dieser Debatte; ich bedauere das
außerordentlich. Alkohol am Steuer ist auch für einen
Bundesverkehrsminister, der neu im Amt ist, ein wichtiges Thema.
({1})
Aufgrund der Zahlen müsste die eindeutige Konsequenz für Berlin und Brüssel sein: Null Promille für
Fahranfänger! Aber die Regierung ist dagegen, jedoch die
Mehrheit im Parlament offensichtlich dafür.
({2})
Die jetzt neu anvisierte Grenze von 0,2 Promille ist
eine Halbentscheidung, die dadurch an Seriosität verliert,
weil Brüssel eine Empfehlung gegeben und nicht wie
sonst üblich eine Richtlinie vorgelegt hat. Man darf - will
man Risikogruppen verringern - nicht unverbindlich sein;
man muss konsequent und eindeutig handeln. Nach
Auffassung des Parlamentes muss für Fahranfänger in den
ersten Jahren eine Null-Promillegrenze gelten. Nach fast
vier Jahren Führerschein auf Probe die Promillegrenze
auf 0,5 anzuheben, ist eine Möglichkeit, aber nicht die
beste. Der ADAC bezeichnet dieses Vorgehen ohne Substanz als blanken Aktionismus.
({3})
Hier muss man konsequent handeln. Die bisher gestaffelte Regelung, Fahrten mit einem Alkoholgehalt zwischen 0,5 und 0,8 Promille im Regelfall mit 200 DM Buße
und zwei Punkten in Flensburg zu ahnden, wird durch ein
starres Fahrverbot ab 0,5 Promille ersetzt. Der Führerscheinentzug erfolgt in Zukunft bereits bei 0,5 Promille
und diese Maßnahme wird durch kein Aufklärungs- oder
Verkehrssicherheitskonzept begleitet.
Hier wäre es angemessen gewesen, die von uns initiierte erfolgreiche Schutzengelkampagne aus den Jahren
1997 und 1998 aufzugreifen, fortzusetzen und auch auszuweiten. In den drei Modellregionen Schleswig-Flensburg, Oberlausitzkreis und dem Stadtverband Saarbrücken hat sie große Erfolge gezeigt: bis zu 30 Prozent
weniger Verkehrsunfälle von jugendlichen Autofahrern.
Dies hätten wir vorantreiben müssen.
Neben der aktiven Mitwirkung junger Frauen an diesem Programm bewirkte die Einbindung aller Fachkenner
vom deutschen Verkehrsrat über die Verkehrswacht, den
ADAC und die Polizei bis hin zu den Kommunen ein eindrucksvolles Resultat. So etwas ist nur möglich, wenn alle
an einem Strang ziehen. Dies sollte auch in Zukunft unser
Bestreben sein. Diese Erfolgsstory hat man aber dem ehemaligen Verkehrsminister Wissmann leider nicht gegönnt.
({4})
Aber es wäre gut gewesen, sie wieder aufzugreifen und
gemeinsam weiterzuführen.
Im Interesse der Verkehrssicherheit bin ich wie viele
unserer Kollegen gegen Alkohol am Steuer. Das ist kein
Kavaliersdelikt, egal, mit welchem Fahrzeug man unterwegs ist.
({5})
Unbestritten ist - das hat Frau Kollegin Streb-Hesse auch
schon deutlich gemacht -, dass es ab 0,3 Promille Ausfallerscheinungen gibt. In den Ausführungen der Experten
auf unserem gemeinsamen Hearing ist deutlich geworden,
dass spätestens gegen Fahrer mit einem Alkoholgehalt ab
0,8 Promille, eigentlich aber schon ab 0,5 Promille von
den Verantwortlichen eindeutiger gehandelt werden
muss.
Die von uns eingeführte Regelung, bereits ab 0,5 Promille Maßnahmen vorzusehen, war ein Erfolg. Die Anzahl der Menschen, die durch Alkoholfahrten getötet
wurden, hat sich zwischen 1997 und 1999 um fast 4 500
verringert, weil wir eine abgestufte Ahndung eingeführt
haben und weil sich unsere Bürger immer verkehrsgerechter verhalten. Unsere Bürger haben eine Anerkennung dafür verdient, dass sie verantwortungsbewusster
fahren.
({6})
Wichtig für den Erfolg eines Gesetzes ist die Kontrolle. Die Kontrollen sind durch die Einführung der
Atemalkoholanalyse deutlich verbessert worden. Aber
noch ist das Entdeckungsrisiko zu gering. Immer noch
gehen Experten von einem Verhältnis von 1:300 aus. Das
heißt, auf einen, der erfasst wird, kommen 300, die nicht
erfasst werden. Hier sind eindeutig mehr Kontrollen erforderlich.
Die starre Sanktionierung ab 0,5 Promille, die in der
Neuregelung vorgesehen ist, halten wir für nicht vertretbar. Sie ist weder pädagogisch noch psychologisch vertretbar. Alle Verkehrsverbände sind sich darüber eigentlich einig.
Die Zahl alkoholbedingter Unfälle ist bereits seit Einführung der 0,8-Promille-Grenze stetig gesunken: von
10,8 Prozent im Jahre 1993 auf 8,6 Prozent 1997. Die Einführung der 0,5-Promille-Vorschaltregelung hat eine weitere Reduzierung auf jetzt 7 Prozent bewirkt.
({7})
Alle Experten gehen mit Blick auf andere Länder davon
aus, dass es keinen nennenswerten weiteren Rückgang
mehr geben wird. Der harte Kern der Trunkenheitsfahrer
muss anders erfasst werden. Rund 75 Prozent der bei
Kontrollen gefassten Alkoholfahrer haben einen Blutalkoholwert von mehr als 1,1 Promille. Da müssen wir ansetzen: mit Prävention, mit Aufklärung und mit einem abgestuften Ahndungskatalog.
Die Auswirkungen einer neuen Regelung müssen erst
einmal über mehrere Jahre beobachtet werden. Frühestens
nach vier bis fünf Jahren kann man sie beurteilen. Daher
ist es nicht sinnvoll, schon nach zwei Jahren mit einer
Neuregelung zu kommen. Die im April 1998 eingeführte
Promilleregelung bietet die Chance, auf dieser Grundlage
zu einer weiteren Verbesserung der Verkehrssicherheit in
Deutschland zu kommen. Die von der EU eingebrachte
neue Grenze von 0,2 Promille für junge Fahrer und für
weitere Risikogruppen ist weder Fisch noch Fleisch. Sie
führt nicht dazu, dass man sich in jungen Jahren daran gewöhnt, auch ohne Alkohol fahren zu können. Man wird
ein wenig daran gewöhnt; aber eine solche Halbgrenze ist
nicht vertretbar.
({8})
In dieser Frage muss von Anfang an Klarheit herrschen.
({9})
In der Regel fährt der überwiegende Teil der jungen
Leute korrekt und verantwortungsbewusst. Nur der harte
Kern hält sich nicht an Recht und Gesetz; wir dürfen junge
Leute nicht pauschal verurteilen.
Es gibt einen zweiten Grund, warum die Regierung
handeln muss, und zwar nehmen immer mehr, sowohl
junge als auch ältere Leute zum oder vor dem Alkohol
Medikamente ein. Die Kombination beider Einnahmen
bewirkt, dass es immer mehr Autofahrerinnen und Autofahrer gibt, die ein Risiko im Verkehr darstellen.
({10})
Hier muss man ganz klar handeln und dafür sorgen, dass
so etwas in Zukunft reduziert bis abgebaut wird.
Wer wie die rot-grüne Regierung die Mittel für die Verkehrssicherheit auf jetzt 22 Millionen DM niedergespart
hat - das ist so wenig wie seit zehn Jahren nicht mehr -,
Wolfgang Börnsen ({11})
der verliert an Glaubwürdigkeit, wenn er für mehr Verkehrssicherheit, für mehr Aufklärung und für mehr Prävention in der Verkehrssicherheit plädiert.
({12})
Ich finde: Wir alle haben für mehr Mittel und dafür zu sorgen, dass die Verbände und alle, die für mehr Verkehrssicherheit arbeiten, entsprechend ausgestattet sind, um
zielorientiert und eindeutig dazu beitragen zu können,
dass es zu weniger Verkehrsunfällen in Deutschland
kommt.
Danke schön.
({13})
Für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht der Kollege
Albert Schmidt.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! So ganz habe ich die Logik Ihrer Argumentation
nicht verstanden, Herr Kollege Börnsen.
({0})
Auf der einen Seite haben Sie für eine Verschärfung der
jetzigen Regelung plädiert, nämlich für Fahranfänger die
0,0-Promille-Grenze einzuführen. - Herr Kollege Börnsen,
ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir für einen Moment Ihr Ohr leihen würden. Ich versuche gerade, Sie anzusprechen. Sie haben noch viel Gelegenheit, mit Herrn
Fischer zu sprechen.
Noch einmal: Ich habe Ihre Logik nicht ganz verstanden: Auf der einen Seite plädieren Sie für die 0,0-Promille-Grenze für Fahranfänger, also für eine strengere
Regelung. Auf der anderen Seite soll für die, die nach
zwei oder vier Jahren keine Fahranfänger mehr sind - ich
weiß nicht, nach wie viel Jahren Sie das für gegeben ansehen -, die alte 0,5/0,8-Promille-Regelung gelten. Hier
soll also keine Verschärfung in Form der 0,5-PromilleGrenze für alle in Kraft treten. Für mich ist das in der Argumentation nicht konsequent. Deshalb versuche ich, Ihnen unsere Standpunkte noch einmal ein bisschen näher
zu bringen.
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Straßenverkehr, über den wir heute abschließend debattieren,
sorgt in der Summe nicht nur für eine, sondern für mehrere Verbesserungen im Straßenverkehrsrecht. Diese Verbesserungen - das wissen viele der Experten und Expertinnen, die hier sitzen - sind im Grunde seit Jahren
überfällig. Der Gesetzentwurf setzt übrigens auch weitere
Punkte aus der Koalitionsvereinbarung zwischen SPD
und Bündnisgrünen um. Diese Umsetzung sind wir nicht,
wie Sie behauptet haben, schuldig geblieben. Es handelt
sich vielmehr exakt um die Einlösung dessen, was wir
vereinbart haben.
({1})
Bei der Promillegrenze ist ganz klar, dass der zweistufige Sanktionsmechanismus, den wir bisher hatten, auf
nur noch eine Stufe reduziert wird. Das heißt, die Sanktionen, die bisher erst ab 0,8 Promille verbindlich gegriffen haben, greifen jetzt schon ab 0,5 Promille. Das bedeutet also: Geldbuße plus Führerscheinentzug. Das ist
ein ganz deutliches Signal, das auch jeder versteht, da es
eben nicht mehrstufig ist: Alkohol und Autofahren passen
nicht zusammen! Das ist der Kern dessen, worum es uns
geht.
({2})
Darüber hinaus ist es auch von der Sache her gerechtfertigt. Zahlreiche Untersuchungen und leider auch
zahlreiche Unfallanalysen haben gezeigt, dass gerade
zwischen 0,5 und 0,8 Promille beträchtliche Einschränkungen der Fahrsicherheit zu verzeichnen sind, während
bei 0,3 Promille weniger beträchtliche Einschränkungen
zu konstatieren sind. Die Konsequenz daraus kann aus unserer Sicht nur lauten: Dieses „Herantrinken“ an eine bestimme Promillegrenze, wie an die 0,8er-Grenze - da geht
schon noch ein Halbes, wie man auf bayrisch sagt -, wozu
der Stufenmechanismus vielleicht nicht eingeladen, aber
zumindest angeregt hat, wird dadurch eher erschwert und
somit von den Autofahrerinnen und Autofahrern hoffentlich unterlassen, weil man sich sagt: 0,5 Promille hat man
gleich beisammen.
Vor diesem Hintergrund habe ich auch wenig Verständnis für die Anträge von CDU/CSU und F.D.P. zu diesem Thema. Ich erinnere daran - ich hab es auch schon im
Ausschuss getan -, dass der frühere Vorsitzende des Verkehrsausschusses, der von uns allen sehr verehrte Kollege
Dr. Dionys Jobst, der jetzt im Ruhestand ist und den ich
von dieser Stelle sehr herzlich grüßen möchte - jetzt können Sie ruhig klatschen -,
({3})
immer ein Verfechter einer klaren 0,5-Promille-Regelung
war. Er hat nur nicht die Unterstützung seiner Fraktion gefunden.
({4})
Wir haben Verständnis dafür, dass man nicht immer eine
Mehrheit für seine Meinung findet. Ich muss aber sagen,
dass der Gesetzentwurf, den wir heute verabschieden, viel
näher an seiner Position als an der heutigen Position der
CDU/CSU-Fraktion ist.
Ich möchte auch darauf hinweisen, dass die neue Regelung im Interesse aller Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer einen Beitrag zur Harmonisierung auf
europäischer Ebene darstellt. Das ist auch für den
grenzüberschreitenden Autoverkehr sehr bedeutsam;
denn die Urlauberin und der Urlauber müssen nicht jedes
Mal bei einem Grenzübertritt nachdenken, welche Grenze
in dem jeweiligen Land gilt. Der Grenzwert ist zwar nicht
überall gleich. Aber das Spektrum der Regelungen wird
jetzt enger.
Wolfgang Börnsen ({5})
Die Autofahrerinnen und Autofahrer, aber vor allen
Dingen auch die nicht motorisierten Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer - Kinder, Radfahrerinnen
und Radfahrer usw. -, die ja bei Autounfällen unter Alkoholeinfluss meist die Opfer sind, gewinnen aufgrund dieser Regelungen mehr Verkehrssicherheit. Dieser Meinung ist auch die Verkehrspolizei. Deshalb bitte ich Sie
ganz herzlich, diesem Gesetzentwurf zuzustimmen.
Ich möchte auch kurz auf den EU-Vorschlag eingehen,
der auch bei Ihnen, lieber Herr Kollege Börnsen, eine gewisse Rolle gespielt hat, wonach eine 0,2-PromilleGrenze für Fahranfänger eingeführt werden soll. Nach
den statistischen Zahlen, die ich recherchiert habe - vielleicht können wir unsere Zahlen gelegentlich in einem
Fachgespräch abgleichen -, gibt es keine besondere Auffälligkeit von alkoholbedingten Unfällen in der Altersgruppe der Fahranfänger.
({6})
Ich will Ihnen einmal die Zahlen nennen, die ich
recherchieren konnte: Die größte Häufung von Unfällen
unter Alkoholeinfluss findet sich in der Altersgruppe der
35- bis 44-Jährigen.
({7})
Man sollte also nicht mit dem Finger auf die Jungen zeigen und sagen, das seien diejenigen, die saufen und dann
fahren. Das stimmt überhaupt nicht.
({8})
- Völlig richtig, Herr Kollege. Ich unterstelle aber, dass
die Wenigsten in dieser Altersgruppe Fahranfänger sind.
Konkret zu den Zahlen: 5,1 Prozent der Unfälle in der
Altersgruppe der 35- bis 44-Jährigen passieren aufgrund
von Alkoholeinfluss. Die Gruppe der 21- bis 24-jährigen
sowie die Gruppe der 25- bis 34-jährigen Autofahrerinnen
und Autofahrer folgen dann erst mit einem Anteil von jeweils 4,8 Prozent. Das heißt, die Differenzierung nach Altersgruppen liefert für eine Sonderregelung der Promillegrenze für junge Autofahrer kein Argument.
Es wird noch interessanter, bitte hören Sie einen Augenblick zu. Ich konnte folgende Zahlen für die Hauptursachen von Unfällen von Fahranfängern finden: an erster
Stelle nicht angepasste Geschwindigkeit mit 25 Prozent,
an zweiter Stelle Missachtung der Vorfahrt mit 21 Prozent, an dritter Stelle ungenügender Sicherheitsabstand
mit 9 Prozent, an vierter Stelle falsches Abbiegen und
Wenden mit 5,3 Prozent und dann erst an fünfter Stelle Alkoholeinfluss mit 4,5 Prozent.
Jetzt kommt der eigentlich spannende Punkt in der Statistik: Das Fahren unter Alkoholeinfluss in den ersten Jahren der Fahrpraxis ist ein Problem der Männer. 92 Prozent
aller alkoholbedingten Unfälle junger Fahranfänger werden von Fahrern und nicht von Fahrerinnen verursacht.
Die Frauen haben nur einen Anteil von 8 Prozent an diesen Unfällen.
({9})
Wenn Sie, Herr Kollege, schon für eine Sonderregelung plädieren, dann müssten Sie eigentlich als Risikogruppe die Gruppe der jungen Männer definieren. Für die
Gruppe der älteren Männer habe ich keine statistische
Aussage gefunden. Entsprechende Zahlen wären sicherlich interessant.
({10})
Wir wären gut beraten, wenn wir jetzt nicht mit einem
Schnellschuss Sonderregelungen in puncto Promillegrenze für Fahranfänger treffen würden, die sachlich
möglicherweise nicht zu begründen sind.
({11})
Lassen Sie mich zu einem zweiten Thema kurz Stellung nehmen, nämlich zu den Radarwarngeräten, die
ebenfalls in dem Paket enthalten sind und über die man
immer wieder einmal etwas hört. Es gibt diese Radarwarngeräte, die nicht wirklich funktionieren, jedenfalls
nicht zuverlässig - das muss man einmal klar sagen -, die
aber suggerieren, man könne, wenn man Geschwindigkeitsbegrenzungen übertritt, sicher sein, dass im Fahrzeug
rechtzeitig eine Warnung erfolgt, wenn eine Kontrolle
droht.
Manche mögen es als Sport oder als interessantes Experiment begreifen, zu schauen, ob man unter den Kontrollen durchtauchen kann. Ich möchte ganz klar sagen:
Wer sich gezielt darauf vorbereitet, Geschwindigkeitsbegrenzungen zu übertreten in der Hoffnung, dabei
nicht erwischt zu werden, der hat den Schutz des Gesetzgebers nicht verdient. Hier muss eine klare Kante gezogen
werden. Deshalb muss das künftig strafbar sein. Ich hoffe,
wir sind uns in diesem Punkt einig.
({12})
Beide Regelungen, die Promilleregelung und das Verbot von Radarwarngeräten, sind keine Schikane und beruhen nicht auf einem übertriebenen staatlichen Kontrollbedürfnis, sondern es sind Maßnahmen, die in letzter
Konsequenz auf der Straße jeden Tag Leben retten. Das ist
das eigentliche und, wie ich glaube, unser gemeinsames
Ziel.
Lassen Sie mich einen kurzen Gedanken zum Anwohnerparken anfügen. Auch wir sind sehr froh, dass es nun
gelungen ist, eine Regelung zu finden, die sicherlich weitgehend einvernehmlich ist, nach der die Sonderparkberechtigungszone auf bis zu 1 000 Meter Entfernung
ausgedehnt wird. Dies ist lebensnah und nicht bürokratisch. Es kommt auch den Gestaltungswünschen der
Kommunen entgegen. Ich bin froh, dass die kommunalen
Spitzenverbände ihr Anliegen hier im Wesentlichen erfüllt sehen.
Zum Schluss möchte ich den eigentlichen Grundgedanken der Verkehrssicherheit aufgreifen, den auch Kollege Börnsen sehr stark ins Zentrum gestellt hat. Es ist
richtig, wenn Sie sagen, Ende der 90er-Jahre seien - Gott
sei Dank - auf den Straßen weniger Menschen tödlich
Albert Schmidt ({13})
verletzt worden als noch zu Beginn der 90er-Jahre, obwohl die Fahrleistung in diesen zehn Jahren erheblich gestiegen ist. Dies spricht auch für den Erfolg verbesserter
Sicherheitstechnik und verbesserter Sicherheitserziehung. Dieser Erfolg hat sicherlich viele Väter und Mütter.
Dennoch gibt es für uns alle keinen Grund zur Selbstzufriedenheit an dieser Stelle, weil wir auch zur Kenntnis
nehmen müssen, dass erstens 7 800 tödlich verletzte Menschen immer noch viel zu viel sind und dass zweitens die
Zahl der Unfälle mit Personenschäden inklusive 1999 immer noch zugenommen hat. Erst 2000 - wir haben jetzt
die ersten veröffentlichten Zahlen - war erstmals ein
Rückgang zu verzeichnen.
In jedem Fall - ich glaube, da sind wir uns einig - ist
jeder Verkehrstote und jeder Verletzte ein Opfer zu viel.
Es lohnt jede Anstrengung - ich bin gerne bereit, das in
der Verkehrssicherheitsdebatte, die wir demnächst miteinander führen werden, und bei den Anhörungen zu vertiefen - für mehr Sicherheit im Straßenverkehr und im
Verkehr generell. Wir sollten das Thema auch weiterhin
konsensual und mit gemeinsamen Anstrengungen behandeln.
Ich danke Ihnen.
({14})
Der Kollege
Horst Friedrich spricht nun für die F.D.P.-Fraktion.
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das heute zu debattierende Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes
hat einige Bestandteile, die wir durchaus bereit sind
mitzutragen.
Für die Veränderungen beim Anwohnerparken, Frau
Kollegin Streb-Hesse, haben die Kommunen eine Rechtsgrundlage benötigt. Wir sind nach wie vor der Meinung,
dass Berlin das nicht im Detail regeln sollte. Die Anwohner müssen dort parken dürfen, wo sie wohnen. Die Städte
müssen allerdings auch noch besucht werden können.
Voraussetzung dafür, dass das Ganze funktioniert, sind
Flexibilität und ein Gesamtkonzept, das vor Ort eingefordert wird, das den ÖPNV, die veränderten Ladenöffnungszeiten und all die Bedingungen, die vor Ort sehr viel
besser zu lösen sind, beinhaltet. Deswegen setzen wir darauf, dass das Problem vor Ort im Sinne der Betroffenen
gelöst wird.
({0})
Zu den Radarwarngeräten ist eigentlich schon fast alles gesagt worden. Ich kann mich da nahtlos dem Kollegen Schmidt anschließen, auch wenn ihn das überrascht.
Auch ich bin der Meinung, dass es nicht sein kann, dass
bestehende Verkehrsvorschriften durch technische Geräte, ob nun im Auto, am Auto oder wo auch immer, unterlaufen werden. Wer sich entgegen den bestehenden
Verkehrsregeln in der Hoffnung benimmt, sich mit diesen
Geräten bestimmten Strafen zu entziehen, ist eigentlich
nicht der Verkehrsteilnehmer, den man bei der heutigen
Verkehrsdichte und der Problematik des Verkehrs im Hinblick auf die Verkehrssicherheit braucht.
Ich füge allerdings auch kritisch hinzu: Es wäre für die
Akzeptanz von Kontrollmessungen der Polizei mit Radargeräten besser, diese Geräte tatsächlich dort einzusetzen, wo Gefahrenpunkte, wirkliche Unfallschwerpunkte liegen,
({1})
nicht aber dort, wo seit vielen Jahren kein Unfall mehr
passiert ist, aber erkennbar eine Geldeinnahme winkt. Genau dies führt ja zu den Diskussionen auch der Verkehrsteilnehmer. Insofern wäre die Polizei aufgefordert, darüber nachzudenken, ob sie den Blitzer unbedingt an dieser
oder jener Stelle aufstellen muss.
Ich habe mir einmal den Spaß gemacht, mir die Stellen
in meiner Heimatstadt anzuschauen - man kennt ja die
Ecken, wo die Blitzer stehen -, und überlegt, wann dort
der letzte Unfall geschehen ist. Dass diese Stellen Unfallschwerpunkte sind, kann man wirklich nicht sagen.
Nun zur Promillegrenze: Es wird ja immer behauptet,
wir ignorierten die Probleme. Wenn Sie uns das nicht
glauben, darf ich Ihnen vielleicht einmal vorlesen, was
Generalbundesanwalt Nehm heute erklärt hat. Er hat gesagt, das Problem des Alkohols im Verkehr sei auch nach
der Senkung des Promillegrenzwerts nach wie vor ungelöst. Er bezieht sich auf dieselbe Situation, die auch unserem Entschließungsantrag zugrunde liegt, nämlich darauf, dass die Zahl der Kontrollen zu gering sei. Genau
dies ist seine Aussage und auch unser Ansatzpunkt, Frau
Kollegin Streb-Hesse. Die Experten haben in der Anhörung noch erklärt - zumindest Herr Professor Krüger
aus Würzburg -: Diejenigen, die durch die Senkung der
jetzigen Promillegrenze zu belehren sind, sind bereits belehrt. Deswegen wird nicht erwartet, dass eine weitere
Änderung in diesem Bereich zwischen 0,5 Promille und
0,8 Promille signifikant zu weiteren Absenkungen führt.
Das gilt auch für die Sondergruppe der Fahranfänger.
Diese Fahranfänger haben Probleme. Sie verursachen
auch relativ viele Unfälle im Verhältnis zu ihrem Anteil an
der Gesamtbevölkerung. Das liegt aber in aller Regel
nicht am Alkohol, sondern an ganz anderen Dingen. Der
Kollege Schmidt hat sie exemplarisch aufgezählt. Dem ist
nichts hinzuzufügen.
Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen, in Deutschland
liegt das eigentliche Problem bei der Spezialgruppe der
fahrenden Trinker, derjenigen, deren Blutalkoholgehalt
jenseits von 1,1 Promille - mit deutlicher Zunahme liegt. Die Promillewerte sind ja eigentlich erschreckend
hoch: 2,5 Promille, 3,4 Promille, in der Spitze bis zu
4,53 Promille; das ist jemand, den ich mit einer Diskussion über 0,5 oder 0,8 Promille - bei immerhin unauffälligem Verhalten, das den Führerschein kostet - nicht beeinflussen und schon gar nicht beeindrucken kann.
Denjenigen, der gegen diese Grenzwerte verstößt, der
diese Werte produziert - da kann man auch nicht mehr von
„Herantrinken“ reden, denn um mehr als 2 Promille zu haAlbert Schmidt ({2})
ben, muss man schon ganz ordentliche Mengen trinken
und sie auch noch vertragen -, den kann ich nur dann beeindrucken, wenn er sicher sein kann, dass er sehr viel
häufiger als jetzt kontrolliert und erwischt wird und dass
diese Kontrollen dann auch Konsequenzen haben.
Wie sieht es aber in der Realität aus? Das kritisiert im
Übrigen auch der Generalbundesanwalt. Die Atemwegsalkoholanalyse ist - obwohl sie als beweissicher vor Gericht gilt - mittlerweile von mehreren Gerichten nicht
anerkannt worden. Das führt dazu, dass die Polizei - wenn
sie denn schon kontrolliert und jemanden erwischt - nach
wie vor zur alten Blutprobe schreitet, was dann wiederum
bedeutet, dass die ganze Truppe, die kontrolliert, ins
Krankenhaus marschiert, um die Blutprobe entnehmen zu
lassen, um vor Gericht Bestandskraft zu erlangen. Das
heißt im Endeffekt auch: Es wird einer erwischt, bestenfalls sind es zwei - und das war es dann. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich durch alle diese Regelungen etwas ändert, ist sehr gering.
Deswegen ist unser Ansatz: Lassen Sie uns ernsthaft
über die andere Seite diskutieren, darüber, wie auch mit
den Ländern - die Länder haben dies ja auszuführen - geregelt werden kann, ob - und wenn ja, wie - die Atemwegsalkoholanalyse verbessert werden kann, ob - und
wenn ja, wie - die Sicherheit, dass Alkoholfahrer erwischt
werden, erhöht werden kann. Nur dann entsteht nach meiner Meinung tatsächlich das Gefühl, dass Auto und Alkohol nicht zusammengehören und dass es sinnvoll ist, sich
ohne Alkohol ans Steuer zu setzen.
Deswegen noch einige Sätze zur EU: Was von der EU
jetzt vorgelegt worden ist, ist ja das entschiedene „Jein“.
Der Vorschlag von 0,2 Promille signalisiert doch: Eigentlich wollten wir ja mehr; eigentlich wollten wir ja eine
0,0-Promille-Grenze für jugendliche Fahranfänger vorschlagen.
Das hat man sich aber nicht getraut. Also führt man eine
0,2-Promille-Grenze ein. Beim Alkohol wäre das nur die
Nachweisgrenze. Das ist unehrlich. Man sollte es dann
lieber lassen und gleich konsequent 0 Promille verlangen.
Im Übrigen bin ich nach wie vor der Meinung, dass im
Rahmen des Subsidiaritätsprinzips die Einführung einer
solchen Regelung nicht unbedingt Aufgabe der europäischen Ebene ist.
Noch ein paar Worte zu anderen Ländern und zu Erfahrungen mit der 0,0-Promille-Regelung: Die DDR
wurde dafür immer als Beispiel genannt. Im Verhältnis
zur Einwohnerzahl und zur Verkehrsdichte hatte die DDR
trotz einer 0,0-Promille-Regelung deutlich mehr Verkehrsunfälle und Verkehrstote als die Bundesrepublik mit
ihrer damaligen Regelung. Auch in unseren Nachbarländern sind trotz anderer Regelungen deutlich mehr Alkoholunfälle zu verzeichnen als bei uns.
In diesem Sinne ziehe ich mir den Schuh der Ignoranz
nicht an. Ich fordere Sie im Gegenteil auf, über das hinaus, was Sie bisher vorgelegt haben, zu handeln. Daher
werden wir den von Ihnen vorgelegten Gesetzentwurf
ablehnen.
({3})
Ich gebe der
Kollegin Christine Ostrowski für die Fraktion der PDS
das Wort.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Sie von der Koalition haben selbstverständlich unsere Stimmen für die von Ihnen vorgesehene Änderung des Straßenverkehrsgesetzes. Es ist keine
Frage: Wir sind für eine Verbesserung des Anwohnerparkens
({0})
und für eine Promillegrenze in Höhe von 0,5, obwohl ich
natürlich eingestehen muss, dass ich manche Diskussion
darüber nicht verstehe. Denn eigentlich passen Autofahren und Alkohol wirklich nicht zusammen.
({1})
Eigentlich kann man nur eine 0-Promille Regelung zulassen. Der Kanzler würde sagen: Basta! Dann wären nicht
solche Verrenkungen nötig, wie sie Herr Börnsen und
viele andere auch hier gemacht haben.
In der Politik geht es aber nicht immer so zu wie im Geschäft, also nach dem Motto: Gibst du mir, geb ich dir!
Auch heute ist das nicht der Fall: Sie bekommen zwar unsere Stimmen, geben uns aber Ihre Stimmen nicht für unseren Antrag, der heute auch zur Debatte steht: Einführung eines Tempolimits von 130 km/h auf
Autobahnen. Das wundert mich schon ein bisschen.
Denn die gesamte Debatte drehte sich bisher um die Verkehrssicherheit. Letzte Woche ging es um die Verbesserung des Verkehrsklimas, den Abbau von Stress usw. Da
frage ich schlicht und ergreifend: Hängt das nicht auch
mit einem Tempolimit zusammen?
({2})
- Nicht wahr, Herr Schmidt,
Sie müssten mir eigentlich Recht geben.
Halten wir noch einmal in aller Ruhe folgende Punkte
fest:
Erstens. Ein Tempolimit auf Autobahnen - und wir sehen nur ein Tempolimit von 130 km/h vor - brächte nachweislich einen Rückgang der Zahl der Verkehrstoten.
Nach Berechnungen - die kennen Sie alle als Verkehrspolitiker - würde es bei einem Tempolimit von 100 zu einem Abbau der Zahl der Verkehrstoten um 1 000 kommen. Vielleicht sind es bei einem Tempolimit von 130 nur
300 Tote weniger. Aber 300 Tote sind die dreifache Zahl
derjenigen, die beim Unfall von Eschede gestorben sind.
Alle Welt spricht ja jetzt sehr fleischfixiert über den
Verbraucherschutz. Ein Tempolimit von 130 ist für alle
Verkehrsteilnehmer der beste Verbraucherschutz.
({3})
Horst Friedrich ({4})
Zweitens. Ein Tempolimit senkt die Schadstoffemissionen - auch das ist völlig unbestritten -, insbesondere
die CO2-Emissionen.
Drittens. Eine Geschwindigkeitsbeschränkung senkt den
Lärmpegel. Auch das ist unumstritten. Sie wissen, dass allein eine Reduktion der Durchschnittsgeschwindigkeit um
10 km/h die Lärmemissionen um die Hälfte senken würde.
Viertens. Ein Tempolimit reduziert den Flächenverbrauch. Die jetzigen sehr breiten Autobahnen wären dann
nicht mehr nötig. Man könnte reduzieren und erhebliche
Kosten sparen. Für solche Anträge müssten Sie uns eigentlich umarmen und ihnen zustimmen.
({5})
Fünftens. Schließlich erhöht ein Tempolimit auch die
Durchlassfähigkeit des Autobahnnetzes. Wenn das
auch mancher Mensch nicht glauben mag: Wissenschaftlich ist das erwiesen. Das, was Sie im Rahmen von Telematik und mit einem ungeheuren Milliardenaufwand erreichen wollen, könnten Sie durch eine einfache
Maßnahme wie die Einführung eines Tempolimits viel
billiger haben. Sie müssten also eigentlich mit beiden
Händen zugreifen.
({6})
Ganz zum Schluss ist zu sagen: Unser Antrag zielt
exakt auf das, was Sie vergangene Woche im Rahmen des
Verkehrsberichtes als allgemeines Ziel ausgegeben haben: die Verbesserung des Verkehrsklimas, den Abbau
von Stress und den Abbau von Aggressivität. Da wundert
mich schon die interessante Formulierung meines hoch
geschätzten Kollegen Albert Schmidt im Ausschussbericht, der da schreibt:
Die Koalitionsfraktionen haben im Ausschuss für diesen
Antrag eine gewisse Sympathie erkennen lassen, sehen
aber derzeit keine Möglichkeit, die generelle Geschwindigkeitsbegrenzung gesellschaftlich durchzusetzen.
({7})
Ja, welche Überraschung! Tatsachen sind: In der letzten Legislaturperiode brachte die SPD einen Antrag auf
ein allgemeines Tempolimit ein.
({8})
Eine entsprechende Forderung, Herr Schmidt, Tempo 100,
ist traditioneller Bestandteil Ihrer Programmatik.
Im Jahre 1999, also unter der jetzigen Bundesregierung, legte das Umweltbundesamt eine Studie vor, in der
die von mir eben genannten Vorteile einer allgemeinen
Geschwindigkeitsbeschränkung festgehalten werden.
Was die gesellschaftlichen Mehrheiten betrifft, die man
hier angeblich nicht hat, so dokumentieren alle seriösen
Umfragen, dass es diese Mehrheiten gibt. Die Studie des
Umweltbundesamtes nennt 72 Prozent der Befragten, die
mit einem Tempolimit von 120 km/h einverstanden sein
würden.
({9})
Im Übrigen nehmen Sie bei anderen Vorhaben auf gesellschaftliche Mehrheiten auch keine Rücksicht! Ich nenne
nur die Rentenreform.
({10})
Lassen Sie mich diese Rede mit einem wunderschönen
Zitat beenden:
Das Tempolimit ist ein Gebot der Vernunft. Nun wird
es hoffentlich auch der Betonriege in der Bundesregierung klar sein: Die Zeit der unbegrenzten Raserei
auf Deutschlands Autobahnen ist vorbei. Wir brauchen eine Rückkehr zum menschlichen Maß.
Dem ist nichts hinzuzufügen, außer der Quelle: Das war
Gerhard Schröder, und zwar nicht der Juso-Vorsitzende
Schröder, sondern der niedersächsische Ministerpräsident
im Jahre 1992.
Ich bedanke mich.
(Heiterkeit und Beifall bei der PDS - Beifall des
Abg. Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN]
Das Wort
hat nunmehr der Parlamentarische Staatssekretär beim
Bundesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen,
Stephan Hilsberg.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses steht bei
der heutigen Debatte zweifellos die Vereinheitlichung
der Promillegrenze. Ich freue mich, hier der Öffentlichkeit gegenüber sagen zu können, dass wir mit dem Unfug
der letzten Koalition, nämlich der Aufspaltung einer einheitlichen Promillegrenze auf 0,5 und 0,8 Promille, heute
Schluss machen.
Nebenbei ist es auch ganz schön - Herr Schmidt hat bereits darauf hingewiesen -, dass wir hier mit schlicht und
einfach ein Koalitionsversprechen wahr machen. Das
heißt, der heutige Tagesordnungspunkt firmiert auch unter dem Titel: Versprochen - gehalten.
({0})
- Unfug war Ihre Regelung, die Sie seinerzeit getroffen
haben, denn sie hat zur rechtlichen Klarheit nicht beigetragen und war im Übrigen der Sache nicht angemessen.
Wenn Sie sich die Statistik ansehen, dann ist sie in der
Tat einigermaßen besorgniserregend. Es ist keineswegs
so, dass wir sagen könnten, die Situation ist entschärft und
wir brauchen an dieser Stelle nichts mehr zu tun. Im Gegenteil, wenn wir nichts tun würden, würden wir relativ
schnell wieder die großen Debatten à la Herrn Kollegen
Börnsen zu führen haben, dass wir nämlich allesamt darüber jammern müssen, welche erschreckende Unfallbilanz gegenwärtig vorliegt. Das ist unser wichtigster
Punkt.
Es geht eben an dieser Stelle auch um entsprechende
Abschreckung. Diese Abschreckung ist sinnvoll, weil sie
vernünftig ist, und es ist vernünftig, die Bürger zu schützen. Im Mittelpunkt der Verkehrssicherheit steht der
Schutz der Verkehrsteilnehmer. Das ist eine enorm soziale Aufgabe.
({1})
Jeder im Straßenverkehr Getötete - ich meine, man
kann diesen Satz nicht häufig genug sagen -, ist einer zuviel. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Ursache Alkohol ist. Jeder kennt doch die Fälle des absurden, absolut sinnlosen Sterbens auf den Straßen, wo junge Leute
mit 18, 19 Jahren mitten aus dem Leben gerissen werden.
Keiner kann sich das jemals erklären. Im Übrigen leiden
diejenigen, die einen solchen Unfall verursacht haben, daran zum Teil zehn bis 20 Jahre. Das ist schlimm, das ist
absolut unmenschlich, das ist kein guter Ausweis einer
menschlichen Gesellschaft, wie wir sie sein wollen. Deshalb müssen wir auch den Gegnern dieser ausschließlich
im Interesse der Verkehrssicherheit erlassenen Regelung
ganz klar sagen: Rund 950 bei Alkoholunfällen in
Deutschland im Jahre 2000 Getötete sind zu viel, rund
10 800 Schwerverletzte und rund 22 500 Leichtverletzte
sind einfach völlig unakzeptabel. Etwa jeder achte Verkehrstote geht auf das Konto von Alkohol und mehr als jeder zehnte Schwerverletzte ebenfalls.
({2})
- Wissen Sie, Herr Friedrich, Sie hatten ja schon die Gelegenheit zum Reden, aber es gibt da eine bestimmte Mechanik, die ich Ihnen zu erläutern versuche.
Vorher lassen Sie mich aber noch eines feststellen: Alkohol ist nach wie vor die gefährlichste und bedeutendste
Droge, die wir in Deutschland haben.
({3})
Es ist einfach alarmierend, dass in Deutschland die
Zahl der Alkoholabhängigen auf zweieinhalb Millionen
geschätzt wird. Über hunderttausend Menschen sind 1998
beim Fahren mit Alkohol am Steuer erwischt worden. Das
muss ich auch einmal ganz klar in Richtung von Herrn
Friedrich sagen, der sich gerade mit etwas anderem beschäftigt, aber das ist eine unmittelbare Antwort auf Sie,
Herr Friedrich. Die Atemalkoholanalyse ist der richtige
Weg. Wenn sie gegenwärtig noch Akzeptanzprobleme
hat, bedeutet das nicht, dass es der falsche Weg ist. Dann
müssen wir an der Akzeptanz gemeinsam arbeiten.
({4})
Es ist aber sehr richtig und sehr wichtig, die Methoden zur
Bekämpfung des Alkohols zu verbessern, und eine Alternative zur Atemalkoholanalyse haben wir nicht. Deshalb
ist das ein wichtiger Bestandteil der Gesamtstrategie.
({5})
Neben der Absenkung der Promillegrenze gehört allerdings auch die Aufklärung dazu. Denn das Problembewusstsein in Bezug auf Alkohol muss in den Köpfen entstehen. Die Hemmschwelle muss erhöht werden. Die
Versuchung, vor der Fahrt noch schnell ein Glas Bier zu
trinken, muss gesenkt werden und muss dem Bewusstsein
Platz machen, dass jedes Glas Bier, jedes Glas Wein vor
der Fahrt eines zu viel ist. Wenn das gelingt, haben wir,
glaube ich, schon eine ganze Menge erreicht.
({6})
Deshalb haben wir ja auch unsere Aktion „Darauf fahre
ich ab“ gemeinsam mit dem Deutschen Verkehrssicherheitsrat erfolgreich entwickelt. Und, Herr Börnsen - da
muss ich Sie korrigieren -: Diese Aktion wird nicht etwa
eingestellt. Sie wird fortgesetzt und sogar verbreitert. Sie
hat in der Tat die von Ihnen vorgetragenen positiven Effekte. Die Zahl der Unfälle konnte in den Aktionsregionen
um fast ein Drittel gesenkt werden. Wir halten also an dieser Strategie fest.
Was die Haushaltsmittel anbetrifft, so muss man einfach sagen: Die Effektivität ist entscheidend. Wir werden
uns an der Bilanz der Alkoholunfälle messen lassen. Es
kommt nicht darauf an, dass man Massen an Geld ansetzt,
sondern darauf, dass es so gut wie möglich eingesetzt
wird.
({7})
Die positive Entwicklung der Zahl der Alkoholunfälle
mit Personenschaden, die sich allein in dem Zeitraum von
1991 bis 1999 - und dafür waren, das kann man hier
durchaus einmal positiv hervorheben, auch Sie verantwortlich - um rund ein Drittel verringert hat, wird - davon bin ich fest überzeugt - hier einen weiteren Schub erhalten. Die Tatsache, dass in diesem Zeitraum der
deutlichste Rückgang von Alkoholunfällen mit 12,6 Prozent im Jahr 1998, dem Jahr, als die 0,5-Promille-Grenze
eingeführt wurde, zu verzeichnen war, spricht ja nicht gegen, sondern für das Einführen dieser Promillegrenze.
Denn Sie haben neben der Strafbewehrung selbstverständlich den Effekt der öffentlichen Debatte darüber. Die
Debatte, die wir heute hier führen, wirkt sich schon positiv auf die Aufklärung aus. Denn es dringt stärker in das
Bewusstsein dieser Gesellschaft ein, dass das ein Thema
ist, um das man sich weiter zu kümmern hat. Es lässt sich
nachweisen, dass jedes Mal dann, wenn eine Debatte über
die Promillegrenze geführt wurde, ein rücksichtsvolleres
und vorsichtigeres Fahren und eine stärkere Alkoholabstinenz zu verzeichnen waren. Deshalb wird das auch ein
Punkt bleiben, an dem man von der Strategie her dranbleiben muss.
Deshalb ist es übrigens auch falsch, was die Europäische Kommission hier mit der 0,2-Promille-Grenze für
einzelne Fahrergruppen empfohlen hat, beispielsweise für
Fahranfänger. Dieser Vorschlag verkennt, was die eigentliche Unfallursache bei den Fahranfängern ist. Sie haben vielleicht Probleme mit der mangelnden Fahrpraxis,
sie haben aber nicht Probleme mit dem Alkohol, der bei
dieser Gruppe erst an fünfter Stelle der Unfallursachen
liegt. Ich denke, hier muss man sich einmal vor diese
Gruppe stellen; so unfair darf man also mit ihr nicht umgehen.
({8})
Im Übrigen: Dass wir die jungen Fahranfänger weiter
im Auge behalten, zeigt ja auch der Umstand, dass die
Bundesanstalt für Straßenwesen nach wie vor beauftragt
ist, die Auswirkungen der neuen Regelung zur Fahrerlaubnis auf Probe zu analysieren, und uns weitere Möglichkeiten zur Optimierung anbieten soll. Außerdem überlegen wir zurzeit, ob es so etwas wie einen Bonus geben
soll, einen Bonus in Form einer Probezeitverkürzung bei
freiwilliger Teilnahme an einem Modellversuch einer
zweiphasigen Fahrausbildung.
Meine Damen und Herren - Rita Streb-Hesse hat ja bereits darauf hingewiesen -, wir haben auch einen Auftrag
der Koalitionsfraktionen erledigt, was die Frage des Anwohnerparkens betrifft, und ich freue mich sehr, dass der
Antrag, den die Koalitionsfraktionen in diesem Zusammenhang gestellt haben, erledigt werden kann, weil das,
was wir jetzt haben, die Ermächtigungsgrundlage, der Sie
hier heute mit großer Mehrheit zustimmen werden, den
Kommunen die Möglichkeit gibt, Regelungen in ihrem
Sinne zu treffen, und zwar nicht so, wie die PDS das will
- die PDS hat eh Schwierigkeiten mit der Freiheit -,
({9})
sondern wir machen eine solche Regelung so, dass die
kommunale Selbstverwaltung an dieser Stelle im Mittelpunkt steht. In den Kommunen soll entschieden werden,
ob und in welcher Art und Weise diese Regelung genutzt
wird, und das ist auch völlig richtig so.
Hinzu kommt das Verbot von Radar- und Laserwarngeräten in Kraftfahrzeugen. Das ist ja auch eine alte Debatte, die wir hier haben.
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin
Ostrowski?
Ja, bitte.
Herr Staatssekretär, Sie
sind ja neu im Amt.
({0})
- Ja, ich weiß. Ich freue mich auch, dass Sie mir in Ihrer
Jungfernrede diese Zwischenfrage gestatten.
({1})
Ich habe in Nummer 49/2000 der „Wirtschaftswoche“
Folgendes gelesen: Der neu gebackene Minister Bodewig
berief Sie zum Staatssekretär, und Sie antworteten ganz
erschrocken: „Ich? Wieso denn ich? Ich habe doch vom
Verkehr keine Ahnung.“ Da antwortete Minister
Bodewig: „Das macht nichts. Ich auch nicht.“
({2})
Ich wollte Sie also fragen: Sind Sie immer noch auf
dem Stand von vor wenigen Wochen, oder wie schätzen
Sie das ein?
({3})
Für wen
dieses Zitat spricht oder nicht spricht und für wen es
spricht, dass Sie es hier in dieser Art und Weise zitieren,
will ich einmal dahingestellt sein lassen.
({0})
Ich will an dieser Stelle ganz klar sagen: In der Tat ist
dies ein neuer politischer Bereich für mich. Aber ich mache die interessante Erfahrung, dass man auch als aktiver
Teilnehmer an der Öffentlichkeit mit seinem gesunden
Menschenverstand zu Erkenntnissen kommen kann, die
ich jetzt die Gelegenheit habe durch viele Gutachten und
Gespräche bestätigt zu sehen, und dass man gleichzeitig
die Möglichkeit hat, über bestimmte Bereiche hinaus zu
sehen.
({1})
Das ist auch etwas, was mir die ehemalige DDR nie gestattet hat. Da war man ausgegrenzt. Da hat man nicht einmal an einer öffentlichen Debatte über solche Dinge teilnehmen können. Deshalb sollten Sie sich mit solcherlei
Hinweisen zurückhalten.
({2})
Ich meine, die Frage der Radarwarngeräte sollte man
ein Stück weit mit Ironie kommentieren. Es gibt aber in
der Tat einige schlitzohrige Mitbürger, die glauben, mit
Cleverness und dem entsprechenden Geldbeutel wichtige
und sinnvolle Regelungen schlicht und einfach umgehen
zu können.
Wenn es aber sinnvoll und richtig ist - unabhängig von
der Frage, wo die Messgeräte stehen -, die Geschwindigkeit zu kontrollieren, und zwar in Verantwortung für die
Verkehrsteilnehmer und für deren Schutz, dann muss es
auch verboten sein, diese Regelung zu umgehen. Dann
müssen die Radarwarngeräte auch verboten werden. Es ist
erfreulich, dass alle Autoclubs in Deutschland diese Regelung unterstützen.
({3})
Ein Tempolimit auf Autobahnen kann man so oder so
sehen. Das ist natürlich ein populistisches Thema; das will
ich gar nicht verschweigen. Für wen man da jeweils Partei ergreift, ist auch ein interessanter Punkt. Deshalb ist es
ganz wichtig, zu den Fakten zurückzukommen. Dazu
möchte ich drei Dinge in Erinnerung rufen.
Erstens. Wir haben bereits Tempolimits auf deutschen
Autobahnen.
({4})
- Ich verstehe Sie ja.
Auf mehr als einem Drittel der deutschen Autobahnstrecken gibt es aus guten Gründen bereits Geschwindigkeitsbegrenzungen. Die Zahl der mit einem Tempolimit
belegten Autobahnstrecken nimmt zu.
Zweitens werden die Kohlendioxidemissionen angeführt. Natürlich gibt es bei Geschwindigkeitsbeschränkungen eine Senkung von Kohlendioxidemissionen, aber
in einem sehr geringen Maße. Ob es gerechtfertigt ist, deshalb ein allgemeines Tempolimit einzurichten, ist sehr die
Frage. Selbst das Umweltbundesamt geht davon aus, dass,
wenn sich 80 Prozent der Verkehrsteilnehmer an ein Tempolimit von 120 km/h halten, die CO2-Gesamtbelastung
insgesamt nur um 0,3 Prozent sinken würde. Ob sich
80 Prozent an ein solches Tempolimit halten, will ich einmal dahingestellt sein lassen.
({5})
Drittens. Auch die Unfallbilanz auf unseren Autobahnen ist kein Argument für ein generelles Tempolimit. Es
mag andere Argumente geben, aber die Unfallbilanz ist
keines.
Ich komme ja auch aus der ehemaligen DDR und war
aktiver und bekennender Trabifahrer. Aber in die Situation, als Trabifahrer die Geschwindigkeitsgrenze von
100 km/h zu überschreiten, ist man nur selten gekommen.
Es gibt allerdings noch einen anderen Aspekt. Spätestens
nach dem Abkommen über die Transitautobahnen war die
Begrenzung auf 100 km/h eine Devisen bringende Maßnahme. Schalck-Golodkowski wird wissen, wie viel
D-Mark er auf diese Art und Weise eingenommen hat.
Dies hat sicherlich zur Verlängerung der SED-Herrschaft
in der DDR beigetragen. Das mag ein Grund dafür sein,
dass Sie daran heute noch festhalten. Ein guter Ratschlag
ist das auf keinen Fall.
Tempo-30-Zonen in Innenstädten sind allerdings eine
sinnvolle Angelegenheit. Wir schaffen hiermit die Grundlage, dass in den Kommunen nach deren eigenen Konzepten solche Zonen geschaffen werden können. Auch
dies ist in unseren Augen eine Frage der kommunalen
Selbstverwaltung. Es liegt in der Hand der Kommunen,
ob und wie sie dieses Instrument nutzen wollen. Generell
von dieser Stelle aus allen Kommunen zu verordnen,
Tempo 30 einzuführen, ist in der Tat der falsche Weg.
Auch das spricht wieder nicht unbedingt für die Qualität
Ihrer Anträge.
Noch ein Wort zu weiteren wichtigen Verbesserungen
in diesem Gesetz: Beispielsweise erleichtern wir die
Arbeit der Fahrerlaubnisbehörden und der Fahrlehrer, indem wir die Fahrschulerlaubnisklassen der Systematik der Fahrlehrererlaubnisse anpassen. Wir stellen
klar, dass die Fahrschulen nur die Lehrfahrzeuge vorhalten müssen, die für die Ausbildung einer Fahrerlaubnisklasse unbedingt erforderlich sind.
Wir verbessern nebenbei noch die Übergangsregelung
zum Fahrlehrergesetz im Hinblick auf die Fahrlehrererlaubnis zur Fahrgastbeförderung für Kraftomnibusse. Die
Fahrlehrerschaft wartet dringend auf diese wichtige Regelung. Es genügt künftig, dass der Fahrlehrer am Stichtag
31. Dezember 1998 berechtigt war, Bewerber um die Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung für Kraftomnibusse
auszubilden.
Meine Damen und Herren, die Verkehrssicherheit,
die im Mittelpunkt dieser Debatte stand, ist ein wichtiger
Teil der Mobilität. Die Mobilität ist in der Tat eine der
zentralen Kategorien unserer modernen Gesellschaft.
Aber sie hat auch kritische Aspekte, deren negative Folgen von uns hinterfragt werden müssen und um die man
sich zu kümmern hat. Soweit man das kann, müssen die
negativen Folgen von Mobilität gelindert und bekämpft
werden.
Es ist das Ziel unserer Verkehrssicherheitsarbeit, dass
die Verkehrsteilnehmer sich in Zukunft sicher, fair, kompetent und rücksichtsvoll zueinander verhalten. Das ist
die Voraussetzung dafür, dass wir alle auch in Zukunft den
Entwicklungen, die uns in der Verkehrspolitik beschäftigen werden, gelassen entgegensehen können.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({6})
Als letztem
Redner in dieser Debatte gebe ich das Wort dem Kollegen
Georg Brunnhuber für die Fraktion von CDU und CSU.
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich heute
ausschließlich zum Thema der Promillegrenze äußern.
Mir fällt bei dieser Debatte wie so oft in den letzten Wochen, wenn es um Verkehrspolitik ging, auf, dass Sie suggerieren, eine Lösung für ein Problem zu haben, obwohl
Sie nur eine Scheinlösung haben.
Zum Beispiel haben Sie eine Ökosteuer eingeführt, um
die Umwelt zu schützen. Aber keine Mark fließt in die
Umwelt. Alles wird in die Rentenkasse gegeben.
Sie wollen mehr Güter auf die Schiene verlagern. Das
klingt gut und alle wollen das. Aber dann lassen Sie zu,
dass die DB Cargo gleichzeitig 1 000 private Schienenanschlüsse in Deutschland kündigt und den Leuten auch
noch schreibt, sie sollten ihre Güter in Zukunft auf der
Straße transportieren. Das ist die Politik von Rot-Grün!
({0})
Heute tun Sie so, als würden Sie eine ganz neue Idee
gebären, indem Sie die Grenze von 0,5 Promille in den
Vordergrund stellen. Wir haben die 0,5-Promille-Regelung. Darauf möchte ich einmal hinweisen. Was Sie wollen, ist eine Verschärfung des Strafmaßes.
({1})
Sie suggerieren, damit gäbe es mehr Sicherheit auf der
Straße. Sie selber wissen, dass das eben nicht zutrifft.
({2})
Ich verweise auf den Kollegen Friedrich. Sie können
schauen, wohin Sie wollen: Wo 0,0 Promille eingeführt
sind - zum Beispiel in Tschechien, in Ungarn und in
Rumänien -, ist die Häufigkeit von Unfällen mit Alkohol in der Regel höher als bei uns. Auch in der DDR war
die Häufigkeit von Unfällen unter Alkoholeinfluss trotz
0,0 Promille und erheblichem Strafmaß genau so hoch
wie in der Bundesrepublik.
({3})
Das zeigt, dass es Ihnen mehr um Ideologie als um Verkehrssicherheit geht.
Wenn Sie wirklich Verkehrssicherheit schaffen wollten, dann hätten Sie sagen müssen: Wir müssen die Kontrolldichte erhöhen.
({4})
Denn ohne Kontrollen nützen alle diese Verschärfungen
und die entsprechende Zahlenakrobatik nichts. Sie werden dadurch keinen einzigen Unfall verhindern.
({5})
Sie könnten mehr für die Aufklärung tun. Denn auch
Aufklärung ist notwendig. Dazu sagen Sie gar nichts. Sie
ändern drei Zahlen und glauben, dass sich dadurch etwas
ändert. Das wird nicht eintreffen.
Warum hat man die Regelung, die am 1. Mai 1998 eingeführt wurde, nicht noch ein oder zwei Jahre beobachtet?
({6})
Wir können Sie nur nochmals darum bitten und hoffen,
dass das im Bundesrat noch einmal aufgegriffen wird.
Wenn zusätzlicher Handlungsbedarf erkennbar geworden wäre, dann wären doch alle bereit gewesen, sich noch
einmal darüber zu unterhalten. Offensichtlich genügt Ihnen aber selbst die jetzt anstehende Änderung nicht.
Seit dem 1. Mai 1998 geht die Zahl der Unfälle unter
Alkohol eindeutig zurück.
({7})
Wir hätten doch testen können, ob das auf die Einführung
der 0,5-Promille-Grenze zurückzuführen ist oder eine allgemeine Tendenz ist.
Auf jeden Fall ist die Tendenz eindeutig: Die alkoholbedingten Unfälle gehen zurück.
({8})
Deshalb ist das hier mehr oder weniger einfach eine
Gschaftlhuberei; man macht etwas, damit man den Leuten erklären kann: Wir sind für mehr Sicherheit, wohl wissend, dass die Sicherheit dadurch nicht gewährleistet ist.
Deswegen hoffen wir, dass der Bundesrat dieses Gesetz
nicht durchwinkt.
({9})
Es ist zustimmungspflichtig. Immerhin gibt es auch SPDVerantwortliche, die das so beurteilen. Der Hamburger Innensenator zum Beispiel sagt, das seit dem 1. Mai 1998
gültige Gesetz sei ausgezeichnet, es habe in Hamburg
dazu geführt, dass über 13 Prozent weniger Unfälle mit
Alkoholeinwirkung zu verzeichnen seien. Da kann man
nur hoffen, dass noch mehr Leute so denken, damit es so
bleibt.
Wir lehnen es auf jeden Fall ab, weil die Verkehrssicherheit durch diese Verschärfung nicht gewährleistet ist;
vielmehr treffen Sie hauptsächlich wieder denjenigen,
den Sie ideologisch einfach nicht mögen: den Autofahrer.
({10})
Ich schließe
die Aussprache.
Wir kommen zu den Abstimmungen, zunächst zum Ta-
gesordnungspunkt 5 a: Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Ände-
rung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer straßen-
verkehrsrechtlicher Vorschriften auf den Drucksa-
chen 14/4304 und 14/5132. Der Ausschuss für Verkehr,
Bau- und Wohnungswesen empfiehlt unter Buchstabe a)
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/5132 die
Annahme des Gesetzentwurfes in der Ausschussfassung.
Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der
CDU/CSU auf Drucksache 14/5152 vor. Über ihn werden
wir zunächst abstimmen. Wer stimmt für diesen Ände-
rungsantrag der CDU/CSU-Fraktion? - Wer stimmt dage-
gen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den
Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS ge-
gen die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. abgelehnt.
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Ge-
setzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit dem glei-
chen Stimmverhalten der Fraktionen angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung: Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen
und PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P.
angenommen
Wir stimmen nun über den Entschließungsantrag der
Fraktion der F.D.P. auf der Drucksache 14/5154 ab. Wer
stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist
mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der
F.D.P. abgelehnt.
Tagesordnungspunkt 5 b: Der Ausschuss für Verkehr,
Bau- und Wohnungswesen empfiehlt unter Buchstabe b)
seiner Beschlussempfehlung in der Drucksache 14/5132,
die Anträge der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die
Grünen zur Regelung des Anwohnerparkens durch Städte
und Gemeinden auf Drucksache 14/1258 und zum Verbot
des Mitführens von Radar- und Laserwarngeräten in
Kraftfahrzeugen auf Drucksache 14/1351 für erledigt zu
erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei voller Einmütigkeit
des Hauses ist diese Beschlussempfehlung angenommen.
Tagesordnungspunkt 5 c: Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen zu
dem Antrag der Fraktion der PDS mit dem Titel „Geschwindigkeitsbegrenzung auf 130 km/h auf Autobahnen“, Drucksache 14/5076. Der Ausschuss empfiehlt, den
Antrag auf Drucksache 14/1082 abzulehnen. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
des Hauses gegen die Stimmen der PDS und die Stimme
des Abgeordneten Albert Schmidt ({0}), Bündnis 90/Die Grünen, angenommen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 6 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Norbert
Lammert, Bernd Neumann ({1}), Renate
Blank, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
Jüdisches Museum, „Topographie des Terrors“, Mahnmal für die ermordeten Juden Europas
- Drucksache 14/4249 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien ({2})
Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe für den Antragsteller das Wort zunächst dem Kollegen Dr. Norbert
Lammert, CDU/CSU.
Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem vorliegenden
Antrag will die CDU/CSU-Bundestagsfraktion dazu beitragen, dass endlich ein zwischen der Bundesregierung
und dem Land Berlin abgestimmtes Konzept über die nationalen Gedenkstätten in der Hauptstadt entwickelt und
die unwürdige Hängepartie, die es nun seit vielen Monaten um den Weiterbau und die Fertigstellung der „Topographie des Terrors“ gibt, überwunden wird. Diese ist der
Bedeutung dieses Platzes und seiner Geschichte völlig
unangemessen.
({0})
Die Stiftung „Topographie des Terrors“ verfolgt eines
der wichtigsten Bauprojekte im Rahmen der Gedenkstätten der Bundeshauptstadt. Für die CDU/CSU-Fraktion
steht dieses Vorhaben in einem nicht auflösbaren Zusammenhang mit dem Mahnmal der ermordeten Juden Europas und dem im Aufbau befindlichen Jüdischen Museum.
({1})
Mit dem Denkmal soll der jüdischen Opfer gedacht werden, das Museum rekonstruiert gewissermaßen die zerstörte jüdische Geschichte in Deutschland. Die „Topographie des Terrors“ fragt nach den Voraussetzungen der
nationalsozialistischen Verbrechen, nach der Gesellschaft,
in der diese Verbrechen möglich wurden, und nach den
Personen, die sie planten und durchführten.
Meine Damen und Herren, für alle drei Projekte sind
durch die Beauftragung international renommierter Architekten baulich herausragende Lösungen gefunden worden.
Dass sie nicht nur auffällig, sondern umstritten sind,
spricht nicht gegen die Qualität dieser Entwürfe, die im
Übrigen in der Fachwelt fast ungeteilte Zustimmung gefunden haben; das ist mehr als ungewöhnlich. Sie setzen
allesamt auch in meiner Beurteilung ein überzeugendes
äußeres Zeichen für das Anliegen, das an diesen Stätten
zum Ausdruck kommen soll.
Wir wollen mit diesem Antrag das ausdrückliche Interesse des Bundestages an der Fertigstellung aller drei Projekte und an einem überzeugenden Konzept ihrer jeweiligen aufeinander bezogenen Arbeit zum Ausdruck bringen.
({2})
Nun ist allen Beteiligten klar, dass die Realisierung
dieser Projekte mit vielfältigen, übrigens nicht nur finanziellen Aufwendungen verbunden ist. Ich möchte deswegen für meine Fraktion auch ausdrücklich klarstellen, dass
die getroffenen Grundsatzentscheidungen der Regierungen und Parlamente von Bund und Land Berlin in keinem
der drei Fälle beliebige Kostenentwicklungen rechtfertigen. Niemand darf sich ernsthaft auch nur andeutungsweise darauf verlassen, dass es, weil die Entscheidung
nun einmal getroffen sei, nun auf Kosten nicht mehr ankomme.
({3})
Vielmehr muss bei allen drei Projekten sichergestellt
werden, dass die beabsichtigten Lösungen unter Berücksichtigung der finanziellen Belastung der öffentlichen
Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters
Haushalte und ihrer anderen Verpflichtungen so kostengünstig wie möglich umgesetzt werden.
({4})
Dies gilt sowohl für die erforderlichen Investitionen wie
für die späteren Betriebskosten. Genauso deutlich sage
ich aber: Das gilt bitte schön für alle drei Projekte.
Wir können uns nicht mit einer heimlichen Hierarchie
dieser Projekte abfinden, nach der Kosten an einer Stelle
keine Rolle spielen, deswegen aber an anderer Stelle
umso sorgfältiger gespart werden müsse.
({5})
- Ich bin zwar sicher, Herr Kollege Barthel, dass Sie das
auch ohne Erläuterung verstanden haben, ich erläutere es
Ihnen aber gerne: Mit der Entscheidung des Bundestages,
die Kosten und die Verantwortung für das Mahnmal für
die ermordeten Juden zu übernehmen, mit der Entscheidung der Bundesregierung, die komplette Verantwortung
für das Jüdische Museum zu übernehmen, einschließlich
der damit verbundenen Kosten, ergibt sich ein - ich unterstelle einmal - von niemandem beabsichtigter, aber
tatsächlicher Druck auf das dritte verbleibende Objekt,
das sich in einer für uns alle peinlichen Situation befindet,
wie wir nun seit Monaten mit wachsendem Erschrecken,
wie ich einmal zu unser aller Gunsten unterstellen will,
beobachten. Deswegen bleiben Bund und Land nach der
Entscheidung des Bundestages in der Verantwortung, für
die beiden Einrichtungen, also für das Jüdische Museum
und für die „Topographie des Terrors“, Lösungen zu finden, die ihre Fertigstellung und künftige Arbeit dauerhaft
sichern. Es gibt keinen überzeugenden Grund, dass der
Bund dies für das Jüdische Museum sicherstellt und für
die „Topographie des Terrors“ offen lässt.
({6})
Ich will im Übrigen eines ausdrücklich hinzufügen:
Möglicherweise wird gleich - hoffentlich aber nicht - von
der Koalition vorgetragen, es gebe ein Gedenkstättenkonzept des Bundes und natürlich sei der Bund bereit, für
diese Gedenkstätte - in gleicher Weise wie für Dutzende
anderer Gedenkstätten an anderer Stelle in Deutschland Mitverantwortung zu übernehmen. Ich sage gleich vorab,
weil ich nur einmal reden darf: Die „Topographie des Terrors“ kann nicht mit Sachsenhausen, Bergen-Belsen oder
Buchenwald verglichen werden. Wir haben in Berlin im
Grunde genommen nur noch eine authentische Stätte,
die an die entsetzliche Naziterrorherrschaft erinnert. Die
beiden Zentren der NS-Herrschaft waren die Reichskanzlei und das Prinz-Albrecht-Gelände. Von der Reichskanzlei ist im Stadtbild Gott sei Dank - in diesem Zusammenhang müsste man wohl eher „leider“ sagen - überhaupt
nichts mehr zu sehen. Auch das Prinz-Albrecht-Gelände
wäre in der Verdrängungsneigung der Nachkriegsjahre
beinahe ebenso unkenntlich verschwunden. Wir haben
nun seit der Wiederentdeckung dieses Geländes und seiner überragenden historischen Bedeutung im Kontext des
Berliner Stadtjubiläums eine Entwicklung, in der das
Land wie der Bund zu Recht eine besondere Verantwortung entdeckt und auch wahrgenommen haben, aus der
sich nun die Entwicklung dieses Konzepts ergeben hat.
Wenn es denn - auch das will ich sagen - so etwas wie
eine Gewichtung dieser drei Projekte geben müsste, für
die ich ausdrücklich nicht werbe, dann könnte ich allemal
eher den Vorrang der „Topographie des Terrors“ gegenüber den anderen beiden Projekten begründen als umgekehrt. Sie ist die unverzichtbare Verbindung zwischen der
Darstellung einer jahrhundertelangen, dann durch organisierten staatlichen Terror unterbrochenen jüdischen Geschichte im Jüdischen Museum und dem Mahnmal zur Erinnerung an die Opfer dieser Vernichtungsorgie. Dies ist
nach meiner Überzeugung eine der wichtigsten politischen Gedenkstätten zumindest in Deutschland, wenn
nicht sogar weit darüber hinaus. Deswegen haben wir hier
eine besondere Verantwortung.
Es passt recht gut in diesen Zusammenhang, dass wir
morgen den jährlichen Tag des Erinnerns an die Opfer des
Naziregimes begehen, der den Bundestag nicht nur zu folgenlosen Gedenkstunden, sondern auch zu nachprüfbaren
Bekundungen seines Interesses an der Aufrechterhaltung
dieser historischen Verantwortung zusammenführen sollte.
Ich habe schon darauf hingewiesen, dass dieser Platz
- früher mit dem Prinz-Albrecht-Palais - nicht nur eine
der ganz wenigen verbleibenden authentischen Stätten
des Naziregimes in Deutschland ist. Er ist gleichzeitig
eine Stätte, die an Verdrängungsübungen in der Nachkriegsgeschichte erinnert. Ich habe keinen Zweifel daran,
dass wir in dem grundsätzlichen Anliegen keine Meinungsverschiedenheiten zwischen den Fraktionen haben
und uns nicht darüber streiten müssen, dass es sich hier
um eine ganz originäre und besondere Verpflichtung des
Bundes handelt. Was sich auf diesem Gelände abgespielt
hat, das 1933 von der Gestapo und 1939 vom Reichssicherheitshauptamt bezogen wurde, ist nicht Berliner Stadtgeschichte, sondern Nationalgeschichte. Leider ist es das
dunkelste Kapitel, das es in unserer Nationalgeschichte
gibt.
Es gibt im Übrigen auch einen ganz praktischen Zusammenhang, aufgrund dessen wir das Gesamtkonzept
für unverzichtbar halten. Diese drei Einrichtungen befinden sich glücklicherweise nur wenige hundert Meter
voneinander entfernt, sie sind wie auf einer Perlenschnur
aufgereiht. Es gibt keinen vernünftigen Grund dafür, in
diesen drei Einrichtungen jeweils gleiche Vortragsräume,
Ausstellungen, Dokumentationen und Lesesäle vorzuhalten. Man kann durch einen inhaltlich konzeptionellen
Zusammenhang einen in jeder Beziehung nicht nur begründbaren, sondern auch vernünftigen Beitrag zur
Kosteneinsparung leisten. Auch deswegen müssen wir darauf bestehen, dass endlich dieser Gesamtzusammenhang
hergestellt wird.
Lassen Sie mich zum Schluss eine eher persönliche Bemerkung machen. Ich habe in den vergangenen Tagen,
zum Teil mit ausdrücklichem Hinweis auf unsere heutige
Debatte, einige - ich sage es einmal höflich - sehr engagierte Bürgerbriefe bekommen. Unter ihnen waren einige
ausgesprochen unfreundliche, um nicht zu sagen üble
Schreiben - ich möchte sie nicht zitieren -, die sich auf die
Errichtung von Gedenkstätten im Allgemeinen und auf das
Erinnern an jüdische Opfer im Besonderen beziehen und
in denen das Engagement der Union und mein persönlicher Einsatz beklagt bzw. beschimpft werden.
Ich trage das nur aus einem einzigen Grund vor: Dass
es solche Briefe immer noch gibt, hat mich in meiner persönlichen Überzeugung sehr bestärkt, dass das wiedervereinigte Deutschland in seiner Hauptstadt demonstrative Zeichen setzen muss, Zeichen des Erinnerns, des
Gedenkens und insbesondere unserer festen Entschlossenheit, die nach dem völligen politischen und moralischen Zusammenbruch dieses Landes mühsam wieder errichtete deutsche Demokratie und das Leben und die
Freiheit aller Menschen, die in diesem Lande leben, welcher Nationalität und religiösen Überzeugung auch immer, mit allen Kräften zu verteidigen.
({7})
Ich erteile
das Wort dem Kollegen Eckhardt Barthel für die Fraktion
der SPD.
Meine Damen und
Herren! Herr Lammert, wer könnte dem widersprechen,
was Sie zum Schluss gesagt haben? Wer könnte Ihrem
Wunsch widersprechen, dass alle drei Institutionen auch
wirklich realisiert werden? Ich gehe davon aus, dass darüber Konsens in diesem Haus besteht.
Das Ziel, das Sie hier nennen, teile ich - ich glaube,
auch meine Fraktion - voll und ganz. Ich habe jetzt aber
die Aufgabe, über Ihren Antrag zu reden, der im Ausschuss sicher intensiv behandelt werden wird. In diesem
Antrag fordern Sie den Bundestag auf, in sich abgestimmte, gut durchdachte und auch von der gesamten Opposition bisher mitgetragene und nicht infrage gestellte
Konzeptionen neu zu ordnen. Man könnte diesen Antrag
so zusammenfassen, dass ebenso wie das Mahnmal für die
ermordeten Juden Europas und das Jüdische Museum
auch die „Topographie des Terrors“ in die volle Trägerschaft des Bundes überführt werden soll.
({0})
- Sehen Sie, Sie sagen Ja und Herr Nooke schüttelt den
Kopf und sagt Nein. Es ist schon ein wenig bezeichnend,
wie das Meinungsbild in Ihrer Fraktion ist. Das aber ist
nicht mein Problem.
Es ist allerdings interessant, dass sich diese Unterschiedlichkeit auch im Text wiederfindet. Er drückt nämlich nicht klar und deutlich aus, dass es um die Trägerschaft geht. Das muss man erst aus dem Antrag
herauslesen. Schauen Sie sich doch Ihren vierten Punkt
an! Dort steht:
Es gibt keinen überzeugenden Grund, dass der Bund
dies
- die Übernahme für das Jüdische Museum sicherstellt und für die
„Topographie des Terrors“ offen lässt.
Wenn man lesen kann und der deutschen Sprache mächtig ist, heißt das, dass es im Kern um die Übernahme der
„Topographie des Terrors“ durch den Bund geht.
Ich gestehe, Sie haben das sehr gut dargestellt. Auf den
ersten Blick liegt diesen Überlegungen eine gewisse Logik zugrunde: das Jüdische Museum als Ort der Darstellung des jüdischen Lebens und des Zusammenlebens mit
ihnen über Jahrhunderte hinweg, die „Topographie des
Terrors“ als Ort der Täter und das Mahnmal für die ermordeten Juden Europas als Ort der Erinnerung. Man
könnte fast sagen, das ist ein Drei-Säulen-Modell. Das bezieht sich auch auf den räumlichen Zusammenhang.
Dies hat nur einen Haken und der wird erst auf den
zweiten Blick sichtbar: Es handelt sich hier nur um eine
sehr begrenzte Sicht und eine begrenzte Logik; denn
natürlich fallen demjenigen, der darüber nachdenkt, auch
andere Orte ein. Ich denke zum Beispiel an die Villa am
Wannsee.
({1})
Dort wurde der Mord an den europäischen Juden organisiert.
Damit das nicht schief klingt: Ich glaube Ihnen hundertprozentig, dass Sie die drei Institutionen nicht unterschiedlich werten wollen. Ich freue mich, dass Ihre Fraktion mit diesem Antrag die Bedeutung dieser drei
Institutionen so hoch hebt. Ich bin auch weit davon entfernt, zu glauben, dass das bedeutet, dass Ihrer Meinung
nach andere Institutionen weniger Anerkennung verdienen. Aber sie verengen den Blick zu stark auf diese drei
Institutionen.
({2})
Noch etwas ist für die Formulierung Ihres Antrags bezeichnend: Begriffe wie Gedenkstättenkonzeption oder
Hauptstadtkulturvertrag tauchen in diesem Antrag erstaunlicherweise gar nicht auf. Wenn Sie aber tatsächlich
eine Gleichbehandlung von Jüdischem Museum und „Topographie des Terrors“ wollen, muss sich der Blick sofort
auf den Hauptstadtkulturvertrag richten. Sie verschweigen diese Tatsache; man kann dies aber nicht beiseite
schieben. Der Grund für diese Betrachtungsweise ist: Indem Sie den Blick auf ein wichtiges Einzelelement legen,
verlieren Sie den Überblick über die Dimension bundesstaatlicher Kulturpolitik.
Herr Kollege Barthel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lammert?
Aber natürlich.
Ich bedanke mich
sehr. - Herr Barthel, Sie haben völlig zu Recht auf den Zusammenhang mit dem Hauptstadtkulturvertrag hingewiesen. Wie Sie wissen, lag ein gesonderter Antrag zu diesem
Thema vor, zu dem wir inzwischen eine gemeinsame Vereinbarung getroffen haben. Der entscheidende Punkt
- deswegen greife ich Ihren Hinweis gerne auf - ist: Wir
haben die Sorge, dass mit dem Unterschreiben des vorliegenden Hauptstadtkulturvertrages die Schieflage festgezurrt wird, die wir mit Blick auf die Gedenkstätten in diesem Antrag reklamieren.
Deswegen ist meine Frage: Könnten Sie sich nicht
auch vorstellen - nachdem Sie Ihre prinzipielle Sympathie und Übereinstimmung mit den vorgetragenen Überlegungen bekundet haben -, dass man im Rahmen des
Hauptstadtkulturvertrages, der noch nicht unterzeichnet
ist, eine Vereinbarung zwischen Bund und Land Berlin
trifft, die die Gleichrangigkeit dieser Institutionen durch
eine entsprechend gleichartige Verantwortung des Bundes
und des Landes in belastbarer Weise zum Ausdruck
bringt?
Es ist schon sehr
erstaunlich, dass Sie dies in Form einer Zwischenfrage
vorbringen und dies nicht Teil Ihres Antrages ist.
({0})
Ich gehe gleich im Rahmen meiner Ausführungen auf Ihre
Frage in Bezug auf den Hauptstadtkulturvertrag ein. Insofern brauchen Sie nicht stehen zu bleiben. Sie dürfen
sich setzen.
({1})
Sie hätten
die Chance gehabt, Ihre Redezeit um die Zeit zu verlängern, die der Abgeordnete Lammert steht. Aber Sie sind
sehr großzügig.
Sehen Sie, ich bin
so gutmütig, dass ich die Kollegen nicht überstrapazieren
möchte.
Herr Lammert, soviel ich weiß, wird der Hauptstadtkulturvertrag in Kürze unterschrieben. Es soll Gespräche
zwischen dem Staatsminister und dem Kultursenator gegeben haben. Der Grund, warum ich dagegen bin, die entsprechenden Elemente in den Hauptstadtkulturvertrag
aufzunehmen, ist: Wir sind uns wohl alle darüber einig,
dass die Erinnerungskultur bei der Förderung der Kultur
in der Hauptstadt einen hohen Stellenwert haben muss.
Ich möchte nicht, dass sich diese Förderung auf die Erinnerungskultur reduziert bzw. begrenzt.
({0})
Wenn man Ihren Antrag zu Ende denkt - im Wissen um
die Begrenztheit der Mittel des Bundes für Berlin -,
kommt man zu der Feststellung, dass es darauf hinausliefe. Wir wollen im Bewusstsein der Vergangenheit mit
Mitteln des Bundes für die Hauptstadt auch Gegenwärtiges für die Zukunft schaffen.
({1})
Das ist ein anderer Ansatz. Mit uns wird es deswegen
sicherlich nicht dazu kommen, dass dieser Vertrag neu
verhandelt wird, mit allen Konsequenzen.
Herr Lammert, ich habe neulich in der „Welt“ einen Artikel von Ihnen gelesen. Danach stimmen Sie zu, dass vier
von fünf Institutionen per Hauptstadtkulturvertrag durch
den Bund übernommen werden sollen. Sie begrüßen die
Einbeziehung der Werkstatt der Kulturen der Welt in den
Hauptstadtkulturvertrag, ebenso die des Gropiusbaus und
die des Jüdischen Museums sowieso. Auch sprechen Sie
sich - dafür bin ich sehr dankbar - für den HauptstadtKulturfonds aus. Das einzige, wozu Sie eine andere Meinung haben, sind die Festspiele. Aber kann sich eine Regierungskoalition mehr wünschen, als dass von der
Opposition vier von fünf Punkten zugestimmt wird? Das
ist doch eine schöne Sache.
({2})
- Dies ist nicht dabei. Aber wir haben, glaube ich, mit diesem Hauptstadtkulturvertrag eine gute Basis gefunden,
für die wir breite Zustimmung finden. Deshalb hoffe ich
auch, dass er bald unterschriftsreif sein wird. Eigentlich
ist er ja schon überfällig, wenn wir ehrlich sind; denn seit
dem 1. Januar sind bereits die Weichen gestellt.
Erlauben Sie mir noch ein Wort zur „Topographie des
Terrors“: Wie hat das Prinz-Albrecht-Gelände denn früher
ausgesehen? Hier gibt es durchaus ein Stück Verdrängung.
Auf diesem Gelände konnten Leute ohne Führerschein mit
dem Auto herumfahren. Das war eine schlimme Sache und
deswegen bin ich froh, dass der Berliner Senat dieses Projekt aufgegriffen hat.
Dass die Kosten inzwischen so in die Höhe gestiegen
sind - da geht es nicht um Mehrkosten in Höhe von
10 Prozent; Sie wissen genau, um welche Dimensionen es
sich hier handelt -, ist allerdings nicht nur der Berliner Politik zuzuschreiben; das muss man ehrlich sagen. Es gibt
eine Menge Probleme mit dem, was der Architekt vorhat.
Auf der anderen Seite würde ich mich riesig freuen, wenn
analog zu der gelungenen Gestaltung des Mahnmals und
der wunderbaren Architektur des Jüdischen Museums ein
sehr attraktives Gebäude als „Topographie des Terrors“
gebaut würde. Dies ist abzuwägen. Aber ich gebe Ihnen
Recht, dass die Kosten nicht beliebig nach oben gehen
können.
In einem Punkt Ihres Antrags haben Sie Recht: Es darf
kein unabgestimmtes Verhalten und erst recht kein Gegeneinander zwischen den drei Institutionen geben.
({3})
Ich erinnere Sie an die Diskussion über das Mahnmal, wo
dies eine große Rolle spielte. Ich bin eigentlich ganz froh,
dass wir im Hinblick auf das, was Sie hier fordern, schon
auf dem richtigen Weg sind. Sehen Sie sich einmal an, wer
im Kuratorium der Stiftung „Denkmal für die ermordeten Juden Europas“ sitzt! In ihm ist die „Topographie des
Terrors“ mit Herrn Professor Rürup vertreten, der darüber
hinaus auch in der Arbeitsgruppe für die inhaltliche Konzeption des „Ortes der Information“ tätig ist.
({4})
Mit Herrn Professor Blumenthal ist das Jüdische Museum
vertreten. Auch andere Institutionen, über die Sie nicht
gesprochen haben, sind dort vertreten; beispielsweise vertritt Dr. Morsch die Gedenkstätte und das Museum Sachsenhausen. Das Ziel, das Sie zu Recht in Ihren Antrag hineingeschrieben haben, wird hier bereits umgesetzt.
Insofern kann ich sagen, dass wir schon dort sind, wohin
Sie mit Ihrem Antrag erst noch wollen.
Ich bin sicher, dass der Bund nicht die volle Trägerschaft der „Topographie des Terrors“ übernehmen wird.
Aber er wird seiner Verpflichtung, dieses Projekt finanziell zu unterstützen, nachkommen, wenn klare, überprüfbare Zahlen für den Bau der „Topographie des Terrors“
vorliegen werden. Das ist jedenfalls die Meinung meiner
Fraktion und auch - dessen bin ich genauso sicher - die
Meinung des Staatsministers für Kultur.
Ich bedanke mich.
({5})
Ich erteile
der Kollegin Ina Albowitz das Wort. Sie spricht für die
F.D.P.-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Meine Fraktion hält die Errichtung der „Topographie des Terrors“ für richtig, im Zusammenhang mit der Gestaltung der beiden anderen
zentralen Orte der Auseinandersetzung Deutschlands mit
seiner NS-Vergangenheit, dem Holocaust-Mahnmal und
dem Jüdischen Museum, sogar für zwingend notwendig.
Herr Kollege Lammert, trotzdem lehnen wir den vorliegenden Antrag ab. Ich will dies auch begründen. Auch
wenn Deutschland, meine Damen und Herren, inzwischen von Berlin aus regiert wird, ist der Bund nicht dazu
da, ständig Fehler der Berliner Landesverwaltung auszubügeln.
({0})
Die „Topographie des Terrors“ ist im Übrigen kein Einzelfall, wenn es um Beispiele für Missmanagement der
Berliner Bauverwaltung geht. Dort regiert - alle Insider
wissen das - seit vielen Jahren der Schlendrian. Die Baugeschichte der „Topographie des Terrors“ könnte man sarkastisch als Krönung der Geschichte institutioneller Unfähigkeit bezeichnen.
({1})
Sie hätte längst errichtet sein können; wir befassen uns
seit Jahren mit diesem Thema.
Ich hätte mir im Übrigen gewünscht, dass die Grundsteinlegung für das Holocaust-Mahnmal - der Grundstein
hätte eigentlich Samstag vor zwei Jahren gelegt werden
sollen - inzwischen erfolgt wäre. Aber wir warten noch
immer darauf. Wie man den Ticker-Meldungen vom heutigen Tage entnehmen kann, wird sie, wenn wir Glück haben, noch in diesem Jahr erfolgen.
Zu Recht erinnern wir uns - auch die Länder Berlin
und Brandenburg - in diesem Jahr an 300 Jahre preußische Geschichte. Von den berühmten preußischen Tugenden allerdings, Herr Kollege Barthel, von Sparsamkeit
und Disziplin, ist in der Berliner Bauverwaltung so gut
wie nichts mehr übrig geblieben.
({2})
Ich frage deswegen die CDU/CSU-Fraktion: Weshalb
lassen Sie sich, Herr Kollege Lammert, vor den Karren
dieser Verwaltung spannen, einer Verwaltung, die zuerst
Millionen Steuergelder in den sprichwörtlich märkischen
Sand setzt und dann, wenn sie nicht mehr weiter weiß,
nach dem Bund ruft? Aber das tun aus Sicht der Berliner
nicht nur Sie, sondern auch andere.
Dem alten Westberliner Prinzip „Der Bund wird es
schon richten“ muss endlich ein Riegel vorgeschoben werden, auch deshalb, weil es die anderen Bundesländer leid
sind, dass die Rolle des Zahlmeisters in Berlin peu à peu
vom Bund übernommen und die Hauptstadt damit einseitig gegenüber dem Rest der Republik bevorzugt wird.
Meine Fraktion wird nicht einer Politik die Hand reichen, die über die bisherigen 100 Millionen DM für die
Berliner Kulturförderung hinaus weitere finanzielle Leistungen des Bundes einfordert. Die Stiftung „Topographie
des Terrors“ findet im Rahmen des Gedenkstättenkonzeptes des Bundes ausreichend Berücksichtigung. Dort
gilt auch der Grundsatz der hälftigen Finanzierung durch
den Bund und das Sitzland.
Herr Kollege Lammert, lassen Sie mich in diesem Zusammenhang eine persönliche Bemerkung machen. Wir
haben in den letzten Legislaturperioden ein Gedenkstättenkonzept verabschiedet - ich durfte das damals in Verantwortung einer Regierungskoalition für meine Fraktion
machen und die Kollegin Steinbach für ihre Fraktion -,
das von beiden Fraktionen getragen wurde, die Zustimmung des Finanzministers erhielt und mit den Ländern vereinbart wurde. Deswegen kann ich mich eigentlich nur wundern, dass Sie heute von dem Grundsatz der
hälftigen Teilung der Kosten bestimmter Gedenkstätten
Abstand nehmen wollen; die „Topographie des Terrors“
gehörte schon damals dazu. Ich würde mir wünschen,
dass man sich, auch wenn man nicht mehr so in der Verantwortung steht, trotzdem noch an seine vorherige Verantwortung erinnert. Ich fordere deshalb die Berliner Verantwortung ein. Zunächst muss das Gesamtkonzept
vorliegen und Berlin seine Hausaufgaben machen.
Gabriele Kamphausen, die engagierte Direktorin der
Stiftung „Topographie des Terrors“, hat, wie man der
„FAZ“ entnehmen kann, aufgezeigt, wie viel Zeit, Kraft,
Energie und Geld in den vergangenen fünf Jahren durch
Verzögerung, Aussitzen, Desorganisation, Schlamperei
und Desinteresse der Berliner Bauverwaltung verschwendet worden seien. Das heißt für uns, dass der Senat erst
einmal die Karten auf den Tisch legen muss. Dann reden
wir weiter.
Ich bedanke mich.
({3})
Eckhardt Barthel ({4})
Wenn Sie
möchten, dürfen Sie noch eine Frage stellen, Herr
Lammert.
Entschuldigung, Herr
Lammert, ich habe Sie nicht gesehen, da ich so fasziniert
den Kollegen Barthel als Berliner angeschaut habe.
Ich habe fast alles verstanden, was Sie vorgetragen haben, nur einen
Punkt nicht, für dessen Erläuterung ich dankbar wäre.
Worin besteht nach Auffassung Ihrer Fraktion der Unterschied zwischen dem Jüdischen Museum und der „Topographie des Terrors“ bei der Behandlung der Förderung
durch den Bund?
Ich gebe Ihnen Recht: Es gibt
nicht sehr viele Unterschiede.
({0})
- Entschuldigung, wir reden von der Finanzierung.
Damit ist die
Frage beantwortet.
Ich gebe nunmehr der Kollegin Dr. Antje Vollmer für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Tatsache, dass die CDU/CSU so fleißig ist, im Bereich der
Kulturpolitik Anträge zu stellen, gibt uns wieder einmal
die schöne Gelegenheit, auf das zurückzublicken, was wir
schon alles geschafft haben: zum Beispiel die Gedenkstättenkonzeption des Bundes. Sie forderten uns auf, ein
Konzept zu erstellen, was wir getan haben. Die Konzeption des Bundes mit der hälftigen Finanzierung ist ein
sehr großer Fortschritt, der uns in diesen Bereichen ungeheuer gedankt wird.
({0})
Die Kulturpolitik des Bundes hat Freunde unter denen,
die für die Gedenkstätten verantwortlich sind. Im Übrigen
befinden sich darunter vielfach Verantwortliche in den alten Bundesländern; denn wir hatten die ungewöhnliche
Situation, dass die Lage der Gedenkstätten in den alten
Bundesländern noch kritischer war als die Lage in den
neuen Bundesländern. Wir brauchen aber nicht ständig
neue Konzepte angesichts der Tatsache, dass wir gerade
ein gutes Konzept, das allseits Zustimmung gefunden hat,
erstellt haben.
Wir haben nach langen Auseinandersetzungen die
Entscheidung im Deutschen Bundestag gemeinsam gefällt, das Mahnmal für die ermordeten Juden Europas
zu errichten. Diese schwierige Debatte hat am Ende also
doch zu einem Konsens geführt. Die Verantwortung, die
sich daraus ergibt, wird von allen in diesem Haus getragen. Der Einzige, der es ein wenig an Anerkennung für
diese Entscheidung fehlen lässt, ist der Regierende Bürgermeister von Berlin, Herr Diepgen, der nicht einmal bei
der Grundsteinlegung anwesend war.
({1})
Die Verantwortung für das Jüdische Museum wird
nach dem Hauptstadtkulturvertrag voll vom Bund übernommen. Wir alle warten auf das Konzept für dieses
Haus. Wir wissen, dass das Konzept von den Museumsfachleuten unter der Leitung von Michael Blumenthal erstellt wird. Es ist nicht Sache des Gesetzgebers, ein solches Konzept zu erstellen. Warum sollten wir auch ein
Konzept erstellen, wenn es die Museumsfachleute viel
besser tun können?
Die Frage, warum das Jüdische Museum ein Teil des
Hauptstadtkulturvertrages ist - Herr Lammert, diese
Frage stellen Sie ständig -, ist damit zu beantworten, dass
das Land Berlin genau diese Regelung wollte. Das Land
Berlin wollte nämlich, dass der Bund die Verantwortung
für das Jüdische Museum übernimmt. Es waren damals
mehrere Möglichkeiten in der Diskussion. Es handelt sich
um eine Konsenslösung, auf die sich das Land Berlin mit
dem Staatsminister geeinigt hat. Gemäß dieser Einigung
übernehmen wir die gesamte Verantwortung für dieses
Projekt. Die Antwort auf Ihre Frage, warum es dieses und
nicht ein anderes Haus ist, lautet, dass damals dieses Projekt und nicht ein anderes ausgewählt wurde.
Ich komme zu der „Topographie des Terrors“. Ich
freue mich, dass Ina Albowitz schon sehr Kluges und auch
sehr Treffendes dazu gesagt hat, was die wirkliche Misere
dieses Hauses ist. Sie sollten eines zugeben, Herr
Lammert: Der Grund, warum Sie die „Topographie des
Terrors“ jetzt in diesem Zusammenhang erwähnen, liegt
nicht in der inhaltlichen Konzeption, sondern in der Tatsache begründet, dass sich dieses Haus in ganz besonderen Schwierigkeiten befindet. Wie die Kollegin Albowitz
schon bemerkt hat, liegt die Verantwortung für diese Fehlplanung bei der Berliner Bauverwaltung.
({2})
- Aber es hat eine Entscheidung gegeben.
({3})
Wenn wir, lieber Herr Lammert, die Kosten zusammenrechnen würden, die Sie im Falle von Schwierigkeiten
dem Bund zuschustern wollen, dann könnten wir die gesamte Berliner Kulturpolitik übernehmen. Sie wissen sehr
wohl, dass uns das eine Menge Schwierigkeiten mit Ihren
Kollegen in den Ländern, beispielsweise mit den CDUKulturpolitikern in Baden-Württemberg, bereiten würde.
Deswegen ist es völlig klar und entspricht auch den Regeln einer geordneten Haushaltsführung, dass man nur für
bestimmte Institutionen die Verantwortung übernehmen
kann und sie dann auch trägt. Genau dazu fordern wir das
Land Berlin auf.
({4})
Was die „Topographie des Terrors“ betrifft, sind wir ja
bereit, im Rahmen der Gedenkstättenkonzeption einen
großen Anteil zu übernehmen. Selbstverständlich gehört
dazu die hälftige Finanzierung. Wir haben signalisiert,
dass wir bereit sind, höhere Belastungen in einem berechenbaren Umfang zu übernehmen, weil wir sehr wohl
wussten, welche planerische Katastrophe sich da angebahnt hat. Das Land Berlin muss uns nun aber endlich
klare Zahlen nennen; sie liegen bis heute nicht vor.
({5})
In einer solchen Situation zu sagen: „Wir wollen uns
des Bundes sozusagen als Goldesel bedienen, wenn etwas
in den Ländern schief gelaufen ist“ widerspricht ganz und
gar den Richtlinien einer korrekten Haushaltsführung,
von der Sie wissen, dass wir uns darum ebenso bemühen
wie um eine in sich schlüssige und miteinander abgestimmte Kulturpolitik.
Deswegen sehe ich trotz aller positiven Punkte, die Sie
uns genannt haben, für uns keine Möglichkeit, Ihrem Antrag zuzustimmen. Wir werden darüber aber noch reden.
Danke.
({6})
Zu einer Kurzintervention erteile ich der Kollegin Monika Griefahn das
Wort.
Frau Albowitz, Sie haben einige richtige Bemerkungen - Frau Vollmer hat dies schon
erwähnt - bezüglich der hälftigen Finanzierung des Gedenkstättenkonzeptes gemacht. Ich denke, das ist eine der
großen Errungenschaften.
Aber Sie haben auf die Nachfrage des Kollegen
Lammert, was der Unterschied zwischen Jüdischem Museum, Holocaust-Mahnmal und „Topographie des Terrors“ sei, gesagt: Da ist kein Unterschied, da gebe ich Ihnen Recht. - Ich muss Ihnen entschieden widersprechen,
denn die Gedenkstättenkonzeption beinhaltet die authentischen Gedenkstätten, während das Jüdische Museum
und das Holocaust-Mahnmal „Extraeinheiten“ sind. Das
Jüdische Museum war ursprünglich als Anhang zu einem
städtischen Museum geplant und das Holocaust-Mahnmal
sollte nach dem Beschluss des Deutschen Bundestages in
einer eigenen Stiftung und als eigenes Denkmal, nicht an
einem authentischen Ort, errichtet werden.
Insofern hat die Forderung, für die „Topographie des
Terrors“ im Gedenkstättenkonzept die anteilige Finanzierung von 50 Prozent beizubehalten, durchaus seine Logik.
Es geht dabei nicht um 50 Prozent von irgendetwas, sondern um 50 Prozent von einem konkret vorgelegten Konzept, das nicht irgendwann ausufern darf, nur weil das
Land Berlin keine Verträge machen kann, die auch eingehalten werden. Dafür muss ein Vertrag geschlossen werden, der, wie es auch beim Holocaust-Mahnmal geschehen ist, Regelungen beinhaltet, nach denen das Risiko von
Mehrkosten beim Architekten und nicht beim Auftraggeber liegt.
({0})
Frau Kollegin, Sie
wollen antworten? - Bitte sehr.
({0})
- Ein Mitglied des Bundesrates darf immer reden, Herr
Kollege.
({1})
Bitte sehr, Frau Kollegin Albowitz.
Einige Kollegen dürfen zwölf
Minuten reden, ich aber nur drei Minuten. Es ist schwierig, mich in so kurzer Zeit konkret auszudrücken. Das
können Sie sicher nachvollziehen.
Meine Einlassungen zur Frage des Kollegen Lammert
bezogen sich - das haben Sie vielleicht nicht verstanden auf die Situation der Zeit vor 1998, auf die Gedenkstättenkonzeption und die hälftige Finanzierung. Die Frage,
ob es da einen Unterschied gebe, habe ich knapp mit Ja
beantwortet.
Wenn ich noch sieben Minuten hätte reden dürfen,
hätte ich mit Sicherheit gerne mehr dazu gesagt. Ich bin
dankbar, dass ich jetzt wenigstens kurz Stellung dazu nehmen kann. Ich hätte gerne noch etwas zu den Plänen der
Berliner Landesverwaltung und zu den Konzepten, die
Sie vorlegen, gesagt. Kosten sie 80 Millionen DM oder
noch mehr? Ich glaube, der Finanzminister wird sich herzlich bedanken, wenn die Schraube immer weiter nach
oben gedreht wird.
Wir können gerne noch darüber sprechen. Denken Sie
bitte daran, dass das in dreieinhalb Minuten nicht möglich
war.
Nun hat das Wort der
Kollege Professor Dr. Heinrich Fink für die PDS-Fraktion.
({0})
Ich werde mich hüten. Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die im Antrag der CDU/CSU enthaltenen Forderungen nach einer Gesamtkonzeption für die drei Berliner Mahn- und Gedenkstätten erscheinen mir sehr plausibel und aus historischen Gründen sehr zu unterstützen.
Insofern begrüßen wir den Antrag der CDU/CSU und
werden ihm auch zustimmen, gerade weil der Regierende
Bürgermeister von der CDU nicht gerade Sympathisant
der drei Gedenkstätten ist; seine Meinung hat er wohl bis
heute nicht geändert.
Es wäre also zu wünschen, dass die Antragsteller bei
ihren Parteifreunden im Berliner Senat mindestens so viel
Zustimmung fänden, wie sie es in diesem Hause erwarten.
Denn die werden sie brauchen, wenn es eine zwischen
Bund und Berlin abgestimmte Gesamtkonzeption geben
soll.
Besonders beschämend steht es derzeit um die „Topographie des Terrors“. Der Berliner Senat lässt kaum erkennen, dass er das Projekt, das auf einen eigenen Beschluss von vor nun fast fünf Jahren zurückgeht,
überhaupt noch will. Deshalb wäre es nicht hilfreich,
wenn sich der Bund bei den zugesagten 50 Prozent Finanzierung bereits jetzt, vor Vorliegen des endgültigen
Gutachtens, auf eine Kostenobergrenze versteife. Es
würde keinen Sinn machen, Berliner Dilettantismus so zu
bestrafen, dass am Ende eine politisch gewollte Gedenkstätte von nationaler Bedeutung und von architektonischem Gewinn auf der Strecke bleibt.
({0})
Bei dem Entwurf des Architekten Peter Zumthor für
die „Topographie des Terrors“ handelt es sich um ein Vorhaben mit hohem künstlerischen Anspruch. Man sollte ihn
nicht ohne Not aufgeben, nur weil die Ausführung ein
paar Millionen DM mehr verlangt als ursprünglich
angenommen. Hier sollte sich neben dem Berliner Senat
auch der Bund seiner nationalen Verantwortung bewusst
bleiben und einer einzigartigen Architektur zur Entstehung verhelfen. Letztlich ist die „Topographie des Terrors“ die notwendige dritte Komponente im Ensemble mit
dem Holocaust-Mahnmal und dem Jüdischen Museum.
Sie ist unverzichtbar.
Hier entscheidet sich - ähnlich wie beim HolocaustMahnmal -, ob erklärter politischer Wille tatsächlich materialisiert wird, wenn es an die finanzielle und bautechnische
Umsetzung geht. Das steht übrigens nicht im Widerspruch
zu der in dem vorliegenden Antrag enthaltenen Mahnung,
alles so kostengünstig wie möglich umzusetzen.
Es handelt sich um ein Objekt, an dem auch international der Umgang der Deutschen mit ihrer Geschichte beurteilt werden kann und werden wird. Wer auch immer für
die gestiegenen Kosten für die „Topographie“ die Verantwortung tragen mag - dass das Projekt wegen des krämerischen Festhaltens an einer einst unter anderen Voraussetzungen zugesagten Summe scheitert, kann nicht sein.
Freuen werden sich dann allenfalls die Neonazis und ihre
Sympathisanten.
Der Antrag - im Oktober gestellt - sprach die Erwartung aus, dass bereits jetzt eine Gesamtkonzeption vorliegen könnte. Das war angesichts der geschilderten Probleme wohl auch wenig realistisch. Vielleicht ist das Ende
des ersten Halbjahrs 2001 ein wirklichkeitsnäherer Termin. Darauf sollte der Bund den Berliner Senat schon
drängen. Die Stadt bedarf dieser Erinnerungskultur - so
wie das ganze Land. Dafür, diese Trias als ein Zeichen
dessen sichtbar zu machen, was in Berlin geschehen ist,
sollten wir uns einsetzen. Das ist auch ein Zeichen des
Umgangs mit deutscher Geschichte.
Vielen Dank.
({1})
Ich schließe die
Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der
Vorlage auf Drucksache 14/4249 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Damit
sind Sie einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 7 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung der Formvorschriften des Privatrechts
und anderer Vorschriften an den modernen
Rechtsgeschäftsverkehr
- Drucksache 14/4987 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({0})
Innenausschuss
Ich eröffne die Aussprache. Alle Reden sind zu Proto-
koll gegeben worden.1) Damit schließe ich die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 14/4987 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Auch damit
sind Sie einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 sowie die Zusatzpunkte 3 und 4 auf:
8. Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({1}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Carl-Ludwig
Thiele, Gisela Frick, Dr. Hermann Otto Solms, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Abschreibungstabellen nicht ändern
- Drucksachen 14/1887, 14/5149 Berichterstattung:
Abgeordneter Hans Michelbach
Jörg-Otto Spiller
ZP 3 Erste Beratung des von der Fraktion der
CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Abschreibungsbedingungen
- Drucksache 14/5135 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({2})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Haushaltsausschuss
gemäß § 96 GO
ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Gerda
Hasselfeldt, Heinz Seiffert, Norbert Barthle, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU
1) Anlage 3
Den Wirtschaftsstandort stärken statt Abschreibungsbedingungen verschlechtern
- Drucksache 14/5134 Über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag der
Fraktion der F.D.P. mit dem Titel „Abschreibungstabellen
nicht ändern“ werden wir später namentlich abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
F.D.P. eine Redezeit von sieben Minuten erhalten
soll - Auch das ist so beschlossen.
Dann eröffne ich die Aussprache und erteile dem Kollegen Jörg-Otto Spiller für die SPD-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! „Deutschland zählt als
Wirtschaftsstandort wieder zu den ersten Adressen. Seine
internationale Wettbewerbsfähigkeit hat sich deutlich
verbessert.“ Mit dieser Bewertung wird heute der Aufsichtsratsvorsitzende der Deutschen Bank in diversen
Zeitungen zitiert. Positive Auswirkungen - so stellt er
fest - habe unter anderem die Steuerreform, die im Ausland hoch angerechnet werde.
Ich darf an das erinnern, was wir im vorigen Jahr beschlossen haben. Mit der Steuerreform, die am 1. Januar
dieses Jahres in Kraft getreten ist, werden die Unternehmungen in Deutschland jährlich um rund 30 Milliarden DM entlastet.
({0})
Der Löwenanteil davon kommt den kleinen und mittleren Unternehmen zugute, nämlich etwa 23 Milliarden DM im Jahr; auf die großen Unternehmen entfällt
eine Steuerersparnis in der Größenordnung von 7 Milliarden DM im Jahr. Das sind echte Entlastungen. Es geht
nicht nur um vorübergehende Liquiditätshilfen.
Daran muss man erinnern, wenn bei dem Thema der
heutigen Debatte über die AfA-Tabellen gesprochen
wird. Wir haben vor kurzem eigentlich noch eine weitgehende Übereinstimmung in diesem Hause darin gehabt,
dass Senkung der Tarife und Verbreiterung der Bemessungsgrundlage die Grundkonzeption für Steuerpolitik in
Deutschland sein sollten.
({1})
In diesem Zusammenhang möchte ich die Kolleginnen
und Kollegen der CDU/CSU an einen Text erinnern, den
sie vor ziemlich genau einem Jahr vorgelegt haben. Die
Überschrift lautete „Die bessere Alternative“. Es handelte
sich um die Steuerreformvorstellungen der Union, wobei
Sie vorsichtshalber darauf hingewiesen haben, dass dies
die gemeinsamen Vorstellungen von CDU und CSU seien
und nicht nur die der CDU bzw. die der CSU. Da haben
Sie geschrieben, dass zur Verbreiterung der Bemessungsgrundlage eine Verlängerung der Abschreibungsfristen
hinzukommen müsse. Deswegen seien die AfA-Tabellen
zu überarbeiten. Ich möchte Ihnen dazu einen Passus vorlesen:
Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ist es ...
notwendig, dass auch bei einer Heranziehung der
Abschreibungstabellen die zugrunde gelegte Nutzungsdauer sich am tatsächlichen technischen Verschleiß des betreffenden Wirtschaftsgutes orientiert.
Überprüfungen haben ergeben, dass die bisherigen
Abschreibungstabellen diese Vorgabe nur unzureichend erfüllen.
Das sagte die CDU/CSU.
({2})
Sie wollten auf diese Weise Mehreinnahmen in Höhe von
3,5 Milliarden DM erzielen.
({3})
Wir haben diese Rechtsgläubigkeit übrigens nie geteilt.
Wir waren immer der Meinung, dass es bei Abschreibungsfristen auch auf betriebswirtschaftliche Vernunft
ankommen muss und nicht ausschließlich auf eine orthodoxe Rechtsauslegung. Ich weiß nicht, ob Sie dazu inzwischen eine andere Meinung haben; fast liest es sich so.
Das Fazit ist jedenfalls folgendes: Noch unter der Verantwortung des damaligen Bundesfinanzministers Waigel
({4})
- ja, der hieß Waigel - ist eine Kommission eingesetzt
worden, in der sich Steuerexperten der Bundesverwaltung
und der Länderverwaltungen über Abschreibungsfristen
austauschten. Herausgekommen ist der Entwurf einer Tabelle, der bei den Verbänden und auch beim Finanzausschuss zunächst einmal ein erhebliches Stirnrunzeln ausgelöst hat. Denn zumindest uns erschienen die im Entwurf
vorgesehenen Fristen übertrieben.
Deswegen haben wir damals im Ausschuss und im Plenum wiederholt Folgendes bekräftigt: Bei den zusätzlichen Steuereinnahmen aus veränderten Abschreibungsbedingungen liegt für uns die wirtschaftlich vernünftige
Obergrenze, die man der deutlichen Steuerentlastung in
einer Größenordnung von 30 Milliarden DM gegenüberstellen muss, bei 3,5 Milliarden DM. Daran halten wir
fest; das haben wir im Ausschuss in aller Deutlichkeit dargelegt.
Trotz anfänglicher Schwierigkeiten, die darin bestanden, dass die Experten der Verwaltungen ein Stück weit
der Orientierung entbehrten
({5})
- ich meine damit die bei Bund und Ländern bestehenden
17 Ministerien und Verwaltungen -, werden wir an der
Größenordnung von 3,5 Milliarden DM festhalten; die
Leitung des Hauses hat das gestern sehr deutlich gemacht.
Auch bei den Tabellen, die jetzt noch zu erarbeiten sind,
bei den so genannten branchenspezifischen Tabellen, wird
darauf geachtet werden, dass diese Summe insgesamt
nicht überschritten wird. Wir werden ebenso darauf achten, dass eine faire Gleichbehandlung der unterschiedlichen Wirtschaftszweige gewährleistet wird. Wir sind da
sehr zuversichtlich.
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
Zum Abschluss möchte ich noch feststellen: Unser Ziel
ist, dass die Modernisierung der deutschen Wirtschaft
durch diese Abschreibungsbedingungen nicht erschwert,
sondern erleichtert wird.
({6})
Wir werden allerdings an einem festhalten. Das ist
nicht sehr neu, das ist eher alt. Aber es gibt auch Bewährtes, auf das man zurückgreifen darf. Ich meine die Mitwirkung, das Engagement der Leitung des Hauses, aber
auch das Engagement der Koalitionsfraktionen im Finanzausschuss.
Schon die Alten haben gesagt: Am besten wird der
Fruchtbarkeit des Ackers gedient durch das Auge des
Herrn.
({7})
Jetzt erteile ich das
Wort dem Kollegen Hans Michelbach für die CDU/CSUFraktion.
Meine sehr geehrte
Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Bundesfinanzminister Eichel ist auch in der Steuerpolitik ganz besonders moralisch. Er hat eine doppelte Moral. Tricksen,
tarnen und täuschen war bisher die Linie, die Herr Eichel
bei der Verschärfung der Abschreibungstabellen verfolgt
hat.
({0})
Durch die vorzeitige Inkraftsetzung der AfA-Tabellen
auf dem Verwaltungsweg sollten vollendete Tatsachen geschaffen werden. Die Entlastung durch die Steuerreform
sollte heimlich kompensiert und die erkaufte Zustimmung
der Bundesländer zusätzlich ausgezahlt werden.
Zu all dem muss die Wirtschaft mit heimlichen Steuererhöhungen beitragen. Sie wird von Ihnen gleichzeitig umworben und abgezockt. Die rot-grüne Koalition hat sich
dabei zum willfährigen Handlanger machen lassen. Nur
kurzzeitig haben Sie sich im Finanzausschuss mit einer offiziellen Rüge über das willkürliche Vorgehen und die Missachtung des Parlaments empört. Mit neuen Verschleierungsversuchen sind Sie aber schnell wieder eingeknickt.
Nur Marginalien wurden bisher von Ihnen im Finanzausschuss geändert. In Ihrer Beweisnot sollten die Branchentabellen jetzt geradezu als Beruhigungspille herhalten.
Damit, meine Damen und Herren, haben Sie sich völlig auf den Holzweg begeben,
({1})
denn die Branchentabellen haben natürlich Auswirkungen auf die in Kraft gesetzte allgemeine Tabelle. Eine ungleiche Lastenverteilung - hier Branchentabelle und dort
allgemeine Tabelle - ist für die Wirtschaft auch gar nicht
akzeptabel.
({2})
Bei der gestrigen Finanzausschusssitzung wurde ja behauptet, dass sich das Bundesfinanzministerium den Wirtschaftsverbänden geradezu angenähert habe; Konsens
gebe es, wurde gesagt.
({3})
Dem haben heute die Wirtschaftsverbände vehement
widersprochen. Die Differenz zwischen den jeweiligen
Annahmen beträgt 50 Milliarden DM. Das ist die
„Annäherung“, wie sie das Bundesfinanzministerium
deutlich macht.
({4})
Meine Damen und Herren, Sie haben jeden Kredit und
jedes Vertrauen in dieser Frage inzwischen zerstört. Das
ist die Situation.
({5})
Die Wahrhaftigkeit und das Bundesfinanzministerium
wohnen selten unter einem Dach. Das müssen wir deutlich feststellen.
({6})
Tatsache ist: Die Wirtschaft steht vor dem Irrwitz: Wer investiert, wird bei uns bestraft.
({7})
Die Belastungsfähigkeit der Wirtschaft wird wieder
einmal getestet, die Innovations- und die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft werden aufs Spiel gesetzt und die
Gefährdung von Arbeitsplätzen wird in Kauf genommen.
Dem Mittelstand wird eine weitere Sonderlast aufgebürdet und die Entlastungswirkungen der Steuerreform werden geradezu konterkariert. Konjunktur, Wachstum und
Beschäftigung werden damit beschädigt. Der Planungsund Rechtssicherheit bei Investitionen in unserem Land
wird hoher Schaden zugefügt.
Dabei gibt es für all diese Beschwerungen des Wirtschaftsstandortes überhaupt keine rechtliche Notwendigkeit. Der Bundesfinanzhof hat zu keiner Zeit dazu aufgefordert, die Nutzungsdauer in den AfA-Tabellen massiv
zu erhöhen. Die BFH-Präsidentin sagt: Dazu gibt es keinen Anhalt.
({8})
Es geht also nur darum, Kasse zu machen. Die AfA-Tabellen werden zur reinen Geldbeschaffungsmaßnahme
von Herrn Eichel zulasten der deutschen Wirtschaft. Die
Ökosteuer lässt grüßen.
({9})
Nachrechnung und Überprüfung der BMF-Zahlen zeigen, dass eine zehnprozentige Erhöhung der Nutzungsdauern eine Mehrbelastung von 3,5 Milliarden DM darstellt und die tatsächliche Erhöhung um 28 Prozent
natürlich nach Adam Riese eine dementsprechend höhere
Belastung ergibt. Auch Sie können Adam Riese nicht widerlegen. Ein Vertreter des BMF sagte hierzu im Finanzausschuss: Ja, das ist eine politische Deckelung. Deutlicher und entwaffnender konnte das wahrheitswidrige Vorgehen sicher nicht entblößt werden.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, sind Sie sich
überhaupt über die Folgen Ihres Handelns im Klaren?
({10})
Es gibt ernst zu nehmende Belastungswirkungen mit folgenden Konsequenzen für die Unternehmen: schwierigere Eigenkapitalbildung, erschwerte Bedingungen bei
der Innenfinanzierung und natürlich ein erheblicher
Druck auf die Liquidität der Unternehmen. Die massiv
verschlechterten Abschreibungsbedingungen sind für die
ganze Wirtschaft schädlich und werden natürlich nicht
ohne negative Auswirkungen auf Wachstum und Beschäftigung bleiben.
Insbesondere die kleinen und mittleren Unternehmen
werden darunter jedoch besonders zu leiden haben. Die
mittelständischen Unternehmen haben es allein schon
durch diverse Benachteiligungen bei der Unternehmensteuerreform, die Sie zu verantworten haben, sehr schwer,
sich im Wettbewerb zu behaupten.
Wir haben durch die Steuerreform heute schon zwischen den Kapitalgesellschaften und den Personengesellschaften eine hohe Wettbewerbsverzerrung. Zu
nennen sind hier vor allem ein wesentlich höherer Steuersatz als bei den Kapitalgesellschaften und volle Besteuerung der Anteilsveräußerungsgewinne bei sofortiger und
gleicher Gegenfinanzierung wie bei den Kapitalgesellschaften. Sie sehen also unterschiedliche Steuersätze vor
und ziehen diese Firmen zur gleichen Gegenfinanzierung
über heimliche Steuererhöhungen verstärkt heran. Da
geht denen irgendwann die Luft aus und das haben Sie zu
verantworten, meine Damen und Herren.
({11})
Damit schaden Sie dem Mittelstand in höchstem Maße.
Das ist eine mittelstandsfeindliche Politik und das wird
natürlich Arbeitsplätze in unserem Land gefährden.
Ich komme nun zur Belastung der Liquidität. Die Liquidität der mittelständischen Unternehmen ist, wie wir
wissen, häufig sehr angespannt. Die verschlechterten Abschreibungsbedingungen führen dabei zu einem immer
größeren Druck auf die laufende Zahlungsfähigkeit. Der
Zusammenhang zwischen den verschlechterten Abschreibungsbedingungen und der Liquidität gestaltet sich folgendermaßen - Sie müssen sich das vor Augen führen -:
Investitionen führen zunächst einmal zu Ausgaben, denen
in der ersten Zeit in der Regel keine Einnahmen gegenüberstehen. Investitionen rentieren sich in der Regel erst
langfristig und sind mit hohen Risiken behaftet. Die Unternehmen sind in dieser Anfangszeit der Investitionen
darauf angewiesen, dass sie hohe Abschreibungsaufwendungen geltend machen können. Diese mindern den Gewinn und damit die Steuerlast, was wiederum eine positive Auswirkung auf die Liquidität hat.
Für Unternehmen aber, deren Liquidität angespannt
ist, ist es im Gegensatz zu den Äußerungen des BMF
nicht egal, zu welchem Zeitpunkt sie den Abschreibungsaufwand geltend machen können. Diese Unternehmen benötigen die steuerliche Entlastung sofort, nachdem sie die Investition getätigt haben. Dies gilt umso
mehr, als die Personengesellschaften ihren Gewinn eben
sowieso schon mit einem viel höheren Steuersatz als die
Kapitalgesellschaften versteuern müssen. Den mittelständischen Unternehmen nützt es nichts, dass sich bei
einer theoretischen Betrachtung über die Totalperiode lediglich ein negativer Zinseffekt ergibt, wie Sie das so bagatellisieren.
Ein Beispiel für diesen angeblich geringen Zinseffekt: Eine Personengesellschaft investiert jedes Jahr
5 Millionen DM. Die Nutzungsdauer für die Abschreibung der Wirtschaftsgüter wird nun von 10 Jahren um
2 Jahre auf 12 Jahre erhöht. Sie haben ja teilweise 50und 60-prozentige Erhöhungen. Selbst unter Berücksichtigung der niedrigeren Einkommensteuersätze durch
die Unternehmensteuerreform führt die verschlechterte
Abschreibung zu einem langsam ansteigenden Liquiditätsabfluss von immerhin 4,3 Millionen DM. Das ist
für die meisten Unternehmen keine Bagatelle, es ist ein
zinsloser Kredit an den Staat zulasten von Zukunftsfähigkeit, Investitionen und Arbeitsplätzen in der deutschen Wirtschaft. Sie erschweren diese Rahmenbedingungen noch! Das ist für uns unverständlich.
({12})
Es besteht somit die Gefahr, dass Unternehmen mit angespannter Liquidität und wenig Eigenkapital kaum noch
Investitionen vornehmen. Das führt zu einer sinkenden
Rentabilität und verminderter Wettbewerbsfähigkeit und
langfristig zu weniger Beschäftigung. Das ist ein Teufelskreis, wie wir wissen.
Die Gefahr zusätzlicher Insolvenzen ist damit sehr
hoch. Es hat den Anschein, als würde sich die rot-grüne
Bundesregierung nur für die Insolvenzen von großen
Konzernen interessieren,
({13})
nach der Devise: Zu Holzmann kommt der Bundeskanzler, zum Mittelstand kommt der Gerichtsvollzieher.
({14})
Bedenken Sie, meine Damen und Herren, zu welchen
Konsequenzen eine solche mittelstandsfeindliche Politik
in unserem Land führt. Bedenken Sie die Konsequenzen,
wenn die Nutzungsdauern in den Tabellen willkürlich
festgelegt werden, insbesondere angesichts der ohnehin
feststellbaren Überlastung der Gerichte aufgrund einer
zunehmenden Zahl von Einzelfallprüfungen.
Zur Stärkung von Wachstum und Beschäftigung fordert die CDU/CSU-Fraktion: Die neuen AfA-Tabellen
müssen umgehend zurückgezogen werden. Es müssen
neue Beratungen anberaumt werden, bei denen die Argumente der Wirtschaft stärkere Berücksichtigung finden.
Sämtliche Berechnungen vom BMF müssen stärker transparent gemacht werden. Wir fordern eine klare und eindeutige gesetzliche Regelung in § 7 des Einkommensteuergesetzes, wie dies unser Antrag vorsieht.
({15})
Die Nutzungsdauern der Wirtschaftsgüter müssen sowohl nach technischen als auch nach betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten bemessen werden. Investitionen
dürfen durch steuerliche Vorgaben nicht behindert oder
erschwert werden. Sie müssen eher gefördert werden. Abschreibungsdauern haben im Ausland die gleiche Signalwirkung wie die Steuersätze. Wir brauchen in Deutschland Abschreibungsbedingungen, die uns international
konkurrenzfähig machen. Der Wirtschaftsstandort muss
jetzt gestärkt werden, anstatt die Abschreibungsbedingungen willkürlich zu verschlechtern.
Meine Damen und Herren von der Koalition, kehren Sie
von Ihrem Irrweg um. Entscheiden Sie sich für mehr Wachstum und Beschäftigung und damit für den Antrag der
CDU/CSU-Fraktion „Den Wirtschaftsstandort stärken statt
Abschreibungsbedingungen verschlechtern“. Das ist für die
Zukunft das Maß aller Dinge. Damit werden neue Arbeitsplätze geschaffen und das ist für unser Land wichtig.
Vielen Dank.
({16})
Nun erteile ich der
Kollegin Christine Scheel für Bündnis 90/Die Grünen das
Wort.
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Herr
Michelbach, Sie sind wirklich ein Künstler gnadenloser
Übertreibung. Das möchte ich vorab feststellen.
({0})
Sie tun immer so, als würden wir mit unserer Politik die
Wirtschaft geradezu in den Ruin treiben.
Wir haben zurzeit hervorragende Wirtschaftsdaten, die
durch die Gutachten der Wirtschaftsweisen belegt sind.
Wir haben eine Steuerreform auf den Weg gebracht, die
auch im Ausland als zukunftsweisend angesehen worden
ist und die einen Anreiz für ausländische Investoren bietet.
Herr Michelbach, es war immer klar, dass wir im Zuge
einer Steuerreform die Tarife senken und die Bemessungsgrundlage verbreitern. Dass im Zusammenhang mit
der Veränderung bei den Abschreibungstabellen ein Volumen von 3,5 Milliarden DM veranschlagt war, hat jeder
gewusst. Darüber haben wir uns auch immer verständigt,
als es um die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage
ging.
({1})
- Herr Thiele, auch die CDU/CSU-Fraktion hat - mit Ihrer Unterstützung - beim Petersberger Programm der Öffentlichkeit nicht vorenthalten, dass eine solche Maßnahme Kosten verursacht,
({2})
sondern immer gesagt - was ja auch richtig ist -: 3,5 Milliarden DM brauchen wir dafür.
({3})
- Sie wollten eine andere Steuerreform. Sie wollten einen
noch niedrigeren Tarif.
({4})
Aber für die Änderung der Abschreibungsfristen hätte das
in der Konsequenz bedeutet, dass Sie diese noch stärker
hätten verlängern müssen, weil sonst der niedrige Tarif
mit 3,5 Milliarden DM nicht zusammengepasst hätte. Das
ist die logische Konsequenz der Systematik. Da hätten wir
noch über ganz andere Daten geredet.
Herr Spiller hat gut dargestellt, dass ursprünglich
CDU/CSU und F.D.P. in ihrer Regierungsverantwortung
einen Auftrag gegeben hatten, die Abschreibungstabellen
im Hinblick auf die technische Nutzungsdauer zu überarbeiten.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen?
({0})
Von wem?
Kollege Fromme.
Von Herrn Fromme? - Ja, bitte.
Bitte sehr.
Frau Kollegin Scheel, können Sie uns einmal erklären, warum Sie
nach der eindrucksvollen Anhörung, in der alle Experten
Ihr Vorhaben einmütig abgelehnt haben,
({0})
erklärt haben, es bestehe Änderungsbedarf, und warum
Sie jetzt den Tabellen zustimmen wollen?
Herr Fromme, wir hatten eine Vereinbarung getroffen.
Diese Vereinbarung ist getroffen worden zwischen Politik
und Wirtschaft
({0})
und auch denjenigen, die in der Projektgruppe an der
Ausgestaltung der Unternehmensteuerreform mitgearbeitet haben. Das waren Leute aus der Wirtschaft und aus
der Finanzverwaltung, also auch aus den Ländern,
({1})
aber auch aus den Verbänden. Sie erinnern sich bestimmt.
Die Leitung hatte der Steuerexperte des Deutschen Industrie- und Handelstages.
Schon da war klar, dass die Abschreibungsvoraussetzungen geändert werden sollen und dass die 3,5 MilliHans Michelbach
arden DM eingehalten werden müssen. Der Bundesfinanzminister hat dies zugesagt, der Bundeskanzler hat dies zugesagt und auch vonseiten der Koalitionsfraktionen
wurde immer wieder darauf geachtet, dass dies so umgesetzt wird. Wir stehen hier im Wort; jetzt geht es um den
Umsetzungsprozess.
Herr Fromme, ich habe gestern im Ausschuss klipp und
klar, mit sehr deutlichen Worten gesagt, dass ich die Art
und Weise, wie dieser Prozess vonseiten der Finanzverwaltung vonstatten gegangen ist, kritisiere
({2})
und dass ich aufgrund der Zusagen, die gegenüber dem
Parlament gemacht worden sind, den Zeitpunkt, zu dem
die allgemeine Tabelle in das Bundessteuerblatt gesetzt
wurde, nicht richtig finde.
Dennoch sind wir der Auffassung, dass wir eine vernünftige Regelung brauchen, die sowohl die Belange der
Wirtschaft berücksichtigt als auch die 3,5 Milliarden DM
im Auge hat. Genau dieser Prozess läuft im Moment. Es
gibt noch Absprachen mit der Wirtschaft. Es wird Änderungen bei den Branchentabellen geben.
({3})
So werden Wirtschaftsgüter, die jetzt in der allgemeinen
Tabelle sind, in der neuen Branchentabelle erscheinen.
Es liegt eine Eingabe des VDMA, des Verbandes Deutscher Maschinen- und Anlagenbau, vor. Ich kann auch sagen, dass heute ein Brief von Herrn Philipp gekommen ist,
der auch an das BMF gegangen ist. Ich hoffe, dass man
hier gemeinsam mit dem Handwerk zu einer vernünftigen
Lösung kommt.
({4})
Punkt! Damit ist,
glaube ich, die Frage beantwortet.
Ich finde das sehr schön. Das verlängert meine Redezeit.
Das ist Klasse.
Ja, das ist richtig.
Herr Fromme, vielen Dank!
Ich habe darauf hingewiesen, dass wir hier vor Entscheidungen stehen, die noch nicht abgeschlossen sind.
Es wird im BMF weitere Gespräche mit der Wirtschaft geben. Wir als Abgeordnete werden mit Argusaugen darüber
wachen, dass es zu vernünftigen Ergebnissen kommt.
({0})
Das ist unser Auftrag und das haben wir zugesagt. Mehr
können wir nicht beitragen. Alles andere liegt - das wissen Sie - in der Hand der Verwaltung. Es ist leider so, dass
die Ausgestaltung der Tabellen im Detail ein Verwaltungsakt ist, über den letztendlich nicht wir Parlamentarier entscheiden.
Frau Kollegin, es gibt
noch eine Bitte um eine Zwischenfrage.
Gerne.
Bitte sehr, Herr Kollege.
Frau Kollegin
Scheel, halten nicht auch Sie es aus Ihrer Verantwortung
als Vorsitzende des Finanzausschusses heraus für erforderlich, dass die zum 1. Januar 2001 in Kraft gesetzten
AV-AfA-Tabellen zunächst ausgesetzt werden, wenn das,
was Sie erklärt haben, richtig ist?
({0})
Herr Dautzenberg, ich bin Ihnen für diese Frage ganz
dankbar. Man muss sich einmal die Entwicklung anschauen. Bei der Finanzministerkonferenz hatten wir, als
es um die Grundentscheidung ging, das auf den Weg zu
bringen, was die 3,5 Milliarden DM betrifft - das BMF
hat 1,9 Milliarden DM für die allgemeine Tabelle veranschlagt -, ein Abstimmungsergebnis von 16:0. Das heißt,
alle Bundesländer - auch Baden-Württemberg, auch Bayern,
auch Hessen - hatten damals zugestimmt. Dann hat diese
Bund-Länder-Gruppe ein Ergebnis vorgelegt. Dieses Ergebnis war verheerend, hat aber das beinhaltet, was Sie
damals beschlossen hatten, und zwar die Anpassung an
die rein technische Nutzungsdauer. Herausgekommen
ist eine durchschnittliche Verlängerung der Abschreibungsfristen um 60 Prozent. Das ist Wahnsinn! Es wäre
für die Wirtschaft äußerst kontraproduktiv gewesen, wenn
man das umgesetzt hätte, was Sie damals in Ihrer Regierungsverantwortung auf den Weg gebracht haben. Das
muss man einmal klar sagen.
({0})
Jetzt ist eine Tabelle vorgelegt worden, die im Bundesrat mit 8:8 abgestimmt worden ist. Im Bundesrat gibt es
bekanntermaßen andere Mehrheitsverhältnisse als im
Bundestag. Wenn Ihre eigenen Ländervertreter im Bundesrat unserem Vorschlag für eine Tabelle zugestimmt haben, muss man auch einmal fragen dürfen, warum
CDU/CSU und F.D.P. hier im Bundestag große Forderungen erheben und solch wunderbar voluminöse Reden halten.
({1})
Gestatten Sie eine
weitere Zwischenfrage des Kollegen Dautzenberg?
Ja.
Bitte sehr.
Ich stelle nochmals
die einfache Zwischenfrage, Frau Kollegin: Halten Sie es
aus Gründen der Rechtssicherheit und der Gleichbehandlung für erforderlich, dass die Tabelle zunächst ausgesetzt
wird? Das ist eine einfache Frage - ja oder nein?
({0})
Nein; denn, Herr Dautzenberg, die neue allgemeine Abschreibungstabelle steht im Bundessteuerblatt und es gibt
zurzeit - ich habe vorhin darauf hingewiesen - Gespräche
über die Branchentabelle, also darüber, wie die Tabellen
für die verschiedenen wirtschaftspolitischen Zweige und
die verschiedenen Branchen in Deutschland insgesamt
austariert werden können. Nachdem das BMF uns gestern
zugesagt hat, dass diese Austarierung stattfinden wird, gehen wir davon aus, dass man eine faire Behandlung aller
Wirtschaftszweige und Branchen in diesem Land vornehmen wird. Wir haben das BMF gestern gemeinsam aufgefordert - ich habe das in meiner Funktion als Ausschussvorsitzende vorgetragen -, uns die Branchentabellen
rechtzeitig, bevor sie in das Gesetzblatt kommen, vorzulegen und uns auch permanent über die Gespräche in diesem Prozess zu informieren - nicht bis ins letzte Detail,
aber darüber, wie diese Gespräche insgesamt laufen.
Ich setze darauf, dass man vonseiten der Verwaltung
einen vernünftigen Umgang mit der Wirtschaft pflegt und
dass das, was vor Weihnachten passiert ist, hoffentlich in
Vergessenheit gerät; denn das Verhalten, das dort an den
Tag gelegt worden ist, war teilweise nicht sehr sinnvoll.
Nun zu Ihrem Vorschlag zur Änderung des Einkommensteuergesetzes, den Sie eingebracht haben: Unsere
Fraktion ist der Meinung, dass wir das Gesetz ändern
müssen. Wir brauchen in § 7 Einkommensteuer Klarheit
darüber, wie die Bewertung bei Abschreibungen in Zukunft vorgenommen wird. Wir meinen, dass dies nach betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten zu geschehen hat.
Im Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Abschreibungsbedingungen, den Sie vorgelegt haben, heißt
es aber: Die „Nutzungsdauer bestimmt sich nach den technischen und betriebswirtschaftlichen Gegebenheiten“.
Das macht keinen Sinn; denn dann haben Sie wieder genau das Problem, dass Sie nicht wissen, mit welcher Gewichtung bewertet werden soll. Wir brauchen eine ganz
klare Regelung nach rein betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten. Es ist klar, dass auch die technische Nutzungsdauer darin einfließt. Diese Formulierung kann aber
so nicht ins Gesetz; sie hilft uns keinen Schritt weiter.
Wir werden von unserer Seite aus einen Auftrag an das
BMF geben, ein Gutachten zu erstellen, wie dies denn zu
werten ist, damit wir eine vernünftige Grundlage für die
Ausgestaltung der anstehenden - und auch notwendigen Gesetzesänderung haben. Ich kann also ankündigen, dass
wir diesen Schritt, der dem Rechtsfrieden zwischen Unternehmen und Finanzverwaltung dienen wird, gehen
werden.
Lassen Sie mich noch etwas zu Ihrer Forderung sagen,
die Abschreibungsgrenze für geringwertige Wirtschaftsgüter auf 800 Euro zu erhöhen und somit nahezu
zu verdoppeln. Ich finde, das ist grundsätzlich keine
schlechte Idee.
({0})
Aber man muss das prüfen. Daran hängt beispielsweise
auch die Vergabe der Investitionszulage. Wir werden uns
damit im Finanzausschuss eingehend beschäftigen.
Zudem bin ich etwas überrascht, Herr Thiele: Das Gesetz gilt seit 1964. Sie waren meines Wissens 29 Jahre mit
an der Regierung.
({1})
Warum erheben Sie immer, wenn Sie in der Opposition
sind, Forderungen, die einen Haufen Geld kosten? Damals haben Sie das wahrscheinlich nicht eingebracht, weil
Sie befürchtet haben, dass die Kommunen, die Länder
und der Bund die vermuteten Steuerausfälle von 3 bis
5 Milliarden DM nicht verkraften können. Darüber werden wir reden. Sie bringen immer wieder Forderungen
ein; wie die Umsetzung finanziert werden soll, sagen Sie
nie dazu. Das ist das Manko der F.D.P.
({2})
Liebe Kolleginnen
und Kollegen, ich weiß, dass etwas Unruhe ist, weil gleich
eine namentliche Abstimmung stattfindet. Ich weiß auch,
dass es hoffnungslos sein wird, Sie zu ermuntern, lieber
zuzuhören als sich zu unterhalten. Ich habe aber die Bitte,
dass Sie sich zumindest hinsetzen, wenn Sie sich im Plenum aufhalten. Größere Gruppengespräche führen Sie
bitte außerhalb des Plenums.
In diesem Sinne hat jetzt der Kollege Carl-Ludwig
Thiele für die F.D.P.-Fraktion das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Scheel, zu Ihren Ausführungen
möchte ich Folgendes sagen: Seit 1999 beschäftigt uns
das Thema, jetzt erkennen Sie, dass es Handlungsbedarf
gibt. Dabei handeln Sie nach dem Motto: Und wenn du
nicht mehr weiterweißt, dann gründe einen Arbeitskreis.
({0})
Das kennen wir alles, aber das löst leider die Probleme,
vor denen wir stehen, überhaupt nicht.
Sie, Frau Kollegin Scheel, sagen immer, was Sie ändern wollen. Wenn es aber im Finanzausschuss um konkrete Änderungen geht, die umgesetzt werden können,
dann kneifen Sie und ändern nichts.
({1})
Insofern ist auch die Aussage des Vertreters des BMF in
der gestrigen Sitzung des Finanzausschusses erstaunlich,
dass es nicht zutreffe, dass es über das Zahlentableau eine
Abstimmung zwischen dem BMF und der Wirtschaft gegeben habe. Das war aber die Basis für Ihre Aufforderung,
jetzt erst noch einmal zu diskutieren und den Antrag der
F.D.P. abzulehnen. Wenn Sie tatsächlich etwas verändern
wollen, dann müssen Sie heute dem Antrag der F.D.P. zustimmen, die neuen Abschreibungstabellen auszusetzen,
bis die anstehenden Fragen geklärt sind.
({2})
Außerdem haben Sie gesagt, das gehe überhaupt nicht,
weil auch der Bundesrat einbezogen werden muss. Ich
frage mich da, wie Sie dann im Nachhinein die Regelungen für Schichtzuschläge verändern können, obwohl
diese genauso im Bundessteuerblatt veröffentlicht wurden wie die Änderung der AfA-Tabellen.
({3})
Wenn Sie das eine ändern können, dann können Sie auch
das andere ändern.
In unserem Antrag sagen wir nicht: Das Parlament bestimmt die Regierungspolitik. In unserem Antrag sagen
wir: Das Parlament fordert die Regierung auf, entsprechend zu handeln. Ob die Regierung dann handelt
oder nicht, liegt immer im Ermessen der Regierung. Ich
gehe aber davon aus, dass sich die Regierung, wenn die
Mehrheit des Parlaments sie auffordert, entsprechend
tätig zu werden, dem dann nicht entziehen kann. Es gibt
damit die Möglichkeit, den Unfug, der jetzt beginnt und
noch nicht zu Ende ist, endlich zu stoppen.
({4})
Im Finanzausschuss hat das Finanzministerium gestern
eingeräumt, dass die Zahlen nicht stimmen. Das Ministerium hat eingeräumt, dass die Belastungen durch die Änderung der AV-Abschreibungstabellen höher sind, als von
der Regierung und von den Koalitionsfraktionen immer
vorgetragen. Wenn Sie sagen, das werde durch eine Änderung bei den Branchentabellen ausgeglichen, dann
müssen Sie wissen, dass davon Einzelhändler, Handwerker und Mittelständler nicht profitieren, aber durch ihre
Änderungen der AV-Abschreibungstabellen belastet werden. Dass die einen belastet werden, die anderen aber
nicht entsprechend, verstößt gegen den Grundsatz der
Gleichmäßigkeit der Besteuerung. So lösen Sie das Problem überhaupt nicht.
({5})
Herr Kollege Thiele,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Fromme?
Gerne, Herr Kollege.
Bitte sehr, Herr Kollege Fromme.
Herr Kollege Thiele, Sie sprachen eben von der Geschäftsgrundlage für die Veränderung. Können Sie uns noch einmal erklären, was die Parlamentarische Staatssekretärin hier im
November als Grund dafür genannt hat, dass man überhaupt an die Tabellen heranmüsse?
Das ist eine sehr spannende Frage, Herr Kollege Fromme. Ich habe zufällig das
Protokoll mit; es handelt sich ja immerhin um die zweite
und dritte Lesung.
({0})
Ich zitiere die Frau Staatssekretärin Hendricks, die ebenso
wenig wie der Finanzminister in der heutigen Debatte anwesend ist:
Der Antrag der F.D.P.-Fraktion zielt ja darauf, die
Überarbeitung der AfA-Tabellen einzustellen und es
bei den bisherigen AfA-Tabellen zu belassen... Ich
will aber eines klar sagen: Dieser Forderung kann die
Finanzverwaltung im Hinblick auf das auch Ihnen
bekannte Urteil des Bundesfinanzhofs vom 19. November 1997 zur Ermittlung der betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer eines Wirtschaftsgutes einfach
nicht nachkommen.
In der Sachverständigenanhörung, die wir am 15. Januar dieses Jahres hatten, habe ich die Präsidentin des
Bundesfinanzhofes gefragt:
Ist das Urteil einschlägig oder verbirgt sich hinter der
Berufung auf das Urteil lediglich der Wunsch des
Fiskus, mehr Geld zu kassieren und die Steuerpflichtigen zu belasten? Ist das Urteil nicht lediglich ein
willkommener Rahmen, dies endlich umzusetzen?
Darauf die Antwort der Präsidentin:
Ich möchte dazu sagen, ich kann dem Urteil meines
Hauses nichts entnehmen, worauf sich das Bundesfinanzministerium stützen könnte. Es handelt sich
um einen absoluten Einzelfall.
({1})
Nun hat der Kollege
Spiller den Wunsch nach einer Zwischenfrage.
Gleich, Frau Präsidentin. - Das zeigt, dass es dem Finanzministerium und dem
Bundesfinanzminister nicht um die Umsetzung von
Recht, sondern einzig und allein darum geht, die Steuerkassen durch Belastung der Betriebe und der Arbeitsplätze zu füllen. Das lehnen wir ab.
({0})
Jetzt lasse ich als
letzte Frage in diesem Rahmen die Frage des Kollegen
Spiller zu. Danach wollen wir in der Debatte fortfahren.
Herr Kollege, bitte sehr.
Herr Kollege Thiele, hat Ihnen Herr Fromme auch erzählt, dass das Bundesfinanzministerium damit dieselbe Rechtsauffassung wie die
CDU/CSU in dem vorhin von mir zitierten Papier vertreten hat?
({0})
Herr Kollege Spiller, es
ist im Finanzausschuss schon mehrfach diskutiert worden, dass es auf der Arbeitsebene im Finanzministerium
Bestrebungen gab, die Tabellen zu ändern. Wenn aber
zum einen der politische Wille nicht vorhanden ist und
wenn zum anderen die Rechtslage so ist, dass das BFHUrteil überhaupt nicht einschlägig ist, dann ist kein Gesetzgeber gezwungen, diese Änderung vorzunehmen. Sie
können nicht auf die alte Koalition verweisen. Das liegt
einzig und allein in Ihrer Verantwortung. Wenn Sie meinen, sich in Ihrer Verantwortung so verhalten zu müssen,
dann tun Sie das. Deshalb haben wir die namentliche Abstimmung gefordert. Nach dieser Abstimmung kann jeder
Handwerker in Deutschland erkennen, welcher Abgeordnete die Investitionsbedingungen verschlechtern will und
wer dies ablehnt.
({0})
Um das noch einmal in Erinnerung zu rufen: Es war
nicht die Steuerreform, sondern das Finanztableau, die
mittelfristige Finanzplanung 1999, aufgrund deren eine
Änderung der AfA-Tabellen gefordert wurde. Aus dieser
Zeit datiert auch unser Antrag. Die Frau Staatssekretärin
Hendricks hat im Finanzausschuss - aus meiner Sicht die Frechheit besessen, den Parlamentariern zu sagen:
Diese Änderung geht euch überhaupt nichts an. Das ist
einzig und allein Sache der Verwaltung. - Hier sind wir anderer Auffassung. Belastungen in dieser Größenordnung
gehören ins Parlament und müssen im Parlament diskutiert werden. Das Parlament muss die Verantwortung
dafür tragen, ob diese Belastungen geltendes Recht werden sollen oder nicht.
({1})
Deshalb haben wir diesen Antrag eingebracht und uns
vom Finanzministerium darüber berichten lassen, wie der
Sachstand ist. Dass das Ganze von Ihnen als der Exekutive unter der Decke gehalten wurde und auch die Wirtschaft nicht einbezogen worden ist, ist doch ein Treppenwitz. Seit 1999 wird das Thema diskutiert. In der letzten
Woche fing das Finanzministerium an, sich mit der Wirtschaft zusammenzusetzen, um die Zahlen zu überprüfen.
Letzte Woche fand das erste konkrete Gespräch über Zahlen dazu statt. Das ist unglaublich.
Die Anhörung, die das Finanzministerium im Dezember letzten Jahres durchführte, wurde von allen Sitzungsteilnehmern als reine Farce bezeichnet. Die Teilnehmer
wurden überhaupt nicht ernst genommen. Sie waren in der
Öffentlichkeit das Feigenblatt für den Willen der Verwaltung, die Steuerlast für Betriebe und Arbeitsplätze in
Deutschland klammheimlich zu erhöhen.
({2})
Wir haben verlangt, dies im Ausschuss zu diskutieren.
Am 6. Dezember des letzten Jahres haben wir den Antrag
auf eine Anhörung am 15. Januar gestellt und gefordert,
diesen Vorgang schnellstmöglich ins Parlament zu bringen. Das Finanzministerium hat uns zugesagt, vorher
nichts zu veröffentlichen. Trotz der Zusage des Finanzministeriums gegenüber dem Ausschuss gab es die Veröffentlichung. Eine solche Art der Gewaltenteilung, die
vielmehr eine Gewaltenvermischung zwischen der rotgrünen Regierung und der rot-grünen Koalition ist, habe
ich hier bisher noch nicht erlebt. Das ist eine Missachtung
des Parlamentes,
({3})
die insbesondere der Finanzminister zu verantworten hat.
In der letzten Sitzungswoche haben wir im Finanzausschuss festgestellt, dass dieser Vorgang eine überragende
Bedeutung habe und dass der Finanzminister hierzu persönlich erscheinen und Rede und Antwort stehen müsse.
({4})
Wir haben ihm zunächst die Möglichkeit gegeben, den
Termin in seinem Terminplan abzuklären. Nach zwei
Stunden bekamen wir die Antwort: „Stellen Sie den Antrag! Wir werden ihn ablehnen.“ Wir haben den Antrag
gestellt. Herr Finanzminister Eichel hat sich weder im Finanzausschuss noch heute hier im Parlament der Diskussion gestellt. Dabei hätte ich erwartet, dass nach der ganzen Diskussion über diesen Vorgang der Finanzminister
selbst das Wort ergreift. Er ist eben nicht Manns genug
und in der Lage, sich hier zu bekennen und sich vor sein
Ministerium zu stellen. So stelle ich mir einen Minister
nicht vor.
({5})
Wenn wir die Glaubwürdigkeit der Politik wieder erlangen wollen - auch seitens des Finanzministeriums;
denn die Behandlung der AfA-Tabellen durch die Finanzverwaltung ist ein einziger Skandal -, dann hat der Finanzminister hier zu erscheinen, dann hat er Rede und
Antwort zu stehen, dann haben die Abgeordneten von
Rot-Grün den Finanzminister nicht zu decken, sondern
haben dafür Sorge zu tragen, dass die Interessen des Parlamentes gegenüber der Exekutive geachtet werden.
Willy Brandt forderte seinerzeit: „Mehr Demokratie
wagen!“ Wenn wir heute feststellen, dass die rot-grünen
Abgeordneten im Parlament lediglich der verlängerte
Arm der Exekutive sind, dann müssen wir tatsächlich stärker darauf dringen, dass die Gewaltenteilung wieder eingehalten wird. Derzeit wird das von Rot-Grün nicht praktiziert.
({6})
Ich erteile jetzt der
Kollegin Dr. Barbara Höll, PDS-Fraktion, das Wort.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Michelbach, Herr
Thiele, Ihre Anträge und das, was Sie hier gesagt haben,
sind, schlicht gesagt, einfach heuchlerisch. Es ist nichts
heimlich gelaufen. Es war von Anfang an bekannt, dass
die Veränderung der AfA-Tabellen zur Gegenfinanzierung, - sogar nur zur teilweisen Gegenfinanzierung - dienen soll. Um das einmal klar zu stellen: Diese 3,5 Milliarden DM beziffern nicht einmal die endgültige
Mehrbelastung für die Wirtschaft, sondern bedeuten nur
ein Vorziehen. Im Endeffekt muss sie nicht einmal mehr
zahlen. Sie tun so, als ob die deutsche Wirtschaft durch
diese 3,5 Milliarden DM zusammenbricht - und das, obwohl eine Steuerreform verabschiedet wurde, die der
Wirtschaft bis zum Jahre 2005 eine jährliche Nettoentlastung in Höhe von 14 Milliarden DM, also wesentlich
mehr als die in Rede stehenden 3,5 Milliarden DM, bringt.
In Richtung der Regierungskoalition muss ich allerdings sagen: Die ganze unerquickliche Diskussion hätten
wir uns ersparen können, wenn Sie nicht so dilettantisch
Politik machen würden. Denn eine Steuerreform zu verabschieden, mit der Sie Entlastungen für die Wirtschaft in
erheblicher Größenordnung festzurren, und gleichzeitig
nicht wenigstens über die teilweise Gegenfinanzierung
Klarheit zu schaffen, öffnet für die Einflussnahme der
Lobbyistenverbände natürlich Tür und Tor. Dass sich jetzt
die CDU/CSU und die F.D.P. zu ihren Fürsprechern machen, das darf nun niemanden überraschen.
Ich bin persönlich auch darüber enttäuscht, dass Sie bei
den Anhörungen im Finanzausschuss zu den AfA-Tabellen kaum Präsenz gezeigt haben.
({0})
Gestern sind Sie bei der Ausschusssitzung mit Ihrer Position sehr ins Wanken gekommen und haben sich gefragt,
ob Sie an der Veränderung der Tabellen überhaupt festhalten wollen. Man muss natürlich zugeben, dass es Ihnen
das Finanzministerium auch schwer gemacht hat. Dort wurde schlampig gearbeitet - Stichwort Schichtzuschläge und der Wille des Parlaments und des Finanzausschusses
schlicht missachtet. Das geht nicht.
Es ist nun eine große Diskussion über den ersten Schritt,
die Veränderung bei den allgemeinen Tabellen, entstanden
und es wird im nächsten Jahr weitere Diskussionen geben,
wenn es um die Veränderung der Branchentabelle geht.
Ich muss sagen: Ich bin sehr froh darüber, dass die
Landesfinanzminister in diesem Punkt fest zusammenstehen. Sie bekommen einen Teil des Geldes, das infolge
der Veränderung der AfA-Tabellen eingenommen wird.
Das brauchen sie auch, weil mit der Einkommen- und Unternehmensteuerreform, die Sie verabschiedet haben, die
sozialen Ungerechtigkeiten in dieser Gesellschaft nicht
beseitigt werden.
({1})
Aus diesem Grunde werden wir die Anträge der
CDU/CSU und der F.D.P. ablehnen. Wir meinen, dass es
notwendig ist, in Richtung auf eine teilweise Gegenfinanzierung in Zukunft sauber zu arbeiten, nicht dem Pokerspiel der Wirtschaftsverbände Tür und Tor zu öffnen und
das, was politisch notwendig ist, nämlich wenigstens eine
teilweise Gegenfinanzierung zu erreichen, politisch
durchzusetzen.
Ich bedanke mich.
({2})
Jetzt erteile ich dem
Parlamentarischen Staatssekretär Karl Diller das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Antrag der F.D.P. wendet sich gegen
eine Verwaltungsvorschrift, die zwischen den obersten Finanzbehörden des Bundes und der Länder abgestimmt
worden ist.
({0})
Das Verfahren ist mit der Entscheidung der Finanzministerkonferenz vom 7. Dezember 2000, keine Einwände
zu erheben, abgeschlossen. Den Informationswünschen
des Parlamentes wurde im Finanzausschuss vielfältig
Rechnung getragen. Zuletzt war gestern mein Kollege
Professor Zitzelsberger dort und hat berichtet.
Die Überarbeitung der AfA-Tabellen geht - hören
Sie gut zu - auf einen einstimmigen Beschluss der obersten Finanzbehörden des Bundes und der Länder vom
April 1998 zurück. Zu einer Zeit, in der Theo Waigel
Finanzminister war, ist dies einstimmig zwischen dem
Bund und allen Ländern beschlossen worden.
({1})
Der politische Vorwurf der F.D.P. hätte also vor Jahren
beispielsweise an die Adresse des damaligen Bundesfinanzministers Theo Waigel und die sich damals im Amt
befindlichen Länderfinanzminister und Finanzsenatoren
gerichtet werden müssen. Ich frage mich, ob der damalige
Vorsitzende des Finanzausschusses, eben der Kollege
Thiele, bereits in der damaligen Koalition Bedenken
vorgetragen hat. Ich vermute: nein.
({2})
Gestatten Sie eine
Zwischenfrage des Kollegen Thiele, Herr Staatssekretär?
Nein.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit, da Herr Thiele darauf hingewiesen hat, dass Frau Hendricks heute nicht
hier ist, ihr von diesem Pult aus ganz herzliche Genesungswünsche übermitteln. Sie ist seit mehreren Tagen
krank und auf dem Wege der Besserung. Herzliche Genesungswünsche, liebe Kollegin!
({0})
Ab April 1998 folgte ein Verwaltungsverfahren, dessen
Ziel die Finanzministerkonferenz der Länder zweimal
inhaltlich bestätigte. Im Juni 1999 wurde das Projekt in
einem BMF-Rundschreiben veröffentlicht, ohne dass dies
irgendeine Reaktion bei den Verbänden oder beim Bundesfinanzhof ausgelöst hätte. Erst nachdem im August
1999 ein Arbeitsentwurf zu den allgemein verwendbaren
Wirtschaftsgütern den Verbänden zugeleitet wurde, löste
dies ein Medienecho aus.
Herr Staatssekretär,
ich muss Sie noch einmal fragen, ob Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Thiele zulassen.
Alle Kollegen warten auf die Abstimmung.
Deswegen wollen wir diese schnell herbeiführen.
({0})
Ich gebe zu, dass der Arbeitsentwurf auf eine drastische Erhöhung der Nutzungsdauern schließen ließ; er war
fiskalisch und damit hinsichtlich der Belastung der Wirtschaft nicht bewertet, sondern lediglich mit der Bitte versehen, sich schriftlich zu äußern. Diese handwerklichen
Fehler haben auch auf der Leitungsebene des Bundesministeriums der Finanzen keine Freude ausgelöst. Die
Bundesregierung hat schnell reagiert, indem sie das Finanztableau zum Steuersenkungsgesetz so formulierte,
dass die dort vorgesehene grobe Schätzung von 3,5 Milliarden DM Mehraufkommen als politische Obergrenze
anerkannt wurde.
Aus dem einst gemeinsam beschlossenen Projekt stiegen übrigens nach und nach mehrere Landesregierungen
aus. Aus der 16:0-Entscheidung wurde schließlich ein
Stimmenverhältnis, das ein In-Kraft-Treten der überarbeiteten AfA-Tabellen gerade noch ermöglichte.
Dem Kollegen Michelbach sei gesagt, dass Bayern in
seinem steuerpolitischen Programm dieselben Milliardenbeträge als Mehrertrag aus den AfA-Tabellen eingesetzt hat,
({1})
was dem CSU-Mitglied Michelbach heute offenbar sehr
peinlich ist.
({2})
Zu der Frage, ob die Tabellen die politisch verabredete
Obergrenze überschreiten, ist mittlerweile ein intensives
Abstimmungsgespräch zwischen dem Bundesfinanzministerium und den größten Wirtschaftsverbänden im
Gange. Das Gespräch verläuft in sachlicher Atmosphäre.
Herr Staatssekretär,
es gibt wiederum den Wunsch nach einer Zwischenfrage,
dieses Mal des Kollegen Michelbach.
Ich bleibe bei dem, was ich eben schon
sagte.
({0})
Zu den strittigen Einschätzungen versucht das Statistische Bundesamt die Datenbasis zu erweitern. Als Zwischenergebnis kann ich Ihnen mitteilen, dass erstens von
der von Ihnen öffentlich behaupteten Mehrbelastung in
Höhe von 7 bis 10 Milliarden DM nicht mehr die Rede ist,
dass zweitens das Rechenmodell des BMF von den Wirtschaftsverbänden anerkannt wird und dass sich drittens
abzeichnet, dass wir zu einem Ergebnis kommen, das in
eine Einigung mündet.
Im Übrigen wiederhole ich, was der Kollege
Zitzelsberger gestern im Finanzausschuss zu Protokoll
gegeben hat:
Erstens. Die 3,5 Milliarden DM sind als Mehrertrag garantiert.
Zweitens. Die Abstimmung mit der Wirtschaft läuft
mit dem Ziel einer kurzfristigen Verständigung. Es sind
bereits deutliche Annäherungen erreicht.
Drittens. Die Feineinstellung wird über die Branchentabellen in einem fairen Belastungsausgleich erreicht.
Dies gilt insbesondere dort, wo ein zusätzlicher Bedarf an
einer Branchentabelle belegt wurde, zum Beispiel im Maschinenbau.
Viertens. Die Branchentabellen sind über die gesamte
Wirtschaft verteilt, erfassen also auch Handwerksbetriebe
und Betriebe des Mittelstandes.
Fünftens. Die verkürzte Fassung der Regelung zu den
Schichtzuschlägen, die leider zu einigen Missverständnissen führte, wird in der Weise korrigiert, dass das BMF
die alte Fassung wiederherstellen wird.
Meine Damen und Herren, ich bin sicher, dass in wenigen Wochen nur noch eitel Freude über eine gewaltige
Steuersenkung zugunsten der Wirtschaft herrschen wird.
({1})
Jetzt hat Herr Kollege
Thiele das Wort zu einer Kurzintervention. - Bitte sehr.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Nachdem Herr Staatssekretär Diller mich persönlich angesprochen hat, habe ich um das Wort gebeten.
Erstens. Mir war nicht bekannt, dass Frau Dr. Hendricks
erkrankt ist. Auch ich wünsche ihr persönlich gute Besserung und alles Gute.
({0})
Zweitens. Ich habe den Worten von Staatssekretär
Diller aber nicht entnehmen können, warum Finanzminister Eichel an dieser Debatte nicht teilgenommen hat. Ich
habe erwartet, dass Herr Eichel zu diesem Thema Stellung
nimmt. Das vermisse ich nach wie vor.
({1})
Drittens. Herr Staatssekretär Diller hat den Finanzausschuss der letzten Periode angesprochen. Mir ist bekannt,
dass gerade Parlamentarische Staatssekretäre mitunter
Schwierigkeiten haben, die Gewaltenteilung exakt zu definieren. Aber wenn der Finanzausschuss mit dem Thema
überhaupt nicht befasst worden ist - das wurde er in der
letzten Wahlperiode nicht, Herr Staatssekretär -,
({2})
dann hat der Finanzausschuss zu diesem Thema auch
keine Stellungnahme abgeben können. So einfach ist das:
Wir sind im Finanzausschuss damit nicht befasst worden.
({3})
Viertens. Wenn Sie hier eine Belastung in Höhe von
3,5 Milliarden DM garantieren, dann erinnert mich das
sehr an den Finanzminister und den Bundeskanzler, die
beide erklärt haben: Verlängerung um nicht mehr als
10 Prozent! Belastung nicht mehr als 3,5 Milliarden DM!
Basta, unser Wort gilt!
Ich glaube nicht daran und die Wirtschaft glaubt auch
nicht daran. Der Abstimmungsprozess verläuft anders, als
es gestern im Finanzausschuss berichtet wurde und als Sie
es heute dem Deutschen Bundestag berichtet haben. Was
die Belastungen angeht, gibt es riesige Differenzen zwischen der Sicht des Finanzministeriums und der Sicht der
Wirtschaft. Die Differenzen hätten vorher geklärt werden
müssen. Sie können das jetzt nicht nach dem Motto machen: Rette sich, wer kann; eine Branche, die noch nicht
in der Branchentabelle enthalten ist, muss jetzt dafür
kämpfen, in eine Branchentabelle zu kommen. So werden
Sie das Problem nicht lösen.
({4})
Herr Staatssekretär,
möchten Sie das Wort? - Nein.
Dann kommen wir zur Abstimmung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte um Auf-
merksamkeit; denn es kann sein, dass Sie nicht genau wis-
sen, worüber wir abstimmen. Wir stimmen nicht über den
Antrag der F.D.P. ab, sondern über die Beschlussempfeh-
lung des Ausschusses. Darauf wollte ich Sie hinweisen, da
ich merke, dass der eine die rote Karte zieht, die eigent-
lich blau sein sollte und umgekehrt. Wie der Ausschuss
entschieden hat, sage ich Ihnen jetzt nicht, das wissen Sie.
Die F.D.P. verlangt namentliche Abstimmung über die
Beschlussempfehlung des Ausschusses. Ich bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen
Plätze einzunehmen. - Sind alle Urnen besetzt? - Alle Ur-
nen sind besetzt. Ich eröffne die Abstimmung. -
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Ich
schließe die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen
und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das
Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt ge-
geben.1)
Wir setzten die Abstimmungen fort.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfes der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/5135
an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der
Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Zusatzpunkt 4: Abstimmung über den Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel „Den Wirtschaftsstandort
stärken statt Abschreibungsbedingungen verschlechtern“.
Wer stimmt für diesen Antrag auf Drucksache 14/5134?
- Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist
abgelehnt.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 9 sowie den Zusatzpunkt 5 auf:
9. Beratung des Antrags der Fraktionen SPD und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Arzneimitteltherapie bei Kindern und Jugendlichen sicherer machen
- Drucksache 14/5083 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit ({0})
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss
ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang
Zöller, Eva-Maria Kors, Wolfgang Lohmann ({1}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Medizinische Versorgung von Kindern sichern
- Drucksache 14/5136 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit ({2})
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich bitte alle Anwesenden, Platz zu nehmen, damit wir
mit der Debatte über dieses interessante Thema beginnen
können.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Horst Schmidbauer das Wort für die SPD-Fraktion.
Frau Präsi-
dentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Ein Ereignis hat mich im Zusammenhang
mit dem Thema „Kinderarzneimittel“ ganz besonders ge-
prägt: Eine Familie bringt ihr fünf Monate altes Baby mit
einer sehr hohen Herzfrequenz ins Krankenhaus. Es stellt
sich heraus, dass eine lebensbedrohliche Herzrhythmus-
störung vorliegt. Der behandelnde Arzt gibt zunächst
Medikamente gegen die Herzrhythmusstörung; aber das
Baby spricht darauf nicht an. Weil es für Kinder in diesem
Fall keine geeigneten Arzneimittel gibt, weicht man auf
einen Betablocker aus, der für Erwachsene bestimmt ist.
Der Arzt - Gott sei Dank ein erfahrener Arzt - weiß, dass
er die doppelte Dosis wie für einen Erwachsenen geben
1) Ergebnis Seite 14351 B
muss. Die Folge ist, dass das Herzrasen bei dem fünf Monate alten Baby nachlässt.
Man hat in der Klinik bei der Beobachtung der Wirkung dieses Medikaments mittels einer Spiegelung festgestellt, dass man mit einer höheren Dosierung arbeiten
muss. Daraufhin hat man dem Baby eine vierfache Erwachsenendosis gegeben. Die Folge war, dass das Baby
geheilt wurde. Es konnte ohne Schädigungen aufgrund
von Nebenwirkungen die Klinik mit seinen Eltern verlassen.
Warum nenne ich dieses Beispiel? Es zeigt, dass die Situation, die wir heute in Kinderkliniken vorfinden, leider
nicht die Ausnahme, sondern die Regel ist. 80 Prozent der
eingesetzten Arzneimittel sind nämlich „Erwachsenenmedikamente“, die nicht bezüglich einer Anwendung bei Kindern geprüft und zugelassen wurden, sodass keine gesicherten Dosierungsanweisungen vorliegen. Diese Situation
können wir den 11 000 Kinderärztinnen und Kinderärzten
sowie den Kindern, Jugendlichen und deren Eltern in
Deutschland nicht weiter zumuten und müssen sie daher
verbessern.
Für einen solchen Fall, den ich gerade geschildert habe,
gibt es weder in den Roten Listen noch in den Fachpublikationen entsprechende Dosierungsanweisungen. Es ist
also eine Art Gratwanderung: Auf der einen Seite haben
die Ärztinnen und die Ärzte die berufsethische Verpflichtung, dem Kind oder dem Jugendlichen zu helfen. Auf der
anderen Seite wissen sie sehr wohl, dass die Regelungen
über Arzneimittelhaftung für den Arzt nicht greifen - er
ist außerhalb der Haftungssicherheit nach dem Arzneimittelgesetz -, wenn ein Medikament angewendet wird,
welches nicht für Kinder oder Jugendliche zugelassen ist.
Ich kann mir vorstellen - ich glaube, wir alle können uns
dies vorstellen -, dass das eine nicht haltbare Situation für
die Ärztinnen und Ärzte in Deutschland ist.
Dieses Problem ist nicht auf Kinderarztpraxen beschränkt. Da trifft es nur 40 Prozent der Arzneimittel. Das
Problem tritt vor allem dort auf, wo eine intensive Behandlung von Kindern angezeigt ist, zum Beispiel auf einer Intensivstation, wo keines von acht, neun oder zehn
infrage kommenden Medikamenten für die Anwendung
bei Kindern und Jugendlichen geprüft und zugelassen ist.
Auch im Bereich der chronisch kranken Kinder haben wir
eine ähnliche Situation.
Das Problem ist, dass Nierenversagen und Atemlähmungen mit tödlichem Ausgang die Folge sein können.
Außerdem wird der ausbleibende Heilungserfolg, auch
aufgrund zu geringen Wissens, oft der Krankheit und
nicht einer mangelnden Arzneimitteltherapie zugeschoben.
Aber wir haben noch einen Dritten im Bunde, mit dem
wir uns bei dieser Frage beschäftigen müssen, und zwar
die Arzneimittelindustrie. Auch hier ist Bewegung festzustellen, und zwar deswegen, weil es unmöglich ist, dass
der Pharmastandort Deutschland im internationalen Wettbewerb nicht gut aussieht, wenn wir bei den Arzneimitteln
für Kinder und Jugendliche eine offene Flanke bieten.
Seit 1997 geben die Amerikaner in diesem Bereich das
Tempo an; denn sie haben mit einem Modernisierungsgesetz genau diese Problematik aufgegriffen und kommen
nun zu Lösungen. Deswegen ist verständlich, dass wir
jetzt auch aus dem Bereich der Arzneimittelindustrie Zuspruch erfahren. Sie sagt: Es ist richtig und gut, dass die
Koalition dieses Thema jetzt anpackt und einer Lösung
zuführt. Denn wir müssen darauf achten, dass wir bei unseren Arzneimitteln Standards auch für Kinder und Jugendliche haben, mit denen wir auf dem Weltmarkt mit
amerikanischen Herstellern konkurrieren können.
Ich freue mich insofern, als auch die CDU/CSU diese
Altlast - das ist ja nichts Neues; denn die Betablocker, von
denen ich gesprochen habe, sind seit 25 Jahren auf dem
Markt und haben seit 25 Jahren keine auf Kinder und Jugendliche bezogene Zulassung - jetzt angehen will. Aber
es hilft natürlich nichts, wenn man in einem Antrag acht
Zeilen dazu formuliert und lediglich eine Analyse vornimmt. Wir brauchen in dieser Situation Lösungsansätze;
denn wir können in Deutschland bei Kindern und Jugendlichen nicht mehr mit dieser „Küchenrezeptart“ weitermachen. Hier sind wir einen Schritt weiter gegangen
und suchen nach Lösungen.
In unserem Antrag steht konkret unsere Zielrichtung,
weil wir wissen, dass es auch wirtschaftliche Gründe sind,
die vor allen Dingen die Industrie bisher gehindert haben,
in dieser Frage aktiver zu werden. Deswegen sagen wir,
wir brauchen beides: Wir müssen auf der einen Seite Anreizsysteme für die Industrie schaffen, um in die aufwendigen Prüfverfahren für Kinder und Jugendliche einzusteigen, und wir müssen auf der anderen Seite darauf
achten, dort, wo öffentliches Interesse besteht, dafür zu
sorgen, dass diesem zum Durchbruch verholfen wird.
({0})
Wir müssen vor allem die Kompetenz der Kinderärztinnen und Kinderärzte in Deutschland einbringen. Unsere Vorstellung ist, dass wir dafür ein Kompetenzzentrum schaffen, in dem das Erfahrungswissen, das sich
über viele Jahre und Jahrzehnte angesammelt hat, gebündelt und wissenschaftlich bewertet wird, damit es uns bei
der Anwendung hilft. Wir haben hier auch bestimmte Finanzierungsvorstellungen. Wir glauben, dass es gut wäre,
dafür zum Beispiel eine Stiftung einzurichten, an der sich
Industrie und Politik in gleichem Maße beteiligen. Das ist
nichts Neues. Wir haben in Deutschland auch im Bereich
der Arzneimittelhaftung eine große Stiftung. Es wäre gut,
wenn wir eine solche Entwicklung einleiten würden.
Es ist vor allem wichtig, dass wir von unkontrollierten
Heilversuchen wegkommen. Die Ärztinnen und Ärzte im
Bereich von Kindern und Jugendlichen sagen, es sei ihnen
nicht zuzumuten, dass sie unkontrollierte Heilversuche
unternehmen müssen, um ihrem beruflich-ethischen Auftrag gerecht zu werden, auf der anderen Seite aber in der
Gefahr stehen, etwas zu machen, was nicht durch das Arzneimittelgesetz abgedeckt ist.
Deswegen müssen wir uns klar darüber sein, dass wir
mehr klinische Studien brauchen. Hier möchte ich, damit
kein Missverständnis aufkommt, ganz deutlich machen:
Diese klinischen Studien können nur unter hohen ethischen Ansprüchen durchgeführt werden.
({1})
Horst Schmidbauer ({2})
Wir müssen klar machen, dass diese Studien mit kranken
Kindern nur gemacht werden, wenn darüber, weil sie
keine einwilligungsfähigen Personen sind, mit ihren Eltern und den Ethikkommissionen Einverständnis erzielt
worden ist.
({3})
Wir freuen uns, dass auf der europäischen Ebene in
der letzten Woche eine positive Entwicklung eingetreten
ist. Sowohl im Europäischen Parlament als auch in der
Kommission sagt man: Wir wollen gemeinsame Richtlinien entwickeln, um diese Aufgabenstellung wahrzunehmen. Wir denken, dass wir damit auf dem richtigen Weg
sind und dass wir diese Aufgabe mithilfe der Richtlinien
und der eigenen Ansprüche an Ethikkommissionen lösen
können. Ich bin ganz sicher, dass wir mit unserer neuen
Ministerin, Ulla Schmidt, in dieser Frage sehr schnell aus
dem Abseits kommen.
({4})
Wir sind es den Kindern, den Jugendlichen sowie den
Kinderärztinnen und Kinderärzten schuldig, dass wir
diese Aufgabe rasch lösen. Wir sind auf dem richtigen
Weg.
Der Chef des Zentrums für Kinderheilkunde an der
Universität Marburg, der für den Bereich der Heilmittel
zuständig ist, hat in einem Brief geschrieben:
Lassen Sie mich auf diesem Weg noch einmal ganz
herzlich danken, vor allen Dingen auch im Namen
unserer Fachgesellschaft, der Deutschen Gesellschaft für Kinderheilkunde und Jugendmedizin, für
Ihr Engagement, den Arzneimittelstandard für Kinder zu verbessern. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg für
die nächste Woche. Nochmals ganz herzlichen Dank.
Das ist es, was wir spüren: einen ganz starken Rückenwind und von keiner Seite Gegenwind. Ich glaube, auf
dieser Basis schaffen wir es, die Zukunft zu meistern. Das
sind wir allen Betroffenen schuldig.
Vielen Dank.
({5})
Für die CDU/CSUFraktion spricht nun die Kollegin Eva-Maria Kors.
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestatten Sie
mir ein Bild: Kinder sind der wichtigste Baustein für unsere Zukunft.
({0})
Aber als schwächste Mitglieder unserer Gesellschaft bedürfen sie des besonderen Schutzes jedes Einzelnen von
uns, der Familie und des Staates. Sie bedürfen einer besonderen medizinischen Fürsorge und Versorgung. Angesichts der aktuellen Entwicklung besteht die Gefahr, dass
in Deutschland eine umfassende und qualifizierte medizinische Versorgung von Kindern in Zukunft nicht mehr gewährleistet sein wird. Dies betrifft beispielsweise die Versorgung von Kindern mit Arzneimitteln.
Wie internationale Studien belegen, erhalten Kinder
häufig Arzneimittel, die eigentlich nicht für sie zugelassen sind. In Deutschland gibt es zu wenige speziell für
Kinder zugelassene Arzneimittel. Rund 80 Prozent der
Medikamente, die auf Intensivstationen verwendet werden, sind für Kinder nicht adäquat untersucht.
({1})
Da der Stoffwechsel bei Kindern anders ist, können die
Wirkungen selbst reduzierter Dosierungen von Erwachsenenmedikamenten nicht automatisch auf Kinder übertragen werden. Arzneimittel für Kinder bedürfen daher
einer eigenen grundlegenden wissenschaftlichen Betrachtung. Herr Kollege Schmidbauer, Sie sehen, in diesem
Punkt sind wir uns völlig einig.
({2})
- Frau Schmidt-Zadel, das ist ein ernstes Thema, das man
nicht ins Lächerliche ziehen sollte.
Aber auch der Fortbestand unseres qualifizierten medizinischen Betreuungssystems für Kinder und Jugendliche durch speziell ausgebildete Ärzte sowie Kinderkrankenpflegerinnen und -pfleger ist zukünftig gefährdet.
Der Bundesverband der Kinder- und Jugendärzte beklagt
einen dramatischen Nachwuchsmangel im Bereich der
Kindermedizin. Ab 2003 müsse damit gerechnet werden,
dass die medizinische Versorgung von Kindern in ganzen
Regionen, insbesondere in Flächenländern und dort natürlich im ländlichen Raum, nicht mehr gewährleistet sei.
Auch die Kinderkrankenpflegerinnen und -pfleger spielen bei der medizinischen Betreuung von Kindern eine
ganz bedeutende Rolle. Im Rahmen der Novellierung des
Krankenpflegegesetzes gingen - ich verwende fairerweise die Vergangenheitsform - Überlegungen der Bundesregierung in Richtung einer generalistischen Pflegeausbildung. Dies käme, wenn es so erfolgen würde, der
Abschaffung der Kinderkrankenpflege gleich. Die Pflege
von Kindern erfordert aber eine besondere fachliche
Kompetenz sowohl im stationären als auch im häuslichen
bzw. im ambulanten Bereich.
Gerade im häuslichen Bereich sind die betroffenen Eltern in ganz besonderem Maße auf die Unterstützung
durch ausgebildete Pflegekräfte angewiesen. Bisher ist
die häusliche Kinderkrankenpflege im Gegensatz zur psychiatrischen und gerontopsychiatrischen Pflege im Gesetz
nicht erwähnt. Dies führt zwangsläufig zu Problemen, da
die Krankenkassen diese speziellen Leistungen nur ganz
selten anerkennen.
Die neuen Richtlinien des Bundesausschusses Ärzte
und Krankenkassen zur Verordnung häuslicher Krankenpflege führen zu einer zusätzlichen Verschlechterung der
Pflegesituation von Kindern zu Hause. Gerade im Bereich
der häuslichen Krankenpflege ist zunehmend eine Unterversorgung von kranken Kindern zu beobachten. Dies gilt
Horst Schmidbauer ({3})
insbesondere für chronisch kranke Kinder mit zum Beispiel schweren Ernährungsstörungen oder Atemwegserkrankungen. Dies gilt aber auch für die Pflege schwerstkranker Früh- und Neugeborener.
Mit häuslicher Krankenpflege lassen sich aber nicht
nur die ärztliche Behandlung und Therapie der Kinder sichern und verbessern. Es lassen sich auch stationäre Aufenthalte und Spätfolgekosten vermeiden. Aber wenn in
Zukunft ein stationärer Aufenthalt erforderlich wird, muss
sichergestellt bleiben, dass eine kind- und jugendgerechte
Versorgung in unseren stationären Einrichtungen im medizinischen, psychosozialen und auch im pädagogischen
Bereich möglich bleibt. Ich erinnere an schwer krebskranke Kinder, die auch in der Klinik Schulunterricht bekommen müssen. Hierfür brauchen wir, wie von uns in
unserem Antrag gefordert, gut und speziell ausgebildete
Pflege- und Betreuungskräfte.
({4})
Vor diesem dargestellten Hintergrund behandelt der
von uns heute vorgelegte Antrag die derzeitigen Probleme
im Bereich der medizinischen Versorgung von Kindern
sehr umfassend, sehr differenziert und zukunftsorientiert.
({5})
Wir von der Union wollen die medizinische Versorgung
von Kindern, Herr Kollege Schmidbauer, insgesamt verbessern. Wir beschränken uns im Gegensatz zu Ihnen
nicht nur auf Verbesserungen im Bereich der Arzneimittelsicherheit. Dabei stelle ich überhaupt nicht in Abrede,
dass der Aspekt der Arzneimittelsicherheit auch in unserem Antrag vorkommt, also auch uns sehr wichtig ist.
({6})
Wir fordern die Bundesregierung angesichts der bei der
Fort- und Weiterbildung von Kinder- und Jugendärzten
bestehenden Probleme konkret auf, bei der Bundesärztekammer auf eine Reform der Weiterbildung zum Kinderund Jugendarzt zu drängen. Die Bundesregierung muss
außerdem die gesetzlichen Grundlagen dafür schaffen,
dass die pädiatrische wie die allgemeinmedizinische Weiterbildung gefördert wird. Nur so kann zukünftig die Versorgung mit Kindermedizin sichergestellt werden. Eine
einseitige Bevorzugung der Förderung der Aus- und Weiterbildung zum Hausarzt, wie Sie es betreiben, ist für uns
in diesem Zusammenhang der absolut falsche Weg.
({7})
Wir fordern die Bundesregierung weiter auf, endlich
die Budgetierung der ärztlichen Honorare und die Fortschreibung des Arznei- und Heilmittelbudgets aufzugeben.
({8})
Wir werden das immer wieder tun; verlassen Sie sich darauf. Denn dadurch wird auch die medizinische Versorgung von Kindern mehr als eingeengt.
Wir wollen ferner, dass die Bundesregierung die Sorge
der Kinderärzte ernst nimmt und die Rahmenbedingungen
für eine Versorgung von Kindern mit qualitativ hochwertigen Hilfsmitteln verbessert. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion erwartet von der Bundesregierung endlich eine
deutliche Aufforderung an den Bundesausschuss Ärzte
und Krankenkassen, die Richtlinien zur häuslichen Krankenpflege grundlegend zu überarbeiten. Dabei muss der
Bundesausschuss die besonderen Aspekte auch der häuslichen Kinderkrankenpflege berücksichtigen.
Aktuellen Pressemitteilungen zufolge scheint die Bundesregierung wenigstens bei der anstehenden Novellierung des Krankenpflegegesetzes im Rahmen der geplanten integrierten Ausbildung die spezielle Ausbildung für
die Kinderkrankenpflege erhalten zu wollen. Ich kann das
nur begrüßen. Ich hoffe, dass den Ankündigungen in der
Presse nun auch bald die Taten folgen.
Und nun noch kurz zu Ihrem Antrag. Keiner der hier
Anwesenden - das betone ich nochmals - bestreitet ernsthaft, dass es im Bereich der Arzneimittelsicherheit bei
Kindern Handlungsbedarf gibt.
({9})
- Nicht „aha“, das ist so. - Aber es ist schon erstaunlich,
welchen Weg Sie nunmehr gehen wollen. Sie fordern in
Ihrem Antrag die Beteiligung - was nichts anderes heißt
als die finanzielle Unterstützung - der Pharmaindustrie
zur Gründung einer Stiftung. Noch im Februar 2000 haben Sie bzw. die Bundesregierung die Pharmaindustrie als
den eigentlichen Schuldigen für die Defizite bei der
Arzneimitteltherapie von Kindern angeprangert.
({10})
Ich kann für die Kinder in unserem Land nur hoffen, dass
die Pharmaindustrie vergessen hat, wie sie von Ihnen jahrelang bei jeder Gelegenheit, wo Sie es nur konnten, als
Prügelknabe benutzt worden ist.
Ebenfalls in der Fragestunde versicherte die Bundesregierung, das BMG prüfe derzeit, ob es künftig, wie in den
USA, einen verlängerten Patentschutz auf Arzneimittel
einführen kann. Bis heute sind Ergebnisse nicht vorgelegt
worden. In der Zwischenzeit - Herr Schmidbauer, Sie haben es angeführt - haben sich die Gesundheitsminister der
Europäischen Union auf Richtlinien geeinigt. Auch von
diesen Bemühungen sehen wir - zumindest bisher - in der
Arbeit der Bundesregierung nur sehr wenig.
({11})
- Nein, Sie sind ja seit einem Jahr an dem Thema.
({12})
- Das nimmt Ihnen doch keiner mehr ab, Frau SchmidtZadel, nach zwei Jahren.
({13})
Zusammenfassend halte ich hier fest, dass Ihr Antrag
nicht nur inhaltliche Schwächen beinhaltet, sondern er
greift vor allem viel zu kurz. Unser Antrag hingegen ist
umfassend, denn er fordert die Beseitigung der gravierenEva-Maria Kors
den Mängel in der gesamten Kinderheilkunde und sorgt
so für eine bedarfsgerechte und zukunftsfähige medizinische Versorgung der Kinder in unserem Land. Und das,
meine Damen und Herren, haben unsere Kinder wahrlich
verdient.
({14})
Jetzt hat das Wort die
Kollegin Göring-Eckardt für Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau
Kors, ich finde es schon bedauerlich, dass Sie zu einem
Rundumschlag ausholen und die Koalition an einer Stelle
kritisieren, wo Sie nicht nur in den letzten 16 Jahren nichts
unternommen haben, sondern auch in den letzten zwei
Jahren keine entsprechenden Anträge eingebracht haben.
({0})
Ich bin dem Kollegen Schmidbauer sehr dankbar, dass
er sich eines Teilproblems angenommen hat, was die
Frage der Arzneimittelversorgung und der Arzneimittelsicherheit für Kinder und Jugendliche angeht, weil ich
denke, ein solcher erster Schritt ist dringend notwendig.
Weitere werden und sollten natürlich auch folgen.
Es ist darauf hingewiesen worden, dass die meisten
Arzneimittel nicht für Kinder geeignet sind und in Bezug
auf Dosierung, Wirksamkeit und Nebenwirkungen nicht
entsprechend untersucht worden sind. Besonders dramatisch ist natürlich, dass Kinderärzte oft gezwungen werden,
Erwachsenenmedikamente einzusetzen. Oftmals bewegen
sie sich dabei auch außerhalb des haftungsrechtlichen
Schutzes des Arzneimittelgesetzes. Es mangelt an systematisch erhobenen Daten und wissenschaftlich differenzierten
Therapieempfehlungen. In all diesen Fragen ist es notwendig, den Qualitätsstandard der Arzneimittelversorgung von
Kindern weit voranzutreiben und dem der Erwachsenen
gleichzustellen.
Andere Länder - auch darauf ist hingewiesen worden zum Beispiel die USA, sind hier schon weiter. Hier ist ein
Gesetzespaket geschnürt worden, das die Arzneimittelhersteller verpflichtet, auch für Medikation an Kindern
entsprechende Eignungsnachweise zu erbringen. Ich denke,
mit diesem Antrag sind wir in dieser Richtung auf dem
richtigen Weg.
({1})
Was muss getan werden? Physiologische Besonderheiten von Kindern müssen bei der Arzneimitteltherapie
berücksichtigt werden, um Über- und Unterdosierungen
sowie höhere Nebenwirkungen auszuschließen. Von der
richtigen Dosis des Arzneimittels für Erwachsene kann
ja - das Beispiel des Kollegen Schmidbauer war da sehr
eindrücklich - nicht auf die richtige Dosis für Kinder geschlossen werden. Wir sind allerdings der Meinung, dass
Erprobungen von Medikamenten nur an kranken Kindern
durchgeführt werden sollten. Da sind wir allerdings anderer Meinung als Sie; zumindest haben Sie sich in Ihrem
Antrag darauf ja nicht ausdrücklich bezogen.
Für eine kindgerechte Medikation fehlt es sowohl an
der notwendigen wissenschaftlichen Infrastruktur als
auch an staatlicher Forschungsförderung. Hierfür fühlen
wir uns als Koalition und Bundesregierung in der Verantwortung. Das gilt auch für das BfArM. Hier sind Kinderärzte unzureichend vertreten. Das BfArM muss besser
mit Ärztinnen und Ärzten ausgestattet werden, die pädiatrische Kenntnisse haben.
Zu dem, was Sie, Frau Kollegin Kors, zum Thema Umgang mit der Pharmaindustrie gesagt haben: Natürlich
ist die Tatsache, dass die Pharmaindustrie bisher nicht aus
sich heraus entsprechende Dinge in die Wege geleitet hat,
bedauerlich. Ich finde es deswegen richtig, vorzuschlagen, dass man hier gemeinsam handelt: die Politik auf der
einen Seite und die Industrie auf der anderen Seite. Eine
Stiftung wird hier ein sinnvoller Weg sein, das gemeinsam
zu tun, gemeinsame Verantwortung zu übernehmen. Ich
kann daran nichts Eigentümliches finden, sondern das ist
angesichts der Versäumnisse, die wir vorfinden, genau
richtig.
Lassen Sie mich zum Schluss auf etwas verweisen, was
ich für einen der nächsten Schritte halte, die notwendig
sind, um beim Thema Kinder und Gesundheit weiterzukommen und hier auch grundsätzlich zu anderen Verfahrensweisen zu gelangen. Ich habe der Kultusministerin
von Baden-Württemberg, Annette Schavan, die ja Ihrer
Partei angehört und zurzeit Vorsitzende der Kultusministerkonferenz ist, in dieser Woche einen Brief geschrieben,
in dem ich sie bitte, darauf hinzuwirken, dass ein Fach Gesundheitserziehung an unseren Schulen eingeführt wird.
Ich glaube, es ist notwendig, dass sich die Bundesregierung, aber natürlich auch die Länderregierungen der
Frage des Umgangs mit Kindern und Gesundheit, natürlich auch mit Kindern und Krankheit sehr viel stärker widmen. Ich bin der Überzeugung, dass ein solches Fach, in
dem es dann um Präventionen, um die Suchtproblematik,
um gesunde Ernährung geht, ein wirklicher Schritt des
vorbeugenden Verbraucherschutzes wäre, der dringend
notwendig ist.
Der Antrag der Koalition ist ein solcher Schritt. In dieser Frage beschreiten wir neue Wege und ich bin darüber
sehr froh.
Vielen Dank.
({2})
Für die F.D.P. spricht
jetzt der Kollege Detlef Parr.
Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Frau Göring-Eckardt, Verbraucherschutz, in
der Tat, ist heute in aller Munde. Verbraucherschutz gilt
vor allem für eine Gruppe unserer Gesellschaft, die in den
beiden vorliegenden Anträgen angesprochen ist: für unsere Kinder und Jugendlichen.
Die Arzneimittelsicherheit muss generell im Zentrum
unserer Bemühungen zum Schutz der Verbraucher
- der Patienten - stehen. Diese Tatsache beweist: Die
Ansiedlung des Verbraucherschutzes im Landwirtschaftsministerium war eine vorschnelle Entscheidung.
({0})
Der Antrag der Regierungsfraktionen verweist zu Recht
auf die Food and Drug Administration in den Vereinigten
Staaten. Eine ähnliche Konstruktion
({1})
einer unabhängigen Einrichtung hätte ich mir neben der
Konzentration des Verbraucherschutzes im Gesundheitsministerium sehr gut vorstellen können.
({2})
- Das ist nur die Einleitung, Frau Kollegin. - Wir werden
sehr genau beobachten, ob sich der organisatorische
Schnellschuss bewährt. Wir haben nach wie vor ganz erhebliche Zweifel.
({3})
Jetzt zu den Inhalten, um auch Ihnen gerecht zu werden. Inhaltlich sprechen beide Anträge Defizite an, die wir
dringend beseitigen müssen. Systematisch erhobene wissenschaftliche Daten zum Einsatz von Medikamenten bei
Kindern und Jugendlichen sind ebenso wichtig wie wirtschaftliche Anreize für die Pharmaindustrie. Wir unterstützen die Bemühungen, die Akzeptanz der klinischen
Forschung auch an kranken Kindern zu erhöhen.
({4})
Die auf diese Weise gewonnenen Erkenntnisse werden die
Risiken unerwünschter Nebenwirkungen erheblich reduzieren können. Es ist auch richtig, Ethikkommissionen
einzuschalten, um Missbrauch zu verhindern.
Auch der Vorschlag der Verlängerung des Patentschutzes bzw. des Alleinvertriebsrechts, wenn das Medikament auch für den Einsatz in der Kinderheilkunde zugelassen wird, ist ein Schritt in die richtige Richtung.
Ich finde es ganz putzig, Frau Schmidt-Zadel, wie
nachdrücklich SPD und Grüne sich in ihrem Antrag für
den Pharmastandort Deutschland einsetzen und weitere
Standortnachteile verhindern wollen.
({5})
Das könnte fast aus der liberalen Feder stammen. Herzlichen Glückwunsch! Genauso ordnen wir die Forderung
nach Einrichtung einer Stiftung zur Unterstützung klinischer Studien in der Kinderheilkunde ein. Auch dies ist
eine gute Sache - mehr privat, weniger Staat.
Weniger gut sind Ihre Staatsgläubigkeit und Ihr Vertrauen in den Erfolg staatlicher Förderungsprogramme
zur Errichtung kostenintensiver Kompetenzzentren. Ich
bin gespannt, wo Sie das Geld hierfür hernehmen wollen.
Ich stimme Kollegin Kors ausdrücklich zu: Ihr Antrag
ist wesentlich umfassender als der, den SPD und Grüne
vorgelegt haben.
({6})
Wir sollten in den Ausschussberatungen den Versuch machen - vielleicht können wir das schaffen -, einen gemeinsamen Antrag zu formulieren, der die von der Union
zusätzlich geforderten Lösungswege im Bereich der Impfungen, der Aus- und Weiterbildung und der Pflege aufnimmt.
Wir sollten auch, Frau Schmidt-Zadel, die europäischen Dimensionen etwas intensiver bedenken. Nationale Alleingänge helfen auch in diesem Bereich nicht. Wir
müssen uns in der Europäischen Gemeinschaft vielmehr
auf gemeinsame Initiativen verständigen. Ein gutes Beispiel ist die europaweit einheitliche Regelung der bereits
angesprochenen klinischen Arzneimittelprüfungen an
Kindern.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, das Thema der
Arzneimittelsicherheit und besseren medizinischen Versorgung von Kindern und Jugendlichen ist meines Erachtens ein Konsensthema. Wir sollten mit dieser Zielrichtung in die Ausschussberatung gehen.
({7})
Ich erteile jetzt der
Kollegin Neuhäuser für die PDS das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Antrag der
Koalitionsfraktionen lenkt die Aufmerksamkeit auf Unzulänglichkeiten in der Arzneimitteltherapie von Kindern
und Jugendlichen. Dies ist heute schon mehrfach angeführt worden. Ein Hauptproblem besteht darin, dass ein
hoher Anteil der Medikamente, die in der Kinderheilkunde angewendet werden, dafür nicht speziell geprüft
sind. Kinderärzte sehen sich immer wieder in der Situation, Medikamente, deren Dosierung, Wirksamkeit bzw.
Nebenwirkungen nur an Erwachsenen ausreichend untersucht wurden, auch bei Kindern einsetzen zu müssen. Das
ist in der Tat unhaltbar, denn es kann nicht sein, dass die
Qualität und Sicherheit der Arzneimitteltherapie bei Kindern geringer ist als die bei Erwachsenen.
Es findet deshalb unsere Unterstützung, wenn der vorliegende Antrag der Koalition auf eine Verbesserung dieser Situation zielt. Um die Sicherheit von Kinderarzneimitteln zu erhöhen und auch die dafür erforderlichen
klinischen Studien durchzuführen, bedarf es intensiver
staatlicher Forschungsförderung an Universitäten und an
anderen einschlägigen Wissenschaftseinrichtungen sowie
verstärkter Aktivitäten des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte.
Dabei ist aus unserer Sicht ausdrücklich hervorzuheben, dass für klinische Prüfungen an erkrankten Kindern
besonders sorgfältige Ethik- und Sicherheitsstandards
gelten müssen und dass ihre Einhaltung strengster
Überwachung bedarf. Zu fragen bleibt allerdings, warum
die Regierung angesichts solch notwendiger und plausibler Maßnahmen nicht selbst handelt, sondern von ihren
eigenen Koalitionsfraktionen dazu speziell aufgefordert
werden muss.
Der kurzfristig ebenfalls zur Debatte gestellte Antrag
der CDU/CSU-Fraktion benennt weitere Schwachstellen in der medizinischen Versorgung der Kinder. Mit den
Missständen beim Impfen und generell in der Prävention,
mit Versorgungs- und Ausbildungsproblemen in der Kindermedizin und der Kinderkrankenpflege werden zu
Recht gravierende Mängel angesprochen und Verbesserungen gefordert.
Allerdings, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der
CDU/CSU-Fraktion, müssen Sie sich auch sagen lassen,
dass es dabei kaum um Probleme geht, die in der Zeit Ihrer Regierung nicht schon lange bestanden hätten oder
nicht längst absehbar gewesen wären.
({0})
Aber für Schritte in die richtige Richtung ist es natürlich nie
zu spät und insofern steht die heutige Regierung uneingeschränkt in der Verantwortung. Angesichts der Bedeutung,
die der Gesundheit der nachwachsenden Generation zukommt, meinen wir allerdings, dass auf diesem Gebiet inzwischen eine möglichst umfassende, bundesweite Strategie zur Erhaltung und Förderung der Gesundheit der Kinder
notwendig ist. Die Palette der Maßnahmen muss dabei vom
vorbeugenden Gesundheitsschutz über eine qualifizierte
medizinische Versorgung im Erkrankungsfall bis hin zur
Zurückdrängung umweltbedingter Gesundheitsschäden
reichen.
Meine Damen und Herren, Kinderarmut wird immer
stärker zur Ursache gesundheitlicher Fehlentwicklungen.
Deshalb ist die Gesundheit der Kinder letztlich auch nicht
ohne eine wesentlich stärkere Politik für Kinder zu verbessern. Dazu gehören - das sage ich, um zwei Vorschläge
unsererseits im Parlament zu diskutieren - zum einen die
Erweiterung der Einflussmöglichkeiten der Kinderkommission - sie würde durch dieses Parlament gestärkt - und
zum anderen eine Debatte über den Vorschlag der Akademie für Kinderheilkunde und Jugendmedizin, bei der
Bundesregierung oder im Parlament einen Kinderbeauftragten einzusetzen.
Vielen Dank.
({1})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 14/5083 und 14/5136 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich gebe jetzt das von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Finanzausschusses zu dem Antrag der Fraktion der F.D.P. mit dem
Titel „Abschreibungstabellen nicht ändern“, Drucksachen
14/1887und 14/5149, bekannt. Abgegebene Stimmen 535.
Mit Ja haben gestimmt 311, mit Nein haben gestimmt 224,
keine Enthaltungen. Die Beschlussempfehlung ist damit
angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 534;
davon
ja: 311
nein: 223
Ja
SPD
Brigitte Adler
Gerd Andres
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Hermann Bachmaier
Ernst Bahr
Doris Barnett
Dr. Hans Peter Bartels
Eckhardt Barthel ({0})
Klaus Barthel ({1})
Ingrid Becker-Inglau
Hans-Werner Bertl
Petra Bierwirth
Lothar Binding ({2})
Kurt Bodewig
Klaus Brandner
Anni Brandt-Elsweier
Willi Brase
Dr. Eberhard Brecht
Rainer Brinkmann ({3})
Bernhard Brinkmann
({4})
Hans-Günter Bruckmann
Ursula Burchardt
Dr. Michael Bürsch
Hans Martin Bury
Hans Büttner ({5})
Marion Caspers-Merk
Wolf-Michael Catenhusen
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Christel Deichmann
Peter Dreßen
Detlef Dzembritzki
Dieter Dzewas
Dr. Peter Eckardt
Sebastian Edathy
Marga Elser
Peter Enders
Gernot Erler
Petra Ernstberger
Annette Faße
Lothar Fischer ({6})
Iris Follak
Norbert Formanski
Rainer Fornahl
Hans Forster
Dagmar Freitag
Lilo Friedrich ({7})
Anke Fuchs ({8})
Arne Fuhrmann
Monika Ganseforth
Konrad Gilges
Iris Gleicke
Günter Gloser
Uwe Göllner
Günter Graf ({9})
Angelika Graf ({10})
Dieter Grasedieck
Kerstin Griese
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Karl-Hermann Haack ({11})
Hans-Joachim Hacker
Klaus Hagemann
Manfred Hampel
Christel Hanewinckel
Alfred Hartenbach
Klaus Hasenfratz
Nina Hauer
Hubertus Heil
Reinhold Hemker
Frank Hempel
Rolf Hempelmann
Gustav Herzog
Monika Heubaum
Reinhold Hiller ({12})
Walter Hoffmann
({13})
Iris Hoffmann ({14})
Ingrid Holzhüter
Eike Hovermann
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Brunhilde Irber
Gabriele Iwersen
Renate Jäger
Jann-Peter Janssen
Ilse Janz
Volker Jung ({15})
Johannes Kahrs
Sabine Kaspereit
Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Hans-Peter Kemper
Klaus Kirschner
Siegrun Klemmer
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Horst Kubatschka
Ernst Küchler
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Konrad Kunick
Dr. Uwe Küster
Werner Labsch
Brigitte Lange
Christian Lange ({16})
Detlev von Larcher
Christine Lehder
Waltraud Lehn
Robert Leidinger
Klaus Lennartz
Dr. Elke Leonhard
Eckhart Lewering
Götz-Peter Lohmann
({17})
Erika Lotz
Dieter Maaß ({18})
Winfried Mante
Tobias Marhold
Lothar Mark
Christoph Matschie
Heide Mattischeck
Markus Meckel
Ulrike Merten
Angelika Mertens
Dr. Jürgen Meyer ({19})
Christoph Moosbauer
Michael Müller ({20})
Jutta Müller ({21})
Christian Müller ({22})
Franz Müntefering
Andrea Nahles
Gerhard Neumann ({23})
Dr. Edith Niehuis
Dr. Rolf Niese
Dietmar Nietan
Eckhard Ohl
Leyla Onur
Manfred Opel
Adolf Ostertag
Kurt Palis
Albrecht Papenroth
Dr. Martin Pfaff
Georg Pfannenstein
Dr. Eckhart Pick
Karin Rehbock-Zureich
Dr. Carola Reimann
Margot von Renesse
Renate Rennebach
Bernd Reuter
Dr. Edelbert Richter
Reinhold Robbe
Gudrun Roos
René Röspel
Birgit Roth ({24})
Michael Roth ({25})
Thomas Sauer
Dr. Hansjörg Schäfer
Gudrun Schaich-Walch
Bernd Scheelen
Siegfried Scheffler
Horst Schild
Otto Schily
Dieter Schloten
Horst Schmidbauer ({26})
Ulla Schmidt ({27})
Silvia Schmidt ({28})
Dagmar Schmidt ({29})
Wilhelm Schmidt ({30})
Regina Schmidt-Zadel
Heinz Schmitt ({31})
Carsten Schneider
Dr. Emil Schnell
Walter Schöler
Karsten Schönfeld
Fritz Schösser
Gisela Schröter
Dr. Mathias Schubert
Brigitte Schulte ({32})
({33})
Volkmar Schultz ({34})
Ewald Schurer
Dr. R. Werner Schuster
Dietmar Schütz ({35})
Dr. Angelica Schwall-Düren
Bodo Seidenthal
Erika Simm
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk
Dr. Cornelie SonntagWolgast
Wieland Sorge
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Dr. Ditmar Staffelt
Antje-Marie Steen
Ludwig Stiegler
Rolf Stöckel
Reinhold Strobl ({36})
Dr. Peter Struck
Joachim Tappe
Jella Teuchner
Dr. Gerald Thalheim
Franz Thönnes
Uta Titze-Stecher
Adelheid Tröscher
Hans-Eberhard Urbaniak
Rüdiger Veit
Simone Violka
Hans Georg Wagner
Hedi Wegener
Dr. Konstanze Wegner
Wolfgang Weiermann
Reinhard Weis ({37})
Matthias Weisheit
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen
({38})
Dr. Ernst Ulrich von
Weizsäcker
Jochen Welt
Hildegard Wester
Lydia Westrich
Inge Wettig-Danielmeier
Dr. Norbert Wieczorek
Jürgen Wieczorek ({39})
Helmut Wieczorek
({40})
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Heino Wiese ({41})
Brigitte Wimmer ({42})
Engelbert Wistuba
Hanna Wolf ({43})
({44})
Heidemarie Wright
Uta Zapf
Dr. Christoph Zöpel
Peter Zumkley
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Gila Altmann ({45})
Marieluise Beck ({46})
Volker Beck ({47})
Angelika Beer
Grietje Bettin
Annelie Buntenbach
Dr. Thea Dückert
Franziska Eichstädt-Bohlig
Dr. Uschi Eid
Joseph Fischer ({48})
Rita Grießhaber
Antje Hermenau
Monika Knoche
Dr. Angelika Köster-Loßack
Dr. Reinhard Loske
Oswald Metzger
Kerstin Müller ({49})
Winfried Nachtwei
Cem Özdemir
Simone Probst
Irmingard Schewe-Gerigk
Albert Schmidt ({50})
Werner Schulz ({51})
Christian Simmert
Christian Sterzing
Dr. Ludger Volmer
Helmut Wilhelm ({52})
Margareta Wolf ({53})
PDS
Monika Balt
Maritta Böttcher
Roland Claus
Heidemarie Ehlert
Wolfgang Gehrcke
Dr. Gregor Gysi
Uwe Hiksch
Sabine Jünger
Gerhard Jüttemann
Dr. Heidi Knake-Werner
Heidi Lippmann
Pia Maier
Angela Marquardt
Rosel Neuhäuser
Dr. Uwe-Jens Rössel
Christina Schenk
Nein
CDU/CSU
Ilse Aigner
Dietrich Austermann
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Brigitte Baumeister
Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Otto Bernhardt
Renate Blank
Dr. Heribert Blens
Dr. Norbert Blüm
Dr. Maria Böhmer
Sylvia Bonitz
Jochen Borchert
({54})
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brudlewsky
Hartmut Büttner
({55})
Dankward Buwitt
Cajus Caesar
Peter H. Carstensen
({56})
Wolfgang Dehnel
Hubert Deittert
Renate Diemers
Thomas Dörflinger
Hansjürgen Doss
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Rainer Eppelmann
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Albrecht Feibel
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({57})
Axel E. Fischer
({58})
({59})
Erich G. Fritz
Hans-Joachim Fuchtel
Norbert Geis
Georg Girisch
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Gudrun
Kopp, Dr. Werner Hoyer, Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Stiftung Warentest in die Unabhängigkeit entlassen
- Drucksache 14/4284 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({60})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Auch
das ist so beschlossen.
Dann eröffne ich die Aussprache und erteile das Wort
der Kollegin Gudrun Kopp für die F.D.P.-Fraktion.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Herren und Damen! Derzeit reden alle von der BSEKrise. Doch der Verbraucherschutz ist eine umfassende
Aufgabe. So wird die Forderung, dass unabhängige und
wirklich hochwertige Verbraucherinformationen sichergestellt werden müssen, sehr leicht in den Hintergrund gedrängt. Deshalb nehmen wir uns des Themas Stützung der
Stiftung Warentest und ihrer hervorragenden Arbeit an
und erinnern daran, dass wir dafür zu sorgen haben, dass
sie eine gute finanzielle Basis für die Zukunft bekommt.
({0})
Vizepräsidentin Anke Fuchs
Dr. Reinhard Göhner
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Kurt-Dieter Grill
Horst Günther ({1})
Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein
Gerda Hasselfeldt
Hansgeorg Hauser
({2})
Klaus-Jürgen Hedrich
Helmut Heiderich
Ursula Heinen
Manfred Heise
Siegfried Helias
Hans Jochen Henke
Peter Hintze
Klaus Hofbauer
Martin Hohmann
Klaus Holetschek
Josef Hollerith
Joachim Hörster
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke
Georg Janovsky
Dr.-Ing. Rainer Jork
Dr. Harald Kahl
Steffen Kampeter
Dr.-Ing. Dietmar Kansy
Irmgard Karwatzki
Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Ulrich Klinkert
Hartmut Koschyk
Rudolf Kraus
Dr. Paul Krüger
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl A. Lamers
({3})
Helmut Lamp
Dr. Paul Laufs
Werner Lensing
Peter Letzgus
Ursula Lietz
Walter Link ({4})
({5})
Dr. Manfred Lischewski
Wolfgang Lohmann
({6})
Julius Louven
Erwin Marschewski
({7})
Dr. Martin Mayer
({8})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Friedrich Merz
Meinolf Michels
Dr. Gerd Müller
Bernward Müller ({9})
Elmar Müller ({10})
Bernd Neumann ({11})
Claudia Nolte
Günter Nooke
Franz Obermeier
Friedhelm Ost
Eduard Oswald
Norbert Otto ({12})
Dr. Peter Paziorek
Anton Pfeifer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Marlies Pretzlaff
Dr. Bernd Protzner
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Helmut Rauber
Peter Rauen
Christa Reichard ({13})
Katherina Reiche
Erika Reinhardt
Hans-Peter Repnik
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Hannelore Rönsch
({14})
Dr. Klaus Rose
Kurt J. Rossmanith
Adolf Roth ({15})
Norbert Röttgen
Volker Rühe
Anita Schäfer
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Gerhard Scheu
Norbert Schindler
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({16})
({17})
Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Rupert Scholz
Reinhard Freiherr
von Schorlemer
Wolfgang Schulhoff
Gerhard Schulz
Diethard Schütze ({18})
Clemens Schwalbe
Dr. Christian SchwarzSchilling
Wilhelm-Josef Sebastian
Horst Seehofer
Heinz Seiffert
Werner Siemann
Johannes Singhammer
Bärbel Sothmann
Margarete Späte
Erika Steinbach
Matthäus Strebl
Thomas Strobl ({19})
Dr. Susanne Tiemann
Arnold Vaatz
Angelika Volquartz
Peter Weiß ({20})
Gerald Weiß ({21})
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese ({22})
Hans-Otto Wilhelm ({23})
Klaus-Peter Willsch
Bernd Wilz
Willy Wimmer ({24})
Matthias Wissmann
Werner Wittlich
Dagmar Wöhrl
Elke Wülfing
Wolfgang Zeitlmann
F.D.P.
Hildebrecht Braun
({25})
Jörg van Essen
Gisela Frick
Horst Friedrich ({26})
Rainer Funke
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Dr. Karlheinz Guttmacher
Klaus Haupt
Ulrich Heinrich
Dr. Werner Hoyer
Ulrich Irmer
Dr. Klaus Kinkel
Dr. Heinrich L. Kolb
Jürgen Koppelin
Ina Lenke
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Cornelia Pieper
Dr. Günter Rexrodt
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Gerhard Schüßler
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk
Dr. Guido Westerwelle
Sie wissen: Die Stiftung Warentest darf nach Satzungslage keine Einnahmen aus Werbeanzeigen erwirtschaften und hat zum Ausgleich dafür schon seit vielen
Jahren Zuschüsse erhalten. In den letzten zehn Jahren waren dies 13 Millionen DM pro Jahr. Im Jahr 2000 wurde
erstmals drastisch gekürzt. Nach dem Entwurf des Haushalts sollte es eine Kürzung um 40 Prozent auf rund 8 Millionen DM geben. Wir haben daraufhin sofort einen Antrag auf Erhöhung der Mittel gestellt, nämlich auf
11 Millionen DM. Dieser Antrag ist von Ihnen allen in
diesem Haus unterstützt worden.
Was Sie vielleicht nicht wissen, ist, dass die Stiftung
Warentest zum Jahresende 2000 aus dem damals noch zuständigen Wirtschaftsministerium die Nachricht erhalten
hat, dass für den Haushalt 2002 erneut nur 8 Millionen
DM vorgesehen sind. Wie wichtig das neue Ministerium
für Verbraucherschutz und Landwirtschaft das Thema
Verbraucherschutz insgesamt nimmt, sieht man daran,
dass die Regierungsbank völlig leer ist.
({27})
Keine Aufregung,
meine Damen und Herren, er kommt.
Frau Kollegin, ich möchte Sie fragen, ob Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hinsken zulassen.
Ja, bitte.
Dann hat der Kollege
Berninger noch ein bisschen Zeit zu kommen, wenn sich
das hier verlängert.
Bitte sehr, Herr Hinsken.
Frau Kollegin Kopp,
pflichten Sie mir bei, wenn ich feststelle, dass die Bundesregierung dem Verbraucherschutz, obwohl sie ihn in
letzter Zeit in den Vordergrund stellt, nicht die notwendige
Bedeutung beimisst? Denn es befindet sich kein einziges
Regierungsmitglied auf der Regierungsbank.
({0})
Herr Kollege Hinsken, ich
stimme Ihnen vollkommen zu. Ich betone, was der Kollege Parr eben gesagt hat: Auch der Zuschnitt dieses Ministeriums ist äußerst zweifelhaft. Den umfassenden und
wichtigen Verbraucherschutz ausschließlich beim Landwirtschaftsministerium anzusiedeln wird sich als Fehler
erweisen. Das sehen wir heute Abend. Das ist ein schlechtes Omen für den Verbraucherschutz.
({0})
Frau Kollegin, gestatten Sie mir eine kurze Zwischenbemerkung. Ich glaube,
es steht uns zu, festzustellen, dass wir sehr bedauern, dass
keiner auf der Regierungsbank sitzt. - Das gilt unabhängig von der Frage, ob der Herr Staatssekretär schon da ist
oder nicht. Es gibt mehrere Ressorts und mehrere Staatssekretäre. Wir ermahnen die Bundesregierung, bei Bundestagsdebatten ordentlich vertreten zu sein.
({0})
Frau Kollegin, bitte fahren Sie fort.
Ich erinnere daran, dass die
Stiftung Warentest im Jahr in etwa 2 200 Produkte und
über 130 Waren und Dienstleistungen testet. Das ist eine
enorme Leistung. Die F.D.P.-Fraktion ist der Meinung,
dass das Gezerre um jährliche Zuschüsse beendet werden
muss. Wie wollen wir das machen? Wir haben Ihnen ganz
konkret vorgeschlagen, Vater Staat möge sich aus der Stiftung Warentest zurückziehen und sie in die Unabhängigkeit entlassen - aber natürlich nicht zum Nulltarif.
({0})
Die Stiftung braucht dringend Stiftungskapital, das sie
in entsprechender Höhe aufbauen muss. Ein erster kleiner
Schritt ist Ende des Jahres 2000 gemacht worden. Das
reicht aber bei weitem nicht aus. Wir beantragen deshalb,
dass ein Betrag von 100 Millionen DM eingebracht wird,
der auf mehrere Zahlungen über einige Jahre aufgeteilt
werden kann. In dieser Phase soll die Stiftung in die Lage
versetzt werden, weitere Einnahmequellen zu erschließen.
Der Stiftung soll auch ermöglicht werden, selber Stiftungskapital einzuwerben - nicht bei einzelnen Firmen,
aber beispielsweise bei Institutionen und Verbänden, die
sich dem Verbraucherschutz besonders verpflichtet fühlen. Ich denke, das wäre ein sehr guter Ansatz.
Natürlich muss die Stiftung bis dahin weiterhin finanziell unterstützt werden, und zwar nicht mit kleinen Häppchen wie den 8 Millionen DM, von denen die Rede ist. Es
muss wenigstens bei den jetzt vereinbarten 11 Millionen DM bleiben.
({1})
Auf Dauer ist diese Lösung für den Bundeshaushalt
viel kostengünstiger, unabhängig davon, ob Sie drei Jahre
zahlen, um das Stiftungskapital aufzubauen, oder ob Sie
fünf Jahre zahlen, wie von uns vorgeschlagen. Ich denke,
das führt zu mehr Eigenverantwortung und unabhängiger
Arbeit dieser Stiftung. Mit dieser Lösung unterstützen wir
die Stiftung nicht nur verbal, sondern auch mit Taten,
sprich: indem wir ihr die Freiheit geben, am Markt zu
agieren. Das sollte sie uns wert sein. Das ist für die Verbraucher wichtig; denn unabhängige und qualitativ hochwertige Verbraucherinformationen sind die Voraussetzung dafür, dass sich Konsumenten überhaupt einen
Überblick am Markt verschaffen können. Die Stiftung soll
also ein Wegweiser für Produkte und Kontrollen sein.
({2})
Ich hoffe - lassen Sie mich das am Ende noch sagen -,
dass der Verbraucherschutz, jetzt angesiedelt im Landwirtschaftsministerium, in Zukunft mehr Beachtung findet. Ich befürchte aber, dass es nicht so sein wird; denn
schon im Wirtschaftsministerium hatten es der Verbraucherschutz und damit die Stiftung Warentest sehr schwer.
Ich denke, wir sollten nicht nur mit Blick auf BSE, sondern auch insgesamt den Verbraucherschutz ernst nehmen
und hier zu einer Lösung kommen, die für alle Beteiligten
die beste ist. Ich bitte Sie also, diesen Antrag im Rahmen
der Beratungen und bei der Abstimmung wohlwollend zu
bescheiden.
Danke schön.
({3})
Jetzt erteile ich das
Wort der Kollegin Jella Teuchner, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen - besonders von der F.D.P.! Ich
darf zunächst die Ministerin entschuldigen. Wenn Sie sich
sachkundig gemacht hätten, würden Sie wissen, dass der
Verbraucherausschuss, der ursprünglich beim Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten angesiedelt war, heute einen Empfang auf der Grünen Woche
gibt. Von daher kann die Ministerin leider nicht hier sein.
({0})
Ich möchte zuerst auf den Antrag der F.D.P. zu sprechen kommen. Es ist verständlich, dass Sie von Ihrem
Aufsetzungsrecht Gebrauch machen; das sei Ihnen auch
zugestanden.
({1})
Dafür, dass Sie es nicht abwarten können, wie die neuen
Strukturen des Verbraucherschutzministeriums und auch
des Verbraucherausschusses hier im Bundestag aussehen
werden, habe ich allerdings kein Verständnis.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Göring-Eckardt?
Nein, ich möchte im Zusammenhang vortragen. - Deshalb beantrage ich, bevor ich
meine Gedanken weiter ausführe, diesen Antrag federführend dem Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft zu überweisen. Das ergibt sich
aus dem neuen Zuschnitt des Ressorts wie auch aus den
entsprechend erweiterten Aufgaben, mit denen sich der
bisherige Landwirtschaftsausschuss zu befassen hat.
Soziale Marktwirtschaft ist undenkbar ohne vorsorgenden Verbraucherschutz. Eine starke Nachfrageseite ist
wichtige Voraussetzung für die Sicherung eines funktionierenden Wettbewerbs. Dafür müssen Verbraucherinnen
und Verbraucher in die Lage versetzt werden, ihr Gewicht
am Markt auch wirklich einzubringen. Ihre Eigenverantwortung muss gestärkt werden. Die Kräfte des Marktes
allein sind nicht ausreichend zur Schaffung eines Ausgleichs zwischen den unterschiedlichen Zielen von Anbietern und Nachfragern. Nur gut informierte Verbraucherinnen und Verbraucher können ihre Interessen gegenüber der
Anbieterseite durch die Entscheidung für oder gegen ein
Produkt selbst vertreten.
Verbraucherinnen und Verbraucher haben ein Recht
auf Information, auf Schutz vor Gefahren für Gesundheit
und Sicherheit, auf eine gesunde Umwelt, auf die Wahrung ihrer wirtschaftlichen Interessen. In diesem Gesamtkontext leistet die Stiftung Warentest seit ihrer Gründung
mit ihrer Aufklärungsarbeit unschätzbare Dienste. Die
Stiftung Warentest hat laut Satzung den klar umrissenen
Auftrag, die „Öffentlichkeit über objektivierbare Merkmale des Nutz- und Gebrauchswertes sowie der Umweltverträglichkeit“ von Waren und Dienstleistungen zu unterrichten.
Ganz aktuell passt da auch die Nachricht über den Verzicht der Agrar- und Nahrungsmittelindustrie auf den Ausbau des Einsatzes der „grünen Gentechnik“. Die Stiftung
Warentest hatte im vergangenen Jahr bei einer Testreihe
herausgefunden, in wie vielen Lebensmitteln gentechnisch
veränderte Bestandteile ohne jede Kennzeichnung enthalten sind, und das, obwohl die große Mehrheit der Konsumenten gerade bei Nahrungsmitteln besonders misstrauisch ist.
({0})
Noch immer steht der Beweis der Unschädlichkeit dieser
neuen Produkte für Mensch und Natur aus.
Auch am aktuellen Verbraucherverhalten nach Bekanntwerden der BSE-Fälle hier bei uns in Deutschland
zeigt sich erneut ganz deutlich: Verbraucher sagen jetzt,
wo es langgeht. Sie verweigern sich als Konsumenten:
Zum Beispiel musste Wurst aus dem Handel zurückgeholt
werden; der deutsche Rindfleischmarkt ist zusammengebrochen; Beschäftigte in der Fleischverarbeitung müssen
kurzarbeiten. Wieder wird der Staat mit sehr hohen Kosten für die Folgen einer über Jahrzehnte fehlgesteuerten
Politik einstehen müssen. Unsere These gilt weiter: Vorbeugen ist nicht nur besser, sondern auch billiger als Heilen. Das zeigt auch diese sehr weit reichende Krise. Die
Schäden müssen jetzt mit Geldern in enormer Höhe aus
dem Staatshaushalt repariert werden.
In diese Situation passt die von Ihnen geforderte Debatte zur ersten Lesung Ihres Antrages „Stiftung Warentest
in die Unabhängigkeit entlassen“. Aber ich sage auch hier
ganz ungeschminkt: Dieser Antrag ist jetzt und in dieser
Form unseriös. Sie wissen, dass wir im Bundeshalt für das
laufende Haushaltsjahr 11 Millionen DM für die Stiftung
Warentest bewilligt haben. Wir mussten kämpfen - das
gebe ich gerne zu -, aber zumindest dies haben wir erreicht.
({1})
- Jawohl, Frau Kopp. - Sie wissen von Ihren Berichterstattern aus dem Haushaltsausschuss so gut wie ich, dass
derzeit ein Prüfauftrag im Wirtschaftsministerium in Arbeit ist.
({2})
Zum damaligen Zeitpunkt war noch der Wirtschaftsausschuss zuständig. Mit diesem soll festgestellt werden, wie
hoch das nötige Stiftungsvermögen sein müsste, damit
die Stiftung Warentest die jährlichen Bundeszuweisungen
durch Zinseinnahmen kompensieren könnte.
Sie jonglieren in Ihrem Antrag mit Zahlen, die einer
Überprüfung nicht standhalten. Beim Aufbau eines Stiftungsvermögens mit den von Ihnen beantragten 20-Millionen-Mark-Raten über fünf Jahre würde bei einer 5-prozentigen Verzinsung mit Zinseszins eine Summe von circa
115 Millionen DM anwachsen. Was soll Ihres Erachtens in
den Jahren bis zur Erreichung der endgültigen Höhe des
Stiftungsvermögens passieren? Die Stiftung Warentest hat
in verschiedenen Gesprächen mit mir und auch Vertreterinnen meiner Fraktion dargelegt, dass künftig jährlich
Zuwendungen in Höhe von 10 Millionen DM erforderlich
sein werden, um die gute Arbeit fortzuführen. Sollen jetzt
diese erforderlichen 10 Millionen DM zusätzlich bereitgestellt werden?
({3})
Auch bei einem Stiftungsvermögen von 115 Millionen DM sind diese erforderlichen Mittel nur mit einem weiteren Bundeszuschuss sicherzustellen; denn nach Adam
Riese ergeben 5 Prozent Zinsen von 115 Millionen DM nur
etwa 5,5 Millionen DM.
({4})
Damit müssten weiterhin 4,5 Millionen DM - Ihr Antrag
spricht ja nur von Zinseinnahmen - aus dem Bundeshaushalt zur Verfügung gestellt werden.
({5})
- Jawohl, als Buchhalterin bin ich des Rechnens mächtig. Diese ganzen Aspekte werden wir natürlich im Ausschuss
sehr gründlich zu beraten haben.
Noch einmal zum Wortlaut Ihres Antrages. Kein Verständnis habe ich für die Forderung nach Unabhängigkeit. Seit der Gründung durch die Bundesregierung 1964
hat sich die Stiftung als unabhängige Institution einen Namen gemacht. Diese Souveränität und Neutralität haben
in der Öffentlichkeit zu einem hohen Ansehen der Stiftung
geführt: sowohl bei Herstellern und Anbietern von Produkten und Dienstleistungen wie auch bei den durch die
öffentlichen Testergebnisse gut informierten Verbraucherinnen und Verbrauchern. Meines Wissens war nie von
Abhängigkeit, Unfreiheit oder Unterordnung die Rede.
Seit ihrer Gründung erhält die Stiftung die Bundesmittel - bislang aus dem Haushalt des Bundesministeriums
für Wirtschaft - als Ausgleich dafür, dass sie kein Stiftungskapital erhalten hat und keine Einnahmen durch
Werbeanzeigen erzielen darf. Dennoch wurde mit dem
durch den Verkauf der Publikationen erzielten Erlös mittlerweile eine gute finanzielle Rücklage erwirtschaftet.
Diese Rücklage dient nach meinen Informationen aus
dem Vorstand der Stiftung unter anderem auch dazu, gegebenenfalls nötige Finanzmittel bei - hoffentlich nie
nötigen - Schadensersatzforderungen aufbringen zu können. Dank der Sorgfalt der angewandten Prüfprogramme
musste sich die Stiftung meines Wissens bislang keinen
solchen Forderungen stellen, aber ein entsprechender
Notfonds ist natürlich notwendig.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Kopp?
Nein, das möchte ich nicht.
Meine Redezeit ist gleich zu Ende.
Die Uhr wird angehalten, wenn Sie die Frage zulassen.
Ich weiß, aber ich möchte es
trotzdem nicht.
({0})
- Möchten Sie mich begleiten, Herr Hinsken?
Die Breite der getesteten Produktpalette unter Einbeziehung der mittelständischen Hersteller ist eines der positiven Markenzeichen der Stiftung. Wir sollten also bei
den jetzt anstehenden Beratungen mit diesem Thema sehr
sorgfältig umgehen und noch einmal über die Vorgehensweise und den Antrag diskutieren. Ich denke, oberflächliche Rechnungen und Zahlen wie in Ihrem Antrag werden
der Stiftung Warentest nicht gerecht.
({1})
Jetzt erteile ich der
Kollegin Vera Lengsfeld für die CDU/CSU-Fraktion das
Wort.
Frau Präsidentin!
Meine Kolleginnen und Kollegen! Die einzige Konstante
der Regierung Schröder ist, dass man sich auf nichts verlassen kann. Wie wir es gerade erlebt haben, kann man
sich noch nicht einmal darauf verlassen, dass sich der
frisch gebackene Staatssekretär bemüht, rechtzeitig zur
Debatte zu erscheinen, weil er damit beschäftigt ist, im
Parlamentsrestaurant „Kollegen-Bashing“ zu betreiben.
Aber dafür haben wir natürlich größtes Verständnis.
Frau Kollegin, der
Herr Staatssekretär hat mir erzählt, es gehe ihm nicht gut.
Er komme direkt von der Ärztin des Bundestages zu uns
ins Plenum.
Da hat der Herr Staatssekretär leider nicht die Wahrheit gesagt, weil ich ihn im
Parlamentsrestaurant gesehen habe. Er wird es sicherlich
nicht wagen, dies zu bestreiten.
({0})
- Entschuldigen Sie bitte. Das war so.
Um wieder zum Thema zu kommen: Wir haben ein
Verbraucherministerium bekommen, das mit einer neuen
Ministerin bestückt ist, aber die entscheidende Frage, wie
es mit der Verbraucherpolitik weitergeht, ist damit nicht
beantwortet. Um wenigstens die Stiftung Warentest vor
der Willkür der schröderschen Kabinettstückchen zu bewahren, unterstützen wir den Antrag der F.D.P.
Die Stiftung Warentest sollte - von der Bundesregierung mit dem nötigen Stiftungskapital von 100 Millionen DM ausgestattet - in die Selbstständigkeit entlassen
werden. Sie soll von der Bundesregierung in die Lage versetzt werden, das nötige Stiftungskapital aufzubauen und
damit eigenverantwortlich umzugehen.
Die Stiftung Warentest wurde 1964 vom Deutschen
Bundestag gegründet. Ihre Aufgabe ist es, dem Verbraucher bei der Auswahl von Waren und Dienstleistungen
eine Orientierungshilfe an die Hand zu geben. Sie arbeitet seitdem in hohem Maße verlässlich und in guter Qualität.
Jährlich testet die Stiftung über 2 000 Produkte aus
dem Konsumgüterbereich und führt 80 Dienstleistungstests hauptsächlich in den Bereichen Privatfinanzen, Versicherungen, öffentliche Dienstleistungen, Gesundheit,
Freizeit und Reisen durch. In den 35 Jahren ihres Bestehens hat die Stiftung Warentest zu einer Steigerung der
Produktqualität beigetragen.
Ihre Arbeit finanziert die Stiftung überwiegend durch
die Einnahmen aus Publikationen, insbesondere der Zeitschriften „Test“ und „Finanz-Test“. 1999 verfügte die
Stiftung über Gesamteinnahmen in Höhe von 102,6 Millionen DM, von denen 84,5 Millionen DM, also der
Löwenanteil, aus den Verkaufserlösen der Zeitschriften
und anderer Publikationen stammten.
In der Satzung der Stiftung ist ein Anzeigenverbot für
Publikationen verankert. Das ist vor allen Dingen deshalb
geschehen, um die finanzielle Einflussnahme von Anbietern von vornherein auszuschließen und der Stiftung ihre
Unabhängigkeit zu bewahren. Zum Ausgleich dafür erhält
sie Zuwendungen des Bundesfinanzministeriums. Die
Stiftung untersteht außerdem der Kontrolle durch den
Verwaltungsrat, der von der Bundesregierung berufen
wird. Dieser steht ihr auch beratend zur Seite.
Die Stiftung Warentest ist also auf Zuwendungen der
Bundesregierung angewiesen. Mitte Juli 2000 hatte das
Bundeswirtschaftsministerium allerdings bekannt gegeben, dass der Zuschuss des Bundes für die Stiftung von
13 Millionen DM im Jahre 2000 auf 8 Millionen DM im
Jahre 2001 gekürzt werden soll. Das wollte eine Bundesregierung machen, die den Verbraucherschutz als eines ihrer zentralen Themen bezeichnet. Das möchte ich hier betonen. Ich stelle fest, dass zwischen dieser Entscheidung
und der vollmundigen Behauptung ein gewisser Widerspruch besteht;
({1})
denn die geplante Kürzung um 5 Millionen DM hätte die
Stiftung in ihrer Existenz bedroht. Die Ankündigung im
Juli 2000 war viel zu kurzfristig, die meisten Prüfberichte
für das nächste Jahr waren schon in Auftrag gegeben. Die
Tests sind zudem teurer als bei der Konkurrenz, weil mehr
Kriterien geprüft werden, wie etwa die Umweltverträglichkeit der Produkte. Schon 1999 musste bei der Durchführung von Tests drastisch gespart werden, um ein ausgeglicheneres Ergebnis zu erzielen. Weitere Kürzungen
wären an die Substanz gegangen.
Die CDU hat deshalb von Anfang an vehement die
Sparpläne der Bundesregierung bekämpft.
({2})
- Doch. Wir haben auch Erfolg gehabt, denn die Entscheidung ist revidiert worden.
({3})
- Die Entscheidung ist erst jetzt für dieses Jahr revidiert
worden. Statt der angekündigten 8 Millionen DM hat die
Stiftung 10 Millionen DM bekommen.
({4})
Das wissen Sie doch. Das hat überhaupt nichts mit meiner
Parteizugehörigkeit zu tun, sondern war eher das Ergebnis der berechtigten Entrüstung über diese Entscheidung.
({5})
Es ist gleichzeitig aber angekündigt worden, dass die
Zuwendungen für das nächste Jahr - also für das
Jahr 2002 - wieder auf 8 Millionen DM reduziert werden.
Das wird die Stiftung in Schwierigkeiten bringen. Deshalb sind wir ganz entschieden der Meinung, dass diese
Unsicherheit ein Ende haben muss. Die Stiftung benötigt
eine solide Basis und die Unabhängigkeit von den Stimmungen in der Regierung.
({6})
Deshalb unterstützen wir nachdrücklich die Forderung
der F.D.P., die Stiftung unabhängig zu machen. Der Weg,
wie das geschehen kann, ist hier schon beschrieben worden; ich kann mir Ausführungen darüber sparen.
Zum Abschluss möchte ich noch einen Punkt ansprechen. Statt zu handeln und mit Taten zu beweisen, dass ihr
der Verbraucherschutz wirklich am Herzen liegt, fährt die
Regierung die bekannte Doppelstrategie:
({7})
Sie gibt vollmundige Versprechen in hochemotionalisierten
Debatten, denen hektischer Aktionismus folgt. Bund und
Länder planen und berufen zurzeit eine Fülle neuer Beauftragter und Verantwortlicher für den Verbraucherschutz,
um dem öffentlichen Erwartungsdruck zu genügen.
Von einem Bundesamt für Verbraucherschutz ist bereits die Rede. Es drohen ein Wirrwarr an Kompetenzen
und ein Mangel an Koordination. Was wir brauchen, sind
keine neuen Schnellschüsse vom Bund, sondern eine richtige und genaue Analyse, wo genau die Schwachstellen
liegen und wie man eine bessere Kompetenzabgrenzung
von EU, Bund und Ländern hinbekommt.
({8})
Wir brauchen keine neuen Behörden, sondern Transparenz und Kontrolle.
Ministerin Künast verspricht nun einen vorsorgenden
Verbraucherschutz. Das hört sich in der Debatte über BSE
mit den verängstigten Gemütern gut an, aber was ist denn
eigentlich damit gemeint? Das Wort suggeriert, es gebe
die Möglichkeit, alle Risiken des Lebens auszuschalten.
Das ist falsch. Wer nur auf staatlich verordnete Sicherheit
setzt, entmündigt sich selbst. Der anonyme Verbraucher
wird so zum Gegenstück des mündigen Bürgers.
({9})
Wenn Verbraucherschutz eine Flut von neuen Reglementierungen bedeutet, wird er sich wie Mehltau über das
Land legen. Ob neue Reglementierungen am Ende wirklich mehr Schutz bieten, ist sowieso fraglich. Schon jetzt
sind die vielfachen Regelungen kaum noch zu übersehen.
Die Umsetzung des Europäischen Weißbuches für Lebensmittelsicherheit zum Beispiel ist kaum praktikabel.
Was nützen immer neue Gesetze, wenn der Gesetzesdschungel so unübersichtlich wird, dass sich jeder darin
verirrt oder wenn über die vielen neuen Verordnungen die
einfachsten Grundregeln vergessen werden?
Mindestens seit 1923 ist bekannt, dass man Wiederkäuern kein Tiermehl füttern darf, da sie sonst - wie es damals auf einem Kongress hieß - irre werden.
({10})
Seit Jahren ist bekannt, dass die Verfütterung von Antibiotika an Schlachttiere schädliche Folgen beim Menschen hat. Wenn wider besseres Wissen trotzdem Tiermehl an Wiederkäuer und Antibiotika an Schlachtvieh
verfüttert werden, kann das durch keine Vorsorge, sondern nur durch wirksame Kontrollen verhindert werden.
Wir brauchen auf Bundesebene gemeinsame Standards, die auch in den Ländern durchgesetzt werden, um
die unterschiedliche Kontrollpraxis zu beenden. Nachgeordnete Behörden eines Ministeriums sind nie gegen politische Einflussnahme gefeit und deshalb brauchen wir
eine wirklich unabhängige Lobby der Verbraucher. Die
Stiftung Warentest ist eine gute Hilfe für die Bürger, wenn
es darum geht, eine Kaufentscheidung zu treffen. Wir
brauchen dieses Institut und ähnliche unabhängige Institute als Orientierungshilfe in der unübersichtlichen Konsumwelt.
Vielen Dank.
({11})
Ich erteile der Kollegin Ulrike Höfken vom Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Sehr
geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und
Kollegen! Es ist notwendig, den Verbraucherschutz
durch jede Fraktion, jede Partei und jede Institution zu unterstützen. Das gilt für die F.D.P. genauso wie für die
CDU. Es wäre aber schön, Frau Lengsfeld, wenn man Sie
beim Kämpfen auch mal sehen würde.
({0})
Ich will zu dem neuen Schwerpunkt Verbraucherpolitik einführend etwas sagen: Es ist ein entscheidender
Schritt, dass sich die Bundesregierung dazu entschlossen
hat, der Verbraucherpolitik und dem Verbraucherschutz
die höchste Priorität einzuräumen. Das gilt natürlich quer
durch alle Bereiche. Wichtig sind: Vorsorge statt Reparatur, Verbraucherinteressen mit betriebswirtschaftlichen
Interessen gleichsetzen, Verursacherprinzip verankern,
Transparenz schaffen - das bedeutet nicht nur Preisvergleich wie früher, sondern auch Einbeziehung von Qualität, Eigenschaften und innerer Werte bei Waren und
Dienstleistungen - und Technikfolgenabschätzungen.
Ich denke, diese strukturellen Ansprüche verwirklichen sich nun erstmals in der Politik und der Geschichte
der Bundesrepublik, nämlich in einem Ministerium für
Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft.
({1})
Ebenso wird es zu einer Neuorganisation der nachgeordneten Behörden kommen. Das bedeutet keine Schaffung
neuer Behörden, sondern Effizienzsteigerung, Zusammenfassung und Verbesserung der Koordination, auch mit
den Ländern.
Es gibt auch eine Reihe von anderen Vorschlägen, die
die Verbraucherorganisationen seit vielen Jahren vorbringen. Unter anderem wird gefordert, Einfluss des Verbraucherschutzes und Kontrollrechte in allen Bereichen
wirksam zu verankern, wie beispielsweise in der Wirtschaftspolitik oder in der Finanzpolitik. Es wird ein Vetorecht für die Vertreterinnen und Vertreter des Verbraucherschutzes und die zuständige Ministerin sowie eine
Berücksichtigung der Verbraucherinteressen bei Gesetzesberatungen gefordert. Wir werden über all dies zu sprechen haben.
Beispiele sind natürlich in mancherlei Hinsicht vorhanden. Ein Ministerium für Verbraucherschutz kann sich
nicht allein den Dingen zuwenden, die mit Lebensmitteln
und Ernährung zu tun haben, sondern muss sich genauso
den Fragen zu Gewinnspielen, Finanzdienstleistungen
oder Pestiziden und Holzschutzmitteln widmen. Dies
wird es auch tun.
Wir brauchen auch ökonomische Instrumente. Ein Beispiel ist, die Produzentenhaftung zu verstärken. Es geht
aber auch um eine Auseinandersetzung mit der Forderung
nach Abschöpfung der Unrechtsgewinne oder mit der
Umsteuerung der Agrarsubventionen, wie wir sie derzeit
diskutieren.
Natürlich gehört dazu auch die Finanzierung. Dies
gehört mit in diese Debatte, obwohl ich ansonsten die
Überschrift des Antrages nicht verstehe. Wir, die verbraucherschutzpolitischen Sprecherinnen der SPD und der
Grünen, haben uns bemüht, gemeinsam mit den Sprecherinnen und Sprechern der anderen Fraktionen zu einer
Verbesserung der Finanzierung des Verbraucherschutzes
zu kommen. Ich möchte aber noch einmal leise darauf
hinweisen, dass doch weiß Gott unter der alten Bundesregierung alle verbraucherschutzrelevanten Haushaltstitel
reduziert worden sind. Es wurde ein Einschnitt gemacht.
({2})
Es gab keine institutionelle Förderung mehr, sondern nur
noch eine Projektförderung. Damit ist beispielsweise die
Arbeit der Verbraucherzentralen ganz erheblich eingeschränkt worden. Wir haben bis heute nur eine Projektförderung und müssen uns bemühen, hier andere Möglichkeiten der Finanzierung zu schaffen und gegen den Trend
anzugehen, der schon vor einigen Jahren begonnen hat.
({3})
Sie haben Recht, die Stiftung Warentest war in der Diskussion. Ich freue mich über die breite Unterstützung des
Hauses und der Bundesregierung in diesem Fall. 11 Millionen DM sind sicherlich eine Basis, auf der die Stiftung
Warentest ganz gut arbeiten kann.
Was ich aber erstens nicht verstehe, ist das Wort „Unabhängigkeit“ in Ihrem Antrag. Ich sehe auch nicht, wie
sie gewährleistet sein soll, weil Sie die Stiftung mit der
von Ihnen vorgeschlagenen Finanzausstattung noch stärker auf Sparflamme setzen und sie wiederum von der
Bundesregierung abhängig machen. Das kann ich nicht
nachvollziehen. Frau Teuchner hat bereits die Berechnungen erwähnt: Man bräuchte mindestens 170 Millionen DM und keineswegs nur 100 Millionen DM, um eine
solche einmalige bzw. über fünf Jahre verteilte Finanzierung hinzubekommen.
Zweitens frage ich mich, was Sie eigentlich damit meinen, die Stiftung solle am Markt agieren. Die Stiftung
Warentest hat am Markt agiert. Sie hat alle sich ihr bietenden Möglichkeiten wahrgenommen, zum Beispiel vor
kurzem mit der recht moderaten Erhöhung des Bezugspreises ihres Heftes. Ein ganz wichtiger Bestandteil ihrer
Unabhängigkeit sollte bleiben, dass die Stiftung Warentest Anzeigen gewerblicher Unternehmen oder Vereinigungen weder entgeltlich noch unentgeltlich veröffentlichen darf. Ansonsten kann sie sehr gut am Markt agieren.
Da die Idee der Finanzausstattung der Stiftung grundsätzlich nicht schlecht ist, sollte man sich interfraktionell
zusammensetzen und weiter über eine solche Möglichkeit
sprechen, sobald die Prüfung abgeschlossen ist.
Danke schön.
({4})
Jetzt hat der Kollege
Rolf Kutzmutz, PDS-Fraktion, das Wort.
Verehrte Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte etwas vorweg sagen, weil Frau Lengsfeld die Tiermehlverfütterung
angesprochen hat. Ich habe Sie so verstanden, dass Sie
sagten, das Jahr 2000 sei unmittelbar auf das Jahr 1923
gefolgt. Das halte ich zumindest rechnerisch für sehr gefährlich.
({0})
Dazwischen lagen ja einige Jahre, in denen Tiermehl unter ganz anderen Regierungen in Deutschland verfüttert
worden ist.
({1})
Es stimmt: Verbraucherschutz ist in aller Munde.
Jetzt wird entschieden, ob Verbraucher nachhaltig geschützt oder verschaukelt werden. Die erste Frage im Hinblick auf den Antrag ist also, ob der Inhalt hält, was die
Verpackung verspricht. Ich käme nie auf die Idee, Frau
Kollegin Kopp - Sie kennen mich lange genug -, Ihnen
und der F.D.P. zu unterstellen, dass Sie den Verbraucherschutz aushöhlen wollten. Dazu haben wir viel zu ernsthaft gemeinsam gestritten.
Als Sie Mitte Oktober letzten Jahres, also mitten in den
Haushaltsberatungen, in denen massive Kürzungsdrohungen im Raum standen, Ihren Antrag beschlossen haben,
hielt ich ihn für sinnvoll, um Druck auszuüben. Die Überschrift „Stiftung Warentest in die Unabhängigkeit entlassen“ entsprach aber damals wie heute nicht dem Inhalt des
Antrages und auch nicht dem, was mit ihm erreicht werden könnte.
Dass Sie diesen Antrag ausgerechnet jetzt, da über
BSE, Schweine-Antibiotika und viele andere Dinge diskutiert wird, auf die Tagesordnung setzen und ihn nicht
still und leise beerdigen, was ich mir gewünscht hätte
({2})
- ja, dazu sage ich gleich etwas -, wirft eine ernste Frage
auf: Steht Liberalisierung wirklich über dem möglichen
und notwendigen Schutz von 80 Millionen Verbraucherinnen und Verbrauchern?
Dabei - das will ich auch sagen - ist die Idee, die Stiftung durch einen Kapitalstock vom Wohlwollen des jeweiligen Bundesfinanzministers unabhängig zu machen,
grundsätzlich ehrenwert. Wir haben beispielsweise mit
der Wirtschaftsförderung über das ERP-Sondervermögen
keine schlechten Erfahrungen gemacht.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Kopp?
Ja.
Bitte sehr.
Herr Kollege Kutzmutz, gestehen Sie uns Liberalen zu, dass das Anliegen im Oktober und heute noch viel mehr äußerst ernst war bzw. ist?
Wir kümmern uns im Augenblick fast ausschließlich um
die BSE-Krise und deren Bewältigung, was richtig ist,
aber Verbraucherschutz ist eben sehr umfassend. Deshalb
die Frage an Sie: Dieses Anliegen, die Stiftung Warentest
in die Unabhängigkeit zu entlassen, ist in Zusammenhang
damit zu sehen, dass wir möchten, dass die Stiftung ihre
qualitativ hochwertige Arbeit uneingeschränkt weiterführen kann, ohne Jahr für Jahr von weiteren Finanzkürzungen bedroht zu werden. Vielmehr soll sie in die Lage versetzt werden, einen Kapitalstock aufzubauen. Sie soll in
der Zwischenzeit weiterhin die Zuschüsse in Höhe von
11 Millionen DM erhalten, sodass sie ihre Arbeit danach
aus eigenen Kräften auf der Basis, die sie derzeit nicht hat,
und unabhängig von jeder Regierung, von jedem Finanzminister oder von jedem, der gerade zuständig ist, ausführen kann. Sind Sie bereit, das so anzuerkennen?
({0})
Liebe Kollegin, ich erkenne
vieles von dem an, was Sie sagen. Ich erkenne auch Ihren
liberalen Anspruch an und - das habe ich in meiner Einleitung gleich betont - ich würde Ihnen nie unterstellen,
dass Sie den Verbraucherschutz sozusagen der Liberalisierung opfern wollen. Aber - das sage ich noch einmal
ausdrücklich - die Gefahr besteht. Ich denke, die Stiftung
Warentest wird die Unabhängigkeit, von der Sie suggerieren, dass sie erreicht werden könne, mithilfe der Mittel,
die Sie aufbringen wollen, niemals erreichen.
Ich sage auch noch etwas zu den Zahlen, Frau Kopp,
weil ich mich dafür interessiert habe, wie die Verhältnisse
im gesamten Wirtschaftsbereich aussehen. Ich werde Sie
nicht überzeugen, das weiß ich. Sie haben Ihren Antrag ja
mit gutem Herzen und mit viel Überzeugung geschrieben.
({0})
Ich will aber zumindest auf einige Punkte aufmerksam
machen, die wir gemeinsam in den Ausschussberatungen
beachten sollten. Ich komme noch darauf zurück.
Wir haben also gute Erfahrungen in Zusammenhang
mit dem ERP-Sondervermögen gemacht; da gibt es einen
Kapitalstock. Aber ich sage auch: Kein Mensch käme darauf, diesen Kapitalstock jedes Jahr durch Substanzverzehr aufzubrauchen. Jeder, auch wir, achtet darauf, dass
dieser Kapitalstock erhalten bleibt.
100 Millionen DM für die Stiftung sind, gelinde gesagt, ein schlechter Witz. Selbst wenn man die eigenen
Rücklagen berücksichtigt, könnten bei einem solchen Kapitalstock und ohne Gefahr zu laufen, die Substanz anzugreifen, jährlich maximal 6,5 bis 7 Millionen DM aufgebracht werden; immerhin waren im Vorjahreshaushalt der
Bundesregierung trotz der von uns gemeinsam erfolgreich bekämpften Kürzungspläne der Bundesregierung
noch 8 Millionen DM eingestellt. Jetzt sind im Haushalt
11 Millionen DM eingestellt.
Sie begründen Ihren Antrag damit, liebe Kolleginnen
und Kollegen von der F.D.P., dass es seit 13 Jahren Zuschüsse in unveränderter Höhe gegeben hat. Das hätte man
gutwillig durchaus als Selbstkritik durchgehen lassen können. Schließlich hat Ihre Partei in elf dieser 13 Jahre den
Bundeswirtschaftsminister gestellt. Nicht einmal der Inflationsausgleich ist beim Verbraucherschutz jedes Jahr
beachtet worden. Die erneuten Kürzungspläne jetzt zum
Anlass zu nehmen, den Bundeszuschuss faktisch zu halbieren, halte ich für ein starkes Stück.
({1})
Dem Ganzen setzt jedoch Ihre Forderung die Krone auf
- jetzt komme ich zu Ihrem Punkt -, der Bund solle sich
komplett aus der Stiftung zurückziehen. Sie nennen das:
Entlassung in die Unabhängigkeit. Glauben Sie wirklich
ernsthaft, dass in der Marktwirtschaft mit den Erkenntnissen, die auch Sie haben, dem Rückzug des Bundes
nicht der Einzug ganz anderer Firmen und Leute folgen
würde?
({2})
Meinen Sie wirklich, Verbraucherschützer ohne öffentliche Hand im Rücken blieben unabhängig, wenn sie mit
ihrem 100-Millionen-DM-Etat einen Bereich kontrollieren und bewerten, in dem jährlich 60 Milliarden DM für
Werbung eingesetzt werden?
({3})
Bei 60 Milliarden DM wollen Sie mit 6 Millionen, 8 Millionen oder 10 Millionen DM etwas kontrollieren?
140 Millionen DM stehen beispielsweise der Centralen
Marketinggesellschaft der deutschen Agrarwirtschaft zur
Verfügung - jene CMA, die derzeitig auf allen Plakatwänden Spitzenköche zur Fahndung ausschreibt. Ich
glaube nicht, dass der Antrag geeignet ist, die Sache des
Verbraucherschutzes wirklich voranzubringen.
Ich bitte Sie herzlich, dass wir in den Ausschüssen
- dorthin wird der Antrag überwiesen - ganz ernsthaft diskutieren. Vielleicht kann der Antrag ergänzt werden. In
der jetzt vorliegenden Form können wir ihm aber nicht zustimmen.
Ich möchte mit meiner letzten Bemerkung dem Herrn
Staatssekretär sagen: Wenn Sie es mit dem Verbraucherschutz ernst meinen, dann können Sie mit unserer Unterstützung rechnen. Wir müssen noch darüber streiten, welches die wirksamste Form ist. Transparenz wird nicht
alleine dadurch gesichert, dass sich der Staat zurückzieht.
Es gibt auch in der freien Wirtschaft genügend schwarze
Schafe.
Danke schön.
({4})
Ich erteile der Kollegin Dr. Margrit Wetzel, SPD-Fraktion, das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Frau Kopp, ich will Ihnen
durchaus zugestehen, dass Ihr Antrag mit Sicherheit gut
gemeint ist. Aber Sie konnten schon den Ausführungen
meiner Vorredner entnehmen, dass er in der Sache völlig
daneben gerutscht ist.
Der erste Ausrutscher - darauf haben schon mehrere
Redner hingewiesen - ist der Begriff „in die Unabhängigkeit entlassen“. Dieser Begriff suggeriert schlicht und einfach, dass es jetzt eine Abhängigkeit gibt.
({0})
Aber genau die absolute Unabhängigkeit der Stiftung
Warentest ist es, die ihre Anerkennung bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern, aber auch bei den Produzenten ausmacht, die sich den kritischen Untersuchungen
stellen. Die absolute Neutralität macht die Einzigartigkeit der Stiftung Warentest aus.
({1})
Genau diese Neutralität schafft Akzeptanz. Es ist überhaupt keine Frage, dass wir diese erhalten wollen.
Der wichtigste Punkt für die äußerlich sichtbare Unabhängigkeit ist die Tatsache, dass die Stiftung Warentest
keine Anzeigenwerbung annimmt.
({2})
Genau das wollen wir nach wie vor unterstützen.
({3})
Dass der Bund deshalb Ausgleichszahlungen leistet, ist in
der Vergangenheit völlig selbstverständlich gewesen.
Man wird sich darüber unterhalten müssen, ob diese
Regelung so bleiben kann oder ob sie geändert werden
muss. Wichtig aber ist, dieses äußere Zeichen der Unabhängigkeit zu erhalten.
Ich habe mir von der Stiftung bestätigen lassen, dass es
unter keiner Regierung und zu keiner Zeit, seit es die Stiftung gibt, in irgendeiner Form irgendeinen Versuch der
Einmischung in die Sacharbeit gegeben hat. Das heißt, die
Unabhängigkeit der Stiftung Warentest war und ist gewährleistet. Wenn wir nun aufgrund der Staatsverschuldung Einsparungen vornehmen müssen, dann liegt für jeden, der Zuschüsse erhält, darin die Chance, die eigene
Wirtschaftlichkeit zu überprüfen und gegebenenfalls
Konsequenzen zu ziehen.
({4})
Genau das hat die Stiftung gemacht: Sie hat Kosten gesenkt, Einnahmen erhöht und hat ihrerseits alles getan,
trotz der notwendigen Kürzung der Mittel die gleiche
Leistung und Qualität zu liefern. Ich denke, an dieser
Stelle gebührt der Stiftung Warentest ein ganz großes
Dankeschön, dass das erreicht worden ist.
({5})
Frau Kollegin, die
Kollegin Kopp möchte Ihnen eine Zwischenfrage stellen.
Ich lasse die Zwischenfrage nicht zu. Mir würde es zwar Spaß machen, darauf zu antworten. Aber da sich Herr Koppelin eben bei
Frau Teuchner bedankt hat, dass sie mit Rücksicht auf die
Kollegen, die nachher noch reden, keine Zwischenfrage
zugelassen hat, möchte auch ich keine Zwischenfrage zulassen. Diesen Dank möchte ich mir ebenfalls verdienen.
({0})
Der nächste Punkt ist die angebliche Existenzbedrohung durch die Kürzung. Natürlich finden auch wir die
Kürzung nicht gut. Wir wollen versuchen, sie zu verhindern. Aber daraus nun gleich eine Existenzbedrohung für
die Stiftung konstruieren zu wollen ist einfach absurd.
({1})
Auch die Einnahmen aus Anzeigen können zurückgehen.
Es gibt immer Schwankungen, wenn man sich am Markt
behaupten will. Die Stiftung hat aber gezeigt, dass sie in
der Lage ist, auf Schwankungen sofort zu reagieren.
Wir sind in großer Sorge, dass die Stiftung die Prüfungen einschränken muss, wenn ihr weniger Finanzmittel
zur Verfügung stehen. Die Einschränkungen könnten sowohl hinsichtlich der Tiefe - die Prüfungen würden also
nicht mehr so genau sein - als auch hinsichtlich der
Breite - es würden weniger Projekte in Angriff genommen werden - erfolgen. All das würde die Qualität beeinträchtigen. Deswegen wollen wir keine Reduzierung der
Finanzmittel - im Gegenteil. Das ist eine ganz klare Aussage.
Sie weisen in Ihrem Antrag kritisch darauf hin, dass
nun auch noch Verbraucherinformationen im Internet
angeboten werden sollen. Gott sei Dank gibt es diese Aufgabenausweitung.
({2})
Gott sei Dank wird ein Markt erschlossen, der der Stiftung
eine weitere Verbreiterung ihres Angebots bringt und für
mehr Akzeptanz sorgen wird.
({3})
Diese sinnvollen Angebote spielen auch Erlöse ein. Wir
warten mit Spannung darauf, wie sich dieses Gebiet entwickelt.
Hinzu kommt, dass jede Aufgabeneinschränkung kontraproduktiv wäre. Sie beklagen - das ist völlig absurd;
ich komme gleich darauf zurück - beispielsweise die Bildungstests. Die Stiftung muss so viele Aufgaben übernehmen, wie es nur möglich ist. Ich möchte an dieser Stelle
die Untersuchungen in Zusammenarbeit mit der EUKommission über Verkehrsflughäfen oder - heute gab es
eine entsprechende Ticker-Meldung - die Untersuchungen über Brandschutz und Sicherheit in europäischen
Bahnhöfe erwähnen. Das alles sind Dinge, mit denen sich
die Stiftung Warentest einen Namen macht. Es gilt, dieses
breite Aufgabenspektrum zu erhalten und die Stiftung
darin zu unterstützen.
Deswegen halte ich es für einen großen Ausrutscher,
wenn Sie, wenn im Bildungsministerium überlegt wird,
mit der Stiftung zusammen Bildungstests zu entwickeln,
sagen, neue Aufgaben seien völlig unangebracht, und
wenn Sie das öffentlich ausschreiben lassen wollen.
({4})
Ich halte das für völlig daneben. Wir haben eine öffentliche Diskussion über die Qualität von Bildungsangeboten, speziell von Bildungsangeboten im Internet; das ist
ein völlig neuer Markt. Wenn man da auf dem Know-how,
dem Wissen der Fachleute und der Infrastruktur der Stiftung Warentest aufbauen kann, ist das eine ganz hervorragende Sache. Wir sollten alles tun, um zu unterstützen,
dass die Stiftung in diesen Aufgabenbereich hineinkommen kann. Dass dabei Vereinbarungen mit dem Ministerium getroffen werden und auch die finanzielle Seite abgesichert werden wird, ist doch völlig klar. Bisher hat die
Stiftung nie ehrenamtlich gearbeitet und das soll sie auch
in Zukunft nicht. Also wird das natürlich geklärt.
Ganz nebenbei gesagt, arbeitet die Stiftung schon bei
drei Projekten mit der Finanzierungshilfe des Bildungsministeriums, gerade im Bereich Internet.
Ein letztes Wort zum Stiftungskapital; darauf sind
schon einige meiner Kolleginnen und Kollegen eingegangen. Sie haben an dieser Stelle nichts anderes gemacht, als
auf einen fahrenden Zug aufzuspringen. Sie wissen ganz
genau, dass wir darüber diskutieren, die Stiftung mit dem
notwendigen Kapital auszustatten. Warum Sie uns nun allerdings eine Ratenzahlung empfehlen, kann ich nicht
verstehen. Wir sind doch nicht im Versandhandel. Man
kann das also auch anders regeln.
({5})
- Es ist absolut absurd, auf der einen Seite mit Ratenzahlungen - ({6})
- Können Sie ein bisschen leiser dazwischenreden? Ich
habe noch anderthalb Minuten, die ich gerne nutzen
würde. Es ist sehr anstrengend, hier zu reden, wenn man
ständig Ihre Zwischenrufe im Ohr hat.
({7})
- Das ist nicht unsachlich, sondern es ist, wenn wir über
Stiftungskapital nachdenken, wichtig, dass wir von vornherein die notwendige Höhe zur Verfügung stellen und
keine Ratenzahlungen vorsehen,
({8})
sodass wir in den folgenden Jahren nicht ständig über weitere Mittel, die jährlich dem Haushalt abgerungen werden
müssen, nachdenken müssen.
Wenn, machen wir eine vernünftige Sache. Den
Prüfauftrag gibt es. Die Haushälter, die Arbeitsgruppen
der Koalitionsfraktionen und auch das BMWi, das bisher
dafür zuständig war, prüfen das ausgesprochen wohlwollend. Man kann das solide rechnen, indem man berücksichtigt, welche Rendite zu erzielen ist und welche Zuschüsse wir gezahlt haben. Wenn man davon ausgeht, dass
über Zinsen 10 Millionen DM zusammenkommen sollen,
können wir uns ausrechnen, dass das Stiftungskapital im
Moment irgendwo zwischen 140 und 170 Millionen DM
liegen müsste.
Wir werden intensiv darüber beraten müssen, ob wir
dieses Geld zur Verfügung stellen können, und wir werden das in den Ausschüssen auch tun. Wir wissen alle,
dass wir uns in dieser Sache vollkommen einig sind: Wir
wollen absolute Sicherheit für die Stiftung.
An der Stelle noch ein Hinweis: Ihre Anregung, dass
die Rücklagen der Stiftung in Stiftungskapital umgewandelt werden sollen, ist eine reine Milchmädchenrechnung.
Sie können sich an fünf Fingern abzählen, dass die Einnahmen, die von der Stiftung aus diesen Rücklagen erwirtschaftet werden, in die tägliche Arbeit einfließen und
die Zinsen insofern gar nicht als etwas, von dem man zehren kann, zur Verfügung stehen.
({9})
Deshalb bitte ich Sie, die Beratungen abzuwarten. Ihr
Antrag ist ja im Grundsatz nicht verkehrt, aber, wie gesagt, an etlichen Stellen völlig daneben. Vor allem bitte
ich Sie, der neuen Ministerin Zeit zu lassen, damit sie sich
mit diesen Fragen in Ruhe auseinandersetzen kann. Denn
auch einer neuen Ministerin müssen wir eine Chance für
ganz seriöse Arbeit geben.
Ich bedanke mich.
({10})
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Max Straubinger, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und
Kollegen! Verbraucherschutz, Verbraucherinformation
und Verbraucherpolitik sind häufig Schlagworte in der Öffentlichkeit und sind aufgrund des erstmaligen Auftretens
von BSE jetzt noch weit stärker in die Öffentlichkeit geraten. Das hat auch bei der Bundesregierung zu ersten Handlungen geführt. Sie konzentriert die Verbraucherpolitik im
Landwirtschaftsministerium. Das tut zwar auch die Bayerische Staatsregierung, aber ich glaube, diese hat das Problem besser gelöst. Sie richtet ein eigenes Ministerium für
Verbraucherschutz und für Gesundheit ein.
({0})
- Nein, das hat mit Rücktritten überhaupt nichts zu tun.
Meines Erachtens ist vielmehr die Bewältigung der Krise
für die Menschen in unserem Land das Entscheidende.
({1})
- Wenn ich die aktuelle Situation und die Krisen - von
Schleswig-Holstein über Niedersachsen und andere Bundesländer - betrachte, stelle ich fest: Das ist im ganzen
Land nötig.
Verehrte Damen und Herren, ich glaube, dass es
grundsätzlich zu begrüßen ist, Verbraucherschutzfragen
zu bündeln, wobei dies natürlich schwierig ist, weil Verbraucherschutz eine Querschnittsaufgabe über viele Bereiche darstellt. Wir sollten durchaus auch danach fragen:
Was überhaupt ist Verbraucherschutz?
Zuerst möchte ich hier ausführen: Verbraucherschutz
darf nicht zur Bevormundung der Verbraucher führen.
Das, glaube ich, ist einer der wichtigsten Punkte. Vielmehr muss dem Verbraucher die höchstmögliche Sicherheit geboten werden, und zwar in folgenden Punkten.
Erstens. Gesetzliche Verpflichtungen in den Produktionsverfahren müssen eingehalten werden; Einschränkungen und erhöhte Verpflichtungen zum Schutz der Verbraucher müssen in den beteiligten Wirtschaftskreisen
ihre Berücksichtigung finden.
Zweitens. Der Verbraucher muss ausreichende Informationen erhalten und der Hersteller muss seinen Unterrichtungspflichten nachkommen, um Vor- und Nachteile abwägen zu können.
Drittens. Der Verbraucher muss durch ein Widerrufsrecht vor Überrumpelungen geschützt werden.
Verehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, obwohl es in der Vergangenheit kein sehr populäres Thema war, hat die alte Bundesregierung im Verbraucherschutz wesentliche Verbesserungen erreicht. Ich
erinnere gerade an gesetzliche Vorschriften und Änderungen, vor allem an die Vorschriften des BGB zu Pauschalreisen, an das Verbraucherkreditgesetz, das Gesetz über
den Widerruf von Haustürgeschäften und ähnlichen Geschäften, an das Produkthaftungsgesetz und das Umwelthaftungsgesetz. Ich glaube, dies sind Gesetze, die auch
mit Blick auf den vorsorgenden Verbraucherschutz zu
verstehen sind.
Aufgrund des heutigen Antrages der F.D.P.-Fraktion,
die Stiftung Warentest in die Unabhängigkeit zu entlassen,
ist es durchaus angebracht, auch das bisherige Handeln der
rot-grünen Bundesregierung in den Fragen des Verbraucherschutzes und den Stellenwert des Verbraucherschutzes
in ihrer Politik zu hinterfragen. Bisher gab es beim
Bundeswirtschaftsministerium zwei entsprechende Einrichtungen: einen interministeriellen Ausschuss für
Verbraucherfragen und einen Verbraucherbeirat. Beide
Einrichtungen haben seit dem Amtsantritt der rot-grünen
Bundesregierung nicht getagt bzw. sie wurden nicht berufen. Ich glaube, dies wirft durchaus ein bezeichnendes
Licht auf den Stellenwert des Verbraucherschutzes in der
Vergangenheit. Ich hoffe, dass dies besser wird.
({2})
Der Verbraucherausschuss beim Bundeslandwirtschaftsministerium hat - man höre und staune - mittlerweile sein 50-jähriges Bestehen gefeiert und ist schon fast
eine ehrwürdige Einrichtung. Aber auch er hat bisher leider Gottes nur einmal getagt, nämlich am Rande der Grünen Woche. Das bedeutet, dass gerade bei der rot-grünen
Bundesregierung in diesem Bereich durchaus Verbesserungen angesagt sind, und zeigt sehr deutlich, dass
mit dem Verbraucherschutz stiefmütterlich umgegangen
wurde.
Dieser Umstand setzt sich auch in der Haushaltspolitik fort. Viele Vorrednerinnen und Vorredner sind bereits
darauf eingegangen, dass die Stiftung Warentest in der
Vergangenheit immer mit 13 Millionen DM aus dem
Bundeshaushalt unterstützt wurde, damit sie ihre selbst
gestellten Aufgaben, zum Beispiel die Produkttests und
die Darstellung der Ergebnisse, unabhängig und unparteiisch durchführen konnte. Aufgrund des Vorschlages
des Bundeswirtschaftsministeriums bei den Haushaltsberatungen 2001 wurden nur noch 8 Millionen DM für die
Stiftung Warentest gewährt. Durch versammelten und
gestärkten Einsatz quer durch alle Fraktionen des Hohen
Hauses, des Parlaments, konnte zumindest eine Erhöhung auf 11 Millionen DM erreicht werden.
({3})
Aber es ist schon bezeichnend, wenn mit dem Zuwendungsbescheid an die Stiftung Warentest - Frau Kopp hat
bereits darauf hingewiesen - gleichzeitig bedeutet
wurde, dass die Stiftung Warentest im Jahre 2002 mit nur
noch 8 Millionen DM Unterstützung rechnen kann. Diese
Kürzungen schränken natürlich die Arbeit der Stiftung
Warentest drastisch ein.
Eine moderne Verbraucherpolitik bedeutet für mich
die Respektierung des Grundsatzes „Privatautonomie des
Einzelnen in einem wirtschaftlichen System mit hoher
Transparenz“. Der Verbraucherschutz soll keine Bevormundung des Verbrauchers sein, sondern dem mündigen
Verbraucher gewährleisten, dass er über Kriterien, die für
seine Entscheidung maßgeblich sind, zutreffend und
vollständig informiert wird.
({4})
Dies ist neben dem Schutz vor dem Überrumpeln des
Verbrauchers durch geschickte Verkaufstaktiken und neben der Kontrolle der Produktionstechniken die tragende
Säule des Verbraucherschutzes.
Die Stiftung Warentest liefert seit vielen Jahren Informationen und Testergebnisse, die viele Produkte umfassen, und zwar nicht nur Verkaufsrenner, sondern auch Nischenprodukte. Das ist besonders wichtig; denn gerade
Tests in diesem Bereich sind im Hinblick auf den Verbraucherschutz nützlich.
({5})
Angesichts der Kürzungsvorstellungen der Bundesregierung ist diese Arbeit gefährdet. Deshalb ist darauf
hinzuwirken, dass die Stiftung Warentest zukünftig von
politischer Unbill und vor allen Dingen von weiteren
finanziellen Kürzungseinschnitten verschont wird.
Deshalb werden wir in den Ausschussberatungen den
Antrag der F.D.P. einer positiven Prüfung unterziehen.
Besten Dank für die Aufmerksamkeit.
({6})
Herr Kollege, das war
im Hinblick auf die Ihnen zustehende Redezeit eine
Punktlandung.
Nun freuen wir uns auf den Vertreter der Bundesregierung, auf den Parlamentarischen Staatssekretär Matthias
Berninger.
Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Meine Freude ist nicht ganz so groß: Ich war soeben beim Arzt. Ich habe eine leichte Magen-DarmGrippe. Wenn ich hier also gleich weglaufe, dann liegt das
nicht am Thema.
Das neue Ministerium, in dem ich Parlamentarischer
Staatssekretär geworden bin, trägt den Namen „Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft“. Verbraucherschutz steht deshalb an erster
Stelle, weil die Bundesregierung dem vorsorgenden
Verbraucherschutz in den nächsten zwei Jahren ihrer
Arbeit ein besonderes Augenmerk widmen wird. Vor diesem Hintergrund ist auch die Stiftung Warentest für uns
ein sehr wichtiges Thema.
Frau Kollegin Kopp, ich bin Ihnen deshalb dankbar,
dass wir heute über einen Antrag bezüglich der Stiftung
Warentest diskutieren. Ich finde, wir sollten über die
Frage, wie eine solche Stiftung besser zu finanzieren
ist, keinen politischen Streit führen. Das ist für mich nur
eine Frage der Kalkulation. Wenn Sie Herrn Finanzminister Eichel überzeugen würden, uns beispielsweise
166,66 Millionen DM zur Verfügung zu stellen, dann
würden wir uns überlegen, ob wir die Stiftung Warentest
in Ihrem Sinne vollständig unabhängig machen. Wenn der
Herr Finanzminister diese Mittel nicht zur Verfügung stellen wird, werden wir um jährliche Zuwendungen für diese
Stiftung kämpfen.
Eines ist aber in jedem Fall klar: Wir wollen, dass die
Stiftung Warentest unabhängig ist, weil wir glauben, dass
der Verbraucherschutz ein Thema ist, das sich nicht zum
parteipolitischen Streit eignet, sondern alle Bürgerinnen
und Bürger gleichermaßen betrifft und daher überparteilich sowie unabhängig zu betrachten ist.
({0})
Lassen Sie uns hier also nicht streiten und wenden Sie sich
an den Finanzminister!
Ich wäre auch für eine zweite Variante gerne zu haben:
Wenn er nicht bereit ist, in einem Jahr das nötige Stiftungskapital anzuhäufen, kann er dies gerne auch in fünf
Schritten tun. Dann bräuchten wir allerdings 189 Millionen DM. Als ehemaliges Mitglied des Haushaltsausschusses kann ich Ihnen dazu nur sagen: Ich wünsche Ihnen dabei viel Vergnügen. Ich vermute, das wird nicht
klappen.
Dennoch wird die Stiftung Warentest für uns eine ganz
wichtige Institution sein.
({1})
Es ist kein Zufall, dass die Stiftung Warentest von allen
deutschen Institutionen die höchsten Sympathiewerte hat.
Diese Werte liegen höher als die des Parlamentes, die der
Bundesregierung und sogar die der katholischen Kirche.
Es ist kein Zufall, dass sie eine Art Leuchtturm unter den
deutschen Verbraucherorganisationen ist. Das wollen wir
für den vorsorgenden Verbraucherschutz nutzen. Denn ich
glaube, die Verbraucherinnen und Verbraucher brauchen
die Unterstützung der Stiftung Warentest.
Das Thema Nahrungsmittel beschäftigt zurzeit uns
alle. Die Bürgerinnen und Bürger sind besorgt, und das
völlig zu Recht. Vorhin wurde über den Tiermehlskandal
und über die in der Schweinemast verwendeten Antibiotika diskutiert. Lassen Sie mich gleich einmal klarstellen:
Je kleiner die Tiere sind, desto mehr Antibiotika bzw. Medikamente erhalten sie. Der Zustand, den wir heute in der
Massentierhaltung haben, ist nur aufrechterhaltbar, wenn
man massenhaft Medikamente einsetzt.
Das alles sind Themen, denen sich die Stiftung Warentest weiterhin widmen kann. Das sind Themen, über die
die Verbraucherinnen und Verbraucher aufgeklärt werden
müssen. Ich mache mir allerdings nichts vor: Solche Themen haben Konjunktur. Zurzeit reden alle über BSE. BSE
und die Diskussion darüber werden aber dieses Land und
die Landwirtschaft nur dann verändern, wenn die Verbraucherinnen und Verbraucher auf Dauer sensibilisiert
bleiben. Ich freue mich, dass sie es heute sind. Ich wünsche mir aber - und das wäre eine Unterstützung für die
Bundesregierung -, dass sie es auf Dauer bleiben, und um
daran erinnert zu werden, ist die Stiftung Warentest sicherlich eine wichtige Einrichtung.
Zwei erfolgreiche Publikationen gibt es: „Warentest“
und „Finanz-Test“. Am Beispiel der Zeitung „FinanzTest“ erkennen Sie, dass sich die Stiftung Warentest sehr
frühzeitig auf neue Felder konzentriert hat, wo die Verbraucher Dinge nachgefragt haben, übrigens weit vor der
Politik. In der Rentenpolitik ist über so etwas wie private
Altersvorsorge über Jahre nicht geredet worden. Die
Stiftung Warentest hatte ein besseres Gespür als die Politik sowohl der alten als auch der neuen Regierung dafür,
dass die Verbraucher hier ein Interesse haben.
Ich sehe es als eine Aufgabe des neuen Ministeriums,
die Rentenreform positiv zu begleiten und die Unsicherheit der Verbraucherinnen und Verbraucher hinsichtlich
der privaten Altersvorsorge möglichst gering werden zu
lassen, für Aufklärung zu sorgen und den Menschen, die
ihr Geld anlegen und im Alter dieses Geld auch haben
wollen, die nötige Sicherheit zu geben. Das ist ein ganz
wichtiges Thema für uns in den nächsten zwei Jahren.
({2})
Das Thema Bildungstest ist angesprochen worden. Es
gibt immer mehr Bildungsangebote, übrigens auch priMax Straubinger
vate Bildungsangebote, und die Qualität dieser Bildungsangebote ist für jemanden, der sie nachfragen will, nicht
auf den ersten Blick erkennbar. Auch hier wollen wir einen Akzent setzen. Es wird nur eines von vielen Themen
sein, wo wir Akzente setzen wollen; denn wir glauben,
dass in einer Gesellschaft, die lebenslang lernt, die Weiterbildung ein wichtiges Thema ist, dass die Eigenverantwortung zählt und wir die Menschen unterstützen sollten.
({3})
Ich glaube, es gibt auch hier im Haus einen Konsens
darüber, dass Marktwirtschaft nur funktioniert, wenn
die Verbraucher faire Chancen haben. Es gibt viele Bereiche - Ernährung ist ein Bereich, Kinderspielzeug ist meiner Meinung nach ein ganz wichtiger Bereich -, wo vor
allem die Verbraucherinnen und Verbraucher, die nicht
viel Geld im Portemonnaie haben, keine fairen Chancen
haben. Es ist die Aufgabe der rot-grünen Koalition, dafür
zu sorgen, dass diese Chancen verbessert werden; denn
dann funktioniert auch die Marktwirtschaft besser.
Vielen Dank.
({4})
Ich glaube, ich spreche in Ihrer aller Namen, wenn ich dem Herrn Kollegen
Berninger gute Besserung wünsche, damit er bald wieder
auf die Beine kommt.
({0})
Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/4284 auf die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Abweichend von der
Tagesordnung soll die Vorlage zunächst und federführend
an den Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Forsten überwiesen werden. - Heißt der Ausschuss noch
so? - Also, der heißt jetzt auch anders, also Überweisung
an den zuständigen Ausschuss. Damit sind Sie einverstanden? - Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 11 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten
Brunhilde Irber, Iris Gleicke, Hermann Bachmaier,
weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD
sowie den Abgeordneten Sylvia Voß, Ekin
Deligöz, Christa Nickels, weiteren Abgeordneten
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gaststättengesetzes
- Drucksache 14/4937 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Tourismus ({1})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Damit sind
Sie einverstanden; dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe der Kollegin
Renate Gradistanac das Wort.
Frau Präsidentin! Werte
Kolleginnen und Kollegen! Wir wollten nicht alles anders
machen, sondern vieles besser. Heute Abend ist wieder
einmal Gelegenheit, das zu beweisen.
({0})
- Danke für die Zustimmung.
In der letzten Legislaturperiode wurde das Gaststättengesetz dahingehend geändert, dass alle Gastwirte mindestens ein alkoholfreies Getränk anbieten müssen, das
nicht teurer sein darf als das preiswerteste alkoholhaltige
Getränk. Leider mussten wir feststellen, dass diese für den
Jugendschutz und auch für die Verkehrssicherheit wichtige Regelung in der Praxis - um es einmal vorsichtig auszudrücken - zu Unklarheiten geführt hat und zum Teil leer
läuft.
({1})
Nach wie vor ist der Konsum alkoholischer Getränke
günstiger als der alkoholfreier.
({2})
Ich denke, wir können das alle hin und wieder in unseren
Wahlkreisen beobachten.
({3})
- Herr Hinsken, Sie werden doch da nicht auf einem Auge
blind sein.
({4})
Das haben die Überprüfungen von Gaststätten durch verschiedene Verbraucherzentralen gezeigt.
({5})
Dabei sind die Gaststätten vornehmlich dazu übergegangen - Herr Hinsken, es ist schon spannend, wie sie das
unterlaufen haben -, die Vorschrift formal nach Maßgabe
der Einzelverkaufspreise der Getränke zu erfüllen, hinsichtlich der Mengenpreise aber zu unterlaufen. Hinzu
kommt, dass dieses Vorgehen auch durch die Rechtsprechung bestätigt wurde.
Wir stellen nun klar, dass die vorgeschriebene Preisrelation auf der Grundlage des hochgerechneten Preises für
einen Liter der betreffenden Getränke zu gewährleisten
ist, sodass zumindest ein alkoholfreies Getränk sowohl
vom spezifischen als auch vom absoluten Preis her nicht
teurer sein darf als das billigste alkoholische Getränk.
Dies ist, so meinen wir, ein kleiner aber wichtiger Schritt,
um es gerade Jugendlichen, die mit ihrem Geld oft knapp
kalkulieren müssen, zu ermöglichen, ein alkoholfreies Erfrischungsgetränk statt Bier zu wählen, das in Gaststätten
zumeist als billigstes Getränk angeboten wird. Soweit der
Inhalt der Gesetzesänderung - leicht zu verstehen.
Lassen Sie mich als Mitglied im Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und im Tourismusausschuss zwei Punkte aufgreifen: die Eindämmung des Alkoholkonsums, insbesondere bei Jugendlichen, und die
Erhöhung der Verkehrssicherheit. Wie allgemein bekannt - heute Nachmittag konnten wir es ja auch noch einmal hören - gehört Deutschland leider zur europäischen
Spitzengruppe beim Alkoholkonsum. Das heutige Gesetz
kommt unserem, meinem Anspruch auf Suchtprävention
ein Stück näher.
Seit Anfang der 90er-Jahre ist der Anteil alkoholbedingter Unfälle deutlich zurückgegangen. Erfreulicherweise gab es ein Umdenken bei den Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmern. Dennoch ist die Zahl der
Verkehrsopfer immer noch zu hoch. 14 Prozent aller Verkehrstoten starben an den Folgen eines Alkoholunfalls; so
die Zahlen des Statistischen Bundesamtes aus dem Jahr
1999. Dabei fällt auf, dass sich die meisten Autounfälle an
den Wochenenden ereigneten. Noch deutlichere Unterschiede zeigten sich in der tageszeitlichen Verteilung:
Zwischen 18 Uhr abends und 4 Uhr morgens stieg der Anteil der Unfälle mit Personenschaden, die auf Alkohol
zurückzuführen sind, auf 64 Prozent an. Nach Mitternacht
- hier liegt ein deutlicher Schwerpunkt - steigt er noch
stärker. Die Absenkung der Promillegrenze, heute im Plenum diskutiert, auf 0,5 Promille und die Änderung des
Gaststättengesetzes werden - so meine Erwartung - bestimmt zur Erhöhung der Verkehrssicherheit beitragen.
({6})
Immer wieder höre ich aus uninformierten Kreisen
- dazu gehören die Mitglieder des Parlaments natürlich
nicht -, diese Gesetzesänderung verursache Kosten bei
den Gastwirten. Das stimmt nicht. Das Gesetz tritt mit der
Einführung des Euro am 1. Januar 2002 in Kraft. Die Getränkekarten müssen dann sowieso auf die neue Währung
umgestellt werden.
Meine Damen und Herren, nicht nur in der Politik, aber
da ganz besonders sollte gelten: Wenn wir Erkenntnisse
haben, dann besteht auch die Notwendigkeit zu handeln.
Denn wenn man den Kopf in den Sand steckt - so ein afrikanisches Sprichwort -, bleibt doch der Hintern - wir im
Schwarzwald sagen: das Ärschle - zu sehen.
Vielen Dank.
({7})
Nun erteile ich das
Wort dem Kollegen Klaus Brähmig, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! In der
heutigen Sitzung beraten wir in erster Lesung über den
Gesetzentwurf der Regierungskoalition zur Änderung des
Gaststättengesetzes. Als tourismuspolitischer Sprecher
der CDU/CSU-Bundestagsfraktion möchte ich die Fraktionsmitglieder von Bündnis 90/Die Grünen und der SPD
dazu beglückwünschen, dass sie bereits zwei Jahre nach
der Regierungsübernahme die erste eigenständige tourismuspolitische Initiative hier in den Bundestag einbringen.
({0})
Anscheinend ist nicht nur der Aufbau Ost zur Chefsache
verkümmert.
Meine Damen, meine Herren, mit welcher wirklich
wichtigen Initiative beglücken Sie den Tourismusstandort
und das Gastgewerbe in Deutschland? Mit einer Gesetzesänderung im Gaststättengesetz, die vor allem für mehr Jugendschutz und Verkehrssicherheit sorgen soll,
({1})
ein hehres Ziel, dem sich sicherlich alle verantwortlichen
Politiker zunächst einmal verpflichtet fühlen.Wer ist nicht
für den Schutz der Jugend und für die Erhöhung der
Verkehrssicherheit? Dennoch gehört es meines Erachtens
zur Pflicht eines Politikers, erst einmal zu prüfen, ob das
ihm vorgelegte Gesetz eine wirkliche Verbesserung gegenüber der jetzigen Situation darstellt und das vorgegebene Ziel auch wirklich damit erreicht werden kann.
({2})
Diese Frage habe ich mir auch in diesem Fall gestellt
und komme nach meinen Überlegungen zu folgendem
Schluss: In der letzten Legislaturperiode wurde einvernehmlich zwischen allen Fraktionen das Gaststättengesetz dahin gehend geändert, dass alle Gastwirte ein
alkoholfreies Getränk nicht teurer anbieten dürfen als das
billigste alkoholische Getränk in gleicher Menge. Nach
Einschätzung der Regierungskoalition ist nun aber nach
einem Beschluss des Amtsgerichts Überlingen vom
Juni 1997 eine Situation entstanden, die die Umgehung
dieser Regelung fördert. Denn das Amtsgericht erkannte
lediglich den absoluten Preis als Berechnungsgrundlage
an.
({3})
Die Regierungskoalition fordert in dem heute vorliegenden Gesetzentwurf, dass der Preisvergleich in Zukunft auf der Grundlage des hochgerechneten Preises für
einen Liter der betreffenden Getränke erfolgen soll. Die
Forderung der Regierungskoalition ins Hochdeutsche
übersetzt lautet also: Nach geltendem Recht ist beispielsweise folgende Preisgestaltung zulässig: In einer Gaststätte kosten 0,3 Liter Mineralwasser und 0,3 Liter Pils
jeweils 3 DM und 0,5 Liter Hefeweizen kosten 4,90 DM.
({4})
Ich wage zu bezweifeln, dass ein Jugendlicher gerade
deshalb zum Weizenbier greift, weil es hochgerechnet
einen geringfügig günstigeren Literpreis hat. Bei der Getränkewahl sind wohl eher individuelle Vorlieben und Geschmacksfragen ausschlaggebende Faktoren.
Die gerade genannte Preisgestaltung wäre nach der
geplanten Änderung, liebe Frau Kollegin Gradistanac,
nicht mehr zulässig. Entweder müsste der Gastwirt den
Preis für das Mineralwasser senken oder den Preis für das
Weizenbier anheben. Dies ist ein erneuter Eingriff in die
unternehmerische Freiheit,
({5})
kompliziert die Preisgestaltung und missachtet die betriebswirtschaftliche Kalkulationsgrundlage des Mengenrabatts für Getränke in größeren Darreichungsformen.
Weiterhin wird im Gesetzentwurf nicht spezifiziert
dargelegt, aus welchen Gründen gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht. Ich frage Sie: Gibt es verlässliche
Untersuchungen darüber, in welchem Umfang Gaststättenbetriebe tatsächlich unter Ausnutzung der Entscheidung des Amtsgerichts Überlingen alkoholische Getränke
in größeren Einheiten so günstig anbieten, dass Jugendliche allein aufgrund der Preisgestaltung Alkohol konsumieren?
Liebe Kollegin, Sie sprachen vorhin von Verunfallten.
Es gibt überhaupt keinen Beweis, dass die Verunfallung
tatsächlich nach einem Besuch einer Gaststätte erfolgt ist.
Sie sind nur darauf eingegangen, dass der Unfall aufgrund
von Alkoholkonsum stattgefunden hat.
({6})
Oder liegen Ihnen Erkenntnisse vor, in welchem Umfang Gastronomen auf besonders selten nachgefragte
Getränke ausgewichen sind?
Der Gesetzentwurf wirft weitere Fragen auf: Welche
alkoholfreien Getränke sind jetzt beim Preisvergleich heranzuziehen? Was ist denn ein attraktives, dem üblichen
Nachfrageverhalten angepasstes Getränk?
({7})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Ihr Gesetzentwurf
berücksichtigt in keiner Weise regionale und betriebstypische Gesichtspunkte. In Diskotheken zum Beispiel
erfreuen sich alkoholfreie Getränke mit aufputschender
Wirkung, wie beispielsweise „Red Bull“, einer hohen
Nachfrage.
({8})
Schließlich und endlich stellt sich die Frage: Was führt
junge Menschen zu der Entscheidung, Alkohol zu konsumieren? Warum setzen alkoholisierte Jugendliche sich
und andere der Gefahr eines Verkehrsunfalls aus, wenn sie
noch aktiv am Straßenverkehr teilnehmen? Hier ist vor
wenigen Stunden über dieses Thema diskutiert worden.
Herr Schmidt, Ihren Beitrag habe ich mir sehr interessiert
angehört.
({9})
Ist es wirklich der von Ihnen angenommene ökonomische Druck durch das relative Preisniveau oder sind es
nicht vielmehr andere Faktoren, wie das Gruppenverhalten von Jugendlichen oder deren Imponiergehabe?
Jugendliche haben heute zu jeder Tages- und Nachtzeit
über den Einzelhandel, Kioske und Tankstellen unkontrollierten Zugang zu Alkohol, und das zu ungleich günstigeren Preisen als in Gaststätten und Diskotheken. Diese
Problematik würde auch Ihr Gesetzentwurf nicht lösen.
Wieder einmal zeigt sich in diesem Gesetzentwurf der
uneingeschränkte Glaube, der Staat müsse alle Lebensbereiche des Menschen bis ins Detail regeln.
({10})
Warum machen Sie die Gastwirte verantwortlich für mangelnde Erziehung in den Familien, die Vermittlung
falscher Vorbilder und eine anscheinend nicht jugendgemäße Präventionspolitik?
({11})
Warum wollen Sie Menschen aller Altersklassen noch
weiter aus ihrer Eigenverantwortung entlassen und den
Gastwirten eine Kontrollfunktion des Staates übertragen,
die sie nicht erfüllen können?
Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Jahre 2001, dem
Jahr des Tourismus, sieht die Union diesen Antrag als ein
nicht besonders geeignetes Signal; denn mit ihrem Anliegen will die Regierungskoalition noch mehr Bürokratisierung und Regulierung.
({12})
Der Tourismusstandort Deutschland und der Standort
Deutschland insgesamt braucht das Gegenteil. „Deregulierung und Entbürokratisierung“ ist die Devise der Zeit.
Bei der augenblicklich überhitzten Diskussion über
BSE warte ich nur noch darauf, dass der Staat als Nächstes gesetzlich festlegt, dass jedes Restaurant in Deutschland gesetzlich verpflichtet wird, ein vegetarisches Gericht anzubieten, und dies womöglich noch preiswerter als
das preiswerteste Gericht mit Fleisch.
({13})
Herr Kollege Brähmig,
denken Sie bitte an Ihre Redezeit.
Ich bin gleich fertig. Dennoch werden wir als Fraktion uns eingehend mit
dieser Initiative beschäftigen. Die von Ihnen genannte Argumentationskette ist meines Erachtens kein eindeutiger
Beleg für die Notwendigkeit einer solchen Gesetzesänderung. Auf die Präzisierung Ihrer Argumentation in den
Ausschussberatungen sind wir sehr gespannt.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Das Wort hat jetzt
die Kollegin Sylvia Voß für die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen.
Sehr
geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im
Jahre 1930 trat eine Bestimmung in Kraft, die Gastwirte
dazu verpflichtete, auch alkoholfreie Getränke anzubieten. Erst 72 Jahre später, ab dem 1. Januar 2002, wird
Alkohol in Gaststätten tatsächlich nicht länger die finanziell attraktivere Variante sein.
Wenn Jugendliche beispielsweise nach einem zünftigen Schlittschuhlaufen noch irgendwo zusammensitzen,
etwas trinken und ein bisschen miteinander reden wollen,
so bietet sich der Besuch einer Gaststätte an. Frei nach
Wilhelm Busch: Da aber naht schon das Malheur:
Wasser? Cola? Bier? Likör?
Bei der Wahl der Getränke spielen immer mehrere
Überlegungen eine Rolle. Da alle einigermaßen stark
durchgefroren sind, erinnert sich mancher an die Sprüche
der Alten, dass Alkohol von innen wärme. Vom kräftezehrenden Wettrennen sind die Jugendlichen natürlich
auch ungeheuer durstig. Aus der Werbung ist ihnen
bekannt, dass ein Glas kaltes Bier den Durst löscht. Da
Jugendliche in ihren Entscheidungen nicht unwesentlich
durch Gruppenzwang beeinflusst werden, kann auch der
Wunsch, cool, trendy und erwachsen zu wirken, die
Entscheidung für den Alkohol beeinflussen.
Auf diese Erwägungen haben wir mit einer Änderung
des Gaststättengesetzes natürlich keinen Einfluss. Hier
müssen wir auf das Verantwortungsbewusstsein von Eltern und Medien vertrauen. Wir können und werden aber
einen anderen Faktor beseitigen und ausschließen.
Es ist einfach inakzeptabel und unverantwortlich, dass
sich Jugendliche angesichts ihrer meist doch knappen
Kassen quasi für ein alkoholisches Getränk entscheiden
müssen, weil es das preisgünstigste Angebot auf der
Getränkekarte ist. Eine Befragung von 7 604 Jugendlichen schon Anfang der 80er-Jahre ergab immerhin, dass
bei preiswerteren nicht alkoholischen Getränken je nach
Alter bis zu 24 Prozent der Jugendlichen auf den Konsum
von Alkohol in Gaststätten verzichten würden. Daran
knüpfen wir mit unserem Änderungsgesetz an.
Wir mussten feststellen, dass mit Appellen an das Gastgewerbe in dieser Frage wenig zu gewinnen war, auch
weil die einsichtigen Gastwirte - derer gab es eine ganze
Menge - Wettbewerbsnachteile in Kauf nehmen mussten.
Mit der gesetzlichen Regelung von 1994 sollten diese
Wettbewerbsnachteile eigentlich beseitigt werden. Die
neue Regelung, dass mindestens ein alkoholfreies
Getränk nicht teurer zu verabreichen ist als das billigste
alkoholische Getränk in gleicher Menge, sollte verhindern, dass insbesondere jugendliche Gaststättenbesucher
ein alkoholisches Getränk bestellen, weil es billiger als
die angebotenen nichtalkoholischen Getränke ist, obwohl
sie eigentlich lieber ein alkoholfreies Getränk zu sich
nehmen würden.
Bei der gerichtlichen Auslegung des Gesetzes kam es
jedoch zu sinnwidrigen Interpretationen, indem nur reale
Ausschankmengen verglichen wurden, also 0,3 Liter Bier
mit 0,3 Liter Cola. Abgelehnt wurde beispielsweise ein
Vergleich mit dem nur in 0,5-Liter-Gläsern ausgeschenkten Weizenbier. Somit brauchte der Wirt nur in Gläsern
der Größe, in denen er sein billigstes alkoholfreies
Getränk serviert, sein teuerstes Bier auszuschenken und
konnte dann sein billigeres Bier zu jedem beliebigen Preis
anbieten, sofern er nur nicht so unvorsichtig war, dafür
Gläser derselben Größe zu verwenden. Es kann aber nicht
sein, dass die Apfelschorle zwar günstiger ist als das Bier,
dass aber, wenn bei der Schorle nach 0,2 Litern der Boden
des Glases erreicht ist, das Bierglas immer noch halbvoll
oder - wie die Opposition jetzt sicher sagen würde - halbleer ist.
({0})
Es besteht Handlungsbedarf. Mit dem vorliegenden
Änderungsgesetz wird gehandelt. Mit Art. 1 des Gesetzentwurfs zur Änderung des Gaststättengesetzes erreichen
wir, dass ab dem 1. Januar 2002 das alkoholfreie Getränk
auch dann günstiger bleibt, wenn der Preis auf einen Liter
hochgerechnet wird. Die größte Selbstverständlichkeit für
junge Menschen, sich in einer Gaststätte Saft oder Cola zu
bestellen, ohne sich damit gegenüber den Konsumenten
alkoholhaltiger Getränke finanziell schlechter zu stellen,
wird somit gesichert. Immerhin sollten wir dabei auch bedenken, dass in Deutschland 5 Prozent der Jugendlichen
als alkoholgefährdet gelten. 1 Million Kinder wachsen bei
tabletten- und alkoholabhängigen Eltern auf. Im Jahre
1998 haben 10 Prozent der Frauen und 16 Prozent der
Männer ihre Gesundheit durch übermäßigen Alkoholgenuss gefährdet.
Auf die heutige Debatte zum Verkehrssicherheitsproblem ist schon hingewiesen worden; ich möchte es mir
sparen, noch einmal darauf einzugehen. Ich möchte aber
daran erinnern, dass Sie die 0,0-Promille-Grenze für
Fahranfänger offensichtlich etwas scheinheilig gefordert
haben.
Von übermäßigem und frühzeitigem Alkoholkonsum,
der ihnen im Alltag begegnet, gehen für Kinder und Jugendliche unübersehbare Gefahren aus. Es ist für die Bundesregierung aus diesen Gründen selbstverständlich, unklare Bestimmungen im Gaststättengesetz zu präzisieren,
wenn diese auch nur ansatzweise dazu führen können,
dass Kinder und Jugendliche nicht ausreichend vor den
Gefahren des Alkohols geschützt werden.
Wünschenswert - das will ich noch anmerken - wäre,
dass Konsumenten alkoholfreier Getränke gegenüber den
Alkoholtrinkern finanziell deutlich besser gestellt würden, wie wir dies in einigen nordischen Staaten durchaus
vorfinden. Vielleicht sollten wir das in einem nächsten
Schritt angehen.
({1})
Nächster Redner ist
der Kollege Ernst Burgbacher für die F.D.P.-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach Ihrer Rede, liebe
Frau Voß, wird einem klar, wie kompliziert das Ganze ist.
Das, was Sie in Ihren letzten Sätzen vorgeschlagen haben,
in die Praxis übertragen zu wollen ist schon abenteuerlich.
({0})
Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Statt eine Debatte über diesen
Gesetzentwurf zu führen, hätten wir lieber alle miteinander draußen Apfelschorle trinken sollen.
({1})
Dann wäre es uns wohler und wir hätten für Umsatz
gesorgt. Am Problem würde sich nichts ändern.
Jetzt ganz ernsthaft. Dass der Kampf gegen Alkoholmissbrauch, insbesondere bei Jugendlichen, eine
ernste Sache ist, ist hier doch völlig unbestritten. Dass wir
alle aufgerufen sind, alles uns Mögliche dagegen zu tun,
ist auch völlig unbestritten. Mit dieser Keule, die Sie
wieder bringen - der Staat soll neue Regelungen machen,
der Staat soll Gesetze ändern -,
({2})
werden wir in diesem Fall überhaupt nichts erreichen.
({3})
Wir haben eine Regelung. Diese Regelung hat sich
vielleicht in manchen Teilen nicht bewährt. Ihr jetziges
Vorgehen ist aber typisch: Wenn irgendwo Missstände
sind, kommt die staatliche Keule und es müssen Gesetze
her. Sie fragen nicht danach, was man in der Realität anders machen könnte.
Worauf läuft das, was Sie hier machen, hinaus?
({4})
Lieber Herr Mosdorf, Sie haben zwischen meiner und
Ihrer Rede noch eine Rede lang Zeit. Sie können mir ja
nachher sagen, ob es genehmigt ist, wenn mir ein Mineralwasser und ein Pils mit jeweils 0,3 Litern für 3,20 DM
und außerdem ein Bier mit 0,5 Litern für 5,40 DM angeboten werden. Ich freue mich eigentlich auf Ihre neuen
Regelungen; sie ermöglichen nämlich neue Berufssparten, zum Beispiel den „Preisnachrechner“ in der Gastronomie.
({5})
Es ist wirklich Irrsinn, auf so etwas überhaupt zu kommen.
({6})
- An dem dauernden Dazwischenplärren merkt man
natürlich, dass Sie nicht zuhören wollen und dass Sie
keine Argumente haben. Das ist dann immer das Beste.
({7})
Natürlich müssen wir das Problem ernsthaft angehen,
aber doch nicht so, wie Sie es vorhaben. Es kann doch
nicht sein, dass wir so in die Kalkulationsfreiheit der
Wirte eingreifen, die zum Glück noch selbstständige Unternehmer und keine Verwalter irgendwelcher staatlicher
Stellen sind. Es ist doch völlig normal, dass ein Wirt
größere Mengen anders bepreist als kleinere Mengen. Das
ist doch in der Kalkulation enthalten. Jetzt kommen Sie
und sagen, alles müsse nun auf den Literpreis hochgerechnet werden. Ich frage mich wirklich, wo da der Funken betriebswirtschaftlicher Verstand ist. Der sollte doch wenigstens noch erkennbar sein.
({8})
Überlegen Sie sich doch, wie die jungen Leute in der
Praxis verfahren! Es ist doch schlichtweg weltfremd,
anzunehmen, dass die den Taschenrechner nehmen und
ausrechnen, welches Getränk billiger ist. Aber genau
diese Rechnungen müssten sie doch machen; denn es gibt
Preise für 0,3 Liter, 0,5 Liter oder für andere Einheiten.
Davon ausgehend sollen sie jetzt ausrechnen, welches
Getränk das billigste ist? Weltfremder geht es doch wirklich nicht mehr!
({9})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, den
Problemen, die wir in diesem Bereich, aber auch im
Tourismusbereich haben - Kollege Brähmig hat es angesprochen -, mit ernsthaften Initiativen zu begegnen und
nicht Scheingefechte auszutragen, die zu nichts führen,
das Ganze eher unglaubwürdig machen und die Branche
mit unsinnigen bürokratischen Regeln noch weiter belasten. Das sollten wir doch wirklich bleiben lassen.
({10})
Jetzt spricht die Kollegin Rosel Neuhäuser für die PDS-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Es ist schwierig, in drei Minuten auf
die Dinge einzugehen, die hier schon gesagt worden sind.
Natürlich hat der Staat eine Fürsorgepflicht, Herr
Brähmig, auch für die gesundheitliche Entwicklung von
Kindern und Jugendlichen. Nach der UN-Kinderrechtskonvention haben die Kinder ein Recht auf gesundheitliche Fürsorge des Staates.
({0})
Auch in diesem Zusammenhang sollte man dieses Gesetz
sehen.
({1})
- Es geht aber um Kinder und Jugendliche. Unter das Jugendschutzgesetz fallen sie bis zur Vollendung des
18. Lebensjahres. Auch wenn sie jünger als 18 Jahre sind,
dürfen sie Alkohol in Gaststätten trinken.
Mit dem vorliegenden Gesetz wird nicht nur eine
Lücke im Gaststättengesetz geschlossen, sondern hiermit
wird auch ein weiterer Schritt zur Verbesserung des gültigen Jugendschutzgesetzes getan. Ich denke, dass angesichts der unübersehbaren Gefahren für Kinder und Jugendliche, die vom Alkohol ausgehen, frühzeitiger und
übermäßiger Alkoholkonsum eingedämmt werden muss.
Durch die Neuregelung des Jugendschutzgesetzes werden
bestehende Regelungen beibehalten bzw. auch ausgebaut,
zum Beispiel zur Bekämpfung des Alkoholmissbrauchs
durch Minderjährige.
Die Beschränkung des Aufenthaltes von Kindern und
Jugendlichen in Gaststätten gehört aus meiner Sicht weiterhin zu den gesetzlichen Schwerpunkten der Prävention
von Alkoholmissbrauch. Was nützt aber eine gesetzlich
verordnete Beschränkung, wenn, wie durch die Regelungen dieses Gesetzes nicht ausgeschlossen, nach wie vor
der Anreiz besteht, alkoholische Getränke zu kaufen, weil
alkoholfreie Getränke viel teurer sind? So werden Kinder
und Jugendliche durch entsprechende Angebote in nicht
unerheblichem Maße zum Alkoholkonsum animiert. Es
wäre ein wichtiger Schritt, dieses Problem zu beseitigen.
Gesetze und Regelungen werden aber nicht schon wirksam, wenn sie beschlossen sind, sondern sie werden erst
dann wirksam, wenn sie umgesetzt werden und in den
entsprechenden Bereichen auch beachtet werden.
Bei der Frage des Alkoholgenusses spielen nicht nur
die Gaststätten eine Rolle, sondern hier stellt sich aus
meiner Sicht eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
({2})
Ich brauche sicher nicht darüber zu sprechen, wie sich
Alkoholmissbrauch auf die Gesundheit, auf die
Verkehrssicherheit - das wurde schon von Frau Voß und
anderen Rednern angesprochen - oder auch auf den
gesamten sozialen Bereich auswirkt. Meine Überzeugung
und auch die meiner Fraktion ist, dass kein Jugendlicher
aufgrund von Mengen- und Preisangaben Hochrechnungen anstellt und dann das billigste Getränk wählt. Hier
sind neben den Veranstaltern wir alle gefordert, um im
Bereich der Prävention tätig zu werden. Das hat Herr
Burgbacher hier eben noch einmal deutlich gemacht.
({3})
Ich möchte auch ein Augenmerk darauf richten, dass
junge Leute sehr reisefreudig sind. Jeder, der einmal mit
jungen Menschen unterwegs war, weiß, dass gerade auf
Gruppenfahrten das Probieren von solchen Sachen eine
wichtige Rolle einnimmt. Auch in diesem Bereich des Jugendschutzes muss auf das Problem hingewiesen werden,
damit die Betreuer von Kindern und Jugendlichen ihren
Einfluss geltend machen können. Kinder und Jugendliche
sollen nicht dazu verleitet werden, in der Kaufhalle alkoholische Getränke zu kaufen, weil die alkoholfreien
Getränke in der Gaststätte zu teuer sind.
({4})
Hier sind wir alle gefragt. Die Unterstützung dieses
Gesetzes ist ein Schritt, um den Jugendschutz entsprechend zu würdigen.
({5})
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Siegmar Mosdorf.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind uns
darüber einig, dass wir alles tun wollen, um Alkoholmissbrauch zu verhindern und zu vermeiden, dass Jugendliche Alkohol trinken und hinterher womöglich Auto
fahren. Dies wollen wir alle gemeinsam erreichen.
({0})
Ich darf übrigens darauf hinweisen, dass hier eine Kollegin anwesend ist, die diese Sorge als Gesundheitsministerin schon 1980 geäußert hat: Anke Fuchs.
({1})
Anke Fuchs hat das Problem auf den Punkt gebracht. Wir
haben damals leider zu wenig Zeit zum Regieren gehabt.
Hätten wir mehr Zeit gehabt, Anke, dann hätten wir das
schon entschieden.
({2})
Nun ist es so, Herr Brähmig - das haben Sie damals
noch nicht mitbekommen -,
({3})
dass Ihre Kollegen 1994 den § 6 des Gaststättengesetzes
geändert haben. Dort steht nun:
Ist der Ausschank alkoholischer Getränke gestattet,
so sind auf Verlangen auch alkoholfreie Getränke
zum Verzehr an Ort und Stelle zu verabreichen.
Davon ist mindestens ein alkoholfreies Getränk nicht
teurer zu verabreichen als das billigste alkoholische
Getränk in gleicher Menge.
Das ist der Beschluss Ihrer Regierung gewesen.
({4})
- War er 1994 schon dabei? Gut, ich wollte nur sagen, dass
dies ein Beschluss Ihrer Regierung war.
Das Problem ist nur: Dieser Beschluss hat wie viele
Ihrer Beschlüsse keine Wirkung entfaltet.
({5})
- Herr Koppelin ist damit nicht befasst gewesen.
Im Übrigen musste ich mich gerade sehr auf den Verlauf der Debatte konzentrieren; denn Herr Koppelin hat
mir einige Witze erzählt, die ich hier aber nicht
wiedergeben will. Einer war: Was macht ein frustrierter
Mann? Er geht in die Gaststätte; die zweite Hälfte will ich
nicht erzählen. - Im selben Moment präsentierte Herr
Burgbacher sein Rechenbeispiel. Damit muss man rechnen, wenn man weiß, dass Herr Burgbacher Mathematiklehrer ist. Aber Sie haben sich getäuscht, Herr Burgbacher.
Ich habe in der Schule im Kopfrechnen eine Eins bekommen. Deswegen konnte ich alles sofort umrechnen und
bin zu folgendem Ergebnis gekommen: Sie fragten, ob es
in Ordnung ist, wenn das 0,3-Liter-Getränk 3,20 DM
kostet und das 0,5-Liter-Getränk 5,40 DM. Meine
Antwort ist: Wenn der Gastwirt für das 0,5-Liter-Getränk
5,30 DM verlangt hätte, wäre es nicht in Ordnung gewesen. Bei 5,40 DM stimmt das Verhältnis.
({6})
- Sie bestätigen das Ergebnis. Wir haben beide ein Talent
für das Rechnen.
Es ist wirklich ein ernstes Thema; das sehen wir sicherlich alle so. Wir alle wissen, dass junge Leute, die abends
in die Diskothek gehen und wenig Geld haben, mehr als
einen Apfelsaft von 0,2 Litern trinken wollen, weil sie
dort tanzen und schwitzen
({7})
und leben.
({8})
- Wir wollen jetzt nicht über die Diskotheken in der Sächsischen Schweiz reden, Herr Brähmig.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Brähmig?
Ich kann nie
eine Zwischenfrage von ihm ablehnen.
Herr Staatssekretär, wir
sind uns sicherlich darüber einig, dass hier etwas getan
werden muss. Ich habe versucht, das darzustellen. Aber
ich bitte Sie, deutlich zu machen, wieso der Gastwirt als
der Verhinderer des Alkoholkonsums für Jugendliche gelten soll. Wenn ich im Einzelhandel oder an Automaten
alkoholfreie Getränke billig kaufen kann, besteht doch
kein Zusammenhang zum Kauf in einer Gaststätte. Diese
Frage hätte ich gern beantwortet.
Herr
Brähmig, ich möchte Ihre Frage beantworten. Das Problem ist - aber vielleicht können wir ja gemeinsame
Anstrengungen in dieser Richtung unternehmen -: Sie
überlegen immer, warum es nicht geht. Wir überlegen,
was geht. Das ist der Unterschied.
({0})
Nun einmal im Ernst: Herr Burgbacher, Sie müssen doch
nicht alles nachsingen, was die CDU sagt. F.D.P. bedeutet
liberal, unabhängig.
({1})
Ich will doch nur sagen: Wir sind uns einig in dem
Begehren,
({2})
dass die jungen Leute, wenn sie abends in die Disco
gehen, etwas trinken sollen, aber möglichst keinen Alkohol, zumal wenn sie mit dem Auto der Eltern oder mit der
Vespa dort sind. Es muss für sie ein entsprechendes Angebot da sein; darüber sind wir uns einig.
Über eines sind wir uns doch im Klaren: Die Eltern tragen eine hohe Verantwortung dafür, dass die Kinder
vernünftig mit solchen Dingen umgehen. Dies darf man
nicht dem Staat zuschieben. Die Eltern, wir alle tragen
eine hohe Verantwortung.
({3})
Aber der Staat hat auch eine Ordnungsfunktion. Er
schreibt nicht vor, was getrunken werden soll, sondern
sagt: Wir schaffen Rahmenbedingungen. Ich kenne
einige Gastwirte, die das jetzt schon praktizieren. Im
Schwarzwald gibt es viele Gastwirte, die wollen, dass die
Jugendlichen auch zu ihnen in die bürgerliche Gaststätte
kommen und etwas Anständiges trinken, und die für sie
gezielt entsprechende Angebote bereithalten.
Deshalb schaffen wir nun ein Rahmengesetz, das auch
gerichtsfest ist. Ihres war es nicht; Sie wissen es. Wir
wollen nicht, dass sich die Justizministerin diesbezüglich
ständig mit den Gerichten herumschlagen muss. Deshalb
erarbeiten wir ein ordnungspolitisch sauberes Gesetz.
Aber im Begehren sind wir einig. Ich hoffe, dass wir
damit einen Fortschritt erzielen und unsere Jugendlichen
dann Apfelsaft oder Wasser trinken, sich vergnügen können und ihnen beim Nachhausefahren nichts geschieht.
Das ist, glaube ich, unser wichtigstes Anliegen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({4})
Der letzte Redner in
dieser Debatte ist der Kollege Ernst Hinsken für die
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin!
Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ein weiter Bogen
wurde heute von meinen Vorrednerinnen Frau Gradistanac
und Frau Voß gespannt. Es wurde über Alkoholunfälle
und über Alkoholkonsum gesprochen.
({0})
Dies wurde damit in Zusammenhang gebracht, dass das
Angebot an alkoholfreien Getränken in den GastwirtParl. Staatssekretär Siegmar Mosdorf
schaften scheinbar nicht so ist, wie es sich der Gesetzgeber gewünscht hat.
Ich habe mich im Jahre 1994 in die Erarbeitung des
Gesetzes eingebracht, habe dafür gekämpft, dass gesetzlich festgelegt wird, dass wenigstens ein alkoholfreies
Getränk genauso billig sein muss wie das billigste alkoholhaltige Getränk bei gleicher Menge. Wenn man früher
selbst in Jugendorganisationen engagiert war, lässt man
sich gern etwas sagen. Ich habe damals vom Vorsitzenden
des Kreisjugendrings meines Heimatlandkreises, Josef
Zellmeier, die Bitte vorgetragen bekommen, dass ich in
dieser Angelegenheit tätig werden soll.
Das Gesetz wurde beschlossen. Nach sechs Jahren wissen wir: Es war eine richtige Entscheidung. Schließlich
entscheidet unsere Jugend doch häufig ausschließlich
nach dem Preis.
Ich habe mich gerade in den letzten Tagen noch einmal
sachkundig gemacht und festgestellt, dass die Hotel- und
Gaststättenverbände ausdrücklich erklärt haben, dass
sich ihre Mitglieder auch an den Gesetzestext und -inhalt
halten. Frau Kollegin Gradistanac und Frau Kollegin Voß,
ich empfinde es als ganz üble Unterstellung, wenn Sie hier
ans Rednerpult treten und sagen, dass sich viele Gastwirte
nicht daran halten. Den Beweis dafür müssten Sie erst
noch erbringen. Dies kann im Protokoll nachgelesen werden und die Betroffenen werden sich das nicht ohne weiteres gefallen lassen.
({1})
Mir leuchtet nicht ein, dass dieses Gesetz, das wir vor
gut sechs Jahren beschlossen haben, nun geändert werden
soll. Nach dem Gesetzentwurf der Regierungskoalition
soll das preisrechtliche Gebot künftig nicht nur für die
kleinste Menge gelten, sondern auch dann, wenn größere
Mengen konsumiert werden. Für wie blöd werden denn
die Jugendlichen gehalten? Meinen Sie, dass diese nicht
in der Lage sind, 3 DM mit der Zahl fünf zu multiplizieren
und zu erkennen, dass der Preis unter Umständen in gleichem Umfang wie die Menge gestiegen ist? Ich setze in
diesem Fall auf die Vernunft und das rechnerische Können der Jugend, die, Herr Staatssekretär Mosdorf, nicht
nur im Kopfrechnen stark ist, sondern insgesamt gute
Noten aufweist.
Bevor eine solche Gesetzesänderung vorgenommen
wird, sollten eine Befragung von Jugendämtern und
entsprechende Kontrollen durchgeführt werden.
({2})
Gerade in einer Zeit, in der von allen Seiten nach
Deregulierung gerufen wird, sollte man die Hotellerie
und Gastronomie nicht mit weiterer Bürokratie belasten.
Herr Kollege Mosdorf, ich habe Sie im Ausschuss des
Öfteren als einen Freund der Deregulierung erlebt und
kennen gelernt. Wenn Sie hierher kommen und sagen:
„Wir überlegen, was geht,“ auf uns deuten, und sagen:
„Die überlegen, was nicht geht“, dann bezeichnen Sie
damit genau das Gegenteil von dem, was Sie jetzt
machen, nämlich eine gute Regelung zu beseitigen und
der Bürokratie das Wort zu reden. So darf das doch nicht
sein!
({3})
Eine solche Regelung bedeutet einen weiteren Eingriff
in das Geschäftsgebaren von Wirten. Deshalb ist meine
Forderung: Erst wenn Ergebnisse einer solchen Befragung vorliegen, sollte über eine Gesetzesänderung entschieden werden.
({4})
Die Bundesregierung hat bisher nicht ausreichend
dargelegt, warum Regelungsbedarf besteht. Es fehlen
Angaben darüber, ob es tatsächlich in größerem Umfang
einen Missbrauch bzw. eine Umgehung der bisherigen
Regelung durch Gastwirte gegeben hat. Ich glaube das
nicht. Ich glaube, was mir gesagt wurde. Schwarze
Schafe, die sich nicht an bestehende Vorschriften halten,
gibt es immer wieder. Man kann für diese Fälle Kontrollen durchführen, damit sich die Betroffenen an das
halten, was der Gesetzgeber vorschreibt. Deshalb: Erst
Fakten auf den Tisch und dann handeln und nicht
umgekehrt! Das ist unsere Marschrichtung und unsere
Devise, Herr Staatssekretär.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({5})
Ich schließe die
Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung des
Gesetzentwurfs auf Drucksache 14/4937 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist
die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 12 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Norbert
Geis, Maria Eichhorn, Renate Diemers, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Ratifizierung des Haager Adoptionsabkommens
-Drucksache 14/4932 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({0})
Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Die Kolleginnen und Kollegen Margot von Renesse,
Renate Diemers, Irmingard Schewe-Gerigk, Rainer
Funke sowie Christina Schenk haben Ihre Reden zu Pro-
tokoll gegeben.1) - Ich höre keinen Widerspruch. Inter-
fraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Druck-
sache 14/4932 an die in der Tagesordnung aufgeführten
Ausschüsse vorgeschlagen. - Auch hierbei sehe ich Ein-
1) Anlage 5
verständnis im Saale. Dann ist die Überweisung so
beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 13 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Christine
Ostrowski, Gerhard Jüttemann, Rolf Kutzmutz,
Roland Claus und der Fraktion der PDS
Soforthilfe für konkursbedrohte Wohnungs-
genossenschaften aus TLG-Beständen organi-
sieren
- Drucksache 14/4939 -
Die Kolleginnen und Kollegen Dr. Peter Danckert,
Norbert Otto, Franziska Eichstädt-Bohlig sowie Dr.
Karlheinz Guttmacher haben ihre Reden zu Protokoll
gegeben.1)
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die PDSFraktion hat die Kollegin Christine Ostrowski.
Frau Präsidentin! Meine dagebliebenen Damen
und Herren! In der heutigen Presse sagt Ihr Kollege
Edelbert Richter über Staatsminister Schwanitz, er sei
„ein netter Kerl, aber wir brauchen jemand, der mit der
Faust auf den Tisch haut“. Ich denke, Herr Richter hat
Recht. Ende 1998 hat Staatsminister Schwanitz von den
zehn TLG-Genossenschaften einen Brief bekommen. In
diesem Brief baten sie ihn - er ist schließlich der OstBeauftragte - um ein Gespräch, weil „die Genossenschaften in ihrer Existenz enorm gefährdet sind“. Herr
Schwanitz ließ sich nicht aus der Ruhe bringen, er tat auch
nichts, er schwieg einfach. Ein halbes Jahr später
schrieben die Genossenschaften erneut an ihn, dann noch
einmal im Oktober 1999. Dann gaben sie es auf.
Vor wenigen Tagen, im Januar 2001, ist die erste der
TLG-Genossenschaften in Leipzig mit 1 200 Wohnungen - und doppelt so vielen Bewohnern - in Konkurs
gegangen. Zu retten ist sie nicht mehr. Es ist sogar
fraglich, ob die Konkursmasse reicht und ob die Genossenschaftsmitglieder, die vorwiegend ältere Menschen
sind und wahrhaftig nicht zu den Einkommensstärksten
gehören, nicht nur ihre Genossenschaftsanteile verlieren,
die überdurchschnittlich wertvoll sind - ihr Wert liegt
nämlich zwischen 6 000 und 9 000 DM -, sondern sogar
noch zuzahlen müssen. Außerdem ist ungewiss, wer die
Konkursmasse übernimmt. Die Leipziger Genossenschaft
ist die erste und die anderen neun Genossenschaften werden mit Sicherheit folgen, wenn Sie nichts tun.
Die TLG-Genossenschaften entstanden folgendermaßen: In den Jahren 1992 bis 1996 war die Treuhandliegenschaftsgesellschaft mit der Verwertung von bundeseigenen Wohnungen beschäftigt. Sie wollte eigentlich an
die Mieter direkt privatisieren; das ging aus den bekannten Gründen nicht. Also kam sie auf die Überlegung
- das ist eigentlich ja nichts Schlechtes -, Mietergenossenschaften zu gründen. Sie umwarb insbesondere
die Mieter an ehemaligen Industrie- und NVA-Standorten
der DDR, also in den schwächsten Regionen Ostdeutschlands, eine Genossenschaften zu gründen. Sie warb mit
dem Slogan: Gemeinsam wohnen - Mieter gründen eine
Genossenschaft. - Es haben sich Mieter gefunden und sie
haben eine Menge Geld eingezahlt: bis zu 12 000 DM
Genossenschaftsanteile, weit über den Bundesdurchschnitt hinaus.
Es wurden zehn Genossenschaften gegründet, die
eine Sonderrolle gegenüber den bestehenden Genossenschaften spielen. Sie haben keine große Lobby. Aber in
der krisengeschüttelten ostdeutschen Wohnungswirtschaft geht es ihnen im Vergleich zu allen anderen ebenfalls in sehr schwieriger Situation stehenden Wohnungsunternehmen am schlechtesten, weil erstens die
Treuhandliegenschaftsgesellschaft ihnen in der Regel
unsanierten Wohnungsbestand zu überhöhten Kaufpreisen „übergeholfen“ hat.
({0})
Sie haben für unsanierten Wohnungsbestand bis zu
600 DM pro Quadratmeter bezahlt. Das ist eine ungeheure
Größe; das weiß jeder, der sich ein bisschen auskennt.
({1})
Sie sind zweitens deshalb über den Tisch gezogen wor-
den, weil die Treuhandliegengesellschaft sie damals mit
Verkehrswertgutachten umworben hat, die den Sanie-
rungsaufwand für die unsanierten Häuser als viel geringer
schätzten, als er in Wirklichkeit war; die Differenz betrug
zwischen 300 und 500 DM pro Quadratmeter. Sie sind
drittens auch deshalb über den Tisch gezogen worden,
weil ihnen die Treuhandliegenschaftsgesellschaft Wirt-
schaftlichkeitsberechnungen vorgestellt hat, in denen sie
ihnen eine langfristige wirtschaftliche Perspektive garan-
tiert hat.
Selbstverständlich haben die Mieter, die nun Genos-
senschafter geworden waren, im Vertrauen auf diese
Gutachten gesagt: Wir haben eine Perspektive; wir wollen
in eine Genossenschaft; also machen wir das. - Aufgrund
dieser Gutachten gaben die Banken ihnen Kredite. Heute
wissen wir, dass sie ungedeckt gewesen sind. Sie beka-
men Kredite über den Gegenwert hinaus und heute sind
die Genossenschaften - eigentlich nicht erst heute, schon
1998 - in einem Maße verschuldet, dass sie überhaupt gar
keinen Ausweg mehr finden.
Sie haben auch gegenüber bestehenden Genossen-
schaften keine gesetzlichen Vorteile: Die Kappung von
Altschulden auf 150 DM pro Quadratmeter hatten sie
nicht, sie mussten mehr für den Kauf von Grund und Bo-
den bezahlen, sie sind nicht von der Grunderwerbsteuer
befreit worden usw.
Nicht zuletzt war die TLG selbst die allerschärfste
Konkurrentin, denn sie behielt in der Regel den sanierten
Wohnungsbestand und konnte dadurch viel preiswerter
vermieten als die ausgegründeten Genossenschaften. Ich
sage Ihnen, meine Damen und Herren: Der Bund und
die Banken haben hier die Hauptverantwortung. Hauptur-
sache ist nicht das Missmanagement des einen oder
Vizepräsidentin Petra Bläss
1) Anlage 6
anderen Geschäftsführers, auch wenn es das durchaus
gegeben hat. Dazu kamen die Bevölkerungsabwanderung
und der natürliche Bevölkerungsschwund. Der Wohnungsleerstand ist in diesen Wohnungsgenossenschaften
exorbitant hoch.
Unser Antrag mit vielen Detailmaßnahmen schlummert schon seit Wochen in der Schublade. Was wir heute
wollen, ist nichts anderes als einen runden Tisch unter
Leitung von Schwanitz, bei dem alle Beteiligten endlich
beginnen, um eine gemeinsame Lösung zu ringen.
({2})
Dieser runde Tisch ist nicht mehr, aber auch nicht
weniger als das Zeichen, dass man überhaupt gewillt ist,
mit allen Beteiligten nach einer Lösung zu suchen. Diese
Bereitschaft ist der Anfang von Lösungen; das ist immer
so, ohne sie kommt das Ende der restlichen neun
Genossenschaften.
({3})
Ich schließe die
Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktion der PDS mit dem Titel: „Soforthilfe für konkurs-
bedrohte Wohnungsgenossenschaften aus TLG-Bestän-
den organisieren“. Wer stimmt für diesen Antrag auf
Drucksache 14/4939? - Wer stimmt dagegen? - Enthal-
tungen? - Der Antrag ist gegen die Stimmen der PDS-
Fraktion abgelehnt.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 10 a und b auf:
10a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Gerhard Friedrich ({0}), Thomas Rachel,
Ilse Aigner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
Eckpunkte für eine Reform des Hochschuldienstrechts
- Drucksache 14/4382 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({1})
Innenausschuss
Haushaltsausschuss
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike
Flach, Cornelia Pieper, Birgit Homburger, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.
Dienstrechtsreform an den Hochschulen konsequent für eine umfassende Hochschulreform
nutzen
- Drucksache 14/4415 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({2})
Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Die Kolleginnen und Kollegen Dr. Peter Eckardt,
Thomas Rachel, Axel E. Fischer, Antje Hermenau,
Cornelia Pieper, Maritta Böttcher sowie der Parla-
mentarische Staatssekretär Wolf-Michael Catenhusen
haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.1) - Auch hier sehe
ich keinen Widerspruch im Hause. Deshalb kommen wir
sogleich zu den Überweisungen.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf
Drucksachen 14/4382 und 14/4415 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Ich
sehe keinen Widerspruch im Hause. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 15 auf:
15. Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang
Gehrcke, Heidi Lippmann, Carsten Hübner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Aufhebung der Sanktionen gegen den Irak
- Drucksache 14/4709 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({3})
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Kultur und Medien
Die Kollegen Christoph Moosbauer, Joachim Hörster,
Ulrich Irmer sowie der Staatsminister im Auswärtigen
Amt, Dr. Ludger Volmer, haben ihre Reden bereits zu Pro-
tokoll gegeben.2)
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die PDSFraktion hat der Kollege Wolfgang Gehrcke.
Frau Präsidentin! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mir erzählen lassen,
dass die besten Filme im Spätprogramm laufen. Ich hätte
schon immer gerne einmal das letzte Wort in einer Bundestagsdebatte gehabt.
({0})
- Ich weiß, das letzte Wort liegt bei Ihnen, Frau Präsi-
dentin, ich finde aber, dass es bei dem Thema der Aufhe-
bung der Sanktionen gegen den Irak nicht angehen kann,
seinen Vorschlag nicht zu begründen.
Aus meiner Sicht sprechen gegen eine Zustimmung zu
unserem Antrag zur Aufhebung aller nicht militärischen
Sanktionen gegen den Irak eigentlich nur zwei Gründe:
erstens die Tatsache, dass wir den Antrag eingebracht
haben, und zweitens die Furcht, sich öffentlich mit den
USA und vor allen Dingen mit der neuen Administration,
bei der die Golfkrieger dominieren, anzulegen.
Ich bin aber der Überzeugung: Weder Parteitaktik noch
Unterwürfigkeit sollten schwerer wiegen als politische
1) Anlage 4
2) Anlage 7
Vernunft und Humanität. Mit unserem Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen - vielleicht erzählen Sie das Ihren
Kolleginnen und Kollegen weiter -, bieten wir Ihnen die
Chance zu einem Akt der Selbstbefreiung aus den Dogmen, die ich genannt habe. Ich meine, Sie sollten die
Chance nutzen.
Wenn wir Parteitaktik und Unterwürfigkeit als Gründe
für das Festhalten am Embargo ausschließen, bleiben
zwei wesentliche Fragen. Die erste lautet: Haben die
Sanktionen gegen den Irak Wirkung gezeigt? Ja, das
haben sie, schlimme Wirkungen sogar; nicht auf den Diktator, sondern auf die Zivilbevölkerung. Seit Beginn und
infolge des Embargos sind eine halbe Million Kinder
gestorben. Das sagt die UNICEF, das sagt die Weltgesundheitsorganisation.
Ein Drittel der Kinder im Irak leidet an Unterernährung. Das einst vorbildliche Gesundheitssystem
steht vor dem Kollaps. Transportwesen, Energie- und
Wasserversorgung sind durch das Embargo nachhaltig
gestört. Gelbsucht, Cholera und Typhus grassieren. Auch
daran sterben zuerst die Schwächsten, die Kinder.
Kriegsfolgen zeitigen die 315 Tonnen der berüchtigten
DU-Munition, die im Golfkrieg verschossen wurden.
Schon damals haben Ärzte und Wissenschaftler vor den
Folgen der uranhaltigen Munition gewarnt. Sie stießen
auf taube Ohren in Washington und bei der NATO, auf
taube Ohren allerdings auch im deutschen Verteidigungsministerium.
Die Folge aber ist: Im Südirak stieg die Rate der
Leukämie-Erkrankungen um 67 Prozent. Das alles ist
bekannt und öffentlich, nicht zuletzt durch die Berichte
des ehemaligen Koordinators für das humanitäre UNHilfsprogramm im Irak, Hans von Sponek, und der Leiterin des UNO-Ernährungsprogramms, Jutta Burghardt.
Beide haben aus Protest gegen das Embargo ihren Dienst
quittiert. Ich danke ihnen ausdrücklich für diese Zivilcourage.
({1})
Bleibt die zweite Frage: Hat das Embargo dazu beigetragen, die Macht von Saddam Hussein zu schwächen,
sie einzuschränken oder ihn zu stürzen? Das war doch das
erklärte Ziel des Embargos. Es ist verfehlt worden; das
Embargo hat das Gegenteil bewirkt. Mit anderen Worten:
Sollten die Embargo-Befürworter die Rechnung aufgemacht haben „Wir nehmen die Leiden der Zivilbevölkerung und die Kinderopfer in Kauf, um Saddam
Hussein zu stürzen“, dann ist spätestens zehn Jahre nach
dem Golfkrieg klar: Sie haben sich verrechnet.
Ich halte eine solche Abwägung für inhuman. Auch
wenn man zu einer anderen Schlussfolgerung kommt,
muss man sagen, dass diese Politik gescheitert ist.
Saddam Hussein regiert immer noch mit absoluter Macht
und blutiger Unterdrückung. Er sitzt eher fester im Sattel
als vor dem Krieg. Das Embargo hat politische Widersprüche im Irak eingeebnet; es hat einen falschen Schulterschluss befördert. Zum Feind, zum neuen Hitler und
zum Schurkenstaat erklärt zu sein, müssen Diktatoren
nicht fürchten. Ihre Angst ist soziale Wohlfahrt,
demokratische Öffnung und Hilfe für die Menschen.
({2})
An uns liegt es jetzt, ohne Parteitaktik, ohne Unterwürfigkeit zu entscheiden: Soll die Bevölkerung weiter
leiden? Können wir es mit unserem Gewissen vereinbaren, dass Kinder hungern, keine Bildung erhalten, dass
Kinder an Krankheiten sterben, die heilbar wären? Wer
nüchtern bilanziert, kann nur zu dem Schluss kommen:
Das Embargo und die Sanktionen gegen den Irak müssen
sofort aufgehoben werden.
({3})
In einem Bereich bin ich allerdings für das Embargo:
kein Waffenexport und keine Lieferungen von Material,
das waffentauglich ist - nicht in den Irak und nicht anderswo hin. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, können
gegen das Embargo aufstehen oder Sie können es dulden
und wegsehen.
Zum Golfkrieg sagte Joseph Fischer vor zehn Jahren,
damals war er Oppositionsführer einer kleinen, aber
starken Oppositionspartei:
Jetzt muss man aufstehen. Jetzt geht es wirklich um
das massenhafte Nein ...
Mir ist der alte Fischer ohnehin sympathischer als der
neue; der Oppositionsführer ist mir sympathischer als der
Minister. Gemäß der Aussage des alten Fischer sage ich
heute: Jetzt muss man aufstehen; jetzt geht es wirklich um
das massenhafte Nein - gegen das Embargo.
Ich bitte Sie, im weiteren Verlauf der Beratung unseres
Antrags die Abwägung, die ich vorgenommen habe,
nachzuvollziehen und sich für eine Aufhebung des Embargos auszusprechen.
Schönen Dank.
({4})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 14/4709 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Ich sehe das Einverständnis im Hause. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit bereits am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 26. Januar 2001, 8 Uhr,
ein.
Die Sitzung ist geschlossen.