Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 1/25/2001

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Minister:in)

Politiker ID: 11000305

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Herren und Damen! Der Bundesbericht Forschung 2000 belegt: Seit 1999 geht es mit Bildung und Forschung in Deutschland endlich wieder aufwärts. ({0}) Diese Bundesregierung hat eine klare strategische Entscheidung für Bildung und Forschung getroffen. Wir haben den Haushalt in diesem Jahr auf knapp 16 Milliarden DM deutlich erhöht. Wir haben uns entschieden, die notwendigen Reformen nicht länger auf die lange Bank zu schieben, sondern sie endlich anzupacken. ({1}) Ich bin gerade aus den Vereinigten Staaten zurückgekehrt. Ich habe in Palo Alto mit sehr vielen jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern diskutiert, die Deutschland verlassen haben und in die USA gegangen sind, um dort zu arbeiten, weil sie dort für sich bessere Chancen sahen, ihre Ideen zu verwirklichen, zu lehren und zu forschen. Es ist offensichtlich: Deutsche Hochschulen bieten ihren Absolventen hervorragende Voraussetzungen für den Wettbewerb um interessante Stellen auf der ganzen Welt, aber sie bieten ihnen zu wenig interessante Arbeitsplätze im eigenen Land. Fatal haben sich dabei nicht nur die Mittelkürzungen unter der Regierung Kohl ausgewirkt, sondern auch die mangelnde Kraft zur strukturellen Neuordnung unserer Forschungslandschaft. Es genügt eben nicht, nur die schöne Fassade des Forschungsgebäudes zu erhalten, vielmehr muss das Haus selbst modernisiert werden. ({2}) Der jahrelange Stillstand in der Forschungspolitik war in Wahrheit ein Rückschritt; denn er kostete uns besonders viele fähige Nachwuchswissenschaftler. Das muss geändert werden. Zusätzliche Mittel sind notwendig, bringen aber alleine nichts, wenn das Forschungsgebäude selbst renovierungsbedürftig ist. Deshalb sind die von uns in Angriff genommenen strukturellen Reformen entscheidend. Erster Schwerpunkt dabei ist die Dienstrechtsreform. ({3}) Sie sorgt dafür, dass die besten Köpfe im Land bleiben werden bzw. zurückkehren. Zweiter Schwerpunkt ist die Neustrukturierung der Forschungslandschaft. Sie bringt Deutschland in den Zukunftsthemen der Forschung an die Spitze. Hinzu kommen die deutliche Verbesserung der Nachwuchswissenschaftlerförderung, ({4}) die stärkere Internationalisierung unserer Forschungseinrichtungen und -organisationen, das Marketing, das eine notwendige Ergänzung darstellt, sowie - dieser Punkt ist sehr wichtig - eine bessere Vernetzung von Forschung und Wirtschaft. ({5}) Erst wenn die begabtesten Forscher aus anderen Ländern, beispielsweise aus den USA und aus Südostasien, auch verstärkt zu uns kommen, um hier zu forschen und zu lehren, dann haben wir unser Ziel erreicht, Deutschland wieder zu einem attraktiven Forschungsstandort zu machen. ({6}) Lassen Sie uns dazu den alten Zopf der Habilitation abschneiden ({7}) und mit der Juniorprofessur den jungen Menschen endlich die Chance geben, deutlich früher eigenständig zu Präsident Wolfgang Thierse forschen und zu lehren! Damit nutzen wir selbst die Chance, als Wissenschaftsstandort attraktiv zu sein und den Wettbewerb um die besten Köpfe dieser Welt zu gewinnen. An die Stelle jahrelanger Untätigkeit setzen wir auf eine Strategie des Gewinnens im Wettbewerb um die besten Köpfe. Die Dienstrechtsreform schafft - um in dem eingangs von mir erwähnten Bild zu bleiben - die modernen Arbeitsräume, die wir brauchen, und mehr Bewegungsmöglichkeiten. Genau das macht unser Forschungsgebäude attraktiver. Die zweite strategisch wichtige Reform ist die Neuordnung der Forschungslandschaft. Unser Ziel ist es, in den besonders zukunftsträchtigen Bereichen - in den Lebenswissenschaften, in der Informations- und Kommunikationstechnologie, in der Mikrotechnik und in der Nanotechnologie - führend zu sein. Dafür müssen wir unsere Kräfte bündeln. Das erfordert mehr Flexibilität im deutschen Wissenschaftssystem, mehr Profilbildung und mehr Wettbewerb, um wirklich die besten Ideen hervorzubringen und dann zu fördern. Dabei gilt es, Wände einzureißen und neue Räume für Kreativität und für Eigenverantwortung zu schaffen. ({8}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, das erfordert vor allem unsere Bereitschaft, sich für dieses Ziel einzusetzen. Die bereits vollzogene Fusion von GMD und Fraunhofer-Gesellschaft ist dafür ein Beispiel. Wir schaffen mit dieser Fusion in einem der wichtigsten Technologie- und Forschungsbereiche die größte und leistungsfähigste Forschungseinrichtung für Informationstechnik in Europa. Die Helmholtz-Zentren, deren Gemeinschaft die größte Forschungsorganisation in unserem Land darstellen, wollen wir künftig programmorientiert fördern. Was bedeutet das? Wir wollen weg von der starren Förderung der Institutionen und hin zu einer Programmförderung. Damit stimulieren wir den Wettbewerb, den wir dringend brauchen, um gute Ergebnisse zu erreichen. Damit stimulieren wir ebenfalls die Entstehung hervorragender Ideen und die Profilbildung der Zentren. Wir schaffen damit also die notwendigen Strukturen, um den wohlfeilen Satz, dass sich die Forschung den Zukunftsthemen widmen solle, in die Realität umzusetzen. ({9}) Der Dreh- und Angelpunkt ist dabei die Stärkung der Projektförderung gegenüber der institutionellen Förderung. Wir haben die Mittel für diese Förderung seit 1998 um 38,7 Prozent gesteigert. Das bedeutet einen enormen qualitativen Fortschritt. Um Deutschland zu einem bevorzugten internationalen Wissenschaftsstandort zu machen, richten wir immer mehr Studiengänge international aus. Auch dies ist ein Teil des notwendigen kulturellen Wandels in unserem Land. Wir betreiben die wechselseitige Anerkennung von Hochschulabschlüssen, die Akkreditierung von Studiengängen und schaffen damit erst internationale Vergleichbarkeit. Ein ganz wichtiger Schritt ist dabei die Einführung von Bachelor- und Master-Studiengängen. Ich bin sehr froh, dass sie von den Hochschulen engagiert betrieben wird. ({10}) Das heißt, auch in Deutschland forscht und lehrt man in einem internationalen Umfeld. Diese Internationalisierung flankieren wir mit einem starken Fokus auf die neuen Medien, konkret mit dem Ausbau virtueller Studiengänge. Das BMBF fördert in den nächsten drei Jahren mit rund 400 Millionen DM die Entwicklung multimedialer Studiengänge, neue Fernstudienangebote und Kombinationen mit der Präsenzlehre. Damit soll sowohl die Qualität der Lehre verbessert als auch der Anteil des betreuten Selbststudiums vergrößert werden. Wichtig ist aber nicht nur eine stärkere Internationalisierung unserer Hochschulen, sondern auch ein gezieltes Marketing für unseren Wissenschafts- und Forschungsstandort. Deshalb starten wir in diesem Jahr eine Marketingoffensive. Wichtig ist natürlich ebenso unsere Mitwirkung bei der Entwicklung eines europäischen Hochschul- und Forschungsraumes. Eminent wichtig ist die bessere Verzahnung von Forschung und Wirtschaft. Nur dadurch können wir erreichen, dass Forschung wirklich den Menschen zugute kommt. Wir fördern verstärkt Kompetenznetzwerke zwischen Wissenschaft und Wirtschaft oder Anwendern, damit eine schnelle Umsetzung von Forschungsergebnissen in neue Produkte und Dienstleistungen gelingt, und zwar insbesondere in den neuen Ländern. Inno-Regio ist dabei nur eines unserer Programme, ein besonders erfolgreiches und bekanntes. Mit der Förderung innovativer Wachstumskerne in den neuen Ländern setzen wir unsere Anstrengungen zur Revitalisierung der Wirtschaft in den neuen Bundesländern fort. Mir liegt besonders die gute Kooperation zwischen KMUs und Forschungseinrichtungen am Herzen, weil ich weiß, dass diese gerade in den neuen Ländern eine zwingende Voraussetzung für die Revitalisierung ist. ({11}) Sie ist besonders in wichtigen Zukunftsbranchen wie der Biotechnologie und der Informations- und Kommunikationstechnologie bedeutsam, weil in diesen Branchen gerade die kleinen und mittleren Unternehmen neue Ideen schnell aufgreifen und zügig umsetzen. Deshalb haben wir diese Zusammenarbeit in den Mittelpunkt gerückt und unsere Anstrengungen hier verstärkt. Aufbruch und Aufschwung sind nicht nur bei der öffentlichen Forschungsförderung zu beobachten, sondern auch die Wirtschaft engagiert sich wieder deutlich stärker in Forschung und Entwicklung. Das ist auch notwendig. Diese Entwicklung ist nicht von allein gekommen, sondern hängt mit den notwendigen Reformen und der Erhöhung der Mittel der Bundesregierung zusammen. ({12}) Um diesen Kurs weiter zu unterstützen, werden wir in Kürze zusätzlich das Aktionsprogramm „Wissen schafft Märkte“ starten. Wegweisend ist dabei unsere Strategie, Ausgründungen aus Hochschulen und aus Forschungsinstituten zu begünstigen. Wir brauchen die Bereitschaft von mehr Forschern, ihre Erfindungen selbst auf den Markt zu bringen. Die Intensivierung der Kooperation von Wirtschaft und Wissenschaft sowie die Verstärkung der Anwendungsbezogenheit von Wissenschaft und Forschung bedeuten weder eine Schwächung der Grundlagenforschung noch einen Ausverkauf der Wissenschaft an die Industrie. ({13}) Wozu betreiben wir denn Forschung und Wissenschaft? Damit sie den Menschen in diesem Lande zugute kommt. Dies geschieht durch die Sicherung der Lebensgrundlagen, durch neue Erkenntnisse über die Behandlung von Krankheiten, aber auch durch die Sicherung von Arbeitsplätzen in Deutschland. Diesen Ansatz treiben wir in den Bereichen Gesundheit, Verkehr, Lebens- und Informationswissenschaften auch innerhalb der gemeinsamen europäischen Forschungsarbeit voran. Denn die Aufgabe, ein nachhaltiges und damit global nachahmenswertes Wohlstandsmodell zu entwickeln, wird sich Europa zur historischen Aufgabe wählen müssen. ({14}) Wir müssen uns dabei auf die Arbeitsplatzlokomotiven von heute und morgen - die Informations- und Kommunikationstechnologien, die Mikrosystemtechnik, die Nanotechnologie, die Biotechnologie - konzentrieren. Deshalb fördern wir seit 1999 verstärkt diese Technologiebereiche. Mit dem Rahmenkonzept „Innovation und Arbeitsplätze in der Informationsgesellschaft des 21.Jahrhunderts“ der Bundesregierung haben wir den Weg dafür bereitet, Deutschland bei der Nutzung der modernen I-und-K-Technologien in den nächsten drei bis fünf Jahren in die Spitzengruppe der führenden Industrienationen zu bringen. In bisher einmaliger Art und Weise arbeiten Wirtschaft und Staat in der Initiative D 21 zur Stärkung der New Economy zusammen. ({15}) Besonders wichtig für die Menschen ist die Forschung im Bereich der Lebenswissenschaften, in der Gesundheitsforschung und in der Bio- und Gentechnologie. Dies sind die Zukunftsfelder. Die Genomforschung eröffnet ganz neue Chancen zur Bekämpfung von Krebs, ({16}) zur Bekämpfung von Alzheimer, zur Bekämpfung von Infektionen und zur Bekämpfung bisher nicht oder nur unzureichend behandelbarer Krankheiten. ({17}) Wenn man diese Chancen nicht nutzt - das sage ich Ihnen ganz klar -, handelt man verantwortungslos. ({18}) Zur Politik gehört deshalb - weil es eben auch Risiken gibt -, dass man Risiken minimiert, sie verringert und die Grenzen so gestaltet, dass die Risiken ausgeschlossen werden, dass wir aber zugleich die Chancen mutig und couragiert nutzen. Das ist, wie ich finde, die richtige Politik. ({19}) Wir haben daher in diesem Jahr im Rahmen des Zukunftsinvestitionsprogramms der Bundesregierung eine koordinierte nationale Maßnahme „Krankheitsbekämpfung durch Genomforschung“ gestartet. Die Mittel für diesen Bereich haben wir um fast 300 Prozent auf rund 500 Millionen DM gesteigert.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Seifert von der PDS-Fraktion?

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Minister:in)

Politiker ID: 11000305

Ja, ich gestatte eine Zwischenfrage.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Ministerin, Sie sprachen gerade sehr engagiert von den Chancen der Gentechnologie und der Biomedizin usw. und sagten, man müsse die Risiken minimieren. Halten Sie es nicht für möglich, dass es auch Risiken gibt, die man aus ethischer Verantwortung für die Zukunft der gesamten Menschheit nicht eingehen darf? Glauben Sie nicht, dass es zumindest die Möglichkeit gibt, dass bestimmte Biotechnologien nicht in Betracht kommen, wirklich angewandt zu werden, weil eben die Risiken viel zu groß sind und die Chancen in keinem angemessenen Verhältnis dazu stehen könnten? Immerhin gibt es ja eine Enquete-Kommission, die das herauskriegen soll.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Minister:in)

Politiker ID: 11000305

Ich halte das für möglich. Es herrscht ja in diesem Parlament ein sehr breiter Konsens darüber, dass wir die Klonierung des Menschen nicht wollen. Deshalb sage ich: Wir müssen die Risiken und die Anwendungen, die wir für falsch halten, durch gemeinsame Entscheidungen ausschließen und erklären, dass wir diesen Weg nicht gehen wollen. Das kann und darf aber nicht heißen, dass ich eine Technologie, einen Forschungsbereich als Ganzes, der auch ungeheuer viele Chancen birgt, in Zukunft bisher nicht heilbare Krankheiten tatsächlich heilen zu können, einfach ad acta lege und sage: In diesem Bereich wollen wir nichts tun. ({0}) Nach meiner Meinung unterscheiden wir Menschen uns gerade dadurch von allen anderen Lebewesen, dass wir eine Vernunft besitzen, dass wir ein Gewissen haben und deshalb auch vernunftgemäße Entscheidungen treffen können. Ich finde, wir sollten die Aufklärung und das, was sie uns gebracht hat, nicht vergessen, sondern dies alles aktiv nutzen und einsetzen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Ministerin, gestatten Sie eine Nachfrage des Kollegen Seifert?

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Minister:in)

Politiker ID: 11000305

Ja.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Bitte schön.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Vielen Dank für die Freundlichkeit. - Frau Ministerin, ich verstehe das, was Sie über die Vernunft gesagt haben, durchaus. Aber wenn Sie in Ihrer Rede die Chancen ganz groß herausstellen und erklären, wir müssten die Chancen nutzen und die Risiken minimieren, ist das dann nicht eine Präjudizierung in der Richtung: Lasst es uns einmal versuchen und sehen, was dabei herauskommt? Besteht denn nicht auch die Möglichkeit, dass bestimmte Forschungsbereiche - Sie sprachen die Klonierung von Menschen an; es gibt ja noch sehr viele andere Projekte, die genauso gefährlich sein könnten - so gefährlich sein könnten, dass man das lieber lassen sollte? Es geht mir darum, dass man nicht die Chancen zu sehr betont und die Risiken ein bisschen herunterspielt.

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (Minister:in)

Politiker ID: 11000305

Es ist genau deswegen keine Präjudizierung, weil wir die Risiken minimieren wollen. Weil wir Risiken ausschließen wollen, haben wir ja diesen Konsens gefunden. Ich habe auch die Mittel für die Sicherheitsforschung erheblich erhöht, damit wir mehr darüber wissen und auch vorbeugend tätig werden können. Das ist also kein Gegensatz. Vielmehr gehören Chancen und Risiken zusammen. Das ist im Übrigen auch in vielen anderen Lebensbereichen so. Wir haben deshalb, wie gesagt, in diesem Bereich die Mittel für die staatliche Forschungsförderung erhöht, um zum Beispiel die notwendige Sicherheitsforschung zu finanzieren. Wir liegen hier im Übrigen inzwischen weltweit an zweiter Stelle hinter den USA. Auch das ist ein Erfolg unserer Politik. Ebenso ein Erfolg unserer Politik ist - auch das will ich ausdrücklich betonen -, dass wir inzwischen in Europa bei der Zahl der Biotechnologieunternehmen an erster Stelle liegen. Das heißt auch, dass hier zukunftsfähige Arbeitsplätze geschaffen wurden. ({0}) Um zum aktuellen Thema Nummer eins, zur BSEBekämpfung, etwas zu sagen: Wir konzentrieren uns in der Forschung auf die Bereiche Diagnostik und Therapie. Das ist richtig und notwendig. Wir fördern den Wissensaustausch in Europa und wir entwickeln ein nationales Forschungskonzept, dessen Ziel die Gesundheit von Mensch und Tier ist. Wir verfolgen also mehrere Ziele gleichzeitig: Wir intensivieren den Kampf gegen Krankheiten, die viele Menschen in der ganzen Welt betreffen, und wir sichern außerdem die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands und damit zukunftsfähige Arbeitsplätze. Meine Damen und Herren, Sie sehen, wir haben Schluss gemacht mit der Förderphilosophie nach dem Motto: „The same procedure as every year“, ({1}) mit Mittelkürzungen und mit dem Senioritätsprinzip bei der Besoldung von Hochschullehrern. Wir haben mit unseren Reformen die Weichen für mehr Innovation und den notwendigen Aufbruch richtig gestellt. Die Entscheidung der Bundesregierung, die deutsche Forschungslandschaft zu modernisieren, zahlt sich aus. Sie hat entscheidend dazu beigetragen, dass Deutschland im international bekannten „World Competitiveness Report“ des Wirtschaftsforums in Genf von Platz 25 im Jahre 1997 auf Platz 3 im Jahre 2000 vorgerückt ist. Ein so gewaltiger Sprung beweist: Wir machen die richtige Politik. ({2})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Gerhard Friedrich, CDU/CSU-Fraktion.

Dr. Gerhard Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002657, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Forschungsbericht 2000 nennt endgültige Daten nur bis zum Jahre 1998. Deshalb ist es sehr problematisch, die Zeit bis zum Regierungswechsel und die Zeit nach dem Regierungswechsel miteinander zu vergleichen. Bis 1998 werden Istdaten, also Ergebnisse, genannt, danach Haushaltsansätze. Ein Vergleich zwischen Soll und Ist ist aber nicht ganz korrekt. Wir haben nicht vergessen, dass die Bundesforschungsministerin im ersten Jahr ihrer Amtszeit, nämlich 1999, 236 Millionen DM an den Bundesfinanzminister zurückgegeben hat. Das heißt, sie hat die Mittel zwar bereitgestellt, sie aber nicht ausgegeben. Das wollen wir in das Zahlenwerk eingearbeitet sehen. Dann können wir wirklich vergleichen. Frau Ministerin Bulmahn, ich halte es für ein bisschen kleinkariert, wenn Sie die Forschungslandschaft, die Sie von Ihrem Vorgänger, von Herrn Minister Rüttgers, ({0}) übernommen haben, in den düstersten Farben schildern, um sich dann selbst als Lichtgestalt zu preisen, die die Trendwende herbeigeführt hat. ({1}) Sie verweisen zum Beispiel auf sinkende Ausgaben in dem Ressort für Bildung und Forschung. Dabei kommt es darauf an, mit welchem Jahr man mit einem Vergleich beginnt. Zu Beginn der deutschen Einheit sind die Ausgaben für Forschung und Entwicklung deutlich gestiegen; wir sind ja auch ein bisschen größer geworden. Dann haben sich ab etwa 1994 die Verhältnisse normalisiert ({2}) und die Ausgaben für Forschung und Entwicklung haben sich bei etwa 10 Milliarden DM jährlich eingependelt. Das waren also wirklich außergewöhnliche Zeiten. Sie eignen sich sehr wenig für einen Vergleich. Sie sagten, Kürzungen seien insgesamt etwas Schreckliches. Wir haben uns nicht darüber gefreut. Betroffen war übrigens vor allem der Bildungsbereich. Aber dass das manchmal notwendig ist, haben Sie ja selbst erfahren. Wir haben noch in Erinnerung, dass Sie im letzten Jahr für Ihren Haushalt 340 Millionen DM weniger zur Verfügung gestellt bekommen haben als im Jahr davor. Wie problematisch der Vergleich ist, zeigt auch eine andere Zahl, die Sie immer wieder in Ihren Presseerklärungen im Zusammenhang mit diesem Bundesforschungsbericht nennen. Sie weisen darauf hin, dass in den Jahren 1989 bis 1997 die Ausgaben für Forschung und Entwicklung pro Kopf nur um 23 US-Dollar auf etwa 511 US-Dollar gestiegen sind. Damit vergleichen Sie die Verhältnisse in den alten Bundesländern mit den Verhältnissen nach der deutschen Einheit. Wir wissen doch - vor allem der Kollege Schmidt, der sich sehr engagiert hat und nachher noch reden wird -, dass die großen Forschungskombinate der DDR nach der deutschen Einheit als Erstes ihre Forschungsabteilungen ausgegliedert haben. Viele davon sind untergegangen, einige haben wir als Forschungs-GmbHs am Leben gehalten. Es ist nach wie vor so, dass die Unternehmen in den neuen Bundesländern, im Beitrittsgebiet - das ist traurig, aber wahr -, nur etwa halb so viele Forscher und Entwickler pro 1 000 Einwohner beschäftigen wie die Unternehmen in den alten Bundesländern. ({3}) Daran ist nicht vorrangig die jetzige Forschungsministerin schuld, aber auch nicht Herr Rüttgers, sondern Herr Honecker und die, die mit ihm früher in einer Partei waren. ({4}) Sehr verehrte Frau Ministerin, ich schlage Ihnen vor, die Auseinandersetzungen des Wahlkampfjahres 1998 jetzt langsam zu beenden. Es ist doch kein Beweis für Souveränität, wenn man dauernd nachtritt. Auf dem Fußballfeld wird man beim Nachtreten vom Platz gestellt. Meine Damen und Herren, da die zuverlässigen Daten des Berichtes nur bis zum Jahre 1998 reichen, also sozusagen eine abschließende Bilanz unserer Regierungszeit erlauben, und die Frau Ministerin hier wieder von Stillstand und Rückschritt gesprochen hat, möchte ich einmal aufzeigen, was sich verbessert hat. Wir haben in diesen Jahren begonnen - das beweisen alle Berichte, nicht nur der neue -, in den Spitzentechnologien aufzuholen. Wir haben, wie auch Sie, Schwerpunkte im Bereich der Informationstechnologie und im Bereich der Biotechnologie gebildet. In der IT-Branche sind schon in den 90er-Jahren die Umsätze jährlich um 10 Prozent gestiegen, es gab einen deutlichen Zuwachs bei der Beschäftigung. Wie war es denn bei der Biotechnologie? Minister Rüttgers hat doch erst durch seinen Bio-Regio-Wettbewerb dafür gesorgt, dass wir jetzt in Deutschland - zum Beispiel in Martinsried bei München oder in der Stadt daneben, in Großhadern - Kompetenzzentren haben, die international an der Spitze mitmischen können. Die chemische Industrie, mit deren Vertretern ich früher viele Gespräche geführt habe, hat uns bestätigt, dass wir die Investitionshemmnisse im Bereich der Genehmigungsverfahren für Gentechnik abgeschafft haben. Wer war denn damals in diesem Bereich eines der großen Investitionshemmnisse in Deutschland? Fragen Sie doch einmal bei der Firma Hoechst in Frankfurt nach! Das war doch der frühere hessische Umweltminister Fischer, jetzt Außenminister dieser Regierung. Ich war einmal gemeinsam mit einigen Forschungspolitikern in Kalifornien und habe gesehen, dass Hoechst im Bereich der Gentechnologie jahrelang in den USA investiert hat, weil man mit Herrn Fischer in Frankfurt überhaupt nicht zurechtgekommen ist. ({5}) Frau Bulmahn, die Humangenomforschung halten wir gemeinsam für wichtig. Wir waren ja schon vor Verabschiedung des Haushalts 2001 übereinstimmend der Überzeugung, dass jährlich rund 200 Millionen DM mehr bereitgestellt werden sollten. 100 Millionen DM hat Ihnen der Bundesfinanzminister bewilligt; das ist schon ein Fortschritt. Wir wollten gemeinsam mehr. Aber ich möchte daran erinnern: Gestartet wurde das Humangenomprojekt bzw. die Finanzierung durch Ihren Vorgänger, Herrn Minister Rüttgers. Herr Rüttgers hat auch das neue Instrument der Förderung der Leitprojekte eingeführt und Sie sind jetzt stolz auf Inno-Regio. Wir wissen, dass die Pläne dafür in den Schubladen des Ministeriums lagen. Sie wenden also Instrumente an, die andere entwickelt haben. Wir finden das gut. Aber man kann doch nicht sagen: Vor meiner Amtszeit war alles katastrophal und bei mir, kaum sitze ich auf dem Sessel, wird alles besser. Ich erinnere an den Kapitalmangel unserer Hightechfirmen. Wir haben uns jahrelang darüber unterhalten, dass es Probleme in der Phase der Unternehmensgründung gibt, weil Risikokapital gefehlt hat. Schauen Sie sich die Berichte an! Bei Beginn Ihrer Amtszeit war die Versorgung mit Risikokapital ausreichend. Auch das hat übrigens nicht nur die damalige Bundesregierung geschafft, sondern dazu gab es kräftige Beiträge einzelner Länder, zum Beispiel des Freistaates Bayern. Wir sind bei der Umsetzung von Forschungsergebnissen in marktfähige Produkte deutlich besser geworden. Dr. Gerhard Friedrich ({6}) Allerdings wissen wir - auch der Wissenschaftsrat hat uns wieder daran erinnert -, dass wir im Bereich Anwendungsorientierung und Praxisbezug der Forschung noch besser werden müssen, zumindest in den naturwissenschaftlichen und technischen Disziplinen. Auch wir wissen - nicht nur die neue Ministerin -, dass wir Fortschritte bei der Internationalisierung unseres Wissenschaftssystems brauchen. Denn wenn die Wirtschaft immer globaler handelt, dann müssen auch Hochschule und unsere Forschungslandschaft insgesamt international mehr kooperieren, Erfahrungen und Forschungspersonal austauschen. Wir haben damit begonnen, indem wir bei der Hochschulreform die neuen internationalen Abschlüsse Bachelor und Master eingeführt und ein Förderprogramm für international ausgerichtete Studiengänge ins Leben gerufen haben. Leider haben Sie für dieses Förderprogramm keine einzige zusätzliche Mark in den Haushalt 2001 eingestellt, obwohl es, sehr viele positiv begutachtete Anträge der Hochschulen gab. Ich unterstütze Ihren Vorschlag - das wissen Sie -, in Ergänzung der Hochschulreform auch das Hochschuldienstrecht zu ändern, es leistungsorientierter zu gestalten. Es ist notwendig - ich möchte das ausdrücklich bestätigen -, dass wir die Qualifizierungsphase an unseren Hochschulen verkürzen, dass wir unseren jungen Wissenschaftlern die Chance geben, früher wissenschaftlich selbstständig zu arbeiten. Wir sind deshalb einer Meinung, dass wir die neue Stellung eines Juniorprofessors an den Hochschulen einführen sollten; wir streiten nur noch darüber, ob es erforderlich ist, die Habilitation insgesamt abzuschaffen. Die Stellungnahmen, die wir von den großen Wissenschaftsgesellschaften, auch von der Hochschulrektorenkonferenz bekommen, sind mehr für Abschaffung. Reden wir aber vor Ort mit den Professorinnen und Professoren an unseren Universitäten, dann sagen diese: Wir brauchen in einigen Fächern - zwar nicht allein, aber als Alternative zum Juniorprofessor - auch die Habilitation. - Darüber werden wir heute und in den nächsten Wochen sicher noch diskutieren. ({7}) In seinen Thesen zur künftigen Entwicklung des Wissenschaftssystems in Deutschland stellte der Wissenschaftsrat im letzten Jahr fest: Die Stärkung des institutionellen Wettbewerbs ist ein entscheidendes Instrument, um die bisherige Überbetonung funktionaler Differenzierung im deutschen Wissenschaftssystem auszugleichen. Das ist sehr kompliziert, deshalb übersetze ich es: Die an den vorhandenen Planstellen ausgerichtete staatliche Förderung der großen Forschungsinstitutionen führt dazu, dass die Verhältnisse relativ starr und unbeweglich sind und dass diese institutionell geförderten Forschungseinrichtungen nur schwer auf neue Forschungsziele ausgerichtet werden können. Es gibt übrigens noch jemanden, der uns manchmal daran hindert, die Gewichte rechtzeitig zu verlagern. Das sind die Länder, die gemeinsam mit dem Bund, mit unterschiedlichen Prozentsätzen - das nennt man Mischfinanzierung -, diese großen Forschungseinrichtungen fördern: die großen Zentren zu 90 Prozent Bund, zu 10 Prozent Land. Bereits diese 10 Prozent Anteil des Landes führen aber dazu, dass die Länder eine Art Vetorecht haben. Die Länder sind in der Theorie für Veränderungen. Wenn es aber darum geht, Forschungsmittel umzuleiten, sodass einige Mittel in ein anderes Bundesland fließen und man ein paar Planstellen verliert, woanders aber ein paar Planstellen mehr entstehen, dann wird ein Veto eingelegt. Trotzdem werden wir, glaube ich, die Mischfinanzierung nicht abschaffen können; denn dann hätten wir einen fürchterlichen Streit mit unseren eigenen Bundesländern. Ich möchte aber an die Länder appellieren, nicht nur in Besitzstandsdenken zu verharren. ({8}) Frau Ministerin, die unionsgeführten Bundesländer kommen übrigens immer sehr gut weg; das wissen Sie. 50 Prozent der Menschen, die bei uns im Bereich Forschung und Entwicklung arbeiten, tun das in Bayern und Baden-Württemberg. ({9}) Deshalb gibt es in SPD-regierten Ländern immer wieder Bedenken. Wenn Sie ein neues Forschungsprogramm auflegen oder ein Programm aufstocken, wie in der Genomforschung, dann sagen die Rheinland-Pfälzer: Das Geld wird wieder vollständig nach Bayern und BadenWürttemberg fließen. - Das heißt, den Wettbewerb fürchten wir überhaupt nicht, auch nicht der Kollege Schmidt aus Sachsen. Wenn man sich die Bilanz der neuen Bundesländer anschaut, können Herr Jork, der jetzt ein bisschen lacht, und Herr Schmidt wirklich zufrieden sein. Die Zentren der Forschung in den neuen Bundesländern liegen in Sachsen. Ich wiederhole: Wir haben überhaupt keine Angst vor Wettbewerb. ({10}) Frau Ministerin, es ist schlicht falsch, dass wir in Sachen Strukturreformen während unserer Regierungszeit nichts unternommen hätten. Ich gebe nur eines zu: Wir hatten noch ein wichtigeres Problem Anfang der 90erJahre. Das vergessen Sie. Die deutsche Einheit blenden Sie aus. Wir haben eine ostdeutsche Forschungslandschaft übernommen - eigentlich müsste man „mitteldeutsche Forschungslandschaft“ sagen -, ({11}) die abzukippen drohte. Wir mussten schnell begutachten, was davon erhaltenswert ist und was wir in unsere Wissenschaftsgesellschaften und in die Hochschulen eingliedern. Dies hatte oberste Priorität. Dann kann man nicht gleichzeitig die Verhältnisse in den alten Bundesländern umkrempeln. Die Kapazitäten der Minister und ihrer Mitarbeiter sind eben irgendwann erschöpft. Trotzdem haben wir schon Mitte der 90er-Jahre begonnen, Strukturreformen durchzuführen. Sie haben von der Helmholtz-Gemeinschaft gesprochen, von den großen Forschungszentren. Ich erinnere nur daran, dass Dr. Gerhard Friedrich ({12}) wir dort den Strategiefonds eingeführt haben. Wir haben die Planstellenfinanzierung ein bisschen heruntergefahren und die Mittel in einen gemeinsamen Topf gegeben. Die einzelnen Zentren bewerben sich seither um Projektmittel. Das war der Beginn der Flexibilisierung. Ich gebe zu, dass dies nicht viel gebracht hat, wie wir heute wissen. Das neueste Gutachten des Wissenschaftsrates führt aus, dass dies etwas unterlaufen wurde. Deshalb sind wir durchaus bereit, mit Ihnen konstruktiv über das zu reden, was Sie jetzt Programmsteuerung nennen. Die unionsregierten Länder sagen auch: Im Grundsatz sind wir uns einig, im Detail gibt es aber noch viele ungelöste Probleme. - Das müssen wir wissen. Ich frage mich zum Beispiel, wie wir mit dem Problem der Verantwortung des Leiters eines großen Forschungszentrums und der des Zuständigen für ein Programm, das in mehreren Forschungszentren durchgeführt wird, zurechtkommen. Da besagen die Papiere, die uns bisher vorliegen: Sie sollen sich eben einigen. - Wenn sich die Leute einigen, brauche ich keine Spielregeln und keine Rechtsnormen. Leider einigen sich die Menschen nicht immer, sondern es gibt Interessenkonflikte. Dafür brauchen wir noch vernünftige Regeln. Wir müssen hier schon noch etwas weiterarbeiten. Sie sagen, Sie sind die große Reformerin in der Struktur der Forschungslandschaft. ({13}) - Dazu sage ich Ihnen nur, Herr Kollege Tauss: Bisher haben Sie vom Ergebnis her nur eines geschafft, nämlich die Eingliederung der GMD in die Fraunhofer-Gesellschaft. Etwas anderes können Sie nicht vorweisen. Sonst haben Sie nur Absichten geäußert. Die Eingliederung der GMD geschah mit der Brechstange. Es gab einen Aufstand. Jetzt hören wir, das werde eine großartige Sache, ein neuer Schwerpunkt in Sachen Informationstechnologie. Kollege Hauser hat uns in der Arbeitsgruppe gesagt, die Herren in der Nähe von Bonn, wo die Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung sitzt, folgen jetzt Rufen von Universitäten und gehen. Wir müssen da behutsam vorgehen. Das Projekt GMD/Fraunhofer-Gesellschaft war nicht gerade beispielhaft. Meine Damen und Herren, ich will zum Schluss noch zwei Dinge sagen. Das Erste: Wenn Sie den Bundesbericht Forschung lesen, dann schauen Sie sich bitte auch einmal an, wie die Bilanz der Bundesregierung insgesamt aussieht. Frau Bulmahn, Sie haben in zwei Jahren mehr Geld in das System gegeben; der Wirtschaftsminister hat kräftig gespart. Nach den Haushaltsansätzen sollten die Ausgaben für Forschung und Entwicklung in den ersten beiden Jahren, also 1999/2000, um 4,1 Prozent steigen. Das steht so im Bericht. Das Ist wird geringer sein, nämlich 3,8 Prozent in zwei Jahren. Herzlichen Glückwunsch zum Inflationsausgleich! So toll ist das ja nicht. ({14}) Zum Zweiten sollte man sich bei der Beurteilung der Verhältnisse nicht immer nur auf sich selbst verlassen. Sie sind subjektiv, ich natürlich auch. Darum haben wir einmal im Archiv geschaut, was andere dazu sagen. Das „Handelsblatt“ hat am 15. Dezember das Ergebnis einer Umfrage unter Führungskräften der Wirtschaft veröffentlicht. Sie sollten sich äußern, wo die Kompetenz in Sachen Technologie und Innovation liegt. Die Union liegt mit 56 Prozent vorn; die SPD liegt mit 24 Prozent hinten. Das entspricht der Verteilung der Forschung in Deutschland. Vielen Dank. ({15})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort dem Kollegen Hans-Josef Fell, Bündnis 90/Die Grünen.

Hans Josef Fell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003115, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Dr. Friedrich, Sie haben zu Recht angemahnt, den Wahlkampf 1998 endlich zu beenden. Aber ich finde es nicht gut, dass Sie den Wahlkampf 2002 eröffnen wollen und dass Sie immer wieder den Blick nach vorne richten und Wahlkampf betreiben wollen. ({0}) Nein, daran werde ich mich nicht beteiligen. Vielmehr werde ich aufzeigen, wo die Fehler der Vergangenheit in der Forschungspolitik lagen - sie sind im Forschungsbericht 2000 offenkundig geworden - und wo die neue Regierung neue Akzente gesetzt hat. An einem Punkt will ich das gleich verdeutlichen. Sie haben behauptet, das Programm Inno-Regio für die Ostförderung sei unter Rüttgers vorbereitet und von uns nur hervorgeholt worden. Es mag sein, dass er etwas in der Schublade gehabt hat. Aber der entscheidende Unterschied ist doch: ({1}) Wir haben es hervorgeholt. Wir haben neue Konzepte verwirklicht. Wir haben damit Ihre Pläne, von denen Sie immer gesprochen haben, aber die Sie nie verwirklicht haben, in die Tat umgesetzt. Das ist der Unterschied in der Forschungspolitik zwischen der rot-grünen und der alten Regierung. ({2}) Forschung ist der Garant einer zukünftigen Entwicklung. Forschung wird für die Entwicklung neuer Technologien genauso wie für die Analyse ihrer Auswirkungen benötigt. Die Erkenntnisse der Forschung geben uns Hinweise auf gesunde und ungesunde Entwicklungen. Vor allem gibt uns Forschung neue Erkenntnisse, die wir zum Wohle von Mensch und Umwelt einsetzen können. Daher gilt auch für Bündnis 90/Die Grünen: Forschung ist unverzichtbar und Forschung hat einen hohen gesellschaftlichen Wert. Dr. Gerhard Friedrich ({3}) Wer wie die alte Bundesregierung die Ausgaben für Forschung senkt, setzt fahrlässig die Zukunft des Technologiestandortes Deutschland aufs Spiel. Der Anteil der Forschungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt ist laut dem heute diskutierten Bericht - Herr Dr. Friedrich, hören Sie zu! - von 2,87 Prozent im Jahre 1989 auf 2,32 Prozent im Jahre 1998 gesunken. Das nennen Sie eine notwendige Nivellierung? Nein, Herr Dr. Friedrich, das ist der Ausdruck des Rückganges der Forschung unter der alten Bundesregierung. ({4}) Andere Industrieländer haben diesen Anteil auf zum Teil deutlich höherem Niveau halten können, zum Beispiel Japan mit 2,9 Prozent oder die USA mit 2,77 Prozent. Die Folge ist klar: Bei neuen Technologien bekamen vor allem Japan und USA immer mehr Weltmarktanteile - eine bedrohliche Entwicklung für die exportabhängige Bundesrepublik Deutschland. Die rot-grüne Regierung hat aber bereits die Kehrtwende eingeleitet. So konnten die Bruttoinlandsausgaben von 87 Milliarden DM 1998 bereits für 1999 auf 92 Milliarden DM gesteigert werden. Auch für 2000 und 2001 sind im Bundeshaushalt Ausgabensteigerungen vorgenommen worden. Dies ist eine großartige Regierungsleistung, da wir gleichzeitig im Gegensatz zu Ihnen die Senkung der Staatsausgaben insgesamt erreicht haben. ({5}) Diese Steigerung der Forschungsausgaben zeigt eindrucksvoll, dass wir es mit der Forschung und übrigens auch mit der eng damit zusammenhängenden Bildung ernst meinen. Wir Bündnisgrünen streben an, mittelfristig 3,0 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für die Forschung auszugeben. Die demographische Entwicklung dieses Landes ist aus meiner Sicht ein zwingender Grund, dieses Ziel anzustreben. Nur so wird es möglich sein, dass zukünftig immer weniger junge Menschen unseren Wohlstand finanzieren können. Gesamtausgabensteigerungen sind ein wichtiges Ziel. Genauso wichtig sind aber auch strukturelle Verbesserungen der Forschungslandschaft und neue inhaltliche Schwerpunktsetzungen. Auch hier hat Rot-Grün bereits Zeichen gesetzt, weitere sind in Bearbeitung. Strukturelle Veränderungen sollen dazu dienen, Flexibilisierung von Entscheidungsprozessen, Entbürokratisierung, Stärkung der Eigenverantwortung und Straffung der Forschungslandschaft endlich zu erreichen. ({6}) Dazu dient zum Beispiel die Programmsteuerung bei den Helmholtz-Gemeinschaften. Diese wird dort stärker als bisher Innovationen beschleunigen oder auch den gesellschaftlichen Einfluss auf die Forschungsinhalte verstärken. Allerdings darf sich der gesellschaftliche Einfluss nicht allein von wirtschaftlichen Interessen leiten lassen. Auch der Einfluss beispielsweise von Gewerkschaften oder Umweltverbänden ist zu verstärken. ({7}) Eine Reform des Dienstrechtes ist notwendig. Die Anreize für junge Wissenschaftler, in Deutschland zu bleiben, statt in die USA abzuwandern, können so verstärkt werden, zum Beispiel durch eine Juniorprofessur. Frau Bulmahn hat auf ihrer USA-Reise zu diesem Thema wichtige Aussagen gemacht und es zu Recht in den Mittelpunkt gerückt. Forschung ist die Grundlage für technologischen Fortschritt und damit für den Erhalt und den Ausbau von Arbeitsplätzen. Da gerade der Mittelstand den Löwenanteil an Arbeitsplätzen stellt, ist es nur folgerichtig, auch für den Mittelstand die Forschungsunterstützung zu verstärken. Bündnis 90/Die Grünen begrüßen es daher sehr, dass im Wirtschaftsministerium die Mittel für die Forschungsförderung des Mittelstandes von 1998 bis 2000 um fast 5 Prozent erhöht werden konnten. Um Arbeitsplätze zu sichern und neue schaffen zu können, ist es richtig, die Forschung anwendungsbezogen zu verstärken. Enge Kooperationen mit der Wirtschaft können die öffentlichen Haushalte entlasten. Allerdings ist bei allen jetzt vorgesehenen Strukturänderungen immer im Auge zu behalten, dass die Grundlagenforschung dabei nicht unter die Räder kommt. Wer heute die Grundlagenforschung vernachlässigt, dem gehen in wenigen Jahren die Ideen für neue anwendungsorientierte Forschungen aus. ({8}) Im Ost-West-Vergleich hat die Bundesregierung den Anteil der neuen Länder leicht steigern können, allerdings - das geben wir unumwunden zu - ist der Nachholbedarf in den neuen Bundesländern weiterhin groß und wir werden uns dafür einsetzen, diesen endlich zu stillen, beispielsweise mit neuen Institutsgründungen. Meine Damen und Herren, neben den strukturellen Verbesserungen, die in der Forschungslandschaft anstehen und die wichtig sind, haben wir uns aber auch um neue inhaltliche Schwerpunktsetzungen zu kümmern. Ich möchte als wichtigsten Schwerpunkt aus meiner Sicht die Anpassung der Forschungsinhalte an die veränderten Bedingungen dieser Welt aufzeigen. Ich sehe vor allem, dass die Ergebnisse des Weltumweltgipfels 1992 in Rio wichtige und notwendige Maßnahmen auch für die Forschung sind. Die Grundgedanken von Rio müssen auf die Forschung übertragen werden. Das heißt, die Forschung muss demokratischen, ökologischen, sozialen und friedenspolitischen Pflichten endgültig und vollständig verpflichtet werden. ({9}) Für einige Forschungsschwerpunkte möchte ich diese grüne Sicht verdeutlichen. In vielen Grundsatzreden und Grundsatzartikeln werden die wichtigsten Forschungsschwerpunkte genannt. Immer finden sich darunter die Biotechnologie, die Informations- und Kommunikationstechnologie, die Gesundheitsforschung, manchmal auch die Materialforschung und die Nanotechnologie. Ohne Zweifel sind diese Forschungsfelder auch aus grüner Sicht wesentlich und für eine technologische Entwicklung Deutschlands unverzichtbar. Aber in den Aufzählungen für diese zukunftsorientierten Forschungsfelder fehlt fast immer ein zentraler und extrem wichtiger Forschungszweig. Es ist die Energieforschung. Kaum genannt werden aber auch andere wichtige Forschungsbereiche, wie beispielsweise die landwirtschaftliche Forschung, die Friedensforschung oder die Sozialforschung. Lassen Sie mich die Energieforschung etwas näher beleuchten. Wie wichtig Energie für unsere Gesellschaft ist, kann man zurzeit in Kalifornien an einem Lehrbeispiel für ideologisch geleitetes politisches Handeln erkennen. ({10}) Dort wurde die Liberalisierung des Strommarktes mit dem ausschließlichen Ziel billiger Strompreise bis zum Extrem vorangetrieben. Das führte zusammen mit Engpässen in der regionalen Gasversorgung zu einem teilweisen Zusammenbruch der Stromversorgung. ({11}) Ich hoffe, dass dieses Beispiel für eine verfehlte Liberalisierungspolitik auch bei den Vertretern einer neoliberalen Energiepolitik in Europa endlich zu einem Erwachen führt.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Fell, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Flach?

Hans Josef Fell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003115, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, gerne. ({0})

Ulrike Flach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003119, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Fell, ist Ihnen klar, dass Sie, wenn Sie sagen, dass es hier nur um den Fehler der Liberalisierung geht, völlig am Thema vorbeireden? Die Liberalisierung spielt in Kalifornien an keiner Stelle eine Rolle, sondern das Problem ist die Regulierung des Preises. ({0})

Hans Josef Fell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003115, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Verehrte Kollegin Flach, das Problem ist die Regulierung des Preises; aber schon der Grundgedanke, Billigprodukte seien das Wichtigste, was in unserem Leben anzustreben ist, ist falsch. Das Ziel, nur für billige Preise zu sorgen, hat mit den Liberalisierungstendenzen dazu geführt, dass Preissteigerungen, die notwendig wären, um Fehlentwicklungen zu verhindern, nicht möglich waren. Genau dies entspricht dem falschen Grundgedanken, über eine Liberalisierung des Marktes billigen Strom zu bekommen. Dieses nun auch regulierend durchzusetzen - da stimme ich Ihnen zu - ist ein dramatischer Fehler, den wir nicht machen sollten. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Fell, gestatten Sie eine Nachfrage der Kollegin Flach?

Hans Josef Fell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003115, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja.

Ulrike Flach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003119, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Fell, wir sind uns also offensichtlich einig, dass das Modell von Bundesminister a. D. Günter Rexrodt in keiner Weise mit dem kalifornischen identisch ist. ({0})

Hans Josef Fell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003115, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Doch! Es gibt dort einige Gemeinsamkeiten. ({0}) - Sie sind nicht vollständig identisch, das ist klar, aber es gibt einige Gemeinsamkeiten zwischen beiden Modellen. Die wichtigste Gemeinsamkeit ist der Glaube an die Ideologie, dass alleine die Kräfte des Marktes zu billigen Preisen führen und damit alle Probleme insgesamt zu lösen wären. ({1}) Hier liegt der Trugschluss. Diesen Weg gehen wir nicht mit. Wir sehen, dass Regulierung dort notwendig ist, wo es der Markt alleine nicht schafft. ({2}) Wir stehen für den liberalisierten Markt. Lassen Sie mich zur Energieforschung zurückkehren: Viele Forschungsergebnisse aus den zurückliegenden Jahren über zukünftige Energieverbräuche, Energieressourcen oder Umweltauswirkungen legen den Schluss nahe, dass die Energieversorgung in dieser Welt als Motor für alle Technologien vor einem gewaltigen Wandel steht. Die entscheidende Strategie liegt darin, neue Energieerzeugungstechnologien auf der Basis erneuerbarer Energien rasant auszubauen. Nur diese sind meines Erachtens in der Lage, mittel- und langfristig die sich ankündigenden Versorgungsengpässe zu schließen. Die Energiekommissarin der EU, Frau Palacio, hat kürzlich mit dem Grünbuch der Versorgungssicherheit auf eine bedrohliche Entwicklung hingewiesen: Im Jahre 2020 wird Europa über 70 Prozent seiner Energie importieren müssen. Das ist ein Schreckensszenario, wenn man die Abhängigkeit unserer Technologien von Energie betrachtet. Es sind daher auch die Forschungsmittel für erneuerbare Energien und Einspartechnologien weiter drastisch zu erhöhen. Ein erster Erfolg versprechender Schritt ist, dass im Haushalt 2001 dieser rot-grünen Regierung 100 Millionen DM mehr für die Erforschung neuer Energietechnologien, beispielsweise der Brennstoffzelle, bereitgestellt wurden. Eine weitere Steigerung der Forschungsmittel für erneuerbare Energien und rationelle Energieverwendung in den kommenden Jahren ist aus grüner Sicht dringend geboten. Damit bei den jetzt anstehenden Strukturveränderungen der gesamten deutschen Forschungslandschaft nicht wieder die Entwicklungen, die in der Vergangenheit durch falsche Schwerpunktsetzung eingeleitet wurden, fortwirken, fordern Bündnis 90/Die Grünen eine interministerielle Arbeitsgruppe unter Beteiligung der Fraktionen zur Neufestlegung der Energieforschungsschwerpunkte. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass die jahrelange einseitige Förderung für die Erforschung der Kernenergie nicht den gewünschten Erfolg brachte. Man kann sogar sagen: Das einseitige Festlegen auf die Erforschung der Kernenergie war ein zentraler Fehler der Forschungsförderung der letzten Jahrzehnte. ({3}) Das kann man unschwer daran erkennen, dass der Beitrag der Kernenergie an der gesamten Energieversorgung in der EU knapp unter 10 Prozent liegt. Mehr hat diese massive Forschungsförderung nicht gebracht. ({4}) Eine Neufestsetzung der Energieforschungsschwerpunkte unter dem Aspekt des mittelfristigen Ersatzes für Erdöl und Kernenergie, vor allem aus Klimaschutzgründen und Gründen der Versorgungssicherheit, ist unverzichtbar. Das bezieht sich auch auf die Erarbeitung der Schwerpunkte des 6. Forschungsrahmenprogramms der Europäischen Union. Auf europäischer Ebene sollten wir darauf hinwirken, dass alle Forschungsmittel - ganz speziell die Mittel für Euratom - endlich einer demokratischen Kontrolle, zum Beispiel durch das Europäische Parlament, unterworfen werden. Ich möchte noch einige Schlaglichter auf andere Forschungsschwerpunkte werfen. Bündnis 90/Die Grünen stehen hinter der Neutronenforschung. Daher setzen wir uns für den Bau einer neuen europäischen Spallationsquelle ein. Sehr kritisch betrachten wir aber weiterhin die Verwendung von hochangereichertem Uran, wie es in einem Forschungsreaktor in Garching geplant ist. Aus Gründen der Proliferation und der Entsorgung sollten wir hier auf eine andere Technologie setzen; denn dieser FRM II wird nach Fertigstellung der europäischen Spallationsquelle zum alten Eisen gehören. In den kommenden Jahren wird beim Verbraucherschutz und bei der Landwirtschaft ein Forschungsschwerpunkt liegen müssen. Die BSE-Krise hat uns in aller Eindringlichkeit vor Augen geführt, wohin das Ignorieren von wichtigen Forschungsergebnissen führt. Warnende Stimmen aus den Kreisen der Gesundheitsforscher hat es viele gegeben. Damit nun der Wechsel in der Landwirtschaft zu einer verbraucherorientierten, sauberen und ökologischen Landwirtschaft gelingen kann, muss die Forschung ihren Anteil beisteuern. Bündnis 90/Die Grünen fordern daher für die kommenden Haushalte eine Stärkung der Landwirtschaftsforschung aus der Zukunftsmilliarde. Welche Chancen in der Landwirtschaftsforschung liegen, zeigen beispielsweise Forschungsergebnisse von bayerischen Biobauern auf, die ohne staatliche Unterstützung die Problemlösungen für Tierfutter, Nahrungsmittelanbau und Energieproduktion mit hochinteressanten Ergebnissen vorantrieben. So wurde im Mischfruchtanbau Gerste gleichzeitig mit der Ölpflanze Leindotter angebaut. Es gab keine Ertragsminderung der Gerste, aber eine Steigerung der Gerstenqualität. Der Leindotter brachte über das Pflanzenöl zusätzlich Energie, und zwar mehr als zur Bewirtschaftung des Ackers notwendig war. Gleichzeitig entstand aus dem Pressen dieses Leindotters ein eiweißreiches Tierfutter. Das zeigt: Es gibt Möglichkeiten für einen Ersatz von Tiermehl und gentechnischem Soja durch einen entsprechenden Anbau auf unseren Feldern, ohne dass dabei dem Nahrungsmittelanbau Konkurrenz gemacht wird. Das ist ökologischer Landbau. Solche Forschungen wurden in unserem Lande jahrelang nicht vorangetrieben. Wir werden uns dafür einsetzen, dass die Forschung solche neuen Ergebnisse insgesamt aufgreift und darauf aufbaut. ({5}) Einen Beginn haben wir in der rot-grünen Regierung bereits gemacht, beispielsweise mit der Neugründung eines Institutes für die Erforschung des ökologischen Landbaus in Trenthorst. Der gesamte Bereich der grünen Biotechnologieforschung ist unter den Erfahrungen der BSE-Krise kritisch neu zu bewerten. Kritiker sagen für gentechnisch veränderte Pflanzen ähnliche Risiken voraus, wie sie kritische Forscher für BSE bereits vor Jahren geäußert hatten. Wir begrüßen daher den gestrigen Stopp der Verhandlungen zwischen Regierung und Industrie zum Anbau gentechnisch veränderter Lebensmittel. Wir Grüne sehen die starke Fokussierung der biotechnologischen Forschungsförderung auf gentechnische Fragen mit einem gewissen Unbehagen, auch wenn die Sicherheitsforschung und ethische Begleitforschung dadurch deutlich gestärkt wurden. Wir erkennen aber Defizite in der Forschungsförderung von gentechnikfernen Zweigen der Biotechnologie. Ich nenne hier: Bionik, Farben oder Treibstoff aus Pflanzen sowie Medikamente aus der Biodiversität der Natur. Grüne stehen für Biotechnologie. Aber wir wollen verstärkt Biotechnologieforschung in Bereichen, die eben nicht durch berechtigte Bedenken belastet sind. Lassen Sie mich zum Ende kommen. Der vorliegende Forschungsbericht 2000 bietet eine Fundgrube an exzellenten Informationen über die deutsche Forschungslandschaft. Aus ihm lassen sich die Grunddaten für die Veränderung der kommenden Jahre in der Forschung sehr gut ableiten. Er zeigt aber auch auf, welch hohes Niveau die bundesdeutsche Forschung aufweist. Die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen wird weiterhin gemeinsam mit der Bundesregierung für eine Stärkung und Modernisierung der Forschung eintreten, vor allem mit Blick auf die Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele von Rio. ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile der Kollegin Ulrike Flach, F.D.P.-Fraktion, das Wort.

Ulrike Flach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003119, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundesbericht Forschung 2000 ist in doppelter Hinsicht ein gewichtiges Werk: erstens physisch mit rund 1 900 Gramm und zweitens als wichtigstes Übersichtswerk über die Forschungslandschaft in Deutschland. Ich darf mich als Vorsitzende des Forschungsausschusses herzlich bedanken: Der Bericht ist erfreulich übersichtlich und lesbar. Wir werden ihn gut gebrauchen können. ({0}) Es wird allerdings niemanden verwundern, dass ich trotzdem noch einige Kritikpunkte anfüge. ({1}) - Lassen Sie mich Ihnen zuliebe, Herr Tauss, mit dem Positiven beginnen. Die Investitionen in Forschung und Entwicklung sind gestiegen, der Bericht bekennt sich zu einer wettbewerblich organisierten Projektförderung und zu einer regelmäßigen Überprüfung der Wissenschaftsorganisationen bezüglich der Qualitätssicherung der Forschung. Das ist urliberales Denken. Ich begrüße, dass dies auch bei Ihnen Fuß gefasst hat, Frau Bulmahn. ({2}) Mir fehlt die Zeit, auf alle Forschungsbereiche einzugehen. Fest steht: Deutschland ist vor allem in der Breitenforschung gut, hat auch in einigen Bereichen aufgeholt; dennoch liegen wir bei der Entwicklung der Investitionen in Forschung insgesamt seit zehn Jahren hinter Japan und den USA - und das mit wachsendem Abstand. Eine Trendwende, die trotz aller vollmundigen Erklärungen nicht eingetreten ist - Frau Bulmahn, ich möchte Sie an dieser Stelle an Ihre Versprechungen im Wahlkampf erinnern -, können wir bisher nur in Ihren Reden, weniger in Ihren Taten nachvollziehen. ({3}) In der Spitzenforschung zeigt sich dieses besonders. Nach wie vor haben wir keine Struktur, wie von uns allen gewünscht, die eindeutig auf Centers of Excellence, an denen erstklassige Wissenschaftler unter hervorragenden Bedingungen arbeiten können, ausgerichtet ist. Dass dies auch nicht so einfach ist, hat Herr Dr. Friedrich gerade mit dem Beispiel der IuK-Akademie in Bonn sehr klar und deutlich belegt. Spitzenforschung ist vernetzte Forschung und Sie, Frau Bulmahn, stehen vor der sehr schwierigen Aufgabe, mit Bund, Land, Kommune und Universität so etwas auf den Weg zu bringen, damit es endlich schneller und zügiger vonstatten geht und uns die Wissenschaftler nicht wegrennen. ({4}) Es ist - auch vor dem Hintergrund der Koordinierungsaufgabe der Bundesforschungsministerin - ganz in unserem Sinne, dass der Wissenschaftsrat am Montag dem Bund empfohlen hat, die Gesundheitsforschung und den Verbraucherschutz durch Ihr Ministerium, das Wissenschaftsministerium, und nicht durch die Ministerelevin Renate Künast zu koordinieren. ({5}) Dies soll jeweils in Abstimmung mit der Hochschulforschung und der außeruniversitären Forschung geschehen. Frau Bulmahn, das ist eine Chance, die Sie wirklich nutzen sollten. ({6}) Sie haben bei der größten Gesundheitskrise der letzten Jahre reagiert. Wir wünschen uns allerdings - gerade auf den gestrigen Ausschussdiskussionen basierend - mehr Tempo. Es mag üblich sein, erst einmal Programme zu sortieren, Länder abzufragen und Schwerpunkte festzulegen; aber diese Situation erfordert eine deutlich schnellere Vorgehensweise als üblich. Hier geht es um die Gesundheit unserer Bevölkerung und es geht selbstverständlich auch um die Existenz zahlreicher Landwirte. Das erfordert unbürokratisches und zügiges Vorgehen. Ich begrüße an dieser Stelle ausdrücklich für uns, dass Sie Geld aus dem Gesundheitsforschungsprogramm für die BSE-Forschung einsetzen wollen. Ich begrüße auch ausdrücklich den von Ihnen betonten europäischen Ansatz der Forschung. Der Fehler der englischen Regierung, die Gängelung der BSE-Forschung, darf sich bei uns nicht wiederholen. ({7}) Kollege Fell, er darf übrigens auch nicht durch eine voreilige Festlegung auf die allheiligmachende ökologische Landwirtschaft entstehen. ({8}) Es gibt bisher keine Forschungsergebnisse, die belegen, dass die ökologische Landwirtschaft die Lösung ist. ({9}) - Forschung macht nur Sinn, Kollege Fell, wenn sie vorurteilsfrei ansetzt. ({10}) Frau Ministerin, 15 Millionen DM sind schön und gut, aber man muss auch die richtigen Fragen stellen und die richtigen Projekte anschieben. Der F.D.P. geht es dabei im Sinne des Verbrauchers ganz konkret um drei Punkte: Wir brauchen ein Forschungsprojekt zur Entwicklung eines BSE-Schnelltests am lebenden Rind, ein Forschungsprojekt zur Entwicklung eines Heilmittels für BSE und ein Projekt zur Züchtung BSE-immuner bzw. -resistenter Rinder, wie es der Genforscher Weissmann im „Focus“ dieser Woche zu Recht gefordert hat. ({11}) Das sind die Fragen, die die Verbraucher und die Landwirte umtreiben. Unabhängig von dieser aktuellen Forschungsdebatte möchte ich im Folgenden noch auf einige Standortnachteile eingehen, die unserer Meinung nach daran schuld sind, dass wir uns in der Bundesrepublik nach wie vor bei der internationalen Schul- und Forschungslandschaft auf einem sehr mäßigen Platz befinden: Erstens: Mangelnder Nachwuchs. Wo man hingeht, jeder jammert über Nachwuchsmangel in der Wissenschaft; vor allem bei Ingenieuren, Mathematikern und Naturwissenschaftlern. „Deutschland laufen die Forscher weg“, so warnt der Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, Hubert Markl. Doktorandenstellen können oft nicht besetzt werden. Dies alles ist ein Skandal. Ich muss darum bitten, dass wir dieses Problem endlich einmal aktiv angehen. Wir müssen in Deutschland mehr junge Leute für die Naturwissenschaften begeistern, es fehlt eine breit angelegte Werbekampagne. Einzelprojekte wie „Saturday morning physics“ sind gut, reichen aber nicht aus. Wir müssen viel früher ansetzen, nämlich in den Schulen, und zwar bereits in den Grundschulen. Auch in diesem Punkt ist der Bericht eindeutig; er betont ausdrücklich den Zusammenhang zwischen Bildung und Forschung. Es muss jedoch beunruhigen, wenn wir 25 Prozent weniger Erstsemester im Studiengang für das Lehramt Physik haben und nur noch jeder zehnte Gymnasiast Physik oder Chemie als Leistungskurs belegt. Das sind Alarmzeichen, die wir als Politiker nicht mehr länger ignorieren dürfen. ({12}) Im internationalen Vergleich sind unsere Erstsemester mit durchschnittlich 22 Jahren zu alt und die PostdocPhase ist mit acht bis zehn Jahren nach wie vor zu lang. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft weist in einem Strategiepapier zur Nachwuchsförderung darauf hin, dass Wissenschaftler bei uns oft bis ins fünfte Lebensjahrzehnt nicht selbstständig forschen. Auslandsaufenthalte behindern oft, weil der Forscher hinterher keine Stelle mehr findet, und Hausberufungsverbote behindern die Auswahl der Bestqualifizierten. Frau Bulmahn, die Förderung der Wissenschaftler muss verbessert werden gerade vor dem Hintergrund, dass Sie das Emmy-Noether-Programm nicht aufgestockt haben; dieses Programm dümpelt weiter im Kleinen vor sich hin. ({13}) Eine gute Entwicklung der Forschung im Bereich der Naturwissenschaften können wir heute - darüber freue ich mich - im Osten verzeichnen. Dort haben die Länder viel getan und dort hat auch die alte Regierung Erhebliches geleistet. Dort bilden sich Cluster- und Innovationszentren mit Wirkung auf Wirtschaft und Arbeitsmarkt. Bio-Regio der alten und Inno-Regio der neuen Regierung, Herr Tauss, haben hier viel Gutes bewirkt. ({14}) Es gibt aber ein Problem: Die immer noch geringere Bezahlung nach BAT Ost sorgt für die Abwanderung von Spitzenleuten in den Westen oder ins Ausland. Die pauschale Stellenkürzung, Frau Bulmahn, von jährlich 1,5 Prozent bei den Instituten der Leibniz-Gemeinschaft, die primär im Osten sitzen, macht es den Forschern schwer, ihre Aufträge zu erfüllen. ({15}) Zweites Problem: Auslandsmarketing. Im Bundesbericht Forschung 2000 kommt das Thema nicht vor. Ich freue mich, dass Sie eben angeregt haben, dies in Zukunft zu ändern. Es wäre auch sehr schön, wenn Sie dieses für uns sehr wichtige Thema bei einer Kabinettssitzung einmal Ihrem Kollegen Fischer vermitteln könnten. Nach wie vor leben wir damit, dass Goethe-Institute im Ausland geschlossen werden. Damit haben wir einen der Türöffner, den es für ausländische Studenten gibt, wieder blockiert. ({16}) Ihre Rückrufaktion für deutsche Wissenschaftler im Ausland kann bei der F.D.P. nur ein müdes Lächeln hervorrufen. Ich frage mich, wieso ein Wissenschaftler, der tagtäglich Reden wie beispielsweise die von Herrn Fell hört und eine Atmosphäre einer voreingenommenen Wissenschaftsdiskussion erfährt, wieder zurückkommen soll. ({17}) Weitere Defizite kommen hinzu, zum Beispiel ein verkrustetes Hochschuldienstrecht. Frau Bulmahn, es ist schön, dass Sie das erkannt haben. Allerdings muss ich Ihnen vorhalten: Bei der Debatte darüber heute Abend liegen zwei Anträge von F.D.P. und CDU/CSU auf dem Tisch - und keiner aus Ihrem Haus. Das ist die Lücke, die wir nach wie vor zu beklagen haben. Das Ganze führt dazu, dass wir nach wie vor nicht dazu in der Lage sind, international zu agieren. Unsere Professoren haben zu geringe Gehälter. Ich darf erneut Herrn Markl von der MPG zitieren, der sagt: „Es reicht nicht mehr, mit dem Ruhm zu wedeln.“ Auch Naturwissenschaftler lesen die Zeitung und wissen, was in der Industrie verdient wird. Vor diesem Hintergrund wundert es mich nicht, dass sie nicht an die Universitäten gehen. Die USA steigerten ihren Forschungsetat - nur, um das einmal in Erinnerung zu rufen - im Jahre 2000 um 14 Prozent, die Briten um 7 Prozent. ({18}) Das sind die Richtgrößen, die für uns Maßstab sein sollten, wenn wir Ihnen begeistert zujubeln sollen, wenn Sie uns erzählen, welche großen Fortschritte diese Forschungslandschaft unter Ihrer Ägide gemacht hat. Da können wir noch etwas zulegen, Frau Bulmahn. ({19}) Frau Ministerin, wir stimmen, wie Sie wissen, mit Ihren Zielen oft überein. Das macht der vorliegende Bericht auch deutlich. Leider fehlt Ihnen nach wie vor die Durchschlagskraft, die wir uns für Sie und für dieses Land sehr wünschen. Sie regieren nicht, Sie reagieren sehr oft. Jetzt, wo die Hälfte Ihrer Kabinettskollegen entweder neu oder angeschlagen ist, sollten Sie die Gelegenheit nutzen, um einmal so richtig loszulegen. ({20}) Erweitern Sie Ihren Spielraum! Kommen Sie mit Reformen, nicht mit Reförmchen! Wenn Sie wirklich einen Aufbruch in der deutschen Bildungs- und Forschungslandschaft wollen, dann kommen Sie mit uns, Frau Bulmahn. Sie werden uns dort finden, wo die F.D.P. immer ist: nämlich an der Spitze des Fortschritts. ({21})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile der Kollegin Maritta Böttcher, PDS-Fraktion, das Wort.

Maritta Böttcher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002631, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich überlege noch, ob ich mit zur Spitze komme, Frau Flach. ({0}) Der Forschungsbericht unterliegt - das ist hier schon deutlich geworden; ich will das unterstreichen - seit Jahrzehnten einer Schieflage. Der Beitrag, den die Forschung für die gesellschaftliche Entwicklung insgesamt erbringen könnte, ist systematisch vernachlässigt worden. Die aktuelle BSE-Debatte macht exemplarisch deutlich, wovon ich spreche: Beim Streben nach einem Höher, Schneller und Weiter in der agrarindustriellen Produktion, die einem verschärften Konkurrenzdruck ausgesetzt ist, kamen Fragen nach den Folgen für die Umwelt und die Gesundheit der Verbraucherinnen und Verbraucher unter die Räder. Das BMBF hat gestern zwar eine Liste mit BSE-relevanten Projekten an Hochschulen und Forschungseinrichtungen zusammengestellt, im vorliegenden Forschungsbericht kommt aber nicht einmal der Begriff BSE vor. Dieses aktuelle Beispiel unterstreicht die Notwendigkeit einer sozialökologischen Umorientierung der Forschungspolitik des Bundes. Eine nach wie vor untergeordnete Rolle spielen unter anderem das Welternährungsproblem, die globale Klimakatastrophe, die drohende Deindustrialisierung und Entvölkerung ganzer Landstriche im Osten Deutschlands und Europas. Es geht mit anderen Worten um die Mobilisierung wissenschaftlicher Kompetenz für die Lösung der Konfliktdimensionen Mensch-Natur, Mann-Frau, Nord-Süd, West-Ost oder Arm-Reich. Damit sind wesentliche Herausforderungen für die Forschungspolitik des 21. Jahrhunderts benannt, von der wir einen entscheidenden Beitrag zum sozialökologischen Umbau unserer Gesellschaft erwarten. Das verlangt aber zunächst, dass wir die Eigenständigkeit der Forschungs- und Technologiepolitik gegenüber der Wirtschafts- und Industriepolitik akzeptieren. Die Abspaltung des Technologieressorts aus dem ehemaligen Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie macht die Einlösung dieses Anspruchs auf jeden Fall nicht leichter. Ich nehme durchaus zur Kenntnis, dass der vorliegende Bericht neue Akzente erkennen lässt, was die eingangs von mir betonte gesellschaftspolitische Funktion von Forschungs- und Technologieförderung betrifft. Frau Ministerin, Sie haben es sich zumindest zum Ziel gesetzt, das einseitig dem ökonomischen Standortwettbewerb untergeordnete forschungspolitische Verständnis der Vorgängerregierung nicht ungebrochen fortzusetzen, und haben sich vorgenommen, die gesellschaftlichen Aufgaben des wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritts ernst zu nehmen. Die Erhöhung der Haushaltsmittel für die Forschungsförderung ist unbestreitbar und grundsätzlich auch anzuerkennen. Wir kritisieren aber die einseitige Schwerpunktsetzung: Die größten Steigerungsraten gibt es in den Bereichen molekulare Medizin, Genomforschung und Biotechnologie. Mit der Gentechnologie wird einer Risikotechnologie Priorität - es geht um Priorität! eingeräumt, die aufgrund ihrer Gefahren, ihrer ethischen Grenzüberschreitungen und ihres fragwürdigen Nutzens gesamtgesellschaftlich äußerst umstritten ist. ({1}) Es ist bemerkenswert, dass unter der Verantwortung einer rot-grünen Regierung ein Sechstel der Mittel des Zukunftsinvestitionsprogramms in die Genomforschung fließen und dies von den Grünen leidenschaftlich begrüßt wird. Die Forschungsförderung des Bundes weist insgesamt ein Ungleichgewicht auf; ihre Struktur wird der Notwendigkeit einer sozialökologischen Umorientierung der Forschungs- und Technologiepolitik nicht gerecht. Auf Förderbereiche wie Weltraumforschung und Weltraumtechnik, nukleare Energieforschung und Kernfusionsforschung, Informationstechnik und Fertigungstechnik, Materialforschung, Innovationsförderung sowie die bereits erwähnte Biotechnologie und die gendeterminierte Gesundheitsforschung entfallen nach wie vor die Löwenanteile der Forschungsausgaben des Bundes. Die technologieorientierte Forschung dominiert absolut, während die Förderbereiche Geistes-, WirtschaftsUlrike Flach und Sozialwissenschaften oder Bildungsforschung auf äußerst niedrigem, geradezu marginalem Niveau stagnieren: Weniger als 5 Prozent der Forschungsausgaben des Bundes fließen in diesen Bereich. Ungebrochen ist hingegen auch unter Rot-Grün die Bedeutung der Militärforschung. Jede achte Forschungsmark wird erklärtermaßen für Militärforschung ausgegeben. Darin ist noch nicht die Förderung von Technologie mit Dual-Use-Charakter enthalten, die eine indirekte Form der Rüstungsforschung darstellt. Die unter dem Förderbereich „umweltgerechte nachhaltige Entwicklung“ subsumierten Programme wurden zwar erfreulicherweise verstärkt, haben aber insgesamt nach wie vor eine untergeordnete Bedeutung; ihr Anteil macht gerade ein Zwölftel der Gesamtausgaben aus. Zweieinhalb Jahre nach dem Regierungswechsel führen sozialökologische Wissenschaftsansätze immer noch ein Schattendasein in der deutschen Wissenschaftslandschaft. Die Umwandlung der Hochschulen in marktgesteuerte Dienstleistungsunternehmen gefährdet kritische, nicht marktangepasste Wissenschaftsansätze. ({2}) Zur Stunde führen die Studierenden des Otto-Suhr-Instituts der Freien Universität Berlin einen Aktionstag gegen geistigen Kahlschlag durch. ({3}) Ich möchte den beteiligten Studierenden und Lehrenden auch von dieser Stelle aus meine Solidarität aussprechen. ({4}) Die Bundesregierung fordere ich auf, in ihrer Forschungspolitik kritischen, alternativen und nicht ökonomisch verwertbaren Wissenschaftsansätzen einen gesicherten Status zu geben. ({5}) Zugleich trete ich dafür ein, dass die Hochschulen als Schnittstellen von Forschung, Lehre und Studium wieder zur tragenden Säule des bundesdeutschen Wissenschaftssystems werden und die sukzessive Auswanderung der Forschung in außeruniversitäre Forschungseinrichtungen und in die Wirtschaft gestoppt wird. ({6}) Das gilt auch für die Fachhochschulen, die in der Forschungspolitik des Bundes systematisch benachteiligt werden. Der Anteil der von Fachhochschulen beantragten Forschungsvorhaben an allen von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekten beträgt gerade einmal 0,2 Prozent. ({7}) - Der Anteil beträgt 0,2 Prozent, trotz Aufstockung! Das muss hier gesagt werden können und das muss zur Kenntnis genommen werden. ({8}) Die Bundesregierung stellt in ihrer Forschungspolitik die bisherige strikte Unterscheidung von Grundlagenforschung und anwendungsorientierter Forschung infrage. Wenn dies zutrifft, so erlangt aber auch die Arbeitsteilung zwischen Universitäten und Fachhochschulen in der Forschung eine neue Bedeutung. Die Fachhochschulen, die bisher auf die anwendungsorientierte Forschung verwiesen worden sind, während die Grundlagenforschung den so genannten wissenschaftlichen Hochschulen, den Universitäten, vorbehalten blieb, müssen gleichberechtigte Partner in der Forschungspolitik des Bundes und der Länder werden. Ich fordere daher eine strukturelle Öffnung der DFG für die Fachhochschulen. Die Wissenschaftspolitik der Bundesregierung darf die Fachhochschulen nicht länger bremsen, sondern muss ihre Entwicklung aktiv unterstützen. Über die Personalstruktur und das Dienstrecht an Hochschulen und Forschungseinrichtungen reden wir ja heute noch. Deshalb an dieser Stelle nur so viel: Was den gleichberechtigten Zugang von Frauen zu Wissenschaft und Forschung angeht, hat sich die Situation nicht grundlegend verbessert. Die Lage an den außerhochschulischen Forschungseinrichtungen ist diesbezüglich noch düsterer als an den Hochschulen. Bei den Führungspositionen an Forschungseinrichtungen in den alten Bundesländern liegt der Frauenanteil bei verschwindenden 2 Prozent. Auch aus diesem Grunde ist eine Strukturreform der Personalverfassung an den Hochschulen und Forschungseinrichtungen geboten. Leider warten wir bis heute auf den versprochenen Gesetzentwurf der Bundesregierung. Lassen Sie mich abschließend etwas zur viel diskutierten Internationalisierung von Wissenschaft und Forschung sagen. Mit dem Stichwort „Internationalität deutscher Forschung“ zeigt der Bundesbericht am deutlichsten, dass sich die neue Bundesregierung keineswegs vollständig von der Standortpolitik der alten Regierung Kohl emanzipiert hat. Internationalisierung von Wissenschaft und Forschung wird in erster Linie als Europäisierung verstanden und dort wiederum stark auf die Mitgliedstaaten der Europäischen Union bezogen. Im globalen Maßstab wird Internationalisierung vor allem unter das Verdikt der „Triadenkonkurrenz“ Europas mit Japan und den USA gestellt. Wir brauchen aber eine gleichberechtigte und partnerschaftliche Kooperation mit allen Völkern dieses Erdballs. Frau Ministerin, ich kann Ihnen den guten Willen nicht absprechen und will es auch nicht tun. Aber ich muss sagen, dass die bisherigen Ergebnisse Ihrer Arbeit noch zu wenige Belege für den Vollzug der angekündigten sozialökologischen Neuorientierung der Forschungspolitik enthalten. Der Regierungswechsel ist bereits Geschichte; der qualitative Politikwechsel steht allerdings noch aus. Deshalb möchte ich mit Ihnen - wenn es sein muss, auch mit Frau Flach - an die Spitze vordringen. Danke. ({9})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile nun das Wort dem Kollegen Jörg Tauss, SPD-Fraktion.

Jörg Tauss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002813, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen! Meine lieben Kollegen! Ich will mich dem Dank der Opposition für den Bundesbericht Forschung selbstverständlich anschließen. ({0}) Mit diesem Bericht legt die Bundesregierung dem Deutschen Bundestag alle vier Jahre ({1}) eine sehr umfassende Darstellung zur Forschungspolitik in Deutschland vor. Dieser Bericht gibt - Herr Kollege Friedrich, Sie müssen natürlich pflichtgemäß protestieren - in aller Klarheit Auskunft über folgenschwere forschungspolitische Versäumnisse in den 90er-Jahren. Er gibt gleichzeitig die richtigen Hinweise auf die Neuausrichtungen und auf die Schwerpunktsetzungen in der Forschungspolitik für die nächsten Jahre. In den 90er-Jahren wurde zu wenig - darauf wurde schon ausführlich von dem Kollegen Fell hingewiesen - in Deutschlands Zukunft investiert. Lieber Kollege Friedrich, die Erklärung, daran sei Herr Honecker schuld, ist einfach zu dünn. Sie sollten sich nicht hinter Herrn Honecker verstecken, sondern sich klar zu den eigenen Versäumnissen bekennen. Auch das gehört zur Wahrheit und zum politischen Anstand. ({2}) In den 90er-Jahren haben Sie die Ausgaben für Bildung und Forschung stark gekürzt, während es in den Vereinigten Staaten und Japan immense Steigerungen gab. Jetzt sprechen Sie davon, dass es heute im Forschungsbereich nur eine kleine Erhöhung in der Größenordnung der Inflationsrate gebe. Die Inflationsrate liegt bei deutlich unter 2 Prozent, während in diesem Jahr die Ausgaben für Bildung und Forschung in unserem Haushalt um über 9 Prozent steigen. Ihre Interpretation der Zahlen stimmt einfach nicht. ({3}) Ebenso wenig, wie Sie der Forschung in Deutschland in der Vergangenheit die notwendige Mittelaufstockung gewährt haben, die dringend notwendig gewesen wäre, um den Anschluss an andere Industrienationen nicht zu verlieren, haben Sie die längst überfälligen Reformen der strukturellen und rechtlichen Rahmenbedingungen für eine zukunftsfähige Forschung in Deutschland eingeleitet. Auch an diesem Versäumnis ist Herr Honecker nicht schuld, Herr Friedrich. Aus den Versäumnissen, die Sie zu verantworten haben, haben sich strukturelle Probleme für den Forschungsstandort Deutschland ergeben. Die jetzt notwendigen strukturellen Reformen sind von uns in Angriff genommen worden - die Ministerin hat sie schon erwähnt -: die Modernisierung der Forschungslandschaft und die Reform des Dienstrechtes an den Hochschulen. Gegen viele dieser Prozesse - heute haben sich Ihre Einwände vergleichsweise moderat angehört - erheben Sie vor Ort, zum Beispiel in Bayern, lebhaften Protest. Der Kollege Rachel glaubt, die Beschäftigten an den Forschungseinrichtungen mit negativen Meldungen über die Reformprozesse beglücken zu müssen. Sie erheben Protest, ohne selbst Alternativen vorzulegen. Sie verkürzen die Sachverhalte polemisch und in unzulässiger Weise. ({4}) Die von Ihnen vorgetragenen Einwände sind in bewundernswerter Form untereinander völlig inkompatibel. Herr Kollege Rachel, angesichts dieser Inkompatibilität Ihrer eigenen Vorstellungen brauche ich nicht nervös zu sein. ({5}) In dem Bericht wird völlig zu Recht festgestellt, dass „der selbstverständliche Zusammenhang von Forschung und Bildung lange Jahre übersehen wurde“. Auch dieses ist Ihr Versäumnis. Frau Kollegin Flach, die heute vorzufindenden Probleme, die wir alle sehen können, reichen vom Nachwuchsmangel in der Wissenschaft - auch das ist eine Folge von unflexiblen und verkrusteten Strukturen - bis hin zur fehlenden Motivation und Bereitschaft junger Menschen, eine akademische naturwissenschaftliche Laufbahn zu wählen. Diese Mängel jedoch sind alle nicht erst gestern aufgetreten. Sie haben sich vielmehr im Laufe der Jahre entwickelt. Aus diesem Grunde wäre es auch gut, Frau Kollegin Flach, wenn Sie diesen Zustand nicht nur beschreiben, sondern wenn Sie sich auch zu den von Ihnen eingeleiteten Fehlentwicklungen klar bekennen würden. Auch das würde zur politischen Ehrlichkeit gehören. ({6}) Ich stimme Ihnen völlig zu: Es ist ein absolutes Unding, dass bei der Zahl der Studienanfänger in Physik ein Rückgang um 80 Prozent zu verzeichnen ist. Von den Ingenieurberufen will ich an dieser Stelle gar nicht sprechen. Aber wenn wir über den Mangel an Fachkräften reden und über wichtige Initiativen diskutieren, wie beispielsweise in einem Bereich die Green-Card-Aktion, dann kommen von Ihrer Seite, wie im NRW-Wahlkampf, verantwortungslose polemische Sprüche statt inhaltlicher Argumente, obwohl diese Maßnahmen ein wichtiger Beitrag sind, hier ein Stück weit gegenzusteuern und die gröbsten Probleme zu beseitigen. Das ist nur ein Baustein im Maßnahmenbündel. Darüber hinaus brauchen wir ein Sofortprogramm zur Weiterentwicklung der Informatikstudiengänge. Dieses ist angepackt worden. Wir brauchen die Steigerung der Zahl der Ausbildungsplätze in den IT-Berufen. Das ist mit der Wirtschaft vereinbart worden. Wir brauchen die intensive Förderung von Bildungssoftware. Dieses Projekt ist mit sehr viel Geld auf den Weg gebracht worden. Das alles sind Belege dafür, dass die Probleme, die wir geerbt haben, von dieser Bundesregierung nicht nur erkannt worden sind, sondern auch ernst genommen und angepackt werden. Wir bitten um Ihre freundliche Unterstützung. ({7}) Die SPD-Fraktion begrüßt daher, Frau Ministerin, ausdrücklich die mit dem Regierungswechsel begonnene Neuausrichtung der Forschungspolitik. Viele der in Angriff genommenen Reformvorhaben und viele neue Akzentuierungen in der Forschungs- und Förderpolitik sind richtig. Die Internationalisierung von Lehre und Forschung, das Durchbrechen von Überreglementierung und komplizierten Entscheidungsprozessen, die Verbesserung des Wissenstransfers an der Schnittstelle von Wirtschaft und Wissenschaft - Stichwort Info-Mining; da können wir alle miteinander noch einiges tun -, die Entwicklung von Leitprojekten und die klare Prioritätensetzung bei der Leistungsförderung - all dies sind notwendige und richtige Entscheidungen, die Sie, lieber Kollege Friedrich, eigentlich mit starkem Beifall begrüßen müssten. Sagen Sie deshalb an dieser Stelle ein klares Ja zur Programmsteuerung und hören Sie auf, Verunsicherung zu säen. Geben Sie zu, dass das, was die Bundesregierung hier angepackt hat, der richtige Weg ist, statt mit Ihrer Lokalzeitung darüber zu diskutieren. ({8}) Die Bundesregierung hat ihre Forschungs- und Förderpolitik an programmatischen Schwerpunkten ausgerichtet, auf die ich nicht im Detail eingehen möchte. Ich möchte jedoch einige Schlüsselbereiche nennen, zunächst die Informations- und Kommunikationstechnik. Ihr kommt eine wesentliche Bedeutung zu. Wir müssen in diesem Zukunftsbereich wieder Anschluss an die Spitze gewinnen. Sie haben immer von der Wissens- und Informationsgesellschaft geredet. Wenn man von den Multimediagesetzen absieht - über die man auch diskutieren kann, weil sie eine durchaus unterschiedliche Qualität haben -, haben Sie es versäumt, Ihre Sonntagsreden zur Informations- und Wissensgesellschaft politisch und forschungspolitisch zu begleiten. ({9}) Zu nennen ist an dieser Stelle die Förderung der Biotechnologie, mit der, gerade bei der Bekämpfung von Krankheiten, wichtige Innovationsprozesse gefördert werden. Wir hoffen, Frau Gesundheitsministerin, Ihnen auf diesem Gebiet viele Ergebnisse vorweisen zu können, damit Sie Ihren Etat schonen können und vor allem ein Beitrag dazu geleistet wird, dass die Menschen weniger häufig krank werden. Deshalb wollen wir die Lebenswissenschaften, die Gesundheitsförderung insgesamt mit Ihnen gemeinsam ausweiten. Bei allen politischen Diskussionen auf diesem Feld geht es um die Frage, wie wir mit den Ergebnissen dieser Forschung für die Menschen eine leistungsfähige und dabei wirtschaftliche Versorgung sicherstellen können. Auch das ist ein wichtiger Punkt. Auf alle Punkte kann man nicht eingehen. Aber man kann sagen: Der vorliegende umfängliche Bericht gibt Antworten zu Forschungsprojekten von der Gesundheit auf der Erde bis hin zur Raumfahrt. In all diesen Bereichen werden wichtige Initiativen ergriffen. Die Ministerin verdoppelt die Mittel zur Förderung der interdisziplinären Innovations- und Technikanalyse. Das ist ein Punkt, der von Ihnen immer kritisch gesehen worden ist; gelegentlich wurde sogar polemisiert, wurden die Risiken in den Mittelpunkt gestellt und die Chancen nicht gesehen. Wir müssen beides tun: Wir müssen Chancen und Risiken bewerten. ({10}) Als Stichwort sei hier der gesamte Bereich „Wissenschaft im Dialog“ genannt. Wie notwendig dieser Dialog ist, zeigte sich in den vergangenen Wochen beinahe täglich beim Blick in die Zeitungen. Der Bundesbericht Forschung listet umfassend die forschungspolitischen Aktivitäten und Ziele der Bundesregierung auf. Wir können feststellen, dass wir in einigen Forschungsfeldern - trotz, nicht wegen Ihrer Politik - an der Spitze stehen. Dazu gehören die Nanotechnologie, die kombinatorische Chemie und die Entwicklungsbiologie, um nur einige Felder zu nennen. In den neuen Bundesländern, wo wir sicherlich noch Sorgen haben - der Kollege Kasparick wird darauf noch im Detail eingehen -, ist der Aufbau der wissenschaftlichtechnischen Infrastruktur immerhin weit vorangekommen. Wenn wir im Übrigen gemeinsam beklagen, Frau Flach, dass ein Nachwuchsmangel herrscht, dann müssen wir uns wohl auch darüber unterhalten, dass 50 Prozent der Menschheit, die Frauen, gerade in der naturwissenschaftlichen Forschung nicht anzutreffen sind und dass uns dies von anderen Nationen unterscheidet. Mit gezielter Nachwuchsförderung gerade für junge Frauen haben wir wichtige Schritte in diesem Bereich getan. Ich weiß nicht, woher Sie Ihre Zahlen nehmen; denn nach dem Bericht - Sie sollten ihn lesen und ihn nicht nur nach Stichworten durchforsten - werden in die Nachwuchsförderung 1,2 Milliarden DM investiert. Das Noether-Programm stagniert nicht - auch diese Aussage ist unrichtig -, sondern es wird gemeinsam mit den Bundesländern Stück für Stück aufgestockt. ({11}) Im Mittelpunkt steht vor allem die Förderung junger Wissenschaftlerinnen. Darauf sind wir, wie ich sagen möchte, ein Stück weit stolz. Die letzten Tage und Wochen haben aber auch gezeigt, meine Damen und Herren, dass Forschungspolitik nicht eine Politik im abgeschotteten Elfenbeinturm ist. Ich denke an das Thema BSE und an mögliche Folgen für den Menschen. Übrigens sei Ihnen, Frau Böttcher, die Seite 161 des Berichts zur Lektüre empfohlen. Natürlich wird BSE in dem Bericht erwähnt; Sie sollten nicht nur quer lesen. ({12}) Aber die Wissenschaft kann natürlich auch einen Beitrag dazu leisten - sie sollte dies jedoch nicht tun -, solche Probleme zu ignorieren. Wir sollten den Weizen von der Spreu trennen, die gesellschaftlichen Probleme aufgreifen und zu wirksamen Lösungen jenseits von Lobbyinteressen kommen. Wir sollten die wissenschaftlichen Erkenntnisse und die Notwendigkeit politischen Handelns miteinander verbinden. Das gilt für den internationalen Bereich, zu dem in einem Bericht festgestellt worden ist, dass die Ignoranzquote von Politik gegenüber erkannten Problemen noch immer viel zu hoch sei; sie habe sich aber wenigstens nicht verschlechtert. Lieber Herr Merz, da ich Sie gerade sehe: Wenn ich an den Begriff „Ignoranzquote“ denke, fallen Sie mir ein; ich weiß nicht, warum. Was sollen denn Ihre wunderschönen Aktionen an Tankstellen, die die Zusammenhänge zwischen Energieerzeugung, Energiepreisen und Umweltbelastung leugnen? Genau das ist es, was Sie bei der Ökosteuer tun: Sie zeigen eine Ignoranz gegenüber wissenschaftlichen Erkenntnissen. ({13}) Aus diesem Grunde setzen Sie sich mit Ihrem Aktionismus bei den Bürgerinnen und Bürgern nicht durch und müssen Ihre Plakate zurücknehmen. Sie richten Schaden an, ohne die Folgen zu bedenken. Bleiben wir bei BSE: Es wäre sehr schön, wenn nach Frau Stamm in Bayern auch Frau Staiblin endlich ginge. Eine Landwirtschaftsministerin der CDU, die wissenschaftliche Erkenntnisse und daraus resultierende Gesetze gering schätzt, ist in diesem Lande - auch in Baden-Württemberg - untragbar. Auch dort könnte ein Beitrag geleistet werden. ({14}) Im Übrigen ist Baden-Württemberg ein Land, das die Ausgaben für Forschung ebenfalls gekürzt hat, und zwar entgegen allen Auskünften, die Sie sonst geben. Das ist nicht Geschwätz, sondern Sie sollten sich einfach einmal mit den Zahlen - unter anderem des Technologierates der Landesregierung Baden-Württemberg - beschäftigen. In dem dortigen Bericht wird die Landesregierung wegen der Kürzung der Forschungsausgaben kritisiert. Sie nehmen die Wirklichkeit nicht zur Kenntnis; das ist Ihr Problem, das Sie immer wieder haben und dessentwegen Sie gelegentlich Plakate zurückziehen müssen. ({15}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben als Politik auch die Aufgabe, ethische Grundlagen des Handelns klar zu formulieren. Ich denke, es darf keine Situation geben - um an eine Frage, die vorhin gestellt wurde, anzuknüpfen -, in der sich die Wissenschaft unbeobachtet über die Gesellschaft verbindende Grundsätze erhebt oder in der allein wirtschaftliches Tun die Ausrichtung von Forschung bestimmt oder gar Ethik als Wert ersetzt. Ich glaube, dies könnte eine Gemeinsamkeit sein, auf die wir uns auch in diesem Hause verständigen könnten. Wirtschaftliches Handeln und ethische Grundsätze können nicht einfach gleichgestellt werden. Selbstverständlich sind die Grenzen fließend; dies ist klar. Ethische Grundlagen werden durch die Politik gesetzt, wie tagesaktuelle Beispiele zeigen. Denken wir an die Abtreibungsdebatte in den USA oder an das Klonen in Großbritannien. Aber ich rede darüber - wenn ich auch auf diese Fragen jetzt nicht im Detail eingehe -, dass wir in diesen Punkten einen zumindest mehrheitlichen Konsens zwischen Politik, Wissenschaft und Wirtschaft und einen möglichst breiten Konsens innerhalb der gesamten Gesellschaft brauchen und ihn schnell erzielen müssen. Das gilt natürlich auch für dieses Parlament. Dabei dürfen übrigens Wissenschaft und Forschung nicht in Unklarheit bleiben; ganz im Gegenteil, sie müssen in Klarheit darüber leben können, in welchem Kontext sie arbeiten. Ich wiederhole und spitze es zu: Dieser mehrheitliche Kontext wird sich beispielsweise in der Biotechnologie weder an dogmatischen Verkürzungen der einen Seite noch an kritiklosem wirtschaftlichen Handeln der anderen Seite orientieren dürfen. Weder sollten wir dogmatische Verkürzungen zum Gegenstand unseres praktischen Handelns in der Politik machen, noch sollten wir Handeln kritiklos an wirtschaftlichen Vorgängen orientieren.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege Tauss, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Seifert?

Jörg Tauss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002813, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte schön, lieber Kollege Seifert.

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Lieber Kollege, Sie haben bei Ihren Bemerkungen hinsichtlich der dogmatischen Verkürzungen ein bisschen in meine Richtung geschaut. Ich glaube, das war reiner Zufall. Eine Frage gestatten Sie mir bitte: Ist es nicht so, dass, selbst wenn die Mehrheit, wie Sie sagen, ethische Grundsätze sehr achtet und nur ganz wenige das nicht tun, diese wenigen irreversible Schäden anrichten können, sodass die gesamte Menschheit mit den Folgen leben muss, wenn zum Beispiel in der Biotechnologie oder in der medizinischen Genforschung Dinge in die Welt gesetzt werden, die wir nie wieder loswerden können? Das Problem dabei ist doch, dass wir mögliche Forschungsergebnisse nicht zurücknehmen können.

Jörg Tauss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002813, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Kollege Seifert, das ist genau das Problem, über das ich sprach. Im Übrigen, wenn Sie sich den Schuh des Dogmatikers anziehen wollen, dann will ich Sie daran nicht hindern. Ich meinte damit aber durchaus auch andere: zum Beispiel bestimmte Zirkel von DogJörg Tauss matikern wie etwa Opus Dei, Fundamentalisten einer ganz anderen Seite. Möglicherweise gibt es solche Fundamentalisten auch in Vorstandsetagen einiger Unternehmen. Unsere Rahmenbedingungen - das war meine Aussage - benötigen im Interesse der Wirtschaft und der Forschung eine möglichst breite gesellschaftliche Akzeptanz, die nur im Diskurs und im Abwägen des Für und Wider gewonnen werden kann. Wir haben eine Debatte über die Notwendigkeit und die Chancen der Biotechnologie und über deren mögliche Grenzen eingefordert. Dabei ist die Tatsache zu beachten, dass diese gesellschaftspolitisch wichtige Debatte über tradierte Ressortabgrenzungen hinaus geführt wird. Für diese Debatte und die Art und Weise, wie sie geführt wird, tragen gerade wir als Forschungspolitikerinnen und Forschungspolitiker in diesem Hause eine große Verantwortung. Wir sollten diese Verantwortung wahrnehmen. ({0}) Das war meine Antwort auf Ihre Frage. Ich würde mich freuen, wenn Sie mit eigenen Antworten dazu beitragen würden, diese Probleme zu lösen. Ich stelle zusammenfassend fest: Die Politik hat zuvörderst mit der Wissenschaft - dies betrifft auch die Wissenschaft selbst - die Aufgabe, die ethischen Grundlagen ihres Tuns zu definieren. Sie hat die Aufgabe - auch das ist ganz klar -, die Forschung in den Dienst der Menschen zu stellen und nicht allein in ihren Dienst. Nur so bildet sie eine Grundlage für ein nachhaltiges wirtschaftliches Wachstum, für eine gesamtgesellschaftliche Entwicklung und letztlich auch für kulturelle Vielfalt. Ich sehe gerade Herrn Staatsminister Nida-Rümelin. Ich gratuliere ihm recht herzlich zu seinem neuen Amt. ({1}) Wir haben in diesen Fragen schon einen sehr interessanten Dialog begonnen. ({2}) - Sie sollten sie einmal nachlesen. Dann wüssten Sie, was gesagt worden ist. Für die gesamtgesellschaftliche Entwicklung trägt letztlich auch die Kultur Mitverantwortung. Wir müssen eine kulturelle Vielfalt schaffen. Kultur und Wissenschaft sind keine getrennten und einander unzugänglichen Welten. Wissenschaft ohne Kultur wäre im Übrigen folgenlos. Deshalb meine Bitte: Sie sollten die Politik, die wir betreiben und die im Forschungsbericht 2000 klar zum Ausdruck kommt, unterstützen. Herr Kollege Friedrich, Sie sollten aufhören, sich mit fremden Federn zu schmücken. Sie sprachen von Schubladen. Dazu kann ich Ihnen nur sagen: Beispielsweise bei dem Programm Inno-Regio, das Sie angesprochen haben, war die Schublade so leer, dass nicht einmal Staub darin war, den wir hätten aufwirbeln können. Hier muss Folgendes klargestellt werden: Sie haben Versäumnisse zu verantworten. Nicht alles, was Sie getan haben, war schlecht. Aber, wie wir es schon im Wahlkampf gesagt haben, wir bemühen uns, das, was Sie schlecht gemacht haben, besser zu machen. Dass dies geschieht, zeigt die Entwicklung im ganzen Land. Dies gilt bis hin zu den Auslandsinvestitionen, die sich aufgrund unserer Steuerreform, die Sie noch immer mit Argumenten bekämpfen, die nicht nachvollziehbar sind, in kürzester Zeit vervierfacht haben. Genauso werden wir das auch im Bereich der Wissenschafts- und der Forschungspolitik tun. Sie versuchen, Staub aufzuwirbeln, und zwar auch dort, wo Sie in den Schubladen nichts hinterlassen haben. Aus diesem Grunde kann ich nur sagen, Sie werden ähnlich wie bei der Ökosteuer und bei sonstigen Mätzchen, die Sie machen - mit Plakaten, egal welcher Art -, weder bei der Bevölkerung noch bei der Wissenschaft noch in der Forschungslandschaft Zuspruch finden. Sie werden die Menschen im Lande nicht überzeugen, Sie werden mit diesem destruktiven Oppositionskurs nichts bewirken. Wir werden so, wie der Weg eingeschlagen worden ist, Frau Ministerin, fortschreiten und es wird wie auch in den anderen Bereichen ein erfolgreicher Weg sein. Ich bedanke mich. ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile dem Kollegen Joachim Schmidt, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

Dr. - Ing. Joachim Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002010, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir diskutieren heute nicht nur über den Bericht, sondern auch über die Situation der Forschung 2000 in Deutschland. Dabei muss die Erhöhung der Effektivität eine wichtige Rolle spielen. Dieses unstrittige Ziel versucht die Bundesregierung unter anderem durch Strukturveränderungen in der Forschungslandschaft, zum Beispiel Fusionen - davon war heute schon die Rede -, zu erreichen. Mit gleichem Instrumentarium hat seinerzeit auch die DDR versucht, den Wirkungsgrad ihrer Forschung zu erhöhen. Das Ergebnis war, dass das Ziel klar verfehlt wurde. ({0}) Im Lichte meiner eigenen langjährigen beruflichen Tätigkeit in der DDR-Forschung habe ich hier nur eher leidvolle Erfahrungen in Erinnerung. ({1}) Wenn man die Effizienz der Forschung wirklich steigern will, dann müssen zum einen Denkweise und Denkmuster derer, die aktiv Forschung betreiben, und zum anderen deren Interessen Gegenstand der Überlegungen sein. ({2}) Dabei ist davon auszugehen, dass die verantwortungsbewusst und kompetent arbeitenden Wissenschaftler - das ist die übergroße Mehrheit in unserem Land - sich auf ihren Gebieten am besten auskennen und auch Risiken und Chancen am klarsten beurteilen können. Aus der Wissenschaft müssen nachvollziehbare Informationen und Botschaften an die Politik gerichtet werden, um daraus sinnvolle politische Entscheidungen abzuleiten. Strukturelle Überlegungen sind dabei absolut nebensächlich. ({3}) Im Hinblick auf die Interessenlage sind vor allem Anreize und Wettbewerb notwendig. Leistung und Erfolg müssen sich lohnen. Das war in der DDR leider nicht der Fall. Deshalb muss das Dienstrecht - da sind wir uns alle einig - unbedingt auf den Prüfstand. Aber dazu müssen nun auch bald einmal Vorschläge gemacht werden. Hinsichtlich des Stellenwertes der Strukturveränderungen möchte ich nur vor einem warnen: Man sollte nicht Fehler wiederholen, die andere gemacht haben, und man sollte diesbezügliche Erfahrungen ernst nehmen. Deshalb: Stellen Sie die Überlegungen zu Strukturveränderungen zurück! Sie werden nicht viel bringen. Sie erzeugen damit nur Unruhe, keine schöpferische, sondern eine aufgeregte, und die ist für die Forschung vom Grundsatz her eher kontraproduktiv. ({4}) Verstärken Sie dafür die Kommunikation mit den Forschern. Ich meine jetzt nicht so sehr die Forschungsmanager, die die Kommandohöhen in den Forschungsgesellschaften und -verbänden besetzen, sondern die, die aktiv an der Front der Erkenntnis arbeiten. Von ihnen hängen die Fortschritte in unserer Forschung in entscheidender Weise ab. Ihre Probleme und Lösungsansätze müssen bevorzugt in die praktische Politik einfließen. Lassen Sie sich das von jemandem sagen, der selbst viele Jahre Forschung betrieben hat. Man kann inhaltliche Probleme nicht mit formalen Instrumenten lösen. Ich wäre froh, wenn Sie das berücksichtigten. ({5}) Meine Damen und Herren, ich wechsele das Thema. Wenn wir heute über die Forschung 2000 diskutieren, dann ist es im Rahmen dieses Themas nicht nur sinnvoll, sondern unbedingt notwendig, auch eine kritisch-konstruktive Bilanz der Forschung in den neuen Bundesländern zu ziehen. Ich will dies im Folgenden versuchen. Wir sind in der Forschung wie auch auf anderen Gebieten im Osten gut vorangekommen, sicherlich weiter als auf halbem Wege, aber noch lange nicht am Ziel. Die ostdeutsche Forschungslandschaft ist kein Steinbruch, auch kein Kahlschlag, sie steht auch nicht auf der Kippe. Aber es gibt nach wie vor ernsthafte Probleme, die gelöst werden müssen. Die ostdeutschen Forschungseinrichtungen haben sich in der nationalen und internationalen Forschungslandschaft einen festen und respektablen Platz erarbeitet. Dabei ist festzustellen, dass sich seit zehn Jahren Bund und Länder sehr engagiert um diese Forschungseinrichtungen bemüht haben. Seit 1991 wurden im Einzelplan des BMBF jährlich circa 3 Milliarden DM für die ostdeutsche Forschung und Entwicklung bereitgestellt. Viele spezielle Förderprogramme, die im Großen und Ganzen zielführend waren und auch dankbar angenommen wurden, haben entscheidend zum Aufschwung von Forschung und Entwicklung im Osten beigetragen. Die positive Bilanz betrifft vor allem die außeruniversitäre und die Hochschulforschung. Beide können im Wesentlichen als konsolidiert angesehen werden. Dies hat sich nicht zuletzt darin gezeigt, dass bei der Evaluierung der Institute der Wissenschaftsgemeinschaft Leibniz die ostdeutschen Institute ganz besonders gut abgeschnitten haben. Das ist um so erfreulicher, als die ehemaligen Blaue-Liste-Institute eine herausragende Rolle in der ostdeutschen Forschungslandschaft spielen. Die außeruniversitäre und die Hochschulforschung der neuen Bundesländer haben nationale und internationale Reputation gewonnen. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass sie sich durch überdurchschnittlich hohe Drittmittelaktivitäten auszeichnen. Weitaus kritischer ist die Situation in der wirtschaftsnahen Forschung, das heißt in der Industrieforschung, einzuschätzen. Dies gilt nicht - das will ich ausdrücklich betonen - für das intellektuelle und fachliche Niveau, wohl aber für Kapazität und wirtschaftliche Lage. 1990 umfasste die Industrieforschung circa 85 000 Beschäftigte, 1993 waren in ihr noch 15 000 Mitarbeiter beschäftigt, deren Zahl bis 1998 auf 21 000 anstieg. Seitdem stagniert die Entwicklung. Die Industrieforschungskapazitäten in den neuen Bundesländern entsprechen zurzeit etwa 6 Prozent der in den alten Ländern. Um proportionale Verhältnisse zu erhalten, müssten diese Kapazitäten also um das Dreifache erhöht werden. Die Industrieforschung war in besonderem Maße - das muss man wissen - vom totalen Umbruch des Wirtschaftssystems betroffen. Im Ergebnis dieser Umwandlung ist im Osten eine Wirtschaftslandschaft entstanden, die vor allem durch kleine und mittelständische Betriebe geprägt ist, die eigene Forschungskapazitäten meist nicht betreiben können. Auch darin liegt eine Ursache dafür, dass die Kapazitäten der Industrieforschung bei uns so gering sind. Die Feststellung, dass die Industrieforschung sich auf niedrigem Niveau stabilisiert hat, trifft zwar zu, aber seit zwei Jahren sind kapazitätsmäßige Fortschritte nicht mehr zu beobachten. Umso unverständlicher und inakzeptabler ist es, dass die derzeitige Bundesregierung in den letzten zwei Jahren die für die ostdeutsche Industrieforschung eingesetzten Mittel drastisch gekürzt hat. ({6}) Waren 1998 dafür im Einzelplan 09 des Wirtschaftsministeriums noch 300 Millionen DM eingestellt, sind es im Haushaltsjahr 2001 nur noch 240 Millionen DM, für die zusätzlich noch eine globale Minderausgabe von 5 Prozent gilt, ({7}) Dr.-Ing. Joachim Schmidt ({8}) sodass de facto nur 228 Millionen DM zur Verfügung stehen. Nach Informationen des Verbandes innovativer Unternehmen werden bei einer derartigen Entwicklung in diesem Jahr 2 000 Arbeitsstellen in der ostdeutschen Industrieforschung direkt gefährdet sein. Ein solches Vorgehen ist deshalb nicht zu verantworten. ({9}) Schließlich gelten nach wie vor die Zahlen - sie sind nicht korrigiert - der mittelfristigen Finanzplanung des Bundesfinanzministeriums für die ostdeutsche Industrieforschung. Danach soll die Förderung bis zum Jahr 2003 auf 50 Millionen DM reduziert werden. Dies würde bedeuten, dass die gesamte externe Industrieforschung in ihrer Existenz gefährdet würde. Das darf nicht geschehen. ({10}) Die Absichtserklärung der Bundesregierung, die ostdeutsche Industrieforschung zukünftig - ich zitiere „weiterhin auf hohem Niveau zu fördern“, ist angesichts dieser Tatsache wenig glaubwürdig. Wunsch und Tat klaffen weit auseinander. ({11}) Es sei hinzugefügt, dass die ständigen Haushaltssperren in den Jahren 1999 und 2000 für die Ostprogramme des BMWi dazu geführt haben, dass diese Programme teilweise außer Tritt geraten sind und Anträge für neue Projekte nicht mehr gestellt werden konnten. Auf diese Weise erzielt man jedenfalls eines nicht: unbedingte Planungssicherheit für die Forschung, und unter der Rubrik „aktiver Einsatz für den Osten“ kann man dies wohl auch nicht verbuchen. ({12}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich jetzt im Blick nach vorn auf einige Probleme der ostdeutschen Forschung eingehen, die aktuell zur Debatte stehen und die zum Teil echte Sorgen auslösen. Erstens. Wir sollten alles unternehmen, damit in unserem Land generell, in Ostdeutschland im Besonderen, ein Klima der Technikfreundlichkeit erhalten bleibt. Dies schließt ein, dass im öffentlichen Bewusstsein die Chancen eine mindestens so große Rolle spielen müssen wie die Risiken, die von Wissenschaft und Technik ausgehen. Wissenschaft und Technik sollten im Grundsatz eher positive Emotionen auslösen und weniger Ängste. ({13}) Schulen und Medien können hierbei eine sehr hilfreiche Rolle spielen. Ihnen kommt in dieser Hinsicht eine besondere Verantwortung zu, ({14}) den Schulen vor allen Dingen auch deshalb, weil aus ihnen der Nachwuchs für unsere Forschungslandschaft kommen muss. Denn unser derzeit größtes Defizit in den neuen Bundesländern besteht vor allem darin, dass die Forschungslandschaft überaltert ist. Nachwuchs zu gewinnen und im Land zu halten, dies ist eine der gegenwärtigen Kernaufgaben. Es besteht kein Zweifel darüber, dass hierbei vor allem auch materielle Randbedingungen eine entscheidende Rolle spielen, wobei im Hinblick auf die reale Finanzkraft der neuen Bundesländer leider eindeutige Grenzen gezogen sind. Aber der Anreiz für junge begabte Wissenschaftler, für die Forschung zu arbeiten, umfasst nicht nur das dabei zu verdienende Geld - das steht außer Frage -, sondern in nicht zu unterschätzender Weise auch die speziellen Arbeitsbedingungen, das heißt die intellektuellen und fachlichen Freiräume in den jeweiligen Forschungseinrichtungen. In dieser Hinsicht bieten sich überall große und immaterielle Möglichkeiten, weil die Ausrüstungen in unseren Forschungsinstituten mittlerweile durchgängig gut sind. Ich bin nicht sicher, ob überall davon Gebrauch gemacht wird und ob dies vor allen Dingen auch überall nachvollziehbar propagiert wird. Wer Interesse, ja wer Passion für die Forschung hat, wird derartige Konditionen für seine Arbeitsplatzwahl jedenfalls nicht gering schätzen. Zweitens. Wichtigstes wirtschafts- und forschungspolitisches Gebot ist die erhebliche Verstärkung der Kooperation zwischen den kleinen und mittelständischen Betrieben, die sich keine eigenen Forschungskapazitäten leisten können, und der aus außeruniversitärer, Hochschul- und externer Industrieforschung bestehenden Forschungslandschaft. Diese Forschungslandschaft muss zukünftig weit mehr zur Wertschöpfung in den neuen Bundesländern beitragen als bisher. ({15}) Zu diesem Zwecke ist es auch erforderlich, dass in den kleinen und mittelständischen Betrieben mehr Personal angesiedelt wird, das für die Kooperation mit diesen Forschungseinrichtungen verfügbar und entsprechend kompetent ist. Dies gilt sowohl für die Erarbeitung von Aufgabenstellungen als auch für die Umsetzung der erreichten Forschungsergebnisse in den eigenen Unternehmen. Ich schlage vor, zukünftig bei der Evaluierung ostdeutscher Forschungseinrichtungen auch in besonderem Maße die Anstrengungen zu bewerten, die diese Forschungseinrichtungen unternehmen, um zur Wertschöpfung im Osten einen größeren Beitrag zu leisten. ({16}) - Man muss sich im Osten auskennen, Herr Tauss. - Dies gilt insbesondere für Forschungseinrichtungen, die sich vor allem mit angewandter Forschung befassen, und dies gilt selbstverständlich für alle Hochschulen. Nach meiner festen Überzeugung liegen in der Verstärkung und Qualifizierung dieser Kooperation auf jeden Fall außerordentlich hohe Reserven für den Aufschwung im Osten. ({17}) Dr.-Ing. Joachim Schmidt ({18}) Drittens. Die verstärkte Gründung technologieorientierter Unternehmen, hier insbesondere auch in Form von Ausgründungen aus Forschungsinstituten und Hochschulen, bleibt auf Sicht eine herausragende förderwürdige Aufgabe. Schließlich viertens. Für die überschaubare Zukunft bedarf die Forschung, insbesondere die wirtschaftsnahe Forschung, im Osten weiter einer angemessenen und wirkungsvollen finanziellen Unterstützung. Ich wiederhole deshalb, dass die beabsichtigten Kürzungen der BMWiProgramme für die neuen Bundesländer in keiner Weise akzeptabel sind. ({19}) Es gibt keinen einzigen vernünftigen, auch keinen ordnungspolitischen Grund für eine wie geplant rabiate Degression der Forschungsförderung. Ich halte es deshalb für absolut erforderlich, im Einzelplan 09 für die nächsten fünf Jahre mindestens 300 Millionen DM, wie im Haushalt 1998, für das FuE-Sonderprogramm für die neuen Bundesländer vorzusehen. Für die Zukunft sollte sichergestellt werden, dass die der ostdeutschen Forschung gewidmeten Programme nicht durch Haushaltssperren - ich habe gerade darüber gesprochen - in ihrer Wirkung empfindlich gestört werden. Insgesamt ist zu konstatieren, dass die temporär angelegte Förderung der ostdeutschen Forschung, der Industrieforschung in besonderer Weise, nach derzeitiger Erkenntnis über das Jahr 2005 hinausgehen muss, um das gestellte wirtschaftspolitische Ziel einer weitgehenden Angleichung des Niveaus von Produktivität, Exportkraft und Beschäftigung an das des früheren Bundesgebietes zu erreichen. Im Abstand von circa vier Jahren sollte deshalb eine weitere Evaluierung der Wirkung des FuE-Sonderprogramms vorgenommen werden. Für 2004 auslaufende Programmteile, wie zum Beispiel das Programm „Personalförderung Ost“, mit dem die Verstärkung der Personalbasis für Forschung und Entwicklung in den ostdeutschen kleinen und mittelständischen Unternehmen bisher wirkungsvoll gefördert wird, sollte ein sinnvolles, praktikables Forschungsfortsetzungsprogramm entwickelt werden. Die AiF hat dafür kürzlich einen sehr interessanten Vorschlag gemacht, der erfreulicherweise auch steuerliche Anreize vorsieht - in der Forschung wäre das einmal etwas Neues -, wobei dieses Programm nach 2004 bundesweit eingeführt werden sollte. Meine Damen und Herren, ich fasse alles Gesagte in einem Satz zusammen, ({20}) den ich in diesem Hause - wie ein Ceterum censeo - nicht zum ersten Male ausspreche: Das Wohl und Wehe der ostdeutschen Forschungslandschaft bleibt auf Sicht eine zentrale Aufgabe deutscher Forschungspolitik, zu der sich die CDU/CSU-Fraktion ohne Wenn und Aber bekennt, heute und auch morgen. ({21})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile dem Kollegen Ulrich Kasparick, SPD-Fraktion, das Wort.

Ulrich Kasparick (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003158, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu Beginn dieser kurzen Rede einen herzlichen Dank an die Bundesforschungsministerin! Sie war jetzt gerade in den Vereinigten Staaten und hat sehr engagiert dafür gekämpft, Spitzenforscher nach Deutschland zurückzuholen. ({0}) Das nur als Antwort auf Ihre Randbemerkung, Frau Flach, die Regierung tue nichts. Sie tut aktiv etwas dafür, dass Spitzenforscher zurückkommen. Meine zweite Bemerkung geht an Herrn Friedrich. Sie betrifft die Schubfächer, die Sie vorhin angesprochen haben. Sie haben das Gerücht verbreitet, das Inno-RegioKonzept habe im Schubfach von Herrn Rüttgers gelegen. ({1}) Als historisch-kritischer Exeget darf ich Ihnen mitteilen: Dies ist ein Gerücht. Die Idee zu Inno-Regio entstammt dem Managerkreis der Friedrich-Ebert-Stiftung - so viel Ehre muss ich meinen früheren Kollegen doch erweisen und nicht aus dem Schubfach von Herrn Rüttgers. Ich finde es gut, dass diese Regierung diese Idee sofort aufgegriffen und schnell und konsequent umgesetzt hat, insbesondere zum Vorteil von Ostdeutschland. Ich sage dazu gleich noch mehr. ({2}) Drittens. Herr Friedrich, Sie haben gefragt, wie sich die Forschungspolitik in die gesamten politischen Entscheidungen dieser Regierung einordne. Ich mache Sie nur auf eine Zahl aufmerksam, die man heute der „Berliner Zeitung“ entnehmen kann: Die Auslandsinvestitionen sind vom Jahr 1999 auf das Jahr 2000 um das Vierfache gestiegen. ({3}) - Das ist das Ergebnis der Steuerreform; da haben Sie sehr Recht. ({4}) Unverdächtige Zeugen wie Hilmar Kopper, den Sie von bestimmten Bemerkungen her kennen, sagen: Endlich kommt wieder Auslandskapital nach Deutschland. Ich bin mir sicher, dass dieses Geld sich auch in der Forschungslandschaft bemerkbar machen wird. ({5}) Jetzt zu den einzelnen Punkten. Ich will etwas zu Inno-Regio sagen. Eben ist von dem Kollegen aus Sachsen gesagt worden, die Industrieforschungsmittel seien degressiv. Ich sage Ihnen eines: Ich Dr.-Ing. Joachim Schmidt ({6}) war bei der Tagung der AiF dabei. Ich finde es im Übrigen gut, dass die AiF jetzt berechtigt werden soll, europäische Fördermittel zu beantragen. Das ist eine ganz wichtige Innovation. ({7}) Ich finde den Mut dieser Regierung richtig und wichtig, die sagt: Wir wollen nicht nur in bisherigen Strukturen weiter fördern, sondern wir wollen strukturelle Innovation. ({8}) Mit Inno-Regio belohnt diese Regierung Kooperationen. Genau das, was der Kollege Schmidt eben eingefordert hat, tun wir. Sie haben das nicht hinbekommen. ({9}) Ich selber komme aus einem Wahlkreis, der neben einem sächsischen Projekt den Hauptpreis in der Endphase von Inno-Regio bekommen hat. 40 Millionen DM kommen zu uns in die Region. ({10}) Wenn Sie mit Vertretern der Institute in Gatersleben und der angrenzenden Institute, die da jetzt mitmachen, sprechen, dann stellen Sie fest, dass es eine große Bereitschaft zu dieser Kooperation gibt. Die Regierung hilft dabei, dass wir mit diesen Kooperationen vorankommen. Das haben Sie leider Gottes nicht erreicht. Wir tun es. ({11}) Ich bin dieser Regierung ausgesprochen dankbar dafür, dass wir bei der BAföG-Reform jetzt eine Gleichstellung von Ost und West erreicht haben. Das ist ein ganz wichtiger Punkt, weil jetzt ein Klima des Selbstbewusstseins entsteht. Die Studenten können sagen: Wir als junge, an Wissenschaft interessierte Menschen studieren mit gleichem Förderungssystem. Wichtig ist: Wenn man sich die ostdeutsche Landschaft anguckt und mit den Menschen spricht - ich bin in den letzten zwei Jahren in 145 Instituten gewesen, von Greifswald bis Ilmenau, und habe mit über 500 Wissenschaftlern gesprochen -, dann merkt man, dass in den Instituten sehr wohl verstanden wird, dass diese Bundesregierung für Forschung mehr als in der Vergangenheit tun wird. Die Institute haben sehr fein registriert, dass die Haushalte im Budget um 10 Prozent wachsen. 10 Prozent geben wir mehr in die Forschung als Sie. ({12}) Das ist ein Klima, von dem Sie, wenn Sie mit den Institutsleuten reden - ich habe mit über 500 von ihnen gesprochen -, zu hören bekommen. Es ist eine Aufbruchstimmung da, die wir fördern wollen; denn sie ist für Ostdeutschland besonders wichtig. Dabei muss berücksichtigt werden: Wir haben noch keine Chancengleichheit. Das betrifft die Bezahlung, BAT-Vergütung, die wir angesprochen haben. Die Richtung, dass wir sagen, der Schwerpunkt der Wirtschaftsförderung muss über die Förderung der Wissenschaft gehen, ist insbesondere für Ostdeutschland richtig. Für Ostdeutschland - das ist eine Bilanz, die ich nach zwei Jahren intensiver Besuchsarbeit an den Instituten ziehe -, für den Aufbau Ost muss die nächste wichtige Phase heißen: Wer die Wirtschaft fördern will, der muss die Forschung fördern. Genau dafür sind Konzepte wie Inno-Regio und auch die Nachfolgeprojekte die geeigneten Instrumente. McKinsey hat im europaweiten Vergleich der interessanten Forschungscluster gezeigt, dass Berlin-Adlershof und Dresden auf Platz 13 und Platz 15 mit zu diesen Clustern gehören. Die Richtung, Wirtschaft über Forschungsförderung zu entwickeln, ist richtig. ({13}) Ich sage Ihnen zum Schluss aber noch eines: Das ist keine Frage des Parteibuches. Sie haben heute am Anfang Ihrer Rede darzustellen versucht, dass die CDU-regierten Länder das günstiger machten. Ich komme aus einem Bundesland, in dem eine CDU-Regierung - die erste Regierung, die dieses Land hatte - den Leuten im Lande gesagt hat: Statt Institute zu gründen und auf Wissenschaft zu setzen, solltet ihr große kommunale Kläranlagen bauen. Das Ergebnis ist, dass wir das heute immer noch hinter uns herziehen müssen. Wir müssen jetzt sehen, dass die Gründerjahre für neue Institute weitgehend vorüber sind. Da ist sehr viel verschlafen worden. Deswegen sage ich Ihnen: Es hängt an Personen und nicht an Parteibüchern. Ich bin mir ganz sicher, dass diese Angelegenheit sowohl bei der Bundesbildungsministerin als auch bei ihrem Staatssekretär Catenhusen, der sich während der Evaluierungsphase und der Umstrukturierungsphase um die ostdeutschen Institute sehr verdient gemacht hat, in sehr guten Händen ist. Herzlichen Dank. ({14})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich schließe da- mit die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 14/4229 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich möchte Sie darauf hinweisen, dass wir die Sitzung gegen 13 Uhr für circa eine halbe Stunde wegen einer Fraktionssitzung der SPD unterbrechen. Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 4 a bis 4 g auf: a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Kurt-Dieter Grill, Gunnar Uldall, Dr. Klaus W. Lippold ({1}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Energiepolitik für Deutschland - Konsequen- zen aus dem Energiedialog 2000 - Drucksachen 14/3507, 14/4338 - Berichterstattung Abgeordneter Kurt-Dieter Grill b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({2}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Christian Ruck, Dr. Klaus W. Lippold ({3}), Dr. Paul Laufs und der Fraktion der CDU/CSU Energieeinsparung durch Minderung des Stromverbrauchs von Elektrogeräten im Leerlaufmodus ({4}) - Drucksachen 14/2348, 14/3328 - Berichterstattung: Abgeordnete Marion Caspers-Merk Michaele Hustedt Birgit Homburger c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({5}) zu der Unterrichtung durch das Europäische Parlament Entschließung des Europäischen Parlaments zu Elektrizität aus erneuerbaren Energieträgern und zum Elektrizitätsbinnenmarkt ({6}) ({7}) - Drucksachen 14/3428 Nr. 1.9, 14/4339 - Berichterstattung: Abgeordneter Kurt-Dieter Grill d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({8}) zu dem Antrag der Abgeordneten Walter Hirche, Rainer Brüderle, Ernst Burgbacher, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P. Zukunftsfähige Energiepolitik für den Standort Deutschland - Drucksachen 14/2364, 14/2946 Berichterstattung: Abgeordneter Volker Jung ({9}) e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({10}) zu dem Antrag der Abgeordneten Kurt-Dieter Grill, Gunnar Uldall, Dr. Klaus W. Lippold ({11}), Dietrich Austermann und der Fraktion der CDU/CSU Energiepolitik für das 21. Jahrhundert - Ein- stieg in ein nachhaltiges, klimaverträgliches Energiekonzept statt Ausstieg aus der Kern- energie - Drucksachen 14/543, 14/3229 - Berichterstattung: Abgeordnete Horst Kubatschka Kurt-Dieter Grill Birgit Homburger f) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({12}) zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Walter Hirche, Ulrike Flach, Birgit Homburger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P. zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Förderung der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien ({13}) sowie zur Änderung des Mine- ralölsteuergesetzes - Drucksachen 14/2341, 14/2778, 14/3343 Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Hermann Scheer g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike Flach, Birgit Homburger, Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P. Solarbericht - Drucksache 14/1234 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({14}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. - Kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der Abgeordnete Michael Müller.

Michael Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001561, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Für die energiepolitische Debatte, die wir heute führen, gibt es drei zentrale Ausgangspunkte. Diese drei Punkte stehen in einem engen Zusammenhang. Der erste, der vielleicht wichtigste, - diese Woche noch einmal in unser Bewusstsein gerückte -, ist die Frage der Klimabelastung durch unser Energiesystem. Wir haben die unmissverständlichen Signale von Schanghai auf der dritten Konferenz des IPCC gehört: Die Erde wird sehr viel schneller erwärmt, als man bisher angenommen hat. Dies ist ein Alarmsignal, das nicht folgenlos bleiben darf. Es macht umso deutlicher, wie groß unser Handlungsdruck ist. Das IPCC kommt zu dem Ergebnis, dass die Erwärmung bis zum Ende dieses Jahrhunderts aller Wahrscheinlichkeit nach bei mindestens 2,5 Grad Celsius liegt, aber nicht ausgeschlossen werden kann, dass sie um bis zu 5,8 Grad Celsius ansteigt. Dies ist eine fast unvorstellbare dramatische Entwicklung. Man muss sich nur vor Augen halten, dass die Klimawissenschaft die ErwärmungsoberVizepräsidentin Dr. Antje Vollmer grenze bei 1,5 Grad pro Jahrhundert - also das Äußerste, was vertretbar ist - ansetzt. Das ist eine alarmierende Entwicklung, die uns in den Industriestaaten zutiefst herausfordert, da überwiegend wir für den hohen Energieverbrauch verantwortlich sind. Schauen wir uns die Fakten an: Der Kohlendioxidgehalt in der Atmosphäre ist der entscheidende Indikator für unser Klimasystem. Er ist seit dem Beginn des industriellen Zeitalters um ungefähr ein Drittel angestiegen. Das heißt, er liegt heute bei ungefähr 370 Teilen auf 1 Million Teile. Dies ist ein eindeutiges Zeichen, dass sich die chemische Zusammensetzung und damit das ganze dynamische System unserer Atmosphäre verändert. Damit bauen wir eine ungeheure Hypothek für künftige Generationen auf, die wir nicht verantworten können. ({0}) Um es anders zu sagen: Wir würden, wenn dieser Trend anhält, bis zum Ende dieses Jahrhunderts, also in einem Zeitraum von weniger als 300 Jahren, das Klima in einem Umfang verändern, für den natürliche Prozesse mehr als 10 000 Jahre gebraucht haben. Das kann das Ökosystem nicht verkraften. Wir müssen dies vor allem vor dem Hintergrund des großen Nachholbedarfs bei der Industrialisierung und des Bevölkerungswachstums in anderen Regionen der Erde sehen. Mit anderen Worten: Wir haben heute schon die Grenze der Belastbarkeit der Erde erreicht. Hält der heutige Trend aber an, wird sich der Energieund Ressourcenumsatz in etwa 50 Jahren verdreißigfacht haben. Dies ist nicht machbar. Es ist unsere Pflicht, heute zu handeln, denn in der Zukunft werden wir dafür immer weniger Handlungsspielraum haben. Deshalb haben wir die energiepolitische Wende eingeleitet. ({1}) Diese Wende ist keine Willkür, sondern ein Gebot von Vernunft und Aufklärung. Der erste wichtige Punkt für uns ist also, wegzukommen von einer Energiepolitik, die ihr zentrales Ziel in der Sicherung hoher Kapazitäten und billiger Preise sieht. Die Sicherung von Kapazitäten und von günstigen Preisen sind weiter wichtige Gesichtspunkte, aber das zentrale Ziel muss lauten, mit so wenig Energie wie möglich überhaupt auszukommen - darin besteht die Kehrtwende und gleichzeitig die Brücke ins solare Zeitalter zu bauen. Es handelt sich also um eine Doppelstrategie: Effizienzrevolution und Solarwirtschaft. ({2}) Es geht uns nicht, um es klar zu sagen, um einen Austausch von Energieträgern. Es geht nicht darum, einen Energieträger jetzt durch einen anderen zu ersetzen. Es geht um eine Veränderung der gesamten Struktur der Energieversorgung, nämlich um eine ständige Verringerung des Energiebedarfs. Die energiepolitische Losung der Zukunft muss lauten, mit so wenig Energie wie möglich auszukommen. Das Einsparkraftwerk ist das Kraftwerk der Zukunft. ({3}) Die Bundesregierung - die alte wie die neue, Herr Lippold - hat sich das ehrgeizige Ziel von minus 25 Prozent beim Kohlendioxidausstoß gesetzt. Sie wissen noch aus der damaligen Enquete-Kommission, dass wir uns sogar noch weiter gehende Ziele haben vorstellen können. Wir wissen aber auch, dass schon das 25-Prozent-Ziel ein sehr ehrgeiziges Ziel ist. Die Situation nach dem letzten Jahr stellt sich wie folgt dar: Bei einem Wirtschaftswachstum von 3 Prozent haben wir im Jahr 2000 „nur“ eine Verringerung des Energiewachstums um 0,2 Prozent erreicht. Das heißt, im letzten Jahr hat der Verbrauch nach den neuen Zahlen der Arbeitsgemeinschaft der Energiebilanzen mehr oder weniger stagniert. Hier muss deutlich nachgelegt werden, sonst werden die Verringerungen nicht erreicht. Gegenüber 1990 wurde eine Verringerung um etwa 150 Millionen Tonnen Kohlendioxid erreicht; es fehlen also noch etwa 100 Millionen Tonnen bis zum Jahre 2005. Diese können nicht bei Beibehaltung des Status quo eingespart werden. Sie werden nur eingespart werden, wenn wir eine aktive Energiepolitik betreiben. Dazu gehört der Ausbau der Solarenergie genauso wie eine Effizienzrevolution. Dazu gehört auch - an diesem Ziel wird kein Weg vorbeigehen - der Ausbau der Kraft-WärmeKopplung. Ohne diese Maßnahmen wird diese ehrgeizige Reduktion nicht zu erreichen sein. ({4}) Deshalb begrüßen wir das Klimaschutzprogramm der Bundesregierung vom 18. Oktober, in dem konkrete Zahlen festgelegt sind. Wir können über Wege reden, eine Infragestellung dieses Zieles steht aber nicht zur Debatte. Wir können uns nach all den seriösen wissenschaftlichen Gutachten, die heute vorliegen, nicht vorstellen, dass das auf einem anderen Weg zu erreichen ist als über den Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung. Dies ist, nach all dem, was wir wissen, anders nicht möglich. Bei diesen Alternativen müsste man zu einer gigantischen Subventionierung übergehen, womit die ganze Argumentation der KWK-Gegner, man sei aus wettbewerbsrechtlichen Gründen gegen die KWK, in sich zusammenbräche. Wir wollen dieses System, weil es richtig ist. ({5}) Der zweite wesentliche Punkt ist der Ausstieg aus der Atomkraft. Wir begrüßen die Vereinbarung vom 14. Juni 2000. Wir hoffen, dass die Atomnovelle schnell vorgelegt wird, damit wir Klarheit schaffen und zu einer Entscheidung kommen. Wir brauchen in diesen Fragen eine berechenbare Politik. Dies ist auch notwendig, weil Ausstieg und Einstieg eine Einheit bilden. Auch bei diesem Strukturwandel steht nicht der Austausch der Energieträger, sondern der Strukturwandel selbst im Vordergrund. Wir werden dieses Ziel nicht erreichen, wenn wir glauben, die Ersetzung durch andere Energieträger nach Michael Müller ({6}) Ausschalten der Atomkraftwerke sei die Lösung des Problems. Energieträger müssen sich daran messen lassen, wie effizient sie eingesetzt werden können. Das ist der entscheidende Punkt, der in einem engen Zusammenhang mit den drei grünen Säulen der Energiepolitik steht: erstens eine massive Steigerung der Energieproduktitivität, zweitens Ausbau der Solarenergie - wir sind froh, dass wir im letzten Jahr beim Anteil der Solarenergie einen deutlichen Sprung nach vorne gemacht haben, das war überfällig -, ({7}) drittens der Ausbau der gekoppelten, intelligenten Systeme in der Erzeugung von Strom und Wärme. Eine dritte große Herausforderung ist Europa, mit der Bildung einer europäischen Verbundwirtschaft. Wir halten es nicht für ein zukunftsfähiges Energiesystem, wenn jetzt die Gebietsmonopole durch Unternehmensmonopole ersetzt werden. Was wir wollen, ist ein wirklicher Wettbewerb, und zwar nicht nur zwischen einzelnen Unternehmen, sondern auch zwischen unterschiedlichen Diestleistungsformen. Deshalb wollen wir auch nicht, dass die Bundesrepublik in der Zukunft zu einem reinen Stromhandelsland wird. Wir wollen in der Bundesrepublik Erzeugung, Beschäftigung und Umweltschutz sichern. Auch deshalb führt kein Weg an einem Strukturwandel vorbei. Aus diesen Gründen - Klimaschutz, Ausstieg aus der Atomenergie und europäische Herausforderung - ist das Primat der Politik gefordert, die Rahmensetzung für mehr Wettbewerb, für eine intelligente, zukunftsorientierte Energiepolitik und für die Sicherung von Umweltschutz und Beschäftigung zu schaffen. Das ist Zukunftsfähigkeit. Ich will hinzufügen: Vor dem Hintergrund der amerikanischen Entwicklung, wo nach dem Amtsantritt des neuen Präsidenten als Erstes der Umweltschutz zurückgedrängt wurde, ist die Herausforderung für Europa und für unser Land noch größer geworden, diesen Strukturwandel anzugehen. ({8}) Ich erinnere mich noch sehr gut an eine Debatte in der Enquete-Kommission. Wir hatten damals Vertreter aller Energieunternehmen eingeladen, um mit ihnen über Klimaschutz zu diskutieren. In dieser Debatte wurde uns von den Vertretern der Energiewirtschaft eine Stunde lang erzählt, was alles nicht möglich ist. Daraufhin haben der Kollege Schmidbauer von der CDU und ich gemeinsam gesagt: Entweder diskutieren wir jetzt über das, was möglich ist, um das CO2-Ziel zu erreichen, oder wir beenden die Veranstaltung. Da war einmal kreative Fantasie möglich. Diese Kreativität und Verantwortung erwarten wir von allen Beteiligten. Das ist die Grundlage für ein kooperatives Klima. ({9}) Hören wir mit kurzfristiger Interessenpolitik auf! ({10}) Es steht sehr viel auf dem Spiel. Lassen Sie uns bitte den Weg in die neue Energiepolitik mit möglichst viel Konsens, aber auch mit möglichst viel Vernunft gehen. ({11})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Dr. Klaus Lippold.

Dr. Klaus W. Lippold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001353, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Energiepolitik ist Zukunftspolitik für die Menschen und die Umwelt, aber auch Zukunftspolitik für die Wirtschaft. In diesem Sinne hat die CDU/CSU-Fraktion ein Energiekonzept erarbeitet, das auf eine umweltfreundliche und nachhaltige Energieversorgung, aber gleichzeitig auch auf eine preiswerte und für die Zukunft sichere Energieversorgung abstellt. Wir haben Energiepolitik - wie das neudeutsch heißt mit anderen Politikfeldern vernetzt: der Verkehrspolitik, der Baupolitik, aber insbesondere auch der Umwelt- und Klimaschutzpolitik, damit wir den Ansprüchen an eine moderne und zukunftsorientierte Energiepolitik gerecht werden. Das ist ein in sich schlüssiges Konzept und das vermisse ich bei der Regierung. Herr Minister Müller, Sie haben verschiedentlich gesagt, dass Sie in sich schlüssige, abgewogene Konzepte vorlegen werden, aber Sie sind uns den Nachweis, dass Sie das auch wirklich tun, bis heute schuldig geblieben. ({0}) Wir brauchen nicht Ankündigungen, sondern wir brauchen auch von Ihnen klare Vorstellungen darüber, wohin der Weg geht, damit wir uns daran orientieren können. Diese müssen langfristig ausgerichtet sein, weil Energiepolitik nicht kurzfristig betrieben werden kann. ({1}) Wenn wir diesen Weg gehen, ersparen wir uns auch eine ganze Reihe von - ich sage es einmal so - zumindest irritierenden Vorstellungen. Wenn ich das unter dem Aspekt betrachte, Energiepolitik soll einen Beitrag zur Klimaschutzpolitik leisten, dann ist der Ausstieg aus der Kernenergie falsch, weil wir ohne Kernenergiepolitik mittel- und langfristig keine Klimaschutzpolitik leisten können, die vor dem Hintergrund der IPCC-Warnung jetzt besonders wichtig ist. ({2}) Sie selbst, Herr Müller, haben seinerzeit gesagt, dass Sie sich einen späteren Einstieg wieder vorstellen können. Ich halte das für richtig, aber Sie müssen auch durchsetzen, dass darüber schon jetzt diskutiert wird und es nicht Makulatur bleibt. Michael Müller ({3}) Es gibt einen anderen Ansatzpunkt, bei dem Sie Umweltschutz- und Energiepolitik miteinander verknüpfen, ohne dass es zu einer klaren Aussage kommt. Ich meine die Kraft-Wärme-Kopplung. Bei der Kraft-WärmeKopplung, Herr Minister, gehen die Koalitionsparteien davon aus, dass sie innerhalb kurzer Frist verdoppelt und ihr Anteil von 10 Prozent auf 20 Prozent festgeschrieben werden muss. Wir halten das für einen falschen Weg. Das ist nicht ökologisch; denn wenn Sie ohne Rücksicht auf Verluste eine Quote festschreiben, wird auch die traditionelle Produktion gefördert, die nicht ökologisch und umweltfreundlich ist. Das kann es wirklich nicht sein. ({4}) In diesem Sinne begrüße ich, was Sie im „Focus“ gesagt haben: Ich halte von einer relativ kurzfristigen Verdopplung der Kraft-Wärme-Kopplung nichts. Man sollte nichts beschließen, was einen politisch schon bald wieder einholt ... KWK macht ökologisch nur da Sinn, wo Wärme und Strom in der Industrie wirklich das ganze Jahr über parallel gebraucht werden, zum Beispiel bei Produktionsprozessen. Es reicht nicht, neben einem Kraftwerk als Alibi einen Fischteich anzulegen, der dann mitbeheizt wird. ({5}) Und da es in Deutschland keine unbeheizte Wohnung mehr gibt, müssen bestehende Heizungen durch Fernwärme teuer ersetzt werden. Sie beziffern die Zusatzkosten in diesem Bereich auf eine Größenordnung von 6 bis 8 Milliarden DM. Das heißt, die Vorstellungen, die von dem Kollegen Michael Müller und vielen anderen in der SPD-Fraktion entwickelt worden sind, sind nicht nur unter dem Aspekt der Preiswürdigkeit, sondern auch unter dem Aspekt der ökologischen Steuerung falsch. ({6}) Deshalb, Herr Minister, hoffe ich, dass die Selbstverpflichtung jetzt nicht nur eine Ankündigung ist, sondern dass sie auch umgesetzt wird, damit nicht wieder Erwartungen geweckt werden, die in absehbarer Zeit bitter enttäuscht werden, wie wir es früher schon bei anderen Positionen erleben mussten. Ich sage ganz deutlich, Herr Minister: Setzen Sie sich doch einmal mit Ihren Vorstellungen im Kabinett durch! Das wäre in diesem Fall erfreulich, natürlich immer unterstellt, dass das, wenn wir den Entwurf einmal vorliegen haben und ihn prüfen können, zu einem positiven und guten Ergebnis führen wird. Diese Prüfung behalten wir uns vor; ich glaube, das ist ganz selbstverständlich. Setzen Sie Ihre Ziele einmal durch, Herr Minister, damit die ideologischen Vorstellungen, die von den Koalitionsparteien entwickelt worden sind, so nicht zum Tragen kommen und der Weg nicht in die falsche Richtung führt. Das können wir uns nicht leisten. ({7}) In der Frage der Ankündigung will ich gleich noch einen anderen Punkt nennen. Das ist die Frage der Energieeinsparverordnung. Sie sollte vor einem Jahr verabschiedet werden, sie sollte vor einem halben Jahr verabschiedet werden. Dann hieß es, sie sollte jetzt verabschiedet werden, und schon wieder ist sie verschoben worden und wir kennen nicht das Datum, wann Sie sie vorlegen werden. Ich sage ganz deutlich: Das ist ein Kernpunkt bei der Abwägung zwischen Energiepolitik auf der einen und Umweltschutzpolitik auf der anderen Seite. Auch in diesem Punkt schlabbern Sie, handeln nicht zügig und versäumen Zeit, die wir dringend brauchen, um die Reduktionszeitkorridore einhalten zu können. So geht es nicht. Nicht nur ankündigen, sondern handeln! Das ist angesagt. Ich glaube, an diesem Punkt ließe sich noch einiges hinzufügen, was noch ungelöst ist. Herr Minister, die alte Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen haben mit der Novellierung des Energiewirtschaftsrechts durchgesetzt, dass zugunsten der Verbraucher und der Wirtschaft eine - ich sage es einmal so - Preissenkung von circa 15 Milliarden DM möglich gemacht wurde. Das war ein guter und richtiger Schritt. Mit der Politik, die Sie jetzt betreiben - Ökosteuer, Subventionsspirale bei den erneuerbaren Energien, bislang geplante Kraft-Wärme-Kopplung -, zehren Sie diese Vorteile Schritt für Schritt wieder auf und verkehren sie ins Gegenteil. Ich halte das für einen völlig falschen Weg. Wenn ich die Belastungen, die aus Ihren verschiedenen Ankündigungen resultieren würden, in Extremform einmal summiere, komme ich bis zum Jahre 2010 auf Belastungen von circa 30 Milliarden DM. Herr Minister, das ist nicht tragbar und hat nichts mit Umsteuern in der Energiepolitik zu tun. Ein Umsteuern würde voraussetzen, dass dahinter ein Gesamtkonzept steht, das ökologisch orientiert ist. Das ist nicht der Fall. Deshalb: Verzichten Sie auf die Belastungsspirale, die für die Verbraucher und für die Wirtschaft schädlich ist! ({8}) Herr Minister, in diesem Zusammenhang kann ich Ihnen nicht ersparen, auf die Ökosteuer einzugehen. Alle in diesem Hause wissen, dass Gutachten vorliegen, wonach die Ökosteuer keine Lenkungswirkung hat. ({9}) Das heißt, ebenso wie bei der Kraft-Wärme-Kopplung ist es auch bei der Ökosteuer: Ihr fehlt die Lenkungswirkung. Darüber hinaus haben Ihnen der Sachverständigenrat und andere Sachverständige bescheinigt, dass die Ökosteuer keine umweltschützende Leistung erbringt. ({10}) Sie stellt aber eine zusätzliche Belastung dar, und deshalb die Forderung: Sie sollten - Ministerkollegen aus Ihrem Kabinett haben ja schon gesagt, dass in der Zukunft auf sie verzichtet werden kann - sie nicht nur für die Zukunft verzichtbar machen, sondern darüber hinaus deutlich machen, dass Sie auf diesen falschen Weg verzichten Dr. Klaus W. Lippold ({11}) und von einer Straf- und Abkassieraktion, die ökologisch keinen Sinn macht, Abstand nehmen. Es gibt einen wesentlich besseren Einsatz für diese Gelder und ich bitte Sie zu überlegen, wie man mit einem vernünftigen Konzept eine preiswerte und sichere Energieversorgung mit mehr Ökologie kombinieren kann. ({12})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Berg?

Dr. Klaus W. Lippold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001353, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Dr. Axel Berg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003036, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Dr. Lippold, ich hoffe, ich habe Sie richtig verstanden. In der Analyse sind wir uns ja mehr oder weniger einig: Das Klima ist bedroht. Ihre Therapieempfehlung ist: Wir brauchen mehr Atomkraft und wir brauchen ein Konzept. Wenn wir durch Atomkraft das Klima retten wollten - bei der Energieerzeugung durch Atomkraft wird ja kaum Kohlendioxid ausgestoßen -, müssten wir weltweit round about jede Woche ein neues Atomkraftwerk ans Netz gehen lassen und würden uns dadurch jede Menge andere Risiken aufladen. Wie stehen Sie dazu? Was stellen Sie sich unter einem Konzept vor? Ein Konzept ist immer etwas Schönes. Meinen Sie aber nicht, dass wir bereits genug wissen und endlich handeln sollten, dass wir das Klima nicht dadurch retten können, dass wir weitere zehn Jahre über das beste Konzept diskutieren?

Dr. Klaus W. Lippold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001353, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, der erste Punkt ist: Meine Aufforderung war ja gerade, in sich schlüssige Konzepte sofort vorzulegen und Lösungen nicht, wie Sie es tun, immer weiter hinauszuzögern und zu verschieben. Das ist doch der Fehler, den Sie begehen. Der zweite Punkt ist: Ich werde mich nicht der Übertreibung anschließen - mit der man einen vernünftigen Gedanken, auf welche Weise auch immer, kaputtmachen kann -, die Rettung des Klimaschutzes in einer einzigen Maßnahme zu sehen. Wir brauchen ein breites Bündel wohlabgestimmter Maßnahmen, um einen Beitrag zur Klimaschutzpolitik zu leisten. Wir brauchen dieses breite Bündel nicht nur in der Bundesrepublik Deutschland, sondern europaweit. Ich füge hinzu: Dank der alten Bundesregierung haben wir doch die Vorleistungen erbracht, mit denen die jetzige Bundesregierung auf den Klimakonferenzen glänzt und mit denen wir das europäische Bubble-Konzept, die europäische Energieeinsparlösung, nach draußen tragen konnten; denn ohne unsere Reduktionserfolge hätte es dort keine gegeben. Ich füge hinzu: Wir brauchen, wenn wir zu Lösungen kommen wollen, natürlich ein globales Konzept, getragen von den großen Industriestaaten, von den USA, aber auch von den Schwellenländern China, Indien, Mexiko und anderen. Wir haben in der Enquetekommission gemeinsam daran gearbeitet, Herr Berg. Es gibt viele vernünftige Vorstellungen, die aber auch ausdiskutiert und ausdifferenziert werden müssen. Hinsichtlich der Vorstellung dieser Regierung, wie die zukünftigen Mechanismen genutzt werden sollen - ich nenne nur Clean Development Mechanism, Joint Implementation, Sinks und dergleichen -, hätten wir von Ihnen mehr erwartet, als Sie in die Konferenzen eingebracht haben. Dazu zählt auch eine konstruktivere Gestaltung. Das alles ist nicht erfolgt. Auch jetzt wären von Ihnen viel intensivere Anstrengungen vonnöten, um auf der internationalen Bühne zum Ersten wissenschaftlich und zum Zweiten politisch entsprechende Umsetzungen voranzutreiben, damit der Kioto-Prozess nicht mit der Konferenz in Den Haag ins Stocken gerät, sondern wieder Fahrt aufnimmt. Solche Anstrengungen sehe ich aber nicht; ich sehe nur gelegentlich eine Ankündigung. Was ich bei Ihnen vermisse, das ist der massive politische Druck, wie wir ihn früher von der Spitze, vom Kanzler und von den verschiedenen Ministern - also nicht nur vom Umweltminister -, gekannt haben. Einige werden sagen, ich hätte das schon einmal gesagt. Das ist völlig richtig. Aber solange Sie diese Politik nicht ändern, werden wir Ihnen das noch häufiger sagen müssen. ({0}) Noch einmal zur Frage der Kernenergie im Speziellen, Herr Berg. Wir müssen - das sage ich Ihnen ganz deutlich - bei der Risikoabwägung natürlich an den Äußerungen des Club of Rome, eines exzellenten Gremiums fähiger Wissenschaftler, festhalten. Er schätzt das Risiko der Klimakatastrophe wesentlich höher ein als die Risiken aus Kernenergie und hält Kernenergie deshalb für vertretbar. Im IPCC-Bericht wird das bestätigt. Sie wollen doch immer das Votum der Wissenschaft. Nehmen Sie dieses Votum der Wissenschaft zur Kenntnis und halten Sie sich daran! Bauen Sie Kernenergie in Ihr Energiekonzept ein nicht alleine, aber auch. Ich komme nun zu einem weiteren Punkt, um deutlich zu machen, dass es nicht nur um diese Frage geht. Wir haben seinerzeit die Förderung von Energieeinsparmaßnahmen im Baubereich eingeführt. Das halte ich für richtig. Sie haben diesen Ansatz jetzt weiter ausgebaut. Herr Kollege Berg, ich habe nie einen Hehl daraus gemacht, dass ich, wenn Schritte in die richtige Richtung gehen, nichts anderes tue, als das zu akzeptieren. Ich kritisiere doch nicht um der Kritik willen. Ich habe Ihnen, Herr Müller, aber auch gesagt, dass man dieses Konzept auch um eine steuerliche Förderung ergänzen könnte, nicht nur um die Herabsetzung von Zinsen. Diesen Gedanken der steuerlichen Förderung, mit dem wir die Energieeinsparungen im Altbaubestand wesentlich schneller, wesentlich intensiver und wesentlich marktkonformer vorantreiben könnten, greifen Sie nicht auf. Wir haben Ihnen das mehrfach angeboten. Wenn Sie das umsetzen würden, dann könnten Sie sagen: Wir haben das gemacht. Darum wären wir nicht verlegen und würden sagen: Diese Koalition hat endlich einmal etwas Dr. Klaus W. Lippold ({1}) Richtiges gemacht. Wenn Sie das schnell machen, dann würden wir das begrüßen. Sie aber denken gar nicht in diese Richtung; dieser breitere Ansatz fehlt bei Ihnen. Sie begrenzen das Ganze ideologisch auf bestimmte Positionen. Das ist der Punkt, den ich für falsch halte. ({2}) Deshalb sollten Sie hier noch einmal nachdenken. Ich meine, dass wir in diesem Bereich noch viel aufzuarbeiten haben. Folgendes möchte ich Ihnen noch sagen: In der Frage, wie sie jetzt ansteht, brauchen wir nicht nur die Zinsverbilligungsprogramme, sondern auch eine breite Aufklärungskampagne, wie und wo etwas gemacht werden kann. Die Information der Öffentlichkeit ist sehr wichtig. In diesem Punkt sehe ich bei Ihnen keine hinreichenden Aktivitäten. Auch diesen Ansatz würden wir unterstützen, weil wir konstruktiv sind. Wir würden ihn mittragen, weil wir positive Ideen mittragen und nicht konterkarieren. Aber Sie müssen, da Sie jetzt die Regierung stellen, auch die Ansatzpunkte dafür liefern. Ich habe gehört, dass Sie das machen wollen, sehe aber nicht, dass Sie es tun. Ich bitte deshalb noch einmal darum: Legen Sie, entsprechend unserem Energiekonzept, ein in sich geschlossenes Konzept vor, das die verschiedenen Aspekte von Energie - sichere Energie und preiswerte Energie - mit dem Umweltschutz nachhaltig verknüpft, das eine Leitorientierung bietet, damit Sie nicht wie jetzt bei KWK von einem Tag zum anderen mal so und mal so argumentieren müssen und keiner mehr weiß, was Sache ist. Auch bei Ihnen muss eine klare Leitlinie erkennbar sein, die Kontinuität für wirtschaftliche Investitionen und Entwicklungen möglich macht und die gleichzeitig sicherstellt, dass im Gegensatz zu Ihrer bisherigen Politik die Verbraucher, unsere Bürger im Land, nicht durch Ökosteuer und andere sinnlose Maßnahmen geschröpft und abkassiert werden, ohne dass dies für die Ökologie etwas bringt. Denken Sie darüber nach, setzen Sie das um, aber bitte nicht in ferner Zukunft! Herzlichen Dank. ({3})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Eine Kurzintervention des Kollegen Müller.

Michael Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001561, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Professor Latif vom Max-Planck-Institut in Hamburg gilt als einer der führenden Klimaforscher in der Bundesrepublik; Sie können das bestätigen. Ihm wurde vorgestern die Frage gestellt: Ist das ein Argument für die weitgehend klimaneutrale Atomkraft? Antwort Latif: Überhaupt nicht. Da würden wir den nachfolgenden Generationen andere Probleme aufhalsen. Wir würden den Teufel mit dem Beelzebub austreiben. Das ist also der falsche Weg. Das war die erste Bemerkung. Zweite Bemerkung. Sie kennen ja die Szenarien der Weltenergiekonferenzen. Bei keinem einzigen Szenarium kommt es zur notwendigen Reduktion von Kohlendioxid, auch nicht bei einem massiven Ausbau der Atomenergie, beispielsweise einer Verzwölffachung, und zwar aus einem ganz einfachen Grund: weil die verschwenderischen Energiestrukturen festgeschrieben werden. Das entscheidende Problem ist der Strukturwandel hin zu einer effizienteren Nutzung von Energie. Diese kann man nur mit bestimmten Strukturen erreichen. Lassen Sie mich eine dritte Bemerkung machen: So schlecht kann die Ökosteuer nicht sein, wenn wir jetzt in allen Jahresabschlüssen feststellen, dass beispielsweise der Mineralölverbrauch deutlich zurückgegangen ist, nämlich um rund 4 Prozent, ({0}) und gleichzeitig - wie wir von den wissenschaftlichen Instituten hören - große Arbeitsplatzeffekte erzielt werden. Also, Sie sollten ein bisschen vorsichtiger mit Ihren Aussagen sein. ({1})

Dr. Klaus W. Lippold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001353, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Müller, ich mache noch einmal deutlich: In keiner unserer Aussagen stellen wir ausdrücklich auf die Kernenergie ab. Im Gegenteil: Wir bieten eine breite Palette an Maßnahmen, mit denen wir CO2-Einsparungen garantieren wollen. Aus Zeitgründen habe ich hier nur auf Weniges eingehen können. Aber diese Gedanken greifen Sie nicht auf. ({0}) Ein Zweites, Herr Müller. Der Gedanke der Energieeffizienz ist von der vorherigen Bundesregierung und den sie tragenden Koalitionsparteien ständig vorangetrieben worden. Die Energieeffizienz in unserem Land ist stetig und ständig verbessert worden. ({1}) Bei uns gibt es - das ist nachweisbar - eine Abkopplung des Energieverbrauchs vom Wirtschaftswachstum. Das müssen Sie doch zur Kenntnis nehmen. Wir sind hier weiter als viele andere Länder, wir gehören hier mit wenigen anderen weltweit zur Spitzengruppe. Die Japaner mögen in diesem Bereich ein klein wenig vor uns liegen, aber in anderen Bereichen schlagen wir auch die Japaner. Ich hoffe, dass das auch zukünftig so sein wird. ({2}) - Hinsichtlich der Castor-Transporte, Herr Kollege, fasst Ihr Parteirat auf der einen Seite Beschlüsse, denen auf der anderen Seite Ihre Kollegen aus dem betroffenen Bundesland sofort widersprechen. Klären Sie das einmal in Dr. Klaus W. Lippold ({3}) den eigenen Reihen, dann brauchen wir solche Zurufe nicht. Zurück zum anstehenden Problem. Man sollte keine Buhmänner aufbauen, Herr Müller. Sie können die breite Palette dessen, was wir vorhaben gerne einmal mit uns diskutieren und Sie werden sehen, dass Ihr Vorwurf ungerechtfertigt ist. Sie wiederholen ihn ja auch nur aus taktischen Gründen, nach dem Motto: Wenn einer nicht Bescheid weiß, dann kann er bei ihm vielleicht hängen bleiben. Aus diesem Grund musste ich Ihnen widersprechen. ({4})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Michaele Hustedt.

Michaele Hustedt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002685, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Verehrte Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Lippold, wie schön sind doch die Oppositionszeiten! Da kann man sich im Schreiben von Grundsatzprogrammen und Grundsatzpapieren ergehen. ({0}) Die CDU hat es in der Tat nötig. Sie sagen zwar, Sie haben eine breite Palette an Vorhaben, aber ehrlich gesagt: Dazu, wie wir hier in Deutschland Klimaschutz betreiben wollen, habe ich eben in Ihrer Rede keinen einzigen konstruktiven Vorschlag gehört, sondern nur Ablehnung unserer Vorschläge und unserer Vorangehensweise. ({1}) Wir haben sehr viele Aufgaben zu erfüllen, die es gilt, ganz pragmatisch anzugehen. Dann wächst Stein für Stein das Haus einer neuen Klimaschutzpolitik, einer neuen Energiepolitik, die Umweltschutz und Wettbewerb miteinander verknüpft. Eine der ganz großen Herausforderungen, die anstehen, ist die Gasmarktliberalisierung. Die Gaspreise sind in der letzten Zeit - aber nicht wegen der Ökosteuer - um 40 Prozent gestiegen. In diesem Bereich muss uns die Liberalisierung einen großen Schritt voranbringen. Ein Gesetzentwurf liegt im Bundesrat und wird im März im Bundestag verabschiedet werden. Gestern ist das Gespräch der Verbände über eine entsprechende Vereinbarung leider ohne Ergebnis zu Ende gegangen. Wir sollten deshalb auch darüber diskutieren, wie wir eine höhere Wettbewerbsintensität durch einen verbindlich geregelten Netzzugang schaffen können. Das gilt ausdrücklich auch für den Strombereich; denn drei Jahre nach der Liberalisierung der Strommärkte haben die Bürger - anders, als es das Gesetz verspricht noch keine freie Wahl des Stromanbieters. Hier wird durch Schikane und durch hohe Preise ein Wechsel tatsächlich verhindert. Es ist deswegen wichtig, dass wir uns in der anstehenden Debatte über die Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes auch fragen, ob die bestehende Regulierungsdichte ausreicht, um jedem Anbieter - ob klein oder groß - den Zugang zum Netz zu ermöglichen. Ich glaube auch, dass diejenigen Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU und der F.D.P. auf dem falschen Weg sind, die Wettbewerb und Regulierung gegeneinander ausspielen wollen. Das Gegenteil ist der Fall: Eine hohe Wettbewerbsintensität erreicht man dann, wenn man die Netze, die ein natürliches Monopol darstellen, so organisiert, dass jeder einen fairen Zugang dazu bekommt. ({2}) Die Organisation der Netze wird ein Teil der anstehenden Debatte sein. Sie bedeutet Schutz für die kleinen Anbieter und damit Schutz für die Kunden. Ein zweiter wichtiger Punkt wurde schon angesprochen: die Kraft-Wärme-Kopplung. Wie Sie alle wissen, gibt es in der Gesellschaft eine intensive Diskussion darüber. Es gibt Gruppen, die dafür sind, und es gibt Gruppen, die dagegen sind. ({3}) Ich fange einmal mit den Gruppen an, die dafür sind. Der Verband kommunaler Unternehmen und der Deutsche Städtetag sind dafür. Sie sehen nämlich in der Kraft-Wärme-Kopplung eine Chance, damit auch kleine Akteure auf dem Markt weiter Strom produzieren können und dass wir in Zukunft nicht ein Oligopol haben, weil nur noch große Unternehmen Strom produzieren und dadurch der Wettbewerb äußerst eingeschränkt wird. Der VDMA, der größte Unternehmensverband Deutschlands, ist dafür, weil er der Meinung ist, dass es durch die hohen Überkapazitäten eine enorme Zurückhaltung bei den Investitionen gibt. Es besteht die große Gefahr eines Fadenrisses im Anlagenbau. Deswegen ist es gut, durch eine Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung die Investitionsbereitschaft anzuregen, sodass Investitionen vorgezogen werden können. ({4}) Die ÖTV, die IG BAU, die DAG und die IG Metall, die größte Einzelgewerkschaft Deutschlands, haben die Bundesregierung aufgefordert, umgehend einen Entwurf für ein Gesetz zum Erhalt und Ausbau der Kraft-WärmeKopplung bei der Energieerzeugung vorzulegen. Das sichere den Energiestandort Deutschland und mehrere 10 000 Arbeitsplätze in der Metallindustrie, sowie in der Bau- und Energiewirtschaft. Zudem seien bessere Exportchancen für die Anlagenhersteller zu erwarten. Die Umweltverbände BUND, NABU und Greenpeace sind aus bekannten Gründen ebenfalls für den Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung; denn auch nach ihrer Meinung handelt es sich um einen substanziellen Beitrag zum Klimaschutz. Die Stromkonzerne sind aus verständlichen Gründen dagegen, weil sie in Zeiten von Überkapazitäten ihre Kraftwerke so lange wie möglich betreiben und das Ende Dr. Klaus W. Lippold ({5}) sozusagen abfedern wollen. Ein Nebeneffekt ist für sie, dass der Markt von kleinen Anbietern bereinigt würde. Wir haben den Stromkonzernen angeboten, Alternativvorschläge auf den Tisch zu legen. Am Freitag findet ein entsprechendes Gespräch statt. Ich sage aber ganz deutlich: Die Alternativvorschläge müssen beim Kohlendioxidausstoß eine Einsparung von 23 Millionen Tonnen durch den Ausbau von Kraft-Wärme-Kopplung ermöglichen. Es darf keine Doppelzählung geben. Das heißt, entsprechende Maßnahmen des Klimaschutzprogramms dürfen nicht auf die Kraft-Wärme-Kopplung angerechnet werden. Es darf sich auch nicht um Vorschläge handeln, die beinhalten, dass die Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung aus dem Haushalt zu finanzieren ist. Wenn das gefordert würde, müsste man soliderweise sagen, dass die Ökosteuer erhöht werden muss. ({6}) Solche Vorschläge können nicht akzeptiert werden. Es darf keine Schummelei und Augenwischerei geben. Michael Müller hat schon darauf hingewiesen, dass wir uns in einer außerordentlich schwierigen Situation befinden. Die UNO schlägt Alarm, weil sich die Erde wesentlich schneller erwärmt als zunächst geglaubt. Die UN-Wissenschaftler warnen, dass eine katastrophale Veränderung des Klimas bevorsteht. Töpfer - er ist Ihnen ja durchaus bekannt und noch immer Mitglied der CDU sagt sehr deutlich, der Bericht solle in jeder Hauptstadt und in jeder Gemeinde die Alarmglocken klingeln lassen. ({7}) Jetzt ist Handeln notwendig. Von diesem Handeln kann man sich nicht verabschieden. Man muss Vorschläge auf den Tisch bringen, wie man den Klimaschutz voranbringen will. ({8}) Es gibt auch von der Seite der Kohlelobby die Befürchtung, dass sie der Verlierer einer Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung sein könnten. Ich halte diese Haltung für außerordentlich defensiv, denn die Kohle wird am Zertifikathandel teilhaben. Der Gaspreis ist, wie gesagt, im letzten Jahr um 40 Prozent gestiegen. Damit ist die wettbewerbliche Ausgangssituation für die Kohle heute eine völlig andere als noch vor einem Jahr. Außerdem sind Effizienzkriterien ein Bestandteil des Zertifikathandels und Kohleanlagen, in denen modernste Technologie eingesetzt ist, werden diese Effizienzkriterien erfüllen können. Wir brauchen auch im Anlagenbau moderne Kohletechnologien; das sage ich ganz deutlich. Weltweit werden 50 Kohlekraftwerke gebaut und 25 modernisiert. Es wird - leider, sage ich als Ökologin - noch lange Zeit so sein, dass die Kohle zur Energieerzeugung beiträgt, zum Beispiel in China und in Indien. Deshalb brauchen wir in diesem Bereich modernste Kohletechnologien, die den Einsatz von Kohle, wenn er denn schon erfolgt, wesentlich effizienter machen. In Amerika gibt es eine Offensive, um die Wirkungsgrade von Kohle um 10 oder 20 Prozent zu steigern und sogar in Richtung CO2-freies Kohlekraftwerk zu forschen, in dem CO2 abgefangen und in Salz eingelagert wird. Das sind ungeheuer interessante Technologien. Lassen Sie uns lieber darüber diskutieren, wie wir diese Technologien als Pilotprojekte, als Teil des KWK-Zertifikathandels nach Deutschland holen. Das wäre eine konstruktive Debatte, die wir hier gemeinsam führen sollten. ({9}) Abschließend möchte ich die Opposition sehr deutlich auffordern, sich von ihrer destruktiven Haltung zu verabschieden. Ich erwarte von Ihnen konstruktive Vorschläge. Sie sollten sich nicht immer nur hier hinstellen und sagen, was Sie alles falsch finden. ({10}) - Sie dürfen sagen, was Sie falsch finden. Aber dann erwarte ich - es kommen ja noch einige Redner von Ihrer Seite, zum Beispiel Herr Uldall und Herr Hirche - angesichts dessen, dass die UNO uns mahnt, von Ihnen - vor dieser Verantwortung können auch Sie sich nicht drücken -, dass Sie nicht nur sagen, andere, zum Beispiel in Osteuropa, sollen sich um den Klimaschutz bemühen, sondern dass Sie Vorschläge machen, wie wir in Deutschland zum Erreichen des Klimaschutzzieles beitragen können. ({11}) Wenn Sie meinen, das soll durch Atomkraft geschehen, dann erwarte ich von Ihnen, dass Sie ganz konkret darlegen, wie viel CO2 eingespart werden soll, indem so und so viele AKWs in Deutschland gebaut werden, und lassen Sie uns darüber diskutieren. Aber wenn Sie einfach nur auf den Tisch hauen und sagen, dass Ihnen unsere Vorschläge nicht gefallen, und sich aus der Verantwortung stehlen, dann werden Sie niemals wieder Regierungspartei werden. Danke. ({12})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Walter Hirche.

Walter Hirche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002678, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am Anfang eine Feststellung der Gemeinsamkeit: Ich glaube, in diesem Hause gibt es niemanden, der den letzten IPCC-Bericht infrage stellt. Das ist unser Ausgangspunkt. Deswegen muss das oberste Ziel im Zusammenhang mit Klima- und Energiepolitik sein, den CO2-Ausstoß bzw. den Ausstoß von CO2-Äquivalenten zu verringern. Dabei muss man für jede Maßnahme offen sein. Ich glaube, die Formel, die Erde in der Balance zu halten, ist eine wesentliche Ausgangslinie. Herr Müller hat zu Beginn bereits die Zahlen dargelegt, die der IPCC-Bericht zur Erderwärmungsgefahr nennt. Ich will sie nicht wiederholen. Selbst der Mittelwert und der untere Wert sind schon problematisch. Angesichts dieser Situation würde ich mir allerdings doch wünschen - das muss ich zu den beiden Rednern der Regierungsfraktionen sagen -, dass die Bundesregierung ein Konzept vorlegt, nach dem sie dann auch handelt. Der Wirtschaftsminister Müller hat ja - wie ich meine, verdienstvollerweise - im letzten Jahr einen Energiedialog durchgeführt. Es gab auch ein Ergebnis dieses Dialogs. In einem Punkt bestand allerdings Streit, nämlich darüber, wieweit die Kernenergie insgesamt eine positive Rolle spielen sollte. Im Übrigen gab es breite Übereinstimmung. Ich sehe jedoch nicht, dass diese Übereinstimmung jetzt die Regierung insgesamt erreicht. Insofern steht der Wirtschaftsminister wie bei so vielen seiner Maßnahmen, die man öffentlich gut diskutieren könnte, auf einsamem Posten. Deswegen sagt er, er wolle bis zum Jahre 2010 einen Energiebericht vorlegen; ein konsistentes Energieprogramm könne man erst für die Zeit nach 2020 vorlegen. Das spricht vielleicht für seine ehrliche Darlegung des Umgangs in dieser Bundesregierung, also dessen, wie man miteinander zurechtkommt, aber ich finde es bemerkenswert, dass die Mehrheit im Wirtschaftsausschuss einen Antrag auf Vorlage eines Konzepts mit der Begründung abgelehnt hat, man brauche keine Konzepte, man müsse handeln. Auch ich sage: Natürlich muss man handeln; aber man muss doch auf der Grundlage eines zusammenhängenden Konzepts handeln. Das trifft aber für die Maßnahmen, die Sie ergriffen haben, nicht zu. Frau Hustedt, das alles mag ja pragmatisch sein; aber wenn es falsch ist, dann nützt auch das Pragmatische nicht. ({0}) Sie haben eine Ökosteuer eingeführt, die keine Lenkungswirkung hat. Ich darf hinzufügen: In keinem europäischen Land, in dem die Ökosteuer eingeführt worden ist, ist anschließend der CO2-Ausstoß zurückgegangen. ({1}) Das ist der Beweis dafür, dass es diese Lenkungswirkung, wie Sie sie vermuten, nicht gibt. Ich bin durchaus bereit, wie es der Sachverständigenrat zur Beurteilung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung vorgeschlagen hat, über ein anderes Modell zu diskutieren. ({2}) Aber dieses Modell hat keine Lenkungswirkung; es ist insgesamt eine Abzocke. ({3}) Sie können im Übrigen auch nicht sagen, der auch in diesem Jahr wieder gesunkene Ölverbrauch hänge mit der Ökosteuer zusammen. Womit hing das denn in den Vorjahren zusammen? Es hängt mit der Einsicht der Menschen zusammen, sich hinsichtlich des Energieverbrauchs umstellen zu müssen. Das ist der wichtigste Punkt. ({4}) Zur KWK-Regelung: Die KWK-Regelung, die Sie in diesem Hause beschlossen haben, lenkt die Fördergelder zu einem großen Teil fehl. Einem Bericht des Wirtschaftsministers ist zu entnehmen, dass die KWK-Kapazität der öffentlichen Versorgung im kommunalen Bereich 28 Terawattstunden beträgt, es sind aber Fördergelder, für 48 Terawattstungen beantragt worden, für die auch ein Bonus verlangt wird. Was ist denn da passiert? Da sind plötzlich alte „Schleudern“, die überhaupt keine positive CO2-Wirkung haben, sondern eine negative, wieder in Gang gesetzt worden und wir erleben eine völlig kontraproduktive Entwicklung zu dem Oberziel, den CO2Ausstoß zu senken. Das müssen Sie doch zur Kenntnis nehmen. ({5}) Auch die jetzt konstruierte Regelung wird dem nicht entgegenwirken. Ich begrüße deswegen ausdrücklich, dass die Wirtschaft noch einmal die Chance hat, etwas im Wege der Selbstverpflichtung zu tun. Ich hoffe, dass dies dann auch so vernünftig sein wird, dass es von der Politik insgesamt akzeptiert wird. Denn - und dies ist meine Antwort, Frau Hustedt - wir haben in Deutschland durch die Selbstverpflichtung der Wirtschaft, ohne spezielle Markteingriffe, sehr viel mehr erreicht als jedes andere Land der Erde. ({6}) Wir haben auf Marktwirtschaft gesetzt, wir haben auf Eigenverantwortung gesetzt, wir haben auf Kostenoptimierung in diesem Zusammenhang gesetzt. Damit haben wir eine CO2-Verminderung erreicht. Es ist also nicht nur durchaus möglich, sondern sogar geboten, sich dieser Instrumente zu bedienen, weil die Ziele auf diese Weise besser erreicht werden können als durch Vorgaben. ({7}) Das gilt auch für das umstrittene Thema der Kernenergie. Ich habe ja gesagt: Wenn der Markt es wirklich so will, wie Sie es immer gesagt haben, Herr Minister Müller, dann werden eben keine neuen Kernkraftwerke gebaut. Dann kann ich das auch nicht ändern. Dann brauche ich aber keinen Beschluss zu fassen; dann brauche ich nicht einzugreifen. Dieser Beschluss verrät doch, dass Sie an dieser These zweifeln. Vizepräsidentin Vollmer - sie führt gerade den Vorsitz - hat anlässlich eines Besuches in China, an dem ich teilgenommen habe, versucht, dem Vorsitzenden des chinesischen Umweltausschusses klarzumachen, dass China auf Kernkraftwerke verzichten müsse. Darauf wurde geantwortet, dass man nicht daran denke und sich dies offen halten wolle, dass China auch diese Energieform brauche. Wenn es aber so ist, dass andere Länder in der Welt auf diese Energieform zurückgreifen, dann sollten wir den in Deutschland bestehenden Technologievorsprung erhalten. ({8}) Insofern geht es hier um etwas anderes: nicht um einen zusätzlichen Ausbau, sondern erst einmal darum, den zurzeit existierenden Anteil der Kernkraft an der Energieversorgung zu erhalten. Wenn Sie diesen Anteil wegfallen lassen, kommt es zu einer Steigerung der CO2Emissionen um einen Wert, der den Emissionen des gesamten Straßenverkehrs in Deutschland entspricht. Dies ist eine Größenordnung, die alle vorhandenen Berechnungen durcheinander wirbelt. Wenn das Thema der Minderung der CO2-Emissionen von Ihnen ernst genommen wird, dann sollten Sie auf bestimmte Maßnahmen verzichten bzw. sie anders anlegen - ich will nicht sagen, dass deswegen bestimmte Maßnahmen ausscheiden - und dann sollten wir uns in diesem Zusammenhang über die Justierung vernünftig unterhalten. Das gilt auch für das, was Sie im Bereich der erneuerbaren Energien tun. Der von Ihnen vorgenommene Einsatz der Gelder ist nicht optimal. Auch ist zu fragen, ob bei bestimmten Maßnahmen der Stand der Anwendung schon so weit ist, dass sich der Einsatz von Fördergeldern für die Anwendung rechtfertigt, oder ob es nicht besser wäre, erheblich mehr im Bereich Forschung zu tun. Das 100 000-Dächer-Programm - das ist in der Öffentlichkeit nicht sehr bekannt -, das Sie als einen überaus wichtigen Baustein loben, trägt zur Energieversorgung im Strombereich 0,1 Prozent bei, wobei umfangreiche Fördermittel notwendig sind. Ich behaupte, durch Unterstützung der Forschung und Verschiebung der Anwendung um zwei, drei Jahre würden Sie einen weit höheren Effekt erzielen, als das jetzt der Fall ist. ({9}) Ich begrüße, dass parallel zu unserer Debatte eine Pressekonferenz meiner Kollegin Flach, der Vorsitzenden des Forschungsausschusses, zum Thema Brennstoffzelle stattfindet. Denn ich glaube, das ist ein Stichwort, über das wir uns im Gegensatz zur Kernenergie verständigen könnten, indem wir uns gemeinsam dafür einsetzen, Anwendungsformen zu untersuchen und Antworten darauf zu finden, wie wir mit der Brennstoffzellentechnik sowohl im Verkehrsbereich ({10}) als auch im Bereich der Privathaushalte weiterkommen können. In diesem Zusammenhang hat der Wirtschaftsminister darauf aufmerksam gemacht, dass man mit einer falschen KWK-Förderung unter Umständen den Anwendungsbereich für eine entwickelte Brennstoffzelle, die sehr viel günstigere Ergebnisse im Hinblick auf die CO2-Emissionen aufweist, verbaut, weil man den Markt mit einer Technologie zustopft, die nicht das verspricht, was heute auf dem Markt eigentlich schon möglich wäre. ({11}) Insofern stimme ich Ihnen natürlich zu, wenn Sie sagen, man müsse über Alternativen sprechen. Aber ich schließe nicht aus, dass der für die Brennstoffzellentechnologie notwendige Wasserstoff - auch darüber müssen wir uns ja unterhalten - mithilfe der Kerntechnik erzeugt wird. Bauen Sie doch nicht die Ausschlussszenarien auf! ({12}) Lassen Sie uns vielmehr im Sinne eines Energiemixes an der Offenheit festhalten, die wir jetzt haben. Welchen Energiemix wir in Zukunft haben werden, das wird sich maßgeblich auf dem Markt und an der Rahmenbedingung, welche CO2-Emissionen entstehen, entscheiden. Das ist ein wichtiger Punkt. Verengen Sie sich nicht auf ein oder zwei Energietechnologien, sondern lassen Sie eine gewisse Breite zu! Wir können uns doch nicht anmaßen, heute zu wissen, zu welchen Entwicklungen es kommt. Insofern glaube ich, dass diese Offenheit auch auf den Energiemärkten zu einem positiven Ergebnis führt. Die Deregulierung und die Liberalisierung haben eine äußerst positive Bewegung in diese Märkte gebracht. Nur dort, wo die Liberalisierung und die Deregulierung nicht konsequent durchgeführt worden sind, haben wir negative Ergebnisse. ({13}) Herr Minister, ich frage mich sogar, ob auf einem wirklichen Wettbewerbsmarkt Preisgenehmigungsbehörden überhaupt noch gefragt sind. Ich glaube, auf die können wir dann verzichten. Wenn die Praxis sogar so ist, wie ich gestern in dem Bundesland, aus dem ich komme, gehört habe, dass die Preisgenehmigungsbehörden den Stadtwerken Preiserhöhungen verweigern, die aus der Ökosteuer, dem Erneuerbare-Energien-Gesetz und dem KWK-Vorschaltgesetz resultieren - weil sie nicht zugeben wollen, dass das preissteigernd ist -, dann ist das ein Beweis dafür, dass wir diese Behörden nicht brauchen. Lassen Sie mich am Ende sagen: Neben der Offenheit beim Energienmix und bei den verschiedenen Technologien ist das Wichtigste, in dieser Debatte, nicht immer nur über Deutschland allein zu reden. Wir agieren in einem europäischen Markt, wir leben unter globalisierten Bedingungen und die Welt wird sich nicht danach richten, was sich Rot oder Grün ausdenkt. Es war für die Menschen und das Wohlergehen der Menschen immer noch das Beste, wenn man die Verbraucher hat entscheiden lassen. Das ist nämlich das Marktprinzip, das demokratische Prinzip in der Wirtschaft. Das wird auch in der Energiepolitik das erfolgreichste Prinzip sein. Vielen Dank. ({14})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Eva Bulling-Schröter.

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie von der CDU/CSU, liebe Kolleginnen und Kollegen, beklagen in einem Antrag, dass aus dem Energiedialog 2000 keine Konsequenzen gezogen wurden. Ich muss Sie aber daran erinnern, dass es sich beim Energiedialog 2000 um eine außerparlamentarische Veranstaltung der FriedrichEbert- und der Konrad-Adenauer-Stiftung unter leitender Mitwirkung der Atom- und Energiewirtschaft gehandelt hat. Wir sehen deshalb wenig Veranlassung, uns hier im Haus mit gescheiterten Veranstaltungen von parteinahen Stiftungen zu befassen. Gleiches gilt für die Treffen der Energiewirtschaft mit Vertretern der Bundesregierung, die zu einem Atomkonsens zwischen den Beteiligten geführt haben sollen. Außer der Koalition setzt heute wohl niemand mehr auf einen Atomkonsens. Die Energiekonzerne halten sich eine zukünftige Fortsetzung der Atomkraftnutzung offen. Wie die vorliegenden Anträge zeigen, werden sie darin von Christdemokraten, der F.D.P. und von unionsregierten Ländern unterstützt. Damit, so meine ich, dürfte die rotgrüne Konsensstrategie gescheitert sein. Zu den anderen Anträgen möchte ich mich kurz halten. Gegen die Vermeidung von Stand-by-Verlusten bei Elektrogeräten ist vom Grundsatz her nichts einzuwenden. Es gab in der letzten Legislaturperiode wesentlich Besseres. Leider wurde das von Ihrer Seite damals abgelehnt. Jetzt haben Sie etwas eingebracht. Nur, was die Frage der Energieeinsparung betrifft, möchte ich einmal kurz von der gestrigen Anhörung zur IVU/UVP-Richtlinie berichten. BDI und VCI, Verband der Chemischen Industrie, haben sich besonders damit hervorgetan, dass sie einen bestimmten Artikel zur Energieeinsparung in diesem Artikelgesetz nicht haben wollen. Wenn das gleich mit Planwirtschaft und ähnlichen Dingen verglichen wird, frage ich mich natürlich schon, wo die Industrie wirklich Energie einspart und warum sie das nicht will. Hinsichtlich der EU-Richtlinie zu regenerativen Energien haben wir beruhigt zur Kenntnis genommen, dass Vergütungen nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz nicht als Beihilfen im Sinne des EG-Vertrages verstanden werden. Die F.D.P. fordert mit ihrem Antrag die Bundesregierung zur Abgabe eines jährlichen Solarberichtes auf. Unverständlich ist, warum dieser Bericht jährlich gegeben werden soll. Das alte Stromeinspeisungsgesetz sah auch keine jährliche Berichterstattung vor. Unklar ist, warum zum Stand des Ausbaus anderer regenerativer Energien kein Bericht gefordert wird. Jetzt zum Trauerspiel KWK. Der seit Jahren seitens des Wirtschaftsministeriums bestehende Widerstand gegen den Ausbau der Kraft-Wärme-Koppelung tritt seit den vergangenen Wochen offen zutage. Zur Kritik an der Quote aus Teilnehmerkreisen einer „Handelsblatt“-Veranstaltung sagte Bundeswirtschaftsminister Müller kürzlich: Das, was Sie sagen, ist richtig, aber es befriedigt im Inland keine Ideologien. Offenbar war der Ideologe Müller nicht auf der Kabinettssitzung zum nationalen Klimaschutzprogramm am 18. Oktober 2000, in der beschlossen wurde - ich zitiere wiederum -: Bis Ende 2000 wird die Bundesregierung Eckpunkte einer Quotenregelung zum Ausbau der KWK vorlegen. Ziel ist die zusätzliche Minderung der CO2Emissionen in einer Größenordnung von 10 Millionen Tonnen bis 2005 bzw. 23 Millionen Tonnen bis 2010. Das Gesetzgebungsverfahren soll spätestens Mitte 2001 abgeschlossen sein. Also ich halte fest: Das Gesetzgebungsverfahren soll spätestens Mitte 2001 abgeschlossen sein. Jetzt haben wir Ende Januar - und von Eckpunkten keine Spur. Morgen trifft sich diesbezüglich Kanzler Schröder mit den Ministern Trittin und Müller zum Krisengipfel, wo wohl der mit Gewalt-Debatten weichgekochte Umweltminister zum Kotau gezwungen werden soll. Das wäre natürlich ein Triumph des Ex-VEBA-Managers im Ministeramt und der Stromkonzerne auf der ganzen Linie. Nicht nur dass ihnen die Verwertung ihrer Atomkraftwerke schon politisch garantiert wurde, es würde ihnen mit dem Fall der KWKQuote auch noch jede potenzielle Konkurrenz vom Leibe gehalten, die mit einem größeren KWK-Anteil entstünde. Natürlich wissen auch wir, dass das KWK-Vorschaltgesetz schnellstens ersetzt werden muss, weil es ökologisch in Teilen eher kontraproduktiv ist. Wenn im vergangenen Jahr statt der prognostizierten 20 Terawattstunden tatsächlich 55 Terawattstunden als KWK-Strom vergütet wurden, so spricht vieles dafür, dass hier massiv reiner Kondensationsstrom überbezahlt wurde. ({0}) Aber auch diese Kritik muss sich zuerst an die Übertragungsnetzbetreiber richten, also wieder die großen Stromkonzerne. Ihnen ist offensichtlich jedes Mittel recht, um die KWK zu diskreditieren. ({1}) Denn selbstverständlich gibt es vernünftige Alternativen: Statt der ursprünglich diskutierten abstrakten Verdopplung der KWK-Stromerzeugung sollte auf die im bereits erwähnten nationalen Klimaschutzprogramm für den KWK-Ausbau festgelegte konkrete Emissionsreduktion abgehoben werden. Der Beitrag der einzelnen Anlagen dazu, also die konkrete Zahl der für deren Betreiber gegebenenfalls handelbaren Zertifikate, könnte definiert werden durch das Produkt aus der Menge des bei der Nutzwärmeproduktion erzeugten Stromes und der Differenz zwischen Brennstoffausnutzungsgrad dieser KWK-Anlage und dem Durchschnitt des Ausnutzungsgrades der reinen Stromerzeugungsanlagen mit dem gleichen Brennstoff. So ließen sich relativ einfach nicht nur vermiedene Kohlendioxidmengen exakt ermitteln, auch hätten moderne Braun- und Steinkohle-KWK-Anlagen wieder eine Zukunftsperspektive, und ich denke, das ist auch notwendig. Vielleicht würde das ja auch die nordrhein-westfälische SPD aus ihrer unheiligen Allianz mit den Strombossen wieder etwas lösen. Dieses Modell wäre tatsächlich voll klimaschutzorientiert, da es sich direkt an der gesellschafts- und nicht an einer industriepolitischen Zielgröße ausrichtet, und es wäre der zumindest EU-weit erstmals unternommene praktische Versuch der Umsetzung eines flexiblen Instruments des Kioto-Prozesses, der damit auch über seinen eigentlichen Zweck weit hinausreichende Standards setzen könnte. ({2}) Das müsste eigentlich auch die F.D.P. begeistern. Aber all das scheint weder bei der Mehrheit der Regierung noch in der Wirtschaft Gehör zu finden. Denn offensichtlich haben maßgebliche Wirtschaftsverbände die KWK-Förderung zu einer Entscheidungsschlacht über die gesellschaftspolitisch fundamentale Frage auserkoren, ob und wie schrankenlose Deregulierung weiterhin ein Primat von Regierungspolitik bleibt bzw. wieder wird. Ich denke, wir haben da eine Verantwortung, und hier sollte wirklich etwas getan werden. Herr Minister Müller, Sie sind gefragt. Sie sollten nicht nur eine Lobby-Gruppe vertreten, sondern eben endlich auch im Sinne des Klimaschutzes - alle Parteien haben es ausgeführt - handeln. Danke. ({3})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Wie es sich so fügt, hat Herr Bundesminister Dr. Werner Müller jetzt auch das Wort.

Werner Müller (Minister:in)

Politiker ID: 11005300

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich werde im Protokoll der bisherigen Sitzung einmal nachlesen, was die Opposition eigentlich so gefordert hat. Hätten Sie - nehmen wir das einmal an - insgesamt eine nachhaltige Energiepolitik von dieser Bundesregierung gefordert, dann hätte ich jetzt sagen können: „Wir stimmen mit Ihnen überein“, hätte dann allerdings hinzugefügt: Das Problem bei Ihnen, wenn Sie eine nachhaltige Energiepolitik fordern, ist - das merkt man deutlich - die Glaubwürdigkeit, weil man ja fragen muss: Was haben Sie in all den Jahren dazu beigetragen? Das frage ich Sie eingedenk der Tatsache, dass Energiepolitik immer eine sehr langfristige Sache ist. Ich möchte das an einem Beispiel verdeutlichen: Sie haben sehr ehrgeizige Klimaschutzziele entwickelt und sie international verbindlich gemacht. Sie haben aber - das ist ein Problem für diese Bundesregierung - jahrelang nichts Konkretes eingeleitet, damit diese Ziele auch verwirklicht werden können. ({0}) Ich will Ihnen ein anderes Beispiel nennen: Sie haben die Liberalisierung der Strom- und Gasmärkte vorbereitet - ganz ohne Zweifel -, aber Sie haben die Thematik, nach welchen Regeln Wettbewerb ablaufen soll, nicht konsequent bearbeitet. Was mich besonders gestört hat: Sie haben nicht dafür gesorgt, dass das irgendwie im europäischen Gleichschritt geschieht. ({1}) Deswegen bin ich ganz zufrieden mit dem, was wir nach langen Verhandlungen mit der Europäischen Kommission erreicht haben. Wir werden unter schwedischer Präsidentschaft einen neuen Anlauf nehmen, die Liberalisierung der Strom- und Gasmärkte bis 2005 in Europa verwirklicht zu haben. Das ist, wenn es gelingt, ein wirklicher Durchbruch. - Dies ist die erste Anmerkung dazu, dass Energiepolitik natürlich, wie Sie gesagt haben, auch europäische Dimensionen hat, aber man muss sie dann auch konsequent befolgen. Nehmen Sie Ihre Auseinandersetzung mit der Kernenergie als weiteres Beispiel. Sie zementieren da alte Grabenkämpfe. Das ist wirklich mein Eindruck. ({2}) Ich darf Ihnen sagen: Uns ist es gelungen, im Konsens mit der Wirtschaft diesen Konflikt zu befrieden. ({3}) So haben wir bei Regierungsantritt rundherum, auch auf dem Gebiet der Energiepolitik, viel Aufräumarbeit leisten müssen, was nicht immer ein Zuckerschlecken ist. Aber dafür sind wir ja gewählt worden, und wir werden die Wege, die wir eingeschlagen haben, auch konsequent weitergehen. Nach etwa einjähriger Diskussion mit den meisten gesellschaftspolitischen Gruppen und Verbänden haben wir einen Grundkonsens über die Leitlinien einer langfristigen Energiepolitik erzielt. Dabei sind wir mit den allermeisten gesellschaftspolitischen Gruppen, außer der Union, einig, dass die drei energiepolitischen Ziele Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit und Umweltverträglichkeit gleichrangig nebeneinander zu verwirklichen sind. ({4}) Wir sind uns auch mit allen, außer der Union, einig, dass die Liberalisierung der Strom- und Gasmärkte weiter fortgesetzt werden muss. Der Markt soll also Vorrang haben. Wir sind uns allerdings in den Gesprächen über energiepolitische Leitlinien mit allen, eben außer der Union, auch einig geworden, dass der Markt alleine nicht alles regeln kann. Gerade in diesen Tagen erleben wir doch, dass Liberalisierung im Strommarkt nicht heißen darf, nur auf den Energiepreis zu schauen. Wenn Sie eine rein auf niedrige Preise orientierte Politik machen, erleben Sie, dass die Strommärkte irgendwelche Versicherungsprämien in Richtung einer langfristigen Zukunft nicht hergeben. Wenn Sie Ihre Strommarktpolitik zehn Jahre fortgesetzt hätten, hätten wir im Jahr 2010 Verhältnisse, wie wir sie heute in Kalifornien haben, das heißt bankrotte EVU und flächendeckende Stromausfälle. ({5}) - Ich rede ja nicht von Ihnen. Ich rede doch von der CDU. ({6}) - Natürlich. Sie wären eine Art kalifornische DunkelUnion geworden. ({7}) Sie müssen einfach einmal zur Kenntnis nehmen, was sich in Kalifornien tut, und daraus Rückschlüsse ziehen. Denn so etwas entwickelt sich über ein Jahrzehnt, ist aber dann in Jahren nicht mehr reparabel. Es ist unsere Aufgabe, die Rahmendaten so zu setzen, dass diese Situation gar nicht erst eintreten kann. ({8}) Ich will Ihnen sagen, was wir weiterhin mit Brüssel vereinbart haben, weil Sie die Europäisierung richtigerweise für wichtig erachten. Wir haben inzwischen grundsätzliche Übereinstimmung mit den Mitgliedstaaten und Brüssel erzielt, um bei den erneuerbaren Energien unsere nationalen Fördersysteme abzusichern, die teilweise Sie noch eingeführt haben, auch wenn Sie sie heute beklagen, zum Beispiel das Energieeinspeisegesetz. Wir haben in Brüssel auch umfangreiche andere Projekte wie Marktanreizprogramme und vor allem Forschungsförderung abgesichert. Auch mit dem Grünbuch zum Thema Versorgungssicherheit hat die Europäische Kommission jetzt Vorschläge vorgelegt, mit denen unsere Energiepolitik der letzten zwei Jahre in weiten Teilen nunmehr europäisiert werden soll. Die Kommission setzt auf verstärkte Energieeffizienzmaßnahmen insbesondere im Verkehrs- und Gebäudebereich. Sie will die Zusammenarbeit mit den Lieferländern voranbringen. Sie setzt auf die Entwicklung neuer, umweltfreundlicher Technologien und Antriebsstoffe. Sie schlägt vor, Importrisiken durch einen ausgewogenen Energiemix abzumildern. Die Nutzung einheimischer Energieträger hat dabei in diesem Grünbuch einen hohen Stellenwert. Um es kurz zu fassen: Die Kommission greift mutig die Frage auf, ob nur das Thema „Liberalisierung der Energiemärkte“ die Energiepolitik bestimmt oder ob Energiepolitik nicht wesentlich weiter verstanden werden muss. Auch hinsichtlich der Antworten darauf stimmen wir mit der EU-Kommission in vielem überein. Ganz sicher ist es eine Frage der Zukunftsvorsorge, wie die Mitgliedstaaten der EU langfristig ihre Versorgungssicherheit garantieren können und wie die Wirtschaftlichkeit und die Umweltverträglichkeit der Energieversorgung darin eingebettet werden. Ich teile vollkommen die Schwerpunkte, die die Kommission setzt. In puncto Energieeffizienz und Energieeinsparung werden alle Mitgliedstaaten, auch Deutschland, alle Register ziehen müssen, wenn wir die ehrgeizigen Ziele erreichen wollen. Das heißt, wir müssen die Energieeffizienz im Umwandlungssektor, bei der Kraft-WärmeKopplung, durch die Steigerung der Wirkungsgrade von Kraftwerken und durch die Verringerung der Leerlaufverluste von Elektrogeräten erhöhen, vor allem aber den Energiebedarf und die Nachfrage nach Raumwärme und nach Mobilität senken. Diese Strategie vorrangig auszubauen und langfristig und stetig zu betreiben, das wird nicht nur die Umweltverträglichkeit der Energieversorgung erhöhen; auch die Preisrisiken der Importabhängigkeit werden zunehmend abgefedert. Nur am Rande, Herr Lippold: Es wird Ihnen wahrscheinlich entgangen sein, dass die von Ihnen angemahnte Energieeinsparverordnung vom Kollegen Bodewig und mir vor zwei Monaten im Entwurf der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Wenn Sie so freundlich sind, ihn lesen zu wollen, sende ich Ihnen den Entwurf gerne zu. Deutschland ist in der Entkopplung von Energieverbrauch und Wirtschaftswachstum gerade in den letzten Jahren ein großes Stück weitergekommen. Der Primär energieverbrauch je Einheit Bruttoinlandsprodukt ist in den letzten Jahren kontinuierlich um fast 16 Prozent gesunken. Ich sage ganz deutlich: Wenn wir das Konzept der Energiebesteuerung, der Ökosteuer fortführen, wird der spezifische Energieverbrauch je Einheit Bruttoinlandsprodukt bis 2020 halbiert. ({9}) Das sind die Prognosen, die wir im Energiebericht auswerten. Nun ist gefragt worden: Wo bleibt der Energiebericht? Da haben Sie einmal etwas Richtiges festgestellt: Ich habe ihn noch nicht vorgelegt. Aber ich darf Ihnen sagen: Er wird vorgelegt werden, und zwar genau dann, wenn er fertig ist. ({10}) - Ich weiß nicht, was es da zu lachen gibt. Etwas Halbfertiges haben Sie immer vorgelegt. Wir legen nichts Halbfertiges vor. ({11}) Wenn ich an Ihre Energieprogramme denke, darf ich ein Zweites sagen: Ich will den Energiebericht, den ich vorlege, noch in zehn und in 20 Jahren lesen können, ohne rot zu werden. Das tun Sie mit Ihren Programmen nicht; denn sonst würden Sie rot. ({12}) Meine Damen und Herren von der Opposition, mir ist nicht unbekannt - das ist heute auch wieder deutlich geworden -, dass Sie zur Kernenergie als Baustein im Rahmen einer Nachhaltigkeitsstrategie eine andere Meinung haben als diese Bundesregierung. Aber es ist doch auch klar, dass diese nur noch von Ihnen - warum auch immer gepflegte Kontroverse wenig dazu beiträgt, mit einer vernünftigen, nachhaltigen Energiepolitik weiterzukommen. Ich habe in diesem Hause schon öfters gesagt: 85 Prozent unseres Primärenergieverbrauches kommen aus fossilen Energieträgern. ({13}) Verkehr und Raumwärme mit einem Anteil von zwei Dritteln am Endenergieverbrauch sind mehr oder weniger vollständig von den Importenergieträgern Öl und Gas abhängig. ({14}) Jeder Kundige - das betone ich - weiß, dass die steigende Nachfrage nach Verkehrsleistungen Einsparerfolge beim Energieverbrauch überkompensiert und dass sich hier die großen Probleme der Energiepolitik der Zukunft auftun. Jeder Kundige weiß, dass beim Energieeinsatz im Wärmemarkt enorme Einsparpotenziale ausgenutzt werden könnten. Jedenfalls wir wissen das und haben deshalb, wie gesagt, die Energieeinsparverordnung auf den Weg gebracht. Alle Analysen, die wir im Rahmen des Energieberichtes bisher angestellt haben, zeigen uns, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Wir wissen, dass wir das Vorwärtskommen auf diesem richtigen Weg noch beschleunigen müssen, damit wir die von Ihnen genannten Klimaschutzziele erreichen. Wir müssen des Weiteren dafür sorgen, dass wir hier in Europa gemeinsam vorwärts kommen. Ein Wort über den Strommarkt, weil Sie ihn immer wieder ansprechen: Bis 2005 hat die Vereinbarung mit der Stromwirtschaft zum Thema Kernenergie keine nennenswerten praktischen Auswirkungen. Nach 2010 stellen sich dann die Fragen des Klimaschutzes und der Kernenergie ganz anders, weil die Masse der Kernenergiestromerzeugung nach 2010 peu à peu vom Netz gehen wird. Aber diese Fragen stellen sich nicht nur bei uns, sondern überall auf den integrierten europäischen Strommärkten, die wir bis zum Jahre 2010 haben werden. Eines will ich Ihnen zu bedenken geben: dass Investoren in liberalisierten Märkten irgendwo in Europa angesichts der hohen Investitionskosten und langfristiger Kapitalbindung auf neue Kernenergiekapazitäten setzen, das muss doch auch Ihnen aus heutiger Sicht völlig unwahrscheinlich vorkommen. Das bedeutet für Europa - keineswegs nur für die Bundesrepublik -, dass das Problem des Klimaschutzes nicht mit dem Thema Kernenergie gelöst werden kann, ({15}) es sei denn, Sie denken an staatliche Investitionslenkung. ({16}) Aber wenn Sie das als Ziel propagieren, dann sind Sie, ähnlich wie Frau Hustedt es gesagt hat, ganz konkret aufgefordert, konsequenterweise ein Kernkraftwerks-Neubau-Gesetz hier in diesem Bundestag vorzulegen. ({17}) - Ich habe gesagt, es werde niemand mehr bauen, und Sie haben auch keine Bauherren, und dann müssen Sie es eben per Gesetz herbeizwingen. So einfach ist das. Auch die Stromerzeugung in Kraftwerken mit niedrigen Umweltstandards in europäischen Mitgliedstaaten kann keine Lösung sein, auf die wir langfristig setzen können. Ich habe deswegen mit Frau de Palacio lange darüber gesprochen, dass wir insbesondere mit den Beitrittsländern auch über eine ökologische Reziprozität verhandeln müssen. ({18}) Ich habe im Übrigen mit Frau de Palacio besprochen, dass wir zum Schutz einheimischer Energieträger, seien sie fossil, seien sie regenerativ, in Europa einen nationalen Primärenergiesockel einführen wollen, der vom Wettbewerbsregime der EU freigestellt ist. Alles in allem, meine Damen und Herren, darf ich Ihnen sagen: Diese Bundesregierung macht eine vernünftige Energiepolitik. ({19}) Die Punkte, die Sie manchmal kritisch anmerken, werden wir so erledigen, dass sich alle Seiten in den Beschlüssen wiederfinden. Über die Frage, wie der Neubau von Kraft-WärmeKopplungsanlagen erreicht wird, finden, wie Sie wissen, Gespräche statt. Ich bin ganz zuversichtlich, dass wir Ergebnisse erreichen, ({20}) die uns dem Klimaschutz näher bringen - das kann die Kraft-Wärme-Kopplung nämlich -, ({21}) die die Wirtschaftlichkeitsziele nicht außer Acht lassen und die auch beim Strommarkt nicht zu hohen Prozentsätzen neuer Reglementierungen führen. Wenn Sie in der Stromwirtschaft auf Selbstverpflichtungen setzen - ich würde das gern tun -, dann müssen diese erst einmal vorliegen, ({22}) und man sollte möglichst nicht nach neuen Subventionen rufen. Ich habe mit dem Thema der Selbstverpflichtung so meine Erfahrungen. ({23}) Denn wie Sie wissen, ist die Gaswirtschaft aufgefordert - oder sollte es als Chance begreifen -, sich selbst einen Rahmen zu geben, wie der Wettbewerb im Gasmarkt ablaufen soll. Aber die Gaswirtschaft sagt mir mehr oder weniger deutlich: Mach lieber du das, das ist uns viel zu kompliziert. Ich weise abschließend auf Folgendes hin: Wenn die Gaswirtschaft eine staatliche Netzzugangsverordnung will, dann kann sie sie haben. Wir fangen parallel mit der Arbeit an. ({24}) Dann wird es eine Regulierungsbehörde Gas geben, und wenn es eine Regulierungsbehörde Gas gibt, dann werden wir auch, weil die Wirtschaft es so will, zu einer Regulierungsbehörde Strom kommen. ({25}) - Bitte, keinen Beifall! Ich bin ja eigentlich nicht dafür, ich sage das nur so. ({26}) Dann werden wir auch das Problem gelöst bekommen, dass wir das einzige Land in Europa sind, das gar keinen staatlichen Regulator hat. Denn wir kommen in ein Problem - wie Frau de Palacio mir gesagt hat -: Wenn alle europäischen Staaten im Jahre 2005 einen liberalisierten Strom- und Gasmarkt haben, dann haben alle Länder einen staatlichen Regulator - Regulierungsbehörde, Netzzugangsverordnung etc. -, nur Deutschland nicht. Wenn die Energiewirtschaft wirklich ernsthaft sagt, eine Regulierungsbehörde sei besser, dann werde ich mich diesem Diktat beugen. Ich erlebe dann ein weiteres Mal, dass in den häufigen Klagen der Wirtschaft über staatliche Regulierung nichts anderes zum Ausdruck kommt als die mangelnde Bereitschaft, Verantwortung in Form von Selbstregulierung zu übernehmen, sei es aus Bequemlichkeit oder Angst. Das werde ich mir dann merken. Vielen Dank. ({27})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Gunnar Uldall.

Gunnar Uldall (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002353, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Vorfall, dass der Herr Minister an der falschen Stelle Beifall von der Regierungskoalition bekommt, ({0}) ist zum einen vielleicht eine kleine lustige Begebenheit; er spricht aber auf der anderen Seite Bände, was das Verhältnis zwischen Ihnen und der Regierungskoalition angeht. ({1}) Darauf, Herr Minister, werde ich gleich noch einmal zu sprechen kommen. Vor drei Jahren haben wir, CDU/CSU und F.D.P., die Strommonopole in Deutschland geknackt und die Märkte dem Wettbewerb ausgesetzt. Das haben wir alle positiv gespürt. Für eine kurze Zeit konnten wir eine erfreuliche Tatsache registrieren: Wir bekamen nämlich Briefe von unseren Stromversorgern, in denen keine Erhöhung der Strompreise mitgeteilt wurde, sondern mitgeteilt wurde, dass die Höhe der Stromabbuchungen pro Monat herabgesetzt wurde. Das waren gute energiepolitische Zeiten unter CDU/CSU und F.D.P. ({2}) Jetzt sieht das alles schon ganz anders aus: Still und heimlich hat die rot-grüne Koalition es verstanden, diese Entlastungen, die wir für die Bürger und für die Betriebe, die im internationalen Wettbewerb stehen und deshalb dringend auf eine Senkung ihrer Kosten angewiesen waren, erreicht hatten, wieder zurückzufahren. Was ich dabei „bewundere“, ist, dass das gelungen ist, ohne dass es von dem Einzelnen so richtig registriert wurde. Diese Maßnahmen wurden nämlich immer in homöopathischen Dosen verabreicht. Ich will einmal die Dinge zusammenfassen, damit wir alle das verstehen: Es hatte damit begonnen, dass im Zuge der Ökosteuer auch eine neue Stromsteuer eingeführt wurde. Inzwischen sind das 3 Pfennig. Man wird sagen: Na ja, 3 Pfennig sind nicht so viel. Dazu muss man sagen: Die Menge macht es; pro Kilowattstunde 3 Pfennig mehr, das macht im Monat schon eine ganze Menge aus. Dann kam das Erneuerbare-Energien-Gesetz; das brachte eine zusätzliche Belastung von 0,3 Pfennig. Wer redet schon über 0,3 Pfennig pro Kilowattstunde? So eine kleine Größenordnung, so könnte man leichtsinnigerweise denken, können wir vergessen. Dann wurde ein Viertelpfennig für die Kraft-Wärme-Kopplung draufgeschlagen. Auch hier sagte man: Das ist unbedeutend, das können wir eigentlich übergehen. ({3}) Wenn ich das alles zusammenzähle, stelle ich fest, dass bereits die Belastungen durch das Erneuerbare-EnergienGesetz und das Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz zusammengenommen so hoch für die einzelnen Haushalte sind, als wenn die Mehrwertsteuer um einen Prozentpunkt angehoben worden wäre. Wenn man das gemacht hätte, dann hätte es in Deutschland ein richtiges Aufbrausen gegeben, weil man sich diese Belastung nicht hätte gefallen lassen. Durch eine geschickte Terminierung und eine Verabreichung in homöopathischen Dosen aber ist es der Regierung gelungen, diese Belastungen den Bürgern still und heimlich aufzudrücken. Wir sind dafür da, das einmal richtig darzulegen. ({4}) Es geht aber noch weiter; es hört ja nicht beim Strom auf: Auf Heizöl sind 4 Pfennig mehr Steuern als 1998 zu zahlen. Es darf nicht vergessen werden, dass auch der öffentliche Nahverkehr, Stadtreinigung und Müllabfuhr infolge der Energieverteuerung ihre Preise erhöhen müssen. ({5}) Schließlich kommen die drastischen Erhöhungen durch die Ökosteuer hinzu, die ja bekannt sind. Nun habe ich mir einmal die Mühe gemacht und alles das in einer Übersicht zusammengestellt, was bei einem Vierpersonenhaushalt, also Vater, Mutter und zwei Kinder, zusammenkommt. ({6}) Ich stelle fest: Gegenüber dem Jahre 1998, dem letzten Regierungsjahr der CDU/CSU-F.D.P.-Koalition, muss dieser Haushalt heute in einer 100 Quadratmeter großen Wohnung 174 DM pro Jahr mehr für Strom bezahlen. Durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz und die KraftWärme-Kopplung kommen 31,90 DM dazu. Beim Heizöl sind es zusätzlich 116 DM. Bei den sonstigen Mehrkosten, wie ÖPNV und Straßenreinigung, sind es 72 DM. Die Mehrbelastung auf die Kraftstoffe durch die Ökosteuer beträgt 203 DM. Wenn ich alles zusammenzähle, so macht das 630 DM, ({7}) die pro Jahr je Haushalt durch steuererhöhende Maßnahmen zusätzlich verlangt werden, die Sie so durchgeführt haben, dass das von der Bevölkerung gar nicht richtig registriert wurde. Deswegen war es notwendig, diese Rechnung an dieser Stelle einmal aufzumachen. ({8}) Wenn ich das mit dem vergleiche, was an Entlastung durch die Steuerreform kommt, dann kann ich nur sagen: All das, was Sie immer wieder vorrechnen und unter das Volk bringen, ist durch Ihren Griff in die Taschen der Bürger längst wieder futsch, Herr Minister. Zur Kraft-Wärme-Kopplung: Es ist richtig, dass die Kraft-Wärme-Kopplung energiesparend ist. Aber diese Anlagen haben einen großen Nachteil: Sie produzieren Strom und Wärme immer gleichzeitig. Nun ist die Wirklichkeit im Leben leider nicht so, dass immer gleichzeitig Wärme- und Strombedarf besteht. Im Winter haben wir die Notwendigkeit, Strom zu verbrauchen, um zu kochen, weil wir etwas Schönes essen wollen, und gleichzeitig heizen wir. Hier passt es zusammen. Im Sommer sieht es schon anders aus. Im Sommer brauchen wir ebenfalls Strom zum Kochen, aber keine Fernwärme, um die Wohnung zu heizen. Um das Energiesparkonzept der Regierung in dieser Form aufgehen zu lassen, müsste man die Fenster öffnen und die Wärme wieder herauslassen. Jeder sieht, dass ein solches Konzept ökologisch unsinnig ist und so nicht aufgehen kann. Deswegen kann man sagen: Wir erkennen, dass die Kraft-Wärme-Kopplung immer nur mit einem gewissen Anteil für die Stromversorgung sinnvoll einsetzbar ist. Die Grünen und die Sozialdemokraten wollen jedoch durch eine Quotenregelung eine Verdoppelung des Anteils des KWK-Stroms in Deutschland erreichen. ({9}) Dann würde so viel Wärme produziert werden, dass sie gar nicht unterzubringen ist. ({10}) Das zeigt, dass das KWK-Subventionsgesetz nicht nur ein wirtschaftlicher Unsinn ist, da Überkapazitäten staatlich gefördert würden, sondern dass es in dieser Form auch ökologisch nicht vertretbar ist. ({11}) Das, Herr Minister, darf in dieser Form in Deutschland nicht stattfinden. Sie gehörten immer zu denen, die davor gewarnt haben, dies beliebig auszubauen. Damit standen Sie in einer Reihe mit unserem früheren Kollegen von der SPD, Herrn Schwanhold. Er ist inzwischen Wirtschaftsminister in Nordrhein-Westfalen. Schließlich hat auch der Vorsitzende der Gewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie dasselbe wie Herr Schwanhold gesagt und das Konzept der Regierung für falsch erklärt. Deswegen kann ich nur sagen: Setzen Sie sich gegen die Ökoideologen in der Koalition durch! Ich habe gestern in der „Süddeutschen Zeitung“ einen Artikel gelesen, dessen Überschrift lautete: Grüne setzen Wirtschaftsminister Müller unter Druck. ({12}) - Das war in der „Frankfurter Rundschau“. Herr Minister Müller, Sie dürfen in dieser Frage nicht nachgeben. Lassen Sie den Ideologen nicht zu viel Spielraum! Wir werden Sie in dieser Frage unterstützen, Herr Minister. ({13}) Leider gibt es schon eine ganze Reihe von Fällen, in denen Sie sich bei wirtschaftspolitischen Themen zwar immer kernig geäußert, aber nicht durchgesetzt haben. Ich will ein paar Beispiele anführen. Sie haben vor einer Belastung der mittelständischen Betriebe durch das Gesetz zum Recht auf Teilzeitarbeit gewarnt - ohne Erfolg, Herr Minister. Sie fordern eine steuerlich sinnvolle Behandlung von Aktienoptionen - ohne Erfolg, Herr Minister. Sie wenden sich gegen eine Ausweitung der Mitbestimmung im Betriebsverfassungsgesetz - ohne Erfolg, Herr Minister. ({14}) Sie verlangen mit vollem Recht die Verantwortung für wirtschaftspolitische Grundsatzfragen - ohne Erfolg, Herr Minister. ({15}) Ich kann Ihnen nur sagen, Herr Minister: Lassen Sie sich das in dieser Form nicht gefallen! Verhindern Sie das Subventionsgesetz für die Kraft-Wärme-Kopplung! Verhindern Sie damit eine gigantische Fehlentwicklung in der deutschen Energiepolitik! Diesmal, Herr Minister, müssen Sie Rückgrat zeigen. Notfalls müssen Sie Minister acht sein, denn Sie haben bereits gute Angebote von zukünftigen Arbeitgebern. ({16})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Herr Bundesminister Jürgen Trittin.

Jürgen Trittin (Minister:in)

Politiker ID: 11003246

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Uldall, Sie haben mich gerade an etwas erinnert. Als Sie sagten, das Ganze hätte einen zusätzlichen Punkt Mehrwertsteuer bedeutet, habe ich mich an den März 1998 erinnert. Im März 1998 hat Ihre Mehrheit - übrigens gegen den Rat Ihres damaligen Fraktionsvorsitzenden, der etwas anderes wollte - die Mehrwertsteuer um einen Punkt erhöht, um die von Ihnen verursachte Rentenkrise zu finanzieren. ({0}) Ich will eines hinzufügen: Das haben Sie in einer Situation getan, ({1}) in der Sie innerhalb weniger Jahre die Sozialversicherungsbeiträge von 35 Prozent des Bruttolohns auf fast 44 Prozent gesteigert haben. Anschließend haben Sie noch die Mehrwertsteuer draufgehauen. ({2}) Wenn Sie als Steuerpolitiker meinen, sich in der energiepolitischen Debatte profilieren zu müssen, möchte ich Ihnen in aller Ruhe sagen: Wir haben mit der Ökosteuer den Irrweg der Anhebung der Bruttolohnkosten verlassen und den Anschlag ({3}) auf Beschäftigung in Deutschland gestoppt. Stattdessen besteuern wir das, was sinnvoll ist, nämlich den Verbrauch natürlicher Ressourcen. ({4}) Ich kann noch ein Beispiel bringen: Sie haben dieser Regierung und ihrem Wirtschaftsminister vorgeworfen, sie könnten ihre Vorstellungen nicht durchsetzen. Das ist falsch. Wer hat denn im Bundesrat versucht, die Steuerfreistellung von Veräußerungsgewinnen zu blockieren? Das waren die CDU/CSU-geführten Bundesländer. Es war gut, dass wir es geschafft haben, ({5}) diese Blockade zu Beginn der Sommerpause zu durchbrechen. Spielen Sie sich hier nicht als Scheinheiliger, als Verteidiger des Wirtschaftsministers auf! ({6}) In Wirklichkeit versuchen Sie, die vernünftige Wirtschaftspolitik dieser Bundesregierung kaputtzumachen und zu blockieren. ({7}) Ich möchte eine zweite Bemerkung machen. Es ist schön, dass Herr Lippold angeblich ein Energiekonzept hat. ({8}) Aber, entschuldigen Sie, ein Energiekonzept ist noch keine Energiepolitik. Die Frage danach muss doch erlaubt sein. Wir alle finden den IPCC-Bericht zum Klimaschutz und zur Notwendigkeit einer Klimapolitik richtig; Herr Hirche sprach das bereits an. Wenn das unsere gemeinsame Priorität ist, dann möchte ich Sie fragen: Was haben Sie gemacht, als diese Bundesregierung und die sie tragende Koalition gesagt haben, der jetzige Ausbau der erneuerbaren Energien sei nicht hinreichend, hier müsse es einen Push geben? Sie, die von Ihnen geführten Bundesländer, haben versucht, das Erneuerbare-Energien-Gesetz zu blockieren. Dieses Gesetz ist aber eine wirkliche Erfolgsgeschichte. In den letzten zwei Jahren dieser Regierung ist allein der Anteil des Stroms in diesem Land, der aus Windenergie gewonnen wird, verdoppelt worden. Wir sind heute mit 6 000 Megawatt absoluter Spitzenreiter in der Welt; zweiter sind die USA mit 2 500 Megawatt. Das ist die Wirklichkeit. Diese Energiepolitik hat unsere Regierung gegen Ihren Widerstand durchgesetzt. ({9}) - Verehrter Herr Kollege, ich habe bewusst auf die Zahlen von 1998 bis heute Bezug genommen. ({10}) Wir haben die Verunsicherung, die Sie erzeugt haben, durchbrochen. Wir haben Stabilität und Investitionssicherheit in diesen Bereich gebracht. ({11}) Wir haben nicht nur die Stromgewinnung aus Windenergie gefördert, sondern gerade auch dem ländlichen Raum mit der Biomasse eine Alternative gegeben. Ich glaube, von Photovoltaik brauche ich an dieser Stelle nicht zu reden. Nächste Bemerkung: Wenn es richtig ist, dass die Energieeffizienz eine Schlüsselfrage ist, warum legen Sie - inzwischen lachen die Leute ja schon darüber - jedes halbe Jahr eine Kampagne gegen die Ökosteuer auf? ({12}) Das verstehe ich nicht. Ich habe gestern mit Vertretern der OECD zusammengesessen. Sie haben Deutschland zum zweiten Mal begutachtet und uns ziemlich gute Noten gegeben. Die OECD hat ausdrücklich festgehalten: Die Ökologisierung des Steuersystems in der Bundesrepublik Deutschland durch die Ökosteuer hat einen Lenkungseffekt. Sie haben kritisch hinzugefügt, dieser Lenkungseffekt ließe sich verstärken, und vorgeschlagen, den Steuernachlass für die gewerbliche Wirtschaft von 20 Prozent zu erhöhen. Ich möchte einmal erleben, wie sich die rechte Seite dieses Hauses verhalten würde, wenn wir diesem Ratschlag der OECD noch in diesem Jahr folgten. Aber darüber werden wir bei der Fortentwicklung der Ökosteuer nach dem Jahre 2003 diskutieren müssen. Sie stellen sich jedoch hierhin und sagen, die Ökosteuer habe keine Lenkungswirkung. Herr Lippold, im Interesse einer wirklich konsistenten Energiepolitik müssen Sie nun springen und zu den Konsequenzen stehen. Springen ist aber auch eine Frage der Kondition und der Fitness. ({13}) Lassen Sie mich noch eine Bemerkung zu den Bereichen Klimaschutz, Atomenergie und Effizienz machen. Wenn wir Energiepolitik betreiben, haben wir eine grundsätzliche Entscheidung zu treffen: Setzen wir auf effiziente und energiesparende Technologien oder halten wir an einer kapitalintensiven und vor allen Dingen ineffizienten Struktur fest? Wir sagen ganz bewusst: Anlagen wie zum Beispiel Atomkraftwerke, die eine Effizienz von weniger als 40 Prozent haben, sind nicht nachhaltig zukunftsfähig. Deswegen brauchen wir, wenn wir das Klimaschutzziel erreichen wollen, einen Umbau in der Struktur. Nicht trotz des Atomausstiegs, sondern weil wir schrittweise aussteigen, schaffen wir die Voraussetzung für eine effiziente und sparsame, in vielen Fällen dezentralen Energiestruktur. ({14}) In einer solchen Struktur spielt neben den erneuerbaren Energien auch die Kraft-Wärme-Kopplung eine Rolle. Man kann sich nicht hierhin stellen und auf der einen Seite sagen, man sei für Effizienz, auf der anderen Seite aber eingestehen, keine Vorschläge zu haben. Ich hätte es verstanden, wenn Sie gesagt hätten: Lassen Sie uns darüber streiten, ob die Quote das richtige Instrument ist! Man kann dafür oder dagegen sein. Wir - Wirtschaftsministerium und Umweltministerium - haben Gutachten vorliegen, die alle zum gleichen Ergebnis kommen. Das DIW und das Wuppertal-Institut sagen: Wir bekommen die Einsparung von 23 Millionen Tonnen CO2, die zusätzlich zur Selbstverpflichtung der deutschen Wirtschaft zu erbringen ist, nicht mit dem Instrument der Quote hin. Wir sind bereit, über Alternativen dazu zu diskutieren. Aber eines muss ich an dieser Stelle mit allem Nachdruck sagen: Es geht nicht an, dass man Verpflichtungen, die man auf einem anderen Gebiet eingegangen ist - zum Beispiel mit der Selbstverpflichtung -, ein zweites Mal anrechnet. Es geht nicht an, dass man glaubt, man könne zusätzlich 7 Milliarden DM an Steuermitteln aus der Tasche holen. Das ist nicht die Alternative. ({15}) Wir sind dafür offen, diese effiziente Struktur auch mit anderen Instrumenten als der Quote hinzubekommen. Ich sage Ihnen aber mit allem Nachdruck: Dies geht nicht durch eine weitere Finanzierung aus dem Steuersäckel und durch Anrechnung von Reduktionen in anderen Bereichen. In diesem Sinne wird diese Regierung in aller Freundschaft und Solidarität mit der Wirtschaft zu reden haben. Ich danke Ihnen. ({16})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Christian Ruck.

Dr. Christian Ruck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001893, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Wissenschaft hat uns in eindringlicher Weise deutlich gemacht, wie sehr Energiepolitik auch Umweltpolitik ist. In der Tat ist der jüngste Bericht des Gremiums für Klimaveränderung erneut besorgniserregend. Es gibt keine Entwarnung, im Gegenteil. Die energiepolitischen Weichen, die wir in diesen Tagen und Jahren stellen, entscheiden auch über die Zukunft des regionalen und globalen Klimas sowie über das Wohl und Wehe von Regionen, ganzen Erdteilen und zukünftigen Generationen. Deswegen gebe auch ich meinen Vorrednern Recht: Ziel jeder nationalen und internationalen Energiepolitik muss neben der Sicherung einer Energieversorgung zu wettbewerbsfähigen Preisen das Zurückfahren der Treibhausgase sein. Das ist die Verpflichtung der heutigen Politiker für unsere Kinder, Enkel und Urenkel. Ich glaube, da sind wir uns alle weitgehend einig. ({0}) Nicht einig sind wir uns natürlich über den richtigen energiepolitischen Weg, dieser Verpflichtung nachzukommen. Die Vorstellungen von Rot-Grün sind von den unsrigen meilenweit entfernt. Trotzdem ist es bemerkenswert, dass wir uns zumindest auf ein Instrument schon einmal verständigt haben, wie unser Stand-by-Antrag zeigt. Der so genannte Stand-by-Verbrauch, also der Stromverbrauch von Geräten im Leerlauf, der immerhin eine Größenordnung von 4,5 bis 5 Prozent des Gesamtstromverbrauchs ausmacht, ließe sich leicht auf einen Bruchteil des heutigen Wertes reduzieren. Die Technik dazu ist zu niedrigen Kosten vorhanden. Deswegen ist es richtig, dass wir gemeinsam über alle Parteien hinweg der Bundesregierung Dampf machen, ihre Aktivitäten zu verstärken und zumindest diesem Einsparungspotenzial national und EU-weit zum Durchbruch zu verhelfen. Ebenso richtig ist es, dass wir zuerst eine Verhandlung mit den Herstellern mit dem Ziel einer freiwilligen Selbstverpflichtung anstreben, aber das Einsparungspotenzial nach einer angemessenen Frist unter Umständen auch mit entsprechenden ordnungsrechtlichen Maßnahmen auf EU-Ebene durchsetzen. Das damit ausgeschöpfte CO2-Minderungspotenzial ist natürlich bescheiden. Aber es zeigt doch, dass man auch in der Energiepolitik in Deutschland zu gemeinsamen Lösungen finden könnte, wenn man sich im Ziel einig ist, auf die Wissenschaft hört und an der Sache orientiert diskutiert. Das ist aber leider bei Rot-Grün in weiten Teilen ihrer Energiepolitik eben nicht der Fall - mit fatalen Wirkungen für Ökonomie und Ökologie. Ich nenne Ihnen dazu einige Punkte. Die Ökosteuer ist schon mehrfach angesprochen worden. Sie ist gerade unter ökologischen Gesichtspunkten irrational; denn die energieintensiven Betriebe sind weitgehend ausgenommen, die Kohle wird geschont, die CO2-freie Kernenergie dagegen nicht, dafür werden Eisenbahn und öffentlicher Personennahverkehr belastet. Vor allem aber verschwindet das finanzielle Aufkommen in Haushaltslöchern oder im Rentensystem, nicht aber im Umweltsektor oder beim Klimaschutz. ({1}) Damit ist die Ökosteuer nicht nur wirtschaftspolitisch verfehlt und sozial unausgewogen, sondern auch ein umweltpolitischer Etikettenschwindel erster Ordnung. Das Gleiche gilt für die Politik der Kraft-WärmeKopplung. Natürlich kann KWK einen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Aber Ihr KWK-Vorschaltgesetz dient einzig und allein - das hat Herr Hirche schon ausgeführt der ökonomischen Rettung vor allem kommunaler Altanlagen mit meist geringem Energieausnutzungsgrad, die in der Folge - auch hier wieder auf dem Rücken der Bürger und Verbraucher - prompt ihre unökologische Produktionsweise massiv hochgefahren haben. Die endlich vorgelegte Energieeinsparverordnung wurde vor einigen Tagen in einer Anhörung ebenfalls als Rückschlag für den Umweltschutz kritisiert. ({2}) Ihre neuen Programme zur Sanierung des Gebäudebestands sind im Gegensatz zu unserem Gegenvorschlag ein Tropfen auf dem heißen Stein. Auch das EEG hat schwere Mängel. Sie knöpfen dem normalen Verbraucher für das 100 000-Dächer-Programm in Deutschland pro Jahr insgesamt 1,2 Milliarden DM ab; hinzu kommen noch 5,4 Milliarden DM aus dem EEG. Beides hat allerdings den gigantischen Erfolg, dass sich der Anteil der Photovoltaik an der deutschen Stromproduktion auf sage und schreibe 0,3 bis 0,6 Promille steigert. ({3}) Jetzt zum Stromeinspeisungsgesetz, Herr Trittin. Ich glaube, jeder hier, der sich mit Energiepolitik beschäftigt, weiß, dass die vorige Bundesregierung und die damalige Koalition den Vorläufer der jetzigen Gesetzeslage und damit auch die Grundlage für den Erfolg zum Beispiel bei der Windkraft geschaffen haben. Wir können uns diesen Erfolg also mit an den Hut heften. ({4}) Sie fahren - es wurden China und Indien genannt - die Entwicklungshilfe zurück, was natürlich die Handlungsspielräume für Energie- und Klimapolitik im Ausland einschränkt, und schrauben die Ausgaben für die Energieforschung zurück, und zwar vor allem auf dem Gebiet der Kraftwerkstechnik, die Sie für besonders wichtig halten. Ich gebe Ihnen Recht: Genau hier liegen die großen CO2Minderungsspielräume für die Zukunft. Wenn Sie sich aber die mittelfristige Finanzplanung anschauen, dann wird deutlich, dass Sie dieses Programm bis 2004 erheblich zurückfahren. Besonders gravierend ist für mich die Frage des Kernenergieausstiegs, und zwar nicht nur ökonomisch und außen- und sicherheitspolitisch, sondern auch umweltpolitisch. Niemand von Rot-Grün hat bisher schlüssig darlegen können, wie wir die 160 Millionen Tonnen CO2, die wir zusätzlich produzieren, kompensieren können. Auch die EU-Kommissarin de Palacio hat vor kurzem erklärt, dass die Klimaschutzziele mit einem Atomausstieg nicht in Einklang zu bringen sind. ({5}) Niemand konnte mir bisher erklären, welchen Gewinn die Welt davon hat, wenn wir aus der sichersten Kerntechnologie aussteigen und andere Länder im Osten oder Entwicklungsländer - übrigens nicht nur in China, sondern auch in Indien - in eine viel weniger sichere Kerntechnologie einsteigen. ({6}) Wir exportieren damit nicht länger Sicherheit und Technologie, sondern wir importieren Atomstrom aus KernDr. Christian Ruck kraftwerken, auf die wir keinen Einfluss mehr haben. Das ist wirklich kein Gewinn, auch nicht für die Umwelt. All diese Irrationalitäten Ihrer Energiepolitik sind ein umweltpolitischer Rückschlag. Sie machen Deutschland zu einem unsicheren Kantonisten, der international an Einfluss verliert. Sie machen Umweltschutz teuer. Sie verärgern die Leute und machen es der Politik damit schwer, für Umwelt- und Klimaschutz zu werben. Wir wissen alle, dass wir vor gigantischen Herausforderungen stehen. Die Erfüllung der Verpflichtung, die CO2-Emissionen in Deutschland bis zum Jahre 2005 um 25 Prozent zu reduzieren, ist schwer genug. Aber jeder von uns weiß, dass dies erst der Anfang ist, wenn wir unser Klima einigermaßen in der Balance halten wollen. Jeder von uns kennt das schwierige internationale Umfeld. Wir werden unserer energiepolitischen Verantwortung nur dann gerecht werden, wenn wir uns erstens international nicht isolieren, wenn wir zweitens die Klimaschutzziele mit dem geringsten volkswirtschaftlichen Aufwand verfolgen und wenn wir drittens die Bürger in unserem Land davon überzeugen, dass wir ihnen für den Klimaschutz nur die Opfer abverlangen, die wirklich nötig sind; denn dann sind sie auch zu diesen Opfern bereit. ({7}) Unsere Energiepolitik setzt nicht nur auf den Erhalt der Kernenergie, sondern auch auf die technologische Fortentwicklung der Kernenergie hin zu noch mehr Effizienz und Sicherheit, zum Beispiel auf den EPR. Auch wir setzen bei der Verdoppelung der regenerativen Energien an, aber nicht mit Instrumenten, die schließlich zum Selbstzweck werden. Wir fordern eine Komplettsanierung des Gebäudebestandes. Frau Hustedt, es kränkt mich etwas, dass Sie die Anträge, die wir dazu vorgelegt haben - sie sind auch von mir -, nicht gelesen haben. Ich schicke sie Ihnen gerne noch einmal zu, auch unseren Antrag zur KWK-Politik. Wir wollen eine Stärkung der Energieforschung, aber ohne ideologische Scheuklappen. Dabei denken wir an Forschungen zur Effizienzsteigerung, an die Wasserstofftechnologie, die Brennstoffzelle, aber auch an die Kernfusion. Wir setzen auf die Förderung von KWK, aber nicht durch eine antiquierte Quotenregelung, sondern zum Beispiel durch ein 100 000-Keller-Programm zur Markteinführung innovativer, dezentraler Anlagen. ({8}) Wir wollen auch die Stärkung der Entwicklungspolitik zugunsten eines massiven Technologietransfers in die Entwicklungs- und Schwellenländer; ({9}) denn hier - darauf wurde von Ihnen schon hingewiesen liegen die eigentlichen klimapolitischen Sprengsätze der Zukunft. Wir sind durchaus bereit und in der Lage, über Steuerpolitik zu reden, aber über Steuern, die die Gefahrenquelle treffen, die wettbewerbsneutral sind und deren Aufkommen wiederum für sinnvollen Klimaschutz verwendet wird. ({10}) Eine solche Klimapolitik ist dann auch gleichzeitig Umweltpolitik. Aber Ihre rot-grüne Energiepolitik steht für Widersprüchlichkeit, für umweltpolitische Ineffizienz, für Verschwendung knapper Ressourcen und leider - dank Trittin und Co. - für ideologische Borniertheit bis hin zur Sabotage des Rechtsstaats. Eine solche Energiepolitik ist nicht vernünftig, Herr Müller. Sie ist vielmehr eine schlechte Politik. Wir haben dazu eine klare und gute Alternative. ({11})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Volker Jung.

Volker Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001040, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In dieser Debatte ist schon sehr viel über Wettbewerb und Liberalisierung gesprochen worden. Das ist auch richtig so; denn in diesem Bereich gibt es sehr viele ungelöste Probleme. Ich möchte meine knappe Redezeit nutzen, an diesen Punkt anzuknüpfen. Wohin eine falsch angelegte Deregulierung in der Stromversorgung führen kann - das ist schon verschiedentlich erwähnt worden -, können wir in diesen Tagen in Kalifornien beobachten. Dadurch kann die Versorgungssicherheit massiv gefährdet werden und zu ruinösen Folgen für die gesamte Wirtschaft führen. Die Internationale Energie-Agentur sagt, dass uns dies in Europa nicht passieren könne. Sie schränkt diese Aussage aber ein, indem sie hinzufügt, dass es nur dann nicht passieren könne, wenn die Überkapazitäten bei der Stromversorgung nicht wegfallen würden. Aber genau das ist die Entwicklung, die vor uns liegt. Auch bei uns ist zu beobachten, dass die Liberalisierung der europäischen Strom- und Gasmärkte einen dramatischen Umbruch in unserer Energieversorgung eingeleitet hat, der bis zum heutigen Tag nicht abgeschlossen ist. Wir haben die überstürzte Liberalisierungspolitik der damaligen Bundesregierung heftig kritisiert, nicht etwa deswegen, weil wir den Wettbewerb auch in der leitungsgebundenen Energieversorgung ablehnen. Wir haben sie vielmehr kritisiert, weil das neue Energiewirtschaftsgesetz fast ausschließlich auf die Verschärfung des Preiswettbewerbes abstellt, und zwar ohne Rücksicht auf die Umweltstandards und die Umweltziele, ohne Rücksicht auf die Versorgungsstrukturen, die in unserem Land sehr viel differenzierter angelegt sind, und ohne Rücksicht auf die nationalen Energiestandorte und Arbeitsplätze. Die alte Bundesregierung hat praktisch keinen der vorhandenen Gestaltungsspielräume der europäischen Stromrichtlinie genutzt und ausgeschöpft, wie zum Beispiel die stufenweise Marktöffnung, die Verankerung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen, die Versorgungssicherheit, den Umweltschutz und den Schutz heimischer Energieträger. Die Folge ist, dass ein reiner Preiswettbewerb entstanden ist, der mit Dumpingangeboten, mit Fusionen, mit Unternehmensaufkäufen, mit Kraftwerksstilllegungen und mit Billigstromimporten ausgetragen wird. Umweltfreundliche Arten der Energieerzeugung, heimische Kraftwerksstandorte und verbrauchernahe Versorgungsstrukturen sind dabei infrage gestellt. Dies ist kein akzeptables Ergebnis der Deregulierung weder in Deutschland noch in Europa. Deshalb muss nach unserer Auffassung im europäischen Binnenmarkt ausgeschlossen werden, dass sich zulasten der Umwelt und künftiger Generationen die billigsten Anbieter und die schlechtesten Anlagen durchsetzen, ({0}) dass die Stromversorgung in das Belieben der Anbieter gestellt wird und dass das Netzmonopol missbraucht wird. Es ist und bleibt Aufgabe der Politik, das auszuschließen. Wir tun dies Schritt für Schritt. ({1}) Unsere Energiepolitik steht vor der Herausforderung, das - wie ich es nennen möchte - Zielvieleck, bestehend aus Wirtschaftlichkeit, Versorgungssicherheit und Umweltverträglichkeit - Bundeswirtschaftsminister Müller hat diese Punkte schon erwähnt - und, wie ich hinzufügen will, Standort- und Beschäftigungssicherheit, unter den veränderten Bedingungen des europäischen Wettbewerbs und gestiegener Klimaschutzanforderungen wieder ins Gleichgewicht zu bringen. ({2}) Das gilt zunächst für die unterschiedlichen Marktöffnungen in Europa. Die alte Regierungsmehrheit hatte entschieden, dass der deutsche Markt ohne Übergang, von einem Tag auf den anderen, vollständig geöffnet wurde. Unser Nachbar Frankreich zum Beispiel hat die Umsetzung der europäischen Stromrichtlinie über ein Jahr verschleppt und musste von der Europäischen Kommission erst mit einem Vertragsverletzungsverfahren bedroht werden, um ein nationales Gesetz zur Umsetzung der Stromrichtlinie zu erlassen, das dann aber auch nur die minimal vorgeschriebene Öffnung des französischen Marktes vorsah. Dieses Problem lässt sich nach unserer Auffassung nur auf zwei Wegen sauber lösen. Ein Weg ist, die Marktöffnung in Europa zu beschleunigen. Das halten wir für den wettbewerbskonformen Weg. Deswegen unterstützen wir die Initiative des Bundeswirtschaftsministers in Brüssel. Die Kommission hat inzwischen vorgeschlagen, für Strom bis zum Jahr 2005 eine vollständige Marktöffnung herbeizuführen. Eine parallele Initiative für Gas ist in Vorbereitung. Aber wer sich mit der Willensbildung in der Europäischen Union etwas auskennt, wird eine gewisse Skepsis gegenüber den Erfolgsaussichten nicht verhehlen können. Deswegen ist es unverzichtbar, auch über den alternativen Weg nachzudenken, nämlich die Reziprozitätsklausel im Energiewirtschaftsgesetz zu verschärfen. Dieser Vorschlag liegt auf dem Tisch und muss gründlich diskutiert werden. Dies gilt aber auch für den Umwelt- und Klimaschutz. Der drastische Preiswettbewerb hatte unmittelbar zur Folge, dass die umweltschonende Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien und der Kraft-Wärme-Kopplung, deren Ausbau seit Jahrzehnten mit dreistelligen Milliardenbeträgen gefördert wurde, akut gefährdet war. Deshalb sahen wir uns gezwungen, schnell zu handeln. Mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz und dem KWK-Soforthilfegesetz, die wir im vergangenen Jahr verabschiedet haben, glauben wir, diese Fehlentwicklung gestoppt zu haben und umkehren zu können. ({3}) Der Wettbewerbsmarkt Energie braucht ökologische Flankierungen zugunsten erneuerbarer Energien und der Kraft-Wärme-Kopplung sowie Anreize für einen sparsamen und effizienten Umgang mit Energie. Das gilt nicht nur für unser Land, sondern für ganz Europa. Denn beide Ebenen sind Signatare der Kioto-Verpflichtung und tragen dafür auch die politische Verantwortung. ({4}) Mit den bisher beschlossenen Maßnahmen - ökologische Steuerreform, Erneuerbare-Energien-Gesetz, KWKSoforthilfegesetz, Förderprogramme für erneuerbare Energien - haben wir in Deutschland wichtige Schritte unternommen. Weitere Maßnahmen, die in unserem Klimaschutzprogramm verankert sind, vor allem der Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung, müssen folgen. ({5})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hirche?

Volker Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001040, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte sehr, Herr Hirche.

Walter Hirche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002678, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Jung, ich erbitte zu Folgendem Ihre Stellungnahme: Im KWK-Bereich öffentliche Versorgung haben wir 28 Terawatt, für 48 Terawatt sind laut Bericht des Bundeswirtschaftsministers Subventionsanträge gestellt worden. Wie soll bei dieser Diskrepanz Qualität gesichert werden?

Volker Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001040, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Diese Verwirrung bringen Sie in die Diskussion, weil Sie schlicht den Förderansatz des Soforthilfegesetzes und den Ansatz, den wir für das Ausbaugesetz finden müssen, verwechseln. Im Soforthilfegesetz ging es immer um „stranded investments“. Dass dabei ein Teil des Kondensationsstroms mitVolker Jung ({0}) gefördert worden ist, liegt an der Anlage, daran, dass die Anlagen insgesamt gefährdet sind. Deswegen war das eine bewusste Entscheidung. Im Ausbaugesetz werden die Effizienzkriterien sehr viel enger angelegt werden. Wesentliche Mitnahmeeffekte sollen verhindert werden. Es wird vor allen Dingen ein Marktdruck ausgeübt werden, damit es im Anlagenbestand zu einer technologischen Entwicklung kommt. Das ist der Unterschied. Wenn Sie den nicht zur Kenntnis nehmen, dann können Sie die ganze Diskussion nicht verstehen. ({1}) Ich empfehle Ihnen, abzuwarten, welche Vorschläge auf den Tisch kommen. Die Arbeiten sind relativ weit vorangeschritten. Uns ist durchaus bewusst, dass all die Maßnahmen, die ich hier erwähnt habe, die Wettbewerbsposition der deutschen Wirtschaft berühren. Darum müssen wir diese Schritte auch mit Augenmaß unternehmen. Aber nach aller Erfahrung geht kein Weg daran vorbei, das immer einige Länder in Europa vorangehen müssen, um europäische Entscheidungen voranzubringen. ({2}) Unser Ziel ist und bleibt es aber, diese Maßnahmen auf europäischer Ebene zu ergänzen und auch zu harmonisieren. Dies gilt nicht zuletzt für die Standort- und Beschäftigungssicherung. Unter den Rahmenbedingungen eines zugespitzten Preiswettbewerbs, erheblicher Überkapazitäten in der Stromerzeugung, einer ungleichgewichtigen Marktöffnung und zunehmender Importabhängigkeit in der Energiewirtschaft sind Standort- und Beschäftigungssicherung sehr viel schwieriger geworden, aber gleichwohl unentbehrlich. Dort werden wir unsere ganze Kraft einsetzen. Ich glaube, meine Damen und Herren, dass die eigentliche Ideologie, die in dieser Debatte zum Ausdruck gekommen ist, darin liegt, dass die Opposition meint, Wettbewerb als Selbstzweck hochstilisieren zu können. Wettbewerb ist aber immer nur Mittel zum Zweck, das heißt, die Politik muss die Rahmenbedingungen setzen, unter denen sich Wettbewerb entfalten kann, und Rahmenbedingungen müssen - wie es schon gesagt worden ist - die Wirtschaftlichkeit, die Versorgungssicherheit, die Umweltverträglichkeit, aber auch die Standortund Beschäftigungssicherung berücksichtigen. Das sind die Leitlinien unseres Handelns. Schönen Dank. ({3})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich schließe damit die Aussprache. Wir kommen zu den Abstimmungen: Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel „Energiepolitik für Deutschland - Konsequenzen aus dem Energiedialog 2000“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/3507 abzulehnen. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des Ausschusses? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. angenommen. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel „Energieeinsparung durch Minderung des Stromverbrauchs von Elektrogeräten im Leerlaufmodus“. Der Ausschuss empfiehlt die Annahme des Antrags auf Drucksache 14/2348 in der Ausschussfassung. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des Ausschusses? - Gibt es Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen worden. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie zu der Unterrichtung durch das Europäische Parlament mit dem Titel „Entschließung des Europäischen Parlaments zu Elektrizität aus erneuerbaren Energieträgern und zum Elektrizitätsbinnenmarkt“. Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis dieser Resolution eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. angenommen. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie zu dem Antrag der Fraktion der F.D.P. mit dem Titel „Zukunftsfähige Energiepolitik für den Standort Deutschland“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/2364 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Diese Beschlussempfehlung ist mit dem eben festgestellten Stimmenverhältnis angenommen. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU zu dem Thema „Energiepolitik für das 21. Jahrhundert - Einstieg in ein nachhaltiges, klimaverträgliches Energiekonzept statt Ausstieg aus der Kernenergie“. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/543 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung des Ausschusses? - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen der CDU/CSU angenommen; die F.D.P. hat sich enthalten. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der F.D.P. zu dem Gesetzentwurf zur Förderung der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien sowie zur Änderung des Mineralölsteuergesetzes. Der Ausschuss empfiehlt, den Entschließungsantrag auf Drucksache 14/2778 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. angenommen. Volker Jung ({0}) Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 14/1234 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Einverstanden? Dann ist die Überweisung so beschlossen. Die Fraktion der SPD hat gebeten, die Sitzung für etwa eine halbe Stunde zu unterbrechen. Das tun wir auch. Der Wiederbeginn der Sitzung wird rechtzeitig durch Klingelsignal angekündigt. Die Sitzung ist damit unterbrochen. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die un- terbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 17 a bis 17 e auf: Überweisungen im vereinfachten Verfahren a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Jörg van Essen, Gerhard Schüßler, Dr. Max Stadler, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung des Deutschen Richtergesetzes ({0}) - Drucksache 14/4909 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({1}) Innenausschuss b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 13. Dezember 1999 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Panama über den Luftverkehr - Drucksache 14/4988 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({2}) Finanzausschuss c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 2. Mai 1997 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Estland über den Luftverkehr - Drucksache 14/4989 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({3}) Finanzausschuss d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung des Magnetschwebebahnbedarfsgesetzes - Drucksache 14/5067 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({4}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Tourismus e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umstellung von Vorschriften im land- und forstwirtschaftlichen Bereich auf Euro ({5}) - Drucksache 14/4555 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({6}) Finanzausschuss Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen beschlossen. Wir kommen nun zu den Tagesordnungspunkte 18 a bis 18 m. Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Tagesordnungspunkt 18 a: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Verarbeitung und Nutzung der zur Durchführung der Verordnung ({7}) Nr. 820/97 des Rates erhobenen Daten - Drucksache 14/4721 ({8}) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({9}) - Drucksache 14/5142 Berichterstattung: Abgeordneter Franz Obermeier Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 18 b: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften auf dem Gebiet der Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen - Drucksache 14/4591 ({10}) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({11}) - Drucksache 14/5143 Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Berichterstattung: Abgeordnete Margot von Renesse Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten Rainer Funke Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 18 c: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Änderungsurkunden vom 6. November 1998 zur Konstitution und zur Konvention der Internationalen Fernmeldeunion vom 22. Dezember 1992 - Drucksache 14/3952 ({12}) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({13}) - Drucksache 14/5104 Berichterstattung: Abgeordnete Gudrun Kopp Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt auf Drucksache 14/5104, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 18 d: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 28. Juli 1995 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Aserbaidschanischen Republik über den Luftverkehr und zu dem Protokoll vom 29. Juni 1998 zur Berichtigung und Ergänzung des Abkommens vom 28. Juli 1995 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Aserbaidschanischen Republik über den Luftverkehr - Drucksache 14/3476 ({14}) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({15}) - Drucksache 14/4971 Berichterstattung: Abgeordneter Norbert Königshofen Der Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen empfiehlt auf Drucksache 14/4971, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 18 e: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 21. Mai 1999 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Moldau über den Luftverkehr - Drucksache 14/3475 ({16}) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({17}) - Drucksache 14/4972 Berichterstattung: Abgeordneter Norbert Königshofen Der Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen empfiehlt auf Drucksache 14/4972, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen. Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses. Tagesordnungspunkt 18 f: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({18}) Sammelübersicht 174 zu Petitionen - Drucksache 14/3537 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Sammelübersicht 174 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen aller anderen Fraktionen angenommen. Tagesordnungspunkt 18 g: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({19}) Sammelübersicht 194 zu Petitionen ({20}) - Drucksache 14/4561 - Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/4927 vor. Wer stimmt für diesen Än- derungsantrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist gegen die Stimmen der PDS mit den Stimmen aller anderen Fraktionen abgelehnt.1) Wer stimmt für die Sammelübersicht 194? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 194 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der CDU/CSU und der F.D.P. gegen die Stimmen der PDS angenommen. Tagesordnungspunkt 18 h: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({21}) Sammelübersicht 234 zu Petitionen - Drucksache 14/5098 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 234 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der CDU/CSU und der F.D.P. bei Enthaltung der PDS angenommen. Tagesordnungspunkt 18 i: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({22}) Sammelübersicht 235 zu Petitionen - Drucksache 14/5099 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 235 ist bei Enthaltung der PDS mit den Stimmen aller anderen Fraktionen angenommen. Tagesordnungspunkt 18 j: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({23}) Sammelübersicht 236 zu Petitionen - Drucksache 14/5100 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 236 ist damit einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 18 k: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({24}) Sammelübersicht 237 zu Petitionen - Drucksache 14/5101 Wer stimmt dafür? - Wer enthält sich? - Wer stimmt dagegen? - Sammelübersicht 237 ist damit einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 18 l: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({25}) Sammelübersicht 238 zu Petitionen - Drucksache 14/5102 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 238 ist damit einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 18 m: Beratung der Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ({26}) Sammelübersicht 239 zu Petitionen - Drucksache 14/5103 Wer stimmt dafür? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Sammelübersicht 239 ist bei Gegenstimmen der PDS mit den Stimmen aller anderen Fraktionen angenommen. Ich rufe den Zusatzpunkt 2 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU Keine Ausgrenzung unserer Bauern - die Bundesregierung muss dem ländlichen Raum in der gegenwärtigen Krise helfen Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der Kollege Michael Glos von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. ({27})

Michael Glos (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000691, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Gewerkschaft Nahrung - Genuss - Gaststätten sagt: 40 000 Arbeitsplätze sind durch BSE gefährdet. In der Fleischwarenindustrie herrscht Kurzarbeit. Erste Konkurse sind zu verzeichnen. Die Lage unserer Vieh haltenden Bauern ist verzweifelt. In Bayern werden 30 Prozent des deutschen Rindfleisches erzeugt. 80 000 schlachtreife, aber nicht vermarktbare Rinder stehen derzeit allein in Bayern in den Ställen. Jede Woche kommen 10 000 weitere hinzu, ({0}) die eigentlich geschlachtet werden müssten, aber gegenwärtig auf dem Markt nicht unterzubringen sind. ({1}) Die deutschen Bauern haben sich stets bemüht, die Rahmenbedingungen, die ihnen vorgeschrieben wurden, einzuhalten und zu erfüllen. ({2}) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer 1) Anlage 2, Erklärung nach § 31 GO des Abg. Dr. Ilja Seifert ({3}) Die Wirtschaftsbereiche, die mit der Landwirtschaft verbunden sind, wie der Landhandel, der Landmaschinenhandel, aber auch die Banken, insbesondere die Genossenschaftsbanken, die den Landwirten Kredite gegeben haben, befinden sich alle in einer sehr schwierigen Situation. Deswegen fordern wir heute von der Bundesregierung ein klares, rasches und überzeugendes Hilfskonzept. ({4}) Man kann einen Wirtschaftszweig in dieser dramatischen Situation nicht allein lassen. Gerade die CDU/CSU und die Bayern sind verlacht worden ({5}) wegen des so genannten bayerischen Weges, ({6}) bei dem wir uns bemüht haben, möglichst viele Landwirtschaftsbetriebe am Leben zu halten ({7}) und keine Politik des „Wachsens oder Weichens“ zu betreiben. Wenn heute gegenüber der Agrarindustrie der Vorwurf unterschwellig - erhoben wird, alle größeren Haltungsformen seien des Teufels, dann muss man sagen: Gerade in Bayern ist dieses sehr viel weniger ausgeprägt als anderswo. ({8}) Wir wissen allerdings, dass das nicht automatisch davor schützt, dass es auch dort zu Krankheiten und Infektionen kommen kann. Anderswo, auch und gerade in Niedersachsen - ({9}) - Ich habe einmal gelernt: Wer schreit, der hat Unrecht. ({10}) - Jetzt warten Sie doch erst einmal ab. Gerade in Niedersachsen, während der Regierungszeit des Ministerpräsidenten Gerhard Schröder, setzte man stark auf größere Einheiten in der Viehhaltung. Vor allen Dingen hat man eine stärkere Orientierung an den europäischen Märkten und auch an den Weltmärkten gefordert. Dies alles ist in enger Fühlungnahme und in Abstimmung - wie es sich gehört - mit dem Bauernverband und auch mit dem damals hoch gelobten und jetzt rasch entlassenen Agrarminister Funke geschehen. Nach dem Regierungswechsel im Bund haben sich die Verantwortlichen der Bauernverbände - das sind keine Berufsfunktionäre, wie der Herr Bundeskanzler abwertend sagte - mit der neuen Regierung zusammengesetzt, um das Beste für ihren Berufsstand zu erreichen und damit für eine sichere Ernährung in Deutschland zu sorgen. Die Bauernverbände sind sogar so weit gegangen - was ich nicht billigen kann; das geschah natürlich in Anpassung an die neuen Herrschaftsverhältnisse in Deutschland -, einen Bauernverderber wie den Herrn Gysi auf dem Deutschen Bauerntag reden zu lassen. ({11}) Man kann den Bauernverbänden keine Einseitigkeit vorwerfen, so wie es jetzt im Nachhinein konstruiert werden soll. ({12}) Ich wehre mich dagegen, dass SPD und Grüne unsere Bauern wegen der BSE-Krise zu Prügelknaben der Nation machen wollen. ({13}) Wenn der Herr Bundeskanzler, nachdem diese Krise auch uns erreicht hat, sofort markig davon spricht, dass er sich vom Geschrei der Funktionäre des Deutschen Bauernverbandes, mit denen er sonst ein sehr spezielles Verhältnis hatte, nicht mehr beeindrucken lässt, dann ist das mindestens so unverschämt wie Ihr ständiges Geschrei hier. ({14}) Am 29. November 2000 hat der Bundeskanzler von dieser Stelle aus verkündet: „Weg von den Agrarfabriken.“ Er hat angekündigt, „eine Perspektive für eine andere, verbraucherfreundlichere Landwirtschaft zu entwickeln.“ Derselbe Bundeskanzler, Gerhard Schröder, hat noch am 2. Juli 1999 auf dem Bauerntag in Cottbus erklärt - ich zitiere -: Die teilweise Absenkung der Agrarpreise in der Agenda 2000 ist ein Erfolg, weil jeder sich im Klaren sein musste, dass wir näher an die Preise des Weltmarktes heran müssen.“ Herr Funke hat die Bauern stets insbesondere vor der Politik in Bayern gewarnt ({15}) und hat die auf die Umwelt bezogenen Ausgleichsbeträge, die es nur in Bayern gegeben hat, als einen Fehler bezeichnet. Der Agrarsprecher der SPD - Weisheit soll er heißen; hier ist der Name anscheinend nicht Omen, sondern offensichtlich Zufall - hat gesagt ({16}) - Moment, jetzt hören Sie sich doch erst einmal an, was er gesagt hat; ich zitiere -: In den letzten Jahren hat zu wenig Strukturwandel in Teilen dieser Republik stattgefunden. Er hat nicht den Strukturwandel hin zu mehr ökologischer Landwirtschaft, sondern hin zu Großproduktion gemeint. Eine Aktuelle Stunde erlaubt nicht, die Dinge zu Ende zu führen. Deswegen sage ich, da das alles so war und da Sie bei uns im Lande Verantwortung tragen: Handeln Sie endlich zugunsten unserer Bauern! ({17})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Waltraud Wolff von der SPD-Fraktion.

Waltraud Wolff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003270, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Rot-grünes Chaos in der Krisenbewältigung“, „Die Bauern werden allein gelassen“, „Es zählen nur noch Verbraucherinteressen …“ - das sind Aussagen einer Opposition aus den vergangenen Wochen und Tagen, die es heute wagt, zu diesem Thema eine Aktuelle Stunde zu inszenieren. ({0}) Zum größten Teil besteht sie aus denselben Politikern, die in den Jahren eigener Regierungsverantwortung die Worte Sicherheit und Verbraucherschutz aus ihrem Wortschatz gestrichen hatten. Da frage ich natürlich ernsthaft: Wer hat hier die Bauern im Regen stehen lassen? Warum stehen denn, Herr Glos, wie Sie eben gesagt haben, die vielen Arbeitsplätze im landwirtschaftlichen Bereich und in den Sekundärbereichen auf der Kippe? Weil Sie nicht gehandelt haben, weil Sie zu feige waren, die richtigen Maßnahmen zu ergreifen. Gestern in der Ausschusssitzung glaubte ich allerdings, dass die Abgeordneten der CDU in ihren Wortbeiträgen meine Kolleginnen von den Grünen noch links überholen würden. So ändern sich die Zeiten. ({1}) Nach dem ersten BSE-Fall in Deutschland hat die Bundesregierung sofort gehandelt. Das Verbot der Verfütterung von Tiermehl und der Verwendung von Milchaustauschern kam augenblicklich. Rasche Hilfe ist notwendig. Das ist völlig unstrittig. Komischerweise sind wir uns darüber fraktionsübergreifend - allerdings: unpopulär, hinter verschlossenen Ausschusstüren - einig. Meine Damen und Herren, schnelle Hilfe tut Not - darüber gibt es keine gegensätzlichen Auffassungen -: Erstens. Wir sind für eine gesunde Ernährung von mehr als 80 Millionen deutscher Bürgerinnen und Bürger verantwortlich. Wir müssen dem Verbraucherschutz oberste Priorität einräumen. ({2}) Zweitens. Wir haben für eine gläserne Produktion zu sorgen, und zwar nicht nur, weil wir den Verbrauchern verpflichtet sind, sondern auch, weil wir nur auf diese Weise dem Berufsstand der Bauern helfen können. Zweifelsohne kommen - das räume ich hier ein - die Auswirkungen des Sofortprogramms zu langsam bei den Bauern an. Aber was seit sechs oder sieben Jahren verschlampt und verschlafen wurde, kann man nicht in einem Monat wieder beheben. Meine Damen und Herren der Opposition, Sie sollten lieber Ihre Kraft effektiv bei der Krisenbewältigung einsetzen, statt hier populistisch Aktuelle Stunden zu beantragen. ({3}) In der nächsten Woche werden Entscheidungen der Ministerin, Frau Künast, zum Marktentlastungsprogramm bekannt gegeben werden. Mit circa 1,9 Milliarden DM will die EU den Aufkauf von rund 2 Millionen Rindern über 30 Monate finanzieren und sich an den Kosten der BSE-Tests beteiligen; in Deutschland könnten im Zuge dieses Pakets allein 400 000 Rinder herausgekauft werden. Ich weiß, bezüglich der Frage: „Was wird mit den getöteten BSE-freien Tieren?“ gibt es ethische und auch tierschutzrechtliche Bedenken. Meine Damen und Herren, mir sind Tierschutz und Hunger in der Welt bei weitem nicht egal. Aber mit aller Deutlichkeit will ich hier sagen, dass wir angesichts unseres jetzigen Wissensstandes weder um die Keulung ganzer Herden bei Auftreten von BSE noch um das Marktentlastungsprogramm herumkommen. Die Bauern warten darauf. Auf ihnen lastet der Druck. Sie wissen nicht mehr, wohin mit ihren Tieren. Sie alle kennen das auch aus Ihren Wahlkreisen. Wer, bitte schön, möchte sich das Horrorszenario ausmalen, das Wirklichkeit wird, wenn wir jetzt nicht schnell handeln? Gestern gab es eine Aktuelle Stunde zum Thema Arzneimittel in der Schweinehaltung. Es geht weiter, meine Damen und Herren, die Skandale nehmen kein Ende. Schuld daran sind meiner Meinung nach zum Teil auch die Wünsche der Verbraucher, die ständig auf billige Lebensmittel gedrungen haben, vorrangig aber kriminelle Tierärzte und betrügerische, unverantwortliche Bauern, die meinten, sie seien selber Arzt, und so dem gesamten Berufsstand geschadet haben. ({4}) - Richtig, die Bayerische Staatsregierung schaut weg. Um gegenüber der Landwirtschaft wieder Vertrauen zu schaffen, den Bauern wieder zu dem Vertrauen zu verhelfen, das sie verdient haben, hat der Bundeskanzler das einzig Richtige getan, nämlich den Verbraucherschutz im Landwirtschaftsministerium verankert. Lebensmittelsicherheit durch Prüfungen ist unabdingbar. Harte Sanktionen bei Verstößen reichen mir persönlich nicht aus. Ich will, dass solche groben und wissentlichen Zuwiderhandlungen strafrechtlich geahndet werden. ({5}) Ich begrüße es, dass Frau Künast einen Wissenschaftlichen Beirat im Ministerium berufen will. Es wird eine Behörde für Lebensmittelsicherheit geschaffen. Wir werden ein staatliches Prüfsiegel erlassen, das strengen Kriterien unterliegt, und zwar sowohl für den konventionellen als auch für den ökologischen Anbau. Wir haben in den nächsten Wochen Entscheidungen auf EU-Ebene und auf nationaler Ebene zu treffen. Sie sind im gesamtdeutschen Interesse, aber vor allem auch im Interesse des Berufsstandes der Bauern; denn es ist ihr Ansinnen, Qualität zu sichern und Vertrauen in ihre Produkte wiederherzustellen. Nicht die Bauern sind ursächlich schuld. Deshalb lassen die SPD und die Grünen, die Regierungsfraktionen, die Bauern nicht allein. Wir kümmern uns weiterhin um die Entwicklung des ländlichen Raumes. Schönen Dank. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Marita Sehn von der F.D.P.-Fraktion das Wort.

Marita Sehn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002146, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! In Ihrem Bericht vom 6. Dezember 2000 zur Politik der ländlichen Räume schreiben Sie, dass nach dem Regierungswechsel von 1998 eine Neuausrichtung der Agrarpolitik stattgefunden hat. Jetzt, im Angesicht der BSE-Krise, wird der Kanzler nicht müde, zu betonen, dass die Agrarpolitik wieder neu ausgerichtet werden muss. Erneut ist die Rede von einer Wende. Meine Damen und Herren, den Landwirten muss ja schon ganz schwindlig werden, so schnell, wie sich die Regierung in der Agrarpolitik wendet. ({0}) Aber es liegt nun einmal im Wesen von Wenden, dass derjenige, der sich zweimal wendet, wieder dort steht, wo er am Anfang war. Eine Politik für den ländlichen Raum, die diesen Namen verdient, darf sich nicht ausschließlich um die Interessen der Landwirte kümmern. Sie muss die Interessen aller Bewohner und wirtschaftlichen Akteure des ländlichen Raumes vertreten: des Handwerkes ebenso wie des Mittelstandes und natürlich auch der Landwirte. Die Neugestaltung des Agrarressorts hätte eine echte Chance sein können, das Ziel einer integrierten Politik für den ländlichen Raum auch institutionell zu verankern und das Landwirtschaftsministerium mit zusätzlichen, für die ländlichen Gebiete relevanten Kompetenzen auszustatten. ({1}) Auf diese Weise hätte ein kraftvolles, homogenes Ministerium für den ländlichen Raum geschaffen werden können. Stattdessen hatte man den Eindruck, dass es bei der Ressortaufteilung zuging wie auf einem parteipolitischen Basar. Der Anspruch, effiziente Strukturen zu schaffen, spielte in dieser Diskussion keine Rolle. Die Politik der Bundesregierung wird nicht von der Ladentheke her gedacht, sondern aus der Stadt heraus, und dann den ländlichen Gebieten übergestülpt. ({2}) Die Bewohner des ländlichen Raumes - Herr Weisheit, das ist leider wahr - fühlen sich von dieser Regierung schon lange nicht mehr vertreten. ({3}) Aber was kümmern den Genossen der Bosse die Bauern? Was kümmern ihn die Sorgen und Nöte des Handwerkes und des Mittelstandes? Ich freue mich immer wieder, wenn ich sehe, wie viel sich in Berlin in den letzten Jahren verändert hat. Es freut mich, zu sehen, was mit den eingesetzten Mitteln erreicht werden konnte. Im krassen Widerspruch dazu stehen allerdings die Schwierigkeiten, Mittel auf kommunaler Ebene, selbst für dringend notwendige Maßnahmen, zu bekommen. Die Verärgerung und Frustration, die in vielen ländlichen Gebieten zutage tritt, kann ich sehr gut nachvollziehen. So warten, um Ihnen ein Beispiel zu nennen - Herr Diller kennt es -, die Bürger von Kastellaun und Gödenroth im Hunsrück schon seit langem vergeblich auf die dringend benötigten Umgehungsstraßen, ohne dass sich etwas tut. ({4}) - Es ist eine Bundesstraße, liebe Frau Höfken. ({5}) Eine Politik für den ländlichen Raum würde ein konzertiertes Vorgehen der relevanten Ressorts aus Verkehrs-, Umwelt-, Wirtschafts- und Landwirtschaftsministerium erfordern. ({6}) Hier wäre echte Teamarbeit gefragt und nicht das isolierte Herumagieren der einzelnen Ressorts. Wie das Teamplay innerhalb der Bundesregierung funktioniert, hat das Duo Funke/Fischer in eindrucksvoller Weise demonstriert. Bei einer Politik für den ländlichen Raum sind aber Konzepte gefragt und keine grün-rote Flickschusterei. Die Erfolgsbilanz der Agrarpolitik dieser Bundesregierung ist bislang alles andere als beeindruckend. ({7}) Da wird ein Landwirtschaftsminister ernannt, und kaum dass die Landwirte ein ernsthaftes Problem haben, macht sich Herr Funke aus dem Staub und lässt die Bauern im Regen stehen. Um dem Ganzen noch die Krone aufzusetzen, verkündet der Bundeskanzler, dass er sowieso nur mit den „redlichen Landwirten“ reden möchte. Aber wer sind denn nun die „unredlichen“ Landwirte, Herr Schröder? Sind es die 97 Prozent konventionell wirtschaftenden Betriebe oder sind es die nicht SPD-wählenden Landwirte? ({8}) - Das ist wohl wahr. Waltraud Wolff ({9}) Es ist interessant, wenn man sieht, wie fleißig Frau Künast bemüht ist, sich von den vollmundigen Verlautbarungen ihres Kanzlers zu distanzieren. Da heißt es auf einmal: Ich werde mich nicht daran beteiligen, konventionelle und ökologische, große und kleine Betriebe gegeneinander auszuspielen! ({10}) Das müssen Sie auch nicht, Frau Künast, da Ihr Chef das bereits für Sie erledigt hat. Und man höre und staune: Aus der groß angekündigten Wende in der Agrarpolitik ist ein „Wendechen“ geworden. Die einzigen Wenden, die diese Regierung hinbekommt, sind die Wenden der grünen Politiker: Joschka Fischer wendet sich vom Straßenkämpfer zum staatstragenden Außenminister, ({11}) Jürgen Trittin vom Terrorismusbefürworter zum Armaniträger und Frau Künast, liebe Frau Lemke, befindet sich gerade in Vorbereitung ihrer agrarpolitischen Wende. Aus dem im Bundestagswahlprogramm von 1998 pompös angekündigten sozialökologischen Agrarprogramm ist mittlerweile ein bescheidenes Ausschöpfen der bestehenden Möglichkeiten für eine differenzierte Förderpolitik geworden, was auch immer die Ministerin darunter versteht. Sie ist also aus ihrem grünen Wolkenkuckucksheim auf den Boden der Realpolitik heruntergekommen. ({12}) Sehr geehrte Damen und Herren, der ländliche Raum und mit ihm die Landwirte sind für die kulturelle Identität unseres Landes von extremer Bedeutung. Wir Liberalen bekennen uns zu einer starken und selbstbewussten deutschen Landwirtschaft als integralem Bestandteil des ländlichen Raumes und fordern schnelle und unbürokratische Hilfe. Danke. ({13})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächste Rednerin hat das Wort die Kollegin Steffi Lemke, Bündnis 90/Die Grünen.

Steffi Lemke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002720, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Deutschland steckt in der BSE-Krise, und zwar nicht nur die deutschen Landwirte, sondern die gesamte Gesellschaft. Wir diskutieren über eine Neuausrichtung der Agrarpolitik und über das aktuelle BSE-Krisenmanagement. Die CDU/CSU leistet zu dieser Debatte so wertvolle Beiträge wie die heutige Aktuelle Stunde. Ich hatte erwartet, dass Sie inzwischen vielleicht Vorschläge und Konzepte zur BSE-Bekämpfung und zur Neuorientierung der Agrarpolitik haben, die Sie dem Parlament vorlegen. Fehlanzeige! Sie sind damit beschäftigt, Ihre Fehler der Vergangenheit aufzuarbeiten, und können es nicht verknusen, dass die Bauern, die Sie bisher als Ihr politisches Eigentum betrachtet haben, jetzt mit uns in einen Dialog eintreten - Herr Sonnleitner und die Präsidenten anderer Bauernverbände haben uns die Bereitschaft zum Dialog deutlich signalisiert - und über die Neuausrichtung der Agrarpolitik diskutieren. ({0}) Sie versuchen seit Wochen, Grabenkämpfe mit uns auszutragen. Sie versuchen, uns zu unterstellen, wir würden eine Ausgrenzungspolitik gegen die Landwirte betreiben. Sie versuchen, Gräben zwischen Ost und West, zwischen Groß und Klein und zwischen Öko und Konventionell aufzuschütten. Ich sage Ihnen: Wir lassen uns nicht in eine solche Debatte hineintreiben, und zwar weder von Ihnen noch von einzelnen Bauernverbandfunktionären. Es wird mit Rot-Grün keine einseitig ausgerichtete Agrarpolitik geben. Wir werden auch weiterhin, wie wir es in der Vergangenheit getan haben, für große und für kleine Betriebe, für Betriebe im Osten und im Westen und für ökologische und konventionelle Betriebe Landwirtschaftspolitik betreiben, weil im Moment alle Arten von Landwirtschaft und alle Bauern eine Diskussion über ihre Perspektiven und keinen billigen politischen Schlagabtausch, wie Sie ihn heute wieder zu liefern versuchen, brauchen. ({1}) Herr Glos, ich möchte Sie gern persönlich ansprechen, weil Sie versuchen, die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen mit Vorwürfen und Fehlern aus der Vergangenheit zu konfrontieren: Angesichts dessen, was in Bayern passiert ist, möchte ich Ihnen raten, mit dem Kollegen Stoiber zu sprechen, damit er sich Herrn Miller für ein Vier-Augen-Gespräch vornimmt. Nachdem offensichtlich geworden ist, wie die hochgelobte Landwirtschaftpolitik in Bayern von offizieller Seite gegen die Wand gefahren worden ist, sollten Sie hier im Parlament mit Vorwürfen gegenüber anderen sehr zurückhaltend sein. ({2}) 1997 hat der Bayerische Landtag den Beschluss gefasst - wenn ich richtig informiert bin, sind dafür die Stimmen der CSU notwendig -, antibiotisch wirkende Leistungsförderer aus dem Qualitätsfleischprogramm in Bayern herauszunehmen. Das ist im Landtag von allen Fraktionen, also auch mit den Stimmen der CSU, beschlossen worden. Und: Was ist passiert? Vor gerade einmal sechs Tagen - man höre und staune - geht man daran, das umMarita Sehn zusetzen, nachdem drei Jahre lang nichts passiert ist. Sie hätten den Schweinemastskandal verhindern können, wenn Sie mit wirksameren Kontrollen und mehr Durchsetzungsvermögen an das Problem herangegangen wären. ({3}) Wenn ich höre, dass Frau Stamm noch im Sommer gefordert hat, das Risikomaterial für BSE nicht aus der Nahrungskette zu nehmen, wohl wissend, welche Folgen BSE in den vergangenen Jahren für die Bauern in anderen Staaten hatte, muss ich sagen: Sie haben mit Ihrem Sicherheitsverständnis in den vergangenen Jahren eine fahrlässige Politik gegen die Bauern betrieben. ({4}) Ich glaube, gegenseitige Schuldzuweisungen sind das Allerletzte, was die Landwirtschaft im Moment gebrauchen kann. Auch wir hätten eine Aktuelle Stunde beantragen können ({5}) - Entschuldigung, das ist heute Ihre Debatte! -, um die Fehler der ehemaligen Bundesregierung, allen voran von Horst Seehofer, in den letzten zehn Jahren im Zusammenhang mit BSE aufzuarbeiten. Ich glaube, es ist jetzt nicht die Stunde, dies zu tun. ({6}) Es ist vielmehr an der Zeit, den Bauern zu helfen, das Vertrauen der Verbraucher in die Nahrungsmittel wiederherzustellen und einen Dialog über die Neuausrichtung in der Agrarpolitik zu führen, damit wir in Zukunft wieder einen funktionierenden Rindfleischmarkt in Deutschland haben. Dazu haben Sie auch heute keinen Beitrag geleistet. Vielleicht werden Sie das in den nächsten Wochen noch tun. ({7}) - Herr Merz, danke für diesen Zuruf: „Wer regiert denn hier?“ Ihr Kollege Ronsöhr, der agrarpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion sagt, es sei nicht Aufgabe der Opposition, Konzepte zu entwickeln, sie müsse vielmehr die Regierung kritisieren. Fahren Sie damit fort, dann werden Sie dort bleiben, wo Sie im Moment sitzen. ({8}) Danke. ({9})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Kersten Naumann von der PDS-Fraktion das Wort.

Kersten Naumann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003197, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Thema der Aktuellen Stunde ist zwar hochaktuell. Ich weiß aber nicht, ob sich an den Verhältnissen etwas ändert, wenn wir immer nur über dieses Thema reden. Ich denke, wir sollten endlich handeln. ({0}) Noch nie in der Geschichte hatte ein Lebensmittelskandal solche Auswüchse. Noch nie war das Vertrauen der Verbraucher in die Agrarproduktion und deren Erzeugnisse derart beschädigt. Das Ansehen der Landwirtschaft und damit eines ganzen Berufsstandes ist ramponiert. Was im Mittelalter die Pest war, scheint heute BSE zu sein. Die Bauern werden an den Pranger gestellt. Das scheint logisch, denn in ihren Ställen werden die BSE-erkrankten Tiere entdeckt. Dabei haben die Bauern mit Sicherheit die geringste Schuld an der Krise der Landwirtschaft. ({1}) Eine Frechheit hierbei ist, dass ausgerechnet der Bundeskanzler vor laufenden Kameras wiederholt von den „redlichen Bauern“ gesprochen hat. Mit dieser Wortwahl hat er den Fernsehkonsumenten im Umkehrschluss die „unredlichen Bauern“ als Sündenböcke präsentiert. Ich sage offen: Diese und manch andere Wortwahl ist mir bitter aufgestoßen. Es roch mir sehr nach einer Retourkutsche des Kanzlers für die Schmach von Cottbus. ({2}) Auf jeden Fall ist ein solch selektives Demokratieverständnis nicht akzeptabel. Für mich und meine Fraktion stellt sich die Frage, warum die eigentlich Schuldigen - zum Beispiel die Betriebe der Futtermittelindustrie, deren Rindermischfutter trotz Verbots nachweisbar Tiermehlbestandteile enthielt nicht mit Name, Straße und Hausnummer öffentlich geächtet werden. ({3}) Wer an die wirklichen Ursachen heranwill, muss klarstellen, dass Profitmacherei mit kriminellen Mitteln auch nicht durch das Wettbewerbsprinzip der Marktwirtschaft gedeckt ist, muss für staatliche Aufsicht und Kontrolle sorgen. Sonst braucht sich der Bundeskanzler nicht zu wundern, wenn er erneut mit dem Vorwurf konfrontiert wird, er sei der Kanzler der Bosse. Meine Fraktion jedenfalls wird darauf drängen, dass das gesetzgeberisch Notwendige sehr rasch auf den Weg gebracht wird, damit Verstöße gegen das Futtermittel- und Lebensmittelrecht als Straftatbestände eingestuft und entsprechend geahndet werden können. Denn auch Abschreckung gehört zum vorbeugenden Verbraucherschutz. Im Namen meiner Fraktion möchte ich sehr deutlich unser Unverständnis darüber äußern, dass Frau Ministerin Künast in ihrer Eröffnungsrede zur Grünen Woche kein einziges Wort zu BSE-Finanzhilfen für betroffene Landwirte verloren hat. Dabei hat wohl keiner erwartet, dass sie sich bereits über die Höhe und Modalitäten einer Unterstützung äußert. Es war aber einfach zu wenig und hat die anwesenden Landwirte enttäuscht, lediglich festzustellen, viele landwirtschaftliche Betriebe seien in Schwierigkeiten und teilweise in Existenznot geraten. Auch in der gestrigen Ausschusssitzung hat sie sich sehr bedeckt gehalten. Klar wurde allerdings, dass der Unterstützung der Landwirtschaft wegen der Einkommensausfälle durch den Nachfragerückgang bei Rindfleisch und den Preissturz kein allzu großer Stellenwert in der Prioritätenliste der BSE-Folgekosten beigemessen wird. Ich halte diese Einschätzung für fatal, zumal allen Beteiligten klar ist, dass es nur um Nothilfe und nicht um einen Ausgleich von Einkommensausfällen gehen kann. Für einen groben politischen Fehler halte ich es deshalb, dass unser Antrag vom 1. Dezember des vergangenen Jahres betreffend ein Soforthilfeprogramm zur finanziellen Entlastung der von der BSE-Krise betroffenen Kommunen und Landwirte gestern im Ausschuss abgelehnt wurde. Welcher Landwirt soll das verstehen? ({4}) Ein unmissverständlicher Auftrag des Parlaments wäre ein wichtiges Signal der Solidarität des Bundestages mit den betroffenen Bauern gewesen. Ich kann hier nicht auf alle anderen Forderungen eingehen, die von meiner Fraktion und von anderen Fraktionen zur Bewältigung der BSE-Krise erhoben wurden. Allerdings erwarte ich, dass im Ergebnis der verschobenen Konferenz der Agrar- und Umweltminister endlich Antworten kommen, auch zum bereits im November angemahnten Konzept zur Entwicklung der heimischen Eiweißpflanzenproduktion. Das Allerwichtigste ist jetzt zweifellos, das Vertrauen der Verbraucher zurückzugewinnen. Die Chance dafür ist gegeben, denn die Verbraucher sind wie nie zuvor für eine nachhaltige, umweltschonende und tierartgerechte Landwirtschaft sensibilisiert, die vor allem gesundheitlich unbedenkliche Lebensmittel erzeugt. Deshalb wird meine Fraktion auch alles unterstützen, was die Bundesregierung in dieser Richtung initiiert. Ich möchte aber auch zu bedenken geben, dass die doch recht nebulösen Ankündigungen zur neuen Agrarpolitik zu einer zusätzlichen Verunsicherung bei den Landwirten geführt haben. Deshalb müssen schnellstens die Umrisse eines Agrarkonzepts auf den Tisch und in die breite Diskussion. Die hierbei schwierigste Frage dürfte sein, wie die Ökologisierung der Landwirtschaft bei besonderer Förderung des Ökolandbaus unter den Bedingungen des EU-Binnenmarktes und der EU-Agrarreform umgesetzt werden kann. Meine Damen und Herren, bei allen scheinbar unüberwindbaren Problemen und den damit verbundenen dringend erforderlichen Lösungen muss klar sein, dass es keine Ausgrenzung der Bauern geben darf und die Bundesregierung dem ländlichen Raum in der gegenwärtigen Krise schnell und zukunftsorientiert helfen muss. Die Zusammenarbeit mit den Bauern und den Verbrauchern ist für mich dabei unerlässlich. Danke. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Iris Hoffmann von der SPD-Fraktion das Wort.

Iris Hoffmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003151, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich eines gleich vorwegnehmen und bekräftigen: Wir lassen die Landwirte nicht alleine und stehen an der Seite der Bauern. ({0}) Uns ist durchaus bewusst, dass nicht die deutschen Bauern die Ursachen für BSE gesetzt haben. Nein, hier stehen Hersteller der Futtermittel in der Kritik. Meine Damen und Herren, die Situation der Landwirtschaft ist auch deshalb so dramatisch, weil derzeit keinerlei wissenschaftliche Erkenntnisse sowohl über den Erreger als auch über die Übertragung der Krankheit vorliegen. Fakt ist bislang nur, dass Tiermehl ein sehr wesentlicher Überträger zu sein scheint; auch Milchaustauscher sind nach wie vor nicht auszuschließen. Deshalb war es nach dem Auftreten von BSE ein dringendes Gebot, die Verwendung von Tiermehlen und Tierfetten zu Futterzwecken zu verbieten. Wir sind dafür und bleiben dabei - auch im Interesse der Landwirte -, das Verfütterungsverbot in Deutschland unbefristet gelten zu lassen. Dieses Verbot muss auch EU-weit Bestand haben. BSE hat bei uns aber auch den Stellenwert des vorsorgenden Verbraucherschutzes in ein anderes Licht gerückt. Wir als Politiker haben jetzt die Aufgabe, im Konsens zwischen Bauern und Verbrauchern die Agrar- und Verbraucherpolitik zu definieren. Dies ist auch im Sinne und Interesse der deutschen Landwirte. Ich freue mich, dass auch der Bauernverband zu diesem Konsens zwischen Bauern und Verbrauchern steht. Nur wenn die Produkte qualitativ den Ansprüchen der Verbraucher gerecht werden, werden sie dauerhaft absetzbar sein. Die Verbraucher müssen natürlich wissen, dass qualitativ hochwertige landwirtschaftliche Erzeugnisse ihren Preis haben. Auch dem Handel als einem Kettenglied zwischen Erzeuger und Verbraucher kommt hierbei eine große und besondere Verantwortung zu. Wenn wir in diesem Zusammenhang über finanzielle Mittel reden, muss aber auch klar sein, dass jeder hier das Seine zu schultern hat. Mit Blick auf die Länder mache ich deshalb deutlich auf deren Verantwortung aufmerksam. Ganz sicher ist auch der Bund in der Pflicht. National werden wir 900 Millionen DM zusätzlich bereitstellen. 500 Millionen DM gehen an die EU, um den Anteil Deutschlands an der Aufstockung des EU-Haushaltes zur Finanzierung der EU-weiten BSE-Maßnahmen abzudecken. Des Weiteren werden wir bis zu 400 Millionen DM zur Verfügung stellen, wenn die EU-Regelung angewendet werden muss, bis zu 400 000 Rinder in Deutschland zu keulen und zu vernichten. Aber: Was über die Größenordnung von 900 Millionen DM hinausgeht, muss und wird in den nächsten Wochen letztlich mit den Ministerpräsidenten zu verhandeln sein. Dabei wird sich zuallererst die Frage stellen, ob die Maßnahmen der Länder wenigstens annähernd ein VoluKersten Naumann men erreichen, das dem der Bundesbeteiligung entspricht. Bis jetzt ist eigentlich von den Ländern nur lautes Rufen nach dem Bund zu vernehmen. Deutlich sage ich aber auch, dass der Bund nur in der Lage ist, innerhalb des bestehenden Haushaltvolumens weitere Mittel aufzubringen. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch etwas sagen: Wenn ich Anträge der Opposition wie etwa mit dem Titel „Ländlichen Raum gemeinsam mit der Landwirtschaft stärken“ sehe und darin die Forderung finde, wieder den Titelansatz der Gemeinschaftsaufgabe anzuheben, ist das, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, zynisch und auch unehrlich gegenüber den deutschen Bauern. Das habe ich Ihnen vor acht Wochen in der Debatte zum Agrarhaushalt gesagt und ich tue es heute gerne noch einmal: Erst nach dem Regierungswechsel haben Sie Ihre Affenliebe zur Gemeinschaftsaufgabe entdeckt. Sie waren doch diejenigen, die die Mittelausstattung der Gemeinschaftsaufgabe in 16 Jahren dramatisch - um Milliardenbeträge - zurückgeführt haben. Hinzu kommt, dass Sie genau wissen, dass der größte Teil der Finanzminister der Länder bereits in argen Nöten ist, den jeweiligen Länderanteil an der Gemeinschaftsaufgabe aufzubringen. Deshalb sage ich noch einmal: Ihre Mätzchen machen wir nicht mit. Wir werden solche Schaufensteranträge auch in Zukunft ablehnen, wenn sie auf der Tagesordnung stehen. Vielen Dank. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat Kollege Heinrich-Wilhelm Ronsöhr von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.

Heinrich Wilhelm Ronsöhr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002766, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die BSE-Krise trifft viele Vieh haltende Betriebe in der Bundesrepublik Deutschland. Die Ställe sind randvoll. Bei mir hat sich neulich jemand mit den Worten beklagt, er könne inzwischen ein Altersheim für Kühe einrichten. Die Zahl der Schlachtungen ist drastisch zurückgeführt worden. Nun heißt es - diesen Vorwurf möchte ich zurückweisen -, die Landwirte hätten am Markt vorbei produziert. ({0}) - Ich habe doch dem Bundeskanzler zugehört, Frau Lemke. - Noch vor kurzem hat man hier davon gesprochen, dass sich selbst für die konventionellen Rindfleischerzeuger auf dem Rindfleischmarkt besondere Marktchancen ergeben, dass sich die Rindfleischmärkte stabilisiert haben. Heute können die Landwirte ihre Tiere teilweise, zum Beispiel wenn sie Kälber, wenn sie Fresser gekauft haben, um diese zu mästen, nicht einmal mehr zum Einkaufspreis verkaufen. Ich finde, dass man durchaus einmal an die Einschätzungen der Marktentwicklung erinnern muss. Man darf jetzt nicht so tun, als handele es sich hier um ein Fehlverhalten in der Landwirtschaft. ({1}) Der Bundeskanzler - ich rede ganz bewusst über ihn hat den Landwirten und den Bauernfunktionären vorgeworfen, sie würden teilweise keine gesunden Lebensmittel produzieren. Dabei hat die Bundesregierung im Ernährungsbericht 2000 selbst festgestellt - und im Parlament entsprechende Aussagen getroffen -, dass das Zusammenwirken aller Maßnahmen dazu geführt hat und weiterhin sicherstellen wird, dass der vorbeugende Gesundheitsschutz des Verbrauchers bei der Ernährung umfassend gewährleistet ist. Hat man den Verbraucher hier vielleicht beschwindelt? Es muss doch einmal jemand erklären, warum man heute ganz andere Aussagen hört und den Bauern Vorhaltungen macht. ({2}) Es geht weiter: Damit nicht gesagt wird, dass es sich um zwei oder drei Ministerien handelt, will ich einmal aus dem Entschließungsantrag zum Agrarbericht 2000 zitieren. In diesem Entschließungsantrag hat Rot-Grün festgestellt, dass die Landwirtschaft die Versorgung mit gesunden Lebensmitteln sichere. Bitte machen Sie den Bauern jetzt also keine Vorwürfe! ({3}) Sie sind ungerechtfertigt. Damit wollen Sie nur von einem Versagen der Politik ablenken. Ich frage mich nach wie vor, was die Bauern in ihren Betrieben eigentlich falsch gemacht haben. ({4}) - Sprechen Sie das doch offen an! Herr Schröder wirft den Bauern ständig Versäumnisse vor, über die vorher aber noch nie hier diskutiert wurde. ({5}) Wir dürfen die Bauern jetzt nicht im Stich lassen. Sie befinden sich in einer existenziellen Krise. Ich war mit Frau Merkel auf der Grünen Woche, um unsere Solidarität mit den Bauern zu zeigen. ({6}) - Aber der Bundeskanzler darf Herrn Sonnleitner beleidigen und die Bauern anklagen! Das finde ich genauso ungehörig. Wenden Sie sich bitte auch einmal dagegen, dass der Bundeskanzler die Bauern beleidigt. ({7}) - Ja, das ist ein schönes Thema. Sie greifen nämlich jetzt Menschen ungerechtfertigterweise an. Wir haben allen Grund, jetzt endlich einen Solidaritätsfonds für den ländlichen Raum einzurichten. ({8}) Iris Hoffmann ({9}) Meine Fraktion hat gestern einen entsprechenden Antrag eingebracht, der aber abgelehnt wurde. Wir waren uns bei den Maßnahmen zur BSE-Bekämpfung weitestgehend einig. Jetzt fordern wir einen Aktionsplan für die Schlachtereien, für die vor- und nachgelagerten Bereiche in der Landwirtschaft und für die Landwirtschaft selbst. ({10}) Wir dürfen nicht erst die Strukturen wegbrechen lassen, um sie dann wieder aufbauen zu müssen. Wir müssen vielmehr jetzt die Strukturen im ländlichen Raum sichern. Es geht hierbei vor allen Dingen um die Menschen in diesem Raum, deren Erwerbsmöglichkeit auch weiterhin gesichert werden muss. Ich möchte deshalb an Sie appellieren, jetzt endlich Flagge für den ländlichen Raum und für die Landwirtschaft zu zeigen. ({11})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Ulrike Höfken vom Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Ulrike Höfken-Deipenbrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002680, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Man kann der Rede von Herrn Ronsöhr anmerken, dass er die neue Rolle des Verbraucherschützers noch nicht ganz angenommen hat. Ich will betonen, dass wir die Lage der betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Ernährungsindustrie, im Handwerk und in der Landwirtschaft sowie die Lage der Verbraucher nicht missachten dürfen. ({0}) Die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler müssen jetzt für die mangelhaften Schutzmaßnahmen der alten Bundesregierung aufkommen. Wir sind uns ja darin einig, dass die Infektion vor fünf Jahren oder noch früher erfolgte. Es gab mangelhafte Kontrollen - Stichwort „Bayern“ - und eine unglaubliche Ignoranz von Ihrer Seite. ({1}) Sagen Sie jetzt bloß nicht, Sie hätten all das nicht gewusst! Denn wir haben in der Opposition entsprechende Warnungen ununterbrochen ausgesprochen. ({2}) Sie können dem früheren Landwirtschaftsminister Funke vorwerfen, dass er bei der Krisenbewältigung einige Fehler gemacht habe. Aber er hat - im Gegensatz zu Ihnen - die Verantwortung übernommen. ({3}) Die Verantwortlichen für die Ursachen sind Sie. ({4}) Die Verantwortung liegt auch bei den Funktionären des Berufsstandes und vor allen Dingen bei der Futtermittelindustrie, ({5}) für die Sie nun eine Entschädigung fordern. Nach Ihrer Auffassung sollen also die Verursacher der Krise entschädigt werden. Ich bin sehr dafür, dass die Unternehmen, bei denen es Panschereien gab - ich nenne in diesem Zusammenhang Deuka und Raiffeisen - , zur Verantwortung gezogen werden und sich an der Finanzierung beteiligen müssen. ({6}) Ich bin auch dafür, dass alle vorhandenen Futtermittel untersucht werden. Ich bedaure am meisten die betroffenen Betriebe. Ich sehe es auch so, dass die Bauern in ihrer großen Mehrzahl weit mehr Opfer als Täter waren. Aber man kann beobachten, dass die fatale Ignoranz in großen Teilen der Opposition weiter fortlebt. ({7}) Ich erinnere nur an die Debatte gestern im Ausschuss, gerade vonseiten der F.D.P. Bei der Diskussion über die Kohortenschlachtung oder die Herdenschlachtung werden Gebilde aufgebaut, die jeder Realität entbehren. Wenn man die Hilfe für die Betriebe in den Vordergrund stellen will, muss man doch auch die rechtlichen Voraussetzungen dafür schaffen. Stattdessen wird davon abgeraten, nach dem entsprechenden Seuchengesetz zu handeln, und dazu geraten, alle möglichen Ausnahmeregelungen zu schaffen. Man beruft sich von Ihrer Seite auf die Schweiz. Aber um das einmal klarzustellen: Die Schweiz hat, sehr verantwortungsvoll, vor zehn Jahren mit der BSEBekämpfung angefangen. Sie hat konsequent gehandelt und jahrelang ganze Herden geschlachtet. Erst dann hat sie überlegt, anders vorzugehen, und das macht sie jetzt. Wenn Sie zehn Jahre so wie die Schweiz handeln, bin ich einverstanden. Stattdessen betreiben Sie eine Verunsicherung der Betriebe und verhindern, dass die entsprechenden Hilfen, Unterstützungsmaßnahmen und Neuaufbaumaßnahmen dort ankommen können. Das Zweite ist das Marktentlastungsprogramm. Ich bin gestern fast vom Stuhl gefallen: Die F.D.P. spricht sich dagegen aus, dass ein solches Programm überhaupt aufgenommen wird. ({8}) Mir tut es um jedes Tier Leid, das geschlachtet wird, und ich teile weiß Gott ethische Bedenken, was eine Nichtverwendung von Fleisch als Lebensmittel angeht. Aber man muss doch tatsächlich fragen: Was ist denn eigentlich die Alternative? Möchten Sie Altersheime für Kühe finanzieren? Dann müssen Sie sich die Frage gefallen lasHeinrich-Wilhelm Ronsöhr sen, ob die Mittel dafür nicht besser den Menschen zugute kommen sollten. Oder möchten Sie vielleicht eine Zwangsverfütterung von Rindfleisch oder sollen sich Freiwillige melden, die jede Woche 1 Kilo altes Rindfleisch essen? Das ist wirklich eine attraktive Angelegenheit, die dann sicher mit dem Bundesverdienstkreuz belohnt wird. Oder soll das Rindfleisch in die Dritte Welt geschickt werden? Oder soll es eine Intervention geben? Sie wissen ganz genau, dass das Fleisch nach zwei Jahren nicht mehr verkehrsfähig ist und dann verbrannt werden muss. Dann hat man für die Lagerung auch noch die Energieverschwendung. Wenn man sich wirklich entschließen will, die betroffenen Betriebe zu unterstützen, dann muss man sich an einem Tisch zusammensetzen und dann muss man ein Marktprogramm entwickeln, das anschließend konsequent umgesetzt werden muss. Ich glaube, dazu gibt es keine Alternativen. ({9}) In einem ersten Schritt werden - auch Frau Hoffmann hat darauf verwiesen - die alten Futtermittel abgeholt und auf Bundeskosten entsorgt. Zweitens - da sind die Länder gefordert - müssen entsprechende Gebühren erhoben werden, was die Nichtverwendung des Tiermehls anbelangt. Drittens müssen Bauern und Arbeitnehmer, die von der jetzigen Absatzkrise betroffen sind, eine neue Perspektive erhalten, und zwar mit einer Agrarpolitik, die auf Qualität setzt und das Vertrauen der Verbraucher wiedergewinnt. Auch da - ganz wichtig - würden wir uns freuen, wenn Sie dazu beitragen würden, im Rahmen der Agrarreform beispielsweise die Verordnung für den ländlichen Raum zu stärken, statt immer nur auf Flächenprämien und Tierprämien zu beharren - das gilt gerade für die F.D.P. - , ({10}) und mit dieser Verordnung eine Umlenkung in Richtung umweltgerechte Landwirtschaft und ländliche Räume zu unterstützen. Ich finde, im Rahmen eines Solidaritätsfonds - Sie verstehen darunter: „Staat, gib uns Mittel“; so verstehe ich das nicht - sollte darüber nachgedacht werden, ob es nicht eine Umlage, wie es in Frankreich der Fall ist, geben sollte, die zweckgebunden für den Aufbau einer neuen Qualitätsproduktion und die Sicherheit der Lebensmittel eingesetzt wird, und ob wir nicht auf diese Art und Weise verhindern können, dass sich ein solches Geschehen wiederholt.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin!

Ulrike Höfken-Deipenbrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002680, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich denke, unser Motto muss lauten: Nie wieder! Danke. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat der Kollege Peter Bleser von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.

Peter Bleser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000198, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein Freund des ländlichen Raumes ist unser Bundeskanzler ja nun wahrlich nicht. ({0}) Das erfährt er jetzt jeden Tag auf seiner Wahlkampftour durch Rheinland-Pfalz. Überall, wo er hinkommt, warten die Bauern auf ihn ({1}) und zeigen ihm ihren Unmut. Sie sind äußerst verärgert über die abfälligen Äußerungen des Bundeskanzlers über die Bauern und deren gewählte ehrenamtliche Berufsstandsvertreter. ({2}) Meine Damen und Herren, da wird vom Bundeskanzler immer wieder die populäre Forderung erhoben, mehr für gute Nahrungsmittel zu zahlen. Das ist richtig; Qualität muss ihren Preis haben. Aber wer weiß noch, dass derselbe Bundeskanzler im Jahre 1999 bei der Beschlussfassung über die Agenda 2000 massiv für eine Senkung der Preise für Getreide um 15 Prozent und für Rindfleisch um 20 Prozent eingetreten ist? Derselbe Bundeskanzler vor anderthalb Jahren! ({3}) - Vielleicht mäßigen Sie sich in den Äußerungen; dann verstehen wir uns alle. Am 24. November 2000 wurde in Deutschland das erste Rind BSE-positiv getestet. Das war gestern vor zwei Monaten. Heute haben wir es mit dem 19. Fall zu tun und weitere positiv getestete Tiere stehen zur Überprüfung an. Zwei lange Monate sind vergangen, ohne dass über das Verfütterungs- und Verbringungsverbot von Tiermehl und Tierfetten hinaus eine Strategie zur Bekämpfung dieser Seuche vorgelegt worden ist. Zwei lange Monate sind also vergangen. Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Das stimmt doch gar nicht! - ({4}) Die Verbraucher sind nach wie vor unsicher. Sie vertrauen nach wie vor nicht - das beweist das Kaufverhalten - der versprochenen Fleischqualität und noch viel weniger vertrauen sie der Krisenlösungskompetenz dieser Bundesregierung. Die Verbraucher sorgen sich um ihre Gesundheit, die Bauern kämpfen um ihre Existenz. Das ist das Ergebnis von zwei Monaten Wurschteln dieser Bundesregierung. ({5}) Gestern hat bei einer Veranstaltung der Grünen Woche - Sie waren dabei, Frau Wolff - eine junge rindviehhaltende Landwirtin sehr emotional die dramatische Lage ihres Familienbetriebs geschildert. Die Frau war den Tränen nahe. ({6}) Sie hat gesagt, dass die Fleischpreise im Keller sind, dass die Tiere kaum noch absetzbar sind, dass die Ställe immer voller werden und dass die Kosten Tag für Tag weiterlaufen. Bei ihr waren es dann auch noch die Kredite und die Zinsen, die zusätzlich zu zahlen sind. ({7}) Die Menschen haben Angst vor dem wirtschaftlichen Ruin. Dies registrieren Sie hier nicht einmal. ({8}) Wenn der Staatssekretär Dr. Wille weisungsgemäß sagt: „Wir brauchen noch Zeit, um eine Herauskaufaktion von 400 000 Rindern über 30 Monate in Gang zu setzen, wir brauchen noch Zeit, um die Finanzierung der BSETests zu regeln, wir brauchen noch Zeit, um die Vernichtung von Tiermehlresten und von mit Tiermehl vermischtem Futter zu organisieren, wir brauchen noch Zeit, um die Kostenübernahme zur Beseitigung der Tierkadaver festzusetzen“ - und das nach über zwei Monaten - , dann können wir das nicht auf sich beruhen lassen. ({9}) Wenn darüber hinaus über Hilfen für die schwer geschädigten Bauern und die Betroffenen im Fleischgewerbe - Arbeitnehmer, Handwerker - noch nicht einmal gesprochen wird, dann zeigt dies, wie zynisch der Bundeskanzler mit einer ganzen Branche umgeht. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen mehr Sicherheit für die Verbraucher. Frau Ministerin Künast - vielleicht übermitteln Sie, meine Damen und Herren, ihr das, was ich jetzt sage - , ich vermute, es wird kein Weg daran vorbeiführen, dass wir alle BSE-testfähigen Tiere aus dem Markt nehmen, sobald sie zur Schlachtung anstehen, damit den Verbraucherschutz erhöhen, Frau Ministerin; denn wenn nach zwei Jahren kein Tier mehr auf dem Markt sein kann, das mit Tiermehl gefüttert worden sein könnte, wäre mit Sicherheit davon auszugehen, dass eine Infektion über das Futter nicht stattgefunden hat. Ich sage Ihnen: Sie werden mit Ihren 400 000 Tieren nicht zurechtkommen, ({10}) solange es nicht möglich ist, einen Test am lebenden Tier durchzuführen und damit zweifelsfrei zu garantieren, dass der Verbraucher keine Gefahr zu fürchten hat. ({11}) Es wird mit Sicherheit noch weitere Nachahmer einiger Betriebe im Norden Deutschlands geben, die es ablehnen, Tiere über 30 Monate überhaupt zu schlachten, weil sie fürchten, in ihrem Betrieb könnte ein BSE-Fall auftreten und damit auch ihre Existenz gefährdet werden. Der „Spiegel“ spricht sogar davon, dass man weit über 1 Million Tiere aus dem Markt nehmen muss. Ich fordere die Bundesregierung auf: Finden Sie einen Kompromiss mit Wissenschaftlern, Verbrauchern und Bauern, aber auch mit dem Lebensmittelhandel über die zukünftige Form der Lebensmittelproduktion. Dabei müssen der vorsorgende Verbraucherschutz, der Tierschutz, eine nachhaltige Landbewirtschaftung sowie eine transparente Produktion von Futter bis zum Fleisch, das an der Ladentheke verkauft wird, im Vordergrund stehen. ({12})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Peter Bleser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000198, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme sofort zum Schluss. - Wir bitten die Bundesregierung, unsere Unterstützung anzunehmen - wir jedenfalls bieten sie an - , um dieses Land aus der derzeitigen schweren Krise herauszuführen. Dazu gehört, dass Sie endlich Ihrer Verantwortung gerecht werden. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Für die Bundesregierung erteile ich jetzt dem Parlamentarischen Staatssekretär Gerald Thalheim das Wort. Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn man der Diktion des zu diesem Thema vorliegenden Antrags folgt, dann hat man fast den Eindruck, als ob man die BSE-Krise wie ähnliche Ereignisse in der Vergangenheit behandeln will: Es kommt zu einer Krise, der Bund soll Geld geben und das Problem ist aus der Welt geschafft. ({0}) So wird es natürlich nicht gehen. Dies ist schon gar nicht dadurch zu schaffen, dass gegenüber dem Bundeskanzler Vorwürfe erhoben werden und suggeriert wird, die Bundesregierung grenze die Bauern aus. Davon kann überhaupt keine Rede sein. Frau Bundesministerin Künast hat hier im Plenum erst vor kurzem erklärt, dass es bei der Bewältigung dieser Krise nur ein Miteinander von Verbrauchern und Landwirten geben kann. Das ist der einzig richtige Weg. ({1}) Natürlich trägt jeder seinen Teil der Verantwortung. Auch die Funktionäre des Deutschen Bauernverbandes können hiervon nicht ausgenommen werden. In diesem Zusammenhang möchte ich auf das Stichwort „Redlichkeit“ zu sprechen kommen. Unredlich haben vor allen Dingen diejenigen gehandelt, die die Sorgen um die Agenda 2000 politisch instrumentalisiert haben. Unredlich haben auch die Kollegen gehandelt, die in Cottbus auf dem Bauerntag fast Wortführer des Protestes waren. Unredlich handeln vor allem Sie, Herr Glos. Wenn man seit 1990 die Ehre hat, diesem Hohen Hause anzugehören, dann hat man ja an einigen Entscheidungen teilgenommen. Ich kann mich noch gut an die eigentliche Reform von 1992 erinnern: Die hatte Ignaz Kiechle zu verantworten. Er hatte im Grunde genommen keinen Ausweg; aber er führte die Orientierung Richtung Weltmarkt ein. Dann kam die Uruguay-Runde von 1994 mit der Konsequenz, auch die Agrarmärkte zu öffnen und die Zölle abzubauen, und vor allen Dingen mit der Folge, nicht mehr wie in der Vergangenheit mit Exporterstattungen arbeiten zu können. Wohlgemerkt, Herr Glos, das war 1994. Da gab es gar keine andere Wahl, als auf diesem Weg weiterzugehen. Hier wurde angesprochen, es sei immer von Weltmarktorientierung die Rede gewesen. Wie deformiert wir alle sind - ich schließe mich sehr wohl ein - , zeigt sich daran, dass wir, wenn in der Landwirtschaft von Markt die Rede ist, nur an den Preis denken. Dass aber auf dem Markt auch Qualität und vieles andere mehr eine Rolle spielen, ist fast vergessen. ({2}) Was heißt das in der Konsequenz? Aus der BSE-Krise sind keine parteipolitischen Funken zu schlagen. Hier hat die Bundesregierung - da schließe ich meine Person nicht aus - Fehler gemacht. Stichworte hierbei sind „Tiermehlverfütterungsverbot“ und „Herausnahme von Risikomaterialien“. Bei letzterem Stichwort habe ich noch gut die Kritik von vielen Kollegen dahin gehend im Ohr, dass dies gemacht wurde. Insofern sollten wir uns an dieser Stelle gegenseitig nichts vorwerfen. Das Problem ist, dass viele für das Entstehen der Krise verantwortlich sind, auch der Handel. Ausgehend von dem enormen Preisdruck, der im Lebensmitteleinzelhandel besteht, der mit Schleuderangeboten um Kunden geworben hat, waren alle Beteiligten - beginnend bei der Futtermittelindustrie, sich fortsetzend bei den Bauern und endend beim Handel im nachgelagerten Bereich - gezwungen, Kosten einzusparen. Meine Damen und Herren, so richtig das in einer Marktwirtschaft ist: Gefährlich wird es dann, wenn es um die Lebensmittelsicherheit geht. In diesem Zusammenhang sind die Stichworte „Unvernunft“, „Verantwortungslosigkeit“ und „Kriminalität“ zu nennen. Im Hinblick auf die Unvernunft ist zum Beispiel die Verwendung von Separatorenfleisch zu nennen. Obwohl wir im Überfluss leben, musste noch das letzte von den Knochen abgekratzte Fleisch mit in der Wurst verarbeitet werden. Verantwortungslosigkeit betrifft die Frage, dass Tiermehl an Wiederkäuer verfüttert wurde, und es ist Verantwortungslosigkeit nicht nur bei der Futtermittelindustrie vorhanden, sondern letztendlich auch bei denen, die zu kontrollieren hätten. ({3}) Kriminalität war gestern das Thema beim Arzneimittelskandal. Meine Damen und Herren, eines ist, denke ich, an dieser Stelle grundsätzlich festzuhalten: Es ist mittlerweile auch im Bewusstsein vieler Bauern, dass BSE nicht nur die Folge von Verfütterungsfehlern ist, BSE stellt einen Kollaps des Systems dar. ({4}) - Die Konsequenz aus dieser Erkenntnis ist allerdings bei dir persönlich wie auch bei der Bayerischen Staatsregierung ausgeblieben. ({5}) Es ist also mehr erforderlich, als nur Geld in die Hand zu nehmen. Die Bundesministerin Frau Künast wird am 8. Februar die Grundsätze ihrer neuen Agrarpolitik in einer Regierungserklärung bekannt geben. Natürlich können wir nicht bis zum 8. Februar warten; da ist vorher einiges zu tun. Es sind Fragen zu stellen, wie es am Ende mit den Ernährungsgewohnheiten weitergehen soll, wie die Art und Weise der Lebensmittelherstellung, die Organisation und Effizienz der Verwaltungsstrukturen sowie die Kontrollen zwischen Bund und Ländern zu gestalten sind, ebenso die Frage, wie wir noch mehr für den ländlichen Raum tun können. An dieser Stelle möchte ich im Übrigen den Hinweis geben, dass mit der Agenda 2000 eine neue Säule, wie wir das nennen, geschaffen worden ist, um mehr Geld in diesen Bereich zu geben. ({6}) Also, der Vorwurf, dass hier nichts getan worden sei, ist völlig fehl am Platz. Das Erste, was die Bundesministerin getan hat - ich denke, das ist in dieser Situation das Wichtigste - , war, einige Entscheidungen zu treffen, um das Vertrauen der Verbraucher wiederzugewinnen. Mit Aufkaufaktionen und Parl. Staatssekretär Dr. Gerald Thalheim allem, was wir diskutieren, ist das Problem nicht zu lösen. Am Ende werden wir das Ziel nur erreichen, wenn die Verbraucher wieder Vertrauen in Rindfleisch und in Fleisch insgesamt gewinnen. Natürlich geht es auch um direkte Hilfeleistungen. Der Bund wird sich hier nicht verweigern. Wir müssen das aber parallel zu einigen Entscheidungen im Futtermittelrecht tun, im Grunde genommen auch dazu, wie künftig geschlachtet wird, wie wir künftig bestimmte Regeln in der Ernährungsindustrie neu fassen. Es wird um Liquiditätshilfen für die Betriebe gehen. Aber da, Kollege Ronsöhr, möchte ich einen dezenten Hinweis geben: Wir alle wissen, wie groß das Missmanagement in der ganzen Schlachthofbranche war. Ihr damaliger Landwirtschaftsminister Jochen Borchert ist ja mit dem Versuch gescheitert, ein Strukturkrisenkartell einzurichten. Was an der Stelle nicht geht, ist, dass wir mit Steuergeldern das Missmanagement ausgleichen. ({7}) An dieser Stelle hat diese Branche ihre eigene Verantwortung. Wenn wir jemandem zu helfen haben, dann den Beschäftigten in diesem Bereich. Der Bund wird auch für die Konsequenzen aus dem BSE-Programm auf europäischer Ebene finanziell einstehen. Da sind Zahlen um etwa 500 Millionen DM in der Diskussion, die mögliche Mitfinanzierung des Bundes bei der europäischen Herauskaufaktion überhaupt noch nicht eingerechnet. Das heißt auf keinen Fall, dass diese ganze Geschichte letztlich am Bund vorbeigehen würde, ohne dass finanzielle Konsequenzen daran gebunden wären. Aber im Umkehrschluss heißt es, dass für vieles andere die Beteiligten Mitverantwortung tragen, auch finanziell, die das mit verursacht haben. Alle in der Kette, auch die Verbraucher, sind für Tests, Untersuchungen usw. mit in der Pflicht. Ich möchte gerade bei der Frage, wer in der Kette die Kosten trägt, abschließend die Gelegenheit für einen Appell vor allem an den Lebensmitteleinzelhandel nutzen, dass in Zukunft eben nicht mehr der Wettbewerb ausschließlich über den Preis geführt wird, sondern dass Qualität, Herkunft und Ähnliches eine größere Rolle spielen. Wir als Politik haben für eine Kennzeichnung zu sorgen, hinsichtlich deren dort, wo Qualität draufsteht, auch Qualität enthalten ist. Nur dann wird er bereit sein, den entsprechenden Preis zu zahlen. Kurz und gut: Wir werden den Teil finanzielle Verantwortung übernehmen, der uns zusteht, aber alle Beteiligten in der Kette, auch die Länder, werden ihren Teil mit übernehmen müssen. Vielen Dank. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat der Kollege Albert Deß von der CDU/CSU-Fraktion das Wort

Albert Deß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000376, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, Schuldzuweisungen wegen BSE sind unangebracht. Wenn hier dauernd Bayern an den Pranger gestellt wird, dann möchte ich fragen: Was hat ein Ministerpräsident Schröder in Niedersachsen, was hat eine Frau Simonis in Schleswig-Holstein getan, um dort die BSE-Fälle zu verhindern? In diesem Punkt sind keine politischen Debatten möglich, ({0}) sondern wir müssen jetzt versuchen, etwas zu unternehmen, damit diese Krise möglichst schnell bewältigt werden kann. ({1}) Seit dem Auftreten von BSE in Deutschland hat sich für die Verbraucher, die Landwirtschaft und die vor- und nachgelagerten Bereiche vieles verändert. Oberstes Ziel muss es jetzt sein, das Vertrauen der Verbraucher in gesunde Nahrungsmittel wiederherzustellen. Es sind deshalb alle geeigneten Schutzmaßnahmen zu ergreifen, um den Verbrauchern ein größtmögliches Maß an Sicherheit zu geben. Zur Bewältigung der gegenwärtigen Situation ist ein gemeinsames Vorgehen auf allen Ebenen und über alle Parteigrenzen hinweg erforderlich. Europäische Union, der Bund, die Länder und die Kommunen sind ebenso gefordert wie die Verbände und die Betroffenen in den vor- und nachgelagerten Bereichen. Über zwei Monate sind vergangen, seit der erste BSEFall in Deutschland aufgetreten ist. Die rot-grüne Bundesregierung hat bis heute kein Programm vorgelegt, wie sie den vielen unverschuldet in existenzielle Schwierigkeiten geratenen Betrieben helfen ({2}) und auch die unmittelbar davon betroffenen Wirtschaftszweige unterstützen will. ({3}) Im Gegenteil: Die Bundesregierung hat es bis heute nicht geschafft, die strengen deutschen Maßnahmen, die im Zusammenhang mit BSE beschlossen wurden, europaweit umzusetzen. Wie sollen die deutschen Landwirte im europäischen Wettbewerb bestehen können, wenn in angrenzenden EU-Ländern völlig andere Standards erlaubt sind? ({4}) Wie will die rot-grüne Bundesregierung den Verbraucherschutz sicherstellen, wenn zum Beispiel in Holland zum Beispiel bei der Kälbermast nach wie vor tierische Fette einsetzt werden können? Es nützt nichts, meine sehr verehrten Damen und Herren, hier in Deutschland große Sprüche zu klopfen, wenn Parl. Staatssekretär Dr. Gerald Thalheim man andererseits nicht fähig ist, europaweit einen einheitlichen Verbraucherschutz durchzusetzen. Wenn die Bundesregierung dazu nicht in der Lage ist, muss sie schnellstens ein Importverbot für Nahrungsmittel aus Ländern durchsetzen, die nicht nach unseren Standards produzieren. ({5}) Wir haben hier die gleiche Situation wie beim Abschluss der Agenda 2000 -: Außer großen Sprüchen ist von den Ankündigungen des Bundeskanzlers nicht viel übrig geblieben. Die einmalige Chance, eine Kehrtwende in der europäischen Agrarpolitik vorzunehmen, wurde zu nutzen versäumt. Heute fordert der Bundeskanzler eine Kehrtwende der von ihm mit beschlossenen Reformen. Die Halbwertzeiten der Aussagen des „Basta“-Kanzlers werden immer kürzer. Es war eine Beleidigung vieler deutscher Bäuerinnen und Bauern, als der Bundeskanzler im Zusammenhang mit BSE von „Agrarfabriken“ und „Massentierhaltung“ gesprochen hat. ({6}) Gerade die Rinderhaltung befindet sich in Deutschland weitgehend in bäuerlichen Strukturen. Von allen landwirtschaftlichen Produktionsbereichen findet die Rinderhaltung in den kleinsten Strukturen statt. Wenn die rot-grüne Bundesregierung zusammen mit der Europäischen Union und den Ländern nicht schnellstens Hilfsmaßnahmen beschließt, werden am Ende dieser Entwicklung Agrarfabriken stehen. Gerade die BSEKrise wird viele verbraucherfreundlich produzierende bäuerliche Betriebe zur Hofaufgabe zwingen. Und wann spricht der Bundeskanzler ein Machtwort gegen die Preisdruckpolitik aus Brüssel, die unsere Bauern zwingt, wertvolle Nahrungsmittel zu Ramschpreisen zu verkaufen? Im Gegenteil: Er hat den Agrarpreisverfall begrüßt. Wie will die rot-grüne Bundesregierung eine nationale Agrarpolitik gegen den Wettbewerb innerhalb der Europäischen Union absichern? Wird bei der Osterweiterung der Europäischen Union eine andere Agrarpolitik eingefordert und wird bei der nächsten Welthandelsrunde eine Kehrtwende der Agrarpolitik weg von Weltmarkt-Agrarpreisen massiv vertreten? - Eine Reihe von Fragen, die bis heute von dieser Bundesregierung nicht beantwortet sind. Zurzeit ist es für unsere Milchviehbetriebe eine unerträgliche Belastung, mit der Angst zu leben, dass ihr Betrieb der nächste ist, dessen Rinder beim Auftreten eines BSE-Falles gekeult werden. Die Bundesregierung muss schnellstens prüfen, ob statt der Keulung ganzer Bestände das Schweizer Modell der Kohortenkeulung, ergänzt um zusätzliche Maßnahmen im Interesse des Verbraucherschutzes, umgesetzt werden kann. Wir müssen uns die Erfahrungen der Schweiz zunutze machen, um die Krise schneller meistern zu können. ({7}) Dazu brauchen wir die aktive Mitarbeit der Rinder haltenden Betriebe. Dies wird am besten erreicht, wenn wir den Bauern die Angst nehmen, dass beim Auftreten eines BSE-Falles jahrzehntelange Zuchtarbeit zerstört wird.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

Albert Deß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000376, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Einen Satz noch. Der Bundeskanzler hat sich medienwirksam in Szene gesetzt, als er das Leben einer Weihnachtsgans gerettet hat. Er sollte sich auch einmal für die Tiere unserer Bauern interessieren und sich dort ähnlich medienwirksam in Szene setzen. Die CDU/CSU-Fraktion wird die Interessen der bäuerlichen Landwirtschaft auch im Deutschen Bundestag massiv vorbringen. Danke schön. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als nächster Redner hat der Kollege Holger Ortel von der SPD-Fraktion das Wort. ({0})

Holger Ortel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003203, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich weiß nicht: Ist die CDU die bessere Bauernpartei? ({0}) Nach dem, was ich bisher hier gehört habe, habe ich meine Zweifel. Die Menschen in diesem Lande verstehen dieses Hickhack gar nicht mehr. Sie haben nämlich die Nase voll davon. Die Menschen in diesem Lande wollen, dass wir und vor allen Dingen Sie auf den Oppositionsbänken mit diesem Aktionismus endlich aufhören. ({1}) Die Leute wollen, dass wir endlich vernünftig an diesem Thema arbeiten, und zwar alle zusammen. ({2}) Darum geht es. ({3}) Wir müssen gemeinsam an der Zukunft des ländlichen Raumes arbeiten. Wenn sich die Opposition hier verweigert, kann man das dann auch unverantwortlich nennen. Wir müssen auch gemeinsam den Druck von unseren Bauern nehmen, ({4}) den sie selber nicht erzeugt haben. Nicht alle Bauern sind schwarze Schafe. Wenn Kollege Ronsöhr von „den Bauern“ spricht, dann meint er 500 000 im Lande. ({5}) Bauer ist heute für mich immer noch ein hochanständiger Beruf. ({6}) Man kann nicht 500 000 Bauern an den Pranger stellen und alle meinen. ({7}) - Auch der Kanzler weiß, dass das ein hochanständiger Beruf ist. ({8}) - Doch. An dieser Stelle nutze ich die Gelegenheit, eine herzliche Bitte an die Medien zu richten: Bei der Aufgabe des Aufklärens und Kommentierens von Missständen haben auch unsere Medien eine Verantwortung. Ich bitte Sie von den Medien herzlich, diese Verantwortung wirklich wahrzunehmen. ({9}) Unsere Bauern sind, wie eine Zeitung jetzt getitelt hat, nicht die „Mülleimer der Nation“. Ich darf - sicherlich gemeinsam mit Ihnen, Herr Ronsöhr - feststellen: Verbraucher und Erzeuger sitzen in einem Boot. ({10}) Der Preisdruck, der vom Handel auf die Erzeuger ausgeübt wurde und immer noch ausgeübt wird, spricht gegen alle Vernunft. Lebensmittel als Lockmittel für den Verbraucher zu nehmen halte ich für unanständig. Lebensmittel als Ramschware zu verhökern ist pervers. ({11}) Ein halbes Pfund Butter für 0,99 DM, ein Kilo Rouladen für 5,55 DM oder fünf Hähnchen für 10 DM, das sind Preise, die man mit dem gesunden Menschenverstand überhaupt nicht nachvollziehen kann. Wir Verbraucher - auch ich bin einer - müssen auch einmal darüber nachdenken, wie es wohl kommt, dass wir für die Freizeit mehr ausgeben als für unsere Lebensmittel. Es gibt auch bei Schlachtern und Metzgern schwarze Schafe; das wissen wir. Wer meint, alles „verwursteln“ zu können, der muss dann eben auf die Wurst einen Aufkleber anbringen, wie wir ihn von Zigarettenschachteln kennen: „Die Gesundheitsminister …“ Ein solcher Aufkleber gehört dann auf die Wurst. Wir sind uns sicherlich auch einig, Kollege Ronsöhr, dass Futtermittelpanschern die rote Karte gezeigt werden muss. Wir sind uns auch einig, dass Schweinedoping und Rinder zu Kannibalen zu machen eine unvorstellbare Grausamkeit ist. ({12}) Ich denke, auch in diesem Bereich können wir gemeinsam etwas machen. Chemiecocktails und chemische Keulen haben in der Lebensmittelproduktion nichts zu suchen. Auch da gibt es Einigkeit. Warum nutzen wir nicht unsere Einigkeit in vielen Bereichen und setzen sie wirklich in Politik um? ({13}) Ich denke, wir sind uns einig, dass wir gemeinsam den Markt für unsere Bauern und unsere Produkte wieder in Gang bringen müssen. Wir wollen und wir müssen den ländlichen Raum weiterentwickeln. Auch da gibt es einen Konsens. Wir streiten uns nachher über Beträge. Aber darüber, dass wir das tun müssen, sind wir uns einig. Das geht nur im Kontext mit allen Regionen in diesem vereinten Europa. In der Landwirtschaft und im ländlichen Raum brauchen wir keine Revolution, sondern Evolution. Die bestehende Krise muss wirklich für uns alle eine nationale Herausforderung sein. Wir haben die Probleme abzuarbeiten und nicht täglich von dieser Stelle aus zu beschwören. Ich finde es beachtlich und positiv, dass jetzt endlich auch die Vertreter des Berufsstandes laut über Veränderungen nachdenken. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, bei der Bundesregierung ist diese Landwirtschaft wirklich in guten Händen. ({14}) Das muss man sagen, auch wenn hier und da einmal eine überzogene Anmerkung kommt; das will ich gerne zugeben. Ich denke, ein wohldurchdachter Schwenk in der Agrarpolitik ist längst überfällig. Wir werden in diesen Schwenk die Betroffenen im ländlichen Raum einbinden. Herzlichen Dank. ({15})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich erteile das Wort dem Kollegen Manfred Grund für die Fraktion der CDU/CSU. ({0})

Manfred Grund (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002667, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich als vorletzten Redner die Gelegenheit nutzen, auf die Folgen der aktuellen BSE-Krise für den ländlichen Raum in den neuen Bundesländern hinzuweisen. Dies erscheint mir deshalb geboten, weil es hier durchaus einige grundlegende Unterschiede gegenüber der Agrarstruktur in den alten Bundesländern gibt, was die Größe der Betriebe und damit auch die Folgen auftretender BSE-Fälle für Menschen und Tiere betrifft. ({0}) Die mehr oder weniger offen ausgesprochene Vorverurteilung landwirtschaftlicher Großbetriebe bereitet den in den neuen Ländern in der Landwirtschaft arbeitenden Menschen große Sorgen. ({1}) - Ich sage es auch dem Bundeskanzler; das können Sie vielleicht weitersagen. - Im Raum stehen Begriffe wie „industrielle Landwirtschaft“, „Massentierhaltung“ und „Agrarfabriken“. ({2}) Die Ursache von BSE und mancherlei anderen Verirrungen in der Landwirtschaft schien schnell ausgemacht zu sein, nämlich in der industriellen landwirtschaftlichen Produktion. ({3}) Rasch und lautstark haben der Bundeskanzler und die neue Ministerin eine grundlegende Kehrtwende angekündigt. Doch eine Kehrtwende wohin und eine Abwendung wovon? Inzwischen zeigt sich immer deutlicher, dass BSE jedenfalls kein ausschließliches Problem industrieller Landwirtschaft ist, wenn man sie nur von der Betriebsgröße her definiert. Der Erreger fragt nicht nach der Stallgröße. Der aktuelle BSE-Atlas weist gerade Regionen mit traditioneller bäuerlicher Landwirtschaft als Schwerpunkte der Krise aus. BSE macht auch keinen Bogen um Höfe mit gesicherter ökologischer Erzeugung. Die Folgen eines nachgewiesenen BSE-Falls in einem der vielen typischen Großbetriebe in den neuen Ländern - seit gestern gibt es ja den ersten nachgewiesenen Fall in Sachsen-Anhalt - sind allerdings für die betroffenen Menschen und auch für die Tiere enorm. So wird der gestern nachgewiesene BSE-Fall wahrscheinlich dazu führen, dass die gesamte Herde von nahezu 1 000 Tieren auf einen Schlag getötet werden muss. Dies ist umso dramatischer, als die Voraussetzungen für eine artgerechte Tierhaltung in den neuen Bundesländern durchaus gegeben sind. So liegt beispielsweise in Thüringen der durchschnittliche Tierbesatz mit 0,55 Kühen pro Hektar weit unter dem Bundesdurchschnitt, wobei der Spitzenwert bei 1,24 Tieren je Hektar liegt. Am Einsatz von Landesmitteln für die ökologische Bewirtschaftung, für die Landschaftspflege, für den Vertragsnaturschutz wird der Wille zur ökologischen Bewirtschaftung deutlich. Viele Betriebe in den neuen Bundesländern, ob Wiedereinrichter oder Anlagen mit größeren Tierbeständen, haben die Kehrtwende, die in der Agrarpolitik aktuell eingefordert wird, längst vollzogen: ({4}) Anlagen mit artgerechter Haltung, frei laufende Kälber und Kühe, Haltung nach Leistungsgruppen, geräumige und luftige Ställe. Eine Überdüngung der Felder ist weitgehend ausgeschlossen, weil der Höchstbesatz pro Hektar weit unterschritten wird. In diesem Zusammenhang ist auch wichtig, dass zum Beispiel in Thüringen 87 Prozent des Grünlandes extensiv bewirtschaftet werden. ({5}) Vieles, was jetzt als Kehrtwende in der Agrarwirtschaft gefordert wird, gibt es in den neuen Bundesländern längst. ({6}) BSE ist aber nicht nur ein Problem für die Landwirtschaft und die unmittelbar in ihr arbeitenden Menschen, sondern hat auch weit reichende Folgen für andere Branchen wie die Verarbeitung, die Gastronomie und den Tourismus. Das ist deshalb ein Problem, weil vieles, was hiermit zusammenhängt, ungeklärt und ungeregelt ist. In dieser ungeregelten Situation ist nun der erste BSEFall in einer Anlage mit nahezu 1 000 Tieren aufgetreten. Wer die Bilder vor Augen hat, wie einem Landwirt zumute ist, wenn 30 Tiere aus dem Stall getrieben werden, der kann sich vorstellen, was es bedeutet, wenn 30 mal 30 Tiere aus dem Stall getrieben werden und damit 30 bäuerliche Familien in ihrer Existenz betroffen sind. ({7}) Auch in Thüringen - bisher ohne einen BSE-Fall - gibt es jetzt bereits Kündigungen. So werden im Schlachthof Altenburg von bisher 200 Beschäftigten 60 entlassen. Fleisch- und Wurstverarbeitungsbetriebe werden von mehreren Seiten unter Druck gesetzt. Lebensmittelketten verlangen die Umstellung der Produktion - was auch richtig ist -, aber wie die Kostensteigerungen aufgefangen werden können, ist ungeklärt. Bisher klopften alle, also Landwirte, Schlachthöfe, Fleischverarbeiter, an die Türen der Staatskanzleien. Die Landesregierungen helfen, vielfach unbürokratisch schnell und über ihre eigene Zuständigkeit hinaus. Von der Bundesregierung hingegen - das ist hier schon mehrfach angesprochen worden - fehlen bisher konkrete Hilfen. ({8}) - Es sind Hilfen angekündigt worden, sie sind aber bisher nicht da. ({9}) Alles das, was an Verunsicherung, an existenziellen Fragen mit BSE zusammenhängt, bleibt ungeklärt. Ich will darauf verzichten - es ist schon von meinen Vorrednern gesagt worden -, darzustellen, was zu tun ist. Hier ist, Frau Höfken, die Frage nach einem konkreten Beispiel gestellt worden. Ich nenne Ihnen ein Beispiel. Auf einem Schlachthof, auf dem ein BSE-infiziertes Rind getötet und verarbeitet worden ist, müssen anschließend ein oder zwei Quarantänetage eingelegt werden. Es muss desinfiziert werden und die gesamte Charge, die geschlachtet worden ist, ist verdorben. Wenn wir in Zukunft dahin kommen, mehrere 100 000 Tiere, die über 30 Monate alt sind, vom Markt zu nehmen - also zu schlachten und auf BSE zu testen -, so wird sich ein riesiges Problem für die Schlachthöfe ergeben, wenn wir nicht festlegen - das wäre ein konkreter Vorschlag -, bundesweit zwei oder drei zentrale Schlachthöfe zu benennen, in denen die Tiere geschlachtet werden, damit die Verarbeitung in den anderen Betrieben nicht gestört wird. Das wäre ein konkretes Beispiel. Ansonsten: Handeln Sie schnell! Wenn Sie als Bundesregierung nicht bald helfen, kommt Ihre Hilfe nicht mehr dort an, wohin sie kommen müsste. ({10})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Als letzter Redner in dieser Aktuellen Stunde spricht nun der Kollege Reinhard Schultz für die SPD-Fraktion.

Reinhard Schultz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002791, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte noch kurz auf einen Punkt zurückkommen, der mit der Sache dieser Debatte eigentlich wenig zu tun hat, aber von Herrn Ronsöhr hier - möglicherweise leichtfertig - eingeführt worden ist. Sie haben sich dazu verstiegen - warum auch immer, aus Panik oder aus Leichtsinn -, ({0}) den Versuch der Kriminalisierung unseres Bundeskanzlers durch das berühmte Plakat, das sie gestern zurückgezogen haben, mit der politischen Auseinandersetzung zwischen dem Bundeskanzler und dem Präsidenten des Deutschen Bauernverbandes sozusagen gleichzustellen. Das halte ich für einen groben Fehlgriff. Ich weise diese Gleichstellung zurück. ({1}) Sie sollten in sich gehen und gucken, wie Sie mit Ihrer Fehlleistung umgehen. Ihre Parteivorsitzende war wesentlich schlauer als Sie, die Sie heute noch einmal nachgetreten haben. ({2}) - Ich gucke mir das gleich an; denn trotz Brille ist meine Weitsichtigkeit nicht so groß, dass ich das von hier aus genau sehen könnte. ({3}) - Um Sie zu erkennen, reicht sie allemal noch, aber weit darüber hinaus geht es zugegebenermaßen nicht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei der Diskussion um die Folgen von BSE geht es nicht nur darum - das wird natürlich geschehen, auch auf der Grundlage der Regierungserklärung der Ministerin in der nächsten Sitzungswoche -, konkrete Strukturhilfen und Liquiditätshilfen zu leisten, die Entsorgung zum Beispiel von Tiermehl und von Futtermitteln, in denen Tiermehl enthalten ist, vernünftig zu organisieren und sich darauf zu verständigen, wie man eine Marktbereinigung dadurch herbeiführt, dass man Bestände nach bestimmten Qualitätsmerkmalen ersatzlos aus dem Markt herausnimmt. Das wird alles geschehen, und zwar schneller, als Sie heute glauben. ({4}) Es geht auch darum, uns darüber klar zu werden, wie das System der Nahrungsmittelerzeugung und Nahrungsmittelverteilung in Deutschland und in Europa heute eigentlich funktioniert und wie es funktionieren sollte. Sie haben ja alle Recht, die Sie sagen: Die Bauern und die Verbraucher sind die Opfer einer solchen Entwicklung. Aber welcher Entwicklung denn eigentlich? Wir haben in Deutschland einen Lebensmittelhandel, in dem zehn Unternehmen 80 Prozent des Marktes beherrschen. Das ist eine marktbeherrschende Stellung, wenn auch nicht im Sinne des Rechts, weil 33 Prozent am relevanten Markt nicht überschritten werden. In diesem sensiblen Bereich wird eine solche Nachfragemacht erzeugt, dass Preise diktiert werden können. Überall dort, wo sich die Anbieter organisiert haben, wie zum Beispiel im Milchbereich, um durch große Einheiten ein Gegengewicht herzustellen, erzielen die Erzeuger mittlerweile auch wieder auskömmlichere Preise. Im Fleischbereich ist die Lage derartig zersplittert, dass die Erzeuger dem Preisdiktat hilflos ausgeliefert sind, und zwar nicht nur dann, wenn der Anbieter Fleisch so wie früher Socken zu Schnäppchenpreisen anbieten will, sondern generell. Aufgrund des Wettbewerbs dieser Zehn in Deutschland sind die Margen beim Endverbraucherpreis so gering geworden, dass Geschäfte nur noch über die Masse, also über massenhaften Verkauf von Lebensmitteln wie Fleisch, gemacht werden können; dieser Preisdruck wird direkt an den Erzeuger weitergegeben. Der Erzeuger wird, wenn er sich diesem Tempo und dieser Marktordnung nicht stellt, brutal ausgelistet und darf überhaupt nicht mehr an diese Zehn liefern. Er steht dann im Regen. Im Alltag wird der Produzent erpresst, zu Bedingungen zu produzieren, die seiner eigenen Überzeugung widersprechen, nämlich ohne Berücksichtigung ökologischer Kriterien und Qualitätskriterien. Er wird gezwungen, solche Futtermittel einzusetzen, von denen er selber weiß, dass ein Pflanzenfresser sie eigentlich nicht fressen sollte. ({5}) Er wird, wie wir es beim Kälberskandal in NordrheinWestfalen erlebt haben und Sie es jetzt in Bayern in Form des Einsatzes von Pharmaka und Hormonen als Aufzuchtmittel bei Schweinen erleben, immer wieder gezwungen oder gedrängt, die Grenze von normaler Produktion zur Kriminalität zu überschreiten. Ich bin überzeugt davon, wir bekommen dieses System nicht durch Soforthilfen oder durch eine Wende in der Landwirtschaftspolitik, wie angekündigt, in den Griff, sondern nur im Rahmen eines breiten Konsenses bezüglich der Qualität, die diese Gesellschaft bei Lebensmitteln erwartet. ({6}) - Ja, ich meine auch die Einkäufer von Aldi. Wir haben im Rahmen einer breiten gesellschaftlichen Diskussion zum Beispiel die Produktionsmerkmale, nach denen Kraftfahrzeuge in Deutschland hergestellt werden, völlig verändert. In unserem Land werden aufgrund politischer und gesellschaftlicher Diskussionen, durch ein entsprechendes Ordnungsrecht, durch Anreize und aufgrund von freiwilligen Selbstverpflichtungen die verbrauchsärmsten Automobilflotten der Welt hergestellt. Wenn wir im Bereich der Lebensmittelproduktion einen nur annähernd vergleichbaren Konsens zwischen Politik, Herstellern, Verbrauchern und dem Handel erreichten, wären wir einen großen Schritt weiter. ({7}) In der Energiepolitik besteht weitgehend Konsens darüber - er hat immer mehr zugenommen -, dass wir Energie nicht nur durch den Einsatz von Kernkraft oder fossilen Brennstoffen erzeugen dürfen, sondern auch durch den Einsatz erneuerbarer Energien oder durch Energiesparen zu einem verantwortlichen Umgang mit unseren natürlichen Ressourcen beitragen müssen. Durch eine Verbindung von politischem Konsens, Ordnungsrecht und Anreizen wird das bewerkstelligt; der Markt entwickelt sich zunehmend dynamisch in diese Richtung. Wenn wir einen ähnlichen Konsens zwischen Politik, Handel und Produzenten im Nahrungsmittelsektor hätten, wären wir einen ganzen Kilometer weiter. ({8}) Deswegen hoffe ich, dass wir fraktionsübergreifend es handelt sich ja um ein Riesenthema, bei dem es um die Macht und sehr große Gewinne von Unternehmen geht, die aufgrund der hohen Konzentration in diesem Sektor die Alternative haben, Aktivitäten ins Ausland zu verlagern oder sie hier zu belassen - große Qualitätskonferenzen durchführen, die zum Ziel haben, unter dem Dach des Marktes einen Konsens über Spielregeln, die zwischen Handel, Industrie und Produzenten in der Landwirtschaft im Interesse der Verbraucher gelten sollten, zu erreichen. Solche Qualitätskonferenzen könnten das Bewusstsein sehr schärfen. Ich gehe davon aus, auch der Bauernverband würde daran teilnehmen.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Herr Kollege Schultz, Sie haben schon ein paar Mal zum Schlusssatz angesetzt. In einer Aktuellen Stunde haben Sie fünf Minuten und nicht, wie jetzt schon, sieben Minuten Redezeit. Kommen Sie bitte zum Schluss.

Reinhard Schultz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002791, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Okay, ich komme zum Schluss. Wenn ich mir anschaue, wie in der Region, die ich überschaue, nämlich im Westfälischen, heute Landwirte auf diese Krise reagieren, dann stelle ich fest, dass sie längst nicht so laut sind und das Kriegsgeschrei anstimmen, das Herr Ronsöhr und andere hier an den Tag gelegt haben, ({0}) sondern sich freiwillig selbst bescheiden und auf die eigene Verantwortung besinnen. Vielen Dank. ({1})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Die Aktuelle Stunde ist damit beendet. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a bis 5 c auf: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften ({0}) - Drucksache 14/4304 Reinhard Schultz ({1}) ({2}) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({3}) - Drucksache 14/5132 Berichterstattung: Abgeordnete Rita Streb-Hesse Eduard Lintner Albert Schmidt ({4}) Horst Friedrich ({5}) Dr. Winfried Wolf b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({6}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Rita StrebHesse, Dr. Margrit Wetzel, Ingrid BeckerInglau, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Albert Schmidt ({7}), Kerstin Müller ({8}), Rezzo Schlauch und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Regelung des Anwohnerparkens durch Städte und Gemeinden - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Margrit Wetzel, Hans-Günter Bruckmann, Dr. Peter Wilhelm Danckert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Albert Schmidt ({9}), Kerstin Müller ({10}), Rezzo Schlauch und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Verbot des Mitführens von Radar- und Laserwarngeräten in Kraftfahrzeugen - Drucksachen 14/1258, 14/1351, 14/5132 Berichterstattung: Abgeordnete Rita Streb-Hesse Eduard Lintner Albert Schmidt ({11}) Horst Friedrich ({12}) Dr. Winfried Wolf c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ({13}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Winfried Wolf, Christine Ostrowski, Dr. Gregor Gysi und der Fraktion der PDS Geschwindigkeitsbegrenzung auf 130 km/h auf Autobahnen - Drucksachen 14/1082, 14/5076 Berichterstattung: Abgeordneter Albert Schmidt ({14}) Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes liegen ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU und ein Entschließungsantrag der Fraktion der F.D.P. vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Das Haus ist damit einverstanden. Ich eröffne die Aussprache und gebe zunächst der Kollegin Rita Streb-Hesse für die SPD-Fraktion das Wort.

Rita Streb-Hesse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003242, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Heute werden wir - leider mit zweimonatiger Verzögerung - wichtige Neuerungen im Straßenverkehrsrecht auf den Weg bringen. Unstreitig sind Ergänzungen, zum Beispiel zum Fahrerlaubnis- und Fahrlehrerrecht, sowie Anpassungen der 1999 vorgenommenen Änderungen. Auch zu den drei Schwerpunkten der Novellierung, zu denen die CDU/CSU quasi über Nacht doch noch eine Anhörung für nötig erachtete, findet sich bei den Experten aus der Wissenschaft, bei den Verbänden und auch in den Landesregierungen überwiegend Unterstützung. Das Verbot des Mitführens von Radar- und Laserwarngeräten - von der SPD-Fraktion 1999 beantragt - wird voll mitgetragen. Solche Art von Technik ist für die Verkehrssicherheit kontraproduktiv und wird weder im noch am Auto - diesen bayerischen Ergänzungsvorschlag nehmen wir auf - erlaubt. Für Bewohnerparkzonen, besser bekannt als Anwohnerparkplätze, bringen jetzt klare Vorgaben die notwendige Rechtssicherheit. ({0}) Seit Mai 1998 waren nach höchstrichterlichem Spruch nur noch kleinräumige Zonen zulässig, beschränkt auf zwei bis drei Straßen im Wohnumfeld. Viele Städte mussten bewährte Parkraumkonzepte abschaffen bzw. aussetzen. Andere behalfen sich mit Notlösungen wie Kurzparkzonen und Ähnlichem. Die von der Bundesregierung vorgeschlagene Ermächtigung erlaubt nun Bewohnerparkzonen bis zu einer maximalen Ausdehnung von 1 Kilometer. Sie gewährleistet den von den Kommunalpolitikern aller Parteien als notwendig erachteten Ermessensspielraum, um angesichts von Parkraummangel, Pendlerverkehr und nachhaltiger Stadtentwicklung praxistaugliche Parkkonzepte umsetzen zu können. ({1}) Wir vertrauen auf die Kompetenz vor Ort. Streitpunkt ist nicht das Ob. Wir sind uns darüber einig, dass wir eine neue, rechtssichere Regelung brauchen. Das wollen die Anwohner und die Kommunen. Es gibt Gewerbetreibende in großer Zahl, die gute Erfahrungen gemacht haben. ({2}) Streitpunkt bleibt das Wie. Der Schauplatz für eine realitätsnahe und vernünftige Regelung wird der Verhandlungstisch mit den Ländern sein. Eine knappe Mehrheit der Länder - den Anträgen Bayerns und Hessens folgend - will maximal 50 Prozent der Parkplätze für Anwohner und zusätzlich eine Beschränkung der Größe der Zonen, gestaffelt nach der Einwohnerzahl der Städte. Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters Dies, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, unterstützen Sie. Eigentlich haben Sie jetzt Erklärungsbedarf. Sie müssten doch wissen, dass dann unser gemeinsam festgestelltes Anliegen, auch Kommunen ohne den feststehenden Stadtstatus die Einrichtung von Bewohnerparkzonen zu ermöglichen, außen vor bleibt. Lassen Sie uns realistisch sein und die Fakten betrachten. In der Praxis gab und gibt es nirgendwo hundertprozentige Anwohnerparkzonen, in denen nicht auch Kunden, Handwerksbetriebe und Besucher parken dürfen. Jede Kommune sorgt im eigenen Interesse für einen fairen Ausgleich. Jede Kommune berücksichtigt bei der Entscheidung über die Größe die Nutzungsstruktur. In der Anhörung wurde erneut und überzeugend dargelegt, dass restriktive Vorgaben weder praxistauglich sind noch den kommunalen Anliegen gerecht werden. Ich freue mich deshalb über die breite Zustimmung einer kommunalfreundlichen Regelung in diesem Haus, auch vonseiten der F.D.P., die sich hier allerdings von ihren Länderministern unterscheidet. ({3}) Ich werte dies auch als Unterstützung des Bundesministeriums, bei den anstehenden Verhandlungen über die Straßenverkehrsordnung und die notwendigen Verwaltungsvorschriften die kommunale Selbstverwaltung zu achten. Als streitiger Punkt bleibt - dies überrascht nicht - die Festlegung von 0,5 Promille als einheitlichem Grenzwert, ab dem Alkohol am Steuer künftig härter, also auch mit Fahrverbot geahndet werden soll. Meine Damen und Herren von der CDU/CSU und jetzt auch von der F.D.P., ich kann nicht nachvollziehen, warum wir uns bei der Promilleregelung nicht auf die einheitliche Absenkung einigen können. Das Grundargument, die Erhöhung der Verkehrssicherheit, teilen wir. Das war Ihr Hauptargument, als Sie 1998 die 0,5-Promille-Grenze eingeführt haben. Nun behaupten Sie, eine Festschreibung dieser Grenze sei nicht nötig bzw. sie komme zu früh. Sie pochen dabei auf statistische Angaben, zum Beispiel darauf, dass über 70 Prozent aller Unfälle unter Alkoholeinfluss von Fahrern mit mehr als 1,1 Promille Alkohol verursacht wurden. ({4}) Damit argumentieren Sie und hoffen, eine stichhaltige Begründung für eine gestaffelte Promilleregelung zu haben. Sie wollen auch glaubhaft machen, dass die 0,5-Promille-Grenze für eine unmaßgebliche und ungefährliche Gruppe von schwach alkoholisierten Genusstrinkern gedacht ist. Die Frage bleibt: Warum haben Sie 1998 überhaupt die 0,5-Promille-Grenze als Gefahrengrenzwert eingeführt? Sie und wir wissen, dass Sie ein eindeutiges Signal setzen wollten. Deswegen haben wir damals Ihrem Gesetz zugestimmt und werden es heute konsequent verbessern. ({5}) Meine Damen und Herren von der Opposition, Ihre Zahlen und die der Statistik, die von 70 Prozent spricht, beziehen sich - das wissen Sie - auf die Zahl der registrierten Unfälle. ({6}) Wie hoch aber ist die Dunkelziffer all der Fahrer, die 0,5 Promille oder 0,8 Promille hatten ({7}) und das Glück hatten, nicht erwischt zu werden, weil sie Gott sei Dank keinen Unfall gebaut, aber in vielen Fällen eine erhebliche Gefährdung für alle Verkehrsteilnehmer dargestellt haben? ({8}) Die von Ihnen so viel zitierte Statistik sagt auch, dass nur jede 600. Fahrt unter Alkoholeinfluss überhaupt entdeckt wird. Sie sagt auch, dass rund 100 Menschen getötet und über 1 000 bei Verkehrsunfällen schwer verletzt wurden, bei denen die Verursacher einen Blutalkoholgehalt von 0,5 bis 0,8 Promille hatten. Sie ignorieren diese Zahlen ebenso wie - das ist mir viel wichtiger - übereinstimmende Aussagen von Sachverständigen, dass sich ab 0,3 Promille, spätestens bei 0,4 Promille Ausfallerscheinungen und Einschränkungen der Leistungsfähigkeit zeigen, dass die Einführung des 0,5-Promille-Wertes bereits jetzt einen Rückgang der Zahl von Verkehrsunfällen unter Alkohol bewirkt hat und - das ist für eine Regierungspartei und für die Regierung wichtig - dass der allergrößte Teil der Bevölkerung heute - 83 Prozent im Osten und 52 Prozent im Westen Verständnis für eine Senkung zeigt. Dies gilt für Fahranfänger und Fahrerfahrene. Für beide wird die 0,5-Promille-Grenze eine nachvollziehbare und akzeptierte Regelung im Interesse der eigenen Sicherheit sein. Für jugendliche Fahranfänger haben wir bereits die Probezeit auf vier Jahre verlängert; ({9}) weitere Konzepte zur Vorbeugung sind angebracht. Meine Damen und Herren, die Festlegung einer eindeutigen und einheitlichen Promillegrenze ist ein glaubwürdiger, richtungsweisender Kompromiss zwischen den Vorstellungen mancher Bundesländer, ein Fahrverbot schon bei 0,3 Promille bzw. 0,0 Promille festzulegen oder die 0,8-Promille-Regelung beizubehalten. ({10}) Diese Grenze unterstützt unser Bemühen, die Verkehrssicherheit zu erhöhen und die Zahl von Unfallverletzungen und Todesfällen zu senken. Sie ist weiterhin ein wichtiger Beitrag in der europaweiten Verabredung, eine Durchsetzung der 0,5-Promille-Regelung oder weniger zu erreichen, wobei die Sanktionen in anderen Ländern bekanntermaßen drastischer sind. ({11}) Umso mehr bedauere ich die Ablehnung von CDU/CSU und F.D.P. Es wird Sie nicht erstaunen, dass wir Ihre heute vorgelegten Anträge - bei der CDU/CSU in bekannter Form, bei der F.D.P. dürftig kaschiert mit der Forderung nach einer Konzeption - ablehnen. ({12}) Ein wichtiges Gesetzesvorhaben für den Straßenverkehr und die Verkehrssicherheit findet heute aus unserer Sicht einen guten Abschluss. Dafür möchte ich mich bei allen, die dazu beigetragen haben, bedanken. ({13})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die CDU/CSU-Fraktion erteile ich das Wort dem Kollegen Wolfgang Börnsen.

Wolfgang Börnsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000227, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Streb-Hesse, ich finde, dass es ausgesprochen fair ist, wenn Sie deutlich machen, dass große Teile des jetzt zu verabschiedenden Gesetzes auf eine gemeinsame Initiative zurückgehen, dass einige der Vorschläge fast drei Jahre alt sind und von der alten Regierung stammen und dass große Teile von CDU/CSU und F.D.P. mitgetragen werden. Das halte ich für einen prima Stil und daran sollten wir auch festhalten. Ich will auf das eingehen, was uns trennt, und nicht auf das, worüber wir uns einig sind, weil ich finde, dass es richtig ist, sich mit einem Thema, das Millionen von Menschen interessiert, sachlich auseinanderzusetzen. ({0}) Wer kennt nicht diese Wochenendschlagzeilen, die wir alle im Ohr haben: „Trunkenheitsfahrt endet tödlich“, „Junge Frau nach Verkehrsunfall querschnittsgelähmt“, „Vier junge Leute schwer verletzt - Promillegrenze nicht eingehalten“. Neben nicht angepasster Geschwindigkeit und Vorfahrtsfehlern stehen Alkoholfahrten an der Spitze der vermeidbaren Unfallursachen. Die Unfälle sind folgenreicher als andere, sie ereignen sich oft nachts, vielfach im Anschluss an Discobesuche, und an ihnen sind mehr junge Leute als an den aus anderen Gründen verursachten Unfällen beteiligt. Nach Angaben der Verkehrsverbände gibt es bei uns fast 29 000 Trunkenheitstäter jährlich. Sie verletzen über 30 000 Menschen, und fast 1 200 Mitbürger jährlich werden getötet, weil durch Alkohol am Steuer ein Unfall verursacht wurde. Jeder siebte tödliche Unfall geht auf eine Alkoholfahrt zurück. Die EU beziffert ein Viertel der jährlich 40 000 Verkehrstoten - also 10 000 Tote - als Opfer von Trunkenheitsfahrten; davon sterben 3 500 Menschen unschuldig. Die EU-Kommission sieht vor allem bei den jugendlichen männlichen Fahrern aktuellen Handlungsbedarf, die - so heißt es wörtlich - den harten Kern bei Unfällen mit Alkohol ausmachen. Das Statistische Bundesamt in Wiesbaden bestätigt diese Aussage. Fast ein Viertel aller alkoholisierten Unfallverursacher hat das 25. Lebensjahr noch nicht erreicht. Der Anteil dieser Gruppe an der Gesamtbevölkerung beträgt gut acht Prozent, aber jeder fünfte Unfall in Deutschland wird durch sie verursacht; auch jeder fünfte tödliche Unfall. Die Reaktion der Bundesregierung ist angesichts dieser Sachlage erschütternd. Bundesverkehrsminister Bodewig äußert sich fast gar nicht und will sich den Vorschlag erst einmal ansehen, obwohl die EU-Empfehlung nach Rücksprache mit Berlin ausgesprochen wurde, die Koalitionsvereinbarung klare Regelungen enthält und SPD und Bündnisgrüne in ihrer Oppositionszeit klar auf eine Null-Promillegrenze festgelegt waren. Leider fehlt der Minister heute bei dieser Debatte; ich bedauere das außerordentlich. Alkohol am Steuer ist auch für einen Bundesverkehrsminister, der neu im Amt ist, ein wichtiges Thema. ({1}) Aufgrund der Zahlen müsste die eindeutige Konsequenz für Berlin und Brüssel sein: Null Promille für Fahranfänger! Aber die Regierung ist dagegen, jedoch die Mehrheit im Parlament offensichtlich dafür. ({2}) Die jetzt neu anvisierte Grenze von 0,2 Promille ist eine Halbentscheidung, die dadurch an Seriosität verliert, weil Brüssel eine Empfehlung gegeben und nicht wie sonst üblich eine Richtlinie vorgelegt hat. Man darf - will man Risikogruppen verringern - nicht unverbindlich sein; man muss konsequent und eindeutig handeln. Nach Auffassung des Parlamentes muss für Fahranfänger in den ersten Jahren eine Null-Promillegrenze gelten. Nach fast vier Jahren Führerschein auf Probe die Promillegrenze auf 0,5 anzuheben, ist eine Möglichkeit, aber nicht die beste. Der ADAC bezeichnet dieses Vorgehen ohne Substanz als blanken Aktionismus. ({3}) Hier muss man konsequent handeln. Die bisher gestaffelte Regelung, Fahrten mit einem Alkoholgehalt zwischen 0,5 und 0,8 Promille im Regelfall mit 200 DM Buße und zwei Punkten in Flensburg zu ahnden, wird durch ein starres Fahrverbot ab 0,5 Promille ersetzt. Der Führerscheinentzug erfolgt in Zukunft bereits bei 0,5 Promille und diese Maßnahme wird durch kein Aufklärungs- oder Verkehrssicherheitskonzept begleitet. Hier wäre es angemessen gewesen, die von uns initiierte erfolgreiche Schutzengelkampagne aus den Jahren 1997 und 1998 aufzugreifen, fortzusetzen und auch auszuweiten. In den drei Modellregionen Schleswig-Flensburg, Oberlausitzkreis und dem Stadtverband Saarbrücken hat sie große Erfolge gezeigt: bis zu 30 Prozent weniger Verkehrsunfälle von jugendlichen Autofahrern. Dies hätten wir vorantreiben müssen. Neben der aktiven Mitwirkung junger Frauen an diesem Programm bewirkte die Einbindung aller Fachkenner vom deutschen Verkehrsrat über die Verkehrswacht, den ADAC und die Polizei bis hin zu den Kommunen ein eindrucksvolles Resultat. So etwas ist nur möglich, wenn alle an einem Strang ziehen. Dies sollte auch in Zukunft unser Bestreben sein. Diese Erfolgsstory hat man aber dem ehemaligen Verkehrsminister Wissmann leider nicht gegönnt. ({4}) Aber es wäre gut gewesen, sie wieder aufzugreifen und gemeinsam weiterzuführen. Im Interesse der Verkehrssicherheit bin ich wie viele unserer Kollegen gegen Alkohol am Steuer. Das ist kein Kavaliersdelikt, egal, mit welchem Fahrzeug man unterwegs ist. ({5}) Unbestritten ist - das hat Frau Kollegin Streb-Hesse auch schon deutlich gemacht -, dass es ab 0,3 Promille Ausfallerscheinungen gibt. In den Ausführungen der Experten auf unserem gemeinsamen Hearing ist deutlich geworden, dass spätestens gegen Fahrer mit einem Alkoholgehalt ab 0,8 Promille, eigentlich aber schon ab 0,5 Promille von den Verantwortlichen eindeutiger gehandelt werden muss. Die von uns eingeführte Regelung, bereits ab 0,5 Promille Maßnahmen vorzusehen, war ein Erfolg. Die Anzahl der Menschen, die durch Alkoholfahrten getötet wurden, hat sich zwischen 1997 und 1999 um fast 4 500 verringert, weil wir eine abgestufte Ahndung eingeführt haben und weil sich unsere Bürger immer verkehrsgerechter verhalten. Unsere Bürger haben eine Anerkennung dafür verdient, dass sie verantwortungsbewusster fahren. ({6}) Wichtig für den Erfolg eines Gesetzes ist die Kontrolle. Die Kontrollen sind durch die Einführung der Atemalkoholanalyse deutlich verbessert worden. Aber noch ist das Entdeckungsrisiko zu gering. Immer noch gehen Experten von einem Verhältnis von 1:300 aus. Das heißt, auf einen, der erfasst wird, kommen 300, die nicht erfasst werden. Hier sind eindeutig mehr Kontrollen erforderlich. Die starre Sanktionierung ab 0,5 Promille, die in der Neuregelung vorgesehen ist, halten wir für nicht vertretbar. Sie ist weder pädagogisch noch psychologisch vertretbar. Alle Verkehrsverbände sind sich darüber eigentlich einig. Die Zahl alkoholbedingter Unfälle ist bereits seit Einführung der 0,8-Promille-Grenze stetig gesunken: von 10,8 Prozent im Jahre 1993 auf 8,6 Prozent 1997. Die Einführung der 0,5-Promille-Vorschaltregelung hat eine weitere Reduzierung auf jetzt 7 Prozent bewirkt. ({7}) Alle Experten gehen mit Blick auf andere Länder davon aus, dass es keinen nennenswerten weiteren Rückgang mehr geben wird. Der harte Kern der Trunkenheitsfahrer muss anders erfasst werden. Rund 75 Prozent der bei Kontrollen gefassten Alkoholfahrer haben einen Blutalkoholwert von mehr als 1,1 Promille. Da müssen wir ansetzen: mit Prävention, mit Aufklärung und mit einem abgestuften Ahndungskatalog. Die Auswirkungen einer neuen Regelung müssen erst einmal über mehrere Jahre beobachtet werden. Frühestens nach vier bis fünf Jahren kann man sie beurteilen. Daher ist es nicht sinnvoll, schon nach zwei Jahren mit einer Neuregelung zu kommen. Die im April 1998 eingeführte Promilleregelung bietet die Chance, auf dieser Grundlage zu einer weiteren Verbesserung der Verkehrssicherheit in Deutschland zu kommen. Die von der EU eingebrachte neue Grenze von 0,2 Promille für junge Fahrer und für weitere Risikogruppen ist weder Fisch noch Fleisch. Sie führt nicht dazu, dass man sich in jungen Jahren daran gewöhnt, auch ohne Alkohol fahren zu können. Man wird ein wenig daran gewöhnt; aber eine solche Halbgrenze ist nicht vertretbar. ({8}) In dieser Frage muss von Anfang an Klarheit herrschen. ({9}) In der Regel fährt der überwiegende Teil der jungen Leute korrekt und verantwortungsbewusst. Nur der harte Kern hält sich nicht an Recht und Gesetz; wir dürfen junge Leute nicht pauschal verurteilen. Es gibt einen zweiten Grund, warum die Regierung handeln muss, und zwar nehmen immer mehr, sowohl junge als auch ältere Leute zum oder vor dem Alkohol Medikamente ein. Die Kombination beider Einnahmen bewirkt, dass es immer mehr Autofahrerinnen und Autofahrer gibt, die ein Risiko im Verkehr darstellen. ({10}) Hier muss man ganz klar handeln und dafür sorgen, dass so etwas in Zukunft reduziert bis abgebaut wird. Wer wie die rot-grüne Regierung die Mittel für die Verkehrssicherheit auf jetzt 22 Millionen DM niedergespart hat - das ist so wenig wie seit zehn Jahren nicht mehr -, Wolfgang Börnsen ({11}) der verliert an Glaubwürdigkeit, wenn er für mehr Verkehrssicherheit, für mehr Aufklärung und für mehr Prävention in der Verkehrssicherheit plädiert. ({12}) Ich finde: Wir alle haben für mehr Mittel und dafür zu sorgen, dass die Verbände und alle, die für mehr Verkehrssicherheit arbeiten, entsprechend ausgestattet sind, um zielorientiert und eindeutig dazu beitragen zu können, dass es zu weniger Verkehrsunfällen in Deutschland kommt. Danke schön. ({13})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht der Kollege Albert Schmidt.

Albert Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002779, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! So ganz habe ich die Logik Ihrer Argumentation nicht verstanden, Herr Kollege Börnsen. ({0}) Auf der einen Seite haben Sie für eine Verschärfung der jetzigen Regelung plädiert, nämlich für Fahranfänger die 0,0-Promille-Grenze einzuführen. - Herr Kollege Börnsen, ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir für einen Moment Ihr Ohr leihen würden. Ich versuche gerade, Sie anzusprechen. Sie haben noch viel Gelegenheit, mit Herrn Fischer zu sprechen. Noch einmal: Ich habe Ihre Logik nicht ganz verstanden: Auf der einen Seite plädieren Sie für die 0,0-Promille-Grenze für Fahranfänger, also für eine strengere Regelung. Auf der anderen Seite soll für die, die nach zwei oder vier Jahren keine Fahranfänger mehr sind - ich weiß nicht, nach wie viel Jahren Sie das für gegeben ansehen -, die alte 0,5/0,8-Promille-Regelung gelten. Hier soll also keine Verschärfung in Form der 0,5-PromilleGrenze für alle in Kraft treten. Für mich ist das in der Argumentation nicht konsequent. Deshalb versuche ich, Ihnen unsere Standpunkte noch einmal ein bisschen näher zu bringen. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Straßenverkehr, über den wir heute abschließend debattieren, sorgt in der Summe nicht nur für eine, sondern für mehrere Verbesserungen im Straßenverkehrsrecht. Diese Verbesserungen - das wissen viele der Experten und Expertinnen, die hier sitzen - sind im Grunde seit Jahren überfällig. Der Gesetzentwurf setzt übrigens auch weitere Punkte aus der Koalitionsvereinbarung zwischen SPD und Bündnisgrünen um. Diese Umsetzung sind wir nicht, wie Sie behauptet haben, schuldig geblieben. Es handelt sich vielmehr exakt um die Einlösung dessen, was wir vereinbart haben. ({1}) Bei der Promillegrenze ist ganz klar, dass der zweistufige Sanktionsmechanismus, den wir bisher hatten, auf nur noch eine Stufe reduziert wird. Das heißt, die Sanktionen, die bisher erst ab 0,8 Promille verbindlich gegriffen haben, greifen jetzt schon ab 0,5 Promille. Das bedeutet also: Geldbuße plus Führerscheinentzug. Das ist ein ganz deutliches Signal, das auch jeder versteht, da es eben nicht mehrstufig ist: Alkohol und Autofahren passen nicht zusammen! Das ist der Kern dessen, worum es uns geht. ({2}) Darüber hinaus ist es auch von der Sache her gerechtfertigt. Zahlreiche Untersuchungen und leider auch zahlreiche Unfallanalysen haben gezeigt, dass gerade zwischen 0,5 und 0,8 Promille beträchtliche Einschränkungen der Fahrsicherheit zu verzeichnen sind, während bei 0,3 Promille weniger beträchtliche Einschränkungen zu konstatieren sind. Die Konsequenz daraus kann aus unserer Sicht nur lauten: Dieses „Herantrinken“ an eine bestimme Promillegrenze, wie an die 0,8er-Grenze - da geht schon noch ein Halbes, wie man auf bayrisch sagt -, wozu der Stufenmechanismus vielleicht nicht eingeladen, aber zumindest angeregt hat, wird dadurch eher erschwert und somit von den Autofahrerinnen und Autofahrern hoffentlich unterlassen, weil man sich sagt: 0,5 Promille hat man gleich beisammen. Vor diesem Hintergrund habe ich auch wenig Verständnis für die Anträge von CDU/CSU und F.D.P. zu diesem Thema. Ich erinnere daran - ich hab es auch schon im Ausschuss getan -, dass der frühere Vorsitzende des Verkehrsausschusses, der von uns allen sehr verehrte Kollege Dr. Dionys Jobst, der jetzt im Ruhestand ist und den ich von dieser Stelle sehr herzlich grüßen möchte - jetzt können Sie ruhig klatschen -, ({3}) immer ein Verfechter einer klaren 0,5-Promille-Regelung war. Er hat nur nicht die Unterstützung seiner Fraktion gefunden. ({4}) Wir haben Verständnis dafür, dass man nicht immer eine Mehrheit für seine Meinung findet. Ich muss aber sagen, dass der Gesetzentwurf, den wir heute verabschieden, viel näher an seiner Position als an der heutigen Position der CDU/CSU-Fraktion ist. Ich möchte auch darauf hinweisen, dass die neue Regelung im Interesse aller Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer einen Beitrag zur Harmonisierung auf europäischer Ebene darstellt. Das ist auch für den grenzüberschreitenden Autoverkehr sehr bedeutsam; denn die Urlauberin und der Urlauber müssen nicht jedes Mal bei einem Grenzübertritt nachdenken, welche Grenze in dem jeweiligen Land gilt. Der Grenzwert ist zwar nicht überall gleich. Aber das Spektrum der Regelungen wird jetzt enger. Wolfgang Börnsen ({5}) Die Autofahrerinnen und Autofahrer, aber vor allen Dingen auch die nicht motorisierten Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer - Kinder, Radfahrerinnen und Radfahrer usw. -, die ja bei Autounfällen unter Alkoholeinfluss meist die Opfer sind, gewinnen aufgrund dieser Regelungen mehr Verkehrssicherheit. Dieser Meinung ist auch die Verkehrspolizei. Deshalb bitte ich Sie ganz herzlich, diesem Gesetzentwurf zuzustimmen. Ich möchte auch kurz auf den EU-Vorschlag eingehen, der auch bei Ihnen, lieber Herr Kollege Börnsen, eine gewisse Rolle gespielt hat, wonach eine 0,2-PromilleGrenze für Fahranfänger eingeführt werden soll. Nach den statistischen Zahlen, die ich recherchiert habe - vielleicht können wir unsere Zahlen gelegentlich in einem Fachgespräch abgleichen -, gibt es keine besondere Auffälligkeit von alkoholbedingten Unfällen in der Altersgruppe der Fahranfänger. ({6}) Ich will Ihnen einmal die Zahlen nennen, die ich recherchieren konnte: Die größte Häufung von Unfällen unter Alkoholeinfluss findet sich in der Altersgruppe der 35- bis 44-Jährigen. ({7}) Man sollte also nicht mit dem Finger auf die Jungen zeigen und sagen, das seien diejenigen, die saufen und dann fahren. Das stimmt überhaupt nicht. ({8}) - Völlig richtig, Herr Kollege. Ich unterstelle aber, dass die Wenigsten in dieser Altersgruppe Fahranfänger sind. Konkret zu den Zahlen: 5,1 Prozent der Unfälle in der Altersgruppe der 35- bis 44-Jährigen passieren aufgrund von Alkoholeinfluss. Die Gruppe der 21- bis 24-jährigen sowie die Gruppe der 25- bis 34-jährigen Autofahrerinnen und Autofahrer folgen dann erst mit einem Anteil von jeweils 4,8 Prozent. Das heißt, die Differenzierung nach Altersgruppen liefert für eine Sonderregelung der Promillegrenze für junge Autofahrer kein Argument. Es wird noch interessanter, bitte hören Sie einen Augenblick zu. Ich konnte folgende Zahlen für die Hauptursachen von Unfällen von Fahranfängern finden: an erster Stelle nicht angepasste Geschwindigkeit mit 25 Prozent, an zweiter Stelle Missachtung der Vorfahrt mit 21 Prozent, an dritter Stelle ungenügender Sicherheitsabstand mit 9 Prozent, an vierter Stelle falsches Abbiegen und Wenden mit 5,3 Prozent und dann erst an fünfter Stelle Alkoholeinfluss mit 4,5 Prozent. Jetzt kommt der eigentlich spannende Punkt in der Statistik: Das Fahren unter Alkoholeinfluss in den ersten Jahren der Fahrpraxis ist ein Problem der Männer. 92 Prozent aller alkoholbedingten Unfälle junger Fahranfänger werden von Fahrern und nicht von Fahrerinnen verursacht. Die Frauen haben nur einen Anteil von 8 Prozent an diesen Unfällen. ({9}) Wenn Sie, Herr Kollege, schon für eine Sonderregelung plädieren, dann müssten Sie eigentlich als Risikogruppe die Gruppe der jungen Männer definieren. Für die Gruppe der älteren Männer habe ich keine statistische Aussage gefunden. Entsprechende Zahlen wären sicherlich interessant. ({10}) Wir wären gut beraten, wenn wir jetzt nicht mit einem Schnellschuss Sonderregelungen in puncto Promillegrenze für Fahranfänger treffen würden, die sachlich möglicherweise nicht zu begründen sind. ({11}) Lassen Sie mich zu einem zweiten Thema kurz Stellung nehmen, nämlich zu den Radarwarngeräten, die ebenfalls in dem Paket enthalten sind und über die man immer wieder einmal etwas hört. Es gibt diese Radarwarngeräte, die nicht wirklich funktionieren, jedenfalls nicht zuverlässig - das muss man einmal klar sagen -, die aber suggerieren, man könne, wenn man Geschwindigkeitsbegrenzungen übertritt, sicher sein, dass im Fahrzeug rechtzeitig eine Warnung erfolgt, wenn eine Kontrolle droht. Manche mögen es als Sport oder als interessantes Experiment begreifen, zu schauen, ob man unter den Kontrollen durchtauchen kann. Ich möchte ganz klar sagen: Wer sich gezielt darauf vorbereitet, Geschwindigkeitsbegrenzungen zu übertreten in der Hoffnung, dabei nicht erwischt zu werden, der hat den Schutz des Gesetzgebers nicht verdient. Hier muss eine klare Kante gezogen werden. Deshalb muss das künftig strafbar sein. Ich hoffe, wir sind uns in diesem Punkt einig. ({12}) Beide Regelungen, die Promilleregelung und das Verbot von Radarwarngeräten, sind keine Schikane und beruhen nicht auf einem übertriebenen staatlichen Kontrollbedürfnis, sondern es sind Maßnahmen, die in letzter Konsequenz auf der Straße jeden Tag Leben retten. Das ist das eigentliche und, wie ich glaube, unser gemeinsames Ziel. Lassen Sie mich einen kurzen Gedanken zum Anwohnerparken anfügen. Auch wir sind sehr froh, dass es nun gelungen ist, eine Regelung zu finden, die sicherlich weitgehend einvernehmlich ist, nach der die Sonderparkberechtigungszone auf bis zu 1 000 Meter Entfernung ausgedehnt wird. Dies ist lebensnah und nicht bürokratisch. Es kommt auch den Gestaltungswünschen der Kommunen entgegen. Ich bin froh, dass die kommunalen Spitzenverbände ihr Anliegen hier im Wesentlichen erfüllt sehen. Zum Schluss möchte ich den eigentlichen Grundgedanken der Verkehrssicherheit aufgreifen, den auch Kollege Börnsen sehr stark ins Zentrum gestellt hat. Es ist richtig, wenn Sie sagen, Ende der 90er-Jahre seien - Gott sei Dank - auf den Straßen weniger Menschen tödlich Albert Schmidt ({13}) verletzt worden als noch zu Beginn der 90er-Jahre, obwohl die Fahrleistung in diesen zehn Jahren erheblich gestiegen ist. Dies spricht auch für den Erfolg verbesserter Sicherheitstechnik und verbesserter Sicherheitserziehung. Dieser Erfolg hat sicherlich viele Väter und Mütter. Dennoch gibt es für uns alle keinen Grund zur Selbstzufriedenheit an dieser Stelle, weil wir auch zur Kenntnis nehmen müssen, dass erstens 7 800 tödlich verletzte Menschen immer noch viel zu viel sind und dass zweitens die Zahl der Unfälle mit Personenschäden inklusive 1999 immer noch zugenommen hat. Erst 2000 - wir haben jetzt die ersten veröffentlichten Zahlen - war erstmals ein Rückgang zu verzeichnen. In jedem Fall - ich glaube, da sind wir uns einig - ist jeder Verkehrstote und jeder Verletzte ein Opfer zu viel. Es lohnt jede Anstrengung - ich bin gerne bereit, das in der Verkehrssicherheitsdebatte, die wir demnächst miteinander führen werden, und bei den Anhörungen zu vertiefen - für mehr Sicherheit im Straßenverkehr und im Verkehr generell. Wir sollten das Thema auch weiterhin konsensual und mit gemeinsamen Anstrengungen behandeln. Ich danke Ihnen. ({14})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Der Kollege Horst Friedrich spricht nun für die F.D.P.-Fraktion.

Horst Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000593, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das heute zu debattierende Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes hat einige Bestandteile, die wir durchaus bereit sind mitzutragen. Für die Veränderungen beim Anwohnerparken, Frau Kollegin Streb-Hesse, haben die Kommunen eine Rechtsgrundlage benötigt. Wir sind nach wie vor der Meinung, dass Berlin das nicht im Detail regeln sollte. Die Anwohner müssen dort parken dürfen, wo sie wohnen. Die Städte müssen allerdings auch noch besucht werden können. Voraussetzung dafür, dass das Ganze funktioniert, sind Flexibilität und ein Gesamtkonzept, das vor Ort eingefordert wird, das den ÖPNV, die veränderten Ladenöffnungszeiten und all die Bedingungen, die vor Ort sehr viel besser zu lösen sind, beinhaltet. Deswegen setzen wir darauf, dass das Problem vor Ort im Sinne der Betroffenen gelöst wird. ({0}) Zu den Radarwarngeräten ist eigentlich schon fast alles gesagt worden. Ich kann mich da nahtlos dem Kollegen Schmidt anschließen, auch wenn ihn das überrascht. Auch ich bin der Meinung, dass es nicht sein kann, dass bestehende Verkehrsvorschriften durch technische Geräte, ob nun im Auto, am Auto oder wo auch immer, unterlaufen werden. Wer sich entgegen den bestehenden Verkehrsregeln in der Hoffnung benimmt, sich mit diesen Geräten bestimmten Strafen zu entziehen, ist eigentlich nicht der Verkehrsteilnehmer, den man bei der heutigen Verkehrsdichte und der Problematik des Verkehrs im Hinblick auf die Verkehrssicherheit braucht. Ich füge allerdings auch kritisch hinzu: Es wäre für die Akzeptanz von Kontrollmessungen der Polizei mit Radargeräten besser, diese Geräte tatsächlich dort einzusetzen, wo Gefahrenpunkte, wirkliche Unfallschwerpunkte liegen, ({1}) nicht aber dort, wo seit vielen Jahren kein Unfall mehr passiert ist, aber erkennbar eine Geldeinnahme winkt. Genau dies führt ja zu den Diskussionen auch der Verkehrsteilnehmer. Insofern wäre die Polizei aufgefordert, darüber nachzudenken, ob sie den Blitzer unbedingt an dieser oder jener Stelle aufstellen muss. Ich habe mir einmal den Spaß gemacht, mir die Stellen in meiner Heimatstadt anzuschauen - man kennt ja die Ecken, wo die Blitzer stehen -, und überlegt, wann dort der letzte Unfall geschehen ist. Dass diese Stellen Unfallschwerpunkte sind, kann man wirklich nicht sagen. Nun zur Promillegrenze: Es wird ja immer behauptet, wir ignorierten die Probleme. Wenn Sie uns das nicht glauben, darf ich Ihnen vielleicht einmal vorlesen, was Generalbundesanwalt Nehm heute erklärt hat. Er hat gesagt, das Problem des Alkohols im Verkehr sei auch nach der Senkung des Promillegrenzwerts nach wie vor ungelöst. Er bezieht sich auf dieselbe Situation, die auch unserem Entschließungsantrag zugrunde liegt, nämlich darauf, dass die Zahl der Kontrollen zu gering sei. Genau dies ist seine Aussage und auch unser Ansatzpunkt, Frau Kollegin Streb-Hesse. Die Experten haben in der Anhörung noch erklärt - zumindest Herr Professor Krüger aus Würzburg -: Diejenigen, die durch die Senkung der jetzigen Promillegrenze zu belehren sind, sind bereits belehrt. Deswegen wird nicht erwartet, dass eine weitere Änderung in diesem Bereich zwischen 0,5 Promille und 0,8 Promille signifikant zu weiteren Absenkungen führt. Das gilt auch für die Sondergruppe der Fahranfänger. Diese Fahranfänger haben Probleme. Sie verursachen auch relativ viele Unfälle im Verhältnis zu ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung. Das liegt aber in aller Regel nicht am Alkohol, sondern an ganz anderen Dingen. Der Kollege Schmidt hat sie exemplarisch aufgezählt. Dem ist nichts hinzuzufügen. Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen, in Deutschland liegt das eigentliche Problem bei der Spezialgruppe der fahrenden Trinker, derjenigen, deren Blutalkoholgehalt jenseits von 1,1 Promille - mit deutlicher Zunahme liegt. Die Promillewerte sind ja eigentlich erschreckend hoch: 2,5 Promille, 3,4 Promille, in der Spitze bis zu 4,53 Promille; das ist jemand, den ich mit einer Diskussion über 0,5 oder 0,8 Promille - bei immerhin unauffälligem Verhalten, das den Führerschein kostet - nicht beeinflussen und schon gar nicht beeindrucken kann. Denjenigen, der gegen diese Grenzwerte verstößt, der diese Werte produziert - da kann man auch nicht mehr von „Herantrinken“ reden, denn um mehr als 2 Promille zu haAlbert Schmidt ({2}) ben, muss man schon ganz ordentliche Mengen trinken und sie auch noch vertragen -, den kann ich nur dann beeindrucken, wenn er sicher sein kann, dass er sehr viel häufiger als jetzt kontrolliert und erwischt wird und dass diese Kontrollen dann auch Konsequenzen haben. Wie sieht es aber in der Realität aus? Das kritisiert im Übrigen auch der Generalbundesanwalt. Die Atemwegsalkoholanalyse ist - obwohl sie als beweissicher vor Gericht gilt - mittlerweile von mehreren Gerichten nicht anerkannt worden. Das führt dazu, dass die Polizei - wenn sie denn schon kontrolliert und jemanden erwischt - nach wie vor zur alten Blutprobe schreitet, was dann wiederum bedeutet, dass die ganze Truppe, die kontrolliert, ins Krankenhaus marschiert, um die Blutprobe entnehmen zu lassen, um vor Gericht Bestandskraft zu erlangen. Das heißt im Endeffekt auch: Es wird einer erwischt, bestenfalls sind es zwei - und das war es dann. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich durch alle diese Regelungen etwas ändert, ist sehr gering. Deswegen ist unser Ansatz: Lassen Sie uns ernsthaft über die andere Seite diskutieren, darüber, wie auch mit den Ländern - die Länder haben dies ja auszuführen - geregelt werden kann, ob - und wenn ja, wie - die Atemwegsalkoholanalyse verbessert werden kann, ob - und wenn ja, wie - die Sicherheit, dass Alkoholfahrer erwischt werden, erhöht werden kann. Nur dann entsteht nach meiner Meinung tatsächlich das Gefühl, dass Auto und Alkohol nicht zusammengehören und dass es sinnvoll ist, sich ohne Alkohol ans Steuer zu setzen. Deswegen noch einige Sätze zur EU: Was von der EU jetzt vorgelegt worden ist, ist ja das entschiedene „Jein“. Der Vorschlag von 0,2 Promille signalisiert doch: Eigentlich wollten wir ja mehr; eigentlich wollten wir ja eine 0,0-Promille-Grenze für jugendliche Fahranfänger vorschlagen. Das hat man sich aber nicht getraut. Also führt man eine 0,2-Promille-Grenze ein. Beim Alkohol wäre das nur die Nachweisgrenze. Das ist unehrlich. Man sollte es dann lieber lassen und gleich konsequent 0 Promille verlangen. Im Übrigen bin ich nach wie vor der Meinung, dass im Rahmen des Subsidiaritätsprinzips die Einführung einer solchen Regelung nicht unbedingt Aufgabe der europäischen Ebene ist. Noch ein paar Worte zu anderen Ländern und zu Erfahrungen mit der 0,0-Promille-Regelung: Die DDR wurde dafür immer als Beispiel genannt. Im Verhältnis zur Einwohnerzahl und zur Verkehrsdichte hatte die DDR trotz einer 0,0-Promille-Regelung deutlich mehr Verkehrsunfälle und Verkehrstote als die Bundesrepublik mit ihrer damaligen Regelung. Auch in unseren Nachbarländern sind trotz anderer Regelungen deutlich mehr Alkoholunfälle zu verzeichnen als bei uns. In diesem Sinne ziehe ich mir den Schuh der Ignoranz nicht an. Ich fordere Sie im Gegenteil auf, über das hinaus, was Sie bisher vorgelegt haben, zu handeln. Daher werden wir den von Ihnen vorgelegten Gesetzentwurf ablehnen. ({3})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich gebe der Kollegin Christine Ostrowski für die Fraktion der PDS das Wort.

Christine Ostrowski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001662, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie von der Koalition haben selbstverständlich unsere Stimmen für die von Ihnen vorgesehene Änderung des Straßenverkehrsgesetzes. Es ist keine Frage: Wir sind für eine Verbesserung des Anwohnerparkens ({0}) und für eine Promillegrenze in Höhe von 0,5, obwohl ich natürlich eingestehen muss, dass ich manche Diskussion darüber nicht verstehe. Denn eigentlich passen Autofahren und Alkohol wirklich nicht zusammen. ({1}) Eigentlich kann man nur eine 0-Promille Regelung zulassen. Der Kanzler würde sagen: Basta! Dann wären nicht solche Verrenkungen nötig, wie sie Herr Börnsen und viele andere auch hier gemacht haben. In der Politik geht es aber nicht immer so zu wie im Geschäft, also nach dem Motto: Gibst du mir, geb ich dir! Auch heute ist das nicht der Fall: Sie bekommen zwar unsere Stimmen, geben uns aber Ihre Stimmen nicht für unseren Antrag, der heute auch zur Debatte steht: Einführung eines Tempolimits von 130 km/h auf Autobahnen. Das wundert mich schon ein bisschen. Denn die gesamte Debatte drehte sich bisher um die Verkehrssicherheit. Letzte Woche ging es um die Verbesserung des Verkehrsklimas, den Abbau von Stress usw. Da frage ich schlicht und ergreifend: Hängt das nicht auch mit einem Tempolimit zusammen? ({2}) - Nicht wahr, Herr Schmidt, Sie müssten mir eigentlich Recht geben. Halten wir noch einmal in aller Ruhe folgende Punkte fest: Erstens. Ein Tempolimit auf Autobahnen - und wir sehen nur ein Tempolimit von 130 km/h vor - brächte nachweislich einen Rückgang der Zahl der Verkehrstoten. Nach Berechnungen - die kennen Sie alle als Verkehrspolitiker - würde es bei einem Tempolimit von 100 zu einem Abbau der Zahl der Verkehrstoten um 1 000 kommen. Vielleicht sind es bei einem Tempolimit von 130 nur 300 Tote weniger. Aber 300 Tote sind die dreifache Zahl derjenigen, die beim Unfall von Eschede gestorben sind. Alle Welt spricht ja jetzt sehr fleischfixiert über den Verbraucherschutz. Ein Tempolimit von 130 ist für alle Verkehrsteilnehmer der beste Verbraucherschutz. ({3}) Horst Friedrich ({4}) Zweitens. Ein Tempolimit senkt die Schadstoffemissionen - auch das ist völlig unbestritten -, insbesondere die CO2-Emissionen. Drittens. Eine Geschwindigkeitsbeschränkung senkt den Lärmpegel. Auch das ist unumstritten. Sie wissen, dass allein eine Reduktion der Durchschnittsgeschwindigkeit um 10 km/h die Lärmemissionen um die Hälfte senken würde. Viertens. Ein Tempolimit reduziert den Flächenverbrauch. Die jetzigen sehr breiten Autobahnen wären dann nicht mehr nötig. Man könnte reduzieren und erhebliche Kosten sparen. Für solche Anträge müssten Sie uns eigentlich umarmen und ihnen zustimmen. ({5}) Fünftens. Schließlich erhöht ein Tempolimit auch die Durchlassfähigkeit des Autobahnnetzes. Wenn das auch mancher Mensch nicht glauben mag: Wissenschaftlich ist das erwiesen. Das, was Sie im Rahmen von Telematik und mit einem ungeheuren Milliardenaufwand erreichen wollen, könnten Sie durch eine einfache Maßnahme wie die Einführung eines Tempolimits viel billiger haben. Sie müssten also eigentlich mit beiden Händen zugreifen. ({6}) Ganz zum Schluss ist zu sagen: Unser Antrag zielt exakt auf das, was Sie vergangene Woche im Rahmen des Verkehrsberichtes als allgemeines Ziel ausgegeben haben: die Verbesserung des Verkehrsklimas, den Abbau von Stress und den Abbau von Aggressivität. Da wundert mich schon die interessante Formulierung meines hoch geschätzten Kollegen Albert Schmidt im Ausschussbericht, der da schreibt: Die Koalitionsfraktionen haben im Ausschuss für diesen Antrag eine gewisse Sympathie erkennen lassen, sehen aber derzeit keine Möglichkeit, die generelle Geschwindigkeitsbegrenzung gesellschaftlich durchzusetzen. ({7}) Ja, welche Überraschung! Tatsachen sind: In der letzten Legislaturperiode brachte die SPD einen Antrag auf ein allgemeines Tempolimit ein. ({8}) Eine entsprechende Forderung, Herr Schmidt, Tempo 100, ist traditioneller Bestandteil Ihrer Programmatik. Im Jahre 1999, also unter der jetzigen Bundesregierung, legte das Umweltbundesamt eine Studie vor, in der die von mir eben genannten Vorteile einer allgemeinen Geschwindigkeitsbeschränkung festgehalten werden. Was die gesellschaftlichen Mehrheiten betrifft, die man hier angeblich nicht hat, so dokumentieren alle seriösen Umfragen, dass es diese Mehrheiten gibt. Die Studie des Umweltbundesamtes nennt 72 Prozent der Befragten, die mit einem Tempolimit von 120 km/h einverstanden sein würden. ({9}) Im Übrigen nehmen Sie bei anderen Vorhaben auf gesellschaftliche Mehrheiten auch keine Rücksicht! Ich nenne nur die Rentenreform. ({10}) Lassen Sie mich diese Rede mit einem wunderschönen Zitat beenden: Das Tempolimit ist ein Gebot der Vernunft. Nun wird es hoffentlich auch der Betonriege in der Bundesregierung klar sein: Die Zeit der unbegrenzten Raserei auf Deutschlands Autobahnen ist vorbei. Wir brauchen eine Rückkehr zum menschlichen Maß. Dem ist nichts hinzuzufügen, außer der Quelle: Das war Gerhard Schröder, und zwar nicht der Juso-Vorsitzende Schröder, sondern der niedersächsische Ministerpräsident im Jahre 1992. Ich bedanke mich. (Heiterkeit und Beifall bei der PDS - Beifall des Abg. Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Das Wort hat nunmehr der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, Stephan Hilsberg.

Stephan Hilsberg (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000904

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses steht bei der heutigen Debatte zweifellos die Vereinheitlichung der Promillegrenze. Ich freue mich, hier der Öffentlichkeit gegenüber sagen zu können, dass wir mit dem Unfug der letzten Koalition, nämlich der Aufspaltung einer einheitlichen Promillegrenze auf 0,5 und 0,8 Promille, heute Schluss machen. Nebenbei ist es auch ganz schön - Herr Schmidt hat bereits darauf hingewiesen -, dass wir hier mit schlicht und einfach ein Koalitionsversprechen wahr machen. Das heißt, der heutige Tagesordnungspunkt firmiert auch unter dem Titel: Versprochen - gehalten. ({0}) - Unfug war Ihre Regelung, die Sie seinerzeit getroffen haben, denn sie hat zur rechtlichen Klarheit nicht beigetragen und war im Übrigen der Sache nicht angemessen. Wenn Sie sich die Statistik ansehen, dann ist sie in der Tat einigermaßen besorgniserregend. Es ist keineswegs so, dass wir sagen könnten, die Situation ist entschärft und wir brauchen an dieser Stelle nichts mehr zu tun. Im Gegenteil, wenn wir nichts tun würden, würden wir relativ schnell wieder die großen Debatten à la Herrn Kollegen Börnsen zu führen haben, dass wir nämlich allesamt darüber jammern müssen, welche erschreckende Unfallbilanz gegenwärtig vorliegt. Das ist unser wichtigster Punkt. Es geht eben an dieser Stelle auch um entsprechende Abschreckung. Diese Abschreckung ist sinnvoll, weil sie vernünftig ist, und es ist vernünftig, die Bürger zu schützen. Im Mittelpunkt der Verkehrssicherheit steht der Schutz der Verkehrsteilnehmer. Das ist eine enorm soziale Aufgabe. ({1}) Jeder im Straßenverkehr Getötete - ich meine, man kann diesen Satz nicht häufig genug sagen -, ist einer zuviel. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Ursache Alkohol ist. Jeder kennt doch die Fälle des absurden, absolut sinnlosen Sterbens auf den Straßen, wo junge Leute mit 18, 19 Jahren mitten aus dem Leben gerissen werden. Keiner kann sich das jemals erklären. Im Übrigen leiden diejenigen, die einen solchen Unfall verursacht haben, daran zum Teil zehn bis 20 Jahre. Das ist schlimm, das ist absolut unmenschlich, das ist kein guter Ausweis einer menschlichen Gesellschaft, wie wir sie sein wollen. Deshalb müssen wir auch den Gegnern dieser ausschließlich im Interesse der Verkehrssicherheit erlassenen Regelung ganz klar sagen: Rund 950 bei Alkoholunfällen in Deutschland im Jahre 2000 Getötete sind zu viel, rund 10 800 Schwerverletzte und rund 22 500 Leichtverletzte sind einfach völlig unakzeptabel. Etwa jeder achte Verkehrstote geht auf das Konto von Alkohol und mehr als jeder zehnte Schwerverletzte ebenfalls. ({2}) - Wissen Sie, Herr Friedrich, Sie hatten ja schon die Gelegenheit zum Reden, aber es gibt da eine bestimmte Mechanik, die ich Ihnen zu erläutern versuche. Vorher lassen Sie mich aber noch eines feststellen: Alkohol ist nach wie vor die gefährlichste und bedeutendste Droge, die wir in Deutschland haben. ({3}) Es ist einfach alarmierend, dass in Deutschland die Zahl der Alkoholabhängigen auf zweieinhalb Millionen geschätzt wird. Über hunderttausend Menschen sind 1998 beim Fahren mit Alkohol am Steuer erwischt worden. Das muss ich auch einmal ganz klar in Richtung von Herrn Friedrich sagen, der sich gerade mit etwas anderem beschäftigt, aber das ist eine unmittelbare Antwort auf Sie, Herr Friedrich. Die Atemalkoholanalyse ist der richtige Weg. Wenn sie gegenwärtig noch Akzeptanzprobleme hat, bedeutet das nicht, dass es der falsche Weg ist. Dann müssen wir an der Akzeptanz gemeinsam arbeiten. ({4}) Es ist aber sehr richtig und sehr wichtig, die Methoden zur Bekämpfung des Alkohols zu verbessern, und eine Alternative zur Atemalkoholanalyse haben wir nicht. Deshalb ist das ein wichtiger Bestandteil der Gesamtstrategie. ({5}) Neben der Absenkung der Promillegrenze gehört allerdings auch die Aufklärung dazu. Denn das Problembewusstsein in Bezug auf Alkohol muss in den Köpfen entstehen. Die Hemmschwelle muss erhöht werden. Die Versuchung, vor der Fahrt noch schnell ein Glas Bier zu trinken, muss gesenkt werden und muss dem Bewusstsein Platz machen, dass jedes Glas Bier, jedes Glas Wein vor der Fahrt eines zu viel ist. Wenn das gelingt, haben wir, glaube ich, schon eine ganze Menge erreicht. ({6}) Deshalb haben wir ja auch unsere Aktion „Darauf fahre ich ab“ gemeinsam mit dem Deutschen Verkehrssicherheitsrat erfolgreich entwickelt. Und, Herr Börnsen - da muss ich Sie korrigieren -: Diese Aktion wird nicht etwa eingestellt. Sie wird fortgesetzt und sogar verbreitert. Sie hat in der Tat die von Ihnen vorgetragenen positiven Effekte. Die Zahl der Unfälle konnte in den Aktionsregionen um fast ein Drittel gesenkt werden. Wir halten also an dieser Strategie fest. Was die Haushaltsmittel anbetrifft, so muss man einfach sagen: Die Effektivität ist entscheidend. Wir werden uns an der Bilanz der Alkoholunfälle messen lassen. Es kommt nicht darauf an, dass man Massen an Geld ansetzt, sondern darauf, dass es so gut wie möglich eingesetzt wird. ({7}) Die positive Entwicklung der Zahl der Alkoholunfälle mit Personenschaden, die sich allein in dem Zeitraum von 1991 bis 1999 - und dafür waren, das kann man hier durchaus einmal positiv hervorheben, auch Sie verantwortlich - um rund ein Drittel verringert hat, wird - davon bin ich fest überzeugt - hier einen weiteren Schub erhalten. Die Tatsache, dass in diesem Zeitraum der deutlichste Rückgang von Alkoholunfällen mit 12,6 Prozent im Jahr 1998, dem Jahr, als die 0,5-Promille-Grenze eingeführt wurde, zu verzeichnen war, spricht ja nicht gegen, sondern für das Einführen dieser Promillegrenze. Denn Sie haben neben der Strafbewehrung selbstverständlich den Effekt der öffentlichen Debatte darüber. Die Debatte, die wir heute hier führen, wirkt sich schon positiv auf die Aufklärung aus. Denn es dringt stärker in das Bewusstsein dieser Gesellschaft ein, dass das ein Thema ist, um das man sich weiter zu kümmern hat. Es lässt sich nachweisen, dass jedes Mal dann, wenn eine Debatte über die Promillegrenze geführt wurde, ein rücksichtsvolleres und vorsichtigeres Fahren und eine stärkere Alkoholabstinenz zu verzeichnen waren. Deshalb wird das auch ein Punkt bleiben, an dem man von der Strategie her dranbleiben muss. Deshalb ist es übrigens auch falsch, was die Europäische Kommission hier mit der 0,2-Promille-Grenze für einzelne Fahrergruppen empfohlen hat, beispielsweise für Fahranfänger. Dieser Vorschlag verkennt, was die eigentliche Unfallursache bei den Fahranfängern ist. Sie haben vielleicht Probleme mit der mangelnden Fahrpraxis, sie haben aber nicht Probleme mit dem Alkohol, der bei dieser Gruppe erst an fünfter Stelle der Unfallursachen liegt. Ich denke, hier muss man sich einmal vor diese Gruppe stellen; so unfair darf man also mit ihr nicht umgehen. ({8}) Im Übrigen: Dass wir die jungen Fahranfänger weiter im Auge behalten, zeigt ja auch der Umstand, dass die Bundesanstalt für Straßenwesen nach wie vor beauftragt ist, die Auswirkungen der neuen Regelung zur Fahrerlaubnis auf Probe zu analysieren, und uns weitere Möglichkeiten zur Optimierung anbieten soll. Außerdem überlegen wir zurzeit, ob es so etwas wie einen Bonus geben soll, einen Bonus in Form einer Probezeitverkürzung bei freiwilliger Teilnahme an einem Modellversuch einer zweiphasigen Fahrausbildung. Meine Damen und Herren - Rita Streb-Hesse hat ja bereits darauf hingewiesen -, wir haben auch einen Auftrag der Koalitionsfraktionen erledigt, was die Frage des Anwohnerparkens betrifft, und ich freue mich sehr, dass der Antrag, den die Koalitionsfraktionen in diesem Zusammenhang gestellt haben, erledigt werden kann, weil das, was wir jetzt haben, die Ermächtigungsgrundlage, der Sie hier heute mit großer Mehrheit zustimmen werden, den Kommunen die Möglichkeit gibt, Regelungen in ihrem Sinne zu treffen, und zwar nicht so, wie die PDS das will - die PDS hat eh Schwierigkeiten mit der Freiheit -, ({9}) sondern wir machen eine solche Regelung so, dass die kommunale Selbstverwaltung an dieser Stelle im Mittelpunkt steht. In den Kommunen soll entschieden werden, ob und in welcher Art und Weise diese Regelung genutzt wird, und das ist auch völlig richtig so. Hinzu kommt das Verbot von Radar- und Laserwarngeräten in Kraftfahrzeugen. Das ist ja auch eine alte Debatte, die wir hier haben.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Ostrowski?

Stephan Hilsberg (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000904

Ja, bitte.

Christine Ostrowski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001662, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Herr Staatssekretär, Sie sind ja neu im Amt. ({0}) - Ja, ich weiß. Ich freue mich auch, dass Sie mir in Ihrer Jungfernrede diese Zwischenfrage gestatten. ({1}) Ich habe in Nummer 49/2000 der „Wirtschaftswoche“ Folgendes gelesen: Der neu gebackene Minister Bodewig berief Sie zum Staatssekretär, und Sie antworteten ganz erschrocken: „Ich? Wieso denn ich? Ich habe doch vom Verkehr keine Ahnung.“ Da antwortete Minister Bodewig: „Das macht nichts. Ich auch nicht.“ ({2}) Ich wollte Sie also fragen: Sind Sie immer noch auf dem Stand von vor wenigen Wochen, oder wie schätzen Sie das ein? ({3})

Stephan Hilsberg (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000904

Für wen dieses Zitat spricht oder nicht spricht und für wen es spricht, dass Sie es hier in dieser Art und Weise zitieren, will ich einmal dahingestellt sein lassen. ({0}) Ich will an dieser Stelle ganz klar sagen: In der Tat ist dies ein neuer politischer Bereich für mich. Aber ich mache die interessante Erfahrung, dass man auch als aktiver Teilnehmer an der Öffentlichkeit mit seinem gesunden Menschenverstand zu Erkenntnissen kommen kann, die ich jetzt die Gelegenheit habe durch viele Gutachten und Gespräche bestätigt zu sehen, und dass man gleichzeitig die Möglichkeit hat, über bestimmte Bereiche hinaus zu sehen. ({1}) Das ist auch etwas, was mir die ehemalige DDR nie gestattet hat. Da war man ausgegrenzt. Da hat man nicht einmal an einer öffentlichen Debatte über solche Dinge teilnehmen können. Deshalb sollten Sie sich mit solcherlei Hinweisen zurückhalten. ({2}) Ich meine, die Frage der Radarwarngeräte sollte man ein Stück weit mit Ironie kommentieren. Es gibt aber in der Tat einige schlitzohrige Mitbürger, die glauben, mit Cleverness und dem entsprechenden Geldbeutel wichtige und sinnvolle Regelungen schlicht und einfach umgehen zu können. Wenn es aber sinnvoll und richtig ist - unabhängig von der Frage, wo die Messgeräte stehen -, die Geschwindigkeit zu kontrollieren, und zwar in Verantwortung für die Verkehrsteilnehmer und für deren Schutz, dann muss es auch verboten sein, diese Regelung zu umgehen. Dann müssen die Radarwarngeräte auch verboten werden. Es ist erfreulich, dass alle Autoclubs in Deutschland diese Regelung unterstützen. ({3}) Ein Tempolimit auf Autobahnen kann man so oder so sehen. Das ist natürlich ein populistisches Thema; das will ich gar nicht verschweigen. Für wen man da jeweils Partei ergreift, ist auch ein interessanter Punkt. Deshalb ist es ganz wichtig, zu den Fakten zurückzukommen. Dazu möchte ich drei Dinge in Erinnerung rufen. Erstens. Wir haben bereits Tempolimits auf deutschen Autobahnen. ({4}) - Ich verstehe Sie ja. Auf mehr als einem Drittel der deutschen Autobahnstrecken gibt es aus guten Gründen bereits Geschwindigkeitsbegrenzungen. Die Zahl der mit einem Tempolimit belegten Autobahnstrecken nimmt zu. Zweitens werden die Kohlendioxidemissionen angeführt. Natürlich gibt es bei Geschwindigkeitsbeschränkungen eine Senkung von Kohlendioxidemissionen, aber in einem sehr geringen Maße. Ob es gerechtfertigt ist, deshalb ein allgemeines Tempolimit einzurichten, ist sehr die Frage. Selbst das Umweltbundesamt geht davon aus, dass, wenn sich 80 Prozent der Verkehrsteilnehmer an ein Tempolimit von 120 km/h halten, die CO2-Gesamtbelastung insgesamt nur um 0,3 Prozent sinken würde. Ob sich 80 Prozent an ein solches Tempolimit halten, will ich einmal dahingestellt sein lassen. ({5}) Drittens. Auch die Unfallbilanz auf unseren Autobahnen ist kein Argument für ein generelles Tempolimit. Es mag andere Argumente geben, aber die Unfallbilanz ist keines. Ich komme ja auch aus der ehemaligen DDR und war aktiver und bekennender Trabifahrer. Aber in die Situation, als Trabifahrer die Geschwindigkeitsgrenze von 100 km/h zu überschreiten, ist man nur selten gekommen. Es gibt allerdings noch einen anderen Aspekt. Spätestens nach dem Abkommen über die Transitautobahnen war die Begrenzung auf 100 km/h eine Devisen bringende Maßnahme. Schalck-Golodkowski wird wissen, wie viel D-Mark er auf diese Art und Weise eingenommen hat. Dies hat sicherlich zur Verlängerung der SED-Herrschaft in der DDR beigetragen. Das mag ein Grund dafür sein, dass Sie daran heute noch festhalten. Ein guter Ratschlag ist das auf keinen Fall. Tempo-30-Zonen in Innenstädten sind allerdings eine sinnvolle Angelegenheit. Wir schaffen hiermit die Grundlage, dass in den Kommunen nach deren eigenen Konzepten solche Zonen geschaffen werden können. Auch dies ist in unseren Augen eine Frage der kommunalen Selbstverwaltung. Es liegt in der Hand der Kommunen, ob und wie sie dieses Instrument nutzen wollen. Generell von dieser Stelle aus allen Kommunen zu verordnen, Tempo 30 einzuführen, ist in der Tat der falsche Weg. Auch das spricht wieder nicht unbedingt für die Qualität Ihrer Anträge. Noch ein Wort zu weiteren wichtigen Verbesserungen in diesem Gesetz: Beispielsweise erleichtern wir die Arbeit der Fahrerlaubnisbehörden und der Fahrlehrer, indem wir die Fahrschulerlaubnisklassen der Systematik der Fahrlehrererlaubnisse anpassen. Wir stellen klar, dass die Fahrschulen nur die Lehrfahrzeuge vorhalten müssen, die für die Ausbildung einer Fahrerlaubnisklasse unbedingt erforderlich sind. Wir verbessern nebenbei noch die Übergangsregelung zum Fahrlehrergesetz im Hinblick auf die Fahrlehrererlaubnis zur Fahrgastbeförderung für Kraftomnibusse. Die Fahrlehrerschaft wartet dringend auf diese wichtige Regelung. Es genügt künftig, dass der Fahrlehrer am Stichtag 31. Dezember 1998 berechtigt war, Bewerber um die Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung für Kraftomnibusse auszubilden. Meine Damen und Herren, die Verkehrssicherheit, die im Mittelpunkt dieser Debatte stand, ist ein wichtiger Teil der Mobilität. Die Mobilität ist in der Tat eine der zentralen Kategorien unserer modernen Gesellschaft. Aber sie hat auch kritische Aspekte, deren negative Folgen von uns hinterfragt werden müssen und um die man sich zu kümmern hat. Soweit man das kann, müssen die negativen Folgen von Mobilität gelindert und bekämpft werden. Es ist das Ziel unserer Verkehrssicherheitsarbeit, dass die Verkehrsteilnehmer sich in Zukunft sicher, fair, kompetent und rücksichtsvoll zueinander verhalten. Das ist die Voraussetzung dafür, dass wir alle auch in Zukunft den Entwicklungen, die uns in der Verkehrspolitik beschäftigen werden, gelassen entgegensehen können. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Als letztem Redner in dieser Debatte gebe ich das Wort dem Kollegen Georg Brunnhuber für die Fraktion von CDU und CSU.

Georg Brunnhuber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000284, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich heute ausschließlich zum Thema der Promillegrenze äußern. Mir fällt bei dieser Debatte wie so oft in den letzten Wochen, wenn es um Verkehrspolitik ging, auf, dass Sie suggerieren, eine Lösung für ein Problem zu haben, obwohl Sie nur eine Scheinlösung haben. Zum Beispiel haben Sie eine Ökosteuer eingeführt, um die Umwelt zu schützen. Aber keine Mark fließt in die Umwelt. Alles wird in die Rentenkasse gegeben. Sie wollen mehr Güter auf die Schiene verlagern. Das klingt gut und alle wollen das. Aber dann lassen Sie zu, dass die DB Cargo gleichzeitig 1 000 private Schienenanschlüsse in Deutschland kündigt und den Leuten auch noch schreibt, sie sollten ihre Güter in Zukunft auf der Straße transportieren. Das ist die Politik von Rot-Grün! ({0}) Heute tun Sie so, als würden Sie eine ganz neue Idee gebären, indem Sie die Grenze von 0,5 Promille in den Vordergrund stellen. Wir haben die 0,5-Promille-Regelung. Darauf möchte ich einmal hinweisen. Was Sie wollen, ist eine Verschärfung des Strafmaßes. ({1}) Sie suggerieren, damit gäbe es mehr Sicherheit auf der Straße. Sie selber wissen, dass das eben nicht zutrifft. ({2}) Ich verweise auf den Kollegen Friedrich. Sie können schauen, wohin Sie wollen: Wo 0,0 Promille eingeführt sind - zum Beispiel in Tschechien, in Ungarn und in Rumänien -, ist die Häufigkeit von Unfällen mit Alkohol in der Regel höher als bei uns. Auch in der DDR war die Häufigkeit von Unfällen unter Alkoholeinfluss trotz 0,0 Promille und erheblichem Strafmaß genau so hoch wie in der Bundesrepublik. ({3}) Das zeigt, dass es Ihnen mehr um Ideologie als um Verkehrssicherheit geht. Wenn Sie wirklich Verkehrssicherheit schaffen wollten, dann hätten Sie sagen müssen: Wir müssen die Kontrolldichte erhöhen. ({4}) Denn ohne Kontrollen nützen alle diese Verschärfungen und die entsprechende Zahlenakrobatik nichts. Sie werden dadurch keinen einzigen Unfall verhindern. ({5}) Sie könnten mehr für die Aufklärung tun. Denn auch Aufklärung ist notwendig. Dazu sagen Sie gar nichts. Sie ändern drei Zahlen und glauben, dass sich dadurch etwas ändert. Das wird nicht eintreffen. Warum hat man die Regelung, die am 1. Mai 1998 eingeführt wurde, nicht noch ein oder zwei Jahre beobachtet? ({6}) Wir können Sie nur nochmals darum bitten und hoffen, dass das im Bundesrat noch einmal aufgegriffen wird. Wenn zusätzlicher Handlungsbedarf erkennbar geworden wäre, dann wären doch alle bereit gewesen, sich noch einmal darüber zu unterhalten. Offensichtlich genügt Ihnen aber selbst die jetzt anstehende Änderung nicht. Seit dem 1. Mai 1998 geht die Zahl der Unfälle unter Alkohol eindeutig zurück. ({7}) Wir hätten doch testen können, ob das auf die Einführung der 0,5-Promille-Grenze zurückzuführen ist oder eine allgemeine Tendenz ist. Auf jeden Fall ist die Tendenz eindeutig: Die alkoholbedingten Unfälle gehen zurück. ({8}) Deshalb ist das hier mehr oder weniger einfach eine Gschaftlhuberei; man macht etwas, damit man den Leuten erklären kann: Wir sind für mehr Sicherheit, wohl wissend, dass die Sicherheit dadurch nicht gewährleistet ist. Deswegen hoffen wir, dass der Bundesrat dieses Gesetz nicht durchwinkt. ({9}) Es ist zustimmungspflichtig. Immerhin gibt es auch SPDVerantwortliche, die das so beurteilen. Der Hamburger Innensenator zum Beispiel sagt, das seit dem 1. Mai 1998 gültige Gesetz sei ausgezeichnet, es habe in Hamburg dazu geführt, dass über 13 Prozent weniger Unfälle mit Alkoholeinwirkung zu verzeichnen seien. Da kann man nur hoffen, dass noch mehr Leute so denken, damit es so bleibt. Wir lehnen es auf jeden Fall ab, weil die Verkehrssicherheit durch diese Verschärfung nicht gewährleistet ist; vielmehr treffen Sie hauptsächlich wieder denjenigen, den Sie ideologisch einfach nicht mögen: den Autofahrer. ({10})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zu den Abstimmungen, zunächst zum Ta- gesordnungspunkt 5 a: Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Ände- rung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer straßen- verkehrsrechtlicher Vorschriften auf den Drucksa- chen 14/4304 und 14/5132. Der Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen empfiehlt unter Buchstabe a) seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/5132 die Annahme des Gesetzentwurfes in der Ausschussfassung. Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/5152 vor. Über ihn werden wir zunächst abstimmen. Wer stimmt für diesen Ände- rungsantrag der CDU/CSU-Fraktion? - Wer stimmt dage- gen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS ge- gen die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. abgelehnt. Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei- chen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Ge- setzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit dem glei- chen Stimmverhalten der Fraktionen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung: Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. angenommen Wir stimmen nun über den Entschließungsantrag der Fraktion der F.D.P. auf der Drucksache 14/5154 ab. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der F.D.P. abgelehnt. Tagesordnungspunkt 5 b: Der Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen empfiehlt unter Buchstabe b) seiner Beschlussempfehlung in der Drucksache 14/5132, die Anträge der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen zur Regelung des Anwohnerparkens durch Städte und Gemeinden auf Drucksache 14/1258 und zum Verbot des Mitführens von Radar- und Laserwarngeräten in Kraftfahrzeugen auf Drucksache 14/1351 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei voller Einmütigkeit des Hauses ist diese Beschlussempfehlung angenommen. Tagesordnungspunkt 5 c: Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen zu dem Antrag der Fraktion der PDS mit dem Titel „Geschwindigkeitsbegrenzung auf 130 km/h auf Autobahnen“, Drucksache 14/5076. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/1082 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der PDS und die Stimme des Abgeordneten Albert Schmidt ({0}), Bündnis 90/Die Grünen, angenommen. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 6 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Norbert Lammert, Bernd Neumann ({1}), Renate Blank, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Jüdisches Museum, „Topographie des Terrors“, Mahnmal für die ermordeten Juden Europas - Drucksache 14/4249 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Kultur und Medien ({2}) Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und gebe für den Antragsteller das Wort zunächst dem Kollegen Dr. Norbert Lammert, CDU/CSU.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001274, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem vorliegenden Antrag will die CDU/CSU-Bundestagsfraktion dazu beitragen, dass endlich ein zwischen der Bundesregierung und dem Land Berlin abgestimmtes Konzept über die nationalen Gedenkstätten in der Hauptstadt entwickelt und die unwürdige Hängepartie, die es nun seit vielen Monaten um den Weiterbau und die Fertigstellung der „Topographie des Terrors“ gibt, überwunden wird. Diese ist der Bedeutung dieses Platzes und seiner Geschichte völlig unangemessen. ({0}) Die Stiftung „Topographie des Terrors“ verfolgt eines der wichtigsten Bauprojekte im Rahmen der Gedenkstätten der Bundeshauptstadt. Für die CDU/CSU-Fraktion steht dieses Vorhaben in einem nicht auflösbaren Zusammenhang mit dem Mahnmal der ermordeten Juden Europas und dem im Aufbau befindlichen Jüdischen Museum. ({1}) Mit dem Denkmal soll der jüdischen Opfer gedacht werden, das Museum rekonstruiert gewissermaßen die zerstörte jüdische Geschichte in Deutschland. Die „Topographie des Terrors“ fragt nach den Voraussetzungen der nationalsozialistischen Verbrechen, nach der Gesellschaft, in der diese Verbrechen möglich wurden, und nach den Personen, die sie planten und durchführten. Meine Damen und Herren, für alle drei Projekte sind durch die Beauftragung international renommierter Architekten baulich herausragende Lösungen gefunden worden. Dass sie nicht nur auffällig, sondern umstritten sind, spricht nicht gegen die Qualität dieser Entwürfe, die im Übrigen in der Fachwelt fast ungeteilte Zustimmung gefunden haben; das ist mehr als ungewöhnlich. Sie setzen allesamt auch in meiner Beurteilung ein überzeugendes äußeres Zeichen für das Anliegen, das an diesen Stätten zum Ausdruck kommen soll. Wir wollen mit diesem Antrag das ausdrückliche Interesse des Bundestages an der Fertigstellung aller drei Projekte und an einem überzeugenden Konzept ihrer jeweiligen aufeinander bezogenen Arbeit zum Ausdruck bringen. ({2}) Nun ist allen Beteiligten klar, dass die Realisierung dieser Projekte mit vielfältigen, übrigens nicht nur finanziellen Aufwendungen verbunden ist. Ich möchte deswegen für meine Fraktion auch ausdrücklich klarstellen, dass die getroffenen Grundsatzentscheidungen der Regierungen und Parlamente von Bund und Land Berlin in keinem der drei Fälle beliebige Kostenentwicklungen rechtfertigen. Niemand darf sich ernsthaft auch nur andeutungsweise darauf verlassen, dass es, weil die Entscheidung nun einmal getroffen sei, nun auf Kosten nicht mehr ankomme. ({3}) Vielmehr muss bei allen drei Projekten sichergestellt werden, dass die beabsichtigten Lösungen unter Berücksichtigung der finanziellen Belastung der öffentlichen Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters Haushalte und ihrer anderen Verpflichtungen so kostengünstig wie möglich umgesetzt werden. ({4}) Dies gilt sowohl für die erforderlichen Investitionen wie für die späteren Betriebskosten. Genauso deutlich sage ich aber: Das gilt bitte schön für alle drei Projekte. Wir können uns nicht mit einer heimlichen Hierarchie dieser Projekte abfinden, nach der Kosten an einer Stelle keine Rolle spielen, deswegen aber an anderer Stelle umso sorgfältiger gespart werden müsse. ({5}) - Ich bin zwar sicher, Herr Kollege Barthel, dass Sie das auch ohne Erläuterung verstanden haben, ich erläutere es Ihnen aber gerne: Mit der Entscheidung des Bundestages, die Kosten und die Verantwortung für das Mahnmal für die ermordeten Juden zu übernehmen, mit der Entscheidung der Bundesregierung, die komplette Verantwortung für das Jüdische Museum zu übernehmen, einschließlich der damit verbundenen Kosten, ergibt sich ein - ich unterstelle einmal - von niemandem beabsichtigter, aber tatsächlicher Druck auf das dritte verbleibende Objekt, das sich in einer für uns alle peinlichen Situation befindet, wie wir nun seit Monaten mit wachsendem Erschrecken, wie ich einmal zu unser aller Gunsten unterstellen will, beobachten. Deswegen bleiben Bund und Land nach der Entscheidung des Bundestages in der Verantwortung, für die beiden Einrichtungen, also für das Jüdische Museum und für die „Topographie des Terrors“, Lösungen zu finden, die ihre Fertigstellung und künftige Arbeit dauerhaft sichern. Es gibt keinen überzeugenden Grund, dass der Bund dies für das Jüdische Museum sicherstellt und für die „Topographie des Terrors“ offen lässt. ({6}) Ich will im Übrigen eines ausdrücklich hinzufügen: Möglicherweise wird gleich - hoffentlich aber nicht - von der Koalition vorgetragen, es gebe ein Gedenkstättenkonzept des Bundes und natürlich sei der Bund bereit, für diese Gedenkstätte - in gleicher Weise wie für Dutzende anderer Gedenkstätten an anderer Stelle in Deutschland Mitverantwortung zu übernehmen. Ich sage gleich vorab, weil ich nur einmal reden darf: Die „Topographie des Terrors“ kann nicht mit Sachsenhausen, Bergen-Belsen oder Buchenwald verglichen werden. Wir haben in Berlin im Grunde genommen nur noch eine authentische Stätte, die an die entsetzliche Naziterrorherrschaft erinnert. Die beiden Zentren der NS-Herrschaft waren die Reichskanzlei und das Prinz-Albrecht-Gelände. Von der Reichskanzlei ist im Stadtbild Gott sei Dank - in diesem Zusammenhang müsste man wohl eher „leider“ sagen - überhaupt nichts mehr zu sehen. Auch das Prinz-Albrecht-Gelände wäre in der Verdrängungsneigung der Nachkriegsjahre beinahe ebenso unkenntlich verschwunden. Wir haben nun seit der Wiederentdeckung dieses Geländes und seiner überragenden historischen Bedeutung im Kontext des Berliner Stadtjubiläums eine Entwicklung, in der das Land wie der Bund zu Recht eine besondere Verantwortung entdeckt und auch wahrgenommen haben, aus der sich nun die Entwicklung dieses Konzepts ergeben hat. Wenn es denn - auch das will ich sagen - so etwas wie eine Gewichtung dieser drei Projekte geben müsste, für die ich ausdrücklich nicht werbe, dann könnte ich allemal eher den Vorrang der „Topographie des Terrors“ gegenüber den anderen beiden Projekten begründen als umgekehrt. Sie ist die unverzichtbare Verbindung zwischen der Darstellung einer jahrhundertelangen, dann durch organisierten staatlichen Terror unterbrochenen jüdischen Geschichte im Jüdischen Museum und dem Mahnmal zur Erinnerung an die Opfer dieser Vernichtungsorgie. Dies ist nach meiner Überzeugung eine der wichtigsten politischen Gedenkstätten zumindest in Deutschland, wenn nicht sogar weit darüber hinaus. Deswegen haben wir hier eine besondere Verantwortung. Es passt recht gut in diesen Zusammenhang, dass wir morgen den jährlichen Tag des Erinnerns an die Opfer des Naziregimes begehen, der den Bundestag nicht nur zu folgenlosen Gedenkstunden, sondern auch zu nachprüfbaren Bekundungen seines Interesses an der Aufrechterhaltung dieser historischen Verantwortung zusammenführen sollte. Ich habe schon darauf hingewiesen, dass dieser Platz - früher mit dem Prinz-Albrecht-Palais - nicht nur eine der ganz wenigen verbleibenden authentischen Stätten des Naziregimes in Deutschland ist. Er ist gleichzeitig eine Stätte, die an Verdrängungsübungen in der Nachkriegsgeschichte erinnert. Ich habe keinen Zweifel daran, dass wir in dem grundsätzlichen Anliegen keine Meinungsverschiedenheiten zwischen den Fraktionen haben und uns nicht darüber streiten müssen, dass es sich hier um eine ganz originäre und besondere Verpflichtung des Bundes handelt. Was sich auf diesem Gelände abgespielt hat, das 1933 von der Gestapo und 1939 vom Reichssicherheitshauptamt bezogen wurde, ist nicht Berliner Stadtgeschichte, sondern Nationalgeschichte. Leider ist es das dunkelste Kapitel, das es in unserer Nationalgeschichte gibt. Es gibt im Übrigen auch einen ganz praktischen Zusammenhang, aufgrund dessen wir das Gesamtkonzept für unverzichtbar halten. Diese drei Einrichtungen befinden sich glücklicherweise nur wenige hundert Meter voneinander entfernt, sie sind wie auf einer Perlenschnur aufgereiht. Es gibt keinen vernünftigen Grund dafür, in diesen drei Einrichtungen jeweils gleiche Vortragsräume, Ausstellungen, Dokumentationen und Lesesäle vorzuhalten. Man kann durch einen inhaltlich konzeptionellen Zusammenhang einen in jeder Beziehung nicht nur begründbaren, sondern auch vernünftigen Beitrag zur Kosteneinsparung leisten. Auch deswegen müssen wir darauf bestehen, dass endlich dieser Gesamtzusammenhang hergestellt wird. Lassen Sie mich zum Schluss eine eher persönliche Bemerkung machen. Ich habe in den vergangenen Tagen, zum Teil mit ausdrücklichem Hinweis auf unsere heutige Debatte, einige - ich sage es einmal höflich - sehr engagierte Bürgerbriefe bekommen. Unter ihnen waren einige ausgesprochen unfreundliche, um nicht zu sagen üble Schreiben - ich möchte sie nicht zitieren -, die sich auf die Errichtung von Gedenkstätten im Allgemeinen und auf das Erinnern an jüdische Opfer im Besonderen beziehen und in denen das Engagement der Union und mein persönlicher Einsatz beklagt bzw. beschimpft werden. Ich trage das nur aus einem einzigen Grund vor: Dass es solche Briefe immer noch gibt, hat mich in meiner persönlichen Überzeugung sehr bestärkt, dass das wiedervereinigte Deutschland in seiner Hauptstadt demonstrative Zeichen setzen muss, Zeichen des Erinnerns, des Gedenkens und insbesondere unserer festen Entschlossenheit, die nach dem völligen politischen und moralischen Zusammenbruch dieses Landes mühsam wieder errichtete deutsche Demokratie und das Leben und die Freiheit aller Menschen, die in diesem Lande leben, welcher Nationalität und religiösen Überzeugung auch immer, mit allen Kräften zu verteidigen. ({7})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich erteile das Wort dem Kollegen Eckhardt Barthel für die Fraktion der SPD.

Eckhardt Barthel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003032, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine Damen und Herren! Herr Lammert, wer könnte dem widersprechen, was Sie zum Schluss gesagt haben? Wer könnte Ihrem Wunsch widersprechen, dass alle drei Institutionen auch wirklich realisiert werden? Ich gehe davon aus, dass darüber Konsens in diesem Haus besteht. Das Ziel, das Sie hier nennen, teile ich - ich glaube, auch meine Fraktion - voll und ganz. Ich habe jetzt aber die Aufgabe, über Ihren Antrag zu reden, der im Ausschuss sicher intensiv behandelt werden wird. In diesem Antrag fordern Sie den Bundestag auf, in sich abgestimmte, gut durchdachte und auch von der gesamten Opposition bisher mitgetragene und nicht infrage gestellte Konzeptionen neu zu ordnen. Man könnte diesen Antrag so zusammenfassen, dass ebenso wie das Mahnmal für die ermordeten Juden Europas und das Jüdische Museum auch die „Topographie des Terrors“ in die volle Trägerschaft des Bundes überführt werden soll. ({0}) - Sehen Sie, Sie sagen Ja und Herr Nooke schüttelt den Kopf und sagt Nein. Es ist schon ein wenig bezeichnend, wie das Meinungsbild in Ihrer Fraktion ist. Das aber ist nicht mein Problem. Es ist allerdings interessant, dass sich diese Unterschiedlichkeit auch im Text wiederfindet. Er drückt nämlich nicht klar und deutlich aus, dass es um die Trägerschaft geht. Das muss man erst aus dem Antrag herauslesen. Schauen Sie sich doch Ihren vierten Punkt an! Dort steht: Es gibt keinen überzeugenden Grund, dass der Bund dies - die Übernahme für das Jüdische Museum sicherstellt und für die „Topographie des Terrors“ offen lässt. Wenn man lesen kann und der deutschen Sprache mächtig ist, heißt das, dass es im Kern um die Übernahme der „Topographie des Terrors“ durch den Bund geht. Ich gestehe, Sie haben das sehr gut dargestellt. Auf den ersten Blick liegt diesen Überlegungen eine gewisse Logik zugrunde: das Jüdische Museum als Ort der Darstellung des jüdischen Lebens und des Zusammenlebens mit ihnen über Jahrhunderte hinweg, die „Topographie des Terrors“ als Ort der Täter und das Mahnmal für die ermordeten Juden Europas als Ort der Erinnerung. Man könnte fast sagen, das ist ein Drei-Säulen-Modell. Das bezieht sich auch auf den räumlichen Zusammenhang. Dies hat nur einen Haken und der wird erst auf den zweiten Blick sichtbar: Es handelt sich hier nur um eine sehr begrenzte Sicht und eine begrenzte Logik; denn natürlich fallen demjenigen, der darüber nachdenkt, auch andere Orte ein. Ich denke zum Beispiel an die Villa am Wannsee. ({1}) Dort wurde der Mord an den europäischen Juden organisiert. Damit das nicht schief klingt: Ich glaube Ihnen hundertprozentig, dass Sie die drei Institutionen nicht unterschiedlich werten wollen. Ich freue mich, dass Ihre Fraktion mit diesem Antrag die Bedeutung dieser drei Institutionen so hoch hebt. Ich bin auch weit davon entfernt, zu glauben, dass das bedeutet, dass Ihrer Meinung nach andere Institutionen weniger Anerkennung verdienen. Aber sie verengen den Blick zu stark auf diese drei Institutionen. ({2}) Noch etwas ist für die Formulierung Ihres Antrags bezeichnend: Begriffe wie Gedenkstättenkonzeption oder Hauptstadtkulturvertrag tauchen in diesem Antrag erstaunlicherweise gar nicht auf. Wenn Sie aber tatsächlich eine Gleichbehandlung von Jüdischem Museum und „Topographie des Terrors“ wollen, muss sich der Blick sofort auf den Hauptstadtkulturvertrag richten. Sie verschweigen diese Tatsache; man kann dies aber nicht beiseite schieben. Der Grund für diese Betrachtungsweise ist: Indem Sie den Blick auf ein wichtiges Einzelelement legen, verlieren Sie den Überblick über die Dimension bundesstaatlicher Kulturpolitik.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Herr Kollege Barthel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lammert?

Eckhardt Barthel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003032, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Aber natürlich.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001274, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bedanke mich sehr. - Herr Barthel, Sie haben völlig zu Recht auf den Zusammenhang mit dem Hauptstadtkulturvertrag hingewiesen. Wie Sie wissen, lag ein gesonderter Antrag zu diesem Thema vor, zu dem wir inzwischen eine gemeinsame Vereinbarung getroffen haben. Der entscheidende Punkt - deswegen greife ich Ihren Hinweis gerne auf - ist: Wir haben die Sorge, dass mit dem Unterschreiben des vorliegenden Hauptstadtkulturvertrages die Schieflage festgezurrt wird, die wir mit Blick auf die Gedenkstätten in diesem Antrag reklamieren. Deswegen ist meine Frage: Könnten Sie sich nicht auch vorstellen - nachdem Sie Ihre prinzipielle Sympathie und Übereinstimmung mit den vorgetragenen Überlegungen bekundet haben -, dass man im Rahmen des Hauptstadtkulturvertrages, der noch nicht unterzeichnet ist, eine Vereinbarung zwischen Bund und Land Berlin trifft, die die Gleichrangigkeit dieser Institutionen durch eine entsprechend gleichartige Verantwortung des Bundes und des Landes in belastbarer Weise zum Ausdruck bringt?

Eckhardt Barthel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003032, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Es ist schon sehr erstaunlich, dass Sie dies in Form einer Zwischenfrage vorbringen und dies nicht Teil Ihres Antrages ist. ({0}) Ich gehe gleich im Rahmen meiner Ausführungen auf Ihre Frage in Bezug auf den Hauptstadtkulturvertrag ein. Insofern brauchen Sie nicht stehen zu bleiben. Sie dürfen sich setzen. ({1})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Sie hätten die Chance gehabt, Ihre Redezeit um die Zeit zu verlängern, die der Abgeordnete Lammert steht. Aber Sie sind sehr großzügig.

Eckhardt Barthel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003032, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehen Sie, ich bin so gutmütig, dass ich die Kollegen nicht überstrapazieren möchte. Herr Lammert, soviel ich weiß, wird der Hauptstadtkulturvertrag in Kürze unterschrieben. Es soll Gespräche zwischen dem Staatsminister und dem Kultursenator gegeben haben. Der Grund, warum ich dagegen bin, die entsprechenden Elemente in den Hauptstadtkulturvertrag aufzunehmen, ist: Wir sind uns wohl alle darüber einig, dass die Erinnerungskultur bei der Förderung der Kultur in der Hauptstadt einen hohen Stellenwert haben muss. Ich möchte nicht, dass sich diese Förderung auf die Erinnerungskultur reduziert bzw. begrenzt. ({0}) Wenn man Ihren Antrag zu Ende denkt - im Wissen um die Begrenztheit der Mittel des Bundes für Berlin -, kommt man zu der Feststellung, dass es darauf hinausliefe. Wir wollen im Bewusstsein der Vergangenheit mit Mitteln des Bundes für die Hauptstadt auch Gegenwärtiges für die Zukunft schaffen. ({1}) Das ist ein anderer Ansatz. Mit uns wird es deswegen sicherlich nicht dazu kommen, dass dieser Vertrag neu verhandelt wird, mit allen Konsequenzen. Herr Lammert, ich habe neulich in der „Welt“ einen Artikel von Ihnen gelesen. Danach stimmen Sie zu, dass vier von fünf Institutionen per Hauptstadtkulturvertrag durch den Bund übernommen werden sollen. Sie begrüßen die Einbeziehung der Werkstatt der Kulturen der Welt in den Hauptstadtkulturvertrag, ebenso die des Gropiusbaus und die des Jüdischen Museums sowieso. Auch sprechen Sie sich - dafür bin ich sehr dankbar - für den HauptstadtKulturfonds aus. Das einzige, wozu Sie eine andere Meinung haben, sind die Festspiele. Aber kann sich eine Regierungskoalition mehr wünschen, als dass von der Opposition vier von fünf Punkten zugestimmt wird? Das ist doch eine schöne Sache. ({2}) - Dies ist nicht dabei. Aber wir haben, glaube ich, mit diesem Hauptstadtkulturvertrag eine gute Basis gefunden, für die wir breite Zustimmung finden. Deshalb hoffe ich auch, dass er bald unterschriftsreif sein wird. Eigentlich ist er ja schon überfällig, wenn wir ehrlich sind; denn seit dem 1. Januar sind bereits die Weichen gestellt. Erlauben Sie mir noch ein Wort zur „Topographie des Terrors“: Wie hat das Prinz-Albrecht-Gelände denn früher ausgesehen? Hier gibt es durchaus ein Stück Verdrängung. Auf diesem Gelände konnten Leute ohne Führerschein mit dem Auto herumfahren. Das war eine schlimme Sache und deswegen bin ich froh, dass der Berliner Senat dieses Projekt aufgegriffen hat. Dass die Kosten inzwischen so in die Höhe gestiegen sind - da geht es nicht um Mehrkosten in Höhe von 10 Prozent; Sie wissen genau, um welche Dimensionen es sich hier handelt -, ist allerdings nicht nur der Berliner Politik zuzuschreiben; das muss man ehrlich sagen. Es gibt eine Menge Probleme mit dem, was der Architekt vorhat. Auf der anderen Seite würde ich mich riesig freuen, wenn analog zu der gelungenen Gestaltung des Mahnmals und der wunderbaren Architektur des Jüdischen Museums ein sehr attraktives Gebäude als „Topographie des Terrors“ gebaut würde. Dies ist abzuwägen. Aber ich gebe Ihnen Recht, dass die Kosten nicht beliebig nach oben gehen können. In einem Punkt Ihres Antrags haben Sie Recht: Es darf kein unabgestimmtes Verhalten und erst recht kein Gegeneinander zwischen den drei Institutionen geben. ({3}) Ich erinnere Sie an die Diskussion über das Mahnmal, wo dies eine große Rolle spielte. Ich bin eigentlich ganz froh, dass wir im Hinblick auf das, was Sie hier fordern, schon auf dem richtigen Weg sind. Sehen Sie sich einmal an, wer im Kuratorium der Stiftung „Denkmal für die ermordeten Juden Europas“ sitzt! In ihm ist die „Topographie des Terrors“ mit Herrn Professor Rürup vertreten, der darüber hinaus auch in der Arbeitsgruppe für die inhaltliche Konzeption des „Ortes der Information“ tätig ist. ({4}) Mit Herrn Professor Blumenthal ist das Jüdische Museum vertreten. Auch andere Institutionen, über die Sie nicht gesprochen haben, sind dort vertreten; beispielsweise vertritt Dr. Morsch die Gedenkstätte und das Museum Sachsenhausen. Das Ziel, das Sie zu Recht in Ihren Antrag hineingeschrieben haben, wird hier bereits umgesetzt. Insofern kann ich sagen, dass wir schon dort sind, wohin Sie mit Ihrem Antrag erst noch wollen. Ich bin sicher, dass der Bund nicht die volle Trägerschaft der „Topographie des Terrors“ übernehmen wird. Aber er wird seiner Verpflichtung, dieses Projekt finanziell zu unterstützen, nachkommen, wenn klare, überprüfbare Zahlen für den Bau der „Topographie des Terrors“ vorliegen werden. Das ist jedenfalls die Meinung meiner Fraktion und auch - dessen bin ich genauso sicher - die Meinung des Staatsministers für Kultur. Ich bedanke mich. ({5})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Ich erteile der Kollegin Ina Albowitz das Wort. Sie spricht für die F.D.P.-Fraktion.

Ina Albowitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000022, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Meine Fraktion hält die Errichtung der „Topographie des Terrors“ für richtig, im Zusammenhang mit der Gestaltung der beiden anderen zentralen Orte der Auseinandersetzung Deutschlands mit seiner NS-Vergangenheit, dem Holocaust-Mahnmal und dem Jüdischen Museum, sogar für zwingend notwendig. Herr Kollege Lammert, trotzdem lehnen wir den vorliegenden Antrag ab. Ich will dies auch begründen. Auch wenn Deutschland, meine Damen und Herren, inzwischen von Berlin aus regiert wird, ist der Bund nicht dazu da, ständig Fehler der Berliner Landesverwaltung auszubügeln. ({0}) Die „Topographie des Terrors“ ist im Übrigen kein Einzelfall, wenn es um Beispiele für Missmanagement der Berliner Bauverwaltung geht. Dort regiert - alle Insider wissen das - seit vielen Jahren der Schlendrian. Die Baugeschichte der „Topographie des Terrors“ könnte man sarkastisch als Krönung der Geschichte institutioneller Unfähigkeit bezeichnen. ({1}) Sie hätte längst errichtet sein können; wir befassen uns seit Jahren mit diesem Thema. Ich hätte mir im Übrigen gewünscht, dass die Grundsteinlegung für das Holocaust-Mahnmal - der Grundstein hätte eigentlich Samstag vor zwei Jahren gelegt werden sollen - inzwischen erfolgt wäre. Aber wir warten noch immer darauf. Wie man den Ticker-Meldungen vom heutigen Tage entnehmen kann, wird sie, wenn wir Glück haben, noch in diesem Jahr erfolgen. Zu Recht erinnern wir uns - auch die Länder Berlin und Brandenburg - in diesem Jahr an 300 Jahre preußische Geschichte. Von den berühmten preußischen Tugenden allerdings, Herr Kollege Barthel, von Sparsamkeit und Disziplin, ist in der Berliner Bauverwaltung so gut wie nichts mehr übrig geblieben. ({2}) Ich frage deswegen die CDU/CSU-Fraktion: Weshalb lassen Sie sich, Herr Kollege Lammert, vor den Karren dieser Verwaltung spannen, einer Verwaltung, die zuerst Millionen Steuergelder in den sprichwörtlich märkischen Sand setzt und dann, wenn sie nicht mehr weiter weiß, nach dem Bund ruft? Aber das tun aus Sicht der Berliner nicht nur Sie, sondern auch andere. Dem alten Westberliner Prinzip „Der Bund wird es schon richten“ muss endlich ein Riegel vorgeschoben werden, auch deshalb, weil es die anderen Bundesländer leid sind, dass die Rolle des Zahlmeisters in Berlin peu à peu vom Bund übernommen und die Hauptstadt damit einseitig gegenüber dem Rest der Republik bevorzugt wird. Meine Fraktion wird nicht einer Politik die Hand reichen, die über die bisherigen 100 Millionen DM für die Berliner Kulturförderung hinaus weitere finanzielle Leistungen des Bundes einfordert. Die Stiftung „Topographie des Terrors“ findet im Rahmen des Gedenkstättenkonzeptes des Bundes ausreichend Berücksichtigung. Dort gilt auch der Grundsatz der hälftigen Finanzierung durch den Bund und das Sitzland. Herr Kollege Lammert, lassen Sie mich in diesem Zusammenhang eine persönliche Bemerkung machen. Wir haben in den letzten Legislaturperioden ein Gedenkstättenkonzept verabschiedet - ich durfte das damals in Verantwortung einer Regierungskoalition für meine Fraktion machen und die Kollegin Steinbach für ihre Fraktion -, das von beiden Fraktionen getragen wurde, die Zustimmung des Finanzministers erhielt und mit den Ländern vereinbart wurde. Deswegen kann ich mich eigentlich nur wundern, dass Sie heute von dem Grundsatz der hälftigen Teilung der Kosten bestimmter Gedenkstätten Abstand nehmen wollen; die „Topographie des Terrors“ gehörte schon damals dazu. Ich würde mir wünschen, dass man sich, auch wenn man nicht mehr so in der Verantwortung steht, trotzdem noch an seine vorherige Verantwortung erinnert. Ich fordere deshalb die Berliner Verantwortung ein. Zunächst muss das Gesamtkonzept vorliegen und Berlin seine Hausaufgaben machen. Gabriele Kamphausen, die engagierte Direktorin der Stiftung „Topographie des Terrors“, hat, wie man der „FAZ“ entnehmen kann, aufgezeigt, wie viel Zeit, Kraft, Energie und Geld in den vergangenen fünf Jahren durch Verzögerung, Aussitzen, Desorganisation, Schlamperei und Desinteresse der Berliner Bauverwaltung verschwendet worden seien. Das heißt für uns, dass der Senat erst einmal die Karten auf den Tisch legen muss. Dann reden wir weiter. Ich bedanke mich. ({3}) Eckhardt Barthel ({4})

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Wenn Sie möchten, dürfen Sie noch eine Frage stellen, Herr Lammert.

Ina Albowitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000022, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Entschuldigung, Herr Lammert, ich habe Sie nicht gesehen, da ich so fasziniert den Kollegen Barthel als Berliner angeschaut habe.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001274, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe fast alles verstanden, was Sie vorgetragen haben, nur einen Punkt nicht, für dessen Erläuterung ich dankbar wäre. Worin besteht nach Auffassung Ihrer Fraktion der Unterschied zwischen dem Jüdischen Museum und der „Topographie des Terrors“ bei der Behandlung der Förderung durch den Bund?

Ina Albowitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000022, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich gebe Ihnen Recht: Es gibt nicht sehr viele Unterschiede. ({0}) - Entschuldigung, wir reden von der Finanzierung.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002156

Damit ist die Frage beantwortet. Ich gebe nunmehr der Kollegin Dr. Antje Vollmer für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002391, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Tatsache, dass die CDU/CSU so fleißig ist, im Bereich der Kulturpolitik Anträge zu stellen, gibt uns wieder einmal die schöne Gelegenheit, auf das zurückzublicken, was wir schon alles geschafft haben: zum Beispiel die Gedenkstättenkonzeption des Bundes. Sie forderten uns auf, ein Konzept zu erstellen, was wir getan haben. Die Konzeption des Bundes mit der hälftigen Finanzierung ist ein sehr großer Fortschritt, der uns in diesen Bereichen ungeheuer gedankt wird. ({0}) Die Kulturpolitik des Bundes hat Freunde unter denen, die für die Gedenkstätten verantwortlich sind. Im Übrigen befinden sich darunter vielfach Verantwortliche in den alten Bundesländern; denn wir hatten die ungewöhnliche Situation, dass die Lage der Gedenkstätten in den alten Bundesländern noch kritischer war als die Lage in den neuen Bundesländern. Wir brauchen aber nicht ständig neue Konzepte angesichts der Tatsache, dass wir gerade ein gutes Konzept, das allseits Zustimmung gefunden hat, erstellt haben. Wir haben nach langen Auseinandersetzungen die Entscheidung im Deutschen Bundestag gemeinsam gefällt, das Mahnmal für die ermordeten Juden Europas zu errichten. Diese schwierige Debatte hat am Ende also doch zu einem Konsens geführt. Die Verantwortung, die sich daraus ergibt, wird von allen in diesem Haus getragen. Der Einzige, der es ein wenig an Anerkennung für diese Entscheidung fehlen lässt, ist der Regierende Bürgermeister von Berlin, Herr Diepgen, der nicht einmal bei der Grundsteinlegung anwesend war. ({1}) Die Verantwortung für das Jüdische Museum wird nach dem Hauptstadtkulturvertrag voll vom Bund übernommen. Wir alle warten auf das Konzept für dieses Haus. Wir wissen, dass das Konzept von den Museumsfachleuten unter der Leitung von Michael Blumenthal erstellt wird. Es ist nicht Sache des Gesetzgebers, ein solches Konzept zu erstellen. Warum sollten wir auch ein Konzept erstellen, wenn es die Museumsfachleute viel besser tun können? Die Frage, warum das Jüdische Museum ein Teil des Hauptstadtkulturvertrages ist - Herr Lammert, diese Frage stellen Sie ständig -, ist damit zu beantworten, dass das Land Berlin genau diese Regelung wollte. Das Land Berlin wollte nämlich, dass der Bund die Verantwortung für das Jüdische Museum übernimmt. Es waren damals mehrere Möglichkeiten in der Diskussion. Es handelt sich um eine Konsenslösung, auf die sich das Land Berlin mit dem Staatsminister geeinigt hat. Gemäß dieser Einigung übernehmen wir die gesamte Verantwortung für dieses Projekt. Die Antwort auf Ihre Frage, warum es dieses und nicht ein anderes Haus ist, lautet, dass damals dieses Projekt und nicht ein anderes ausgewählt wurde. Ich komme zu der „Topographie des Terrors“. Ich freue mich, dass Ina Albowitz schon sehr Kluges und auch sehr Treffendes dazu gesagt hat, was die wirkliche Misere dieses Hauses ist. Sie sollten eines zugeben, Herr Lammert: Der Grund, warum Sie die „Topographie des Terrors“ jetzt in diesem Zusammenhang erwähnen, liegt nicht in der inhaltlichen Konzeption, sondern in der Tatsache begründet, dass sich dieses Haus in ganz besonderen Schwierigkeiten befindet. Wie die Kollegin Albowitz schon bemerkt hat, liegt die Verantwortung für diese Fehlplanung bei der Berliner Bauverwaltung. ({2}) - Aber es hat eine Entscheidung gegeben. ({3}) Wenn wir, lieber Herr Lammert, die Kosten zusammenrechnen würden, die Sie im Falle von Schwierigkeiten dem Bund zuschustern wollen, dann könnten wir die gesamte Berliner Kulturpolitik übernehmen. Sie wissen sehr wohl, dass uns das eine Menge Schwierigkeiten mit Ihren Kollegen in den Ländern, beispielsweise mit den CDUKulturpolitikern in Baden-Württemberg, bereiten würde. Deswegen ist es völlig klar und entspricht auch den Regeln einer geordneten Haushaltsführung, dass man nur für bestimmte Institutionen die Verantwortung übernehmen kann und sie dann auch trägt. Genau dazu fordern wir das Land Berlin auf. ({4}) Was die „Topographie des Terrors“ betrifft, sind wir ja bereit, im Rahmen der Gedenkstättenkonzeption einen großen Anteil zu übernehmen. Selbstverständlich gehört dazu die hälftige Finanzierung. Wir haben signalisiert, dass wir bereit sind, höhere Belastungen in einem berechenbaren Umfang zu übernehmen, weil wir sehr wohl wussten, welche planerische Katastrophe sich da angebahnt hat. Das Land Berlin muss uns nun aber endlich klare Zahlen nennen; sie liegen bis heute nicht vor. ({5}) In einer solchen Situation zu sagen: „Wir wollen uns des Bundes sozusagen als Goldesel bedienen, wenn etwas in den Ländern schief gelaufen ist“ widerspricht ganz und gar den Richtlinien einer korrekten Haushaltsführung, von der Sie wissen, dass wir uns darum ebenso bemühen wie um eine in sich schlüssige und miteinander abgestimmte Kulturpolitik. Deswegen sehe ich trotz aller positiven Punkte, die Sie uns genannt haben, für uns keine Möglichkeit, Ihrem Antrag zuzustimmen. Wir werden darüber aber noch reden. Danke. ({6})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Zu einer Kurzintervention erteile ich der Kollegin Monika Griefahn das Wort.

Dr. Monika Griefahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003136, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Albowitz, Sie haben einige richtige Bemerkungen - Frau Vollmer hat dies schon erwähnt - bezüglich der hälftigen Finanzierung des Gedenkstättenkonzeptes gemacht. Ich denke, das ist eine der großen Errungenschaften. Aber Sie haben auf die Nachfrage des Kollegen Lammert, was der Unterschied zwischen Jüdischem Museum, Holocaust-Mahnmal und „Topographie des Terrors“ sei, gesagt: Da ist kein Unterschied, da gebe ich Ihnen Recht. - Ich muss Ihnen entschieden widersprechen, denn die Gedenkstättenkonzeption beinhaltet die authentischen Gedenkstätten, während das Jüdische Museum und das Holocaust-Mahnmal „Extraeinheiten“ sind. Das Jüdische Museum war ursprünglich als Anhang zu einem städtischen Museum geplant und das Holocaust-Mahnmal sollte nach dem Beschluss des Deutschen Bundestages in einer eigenen Stiftung und als eigenes Denkmal, nicht an einem authentischen Ort, errichtet werden. Insofern hat die Forderung, für die „Topographie des Terrors“ im Gedenkstättenkonzept die anteilige Finanzierung von 50 Prozent beizubehalten, durchaus seine Logik. Es geht dabei nicht um 50 Prozent von irgendetwas, sondern um 50 Prozent von einem konkret vorgelegten Konzept, das nicht irgendwann ausufern darf, nur weil das Land Berlin keine Verträge machen kann, die auch eingehalten werden. Dafür muss ein Vertrag geschlossen werden, der, wie es auch beim Holocaust-Mahnmal geschehen ist, Regelungen beinhaltet, nach denen das Risiko von Mehrkosten beim Architekten und nicht beim Auftraggeber liegt. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Frau Kollegin, Sie wollen antworten? - Bitte sehr. ({0}) - Ein Mitglied des Bundesrates darf immer reden, Herr Kollege. ({1}) Bitte sehr, Frau Kollegin Albowitz.

Ina Albowitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000022, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Einige Kollegen dürfen zwölf Minuten reden, ich aber nur drei Minuten. Es ist schwierig, mich in so kurzer Zeit konkret auszudrücken. Das können Sie sicher nachvollziehen. Meine Einlassungen zur Frage des Kollegen Lammert bezogen sich - das haben Sie vielleicht nicht verstanden auf die Situation der Zeit vor 1998, auf die Gedenkstättenkonzeption und die hälftige Finanzierung. Die Frage, ob es da einen Unterschied gebe, habe ich knapp mit Ja beantwortet. Wenn ich noch sieben Minuten hätte reden dürfen, hätte ich mit Sicherheit gerne mehr dazu gesagt. Ich bin dankbar, dass ich jetzt wenigstens kurz Stellung dazu nehmen kann. Ich hätte gerne noch etwas zu den Plänen der Berliner Landesverwaltung und zu den Konzepten, die Sie vorlegen, gesagt. Kosten sie 80 Millionen DM oder noch mehr? Ich glaube, der Finanzminister wird sich herzlich bedanken, wenn die Schraube immer weiter nach oben gedreht wird. Wir können gerne noch darüber sprechen. Denken Sie bitte daran, dass das in dreieinhalb Minuten nicht möglich war.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun hat das Wort der Kollege Professor Dr. Heinrich Fink für die PDS-Fraktion. ({0})

Prof. Dr. Heinrich Fink (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003116, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ich werde mich hüten. Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die im Antrag der CDU/CSU enthaltenen Forderungen nach einer Gesamtkonzeption für die drei Berliner Mahn- und Gedenkstätten erscheinen mir sehr plausibel und aus historischen Gründen sehr zu unterstützen. Insofern begrüßen wir den Antrag der CDU/CSU und werden ihm auch zustimmen, gerade weil der Regierende Bürgermeister von der CDU nicht gerade Sympathisant der drei Gedenkstätten ist; seine Meinung hat er wohl bis heute nicht geändert. Es wäre also zu wünschen, dass die Antragsteller bei ihren Parteifreunden im Berliner Senat mindestens so viel Zustimmung fänden, wie sie es in diesem Hause erwarten. Denn die werden sie brauchen, wenn es eine zwischen Bund und Berlin abgestimmte Gesamtkonzeption geben soll. Besonders beschämend steht es derzeit um die „Topographie des Terrors“. Der Berliner Senat lässt kaum erkennen, dass er das Projekt, das auf einen eigenen Beschluss von vor nun fast fünf Jahren zurückgeht, überhaupt noch will. Deshalb wäre es nicht hilfreich, wenn sich der Bund bei den zugesagten 50 Prozent Finanzierung bereits jetzt, vor Vorliegen des endgültigen Gutachtens, auf eine Kostenobergrenze versteife. Es würde keinen Sinn machen, Berliner Dilettantismus so zu bestrafen, dass am Ende eine politisch gewollte Gedenkstätte von nationaler Bedeutung und von architektonischem Gewinn auf der Strecke bleibt. ({0}) Bei dem Entwurf des Architekten Peter Zumthor für die „Topographie des Terrors“ handelt es sich um ein Vorhaben mit hohem künstlerischen Anspruch. Man sollte ihn nicht ohne Not aufgeben, nur weil die Ausführung ein paar Millionen DM mehr verlangt als ursprünglich angenommen. Hier sollte sich neben dem Berliner Senat auch der Bund seiner nationalen Verantwortung bewusst bleiben und einer einzigartigen Architektur zur Entstehung verhelfen. Letztlich ist die „Topographie des Terrors“ die notwendige dritte Komponente im Ensemble mit dem Holocaust-Mahnmal und dem Jüdischen Museum. Sie ist unverzichtbar. Hier entscheidet sich - ähnlich wie beim HolocaustMahnmal -, ob erklärter politischer Wille tatsächlich materialisiert wird, wenn es an die finanzielle und bautechnische Umsetzung geht. Das steht übrigens nicht im Widerspruch zu der in dem vorliegenden Antrag enthaltenen Mahnung, alles so kostengünstig wie möglich umzusetzen. Es handelt sich um ein Objekt, an dem auch international der Umgang der Deutschen mit ihrer Geschichte beurteilt werden kann und werden wird. Wer auch immer für die gestiegenen Kosten für die „Topographie“ die Verantwortung tragen mag - dass das Projekt wegen des krämerischen Festhaltens an einer einst unter anderen Voraussetzungen zugesagten Summe scheitert, kann nicht sein. Freuen werden sich dann allenfalls die Neonazis und ihre Sympathisanten. Der Antrag - im Oktober gestellt - sprach die Erwartung aus, dass bereits jetzt eine Gesamtkonzeption vorliegen könnte. Das war angesichts der geschilderten Probleme wohl auch wenig realistisch. Vielleicht ist das Ende des ersten Halbjahrs 2001 ein wirklichkeitsnäherer Termin. Darauf sollte der Bund den Berliner Senat schon drängen. Die Stadt bedarf dieser Erinnerungskultur - so wie das ganze Land. Dafür, diese Trias als ein Zeichen dessen sichtbar zu machen, was in Berlin geschehen ist, sollten wir uns einsetzen. Das ist auch ein Zeichen des Umgangs mit deutscher Geschichte. Vielen Dank. ({1})

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002391

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 14/4249 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Damit sind Sie einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 7 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung der Formvorschriften des Privatrechts und anderer Vorschriften an den modernen Rechtsgeschäftsverkehr - Drucksache 14/4987 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({0}) Innenausschuss Ich eröffne die Aussprache. Alle Reden sind zu Proto- koll gegeben worden.1) Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 14/4987 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Auch damit sind Sie einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 sowie die Zusatzpunkte 3 und 4 auf: 8. Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({1}) zu dem Antrag der Abgeordneten Carl-Ludwig Thiele, Gisela Frick, Dr. Hermann Otto Solms, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P. Abschreibungstabellen nicht ändern - Drucksachen 14/1887, 14/5149 Berichterstattung: Abgeordneter Hans Michelbach Jörg-Otto Spiller ZP 3 Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Abschreibungsbedingungen - Drucksache 14/5135 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({2}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Gerda Hasselfeldt, Heinz Seiffert, Norbert Barthle, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU 1) Anlage 3 Den Wirtschaftsstandort stärken statt Abschreibungsbedingungen verschlechtern - Drucksache 14/5134 Über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag der Fraktion der F.D.P. mit dem Titel „Abschreibungstabellen nicht ändern“ werden wir später namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die F.D.P. eine Redezeit von sieben Minuten erhalten soll - Auch das ist so beschlossen. Dann eröffne ich die Aussprache und erteile dem Kollegen Jörg-Otto Spiller für die SPD-Fraktion das Wort.

Jörg Otto Spiller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002804, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! „Deutschland zählt als Wirtschaftsstandort wieder zu den ersten Adressen. Seine internationale Wettbewerbsfähigkeit hat sich deutlich verbessert.“ Mit dieser Bewertung wird heute der Aufsichtsratsvorsitzende der Deutschen Bank in diversen Zeitungen zitiert. Positive Auswirkungen - so stellt er fest - habe unter anderem die Steuerreform, die im Ausland hoch angerechnet werde. Ich darf an das erinnern, was wir im vorigen Jahr beschlossen haben. Mit der Steuerreform, die am 1. Januar dieses Jahres in Kraft getreten ist, werden die Unternehmungen in Deutschland jährlich um rund 30 Milliarden DM entlastet. ({0}) Der Löwenanteil davon kommt den kleinen und mittleren Unternehmen zugute, nämlich etwa 23 Milliarden DM im Jahr; auf die großen Unternehmen entfällt eine Steuerersparnis in der Größenordnung von 7 Milliarden DM im Jahr. Das sind echte Entlastungen. Es geht nicht nur um vorübergehende Liquiditätshilfen. Daran muss man erinnern, wenn bei dem Thema der heutigen Debatte über die AfA-Tabellen gesprochen wird. Wir haben vor kurzem eigentlich noch eine weitgehende Übereinstimmung in diesem Hause darin gehabt, dass Senkung der Tarife und Verbreiterung der Bemessungsgrundlage die Grundkonzeption für Steuerpolitik in Deutschland sein sollten. ({1}) In diesem Zusammenhang möchte ich die Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU an einen Text erinnern, den sie vor ziemlich genau einem Jahr vorgelegt haben. Die Überschrift lautete „Die bessere Alternative“. Es handelte sich um die Steuerreformvorstellungen der Union, wobei Sie vorsichtshalber darauf hingewiesen haben, dass dies die gemeinsamen Vorstellungen von CDU und CSU seien und nicht nur die der CDU bzw. die der CSU. Da haben Sie geschrieben, dass zur Verbreiterung der Bemessungsgrundlage eine Verlängerung der Abschreibungsfristen hinzukommen müsse. Deswegen seien die AfA-Tabellen zu überarbeiten. Ich möchte Ihnen dazu einen Passus vorlesen: Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ist es ... notwendig, dass auch bei einer Heranziehung der Abschreibungstabellen die zugrunde gelegte Nutzungsdauer sich am tatsächlichen technischen Verschleiß des betreffenden Wirtschaftsgutes orientiert. Überprüfungen haben ergeben, dass die bisherigen Abschreibungstabellen diese Vorgabe nur unzureichend erfüllen. Das sagte die CDU/CSU. ({2}) Sie wollten auf diese Weise Mehreinnahmen in Höhe von 3,5 Milliarden DM erzielen. ({3}) Wir haben diese Rechtsgläubigkeit übrigens nie geteilt. Wir waren immer der Meinung, dass es bei Abschreibungsfristen auch auf betriebswirtschaftliche Vernunft ankommen muss und nicht ausschließlich auf eine orthodoxe Rechtsauslegung. Ich weiß nicht, ob Sie dazu inzwischen eine andere Meinung haben; fast liest es sich so. Das Fazit ist jedenfalls folgendes: Noch unter der Verantwortung des damaligen Bundesfinanzministers Waigel ({4}) - ja, der hieß Waigel - ist eine Kommission eingesetzt worden, in der sich Steuerexperten der Bundesverwaltung und der Länderverwaltungen über Abschreibungsfristen austauschten. Herausgekommen ist der Entwurf einer Tabelle, der bei den Verbänden und auch beim Finanzausschuss zunächst einmal ein erhebliches Stirnrunzeln ausgelöst hat. Denn zumindest uns erschienen die im Entwurf vorgesehenen Fristen übertrieben. Deswegen haben wir damals im Ausschuss und im Plenum wiederholt Folgendes bekräftigt: Bei den zusätzlichen Steuereinnahmen aus veränderten Abschreibungsbedingungen liegt für uns die wirtschaftlich vernünftige Obergrenze, die man der deutlichen Steuerentlastung in einer Größenordnung von 30 Milliarden DM gegenüberstellen muss, bei 3,5 Milliarden DM. Daran halten wir fest; das haben wir im Ausschuss in aller Deutlichkeit dargelegt. Trotz anfänglicher Schwierigkeiten, die darin bestanden, dass die Experten der Verwaltungen ein Stück weit der Orientierung entbehrten ({5}) - ich meine damit die bei Bund und Ländern bestehenden 17 Ministerien und Verwaltungen -, werden wir an der Größenordnung von 3,5 Milliarden DM festhalten; die Leitung des Hauses hat das gestern sehr deutlich gemacht. Auch bei den Tabellen, die jetzt noch zu erarbeiten sind, bei den so genannten branchenspezifischen Tabellen, wird darauf geachtet werden, dass diese Summe insgesamt nicht überschritten wird. Wir werden ebenso darauf achten, dass eine faire Gleichbehandlung der unterschiedlichen Wirtschaftszweige gewährleistet wird. Wir sind da sehr zuversichtlich. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Zum Abschluss möchte ich noch feststellen: Unser Ziel ist, dass die Modernisierung der deutschen Wirtschaft durch diese Abschreibungsbedingungen nicht erschwert, sondern erleichtert wird. ({6}) Wir werden allerdings an einem festhalten. Das ist nicht sehr neu, das ist eher alt. Aber es gibt auch Bewährtes, auf das man zurückgreifen darf. Ich meine die Mitwirkung, das Engagement der Leitung des Hauses, aber auch das Engagement der Koalitionsfraktionen im Finanzausschuss. Schon die Alten haben gesagt: Am besten wird der Fruchtbarkeit des Ackers gedient durch das Auge des Herrn. ({7})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Jetzt erteile ich das Wort dem Kollegen Hans Michelbach für die CDU/CSUFraktion.

Hans Michelbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002738, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Bundesfinanzminister Eichel ist auch in der Steuerpolitik ganz besonders moralisch. Er hat eine doppelte Moral. Tricksen, tarnen und täuschen war bisher die Linie, die Herr Eichel bei der Verschärfung der Abschreibungstabellen verfolgt hat. ({0}) Durch die vorzeitige Inkraftsetzung der AfA-Tabellen auf dem Verwaltungsweg sollten vollendete Tatsachen geschaffen werden. Die Entlastung durch die Steuerreform sollte heimlich kompensiert und die erkaufte Zustimmung der Bundesländer zusätzlich ausgezahlt werden. Zu all dem muss die Wirtschaft mit heimlichen Steuererhöhungen beitragen. Sie wird von Ihnen gleichzeitig umworben und abgezockt. Die rot-grüne Koalition hat sich dabei zum willfährigen Handlanger machen lassen. Nur kurzzeitig haben Sie sich im Finanzausschuss mit einer offiziellen Rüge über das willkürliche Vorgehen und die Missachtung des Parlaments empört. Mit neuen Verschleierungsversuchen sind Sie aber schnell wieder eingeknickt. Nur Marginalien wurden bisher von Ihnen im Finanzausschuss geändert. In Ihrer Beweisnot sollten die Branchentabellen jetzt geradezu als Beruhigungspille herhalten. Damit, meine Damen und Herren, haben Sie sich völlig auf den Holzweg begeben, ({1}) denn die Branchentabellen haben natürlich Auswirkungen auf die in Kraft gesetzte allgemeine Tabelle. Eine ungleiche Lastenverteilung - hier Branchentabelle und dort allgemeine Tabelle - ist für die Wirtschaft auch gar nicht akzeptabel. ({2}) Bei der gestrigen Finanzausschusssitzung wurde ja behauptet, dass sich das Bundesfinanzministerium den Wirtschaftsverbänden geradezu angenähert habe; Konsens gebe es, wurde gesagt. ({3}) Dem haben heute die Wirtschaftsverbände vehement widersprochen. Die Differenz zwischen den jeweiligen Annahmen beträgt 50 Milliarden DM. Das ist die „Annäherung“, wie sie das Bundesfinanzministerium deutlich macht. ({4}) Meine Damen und Herren, Sie haben jeden Kredit und jedes Vertrauen in dieser Frage inzwischen zerstört. Das ist die Situation. ({5}) Die Wahrhaftigkeit und das Bundesfinanzministerium wohnen selten unter einem Dach. Das müssen wir deutlich feststellen. ({6}) Tatsache ist: Die Wirtschaft steht vor dem Irrwitz: Wer investiert, wird bei uns bestraft. ({7}) Die Belastungsfähigkeit der Wirtschaft wird wieder einmal getestet, die Innovations- und die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft werden aufs Spiel gesetzt und die Gefährdung von Arbeitsplätzen wird in Kauf genommen. Dem Mittelstand wird eine weitere Sonderlast aufgebürdet und die Entlastungswirkungen der Steuerreform werden geradezu konterkariert. Konjunktur, Wachstum und Beschäftigung werden damit beschädigt. Der Planungsund Rechtssicherheit bei Investitionen in unserem Land wird hoher Schaden zugefügt. Dabei gibt es für all diese Beschwerungen des Wirtschaftsstandortes überhaupt keine rechtliche Notwendigkeit. Der Bundesfinanzhof hat zu keiner Zeit dazu aufgefordert, die Nutzungsdauer in den AfA-Tabellen massiv zu erhöhen. Die BFH-Präsidentin sagt: Dazu gibt es keinen Anhalt. ({8}) Es geht also nur darum, Kasse zu machen. Die AfA-Tabellen werden zur reinen Geldbeschaffungsmaßnahme von Herrn Eichel zulasten der deutschen Wirtschaft. Die Ökosteuer lässt grüßen. ({9}) Nachrechnung und Überprüfung der BMF-Zahlen zeigen, dass eine zehnprozentige Erhöhung der Nutzungsdauern eine Mehrbelastung von 3,5 Milliarden DM darstellt und die tatsächliche Erhöhung um 28 Prozent natürlich nach Adam Riese eine dementsprechend höhere Belastung ergibt. Auch Sie können Adam Riese nicht widerlegen. Ein Vertreter des BMF sagte hierzu im Finanzausschuss: Ja, das ist eine politische Deckelung. Deutlicher und entwaffnender konnte das wahrheitswidrige Vorgehen sicher nicht entblößt werden. Meine sehr geehrten Damen und Herren, sind Sie sich überhaupt über die Folgen Ihres Handelns im Klaren? ({10}) Es gibt ernst zu nehmende Belastungswirkungen mit folgenden Konsequenzen für die Unternehmen: schwierigere Eigenkapitalbildung, erschwerte Bedingungen bei der Innenfinanzierung und natürlich ein erheblicher Druck auf die Liquidität der Unternehmen. Die massiv verschlechterten Abschreibungsbedingungen sind für die ganze Wirtschaft schädlich und werden natürlich nicht ohne negative Auswirkungen auf Wachstum und Beschäftigung bleiben. Insbesondere die kleinen und mittleren Unternehmen werden darunter jedoch besonders zu leiden haben. Die mittelständischen Unternehmen haben es allein schon durch diverse Benachteiligungen bei der Unternehmensteuerreform, die Sie zu verantworten haben, sehr schwer, sich im Wettbewerb zu behaupten. Wir haben durch die Steuerreform heute schon zwischen den Kapitalgesellschaften und den Personengesellschaften eine hohe Wettbewerbsverzerrung. Zu nennen sind hier vor allem ein wesentlich höherer Steuersatz als bei den Kapitalgesellschaften und volle Besteuerung der Anteilsveräußerungsgewinne bei sofortiger und gleicher Gegenfinanzierung wie bei den Kapitalgesellschaften. Sie sehen also unterschiedliche Steuersätze vor und ziehen diese Firmen zur gleichen Gegenfinanzierung über heimliche Steuererhöhungen verstärkt heran. Da geht denen irgendwann die Luft aus und das haben Sie zu verantworten, meine Damen und Herren. ({11}) Damit schaden Sie dem Mittelstand in höchstem Maße. Das ist eine mittelstandsfeindliche Politik und das wird natürlich Arbeitsplätze in unserem Land gefährden. Ich komme nun zur Belastung der Liquidität. Die Liquidität der mittelständischen Unternehmen ist, wie wir wissen, häufig sehr angespannt. Die verschlechterten Abschreibungsbedingungen führen dabei zu einem immer größeren Druck auf die laufende Zahlungsfähigkeit. Der Zusammenhang zwischen den verschlechterten Abschreibungsbedingungen und der Liquidität gestaltet sich folgendermaßen - Sie müssen sich das vor Augen führen -: Investitionen führen zunächst einmal zu Ausgaben, denen in der ersten Zeit in der Regel keine Einnahmen gegenüberstehen. Investitionen rentieren sich in der Regel erst langfristig und sind mit hohen Risiken behaftet. Die Unternehmen sind in dieser Anfangszeit der Investitionen darauf angewiesen, dass sie hohe Abschreibungsaufwendungen geltend machen können. Diese mindern den Gewinn und damit die Steuerlast, was wiederum eine positive Auswirkung auf die Liquidität hat. Für Unternehmen aber, deren Liquidität angespannt ist, ist es im Gegensatz zu den Äußerungen des BMF nicht egal, zu welchem Zeitpunkt sie den Abschreibungsaufwand geltend machen können. Diese Unternehmen benötigen die steuerliche Entlastung sofort, nachdem sie die Investition getätigt haben. Dies gilt umso mehr, als die Personengesellschaften ihren Gewinn eben sowieso schon mit einem viel höheren Steuersatz als die Kapitalgesellschaften versteuern müssen. Den mittelständischen Unternehmen nützt es nichts, dass sich bei einer theoretischen Betrachtung über die Totalperiode lediglich ein negativer Zinseffekt ergibt, wie Sie das so bagatellisieren. Ein Beispiel für diesen angeblich geringen Zinseffekt: Eine Personengesellschaft investiert jedes Jahr 5 Millionen DM. Die Nutzungsdauer für die Abschreibung der Wirtschaftsgüter wird nun von 10 Jahren um 2 Jahre auf 12 Jahre erhöht. Sie haben ja teilweise 50und 60-prozentige Erhöhungen. Selbst unter Berücksichtigung der niedrigeren Einkommensteuersätze durch die Unternehmensteuerreform führt die verschlechterte Abschreibung zu einem langsam ansteigenden Liquiditätsabfluss von immerhin 4,3 Millionen DM. Das ist für die meisten Unternehmen keine Bagatelle, es ist ein zinsloser Kredit an den Staat zulasten von Zukunftsfähigkeit, Investitionen und Arbeitsplätzen in der deutschen Wirtschaft. Sie erschweren diese Rahmenbedingungen noch! Das ist für uns unverständlich. ({12}) Es besteht somit die Gefahr, dass Unternehmen mit angespannter Liquidität und wenig Eigenkapital kaum noch Investitionen vornehmen. Das führt zu einer sinkenden Rentabilität und verminderter Wettbewerbsfähigkeit und langfristig zu weniger Beschäftigung. Das ist ein Teufelskreis, wie wir wissen. Die Gefahr zusätzlicher Insolvenzen ist damit sehr hoch. Es hat den Anschein, als würde sich die rot-grüne Bundesregierung nur für die Insolvenzen von großen Konzernen interessieren, ({13}) nach der Devise: Zu Holzmann kommt der Bundeskanzler, zum Mittelstand kommt der Gerichtsvollzieher. ({14}) Bedenken Sie, meine Damen und Herren, zu welchen Konsequenzen eine solche mittelstandsfeindliche Politik in unserem Land führt. Bedenken Sie die Konsequenzen, wenn die Nutzungsdauern in den Tabellen willkürlich festgelegt werden, insbesondere angesichts der ohnehin feststellbaren Überlastung der Gerichte aufgrund einer zunehmenden Zahl von Einzelfallprüfungen. Zur Stärkung von Wachstum und Beschäftigung fordert die CDU/CSU-Fraktion: Die neuen AfA-Tabellen müssen umgehend zurückgezogen werden. Es müssen neue Beratungen anberaumt werden, bei denen die Argumente der Wirtschaft stärkere Berücksichtigung finden. Sämtliche Berechnungen vom BMF müssen stärker transparent gemacht werden. Wir fordern eine klare und eindeutige gesetzliche Regelung in § 7 des Einkommensteuergesetzes, wie dies unser Antrag vorsieht. ({15}) Die Nutzungsdauern der Wirtschaftsgüter müssen sowohl nach technischen als auch nach betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten bemessen werden. Investitionen dürfen durch steuerliche Vorgaben nicht behindert oder erschwert werden. Sie müssen eher gefördert werden. Abschreibungsdauern haben im Ausland die gleiche Signalwirkung wie die Steuersätze. Wir brauchen in Deutschland Abschreibungsbedingungen, die uns international konkurrenzfähig machen. Der Wirtschaftsstandort muss jetzt gestärkt werden, anstatt die Abschreibungsbedingungen willkürlich zu verschlechtern. Meine Damen und Herren von der Koalition, kehren Sie von Ihrem Irrweg um. Entscheiden Sie sich für mehr Wachstum und Beschäftigung und damit für den Antrag der CDU/CSU-Fraktion „Den Wirtschaftsstandort stärken statt Abschreibungsbedingungen verschlechtern“. Das ist für die Zukunft das Maß aller Dinge. Damit werden neue Arbeitsplätze geschaffen und das ist für unser Land wichtig. Vielen Dank. ({16})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun erteile ich der Kollegin Christine Scheel für Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Christine Scheel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002771, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Herr Michelbach, Sie sind wirklich ein Künstler gnadenloser Übertreibung. Das möchte ich vorab feststellen. ({0}) Sie tun immer so, als würden wir mit unserer Politik die Wirtschaft geradezu in den Ruin treiben. Wir haben zurzeit hervorragende Wirtschaftsdaten, die durch die Gutachten der Wirtschaftsweisen belegt sind. Wir haben eine Steuerreform auf den Weg gebracht, die auch im Ausland als zukunftsweisend angesehen worden ist und die einen Anreiz für ausländische Investoren bietet. Herr Michelbach, es war immer klar, dass wir im Zuge einer Steuerreform die Tarife senken und die Bemessungsgrundlage verbreitern. Dass im Zusammenhang mit der Veränderung bei den Abschreibungstabellen ein Volumen von 3,5 Milliarden DM veranschlagt war, hat jeder gewusst. Darüber haben wir uns auch immer verständigt, als es um die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage ging. ({1}) - Herr Thiele, auch die CDU/CSU-Fraktion hat - mit Ihrer Unterstützung - beim Petersberger Programm der Öffentlichkeit nicht vorenthalten, dass eine solche Maßnahme Kosten verursacht, ({2}) sondern immer gesagt - was ja auch richtig ist -: 3,5 Milliarden DM brauchen wir dafür. ({3}) - Sie wollten eine andere Steuerreform. Sie wollten einen noch niedrigeren Tarif. ({4}) Aber für die Änderung der Abschreibungsfristen hätte das in der Konsequenz bedeutet, dass Sie diese noch stärker hätten verlängern müssen, weil sonst der niedrige Tarif mit 3,5 Milliarden DM nicht zusammengepasst hätte. Das ist die logische Konsequenz der Systematik. Da hätten wir noch über ganz andere Daten geredet. Herr Spiller hat gut dargestellt, dass ursprünglich CDU/CSU und F.D.P. in ihrer Regierungsverantwortung einen Auftrag gegeben hatten, die Abschreibungstabellen im Hinblick auf die technische Nutzungsdauer zu überarbeiten.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen? ({0})

Christine Scheel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002771, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Von wem?

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Kollege Fromme.

Christine Scheel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002771, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Von Herrn Fromme? - Ja, bitte.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Bitte sehr.

Jochen Konrad Fromme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003126, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Scheel, können Sie uns einmal erklären, warum Sie nach der eindrucksvollen Anhörung, in der alle Experten Ihr Vorhaben einmütig abgelehnt haben, ({0}) erklärt haben, es bestehe Änderungsbedarf, und warum Sie jetzt den Tabellen zustimmen wollen?

Christine Scheel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002771, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Fromme, wir hatten eine Vereinbarung getroffen. Diese Vereinbarung ist getroffen worden zwischen Politik und Wirtschaft ({0}) und auch denjenigen, die in der Projektgruppe an der Ausgestaltung der Unternehmensteuerreform mitgearbeitet haben. Das waren Leute aus der Wirtschaft und aus der Finanzverwaltung, also auch aus den Ländern, ({1}) aber auch aus den Verbänden. Sie erinnern sich bestimmt. Die Leitung hatte der Steuerexperte des Deutschen Industrie- und Handelstages. Schon da war klar, dass die Abschreibungsvoraussetzungen geändert werden sollen und dass die 3,5 MilliHans Michelbach arden DM eingehalten werden müssen. Der Bundesfinanzminister hat dies zugesagt, der Bundeskanzler hat dies zugesagt und auch vonseiten der Koalitionsfraktionen wurde immer wieder darauf geachtet, dass dies so umgesetzt wird. Wir stehen hier im Wort; jetzt geht es um den Umsetzungsprozess. Herr Fromme, ich habe gestern im Ausschuss klipp und klar, mit sehr deutlichen Worten gesagt, dass ich die Art und Weise, wie dieser Prozess vonseiten der Finanzverwaltung vonstatten gegangen ist, kritisiere ({2}) und dass ich aufgrund der Zusagen, die gegenüber dem Parlament gemacht worden sind, den Zeitpunkt, zu dem die allgemeine Tabelle in das Bundessteuerblatt gesetzt wurde, nicht richtig finde. Dennoch sind wir der Auffassung, dass wir eine vernünftige Regelung brauchen, die sowohl die Belange der Wirtschaft berücksichtigt als auch die 3,5 Milliarden DM im Auge hat. Genau dieser Prozess läuft im Moment. Es gibt noch Absprachen mit der Wirtschaft. Es wird Änderungen bei den Branchentabellen geben. ({3}) So werden Wirtschaftsgüter, die jetzt in der allgemeinen Tabelle sind, in der neuen Branchentabelle erscheinen. Es liegt eine Eingabe des VDMA, des Verbandes Deutscher Maschinen- und Anlagenbau, vor. Ich kann auch sagen, dass heute ein Brief von Herrn Philipp gekommen ist, der auch an das BMF gegangen ist. Ich hoffe, dass man hier gemeinsam mit dem Handwerk zu einer vernünftigen Lösung kommt. ({4})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Punkt! Damit ist, glaube ich, die Frage beantwortet.

Christine Scheel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002771, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich finde das sehr schön. Das verlängert meine Redezeit. Das ist Klasse.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ja, das ist richtig.

Christine Scheel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002771, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Fromme, vielen Dank! Ich habe darauf hingewiesen, dass wir hier vor Entscheidungen stehen, die noch nicht abgeschlossen sind. Es wird im BMF weitere Gespräche mit der Wirtschaft geben. Wir als Abgeordnete werden mit Argusaugen darüber wachen, dass es zu vernünftigen Ergebnissen kommt. ({0}) Das ist unser Auftrag und das haben wir zugesagt. Mehr können wir nicht beitragen. Alles andere liegt - das wissen Sie - in der Hand der Verwaltung. Es ist leider so, dass die Ausgestaltung der Tabellen im Detail ein Verwaltungsakt ist, über den letztendlich nicht wir Parlamentarier entscheiden.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Frau Kollegin, es gibt noch eine Bitte um eine Zwischenfrage.

Christine Scheel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002771, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Gerne.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Bitte sehr, Herr Kollege.

Leo Dautzenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003067, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Scheel, halten nicht auch Sie es aus Ihrer Verantwortung als Vorsitzende des Finanzausschusses heraus für erforderlich, dass die zum 1. Januar 2001 in Kraft gesetzten AV-AfA-Tabellen zunächst ausgesetzt werden, wenn das, was Sie erklärt haben, richtig ist? ({0})

Christine Scheel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002771, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Dautzenberg, ich bin Ihnen für diese Frage ganz dankbar. Man muss sich einmal die Entwicklung anschauen. Bei der Finanzministerkonferenz hatten wir, als es um die Grundentscheidung ging, das auf den Weg zu bringen, was die 3,5 Milliarden DM betrifft - das BMF hat 1,9 Milliarden DM für die allgemeine Tabelle veranschlagt -, ein Abstimmungsergebnis von 16:0. Das heißt, alle Bundesländer - auch Baden-Württemberg, auch Bayern, auch Hessen - hatten damals zugestimmt. Dann hat diese Bund-Länder-Gruppe ein Ergebnis vorgelegt. Dieses Ergebnis war verheerend, hat aber das beinhaltet, was Sie damals beschlossen hatten, und zwar die Anpassung an die rein technische Nutzungsdauer. Herausgekommen ist eine durchschnittliche Verlängerung der Abschreibungsfristen um 60 Prozent. Das ist Wahnsinn! Es wäre für die Wirtschaft äußerst kontraproduktiv gewesen, wenn man das umgesetzt hätte, was Sie damals in Ihrer Regierungsverantwortung auf den Weg gebracht haben. Das muss man einmal klar sagen. ({0}) Jetzt ist eine Tabelle vorgelegt worden, die im Bundesrat mit 8:8 abgestimmt worden ist. Im Bundesrat gibt es bekanntermaßen andere Mehrheitsverhältnisse als im Bundestag. Wenn Ihre eigenen Ländervertreter im Bundesrat unserem Vorschlag für eine Tabelle zugestimmt haben, muss man auch einmal fragen dürfen, warum CDU/CSU und F.D.P. hier im Bundestag große Forderungen erheben und solch wunderbar voluminöse Reden halten. ({1})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Dautzenberg?

Christine Scheel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002771, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Bitte sehr.

Leo Dautzenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003067, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich stelle nochmals die einfache Zwischenfrage, Frau Kollegin: Halten Sie es aus Gründen der Rechtssicherheit und der Gleichbehandlung für erforderlich, dass die Tabelle zunächst ausgesetzt wird? Das ist eine einfache Frage - ja oder nein? ({0})

Christine Scheel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002771, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nein; denn, Herr Dautzenberg, die neue allgemeine Abschreibungstabelle steht im Bundessteuerblatt und es gibt zurzeit - ich habe vorhin darauf hingewiesen - Gespräche über die Branchentabelle, also darüber, wie die Tabellen für die verschiedenen wirtschaftspolitischen Zweige und die verschiedenen Branchen in Deutschland insgesamt austariert werden können. Nachdem das BMF uns gestern zugesagt hat, dass diese Austarierung stattfinden wird, gehen wir davon aus, dass man eine faire Behandlung aller Wirtschaftszweige und Branchen in diesem Land vornehmen wird. Wir haben das BMF gestern gemeinsam aufgefordert - ich habe das in meiner Funktion als Ausschussvorsitzende vorgetragen -, uns die Branchentabellen rechtzeitig, bevor sie in das Gesetzblatt kommen, vorzulegen und uns auch permanent über die Gespräche in diesem Prozess zu informieren - nicht bis ins letzte Detail, aber darüber, wie diese Gespräche insgesamt laufen. Ich setze darauf, dass man vonseiten der Verwaltung einen vernünftigen Umgang mit der Wirtschaft pflegt und dass das, was vor Weihnachten passiert ist, hoffentlich in Vergessenheit gerät; denn das Verhalten, das dort an den Tag gelegt worden ist, war teilweise nicht sehr sinnvoll. Nun zu Ihrem Vorschlag zur Änderung des Einkommensteuergesetzes, den Sie eingebracht haben: Unsere Fraktion ist der Meinung, dass wir das Gesetz ändern müssen. Wir brauchen in § 7 Einkommensteuer Klarheit darüber, wie die Bewertung bei Abschreibungen in Zukunft vorgenommen wird. Wir meinen, dass dies nach betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten zu geschehen hat. Im Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Abschreibungsbedingungen, den Sie vorgelegt haben, heißt es aber: Die „Nutzungsdauer bestimmt sich nach den technischen und betriebswirtschaftlichen Gegebenheiten“. Das macht keinen Sinn; denn dann haben Sie wieder genau das Problem, dass Sie nicht wissen, mit welcher Gewichtung bewertet werden soll. Wir brauchen eine ganz klare Regelung nach rein betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten. Es ist klar, dass auch die technische Nutzungsdauer darin einfließt. Diese Formulierung kann aber so nicht ins Gesetz; sie hilft uns keinen Schritt weiter. Wir werden von unserer Seite aus einen Auftrag an das BMF geben, ein Gutachten zu erstellen, wie dies denn zu werten ist, damit wir eine vernünftige Grundlage für die Ausgestaltung der anstehenden - und auch notwendigen Gesetzesänderung haben. Ich kann also ankündigen, dass wir diesen Schritt, der dem Rechtsfrieden zwischen Unternehmen und Finanzverwaltung dienen wird, gehen werden. Lassen Sie mich noch etwas zu Ihrer Forderung sagen, die Abschreibungsgrenze für geringwertige Wirtschaftsgüter auf 800 Euro zu erhöhen und somit nahezu zu verdoppeln. Ich finde, das ist grundsätzlich keine schlechte Idee. ({0}) Aber man muss das prüfen. Daran hängt beispielsweise auch die Vergabe der Investitionszulage. Wir werden uns damit im Finanzausschuss eingehend beschäftigen. Zudem bin ich etwas überrascht, Herr Thiele: Das Gesetz gilt seit 1964. Sie waren meines Wissens 29 Jahre mit an der Regierung. ({1}) Warum erheben Sie immer, wenn Sie in der Opposition sind, Forderungen, die einen Haufen Geld kosten? Damals haben Sie das wahrscheinlich nicht eingebracht, weil Sie befürchtet haben, dass die Kommunen, die Länder und der Bund die vermuteten Steuerausfälle von 3 bis 5 Milliarden DM nicht verkraften können. Darüber werden wir reden. Sie bringen immer wieder Forderungen ein; wie die Umsetzung finanziert werden soll, sagen Sie nie dazu. Das ist das Manko der F.D.P. ({2})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich weiß, dass etwas Unruhe ist, weil gleich eine namentliche Abstimmung stattfindet. Ich weiß auch, dass es hoffnungslos sein wird, Sie zu ermuntern, lieber zuzuhören als sich zu unterhalten. Ich habe aber die Bitte, dass Sie sich zumindest hinsetzen, wenn Sie sich im Plenum aufhalten. Größere Gruppengespräche führen Sie bitte außerhalb des Plenums. In diesem Sinne hat jetzt der Kollege Carl-Ludwig Thiele für die F.D.P.-Fraktion das Wort.

Carl Ludwig Thiele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002315, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Scheel, zu Ihren Ausführungen möchte ich Folgendes sagen: Seit 1999 beschäftigt uns das Thema, jetzt erkennen Sie, dass es Handlungsbedarf gibt. Dabei handeln Sie nach dem Motto: Und wenn du nicht mehr weiterweißt, dann gründe einen Arbeitskreis. ({0}) Das kennen wir alles, aber das löst leider die Probleme, vor denen wir stehen, überhaupt nicht. Sie, Frau Kollegin Scheel, sagen immer, was Sie ändern wollen. Wenn es aber im Finanzausschuss um konkrete Änderungen geht, die umgesetzt werden können, dann kneifen Sie und ändern nichts. ({1}) Insofern ist auch die Aussage des Vertreters des BMF in der gestrigen Sitzung des Finanzausschusses erstaunlich, dass es nicht zutreffe, dass es über das Zahlentableau eine Abstimmung zwischen dem BMF und der Wirtschaft gegeben habe. Das war aber die Basis für Ihre Aufforderung, jetzt erst noch einmal zu diskutieren und den Antrag der F.D.P. abzulehnen. Wenn Sie tatsächlich etwas verändern wollen, dann müssen Sie heute dem Antrag der F.D.P. zustimmen, die neuen Abschreibungstabellen auszusetzen, bis die anstehenden Fragen geklärt sind. ({2}) Außerdem haben Sie gesagt, das gehe überhaupt nicht, weil auch der Bundesrat einbezogen werden muss. Ich frage mich da, wie Sie dann im Nachhinein die Regelungen für Schichtzuschläge verändern können, obwohl diese genauso im Bundessteuerblatt veröffentlicht wurden wie die Änderung der AfA-Tabellen. ({3}) Wenn Sie das eine ändern können, dann können Sie auch das andere ändern. In unserem Antrag sagen wir nicht: Das Parlament bestimmt die Regierungspolitik. In unserem Antrag sagen wir: Das Parlament fordert die Regierung auf, entsprechend zu handeln. Ob die Regierung dann handelt oder nicht, liegt immer im Ermessen der Regierung. Ich gehe aber davon aus, dass sich die Regierung, wenn die Mehrheit des Parlaments sie auffordert, entsprechend tätig zu werden, dem dann nicht entziehen kann. Es gibt damit die Möglichkeit, den Unfug, der jetzt beginnt und noch nicht zu Ende ist, endlich zu stoppen. ({4}) Im Finanzausschuss hat das Finanzministerium gestern eingeräumt, dass die Zahlen nicht stimmen. Das Ministerium hat eingeräumt, dass die Belastungen durch die Änderung der AV-Abschreibungstabellen höher sind, als von der Regierung und von den Koalitionsfraktionen immer vorgetragen. Wenn Sie sagen, das werde durch eine Änderung bei den Branchentabellen ausgeglichen, dann müssen Sie wissen, dass davon Einzelhändler, Handwerker und Mittelständler nicht profitieren, aber durch ihre Änderungen der AV-Abschreibungstabellen belastet werden. Dass die einen belastet werden, die anderen aber nicht entsprechend, verstößt gegen den Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung. So lösen Sie das Problem überhaupt nicht. ({5})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege Thiele, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Fromme?

Carl Ludwig Thiele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002315, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Gerne, Herr Kollege.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Bitte sehr, Herr Kollege Fromme.

Jochen Konrad Fromme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003126, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Thiele, Sie sprachen eben von der Geschäftsgrundlage für die Veränderung. Können Sie uns noch einmal erklären, was die Parlamentarische Staatssekretärin hier im November als Grund dafür genannt hat, dass man überhaupt an die Tabellen heranmüsse?

Carl Ludwig Thiele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002315, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Das ist eine sehr spannende Frage, Herr Kollege Fromme. Ich habe zufällig das Protokoll mit; es handelt sich ja immerhin um die zweite und dritte Lesung. ({0}) Ich zitiere die Frau Staatssekretärin Hendricks, die ebenso wenig wie der Finanzminister in der heutigen Debatte anwesend ist: Der Antrag der F.D.P.-Fraktion zielt ja darauf, die Überarbeitung der AfA-Tabellen einzustellen und es bei den bisherigen AfA-Tabellen zu belassen... Ich will aber eines klar sagen: Dieser Forderung kann die Finanzverwaltung im Hinblick auf das auch Ihnen bekannte Urteil des Bundesfinanzhofs vom 19. November 1997 zur Ermittlung der betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer eines Wirtschaftsgutes einfach nicht nachkommen. In der Sachverständigenanhörung, die wir am 15. Januar dieses Jahres hatten, habe ich die Präsidentin des Bundesfinanzhofes gefragt: Ist das Urteil einschlägig oder verbirgt sich hinter der Berufung auf das Urteil lediglich der Wunsch des Fiskus, mehr Geld zu kassieren und die Steuerpflichtigen zu belasten? Ist das Urteil nicht lediglich ein willkommener Rahmen, dies endlich umzusetzen? Darauf die Antwort der Präsidentin: Ich möchte dazu sagen, ich kann dem Urteil meines Hauses nichts entnehmen, worauf sich das Bundesfinanzministerium stützen könnte. Es handelt sich um einen absoluten Einzelfall. ({1})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun hat der Kollege Spiller den Wunsch nach einer Zwischenfrage.

Carl Ludwig Thiele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002315, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Gleich, Frau Präsidentin. - Das zeigt, dass es dem Finanzministerium und dem Bundesfinanzminister nicht um die Umsetzung von Recht, sondern einzig und allein darum geht, die Steuerkassen durch Belastung der Betriebe und der Arbeitsplätze zu füllen. Das lehnen wir ab. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Jetzt lasse ich als letzte Frage in diesem Rahmen die Frage des Kollegen Spiller zu. Danach wollen wir in der Debatte fortfahren. Herr Kollege, bitte sehr.

Jörg Otto Spiller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002804, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Thiele, hat Ihnen Herr Fromme auch erzählt, dass das Bundesfinanzministerium damit dieselbe Rechtsauffassung wie die CDU/CSU in dem vorhin von mir zitierten Papier vertreten hat? ({0})

Carl Ludwig Thiele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002315, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Spiller, es ist im Finanzausschuss schon mehrfach diskutiert worden, dass es auf der Arbeitsebene im Finanzministerium Bestrebungen gab, die Tabellen zu ändern. Wenn aber zum einen der politische Wille nicht vorhanden ist und wenn zum anderen die Rechtslage so ist, dass das BFHUrteil überhaupt nicht einschlägig ist, dann ist kein Gesetzgeber gezwungen, diese Änderung vorzunehmen. Sie können nicht auf die alte Koalition verweisen. Das liegt einzig und allein in Ihrer Verantwortung. Wenn Sie meinen, sich in Ihrer Verantwortung so verhalten zu müssen, dann tun Sie das. Deshalb haben wir die namentliche Abstimmung gefordert. Nach dieser Abstimmung kann jeder Handwerker in Deutschland erkennen, welcher Abgeordnete die Investitionsbedingungen verschlechtern will und wer dies ablehnt. ({0}) Um das noch einmal in Erinnerung zu rufen: Es war nicht die Steuerreform, sondern das Finanztableau, die mittelfristige Finanzplanung 1999, aufgrund deren eine Änderung der AfA-Tabellen gefordert wurde. Aus dieser Zeit datiert auch unser Antrag. Die Frau Staatssekretärin Hendricks hat im Finanzausschuss - aus meiner Sicht die Frechheit besessen, den Parlamentariern zu sagen: Diese Änderung geht euch überhaupt nichts an. Das ist einzig und allein Sache der Verwaltung. - Hier sind wir anderer Auffassung. Belastungen in dieser Größenordnung gehören ins Parlament und müssen im Parlament diskutiert werden. Das Parlament muss die Verantwortung dafür tragen, ob diese Belastungen geltendes Recht werden sollen oder nicht. ({1}) Deshalb haben wir diesen Antrag eingebracht und uns vom Finanzministerium darüber berichten lassen, wie der Sachstand ist. Dass das Ganze von Ihnen als der Exekutive unter der Decke gehalten wurde und auch die Wirtschaft nicht einbezogen worden ist, ist doch ein Treppenwitz. Seit 1999 wird das Thema diskutiert. In der letzten Woche fing das Finanzministerium an, sich mit der Wirtschaft zusammenzusetzen, um die Zahlen zu überprüfen. Letzte Woche fand das erste konkrete Gespräch über Zahlen dazu statt. Das ist unglaublich. Die Anhörung, die das Finanzministerium im Dezember letzten Jahres durchführte, wurde von allen Sitzungsteilnehmern als reine Farce bezeichnet. Die Teilnehmer wurden überhaupt nicht ernst genommen. Sie waren in der Öffentlichkeit das Feigenblatt für den Willen der Verwaltung, die Steuerlast für Betriebe und Arbeitsplätze in Deutschland klammheimlich zu erhöhen. ({2}) Wir haben verlangt, dies im Ausschuss zu diskutieren. Am 6. Dezember des letzten Jahres haben wir den Antrag auf eine Anhörung am 15. Januar gestellt und gefordert, diesen Vorgang schnellstmöglich ins Parlament zu bringen. Das Finanzministerium hat uns zugesagt, vorher nichts zu veröffentlichen. Trotz der Zusage des Finanzministeriums gegenüber dem Ausschuss gab es die Veröffentlichung. Eine solche Art der Gewaltenteilung, die vielmehr eine Gewaltenvermischung zwischen der rotgrünen Regierung und der rot-grünen Koalition ist, habe ich hier bisher noch nicht erlebt. Das ist eine Missachtung des Parlamentes, ({3}) die insbesondere der Finanzminister zu verantworten hat. In der letzten Sitzungswoche haben wir im Finanzausschuss festgestellt, dass dieser Vorgang eine überragende Bedeutung habe und dass der Finanzminister hierzu persönlich erscheinen und Rede und Antwort stehen müsse. ({4}) Wir haben ihm zunächst die Möglichkeit gegeben, den Termin in seinem Terminplan abzuklären. Nach zwei Stunden bekamen wir die Antwort: „Stellen Sie den Antrag! Wir werden ihn ablehnen.“ Wir haben den Antrag gestellt. Herr Finanzminister Eichel hat sich weder im Finanzausschuss noch heute hier im Parlament der Diskussion gestellt. Dabei hätte ich erwartet, dass nach der ganzen Diskussion über diesen Vorgang der Finanzminister selbst das Wort ergreift. Er ist eben nicht Manns genug und in der Lage, sich hier zu bekennen und sich vor sein Ministerium zu stellen. So stelle ich mir einen Minister nicht vor. ({5}) Wenn wir die Glaubwürdigkeit der Politik wieder erlangen wollen - auch seitens des Finanzministeriums; denn die Behandlung der AfA-Tabellen durch die Finanzverwaltung ist ein einziger Skandal -, dann hat der Finanzminister hier zu erscheinen, dann hat er Rede und Antwort zu stehen, dann haben die Abgeordneten von Rot-Grün den Finanzminister nicht zu decken, sondern haben dafür Sorge zu tragen, dass die Interessen des Parlamentes gegenüber der Exekutive geachtet werden. Willy Brandt forderte seinerzeit: „Mehr Demokratie wagen!“ Wenn wir heute feststellen, dass die rot-grünen Abgeordneten im Parlament lediglich der verlängerte Arm der Exekutive sind, dann müssen wir tatsächlich stärker darauf dringen, dass die Gewaltenteilung wieder eingehalten wird. Derzeit wird das von Rot-Grün nicht praktiziert. ({6})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich erteile jetzt der Kollegin Dr. Barbara Höll, PDS-Fraktion, das Wort.

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Herr Michelbach, Herr Thiele, Ihre Anträge und das, was Sie hier gesagt haben, sind, schlicht gesagt, einfach heuchlerisch. Es ist nichts heimlich gelaufen. Es war von Anfang an bekannt, dass die Veränderung der AfA-Tabellen zur Gegenfinanzierung, - sogar nur zur teilweisen Gegenfinanzierung - dienen soll. Um das einmal klar zu stellen: Diese 3,5 Milliarden DM beziffern nicht einmal die endgültige Mehrbelastung für die Wirtschaft, sondern bedeuten nur ein Vorziehen. Im Endeffekt muss sie nicht einmal mehr zahlen. Sie tun so, als ob die deutsche Wirtschaft durch diese 3,5 Milliarden DM zusammenbricht - und das, obwohl eine Steuerreform verabschiedet wurde, die der Wirtschaft bis zum Jahre 2005 eine jährliche Nettoentlastung in Höhe von 14 Milliarden DM, also wesentlich mehr als die in Rede stehenden 3,5 Milliarden DM, bringt. In Richtung der Regierungskoalition muss ich allerdings sagen: Die ganze unerquickliche Diskussion hätten wir uns ersparen können, wenn Sie nicht so dilettantisch Politik machen würden. Denn eine Steuerreform zu verabschieden, mit der Sie Entlastungen für die Wirtschaft in erheblicher Größenordnung festzurren, und gleichzeitig nicht wenigstens über die teilweise Gegenfinanzierung Klarheit zu schaffen, öffnet für die Einflussnahme der Lobbyistenverbände natürlich Tür und Tor. Dass sich jetzt die CDU/CSU und die F.D.P. zu ihren Fürsprechern machen, das darf nun niemanden überraschen. Ich bin persönlich auch darüber enttäuscht, dass Sie bei den Anhörungen im Finanzausschuss zu den AfA-Tabellen kaum Präsenz gezeigt haben. ({0}) Gestern sind Sie bei der Ausschusssitzung mit Ihrer Position sehr ins Wanken gekommen und haben sich gefragt, ob Sie an der Veränderung der Tabellen überhaupt festhalten wollen. Man muss natürlich zugeben, dass es Ihnen das Finanzministerium auch schwer gemacht hat. Dort wurde schlampig gearbeitet - Stichwort Schichtzuschläge und der Wille des Parlaments und des Finanzausschusses schlicht missachtet. Das geht nicht. Es ist nun eine große Diskussion über den ersten Schritt, die Veränderung bei den allgemeinen Tabellen, entstanden und es wird im nächsten Jahr weitere Diskussionen geben, wenn es um die Veränderung der Branchentabelle geht. Ich muss sagen: Ich bin sehr froh darüber, dass die Landesfinanzminister in diesem Punkt fest zusammenstehen. Sie bekommen einen Teil des Geldes, das infolge der Veränderung der AfA-Tabellen eingenommen wird. Das brauchen sie auch, weil mit der Einkommen- und Unternehmensteuerreform, die Sie verabschiedet haben, die sozialen Ungerechtigkeiten in dieser Gesellschaft nicht beseitigt werden. ({1}) Aus diesem Grunde werden wir die Anträge der CDU/CSU und der F.D.P. ablehnen. Wir meinen, dass es notwendig ist, in Richtung auf eine teilweise Gegenfinanzierung in Zukunft sauber zu arbeiten, nicht dem Pokerspiel der Wirtschaftsverbände Tür und Tor zu öffnen und das, was politisch notwendig ist, nämlich wenigstens eine teilweise Gegenfinanzierung zu erreichen, politisch durchzusetzen. Ich bedanke mich. ({2})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Jetzt erteile ich dem Parlamentarischen Staatssekretär Karl Diller das Wort.

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Antrag der F.D.P. wendet sich gegen eine Verwaltungsvorschrift, die zwischen den obersten Finanzbehörden des Bundes und der Länder abgestimmt worden ist. ({0}) Das Verfahren ist mit der Entscheidung der Finanzministerkonferenz vom 7. Dezember 2000, keine Einwände zu erheben, abgeschlossen. Den Informationswünschen des Parlamentes wurde im Finanzausschuss vielfältig Rechnung getragen. Zuletzt war gestern mein Kollege Professor Zitzelsberger dort und hat berichtet. Die Überarbeitung der AfA-Tabellen geht - hören Sie gut zu - auf einen einstimmigen Beschluss der obersten Finanzbehörden des Bundes und der Länder vom April 1998 zurück. Zu einer Zeit, in der Theo Waigel Finanzminister war, ist dies einstimmig zwischen dem Bund und allen Ländern beschlossen worden. ({1}) Der politische Vorwurf der F.D.P. hätte also vor Jahren beispielsweise an die Adresse des damaligen Bundesfinanzministers Theo Waigel und die sich damals im Amt befindlichen Länderfinanzminister und Finanzsenatoren gerichtet werden müssen. Ich frage mich, ob der damalige Vorsitzende des Finanzausschusses, eben der Kollege Thiele, bereits in der damaligen Koalition Bedenken vorgetragen hat. Ich vermute: nein. ({2})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Thiele, Herr Staatssekretär?

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Nein. Ich möchte bei dieser Gelegenheit, da Herr Thiele darauf hingewiesen hat, dass Frau Hendricks heute nicht hier ist, ihr von diesem Pult aus ganz herzliche Genesungswünsche übermitteln. Sie ist seit mehreren Tagen krank und auf dem Wege der Besserung. Herzliche Genesungswünsche, liebe Kollegin! ({0}) Ab April 1998 folgte ein Verwaltungsverfahren, dessen Ziel die Finanzministerkonferenz der Länder zweimal inhaltlich bestätigte. Im Juni 1999 wurde das Projekt in einem BMF-Rundschreiben veröffentlicht, ohne dass dies irgendeine Reaktion bei den Verbänden oder beim Bundesfinanzhof ausgelöst hätte. Erst nachdem im August 1999 ein Arbeitsentwurf zu den allgemein verwendbaren Wirtschaftsgütern den Verbänden zugeleitet wurde, löste dies ein Medienecho aus.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Staatssekretär, ich muss Sie noch einmal fragen, ob Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Thiele zulassen.

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Alle Kollegen warten auf die Abstimmung. Deswegen wollen wir diese schnell herbeiführen. ({0}) Ich gebe zu, dass der Arbeitsentwurf auf eine drastische Erhöhung der Nutzungsdauern schließen ließ; er war fiskalisch und damit hinsichtlich der Belastung der Wirtschaft nicht bewertet, sondern lediglich mit der Bitte versehen, sich schriftlich zu äußern. Diese handwerklichen Fehler haben auch auf der Leitungsebene des Bundesministeriums der Finanzen keine Freude ausgelöst. Die Bundesregierung hat schnell reagiert, indem sie das Finanztableau zum Steuersenkungsgesetz so formulierte, dass die dort vorgesehene grobe Schätzung von 3,5 Milliarden DM Mehraufkommen als politische Obergrenze anerkannt wurde. Aus dem einst gemeinsam beschlossenen Projekt stiegen übrigens nach und nach mehrere Landesregierungen aus. Aus der 16:0-Entscheidung wurde schließlich ein Stimmenverhältnis, das ein In-Kraft-Treten der überarbeiteten AfA-Tabellen gerade noch ermöglichte. Dem Kollegen Michelbach sei gesagt, dass Bayern in seinem steuerpolitischen Programm dieselben Milliardenbeträge als Mehrertrag aus den AfA-Tabellen eingesetzt hat, ({1}) was dem CSU-Mitglied Michelbach heute offenbar sehr peinlich ist. ({2}) Zu der Frage, ob die Tabellen die politisch verabredete Obergrenze überschreiten, ist mittlerweile ein intensives Abstimmungsgespräch zwischen dem Bundesfinanzministerium und den größten Wirtschaftsverbänden im Gange. Das Gespräch verläuft in sachlicher Atmosphäre.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Staatssekretär, es gibt wiederum den Wunsch nach einer Zwischenfrage, dieses Mal des Kollegen Michelbach.

Karl Diller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000391

Ich bleibe bei dem, was ich eben schon sagte. ({0}) Zu den strittigen Einschätzungen versucht das Statistische Bundesamt die Datenbasis zu erweitern. Als Zwischenergebnis kann ich Ihnen mitteilen, dass erstens von der von Ihnen öffentlich behaupteten Mehrbelastung in Höhe von 7 bis 10 Milliarden DM nicht mehr die Rede ist, dass zweitens das Rechenmodell des BMF von den Wirtschaftsverbänden anerkannt wird und dass sich drittens abzeichnet, dass wir zu einem Ergebnis kommen, das in eine Einigung mündet. Im Übrigen wiederhole ich, was der Kollege Zitzelsberger gestern im Finanzausschuss zu Protokoll gegeben hat: Erstens. Die 3,5 Milliarden DM sind als Mehrertrag garantiert. Zweitens. Die Abstimmung mit der Wirtschaft läuft mit dem Ziel einer kurzfristigen Verständigung. Es sind bereits deutliche Annäherungen erreicht. Drittens. Die Feineinstellung wird über die Branchentabellen in einem fairen Belastungsausgleich erreicht. Dies gilt insbesondere dort, wo ein zusätzlicher Bedarf an einer Branchentabelle belegt wurde, zum Beispiel im Maschinenbau. Viertens. Die Branchentabellen sind über die gesamte Wirtschaft verteilt, erfassen also auch Handwerksbetriebe und Betriebe des Mittelstandes. Fünftens. Die verkürzte Fassung der Regelung zu den Schichtzuschlägen, die leider zu einigen Missverständnissen führte, wird in der Weise korrigiert, dass das BMF die alte Fassung wiederherstellen wird. Meine Damen und Herren, ich bin sicher, dass in wenigen Wochen nur noch eitel Freude über eine gewaltige Steuersenkung zugunsten der Wirtschaft herrschen wird. ({1})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Jetzt hat Herr Kollege Thiele das Wort zu einer Kurzintervention. - Bitte sehr.

Carl Ludwig Thiele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002315, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Nachdem Herr Staatssekretär Diller mich persönlich angesprochen hat, habe ich um das Wort gebeten. Erstens. Mir war nicht bekannt, dass Frau Dr. Hendricks erkrankt ist. Auch ich wünsche ihr persönlich gute Besserung und alles Gute. ({0}) Zweitens. Ich habe den Worten von Staatssekretär Diller aber nicht entnehmen können, warum Finanzminister Eichel an dieser Debatte nicht teilgenommen hat. Ich habe erwartet, dass Herr Eichel zu diesem Thema Stellung nimmt. Das vermisse ich nach wie vor. ({1}) Drittens. Herr Staatssekretär Diller hat den Finanzausschuss der letzten Periode angesprochen. Mir ist bekannt, dass gerade Parlamentarische Staatssekretäre mitunter Schwierigkeiten haben, die Gewaltenteilung exakt zu definieren. Aber wenn der Finanzausschuss mit dem Thema überhaupt nicht befasst worden ist - das wurde er in der letzten Wahlperiode nicht, Herr Staatssekretär -, ({2}) dann hat der Finanzausschuss zu diesem Thema auch keine Stellungnahme abgeben können. So einfach ist das: Wir sind im Finanzausschuss damit nicht befasst worden. ({3}) Viertens. Wenn Sie hier eine Belastung in Höhe von 3,5 Milliarden DM garantieren, dann erinnert mich das sehr an den Finanzminister und den Bundeskanzler, die beide erklärt haben: Verlängerung um nicht mehr als 10 Prozent! Belastung nicht mehr als 3,5 Milliarden DM! Basta, unser Wort gilt! Ich glaube nicht daran und die Wirtschaft glaubt auch nicht daran. Der Abstimmungsprozess verläuft anders, als es gestern im Finanzausschuss berichtet wurde und als Sie es heute dem Deutschen Bundestag berichtet haben. Was die Belastungen angeht, gibt es riesige Differenzen zwischen der Sicht des Finanzministeriums und der Sicht der Wirtschaft. Die Differenzen hätten vorher geklärt werden müssen. Sie können das jetzt nicht nach dem Motto machen: Rette sich, wer kann; eine Branche, die noch nicht in der Branchentabelle enthalten ist, muss jetzt dafür kämpfen, in eine Branchentabelle zu kommen. So werden Sie das Problem nicht lösen. ({4})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Staatssekretär, möchten Sie das Wort? - Nein. Dann kommen wir zur Abstimmung. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte um Auf- merksamkeit; denn es kann sein, dass Sie nicht genau wis- sen, worüber wir abstimmen. Wir stimmen nicht über den Antrag der F.D.P. ab, sondern über die Beschlussempfeh- lung des Ausschusses. Darauf wollte ich Sie hinweisen, da ich merke, dass der eine die rote Karte zieht, die eigent- lich blau sein sollte und umgekehrt. Wie der Ausschuss entschieden hat, sage ich Ihnen jetzt nicht, das wissen Sie. Die F.D.P. verlangt namentliche Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind alle Urnen besetzt? - Alle Ur- nen sind besetzt. Ich eröffne die Abstimmung. - Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt ge- geben.1) Wir setzten die Abstimmungen fort. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfes der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/5135 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Zusatzpunkt 4: Abstimmung über den Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel „Den Wirtschaftsstandort stärken statt Abschreibungsbedingungen verschlechtern“. Wer stimmt für diesen Antrag auf Drucksache 14/5134? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 9 sowie den Zusatzpunkt 5 auf: 9. Beratung des Antrags der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Arzneimitteltherapie bei Kindern und Jugendlichen sicherer machen - Drucksache 14/5083 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit ({0}) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Zöller, Eva-Maria Kors, Wolfgang Lohmann ({1}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Medizinische Versorgung von Kindern sichern - Drucksache 14/5136 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit ({2}) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich bitte alle Anwesenden, Platz zu nehmen, damit wir mit der Debatte über dieses interessante Thema beginnen können. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Horst Schmidbauer das Wort für die SPD-Fraktion.

Horst Schmidbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001996, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsi- dentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein Ereignis hat mich im Zusammenhang mit dem Thema „Kinderarzneimittel“ ganz besonders ge- prägt: Eine Familie bringt ihr fünf Monate altes Baby mit einer sehr hohen Herzfrequenz ins Krankenhaus. Es stellt sich heraus, dass eine lebensbedrohliche Herzrhythmus- störung vorliegt. Der behandelnde Arzt gibt zunächst Medikamente gegen die Herzrhythmusstörung; aber das Baby spricht darauf nicht an. Weil es für Kinder in diesem Fall keine geeigneten Arzneimittel gibt, weicht man auf einen Betablocker aus, der für Erwachsene bestimmt ist. Der Arzt - Gott sei Dank ein erfahrener Arzt - weiß, dass er die doppelte Dosis wie für einen Erwachsenen geben 1) Ergebnis Seite 14351 B muss. Die Folge ist, dass das Herzrasen bei dem fünf Monate alten Baby nachlässt. Man hat in der Klinik bei der Beobachtung der Wirkung dieses Medikaments mittels einer Spiegelung festgestellt, dass man mit einer höheren Dosierung arbeiten muss. Daraufhin hat man dem Baby eine vierfache Erwachsenendosis gegeben. Die Folge war, dass das Baby geheilt wurde. Es konnte ohne Schädigungen aufgrund von Nebenwirkungen die Klinik mit seinen Eltern verlassen. Warum nenne ich dieses Beispiel? Es zeigt, dass die Situation, die wir heute in Kinderkliniken vorfinden, leider nicht die Ausnahme, sondern die Regel ist. 80 Prozent der eingesetzten Arzneimittel sind nämlich „Erwachsenenmedikamente“, die nicht bezüglich einer Anwendung bei Kindern geprüft und zugelassen wurden, sodass keine gesicherten Dosierungsanweisungen vorliegen. Diese Situation können wir den 11 000 Kinderärztinnen und Kinderärzten sowie den Kindern, Jugendlichen und deren Eltern in Deutschland nicht weiter zumuten und müssen sie daher verbessern. Für einen solchen Fall, den ich gerade geschildert habe, gibt es weder in den Roten Listen noch in den Fachpublikationen entsprechende Dosierungsanweisungen. Es ist also eine Art Gratwanderung: Auf der einen Seite haben die Ärztinnen und die Ärzte die berufsethische Verpflichtung, dem Kind oder dem Jugendlichen zu helfen. Auf der anderen Seite wissen sie sehr wohl, dass die Regelungen über Arzneimittelhaftung für den Arzt nicht greifen - er ist außerhalb der Haftungssicherheit nach dem Arzneimittelgesetz -, wenn ein Medikament angewendet wird, welches nicht für Kinder oder Jugendliche zugelassen ist. Ich kann mir vorstellen - ich glaube, wir alle können uns dies vorstellen -, dass das eine nicht haltbare Situation für die Ärztinnen und Ärzte in Deutschland ist. Dieses Problem ist nicht auf Kinderarztpraxen beschränkt. Da trifft es nur 40 Prozent der Arzneimittel. Das Problem tritt vor allem dort auf, wo eine intensive Behandlung von Kindern angezeigt ist, zum Beispiel auf einer Intensivstation, wo keines von acht, neun oder zehn infrage kommenden Medikamenten für die Anwendung bei Kindern und Jugendlichen geprüft und zugelassen ist. Auch im Bereich der chronisch kranken Kinder haben wir eine ähnliche Situation. Das Problem ist, dass Nierenversagen und Atemlähmungen mit tödlichem Ausgang die Folge sein können. Außerdem wird der ausbleibende Heilungserfolg, auch aufgrund zu geringen Wissens, oft der Krankheit und nicht einer mangelnden Arzneimitteltherapie zugeschoben. Aber wir haben noch einen Dritten im Bunde, mit dem wir uns bei dieser Frage beschäftigen müssen, und zwar die Arzneimittelindustrie. Auch hier ist Bewegung festzustellen, und zwar deswegen, weil es unmöglich ist, dass der Pharmastandort Deutschland im internationalen Wettbewerb nicht gut aussieht, wenn wir bei den Arzneimitteln für Kinder und Jugendliche eine offene Flanke bieten. Seit 1997 geben die Amerikaner in diesem Bereich das Tempo an; denn sie haben mit einem Modernisierungsgesetz genau diese Problematik aufgegriffen und kommen nun zu Lösungen. Deswegen ist verständlich, dass wir jetzt auch aus dem Bereich der Arzneimittelindustrie Zuspruch erfahren. Sie sagt: Es ist richtig und gut, dass die Koalition dieses Thema jetzt anpackt und einer Lösung zuführt. Denn wir müssen darauf achten, dass wir bei unseren Arzneimitteln Standards auch für Kinder und Jugendliche haben, mit denen wir auf dem Weltmarkt mit amerikanischen Herstellern konkurrieren können. Ich freue mich insofern, als auch die CDU/CSU diese Altlast - das ist ja nichts Neues; denn die Betablocker, von denen ich gesprochen habe, sind seit 25 Jahren auf dem Markt und haben seit 25 Jahren keine auf Kinder und Jugendliche bezogene Zulassung - jetzt angehen will. Aber es hilft natürlich nichts, wenn man in einem Antrag acht Zeilen dazu formuliert und lediglich eine Analyse vornimmt. Wir brauchen in dieser Situation Lösungsansätze; denn wir können in Deutschland bei Kindern und Jugendlichen nicht mehr mit dieser „Küchenrezeptart“ weitermachen. Hier sind wir einen Schritt weiter gegangen und suchen nach Lösungen. In unserem Antrag steht konkret unsere Zielrichtung, weil wir wissen, dass es auch wirtschaftliche Gründe sind, die vor allen Dingen die Industrie bisher gehindert haben, in dieser Frage aktiver zu werden. Deswegen sagen wir, wir brauchen beides: Wir müssen auf der einen Seite Anreizsysteme für die Industrie schaffen, um in die aufwendigen Prüfverfahren für Kinder und Jugendliche einzusteigen, und wir müssen auf der anderen Seite darauf achten, dort, wo öffentliches Interesse besteht, dafür zu sorgen, dass diesem zum Durchbruch verholfen wird. ({0}) Wir müssen vor allem die Kompetenz der Kinderärztinnen und Kinderärzte in Deutschland einbringen. Unsere Vorstellung ist, dass wir dafür ein Kompetenzzentrum schaffen, in dem das Erfahrungswissen, das sich über viele Jahre und Jahrzehnte angesammelt hat, gebündelt und wissenschaftlich bewertet wird, damit es uns bei der Anwendung hilft. Wir haben hier auch bestimmte Finanzierungsvorstellungen. Wir glauben, dass es gut wäre, dafür zum Beispiel eine Stiftung einzurichten, an der sich Industrie und Politik in gleichem Maße beteiligen. Das ist nichts Neues. Wir haben in Deutschland auch im Bereich der Arzneimittelhaftung eine große Stiftung. Es wäre gut, wenn wir eine solche Entwicklung einleiten würden. Es ist vor allem wichtig, dass wir von unkontrollierten Heilversuchen wegkommen. Die Ärztinnen und Ärzte im Bereich von Kindern und Jugendlichen sagen, es sei ihnen nicht zuzumuten, dass sie unkontrollierte Heilversuche unternehmen müssen, um ihrem beruflich-ethischen Auftrag gerecht zu werden, auf der anderen Seite aber in der Gefahr stehen, etwas zu machen, was nicht durch das Arzneimittelgesetz abgedeckt ist. Deswegen müssen wir uns klar darüber sein, dass wir mehr klinische Studien brauchen. Hier möchte ich, damit kein Missverständnis aufkommt, ganz deutlich machen: Diese klinischen Studien können nur unter hohen ethischen Ansprüchen durchgeführt werden. ({1}) Horst Schmidbauer ({2}) Wir müssen klar machen, dass diese Studien mit kranken Kindern nur gemacht werden, wenn darüber, weil sie keine einwilligungsfähigen Personen sind, mit ihren Eltern und den Ethikkommissionen Einverständnis erzielt worden ist. ({3}) Wir freuen uns, dass auf der europäischen Ebene in der letzten Woche eine positive Entwicklung eingetreten ist. Sowohl im Europäischen Parlament als auch in der Kommission sagt man: Wir wollen gemeinsame Richtlinien entwickeln, um diese Aufgabenstellung wahrzunehmen. Wir denken, dass wir damit auf dem richtigen Weg sind und dass wir diese Aufgabe mithilfe der Richtlinien und der eigenen Ansprüche an Ethikkommissionen lösen können. Ich bin ganz sicher, dass wir mit unserer neuen Ministerin, Ulla Schmidt, in dieser Frage sehr schnell aus dem Abseits kommen. ({4}) Wir sind es den Kindern, den Jugendlichen sowie den Kinderärztinnen und Kinderärzten schuldig, dass wir diese Aufgabe rasch lösen. Wir sind auf dem richtigen Weg. Der Chef des Zentrums für Kinderheilkunde an der Universität Marburg, der für den Bereich der Heilmittel zuständig ist, hat in einem Brief geschrieben: Lassen Sie mich auf diesem Weg noch einmal ganz herzlich danken, vor allen Dingen auch im Namen unserer Fachgesellschaft, der Deutschen Gesellschaft für Kinderheilkunde und Jugendmedizin, für Ihr Engagement, den Arzneimittelstandard für Kinder zu verbessern. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg für die nächste Woche. Nochmals ganz herzlichen Dank. Das ist es, was wir spüren: einen ganz starken Rückenwind und von keiner Seite Gegenwind. Ich glaube, auf dieser Basis schaffen wir es, die Zukunft zu meistern. Das sind wir allen Betroffenen schuldig. Vielen Dank. ({5})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Für die CDU/CSUFraktion spricht nun die Kollegin Eva-Maria Kors.

Eva Maria Kors (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001182, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestatten Sie mir ein Bild: Kinder sind der wichtigste Baustein für unsere Zukunft. ({0}) Aber als schwächste Mitglieder unserer Gesellschaft bedürfen sie des besonderen Schutzes jedes Einzelnen von uns, der Familie und des Staates. Sie bedürfen einer besonderen medizinischen Fürsorge und Versorgung. Angesichts der aktuellen Entwicklung besteht die Gefahr, dass in Deutschland eine umfassende und qualifizierte medizinische Versorgung von Kindern in Zukunft nicht mehr gewährleistet sein wird. Dies betrifft beispielsweise die Versorgung von Kindern mit Arzneimitteln. Wie internationale Studien belegen, erhalten Kinder häufig Arzneimittel, die eigentlich nicht für sie zugelassen sind. In Deutschland gibt es zu wenige speziell für Kinder zugelassene Arzneimittel. Rund 80 Prozent der Medikamente, die auf Intensivstationen verwendet werden, sind für Kinder nicht adäquat untersucht. ({1}) Da der Stoffwechsel bei Kindern anders ist, können die Wirkungen selbst reduzierter Dosierungen von Erwachsenenmedikamenten nicht automatisch auf Kinder übertragen werden. Arzneimittel für Kinder bedürfen daher einer eigenen grundlegenden wissenschaftlichen Betrachtung. Herr Kollege Schmidbauer, Sie sehen, in diesem Punkt sind wir uns völlig einig. ({2}) - Frau Schmidt-Zadel, das ist ein ernstes Thema, das man nicht ins Lächerliche ziehen sollte. Aber auch der Fortbestand unseres qualifizierten medizinischen Betreuungssystems für Kinder und Jugendliche durch speziell ausgebildete Ärzte sowie Kinderkrankenpflegerinnen und -pfleger ist zukünftig gefährdet. Der Bundesverband der Kinder- und Jugendärzte beklagt einen dramatischen Nachwuchsmangel im Bereich der Kindermedizin. Ab 2003 müsse damit gerechnet werden, dass die medizinische Versorgung von Kindern in ganzen Regionen, insbesondere in Flächenländern und dort natürlich im ländlichen Raum, nicht mehr gewährleistet sei. Auch die Kinderkrankenpflegerinnen und -pfleger spielen bei der medizinischen Betreuung von Kindern eine ganz bedeutende Rolle. Im Rahmen der Novellierung des Krankenpflegegesetzes gingen - ich verwende fairerweise die Vergangenheitsform - Überlegungen der Bundesregierung in Richtung einer generalistischen Pflegeausbildung. Dies käme, wenn es so erfolgen würde, der Abschaffung der Kinderkrankenpflege gleich. Die Pflege von Kindern erfordert aber eine besondere fachliche Kompetenz sowohl im stationären als auch im häuslichen bzw. im ambulanten Bereich. Gerade im häuslichen Bereich sind die betroffenen Eltern in ganz besonderem Maße auf die Unterstützung durch ausgebildete Pflegekräfte angewiesen. Bisher ist die häusliche Kinderkrankenpflege im Gegensatz zur psychiatrischen und gerontopsychiatrischen Pflege im Gesetz nicht erwähnt. Dies führt zwangsläufig zu Problemen, da die Krankenkassen diese speziellen Leistungen nur ganz selten anerkennen. Die neuen Richtlinien des Bundesausschusses Ärzte und Krankenkassen zur Verordnung häuslicher Krankenpflege führen zu einer zusätzlichen Verschlechterung der Pflegesituation von Kindern zu Hause. Gerade im Bereich der häuslichen Krankenpflege ist zunehmend eine Unterversorgung von kranken Kindern zu beobachten. Dies gilt Horst Schmidbauer ({3}) insbesondere für chronisch kranke Kinder mit zum Beispiel schweren Ernährungsstörungen oder Atemwegserkrankungen. Dies gilt aber auch für die Pflege schwerstkranker Früh- und Neugeborener. Mit häuslicher Krankenpflege lassen sich aber nicht nur die ärztliche Behandlung und Therapie der Kinder sichern und verbessern. Es lassen sich auch stationäre Aufenthalte und Spätfolgekosten vermeiden. Aber wenn in Zukunft ein stationärer Aufenthalt erforderlich wird, muss sichergestellt bleiben, dass eine kind- und jugendgerechte Versorgung in unseren stationären Einrichtungen im medizinischen, psychosozialen und auch im pädagogischen Bereich möglich bleibt. Ich erinnere an schwer krebskranke Kinder, die auch in der Klinik Schulunterricht bekommen müssen. Hierfür brauchen wir, wie von uns in unserem Antrag gefordert, gut und speziell ausgebildete Pflege- und Betreuungskräfte. ({4}) Vor diesem dargestellten Hintergrund behandelt der von uns heute vorgelegte Antrag die derzeitigen Probleme im Bereich der medizinischen Versorgung von Kindern sehr umfassend, sehr differenziert und zukunftsorientiert. ({5}) Wir von der Union wollen die medizinische Versorgung von Kindern, Herr Kollege Schmidbauer, insgesamt verbessern. Wir beschränken uns im Gegensatz zu Ihnen nicht nur auf Verbesserungen im Bereich der Arzneimittelsicherheit. Dabei stelle ich überhaupt nicht in Abrede, dass der Aspekt der Arzneimittelsicherheit auch in unserem Antrag vorkommt, also auch uns sehr wichtig ist. ({6}) Wir fordern die Bundesregierung angesichts der bei der Fort- und Weiterbildung von Kinder- und Jugendärzten bestehenden Probleme konkret auf, bei der Bundesärztekammer auf eine Reform der Weiterbildung zum Kinderund Jugendarzt zu drängen. Die Bundesregierung muss außerdem die gesetzlichen Grundlagen dafür schaffen, dass die pädiatrische wie die allgemeinmedizinische Weiterbildung gefördert wird. Nur so kann zukünftig die Versorgung mit Kindermedizin sichergestellt werden. Eine einseitige Bevorzugung der Förderung der Aus- und Weiterbildung zum Hausarzt, wie Sie es betreiben, ist für uns in diesem Zusammenhang der absolut falsche Weg. ({7}) Wir fordern die Bundesregierung weiter auf, endlich die Budgetierung der ärztlichen Honorare und die Fortschreibung des Arznei- und Heilmittelbudgets aufzugeben. ({8}) Wir werden das immer wieder tun; verlassen Sie sich darauf. Denn dadurch wird auch die medizinische Versorgung von Kindern mehr als eingeengt. Wir wollen ferner, dass die Bundesregierung die Sorge der Kinderärzte ernst nimmt und die Rahmenbedingungen für eine Versorgung von Kindern mit qualitativ hochwertigen Hilfsmitteln verbessert. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion erwartet von der Bundesregierung endlich eine deutliche Aufforderung an den Bundesausschuss Ärzte und Krankenkassen, die Richtlinien zur häuslichen Krankenpflege grundlegend zu überarbeiten. Dabei muss der Bundesausschuss die besonderen Aspekte auch der häuslichen Kinderkrankenpflege berücksichtigen. Aktuellen Pressemitteilungen zufolge scheint die Bundesregierung wenigstens bei der anstehenden Novellierung des Krankenpflegegesetzes im Rahmen der geplanten integrierten Ausbildung die spezielle Ausbildung für die Kinderkrankenpflege erhalten zu wollen. Ich kann das nur begrüßen. Ich hoffe, dass den Ankündigungen in der Presse nun auch bald die Taten folgen. Und nun noch kurz zu Ihrem Antrag. Keiner der hier Anwesenden - das betone ich nochmals - bestreitet ernsthaft, dass es im Bereich der Arzneimittelsicherheit bei Kindern Handlungsbedarf gibt. ({9}) - Nicht „aha“, das ist so. - Aber es ist schon erstaunlich, welchen Weg Sie nunmehr gehen wollen. Sie fordern in Ihrem Antrag die Beteiligung - was nichts anderes heißt als die finanzielle Unterstützung - der Pharmaindustrie zur Gründung einer Stiftung. Noch im Februar 2000 haben Sie bzw. die Bundesregierung die Pharmaindustrie als den eigentlichen Schuldigen für die Defizite bei der Arzneimitteltherapie von Kindern angeprangert. ({10}) Ich kann für die Kinder in unserem Land nur hoffen, dass die Pharmaindustrie vergessen hat, wie sie von Ihnen jahrelang bei jeder Gelegenheit, wo Sie es nur konnten, als Prügelknabe benutzt worden ist. Ebenfalls in der Fragestunde versicherte die Bundesregierung, das BMG prüfe derzeit, ob es künftig, wie in den USA, einen verlängerten Patentschutz auf Arzneimittel einführen kann. Bis heute sind Ergebnisse nicht vorgelegt worden. In der Zwischenzeit - Herr Schmidbauer, Sie haben es angeführt - haben sich die Gesundheitsminister der Europäischen Union auf Richtlinien geeinigt. Auch von diesen Bemühungen sehen wir - zumindest bisher - in der Arbeit der Bundesregierung nur sehr wenig. ({11}) - Nein, Sie sind ja seit einem Jahr an dem Thema. ({12}) - Das nimmt Ihnen doch keiner mehr ab, Frau SchmidtZadel, nach zwei Jahren. ({13}) Zusammenfassend halte ich hier fest, dass Ihr Antrag nicht nur inhaltliche Schwächen beinhaltet, sondern er greift vor allem viel zu kurz. Unser Antrag hingegen ist umfassend, denn er fordert die Beseitigung der gravierenEva-Maria Kors den Mängel in der gesamten Kinderheilkunde und sorgt so für eine bedarfsgerechte und zukunftsfähige medizinische Versorgung der Kinder in unserem Land. Und das, meine Damen und Herren, haben unsere Kinder wahrlich verdient. ({14})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Jetzt hat das Wort die Kollegin Göring-Eckardt für Bündnis 90/Die Grünen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003132, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Kors, ich finde es schon bedauerlich, dass Sie zu einem Rundumschlag ausholen und die Koalition an einer Stelle kritisieren, wo Sie nicht nur in den letzten 16 Jahren nichts unternommen haben, sondern auch in den letzten zwei Jahren keine entsprechenden Anträge eingebracht haben. ({0}) Ich bin dem Kollegen Schmidbauer sehr dankbar, dass er sich eines Teilproblems angenommen hat, was die Frage der Arzneimittelversorgung und der Arzneimittelsicherheit für Kinder und Jugendliche angeht, weil ich denke, ein solcher erster Schritt ist dringend notwendig. Weitere werden und sollten natürlich auch folgen. Es ist darauf hingewiesen worden, dass die meisten Arzneimittel nicht für Kinder geeignet sind und in Bezug auf Dosierung, Wirksamkeit und Nebenwirkungen nicht entsprechend untersucht worden sind. Besonders dramatisch ist natürlich, dass Kinderärzte oft gezwungen werden, Erwachsenenmedikamente einzusetzen. Oftmals bewegen sie sich dabei auch außerhalb des haftungsrechtlichen Schutzes des Arzneimittelgesetzes. Es mangelt an systematisch erhobenen Daten und wissenschaftlich differenzierten Therapieempfehlungen. In all diesen Fragen ist es notwendig, den Qualitätsstandard der Arzneimittelversorgung von Kindern weit voranzutreiben und dem der Erwachsenen gleichzustellen. Andere Länder - auch darauf ist hingewiesen worden zum Beispiel die USA, sind hier schon weiter. Hier ist ein Gesetzespaket geschnürt worden, das die Arzneimittelhersteller verpflichtet, auch für Medikation an Kindern entsprechende Eignungsnachweise zu erbringen. Ich denke, mit diesem Antrag sind wir in dieser Richtung auf dem richtigen Weg. ({1}) Was muss getan werden? Physiologische Besonderheiten von Kindern müssen bei der Arzneimitteltherapie berücksichtigt werden, um Über- und Unterdosierungen sowie höhere Nebenwirkungen auszuschließen. Von der richtigen Dosis des Arzneimittels für Erwachsene kann ja - das Beispiel des Kollegen Schmidbauer war da sehr eindrücklich - nicht auf die richtige Dosis für Kinder geschlossen werden. Wir sind allerdings der Meinung, dass Erprobungen von Medikamenten nur an kranken Kindern durchgeführt werden sollten. Da sind wir allerdings anderer Meinung als Sie; zumindest haben Sie sich in Ihrem Antrag darauf ja nicht ausdrücklich bezogen. Für eine kindgerechte Medikation fehlt es sowohl an der notwendigen wissenschaftlichen Infrastruktur als auch an staatlicher Forschungsförderung. Hierfür fühlen wir uns als Koalition und Bundesregierung in der Verantwortung. Das gilt auch für das BfArM. Hier sind Kinderärzte unzureichend vertreten. Das BfArM muss besser mit Ärztinnen und Ärzten ausgestattet werden, die pädiatrische Kenntnisse haben. Zu dem, was Sie, Frau Kollegin Kors, zum Thema Umgang mit der Pharmaindustrie gesagt haben: Natürlich ist die Tatsache, dass die Pharmaindustrie bisher nicht aus sich heraus entsprechende Dinge in die Wege geleitet hat, bedauerlich. Ich finde es deswegen richtig, vorzuschlagen, dass man hier gemeinsam handelt: die Politik auf der einen Seite und die Industrie auf der anderen Seite. Eine Stiftung wird hier ein sinnvoller Weg sein, das gemeinsam zu tun, gemeinsame Verantwortung zu übernehmen. Ich kann daran nichts Eigentümliches finden, sondern das ist angesichts der Versäumnisse, die wir vorfinden, genau richtig. Lassen Sie mich zum Schluss auf etwas verweisen, was ich für einen der nächsten Schritte halte, die notwendig sind, um beim Thema Kinder und Gesundheit weiterzukommen und hier auch grundsätzlich zu anderen Verfahrensweisen zu gelangen. Ich habe der Kultusministerin von Baden-Württemberg, Annette Schavan, die ja Ihrer Partei angehört und zurzeit Vorsitzende der Kultusministerkonferenz ist, in dieser Woche einen Brief geschrieben, in dem ich sie bitte, darauf hinzuwirken, dass ein Fach Gesundheitserziehung an unseren Schulen eingeführt wird. Ich glaube, es ist notwendig, dass sich die Bundesregierung, aber natürlich auch die Länderregierungen der Frage des Umgangs mit Kindern und Gesundheit, natürlich auch mit Kindern und Krankheit sehr viel stärker widmen. Ich bin der Überzeugung, dass ein solches Fach, in dem es dann um Präventionen, um die Suchtproblematik, um gesunde Ernährung geht, ein wirklicher Schritt des vorbeugenden Verbraucherschutzes wäre, der dringend notwendig ist. Der Antrag der Koalition ist ein solcher Schritt. In dieser Frage beschreiten wir neue Wege und ich bin darüber sehr froh. Vielen Dank. ({2})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Für die F.D.P. spricht jetzt der Kollege Detlef Parr.

Detlef Parr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001676, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Göring-Eckardt, Verbraucherschutz, in der Tat, ist heute in aller Munde. Verbraucherschutz gilt vor allem für eine Gruppe unserer Gesellschaft, die in den beiden vorliegenden Anträgen angesprochen ist: für unsere Kinder und Jugendlichen. Die Arzneimittelsicherheit muss generell im Zentrum unserer Bemühungen zum Schutz der Verbraucher - der Patienten - stehen. Diese Tatsache beweist: Die Ansiedlung des Verbraucherschutzes im Landwirtschaftsministerium war eine vorschnelle Entscheidung. ({0}) Der Antrag der Regierungsfraktionen verweist zu Recht auf die Food and Drug Administration in den Vereinigten Staaten. Eine ähnliche Konstruktion ({1}) einer unabhängigen Einrichtung hätte ich mir neben der Konzentration des Verbraucherschutzes im Gesundheitsministerium sehr gut vorstellen können. ({2}) - Das ist nur die Einleitung, Frau Kollegin. - Wir werden sehr genau beobachten, ob sich der organisatorische Schnellschuss bewährt. Wir haben nach wie vor ganz erhebliche Zweifel. ({3}) Jetzt zu den Inhalten, um auch Ihnen gerecht zu werden. Inhaltlich sprechen beide Anträge Defizite an, die wir dringend beseitigen müssen. Systematisch erhobene wissenschaftliche Daten zum Einsatz von Medikamenten bei Kindern und Jugendlichen sind ebenso wichtig wie wirtschaftliche Anreize für die Pharmaindustrie. Wir unterstützen die Bemühungen, die Akzeptanz der klinischen Forschung auch an kranken Kindern zu erhöhen. ({4}) Die auf diese Weise gewonnenen Erkenntnisse werden die Risiken unerwünschter Nebenwirkungen erheblich reduzieren können. Es ist auch richtig, Ethikkommissionen einzuschalten, um Missbrauch zu verhindern. Auch der Vorschlag der Verlängerung des Patentschutzes bzw. des Alleinvertriebsrechts, wenn das Medikament auch für den Einsatz in der Kinderheilkunde zugelassen wird, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Ich finde es ganz putzig, Frau Schmidt-Zadel, wie nachdrücklich SPD und Grüne sich in ihrem Antrag für den Pharmastandort Deutschland einsetzen und weitere Standortnachteile verhindern wollen. ({5}) Das könnte fast aus der liberalen Feder stammen. Herzlichen Glückwunsch! Genauso ordnen wir die Forderung nach Einrichtung einer Stiftung zur Unterstützung klinischer Studien in der Kinderheilkunde ein. Auch dies ist eine gute Sache - mehr privat, weniger Staat. Weniger gut sind Ihre Staatsgläubigkeit und Ihr Vertrauen in den Erfolg staatlicher Förderungsprogramme zur Errichtung kostenintensiver Kompetenzzentren. Ich bin gespannt, wo Sie das Geld hierfür hernehmen wollen. Ich stimme Kollegin Kors ausdrücklich zu: Ihr Antrag ist wesentlich umfassender als der, den SPD und Grüne vorgelegt haben. ({6}) Wir sollten in den Ausschussberatungen den Versuch machen - vielleicht können wir das schaffen -, einen gemeinsamen Antrag zu formulieren, der die von der Union zusätzlich geforderten Lösungswege im Bereich der Impfungen, der Aus- und Weiterbildung und der Pflege aufnimmt. Wir sollten auch, Frau Schmidt-Zadel, die europäischen Dimensionen etwas intensiver bedenken. Nationale Alleingänge helfen auch in diesem Bereich nicht. Wir müssen uns in der Europäischen Gemeinschaft vielmehr auf gemeinsame Initiativen verständigen. Ein gutes Beispiel ist die europaweit einheitliche Regelung der bereits angesprochenen klinischen Arzneimittelprüfungen an Kindern. Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, das Thema der Arzneimittelsicherheit und besseren medizinischen Versorgung von Kindern und Jugendlichen ist meines Erachtens ein Konsensthema. Wir sollten mit dieser Zielrichtung in die Ausschussberatung gehen. ({7})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich erteile jetzt der Kollegin Neuhäuser für die PDS das Wort.

Rosel Neuhäuser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002744, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Antrag der Koalitionsfraktionen lenkt die Aufmerksamkeit auf Unzulänglichkeiten in der Arzneimitteltherapie von Kindern und Jugendlichen. Dies ist heute schon mehrfach angeführt worden. Ein Hauptproblem besteht darin, dass ein hoher Anteil der Medikamente, die in der Kinderheilkunde angewendet werden, dafür nicht speziell geprüft sind. Kinderärzte sehen sich immer wieder in der Situation, Medikamente, deren Dosierung, Wirksamkeit bzw. Nebenwirkungen nur an Erwachsenen ausreichend untersucht wurden, auch bei Kindern einsetzen zu müssen. Das ist in der Tat unhaltbar, denn es kann nicht sein, dass die Qualität und Sicherheit der Arzneimitteltherapie bei Kindern geringer ist als die bei Erwachsenen. Es findet deshalb unsere Unterstützung, wenn der vorliegende Antrag der Koalition auf eine Verbesserung dieser Situation zielt. Um die Sicherheit von Kinderarzneimitteln zu erhöhen und auch die dafür erforderlichen klinischen Studien durchzuführen, bedarf es intensiver staatlicher Forschungsförderung an Universitäten und an anderen einschlägigen Wissenschaftseinrichtungen sowie verstärkter Aktivitäten des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte. Dabei ist aus unserer Sicht ausdrücklich hervorzuheben, dass für klinische Prüfungen an erkrankten Kindern besonders sorgfältige Ethik- und Sicherheitsstandards gelten müssen und dass ihre Einhaltung strengster Überwachung bedarf. Zu fragen bleibt allerdings, warum die Regierung angesichts solch notwendiger und plausibler Maßnahmen nicht selbst handelt, sondern von ihren eigenen Koalitionsfraktionen dazu speziell aufgefordert werden muss. Der kurzfristig ebenfalls zur Debatte gestellte Antrag der CDU/CSU-Fraktion benennt weitere Schwachstellen in der medizinischen Versorgung der Kinder. Mit den Missständen beim Impfen und generell in der Prävention, mit Versorgungs- und Ausbildungsproblemen in der Kindermedizin und der Kinderkrankenpflege werden zu Recht gravierende Mängel angesprochen und Verbesserungen gefordert. Allerdings, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU-Fraktion, müssen Sie sich auch sagen lassen, dass es dabei kaum um Probleme geht, die in der Zeit Ihrer Regierung nicht schon lange bestanden hätten oder nicht längst absehbar gewesen wären. ({0}) Aber für Schritte in die richtige Richtung ist es natürlich nie zu spät und insofern steht die heutige Regierung uneingeschränkt in der Verantwortung. Angesichts der Bedeutung, die der Gesundheit der nachwachsenden Generation zukommt, meinen wir allerdings, dass auf diesem Gebiet inzwischen eine möglichst umfassende, bundesweite Strategie zur Erhaltung und Förderung der Gesundheit der Kinder notwendig ist. Die Palette der Maßnahmen muss dabei vom vorbeugenden Gesundheitsschutz über eine qualifizierte medizinische Versorgung im Erkrankungsfall bis hin zur Zurückdrängung umweltbedingter Gesundheitsschäden reichen. Meine Damen und Herren, Kinderarmut wird immer stärker zur Ursache gesundheitlicher Fehlentwicklungen. Deshalb ist die Gesundheit der Kinder letztlich auch nicht ohne eine wesentlich stärkere Politik für Kinder zu verbessern. Dazu gehören - das sage ich, um zwei Vorschläge unsererseits im Parlament zu diskutieren - zum einen die Erweiterung der Einflussmöglichkeiten der Kinderkommission - sie würde durch dieses Parlament gestärkt - und zum anderen eine Debatte über den Vorschlag der Akademie für Kinderheilkunde und Jugendmedizin, bei der Bundesregierung oder im Parlament einen Kinderbeauftragten einzusetzen. Vielen Dank. ({1})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 14/5083 und 14/5136 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich gebe jetzt das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Finanzausschusses zu dem Antrag der Fraktion der F.D.P. mit dem Titel „Abschreibungstabellen nicht ändern“, Drucksachen 14/1887und 14/5149, bekannt. Abgegebene Stimmen 535. Mit Ja haben gestimmt 311, mit Nein haben gestimmt 224, keine Enthaltungen. Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 534; davon ja: 311 nein: 223 Ja SPD Brigitte Adler Gerd Andres Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Hermann Bachmaier Ernst Bahr Doris Barnett Dr. Hans Peter Bartels Eckhardt Barthel ({0}) Klaus Barthel ({1}) Ingrid Becker-Inglau Hans-Werner Bertl Petra Bierwirth Lothar Binding ({2}) Kurt Bodewig Klaus Brandner Anni Brandt-Elsweier Willi Brase Dr. Eberhard Brecht Rainer Brinkmann ({3}) Bernhard Brinkmann ({4}) Hans-Günter Bruckmann Ursula Burchardt Dr. Michael Bürsch Hans Martin Bury Hans Büttner ({5}) Marion Caspers-Merk Wolf-Michael Catenhusen Dr. Peter Danckert Dr. Herta Däubler-Gmelin Christel Deichmann Peter Dreßen Detlef Dzembritzki Dieter Dzewas Dr. Peter Eckardt Sebastian Edathy Marga Elser Peter Enders Gernot Erler Petra Ernstberger Annette Faße Lothar Fischer ({6}) Iris Follak Norbert Formanski Rainer Fornahl Hans Forster Dagmar Freitag Lilo Friedrich ({7}) Anke Fuchs ({8}) Arne Fuhrmann Monika Ganseforth Konrad Gilges Iris Gleicke Günter Gloser Uwe Göllner Günter Graf ({9}) Angelika Graf ({10}) Dieter Grasedieck Kerstin Griese Achim Großmann Wolfgang Grotthaus Karl-Hermann Haack ({11}) Hans-Joachim Hacker Klaus Hagemann Manfred Hampel Christel Hanewinckel Alfred Hartenbach Klaus Hasenfratz Nina Hauer Hubertus Heil Reinhold Hemker Frank Hempel Rolf Hempelmann Gustav Herzog Monika Heubaum Reinhold Hiller ({12}) Walter Hoffmann ({13}) Iris Hoffmann ({14}) Ingrid Holzhüter Eike Hovermann Christel Humme Lothar Ibrügger Brunhilde Irber Gabriele Iwersen Renate Jäger Jann-Peter Janssen Ilse Janz Volker Jung ({15}) Johannes Kahrs Sabine Kaspereit Susanne Kastner Ulrich Kelber Hans-Peter Kemper Klaus Kirschner Siegrun Klemmer Walter Kolbow Fritz Rudolf Körper Karin Kortmann Anette Kramme Nicolette Kressl Volker Kröning Angelika Krüger-Leißner Horst Kubatschka Ernst Küchler Helga Kühn-Mengel Ute Kumpf Konrad Kunick Dr. Uwe Küster Werner Labsch Brigitte Lange Christian Lange ({16}) Detlev von Larcher Christine Lehder Waltraud Lehn Robert Leidinger Klaus Lennartz Dr. Elke Leonhard Eckhart Lewering Götz-Peter Lohmann ({17}) Erika Lotz Dieter Maaß ({18}) Winfried Mante Tobias Marhold Lothar Mark Christoph Matschie Heide Mattischeck Markus Meckel Ulrike Merten Angelika Mertens Dr. Jürgen Meyer ({19}) Christoph Moosbauer Michael Müller ({20}) Jutta Müller ({21}) Christian Müller ({22}) Franz Müntefering Andrea Nahles Gerhard Neumann ({23}) Dr. Edith Niehuis Dr. Rolf Niese Dietmar Nietan Eckhard Ohl Leyla Onur Manfred Opel Adolf Ostertag Kurt Palis Albrecht Papenroth Dr. Martin Pfaff Georg Pfannenstein Dr. Eckhart Pick Karin Rehbock-Zureich Dr. Carola Reimann Margot von Renesse Renate Rennebach Bernd Reuter Dr. Edelbert Richter Reinhold Robbe Gudrun Roos René Röspel Birgit Roth ({24}) Michael Roth ({25}) Thomas Sauer Dr. Hansjörg Schäfer Gudrun Schaich-Walch Bernd Scheelen Siegfried Scheffler Horst Schild Otto Schily Dieter Schloten Horst Schmidbauer ({26}) Ulla Schmidt ({27}) Silvia Schmidt ({28}) Dagmar Schmidt ({29}) Wilhelm Schmidt ({30}) Regina Schmidt-Zadel Heinz Schmitt ({31}) Carsten Schneider Dr. Emil Schnell Walter Schöler Karsten Schönfeld Fritz Schösser Gisela Schröter Dr. Mathias Schubert Brigitte Schulte ({32}) ({33}) Volkmar Schultz ({34}) Ewald Schurer Dr. R. Werner Schuster Dietmar Schütz ({35}) Dr. Angelica Schwall-Düren Bodo Seidenthal Erika Simm Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Dr. Cornelie SonntagWolgast Wieland Sorge Wolfgang Spanier Dr. Margrit Spielmann Dr. Ditmar Staffelt Antje-Marie Steen Ludwig Stiegler Rolf Stöckel Reinhold Strobl ({36}) Dr. Peter Struck Joachim Tappe Jella Teuchner Dr. Gerald Thalheim Franz Thönnes Uta Titze-Stecher Adelheid Tröscher Hans-Eberhard Urbaniak Rüdiger Veit Simone Violka Hans Georg Wagner Hedi Wegener Dr. Konstanze Wegner Wolfgang Weiermann Reinhard Weis ({37}) Matthias Weisheit Gunter Weißgerber Gert Weisskirchen ({38}) Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker Jochen Welt Hildegard Wester Lydia Westrich Inge Wettig-Danielmeier Dr. Norbert Wieczorek Jürgen Wieczorek ({39}) Helmut Wieczorek ({40}) Heidemarie Wieczorek-Zeul Heino Wiese ({41}) Brigitte Wimmer ({42}) Engelbert Wistuba Hanna Wolf ({43}) ({44}) Heidemarie Wright Uta Zapf Dr. Christoph Zöpel Peter Zumkley BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Gila Altmann ({45}) Marieluise Beck ({46}) Volker Beck ({47}) Angelika Beer Grietje Bettin Annelie Buntenbach Dr. Thea Dückert Franziska Eichstädt-Bohlig Dr. Uschi Eid Joseph Fischer ({48}) Rita Grießhaber Antje Hermenau Monika Knoche Dr. Angelika Köster-Loßack Dr. Reinhard Loske Oswald Metzger Kerstin Müller ({49}) Winfried Nachtwei Cem Özdemir Simone Probst Irmingard Schewe-Gerigk Albert Schmidt ({50}) Werner Schulz ({51}) Christian Simmert Christian Sterzing Dr. Ludger Volmer Helmut Wilhelm ({52}) Margareta Wolf ({53}) PDS Monika Balt Maritta Böttcher Roland Claus Heidemarie Ehlert Wolfgang Gehrcke Dr. Gregor Gysi Uwe Hiksch Sabine Jünger Gerhard Jüttemann Dr. Heidi Knake-Werner Heidi Lippmann Pia Maier Angela Marquardt Rosel Neuhäuser Dr. Uwe-Jens Rössel Christina Schenk Nein CDU/CSU Ilse Aigner Dietrich Austermann Norbert Barthle Dr. Wolf Bauer Günter Baumann Brigitte Baumeister Meinrad Belle Dr. Sabine Bergmann-Pohl Otto Bernhardt Renate Blank Dr. Heribert Blens Dr. Norbert Blüm Dr. Maria Böhmer Sylvia Bonitz Jochen Borchert ({54}) Dr. Ralf Brauksiepe Monika Brudlewsky Hartmut Büttner ({55}) Dankward Buwitt Cajus Caesar Peter H. Carstensen ({56}) Wolfgang Dehnel Hubert Deittert Renate Diemers Thomas Dörflinger Hansjürgen Doss Marie-Luise Dött Maria Eichhorn Rainer Eppelmann Ilse Falk Dr. Hans Georg Faust Albrecht Feibel Ingrid Fischbach Dirk Fischer ({57}) Axel E. Fischer ({58}) ({59}) Erich G. Fritz Hans-Joachim Fuchtel Norbert Geis Georg Girisch Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Gudrun Kopp, Dr. Werner Hoyer, Rainer Brüderle, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P. Stiftung Warentest in die Unabhängigkeit entlassen - Drucksache 14/4284 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({60}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Auch das ist so beschlossen. Dann eröffne ich die Aussprache und erteile das Wort der Kollegin Gudrun Kopp für die F.D.P.-Fraktion.

Gudrun Kopp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003160, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Herren und Damen! Derzeit reden alle von der BSEKrise. Doch der Verbraucherschutz ist eine umfassende Aufgabe. So wird die Forderung, dass unabhängige und wirklich hochwertige Verbraucherinformationen sichergestellt werden müssen, sehr leicht in den Hintergrund gedrängt. Deshalb nehmen wir uns des Themas Stützung der Stiftung Warentest und ihrer hervorragenden Arbeit an und erinnern daran, dass wir dafür zu sorgen haben, dass sie eine gute finanzielle Basis für die Zukunft bekommt. ({0}) Vizepräsidentin Anke Fuchs Dr. Reinhard Göhner Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Kurt-Dieter Grill Horst Günther ({1}) Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein Gerda Hasselfeldt Hansgeorg Hauser ({2}) Klaus-Jürgen Hedrich Helmut Heiderich Ursula Heinen Manfred Heise Siegfried Helias Hans Jochen Henke Peter Hintze Klaus Hofbauer Martin Hohmann Klaus Holetschek Josef Hollerith Joachim Hörster Hubert Hüppe Susanne Jaffke Georg Janovsky Dr.-Ing. Rainer Jork Dr. Harald Kahl Steffen Kampeter Dr.-Ing. Dietmar Kansy Irmgard Karwatzki Volker Kauder Eckart von Klaeden Ulrich Klinkert Hartmut Koschyk Rudolf Kraus Dr. Paul Krüger Dr. Hermann Kues Dr. Karl A. Lamers ({3}) Helmut Lamp Dr. Paul Laufs Werner Lensing Peter Letzgus Ursula Lietz Walter Link ({4}) ({5}) Dr. Manfred Lischewski Wolfgang Lohmann ({6}) Julius Louven Erwin Marschewski ({7}) Dr. Martin Mayer ({8}) Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Friedrich Merz Meinolf Michels Dr. Gerd Müller Bernward Müller ({9}) Elmar Müller ({10}) Bernd Neumann ({11}) Claudia Nolte Günter Nooke Franz Obermeier Friedhelm Ost Eduard Oswald Norbert Otto ({12}) Dr. Peter Paziorek Anton Pfeifer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Ruprecht Polenz Marlies Pretzlaff Dr. Bernd Protzner Thomas Rachel Hans Raidel Dr. Peter Ramsauer Helmut Rauber Peter Rauen Christa Reichard ({13}) Katherina Reiche Erika Reinhardt Hans-Peter Repnik Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer Hannelore Rönsch ({14}) Dr. Klaus Rose Kurt J. Rossmanith Adolf Roth ({15}) Norbert Röttgen Volker Rühe Anita Schäfer Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte Gerhard Scheu Norbert Schindler Bernd Schmidbauer Christian Schmidt ({16}) ({17}) Birgit Schnieber-Jastram Dr. Rupert Scholz Reinhard Freiherr von Schorlemer Wolfgang Schulhoff Gerhard Schulz Diethard Schütze ({18}) Clemens Schwalbe Dr. Christian SchwarzSchilling Wilhelm-Josef Sebastian Horst Seehofer Heinz Seiffert Werner Siemann Johannes Singhammer Bärbel Sothmann Margarete Späte Erika Steinbach Matthäus Strebl Thomas Strobl ({19}) Dr. Susanne Tiemann Arnold Vaatz Angelika Volquartz Peter Weiß ({20}) Gerald Weiß ({21}) Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese ({22}) Hans-Otto Wilhelm ({23}) Klaus-Peter Willsch Bernd Wilz Willy Wimmer ({24}) Matthias Wissmann Werner Wittlich Dagmar Wöhrl Elke Wülfing Wolfgang Zeitlmann F.D.P. Hildebrecht Braun ({25}) Jörg van Essen Gisela Frick Horst Friedrich ({26}) Rainer Funke Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Dr. Karlheinz Guttmacher Klaus Haupt Ulrich Heinrich Dr. Werner Hoyer Ulrich Irmer Dr. Klaus Kinkel Dr. Heinrich L. Kolb Jürgen Koppelin Ina Lenke Sabine LeutheusserSchnarrenberger Dirk Niebel Günther Friedrich Nolting Cornelia Pieper Dr. Günter Rexrodt Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Gerhard Schüßler Dr. Hermann Otto Solms Dr. Dieter Thomae Jürgen Türk Dr. Guido Westerwelle Sie wissen: Die Stiftung Warentest darf nach Satzungslage keine Einnahmen aus Werbeanzeigen erwirtschaften und hat zum Ausgleich dafür schon seit vielen Jahren Zuschüsse erhalten. In den letzten zehn Jahren waren dies 13 Millionen DM pro Jahr. Im Jahr 2000 wurde erstmals drastisch gekürzt. Nach dem Entwurf des Haushalts sollte es eine Kürzung um 40 Prozent auf rund 8 Millionen DM geben. Wir haben daraufhin sofort einen Antrag auf Erhöhung der Mittel gestellt, nämlich auf 11 Millionen DM. Dieser Antrag ist von Ihnen allen in diesem Haus unterstützt worden. Was Sie vielleicht nicht wissen, ist, dass die Stiftung Warentest zum Jahresende 2000 aus dem damals noch zuständigen Wirtschaftsministerium die Nachricht erhalten hat, dass für den Haushalt 2002 erneut nur 8 Millionen DM vorgesehen sind. Wie wichtig das neue Ministerium für Verbraucherschutz und Landwirtschaft das Thema Verbraucherschutz insgesamt nimmt, sieht man daran, dass die Regierungsbank völlig leer ist. ({27})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Keine Aufregung, meine Damen und Herren, er kommt. Frau Kollegin, ich möchte Sie fragen, ob Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hinsken zulassen.

Gudrun Kopp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003160, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, bitte.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Dann hat der Kollege Berninger noch ein bisschen Zeit zu kommen, wenn sich das hier verlängert. Bitte sehr, Herr Hinsken.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Kopp, pflichten Sie mir bei, wenn ich feststelle, dass die Bundesregierung dem Verbraucherschutz, obwohl sie ihn in letzter Zeit in den Vordergrund stellt, nicht die notwendige Bedeutung beimisst? Denn es befindet sich kein einziges Regierungsmitglied auf der Regierungsbank. ({0})

Gudrun Kopp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003160, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Hinsken, ich stimme Ihnen vollkommen zu. Ich betone, was der Kollege Parr eben gesagt hat: Auch der Zuschnitt dieses Ministeriums ist äußerst zweifelhaft. Den umfassenden und wichtigen Verbraucherschutz ausschließlich beim Landwirtschaftsministerium anzusiedeln wird sich als Fehler erweisen. Das sehen wir heute Abend. Das ist ein schlechtes Omen für den Verbraucherschutz. ({0})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Frau Kollegin, gestatten Sie mir eine kurze Zwischenbemerkung. Ich glaube, es steht uns zu, festzustellen, dass wir sehr bedauern, dass keiner auf der Regierungsbank sitzt. - Das gilt unabhängig von der Frage, ob der Herr Staatssekretär schon da ist oder nicht. Es gibt mehrere Ressorts und mehrere Staatssekretäre. Wir ermahnen die Bundesregierung, bei Bundestagsdebatten ordentlich vertreten zu sein. ({0}) Frau Kollegin, bitte fahren Sie fort.

Gudrun Kopp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003160, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich erinnere daran, dass die Stiftung Warentest im Jahr in etwa 2 200 Produkte und über 130 Waren und Dienstleistungen testet. Das ist eine enorme Leistung. Die F.D.P.-Fraktion ist der Meinung, dass das Gezerre um jährliche Zuschüsse beendet werden muss. Wie wollen wir das machen? Wir haben Ihnen ganz konkret vorgeschlagen, Vater Staat möge sich aus der Stiftung Warentest zurückziehen und sie in die Unabhängigkeit entlassen - aber natürlich nicht zum Nulltarif. ({0}) Die Stiftung braucht dringend Stiftungskapital, das sie in entsprechender Höhe aufbauen muss. Ein erster kleiner Schritt ist Ende des Jahres 2000 gemacht worden. Das reicht aber bei weitem nicht aus. Wir beantragen deshalb, dass ein Betrag von 100 Millionen DM eingebracht wird, der auf mehrere Zahlungen über einige Jahre aufgeteilt werden kann. In dieser Phase soll die Stiftung in die Lage versetzt werden, weitere Einnahmequellen zu erschließen. Der Stiftung soll auch ermöglicht werden, selber Stiftungskapital einzuwerben - nicht bei einzelnen Firmen, aber beispielsweise bei Institutionen und Verbänden, die sich dem Verbraucherschutz besonders verpflichtet fühlen. Ich denke, das wäre ein sehr guter Ansatz. Natürlich muss die Stiftung bis dahin weiterhin finanziell unterstützt werden, und zwar nicht mit kleinen Häppchen wie den 8 Millionen DM, von denen die Rede ist. Es muss wenigstens bei den jetzt vereinbarten 11 Millionen DM bleiben. ({1}) Auf Dauer ist diese Lösung für den Bundeshaushalt viel kostengünstiger, unabhängig davon, ob Sie drei Jahre zahlen, um das Stiftungskapital aufzubauen, oder ob Sie fünf Jahre zahlen, wie von uns vorgeschlagen. Ich denke, das führt zu mehr Eigenverantwortung und unabhängiger Arbeit dieser Stiftung. Mit dieser Lösung unterstützen wir die Stiftung nicht nur verbal, sondern auch mit Taten, sprich: indem wir ihr die Freiheit geben, am Markt zu agieren. Das sollte sie uns wert sein. Das ist für die Verbraucher wichtig; denn unabhängige und qualitativ hochwertige Verbraucherinformationen sind die Voraussetzung dafür, dass sich Konsumenten überhaupt einen Überblick am Markt verschaffen können. Die Stiftung soll also ein Wegweiser für Produkte und Kontrollen sein. ({2}) Ich hoffe - lassen Sie mich das am Ende noch sagen -, dass der Verbraucherschutz, jetzt angesiedelt im Landwirtschaftsministerium, in Zukunft mehr Beachtung findet. Ich befürchte aber, dass es nicht so sein wird; denn schon im Wirtschaftsministerium hatten es der Verbraucherschutz und damit die Stiftung Warentest sehr schwer. Ich denke, wir sollten nicht nur mit Blick auf BSE, sondern auch insgesamt den Verbraucherschutz ernst nehmen und hier zu einer Lösung kommen, die für alle Beteiligten die beste ist. Ich bitte Sie also, diesen Antrag im Rahmen der Beratungen und bei der Abstimmung wohlwollend zu bescheiden. Danke schön. ({3})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Jetzt erteile ich das Wort der Kollegin Jella Teuchner, SPD-Fraktion.

Jella Teuchner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002816, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen - besonders von der F.D.P.! Ich darf zunächst die Ministerin entschuldigen. Wenn Sie sich sachkundig gemacht hätten, würden Sie wissen, dass der Verbraucherausschuss, der ursprünglich beim Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten angesiedelt war, heute einen Empfang auf der Grünen Woche gibt. Von daher kann die Ministerin leider nicht hier sein. ({0}) Ich möchte zuerst auf den Antrag der F.D.P. zu sprechen kommen. Es ist verständlich, dass Sie von Ihrem Aufsetzungsrecht Gebrauch machen; das sei Ihnen auch zugestanden. ({1}) Dafür, dass Sie es nicht abwarten können, wie die neuen Strukturen des Verbraucherschutzministeriums und auch des Verbraucherausschusses hier im Bundestag aussehen werden, habe ich allerdings kein Verständnis.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Göring-Eckardt?

Jella Teuchner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002816, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, ich möchte im Zusammenhang vortragen. - Deshalb beantrage ich, bevor ich meine Gedanken weiter ausführe, diesen Antrag federführend dem Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft zu überweisen. Das ergibt sich aus dem neuen Zuschnitt des Ressorts wie auch aus den entsprechend erweiterten Aufgaben, mit denen sich der bisherige Landwirtschaftsausschuss zu befassen hat. Soziale Marktwirtschaft ist undenkbar ohne vorsorgenden Verbraucherschutz. Eine starke Nachfrageseite ist wichtige Voraussetzung für die Sicherung eines funktionierenden Wettbewerbs. Dafür müssen Verbraucherinnen und Verbraucher in die Lage versetzt werden, ihr Gewicht am Markt auch wirklich einzubringen. Ihre Eigenverantwortung muss gestärkt werden. Die Kräfte des Marktes allein sind nicht ausreichend zur Schaffung eines Ausgleichs zwischen den unterschiedlichen Zielen von Anbietern und Nachfragern. Nur gut informierte Verbraucherinnen und Verbraucher können ihre Interessen gegenüber der Anbieterseite durch die Entscheidung für oder gegen ein Produkt selbst vertreten. Verbraucherinnen und Verbraucher haben ein Recht auf Information, auf Schutz vor Gefahren für Gesundheit und Sicherheit, auf eine gesunde Umwelt, auf die Wahrung ihrer wirtschaftlichen Interessen. In diesem Gesamtkontext leistet die Stiftung Warentest seit ihrer Gründung mit ihrer Aufklärungsarbeit unschätzbare Dienste. Die Stiftung Warentest hat laut Satzung den klar umrissenen Auftrag, die „Öffentlichkeit über objektivierbare Merkmale des Nutz- und Gebrauchswertes sowie der Umweltverträglichkeit“ von Waren und Dienstleistungen zu unterrichten. Ganz aktuell passt da auch die Nachricht über den Verzicht der Agrar- und Nahrungsmittelindustrie auf den Ausbau des Einsatzes der „grünen Gentechnik“. Die Stiftung Warentest hatte im vergangenen Jahr bei einer Testreihe herausgefunden, in wie vielen Lebensmitteln gentechnisch veränderte Bestandteile ohne jede Kennzeichnung enthalten sind, und das, obwohl die große Mehrheit der Konsumenten gerade bei Nahrungsmitteln besonders misstrauisch ist. ({0}) Noch immer steht der Beweis der Unschädlichkeit dieser neuen Produkte für Mensch und Natur aus. Auch am aktuellen Verbraucherverhalten nach Bekanntwerden der BSE-Fälle hier bei uns in Deutschland zeigt sich erneut ganz deutlich: Verbraucher sagen jetzt, wo es langgeht. Sie verweigern sich als Konsumenten: Zum Beispiel musste Wurst aus dem Handel zurückgeholt werden; der deutsche Rindfleischmarkt ist zusammengebrochen; Beschäftigte in der Fleischverarbeitung müssen kurzarbeiten. Wieder wird der Staat mit sehr hohen Kosten für die Folgen einer über Jahrzehnte fehlgesteuerten Politik einstehen müssen. Unsere These gilt weiter: Vorbeugen ist nicht nur besser, sondern auch billiger als Heilen. Das zeigt auch diese sehr weit reichende Krise. Die Schäden müssen jetzt mit Geldern in enormer Höhe aus dem Staatshaushalt repariert werden. In diese Situation passt die von Ihnen geforderte Debatte zur ersten Lesung Ihres Antrages „Stiftung Warentest in die Unabhängigkeit entlassen“. Aber ich sage auch hier ganz ungeschminkt: Dieser Antrag ist jetzt und in dieser Form unseriös. Sie wissen, dass wir im Bundeshalt für das laufende Haushaltsjahr 11 Millionen DM für die Stiftung Warentest bewilligt haben. Wir mussten kämpfen - das gebe ich gerne zu -, aber zumindest dies haben wir erreicht. ({1}) - Jawohl, Frau Kopp. - Sie wissen von Ihren Berichterstattern aus dem Haushaltsausschuss so gut wie ich, dass derzeit ein Prüfauftrag im Wirtschaftsministerium in Arbeit ist. ({2}) Zum damaligen Zeitpunkt war noch der Wirtschaftsausschuss zuständig. Mit diesem soll festgestellt werden, wie hoch das nötige Stiftungsvermögen sein müsste, damit die Stiftung Warentest die jährlichen Bundeszuweisungen durch Zinseinnahmen kompensieren könnte. Sie jonglieren in Ihrem Antrag mit Zahlen, die einer Überprüfung nicht standhalten. Beim Aufbau eines Stiftungsvermögens mit den von Ihnen beantragten 20-Millionen-Mark-Raten über fünf Jahre würde bei einer 5-prozentigen Verzinsung mit Zinseszins eine Summe von circa 115 Millionen DM anwachsen. Was soll Ihres Erachtens in den Jahren bis zur Erreichung der endgültigen Höhe des Stiftungsvermögens passieren? Die Stiftung Warentest hat in verschiedenen Gesprächen mit mir und auch Vertreterinnen meiner Fraktion dargelegt, dass künftig jährlich Zuwendungen in Höhe von 10 Millionen DM erforderlich sein werden, um die gute Arbeit fortzuführen. Sollen jetzt diese erforderlichen 10 Millionen DM zusätzlich bereitgestellt werden? ({3}) Auch bei einem Stiftungsvermögen von 115 Millionen DM sind diese erforderlichen Mittel nur mit einem weiteren Bundeszuschuss sicherzustellen; denn nach Adam Riese ergeben 5 Prozent Zinsen von 115 Millionen DM nur etwa 5,5 Millionen DM. ({4}) Damit müssten weiterhin 4,5 Millionen DM - Ihr Antrag spricht ja nur von Zinseinnahmen - aus dem Bundeshaushalt zur Verfügung gestellt werden. ({5}) - Jawohl, als Buchhalterin bin ich des Rechnens mächtig. Diese ganzen Aspekte werden wir natürlich im Ausschuss sehr gründlich zu beraten haben. Noch einmal zum Wortlaut Ihres Antrages. Kein Verständnis habe ich für die Forderung nach Unabhängigkeit. Seit der Gründung durch die Bundesregierung 1964 hat sich die Stiftung als unabhängige Institution einen Namen gemacht. Diese Souveränität und Neutralität haben in der Öffentlichkeit zu einem hohen Ansehen der Stiftung geführt: sowohl bei Herstellern und Anbietern von Produkten und Dienstleistungen wie auch bei den durch die öffentlichen Testergebnisse gut informierten Verbraucherinnen und Verbrauchern. Meines Wissens war nie von Abhängigkeit, Unfreiheit oder Unterordnung die Rede. Seit ihrer Gründung erhält die Stiftung die Bundesmittel - bislang aus dem Haushalt des Bundesministeriums für Wirtschaft - als Ausgleich dafür, dass sie kein Stiftungskapital erhalten hat und keine Einnahmen durch Werbeanzeigen erzielen darf. Dennoch wurde mit dem durch den Verkauf der Publikationen erzielten Erlös mittlerweile eine gute finanzielle Rücklage erwirtschaftet. Diese Rücklage dient nach meinen Informationen aus dem Vorstand der Stiftung unter anderem auch dazu, gegebenenfalls nötige Finanzmittel bei - hoffentlich nie nötigen - Schadensersatzforderungen aufbringen zu können. Dank der Sorgfalt der angewandten Prüfprogramme musste sich die Stiftung meines Wissens bislang keinen solchen Forderungen stellen, aber ein entsprechender Notfonds ist natürlich notwendig.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Kopp?

Jella Teuchner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002816, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, das möchte ich nicht. Meine Redezeit ist gleich zu Ende.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Die Uhr wird angehalten, wenn Sie die Frage zulassen.

Jella Teuchner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002816, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich weiß, aber ich möchte es trotzdem nicht. ({0}) - Möchten Sie mich begleiten, Herr Hinsken? Die Breite der getesteten Produktpalette unter Einbeziehung der mittelständischen Hersteller ist eines der positiven Markenzeichen der Stiftung. Wir sollten also bei den jetzt anstehenden Beratungen mit diesem Thema sehr sorgfältig umgehen und noch einmal über die Vorgehensweise und den Antrag diskutieren. Ich denke, oberflächliche Rechnungen und Zahlen wie in Ihrem Antrag werden der Stiftung Warentest nicht gerecht. ({1})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Jetzt erteile ich der Kollegin Vera Lengsfeld für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.

Vera Wollenberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002721, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Die einzige Konstante der Regierung Schröder ist, dass man sich auf nichts verlassen kann. Wie wir es gerade erlebt haben, kann man sich noch nicht einmal darauf verlassen, dass sich der frisch gebackene Staatssekretär bemüht, rechtzeitig zur Debatte zu erscheinen, weil er damit beschäftigt ist, im Parlamentsrestaurant „Kollegen-Bashing“ zu betreiben. Aber dafür haben wir natürlich größtes Verständnis.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Frau Kollegin, der Herr Staatssekretär hat mir erzählt, es gehe ihm nicht gut. Er komme direkt von der Ärztin des Bundestages zu uns ins Plenum.

Vera Wollenberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002721, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Da hat der Herr Staatssekretär leider nicht die Wahrheit gesagt, weil ich ihn im Parlamentsrestaurant gesehen habe. Er wird es sicherlich nicht wagen, dies zu bestreiten. ({0}) - Entschuldigen Sie bitte. Das war so. Um wieder zum Thema zu kommen: Wir haben ein Verbraucherministerium bekommen, das mit einer neuen Ministerin bestückt ist, aber die entscheidende Frage, wie es mit der Verbraucherpolitik weitergeht, ist damit nicht beantwortet. Um wenigstens die Stiftung Warentest vor der Willkür der schröderschen Kabinettstückchen zu bewahren, unterstützen wir den Antrag der F.D.P. Die Stiftung Warentest sollte - von der Bundesregierung mit dem nötigen Stiftungskapital von 100 Millionen DM ausgestattet - in die Selbstständigkeit entlassen werden. Sie soll von der Bundesregierung in die Lage versetzt werden, das nötige Stiftungskapital aufzubauen und damit eigenverantwortlich umzugehen. Die Stiftung Warentest wurde 1964 vom Deutschen Bundestag gegründet. Ihre Aufgabe ist es, dem Verbraucher bei der Auswahl von Waren und Dienstleistungen eine Orientierungshilfe an die Hand zu geben. Sie arbeitet seitdem in hohem Maße verlässlich und in guter Qualität. Jährlich testet die Stiftung über 2 000 Produkte aus dem Konsumgüterbereich und führt 80 Dienstleistungstests hauptsächlich in den Bereichen Privatfinanzen, Versicherungen, öffentliche Dienstleistungen, Gesundheit, Freizeit und Reisen durch. In den 35 Jahren ihres Bestehens hat die Stiftung Warentest zu einer Steigerung der Produktqualität beigetragen. Ihre Arbeit finanziert die Stiftung überwiegend durch die Einnahmen aus Publikationen, insbesondere der Zeitschriften „Test“ und „Finanz-Test“. 1999 verfügte die Stiftung über Gesamteinnahmen in Höhe von 102,6 Millionen DM, von denen 84,5 Millionen DM, also der Löwenanteil, aus den Verkaufserlösen der Zeitschriften und anderer Publikationen stammten. In der Satzung der Stiftung ist ein Anzeigenverbot für Publikationen verankert. Das ist vor allen Dingen deshalb geschehen, um die finanzielle Einflussnahme von Anbietern von vornherein auszuschließen und der Stiftung ihre Unabhängigkeit zu bewahren. Zum Ausgleich dafür erhält sie Zuwendungen des Bundesfinanzministeriums. Die Stiftung untersteht außerdem der Kontrolle durch den Verwaltungsrat, der von der Bundesregierung berufen wird. Dieser steht ihr auch beratend zur Seite. Die Stiftung Warentest ist also auf Zuwendungen der Bundesregierung angewiesen. Mitte Juli 2000 hatte das Bundeswirtschaftsministerium allerdings bekannt gegeben, dass der Zuschuss des Bundes für die Stiftung von 13 Millionen DM im Jahre 2000 auf 8 Millionen DM im Jahre 2001 gekürzt werden soll. Das wollte eine Bundesregierung machen, die den Verbraucherschutz als eines ihrer zentralen Themen bezeichnet. Das möchte ich hier betonen. Ich stelle fest, dass zwischen dieser Entscheidung und der vollmundigen Behauptung ein gewisser Widerspruch besteht; ({1}) denn die geplante Kürzung um 5 Millionen DM hätte die Stiftung in ihrer Existenz bedroht. Die Ankündigung im Juli 2000 war viel zu kurzfristig, die meisten Prüfberichte für das nächste Jahr waren schon in Auftrag gegeben. Die Tests sind zudem teurer als bei der Konkurrenz, weil mehr Kriterien geprüft werden, wie etwa die Umweltverträglichkeit der Produkte. Schon 1999 musste bei der Durchführung von Tests drastisch gespart werden, um ein ausgeglicheneres Ergebnis zu erzielen. Weitere Kürzungen wären an die Substanz gegangen. Die CDU hat deshalb von Anfang an vehement die Sparpläne der Bundesregierung bekämpft. ({2}) - Doch. Wir haben auch Erfolg gehabt, denn die Entscheidung ist revidiert worden. ({3}) - Die Entscheidung ist erst jetzt für dieses Jahr revidiert worden. Statt der angekündigten 8 Millionen DM hat die Stiftung 10 Millionen DM bekommen. ({4}) Das wissen Sie doch. Das hat überhaupt nichts mit meiner Parteizugehörigkeit zu tun, sondern war eher das Ergebnis der berechtigten Entrüstung über diese Entscheidung. ({5}) Es ist gleichzeitig aber angekündigt worden, dass die Zuwendungen für das nächste Jahr - also für das Jahr 2002 - wieder auf 8 Millionen DM reduziert werden. Das wird die Stiftung in Schwierigkeiten bringen. Deshalb sind wir ganz entschieden der Meinung, dass diese Unsicherheit ein Ende haben muss. Die Stiftung benötigt eine solide Basis und die Unabhängigkeit von den Stimmungen in der Regierung. ({6}) Deshalb unterstützen wir nachdrücklich die Forderung der F.D.P., die Stiftung unabhängig zu machen. Der Weg, wie das geschehen kann, ist hier schon beschrieben worden; ich kann mir Ausführungen darüber sparen. Zum Abschluss möchte ich noch einen Punkt ansprechen. Statt zu handeln und mit Taten zu beweisen, dass ihr der Verbraucherschutz wirklich am Herzen liegt, fährt die Regierung die bekannte Doppelstrategie: ({7}) Sie gibt vollmundige Versprechen in hochemotionalisierten Debatten, denen hektischer Aktionismus folgt. Bund und Länder planen und berufen zurzeit eine Fülle neuer Beauftragter und Verantwortlicher für den Verbraucherschutz, um dem öffentlichen Erwartungsdruck zu genügen. Von einem Bundesamt für Verbraucherschutz ist bereits die Rede. Es drohen ein Wirrwarr an Kompetenzen und ein Mangel an Koordination. Was wir brauchen, sind keine neuen Schnellschüsse vom Bund, sondern eine richtige und genaue Analyse, wo genau die Schwachstellen liegen und wie man eine bessere Kompetenzabgrenzung von EU, Bund und Ländern hinbekommt. ({8}) Wir brauchen keine neuen Behörden, sondern Transparenz und Kontrolle. Ministerin Künast verspricht nun einen vorsorgenden Verbraucherschutz. Das hört sich in der Debatte über BSE mit den verängstigten Gemütern gut an, aber was ist denn eigentlich damit gemeint? Das Wort suggeriert, es gebe die Möglichkeit, alle Risiken des Lebens auszuschalten. Das ist falsch. Wer nur auf staatlich verordnete Sicherheit setzt, entmündigt sich selbst. Der anonyme Verbraucher wird so zum Gegenstück des mündigen Bürgers. ({9}) Wenn Verbraucherschutz eine Flut von neuen Reglementierungen bedeutet, wird er sich wie Mehltau über das Land legen. Ob neue Reglementierungen am Ende wirklich mehr Schutz bieten, ist sowieso fraglich. Schon jetzt sind die vielfachen Regelungen kaum noch zu übersehen. Die Umsetzung des Europäischen Weißbuches für Lebensmittelsicherheit zum Beispiel ist kaum praktikabel. Was nützen immer neue Gesetze, wenn der Gesetzesdschungel so unübersichtlich wird, dass sich jeder darin verirrt oder wenn über die vielen neuen Verordnungen die einfachsten Grundregeln vergessen werden? Mindestens seit 1923 ist bekannt, dass man Wiederkäuern kein Tiermehl füttern darf, da sie sonst - wie es damals auf einem Kongress hieß - irre werden. ({10}) Seit Jahren ist bekannt, dass die Verfütterung von Antibiotika an Schlachttiere schädliche Folgen beim Menschen hat. Wenn wider besseres Wissen trotzdem Tiermehl an Wiederkäuer und Antibiotika an Schlachtvieh verfüttert werden, kann das durch keine Vorsorge, sondern nur durch wirksame Kontrollen verhindert werden. Wir brauchen auf Bundesebene gemeinsame Standards, die auch in den Ländern durchgesetzt werden, um die unterschiedliche Kontrollpraxis zu beenden. Nachgeordnete Behörden eines Ministeriums sind nie gegen politische Einflussnahme gefeit und deshalb brauchen wir eine wirklich unabhängige Lobby der Verbraucher. Die Stiftung Warentest ist eine gute Hilfe für die Bürger, wenn es darum geht, eine Kaufentscheidung zu treffen. Wir brauchen dieses Institut und ähnliche unabhängige Institute als Orientierungshilfe in der unübersichtlichen Konsumwelt. Vielen Dank. ({11})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich erteile der Kollegin Ulrike Höfken vom Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Ulrike Höfken-Deipenbrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002680, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist notwendig, den Verbraucherschutz durch jede Fraktion, jede Partei und jede Institution zu unterstützen. Das gilt für die F.D.P. genauso wie für die CDU. Es wäre aber schön, Frau Lengsfeld, wenn man Sie beim Kämpfen auch mal sehen würde. ({0}) Ich will zu dem neuen Schwerpunkt Verbraucherpolitik einführend etwas sagen: Es ist ein entscheidender Schritt, dass sich die Bundesregierung dazu entschlossen hat, der Verbraucherpolitik und dem Verbraucherschutz die höchste Priorität einzuräumen. Das gilt natürlich quer durch alle Bereiche. Wichtig sind: Vorsorge statt Reparatur, Verbraucherinteressen mit betriebswirtschaftlichen Interessen gleichsetzen, Verursacherprinzip verankern, Transparenz schaffen - das bedeutet nicht nur Preisvergleich wie früher, sondern auch Einbeziehung von Qualität, Eigenschaften und innerer Werte bei Waren und Dienstleistungen - und Technikfolgenabschätzungen. Ich denke, diese strukturellen Ansprüche verwirklichen sich nun erstmals in der Politik und der Geschichte der Bundesrepublik, nämlich in einem Ministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft. ({1}) Ebenso wird es zu einer Neuorganisation der nachgeordneten Behörden kommen. Das bedeutet keine Schaffung neuer Behörden, sondern Effizienzsteigerung, Zusammenfassung und Verbesserung der Koordination, auch mit den Ländern. Es gibt auch eine Reihe von anderen Vorschlägen, die die Verbraucherorganisationen seit vielen Jahren vorbringen. Unter anderem wird gefordert, Einfluss des Verbraucherschutzes und Kontrollrechte in allen Bereichen wirksam zu verankern, wie beispielsweise in der Wirtschaftspolitik oder in der Finanzpolitik. Es wird ein Vetorecht für die Vertreterinnen und Vertreter des Verbraucherschutzes und die zuständige Ministerin sowie eine Berücksichtigung der Verbraucherinteressen bei Gesetzesberatungen gefordert. Wir werden über all dies zu sprechen haben. Beispiele sind natürlich in mancherlei Hinsicht vorhanden. Ein Ministerium für Verbraucherschutz kann sich nicht allein den Dingen zuwenden, die mit Lebensmitteln und Ernährung zu tun haben, sondern muss sich genauso den Fragen zu Gewinnspielen, Finanzdienstleistungen oder Pestiziden und Holzschutzmitteln widmen. Dies wird es auch tun. Wir brauchen auch ökonomische Instrumente. Ein Beispiel ist, die Produzentenhaftung zu verstärken. Es geht aber auch um eine Auseinandersetzung mit der Forderung nach Abschöpfung der Unrechtsgewinne oder mit der Umsteuerung der Agrarsubventionen, wie wir sie derzeit diskutieren. Natürlich gehört dazu auch die Finanzierung. Dies gehört mit in diese Debatte, obwohl ich ansonsten die Überschrift des Antrages nicht verstehe. Wir, die verbraucherschutzpolitischen Sprecherinnen der SPD und der Grünen, haben uns bemüht, gemeinsam mit den Sprecherinnen und Sprechern der anderen Fraktionen zu einer Verbesserung der Finanzierung des Verbraucherschutzes zu kommen. Ich möchte aber noch einmal leise darauf hinweisen, dass doch weiß Gott unter der alten Bundesregierung alle verbraucherschutzrelevanten Haushaltstitel reduziert worden sind. Es wurde ein Einschnitt gemacht. ({2}) Es gab keine institutionelle Förderung mehr, sondern nur noch eine Projektförderung. Damit ist beispielsweise die Arbeit der Verbraucherzentralen ganz erheblich eingeschränkt worden. Wir haben bis heute nur eine Projektförderung und müssen uns bemühen, hier andere Möglichkeiten der Finanzierung zu schaffen und gegen den Trend anzugehen, der schon vor einigen Jahren begonnen hat. ({3}) Sie haben Recht, die Stiftung Warentest war in der Diskussion. Ich freue mich über die breite Unterstützung des Hauses und der Bundesregierung in diesem Fall. 11 Millionen DM sind sicherlich eine Basis, auf der die Stiftung Warentest ganz gut arbeiten kann. Was ich aber erstens nicht verstehe, ist das Wort „Unabhängigkeit“ in Ihrem Antrag. Ich sehe auch nicht, wie sie gewährleistet sein soll, weil Sie die Stiftung mit der von Ihnen vorgeschlagenen Finanzausstattung noch stärker auf Sparflamme setzen und sie wiederum von der Bundesregierung abhängig machen. Das kann ich nicht nachvollziehen. Frau Teuchner hat bereits die Berechnungen erwähnt: Man bräuchte mindestens 170 Millionen DM und keineswegs nur 100 Millionen DM, um eine solche einmalige bzw. über fünf Jahre verteilte Finanzierung hinzubekommen. Zweitens frage ich mich, was Sie eigentlich damit meinen, die Stiftung solle am Markt agieren. Die Stiftung Warentest hat am Markt agiert. Sie hat alle sich ihr bietenden Möglichkeiten wahrgenommen, zum Beispiel vor kurzem mit der recht moderaten Erhöhung des Bezugspreises ihres Heftes. Ein ganz wichtiger Bestandteil ihrer Unabhängigkeit sollte bleiben, dass die Stiftung Warentest Anzeigen gewerblicher Unternehmen oder Vereinigungen weder entgeltlich noch unentgeltlich veröffentlichen darf. Ansonsten kann sie sehr gut am Markt agieren. Da die Idee der Finanzausstattung der Stiftung grundsätzlich nicht schlecht ist, sollte man sich interfraktionell zusammensetzen und weiter über eine solche Möglichkeit sprechen, sobald die Prüfung abgeschlossen ist. Danke schön. ({4})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Jetzt hat der Kollege Rolf Kutzmutz, PDS-Fraktion, das Wort.

Rolf Kutzmutz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002713, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte etwas vorweg sagen, weil Frau Lengsfeld die Tiermehlverfütterung angesprochen hat. Ich habe Sie so verstanden, dass Sie sagten, das Jahr 2000 sei unmittelbar auf das Jahr 1923 gefolgt. Das halte ich zumindest rechnerisch für sehr gefährlich. ({0}) Dazwischen lagen ja einige Jahre, in denen Tiermehl unter ganz anderen Regierungen in Deutschland verfüttert worden ist. ({1}) Es stimmt: Verbraucherschutz ist in aller Munde. Jetzt wird entschieden, ob Verbraucher nachhaltig geschützt oder verschaukelt werden. Die erste Frage im Hinblick auf den Antrag ist also, ob der Inhalt hält, was die Verpackung verspricht. Ich käme nie auf die Idee, Frau Kollegin Kopp - Sie kennen mich lange genug -, Ihnen und der F.D.P. zu unterstellen, dass Sie den Verbraucherschutz aushöhlen wollten. Dazu haben wir viel zu ernsthaft gemeinsam gestritten. Als Sie Mitte Oktober letzten Jahres, also mitten in den Haushaltsberatungen, in denen massive Kürzungsdrohungen im Raum standen, Ihren Antrag beschlossen haben, hielt ich ihn für sinnvoll, um Druck auszuüben. Die Überschrift „Stiftung Warentest in die Unabhängigkeit entlassen“ entsprach aber damals wie heute nicht dem Inhalt des Antrages und auch nicht dem, was mit ihm erreicht werden könnte. Dass Sie diesen Antrag ausgerechnet jetzt, da über BSE, Schweine-Antibiotika und viele andere Dinge diskutiert wird, auf die Tagesordnung setzen und ihn nicht still und leise beerdigen, was ich mir gewünscht hätte ({2}) - ja, dazu sage ich gleich etwas -, wirft eine ernste Frage auf: Steht Liberalisierung wirklich über dem möglichen und notwendigen Schutz von 80 Millionen Verbraucherinnen und Verbrauchern? Dabei - das will ich auch sagen - ist die Idee, die Stiftung durch einen Kapitalstock vom Wohlwollen des jeweiligen Bundesfinanzministers unabhängig zu machen, grundsätzlich ehrenwert. Wir haben beispielsweise mit der Wirtschaftsförderung über das ERP-Sondervermögen keine schlechten Erfahrungen gemacht.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Kopp?

Rolf Kutzmutz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002713, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Ja.

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Bitte sehr.

Gudrun Kopp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003160, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Kutzmutz, gestehen Sie uns Liberalen zu, dass das Anliegen im Oktober und heute noch viel mehr äußerst ernst war bzw. ist? Wir kümmern uns im Augenblick fast ausschließlich um die BSE-Krise und deren Bewältigung, was richtig ist, aber Verbraucherschutz ist eben sehr umfassend. Deshalb die Frage an Sie: Dieses Anliegen, die Stiftung Warentest in die Unabhängigkeit zu entlassen, ist in Zusammenhang damit zu sehen, dass wir möchten, dass die Stiftung ihre qualitativ hochwertige Arbeit uneingeschränkt weiterführen kann, ohne Jahr für Jahr von weiteren Finanzkürzungen bedroht zu werden. Vielmehr soll sie in die Lage versetzt werden, einen Kapitalstock aufzubauen. Sie soll in der Zwischenzeit weiterhin die Zuschüsse in Höhe von 11 Millionen DM erhalten, sodass sie ihre Arbeit danach aus eigenen Kräften auf der Basis, die sie derzeit nicht hat, und unabhängig von jeder Regierung, von jedem Finanzminister oder von jedem, der gerade zuständig ist, ausführen kann. Sind Sie bereit, das so anzuerkennen? ({0})

Rolf Kutzmutz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002713, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Liebe Kollegin, ich erkenne vieles von dem an, was Sie sagen. Ich erkenne auch Ihren liberalen Anspruch an und - das habe ich in meiner Einleitung gleich betont - ich würde Ihnen nie unterstellen, dass Sie den Verbraucherschutz sozusagen der Liberalisierung opfern wollen. Aber - das sage ich noch einmal ausdrücklich - die Gefahr besteht. Ich denke, die Stiftung Warentest wird die Unabhängigkeit, von der Sie suggerieren, dass sie erreicht werden könne, mithilfe der Mittel, die Sie aufbringen wollen, niemals erreichen. Ich sage auch noch etwas zu den Zahlen, Frau Kopp, weil ich mich dafür interessiert habe, wie die Verhältnisse im gesamten Wirtschaftsbereich aussehen. Ich werde Sie nicht überzeugen, das weiß ich. Sie haben Ihren Antrag ja mit gutem Herzen und mit viel Überzeugung geschrieben. ({0}) Ich will aber zumindest auf einige Punkte aufmerksam machen, die wir gemeinsam in den Ausschussberatungen beachten sollten. Ich komme noch darauf zurück. Wir haben also gute Erfahrungen in Zusammenhang mit dem ERP-Sondervermögen gemacht; da gibt es einen Kapitalstock. Aber ich sage auch: Kein Mensch käme darauf, diesen Kapitalstock jedes Jahr durch Substanzverzehr aufzubrauchen. Jeder, auch wir, achtet darauf, dass dieser Kapitalstock erhalten bleibt. 100 Millionen DM für die Stiftung sind, gelinde gesagt, ein schlechter Witz. Selbst wenn man die eigenen Rücklagen berücksichtigt, könnten bei einem solchen Kapitalstock und ohne Gefahr zu laufen, die Substanz anzugreifen, jährlich maximal 6,5 bis 7 Millionen DM aufgebracht werden; immerhin waren im Vorjahreshaushalt der Bundesregierung trotz der von uns gemeinsam erfolgreich bekämpften Kürzungspläne der Bundesregierung noch 8 Millionen DM eingestellt. Jetzt sind im Haushalt 11 Millionen DM eingestellt. Sie begründen Ihren Antrag damit, liebe Kolleginnen und Kollegen von der F.D.P., dass es seit 13 Jahren Zuschüsse in unveränderter Höhe gegeben hat. Das hätte man gutwillig durchaus als Selbstkritik durchgehen lassen können. Schließlich hat Ihre Partei in elf dieser 13 Jahre den Bundeswirtschaftsminister gestellt. Nicht einmal der Inflationsausgleich ist beim Verbraucherschutz jedes Jahr beachtet worden. Die erneuten Kürzungspläne jetzt zum Anlass zu nehmen, den Bundeszuschuss faktisch zu halbieren, halte ich für ein starkes Stück. ({1}) Dem Ganzen setzt jedoch Ihre Forderung die Krone auf - jetzt komme ich zu Ihrem Punkt -, der Bund solle sich komplett aus der Stiftung zurückziehen. Sie nennen das: Entlassung in die Unabhängigkeit. Glauben Sie wirklich ernsthaft, dass in der Marktwirtschaft mit den Erkenntnissen, die auch Sie haben, dem Rückzug des Bundes nicht der Einzug ganz anderer Firmen und Leute folgen würde? ({2}) Meinen Sie wirklich, Verbraucherschützer ohne öffentliche Hand im Rücken blieben unabhängig, wenn sie mit ihrem 100-Millionen-DM-Etat einen Bereich kontrollieren und bewerten, in dem jährlich 60 Milliarden DM für Werbung eingesetzt werden? ({3}) Bei 60 Milliarden DM wollen Sie mit 6 Millionen, 8 Millionen oder 10 Millionen DM etwas kontrollieren? 140 Millionen DM stehen beispielsweise der Centralen Marketinggesellschaft der deutschen Agrarwirtschaft zur Verfügung - jene CMA, die derzeitig auf allen Plakatwänden Spitzenköche zur Fahndung ausschreibt. Ich glaube nicht, dass der Antrag geeignet ist, die Sache des Verbraucherschutzes wirklich voranzubringen. Ich bitte Sie herzlich, dass wir in den Ausschüssen - dorthin wird der Antrag überwiesen - ganz ernsthaft diskutieren. Vielleicht kann der Antrag ergänzt werden. In der jetzt vorliegenden Form können wir ihm aber nicht zustimmen. Ich möchte mit meiner letzten Bemerkung dem Herrn Staatssekretär sagen: Wenn Sie es mit dem Verbraucherschutz ernst meinen, dann können Sie mit unserer Unterstützung rechnen. Wir müssen noch darüber streiten, welches die wirksamste Form ist. Transparenz wird nicht alleine dadurch gesichert, dass sich der Staat zurückzieht. Es gibt auch in der freien Wirtschaft genügend schwarze Schafe. Danke schön. ({4})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich erteile der Kollegin Dr. Margrit Wetzel, SPD-Fraktion, das Wort.

Dr. Margrit Wetzel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002494, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kopp, ich will Ihnen durchaus zugestehen, dass Ihr Antrag mit Sicherheit gut gemeint ist. Aber Sie konnten schon den Ausführungen meiner Vorredner entnehmen, dass er in der Sache völlig daneben gerutscht ist. Der erste Ausrutscher - darauf haben schon mehrere Redner hingewiesen - ist der Begriff „in die Unabhängigkeit entlassen“. Dieser Begriff suggeriert schlicht und einfach, dass es jetzt eine Abhängigkeit gibt. ({0}) Aber genau die absolute Unabhängigkeit der Stiftung Warentest ist es, die ihre Anerkennung bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern, aber auch bei den Produzenten ausmacht, die sich den kritischen Untersuchungen stellen. Die absolute Neutralität macht die Einzigartigkeit der Stiftung Warentest aus. ({1}) Genau diese Neutralität schafft Akzeptanz. Es ist überhaupt keine Frage, dass wir diese erhalten wollen. Der wichtigste Punkt für die äußerlich sichtbare Unabhängigkeit ist die Tatsache, dass die Stiftung Warentest keine Anzeigenwerbung annimmt. ({2}) Genau das wollen wir nach wie vor unterstützen. ({3}) Dass der Bund deshalb Ausgleichszahlungen leistet, ist in der Vergangenheit völlig selbstverständlich gewesen. Man wird sich darüber unterhalten müssen, ob diese Regelung so bleiben kann oder ob sie geändert werden muss. Wichtig aber ist, dieses äußere Zeichen der Unabhängigkeit zu erhalten. Ich habe mir von der Stiftung bestätigen lassen, dass es unter keiner Regierung und zu keiner Zeit, seit es die Stiftung gibt, in irgendeiner Form irgendeinen Versuch der Einmischung in die Sacharbeit gegeben hat. Das heißt, die Unabhängigkeit der Stiftung Warentest war und ist gewährleistet. Wenn wir nun aufgrund der Staatsverschuldung Einsparungen vornehmen müssen, dann liegt für jeden, der Zuschüsse erhält, darin die Chance, die eigene Wirtschaftlichkeit zu überprüfen und gegebenenfalls Konsequenzen zu ziehen. ({4}) Genau das hat die Stiftung gemacht: Sie hat Kosten gesenkt, Einnahmen erhöht und hat ihrerseits alles getan, trotz der notwendigen Kürzung der Mittel die gleiche Leistung und Qualität zu liefern. Ich denke, an dieser Stelle gebührt der Stiftung Warentest ein ganz großes Dankeschön, dass das erreicht worden ist. ({5})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Frau Kollegin, die Kollegin Kopp möchte Ihnen eine Zwischenfrage stellen.

Dr. Margrit Wetzel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002494, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich lasse die Zwischenfrage nicht zu. Mir würde es zwar Spaß machen, darauf zu antworten. Aber da sich Herr Koppelin eben bei Frau Teuchner bedankt hat, dass sie mit Rücksicht auf die Kollegen, die nachher noch reden, keine Zwischenfrage zugelassen hat, möchte auch ich keine Zwischenfrage zulassen. Diesen Dank möchte ich mir ebenfalls verdienen. ({0}) Der nächste Punkt ist die angebliche Existenzbedrohung durch die Kürzung. Natürlich finden auch wir die Kürzung nicht gut. Wir wollen versuchen, sie zu verhindern. Aber daraus nun gleich eine Existenzbedrohung für die Stiftung konstruieren zu wollen ist einfach absurd. ({1}) Auch die Einnahmen aus Anzeigen können zurückgehen. Es gibt immer Schwankungen, wenn man sich am Markt behaupten will. Die Stiftung hat aber gezeigt, dass sie in der Lage ist, auf Schwankungen sofort zu reagieren. Wir sind in großer Sorge, dass die Stiftung die Prüfungen einschränken muss, wenn ihr weniger Finanzmittel zur Verfügung stehen. Die Einschränkungen könnten sowohl hinsichtlich der Tiefe - die Prüfungen würden also nicht mehr so genau sein - als auch hinsichtlich der Breite - es würden weniger Projekte in Angriff genommen werden - erfolgen. All das würde die Qualität beeinträchtigen. Deswegen wollen wir keine Reduzierung der Finanzmittel - im Gegenteil. Das ist eine ganz klare Aussage. Sie weisen in Ihrem Antrag kritisch darauf hin, dass nun auch noch Verbraucherinformationen im Internet angeboten werden sollen. Gott sei Dank gibt es diese Aufgabenausweitung. ({2}) Gott sei Dank wird ein Markt erschlossen, der der Stiftung eine weitere Verbreiterung ihres Angebots bringt und für mehr Akzeptanz sorgen wird. ({3}) Diese sinnvollen Angebote spielen auch Erlöse ein. Wir warten mit Spannung darauf, wie sich dieses Gebiet entwickelt. Hinzu kommt, dass jede Aufgabeneinschränkung kontraproduktiv wäre. Sie beklagen - das ist völlig absurd; ich komme gleich darauf zurück - beispielsweise die Bildungstests. Die Stiftung muss so viele Aufgaben übernehmen, wie es nur möglich ist. Ich möchte an dieser Stelle die Untersuchungen in Zusammenarbeit mit der EUKommission über Verkehrsflughäfen oder - heute gab es eine entsprechende Ticker-Meldung - die Untersuchungen über Brandschutz und Sicherheit in europäischen Bahnhöfe erwähnen. Das alles sind Dinge, mit denen sich die Stiftung Warentest einen Namen macht. Es gilt, dieses breite Aufgabenspektrum zu erhalten und die Stiftung darin zu unterstützen. Deswegen halte ich es für einen großen Ausrutscher, wenn Sie, wenn im Bildungsministerium überlegt wird, mit der Stiftung zusammen Bildungstests zu entwickeln, sagen, neue Aufgaben seien völlig unangebracht, und wenn Sie das öffentlich ausschreiben lassen wollen. ({4}) Ich halte das für völlig daneben. Wir haben eine öffentliche Diskussion über die Qualität von Bildungsangeboten, speziell von Bildungsangeboten im Internet; das ist ein völlig neuer Markt. Wenn man da auf dem Know-how, dem Wissen der Fachleute und der Infrastruktur der Stiftung Warentest aufbauen kann, ist das eine ganz hervorragende Sache. Wir sollten alles tun, um zu unterstützen, dass die Stiftung in diesen Aufgabenbereich hineinkommen kann. Dass dabei Vereinbarungen mit dem Ministerium getroffen werden und auch die finanzielle Seite abgesichert werden wird, ist doch völlig klar. Bisher hat die Stiftung nie ehrenamtlich gearbeitet und das soll sie auch in Zukunft nicht. Also wird das natürlich geklärt. Ganz nebenbei gesagt, arbeitet die Stiftung schon bei drei Projekten mit der Finanzierungshilfe des Bildungsministeriums, gerade im Bereich Internet. Ein letztes Wort zum Stiftungskapital; darauf sind schon einige meiner Kolleginnen und Kollegen eingegangen. Sie haben an dieser Stelle nichts anderes gemacht, als auf einen fahrenden Zug aufzuspringen. Sie wissen ganz genau, dass wir darüber diskutieren, die Stiftung mit dem notwendigen Kapital auszustatten. Warum Sie uns nun allerdings eine Ratenzahlung empfehlen, kann ich nicht verstehen. Wir sind doch nicht im Versandhandel. Man kann das also auch anders regeln. ({5}) - Es ist absolut absurd, auf der einen Seite mit Ratenzahlungen - ({6}) - Können Sie ein bisschen leiser dazwischenreden? Ich habe noch anderthalb Minuten, die ich gerne nutzen würde. Es ist sehr anstrengend, hier zu reden, wenn man ständig Ihre Zwischenrufe im Ohr hat. ({7}) - Das ist nicht unsachlich, sondern es ist, wenn wir über Stiftungskapital nachdenken, wichtig, dass wir von vornherein die notwendige Höhe zur Verfügung stellen und keine Ratenzahlungen vorsehen, ({8}) sodass wir in den folgenden Jahren nicht ständig über weitere Mittel, die jährlich dem Haushalt abgerungen werden müssen, nachdenken müssen. Wenn, machen wir eine vernünftige Sache. Den Prüfauftrag gibt es. Die Haushälter, die Arbeitsgruppen der Koalitionsfraktionen und auch das BMWi, das bisher dafür zuständig war, prüfen das ausgesprochen wohlwollend. Man kann das solide rechnen, indem man berücksichtigt, welche Rendite zu erzielen ist und welche Zuschüsse wir gezahlt haben. Wenn man davon ausgeht, dass über Zinsen 10 Millionen DM zusammenkommen sollen, können wir uns ausrechnen, dass das Stiftungskapital im Moment irgendwo zwischen 140 und 170 Millionen DM liegen müsste. Wir werden intensiv darüber beraten müssen, ob wir dieses Geld zur Verfügung stellen können, und wir werden das in den Ausschüssen auch tun. Wir wissen alle, dass wir uns in dieser Sache vollkommen einig sind: Wir wollen absolute Sicherheit für die Stiftung. An der Stelle noch ein Hinweis: Ihre Anregung, dass die Rücklagen der Stiftung in Stiftungskapital umgewandelt werden sollen, ist eine reine Milchmädchenrechnung. Sie können sich an fünf Fingern abzählen, dass die Einnahmen, die von der Stiftung aus diesen Rücklagen erwirtschaftet werden, in die tägliche Arbeit einfließen und die Zinsen insofern gar nicht als etwas, von dem man zehren kann, zur Verfügung stehen. ({9}) Deshalb bitte ich Sie, die Beratungen abzuwarten. Ihr Antrag ist ja im Grundsatz nicht verkehrt, aber, wie gesagt, an etlichen Stellen völlig daneben. Vor allem bitte ich Sie, der neuen Ministerin Zeit zu lassen, damit sie sich mit diesen Fragen in Ruhe auseinandersetzen kann. Denn auch einer neuen Ministerin müssen wir eine Chance für ganz seriöse Arbeit geben. Ich bedanke mich. ({10})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich erteile das Wort dem Kollegen Max Straubinger, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Verbraucherschutz, Verbraucherinformation und Verbraucherpolitik sind häufig Schlagworte in der Öffentlichkeit und sind aufgrund des erstmaligen Auftretens von BSE jetzt noch weit stärker in die Öffentlichkeit geraten. Das hat auch bei der Bundesregierung zu ersten Handlungen geführt. Sie konzentriert die Verbraucherpolitik im Landwirtschaftsministerium. Das tut zwar auch die Bayerische Staatsregierung, aber ich glaube, diese hat das Problem besser gelöst. Sie richtet ein eigenes Ministerium für Verbraucherschutz und für Gesundheit ein. ({0}) - Nein, das hat mit Rücktritten überhaupt nichts zu tun. Meines Erachtens ist vielmehr die Bewältigung der Krise für die Menschen in unserem Land das Entscheidende. ({1}) - Wenn ich die aktuelle Situation und die Krisen - von Schleswig-Holstein über Niedersachsen und andere Bundesländer - betrachte, stelle ich fest: Das ist im ganzen Land nötig. Verehrte Damen und Herren, ich glaube, dass es grundsätzlich zu begrüßen ist, Verbraucherschutzfragen zu bündeln, wobei dies natürlich schwierig ist, weil Verbraucherschutz eine Querschnittsaufgabe über viele Bereiche darstellt. Wir sollten durchaus auch danach fragen: Was überhaupt ist Verbraucherschutz? Zuerst möchte ich hier ausführen: Verbraucherschutz darf nicht zur Bevormundung der Verbraucher führen. Das, glaube ich, ist einer der wichtigsten Punkte. Vielmehr muss dem Verbraucher die höchstmögliche Sicherheit geboten werden, und zwar in folgenden Punkten. Erstens. Gesetzliche Verpflichtungen in den Produktionsverfahren müssen eingehalten werden; Einschränkungen und erhöhte Verpflichtungen zum Schutz der Verbraucher müssen in den beteiligten Wirtschaftskreisen ihre Berücksichtigung finden. Zweitens. Der Verbraucher muss ausreichende Informationen erhalten und der Hersteller muss seinen Unterrichtungspflichten nachkommen, um Vor- und Nachteile abwägen zu können. Drittens. Der Verbraucher muss durch ein Widerrufsrecht vor Überrumpelungen geschützt werden. Verehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, obwohl es in der Vergangenheit kein sehr populäres Thema war, hat die alte Bundesregierung im Verbraucherschutz wesentliche Verbesserungen erreicht. Ich erinnere gerade an gesetzliche Vorschriften und Änderungen, vor allem an die Vorschriften des BGB zu Pauschalreisen, an das Verbraucherkreditgesetz, das Gesetz über den Widerruf von Haustürgeschäften und ähnlichen Geschäften, an das Produkthaftungsgesetz und das Umwelthaftungsgesetz. Ich glaube, dies sind Gesetze, die auch mit Blick auf den vorsorgenden Verbraucherschutz zu verstehen sind. Aufgrund des heutigen Antrages der F.D.P.-Fraktion, die Stiftung Warentest in die Unabhängigkeit zu entlassen, ist es durchaus angebracht, auch das bisherige Handeln der rot-grünen Bundesregierung in den Fragen des Verbraucherschutzes und den Stellenwert des Verbraucherschutzes in ihrer Politik zu hinterfragen. Bisher gab es beim Bundeswirtschaftsministerium zwei entsprechende Einrichtungen: einen interministeriellen Ausschuss für Verbraucherfragen und einen Verbraucherbeirat. Beide Einrichtungen haben seit dem Amtsantritt der rot-grünen Bundesregierung nicht getagt bzw. sie wurden nicht berufen. Ich glaube, dies wirft durchaus ein bezeichnendes Licht auf den Stellenwert des Verbraucherschutzes in der Vergangenheit. Ich hoffe, dass dies besser wird. ({2}) Der Verbraucherausschuss beim Bundeslandwirtschaftsministerium hat - man höre und staune - mittlerweile sein 50-jähriges Bestehen gefeiert und ist schon fast eine ehrwürdige Einrichtung. Aber auch er hat bisher leider Gottes nur einmal getagt, nämlich am Rande der Grünen Woche. Das bedeutet, dass gerade bei der rot-grünen Bundesregierung in diesem Bereich durchaus Verbesserungen angesagt sind, und zeigt sehr deutlich, dass mit dem Verbraucherschutz stiefmütterlich umgegangen wurde. Dieser Umstand setzt sich auch in der Haushaltspolitik fort. Viele Vorrednerinnen und Vorredner sind bereits darauf eingegangen, dass die Stiftung Warentest in der Vergangenheit immer mit 13 Millionen DM aus dem Bundeshaushalt unterstützt wurde, damit sie ihre selbst gestellten Aufgaben, zum Beispiel die Produkttests und die Darstellung der Ergebnisse, unabhängig und unparteiisch durchführen konnte. Aufgrund des Vorschlages des Bundeswirtschaftsministeriums bei den Haushaltsberatungen 2001 wurden nur noch 8 Millionen DM für die Stiftung Warentest gewährt. Durch versammelten und gestärkten Einsatz quer durch alle Fraktionen des Hohen Hauses, des Parlaments, konnte zumindest eine Erhöhung auf 11 Millionen DM erreicht werden. ({3}) Aber es ist schon bezeichnend, wenn mit dem Zuwendungsbescheid an die Stiftung Warentest - Frau Kopp hat bereits darauf hingewiesen - gleichzeitig bedeutet wurde, dass die Stiftung Warentest im Jahre 2002 mit nur noch 8 Millionen DM Unterstützung rechnen kann. Diese Kürzungen schränken natürlich die Arbeit der Stiftung Warentest drastisch ein. Eine moderne Verbraucherpolitik bedeutet für mich die Respektierung des Grundsatzes „Privatautonomie des Einzelnen in einem wirtschaftlichen System mit hoher Transparenz“. Der Verbraucherschutz soll keine Bevormundung des Verbrauchers sein, sondern dem mündigen Verbraucher gewährleisten, dass er über Kriterien, die für seine Entscheidung maßgeblich sind, zutreffend und vollständig informiert wird. ({4}) Dies ist neben dem Schutz vor dem Überrumpeln des Verbrauchers durch geschickte Verkaufstaktiken und neben der Kontrolle der Produktionstechniken die tragende Säule des Verbraucherschutzes. Die Stiftung Warentest liefert seit vielen Jahren Informationen und Testergebnisse, die viele Produkte umfassen, und zwar nicht nur Verkaufsrenner, sondern auch Nischenprodukte. Das ist besonders wichtig; denn gerade Tests in diesem Bereich sind im Hinblick auf den Verbraucherschutz nützlich. ({5}) Angesichts der Kürzungsvorstellungen der Bundesregierung ist diese Arbeit gefährdet. Deshalb ist darauf hinzuwirken, dass die Stiftung Warentest zukünftig von politischer Unbill und vor allen Dingen von weiteren finanziellen Kürzungseinschnitten verschont wird. Deshalb werden wir in den Ausschussberatungen den Antrag der F.D.P. einer positiven Prüfung unterziehen. Besten Dank für die Aufmerksamkeit. ({6})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Herr Kollege, das war im Hinblick auf die Ihnen zustehende Redezeit eine Punktlandung. Nun freuen wir uns auf den Vertreter der Bundesregierung, auf den Parlamentarischen Staatssekretär Matthias Berninger.

Matthias Berninger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002627

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Meine Freude ist nicht ganz so groß: Ich war soeben beim Arzt. Ich habe eine leichte Magen-DarmGrippe. Wenn ich hier also gleich weglaufe, dann liegt das nicht am Thema. Das neue Ministerium, in dem ich Parlamentarischer Staatssekretär geworden bin, trägt den Namen „Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft“. Verbraucherschutz steht deshalb an erster Stelle, weil die Bundesregierung dem vorsorgenden Verbraucherschutz in den nächsten zwei Jahren ihrer Arbeit ein besonderes Augenmerk widmen wird. Vor diesem Hintergrund ist auch die Stiftung Warentest für uns ein sehr wichtiges Thema. Frau Kollegin Kopp, ich bin Ihnen deshalb dankbar, dass wir heute über einen Antrag bezüglich der Stiftung Warentest diskutieren. Ich finde, wir sollten über die Frage, wie eine solche Stiftung besser zu finanzieren ist, keinen politischen Streit führen. Das ist für mich nur eine Frage der Kalkulation. Wenn Sie Herrn Finanzminister Eichel überzeugen würden, uns beispielsweise 166,66 Millionen DM zur Verfügung zu stellen, dann würden wir uns überlegen, ob wir die Stiftung Warentest in Ihrem Sinne vollständig unabhängig machen. Wenn der Herr Finanzminister diese Mittel nicht zur Verfügung stellen wird, werden wir um jährliche Zuwendungen für diese Stiftung kämpfen. Eines ist aber in jedem Fall klar: Wir wollen, dass die Stiftung Warentest unabhängig ist, weil wir glauben, dass der Verbraucherschutz ein Thema ist, das sich nicht zum parteipolitischen Streit eignet, sondern alle Bürgerinnen und Bürger gleichermaßen betrifft und daher überparteilich sowie unabhängig zu betrachten ist. ({0}) Lassen Sie uns hier also nicht streiten und wenden Sie sich an den Finanzminister! Ich wäre auch für eine zweite Variante gerne zu haben: Wenn er nicht bereit ist, in einem Jahr das nötige Stiftungskapital anzuhäufen, kann er dies gerne auch in fünf Schritten tun. Dann bräuchten wir allerdings 189 Millionen DM. Als ehemaliges Mitglied des Haushaltsausschusses kann ich Ihnen dazu nur sagen: Ich wünsche Ihnen dabei viel Vergnügen. Ich vermute, das wird nicht klappen. Dennoch wird die Stiftung Warentest für uns eine ganz wichtige Institution sein. ({1}) Es ist kein Zufall, dass die Stiftung Warentest von allen deutschen Institutionen die höchsten Sympathiewerte hat. Diese Werte liegen höher als die des Parlamentes, die der Bundesregierung und sogar die der katholischen Kirche. Es ist kein Zufall, dass sie eine Art Leuchtturm unter den deutschen Verbraucherorganisationen ist. Das wollen wir für den vorsorgenden Verbraucherschutz nutzen. Denn ich glaube, die Verbraucherinnen und Verbraucher brauchen die Unterstützung der Stiftung Warentest. Das Thema Nahrungsmittel beschäftigt zurzeit uns alle. Die Bürgerinnen und Bürger sind besorgt, und das völlig zu Recht. Vorhin wurde über den Tiermehlskandal und über die in der Schweinemast verwendeten Antibiotika diskutiert. Lassen Sie mich gleich einmal klarstellen: Je kleiner die Tiere sind, desto mehr Antibiotika bzw. Medikamente erhalten sie. Der Zustand, den wir heute in der Massentierhaltung haben, ist nur aufrechterhaltbar, wenn man massenhaft Medikamente einsetzt. Das alles sind Themen, denen sich die Stiftung Warentest weiterhin widmen kann. Das sind Themen, über die die Verbraucherinnen und Verbraucher aufgeklärt werden müssen. Ich mache mir allerdings nichts vor: Solche Themen haben Konjunktur. Zurzeit reden alle über BSE. BSE und die Diskussion darüber werden aber dieses Land und die Landwirtschaft nur dann verändern, wenn die Verbraucherinnen und Verbraucher auf Dauer sensibilisiert bleiben. Ich freue mich, dass sie es heute sind. Ich wünsche mir aber - und das wäre eine Unterstützung für die Bundesregierung -, dass sie es auf Dauer bleiben, und um daran erinnert zu werden, ist die Stiftung Warentest sicherlich eine wichtige Einrichtung. Zwei erfolgreiche Publikationen gibt es: „Warentest“ und „Finanz-Test“. Am Beispiel der Zeitung „FinanzTest“ erkennen Sie, dass sich die Stiftung Warentest sehr frühzeitig auf neue Felder konzentriert hat, wo die Verbraucher Dinge nachgefragt haben, übrigens weit vor der Politik. In der Rentenpolitik ist über so etwas wie private Altersvorsorge über Jahre nicht geredet worden. Die Stiftung Warentest hatte ein besseres Gespür als die Politik sowohl der alten als auch der neuen Regierung dafür, dass die Verbraucher hier ein Interesse haben. Ich sehe es als eine Aufgabe des neuen Ministeriums, die Rentenreform positiv zu begleiten und die Unsicherheit der Verbraucherinnen und Verbraucher hinsichtlich der privaten Altersvorsorge möglichst gering werden zu lassen, für Aufklärung zu sorgen und den Menschen, die ihr Geld anlegen und im Alter dieses Geld auch haben wollen, die nötige Sicherheit zu geben. Das ist ein ganz wichtiges Thema für uns in den nächsten zwei Jahren. ({2}) Das Thema Bildungstest ist angesprochen worden. Es gibt immer mehr Bildungsangebote, übrigens auch priMax Straubinger vate Bildungsangebote, und die Qualität dieser Bildungsangebote ist für jemanden, der sie nachfragen will, nicht auf den ersten Blick erkennbar. Auch hier wollen wir einen Akzent setzen. Es wird nur eines von vielen Themen sein, wo wir Akzente setzen wollen; denn wir glauben, dass in einer Gesellschaft, die lebenslang lernt, die Weiterbildung ein wichtiges Thema ist, dass die Eigenverantwortung zählt und wir die Menschen unterstützen sollten. ({3}) Ich glaube, es gibt auch hier im Haus einen Konsens darüber, dass Marktwirtschaft nur funktioniert, wenn die Verbraucher faire Chancen haben. Es gibt viele Bereiche - Ernährung ist ein Bereich, Kinderspielzeug ist meiner Meinung nach ein ganz wichtiger Bereich -, wo vor allem die Verbraucherinnen und Verbraucher, die nicht viel Geld im Portemonnaie haben, keine fairen Chancen haben. Es ist die Aufgabe der rot-grünen Koalition, dafür zu sorgen, dass diese Chancen verbessert werden; denn dann funktioniert auch die Marktwirtschaft besser. Vielen Dank. ({4})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Ich glaube, ich spreche in Ihrer aller Namen, wenn ich dem Herrn Kollegen Berninger gute Besserung wünsche, damit er bald wieder auf die Beine kommt. ({0}) Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 14/4284 auf die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Abweichend von der Tagesordnung soll die Vorlage zunächst und federführend an den Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten überwiesen werden. - Heißt der Ausschuss noch so? - Also, der heißt jetzt auch anders, also Überweisung an den zuständigen Ausschuss. Damit sind Sie einverstanden? - Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 11 auf: Erste Beratung des von den Abgeordneten Brunhilde Irber, Iris Gleicke, Hermann Bachmaier, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD sowie den Abgeordneten Sylvia Voß, Ekin Deligöz, Christa Nickels, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gaststättengesetzes - Drucksache 14/4937 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Tourismus ({1}) Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Damit sind Sie einverstanden; dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und gebe der Kollegin Renate Gradistanac das Wort.

Renate Gradistanac (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003134, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir wollten nicht alles anders machen, sondern vieles besser. Heute Abend ist wieder einmal Gelegenheit, das zu beweisen. ({0}) - Danke für die Zustimmung. In der letzten Legislaturperiode wurde das Gaststättengesetz dahingehend geändert, dass alle Gastwirte mindestens ein alkoholfreies Getränk anbieten müssen, das nicht teurer sein darf als das preiswerteste alkoholhaltige Getränk. Leider mussten wir feststellen, dass diese für den Jugendschutz und auch für die Verkehrssicherheit wichtige Regelung in der Praxis - um es einmal vorsichtig auszudrücken - zu Unklarheiten geführt hat und zum Teil leer läuft. ({1}) Nach wie vor ist der Konsum alkoholischer Getränke günstiger als der alkoholfreier. ({2}) Ich denke, wir können das alle hin und wieder in unseren Wahlkreisen beobachten. ({3}) - Herr Hinsken, Sie werden doch da nicht auf einem Auge blind sein. ({4}) Das haben die Überprüfungen von Gaststätten durch verschiedene Verbraucherzentralen gezeigt. ({5}) Dabei sind die Gaststätten vornehmlich dazu übergegangen - Herr Hinsken, es ist schon spannend, wie sie das unterlaufen haben -, die Vorschrift formal nach Maßgabe der Einzelverkaufspreise der Getränke zu erfüllen, hinsichtlich der Mengenpreise aber zu unterlaufen. Hinzu kommt, dass dieses Vorgehen auch durch die Rechtsprechung bestätigt wurde. Wir stellen nun klar, dass die vorgeschriebene Preisrelation auf der Grundlage des hochgerechneten Preises für einen Liter der betreffenden Getränke zu gewährleisten ist, sodass zumindest ein alkoholfreies Getränk sowohl vom spezifischen als auch vom absoluten Preis her nicht teurer sein darf als das billigste alkoholische Getränk. Dies ist, so meinen wir, ein kleiner aber wichtiger Schritt, um es gerade Jugendlichen, die mit ihrem Geld oft knapp kalkulieren müssen, zu ermöglichen, ein alkoholfreies Erfrischungsgetränk statt Bier zu wählen, das in Gaststätten zumeist als billigstes Getränk angeboten wird. Soweit der Inhalt der Gesetzesänderung - leicht zu verstehen. Lassen Sie mich als Mitglied im Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und im Tourismusausschuss zwei Punkte aufgreifen: die Eindämmung des Alkoholkonsums, insbesondere bei Jugendlichen, und die Erhöhung der Verkehrssicherheit. Wie allgemein bekannt - heute Nachmittag konnten wir es ja auch noch einmal hören - gehört Deutschland leider zur europäischen Spitzengruppe beim Alkoholkonsum. Das heutige Gesetz kommt unserem, meinem Anspruch auf Suchtprävention ein Stück näher. Seit Anfang der 90er-Jahre ist der Anteil alkoholbedingter Unfälle deutlich zurückgegangen. Erfreulicherweise gab es ein Umdenken bei den Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmern. Dennoch ist die Zahl der Verkehrsopfer immer noch zu hoch. 14 Prozent aller Verkehrstoten starben an den Folgen eines Alkoholunfalls; so die Zahlen des Statistischen Bundesamtes aus dem Jahr 1999. Dabei fällt auf, dass sich die meisten Autounfälle an den Wochenenden ereigneten. Noch deutlichere Unterschiede zeigten sich in der tageszeitlichen Verteilung: Zwischen 18 Uhr abends und 4 Uhr morgens stieg der Anteil der Unfälle mit Personenschaden, die auf Alkohol zurückzuführen sind, auf 64 Prozent an. Nach Mitternacht - hier liegt ein deutlicher Schwerpunkt - steigt er noch stärker. Die Absenkung der Promillegrenze, heute im Plenum diskutiert, auf 0,5 Promille und die Änderung des Gaststättengesetzes werden - so meine Erwartung - bestimmt zur Erhöhung der Verkehrssicherheit beitragen. ({6}) Immer wieder höre ich aus uninformierten Kreisen - dazu gehören die Mitglieder des Parlaments natürlich nicht -, diese Gesetzesänderung verursache Kosten bei den Gastwirten. Das stimmt nicht. Das Gesetz tritt mit der Einführung des Euro am 1. Januar 2002 in Kraft. Die Getränkekarten müssen dann sowieso auf die neue Währung umgestellt werden. Meine Damen und Herren, nicht nur in der Politik, aber da ganz besonders sollte gelten: Wenn wir Erkenntnisse haben, dann besteht auch die Notwendigkeit zu handeln. Denn wenn man den Kopf in den Sand steckt - so ein afrikanisches Sprichwort -, bleibt doch der Hintern - wir im Schwarzwald sagen: das Ärschle - zu sehen. Vielen Dank. ({7})

Anke Fuchs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000611

Nun erteile ich das Wort dem Kollegen Klaus Brähmig, CDU/CSU-Fraktion.

Klaus Brähmig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000240, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! In der heutigen Sitzung beraten wir in erster Lesung über den Gesetzentwurf der Regierungskoalition zur Änderung des Gaststättengesetzes. Als tourismuspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion möchte ich die Fraktionsmitglieder von Bündnis 90/Die Grünen und der SPD dazu beglückwünschen, dass sie bereits zwei Jahre nach der Regierungsübernahme die erste eigenständige tourismuspolitische Initiative hier in den Bundestag einbringen. ({0}) Anscheinend ist nicht nur der Aufbau Ost zur Chefsache verkümmert. Meine Damen, meine Herren, mit welcher wirklich wichtigen Initiative beglücken Sie den Tourismusstandort und das Gastgewerbe in Deutschland? Mit einer Gesetzesänderung im Gaststättengesetz, die vor allem für mehr Jugendschutz und Verkehrssicherheit sorgen soll, ({1}) ein hehres Ziel, dem sich sicherlich alle verantwortlichen Politiker zunächst einmal verpflichtet fühlen.Wer ist nicht für den Schutz der Jugend und für die Erhöhung der Verkehrssicherheit? Dennoch gehört es meines Erachtens zur Pflicht eines Politikers, erst einmal zu prüfen, ob das ihm vorgelegte Gesetz eine wirkliche Verbesserung gegenüber der jetzigen Situation darstellt und das vorgegebene Ziel auch wirklich damit erreicht werden kann. ({2}) Diese Frage habe ich mir auch in diesem Fall gestellt und komme nach meinen Überlegungen zu folgendem Schluss: In der letzten Legislaturperiode wurde einvernehmlich zwischen allen Fraktionen das Gaststättengesetz dahin gehend geändert, dass alle Gastwirte ein alkoholfreies Getränk nicht teurer anbieten dürfen als das billigste alkoholische Getränk in gleicher Menge. Nach Einschätzung der Regierungskoalition ist nun aber nach einem Beschluss des Amtsgerichts Überlingen vom Juni 1997 eine Situation entstanden, die die Umgehung dieser Regelung fördert. Denn das Amtsgericht erkannte lediglich den absoluten Preis als Berechnungsgrundlage an. ({3}) Die Regierungskoalition fordert in dem heute vorliegenden Gesetzentwurf, dass der Preisvergleich in Zukunft auf der Grundlage des hochgerechneten Preises für einen Liter der betreffenden Getränke erfolgen soll. Die Forderung der Regierungskoalition ins Hochdeutsche übersetzt lautet also: Nach geltendem Recht ist beispielsweise folgende Preisgestaltung zulässig: In einer Gaststätte kosten 0,3 Liter Mineralwasser und 0,3 Liter Pils jeweils 3 DM und 0,5 Liter Hefeweizen kosten 4,90 DM. ({4}) Ich wage zu bezweifeln, dass ein Jugendlicher gerade deshalb zum Weizenbier greift, weil es hochgerechnet einen geringfügig günstigeren Literpreis hat. Bei der Getränkewahl sind wohl eher individuelle Vorlieben und Geschmacksfragen ausschlaggebende Faktoren. Die gerade genannte Preisgestaltung wäre nach der geplanten Änderung, liebe Frau Kollegin Gradistanac, nicht mehr zulässig. Entweder müsste der Gastwirt den Preis für das Mineralwasser senken oder den Preis für das Weizenbier anheben. Dies ist ein erneuter Eingriff in die unternehmerische Freiheit, ({5}) kompliziert die Preisgestaltung und missachtet die betriebswirtschaftliche Kalkulationsgrundlage des Mengenrabatts für Getränke in größeren Darreichungsformen. Weiterhin wird im Gesetzentwurf nicht spezifiziert dargelegt, aus welchen Gründen gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht. Ich frage Sie: Gibt es verlässliche Untersuchungen darüber, in welchem Umfang Gaststättenbetriebe tatsächlich unter Ausnutzung der Entscheidung des Amtsgerichts Überlingen alkoholische Getränke in größeren Einheiten so günstig anbieten, dass Jugendliche allein aufgrund der Preisgestaltung Alkohol konsumieren? Liebe Kollegin, Sie sprachen vorhin von Verunfallten. Es gibt überhaupt keinen Beweis, dass die Verunfallung tatsächlich nach einem Besuch einer Gaststätte erfolgt ist. Sie sind nur darauf eingegangen, dass der Unfall aufgrund von Alkoholkonsum stattgefunden hat. ({6}) Oder liegen Ihnen Erkenntnisse vor, in welchem Umfang Gastronomen auf besonders selten nachgefragte Getränke ausgewichen sind? Der Gesetzentwurf wirft weitere Fragen auf: Welche alkoholfreien Getränke sind jetzt beim Preisvergleich heranzuziehen? Was ist denn ein attraktives, dem üblichen Nachfrageverhalten angepasstes Getränk? ({7}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Ihr Gesetzentwurf berücksichtigt in keiner Weise regionale und betriebstypische Gesichtspunkte. In Diskotheken zum Beispiel erfreuen sich alkoholfreie Getränke mit aufputschender Wirkung, wie beispielsweise „Red Bull“, einer hohen Nachfrage. ({8}) Schließlich und endlich stellt sich die Frage: Was führt junge Menschen zu der Entscheidung, Alkohol zu konsumieren? Warum setzen alkoholisierte Jugendliche sich und andere der Gefahr eines Verkehrsunfalls aus, wenn sie noch aktiv am Straßenverkehr teilnehmen? Hier ist vor wenigen Stunden über dieses Thema diskutiert worden. Herr Schmidt, Ihren Beitrag habe ich mir sehr interessiert angehört. ({9}) Ist es wirklich der von Ihnen angenommene ökonomische Druck durch das relative Preisniveau oder sind es nicht vielmehr andere Faktoren, wie das Gruppenverhalten von Jugendlichen oder deren Imponiergehabe? Jugendliche haben heute zu jeder Tages- und Nachtzeit über den Einzelhandel, Kioske und Tankstellen unkontrollierten Zugang zu Alkohol, und das zu ungleich günstigeren Preisen als in Gaststätten und Diskotheken. Diese Problematik würde auch Ihr Gesetzentwurf nicht lösen. Wieder einmal zeigt sich in diesem Gesetzentwurf der uneingeschränkte Glaube, der Staat müsse alle Lebensbereiche des Menschen bis ins Detail regeln. ({10}) Warum machen Sie die Gastwirte verantwortlich für mangelnde Erziehung in den Familien, die Vermittlung falscher Vorbilder und eine anscheinend nicht jugendgemäße Präventionspolitik? ({11}) Warum wollen Sie Menschen aller Altersklassen noch weiter aus ihrer Eigenverantwortung entlassen und den Gastwirten eine Kontrollfunktion des Staates übertragen, die sie nicht erfüllen können? Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Jahre 2001, dem Jahr des Tourismus, sieht die Union diesen Antrag als ein nicht besonders geeignetes Signal; denn mit ihrem Anliegen will die Regierungskoalition noch mehr Bürokratisierung und Regulierung. ({12}) Der Tourismusstandort Deutschland und der Standort Deutschland insgesamt braucht das Gegenteil. „Deregulierung und Entbürokratisierung“ ist die Devise der Zeit. Bei der augenblicklich überhitzten Diskussion über BSE warte ich nur noch darauf, dass der Staat als Nächstes gesetzlich festlegt, dass jedes Restaurant in Deutschland gesetzlich verpflichtet wird, ein vegetarisches Gericht anzubieten, und dies womöglich noch preiswerter als das preiswerteste Gericht mit Fleisch. ({13})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege Brähmig, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.

Klaus Brähmig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000240, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bin gleich fertig. Dennoch werden wir als Fraktion uns eingehend mit dieser Initiative beschäftigen. Die von Ihnen genannte Argumentationskette ist meines Erachtens kein eindeutiger Beleg für die Notwendigkeit einer solchen Gesetzesänderung. Auf die Präzisierung Ihrer Argumentation in den Ausschussberatungen sind wir sehr gespannt. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Das Wort hat jetzt die Kollegin Sylvia Voß für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Sylvia Voß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003252, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Jahre 1930 trat eine Bestimmung in Kraft, die Gastwirte dazu verpflichtete, auch alkoholfreie Getränke anzubieten. Erst 72 Jahre später, ab dem 1. Januar 2002, wird Alkohol in Gaststätten tatsächlich nicht länger die finanziell attraktivere Variante sein. Wenn Jugendliche beispielsweise nach einem zünftigen Schlittschuhlaufen noch irgendwo zusammensitzen, etwas trinken und ein bisschen miteinander reden wollen, so bietet sich der Besuch einer Gaststätte an. Frei nach Wilhelm Busch: Da aber naht schon das Malheur: Wasser? Cola? Bier? Likör? Bei der Wahl der Getränke spielen immer mehrere Überlegungen eine Rolle. Da alle einigermaßen stark durchgefroren sind, erinnert sich mancher an die Sprüche der Alten, dass Alkohol von innen wärme. Vom kräftezehrenden Wettrennen sind die Jugendlichen natürlich auch ungeheuer durstig. Aus der Werbung ist ihnen bekannt, dass ein Glas kaltes Bier den Durst löscht. Da Jugendliche in ihren Entscheidungen nicht unwesentlich durch Gruppenzwang beeinflusst werden, kann auch der Wunsch, cool, trendy und erwachsen zu wirken, die Entscheidung für den Alkohol beeinflussen. Auf diese Erwägungen haben wir mit einer Änderung des Gaststättengesetzes natürlich keinen Einfluss. Hier müssen wir auf das Verantwortungsbewusstsein von Eltern und Medien vertrauen. Wir können und werden aber einen anderen Faktor beseitigen und ausschließen. Es ist einfach inakzeptabel und unverantwortlich, dass sich Jugendliche angesichts ihrer meist doch knappen Kassen quasi für ein alkoholisches Getränk entscheiden müssen, weil es das preisgünstigste Angebot auf der Getränkekarte ist. Eine Befragung von 7 604 Jugendlichen schon Anfang der 80er-Jahre ergab immerhin, dass bei preiswerteren nicht alkoholischen Getränken je nach Alter bis zu 24 Prozent der Jugendlichen auf den Konsum von Alkohol in Gaststätten verzichten würden. Daran knüpfen wir mit unserem Änderungsgesetz an. Wir mussten feststellen, dass mit Appellen an das Gastgewerbe in dieser Frage wenig zu gewinnen war, auch weil die einsichtigen Gastwirte - derer gab es eine ganze Menge - Wettbewerbsnachteile in Kauf nehmen mussten. Mit der gesetzlichen Regelung von 1994 sollten diese Wettbewerbsnachteile eigentlich beseitigt werden. Die neue Regelung, dass mindestens ein alkoholfreies Getränk nicht teurer zu verabreichen ist als das billigste alkoholische Getränk in gleicher Menge, sollte verhindern, dass insbesondere jugendliche Gaststättenbesucher ein alkoholisches Getränk bestellen, weil es billiger als die angebotenen nichtalkoholischen Getränke ist, obwohl sie eigentlich lieber ein alkoholfreies Getränk zu sich nehmen würden. Bei der gerichtlichen Auslegung des Gesetzes kam es jedoch zu sinnwidrigen Interpretationen, indem nur reale Ausschankmengen verglichen wurden, also 0,3 Liter Bier mit 0,3 Liter Cola. Abgelehnt wurde beispielsweise ein Vergleich mit dem nur in 0,5-Liter-Gläsern ausgeschenkten Weizenbier. Somit brauchte der Wirt nur in Gläsern der Größe, in denen er sein billigstes alkoholfreies Getränk serviert, sein teuerstes Bier auszuschenken und konnte dann sein billigeres Bier zu jedem beliebigen Preis anbieten, sofern er nur nicht so unvorsichtig war, dafür Gläser derselben Größe zu verwenden. Es kann aber nicht sein, dass die Apfelschorle zwar günstiger ist als das Bier, dass aber, wenn bei der Schorle nach 0,2 Litern der Boden des Glases erreicht ist, das Bierglas immer noch halbvoll oder - wie die Opposition jetzt sicher sagen würde - halbleer ist. ({0}) Es besteht Handlungsbedarf. Mit dem vorliegenden Änderungsgesetz wird gehandelt. Mit Art. 1 des Gesetzentwurfs zur Änderung des Gaststättengesetzes erreichen wir, dass ab dem 1. Januar 2002 das alkoholfreie Getränk auch dann günstiger bleibt, wenn der Preis auf einen Liter hochgerechnet wird. Die größte Selbstverständlichkeit für junge Menschen, sich in einer Gaststätte Saft oder Cola zu bestellen, ohne sich damit gegenüber den Konsumenten alkoholhaltiger Getränke finanziell schlechter zu stellen, wird somit gesichert. Immerhin sollten wir dabei auch bedenken, dass in Deutschland 5 Prozent der Jugendlichen als alkoholgefährdet gelten. 1 Million Kinder wachsen bei tabletten- und alkoholabhängigen Eltern auf. Im Jahre 1998 haben 10 Prozent der Frauen und 16 Prozent der Männer ihre Gesundheit durch übermäßigen Alkoholgenuss gefährdet. Auf die heutige Debatte zum Verkehrssicherheitsproblem ist schon hingewiesen worden; ich möchte es mir sparen, noch einmal darauf einzugehen. Ich möchte aber daran erinnern, dass Sie die 0,0-Promille-Grenze für Fahranfänger offensichtlich etwas scheinheilig gefordert haben. Von übermäßigem und frühzeitigem Alkoholkonsum, der ihnen im Alltag begegnet, gehen für Kinder und Jugendliche unübersehbare Gefahren aus. Es ist für die Bundesregierung aus diesen Gründen selbstverständlich, unklare Bestimmungen im Gaststättengesetz zu präzisieren, wenn diese auch nur ansatzweise dazu führen können, dass Kinder und Jugendliche nicht ausreichend vor den Gefahren des Alkohols geschützt werden. Wünschenswert - das will ich noch anmerken - wäre, dass Konsumenten alkoholfreier Getränke gegenüber den Alkoholtrinkern finanziell deutlich besser gestellt würden, wie wir dies in einigen nordischen Staaten durchaus vorfinden. Vielleicht sollten wir das in einem nächsten Schritt angehen. ({1})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Nächster Redner ist der Kollege Ernst Burgbacher für die F.D.P.-Fraktion.

Ernst Burgbacher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003063, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach Ihrer Rede, liebe Frau Voß, wird einem klar, wie kompliziert das Ganze ist. Das, was Sie in Ihren letzten Sätzen vorgeschlagen haben, in die Praxis übertragen zu wollen ist schon abenteuerlich. ({0}) Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Statt eine Debatte über diesen Gesetzentwurf zu führen, hätten wir lieber alle miteinander draußen Apfelschorle trinken sollen. ({1}) Dann wäre es uns wohler und wir hätten für Umsatz gesorgt. Am Problem würde sich nichts ändern. Jetzt ganz ernsthaft. Dass der Kampf gegen Alkoholmissbrauch, insbesondere bei Jugendlichen, eine ernste Sache ist, ist hier doch völlig unbestritten. Dass wir alle aufgerufen sind, alles uns Mögliche dagegen zu tun, ist auch völlig unbestritten. Mit dieser Keule, die Sie wieder bringen - der Staat soll neue Regelungen machen, der Staat soll Gesetze ändern -, ({2}) werden wir in diesem Fall überhaupt nichts erreichen. ({3}) Wir haben eine Regelung. Diese Regelung hat sich vielleicht in manchen Teilen nicht bewährt. Ihr jetziges Vorgehen ist aber typisch: Wenn irgendwo Missstände sind, kommt die staatliche Keule und es müssen Gesetze her. Sie fragen nicht danach, was man in der Realität anders machen könnte. Worauf läuft das, was Sie hier machen, hinaus? ({4}) Lieber Herr Mosdorf, Sie haben zwischen meiner und Ihrer Rede noch eine Rede lang Zeit. Sie können mir ja nachher sagen, ob es genehmigt ist, wenn mir ein Mineralwasser und ein Pils mit jeweils 0,3 Litern für 3,20 DM und außerdem ein Bier mit 0,5 Litern für 5,40 DM angeboten werden. Ich freue mich eigentlich auf Ihre neuen Regelungen; sie ermöglichen nämlich neue Berufssparten, zum Beispiel den „Preisnachrechner“ in der Gastronomie. ({5}) Es ist wirklich Irrsinn, auf so etwas überhaupt zu kommen. ({6}) - An dem dauernden Dazwischenplärren merkt man natürlich, dass Sie nicht zuhören wollen und dass Sie keine Argumente haben. Das ist dann immer das Beste. ({7}) Natürlich müssen wir das Problem ernsthaft angehen, aber doch nicht so, wie Sie es vorhaben. Es kann doch nicht sein, dass wir so in die Kalkulationsfreiheit der Wirte eingreifen, die zum Glück noch selbstständige Unternehmer und keine Verwalter irgendwelcher staatlicher Stellen sind. Es ist doch völlig normal, dass ein Wirt größere Mengen anders bepreist als kleinere Mengen. Das ist doch in der Kalkulation enthalten. Jetzt kommen Sie und sagen, alles müsse nun auf den Literpreis hochgerechnet werden. Ich frage mich wirklich, wo da der Funken betriebswirtschaftlicher Verstand ist. Der sollte doch wenigstens noch erkennbar sein. ({8}) Überlegen Sie sich doch, wie die jungen Leute in der Praxis verfahren! Es ist doch schlichtweg weltfremd, anzunehmen, dass die den Taschenrechner nehmen und ausrechnen, welches Getränk billiger ist. Aber genau diese Rechnungen müssten sie doch machen; denn es gibt Preise für 0,3 Liter, 0,5 Liter oder für andere Einheiten. Davon ausgehend sollen sie jetzt ausrechnen, welches Getränk das billigste ist? Weltfremder geht es doch wirklich nicht mehr! ({9}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, den Problemen, die wir in diesem Bereich, aber auch im Tourismusbereich haben - Kollege Brähmig hat es angesprochen -, mit ernsthaften Initiativen zu begegnen und nicht Scheingefechte auszutragen, die zu nichts führen, das Ganze eher unglaubwürdig machen und die Branche mit unsinnigen bürokratischen Regeln noch weiter belasten. Das sollten wir doch wirklich bleiben lassen. ({10})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Jetzt spricht die Kollegin Rosel Neuhäuser für die PDS-Fraktion.

Rosel Neuhäuser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002744, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist schwierig, in drei Minuten auf die Dinge einzugehen, die hier schon gesagt worden sind. Natürlich hat der Staat eine Fürsorgepflicht, Herr Brähmig, auch für die gesundheitliche Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. Nach der UN-Kinderrechtskonvention haben die Kinder ein Recht auf gesundheitliche Fürsorge des Staates. ({0}) Auch in diesem Zusammenhang sollte man dieses Gesetz sehen. ({1}) - Es geht aber um Kinder und Jugendliche. Unter das Jugendschutzgesetz fallen sie bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres. Auch wenn sie jünger als 18 Jahre sind, dürfen sie Alkohol in Gaststätten trinken. Mit dem vorliegenden Gesetz wird nicht nur eine Lücke im Gaststättengesetz geschlossen, sondern hiermit wird auch ein weiterer Schritt zur Verbesserung des gültigen Jugendschutzgesetzes getan. Ich denke, dass angesichts der unübersehbaren Gefahren für Kinder und Jugendliche, die vom Alkohol ausgehen, frühzeitiger und übermäßiger Alkoholkonsum eingedämmt werden muss. Durch die Neuregelung des Jugendschutzgesetzes werden bestehende Regelungen beibehalten bzw. auch ausgebaut, zum Beispiel zur Bekämpfung des Alkoholmissbrauchs durch Minderjährige. Die Beschränkung des Aufenthaltes von Kindern und Jugendlichen in Gaststätten gehört aus meiner Sicht weiterhin zu den gesetzlichen Schwerpunkten der Prävention von Alkoholmissbrauch. Was nützt aber eine gesetzlich verordnete Beschränkung, wenn, wie durch die Regelungen dieses Gesetzes nicht ausgeschlossen, nach wie vor der Anreiz besteht, alkoholische Getränke zu kaufen, weil alkoholfreie Getränke viel teurer sind? So werden Kinder und Jugendliche durch entsprechende Angebote in nicht unerheblichem Maße zum Alkoholkonsum animiert. Es wäre ein wichtiger Schritt, dieses Problem zu beseitigen. Gesetze und Regelungen werden aber nicht schon wirksam, wenn sie beschlossen sind, sondern sie werden erst dann wirksam, wenn sie umgesetzt werden und in den entsprechenden Bereichen auch beachtet werden. Bei der Frage des Alkoholgenusses spielen nicht nur die Gaststätten eine Rolle, sondern hier stellt sich aus meiner Sicht eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. ({2}) Ich brauche sicher nicht darüber zu sprechen, wie sich Alkoholmissbrauch auf die Gesundheit, auf die Verkehrssicherheit - das wurde schon von Frau Voß und anderen Rednern angesprochen - oder auch auf den gesamten sozialen Bereich auswirkt. Meine Überzeugung und auch die meiner Fraktion ist, dass kein Jugendlicher aufgrund von Mengen- und Preisangaben Hochrechnungen anstellt und dann das billigste Getränk wählt. Hier sind neben den Veranstaltern wir alle gefordert, um im Bereich der Prävention tätig zu werden. Das hat Herr Burgbacher hier eben noch einmal deutlich gemacht. ({3}) Ich möchte auch ein Augenmerk darauf richten, dass junge Leute sehr reisefreudig sind. Jeder, der einmal mit jungen Menschen unterwegs war, weiß, dass gerade auf Gruppenfahrten das Probieren von solchen Sachen eine wichtige Rolle einnimmt. Auch in diesem Bereich des Jugendschutzes muss auf das Problem hingewiesen werden, damit die Betreuer von Kindern und Jugendlichen ihren Einfluss geltend machen können. Kinder und Jugendliche sollen nicht dazu verleitet werden, in der Kaufhalle alkoholische Getränke zu kaufen, weil die alkoholfreien Getränke in der Gaststätte zu teuer sind. ({4}) Hier sind wir alle gefragt. Die Unterstützung dieses Gesetzes ist ein Schritt, um den Jugendschutz entsprechend zu würdigen. ({5})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Siegmar Mosdorf.

Siegmar Mosdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001535

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind uns darüber einig, dass wir alles tun wollen, um Alkoholmissbrauch zu verhindern und zu vermeiden, dass Jugendliche Alkohol trinken und hinterher womöglich Auto fahren. Dies wollen wir alle gemeinsam erreichen. ({0}) Ich darf übrigens darauf hinweisen, dass hier eine Kollegin anwesend ist, die diese Sorge als Gesundheitsministerin schon 1980 geäußert hat: Anke Fuchs. ({1}) Anke Fuchs hat das Problem auf den Punkt gebracht. Wir haben damals leider zu wenig Zeit zum Regieren gehabt. Hätten wir mehr Zeit gehabt, Anke, dann hätten wir das schon entschieden. ({2}) Nun ist es so, Herr Brähmig - das haben Sie damals noch nicht mitbekommen -, ({3}) dass Ihre Kollegen 1994 den § 6 des Gaststättengesetzes geändert haben. Dort steht nun: Ist der Ausschank alkoholischer Getränke gestattet, so sind auf Verlangen auch alkoholfreie Getränke zum Verzehr an Ort und Stelle zu verabreichen. Davon ist mindestens ein alkoholfreies Getränk nicht teurer zu verabreichen als das billigste alkoholische Getränk in gleicher Menge. Das ist der Beschluss Ihrer Regierung gewesen. ({4}) - War er 1994 schon dabei? Gut, ich wollte nur sagen, dass dies ein Beschluss Ihrer Regierung war. Das Problem ist nur: Dieser Beschluss hat wie viele Ihrer Beschlüsse keine Wirkung entfaltet. ({5}) - Herr Koppelin ist damit nicht befasst gewesen. Im Übrigen musste ich mich gerade sehr auf den Verlauf der Debatte konzentrieren; denn Herr Koppelin hat mir einige Witze erzählt, die ich hier aber nicht wiedergeben will. Einer war: Was macht ein frustrierter Mann? Er geht in die Gaststätte; die zweite Hälfte will ich nicht erzählen. - Im selben Moment präsentierte Herr Burgbacher sein Rechenbeispiel. Damit muss man rechnen, wenn man weiß, dass Herr Burgbacher Mathematiklehrer ist. Aber Sie haben sich getäuscht, Herr Burgbacher. Ich habe in der Schule im Kopfrechnen eine Eins bekommen. Deswegen konnte ich alles sofort umrechnen und bin zu folgendem Ergebnis gekommen: Sie fragten, ob es in Ordnung ist, wenn das 0,3-Liter-Getränk 3,20 DM kostet und das 0,5-Liter-Getränk 5,40 DM. Meine Antwort ist: Wenn der Gastwirt für das 0,5-Liter-Getränk 5,30 DM verlangt hätte, wäre es nicht in Ordnung gewesen. Bei 5,40 DM stimmt das Verhältnis. ({6}) - Sie bestätigen das Ergebnis. Wir haben beide ein Talent für das Rechnen. Es ist wirklich ein ernstes Thema; das sehen wir sicherlich alle so. Wir alle wissen, dass junge Leute, die abends in die Diskothek gehen und wenig Geld haben, mehr als einen Apfelsaft von 0,2 Litern trinken wollen, weil sie dort tanzen und schwitzen ({7}) und leben. ({8}) - Wir wollen jetzt nicht über die Diskotheken in der Sächsischen Schweiz reden, Herr Brähmig.

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Brähmig?

Siegmar Mosdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001535

Ich kann nie eine Zwischenfrage von ihm ablehnen.

Klaus Brähmig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000240, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, wir sind uns sicherlich darüber einig, dass hier etwas getan werden muss. Ich habe versucht, das darzustellen. Aber ich bitte Sie, deutlich zu machen, wieso der Gastwirt als der Verhinderer des Alkoholkonsums für Jugendliche gelten soll. Wenn ich im Einzelhandel oder an Automaten alkoholfreie Getränke billig kaufen kann, besteht doch kein Zusammenhang zum Kauf in einer Gaststätte. Diese Frage hätte ich gern beantwortet.

Siegmar Mosdorf (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001535

Herr Brähmig, ich möchte Ihre Frage beantworten. Das Problem ist - aber vielleicht können wir ja gemeinsame Anstrengungen in dieser Richtung unternehmen -: Sie überlegen immer, warum es nicht geht. Wir überlegen, was geht. Das ist der Unterschied. ({0}) Nun einmal im Ernst: Herr Burgbacher, Sie müssen doch nicht alles nachsingen, was die CDU sagt. F.D.P. bedeutet liberal, unabhängig. ({1}) Ich will doch nur sagen: Wir sind uns einig in dem Begehren, ({2}) dass die jungen Leute, wenn sie abends in die Disco gehen, etwas trinken sollen, aber möglichst keinen Alkohol, zumal wenn sie mit dem Auto der Eltern oder mit der Vespa dort sind. Es muss für sie ein entsprechendes Angebot da sein; darüber sind wir uns einig. Über eines sind wir uns doch im Klaren: Die Eltern tragen eine hohe Verantwortung dafür, dass die Kinder vernünftig mit solchen Dingen umgehen. Dies darf man nicht dem Staat zuschieben. Die Eltern, wir alle tragen eine hohe Verantwortung. ({3}) Aber der Staat hat auch eine Ordnungsfunktion. Er schreibt nicht vor, was getrunken werden soll, sondern sagt: Wir schaffen Rahmenbedingungen. Ich kenne einige Gastwirte, die das jetzt schon praktizieren. Im Schwarzwald gibt es viele Gastwirte, die wollen, dass die Jugendlichen auch zu ihnen in die bürgerliche Gaststätte kommen und etwas Anständiges trinken, und die für sie gezielt entsprechende Angebote bereithalten. Deshalb schaffen wir nun ein Rahmengesetz, das auch gerichtsfest ist. Ihres war es nicht; Sie wissen es. Wir wollen nicht, dass sich die Justizministerin diesbezüglich ständig mit den Gerichten herumschlagen muss. Deshalb erarbeiten wir ein ordnungspolitisch sauberes Gesetz. Aber im Begehren sind wir einig. Ich hoffe, dass wir damit einen Fortschritt erzielen und unsere Jugendlichen dann Apfelsaft oder Wasser trinken, sich vergnügen können und ihnen beim Nachhausefahren nichts geschieht. Das ist, glaube ich, unser wichtigstes Anliegen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({4})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Der letzte Redner in dieser Debatte ist der Kollege Ernst Hinsken für die CDU/CSU-Fraktion.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ein weiter Bogen wurde heute von meinen Vorrednerinnen Frau Gradistanac und Frau Voß gespannt. Es wurde über Alkoholunfälle und über Alkoholkonsum gesprochen. ({0}) Dies wurde damit in Zusammenhang gebracht, dass das Angebot an alkoholfreien Getränken in den GastwirtParl. Staatssekretär Siegmar Mosdorf schaften scheinbar nicht so ist, wie es sich der Gesetzgeber gewünscht hat. Ich habe mich im Jahre 1994 in die Erarbeitung des Gesetzes eingebracht, habe dafür gekämpft, dass gesetzlich festgelegt wird, dass wenigstens ein alkoholfreies Getränk genauso billig sein muss wie das billigste alkoholhaltige Getränk bei gleicher Menge. Wenn man früher selbst in Jugendorganisationen engagiert war, lässt man sich gern etwas sagen. Ich habe damals vom Vorsitzenden des Kreisjugendrings meines Heimatlandkreises, Josef Zellmeier, die Bitte vorgetragen bekommen, dass ich in dieser Angelegenheit tätig werden soll. Das Gesetz wurde beschlossen. Nach sechs Jahren wissen wir: Es war eine richtige Entscheidung. Schließlich entscheidet unsere Jugend doch häufig ausschließlich nach dem Preis. Ich habe mich gerade in den letzten Tagen noch einmal sachkundig gemacht und festgestellt, dass die Hotel- und Gaststättenverbände ausdrücklich erklärt haben, dass sich ihre Mitglieder auch an den Gesetzestext und -inhalt halten. Frau Kollegin Gradistanac und Frau Kollegin Voß, ich empfinde es als ganz üble Unterstellung, wenn Sie hier ans Rednerpult treten und sagen, dass sich viele Gastwirte nicht daran halten. Den Beweis dafür müssten Sie erst noch erbringen. Dies kann im Protokoll nachgelesen werden und die Betroffenen werden sich das nicht ohne weiteres gefallen lassen. ({1}) Mir leuchtet nicht ein, dass dieses Gesetz, das wir vor gut sechs Jahren beschlossen haben, nun geändert werden soll. Nach dem Gesetzentwurf der Regierungskoalition soll das preisrechtliche Gebot künftig nicht nur für die kleinste Menge gelten, sondern auch dann, wenn größere Mengen konsumiert werden. Für wie blöd werden denn die Jugendlichen gehalten? Meinen Sie, dass diese nicht in der Lage sind, 3 DM mit der Zahl fünf zu multiplizieren und zu erkennen, dass der Preis unter Umständen in gleichem Umfang wie die Menge gestiegen ist? Ich setze in diesem Fall auf die Vernunft und das rechnerische Können der Jugend, die, Herr Staatssekretär Mosdorf, nicht nur im Kopfrechnen stark ist, sondern insgesamt gute Noten aufweist. Bevor eine solche Gesetzesänderung vorgenommen wird, sollten eine Befragung von Jugendämtern und entsprechende Kontrollen durchgeführt werden. ({2}) Gerade in einer Zeit, in der von allen Seiten nach Deregulierung gerufen wird, sollte man die Hotellerie und Gastronomie nicht mit weiterer Bürokratie belasten. Herr Kollege Mosdorf, ich habe Sie im Ausschuss des Öfteren als einen Freund der Deregulierung erlebt und kennen gelernt. Wenn Sie hierher kommen und sagen: „Wir überlegen, was geht,“ auf uns deuten, und sagen: „Die überlegen, was nicht geht“, dann bezeichnen Sie damit genau das Gegenteil von dem, was Sie jetzt machen, nämlich eine gute Regelung zu beseitigen und der Bürokratie das Wort zu reden. So darf das doch nicht sein! ({3}) Eine solche Regelung bedeutet einen weiteren Eingriff in das Geschäftsgebaren von Wirten. Deshalb ist meine Forderung: Erst wenn Ergebnisse einer solchen Befragung vorliegen, sollte über eine Gesetzesänderung entschieden werden. ({4}) Die Bundesregierung hat bisher nicht ausreichend dargelegt, warum Regelungsbedarf besteht. Es fehlen Angaben darüber, ob es tatsächlich in größerem Umfang einen Missbrauch bzw. eine Umgehung der bisherigen Regelung durch Gastwirte gegeben hat. Ich glaube das nicht. Ich glaube, was mir gesagt wurde. Schwarze Schafe, die sich nicht an bestehende Vorschriften halten, gibt es immer wieder. Man kann für diese Fälle Kontrollen durchführen, damit sich die Betroffenen an das halten, was der Gesetzgeber vorschreibt. Deshalb: Erst Fakten auf den Tisch und dann handeln und nicht umgekehrt! Das ist unsere Marschrichtung und unsere Devise, Herr Staatssekretär. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({5})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 14/4937 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 12 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Norbert Geis, Maria Eichhorn, Renate Diemers, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Ratifizierung des Haager Adoptionsabkommens -Drucksache 14/4932 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({0}) Innenausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Die Kolleginnen und Kollegen Margot von Renesse, Renate Diemers, Irmingard Schewe-Gerigk, Rainer Funke sowie Christina Schenk haben Ihre Reden zu Pro- tokoll gegeben.1) - Ich höre keinen Widerspruch. Inter- fraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Druck- sache 14/4932 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Auch hierbei sehe ich Ein- 1) Anlage 5 verständnis im Saale. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 13 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Christine Ostrowski, Gerhard Jüttemann, Rolf Kutzmutz, Roland Claus und der Fraktion der PDS Soforthilfe für konkursbedrohte Wohnungs- genossenschaften aus TLG-Beständen organi- sieren - Drucksache 14/4939 - Die Kolleginnen und Kollegen Dr. Peter Danckert, Norbert Otto, Franziska Eichstädt-Bohlig sowie Dr. Karlheinz Guttmacher haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.1) Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die PDSFraktion hat die Kollegin Christine Ostrowski.

Christine Ostrowski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001662, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Meine dagebliebenen Damen und Herren! In der heutigen Presse sagt Ihr Kollege Edelbert Richter über Staatsminister Schwanitz, er sei „ein netter Kerl, aber wir brauchen jemand, der mit der Faust auf den Tisch haut“. Ich denke, Herr Richter hat Recht. Ende 1998 hat Staatsminister Schwanitz von den zehn TLG-Genossenschaften einen Brief bekommen. In diesem Brief baten sie ihn - er ist schließlich der OstBeauftragte - um ein Gespräch, weil „die Genossenschaften in ihrer Existenz enorm gefährdet sind“. Herr Schwanitz ließ sich nicht aus der Ruhe bringen, er tat auch nichts, er schwieg einfach. Ein halbes Jahr später schrieben die Genossenschaften erneut an ihn, dann noch einmal im Oktober 1999. Dann gaben sie es auf. Vor wenigen Tagen, im Januar 2001, ist die erste der TLG-Genossenschaften in Leipzig mit 1 200 Wohnungen - und doppelt so vielen Bewohnern - in Konkurs gegangen. Zu retten ist sie nicht mehr. Es ist sogar fraglich, ob die Konkursmasse reicht und ob die Genossenschaftsmitglieder, die vorwiegend ältere Menschen sind und wahrhaftig nicht zu den Einkommensstärksten gehören, nicht nur ihre Genossenschaftsanteile verlieren, die überdurchschnittlich wertvoll sind - ihr Wert liegt nämlich zwischen 6 000 und 9 000 DM -, sondern sogar noch zuzahlen müssen. Außerdem ist ungewiss, wer die Konkursmasse übernimmt. Die Leipziger Genossenschaft ist die erste und die anderen neun Genossenschaften werden mit Sicherheit folgen, wenn Sie nichts tun. Die TLG-Genossenschaften entstanden folgendermaßen: In den Jahren 1992 bis 1996 war die Treuhandliegenschaftsgesellschaft mit der Verwertung von bundeseigenen Wohnungen beschäftigt. Sie wollte eigentlich an die Mieter direkt privatisieren; das ging aus den bekannten Gründen nicht. Also kam sie auf die Überlegung - das ist eigentlich ja nichts Schlechtes -, Mietergenossenschaften zu gründen. Sie umwarb insbesondere die Mieter an ehemaligen Industrie- und NVA-Standorten der DDR, also in den schwächsten Regionen Ostdeutschlands, eine Genossenschaften zu gründen. Sie warb mit dem Slogan: Gemeinsam wohnen - Mieter gründen eine Genossenschaft. - Es haben sich Mieter gefunden und sie haben eine Menge Geld eingezahlt: bis zu 12 000 DM Genossenschaftsanteile, weit über den Bundesdurchschnitt hinaus. Es wurden zehn Genossenschaften gegründet, die eine Sonderrolle gegenüber den bestehenden Genossenschaften spielen. Sie haben keine große Lobby. Aber in der krisengeschüttelten ostdeutschen Wohnungswirtschaft geht es ihnen im Vergleich zu allen anderen ebenfalls in sehr schwieriger Situation stehenden Wohnungsunternehmen am schlechtesten, weil erstens die Treuhandliegenschaftsgesellschaft ihnen in der Regel unsanierten Wohnungsbestand zu überhöhten Kaufpreisen „übergeholfen“ hat. ({0}) Sie haben für unsanierten Wohnungsbestand bis zu 600 DM pro Quadratmeter bezahlt. Das ist eine ungeheure Größe; das weiß jeder, der sich ein bisschen auskennt. ({1}) Sie sind zweitens deshalb über den Tisch gezogen wor- den, weil die Treuhandliegengesellschaft sie damals mit Verkehrswertgutachten umworben hat, die den Sanie- rungsaufwand für die unsanierten Häuser als viel geringer schätzten, als er in Wirklichkeit war; die Differenz betrug zwischen 300 und 500 DM pro Quadratmeter. Sie sind drittens auch deshalb über den Tisch gezogen worden, weil ihnen die Treuhandliegenschaftsgesellschaft Wirt- schaftlichkeitsberechnungen vorgestellt hat, in denen sie ihnen eine langfristige wirtschaftliche Perspektive garan- tiert hat. Selbstverständlich haben die Mieter, die nun Genos- senschafter geworden waren, im Vertrauen auf diese Gutachten gesagt: Wir haben eine Perspektive; wir wollen in eine Genossenschaft; also machen wir das. - Aufgrund dieser Gutachten gaben die Banken ihnen Kredite. Heute wissen wir, dass sie ungedeckt gewesen sind. Sie beka- men Kredite über den Gegenwert hinaus und heute sind die Genossenschaften - eigentlich nicht erst heute, schon 1998 - in einem Maße verschuldet, dass sie überhaupt gar keinen Ausweg mehr finden. Sie haben auch gegenüber bestehenden Genossen- schaften keine gesetzlichen Vorteile: Die Kappung von Altschulden auf 150 DM pro Quadratmeter hatten sie nicht, sie mussten mehr für den Kauf von Grund und Bo- den bezahlen, sie sind nicht von der Grunderwerbsteuer befreit worden usw. Nicht zuletzt war die TLG selbst die allerschärfste Konkurrentin, denn sie behielt in der Regel den sanierten Wohnungsbestand und konnte dadurch viel preiswerter vermieten als die ausgegründeten Genossenschaften. Ich sage Ihnen, meine Damen und Herren: Der Bund und die Banken haben hier die Hauptverantwortung. Hauptur- sache ist nicht das Missmanagement des einen oder Vizepräsidentin Petra Bläss 1) Anlage 6 anderen Geschäftsführers, auch wenn es das durchaus gegeben hat. Dazu kamen die Bevölkerungsabwanderung und der natürliche Bevölkerungsschwund. Der Wohnungsleerstand ist in diesen Wohnungsgenossenschaften exorbitant hoch. Unser Antrag mit vielen Detailmaßnahmen schlummert schon seit Wochen in der Schublade. Was wir heute wollen, ist nichts anderes als einen runden Tisch unter Leitung von Schwanitz, bei dem alle Beteiligten endlich beginnen, um eine gemeinsame Lösung zu ringen. ({2}) Dieser runde Tisch ist nicht mehr, aber auch nicht weniger als das Zeichen, dass man überhaupt gewillt ist, mit allen Beteiligten nach einer Lösung zu suchen. Diese Bereitschaft ist der Anfang von Lösungen; das ist immer so, ohne sie kommt das Ende der restlichen neun Genossenschaften. ({3})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der PDS mit dem Titel: „Soforthilfe für konkurs- bedrohte Wohnungsgenossenschaften aus TLG-Bestän- den organisieren“. Wer stimmt für diesen Antrag auf Drucksache 14/4939? - Wer stimmt dagegen? - Enthal- tungen? - Der Antrag ist gegen die Stimmen der PDS- Fraktion abgelehnt. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 10 a und b auf: 10a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Gerhard Friedrich ({0}), Thomas Rachel, Ilse Aigner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Eckpunkte für eine Reform des Hochschuldienstrechts - Drucksache 14/4382 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({1}) Innenausschuss Haushaltsausschuss b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike Flach, Cornelia Pieper, Birgit Homburger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P. Dienstrechtsreform an den Hochschulen konsequent für eine umfassende Hochschulreform nutzen - Drucksache 14/4415 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({2}) Innenausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Die Kolleginnen und Kollegen Dr. Peter Eckardt, Thomas Rachel, Axel E. Fischer, Antje Hermenau, Cornelia Pieper, Maritta Böttcher sowie der Parla- mentarische Staatssekretär Wolf-Michael Catenhusen haben ihre Reden zu Protokoll gegeben.1) - Auch hier sehe ich keinen Widerspruch im Hause. Deshalb kommen wir sogleich zu den Überweisungen. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf Drucksachen 14/4382 und 14/4415 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Ich sehe keinen Widerspruch im Hause. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 15 auf: 15. Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Heidi Lippmann, Carsten Hübner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS Aufhebung der Sanktionen gegen den Irak - Drucksache 14/4709 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({3}) Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss für Kultur und Medien Die Kollegen Christoph Moosbauer, Joachim Hörster, Ulrich Irmer sowie der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Dr. Ludger Volmer, haben ihre Reden bereits zu Pro- tokoll gegeben.2) Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die PDSFraktion hat der Kollege Wolfgang Gehrcke.

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mir erzählen lassen, dass die besten Filme im Spätprogramm laufen. Ich hätte schon immer gerne einmal das letzte Wort in einer Bundestagsdebatte gehabt. ({0}) - Ich weiß, das letzte Wort liegt bei Ihnen, Frau Präsi- dentin, ich finde aber, dass es bei dem Thema der Aufhe- bung der Sanktionen gegen den Irak nicht angehen kann, seinen Vorschlag nicht zu begründen. Aus meiner Sicht sprechen gegen eine Zustimmung zu unserem Antrag zur Aufhebung aller nicht militärischen Sanktionen gegen den Irak eigentlich nur zwei Gründe: erstens die Tatsache, dass wir den Antrag eingebracht haben, und zweitens die Furcht, sich öffentlich mit den USA und vor allen Dingen mit der neuen Administration, bei der die Golfkrieger dominieren, anzulegen. Ich bin aber der Überzeugung: Weder Parteitaktik noch Unterwürfigkeit sollten schwerer wiegen als politische 1) Anlage 4 2) Anlage 7 Vernunft und Humanität. Mit unserem Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen - vielleicht erzählen Sie das Ihren Kolleginnen und Kollegen weiter -, bieten wir Ihnen die Chance zu einem Akt der Selbstbefreiung aus den Dogmen, die ich genannt habe. Ich meine, Sie sollten die Chance nutzen. Wenn wir Parteitaktik und Unterwürfigkeit als Gründe für das Festhalten am Embargo ausschließen, bleiben zwei wesentliche Fragen. Die erste lautet: Haben die Sanktionen gegen den Irak Wirkung gezeigt? Ja, das haben sie, schlimme Wirkungen sogar; nicht auf den Diktator, sondern auf die Zivilbevölkerung. Seit Beginn und infolge des Embargos sind eine halbe Million Kinder gestorben. Das sagt die UNICEF, das sagt die Weltgesundheitsorganisation. Ein Drittel der Kinder im Irak leidet an Unterernährung. Das einst vorbildliche Gesundheitssystem steht vor dem Kollaps. Transportwesen, Energie- und Wasserversorgung sind durch das Embargo nachhaltig gestört. Gelbsucht, Cholera und Typhus grassieren. Auch daran sterben zuerst die Schwächsten, die Kinder. Kriegsfolgen zeitigen die 315 Tonnen der berüchtigten DU-Munition, die im Golfkrieg verschossen wurden. Schon damals haben Ärzte und Wissenschaftler vor den Folgen der uranhaltigen Munition gewarnt. Sie stießen auf taube Ohren in Washington und bei der NATO, auf taube Ohren allerdings auch im deutschen Verteidigungsministerium. Die Folge aber ist: Im Südirak stieg die Rate der Leukämie-Erkrankungen um 67 Prozent. Das alles ist bekannt und öffentlich, nicht zuletzt durch die Berichte des ehemaligen Koordinators für das humanitäre UNHilfsprogramm im Irak, Hans von Sponek, und der Leiterin des UNO-Ernährungsprogramms, Jutta Burghardt. Beide haben aus Protest gegen das Embargo ihren Dienst quittiert. Ich danke ihnen ausdrücklich für diese Zivilcourage. ({1}) Bleibt die zweite Frage: Hat das Embargo dazu beigetragen, die Macht von Saddam Hussein zu schwächen, sie einzuschränken oder ihn zu stürzen? Das war doch das erklärte Ziel des Embargos. Es ist verfehlt worden; das Embargo hat das Gegenteil bewirkt. Mit anderen Worten: Sollten die Embargo-Befürworter die Rechnung aufgemacht haben „Wir nehmen die Leiden der Zivilbevölkerung und die Kinderopfer in Kauf, um Saddam Hussein zu stürzen“, dann ist spätestens zehn Jahre nach dem Golfkrieg klar: Sie haben sich verrechnet. Ich halte eine solche Abwägung für inhuman. Auch wenn man zu einer anderen Schlussfolgerung kommt, muss man sagen, dass diese Politik gescheitert ist. Saddam Hussein regiert immer noch mit absoluter Macht und blutiger Unterdrückung. Er sitzt eher fester im Sattel als vor dem Krieg. Das Embargo hat politische Widersprüche im Irak eingeebnet; es hat einen falschen Schulterschluss befördert. Zum Feind, zum neuen Hitler und zum Schurkenstaat erklärt zu sein, müssen Diktatoren nicht fürchten. Ihre Angst ist soziale Wohlfahrt, demokratische Öffnung und Hilfe für die Menschen. ({2}) An uns liegt es jetzt, ohne Parteitaktik, ohne Unterwürfigkeit zu entscheiden: Soll die Bevölkerung weiter leiden? Können wir es mit unserem Gewissen vereinbaren, dass Kinder hungern, keine Bildung erhalten, dass Kinder an Krankheiten sterben, die heilbar wären? Wer nüchtern bilanziert, kann nur zu dem Schluss kommen: Das Embargo und die Sanktionen gegen den Irak müssen sofort aufgehoben werden. ({3}) In einem Bereich bin ich allerdings für das Embargo: kein Waffenexport und keine Lieferungen von Material, das waffentauglich ist - nicht in den Irak und nicht anderswo hin. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, können gegen das Embargo aufstehen oder Sie können es dulden und wegsehen. Zum Golfkrieg sagte Joseph Fischer vor zehn Jahren, damals war er Oppositionsführer einer kleinen, aber starken Oppositionspartei: Jetzt muss man aufstehen. Jetzt geht es wirklich um das massenhafte Nein ... Mir ist der alte Fischer ohnehin sympathischer als der neue; der Oppositionsführer ist mir sympathischer als der Minister. Gemäß der Aussage des alten Fischer sage ich heute: Jetzt muss man aufstehen; jetzt geht es wirklich um das massenhafte Nein - gegen das Embargo. Ich bitte Sie, im weiteren Verlauf der Beratung unseres Antrags die Abwägung, die ich vorgenommen habe, nachzuvollziehen und sich für eine Aufhebung des Embargos auszusprechen. Schönen Dank. ({4})

Petra Bläss-Rafajlovski (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000189

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 14/4709 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Ich sehe das Einverständnis im Hause. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit bereits am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 26. Januar 2001, 8 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.